Grundwissen Ideenmanagement
0115
2024
978-3-8385-6203-2
978-3-8252-6203-7
UTB
Claudia Hentschel
Peter Mühlemeyer
Norbert Thom
10.36198/9783838562032
Ideen allein sind fast nichts, erst ihre Umsetzung wird zeigen, ob sie zu Innovationen werden. Ideen sind aber der Energieträger für menschliche Erfindungen, Problemlösung und Zusammenwirken. Gutes Ideenmanagement wird zu neuen Ideen beflügeln, betriebliches Vorschlagswesen und kontinuierliche Verbesserung deren Energie bündeln, auch im Sinne von nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit und Mitarbeiterentwicklung.
Dieses Buch stellt kompakt und prägnant ausgewählte Methoden systematischer Innovation im Unternehmen vor. Es flankiert die Ansätze durch Vorschlagswesen und Verbesserungsmanagement. Klassische Kreativitätstechniken fungieren dabei als Denkwerkzeug, Probleme überhaupt zu erkennen und gleichermaßen kreativ-divergent und zielgerichtet-konvergent zu lösen.
Die einzelnen Kapitel erklären die Grundlagen und umfassen Lernziele, Definitionen, Beispiele, Fragen und Lösungen.
<?page no="0"?> Claudia Hentschel Peter Mühlemeyer Norbert Thom Grundwissen Ideenmanagement <?page no="1"?> utb 6203 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main UTB (M) Impressum_03_22.indd 1 UTB (M) Impressum_03_22.indd 1 23.03.2022 10: 23: 51 23.03.2022 10: 23: 51 <?page no="3"?> Claudia Hentschel / Peter Mühlemeyer / Norbert Thom Grundwissen Ideenmanagement UVK Verlag · München <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838562032 © UVK Verlag 2024 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro‐ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Heraus‐ geber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 6203 ISBN 978-3-8252-6203-7 (Print) ISBN 978-3-8385-6203-2 (ePDF) ISBN 978-3-8463-6203-7 (ePub) Umschlagmotiv: © Urupong ∙ iStockphoto Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi‐ bliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 1 7 1.1 7 1.2 12 1.2.1 12 1.2.2 13 1.2.3 17 1.2.4 41 1.3 42 1.4 46 1.5 50 1.6 52 2 55 2.1 55 2.2 58 2.3 61 2.4 62 2.4.1 63 2.4.2 65 2.4.3 67 2.5 84 3 89 3.1 89 3.2 90 3.2.1 90 Inhalt Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation . . . . . . . . Systematische Innovation - ein Widerspruch? . . . . . . . . . . Lösungen finden mit TRIZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen von TRIZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte klassische TRIZ- Werkzeuge . . . . . . . . . . . . . . Weitere TRIZ-Werkzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zukunft gestalten mit Design Thinking . . . . . . . . . . . . . . . . Trends erkennen mit trenDNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematische Innovationsmethoden in der Praxis . . . . . . . Systematische Innovation mit Blick auf Künstliche Intelligenz (KI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung und Entwicklung des IVM . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziele und Effizienzkriterien für das IVM . . . . . . . . . . . . . . . Barrieren gegen das Einreichen von Verbesserungsvorschlägen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Effiziente Gestaltung des IVM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Gestaltungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Generelle Führungsinstrumente zur Effizienzsteigerung des IVM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezifische Gestaltungsinstrumente für das IVM . . . . . . . . Neuere Entwicklungstendenzen im IVM . . . . . . . . . . . . . . . Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument . . . . . . . . . . . . . Einleitung/ Zielsetzung des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Begriff der Kreativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 3.2.2 93 3.2.3 98 3.3 99 3.3.1 100 3.3.2 111 3.3.3 114 3.4 115 117 117 119 122 123 123 126 128 129 133 135 143 145 Einflussfaktoren der Kreativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturierung von Kreativitätstechniken . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte Kreativitätstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intuitive Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskursive Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kombinierte Methoden (intuitiv und diskursiv): Walt-Disney-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreativitätstechniken in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben/ Fallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben zu Kapitel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallstudie zu Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zu Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungen/ Lösungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsskizzen zu Kapitel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsskizze zu Fallstudie aus Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungshinweise zu Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alle Kreativitätstechniken im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation Lernziele ■ Sie sollen die Bedeutung der systematischen Innovation für heutige sowie zu künftige Markt- und Kundenanforderungen erkennen. ■ Sie sollen die Grundzüge der systematischen Innovation mit Hilfe der Theorie des erfinderischen Problemlösens (TRIZ) kennenler‐ nen. ■ Sie sollen anhand einfachster Problemstellungen einzelne TRIZ- Werkzeuge anwenden und die Veränderung Ihrer Denkweise bei der Lösung erfahren. ■ Sie sollen weitere neue Methoden der systematischen Innovation kennenlernen. ■ Sie sollen die Konsequenzen systematischer Innovationswerkzeuge für den Innovationsprozess interpretieren. 1.1 Systematische Innovation - ein Widerspruch? Technologische Entwicklung ist so alt wie die Menschheit selbst. →Innova‐ tionen sind dabei der Motor. Auch wenn viele Innovationen die Menschheit weit vorangebracht haben, wie das Rad, das Automobil, das Telefon, das Flugzeug, Antibiotika oder der Computer, so waren die Mehrzahl dieser Innovationen eher zufällig und über einen langen Zeitraum hinweg ent‐ standen und meist von Einzelpersonen initiiert. Zufall, Einzelarbeit sowie ein langer Zeitraum zwischen Idee und erfolgreicher Anwendung gelten in der heutigen Welt der Produktentwicklung und Innovation zunehmend als ineffizient. Der Bedarf nach systematischer, methodischer Innovation in kürzeren Zeitabschnitten wächst in dem Maße, wie eine Gesellschaft oder ein Unternehmen Wettbewerbsfähigkeit anstrebt. Dabei wird techno‐ logische Wettbewerbsfähigkeit durch neue Ideen und →Erfindungen in der Produktentwicklung sowie deren Umsetzung zu einem marktfähigen Produkt bestimmt. Jedes neue technische Produkt, sei es ein Gerät oder ein Verfahren, folgt der Hauptfunktion, die zu erfüllen ist, einer Idee und dem →Konzept, das <?page no="8"?> zu Beginn des eigentlichen Entwicklungsprozesses erarbeitet werden muss. Dabei ist die Funktion eines Produktes keine technische Lösung, sondern die Aufgabe, die erledigt werden muss. Beispiel Die Hauptfunktion eines Lochers ist es, „Löcher“ in ein Blatt Pa‐ pier einzubringen. Hilfsfunktion ist das Ausrichten und Halten des Papiers, Zusatzfunktion ist das Auffangen der Papierschnipsel. Mög‐ liche Konzeptvarianten für die Hauptfunktion sind es, die Löcher zu stanzen (herkömmliche Methode), zu schneiden oder mit dem Laser zu erzeugen. Je nach Auswahl des Lösungskonzeptes wird sich die Produktion für den Hersteller, aber auch die Anwendbarkeit und Handhabung des Lochers später für den Kunden maßgeblich unterscheiden. Dabei sind immer noch zu viele Unternehmen der Vorstellung verhaftet, al‐ lein eine große Anzahl von Ideen führe zum gewünschten Fortschritt. Daher werden mit Hilfe von →Kreativitätstechniken wie Brainstorming, morpho‐ logischer Analyse und anderen Methoden möglichst viele Ideen produziert, die hinterher dokumentiert, bewertet und überwiegend verworfen werden müssen, denn man kann unmöglich alle Ideen gleichermaßen realisieren. Zudem haben diese klassischen Kreativitätstechniken den Nachteil, allzu beliebige Lösungen zu produzieren und sehr von der Zusammensetzung und Qualifikation der Teilnehmer abhängig zu sein (Abbildung 1). Viel effizienter wäre es, nur einige wenige und dafür gute Ideen zu produzieren; idealerweise sogar nur eine einzige richtige. Auch wenn dieses Extrem vermutlich nicht erreichbar ist, geht es bei TRIZ und anderen Methoden der systematischen Innovation darum, eine einmal gefundene Lösungsrichtung als Basismodell für die weitere Ausarbeitung der Problem‐ lösung und Anpassung auf das spezifische Ausgangsproblem zu verstehen. Der Lösungsraum ist eingeschränkt worden, jedoch wird durch diese Fokus‐ sierung jedes Trial-and-Error gestoppt und in Erfolg versprechende Bahnen gelenkt, was die benötigte Zeit erheblich verkürzt. Bei Innovation geht es im Grunde immer darum, den Beginn des Prozesses anzustoßen, methodisch zu unterstützen, und am Ende des Innovationsprozesses für das eine richtige Problem eine richtige Idee auch realisiert und vermarktet zu haben. Dabei entscheiden bekannterweise nur die Kunden über den Erfolg am Markt. 8 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="9"?> 1 Vgl. Koltze, K.; Souchkov, V., 2017 Abbildung 1: Effizienzunterschiede der Methoden 1 Innovative Ideen deshalb allein aus den Kundenwünschen abzuleiten, führt ebenfalls in die Irre: allzu leicht sind Kunden in der ihnen bekannten Denk‐ welt gefangen und wünschen sich oftmals Lösungen, die keinen entschei‐ denden Wettbewerbsvorteil bieten, oder sie verändern ihre Wünsche so oft, dass aus Unternehmenssicht der Eindruck entsteht, sie wüssten nicht, was sie wollten. Es kommt also für innovative Unternehmen zunehmend darauf an, den wahren Kundennutzen, verborgene Bedürfnisse und funktionale Anforderungen an ein Produkt zu erkennen. Der Kunde kauft das Produkt nicht aufgrund der konkreten, technisch raffinierten Lösung, sondern nur, weil er sich einen Nutzen davon verspricht. Beispiel Zum Beispiel kann eine Jacke technisch gesehen mit Knöpfen, Bän‐ dern, Reißverschlüssen oder Klettverschlüssen geschlossen werden. Das Konzept, das die bessere Handhabung, Geschwindigkeit und/ oder Dichtigkeit beim Schließen der Jacke verspricht, wird dann vom Kun‐ den bevorzugt, er kauft nicht die technische Lösung um ihrer selbst 1.1 Systematische Innovation - ein Widerspruch? 9 <?page no="10"?> willen. Der Wunsch nach einem Klettverschluss ist seitens der Kunden nie geäußert worden; latent war das Bedürfnis nach einem nicht klemmenden Reißverschluss aber immer vorhanden. Sicherlich hätte man den Reißverschluss verbessern können, aber die Erfindung des Klettverschlusses als Alternative hat neben einer konkreten Problem‐ lösung wiederum völlig neue Geschäftsfelder eröffnet, neben der Jacke also auch Schuhe, Taschen und Abdeckhauben mit Klettverschlüssen zu versehen. Auch wenn der Erfinder des Klettverschlusses, Georges de Mestral (1907-1990), sich wie viele Erfinder hat vorwerfen lassen müssen, er hätte seine Erfindung ja „nur“ von der Natur abgeschaut, so ist der heute bekannte Klettverschluss erfolgreiches Ergebnis eines erfinderischen Prozesses vom Erkennen des Problems über die erfinderische, vorher noch nie da gewesene Lösung unter Nutzung eines Effektes aus der Natur bis hin zur Umsetzung in ein technisch herstellbares Produkt. Dieser Schritt der Umsetzung in die technische Welt oder Realisierung ist nicht trivial. Dennoch ist erkennbar, dass diese vergleichsweise späte Phase des Innovationsprozesses bereits ausführlich mit Methodenwissen und Tools unterstützt wird: vom CAD-Werkzeug über Finite-Elemente-Be‐ rechnungen bis hin zu Projektmanagement- und Produktionsplanungs- und Steuerungs-Software ist der Entwickler bereits mit vielen Werkzeugen und Hilfsmitteln ausgestattet. Im Gegensatz dazu überlässt man Erfinder und/ oder Entwickler in den frühen Phasen des Innovationsprozesses häufig sich selbst, in der Hoffnung, ihnen möge schon eine geeignete Problemstellung einfallen, und deren Durchbruchslösung gleich dazu. Viele verkennen, dass auch der frühe Prozessschritt des Erfindens und Konzipierens systematisch gestaltet und methodisch unterstützt werden kann. Wenn es gelingt, Probleme mit bestehenden Produktlösungen erkenn‐ bar zu machen, um dann von der Natur vorgegebene Effekte zu nutzen und mit persönlichen oder gesellschaftlichen Bedürfnissen zu nützlichen Wirkungsketten und wenigen, guten Ideen zu kombinieren, wird Innovation planbarer. Ist diese Kombination dann noch nie da gewesen, so spricht man von einer echten Erfindung, einer →Invention, im Unterschied zur Idee, bei der es ausreichte, bekannte Elemente neu zu kombinieren. Die Invention nutzt damit vorhandenes Wissen über naturwissenschaftliche Effekte und besonderes Können, um eine neue Problemlösung zu verwirklichen. Erst die Umsetzung dieser Invention in ein Produkt, das am Markt erfolgreich ist, 10 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="11"?> ist dann eine →Innovation. Im frühen Produktentwicklungsprozess ist also zunächst eine Problemsituation und der Bedarf für eine Problemlösung zu erkennen, ja herauszuschälen und zu benennen. Die Fähigkeit dazu bringen nur wenige Menschen mit, sie ist aber erlernbar. Beispiel Wir nehmen allzu gern Situationen und Produkte hin wie sie sind, weil wir uns an sie gewöhnt haben. Wenn zähflüssiger Honig jahrzehn‐ telang in Gläsern angeboten wurde, bei denen es einiges Geschick verlangt, ihn von dort auf ein Brötchen zu löffeln, dann hat das beim Kunden nie zu Beschwerden oder dem Wunsch einer anderen Honig‐ verpackung geführt. Als ein großes Unternehmen den Honig in einer der Duschgel-Flasche nachempfundenen Verpackung anbot, die auf dem Flaschenkopf stehend eine leichtere Honighandhabung (speziell für Kinder) ermöglichte, und diesem Produkt einen flotten Namen verpasste, ist sicherlich nicht das ideale Produkt geboren worden, aber das bestehende wurde hinsichtlich Handhabung einen Schritt verbessert. Der Bedarf seitens des Kunden ist aus seiner Beobachtung ermittelt worden, nicht aus seiner Befragung. Diese Ausgangsproblemstellung und der Bedarf für eine neue Problem‐ lösung können also analytisch ermittelt, als technische Problemstellung formuliert und diese kann dann in ein Produktkonzept überführt werden. Die Produktkonzeption betrachtet dabei eine Reihe von alternativen Lö‐ sungsteilen bei gegebenen Randbedingungen und impliziert, das beste Ge‐ samtkonzept aus einer Reihe von Möglichkeiten auszuwählen. Aus diesem Bewertungsprozess geht dann das eigentliche Produktkonzept hervor, das die Schnittstelle zu allen nachfolgenden Unternehmensbereichen bildet, von der Produktplanung bis zur Realisierung. Die Realisierung arbeitet das Konzept konstruktiv und physisch zunächst prototypisch und dann als ein in gewünschter Menge herstellbares Produkt aus. In der frühen Kon‐ zeptionsphase, die im Vergleich zu den anderen Entwicklungsphasen mit vergleichsweise wenig methodischer Unterstützung auskommen musste, können Entwickler heute sehr stark von Methoden der systematischen Innovation und ihren Werkzeugen profitieren: mit ihrer Hilfe können höherwertigere Ideen und kreativere Lösungen erarbeitet werden, und das in kürzerer Zeit. Systematische Innovation klingt paradox, ist aber mit Hilfe der drei nachfolgend beschriebenen Ansätze möglich. 1.1 Systematische Innovation - ein Widerspruch? 11 <?page no="12"?> 2 Vgl. Altshuller, G. S., 2004 3 Vgl. Gundlach, C.; Nähler, H. T. (Hrsg.), 2006 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 1.2.1 Überblick und Einordnung TRIZ ist die Abkürzung für den Begriff „Theorie des erfinderischen Prob‐ lemlösens“ in der russischen Sprache. Im Vordergrund steht dabei weniger eine Theorie als der praktikable Ansatz, den Innovationsprozess in den frühen Phasen gleichzeitig auf Erfolg versprechende Ansätze zu fokussieren und dennoch neue Denkansätze zuzulassen. Die Systematik geht zurück auf die Arbeiten des russischen, aus Kasachstan stammenden Ingenieurs und Erfinders Genrich S. Altshuller (1929-1998) und besteht aus einer Vielzahl von Werkzeugen zum Erzeugen von zielgerichteter →Kreativität durch kompromisslose, Widersprüche überwindende und strukturierte Ansätze, die vorwiegend technische Problemstellungen auf innovative Art zu lösen helfen. 2 Die Werkzeuge von TRIZ sind dabei den einzelnen Schritten im Erfindungsprozess von der Analyse über die Ideenfindung bis hin zur Bewertung der Ideen zugeordnet und können jedes für sich, aber auch hintereinander angewendet werden (Abbildung 2). Abbildung 2: Rahmenplan der TRIZ-Werkzeuge 3 (MZK: Material - Zeit - Kosten) 12 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="13"?> 4 Vgl. Gundlach, C.; Nähler, H. T. (Hrsg.), 2006 Der Charme dieses Methodenbaukastens besteht darin, dass die von Alts‐ huller zugrunde gelegte Logik die Herangehensweise an Problemstellungen revolutioniert und dadurch häufig Lösungsansätze auftauchen, die vormals nicht bedacht wurden. Dabei verändern sie die Denkweise und lassen so Ideen aufkommen, die man ohne diese Werkzeuge vermutlich nicht gehabt hätte. Die Methoden sind heute weltweit anerkannt und werden in vielen Entwicklungsprozessen überwiegend großer Unternehmen in unterschied‐ lichen Fachdisziplinen erfolgreich eingesetzt. Die Einsatzbreite ist dabei bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Dies mag einerseits an der Komplexität des gesamten Methodenbaukastens mit seiner großen Anzahl von Werkzeugen liegen: TRIZ verlangt technisches Inter‐ esse, Spaß an methodischem Vorgehen, Abstraktionsvermögen, praktische Übung und nicht zuletzt die Bereitschaft, Umwege zu gehen, die zunächst den Eindruck erwecken, man entferne sich eher vom Entwicklungsziel, als dass man darauf hinarbeitet. Andererseits ist die Vermittlung von TRIZ durchaus zu verbessern: Das Lehren von TRIZ muss sich noch mehr am Bedarf und an den Interessen der Lernenden, denn an den Fähigkeiten des Lehrenden ausrichten. Um an das Interesse des Lernenden anzuknüpfen und den späteren Anwendungsbezug zu stärken, bieten sich Aufgabenstellungen und Technologien an, mit denen sich der Lernende bestmöglich identifizie‐ ren kann. Zugleich sollte die Aufgabenstellung oder Technologie ein hohes Erfindungspotenzial aufweisen oder der Wunsch danach sehr ausgeprägt sein. Als erfinderisches Potenzial einer Aufgabe oder Technologie gilt hier die Möglichkeit, aus dem ihr zugrunde liegenden Wissen neue, innovative Produkte zu kreieren oder die mit ihnen verbundenen Problemstellungen zu lösen. Dabei muss der Entwickler auch auf fachfremdes Wissen zugehen und dieses für sein eigenes Einsatzfeld nutzen wollen. 1.2.2 Grundlagen von TRIZ Altshuller postulierte drei wesentliche Erkenntnisse 4 , die er aus der Analyse von zahlreichen Patenten gewann, und deren Bedeutung sich auch nach aktueller Weiterführung der Analyse mit neuesten Patenten bestätigt: 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 13 <?page no="14"?> 5 Vgl. Altshuller, G. S., 1998 1. Jeder erfinderischen Aufgabe liegt ein zunächst als unüberwindbar erachteter Widerspruch oder Konflikt zugrunde. Erst die Beseitigung dieses Widerspruchs, nicht die →Kompromisslösung, sorgt für wirklich innovative Lösungen. 2. Vielen Erfindungen liegen immer wieder dieselben innovativen Lö‐ sungsprinzipien zugrunde, die man bei Kenntnis der Konflikt- oder Widerspruchssituation wiederholt einsetzen kann, um die Wahrschein‐ lichkeit für eine erfolgreiche, schnellere Lösungsfindung zu erhöhen. 3. Die →Evolution von technischen Systemen folgt bestimmten, immer wiederkehrenden Mustern, die progressiv genutzt werden können. Aus diesen Erkenntnissen entwickelte Altshuller verschiedene Werkzeuge als strukturierte Vorgehensmodelle zum systematischen Erzeugen innova‐ tiver Lösungen. 5 Alle Werkzeuge orientieren sich dabei an einem grundle‐ genden Denk- und Vorgehensmodell (Abbildung 3). Abbildung 3: Das TRIZ Denk- und Vorgehensmodell Die konkrete Problemstellung wird in ein abstraktes Problemmodell über‐ führt, um mit Hilfe ausgewählter Werkzeuge bislang vorliegende Denkbar‐ 14 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="15"?> rieren auf innovative Art zu überwinden und ein abstraktes Lösungsmodell durch Analogien in fachfremden Bereichen zu formulieren. Dieses abstrakte Lösungsmodell wird anschließend auf das real vorliegende Problem zurück‐ übertragen. Diese Vorgehensweise mag umständlich erscheinen, ermöglicht aber, den Blick auf originelle Lösungen zu richten, die jenseits des eigenen Fachgebiets und damit des psychologische Trägheitsvektors liegen können. Ein beispielhaftes Denkmodell, das in ein TRIZ-Werkzeug eingeflossen ist, ist das des idealen Endresultat IER (engl.: IFS - Ideal Final Solution). Ein sog. Endresultat ist dann ideal, wenn es die Funktion erfüllt, selbst aber gar nicht vorhanden ist. Dies ist natürlich Utopie, dennoch folgt die Entwicklung technischer Systeme genau dieser Richtung. Wenn man sich die Versuche, ein →Perpetuum mobile zu konstruieren, in den Technikmuseen der Welt anschaut, dann folgen doch unsere aktuellen Versuche und Ansätze der Energieeinsparung genau diesem nicht erreichbaren Extremziel: Entwickler versuchen, entweder schädliche Anteile wie Energieverbrauch zu verringern oder zu vermeiden, positive Funktionen wie Wirkungsgrad zu vermehren, oder beides. In der Rückschau sind dabei häufig genau jene Erfindungen nützlich gewesen, die vordem gerade nicht in diesem Fachgebiet erarbeitet worden sind. Beispiel Der Nutzen eines Motors für die individuelle Fortbewegung ist anfäng‐ lich nicht für diesen Zweck erkannt worden. Auch die Nutzung von Funkwellen verfolgte zunächst einen militärischen Zweck, bevor man damit den Wunsch nach individueller Kommunikation erfüllt hat. So, wie die Mathematik Methoden zur Lösung bestimmter Aufgabentypen bereitstellt, können Methoden der TRIZ in Abhängigkeit des Ausgangs‐ problems genutzt werden, beispielsweise die Ideallösung zu erzeugen, die als Richtung für die weitere Problembehandlung dient, auch wenn die ideale Lösung nicht realisierbar ist. Analog kann TRIZ als Mathematik der Erfindung verstanden werden: TRIZ erkennt die Richtung, die idealerweise einzuschlagen ist, und beschleunigt damit den Entwicklungsprozess. Gleichwohl sind Erfindungen nicht automatisch nützlich, sie vergrößern den Nutzen für den Kunden ebenfalls nur im Idealfall. Kein Kunde kauft ein Produkt um seiner selbst willen, sondern immer, um mit ihm eine Funktion auszuführen. Sieht man vom reinen Liebhaberprodukt ab, so kaufen wir Spülmaschinen, um saubere Teller zu haben, Waschmaschinen um der 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 15 <?page no="16"?> sauberen Kleidung willen. Eine Erfindung, die nicht in ein passendes Umfeld trifft, mag der Welt lange verborgen bleiben. Beispiel So hat die Erfindung des Automobils zunächst Angst ausgelöst, denn die realistische Vorstellung, damit auf unwegsamem Gelände liegen zu bleiben, verdeckte den späteren Nutzen. Erst als diese Hindernisse in Form glatter Straßenbeläge und dichter Tankstellennetze beseitigt wurden, konnte das Auto seinen Siegeszug antreten. Aber auch Kundenbedürfnisse allein sind selten innovativ, ihnen liegen sogar meist widersprüchliche oder konfliktäre Anforderungen zugrunde: So soll ein Auto zum Beispiel sportlich und bequem, oder gleichzeitig groß und klein sein, oder die Stabilität des Produktes soll hoch, und das Gewicht gleichzeitig niedrig sein. In der→TRIZ-Konflikte-Tabelle, einem weiteren TRIZ-Werkzeug, stehen sich technische Parameter wie Gewicht und Stabilität einander gegenüber, diese Matrix reflektiert die bisherige Patentliteratur und liefert in ihren Feldern die häufigsten innovativen Lösungen in abstrakter Form. Somit erlaubt dieses Werkzeug, sich Anregungen aus vorangegangenen, auch fachfremden Paten‐ ten zunutze zu machen, ohne die jeweiligen Details der patentierten Lösungen durchzuarbeiten oder sich in ihnen zu verzetteln. Den Löwenanteil der TRIZ-Beispiele in der Literatur bilden technische Problemstellungen, liegen ihnen doch Analysen aus Patenten zugrunde, die genau diese technischen Problemstellungen abbilden. Dadurch fühlen sich aber gerade Nicht-Techniker häufig abgeschreckt, sich mit den Denkmodel‐ len auseinanderzusetzen. In den nachfolgenden Kurzbeschreibungen einiger ausgewählter Werkzeuge werden daher bewusst einfache Beispiele benannt, die die Denkweise auch für Nicht-Techniker erschließen helfen, denn TRIZ bietet sich überall dort an, wo ■ eine Lösung für ein Problem nicht auf der Hand liegt, weil ein großes Suchfeld vorliegt (Ziel: Einschränkung des Lösungsraums), ■ eine hohe Zahl von potenziellen Versuchen notwendig erscheint, aber die Zeit dafür nicht ausreichend vorhanden ist (Ziel: Minimierung der Schleifen in der Konzeptentwicklung), ■ Widersprüche in der Aufgabe stecken, die nicht ohne Weiteres über‐ windbar erscheinen (Ziel: Lösen schwieriger, erfinderischer Problem‐ stellungen) und 16 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="17"?> 6 Vgl. Hentschel, C.; Gundlach, C.; Nähler, H. T., 2010 ■ kein Kompromiss, sondern eine neue, bahnbrechende oder „beste“ Lö‐ sung gesucht wird (Ziel: Erarbeitung einer innovativen, patentierbaren Lösung). 1.2.3 Ausgewählte klassische TRIZ- Werkzeuge Ressourcen-Checkliste Bevor ein System, also ein Produkt, Prozess oder eine Dienstleistung, verändert wird, ist im Rahmen eines TRIZ-Projektes danach zu fragen, welche Ressourcen bereits vorhanden sind. Definition Unter Ressourcen versteht TRIZ (anders als in der BWL! ) sämtliche Substanzen, Charakteristika und Energie, die in und um ein System vorhanden sind. Bestenfalls sind diese zu nutzen, um das System und/ oder sein Umfeld zu verbessern, bevor neue Bestandteile in das System eingebracht werden und diese das System unnötig verkomplizieren. Abbildung 4: Ressourcen-Checkliste 6 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 17 <?page no="18"?> Dabei ist die Aufzählung der Ressourcen-Arten (Abbildung 4) als eine vollstän‐ dige Liste zu verstehen, die für die Verbesserung des Systems, also Produkt, Prozess oder Dienstleistung, herangezogen werden kann. So wie der Turbo‐ motor die Abwärme erneut für den Prozess nutzt, um dadurch einen höheren Wirkungsgrad zu erzeugen, so kann man sich zu jedem bestehenden System fragen, ob nicht ein ungenutzter Bestandteil das System verbessern hilft (siehe Aufgabe 1.1). Die Ressourcen-Checkliste weitet dafür den Blick, indem nicht nur sichtbare, sondern auch bislang unsichtbare Systembestandteile aufgezählt und für die spätere Lösung erschlossen werden. Beispiel Am Beispiel der Waschmaschine ist es als eine Ressource anzusehen, die verschiedenen Kleidungsstücke in der Trommel zu nutzen, und zwar dahin gehend, dass sie durch Bewegung der Trommel auch unter‐ einander Reibung erzeugen, was den schmutzlösenden Effekt über die Berührung mit der Trommelwandung hinaus verstärkt. Hält man sich historische Beispiele von Waschbrettern vor Augen, bei der Reibung ausschließlich zwischen Kleidung und Waschbrett erzeugt wurde, hat diese zusätzliche Reibung den Waschvorgang deutlich verbessert und die Handhabung vereinfacht. Idealität Das Denkmodell der TRIZ sieht vor, jede Entwicklungsaufgabe zunächst einer kritischen Systemanalyse zu unterziehen und die Wunsch- oder Zielvorstellung zu formulieren, das sogenannte Ideale Endresultat oder Ideal Final Result (IER oder IFR). Altschuller geht davon aus, dass das beste Produkt nicht das „schöne“ oder „starke“ Produkt ist, sondern eines, das seine Funktion erfüllt, das idealerweise „von selbst“ arbeitet oder sogar „gar nicht vorhanden“ ist. Die erfinderische Aufgabe besteht nun darin, sich diesem Leitbild, so absurd es klingen mag, (maximal) anzunähern. Damit dies gelingt, schlägt Altschuller vor, die zu lösende Aufgabe zuvor ebenfalls sehr abstrakt zu formulieren, und dabei die reine Funktion in den Vordergrund zu stellen. Deutlich wird hierbei, dass wir viele Produkte kaufen, die wir eigentlich als solche gar nicht haben wollen, wir wollen lediglich deren Funktion. Das ist daran erkennbar, dass wir uns über die Anschaffung eines Besens oder einer Waschmaschine nicht wirklich freuen. Wir wollen die Funktion, nicht das Produkt selbst. 18 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="19"?> 7 Vgl. Mann, D.; Zinner, V., 2010 Beispiel Die eigentliche Funktion einer Waschmaschine ist, Schmutz aus der Kleidung zu entfernen. Sicherlich hat man einerseits durch bessere Waschmittel und andererseits durch neue Trommelformen, Mitneh‐ mern in der Trommel und Lochmuster in der Trommel selbst die Maschine deutlich verbessert. Eine bessere Waschmaschine wäre eine, die weniger von allem (Werkstoffe, Energie, Wasser, Waschmittel, …) verbraucht. Die ideale Waschmaschine wäre aber eine, die gar nicht vorhanden ist, und dennoch wäre die Kleidung immer sauber. Dies ist wohl Utopie, gibt aber die Entwicklungsrichtung vor. Alle Versuche, die Waschmaschine zu verbessern und Kleidung mit weniger Wasser, weniger Waschmittel, weniger Energie und weniger Handgriffen zu reinigen, weisen in diese Richtung. Umgekehrt kann man sich als IFR die sich selbst reinigende oder sogar gar nicht erst verschmutzende Kleidung als Orientierungsrichtung vorstellen (Abbildung 5). Abbildung 5: Idealität am Beispiel Kleidung 7 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 19 <?page no="20"?> Mit dem IFR sind allgemein anerkannte Idealvorstellungen formuliert (siehe Aufgabe 1.2). Damit erübrigen sich prinzipiell auch Kundenbefragungen, um das Entwicklungsziel zu formulieren. Man denkt rückwärts vom IFR, um die erste realisierbare oder die erste vermarktbare Lösung zu finden. Das spart Zeit, indem zaghafte Iterationen weg vom Ist-Zustand, die zudem möglicherweise vom IFR wegführen könnten, gar nicht erst angedacht werden. Definition Unter Idealität versteht TRIZ das Verhältnis von Nutzen zu Kosten und schädlichen Wirkungen des Produktes, Prozesses oder der Dienst‐ leistung. Dies stellt eine Umkehrung des in der BWL üblichen Kosten- Nutzen-Denkens dar. Das ideale Produkt ist also ein Produkt, das nur Vorteile und keinerlei Nachteile hat; umgangssprachlich würde man vielleicht vom „perfekten Produkt“ sprechen. Alle Versuche der Entwicklung zielen darauf ab, die Idealität eines Systems zu erhöhen und folgen mehr oder weniger diesem Wunsch, indem entweder der Zähler des Bruches erhöht, der Nenner reduziert oder beides versucht wird: Ideales Endresultat IER = Ideal Final Result IFR = Nutzen Kosten + Schäden = Anzahl nützliche Funktionen Anzahl schädliche Funktionen + Kosten = ∞ 0 + 0 = ∞ Beim Denkmodell der Idealität wird der Weg zur idealen Lösung meist von einem unüberwindbaren Widerspruch blockiert. So hat die Idealität in der Realität Grenzen, die TRIZ mit einer erfinderischen Lösung hinauszuschie‐ ben sucht. 20 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="21"?> (Physikalische) Widersprüche und (technische) Konflikte Technische Widerspruchsparameter Generell unterstützt TRIZ das Denken in Analogien und überwindet da‐ bei Fachdisziplinen und Gewohnheiten. Als grundlegendes Konzept der Abstraktionswerkzeuge in TRIZ kann das Denken in Widersprüchen auf‐ gefasst werden. Erfinderische Problemstellungen sind immer dadurch ge‐ kennzeichnet, dass für deren Überwindung (noch) kein zufriedenstellender Lösungsweg aufzeigbar ist. Jedem ungelösten Problem liegt ein zunächst als unüberwindbar erachteter Widerspruch zugrunde, den es zunächst einmal zu formulieren gilt (Abbildung 6). Abbildung 6: Vom Problem zum Widerspruch oder: Arten von Widersprüchen nach TRIZ Definition Ein physikalischer Widerspruch liegt vor, wenn eine Aufgabe gleich‐ zeitig einen gegensätzlich ausgeprägten Systemparameter fordert. Ein technischer Widerspruch oder Konflikt liegt vor, wenn durch Verbesse‐ rung eines technischen Systemparameters sich ein anderer Systempa‐ rameter verschlechtert. 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 21 <?page no="22"?> Beispiel Wenn ein Bauteil gleichzeitig heiß und kalt sein muss, um bearbeitet werden zu können, oder der Wunsch besteht, einen großen Koffer zu packen, gleichzeitig soll der Koffer aber klein sein, um ihn besser verstauen zu können, dann werden physikalische Widersprüche daran deutlich, dass ein und derselbe Parameter in gegensätzlicher Ausprä‐ gung gefordert wird. Wird hingegen ein stabiles Produkt gefordert, das gleichzeitig wenig wiegen soll, dann stehen sich zwei verschiedene Parameter konfliktär gegenüber: Stabilität und Gewicht. Die Praxis löst solche Widersprüche häufig „nur“ durch →Kompromisse, wählt beispielsweise eine lauwarme Bearbeitungstemperatur oder macht den Koffer mittelgroß oder das Bauteil ein wenig leichter, dadurch büßt man aber auch Stabilität ein. TRIZ versucht nun, alle Anforderungen gleichermaßen zu erfüllen. Dazu destillierte TRIZ aus der Analyse von Millionen von Patenten zunächst 39 Parameter heraus, die die Grundlage für alle Widerspruchssituationen lieferten (Abbildung 7). Abbildung 7: Die 39 technischen Parameter nach klassischer TRIZ In der Weltpatentliteratur wiederholen sich also die Parameter, die zu Problem- und damit Konflikt- oder Widerspruchssituationen führen, die 22 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="23"?> 8 Vgl. Mann, D.; Dewulf, S.; Zlotin, B.; Zusman, A., 2008 eine Erfindung ausmachen. Umgekehrt formuliert: Diese 39 Parameter hatten zunächst ausgereicht, alle der Patentliteratur zugrunde liegenden Problemstellungen abstrakt zu formulieren. Aktuelle Quellen weisen nach, dass sich daran bis heute wenig geändert hat: Die Patentliteratur ist nach früherer Analyse neuerer Patente auf nur 9 zusätzliche Parameter gestoßen, die zu Zeiten von Altschuller noch nicht so wichtig waren: Kompatibilität oder Geräuschentwicklung sind zwei von ihnen. Somit wären auch neuere Patente auf Widersprüche zurückzuführen, die aus höchstens 2 aus 48 aktualisierten Parametern bestehen. 8 Die Forschung hierzu läuft fort. Unabhängig davon, auf welcher Datenbasis man arbeiten möchte, Ziel ist es zunächst immer, eine Problemstellung so zu formulieren, dass sie nur mit Hilfe von zweien der technischen Parameter als sogenannter technischer Konflikt formuliert werden kann, denn jeder Widerspruch ist der Schlüssel zu einer erfinderischen Lösung (siehe Aufgabe 1.3). Den Kern jedes technischen Konfliktes bildet dann ein physikalischer Widerspruch, der denselben Parameter in gegensätzlicher Ausprägung fordert: Der Fahrradhelm soll leicht sein, damit der angenehm zu tragen ist, und er soll schwer sein, damit er stabil ist und schützt, gleiches gilt für den Koffer. Diese quasi absurde Forderung soll nach TRIZ nicht durch einen Kompromiss, sondern durch gleichzeitige Bedienung dieses Gegensatzes erfüllt werden. Dazu und zur Auflösung der technischen Konflikte stellt TRIZ die sogenannten Innovativen Grundprinzipien bereit. 40 Innovationsprinzipien Wann immer ein Patent zur Bewilligung kam, hat es ja neben der Problem‐ stellung eine Lösung für diese spezielle Problemstellung mitgebracht, die zudem neu und technisch umsetzbar war. Altschuller stellte in seinen Patentanalysen die zunächst 39 technischen Parameter, die die Problemstel‐ lungen charakterisierten, sich selbst gegenüber und füllte jede Zelle der so entstehenden Matrix mit den bei dieser Problemkonstellation am häufigsten erfolgreichen Lösungen. Um sie wiederum leichter lesbar zu machen, hat er auch die vorgefundenen Lösungen um ihre Detailinformationen bereinigt (Abbildung 8). 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 23 <?page no="24"?> Abbildung 8: Die klassische TRIZ-Widerspruchsmatrix (Ausschnitt) Die Tabelle stellt hier den Widerspruch zwischen „Länge eines bewegten Objektes“ (Parameter 3) und „Gewicht eines bewegten Objektes“ (Parameter 1) heraus. In dieser Zelle der Matrix finden sich nun diejenigen Problem‐ lösungen in abstrakter Form, die in der Patentliteratur am häufigsten erfolgreich waren. In der Konstellation des Parameters 3 versus 1 also die Innovationsprinzipien 8, 15, 29 und 34 mit ihren jeweiligen Bedeutungen. Altschuller erkannte also, dass sich nicht nur die im Konflikt stehenden Parameter in den Patenten wiederholten, sondern gerade auch die darin verwendeten Lösungen. Diese Lösungen wurden von ihm begrifflich so abstrahiert, dass er alle in der Patentliteratur vorgefunden Lösungen mit nur 40 sogenannten Innovativen Grundprinzipien formulieren und mit eindeutigen Nummern versehen konnte (Abbildung 9). 24 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="25"?> 9 Vgl. Altshuller, G. S., 1998 10 Vgl. Mann, D.; Dewulf, S.; Zlotin, B.; Zusman, A., 2008 Abbildung 9: Die 40 Innovationsprinzipien in umgangssprachlicher Kurzform Diese 40 Innovationsprinzipien stellen abstrakte Lösungsvorschläge dar, hinter denen Lösungen realer Patentschriften stehen. Die Zellen der TRIZ- Widerspruchsmatrix wurde von Altschuller zunächst aus 39 technischen Parametern aufgebaut. 9 Jüngere Studien erweiterten sie auf 48 technische Parameter. 10 Bis heute zeitigt die klassische Altschullersche 39 x 39-Matrix vergleichsweise gute Lösungsansätze, so dass sie immer noch gern genutzt wird. Zu allen Fassungen gibt es mittlerweile interaktive Versionen mit Beispielen im Internet. In allen Fassungen finden sich bis heute die 40 innovativen Prinzipien als diejenigen Lösungen, die bei gegebener Konflikt‐ situation in der Patentliteratur am häufigsten erfolgreich zum Einsatz ka‐ men. Auch jüngste Patentanalysen hatten den von Altschuller formulierten 40 sogenannten innovativen Grundprinzipien nichts hinzuzufügen. Daher wird die Widerspruchsmatrix als Problemlösungswerkzeug verstanden, das für jede Parameterkonstellation die besten innovativen Lösungsprinzipien in Form von abstrakten Begriffen vorschlägt, die dann als Hilfen zur zielgerichteten Ideengenerierung fungieren können. Wollte man beispielsweise den Fahrrad- oder Motorradhelm verbessern, sollte lange Zeit beispielsweise die Stabilität zunehmen, das Gewicht aber 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 25 <?page no="26"?> abnehmen, oder zumindest gleichbleiben. Dieser aus den zwei Parametern bestehende Konflikt war in so vielen Patentschriften aus den unterschied‐ lichsten Branchen Grundlage für eine innovative Problemlösung, dass man sich die Lösungsansätze nun aus diesen erfolgreichen Patentanmeldungen zunutze machen und diese auf sein Problem übertragen konnte, ohne die Details aus den jeweiligen Patentschriften zu kennen, die ja zudem aus fremden Branchen stammen. Im Gegenteil, man nutzt das gesamte Ideenspektrum, ohne sich in den Details zu verlieren. Beispiel So hatte und hat die Flugzeugindustrie das genannten Problem „Stabilität versus Gewicht“ bei quasi jedem Bauteil zu lösen, gleiches gilt für die Automobilindustrie oder die oben angesprochenen Beispiele Helm sowie Koffer. Als typische Lösungen galten in allen Branchen Innovationen von Klebestatt Schraubverbindungen bis hin zu Kohlefaser und ge‐ schäumten Werkstoffen, auch porösen Metallen. Altschuller hat diese Lösungen unter dem abstrakten Sammelbegriff „Verbundwerkstoffe“ subsumiert, damit die Einzelheiten eines jeden Patents zugunsten der schnelleren Lesbarkeit zunächst verschwinden. Dahinter verbergen sich Verbundmaterialien, die den homogenen Stoff ersetzt haben, sowie Zu‐ sammensetzungen von Stoffen in unterschiedlichen Aggregatzuständen, die in den analysierten Patenten regelmäßig zum Einsatz kamen. Wenn diese Lösungen in anderen Branchen schon vorgedacht wurden, warum sollte man nicht probieren, sie auch auf das aktuellere Problem des Helms oder Koffers zu übertragen? So sind Helme aus Kunststoff-Schäumen mittlerweile gang und gäbe, ebenso Koffer, teilweise in Kombination mit dünnen Metallfolien oder Geweben. Der Versuch, sich die vorstrukturierten Lösungsmechanismen abzuschauen und sie auf das eigene Problem anzupassen, beschleunigt den Innovations‐ prozess, indem dieser sofort auf diese Lösungsrichtung fokussiert, vorausge‐ setzt, das Problem ist hinreichend analysiert und das „richtige“ Problem als Ausgangspunkt definiert (siehe Aufgabe 1.4). Da einige Übung im Umgang mit der Problemanalyse sowie den Begriffen der 39 technischen Parameter und 40 Innovationsprinzipien erforderlich sind, sei es für eine aktuelle Problemstellung bei einem Mülleimer noch einmal erläutert. In der Praxis lohnt sich zum Einstieg in die zielführende Anwendung immer ein TRIZ- Moderator. 26 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="27"?> Beispiel Aus heutiger Sicht könnte sich eine aktuelle Problemstellung bei einem Mülleimer folgendermaßen darstellen: Der Mülleimer soll ein großes Fassungsvermögen haben, aber keinen Geruch erzeugen. In der Formu‐ lierung der 39 technischen Parameter ist nun das Problem so auszudrü‐ cken, dass 2 dieser 39 Parameter das Problem beschreiben, also den Widerspruch bilden. Je nachdem, wie man das Problem modelliert, kann man auch mehrere Widerspruchsformulierungen herausarbeiten. Das Fassungsvermögen des Mülleimers ist in diesem Problemfall als „Volu‐ men eines unbeweglichen Objektes“ (Parameter 8) zu interpretieren. Die Geruchsentwicklung als solche ist in der Liste der 39 technischen Parameter zwar nicht unmittelbar zu finden, wäre aber beispielsweise in „Leistung“ (Parameter 21) und/ oder „Zuverlässigkeit“ (Parameter 27) zu übersetzen. Genau genommen soll sich das Volumen verbessern, dann verschlechtert sich aber die Leistung und/ oder Zuverlässigkeit. Diese Formulierungen bestimmen die Matrixzellen, aus denen die am häufigsten erfolgreichen prinzipiellen Lösungen vorangegangener Pa‐ tente, die dieselbe Widerspruchssituation zum Gegenstand hatten, in abstrakter Form abgelesen werden können: Zeile 8 und Spalte 21 liefern die Prinzipien 30 und 6. In der Liste der 40 Innovationsprinzipien bedeutet 30: Flexible Hüllen und dünne Folien, und 6: Mehrzwecknutzung und Multifunktionalität. Zeile 8 und Spalte 27 liefern die Prinzipien 2, 35 und 16, also 2: Abtrennen, 35: Veränderung des Aggregatzustandes und 16: Partielle oder überschüssige Wirkung. Diese abstrakten Begriffe werden nun als Grundlage für ein gezieltes Brainstorming genutzt, indem die Arbeitsgruppe versucht, daraus konkrete Lösungen für den Mülleimer zu generieren. Dabei können wiederum Beispiele, die den Prinzipien hinterlegt sind, sehr hilfreich sein, den Gedankensturm anzuregen. Hier seinen 2 der 40 innovativen Grundprinzipien mit Hintergrundbeispielen belegt. Das innovative Grundprinzip 2 „Abtrennung“ bedeutet: ■ das störende Teil eines Objektes abtrennen oder entfernen, oder ■ den notwendigen Teil oder die wesentliche Eigenschaft allein einsetzen oder herausnehmen. 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 27 <?page no="28"?> Als Beispiele können gelten… 1. Das Benutzen von auf Band aufgezeichneten Vogelstimmen als Geräuschuntermalung in einer Sauna (das vom Vogel abgetrennte „Objekt“ Vogelstimme wird eingesetzt). 2. Die geräuschvolle Turbine samt Sammelbehälter eines Zentral‐ staubsaugers wird im Keller oder in der Garage platziert, damit keine Geräusche beim Staubsaugen im Raum entstehen. Das Prinzip Nummer-16 „Partielle oder überschüssige Wirkung“ bedeutet: ■ bei Schwierigkeiten, 100 % der geforderten Funktion zu erfüllen, ist das Problem dadurch zu vereinfachen, indem etwas mehr oder weniger von der geforderten Funktion verwirklicht wird. Beispiel 1. Beim Verfugen von Fliesen wird großflächig Material aufgebracht und dann das überflüssige Material mit einem Schwamm entfernt. 2. Beim Befüllen eines Eisbechers wird mehr Eis eingebracht und die überschüssige Menge mit einem Spachtel abgenommen. 3. Beim Druck wird Farbe auf die gesamte Druckplatte aufgebracht, nur die Farbe, die auf den erhabenen Stellen zu liegen kommt, gelangt auf die zu bedruckende Fläche. Auf den Mülleimer übertragen könnte dies bedeuten, viele einzelne Müllbeutel in einem zu integrieren, oder man könnte so viel Müll in dem Mülleimer zusammenpressen, dass kein Geruch mehr entsteht, da der für die Geruchsbildung erforderliche Sauerstoff fehlt. Alternativ könnte man den Müll zerkleinern oder die den Geruch tragende Luft durch Unterdruck abführen. Auch jüngste Analysen hatten der vergleichsweise geringen Zahl von Innovationsprinzipien in mehr als 10 Millionen analysierten Patenten nichts hinzuzufügen. Sowohl die technischen Parameter als auch die Innovations‐ prinzipien der TRIZ können als abstrakte Werkzeuge verstanden werden, auf Problemformulierungen sowie Lösungen und Wissen zurückzugreifen, ohne die Detailinformationen mitzuführen, wo dieses Wissen bislang genau zur Anwendung kam. 28 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="29"?> Betrachtet man die Widerspruchsmatrix genau, dann finden sich auf der Diagonalen die Widerspruchsparameter, die sich selbst widersprechen. Diese Formulierungen bilden ja die eingangs genannten physikalischen Widersprüche, in denen ein einzelner Parameter in gegensätzlicher oder ein und dieselbe Eigenschaft in unterschiedlicher Ausprägung gefordert wird. Der physikalische Widerspruch bildet quasi die Grundlage aller Widersprüche, das klassische →Paradoxon, er ist der Kern jedes Problems. Für diese Fälle hält TRIZ vier sogenannte Separationsprinzipien und zwei Zusatzstrategien vor, die diese Grundform aller Widersprüche lösen helfen: 1. Separation im Raum: Eine widersprüchlich geforderte Eigenschaft wird an einer Stelle erfüllt, an einer anderen Stelle nicht erfüllt. 2. Separation in der Zeit: Eine widersprüchlich geforderte Eigenschaft wird zu einem Zeitpunkt erfüllt, zu einem anderen Zeitpunkt nicht erfüllt. 3. Separation durch Bedingungswechsel: Eine widersprüchlich geforderte Eigenschaft wird unter einer Bedingung erfüllt, unter einer anderen Bedingung nicht erfüllt. 4. Separation eines Systems und seiner Teile (Separation durch System‐ übergang): Eine widersprüchlich geforderte Eigenschaft ist im überge‐ ordneten System vorhanden, im Systemelement nicht vorhanden. 5. Befriedigung der Anforderungen 6. Umgehen/ Vermeiden der Anforderungen Die 4 Separationsprinzipien und 2 Zusatzstrategien sind als nochmalige Verdichtung der 40 abstrakten Innovationsprinzipien zu verstehen und bil‐ den die Grundlösungen aller technischen Problemstellungen. Hinter jedem dieser 6 Begriffe stehen jeweils 3-6 der 40 Grundprinzipien. Die Denkweise soll hier anhand der 4 Separationsprinzipien verdeutlicht werden: Beispiel Ein Pflaster soll kleben, wenn man es auf die Wunde am Arm legt, es soll aber nicht kleben, wenn man es abziehen will, weil es sonst Schmerzen verursacht. Lösungsfindung nach den 4 Separationsprinzipien: 1. Separation im Raum: Die Wundauflage des Pflasters wird mit einer Mullbinde auf die Wunde gelegt und der Arm damit umwickelt, die Befestigung findet nicht auf der Haut statt. 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 29 <?page no="30"?> 2. Separation in der Zeit: Das Pflaster ist mit einem zeitabhängigen Kleber versehen, der nach 24 Stunden seine Klebefähigkeit verliert („24-Stunden-Pflaster“). 3. Separation durch Bedingungswechsel: Bei normaler Temperatur und/ oder Lichtverhältnissen klebt das Pflaster, bei UV-Licht-Be‐ strahlung mit einer Speziallampe versagt der Kleber und man kann das Pflaster leicht entfernen. 4. Separation durch Systemübergang: Die Ursache für die Wunde wird vermieden. Die beiden Zusatzstrategien lassen folgende Ideen naheliegend erschei‐ nen: 5. Befriedigung der Anforderungen: Das Pflaster liegt in flüssiger Form vor, wird aufgesprüht und muss gar nicht mehr entfernt werden, weil es sich selbst auflöst. 6. Umgehung/ Vermeidung der Anforderungen: Das Pflaster hält durch Adhäsion von selbst und benötigt keine weitere Fixierung mehr. (siehe Aufgabe 1.5) Operator Material-Zeit-Kosten MZK Der Operator Material-Zeit-Kosten (MZK) oder auch Dimension-Time-Cost (MTC) ist ähnlich anzuwenden wie das →Zero-Base-Budgeting in der BWL: Zunächst wird für eine gegebenen Problemstellung gefragt, wie die Lösung aussähe, wenn gar kein Material, gar keine Zeit und gar keine Kosten angesetzt würden. Diese drei Extrempositionen werden dann mit ihrem Gegenteil verglichen: Wie sähe die Lösung aus, wenn man beliebig viel Material (oder Platz), beliebig viel Zeit und/ oder Geld hätte? Insgesamt ergeben sich so zunächst sechs extreme Denkhaltungen, die zu neuen Lösungsideen anregen sollen. Häufig relativiert sich angesichts dieser Ext‐ remforderungen bereits die bestehende Situation und lässt sie gar nicht mehr so schlecht erscheinen. Oftmals würde ein Ergebnis (Produkt oder Prozess) nicht dadurch erheblich besser, dass man sich mehr Zeit, Geld oder Platz für seine Bearbeitung wünscht. 30 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="31"?> Beispiel Ein Student hat seine Bachelorarbeit fast fertig. Nun möchte er die Bear‐ beitungszeit verlängern, um noch einige Feinheiten wie Schriftgrößen der Bildunterschriften zu formatieren und ein Unterkapitel einzufügen, an dem noch gearbeitet wird. Der Betreuer kommt dieser Bitte nicht nach und fragt: „Wie sähe die Arbeit aus, wenn Sie nächste Woche abgäben? Und wie, wenn Sie noch 3 weitere Monate Zeit hätten für die Fertigstellung? “ Der Student erkennt erst jetzt, dass seine Änderungen eher Nebensächlichkeiten betreffen, die Verlängerung erscheint plötz‐ lich nicht mehr allzu attraktiv. Das noch offene Unterkapitel wird nach dem aktuellen Stand in den bestehenden Text integriert, er erlernt die automatisierte Formatierung von Bildunterschriften, die Schrift‐ größenänderung entfällt und die Verlängerung wird möglicherweise zurückgezogen. Hier scheint die aus der BWL bekannte 80/ 20-Regel durch, nach der 80 % des Ergebnisses bereits nach 20 % der Zeit erbracht werden, nur dass der Operator MZK diesen Umschlagpunkt zwar in der Gänze weniger genau, dafür aber deutlich für einen bestimmten Parameter definiert. Neben diesen extremen Konfrontationen ermittelt der Operator MZK, wann ein bestehen‐ der Nachteil in sein Gegenteil kippt - oder umgekehrt. So erhält man ein Gespür dafür, welche Parameter des Produktes in welcher Ausprägung gefordert werden. Beispiel Es soll bei der Gestaltung eines Mobiltelefons die optimale Größe des Bildschirms ermittelt werden. Der Parameter, um den es hier geht, ist also die Bildschirmdiagonale. Wie sähe das Telefon aus, wenn der Bildschirm riesig groß oder sogar unendlich groß wäre? Und wie sähe es aus, wenn er ganz klein oder gar kein Bildschirm hätte? Hier kommen einem Ideen zum faltbaren Bildschirm bis hin zum Leuchtfeld, das ganz ohne Material, allein mit einem Lichtfeld auskommt. Auf der Skala der Bildschirmgröße von 0 bis unendlich mag erkennbar sein, ab wann ein physisch vorhandener Bildschirm noch lesbar ist, und ab wann man bereits von einer Kinoleinwand sprechen mag. Diese Skala der Bildschirmdiagonale, hinterlegt mit den jeweils in der Herstellung anfallenden Kosten, erleichtert dann die Entscheidungsfindung und ist wohl ein Grund, warum Hersteller derzeit Touchscreens und zukünftig 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 31 <?page no="32"?> 11 Vgl. Hentschel, C.; Gundlach, C.; Nähler, H. T., 2010 eher Beamer in ihre Mobiles einbauen, möge der Kunde doch selbst entscheiden, wie groß er sein Display einstellen mag und auf welche Oberfläche er zukünftig schauen möchte. Bleibt man beim altbekann‐ ten Bildschirmrahmen im Mobile, so hat sich eine als ergonomisch anerkannte Größe gemeinhin durchgesetzt, die sicherlich von einigen Anwendern als zu klein empfunden wird, so dass hier Neuerungen zu erwarten sind (Aufgabe 1.6). Stoff-Feld-Analyse SFA Nicht allen technischen Problemen liegt ein fundamentaler physikalischer Widerspruch oder technischer Konflikt zugrunde und nicht immer lassen sich die ein System bestimmenden Parameter eines Problems beliebig dehnen. Liegt der Schwerpunkt darin, ein technisches System hinsichtlich seiner Idealität zu verbessern, es effizienter oder in bestehenden Parametern besser arbeiten oder weniger schädlich sein zu lassen, kommt das TRIZ- Modell der Stoff-Feld-Analyse in Betracht. Jedes funktionsfähige System besteht aus mindestens zwei Grundelemen‐ ten, die über einen Vermittler miteinander in Beziehung stehen, beispiels‐ weise in Form eines Feldes oder einer Energiequelle. Entfernt man eines dieser Systemelemente, so bricht das System zusammen, es funktioniert nicht mehr. Will man das bestehende System nun optimieren, so betrachtet man dieses Wirkungsdreieck genauer und modelliert sie als Triade von Stoffen und Feld. 11 Ähnlich der erlaubten Operationen bei der Modifikation von Dreiecken in der Geometrie kennt TRIZ zur Verbesserung und Ergän‐ zung von solchen Wirkungstriaden genau 76 Standardlösungen, bei denen dann wiederum die analoge Denkweise in Vordergrund steht. Gelingt es, ein Problem in Form eines solchen Dreiecks zu modellieren, dann können die 76 Standardlösungen gezielt Ideen provozieren helfen. Das TRIZ-Werkzeug der SFA ist im Laufe der Zeit ebenfalls weiterentwi‐ ckelt und ergänzt worden. So hat sich nicht nur die Liste der technischen Parameter auf derzeit 50 verlängert, sondern auch die SFA wurde mit dem Tool-Feld-Funktion-Modell (TOP-Modell) praktischen Anforderungen und Bedingungen angepasst. Die Modellierung mit Hilfe dieses Werkzeuges gilt als äußerst effizient, aber schwierig und sollte von einem erfahrenen TRIZ- Moderator begleitet werden. Sie wird hier nicht vertieft. 32 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="33"?> Antizipierende Fehlererkennung AFE Ein weiteres TRIZ-Werkzeug, die Antizipierende Fehlererkennung AFE (engl: AFD: Anticipatory Failure Determination), dient dazu, innovative Lösungen zu einem Problem zu finden, indem man das Problem bewusst und absichtlich erzeugt oder sogar verstärkt. Im Rahmen der AFE wird die Frage gestellt, wie man das System dazu bringen kann zu versagen, sich bewusst selbst zu zerstören oder rückwärts abzulaufen. Daraus ergeben sich dann neue Strategien zur Vermeidung oder Umgehung des Problems. Die hierzu gefundenen Lösungen setzen ein hohes Maß an Kreativität frei, in umgekehrter Form wiederum für die Auflösung des Problems zu sorgen. Beispiel Die Konstruktion eines Einkaufswagens soll verbessert werden. Die AFE fragt nun gezielt danach, wie die Hauptfunktion des Einkaufswa‐ gens, Waren zu transportieren, gezielt gestört werden kann. Antworten wären, die Räder zu blockieren, den Chip zum Losschließen nicht vorrätig zu haben, den Griff des Wagens oder die Wandung des Korbs zu entfernen. Aus den Antworten lassen sich nun konkrete Ideen zur Verbesserung des Einkaufswagens ableiten, beispielsweise sind die Räder zu verbessern, oder der Wagen hat einen verschiebbaren Boden, um große Teile wie Getränkekästen in großer Menge zu transportieren (siehe Aufgabe 1.7). Effekte Definition Unter Effekten versteht TRIZ die naturgegebenen Wirkungsweisen, die in einem Produkt oder Prozess die Funktionsweise ausmachen. Effekte spiegeln Altschullers Anliegen, Wissen nicht nach Fachgebieten (Physik, Elektrotechnik, Thermodynamik, Chemie, Biologie, Geometrie, Mechanik, …), sondern nach den reinen Wirkweisen zu klassifizieren, um es so besser verfügbar zu machen. Da sich bei jedem Entwickler mit seinem Erfahrungshorizont auch bevorzugte Denkrichtungen entlang seiner Spezialdisziplin ausprägen, und niemand alles wissen kann, ist eine 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 33 <?page no="34"?> fachneutrale Darstellung von naturwissenschaftlichen Effekten besonders hilfreich, neue Lösungsansätze zu generieren. Altschuller erkannte, dass Erfindungen gerade dann erfolgreich waren, wenn Effekte aus einem fach‐ fremden Fachgebiet genutzt wurden, und nicht aus dem Fachgebiet, aus dem die Problemstellung kam. Beispiel Beispielsweise ist der Lotuseffekt ein aus der Biologie bekannter Effekt: Die Lotuspflanze hat eine noppenartige Oberflächenstruktur, die einem Wassertropfen keinen Halt bietet und jede Ablagerung auf dem Blatt sofort wegspülen hilft. Dieser Effekt war mehrere Jahrzehnte nur unter Biologen bekannt. Anwendungen in der Technik ließen lange auf sich warten, weil er in den Ingenieurwissenschaften zunächst unbekannt war. Die Anforderung, selbstreinigende Oberflächen zu konstruieren, machte den Lotuseffekt aus der Welt der Biologie auch im Ingenieurwesen bekannt, stellte aber die Ingenieure vor die Herausforderung, technische Oberflächen länger haltbar zu machen als das Lotusblatt in der Natur, das einfach nachwachsen kann. Dieses Ziel ist nach jahrelanger Forschungs- und Entwicklungsarbeit erreicht worden, so dass zunehmend selbstreinigende Oberflächen, beispielsweise auf Sanitärkeramik oder Wandfarben zum Einsatz kommen. Dass dies nur schleppend erfolgt, ist eine Ausprägung der →Innovationswiderstände. Generell gilt es als vielversprechend im erfinderischen Sinne, verstärkt Wissen aus fachfremden Branchen für das eigene Fachgebiet zu nutzen. Als weiteres Beispiel zur Nutzung solchen fachfremden Wissens soll die Weiterentwicklung von Wundpflastern her‐ angezogen werden. Beispiel Nach der Optimierung von Wundauflagen über selbstklebende Pflaster bis hin zum Sprühpflaster werden nun Verfahren aus Deutschland bekannt, die mit Strom oder Ultraschall funktionieren. Man konnte feststellen, dass der hauteigene, gleichwohl geringe Stromfluss in chronischen Wunden sehr reduziert oder zum Erliegen gekommen ist. Bei der Elektrostimulation wird eine Spezialelektrode auf die schlecht heilende Wunde geklebt und an ein Stimulationsgerät angeschlossen. Die elektrische Spannung sorgt für einen schwachen Stromfluss, der 34 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="35"?> die Wundheilung anregt. Bei der Ultraschalltherapie erzeugt man zudem winzige Bläschen, die schädliches Keimwachstum in der Wunde hemmen und eine erhöhte Durchblutung hervorrufen. Beides reinigt nicht nur die Wunde, sondern unterstützt die Heilung, da gesundes Gewebe unbeeinträchtigt bleibt. Beide Verfahren lassen erwarten, dass zukünftig wohl Strom führende Pflaster einen neuen Entwicklungs‐ schritt bedeuten. Um fachfremdes Wissen gezielt für die eigene Problemstellung abzufragen, stehen heutzutage rechnerunterstützt sogenannte Effekte-Datenbanken zur Verfügung. Ein gutes Beispiel ist beispielsweise unter www.aulive.com zu finden. Abbildung 10: Bildschirmausschnitt „product inspiration“ der Firma AULIVE (letzter Zugriff am 12.10.23) Dort sind naturwissenschaftliche Effekte unabhängig von ihrer fachlichen Zuordnung nach funktionalen Kriterien aufgelistet. Die Suche darin wird auf die reine Funktion in Form eines aktiven Verbs (beispielsweise „detect“, „clean“, „move“, …) und eines Aggregatszustandes (beispielsweise „liquid“, „solid“, …) abstrahiert und dann die Suche gestartet. Die Datenbank listet nun nicht nur alle naturwissenschaftlichen, sondern auch technischen 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 35 <?page no="36"?> 12 Vgl. Herb, R.; Herb, T.; Kohnhauser, V., 2000 Effekte auf, die für diese Funktion bereits zu Anwendung kamen, und zwar unabhängig vom Fachgebiet, in dem der Effekt entdeckt wurde. Beispiel Wollte man beispielsweise das Problem der Entdeckung eines flüssiges Kühlmittel leckenden Gefäßes mit Hilfe einer solchen Effekte-Daten‐ bank lösen, so würde man abstrahieren in die Funktion „detect a liquid“ und erhielte beispielsweise fünf Möglichkeiten der Erkennung einer Flüssigkeit im Raum: vom Bernoulli-Effekt, über die Corona-Entla‐ dung, Photolumineszenz, Piezo-Effekt bis hin zur Radioaktivität. Diese fünf Lösungsansätze werden technisch erklärt und mit bekannten Beispielen der praktischen Anwendung hinterlegt. So wäre Kühlmittel beispielsweise mit einem fluoreszierenden Farbstoff zu versehen, so dass Lecks sich selbst farblich markieren und unter ultraviolettem Licht sichtbar werden. Die Datenbanken bieten neben den reinen Benennungen möglicher Lö‐ sungen Erklärungen der Effekte, animierte Dokumentationen von deren Funktionsweise sowie Beispiele ihres bislang erfolgten Einsatzes in der Praxis. Sie werden ständig ergänzt und erweitert. Effekte-Datenbanken sind also aktuelle, teils animierte Naturwissenschaftskataloge, deren Inhalt fach‐ unabhängig gegliedert ist, was ihren Einsatz besonders für Nicht-Techniker interessant macht (siehe Aufgabe 1.8). Aber auch Fachexperten schätzen den Blick über den Tellerrand und kommen mit Hilfe von Effekte-Datenbanken auf innovative Problemlösungen, da sie mit fachfremden Lösungsansätzen konfrontiert werden, die in ihr eigenes Fachgebiet möglicherweise noch nicht durchgedrungen sind. Evolutionsgesetze, S-Kurve und Trends Die technische Entwicklung oder →Evolution unterliegt Gesetzmäßigkei‐ ten, die TRIZ unter dem Begriff Evolutionsmuster zusammenfasst. Die Evo‐ lutionsmuster, die TRIZ bereitstellt, orientieren sich an der Veränderung von Erfindungen über ihren zeitlichen Verlauf und den Fortschritt hinweg. Ein Produkt durchläuft somit nicht nur einen →Lebenszyklus, sondern darüber hinaus auch verschiedene Entwicklungsstufen. 12 Der Erfolg eines Produktes 36 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="37"?> hängt auch davon ab, diese gesamtübergreifenden Entwicklungsstufen im Auge zu haben. Von Altshuller wurden aus der Analyse von Patenten über die Zeit acht Grundprinzipien der technischen Evolution in der folgenden Reihenfolge extrahiert: 1. Jedes System entwickelt sich entlang eines Lebenszyklus’ stufenweise von der Geburt über Kindheit, Wachstum, Reife und Tod. 2. Die Entwicklung erfolgt entlang zunehmender Idealität. 3. Einzelne Systemteile entwickeln sich uneinheitlich, wodurch neue Pro‐ bleme entstehen oder vordem verdeckte Probleme deutlich werden. 4. Jedes System entwickelt sich hin zu mehr Dynamik, Steuer- und Regel‐ barkeit. 5. Jedes System erfährt durch hinzugekommene Funktionen einen Kom‐ plexitätszuwachs, der durch geniale Vereinfachung wieder abgebaut wird. 6. Es werden zunehmend passende mit unpassenden Elementen kombi‐ niert, dabei werden übereinstimmende Elemente zusammengeführt und nicht-übereinstim-mende eliminiert. 7. Jedes System wird miniaturisiert und setzt verstärkt Felder ein. 8. Mit jeder Entwicklung wird eine immer geringere menschliche Interak‐ tion mit dem System angestrebt. Sie helfen, über eine gefundene Lösung hinauszudenken und die Frage nach dem nächsten verbesserten Wirkprinzip zu beantworten. Das erste Muster, die stufenweise Evolution, beschreibt beispielsweise die Potenzial‐ entwicklung von Technologien und Systemen über die Zeit. TRIZ kennt verschiedene Evolutionsmuster. Das bekannteste ist die S-Kurven-Theorie, die im Rahmen der TRIZ ständig weiterentwickelt wird. Sie soll in ihren Grundzügen anhand des einfachen Beispiels eines Messgerätes verdeutlicht werden (Abbildung 11). Das zweite Entwicklungsprinzip, die Vergrößerung der Idealität, ist wohl das wichtigste dieser acht Entwicklungsgesetzte. Es besagt, dass mit fort‐ schreitender Entwicklung versucht wird, die sog. schädlichen Funktionen eines Systems zu eliminieren während das System trotzdem alle gewünsch‐ ten Funktionen zur Verfügung stellt. Idealität wurde bereits weiter oben erläutert. Sie wird definiert als das Verhältnis aller gewünschten, nützlichen Funktionen zu der Anzahl aller schädlichen Funktionen, einschließlich verursachter Kosten. Der Entwicklungstrend verläuft nun in Richtung stei‐ 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 37 <?page no="38"?> 13 vgl. Kummert, B., 2012 gender Idealität, auch wenn das vollkommene Design nie erreicht werden wird. Abbildung 11: S-Kurve und Evolutionsstufen am Beispiel Messgerät 13 Das dritte Prinzip, die uneinheitliche Entwicklung der Systemteile, drückt aus, dass jedes Teilsystem bzw. Komponente seine eigene S-Kurve hat. An Komponenten, die bereits in der Reifephase sind, lässt sich nicht mehr viel verbessern, es sei denn, man beginnt auf einer neuen S-Kurve. Unterentwickelte Systemteile hingegen verbessern mit jedem weiteren Entwicklungsschritt durchaus die Gesamtleistung des Systems. Ein modu‐ lares Systemkonzept stellt somit die beste Möglichkeit dar, Teilsysteme unabhängig voneinander weiterzuentwickeln und dabei das Gesamtsystem zu verbessern. Mit dem vierten Prinzip, der Erhöhung der Dynamik der Steuerung, wird ein verbreiterter Einsatzbereich des Systems angestrebt. Es kommen Funktionen hinzu oder eine einfache Steuerung wird durch eine Regelung ersetzt, wodurch sich das Einsatzfeld des Systems beträchtlich vergrößert. 38 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="39"?> Die meisten Systeme haben zuerst diese Tendenz, sie werden immer kom‐ plexer, bis das nachfolgend beschriebene Prinzip diese Entwicklung stoppt. Das fünfte Prinzip beschreibt die Vereinfachung von Systemen, also weg von der Komplexität hin zur Einfachheit. So entwickelten sich Heimwer‐ kergeräte in den 1960er Jahren zu komplexen Universalkombinationen, mit denen man beispielsweise eine Kreissäge zu einer Drechselmaschine umrüsten konnte. Allerdings hat sich herausgestellt, dass keine Kombinati‐ onsmaschine so leistungsfähig war wie eine spezialisierte Einzelmaschine. Der gegenläufige Trend setzte ein. Wo hingegen Zusatzfunktionen die Handhabung erleichtern, entwickeln sich integrierte Geräte, die ganze Arbeitsfolgen in einem Arbeitsgang erledigen. So können beispielsweise heutige Kopiersysteme in einem Arbeitsgang beidseitig kopieren, sortieren, heften und stellen dadurch wieder ein neues Monosystem, das Kopiercenter, dar. Das sechste Prinzip beschreibt die Tendenz, dass gezielt passende und unpassende Komponenten kombiniert werden und dadurch unerwünschte Funktionen ausschließen helfen. Beispielsweise werden Profile von Auto‐ reifen nicht mehr ausschließlich ganz regelmäßig gestaltet, da sich heraus‐ gestellt hat, dass sich dadurch unangenehme Resonanzen beseitigen lassen. Ein weiteres Beispiel hierfür sind die unterschiedlich großen Vorder- und Hinterräder bei einem Traktor. Der siebente Trend, Miniaturisieren und der Einsatz von Feldern, lässt sich sehr gut in der Elektronik und Elektrotechnik beobachten. Die Fort‐ schritte auf diesen Gebieten haben auf alle anderen Fachgebiete ausge‐ strahlt. Das achte Prinzip, geringere menschliche Interaktion, erlaubt, den Men‐ schen von gefährdenden Tätigkeiten fernzuhalten oder mühseligen Tä‐ tigkeiten zu entlasten. Somit kann er sich anspruchsvolleren Aufgaben zuzuwenden. Als Beispiel wäre die automatische Niveauregelung bei Auto‐ scheinwerfern oder die automatische Verkehrsfunkzuschaltung beim Auto‐ radio zu nennen. Diesen Evolutionsmustern liegen analog der 39 technischen Wider‐ spruchsparameter oder der 40 Innovationsprinzipien abstrakte Formulie‐ rungen zugrunde: wie oben am Beispiel des Messgerätes erkennbar, begann die Entwicklung mit einem starren System. Im nächsten Entwicklungs‐ schritt ist eine begrenzte Beweglichkeit in Form von zunächst wenigen, dann mehr Gelenken eingebaut, bis zum Gliedermaßstab oder Zollstock. Das Maßband als komplett flexible Form bildet denn darauffolgenden 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 39 <?page no="40"?> 14 Vgl. Herb, R.; Herb, T.; Kohnhauser, V., 2000 Entwicklungsschritt. Zuletzt wird dieses System gegen ein feldförmiges, laserbasiertes System ergänzt, das zudem eine höhere Genauigkeit mit einer prinzipiell unendlichen Länge bei gleichzeitig kleinerer Bauweise verbindet. Das System ist dynamischer geworden. Dieser Trend zur Dynamisierung kann analog an fast allen anderen technischen Produkten beobachtet, nachvollzogen oder prognostiziert werden, so dass TRIZ zunehmend in die Erforschung von Trendentwicklungen und -voraussagen einfließt. Beispiel Der Trend zur Dynamisierung sei hier am Beispiel der KFZ-Lenkung dargestellt Das System der starren Lenkstange wurde zunächst durch ein, dann mehrere Gelenke dynamisiert, dann durch eine flexible Lenkwelle ersetzt. Eine hydraulische Lenkung bildete den Schritt zum Übergang zu einer elektronischen Lenkung, die prinzipiell auch ohne Lenkrad möglich wäre. Dem Trägheitsgrad der Konsumenten ist es zu verdanken, dass sie dennoch ein klassisches Lenkrad vorfinden. Die Frage ist, wann dieses durch Joysticks oder andere „Lenksysteme“ ersetzt wird (Abbildung 12). Abbildung 12: Trend zur Dynamisierung am Beispiel KFZ-Lenkung 14 Das Beispiel der KFZ-Lenkung ist nur stellvertretend für eine Fülle techni‐ scher Systeme, von der Computertastatur über Raumheizsysteme bis hin 40 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="41"?> 15 Vgl. Hentschel, C.; Gundlach, C.; Nähler, H. T., 2010 und vgl. Koltze, K.: Souchkov, V., 2017 zur Sehhilfe, auf die diese Entwicklungstrends analog angewendet werden können (siehe Aufgabe 1.9). 1.2.4 Weitere TRIZ-Werkzeuge Die gesamte Palette von TRIZ umfasst noch eine Vielzahl weiterer Werk‐ zeuge, die allesamt die Entwurfsphase unterstützten und in europäischen Erfindungsprozessen neu sind. Hierzu gehören Werkzeuge wie ■ Innovationscheckliste, ■ Neun-Felder-Modell, ■ Systemmodell, ■ Funktionsanalyse, ■ Trimming, ■ Problemformulierung, ■ Feature Transfer und ■ Zwergemodell, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Mittlerweile findet sich einige deutschsprachige Literatur, die den Zugang erleichtert. 15 Darin finden sich neben vielen praktischen Beispielen auch weiterführende Literaturan‐ gaben zur Vertiefung. Nicht zuletzt werden alle Methoden in einen standardisierten Ablauf‐ plan gefügt, der unter dem Kürzel ARIZ (Algorithmus zur Lösung von Erfindungsaufgaben) bekannt ist. Die Ursprünge dieses Algorithmus gehen zurück auf das Jahr 1956 (ARIZ-56). Im Laufe der Zeit wurden zahlreiche Ergänzungen vorgenommen, so dass der Zeitbezug immer am Namen (z. B. ARIZ-95) erkennbar ist. Im Rahmen der TRIZ-Philosophie wird ARIZ als ein universelles Werkzeug angesehen, das zum Einsatz kommt, wenn die elementaren Prinzipien oder Standards keine zufriedenstellende Lösung lie‐ fern. Dieses Vorgehensmodell überführt auch unscharfe Problemsituationen in konkrete Aufgabenstellungen, deren Lösung sich dann sehr massiv am Idealen Endresultat orientieren. Für Laien ist zunächst schwer nachvollzieh‐ bar, dass hier von den Beteiligten einerseits größte Loslösung von bekannten Denkweisen abverlangt wird, und andererseits eine strikte Vorgehensweise die Arbeit strukturiert. Experten lieben gerade diesen Widerspruch, nicht 1.2 Lösungen finden mit TRIZ 41 <?page no="42"?> 16 Vgl. Schweizer, P., 2008 17 Vgl. Plattner, H.; Meinel, C.; Weinberg, U., 2009 nur, weil besonders innovative Lösungen zu erwarten sind, sondern weil diese Arbeitsweise Spannung und Spaß verbindet. Alle Werkzeuge von TRIZ erfordern ausführliche Erläuterung und einige Übung. Gemeinsam ist ihnen, dass die Lösung immer am Ende eines ausführ‐ lichen Analyse- und Modellierungsprozesses steht, der zunächst mühselig erscheinen mag, jedoch immer zu neuen Erkenntnissen und Sichtweisen auf die Situation führt. Insofern ist von Anwendern des TRIZ-Werkzeugkastens oft zu hören, dass vorher ja am „falschen“ Problem gearbeitet wurde, oder dass „völlig neue Horizonte eröffnet“ wurden, die das Problem und die dann gefundene Lösung dann „ganz einfach“ erscheinen ließen. 16 Quasi nebenbei sorgen die TRIZ-Werkzeuge für eine ausgezeichnete Visualisierung des Problems und der diskutierten Lösungsansätze, so dass in der Arbeitsgruppe ein einheitliches Verständnis über den Stand der Diskus‐ sion erreicht wird - ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Die spielerische Denk- und Arbeitsweise, die mit TRIZ gefördert wird, passt auch zu anderen, neueren Werkzeugen, von denen hier zwei weitere vorgestellt werden. 1.3 Zukunft gestalten mit Design Thinking Ein im Vergleich zur klass. TRIZ jüngerer Ansatz im Rahmen der systema‐ tischen Innovation ist das Design Thinking. Hier steht ebenfalls ein Prozess im Vordergrund, dessen sechs iterative Schritte dazu führen, gleichzeitig das Denken zu befreien und dennoch auf ein funktionierendes Ergebnis hin zu fokussieren, beispielsweise die Entwicklung eines innovativen Produktes, Prozesses oder einer Dienstleistung. Im Mittelpunkt steht dabei ein nutzer‐ zentrierter Prozess eines multidisziplinären Teams, bei dem immer sehr brauchbare, manchmal auch überraschende Lösungen von hoher Qualität für das eingangs formulierte Problem herauskommen. Die Design Thinking Schools der Stanford University in Kalifornien und des Hasso-Plattner-Instituts HPI in Potsdam untergliedern den Design Thinking Prozess zu Lehrzwecken in sechs höchst iterative Schritte wie folgt 17 : 1. Verstehen („understand“) 2. Beobachten („observe“) 42 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="43"?> 3. Standpunkt definieren („define point-of-view“) 4. Ideen finden („ideate“) 5. Prototypen entwickeln („prototype“) 6. Testen („test“). Analog zu TRIZ wird auch hier die eigentliche Lösungsentwicklung weit ans Ende des Prozesses geschoben und den analytischen Anfangsphasen große Bedeutung für die spätere Qualität der Lösung beigemessen. Am Anfang stehen nämlich neben dem Verstehen der sogenannten „Design Challenge“, also der Spezifikation der genauen Aufgabenstellung, die Beobachtung des Kunden und/ oder Produktnutzers in seinem realen Umfeld. Dies ist eine sehr große Herausforderung an die Entwickler, denn es gilt hier, die „echten“ Experten in der realen Welt zu finden und sich selbst im Prozess so weit zurückzunehmen, dass eine quasi ethnografische Studie möglich ist. Nur diese erlaubt es, womöglich einen neuen Standpunkt zu erkennen, zu verstehen und dem späteren Nutzer wirklichen Nutzen zu generieren. Beispiel Gilt es beispielsweise, einen neuen Kinderautositz zu entwickeln, dann ist eher nicht die Befragung der Nutzer angedacht, sondern deren Be‐ obachtung im kompletten Umfeld. Dazu gehört auch zu erforschen, wie Kindersitze transportiert, gelagert, eingebaut, festgezurrt und gereinigt werden - oder auch nicht. Da man am Schreibtisch nicht herausfinden kann, wie eine Autofahrerin und/ oder ein Vater denkt, wenn er einen Kindersitz einbauen und benutzen will, muss man beide beobachten, einschließlich aller Schwierigkeiten, einen Kindersitz mit Kind auf dem Arm beispielsweise vom Kofferraum auf die Rücksitzbank zu positionieren und das Kind anzuschnallen, obwohl der Sitz nun die Gurtschnallen verdeckt. Natürlich wird man die Beteiligten auch be‐ fragen, hier aber stellt sich das häufig viel zu höfliche Antwortverhalten der Nutzer, die zudem durch ihre Gewohnheiten geblendet sind („Es ist eben schwierig, einen Kindersitz festzuzurren“), in den Weg für eine wirklich neue Produktlösung mit hohem Nutzen. Zusätzlich zum Gebrauch des Produktes werden Informationen zur Herstel‐ lung, Transport, Verkauf und Entsorgung zusammengetragen und es gehört unbedingt dazu, sich auch selbst in diese Rollen zu begeben. So wird der Entwickler sich nicht zuletzt in die Situation des Kindes begeben, das fest‐ 1.3 Zukunft gestalten mit Design Thinking 43 <?page no="44"?> gezurrt wird. Sind diese Punkte hinreichend notiert, wird ein idealtypischer, fiktiver Standpunkt, die sogenannte „Persona“ definiert. Definition Eine „Persona“ im Design Thinking ist eine fiktive Verkörperung einer definierten Person mit all ihren Eigenheiten, Eigenschaften und Verhal‐ tenswerten und -normen. Sie wird bis hin zu ihrem Alter, Familienstand, körperlichen Gebrechen, Kleidungsvorlieben und Hobbys, ja bis hin zu ihrem fiktiven Namen vom Design Team entworfen und dient als Projektionsfläche für die späteren Ideen und Lösungen. Dabei kommt es darauf an, diese Person so lebendig wie möglich vor den Augen des Entwicklungsteams entstehen zu lassen, gern auch mit Hilfe von Story-Telling und Rollenspiel. Das ist wichtig, da das Team für den speziellen Blickwinkel („point-of-view“ POV) genau dieser Persona die wichtigste Problemstellung später genau definieren und damit die Lösung besser fokussieren kann. Der Prozessschritt „ideation“ ist dann ein echtes Brainstorming, in dem es darum geht, für die fiktive Persona möglichst viele Vorschläge zu generieren, wie man nur für sie das Produkt verbessern kann. Die Vorschläge werden auf kleine Klebezettel skizziert, dabei werden sie nicht bewertet, sondern erst einmal unter der Maßgabe „Masse statt Klasse“ gesammelt. Das stellt sich in der Praxis häufig als schwierig heraus; allzu schnell ist man im Team versucht, Kommentare zu Ideen anderer abzugeben. Gelingt es, den Bewertungsgeist in dieser Phase auszuschalten, hat man genügend Ideen, die nachfolgend prototypisch kombiniert, realisiert und ausgebaut werden können. Pro Brainstorming können und sollen in einem Team dabei leicht 200 und mehr Ideen generiert und Klebezettel bemalt werden. Der Prototypenbau ist dann ein physischer Prozessschritt, in dem hand‐ werklich eine Idee auf nachvollziehbare Weise realisiert wird. Wenngleich Prototypen im technischen Sinne schon sehr elaborierte Veranschaulichun‐ gen auf dem Niveau von Versuchsmodellen sein können, so ist her eher ein Modell im Sinne eines MVP (Minimal Viable Product) gemeint, das mit ein‐ fachen Bastelmaterialien wie Kartons, Klebestiften, Papier und Zeitschriften schnell zu erstellen ist. Schnelle Prototypen müssen nicht teuer und perfekt sein und schon gar nicht funktionieren, aber sie sollen illustrieren, worum es dem Designteam geht. 44 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="45"?> Drückt man diesen Prototypen in der Phase „Test“ einer anderen, nicht beteiligten Person oder sogar einem späteren potenziellen Kunden in die Hand, und bittet man diese Person, den Prototypen hinsichtlich der Frage‐ stellung, z. B. besserer Kindersitz, zu interpretieren, kann man sogleich die Stärken und Schwächen der Idee aufnehmen, hat also eine reale Test‐ situation mit einem kleinen Qualitätsregelkreis geschaffen. Es empfiehlt sich wie in der Brainstorming-Phase, „Killerphrasen“ wie „Das geht aber nicht…“ und „Das kenne ich schon….“ zu vermeiden und um Feedback in der Form „Was ich gut finde …“ und „Was ich mir wünschen würde …“ zu bitten, um die positive Denkhaltung weiterzuführen. Bei nicht-physischen Produkten wie Dienstleistungen bieten sich hier auch Rollenspiele oder gespielte Abläufe an, die von den Testpersonen kommentiert werden. Die Erfahrungen der Testperson liefern dann die weitere Entwicklungsrichtung, in die der Prototyp verbessert werden kann, der Prototyp wird also gebaut um zu lernen. Diese Schritte werden dann iterativ wiederholt. Kennzeichen aller Schritte ist das Denken und Entwickeln in Bildern: Es wird gezeichnet, gebaut und gespielt, kaum geschrieben. Für das Brainstorming gilt, wilde Ideen zuzulassen, nur darauf können sich weitere wirklich neue Ideen formieren, andernfalls bleibt man bei dem ewig machbaren Mittelmaß. Jeder dieser Prozessschritte wird mit einem engen Zeitlimit versehen, was die Kreativität noch beflügelt, weil Spontaneität ins Spiel kommt. Und ein Spiel ist es tatsächlich, das zeigt die Atmosphäre jedes Mal, und obwohl hart gearbeitet wird, ist ein Design Team am Ende von ihrer eigenen Lösung immer positiv überrascht, weil sie als Teamergebnis entwickelt wurde, nicht als Ergebnis eines Einzelnen. Design Thinking hat bis heute eine Vielzahl von Arbeitsmethoden her‐ vorgebracht, die den vorgenannten sechs Phasen zuzuordnen sind. Einige seien hier aufgezählt: ■ Stakeholder Map ■ Mood Board ■ Business Model Canvas ■ Storyboarding ■ Role Play ■ Customer Journey Map ■ Self Documentation ■ Ethnography 1.3 Zukunft gestalten mit Design Thinking 45 <?page no="46"?> 18 Vgl. Kelley, T., 2002 19 Naisbitt, J., 2007 20 Siehe URL: http: / / www.z-punkt.de/ ■ Product Box ■ … Sie wurden zunehmend auch im europäischen Raum bekannt und beliebt wenngleich sich Design Thinking weniger an technischer Machbarkeit orientiert. Wenngleich das Design Thinking unabhängig von TRIZ in den USA durch die Firma IDEO 18 seit den 1990er Jahren entwickelt wurde, so stellt diese Innovationsmethode analog zu TRIZ eine Abkehr dar von der gegenüber Kunden häufig anzutreffenden Entwicklerhaltung „Meine Lösung ist Ihr Problem“. Vielmehr gilt es, den Innovationsprozess so zu modellieren, dass Offenheit und Transparenz entsteht für Lösungen, die alle Beteiligten akzeptieren können. Das ist umso mehr erforderlich, je mehr diese Lösungen in die Zukunft reichen sollen. 1.4 Trends erkennen mit trenDNA Trends beschreiben Veränderungen der Wirtschaft und Gesellschaft. Sie zeigen sich in unseren Lebensweisen, in Kultur, Politik und Wirtschaft und verändern Wünsche, Gewohnheiten, Märkte und Institutionen. Beob‐ achtbare Trends werden zu Megatrends verdichtet 19 , die in der Corporate Strategy auch großer Unternehmen die Geschäftsfelder ausrichten helfen. Für die Bundesrepublik Deutschland wurden im Jahr 2010 von der z-punkt Foresight Company 20 20 Megatrends wie folgt formuliert: 1. Demographischer Wandel 2. Neue Stufe der Individualisierung 3. Boomende Gesundheit 4. Frauen auf dem Vormarsch 5. Kulturelle Vielfalt 6. Neue Mobilitätsmuster 7. Digitales Leben 8. Lernen von der Natur 9. Ubiquitäre Intelligenz 10. Konvergenz von Technologien 11. Globalisierung 2.0 46 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="47"?> 21 Vgl. Naisbitt, 2007 12. Wissensbasierte Ökonomie 13. Business Ökosysteme 14. Wandel der Arbeitswelt 15. Neue Konsummuster 16. Umsteuern bei Energie und Ressourcen 17. Klimawandel und Umweltbelastung 18. Urbanisierung 19. Neue politische Weltordnung 20. Wachsende globale Sicherheitsbedrohungen Man möge aus heutiger Sicht deren Stimmigkeit selbst beurteilen. Definition Megatrends sind langfristige und übergreifende Transformationspro‐ zesse, die die Märkte der Zukunft prägen. Sie unterscheiden sich von Trends hinsichtlich ■ ihres Zeitraumes, ■ ihrer Reichweite und ■ ihrer Wirkungsstärke. Megatrends sind über Jahrzehnte hinweg beobachtbar, wirken umfassend politisch, sozial und wirtschaftlich und wirken auf alle Akteure, von Indi‐ viduen bis hin zu Organisationen. Geprägt wurde der Begriff Megatrend Anfang der 1980er Jahre von John Naisbitt, der als Wegbereiter der Trend- und Zukunftsforschung mit seinen Analysen Entwicklungen wie die Globa‐ lisierung oder die Informationsgesellschaft prognostizierte 21 . In der Praxis der Unternehmenswelt zeigt sich, dass für jedes Unternehmen aus der eigenen Perspektive verschiedene Trends von Bedeutung sind. Fast jedes Unternehmen investiert heute dahin, Trendinformationen zu sammeln, ohne dass die Kenntnisse über Trends allein dabei zu bahnbre‐ chenden Lösungen führten. Die Frage ist zunehmend, wie Trends zu einem Mehrwert für Unternehmen werden. TRIZ bedient zunehmend den Wunsch von Produktentwicklern nach einer handhabbaren Methode, zukunftsfähige innovative Produkt- und Prozessideen bereitzustellen. Ziel dabei ist es, nicht „nur“ Vermutungen anzustellen, sondern objektivierbare und repro‐ 1.4 Trends erkennen mit trenDNA 47 <?page no="48"?> 22 Vgl. Mann, D.; Özözer, Y., 2009 duzierbare Antworten auf die Frage zu erhalten, welche Eigenschaften ein Produkt in Zukunft haben muss, um erfolgreich zu sein. Analysen haben gezeigt, dass es nicht reicht, einem Trend zu folgen, vielmehr bestimmen die Widersprüche und Zusammenhänge zwischen den Trends den Innova‐ tionserfolg. Diese Widersprüchlichkeit lässt deutlich die oben beschriebene TRIZ-Philosophie durchscheinen. Ein jüngerer Ansatz, der dieses widerspruchsorientierte Denken für die Zukunftsforschung verankert, sind die Methoden der trenDNA. 22 Diese Methodensammlung beinhaltet die für eine begrenzte geographische Region zusammengetragenen Konsumer- und Markttrends und stellt sie unterein‐ ander in Beziehung. So ist beispielsweise erkennbar, dass für den deutsch‐ sprachigen Raum ein Trend hin zur Umkehrung der Bevölkerungspyramide mit zukünftig mehr alten Menschen gilt, gleichzeitig die Alten aber in ihrem Verhalten immer jünger werden. Man spricht von den „jungen Alten“, deren Konsumgewohnheiten nicht ihrem tatsächlichen Lebensalter entspricht: Die heute 60-Jährigen sind so aktiv und gesund wie früher die 50-Jährigen und wünschen keine Produkte für alte Menschen, sondern spezielle Produktmerkmale, die auch jungen Menschen dienlich sind. Beispiel Wenn der Aufdruck auf einer Cremetube, einer Shampoo-Flasche, für Menschen mit Brille ohne diese nicht lesbar ist, dann verlangt das nicht nach einer „Cremetube für Alte“ oder „Shampoo-Flasche für Alte“, sondern einfach nach einer größeren Schrift. Diese Produktmodifika‐ tion kommt dann allen zugute und „brandmarkt“ weder den älteren Konsumenten noch das Produkt. Ein weiteres Beispiel ist einerseits ein Trend hin zu mehr Individualität, andererseits der Trend hin zum Herdentrieb oder „Tribalismus“ - wie man beim Blick in ein Fußballstadion bestätigen mag. trenDNA geht nun davon aus, dass nicht das Kompromiss-Produkt erfolgreich ist, das die Forderungen der beiden Extrempositionen miteinander vermischt und daraus ein Optimum generiert, sondern nur das Produkt eine innovative Durchbruchslösung werden kann, das den Widerspruch beider Extreme ohne Kompromisse überwindet (Abbildung 13). 48 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="49"?> 23 Vgl. Mann, D.; Zinner, V., 2010 24 Vgl. Mann, D.; Zinner, V., 2010 Abbildung 13: Herausforderung im Umgang mit widersprüchlichen Trends 23 Bahnbrechende, innovative Lösungen basieren auf Verbindungen von Trendwidersprüchen, die vorher kaum vorstellbar waren. Der Erfolg von Social Media ist womöglich durch die gleichzeitige Bedienung von Indi‐ vidualitäts- und Tribalismus-Wünschen seiner Kunden zu erklären, ein Widerspruch, der durch diese Geschäftsmodelle auf kompromisslose Weise überwunden wird (Aufgabe-1.10). trenDNA hat für verschiedene geographische Regionen seinerzeit je ca. 160 konfliktäre und komplementäre Trends zueinander in Beziehung gesetzt. Das Ergebnis ist auf sogenannten Trendkarten verzeichnet, so dass die Trends zunächst als handhabbares Werkzeug in Form von großen Spielkarten in Ideenwerkstätten genutzt werden kann. Zusätzlich erkennt man darauf deren Beziehungsstruktur im sogenannten Trendnetzwerk. Dieses Netzwerk dient der methodischen Unterstützung im Umgang mit Trendwidersprüchen sowie sich untereinander verstärkenden Trends. So verstärkt in Deutschland der Trend „Gesundheitswahn“ den Trend hin zur „Kennzeichnung von Lebensmitteln“, der wiederum den Trend „Bio- Boom“ befeuert. Auf die Aufzählung der Trends, die aktuell für Deutschland generiert wurden, soll an dieser Stelle verzichtet werden. 24 1.4 Trends erkennen mit trenDNA 49 <?page no="50"?> 25 Vgl. Schweizer, P., 2008 sowie vgl. Livotov, P.; Petrov, V., 2009 Die Methode liefert eine gut nachvollziehbare Arbeitsanweisung zur Er‐ stellung des für das eigene Produkt- oder Marktbeispiel spezifischen Trend‐ netzwerkes. Mit Hilfe eines auch manuell durchführbaren Algorithmus kann man die Bedeutung der ausgewählten Trends quantifizieren und erhält nachvollziehbare Entscheidungshilfen bei der Trendauswahl, die dann als Grundlage für eigene widerspruchsorientierte Ideen gute Wegweiser sind. Auch im Prozess der trenDNA ist der Begriff Idealität Ausgangspunkt aller Überlegungen, allerdings kann hier zusätzlich noch mit Verhaltens‐ weisen und Werten von unterschiedlichen Generationen-Archetypen und Denkstilen gearbeitet werden. trenDNA wird regelmäßig aktualisiert und ist für verschiedene geographische Kulturräume verfügbar. Alle Einzel‐ werkzeuge der trenDNA atmen die TRIZ-Logik, nach der Widersprüche kompromisslos zu überwinden, Ideen und Lösungen ganz am Ende des Prozesses generiert und Ideengenerierungsphasen zunächst durch aktive Modellierung, Analyse und Abstraktion gestützt werden. 1.5 Systematische Innovationsmethoden in der Praxis Unternehmen sind heutzutage erfolgreicher, wenn sie beim Thema Innova‐ tion nicht auf Zufall, sondern auf Systematik bauen. Auch wenn die Begriffe „Systematik“ und „Innovation“ wie ein →Oxymoron klingen, gelingt nur durch die Kombination beider die geforderte Schnelligkeit bei gleichzeitiger Originalität, mit der die Produkte auf den Markt gebracht werden. Systematische Innovationsmethoden wie TRIZ, Design Thinking und trenDNA beschleunigen den Innovationsprozess in den wichtigsten Unter‐ nehmensbereichen: 25 ■ Unternehmensführung, ■ →Innovationsmanagement, ■ Marketing und Kundenorientierung, ■ Qualitätssicherung, ■ Entwicklung und Konstruktion, ■ Produkt- und Prozessoptimierung sowie ■ Patentwesen, 50 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="51"?> 26 Vgl. Terninko, J; Zusman, A.; Zlotin, B.; Herb, R. H., 1998 indem sie die Erfindungszeit reduzieren und gleichzeitig die übergeordneten Prozesse für innovatives Denken definieren helfen. Dies liefert Struktur im Arbeitsprozess bei gleichzeitigem Freiraum für die kreative und den‐ noch gezielte Ideenfindung. 26 Diese Ansprüche an Innovatoren, ebenfalls widersprüchlich, fordern von den Ausführenden einerseits Disziplin in der Abarbeitung der Methodenschritte und andererseits ein hohes Maß an Gedankenfreiheit in den kreativen Arbeitsphasen. Dieser Anspruch ist für manche Menschen nicht einfach auszuhalten. Nur beides zusammen erlaubt, regelmäßig Innovationen quasi auf Knopfdruck zu produzieren. Der Begriff Innovation wird gerade in Deutschland sehr →ambivalent verstanden. Während sich Innovationen in ausgewählten Technologiebe‐ reichen wie Solarenergie und Mobilfunk großer Beliebtheit erfreuen, sind andere, wie Nano- und Gentechnologie, in der breiten Öffentlichkeit an‐ scheinend mit einem Fluch belegt, der jeden Fortschritt beschwerlich macht. Wenn große Unternehmen, Wissenschaft und Forschung hier voranpre‐ schen, dann scheint die Anerkennung durch die Masse der deutschen Bevölkerung nicht übermäßig hoch. Dabei ist doch Wissen immer besser als Nichtwissen, Beteiligung an der Entwicklung neuer Technologien immer besser, als sie anderen allein zu überlassen. Das Erlernen von systematischen Innovationsmethoden ist ein Weg, komplexe Technologiethemen näher an die Menschen heranzubringen. Methoden der systematischen Innovation kommen heute nicht nur bei der Entwicklung physischer Produkte zum Einsatz, sondern auch bei Ent‐ wicklung neuer Dienstleistungen sowie Firmenkulturen. Sie geben in allen Bereichen zunehmend auch Nicht-Technikern einen konkreten Anstoß, die Zukunft zu erfinden und selbst Ideen zu entwickeln, quasi eine Haltung der Art „Wirtschaftswunder“ zu produzieren. Systematische Innovationsmetho‐ den sind ein Weg, ■ Überraschungen auszuhalten, ■ in Möglichkeiten denken zu lernen, ■ Zukunftsbegeisterung zu wecken und ■ Fortschritt aktiv zu produzieren. Diese Haltung erlaubt es, die Zukunft eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen und Lösungen zu produzieren, die jenseits bislang verfolgter 1.5 Systematische Innovationsmethoden in der Praxis 51 <?page no="52"?> Lösungspfade liegen. Ein letztes Beispiel soll diesen Zusammenhang ver‐ deutlichen: Beispiel Salz, Pfeffer, Zucker und andere Gewürze galten Jahrhunderte lang nicht nur als begehrte Luxusgüter, sondern waren für die Haltbarma‐ chung von Nahrungsmitteln unerlässlich, insbesondere Fleisch und Fisch. Neben der geschmacklichen Wirkung war die keimtötende und Fäulnisgeruch überdeckende Wirkung von Gewürzen der Hauptgrund dafür, lange Seewege und sogar Handelskriege in Kauf zu nehmen, um ihrer habhaft zu werden. Gerade in wärmeren Gefilden erlaubten nur Gewürze, Früchte und Fleisch durch Pökeln und Einlegen haltbar zu machen. Nun kann man die Verfahren des Pökelns und Einlegens durchaus bis heute variieren und verbessern, erst die Erfindung der künstlichen Kühlung aber machte ganze Imperien und Gewürzmono‐ pole hinfällig. Dieser Lösungsweg des Kühlens mit Eis, der jenseits der ursprünglichen Technik des Einlegens liegt, ist verhältnismäßig spät betreten worden, und erst die Erfindung von kleinen Elektromotoren, Kompressoren und Verdampfern machte den Kühlschrank, ja alle Haushaltsgeräte zu dem, was sie heute sind. In absehbarer Zukunft wird auch dieser Lösungspfad des Kühlens durch Kompression und Verdampfen von Kühlmittel wohl der Geschichte angehören, und zwar wenn wir die Entwicklung vorantreiben, frische Lebensmittel bei‐ spielsweise mit Licht statt mit niedrigen Temperaturen länger haltbar zu machen. Nicht nur Unternehmen, die heute Kühlschränke produ‐ zieren, müssen sich also fragen: „Was macht mein Produkt/ meinen Prozess/ meine Dienstleistung in der Zukunft überflüssig? “ Es gilt, die Antwort selbst zu finden. 1.6 Systematische Innovation mit Blick auf Künstliche Intelligenz (KI) Systematischer Innovationsmethoden stehen angesichts steigenden Wettbe‐ werbs- und Zeitdrucks erheblich im Aufwind und erforderten unlängst eine Vereinheitlichung der Begrifflichkeiten, Sprache sowie Empfehlungen zur Werkzeuganwendung. Dies hat der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) zum Anlass genommen, die TRIZ-Methodik einem ausführlichen, internationa‐ 52 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="53"?> 27 Vgl. VDI-Richtlinie 4521 28 Vgl. Thurnes, C.; Hentschel, C.; Zeihsel, F., 2019 und 2020 29 Vgl. Meitinger, T. H.; Mayer, O.; Gasteiger, P.; 2023 30 Vgl. Hentschel, C., 2022 len Review zu unterziehen. Hieraus ist die VDI-Richtlinie 4521 entstanden, deren Blätter 1-3 regelmäßig aktualisiert werden. 27 Unternehmen berichten, dass der Hinweis auf die Nutzung solcher systematischen Innovationsme‐ thoden, die zudem in derart Richtlinien nachvollziehbar dokumentiert sind, besonders mit Zulieferern einen Ausschlag geben kann für eine Kaufent‐ scheidung: Entwicklungen von Produkten und Prozessen werden hierdurch nachvollziehbar(er) und sind für Auftraggeber leichter bewertbar. Zugleich sollten die vergleichsweise umfangreichen Methoden der sys‐ tematischen Innovation auch neuem Publikum leichter zugänglich und an‐ wendbar sein. Zunehmend bewähren sich spielerische Ansätze in der Lehre, die jetzt auch in der unternehmerischen Praxis und Weiterbildung ankom‐ men. Spiele unterstützen die Teilnehmer solcher Schulungen in ihrer aktiven Anwendung der Methoden bei gleichzeitig nachhaltigem Lernfortschritt, denn die Methodenkompetenz kann schneller und munterer erfolgen, im Idealfalle bei gleichzeitiger Bearbeitung eines „echten“ Industrieproblems. Ausführliche Spielregeln, praktisches und gleichermaßen optisch anspre‐ chend gestaltetes Spielmaterial erlauben es auch dem Laien, hier vorzeigbare Ergebnisse zu erzielen. Die Arbeiten der sog. „Gamifizierung“ von TRIZ-Me‐ thoden, die unter dem Stichwort „GamiTRIZation“ subsummiert sind, stellen work in progress dar und werden ständig erweitert. 28 Insgesamt haben sich TRIZ-Werkzeuge als besonders zielführend erwie‐ sen, wenn es um technische Lösungen geht 29 - kein Wunder: Ihr Ursprung liegt ja in der Patentanalyse. Da liegt es nahe, die TRIZ-Methodik auch zur legalen Patentumgehung einzusetzen, um zügig und strukturiert neue, möglichst patentierbare Lösungen zu erarbeiten. Dabei kann die weltweit nahezu identische Dokumentationsstruktur von Patentschriften nur dazu beitragen, Muster zu erkennen - und sog. „white spots“ in der Patentliteratur abzuleiten, Leerfelder, die quasi noch nicht beackert wurden. 30 Unnötig zu erwähnen, dass TRIZ zunehmend auch für nicht-technische Fragestellungen eingesetzt wird, lässt sich doch in jeder Situation widerspruchsorientiert denken. Angepasste Widerspruchsmatrizen finden sich seit längerem auch für nicht-technische Anwendungen, von der marketingnahen Business-An‐ wendung bis zur Softwareprogrammierung. 1.6 Systematische Innovation mit Blick auf Künstliche Intelligenz (KI) 53 <?page no="54"?> 31 Vgl. Cavallucci, D.; Livotov, P.; Brad, S., 2023 Die teils sehr abstrakte Denkweise und immer strukturierte Vorgehens‐ weise, durch die sich Werkzeuge und Methoden der systematischen Inno‐ vation auszeichnen, fließen nun - auch dieser Trend war erkennbar - mit den jüngsten Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz (KI) zusammen: Insbesondere die jüngst verbreiteten generativen KI-Werkzeuge von Large Language Models (LLM; z.B. ChatGPT), erfordern eine sehr spezielle und detaillierte Fragen- und Problemformulierung von sog. „Prompts“, die bis‐ lang passiven Methodenwerkzeuge werden zunehmend aktiv! Wenn diese KI-Werkzeuge derzeit auf großen Datenbasen trainiert werden, steht außer Frage, dass dies auch strukturierte Innovationsmethoden beflügeln wird. Große Veränderungen zeichnen sich damit auch für die frühen Phasen der Produktentwicklung ab 31 : Zunehmend wandert selbst das bislang dem Menschen vorbehaltene Erfinden in den Rechner. Der Mensch als kognitives Wesen hat dennoch nicht ausgedient, vielmehr können unsere natürlichen Fähigkeiten noch unterstützt werden durch aktive Computersysteme, die uns bitte dort, wo es sinnvoll ist, helfen zu denken. Willkommen im generativen Zeitalter! 54 1 Ausgewählte Methoden der systematischen Innovation <?page no="55"?> 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) Lernziele ■ Sie sollen einen Überblick über Ursprünge und große Entwicklungsli‐ nien des →IVM erhalten sowie erkennen, wie dieses Managementin‐ strument kontinuierlich weiterentwickelt wurde. ■ Sie sollen die wichtigsten Ziele für das IVM kennen und erfahren, wie sich die Effizienz des IVM messen lässt. ■ Sie lernen, welche Barrieren Mitarbeitende typischerweise davon abhal‐ ten können, sich mit konstruktiven Ideen und Verbesserungsvorschlä‐ gen am IVM zu beteiligen. ■ Sie erfahren ausführlicher, wie das IVM zu gestalten ist, um eine hohe Effizienz zu erreichen. Dazu gehören generelle Führungsinstrumente (z. B. die Unternehmenskultur) und spezielle IVM-Gestaltungsaspekte (z.-B. Werbung, Anreize, Organisation). ■ Sie sollen einige Entwicklungstendenzen kennenlernen, die das aktuelle und zukünftige IVM beeinflussen. ■ Eine kleine Fallstudie zeigt Ihnen, wie ein Industrieunternehmen nach‐ haltigen Erfolg mit seinem spezifischen IVM erreicht. 2.1 Entstehung und Entwicklung des IVM Nur derjenige kann den heutigen Stand des IVM verstehen, der die Ent‐ wicklungsgeschichte hinreichend kennt. Im Vergleich zu manchen anderen Managementkonzepten gibt es beim IVM eine große Tradition sowie einen langen Lern- und Optimierungsprozess. Der Kerngedanke blieb jedoch über Jahrhunderte hinweg immer erhalten: es geht darum, allen Mitarbeitenden die Chance zur eröffnen, zur Fortentwicklung einer sie umgebenden Insti‐ tution durch eigene umsetzbare Ideen wirksam beizutragen. Das Instrumentarium zur konkreten Ausgestaltung dieses Grundgedan‐ kens wurde vom Zeitgeist, von neu aufkommenden Managementkonzepten mit ähnlichen Zielsetzungen und von neuen technologischen Möglichkeiten beeinflusst. <?page no="56"?> Im Laufe der Entwicklungsgeschichte änderten sich die Termini für dieses Instrument der Ideenförderung und -umsetzung. Während in frühe‐ ren Jahren vom Vorschlagswesen oder →Betrieblichem Vorschlagswesen (BVW) gesprochen wurde, werden heute meist die Bezeichnungen →Ide‐ enmanagement und Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) verwendet. In diesem Kapitel spricht der Verfasser von →Ideen- und Ver‐ besserungsmanagement (IVM). Das Wort Ideenmanagement hebt stärker die Ideengenerierung und Ideenakzeptierung hervor, während der Terminus Verbesserungsmanagement vor allem die Ideenrealisierung und die damit angestrebte Wirkung betont. Alle Phasen des Innovationsprozesses (Ideen‐ generierung, -akzeptierung und -realisierung) sind zu durchlaufen, um mit neuen Ideen die Effizienz von Betrieben aller Art fortlaufend zu verbessern. Die genaue Entstehung des IVM und seiner Vorläufer ist umstritten. Erste Pioniere setzten in Schweden bereits um das Jahr 1750 eine „Königliche Kommission“ ein, um Vorschläge der Bürger (besser „Untertanen“) zu sam‐ meln und zu prüfen. Zur gleichen Zeit wurden Briefkästen am Dogenpalast der Stadt Venedig angebracht. In diese konnten die Einwohner Anregungen zur Verbesserung des Stadtlebens einwerfen. In der modernen Arbeitswelt kann Alfred Krupp als ein Pionier des IVM gelten, da er im Jahre 1872 dieses Instrument in Deutschland institutionalisierte. In Großbritannien und den USA sind vergleichbare Ansätze unabhängig voneinander um das Jahr 1880 erkennbar. In der Zeit bis zum 2. Weltkrieg setzten bekannte private und öffentli‐ che Institutionen ein Vorschlagswesen ein (Beispiele: Bally Schuhfabriken, Zeiss-Werke, Farbenfabriken Bayer, Siemens, Department of the US-Navy, Philips, Schweizerische Bundesverwaltung, Schweizerische PTT-Betriebe, Schweizerische Bundesbahnen, IBM, Bosch, Farbwerke Hoechst). In den Nachkriegsjahren kam es im deutschsprachigen Raum zu einem beachtlichen Aufschwung des Vorschlagswesens. Immer mehr wurde man sich des Wertes von mitdenkenden und mithandelnden Arbeitnehmern bewusst. In den 1960er und 1970er Jahren war dann eher eine Stagnation zu verzeichnen. Hingegen erlebte das Instrument in den 1980er Jahren eine Revitalisierung und neue Blüte, weil sein Kerngedanke auch in den neu aufkommenden Konzepten der Betriebsoptimierung enthalten war. Zu denken ist hier insbesondere an das Lean Management, Kaizen, den Kon‐ tinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) oder das Total Quality Manage‐ ment (TQM). Durch den Einfluss von Gruppenarbeit und Qualitätszirkeln 56 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="57"?> entwickelte sich das Vorschlagswesen vom primären Rationalisierungsergänzend auch zum Führungs- und Motivationsinstrument. In der damaligen Zeit wurden im deutschsprachigen Raum relativ strenge Anforderungen an einen Verbesserungsvorschlag (VV) gestellt. 1. Der VV soll eine möglichst präzise dargestellte Lösung zur Verbesserung eines gegenwärtigen Zustandes enthalten. Daher ist mit ihm konkret zu beschreiben, was verbesserungsbedürftig ist. Ferner ist aufzuzeigen, wie die Verbesserung realisiert werden kann. Der Reifegrad dieser Aus‐ arbeitung kann variieren. Dies ist bei der Bewertung und Honorierung des VV zu berücksichtigen. 2. Der VV muss für den vorgesehenen betrieblichen Anwendungsbereich eine nutzenbringende Neuerung enthalten. Der Nutzen kann beispiels‐ weise liegen in: Kostenreduktion, Sicherheitsverbesserung, Umwelt‐ schutz, Unfallverhütung und Gesundheitsförderung, Qualitäts- und Imageverbesserung und dergleichen. 3. Der VV wird nur dann materiell speziell entlohnt (anerkannt), wenn er nicht unmittelbares Ergebnis aus der Erfüllung der zugewiesenen Stellenaufgaben des Einreichers ist, sondern eine über den Rahmen des Arbeitsvertrages hinausgehende (freiwillige) Sonderleistung darstellt. Es bestand die Gefahr, das Vorschlagswesen immer enger zu reglementieren, zu zentralisieren und damit zu bürokratisieren. Daher haben sich in den 1990er Jahren viele Unternehmen vom traditionellen Vorschlagswesen ver‐ abschiedet. Mit dem Ausbau in Richtung Vorgesetztenmodell (siehe unten) wurden die Führungskräfte stärker in die Verantwortung eingebunden. Es entstand ein aktives Führungsinstrument. Einreicher sollten gefördert werden. Der Vorgesetzte bietet Hilfe an, tritt in Dialog mit seinen Mitarbei‐ tenden und erhält die Kompetenz, Ideen innerhalb seines Verantwortungs‐ bereichs zu fördern, zu bewerten, zu realisieren und zu honorieren. Es entstand in der Fachliteratur der Begriff des Ideenmanagement (Spahl 1975: S. 20), verstanden als ein integriertes Konzept, welches verschiedene Instrumente der Ideenfindung-, -erfassung, -bewertung und -umsetzung vereint. Die Praktiker verwendeten das Wort Ideenmanagement jedoch bereits, wenn sie eine flexiblere, spontanere, also weniger formelle und entbürokratisierte moderne Form des BVM meinten. Die Sprache deckte also bei Fachautoren und Praktikern des Vorschlagswesens nicht denselben Be‐ griffsinhalt ab. Sicher war der Übergang von einem korrekten Bearbeiten der 2.1 Entstehung und Entwicklung des IVM 57 <?page no="58"?> eher zufällig eingereichten VV in Richtung einer echten Führungsaufgabe erkennbar. Im neuen Konzept werden kürzere Bearbeitungszeiten angestrebt. Die Vorgesetzten ermuntern ihre Mitarbeitenden zur Ideenabgabe, auch Grup‐ penvorschläge sind sehr erwünscht oder sie erfahren sogar eine spezielle Förderung. Anonymität des Einreichers ist nun nicht mehr sinnvoll, die Ideenbearbeitung und -umsetzung erfolgt dezentral. Der neue Grundsatz lautet: von der Administration eingereichter Ideen zum aktiven Manage‐ ment des gesamten Prozesses der Ideenproduktion und Ideennutzung, um mit Verbesserungen z. B. wirtschaftliche, soziale und weitere Ziele zu erreichen. Damit war die Entwicklung beim gegenwärtigen IVM angelangt. Auf neuere Entwicklungstendenzen geht der Verfasser später ein. Zu‐ nächst ist zu klären, welche Ziele mit diesem Managementinstrument erreicht werden sollen und wie seine Effizienz messbar gemacht werden kann. 2.2 Ziele und Effizienzkriterien für das IVM Schon die ersten Anwender des Vorschlagswesens wollten damit nicht nur rationalisieren, sondern auch die Arbeit für ihre Mitarbeiterschaft vereinfa‐ chen und letzterer ein Forum der „freudigen, selbsttätigen Zusammenarbeit“ (Siemens im Jahre 1910) ermöglichen. Dennoch stand um 1980 die Rationalisierung noch eindeutig im Vorder‐ grund. Bei einer Umfrage, die 2008 in der Schweiz durchgeführt wurde (Thom/ Piening 2009: S. 14ff.), ergab sich ein differenziertes Spektrum von Zielen für das IVM. Die sieben wichtigsten Ziele waren in dieser Rangfolge: 1. Qualitätsverbesserung, 2. Wirtschaftlichkeitsverbesserung, 3. Produktivitätssteigerung, 4. Erhöhung der Arbeitssicherheit, 5. Vermittlung von Anerkennung und Wertschätzung, 6. Arbeitserleichterung und 7. Steigerung der Innovationsfähigkeit. 58 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="59"?> Wird diese jüngere Studie mit älteren Befunden verglichen, so entsteht das Bild, dass die Wirtschaftlichkeitsverbesserung immer noch den sozialen Zielen und der Innovationsförderung vorangeht. Allerdings kann das moderne Ziel der Qualitätsverbesserung viele Di‐ mensionen (z.-B. ökonomische, soziale, ökologische) umfassen, wenn es im Sinne des Total Quality Managements (TQM) verstanden wird. Werden nicht nur Vertreter des Managements befragt (z. B. Ideenmanager), sondern auch Betriebsräte (Arbeitnehmervertreter), so rücken Ziele wie die Erhöhung der Arbeitssicherheit und Personalführung in der Zielhierarchie nach oben. Grundsätzlich sind die Unternehmensleitung und die weiteren Anspruchs‐ gruppen frei in der Setzung von Zielen für das IVM. Dies hat jedoch Auswirkungen auf die später zu behandelnde zielführende Gestaltung des IVM. Bezüglich der Effizienz des IVM besteht weitgehend Einigkeit. Allerdings können einzelne Kennzahlen in Abhängigkeit von der Zielhierarchie unter‐ schiedlich gewichtet werden. Die wichtigsten Kennzahlen zur Messung der Effizienz des IVM sind: (1) Beteiligungsquote Anteil der eingereichten VV pro 100 Teilnahmeberechtigte. Sie drückt die Mitwirkungsbereitschaft der Arbeitnehmer aus. Allerdings kann sie auch einen hohen Wert einnehmen, wenn wenige Personen sehr viele VV einreichen. (2) Annahmequote Prozentsatz der angenommenen von den eingereichten VV. Sie steht für die inhaltliche Qualität der VV, aber auch für die Änderungs- und Innovations‐ bereitschaft der am Annahmeverfahren beteiligten Personen. (3) Durchführungsquote Prozentsatz der durchgeführten von den angenommenen VV. Damit wird der Rationalisierungs- und Innovationsbeitrag des IVM gemessen, dessen Gesamtnutzen steigt, wenn die Durchführungsquote hoch ist. Diese Kenn‐ zahl kann weiterhin ein Indikator für Änderungswiderstände im Umset‐ zungsprozess (in der Ideenrealisierung) sein. (4) Inhaltliche Vielfalt der VV In einem effizienten IVM beteiligen sich alle Fachgebiete der jeweiligen Institution. Die VV beziehen sich inhaltlich auf vielfältige Objekte und 2.2 Ziele und Effizienzkriterien für das IVM 59 <?page no="60"?> Prozesse. Je ausgewogener die Verteilung der VV, umso entwickelter ist ein IVM. (5) Kosten-Nutzen-Relationen des IVM Es kann z. B. das Verhältnis von Einsparungen zu ausgezahlten Prämien oder von Einsparungen zu den gesamten IVM-Kosten gemessen werden. Allerdings ist es sehr schwierig, nichtmonetären Nutzen (z. B. Verbesserung der Identifikation mit der eigenen Arbeit oder Gesundheitsverbesserung) angemessen zu berücksichtigen. (6) Mitarbeiterbezogene IVM-Effizienz Hier werden Auswirkungen der VV auf die Mitarbeiterschaft gemessen. Bei‐ spiele sind: Reduktion von Unfällen; Verringerung von Fluktuation und Fehl‐ zeiten infolge spezieller VV; veranlasste Personalentwicklungsmaßnahmen für Arbeitnehmer mit reger und qualifizierter IVM-Beteiligung; Struktur (Diversität) der Einreicher unterteilt nach Merkmalen wie z.-B. Geschlecht, Ausbildungsstand, Alter, Dienstalter, Nationalität etc. (7) Ausgezahlte Prämien für VV Die Prämiensumme sowie Höchst- und Durchschnittsprämien oder Prämien pro Arbeitnehmer geben Hinweise auf die Ersparniswirkung und das An‐ reizpotential des IVM. (8) Effizienz des IVM-Systems Anteil der im Berichtszeitraum abschließend behandelten VV, Bearbeitungs‐ dauer für VV, Anzahl der Beschwerden gegen Entscheidungen über VV. (9) Anteil schutzwürdiger VV Prozentsatz von VV, für die der Schutz des →geistigen Eigentums (z. B. Patent und Gebrauchsmuster) gewährt wird. Hiermit kommt der außeror‐ dentlich hohe Innovationsgehalt und Reifegrad der VV zum Ausdruck. Allerdings ist dies nicht auf alle VV inhaltlich anwendbar (wegen man‐ gelnder Patentierfähigkeit) und es hängt z. B. von der Patentpolitik eines Unternehmens ab, ob möglichst viele oder wenige Patente beantragt werden. Jede Institution hat selbst zu entscheiden, welche Kennzahlen sie wie oft erhebt und auswertet. Kennzahlen der genannten Art dienen als Ausgangs- und Zielort für die Weiterentwicklung eines IVM. Vergleiche innerhalb eines Unternehmens und eines Konzerns sind auf‐ grund eindeutiger Definitionen eher möglich als Branchenvergleiche und internationale Benchmarks. 60 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="61"?> Bevor auf die Frage der effizienten Gestaltung des IVM eingegangen wird, ist zunächst die Frage zu klären, warum sich nicht alle Mitarbeitenden wie selbstverständlich mit regelmäßigen VV am IVM beteiligen. 2.3 Barrieren gegen das Einreichen von Verbesserungsvorschlägen Nur in Ausnahmefällen erreichen Unternehmen eine Beteiligungsquote von 100 Prozent und mehr. Daher stellt sich die Frage: Welche Barrieren halten potentielle Teilnahmeberechtigte davon ab, sich mit VV am IVM zu beteiligen? Mehrere Forschungsarbeiten (vgl. die Quellen in Thom 2003 und Thom/ Piening 2009) haben belegt, dass es sich um Hemmnisse aufgrund von Unfähigkeit (Nicht-Können), Trägheit (Nicht-Wollen) und Angst (Nicht- Wagen) handelt. Am schnellsten zu beseitigen wäre eine weitere Barriere, nämlich die Unkenntnis über das jeweilige IVM (Nicht-Wissen). Darauf wird im Rahmen der Gestaltung unter dem Aspekt der Werbung eingegangen. Die drei zuerst genannten Hindernisse erläutert der Verfasser nachstehend unter den Begriffen: Fähigkeits-, Willens- und Risikobarrieren. 1. Fähigkeitsbarrieren entstehen aus Denkschwierigkeiten. Solche Mit‐ arbeitende haben keine kritische Einstellung zum betrieblichen Gesche‐ hen. Sie leiden unter Kritiklosigkeit oder gar Betriebsblindheit. Falls sie über Kritikfähigkeit verfügen, mangelt es ihnen möglicherweise an Einfallsreichtum, d. h. der Fähigkeit zur gedanklichen Ausarbeitung eines konstruktiven VV. Für den Fall, in welchem der vorgenannte Kre‐ ativitätsmangel nicht vorliegt, kann es dennoch zu keinem VV kommen, wenn die entsprechende Person Artikulationsschwierigkeiten hat. Diese spezielle Barriere ist besonders hoch, wenn ausschließlich schriftliche und eindeutig formulierte VV erwartet werden. Die Präferenz für eine mündliche VV-Abgabe signalisiert nicht selten ein Problem mit der Schriftform auf Papier oder in elektronischen Kanälen. 2. Willensbarrieren haben verschiedene Ursachen. Zum einem kann eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Betriebsgeschehen vorliegen. Sie zeigt sich in einer geringen Identifikation mit der Berufstätigkeit und mangelnder Bereitschaft zu kreativer und konstruktiver Mitarbeit. Gra‐ vierender ist der Fall echter Ressentiments gegenüber dem Betrieb. Diese können auf grundsätzlichen ideologischen Interessengegensätzen zum Arbeitgeber beruhen (Ausbeutungsfurcht, Übervorteilung durch 2.3 Barrieren gegen das Einreichen von Verbesserungsvorschlägen 61 <?page no="62"?> Führungskräfte, die sich selbst überhöhte Sonderzahlungen gewähren). Die empirische Forschung zeigt auch, dass ein derartiges Misstrauen durch konkrete schlechte Erfahrungen im Einzelfall begründet sein kann, etwa weil einem solchen Angestellten eine eigene Idee durch einen Vorgesetzten gestohlen wurde. Eine dritte Ursache für Willens‐ barrieren kann im Änderungswiderstand liegen. Hier zeigt eine Person ihre mangelnde Bereitschaft, einen VV unvoreingenommen zu prüfen (eher bei Experten oder Vorgesetzten) oder nach seiner Annahme an der zügigen Realisierung des VV (hier auch bei Kollegen) mitzuwirken. 3. Risikobarrieren ergeben sich zum einen infolge der Furcht vor ma‐ teriellen Nachteilen aus VV. Konkret heißt dies: Ein Vorschlag zur Ra‐ tionalisierung oder Reorganisation kann zu Einkommensverlusten, zu Kurzarbeit oder gar zu einem Arbeitsplatzverlust führen. Zum anderen wagt sich ein Arbeitnehmer nicht, VV einzureichen, weil er sich vor ideellen Nachteilen aus diesem Engagement fürchtet. Von seinen Kolle‐ gen geht beispielweise ein Konformitätsdruck aus. Dieser bewirkt, dass vorschlagsfreudige Personen als übereifrig und ungebührlich strebsam eingeschätzt werden. Vorgesetzte können die Reaktion ihres eigenen Vorgesetzten fürchten, weil dieser regelmäßig das Signal aussendet, dass der nachgeordnete Vorgesetzte längst selbst auf die guten Ideen hätte kommen müssen. Nun müsse ihm eine subalterne und schlechter ausgebildete Person aufzeigen, wie man es besser machen solle. Anders ausgedrückt: Ein Zwischenvorgesetzter kann nicht damit rechnen, dass er Anerkennung dafür erhält, wenn unter seinen direktunterstellten Personen eine hohe Beteiligungsquote erreicht wird. Daher kommuni‐ ziert er selbst, dass allfällige Verbesserungen auf den Dienstweg vor‐ gebracht und im Rahmen des ordentlichen Arbeitsprozesses realisiert werden sollen. Damit erübrigen sich formelle VV. Die genannten Barrieren müssen durch effiziente Gestaltungsinstrumente für das IVM überwunden werden. Die abschließende Fallstudie zeigt an ei‐ nem Industrieunternehmen auf, wie die genannten Barrieren zu überwinden sind und eine Beteiligungsquote von über 100-Prozent erreichbar ist. 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM Bevor auf einzelne Instrumente zur effizienten Gestaltung des IVM einzu‐ gehen ist, soll zunächst die Ausgangslage für einen systematischen Gestal‐ 62 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="63"?> tungprozess geklärt werden. Jedes Unternehmen hat seinen spezifischen Kontext zu analysieren und dabei zu klären, inwieweit dieser die Gestal‐ tungsmöglichkeiten beeinflusst. Es hat sich bewährt, die relevanten außer‐ betrieblichen, die betrieblichen und die personellen Bedingungsgrößen zu reflektieren. 2.4.1 Analyse der Gestaltungsbedingungen Das Umfeld eines Unternehmens kann einen erheblichen Innovations- und Rationalisierungsdruck auslösen. Daher sind die wichtigsten Umwelt‐ komponenten (wirtschaftliche, rechtlich-politische, technologisch-wissen‐ schaftliche, soziale und ökologische Umwelt) zu beobachten und ihre Ver‐ änderungshäufigkeit und -geschwindigkeit einzuschätzen. Die empirische Forschung (vgl. Thom/ Piening 2009: S. 172f.) zeigt, dass die Konkurrenzintensität einen erheblichen Einfluss auf das IVM hat. Dies ist leicht nachvollziehbar, wenn konkurrenzintensive Branchen (z. B. Automobilbau, Chemie, Elektrotechnik und Elektronik) mit Sektoren verglichen werden, die im Grenzfall sogar eine monopolartige Stellung haben (z. B. öffentliche Verwaltung). Die Konkurrenzintensität fördert die Anstrengungen im IVM. Ähnlich positive Impulse gehen vom technologi‐ schen Fortschritt aus. Ganz speziell hat die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien einen treibenden Einfluss auf die IVM- Gestaltung. Hingegen sind nur sehr wenige gesetzliche und politische Vorgaben umzusetzen. Diesbezüglich haben die Unternehmen einen großen Gestaltungsspielraum und relativ wenige Normen zu beachten (in Deutsch‐ land z.-B. Mitbestimmungsregeln). Bei den betrieblichen Bedingungsgrößen ist sicher die jeweilige Branche und das konkrete Produkt- und Dienstleistungsangebot zu analysieren. Es ist nicht verwunderlich, dass sich unter den Pionieren des Vorschlagswesens viele Industrieunternehmen befanden. Auch heute sind Unternehmen mit konkreten Produkten, welche die Arbeitnehmer auch als Kunden und Verbraucher selbst kennen (z. B. Automobile) sehr aktiv im IVM. Unter‐ nehmen mit hochspezialisierten Dienstleistungen und starker Abgrenzung der Zuständigkeiten einzelner Berufsgruppen (z. B. Krankenhäuser) haben sicherlich eine ungünstigere Ausgangslage. Gleichwohl spricht nichts dage‐ gen, auch hier die betrieblichen Prozesse im Interesse einer gesteigerten Produktivität, erhöhten Sicherheit und verbesserten Kundenzufriedenheit 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM 63 <?page no="64"?> fortlaufend weiterzuentwickeln und daran die Mitarbeiterschaft aktiv teil‐ haben zu lassen. Die Unternehmensgröße hat insofern einen Einfluss, als Großunterneh‐ men die Professionalisierung ihrer vollamtlichen Ideenmanager intensiver betreiben und ihnen häufig mehr finanzielle Ressourcen (z. B. für nützliche Software, Werbemaßnahmen und Prämienauszahlungen) zur Verfügung stellen. Auf jeden Fall müssen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) das IVM-Instrumentarium an ihre Verhältnisse anpassen (z. B. eine schlanke Organisation für die Ideeneinreichung und -umsetzung, weniger Reglemen‐ tierung, mehr Einbezug der obersten Führungsebene). Auch KMU können ein sehr wirksames IVM betreiben. Die empirische Forschung (vgl. Thom/ Piening 2009: S. 173f.) weist auf die herausragende Bedeutung der geltenden Führungsgrundsätze und -richtlinien für die Gestaltung eines IVM hin. Wenn in diesen die Vorgesetzten aufgefordert werden, einen partizipativen Führungsstil als Grundverhaltensmuster zu wählen und ihren Mitarbeiten‐ den mit Wertschätzung zu begegnen sowie Förderungsverantwortung zu übernehmen, dann sind gute Voraussetzungen für hohe Beteiligungsquoten und andere positiv ausgeprägte Kennzahlen gegeben. Bei den personellen Bedingungsgrößen ist der Qualifikationsstand (inkl. Wissen und Fähigkeiten) der Belegschaft relevant. Auf der Ebene der Facharbeiterschaft und der Sachbearbeiterstufe hat der deutschsprachige Raum aufgrund des dualen Berufsausbildungssystems sicherlich im inter‐ nationalen Vergleich sehr gute Voraussetzungen für nützliche VV. Mehrere Fallstudien des Verfassers (vgl. ein Beispiel am Ende dieses Kapitels) zeigen jedoch, dass auch Mitarbeitende mit relativ geringer Formalqualifikation (Bildungsabschlüsse) bei hilfreicher Moderation und der Möglichkeit zur mündlichen Ideenabgabe hohe Beteiligungsquoten erreichen können. Von höchster Relevanz ist die aktuell vorherrschende Einstellung des Manage‐ ments zum IVM. Im besten Fall wird dieses Führungskonzept und Manage‐ mentinstrument voll akzeptiert und die Führungskräfte erkennen die damit gegebenen Chancen zur Verbesserung von Prozessen und Produkten. Nach der sorgfältigen Analyse der erwähnten Kontextbedingungen be‐ ginnt die eigentliche Gestaltung des IVM. Dabei sind zunächst die generellen Führungsinstrumente so auszurichten, dass die Mitarbeiterschaft den klaren Willen der Unternehmensleitung verspürt: Mitarbeiterengagement in Form von VV ist sehr willkommen, d. h. dieses Engagement wird als ziel-, strategie-, struktur- und kulturgerecht empfunden. 64 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="65"?> 2.4.2 Generelle Führungsinstrumente zur Effizienzsteigerung des IVM Unternehmenskultur Unter →Unternehmenskultur verstehen wir die Gesamtheit der Normen, Wertvorstellungen und Denkhaltungen, die das Verhalten der Unterneh‐ mensmitglieder aller Hierarchiestufen prägen und somit das Erscheinungs‐ bild eines Unternehmens beeinflussen. Sie äußert sich daher in der Art und Weise, wie in einem Unternehmen Probleme erkannt, bearbeitet und gelöst werden. Der Bezug zum IVM ist leicht feststellbar. Es ist wichtig, dass im ge‐ lebten Wertesystem einer Institution der Bereitschaft und der Fähigkeit zur Erarbeitung, Förderung und Umsetzung von neuen Ideen ein hoher Stellenwert eingeräumt wird. In einer solchen Unternehmenskultur wird ein (begrenztes) Risiko bei Betreten von Neuland in Kauf genommen, eine offene Kommunikation gepflegt und auf die Leistungsfähigkeit des Personals vertraut. Die Unternehmenskultur beeinflusst ihrerseits die Handhabung der weiteren Führungsinstrumente. Die empirische Forschung weist ihr bezüglich der Förderung eines effizienten IVM eine herausragende Position zu (Thom/ Piening 2009: S.-173f.). Auf die Unternehmenskultur wirken sich auch Nationalkulturen aus. Nehmen wir als Beispiel Japan. Die dort vorherrschenden Werte haben güns‐ tige Voraussetzungen für ein Gruppenvorschlagswesen und Qualitätszirkel geschaffen. Der deutschsprachige Raum hat eine Neigung zur Schaffung von Ordnung durch schriftliche Regelungen. Dies findet seinen Niederschlag in den ausführlichen Betriebsvereinbarungen (Deutschland, Österreich) und Reglementen (Schweiz) für das IVM. Zum Ziel- und Strategiesystem Durch klare, zugleich schriftliche und mündliche Aussagen der Unterneh‐ mensleitung soll der Mitarbeiterschaft ins Bewusstsein gebracht werden, warum das IVM ein wirksames Instrument ist, um Qualitäts-, Wirtschaft‐ lichkeits-, Innovations-, Humanisierungs- und Personalentwicklungsziele zu erreichen. Langfristig gültige Oberziele können bereits im Rahmen von Führungs- und Unternehmensgrundsätzen festgelegt sein. Für kürzere Perioden bietet sich das Management-by-Objectives (Führung durch Ziel‐ 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM 65 <?page no="66"?> vereinbarung) an. Gedacht ist beispielsweise an die Ausprägung von oben genannten Kennzahlen in einzelnen Organisationseinheiten oder für das Gesamtunternehmen. Allerdings bleibt ein VV nur dann prämierungsfähig, wenn er nicht unmittelbar aus der Erfüllung eines im Mitarbeitergespräch verbindlich vereinbarten persönlichen Zieles entsteht, sondern eine frei‐ willige Sonderleistung darstellt. Es kann jedoch mit Führungskräften ver‐ einbart werden, dass für ihre Bereiche VV mit bestimmten Zielen (z. B. Energieeinsparung, Verbesserung der Weiterbildung am Arbeitsplatz) im nachfolgenden Jahr prioritär sind. In einfachen Worten kann eine Unternehmensleitung kommunizieren, ob sie für bestimmte →Produkt-Markt-Kombinationen beispielsweise eine Strategie der Kostenführerschaft oder der Differenzierung verfolgt. Die Mitarbeitenden wissen danach, ob eher VV zur Kostensenkung oder zur Aufwertung der Produktqualität gemäß den Kundenwünschen gefragt sind. Im Rahmen von Restrukturierungen mit Sparmaßnahmen kann es gelin‐ gen, die Belegschaft zur konstruktiven Mitwirkung am IVM zu gewinnen. Allerdings würden die Risikobarrieren steigen, wenn Einreicher von VV sich selbst und ihren Kollegen mit Rationalisierungsvorschlägen schaden könnten (Lohnreduktion, Arbeitsplatzverlust etc.). Alles in allem gewinnt ein IVM an Legitimität und Durchsetzbarkeit, wenn es klare Bezugspunkte im Ziel- und Strategiesystem eines Unterneh‐ mens findet. Rahmenstrukturen Das IVM kann grundsätzlich in allen Rahmenstrukturen (Organisationsfor‐ men für die obersten Ebenen eines Unternehmens) zum Erfolg gebracht werden. Wichtig ist lediglich, dass bei der Gestaltung dieser Organisations‐ formen für das Gesamtunternehmen (z. B. funktionale, divisionale oder Matrix-Organisation) bestimmte Effizienzkriterien Beachtung fanden (vgl. ausführlicher Thom/ Wenger 2010: S.-14 -153). Aus der Sicht des IVM erweist es sich als günstig, wenn die Stellen‐ aufgaben einen Bezug zu den Zielen des Unternehmens enthalten sowie die durchgängige Übereinstimmung von Aufgaben, Kompetenz und Ver‐ antwortung (Kongruenzprinzip) gegeben ist. Außerdem ist es förderlich, wenn die ganzheitliche Bearbeitung einer Aufgabe ermöglicht wird, die personelle Zuordnung zu einer Führungsperson eindeutig ist und günstige stellenbezogene Entwicklungsmöglichkeiten gewährt werden. Dies geht 66 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="67"?> einher mit ausreichenden Entscheidungs- und Handlungsspielräumen und einer angemessenen Fehlertoleranz (Lernchancen). Der Einfluss der behandelten generellen Führungsinstrumente ist zwar beachtlich, grundsätzlich jedoch eher indirekter Natur. Die nachfolgend behandelten Aktionsparameter wirken unmittelbarer auf die Effizienz eines IVM. Die Effizienzförderung erreicht nur dann eine nachhaltige Wirkung, wenn die Rahmenbedingungen durch die generellen Führungsinstrumente innovationsfördernd ausgeprägt sind. 2.4.3 Spezifische Gestaltungsinstrumente für das IVM Werbung für das IVM Keine teilnahmeberechtigte Person in einem Unternehmen soll behaupten können, sie habe diese Möglichkeit zum Einbringen von VV nicht gekannt. Wissensbarrieren sind zu eliminieren. Daher sind alle Betriebsangehörigen über die Funktionsweise des IVM zu informieren (Aufklärung) und zur Teilnahme einzuladen (Motivierung). Der Teilnahmeappell darf allerdings nicht zu massiv oder gar zwingend formuliert werden. Nichtteilnehmer (siehe die oben genannten Barrieren) könnten sich diskriminiert fühlen und der Charakter der Freiwilligkeit geht verloren. Auch im Zeitalter der elektronischen Kommunikation finden klassische Formen der Werbung noch verbreitet Anwendung. Hierzu zählen: Anschlag‐ bretter, Mitarbeiterzeitschriften, Broschüren, Plakate, Informationsschrei‐ ben an die Mitarbeitenden oder die Erwähnung von IVM-Kennzahlen im Geschäftsbericht. Als weitere Werbemittel können verwendet werden: Wettbewerbe und Preisausschreibungen, Informationen bei Stellenantritt oder im Rahmen von Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen. Das Intranet ist heute ein dominanter Werbekanal. Nicht zu vergessen ist die hohe Wirksamkeit mündlicher Informationen. Diese sind besonders glaubwürdig, wenn sie von erfolgreichen und sehr zufriedenen Teilnehmern am IVM kommen. Weiterhin empfehlenswert ist die Nutzung von überbetrieblichen Infor‐ mationsträgern. Neben dem bereits erwähnten Geschäftsbericht oder einem Sozialbericht mit einer IVM-Leistungsbilanz eignen sich entsprechende Hinweise in Zeitungen und Zeitschriften. Auch Rundfunk- und Fernseh‐ anstalten berichten von Zeit zu Zeit über besonders erfolgreiche IVM- 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM 67 <?page no="68"?> Anwender oder allgemein über dieses Managementinstrument, das abgese‐ hen von seiner wirtschaftlichen und sozialen Wirkung offensichtlich auch gesellschaftliche Akzeptanz erreicht. Neben den Informationsmedien ist die Informationshäufigkeit festzule‐ gen. Aus empirischen Untersuchungen ist bekannt, dass es bei gleichem Budget wirksamer ist, einmal pro Monat als geballt einmal pro Jahr zu werben (Thom/ Piening 2009: S.-46). Hinsichtlich der inhaltlichen Werbebotschaft empfiehlt es sich, nicht einseitig die durch VV erreichbaren Prämien hervorzuheben. Fortschrittli‐ che Unternehmen betonen auch die Chance zur Persönlichkeitsentfaltung („Zeigen Sie, was in Ihnen steckt“). Hingegen wäre es nicht klug, direkt auf Aufstiegschancen hinzuweisen, denn für einen echten Aufstieg sind mehr Voraussetzungen zu erfüllen als die rege und erfolgreiche Beteiligung am IVM. Die Werbung ist zielgruppenspezifisch zu differenzieren. So sollten Hoch‐ schulabsolventen in betriebswirtschaftlichen, juristischen oder technischen Positionen anders angesprochen werden als Facharbeiter in der Produktion und Logistik. Die empirische Forschung und die Erfahrung aus der Unternehmenspra‐ xis zeigen, dass mit Hilfe einer kulturgerechten und zielgruppendifferen‐ zierten Werbung insbesondere Willens- und Risikobarrieren überwunden werden können. Anreize für Teilnehmer am IVM Neben den Kenntnissen der Motive von potentiellen Teilnehmenden ist für die Gestaltung eines IVM-Anreizsystems ein Bewertungsverfahren er‐ forderlich. Für praktische Bedürfnisse genügt es, durch Mitarbeitergespräche und Belegschaftsbefragungen jeweils vorrangige Bedürfnisse der Unterneh‐ mensmitglieder festzustellen und ihre Bedeutung anhand einiger theoreti‐ scher Erklärungsansätze zu reflektieren. Die empirische Forschung lässt darauf schließen, dass Mitarbeitende so‐ wohl nach einer Geldprämie streben als auch eine persönliche Anerkennung haben möchten. Weiterhin ist es oft ein Anliegen, sich selbst die Arbeit zu erleichtern und die Gelegenheit zur schöpferischen (kreativen) Mitarbeit zu erhalten (vgl. Thom/ Piening 2009: S.-60ff.). Beim Gruppenvorschlagswesen kann ein Gruppenmitglied darüber hinaus vom Wissen und der Erfahrung 68 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="69"?> der anderen Mitglieder profitieren und Anerkennung für die eigenen Bei‐ träge unmittelbar durch die Kollegen erhalten (vgl. Thom/ Piening 2009: S.-108ff.). Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass ein wirksames Anreizsys‐ tem sowohl intrinsische als auch extrinsische Bedürfnisse zu befriedigen hat. Für Letztere sind materielle und immaterielle Anreize zur Verfügung zu stellen (vgl. hierzu generell Thom/ Ritz 2008: S.-351). Zum materiellen Anreizsystem Hier ist zu unterscheiden, ob es sich um VV mit quantifizierbarem Nutzen handelt oder nicht. Falls sich der Nutzen berechnen lässt, bedarf es Antworten auf folgende Fragen: (1) Wie hoch soll der Prämiensatz festgelegt werden? Ein Einreicher eines anerkannten VV wird prozentual an der errechenba‐ ren Jahresersparnis (abzüglich der Durchführungskosten für seinen VV) beteiligt. In der Wirtschaftspraxis existieren erhebliche Unterschiede, da die Unternehmen in der Festlegung einen großen Spielraum haben. Aus juristischer Sicht wird ein Prämiensatz von 15 bis 35 Prozent in Deutschland als nicht „unbillig“ angesehen. In der Schweiz liegt der Prämiensatz im Allgemeinen niedriger als in Deutschland und überschreitet nur selten 20 Prozent der erzielten Nettoeinsparung des ersten Jahres nach Umsetzung des VV. Dabei kann eine Nachprämierung auf der Basis der tatsächlich erzielten Ersparnis (über das erste Jahr hinaus) im deutschsprachigen Raum gewährt werden. Es gibt keine dem Verfasser bekannte Studie, die nachweisen könnte, wie eine Erhöhung des Prämiensatzes direkt die Beteiligungsquote signifikant verbessert. Eher scheint es so, dass die Transparenz der Prämienregelung und kurze Zeitspannen bei der Umsetzung von VV (abgesehen von den bereits erwähnten positiven Einflüssen durch Führungsgrundsätze und die Unternehmenskultur) sich günstig auf die Beteiligungsquote auswirken (vgl. Thom/ Piening 2009: S. 50f.). Daher erstaunt es nicht, wenn sich die Stimmen mehren, die zu einer Zurückhaltung beim Prämiensatz raten. Hingegen steht von gewerkschaftlicher Seite die Maximalforderung im Raum, den Nutzen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu teilen, was zu einem Prämiensatz von 50-Prozent führen würde. 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM 69 <?page no="70"?> (2) Soll der Arbeitgeber die Steuern und Sozialabgaben für die ge‐ währten Prämien übernehmen? Eine beachtliche Minderheit der Unternehmen bejaht diese Frage. Es sei beteiligungsmotivierend, wenn Arbeitnehmer nicht den Staat und Sozialver‐ sicherungen an ihrem Erfolg aus einer freiwilligen Sonderleistung beteiligen müssten. Für die Mehrheit steht hingegen dem Vorteil auf Seiten der Mitarbeitenden ein erheblicher administrativer und finanzieller Aufwand seitens des Unternehmens gegenüber. In schweizerischen Unternehmen stand die Übernahme von Steuern bisher äußerst selten zur Debatte. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzu‐ führen, dass das Steuerniveau (wenngleich bei den Einkommenssteuern kantonal verschieden) in diesem Land niedriger liegt als in Deutschland und in Österreich. (3) Soll es Mindest- und Höchstprämien geben? Nicht wenige Unternehmen entscheiden sich für eine Mindestprämie (z. B. in Höhe von 50 Euro), um einen unangemessenen Verwaltungsaufwand im IVM sowie den unwürdigen Eindruck einer „Trinkgeldzahlung“ zu vermeiden. Die Festlegung von Höchstgrenzen ist umstritten. Das Thema ist kei‐ neswegs trivial, sind doch in Deutschland beispielsweise schon 440.000 Euro und in der Schweiz immerhin 100.000 Franken für einen einzigen VV ausgezahlt worden. Die große Mehrheit legt keine Höchstgrenzen fest. Angesichts der üblichen Prämiensätze (siehe oben) ist der Arbeitgeber auch bei sehr hohen Prämien immer auf der Gewinnerseite. In öffentlichen Unternehmen (z. B. Bundespost) tut man sich mit der Freigabe schwerer. Insbesondere in öffentlichen Verwaltungen wird befürchtet, dass es bei einer allzu großzügigen Ausschüttung von Prämien zu einer Umverteilung von Haushaltsmitteln oder zu einer Ausweitung des Verwaltungshaushaltes komme. Bei einer solchen Argumentation wird deutlich, dass im öffentli‐ chen Sektor das betriebswirtschaftliche Rechnungswesen nicht immer den höchsten Entwicklungsstand erreicht. Nicht betriebswirtschaftlich, allenfalls moralisch oder moralisierend nachvollziehbar sind Argumente, eine unbegrenzte Prämienauszahlung könne die Begünstigten zu einer exzessiven Verhaltens- und Lebensweise verführen. Vielmehr entspricht es dem unternehmerischen Denken, wenn keine Höchstgrenzen festgelegt werden. Wenn ein VV in Tochtergesellschaf‐ 70 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="71"?> ten eines Konzerns mehrfach genutzt werden kann, ist dies in der Prämie zu berücksichtigen. (4) Sollen Korrekturfaktoren angesetzt werden? Rein betriebswirtschaftlich betrachtet ist kaum einzusehen, weshalb perso‐ nenbezogene Korrekturfaktoren (z. B. Multiplikation des Prämienwertes mit 0,5 oder 1,5) angesetzt werden, denn der Nutzen des VV sei entschei‐ dend, nicht jedoch die Person des Einreichers. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass es aufgrund der organisatorischen Eingliederung unterschiedlichen Chancen zur Ideengenerierung bei sonst gleichen Vor‐ aussetzungen bezüglich Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit geben kann. Zu denken ist hier an die Art der Aufgabe sowie die Stellung im inner- und überbetrieblichen Informationsfluss. Dies führt bei der Mehrheit der Unternehmen zur Wahl von personenbezogenen Korrekturfaktoren. Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Mitarbeitende - auch aus unteren Ebenen der Hierarchie - in stufen-, bereichs- oder unternehmensübergreif‐ enden Projekten und Kooperationsgremien mitwirken, sollte in Zukunft die Zweckmäßigkeit dieser Regelung erneut geprüft werden. Überzeugender können die Argumente für sachbezogene Korrekturfakto‐ ren sein. Demnach sollen Unterschiede in Abhängigkeit von der Originalität und der Reife/ Brauchbarkeit der VV gemacht werden. Eine beachtliche Minderheit der Unternehmen entscheidet sich für solche Korrekturfaktoren, die sich auf die Qualität der VV beziehen. Insgesamt zeigen die dargestellten Argumente und empirischen Befunde, wie groß die Gestaltungsspielräume im materiellen Anreizsystem sind. Die verschiedenen Teilgerechtigkeiten bei der Ermittlung von Löhnen kommen auch hier zum Tragen (vgl. Thom/ Osterspey 2009). Daher sind Grundsatz‐ fragen folgender Art zu beantworten: Soll im Vordergrund die Leistung stehen, sind die notwendigen Voraussetzungen bezüglich Ausbildung und Erfahrung sowie hierarchischer Position zu berücksichtigen, will man sich mit dem Markt, z. B. den branchenüblichen Gepflogenheiten, vergleichen, soll rein betriebswirtschaftlich kalkuliert werden oder müssen auch soziale Aspekte Berücksichtigung finden? Nicht vergessen werden darf schließlich die Ertragskraft (finanzielle Stärke) der Unternehmen, die ein IVM betreiben. Innerhalb des materiellen Anreizsystems hat ein Unternehmen weiterhin zu regeln, wie es VV mit nicht quantifizierbarem Nutzen honorieren will. In den deutschen, österreichischen und schweizerischen IVM-Statistiken 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM 71 <?page no="72"?> zeigt sich, dass die Mehrheit der VV hinsichtlich des Nutzens nicht exakt kalkuliert werden kann. Für diesen Fall sind spezielle Bewertungsschemata zu gestalten. Hierin sollten mehrere Bewertungskriterien möglichst ausgewogen Berücksichti‐ gung finden. Bewährt haben sich in der Unternehmenspraxis u. a. die nachfolgenden Kriterien (vgl. Thom/ Piening 2009: S.-56): ■ der geschätzte Nutzen für den Betrieb, ■ der Fleiß, die Mühe, das Engagement der VV-Einreicher, ■ die Originalität und der Neuigkeitsgehalt ihrer VV, ■ die Vergleichbarkeit mit bereits gewährten Prämien im Sinne einer „relativen“ Gerechtigkeit, ■ die Werbewirksamkeit und Anreizwirkung für potentielle Teilneh‐ mende am IVM. Unabhängig von der Möglichkeit, den Nutzen eines VV in Geldeinheiten berechnen zu können, sind in jedem (materiellen) Anreizsystem zwei wei‐ tere Fragen zu klären (1) Welcher Personenkreis soll berechtigt sein, Prämien für seine VV zu erhalten? In Expertenkreisen geht die Tendenz dahin, wenn überhaupt nur sehr wenige Arbeitnehmer von der Prämienberechtigung auszuschließen. Dies könnten z. B. nach strengster Auslegung des deutschen Betriebsverfassungs‐ gesetzes (Paragraph 5, Absatz 3) die leitenden Angestellten sein oder nach schweizerischem Sprachgebrauch die obersten Kaderpersonen der jeweili‐ gen Institution. Mit zunehmender Hierarchiestufe wird es generell immer schwieriger, den VV einer Führungskraft als echte Sonderleistung einzustufen, haben doch diese Personen den Dauerauftrag, in ihrem Verantwortungsbereich ständig die Betriebsprozesse und Leistungsergebnisse zu optimieren. Die Empirie zeigt, dass im deutschsprachigen Raum nur ein kleiner Prozentsatz der Arbeitnehmer (ca. 0,5 bis gut 2 %) nicht prämienberechtigt ist. Dieser Personenkreis erhält in seinem Vergütungspaket meist andere Zuwendun‐ gen für außerordentliche Leistungen. Generell ist die Tendenz erkennbar, dass auch Führungspersonen zur Teilnahme am IVM motiviert werden sollen. Es wird damit eine Wirtschaft‐ lichkeitsverbesserung sowie eine Qualitäts- und Innovationsförderung er‐ hofft. 72 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="73"?> (2) Sollen Ausschlusszeiten festgelegt werden? In der Anlaufzeit von neuen Aggregaten verhängen einige Unternehmen Sperrfristen für VV. Dem ist entgegenzuhalten, dass eine realistische Ein‐ schätzung der Wirkungsdauer solcher Vorschläge eine spezielle Regelung überflüssig macht. Zwar neigt der deutschsprachige Raum zu einer Regelung aller Sonderfälle. An dieser Stelle besteht jedoch die Chance zur Verschlan‐ kung der entsprechenden Bestimmungen. Sie sollen überschaubar und vom durchschnittlichen VV-Einreicher gut nachvollziehbar sein. Schwierige Sonderfälle behandeln zuständige Bewertungsgremien. Zum immateriellen Anreizsystem Schon mit Prämien können über das Materielle hinaus zugleich auch Anerkennungsbedürfnisse befriedigt werden. Die generellen Motivationstheorien und die IVM-Fachliteratur zeigen, dass den immateriellen Anreizen insgesamt eine hohe Bedeutung beizumes‐ sen ist. Anerkennung kann den VV-Einreichern zunächst über die innerhalb des IVM-Systems tätigen Personen zuteil werden. Gemeint sind hier die Ideenmanager oder Mitglieder in Kommissionen für das IVM. Die unmit‐ telbaren Vorgesetzten sowie die Personalleitungen sind weitere wichtige Anerkennungsgeber. Auch öffentliches Lob in Personalzeitschriften oder Betriebsversammlungen und anderen Kommunikationsforen ist möglich. Übertriebene Anerkennung der VV-Einreicher bei solchen öffentlichen Herausstellungen ist jedoch in unserem Kulturkreis zu vermeiden, weil dadurch Neidgefühle aktiviert und Risikobarrieren erhöht werden. Die Anerkennung durch Kollegen kann gleichwohl ein wichtiger Anreiz sein. Zweifellos erhält der primär intrinsisch motivierte VV-Einreicher eine Anerkennung allein dadurch, dass seine Idee so schnell wie möglich umge‐ setzt wird. Ein erfolgreicher Vorschlagender kann durch sein Engagement signali‐ sieren, dass er über Fähigkeiten verfügt, welche die Anforderungen sei‐ nes Stellenprofils übersteigen (z. B. stellen- und abteilungsübergreifende Kenntnisse). Das konstruktive und kreative Mitdenken lässt sich durchaus im Beurteilungssystem erfassen und kann anschließend in Überlegungen hinsichtlich der Förderung von Mitarbeitenden (z. B. durch Weiterbildung) einfließen. Allerdings müssen solche Personalentwicklungsmaßnahmen immer auch vom betrieblichen Bedarf her legitimiert sein. Die Personalent‐ 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM 73 <?page no="74"?> wicklung ist primär als Investition (ins Humanvermögen) und nicht als punktuelles Belohnungssystem zu konzipieren. Dennoch erscheint eine informationelle Verknüpfung vom IVM mit der Personalentwicklung aus‐ baufähig, um Talente auf allen Ebenen frühzeitig zu erkennen. Nicht nur an die Einreicher von Ideen denkt der Gestalter eines differen‐ zierten Anreizsystems, sondern auch an die Vorgesetzten von besonders vorschlagsaktiven Organisationseinheiten sowie an sorgfältig, unvorein‐ genommen und schnell arbeitende Gutachter. Sie verdienen ebenfalls An‐ erkennung für ihr kulturgerechtes Verhalten. Besonders herausragende Leistungen sollten Eingang in die Personalentwicklungsplanung für Fach- und Führungskräfte finden. Ein Anreizsystem kann auch flexibel im Sinn eines Cafeteria-Ansatzes gestaltet werden. Der Arbeitgeber ermöglicht damit dem Arbeitnehmer eine freie Auswahl innerhalb eines bestimmten Budgets und einer limitierten Zahl von Anreizen. Dazu können alle bisher genannten Anreize gehören und weiterhin z. B. Incentive-Reisen, Freizeit- und Gesundheitsförderungsange‐ bote. Der Gestalterphantasie sind hier fast keine Grenzen gesetzt. Letztere kommen eher aus der praktischen Handhabbarkeit und der gefühlten Wer‐ tigkeit (am leichtesten vergleichbar ist immer die Prämie) innerhalb einer Belegschaft. Der Cafeteria-Ansatz entspricht jedoch der Erkenntnis, dass die Bedürfnisse und ihre Vordringlichkeit nach Zielgruppen und jeweiliger Phase im Lebenszyklus eines Mitarbeitenden variieren. Die Ausführungen zum Anreizsystem sollten zeigen, dass die Unter‐ nehmen mit Hilfe intrinsischer und extrinsischer Anreize wirksam zur Überwindung von Willens- und Risikobarrieren beitragen können. Die Ausrichtung des Anreizsystems am Ziel- und Strategiesystem sowie an der Kultur einer Unternehmung fördert die Kohärenz der generellen und speziellen Gestaltungsgrößen. Organisation des IVM Weil ein IVM als Daueraufgabe verstanden wird, sind durch organisatori‐ sche Maßnahmen Effizienzvorteile zu erwarten. Hierbei können prozess- und strukturbezogene Aspekte unterschieden werden. Traditionell verwen‐ det die Fachsprache dafür synonym die Termini Ablauf- und Aufbauorga‐ nisation (Thom/ Wenger 2010). 74 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="75"?> Ablauforganisatorische Aspekte Effizient ist die Prozessorganisation eines IVM dann, wenn ein breiter Zustrom von VV gefördert und die Prozessdauer zwischen VV-Abgabe und Ideenrealisierung unter Beachtung der Zufriedenheit aller Prozessbeteilig‐ ten gefördert wird. In diesem Gestaltungsfeld sind verschiedenen Fragen zu beantworten. (1) Welche Einreichungswege sollen geöffnet werden? Der Dienstweg (über die jeweiligen Direktvorgesetzten) ist nach heutiger Vorstellung der normale Einreichungsweg, vorausgesetzt, in den Organisa‐ tionseinheiten herrscht ein innovationsförderliches Klima. Aus Misstrauen gegenüber der Hierarchie führten die Vorschlagswesenpioniere Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einen vom Dienstweg unabhängigen Kommunikationskanal ein (z. B. Briefkästen, welche die Unternehmer selbst leerten). Vorgesetzte äußerten hingegen in Befragungen (vgl. Losse/ Thom 1977: S. 82) mehrheitlich den Wunsch, alle Verbesserungsideen sollten zuerst mit ihnen diskutiert werden. Mit Blick auf die Realität (vgl. Etienne 1997: S. 74ff.) empfiehlt es sich jedoch auch die Möglichkeit einzuräumen, den direkten Vorgesetzten zu umgehen. Um vorhandene Risikobarrieren zu überwinden, liegt die beste Lösung darin, mehrere Einreichungswege zur freien Auswahl zu überlassen. Wird dann der Dienstweg nur selten beschritten, darf dies als Indikator für eine wenig innovationsfreundliche Subkultur in der entsprechenden Organisationseinheit interpretiert werden. (2) Soll es möglich sein, VV auch anonym einzureichen? Heute herrscht die Expertenmeinung vor, den Anonymitätsschutz nur als Notlösung zu betrachten. Wiederum ist die starke Inanspruchnahme dieses Rechtes ein deutlicher Hinweis auf kulturelle und klimatische Störungen in den Mitarbeiter-Vorgesetzten-Beziehungen. (3) Müssen VV immer schriftlich eingereicht werden? Es verbessert die Beteiligungsquote, wenn kein Schriftzwang für die VV-Ein‐ reichung besteht. Weiterhin lässt sich dadurch die Annahmequote steigern. Die mündliche Frage im Dialog mit Vorgesetzten, ob die Verbesserungsidee überhaupt brauchbar und zeitgerecht erscheine, wird möglicherweise sofort beantwortet und führt gegebenenfalls zur Überarbeitung des Vorschlag‐ sentwurfs oder zum Verzicht auf Einreichung eines VV. Damit werden Bearbeitungskosten für chancenlose Ideen gespart. 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM 75 <?page no="76"?> (4) Wie viel Kapazität für die Vorschlagsbearbeitung ist sinnvoll? VV sind schnell und umsichtig zu bearbeiten. Der potentielle Nutzen kann dadurch früher wirksam werden und motivational ist das rasche Feedback an den Erarbeiter einer Sonderleistung vorteilhaft. Griffige Kriterien zur Beurteilung des Wertes eines VV und eine leistungsfähige elektronische Unterstützung (Ideenbank, spezifische Software) helfen bei der Reduktion der Prüftage. Weiterhin ist die Kapazität der beteiligten Stellen und Gremien so zu gestalten, dass Schnelligkeit und Sorgfalt bei der Ideenbearbeitung optimiert werden. Dies ist eine Frage der Aufbauorganisation. Aufbauorganisatorische Aspekte Die Bestimmung der Aufgabenträger sowie die Festlegung ihrer Aufga‐ ben, Kompetenzen und Verantwortung sind Gegenstand aufbauorganisato‐ rischer (struktureller) Regelungen. (1) Welchen Beitrag leistet das Topmanagement? Zu den Aufgaben der obersten Führungskräfte gehören die Aushandlung und inhaltliche Prägung der IVM-Betriebsvereinbarung bzw. -reglemente. Weiterhin haben sie regelmäßig eine Effizienzkontrolle durchzuführen und die Erklärung des mit dem IVM verfolgten Anliegens sowie seiner Einfü‐ gung in die generellen Führungsinstrumente (siehe oben) zu fördern. Dazu eignen sich innerbetriebliche Kommunikationsgelegenheiten, aber ebenso Interviews in externen Medien. Auch im Anreizsystem können die obersten Führungskräfte eine wichtige Rolle übernehmen, beispielsweise wenn sie Entscheidungen über besonders hohe Prämien oder andere sehr wertvolle Anreize für die erfolgreichsten VV-Einreicher treffen und diese persönlich auszeichnen. Bei geringen Durchführungsquoten analysieren sie die Gründe für Änderungswiderstand und tragen kraft ihrer hierarchischen Macht zur Überwindung der Barrieren bei. Das IVM hat nur bei voller Unterstützung durch das Topmanagement beste Entfaltungschancen. Dafür gibt es eindrucksvolle empirische Belege (vgl. Thom/ Piening 2009: S.-71ff.). (2) Wie sollen die direkten Vorgesetzten mitwirken? Heute wird sehr stark die Implementierung des Vorgesetztenmodells gefor‐ dert. Danach sind die Ideen direkt beim zuständigen Vorgesetzten einzurei‐ chen und mit ihm zu besprechen. Viele Vorschläge, die seinen eigenen Verantwortungsbereich betreffen und nicht allzu komplex sind, kann er 76 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="77"?> selbst beurteilen, honorieren, realisieren oder ablehnen, ohne die zentralen Organe des IVM einzubeziehen. Umfangreichere Vorschläge oder solche, die mehrere Abteilungen betref‐ fen und über die er nicht alleine entscheiden kann, werden vom Vorgesetzten an den zentralen Ideenmanager weitergeleitet. Durch dieses Modell werden die unmittelbaren Vorgesetzten insgesamt stärker in die Verantwortung für ein effizientes IVM eingebunden. Sie können ihre Mitarbeitenden zur Teilnahme am IVM motivieren, Beratung und Unterstützung (bis hin zur Koautorenschaft) bei der Formulierung der VV anbieten. Dies führt zu einer besseren Kommunikation. Die Bearbeitungszeiten werden kürzer, Feedback erfolgt direkt und schnell, die Anliegen der Mitarbeitenden erfahren Be‐ achtung. Die Kennzahlen für ein IVM mit Vorgesetztenmodell sind dem klassischen zentralen Modell überlegen (vgl. die in Thom/ Piening 2009: S. 78ff. genannten Quellen). Dies alles gilt nur unter der Voraussetzung, dass ein vertrauensvolles Klima herrscht und die Vorgesetzten ihre Förderungs‐ verantwortung aus voller Überzeugung wahrnehmen. (3) Wie lassen sich die Betriebsräte (Arbeitnehmervertreter) ins IVM einbinden? Nach Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes in Deutschland (1.1.1972) stieg die Zahl der Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung zum Vorschlagswesen geradezu sprunghaft an. Die ganz große Mehrheit der deutschen Betriebsräte hat ein sehr positives Verhältnis zum IVM entwickelt. Sie sehen darin einen Beitrag zur vertrauensvollen Zusammenarbeit. In Unternehmen mit nachweisbarer positiver Einstellung der gewählten Arbeitnehmervertreter war eine über‐ durchschnittliche Beteiligungsquote feststellbar (vgl. Thom/ Piening 2009: S. 82). Auch die Arbeitgeberseite und ihre Beauftragten (Ideenmanager) sind davon überzeugt, dass der Betriebsrat einen Einfluss auf die Leistungsfähig‐ keit des IVM hat und dass durch ihn ein höheres Ansehen dieses Manage‐ mentkonzeptes entstanden sei. Das Verhalten der Arbeitnehmervertreter ist in diesem Zusammenhang durch eine ausgeprägte Sachlichkeit und Koope‐ rativität gekennzeichnet. Im IVM sehen die Betriebsräte eine Möglichkeit, zur persönlichen und beruflichen Entfaltung der Arbeitnehmer beizutragen (vgl. auch Paragraph 75, Absatz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes). Die Beschäftigten können unmittelbar am Betriebsgeschehen partizipieren, er‐ halten eine Chance zur leistungsbezogenen Einkommenssteigerung, zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens und damit 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM 77 <?page no="78"?> letztlich auch zur Stärkung der Arbeitsplatzsicherheit. Das Hauptinteresse von Betriebsräten gilt einer wirksamen Organisation des IVM und einem fairen Anreizsystem. Das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 hat im Jahre 2001 umfangreiche Änderungen erfahren. Das Gesetz wurde im Paragraphen 75 in Richtung freie Entfaltung der Persönlichkeit, Selbständigkeit und Eigeninitiative der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen erweitert. Diese Rechtsnorm stellt eine ideale Rahmenbedingung für ein modernes IVM dar. Dem Verfasser sind keine Studien über die Einstellung von Betriebs- und Personalkommissionen (mit schwächeren Mitbestimmungsrechten als in deutschen und österreichischen Betriebsräten) in schweizerischen privaten und öffentlichen Unternehmen bekannt. Allerdings hat die Schweiz wesent‐ lich stärkere direktdemokratische Mitwirkungsrechte und damit günstige Voraussetzungen für ein öffentliches Vorschlagswesen für alle Bürger in ihrem jeweiligen Gemeinwesen (vgl. Thom/ Ritz 2008). (4) Welche Rolle spielen die Ideenmanager (IVM-Beauftragten)? Die IVM-Aufgabenträger mit dem normalerweise höchsten Zeiteinsatz sind die Ideenmanager, die traditionellerweise BVW-Beauftragte genannt wurden. Je nach Unternehmensgröße und VV-Aufkommen sind sie haupt- oder nebenamtlich tätig. Früher hielt man einen hauptamtlichen Ideen‐ manager in einer Organisationseinheit für erforderlich, wenn dort rund 300 bis 500 VV pro Jahr zu bearbeiten waren. Mit Hilfe neuzeitlicher Software sind diese Personen jedoch sicherlich in der Lage, 700 und mehr VV in einem Jahr abschließend zu bearbeiten. Die Bearbeitungskapazität hängt wesentlich von der informationstechnischen Ausstattung, vom Aus‐ bildungs- und Erfahrungsstand sowie Engagement der Ideenmanager und von der durchschnittlichen Problemhaltigkeit der VV ab. Es macht einen Unterschied, ob viele Bagatellvorschläge oder komplexe und innovative VV eingereicht werden. Zu den wichtigsten Aufgaben der Ideenmanager gehören die Sammlung der VV, ihre Zuteilung zu weiteren Aufgabenträgern im Prüfungs-, Bewertungs- und Realisierungsprozess, ferner die Beratung von Einreichern und Vorgesetzten, die Planung, Durchführung und Erfolgs‐ kontrolle der Werbung, die Erstellung der Statistik (Kennzahlenberechnung) sowie die Überwachung der Einhaltung von relevanten Normen (Gesetze, tarifliche Vereinbarungen, Betriebsvereinbarungen, Reglemente etc.) für das IVM. 78 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="79"?> Diese umfangreichen Aufgaben können Ideenmanager nur dann effizient und effektiv erfüllen, wenn ihnen umfassende Informationsrechte (z. B. Einsicht in alle VV-bezogenen Dokumente), Beauftragungsrechte (z. B. zur Gutachtenanfertigung, Erprobung), unmittelbare Berichtsrechte an weitere Prozessbeteiligte (z. B. Prüfungs- und Bewertungskommission, Topmanage‐ ment, Einigungsstelle) sowie Kontrollrechte (z. B. hinsichtlich der zur Durchführung vom Arbeitgeber angenommenen VV) zugestanden werden. Für die fachliche und hierarchische Einordnung der Ideenmanager empfiehlt sich die Beachtung der Prinzipien „Interessen-Neutralität“, „Unabhängig‐ keit“ sowie „optimale Distanz zu Einreichern von VV und Entscheidern über VV“. Für die Interessen-Neutralität und Unabhängigkeit kann z. B. die Einord‐ nung in den Personalbereich (Human Resource Management) sprechen. Auch die Fachgebiete Qualitätsmanagement oder Innovationsmanagement sind unter diesem Aspekt geeignet, weil alle genannten Ressorts den Cha‐ rakter einer Querschnittsfunktion aufweisen und außerdem signalisieren, dass es beim IVM entweder um die Ausschöpfung menschlicher Leistungs‐ potentiale oder um die Erreichung von Qualitäts- und Innovationszielen geht. Die höchste hierarchische Zuordnung (Direktunterstellung beim Vor‐ stand bzw. bei der Geschäftsführung) kann zwar die Durchsetzungskraft gegenüber der nachgeordneten Hierarchie verbessern, gleichzeitig aber, insbesondere in Großunternehmen, auch Schwellenängste in der Mitarbei‐ terschaft erhöhen. In einem solchen Falle (maximale Hierarchiestufe) wird sich zwar vermutlich die Annahmequote erhöhen, die Beteiligungsquote hingegen könnte beeinträchtigt werden. Eine empirische Bestätigung für diese Vermutung findet sich in der Fachliteratur (vgl. Thom/ Piening 2009: S.-90). Vom Aufgabenprofil her betrachtet, handelt es sich bei der Stelle des Ideenmanagers um einen Stabsbereich. In sehr großen Unternehmen kann der Ideenmanager beispielsweise der unmittelbare Vorgesetzte von zehn Mitarbeitenden sein. Dann hat er innerhalb seiner Stabsabteilung ein Weisungsrecht. Hinzu können fachliche Anordnungsrechte an dezentrale Beauftragte und Kontaktleute (z. B. in Werken) kommen. Ob er in der Prüfungs- und Bewertungskommission ein volles Stimmrecht oder gar den Vorsitz hat, hängt vom Rollenverständnis ab: Je mehr er nach jeweiligem Stellenprofil oder seinem Selbstverständnis die Rolle eines „Ideenanwalts“ übernimmt, umso weniger eignet er sich gleichzeitig als „Richter“. 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM 79 <?page no="80"?> Seine Einflussmöglichkeiten bei der Gestaltung der Betriebsvereinbarung bzw. des Betriebsreglements sind oft beträchtlich. Generell wirkt der Ideen‐ manager stark bei allen organisatorischen Fragen sowie bei der Werbung und weiteren Sondermaßnahmen (z.-B. Ideenwettbewerbe) mit. Hinsichtlich der persönlichen Anforderungen an Ideenmanager sind folgende empirischen Erkenntnisse vorhanden: Dieser wichtige IVM-Akteur erfährt in den letzten Jahrzehnten eine Professionalisierung. Schon zu Beginn der 1980er Jahre hatte mehr als die Hälfte der vom Deutschen Institut für Betriebswirtschaft befragten Vor‐ schlagswesenbeauftragten einen Hochschulabschluss aufzuweisen. Meist verfügten die Stelleninhaber über eine langjährige Berufserfahrung und spezifische Betriebserfahrung im Unternehmen, in welchem sie jetzt als Ideenmanager agierten. Überdurchschnittliche Anforderungen werden an die Organisationskenntnisse und an das Organisationsgeschick gestellt. Weiter häufig genannte Schlüsselqualifikationen sind: Verhandlungsfähig‐ keiten, Einfallsreichtum, Initiative, Vorstellungsfähigkeit hinsichtlich der praktischen Umsetzbarkeit von Ideen und Hartnäckigkeit bezüglich der definitiven Realisierung von VV, die seitens des Arbeitgebers angenommen worden sind. Inzwischen sind Weiterbildungs- und Zertifizierungsmöglich‐ keiten für Ideenmanager im deutschsprachigen Raum ausgebaut worden (vgl. Thom/ Piening 2009: S.-93). Im Vorgesetztenmodell verändert sich das generelle Aufgabenprofil in folgenden Dimensionen: Mehr übergeordnete Koordinationsfunktionen, ausgeprägtere konzeptio‐ nelle, überwachende und kulturgestaltende Tätigkeiten, höhere Anforde‐ rungen bezüglich der Weiterentwicklung des Gesamtkonzeptes und seiner Abstimmung mit ähnlich gelagerten bzw. übergeordneten Managementkon‐ zepten. Das Vertrauen der übergeordneten Führungsebenen und von Vor‐ gesetzten in der ganzen Hierarchie sowie bei potentiellen VV-Einreichern ist für eine erfolgreiche Funktionsausübung unabdingbar. (5) Welchen Beitrag haben die Fachgutachter zu leisten? Jede Person, die einem Ideenmanager als geeignet erscheint, ein fachlich kompetentes Urteil über die Nützlichkeit eines VV abzugeben, kann mit der Anfertigung eines Gutachtens nach festgelegten Beurteilungskriterien beauftragt werden. Die Bearbeitungsdauer, die Annahmequote und letztlich die Beteiligungsquote werden von der Art der Aufgabenerfüllung der Fach‐ gutachter wesentlich beeinflusst. Entscheidend sind dabei die persönliche 80 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="81"?> Einstellung (z. B. helfend, einfühlend in die Gedankengänge der Einreicher) und die Arbeitsweise (z. B. objektiv, die relative Gerechtigkeit anstrebend, termintreu) der Gutachter zu/ bei VV. Empirische Forschungsergebnisse legen nahe, dass sich die Gutachter bei Ablehnungen von VV aus psycholo‐ gischen Gründen besonders viel Mühe geben sollten. Dies begünstigt die Aufrechterhaltung der Bereitschaft zur Ideengenerierung auch bei Misser‐ folgserlebnissen. Eine Minderheit der Unternehmen hat Regelungen bezüglich einer finan‐ ziellen Abgeltung der Gutachtertätigkeit. Diese orientieren sich beispiels‐ weise an den erreichten Einsparungen durch die VV und an der Termintreue bei der Erstellung der Gutachten. Auf jeden Fall ist eine immaterielle Anerkennung für diese verantwortungsvolle Tätigkeit im IVM angemessen (z. B. Dank-Essen, formelle Zeichen der Wertschätzung durch das Topma‐ nagement). (6) Welchen Beitrag zum IVM haben Kommissionen zu leisten? Durch eine Prüfungs- und Bewertungskommission werden die Fachgutach‐ ten überprüft. Weiterhin ist festzustellen, ob der VV über die üblichen Aufgaben eines Stelleninhabers hinausgeht und daher eine prämienberech‐ tigte Leistung darstellt. Schließlich wird die Idee bewertet und eine mate‐ rielle oder immaterielle Honorierung festgelegt, wobei der Ideenmanager zuvor entsprechende Vorschläge unterbreitet haben kann. Es liegt in der freien Entscheidung des Arbeitgebers, einen VV definitiv anzunehmen, ihn umzusetzen und die VV-Einreicher gemäß dem Antrag der Kommission zu honorieren. Der Arbeitgeber folgt in aller Regel dem Kommissionsvor‐ schlag. Dies ist umso wahrscheinlicher als die Kommission sorgfältig mit betriebserfahrenen und vertrauenswürdigen Personen besetzt wurde und diese eine umsichtige Arbeitsweise pflegen. In diese Kommissionen werden Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter delegiert. Dies ist sinnvoll, gehört es doch auch zu den Aufgaben dieses IVM-Gremiums zu überprüfen, ob der unzulässige Versuch unternommen wird, mit Hilfe des IVM Änderun‐ gen durchzusetzen, für welche andere Organe (z. B. Vorstand/ Geschäfts‐ leitung, Aufsichtsrat/ Verwaltungsrat, Sozialpartner/ Tarifvertragsparteien) zuständig sind. Es kann vorkommen, dass sich dieselbe Kommission mit Einsprachen von solchen Arbeitnehmern befasst, deren VV in einen vorgängigen Entscheid abgelehnt wurden. In der strengen Governance-Ordnung sind für diese Einsprüche/ Rekurse gesonderte Einspruchsstellen zuständig, welche nicht 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM 81 <?page no="82"?> von denselben Personen besetzt werden wie die Prüfungs- und Bewertungs‐ kommissionen. Dies wird jedoch personell nur in großen Unternehmen möglich sein, die über ein hinreichendes Personalreservoir verfügen. Bei einem effizienten IVM werden solche Einspruchsstellen nur sehr selten in Anspruch genommen. Auf jeden Fall sorgt eine korrekte Kommissionsarbeit dafür, das Vertrauen in die Einrichtung IVM zu stärken. Arbeitnehmervertreter wirken mit und können damit verhindern, dass sich Führungskräfte an den VV auch aus unteren Stufen der Hierarchie bereichern. Das Arbeitspensum solcher Kommissionen wird reduziert, wenn im Vorgesetztenmodell eine Vielzahl von Entscheidungen bereits durch die direkten Vorgesetzten der VV-Einreicher getroffen wird oder wenn dem Ideenmanager Entscheidungsbefugnisse bis zu einem bestimmten Betrag der Honorierung eingeräumt werden. In der Schweiz hat ein besonders er‐ folgreiches Unternehmen im IVM (rund 100-prozentige Beteiligungsquote) einer Ombudsperson weitreichende Entscheidungskompetenzen zugeord‐ net. Diese letzte Regelung zeigt exemplarisch, welchen Gestaltungsspielraum die Unternehmen hinsichtlich der organisatorischen Regelungen für ihr IVM haben. (7) Worauf ist bei der organisatorischen Gestaltung des IVM generell zu achten? Die Vielzahl der bisher genannten Regelungsaspekte könnten den Eindruck erwecken, dass hiermit eine bedenkliche Komplexität geschaffen und der Aufwand für das IVM-System in die Höhe getrieben wird. In der Tat heben diesen potentiellen Organisationsaufwand gerne solche Unternehmen her‐ vor, die sich nicht für die Einrichtung eines IVM entschieden haben. Die organisatorische Gestaltung muss situationsgerecht erfolgen. In klei‐ nen und mittleren Unternehmen kann diese Organisation stark verschlankt und auf den Kern reduziert werden. So sind Beispiele bekannt, in denen die ganze Aufbauorganisation aus einem Dreipersonengremium besteht, dem ein Geschäftsleitungsmitglied, der Betriebsratsvorsitzende und ein Techniker angehören (vgl. Thom/ Piening 2009: S.-99). Grundsätzlich müssen die wesentlichen Bearbeitungsschritte (wer macht was? ) jedem Arbeitnehmer bekannt sein (Abgabe, Prüfung, Bewertung, Anerkennung). Dadurch wächst Vertrauen und Willensbarrieren lassen sich 82 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="83"?> abbauen. Für jedermann nachvollziehbare Darstellungen werden nach dem Grundsatz „Übersichtlichkeit geht vor Vollständigkeit“ gestaltet. (8) Sollen informale und formale Gruppen im IVM gefördert werden? Es gab schon seit vielen Jahren informale Gruppen im Vorschlagswesen. In sogenannten Einreichergemeinschaften spannten mindestens zwei Per‐ sonen freiwillig zusammen, um einen VV auszuarbeiten und ihn als gemein‐ same Autoren einzureichen. Dies wurde von Seiten des Arbeitgebers nicht offiziell organisiert und die Einreichergemeinschaften erhielten keinerlei Unterstützung etwa in Form von Trainingsmaßnahmen. Ende der 1960er Jahre tauchten erste Forderungen von Fachautoren auf, zur Verbesserung der Effizienz des Vorschlagswesens sowie des gesamten Betriebsklimas ein organisiertes Gruppenvorschlagswesen einzuführen. Teilweise war auch von „Vorschlagszirkeln“ die Rede. Aber bald wurde vor einer gewissen Grup‐ peneuphorie gewarnt. Bei nüchterner Analyse können folgende Vorteile der Vorschlagsgruppen identifiziert werden: Die Problemsuche lässt sich durch die Beteiligung mehrerer Personen intensivieren und Fehler bei der Problemanalyse können durch die gegenseitige Kritik der Gruppenmitglie‐ der schneller entdeckt werden. Dies gilt nur, wenn die Gruppenmitglieder keinem kritikfeindlichen Konformitätsdruck ausgesetzt sind. Im günstigen Fall bleibt es nicht bei der Addition des Wissens, sondern es kommt bei der direkten Interaktion der Gruppenmitglieder zu neuen Informationsver‐ knüpfungen. Dies ist umso wahrscheinlicher, je mehr die Gruppenmitglieder einen unterschiedlichen Ausbildungs- und Erfahrungshintergrund einbrin‐ gen und ein positiver Wettbewerbsgeist in der kreativen Ideenfindung entsteht. Bevor ein organisiertes Gruppenvorschlagswesen eingeführt wird, sollte geprüft werden, ob in der jeweiligen Belegschaft auf Mitarbeiter- und Vor‐ gesetztenstufe eine positive Einstellung zur Gruppenarbeit vorhanden ist. Danach sind Trainingsmaßnahmen z. B. für Gruppenarbeitstechniken sinn‐ voll. Parallel zum informellen und formellen Gruppenvorschlagswesen ent‐ wickelte sich im deutschsprachigen Raum eine Qualitätszirkel-Bewegung, welche durch japanische Erfahrungen inspiriert wurde. Auf Feinheiten in der Unterscheidung der verschiedenen gruppenbasierten Konzepte kann im Rahmen dieses Beitrages nicht eingegangen werden. Die Spezialliteratur führt hier weiter (vgl. Thom/ Piening 2009: S.-112ff.). Der Vergleich der verschiedenen Gruppenkonzepte zeigt, dass sich in‐ formelle Einreichergemeinschaften mit Qualitätszirkeln verbinden lassen. 2.4 Effiziente Gestaltung des IVM 83 <?page no="84"?> Die Überschneidungen zwischen formellen Vorschlagsgruppen und Quali‐ tätszirkeln sind teilweise so groß, dass es kaum ratsam erscheint, beide gleichzeitig einzuführen. Hier muss sich das Topmanagement für das eine oder andere Konzept entscheiden. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Einrichtung von Ideenteams - auf welcher Hierarchiestufe und mit welcher Teilnehmerkomposition auch immer - anhand folgender zwei Prüffragen zu beurteilen: Erstens, welche Einrichtung führt bei gleichem Mitteleinsatz zur besseren Ausschöpfung des Ideenpotentials einer Belegschaft und damit auch zur besseren persönlichen Entfaltung ihrer Mitglieder? Zweitens, rechtfertigen bessere und schnellere Ideen (VV) einen höheren Mitteleinsatz? Zur Beantwortung dieser Fragen wird jedes Unternehmen in unterschied‐ lich langen Lernprozessen jeweils individuelle Lösungen finden müssen. Auf diesem Weg hilft das laufende IVM-Controlling (anhand der eingangs genannten Kennzahlen) und nach längeren Zeitabständen (z. B. alle 5 bis 10 Jahre) eine umfassendere Evaluation (Auditing-Prozess). 2.5 Neuere Entwicklungstendenzen im IVM Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass es in der langen Entwick‐ lungsgeschichte bis zum heutigen IVM viele Anregungen aus jeweils zeitge‐ rechten Führungsinstrumenten gegeben hat. Daher ist es nicht erstaunlich, wenn das IVM immer auch als Teil anderer Managementkonzepte gesehen wird. Drei solcher Integrationsmöglichkeiten sollen kurz aufgezeigt werden (vgl. Thom/ Piening 2009: S.-157ff.). (1) Schon seit den 1970er Jahren gibt es Anregungen, das IVM in ein umfassendes Innovationsmanagement zu integrieren. Die Generierung und Bewertung von Ideen werden oft als die schwierigsten Phasen im ganzen Innovationsprozess erachtet. Das IVM hilft hier, vorhandenes inner‐ betriebliches Potenzial besser auszuschöpfen. Natürlich ist allseitig bekannt, dass die große Mehrheit der Ideen aus dem IVM eher operative Verbesse‐ rungsmöglichkeiten betrifft. Weitreichende Produkt-, Prozess- und Sozial‐ innovationen werden daher mit strategisch ausgerichteten Instrumenten des Innovationsmanagements erarbeitet werden müssen. Zu denken ist hier beispielsweise an die Forschung und Entwicklung, die Produktplanung und 84 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="85"?> die Organisationsentwicklung. Dennoch ist es immer wieder erstaunlich, welche hochwertigen Ideen aus dem weit zugangsoffenen IVM resultieren. (2) Spätestens in den 1990er Jahren wurde die traditionelle Qualitäts‐ sicherung auf breiter Front vom Konzept Total Quality Management (TQM) abgelöst. Dieses betont die Bedeutung der Unternehmenskultur (umfassen‐ des Qualitätsstreben als tief verankerter Unternehmenswert) und weist eine starke Mitarbeiterförderung auf. Damit ergeben sich offensichtliche Bezugspunkte zum IVM. Im Kern des TQM findet sich der Gedanke der kon‐ tinuierlichen Verbesserung in allen Funktionsbereichen durch Beteiligung möglichst aller Mitarbeitenden. Hierzu kann ein modernes IVM nach den bisherigen Ausführungen gewiss einen ernstzunehmenden Beitrag leisten. (3) Nach der Jahrhundertwende erschienen immer mehr Publikatio‐ nen zum Wissensmanagement (vgl. u. a. Harasymowicz-Birnbach 2008). Dessen Kernbestandteile liegen in der Identifikation, im Erwerb, in der Entwicklung, Verteilung und schließlich in der Nutzung sowie Bewahrung von organisationalem Wissen. Das IVM kann sicher einen Beitrag zum Wissensmanagement erreichen, denn es geht in beiden Konzepten darum, die Mitarbeitenden mit ihrem impliziten Wissen für die kontinuierliche Verbesserung betrieblicher Prozesse und Leistungen zu gewinnen. Beson‐ ders wichtig ist in diesem Kontext die Erfassung des impliziten Wissens. Darunter können wir diejenigen Wissensanteile verstehen, die von einem Wissensträger - oftmals unbewusst - über Jahre hinweg erworben wurden. Sie sind erfahrungsgebunden und können für Verbesserungen oder gar Innovationen wertvoll sein. Als realistische Verknüpfung beider Konzepte können sogenannte Communities of Practice (CoP) dienen. In diesen kom‐ men Menschen aus sämtlichen Anspruchsgruppen zusammen, um eigenini‐ tiativ Wissen und Erfahrungen zu einem selbst gewählten Thema oder einer neuen Problemstellung auszutauschen. Geschieht dies innerbetrieblich, so kann auch von einer lernenden Organisation gesprochen werden. Aus den vorstehenden Ausführungen sollte deutlich werden, dass sich das IVM sowie das Innovations-, Qualitäts- und Wissensmanagement gegensei‐ tig ergänzen und verstärken können. In jüngerer Zeit gibt es auch Bestrebungen das IVM mit unternehmens‐ übergreifenden Ansätzen zu verbinden. (1) Unter dem Terminus „Integriertes Ideenmanagement“ plädieren die Fachautoren Voigt/ Brem (2005) dafür, interne und externe Ideenlieferan‐ ten miteinander zu verbinden. Sie stellen sich vor, die Ideen von Mitarbeiten‐ den, Kunden, Lieferanten und sogar von Konkurrenten zusammenzubringen 2.5 Neuere Entwicklungstendenzen im IVM 85 <?page no="86"?> und daraus Innovationen zu entwickeln. Neben monetären Anreizen setzen sie dabei stark auf intrinsische Anreize und streben eine Win-win-Situation für alle Beteiligten an. In explorativen Experteninterviews dieser Autoren wurde dem integrierten Konzept eine Erfolgschance gegeben, besonders was die Einbindung von Kunden und Lieferanten betrifft. Letztere sollten jedoch nicht direkt über das IVM einbezogen werden, sondern es sei besser, diese externen Partner über die entsprechenden Funktionalbereiche wie Vertrieb, Einkauf oder Produktion einzubinden. Das Erfolgspotential wird für junge und innovative Unternehmen vergleichsweise höher eingeschätzt. Dennoch wurden auch Bedenken vorgetragen. Sie liegen u. a. in der Komplexität dieser Verbindung, nicht zuletzt auch in rechtlichen Hemmnissen (z. B. eindeutige Zuordnung des geistigen Eigentums). Die vom Verfasser und seiner Koautorin (Thom/ Piening 2009: S. 180) befragten Schweizer Ideenmanager äußerten sich sehr zurückhaltend zum Einbezug unternehmensexterner Personen in das IVM. Es sei schwerer, einem Externen mitzuteilen, dass sein VV nicht mit den betrieblichen Gegebenheiten und Plänen übereinstimme. Außerdem passe das übliche Anreizsystem, welches vom Arbeitsrecht geprägt ist, nicht für eine Hono‐ rierung externer Personen. (2) Unter dem Fachbegriff „Open Innovation“ wird ebenfalls der Einbe‐ zug externer Quellen gemeint. Dies gilt besonders für die Generierung und Bewertung innovativer Ideen. Man erhofft sich eine lebhafte, engagierte und hochproduktive Form der Zusammenarbeit über die Unternehmensgrenzen hinweg. Das neue Konzept ist vor dem Hintergrund moderner Informations- und Kommunikationstechnologien in einem veränderten Kontext zu sehen. Durch das Internet bestehen für Unternehmen beste Möglichkeiten des kostengünstigen, informellen und netzwerkartigen (nicht hierarchischen) Wissensaustausches mit externen Organisationen und Individuen. Ein Schweizer Unternehmen baute beispielsweise eine Innovatoren-Com‐ munity im Internet auf. Um Ideen von außerhalb der Firmengrenzen zu erschließen, schreiben Unternehmen (z. B. Automobilhersteller) auf der Internetplattform Atizo.com Innovationsprojekte aus und greifen so auf das Know-how der Innovatoren-Community unter Einsatz von monetären Anreizen zurück. Inzwischen liegen weitere Erfahrungen und wissenschaft‐ liche Auswertungen vor, die diesem Konzept eine gute Zukunftschance geben. Eine direkte Verbindung zum IVM ist nicht gegeben. Vielmehr wird mit Open Innovation ein neuer Kanal eröffnet, der sich mit einer 86 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="87"?> sehr präzisen Fragestellung an externe Interessierte wendet und für deren Engagement spezielle Anreize setzt. (3) Im Zusammenhang mit dem IVM lässt sich ein überbetrieblicher Er‐ fahrungsaustausch pflegen. Das Deutsche Institut für Betriebswirtschaft kann diesbezüglich schon auf eine lange Erfahrung zurückschauen. Auch in den anderen deutschsprachigen Ländern bestehen analoge Foren zum Austausch von Erfahrungen mit spezifischen Instrumenten und neuen Gestaltungsversuchen im Bereich des modernen IVM. Auch kann man die Leistungsfähigkeit seines IVM im Rahmen von nationalen Wettbewerben vergleichen und von den Besten lernen (vgl. die Aktivitäten des Deutschen Instituts für Ideen- und Innovationsmanagement GmbH). Im Rahmen der Forschung und Lehre weist das Institut für Organisation und Personal (IOP) der Universität Bern in den Jahren 1991 bis 2012 eine lange Erfahrung mit dem IVM auf. Zweimal vergab das IOP einen IOP-Award für das beste IVM in der Schweiz. Zur Selektion der besten IVM-Anwender wurden Kriterien für ein exzellentes IVM entwickelt und öffentlich zugänglich gemacht (Thom/ Piening 2009: S.-195ff.). Das Unternehmen, welches sowohl 2005 (IOP-Award-Gewinner) als auch 2011 Spitzenwerte erreichte und deshalb einen Nachhaltigkeitspreis (2011) erhielt, wird in der unten folgenden Fallstudie mit seinem spezifischen Konzept des IVM als Lernbeispiel vorgestellt. Zusammenfassend ist festzuhalten: ■ Der Grundgedanke des Vorschlagswesens ist bis zu den heutigen For‐ men des modernen IVM erhalten geblieben. Es geht darum, die Kreati‐ vität und Problemlösungsfähigkeit der Mitarbeitenden der gesamten Institution, in welcher sie arbeiten, zur Entfaltung zu bringen. Dies ist ökonomisch sinnvoll und ethisch bestens begründet. ■ Die optimale Implementierung des Managementkonzepts IVM stellt hohe Ansprüche an die beteiligten Fach- und Führungskräfte. Sie müs‐ sen betriebswirtschaftliche, psychologische, technische und teilweise auch rechtliche Dimensionen bei der Systemgestaltung sinnvoll inte‐ grieren, damit die angestrebten Ziele in optimaler Weise erreicht werden können. ■ Darüber hinaus sollen die Systemgestalter für ein IVM in einem größe‐ ren Rahmen denken können. Dies ist notwendig, um die Anschlussfä‐ higkeit des IVM an komplementäre und umfassendere Konzepte (z. B. Innovations-, Qualitäts- und Wissensmanagement) zu sichern sowie 2.5 Neuere Entwicklungstendenzen im IVM 87 <?page no="88"?> neue Technologien (z. B. Internetplattformen) und unternehmensex‐ terne Ressourcen parallel zum innerbetrieblichen Ideenfluss in einen umfassenden Ideenpool einfließen zu lassen, aus welchem kleinere und gewichtigere Innovationen, zumindest jedoch fortlaufende Verbes‐ serungen entstehen können. Für eine Unterschätzung des IVM besteht nicht der geringste Anlass. Ent‐ weder man betreibt seine Gestaltung mit höchstmöglicher Professionalität oder man verzichtet auf seine Einführung. 88 2 Vom Betrieblichen Vorschlagswesen zum Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM) <?page no="89"?> 32 Zu diesen Systematisierungsfragen betrieblicher Innovationen vgl. Rogers/ Shoemaker: Comunications of Innovations, S.-20ff. sowie Staudt: Innovation, S.-486-487. 33 Mühlemeyer. Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument, S.-14. 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument 3.1 Einleitung/ Zielsetzung des Kapitels Die Globalisierung, sowie die Verkürzung der Halbwertszeit des Wissens als auch der permanente Wandel der Informations- und Kommunikationstech‐ nologien verkürzen immer häufiger die Produktlebenszyklen. Die Fähigkeit zum Wandel und zur →Innovation sowie das damit verbundene Know-how sind damit entscheidende Determinanten der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Um dauerhaft am Markt erfolgreich zu sein, benötigt ein Unternehmen permanent marktgerechte Innovationen. Diese wiederum können nur mit‐ tels personaler Kompetenz, also durch die Innovationskompetenz der Mit‐ arbeiter und deren geeigneter Kreativität, entwickelt werden. Innovationen verlangen nach Ideen. Ideen wiederum müssen zunächst aufgeworfen werden, um dann praxisorientiert weiterentwickelt zu werden. Dieser Teilprozess der Innovation wird auch als →Invention bezeichnet. 32 Dieser Prozess kann von einer Gruppe, die mit der Problemstellung vertraut ist, aber auch von einer Einzelperson durchgeführt werden. Als methodische Hilfestellung sind zahlreiche Techniken, die die Kreativität fördern und den Ideenfindungsprozess unterstützen können, bekannt und hier als wertvolles Instrument nutzbar. 33 Im Folgenden werden nach einer kurzen Einführung in das Themenfeld Kreativität ausgewählte →Kreativitätstechniken vorgestellt, die sich in der Praxis vielfach bewährt haben und zu innovativer Ergebniswirksamkeit führen. <?page no="90"?> 34 URL: www.frag-caesar.de [19.09.2012]. 35 Müller-Prothmann, Dörr: Innovationsmanagement, S.-103. 36 Landau: Psychologie der Kreativität, S.-9. 37 Malorny, Schwarz, Backerra: Die sieben Kreativitätswerkzeuge, S.-6. 38 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-1. 39 Vgl. zu folgenden Ausführungen: Schlicksupp: Ideenfindung, S.-32. 3.2 Kreativität 3.2.1 Der Begriff der Kreativität Der Begriff „Kreativität“ stammt vom lateinischen Wort „creare“ ab, was so viel bedeutet wie erschaffen, erzeugen, hervorbringen. 34 In dem Wort Kreativität spiegeln sich schon die beiden wichtigsten Aspekte wider: freies und logisches Denken in Kombination 35 sowie das Dynamische, das Prozessartige, das der Kreativität innewohnt. 36 Kreativität ist also dabei nicht die bloße Eigenschaft, etwas Künstlerisches zu erschaffen, sondern vielmehr die Fähigkeit zu schöpferischem Denken und Handeln. Die geistige Grundstruktur der Kreativität ist bei jedem Menschen vor‐ handen, auch wenn sie unterschiedlich genutzt wird. 37 Ihre Entwicklung ist jedoch bei jedem Menschen abhängig von dessen Persönlichkeit, Erfahrun‐ gen, Motivation, Anstrengung und Ausdauer. 38 Definitionen für Kreativität gibt es in der Literatur mannigfaltige. Der Wegbereiter von Kreativität in Deutschland, Helmut Schlicksupp 39 , bezieht sich dabei auf eine Definition, die 1956 von dem Autor Drevdahl im Journal of Clinical Psychology veröffentlicht wurde: „…Kreativität ist die Fähigkeit von Menschen, Kompositionen, Produkte oder Ideen gleich welcher Art hervorzubringen, die in wesentlichen Merkmalen neu sind und dem Schöpfer vorher unbekannt waren. Sie kann in vorstellungshaften Denken bestehen oder in der Zusammenfü‐ gung von Gedanken, wobei das mehr als eine reine Aufsummierung des bereits Bekannten darstellt. Kreativität kann das Bilden neuer Muster und Kombinationen aus Erfahrungswissen einschließen und die Übertragung bekannter Zusammenhänge auf neue Situationen ebenso wie die Entdeckung neuer Beziehungen. Das kreative Ergebnis muss 90 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="91"?> 40 Drevdahl: Factors of importance of creativity, S.-21. 41 Landau: Psychologie der Kreativität, S.-9. 42 Springer/ Deutsch: Linkes/ rechtes Gehirn: funktionelle Asymmetrien, S.-170ff. nützlich und zielgerichtet sein und darf nicht in reiner Phantasie beste‐ hen - obwohl es nicht unbedingt sofort praktisch angewendet werden braucht oder perfekt und vollständig sein muss. Es kann jede Form des künstlerischen oder wissenschaftlichen Schaffens betreffen oder prozesshafter oder methodischer Natur sein…“ 40 Die Kreativität ist so alt wie die Menschheit selbst, die →Kreativitätsfor‐ schung entstand jedoch erst in den 1960er Jahren in den USA als Folge des sogenannten „Sputnik-Schocks“ im Jahre 1957, als der Bedarf an kreativen Wissenschaftlern Staat und Industrie dazu brachten, psychologische Unter‐ suchungen zum Thema der Kreativität zu finanzieren und zu fördern. 41 In dieser Zeit entwickelte sich eine anwendungsorientierte Kreativitäts‐ forschung, die die vier Bereiche ■ kreative Person, ■ kreativer Prozess, ■ kreatives Umfeld und ■ kreatives Produkt betrachtet. Seit den 1960er Jahren dient das Hemisphären-Modell zur Erklärung der Kreativität. Es besagt, dass die beiden Gehirnhälften im Wesentlichen von‐ einander unabhängige Aufgaben auf unterschiedliche Weise ausführen. 42 Die rechte Hemisphäre ist dabei für das analoge Denken verantwortlich, also die schnelle räumliche Verarbeitung, die Synthese aller bisherigen Er‐ fahrungen und der visuellen Eindrücke. In der linken Hemisphäre hingegen sitzt das sogenannte „digitale Denken“, welches für das logische Denken, die Organisation sowie Analyse der Informationen zuständig ist. Erst wenn beide Gehirnhälften verknüpft sind, also die kreative (rechts) mit der analytischen (links) Hemisphäre zusammenarbeitet, kann Kreati‐ vität entstehen und somit Ideen und letztlich →Innovationen generiert werden. 3.2 Kreativität 91 <?page no="92"?> 43 Eigene Darstellung in Anlehnung an: Müller-Prothmann, Dörr: Innovationsmanage‐ ment, S. 103 sowie Malorny, Schwarz, Backerra: Die sieben Kreativitätswerkzeuge, S. 9. 44 Malorny, Schwarz, Backerra: Die sieben Kreativitätswerkzeuge, S.-9. Abbildung 14: Informationsverarbeitung im Gehirn 43 Bei allen menschlichen Aktivitäten sind immer beide Gehirnhälften betei‐ ligt, allerdings wird die linke Hemisphäre aufgrund unserer dynamischen Umwelt weitaus mehr eingesetzt. Insbesondere bei Routinearbeiten unter anderem auch im Arbeitsalltag kommt die linke Seite vielmehr zum Tragen. Sollen jedoch Innovationsprozesse angestoßen, also neue Ideen gewon‐ nen werden, so sind die Fähigkeiten der rechten Hemisphäre gefragt. Da allerdings die rechte weitaus weniger gefordert wird, ist diese oftmals sehr untrainiert. Hier greifen die unterschiedlichen →Kreativitätstechniken, denn diese fordern sowohl die rechte als auch die linke Hemisphäre, wodurch sie ein unverzichtbares Instrument bei dem Prozess der Ideengewinnung darstel‐ len. 44 92 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="93"?> 45 Malorny, Schwarz, Backerra: Die sieben Kreativitätswerkzeuge, S.-10. 46 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-4ff. 3.2.2 Einflussfaktoren der Kreativität Abbildung 15: Einflussfaktoren auf die Kreativität 45 Die kreative Person Nach Eigenschaften, die eine kreative Person von einer nicht kreativen Per‐ son unterscheiden, wurde lange gesucht. Früher verband man Kreativität oft mit geistigen Krankheiten und nicht selten liegen Genialität und Wahnsinn wahrlich dicht beieinander - denke man nur alleine an Vincent van Gogh. Ebenso ist durch Studien 46 belegt, dass zwischen Persönlichkeitsmerk‐ malen und kreativen Aktivitäten Wirkungszusammenhänge bestehen. Je positiver bestimmte Eigenschaften wie z. B. Selbstbewusstsein, Energiepo‐ tenzial, Neugier oder auch Denken in komplexen und vernetzten Systemen vorliegen, desto kreativer wird die Person sich auch verhalten. Drei wesentliche Einflussfaktoren der Kreativität sind Tätigkeitsdrang bzw. Motivation, Kognitionen und Informationsverarbeitung sowie die Persönlichkeit des Menschen. 3.2 Kreativität 93 <?page no="94"?> 47 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-5. Motivation Damit ein Mensch motiviert ist, kreative Ideen zu entwickeln, bedarf es seinerseits eines hohen Grades an einer fachlichen Integration und ist ebenso abhängig von dessen Emotionen. Die fachliche Integration bewirkt dabei eine erhöhte Informationsaufnahme und eine Konzentrierung auf das Wesentliche, während die Motivation und nicht zuletzt der Flow Spaß an der Tätigkeit bewirkt. Motivation kann gemäß der Maslow’schen Bedürfnispy‐ ramide bis zu einem gewissen Grad gesteigert werden und ist wichtig bei der kreativen Tätigkeit. Doch der Abbildung kann eine gestärkte Motivation nur bis zu einem gewissen Grad auch zu einer Kreativitätssteigerung führen. Abbildung 16: Verhältnis von Kreativität und Motivation 47 Kognitionen und Informationsverarbeitung Hierunter versteht man Wissen, das dem Problemlösenden zur Verfügung steht. Die Menge der Ideen ist natürlich abhängig von der Verfügbarkeit dieser Kognitionen, denn umso mehr davon vorhanden sind, umso mehr →Assoziationen und →Analogien können gebildet werden. Dabei muss jedoch Allgemeinwissen und Fachwissen unterschieden werden, denn wäh‐ rend ersteres das kreative Denken fördert, so wird es vom Fachwissen eingegrenzt. 94 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="95"?> 48 Vgl. hierzu in der Rolle von Innovationsaktivem Personal inbesondere Mühlemeyer, P.: Personalmanagement in der betrieblichen Forschung und Entwicklung 49 Vgl. hierzu insbesondere Staudt/ Bock/ Mühlemeyer/ Kriegesmann: Der Arbeitnehmer‐ erfinder im betrieblichen Innovationsprozess - Ergebnisses einer empirischen Unter‐ suchung, S.-32. 50 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-10. Persönlichkeit Der Persönlichkeit selbst kommt als Basis für Kreativität eine überragende Bedeutung zu. So lassen sich nach Berth (1992) drei wesentliche Typen von Persönlichkeiten unterscheiden: ■ Der Entdecker: aufgeschlossen, spontan und neugierig ■ Der Analytiker: besonnen, pflichtorientiert, kontrolliert, korrekt und skeptisch ■ Der Realisierer: geistig flexibel, sozial sensibel, veränderungsbereit, unkonventionell, distanziert, begeisterungsfähig. In diesen „Reinformen“ sind diese drei Persönlichkeitstypen sehr selten anzutreffen - für den kreativen Prozess wäre eine Mischung aus diesen drei Typen optimal. Insbesondere eine große Komplexität einer Persön‐ lichkeit lässt ein stark ausgeprägtes kreatives Verhalten und losgelöstes Denken entstehen. Gleichermaßen stellen empirische Untersuchungen zur Förderung von →Innovation und Kreativität im Rahmen eines betrieb‐ lichen →Innovationsmanagements 48 immer wieder die Bedeutung der personalen Kompetenzförderung in Verbindung mit geeigneten organisato‐ rischen Rahmenbedingungen und eines entsprechenden kulturellen (Unter‐ nehmems-)Umfeldes als Notwendigkeit für die Förderung von →Kreativität heraus. 49 Der kreative Prozess Nach Geschka/ Reibnitz (1977) wird der kreative Prozess in drei Phasen untergliedert: Vorbereitungsphase Hier wird das Problem erkannt und definiert, in seine Komponenten zerlegt und analysiert. Auch werden bereits benötigte (Hintergrund-)Informationen gesucht und gesammelt. 50 3.2 Kreativität 95 <?page no="96"?> 51 Backerra, Malorny, Schwarz: Kreativitätstechniken, S.-28. 52 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-10. 53 Backerra, Malorny, Schwarz: Kreativitätstechniken, S.-28ff. 54 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-10. 55 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-11. 56 Backerra, Malorny, Schwarz: Kreativitätstechniken, S.-29. In dieser Phase müssen Zusammenhänge transparent gemacht werden und das relevante Wissen aufbereitet werden. Hier wird hauptsächlich die linke Hemisphäre eingesetzt. 51 Intuitive Phase Die zweite Phase besteht aus der →Inkubation (Entfremdung) und der →Illumination (Erleuchtung). In der Phase der Entfremdung werden die Probleme verarbeitet und kreative Ideen entwickelt, in der Phase der Erleuchtung hingegen werden Problemlösungen erarbeitet. Während der Inkubation ist es wichtig, Abstand zum Problem zu ge‐ winnen, denn nur so lassen sich Ideen entwickeln, die fernab von festge‐ fahrenen Lösungsansätzen sind. 52 Es sollten also während der Inkubation entspannende Aktivitäten durchgeführt werden, damit das Problem an das Unterbewusste abgegeben werden kann. Im Unterbewusstsein können dann die Gedanken mit bisherigen Erfahrungen in Verbindung treten. In dieser Phase kommt die rechte Hemisphäre stark zum Tragen bei parallelem starkem Einsatz der linken Hemisphäre, wodurch gleichzeitig zahlreiche Informationen verarbeitet werden. 53 Mit der Entstehung der ersten Geistesblitze beginnt die Phase der Illumi‐ nation. Erste Lösungsansätze werden ersichtlich, wenn auch noch wenig detailliert. Hier ist eine angenehme und entspannte Atmosphäre wichtig, da so der Lösungsentwicklungsprozess am besten angestoßen wird. 54 Kritische Phase Die letzte Phase des kreativen Prozesses umfasst die genaue Analyse und Bewertung der in der Illumination entwickelten Ideen in Bezug auf die Problemlösungsrelevanz und Entwicklungsmöglichkeiten. 55 In der letzten Phase des kreativen Prozesses wird wieder mehr die analytische, linke Hemisphäre eingesetzt. 56 96 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="97"?> 57 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-3. 58 Aschenbrücker: Kreativitätspotentiale und deren Förderung, S.-1028. 59 Vgl. hierzu z.-B. Staudt/ Schmeisser: Invention und Kreativität als Führungsaufgabe, S.-356. Abbildung 17: Der kreative Prozess Das kreative Produkt Das kreative Produkt (Idee/ Gedanke) ist das Resultat des kreativen Prozes‐ ses. Problematisch wird es, wenn definiert werden soll, ab wann eine Idee kreativ ist oder ob es sich nur um eine Erkenntnis handelt. 57 Kreativ ist ein geistiges Produkt, wenn davon ein Wertezuwachs in einem bestimmten Lebensbereich zu erwarten ist, wobei hier als Maßstab zur Messung des Kreativitätsgrades existierende Normen und Werte der Gesellschaft heran‐ gezogen werden. 58 Dennoch erweist sich eine allgemeingültige Definition als äußerst schwierig. Fragestellungen des tatsächlichen Neuerungsgehaltes von →Innovationen (im Rahmen von Produkt-, Prozess- und Sozialinnova‐ tionen) sind seit langer Zeit immer wieder Gegenstand der wissenschaftli‐ chen →Innovationsforschung. 59 3.2 Kreativität 97 <?page no="98"?> 60 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-11. 61 Vgl. Mühlemeyer: R&D Personnel Management by Incentive Management, S.-59. Das kreative Umfeld Den vorherrschenden Umweltbedingungen bzw. dem Umfeld kommen beim kreativen Prozess eine zentrale Bedeutung zu: Ein kreativer Mensch reagiert mit großer Sensibilität auf Veränderungen und Spannungen. Da diese jedoch häufig den kreativen Prozess anstoßen, dürfen sie das kreative Handeln nicht behindern. 60 Neben den Umwelteinflüssen Information, Material und Zeit sind es insbesondere auch die sozialen Kontakte, die sich auf das Ausmaß der kreativen Ideen auswirken. Durch die permanente Wechselwirkung sind der kreative Mensch und sein kreatives Umfeld nicht voneinander zu trennen. In Bezug auf den betrieblichen Alltag, haben also die Arbeitsbedingun‐ gen, sprich Arbeitsklima, Arbeitskultur, Unternehmenskultur, Führungsstil, Sanktionen und Anreizsysteme einen großen Einfluss auf die im Unterneh‐ men herrschende →Kreativität. 61 3.2.3 Strukturierung von Kreativitätstechniken In der Literatur findet man unterschiedliche Möglichkeiten, Kreativitäts‐ techniken zu unterteilen. Eine Strukturierung erweist sich als äußerst schwierig, da durch verschiedene Varianten viele Techniken Elemente aus mehreren Kategorien aufweisen. Freie Assozia‐ tion Struktu‐ rierte Asso‐ ziation Kombina‐ tion Konfronta‐ tion Weitere Keine Struktur, keine Kritik, alle Äußerungen zu‐ gelassen und er‐ wünscht Eine vorgege‐ bene Struktur wird durchlau‐ fen Neuartiges Zusammen‐ fassen beste‐ hender Ele‐ mente Übertragung problemfreier Prinzipien - Brainstorming Walt-Disney- Methode Morphologi‐ scher Kasten Synektik Bionik Ringaustausch 6-Hüte-Me‐ thode - Reizwortana‐ lyse Osborne- Checkliste 98 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="99"?> 62 Müller-Prothmann, Dörr: Innovationsmanagement, S.-104ff. 63 Vgl. zu folgenden Ausführungen: Müller-Prothmann, Dörr: Innovationsmanagement, S.-104ff. Methode 6-3-5 Attribute Lis‐ ting Visuelle Kon‐ zentration Kopfstand Mindmapping - - TRIZ Relevanzbaumanalyse Abbildung 18: Strukturierung von Kreativitätstechniken 62 Jedoch lassen sich zwei große Gruppen an →Kreativitätstechniken unter‐ scheiden - zum einen die Methoden, die die →Intuition anregen und verstärken (intuitive Techniken) und zum anderen die systematisch-analy‐ tischen (diskursiven) Methoden. Daneben kann eine weitere Klassifizierung vorgenommen werden, wobei →Assoziation/ Abwandlung und Konfrontation einander gegenüberstehen. In Bezug auf die Generierung neuer Ansätze innerhalb des Innovations‐ prozesses soll nun eine Strukturierung der →Kreativitätstechniken für den Gebrauch in der betrieblichen Praxis vorgestellt werden, wobei darauf zu achten ist, dass die Methode möglichst konträr zur täglichen Arbeitssitua‐ tion gewählt wird, um eine bestmögliche Stimulation hervorzuheben. 63 3.3 Ausgewählte Kreativitätstechniken Nachfolgend werden bekannte gleichwohl aufgrund der existierenden Viel‐ zahl ausgewählte →Kreativitätstechniken unter Einbezug des folgenden Merkmals strukturiert: Intuitive Techniken Diskursive Techniken Kombinative Techniken intuitiv & diskursiv Brainstorming Morphologischer Kasten Walt-Disney-Methode Mind Mapping Osborn-Checkliste - Methode 6-3-5 - - 3.3 Ausgewählte Kreativitätstechniken 99 <?page no="100"?> 64 Boos: Das große Buch der Kreativitätstechniken, S.-3. 65 Boos: Das große Buch der Kreativitätstechniken, S.-29ff. Reizwortanalyse Synektik - - Abbildung 19: Strukturierung von Kreativitätstechniken 64 3.3.1 Intuitive Methoden Intuitive Techniken basieren auf spontanem Verstehen und Erkennen von Sachverhalten und zielen darauf ab, aus dem Unterbewusstsein heraus spontane Ideen und Lösungen wachsen zu lassen. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen hauptsächlich mündlichen (Brainstorming) und schriftlich fixierten Methoden, welche unter der Technik Brainwriting zusammengefasst werden und somit den Oberbegriff für alle schriftlichen Formen des Brainstormings darstellt. Das Ziel von beiden Techniken ist die Gewinnung einer größtmöglichen Anzahl an Ideen, die zur Lösung eines Problems beitragen sollen. Der Vorteil des Brainwriting gegenüber dem Brainstorming liegt darin, dass alle Teilnehmer sich gleichermaßen, da schriftlich, äußern und somit auch eher introvertierte Personen ihren Beitrag leisten können, da sie zum einen mehr Zeit haben, ihre Gedanken zu ordnen und zum anderen keinen Hemmungen, in der Gruppe zu sprechen, gegenüberstehen. Darüber hinaus können die Teilnehmer von Brainwriting-Methoden auch räumlich voneinander getrennt sein, was eine große Zeitersparnis mit sich bringt. 65 Im Folgenden sollen die beiden Techniken sowie Abwandlungen dazu näher dargestellt werden. Brainstorming Das Brainstorming ist nicht nur die bekannteste, sondern auch älteste Kreativitätstechnik und wurde von Alex F. Osborn (1888-1966) in den 1930er entwickelt. Sie dient zur Sammlung vielfältiger Ideen innerhalb kürzester Zeit und ist eine Gruppenkreativitätsmethode. Hierbei sollte es sich um eine möglichst heterogene Gruppe zwischen vier und zwölf Personen handeln, 100 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="101"?> 66 Rabl: Kreativitätstechniken, S.-84. 67 Higgins, Wiese: Innovationsmanagement, S.-126ff. 68 Rabl: Kreativitätstechniken, S.-84. sowie einem sachkundigen Moderator, dem wiederum ein Assistent zuge‐ ordnet ist. 66 Die Teilnehmer dieses Ideenentwicklungsprozesses werden anhand un‐ terschiedlicher Arbeitsbereiche ausgewählt. Der Moderator/ Leiter sammelt alle Beiträge, die von den beteiligten Personen vorgetragen werden und trägt dafür Sorge, dass alle Ergebnisse sichtbar und verständlich festgehalten werden. Hier liegt der Schwerpunkt in der Quantität der Beiträge, die erst zu einem späteren Zeitpunkt analysiert und diskutiert werden, denn die oberste Regel lautet, dass jegliche Kritik während des Ideensammlungsprozesses verboten ist. Die erste Phase dieses Prozesses beginnt, indem der Moderator das zentrale Problem auf ein Whiteboard oder einen Flipchart schreibt und der Assistent die Gruppenbeiträge ohne Wertung daneben fixiert. In der zweiten Phase werden die Beiträge gewichtet und somit nach ihrer Wichtigkeit geordnet, dabei fällt es dem Moderator als Aufgabe zu, dass Ideen nicht gleich aufgrund ihrer Realitätsfremde oder aufgrund mangeln‐ der (finanzieller) Ressourcen verworfen werden. Auch muss er unsachlicher Kritik konstruktiv entgegenwirken. In der Praxis hat sich Brainstorming vielfach bewährt - dies liegt hauptsächlich auch im Kritikverbot begründet, welches zunächst auch die abwegigsten Lösungsvorschläge zulässt. In der Regel dauert ein Brainstormingprozess in etwa 30 Minuten, danach folgt die Phase der Gewichtung und Analyse. Viele Unternehmen nutzen daher den Vorteil dieser konstruktivistischen Didaktik-Methode, um Unter‐ nehmensprozesse zu optimieren, indem Probleme auf den unterschiedlichs‐ ten Unternehmensebenen identifiziert und auf einen Lösungsweg gebracht werden. 67 Der Brainstormingprozess reicht dabei über den gesamten Problemlö‐ sungsprozess, das heißt von der Fragestellung, Problemklärung und Neu‐ formulierung bis hin zur Problemlösung selbst. 68 Heutzutage gibt es zahlreiche Abwandlungen/ Versionen dieser Brainstor‐ mingtechnik, wie z. B. den „Crawford Slip“ oder auch die Methode „Nimm fünf “. 3.3 Ausgewählte Kreativitätstechniken 101 <?page no="102"?> 69 Higgins, Wiese: Innovationsmanagement, S.-126ff. 70 Vgl. zu folgenden Ausführungen: Rabl: Kreativitätstechniken, S.-84ff. 71 Vgl. zu folgenden Ausführungen: Higgins, Wiese: Innovationsmanagement, S.-185ff. Auch stammen die meisten japanischen →Kreativitätstechniken vom Brainstorming ab. Zu nennen wäre hier die „Lotusblütentechnik“, die „Mitsubishimethode“, die „NHK-Methode“ oder auch die sogenannte „TKJ- Methode“. 69 Wesentlich ist bei allen Brainstorming-Methoden, dass folgende vier Grundregeln eingehalten werden: 70 1. Jede Kritik an den gewonnenen Ideen ist verboten. 2. Zuerst Quantität, dann Qualität. 3. Alle Ideen können und sollen auch weiterentwickelt werden. Es besteht kein Urheberrecht. 4. Auch die verrücktesten Ideen sind willkommen. Im Folgenden soll aus rein informativen Gründen noch die Methode „Nimm fünf “ und die „NHK-Methode“ kurz dargestellt werden. „Nimm fünf“ „Nimm fünf “ ist im Prinzip ein 40-minütiges Spiel mit Gruppen von je fünf Teilnehmern. Dieses Spiel eignet sich für viele Arten von Problemen, aber ganz besonders bei Herausforderungen in strategischen Planungen sowie bei der Konstruktion von Vorausschaufragebögen. 71 Das Spiel umfasst die sechs Phasen: 1. Auswahl des Themenbereiches. 2. Ein Moderator beschreibt diesen und erklärt den Teilnehmern die Hintergründe. 3. Die Teilnehmer haben nun zwei Minuten Zeit, ihre Ideen aufzuschrei‐ ben. 4. Die Teilnehmer werden in Fünfergruppen aufgeteilt und bearbeiten für eine Ideensammlung längere Listen, die sie hinsichtlich ihrer Wichtig‐ keitsrangordnung sortieren. 5. Alle Fünfergruppen erstellen in einer gemeinsamen Sitzung eine Liste, die die zehn wichtigsten Ideen erarbeitet und protokolliert. 6. Diese zehn Ideen werden anschließend weiter diskutiert, analysiert und bewertet. 102 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="103"?> 72 Vgl. zu folgenden Ausführungen: Higgins, Wiese: Innovationsmanagement, S.-155ff. 73 Osborn: Applied Imagination, S.-297ff: NHK-Methode Die NHK-Methode geht auf Hiroshi Takahashi zurück und ist ein relativ lang dauernder Prozess, denn analog zu den Umdrehungen einer Waschmaschine werden die Ideen immer wieder neu gemischt und getrennt, wodurch wiederum neue Ideen entstehen. 72 Die NHK-Methode besteht aus folgenden Phasen: 1. Alle Teilnehmer schreiben zu einem vorgetragenen Problem fünf Ideen auf unterschiedliche Karten. 2. Unterteilung der Teilnehmer in Fünfergruppen. Jede Person stellt eine eigene Idee vor, dabei schreiben die anderen Teilnehmer ihre Gedanken dazu auf zusätzliche Karten. 3. Die Karten werden eingesammelt und thematisch sortiert. 4. Es werden neue Zweier- oder Dreiergruppen gebildet - diese bearbeiten eine oder mehrere Karten im Rahmen eines Brainstormings, so dass neue Ideen basierend auf alten entwickelt werden. Diese Phase sollte in etwa 30 Minuten dauern. Auch die in dieser Phase gebildeten Ideen werden auf Karten geschrieben. 5. Nun sortieren alle Gruppen die Karten anhand der Themen und die Ideen werden vorgestellt. Ein Gruppenleiter hält die geäußerten Ideen auf einem Flipchart/ Whiteboard fest. 6. Alle Teilnehmer bilden neue Zehnergruppen, in denen zu allen auf dem Flipchart vorhandenen Vorschlägen ein Brainstorming durchgeführt wird. Osborn-Checkliste Alex F. Osborn entwickelte neben dem Brainstorming noch weitere →Krea‐ tivitätstechniken, wie die nach ihm benannte Osborne-Checkliste als zwei‐ ten Teil des Brainstormings, um eine Erweiterung des betrachteten Umfeldes eines Problems und dessen Lösungen zu erreichen. 73 Dabei werden mit Hilfe eines Fragenkatalogs neue Gesichtspunkte ermöglicht. Insbesondere bei der Fortentwicklung einer Produkt- oder Verfahrenstechnik eignet sich dieses Kreativitätsinstrument besonders gut, denn anhand der Fragen lassen sich potenzielle Veränderungsmöglichkeiten eines Produktes oder Verfahrens 3.3 Ausgewählte Kreativitätstechniken 103 <?page no="104"?> 74 Rabl: Kreativitätstechniken, S.-85: 75 Vgl. zu folgenden Ausführungen: Boos: Das große Buch der Kreativitätstechniken, S.-111ff. 76 Rabl: Kreativitätstechniken, S.-85. 77 Eigene Darstellung in Anlehnung an: Boos: Das große Buch der Kreativitätstechniken, S.-109ff. systematisch analysieren. Die Fragen werden dabei nicht nur oberflächlich behandelt, sondern auf Lösungsvarianten untersucht. 74 Wichtig ist, die Osborn-Checkliste nicht zu früh abzuschließen, denn nur bei starkem Analysieren und weiterentwickeln der Ideen, ist es gewährleistet, auch unkonventionelle Lösungsmöglichkeiten zu schaffen. 75 Genau wie beim Brainstorming kann die Osborn-Checkliste über den gesamten Problemlö‐ sungsprozess angewendet werden. 76 Vorgehensweise: 1. Genaue Definition der Fragestellung. 2. Anhand der Checkliste wird in verschiedene Richtungen gedacht. 3. Checkliste besteht aus neun vorgegebenen Bereichen, die um beliebig viele problemspezifische Bereiche ergänzt werden können. 4. Alle Bereiche müssen gründlich analysiert und durchgearbeitet werden, um neue Möglichkeiten zu entwickeln. 5. Analyse der entwickelten Möglichkeiten zur Festlegung der umzuset‐ zenden Lösungskomponenten. Beispiel Osborn-Checkliste für Waschmittelverpackung 77 Bereich Ideen dazu 1. Andere Verwendungsmöglichkeiten Könnte Verpackung auch für andere Zwecke einge‐ setzt werden (bspw. als Aufbewahrungsbehältnis)? 2. Anpassen Welche Verpackungen ähneln der Waschmittelver‐ packung? 3. Modifizieren Können Eigenschaften wie Größe, Farbe, Form, Ge‐ ruch der Verpackung verändert werden? 4. Vergrößern Kann die Verpackung ergänzt werden? Kann die Verpackung stabiler gemacht werden? 104 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="105"?> 5. Verkleinern Kann die Verpackung minimiert werden? Kann die Verpackung kleiner gemacht werden? 6. Ersetzen Kann die eine oder andere Eigenschaft der Verpa‐ ckung durch andere ersetzt werden? 7. Umgruppieren Können Teile der Verpackung anders angeordnet werden? 8. Umkehren Lässt sich die Verpackung ins Gegenteil umkehren? Wie wäre das Gegenteil der Hauptverpackungsei‐ genschaft? 9. Neu kombinieren Lassen sich einzelne Eigenschaften oder Elemente der Verpackung neu kombinieren? Lassen sich ein‐ zelne der während der Sitzung erarbeiteten Ideen kombinieren, sodass eine Produktvariante entsteht? Brainwriting Das Brainwriting ist eine Weiterentwicklung des Brainstormings und funk‐ tioniert im Prinzip wie das Brainstorming, nur dass die Ideen nicht verbal, sondern schriftlich vorgetragen werden. Dabei schreibt jeder Teilnehmer seinen Lösungsvorschlag auf ein Blatt Papier und reicht es zum nächsten Teilnehmer weiter, so dass jeder Teilnehmer den Lösungsvorschlag seines Nachbarn weiter bearbeitet und weitergibt. Üblich ist ein Durchlauf von bis zu drei Mal, wodurch die Produktion guter Ideen gefördert wird. Dem Moderator fällt bei dieser Kreativitätstechnik die Aufgabe zu, die entwickelten Ideen zu lesen und an das Whiteboard zu schreiben oder eben eine weitere Runde zu fordern. So hat dieser weniger Einflussmöglichkeiten als beim Brainstorming, aber auch die Spontanität der Ideensammlung ist bei dieser Technik somit eingeschränkter. Hilfreich ist bei dieser Methode die Anwendung einer dreispaltigen Tabelle. 3.3 Ausgewählte Kreativitätstechniken 105 <?page no="106"?> 78 Eigene Darstellung. 79 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-70. 80 Rabl: Kreativitätstechniken, S.-88. Abbildung 20: Brainwriting 78 Die erste Runde zur →Ideenfindung sollte dabei in etwa zwei Minuten umfassen, für die Bearbeitungen kann wesentlich mehr Zeit eingeräumt werden. Alle Formen des Brainwritings haben den Vorteil, dass sie die Nachteile von Gruppendiskussionen vermeiden, wie sie bei den Methoden des Brain‐ stormings auftreten können (siehe hierzu auch Kapitel 3.1), 79 denn da beim Brainwriting das geschriebene Wort anstelle der direkten Kommunikation tritt, eignet es sich insbesondere auch bei Gruppen mit dominanten Persön‐ lichkeiten oder wenn Konflikte zu erwarten sind. 80 Brainwriting 6-3-5 oder auch Methode 635 Das Brainwriting wurde von Bernd Rohrbach zu der Methode 6-3-5 weiter‐ entwickelt. Hier erstellen sechs Personen innerhalb von fünf Minuten drei neue Ideen. Nach fünf Minuten geben die Teilnehmer ihre Ideen an den 106 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="107"?> 81 Higgins, Wiese: Innovationsmanagement, S.-133. 82 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-70. 83 Rabl: Kreativitätstechniken, S.-45 84 Higgins, Wiese: Innovationsmanagement, S.-104. nächsten Teilnehmer weiter, der wiederum seine Ideen hinzufügt. Beendet wird dieser Zyklus, wenn alle Teilnehmer jeden Zettel bearbeitet haben. Rein theoretisch können so innerhalb von etwa 30 Minuten 108 Ideen entwickelt werden - praktisch kann man aufgrund von Wiederholungen mit ca. 60 guten Ideen rechnen, wodurch diese Kreativitätstechnik einen sehr produktiven Stellenwert einnimmt. 81 Vorgehensweise: 1. Präzise Definition des Problems 2. Drei Lösungsvorschläge fixieren 3. Weitergabe des Formulars an Tischnachbarn 4. Auswertung 82 Problem: ________________________________________ Datum: ______ Blatt-Nr.: _____ - - - - - - - - - - - - Abbildung 21: Beispiel für ein 6-3-5-Formular Mind Mapping Mind Mapping ist ein individueller Brainstorming-Prozess und wurde im Jahre 1974 von Tony Buzan, einem Mitglied der Learning Method Groups, entwickelt. Sie dient dazu, Problemstellungen zu strukturieren und zu visualisieren, und basiert somit auf dem Zusammenspiel der beiden Gehirn‐ hemisphären. 83 Beim Mind Mapping ist man daran interessiert, verschiedenste, abwegigste Ideen zu entwickeln und alles, was einem in den Sinn kommt, schriftlich und grafisch zu fixieren. Zunächst zählt auch hier die Quantität der Ideen und erst später die Qualität. 84 Mind Mapping lässt sich hervorragend mit anderen 3.3 Ausgewählte Kreativitätstechniken 107 <?page no="108"?> 85 Higgins, Wiese: Innovationsmanagement, S.-104. 86 Gassmann, Sutter: Praxiswissen Innovationsmanagement, S.-303. 87 Müller-Prothmann, Dörr: Innovationsmanagement, S.-107. →Kreativitätstechniken kombinieren und kann so den Teilnehmern bei langen Workshops eine gute Unterstützung sein. Die Vorgehensweise ist folgende: zu einem Problem werden alle Gedanken gesammelt und durch eine grafische Fixierung gleichzeitig sortiert. Dabei gibt es verschiedene Grundstrukturen, wie man das Mind Mapping grafisch gestalten kann. Abbildung 22: Verschiedene Mind-Mapping-Strukturen: Sonne, Schneeflocke, Baum, Zel‐ len, Schaltplan (von links nach rechts) Mind Mapping eignet sich hervorragend, um neue Ideen zu entwickeln und Problemlösungen mit sämtlichen Pro und Contras darzulegen. So ist Mind Mapping für zahlreiche Situationen ein sehr effektives Kreativitätsinstrument - sei es für eine Einzelperson oder für eine Gruppe mit bis zu vier Personen. 85 Darüber hinaus ist Mind Mapping äußerst vielseitig und lässt sich beispiels‐ weise zum Protokollieren von Besprechungen und Referaten, zum Vorbereiten von Vorträgen und Berichten oder auch zum Lernen anwenden. 86 Vorgehensweise: 1. Fixierung des Grundproblems innerhalb einer gewählten Mind Map‐ ping-Struktur. 2. Sammlung aller Ideen zu diesem Problem mit schriftlicher Fixierung innerhalb der Mind-Mapping-Struktur. 3. Dadurch Generierung neuer Ideen und Gedanken zum Grundproblem. 87 108 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="109"?> 88 Boos: Das große Buch der Kreativitätstechniken, S.-20. 89 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-107. 90 Boos: Das große Buch der Kreativitätstechniken, S.-79. 91 Higgins, Wiese: Innovationsmanagement, S.-184. 92 Gassmann, Sutter: Praxiswissen Innovationsmanagement, S.-294. 93 Vgl. zu folgenden Ausführungen: Knieß: Kreativitätstechniken, S.-108ff. Synektik Ziel dieser Kreativitätstechnik ist die Stimulation unbewusst ablaufender Denkprozesse. Der amerikanische Psychologe William J. J. Gordon entwi‐ ckelte die →Synektik und machte sie 1961 in seinem Buch „Synectis: The development of creative capacity“ der Welt zugänglich. 88 Synektik (= etwas miteinander in Verbindung bringen) ist die psycholo‐ gisch fundierteste Methode der gemeinsamen →Ideenfindung in Gruppen und umfasst drei grundlegende Charakteristika: 1. Auswahl möglichst kreativer und hochqualifizierter Teilnehmer 2. Intensive Schulung 3. Konfrontation mit schwierigen Aufgaben, die den Teilnehmern ein hohes Maß an Kreativität abverlangen. 89 Die Synektik beruht darauf, dass zwei voneinander völlig unabhängige Denkebenen zusammengeführt werden und man so zu einer völlig neuen Lösung gelangt. 90 Synektik ist eine Form des Gruppen-Brainstormings und basiert haupt‐ sächlich auf den Formen der →Analogien bzw. Metapherentwicklung, der →Assoziation und der Exkursionstechnik. 91 Dabei folgt die Synektik dem Motto: „Mach dir das Fremde vertraut und entfremde das Vertraute“ 92 und sie setzt sich aus neun Schritten zusammen: 1. Analyse des Problems: 93 Lückenlose Sammlung problemspezifischer Informationen sowie die genaue Abgrenzung und Formulierung des Problems. 2. Spontane Lösungen: Spontane Lösungsvorschläge schaffen bei den Beteiligten sozusagen Platz für neue Ideen. 3. Neudefinition des Problems: Probleme, die einer Neuformulierung be‐ dürfen, werden aufgedeckt. 4. Suche nach direkten →Analogien: Das Problem wird mit der Absicht auf Verfremdung in einen anderen Bereich wie z.-B. die Natur, Medizin oder Technik übertragen und jeder Teilnehmer schreibt seine Analogie 3.3 Ausgewählte Kreativitätstechniken 109 <?page no="110"?> 94 Backerra, Malorny, Schwarz: Kreativitätstechniken, S.-93. auf eine Karte, also pro Analogie wird eine Karte erstellt. Diese werden dann auf einer Tafel angebracht und anschließend die interessanteste zur Weiterentwicklung ausgewählt. 5. Bildung persönlicher Analogien: Jeder Teilnehmer bildet persönli‐ che Analogien (grundsätzlich in der Ich-Form), wodurch sich die Gruppe mit den gefunden Analogien identifiziert und sich die Teilnehmer in die Rolle des Objektes (Eigenschaften und Verhaltensweisen) einfühlen. 6. Bildung symbolischer Analogien: Im Anschluss sollen symbolische Analogien zu den persönlichen Beiträgen, bestehend aus einem Sub‐ stantiv und einem Adjektiv, gebildet werden, wodurch bewusst eine unter Umständen provozierende Konfliktsituation geschaffen werden soll. Die Lösungen der symbolischen Analogie werden dann wieder auf Karten geschrieben, an der Tafel angebracht und die beste Analogie zur Weiterverarbeitung zugrunde gelegt. 7. Zweite Suche nach direkten Analogien und Analyse: Es werden erneut direkte Analogien gebildet, die allerdings aus der ersten direkten gewählt wurden. Danach wird wieder die beste Analogie ausgewählt, nach Strukturmerkmalen durchleuchtet, in ihre Merkmale zerlegt sowie beschrieben. 8. Übertragung auf das Ausgangsproblem: In dieser Phase erfolgt die Transformation der gewonnenen Anregungen (Strukturmerkmale und deren Beziehungen) auf das Ausgangsproblem. Hier steht die Frage „Wie kann die erhaltene neue Struktur zur Lösung des Problems genutzt werden? “ im Fokus. Hier findet also die eigentliche →Ideenfindung, die nach den Regeln des Brainstormings ablaufen kann, statt und hat zum Ziel, die Lösungsansätze der problemfremden Formationen auf das eigentliche Ausgangsproblem zu übertragen (auch Force Fit genannt). 9. Entwicklung, Fixierung und Bewertung von Lösungsansätzen. Reizwortanalyse Entwickelt wurde die Reizwortanalyse von Geschka und Schaude als ein Instrument, welches die →Intuition fördert. 94 Bei dieser Einzel- oder Grup‐ penkreativitätstechnik werden aus zufällig ausgewählten Reizwörtern, die nichts mit dem eigentlichen Problem zu tun haben, Ideen abgeleitet. Dabei notieren sich alle Teilnehmer, was ihnen zu den Reizwörtern einfällt. 110 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="111"?> 95 IHK Hannover: Methoden und Techniken für Kreative Lösungen und Bewertungen von Ideen, S.-5. 96 Backerra, Malorny, Schwarz: Kreativitätstechniken, S.-93. 97 Boos: Das große Buch der Kreativitätstechniken, S.-96. 98 URL: www.uni-karlsruhe.de [17.09.2012]. Anschließend werden die notierten Ideen analysiert und auf das eigentliche Problem übertragen. 95 Es handelt sich sozusagen um eine verkürzte Variante der →Synektik, da die Phase der Analogiesuche weggelassen wird. Vorgehensweise: 1. Schriftliche Problemdefinition 2. Suche nach zehn beliebigen gegenständlichen problemfremden Reiz‐ wörtern (hier ist auch ein „Begriffsbrainstorming“ möglich) 3. Analyse der Reizwörter nach Prinzipien, Merkmalen, Strukturen und Gestaltausprägungen 4. Übertragung der Ergebnisse aus der voran gegangenen Analyse auf das Grundproblem mit Lösungsfindung für das Grundproblem. 96 3.3.2 Diskursive Methoden Das Wort „diskursiv“ stammt ursprünglich vom lateinischen Wort „dis‐ currere“, was „auseinanderlaufen“ bedeutet. Dabei bedeutet diskursives Denken, dass neue Erkenntnisse durch logisch fortschreitendes Denken von Begriff zu Begriff gewonnen werden. Diese →Kreativitätstechniken gehen sehr systematisch vor: zu bearbei‐ tende Probleme werden genau analysiert und dann bis ins kleinste Detail aufgedröselt. So lassen sich auch komplexe Problemstellungen komplett erfassen, bevor dann die Lösung Schritt für Schritt erarbeitet wird. 97 Morphologischer Kasten Diese Technik wurde von dem Schweizer Astrophysiker Fritz Zwicky in den 1950er Jahren entwickelt. Die →Morphologie ist eine der bedeutsamsten Methoden und ist frei übersetzt die „Lehre vom geordneten Denken“. 98 Die Basis hierbei ist eine Matrix auf deren vertikaler Achse eine Checkliste möglicher Attribute des Produktes angesiedelt ist. Auf der horizontalen Achse befindet sich eine Checkliste, die Hinweise zu den verschiedenen 3.3 Ausgewählte Kreativitätstechniken 111 <?page no="112"?> 99 Higgins, Wiese: Innovationsmanagement, S.-153. 100 Rabl: Kreativitätstechniken, S.-87. 101 Eigene Darstellung in Anlehnung an Dries: Kreativität, S.-72. 102 Higgins, Wiese: Innovationsmanagement, S.-153. 103 Schröder: Heureka, ich habs gefunden, S.-260. Modifikationen enthält. Bei dieser Technik werden also Ideen aufgrund der direkten Konfrontation verschiedener Aspekte aus beiden Checklisten entwickelt. Dabei werden solche Faktoren ausgewählt, die zu einer neuen Sicht der Problemlage beitragen. 99 Es wird also ein festgelegtes Suchfeld systematisch, vollständig und ohne Überschneidungen nach allen erdenklichen Kriterien gegliedert, wodurch das Gesamtproblem in voneinander unabhängige Elemente, für die jeweils getrennt Ideen gesammelt werden, zerlegt und somit eine Gesamtlösung als Kombination der Einzellösungen gebildet wird. 100 Dabei wird eine Matrix bestehend aus →Parameter und Ausprägung erstellt, in die die unterschiedlichen Lösungswege eingetragen werden. Merk‐ mal Ausprägungen Form Bordeaux Burgun‐ der Champa‐ gner Schlegel Sachsenkeule weitere Glasfla‐ schenformen Farbe durch‐ sichtig Grüntöne Braun‐ töne Blautöne sonstige Farben - Ver‐ schluss Glasstop‐ fen Silikons‐ topfen Schraubver‐ schluss Kunst‐ stoff‐ korken gepress‐ ter Kor‐ ken gewach‐ sener Korken Größe 0,75 L 1 L 1,5 L 3,0 L 6,0 L 12,0 L Abbildung 23: Morphologischer Kasten und Lösungsmöglichkeiten für Weinflaschen 101 Neben der zweidimensionalen Matrix kann auch eine dreidimensionale erstellt werden, wobei eine dritte Faktorengruppe hinzukommt. 102 Wichtig hierbei ist es, dass die Faktoren lösungsrelevant, für alle Ausprägungen gültig und voneinander logisch unabhängig sein müssen. 103 In der Regel wird der Morphologische Kasten innerhalb einer Gruppe erstellt und bearbeitet. 112 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="113"?> 104 Müller-Prothmann, Dörr: Innovationsmanagement, S.-112. 105 URL: www.wirtschaftslexikon.gabler.de [17.09.2012]. 106 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-137. 107 URL: www.wirtschaftslexikon.gabler.de [17.09.2012]. 108 Eigene Darstellung in Anlehnung an Knieß: Kreativitätstechniken, S.-139. Vorgehensweise: ■ Bestimmung und Auflistung aller relevanten Elemente eines Grundpro‐ blems. Diese müssen voneinander unabhängig sein. ■ Bestimmung und Zuordnung der verschiedenen Ausprägungen eines →Parameters. ■ Kombination der unterschiedlichen Parameterausprägungen, wodurch mögliche Lösungen des Problems gebildet werden. 104 Attribute-Listing Das Attribute-Listing ähnelt dem morphologischen Kasten sehr stark und ist eine systematisch-analytische Kreativitätstechnik. 105 Sie wurde von Robert P. Crawford in den 1930er Jahren entwickelt. Eingesetzt werden kann sie, wenn eine Beschaffenheit eines Produktes oder Verfahrens analysiert und verbessert werden soll. 106 Hier werden alle wichtigen Eigenschaften beispielsweise von einem Produkt in einer Tabelle erfasst und hiervon wiederum Varianten gesucht und ebenso in dieser Tabelle fixiert. Am Ende wird erst eine Auswahl der Varianten vorgenommen, wenn alle Möglichkeiten gefunden sind. 107 Beispiel Attribute-Listing Waschmittelverpackung 108 Merkmal derzeitige Lösung erwünschte Entwicklungsrich‐ tung Möglichkeiten ande‐ rer Gestaltung Material Karton widerstandsfähiger PET Tragegriff Hartplastik handlicher/ bequemer Schaumstoff Farbe einfarbig auffälliger regenbogenfarbig 3.3 Ausgewählte Kreativitätstechniken 113 <?page no="114"?> 109 Knieß: Kreativitätstechniken, S.-138ff. 110 Boos: Das große Buch der Kreativitätstechniken, S.-130. Vorgehensweise: Zerlegung des zu verbessernden Produktes/ Verfahrens in seine Kom‐ ponenten Beschreibung der derzeitigen Lösungsmerkmale der definierten Merk‐ male Systematische Suche nach alternativen Gestaltungsmöglichkeiten Auswahl und Realisierung der neugefundenen Gestaltungsmöglichkei‐ ten 109 3.3.3 Kombinierte Methoden (intuitiv und diskursiv): Walt-Disney-Methode Diese →Kreativitätstechniken weisen sowohl intuitive als auch diskursive Elemente auf, d. h. dass diese Methoden sowohl des intuitiven Sammelns von Einfällen als auch Phasen des logisch-strukturierten Denkens beinhalten. 110 Walt-Disney-Methode Diese Methode entstand während der täglichen Arbeit von Walt Disney (1901-1966), dem US-amerikanischen Trickfilmproduzent. Disney wandte diese Kreativitätstechnik alleine oder aber auch in seinem Team regelmäßig an und sie basiert auf Imagination. Dabei müssen die Teilnehmer in drei unterschiedliche Rollen schlüpfen und nacheinander die Perspektiven des Träumers, Kritikers und Realisten einnehmen, um ein Problem oder eine Lösungsvariante zu betrachten. Um dies zu vereinfachen, müssen die Teil‐ nehmer dabei auch räumlich drei verschiedene Standorte einnehmen. Für den Bereich des Träumers richtet man dabei beispielsweise Blumen und ein schönes Landschaftsbild her, der Bereich des Realisten wird mit normalen Arbeitsgeräten wie einem PC ausgestattet, während der Bereich des Kritikers karg gestaltet sein kann. Sind die Bereiche eingerichtet, müssen die Teilnehmer die verschiedenen Rollenperspektiven kennenlernen. Dazu werden die einzelnen Bereiche abgegangen und vertraut gemacht. Anschließend werden die einzelnen Perspektiven erläutert: so muss der Träumer beispielsweise intuitiv an das Problem herangehen. Er muss in Bildern denken und Visionen entwickeln. 114 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="115"?> 111 Müller-Prothmann, Dörr: Innovationsmanagement, S.-111. Vorgehensweise: ■ Definition des Problems in neutraler Umgebung. ■ Träumer: alles ist erlaubt. In entspannter Atmosphäre werden Ideen entwickelt, unabhängig von ihrem Realitätsbezug. ■ Realist: die Entwürfe werden einem Realitätscheck unterzogen. In einer vorgegebenen Zeit müssen zu den Entwürfen Zahlen, Daten und Fakten recherchiert werden. ■ Kritiker: in angespannter Atmosphäre werden Destruktivität und Kritik gefördert, wodurch (Denk-)Fehler aufgedeckt werden sollen. Diese sind Ausgangspunkt einer erneuten Problemdefinition. 111 3.4 Kreativitätstechniken in der Praxis Im Folgenden sei in Anlehnung an Geschka eine Gegenüberstellung häufig auftretender Problemtypen mit den geeigneten dargestellten →Kreativi‐ tätstechniken vorgestellt, um die Anwendung in der betrieblichen Praxis zu verdeutlichen. Dabei werden nur diejenigen Techniken empfohlen, die im vorangegangenen Kapitel dargestellt wurden. - Problemtyp Beschreibung Empfohlene Technik 1. Erkennen und Ana‐ lysieren des Pro‐ blems Darstellen und Verdeut‐ lichen eines Problems Mind Mapping Morphologischer Kasten 2. Ideensammlung Alternativen für einen bestimmten Zweck wer‐ den gesucht Brainstorming 3. Vorgehensproblem Es wird ein Weg gesucht, ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen Brainwriting Brainstorming 4. Verbesserungsauf‐ gaben Ein bestehendes Pro‐ dukt, Konzept, Prozess soll verbessert werden Attribute Listing Osborn-Checkliste Brainstorming Brainwriting 3.4 Kreativitätstechniken in der Praxis 115 <?page no="116"?> 112 In Anlehnung an: Geschka: Kreativitätstechniken und Methoden der Ideenbewertung, S.-18ff. 5. Anwendungssuche Suche nach Anwen‐ dungsmöglichkeiten ei‐ ner neuen Technologie Brainstorming Brainwriting 6. Verhaltensänderun‐ gen bewirken Menschen sollen so be‐ einflusst werden, dass sie sich in bestimmter Weise verhalten Mind Mapping Reizwortanalyse 7. Technisches Erfin‐ dungsproblem Ein technisches Problem soll in neuer Weise gelöst werden Reizwortanalyse Osborn-Checkliste Morphologischer Kasten 8. Lösungsfindung im Marketing Namensfindung, Auf‐ merksamkeit erwecken Brainstorming Brainwriting Morphologischer Kasten Reizwortanalyse 9. Systemkonzeptent‐ wicklung Ein komplexes Problem, das aus mehreren zusam‐ menwirkenden Kompo‐ nenten besteht, ist best‐ möglich zu lösen. Morphologischer Kasten Brainwriting 10. Erklärungsproblem Eine Erklärung für ein Phänomen, ein Ergebnis oder einen Effekt ist zu finden. Nicht mit einer Technik alleine lösbar. Voranaly‐ sen sind erforderlich (mit Brainstorming). Nach der Analyse ergibt sich ein Problem vom Typ 1-9. Abbildung 24: Gegenüberstellung häufig auftretender Problemtypen und geeigneter Kre‐ ativitätstechniken 112 116 3 Kreativitätstechniken als Innovationsinstrument <?page no="117"?> Aufgaben/ Fallstudie Aufgaben zu Kapitel 1 Aufgabe 1.1 (zur Ressourcen-Checkliste) Betrachten Sie mit Hilfe der Ressourcen-Checkliste das System „Küchen‐ spüle“. Arbeiten Sie dabei die verschiedenen Arten von Ressourcen syste‐ matisch ab, um sich die verfügbaren Systemanteile zu verdeutlichen, die gegebenenfalls in der Küche nutzbar sind. Aufgabe 1.2 (zur Idealität/ zum IFR) Führen Sie ein kurzes Brainstorming durch zu der Frage 1: „Wie kann man ein Portemonnaie verbessern? “ Anschließend führen Sie ein Brainstorming durch zu der Frage 2: „Wie sieht das ideale Portemonnaie aus? “. Aufgabe 1.3 (zu den 39 technischen Parametern) Überlegen Sie sich am Beispiel einer Waschmaschine mögliche Problemstel‐ lungen, die Sie dann mit Hilfe der 39 technischen Parameter abstrahieren. Aufgabe 1.4 (zu den 40 Innovativen Grundprinzipien) Ihr zu verbesserndes System ist ein Reisekoffer. Überlegen Sie sich mit Hilfe der Prinzipien 15 „Dynamisierung“, Prinzip 25 „Selbstbedienung“ und Prinzip 27 „Billige Kurzlebigkeit“ und Prinzip 30 „Flexible Hüllen und dünne Folien“ Anregungen zur Verbesserung zukünftiger Modelle. Aufgabe 1.5 (zu den physikalischen Widersprüchen und 4 SEP) Formulieren Sie einen physikalischen Widerspruch für einen Kochherd und lösen Sie ihn mit Hilfe eines der Separationsprinzipien auf. <?page no="118"?> Aufgabe 1.6 (zum Operator MZK) Überlegen Sie sich mit Hilfe des Operators MZK mögliche Ausprägungen Ihrer Urlaubsdauer. Der Parameter, den Sie nun den Extremen unterziehen, ist also die Urlaubszeit in Tagen. Wie sähe er aus, wenn er einen Tag dauern würde? Und wie, wenn er drei Wochen lang ist? Und wie, wenn Sie zehn Wochen Urlaubszeit hätten? Und wie, wenn er gar nicht mehr aufhören würde? Aufgabe 1.7 (zur Antizipierenden Fehlererkennung) Überlegen Sie mit Hilfe der typischen Fragestellung der AFE Verbesserungen für eine Brille. Aufgabe 1.8 (zur Effektedatenbank) Schauen Sie sich die Struktur der Effektdatenbank unter www.producti nspiration.com an und versuchen Sie, das Problem der Entfernung von festem Zahnbelag als Funktion zu modellieren und Lösungsansätze heraus‐ zusuchen. Aufgabe 1.9 (zu den Evolutionsgesetzen und der S-Kurve) Verdeutlichen Sie anhand des Beispiels „Computertastatur“ das Evolutions‐ prinzip „Zunehmende Idealität“, indem Sie mindestens drei Entwicklungs‐ stufen formulieren. Aufgabe 1.10 (zu den Trends) Nennen Sie zwei widersprüchliche Trends am Beispiel „Esskultur“ und/ oder „Nahrungsmittel“, die unsere Gesellschaft schon heute prägen. Versuchen Sie dann, aus diesen beiden Extremen ohne Kompromisse ein innovatives Geschäftsmodell abzuleiten, indem Sie beide Trends gleichermaßen in Ihrer Lösung berücksichtigen. 118 Aufgaben/ Fallstudie <?page no="119"?> Fallstudie zu Kapitel 2 Ausgewählt wird das schweizerische Industrieunternehmen Perlen Papier AG (kurz PPA), das in der Zentralschweiz (Raum Luzern) angesiedelt ist und zur CPH Chemie + Papier Holding AG gehört. Es erhielt im Jahre 2005 den IOP-Award für das beste IVM der Schweiz und im Jahre 2011 den entsprechenden IOP-Nachhaltigkeitspreis für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung seines maßgeschneiderten und langfristig außerordent‐ lich leistungsfähigen IVM. Die im Weiteren genannten Zahlen basieren auf dem Referenzjahr 2007. Danach fand ein Wechsel in der KVP-Koordination statt. In diesem Jahr erwirtschaftete die PPA einen Umsatz von rund 240 Millionen Schweizer Franken (CHF) als Produzent von Zeitungsdruckpa‐ pier und einziger Hersteller von Magazin-Papieren in der Schweiz. Das stark exportorientierte Unternehmen beschäftigte seinerzeit rund 400 Mitarbeitende, die im Bezugsjahr 700 Ideen (VV) hervorbrachten. Von 2001 bis 2007 wurden mit den VV der Mitarbeitenden Einsparungen von über 5 Millionen CHF erzielt. Hinzu kommen vielfältige nicht berechenbare Nutzenelemente. Mit welchem IVM-Konzept erreichte die PPA diese ganz ungewöhnlich guten Effizienzwerte? Bis etwa zur Jahrhundertwende verfügte die PPA über ein traditionelles Betriebliches Vorschlagswesen (BVW), das von den Teilnahmeberechtigten nur selten genutzt wurde. Mit dem Eintritt eines neuen Chief Executive Officer (CEO) im Jahre 1999 begann in der PPA ein Kulturwandel. Das bisher sehr konservative und hierarchisch geprägte Unternehmen wurde stark verändert. Von nun an stellte der CEO die Mitarbeitenden sehr deutlich ins Zentrum des Unternehmensgeschehens. Er führte einen Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) ein. Dadurch wurde das traditionelle BVW beinahe unbedeutend und schließ‐ lich abgeschafft. Alle Aktivitäten, die inhaltlich einem IVM entsprachen, wurden nun unter dem Begriff KVP zusammengefasst. Dabei kopierte man nicht ein bekanntes Modell aus dem Ausland oder aus der Literatur, sondern entwickelte eine unternehmensspezifische Variante. Ein Wesensmerkmal des KVP der PPA besteht im „KVP-Haus“ und den darin befindlichen Methoden. Das KVP-Haus umfasst die drei Hauptkomponenten: Fallstudie zu Kapitel 2 119 <?page no="120"?> 1. Einzelvorschlag (individueller Verbesserungsprozess) sowie zwei Vari‐ anten der Verbesserungen im Team, die 2. Kurzmoderation und die 3. Moderation. Einzelvorschläge können alle Mitarbeitenden mittels einer KVP-Verbes‐ serungskarte („grüne Karte“ genannt) jederzeit einreichen. Die zwei Team‐ methoden wurden eingeführt, um möglichst viele Firmenangehörige zur Teilnahme am KVP zu bewegen und die Innovationsbereitschaft möglichst breit abzustützen. Mit der Kurzmoderation wird auf einem speziellen Chart mit Hilfe einer visualisierten Problemlösungsmethode ein Thema bzw. ein Problem syste‐ matisch bearbeitet. Hat ein PPA-Mitglied ein Problem, das es nicht selbst lösen kann, lädt es diejenigen Mitarbeitenden zu einer Kurzmoderation ein, von denen es annimmt, dass sie ihm bei der Problemlösung helfen könnten. Wir können von Ad-hoc-Teams sprechen. Inzwischen wird seit Jahren diese Problemlösungsmethode auf allen Hierarchiestufen intern geschult und erfolgreich angewendet. Eine Moderation umfasst mehrere Sitzungen und wird bei komplexeren Problemstellungen angewandt. Ein zentrales Gestaltungsprinzip im KVP der PPA ist das Vorgesetzten‐ modell. Mit dem Vorgesetztenmodell wird das organisatorische Prinzip der Dezentralisierung realisiert und die Führungsverantwortung aller Linien‐ kräfte für den KVM der PPA hervorgehoben. Die Organisation der PPA betont auch die Prozessverantwortung der Führungskräfte. Zusätzlich zu den Vorgesetzten tragen weitere Aufgabenträger zum Erfolg des KVP bei. Ein KVP-Koordinator überwacht die Funktionsweise des KVP mit Blick auf das Gesamtunternehmen und gibt Impulse für die Weiterentwicklung. Der dezentrale Charakter des KVP der PPA wird durch weitere rund 100 Mitgestalter eindrucksvoll belegt: Es gibt 21 sogenannte „Tafelbetreuer“ und rund 80 ausgebildete Moderatoren. Die Tafelbetreuer unterstützen die jeweiligen Vorgesetzten von Organisationseinheiten in ihrer KVP-Tätigkeit, koordinieren die KVP-Arbeit im eigenen Team, sorgen für die Information und Visualisierung an der speziellen Tafel und pflegen die KVP-Datenbank ihrer Organisationseinheit. Sie arbeiten überdies eng mit dem KVP-Koor‐ dinator zusammen. Dieser organisiert in jedem Quartal ein Treffen aller Tafelbetreuer zum gegenseitigen Erfahrungs- und Informationsaustausch. 120 Aufgaben/ Fallstudie <?page no="121"?> Hat ein Arbeitnehmer der PPA eine Idee mittels der „grünen Karte“ an die Tafel geheftet, tritt der Tafelbetreuer in Aktion. Er nimmt diese Ideenkarte an sich, gibt diesen VV in seine Datenbank ein, sucht bei eventuellen Unklarheiten das direkte Gespräch mit dem Einreicher und gegebenenfalls auch mit dessen direktem Vorgesetzten. Wenn er vom Nutzen des VV überzeugt ist, sorgt er selbst für die Umsetzung der eingereichten Idee. Jedem Tafelbetreuer steht ein Budget zur Verfügung, womit er kleinere Verbesserungen direkt realisieren kann. Komplexe VV werden der zustän‐ digen Abteilung bzw. weiteren Organisationseinheiten weitergeleitet und von den dortigen Vorgesetzten an die Hand genommen. Aus der bisherigen Falldarstellung wird deutlich: Die Organisation des KVP der PPA führt zu einer schnellen und unkomplizierten Umsetzung von Ideen möglichst vieler Mitarbeiter. Die eingangs genannte Beteiligungsquote spricht für sich, insbesondere wenn man diese mit den Werten der nationalen Statistik vergleicht. Weitere Erfolgsfaktoren liegen in der Unternehmenskultur. Nach Aussage des seinerzeit zuständigen KVP-Koordinators hat man den Zustand erreicht, dass die PPA-Mitglieder nicht mehr in eng abgegrenzten „Gärtchen“ denken. Die Teamarbeit wird durchgängig gepflegt. Man legt Wert auf die Integration möglichst aller Arbeitnehmer in den KVP und investiert in die Schulung auf dem Gebiet der Ideenentwicklung. Inzwischen hat sich nicht zuletzt aufgrund der erreichten Erfolge ein gewis‐ ser Stolz auf dieses selbst entwickelte und kultivierte System des IVM bei der Mitarbeiterschaft der PPA entfaltet. Die externen Auszeichnungen (sie werden auf der Firmen-Homepage erwähnt) und die anerkennenden Presse‐ berichte verstärken diese Identifikation. Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bei erheblichem Konkurrenzdruck durch ausländische Wettbewer‐ ber hat das Unternehmen PPA sein KVP aufrechterhalten und weiterhin neuen Entwicklungen erfolgreich angepasst (vgl. auch den Geschäftsbericht 2011 der CPH Chemie + Papier Holding AG). Eine Verknüpfung mit der Arbeitssicherheit ist angedacht. Dagegen ist ein Einbezug von Kunden und Lieferanten in dieses IVM nicht vorgesehen. Aufgabenstellung: Analysieren Sie unter Bezugnahme auf den knappen Falltext (sowie ggf. weiterer Internetrecherchen: www.perlenpapier.ch) und auf die im ganzen Kapitel genannten allgemeingültigen Effizienzgrößen und Gestaltungsele‐ mente für ein IVM, welche Gründe den ungewöhnlichen und nachhaltigen Erfolg des KVP dieses Industrieunternehmens erklären können. Fallstudie zu Kapitel 2 121 <?page no="122"?> Fragen zu Kapitel 3 1. Definieren Sie den Begriff „Kreativität“. 2. Durch was entstand in den 1960er Jahren die Kreativitätsforschung? 3. Auf welchen vier Bereichen basiert die anwendungsorientierte Kreati‐ vitätsforschung? 4. Was versteht man unter dem Hemisphären-Modell? 5. Inwiefern können Kreativitätstechniken die Kreativität fördern? 6. Welche drei wesentlichen Einflussfaktoren wirken auf die kreative Person ein? 7. Welche drei Phasen umfasst der kreative Prozess? 8. Inwiefern wirkt sich das kreative Umfeld auf die Kreativität aus? 9. Erklären Sie den Unterschied zwischen intuitiven und diskursiven Kreativitätstechniken. 10. Skizzieren Sie kurz den Brainstroming-Prozess. 11. Was versteht man unter Brainwriting? 12. Erläutern Sie die Vorgehensweise der Methode 6-3-5. 13. Welches sind die drei grundlegenden Charakteristika der Synektik? 14. Beschreiben Sie die Reizwortanalyse. 15. Bei welcher Problemstellung lässt sich das Attribute-Listing einsetzen? 122 Aufgaben/ Fallstudie <?page no="123"?> Lösungen/ Lösungshinweise Lösungsskizzen zu Kapitel 1 Lösung 1.1 Neben den rein physischen Systembestandteilen wie Becken, Abfluss, Ab‐ flussrohr, Stöpsel und Wasserhahn weist die Ressourcen-Art „Felder“ auch auf den beim Abfließen des Wassers entstehenden Luftsog hin. Dieser könnte auch genutzt werden, um unerwünschte Gerüche aus der Küche mitzuziehen, beispielsweise eines darunter platzierten Mülleimers. Ohne die Ressourcen-Checkliste hätte man diese Ressource womöglich übersehen. Lösung 1.2 Die Qualität der Antworten zu Frage 1 und 2 dürften sich erheblich un‐ terscheiden. Es dürfte erkennbar sein, dass das ideale Endresultat eine universelle Zielvereinbarung ist, die weitgehend zeit- und marktunabhängig gültig ist. Das IFR bewirkt Fragen wie: ■ Wie können wir den Nutzen vergrößern? ■ Wie können wir Kosten reduzieren? ■ Wie können wir Schäden verringern bzw. vermeiden? ■ Was hindert uns daran, dem IFR einen Schritt näher zu kommen? Während man sich also bei Frage 1 sehr eng am Portemonnaie orientiert, und beispielsweise den Verschließmechanismus, die Haptik und die Fä‐ cheraufteilung verbessern will, beantwortet man Frage 2 mit Ideen wie: „Unverlierbarkeit“, jederzeit ausreichendes und passendes Geld dabei (nie leer). Der Weg zur Kreditkarte scheint deutlicher hervorzutreten als bei den Antworten zu Aufgabe 1.1. Lösung 1.3 Die Waschmaschine soll groß genug sein, um dem Bedarf einer Familie mit zwei Kindern gerecht zu werden, gleichzeitig aber wenig Energie <?page no="124"?> verbrauchen (Volumen vs. Energieverbrauch). Die Waschmaschine soll ein großes Fassungsvermögen haben, aber wenig Stellfläche einnehmen (Volumen vs. Fläche). Die Waschmaschine soll eine hohe Schleuderdrehzahl aufweisen, gleichzeitig aber wenig Energie verbrauchen. (Leistung vs. En‐ ergieverbrauch). Lösung 1.4 Folgende Ideen könnten genannt werden. ■ Prinzip 15 „Dynamisierung“: Der Koffer ist verstellbar, um sich auf die individuelle Reisegepäckmenge anpassen zu lassen. ■ Prinzip 25 „Selbstbedienung“: Der Koffer kann beim Ziehen die Energie der Rollen speichern und bei Bedarf die Energie wieder abgeben, so dass er von selbst fahren kann. Das erleichtert den Transport. ■ Prinzip 27 „Billige Kurzlebigkeit“: Ein Einmalkoffer aus Pappe, der nach Gebrauch weggeworfen wird, löst das Problem des Verstauens. ■ Prinzip 30 „Flexible Hüllen und dünne Folien“: Der Koffer besteht aus einer dünnen Folie, beispielsweise einer elastischen Kunststoffhülle. Nach Einlegen der Kleidung wird durch Herauspumpen der Luft ein Vakuum erzeugt, der Inhalt stabilisiert sich selbst und fixiert gleichzeitig die Lage der Kleidung. Lösung 1.5 Die Heizplatte soll groß und klein sein: groß, um große Töpfe zu befeuern, klein, damit man sich an übergroßen Platten nicht verbrennt. Auflösung des Widerspruchs mit Hilfe des Prinzips „Separation im Raum“: Die Herdplatte heizt prinzipiell überall auf der gesamten Herdfläche, tatsächlich wird aber nur dort Wärme erzeugt, wo ein Topfboden zu stehen kommt. Verschiebt man den Topf auf der Fläche, „wandert“ das Wärmefeld einfach mit, bei‐ spielsweise basierend auf magnetischer Induktion. Lösung 1.6 Sicherlich kippt bei der Vorstellung des nie aufhörenden Urlaubs die Begeis‐ terung in ihr Gegenteil, und Sie sind womöglich doch recht froh, ihren 124 Lösungen/ Lösungshinweise <?page no="125"?> Urlaub noch als solchen wahrzunehmen, bettet er sich doch in eine aktive Berufsphase als Unterbrechung ein und nicht umgekehrt. Lösung 1.7 Um die Funktion der Brille „Lichtbrechung auf der Netzhaut erzeugen“ zu stören, wäre die Eintrübung der Gläser durch Schmutz oder Regen, der schlechte Sitz vor den Augen und das Vergessen der Brille selbst denkbar. Sicherlich wäre es bereits eine Verbesserung, wenn Brillengläser schmutz- und wasserabweisend wären. Über weitere Verbesserungen, beispielsweise durch reaktive Anpassung des Brechungsindex der Gläser an die jeweilige Nah- oder Fernsicht-Situation, wird bereits nachgedacht, beispielsweise auch durch die Idee, das Brillenglas elektrochromatisch anzuregen, so wie es bereits für Fensterglas verfügbar ist, oder eine Glashülle mit Flüssigkeit zu füllen, die auf ein elektrisches Feld reagiert. Lösung 1.8 Unter „Move a solid“ als abstrakte Funktion der Entfernung von Zahnbelag finden sich dann mehr als 30 naturwissenschaftliche Effekte, die prinzipiell dazu geeignet sind, einen Feststoff von einer Oberfläche zu entfernen. Diese Effekte-Auswahl kann nun auf ihre Anwendbarkeit für das Entfernen von Zahnbelag geprüft werden. Möglicherweise finden sich unter Stichworten wie Vibration und Ionisierung nicht nur aktuelle sondern auch zukünftige Lösungen zur Zahnbürste. Lösung 1.9 1. Starre Tastatur als Bestandteil des Computerbildschirms, 2. Tastatur als separates Element mit Kabelverbindung zum Computer, 3. Klappbare Tastatur mit Gelenken, 4. Zusammenrollbare, elastische Tastatur mit Funkverbindung, 5. Virtuelle, projizierte Tastatur auf Basis von Lichtfeldern und -sensoren. Als alternative S-Kurven sind Sprachsteuerungen, Erkennung von Gesten und sogar Gedanken zu erwarten. Lösungsskizzen zu Kapitel 1 125 <?page no="126"?> Lösung 1.10 Ein Trend ist wohl in Form der zunehmenden Fast-Food-Kultur zu erkennen, der auf weniger Zeit zum Einkaufen und/ oder Geschick beim Zubereiten von frischen Mahlzeiten beruht. Ein gegenläufiger Trend ist der eines wachsen‐ den Gesundheits- und Körperbewusstseins. Beide Trends zusammen lassen erwarten, dass Konsumenten sich möglicherweise frische, gleichwohl vor‐ konfektionierte Zutaten wünschen, die zeitgenau ins Haus geliefert werden und in kurzer Zeit unter Befolgung einer genauen Zubereitungsanleitung ein schmackhaftes Gericht ergeben. Der aktuelle Hype um Lieferdienste war also durchaus vorhersagbar. Lösungsskizze zu Fallstudie aus Kapitel 2 Es wird nur eine Lösungsskizze aufgezeigt, um die Verbindung zwischen Kapitel- und Falltext herzustellen. Die Firma PPA hat sich zu einem erheblichen, letztlich radikalen Reform‐ schritt entschieden. Sie schaffte das konventionelle (unergiebige) BVW ab und entschied sich für einen Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP). Es handelt sich um eine zeitgerechte und firmenindividuelle Form des IVM. Angestrebt werden offensichtlich ökonomische und soziale Ziele. Aus dem Falltext wird deutlich, dass man Einsparungen anstrebt und über das KVP den Teamgedanken pflegen will. Enges individualistisches Denken oder Abgrenzungen gegen Nachbarabteilungen etc. sollen überwunden werden. Die zwei erwähnten Effizienzkriterien sind überaus eindrucksvoll. 700 Ideen auf 400 Mitarbeitende entsprechen einer Beteiligungsquote von 175 Prozent. Damit ist die Bezeichnung KVP gerechtfertigt. Über 5 Millionen CHF in 6 Jahren einzusparen, ist ein erheblicher wirtschaftlicher Erfolg. Hinzu kommt der nicht berechenbare Nutzen. Viele Personen erhielten Schulungen. Die üblichen Fähigkeits-, Willens- und Risikobarrieren scheinen weitest‐ gehend überwunden zu sein. Jeder macht mit. Es ist einfach, eine grüne Karte mit einer Verbesserungsidee an die Tafel zu befestigen. Die Moderationen kürzerer und längerer Art schaffen ein kreativitätsförderliches Klima. Die Angst, sich zu blamieren, wird sehr niedrig gehalten. Rund 100 der 400 126 Lösungen/ Lösungshinweise <?page no="127"?> Arbeitnehmer übernehmen zumindest zeitweise eine aktive Rolle in diesem KVP. Aufwändige Werbekampagnen sind nicht mehr nötig. Alle kennen dieses Führungskonzept und beteiligen sich daran. Über das Anreizsystem wird im Falltext nicht im Detail gesprochen. Das Unternehmen hebt jeweils die Einsparungen hervor (z. B. 523.680 CHF durch Ausschussmengenreduktion im Jahre 2011 laut cph news, der Haus‐ zeitschrift im Dezember 2011). Das rein Materielle scheint jedenfalls nicht im Vordergrund zu stehen. Dieses KVP ist Teil der gelebten Unternehmenskul‐ tur geworden, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wertschätzung für alle Beteiligten, Förderung des Teamgeistes und Stolz auf das bisher Erreichte sowie externe Anerkennungen betonen die immaterielle Seite des Anreizsystems. Die Organisation dieses KVP ist zweifellos ein starker Erfolgsfaktor. Die Dezentralisierung wird mit größter Konsequenz vollzogen. Zusätzlich gibt es eine zentrale Koordination, die vor allem der Weiterentwicklung und dem Erfahrungsaustausch dient. Das Vorgesetztenmodell funktioniert in spezieller Form. Den Vorgesetzten sind hilfreiche Tafelbetreuer (dezen‐ trale KVP-Förderer) und Moderatoren zugeordnet. Vieles wird sehr schnell dezentral umgesetzt. Eine aufwändige Gremienarbeit existiert nicht. Die Aufgabenträger haben auch die erforderlichen Kompetenzen (z. B. ein eigenes Budget) und Fähigkeiten dank gezielter Schulung. Der CEO ist wahrscheinlich der oberste Promotor des ganzen KVP-Systems, weil dieses seinem Menschenbild entspricht und seine Vorstellung von der passenden Unternehmenskultur für die PPA im Arbeitsalltag wirkungsvoll umsetzt. Die Vorgesetzten aller Hierarchiestufen tragen das Konzept mit. Es ist nicht nötig, Arbeitnehmervertretungen formell einzubinden, jeder kann selbst mitwirken und in gewisser Weise auch mitbestimmen, weil seine Ideen ernst genommen werden und zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und der Qualität des Arbeitslebens beitragen. Die Firma PPA erhielt den Nachhaltigkeitspreis (IOP-Sustainability- Award 2011), weil die Anstrengungen, ein solches maßgeschneidertes KVP zu implementieren, nicht nach wenigen Jahren nachließen. Man hat auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten (siehe Presseberichte; vgl. auch www.i op.unibe.ch -> IOP in den Medien -> Printmedien 2011) durchgehalten und betreibt das neue KVP nunmehr seit rund einem Dutzend Jahren. Lösungsskizze zu Fallstudie aus Kapitel 2 127 <?page no="128"?> Lösungshinweise zu Kapitel 3 Die Antworten lassen sich aus folgender Übersicht erschließen. 128 Lösungen/ Lösungshinweise <?page no="129"?> Literaturverzeichnis Altschuller, G. S.: Erfinden - Wege zur Lösung technischer Probleme. Limitierter Nachdruck der 2. Auflage. Hrsg.: Prof. Dr. M. Möhrle, Cottbus: PI - Planung und Innovation. 1998 Altshuller, G. S.: And Suddenly the Inventor Appeared. TRIZ, The Theory of Inven‐ tive Problem Solving. Hrsg.: Shulyak, L. 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Erstellt man eine Analogie, so überträgt man einen Sachverhalt auf eine andere Situation, wodurch ein gewisser Anstand zum Problem/ Sachverhalt gewonnen wird und dadurch eine gewollte Verfremdung stattfindet. Assoziation: Eine Assoziation ist eine gedankliche Verbindung. Diese sind perso‐ nenindividuell - so denkt der eine bei Eiscreme beispielsweise an Sommerurlaub, ein anderer an die Mandel-Operation im letzten Jahr. Assoziationen sind also Gedanken, Einfälle, Ideen, Erinnerungen, Geschichten, die plötzlich im Zusam‐ menhang mit einem Wort oder einem Ereignis wieder einfallen. Erfindung: Eine Erfindung ist die Kreierung eines qualitativ neuartigen, techni‐ schen Sachsystems, auf der Grundlage der Naturwissenschaften, das idealweise die technische Entwicklung im Sinne der technischen Ontogenese voranbringt. Die Basis der Erfindung ist das wissensbasierte Humankapital des Erfinders. Erfindungen können patentfähig sein und zu einer Innovation in einem Unter‐ nehmen führen. Evolution: Unter Evolution wird das Entstehen neuer, aber auch Wachsen bereits entstandener Muster in Richtung aufsteigender Komplexität und Vernetzung von Elementen und Systemen in der Wirklichkeit verstanden. Eigentum, geistiges: (auch: intellectual property) Eine Rechtsposition, die dem Erfinder, Urheber, Erzeuger - ebenso wie das materielle Eigentum an einem Gegenstand - das Recht zugeordnet, seine geistige, immaterielle Leistung (tech‐ nische Erfindung, ästhetische Gestaltung, literarisch/ künstlerische Produktion) wirtschaftlich verwerten bzw. Übertragen zu können und jeden Nichtberechtig‐ ten Dritten von diesem Eigentumsrecht auszuschließen. Ideenmanagement: In der Fachliteratur (vgl. Literaturhinweise) bezeichnet man als Ideenmanagement ein integriertes Konzept, das verschiedene Instrumente der Ideengewinnung und -weiterverarbeitung vernetzt. Es kann beispielsweise In‐ strumente wie das BVW, Qualitätszirkel, den Kontinuierlichen Verbesserungspro‐ zess (KVP), das Patentwesen, Projektteams mit innovativer Aufgabenstellung und dergleichen zu einem ganzheitlichen System vereinen. Das Ideenmanagement in diesem Sinne bildet ein überspannendes Dach über verschiedene Instrumente mit <?page no="136"?> ähnlicher Zielsetzung und ist für die Integration neuer Instrumente der Kreativi‐ tätsförderung sowie den Einsatz neuer Technologien (z.-B. Internetplattformen) stets offen. In der Sprache der Praktiker (z.-B. viele Ideenmanager, die auch Artikel in Betriebs- und Fachzeitschriften verfassen) ist das Ideenmanagement dagegen viel enger konzipiert und steht als neuer Terminus für ein erheblich modernisiertes BVW. Es soll weniger bürokratisch und zentralistisch funktionie‐ ren, ein überbordendes Gremienwesen zurückbinden, das Vorgesetztenmodell verwirklichen und sich dem KVP annähern. Letzteres bedeutet den Übergang von einem punktuellen zum kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Entspre‐ chend der ursprünglich japanischen „Kaizen-Philosophie“ soll nicht auf einen kurzfristigen Aktionismus (Werbekampagne, Anstieg der Beteiligungsquote und danach wieder erheblicher Rückgang derselben) abgestellt werden. Vielmehr wird vermehrt auf eine zwar langsame, aber niemals endende Vervollkommnung in sämtlichen Unternehmensbereichen gesetzt. Einige Unternehmen nennen gleich ihr runderneuertes Ideenmanagement „KVP“ (vgl. das Fallunternehmen Perlen Papier AG) oder „Kaizen“ (z.-B. die Schweizerischen Bundesbahnen). Die neue Bezeichnung „Ideenmanagement“, welche inzwischen auch von vielen Fachverbänden und Fachzeitschriften verwendet wird, hat für die Berufspraktiker in diesem Betätigungsfeld gleich mehrere Vorteile: Der Terminus „Ideenmanage‐ ment“ ist in vielen wichtigen Sprachen ähnlich klingend sowie unmittelbar verständlich. Er signalisiert eine deutliche Abkehr vom traditionellen BVW. Weiterhin betont er, dass es sich bei der Gestaltung und laufenden Steuerung dieses Managementkonzeptes um eine echte Führungsaufgabe handelt (weg von der Verwaltung zufällig eingehender VV, hin zur aktiven Gestaltung eines reichen und breiten Ideenflusses). Schließlich sind Ideen die Grundlage jedes Innovationsprozesses, der zu Produkt-, Verfahrens- und Sozialinnovationen füh‐ ren kann. Das Ideenmanagement ist damit anschlussfähig an umfassendere Managementkonzepte. Ideen-und Verbesserungsmanagement (IVM): In dieser Begriffskombination, welche der Verfasser im vorliegenden Beitrag vorzugsweise zur Bezeichnung des neuzeitlichen Entwicklungsstandes im behandelten Managementkonzept verwendet, werden zunächst die dargelegten Aussagen zum Ideenmanagement aufgenommen (siehe die vorgängige Kurzbeschreibung). Ergänzt wird diese Komponente um den Begriff „Verbesserungsmanagement“. Dieser betont stärker die Umsetzung von Ideen (VV) und die betriebswirtschaftlich damit angestrebte Wirkung, d.-h. den finalen Zweck aller Aktivitäten im Rahmen dieses Mana‐ gementkonzeptes, das einen Nettonutzen ergeben muss, welcher sicher alle 136 Glossar <?page no="137"?> Aufwendungen für die Errichtung und den Betrieb des Gesamtsystems IVM klar übersteigt. Illumination: Die Illumination gehört zur intuitiven (zweiten) Phase des kreativen Prozesses. Diese folgt nach der Vorbereitungsphase (Zerlegung des Problems) und unterteilt sich in de Inkubation (Entfremdung) und Illumination (Erleuchtung). Während der Inkubation soll das Problem an das Unterbewusste abgegeben werden - die rechte Hemisphäre (Gehirnhälfte) wird bei parallel starkem Einsatz der linken Hemisphäre benutzt, wodurch gleichzeitig zahlreiche Informationen verarbeitet werden. Daran knüpft die Illumination an - Geistesblitze entstehen und dadurch auch schon erste Lösungsansätze - wenn auch noch wenig detail‐ liert. Innovation: Innovation ist die Kombination aus Idee, erfinderischer Umsetzung und Markterfolg. Bleibt der Markterfolg aus, spricht man von einem Flop. Eine Idee allein nützt nichts, da sie nicht umgesetzt wurde. Formel: Innovation = (Idee + Erfinderische Umsetzung) x Markterfolg. Innovationsforschung: Die Innovationsforschung beschäftigt sich mit der Be‐ schreibung und Erarbeitung von Erklärungsansätzen für die Entstehung von Innovationen als Grundlage für die Ableitung von Gestaltungsempfehlungen für Innovationsprozesse. Im Hinblick auf die hohe wirtschaftliche Bedeutung der In‐ novation besitzt die Innovationsforschung neben der volkswirtschaftlichen eine ausgeprägte betriebswirtschaftliche Orientierung, wobei u. a. folgende Fragestel‐ lungen im Vordergrund stehen: (1) Woher kommen die Anstöße für erfolgreiche Innovationen? (2) Welche Erfolgsfaktoren bestimmen die innerbetriebliche Reali‐ sierung von Innovationen? (3) Welche Faktoren bestimmen den Markterfolg eines neuen Produktes? (4) Wie planen, organisieren und kontrollieren erfolgreiche Unternehmen den Produktplanungs- und -entwicklungsprozess? (5) Wie können potenzielle Kundenprobleme erkannt und in Innovationsprojekten berücksichtigt werden? Zur Beantwortung dieser Fragen versucht die Innovationsforschung durch empirische Untersuchungen Kenntnisse über Innovationsprozesse zu er‐ weitern und zu vertiefen. Die Innovationsforschung ist eine vergleichsweise junge Disziplin und hat bereits sehr wesentliche und für die Gestaltung und Durchführung von Innovationsprozessen in der Praxis hilfreiche Ergebnisse erarbeitet, jedoch ohne dass eine „Theorie der Innovation“ existiert. In Anbetracht der Ambivalenz insbesondere der technischen Innovationen wird in jüngster Zeit Innovationsforschung häufig verbunden mit Wirkungsforschung, welche vor allem mit der Entwicklung von zum Teil sehr umfassenden Konzepten wie der Technologiefolgenabschätzung, der Technikbewertung oder der Technikwir‐ kungsanalyse beschäftigt ist. Glossar 137 <?page no="138"?> Innovationsmanagement: Innovationsmanagement umfasst alle Planungs-, Ent‐ scheidungs-, Organisations-und Personal- und Controlling-Aufgaben im Hin‐ blick auf die Generierung vom wissensbasierten Humankapital, die Umsetzung von neuen Ideen in Erfindungen, Prototypen, evtl. Patente, insbesondere Prozess‐ innovationen in technologieorientiertes Humankapital sowie wettbewerbsfähige und marktadäquate Innovationen, überprüfbar durch Innovationserfolgsrech‐ nungen, und die Begleitung des Diffusionsprozesses der Innovationen durch ein strategiekonformes Innovationsmarketing. Innovationswiderstände: Innovationswiderstände verzögern oder gefährden den Innovationsprozess. Ursachen können bei den Kunden aber auch bei anderen Marktteilnehmern und bei den Unternehmen selbst liegen. Nicht immer setzen sich nützliche Produkte von selbst durch. Alle Beteiligten, vom Unternehmens‐ mitarbeiter über die Konkurrenz bis zum Kunden, unterliegen der Macht der eigenen Gewohnheit, Vorlieben und Kenntnissen. Intuition: Das Wort Intuition stammt vom lateinischen Wort „intueri“ ab und bedeutet „anschauen, betrachten, erwägen“. Intuition steht deshalb auch für ein spontanes, ganzheitliches Erkennen oder Wahrnehmen. Unter Intuition verstehen wir in der Regel Gedanken oder Eingaben, welche auf unserem Unterbewusstsein beruhen und ohne Reflexion (Nachdenken) zustande kommen. Intuitive Gedankenblitze, Gefühle oder Ideen lassen sich nicht rational erklären. Intuitive Wahrnehmung tritt oft dann auf, wenn jemand sich einer Tätigkeit oder Gedanken voll hingeben kann, wenn jemand in der entsprechenden Tätigkeit in den Flowkanal kommt. Als Synonyme für die Intuition werden oft Instinkt, Eingebung, Gedankenblitz, Geistesblitz, sechster Sinn, usw. genannt. Invention: Eine Invention wird als eine Erfindung verstanden, die sich im Ideen‐ stadium befindet und für die es noch keine ersten Vermarktungsschritte gibt. Kompromiss: Ein Kompromiss ist eine Lösung, die unter Verzicht auf einen Teil der sich widersprechenden Anforderungen zweier Seiten ein Mittelmaß formuliert, mit dem versucht wird, beide Seiten halbwegs zufrieden zu stellen. Konzept: Konzipieren ist die Phase in der Produktkonstruktion, die nach dem Klären der Aufgabenstellung durch Abstrahieren, Aufstellen von lösungsneutra‐ len Funktionsstrukturen und Suchen nach geeigneten Lösungsprinzipien den grundsätzlichen Lösungsweg festlegt. Das Konzept bestimmt maßgeblich den späteren Produkterfolg. Kreativität: Kreativität leitet sich vom lateinischen Begriff „creare“ (erschaffen) ab und hat vielfältige Facetten: Kreativität bedeutet die Fähigkeit, neue nützliche Ideen als Reaktion auf Probleme oder Bedürfnisse hervorzubringen. Zum anderen bedeutet Kreativität das Ausbrechen aus verkrusteten Denkstrukturen. Dabei ist 138 Glossar <?page no="139"?> eine kreative Leistung eine Neukombination von bekanntem Wissen.Kreativität bezeichnet unlängst eine Strategie zur erfolgreichen Umweltbewältigung durch Problemlösungen. Demnach ist Kreativität die Fähigkeit, neue Lösungen bzw. neue Ideen zu finden. Kreativitätsforschung: Die systematische Erforschung der menschlichen Kreati‐ vität setzte erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein. Die ursprüngliche Zielsetzung war pädagogischer Natur: Man versuchte Instrumente zu entwickeln, die eine bessere Förderung und Beurteilung der Begabung von Schülern ermög‐ lichen sollte. Motiviert war diese Fragestellung politisch, durch den kalten Krieg - zu nennen sei hier der „Sputnik-Schock“ und die Instrumentalisierung von Wissenschaft und Technik im Systemwettbewerb. Das Interesse an Fragen nach der menschlichen Kreativität und ihrer Förderung hat sich stark ausgeweitet. Nach den enttäuschenden Ergebnissen des Versuches, kreative Leistungen durch geeignete Tests zu messen, ging das Interesse und die Forschungsförderung deutlich zurück. In den 80er Jahren wuchs das Interesse an Fragen der Kreativität wieder stetig, zunächst in der Wirtschaft, dann auch in der breiten Öffentlichkeit. Zugleich fand damit auch eine thematische Ausweitung statt: Kreativität wurde nun nicht mehr nur als besondere Form intelligenter Leistung erkannt, sondern als ein motivierter, keineswegs nur kognitiver Prozess, der sehr stark von äußeren und sozialen Bedingungen abhängt. Dies lief einher mit einem Boom in der Propagierung von Kreativitätstechniken. Derzeit kann man eine allgemeine Differenzierung der Kreativitätsforschung erkennen: Wirtschaftswissenschaften, Biologie und Hirnforschung, Soziologie, europäische und interkulturelle Philo‐ sophie, sowie die Erforschung der künstlichen Intelligenz beschäftigen sich mit diesem Themenkomplex.Der Begriff der Kreativität wird deutlich erweitert und ist zu einem Schlagwort geworden: Man entdeckt Kreativität nicht nur bei beson‐ deren kognitiven Leistungen, sondern in vielen alltäglichen Verhaltensweisen: beispielsweise bei Emotionen und schreibt sie mittlerweile auch Tieren, Maschi‐ nen und dem Kosmos zu. (Brodbeck: Neue Trends in der Kreativitätsforschung (2006)). Kreativitätstechniken: Zur Ideenfindung stehen zahlreiche Ideenfindungsinstru‐ mente zur Verfügung, die auch als Kreativitätstechniken bezeichnet werden. Diese lassen sich auf unterschiedliche Art und Weise unterteilen, bspw. in systematische und intuitive Methoden. Lebenszyklus: Der Lebenszyklus von Produkten (Unternehmen etc.) umfasst die Zeit von Markteinführung bis Marktaustritt. Er kann extrem kurz sein („Flop“) oder sehr lang (insbesondere durch zahlreich Relaunches). Der idealtypische Produktlebenszyklus weist typische Phasen auf (Einführung, Wachstum, Reife, Glossar 139 <?page no="140"?> Sättigung, Degeneration u.ä.). Innovationen müssen auf einen angemessenen Lebenszyklus aus Innovationsphase und „Normal“produktphase abzielen. Oxymoron: Ein Oxymoron ist eine rhetorische Stilfigur bestehend aus einer Formulierung, die zwei gegensätzliche, einander widersprechende oder sich gegenseitig ausschließende Begriffe vereint, wie „heißes Feuer“, „Hassliebe“ oder „stummer Schrei“. Paradoxon: Ein Paradoxon ist ein scheinbar oder tatsächlich unauflösbarer Wider‐ spruch. Parameter: Einzelne Dimensionen eines Bereiches - Beispiel Musik: Tonhöhe, Lautstärke, Klangdichte, Klangfarbe etc. Perpetuum mobile ist eine Maschine, die, einmal in Bewegung gesetzt, ständig in Bewegung bleibt. Da das Konzept den Energieerhaltungssätzen widerspricht, ist es nicht in die Realität umsetzbar. Eine Maschine kann also keine Arbeit verrichten oder Energie bereitstellen, ohne dass Energie von außen zugeführt wird. Produkt-Markt-Kombination: Eine Produkt-Markt-Kombination ist die Zusam‐ menführung von ausgewählten Marktsegmenten nach geographischen und Ziel‐ gruppengesichtspunkten mit konkreten Angeboten, im Innovationsmarketing mit dem innovativen Angebot. Synektik: Die Synektik zählt zu den Kreativitätstechniken und wurde von dem Amerikaner William Gordon auf Grundlage intensiver Studien über Denk- und Problemlösungsprozesse entwickelt. Sie überträgt problemfremde Strukturen beziehungsweise kombiniert sachlich unzusammenhängende Wissenselemente. Dieses heuristische Prinzip ist formal identisch mit der verbreiteten Auffassung über das Wesen kreativer Akte, nämlich der Reorganisation von unterschiedli‐ chem Wissen zu neuen Mustern. Aus diesem Vorgang leitet sich auch der Name der Methode ab: „synechein“ ist griechisch und bedeutet „etwas miteinander in Verbindung bringen; verknüpfen.“ Traditionelles Betriebliches Vorschlagswesen (BVW): Dieses BVW entwi‐ ckelte sich Ende des 19.-Jahrhunderts mit der zunehmenden Industrialisierung und wurde mehrheitlich bis in die 90er Jahre des 20.-Jahrhunderts weiterent‐ wickelt (auch in rechtlicher und informationstechnischer Hinsicht) und ange‐ wendet. Sehr vereinfacht dargestellt, funktionierte das traditionelle BVW wie folgt: Verbesserungsvorschläge (VV) werden von teilnahmeberechtigten Arbeit‐ nehmern bei einem zentral positionierten BVW-Beauftragten eingereicht. Die‐ ser übernimmt ab diesem Zeitpunkt die Verwaltung und Steuerung der VV- Bearbeitung bis zur Ablehnung oder Umsetzung des VV. Der BVW-Beauftragte prüft den VV hinsichtlich formeller Voraussetzungen und leitet ihn an einen 140 Glossar <?page no="141"?> Fachgutachter weiter. Im positiven Fall geht der Prozess weiter und der VV kommt zusammen mit dem Fachgutachten in eine Prüfungs- und Bewertungskommis‐ sion, zusammengesetzt aus Vertretern des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer. Diese Kommission entscheidet über die Annahme und Honorierung des VV. Die Unternehmensleitung bestätigt den Kommissionsantrag und veranlasst über die Hierarchie ihrer Führungskräfte die Umsetzung des VV und die Honorierung des VV-Einreichers. Die administrative Prozessabwicklung (neuerdings auch ITgestützt) liegt beim BVW-Beauftragten. Dieser kann im Rahmen seines Budgets auch Werbemaßnahmen zur Steigerung der VV-Einreichungen veranlassen. Der Beauftragte führt Statistiken z.-B. über die Beteiligungs-, Annahme- und Durch‐ führungsquoten und kann Beiträge zur besseren Effizienz der VV-Bearbeitung (z. B. gut begründete Ablehnungen bzw. nutzensteigernde Umsetzungen) leisten. Die Kritiker dieses BVW bemängelten u.-a. die Umgehung des Dienstweges, die Schwerfälligkeit des Verfahrens (bis hin zu Einspruchsverfahren) und die Vernachlässigung des Teamgedankens (erlaubt waren allerdings spontane, nicht organisierte Einreichergemeinschaften). Die Beteiligungsquoten erreichten im Landesdurchschnitt nur selten eine beachtliche Höhe. Der Kerngedanke des tra‐ ditionellen BVW wurde auch in neueren Konzepten erhalten: Jeder Arbeitnehmer hat die Chance, durch eigene VV sein Arbeitsumfeld, die betrieblichen Zustände und Beziehungen des Betriebes mit seinem Umsystem (z.-B. Kunden, Behörden, Lieferanten) zu verbessern. Für diese Sonderleistung hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine angemessene Honorierung. Unternehmenskultur: Hinter der innovationsfördernden Unternehmenskultur steht ein organisatorisches Paradoxon, nämlich zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen und alte zu zerstören. Zum einen versucht die Unternehmenskultur durch organisatorische Regelungen und Vorschriften im Sinne des Corporate Identity, aber auch mit Ritualen und Riten eine Stabilisierung der Arbeitsge‐ wohnheiten der Organisationskultur bei den Mitarbeitern zu erzielen, fasst wie eine ordnungsstiftende und beruhigende Staatsreligion. Auf der anderen Seite muss die Unternehmenskultur und Organisation durch Innovationen bzw. neuartige Produkte permanent verändert werden, z.-B. durch die Überführung wissensbasierten Humankapitals in technologisches Humankapital mittels Per‐ sonalentwicklungsmaßnahmen und einem Change Management, d-h. in neuen Organisationsstellen und Arbeitsplätze. Dies führt in sozialen Systemen bei In‐ novationen nach Schumpeter zur Zerstörung der bisherigen Unternehmenskultur und deren Arbeitsplätze mit einem parallelen Aufbau einer neuen. Die perma‐ nente innovative Unternehmenskultur verursacht und löst deshalb Spannungen bei der Belegschaft und den Gewerkschaften aus. Glossar 141 <?page no="142"?> Zero-Base-Budgeting: Unter Zero-Base-Budgeting ist ein Instrument des Kos‐ tenplanung innerhalb des Controlling zu verstehen, in dem nicht von einem bestehenden Budget ausgegangen, sondern so getan wird, als gelte es, von Grund auf neu zu planen und dabei auch zu fragen, was geschähe, wenn gar kein Budget für eine Kostenposition mehr eingeräumt wird. Vergabegrundlage ist also nicht das bisherige Budget, sondern das nach aktueller Einschätzung erforderliche oder machbare Budget. 142 Glossar <?page no="143"?> Stichwortverzeichnis Ambivalenz-51 Analogie-15, 21, 94, 109 Antizipierende Fehlererkennung AFE-33 Assoziationen-94 Denkmodell der TRIZ-18 Denk- und Vorgehensmodell-14 Design Thinking-42 Dimension-Time-Cost (MTC)-30 Effekte-34 Effizienzunterschiede der Methoden-8 Evolution-36 Evolutionsgesetze-36 Grundlagen von TRIZ-13 Ideale Endresultat oder Ideal Final Result (IER oder IFR)-18 Idealität-18 Ideenfindung-106, 109 Ideenmanagement-56f. Ideen- und Verbesserungsmanagement (IVM)-56 Illumination-96 Innovation-11 Innovationsmanagement-79, 95 Innovationswiderstände-34 Innovative Grundprinzipien-23 Intuition-99, 110 Invention-10, 89 KFZ-Lenkung-40 Kognition-93 Kompromiss-17, 22 Konzept-7, 83, 87, 119 Kostenführerschaft-66 Kreativität-45, 89ff., 93, 95, 97 Kreativitätsforschung-91 Kreativitätstechniken-8, 98f., 111, 115 Lebenszyklus-36 Morphologie-111 Operationen-32 Operator Material-Zeit-Kosten (MZK)-30 Oxymoron-50 Paradoxon-29 Parameter-22 Perpetuum mobile-15 Produkt-Markt-Kombination-66 Ressourcen-Checkliste-17 S-Kurve und Trends-36 Social Media-49 Stoff-Feld-Analyse SFA-32 Synektik-109 Systematische Innovation-7 Systematische Innovationsmethoden-50 Technische Widerspruchsparameter-21 Theorie des erfinderischen <?page no="144"?> Problemlösens (TRIZ)-12 Traditionelles Betriebliches Vorschlagswesen (BVW)-119 trenDNA-46 TRIZ-7 Unternehmenskultur-85, 121 Verbesserungsvorschlag-57 Werkzeuge von TRIZ-12 Widerspruchsmatrix-25 Zero-Base-Budgeting-30 144 Stichwortverzeichnis <?page no="145"?> Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Effizienzunterschiede der Methoden . . . . . . . . . . . . . . 9 Abbildung 2: Rahmenplan der TRIZ-Werkzeuge (MZK: Material - Zeit - Kosten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Abbildung 3: Das TRIZ Denk- und Vorgehensmodell . . . . . . . . . . . 14 Abbildung 4: Ressourcen-Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Abbildung 5: Idealität am Beispiel Kleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Abbildung 6: Vom Problem zum Widerspruch oder: Arten von Widersprüchen nach TRIZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Abbildung 7: Die 39 technischen Parameter nach klassischer TRIZ 22 Abbildung 8: Die klassische TRIZ-Widerspruchsmatrix (Ausschnitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Abbildung 9: Die 40 Innovationsprinzipien in umgangssprachlicher Kurzform . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Abbildung 10: Bildschirmausschnitt „product inspiration“ der Firma AULIVE (letzter Zugriff am 12.10.23) . . . . . . . . . . . . . 35 Abbildung 11: S-Kurve und Evolutionsstufen am Beispiel Messgerät 38 Abbildung 12: Trend zur Dynamisierung am Beispiel KFZ-Lenkung 40 Abbildung 13: Herausforderung im Umgang mit widersprüchlichen Trends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Abbildung 14: Informationsverarbeitung im Gehirn . . . . . . . . . . . . . 92 Abbildung 15: Einflussfaktoren auf die Kreativität . . . . . . . . . . . . . . . 93 Abbildung 16: Verhältnis von Kreativität und Motivation . . . . . . . . . 94 Abbildung 17: Der kreative Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Abbildung 18: Strukturierung von Kreativitätstechniken . . . . . . . . . 98 Abbildung 19: Strukturierung von Kreativitätstechniken . . . . . . . . . 99 Abbildung 20: Brainwriting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Abbildung 21: Beispiel für ein 6-3-5-Formular . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Abbildung 22: Verschiedene Mind-Mapping-Strukturen: Sonne, Schneeflocke, Baum, Zellen, Schaltplan (von links nach rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Abbildung 23: Morphologischer Kasten und Lösungsmöglichkeiten für Weinflaschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Abbildung 24: Gegenüberstellung häufig auftretender Problemtypen und geeigneter Kreativitätstechniken 115 <?page no="146"?> ISBN 978-3-8252-6203-7 Ideen allein sind - fast nichts. Erst ihre Umsetzung wird zeigen, ob in ihnen eine Innovation steckt. Ideen sind aber Energieträger: für menschengemachte Erfindungen, Problemlösungen und deren Zusammenwirken. Gutes Ideenmanagement beflügelt zu neuen Ideen. Betriebliches Vorschlagswesen und kontinuierliche Verbesserung bündeln deren Energie - alles im Sinne von nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit und Mitarbeiterentwicklung. Dieses Buch stellt kompakt und prägnant ausgewählte Methoden systematischer Innovation im Unternehmen vor. Es flankiert diese Methoden durch Vorschlagswesen und Verbesserungsmanagement. Klassische Kreativitätstechniken fungieren dabei als Denkwerkzeug, Probleme überhaupt zu erkennen und gleichermaßen kreativ-divergent und zielgerichtet-konvergent zu lösen. Die einzelnen Kapitel erklären die Grundlagen und umfassen Lernziele, Definitionen, Beispiele, Fragen und Lösungen. Betriebswirtschaftslehre Management Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel
