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Nachhaltigkeitscontrolling

So werden Unternehmen nachhaltig gesteuert

0715
2024
978-3-8385-6254-4
978-3-8252-6254-9
UTB 
Ulrich Sailer
10.36198/9783838562544

Die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen machen es notwendig, Nachhaltigkeit in die Unternehmenssteuerung zu integrieren. Das Nachhaltigkeitscontrolling wurde so noch spannender und es befähigt und bereichert das Controlling, einen bedeutsamen Beitrag zur Bewältigung der enormen gesellschaftlichen Herausforderungen zu leisten.

<?page no="0"?> Nachhaltigkeitscontrolling 5. A. Sailer Ulrich Sailer Nachhaltigkeitscontrolling 5. Auflage Betriebswirtschaftslehre | Management ISBN 978-3-8252-6254-9 Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel „Wer die einzelnen Bausteine der Nachhaltigkeitssteuerung im Unternehmen und im Controlling verankern möchte, muss wissen, dass es sich um einen mehrstufigen Prozess handelt, der eine klare Zielrichtung, Geduld und Einsatz voraussetzt. Dieses Buch ist ein wichtiger Ratgeber und Helfer für eine erfolgreiche Implementierung der Nachhaltigkeit in die Unternehmenspraxis.“ Siegfried Gänßlen Ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Internationalen Controller Vereins Ehemals Vorstandsvorsitzender der Hansgrohe SE „Integrierte Konzepte der Nachhaltigkeitssteuerung kennzeichnen die Praxis noch selten. Eine systematische Koordination und Ausrichtung auf die Unternehmensstrategie wird immer häufiger eine Aufgabe des Controllings. Aktuell sind nur wenige Controller hierauf vorbereitet. Dieses Buch zeigt Wege auf, wie Nachhaltigkeitscontrolling praktisch funktionieren und organisiert sein kann und welche Aufgaben hierbei anfallen.“ Prof. Dr. Stefan Schaltegger Professor für Nachhaltigkeitsmanagement Leiter des Centre for Sustainability Management Leiter des MBA Sustainabililty Management Leuphana Universität Lüneburg 6254-9_Sailer_XL-geb_5332_PRINT.indd Alle Seiten 6254-9_Sailer_XL-geb_5332_PRINT.indd Alle Seiten 11.06.24 14: 59 11.06.24 14: 59 <?page no="1"?> utb 5332 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main UTB (XL) Impressum_03_22.indd 1 UTB (XL) Impressum_03_22.indd 1 23.03.2022 10: 25: 05 23.03.2022 10: 25: 05 <?page no="2"?> Prof. Dr. Ulrich Sailer ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen- Geislingen. Er leitet den Master-Studiengang Controlling und beschäftigt sich insbesondere mit dem Nachhaltigkeitscontrolling und mit der Digitalisierung im Controlling. <?page no="3"?> Ulrich Sailer Nachhaltigkeitscontrolling So werden Unternehmen nachhaltig gesteuert 5., überarbeitete Auflage UVK Verlag · München <?page no="4"?> Umschlagmotiv: © SilverV - iStock Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 5., überarbeitete Auflage 2024 4., vollständig überarbeitete Auflage 2022 3., überarbeitete Auflage 2020 2., überarbeitete Auflage 2017 1. Auflage 2016 DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838562544 © UVK Verlag 2024 - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5332 ISBN 978-3-8252-6254-9 (Print) ISBN 978-3-8385-6254-4 (ePDF) ISBN 978-3-8463-6254-9 (ePub) <?page no="5"?> Vorwort zur 5. Auflage Das Tempo der Veränderungen bleibt hoch. Regulatorische Anforderungen wie die CSRD oder die EU-Taxonomie haben zahlreiche Unternehmen dazu bewegt, sich nun intensiv mit der Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Damit rücken neben der Regulatorik die professionelle und revisionssichere Umsetzung in der Unternehmenssteuerung, der Aufbau von Prozessen und Strukturen sowie eine geeignete Softwareunterstützung in den Vordergrund. Diese Punkte wurden in der fünften Auflage ergänzt, andere Themen haben an Bedeutung verloren und wurden gestrichen. Knapp zwei Jahre nach der letzten vollständigen Überarbeitung war daher bereits wieder eine umfassende Aktualisierung erforderlich. Vorwort zur 4. Auflage (2022) In der ersten Auflage dieses Buches musste man noch begründen, dass Nachhaltigkeit auch für Unternehmen relevant ist. Das ist nicht mehr der Fall. Der Wechsel vom Why zum How vollzieht sich. Dies macht es notwendig, Nachhaltigkeit in die Unternehmenssteuerung zu integrieren - und genau das ist die Aufgabe des Controllings. Nachhaltigkeitscontrolling ist somit aktueller denn je. Damit geht dieses Buch bereits in die vierte Auflage. Die rapiden Entwicklungen rund um die unternehmerische Nachhaltigkeit haben eine vollständige Überarbeitung notwendig gemacht. Der Fokus auf das How wurde nochmals geschärft, konsequent auf die Aufgaben der Controller und Manager. Neben verschiedenen neueren Entwicklungen wie der EU-Taxonomie oder der Corporate Sustainability Reporting Directive wurde das Buch um die nachhaltige Unternehmensentwicklung, um die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle, um das nachhaltige Risikomanagement, Green Finance und um die Nachhaltigkeitskultur erweitert. Ergänzt wurden zudem das Impact Measurement mit dem Ansatz der Value Balancing Alliance und die Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung. Das Nachhaltigkeitscontrolling wurde noch spannender. Es befähigt und bereichert das Controlling, einen bedeutsamen Beitrag zur Bewältigung der enormen gesellschaftlichen Herausforderungen zu leisten. Vorwort zur 1. Auflage (2016) Mit diesem Buch sollen Controller und Manager ermutigt und befähigt werden, eine an Nachhaltigkeitszielen ausgerichtete Steuerung des Unternehmens aufzubauen und umzusetzen. Dazu muss man das Controlling glücklicherweise nicht neu erfinden, aber doch erweitern, Vorgehensweisen anpassen und teils auch Methoden ersetzen. Der Controller als Experte für die Unternehmenssteuerung, als kompetenter Partner <?page no="6"?> für die Zielbildung und Planung, für Steuerungsmethoden, Informationssysteme und Reporting, ist mit diesen Kompetenzen auch für die Steuerung der Nachhaltigkeit prädestiniert. Nachhaltigkeit führt zu einer Erweiterung, Aufwertung und noch stärkeren Sinnstiftung für das Controlling. Das Controlling entwickelt sich weiter und die Nachhaltigkeit ist ein maßgeblicher Treiber hierfür. Ich freue mich über jede Frage, Kritik und Anmerkung zu meinem Buch. Schreiben Sie mir: ulrich.sailer@hfwu.de. Dem UVK-Verlag und insbesondere Herrn Dr. Jürgen Schechler danke ich für die gewohnt freundliche und professionelle jahrelange Zusammenarbeit. Prof. Dr. Ulrich Sailer Professor für Controlling und Nachhaltigkeit Leiter des Masterstudiengangs Controlling Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen Sigmaringer Straße 25 72622 Nürtingen ulrich.sailer@hfwu.de www.hfwu.de Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Buch die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. <?page no="7"?> Inhaltsübersicht Benutzung shinweis Sämtliche im Buch aufgeführten Links finden Sie auch gesammelt unter https: / / files.narr.digital/ 9783825262549/ linkliste.pdf 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.1 1. Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung <?page no="9"?> Inhalt Vorworte.......................................................................................................................................... 5 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung ......................................................... 13 2 Anforderungen an die Unternehmen .................................................................... 45 ....................................................................................................46 und Kapitalmarkt ...............................................................................51 ..................................................................................................................56 Anforderungen zur Berichterstattung .....................................62 .........................................................................................73 <?page no="10"?> 10 Inhalt 3 Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung ....................................................... 93 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung ...............................107 Typen von ................................................................ 129 5 Nachhaltige Unternehmensentwicklung............................................................147 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling................................................................157 Measurement System .................................................................... 159 Balanced Scorecard ........................................................... 159 Planung ....................................................................................... 162 ....................................................................... 167 .............................................................. 170 ....................................................................................... 176 ............................................................................. 176 Umweltkostenmanagement .................................. 182 des operativen Umweltcontrollings ................................. 187 über die Methoden des Umweltrechnungswesens............ 208 Social ................................................................................................... 209 Inhalt des Accounting..................................................................... 209 <?page no="11"?> Inhalt 11 ..........................................................................212 ..........................................................................................214 ökonomischer Nachhaltigkeit .............................................................217 nachhaltige Messkonzepte ..........................................................222 KPI-Sets ...................................................................................222 Measurement ...................................................................................225 Value..........................................................................................237 und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung ........................240 .............................................................................240 im Nachhaltigkeitscontrolling ......................................252 7 Nachhaltiges Investitionscontrolling................................................................... 261 8 Nachhaltiges Risikocontrolling.............................................................................. 275 9 Nachhaltigkeitsreporting .......................................................................................... 285 10 Green Finance ............................................................................................................... 305 11 Nachhaltigkeitskultur ................................................................................................ 311 Glossar .........................................................................................................................................317 Literaturverzeichnis..................................................................................................................321 Index .............................................................................................................................................337 <?page no="13"?> 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung Lernziele Die Leser ◼ überblicken den aktuellen Umsetzungsstand der Nachhaltigkeit in den Unternehmen. ◼ kennen die wichtigsten begrifflichen und inhaltlichen Grundlagen der Nachhaltigkeit. ◼ sind sich bewusst, dass die Umsetzung der Nachhaltigkeit durch zahlreiche Hemmnisse begrenzt wird. ◼ gewinnen einen Einblick in den Wandel des traditionellen Controllings hin zu einem Nachhaltigkeitscontrolling. Einführung in die Nachhaltigkeitssteuerung Wie nachhaltig wollen wir sein? Vor wenigen Jahren berichtete ein leitender Manager eines größeren, mittelständischen Unternehmens aus Süddeutschland, leicht resigniert, über das Nachhaltigkeitsmanagement in seinem Hause. Man habe vor geraumer Zeit enthusiastisch begonnen, sich um die Nachhaltigkeit zu kümmern. Hierbei wurden wichtige Kriterien ausgewählt, um die ökologischen und sozialen Leistungen zu messen, und in den Jahren darauf konnten die Werte der meisten Kriterien auch deutlich verbessert werden. 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.1 1. Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung <?page no="14"?> 14 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung Nachdem wesentliche Effizienzziele erreicht wurden, war die Luft aber raus. Klar hätte man hie und da einen Wert noch weiter verbessern oder auch noch ein paar weitere Ziele verfolgen können. Mit den erreichten Ergebnissen war man jedoch bald zufrieden, man konnte sich damit sehen lassen und die rechtlichen Vorgaben werden erfüllt. Bald stellte sich das Management die Frage, ob man dieses Engagement nun dauerhaft fortführen solle. Schließlich gäbe es genügend weitere Herausforderungen, wie die digitale Transformation, der globale Wettbewerb sowie die Sicherung der Finanzierung. Man müsse Prioritäten setzen und auf veränderte Anforderungen reagieren. Es setzte sich das Argument durch, dass niemandem geholfen wäre, wenn das Unternehmen nur noch in Nachhaltigkeit investiert und zugleich seine Wettbewerbsfähigkeit verliert. Wenn man seine Existenz bedroht, bleiben nur die nicht nachhaltigen Unternehmen im Markt übrig. Nachdem man also Erfolge in der Nachhaltigkeit vorweisen könne, die Anforderungen des Gesetzgebers und die Erwartungen der Kunden erfüllt habe, könne man die Nachhaltigkeit erstmal von der Agenda nehmen und sich nun anderen wichtigen Aufgaben widmen. „Die niedrig hängenden Früchte sind geerntet, die einfachen und günstigen Maßnahmen umgesetzt. Zunehmend müssen Unternehmen längerfristige Investitionen für ihre grünen Projekte tätigen. Doch Mittel dafür zu finden ist schwierig.“ (Bergius 2014) Da weiterhin weltweit mehr Ressourcen verbraucht werden als nachwachsen und mehr Schadstoffe emittiert werden, als von der Umwelt aufgenommen werden können, erscheint ein nachlassendes Engagement in der Nachhaltigkeit deutlich verfrüht. Das Gegenteil ist notwendig. Weltweit nimmt der CO 2 -Ausstoß weiterhin zu, das Pariser Klimaziel wird nicht einmal planerisch erreicht und soziale Mindeststandards werden in den Lieferketten nach wie vor verletzt. Viele Unternehmen sind zwar sehr bemüht, ein gutes Bild abzugeben, tiefgreifende und konsequente Anpassungen findet man dennoch selten. Bestehende Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle werden bewahrt, um den kurzfristigen Erfolg zu sichern und eine optimierte Nachhaltigkeitskommunikation sichert die Reputation (vgl. Vanini, Schubert 2022, S. 48). Zwischen der Perspektive des einzelnen Unternehmens und den globalen Herausforderungen klaffen große Lücken. Aus dem globalen Blick lassen sich nicht ohne weiteres konkrete Anforderungen für die Unternehmenssteuerung ableiten. In den dominierenden, finanzbasierten Steuerungskonzepten der Unternehmen ist solch eine logische Beziehung zwischen dem „großen Ganzen“ und dem täglichen Handeln hingegen fest etabliert. Die aus dem Kapitalmarkt abgeleiteten Verzinsungsanforderungen der Kapitalgeber sind eins zu eins im Steuerungssystem der Unternehmen abgebildet. Geschäftsfelder bis hin zu einzelnen Produkten und Leistungen erfahren nur dann ihre Existenzberechtigung, wenn sie mindestens diese Verzinsungsanforderung erfüllen. Und Investitionsentscheidungen werden nur dann positiv <?page no="15"?> 1.1 Einführung in die Nachhaltigkeitssteuerung 15 beschieden, wenn sie zu einer Wertsteigerung beitragen, sprich: die Investitionen im Unternehmen sind profitabler als eine Anlage am Kapitalmarkt. Über solch eine verblüffende Logik zwischen dem weltweiten Kapitalmarkt und den alltäglichen Entscheidungen im Unternehmen verfügt die Nachhaltigkeit (noch) nicht. Dieser konzeptionelle Nachteil einer fehlenden Verbindung zwischen globalen Anforderungen und dem Wirken des einzelnen Unternehmens bis hin zu den alltäglichen operativen Entscheidungen behindert die weitere Entwicklung der Nachhaltigkeit. Die Konkurrenz der schlüssigen finanzbasierten Konzepte scheint übermächtig und dominiert in den meisten Unternehmen, trotz Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. Auch in der Managementausbildung sind solche wertbasierten Konzepte weiterhin fest etabliert. Regulatorische Anforderungen Aufgrund der begrenzten Eigenmotivation nicht weniger Unternehmen, sich nachhaltig zu transformieren, spielen rechtliche und formale Anforderungen im Nachhaltigkeitsmanagement eine große Rolle. Zu nennen sind beispielsweise: ◼ Berichtspflichten nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ◼ EU-Vergaberichtlinie zur Erlangung öffentlicher Aufträge ◼ Lieferkettengesetz zum Schutz von Menschen- und Kinderrechten in vorgelagerten Lieferketten ◼ EU-Taxonomie-Verordnung zur Förderung eines nachhaltigen Finanzwesens ◼ CO 2 -Steuer zur Belastung von Treibhausgasemissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger. Gesellschaftliche Erwartungen Darüber hinaus ist auch ein gesellschaftlicher Wandel zu beobachten. Das Pariser Klimaabkommen erreichte eine weltweite Verpflichtung zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen. Bewegungen wie Fridays for Future und deren Unterstützung durch Scientists for Future förderten die mediale Präsenz des Klimawandels und die Parteiprogramme unterscheiden sich nicht darin, ob der Klimawandel bekämpft werden soll, sondern wie. Die größte Motivation für nachhaltiges Handeln sollte nicht der Druck regulatorischer Maßnahmen oder abwandernder Kunden sein, sondern dass es sich schlichtweg nicht gehört, anderen Schäden zuzufügen. Ein moralisch verantwortliches Handeln kann sich in einem wettbewerblichen System aber scheinbar nur schwer durchsetzen. Nachfolgende Ergebnisse einer Befragung von 51 Nachhaltigkeitsverantwortlichen überwiegend größerer deutscher Unternehmen im Jahre 2021 durch die Universität Mannheim und die Bertelsmann-Stiftung bestätigen die Bedeutung formaler Vorgaben für das Nachhaltigkeitsengagement. Das dominierende Thema ist aktuell der Klimawandel und die Begrenzung der Treibhausgasemissionen. Für knapp zwei Drittel der befragten Unternehmen sind die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft und der Einsatz nachhaltiger Rohstoffe, die EU-Taxonomie, das Lieferkettengesetz, die Berichtspflichten und die nachhaltige Finanzierung sehr bzw. eher wesentlich. <?page no="16"?> 16 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung Abb. 1.1: Wesentliche Themen für die Nachhaltigkeitstransformation in den nächsten Jahren (Quelle: Kunzlmann, Edinger-Schons, Kraemer 2021, S. 29) Erwartungen des Kapitalmarkts Die Beschäftigung mit der Nachhaltigkeit ist dabei keinesfalls nur eine von außen an die Unternehmen herangetragene Forderung, vielmehr dient diese auch der originären Zielerreichung. Die Sicherstellung des langfristigen Unternehmenserfolgs und damit der Steigerung des Unternehmenswertes erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit den Faktoren, die den langfristigen Erfolg sicherstellen. Eine Begrenzung auf betriebswirtschaftliche Kennzahlen aus dem Rechnungswesen reicht hierfür bei Weitem nicht aus. Die nachfolgende Abbildung zeigt, wie sich die Bedeutung materieller und immaterieller Vermögenswerte in den letzten Jahrzehnten bei den Unternehmen des US-amerikanischen Aktienindex S&P 500 drastisch verändert hat. Die Bedeutung immaterieller Werte ist enorm gestiegen. Sie erklären den weitaus größten Teil der Unternehmenswerte. Immaterielle Werte finden sich nur zu einem geringen Anteil in der Bilanz. Es handelt sich vielmehr um den von Anlegern erwarteten Wert, der sich aus dem zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens ergibt. Hinter dem immateriellen Wert verstecken sich also Positionen, die den zukünftigen Erfolg erklären. Dies sind beispielsweise die Reputation des Unternehmens, die Qualifikation der Mitarbeiter, die Attraktivität für neue Mitarbeiter, die Innovationskraft des Unternehmens, die Resilienz im Umgang mit dem Klimawandel, die Akzeptanz in der Gesellschaft, … Diese Faktoren entziehen sich weitgehend den etablierten betriebswirtschaftlichen Steuerungsinstrumenten und dem betrieblichen Rechnungswesen. Die Bedeutung materieller Vermögenswerte ist nur noch gering, und doch dominieren sie die Kennzahlensysteme wie etwa den ROI-Treiberbaum. <?page no="17"?> 1.1 Einführung in die Nachhaltigkeitssteuerung 17 Abb. 1.2: Entwicklung des Anteils materieller und immaterieller Vermögenswerte am Unternehmenswert (Quelle: Ocean Tomo 2020) Aus dieser Erkenntnis lässt sich folgern, dass eine allein auf das Finanz- und Produktionskapital ausgerichtete Unternehmenssteuerung unzureichend ist. Es ist ebenso das Humankapital der Mitarbeiter, das geistige Eigentum, die Nutzung ökologischer Ressourcen und die Beziehung zu den Stakeholdern zu steuern. Die Steuerung all dieser Kapitalarten vermag den Cashflow langfristig zu steigern und die Risiken zu begrenzen. Beides ist ursächlich für einen hohen Unternehmenswert. Die aufgeführten Kapitalarten stehen zugleich im Zentrum des Integrated-Reporting-Ansatzes, der im neunten Kapitel aufgegriffen wird. Die integrierte Berichterstattung soll zu einer integrierten Unternehmenssteuerung führen. Die zu steuernden Kapitalarten sind sowohl wirtschaftlicher, als auch ökologischer und sozialer Herkunft. Der Ansatz vertritt somit die Überzeugung, dass wirtschaftlicher Erfolg in Form eines hohen Unternehmenswertes nur durch eine integrierte nachhaltige Unternehmenssteuerung erfolgen kann. Nachhaltigkeit behindert den wirtschaftlichen Erfolg nicht, sondern ist eine Voraussetzung für diesen. Entwicklungsstufen der unternehmerischen Nachhaltigkeit Die Einschätzung, dass Nachhaltigkeit eine Voraussetzung für langfristigen Erfolg ist, wird keinesfalls von allen Unternehmen geteilt. Es finden sich sehr unterschiedliche Ausprägungen, wie die Nachhaltigkeit etabliert ist und umgesetzt wird. Nachfolgende Systematik zur Entwicklungsreife der Nachhaltigkeit hilft dabei, den Umsetzungsstand der Nachhaltigkeit in den Unternehmen besser einzuordnen (vgl. Schneider 2015, S. 32ff.). Das Reifegradmodell der CSR stellt von links nach rechts einen zunehmenden Nutzen für die Gesellschaft und für die Umwelt dar. <?page no="18"?> 18 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung CSR 0.0 CSR 1.0 CSR 2.0 CSR 3.0 legales und wirtschaftliches Handeln philanthropisches Handeln systematisches Management der Nachhaltigkeit gesellschaftlicher Treiber der Nachhaltigkeit Über die Einhaltung der Gesetze hinaus werden ausschließlich ökonomische Ziele verfolgt. Hierdurch entstehen auch gesellschaftliche Wirkungen in Form von Arbeitsplätzen oder Steuerzahlungen. Streng genommen kann dieses Verhalten nicht als nachhaltig bezeichnet werden, da keine nachhaltigen Maßnahmen aktiv ergriffen werden. Spenden und Sponsoring findet statt, aber ohne direkten Bezug zur Geschäftstätigkeit. Es werden Einzelmaßnahmen ergriffen, etwa zur Energieeinsparung, allerdings ohne systematischen Bezug zur nachhaltigen Ausrichtung des Kerngeschäfts. Oft spielt das Marketing eine große Rolle, was bis hin zu medialen Übertreibungen führen kann (Greenwashing). Nachhaltigkeit ist im Kerngeschäft des Unternehmens etabliert und wird strategisch und operativ professionell integriert gesteuert. Nachhaltigkeit ist in der Unternehmenskultur verankert und mit den Stakeholdern findet ein regelmäßiger Austausch statt. Es werden Produkte, Prozesse und gesamte Wertschöpfungsketten nachhaltig ausgerichtet. Nachhaltigkeit wird nicht nur im Management integriert, sondern das Unternehmen ist ein gesellschaftlicher und politischer Akteur. Über das Kerngeschäft hinaus setzt sich das Unternehmen als aktiver Treiber für Nachhaltigkeit ein. Es schafft in einem Netzwerk mit Stakeholdern und Kooperationspartnern gesellschaftlichen Mehrwert. Tabelle 1.1: Reifegrad der Nachhaltigkeit in Unternehmen (vgl. Schneider 2015, S. 32ff.) Was versteht man unter Nachhaltigkeit? Es geht nicht mehr um das Warum, sondern um das Wie! In weiten Teilen der Gesellschaft wird der Nachhaltigkeit eine hohe Relevanz zugesprochen. Ein Buch zur Nachhaltigkeit muss nicht mehr, wie noch vor einigen Jahren, in der Einführung eine ausführliche Rechtfertigung enthalten. Es geht nicht mehr um das „Warum“, sondern um das „Wie“. Unternehmen als bedeutsame gesellschaftliche Akteure, die einerseits für großen Wohlstand sorgen, andererseits aber auch für große ökologische und soziale Schäden verantwortlich sind, müssen sich insbesondere um das „Wie“ kümmern. Begriff der Nachhaltigkeit Der Begriff der Nachhaltigkeit bzw. Sustainability stammt aus dem lateinischen „sustinere“, das mit aufrechterhalten oder bewahren übersetzt werden kann. Es sollen Strukturen und Prozesse geschaffen werden, die dauerhaft Bestand haben und lebensfähig sind (vgl. Grober 2010, S. 19f.). Die erstmalige Nutzung des Begriffs der Nachhaltigkeit wird Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) zugeschrieben, der für die Forstwirtschaft einen vorausschauenden Umgang proklamierte. Man solle Holz nur in dem Umfang schlagen, wie es wieder nachwächst. Allerdings dürfte das seit jeher eine <?page no="19"?> 1.2 Was versteht man unter Nachhaltigkeit? 19 Maxime vernünftig handelnder Menschen gewesen sein. Jäger und Sammler sind aus ihren Jagdgebieten weitergezogen, bevor die Bestände dezimiert wurden. Und auch die ersten sesshaften Bauern wussten, dass sie einen Teil der Ernte wiederum für die Aussaat benötigen und mit ihrem knappen Boden pfleglich umgehen müssen. 1972 erlange die Studie „The Limits to Growth“ des Massachusetts Instituts of Technology (MIT) weltweit Aufmerksamkeit. In dieser vom Club of Rome initiierten Studie wurde ein Simulationsmodell für die Entwicklung der Weltwirtschaft und der Lage der Menschheit erstellt. Dabei wurde prognostiziert, dass im Laufe der nächsten 100 Jahre die Wachstumsgrenzen erreicht, natürliche Ressourcen aufgebraucht sind, es zu irreparablen Umweltschäden kommt und die industrielle Produktion sowie die Bevölkerungszahl sinkt. Auch wenn die Studie nicht unkritisiert blieb und im weiteren Verlauf Anpassungen vorgenommen wurden, war die Notwendigkeit einer systemischen Betrachtung der natürlichen Umwelt und des Wohlstands gesetzt (vgl. Meadows u.a. 1987). Eine weithin akzeptierte Definition der Nachhaltigkeit stammt aus dem sogenannten Brundtland-Bericht aus dem Jahre 1987. Gro Harlem Brundtland, ehemalige norwegische Ministerpräsidentin, leitete die von den Vereinten Nationen beauftragte Kommission „World Commission on Environment and Development“, deren Abschlussbericht mit dem Titel „Our Common Future“ zumeist als Brundtland-Bericht bezeichnet wird. Hierin wurde das Leitbild einer Nachhaltigen Entwicklung entworfen und der Begriff der Nachhaltigkeit maßgeblich geprägt (vgl. World Commission on Environment and Development 1987). „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, welche die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation befriedigt, ohne die Fähigkeit zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ (https: / / www.nachhaltigkeit.info/ artikel/ brundtland_report_563.htm, Abruf: 27.02.22) Diese Definition der nachhaltigen Entwicklung ist weit verbreitet und hat eine hohe Akzeptanz gefunden. Diese impliziert eine Gerechtigkeit zwischen den Generationen wie auch die Gerechtigkeit innerhalb einer Generation. So plausibel diese Definition ist, so abstrakt ist sie auch. Als konkrete Handlungsanleitung ist sie wenig geeignet. Eine ähnliche Definition findet sich beim Rat für Nachhaltige Entwicklung, der 2001 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder einberufen wurde, um die Bundesregierung in der Nachhaltigkeitspolitik zu beraten. „Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Zukunftsfähig wirtschaften bedeutet also: Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes <?page no="20"?> 20 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung ökologisches, soziales und ökonomisches Gefüge hinterlassen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.“ (Rat für Nachhaltige Entwicklung, in https: / / www.nachhaltigkeitsrat.de/ nach haltige-entwicklung/ Abruf: 27.02.22) Nachhaltige Entwicklung und Nachhaltigkeit werden zumeist synonym verwendet. Die genannten Bedürfnisse können wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Natur sein. Hierbei ist anzustreben, dass weltweit alle diese Bedürfnisse befriedigen können. Darüber hinaus darf die gegenwärtige Befriedigung der Bedürfnisse nicht zu Lasten zukünftiger Generationen gehen. 3-Säulen-Modell und Triple-Bottom-Line 1992 fand die erste UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro statt. Mit 178 teilnehmenden Ländern wurde die Nachhaltigkeit zum Leitprinzip der Politik erklärt und das 3-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit, die Integration wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Aspekte, begründet. Nachhaltigkeit basiert also auf diesen drei Säulen (vgl. Gabriel, Sailer 2021, S. 33ff.). Das Abstraktionsniveau dieses Leitbildes ist allerdings recht hoch, so dass es bei konkreten betrieblichen Maßnahmen kaum als Entscheidungshilfe dienen kann (vgl. Weber, Georg, Janke, Mack 2012, S. 14). Abb. 1.3: 3-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit Durch sogenannte Managementregeln wird das Leitbild der Nachhaltigkeit konkretisiert. Aus dem noch eher abstrakten Nachhaltigkeitsverständnis der Brundtland-Definition können Handlungsprinzipien abgeleitet werden. Die Nachhaltigkeitswirkungen von Maßnahmen können daran gemessen werden, wie stark sie diesen ökonomischen, ökologischen und sozialen Managementregeln folgen (vgl. Burschel, Losen, Wiendl 2004, S. 31f.). <?page no="21"?> 1.2 Was versteht man unter Nachhaltigkeit? 21 Ökonomie Ökologie Soziales Es ist ein ausreichend hoher Cashflow zu erwirtschaften, der die Liquidität des Unternehmens jederzeit sichert und den Shareholdern attraktive Wertsteigerungen und Ausschüttung ermöglicht. Natürliche Ressourcen sollen höchstens in dem Umfang verbraucht werden, wie sich diese bzw. wie sich Substitute reproduzieren. Es sollen keine Emissionen verursacht werden, die die natürliche Aufnahmekapazität übersteigen, und es soll nichts gemacht werden, was die natürlichen Ökosytemdienstleistungen zerstört. Für die Stakeholder soll der Wert durch eine Steigerung des Humankapitals Einzelner und durch die Erhöhung des Sozialkapitals der Gemeinschaft gesteigert werden. Das Sozialkapital soll stets im Interesse der Stakeholder gemanagt werden. Tabelle 1.2: Nachhaltigkeitsziele (vgl. Dyllick, Hockerts 2002, S. 133, frei übersetzt) In der Praxis wird der Begriff des Triple-Bottom-Line-Ansatz häufig benutzt. Demnach werden ökonomische, ökologische und soziale Anforderungen gleichrangig angesehen. Der ökonomische Erfolg ist etwa Voraussetzung für die Finanzierbarkeit ökologischer und sozialer Maßnahmen. Ökonomischer Erfolg ist aber nur in einem stabilen sozialen Umfeld möglich und ohne eine gesunde Umwelt gibt es keine stabilen sozialen Systeme, ohne die sich auch Unternehmen nicht erfolgreich entwickeln können. In der Unternehmenspraxis wird diese vernetzte, gleichwertige gegenseitige Abhängigkeit der drei Dimensionen oftmals so nicht gesehen (vgl. Weber, Georg, Janke, Mack 2012, S. 17). Häufig wird die ökonomische Dimension über die soziale und ökologische Dimension gestellt. Anders gesagt: soziale und ökologische Maßnahmen werden dann ergriffen, wenn sie das ökonomische Ziel fördern. In Abgrenzung zum gleichgewichtigen Triple-Bottom-Line-Ansatz wird dieser als Ökonomischer Triple-Bottom-Line-Ansatz bezeichnet. Aus einer übergeordneten Perspektive greift die ökonomisch dominierte Betrachtung des Triple-Bottom-Line-Ansatzes zu kurz. Schließlich ist die Basis jeglichen Lebens eine gesunde Umwelt. Und Unternehmen stehen nicht neben der Gesellschaft, sondern sind ein Teil von ihr. Aus diesem Grunde sollte die Umwelt die Basis bilden, dem die Gesellschaft als Ganzes und die Unternehmen als Teil dieser folgen. Dies sieht auch der an der Nürtinger Hochschule entwickelte Managementansatz zur nachhaltigen Betriebswirtschaft vor. People Nachhaltigkeit Planet Profit Halbseitige Darstellung in Kapitel 1.2 People Planet Profit Halbseitige Darstellung in Kapitel 1.2 <?page no="22"?> 22 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung Abb. 1.4: Nürtinger Modell einer Nachhaltigen Betriebswirtschaft (Quelle: Gabriel, Ernst 2021, S. 26) Basis sind die planetaren Grenzen. Diese geben die physikalischen Rahmenbedingungen für sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten vor. Ein „take, make and waste“ ist mit einer endlichen Welt langfristig unvereinbar. Unternehmen sind ein Teil der Gesellschaft und erbringen innerhalb der planetaren Grenzen und des gesellschaftlichen Rahmens ihre Wertschöpfung. In der traditionellen Betriebswirtschaft erstreckte sich die Leistung darin, die Wertschöpfung für den größtmöglichen wirtschaftlichen Erfolg auszugestalten. Ein nachhaltiges Management geht aber darüber hinaus. Es muss die Akzeptanz der Gesellschaft und die planetaren Grenzen in die Ausgestaltung der Wertschöpfung einbinden (Gabriel, Ernst 2021, S. 27). Damit ist auch der Verantwortungsbereich eines nachhaltigen Controllings abgedeckt, da Controller das Management dabei unterstützen, rationale Entscheidungen zu treffen. Der ökonomische Triple-Bottom-Line-Ansatz ist häufig bei größeren, managementgesteuerten Unternehmen vorzufinden. Die Nachhaltigkeit hat sich hierdurch aus einer restriktiven, kostenverursachenden Ecke heraus zu einem stärker innovativen Ansatz entwickelt. Die Innovationen führen zu Kosteneinsparungen, zu neuen Produkten oder zur Begrenzung von Nachhaltigkeitsrisiken. Dennoch werden solche Maßnahmen zumeist nur ergriffen, wenn sie zugleich wirtschaftlich sind und nicht allein deshalb, weil sie nachhaltig sind. In der Kommunikation wird die Nachhaltigkeit hingegen als Selbstzweck dargestellt. Nachhaltigkeitsmanagement, CSR und ESG War es aber nicht schon immer die Aufgabe der Unternehmen, wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen? Hierfür wird der Begriff der Nachhaltigkeit nicht benötigt und auch eine Nachhaltige Betriebswirtschaft ist hierdurch nicht zu begründen. „Nachhaltigkeitsmanagement strebt „unternehmerische Nachhaltigkeit (corporate sus- <?page no="23"?> 1.2 Was versteht man unter Nachhaltigkeit? 23 tainability) durch die Steuerung von ökologischen, sozialen und ökonomischen Wirkungen an, um erstens eine nachhaltige Unternehmens- und Geschäftsentwicklung zu erreichen und zweitens einen positiven Beitrag des Unternehmens zur nachhaltigen Entwicklung der gesamten Gesellschaft sicherzustellen“ (Schaltegger 2015, S. 202) Der in der Unternehmenspraxis häufig genutzte Begriff CSR, die Corporate Social Responsibility, grenzt sich vom Nachhaltigkeitsmanagement dadurch ab, dass Unternehmen auf freiwilliger Basis auf gesellschaftliche Belange reagieren und sich hierzu mit den Stakeholdern austauschen. CSR ist somit enger gefasst als das Nachhaltigkeitsmanagement. Das Nachhaltigkeitsmanagement umfasst alle und nicht nur die freiwilligen Aktivitäten, um die nachhaltige Entwicklung des Unternehmens und der Gesellschaft zu fördern. Neben der Integration ökologischer und sozialer Belange in das Steuerungssystem des Unternehmens gehören hierzu auch die Entwicklung einer nachhaltigen Organisation, nachhaltiger Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle. Dies geht somit weit über die reine Beseitigung negativer Effekte hinaus. (vgl. Schaltegger 2015, S. 202) Ein weiterer, in der Praxis häufig genutzter Begriff ist ESG als Abkürzung für Environmental, Social und Governance. Unter letzterem versteht man die verantwortungsvolle Unternehmensführung. Dies beinhaltet beispielsweise Transparenz in der Unternehmensführung und wirkungsvolle Aufsichtsgremien. ESG hat sich vor allem in der Finanzbranche etabliert, setzt sich nun aber zunehmend auch bei Unternehmen durch. Nachhaltigkeit und ESG sind folgendermaßen abzugrenzen: Nachhaltigkeit ESG Nachhaltigkeit ist das Handlungsprinzip, mit endlichen Ressourcen so umzugehen, dass heutige und künftige Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können. Dies umfasst ökonomische, ökologische und soziale Aspekte. ESG bezieht sich auf die Verantwortung und Leistung von Unternehmen in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt, ihren Umgang mit sozialen Aspekten und die Art und Weise der Unternehmensführung wie Transparenz und Einhaltung von Standards. In diesem Buch wird weitgehend die Bezeichnung „Nachhaltigkeit“ genutzt, da diesem die Auffassung einer ökonomisch, ökologisch und sozial integrierten Unternehmenssteuerung zugrunde liegt. Bei ESG fehlt die ökonomische Dimension, wodurch diese von ökologischen und sozialen Inhalten eher abgegrenzt als integriert wird. Die Begriffswahl sollte jedoch nicht zu spitzfindig bewertet werden. Dort wo in der Literatur und in Originalquellen die Bezeichnung ESG genutzt wird, vorwiegend im Finanzsektor, findet sich dies vereinzelt auch hier im Buch. Sustainable Development Goals Eine große Bekanntheit erlangten die 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Sustainable Development Goals, kurz SDGs. Die SDGs ersetzten die acht <?page no="24"?> 24 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung Millenniums-Entwicklungsziele, welche die Vereinten Nationen für den Zeitraum von 2000 bis 2015 verfolgt haben. Die SDGs umfassen 17 Handlungsfelder der Nachhaltigkeit und sind als globaler Aufruf zum Handeln zu verstehen, um weltweit bis 2030 die darin definierten Ziele zu erreichen. Insbesondere sollen bis 2030 weltweit Armut und Hunger verschwunden sein. Die Ziele sind zwar primär an Staaten adressiert, werden aber auch von zahlreichen Unternehmen aufgegriffen, um ihr Nachhaltigkeitsengagement daran auszurichten. „Als Teil der globalen Gemeinschaft orientieren wir unsere Nachhaltigkeitsziele an den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. Wir fokussieren uns dabei auf 9 SDGs, bei denen wir den größten Impact in unserem Geschäftsmodell, Lieferketten und Sortimenten haben. Sie bilden unseren Rahmen dafür, wie wir Sozial- und Umweltverantwortung verstehen, für die Tchibo Welt konkretisieren und in unseren Geschäftsprozessen umsetzen.“ (Quelle: Tchibo GmbH 2020, S. 28) Die 17 Handlungsfelder sind in folgender Abbildung dargestellt: Abb. 1.5: Sustainable Development Goals (Quelle: UNESCO 2019, https: / / www.unesco.de/ bildung/ bildungsagenda-2030/ bildung-und-die-sdgs) Die detaillierten Inhalte und Ziele der Handlungsfelder können an zahlreichen Stellen im Internet nachgelesen werden, etwa bei der UNESCO oder beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): <?page no="25"?> 1.3 Umsetzung der betrieblichen Nachhaltigkeit: Hemmnisse 25 Links: https: / / www.unesco.de/ bildung/ bildungsagenda-2030/ bildung-und-die-sdgshttps: / / www.bmz.de/ de/ ministerium/ ziele/ 2030_agenda/ 17_ziele/ index.html Der Umsetzungsstand der 17 SDGs lässt sich im Detail auf der Website des sogenannten SDG-Trackers (https: / / sdg-tracker.org) verfolgen, der auf der Online-Plattform „Our World in Data“ (https: / / ourworldindata.org) angeboten wird. Hierbei werden die 17 SDG, 169 Unterziele und 232 Indikatoren beschrieben und die aktuellen Ausprägungen der Indikatoren werden visuell durch Grafen und Karten sowie durch Tabellen, die auch zum Download zur Verfügung stehen, dargestellt: “Our World in Data’s SDG Tracker is a free, open-access resource where users can track and explore global and country-level progress towards each of the 17 Sustainable Development Goals through interactive data visualizations. This resource is kept up-to-date with all of the latest data across all of the 17 Goals.” (Quelle: https: / / sdg-tracker.org, Abruf: 05.03.2022) Gegen Nachhaltigkeit lässt sich kein überzeugendes Argument finden. Eine langfristig erfolgreiche Steuerung der Unternehmen, die Wahrung der Umwelt, ein sorgsamer Umgang mit Ressourcen und die Einhaltung ethisch weithin akzeptierter Standards, überzeugen. Zwischen der Überzeugung und dem Tun liegen, wie so oft, noch viele Hürden. Nachhaltigkeit ist weniger ein Erkenntnisals ein Umsetzungsproblem. Die Umsetzung und die dabei auftretenden Schwierigkeiten werden im folgenden Abschnitt diskutiert. Umsetzung der betrieblichen Nachhaltigkeit: Hemmnisse Nicht nur auf der strategischen und geschäftspolitischen Ebene wird eine nachhaltige Transformation behindert, sondern auch in der Art und Weise, wie Unternehmen traditionell gesteuert werden. Bewährte und etablierte Steuerungskonzepte erschweren oftmals eine nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens. In diesem Abschnitt werden zehn in der Unternehmenssteuerung begründete Hemmnisse für eine rasche nachhaltige Transformation vorgestellt. Deren Kenntnis ist eine wichtige Voraussetzung, um ein wirksames Nachhaltigkeitscontrolling zu errichten. [1] Trägheit von Transformationen [2] Schwierige oder fehlende Messung der Nachhaltigkeit [3] Komplexe Ursache-Wirkungsbeziehungen [4] Wenig etablierte Steuerungsinstrumente [5] Unklare Zielsysteme [6] Langfristige Wirkungen [7] Das Gefangenendilemma [8] Der Einzelne vs. die globalen Herausforderungen [9] Die Dominanz wirtschaftlicher Ziele [10] Durch Fremd-Manager gesteuerte Unternehmen <?page no="26"?> 26 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung Hemmnis 1: Trägheit von Transformationen Woran liegt es, dass man ökologische und soziale Missstände so schwer in den Griff bekommt? Wenn wir Nachhaltigkeit wünschen, warum unterlassen wir dann nicht einfach die ursächlichen, schädigenden Handlungen? Viele Unternehmen zögern, sich strategisch neu auszurichten und die Geschäftsmodelle anzupassen. Nachhaltigkeit ist dann nicht im Kerngeschäft verankert und unzureichend in die Geschäftsprozesse integriert (vgl. Sassen u.a. 2021, S. 24). Hier werden wohl häufig Gefahren gesehen, die man eben so lange vermeidet, wie man das bestehende Geschäftsmodell noch absichern und fortführen kann. Abgesehen von einigen Innovatoren halten sich viele Unternehmen zurück und fokussieren sich darauf, Risiken zu verhindern. In einer risikoaversen Rechtfertigungskultur ist es eben wichtiger ein Risiko zu verhindern als eine Chance zu realisieren. Veränderungen werden erst dann ergriffen, wenn sie nicht mehr vermeidbar sind - sprich: die Nicht-Veränderung wird plötzlich selbst als Risiko wahrgenommen. Die Kultur bürokratisch gesteuerter Unternehmen birgt die Gefahr von Trägheit und verspäteter Anpassungen in sich. Ein weiterer Grund für die Trägheit einer nachhaltigen Transformation mag in einer verzerrten Wahrnehmung liegen. So steht oftmals im Raum, dass Nachhaltigkeit der Wirtschaftlichkeit tendenziell schade. Man müsse sich Nachhaltigkeit leisten können. Entwickelt sich dies zu einem Narrativ, werden nachhaltige Maßnahmen nur dann vorgeschlagen, wenn die Wirtschaftlichkeit eindeutig belegbar ist. Falls der Nachweis aber zweifelhaft ist, werden Vorschläge für nachhaltige Maßnahmen erst gar nicht unterbreitet (vgl. Judick 2018, S. 102). Nicht nachhaltig zu sein, muss nicht gerechtfertigt werden und die Nachhaltigkeit ist mit dem Makel belegt, wohl kaum wirtschaftlich zu sein. Gegen ein Narrativ anzukämpfen, erfordert einen kulturellen Wandel (siehe Kapitel 11). Studien, die das Gegenteil belegen, gibt es, doch schaffen sie es kaum, ein Narrativ zu beseitigen (vgl. Bernatzky, Endenich, Wömpener 2018, S. 204f.). „Bereits vor einigen Jahren haben Politik und Wirtschaft einen Kompromiss zu Lieferketten beschlossen, der eine freiwillige Selbstverpflichtung aller deutschen Unternehmen zur Wahrung von Menschenrechten und Umweltschutz bei ihren Aktivitäten beinhaltete - allerdings ohne das gewünschte Ergebnis: Eine Befragung ergab, dass nur eines von fünf Unternehmen diese freiwillige Selbstverpflichtung erfüllt.“ (Fratzscher 2021) Die wichtigsten Hemmnisse für die Nachhaltigkeitstransformation werden von 51 befragten Nachhaltigkeitsverantwortlichen größerer deutscher Unternehmen gemäß nachfolgender Abbildung genannt. In mehr als der Hälfte der Unternehmen sind Kosten und fehlende Ressourcen ein wesentliches Hindernis für die Umsetzung der Nachhaltigkeit. Dies drückt, genau wie das an dritter Stelle genannte Kriterium, aber nur aus, dass ein Unternehmen andere Prioritäten setzt. Und in jeweils mehr als einem <?page no="27"?> 1.3 Umsetzung der betrieblichen Nachhaltigkeit: Hemmnisse 27 Drittel der Unternehmen verhindern die Geschäftsführung bzw. das mittlere Management die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen. Abb. 1.6: Hemmnisse für die Nachhaltigkeitstransformation (Quelle: Kunzlmann, Edinger-Schons, Kraemer 2021, S. 26) Hemmnis 2: Schwierige oder fehlende Messung der Nachhaltigkeit Betriebswirtschaftliche Entscheidungen treffen wir häufig auf Basis von Kosten und Erlösen oder Ein- und Auszahlungen. Wir investieren, wenn der Barwert der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse die Auszahlungen übersteigt, und wir kalkulieren Aufträge und Preise für Produkte und Dienstleistungen auf Basis der zurechenbaren Kosten. Das Rechnungswesen stellt die zentralen Informationen bereit, mit denen unternehmerische Entscheidungen getroffen werden und jeder angehende Kaufmann erlernt den Umgang mit diesen Daten. Unter den Betriebswirten sind die Controller die Experten, die schwerpunktmäßig auf Basis des Rechnungswesens die Entwicklung des Unternehmens planen, Maßnahmen beurteilen und die Umsetzung begleiten. Was im Rechnungswesen nicht erfasst wird, unterliegt der Gefahr, übersehen oder unterschätzt zu werden. An (Quartals-)Ergebnissen ausgerichtete Steuerungs- und Vergütungskonzepte verstärken diesen Effekt. Folgende Beispiele sollen dies verdeutlichen: ◼ Investitionen in Mitarbeiter, also Maßnahmen der Weiterbildung, aber auch der Team- und Organisationsentwicklung, werden im Rechnungswesen nur als Aufwand dokumentiert. Im Vergleich zum Kauf einer Maschine werden durch die fehlende Aktivierung die damit gewonnenen Potenziale ausgeblendet. ◼ Eine sehr hohe Arbeitsbelastung führt zu Überlastung, Arbeitsunfällen und teils zur Erkrankung (Burnout) von Mitarbeitern. Die Heilungskosten trägt nicht das Unternehmen, sondern die Versichertengemeinschaft. ◼ Die Produktion führt zu einer Zerstörung oder Verschmutzung der Umwelt (CO 2 - Emission, Rodung von Waldflächen, Überfischung, ...). Die daraus entstehenden Fol- <?page no="28"?> 28 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung gekosten werden vom Unternehmen weder erfasst noch bezahlt. ◼ Der Gebrauch mancher Produkte schädigt die Kunden langfristig (Nikotin, gesüßte Speisen, Fast Food, ...). Die daraus entstehenden Folgekosten fallen nicht beim Unternehmen an, sondern werden vom Kunden und von der Gesellschaft getragen. Werden diese Kosten im herkömmlichen Steuerungssystem des Unternehmens nicht erfasst, so werden sie auch nicht systematisch bei den Entscheidungen berücksichtigt. Es mag viele nachvollziehbare Gründe geben, warum die in den aufgeführten Beispielen genannten Kosten im Unternehmen nicht ohne weiteres verbucht werden können. Vielfach ist die Höhe der Kosten unbekannt oder es ist fraglich, ob und in welchem Umfang diese Kosten überhaupt einem einzelnen Unternehmen zugerechnet werden können. Die Peter Drucker zugeschriebene Aussage: „What gets measured, gets managed“, legt diesen Zusammenhang nahe. Was man messen kann, wird gesteuert. Dies sollte allerdings nicht als Ausrede benutzt werden, um alles, was man nicht oder nur schwer messen kann, zu vernachlässigen. Eine zuverlässige Messbarkeit ist für die Steuerung sicherlich hilfreich, aber kein Kriterium für die Bedeutsamkeit. Nachhaltigkeit führt zu einer Erweiterung der entscheidungsrelevanten Informationen. So sind neben den Daten aus dem Rechnungswesen auch Informationen über den CO 2 -Ausstoß, den Energieverbrauch, über die Einhaltung der Sozialstandards bei den Lieferanten, ... notwendig. Die für eine nachhaltige Steuerung notwendigen Daten liegen oftmals weder quantifiziert noch monetarisiert noch in der Genauigkeit und Zuverlässigkeit vor, wie die Daten aus dem Rechnungswesen. Die zahlreichen ökologischen Messkonzepte wie Materialstromanalysen, die Ökologische Gewinn- und Verlustrechnung oder die Ökoeffizienzanalyse, finden sich noch selten im Werkzeugkasten der Controller. Die Ergebnisse dieser Werkzeuge liegen zumeist in Form technischer Maßeinheiten vor. Dies erschwert die Integration in bestehende Steuerungssysteme. In den letzten Jahren entstanden verschiedene Initiativen mit dem Ziel, ökologische und soziale Wirkungen nicht nur zu quantifizieren, sondern auch zu monetarisieren. Zu nennen ist hier beispielsweise die Value Balancing Alliance, der True Value von KPMG oder die Impact-Weighted Financial Accounts der Harvard Business School. Diese Ansätze sind aktuell zwar noch in der Entwicklung, doch könnten damit ökologische und soziale Wirkungen in die ökonomischen Daten integriert werden. Sofern sich diese Ansätze durchsetzen, sofern sie praktikabel sind und sofern sie auch Eingang in die Nachhaltigkeitsberichterstattung finden, könnten daraus umfassend integrierte und nachhaltige Steuerungssysteme entstehen. Dies würde das Controlling der Nachhaltigkeit auf eine neue Ebene stellen. Der Ansatz der Value Balancing Alliance wird im sechsten Kapitel vorgestellt. Es ist keinesfalls so, dass nur die Nachhaltigkeit Messschwierigkeiten verursacht. Dies trifft auch auf die Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit, die Produktqualität oder die Innovationsstärke zu. Dennoch müssen auch diese gesteuert werden. Die Heraus- <?page no="29"?> 1.3 Umsetzung der betrieblichen Nachhaltigkeit: Hemmnisse 29 forderung, trotz schwieriger Messung zu steuern, ist bei der Nachhaltigkeit keinesfalls einzigartig. Beispiel Die Produktionsverlagerung vom Stammhaus an einen ausländischen, günstigen Zulieferer verringert zuhause den CO 2 -Ausstoß. Bestehen im Ausland geringere Umweltschutzvorschriften, wird der CO 2 -Ausstoß möglicherweise im Ausland stärker ansteigen, als er im Inland gesenkt wurde. Hinzu kommen noch Transportkosten und die dadurch verursachten Umweltbelastungen. Betrachtet der Hersteller nur die Umweltverschmutzung innerhalb seiner eigenen Werkshalle und nicht die der gesamten Wertschöpfungskette, erscheint die Maßnahme als äußerst umweltfreundlich. Noch schwieriger wird die Beurteilung, wenn beim ausländischen Lieferanten auch noch soziale Mindeststandards missachtet werden. Kann man die inländische CO 2 -Einsparung mit der Verletzung sozialer Mindeststandards aufrechnen und dabei ermitteln, ob die Maßnahme in Summe vorteilhaft ist? Wohl kaum. Die in weiten Teilen der Ökonomie und vor allem im Controlling übliche Quantifizierung, Summierung und Saldierung ist im sozialen und ökologischen Umfeld nur in engen Grenzen möglich. Hemmnis 3: Komplexe Ursache-Wirkungsbeziehungen Wird das Controlling über die Ökonomie hinaus auch auf die Ökologie und auf die Gesellschaft ausgedehnt, erweitert sich das relevante System und es nimmt die Anzahl der Systemelemente zu. Dabei sind die vielzähligen Beziehungen zwischen diesen drei Dimensionen zu beachten. Solch ein komplexes System ist wenig durchsichtig und vorhersagbar (vgl. Judick 2018, S. 102). Beispiel Die Entwicklung eines innovativen Produktes verringert den CO 2 -Ausstoß um 20%. In der Öffentlichkeit genießt das Unternehmen durch seine ökologische Produktpolitik hohes Ansehen, wodurch es seinen Absatz um 30% steigern kann. Durch diesen Rebound-Effekt steigt der gesamte CO 2 -Ausstoß. Das Unternehmen ist somit wirtschaftlich erfolgreich und genießt eine hohe gesellschaftliche Reputation, die Umweltverschmutzung ist aber gestiegen. In den klassischen betriebswirtschaftlichen Steuerungssystemen liegt zumeist eine stringente, auf ein Oberziel hin ausgerichtete Systematik vor. Beispielsweise können auf Basis des Ziels „15% Return on Investment (ROI)“ systematisch alle Kenngrößen und Faktoren benannt werden, die dieses Oberziel beeinflussen. So wird der ROI direkt über die Umsatzrendite und den Kapitalumschlag beeinflusst. In einer, zugegebenermaßen recht mechanistischen Vorstellung, kann beispielsweise die geplante Verringerung des Lagerbestands an Rohstoffen direkt durch die daraus resultierende Steigerung des ROI bewertet werden. Wenn der Lagerbestand sinkt, sinkt auch die Kapitalbindung und der Kapitalumschlag (= Umsatz/ gebundenes Kapital) steigt. Dadurch steigt der ROI, der sich aus der Multiplikation von Kapitalumschlag und Umsatz- <?page no="30"?> 30 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung rendite ergibt. Solche linearen und einfachen Modelle werden häufig genutzt, um Kosteneinsparungen zu begründen. Bei den vielfältigen Dimensionen der Nachhaltigkeit wird schnell offensichtlich, dass hier in aller Regel keine linearen Zusammenhänge bestehen und diese sich häufig auch nicht durch einfache mathematische Formeln beschreiben lassen. Dies liegt schon daran, dass kein eindeutiges, nachhaltiges Oberziel existiert. Es gibt nicht die eine Kenngröße, die alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit integriert. Einzelne Maßnahmen können etwa ein ökologisches Teilziel steigern, sich aber negativ auf das ökonomische Ziel auswirken. Dies lässt sich nicht gegenseitig aufrechnen. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen vieler Maßnahmen aufgrund komplexer Wirkungsbeziehungen wenig vorhersagbar sind. Beispiel In Deutschland werden zahlreiche Granitsteinbrüche aus Gründen des Naturschutzes nicht erweitert oder geschlossen. Das Ziel des Naturschutzes wird hierdurch erst einmal erreicht. Da aber weiterhin die Nachfrage besteht, wird der Granit vermehrt aus Indien und China eingeführt. Hier bestehen in aller Regel keine vergleichbaren ökologischen und sozialen Standards, so dass die Umweltverschmutzung im Vergleich zu einem Abbau in Deutschland, vor allem, wenn man noch den Transport berücksichtigt, insgesamt höher liegt. Die Arbeit im Steinbruch ist in armen Ländern zudem oftmals eine typische Kinderarbeit. Fördert der Rückgang des Granitabbaus in Deutschland damit gar die Kinderarbeit in Indien? Und ist den Kindern geholfen, wenn nur noch Granit ohne Kinderarbeit importiert wird? Solange das Einkommen armer Familien zum Überleben nicht ausreicht und es keine Schulen gibt, werden sich die Kinder eben eine noch schlechtere Arbeit suchen müssen. Das Beispiel zeigt, dass die Beurteilung von Maßnahmen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit aufgrund der komplexen Beziehungen ungleich schwieriger ist als in einem mechanistischen betriebswirtschaftlichen Modell. Solche vielfältigen und vernetzten Systeme, die sich durch Rückkopplungen und Zirkularität im Zeitverlauf oft unberechenbar verändern, sind als komplexe Systeme zu bezeichnen. Und auch die Systemgrenzen verschieben sich. Die ausschließliche Betrachtung der unternehmensinternen Wertschöpfungskette reicht bei der Nachhaltigkeit nicht aus. Aus ökonomischer Sicht ist die wirtschaftliche Wertschöpfung eines Lieferanten unerheblich. Im Nachhaltigkeitscontrolling sind die ökologischen und sozialen Erfolge oder Misserfolge der Lieferanten hingegen in hohem Maße relevant. So verringert sich durch die Auslagerung einer umweltbelastenden Produktion an den Lieferanten schließlich nicht die durch ein Produkt insgesamt verursachte Umweltbelastung. Und der Kunde eines als nachhaltig deklarierten Produkts erwartet, dass die sozialen Mindeststandards auch bei der Rohstofferzeugung und bei der Herstellung der Vorprodukte eingehalten werden und nicht nur auf der letzten Produktionsstufe. Schließlich wird auch eine umweltgerechte Lösung des Entsorgungsproblems erwartet, ob der Hersteller dies nun selbst übernimmt oder nicht. <?page no="31"?> 1.3 Umsetzung der betrieblichen Nachhaltigkeit: Hemmnisse 31 Hemmnis 4: Wenig etablierte Steuerungsinstrumente “While new methods and tools designed specifically for sustainability do exist, they’re relatively new, and their penetration and adoption are limited. If the methods are not part of day-to-day routines and practices, it will be difficult to reach judgements and make decisions based on sustainability. In addition, most employees do not have sufficient familiarity with sustainability terminology and frameworks. This is largely because this domain has always been the remit solely of environmental experts.” (Quelle: Farri, Cervini, Rosani 2022) Im Vergleich zum klassischen operativen Controlling existieren im Nachhaltigkeitscontrolling, insbesondere im sozialen Bereich, noch wenige etablierte und standardisierte Steuerungsinstrumente (vgl. Dubielzig 2009, S. 70ff.; Farri, Cervini, Rosani 2022; Müller 2011a, S. 32f.). Im herkömmlichen Controlling werden zahlreiche Methoden und Instrumente benutzt, die so selbstverständlich sind, dass über ihren Einsatz gar nicht mehr bewusst entschieden wird. Dies sind etwa die Methoden der Kosten- und Leistungsrechnung, die Budgetierung auf Basis der Gewinn- und Verlustrechnung oder der Deckungsbeitragsrechnung, die Kalkulation von Produkten und Aufträgen, eine Break-Even-Analyse oder die Investitionsrechenmethoden. Dies sind alles Grundlagen einer betriebswirtschaftlichen Ausbildung und sie gehören zum Selbstverständnis dieser Disziplin. Im Nachhaltigkeitscontrolling finden sich zwar auch viele Instrumente, die aber vorwiegend von Nachhaltigkeitsexperten genutzt werden. In den betriebswirtschaftlichen Standardlehrbüchern finden sich diese Instrumente nahezu nicht. Selbst einen Überblick über die verschiedenen Instrumente zu gewinnen, fällt schwer, da sie recht zersplittert sind. Teils decken sie nur einzelne Schadenquellen ab, teils sind sie branchenspezifisch und teils fällt ihre Anwendung sehr schwer, wie etwa die Ermittlung von Treibhausgasemissionen in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette. Trotz dieser Schwierigkeiten ist es notwendig, dass neue Methoden erlernt und bestehende erweitert werden, um die Nachhaltigkeit zielgerichtet zu steuern. Hemmnis 5: Unklare Zielsysteme Im traditionellen Controlling prägen die strategischen Unternehmensziele und die daraus abgeleiteten operativen Ziele die Planung, Steuerung und Kontrolle. So werden in großen Kapitalgesellschaften aus dem Kapitalmarkt die marktüblichen Mindestrenditen ermittelt. Diese stellen die Hürde (hurdle rate) dar, an der sich die unternehmerischen Maßnahmen messen lassen müssen. Eine Investition ist demnach nur lohnend, wenn sie mindestens so rentabel ist wie bei einer alternativen Anlage dieses Geldes am Kapitalmarkt. Diese Denkweise von Investoren (soll ich mein Geld in Unternehmen A oder B anlegen - was bringt mir mehr? ) werden in das interne Steuerungssystem der Unternehmen übertragen. Wenn jedes Geschäftsfeld und jede Investition im Unternehmen die hurdle rate erreicht, wird auch das Unternehmen insgesamt die Mindestverzinsungsanforderung der Kapitalgeber erfüllen. Im Finanzbereich lässt sich also die Logik des Kapitalmarktes direkt mit dem internen Steuerungssystem verbinden. <?page no="32"?> 32 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung Im Nachhaltigkeitscontrolling existiert hingegen kein einzelnes, extern vorgegebenes Ziel. Im Triple-Bottom-Line-Ansatz dominiert gerade nicht ein Ziel gegenüber den anderen. Aus den uneinheitlichen, teils widersprüchlichen Zielen der Stakeholder lässt sich kein lineares Ziel- und Steuerungssystem mit jeweils konkreten hurdle rates entwickeln. Hemmnis 6: Langfristige Wirkungen In einigen Jahren oder Jahrzehnten erwartete Ereignisse werden in gegenwärtigen Entscheidungen oft nur nachrangig berücksichtigt. Das Management ist häufig stärker an der Gegenwart und an kurzfristigen Zielen orientiert. Ein kurzfristiger Erfolg lässt sich direkt auf die vorangegangene Leistung des Managers zurückführen. Dies steigert seine Wertschätzung, erhöht die Vergütung und fördert die Karrieremöglichkeiten. Ein langfristiger Erfolg, der erst nach Jahren eintritt, liegt außerhalb des persönlichen Zeithorizonts des Managers, wird kaum noch mit ihm in Verbindung gebracht und bietet daher auch keine persönlichen Vorteile. Nachhaltig sinnvolle Entscheidungen werden häufig erst nach längerer Zeit wirksam und werden daher weniger priorisiert. Auch risikoaverse Manager werden kurzfristige, relativ sichere Entscheidungen den langfristigen und vermehrt riskanten Entscheidungen vorziehen (vgl. Judick 2018, S. 101, 104). Auch die Einbindung der Stakeholder in die unternehmerische Willensbildung kann die Gefahr einer Kurzfristorientierung kaum beheben. Eine Gruppe von Stakeholdern sitzt nämlich nie mit am Tisch: die zukünftige Generation. Dieser generationenübergreifende Aspekt der Nachhaltigkeit, der die Nachhaltigkeitsdefinition nach Brundtland in seinem Wesen prägt, ist damit systematisch der Gefahr ausgesetzt, zu schwach oder überhaupt nicht vertreten zu werden. Ein weiterer Einfluss auf die geringe Bewertung zukünftiger Ereignisse geht auch von der in der finanzorientierten Betriebswirtschaftslehre etablierten Methode der Diskontierung aus. Bei Investitionsentscheidungen wird üblicherweise der Barwert der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse berechnet. Ist dieser Barwert größer als die Investitionsauszahlung, ist der Kapitalwert positiv und die Investition lohnt sich. In ferner Zukunft anfallende Kosten, etwa durch Entsorgung oder Renaturierung, haben nur einen geringen Barwert und sind für die Entscheidung daher wenig bedeutsam. Kurzfristige Erfolge beeinflussen den Kapitalwert stärker als langfristige Misserfolge. Demnach wird ein Schaden, der erst in späteren Generationen auftritt als weniger bedeutsam angesehen als ein identischer Schaden in der gegenwärtigen Generation. Dies ist in der Betriebswirtschaft nicht normativ begründet, sondern spiegelt schlichtweg wider, dass heute ein geringerer Betrag verzinslich angelegt werden müsste, um mit dem anwachsenden Kapitel später für einen größeren Schaden zu bezahlen. In der ökonomischen Denkweise ist die Zerstörung der Lebensgrundlagen einer zukünftigen Generation nicht so teuer, als wenn dies bei der gegenwärtigen Generation einträte. Dies wird vielfach als mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit und der Verantwortung für zukünftige Generationen kaum vereinbar angesehen (vgl. Hort 2008, S. 43f.). <?page no="33"?> 1.3 Umsetzung der betrieblichen Nachhaltigkeit: Hemmnisse 33 Beispiel Ein Unternehmer überlegt, ob er die in einem Entwicklungsland neu zu errichtende Fabrik mit der gleichen Umwelttechnik ausrüsten soll, wie sie in Deutschland vorgeschrieben ist. Die Kosten hierfür betragen 10 Mio. Euro. Unterlässt er dies, ist damit zu rechnen, dass Mitarbeiter und Anwohner zukünftig erkranken und voraussichtlich in 20 Jahren eine umfassende Entschädigungszahlung fällig wird. Schätzungen zufolge betragen diese 50 Mio. Euro. Der Kalkulationszins des Unternehmers beträgt 10%. Wie wird sich der Unternehmer entscheiden, wenn er sich ausschließlich an finanziellen Zielen orientiert? Er wird die 50 Mio. Euro über 20 Jahre mit 10% diskontieren: Barwert = 50 Mio. Euro / (1 + 10%) 20 Barwert = 7.432.181,40 Euro In rein finanzieller Betrachtung spart das Unternehmen über 2,5 Mio. Euro ein, wenn es auf die Umwelttechnik verzichtet und dafür in 20 Jahren die, in absoluten Beträgen fünffache Entschädigungszahlung leistet. Das Unternehmen würde einen Betrag in Höhe des Barwertes für 20 Jahre zum Kalkulationszins anlegen und könnte mit den daraus entstandenen 50 Mio. € die Entschädigungszahlungleisten. Schließlich werden die Lebensumstände zukünftiger Generationen auch deshalb weniger sorgenvoll betrachtet, da es nicht absolut sicher ist, dass die prognostizierten Entwicklungen tatsächlich eintreten. Zudem kann erwartet werden, dass weitere Entwicklungen in Wissenschaft und Technik die zukünftigen Generationen dazu befähigen, mit den Umweltproblemen besser klarzukommen. Hemmnis 7: Das Gefangenendilemma Strengen gesetzlichen Vorgaben kommen Unternehmen oftmals zuvor, indem durch einzelne Branchen oder durch Wirtschaftsverbände Zusagen einer „freiwilligen Selbstverpflichtung“ getroffen werden. Dies war in der Vergangenheit etwa beim Verzicht auf FCKW, bei der Verringerung von CO 2 -Emissionen, bei der Entsorgung von Altautos oder bei der Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten zu beobachten. Kritik erfahren die Selbstverpflichtungen nicht nur, weil sie scheinbar zu einer Verwässerung des Ziels führen und dieses möglicherweise noch hinauszögern. Nicht immer werden die Ziele erreicht und nicht alle Unternehmen halten sich an die Verpflichtung. Solange es keine strengen gesetzlichen Vorgaben gibt, deren Einhaltung konsequent überwacht wird, besteht die Gefahr von Ausreißern bis hin zum gänzlichen Scheitern eines gesellschaftlich wünschenswerten Ziels. Dieses Problem, dass eine von allen Gruppenmitgliedern gewünschte Situation nicht eintritt, da ein abweichendes Verhalten individuell vorteilhaft ist, wird im sogenannten Gefangenendilemma beschrieben. Beispiel Der Einbau eines Partikelfilters in ein Auto kostet 1.000 €. Sollten alle Fahrzeugbesitzer einen Partikelfilter einbauen, werden für jeden ökologische Vorteile in Form <?page no="34"?> 34 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung einer reineren Luft im Gegenwert von 1.500 € erzielt. Der Einzelne überlegt, wie sich wohl die anderen Fahrzeugbesitzer verhalten werden. Grundsätzlich ist der Einbau des Filters vorteilhaft, da er bei allen zu einem Überschuss von 500 € führt. Es wäre deshalb zu erwarten, dass auch alle den Partikelfilter einbauen. Die Entscheidungsmöglichkeiten sind in folgender Tabelle aufgeführt: alle anderen bauen Filter ein ja nein ich baue einen Filter ein ja 500 € - 1.000 € nein 1.500 € 0 € Entschließt sich der Einzelne, wie auch alle anderen, zum Einbau des Filters, erzielen alle einen Vorteil in Höhe von 500 €. Baut man selbst den Filter ein, ohne dass andere dies ebenfalls tun, hat man keinerlei Vorteile, aber Kosten von 1.000 € verursacht. Schätzt man das Verhalten der anderen zu 50% so ein, dass sie den Filter nicht einbauen, ergibt sich in dem Fall, dass man den Filter selbst einbaut, ein Erwartungswert von 50% * 500 € + 50% * (-1.000 €) = -250 €. Verzichtet man auf den Einbau des Filters, ergibt sich ein Erwartungswert in Höhe von 50% * 1.500 € + 50% * 0 € = 750 €. Es ist damit vorteilhaft, auf den Einbau zu verzichten. Was für den Einzelnen vorteilhaft ist, gilt auch für alle anderen. Im Ergebnis wird niemand einen Filter einbauen. Es ist ein Dilemma, dass die von allen gewünschte Situation nicht eintritt. Dass in einer Gemeinschaft etwas für alle sinnvoll ist, führt keinesfalls automatisch dazu, dass dies auch alle tun. Die Logik der Gemeinschaft ist nicht die Summe der Logik aller Einzelnen. „Ein Nachhaltigkeitsmanagement über gesetzliche Vorgaben hinaus ist noch zu gering. Selbstverpflichtungen sind nur bedingt wirksam, um die nachhaltige Entwicklung voranzubringen.“ (Sassen u.a. 2021, S. 25) Hemmnis 8: Der Einzelne vs. die globalen Herausforderungen Nachhaltige Maßnahmen werden oftmals auch deshalb nicht ergriffen, weil die Auswirkungen dieser einzelnen Maßnahme im Vergleich zu den globalen Problemen als unwesentlich angesehen werden. Wenn nur wenige eine Maßnahme ergreifen, etwa auf Kurzstreckenflüge verzichten und stattdessen mit der Bahn fahren, führt dies noch nicht zu einer spürbaren Verringerung der Umweltbelastung. Damit sei die Maßnahme irrelevant und somit verzichtbar. „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ (Mahatma Gandhi, 1869 - 1948) <?page no="35"?> 1.3 Umsetzung der betrieblichen Nachhaltigkeit: Hemmnisse 35 Hemmnis 9: Die Dominanz wirtschaftlicher Ziele Häufig trifft man in Unternehmen auf die Aussage, dass Maßnahmen der Nachhaltigkeit so lange ergriffen werden, wie sie dem wirtschaftlichen Ziel nicht schaden. Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, Ökonomie, Ökologie und Soziales, werden hierbei also nicht als gleichrangig betrachtet: die ökonomische Dimension wird über die anderen beiden Dimensionen gestellt. Dieses Verhalten ist insbesondere bei den Unternehmen zu beobachten, die zwar die Nachhaltigkeit initiiert, strategisch ausformuliert und Kennzahlen entwickelt haben, jedoch keine konsequente operative Umsetzung verfolgen (vgl. Bernatzky, Endenich, Wömpener 2018, S. 222). Bei Dominanz wirtschaftlicher Ziele bräuchte man die Nachhaltigkeit nicht weiter zu thematisieren und selbst der Begriff der Nachhaltigkeit würde sich erübrigen. Es ist schließlich die ursprüngliche Aufgabe von Unternehmen, Maßnahmen zu ergreifen, welche die Erreichung ökonomischer Ziele fördern. Das können effizientere Prozesse, günstigere Einkaufspreise oder auch ökologische Maßnahmen sein, die zu einer Rohstoffeinsparung führen oder soziale Maßnahmen, welche zu einer Erhöhung des Mitarbeiterengagements führen. Ohne wirtschaftlichen Vorteil sind ökologische und soziale Auswirkungen demnach irrelevant. Schäffer bezeichnet den Bereich des ökonomischen Triple-Bottom-Line-Ansatzes etwa als Komfortzone, da es hier keine Zielkonflikte gibt (vgl. Schäffer 2011, S. 83). Eine häufig genannte Begründung für die Dominanz wirtschaftlicher Ziele liegt darin, dass der wirtschaftliche Erfolg die Durchführung nachhaltiger Maßnahmen überhaupt erst erlaube. Nachhaltigkeit müsse man sich durch seinen wirtschaftlichen Erfolg erst einmal leisten können. Sollten nachhaltige Maßnahmen zu Lasten des ökonomischen Erfolgs gehen, würde dies die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen und möglicherweise zu einem Ausscheiden des Unternehmens aus dem Markt führen. Dann blieben nur die Unternehmen übrig, die sich nicht nachhaltig verhalten - und dies sei ja auch nicht im Interesse der Nachhaltigkeit. Dieser Argumentation folgend könnte man froh sein, dass Unternehmen überhaupt ökologische und soziale Maßnahmen in Betracht ziehen, um den wirtschaftlichen Erfolg zu steigern. Mehr gehe nicht, wenn nicht für alle Wettbewerber die gleichen rechtlichen Vorgaben gelten. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird oftmals die Win-Win-Situation von ökonomischem und nachhaltigem Erfolg propagiert. Häufig wird hierbei von einem Business Case for Sustainability gesprochen. So wünschenswert und vorteilhaft eine solche Situation ist, soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zwischen ökonomischen und ökologischen bzw. sozialen Zielen auch Konflikte geben kann. Die einseitige Fokussierung auf die erfolgreichen Business-Cases blenden diese Problematik aus. Man sollte also nicht nur Lösungen für die Komfortzone erarbeiten. Das in den letzten Jahren bekannt gewordene Konzept des „Creating Shared Value“ von Michael Porter und Mark Kramer propagiert ebenfalls diejenigen Business Cases, bei denen unternehmerische und gesellschaftliche Interessen im Einklang stehen (vgl. Porter, Kramer 2011, S. 62ff.). Kritiker befürchten, dass eine einseitige Fokussierung auf <?page no="36"?> 36 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung solche WinWin-Cases den Blick auf diejenigen Fälle, in denen die unternehmerischen und gesellschaftlichen Ziele im Konflikt stehen, verstellt (vgl. Scholz, de los Reyes 2015, S. 196). Aber auch für diese schwierigen Fälle müssen Lösungen gefunden werden. In einer langfristigen Perspektive lösen sich diese Konflikte teils wieder auf. So können langfristig nur dann Gewinne erzielt werden, wenn Ressourcen nicht kurzfristig ausgebeutet und wenn Mitarbeiter und Geschäftspartner fair behandelt werden. Diese langfristige Perspektive ist häufig bei Familienbetrieben zu beobachten, die in diesem Selbstverständnis auch nachhaltig agieren. In börsennotierten Unternehmen dominiert durch die Erwartungshaltung der Kapitalmärkte und die Ausgestaltung der internen Steuerungssysteme hingegen oftmals eine kurzfristigere Perspektive. Dementsprechend fällt die Umsetzung der Nachhaltigkeit dort schwerer (vgl. Schäffer 2011, S. 83f.). Hemmnis 10: Durch Fremd-Manager gesteuerte Unternehmen Die Eigentümer eines Unternehmens treffen die grundlegenden unternehmenspolitischen Entscheidungen wie etwa die Ziele des Unternehmens, die Wahl der Geschäftsfelder und die Besetzung der Top-Positionen. In eigentümergeführten Unternehmen, also in Familienunternehmen, trägt der geschäftsführende Gesellschafter als Eigentümer sämtliche Konsequenzen seiner Entscheidungen. Dies unterscheidet sich von Unternehmen, die durch Fremd-Manager geführt werden. In Familienbetrieben ist häufig zu beobachten, dass die moralischen Wertvorstellungen des Eigentümers oder der Familie auch für das Unternehmen gelten. Ein solcher Transfer moralischer Werte ist bei Fremdmanagern in großen Konzernen weniger ausgeprägt. Zwar wirkt jede leitende Person in das Unternehmen hinein, doch bei einem angestellten Manager, der über wirtschaftliche Zielgrößen gesteuert wird und für den das Unternehmen manchmal eher ein Karriereschritt als eine Lebensaufgabe ist, wird diese Wirkung oft schwächer und weniger überzeugend sein. In großen Kapitalgesellschaften ist das Führungssystem daher stärker „technisch“ aufgestellt, d.h. es bestehen mehr Richtlinien, Zielvorgaben und formalisierte Prozesse und Kontrollen. Im Familienbetrieb werden Entscheidungen auch im „Geiste“ der Familie getroffen, die enkeltauglich sein müssen. Das Unternehmen wird stärker über Werte gesteuert. Zahlreiche Werte, welche die Nachhaltigkeit ausmachen, findet man auch in diesem „Geiste“ vieler Familienbetriebe: eine auf lange Frist ausgelegte Beziehung zu Geschäftspartnern, Genügsamkeit, Vertrauen, Verantwortung für Mitarbeiter und ihre Familien, Langfristorientierung, ... Es handelt sich um moralische Wertvorstellungen und weniger um die Ergebnisse einer Abwägung, ob dies wirtschaftlich vorteilhaft ist. „Nachhaltigkeit ist derzeit das vorherrschende Thema. Familienunternehmen überzeugen im Kern durch Beständigkeit, langfristige Perspektive und ökonomische Nachhaltigkeit. Dies verdanken sie in der Regel insbesondere vier Qualitätsfaktoren: Starke Bilanzen, ein hoher Innovationsgrad, überdurchschnittliche Margen sowie dynamisches Wachstum. <?page no="37"?> 1.4 Controlling und Nachhaltigkeitscontrolling 37 Eigentümerfamilien sind typischerweise mit einem Großteil des eigenen Vermögens in ihrer Firma investiert und an der langfristigen Wertentwicklung interessiert - was heute zunehmend mit der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren verbunden ist.“ (Olsen 2021) Controlling und Nachhaltigkeitscontrolling Der Titel des Buches, Nachhaltigkeitscontrolling, enthält bereits die zentrale Botschaft: die Nachhaltigkeit ist im Unternehmen professionell und zielorientiert zu steuern. Der Begriff Controlling wird im Allgemeinen gleichgesetzt mit der Unternehmenssteuerung - auch in diesem Buch werden beide Begriffe synonym verwendet. In Abgrenzung zur Unternehmensführung, welche die direkte Verhaltensbeeinflussung durch das Management beinhaltet und das Unternehmen als soziales System betrachtet, stellt die Steuerung die instrumentale Betrachtung in den Vordergrund. Die gesamte Organisation wird auf ein rationales, zielorientiertes Handeln ausgerichtet. Wie nachhaltig agieren Controller in den Unternehmen? Wie werden die Controller in den Unternehmen gesehen? Werden sie als die wesentlichen Treiber für eine nachhaltige Unternehmenssteuerung wahrgenommen? In der Praxis wird dieses Bild zumeist nicht geteilt. So zeigte etwa die Studie von Schaltegger et al. Bereits aus dem Jahr 2012, dass die Bereiche Finanzen, Controlling und Rechnungswesen bei Nachhaltigkeitsthemen kaum relevant sind. Dort heißt es: „Hingegen sind Rechnungswesen, Controlling und Finanzierung noch immer außen vor. Die Einbindung dieser Funktionsbereiche ist für eine Verankerung von Nachhaltigkeit in den ökonomischen Unternehmensentscheidungen jedoch essenziell“ (Schaltegger, Hörisch, Windolph, Harms 2012, S. 11). Das Controlling war von der Nachhaltigkeit wenig betroffen, es hatte nur einen geringen Einfluss auf die Nachhaltigkeit und war auch bei der Umsetzung von Maßnahmen wenig engagiert (vgl. Schaltegger, Hörisch, Windolph, Harms 2012, S. 31f.). In der Befragung durch die WHU (Otto Beisheim School of Management in Vallendar, WHU Controller Panel) im Jahr 2021 zeigte sich keine wesentliche Veränderung in der Rolle des Controllings. Befragt wurden Finanz- und Controlling-Verantwortliche in überwiegend mittelgroßen und großen Unternehmen (vgl. Schäffer 2022, S. 5ff.). In nachfolgender Abbildung 1-7 ist für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern dargestellt, welche Abteilungen als maßgebliche Treiber für die Nachhaltigkeit wahrgenommen werden (mit Mehrfachnennungen) und in welchen Abteilungen die Nachhaltigkeit primär verankert ist. In der WHU-Zukunftsstudie aus dem Jahr 2023, bei der Controller und Controlling- Leiter von über 350 großen mittelständischen sowie großen Unternehmen befragt wurden, bestätigt weiterhin die Diskrepanz zwischen praktischer Notwendigkeit und der Controlling-Praxis. <?page no="38"?> 38 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung Abb. 1.7: Welche Abteilungen sind die Treiber der Nachhaltigkeit und in welchen ist die Umsetzung verankert? Befragung von Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern im WHU Controller Panel, Mehrfachantworten möglich (Quelle: Schäffer 2022, S. 6) „Bei keinem anderen Thema auf unserer Liste klaffen die aktuelle und die für die Zukunft erwartete Bedeutung so weit auseinander wie hier. Und bei keinem anderen Thema scheinen sich politisch korrekter Diskurs und Postulate in der Literatur so weit von der (noch) gelebten Praxis im Controlling entfernt zu haben. Gleichzeitig kann nur das Controlling die Brücke zwischen den neuen nicht finanziellen Metriken und betriebswirtschaftlichem Kalkül bauen, kann nur das Controlling die Verankerung von ESG-bezogenen Themen in der Unternehmenssteuerung hinreichend sicherstellen. Nimmt man das Thema Nachhaltigkeit also ernst, muss das Controlling in den Fahrersitz.“ (Schäffer, Reimer 2024, S. 55f.). Bis heute hat sich noch keine einheitliche Lösung zur organisatorischen Integration durchgesetzt. Dominierend sind die Strategieabteilung und die Nachhaltigkeitsabteilung. Nur bei 6% der Unternehmen ist die Nachhaltigkeit im Controlling verankert. Bei kleineren Unternehmen liegt der Anteil etwas höher. Man erkennt, dass bei vielen Unternehmen die Nachhaltigkeit noch immer ein Thema des Marketings und der Kommunikation/ PR ist. Diese beiden Bereiche gelten als bedeutsame Treiber der Nachhaltigkeit und zusammengenommen ist bei 11% der Unternehmen die Nachhaltigkeit dort verankert. Erstaunlich ist, dass bei 18% der Unternehmen die Nachhaltigkeit keiner Abteilung verantwortlich zugeordnet ist. Die Studie von Schaltegger u.a. aus dem Jahr 2020 bestätigt ebenfalls das immer noch geringe Engagement der Controller. In der nicht repräsentativen Erhebung haben ganze 6% der Controller bestätigt, sich intensiv mit der Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Und 59% beschäftigen sich hiermit fast nie bzw. haben fast keine Berührungspunkte zur Nachhaltigkeit. Controller agieren dabei sogar oft als sogenannte Gatekeeper. Sie verhindern in dieser Rolle, dass Nachhaltigkeitsthemen in Reports einfließen und somit im Management thematisiert werden (vgl. Schaltegger u.a. 2020, S. 3ff.). „Aus einer Steuerungsperspektive gibt dieser Befund zu denken. Wer, wenn nicht das <?page no="39"?> 1.4 Controlling und Nachhaltigkeitscontrolling 39 Controlling, soll das Thema Nachhaltigkeit federführend in der Unternehmenssteuerung verankern? Wer, wenn nicht das Controlling, soll die Verbindung zwischen den Treibern eines nachhaltigen Wirtschaftens und der Finanzperspektive aufzeigen? Wer, wenn nicht das Controlling, hat einen guten Überblick über alle wertschöpfenden und nicht wertschöpfenden Prozesse im Unternehmen? Und wer, wenn nicht das Controlling, kann den zunehmenden Druck von Kunden und Investoren gut in ein systematisches Programm interner Nachhaltigkeitsinitiativen übersetzen? “ (Schäffer 2022, S. 8) Zwar wurden für die Steuerung der Nachhaltigkeit in den letzten Jahren und Jahrzehnten zahlreiche Methoden entwickelt, wie etwa die Umweltkostenrechnung, die Ökobilanzierung oder die Ökoeffizienzanalyse, doch werden diese vor allem von Nachhaltigkeitsexperten und weniger von Controllern genutzt. Dabei entstammen viele dieser Methoden dem Rechnungswesen, wofür Controller prädestiniert sind (Petersen u.a. 2021, S. 9). In einer qualitativen Studie auf der Basis von 33 Controllern deutscher Unternehmen äußerten knapp zwei Drittel der Befragten, dass sie selten oder nie mit Nachhaltigkeit zu tun haben. In dieser Studie wurden als Gründe drei Themenfelder erkannt: das Selbstverständnis der Controller, die Arbeitsroutinen und psychologische Vorbehalte (Petersen u.a. 2021, S. 9ff.): ◼ Selbstverständnis Im Rollenbild des Controllers als Business Partner liefert dieser dem Management nicht nur die notwendigen Daten, sondern beschränkt das Management dort, wo Entscheidungen den Unternehmenszielen widersprechen. Er diskutiert auf Augenhöhe und geht Konflikten nicht aus dem Weg. In der Praxis sehen sich Controller hingegen oftmals noch als reine Zahlenlieferanten und beschränken sich teils sogar nur auf die vom Management angeforderten Daten. Informationen zur Nachhaltigkeit werden dabei selten angefordert, wenn sie nicht gerade zum Kerngeschäft gehören. Controller nehmen Nachhaltigkeit oftmals noch als Compliance- und Marketingthema wahr (Schäffer 2022, S. 4). ◼ Arbeitsroutinen Als Business Partner sollen Controller das Management in sämtlichen steuerungsrelevanten Fragen beraten, auch wenn diese nur indirekte Wirkungen auf betriebswirtschaftliche Kennzahlen haben. In der Praxis wird der Arbeitsalltag hingegen stark durch regelmäßige Berichtszyklen geprägt, bei denen operative Kennzahlen dominieren. Längerfristige und indirekte Wirkungen werden nur selten berichtet. Das Operative dominiert das Strategische und das Normative. Nachhaltigkeitsthemen werden nur selten berichtet, da die Wirkungsketten unklar erscheinen und der Nutzen bzw. der Beitrag zum Unternehmenserfolg unbekannt ist. Es wurde festgestellt, dass Controller Nachhaltigkeitsthemen selbst dann nicht erfassen und berichten, auch wenn sie persönlich die Nachhaltigkeit für wichtig erachten. ◼ Psychologische Vorbehalte Für Nachhaltigkeit fühlen sich Controller häufig nicht zuständig. Dies wird oftmals neben dem Kerngeschäft verortet, bei dem nicht erkannt wird, welchen Mehrwert <?page no="40"?> 40 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung das Controlling hierfür bieten könnte. Das Know-how zur Nachhaltigkeit wird deshalb nicht eigenständig ausgebaut und die fehlenden Kompetenzen bestärken damit wiederum die bestehenden Arbeitsroutinen. Das Controlling überlasst die Steuerung der Nachhaltigkeit einer Nachhaltigkeitsabteilung und entlastet sich damit zugleich. Teils geht diese Entlastung so weit, dass nicht einmal der Austausch mit den für die Nachhaltigkeitssteuerung zuständigen Kollegen gesucht wird. Durch Unwissenheit wird die Aufspaltung der Steuerung weiter verfestigt. Rollenbild des Business Partners Diese für eine effektive und ganzheitliche Unternehmenssteuerung schädliche Entwicklung kann dadurch aufgehoben werden, dass die Rollenänderung des Controllings vom Topmanagement aktiv eingefordert wird. Wenn sich das Unternehmen konkrete Nachhaltigkeitsziele setzt, sind diese auch für die Controller relevant. Ebenso ist das Controlling in die Nachhaltigkeitsberichterstattung einzubinden, wodurch die Messmethoden, Ziele und Maßnahmen auch für die interne Steuerung genutzt werden können. Darüber hinaus ist das seit vielen Jahren propagierte Rollenbild des Business Partners tatsächlich auch einzuführen. Der Controller sichert die Rationalität sämtlicher Entscheidungen und verschafft auch darüber Transparenz, wie sich ökologische und soziale Probleme lösen lassen und wie sich diese ökonomisch auswirken. Und wenn die Steuerung der Nachhaltigkeit einer Nachhaltigkeitsabteilung zugeordnet ist, sollte es zwischen dieser Abteilung und dem Controlling einen engen Austausch geben. Nur gemeinsam können sie Transparenz zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Dimensionen herstellen. Die Kompetenzen über Daten und Methoden müssen kombiniert werden mit den nachhaltigkeitsspezifischen Kompetenzen. Solch eine Weiterentwicklung beinhaltet auch eine kulturelle Dimension. Die Nachhaltigkeitsabteilung wie auch das Controlling mögen sonst befürchten, dass durch eine enge Zusammenarbeit die eigenen Wertvorstellungen und Methoden verwässert werden. (Petersen u.a. 2021, S. 12ff.) Die seit vielen Jahren verkündete moderne Rolle der Controller, die des Business Partners, scheint in vielen Unternehmen noch nicht oder nur unvollständig umgesetzt zu sein. Damit sind zugleich auch die Voraussetzungen ungünstig, dass Controller sich zu bedeutsamen Akteuren der Nachhaltigkeitssteuerung entwickeln. Dies ist nicht nur eine vertane Chance für das Controlling, sondern schränkt die professionelle Umsetzung der Nachhaltigkeit in den Unternehmen ein. Diese ernüchternde Ausgangssituation legt nahe, dass sich viele Controller oftmals noch mehr als Spezialisten für eine rechnungswesenbasierte Unternehmensplanung und Kontrolle sehen und die Herausforderungen des Business Partners zumeist noch nicht angenommen haben. Zwischen der Notwendigkeit einer professionellen, nachhaltigen Steuerung des Unternehmens und der beobachteten Ausgangslage herrscht also noch eine große Lücke. „Nachhaltigkeit und Controlling - bis heute können sich viele Controllerinnen und Controller nicht vorstellen, was das für sie bedeuten soll. Empirische Studien untermauern dies: Controller zeigen eine sehr große Zurückhaltung und sind nur selten am Nachhaltig- <?page no="41"?> 1.4 Controlling und Nachhaltigkeitscontrolling 41 keitsmanagement beteiligt. So überlassen Controller heute Nachhaltigkeitsthemen oft anderen Abteilungen. Dies ist verwunderlich, könnten doch gerade Controllerinnen und Controller offensichtlich einen erheblichen Beitrag in der Operationalisierung der Nachhaltigkeitsstrategie, der Verankerung im Kerngeschäft und der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Unternehmenssteuerung leisten.“ (Quelle: Kämmler-Burrak, Bauer 2022, S. 25f.) Controller als Nachhaltigkeits-Controller Dieses Buch stellt den Controllern die wichtigsten Grundlagen des Nachhaltigkeitscontrollings zur Verfügung. Es werden bedeutsame Fach- und Methodenkompetenzen vorgestellt und der Controller wird befähigt, diese zielorientiert einzusetzen. Die Unsicherh.it vor der Erweiterung des Arbeitsgebietes soll genommen und das Interesse an der Herausforderung, sich als „Nachhaltigkeits-Controller“ zu etablieren, geweckt werden. Managern soll verdeutlicht werden, wie die Controller sie bei der Umsetzung einer an der Nachhaltigkeit ausgerichteten Unternehmensführung unterstützen können. Auch im Nachhaltigkeitscontrolling bleibt es die Kernaufgabe der Controller, „steuerungsrelevante Daten aufzubereiten mit dem Ziel, dass der Kunde des Controllers eine Entscheidung fällen kann, das ist und das bleibt die grundlegende Aufgabe des Controllings“ (Colsman 2013, S. 50). Beschäftigt man sich mit dem Nachhaltigkeitscontrolling, so tritt die Frage auf, welche Unterschiede es im Vergleich zum traditionellen Controlling gibt. Doch gibt es „das“ traditionelle Controlling überhaupt? In den Unternehmen finden wir sehr unterschiedliche Rollenbilder und Reifegrade des Controllings und diese verändern sich im Zeitverlauf. Hierzu sei Péter Horváth, einer der renommiertesten Controllingexperten, zitiert: „Die Erwartungshaltung hat sich in den vergangenen Jahren dahingehend entwickelt, dass ein Controller als Business Partner des Managements fungiert. ... Dazu gehört nicht mehr nur die Bereitstellung von benötigten Informationen, sondern das aktive Vorbereiten und Begleiten von Entscheidungsprozessen sowie das Führen eines hoch qualifizierten Dialoges zwischen den einzelnen Geschäftsfeldern und Funktionsbereichen. Der Controller ist damit sowohl Finanzspezialist als auch unternehmensinterner Berater, schaut in die Vergangenheit genauso wie in die Zukunft, zeichnet sich durch proaktives Handeln und ganzheitliche Kommunikation aus. Genau dieses Rollenverständnis ist auch bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit sowie eines zugehörigen Nachhaltigkeitscontrollings gefragt. Das Thema Nachhaltigkeit verstärkt im Grunde die Entwicklung zum Business Partner des Managements.“ (Horváth, Gleich 2013, S. 23) Demnach ist das Nachhaltigkeitscontrolling keine wesensfremde Anforderung an die Controller, sondern Ergebnis einer konsequenten Weiterentwicklung des Controllings. Die Rolle des Business Partners hat nach wie vor eine große Bedeutung. Aller- <?page no="42"?> 42 1 Grundlagen der Nachhaltigkeitssteuerung dings wurde auch deutlich, dass frühere Prognosen, wie schnell sich das Business Partnering durchsetzen wird, nicht eingetreten sind. „Offenbar … dauern derartige Anpassungsprozesse deutlich länger als es die in unseren Studien befragten Finanzvorstände und Controller ursprünglich erwartet hatten“ (Schäffer, Weber 2021, S. 54). Das Business Partnering landet in der seit 2011 regelmäßig durchgeführten Zukunftsstudie der WHU stets unter den zehn bedeutsamsten Zukunftsthemen des Controllings. Anders sieht es hingegen beim Thema Nachhaltigkeit aus: „Und noch ein Thema vermag man auf der Liste der zehn wichtigsten Zukunftsthemen im Controlling vermissen: die „Nachhaltigkeit“. In unserer ersten Erhebung in Jahr 2011 zählte dieses Thema noch dazu. Trotz Fridays for Future und trotz aller Lippenbekenntnisse in Davos ist das Thema aber noch immer nicht auf die vorderen Rangplätze zurückgekehrt. Auch hier glauben wir: Das wird (und muss) sich in den nächsten Jahren ändern. Die Finanzfunktion kommt am Thema Nachhaltigkeit nicht vorbei. Alles andere würde auf lange Sicht die gesellschaftliche Akzeptanz unserer Wirtschaftsform gefährden.“ (Schäffer, Weber 2021, S. 53) Leitbild des Nachhaltigkeitscontrollings Für das Nachhaltigkeitscontrolling müssen deshalb auch keine völlig neuen Leitbilder und Definitionen entwickelt werden. Das in der Controllerpraxis angesehene Leitbild der IGC International Group of Controlling muss im Sinne der Nachhaltigkeit nur dort erweitert werden, wo der Fokus bisher auf die ökonomische Dimension beschränkt ist. Das Leitbild ist dementsprechend, um die zwei fett markierten Passagen zu erweitern: ◼ „Controller gestalten und begleiten den Managementprozess der Zielfindung, Planung und Steuerung und tragen damit eine Mitverantwortung für die Zielerreichung“ ◼ „Controller sorgen für Strategie-, Ergebnis-, Finanz- und Prozesstransparenz und tragen somit zu höherer Wirtschaftlichkeit und zur Stärkung der ökologischen und sozialen Ziele bei. ◼ Controller koordinieren Teilziele und Teilpläne ganzheitlich und organisieren unternehmensübergreifend das zukunftsorientierte Berichtswesen. ◼ Controller moderieren und gestalten den Management-Prozess der Zielfindung, der Planung und der Steuerung so, dass jeder Entscheidungsträger zielorientiert handeln kann. ◼ Controller leisten den dazu erforderlichen Service der betriebswirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Daten- und Informationsversorgung. ◼ Controller gestalten und pflegen die Controllingsysteme.“ (Internationaler Controller Verein 2007, S. 8, Ergänzungen des Verfassers sind fett markiert) Das Controller-Leitbild beschreibt also, bis auf die beiden fett markierten Erweiterungen, zutreffend auch die Aufgaben und das Selbstverständnis des Nachhaltigkeitscontrollings. <?page no="43"?> 1.4 Controlling und Nachhaltigkeitscontrolling 43 Wir haben festgestellt, dass das Leitbild des Controllings mit der Erweiterung auf die drei Zieldimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales auch den Kern eines Nachhaltigkeitscontrollings ausmacht. Kapitel 1: Erkenntnisse Der aktuelle Stand der Nachhaltigkeit in den Unternehmen wurde verdeutlicht. Insbesondere wachsende regulatorische Anforderungen und der Kapitalmarkt erhöhen den Druck, die Steuerung der Nachhaltigkeit und die Berichterstattung zukünftig deutlich auszubauen. Die Nachhaltigkeit wird zumeist gemäß des Brundtland-Berichts definiert und durch das 3-Säulen-Modell präzisiert. Jedoch sind die planetaren Grenzen die Grundlage der Gesellschaft und diese ist die Basis unternehmerischen Handelns. Dieses Verständnis einer nachhaltigen Betriebswirtschaft sollte das 3-Säulen-Modell ersetzen. Auch wenn Nachhaltigkeit gesellschaftlich erwünscht ist, fällt die Umsetzung schwer. Eine an der Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmenssteuerung wird durch verschiedene Hemmnisse beeinträchtigt, von denen zehn vorgestellt wurden. Nachhaltigkeitscontrolling ist keine weitere Controllingfunktion, die durch Spezialisten bearbeitet wird, sondern als integraler Bestandteil des Controllings in seiner Weiterentwicklung hin zum Business Partnering zu sehen. Verfolgt das Unternehmen neben ökonomischen auch ökologische und soziale Ziele, ist es die Aufgabe der Controller, die für diese Ziele notwendige Transparenz zu verschaffen, Chancen zu sichten und geeignete Maßnahmen zu planen. Nur wenige Controller füllen diese Rolle heute bereits aus. <?page no="45"?> 2 Anforderungen an die Unternehmen Lernziele Die Leser ◼ wissen, wie Nachhaltigkeit in den Unternehmenszielen verankert wird. ◼ kennen den Einfluss der Shareholder und der Stakeholder auf die Nachhaltigkeit von Unternehmen. ◼ überblicken die aktuellen regulatorischen Anforderungen, die eine deutliche Steigerung des Nachhaltigkeitsengagements erfordern. ◼ sind sich der praktischen Bedeutung der Nachhaltigkeitsstandards bewusst und kennen deren wichtigsten Inhalte. In diesem Kapitel wird der Blick auf die Anforderungen an die Unternehmen gerichtet, nachhaltig zu sein. Diese können von außen an die Unternehmen herangetragen werden, wie etwa von Kunden oder Investoren, oder aber das Management setzt sich diese Ziele aus eigener Überzeugung. Praktisch gibt es ein Gemisch verschiedener Anforderungen, die sich gegenseitig unterstützen oder auch hemmen können. Der Manager, der von nachhaltigem Handeln überzeugt ist, wird durch regulatorische Anforderungen in seinen Bemühungen bestärkt. Ist ein Investor hingegen an kurzfristigen Finanzzielen interessiert, wird das Management in der Umsetzung der Nachhaltigkeit behin- 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.2 <?page no="46"?> 46 2 Anforderungen an die Unternehmen dert. Die Unternehmensziele integrieren schließlich sämtliche an das Unternehmen gerichtete Anforderungen. Wobei das Management nicht nur Befehlsempfänger ist, sondern die Anforderungen selbst auch prägen und beeinflussen kann. Informiert das Management einen Gesellschafter, wie sich eine nachhaltige Maßnahme auf den kurz- und langfristigen Unternehmenserfolg auswirkt, beeinflusst es auch dessen Entscheidungen. Stakeholder werden nicht nur befragt, was sie wünschen, sondern ein aktives Stakeholdermanagement nimmt auch Einfluss auf diese. Deshalb spricht man auch von einem Stakeholderdialog, weil es um den Austausch geht, und nicht um eine Stakeholderbefragung. Einerseits sind Unternehmen ein Instrument in der Hand der Stakeholder, die damit ihre Ziele realisieren wollen, andererseits verfolgen die Mitglieder des Unternehmens mit dem Unternehmen ihre eigenen Ziele. Wie sich in Unternehmen Machtstrukturen entwickeln und welche Ziele sich durchsetzen, ist eine komplexe Angelegenheit. Es gibt verschiedene Akteure und deren Machtposition kann sich im Zeitverlauf verändern. Unternehmensziele Anforderungen an Ziele Die Aussage „Wir wollen ein nachhaltiges Unternehmen sein“ ist sicherlich kein geeignetes Unternehmensziel. Hierfür gibt es konkrete Anforderungen. So sollte der Zielinhalt genau beschrieben sein. Er muss spezifisch sein und sich beispielsweise auf den CO 2 -Ausstoß, die Menschenrechtsverstöße in der Lieferkette oder die Fluktuationsrate beziehen. Als weiteres ist auch das Zielausmaß festzulegen. Welche Ausprägung des Ziels soll erreicht werden: auf wie viel Tonnen soll der CO 2 -Ausstoß reduziert werden, es sollen keine Menschenrechtsverstöße in der Lieferkette vorfallen und die Fluktuationsrate soll auf 3% gesenkt werden. Drittens ist die zeitliche Dimension zu klären. Ein Ziel ist nur dann präzise genug, wenn bestimmt ist, bis zu welchem Termin es erreicht sein soll. Schließlich ist noch der Zielträger zu bestimmen. Bezieht sich der CO 2 -Ausstoß auf das gesamte Unternehmen, auf einzelne Betriebsstätten oder beinhaltet es gar die gesamte Wertschöpfungskette. Umfasst die Verhinderung von Menschenrechtsverstößen die gesamte Lieferkette oder werden nur die direkten Lieferanten betrachtet. Und auch bei der Fluktuationsrate muss genau definiert werden, wie diese berechnet wird und was nicht in die Kennzahl einfließen soll. Beispiel Mercedes-Benz Bei folgendem Nachhaltigkeitsziel der Mercedes-Benz AG werden Zielinhalt, Zielausmaß, die Zeit und der Zielträger berücksichtigt: Senkung des Wasserverbrauchs je PKW in der Produktion gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2013/ 14 bis 2030 um 33%. Beim nächsten Nachhaltigkeitsziel sind die Anforderungen hingegen nur unzureichend beschrieben: <?page no="47"?> 2.1 Unternehmensziele 47 „Bis 2025 wollen wir 70% aller von uns eingesetzten Produktionsmaterial-Rohstoffe mit hohem Risiko für Menschenrechtsverletzungen einer Überprüfung unterziehen und notwendige Verbesserungsmaßnahmen definieren.“ (Mercedes-Benz AG, Nachhaltigkeitsbericht 2020) Unklar ist hier, was mit hohem Risiko für Menschenrechtsverletzungen konkret gemeint ist. Hierfür wäre eine genaue Definition notwendig. Ebenso ist die Aussage „einer Überprüfung unterziehen“ und „notwendige Verbesserungsmaßnahmen definieren“ zu unpräzise, damit sie sich als Ziel eignen. Wer entscheidet über die Unternehmensziele? Der Triple-Bottom-Line-Ansatz legt nahe, dass Unternehmen ökonomische, ökologische und soziale Ziele gleichermaßen verfolgen. Demnach ist zwischen diesen Zielen, vor allem wenn Zielkonflikte auftreten, eine Balance herzustellen. In Weber et al. (vgl. Weber, Georg, Janke, Mack 2012, S. 17) werden hingegen Befragungen genannt, aus denen resultiert, dass in den Unternehmen vor allem der ökonomische Triple-Bottom- Line-Ansatz als relevant angesehen wird. Damit stehen die ökonomischen Ziele über den sozialen und ökologischen Zielen. Soziale und ökologische Maßnahmen werden also nur getätigt, wenn sie sich ökonomisch lohnen. Bereits in Abschnitt 1.2 haben wir festgestellt, dass diese Priorisierung den Begriff des nachhaltigen Managements ad absurdum führt. Wenn soziale und ökologische Anforderungen nur erfüllt werden, wenn diese das ökonomische Ziel steigern, handelt das Unternehmen nicht nachhaltig, sondern wirtschaftlich. Hierfür wird der Begriff der Nachhaltigkeit nicht benötigt. In einer nachhaltigen Unternehmensführung ist daher anzustreben, alle drei Zieldimensionen zu erreichen. Starke Nachhaltigkeit setzt voraus, dass ökologische und soziale Ziele verfolgt werden, auch wenn sie im Widerspruch zu den ökonomischen Zielen stehen. Wie zuvor bereits aufgeführt, liegt die Entscheidungshoheit über die Ziele formal bei den Eigentümern. Es ist aber keinesfalls so, dass das Management die Ziele eins zu eins umsetzt. Faktisch hat das Management gegenüber den Eigentümern aufgrund seines Informationsvorsprungs und seiner Handlungsspielräume Macht (Principal-Agent-Theorie). Aus dem gleichen Grund haben die Mitarbeiter auch Macht gegenüber dem Management. Sowohl Mitarbeiter als auch Manager haben in einem gewissen Umfang Handlungsspielräume, um Entscheidungen an den eigenen Vorstellungen auszurichten. Insbesondere das Top-Management spielt eine bedeutsame Rolle bei der nachhaltigen Transformation (vgl. Bernatzky, Endenich, Wömpener 2018, S. 213f.). Optimale Nachhaltigkeit Welche Intensität an Nachhaltigkeit sollte ein Unternehmen anstreben? Wann kann man von einer optimalen Nachhaltigkeit sprechen? Ein Maßstab hierfür könnte die Wertschöpfung sein. Unternehmerische Aktivitäten verursachen aber nicht nur <?page no="48"?> 48 2 Anforderungen an die Unternehmen positive Wirkungen, sondern auch negative. Dies ist die Schadschöpfung. Es werden negative externe Effekte verursacht. Diese können direkte wirken (z.B. Emissionen bei der Produktion, schlechte Arbeitsbedingungen beim Lieferanten) oder sie können indirekt auftreten (z.B. Produkte führen längerfristig zu Gesundheitsschäden, Produkte sind nicht recyclingfähig). Negative Wirkungen werden auch durch nicht nachhaltige Geschäftsmodelle verursacht (z.B. nicht nachhaltige Konsumgewohnheiten wie Verpackungen bei To-Go-Produkten oder Aluminiumkapseln für Kaffeeautomaten). Bei der Suche nach einer optimalen Nachhaltigkeit sind die Wertschöpfung und die Schadschöpfung zu beachten. Oftmals werden bei der Abwägung nachhaltiger Maßnahmen konfliktäre Beziehungen zwischen der Wert- und Schadschöpfung befürchtet (linkes Diagramm in Abb. 2.1). Wird etwa die Wertschöpfung dadurch erhöht, dass mehr Produkte verkauft werden, wird auch die bei der Produktion verursachte Schadschöpfung größer sein. Aufgrund des Rebound-Effekts können sogar umweltfreundlichere Produkte die Schadschöpfung steigern, wenn der Mehrabsatz die Einsparungen an Schäden je Produkt überwiegt. Abb. 2.1: Wertschöpfung vs. Schadschöpfung (eigene Darstellung in Anlehnung an Beckmann, Schaltegger 2014, S. 329) Wie kann hier ein Optimum von Schad- und Wertschöpfung bestimmt werden? Da die Schadschöpfung zum Teil nicht ohne weiteres quantifiziert oder in Geldeinheiten ausgedrückt werden kann, fällt eine reine Aufrechnung schwer. Bei komplett monetarisierten Wirkungen fiele die Entscheidung leicht: die Produktion führt zu einer Wertschöpfung in Höhe von 1 Mio. € und verursacht einen Schaden in Höhe von 0,8 Mio. €. Damit entsteht ein Mehrwert in Höhe von 0,2 Mio. € und die Produktion erweist sich in Summe als wertsteigernd und sinnvoll. Das Optimum wäre erreicht, wenn alle unternehmerischen Maßnahmen ergriffen werden, bei denen die Wert- <?page no="49"?> 2.1 Unternehmensziele 49 schöpfung die Schadschöpfung überwiegt. Für Umweltschäden und soziale Schäden liegen aber meist keine Marktpreise vor und Näherungslösungen zur Schätzung der Kosten führen bei Stakeholdern teils zu keiner Akzeptanz. Schließlich ist auch die Aufrechnung verschiedener Wirkungen teils bedenklich, teils nicht akzeptabel. Einen Anstieg von Menschenrechtsverstößen damit zu rechtfertigen, dass die Gewinne noch stärker gestiegen sind, dürfte kaum jemand gutheißen. Kurzfristig dürfte der Trade-off, dass Wertschöpfung zu mehr Schadschöpfung führt, kaum vermeidbar sein. Eine zunehmende Produktion führt zu vermehrtem Energieverbrauch und der Wechsel hin zu einem günstigeren Lieferanten kann zu vermehrten ökologischen und sozialen Schäden in der Lieferkette führen. Hieraus leitet sich die Befürchtung ab, dass Nachhaltigkeit den wirtschaftlichen Erfolg schmälert. Man solle von Unternehmen daher nicht zu viel Nachhaltigkeit einfordern. Bei einer optimalen Ausgestaltung der Nachhaltigkeit muss der Trade-off zwischen Wert- und Schadschöpfung durch Prozess- und Produktinnovationen oder durch nachhaltige Geschäftsmodelle aufgelöst werden (rechtes Diagramm in Abb. 2.1). Dies können beispielsweise energiesparende Produktionsweisen sein, so dass Energiekosten eingespart und zugleich die Umweltbelastung verringert werden. Oder aber es werden weniger umweltbelastende Produkte angeboten, für die Kunden einen höheren Preis zu bezahlen bereit sind. Schließlich können auch Geschäftsmodelle wie Car Sharing oder Smart Home den Trade-off auflösen. Innovationen nehmen damit eine bedeutsame Rolle auf dem Weg zur Ausgestaltung einer optimalen Nachhaltigkeit ein. In der im Jahre 2021 durchgeführten Befragung von Top-Managern deutscher großer Unternehmen heißt es: „So konfliktträchtig die Interessen verschiedener Stakeholder sind, so spannungsgeladen ist auch der damit verbundene grundsätzliche Zielkonflikt. Unternehmen müssen ein neues Gleichgewicht zwischen klassischen wirtschaftlichen Faktoren und dem Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit finden. Gut die Hälfte der an dieser Analyse beteiligten Führungskräfte erachten derzeit Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit noch als Gegensätze, aus Sicht der anderen Hälfte ist dies nicht mehr so. Werden die Aussagen der Top-Entscheiderinnen und -Entscheider näher analysiert, zeigt sich, dass vor allem kurzfristig noch Skepsis herrscht. Mittel- und langfristig rückt Nachhaltigkeit ins Zentrum jedes Geschäftsmodells und wird dann auch wirtschaftlichen Ansprüchen genügen.“ (Raffel, Wörner 2021, S. 44). Realistischerweise wird es wohl kaum Unternehmen geben, die in allen Belangen vollständig nachhaltig sind. Eine Vermeidung jeglicher negativen Wirkungen ist unrealistisch. Aber man findet Unternehmen, die unterschiedlich weit weg sind von diesem Ideal. „Auch wenn kein Unternehmen in vollem Umfang nachhaltig ist, und auch die Frage unbeantwortbar bleibt, wann genügend große Schritte erzielt wurden, dass ein Unterneh- <?page no="50"?> 50 2 Anforderungen an die Unternehmen men als wirklich nachhaltig bezeichnet werden kann, so zeigen diese Eckgrößen dennoch eine Orientierung in einem Spektrum zwischen Unnachhaltigkeit und Nachhaltigkeit auf, die einzuschlagen es sich für die Unternehmen und die Gesellschaft lohnt. Dies ist Aufgabe und Herausforderung des Nachhaltigkeitsmanagements.“ (Schaltegger 2015, S. 201) Business Case for Sustainability Von einem „Business Case for Sustainability“ spricht man, wenn durch freiwillige ökologische und soziale Leistungen zugleich der wirtschaftliche Erfolg gesteigert wird. Dabei wird nicht durch opportunistische Maßnahmen der ökonomische Erfolg gesteigert, sondern im Sinne der Triple-Bottom-Line vermag die Integration ökologischer und sozialer Aktivitäten im Geschäftsmodell alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen zu stärken (vgl. Schaltegger 2015, S. 204). Zur Verdeutlichung dieses Zusammenhangs dient folgende Abbildung. Abb. 2.2: Funktionaler Zusammenhang zwischen ökologischen bzw. sozialen Aktivitäten und dem ökonomischen Erfolg (Quelle: in Anlehnung an Schaltegger 2015, S. 205; Lingnau, Fuchs 2022, S. 1028f.) Bei der Suche nach einer optimalen Nachhaltigkeitsintensität können Überlegungen zum funktionalen Zusammenhang zwischen den Nachhaltigkeitsdimensionen hilfreich sein. In traditioneller Sicht waren die Ziele zwischen den einzelnen Dimensionen konfliktär. Mehr vom einen, bedeutet weniger vom anderen. Tatsächlich ist die Zielerreichung hingegen teils komplementär und teils konfliktär. Ökologische und soziale Maßnahmen können bis zu einem gewissen Grad den wirtschaftlichen Erfolg steigern, nach einem Maximum verringert sich dieser aber wieder. Ausgehend von einem Zustand, bei dem keine nachhaltigen Maßnahmen ergriffen werden, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen, steigert in der modernen Sicht ökologisches und soziales Engagement den ökonomischen Erfolg. Beispielsweise wird der <?page no="51"?> 2.2 Shareholder und Kapitalmarkt 51 ökonomische und der ökologische Erfolg zugleich gesteigert, wenn ineffiziente Produktionsprozesse modernisiert werden oder wenn energieintensive Anlagen durch moderne, energieeffiziente Anlagen ersetzt werden. Der soziale und der ökonomische Erfolg kann gesteigert werden, wenn Arbeitsabläufe ergonomisch optimiert werden. Über ein gewisses Niveau hinaus führen weitere ökologische und soziale Maßnahmen aber zu ökonomischen Einbußen. Die naheliegenden und effizientesten Maßnahmen wurden schließlich bereits ergriffen. In einem gewissen Umfang erscheint es gerechtfertigt, dass der ökonomische Erfolg nicht maximiert wird, wenn hierdurch erkennbare ökologische und soziale Erfolge gesichert werden. In Abbildung 2.2 ist dies beispielhaft als „nachhaltiges Optimum 1“ gekennzeichnet. Ziele werden ausgeglichen optimiert, nicht einseitig maximiert. Durch innovative und nachhaltige Geschäftsmodelle lässt sich der Verlauf der Kurve verändern, so dass sich diese nach rechts oben verschiebt und Kombinationen auf der gestrichelten Linie erreicht werden können, wie etwa das „nachhaltige Optimum 2“. „Auf Dauer gibt es nur dann einen Konflikt zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit, wenn man glaubt, man könne die alte Welt erhalten. Im Energiebereich rechnen sich nachhaltige Geschäftsmodelle seit fünf Jahren. Bei allen erneuerbaren Technologien liegen die durchschnittlichen Entstehungskosten auf oder unter dem aktuellen Strompreisniveau und sind damit wettbewerbsfähig.“ (Markus Krebber, Vorstandsvorsitzender der RWE AG, in: Raffel, Wörner 2021, S. 44) In der Nachhaltigkeitsforschung herrscht weitgehend Konsens darüber, dass allein durch Innovationen der Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise nicht erreicht werden kann. Kritiker bemängeln, dass beispielsweise Innovationen nicht ausreichen, die Energiewende zu realisieren und dass Innovationen aufgrund von Rebound-Effekten sogar das Gegenteil bewirken können. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn das Angebot elektrisch angetriebener Fahrzeuge den Anreiz zum Kauf eines Zweitwagens erhöht und dafür auf Bahnfahrten verzichtet wird. Oder wenn der verringerte Aluminiumeinsatz bei Kaffeekapseln zu einem vermehrten Verbrauch führt, da die ökologische Belastung je Kaffeekapsel verringert wurde. Auch in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags wurde über die Rolle von Innovationen kritisch diskutiert. In einem Sondervotum heißt es, dass Innovationen vorschnell als Problemlöser jeglicher Art angesehen werden und dadurch eine ursachenadäquate Problemlösung verhindern. Innovationen können auch neue Bedürfnisse generieren, die ökologisch schädlich und gesellschaftlich möglicherweise bedenklich sind. Als Beispiel sind häufige Vorstellungen neuer Gerätegenerationen und kurze Lebenszyklen bei Smartphones zu nennen (vgl. Enquete-Kommission 2013, S. 793). Shareholder und Kapitalmarkt „Ähnlich wie die Rolle der Kundschaft ist auch die des Kapitalmarkts oftmals eine zwiespältige. Auf der einen Seite fordern Aktionäre Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit auf, auf der anderen Seite behindern sie zum Teil den Wandel, indem sie selbst kurzfristige <?page no="52"?> 52 2 Anforderungen an die Unternehmen Belastungen der Profitabilität bestrafen. Ausnahmen finden sich bei Familienunternehmen, deren Eigentümer oft bereit sind, Investments in Nachhaltigkeit zu honorieren.“ (Raffel, Wörner 2021, S. 40) Investmentgesellschaften Es finden sich zahlreiche Beispiele von Investmentgesellschaften, die von den Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, nachhaltiges Handeln einfordern. Als Anteilseigner haben sie einen direkten Einfluss auf das Topmanagement und teils sind sie selbst Mitglied im Aufsichtsrat. Investmentgesellschaften waren bis vor wenigen Jahren nicht dafür bekannt, Treiber einer nachhaltigen Transformation zu sein. Ankündigungen etwa von der weltweit größten Investmentgesellschaft, Blackrock, oder von der Initiative „Climate Action 100+“, bei der sich mehr als 700 Investoren zum Schutz des Klimas zusammengefunden haben, erwecken den Eindruck eines Rollenwandels (vgl. https: / / www.climateaction100.org). Obiges Zitat, welches die Ergebnisse einer Befragung von 20 Vorständen großer deutscher Konzerne zusammenfasst, zeigt hingegen ein differenzierteres Bild. So uneinheitlich wie die Kunden sind, die nicht alle nachhaltige Produkte kaufen, sind auch die Kapitalanlagegesellschaften bei ihren Investitionsentscheidungen. In einer Studie von PwC aus dem Jahr 2021 wird bestätigt, dass 49% der Investoren nicht bereit sind, wegen gesellschaftlicher und ökologischer Vorteile auf Rendite zu verzichten. 34% erklären sich hingegen bereit, gewisse Einbußen an Rentabilität in Kauf zu nehmen (vgl. PwC 2021, S. 3). Investmentgesellschaften sammeln von Anlegern liquide Mittel und legen diese gemäß der Anlagestrategie in verschiedenen Assetklassen an. Dies können beispielsweise Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Immobilien, Beteiligungen oder Rohstoffe sein. Der Anleger erhält ein Investmentzertifikat, das ihn anteilig zum Miteigentümer am Fondvermögen macht. Ziel ist, das Fondvermögen zu mehren. Die Investmentgesellschaften investieren also nicht eigenes Geld, sondern sie verwalten das Geld anderer. Dies können Pensionsgesellschaften, Banken, Versicherungen, der Bund, Länder, Kommunen, Stiftungen, Unternehmen oder auch Privatpersonen sein. Um Anleger zu gewinnen, entwickeln Investmentgesellschaften unterschiedliche Fonds mit jeweils eigener Anlagestrategie. Die Fondvermögen sind strikt voneinander getrennt. Der Investmentmanager ist an die Anlagestrategie des jeweiligen Fondvermögens gebunden, für die sich ein Anleger entschieden hat. Gemäß dieser Strategie wird das Kapital in die verschiedenen Anlageklassen aufgeteilt, wobei auf die Entwicklung der Märkte und Börsen sowie auf das Risiko zu achten ist. Die Anlagestrategie ist vor allem eine Abwägung zwischen Rendite und Risiko. Diese kann aber durch weitere Vorgaben ergänzt werden. So können die Investitionen etwa auf bestimmte Länder oder Regionen, auf bestimmte Branchen, Größenklassen von Unternehmen oder auch auf nachhaltige Unternehmen beschränkt werden. Entscheidet sich ein Anleger für einen Fond mit einer nachhaltigen Anlagestrategie, wird der Fondmanager nur in solche Assetklassen und Unternehmen investieren, die gemäß der angegebenen Anlagestrategie auch als nachhaltig kategorisiert sind. Bei Investitionen in <?page no="53"?> 2.2 Shareholder und Kapitalmarkt 53 Unternehmen werden dabei häufig Nachweise in Form von Nachhaltigkeits-Ratings eingefordert. Diese zeigen durch einen Dritten, der Rating-Gesellschaft, wie nachhaltig ein Unternehmen ist. In der PwC-Studie bestätigen 68% der Investoren, dass sie Nachhaltigkeits-Ratings nutzen, um Investitionen zu bewerten (vgl. PwC 2021, S. 5). Die Anzahl nachhaltig ausgerichteter Fonds ist in den letzten Jahren stark gestiegen, wobei das Wachstum seit 2022 aber nachgelassen hat. Für börsennotierte Unternehmen wurde es daher wichtiger, nachhaltig zu sein und sich dies durch eine Rating- Gesellschaft bescheinigen zu lassen. Dies ist eine Voraussetzung, um an diese Investorengelder zu gelangen. Der Manager eines nachhaltigen Fonds ist vorwiegend darauf bedacht Unternehmen auszuwählen, die gemäß der Anlagestrategie als nachhaltig kategorisiert sind. Hierfür können beispielsweise Ausschlusskriterien definiert sein wie die Rüstungsindustrie, Tabak, Gentechnik, Glückspiel oder Kohle. Investitionen können aber auch in Unternehmen in nicht als nachhaltig kategorisierten Branchen erfolgen, wenn sich diese auf den Weg einer nachhaltigen Transformation gemacht haben. Der Fondmanager benötigt fundierte und umfassende Informationen über die Umsetzung der Nachhaltigkeit in den Unternehmen, um tatsächliche Nachhaltigkeit von Greenwashing zu unterscheiden. Dies erfordert Kenntnisse im Nachhaltigkeitsmanagement und -reporting sowie einen direkten Austausch mit dem Management. Schließlich neigen nicht wenige Unternehmen dazu, sich mittels professioneller PR nachhaltiger darzustellen als sie tatsächlich sind. Auch in nicht explizit als nachhaltig ausgewiesenen Investmentfonds wird Nachhaltigkeit bedeutender. Wenig nachhaltige Unternehmen gelten als riskant und weniger wettbewerbsfähig. Zudem sind diese Unternehmen im Nachteil, um mit den Auswirkungen des Klimawandels oder mit höheren ökologischen und sozialen Standards umzugehen. Beispielsweise geht ein Unternehmen Risiken in der Beschaffung ein, wenn die bisher bezogenen Vorprodukte nicht mehr den ökologischen Standards entsprechen oder wenn Lieferanten ausfallen, weil sie gegen Sozialstandards verstoßen. Erhebungen zeigen, dass die Aktien nachhaltiger Unternehmen eine leicht geringere Volatilität aufweisen (vgl. Ernst 2021, S. 362f.). Vor dem Hintergrund dieser Gefahren drängen auch nicht primär nachhaltig ausgerichtete Investmentfonds zu nachhaltigerem Handeln, um die Investitionsrisiken zu begrenzen. “We focus on sustainability not because we’re environmentalists, but because we are capitalists and fiduciaries to our clients.” (Larry Fink, CEO von Blackrock, der weltweit größten Investmentgesellschaft, in seinem jährlichen Brief an die CEO der beteiligten Unternehmen, online verfügbar: https: / / www.blackrock.com/ corporate/ investor-relations/ larry-fink-ceo-letter, Abruf: 12.03.2022) Anlagegelder werden von nicht nachhaltigen Unternehmen und Branchen in nachhaltigere Segmente umgeschichtet. Investmentgesellschaften, die sich zögerlicher mit Nachhaltigkeit beschäftigen, setzen sich der Gefahr aus, Wertverluste zu erleiden. Sie erzielen geringere Renditen und gehen höhere Risiken ein. Gegenüber anderen Investmentgesellschaften sind sie weniger wettbewerbsfähig. <?page no="54"?> 54 2 Anforderungen an die Unternehmen Beispiel Shell Von einem der größten Ölkonzerne zum klimafreundlichen Umweltliebling? Das versucht Shell - wenn auch nicht ganz freiwillig. Getrieben und schließlich festgenagelt wurde der Konzern von seinen Investoren, genauer von Union Investment. Der institutionelle Investor hat sein Engagement ausgespielt und den Erdölkonzern dazu gedrängt, seine CO 2 -Reduktionsziele konkret zu benennen. Schon länger führt der Investor mit Shell Gespräche zu bestimmten Nachhaltigkeitsthemen, wie Janne Werning, Head of ESG Capital Markets & Stewardship bei Union Investment, berichtet: „Wie viele Unternehmen hat sich Shell zwar ambitioniert hinsichtlich dieser Themen gezeigt, aber keine konkreten Ziele benannt.“ Union Investment hatte im Dialog mit Shell ein Ass im Ärmel: Seit 2017 ist die Investmentgesellschaft der DZ Bank Mitglied in der Initiative Climate Action 100+, der weltweit 370 institutionelle Investoren angehören, die zusammen 35 Billionen US-Dollar verwalten. Diese geballte Investorenkraft verfehlte ihre Wirkung nicht. „So konnten wir den Druck auf Shell erhöhen“, betont Werning. Besonders nehmen die Initiative sowie die Investoren von Union Investment Unternehmen mit dem weltweit größten CO 2 -Fußabdruck ins Visier, zu denen auch Shell gehört. Wichtig war es dem Investor vor allem, dass Shell die Ziele ganz genau festsetzt: „Für uns als Investor sind verbindliche Ziele wichtig, die von einem festgelegten Ausgangszeitpunkt gemessen werden können. In diesem Fall sprechen wir von den verbindlichen CO 2 -Reduktionszielen in Prozent bis zu einem bestimmten Jahr.“ (Quelle: Backhaus 2020, S. 24) Einflussmöglichkeiten der Shareholder Shareholder haben in Abhängigkeit von ihrem Anteil unterschiedliche Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Management. Als größter Anteilseigner ist auch die Macht potenziell am größten. Es besteht maßgeblicher Einfluss auf die Besetzung der Vorstandspositionen, auf die Ausgestaltung der Vertragskonditionen und der Tantieme, es können Aufsichtsratspositionen besetzt werden und die Unternehmensziele können maßgeblich gestaltet werden. Investmentgesellschaften sind zumeist aber keine Mehrheitsgesellschafter. Allein schon aus dem Grund der Risikostreuung halten sie geringere Anteile. Blackrock als weltweit größte Investmentgesellschaft ist beispielsweise bei den bisherigen DAX30-Unternehmen in einem Umfang von 1% bis 9% beteiligt. Bei sieben Unternehmen ist Blackrock damit aber der größte Einzelaktionär. Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC befragte im Jahr 2021 weltweit Investoren, wie sie Einfluss auf das Management nehmen, wenn Nachhaltigkeitsziele nicht erreicht werden. Was naheliegend ist, wird zumeist das Gespräch mit dem Unternehmen gesucht. Dies nannten 58% der Investoren. 30% verknüpfen die variablen Vergütungen der Manager mit dem Erreichen von Nachhaltigkeitszielen. Dies ist zumeist ein sehr wirkungsvolles Instrument, um das Management zu mehr Nachhaltigkeit zu motivieren. Beim Verfehlen von Nachhaltigkeitszielen votieren 33% der Investoren gegen die Auszahlung von Tantiemen. 29% der Investoren sa- <?page no="55"?> 2.2 Shareholder und Kapitalmarkt 55 gen, sie votieren gegen die Besetzung von Vorstandspositionen, wenn Nachhaltigkeitsziele nicht erreicht werden. Ein Vorstand gefährdet damit seine Vertragsverlängerung, wenn es ihm nicht gelingt, das Unternehmen nachhaltig auszurichten. Ebenfalls 29% sagen aus, dass sie die Anteile der Unternehmen veräußern, die sich zu wenig nachhaltig engagieren. Zudem beabsichtigen die Investoren, die genannten Maßnahmen zukünftig in einem deutlich größeren Umfang einzusetzen. (vgl. PwC 2021, S. 3) Handlungsdruck erfahren die Unternehmen durch ihre Anteilseigner auch auf der rechtlichen Seite. So kann ein Unternehmen verklagt werden, weil es keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen hat, um den Klimawandel zu begrenzen („Failure to Mitigate“). Beispielsweise hat die Stadt New York mehrere Ölkonzerne verklagt, da sie ihre eigene Verantwortung für den Klimawandel heruntergespielt und damit der Stadt einen Schaden zugefügt hätten. Es wurden Schadensersatzansprüche für die Kosten von Schutzmaßnahmen für Überflutungen gestellt. Ein anderer möglicher Klagegrund ist das Versäumnis, dass sich ein Unternehmen unzureichend auf mögliche Schäden durch den Klimawandel vorbereitet („Failure to Adapt“). Ein dritter Klagegrund ist das Versäumnis, Investoren und Stakeholder darüber zu informieren, wie sich der Klimawandel auf das Unternehmen auswirken wird („Failure to Disclose“). Fehlende oder falsche Informationen zu den Risiken des Klimawandels können bei den Investoren Fehlentscheidungen und damit Vermögensverluste verursachen. Klagen richten sich dann nicht nur an das Unternehmen, sondern diese können auch persönlich gegen den Vorstand gerichtet sein. Wie stark wirken die Shareholder und der Kapitalmarkt auf die Nachhaltigkeit? Das Bild, wie stark der Einfluss der Shareholder und des Kapitalmarkts auf eine nachhaltige Ausrichtung der Unternehmen ist, bleibt uneinheitlich. „Unter dem Strich scheint der Einfluss der Finanzmärkte auf das Nachhaltigkeitsverhalten der Firmen bisher eher bescheiden zu sein. Wie stark sich das Bild mit zunehmendem Gewicht von «grünen» Investoren verändern wird, muss sich noch zeigen.“ (Schöchli 2021). Die Aussage von Larry Fink, dass Blackrock nicht deshalb die Nachhaltigkeit forciert, weil sie sich als Umweltschützer verstehen, sondern weil dies dem kapitalistischen Interesse der Wertsteigerung entspricht, mag auch für andere Investmentgesellschaften bedeutsam sein. Es gibt Beispiele, welche die Wirksamkeit von Investmentgesellschaften aufzeigen, wie etwa bei Shell. Die Bain-Studie kam hingegen zu einem ernüchternden Urteil: In großen Konzernen wird die Rolle von Aktionären zwiespältig wahrgenommen. Einerseits fordern diese zur Nachhaltigkeit auf, andererseits werden selbst kurzfristige Einbußen an Profitabilität bestraft (vgl. Raffel, Wörner 2021). „Noch ist es nicht so weit, dass Aktionäre für mehr Nachhaltigkeit weniger Rendite in Kauf nehmen.“ (Joachim Wenning, Vorstandsvorsitzender der Munich RE, in: Raffel, Wörner 2021, S. 40) Die Studie von Kölbel u.a. aus dem Jahr 2020 kommt zum Ergebnis, dass direkte <?page no="56"?> 56 2 Anforderungen an die Unternehmen Interventionen der Aktionäre wirksamer sind als schlichte Ausschlüsse nicht nachhaltiger Unternehmen aus einem Investmentfonds. Den weniger nachhaltigen Unternehmen stehen, zumindest noch aktuell, zumeist weitere Finanzierungsquellen zur Verfügung. Es drohe kein Finanzierungsengpass, doch können die Renditeforderungen der Kapitalgeber höher sein. Ein nicht nachhaltiges Unternehmen wird die höheren Zinsen mit den Kosten vergleichen, die durch Investitionen in Nachhaltigkeit entstehen. Zumindest in einer kurzfristigen Perspektive dürfte der zusätzliche Zinsaufwand oft geringer ausfallen. Das Gegenteil des Ausschlussverfahrens nicht nachhaltiger Branchen und Unternehmen, die Bevorzugung besonders nachhaltiger Unternehmen in einem Investmentfonds, zeigt gemäß dieser Studie keine einheitlichen Auswirkungen. Kann sich ein nachhaltiges Unternehmen günstiger finanzieren, lässt sich daraus keinesfalls schließen, dass diese Finanzmittel auch in zusätzliche nachhaltige Projekte investiert werden. Dies sei aber ein häufig beobachteter Fehlschluss von Investoren. Es wird unterstellt, dass die Finanzierung ursächlich ist für eine zusätzliche nachhaltige Maßnahme, die ohne diese Finanzierung unterbleiben würde. (vgl. Kölbel, Heeb, Paetzold, Busch 2020) In der Studie von Krahnen u.a. aus dem Jahr 2021 wurde der Einfluss nachhaltiger Finanzanlagen auf das Verhalten von Unternehmen insgesamt als marginal bezeichnet. Doch auch hier zeigte sich, dass sich nicht nachhaltige Unternehmen höheren Renditeforderungen gegenübersehen. Das bedeutet nicht, dass nicht nachhaltige Unternehmen rentabler sind, sondern nur, dass Anleger von diesen Unternehmen eine höhere Verzinsung fordern. Die höhere Verzinsungsforderung basiert dabei nicht auf vermeintlich höheren Risiken nicht nachhaltiger Unternehmen, sondern schlichtweg auf dem geringeren Kapitalangebot. Die Aussage von Blackrock, dass Nachhaltigkeitsrisiken Investitionsrisiken seien, wird für die Investoren in dieser Studie nicht bestätigt. Nachhaltige Anleger seien vielmehr bereit auf Renditen zu verzichten, da es ihnen nicht nur um die Rendite, sondern auch um die Nachhaltigkeitsziele gehe: “Thus, passive ESG investors typically suffer a financial loss” (Krahnen, Rocholl, Thum 2021, S. 7). Dieser Zusammenhang zeigte sich schon im vorangehenden Abschnitt in Abbildung 2.2. Nachhaltige Unternehmen richten die Nachhaltigkeit nicht danach aus, das wirtschaftliche Ziel zu maximieren, sondern es wird ein Optimum zwischen den drei Nachhaltigkeitsdimensionen angestrebt. Auf Rendite wird in einem gewissen Umfang verzichtet, wenn dafür auch soziale und ökologische Ziele erreicht werden. Das Verhalten nachhaltiger Unternehmen gleicht somit dem Verhalten nachhaltiger Investoren. (vgl. Krahnen, Rocholl, Thum 2021) Stakeholder „Für das Gelingen des Umbaus unseres Unternehmens ist das Thema Stakeholder-Management das mit Abstand wichtigste.“ (Markus Krebber, Vorstandsvorsitzender der RWE AG, in: Raffel, Wörner 2021, S. 43) <?page no="57"?> 2.3 Stakeholder 57 Die Einflussmöglichkeiten der Stakeholder In einem kapitalistisch geprägten Wirtschaftssystem treffen die Eigentümer eines Unternehmens die Entscheidungen. Im vorangehenden Abschnitt 2.2 wurden daher die Shareholder mit dem Schwerpunkt Investmentgesellschaften näher betrachtet. In der Praxis wird diese Entscheidungskompetenz teils unter Zwang, teils auch freiwillig eingeschränkt. Einerseits gibt es Einflussnahmen der Gesetzgeber, welche die Handlungsfreiheit der Unternehmer beeinträchtigen (z.B. Mitbestimmungsrechte der Mitarbeiter, Kündigungsschutz, Fusionsverbote, Veröffentlichungspflichten, Verbraucherschutz, ...), andererseits beschränken Unternehmen ihre Handlungsfreiheit auf Basis von Verträgen auch freiwillig (z.B. langfristige Rahmenverträge mit Lieferanten und Kunden, Kreditverträge mit Banken, Kooperationen mit anderen Unternehmen, ...). Solche freiwilligen Verträge werden eingegangen, wenn sie für das Unternehmen insgesamt vorteilhaft sind. Einfluss auf das Unternehmen können aber auch weitere Interessengruppen nehmen. Personen oder Gruppen, die ein Interesse am Unternehmen haben, werden als Stakeholder bezeichnet. Gemäß ihrer Beziehung zum Unternehmen können interne und externe Stakeholder unterschieden werden. Abb. 2.3: Interne und externe Stakeholder (eigene Darstellung) Neben den rechtlichen und vertraglichen Ansprüchen der Stakeholder gibt es auch solche, die sich aus den faktischen Machtverhältnissen ergeben. Dies gilt insbesondere für die Kunden. Bei intensivem Wettbewerb muss sich das Unternehmen den Wünschen der Kunden unterwerfen, da diese sonst bei einem anderen Anbieter kaufen. Auch beim Gewinnen und Halten besonders qualifizierter Mitarbeiter muss sich ein Unternehmen engagieren, um für diese der attraktivste Arbeitgeber zu sein. Das Verhalten den Banken gegenüber wird transparent und fair sein, wenn man diese auch zukünftig als Kreditgeber gewinnen möchte. Solche Stakeholder haben also Macht, da sie beim Wettbewerber kaufen, den Arbeitgeber wechseln oder einen Kredit verweigern <?page no="58"?> 58 2 Anforderungen an die Unternehmen können. Andere Stakeholder sind weniger mächtig, sofern dem Unternehmen von ihnen keine negativen Konsequenzen drohen. In dieser Beziehung ist das Unternehmen der mächtigere Partner. Dies gilt beispielsweise für geringqualifizierte Mitarbeiter, die relativ einfach ersetzt werden können oder für Anwohner, die Lärm und Umweltverschmutzung ertragen müssen. Dies können auch Lieferanten sein, denen aufgrund geringer Verhandlungsmacht die Konditionen diktiert werden können oder generell die Gesellschaft, die neben den positiven Effekten der Unternehmen auch von negativen externen Effekten betroffen ist. License to operate Einhergehend mit der Bedeutungszunahme der Nachhaltigkeit ist auch eine zunehmend veränderte Rolle der Gesellschaft im Hinblick auf die Unternehmen zu beobachten. Eine Sichtweise ist das grundgesetzlich garantierte Privateigentum und die daraus resultierende unternehmerische Freiheit. Die Existenz der Unternehmenund das unternehmerische Handeln bedürfen demnach keiner Rechtfertigung, solange eben die gesetzlichen und vertraglichen Anforderungen der Stakeholder erfüllt werden. Von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen wird aber eben dies in Frage gestellt. So heißt es etwa sehr plakativ, ob denn die Menschen für die Unternehmen oder die Unternehmen für die Menschen da seien oder dass Wirtschaft und Wachstum kein Selbstzweck seien. Aus diesem Perspektivenwechsel gewinnen die Stakeholder an Bedeutung. Sollte also aus Sicht der Stakeholder ein Unternehmen mehr Schaden als Nutzen verursachen, verlöre es seine Existenzberechtigung - seine sogenannte „license to operate“. Die negativen externen Effekte, die von der Gesellschaft zu tragen sind, seien zu erfassen und den positiven Effekten, etwa in Form von Produkten, Arbeitsplätzen und Steuerzahlungen, gegenüberzustellen. Mit solchen Fragestellungen beschäftigt sich die Theorie des soziologischen Institutionalismus. Demnach können Unternehmen ihre Existenz nicht nur durch wirtschaftlichen Erfolg sichern, sondern sie benötigen auch die gesellschaftliche Legitimität. Diese erhalten sie, wenn ihr Verhalten den Erwartungen der sozialen Umwelt entspricht. Haben sich in einer Gesellschaft bestimmte Erwartungen gebildet, die nicht mehr hinterfragt, sondern allgemein akzeptiert werden, spricht man von institutionalisierten Erwartungen. An diese Narrative müssen sich die Unternehmen halten, selbst wenn sie einer logischen Überprüfung nicht standhalten (vgl. Becker, Baltzer, Ulrich 2014, S. 46ff.). Stehen Unternehmen nicht zu diesen Erwartungen, bauen sie eine Legitimitätsfassade auf, die nach außen ein konformes Verhalten signalisiert und damit die Legitimität sichert, ohne dass sich das Unternehmen tatsächlich konform verhält. So kann ein Unternehmen, um nachhaltig zu wirken und seine Legitimität zu sichern, umfangreiche Nachhaltigkeitsberichte erstellen und öffentlichkeitswirksam soziale Projekte fördern, ohne dass das Unternehmen im Kern auf nachhaltiges Wirtschaften ausgerichtet ist. Es wird also Windowdressing betrieben. Die institutionalisierten Erwartungen, vor allem gegenüber großen Unternehmen, beinhalten ein aktives Nachhaltig- <?page no="59"?> 2.3 Stakeholder 59 keitsmanagement. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass der Nachhaltigkeitsbericht nur zur Legitimitätsfassade gehört. Nicht selten sind aber Entwicklungen zu beobachten, dass eine zuerst ungeliebte Pflicht allmählich doch Akzeptanz findet und Vorteile zunehmend erkannt werden. Der Nachhaltigkeitsbericht gewinnt dann im Unternehmen zunehmend an Akzeptanz, wird für Entscheidungen genutzt und in das interne Steuerungssystem integriert. Eigentumsrecht an der Umwelt Negative externe Effekte entstehen, wenn Kosten nicht im Unternehmen, sondern außerhalb anfallen und diese den Unternehmen nicht in Rechnung gestellt werden. Diese Kosten werden nicht im Rechnungswesen erfasst und fließen dementsprechend auch nicht in unternehmerische Entscheidungen ein. Die Unternehmen werden mit diesen externen Kosten nicht belastet, oft sind sie nicht genau bekannt und es ist unklar, wer in welchem Umfang geschädigt wurde. Wer trägt also etwa den Schaden eines hohen Treibhausgasausstoßes, wie kann man diesen genau beziffern und wie kann man ihn dem Verursacher zuordnen? Unklare Eigentumsrechte sind eine wesentliche Ursache für externe Kosten. Da aber der Schaden „irgendwo“ entsteht, ist (im Sinne des Coase-Theorems) der „Gesellschaft“ das Eigentumsrecht an der Umwelt zuzuordnen. Die Gesellschaft stellt dann die Umwelt als ihr Eigentum den Unternehmen nur zur Verfügung, wenn es sich für die Gesellschaft lohnt. Wenn ein Unternehmen die Umwelt nutzen möchte, zur Entnahme von Ressourcen oder zur Abgabe von Emissionen, muss dies von der Gesellschaft auch erlaubt werden. Trotz vieler schwammiger Begriffe: wer ist die Gesellschaft und wer spricht bzw. verhandelt für sie, was ist das Verhandlungsobjekt, usw., stellt die Zuordnung eines Eigentumsrechts an ökologischen Ressourcen eine bedeutsame Aufwertung des Stakeholders „Gesellschaft“ dar. Welche Rolle der Gesellschaft als Stakeholder zugeordnet wird und wie sie in Entscheidungen eingebunden wird, liegt weitgehend im eigenen Ermessen der Unternehmen. Man kann gesellschaftliche Gruppen zu weitreichenden Entscheidungen befragen oder Entscheidungen gemeinsam treffen. Man kann gesellschaftliche Gruppen mit konträren Ansichten ausschließen oder sie bewusst einbinden. Die praktische Umsetzung eines Stakeholdermanagements ist in einer großen Bandbreite möglich und abhängig von der Überzeugung, welche Rolle die Nachhaltigkeit im Unternehmen einnehmen soll. Bei einer Missachtung gesellschaftlicher Erwartungen oder auch bei einer Fehleinschätzung öffentlicher Reaktionen, kann massiver Druck auf die Unternehmen entstehen. Gestreut über die sozialen Medien können beträchtliche Reputationsschäden verursacht werden. Folgen können Rufschädigungen, Kundenboykotte oder ein Ausschluss bei öffentlichen Aufträgen sein. Beispiel Brent Spar 1995 sollte die dem Shell-Konzern gehörende Öltankplattform Brent Spar in der Nordsee versenkt werden, da sie wegen neuer Pipelines nicht mehr benötigt wurde. Greenpeace-Aktivisten besetzten die Plattform, um zu verhindern, dass dies ein Präzedenzfall für die Versenkung von Industrieschrott im Meer wird. In einer zuvor <?page no="60"?> 60 2 Anforderungen an die Unternehmen beauftragten Studie von Shell wurde die Versenkung der Plattform allerdings als die sinnvollste Alternative mit nur geringen Umweltbeeinträchtigungen beurteilt und auch rechtlich sprach dieser nichts entgegen. In einigen Ländern führte die geplante Versenkung zu großer medialer Aufmerksamkeit. Es folgten Boykottaufrufe gegen Shell-Tankstellen mit Absatzeinbußen von bis zu 50%. Schließlich verzichtete Shell auf die Versenkung und verschrottete die Anlage an Land. Shell erlitt aber einen beträchtlichen Imageschaden. Brent Spar ist auch noch nach über 25 Jahren für viele immer noch ein Sinnbild für umweltverschmutzendes und selbstherrliches Verhalten großer Konzerne. Dass Greenpeace die Menge an Ölrückständen abweichend von den Angaben von Shell viel zu hoch angegeben hatte, im Nachgang die Zahlen von Shell aber wieder bestätigt hatte, wurde von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Neben dem Eigentumsrecht an ökologischen Ressourcen gilt gegenwärtig die Frage nach dem Eigentumsrecht an Daten noch als weitgehend ungeklärt. Durch Internet- Suchmaschinen, durch soziale Netzwerke und durch mit dem Internet verbundene mobile Geräte generierte Daten werden von den jeweiligen Anbietern genutzt. Den Nutzern ist vielfach nicht bekannt, welche Daten von und über sie generiert werden, was mit diesen gemacht wird und welchen Wert diese haben. Durch zahlreiche Sensoren im Auto gelangen auch die Fahrzeughersteller an eine große Menge an Daten. Hier sind die Eigentumsrechte ebenfalls noch unklar. Bei global aufgestellten, internationalen Konzernen sind die Eingriffsmöglichkeiten einzelner Länder zudem begrenzt. Welche externen Stakeholder fördern die Nachhaltigkeit? „Angesichts der Ambivalenz wichtiger Stakeholder und noch bestehender Widerstände setzen CEOs bei der Transformation ihrer Unternehmen vor allem auf ein Instrument: Ein umfassendes Stakeholder-Management. Der Austausch mit Mitarbeitenden, Kundschaft, Lieferanten, Anlegern, NGOs, Politik, Aufsichtsbehörden und Öffentlichkeit gewinnt im Zeitalter der Dekarbonisierung eine noch höhere Bedeutung.“ (Raffel, Wörner 2021, S. 43) Abb. 2.4: Einfluss der Stakeholder auf unternehmerische Nachhaltigkeit (Quelle: eigene Abbildung, angelehnt an Internationaler Controller Verein 2022, S. 13) <?page no="61"?> 2.3 Stakeholder 61 Die Sicherung der Legitimität und der Reputation sind wichtige Gründe für nachhaltiges Engagement. Die Legitimität wird vor allem vom Staat eingefordert und die Reputation ist im Hinblick auf Kunden bedeutsam. Sie gelten daher als wichtige Stakeholder und Treiber für die nachhaltige Ausrichtung von Unternehmen (vgl. Internationaler Controller Verein 2022, S. 13) Die große Bedeutung des Staates und damit der Regulatorik kann zu einer passiven, formalistischen und Risiken vermeidenden Haltung führen. Ressourcen sind gebunden, um die formalen Anforderungen der Regulatorik zu erfüllen. Dabei sollte aber nicht die Realisierung von Chancen, die Entwicklung innovativer Produkte und die Erschließung neuer Geschäftsfelder leiden. Mittelfristig dürften solche aktiven Maßnahmen für die Nachhaltigkeit bedeutsamer sein als bei einer einseitigen Fokussierung auf die Legitimitätssicherung und Risikobegrenzung. Der wichtigste interne Akteur ist die Geschäftsleitung. Diese ist maßgeblich für die Entwicklung der Nachhaltigkeit. Aktionäre und Investoren am Kapitalmarkt gelten oftmals als an kurzfristigen und ausschließlich an ökonomischen Zielen orientiert. 43% der Akteure am Kapitalmarkt haben jedoch einen hohen bzw. eher hohen Einfluss auf die unternehmerische Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeitsrisiken werden am Kapitalmarkt zunehmend als Investitionsrisiken bewertet. Die Bedeutung der NGO hat in den letzten Jahren abgenommen, was vermutlich an der deutlich aktiveren Rolle des Staates liegt. „Das klassische Stakeholder-Dreieck aus Kunde, Aktionär und Beschäftigten ist zum Vieleck geworden. Es geht nicht darum, das Maximum für einen Stakeholder zu erreichen, sondern eine gute Balance.“ (Joachim Wenning, Vorstandsvorsitzender der Munich RE, in: Raffel, Wörner 2021, S. 43) Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Stakeholdern, die teils komplementär, teils konfliktär sein können, wurden in der betriebswirtschaftlichen Literatur kaum thematisiert. Es ist somit etwa offen, ob Umweltschutzmaßnahmen ergriffen werden sollen, wenn diese einen Abbau von Arbeitsplätzen im Inland zur Folge haben. Es existiert im Gegensatz zum Shareholder Value kein quantifiziertes Modell, um den Stakeholder Value zu ermitteln und darauf basierend Entscheidungen zu treffen. Die Herstellung einer guten Balance, wie es im obigen Zitat heißt, ist abhängig von den Interessen der Manager. In einer instrumentellen Perspektive werden die Stakeholderbeziehungen so gestaltet, dass die ökonomischen Interessen oder auch die persönlichen Interessen des Managements bestmöglich erreicht werden. „Die Unbestimmtheit des Konzepts war seiner Beliebtheit möglicherweise auch förderlich, da Manager hoffen konnten, ihre durch Prinzipal-Agent-Zwänge eingeengte Autonomie zurückzuerlangen“ (Wagner 2021, S. 37). Verschiedene Studien legen nahe, dass Ende des 20. Jahrhunderts Stakeholderbeziehungen vorwiegend unter moralischen Motiven diskutiert wurden. Dies wandelte sich in diesem Jahrhundert. Das Stakeholdermanagement wurde zu einem Wettbewerbsfaktor. Die Stakeholderbeziehungen wurden zunehmend instrumentalisiert und an finanziellen Interessen ausgerichtet. Dies spricht gegen ein moralisch moti- <?page no="62"?> 62 2 Anforderungen an die Unternehmen viertes Selbstverständnis einer nachhaltigen Transformation bei kapitalmarktorientierten Unternehmen. (vgl. Wagner 2021, S. 36ff.) „Dies übersieht, dass die Vorstellung von Unternehmen als im gesellschaftlichen Interesse tätigen Institutionen in Deutschland eine lange Tradition besitzt. Das Streben nach gemeinwirtschaftlicher Wirtschaftlichkeit war wie erwähnt für die akademische Etablierung der deutschen Betriebswirtschaftslehre vor 100 Jahren konstitutiv.“ (Wagner 2021, S. 41) Regulatorische Anforderungen zur Berichterstattung Anzahl und Umfang der regulatorischen Anforderungen zur nachhaltigen Transformation der Unternehmen haben in den letzten Jahren stark zugenommen (vgl. Sailer 2022, S. 36). Ein bedeutsamer Treiber dieser Entwicklung ist die Europäische Union. Zu nennen sind hierbei insbesondere die Berichtspflichten nach der EU-Taxonomie und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Diese haben einen erheblichen Einfluss auf den Umfang und die Ausgestaltung der Nachhaltigkeitsberichterstattung und -steuerung. Regulatorische Anforderungen wirken sehr direkt auf die Unternehmen, da rechtliche Anforderungen schlichtweg einzuhalten sind und nicht verhandelt werden können. Diese Regelwerke tragen zur Standardisierung der Nachhaltigkeitsberichterstattung innerhalb der Europäischen Union und zu einer Klärung nachhaltiger Tätigkeiten bei. Tabelle 2.1 gibt einen Überblick über das zeitliche Inkrafttreten der gesetzlichen Regularien. Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSD- DD), noch ungewiss CSRD für Unternehmen, die bereits nach CSR-RUG berichtspflichtig waren CSRD für große Unternehmen (ab 250 Mitarbeiter, 50 Mio. € Umsatz, 25 Mio. € Bilanzsumme) Lieferkettengesetz für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigte Lieferkettengesetz für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigte EU-Taxonomie: taxonomie-konforme Aktivitäten, Ziele 1 und 2 EU-Taxonomie: taxonomiekonforme Aktivitäten, Ziele 1 bis 6 seit 2022 seit 2023 seit 2024 ab 2025 Tabelle 2.1: Zeitliches Inkrafttreten wichtiger Regulatorien <?page no="63"?> 2.4 Regulatorische Anforderungen zur Berichterstattung 63 Neben den von der Europäischen Union initiierten Nachhaltigkeitsstandards entwickelt auch das 2021 gegründete International Sustainability Standards Board (ISSB) mit Sitz in Frankfurt am Main internationale Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die IFRS S. Die ISSB als gemeinnützige Organisation bietet die IFRS S, die sich gegenwärtig noch in der Entwicklung befinden, als Berichtsstandard an. Eine rechtliche Verpflichtung zur Anwendung gibt es nur, wenn einzelne Länder dies gesetzlich vorsehen. Im Folgenden werden die CSRD und ihr Vorgänger, die CSR-RUG, die EU-Taxonomie, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die IFRS S vorgestellt. Nachhaltigkeitsberichterstattung: CSRD „In wenigen Jahren wird all das, was für die klassische Finanzberichterstattung gilt, auch für das Sustainability-Reporting verbindlich sein. Das kann zugleich eine Chance für Unternehmen darstellen. Denn es lohnt sich, die für den Geschäftserfolg maßgeblichen nachhaltigen Aspekte gleichwertig in die unternehmerischen Berichtsprozesse einzubetten. Das erleichtert es, gegenüber Kapitalgebern, Investoren und auch Kunden auskunftsfähig zu sein und einen Beitrag für mehr Vertrauen und Transparenz zu leisten.“ (Hendrik Fink, Leiter Sustainability Services bei PwC Deutschland, in: https: / / www.pwc.de/ de/ pressemitteilungen/ 2021/ csr-richtlinie-heute-beginnt-eineneue-aera-in-der-nachhaltigkeitsberichterstattung.html, Abruf: 01.03.2024) Die Non-Financial Reporting Directive (NFRD) der Europäischen Union aus dem Jahre 2014 führte in Deutschland zum CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG), das seit 2017 für Banken, Versicherungen sowie für kapitalmarktorientierte Unternehmen und Genossenschaften mit mehr als 500 Beschäftigten gilt. Diese Unternehmen sind verpflichtet, auch über nichtfinanzielle Themen wie Mitarbeiter, Umwelt, Soziales, Menschenrechte, Diversität und Korruption zu berichten. Dieser Bericht kann sich beispielsweise an dem Berichtsformat der Global Reporting Initiative (GRI) oder am Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) ausrichten. Die Veröffentlichung kann entweder im Lagebericht oder in einem gesonderten Bericht erfolgen, jeweils nach Ende des Geschäftsjahres binnen vier Monaten. (vgl. Deloitte 2017) Erstellt ein Unternehmen bereits einen Nachhaltigkeitsbericht, deckt dieser die Berichtspflicht ab, sofern er die Anforderungen des CSR-RUG erfüllt. Stand 2017 hatten 73% der 100 größten Unternehmen in Deutschland einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Nach der Einführung des CSR-RUG stieg der Anteil bis 2020 auf 92% (vgl. KPMG International 2020, S. 13). Zahlreiche Unternehmen veröffentlichten erstmalig einen Nachhaltigkeitsbericht, bei anderen waren möglicherweise Anpassungen notwendig. Durch die gesetzliche Pflicht steigt die Verbindlichkeit der Angaben im Vergleich zu früheren freiwilligen Angaben. Wie erwartet, war die Non-Financial Reporting Directive nur ein erster Schritt bei der EU-weiten Einführung einer verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die- <?page no="64"?> 64 2 Anforderungen an die Unternehmen ser folgt nun die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Schon die Namensänderung zeigt, wie sich die Berichtserstattung verändert. Bisher waren es ergänzende, nichtfinanzielle Informationen. Nun, seit 2024, kommt es zu einer integrierten Berichterstattung. Finanzielle und nichtfinanzielle Themen werden zunehmend gleichbehandelt. Der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen steigt von EUweit aktuell rund 11.000 auf ca. 50.000, davon etwa 15.000 Unternehmen in Deutschland. Die CSRD sieht eine Nachhaltigkeitsberichterstattung auf Basis der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) vor. Die CSRD ist die Rechtsgrundlage für die Umsetzung der ESRS. Die ESRS wurden im Juli 2023 von der Europäischen Kommission verabschiedet. Die Offenlegungspflichten und inhaltlichen Anforderungen gehen weit über die bisherige Nachhaltigkeitsberichterstattung der meisten Unternehmen hinaus. Neben Umweltthemen ist auch über soziale Themen und über die Governance zu berichten. Es sind sowohl Kennzahlen zu berichten als auch inhaltliche Bewertungen vorzunehmen, wie etwa: ◼ Auswirkungen der Nachhaltigkeit auf das Geschäftsmodell und der sich daraus ergebenden Chancen und Risiken ◼ Vereinbarkeit des Geschäftsmodells mit dem Pariser Klimaabkommen ◼ Eigene Nachhaltigkeitsziele, ergriffene Maßnahmen und Ergebnisse Die CSRD tritt in drei Stufen in Kraft: 2025 (Bericht über das Geschäftsjahr 2024) große kapitalmarktorientierte Unternehmen sowie bestimmte Banken und Versicherungen, die bisher auch unter der NFRD berichtspflichtig waren 2026 (Bericht über das Geschäftsjahr 2025) große Unternehmen, bei denen zwei der drei Kriterien erfüllt sein müssen: mindestens 250 Mitarbeiter, Umsatz > 40 Mio. €, Bilanzsumme > 20 Mio. € 2027 (Bericht über das Geschäftsjahr 2026) kapitalmarktorientierte kleine und mittlere Unternehmen, bei denen zwei der drei Kriterien erfüllt sein müssen: mindestens 10 Mitarbeiter, Umsatz > 700.000. €, Bilanzsumme > 350.000 € Tabelle 2.2: Zeitliches Inkrafttreten der CSRD Die Berichterstattung erfolgt im Lagebericht, so dass die Nachhaltigkeitsinformationen zeitgleich mit den Finanzinformationen veröffentlicht werden. Damit werden auch die Termine, zu denen die berichtspflichtigen Daten vorliegen müssen, an die Termine der Finanzberichterstattung angeglichen. Schließlich wird eine Prüfungspflicht durch externe Sachverständige oder Wirtschaftsprüfer eingeführt. <?page no="65"?> 2.4 Regulatorische Anforderungen zur Berichterstattung 65 Die ESRS werden von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) erarbeitet und führen zu einem EU-weit einheitlichen Nachhaltigkeitsberichtsstandard. Dabei wird im Vergleich zur NFRD auch der Berichtsumfang erweitert. Es gilt nun das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit. Bisher musste über das berichtet werden, was für das Verständnis des Geschäftsverlaufs und des Geschäftserfolgs von Bedeutung ist (Outside-in) und zugleich Auswirkungen auf Umwelt- und Sozialaspekte hat (Inside-out). Mit der CSRD sind Themen berichtspflichtig, die bereits für eines der beiden Felder relevant sind. Die folgende Abbildung verdeutlicht die doppelte Wesentlichkeit: Abb. 2.5: Doppelte Wesentlichkeit der CSRD (Quelle: eigene Darstellung, Achsenbezeichnungen gemäß ESRS) Neben den Themen, über die bei Wesentlichkeit berichtet werden muss, gibt es auch einige generell verpflichtende Angaben, die im zweiten Standard der ESRS (ESRS 2, Allgemeine Angaben) vorgegeben sind. Die ESRS beinhalten 12 Standards: zwei Querschnittsstandards, fünf Umweltstandards, vier Sozialstandards und einen Standard zur Governance. Die einzelnen Standards sind in folgender Abbildung dargestellt: <?page no="66"?> 66 2 Anforderungen an die Unternehmen Abb. 2.6: Bestandteile der ESRS (Quelle: eigene Abbildung) Die detaillierten Inhalte der einzelnen Standards sowie der Anforderungen an die Berichterstattung können in den Dokumenten der Europäischen Union nachgelesen werden: Link: https: / / eur-lex.europa.eu/ legal-content/ DE/ TXT/ PDF/ ? uri=OJ: L_202302772 Sämtliche Standards sind in drei Bereiche unterteilt: ◼ Allgemeine Angaben (gemäß ESRS 2) ◼ Auswirkungen sowie Risiken und Chancen ◼ Metriken und Ziele Die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung erweitern sich deutlich. Für das Controlling bedeutet dies, dass ein gesteigerter Informationsbedarf befriedigt werden muss. Die externe Berichterstattung führt auch zu einem entsprechend erhöhten Informationsbedarf für die interne Berichterstattung. Die Nachhaltigkeitsinformationen werden für die Unternehmenssteuerung zukünftig umfassender und bedeutsamer. Beispiel Ernst & Young Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young merkt eine noch schwache Vorbereitung vieler Unternehmen auf die zukünftigen Berichtsanforderungen an. „Vielen Unternehmen ist noch unklar, welche Kompetenzen sie nun aufbauen müssen und wie sich unternehmensweit die Anforderungen verändern werden“. Dabei werden fünf Denkanstöße gegeben, um die Auswirkungen zu zeigen und um die Diskussion in den Unternehmen anzustoßen: <?page no="67"?> 2.4 Regulatorische Anforderungen zur Berichterstattung 67 1. Verknüpfung finanzieller und nichtfinanzieller Kennzahlen Die bisher dominierenden vergangenheitsorientierten finanziellen Kennzahlen werden um Themen der Nachhaltigkeit erweitert. Die Umsätze, Investitionen (CapEx) und Betriebsausgaben (OpEx) sind zukünftig voraussichtlich danach zu differenzieren, welche sich positiv auf die Nachhaltigkeit auswirken (grüne Umsatzerlöse), welche neutral sind und welche sich negativ auf die Nachhaltigkeit auswirken (braune Umsatzerlöse). Die wenigsten Unternehmen verfügen heute über die dafür notwendigen Kompetenzen. 2. Inside-out-Auswirkungen betrachten Viele Unternehmen sind in der Outside-in-Perspektive geübt: wie wirkt sich das Umfeld auf das Unternehmen aus. Zukünftig ist zu berichten, welches Risiko das Unternehmen für die Umwelt darstellt. Zudem ist der Impact externer Sozial- und Umwelteffekte in einer lang-, mittel- und kurzfristigen Perspektive zu messen, um die Resilienz des Geschäftsmodells zu erfassen. Hierbei heißt es, „im Grunde erwartet die neue Berichterstattung teilweise Antworten auf Fragen, die heute noch gar nicht gestellt werden“. 3. Lieferanten einbeziehen Die neuen EU-Berichtsstandards werden auch eine Einbeziehung der ökologischen und sozialen Auswirkungen in der Lieferkette vorsehen. Beispielsweise ist auch über den CO 2 -Ausstoß der Lieferanten zu berichten. 4. Berichten wie die Konkurrenz Die einheitlichen EU-Berichtsstandards führen zu einer hohen Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen. Zugleich werden die Anforderungen an die Datenqualität deutlich steigen. Durch den hohen Zeitdruck (Veröffentlichung der Kernstandards im Oktober 2022, Beginn des berichtspflichten Geschäftsjahres 2023) besteht ein großer Informations- und Schulungsbedarf. 5. Die neue CSR-Berichterstattung in der Organisationsmatrix verankern Da die CSR-Berichterstattung im Lagebericht erfolgt, ist eine engere organisatorische Verzahnung mit der Finanzberichterstattung notwendig. Dadurch werden auch die Nachhaltigkeitsinformationen quantitativer. Es sind die Chancen und Risiken sowie die Auswirkungen von Maßnahmen in finanzieller, ökologischer und sozialer Hinsicht transparent darzustellen. (vgl. Ernst & Young 2022, in: https: / / www.ey.com/ de_de/ decarbonization/ nach haltigkeitsreporting-warum-die-neue-eu-richtlinie-wegweisend-ist, Abruf: 18.03.2022) EU-Taxonomie Die im Jahr 2022 eingeführte EU-Taxonomie hat zum Ziel, Investitionen stärker in nachhaltige Unternehmen zu lenken. Sie ist damit ein wesentliches Element des sogenannten Green Deals der EU-Kommission, um nachhaltiges Wachstum zu finanzieren. Die Taxonomie-Verordnung stellt ein Klassifikationsschema zur Verfügung, um wirtschaftliche <?page no="68"?> 68 2 Anforderungen an die Unternehmen Tätigkeiten gemäß ihrer Wirkung auf die Nachhaltigkeit einzuordnen. Hierfür wurde detailliert definiert, was zur Nachhaltigkeit zählt. Für einen bisher schwammigen und teils beliebig genutzten Begriff wird Klarheit verschafft. Somit soll für Investoren ein glaubwürdiges Label für nachhaltige Geldanlagen entstehen. Dabei besteht für Unternehmen oder Investoren keinerlei Pflicht, nachhaltige Investitionen zu tätigen. Es geht um Transparenz und Entscheidungsfreiheit (Deutscher Bundestag 2022, S. 2). „Die EU erhofft sich, so das Bewusstsein für ökologisch nachhaltige Investitionen zu schärfen und „Greenwashing“ entgegenzuwirken“ (Quelle: Deutscher Bundestag 2022, S. 2). Die Berichtspflicht der EU-Taxonomie deckt sich mit der CSRD. Dies wurde im vorangehenden Abschnitt dargestellt. Die Unternehmen müssen angeben, welche ihrer Tätigkeiten unter die Vorgaben der EU-Taxonomie fallen und ob diese nachhaltig sind. Diese Angaben sind zu tätigen für: ◼ Umsatz ◼ Investitionen (CapEx) ◼ Betriebsausgaben (OpEx) Der prozentuale Anteil des nachhaltigen Umsatzes und der nachhaltigen Betriebsausgaben zeigt, wie nachhaltig ein Unternehmen aktuell ist. Der Anteil nachhaltiger Investitionen gibt einen Hinweis, wie nachhaltig die Weiterentwicklung des Unternehmens ist. Hierüber ist in der nichtfinanziellen Erklärung extern zu berichten und zukünftig im Rahmen der CSRD-Berichterstattung im Lagebericht. Sowohl die Berechnung als auch die Darstellung der Kennzahlen ist detailliert vorgegeben. Wirtschaftstätigkeiten, zu denen die EU-Taxonomie Bewertungskriterien vorsieht, gelten als taxonomiefähig (Eligibility). Sie sind zugleich taxonomiekonform (Alignment), wenn sie soziale Mindestkriterien (Arbeitssicherheit, Menschenrechte) einhalten und zur Erfüllung von mindestens einem der folgenden sechs Umweltziele einen wesentlichen Beitrag leisten, ohne andere erheblich zu beeinträchtigen („do not significant harm“). Was unter einem wesentlichen Beitrag zu verstehen ist, wird in der Taxonomie-Verordnung detailliert definiert. [1] Klimaschutz [2] Anpassung an den Klimawandel [3] Schutz der Wasser- und Meeresressourcen [4] Stärkung der Kreislaufwirtschaft [5] Verringerung der Umweltverschmutzung [6] Schutz der Biodiversität und der Ökosysteme Wie konform ein Unternehmen oder ein Investmentportfolio zur EU-Taxonomie ist, wird als Prozentsatz ausgedrückt, der den Taxonomieanforderungen entspricht. Nachfolgende Abbildung zeigt dies beispielhaft für die drei Automobilhersteller BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen. Die Angaben befinden sich im jeweiligen Lagebericht des Geschäftsberichts aus dem Jahr 2022. <?page no="69"?> 2.4 Regulatorische Anforderungen zur Berichterstattung 69 Abb. 2.7: Taxonomiekonforme Investitionen, Betriebsausgaben und Umsätze bei BWM, Mercedes- Benz und Volkswagen im Jahr 2022 (Quelle: eigene Abbildung, Daten wurden aus den Geschäftsberichten des Jahres 2022 der Unternehmen entnommen) Die Auswirkungen der EU-Taxonomie werden als sehr weitreichend eingeschätzt. Naheliegend ist, dass bei EU-Projekten, bei EU-Förderungen oder auch bei öffentlichen Ausschreibungen auf die Taxonomie bezuggenommen wird. Die Transparenz über die Nachhaltigkeit lädt dazu ein, dass die Politik dies zukünftig für die Einflussnahme nutzt. Aber auch Unternehmen könnten diese Information zukünftig für Beschaffungsentscheidungen nutzen. Unternehmen werden sich voraussichtlich weit mehr Nachhaltigkeitsdaten aus der Wertschöpfungskette beschaffen und diese für Steuerungszwecke nutzen. Trotz der Bedeutung und des Zeitdrucks kam die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC bei einer Erhebung bei 170 Unternehmen im Jahre 2021 zu dem Ergebnis, dass viele Unternehmen die Herausforderungen der EU-Taxonomie-Berichterstattung unterschätzen und sich noch nicht bzw. nicht ausreichend mit der Umsetzung, die auch Anpassungen von Prozessen und IT-Systemen erfordern, beschäftigt haben. Trotz der bereits bestehenden Berichtspflicht sagten 39% der Unternehmen, dass sie sich mit den Inhalten der EU-Taxonomie noch nicht beschäftigt haben und 61% verfügten über keine standardisierten Prozesse, um die notwendigen Daten zu generieren (vgl. PwC 2022, S. 7). „Vor allem die großen institutionellen Investoren schätzen die Idee eines leicht quantifizierbaren ESG-Berichtssystems, erkennen aber auch die bestehenden „Kinderkrankheiten“. Gleichwohl scheint sich die Taxonomie zu einem grünen Standard zu entwickeln, der als gemeinsame Sprache zwischen Unternehmen und Investoren dienen kann.“ (Quelle: Jonathan Townend, Senior Vice President Group Reporting & Taxes BMW, in: KPMG 2023, S. 39). <?page no="70"?> 70 2 Anforderungen an die Unternehmen IFRS Sustainability Disclosure Standards Die CSRD und die EU-Taxonomie sind insbesondere für die in der EU ansässigen Unternehmen relevant. Weltweit besteht hingegen eine uneinheitliche Nachhaltigkeitsberichterstattung, was die Bewertung der Nachhaltigkeitsperformance erschwert. In vielen Ländern gibt es keine Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Hier werden allenfalls freiwillige Berichte erstellt, die kaum mit Berichten vergleichbar sind, die auf strengen regulatorischen Vorgaben basieren. Das International Sustainability Standards Board (ISSB) mit Sitz in Frankfurt am Main möchte diese Intransparenz beenden, indem es weltweit einheitliche Mindeststandards für die Berichterstattung festlegt. Das ISSB ist unter dem Dach der IFRS-Foundation angesiedelt, die den weltweit dominierenden Rechnungslegungsstandard International Financial Reporting Standards (IFRS) verantwortet. Eine vergleichbare Position wird auch für die Nachhaltigkeitsberichterstattung angestrebt. Ziel ist es, weltweit akzeptierte und praktikable Mindeststandards, die IFRS S (S für Sustainability), zu entwickeln, nicht aber ein umfassendes Regelwerk. Im Jahr 2023 wurden die ersten beiden Standards veröffentlicht. IFRS S1 enthält allgemeine Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, um Investoren über nachhaltigkeitsbezogene Risiken und Chancen zu informieren. IFRS S2 widmet sich den Klimarisiken und soll Transparenz darüber verschaffen, welche klimabezogenen Risiken und Chancen bestehen und wie sich das Unternehmen an den Klimawandel anpasst. Ein wesentlicher Unterschied zwischen ESRS und IFRS S liegt in den Zielgruppen. Während sich die ESRS an Stakeholder und Investoren richten, adressieren die IFRS S primär Investoren. Der ISSB sieht durch die zunehmende Bedeutung der Nachhaltigkeitsberichterstattung eine Verschiebung der Verantwortung vom Chief Sustainability Officer (CSO) zum Chief Financial Officer (CFO) (vgl. Fischer 2023, S. 142). In der folgenden Tabelle werden der global dominierende Rechnungslegungsstandard IFRS und der neue Nachhaltigkeitsstandards IFRS S gegenübergestellt: International Financial Reporting Standards (IFRS)-Stiftung International Accounting Standards Board (IASB) International Sustainability Standards Board (ISSB) Standard: IFRS Standard: IFRS S Sitz des Boards: London Sitz des Boards: Frankfurt am Main entwickelt und überarbeitet die in 120 Ländern gültigen investorenorientierten Standards zur Finanzberichtserstattung entwickelt investorenorientierte Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Mindeststandards darstellen sollen IFRS sind seit 2003 EU-weit rechtlich verbindliche Rechnungslegungsstandards, Vorgängerorganisation wurde bereits 1973 gegründet baut auf bestehende Standards der Nachhaltigkeitsberichterstattung wie TCFD, IIRC und SASB auf, kooperiert mit der Global Reporting Initiative (GRI) <?page no="71"?> 2.4 Regulatorische Anforderungen zur Berichterstattung 71 es bestehen: 17 IFRS Accounting Standards (IFRS im engeren Sinne) 41 IAS Standards verschiedene “Interpretations” und “Practice Statements“ im Juni 2023 wurden die ersten beiden Standards veröffentlicht: IFRS S1: allgemeine Vorschriften für die Angabe von nachhaltigkeitsbezogenen Finanzinformationen IFRS S2: klimabezogene Angaben Tabelle 2.3: Gegenüberstellung der IFRS und der IFRS S ESRS vs. IFRS S Mit dem in der EU verbindlichen Berichtsstandard ESRS und dem international empfohlenen Regelwerk IFRS S liegen zwei Standards vor, deren weltweite Akzeptanz und Bedeutung sich in den nächsten Jahren zeigen wird. Es wäre wünschenswert, dass diese weitgehend harmonisiert werden und entsprechende Vereinbarungen zur gegenseitigen Anerkennung zumindest von Teilen der Regelwerke getroffen werden. Ein Unterschied besteht in der stark europäisch geprägten Sichtweise auf die Stakeholder beim ESRS, wie sie auch beim GRI-Standard zum Ausdruck kommt. Für die zahlreichen Unternehmen, die bereits nach dem GRI-Standard berichten, wird die Umstellung auf den ESRS einfacher sein. Demgegenüber dominiert beim IFRS S die angelsächsische Investorensicht, wie dies auch beim Rechnungslegungsstandard IFRS der Fall ist. „Mit den ESRS und IFRS S besteht die Gefahr, dass auf europäischer und globaler Ebene zwei unterschiedliche Standards etabliert werden, die zum Teil unterschiedliche Ziele verfolgen. Eine zusätzliche Bürokratisierung und mögliche Beachtung von Doppelstandards könnten die Folge sein.“ (Quelle: Steuer, Müller, Reinke 2023, S. 256) Es ist derzeit noch nicht absehbar, ob und wie sich die beiden Nachhaltigkeitsstandards ergänzen. Die EFRAG könnte die Anwendung von IFRS S als Mindeststandard empfehlen, entwickelt hierzu jedoch auch eigene Standards. Aufgrund des hohen Aufwands zur Erfüllung der CSRD-Anforderungen ist es unwahrscheinlich, dass viele Unternehmen zeitgleich freiwillig auch die IFRS S-Standards einführen. Zwar gibt es größere Schnittmengen, aber aufgrund der stärkeren Investorenorientierung des IFRS S auch Unterschiede. In den USA sind 2024 ebenfalls gesetzlich verpflichtende Nachhaltigkeitsstandards für große Unternehmen in Kraft getreten, die von der Börsenaufsicht SEC verantwortet werden. Damit wird es zumindest mittelfristig bei einer wenig übersichtlichen Vielfalt von Nachhaltigkeitsberichtsstandards bleiben. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz 2021 wurde das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten verabschiedet, das als Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), kurz Lieferkettengesetz, bekannt ist. Seit dem Jahre 2023 sind Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten und seit 2024 mit mehr als 1.000 Beschäftigten verpflichtet, Umwelt- und Menschrechte in der Lieferkette zu wahren. <?page no="72"?> 72 2 Anforderungen an die Unternehmen Die Wahrung der Menschenrechte in der Lieferkette ist dabei keinesfalls ein neues Anliegen. Bereits 2011 entwickelten die Vereinten Nationen hierzu Leitlinien, die 2016 durch die Bundesregierung als Nationaler Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) erlassen wurde. Ziel war, dass mindestens die Hälfte aller Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten die menschenrechtliche Sorgfalt gemäß NAP bis 2020 in ihrer Wertschöpfungskette implementiert haben. NAP ist ein Appell zur Selbstverpflichtung und kein verbindliches Gesetz. Unternehmen sollen demnach menschenrechtliche Risiken in ihren Geschäftsbeziehungen überprüfen und in kritischen Fällen Maßnahmen ergreifen. Dabei heißt es aber auch, dass es selbstverständlich die originäre Pflicht eines Staates sei, die Menschenrechte im Land zu wahren. Für Unternehmen stelle dies aber kein Freibrief dar. In einer umfangreichen Überprüfung von mehr als 7.000 Unternehmen im Jahr 2020 wurde festgestellt, dass nur 13- 17% der Unternehmen die Vorgaben gemäß NAP umsetzen (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2022a). Das Lieferkettengesetz ist folglich auch eine Reaktion auf den Misserfolg der Selbstverpflichtung. Das Lieferkettengesetz verpflichtet die Unternehmen, ein Risikomanagement einzurichten, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen beim unmittelbaren wie auch bei den mittelbaren Zulieferern zu identifizieren, zu vermeiden oder zu minimieren. Die Maßnahmen, die ein Unternehmen bei identifizierten Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschädigungen ergreifen muss, sind im Gesetz geregelt. Neben den Maßnahmen besteht auch die Pflicht, hierüber zu berichten. Als Menschenrechtsverletzungen gelten beispielsweise Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Missachtung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, das Vorenthalten eines angemessenen Lohns oder auch die Unterbindung der Bildung von Mitarbeitervertretungen. Dies betrifft keinesfalls nur ausländische Lieferanten wie etwa bei Kleidung oder Kakao. Auch bei inländischen Zulieferern kann es Verstöße geben, beispielsweise bei schlechten Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, bei ungleicher Bezahlung von Männern und Frauen oder bei Lohndumping im Transportgewerbe (vgl. Klose 2022). Bei Verstößen drohen Bußgelder bis zu 2% des weltweiten Jahresumsatzes und der Ausschluss aus öffentlichen Aufträgen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle hat zur Überwachung des Lieferkettengesetzes weitreichende Kontrollbefugnisse. (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2022b) Formal sind zwar nur große Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigen betroffen, doch indirekt werden auch kleinere und mittelständische Lieferanten dieser Unternehmen in die Pflicht genommen. Manche befürchten, dass große Unternehmen die Verantwortung für die Lieferkette auf kleinere Lieferanten abwälzen. Branchenverbände arbeiten daran, Standardverfahren zu entwickeln, so dass nicht jedes Unternehmen einzeln Maßnahmen entwickeln muss. (vgl. Klose 2022) Bewertung regulatorischer Vorschriften Regulatorische Anforderungen stellen sicher, dass Mindestanforderungen erfüllt werden, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Andererseits besteht die Gefahr, dass <?page no="73"?> 2.5 Nachhaltigkeitsstandards 73 Nachhaltigkeitsmanagement auf die Erfüllung regulatorischer Anforderungen reduziert wird. Zur Erfüllung der Vorschriften werden möglichst wenig Ressourcen eingesetzt, da das Ziel definiert ist und zur Zielerreichung die Ressourcen eben begrenzt werden müssen. Nachhaltigkeit rutscht vom Image der Innovation, des Wandels, der Verantwortung und der Zukunftschancen in die Nische der Pflichterfüllung. Ein ähnlicher Effekt ist beim Qualitätsmanagement zu beobachten. Statt hohe Qualität als Chance, als eigenen Anspruch und als Differenzierungsmerkmal zu begreifen, geht es oft nur noch um die Zertifizierung. Diese wird von den Kunden gefordert und muss wohl oder übel erreicht werden. Der Ressourceneinsatz soll gerade so hoch sein, dass die Zertifizierung erreicht wird. Regulatorien sind wichtig, sie üben einen Handlungsdruck aus und sie beschleunigen insbesondere die Unternehmen, die Nachhaltigkeit bisher nicht priorisiert haben. Man sollte sich aber nicht davon blenden lassen, dass allein die Erfüllung der Regulatorien schon zur Nachhaltigkeit führt. „In puncto Nachhaltigkeit lassen sich viele Unternehmen noch immer zu stark von regulatorischer Compliance leiten. Dieser Aspekt ist sicherlich zentral, um die Licence to operate zu behalten. Aber nur wer einen Schritt weitergeht und Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie, das Operating Model und die täglichen Abläufe integriert, kann das komplette Potenzial von Nachhaltigkeit zur Wertschöpfung freisetzen. Deshalb gehört das Thema auf die C-Level-Agenda jedes Unternehmens.” (Robert Kammerer, Partner bei PwC, https: / / www.pwc.de/ de/ nachhaltigkeit/ sustainable-transformation.html, Abruf: 25.02.2024) Nachhaltigkeitsstandards Unter Nachhaltigkeitsstandards sind öffentlich zugängliche Dokumente zu verstehen, die Leitideen, Handlungsfelder, Maßnahmen und Normen vorgeben, die in der Wissenschaft, in der Politik und in den Unternehmen als zweckmäßige Form zur Operationalisierung der Nachhaltigen Entwicklung angesehen werden. Unternehmen sind heute mit einer Vielzahl solcher Standards konfrontiert. Viele Unternehmen nutzen einen oder mehrere dieser Standards, die einen großen Einfluss auf die Steuerung und Kommunikation der Nachhaltigkeit haben. Es wird ein Überblick über einige der wichtigsten Nachhaltigkeitsstandards verschafft. Die Vielfalt der angebotenen Standards ist dabei kaum zu überblicken. Es soll ein Eindruck gegeben werden, wie sich diese Standards auf die Unternehmen auswirken. Soll also beispielsweise das Umweltmanagementsystem an EMAS ausgerichtet sein, soll der Nachhaltigkeitsbericht dem GRI-Standard folgen oder sollen die Unternehmensleitlinien den Vorgaben des Deutschen Nachhaltigkeitskodex genügen? Um eine gewisse Ordnung in diese Vielfalt zu bekommen, können diese Standards, ihrem Schwerpunkt entsprechend, in drei Kategorien unterteilt werden (vgl. Dubielzig 2009, S. 38f.): <?page no="74"?> 74 2 Anforderungen an die Unternehmen I. Normative Rahmenwerke: Es werden grundlegende Leitlinien vorgegeben, welches Verhalten bzw. welche ökologischen und sozialen Ergebnisse erwünscht sind. II. Prozessrichtlinien: Es wird vorgegeben, welche soziale und ökologische Leistungen wie gemessen werden und wie berichtet werden soll. III. Managementsysteme: Umfassender als Prozessrichtlinien stellen sie einen systematischen Rahmen zur Verfügung, um ökologische und soziale Themen grundlegend zu steuern. Folgende ausgewählten Nachhaltigkeitsstandards werden kurz vorgestellt und einer der Kategorien zugeordnet. Abschließend folgt eine tabellarische Gegenüberstellung. ◼ Global Reporting Initiative: Richtlinien zur Berichterstattung (II.) ◼ Deutscher Nachhaltigkeitskodex(II.) ◼ UN Global Compact (I.) ◼ OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (I.) ◼ EMAS und ISO 14001 (III.) ◼ International Labour Organization (I.) ◼ SA 8000 (III.) ◼ ISO 26000 (II.) ◼ ISO 14031 (III.) ◼ AA 1000 (III.) Global Reporting Initiative Die Global Reporting Initiative (GRI) ist eine gemeinnützige Stiftung, die 1997 durch das UN-Umweltprogramm und CERES (Coalition for Environmentally Responsible Economies) in Boston gegründet wurde und seit 2002 den Sitz in Amsterdam hat. GRI verfolgt das Ziel, Transparenz über die Nachhaltigkeit von Unternehmen zu schaffen und unterstützt bei der Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten. Hierfür werden Richtlinien, die GRI-Guidelines, zur Verfügung gestellt. Diese haben sich mittlerweile als ein internationaler Standard für die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten etabliert. Hierin enthalten sind Prinzipien und Indikatoren zur Messung ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte der Nachhaltigkeit. An diesem Rahmen orientieren sich weltweit zahlreiche Unternehmen und dementsprechend findet man die GRI-Indikatoren auch in vielen Nachhaltigkeitsberichten. Von den 250 weltweit größten Unternehmen wenden 73% den GRI an, womit dieser der global dominierende Standard für das Nachhaltigkeits-Reporting ist (vgl. KPMG International 2020, S. 25). Link: www.globalreporting.org Durch die GRI-Richtlinien wird ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit zwischen den Unternehmen einzelner Branchen geschaffen. Wenn über einen Indikator berichtet wird, gewinnt dieser auch im Nachhaltigkeitsmanagement an Bedeutung. Diese Indikatoren stehen bei den Unternehmen und den Stakeholdern unter Beobachtung. Die GRI geben <?page no="75"?> 2.5 Nachhaltigkeitsstandards 75 Indikatoren vor, die bei der Messung und Steuerung betrieblicher Nachhaltigkeitsleistungen regelmäßig genutzt werden (vgl. Baumast 2019, S. 44). Die Prinzipien und Indikatoren des GRI beeinflussen damit das Nachhaltigkeitsmanagement vieler Unternehmen fundamental, selbst wenn es keine gesetzliche Grundlage für seine Anwendung gibt. Die GRI-Standards wurden in der Vergangenheit regelmäßig weiterentwickelt. Der 2016 eingeführte G4-Standard korrigierte den zuvor angestiegenen Umfang relevanter Kriterien. Dies stieß zunehmend auf Kritik. Seither erfolgt eine Fokussierung auf die wichtigsten Inhalte. Bevor unzählige Indikatoren gemessen werden, müssen Unternehmen klären, welche Nachhaltigkeitsziele für ihr Kerngeschäft relevant sind. Man muss sich intern mit der Nachhaltigkeit auseinandersetzen, aber auch mit den Stakeholdern hierüber in den Dialog treten. Aus der Kombination der internen Sicht und der Stakeholder Sicht sind die wesentlichen Handlungsfelder und Indikatoren für die Nachhaltigkeit zu identifizieren. Der Prozess zur Identifikation der wesentlichen Inhalte der Nachhaltigkeit wird als Wesentlichkeitsanalyse bezeichnet. Er ist ein dominierendes Element des Berichtswesens und substanziell für die Steuerung der Nachhaltigkeit. Dieser Prozess ist von den Unternehmen daher transparent darzustellen (siehe hierzu auch Kapitel 4.4). 2018 wurde ein neuer GRI-Standard eingeführt. Dieser wird nicht als G5, sondern als GRI Sustainability Reporting Standard oder einfach nur als GRI-Standard bezeichnet. Er soll flexibler und einfacher in der Anwendung sein. Die Anforderungen des G4-Standards gelten inhaltlich aber nach wie vor. Die Änderungen beziehen sich vor allem auf Präzisierungen von Anforderungen, bei der Wesentlichkeit werden die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit deutlicher berücksichtigt und der Aufbau wurde modularisiert. Letzteres erlaubt, dass einzelne Teile aktualisiert werden können, ohne dass der gesamte Bericht angepasst werden muss. Schließlich können nun auch branchenbezogene Berichte erstellt werden. Die in den letzten Jahren zunehmenden Regulierungen zur Nachhaltigkeit haben dazu geführt, dass der GRI ebenfalls weiterentwickelt wurde. Der ab 2023 verpflichtende neue Universal Standard berücksichtigt verschiedene regulatorische Anforderungen. Es werden Menschenrechte stärker eingebunden und die Ermittlung der Wesentlichkeit wurde überarbeitet. Bei der Wesentlichkeitsanalyse wurde das Kriterium der „Relevanz für die Stakeholder“ mit den „Auswirkungen auf Menschen und den Planeten“ erweitert. Die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit sind demnach umfassender zu beachten. Der Universal Standard steht nun im Einklang mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und mit den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen. Schließlich soll der neue Standard auch benutzerfreundlicher und konsistenter in der Anwendung sein. Eine auffällige Änderung ist die Abschaffung der bisherigen Optionen, zwischen einem umfassenden (Comprehensive) und einem Kern-Bericht (Core) zu wählen. Nun gibt es nur noch eine Variante, die deutlich umfangreicher als die ursprüngliche Core-Option ist. (vgl. GRI, https: / / www.globalreporting.org/ standards/ standards-development/ universal-standards/ ) <?page no="76"?> 76 2 Anforderungen an die Unternehmen Der GRI-Standard ist folgendermaßen aufgebaut: Abb. 2.8: Überblick über die GRI-Standards (Quelle: GRI 103 Managementansatz, in: https: / / www.globalreporting.org/ how-to-use-the-gri-standards/ gri-standards-german-translations/ , Abruf: 01.03.2024) Die einzelnen Inhalte sind gemäß der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit aufgegliedert und bestehen aus drei themenspezifischen Standards. Alle Themen dieser Standards können samt ihren Erläuterungen auf der Homepage von GRI (www.globalreporting.org) heruntergeladen werden. GRI 200 Ökonomie GRI 300 Ökologie GRI 400 Soziales 201: wirtschaftliche Leistung 202: Marktpräsenz 203: indirekte ökonomische Auswirkungen 204: Beschaffungspraktiken 205: Korruptionsbekämpfung 206: wettbewerbswidriges Verhalten 207: Steuern 301: Materialien 302: Energie 303: Wasser und Abwasser 304: Biodiversität 305: Emissionen 306: Abfall 307: Umwelt- Compliance 308: Umweltbewertung der Lieferanten 401: Beschäftigung 402: Arbeitnehmer- Arbeitgeber- Verhältnis 403: Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz 404: Aus- und Weiterbildung 405: Diversität und Chancengleichheit 406: Nichtdiskriminierung 410: Sicherheitspraktiken 411: Recht der indigenen Völker 412: Prüfung auf Einhaltung der Menschenrechte 413: Lokale Gemeinschaften 414: Soziale Bewertung der Lieferanten 415: Politische Einflussnahme <?page no="77"?> 2.5 Nachhaltigkeitsstandards 77 407: Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen 408: Kinderarbeit 409: Zwangs- und Pflichtarbeit 416: Kundengesundheit und -sicherheit 417: Marketing und Kennzeichnung 418: Schutz der Kundendaten Tabelle 2.4: Themenspezifische GRI-Standards (Quelle: GRI, in: https: / / www.globalreporting.org/ how-to-use-the-gri-standards/ gri-standards-english-language/ , Abruf: 25.06.2022, eigene Übersetzung) Deutscher Nachhaltigkeitskodex Der Rat für Nachhaltige Entwicklung ist ein seit 2001 bestehendes Gremium, das die Bundesregierung in Fragen der Nachhaltigkeitspolitik berät. Die 15 Ratsmitglieder sind allesamt Personen des öffentlichen Lebens, die auf vielseitige Weise mit der Nachhaltigkeit verbunden sind. Diese werden jeweils für eine Amtszeit vom Bundeskanzler berufen. Die konkreten Aufgaben liegen in der Umsetzung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, in der Benennung von konkreten Handlungsfeldern und Projekten sowie in der Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für die Nachhaltigkeit. Link: www.nachhaltigkeitsrat.de Mit dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) hat der Nachhaltigkeitsrat 2010 einen Leitfaden und eine Datenbank entwickelt, um die Nachhaltigkeitsleistungen von Unternehmen verbindlich und transparent darzustellen. Der Kodex richtet sich dabei insbesondere auch an kleinere und mittelständische Unternehmen, denen andere, zumeist an Großunternehmen ausgerichteten Regelwerke, nicht adäquat erscheinen. Unternehmen, die mit dem DNK über ihre Nachhaltigkeit berichten, erfüllen zugleich auch die Anforderungen der nichtfinanziellen Berichterstattung des CSR-RUG. Der DNK ist auch anschlussfähig zu anderen gängigen Standards der Nachhaltigkeitsberichterstattung. So lassen sich die Kriterien weitgehend den GRI-Indikatoren zuordnen, ebenso gelingt dies mit dem Standard der European Federation of Financial Analysts Societies (EFFAS) (vgl. Pape, Weihofen 2019, S. 72). Ausführliche Informationen zum DNK finden sich auf: Link: www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de Im Vergleich zu vielen anderen Regelwerken ist der Deutsche Nachhaltigkeitskodex mit 20 Kriterien, die jeweils auf rund einer DIN A4-Seite beschrieben werden können, recht kompakt. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung begründet dies damit, dass gängige Berichte sehr umfangreich sind und kaum Leser hätten. Im Dialog mit Vertretern von Unternehmen sowie vom Kapitalmarkt habe man daher „eine Auswahl von Leistungsindikatoren destilliert und Kriterien beschrieben, die kurz und übersichtlich die wesentlichen Informationen zu den Nachhaltigkeitsleistungen eines Unternehmens darstellen“ (Rat für Nachhaltige Entwicklung/ Bertelsmann Stiftung 2013, S. 8). Die Kriterien <?page no="78"?> 78 2 Anforderungen an die Unternehmen sind zum einen zu beschreiben und zum anderen durch ausgewählte Leistungsindikatoren aus dem GRI-Indikatorenkatalog quantitativ zu ergänzen. Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex umfasst folgende vier Kapitel, denen insgesamt 20 Kriterien zugeordnet sind. Strategie 1. Strategische Analyse und Maßnahmen 2. Wesentlichkeit 3. Ziele 4. Tiefe der Wertschöpfungskette Prozessmanagement 5. Verantwortung 6. Regeln und Prozesse 7. Kontrolle 8. Anreizsysteme 9. Beteiligung von Anspruchsgruppen 10. Innovations- und Produktmanagement Umwelt 11. Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen 12. Ressourcenmanagement 13. Klimarelevante Emissionen Gesellschaft 14. Arbeitnehmerrechte 15. Chancengerechtigkeit 16. Qualifizierung 17. Menschenrechte 18. Gemeinwesen 19. Politische Einflussnahme 20. Gesetzes- und richtlinienkonformes Verhalten Tabelle 2.5: Kriterien des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (Quelle: https: / / www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de/ de-DE/ Home/ DNK/ Criteria, Abruf: 25.06.2022, auf der Internetseite des DNK werden sämtliche Kriterien erläutert, es finden sich Checklisten und Unternehmensbeispiele) In der folgenden Abbildung ist beispielhaft ein Auszug der ersten fünf Kriterien des Unternehmens Vaude aufgeführt. Dieser befindet sich sowohl im Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens als auch in der Datenbank des DNK (vgl. https: / / datenbank2.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de/ Profile/ CompanyProfile/ 7193/ de/ 2016/ dnk). Bei den Inhalten in der rechten Spalte sind im Online-Bericht jeweils Links hinterlegt, über die man zu ausführlichen Beschreibungen der Inhalte gelangt. <?page no="79"?> 2.5 Nachhaltigkeitsstandards 79 Abb. 2.9: Auszug aus der DNK-Entsprechenserklärung der Vaude Sport GmbH & Co. KG im Nachhaltigkeitsbericht 2020 (Quelle: https: / / nachhaltigkeitsbericht.vaude.com/ gri/ csr-standards/ Deutscher-Nachhaltigkeitskodex.php, Abruf: 01.03.2024) Der Rat für Nachhaltige Entwicklung stellt Leitfäden zur Verfügung, in dem sämtliche Bearbeitungsschritte und Kriterien ausführlich erläutert werden, wodurch auch bisher weniger erfahrene Unternehmen den Kodex eigenständig ausfüllen können. Zur Erstellung eines Berichts gemäß DNK wird ein fünfstufiges Vorgehen empfohlen (vgl. https: / / www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de/ de-DE/ Home/ DNK/ how-to-do). Beginnend mit der Projektplanung, der Datensichtung und der Registrierung auf der DNK-Datenbank folgt die Ermittlung der quantitativen Indikatoren und die Erstellung der erläuternden Texte je Kriterium direkt in der DNK-Datenbank. Zu diesem ersten Entwurf erfolgt eine Rückmeldung durch DNK, so dass Anpassungen und Ergänzungen vorgenommen werden können. Nach der abschließenden Freigabe kann die DNK- Erklärung für die Kommunikation und für die interne Steuerung der Nachhaltigkeit genutzt werden. Sollte ein Unternehmen bereits umfassend nach GRI berichten, kann dies durch eine sogenannte Entsprechenserklärung bestätigt werden. Die Anforderunhttps: / / nachhaltigkeitsbericht Nachhaltigkeitskodex.php <?page no="80"?> 80 2 Anforderungen an die Unternehmen gen des DNK werden damit erfüllt, ohne dass dieser nochmals gesondert erstellt werden muss. Der DNK ist recht bekannt und wird in Deutschland von rund 750 Unternehmen angewendet. UN Global Compact Der UN Global Compact ist ein Pakt aus dem Jahre 2000, den die Vereinten Nationen gemeinsam mit einer Vielzahl von Unternehmen, sowie mit Verbänden, wissenschaftlichen Einrichtungen und Städten geschlossen haben. Ziel ist, bei zunehmender Globalisierung soziale und ökologische Mindeststandards weltweit einzuhalten. Mittlerweile sind aus weltweit 170 Ländern 19.000 Unternehmen und Organisationen dem Global Compact beigetreten. In Deutschland sind dies 800 Unternehmen. Das Global Compact Netzwerk bezeichnet sich selbst als „die weltweit größte und wichtigste Initiative für nachhaltige und verantwortungsvolle Unternehmensführung“ (Global Compact Netzwerk Deutschland 2022, in: https: / / www.globalcompact.de). Inhaltlich umfasst die nachhaltige Unternehmensführung zehn Prinzipien, aufgeteilt in Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung. Link: www.unglobalcompact.de Menschenrechte 1. Schutz der internationalen Menschenrechte unterstützen 2. keine Mitschuld an Menschenrechtsverletzungen Arbeitsnormen 3. Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen 4. Einsatz für die Beseitigung aller Formen von Zwangsarbeit 5. Einsatz für die Abschaffung von Kinderarbeit 6. Einsatz für die Beseitigung von Diskriminierung Umweltschutz 7. Verfolgung des Vorsorgeprinzips im Umgang mit Umweltproblemen 8. Initiativen zur Förderung des Umweltbewusstseins 9. Entwicklung und Verbreitung umweltfreundlicher Technologien Korruptionsbekämpfung 10. Eintritt gegen alle Arten von Korruption, einschließlich Erpressung und Bestechung Tabelle 2.6: 10 Prinzipien des UN Global Compact (Quelle: https: / / www.globalcompact.de/ themen, 25.06.2022) Die Umsetzung der zehn Prinzipien ist als fortlaufender Prozess mit kontinuierlichen Verbesserungen zu sehen. Hierzu sind die Prinzipien sowohl in der Unternehmensstrategie als auch im operativen Management zu verankern. Es sollen messbare Ziele definiert und über die Zielerreichung soll berichtet werden. Die interne und externe <?page no="81"?> 2.5 Nachhaltigkeitsstandards 81 Kommunikation soll die Prinzipien thematisieren, ein Lernprozess soll angestoßen werden und innovative Geschäftsideen sollen erwachsen. Zur Unterstützung der Unternehmen stellt der Global Compact auf seiner Homepage Leitfäden, Templates und Webinare zur Verfügung. Kritik erfährt dieser Pakt aufgrund der teils niedrigen Minimalstandards, die in vielen Ländern eh gesetzlich geregelt sind. Zudem stellen die Berichte Selbstauskünfte dar, die nicht detailliert überprüft werden. Allerdings gibt es eine verbindliche jährliche Berichtspflicht, den Communication on Progress (CoP). Unternehmen, die den CoP nicht einreichen, werden aus dem Global Compact ausgeschlossen. Die betraf schon mehr als 2.000 Unternehmen, weil sie entweder keine Berichte erstellten oder keine Fortschritte im Bemühen um die Einhaltung der Standards vorweisen konnten. Der jährliche CoP umfasst: ◼ Erklärung der Geschäftsführung zum fortlaufenden Engagement im Global Compact ◼ Ausfüllen eines umfassenden Fragebogens zu den zehn Prinzipien sowie zur Governance (vgl. https: / / www.globalcompact.de/ news/ meldung/ aktuelle-informationenzur-neuen-cop-berichtserstattung-ab-2023-verpflichtend) Die CoP werden in einer Datenbank des Global Compact eingetragen und sind dort öffentlich zugänglich. Zudem sollen sie im Nachhaltigkeits- oder Geschäftsbericht integriert werden (vgl. Global Compact 2022, in: https: / / www.globalcompact.de/ teilnehmen/ reporting-anforderungen-business-cop). „Um die Verankerung der zehn Prinzipien des UN Global Compact im operativen Geschäft sicherzustellen, haben wir Richtlinien, Konzernregelungen und Unternehmenspositionen entwickelt, die für alle Mitarbeiter weltweit verbindlich sind. Das gilt in gleichem Maße für unsere Lieferanten, die wir international zur Einhaltung der zehn Prinzipien verpflichten.“ (Quelle: Bayer AG, in: https: / / www.bayer.com/ de/ nachhaltigkeit/ globalcompact, Abruf: 25.06.2022) OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen Die Leitsätze der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sind ein bei multinationalen Unternehmen gebräuchlicher Verhaltenskodex. Gerade weltweit tätige Unternehmen machen sich die internationale Arbeitsteilung zunutze. Rohstoffe und Vorprodukte werden global beschafft, die Produktion ist über viele Länder verteilt und auch Verkauf und Service finden sich auf allen Kontinenten. In solch komplexen Strukturen wirkt die Geschäftspolitik weit über die eigenen Konzerngrenzen hinaus. Eine verantwortliche Unternehmensführung kann sich dementsprechend nicht nur auf das eigene Haus beziehen, sondern muss die gesamte Wertschöpfungskette und sämtliche Geschäftsbeziehungen im Blick haben. Damit muss sich ein Unternehmen auch bei seinen Zulieferern darum bemühen, dass sich diese an die OECD-Standards <?page no="82"?> 82 2 Anforderungen an die Unternehmen halten. Die multinationalen Konzerne sollen aufgrund ihrer Macht und Einflussmöglichkeiten quasi als Multiplikator genutzt werden, um verantwortungsvolles Handeln weltweit zu übertragen. Bereits 1976 entwickelte die OECD die Leitsätze eines Verhaltenskodex. Sämtliche Unternehmen in den insgesamt 38 Mitgliedsländern sind über die jeweiligen Regierungen aufgerufen, diese Leitsätze einzuhalten. Ihre Anwendung ist aber freiwillig. Mitgliedsländer der OECD sind die wohlhabenden, marktwirtschaftlich ausgerichteten Länder der westlichen Welt. Die nationale Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze in Deutschland ist beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz angesiedelt. Bei den OECD-Leitsätzen handelt es sich um „Empfehlungen für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln in einem globalen Kontext“. Diese umfassen: ◼ allgemeine Grundsätze ◼ Offenlegung von Informationen ◼ Menschenrechte ◼ Beschäftigung und Beziehungen zwischen den Sozialpartnern ◼ Umwelt ◼ Bekämpfung von Bestechung, Bestechungsgeldforderungen und Schmiergelderpressung ◼ Verbraucherinteressen ◼ Wissenschaft und Technologie ◼ Wettbewerb ◼ Besteuerung Eine nähere Beschreibung der Leitsätze findet sich in der Veröffentlichung der OECD. Link: https: / / mneguidelines.oecd.org/ 48808708.pdf „Die Empfehlungen der Leitsätze bringen die gemeinsamen Werte der Regierungen der Länder zum Ausdruck, aus denen ein Großteil der internationalen Direktinvestitionen stammt und in denen viele der größten multinationalen Unternehmen ansässig sind. Die Leitsätze zielen darauf ab, den positiven Beitrag zu fördern, den die Unternehmen zum ökonomischen, ökologischen und sozialen Fortschritt weltweit leisten können.“ (OECD 2011, S. 3) Die OECD setzt mit ihren Leitsätzen vor allem auf das Streben nach einer guten Reputation. Bei Verstößen gibt es zwar einen niedrigschwelligen Beschwerdemechanismus, doch gibt es keine wirksamen Sanktionen. Durch eine Veröffentlichung kann vor allem ein Reputationsschaden entstehen. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen (NGO) bemängeln, dass die OECD Verstöße nicht konsequent verfolge und bei der Verhinderung der Aufklärung eines Verstoßes durch die Unternehmen dies ebenfalls nur sehr vage kommentiere. Trotz der recht hohen Bekanntheit gilt dieser Standard als insgesamt eher schwach wirksam. <?page no="83"?> 2.5 Nachhaltigkeitsstandards 83 EMAS und ISO 14001 Hierbei handelt es sich um zwei international anerkannte Leitlinien für Umweltmanagementsysteme, nach denen sich Unternehmen zertifizieren lassen können. EMAS, „Eco-Management and Audit Scheme“, wurde 1993 von der Europäischen Kommission entwickelt. Die „International Organization for Standardisation“ (ISO) veröffentlichte die ISO 14001 im Jahre 1996. Neben dieser Norm gibt es unter der 1400-Nummer eine ganze Normenreihe zum betrieblichen Umweltmanagement. E- MAS enthält sämtliche Anforderungen der ISO 14001 und geht über diese Norm hinaus. EMAS versteht sich nach eigener Aussage als das weltweit anspruchsvollste System für nachhaltiges Umweltmanagement. Die ISO-Zertifizierung wird weltweit vorgenommen, EMAS vorwiegend in Europa. Insbesondere in Deutschland hat sie eine große Bedeutung. Links: www.emas.de, www.iso.org/ iso/ iso14000 Mit einem Umweltmanagementsystem werden Prozesse und Instrumente bestimmt, sowie Verantwortliche und Ressourcen festgelegt, um die Umweltbelastungen zu erfassen, zu bewerten und zu senken. Die umweltrelevanten Auswirkungen sollen hierdurch transparent gemacht und in das unternehmerische Handeln integriert werden. Damit soll eine kontinuierliche Verbesserung der Umweltleistungen erreicht werden. Ein aktives Umweltmanagement soll zu einem positiven Image gegenüber Kunden und der Öffentlichkeit führen sowie die eigenen Mitarbeiter für Umweltbelange sensibilisieren. Des Weiteren soll sichergestellt werden, dass rechtliche und unternehmerische Vorgaben eingehalten werden. Schließlich sollen Kostensenkungspotenziale erkannt und gehoben werden. (vgl. Gnam, Schwalbe 2021, S. 368ff.) Eine Zertifizierung setzt eine umfassende Ist-Aufnahme sämtlicher umweltrelevanter Aspekte voraus. Anschließend sind die Strategien, Abläufe, Instrumente und Zuständigkeiten des Umweltmanagementsystems aufzubauen. Durch eine interne Umweltbetriebsprüfung, die alle 3 bis 4 Jahre wiederholt wird, ist die Einhaltung der vorgegebenen Verfahren zu prüfen und zu dokumentieren. Schließlich erfolgt eine unabhängige Begutachtung durch einen öffentlich bestellten Umweltgutachter. Die Öffentlichkeit wird durch eine sogenannte Umwelterklärung darüber informiert, welche Auswirkungen das Unternehmen auf die Umwelt hat und welche umweltbezogenen Leistungen das Unternehmen übernimmt (vgl. Gnam, Schwalbe 2021, S. 377f.). Die Umweltmanagementsysteme erreichen eine umweltbezogene Optimierung der Produktion und vermögen Emissionen und Abfälle zu verringern. Sie sind ein wichtiger Bestandteil des Nachhaltigkeitsmanagements. Teils wird kritisiert, dass sie das Kerngeschäft und die Produktentwicklung zu wenig erreichen und stärker auf das gegenwärtige Geschäft und die Einhaltung von Vorgaben gerichtet sind. Auch ein bürokratischer Aufwand wird bemängelt. <?page no="84"?> 84 2 Anforderungen an die Unternehmen Kernarbeitsnormen der International Labour Organization Die International Labour Organization (ILO) ist eine sogenannte Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die bereits 1919 gegründet wurde und ihren Sitz in Genf hat. Sonderorganisation bedeutet, dass sie zwar über die Charta, also der Verfassung der Vereinten Nationen (UN), mit der UN verbunden, jedoch rechtlich und finanziell selbständig ist. Das Ziel der ILO ist es, internationale Arbeits- und Sozialstandards zu entwickeln und umzusetzen. Mit 187 Mitgliedsstaaten sind ihr nahezu alle Länder der Erde zugehörig. Die ILO erarbeitet einerseits Übereinkommen, die nach der Ratifizierung für die Mitgliedsländer rechtlich bindend sind. Die Länder müssen den Stand der Umsetzung an die ILO berichten. Andererseits werden Empfehlungen erarbeitet, die den Regierungen der Mitgliedsstaaten eine Orientierung geben sollen. Die ILO nennt vier Grundprinzipien, die das Selbstverständnis und das Handeln der ILO prägen (ILO, in: https: / / ilo.org/ berlin/ arbeits-und-standards/ kernarbeitsnormen/ lang--de/ index.htm): ◼ Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen ◼ Beseitigung der Zwangsarbeit ◼ Abschaffung der Kinderarbeit ◼ Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf Die Grundprinzipien werden durch acht Übereinkommen, die als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden, umgesetzt. Sämtliche Kernarbeitsnormen wurden nicht von allen, sondern von 138 Mitgliedsländern ratifiziert. In Nachhaltigkeitsberichten findet sich öfters der Hinweis auf die „Erklärung über die grundlegenden Rechte und Pflichten bei der Arbeit“. Diese Erklärung war ein Apell der ILO an die Mitgliedsländer, die Kernarbeitsnormen zu respektieren. Die ILO überprüft die Einhaltung der Kernarbeitsnormen und untersucht auch die Länder, welche die Kernarbeitsnormen nicht ratifiziert haben. Verletzungen können von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen bei der ILO angezeigt werden. „Continental hat konzernweit gültige, verbindliche Verhaltenskodizes zum Thema Menschenrechte implementiert. Darin bekennen wir uns zur Achtung der Menschenrechte und der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im Einklang mit den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte. Dies erwarten wir auch von unseren Geschäftspartnern.“ (Continental AG 2022, in: https: / / www.continental.com/ de/ nachhaltigkeit/ nachhaltige-unternehmensfuehrung/ einhaltung-der-menschenrechte/ , Abruf: 05.07.2022) Zahlreiche Unternehmen nutzen die Normen der ILO, um im eigenen Unternehmen, bei weltweiten Tochtergesellschaften und Geschäftspartnern soziale Mindeststandards für Arbeitnehmer sicherzustellen. Der Verweis, man halte sich an die Gesetze der jeweiligen Länder, reicht hierbei nicht aus. Die Standards der ILO werden keinesfalls überall umgesetzt. Zum einen gibt es zahlreiche Länder, welche die Mindestnormen nicht ratifiziert haben und deren Gesetze den Anforderungen der ILO nicht <?page no="85"?> 2.5 Nachhaltigkeitsstandards 85 genügen. Zum anderen werden die Normen auch trotz Ratifizierung verletzt. Neben den Kernarbeitsnormen gibt es zudem zahlreiche weitere Übereinkommen, die auch nur teilweise in nationale Gesetze überführt wurden. Auch in Deutschland wurden nicht alle Übereinkommen ratifiziert. Beispielsweise wurde die Aufforderung zur Einführung von Mindestlöhnen aus dem Jahr 1970 in Deutschland erst 2015 umgesetzt. Social Accountability 8000 Der Social Accountability 8000 (SA 8000) ist ein Management- und Zertifzierungssystem zur Einhaltung von Mindestanforderungen an Sozial- und Arbeitsstandards bei transnationalen Unternehmen. Der SA 8000 ist ein international bekannter und in der Praxis bedeutsamer sozialer Standard. Herausgeber ist die Social Accountability International (SAI), eine Nicht-Regierungsorganisation mit Sitz in New York. Inhaltlich beziehen sich die Vorgaben auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen, denen die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen und die Empfehlungen der ILO (International Labour Organization) zugrunde liegen. Link: https: / / sa-intl.org/ programs/ sa8000/ Unternehmen können neben einer rein internen Prüfung die Einhaltung der Standards auch extern überprüfen und zertifizieren lassen. Zertifizierungen führen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Zertifizierungsgesellschaften wie etwa der TÜV oder die DEKRA sowie spezialisierte Beratungsgesellschaften durch. Voraussetzung einer Zertifizierung ist dabei, wie auch schon bei den anderen Umwelt- und Sozialstandards, ein funktionierendes, hierauf ausgerichtetes Managementsystem. Dies beginnt mit einer Einbindung der Kriterien in die Unternehmensgrundsätze, deren Verankerung im Topmanagement, der Bestimmung von Leistungen, Prozessen und Richtlinien sowie der regelmäßigen Überprüfung derselben. Durch den SA 8000 kann somit die Einhaltung der Arbeitsstandards gemäß ILO zertifiziert und sichtbar gemacht werden. „Unternehmen, die das SA8000 Zertifikat erhalten haben, werden fortlaufend Kontrollen durch eine internationale, unabhängige Prüfstelle unterzogen. Bei MASCOT stehen wir diesen externen Kontrollen positiv gegenüber. So können sich unsere Geschäftspartner und Kunden nämlich sicher sein, dass MASCOT sämtliche Vorgaben einhält und wir unseren Mitarbeitern die bestmöglichen Rahmenbedingungen und ein gutes Arbeitsmilieu bieten.“ (Mascot International GmbH 2022, in: https: / / www.mascot.de/ de/ sa8000, Abruf: 01.03.2024) ISO 26000 Der 2010 veröffentlichte Standard ISO 26000 ist ein Leitfaden für gesellschaftlich verantwortliches Verhalten. Es wurde bewusst davon abgesehen, diesen als zertifizierbare Norm zu konzipieren. Dabei heißt es, eine Zertifizierung würde vielmehr Ziel und Zweck dieses Leitfadens widersprechen, da dieser als Handlungs- und Orientierungshilfe zu sehen ist und keine konkreten Anforderungen und Werteskalen ent- <?page no="86"?> 86 2 Anforderungen an die Unternehmen hält. Ebenso wenig ist er daher auch als Bestandteil von Verträgen oder Ausschreibungen geeignet. Es werden sieben Grundsätze gesellschaftlicher Verantwortung genannt: ◼ Rechenschaftspflicht ◼ Transparenz ◼ ethisches Verhalten ◼ Achtung der Interessen von Anspruchsgruppen ◼ Achtung der Rechtsstaatlichkeit ◼ Achtung internationaler Verhaltensstandards ◼ Achtung der Menschenrechte Daneben folgen Empfehlungen zur Einbindung der Stakeholder, zur Unternehmensführung, zur Förderung der Menschenrechte, zum Umgang mit Mitarbeitern, zur Verantwortung für die Umwelt, zu fairem Verhalten im Wettbewerb, zur Achtung der Konsumenten und zur Verantwortungsübernahme in der Gesellschaft. Hierbei werden jeweils recht konkrete Anforderungen gestellt, wie beispielsweise die Verbraucherbildung, faire Vertragspraktiken, Schutz von Kundendaten oder aber auch die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Ermöglichung des Zugangs zu neuen Technologien. Insgesamt erweist sich der ISO 26000 als leicht verständlich und recht einfach nutzbar. Unternehmen, die den Leitfaden anwenden, überprüfen die praktische Relevanz der einzelnen Kriterien und entscheiden, ob und wie dies im Unternehmen zukünftig berücksichtigt werden soll. Als Ergebnis kann das Unternehmen erklären, sich bei der Übernahme der gesellschaftlichen Verantwortung an ISO 26000 zu orientieren. Link: https: / / www.iso.org/ iso-26000-social-responsibility.html ISO 14031 Während sich die ISO 14001 auf messbare Umweltleistungen der Unternehmen und der Produkte beschränkt, befasst sich die ISO 14031 mit der Methodik zur Bewertung von Umweltleistungen. Die seit 1999 bestehende ISO 14031 ist nicht zur Zertifizierung ausgelegt, sondern soll als internes Steuerungsinstrument, aber auch der internen und externen Kommunikation dienen. Beginnend mit der Planung der Bewertung von Umweltleistungen, insbesondere durch die Auswahl geeigneter Kennzahlen, folgt die Datenerfassung, die Datenanalyse, Beurteilung und Berichterstattung bzw. Kommunikation. Daraus abgeleitet können Erkenntnisse gewonnen werden, wie eine weitere Bewertung der Umweltleistungen noch besser erfolgen kann. Dieser Prozess kann in Form eines kontinuierlichen Kreislaufs durchgeführt werden. Bei der Auswahl von Kennzahlen erweist sich die Orientierung an den Stakeholdern als sinnvoll. Hierbei ist zu entscheiden, welche Informationen für diese wichtig sind, warum diese bedeutsam sind und wie diese Informationen zur Verfügung gestellt werden sollen. Bei der Analyse ist beispielsweise zu <?page no="87"?> 2.5 Nachhaltigkeitsstandards 87 hinterfragen, wie sich Umweltaspekte auf Kosten auswirken, wie diese die Arbeitssicherheit beeinflussen oder ob sie gegen rechtliche Vorgaben verstoßen. Als Ergebnis liegt eine fokussierte und nachvollziehbare Betrachtung der wesentlichen Umweltkennzahlen vor. Dies kann als Basis für ein systematisches Umweltmanagement dienen, insbesondere auch bei kleineren und mittelständischen Unternehmen. AccountAbility 1000 Der AccountAbility 1000 (AA 1000) ist ein international anerkannter Qualitätsstandard für ein an den Stakeholdern ausgerichtetes Nachhaltigkeitsmanagement und Nachhaltigkeitsberichtswesen. Der Standard stammt vom Institute of Social and Ethical Accountability und besteht seit 1999. Im Mittelpunkt des Standards steht die Einbindung der Interessen der Stakeholder. Der AA 1000 ist ein Prüfstandard für Nachhaltigkeitsberichte und bescheinigt, dass die Stakeholder einbezogen wurden und er alle relevanten Fakten enthält. Ein solches Testat steigert die Glaubwürdigkeit des Nachhaltigkeitsberichts und ist für bestimmte Zwecke, wie etwa die Aufnahme in einen Nachhaltigkeitsindex, formale Voraussetzung. Link: https: / / www.accountability.org/ standards Der AA 1000 basiert auf vier Prinzipien (vgl. AccountAbility, https: / / www.accountability.org/ standards/ aa1000-accountability-principles, Abruf: 01.03.2024): ◼ Inklusivität: Wer von Entscheidungen unmittelbar betroffen ist, soll ein Mitspracherecht haben. ◼ Wesentlichkeit: Entscheider sollen die wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen identifizieren und verstehen. ◼ Verantwortlichkeit: Organisationen sollen bei wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen und deren Auswirkungen transparent handeln. ◼ Auswirkungen: Unternehmen sollen überwachen, messen und Rechenschaft darüber ablegen, wie sich ihre Handlungen auf das Ökosystem auswirken. Zertifizierungen durch unabhängige Prüfgesellschaften Verschiedene unabhängige Prüfgesellschaften bieten eine Überprüfung und oft auch eine Zertifizierung des Nachhaltigkeitsmanagements an. Geprüft werden sowohl die bereits zuvor aufgeführten Standards, oder auch eigene Standards. Die oben vorgestellten Standardsetzer verfügen zumeist nicht über eine eigene Infrastruktur, um die Einhaltung der Standards zu überprüfen und um Unternehmen zu zertifizieren. Dafür kooperieren sie mit unabhängigen Partnern, die ihrerseits ihre Qualifizierung als Prüfer nachweisen müssen und sich teils für die Vergabe von Zertifikaten lizenzieren müssen. Hierfür sind insbesondere solche Gesellschaften prädestiniert, die seit jeher mit Prüfaufgaben betraut sind und ihre Unabhängigkeit unter Beweis gestellt haben. Dies sind in Deutschland die aus dem Bereich der technischen Prüfung stammenden Technischen Überwachungsvereine (TÜV) und die Dekra. Darüber hinaus übernehmen <?page no="88"?> 88 2 Anforderungen an die Unternehmen diese Aufgaben auch die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wie KPMG, PwC, Ernst & Young oder Deloitte. Neben der eigentlichen Prüfung und Zertifizierung bieten diese Gesellschaften in aller Regel auch umfassende Beratungsleistungen rund um die Zertifizierung an, was für diese ein interessantes Geschäftsfeld darstellt. Neben der Zertifizierung von Standards nach EMAS oder ISO werden teilweise auch eigene Standards definiert, zur Zertifizierung angeboten und durch umfassende Beratungsangebote ergänzt. So bietet beispielsweise der TÜV Rheinland neben einer Zertifizierung der SA 8000 auch die Überprüfung und Zertifizierung des Compliance-Managementsystems oder der Nachhaltigen Unternehmensführung an. Der TÜV Süd bietet die Beratung und Validierung von Nachhaltigkeitsberichten gemäß eigener Verfahrensstandards an und die Dekra zertifiziert nach ISO 14001 und berät zur Nachhaltigkeit im Bereich des Rechts, der Managementsysteme und der ökologischen Effizienz der Produkte. PwC entwickelte einen Ansatz, um die langfristigen Folgen des ökonomischen Handelns sichtbar und auch messbar zu machen und unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung einer Corporate Responsibility-Strategie. Schließlich bietet die KPMG zahlreiche Zertifizierungen und Validierungen, etwa nach ISO 14001 oder EMAS an und berät Unternehmen beim Nachhaltigkeitsmanagement und bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Als Beispiel für die Zertifizierung eines eigenen Standards ist nachfolgend ein Angebot des TÜV Rheinland aufgeführt: Beispiel TÜV Rheinland Zertifizierung nach dem ZNU-Standard „Nachhaltiger Wirtschaften“ „Der ZNU-Standard Nachhaltiger Wirtschaften wurde vom Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung, kurz ZNU, zusammen mit uns als Partner entwickelt. Der B2B-Standard bündelt sämtliche Nachhaltigkeitsanforderungen an Unternehmen für alle Branchen und macht nachhaltiges Wirtschaften messbar, umsetzbar und für Externe überprüfbar. Mit dem ZNU-Standard wird nachhaltigeres Wirtschaften in Unternehmen zertifiziert, indem die Entwicklung eines integrierten Managementsystems im Bereich Umwelt, Wirtschaft und Soziales gefördert und gefordert wird. … Der ZNU-Standard berücksichtigt Nachhaltigkeitsanforderungen verschiedenster Initiativen (u.a. Deutscher Nachhaltigkeitskodex, ISO 26000, BSCI, GRI, UN Global Compact, FAO/ SAFA, GSCP, ISEAL) und hat neben den Aspekten der nachhaltigen Unternehmensführung zu den drei zentralen Nachhaltigkeitsthemen Umwelt, Wirtschaft und Soziales insgesamt 30 Handlungsfelder extrahiert. Bei diesen handelt es sich unter anderem um Klima und Energie, Demografie, Wertschöpfung und Qualität. Anhand des ZNU-Standard Nachhaltiger Wirtschaften werden die von Ihrem Unternehmen geplanten Entwicklungsmöglichkeiten dann von uns bewertet.“ (vgl. TÜV Rheinland, https: / / www.tuv.com/ germany/ de/ znu-standard.html, Abruf: 01.03.2024) <?page no="89"?> 2.5 Nachhaltigkeitsstandards 89 Vergleichende Darstellung der Nachhaltigkeitsstandards Die vorangegangenen Ausführungen haben Nachhaltigkeitsstandards unterschiedlicher Ausprägungen gezeigt. Zum einen gibt es Standards, die konkrete inhaltliche Anforderungen stellen. Diese sind entweder messbar und sollten im Zeitverlauf immer bessere Werte aufweisen (z.B. Verringerung der Fluktuation, Verringerung des Energie- und Wasserverbrauchs, Steigerung der Diversity). Oder es sind eindeutige Mindestanforderungen vorgegeben, die keinesfalls unterschritten werden dürfen (z.B. keine Kinderarbeit, Freiheit zur Bildung von Arbeitnehmervertretungen, keine Menschenrechtsverstöße bei Lieferanten, keine Verunreinigung von Gewässern). Neben diesen, auf Inhalte fokussierten Standards, gibt es auch prozessbezogene Standards. Hierbei müssen eindeutige Prozesse zur praktischen Umsetzung des Nachhaltigkeitsmanagements definiert und dokumentiert sein. Im Rahmen dieser Prozesse ist dann beispielsweise auch die Entwicklung der konkreten Nachhaltigkeitsziele ein wichtiger Bestandteil. Auch wenn hier nur ein Auszug an Umwelt- und Sozialstandards vorgestellt wurde, zeigt sich die große Vielfalt an Konzepten. Vielfach überschneiden sie sich inhaltlich oder sie sind sich ähnlich. ISO 14001 ist etwa Bestandteil von EMAS. Teilweise ergänzen sie sich auch, wie etwa AA 1000 und GRI. Letztlich scheint die komplementäre Anwendung von inhaltlichen und prozessualen Standards sinnvoll zu sein. Auf Basis inhaltlicher Vorgaben kann die Einhaltung konkreter, wichtiger Ergebnisziele beobachtet werden. Unternehmen werden vergleichbar, das Ergebnis ihrer Nachhaltigkeitsaktivitäten kann beurteilt und in eine Rangfolge gebracht werden. Andererseits sind auch prozessbezogene Standards sinnvoll, da nur so unternehmensindividuelle Eigenarten und die spezifischen Stakeholder-Interessen berücksichtigt werden können. Zukünftig wäre es wünschenswert, wenn die Vielfalt an Standards verringert wird. Ein wichtiger Schritt ist dabei die Entwicklung der europäischen Berichtsstandards ESRS. Bei inhaltlichen Vorgaben dominieren zumeist Effizienzmaßnahmen. Diese enthalten entweder Höchstgrenzen für negative oder Mindestwerte für positive Auswirkungen. Dem ökonomischen Prinzip entsprechend sind diese Vorgaben möglichst effizient zu erreichen. Bei geschlossenen Kreisläufen, etwa beim Cradle-to-Cradle-Ansatz, ist aufgrund vollständiger Konsistenz die Effizienz nachrangig. Auch Maßnahmen zur Steigerung der Suffizienz, also einer Verringerung des Konsums, können unter einer einseitigen Betrachtung der Effizienz leiden. Kann beispielsweise eine Waschmaschine mit 10% weniger Ressourceneinsatz, also effizienter hergestellt werden, verbessern sich die Nachhaltigkeitswerte des Unternehmens. Geht dies aber mit einer erwarteten verkürzten Lebensdauer der Waschmaschine von 5 statt bisher 7 Jahren einher, ist dies ökologisch ein Rückschritt und keinesfalls nachhaltig. Stakeholder könnten diese Problematik falscher Effizienz thematisieren und vom Unternehmen Lösungen einfordern. Managementsystemen für Nachhaltigkeit wird teils vorgeworfen, dass sie keine Eigendynamik entwickeln, sondern vielmehr formalistisch abgearbeitet werden. Ziel ist dann, mit möglichst wenig Aufwand die Mindestanforderungen zu erfüllen. Nicht <?page no="90"?> 90 2 Anforderungen an die Unternehmen selten finden sich in Stabsstellen angesiedelte Experten wie Umweltbeauftragte, CSR- Manager oder Compliance-Verantwortliche, die wichtige Aufgaben übernehmen, diese erfolgen aber parallel zum traditionellen Management. Hierdurch können zwar die Anforderungen für Zertifizierungen erfüllt, die Rechtssicherheit gewahrt und Energie- und Ressourceneinsparungen erzielt werden. Die Integration in das Unternehmen, in das strategische und operative Management, in eine Neugestaltung der Wertschöpfungsketten und Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle wird hiermit kaum erreicht. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass nur eine Integration der Nachhaltigkeit in bestehende Managementsysteme erfolgversprechend ist. Spezielle Nachhaltigkeitsmanagementsysteme werden sogar als „Tarnkappen“ bezeichnet, die allenfalls zu mehr Effizienz und Compliance führen, nicht aber zu mehr Effektivität, zu mehr Innovationen und zu einem sich fortschreitend entwickelnden Nachhaltigkeitsmanagement (vgl. Rogall 2012, S. 746). Ohne ein solches funktionierendes Managementsystem werden zumindest mittelfristig auch keine Erfolge erzielt. Kurzfristig mag dies noch möglich sein, wenn man durch sporadische Aktionen und einzelne Projekte eben nur „die tiefhängenden Früchte erntet“. Damit endet dann aber auch schon das nachhaltige Engagement. Entscheidend ist also die Etablierung eines funktionierenden integrierten Managementsystems. Ob dies erfolgreich gelingt, ist von einem Außenstehenden deutlich schwieriger zu beurteilen. Werden die dokumentierten Prozesse und Spielregeln tatsächlich mit Überzeugung gelebt oder ist dies nicht vielmehr ein schön beschriebenes Stück Papier? Die Beurteilung der Nachhaltigkeit kann nur durch die tatsächlichen Erfolge bestimmt werden. Die Messung der Nachhaltigkeit wird daher seit Jahren immer bedeutsamer. Zugleich wird ein funktionierendes Nachhaltigkeitscontrolling wichtiger. Als Business Partner muss der Controller die Nachhaltigkeit in die Managementprozesse integrieren und zugleich faktenbasiert und transparent Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung stellen. Tabelle 2.7 stellt die zuvor beleuchteten Nachhaltigkeitsstandards nochmals kompakt gegenüber. Ergänzend sei hierzu auf eine bereits etwas ältere Studie verwiesen, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales beauftragt wurde. Hierbei wurden verschiedene CSR-Instrumente anhand eines einheitlichen Kriterienkatalogs miteinander verglichen (vgl. Schoenheit 2012). Standard Herausgeber Inhalt Prozess Evaluierung Bekanntheit / Relevanz a) GRI Global Reporting Initiative Indikatorenkatalog für Nachhaltigkeitsberichte Stakeholderdialog zur Bestimmung der Wesentlichkeit Stellungnahme zur Selbstauskunft durch GRI oder Dritte, in der Praxis aber zumeist Zertifizierung weltweiter Standard für Nachhaltigkeitsberichte, insbesondere bei großen Unternehmen <?page no="91"?> 2.5 Nachhaltigkeitsstandards 91 b) Deutscher Nachhaltigkeitskodex Rat für Nachhaltige Entwicklung Katalog von Leistungsindikatoren und Kriterien Leitfaden, um Nachhaltigkeitsleistungen verbindlich darzustellen und bekannt zu machen nein, allerdings können Dritte dies vornehmen, um Glaubwürdigkeit zu erhöhen recht bekannt, mittelmäßige Verbreitung c) UN Global Compact United Nations normatives Rahmenwerk, Vorgabe von 10 inhaltlichen Leitprinzipien es wird nur generell eine kontinuierliche Verbesserung gefordert jährlicher Fortschrittsbericht an UN hohe Bekanntheit, eher geringer Standard, begrenzte Akzeptanz d) Leitsätze für multinationale Unternehmen OECD normatives Rahmenwerk für verantwortungsvolles Handeln im globalen Kontext Empfehlungen für die Offenlegung von Informationen Verstöße gegen die Leitsätze werden von der OECD veröffentlicht hohe Bekanntheit, eher schwache Kontrolle, fehlende Sanktionen begrenzen Wirksamkeit e1) EMAS Europäische Kommission Umweltmanagementsystem ohne inhaltliche Vorgaben, individuelle Ermittlung relevanter Umweltaspekte Managementsystem und Berichterstattung Gültigkeitserklärung; Zulassung und Überwachung der EMAS- Umweltgutachter ist gesetzlich geregelt hohe Bekanntheit und Reputation in der EU, beschränkt auf ökologischen Bereich e2) ISO 14001 International Organization for Standardisation Umweltmanagementsystem ohne inhaltliche Vorgaben, individuelle Ermittlung relevanter Umweltaspekte Umweltmanagementsystem Zertifizierung durch zur Akkreditierung zugelassene Organisationen hohe Bekanntheit, auch außerhalb EU, beschränkt auf ökologischen Bereich f) ILO Internationaler Arbeitsstandard International Labour Organization (ILO) Arbeits- und Sozialstandards, die in nationale Gesetze umgesetzt werden sollen Anwendung der Arbeits- und Sozialstandards im Unternehmen und bei Geschäftspartnern bei gesetzlicher Grundlage Gesetzesverstöße, sonst besteht die Möglichkeit zur Beschwerde bei der ILO hohe Bekanntheit, vor allem bei Aktivitäten in Ländern mit geringen Arbeitsstandards g) SA 8000 Social Accountability International Sozialmanagementsystem mit inhaltlichen- Mindeststandards Sozialmanagementsystem in der Regel Zertifizierung nur teilweise bekannt, beschränkt auf den sozialen Bereich <?page no="92"?> 92 2 Anforderungen an die Unternehmen h) ISO 26000 International Organization for Standardisation Prozessrichtlinien, Felder für verantwortliches Handeln werden aufgezeigt, Empfehlungen Prozess zur Durchführung wird aufgezeigt, Beachtung der spezifischen Situation nicht zertifizierbar, widerspricht der Konzeption als Orientierungshilfe teilweise bekannt, Leitfadencharakter, teils negativ wegen fehlender Eindeutigkeit und Zertifizierung i) ISO 14031 International Organization for Standardisation Managementsystem, keine inhaltlichen Vorgaben umfassender Prozess zur Bewertung von Umweltleistungen keine Zertifizierung, sondern interne Steuerung weniger bekannt, beschränkt auf ökologischen Bereich j) AA 1000 Institute of Social und Ethical Accountability Managementsystem, keine inhaltlichen Vorgaben reine Prozessorientierung, insbesondere zum Stakeholder- Management genaue Vorgaben, wie eine Prüfung erfolgen muss, Zertifizierung teilweise bekannt, im angelsächsischen Raum bedeutsamer Tabelle 2.7: Übersicht über wichtige Nachhaltigkeitsstandards für Unternehmen Kapitel 2: Erkenntnisse An Unternehmen wird von verschiedenen Seiten die Forderung gestellt, nachhaltig zu sein. Ausgangspunkt bilden die Ziele, die sich das Unternehmen setzt und auf die verschiedene Akteure Einfluss nehmen. Shareholder und bei kapitalmarktorientierten Unternehmen auch professionelle Investoren vertreten ihre Interessen unmittelbar als Unternehmenseigentümer. Mangelnde Nachhaltigkeit wird von diesen zunehmend als Investitionsrisiko und -hindernis wahrgenommen - entsprechend erfolgen die Eingriffe. Die heterogene Gruppe der Stakeholder kann ebenfalls einen großen Einfluss auf die nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens ausüben. Teils wird ihnen zugesprochen, dass sie den Unternehmen die „Licence to operate“ verleihen. Aktuell gewinnen die regulatorischen Anforderungen massiv an Bedeutung. Insbesondere auf europäischer Ebene wurden verschiedene Regularien initiiert, die viele Unternehmen vor große Herausforderungen stellen. Neben der CSRD und der EU-Taxonomie ist hier auch das Lieferkettengesetz zu nennen. Weitere Vorgaben sind zudem in Planung. Schließlich nehmen bereits seit vielen Jahren die zahlreichen Nachhaltigkeitsstandards einen großen Einfluss auf die Unternehmen. Sie prägen die Berichterstattung, sie setzen inhaltliche Mindeststandards, geben Prozesse zur Nachhaltigkeitssteuerung vor oder stellen umfassende Managementsysteme zur Verfügung. <?page no="93"?> 3 Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung Lernziele Die Leser ◼ kennen die idealtypischen Prozessschritte einer umfassenden, integrierten Nachhaltigkeitssteuerung, nach denen auch dieses Buch aufgebaut ist. ◼ verstehen die Bedeutung der organisatorischen Zuordnung der Nachhaltigkeitssteuerung. Mit den Alternativen einer parallelen bzw. einer integrierten Steuerung sind sie vertraut. ◼ überblicken die Herausforderungen einer notwendigen fachlichen, methodischen und kulturellen Weiterentwicklung der Controller, um sie für die Steuerung der Nachhaltigkeit zu befähigen. Mit dem aktuellen Umsetzungsstand in der Praxis sind sie vertraut. Ablauforganisation Das Nachhaltigkeitscontrolling erfindet etablierte Controllingprozesse nicht neu und errichtet auch keine Parallelprozesse neben dem bestehenden Controlling. Im ersten Kapitel wurde bereits erkannt, dass das Nachhaltigkeitscontrolling als eine Weiterentwicklung des bestehenden Controllings zu sehen ist. Gerade im Verständnis des Controllers als Business Partner wurde die Beschäftigung mit der Nachhaltigkeit als logische Konsequenz angesehen. Controlling als Querschnittsfunktion durch das 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.2 <?page no="94"?> 94 3 Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung gesamte Unternehmen sichert die Rationalität der Entscheidungen und die Zielerreichung, ob diese ökonomisch, ökologisch oder sozial sind. Die Methoden und Tools im Controlling sind zu ergänzen und auch der Ablaufprozess des Nachhaltigkeitscontrollings ist in enger Anlehnung an bewährte Controllingprozesse zu entwickeln. Der Aufbau dieses Buches folgt den wichtigsten Teilprozessen für ein wirksames Nachhaltigkeitscontrolling. In einem Buch lassen sich die einzelnen Kapitel und somit die Teilprozesse der Nachhaltigkeitssteuerung nur nacheinander aufführen. Tatsächlich verläuft die Umsetzung der Nachhaltigkeit aber nicht linear. Zwischen einzelnen Aufgaben gibt es wechselseitige Abhängigkeiten. Die Teilprozesse, die für die Durchführung des Nachhaltigkeitscontrollings notwendig sind, werden nachfolgend kurz vorgestellt. Diese entsprechen den Kapiteln des Buches. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung In diesem Kapitel werden die Ablauf- und die Aufbauorganisation der Nachhaltigkeitssteuerung behandelt. Dieses steht vor den inhaltlichen Bearbeitungsschritten, die ab dem vierten Kapitel folgen, da es deren Ablauf vorstellt. In der Praxis werden die Fragen der Organisation zumeist nach der Klärung der normativen und strategischen Ebene behandelt. Nicht umsonst lautet ein betriebswirtschaftlicher Leitsatz seit den 1960er Jahren „Structure follows Strategy“ (vgl. Chandler 1962). Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Der Aufbau einer Nachhaltigkeitssteuerung startet mit der normativen Ebene, in der die Vision und Mission geklärt werden. Diese geben nicht nur die grundlegenden Ziele für die Strategie vor, sondern beeinflussen durch den Werterahmen Wahrnehmungen, Beurteilungen und Entscheidungen im Unternehmen. Die Vision gibt das Ziel vor, das durch die Strategie erreicht werden soll. Dementsprechend wird im weiteren Verlauf die strategische Nachhaltigkeitssteuerung behandelt. Wie bereits ausgeführt, soll die Nachhaltigkeitssteuerung keinesfalls als Parallelsystem zur ökonomischen Steuerung errichtet werden. Die strategischen Nachhaltigkeitsaspekte sind in der Unternehmensstrategie zu integrieren. Auch in der Vision und Mission sind ökonomische, ökologische und soziale Inhalte einzubinden. Folglich muss auch die Strategieumsetzung alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit integrieren. Dies erfolgt mit Hilfe der Sustainability Balanced Scorecard (SBSC), einer Erweiterung der Balanced Scorecard. Nachhaltige Unternehmensentwicklung Die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens geht weit über eine Optimierung und Absicherung bestehender Wertschöpfungsprozesse und Geschäftsmodelle hinaus. Diese werden sich verändern oder es werden neue Wertschöpfungs- <?page no="95"?> 3.1 Ablauforganisation 95 prozesse und Geschäftsmodelle entwickelt. Bedürfnisse werden mit geringerem Einsatz an Material und Energie erstellt und durch intelligente Dienstleistungen ergänzt oder zum Teil auch ersetzt. Diese strategisch initiierte Weiterentwicklung erfolgt durch die operative Nachhaltigkeitssteuerung. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Die Brücke zwischen der strategischen und operativen Steuerung der Nachhaltigkeit schlägt die Sustainability Balanced Scorecard (SBSC). Die operative Steuerung formt die alltägliche Umsetzung der Nachhaltigkeit. Das operative Nachhaltigkeitscontrolling basiert auf einem Performance Measurement System, innerhalb dessen kennzahlenbasiert gemessen, geplant und gesteuert wird. Dies macht es notwendig, dass die konkreten Inhalte der operativen Nachhaltigkeitssteuerung, wie etwa die Emissionen oder Sozialstandards der Beschäftigung, identifiziert und definiert werden. Genau wie in der ökonomischen Dimension vor der operativen Planung geklärt sein muss, welche Größen überhaupt geplant werden sollen (Rendite, Jahresüberschuss, Cashflow, Umsätze, Aufwendungen, …), müssen auch die relevanten Nachhaltigkeitsgrößen bestimmt werden (CO 2 -Ausstoß, Energieeinsatz, Arbeitsunfälle, Sustainable Value, …). Die Messung der Nachhaltigkeit verschafft in der ökologischen und sozialen Dimension eine vergleichbare Transparenz, wie es das externe und interne Rechnungswesen seit jeher auf der betriebswirtschaftlichen Ebene bewirkt. Damit interessiert nicht nur der Deckungsbeitrag eines Produktes, sondern auch der Beitrag zur Erreichung der ökologischen und sozialen Ziele. Und einer Kostenstelle sind nicht nur Aufwendungen zuzuordnen, sondern auch Emissionen, Ressourcenverbrauch und die Einhaltung von Sozialstandards. Erst nach der Auswahl geeigneter Inhalte und Messmethoden kann die integrierte operative Planung erfolgen. Dabei ist eine Steuerung ohne eine entsprechende Softwareunterstützung kaum möglich. Es fallen eine Vielzahl an Daten an, die strukturiert abgelegt, verarbeitet, analysiert, für Entscheidungen genutzt und in Reports veröffentlich werden. Die Nutzung von Daten und der Einsatz geeigneter Softwaretools ist für das operative Nachhaltigkeitscontrolling unerlässlich. Dies schließt auch Big Data und moderne Analytics-Methoden ein. Nachhaltiges Investitionscontrolling Die Weiterentwicklung von Unternehmen erfordert zumeist Investitionen. Bei diesen sind neben den ökonomischen Anforderungen auch die ökologischen und sozialen Auswirkungen zu prognostizieren und in die Investitionsentscheidung einzubinden. Mit Hilfe eines nachhaltigen Investitionscontrollings werden vorrangig nachhaltige Investitionen getätigt und das Unternehmen entwickelt sich schrittweise hin zu mehr Nachhaltigkeit. Das Investitionscontrolling ist ein bedeutsamer Hebel für den Wandel zu einem nachhaltigen Unternehmen. Ersetzt beispielsweise ein Unternehmen jährlich 10% seines Anlagevermögens durch neue, besonders nachhaltige Anlagen, verfügt es nach zehn Jahren nur noch über nachhaltige Anlagen. <?page no="96"?> 96 3 Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung Nachhaltiges Risikocontrolling Klimarisiken sind Investitionsrisiken, so Larry Fink, CEO der weltweit größten Investmentgesellschaft Blackrock. Insbesondere aus der finanzwirtschaftlichen Perspektive, wie auch seitens der Corporate Governance, sind die aus einer unzureichenden Nachhaltigkeit resultierenden Risiken essenziell. Dies umfasst einerseits die Risiken eines ausbleibenden Markterfolgs aufgrund unzureichend nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen. Andererseits sind auch solche Risiken zu beachten, die etwa durch den Klimawandel bedingt sind und das Unternehmen beeinträchtigen können (z.B. Verknappung von Rohstoffen, Überschwemmungen, Trockenheit). Die Identifikation der Nachhaltigkeitsrisiken und deren Steuerung sind die Aufgaben des nachhaltigen Risikocontrollings. Dies erfolgt in enger Abstimmung mit dem operativen Nachhaltigkeitscontrolling, da erkannte Risiken häufig zu Gegenmaßnahmen führen. Nachhaltigkeitsreporting Für viele Unternehmen sind monatliche Managementreports die Regel. Neben der Darstellung von Abweichungen bei Umsätzen oder Kosten sind hier auch die Ursachen zu analysieren und Handlungsempfehlungen abzugeben. Extern erfolgt die Berichterstattung jährlich in Form von Geschäftsberichten, bei börsennotierten Gesellschaften auch quartalsweise. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung informiert über die entsprechende Zielerreichung bei ökologischen und sozialen Kriterien und wird maßgeblich durch gesetzliche Vorgaben und durch die benutzten Berichtsstandards beeinflusst. Bei einer integrierten Steuerung ist es naheliegend, auch integriert zu berichten. Ein integrierter Bericht informiert darüber, wie erfolgreich das Unternehmen in allen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit war. Hierbei wird insbesondere auf die Wechselbeziehungen zwischen den drei Nachhaltigkeitsdimensionen geachtet. Wenn extern über einen Sachverhalt berichtet wird, gewinnt dieser auch bei der internen Steuerung an Bedeutung. Schließlich gilt es, die extern sichtbaren Ergebnisse zu verbessern. Controller sind somit von zwei Seiten mit dem Nachhaltigkeitsreporting konfrontiert: Sie liefern Daten für den externen Report und sie integrieren die berichteten Daten in das interne Steuerungssystem. Green Finance Die Finanzierung ist zwar kein Bestandteil des Controllingprozesses, doch wird diese zunehmend vom nachhaltigen Erfolg beeinflusst. Für die Steuerung der Nachhaltigkeit ist dies somit ein relevanter Aspekt. Kapitalgeber, ob Investmentgesellschaften oder kreditgebende Banken, fordern die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards. Unternehmen wird damit der Zugang zu bestimmten Segmenten des Kapitalmarkts ermöglicht oder sie erhalten günstigere Konditionen, da für Kapitelgeber das Investitionsrisiko geringer ist. Für die Controller sind die aus der Finanzierung resultierenden Anforderungen relevant. Sie dürfen bei einer ganzheitlichen Unternehmenssteuerung nicht fehlen. <?page no="97"?> 3.2 Aufbauorganisation 97 Nachhaltigkeitskultur Die Auswirkungen der Unternehmenskultur auf das Verhalten von Managern und Mitarbeitern sind außerordentlich bedeutsam. Gut gewählte Kennzahlen, überzeugende Pläne und Anreizsysteme sind zwar eine Voraussetzung für den Wandel zu einem nachhaltigen Unternehmen, reichen allein aber nicht aus. Dafür werden auch überzeugte und engagierte Mitarbeiter benötigt. Manche Controller mögen sich für die Softfacts nicht verantwortlich oder fachlich nicht berufen fühlen. Dies steht allerdings nicht zur Debatte. Controller haben dafür Sorge zu tragen, dass Unternehmen ihre Ziele erreichen. Daher können kulturelle Aspekte nicht ausgeblendet werden. In einem modernen Controllingverständnis ist die Initiierung und Umsetzung von Changeprozessen ein wichtiger Bestandteil der Tätigkeit - und dies ist keine rein sachlich-technische Angelegenheit. Es wurden neun Teilprozesse des Nachhaltigkeitscontrollings beschrieben. Diese werden in den Kapiteln 3-11 behandelt. Der nächste Abschnitt richtet den Blick auf die aufbauorganisatorische Umsetzung. Bereits im ersten Kapitel wurde auf die Sinnhaftigkeit einer organisatorischen Integration der Nachhaltigkeitssteuerung in die Gesamtunternehmenssteuerung hingewiesen. Diese und weitere Aspekte der Organisationsgestaltung werden nachfolgend erläutert. Aufbauorganisation „Um Unternehmen erfolgreich zu steuern, braucht es ein integratives Nachhaltigkeitscontrolling statt der häufigen Parallelstrukturen.“ (Schaltegger 2020, S. 72) Nachdem der idealtypische Ablaufprozess des Nachhaltigkeitscontrollings vorgestellt wurde, soll nun die aufbauorganisatorische Einordnung des Nachhaltigkeitscontrollings betrachtet werden. Ein Blick in die nachfolgende Tabelle zeigt, dass nahezu alle Organisationseinheiten eines Unternehmens mit Fragestellungen aus der Nachhaltigkeit konfrontiert sind. Dies macht ein koordiniertes Vorgehen erforderlich, weshalb die Nachhaltigkeitssteuerung als Querschnittsfunktion über sämtliche betriebliche Funktionen hinweg angebracht ist. Einheit Aufgaben mit Nachhaltigkeitsbezug Geschäftsleitung Verankerung der Nachhaltigkeit in Strategie, Ziele und Organisation Einkauf Einhaltung ökologischer und sozialer Standards für Rohstoffe und Vorprodukte in der Lieferkette F&E Optimierung der Produkte nach ökologischen und sozialen Anforderungen, Entwicklung nachhaltiger innovativer Produkte und Dienstleistungen <?page no="98"?> 98 3 Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung Marketing Gewinnung von Kunden für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen, nachhaltigkeitsorientierter Marketingmix Personal verbesserte Arbeitsbedingungen, Personalentwicklung, nachhaltig orientierte Aus- und Weiterbildung Produktion nachhaltigkeitsorientierte Produktionsprozesse und -strukturen, Umweltverträglichkeitsprüfungen, Sekundärstoffverwertung Rechnungswesen Rechnungswesen ergänzt um soziale und ökologische Werte, Ökobilanzen, Sozialbilanzen, Material- und Energieflussrechnung Investition / Finanzierung ökonomische, soziale und ökologische Investitionsbewertung, nachhaltige Finanzanlagen, Nachhaltigkeitsrating, Verbesserung Bonität, Erschließung grüner Finanzierungsquellen Vertrieb / Service nachhaltig ausgestaltete Absatzwege, Distributionslogistik bis hin zur Entsorgung, After Sales zur Verlängerung der Nutzungsdauer und ökologischer Produktnutzung Tabelle 3.1: Nachhaltigkeitsaufgaben in den Organisationseinheiten (eigene Darstellung, angelehnt an Jänicke 2011, S. 84) Herausforderungen des traditionellen Controllings Für die betriebswirtschaftliche Steuerung nutzen Unternehmen seit vielen Jahrzehnten die Dienste des Controllings. Mit kaufmännischem Sachverstand und umfassendem betriebswirtschaftlichen Methodenwissen werden lang- und kurzfristige Unternehmensziele ausgearbeitet, Umsetzungspläne entwickelt und deren Verwirklichung begleitet. Der Controller stellt sicher, dass die Unternehmensziele bestmöglich erreicht werden. Nun reicht es nicht mehr aus, nur die ökonomische Zielerreichung professionell zu steuern, denn auch ökologische und soziale Ziele sollen effektiv und effizient erreicht werden. Man benötigt also auch ein Controlling zur Erreichung dieser Ziele. Dabei ist zu beachten, dass sich die Steuerung der Nachhaltigkeit von der traditionellen betriebswirtschaftlichen Steuerung unterscheiden kann. Für bestehende Controllingabteilungen, die nun auch ökologische und soziale Ziele verantworten, ergeben sich verschiedene Herausforderungen: ◼ Die bisher dominierende, rechnungswesenbasierte Planung, Steuerung und Entscheidungsvorbereitung kann nicht ohne weiteres auf ökologische und soziale Aspekte angewendet werden. ◼ Mit dem Rechnungswesen stehen den Controllern umfassende, integrierte und laufend aktualisierte Daten zur Verfügung. Im ökologischen und sozialen Bereich bestehen eher punktuelle, kaum integrierte, unregelmäßige und teils auch qualitative Daten zur Verfügung. ◼ Ökonomische Ziele sind zumeist klar benannt und ergeben sich aus den Anforderungen der Kapitalgeber. Dies sind bei großen Kapitalgesellschaften die aus dem Kapitalmarkt abgeleiteten Mindestverzinsungsansprüche und konkrete Ergebnis- und <?page no="99"?> 3.2 Aufbauorganisation 99 Kostenziele, die entlang der hierarchischen Ebenen heruntergebrochen werdenkönnen. In ökologischen und sozialen Dimensionen fehlen zumeist eindeutige und logisch abgeleitete Zielvorgaben oder es sind gesetzliche Mindeststandards vorgegeben. ◼ Zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen bestehen zwar nicht nur, doch aber häufig auch Zielkonflikte. Oftmals fehlen eindeutige Vorgaben, nach welcher Maßgabe diese Konflikte gelöst werden sollen. ◼ Die im Controlling übliche Verrechnung und Saldierung einzelner Faktoren, bis schließlich nur noch eine „Spitzenkennzahl“ übrigbleibt, etwa der Gewinn, die Gesamtkapitalrendite oder der Unternehmenswert, ist innerhalb sozialer und ökologischer Kriterien und ebenso zwischen diesen drei Zieldimensionen nicht ohne weiteres möglich und oftmals auch nicht erwünscht. ◼ Eine am Rechnungswesen ausgerichtete Planung, Steuerung und Kontrolle gehört zu den Kernkompetenzen der Controller. Ein vergleichbares Wissen in ökologischen und sozialen Fragen besteht häufig nicht. In der Ausbildung der Controller ist die Steuerung der Nachhaltigkeit bis heute nur selten enthalten. Controller, die das Management bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele effektiv unterstützen möchten, müssen neben zusätzlichem Fach- und Methodenwissen auch ihre eigene Rolle und die Anforderungen an ihre Tätigkeit überdenken. Bleibt der Controller in seinem bisherigen Rollenverständnis als Spezialist für rein betriebswirtschaftliche Fragen verhaftet, verliert er für das Management an Bedeutung. Er kann dieses in Fragen des Umgangs mit der Nachhaltigkeit nicht wirksam unterstützen. Die Erreichung ökologischer und sozialer Ziele - und dadurch indirekt auch der ökonomischen Ziele - wird gefährdet. Das Management benötigt einen Ersatz für die mangelnde Dienstleistung des Controllings. „Nachhaltigkeit in der Verankerung des Führungshandelns erreicht man nur, wenn eine Einbindung in die Regelsteuerung erfolgt - und hierfür sind die Controller verantwortlich. Sie müssen die Werthaltigkeit umweltgerechten [und sozialen] Verhaltens überprüfen und als Counterpart für entsprechende Entscheidungen dienen.“ (Weber 2010, S. 12) Parallele vs. integrierte Steuerung Im modernen Controlling-Leitbild des Business Partners unterstützt der Controller das Management in der Zielerreichung, ohne dass dieses auf die ökonomischen Ziele beschränkt ist. Werden also neben ökonomischen auch ökologische und soziale Ziele verfolgt, fällt diese erweiterte Unterstützung ebenfalls in den Aufgabenbereich der Controller. Der Business Partner sollte ein wesentlicher Akteur bei der Steuerung der Nachhaltigkeit sein. Fungiert das Controlling hingegen nicht als Business Partner, dominiert eine einseitige Ausrichtung am Rechnungswesen und sind die Controller auf die Fragestellungen der Nachhaltigkeit nicht vorbereitet, wird das Controlling die Nachhaltigkeit auch kaum erfolgreich steuern können. In diesen Fällen finden sich beispielsweise eigene <?page no="100"?> 100 3 Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung Nachhaltigkeitsabteilungen, die sich parallel zum Controlling um ökologische und soziale Inhalte kümmern. In der Studie des WHU Controller Panels aus dem Jahr 2021 wurde von den befragten mittelständischen und großen Unternehmen die Nachhaltigkeit primär folgenden Abteilungen zugeordnet. Abb. 3.1: Abteilungen, in denen die Nachhaltigkeit primär verankert ist (Quelle: eigene Darstellung, angelehnt an Schäffer 2022, S. 6) Knapp ein Drittel der befragten kleineren Unternehmen sagte aus, dass die Nachhaltigkeit überhaupt keiner Abteilung zugeordnet sei. Bei den großen Unternehmen waren dies immerhin noch 18%. Die dominierende Zuordnung zur Strategieabteilung wirft die Frage nach der operativen Umsetzung auf. So bedeutsam eine strategische Verankerung der Nachhaltigkeit ist, muss doch auch die operative Steuerung institutionalisiert werden. Die Verankerung in der Strategieabteilung mag auch ein Zeichen dafür sein, dass in der Nachhaltigkeit Chancen für neue Geschäftsfelder gesehen werden. Liegt die Verantwortung für die Nachhaltigkeit primär beim Marketing oder PR, scheint bei diesen Unternehmen Nachhaltigkeit vorrangig ein Marketingthema zu sein und keine zentrale Rolle einzunehmen. Dies könnte auch auf eine Marktabsicherungsstrategie hinweisen. Durch Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit werden bestehende Marktstrukturen abgesichert und Ansprüche an das Unternehmen werden kommunikativ entkräftet. Bei einer Zuordnung der Nachhaltigkeit zum Qualitätsmanagement dürfte nicht selten die Nähe zur Erfüllung formaler Standards und der Zertifizierungen ein wesentlicher Grund sein. Die Steuerung der Nachhaltigkeit wird damit beispielsweise begrenzt auf eine Zertifizierung nach ISO 14061. Nachhaltigkeit transformiert hier nicht das Unternehmen, sondern ist möglicherweise nur eine zu erfüllende Formalie, um den Geschäftsbetrieb ungestört fortzuführen. Die Gefahr, dass Standards die Nachhaltigkeit zum Normenerfüller degradieren und diese nicht als wesentliches Element der Unternehmenssteuerung erkennen, wurde bereits in Kapital 2 angemerkt. <?page no="101"?> 3.2 Aufbauorganisation 101 „Ich meine, dass eine engagierte und zentrale Rolle des Controllings beim Thema Nachhaltigkeit immer dann unabdingbar ist, wenn es sich für das Unternehmen dabei nicht primär um ein Marketing und Compliance-Thema handelt und der Verankerung in die Steuerung somit eine zentrale Rolle zukommt. Also immer dann, wenn das Thema Nachhaltigkeit wirklich ernst genommen wird.“ (Schäffer 2022, S. 8) Wird die Nachhaltigkeit nicht in die Unternehmenssteuerung integriert, sind die Aufgaben auf mehrere Bereiche verteilt. Aufgrund der vielfältigen Beziehungen zwischen den drei Dimensionen, die teils auch konfliktär sind, wird somit eine Abstimmung erschwert. Die Koordinationsfunktion des Controllings wird beeinträchtigt. Der Controller setzt sich für die Erreichung der ökonomischen Ziele ein und der Leiter der Nachhaltigkeitsabteilung für geringere Emissionen. Es werden möglicherweise widersprüchliche Ziele verfolgt und eine integrierte Betrachtung wird erschwert oder unterbleibt. In der folgenden Tabelle werden die bedeutsamsten Vor- und Nachteile einer Integrationslösung und von Parallelstrukturen gegenübergestellt: Integration der Nachhaltigkeitssteuerung im Controlling Parallelstruktur: Controlling und Nachhaltigkeitssteuerung sind getrennt Verantwortung für die nachhaltige Unternehmenssteuerung liegt in einer Hand, keine bereichsübergreifenden Abstimmungsprozesse geringere Widerstände durch Errichtung eines zusätzlichen Teams als durch Veränderungen bestehender Teams hohes Know-how in den Methoden der Steuerung kein oder geringer Anpassungsbedarf in bestehenden Controllingabteilungen Erfahrungen im Umgang mit Informationssystemen Expertenwissen in ökologischen und sozialen Fragen in der Nachhaltigkeitsabteilung Kompetenz im Reporting schnell umsetzbar Integration der Nachhaltigkeit in die Regelprozesse der Unternehmenssteuerung: Zielbildung, strategische und operative Planung, Reporting Nachhaltigkeitsabteilungen mit ausgeprägtem Selbstverständnis und hoher Identifikation und Motivation Tabelle 3.2: Organisatorische Verankerung der Nachhaltigkeitssteuerung (Quelle: in Anlehnung an Colsman 2013, S. 53, eigene Ergänzungen) Solange die Nachhaltigkeit nur als ein Randthema oder als ein Marketingthema bewertet wird, ist die Einbindung in das Steuerungssystem nicht notwendig. Das Controlling fühlt sich nicht berufen, sich darum zu kümmern. Es reicht die Zuordnung zum Marketing, zum Qualitätsmanagement oder bei nur singulären Nachhaltigkeitsprojekten eine Zuordnung zum Projektcontrolling aus. Ist die Nachhaltigkeit hingegen ein Kernanliegen und nicht nur ein Mode- oder Randthema, ist diese in der Unternehmenssteuerung zu implementieren. <?page no="102"?> 102 3 Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung Beispiel Flughafen Stuttgart Das Beispiel des Flughafens Stuttgart zeigt die Einordnung des Controllings und die Aufgabenteilung zwischen dem Controlling und dem Umweltschutz bzw. den Bereichen HR und Recht. Abb. 3.2: Ziele und Aufgaben des Nachhaltigkeitscontrollings am Flughafen Stuttgart (Quelle: eigene Darstellung, angelehnt an Berlin, Schulze, Stehle 2013, S. 49) „Eine eigene Nachhaltigkeitsabteilung ist theoretisch falsch, praktisch aber nötig. Wenn ein Betrieb bisher nichts im Bereich Nachhaltigkeit etabliert hat, kann eine eigene „Abteilung“ zweckmäßig sein, um den Nachhaltigkeits-Gedanken im Unternehmen zu verankern. Die Gefahr ist natürlich, dass das Thema „wegorganisiert“ wird. Aber eine voreilige Integration in die allgemeine Struktur macht auch nicht immer Sinn, wenn der Impuls dann ausgesessen wird. Nachhaltigkeit ist ein Peoples’ Business - es kommt also immer auf Personen, Visionen, Chancen an. Ideal wäre es, wenn diejenige Abteilung, die das Top-Management zum Thema Nachhaltigkeit berät und Nachhaltigkeit nach innen umsetzt, neben den Finanzkennzahlen auch den externen Nachhaltigkeitsbericht verantwortet. Integration ist also die an sich beste Lösung. Selten aber springt man von null auf 100. Damit das Beste nicht zum Feind des Guten wird, rate ich zunächst zu einer eigenen Nachhaltigkeitsabteilung. In zehn Jahren sollten Unternehmen dann schauen, wie es weitergeht. Das meine ich, wenn ich sage: Diese Entscheidung ist zwar falsch, aber auch richtig und nötig.“ (Bachmann 2021, S. 48) <?page no="103"?> 3.2 Aufbauorganisation 103 Der Transformationsprozess hin zur integrierten Nachhaltigkeitssteuerung Die Controller sind Experten für die zielgerichtete Steuerung der Unternehmen und verfügen über eine entsprechende System- und Methodenkompetenz. Damit sind sie prädestiniert für eine integrierte Steuerung der Nachhaltigkeit. Dass es in vielen Unternehmen dennoch eine eigene organisatorische Einheit für Nachhaltigkeit gibt, lässt sich vor allem aus der Entwicklung heraus erklären. Ein neues Thema lässt sich in einer Organisation am besten dadurch etablieren, dass es einen persönlichen „Kümmerer“ dafür gibt. Erfahrungsgemäß setzt sich eine Idee selten durch, wenn sich jeder nebenbei nur ein bisschen darum kümmert. Ist ein Thema im Unternehmen aber verankert, sollte auch die Organisation angepasst werden, wie es der Sache dienlich ist. Es sprechen gewichtige Gründe dafür, dies perspektivisch im Controlling anzusiedeln. In einer frühen Phase der nachhaltigen Ausrichtung des Unternehmens oder unter hohem Zeitdruck kann eine gesonderte Nachhaltigkeitsabteilung schneller wirksam sein. Aufgrund der erkannten Nachteile paralleler Steuerungssysteme sollten aber frühzeitig Schritte hin zu einer Integration eingeleitet werden. Dies kann durch einen systematischen und engen Austausch zwischen Controlling und Nachhaltigkeitsabteilung erfolgen, oder auch durch die Unterstellung unter einem Gesamtverantwortlichen für die integrierte Steuerung. Eine zunehmende personelle Verflechtung sollte durch Maßnahmen der Teambildung und Personalentwicklung begleitet werden. Die Entwicklung des Nachhaltigkeitscontrollings ist ein dynamischer Prozess, der über mehrere Stufen zu einem integrierten Controlling führt. Bernatzky u.a. stellen hierbei einen vierstufigen Prozess vor, der in einer Feldstudie verprobt wurde (Bernatzky, Endenich, Wömpener 2018, S. 220f.). Ebene Charakteristika Praktische Erkenntnisse Initiierung • Analyse der strategischen Potenziale der Nachhaltigkeit • punktueller Einbezug ökologischer und sozialer Aspekte in das klassische Instrumentarium • nur schwache interne und externe Anstöße für Nachhaltigkeit, keine aktiven Treiber • Nachhaltigkeitsstrategie wird nicht systematisch verfolgt, keine Umsetzung durch Pläne • Impulse verpuffen, kein Wandel hin zur Nachhaltigkeit Konkretisierung • Konkretisierung der strategischen Ziele durch mittelfristige Planung • Erstellung Maßnahmenkatalog • Initiierung von Nachhaltigkeitsprojekten • Erhebung, Planung und Kontrolle einzelner Nachhaltigkeitskennzahlen auf hoher Ebene • externe Impulse durch Investoren, interne Impulse durch Unternehmensleitung • Attraktivität für nachhaltige Investoren steigern • Kennzahlen auf Gesamtunternehmensebene erlauben eine erste Einbindung in das Controlling • kein Herunterbrechen der Kennzahlen <?page no="104"?> 104 3 Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung Umsetzung • kurzfristige operative Planung und Kontrolle • systematischer Einbezug in das Controllingsystem • Herunterbrechen von Zielen und Kennzahlen auf Geschäfts-/ Funktionsbereichsebene • jährliche oder quartalsweise Berichte und Kontrollen • starke interne und externe Impulse zur Integration der Nachhaltigkeit in das Controlling • Integration von Nachhaltigkeitscontrolling und klassischem Controlling • Operationalisierung der Nachhaltigkeit bewirkt einen Wertewandel • Einbindung sämtlicher Hierarchieebenen Internalisierung • Nachhaltigkeit auf allen Planungsebenen im gesamten Unternehmen • Integration von ökologischen und sozialen Kennzahlen in alle Steuerungsinstrumente • Nachhaltigkeit in Anreizsysteme einbeziehen • vollständige Integration der Nachhaltigkeit in das Controlling • umfassender Wandel hin zur Nachhaltigkeit • systematische Berücksichtigung in Gehalts- und Karriereentwicklung Tabelle 3.3: Vier Ebenen der Integration von Nachhaltigkeit in das Controlling (Quelle: Bernatzky, Endenich, Wömpener 2018, S. 220, eigene Ergänzungen) Die Entwicklung entlang dieser Ebenen wird maßgeblich durch einflussreiche Akteure geprägt, insbesondere durch Mitglieder der Unternehmensleitung. Aus der Studie wird ebenfalls deutlich, dass ein Erfahrungsaustausch zwischen nachhaltigen Unternehmen den Prozess der Integration verbessern und beschleunigen kann (Bernatzky, Endenich, Wömpener 2018, S. 222.). Allein die Bestellung eines Chief Sustainability Officers (CSO), eines Nachhaltigkeitsbeauftragten auf der obersten Unternehmensebene, führt keinesfalls immer zum Erfolg. In einer US-amerikanischen Studie aus dem Jahre 2018 wurde der Zusammenhang zwischen der Bestellung eines CSO und den späteren Nachhaltigkeitsleistungen untersucht (Peters, Romi, Sanchez 2018, S. 1065ff.). Das Ergebnis ist für Unternehmen, deren Nachhaltigkeitsleistungen bisher schlecht waren, ernüchternd. Selbst erfahrenen CSO ist es nicht gelungen, die Nachhaltigkeit signifikant zu stärken. Nur bei Unternehmen, die bereits nachhaltig waren, konnten ihre Leistung nach der Bestellung des CSO nochmals deutlich steigern. Die alleinige Bestellung eines CSO reicht für bisher nicht nachhaltige Unternehmen nicht aus, sich zu transformieren. Hierfür ist eine Umstellung der Unternehmenssteuerung notwendig. Der Ernennung eines CSO hat hierbei eher symbolischen Charakter. „Die Integration von Controlling und Nachhaltigkeit bei der SAP kann als Prozess aufgefasst werden, der begonnen wurde. Im Moment sind Controlling und Nachhaltigkeit nur ansatzweise integriert, die Zusammenarbeit beschränkt sich im Moment dabei insbesondere auf das Ermitteln und Berichten von Werten für definierte Kennzahlen. Zukünftig soll das Integrations-Niveau auf Basis des dargestellten Nachhaltigkeits-Steuerungsmodells erhöht werden. Das Ziel ist, Controlling zu einem festen Bestandteil des Regelkreises werden zu lassen und bei der Festlegung und Überwachung von Nachhaltigkeits- <?page no="105"?> 3.2 Aufbauorganisation 105 zielen, sowie bei dem dazu notwendigen Einsatz von Steuerungsmechanismen zu beteiligen.“ (Quelle: Müller, Pauly, Schmid 2016, S. 145) In der Praxis wird teils das Argument aufgebracht, dass die Controller sich nicht mit den operativen Aufgaben des Umweltschutzes oder der Compliance auskennen und die Übernahme der Nachhaltigkeitssteuerung daher keinen Sinn mache. Diesem Missverständnis ist entgegenzuhalten, dass es „nur“ um das Controlling dieser Aufgaben geht, also um die Koordination, die Initiierung von Maßnahmen, die Zielausrichtung und die Einbindung in die Gesamtunternehmenssteuerung. Genauso wenig wie der Produktionscontroller operative Aufgaben in der Produktion und der Vertriebscontroller Aufgaben im Vertrieb übernimmt, muss ein Controller auch keine Emissionsmessungen durchführen oder gesetzliche Auslegungen von Verstößen gegen Sozialgesetze interpretieren. Die Umweltschutzabteilung wird die Umweltdaten erfassen, der Zielabgleich, die Analyse und die Zusammenführung im Bericht obliegen dann dem Controlling. Da die Controller im Vergleich zu den Fachabteilungen zumeist einen fachlichen Know-how-Nachteil haben, kann die Steuerung nur im Dialog mit diesen erfolgen. Die für viele Controller noch neuartigen Fragen der Nachhaltigkeit erfordern dabei einen intensiven Austausch mit den Nachhaltigkeitsexperten. Für die Nachhaltigkeit bedeutet die Integration in die etablierte Unternehmenssteuerung, weg von einem parallel betriebenen Sonderthema, eine deutliche Aufwertung. Beispiel Deutsche Post DHL Verleihung des Green-Controlling-Preises der Peter-Horváth-Stiftung: „Das innovative Element der prämierten Lösung setzt sich aus drei Teilen zusammen: Die Umsetzung relevanter Carbon Accounting Standards in interne Richtlinien wurde in Anlehnung an bestehende Richtlinien des Finanzwesens durchgeführt. Dadurch kann die Definition der KPI’s der CO 2 -Emissionen im Gesamtkontext erfolgen. Die Prozesse und Systeme des Carbon Accounting & Controlling greifen auf bestehende Strukturen und Systeme des Rechnungswesens zurück, interne Kontrollmechanismen wurden um neue Aspekte erweitert. Es wurde kein Sonderthema geschaffen, sondern ein neuer Aspekt in vorhandene Controlling-Prozesse integriert. Die Berichtsverantwortung liegt bei den lokalen und divisionalen Finanzorganisationen und nicht bei einem zentralen Umweltmanagement“. (Quelle: Aschenbrücker 2012, S. 11) Hierarchische Zuordnung des Nachhaltigkeitscontrollings Das Controlling gilt, organisatorisch betrachtet, als Querschnittsfunktion. Als Bestandteil der Führungsprozesse ist das Controlling in allen Stufen der Wertschöpfungskette präsent. Horváth folgert daraus: „Befasst sich der zentrale Controller mit unternehmensweiten Koordinationsaufgaben, so ist er am zweckmäßigsten der ersten Führungsebene zuzuordnen. Allgemeiner formuliert: der organisatorische Status muss dem Controller die Erfüllung seiner Aufgaben ermöglichen.“ (Horváth 2011, S. 751). <?page no="106"?> 106 3 Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung Gemäß der von Horváth & Partners durchgeführten Studie „CFO-Panel“ ist das Controlling in 72% der Unternehmen dem CFO (Chief Financial Officer) bzw. dem kaufmännischen Geschäftsführer zugeordnet. In 22% der Fälle ist das Controlling dem CEO (Chief Executive Officer) zugeordnet. Die Zuordnung zum CFO hat den Vorteil, dass dort sämtliche kaufmännische Funktionen gebündelt werden, insbesondere ist die Nähe zum Rechnungswesen bedeutsam. Eine Zuordnung zum CEO bietet hingegen eine größere Nähe zu den operativen Geschäftsfeldern. Der Controllingleiter ist in den meisten Fällen direkt dem CFO bzw. dem CEO zugeordnet, womit er sich hierarchisch in der zweiten Führungsebene befindet. In einer Minderheit der Fälle ist der Controllingleiter in der ersten Führungsebene zu finden (vgl. Esser, Müller 2007, S. 39f.). Kapitel 3: Erkenntnisse Der Ablaufprozess der Nachhaltigkeitssteuerung ist eng an die klassische Unternehmenssteuerung angelehnt. Diese wird ergänzt und an manchen Stellen abgeändert, aber nicht neu erfunden. Controller begleiten und unterstützen den Managementprozess der normativen, strategischen und operativen Steuerung. Die Nachhaltigkeitssteuerung sollte grundsätzlich mit der herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Steuerung verschmolzen werden. Zu Beginn kann ein Zwischenschritt notwendig sein, bei dem die Nachhaltigkeit in einer eigenen Abteilung angesiedelt wird. Dies birgt allerdings auch Gefahren für das Unternehmen, da die Nachhaltigkeit wegorganisiert ist und das Unternehmen im alten Trott weiterarbeitet. <?page no="107"?> 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Lernziele Die Leser ◼ erkennen die Bedeutung der normativen Ebene in der Nachhaltigkeitssteuerung. ◼ können mit einem Nachhaltigkeitsassessment die Ausgangssituation bestimmen. ◼ wissen, wofür und wie Stakeholderdialoge geführt werden. ◼ beherrschen die Durchführung und Bewertung von Wesentlichkeitsanalysen. Ebenso können die Instrumente der strategischen Analyse um die Nachhaltigkeit erweitert und genutzt werden. ◼ können die verschiedenen Typen von Nachhaltigkeitsstrategien unterscheiden und gezielt einsetzen. „Wir wollen nachhaltig Wert schaffen: ökonomisch, ökologisch und sozial. Deshalb haben wir keine „Nachhaltigkeitsstrategie“, sondern nachhaltige Geschäftsstrategien. Sie verankern Nachhaltigkeit mitten im Business. Gleichzeitig entsprechen wir damit nicht nur Vorgaben des Gesetzgebers, wir erfüllen auch Erwartungen des Finanzmarktes sowie aus Politik und Gesellschaft.“ (Quelle: Daimler AG, Nachhaltigkeitsbericht 2020) 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.2 <?page no="108"?> 108 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Vision und Mission Ausgangspunkte für unternehmerisches Handeln sind die Vision und die Mission. Diese sind dem normativen Management zuzuordnen. Sie sind maßgeblich von den Meinungen und Vorstellungen der beteiligten Personen geprägt. Die folgende Tabelle zeigt den Zweck und die wesentlichen Inhalte der normativen, strategischen und operativen Ebene der Führung: Zweck Inhalte normative Führung übergeordnete Werte und Normen, Sinngebung und Legitimation für das Unternehmen Mission, Vision, Leitbilder, Unternehmenskultur, Wertesystem, Unternehmensziele strategische Führung grundsätzlicher, längerfristig ausgerichteter Weg hin zur Vision, Gestaltung der unternehmerischen Zukunft Unternehmensstrategie, Geschäftsfeldstrategie, funktionale Strategie operative Führung Bestimmung der konkreten Aufgaben der Unternehmenseinheiten, Lenkung des Unternehmens in der Gegenwart und in der nahen Zukunft Jahres-, Monats- und Quartalsziele, Budgetierung, Maßnahmenplan, Reporting, Abweichungsanalyse und operative Steuerung Tabelle 4.1: Drei Ebenen der Führung: Zweck und Inhalte (Quelle: Sailer 2012, S. 198) Die Vision stellt das zukünftig angestrebte Bild eines Unternehmens dar. Es beschreibt, mehr qualitativ als quantitativ, was ein Unternehmen in der Zukunft darstellen soll und was es erreicht haben möchte. Eine überzeugende Vision gibt dem Management und den Mitarbeitern eine Orientierung für ihr Handeln. Sie werden zu Mitstreitern, binden sich emotional an das Unternehmen, woraus Motivation und Verantwortungsbewusstsein erwächst. Ausgangspunkt einer nachhaltigen Unternehmensführung ist die Verankerung der Nachhaltigkeit in der Vision. Das Unternehmen beschreibt in der Vision also nicht nur, was es wirtschaftlich erreichen möchte, sondern welche Rolle es in der Gesellschaft einnehmen möchte. Die für das Unternehmen relevante Gesellschaft wird durch seine Stakeholder repräsentiert. Deren Erwartungen finden sich somit auch in der Vision und Mission wieder - das Unternehmen ist Teil der kulturellen Werte seines Umfelds. Da die Vision die Strategie und die Strategie die operative Steuerung prägt, finden sich diese Werte auch bei alltäglichen Managemententscheidungen. Sie geben eine Orientierung, wie man sich bei Zielkonflikten verhalten soll. Wenn in der Vision die ökologische Verantwortung bedeutsam ist, fällt es dem Management bei operativen Entscheidungen leichter, die ökologischen Faktoren entsprechend zu berücksichtigen. Wird die Vision durch ökonomische Sachverhalte dominiert, fehlt die Voraussetzung <?page no="109"?> 4.1 Vision und Mission 109 für die Umsetzung der Nachhaltigkeit in der Strategie (vgl. Sailer 2012, S. 203). Nach Peter Drucker gibt die Mission eine Antwort auf die Frage, weshalb es das Unternehmen überhaupt gibt. Dies ist die Frage nach dem Daseinszweck oder nach dem Auftrag (vgl. Drucker 2009, S. 10). Um zu wissen, für was das Unternehmen eigentlich steht, sollte die Mission folgende Aussagen beinhalten: ◼ für wen und warum gibt es das Unternehmen, ◼ „Grundsätze der Management-Ethik bzw. Code of Ethics (Code of Conduct), ◼ Einstellung zur Nachhaltigkeit, ◼ wesentliche interne Normen, ◼ Soll-Werte und -Einstellungen (Soll-Organisationskultur) und ◼ Führungsgrundsätze, Führungsstil und Corporate Governance.“ (Eschenbach, Siller 2011, S. 129) Die Mission sollte jedem Mitarbeiter bekannt sein, besser noch: sie sollte von jedem Mitarbeiter verinnerlicht sein. Neben der Kommunikation muss das Management die Mission aber auch vorleben. Die Mission informiert darüber, was zum Auftrag gehört und nach welcher Maßgabe gehandelt wird. Sie informiert somit auch darüber, was nicht zum Auftrag gehört und welche Handlungsweisen unerwünscht sind. Damit werden die unternehmerischen Kräfte fokussiert und Unsicherheiten werden beseitigt. Auch für die Geschäftspartner wird das Unternehmen berechenbar. Da mag in einem Unternehmen die mündliche Zusage gelten, wo man einem anderen erst nach der Unterschrift auf einem rechtssicheren Vertrag einigermaßen vertraut. Das eine Unternehmen ist für sein sozial verantwortliches Verhalten angesehen, ein anderes kann diese Glaubwürdigkeit trotz Vorlage eines zertifizierten Sozialmanagementsystems nicht gewinnen, da es für sein windiges Geschäftsgebaren bekannt ist. Somit bleibt festzuhalten, dass die Vision Aussagen zur angestrebten gesellschaftlichen Rolle enthält, was ökonomische, soziale und ökologische Aspekte beinhaltet. Die Mission erklärt, weshalb es das Unternehmen gibt und nach welcher Maßgabe es sich verhält. Aus der normativen Ebene des Managements sollte sich eine klare Positionierung zur Nachhaltigkeit ergeben. Dabei wird es teils schwerfallen, genau zu benennen, welche ökologischen und sozialen Leistungen erbracht werden sollen. Zwar wird es Konsens geben, dass man in der Nachhaltigkeit „etwas“ machen soll. Eine attraktive Positionierung gegenüber dem Wettbewerb und ein positives Bild in der öffentlichen Wahrnehmung dürften zumeist unstrittig sein. Eine konkrete und begründete Vorstellung zur Nachhaltigkeit ist seltener entwickelt und auch der eigene persönliche Standpunkt zur Nachhaltigkeit ist nicht selten indifferent. Im gesamten Unternehmen und im erweiterten Kreis mit den Stakeholdern wird der Standpunkt zur Nachhaltigkeit sowie die Vorstellung über eine zukünftige Positionierung selten fundiert herausgearbeitet. Diese grundlegende Positionierung zur Nachhaltigkeit lässt sich durch ein Nachhaltigkeitsassessment ermitteln. <?page no="110"?> 110 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Nachhaltigkeitsassessment Der Start in das Nachhaltigkeitsmanagement erfordert eine Analyse und Bewertung der Ausgangssituation, also ein Nachhaltigkeitsassessment. Von wo aus startet das Unternehmen? Welche grundlegenden Meinungen und Überzeugungen bestehen bezüglich der Nachhaltigkeit? Zu welcher Ausprägung der Nachhaltigkeit stehen das Management und die Stakeholder? Hierbei gibt es große Bandbreiten: Nachhaltigkeit kann als Corporate Citizenship verstanden werden, also der finanziellen Unterstützung von Vereinen und Kommunen, oder als fundamentale Transformation des Kerngeschäfts. Die Klärung des Istzustands verschafft Managern, Mitarbeitern und externen Stakeholdern eine hohe Transparenz und gibt ihnen eine wichtige Orientierung in der Umsetzung. Enttäuschungen und Zielverfehlungen werden begrenzt. Die erfolgreiche Umsetzung der Nachhaltigkeit erfordert, dass der Istzustand als Ausgangspunkt aller Maßnahmen genau so bekannt ist wie das angestrebte Ziel. Der Begriff des Nachhaltigkeitsassessments wird in der Praxis unterschiedlich genutzt. In einem weiten Verständnis werden hierunter sämtliche Messkonzepte subsumiert, welche die Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens erfassen sollen. Hierunter fallen dann die Ökobilanz, die Materialflusskostenrechnung oder eine umfassende Monetarisierung sämtlicher Wirkungen eines Unternehmens. An dieser Stelle erfasst das Nachhaltigkeitsassessment die Überzeugungen, die Einstellung und das Wissen zur Nachhaltigkeit. Es wird der Ist Stand in den Köpfen der Manager, Mitarbeiter und Stakeholder identifiziert. In der Praxis wird oftmals keine systematische Analyse der Ausgangssituation durchgeführt wird. Der Start in das Nachhaltigkeitsmanagement verläuft dann möglicherweise wie folgt: man nehme den GRI-Kriterienkatalog und schaue, welche Kriterien bedeutsam erscheinen. Dieser Auszug aus dem GRI-Katalog wird nach den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit sortiert und als Nachhaltigkeitsstrategie bezeichnet. Damit wird ein bunter Strauß an Einzellösungen bearbeitet, bei denen eine abgestimmte Zielausrichtung fehlt. So finden sich bei einem größeren Konsumgüterhersteller, dessen Namen hier nicht genannt werden soll, Einzelziele aus völlig unterschiedlichen Kategorien. Dies gleicht einem Gemisch aus Messgrößen, Maßnahmen und Umfeldfaktoren. Genannt waren hierbei etwa die Zielgrößen: Jahresüberschuss, finanzielle Folgen des Klimawandels, Energieverbrauch, Bahntickets für Mitarbeiter, Flottenmanagement, Sabbatical und andere. Systemische Zusammenhänge werden missachtet und die Ausrichtung an einem übergeordneten Ziel fehlt. Die Gefahr ist groß, dass nach wenigen Jahren das Engagement im Nachhaltigkeitsmanagement nachlässt. Die Orientierung gebende und Motivation stiftende Wirkung von Vision und Mission fehlen. Die Effizienz wurde dann zwar in einzelnen Feldern gesteigert, der Anteil grüner Produkte möglicherweise erhöht und die Reputation verbessert. Ein professionelles Nachhaltigkeitsmanagement kann aber nicht darin bestehen, „irgendwelche“ sozialen und ökologischen Ziele besser zu erreichen als im Vorjahr. In der traditionellen ökonomischen Dimension des Managements wäre solch ein unsyste- <?page no="111"?> 4.2 Nachhaltigkeitsassessment 111 matisches und nicht an einem übergeordneten Ziel ausgerichtetes Vorgehen undenkbar. Eine professionelle Nachhaltigkeitssteuerung geht anders. Bevor das Management mit den Stakeholdern die Ausgangslage beurteilt und über mögliche Nachhaltigkeitsziele diskutiert, ist Klarheit darüber zu verschaffen, welche Einstellungen und Überzeugungen zur Nachhaltigkeit bei den Beteiligten vorliegen. Wird der Nachhaltigkeit insgesamt ein geringer oder ein großer Stellenwert zugemessen? Werden die relevanten Handlungsfelder auf einzelne Funktionen (Produktion, Einkauf) beschränkt, herrscht eine unternehmensweite Perspektive vor oder wird gar die umfassende Sicht des gesamten Ressourcenkreislaufs eingenommen? Dominiert die Überzeugung, dass durch Innovationen und technischen Fortschritt ökologische Probleme beherrscht werden können? Die Klärung des Standpunkts zur Nachhaltigkeit erlaubt nicht nur dem Einzelnen, seine Einstellung zu Fragen der Nachhaltigkeit zu reflektieren. Im Dialog mit den Stakeholdern erweist sich die Kenntnis der verschiedenen Standpunkte als sinnvoll. Ist ein Stakeholder beispielsweise fest davon überzeugt, dass der CO 2 -Ausstoß durch technischen Fortschritt wirkungsvoll begrenzt werden kann, werden Gespräche über Verhaltensänderungen wenig Erfolg bringen. Und ein Anhänger des ökonomischen Triple-Bottom-Line-Ansatzes wird ökologische und soziale Maßnahmen immer mit deren ökonomischen Konsequenzen bewerten, wohingegen Verfechter des reinen Triple-Bottom-Line-Ansatzes bei überzeugenden ökologischen und sozialen Fortschritten ökonomische Einbußen akzeptieren. Die folgende Tabelle stellt einen kleinen Auszug eines beispielhaften Fragenkatalogs vor, um die Positionierung zur Nachhaltigkeit zu identifizieren. Dies erlaubt einen Blick hinter die Legitimitätsfassade, die ein Unternehmen möglicherweise errichtet hat, um den institutionalisierten Erwartungen der Gesellschaft gerecht zu werden. Durch solch eine Befragung lassen sich individuelle Profile entwickeln. So kann etwa die ökologische Sensibilität stark, die Orientierung an der sozialen Nachhaltigkeit aber schwach ausgeprägt sein. Oder auch innerhalb der sozialen Dimension mag es besonders empfindliche Themen geben, wie etwa die Kinderarbeit, und weniger empfindliche, wie beispielsweise die Korruption. Und offensichtlich erwartete Bewertungen, wie etwa die Ablehnung von Korruption, wird bei einer stärkeren Differenzierung der Antwortmöglichkeiten deutliche Unterschiede zwischen den befragten Akteuren zutage fördern. schwache Nachhaltigkeit eher schwache Nachhaltigkeit eher starke Nachhaltigkeit starke Nachhaltigkeit 1. Wie stellt sich das Unternehmen zur Triple- Bottom-Line? ökonomische Triple-Bottom- Line ökonomische Triple-Bottom- Line, aber mit Abweichungen Triple-Bottom- Line Ökologie als Lebensgrundlage steht über den anderen Zielen 2. Entstehen aus der Umweltverschmutzung Gefahren? keine echten Gefahren technischer Fortschritt kann diese vermeiden Belastungsgrenze ist erreicht akute Gefahr für das Überleben der Menschheit <?page no="112"?> 112 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 3. Kann die Umwelt durch eine höhere Effizienz bewahrt werden? ja, Effizienzstrategien sind wirkungsvoll, aber sie müssen auch wirtschaftlich sein ja, Effizienzstrategien sind hierbei sehr sinnvoll Effizienzstrategien sind zwar sinnvoll, reichen allein aber nicht aus Effizienzstrategien verschleiern die Probleme, notwendig ist vor allem eine Lebensstiländerung 4. Wirtschaftswachstum oder Umweltschutz? Umweltschutz, solange das Wachstum nicht beeinträchtigt wird Wachstum ist wichtig, sollte aber möglichst umweltverträglich erfolgen Wirtschaftswachstum nur im Rahmen ökologischer Leitplanken Wachstum ist kein Selbstzweck und als Ziel abzulehnen 5. Wie sollte man international mit sozialen Standards (Mindestlöhne, Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen) umgehen? die Gesetze der jeweiligen Länder sind einzuhalten Einhaltung der Gesetze, zusätzlich aber Sicherung eines guten Rufes kein Ausnutzen niedriger gesetzlicher Standards, höhere inländische Standards sollten überall eingehalten werden Gesetze stellen nur ein Mindestniveau sicher, maßgeblich sollte ein in der Regel höherer moralischer Anspruch sein 6. Korruption ist in zahlreichen Ländern üblich und wird von Geschäftspartnern erwartet. Wie soll man damit umgehen? Anpassung an das lokale Geschäftsgebaren, man sollte sich nicht moralischkulturell auf eine höhere Ebene stellen bezüglich der Korruption sind die nationalen Gesetze einzuhalten Korruption ist grundsätzlich zu vermeiden, Ausnahme: dies wird im Einzelfall von allen Stakeholdern befürwortet auf Korruption ist ohne jegliche Ausnahme zu verzichten 7. Welche Rolle sollen die Stakeholder einnehmen? geben frühe Hinweise über die Außenwirkung und erlauben schnelle Reaktionen ein anerkanntes Nachhaltigkeitsmanagement setzt regelmäßig Stakeholderdialoge voraus verleihen die „licence to operate“, Recht auf Information und regelmäßige Anhörung vergleichbare Rolle wie der Aufsichtsrat für gesellschaftlich relevante Themen Tabelle 4.2: Beispielhafter Fragebogen für ein Nachhaltigkeitsassessment (eigene Darstellung angelehnt an Rogall 2012, S. 50ff. und S. 198ff. und J ä nicke 2011, S. XIX) Die aus der Befragung ermittelten Nachhaltigkeitsprofile helfen dabei, stimmige Maßnahmen zu ergreifen. Stehen diese nicht im Einklang zum Profil, werden sie blockiert oder nur nachrangig „abgearbeitet“. Oder aber es kommt zu Spannungen, wenn sich nur die Vorstellungen einzelner Stakeholder, etwa die der Kapitalgeber, in den Maßnahmen widerspiegeln. Die offene Kommunikation eines heterogenen Nachhaltigkeitsprofils ist die Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung und für die Akzeptanz von Maßnahmen, auch wenn sie nur in Teilen den eigenen Vorstellungen entsprechen. Schließlich kann das Management bei abweichenden Nachhaltigkeitsprofilen durch Aufklärung und Sensibilisierung auch eine größere Einigkeit herstellen. Trotz der Überzeugung, dass ein Nachhaltigkeitsassessment notwendig ist, um die Ausgangssituation für das Nachhaltigkeitsmanagement zu klären, ist dieses insgesamt <?page no="113"?> 4.3 Stakeholderdialog 113 doch wenig bekannt. Auch in der Literatur finden sich Nachhaltigkeitsassessments selten. Beratungen, Fragebögen und Checklisten werden von Beratungsgesellschaften und Verbänden angeboten. Stakeholderdialog Definition Stakeholderdialoge sind organisierte und strukturierte Gespräche zwischen Vertretern des Unternehmens und Vertretern von Anspruchsgruppen, die dem gegenseitigen Informationsaustausch dienen, insbesondere in Bezug auf die für die Anspruchsgruppen relevanten Themen. „Zwischen der Erwartung an Banken und der Wahrnehmung von Banken gibt es ein massives Missverhältnis. Wir müssen raus aus unseren Türmen und einen Dialog mit allen Stakeholdern auf Augenhöhe führen.“ (Rainer Neske, ehemals Mitglied des Vorstands der Deutschen Bank, heute Vorstandsvorsitzender der Landesbank Baden-Württemberg) Ausprägungen des Stakeholderdialogs Das im vorigen Abschnitt dargestellte Nachhaltigkeitsassessment zielt darauf ab, die Einstellung zur Nachhaltigkeit sowohl innerhalb des Unternehmens als auch bei den externen Stakeholdern zu ermitteln. Ein Assessment ist dabei eine Befragung und noch kein Dialog. Allerdings schaffen die Ergebnisse des Assessments Inhalte für einen Dialog. In der Praxis sind die Stakeholderdialoge in sehr unterschiedlicher Ausprägung zu finden. In der Studie „Corporate Sustainability-Barometer“ heißt es, dass fast alle Unternehmen die Beziehungen zu den Stakeholdern aktiv managen. Zumeist werden die Stakeholder beobachtet und informiert. Allein die Information führt aber noch nicht zu einer umfassenden Akzeptanz. Stakeholder sind vielmehr in die Diskussion, um die Nachhaltigkeit einzubinden (vgl. Windolph, Hörisch, Harms, Schaltegger 2013, S. 121). Dass Stakeholder gar in Entscheidungen eingebunden werden, ist nur selten der Fall. Diese erfolgt nicht systematisch, sondern fallspezifisch. Beispielsweise werden Anwohner eingebunden, wenn diese durch die Errichtung oder Erweiterung einer Betriebsstätte in besonderem Maße betroffen sind (vgl. Schaltegger, Hörisch, Windolph, Harms 2012, S. 37f.). Untersuchungen zeigen, dass partizipative Unternehmen, die nicht nur informieren, sondern in den Dialog mit den Stakeholdern treten, die an sie gerichtete Kritik stärker abbauen können als nicht partizipative Unternehmen. Allerdings sind partizipative Unternehmen auch einer stärkeren Kritik ausgesetzt. Wer nicht auf die Stakeholder zugeht, bietet auch keine Projektionsfläche für Kritik und fordert auch nicht auf, Kritik zu formulieren. Partizipative Unternehmen bekommen eben genau diese eingeforderte Rückmeldung, schaffen es aber zugleich, durch den Austausch <?page no="114"?> 114 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung mit den Stakeholdern diese Kritik wieder abzubauen (vgl. Windolph, Hörisch, Harms, Schaltegger 2013, S. 123). Vergleichbare Effekte sind etwa nach der Einrichtung eines Beschwerdemanagements zu verzeichnen. Auch hierbei wird ein aktiver Umgang mit Beschwerden als sinnvoller erachtet als ein Abschotten gegenüber Beschwerden. Vereinzelt wird kritisiert, dass durch Stakeholderdialoge die Rechte der Kapitalgeber beschnitten würden. Auch das Management könnte versucht sein, eigene Interessen gegenüber den Kapitalgebern damit zu rechtfertigen, dass dies von den Stakeholdern gewünscht würde. Die Intensität der Einbindung der Stakeholder kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Die Mercedes-Benz Group AG unterscheidet drei Stufen, wie Stakeholder einbezogen werden können. Durch die Information wird Transparenz geschaffen, ein Dialog fördert gegenseitiges Verständnis und es können Lösungen erarbeitet werden. Die Partizipation beinhaltet eine tatsächliche Beteiligung der Stakeholder an Entscheidungen. Je nach Ziel bzw. Anlass ist ein bestimmtes Format am zweckmäßigsten. Die hierbei genutzten Instrumente sind im Nachhaltigkeitsbericht der Mercedes-Benz Group AG aus dem Jahre 2021 dargestellt: Information Dialog Partizipation  Nachhaltigkeitsbericht  Unternehmens- Website  Social Intranet  Presse-, Öffentlichkeitsarbeit  Blogs, Social Media  Werksführungen, Mercedes-Benz Museum  Umwelterklärungen der Werke  Kapitalmarktkommunikation  Nachhaltigkeits- Rankings und -Ratings  jährlicher Sustainability Dialogue  lokaler Dialog mit Anwohnern und Kommunen  interne Dialogveranstaltungen zu Integrität und Compliance  Lieferanten-Portal  Engagement in Nachhaltigkeitsinitiativen  Fachtagungen zu gesellschaftlichen Themen  Anlass- und projektbezogene Gespräche  Dialogformate zu Zukunftsfragen  Sustainability Forum  Kapitalmarktveranstaltungen  Konsultation von Stakeholdern in thematischen Arbeitsgruppen  Beirat für Integrität und Nachhaltigkeit  Peer Review im Rahmen von Nachhaltigkeitsinitiativen wie UN Global Compact und der Global Reporting Initiative Tabelle 4.3: Instrumente des Stakeholdermanagements bei der Mercedes-Benz Group AG (Quelle: Mercedes-Benz Group AG, Nachhaltigkeitsbericht 2021, S. 84) Seitens der internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) erfolgte noch vor einigen Jahren die Einschätzung, dass <?page no="115"?> 4.3 Stakeholderdialog 115 bisher nur wenige Unternehmen über die einseitige Kommunikation hinaus in einen Dialog mit den Stakeholdern eingetreten sind. Und auch nur wenige Unternehmen hatten ein Stakeholdermanagement installiert, um die Dialoge mit Kunden, der Presse, Nichtregierungsorganisationen oder Kapitalgebern für das Unternehmen zu nutzen. Dialoge seien oft nicht in die Managementprozesse integriert und werden teilweise mehr als Pflichtübung missverstanden. Bei Berichtsstandards zur Nachhaltigkeit sind Stakeholderdialoge zumeist verpflichtend vorgesehen. Daher findet man Ausführungen zum Stakeholderdialog in nahezu jedem Nachhaltigkeitsbericht. Bei kleineren und mittelständischen Unternehmen, die über ihre Nachhaltigkeit berichten, findet der Austausch mit Stakeholder stärker über die persönlichen Beziehungen statt. Die Anzahl der Stakeholder ist geringer und oftmals sind diese stärker regional verankert, so dass kein umfangreicher Prozess wie bei großen Konzernen notwendig ist (vgl. Schmitz, Damme, Lohmann 2021, S. 5). Durch den Dialog mit den Stakeholdern werden insbesondere folgende Ziele verfolgt: Abb. 4.1: Ziele des Stakeholderdialogs (Quelle: Lintemeier, Rademacher 2016, S. 50) „Die Mercedes-Benz Group legt großen Wert darauf, mit ihren Interessengruppen im Gespräch zu bleiben. Das ermöglicht es dem Konzern, sein Nachhaltigkeitsengagement aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, neue Trends zu identifizieren und aufzugreifen sowie Erfahrungen auszutauschen. Dabei geht es auch darum, kontroverse Themen schon früh zu diskutieren. Im Mittelpunkt steht für uns ein Dialog, der für alle beteiligten Seiten ertragreich und zielführend ist.“ (Mercedes-Benz Group AG, Nachhaltigkeitsbericht 2021, S. 84) Teilnehmer Seitens des Unternehmens sollten hochrangige Vertreter teilnehmen, in der Regel der Vorstand bzw. die Geschäftsleitung, insbesondere wenn es sich um große, öffentlichkeitswirksame Stakeholderdialoge handelt. Unterstützt werden diese durch themenrelevante Experten, etwa aus dem Bereich Umweltschutz oder der Produktentwicklung. Bei Dialogen mit fachlichem oder regionalem Schwerpunkt sollten entsprechende Fachexperten oder regional Verantwortliche teilnehmen. Schwieriger ist die Auswahl der Stakeholder. Letztlich sind dies alle, die in einer relevanten Beziehung zum Unternehmen stehen. Nach ISO 26000 sind Anspruchsgruppen all diejenigen, die Interesse an einer Entscheidung oder Aktivität des Unternehmens haben. <?page no="116"?> 116 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Dem Unternehmen sehr nahestehende Stakeholder, wie die Mitarbeiter, die Kunden oder die Kapitalgeber, haben bereits vertragliche wie auch persönliche Beziehungen zum Unternehmen. Sie können ihre Interessen also über verschiedene Kanäle vertreten. Andere Stakeholder haben eine eher indirekte Beziehung zum Unternehmen, etwa über die Produkte und Dienstleistungen oder durch die Umweltbelastung. Deren Interessen werden oftmals von Nichtregierungsorganisationen (NGO) oder von wissenschaftlichen Einrichtungen vertreten. Die Stakeholderanalyse beginnt mit der Identifikation der Stakeholder: ◼ wirtschaftliche Anspruchsgruppen: Kunden, Lieferanten, Kapitalgeber, ... ◼ gesellschaftliche Anspruchsgruppen: Medien, Kommunen, Anlieger, ... ◼ Anwälte des Ökosystems: Umweltschutzorganisationen, NGO, Verbände, ... ◼ Anwälte des Sozialsystems: Menschenrechtsgruppen, NGO, Verbände, ... ◼ unternehmensinterne Anspruchsgruppen: Mitarbeiter, Manager Anschließend sind die Teilnehmer auszuwählen. Externe Stakeholder können dabei sein: ◼ alle Stakeholder ◼ durch das Unternehmen definierte Stakeholder ◼ Stakeholder mit dem größten Einfluss auf das Unternehmen ◼ periodisch wechselnde Stakeholdergruppen Unternehmensinterne Teilnehmer können ausgewählt werden aus: ◼ Topmanagement ◼ leitende Angestellte ◼ nachhaltigkeitsverantwortliche Mitarbeiter bzw. Gremien ◼ alle Mitarbeiter „Stakeholder sind Personen und Organisationen, die rechtliche, finanzielle, ethische oder ökologische Ansprüche oder Erwartungen an das Unternehmen haben. Ob eine Person, Organisation oder Gruppe Stakeholder des Unternehmens ist, hängt davon ab, wie stark sie durch Entscheidungen des Konzerns beeinflusst wird oder umgekehrt Konzernentscheidungen beeinflussen kann. Die primären Stakeholder sind demnach Kunden, Beschäftigte, Investoren und Lieferanten. Darüber hinaus tauschen wir uns regelmäßig mit zivilgesellschaftlichen Gruppen wie Nichtregierungsorganisationen aus. Aber auch mit Verbänden, Gewerkschaften, Medien, Analysten, Kommunen, Anwohnern in der Nachbarschaft unserer Standorte sowie mit Vertretern aus Wissenschaft und Politik pflegen wir den Kontakt.“ (Mercedes-Benz Group AG, Nachhaltigkeitsbericht 2021, S. 85) Stakeholderdialog Optionen Stakeholderdialoge lassen sich auf sehr unterschiedliche Arten durchführen. Mögliche Alternativen sind hierbei: <?page no="117"?> 4.3 Stakeholderdialog 117 ◼ Frequenz: jährlich oder sporadisch ◼ Art der Erhebung: Workshops, Interviews, Fragebögen oder Kombination dieser Methoden ◼ Handlungsfelder: vorab ausgewählte Handlungsfelder oder offen über alle Handlungsfelder ◼ Format: Information, Konsultation, Dialog, Partizipation ◼ Gewichtung: je Stakeholder eine Stimme oder Bündelung der Stakeholdergruppen, Gleichgewichtung der Stakeholdergruppen oder Priorisierung der Gruppen Bedeutung der Stakeholder: Einfluss-Interesse-Matrix Bei der Identifikation der Stakeholder bietet es sich an, diese nach der Bedeutung für das Unternehmen zu priorisieren. Mit den verschiedenen Gruppen können jeweils unterschiedliche Formate und Intensitäten der Kommunikation durchgeführt werden. Als Kriterien bieten sich die Macht bzw. der Einfluss eines Stakeholders sowie dessen Interesse an. Vereinfacht lassen sich hierdurch vier Typen identifizieren, für die jeweils Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden können. Veranschaulicht werden kann dies durch eine vier Felder-Matrix, der Einfluss-Interesse-Matrix (vgl. Hucke 2017, S. 207): Abb. 4.2: Einfluss-Interesse-Matrix (Quelle: Hucke 2017, S. 207) Mit Stakeholdern, die ein großes Interesse zeigen und großen Einfluss haben, sollte ein intensiver Dialog geführt werden. Auf Basis persönlicher Kontakte sollte hier ein engerer Austausch gepflegt werden als nur bei jährlichen Stakeholderdialogen. Entscheidungen sollten eng abgestimmt sein und die Erwartungen an das Unternehmen sollten bestmöglich erfüllt werden. Dies können beispielsweise bedeutende Anteilseigner oder Manager der oberen Führungsebene sein. Stakeholder mit großem Interesse und nur geringer Macht sollten gut informiert werden. Ihre Meinung sollte gehört werden, da sie hilfreich sein kann. Dies können etwa kleinere Anteilseigner oder auch Lieferanten und Kunden sein. Stakeholder mit großer Macht aber nur <?page no="118"?> 118 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung geringem Interesse sollten regelmäßig, aber nicht zu intensiv informiert werden. Im Vordergrund steht bei diesen, dass sie zufrieden sein sollten, um kein negatives Interesse zu wecken. Dies trifft beispielsweise bei Behörden zu, bei denen Genehmigungen einzuholen sind. Bei Stakeholdern mit schwachem Einfluss und geringem Interesse sollte nur ein geringer Aufwand betrieben werden. Denkbar wären hierfür kleinere Kunden oder generell die Öffentlichkeit. Themenfindung Bevor über die Teilnehmer des Stakeholderdialogs entschieden wird, müssen die Themen bestimmt werden. Generell sollte ein Format gewählt werden, das den Stakeholdern ermöglicht, auch eigene Themen einzubringen. Dies gilt vor allem bei einem erstmalig durchgeführten Dialog. Zur Eingrenzung der Themenfelder können vorab Befragungen oder Gespräche mit einzelnen Stakeholdern bzw. Stakeholder-Gruppen durchgeführt werden. Im Stakeholderdialog sollte zudem geklärt werden, welche Themen im nächsten Dialog behandelt werden sollen. Aus den vielfältigen Kontakten zwischen dem Management und den Stakeholdern werden in der Regel Erfahrungen vorliegen, welche Themen für sie relevant sind. Da die Dialoge auch zur Erkennung von Risiken und zur Einschätzung gesellschaftlicher Trends genutzt werden, müssen solche Fragen im Unternehmen erkannt werden. Der Nachhaltigkeitscontroller sollte dafür in einem engen Austausch mit den Bereichen Forschung und Entwicklung und Risikomanagement stehen. Es können somit die für das Unternehmen relevanten Dialogthemen und die seitens der Stakeholder erwarteten Dialogthemen benannt werden. Bei einer großen Breite an Themen werden auch mehrere Stakeholderdialoge mit verschiedenen inhaltlichen Ausrichtungen durchgeführt. So kann es neben inhaltlich breiten und offen formulierten Dialogen auch solche mit speziellen Inhalten oder mit speziellen Stakeholdern geben. So hat die BMW Group in den vergangenen Jahren neben thematisch offenen und breit besetzten Dialogen auch fachlich fokussierte Dialoge, etwa zur nachhaltigen Mobilität oder zu Lieferketten, und auf einzelne Stakeholder fokussierte Dialoge, wie etwa mit Vertretern der Politik, durchgeführt. Beispiel Frankfurter Flughafen (Fraport AG) „Regelmäßig geben Flughäfen Anlass zu gesellschaftspolitischer Debatte. Die Fraport AG bewegt sich im Spannungsfeld sehr unterschiedlicher Ansprüche: Viele Anspruchsgruppen beschäftigen Fragen nach der finanziellen Wertschöpfung des Konzerns und seiner Wettbewerbsfähigkeit sowie dem Erhalt und Aufbau sicherer und attraktiver Arbeitsplätze. Für einige Stakeholder stehen hingegen globale Herausforderungen wie der Klimawandel im Vordergrund, für andere Menschen im Flughafenumfeld ist der Fluglärm das wichtigste Thema. Die Anliegen der Stakeholder sind vielfältig. Die Fraport AG ist überzeugt, dass der Informationsaustausch dazu beiträgt, gegenseitiges Verständnis zu schaffen und <?page no="119"?> 4.4 Wesentlichkeit 119 Lösungen zu erarbeiten. Dialog ist ein wichtiges Instrument. Es liefert darüber hinaus Anregungen für die strategische Ausrichtung des Unternehmens und Hinweise für das Risikomanagement.“ (Quelle: Fraport AG, in: https: / / www.fraport.com/ de/ konzern/ verantwortung/ stakeholder-dialog.html, Abruf: 03.04.2022) Dialogstandards Die Glaubwürdigkeit der Stakeholderdialoge wird gesteigert, wenn grundlegende Regeln zur Durchführung der Dialoge getroffen und veröffentlicht werden. Basis dieser Regelwerke bildet oftmals der „Stakeholder Engagement Standard (SES) AA 1000“. Der Leitfaden ist online verfügbar: Link: https: / / www.accountability.org/ standards/ aa1000-stakeholder-engagementstandard Herausgeber des Standards ist die weltweit tätige Organisation „AccountAbility“. Weitere Informationen hierzu finden sich auf www.accountability.org. Wesentlichkeit Die Unternehmensstrategie gibt den grundsätzlichen Weg hin zur Vision vor. Ist in der Vision die Nachhaltigkeit enthalten, ist diese auch in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Für die Unterscheidung der strategischen und der operativen Ebene eignet sich die einprägsame Erläuterung von Peter Drucker: strategisches Management: „die richtigen Dinge tun“ operatives Management: „die Dinge richtig tun“ Kern der Strategiearbeit ist es, „die richtigen Dinge“ zu erkennen. Die Strategie gibt damit die wesentlichen Inhalte für das operative Management vor. Folglich ist zu erkennen, welches die wesentlichen Inhalte für eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens sind. Hierfür hat sich die Methodik der Wesentlichkeitsanalyse, auch als Materialitätsanalyse bezeichnet, etabliert. Der Grundsatz der Wesentlichkeit ist aus den angelsächsisch geprägten Rechnungslegungsvorschriften bekannt. Dort ist es notwendig, alle Tatbestände die „material“ (= wesentlich) sind und somit einen Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben, im Jahresabschluss offenzulegen. Übertragen auf Nachhaltigkeit sind all diejenigen Faktoren relevant, die bedeutsame ökonomische, ökologische oder soziale Wirkungen haben. Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die mit der Einführung der CSRD EU-weit Gültigkeit erlangen, sehen die Durchführung einer Wesentlichkeitsanalyse genauso verpflichtend vor wie der GRI-Berichtsstandard. Laut KPMG nutzen rund zwei Drittel der jeweils 100 größten Unternehmen in 52 Ländern den GRI-Standard und führen somit auch eine Wesentlichkeitsanalyse durch (vgl. KPMG <?page no="120"?> 120 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung International 2020, S. 25). Nach der vollständigen Einführung der CSRD sind in der EU rund 50.000 Unternehmen verpflichtet, eine Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen. Im Nachhaltigkeitsbericht ist aufzuzeigen, wie die Wesentlichkeitsanalyse durchgeführt wurde und welche Themen wesentlich sind. Die Wesentlichkeitsanalysen nach ESRS und nach GRI sind sich zwar ähnlich, jedoch sind sie nicht identisch. Im Folgenden werden beide Ansätze vor- und gegenübergestellt. Zur Wesentlichkeitsanalyse nach ESRS siehe auch Kapitel 2.4.1. An Bekanntheit und praktischer Relevanz gewann die Wesentlichkeitsanalyse spätestens durch die 2013 veröffentlichte GRI-Version G4. Dominierten in früheren Versionen der GRI noch eine Vielzahl an Indikatoren, wurde in G4 vom Ziel der Vollständigkeit und Vergleichbarkeit abgewichen. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass Nachhaltigkeitsmanagement nur dann im Unternehmen Akzeptanz findet, wenn die für ein Unternehmen wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen bearbeitet werden. Diese Entwicklung hin zur Wesentlichkeit war überfällig, da es in der Unternehmenssteuerung seit jeher darum geht, wesentliche Themen zu bearbeiten. Dieser Ansatz sollte dabei helfen, dass über Nachhaltigkeit nicht nur berichtet wird, sondern dass sie auch gesteuert wird. Bei den neuen GRI Universal Standards aus dem Jahre 2021 wird das Verständnis von Wesentlichkeit inhaltlich nicht verändert, aber präzisiert und durch die Zurverfügungstellung von sogenannten Branchenstandards in der Qualität und Zuverlässigkeit gesteigert. Stand Februar 2024 wurden die ersten vier Branchenstandards für den Öl- und Gassektor, den Kohlesektor, Agrar und Fischerei sowie für den Bergbau veröffentlicht. Ziel ist, rund 40 Branchenstandards für die sogenannten „High-Impact- Branchen“ zu entwickeln. Diese listen die wichtigsten Auswirkungen der Unternehmen dieser Branchen auf und dienen damit als Ausgangspunkt einer fundierten Prüfung der Auswirkungen, einer sogenannten Due Diligence. Durch die Branchenstandards wird insbesondere für Unternehmen kritischer Branchen sichergestellt, dass sämtliche Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit erfasst werden und somit auch eine Vergleichbarkeit zwischen den Unternehmen hergestellt wird. Wesentlichkeit gemäß GRI „Eine Organisation wird mit einer Vielzahl unterschiedlicher Themen konfrontiert, über die sie berichten kann. Relevante Themen, die möglicherweise eine Aufnahme in den Bericht verdienen, sind solche Themen, bei denen nach vernünftigem Ermessen davon ausgegangen werden kann, dass sie für eine Darstellung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen einer Organisation von Bedeutung sind oder einen Einfluss auf die Entscheidungen von Stakeholdern ausüben. In diesem Kontext bezeichnet eine „Auswirkung“ den Effekt einer Organisation auf die Wirtschaft, die Umwelt und/ oder die Gesellschaft (sowohl in positiver wie negativer Hinsicht). Ein Thema kann auch auf Basis von nur einer dieser genannten Dimensionen relevant - und somit potenziell wesentlich sein.“ (Quelle: GRI 101: Grundlagen 2016, Abschnitt 1: Prinzipien der Berichterstattung, 1.3 Wesentlichkeit, S. 10, Hervorhebung durch den Autor, online verfügbar: <?page no="121"?> 4.4 Wesentlichkeit 121 https: / / www.globalreporting.org/ how-to-use-the-gri-standards/ gri-standards-german-translations/ , Abruf: 26.02.2024) Die Auswirkungen beziehen sich dabei nicht nur auf eigene Aktivitäten, sondern auch auf solche, die durch Geschäftsbeziehungen oder über die Wertschöpfungskette durch eigene Produkte oder Dienstleistungen verursacht werden. Im Bericht ist die Wesentlichkeit des Themas zu begründen und es ist aufzuführen, wo die Auswirkung aufgetreten und wie das Unternehmen daran beteiligt ist. Wesentlichkeit gemäß ESRS Bei den ESRS ist die doppelte Wesentlichkeit bedeutsam: „Die doppelte Wesentlichkeit hat zwei Dimensionen: die Wesentlichkeit der Auswirkungen und die finanzielle Wesentlichkeit.“ Die beiden Dimensionen, auch als Impact Materiality und als Financial Materiality bezeichnet, werden folgendermaßen beschrieben: „Wesentlichkeit der Auswirkungen: Ein Nachhaltigkeitsaspekt ist hinsichtlich der Auswirkungen wesentlich, wenn er sich auf die wesentlichen tatsächlichen oder potenziellen, positiven oder negativen Auswirkungen des Unternehmens auf Menschen oder die Umwelt innerhalb kurz-, mittel- oder langfristiger Zeithorizonte bezieht. Zu den Auswirkungen gehören diejenigen, die mit der eigenen Geschäftstätigkeit und der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette des Unternehmens zusammenhängen, auch durch seine Produkte und Dienstleistungen sowie durch seine Geschäftsbeziehungen. Geschäftsbeziehungen umfassen die vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette des Unternehmens und beschränken sich nicht auf direkte Vertragsverhältnisse.“ Der zweite Aspekt der doppelten Wesentlichkeit lautet: „Finanzielle Wesentlichkeit: Ein Nachhaltigkeitsaspekt ist unter finanziellen Gesichtspunkten wesentlich, wenn er wesentliche finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen nach sich zieht oder wenn diese nach vernünftigem Ermessen zu erwarten sind. Dies trifft zu, wenn durch einen Nachhaltigkeitsaspekt Risiken oder Chancen entstehen, die innerhalb von kurz-, mittel- oder langfristigen Zeithorizonten einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung, die Finanzlage, die finanzielle Leistungsfähigkeit, die Cashflows, den Zugang zu Finanzmitteln oder die Kapitalkosten des Unternehmens haben.“ (ESRS Anhang 1 der delegierten Verordnung vom 31.07.2023, 3.4 Randziffer 43 und 3.5 Randziffer 49, https: / / eur-lex.europa.eu/ legal-content/ DE/ TXT/ PDF/ ? uri=OJ: L_ 202302772, Abruf: 26.02.2024) Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Beurteilung der Wesentlichkeit nach GRI und ESRS Beide Standards sehen einen Stakeholderdialog vor, damit wesentliche Themen nicht nur aus unternehmensinterner Perspektive beurteilt werden. Bei beiden Ansätzen <?page no="122"?> 122 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung werden eine interne und eine externe Sicht kombiniert. Beide Standards betrachten zudem die ökologischen und sozialen Auswirkungen des Unternehmens. Die folgende Abbildung stellt die beiden Ansätze in Form einer Wesentlichkeitsmatrix dar: Abb. 4.3: Wesentlichkeitsmatrix nach GRI 101 und nach ESRS-2 (Quelle: GRI 101: Grundlagen 2016, Abschnitt 1: Prinzipien der Berichterstattung, 1.3 Wesentlichkeit, ESRS 1, 3.4, 3.5) Die ESRS sehen eine doppelte Wesentlichkeit vor. Ein Thema ist also wesentlich, wenn es so auch nur von einer Dimension beurteilt wird. Bei ESRS gelten die Nachhaltigkeitsthemen in den drei grau hinterlegten Feldern als wesentlich. Die GRI sehen dies nicht in gleicher Weise vor. Hier sind nur die Themen im grauen Feld rechts oben wesentlich (vgl. Wunder 2023, S. 113). GRI und ESRS unterscheiden sich bei der Frage, was wesentlich ist. Bei ESRS sind die ökologischen und sozialen Auswirkungen des Unternehmens und die finanziellen Auswirkungen der Nachhaltigkeit auf das Unternehmen relevant. Die finanziellen Auswirkungen, die insbesondere für Investoren und Kreditgeber bedeutsam sind, werden bei GRI nur indirekt betrachtet. Bei ESRS ist das Management angehalten, die finanziellen Auswirkungen sowie die Chancen und Risiken zu erfassen und zu steuern. Damit besteht ein starker Bezug auf das Unternehmen selbst, auf dessen Resilienz, die langfristige Wertschöpfung und den Unternehmenswert. Bei GRI werden auf der X-Achse die Auswirkungen des Unternehmens bei allen drei Nachhaltigkeitsdimensionen betrachtet. Dies beinhaltet dann auch mögliche Auswirkungen auf Investoren oder Kreditgeber, aber auch auf Dritte, die z.B. aufgrund von Wasserknappheit erhöhte Kosten zu tragen haben. Die GRI betrachten nicht das Risikomanagement des Unternehmens, um finanzielle Gefahren abzuwehren. Ein weiterer Unterschied besteht in der Berücksichtigung der Stakeholder. Bei GRI wird auf der Y-Achse direkt darauf Bezug genommen. Wesentlich ist ein Thema, wenn die Stakeholder dies in Bezug auf das Unternehmen so beurteilen und wenn es ihre <?page no="123"?> 4.4 Wesentlichkeit 123 Entscheidungen beeinflusst. Wichtig ist der Unternehmensbezug. So mögen Stakeholder grundsätzlich Tierwohl wichtig finden, wenn aber das Unternehmen keinerlei Bezug zu Tieren hat, ist Tierwohl bei der Beurteilung des spezifischen Unternehmens nicht bedeutsam. ESRS bindet die Stakeholder genereller ein, indem mögliche Auswirkungen des Unternehmens auf sie zu erfassen sind. Beide Ansätze betrachten die ökologischen und sozialen Auswirkungen des Unternehmens. Darüber hinaus ist GRI stärker stakeholderorientiert und ESRS ist stärker intern, an Risiken und Chancen und dadurch an den Interessen der Investoren und Kreditgeber ausgerichtet. Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse Die Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse wird nachfolgend an den ESRS ausgerichtet. Hierbei sind verschiedene Themenfelder zu klären: ◼ Planung des Prozesses zur Erstellung der Wesentlichkeitsanalyse ◼ Bestimmung der Verantwortlichkeiten für die einzelnen Prozessschritte ◼ Datenmanagement: wie und wo werden Daten gesammelt, analysiert und dokumentiert ◼ Einbindung von Entscheidungsträgern Der Prozess sollte mit der Impact Materiality starten, erst anschließend ist die Financial Materiality durchzuführen. Der Grund liegt darin, dass die Impacts Auswirkungen auf die Financials haben können. Beispielsweise kann als Impact die Lärmbelästigung von Anwohnern festgestellt werden, weshalb das Unternehmen seine Betriebszeiten einschränken muss, was zu finanziellen Einbußen führen kann. Prozessschritte der Wesentlichkeitsanalyse Die EFRAG stellt einen unverbindlichen Vorschlag zur Verfügung, wie die Wesentlichkeitsanalyse durchgeführt werden kann. Dies beruht auf mehreren Schritten (vgl. EFRAG 2023; Baumüller, Mayr 2023; Herold, Grottel, Klein 2023, S. 475ff.; Rödl & Partner, https: / / www.roedl.de/ themen/ esg-news/ 2023-5/ wesentlichkeitsanalyse-nach-esrstransparenz-relevanz, Abruf: 26.02.2024): 1. Festlegung des Scopes Kartierung der Aktivitäten des Unternehmens, der Produkte, Standorte und der Wertschöpfungskette Erfassung regulatorischer, sektorspezifischer Anforderungen Identifikation der Stakeholder und der einzubeziehenden Fachexperten 2. Erstellung der Longlist Sammlung relevanter Themen auf Basis der dreistufigen Themenliste der ESRS mit Themen (Topics), Unterthemen (Sub-Topics) und Unter-Unterthemen (Sub- Sub-Topics). Die folgende Tabelle stellt einen Ausschnitt aus der Liste der Themen der ESRS dar: <?page no="124"?> 124 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Themenbezogener ESRS Thema Unterthema Unter-Unterthema ESRS E4 biologische Vielfalt und Ökosysteme direkte Ursachen des Biodiversitätsverlusts Klimawandel Landnutzungsänderungen invasive gebietsfremde Arten …. Auswirkungen auf den Zustand der Arten Populationsgröße und Arten globales Ausrottungsrisiko von Arten ESRS S1 eigene Belegschaft Arbeitsbedingungen sichere Beschäftigung Arbeitszeit angemessene Entlohnung sozialer Dialog Vereinigungsfreiheit … Gleichbehandlung und Chancengleichheit für alle Gleichstellung der Geschlechter und gleicher Lohn für gleiche Arbeit Schulung und Kompetenzentwicklung … Tabelle 4.4: Auszug aus der Themenliste von Nachhaltigkeitsaspekten (Quelle: Anhang der delegierten Verordnung der Richtlinie 2013/ 34/ EU, ESRS 1, Anlage A, AR 16, S. 27ff.) 3. Identifikation der Auswirkungen, Chancen und Risiken (IRO = Impact, Risk, Opportunities) Zu jedem Thema auf der Longlist sind die kurz-, mittel- und langfristigen externen Auswirkungen sowie die Chancen und Risiken für das Unternehmen zu identifizieren. Quellen können z.B. die Stakeholderdialoge, das interne Risikomanagement oder vorangegangene Wesentlichkeitsanalysen sein. Differenzierung nach positiven und negativen, nach tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen Sub- und Sub-Sub-Themen, denen keine wesentlichen IRO zugeordnet werden können, entfallen, die verbleibenden Themen bilden die Shortlist. 4. Wesentlichkeitsbewertung Die Bewertung der Wesentlichkeit erfolgt anhand der durch die ESRS vorgegebenen Bewertungskriterien. <?page no="125"?> 4.5 Strategische Analyse 125 Bei den Auswirkungen sind das Ausmaß, der Umfang, die Behebbarkeit und die Eintrittswahrscheinlichkeit anzugeben. Definition von Skalen zur Messung der Auswirkungen und Bestimmung der Schwellenwerte hin zur Wesentlichkeit. 5. Dokumentation und Reporting der wesentlichen Themen Durch den großen Umfang und die Komplexität der wesentlichen Themen und der IRO ist eine tabellarische Darstellung geeignet. Die Darstellung in der bisher gewohnten Matrix sollte allenfalls als ergänzende Zusammenfassung erfolgen, da hierbei ein großer Teil der Informationen fehlt. Die Ermittlung wesentlicher Themen ist sehr aufwändig, die Vorgaben der ESRS sind zu beachten, es sind umfangreiche Recherchen notwendig und der Prozess ist sorgsam zu dokumentieren. Zugleich besteht auch ein großer Interpretations- und Handlungsspielraum. Der Zeitaufwand ist deshalb entsprechend hoch. Dies spiegelt zugleich die große Bedeutung sowohl für die Nachhaltigkeitsberichtserstattung als auch für die Steuerung und das Risikomanagement des Unternehmens wider. Sowohl der Aufwand wie auch die Bedeutung werden oftmals unterschätzt. Bei der Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse ist daher die Begleitung durch eine prüfungsnahe Beratungsgesellschaft zu empfehlen. Strategische Analyse Durch die Wesentlichkeitsanalyse sind die zentralen Inhalte der nachhaltigen Unternehmenssteuerung bekannt. Diese ergänzt, aber ersetzt nicht die strategische Analyse, wie sie im strategischen Controlling durchgeführt wird. Die klassische strategische Analyse ist um die Nachhaltigkeit zu erweitern. Aus der PEST-Analyse wurde schon vor Jahren die PESTEL-Analyse und auch die SWOT-Analyse integriert Themen der Nachhaltigkeit. Auf der strategischen Ebene geht es um den Aufbau, die Entwicklung und die Nutzung von Erfolgspotenzialen. Solche Erfolgspotenziale sind für das Unternehmen lukrative Produkt-Markt-Einheiten, besser bekannt als strategische Geschäftseinheiten. Auch bedeutsame Ressourcen, wie etwa ein besonderes Fertigungs-Know-how oder der exklusive Zugriff auf wichtige Rohstoffe, stellen Erfolgspotenziale dar. Im Folgenden werden zwei bedeutsame Werkzeuge der strategischen Analyse vorgestellt: PESTEL und SWOT. PESTEL Strategische Analysen umfassen eine Analyse des Unternehmensumfelds und eine Analyse des Unternehmens. Bei der Umfeldanalyse nehmen viele und sehr unterschiedliche Faktoren Einfluss auf das Unternehmen, die sich im Zeitablauf zudem verändern. Die strategische Umfeldanalyse soll diese Komplexität reduzieren, so dass die wesentlichen Faktoren und Zusammenhänge erkannt werden, um die Entwicklung des Unternehmens daran auszurichten (vgl. Hungenberg 2011, S. 89). <?page no="126"?> 126 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Zur Analyse des Unternehmensumfelds werden Modelle genutzt, die stets zu einer Vereinfachung der Realität führen. Den geringeren Realitätsgehalt wiegen Modelle damit auf, dass sie Klarheit verschaffen. Modelle können also das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen und bei den wesentlichen Inhalten Ursache-Wirkungszusammenhänge aufzeigen. Die Schwierigkeit besteht darin, die Relevanz von Faktoren zu erkennen. Eine klar formulierte Vision und Mission kann diese Entscheidung erleichtern (vgl. Sailer 2012, S. 213f.). Das Unternehmensumfeld wird zumeist aufgeteilt in ein Makro- und in ein Mikroumfeld (vgl. Hinterhuber 2004, S. 115). Das Makroumfeld umfasst die generellen, globalen Rahmenbedingungen, die sich auf das Unternehmen, aber auch auf die gesamte Branche sowie auf die Lieferanten und Kunden auswirken. Das Mikroumfeld lenkt den Blick hingegen auf die Branche, denen das Unternehmen bzw. die Geschäftsfelder zugehören. Die Faktoren des Makroumfelds werden im strategischen Management häufig mit Hilfe der PESTEL-Analyse untersucht. PESTEL ist das Akronym für Political, Economical, Social, Technological, Environmental und Legal. Damit sind sechs Gruppen von Einflussfaktoren auf das Makroumfeld benannt. Innerhalb dieser Gruppen sind die Faktoren zu identifizieren, die einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg einer Strategie haben (vgl. Johnson, Scholes, Whittington 2011, S. 80f.). Abb. 4.4: Makro- und Mikro-Umfeld des Unternehmens (eigene Darstellung) <?page no="127"?> 4.5 Strategische Analyse 127 Ist der äußere Rahmen des Makroumfelds abgesteckt, folgt die Analyse des Mikroumfelds. Die bekannteste Methodik ist hierbei die Branchenstrukturanalyse von Michael Porter, auch bekannt als Five Forces. Diese findet sich in den meisten Lehrbüchern zum strategischen Controlling, weshalb auf diese verwiesen wird (vgl. etwa Johnson, Scholes, Whittington 2011, S. 86ff.; Hungenberg 2011, S. 102ff.). Innerhalb des Mikroumfelds befindet sich das Unternehmen. Bei der Unternehmensanalyse werden die Stärken und Schwächen analysiert. In Abbildung 4.4 sind die drei Untersuchungsebenen dargestellt: der äußere Kreis stellt das Makroumfeld dar, im Inneren befindet sich das Mikroumfeld mit dem Unternehmen im Zentrum. Beispielhaft soll die PESTEL-Analyse für ein Unternehmen der Luftfahrtindustrie aufgezeigt werden (Quelle: Johnson, Scholes, Whittington 2011, S. 81). politisch wirtschaftlich staatliche Unterstützung der heimischen Fluglinien nationale Wachstumsraten Treibstoffpreise Sicherheits-Checks sozial technologisch mehr Reiseaktivitäten älterer Menschen effizientere Motoren und Flugzeuge internationale Studentenaustauschprogramme Technologien zur Sicherheitsüberwachung Telekonferenzen im Unternehmensbereich ökologisch rechtlich Lärmbelästigung Fusionsbeschränkungen Energieverbrauch Vorzugsrechte auf Flughäfen für manche Fluglinien Tabelle 4.5: PESTEL-Analyse in der Luftfahrtindustrie Durch die Berücksichtigung aller sechs Gruppen an Einflussfaktoren wird eine einseitig ökonomische oder technologische Analyse des Makroumfelds verhindert. Eine regelmäßige Überprüfung der Einflussfaktoren schärft den Blick auf die Veränderungen und die Dynamik im Unternehmensumfeld. SWOT Die SWOT-Analyse stellt die Chancen und Risiken des Unternehmensumfelds den Stärken und Schwächen des Unternehmens gegenüber: Strengths Opportunities Weaknesses Threats <?page no="128"?> 128 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Für sich allein betrachtet kann man weder aus dem Unternehmen noch aus dem Umfeld Strategien ableiten. Erst aus der Kombination lassen sich strategische Ansätze entwickeln, die zu einer Strategie ausgearbeitet werden können. Chancen Risiken Stärken Welche Stärken helfen, die Chancen zu nutzen? Welche Stärken helfen, Risiken zu bewältigen? Schwächen Welche Chancen werden wegen eigener Schwächen vergeben? Welchen Risiken können wir aufgrund eigener Schwächen nichts entgegensetzen? Tabelle 4.6: SWOT-Analyse Die SWOT-Analyse ist ein weit verbreitetes und bewährtes Instrument der strategischen Analyse und der Strategieentwicklung. In der praktischen Umsetzung besteht die Gefahr, dass die Kriterien subjektiv ausgewählt und gewichtet werden. Bei der Bearbeitung sollten die Beteiligten daher möglichst heterogen zusammengesetzt sein. Abschließend wird das Beispiel des Geschäftsfeldes Car-Sharing eines Automobilherstellers betrachtet: Chancen gesellschaftlicher Wandel vom Haben zum Nutzen Kommunen fördern moderne Mobilitätskonzepte Risiken Öffentlicher Nahverkehr bekämpft Car-Sharing nachlässiger Umgang der Kunden verursacht Qualitätsmängel Stärken Integration der IT zwischen Car- Sharing und kommunaler Parkraumbewirtschaftung glaubwürdige Kommunikation der Vorteile des Nutzens Mobilitäts-App zur Kombination von Car-Sharing und Öffentlichem Nahverkehr sensorgesteuerte Überwachung von Fahrzeugen hohe IT-Kompetenz (Social Media, Abrechnungssysteme) Bekanntheit / Vertrauen Schwächen fehlende Präsenz verhindert Zusammenarbeit mit Kommunen öffentliche Wahrnehmung als Hersteller verbaut die Glaubwürdigkeit eines Dienstleisters keine Zusammenarbeit mit Öffentlichem Nahverkehr wegen fehlender regionaler Präsenz keine Erfahrung in der laufenden Betreuung der Kunden wenig Dienstleistungserfahrung geringe regionale Präsenz Tabelle 4.7: SWOT-Analyse eines Car-Sharing-Anbieters <?page no="129"?> 4.6 Typen von Nachhaltigkeitsstrategien 129 Typen von Nachhaltigkeitsstrategien Es lassen sich vier Typen von Nachhaltigkeitsstrategien unterscheiden: Typen von Nachhaltigkeitsstrategien Compliance Suffizienz Konsistenz / Effektivität Effizienz Gesetze und interne Richtlinien sind einzuhalten (Compliance), um Legalität und der Legitimität des unternehmerischen Handelns zu sichern. Der Lebensstandard soll mit weniger materiellen Bedürfnissen und damit auch mit weniger materiellen Ressourcen gesteigert oder zumindest gehalten werden. Bestehende Bedürfnisse sollen mit insgesamt weniger Ressourcen, mit regenerativen Ressourcen oder ohne einen Ressourcenverlust (Konsistenz) erfüllt werden. Bestehende Produkte und Dienstleistungen sollen mit einem geringeren Ressourceneinsatz hergestellt bzw. erbracht werden. Die Input-Output- Relation soll verbessert werden. Tabelle 4.8: Typen von Nachhaltigkeitsstrategien Beispiel Automobilhersteller Ein Automobilhersteller ist regelkonform, wenn die Fahrzeuge die Umweltvorschriften erfüllen. Er ist effizient, wenn der Benzinverbrauch und der CO 2 -Ausstoß im Nachfolgemodell geringer sind. Er erfüllt das Bedürfnis nach Mobilität aber nicht effektiv, wenn er schwere und besonders leistungsstarke Fahrzeuge anbietet. Bezogen auf das hohe Fahrzeuggewicht mag sein Verbrauch effizient sein, bezogen auf die Mobilitätsleistung ist dies aber nicht effektiv. Suffizient ist er, wenn er Car-Sharing-Konzepte anbietet, dadurch die Anzahl an Fahrzeugen verringert und deren Nutzung optimiert. Die nachfolgende Übersicht enthält Beispiele für die drei Nachhaltigkeitstypen, gegliedert nach den drei Nachhaltigkeitsdimensionen: Beispiele Ökonomie Ökologie Soziales Compliance Rechnungslegungsvorschriften, aus dem Kapitalmarkt abgeleitete Mindestverzinsungsanforderungen, Publizitätspflichten, gesellschaftsrechtliche Vorgaben, Wettbewerbsrecht, Kartellgesetze Emissionsvorgaben und -verbote, Naturschutzgesetze, Abfallgesetze, Batteriegesetz, Chemikaliengesetz, Gefahrstoffverordnung, Verordnung zum Verkehrslärm, Verordnung für genehmigungspflichtige Anlagen Arbeitsschutzgesetz, Mindestlohn, Kündigungsschutz, Antikorruptionsvorgaben, Antidiskriminierungsgesetz, Kinder- und Jugendschutz <?page no="130"?> 130 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Konsistenz/ Effektivität Konzentration auf attraktive Geschäftsfelder, Fokussierung auf Kernkompetenzen Senkung des absoluten Energieverbrauchs, Verringerung des gesamten Wasserverbrauchs, Verringerung der CO 2 - Emissionen für alle Geschäftseinheiten Erhöhung Frauenanteil, Erhöhung der Anzahl an Ausbildungsplätzen, Verzicht auf Korruption Suffizienz Angebot von Share-Konzepten anstatt Verkauf einzelner Produkte: Car- Sharing, Mitfahrzentralen, Mitwohnzentrale, Musikportale, gemeinsame Softwarenutzung, Maschinenringe in der Landwirtschaft Weniger Geschäftsreisen, Angebot langlebiger Produkte, gemeinschaftliche Nutzung von Produkten Verringerung der Arbeitsbelastung und der Arbeitszeiten, familiengerechte Arbeitszeitmodelle, Aufwertung nichtbetrieblicher Tätigkeiten Effizienz Optimierung bestehender Produkte und Dienstleistungen, Kostensenkung durch schlankere Prozesse, Verkürzung von Durchlaufzeiten Verringerung des Energieverbrauchs je Produkt, Verringerung des Ressourceneinsatzes je Produkt, weniger Benzinverbrauch je Fahrzeug Verringerung der Arbeitsunfälle je Mio. € Umsatz, Fluktuationsrate verringern, Verringerung der Beschwerdequote Tabelle 4.9: Beispiele für die drei Typen von Nachhaltigkeitsstrategien Bevor man effizient arbeitet, die Dinge also richtig tut, stellt sich die Frage, ob man denn die richtigen Dinge tut. Eine schlechte Lösung zu optimieren verringert zwar das Übel, schafft aber noch keine gute Lösung. Ein geschlossener Ressourcenkreislauf im Sinne des Cradle-to-Cradle ist hingegen effektiv, also wirksam. Es gehen keine Ressourcen verloren und es fallen auch keine minderwertigen Abfallstoffe an, die entsorgt werden müssen. In einem vollständig geschlossenen Kreislauf ist selbst die Effizienz irrelevant. Es ist zu beobachten, dass im Nachhaltigkeitsmanagement Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz dominieren. Bestehendes wird optimiert: der Verbrauch je Fahrzeug wird verringert, Elektrogeräte haben einen geringeren Strombedarf, der Wasserverbrauch je Produktionseinheit sinkt, ... Letztlich bleibt es aber eine Optimierung. Schlechte Lösungen werden etwas weniger schlecht, aber noch lange nicht gut. Symptome werden behandelt anstatt Ursachen behoben, und Geschäftsmodelle werden nicht nachhaltig transformiert, sondern abgesichert. Die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit steht im Vordergrund. Schließen wir nun auch Maßnahmen der Suffizienz mit ein, geht es anstatt eines effektiven Einsatzes der Ressourcen um einen Verzicht derselben. Werden Ressourcen erst gar nicht benötigt, erübrigen sich Überlegungen zur Effektivität und Effizienz. <?page no="131"?> 4.6 Typen von Nachhaltigkeitsstrategien 131 Es können somit vier grundlegende Stoßrichtungen der Nachhaltigkeitsstrategie unterschieden werden. Die Compliance ist dabei eine existenzielle Voraussetzung, da sich ein Unternehmen dadurch die Legalität und die Legitimität sichert. Suffizienzfördernde Maßnahmen verringern den absoluten Bedarf an Ressourcen und effektive Maßnahmen führen zu einem geschlossenen oder zumindest weitgehend geschlossenen Ressourcenkreislauf, wodurch der zusätzliche Bedarf an Ressourcen schwindet. Schließlich als letzter, operativer Schritt, verbleibt die Effizienz. Wo nach den Maßnahmen der Suffizienz und der Effektivität noch Ressourcen eingesetzt werden, soll dieser Einsatz möglichst effizient erfolgen. Je Outputeinheit sind also möglichst wenig Ressourcen einzusetzen. Das strategische Nachhaltigkeitscontrolling hat damit die Aufgabe, den Schwerpunkt auf die Suffizienz und die Effektivität zu legen. Insuffizienz und Ineffektivität können durch eine hohe Effizienz nicht kompensiert werden. Die vier Typen von Nachhaltigkeitsstrategien werden nachfolgend vorgestellt. Compliance-Strategie Compliance beinhaltet die regelkonforme Unternehmensführung. Regeln können dabei Gesetze und Verordnungen oder auch unternehmensinterne Vorschriften sein. Inhalt Das Ziel der Compliance ist die Wahrung der Legalität, und damit die Vermeidung von Haftungsfällen und Schadensersatz, sowie die Wahrung der Legitimität, zur Sicherung der Akzeptanz und der Reputation bei den Stakeholdern. Förschler definiert Compliance als „ein Verhaltenskonzept zur Sicherstellung der Konformität aller Entscheidungen und Handlungen der Beschäftigten eines Unternehmens mit den geschützten Rechtspositionen und relevanten Interessen aller unternehmerischen Stakeholder“ (Förschler 2021, S. 155). Bei den externen Anforderungen handelt es sich um Gesetze, Rechtsverordnungen, behördliche Genehmigungen und staatliche Abkommen. National können diese vom Gesetzgeber, von Ministerien und Behörden stammen, international von der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen. Die internen Vorschriften können konkretisierte und weiterreichende Vorgaben zur Einhaltung der Gesetze sein, welche den ethischen Wertvorstellungen der Unternehmensleitung und der Gesellschafter entspricht, oder die sich für das Unternehmen schlichtweg als nützlich erweisen. Die Selbstregulierung ergibt sich oftmals auch aus einem in der Vergangenheit beobachteten Fehlverhalten oder aus branchenspezifischen Befindlichkeiten. Banken und Versicherungen sind gesetzlich verpflichtet, ein systematisches Compliance-Management durchzuführen (Kreditwesengesetz, Wertpapierhandelsgesetz, Versicherungsaufsichtsgesetz). Für Aktiengesellschaften und GmbHs finden sich im Aktiengesetz und im GmbH-Gesetz Regelungen für Vorstände bzw. Geschäftsführer, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmanns anzuwenden. Die Unternehmensleitung ist für die Compliance verantwortlich und muss das Unternehmen so organisieren und beaufsichtigen, dass keine Regelverstöße vorkommen. Hierfür ist eine geeignete Compliance-Organisation und ein Compliance-Manage- <?page no="132"?> 132 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung ment-System zu errichten. Sind diese unzureichend, haftet das Unternehmen für Regelverstöße von Mitarbeitern. (vgl. Förschler 2021, S. 160) „Zur Unterstützung bei Fragen und Herausforderungen im Zusammenhang mit „Compliance“ hat Rheinmetall eine eigene Compliance-Organisation unter fachlicher Führung des Chief Compliance Officers eingeführt. Das Rheinmetall Compliance Management System hilft den Mitarbeitern, Führungskräften und weiteren Stakeholdern durch geeignete Regeln, Strukturen und Prozesse, die Aufklärung von Regelverstößen sowie eine service-orientierte Beratung mögliche Compliance-Risiken im operativen Tagesgeschäft bestmöglich zu vermeiden. Das Rheinmetall Compliance Management System wurde im Rahmen einer Zertifizierungsmaßnahme auf Basis des Prüfstandards IDW PS 980 ("Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance-Management-Systemen") von einem externen Wirtschaftsprüfer geprüft.“ (Quelle: Rheinmetall AG, in: https: / / www.rheinmetall.com/ de/ unternehmen/ compliance/ compliance-management-system, Abruf: 01.03.2024) Organisation Der Begriff Compliance (= Einhaltung, Regelbefolgung, Regelkonformität) hat sich auch im deutschen Sprachraum etabliert und zumeist findet man bei großen Unternehmen entsprechend bezeichnete Abteilungen und Funktionsbezeichnungen wie Compliancemanager. Die umfangreichen Anforderungen der Compliance haben dazu geführt, dass dies nicht mehr von einzelnen Managern nebenbei gesteuert werden kann, sondern auf spezialisierte Abteilungen übertragen wurde. Bei Banken und Versicherungen hat sich die Compliance als erstes etabliert, wobei die zahlreichen Regelverstöße in der Vergangenheit und auch die zunehmende Sensibilisierung der Öffentlichkeit hierfür ursächlich sind. Bei großen Banken, aber auch bei Konzernen wie Siemens, umfassen diese Abteilungen mehrere hundert Mitarbeiter. Mittlerweile hat sich die Compliance bei den meisten Großunternehmen über alle Branchen hinweg etabliert. Im Unternehmen werden Organisationseinheiten, Vorgaben, Schulungen und Kontrollen installiert, um die Compliance sicherzustellen. Wie beim Nachhaltigkeitscontrolling handelt es sich auch beim Compliancemanagement um eine Querschnittsfunktion. Insbesondere ist hiervon die Rechtsabteilung, die Interne Revision, das Controlling, die Personalabteilung, die Öffentlichkeitsarbeit und das Marketing betroffen. Teilweise sind auch der Datenschutz oder die Gleichstellungsbeauftragten in die Compliance integriert. In der Finanzbranche gehören zumeist auch die Geldwäschebeauftragten zur Compliance. Vergleichbar mit der internen Revision ist eine Compliance-Abteilung nur wirksam, wenn sie fachlich, organisatorisch und disziplinarisch unabhängig ist. Sie muss also unabhängig vom operativen Geschäft sein. Neben dem Aufstellen von Regeln, der Information und Schulung sowie der Überprüfung der Regeleinhaltung ist insbesondere auch die Beratungsleistung der Com- <?page no="133"?> 4.6 Typen von Nachhaltigkeitsstrategien 133 pliance-Manager bedeutsam. Sie werden beispielsweise in Projekte und in die Produktentwicklung eingebunden, um eine regelkonforme Ausgestaltung sicherzustellen. Die Kontrolle beinhaltet auch die Einrichtung eines sogenannten „Whistleblowing“- Systems, bei dem Mitarbeiter anonym Verstöße melden können. Was einstmals ein verachtenswertes „Petzen“ war, ist nun ein Schutz zur Sicherung der Regeltreue. Wurde in manchen Branchen das Ausnutzen von Gesetzeslücken oder ein ausgeklügeltes Verstecken von Regelverstößen noch als besonders schlau und geschäftig betrachtet, wandelt sich dies nun mit der Bedeutungszunahme der Compliance. Umsetzung Ausgangspunkt des Compliance-Managements ist eine Gefährdungsanalyse. Wo treten also besonders kritische Interessenskonflikte auf, die zu einem Regelverstoß führen könnten? Wo spielen Betriebsgeheimnisse oder Insiderinformationen eine wichtige Rolle? Wo können Bestechungen auftreten, wo können Sanktionen hintergangen werden oder wo kann Geldwäsche vorkommen? All diese Gefahren sind zu erfassen, regelmäßig zu aktualisieren und mit Maßnahmen zu versehen. Durch eine dezentrale Organisation und einer Integration von Compliance -Managern in den operativen Einheiten sollen die Regeln bekannt und akzeptiert sein. Hierdurch soll die Anzahl der Regelverstöße verringert und der Umfang an Prüfungen begrenzt werden. Beispiel Siemens Vorbeugen Erkennen Reagieren Compliance-Risikomanagement Ombudsmann Ahndung von Fehlverhalten Untersuchungen Richtlinien und Verfahren Schulung und Training von Mitarbeitern Meldewege über das Hinweisgebersystem „Tell-us“ Compliance-Audits Nachbereitung von Fällen globale Fallverfolgung Beratung von Mitarbeitern Tabelle 4.10: Siemens Compliance System (Quelle: Siemens AG 2022, in: https: / / new.siemens. com/ de/ de/ unternehmen/ nachhaltigkeit/ compliance.html, Abruf: 01.03.2024) Die DIN ISO 19600 ist ein internationaler Standard für Compliance-Management- Systeme. Dieser wird durch die ISO 37301, die im April 2021 erschien, ersetzt. Die Nutzung eines solchen Standards hat den Vorteil, dass kein eigenes Konzept entwickelt werden muss, das möglicherweise unvollständig ist. Der Standard stellt einen ganzheitlichen Orientierungsrahmen für die Implementierung, Entwicklung, Umsetzung und Verbesserung eines Compliance-Management-Systems dar. Die neue ISO 37301 unterscheidet sich dadurch, dass sie der Zertifizierung dient. <?page no="134"?> 134 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Abb. 4.5: Elemente eines Compliance-Management-Systems gemäß PS 980 (Quelle: eigene Darstellung, angelehnt an: Ernst & Young 2022, in: https: / / www.ey.com/ de_de/ tax/ wie-ein-tax-cmsvertrauen-schaffen-kann, Abruf: 01.03.2024) Auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW), die berufsständische Organisation für Wirtschaftsprüfer in Deutschland, hat mit dem Prüfstandard IDW PS 980 Elemente definiert, die ein Compliance-Management-System enthalten soll. Hierdurch erhält das Management einen Leitfaden, was unbedingt erfüllt sein muss oder was individuell ausgestaltet werden kann. Damit ist eine Einschätzung möglich, ob das System funktioniert und externen Anforderungen gerecht wird. Dies ist insbesondere als unabhängiger und objektiver Nachweis gegenüber Externen sowie zur Sicherung der Reputation bedeutsam. Die Standards machen das Compliance-Management-System dahingehend überprüfbar, ob es angemessen und wirksam ist. Eine positive Überprüfung ist bei der Auswahl geeigneter Geschäftspartner hilfreich und kann schließlich auch zur Begrenzung von Haftungsrisiken führen, wenn ein Unternehmen zur Sicherung der Compliance all das unternommen hat, was man üblicherweise erwarten kann. Insbesondere wirkt dies für den Vorstand und den Aufsichtsrat haftungsbeschränkend. Nahezu alle größeren Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bieten ihre Dienstleistungen mittlerweile auch im Compliance-Management an. <?page no="135"?> 4.6 Typen von Nachhaltigkeitsstrategien 135 Controlling und Compliance Eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Controlling und Compliance besteht im Rahmen der Zielbildung, der Planung und Steuerung sowie im Reporting. Das Controlling berücksichtigt, wie sich regulatorische Eingriffe auf Entscheidungsprozesse und auf die Geschäftsentwicklung auswirken. Das Controlling kann zudem die Auswirkungen von Compliance-Verstößen abschätzen und somit Schwerpunkte für das Compliance-Management setzen. In kleineren und mittelständischen Unternehmen, die häufig keine eigene Compliance-Abteilung besitzen, werden diese Aufgaben nicht selten gänzlich durch das Controlling übernommen. Effektivitäts-/ Konsistenzstrategie Bei der Konsistenz bzw. der Effektivität sollen bestehende Bedürfnisse mit insgesamt weniger Ressourcen, mit regenerativen Ressourcen oder ohne einen Ressourcenverlust befriedigt werden. Hierbei geht es um eine absolute Verbesserung ökologischer, sozialer oder ökonomischer Standards und nicht nur um eine Verringerung der negativen Auswirkungen je produzierter oder konsumierter Einheit, wie dies beim Effizienzkriterium der Fall ist. Das ökonomische, ökologische und soziale Kapital bleibt erhalten oder wird gesteigert. Es geht um die Frage, ob die richtigen Dinge getan werden. Beispiele Ökonomie Ökologie Soziales Konsistenz/ Effektivität Konzentration auf attraktive Geschäftseinheiten, Fokussierung auf Kernkompetenzen Senkung des gesamten Energieverbrauchs, Verringerung des gesamten Wasserverbrauchs, Verringerung des CO 2 -Verbrauchs für alle Geschäftsreisen Erhöhung Frauenanteil, Erhöhung der Anzahl an Ausbildungsplätzen, Verzicht auf Korruption Konsistenz in der ökonomischen Dimension „Economically sustainable companies guarantee at any time cashflow sufficient to ensure liquidity while producing a persistent above average return to their shareholders.“ (Dylick, Hockerts 2002, S. 133) In der Betriebswirtschaftslehre ist die Konsistenz über das Rechnungswesen und über die wertorientierte Steuerung verankert. Das viel zitierte Beispiel aus der Forstwirtschaft, dass nicht mehr Holz eingeschlagen werden soll als nachwächst, wird in der Bilanz offensichtlich. Ein Unternehmen, das den nutzungs- und altersbedingten Wertverlust des Anlagevermögens nicht durch Ersatzinvestitionen wieder aufbaut, verliert seine Substanz und geht seinem Ende entgegen. Im Rechnungswesen wird der Wertverlust in Form von Abschreibungen als Aufwand explizit erfasst. Diesen muss sich das Unternehmen wieder verdienen, weshalb die Abschreibungen in der Produktkalkulation anteilsmäßig eingepreist werden. Zumindest mittelfristig muss sich <?page no="136"?> 136 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung jedes Unternehmen durch seinen Erfolg im Markt refinanzieren können, um Ersatzinvestitionen zu tätigen. Vorrübergehend von außen finanzierte Investitionen müssen so erfolgreich sein, dass die externen Finanziers zukünftig durch Gewinnausschüttungen, durch Zinsen und Tilgung bezahlt werden können. Jedes Unternehmen muss aus der betrieblichen Tätigkeit heraus also ausreichend Geld erwirtschaften, um: ◼ Investitionen ◼ Gewinnausschüttung ◼ Zins und Tilgung bezahlen zu können. Der betriebswirtschaftliche Fachbegriff für dieses selbst erwirtschaftete Geld ist der Cashflow. Über die Jahre hinweg muss der Cashflow ausreichend groß sein, um Investitionen zu tätigen und damit die Zukunft des Unternehmens zu sichern, um die Eigentümer durch attraktive Gewinnausschüttungen zufrieden zu stellen und um Zins- und Tilgungsverpflichtungen nachzukommen. Ein nachhaltig erfolgreiches Unternehmen muss für die drei genannten Verwendungsarten langfristig ausreichend hohe Cashflows erwirtschaften. Auch in den modernen, wertorientierten Steuerungskonzepten wird der Erfolg eines Unternehmens durch die Höhe der langfristig erwarteten Cashflows gemessen. Um diese zukünftigen Cashflows in einer griffigen Zahl auszudrücken, werden diese diskontiert und zu einem Barwert aufaddiert. Der Barwert aus dem Anteil der zukünftigen Cashflows, die an die Eigentümer ausbezahlt werden könnten, wird als Shareholder Value bezeichnet. Kurzfristig könnten die Gewinnausschüttungen durch einen Verzicht auf lukrative Investitionen zwar gesteigert werden, dies würde aber zu Lasten des zukünftigen Erfolgs gehen und den Shareholder Value verringern. Da der Shareholder Value alle zukünftigen Gewinnausschüttungen enthält, ist er resistent gegen kurzfristig attraktive, aber langfristig schädliche Maßnahmen. Der Shareholder Value kann somit, aus ökonomischer Sicht, die Werterhaltung bzw. -steigerung messen und damit den nachhaltigen Erfolg sichern. Auch wenn der Shareholder Value in der öffentlichen Diskussion oft missverstanden und mit einer rein kurzfristig ausgerichteten Unternehmenssteuerung gleichgesetzt wird, ist er tatsächlich ein ökonomisches Maß für eine langfristig ausgerichtete Unternehmenssteuerung. Zur Sicherung der ökonomischen Konsistenz ist eine nachhaltige Strategie danach auszurichten, dass die Cashflows langfristig gesteigert werden. Der Shareholder Value erhöht sich aber nicht nur durch höhere zukünftige Cashflows, sondern auch durch einen geringeren Kalkulationszinssatz. Diesen kann das Unternehmen verringern, indem es keine unkalkulierbaren Risiken eingeht. Beherrschbare Risiken und langfristige Erfolge im Markt erhöhen den Shareholder Value und die ökonomische Konsistenz. Konsistenz in der ökologischen Dimension „Ecologically sustainable companies use only natural resources that are consumed at a rate below the natural reproduction, or at a rate below the development of substitutes. <?page no="137"?> 4.6 Typen von Nachhaltigkeitsstrategien 137 They do not cause emissions that accumulate in the environment at a rate beyond the capacity of the natural system to absorb and assimilate these emissions. Finally they do not engage in activity that degrades ecosystem services.“ (Dylick, Hockerts 2002, S. 133) Eine Wirtschaft ist ökologisch konsistent, wenn die Einwirkungen der Unternehmen und Menschen auf die Umwelt nicht im Konflikt mit den natürlichen Abläufen stehen. Die menschlich verursachten Stoff- und Energieströme vertragen sich also mit der Natur. Die Technosphäre, die vom Menschen hervorgebrachte technische Umgebung, passt sich der Biosphäre, der natürlichen Umgebung, an. Die Natur ist dabei die Referenz für die Technik. Sie hat sich bewährt, ist dauerhaft, also nachhaltig, und befindet sich im Gleichgewicht. Aus einer Orientierung an der Natur können wichtige Erkenntnisse für eine ökologisch nachhaltige Produktions- und Wirtschaftsweise gewonnen werden. Insbesondere betrifft dies die Vorstellung von geschlossenen Kreisläufen. Da die Erde begrenzt ist, was ihre Ressourcen und die Aufnahmefähigkeit von Emissionen betrifft, muss dies auch in der Wirtschaftsweise berücksichtigt werden. Unbegrenzt ist einzig die der Erde zugeführte Sonnenenergie. Daneben sind noch die Kreativität und die Lösungskompetenz der Menschen unbegrenzt. Allerdings wäre es eine bedenkliche Strategie, sich darauf zu verlassen, dass bei einer ökologischen Katastrophe schon noch jemandem rechtzeitig was einfallen wird. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft sind Produkte so zu gestalten, dass keine Abfälle in Form nicht mehr nutzbarer, nur minderwertig nutzbarer oder gar schädlicher Stoffe entstehen. Dies gilt für die Herstellung, die Nutzung und das Recycling der Produkte. Das Ziel eines völlig abfallfreien Wirtschaftskreislaufs wurde in den letzten Jahren unter dem von dem deutschen Chemieprofessor Michael Braungart und dem amerikanischen Architekten William McDonough entwickelten „Cradle-to-Cradle-Ansatz“ bekannt. Es finden sich bereits einige Unternehmen, die ihre Produkte auf Basis dieses Ansatzes entwickeln. Abfallfreie, geschlossene Kreisläufe führen zu einer vollständigen ökologischen Konsistenz. „Weniger schlecht ist nicht gut“ (Braungart, McDonough 2014, S. 59) Cradle to Cradle, also „von der Wiege bis zur Wiege“, ist eine bewusste Abgrenzung von Cradle to Grave, bei dem das Produkt „von der Wiege bis zur Bahre“ betrachtet wird. Dies ist eben kein geschlossener Kreislauf, sondern es entstehen Abfälle, die möglichst begrenzt werden sollen. Dabei wird auf jeder Ebene versucht, effizient zu sein: es sollen weniger Rohstoffe eingesetzt werden, Energie wird eingespart und Emissionen werden verringert. Der Ressourcenverbrauch und die Umweltbelastung werden somit begrenzt, aber nicht vermieden. Begrenzte, nicht erneuerbare Ressourcen, sollen in der Konsistenzstrategie aber nicht rationiert werden. Dies geschieht bei der Suffizienz (vgl. von Hauf 2011, S. 21). Die Konsistenz sichert einen dauerhaften Zustand, ohne dass Einschränkungen bei der Produktion und beim Konsum notwendig sind und ohne dass effizient produziert werden muss. Als Beispiel sei hierfür ein Kirschbaum genannt. Dieser bringt tausende Blüten und Früchte hervor, belastet <?page no="138"?> 138 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung damit aber nicht die Umwelt. Was zu Boden fällt sind wichtige Nährstoffe für Tiere und Pflanzen. Im Grunde ist die Natur hierbei äußerst ineffizient. Durch den geschlossenen Kreislauf besteht aber Konsistenz und vollständiger Effektivität. Effizienz ist hierbei irrelevant. Beispiele Metalle oder Kunststoffe werden nicht so verarbeitet, dass Hybride entstehen, die später nicht mehr getrennt werden können. Diese könnten allenfalls in Form des Downcyclings einer minderwertigen Nutzung zugeführt werden. Nicht mehr benötigte Kleidung, Verpackungen oder Waschmittel werden als biologisch abbaubare Produkte entwickelt und somit wieder in den biologischen Kreislauf zurückgeführt. Als Energiequellen werden keine endlichen Ressourcen genutzt, sondern ausschließlich erneuerbare Energien, die direkt oder indirekt von der Sonne stammen. Auch wenn eine Produktentwicklung auf Basis des Cradle-to-Cradle-Ansatzes schwieriger und oft noch nicht vollständig umsetzbar ist, stellt dieser eine bedeutsame und zukunftsträchtige Basis zur Sicherung der ökologischen Konsistenz dar. Interessant ist hierbei, dass bei einer vollständigen Konsistenz die Suffizienz und Effizienz irrelevant sind. Investitionen in die Konsistenz erübrigen somit Investitionen in die Effizienzsteigerung und führen auch nicht zu Einschränkungen im Konsum, was oftmals als Bevormundung wahrgenommen wird und die Umsetzung der Nachhaltigkeit in der Praxis erschwert. Das Nachhaltigkeitsmanagement kommt somit aus der restriktiven Ecke heraus und wird ein spannendes, positiv besetztes und kreatives Handlungsfeld. Konsistenz in der sozialen Dimension „Socially sustainable companies add value to the communities within which they operate by increasing the human capital of individual partners as well as furthering the societal capital of these communities. They manage social capital in such a way that stakeholders can understand its motivations and can broadly agree with the company’s value system.“ (Dylick, Hockerts 2002, S. 133) In der sozialen Dimension sind die an das Unternehmen formulierten Erwartungen häufig der Konsistenz zuzuordnen. So dürfte es etwa kaum als ernst zu nehmendes Ziel gelten, dass je Millionen Euro Umsatz weniger Korruptionsfälle stattfinden sollen. Diese Kennzahl würde selbst dann besser, wenn die Anzahl der Korruptionsfälle zwar insgesamt steigt, der Umsatz aber noch stärker ansteigt. Üblicherweise wird die Erwartung formuliert, dass Korruption, unabhängig vom Umsatz, gänzlich unterlassen wird. Genauso wenig wird ein Rückgang der Arbeitsunfälle je Millionen Euro Umsatz als Erfolg gefeiert, wenn die Anzahl der Arbeitsunfälle insgesamt gestiegen ist, nur eben schwächer als der Umsatz. Inhalte der sozialen Nachhaltigkeit, die gänzlich vermieden werden sollen, wie Verstöße gegen Menschenrechte oder Kinderarbeit, sind der Konsistenz zuzuordnen. <?page no="139"?> 4.6 Typen von Nachhaltigkeitsstrategien 139 Generell erweist sich die Unterscheidung zwischen Effizienz und Konsistenz in der sozialen Dimension als weniger bedeutsam im Vergleich zur ökologischen Dimension. Es gibt Inhalte, die typischerweise als relative Verbesserungen in der Kategorie der Effizienz gemessen werden, bei anderen ist nur eine absolute Verbesserung vertretbar. Auf der Ebene relativer Verbesserungen sind beispielsweise zu nennen: ◼ Fluktuation ◼ Krankenstand ◼ Mitarbeiterzufriedenheit ◼ Förderung der Work-Life-Balance ◼ öffentliche Reputation Daneben gibt es Inhalte, bei denen in der Regel nur eine absolute Verbesserung oder gar eine völlige Vermeidung als sinnvoll erscheint. Beispiele für solche Fälle der Konsistenz sind: ◼ ausschließliche Zusammenarbeit mit Lieferanten, die Sozialstandards erfüllen ◼ keine Korruption ◼ keine Kinderarbeit ◼ keine schweren Arbeitsunfälle ◼ keine Diskriminierung In diesen Fällen besteht ein enger Zusammenhang zur Compliance, also zu einem regelkonformen Management, welche im vorherigen Abschnitt behandelt wurde. In der obigen Formulierung der Anforderungen an eine soziale Nachhaltigkeit von Dyllick und Hockerts wird die Erhöhung des Humankapitals und des Sozialkapitals gefordert. Unter dem Humankapital versteht man das natürliche sowie das durch Ausbildung erworbene Leistungspotenzial einer Person. Die Konsistenz bzw. die Steigerung des für das Unternehmen nutzbaren Leistungspotenzials liegt im ureigenen Interesse des Unternehmens. Die Knappheit an qualifizierten Fachkräften und die Auswirkungen des demographischen Wandels verstärken den Bedarf, das Humankapital zu steigern. Ökonomische und soziale Ziele sind hierbei häufig gleichgerichtet. Maßnahmen sind beispielsweise eine systematische Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter, der Schutz vor einseitiger Arbeitsbelastung und Überlastung, die Förderung der Work-Life-Balance oder ein betriebliches Gesundheitsmanagement. Das Sozialkapital stellt den Wert der sozialen Beziehungen in einer Gemeinschaft dar. Maßgeblich ist hierbei insbesondere das Vertrauen zwischen den einzelnen Akteuren. Wie vertrauensvoll gehen Mitarbeiter und Führungskräfte miteinander um, wie verlässlich sind die Vorgaben der Gesellschafter und können sich Geschäftspartner auf Zusagen des Unternehmens verlassen? Eine solide Vertrauensbasis verschafft einem Unternehmen erhebliche Vorteile. Es erleichtert oder ermöglicht überhaupt erst eine Zusammenarbeit. Kurzfristige Vorte ile durch das findige Ausnutzen einer Vertragslücke, die Verschleierung von Informationen in <?page no="140"?> 140 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Verhandlungen oder eine allein auf Marktmacht beruhende Vorteilsnahme vernichten Sozialkapital. Suffizienzstrategie „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“ Mahatma Gandhi Suffizienz stammt vom lateinischen sufficere und bedeutet ausreichen, genügen. Eine suffiziente Wirtschafts- und Lebensweise ist durch weniger Konsum, weniger Produktion, einen geringeren Ressourcenbedarf und durch weniger negative Effekte auf die ökologische und soziale Umwelt geprägt. Im Vergleich zur Steigerung der Effizienz und der Effektivität stellt die Suffizienz einen deutlichen Eingriff in eine am Wachstum ausgerichtete Unternehmenspolitik dar. Auch in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags wurde kritisch diskutiert, ob mit der Begründung der Suffizienz in die freie Entscheidung der Unternehmen und Konsumenten eingegriffen werden solle. Es wurde bezweifelt, ob man den Lebensstil in der Breite der Bevölkerung überhaupt verändern könne (vgl. Enquetekommission 2013, S. 714f.). Andererseits steht dem insuffizienten Verhalten des einen auch das Recht des anderen gegenüber, von den dadurch verursachten negativen externen Effekten verschont zu werden. Auch in den Medien fallen schnell Ausdrücke wie Bevormundung und Gängelung. Suffizienz ist aber nicht nur ein Verzicht, sondern kann in Form einer Umstellung von Lebens- und Arbeitsweisen auch als bereichernd wahrgenommen werden. Insgesamt scheint es für Unternehmen und auch für die Betriebswirtschaft nicht sonderlich interessant zu sein, eine Suffizienzstrategie zu entwickeln (vgl. Schneidewind 2012, S. 68). Diese Bedenken teilt auch Friedrich Schmidt-Bleek, Mitgründer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie: „Wie gestalten wir eine Wirtschaft, die auch mit radikal weniger Ressourcen profitabel arbeiten kann, Spaß macht und zukunftsfähige Wohlfahrt erzeugt? Wo sind die Bilder mit der Aussicht auf Lebensqualität, Sicherheit, und Gesundheit trotz radikal geringerer Ausbeutung des Planeten Erde? “ (Schmidt-Bleek 2014, S.40). Im Nachhaltigkeitsmanagement bietet Suffizienz den Vorteil, dass jegliche Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz und der Effektivität hinfällig werden. Wenn ein Produkt nicht mehr nachgefragt und auch nicht mehr hergestellt wird, erübrigen sich sämtliche Maßnahmen zur Sicherung der Effizienz und Effektivität. Andererseits erfordert Suffizienz eine Anpassungsbereitschaft. <?page no="141"?> 4.6 Typen von Nachhaltigkeitsstrategien 141 Mögliche Maßnahmen der Suffizienz können sein: Beispiele Ökonomie Ökologie Soziales Suffizienz Angebot von Share-Konzepten anstatt Verkauf einzelner Produkte: Car- Sharing, Mitfahrzentralen, Mitwohnzentralen, Musikportale, gemeinsame Softwarenutzung, Maschinenringe in der Landwirtschaft weniger Geschäftsreisen, Angebot langlebiger Produkte, gemeinschaftliche Nutzung von- Produkten, reparaturfreundliche Produkte, günstige Ersatzteilversorgung Verringerung der Arbeitsbelastung und der Arbeitszeiten, familiengerechte Arbeitszeitmodelle, Aufwertung nicht betrieblicher Tätigkeiten Seit Jahren gibt es aus der Gesellschaft und auch aus der Wissenschaft heraus die Forderung an die Politik, die wachstums- und konsumorientierte Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik umzustellen und einen Wertewandel einzuleiten. Thematisiert werden etwa die „Postwachstumsgesellschaft“ oder die „Gemeinwohlökonomie“. Diese werden getragen von der Überzeugung, dass Lebensqualität weniger vom Konsum abhängt als von der Nachhaltigkeit. „Wie sich mehr Suffizienz konkret erreichen lässt, ist allerdings eine schwierige Frage ... Solange die Wirtschaft grundsätzlich auf Wachstum ausgerichtet ist und ohne Wachstum in Schwierigkeiten gerät, lassen sich die Tretmühlen zwar verlangsamen, aber nicht beseitigen ... Und diese stehen nun mal der Suffizienz im Weg, da sie dazu führen, dass das Glück von materiellem Konsum systematisch überschätzt wird. Dieser Widerspruch zwischen inhärenter Wachstumsdynamik der heutigen Wirtschaft und Suffizienz ist die wirklich zentrale Herausforderung.“ (Binswanger 2013, S. 55f.). Die Suffizienz hat unter dem Stichwort der „Sharing-Economy“ an Bedeutung und an Attraktivität gewonnen. Im Rahmen der digitalen Transformation wurden verschiedene Sharing-Konzepte entwickelt, die zum Teil außerordentlich erfolgreich sind: Carsharing, Wohnungs-Sharing, Tauschbörsen, Crowdfunding und weitere. Bei diesen ist nicht der Besitz, sondern die Nutzung entscheidend. Der US-amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin bezeichnete die Sharing Economy als das erste neue Wirtschaftssystem seit der Entstehung von Kapitalismus und Sozialismus. Zwar ist die Suffizienz ein wesentlicher Motivator für die Entwicklung vieler Angebote, doch ob diese tatsächlich suffizient sind, ist in den meisten Fällen noch zu belegen. Teils sind Reboundeffekte zu beobachten, wenn etwa durch das Wohnungs-Sharing Wohnungen zwar weniger leer stehen und besser genutzt werden, dadurch aber vermehrte Reisen und ein erhöhtes Flugaufkommen verursacht wird. <?page no="142"?> 142 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Ansatzpunkte für Suffizienz-Geschäftsmodelle Ziel „Vermeidung“ - Mobilitätskonzepte und Car-Sharing-Angebote insbesondere für Metropolen mit sehr hoher Verkehrsdichte und teuren Parkplätzen - Contracting-Modelle bei denen die Investitionskosten durch eine Aufteilung der ersparten Verbrauchskosten bezahlt werden (z.B. Energie-Contracting mit der energetischen Sanierung von Fabrikgebäuden) - Leasing- und Mietangebote für Produkte, die von mehreren genutzt werden können Ziel „Reduzierung“ - Slow Food statt Fast Food - Erhöhung der Lebensdauer von Produkten, Erleichterung der Reparatur, Aufbau einer Service-Infrastruktur, Angebot einzelner Ersatzteile anstatt umfangreicher Module - Förderung einer längeren Nutzungsdauer durch die Möglichkeit der Aktualisierung (neue Software, Austausch abgenutzter Komponenten) Ziel „Regionalisierung“ regionale Herstellung und Beschaffung Ziel „dem Markt entziehen“ - Open-Source-Entwicklung von Software - Reparaturläden und -kurse (Quelle: Schneidewind 2012, S. 86; dies basiert auf Arbeiten von Sachs 1993 und Paech 2009) Im ethischen Sinne der Nachhaltigkeit hat ein Unternehmen auch verantwortlich mit Werbung und absatzsteigernden Maßnahmen umzugehen. Eine Absatzsteigerung, die durch eine künstlich verkürzte Lebensdauer von Produkten verursacht wird, die durch kurze Garantiezeiten oder durch eine schlechte Reparierbarkeit und teure Ersatzteile forciert wird, verursacht unnötigen Ressourcenverbrauch, ohne dass ein Kundennutzen entsteht. Kritisch ist auch Werbung anzusehen, die neue Bedürfnisse erst weckt. Im Rahmen der Suffizienzstrategie ist die Verantwortung für die Auswirkungen der Werbung nicht ausschließlich auf die Konsumenten zu verlagern und durch die Konsumentensouveränität zu rechtfertigen. „Wohlstand ist, wenn man mit Geld, das man nicht hat, Dinge kauft, die man nicht braucht, um damit Leute zu beeindrucken, die man nicht mag.“ Alexander von Humboldt <?page no="143"?> 4.6 Typen von Nachhaltigkeitsstrategien 143 Effizienzstrategie Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz dominieren im betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagement. Gerade die Ökoeffizienz ist hierbei eine der zentralen Begriffe. „In their quest to find a single concept, perhaps a single word to sum up the business end of sustainable development… most firms have opted for eco-efficiency as their guiding principle“ (Dyllick, Hockerts 2002, S. 131). Die Ökoeffizienz ist ein gut verständliches Konzept und bietet durch seine methodische Nähe zur Betriebswirtschaft einen niedrigschwelligen Einstieg in das Nachhaltigkeitsmanagement. Neben der Ökoeffizienz gibt es auch die ökonomische Effizienz und die Sozioeffizienz. Das Ziel der Öko- und Sozioeffizienz ist, das Umwelt- und Sozialmanagement möglichst wirtschaftlich durchzuführen. Beispiele Ökonomie Ökologie Soziales Effizienz Optimierung bestehender Produkte und Dienstleistungen, Kostensenkung durch schlankere Prozesse, Verkürzung von Durchlaufzeiten Messung z.B.: Euro Wertschöpfung je Euro Kapitaleinsatz, Euro EBIT je Mitarbeiter Verringerung des Energieverbrauchs und des Ressourceneinsatzes je Produkt, weniger Benzinverbrauch je Fahrzeug Messung z.B.: Euro Wertschöpfung je Tonne CO 2 , Euro Deckungsbeitrag eines Produktes je Liter Abwasser Verringerung der Arbeitsunfälle je Mio. € Umsatz, Fluktuationsrate verringern, Verringerung der Beschwerdequote Messung z.B.: Euro Wertschöpfung je Arbeitsunfall, Euro EBIT je Beschwerde Die Effizienz misst einen Wirkungsgrad, der gesteigert werden soll. Eine Produktionseinheit oder ein bestimmter wirtschaftlicher Erfolg soll mit einem geringeren Ressourceneinsatz, mit weniger verursachten Schäden oder mit weniger Energieeinsatz erzielt werden. Der Quotient von Output zu Input soll gesteigert werden. Bestehende Produkte und Prozesse werden optimiert. Es geht im Sinne Peter Druckers darum, die vorgegebenen Dinge richtig zu tun. Der Ressourcen- und Energieeinsatz je hergestellter Einheit soll abnehmen, was zu einer relativen Entkopplung führt. Erst bei einer absoluten Entkopplung, bei der der Ressourcenverbrauch trotz Wachstum abnimmt, verringert die Belastung tatsächlich. Die reine Betrachtung der Effizienz reicht damit nicht aus, um negative Auswirkungen auf das ökologische und soziale Umfeld tatsächlich zu verringern. Natürlich ist Effizienz besser als Ineffizienz, aber für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele sind absolute und nicht nur relative Verbesserungen notwendig. Um den Zustand der Umwelt zu verbessern, kommt es auf den CO 2 -Ausstoß, ... insgesamt an und nicht darauf, ob der CO 2 -Ausstoß aus einem effizienten oder ineffizienten Prozess erfolgt. <?page no="144"?> 144 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Beispiel Zwischen 2022 und 2024 haben sich die produzierten Einheiten und der CO 2 -Ausstoß folgendermaßen entwickelt: 2022 2024 Produktionsmenge 4.000 Einheiten 5.600 Einheiten CO 2 -Ausstoß 112.000 t 137.000 t War das Unternehmen effizient und auch effektiv? 2022 2024 CO 2 -Ausstoß / Produktionsmenge 28 t / Einheit 24,46 t / Einheit Das Unternehmen hat seine Öko-Effizienz gesteigert, da je Einheit weniger CO 2 verursacht wird. Effektiv war dies nicht, da der CO 2 -Ausstoß insgesamt gestiegen ist. Ohne die Effizienzsteigerung hätte der CO 2 -Ausstoß sogar 156.800 t (28 t/ Einheit  5.600 Einheiten) betragen. Er wäre somit um 19.800 t größer gewesen. In dieser Größenordnung wurde die Effizienz gesteigert. Wäre die Produktionsmenge nicht angestiegen, hätte sich aufgrund der gesteigerten Effizienz der CO 2 -Ausstoß auf 97.840 t verringert. Der Mengenanstieg um 1.600 Einheiten verursachte somit einen zusätzlichen CO 2 -Ausstoß in Höhe von 39.160 t. Dem Effizienzvorteil in Höhe von 19.800 t steht durch den Mengeneffekt ein erhöhter CO 2 -Ausstoß in Höhe von 39.160 t gegenüber. Der Mengeneffekt übersteigt den Effizienzeffekt um 19.360 t. Reboundeffekte In der ökologischen Dimension wurden in der Vergangenheit die Erwartungen gegenüber effizienzsteigernden Maßnahmen oftmals enttäuscht. Eine höhere Effizienz hat nur teilweise oder gar nicht zu geringeren Umweltbelastungen geführt. Ursache für den begrenzten Erfolg sind die Reboundeffekte. Bereits im 19. Jahrhundert stellte William Jevons fest, dass die aus technischem Fortschritt resultierende erhöhte Effizienz nicht zu einer Einsparung von Ressourcen, sondern sogar zu einem erhöhten Verbrauch führt (Jevons Paradoxon). Beispielsweise ist zu beobachten, dass der Wechsel von traditionellen Glühbirnen auf Energiesparlampen oftmals dazu führt, dass mehr Lichter installiert und diese länger benutzt werden. Und der Kauf eines verbrauchsärmeren Fahrzeugs verleitet wegen der geringeren Benzinkosten dazu, nun das Auto, anstatt die Bahn zu benutzen (in Japan wurde ermittelt, dass Käufer nach dem Wechsel auf ein Hybridfahrzeug etwa um das 1,6-fache mehr fahren, vgl. Santarius 2012, S. 11). Trotz schnellerer Fahrzeuge und einer besser ausgebauten Infrastruktur für den Nahverkehr sind die Fahrzeiten, um zur Arbeit zu kommen, nahezu gleichgeblieben. Die Effizienzvorteile haben dazu geführt, dass die Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort größer wurde und längere Arbeitswege in Kauf genommen werden. Der energie- <?page no="145"?> 4.6 Typen von Nachhaltigkeitsstrategien 145 effiziente Kühlschrank verleitet dazu, sich ein größeres Modell zu kaufen... Neben diesen direkten Reboundeffekten sind auch indirekte Effekte zu beobachten. So ermöglichen etwa die eingesparten Kosten nach einer energetischen Haussanierung jährlich eine zweite Flugreise. Die vorliegenden Studien zur Messung des Reboundeffekts gehen im Durchschnitt davon aus, dass mindestens 50% der Effizienzeinsparungen durch die Reboundeffekte zunichte gemacht werden (vgl. Santarius 2012, S. 4). Bedeutung der Effizienz Im Sinne des Ziels der Nachhaltigkeit, dass nicht nachwachsende Ressourcen auch möglichst nicht entnommen werden sollen oder dass die Emissionen nicht über der Aufnahmekapazität der Umwelt liegen dürfen, führt die Effizienz kaum zum Erfolg. Nur dort wo keine Konsistenz erreicht wird und wo die Bereitschaft zur Suffizienz nicht besteht, sollte ein vorerst nicht vermeidbarer Schaden durch die Steigerung der Effizienz wenigstens verringert werden. Startet man hingegen mit Effizienzmaßnahmen, werden die Anstrengungen dort gebündelt, wo sie eigentlich erst als letzter Schritt erfolgen sollten. Die Optimierung des Bestehenden steht somit im Zentrum, nicht deren Veränderung. Das finanzielle und personelle Engagement für diese Optimierung steht für die wesentlich bedeutsamere Konsistenz und Suffizienz nicht mehr zur Verfügung. Ein nachlassendes Engagement für die Nachhaltigkeit, nachdem der ganze Betrieb optimiert wurde, ist die Folge. Sieht man im Nachhaltigkeitsmanagement vor allem Effizienzsteigerung, sind die Maßnahmen bald ausgereizt und das Engagement lässt nach, ohne dass die Nachhaltigkeitsziele erreicht wurden. Effizienz sollte also der letzte Schritt im Nachhaltigkeitsmanagement sein und nicht der erste und schon gar nicht der Einzige (vgl. hierzu auch Baumgartner, Biedermann 2009, S. 13f.). Die dargestellten Strategieansätze verdeutlichen, dass ein Unternehmen einen übergeordneten strategischen Rahmen zur Umsetzung benötigt. Ist nicht klar abgestimmt, welche der Strategien jeweils mit welchen Zielen, Ressourcen und Maßnahmen vollzogen werden, sind Konflikte in der operativen Umsetzung wahrscheinlich. Die Nachhaltigkeitsstrategie sollte daher „aus einem Guss“ kommen. Die Koordination von Teilplänen ist eine klassische Aufgabe der Controller. Hier muss er aktiv werden, wenn das Unternehmen Nachhaltigkeitsziele verfolgt. Beispielhafte Fragestellungen sind: ◼ Durch welche Kombination der drei Teilstrategien Suffizienz, Konsistenz und Effizienz kann das Nachhaltigkeitsziel kurz-, mittel- und langfristig bestmöglich erreicht werden? ◼ Welcher Teilstrategie sind die bisherigen Maßnahmen der Nachhaltigkeit zuzuordnen und wie erfolgreich waren diese? ◼ Treten zwischen den drei Teilstrategien Konflikte auf und wie lassen sich diese lösen? ◼ Welche Reboundeffekte sind zu erwarten und wie lassen sie sich begrenzen? <?page no="146"?> 146 4 Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung Kapitel 4: Erkenntnisse Die Nachhaltigkeitsstrategie ist ein integrierter Bestandteil der Unternehmensstrategie und trägt dazu bei, die Vision zu erreichen. Ausgangspunkt der Strategieerstellung ist die Entwicklung einer Mission und Vision, die um die Nachhaltigkeit erweitert sind. Ein Nachhaltigkeitsassessment verschafft Transparenz über die Ausgangssituation im Unternehmen und bei den Stakeholdern. Der anschließende Stakeholderdialog verschafft Transparenz über die Themen, die den Stakeholdern in Bezug auf das Unternehmen bedeutsam sind und über die Auswirkungen des Unternehmens. Hieraus ergibt sich die Wesentlichkeitsmatrix. Diese enthält sämtliche, für eine nachhaltige Steuerung relevanten Handlungsfelder. Darüber hinaus ist für die Entwicklung einer Strategie das Unternehmensumfeld zu analysieren, wofür sich die PESTEL-Methode eignet. Schließlich lassen sich aus einer SWOT-Analyse Ansätze für Strategien generieren. Nachhaltigkeitsstrategien lassen sich nach vier Stoßrichtungen unterscheiden: - Compliance - Konsistenz - Suffizienz - Effizienz Die Compliance sichert Legalität und Legitimität und ist weitgehend unabhängig von den anderen Dreien. Die Konsistenz, Suffizienz und Effizienz sind teils komplementär, teils konfliktär. Die Entwicklung einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsstrategie erfordert die inhaltliche Ausgestaltung dieser drei Typen von Nachhaltigkeitsstrategien unter Beachtung ihrer Beziehungen zueinander. <?page no="147"?> 5 Nachhaltige Unternehmensentwicklung Lernziele Die Leser ◼ kennen die Bedeutung von Change-Prozessen und den Beitrag, den das Controlling hierfür leistet. ◼ können nachhaltige Geschäftsmodelle identifizieren und das Sustainable Business Model Canvas anwenden. ◼ sind sich der Bedeutung nachhaltiger Wertschöpfungsketten bewusst. Controller als Change Agent „Die regulatorischen Entwicklungen zur Nachhaltigkeit eröffnen neue Zukunftsperspektiven für Unternehmen. Für das Controlling mit seiner Expertise für Planung, Steuerung und Kontrolle der finanziellen Performance heißt es, den Aufgabenbereich um die Bewertung der Nachhaltigkeitsperformance zu erweitern. Dabei gilt es, das Thema Nachhaltigkeit über reines Reporting hinauszudenken und wirtschaftliche Ertragspotenziale über Geschäftsbereiche hinweg zu erschließen, bis hin zur Identifikation neuer nachhaltiger Geschäftsmodelle.“ (Valsight GmbH, in: https: / / valsight.com/ de/ anwendungsfaelle/ nachhaltigkeitscontrolling/ , Abruf: 02.03.2024) 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.2 <?page no="148"?> 148 5 Nachhaltige Unternehmensentwicklung Zahlreiche Unternehmen ergreifen nachhaltige Maßnahmen, um ihr bestehendes Geschäftsmodell abzusichern. Es werden Investitionen in Umweltschutzmaßnahmen getätigt, um gesetzliche Anforderungen zu erfüllen und um weiterhin produzieren zu können. Es werden Maßnahmen ergriffen, um die Reputation bei Stakeholdern zu sichern. Es wird Werbung und Öffentlichkeitsarbeit betrieben, es wird ein Nachhaltigkeitsbericht erstellt und es werden philanthropische Maßnahmen ergriffen, wie etwa die Unterstützung sozialer und kultureller Einrichtungen. Das kurzfristig Notwendige wird getan, um das Geschäftsmodell zu sichern. Solche Unternehmen betreiben kein strategisch ausgerichtetes Nachhaltigkeitsmanagement. Diese Kurzfristorientierung kann dazu führen, dass Erfolgspotenziale, die den längerfristigen Erfolg ermöglichen, nicht ergriffen und Marktchancen nicht realisiert werden. (vgl. Schaltegger u.a. 2020, S. 13ff.) Andere Unternehmen begegnen den Herausforderungen durch Innovationen. Es werden Geschäftsmodelle weiterentwickelt oder neue entworfen. Wertschöpfungsketten werden nicht nur optimiert, sondern nach dem Kreislaufprinzip neugestaltet. Die Bereitschaft für ausgeprägte Veränderungen basiert dabei entweder auf einer innovativen und chancenorientierten Unternehmenskultur, oder schlichtweg aus der Not, wenn das bisherige Geschäftsmodell zusehends erodiert. Letzteres trifft beispielsweise für die Energieversorger zu, da die fossile Energiegewinnung nur noch für eine begrenzte Anzahl an Jahren möglich ist. Zur Finanzierung der Innovationen mag eine vorübergehende Absicherung des bestehenden Geschäfts, und damit auch der Cashflows, notwendig sein. Ist ein Management jedoch einseitig kurzfristig orientiert, dominiert die Absicherung des bestehenden Geschäfts. Aufgaben der Controller Controller müssen den Veränderungsbedarf transparent machen. In welchem Umfang ist eine kurzfristige Absicherung angeraten und welche Investitionen sind zur Sicherung der Zukunft notwendig. Kurzfristig dominiert die Effizienz, längerfristig die Effektivität. Dieses Spannungsfeld ist weder für Controller noch für Manager neu. Um solche Veränderungsprozesse anzustoßen und zu begleiten, benötigen Controller neben ihrem Fachwissen ein umfangreiches Geschäftsverständnis, ein hohes Maß an Empathie und Konfliktfähigkeit. Das Management muss überzeugt und das Belohnungssystem muss an längerfristigen und nachhaltigen Zielen ausgerichtet werden. Veränderungen scheitern vor allem auf der Verhaltensebene. Mitarbeiter und Stakeholder sind nicht überzeugt, haben Bedenken und sehen Gefahren. Ein hilfreicher Ansatz zur Steuerung weitreichender Veränderungen in Unternehmen bietet das bereits aus den 1940er Jahren stammende Phasenmodell von Kurt Lewin. Nach Lewin sind in einem Veränderungsprozess drei Phasen zu beachten. Diese lassen sich durch Teilschritte noch verfeinern. Hierfür wird oftmals der Acht-Stufen-Prozess von Kotter genutzt (vgl. Sandt 2012, S. 4; Kotter 2015). Der Ansatz von Lewin und Kotter stellt sich folgendermaßen dar: <?page no="149"?> 5.2 Nachhaltige Geschäftsmodelle 149 Unfreeze: bestehende Denkmuster und Handlungsweisen werden hinterfragt, die Notwendigkeit von Veränderungen wird erarbeitet ◼ ein Gefühl für Dringlichkeit erzeugen ◼ eine Führungskoalition errichten ◼ Entwicklung einer Vision und Strategie ◼ Vision des Wandels kommunizieren Move: Veränderungen werden durchgeführt bzw. implementiert ◼ Mitarbeiter befähigen ◼ schnelle Erfolge erzielen Refreeze: der neue Zustand wird stabilisiert und institutionell verankert ◼ Erfolge konsolidieren, weitere Veränderungen einleiten ◼ neue Ansätze in der Kultur verankern Die acht Stufen des Phasenmodells betreffen nicht nur die Controller, aber es gibt typische Aufgabenschwerpunkte. Ein Schwerpunkt des Controllings liegt bei der Analyse und beim Aufdecken notwendiger Veränderungen. Die Analyse umfasst Veränderungen im Umfeld wie auch des eigenen Unternehmens. Aus zukünftig erwarteten höheren Anforderungen an die Nachhaltigkeit, etwa seitens der Kunden, der Kapitalgeber oder des Gesetzgebers, und dem Abgleich mit den Kompetenzen des Unternehmens, kann ein Anpassungsbedarf abgeleitet werden. Prognosen helfen dabei, die Dringlichkeit dieser Maßnahmen abzuschätzen. Hierfür muss das Management sensibilisiert und von der Notwendigkeit von Veränderungen überzeugt werden. Bei der Umsetzung der Maßnahmen sind die Controller für die Planung verantwortlich. Um die Veränderungsbereitschaft aufrecht zu erhalten, sollten auch kurzfristige Erfolge eingeplant werden. Die anschließende Stabilisierung, die Sicherstellung der weiteren Umsetzung und die Institutionalisierung des Neuen stellt einen weiteren Aufgabenschwerpunkt für die Controller dar. Hierbei spielt das laufende Reporting über alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit eine große Rolle. Controller können in der Rolle als Business Partner den Wandel hin zu einem nachhaltigen und innovativen Unternehmen somit wirksam unterstützen. Nachhaltige Geschäftsmodelle Geschäftsmodelle Ein Geschäftsmodell zeigt die wesentlichen Faktoren und Prozesse auf, wie die Wertschöpfung im Unternehmen erfolgt und der Erfolg sichergestellt wird. Das Modell soll dabei insbesondere drei Fragen beantworten: welchen konkreten Nutzen oder Mehrwert stiftet das Unternehmen, wie erfolgt die Wertschöpfung und wie werden Erträge generiert (vgl. Ahrend 2016, S. 8ff.). Die Kenntnis und das Verständnis des Geschäftsmodells sind eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Steuerung des Unternehmens. Das Modell verhilft auch Dritten, Investoren oder Geschäftspartnern, das <?page no="150"?> 150 5 Nachhaltige Unternehmensentwicklung Unternehmen zu verstehen und darauf basierend Entscheidungen zu treffen, etwa für eine Investition oder für eine Zusammenarbeit. Geschäftsmodelle erleichtern die Einordnung des Unternehmens und damit die Abschätzung typischer Schwerpunkte, kritischer Prozesse, Chancen und Risiken. Geschäftsmodelle sind vor allem ein Thema in der Unternehmens- und Beratungspraxis, werden seit einigen Jahren aber auch in der Wissenschaft diskutiert. Bedeutung erlangte dies vor allem seit der Verbreitung des Internets und dem Aufstieg von Unternehmen mit neuen, internetbasierten Geschäftsmodellen. Dabei traten Fragen auf, wie diese Unternehmen ihr Geld verdienen, welches die Kernaktivitäten sind oder über welche Kanäle die Kundenbeziehungen bestehen. Ansätze, wie man Modelle strukturieren kann, gehören zum Werkzeugkasten von Beratungsunternehmen und von Startups. Der seit einigen Jahren am häufigsten verwendete Ansatz zur Darstellung von Geschäftsmodellen ist das Business Model Canvas. Business Model Canvas Das Business Model Canvas wurde 2004 von dem Schweizer Alexander Osterwalder entwickelt und hat seither weltweit an Bedeutung gewonnen (vgl. Osterwalder, Pigneur 2011). Hierbei handelt es sich um eine Vorlage, ein Template, das aus neun Feldern besteht, welche als wesentliche Inhalte eines Geschäftsmodells gelten. Die Beschreibung der Felder ist recht eingängig und auch ihre Anordnung ist nachvollziehbar. Die visuelle Darstellung des Geschäftsmodells erleichtert das Verständnis und damit die Kommunikation bei der gemeinsamen Diskussion über ein Geschäftsmodell bei dessen Neu- oder Weiterentwicklung. Der abstrakte Begriff des Geschäftsmodells erhält einen sprachlichen Bezugsrahmen. Die Struktur ist relativ einfach, so dass in einem Workshop mit Hilfe des Templates und Haftnotizen rasch gemeinsam ein Geschäftsmodell erarbeitet werden kann. Nachfolgende Abbildung stellt das Business Model Canvas in seiner Grundstruktur dar. Die Inhalte der neun Felder sind durch knappe Fragen charakterisiert. Im Kern des Modells steht das Leistungsversprechen bzw. das Wertangebot. Rechts davon ist die Seite der Kunden und links ist die Seite der Leistungserstellung. Unten findet sich die finanzielle Ebene von Kosten und Erlösen. Ausgehend von der Leistung des Unternehmens und dem Nutzen für den Kunden werden die Kundensegmente, die Beziehungen und die Distributionskanäle zu den Kunden beschrieben. Die Leistung wird mit Hilfe von Schlüsselressourcen und wichtigen Partnern über die Kernaktivitäten erbracht. Das Business Model Canvas enthält somit die wesentlichen Faktoren einer Wertschöpfungskette, vom Lieferanten bis zum Kunden. Auf der linken Seite entstehen Kosten, auf der rechten Erlöse. Diese Ebene zeigt somit, wie und ob das Geschäftsmodell wirtschaftlich tragfähig ist. Das Business Model Canvas ist rein auf die wirtschaftliche Zielerreichung fokussiert. Dass durch die wirtschaftliche Betätigung auch Auswirkungen auf Stakeholder und auf die Umwelt entstehen, ist nicht Gegenstand des Modells. Dafür wird ein nachhaltiges Geschäftsmodell benötigt, das nach Schaltegger folgendermaßen definiert ist: <?page no="151"?> 5.2 Nachhaltige Geschäftsmodelle 151 Abb. 5.1: Business Model Canvas (Quelle: eigene Abbildung, angelehnt an Osterwalder, Pigneur 2011, S. 22ff.) Abb. 5.2: Geschäftsmodelle: ökonomisch sinnvoll und gesellschaftlich erwünscht (Quelle: angelehnt an Schreck 2015, S. 73 ) <?page no="152"?> 152 5 Nachhaltige Unternehmensentwicklung “A business model for sustainability helps describing, analyzing, managing, and communicating (i) a company’s sustainable value proposition to its customers, and all other stakeholders, (ii) how it creates and delivers this value, (iii) and how it captures economic value while maintaining or regenerating natural, social, and economic capital beyond its organizational boundaries.” (Schaltegger, Hansen, Lüdeke-Freund 2016, S. 6) Nachhaltige Geschäftsmodelle sind somit nicht nur ökonomisch erwünscht, sondern auch gesellschaftlich. In der Abbildung 5.2 finden sich diese im Quadranten I. Das Business Model Canvas hilft zwar, wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmodelle zu identifizieren, also die oberen von den unteren zu unterscheiden. Es ist aber nicht danach ausgerichtet, gesellschaftlich erwünschte von nicht erwünschten Geschäftsmodellen zu unterscheiden. Sustainable Business Model Canvas Um ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu entwickeln, muss das Business Model Canvas erweitert werden. Hierfür wurden in jüngerer Zeit mehrere Ansätze entwickelt. Eines davon ist das Sustainable Business Model Canvas. Dieser Ansatz erweitert das Business Model Canvas um vier Felder (dunkler eingefärbt) Abb. 5.3: Sustainable Business Model Canvas (Quelle: eigene Abbildung, angelehnt an Gruchmann u.a. 2018, S. 14 und am Fluorishing Business Canvas, in: http: / / flourishingbusiness.org/ thetoolkit-flourishing-business-canvas/ , Abruf: 02.03.2024) Auf der Seite der Leistungserstellung, links, wurden als natürliche Quellen die Ökosystemdienstleistungen und das Naturkapital ergänzt. Sobald Ressourcen aus der Natur entnommen werden oder in die Natur eingegriffen wird, sind diese beiden Felder hiervon betroffen. Bei der Entwicklung eines nachhaltigen Geschäftsmodells sind die verursachten Wirkungen somit von Beginn an zu beachten. Ebenfalls auf der lin- <?page no="153"?> 5.2 Nachhaltige Geschäftsmodelle 153 ken Seite findet sich die Governance, welche die Beziehungen zu Geschäftspartnern, Lieferanten und zur Umwelt regelt. Auf der rechten Seite, der Kundenseite, wurden die Kundensegmente um die Stakeholder ergänzt. Bei der Entwicklung des Geschäftsmodells sind nicht nur die Kundeninteressen zu beachten, sondern auch die der Stakeholder. Das bewährte Business Model Canvas wird durch diese Erweiterung hin zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell nicht eingeschränkt, sondern erfährt eine breitere Basis. Das Sustainable Business Model Canvas wirkt der Gefahr entgegen, dass ein Geschäftsmodell scheitert, weil zwar Kunden zufriedengestellt und die Kernaktivitäten beherrscht werden, Stakeholder aber negative Auswirkungen nicht akzeptieren oder elementare Governance-Regeln verletzt werden. Vorteilhaft für das Sustainable Business Model Canvas ist die Vertrautheit und Akzeptanz des Business Model Canvas in der Unternehmenspraxis. Durch die Erweiterung eines akzeptierten Modells fällt die Implementierung der Nachhaltigkeit leichter. Es existieren noch einige weitere Ansätze, die in der wissenschaftlichen Literatur diskutiert werden, bis heute aber noch eine geringe prakische Relevanz haben (vgl. Cardeal u.a. 2020; Fichter, Tiemann 2015; Joyce, Paquin 2016; Upward, Jones 2016). Archetypen nachhaltiger Geschäftsmodelle Um Transparenz über die verschiedenen Typen nachhaltiger Geschäftsmodelle zu verschaffen, haben Bocken u.a. (2014) durch eine umfassende Literaturstudie acht Archetypen nachhaltiger Geschäftsmodelle identifiziert. Diese können gemäß dem Schwerpunkt, wie Nachhaltigkeit umgesetzt wird, nach drei Gruppen unterschieden werden. Die Unterscheidungskriterien sind die Technologie, das Soziale und die Organisation. Die Typologie bietet eine Orientierung, wie das eigene Geschäftsmodell hin zur Nachhaltigkeit entwickelt werden kann (vgl. Bocken, Short, Rana 2014; Glinik, Vorbach 2019; Ahrend 2016, S. 72ff.; Hinrichs 2021, S. 109ff.). „Jede/ r einzelne von uns hat die Möglichkeit, mit Veränderungen im Konsumverhalten zu einer Nachhaltigkeitstransformation beizutragen. Doch den Unternehmen kommt in Anbetracht ihrer enormen Möglichkeiten eine Schlüsselrolle bei dieser Transformation zu. Unternehmen treiben technologische Innovationen wie die Skalierung und Kostenreduktion nachhaltiger Produkte genauso voran wie neue Geschäftsmodelle beispielsweise in Richtung Leasing und Services sowie einen Wandel weg vom Besitz von Produkten und hin zu deren gemeinsamer Nutzung. Zudem können Unternehmen und Sektoren neue Nachhaltigkeitstrends setzen und forcieren und das Konsumverhalten entsprechend beeinflussen. Sie können dabei auch ihre bestehende Kommunikations- und PR-Expertise für eine Beeinflussung in Richtung Nachhaltigkeit nutzen. Die Argumentation, dass Unternehmen lediglich auf den bestehenden Bedarf von Konsumenten an nicht nachhaltigen Produkten wie zum Beispiel SUVs reagieren, bedarf im Angesicht der Dringlichkeit nachhaltiger Veränderungen einer kritischen Überprüfung.“ (Holger Hoff, Klimaforscher, in: Raffel, Wörner 2021, S. 84) <?page no="154"?> 154 5 Nachhaltige Unternehmensentwicklung Abb. 5.4: Typen nachhaltiger Geschäftsmodelle (Quelle: eigene Abbildung, angelehnt an Bocken, Rana 2014, S. 48 und Glinik, Vorbach 2019, S. 14) Nachhaltige Wertschöpfungsketten Die Wertschöpfungskette beschreibt die Reihenfolge einzelner Produktionstätigkeiten eines Unternehmens. Die Aktivitäten werden dabei durch Prozesse konsistent miteinander verbunden. Jede Tätigkeit schafft Werte, verbraucht aber auch Ressourcen. Das Ergebnis dieser Tätigkeiten ist ein Produkt oder eine Dienstleistung. Aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive eines einzelnen Unternehmens zählen sämtliche Tätigkeiten, die das Unternehmen direkt beeinflusst, zur Wertschöpfungskette. In einem produzierenden Unternehmen reichen die Schritte von der Beschaffung über die Produktion bis zum Verkauf und Service. Aus einer nachhaltigen Perspektive greift diese Betrachtung zu kurz. Die Kette beginnt früher und endet später. Sie reicht von der Gewinnung der Rohstoffe, der Produktion, der Nutzungsphase bis zur Entsorgung oder zum Recycling. In dieser Kette können zahlreiche Unternehmen eingebunden sein, aber auch der Endverbraucher. Erst die nachhaltige Perspektive auf die Wertschöpfungskette kann Fragen etwa nach den Umweltbedingungen bei der Rohstoffgewinnung, nach den Arbeitsbedingungen in der Lieferkette, nach der Nutzungsdauer des Produkts, nach der Entsorgung oder dem Recycling beantworten. Die betriebswirtschaftliche und die nachhaltige Perspektive einer Wertschöpfungskette werden nachfolgend gegenübergestellt. Die unternehmensspezifische Wertschöpfungskette stammt von Michael Porter und ist ein in der Betriebswirtschaft weit <?page no="155"?> 5.3 Nachhaltige Wertschöpfungsketten 155 verbreitetes Instrument zur Analyse und Gestaltung der betrieblichen Tätigkeiten. Porter unterscheidet zwischen primären Aktivitäten, durch die für den Kunden direkt ein Mehrwert geschaffen wird, und unterstützenden Aktivitäten als Voraussetzung für die primären Aktivitäten. (vgl. Porter 2014, S. 61ff.) Abb. 5.5: Unternehmensspezifische Wertschöpfungskette (Quelle: Porter 2014, S. 64) In der betriebswirtschaftlichen Wertschöpfungskette wird erklärt, durch welche Tätigkeiten Werte geschaffen werden. Eine effektive und effiziente Organisation der Wertschöpfungskette führt zu einer möglichst großen Differenz zwischen Inputkosten und dem Erlös als Output. Die verdiente Marge ist somit das Ergebnis einer erfolgreichen Wertschöpfung. Bei dem von Peter Drucker entwickelten Wertschöpfungskettenkonzept steht der betriebswirtschaftliche Erfolg im Vordergrund. Bei der nachhaltigen Betrachtung von Wertschöpfungsketten sind nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen der Leistungserstellung, sondern auch die ökologischen und sozialen Konsequenzen zu betrachten. Dort wo negative Wirkungen auftreten, ist die Bezeichnung als Schadschöpfung passender. Aus Nachhaltigkeitssicht ist es somit zweckmäßig, das traditionelle betriebswirtschaftliche Verständnis der Wertschöpfungskette zu erweitern. Es werden nicht nur die Stufen eines Unternehmens betrachtet, sondern alle Stufen, die ein Produkt und seine Bestandteile stofflich durchlaufen. Und es werden nicht nur betriebswirtschaftlich relevante Wirkungen berücksichtigt, sondern sämtliche Wirkungen auf die Gesellschaft und Umwelt (vgl. Biermann, Erne 2020, S. 245f.). Die Nachhaltigkeit führt somit zu einer deutlich erweiterten Sicht auf die Wertschöpfung. Die Planung, Steuerung und Kontrolle der Wertschöpfungskette ist Gegenstand des operativen Nachhaltigkeitscontrollings im folgenden sechsten Kapitel. Die Unterschiede zwischen einer auf die wirtschaftlichen Ziele fokussierten Wertschöpfungskette und auf eine nachhaltige Wertschöpfungskette verdeutlicht nachfolgende Abbildung: <?page no="156"?> 156 5 Nachhaltige Unternehmensentwicklung Abb. 5.6: Unternehmensbezogene, wirtschaftliche Wertschöpfungskette vs. nachhaltige Wertschöpfungskette (Quelle: eigene Abbildung) „Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung fangen bei uns nicht erst in der Produktion an, sondern bereits bei der Rohstoffversorgung. Daher beschränken wir unsere Aktivitäten nicht nur auf uns selbst und unsere direkten Lieferanten, sondern diskutieren intensiv mit allen Beteiligten entlang der kompletten Wertschöpfungskette. Nur gemeinsam mit unseren Industriepartnern können wir Missstände beheben. Transparenz ist dabei die Grundvoraussetzung.“ (Francisco Javier Garcia Sanz, Volkswagen AG, bis 2018 Konzernvorstand für den Geschäftsbereich Beschaffung, in: UmweltDialog, 26.02.2018, https: / / www.umweltdialog.de/ de/ wirtschaft/ lieferkette/ 2018/ Volkswagen-verstaerkt-Regeln-fuer-einenachhaltige-und-soziale-Rohstoffbeschaffung.php, Zugriff: 02.03.2024) Kapitel 5: Erkenntnisse Im Controlling besteht eine hohe Transparenz über die aktuelle und zukünftige Ertragslage, über die Wettbewerbssituation und über die Wertschöpfung. Das Controlling als Querschnittsfunktion im Unternehmen ist daher geeignet, Veränderungsbedarfe zu identifizieren und Veränderungsprozesse zu initiieren und zu steuern. Mit steigender Bedeutung der Nachhaltigkeit gehen diese Veränderungen über eine Optimierung des Bestehenden hinaus. Die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle und die Gestaltung umfassender Wertschöpfungsketten sind Aufgaben der nachhaltigen Unternehmenssteuerung. <?page no="157"?> 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Lernziele Die Leser ◼ kennen die Bedeutung und die Methoden eines nachhaltigen Performance Measurement Systems. ◼ verstehen die Umweltkostenrechnung und die bedeutsamsten ökologischen Messkonzepte. ◼ wissen, wie soziale Leistungen gemessen werden können. ◼ verfügen über einen fundierten Überblick über ganzheitliche, die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit umfassende Messkonzepte. ◼ kennen die Einsatzzwecke der Nachhaltigkeitssoftware und die Chancen einer Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung. Bisher wurde dargestellt, wie die Nachhaltigkeit im Unternehmen normativ zu verankern, in der Vision zu integrieren ist und wie eine passende Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt wird. Jede Strategie muss operativ umgesetzt werden, wofür oftmals eine Sustainability Balanced Scorecard genutzt wird. Um Nachhaltigkeit zu steuern, müssen die verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen gemessen werden. Auf dieser Basis können Ziele und Maßnahmen geplant, die Zielerreichung beurteilt und Zielabweichungen analysiert werden. Darüber hinaus sind die Manager und die operativ Han- 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.2 <?page no="158"?> 158 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling delnden zu beraten, wie Nachhaltigkeitsziele bestmöglich erreicht werden und wie die verschiedenen Maßnahmen wirken. Dies sind typische Controlleraufgaben. Der Internationale Controller Verein befragte in seiner Studie zum Green Controlling die Controllingpraxis nach den größten Herausforderungen beim Aufbau und bei der Umsetzung ökologischer Controllinglösungen. Mit deutlichem Abstand dominierte hierbei die Messung der Nachhaltigkeit und, daraus folgend, die Schaffung von Transparenz (vgl. Internationaler Controller Verein 2011, S. 25f.). Dieses Kapitel schafft die Grundlage zur Operationalisierung der Nachhaltigkeitsstrategie. Zur Umsetzung der Strategie müssen in einzelnen Geschäftsfeldern, bei Produkten und in der Wertschöpfungskette Maßnahmen zur Steigerung der Nachhaltigkeit ergriffen werden. Die Entscheidung für einzelne Maßnahmen sowie die Beurteilung des Erfolgs setzt eine Messung voraus. Ökologische und soziale Nachhaltigkeitsleistungen werden durch ein nachhaltigkeitsorientiertes Rechnungswesen gemessen. Genau wie im betrieblichen Rechnungswesen, wo Kosten auf einzelne Produkte, Prozesse und Aktivitäten zugeordnet werden, um ökonomische Entscheidungen zu treffen, sind auch ökologische und soziale Kosten auf einzelne Produkte, Prozesse und Aktivitäten zuzuordnen, um ökologische und soziale Entscheidungen zu treffen. Hierfür steht eine Vielzahl an Instrumenten zur Verfügung. Ein allseits anerkannter Standard, der von der Mehrheit der Unternehmen in vergleichbarer Form genutzt wird wie das betriebliche Rechnungswesen, existiert noch nicht. Das Rechnungswesen deckt die ökonomische Dimension weitgehend ab. Für die ökologische und soziale Dimension existieren allenfalls in Teilbereichen bewährte Standards, wie etwa das Greenhouse Gas Protocoll zur Messung der Treibhausgasemissionen. Dabei ist das Umweltcontrolling keinesfalls neu. Hierzu liegen seit den späten 1980er Jahren grundlegende Ausarbeitungen vor. Die Vielfalt der Konzepte und teils uneinheitlich benutzte Begriffe erschweren das Verständnis und behindern die Transparenz. Nachfolgend wird der Blick auf umfassende Performance Measurement Systeme gerichtet, was mit einem Kennzahlensystem gleichgesetzt werden kann. Ein solches System bildet den Rahmen für den Einsatz verschiedener Messinstrumente. Im Anschluss werden mehrere praktisch bedeutsame Messinstrumente des Nachhaltigkeitscontrollings vorgestellt. Diese helfen dabei, Nachhaltigkeitsleistungen mess- und steuerbar zu machen. Zur operativen Steuerung der Nachhaltigkeit ist eine Softwareunterstützung unerlässlich. Am Ende dieses Kapitels wird daher ein Überblick über verschiedene Softwarelösungen gegeben. Zudem wird ein Blick auf moderne Entwicklungen der Data Science gerichtet, die in der Unternehmenssteuerung zunehmend Eingang finden und auch zur Steuerung der Nachhaltigkeit hilfreich sind. <?page no="159"?> 6.1 Performance Measurement System 159 Performance Measurement System Sustainability Balanced Scorecard In einer Untersuchung aus dem Jahre 2018 wurde festgestellt, dass zwar viele Unternehmen eine Nachhaltigkeitsstrategie formuliert haben, diese jedoch nicht systematisch umsetzen. Die Strategie findet sich nicht in den operativen Plänen wieder. Nachhaltigkeit befindet sich damit nur an der Oberfläche und bleibt wirkungslos. (vgl. Bernatzky, Endenich, Wömpener 2018, S. 221). Ein Instrument zur Umsetzung und zur Operationalisierung von Strategien ist die Balanced Scorecard (BSC). Diese wurde zu Beginn der 1990er Jahre von Robert Kaplan und David Norton entwickelt. Sie ist das bedeutsamste Instrument, um die Strategie mit der operativen Planung zu verbinden. Abb. 6.1: Schematische Darstellung der Balanced Scorecard (Quelle: Sailer 2012, S. 225) Der weltweite Erfolg der BSC liegt vor allem an der Dominanz finanzorientierter Steuerungskonzepte. Der Einsicht folgend, dass eine rein an Finanzergebnissen orientierte Steuerung unausgewogen ist, ergänzt die BSC die Unternehmenssteuerung um die Perspektive der Kunden, der Prozesse und der Potenziale bzw. Ressourcen, wie Abbildung 6.1 zeigt. Diese vier Perspektiven stehen nicht unabhängig nebeneinander, sondern in einer Ursache-Wirkungsbeziehung. Auf Basis geeigneter Potenziale und guter Prozesse können Kunden zufriedengestellt und damit auch finanzielle Ziele erreicht werden. Dieser Ablaufprozess wird öfters als sogenannte Strategy Map visualisiert. Werden diese <?page no="160"?> 160 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Perspektiven durch geeignete Kennzahlen unterlegt, kann das Unternehmen „ausbalanciert“ gesteuert werden (vgl. Hungenberg 2011, S. 314ff.; Sailer 2012, S. 224ff.). Die Sustainability Balanced Scorecard (SBSC) ist eine Weiterentwicklung der BSC, um den Anforderungen einer nachhaltigen Unternehmenssteuerung gerecht zu werden. Hierfür werden die am ökonomischen Ziel ausgerichteten Kennzahlen und Maßnahmen um ökologische und soziale Kriterien ergänzt. Damit werden sämtliche strategisch relevante ökonomische, ökologische und soziale Ziele benannt, durch geeignete Kennzahlen ausgedrückt und durch Maßnahmen unterlegt. Die Nachhaltigkeitsstrategie wird somit systematisch umgesetzt. Maßgeblich entwickelt wurde die SBSC durch Schaltegger und Dyllick im Rahmen eines Forschungsprojektes der Universitäten Lüneburg und St. Gallen, gemeinsam mit mehreren Unternehmen (vgl. Schaltegger, Dyllick (Hrsg.), 2002). Die SBSC ist eine der bekanntesten Instrumente des Nachhaltigkeitscontrollings. Dies liegt sicherlich auch schon an der Bekanntheit der BSC. Wer bereits die BSC nutzt, kann diese mit nicht allzu großem Aufwand um die „Sustainability“ erweitern. Damit ist die Nachhaltigkeit in das bestehende (ökonomische) Steuerungskonzept integriert. Der integrative Ansatz wurde vorangehend bereits als wesentlicher Erfolgsfaktor für eine nachhaltige Steuerung des Unternehmens erkannt. Zwei Ansätze zur Integration der Nachhaltigkeit in die BSC Die praktische Umsetzung der Nachhaltigkeit in der BSC kann auf zwei Weisen erfolgen. Zum einen kann die Nachhaltigkeit als fünfte Perspektive ergänzt werden, zum anderen können innerhalb der vier Perspektiven neben den ökonomischen Zielen jeweils auch ökologische und soziale Ziele benannt werden (vgl. Barth, Scheurer 2013, S. 230f.). Sofern ein Unternehmen bisher noch keinerlei Aktivitäten in der Nachhaltigkeit entfaltet hat, scheint erst Mal ein Treiber für dieses Thema notwendig zu sein. Genau wie erste Nachhaltigkeitsaktivitäten häufig als abgegrenzte Projekte starten und noch nicht in allen Abteilungen integriert sind, kann die Nachhaltigkeit als fünfte Perspektive in der BSC ergänzt werden. Damit gibt es einen Kümmerer für die Nachhaltigkeit. Ein neues Thema ist von der Person abhängig, die hierfür steht, wirbt und überzeugt. Die Einführung der Nachhaltigkeit verändert für viele Mitarbeiter die Basis, wie Entscheidungen getroffen werden und wie gehandelt wird. Dies ist weit mehr als ein Zusatzauftrag, der ab sofort zu beachten ist. Es wird, gerade zu Beginn, Unsicherheiten, Wissensmängel und Widerstände geben. Hierfür muss jemand da sein, der dies erkennt, thematisiert, der überzeugt und der Lösungswege aufzeigt. Die Ergänzung der Nachhaltigkeit als fünfte Perspektive sollte sich aber auf die Einführungsphase beschränken. Sobald die Anforderungen einer Steuerung der Nachhaltigkeit etabliert sind, sollte der integrative Ansatz gewählt werden, der in nachfolgender Abbildung dargestellt ist. <?page no="161"?> 6.1 Performance Measurement System 161 Abb. 6.2: Integrative Sustainability Balanced Scorecard (Quelle: eigene Abbildung) Ökologische und soziale Kriterien sind in die vier Perspektiven der SBSC jeweils integriert. Damit wird vermieden, dass ökologische und soziale Aspekte als eine separate Aufgabe angesehen werden, die „wegorganisiert“ ist und für die ein anderer verantwortlich ist. Die Nachhaltigkeit als eine Querschnittsfunktion betrifft sämtliche Bereiche des Unternehmens in den Kerntätigkeiten und kann deshalb nicht von einer zentralen Stelle durchgeführt werden (vgl. Hahn, Wagner, Figge, Schaltegger 2002, S. 60f.). In jeder Perspektive werden die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit beleuchtet. Es werden ökonomische, ökologische und soziale Ziele ausgewählt, geeignete Kennzahlen definiert und Maßnahmen benannt, die zur Zielerreichung führen. Die ökonomischen, ökologischen und sozialen Ziele der SBSC können oftmals direkt der Wesentlichkeitsmatrix entnommen werden. Beispielhaft könnten die vier Perspektiven mit folgenden Zielen belegt werden: Finanzperspektive Kundenperspektive Prozessperspektive Potenzialperspektive Ökonomie Rentabilität, Cashflow, Unternehmenswert Kundenzufriedenheit, Kundenbindung, Neukunden Produktivität, Durchlaufzeit, Ausschussquote Innovationsfähigkeit, Mitarbeiterzufriedenheit, Mitarbeiterqualifikation <?page no="162"?> 162 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Soziales freiwillige Sozialleistungen, Gewinnbeteiligung, Sozial- Sponsoring Produktsicherheit, Informationspolitik, sozialer Zusatznutzen Humanisierung der Arbeit, Arbeitsunfälle, Verbesserungsvorschläge Aus- und Weiterbildungsaufwand, Partizipationsgrad, Flexibilisierung der Arbeitszeit Ökologie Umweltschutzinvestitionen, Ressourcenkosten, Umweltsponsoring, Umweltabgaben Produktverantwortung, Rücknahme, Recycling, Langlebigkeit, Verkauf der Nutzung: Leasing, Miete Ressourcen-/ Energieeffizienz, Stoffströme, Flächennutzung Umwelt-F&E, umweltorientierte Mitarbeiterschulung Tabelle 6.1: Beispiele für Ziele in der SBSC Operative Planung Wie bereits dargestellt, ist das operative Nachhaltigkeitscontrolling keine vom traditionellen Controlling losgelöste Aufgabe. Das bestehende Controlling wird angepasst und erweitert und es werden keine Parallelprozesse errichtet. Ökologische und soziale Effekte entstehen durch die operative Leistungserbringung und müssen daher mit diesen geplant und gesteuert werden. So hat beispielsweise die Produktionsplanung unmittelbare Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit, weshalb sie integriert geplant werden müssen. Die Messung der Nachhaltigkeit findet in den operativen Prozessen der Leistungserbringung statt. Nur dort, wo der Energie verbraucht und Ressourcen eingesetzt werden, wo deutlich wird, welche Maßnahmen diese beeinflussen, kann der Controller die Zusammenhänge von Geschäftsbetrieb und Nachhaltigkeit erkennen und steuern. „Dabei ist es für die erfolgreiche Steuerung und langfristige Verankerung von ökologischen und sozialen Aktivitäten unerlässlich, sie in die Wertschöpfungs- und Leistungserstellungslogik des Unternehmens zu integrieren.“ (Schaltegger, Hörisch, Windolph, Harms 2012, S. 12). Die folgende Tabelle zeigt beispielhaft Controllingaufgaben in der Planung und Steuerung in den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit und deckt zugleich den Bedarf der Koordination zwischen diesen Dimensionen auf. Controllingprozesse Ökonomie Ökologie Soziales 1. Ziele planen Renditeziel CO 2 -Reduktionsziel Mindestlöhne in der Lieferkette Zielkonflikte aufdecken und klären 2. Maßnahmen planen günstige Rohstoffe beschaffen effizientere Maschinen einsetzen Lieferanten ausschließen, die sich nicht an Sozialstandards halten sich gegenseitig unterstützende und störende Maßnahmen aufdecken und klären <?page no="163"?> 6.1 Performance Measurement System 163 3. Transparenz verschaffen Werttreiberbaum aufstellen Ökobilanz aufstellen Nachhaltigkeitsrating der Lieferanten, Sozialbilanz transparenter, integrierter interner und externer Bericht, Verdeutlichung der sich fördernden und behindernden Faktoren 4. Koordination von Teilplänen Lagerkosten senken und Lieferfähigkeit sicherstellen, Produktionskosten senken und Qualität steigern CO 2 -arme Produktion und Produktionskosten senken Lieferanten mit hohen Sozialstandards und günstige Beschaffungskosten Abstimmung der Teilpläne innerhalb und zwischen den Dimensionen 5. Budgetierung Finanzbudget und Mitarbeiter je Kostenstelle CO 2 -Ausstoß je Kostenstelle, CO 2 - Budget je Produkt Weiterbildungsbudget Sponsoringbudget Koordination der verschiedenen Budgets: Finanzbudget, Investitionen in CO 2 -effiziente Maschinen, Weiterbildungsbudget, Beschaffungsbudget 6. Abweichungsanalyse Ist-Gewinn zum Plan-Gewinn Ist-CO 2 -Einsparungen zu geplanten Einsparungen geplante zu tatsächlicher Mitarbeiterzufriedenheit Ursache für Abweichungen innerhalb und zwischen den Dimensionen: Gewinn über Plan, aber CO 2 -Ziel verfehlt, weil günstige, aber CO 2 -intensive Vorprodukte beschafft wurden, Druck auf Mitarbeiter aufgrund schwacher Ergebnisziele führt zu geringerer Mitarbeiterzufriedenheit Tabelle 6.2: Controllingaufgaben in Planung und Steuerung in und zwischen den drei Nachhaltigkeitsdimensionen anhand von Beispielen Teilpläne und deren Beziehungen Die Unternehmensplanung setzt sich aus verschiedenen Teilplänen (z.B. Beschaffung, Fertigung, Vertrieb, ...) und Inhalten (z.B. Ergebnis, Investitionen, Personal, ...) zusammen. Zwischen den Teilplänen bestehen vielfältige Abhängigkeiten, die im Planungsprozess berücksichtigt werden müssen. Die Abstimmungsprozesse zur Erstellung eines stimmigen Gesamtplans kennt jeder Controller, der mit der Budgetierung befasst ist. Die folgende Abbildung enthält beispielhaft Teilpläne der operativen Planung sowie einige der bedeutsamen Beziehungen zwischen diesen. Hierbei sind neben dem wirtschaftlichen Ergebnis auch die Sozial- und Umweltziele integrierter Bestandteil der Planung. Das Controlling stellt die Zielerreichung sicher, koordiniert die Teilziele und klärt den Umgang mit Zielkonflikten. Es ist offensichtlich, dass die ökologischen und sozialen Pläne nicht aus dem Controlling herausgelöst und getrennt erstellt werden können. <?page no="164"?> 164 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 6.3: Teilpläne der operativen Planung und ihre Beziehungen (eigene Abbildung) Werttreiberbaum Nicht nur im Prozess der operativen Planung sind Sozial- und Umweltziele zu integrieren, auch im Steuerungs- und Kennzahlensystem. Aus diesem ergeben sich die Werttreiber und die Stellhebel, um die Ziele letztlich auch zu erreichen. Die einzelnen Kennzahlen werden somit in das Steuerungssystem logisch eingebunden. Beispielsweise können die von vielen Unternehmen benutzten ROI- oder Werttreiberbäume entsprechend erweitert werden. Wird der Return on Investment (ROI) als ökonomische Spitzenkennzahl des ROI-Treiberbaums durch den Sustainable Value erweitert, kann, wie nachfolgende Abbildung zeigt, ein umfangreicher Werttreiberbaum als nachhaltiges Kennzahlensystem aufgebaut werden. Hierbei werden die zahlreichen Interdependenzen zwischen den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit offensichtlich. Ein solcher Treiberbaum ist unternehmensindividuell aufzustellen, um die spezifischen Ziele, Produkte und Prozesse zu berücksichtigen. Eine sinnvolle Erweiterung wäre zudem die Ergänzung um Rückkopplungen. So wirkt beispielsweise die Mitarbeiterzufriedenheit nicht nur auf das Sozialziel, sondern auch auf die Fluktuation. Diese beeinflusst wiederum die Produktqualität und die Zuverlässigkeit, die ihrerseits den ökonomischen Erfolg beeinflussen. Wenn der unternehmerische Erfolg die Zufriedenheit der Mitarbeiter stärkt, ergänzen sich die verschiedenen Wirkungen. Es entsteht eine sich selbst verstärkende Schleife. Aus einem linearen Ursache- Wirkungsbaum, dem eine mechanistische Vorstellung des Unternehmens zugrunde liegt, entsteht ein dynamisches Ursache-Wirkungsnetz. Ein solches Modell kommt realen Zusammenhängen sehr viel näher, weshalb die daraus abgeleiteten Erkenntnisse und Empfehlungen in aller Regel auch bedeutsamer sind. Das Steuerungsmodell wird dynamisiert, wodurch zukünftige Entwicklungen simuliert <?page no="165"?> 6.1 Performance Measurement System 165 werden können. Dazu eignet sich die Nutzung von Modellierungssoftware, wie etwa der iModeler, Vensim oder Silico. Abb. 6.4: Treiberbaum für den Sustainable Value (eigene Abbildung) Links: iModeler https: / / www.know-why.net Vensim https: / / vensim.com Silico https: / / silico.app Beim Aufbau eines solchen Modells sollte nicht nach Vollständigkeit gestrebt werden, sondern nach Wesentlichkeit. Es müssen die wesentlichen Faktoren und Beziehungen erkannt und priorisiert werden. Wurde ein Ursache-Wirkungsnetz mit Hilfe einer Modellierungssoftware aufgebaut, können mittels Simulation bedeutsame Faktoren erkannt werden. Es lassen sich Faktoren identifizieren, die besonders stark oder schwach wirken und solche, die nur kurzfristig wirksam sind, während andere zwar langsam, aber dauerhaft wirken. Wie in einem Flugsimulator können Maßnahmen durchgespielt und deren Auswirkungen erkundet werden. Somit lassen sich die best- <?page no="166"?> 166 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling möglichen Maßnahmen zusammenstellen und deren Wirkungen fundiert abschätzen. Bis heute gibt es noch wenige Unternehmen, die ihr Steuerungs- und Kennzahlensystem hin zu dynamischen Ursache-Wirkungsmodellen entwickelt haben. Zumeist werden einfache, lineare Steuerungssysteme genutzt. Treibermodelle und Maßnahmenplanung Ein Treibermodell kann insbesondere in Planungsmeetings genutzt werden. Ausgehend von den bereits erwarteten Veränderungen einer Zielgröße, wie etwa der Emissionen, werden Maßnahmen diskutiert, die unmittelbar im Treibermodell abgebildet werden. Der Erfolgsbeitrag der diskutierten Maßnahme ist sofort ersichtlich und kann somit bewertet werden. Es ist so lange nach Maßnahmen zu suchen, bis dadurch der Zielwert erreicht wird. Nachfolgende Abbildung stellt am Beispiel des Emissionsmanagements dar, wie von den aktuellen Emissionen und den bereits erwarteten Änderungen ein Basisszenario erreicht wird. Die verbleibende Differenz zum Zielwert ist Gegenstand der Planung. Dabei ist von Vorteil, dass mit Fachexperten über konkrete Maßnahmen gesprochen wird und nicht abstrakt über Finanzgrößen. So wird beispielsweise mit dem Produktionsleiter darüber gesprochen, welche Maßnahmen zu welcher Emissionsreduktion führt und nicht, wie groß das Budget zur Einsparung von x Tonnen CO 2 sein muss. Abb. 6.5: Maßnahmenplan zur Emissionssenkung (Quelle: eigene Abbildung) bereits erwartete Veränderungen der Emissionen geplante Maßnahmen Emissionen aktuell Emissionsanstieg durch Wachstum bereits veranlasste Investitionen zur Emissionsminderung Basisszenario Maßnahme 1 Maßnahme 3 Maßnahme 2 Zielwert Abb. 4.8: Maßnahmenplan zur Emissionssenkung (Quelle: eigene Abbildung) <?page no="167"?> 6.1 Performance Measurement System 167 Nachhaltigkeitskennzahlen In diesem Abschnitt wird ein Überblick über die verschiedenen Arten von Indikatoren gegeben, mit denen Nachhaltigkeit gemessen werden kann. Dies stellt die Grundlage für die einzelnen Messkonzepte dar, die in 6.2 erläutert werden. Anforderungen an Nachhaltigkeitskennzahlen Ökonomische, ökologische und soziale Erfolge sind durch geeignete Indikatoren bzw. Kennzahlen zu messen. Generell sind Indikatoren geeignet, wenn sie eine Änderung der Zielgröße zuverlässig anzeigen. Der wirtschaftliche Erfolg wird etwa gleichgesetzt mit der Höhe des Gewinns oder der Kapitalrendite, der ökologische Erfolg wird mit einer Verringerung der Emissionen oder einer Erhöhung der Recyclingquote gemessen und der soziale Erfolg wird mit einer Verringerung der Fluktuationsrate oder durch eine geringe Beschwerdequote ermittelt. Diese Erfolgsgrößen haben also einen „Impact“ auf die tatsächliche Nachhaltigkeitsleistung des Unternehmens. Die Nutzung geeigneter Indikatoren hat verschiedene Vorteile: Es können beispielsweise Kennzahlen ausgewählt werden, die einen zeitlichen Vorteil bieten. Diese zeigen eine Änderung an, bevor sie in der Zielgröße ersichtlich wird, wodurch frühzeitig Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. So wird beispielsweise der Auftragseingang als Frühindikator für die Umsatzentwicklung genutzt. Bei schwächerem Auftragseingang können rasch absatzfördernde Maßnahmen ergriffen werden. Andererseits sind Kennzahlen oftmals transparenter als die Zielgröße, die gegebenenfalls nur schwer messbar ist. Die Entwicklung der Wiederholungskäufe oder die Anzahl eingegangener Kundenbeschwerden sind besser messbar als die Kundenzufriedenheit. Kennzahlen entlang der Wertschöpfungskette Um unternehmensweit relevante Indikatoren für die Nachhaltigkeit zu entdecken, bietet sich eine Analyse der Wertschöpfungskette an. Die Wertschöpfungskette umfasst alle unternehmensinternen Prozessschritte der Produktion bzw. der Dienstleistungserstellung. Entlang dieser können strukturiert nachhaltigkeitsrelevante Themen entdeckt werden. Neben den Primäraktivitäten, in nachfolgender Abbildung vertikal dargestellt, sind auch unterstützende Aktivitäten, horizontal dargestellt, enthalten. Eine Erweiterung dieser unternehmensinternen Perspektive um vor- und nachgelagerte Produktionsstufen, um die Nutzungsphase des Produktes bis hin zu Entsorgung und Recycling, ist ebenso möglich. Insbesondere beim Cradle-to-Cradle-Ansatz reicht eine Beschränkung auf die eigene Wertschöpfung nicht aus. Folgende Abbildung zeigt Beispiele für nachhaltigkeitsrelevante Aspekte innerhalb der betrieblichen Wertschöpfungskette. Um die Vielfalt der Nachhaltigkeitskennzahlen zu ordnen, werden bedeutsame Kriterien aufgezeigt, nach denen sich Kennzahlen unterscheiden lassen. <?page no="168"?> 168 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 6.6: Identifizierung von Nachhaltigkeitsthemen entlang der Wertschöpfungskette (Quelle: eigene Abbildung, in Anlehnung an Ries, Wehrum 2011, S. 29) Differenzierung nach der Position in der Wertschöpfungskette Ergebniskennzahlen Gemessen werden hierbei die konkreten Ziele, wie etwa der Gewinn, der CO 2 -Ausstoß oder die Anzahl der Arbeitsunfälle. Leistungstreiber Es werden Größen gemessen, die das Ergebnis maßgeblich beeinflussen. Bei diesen Faktoren besteht ein enger Wirkungszusammenhang zu den Nachhaltigkeitszielen. Die Leistungstreiber lassen sich oftmals in einem iterativen Prozess finden, wenn wiederholt festgestellt wird, dass sich diese und die Ergebnisgrößen synchron <?page no="169"?> 6.1 Performance Measurement System 169 verhalten. Leistungstreiber sind etwa die Produktivität, die Energieeffizienz bei energieintensiver Produktion, die Reputation und die Weiterbildungsbereitschaft der Mitarbeiter. Inputkennzahlen Auch bereits auf der Inputseite können nachhaltige Ziele verfolgt werden. Hierbei werden die eingesetzten Ressourcen gemessen. Diese sind oftmals besser erfassbar als die später im Wertschöpfungsprozess anfallenden Größen. Dies können im ökologischen Bereich die eingesetzten Rohstoffe, der Input an Energie oder auch der Anteil recycelter Rohstoffe, der Umfang eingesetzter regenerativer Energien oder die Anzahl biologisch hergestellter Vorprodukte sein. Im sozialen Bereich sind hier beispielsweise der Anteil fair gehandelter Rohstoffe, der Anteil der nach SA8000 zertifizierten Lieferanten oder die Ausgaben für den betrieblichen Gesundheitsschutz zu nennen. Differenzierung nach der Form der Bewertung Des Weiteren können Kennzahlen danach differenziert werden, wie die Bewertung vorgenommen wird: [1] qualitativ (z.B. Ausmaß der Akzeptanz der Verschmutzung durch Anwohner, technischer Stand der Umweltschutzmaßnahmen, Erfüllung der Anforderungen der Stakeholder, faire Behandlung der Lieferanten) [2] quantitativ - naturwissenschaftlich (z.B. Lärmbelastung in Dezibel, Feinstaubbelastung in µg/ m 3 , CO 2 -Ausstoß in Tonnen, Krankheitstage) [3] quantitativ - monetär (z.B. Entsorgungskosten, Energiekosten, Entschädigungszahlungen, Kosten für Verschmutzungsrechte, Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen) Ob ökologische und soziale Effekte in Geldeinheiten bewertet werden sollen, ist nach verschiedenen Kriterien abzuwägen: Vorteile einer Monetarisierung Nachteile einer Monetarisierung konsequentes Hinterfragen der Auswirkungen, genaue und verbindliche Daten werden eingefordert teils ist dies methodisch nicht möglich und täuscht nur eine Scheingenauigkeit vor Auswirkungen verschiedener Maßnahmen sind besser miteinander vergleichbar Glaubwürdigkeit leidet, wenn Werte beliebig oder gar manipuliert erscheinen <?page no="170"?> 170 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Verknüpfung mit dem betrieblichen Rechnungswesen, damit Nutzung vorhandener Tools, Methoden und IT-Werkzeuge verleitet zum Aufrechnen verschiedener Auswirkungen, widerspricht damit einer „starken Nachhaltigkeit“ einfachere Integration in das bestehende Steuerungssystem stärkere Wahrnehmung durch das Management Tabelle 6.3: Vor- und Nachteile einer Monetarisierung Im Sinne einer starken Nachhaltigkeit sind verschiedene ökologische und soziale Auswirkungen nicht substituierbar. Erfolg und Misserfolg können nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Innerhalb der ökologischen Dimension kann etwa ein erhöhter CO 2 -Ausstoß nicht mit einer Verringerung der Abwassermenge aufgewogen werden. Zwischen der ökologischen und der ökonomischen Dimension kann ebenfalls ein erhöhter CO 2 -Ausstoß nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Gewinn noch stärker angestiegen sei. Ebenso wenig entschädigt eine geringere Fluktuationsrate für die Verletzung von Sozialstandards bei Lieferanten. Selbst wenn gegenseitige Verrechnungen nicht explizit vorgenommen werden, können sie doch implizit Entscheidungen beeinflussen. Im Sinne einer schwachen Nachhaltigkeit ist eine Aufrechnung hingegen möglich. Hierfür ist eine Bewertung in Geldeinheiten hilfreich, wenn die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen nicht in der gleichen physikalischen Einheit gemessen werden. So kann die Abwassermenge nicht direkt mit der Feinstaubemission verrechnet werden. Werden beide Schäden in Geldeinheiten umgewandelt, können sie miteinander verrechnet werden. Nach der Planungsebene lassen sich unterscheiden: ◼ strategische Kennzahlen (z.B. Marktanteil grüner Produkte, Umfang der am Unternehmen beteiligten Nachhaltigkeitsfonds) ◼ operative Kennzahlen (z.B. Wasserverbrauch je Produkteinheit, Energieverbrauch) Wie die verschiedenen Nachhaltigkeitsinhalte gemessen werden können, wird nachfolgend erarbeitet. Dabei werden zahlreiche in der Praxis verwendete Messkonzepte vorgestellt, jedoch nicht im Detail diskutiert. Schließlich werden auch die in den letzten Jahren entstandenen Initiativen und Ansätze einer monetären Nachhaltigkeitsbewertung, wie die Value Balancing Alliance, vorgestellt. Nachhaltigkeitsrechnungswesen Das nachhaltigkeitsorientierte Rechnungswesen lässt sich aufteilen in ein Umweltrechnungswesen und in ein Sozialrechnungswesen, wobei hierfür zumeist der englischsprachige Begriff Social Accounting benutzt wird. Das Umweltrechnungswesen ist bekannter und weiter verbreitet als das Social Accounting. Umweltaspekten wird in den Unternehmen schon seit den 1970er/ 1980er Jahren eine zunehmende Bedeutung zugemessen. Die sozialen Aspekte haben hingegen <?page no="171"?> 6.1 Performance Measurement System 171 erst seit der Jahrtausendwende an Bedeutung gewonnen, jedoch mit rapidem Tempo. Teils sind diese aufgrund ihres oftmals stärker formalen, juristischen Charakters eher der Compliance zugeordnet, wo juristisch geprägte Methoden zur Regeleinhaltung genutzt werden. Insgesamt scheint sich die Bedeutung des Umwelt- und des Sozialrechnungswesens aber zunehmend anzugleichen (vgl. Greiling, Ther 2010, S. 50). Abb. 6.7: Übersicht über die Messkonzepte der Nachhaltigkeit (eigene Abbildung) Die Begriffe des Umweltrechnungswesens und des Social Accounting werden in der Literatur nicht einheitlich genutzt. Teils werden hiermit einzelne Instrumente bezeichnet, teils sind es Sammelbegriffe für verschiedene Instrumente. Wir wollen diesen ebenfalls als Sammelbegriffe nutzen. Darunter befinden sich verschiedene Konzepte, wie etwa die prozessorientierte Umweltkostenrechnung oder Instrumente wie die Ökobilanz, das Greenhouse Gas Protocol oder die Wertschöpfungsrechnung. Andere Ansätze sind nicht nur auf einzelne Nachhaltigkeitsdimensionen begrenzt, sondern integrieren ökologische, soziale und ökonomische Aspekte. Hier sind das Impact Measurement, nachhaltig ausgerichtete KPI-Sets und der Sustainable Value zu nennen. Umweltrechnungswesen Im Gegensatz zum betrieblichen Rechnungswesen, bei dem Erträge und Kosten gegenübergestellt werden, sind bei der Umwelt nur Kosten zu betrachten, da Eingriffe in die unberührte Natur in aller Regel negativer Art sind. Ziel des Umweltrechnungswesens Mit dem Umweltrechnungswesen wird das Ziel verfolgt, vom Unternehmen verursachte Umwelteinwirkungen nach Art und Umfang zu erfassen, ihre Entstehung und Einflussgrößen zu erkennen und sie den erstellten Produkten bzw. den erbrachten Dienstleistungen zuzuordnen. <?page no="172"?> 172 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Die hierdurch geschaffene Transparenz ist eine wesentliche Voraussetzung für die Steuerung und Verminderung der Umweltbelastung. Umwelteinwirkungen können nicht immer ohne weiteres in Geldeinheiten ausgedrückt werden. Dort, wo ein Schaden nicht monetarisiert werden kann, ist dieser in physikalischen Einheiten zu beziffern. In Geldeinheiten bewertete Umweltkosten sind entweder bereits im betrieblichen Rechnungswesen erfasst oder müssen mit Hilfe geeigneter Methoden in Geldgrößen umgewandelt, also monetarisiert werden. Abb. 6.8: Monetäres und in physikalischen Einheiten gemessenes Umweltrechnungswesen (eigene Abbildung) Social Accounting Ziel des Social Accounting Die negativen und positiven Auswirkungen des unternehmerischen Handelns auf Mitarbeiter, Geschäftspartner bzw. Stakeholder sowie die Gesellschaft sollen erfasst und ihre Ursachen sollen aufgedeckt werden. Die Bewertung einer negativen oder positiven sozialen Auswirkung ist häufig normativ und setzt daher einen Dialog mit den Stakeholdern voraus. Das Social Accounting schafft für die Zielfindung die notwendige Transparenz, erleichtert die Auswahl geeigneter Maßnahmen und ermöglicht die Erfolgskontrolle. Der bekannte „Plan-Do- Check-Act-Zyklus“ erhält also seine notwendige Datengrundlage: Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Performance werden geplant, umgesetzt, überprüft und anschließend werden bei Bedarf Anpassungen vorgenommen. Rechnungswesen erfordert eine Quantifizierung Ökologische und soziale Kosten, die im betrieblichen Rechnungswesen bereits erfasst werden, können ohne zusätzlichen Aufwand auch für das Nachhaltigkeitsrechnungswesen genutzt werden. Dies sind beispielsweise Kosten durch Umweltschutzmaßnahmen, durch Fürsorgemaßnahmen für die Mitarbeiter, Umwelt- und Sozialabgaben oder Erstattungszahlungen für verursachte Schäden. Schwieriger ist es hingegen Schäden zu bewerten, die im Rechnungswesen nicht erfasst wurden und für die keine <?page no="173"?> 6.1 Performance Measurement System 173 finanziellen Daten vorliegen. Falls eine direkte Bewertung von Schäden nicht möglich ist, können diese Kosten mit Hilfe verschiedener Methoden geschätzt werden: ◼ Kosten, die zur Beseitigung bzw. zur Reparatur der Schäden anfallen würden (z.B. Dekontamination eines schadstoffverseuchten Grundstücks). ◼ Kosten, die für den Erwerb von Verschmutzungsrechten anfallen oder entgangene Erlöse durch den Verzicht auf den Verkauf von Verschmutzungsrechten (z.B. CO 2 -Zertifikate). ◼ Kosten, die zur Vermeidung des Schadens anfallen würden (z.B. Kosten einer Kläranlage, eines Emissionsfilters). ◼ Kosten, die ein Geschädigter als faire Kompensation akzeptierenwürde (z.B. Entschädigungszahlung für Baustellenlärm). Nicht selten verbleibt dennoch eine Unsicherheit in der Bewertung der Schäden. Dies führt dann dazu, dass recht große Preisspannen genannt werden (vgl. Nertinger 2015, S. 124). Abb. 6.9: Internalisierung externer Effekte (eigene Darstellung in Anlehnung an KPMG International 2014, S. 61) Noch größer ist die Bewertungsunsicherheit bei nur teilweise bekannten oder gar nur vermuteten Auswirkungen. So lässt sich schwerlich der ökonomische Schaden beziffern, der durch das Artensterben entsteht. Ebenfalls fällt eine Bezifferung des Schadens schwer, wenn eine Vielzahl an Verursachern daran beteiligt sind. Welche konkreten Schäden entstehen beispielsweise durch eine zu hohe Feinstaubbelastung und <?page no="174"?> 174 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling wie werden diese Schäden einzelnen Verursachern zugeordnet? Diese Unsicherheiten beeinträchtigen die praktische Umsetzung des Nachhaltigkeitscontrollings. Durch die Messung oder Schätzung sämtlicher positiven und negativen Auswirkungen eines Unternehmens, den externen Effekten, lassen sich die ökonomischen, ökologischen und sozialen Wirkungen saldieren. Das betriebliche Rechnungswesen, das Umwelt- und das Sozialrechnungswesen werden miteinander verbunden. Zum betriebswirtschaftlichen Gewinn werden die positiven externen Effekte addiert und die negativen externen Effekte subtrahiert, bis das tatsächliche Ergebnis übrigbleibt. Ergibt die Berechnung ein positives Ergebnis, ist das Unternehmen nachhaltig. Es stiftet den Stakeholdern einen Wert. Sollte das tatsächliche Ergebnis hingegen negativ sein, verursacht das Unternehmen mehr Schäden, als dass es Werte stiftet. Den Stakeholdern würde es besser gehen, wenn es das Unternehmen nicht gäbe. Es besteht damit dringender Bedarf für nachhaltiges Handeln. Wie bereits zuvor erwähnt, basiert dieses Modell zur Internalisierung externer Effekte auf der Annahme einer schwachen Nachhaltigkeit. Bei einer starken Nachhaltigkeit wird auf die Saldierung verschiedener Effekte verzichtet. Die Bemühungen verschiedener Nachhaltigkeitsinitiativen aus der Wirtschaft gehen aber dahin, dass die Bewertung und Monetarisierung von Wirkungen so vertrauenswürdig sind, dass Saldierungen weitgehend möglich sind und akzeptiert werden. Folgende Instrumente der Nachhaltigkeitsmessung werden im weiteren Verlauf vorgestellt: Nachhaltigkeitsrechnungswesen Betriebliches Rechnungswesen Umweltrechnungswesen Social Accounting Umweltkostenrechnung • Traditionelle Umweltkostenrechnung • Prozessorientierte Umweltkostenrechnung Ökologische Messkonzepte • Footprinting • Stoff- und Energiebilanzen • Ökobilanz • Ökologische GuV • Ökoeffizienzanalyse • Öko-Kennzahlen • Wertschöpfungsrechnung • Sozialindikatoren • Social Audit • Gewinn- und Verlustrechnung • ROI-Treiberbaum • Unternehmenswert <?page no="175"?> 6.1 Performance Measurement System 175 Ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte • Impact Measurement - Social Return on Investment - Standardisierte Bilanzierung unternehmerischer Wertbeiträge - Value Balancing Alliance • Nachhaltige KPI-Sets • Sustainable Value Tabelle 6.4: Instrumente der Nachhaltigkeitsmessung Das Umweltrechnungswesen lässt sich unterteilen in die Umweltkostenrechnung und in die ökologischen Messkonzepte. Bei der traditionellen Umweltkostenrechnung gibt es eine Voll- und eine Teilkostenrechnung. Bei diesen werden die Kostenarten erfasst und Kostenstellen und Produkten zugeordnet. Dieses Rechenwerk orientiert sich stark an der betriebswirtschaftlichen Kosten- und Leistungsrechnung. Der prozessorientierten Umweltkostenrechnung liegen die Energie- und Materialströme zugrunde, die entlang der Wertschöpfungskette auftreten. Diese ersten beiden Rechenwerke betrachten unternehmensintern anfallende Kosten. Daneben existieren eine Vielzahl unterschiedlicher ökologische Messkonzepte, welche über die Unternehmensgrenzen hinweg die kompletten internen und externen Wirkungen oder Kosten erfassen, die durch die betriebliche Leistungserstellung verursacht werden. Der Prozess kann somit von der Rohstoffgewinnung bis zum Recycling reichen. Im Social Accounting werden drei Rechenwerke vorgestellt. Die Wertschöpfungsrechnung ermittelt auf Basis des bestehenden betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens die monetären sozialen Auswirkungen. Mit Hilfe von Sozialindikatoren sollen sämtliche relevante soziale Aspekte erfasst, gemessen und dokumentiert werden. Im Social Audit erfolgt eine strukturierte Überprüfung, ob Standards und Regeln eingehalten werden. Nach den ökologischen und sozialen Messkonzepten wird ein kurzer Blick auf das Betriebliche Rechnungswesen gerichtet. Hierbei interessiert vor allem, wie ein langfristiger wirtschaftlicher Erfolg gemessen werden kann. Schließlich werden ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte vorgestellt, die alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen integrieren. Hierbei nimmt vor allem das Impact Measurement seit einigen Jahren eine zunehmend größere Bedeutung ein. Verschiedene Unternehmen und Initiativen arbeiten an der Entwicklung von Standards für eine umfassende Messung der Nachhaltigkeit. Es wird der Ansatz der Value Balancing Alliance vorgestellt. Ein klassischer Ansatz ist die Bildung eines stimmigen Sets an nachhaltigen KPIs. Schließlich wird dem Sustainable Value ein interessanter Ansatz vorgestellt, der sich in der Praxis jedoch noch nicht durchgesetzt hat. <?page no="176"?> 176 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Umweltrechnungswesen Im Folgenden werden verschiedene Konzepte zur Messung der ökologischen Nachhaltigkeit vorgestellt und bewertet. Aufgrund der großen Vielfalt beschränkt sich dies auf einige in der Praxis besonders verbreitete Methoden. Durch die Vielzahl der sich teils überlappenden Methoden und uneinheitlich benutzter Begriffe ist das operative Umweltcontrolling recht intransparent. Umweltrechnungswesen Umweltkostenrechnung • Vollkostenrechnung • Teilkostenrechnung Prozessorientierte Umweltkostenmanagement • Energie- und Materialstromanalyse • Materialflusskostenrechnung Instrumente des operativen Umweltcontrollings • Footprinting • Ökobilanz • Ökologische GuV • Ökoeffizienzanalyse • Öko-Kennzahlen Umweltkostenrechnung Nachdem ursprünglich die Umweltkosten durch einzelne, von der bestehenden Kostenrechnung losgelöste Rechenwerke ermittelt wurden, fand später eine Annäherung an die bestehenden betrieblichen Kostenrechnungssysteme statt. Umweltkosten wurden erst in Form einer Vollkostenrechnung, später vermehrt als Teilkostenrechnung ermittelt. Wie bei den betriebswirtschaftlichen Kosten wurde auch bei den Umweltkosten eine allmähliche Verlagerung von Einzelkosten hin zu Gemeinkosten beobachtet. Mit zunehmender Bedeutung der Gemeinkosten erweist sich die traditionelle Voll- und Teilkostenrechnung als weniger geeignet. Die Umweltkostenrechnung richtete sich daher verstärkt an der Prozesskostenrechnung aus. Die Umweltkosten wurden damit vermehrt entlang der Wertschöpfungskette erfasst, wodurch einzelne Glieder der Wertschöpfungskette gesteuert werden können. Grundlage sind hierbei Kosten, die im Unternehmen als solche bereits erfasst werden. Wird die gesamte Wertschöpfungskette unter Einbezug der Lieferanten betrachtet, können auch die internen Kosten der Lieferanten einbezogen werden. Daneben existieren Ansätze, die auch die externen Kosten in das Kostenrechnungssystem einbeziehen. Diese Kosten finden sich im herkömmlichen Rechnungswesen nicht. Die Schwierigkeit, externe Effekte in Geldeinheiten auszudrücken, führt dazu, dass diese Rechensysteme teils auf eine einheitliche monetäre Darstellung verzichten. <?page no="177"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 177 Begründet wurde die Umweltkostenrechnung in Deutschland insbesondere durch folgende Werke, die für eine vertiefte Lektüre empfohlen werden: ◼ Bundesumweltministerium / Umweltbundesamt (Hrsg.): Handbuch Umweltkostenrechnung, München 1996 ◼ Bundesumweltministerium / Umweltbundesamt (Hrsg.): Handbuch Umweltcontrolling, 2. Auflage, München 2000 ◼ Fichter, K. / Loew, T. / Seidel, E.: Betriebliche Umweltkostenrechnung: Methoden und praxisgerechte Weiterentwicklung, Berlin / Heidelberg 1997 ◼ Günther, E.: Ökologieorientiertes Controlling, München 1994 ◼ Letmathe, P.: Umweltbezogene Kostenrechnung, München 1998 ◼ Loew, T. u.a.: Ansätze der Umweltkostenrechnung im Vergleich, Forschungsbericht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin 2003 Das betriebliche Rechnungswesen, insbesondere die Kosten- und Leistungsrechnung, sind in der Unternehmenspraxis das bedeutsamste Informationsinstrument und für das Controlling und die Unternehmensführung unverzichtbar. Ziel ist dabei, über die wirtschaftliche Konstitution des Unternehmens Transparenz zu verschaffen. Umfangreiche nationale und internationale Regelwerke bestimmen, was im Sinne des Rechnungswesens ein wirtschaftlicher Erfolg ist und wie dieser zu ermitteln ist. Diese Regelwerke legen fest, welche Erträge und Kosten im Unternehmen als solche erfasst werden und beeinflussen damit direkt unternehmerische Entscheidungen. Andererseits werden im Rechnungswesen manche Kosten nicht als solche erfasst, obwohl sie vom Unternehmen verursacht werden. Es handelt sich hierbei um externe Kosten. Die Kosten solcher negativen externen Effekte, beispielsweise die Krankheitskosten, die durch Giftstoffe in der Produktion oder durch Feinstaubbelastung entstanden sind, tragen Mitarbeiter oder Anwohner oder sie werden von der Versichertengemeinschaft bzw. vom Staat getragen. Würden die Rechnungslegungsvorschriften hingegen vorsehen, dass solche Kosten im Unternehmen erfasst werden müssen, würden diese den wirtschaftlichen Erfolg verringern. Zur Begrenzung dieser Kosten würden sich nun beispielsweise Investitionen in Umweltschutzmaßnahmen lohnen, die sich zuvor nicht gerechnet haben. Die Vorgaben des Rechnungswesens haben also einen direkten Einfluss auf die Wahrnehmung der Nachhaltigkeit und somit auch auf die Intensität des nachhaltigen Handelns im Unternehmen. Da das Rechnungswesen aus ökonomischer Sicht als überaus sinnvoll angesehen wird, kann ein nachhaltigkeitsorientiertes Rechnungswesen oder eine Umweltkostenrechnung dieses nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Es wäre wenig sinnvoll, das bestehende Rechnungswesen durch ein neues, nachhaltig ausgerichtetes Regelwerk ersetzen zu wollen oder ein Parallelsystem zu errichten, das ausschließlich von Nachhaltigkeitsexperten verstanden und genutzt wird, bei den alltäglichen unternehmerischen Entscheidungen aber allenfalls punktuell Beachtung findet. Das bestehende Rechnungswesensystem ist um die Anforderungen der Nachhaltigkeit zu er- <?page no="178"?> 178 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling weitern, anstatt dass Satelliten- oder Parallelsysteme errichtet werden (vgl. Schaltegger 2013, S. 290). „Da gilt der bekannte Satz von Ludwig Wittgenstein: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“ Solange finanzielle und nichtfinanzielle Kennzahlen in unterschiedlichen Steuerungskreisen und Berichtswelten lediglich friedlich koexistieren, wird sich daran nichts ändern. Viele der dringlichsten Fragen mit Blick auf nachhaltige Transformation bleiben dann in der Unternehmenssteuerung schlichtweg unsichtbar.“ (Haver 2022, S. 29f.) 6.2.1.1 Umweltkostenrechnung auf Vollkostenbasis Zur grundlegenden Strukturierung der Umweltkostenrechnung erweist sich eine Anlehnung an die betriebliche Kosten- und Leistungsrechnung als sinnvoll. Hierbei werden in der Vollkostenrechnung drei Rechnungen unterschieden. In der ersten, der Kostenartenrechnung, werden sämtliche relevante Kostenarten erfasst. Gleichfalls sind im ökologischen Bereich sämtliche Umweltkosten zu erfassen. Kostenartenrechnung  Umweltkostenartenrechnung Einzelkosten können direkt den Produkten zugeordnet werden, für die sie entstanden sind. Gemeinkosten sind allgemein angefallen und können nicht bzw. nicht genau auf einzelne Produkte zugerechnet werden. Sie werden daher auf die Umweltkostenstellen verteilt, um den Ort ihrer Entstehung zu erfassen. Die Umweltkostenstellen müssen dabei keinesfalls deckungsgleich mit den bestehenden Kostenstellen sein. Kostenstellenrechnung  Umweltkostenstellenrechnung Zur Ermittlung der Kosten, die für die Herstellung eines Produktes entstehen, müssen zu den Einzelkosten auch die Gemeinkosten addiert werden. Dies erfolgt mit Hilfe eines geeigneten Verteilschlüssels, der die Kosten aus den Kostenstellen den Produkten (Kostenträger) zuordnet. Je umfangreicher eine Kostenstelle von einem Produkt in Anspruch genommen wird, desto größer ist der Anteil der Kosten, die diesem Produkt aus der Kostenstelle zugerechnet werden. Um die Umweltbelastung eines Produktes zu ermitteln, müssen daher neben den direkt zuordenbaren Schäden auch die indirekt verursachten Schäden (beispielsweise verursacht durch die Beheizung der Gebäude oder PKW-Fahrten des Vertriebs) nach einem möglichst verursachungsgerechten Verteilschlüssel zugeordnet werden. Kostenträgerrechnung  Umweltkostenträgerrechnung Ein solch strukturiertes Vorgehen, in dem sämtliche Umweltschäden erfasst, auf verursachende Stellen verteilt und den Produkten zugeordnet werden, geht deutlich über eine reine Betrachtung der Kostenart Umweltschutzkosten innerhalb des bestehenden Rechnungswesens hinaus. Hierbei würden nur solche ökologischen Kosten betrachtet (z.B. Umweltabgaben, Investitionen in Umweltschutzmaßnahmen, Entschädigungszahlungen, ...), wie sie auch gemäß den vorherrschenden Rechnungslegungsvorschriften erfasst werden (vgl. Schaltegger, Sturm 2000, S. 135ff.). Es interessieren keinesfalls <?page no="179"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 179 nur die Kosten der Umweltschutzmaßnahmen, sondern alle Kosten und Erträge, die durch die Nutzung der Umwelt als Ressourcenlieferant und als Aufnahmemedium für Abfälle und Emissionen, verursacht werden. Aus einer solch umfassenden Umweltkostenrechnung werden folgende Erkenntnisse gewonnen: ◼ Transparenz über sämtliche Arten verursachter und im Unternehmen erfasster Schäden. ◼ Kenntnis, welche Organisationseinheiten für die Schäden verantwortlich sind. ◼ Klärung, welche Produkte für die Schäden ursächlich sind. ◼ Kenntnis der insgesamt für ein Produkt entstandenen Schäden. ◼ Mit der Umweltkostenrechnung auf Vollkostenbasis (Abb. 6.10) wird vor allem das Ziel verfolgt, die Kosten der Umweltkostenstellen zu steuern und zu kontrollieren sowie die Umweltkosten der Kostenträger, also der Produkte, zu erfassen. Auch mit einer Ökobilanz wird das Ziel verfolgt, die durch ein Produkt verursachten Schäden zu ermitteln. Das Ergebnis der Umweltkostenrechnung kann somit eine Ökobilanz beinhalten, geht aber über die reine Ermittlung dieser Schäden hinaus und strukturiert die Erfassung und Verarbeitung der Daten in Anlehnung an das betriebliche Rechnungswesen. Im Gegensatz zur Ökobilanz, die produkt- oder betriebsbezogen erstellt wird, werden in der Umweltkostenrechnung sämtliche Produkte vor dem Hintergrund des gesamten Unternehmens betrachtet. Dies erlaubt nicht nur eine Zuordnung der direkt vom Produkt verursachten Schäden, sondern auch eine systematische Verteilung der nur indirekt entstandenen Schäden auf die Produkte. Hierdurch wird zugleich die organisatorische Verantwortung für die Umweltschäden aufgezeigt. Die Erweiterung des Rechnungswesens um ökologisch relevante Größen kann somit direkt unternehmerische Entscheidungen verändern. Beispiel Eine Umweltschutzmaßnahme wurde bisher nicht ergriffen, da sie teurer war als die regelmäßig fälligen Umweltabgaben. Nach Einführung der Umweltkostenrechnung wurde das tatsächliche Ausmaß an ökologischen Kosten aber erstmals erkannt, die deutlich höher waren als die Umweltabgeben. Im Vergleich zu den tatsächlich anfallenden Umweltkosten wurde die Investition in die Umweltschutzmaßnahme nun als lukrativ erachtet und getätigt. Die Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung liegen weiterhin darin, die Umweltkosten überhaupt zu erkennen, sie strukturiert zu erfassen und sie schließlich zu quantifizieren. Erst wenn sie zuverlässig erfasst und auf die Produkte zugerechnet werden können, beeinflussen sie die unternehmerischen Entscheidungen. Die systematische Erfassung der Umweltkosten entfaltet eine umweltbezogene Lenkungswirkung. Es erfolgt unter Umweltgesichtspunkten eine veränderte Produktionsweise, Produkte werden anders gestaltet oder vom Markt genommen und die Sortimentspolitik wird neu ausgerichtet (vgl. Burschel, Loosen, Wiendl 2004, S. 471). Das ökologische <?page no="180"?> 180 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Rechnungswesen soll dabei keinesfalls wie das betriebliche Rechnungswesen als ein grundsätzlich in Geldeinheiten ausgedrücktes Zahlenwerk verstanden werden. Dort wo eine Monetarisierung nur sehr schwer möglich ist, sollte zur Wahrung der Glaubwürdigkeit auch darauf verzichtet werden. Hier sind dann eben technische bzw. naturwissenschaftliche Maßeinheiten anzusetzen, um die Schadstoff- und Abfallmengen zu erfassen. Abb. 6.10: Systematik der Umweltkostenrechnung auf Vollkostenbasis (schwarze Schrift und Pfeile), der betriebswirtschaftlichen Vollkostenrechnung (graue Schrift und gestrichelte Pfeile) gegenübergestellt (eigene Abbildung) Um der Umweltkostenrechnung eine vergleichbare Glaubwürdigkeit zu verleihen wie dem betrieblichen Rechnungswesen, bedarf es auch vergleichbarer ökologiebezogener Rechnungslegungsvorschriften. Die Einhaltung dieser Vorschriften kann durch unabhängige Treuhänder überprüft werden. Kunden, Geschäftspartner und die Öffentlichkeit können den Daten somit vertrauen und die Principal-Agent-Problematik zwischen Unternehmen und Stakeholdern wird gemildert. Durch die gesteigerte Glaubwürdigkeit lohnt es sich für Unternehmen, das ökologische Rechnungswesen auszubauen und damit die ökologischen Entscheidungen zu fundieren (vgl. Schaltegger, Sturm 2000, S. 195). <?page no="181"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 181 6.2.1.2 Umweltkostenrechnung auf Teilkostenbasis Bei der Teilkostenrechnung werden fixe und variable Kostenbestandteile strikt voneinander getrennt. Da fixe Kosten unabhängig von der produzierten Menge anfallen, sind sie für kurzfristige Entscheidungen nicht relevant. Dieser Zusammenhang gilt genauso für Umweltkosten. Periodische Abschreibungen auf Umweltschutzinvestitionen haben für kurzfristige Entscheidungen keine Relevanz, da sie kurzfristig eben unvermeidbar sind. Ergänzend zur Vollkostenrechnung werden in der Teilkostenrechnung die Umweltgemeinkosten danach unterschieden, ob sie fix oder variabel sind. Die Umwelteinzelkosten sind hingegen grundsätzlich variabel. Damit fließen die Umwelteinzelkosten und die variablen Umweltgemeinkosten in die Entscheidungen ein. Häufig sind die fixen Umweltkosten deutlich größer als die variablen Umweltkosten. Hier wäre im Sinne einer mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung zu empfehlen, die Fixkosten nicht als ein Kostenblock zu betrachten, sondern auch diesen zu differenzieren. So kann es etwa fixe Umweltkosten geben, die einer Produktgruppe oder einem Geschäftsfeld zugerechnetwerden können, andere können hingegen nur dem Unternehmen insgesamt zugerechnet werden. Durch diese verursachungsgerechte Berücksichtigung der fixen Umweltkosten können umweltbezogene Aussagen zu einzelnen Produkten, zu Produktgruppen, Geschäftsfeldern oder für das ganze Unternehmen getroffen werden. Es ist eine deutlich differenziertere Beurteilung möglich als bei einer einstufigen Deckungsbeitragsrechnung (vgl. Burschel, Loosen, Wiendl 2004, S. 475f.). Beurteilung der Umweltkostenrechnung Die Umweltkostenrechnung baut auf der Kosten- und Leistungsrechnung auf, differenziert aber die Kostenarten und die Kostenstellen nach ihrer ökologischen Relevanz. Die Abgrenzung der Umweltkosten und die Zuordnung auf die Umweltkostenstellen lassen sich oftmals nur unter Schwierigkeiten bewerkstelligen. Als Ergebnis wird aber eine hohe Transparenz über die Höhe und Struktur der Umweltkosten gewonnen. Allein diese Erkenntnis kann schon zu bedeutsamen Optimierungen und Einsparungen führen. Andererseits wird bei der Umweltkostenrechnung die Umwelt nur als Kostenfaktor betrachtet, wodurch ein häufig gehörtes pauschales Vorurteil, dass Umweltschutz nur Kosten verursache und man sich diese doch erst leisten können müsse, gefestigt wird. Bei der Kostenbetrachtung treten mögliche Vorteile für das Unternehmen weniger deutlich auf. Konsequenz dieser eingeschränkten Betrachtung war unter anderem eine zeitliche Erweiterung. Werden die Umweltkosten nicht nur auf Monate, ein Quartal oder ein Jahr bezogen, sondern über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg, dann sind temporär höhere Kosten, etwa durch die Investition, mit späteren Einsparungen, beispielsweise durch geringere Energiekosten oder durch einen größeren Markterfolg, abzugleichen. (vgl. Burschel, Loosen, Wiendl 2004, S. 476f.) <?page no="182"?> 182 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Prozessorientiertes Umweltkostenmanagement Der prozessorientierten Umweltkostenrechnung liegen die physikalischen Energie- und Materialströme zugrunde, die analysiert und bewertet werden. Hierdurch können im ökonomischen und im ökologischen Sinne Verbesserungen entdeckt und umgesetzt werden. Vorab sind daher die Energie- und Materialströme zu analysieren. 6.2.2.1 Energie- und Materialstromanalyse Ökologische Auswirkungen ergeben sich durch den Einsatz von Material in Form von Rohstoffen oder Vorprodukten sowie durch den Einsatz von Energie. Das Verständnis, wo, welches und wie viel Material eingesetzt wird und wo in welchem Umfang welche Energie verbraucht wird, stellt daher die Grundlage für eine Steuerung dieser Verbräuche dar. Die Analyse der Energie- und Materialströme verschafft Transparenz über die Dringlichkeit von Maßnahmen, um den Energie- und Materialeinsatz zu verringern. Die Analyse der Stoff- und Energieströme kann sich auf ein Unternehmen oder auf Teile eines Unternehmens beziehen, ebenso wie auf Produkte. Beschränkt sich die Ermittlung der Energie- und Materialströme nicht auf eine einmalige Analyse, sondern wird diese regelmäßig und systematisch durchgeführt, wird dieses zu einem Instrument des ökologischen Rechnungswesens. Energie- und Materialströme können somit detailliert geplant, der Erfolg ergriffener Maßnahmen kann kontrolliert und bei Abweichungen kann steuernd eingegriffen werden. Die in der Prozessanalyse gewonnenen Daten sind zugleich wichtiger Bestandteil der Nachhaltigkeitsberichte. In diesem Falle wird dann nicht mehr nur von einer Analyse, sondern von einer Material- und Energieflussrechnung gesprochen, die im folgenden Abschnitt vorgestellt wird. Das Management dieser Daten erfolgt mit Hilfe eines Umweltinformationssystems. Zur transparenten Darstellung der Energie- und Materialströme bieten sich Sankey- Diagramme an. Hierdurch wird ersichtlich, in welchem Umfang welches Material und welche Energieform für welche Zwecke eingesetzt wird. Die Dicke der Pfeile repräsentiert jeweils den quantitativen Umfang. Nachfolgende Abbildung zeigt beispielhaft, wie sich der Stromverbrauch in einem produzierenden Unternehmen aufteilt. Auf der Grundlage bekannter Energie- und Materialströme können Einsparpotenziale gesucht und geplant werden, wodurch die Effizienz gesteigert wird. So kann weniger Energie und Material eingesetzt werden und Emissionen, Abfälle oder unerwünschte Nebenwirkungen, wie Abwärme, können verringert werden. Um mit der Energie- und Materialstromanalyse nicht nur die Effizienz zu steigern, sondern Konsistenz sicherzustellen, muss geklärt werden, ob die Energie aus erneuerbaren Quellen stammt und ob das Material in einen geschlossenen Kreislauf eingebunden ist. Bei vollständig geschlossenen Kreisläufen gibt es keine Abfälle oder Schadstoffe, sondern nur Ressourcen, die in jeweils unterschiedlichen Zuständen vorliegen. Hierfür reicht eine rein interne Betrachtung des Unternehmens nicht mehr aus, da die Kreisläufe häufig über das Unternehmen und die Kunden hinweg erst über das Recycling geschlossen werden. Aus einer Energie- und Materialstromanalyse können sich folgende Einsparpotenziale ergeben: <?page no="183"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 183 Abb. 6.11: Darstellung des Stromverbrauchs mit Hilfe eines Sankey-Diagramms (eigene Abbildung) Einsparobjekt Beispielhafte Maßnahmen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe  Optimierung des Verbrauchs  Weiterentwicklung der Produkte bzw. des Sortiments zur Verringerung oder Vermeidung des Verbrauchs  Erhöhung der Recyclingquote Wasser, Abwasser  Produktionsmethoden mit geringerem Wasserverbrauch  Reinigung und Wiederverwendung der Abwässer Energie  Wechsel auf alternative Energien  energieeffiziente Produktion Transport  regionale Beschaffung  weniger umweltbelastende Transportmittel Verpackung  Recycling der Verpackung bzw. Mehrwegverpackung  weniger umweltschädliches Verpackungsmaterial Tabelle 6.5: Einsparpotenziale als Ergebnis einer Energie- und Materialstromanalyse (Quelle: in Anlehnung an Burschel, Loosen, Wiendl 2004, S. 479f.) <?page no="184"?> 184 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Die Transparenz über Energie- und Materialverbrauch kann auch eine wichtige Voraussetzung für Suffizienzmaßnahmen sein. Dort wo Effizienz nur schwer oder mit hohen Kosten erreicht wird, kann gezielt die Suffizienz gefördert werden, um Material- und Energieeinsparungen zu erreichen. Die Durchführung einer Energie- und Materialstromanalyse kann vor allem in produzierenden Unternehmen aufgrund komplizierter Beschaffungs- und Produktionsprozesse aufwendig sein. Vorab ist daher das Ziel der Analyse, der konkrete Nutzen eines hohen Detaillierungsgrades der Informationen und der Aufwand der Informationsbeschaffung einander gegenüberzustellen. Bedeutsame Erfolgspotenziale werden schließlich nicht erst durch eine detaillierte Messung entdeckt. Mit zunehmender Erfahrung und Professionalisierung können Daten detaillierter erfasst und feiner gesteuert werden. 6.2.2.2 Materialflusskostenrechnung In der traditionellen Umweltkostenrechnung werden Einzelkosten direkt den Produkten zugeordnet. Damit bleibt unklar, wofür einzelne Materialien verwendet wurden und wo diese bzw. auch die eingesetzte Energie verblieben sind. Zudem werden nur die direkt zur Wertschöpfung, also zur Herstellung eines Produktes entstehenden Kosten, diesen auch zugerechnet. Alle weiteren Kosten, wie etwa Abfälle, Ausschuss, Verpackung oder nicht direkt zur Wertschöpfung beitragende Energie, werden nicht näher analysiert. Kostensenkungspotenziale können so nicht aufgedeckt werden, obwohl eine Verringerung des Material- und Energieeinsatzes zu wesentlichen positiven ökologischen Effekten führt. Hierfür ist eine Betrachtung der Stoff- und Energieströme notwendig. Bei Abfallstoffen ist dann beispielsweise nicht nur bekannt, wie hoch die Entsorgungskosten sind, sondern ebenso welche Kosten angefallen sind, bis das Material als Abfall angesehen wird. In der Literatur finden sich verschiedene Beispiele, bei denen die Materialverluste zwischen 10% und bis zu 50% des Materialinputs ausmachen. Gemäß nachfolgender Abbildung ist nicht nur der direkte Weg von den Inputfaktoren hin zu den Produkten zu betrachten, sondern sämtliche Prozesse vom Input zu den verschiedenen Formen des Outputs. Ergänzend zur Ökobilanz werden neben den Input- und Outputfaktoren die Prozesse analysiert und die Faktoren werden als Kosten bewertet. Die Materialflusskostenrechnung (Material Flow Cost Accounting, MFCA) baut auf der Energie- und Materialstromanalyse auf. Die Kosten werden monetarisiert und in einem strukturierten Rechenwerk zur Steuerung der Umweltbelastung und der Kosten genutzt. Nachdem die Materialflusskostenrechnung bereits Ende der 1980er Jahre entwickelt wurde, fand sie als Umweltmanagementnorm ISO 14051 erst 2011 nach einem mehrjährigen internationalen Abstimmungsprozess ihre formale Grundlage. Hierbei wurde das Ziel verfolgt, durch eine Steigerung der Material- und Ressourceneffizienz Produktionskosten einzusparen und die Umweltbelastung zu verringern, indem die tatsächlichen Kosten von Abfällen und Materialverlusten aufgedeckt werden. Die ISO 14051 unterstützt bei der Analyse und Berechnung der Material- und Energiekosten, die nicht in das Produkt eingehen. Hierfür beschreibt sie das methodi- <?page no="185"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 185 sche Vorgehen zur Durchführung der Materialflusskostenrechnung und gibt Empfehlungen, wie die Ergebnisse dargestellt werden sollen. Damit können die Material- und Energieflüsse in der Produktionsplanung, in der Beschaffung und auch schon in der Produktentwicklung berücksichtigt werden. Abb. 6.12: Input- und Outputfaktoren der Materialflusskostenrechnung (Quelle: eigene Darstellung, angelehnt an International Federation of Accountants, 2005, S. 31) Definition Materialflusskostenrechnung nach DIN EN ISO 14051: 2011 Die Materialflusskostenrechnung ist ein Managementinstrument, das Organisationen dabei unterstützen kann, potenzielle umweltbezogene und monetäre Auswirkungen ihrer Nutzung und ihres Verbrauchs von Material und Energie besser zu verstehen. In der Materialflusskostenrechnung werden für jeden Prozess sogenannte Mengenstellen eingerichtet, bei denen der Input und Output jeweils in physikalischen und in finanziellen Einheiten bestimmt wird. Die Kosten werden differenziert in Materialkosten, Energiekosten, Systemkosten (z.B. Personalkosten, Transport, Abschreibungen, ...) und Entsorgungskosten. Der Output einer Mengenstelle wird danach unterschieden, ob dieser in das Produkt einfließt oder zu einem Materialverlust führt. Hierdurch wird deutlich, dass die im konventionellen Rechnungswesen erfassten Entsorgungskosten nur einen Bruchteil der tatsächlich angefallenen Abfallkosten ausmachen. Die durch den Materialverlust anfallenden Kosten sind in vielen Unternehmen nicht bekannt. In der Materialflusskostenrechnung werden Abfälle nicht einfach pauschal dem Produkt zugeordnet, sondern als eigenständiges, quasi negatives Produkt aufgefasst, denen sämtliche Kosten zugeordnet werden und das somit auch gesondert ausgewertet werden kann. Damit ergänzt sie die konventionelle Kostenrechnung. <?page no="186"?> 186 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 6.13: Vereinfachte Darstellung des Schemas der Materialflusskostenrechnung nach ISO 14051 (eigene Abbildung) Beurteilung der Materialflusskostenrechnung Die Materialflusskostenrechnung schafft die notwendige Transparenz, um ökoeffiziente sowie auch konsistente Prozesse zu gestalten. Insbesondere in Japan hatte sich dieses Instrument des Nachhaltigkeitsmanagements rasch etabliert, wodurch Prozessinnovationen entstanden und Kosteneinsparungen erzielt werden konnten. Der Materialflusskostenrechnung wird in der Literatur teils eine sehr große Bedeutung beigemessen (vgl. Günther, Stechemesser 2011, S. 422). Die Erfassung der Material- und Energieströme kann allerdings sehr aufwendig sein, vor allem, wenn nur wenige Daten vorliegen und erst umfangreiche Messungen durchgeführt werden müssen. Zudem muss beachtet werden, dass die Kenntnis der Energie- und Materialströme nicht gleichzusetzen ist mit deren Umweltwirkungen. Um ökonomisch und ökologisch vorteilhafte Entscheidungen zu treffen, müssen daher neben den Kosten auch die Umweltauswirkungen analysiert werden. Verschiedene Softwarehersteller bieten Tools zur Durchführung der Materialflusskostenrechnung an, wie etwa das Unternehmen iPoint-systems GmbH mit der Software Umberto Efficiency+ (vgl. https: / / www.ifu.com/ de/ umberto/ ressourceneffizienzsoftware/ ). „Umberto Efficiency+ ist eine der führenden Softwarelösungen für Materialflussanalysen, mit der Sie die Methode der Materialflusskostenrechnung umsetzen können. Mit dieser Funktion ist sie die erste Software, die in der Lage ist, Materialflusskosten zu berechnen. <?page no="187"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 187 Die Software analysiert durch Simulation und Visualisierung von Stoffstromnetzen die Produktionsprozesse eines Unternehmens und alle damit verbundenen Stoff- und Energieströme. Die Ergebnisse lassen sich dann sowohl nach der konventionellen als auch nach der Materialflusskostenrechnung auswerten.“ (Quelle: iPoint-systems GmbH, https: / / www.ifu.com/ de/ materialflusskostenrechnung/ , Abruf: 02.03.2024) Ein einfaches und kostenloses Softwaretool zur Kosten- und Materialsowie Energiestromanalyse für kleine und mittelständische Unternehmen, inklusive eines Abgleichs mit Branchenwerten, wird vom Zentrum Ressourceneffizienz zur Verfügung gestellt. Link: https: / / www.ressource-deutschland.de/ instrumente/ kostenrechner-tool/ Instrumente des operativen Umweltcontrollings Im Allgemeinen versteht man unter Kosten einen in Geld bewerteten Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen. Bei negativen Auswirkungen auf die Umwelt fällt es teils schwer, diese in Geldeinheiten zu bewerten. Der Kostenbegriff soll daher über die rein monetären Grenzen hinaus erweitert werden. In diesem Zusammenhang spricht man deshalb auch dann von Kosten, wenn ein Schaden hinreichend erfasst und in physikalischen Einheiten gemessen werden kann. Der heute in der Betriebswirtschaftslehre übliche Kostenbegriff muss um die ökologische Dimension erweitert werden, damit auch externe, aber vom Unternehmen verursachte Kosten erfasst werden. Mit diesem erweiterten Kostenbegriff können Umweltziele geplant, Maßnahmen gesteuert und kontrolliert werden. Als Kostenansatz können beispielsweise diejenigen Ausgaben dienen, die notwendig wären, um die negativen Auswirkungen zu vermeiden. Hierdurch wird das Ziel verfolgt, die ökologische Substanz zu erhalten (vgl. Müller 2011b, S. 425). Im Folgenden werden verschiedene Instrumente und Messkonzepte vorgestellt, die externe Kosten einschließen. 6.2.3.1 Footprinting Ökologischer Fußabdruck Der ökologische Fußabdruck ist eine anschauliche Methodik zur Messung der Umweltbelastung und daher auch recht bekannt. Er wird nicht nur bei der Steuerung von Unternehmen, sondern auch zur Messung der Umweltbelastung eines ganzen Landes oder einzelner Personen genutzt. Beim ökologischen Fußabdruck werden verschiedene Inhalte der Umweltbelastung, wie Land- und Wasserverbrauch oder CO 2 - Ausstoß, in den notwendigen Flächenbedarf umgerechnet, um diese Ressourcen zur Verfügung zu stellen und um Emissionen und Abfälle aufzunehmen. Die Maßeinheit ist hier also die notwendige Fläche anstatt Geldeinheiten. In der Betriebswirtschaftslehre liegt es hingegen näher, in Geldeinheiten zu rechnen. <?page no="188"?> 188 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling In der Ökologie ist der Vergleich, wie viel Fläche zur Verfügung steht und wie viel in Anspruch genommen wird, jedoch sehr anschaulich. Die Problematik einer Übernutzung ist unmittelbar ersichtlich, wenn der Flächenbedarf die vorhandene Fläche übersteigt. Im Vergleich dazu ist ein hoher errechneter Geldbetrag für Umweltschäden, zumindest für Unternehmensexterne, schwieriger einzuordnen. Dabei bestehen bei beiden Maßeinheiten ähnliche Herausforderungen. Eine Ermittlung des Flächenbedarfs für Stoffe, welche die Natur aufnehmen und umwandeln kann, ist unter bestimmten Prämissen möglich. Weit schwieriger ist dies aber bei Stoffen, die von der Natur nicht ohne weiteres aufgenommen und umgewandelt werden (z.B. Plastikabfälle). Der ökologische Fußabdruck enthält daher nicht alle menschlichen Eingriffe in die Natur, weshalb ihm unterstellt wird, er unterschätze die ökologische Belastung tendenziell. Wir wollen den ökologischen Fußabdruck im weiteren Verlauf aber im betriebswirtschaftlichen Kontext verstehen, wo dieser häufig als Überbegriff für Umweltauswirkungen des Unternehmens oder den Produkten genutzt wird (vgl. Biermann, Erne 2020, S. 265). Carbon Footprint Der Begriff des Fußabdrucks wird sinnbildlich auch für den Carbon Footprint genutzt. Mit dem zuvor beschriebenen Verständnis eines Flächenbedarfs hat der Carbon Footprint hingegen nichts zu tun, auch wenn der Name dies suggeriert. Es geht hierbei ausschließlich um die physikalische Messung der Treibhausgase, die durch ein Produkt bzw. eine Dienstleistung oder ein Unternehmen verursacht werden. Anstatt CO 2 -Fußabdruck ist es nicht unüblich, auch von Klimabilanz oder CO 2 -Bilanz zu sprechen. Fußabdruck und Bilanz werden oftmals als Synonyme behandelt. Bei der Ermittlung des Carbon Footprints werden die Treibhausgasemissionen von Produkten und Dienstleistungen über deren gesamte Lebensdauer hinweg ermittelt. Hierfür stehen Methoden zur Verfügung, nach der anhand weltweit einheitlicher Standards transparent über die Belastung durch Treibhausgase informiert wird. (vgl. Sailer 2024, S. 47f.) Treibhausgas ist ein Sammelbegriff, unter dem sechs der für das Klima bedeutsamsten Gase zusammengefasst werden (Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid, Fluorkohlenwasserstoff, Sulphurhexafluoride, Fluorkohlenstoffverbindungen). Da die Klimaschädlichkeit dieser Stoffe unterschiedlich ist (Methan hat beispielsweise eine um das 25fache stärkere Treibhausgaswirkung als Kohlendioxid, das Lösch- und Kältemittel Fluoroform hat eine um das 14.800fache stärkere Wirkung), wird das sogenannte Treibhauspotenzial ermittelt. Wird das Treibhauspotenzial der klimaschädlichen Gase in einen vergleichbaren Umfang an CO 2 umgerechnet, spricht man von CO 2 -Äquivalenten, abgekürzt als CO 2 e. Der Footprint eines Produktes entspricht somit dem gesamten Treibhauspotenzial, das insgesamt durch die verschiedenen Gase verursacht wurde. Mit der Kenntnis, an welchen Stellen in welchem Umfang Treibhausgase entstehen, können Maßnahmen zu deren Reduktion ergriffen werden (vgl. Pape, 2013, S. 303f.). <?page no="189"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 189 Der Klimawandel ist seit einigen Jahren eines der bedeutendsten Themen der Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit, der Politik und in den Unternehmen. Das am 31.08.2021 in Kraft getretene geänderte Klimaschutzgesetzt sieht die Klimaneutralität für Deutschland bis 2045 vor. Klimaneutralität bedeutet, dass die Treibhausgasemissionen nur so hoch sein dürfen, wie diese zugleich auch wieder abgebaut werden. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen 65% unter dem Niveau von 1990 liegen. Die nochmals verschärften Minderungsziele wirken sich entsprechend auch auf die Unternehmen aus. Um die Klimaneutralität zu erreichen, werden jährliche Minderungsziele je Sektor vorgegeben. „Die Klimaziele werden kontinuierlich per Monitoring überprüft. Der Expertenrat für Klimafragen wird erstmals ab 2022 alle zwei Jahre ein Gutachten vorlegen über die bisher erreichten Ziele, Maßnahmen und Trends. Werden die Budgets nicht eingehalten, steuert die Bundesregierung umgehend nach.“ (Quelle: Bundesregierung 2022, in: https: / / www.bundesregierung.de/ breg-de/ themen/ klimaschutz/ klimaschutzgesetz-2021-1913672, Abruf: 02.03.2024) Standards zur Messung der Treibhausgasemissionen Zur Umsetzung der Minderungsziele in den Unternehmen müssen die Treibhausgasemissionen gemessen werden. Hierfür wurden verschiedene Standards entwickelt, von denen insbesondere der Publicly Available Specification 2050 (PAS 2050), das Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol) und die ISO 14067 praktisch bedeutsam sind. Diese Normen stellen die Berechnungsgrundlage dar, um die Treibhausgasemissionen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu erfassen und damit Einsparpotenziale aufzudecken. Bei einem produktbezogenen CO 2 -Fußabdruck umfasst dies somit Emissionen von der Rohstoffgewinnung über die Produktion, die Nutzungsphase bis hin zur Entsorgung. Ein unternehmensbezogener CO 2 -Fußabdruck umfasst sämtliche Emissionen, die im Unternehmen oder die in der gesamten Wertschöpfungskette entstehen. Aufgrund des teils großen Aufwands, Emissionen in der Lieferkette und nach dem Verkauf zu erfassen, beschränken sich zahlreiche Unternehmen auf die Emissionen, die innerhalb des Unternehmens entstehen. Damit besteht beispielsweise die Gefahr, dass ein Outsourcing von Produktionstätigkeiten wie eine erfolgreiche Senkung der Treibhausgasemissionen wirkt. Für Kaufentscheidungen ist insbesondere der produktbezogene CO 2 -Fußabdruck relevant. Der PAS 2050, 2008 von der British Standard Institution veröffentlicht, und das 2011 vom World Ressource Institute und vom World Business Council for Sustainable Development veröffentlichte GHG Protocol weisen große Überschneidungen auf. Mit letzterem sollte ein internationaler Standard gesetzt werden, was aufgrund der weiten Verbreitung auch gelungen ist. Die ISO 14067 wurde 2013 veröffentlicht und ist eng mit vielen anderen ISO-Normen verbunden. Die ISO 14067 enthält zusätzlich verbindliche Regeln zur Reduktion der Emissionen wie auch zur Kommunikation des CO 2 -Fußabdrucks. Da sich diese drei Normen in Details voneinander unterscheiden, führen sie beim selben Produkt zu abweichenden Ergebnissen. (vgl. Lewandowski, Ullrich, Gronau 2021, S. 18f.) <?page no="190"?> 190 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Zur Ermittlung des CO 2 -Fußabdrucks wird, angelehnt an das GHG-Protocol, folgendes Vorgehen empfohlen: [1] Definition von Systemgrenzen [2] Erfassung von Verbrauchsdaten [3] Recherche von Emissionsfaktoren [4] Berechnung der CO 2 -Emissionen [5] Dokumentation der Ergebnisse Eingangs ist zu klären, was bei der Ermittlung des Fußabdrucks alles einbezogen werden soll. So können Tochtergesellschaften oder Joint Ventures gemäß den Anteilen zugerechnet werden (equity share approach) oder sie können vollständig zugeordnet werden, wenn diesen gegenüber Kontrolle ausgeübt wird (control approach). Anschließend ist eine umfassende innerbetriebliche Datensammlung notwendig, um die eingesetzten Ressourcen und die Verbräuche zu erfassen. Um aus diesen die Treibhausgasemissionen zu ermitteln, werden sogenannte Emissionsfaktoren benötigt, die zumeist als Ökobilanzdatenbank vorliegen. Diese enthält Umrechnungsfaktoren, um aus den verschiedenen Ressourcen und Tätigkeiten den entsprechenden Umfang an Treibhausgasemissionen in Form von CO 2 e zu berechnen. Diese Datenbanken sind in der Regel auch in den Softwaretools zur Erstellung von Carbon Footprints oder von Ökobilanzen hinterlegt. Die korrekte Nutzung der Faktoren erfordert zum Teil vertiefte technische und naturwissenschaftliche Kenntnisse. So hängen beispielsweise die Emissionsfaktoren für Öl von der genauen Art des Öls, von der Herkunft und von der Bearbeitung des Rohöls ab. Sind die Emissionsfaktoren bekannt, können die gesamten Treibhausgasemissionen berechnet, dokumentiert und kommuniziert werden. (vgl. Sailer 2024, S. 52f.) Datenbanken mit Emissionsfaktoren sind etwa: ◼ IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change / Weltklimarat): https: / / www.ipcc-nggip.iges.or.jp/ EFDB/ main.php ◼ Greenhouse Gas Protocol: Emissionsfaktoren als Excel-Tool zum Download: https: / / ghgprotocol.org/ calculation-tools ◼ Ecoinvent: https: / / ecoinvent.org ◼ Umweltbundesamt: Prozessorientierte Basisdaten für Umweltmanagementsysteme (ProBas): https: / / www.probas.umweltbundesamt.de/ php/ index.php Bis auf Ecoinvent stehen die Datenbanken im Internet kostenlos zur Verfügung. Bei der Erfassung der Treibhausgasemissionen unterscheidet das GHG Protocol drei Ebenen: Scope 1-3. Scope 1: direkte Emissionen, die innerhalb des Unternehmens anfallen, in der Regel aus dem Verbrauch der eingesetzten Energie für die betrieblichen Anlagen und Gebäude <?page no="191"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 191 Scope 2: indirekte Emissionen aus extern bezogener Energie wie Strom oder Fernwärme Scope 3: indirekte Emissionen durch die Rohstoffgewinnung, die Herstellung und den Transport von Vorprodukten (Upstream) sowie durch die Nutzung der eigenen Produkte seitens der Kunden und die Entsorgung (Downstream) Abb. 6.14: Drei Scopes des Greenhouse Gas Protocols (Quelle: eigene Darstellung, angelehnt an Greenhouse Gas Protocol 2011, S. 5) In den meisten Unternehmen umfasst Scope 3 den größten Anteil an Emissionen. Dabei ist die Ermittlung der Scope-3-Emissionen in aller Regel am schwierigsten. Es werden Daten aus der gesamten Wertschöpfungskette benötigt, die oft nur unvollständig vorliegen oder geschätzt werden müssen. Häufig bestehen keine direkten Geschäftsbeziehungen zu vorgelagerten Produktionsstufen, wodurch die Beschaffung der Daten erschwert wird. Das GHG Protocol sieht daher vor, dass Emissionen aus Scope 1 und 2 verpflichtend und Scope 3 nur optional zu ermitteln sind. Einzelne Emissionen sind nur dann relevant und zu ermitteln, wenn sie den Umfang der gesamten Emissionen wesentlich beeinflussen oder wenn diese für Stakeholder von besonderem Interesse sind. Nachfolgend finden sich zwei Beispiele für die relative Verteilung der Treibhausgasemissionen auf die Scopes: Beispiel BASF BASF berichtet aus dem Jahr 2022 für die drei Scopes folgende THG-Emissionen nach Scopes in %: <?page no="192"?> 192 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 6.15: Scope 1-3 bei BASF im Jahr 2022 in % (Quelle: eigene Abbildung, Daten entnommen aus https: / / www.basf.com/ global/ de/ who-we-are/ sustainability/ we-produce-safely-andefficiently/ energy-and-climate-protection/ corporate-carbon-footprint.html, Abruf: 29.02.2024) Beispiel Mercedes-Benz Die durchschnittlichen Treibhausgasemissionen je hergestelltem Fahrzeug betrug im Jahr 2019: Produktionsphase Nutzungsphase Entsorgungsphase Scope 3 Herstellung eingekaufter Güter und Dienstleistungen Scope 1 und 2 Produktion der Fahrzeuge Scope 3 Nutzungsphase: Kraftstoff- und Stromproduktion Scope 3 Nutzungsphase: Fahrbetrieb Scope 3 End of Life: Recycling und Abfallbeseitigung 7,8 t 0,7 t 5,0 t 35,0 t 0,4 t 16,0 % 1,4 % 10,2 % 71,6 % 0,8 % Tabelle 6.6: Treibhausgasemissionen nach Scopes (Quelle: Mercedes-Benz AG, https: / / group.mercedes-benz.com/ magazin/ nachhaltigkeit/ co2-emissionen-fussabdrucknull.html, Abruf: 29.02.2024) Die beiden Beispiele verdeutlichen die enorme Bedeutung der Emissionen auf der Scope-3-Ebene. Bei BASF machen diese 82,8% aller Emissionen aus, bei einem Mercedes-Benz-Fahrzeug betrugen diese 98,6%. Ein Vernachlässigen aufgrund der teils schwierigen Erfassung ist bei dieser Dominanz nicht gerechtfertigt. Mercedes-Benz hat angekündigt, ab 2022 seine Werke klimaneutral zu betreiben. Auch dies ist vor dem Hintergrund der Bedeutung der eigenen Werke für die gesamten Emissionen zu bewerten. Eine hohe Datenverfügbarkeit, die Nutzung von Big Data und intelligente Anwendungstechnologien erlauben zusehends eine fundierte, datenbasierte Abschätzung von Emissionen. Damit können diese auch für eine große Anzahl an Produkten ermittelt werden. „Wir haben ein Tool für die Nachhaltigkeitsbetrachtung eingeführt, den ‚Product Carbon Footprint‘. Ende dieses Jahres werden wir als erste Firma überhaupt für alle unsere 45.000 Verkaufsprodukte den CO 2 -Footprint an unsere Kunden weitergeben - und zwar Scope 1, 2 und 3.“ (Martin Brudermüller, CEO BASF, in: Raffel, Wörner 2021, S. 47) <?page no="193"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 193 Beispiel BASF Abb. 6.16: Übersichtsdarstellung zur Ermittlung des CO 2 -Fussabdrucks bei BASF (Quelle: BASF 2022, in: https: / / www.basf.com/ global/ de/ media/ news-releases/ 2020/ 07/ p-20- 260.html, Abruf: 27.04.2022) Top-down-Klimaziele: Science Based Targets Nach der Ermittlung der Treibhausgasemissionen sind Ziele und Maßnahmen zu entwickeln, um diese zu reduzieren. Dabei reicht es nicht aus, wenn hierbei jedes Unternehmen „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ agiert. Um das Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, dem sich nahezu alle Länder verpflichtet haben, müssen sich auch die Unternehmen diesem Ziel unterwerfen. Um die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf unter 2 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zu erreichen, müssen die Länder und somit auch die Unternehmen bis 2050 klimaneutral sein. Eine Methodik, die für Unternehmen einen wissenschaftlich fundierten Weg zu diesem Ziel aufzeigt, legt die Science Based Targets Initiative (SBTi) vor. Träger dieser Initiative sind verschiedene Organisationen wie der UN Global Compact, WWF oder das Carbon Disclosure Project (CDP). (vgl. Sailer 2024, S. 62ff.) Link: https: / / sciencebasedtargets.org Definition: Wissenschaftsbasierte Klimaziele Unter wissenschaftsbasierten Zielen versteht man Pläne zur Reduktion von THG- Emissionen, die dem aktuellen Stand der Klimawissenschaft entsprechen, um die Pariser Klimaziele (globale Erwärmung deutlich unter 2°C, am besten 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau) zu erreichen. <?page no="194"?> 194 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling In Abhängigkeit von der Unternehmensgröße und der Branche geben die Science Based Targets (SBT) für jeden Scope Reduktionsziele vor. Bedeutsam ist dabei, dass eine relative Reduktion der Emissionsziele allein nicht ausreicht. Nicht nur der Treibhausgasausstoß je Euro Umsatz muss sinken, sondern er muss absolut sinken. Nur so kann trotz Unternehmenswachstum ein schrittweises Erreichen der Klimaneutralität erreicht werden. Die SBT erfordern zwingend die Erfassung der Emissionen in Scope 1 und 2. Scope 3 muss mindestens in einem Umfang von zwei Dritteln aller Scope-3-Emissionen erfasst werden, sofern diese mindestens 40% des gesamten Fußabdrucks ausmachen oder sofern das Unternehmen mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt. Um das 1,5°C-Ziel zu erreichen, sind die Emissionen jährlich linear um 4,2% zu senken (vgl. Science Based Targets Initiative 2021, S. 12). Die genaue Reduktion ist jedoch unternehmensindividuell und hängt von verschiedenen Faktoren ab wie die Branche, die Ausgangssituation des Unternehmens oder der Unternehmensgröße. Die SBTi fordert die Unternehmen auf, sich individuelle, aber wissenschaftlich fundierte Ziele zu setzen, die ihren spezifischen Möglichkeiten entsprechen. Darüber hinaus gibt es relative Vorgaben, bei denen die Emissionen je kg Output oder je Euro Ausgaben gesenkt werden müssen. Für mehrere Branchen gibt es allerdings spezifische Vorgaben. Für die Baubranche können sich Reduktionsziele auf einzelne Bauprojekte beziehen. Falls die Scope-3-Ziele nicht erreicht werden, muss ein Unternehmen in den nächsten fünf Jahren mindestens zwei Drittel der Geschäftspartner dafür gewinnen, sich selbst zu den SBT-Zielen zu verpflichten. (vgl. Sailer 2024, S. 48f.) Die Teilnahme an den Science Based Targets sieht ein fünfstufiges Vorgehen vor, wie Abbildung 6.17 zeigt. Abb. 6.17: Fünfstufiges Vorgehen der Science Based Targets (Quelle: eigene Abbildung, angelehnt an Science Based Targets 2023, https: / / sciencebasedtargets.org/ set-a-target, Abruf: 29.02.2024) Es wird kaum gelingen, jegliche Emissionen zu vermeiden. Die nicht vermeidbaren Emissionen müssen daher kompensiert werden. Dies kann beispielsweise durch den <?page no="195"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 195 Erwerb von Zertifikaten für Klimaschutzprojekte erfolgen, wie etwa durch Aufforstung, durch Windkraftanlagen oder durch Anlagen zur Methanvermeidung. Damit wird sichergestellt, dass in dem entsprechenden Umfang Treibhausgasemissionen an anderer Stelle oder in anderen Ländern eingespart werden. Beispiel Aldi Süd „Die Unternehmensgruppe ALDI SÜD ist seit Juli 2020 einer der ersten international agierenden Lebensmitteleinzelhändler mit einem unternehmensweiten „Science Based Target“ (SBT) für den Klimaschutz. Der „Fortschrittsbericht zum Thema Klimaschutz 2020“ zeigt, dass ALDI sein wissenschaftsbasiertes Reduktionsziel (SBT) für betriebliche Emissionen bereits übertroffen hat und auch im Hinblick auf sein Ziel zur Einbindung der Lieferanten gute Fortschritte macht. ALDI überwacht seine Fortschritte auf dem Weg zur Vision „Null Emissionen“ durch jährliche Berechnung des unternehmensweiten CO 2 -Fußabdrucks für alle Geschäftsprozesse und Standorte in Übereinstimmung mit dem Greenhouse Gas Protocol.“ (Quelle: Aldi Süd 2021, in: https: / / cr.aldisouthgroup.com/ de/ verantwortung/ aktuelles/ aldi-weiter-fortschritte-bei-erreichung-science-based-targets-klimaschutz, Abruf: 02.03.2024) Zahlreiche Unternehmen richten sich an den Science Based Targets aus und streben damit an, in den nächsten 2-3 Jahrzehnten vollständig klimaneutral zu werden. Siemens, Volkswagen, BMW, Deutsche Bank, E.ON und Bayer kündigen die Klimaneutralität für die gesamte Wertschöpfungskette für 2050 an, Mercedes-Benz strebt dies für 2039 an und SAP hat sich dieses Ziel für 2030 gesetzt. Aus der Erfassung der Treibhausgasemissionen ist daher ein Plan zu entwickeln, wie diese sukzessive verringert werden, um das Ziel zu erreichen. Beispiel Continental Zur Erreichung der Klimaneutralität hat sich Continental ambitionierte Ziele gesetzt: Bis 2040 soll dann die gesamte Produktion von Continental klimaneutral erfolgen. Ziel ist es, den Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid immer weiter zu verringern, damit so wenig wie möglich ausgeglichen werden muss. Langfristig soll in enger Zusammenarbeit mit Lieferanten und Kunden die komplette Klimaneutralität entlang der gesamten Wertschöpfungskette erreicht werden - und das bis spätestens 2050. „Continental setzt damit die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 konsequent um“, erläutert Reinhart. „Das hat uns Ende 2020 die ‚Science Based Targets Initiative‘ (SBTi) bestätigt. Unsere eigene Produktion ist damit auf einem 1,5-Grad- Celsius-Pfad, für unsere Wertschöpfungskette sind wir deutlich unter zwei Grad Celsius.“ Quelle: Continental AG, in: https: / / www.continental.com/ de/ presse/ studien-publikationen/ technologie-dossiers/ nachhaltigkeit/ nachhaltigkeit-klimaneutralitaet/ , Abruf: 02.03.2024) <?page no="196"?> 196 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Das GHG Protocol wird als das am häufigsten genutzte Normenwerk genannt. Nach eigenen Angaben des GHG Protocols nutzen dies mehr als 90% der umsatzstärksten Unternehmen der USA. Auf der Homepage des GHG Protocols finden sich Standards, Kalkulationstools und Emissionsfaktoren sowie kostenlose Online-Trainings. Der Zugang zur Nutzung des Regelwerks wird hierdurch erleichtert. Link: https: / / ghgprotocol.org Beurteilung des Carbon Footprints Die Messung der Treibhausgasemissionen eines Produkts schafft die notwendige Transparenz, um Maßnahmen zu deren Senkung zu ergreifen. Da die Umweltbelastung aber durch vielfältige Eingriffe erfolgt, wird dies kaum zu einer ausgewogenen Optimierung der gesamten Umweltbelastung führen. Teils kann die Verringerung eines Schadens sogar zu einer Verstärkung anderer Schäden führen. So kann die Intensivierung der Landwirtschaft den Carbon Footprint verbessern, zugleich aber die Artenvielfalt einschränken. Aus ökologischer Perspektive wird die politisch und gesellschaftlich recht starke Fokussierung auf die Treibhausgasemission teils kritisiert. Zum einen gibt es viele andere, kritische Umweltschädigungen und zum anderen entsteht in der Öffentlichkeit die trügerische Erwartung, dass die Umweltschäden weitgehend behoben sind, wenn nur die Treibhausgasemissionen verringert werden. „Wir haben 2019 gesagt, dass wir zukünftig den CO 2 -Footprint zu einem Vergabekriterium bei Aufträgen machen. Am Anfang ist dies ein weiches Kriterium, es wird dann aber erst zu einem Vergabe- und schließlich zu einem Ausschlusskriterium. Der Druck auf die Lieferkette erhöht sich schrittweise.“ (Olla Källenius, CEO Mercedes-Benz, 2021, in: Raffel, Wörner 2021, S. 48) 6.2.3.2 Ökobilanz Die Begriffe Ökobilanz, Life Cycle Assessment und Lebenszyklusanalyse können im Wesentlichen als identisch betrachtet werden. Die Ökobilanz baut auf der Energie- und Materialstromanalyse auf, die sämtliche ökologisch relevanten Input- und Output-Größen in einer Art Sachbilanz zusammenfasst. Hierbei werden die sachlich erfassten Energie- und Stoffströme um die spezifischen Umweltwirkungen ergänzt. Eine Ökobilanz kann somit für einzelne Produkte und für organisatorische Einheiten, vom gesamten Unternehmen bis hinunter auf die Prozessebene, erstellt werden. Die DIN EN ISO 14040 und 14044 stellen die Normen zur Durchführung einer Ökobilanzierung zur Verfügung. Demnach besteht eine Ökobilanz aus vier Elementen: [1] Definition des Ziels und Untersuchungsrahmens Für welches Produkt oder welche Einheit soll die Ökobilanz erstellt werden, wofür soll diese verwendet werden und wo liegen die Grenzen der Untersuchung? [2] Erstellung der Sachbilanz Über eine Organisationseinheit bzw. über einen Produktlebenszyklus hinweg werden die Inputs an Energie und Ressourcen dem Output in Form eines Produktes sowie der Emissionen gegenübergestellt. <?page no="197"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 197 Abb. 6.18: Arten der Ökobilanz: Betriebsbilanz, Produktbilanz, Prozessbilanz (eigene Abbildung) Abb. 6.19: Bestandteile einer Ökobilanz (eigene Abbildung) [3] Abschätzung der Umweltauswirkungen Ermittlung der ökologischen Auswirkungen der In- und Outputs nach wissenschaftlich anerkennten Kriterien, wie etwa Förderung des Treibhauseffekts oder Erhöhung der Feinstaubbelastung sowie Kategorisierung der Schwere der Umweltbelastung. [4] Auswertung der Ökobilanz Beurteilung der Ergebnisse und Ableiten von Empfehlungen für eine wirksame Verringerung der Umweltbelastung. Teils werden die Ergebnisse hierbei auch in einer einzelnen Spitzenkennzahl aggregiert, wie das etwa beim ökologischen Fußabdruck der Fall ist. <?page no="198"?> 198 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 6.20: Schematische Darstellung einer Sachbilanz (eigene Abbildung) Die Ökobilanz wird in der Praxis in sehr unterschiedlichen Ausprägungen verwendet und durch verschiedenartige Methoden unterstützt. Auch dies unterscheidet sie deutlich von einer betriebswirtschaftlichen Bilanz, die nach einheitlichen Vorschriften erstellt wird und die Unternehmen miteinander vergleichbar macht. Die Ökobilanz kann für das Nachhaltigkeitscontrolling umfassend genutzt werden, da sie sowohl der Zielbildung (maximale Umweltbelastung je Produkt oder je Geschäftseinheit), der Planung (Priorisierung und Ausgestaltung von Maßnahmen) und der Steuerung (korrigierende Eingriffe bei Zielabweichungen) dient. Beurteilung der Ökobilanz Aufgrund subjektiver Elemente, wie etwa die Abgrenzung des Untersuchungsfelds, die Abschätzung der Umweltauswirkungen oder die Beurteilung der Ergebnisse, ist ein unternehmensübergreifender Vergleich nur eingeschränkt möglich. Durch die Abhängigkeit von subjektiven Einschätzungen kann eine Ökobilanz auch nur eingeschränkt für eine objektive Berichterstattung oder als eine Ziel- und Steuerungsgröße genutzt werden. Um Willkür zu vermeiden, sollten daher stets auch die Annahmen offengelegt werden, auf denen die Ökobilanz beruht. (vgl. Dyckhoff/ Souren 2008, S. 168f.) Die vielfältigen Ergebnisse einer Ökobilanz sollten zudem nicht in einer einzigen Kennzahl aggregiert werden. Auch die betriebswirtschaftliche Bilanz kann nur mit Hilfe zahlreicher Bilanzkennzahlen interpretiert werden und nicht mit einer einzigen. Die Aggregation der verschiedenen Erkenntnisse in einer Kennzahl erfordert die Aufrechnung von Teilergebnissen. Hierdurch gehen nicht nur Informationen verloren. Eine Aufrechnung unterstellt, dass die verschiedenen Faktoren substituierbar seien. Ein hoher CO 2 -Ausstoß wird nicht dadurch erträglich, dass die Menge an Abwässer verringert wurde. Die Ökobilanz weist daher verschiedene Teilergebnisse aus, die nach ökologischen Problemfeldern differenziert sind, wie etwa Klimawandel, Versauerung der Böden oder die Biodiversität. In der ökonomischen Unternehmenssteuerung sind zwar Spitzenkennzahlen üblich, allerdings arbeitet das Management seit jeher auf Basis vielfältiger Informationen, wie sie beispielsweise im Managementreport zur Verfügung <?page no="199"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 199 gestellt werden. Das Management kann deshalb auch mit vielfältigen Informationen aus dem Bereich der Nachhaltigkeit umgehen (vgl. Schaltegger 2013, S. 290f.). Beispiel Continental „Um die Umweltauswirkungen von Produkten - sowohl während des Herstellungsprozesses als auch während der Nutzung - festzustellen, wurden verschiedene Methoden entwickelt. Eine davon ist die Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA). Ziele einer Ökobilanz sind: - Gewinnung von Umweltinformationen zu Produkten und Produktgruppen - Identifizierung von Verbesserungsmöglichkeiten der Umweltleistung von Produkten während des gesamten Produktlebenszyklus - Sammeln von Informationen für den Dialog mit Entscheidungsträgern in Industrie, Behörden oder Nichtregierungsorganisationen - Entwicklung relevanter Indikatoren für die Umweltleistungsbewertung - Unterstützung der Produktentwicklung - Unterstützung des Marketings, beispielsweise bei der Umsetzung eines Öko-Label-Konzepts oder bei der Erstellung einer Produkt-Umwelterklärung - Unterstützung der innerbetrieblichen strategischen Planung - Anhand einer Ökobilanz können die mit einem Produkt verbundenen potenziellen Umweltbeeinträchtigungen über den gesamten Lebensweg des Produkts nachvollzogen werden ‒ von der Rohstoffgewinnung über die Produktion, Nutzung und die Verwertung.“ (Quelle: Continental AG, in: https: / / www.continental.com/ de/ nachhaltigkeit/ umwelt/ produktverantwortung/ oekobilanzen/ , Abruf: 08.05.2022) 6.2.3.3 Ökologische Gewinn- und Verlustrechnung Die ökologische Gewinn- und Verlustrechnung (Environmental Profit and Loss Account) wurde vor allem durch den Sportartikelhersteller Puma bekannt, der seinen Jahresabschluss 2010 um eine umfangreiche Darstellung der ökologischen Auswirkungen seines Handelns ergänzte. Symbolhaft stellte sich Puma die Frage: „Wenn unser Planet ein Unternehmen wäre - wie viel würde er für die Dienste berechnen, die er für Puma erbringt? Welchen Betrag würde er für die Beseitigung des ökologischen Fußabdrucks durch Verschmutzung und Beschädigung, den Puma hinterlässt, dem Unternehmen in Rechnung stellen? “ (Puma, Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht 2011, S. 37). Um die ökologischen Kosten zu ermitteln, wurden die Umweltauswirkungen entlang der gesamten Lieferkette bis zur Rohstoffgewinnung monetär bewertet. Hierdurch entstand eine Kostentransparenz sowohl über die ökonomischen als auch über die internen und externen ökologischen Kosten. Da dieses Messkonzept durch Puma bekannt wurde, soll dieses auch hierdurch erläutert werden. Neben den Kosten für den Verkauf, Lager und die Administration wurden vier Lieferantenebenen, im Englischen als „tier“ bezeichnet, berücksichtigt: <?page no="200"?> 200 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Operations Büros, Läden, Läger, Logistik, Geschäftsreisen, IT Tier 1 Produktion: Bekleidung, Schuhe, Accessoires Tier 2 Outsourcing: Stickereien, Drucke, Außensohlen Tier 3 Processing: Gerbereien, Färbereien, Chemische Industrie Tier 4 Rohstoffe: Baumwollanbau, Viehzucht, Öl- und Gummigewinnung Tabelle 6.7: Stufen in der Lieferkette bei Puma (Quelle: in Anlehnung an Puma 2011, S. 6) Die Kosten der Operations und der Tier 1 konnten den primären Quellen, vor allem dem eigenen Umweltmanagementsystem entnommen werden. Dies umfasst etwa den CO 2 -Ausstoß, den Wasserverbrauch oder die Abfallmenge. Bei der dritten und vierten Ebene stehen nahezu keine primären Daten zur Verfügung. Hier wurde weitgehend mit Daten des britischen Beratungsunternehmens Trucost (www.trucost.com) gearbeitet. Trucost hat sich zum Ziel gesetzt, Umweltschäden in Geldeinheiten zu bewerten. Die Tier 2-Ebene kann teils mit primären, teils aber auch nur mit sekundären Daten indirekt bewertet werden. Insgesamt wurden entlang der Lieferantenkette fünf Schadenstypen erfasst, die gemäß Puma für die eigenen Aktivitäten die größte Relevanz haben: Wassernutzung, CO 2 -Ausstoß, Landnutzung, Luftverschmutzung und Abfälle. Puma ermittelte insgesamt einen ökologischen Schaden in Höhe von 145 Millionen €, der in den ökonomischen Daten nicht erfasst wird. Dies umfasst etwa 10% der im Finanzbericht ausgewiesenen Umsatzkosten und würde den ausgewiesenen Konzerngewinn um mehr als die Hälfte reduzieren. Dabei entfallen 76% der Schäden auf die am weitesten entfernten Lieferanten der Ebenen 3 und 4. Die Einflussmöglichkeiten sind hier zumeist entsprechend gering. Bezogen etwa auf ein einzelnes T-Shirt im Wert von 20 € betrugen die zusätzlichen Umweltschäden 3,42 €. Bei einer ökologischenProduktreihe konnte Puma diese Kosten auf 2,36 € je T-Shirt senken. EUR Mio. Wassernutzung CO2- Ausstoß Landnutzung Luftverschmutzung Abfälle Summe in % Operations <1 7 <1 1 <1 8 6% Tier 1 1 9 <1 1 2 13 9% Tier 2 4 7 <1 2 1 14 9% Tier 3 17 7 <1 3 <1 27 19% Tier 4 25 17 37 4 <1 83 57% Summe 47 47 37 11 3 145 100% in % 33% 33% 25% 7% 2% 100% Tabelle 6.8: Ergebnis der ökologischen Gewinn- und Verlustrechnung bei Puma (Quelle: Puma 2011, S. 8) <?page no="201"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 201 Abb. 6.21 (1): Auswertung der ökologischen Gewinn- und Verlustrechnung bei Puma (Werte in Mio. €, Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Puma 2011, S. 8) Abb. 6.21 (2): Auswertung der ökologischen Gewinn- und Verlustrechnung bei Puma (Werte in Mio. €, Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Puma 2011, S. 8) Auf Basis der ökologischen Gewinn- und Verlustrechnung können Ziele definiert und Maßnahmen ergriffen werden, um Umweltschäden wirksam zu verringern. So wäre bei Puma auf Basis der vorliegenden Daten vor allem eine Fokussierung auf den Verbrauch von Wasser und Land sowie auf den CO 2 -Ausstoß vorzunehmen. Die Landnutzung ist dabei auf der Lieferantenebene 4, der Wasserverbrauch auf den Ebenen 3 und 4 und der CO 2 -Ausstoß über die gesamte Lieferkette und innerhalb von Puma zu betrachten. Es wurde beispielsweise erkannt, dass die Wassereinsparung in den eigenen Büros, Lagern und Verkaufsstätten nur wenig lohnend ist, da 99,9% der Kosten des Wasserverbrauchs in der Lieferkette auftritt. Maßnahmen können in einer Optimierung der Produkte und Prozesse, in der Lieferantenauswahl, in den Anforderungen an die Lieferanten oder auch in einer Veränderung des Produktangebots liegen. Der Erfolg der Maßnahmen kann dabei sowohl im Zeitverlauf als auch im Vergleich zu Wettbewerbern - sofern entsprechende Daten vorliegen - gemessen werden. Beurteilung der ökologischen Gewinn- und Verlustrechnung Die ökologische Gewinn- und Verlustrechnung ist grundsätzlich vergleichbar mit einer Produkt-Ökobilanz, allerdings werden dort die Schäden zumeist in physikalischen <?page no="202"?> 202 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Einheiten erfasst. Die Besonderheit liegt hierbei also vor allem in der monetären Bewertung der Umweltschäden. Die Schwierigkeiten einer Übersetzung von Umweltschäden in Geldeinheiten wurden bereits thematisiert. Ebenso wurde bereits darauf verwiesen, dass im Sinne einer starken Nachhaltigkeit in kritischen Fällen auf eine Monetarisierung verzichtet werden solle. Verschiedene Umweltschäden sind nicht substituierbar, da für ein funktionierendes Ökosystem zahlreiche Parameter in bestimmten Ausprägungen vorliegen müssen. Zudem ist beispielsweise die Wasser- oder Landnutzung regional unterschiedlich zu bewerten. In wasserreichen bzw. schwach besiedelten Gebieten sind andere Kosten anzusetzen als in wasserarmen bzw. dichtbesiedelten Gebieten. Diese Kritik ist kein K.o.-Kriterium für die ökologische Gewinn- und Verlustrechnung. Sie erfordert einen sensiblen Umgang mit den Daten. Das Nachhaltigkeitscontrolling muss sicherstellen, dass Entscheidungsträger dies wissen und die Daten nicht falsch interpretieren. Dass Informationen verständlich sind und nicht fehlerhaft genutzt werden, ist für das Controlling aber seit jeher eine Kernaufgabe. Die Erstellung einer ökologischen Gewinn- und Verlustrechnung ist sehr aufwendig. Puma kündigte beispielsweise an, diese alle zwei Jahre zu aktualisieren. Eine begründete Beschränkung des Umfangs erscheint daher gerechtfertigt. Im Nachhaltigkeitsbericht 2021 führt Puma aus, dass an der bisherigen Methodik Mängel festgestellt wurden, weshalb die Veröffentlichung für dieses Jahr ausgesetzt wurde, um sie anzupassen. Zum einen sollte die Berechnung vor allem für die wichtigsten Produkte erstellt werden, zum anderen ist vorab zu definieren, welche Umweltschäden in die Betrachtung einbezogen werden sollen. Hier hat sich Puma auf fünf Schäden beschränkt. Erweitert werden könnte das Konzept um den Einbezug der Nutzungswie auch der Entsorgungsphase. Hierdurch gelänge man zu einer Erfassung der gesamten Lebenszykluskosten. Somit könnte die ökologische Gewinn- und Verlustrechnung auch für die Konsistenzstrategie genutzt werden, da hierfür die Lebenszykluskosten notwendig sind. 6.2.3.4 Ökoeffizienzanalyse Die Ökoeffizienzanalyse (gemäß ISO 14045) verfolgt das Ziel, die Umweltauswirkungen eines Produkts oder einer Dienstleistung über den gesamten Lebenszyklus hinweg, „von der Wiege bis zur Bahre“, zu verringern. Die Ökoeffizienz ist dabei eine Kennzahl, welche den wirtschaftlichen Wert in Relation zur Umweltbelastung misst. Ökoeffizienz = wirtschaftlicher Wert / Umweltwirkung z.B. Wertschöpfung in € / CO 2 -Ausstoß in t Ein Unternehmen ist ökoeffizient, wenn es je Einheit Umweltbelastung möglichst viel wirtschaftlichen Wert schafft bzw. wenn ein bestimmter wirtschaftlicher Wert mit möglichst wenig Umweltbelastung einhergeht. Hierbei sind sämtliche wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen von der Rohstoffgewinnung über den Transport, die Energiegewinnung, die Herstellung und Nutzung bis hin zur Entsorgung zu erfassen. <?page no="203"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 203 Beispiel BASF Die BASF hat die Ökoeffizienzanalyse als Instrument zur Steuerung der Nachhaltigkeit etabliert. Die Wirtschaftlichkeit wird den Umweltwirkungen gegenübergestellt, die mit Hilfe von neun Einzelgrößen gemessen werden. Aus diesen ergibt sich die Gesamtumweltbelastung eines Produktes oder eines Verfahrens. abiotischer Rohstoffverbrauch konsumtiver Wasserverbrauch - Flächenbedarf - Humantoxizität - Eutrophierung - Versauerungspotenzial - Ozonzerstörungspotenzial photochemisches Ozonbildungspotenzial - Treibhausgaspotenzial Die ökologischen und die ökonomischen Daten werden in ein Matrixdiagramm übertragen, aus der sich der Grad der Ökoeffizienz ermitteln und mit Alternativen vergleichen lässt: Abb. 6.22: Ökoeffizienz-Portfolio (Quelle: eigene Darstellung, angelehnt an: BASF SE, in https: / / www.basf.com/ global/ de/ who-we-are/ sustainability/ we-drive-sustainable-solutions/ quantifying-sustainability/ eco-efficiency-analysis.html, Abruf: 02.03.2024) <?page no="204"?> 204 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling In voranstehender Abbildung sind die Varianten 1 und 2 ökoeffizienter als 3 und 4. Die Diagonale von links oben nach rechts unten trennt eine hohe von einer niedrigen Ökoeffizienz. Die Varianten 1 und 2 verursachen zwar höhere Kosten, führen aber zu deutlich geringeren Umweltbelastungen. Variante 1 kann zudem weiterentwickelt werden, so dass der wirtschaftliche Erfolg aufgrund sinkender Kosten steigt, ohne dass dies zu Lasten einer höheren Umweltbelastung geht. Aus wirtschaftlicher und aus ökologischer Sicht ist Variante 1 samt Weiterentwicklung als ökoeffizienteste Alternative zu empfehlen. Beurteilung der Ökoeffizienzanalyse Die Ökoeffizienzanalyse stellt immer einen relativen Vergleich dar. Wird die Ökoeffizienz einmalig für ein einzelnes Produkt oder für ein einziges Verfahren ermittelt, kann die Ökoeffizienz nicht beurteilt werden. Die einzelne Kennzahl lässt noch keine Aussage zu, ob diese gut oder schlecht ist. Erst durch den Vergleich mit anderen Produkten, mit anderen Produktionsverfahren oder auch durch einen zeitlichen Vergleich ist eine Bewertung möglich. Wie es der Name sagt, wird durch dieses Instrument die Effizienz beurteilt, nicht aber die Effektivität bzw. Konsistenz. Es wird also das relativ Beste ausgewählt, unabhängig davon, ob es auch absolut gut ist. Auf der operativen Ebene ist die Effizienz ein relevantes Kriterium und die Ökoeffizienzanalyse ist hierfür praktikables Instrument. 6.2.3.5 Öko-Kennzahlen In den vorangehenden Abschnitten wurden verschiedene, teils umfangreiche Konzepte vorgestellt, mit denen die Umweltleistungen eines Unternehmens gemessen werden können. Wenn ein Unternehmen keine umfangreichen Konzepte nutzt, werden zumeist einzelne ökologische Kennzahlen gemessen. Auch ergänzend können solche Kennzahlen eingesetzt werden. Schließlich decken die vorgestellten Methoden der Umweltkostenrechnung auch nicht alle ökologisch relevanten Themenfelder ab, weshalb eine Ergänzung um weitere Öko-Kennzahlen sinnvoll erscheint. In der Praxis sind umweltorientierte Kennzahlen und Indikatoren insgesamt sehr verbreitet und bedeutsam. Gemäß dem Sustainability-Barometer der Leuphana Universität Lüneburg nutzten bereits 2012 69,1% von 152 befragten großen Unternehmen in Deutschland Umweltkennzahlen (vgl. Schaltegger, Hörisch, Windolph, Harms 2012, S. 40, 44). Beispiel Bosch Zur Steuerung der ökologischen Nachhaltigkeit nutzt Bosch insbesondere folgende Öko-Kennzahlen: - Treibhausgasemissionen (in Tonnen CO 2 e) - Treibhausgasintensität (in Tonnen CO 2 e je Millionen Euro Umsatz) - Grünstrombezug (Anteil am gesamten Strombezug) - Energieeffizienz (erschlossenes Einsparpotenzial) regenerative Energieerzeugung (Energiegewinnung aus Photovoltaik und Wasserkraft) <?page no="205"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 205 - Energiebedarf (in GWh) - Energieintensität (in MWh je Millionen Euro Umsatz) - Scope 3 CO 2 -Emissionen (prozentuale Einsparung) - Wasserentnahme (in Millionen Kubikmeter) - Wasserintensität (in Kubikmeter je Million Euro Umsatz) - Abwasser (im Millionen Kubikmeter) - Abfallaufkommen und -entsorgung (in Tonnen) - Abfallintensität (in Tonnen je Million Euro Umsatz) (Quelle: Robert Bosch GmbH, Nachhaltigkeitsbericht 2021, S. 65-75) Maßgeblichen Einfluss auf die Auswahl von Kennzahlen hat der GRI-Berichtsstandard. Die meisten großen Unternehmen erstellen ihre Nachhaltigkeitsberichte gemäß den Vorgaben der GRI. Hierfür notwendige Kennzahlen werden ermittelt und veröffentlicht. Zwar werden nicht alle diese Kennzahlen im betrieblichen Steuerungssystem genutzt, doch allein die Veröffentlichung einer Kennzahl zwingt dazu, sich mit dieser inhaltlich zu beschäftigen. Durch ihre Veröffentlichung im Nachhaltigkeitsbericht gewinnen die Kennzahlen an Bedeutung. Konkrete Beschreibungen der Inhalte sowie Umsetzungsanleitungen finden sich auf der Homepage der Global Reporting Initiative (www.globalreporting.org). Die GRI- Leitlinien sind inhaltlich am 3-Säulen-Modell ausgerichtet und enthalten dementsprechend eine wirtschaftliche (200er-Reihe), eine ökologische (300er-Reihe) und eine soziale Kategorie (400er-Reihe). In der 100er-Reihe befinden sich die universellen Standards, welche die Grundlagen zur Anwendung der GRI-Standards, allgemeine Informationen über die Organisation und den Managementansatz enthalten. Im Folgenden wird eine Übersicht über die Kennzahlen der ökologisch relevanten Kategorie GRI 300 gegeben. Diese unterteilt sich auf acht themenspezifische Standards mit insgesamt 28 Indikatoren. Detaillierte Informationen sowie Hinweise zur Ermittlung einzelner Kennzahlen können direkt aus den Standards der GRI entnommen werden, die dort kostenlose zum Download zur Verfügung stehen. Themenstandard Nummerierung und Bezeichnung der themenspezifischen Angabe Berichterstattung GRI 301: Materialien 2016 301-1 eingesetzte Materialen nach Gewicht oder Volumen getrennt nach erneuerbaren und nicht erneuerbaren Materialien 301-2 eingesetzte recycelte Ausgangsstoffe als Prozentsatz für die Herstellung der wichtigsten Produkte und Dienstleistungen 301-3 wiederverwertete Produkte und ihre Verpackungsmaterialien Angabe je Produktkategorie als Prozentsatz GRI 302: Energie 2016 302-1 Energieverbrauch innerhalb der Organisation aus erneuerbaren und nicht erneuerbaren Quellen in Joule oder Wattstunden <?page no="206"?> 206 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling 302-2 Energieverbrauch außerhalb der Organisation Angabe in Joule, Standards, Methoden und Annahmen benennen 302-3 Energieintensität Erläuterung der Parameter des Energieintensitätsquotienten 302-4 Verringerung des Energieverbrauchs Umfang, Energieart und Berechnungsmethode, resultierend aus Einsparmaßnahmen 302-5 Senkung des Energiebedarfs für Produkte und Dienstleistungen in Joule, Berechnungsmethode, Standards, Annahmen GRI 303: Wasser und Abwasser 2018 303-3 Wasserentnahme nach Quelle Umfang nach Quellen in Megaliter, getrennter Ausweis von Trockengebieten 303-4 Wasserrückführung, aufgeschlüsselt nach Zielen in Megaliter, getrennter Ausweis von Trockengebieten und bedenklicher Stoffe 303-5 Wasserverbrauch in Megaliter, getrennter Ausweis von Trockengebieten, Wasserspeicherung GRI 304: Biodiversität 2016 304-1 Standorte an Schutzgebieten, mit hohem Biodiversitätswert Merkmal des Schutzgebiets und Schutzstatus 304-2 Beschreibung erheblicher Auswirkungen auf die Biodiversität z.B. Veränderung Lebensräume, Verringerung Artenvielfalt, betroffene Arten, … 304-3 geschützte oder renaturierte Lebensräume Größe, Standort, Zustand 304-4 durch die Geschäftstätigkeit betroffene gefährdete Arten Gefährdungsgrad und Zahl der Arten auf der roten Liste GRI 305: Emissionen 2016 305-1 direkte THG-Emissionen (Scope 1) Volumen in t CO 2 e, einbezogene Gase, Emissionsfaktoren 305-2 indirekte energiebedingte THG- Emissionen (Scope 2) Volumen in t CO 2 e, einbezogene Gase, Emissionsfaktoren 305-3 sonstige indirekte THG-Emissionen (Scope 3) Volumen in t CO 2 e, einbezogene Gase, Emissionsfaktoren 305-4 Intensität der THG-Emissionen Tonnen CO 2 je produzierter Einheit, … 305-5 Senkung der THG-Emissionen Umfang in t CO 2 e, Basisjahr, nach Scopes 305-6 Emissionen von Ozon abbauenden Substanzen Tonnen FCKW-Äquivalente, Emissionsfaktoren, … 305-7 NO X , SO X und andere signifikante Luftemissionen kg nach Art der Substanz, Emissionsfaktoren <?page no="207"?> 6.2 Umweltrechnungswesen 207 GRI 306: Abfall 2020 306-3 angefallener Abfall in metrischen Tonnen, aufgeschlüsselt nach Zusammensetzung des Abfalls 306-4 von Entsorgung umgeleiteter Abfall in metrischen Tonnen, aufgeschlüsselt nach Verfahren der Rückgewinnung 306-5 zur Entsorgung bestimmter Abfall in metrischen Tonnen, aufgeschlüsselt nach Entsorgungsverfahren GRI 307: Umwelt- Compliance 2016 307-1 Nichteinhaltung von Umweltschutzgesetzen und -verordnungen Gesamtgeldwert der Bußgelder, Anzahl nicht-monetärer Sanktionen GRI 308: Umweltbewertung der Lieferanten 2016 308-1 neue Lieferanten, die anhand von Umweltkriterien überprüft wurden Prozentsatz dieser neuen Lieferanten 308-2 negative Umweltauswirkungen in der Lieferkette und ergriffene Maßnahmen Zahl überprüfter Lieferanten, Zahl mit erheblichen Umweltauswirkungen, Prozentsatz der Lieferanten Tabelle 6.9: Ökologisch relevante Kennzahlen nach GRI Reihe 300 (Quelle: https: / / www.globalreporting.org/ standards/ , Abruf: 08.05.2022) Kennzahlenkataloge werden oftmals als Checklisten genutzt. Umweltchecklisten helfen zur Überprüfung der Vollständigkeit und zur Aufdeckung von Schwachstellen und Chancen. Die Checkliste dient als Aufgabensammlung, die Schritt für Schritt abgearbeitet wird. In der Praxis sind Checklisten immer dann beliebt, wenn ein Aufgabengebiet umfangreich ist. Wer wenig erfahren ist mit Themen der Nachhaltigkeit, wird sich zumeist an solch einer inhaltlich strukturierten Themensammlung orientieren. Diese gibt die Sicherheit, dass man das grundsätzlich Richtige macht. Darüber hinaus stellt die Checkliste in sehr umfangreichen Aufgabengebieten, wie es die Nachhaltigkeit ist, schlichtweg auch sicher, dass keine Aspekte übersehen werden. Schließlich dienen „abgehakte“ Checklisten auch zur Rechtfertigung einer vollständigen Aufgabenerfüllung. Insbesondere im Bereich der Compliance, wo die Vollständigkeit der eingehaltenen Regeln sichergestellt werden muss, sind Checklisten ein hilfreiches Instrument. Beurteilung der Öko-Kennzahlen Eine Messung, Steuerung und Berichterstattung auf Basis vielfältiger Öko-Kennziffern stellt sicher, dass nicht nur einzelne, eventuell gerade von der Öffentlichkeit beobachtete ökologische Aspekte betrachtet werden, sondern dass der ökologische Zustand umfassend gesteuert wird. Viele der Kennziffern sind vor allem bei größeren Unternehmen heute etabliert und fester Bestandteil des Berichtswesens, wobei die GRI-Leitlinien für eine Einheitlichkeit und einen qualitativen Mindeststandard sorgen. Die Aufführung im Nachhaltigkeitsbericht stellt zudem sicher, dass die Kennzahlen <?page no="208"?> 208 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling regelmäßig ermittelt werden und dass diese im Unternehmen unter Beobachtung bleiben. Die Bewertung einer Kennzahl kann im zeitlichen Verlauf erfolgen oder aber im Vergleich zu Wettbewerbern bzw. zur Branche. Teils gibt es gesetzliche Höchstgrenzen für ökologische Auswirkungen, die ebenfalls durch eine Kennzahl gemessen werden. Teils fehlt jedoch eine ökologisch zu rechtfertigende „hurdle rate“, ab der ein Unternehmen als nachhaltig anzusehen ist. Auch wenn eine ökologische Kennziffer von Jahr zu Jahr besser wird und selbst wenn sie besser ist als bei Wettbewerbern, ist dies kein Beleg für eine absolute Nachhaltigkeit. Möglicherweise ist dies nur etwas weniger schlecht als in der Vergangenheit. Die in Kapitel 1.2 vorgestellte ökologische Managementregel, dass natürliche Ressourcen höchstens in dem Umfang verbraucht werden sollen, wie sich diese bzw. wie sich Substitute reproduzieren, dass keine Emissionen verursacht werden sollen, die die natürliche Aufnahmekapazität übersteigen und dass nichts gemacht werden soll, was die natürlichen Ökosystemdienstleistungen zerstört, definiert die Obergrenze ökologischer Eingriffe. Bei jeder Öko-Kennzahl sollte daher die Ausprägung bekannt sein, die die Einhaltung dieser Grenzen sicherstellt. Konkrete Werte liegen aber selten vor, weshalb Kennzahlen oftmals für eine relative und nicht für eine absolute Verbesserung der Nachhaltigkeit genutzt werden. Übersicht über die Methoden des Umweltrechnungswesens Messkonzept Inhalt Bewertung Umweltkostenrechnung auf Vollbzw. Teilkostenbasis systematische, an die betriebliche Kosten- und Leistungsrechnung angelehnte Erfassung sämtlicher ökologischer Kosten, Zuordnung der Einzelkosten auf Produkte und der Gemeinkosten auf Kostenstellen hohe Transparenz, Zuordnung von Verantwortlichkeiten, umweltbezogene Lenkungswirkung, Umweltkosten müssen erkannt, quantifiziert und möglichst auch monetarisiert werden können, hoher Aufwand, vorwiegend interne Betrachtung der Kosten anstatt umfassender negativer externer Effekte Energie- und Materialstromanalyse prozessbezogene Betrachtung sämtlicher Material- und Energieströme und Identifikation der Verbrauchsstellen Transparenz über den Energie- und Materialeinsatz erlaubt zielgerichtete Planung, Kontrolle und Steuerung, unterstützt vor allem Effizienz, kann aber auch Entscheidungen für Konsistenz und Suffizienz unterstützen Materialflusskostenrechnung aufbauend auf der Energie- und Materialstromanalyse erfolgt eine Monetarisierung sämtlicher Input- und Outputgrößen, wobei nicht nur das Produkt, sondern auch Materialverluste betrachtet werden hohe Transparenz unterstützt Entscheidungen zur Steigerung der Effizienz und Konsistenz, hoher Aufwand, gute Datenlage notwendig, die Betrachtung von Energie und Material ist nicht gleichzusetzen mit deren Umweltauswirkungen <?page no="209"?> 6.3 Social Accounting 209 Carbon Footprint Messung der Treibhausgasemissionen eines Produkts, einer Dienstleistung oder eines Unternehmens, Nutzung von Standards wie dem GHG Protocol oder PAS 2050, Reduktionsziele sind an den Science Based Targets ausgerichtet international bewährte Standards zur Reduktion der Treibhausgasemissionen, konform zum Pariser Klimaziel, Messung und Reduktion der Scope-3- Emissionen teils sehr herausfordernd, einseitiger Fokus auf Treibhausgase Ökobilanz aufbauend auf der Energie- und Materialstromanalyse werden Sachbilanzen erstellt, die um die ökologischen Auwirkungen des In- und Outputs erweitert werden, je nach ökologischem Problemfeld gibt es verschiedene Teilergebnisse mehrere subjektive Elemente wie die Abgrenzung des Untersuchungsfelds und die Abschätzung der Wirkungen, sie ist gut für die interne Steuerung und weniger für die Berichterstattung geeignet ökologische Gewinn- und Verlustrechnung Umweltauswirkungen der Produktion und der gesamten Lieferkette werden erfasst und monetarisiert, Ermittlung der tatsächlichen Kosten eines Produkts, nicht nur der betriebswirtschaftlichen Hohe Transparenz über die Art der Umweltschäden und über die Lieferantenebene, gute Basis für effektive Steuerungsmaßnahmen, Unsicherheit durch die Schätzung der Kosten, erstmalig hoher Aufwand Ökoeffizienzanalyse wirtschaftlicher Wert wird in Relation zu seinen Umweltwirkungen bewertet, Alternativen mit hoher Ökoeffizienz sollen gewählt werden Gegenstand ist „nur“ die Effizienz, da das relativ Beste ausgewählt werden soll, für operative Entscheidungen geeignet, gut verständliches Konzept und anschauliche Visualisierung Öko-Kennzahlen verschiedene relevante Umweltthemen werden durch Kennzahlen gemessen und damit gesteuert, Kennzahlen können gemäß des GRI-Berichtsstandards gewählt werden vielfältige ökologische Themen können gemessen und gesteuert werden, GRI- Standard sichert Vergleichbarkeit, die Frage, ab wann ein Wert gut ist, bleibt teils unberücksichtigt Tabelle 6.10: Übersicht über wichtige ökologische Messkonzepte Social Accounting Inhalt des Social Accounting Das Social Accounting, im deutsch Sozialrechnungswesen, verfolgt das Ziel, die sozialen Kosten und den sozialen Nutzen einer unternehmerischen Tätigkeit in einer Sozialbilanz gegenüberzustellen. Wie schon bei der Ökobilanz gesehen, ist auch die Sozialbilanz weder mit der Struktur noch mit der Standardisierung einer betriebswirtschaftlichen Bilanz zu vergleichen. In der Literatur herrscht weder ein einheitliches Verständnis, was unter einer Sozialbilanz zu verstehen ist, noch gibt es hierzu gesetzliche Vorgaben. Unter dem Begriff der Sozialbilanz wurden in der Vergangenheit sehr unterschiedliche und vielfältige Ansätze zur Messung der sozialen Auswirkungen von Unternehmen subsumiert. Erstmals veröffentlichten Unternehmen in den 1970er Jah- <?page no="210"?> 210 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling ren Sozialbilanzen, in denen die Versorgung der Arbeitnehmer sowie erbrachte soziale Leistungen aufgezeigt wurden. Durch verschiedene Umweltkatastrophen in den 1980er Jahren sowie dem zunehmenden Umweltbewusstsein wurde das Interesse verstärkt auf Umweltberichte gelenkt. Nach der Jahrtausendwende ergänzten immer mehr Unternehmen ihre Umweltberichte um soziale Informationen, woraus sich die heute üblichen Nachhaltigkeitsberichte ergaben (vgl. Fifka 2013, S. 122f.). Bei einer umfassenden Steuerung der sozialen Dimension spricht man, in Abgrenzung zum Öko- oder Green- Controlling, von einem Sozio-Controlling (vgl. Dubielzig 2009). Definition Durch das Social Accounting werden die sozialen Kosten und die sozialen Erträge aufgezeigt, die vom Unternehmen ausgehen und die von der Gesellschaft getragen werden oder ihr zugutekommen. Die Berichterstattung erfolgt regelmäßig und in einer nachvollziehbaren Systematik. Durch das Social Accounting soll die gesellschaftliche Verantwortung, welche das Unternehmen übernimmt, messbar gemacht werden. Dabei überrascht nicht, dass eine Quantifizierung teils nur unter rigiden Annahmen möglich ist. So können beispielsweise zwar die Kosten einer Weiterbildungsmaßnahme gemessen werden, selten lässt sich aber der Nutzen quantifizieren. Soziale Indikatoren lassen sich häufig schlechter messen als ökologische Indikatoren. Zwischen Maßnahmen und ihren Wirkungen bestehen zudem oftmals nur Hypothesen anstatt gesicherter Erkenntnisse. Die sozialen Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit sind sehr vielfältig, weshalb zuerst ein Überblick über die betroffenen Personen bzw. Gruppen zu verschaffen ist: ◼ eigene Mitarbeiter (z.B. Arbeitsbedingungen, Entwicklungsmöglichkeiten, Sicherheit, ...) ◼ Mitarbeiter in der Wertschöpfungskette bis hin zur Rohstoffgewinnung (z.B. Vergütung, Einhaltung Menschenrechte, Diskriminierung, ...) ◼ Kunden (z.B. Fairness, Zuverlässigkeit, Produktsicherheit, ...) ◼ Anwohner und Kommune (z.B. Gesundheitsschutz, gesellschaftliches Engagement in der Kommune, sichere Arbeitsplätze, ...) ◼ Staat (z.B. Sicherung des wirtschaftlichen Wohlstands, Ausbildung von Mitarbeitern, Schaffung von Arbeitsplätzen, Steuerzahlung, ...) ◼ Gesellschaft (z.B. soziales Engagement des Unternehmens, Angebot von Arbeitsplätzen, verantwortungsvolles Handeln als Corporate Citizen, ...) Eine klare Trennung zwischen der sozialen und der ökologischen Kategorie ist nicht immer möglich. So enthält beispielsweise der Verzicht auf die Verwendung gesundheitsschädlicher Substanzen in der Produktion oder die Verringerung des Stickoxidausstoßes im Anlieferverkehr sowohl ökologische als auch soziale Aspekte. Da eine intak- <?page no="211"?> 6.3 Social Accounting 211 te Umwelt im Interesse der Gesellschaft ist, können ökologische Ziele im weiteren Sinne auch der gesellschaftlichen Dimension zugeordnet werden. So wird beispielsweise unter dem Begriff „Corporate Social Responsibility“ eben nicht nur die soziale, sondern auch die ökologische Verantwortung zugeordnet. Sozialbilanz Die Sozialbilanz wird in Deutschland häufig in Anlehnung an den Arbeitskreis „Sozialbilanz-Praxis“, der sich bereits in den 1970er Jahren aus mehreren Unternehmen zusammensetzte und Standards diskutierte, untergliedert. Demnach setzen sich diese aus drei Bestandteilen zusammen: [1] Sozialbericht: Verbale Beschreibung der gesellschaftsbezogenen Ziele und Maßnahmen, ggf. quantitativ belegt. [2] Wertschöpfungsrechnung: Der Ausweis des den Kapitelgebern zustehenden Gewinns wird erweitert um die für die anderen Stakeholder geschaffenen finanziellen Werte. [3] Sozialrechnung: Ermittlung der für die Gesellschaft erbrachten Leistungen („gesellschaftsbezogene Aufwendungen“: z.B. Löhne, Steuern, Spenden, Umweltschutzkosten, …) und der von der Gesellschaft für das Unternehmen erbrachten Leistungen („gesellschaftsbezogene Erträge“: z.B. Infrastruktur, Subventionen, …) Eigenständige Sozialberichte und Sozialrechnungen findet man heute in den Unternehmen nur selten. Eine Ausnahme bilden mehrere genossenschaftlich organisierte Banken. In gesonderten Sozialberichten wird über das soziale Engagement in Form finanzieller Zuwendungen an verschiedene gesellschaftliche Gruppen berichtet, teils finden sich auch Ausführungen über soziale Leistungen gegenüber den Mitarbeitern. Andere Unternehmen veröffentlichen Wertschöpfungsrechnungen. In der Regel erfolgt die Berichterstattung über soziale Belange jedoch anhand der in den Berichtsstandards aufgeführten Kriterien, wie dem GRI oder zukünftig der CSRD. Social Audit Zur Steigerung der Glaubwürdigkeit sozialer Leistungen gegenüber Stakeholdern können Social Audits durchgeführt werden. Ein Audit ist eine Überprüfung, ob Standards, Prozesse und Regeln eingehalten werden. In einem Social Audit wird dementsprechend überprüft, ob soziale und ethische Standards, Prozesse und Regeln eingehalten werden. Die Regeln können Gesetze oder unternehmensinterne Vorgaben, Standards können beispielsweise die GRI-Indikatoren, der Deutsche Nachhaltigkeitskodex oder der UN Global Compact sein. Schließlich können zu prüfende Prozesse aus einem Sozialmanagementsystem wie SA8000 oder ISO 26000 abgeleitet sein. Ein Social Audit misst also, ob und inwieweit ein Unternehmen die soziale Dimension der Nachhaltigkeit erfüllt. Umfassende Audits decken Schwachstellen auf, die unentdeckt zu Reputationsschäden oder zu Gesetzesverstößen führen können. Im Folgenden werden die Wertschöpfungsrechnung und die Sozialindikatoren gemäß dem aktuellen GRI-Standard dargestellt. <?page no="212"?> 212 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Wertschöpfungsrechnung Die Wertschöpfungsrechnung wird von einigen Unternehmen im Geschäftsbericht veröffentlicht. Dabei interessiert zum einen, welchen Wert das Unternehmen insgesamt geschaffen hat. Das heißt, um wie viel übersteigt der Umsatz den Wert der eingesetzten Vorprodukte, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie die durch Abschreibungen gemessene Abnutzung von Anlagen. In diesem Umfang wurde Wert geschaffen. Von besonderem Interesse ist, wer in welchem Umfang von der Wertschöpfung profitiert hat: Wie wurde der Kuchen verteilt? Die Entstehung und Verwendung der Wertschöpfung am Beispiel des Naturkosmetik- und Arzneimittelherstellers Weleda und des Baukonzerns Hochtief zeigen die folgenden Abbildungen: Abb. 6.23: Wertschöpfung - Entstehung und Verwendung bei der Weleda (Quelle: eigene Darstellung angelehnt an Weleda Gruppe Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht 2020) Beim Baukonzern Hochtief stellt sich die Wertschöpfung folgendermaßen dar. <?page no="213"?> 6.3 Social Accounting 213 Abb. 6.24: Wertschöpfung - Entstehung und Verwendung bei der Hochtief AG (Quelle: eigene Darstellung angelehnt an Hochtief Konzernbericht 2020, S. 41) Die Wertschöpfung wird auf die Mitarbeiter, den Staat, die Kreditgeber, die Anteilseigner sowie auf einen im Unternehmen verbleibenden Anteil, die Rücklagen, verteilt. Die Größe dieser Anteile lässt Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Wirkung des Unternehmens zu. So kommen bei Weleda 95,6% und bei Hochtief 83,5% der Wertschöpfung den Mitarbeitern, dem Staat und Spendenempfängern zugute. Die Aktionäre erhalten bei Weleda 0,5% und bei Hochtief 10,0%. Zur Bewertung dieser Anteile kann deren Entwicklung im Zeitverlauf oder im Vergleich zu anderen Unternehmen herangezogen werden. Beurteilung der Wertschöpfungsrechnung Die Wertschöpfungsrechnung nutzt die im Rechnungswesen vorhandenen Daten, ist daher sehr einfach zu erstellen und zeigt den finanziellen Nutzen für verschiedene Gruppen auf. Insgesamt werden damit soziale Aspekte jedoch nur begrenzt erfasst. Die Entstehung der Wertschöpfung wird nicht berücksichtigt, obwohl gerade hier kritische soziale Aspekte auftreten können. Die Wertschöpfungsrechnung beschränkt sich auf den finanziellen Nutzen, klammert aber die sozialen Kosten aus. Diese sind so <?page no="214"?> 214 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling vielfältig, dass sie im Rechnungswesen größtenteils nicht erfasst werden. Sozial relevante Aspekte werden daher zumeist über Indikatorenkataloge erfasst. Sozialindikatoren ◼ Beschäftigung ◼ Menschenrechte ◼ Gesellschaft ◼ Produktverantwortung Nahezu alle Indikatoren sind zu quantifizieren, zum Teil aber auch ergänzend zu beschreiben, wenn dies für die Verständlichkeit erforderlich ist. Im Vergleich zu früheren Versionen der GRI hat die quantitative Darstellung von Sozialindikatoren deutlich an Bedeutung gewonnen. Damit einher geht auch die vorrangige Betrachtung von Wirkungen gegenüber reinen Inputgrößen. Durch den Quasi-Standard der GRI sind diese Indikatoren auch in der Unternehmenspraxis bedeutsam. Im Folgenden werden die Sozialindikatoren nach GRI, die in der 400er-Reihe aufgeführt sind, zusammengefasst. Ausführliche Erläuterungen finden sich auf der Webseite der Global Reporting Initiative. Die Standards können dort kostenlos heruntergeladen werden. Link: https: / / www.globalreporting.org/ standards/ Themenstandard Nummerierung und Bezeichnung der themenspezifischen Angabe Berichterstattung GRI 401: Beschäftigung 2016 401-1 neu eingestellte Angestellte und Angestelltenfluktuation Anzahl und Rate neuer Angestellter und Fluktuation nach Alter, Geschlecht, Region 401-2 betriebliche Leistungen für vollzeitbeschäftigte Angestellte Grundleistungen für Versicherung, medizinische Versorgung, Elternzeit, Altersvorsorge, … 401-3 Elternzeit Anspruch, Inanspruchnahme, Rückkehr, Rückkehrrate aus Elternzeit GRI 402: Arbeitnehmer- Arbeitgeber- Verhältnis 2016 402-1 Mindestmitteilungsfrist für betriebliche Veränderungen Dauer in Wochen zwischen der Mitteilung und einer erheblichen betrieblichen Veränderung GRI 403: Arbeitssicherheit und 403-8 Mitarbeiter, die von einem Managementsystem für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz abgedeckt sind Anzahl und Prozentsatz der Nicht-Angestellten, die von solch einem System abgedeckt sind Der GRI-Standard stellt einen umfassenden Katalog an Sozialindikatoren zur Verfügung, über die Unternehmen, sofern die Indikatoren für sie wesentlich sind, berichten. Die Sozialindikatoren decken verschiedene Bereiche ab: <?page no="215"?> 6.3 Social Accounting 215 Gesundheitsschutz 2018 403-9 arbeitsbedingte Verletzungen Anzahl und Rate Todesfälle, schwere und dokumentierte Verletzungen, Verletzungsgefahren 403- 10 arbeitsbedingte Erkrankungen Anzahl Todesfälle, dokumentierte Erkrankungen nach Arten, arbeitsbedingte Gefahren GRI 404: Aus- und Weiterbildung 2016 404-1 durchschnittliche Stundenzahl für Aus- und Weiterbildung pro Jahr und Angestelltem Anzahl Stunden nach Geschlecht und Angestelltenkategorie 404-2 Programme zur Verbesserung der Kompetenzen der Angestellten und zur Übergangshilfe Art und Umfang der durchgeführten Programme 404-3 Prozentsatz der Angestellten, mit regelmäßiger Beurteilung der Leistung und Entwicklung Prozentsatz aller Angestellten GRI 405: Diversität und Chancengleichheit 2016 405-1 Diversität in Kontrollorganen und unter Angestellten Prozentsatz in Kontrollorganen und Angestelltenkategorien nach Geschlecht, Altersklassen und weiteren Indikatoren 405-2 Verhältnis des Grundgehalts und der Vergütung von Frauen zum Grundgehalt und zur Vergütung von Männern Verhältnis der Gehälter je Angestelltenkategorie und Betriebsstätten GRI 406: Nichtdiskriminierung 2016 406-1 Diskriminierungsvorfälle und ergriffene Abhilfemaßnahmen Gesamtzahl und Status der Vorfälle und ergriffene Maßnahmen GRI 407: Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen 2016 407-1 Betriebsstätten und Lieferanten, bei denen das Recht auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen bedroht sein könnte Anzahl Betriebsstätten und Lieferanten nach Art und Region, ergriffene Maßnahmen GRI 408: Kinderarbeit 2016 408-1 Betriebsstätten und Lieferanten mit einem erheblichen Risiko für Vorfälle von Kinderarbeit Anzahl Betriebsstätten und Lieferanten nach Art und Region, ergriffene Maßnahmen GRI 409: Zwangs- oder Pflichtarbeit 2016 409-1 Betriebsstätten und Lieferanten mit einem erheblichen Risiko für Vorfälle von Zwangs- oder Pflichtarbeit Anzahl Betriebsstätten und Lieferanten nach Art und Region, ergriffene Maßnahmen GRI 410: Sicherheitspraktiken 2016 410-1 Sicherheitspersonal, das in Menschenrechtspolitik und -verfahren geschult wurde Prozentsatz des Sicherheitspersonals GRI 411: Rechte der indigenen Völker 2016 411-1 Vorfälle, in denen die Rechte der indigenen Völker verletzt wurden Anzahl und Status der Vorfälle, ergriffene Maßnahmen <?page no="216"?> 216 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling GRI 412: Prüfung auf Einhaltung der Menschenrechte 2016 412-1 Betriebsstätten, an denen eine Prüfung auf die Einhaltung der Menschenrechte durchgeführt wurde Anzahl und Prozentsatz der Standorte nach Ländern 412-2 Schulungen für Angestellte zu Menschenrechtspolitik und -verfahren Anzahl Schulungsstunden, Prozentsatz der Angestellten die teilgenommen haben 412-3 erhebliche Investitionsvereinbarungen und -verträge mit Menschenrechtsklauseln Anzahl und Prozentsatz der Vereinbarungen GRI 413: Lokale Gemeinschaften 2016 413-1 Betriebsstätten mit Einbindung lokaler Gemeinschaften, Folgenabschätzung, Förderprogramme Prozentsatz der Betriebsstätten differenziert nach Art der Maßnahmen 413-2 Geschäftstätigkeiten mit erheblichen oder potenziellen negativen Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften Offenlegung der Tätigkeit nach Betriebsstätte und Auswirkungen GRI 414: Soziale Bewertung der Lieferanten 2016 414-1 neue Lieferanten, die anhand von sozialen Kriterien bewertet wurden Prozentsatz der neuen Lieferanten 414-2 negative soziale Auswirkungen in der Lieferkette und ergriffene Maßnahmen Offenlegung der Anzahl Prüfungen, negativen Wirkungen, Prozentsatz betroffener Lieferanten GRI 415: Politische Einflussnahme 2016 415-1 Parteispenden Betrag nach Land und Begünstigtem GRI 416: Kundengesundheit und -sicherheit 2016 416-1 Beurteilung der Auswirkungen verschiedener Produkte und Dienstleistungen auf die Gesundheit und Sicherheit Prozentsatz von Produkten/ Dienstleistungen, die auf Gesundheit und Sicherheit überprüft wurden 416-2 Verstöße bei Auswirkungen von Produkten und Dienstleistungen auf Gesundheit und Sicherheit Anzahl Verstöße gegen Vorschriften und freiwillige Verhaltensregeln GRI 417: Marketing und Kennzeichnung 2016 417-1 Anforderungen für die Produkt- und Dienstleistungsinformationen und Kennzeichnung Prozentsatz notwendiger Kennzeichnung von Herkunft, Zusammensetzung, Sicherheit, … 417-2 Verstöße bei Produkt- und Dienstleistungsinformationen und der Kennzeichnung Anzahl der Verstöße, differenziert nach Schwere 417-3 Verstöße im Zusammenhang mit Marketing und Kommunikation Anzahl der Verstöße, differenziert nach Schwere GRI 418: Schutz der Kunden 2016 418-1 begründete Beschwerden in Bezug auf die Verletzung des Schutzes und den Verlust von Kundendaten Anzahl differenziert nach Art <?page no="217"?> 6.4 Messung ökonomischer Nachhaltigkeit 217 GRI 419: Sozioökonomische Compliance 2016 419-1 Nichteinhaltung von Gesetzen und Vorschriften im sozialen und wirtschaftlichen Bereich Anzahl und Betrag erheblicher Bußgelder, nicht-monetäre Sanktionen Tabelle 6.11: Sozialindikatoren nach GRI Reihe 400 (Quelle: https: / / www.globalreporting.org/ standards/ , Abruf: 09.05.2022) Innerhalb der sozialen GRI-Indikatoren finden sich in einem großen Umfang solche, die der Compliance zuzuordnen sind. Verstöße gegen Gesetze und Regelungen sollen vermieden werden und Maßnahmen, um deren Eintreten zu begrenzen, möglichst umfangreich ergriffen werden. So sollen also beispielsweise im Unternehmen Sozialstandards eingehalten werden (GRI 401-407, GRI 414) und zur Sicherstellung sozialer Standards sollen die Lieferanten hierauf überprüft werden (GRI 414). Oder die Produkte sollen nicht gegen Gesundheits- und Sicherheitsstandards verstoßen und hierauf überprüft werden (GRI 416). Hierbei ist also nicht die Rendite, also die ökonomische Denkweise vorherrschend, sondern die juristische. Es geht um die Einhaltung von Vorgaben und um die dafür ergriffenen Maßnahmen. Bei den GRI-Indikatoren finden sich in einem deutlich geringeren Umfang solche, die in eine ökonomische Kategorie fallen. Dies sind Maßnahmen, die der Effizienz- oder der Konsistenzstrategie zugeordnet werden können. Hierzu können vor allem der Umfang an Aus- und Weiterbildung (GRI 404), die Maßnahmen zur Sicherstellung der Beschäftigungsfähigkeit (GRI 403) oder die Schulungen über Korruptionsbekämpfung (GRI 205) zugerechnet werden. Beurteilung der Sozialindikatoren Die GRI-Sozialindikatoren lassen sich recht zuverlässig messen. Von Vorteil ist, dass sehr verschiedenartige soziale Aspekte berücksichtigt werden. Wie schon bei den ökologischen Indikatoren angemerkt, fehlt zumeist eine eindeutige Orientierung, welche Ausprägung eines Indikators zufriedenstellt. Dies gilt beispielsweise für die Bewertung des gesellschaftlichen Engagements durch die Höhe der Spenden an politische Parteien oder den Umfang der Aus- und Weiterbildung. Einfacher ist die Bewertung dagegen bei Kriterien, die gar nicht verletzt werden sollten, wie Menschenrechtsverletzungen oder Diskriminierung. Messung ökonomischer Nachhaltigkeit Wesentlich für das Nachhaltigkeitscontrolling ist die Erweiterung der ökonomischen Betrachtungsweise um die ökologische und soziale Dimension. Dabei bestehen vielgestaltige gegenseitige Abhängigkeiten. Innerhalb der ökonomischen Dimension bedeutet Nachhaltigkeit vor allem eine Ausrichtung am langfristigen wirtschaftlichen Erfolg. So wird in den Medien häufig den Unternehmen, die ihre Steuerung an einer Steigerung des Shareholder Values ausrichten, vorgeworfen, nur kurzfristig zu agieren und damit nicht nachhaltig zu sein. <?page no="218"?> 218 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Kennzahlensysteme Das übergeordnete wirtschaftliche Ziel, ausgedrückt als ökonomische Spitzenkennzahl, leitet die wirtschaftlichen Entscheidungen. Aus der Spitzenkennzahl wird das Steuerungs- und Kennzahlensystem abgeleitet. Am bekanntesten dürfte hierbei das nach dem amerikanischen Chemie-Unternehmen benannte „DuPont-Kennzahlensystem“ (im Original: DuPont-System of Financial Control) sein, das als Spitzenkennzahl die Gesamtkapitalrendite, den Return on Investment (ROI), vorsieht. Folgende Abbildung zeigt dieses Kennzahlensystem. Dieses bereits aus dem Jahre 1919 stammende System nutzt ausschließlich monetäre, ökonomisch relevante Faktoren, die den ROI beeinflussen. Die Daten sind dem Rechnungswesen zu entnehmen und für das Controlling daher einfach verfügbar. Abb. 6.25: DuPont-Kennzahlensystem (Quelle: eigene Abbildung) Shareholder Value Eine Kennzahl, welche über den langfristigen Erfolg eines Unternehmens informieren soll, muss in ihre Berechnung zukünftige Erfolge einbinden. Zumindest wäre es notwendig, dass eine Kennzahl über die Erfolgspotenziale informiert, die eine Voraussetzung für zukünftigen Erfolg sind. Eine von der Methode her sehr langfristige Ausrichtung hat der von Alfred Rappaport 1986 veröffentlichte Shareholder Value. Dies ist der Barwert aller zukünftigen freien Cashflows, also aller betrieblichen <?page no="219"?> 6.4 Messung ökonomischer Nachhaltigkeit 219 Einzahlungsüberschüsse, die an die Kapitalgeber ausgeschüttet werden können. Es handelt sich um eine Zahlungsgröße, bei der sämtliche betrieblichen Ausgaben und Investitionen bereits getätigt wurden. Dieser freie Cashflow ist übrig und kann somit an die Kapitalgeber ausgeschüttet werden. Sofern auf Investitionen verzichtet würde, könnten kurzfristig die Zahlungen an die Kapitalgeber erhöht werden. Dies muss aber keinesfalls im Interesse der Kapitalgeber sein. Solange Investitionen im Unternehmen rentabler sind als außerhalb, soll das Geld am Ort der rentabelsten Verwendung bleiben, also im Unternehmen. Ausschüttungen würden den Shareholder Value sogar verringern. Kapitalgeber wünschen keine Ausschüttung, wenn deshalb attraktive Investitionen unterlassen werden, die zukünftig noch höhere Ausschüttungen ermöglicht hätten. Eine am Shareholder Value ausgerichtete Unternehmenssteuerung, so einseitig sie durch den Ausschluss anderer Stakeholder auch sein mag, ist keinesfalls an kurzfristigen Zielen ausgerichtet. Es wird stets abgewogen, ob weitere Investitionen im Unternehmen für die Kapitalgeber attraktiver sind als sofortige Ausschüttungen. Dieser Abgleich erfolgt durch die Barwertmethode und dem Diskontierungszinssatz: bei einem Marktzins von 10% wird das Unternehmen freie Finanzmittel in Höhe von 100 nicht ausschütten, sondern selbst investieren, wenn aus diesen in einem Jahr 115 werden. Der Kapitalwert dieser Investition ist positiv und damit wertsteigernd. Es ist daher im Interesse der Shareholder, dass das Geld nicht ausgeschüttet wird. In den Medien, selbst in ökonomischen Kreisen, wird dieser Zusammenhang oftmals ignoriert. So heißt es bei Losbichler: „...wird die Orientierung am Shareholder Value als eine der Hauptursachen für die Finanzkrise angesehen und mit Kurzfristigkeit, Habgier und Gehaltsexzessen gleichgesetzt. Der Shareholder Value ist jedoch das wahrscheinlich am wenigsten verstandene Führungsinstrument, sowohl bei Befürwortern als auch bei Kritikern“ (Losbichler 2012, S. 266). Weiter heißt es: „Der Shareholder Value ist aus Sicht der Kritiker damit das exakte Gegenteil nachhaltiger Unternehmensführung“ (Losbichler 2012, S. 268). Bei Malik heißt es hingegen: „Das Shareholderprinzip hat die geschichtlich größte Fehlleitung der Unternehmensführung verursacht und die tiefgreifendste Fehlsteuerung von wirtschaftlichen Ressourcen .... Die Shareholder-Orientierung verhindert Investitionen und Innovationen und das schädigt gerade dem Shareholder“ (Malik 2012, online). Woran liegt es, dass der Shareholder Value als Synonym für ein an kurzfristigen Zielen ausgerichtetes Management gilt, obwohl die Methodik doch sehr langfristig ausgerichtet ist? Festzuhalten ist, dass der Shareholder Value methodisch den klassischen Ergebnisgrößen wie etwa dem Gewinn oder dem EBIT oder den Renditekennzahlen überlegen ist. Durch das Barwertkonzept beinhaltet er die Zukunft, durch einen angemessenen Diskontierungszinssatz berücksichtigt er das Risiko und durch die Nutzung des Cashflows löst er sich von rein buchhalterischen Ergebnisgrößen (vgl. Sailer 2012, S. 85f.). <?page no="220"?> 220 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Die Methodik an sich kann also nicht Ursache der Kritik sein, sie ist vielmehr in der praktischen Umsetzung zu suchen. Nur der kurzfristige Erfolg ist faktisch messbar und vom Shareholder überprüfbar. Die Principal-Agent-Problematik wird dadurch aufgelöst, dass der Shareholder auf von unabhängigen Dritten überprüfte Geschäftsberichte zurückgreifen kann und somit den tatsächlichen Erfolg, wie ihn die Rechnungslegungsvorschriften vorsehen, kennt. Der Shareholder Value wird aber maßgeblich vom zukünftigen Erfolg beeinflusst. Dieser ist vom Shareholder nicht überprüfbar, vielmehr muss er den Erwartungen des Managements vertrauen. Abweichende Einschätzungen zwischen Management und Shareholder können an unterschiedlichen Erwartungen bezüglich der Marktentwicklung und des unternehmerischen Erfolgs liegen, oder aber an der Principal-Agent-Problematik. Vertraut der Shareholder den positiven Erwartungen des Managements nicht, ist auch der vom Management ermittelte Shareholder Value hinfällig. Die Principal-Agent-Problematik verhindert die Nutzung des Shareholder Values als Spitzenkennzahl der Unternehmenssteuerung. Auch der Aktienkurs kann den Erfolg von Managementleistungen nicht zuverlässig messen. Dieser hängt von vielen weiteren Faktoren ab, die vom Management nicht beeinflussbar sind. Aktienkurse bilden die Wertsteigerung zwar über längere Zeiträume zuverlässig ab, sie eignen sich aber nicht, um den Erfolg kurzfristiger operativer Maßnahmen zu messen. Die grundlegende Voraussetzung, dass eine Kennzahl objektiv ermittelbar und damit unabhängig von persönlichen Interessen und Erwartungen ist, liegt beim Shareholder Value nicht vor. Als Steuerungsgröße versagt der methodisch überzeugende Shareholder Value. Es können nur indirekt die sogenannten Werttreiber ermittelt werden, die den Shareholder Value beeinflussen. Führt beispielsweise eine Maßnahme dazu, dass das Risiko verringert wird, erhöht sich der Wert. Ebenso wird der Wert gesteigert, wenn durch eine Maßnahme die zukünftigen Cashflows gesteigert werden. Steuerungskennzahlen der DAX-Unternehmen Eine Untersuchung der Steuerungsgrößen der DAX 30-Unternehmen zeigte, dass keines den Shareholder Value als Spitzenkennzahl nutzt. Bei diesen dominieren Renditekennzahlen, insbesondere wird der „Return on Capital Employed“ (ROCE) genutzt. Hierbei handelt es sich um eine weiterentwickelte Gesamtkapitalrendite. Liegt diese Rendite über den individuellen Kapitalkosten des Unternehmens, erzielt das Unternehmen eine positive Zinsdifferenz, einen Spread. Durch die Multiplikation dieses Spread mit dem eingesetzten Kapital, dem Capital Employed, ergibt sich der Betrag, den das Unternehmen mehr geschaffen hat, als wenn das Capital Employed extern zum Kapitalkostensatz angelegt worden wäre. Dieser im Unternehmen zusätzlich geschaffene Betrag wird im Allgemeinen als Wertsteigerung bezeichnet. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass diese Wertsteigerung nicht dem Bartwertprinzip unterliegt, sondern ausschließlich den „Übergewinn“ innerhalb einer Periode aufzeigt. Zukünftige Cashflows werden hierbei nicht berücksichtigt. Es handelt sich somit um eine <?page no="221"?> 6.4 Messung ökonomischer Nachhaltigkeit 221 kurzfristige Erfolgsmessung, selbst wenn von einer Wertsteigerung gesprochen wird. (vgl. Sailer 2012, S. 87) Es bleibt festzuhalten, dass die Steuerung mit Hilfe periodischer Finanzkennzahlen zu einer Kurzfristorientierung führt. Der Shareholder Value kann über seine Werttreiber zwar positiv beeinflusst werden, allerdings lässt er sich nicht objektiv messen. Periodische Finanzkennzahlen sind nicht dazu geeignet, den langfristigen Erfolg zu messen. Zur langfristigen und strategischen Steuerung wird daher auch nicht nur eine einzelne Finanzkennzahl genutzt. Der langfristige Erfolg ergibt sich aus dem Aufbau zukunftsträchtiger Erfolgspotenziale und deren Entwicklung wird durch die Strategie beschrieben. Zur Umsetzung der Strategie dient die Balanced Scorecard, die Ziele aus verschiedenen Dimensionen integriert. Finanzielle Kennzahlen sind dabei nur ein Bestandteil. Vielfach bewerten Anleger die konkret messbaren, wenn auch kurzfristigen Jahres- und Quartalsergebnisse höher als die schlecht messbaren Erfolgspotenziale. In der Praxis sind daher oftmals kurzfristige, am Rechnungswesen ausgerichtete Ziele bedeutsamer als es für eine nachhaltige Steuerung des Unternehmens zweckmäßig wäre. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die am Kapitalmarkt notiert sind. Aufgrund der weitgehend anonymen Beziehung zwischen Eigentümern und Management ist die Principal-Agent-Problematik weit stärker ausgeprägt als etwa in einem mittelständischen Familienunternehmen, wo Familienangehörige selbst im Management tätig sind. Principal und Agent sind dabei identisch. Zusammenfassung Die Messung der ökonomischen Nachhaltigkeit im Sinne einer langfristig ausgerichteten Kennzahl, die sich zugleich als Steuerungsgröße eignet, ist kaum möglich. Das Controlling ist allerdings seit jeher mit dieser Schwierigkeit konfrontiert, trotz kurzfristig ausgerichteter Steuerungsgrößen langfristigen Erfolg sicherzustellen. Diese Problematik liegt nicht nur bei der Steuerung der Nachhaltigkeit vor. Das Controlling sorgt dafür, dass kurzfristige Ziele zwar erreicht werden, da hierdurch ein konkreter Erfolg erfasst werden kann. Andererseits ist sicherzustellen, dass kurzfristige Ziele nicht zu Lasten des langfristigen Erfolgs gehen. Dieser Ausgleich ist anzustreben, auch wenn er nicht durch eine eindeutige Messung und Zielvorgabe herbeigeführt werden kann. Aus der Kritik an einer ungeeigneten Leistungsmessung entwickelte sich das Performance Measurement, das mit Hilfe finanzieller und nicht-finanzieller Kennzahlen neben dem kurzfristigen auch den langfristigen Erfolg sicherstellt. Längerfristig orientierte, nicht-finanzielle Kennzahlen können beispielsweise die Kundenzufriedenheit, die Innovationskraft oder die Anpassungsfähigkeit sein (vgl. Prammer 2010, S. 11f.). Beim Ansatz des Integrated Reporting (Kapitel 9) wird insbesondere Wert darauf gelegt, dass Unternehmen nicht nur mit Finanzkennzahlen gesteuert werden, sondern mit insgesamt sechs verschiedenen Kapitalarten. In einem nachhaltig ausgerichteten Controlling sollten solche, längerfristig ausgerichteten Kennzahlen ge- <?page no="222"?> 222 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling nutzt, das heißt im Planungs- und Berichtswesen integriert werden. Das Controlling sollte gegenüber den Stakeholdern schlüssig begründen, wie eine längerfristig wirkende Investition im Vergleich zu einem kurzfristigen Erfolg zu bewerten ist. Zudem sollten Anreize, die zu kurzfristig ausgerichtetem Handeln führen, identifiziert und korrigiert werden. Beispielsweise sollte die Erfolgsbeteiligung des Managements nicht primär am Jahresüberschuss, sondern an der Erreichung langfristiger Ziele ausgerichtet sein. Die ökonomische Nachhaltigkeit kann somit durch ein Nachhaltigkeitscontrolling auf verschiedenen Wegen gestärkt werden. Ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte Nachhaltige KPI-Sets Vorangehend wurden verschiedene Messkonzepte für ökologische, soziale und ökonomische Inhalte aufgezeigt. Diese verschaffen insgesamt einen guten Einblick in die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen und stellen eine Voraussetzung zur Steuerung der Nachhaltigkeit dar. Wählt ein Unternehmen aus den drei Dimensionen für sie geeignete Kennzahlen und Messkonzepte aus, verfügt es über ein Set nachhaltiger Key Performance Indicators (KPI), die als Grundlage einer nachhaltigen Unternehmenssteuerung dienen. Stand 2023 nutzten 60% der DAX-Unternehmen neben finanziellen Steuerungskennzahlen auch nichtfinanzielle Kennzahlen (vgl. Zülch, Schüder, Retsch 2023, S. 19). Beispielsweise nutzt BASF neben dem Return on Capital Employed (ROCE) die CO 2 -Emissionen als zentrale Steuerungsgrößen (vgl. BASF Geschäftsbericht 2022). SAP nutzt neben den finanziellen Größen aus Umsatz und Betriebsergebnis die nichtfinanziellen Kennzahlen Kundentreue, Mitarbeiterengagement und CO 2 -Emissionen (vgl. SAP-Geschäftsbericht 2023). Die verschiedenen Kennzahlen müssen keinesfalls in einer einzigen nachhaltigen Spitzenkennzahl münden, um eine nachhaltige Steuerung zu ermöglichen. Das Management ist darin geübt, mit verschiedenen und teils auch konfliktären Zielen und Kennzahlen umzugehen. Manche Unternehmen führen die verschiedenen Kennzahlen hingegen in einer Spitzenkennzahl oder in einem Index zusammen. Steuerungskonzepte, welche die Nachhaltigkeitsleistungen durchgehend monetarisieren, münden in einer finanziellen Kennzahl, in der sämtliche Wirkungen aufgerechnet wurden. Bewertung von KPIs KPIs sollten so gewählt werden, dass sie verantwortlichen Einheiten zugeordnet werden können, also etwa einer Abteilung oder einem Team. Auf der nächsthöheren hierarchischen Ebene sollten sie aggregiert werden können. Beispielsweise können die KPI "Absatzmenge einer Vertriebsregion“ über verschiedene Regionen hinweg aufaddiert werden zur KPI „Gesamtabsatz“. Hilfreich ist es zudem, wenn KPIs sowohl untereinander als auch im zeitlichen Verlauf verglichen werden können. Schließlich eignen sie sich nur dann zur Steuerung, wenn die verantwortliche Einheit diese auch beeinflussen kann. Anhand der Kriterien, ob KPI beeinflusst werden können und ob sie aggregiert und miteinander verglichen werden können, lassen sich besonders <?page no="223"?> 6.5 Ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte 223 geeignete KPI identifizieren. Das Global Compact Netzwerk Deutschland schlägt anhand dieser Kriterien die Nutzung der KPI-Bewertungsmatrix vor, wie nachfolgende Abbildung zeigt: Abb. 6.26: KPI-Bewertungsmatrix (Quelle: in Anlehnung an Global Compact Netzwerk Deutschland 2017, S. 82) Die Bewertungsmatrix wird anhand des Emissionsmanagements erläutert. Zur Steuerung absoluter Emissionen eignen sich KPIs aus dem ersten Quadranten. Ihre Steuerungswirkung groß und sie können zu einer übergeordneten Kennzahl aggregiert und dadurch gut miteinander verglichen werden. Beispiele für KPIs in den vier Quadranten sind: 1. absolute CO 2 -Emissionen 2. CO 2 / Umsatz 3. CO 2 / Gewinn 4. CO 2 / Produkteinheit Zur Steuerung relativer Ziele eignen sich KPIs des vierten Quadranten. Ziel ist die Reduktion der Emissionen pro hergestelltem Produkt. Die Reduktion der Gesamtemissionen hängt somit von der Entwicklung der Absatzmenge ab. Bei unterschiedlichen Produkten ist die Reduktion nur eingeschränkt miteinander vergleichbar und sie sind nicht aggregierbar. Zur Emissionssteuerung sind KPIs aus dem zweiten und dritten Quadranten wenig geeignet. Die Messung von Emissionen relativ zum Umsatz ist zwar zwischen verschiedenen Produkten gut miteinander vergleichbar, ein absolutes Reduktionsziel lässt sich mit relativen Kennzahlen jedoch kaum erreichen. KPIs aus dem dritten Quadranten sind weder zur Steuerung noch zur reinen Information geeignet. <?page no="224"?> 224 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Trotz der unterschiedlichen Eignung der KPIs zur Steuerung kann es unternehmensspezifische Gründe geben, auch KPIs des zweiten oder vierten Quadranten zu verwenden. Beispielsweise kann ein Produktionsleiter die Emissionen pro Produkteinheit beeinflussen und damit verantworten. Da er aber bei steigender Nachfrage die Produktion entsprechend erhöht, kann er nicht für die Gesamtemissionen der Produktion verantwortlich sein. Für den Produktionsleiter wäre daher nur der KPI „CO 2 je Produkteinheit“ sinnvoll. Der Vertriebsleiter kann am ehesten die Verantwortung für die Emissionen je Vertriebsmitarbeiter übernehmen. Vor dem Hintergrund der gegebenen Mitarbeiterzahl kann er die relativen Emissionen etwa durch Vorgaben für Geschäftsreisen steuern. Auf die Gesamtemissionen der verkauften Einheiten hat er hingegen nur wenig Einfluss. Die KPI-Bewertungsmatrix erweist sich als sinnvoll, geeignete KPI auszuwählen. KPI-Sets Die Vielzahl erfasster Nachhaltigkeitswerte wird für die Steuerung und Berichterstattung in eine geordnete Struktur überführt. Zumeist werden die Kennzahlen nach den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit geordnet. Andere erstellen eine zum Geschäftsmodell und zur Steuerungslogik passende Struktur, etwa angelehnt an die Wertschöpfungskette oder sortiert nach verschiedenen Kapitalarten. Schließlich kann eine kausale Struktur zur Anordnung von Nachhaltigkeitskennzahlen über die Sustainability Balanced Scorecard erfolgen. Das Ergebnis ist jeweils ein Set an KPIs, das den Status des Unternehmens in einem Gesamtbild beschreibt. Beispiel Deutsche Telekom Das KPI-Set der Deutschen Telekom ist an den sechs Kapitalarten ausgerichtet, die das International Integrated Reporting Council für die integrierte Berichterstattung und Steuerung vorsieht. Zur Steuerung dieser Kapitalarten wurden zahlreiche KPIs definiert, die sich in ökonomische, ökologische und soziale Kennzahlen aufteilen. Beispielsweise gibt es KPIs für die nachhaltige Beschaffung, nachhaltige Investitionen, für die Energieintensität, für erneuerbare Energien, für die Mitarbeiterzufriedenheit und für die gesellschaftlichen Beiträge. Mit den KPIs wird das Ziel verfolgt, den nachhaltigen Unternehmenswert zu steigern. Im online verfügbaren Corporate Responsibility-Bericht 2021 der Telekom können die Kennzahlen interaktiv angesteuert werden, um sich deren Definition, Entwicklung und Bewertung anzeigen zu lassen. Link: https: / / www.cr-bericht.telekom.com/ 2021/ steuerung-fakten/ strategie/ crstrategie-steuerung#atn-16423-16207, Abruf: 02.03.2024 Branchenspezifische KPIs wurden auch von der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) erarbeitet. Diese gelten in der Finanzbranche, auch international, als Standard. Die Motivation der DVFA war, für Investoren, Finanzanalysten und Kreditgeber eine überschaubare Anzahl geeigneter Kennzahlen für Nachhaltigkeitsleistungen zur Verfügung zu stellen. Die sogenannten ESG-KPI informieren über die für Investoren bedeutsamen Risiken und über die Zukunfts- <?page no="225"?> 6.5 Ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte 225 orientierung der Unternehmen. Der Index-Anbieter Stoxx wählt beispielweise für seinen Index „Stoxx ESG Leaders“ die Unternehmen mit Hilfe der ESG-KPIs aus. Beispiel ESG-KPIs der DVFA für die Automobilbranche Die DVFA benennt die zehn wichtigsten KPI, die von teilnehmenden Unternehmen berichtet werden müssen, als Entry Level. Darüber hinaus gibt es noch optionale Midlevel und Highlevel. Als Entry Level für die Automobilbranche werden genannt: 1. Energieeffizienz, gemessen durch den gesamten Energieverbrauch 2. Ausstoß von Treibhausgasemissionen 3. Fluktuationsrate 4. Weiterbildungsausgaben je Mitarbeiter 5. Altersstruktur der Mitarbeiter 6. Vergütung, insbesondere die finanziellen Anreize 7. Strafzahlungen aufgrund wettbewerbswidrigen Verhaltens 8. Umsatzanteil der Länder mit besonders ausgeprägter Korruption 9. Umsatzanteil der maximal ein Jahr alten Produkte 10. Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen sowie Patentanmeldungen der letzten 12 Monate Quelle: Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) 2010, S. 54. Impact Measurement Impact Measurement, die Wirkungsmessung, hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dies gilt auch für die Messung der Auswirkungen unternehmerischen Handelns auf Stakeholder. Bei der Wesentlichkeitsanalyse sind die Auswirkungen des Unternehmens auf Umwelt und Menschen zu erfassen. Es interessiert weniger der Input, etwa wie viel in den Umweltschutz investiert wurde, sondern vielmehr die Wirkung, wie die Umweltverschmutzung verringert wurde. Dies gilt genauso für soziale Maßnahmen. Entscheidend ist, was verändert werden konnte. Zudem interessiert die konkrete Messung der Wirkungen, da sie erst dann effektiv gesteuert werden können, wenn sie genau bekannt sind. Die Messung kann auch die Bewertung in Geldeinheiten einschließen. Im Sustainability Management Monitor, einer von der Universität Mannheim und der Peer School durchgeführten Erhebung bei über 50 Nachhaltigkeitsbeauftragten großer Unternehmen im Jahre 2021, wurde die Anwendung und Bedeutung des Impact Measurement und dessen Bewertung befragt. Ganze 7,8% der befragten Unternehmen bestätigten, dass sie sich hiermit aktuell intensiv auseinandersetzen. 74,5% sagten hingegen aus, dass sie dies in der Zukunft für eher oder sogar sehr wichtig halten. Dies lässt erwarten, dass das Impact Measurement und die monetäre Bewertung der Wirkungen zukünftig deutlich an Bedeutung gewinnen wird. (vgl. Kunzlmann, Edinger- Schons, Kraemer 2021, 36f.) <?page no="226"?> 226 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Ein weiteres Beispiel für die gestiegene Bedeutung ist die Relevanz der Wirkungsmessung und der finanziellen Bewertung im Rahmen von Nachhaltigkeitsratings. So ist „Impact Measurement and Valuation“ bereits seit mehreren Jahren ein Entscheidungskriterium für die Aufnahme eines Unternehmens in den Dow Jones Sustainability Index. Der Begriff des Impact Measurement wird sowohl in der Theorie als auch in der Praxis unterschiedlich benutzt. Es handelt sich nicht um eine bestimmte Methodik, sondern um eine Sammlung heterogener Methoden. Der Internationale Controller Verein spricht gar von „weit über 100 Methoden“ (Internationaler Controller Verein 2020, S. 5). Dies mögen dann sämtliche Methoden sein, die Nachhaltigkeit in irgendeiner Form messen. Wir wollen den Begriff des Impact Measurement enger fassen und nur solche Methoden subsumieren, die tatsächlich einen Impact messen und quantifizieren bzw. auch monetarisieren. Andere Methoden, die lediglich Input und Output von Maßnahmen erfassen, werden hierunter nicht verstanden. Nachfolgend werden zwei Ansätze der Wirkungsmessung vorgestellt. Dies ist zum einen der Social Return on Investment, der soziale Wirkungen in Form einer Rendite darstellt. Danach werden Ansätze zur standardisierten Bilanzierung unternehmerischer Wertbeiträge vorgestellt, die seit einigen Jahren in der Unternehmenspraxis diskutiert werden. Verschiedene Initiativen entwickeln unter Beteiligung namhafter Unternehmen und Universitäten Bewertungsstandards, die in einigen Unternehmen bereits pilotiert werden. Wir wollen hier den Ansatz der Value Balancing Alliance vorstellen. 6.5.2.1 Social Return on Investment Soziale Maßnahmen werden, sofern sie nicht aus rechtlichen Gründen zwingend sind, oftmals als „Luxus“ angesehen. Diese könne man sich in wirtschaftlich guten Zeiten leisten, nicht aber, wenn das Ergebnis unter Druck gerät. Verzichtbar sind dann solche Maßnahmen, die weder gesetzlich gefordert noch rentabel sind. Ob soziale Maßnahmen nicht aber auch rentabel sein können, ist selten bekannt. Die Messung der Wirkungen und der Rendite sozialer Maßnahmen hat die Methodik des „Social Return on Investment“ (SROI) zum Ziel. Soziale Maßnahmen werden damit nicht nur als Kosten erfasst, sondern auch als eine vorteilhafte Investition. Der Social Return on Investment, im Deutschen teils auch als „Sozialrendite“ bezeichnet, ist eine Kennzahl, die in Anlehnung an die ökonomische Kennzahl “Return on Investment” die Wirkungen sozialer Leistungen misst. Dies ist eine bewusste Abkehr davon, dass nur der Input (wie viel Geld wurde in ein soziales Projekt investiert? ) und die erbrachten sozialen Leistungen (für was wurde das Geld ausgegeben? ) gemessen werden. Dieses Konzept wurde entwickelt, um den Erfolg von Non-Profit-Organisationen dergestalt zu messen, wie dies beim wirtschaftlichen Erfolg längst üblich ist. Auch soziale Unternehmen und Einrichtungen werden zunehmend daran gemessen, ob sie mehr an die Gesellschaft zurückgeben, als diese ihnen zuvor Mittel zur Verfügung gestellt hat. Es wird der gesellschaftliche Mehrwert gemessen, der aus einem sozialen Projekt resultiert. Die Wirkung verschiedener Maßnah- <?page no="227"?> 6.5 Ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte 227 men wird transparent, sie werden vergleichbar, können entsprechend priorisiert werden und die Ergebnisse können nachgewiesen werden. Der SROI kann somit zu einer Neubewertung sozialer Maßnahmen führen. Ebenso fördert er ein konsequentes Weiterdenken vom bloßen Glauben, dass soziale Maßnahmen schon irgendwie förderlich sind, hin zu einer konkreten Untersuchung der verschiedenen Wirkungen dieser Maßnahmen. Im Verteilungskampf um knappe finanzielle Mittel können so Beweise vorgelegt werden, statt nur subjektive Überzeugungen zu verkünden (vgl. Halfar 2013). Obwohl der SROI für Sozialunternehmen entwickelt wurde, kann er auch auf die sozialen Aktivitäten von Wirtschaftsunternehmen angewendet werden. Unternehmen können die Auswirkungen ihrer sozialen Leistungen bewerten und dies gegenüber ihren Stakeholdern kommunizieren. In der Praxis wird der SROI derzeit jedoch vor allem von sozialen Einrichtungen und Organisationen mit öffentlichem Auftrag eingesetzt. Beispiele sind die Ermittlung des SROI für Kindergärten, Hochschulen, Behindertenwerkstätten, staatlichen Förderprogrammen oder Einrichtungen der Sozialfürsorge. Bei sozialen Maßnahmen spielt im Vergleich zu wirtschaftlichen Maßnahmen nicht die Steigerung des Gewinns oder Unternehmenswertes eine besondere Rolle, sondern es sollen die sozialen Erwartungen der Stakeholder erfüllt werden. Nicht selten sind diese nur ungenau spezifiziert. Unklare Ziele haben aber eine unklare Steuerung zur Folge. Die Anwendung des SROI erfordert daher, die Ziele der Stakeholder klar zu identifizieren, die Auswirkungen der Maßnahmen auf diese Ziele abzuschätzen und den Stakeholdern hierüber Transparenz zu verschaffen. Es erfolgt also ein systematisches Wirkungscontrolling sozialer Maßnahmen. Aus einem Input, etwa einer Investition, entsteht ein Output, ein Outcome und ein Impact. Die Folgen sozialer Maßnahmen werden bei der Wirkungsanalyse auf mehreren Ebenen erfasst. Nur die letzte Ebene, der Impact, umfasst die Wirkungen, die monetarisiert werden. Die Ebenen lassen sich folgendermaßen charakterisieren: Wirkungsebenen sozialer Maßnahmen: Output Der Output ist das direkte quantitative Leistungsergebnis, das unmittelbar gemessen werden kann. Outcome Dieser erfasst die weitergehenden Effekte des Outputs und den daraus entstehenden individuellen, mittelfristig entstehenden Nutzen. Impact Unter Impacts oder Wirkungen werden die mittelbis längerfristigen gesellschaftlich relevanten Veränderungen verstanden. Input Output Outcome Impact Betriebliche Gesundheitskurse medizinisches Fachpersonal, Finanzmittel Anzahl Kurse, Anzahl Teilnehmer gesündere Mitarbeiter, weniger Ausfalltage geringere Krankheitskosten, längere Arbeitsleistung, Entlastung Sozialkassen <?page no="228"?> 228 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Wiedereingliederungshilfen Personalbetreuer, Finanzmittel Anzahl betreuter Wiedereingliederungen erfolgreicher Wiedereinstieg länger erkrankter Mitarbeiter Senkung Krankheitskosten, höherer Unternehmenserfolg, Steuereinnahmen Betriebskindergarten Räume, Ausstattung, Mitarbeiter, Finanzmittel Anzahl Plätze und betreuter Kinder zufriedene Mitarbeiter, schnellere Rückkehr nach Geburt, Mitarbeiter flexibler einsetzbar Steigerung Unternehmenserfolg, Kostenersparnis für Stadt/ Kommune, Einkommenssteigerung der Eltern, Steuereinnahmen Tabelle 6.13: Beispiele für Wirkungsbeziehungen Traditionell werden im Controlling der Output und die hierfür angefallenen Kosten gemessen: Was kostet dem Unternehmen ein Platz im Betriebskindergarten pro Jahr? Wie viele ergonomische Arbeitsplätze können mit dem Betrag x eingerichtet werden? Was kostet der Zuschuss zur Betriebskantine je Mitarbeit er? ... Durch die Gegenüberstellung von Output und Input wird die Effizienz gemessen. Bekanntermaßen sagt die Effizienz zwar etwas über die Wirtschaftlichkeit aus, nicht aber über den Sinn einer Maßnahme, ob sie also auch einen Beitrag zur Zielerreichung le istet. Die Messung der Effektivität hingegen erfordert die Berücksichtigung der beabsichtigten Wirkungen. Eine Maßnahme ist dann effektiv, wenn sie die gewünschte Wirkung erzielt. Messung des Impacts Um den Impact einer Maßnahme zu messen, bietet es sich an, die Wirkungen getrennt nach Stakeholdergruppen und aufgeteilt nach den verschiedenen Wirkungsebenen zu erfassen. Für jede Stakeholdergruppe und Wirkungsebene sollen Wirkungsziele mit geeigneten Indikatoren bzw. Kennzahlen versehen werden. So ist etwa die Verringerung der Krankheitstage der Mitarbeiter oder die Senkung der medizinischen Ausgaben einfacher zu messen als beispielsweise die Steigerung des Wohlbefindens. Um die finanziellen Auswirkungen sozialer Maßnahmen sichtbar zu machen, wird ein umfassendes Modell der direkten und indirekten Zusammenhänge und der kurzbis langfristigen Wirkungen benötigt. Auf Basis eines solchen Modells können die finanziellen Wirkungen gemessen bzw. geschätzt werden. <?page no="229"?> 6.5 Ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte 229 Abb. 6.27: Wirkungsebenen sozialer Maßnahmen (Quelle: eigene Darstellung) Beispiel BASF BASF führte für die Betriebskindertagesstätte „LuKids“ eine SROI-Analyse durch und ermittelte hierbei folgende Aufwendungen: - Zahlungen des Unternehmens für den Betrieb der Kindertagesstätte - Zuschüsse des Staates - Beiträge der Eltern Andererseits ergaben sich auch vielfältige finanzielle Vorteile, die bei den verschiedenen Stakeholdern anfielen. Dies waren beispielsweise: höhere Gehälter durch den schnelleren Wiedereinstieg in den Beruf, vor allem der Mütter - Einsparungen bei staatlichen oder kirchlichen Kindertagesstättenbetreibern, da weniger Plätze zur Verfügung gestellt werden müssen - Einsparungen bzw. Mehrertrag im Unternehmen, da erfahrene Mitarbeiter eingesetzt werden können eine höhere Beschäftigung und unternehmerischer Erfolg erhöhen die Steuereinnahmen des Staates Insgesamt wurden jährliche Kosten in Höhe von 1,152 Mio. € für 85 Betreuungsplätze ermittelt. Diesen wurden monetarisierte Erträge in Höhe von 1,665 Mio. € gegenübergestellt. Daraus ergibt sich ein SROI in Höhe von 1,44 - die Erträge übersteigen die Kosten also um das 1,44-fache. Allein die Betrachtung finanzieller Größen lässt den Betrieb der Kindertagesstätte somit rentabel erscheinen. Die verschiedenen Stakeholder profitieren hiervon aber unterschiedlich stark, was eine stakeholderbezogene Berechnung des SROI zeigt: - SROI Staat: 5,98 - SROI Mitarbeiter: 1,78 - SROI BASF: 1,02 <?page no="230"?> 230 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Aufgrund einer nur geringfügigen finanziellen Unterstützung des Staates profitiert dieser am meisten von der Betriebskindertagesstätte. Für BASF verbleibt ebenfalls ein positiver Effekt, wenn auch nur knapp. Nicht monetarisiert wurden jedoch Faktoren wie die gesteigerte Motivation der Mitarbeiter, das bessere Arbeitsklima und die stärkere Bindung an das Unternehmen. Diese Wirkungen konnten jedoch ebenfalls als besonders signifikant nachgewiesen werden (vgl. Stahlschmidt 2015, S. 200ff.). Der Blick auf die Wirkungen anstatt nur auf den Output ermöglicht ein wirkungsorientiertes Controlling und die gezielte Weiterentwicklung der positiven Wirkungen. Traditionell wurde vor allem die Effizienz der sozialen Maßnahme gemessen, also etwa die Kosten je zur Verfügung gestelltem Kindertagesstättenplatz. Durch den SROI wird hingegen die Effektivität gemessen, also die Vorteilhaftigkeit einer Maßnahme insgesamt. Bei einem SROI kleiner als eins hätte das Wirkungscontrolling das Ziel, geeignete Maßnahmen zu finden, welche die Wirkungen erhöhen oder die Kosten verringern. Auch bei großen Unterschieden zwischen den verschiedenen Stakeholdern könnte ein Wirkungscontrolling beitragen, die Kosten gerechter zu verteilen. Das grundlegende Vorgehen zur Ermittlung des SROI ist dabei folgt: ◼ Klärung, welche Personen bzw. Gruppen als Stakeholder betroffen sind ◼ Ermittlung der Investitionen für die soziale Maßnahme ◼ Aufbau des Wirkungsmodells und Verknüpfung des Inputs mit den verschiedenen Wirkungen auf die Stakeholder ◼ Messung der Wirkungen auf die Stakeholder auf Basis eines quantitativen oder qualitativen Untersuchungsdesigns, ggf. Nutzung vorhandenen Datenmaterials ◼ Monetarisierung der erzielten Wirkungen, sofern möglich, auf Basis von Kosten (entstehende oder vermiedene) oder auf Basis von Präferenzen (Erfragung des Wertes eines Gutes oder einer Dienstleistung) ◼ Gegenüberstellung des Inputs und der Wirkung, Berechnung des SROI Beurteilung der sozialen Wirkungsanalyse Die soziale Wirkungsanalyse verschafft einen erweiterten und strukturierten Einblick in die Effekte sozialer Maßnahmen. Trotz teils nur begrenzt vorhandener Daten können soziale Maßnahmen zumeist fundierter bewertet werden. Der SROI erhebt keinesfalls den Anspruch, die Wirkung vollumfänglich zu erfassen. Es wird versucht, sämtliche finanziellen Auswirkungen zu erfassen und hierüber informiert die SROI-Kennzahl. Nicht oder zweifelhaft monetär erfassbare Wirkungen sind daher zusätzlich zum SROI qualitativ zu beschreiben und im Bericht sichtbar zu machen. Eine ausschließlich finanzielle Bewertung wäre genauso unvollständig wie ein Verzicht darauf. 6.5.2.2 Standards zur Monetarisierung der Impacts Die Messung des Impacts hat sich weiterentwickelt und erlangt zunehmende Bedeutung bei der Messung der Nachhaltigkeit insgesamt. Es zeichnet sich ab, dass die Nach- <?page no="231"?> 6.5 Ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte 231 haltigkeitsberichterstattung zukünftig nicht nur stärker durch eine Quantifizierung von Wirkungen geprägt sein wird, sondern auch durch die Monetarisierung dieser Wirkungen. Verschiedene Akteure und Initiativen von Unternehmen, Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften sowie aus der Wissenschaft entwickeln Standards, welche die bestehenden betriebswirtschaftlichen Rechnungslegungsstandards zukünftig ergänzen können. Zu nennen sind hier beispielsweise: ◼ Value Balancing Alliance (https: / / www.value-balancing.com) ◼ True Value-Ansatz der KPMG (https: / / assets.kpmg/ content/ dam/ kpmg/ ae/ pdf/ introduction-kpmg-truevalue.pdf) ◼ Impact-Weighted-Accounts-Ansatz der Harvard Business School (https: / / www.hbs.edu/ impact-weighted-accounts/ Pages/ default.aspx) ◼ Capitals Coalition (https: / / capitalscoalition.org) ◼ Total Impact Measurement and Management-Ansatz von PwC (https: / / www.pwc.com/ gx/ en/ services/ sustainability/ total-impact-measurementmanagement.html) ◼ Ansatz des Umweltbundesamts zur Ermittlung von Umweltkosten (https: / / www.umweltbundesamt.de/ daten/ umwelt-wirtschaft/ gesellschaftlichekosten-von-umweltbelastungen#gesamtwirtschaftliche-bedeutung-der-umweltkosten) Mehrheitlich sind die Ansätze noch sehr jung, so dass es aktuell nur wenige Erfahrungsberichte gibt. Zudem befinden sich diese oft noch in der Entwicklung oder werden nach den ersten praktischen Erfahrungen optimiert. Letztlich kann auch die Ökologische Gewinn- und Verlustrechnung als eine Vorstufe dieser Standards bezeichnet werden. Sie basiert allerdings nicht auf allgemein gültigen und prüfbaren Vorgaben, ist auf die Ökologie fokussiert und betrachtet nur die Lieferkette. Im Weiteren wird der Ansatz der Value Balancing Alliance vorgestellt. Dieser bindet bestehende Ansätze, wie etwa der Capitals Coalition oder den Total Impact Measurement-Ansatz von PwC ein und strebt mit dem Impact-Weighted Accounts in Kooperation mit der Harvard Business School eine Harmonisierung an. Er lässt durch seine klare Konzeption, eine pragmatische Umsetzung und durch die Einbindung im neu zu entwickelnden internationalen Nachhaltigkeitsstandard des International Sustainability Standards Board erwarten, dass er in Zukunft bedeutsam sein wird. 6.5.2.3 Value Balancing Alliance „Im Zuge unserer Nachhaltigkeitsarbeit sind wir der Value Balancing Alliance (VBA) beigetreten. Gemeinsam mit der VBA erarbeiten wir Standards, die die Beiträge von Unternehmen zu und Auswirkungen auf Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft mess- und damit vergleichbar machen. So können diese Beiträge und Auswirkungen in monetäre Kennzahlen übersetzt werden und in unsere unternehmerischen Entscheidungen einfließen.“ (Roche Pharma AG, in: https: / / www.roche.de/ unternehmen/ was-uns-antreibt/ <?page no="232"?> 232 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling umwelt-nachhaltigkeit/ unverzichtbar#6d82028a-a1cb-43d9-ada1-3550a5f581d1, Abruf: 02.03.2024) Die Value Balancing Alliance (VBA) ist ein 2019 in Frankfurt/ Main gegründeter Zusammenschluss mehrerer Unternehmen (z.B. BASF, Bosch, Deutsche Bank, Deutsche Post DHL, Kering, Michelin, Novartis, Otto Gruppe, SAP, Schaeffler, Volkswagen, ZF). Unterstützt wird die VBA durch die Big Four der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften (Deloitte, EY, KPMG, PwC) und weiterer Partner (z.B. Institut der Wirtschaftsprüfer, Capitals Coalition, Harvard Business School, World Economic Forum, University of Oxford). Die VBA möchte einen Standard entwickeln, mit dem die Wirkungen unternehmerischen Handelns auf die Umwelt und die Gesellschaft genauso gemessen werden können wie der finanzielle Erfolg. Damit wird der Nutzen, den ein Unternehmen der Gesellschaft bietet, transparent dargestellt. Hierdurch können Unternehmen ihre Steuerung am Wert ausrichten, den es der Gesellschaft bietet (vgl. Value Balancing Alliance 2021c, Podcast, in: https: / / letstalkaboutvalues.buzzsprout.com/ 1523701/ 8492831-aktuelle-entwicklungen-bei-der-value-balancing-alliancedeutsch? t=0, Abruf: 17.05.2022). Die VBA beschreibt ihr Ziel folgendermaßen: “We are an alliance of multinational companies coming together with a common goal: to create a way of measuring and comparing the value of contributions made by businesses to society, the economy, and the environment - a metric not previously reflected in a company's balance sheet. The Alliance translates environmental and social impacts into comparable financial data. Our members test the methodology to ensure feasibility, robustness, and relevance.” (Value Balancing Alliance, in: https: / / www.value-balancing.com, Abruf: 15.05.2022) Ein weltweiter Standard des “Impact Measurement and Valuation“ verschafft Transparenz und Vergleichbarkeit über die Auswirkungen von Unternehmen auf Umwelt und Gesellschaft. Die VBA konsolidiert bestehende Ansätze und entwickelt Standards für die Bewertung von Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit, dem Impact Statement, und der Messung der finanziellen Folgen dieser Wirkungen auf das Unternehmen in Form einer integrierten Bilanz, dem Integrated Account. Wie auch bei den GRI basiert die Methodik somit auf der doppelten Wesentlichkeit. Die VBA verfolgt den Ansatz, sämtliche Wirkungen zu monetarisieren. Beträge in Geldeinheiten können von sämtlichen Akteuren bewertet werden und sie sind kompatibel zu den Daten der Unternehmenssteuerung. Physikalische Informationen über ökologische Inhalte oder rechtliche bzw. moralische Verstöße in sozialen Belangen können hingegen zumeist nur von Nachhaltigkeitsexperten bewertet werden. Ein ganzheitliches Bild, welchen Wert ein Unternehmen für die Gesellschaft hat, ergibt sich daraus nicht. Durch die Monetarisierung kann Nachhaltigkeit direkt in strategische und operative Unternehmensentscheidungen integriert werden. Zudem werden auch verschiedene Nachhaltigkeitsthemen miteinander vergleichbar und ihre relative Bedeutung wird offensichtlich. Anstatt einer Vielzahl nicht zusammenhängender <?page no="233"?> 6.5 Ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte 233 Nachhaltigkeitskennzahlen erlaubt der monetäre Ausdruck den direkten Vergleich mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. Die tatsächliche Leistung eines Unternehmens wird offengelegt, Zielkonflikte werden erkannt und können geklärt werden. Daher wird der Ansatz des Impact Measurement stets um die Valuation ergänzt. Abb. 6.28: Value Balancing Alliance: doppelte Wesentlichkeit (eigene Abbildung, angelehnt an: Value Balancing Alliance, First Pilot Study, Mai 2021, S. 6, in: https: / / www.value-balancing.com/ en/ downloads.html, Abruf: 15.05.2022) Die VBA benennt vier Hauptziele (vgl. Value Balancing Alliance 2021a, S. 7f.): ◼ Managern und Investoren solle ermöglicht werden, bessere Entscheidungen zu treffen. Hierfür werden Daten zugrundliegen, welche die Leistungsfähigkeit des Unternehmens und die Auswirkungen unternehmerischen Handelns aufzeigen. Die Impact-Messung soll hierdurch ein Teil der Finanzberichterstattung werden. Zu diesem Zweck hat auch die Europäische Union die VBA mandatiert, eine Rechnungslegungsnorm für Impacts zu erstellen. ◼ Ein hoher Grad an Standardisierung soll einen transparenten Vergleich zwischen Unternehmen ermöglichen. Es soll eine einheitliche Methodik entwickelt werden, um die Gesamtwertschöpfung der Unternehmen zu bewerten. ◼ Nutzung bestehender Rahmenwerke und Definitionen und Aufzeigen der Verbindungen zu diesen. Die Ergebnisse sollen über die OECD für eine breite Übernahme kostenlos öffentlich zugänglich gemacht werden. Eine erprobte und marktreife Version soll hierfür bis Ende des Jahres 2023 zur Verfügung gestellt werden. <?page no="234"?> 234 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling ◼ Die Methodik muss für Unternehmen praktikabel durchführbar sein und sie muss die Unternehmensperspektive einnehmen. Die Anwendung muss einfach sein, auch wenn die Wirkungspfade im Hintergrund kompliziert sind. Es soll ein erprobtes Modell zur Verfügung gestellt werden, so dass Unternehmen über mehrere Kapitalien hinweg gesteuert werden können (Naturkapital, Wirtschaftliches Kapital, Humankapital, Sozialkapital). Zur Wirkungsmessung sollen verschiedene Indikatoren einbezogen werden. Als Ergebnis des VBA-Ansatzes wird für jeden Indikator ein monetärer Wert ermittelt. Die Berücksichtigung folgender Indikatoren wird empfohlen: ◼ Ökonomie: Bruttowertschöpfung ◼ Soziales: Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz Ausbildung ◼ Umwelt: Treibhausgasemissionen und Klimawandel Luftverschmutzung Wasserverbrauch Wasserverschmutzung Landnutzung und Biodiversität Abfall Weitere Indikatoren sollen ergänzt werden, sofern sie wesentlich sind. Relevant für diese Indikatoren ist dabei die gesamte Wertschöpfungskette, wie beim GHG Protocol die Scopes 1-3. Bei der Messung der Auswirkungen des unternehmerischen Handelns werden als Ausgangspunkt die Impact Driver identifiziert. Dies können Input-, Output- oder Outcome-basierte Messgrößen sein, welche die Wirkung in physikalischen Einheiten erfassen. Beispielsweise können Rohstoffeinsätze in kg gemessen werden und Abwasser in Liter. In der sozialen Dimension können dies die Anzahl Beschäftigte und die Anzahl Sicherheitsvorfälle sein. Nicht alle Impact Driver können aufgrund fehlender Primärdaten direkt gemessen werden. In diesen Fällen sind die Daten mit Hilfe historischer Werte zu extrapolieren, auf Basis nachvollziehbarer Annahmen zu schätzen oder es sind durch Branchenverbände oder durch den Staat veröffentlichte Daten zu nutzen. Nachdem die Impact Driver erfasst wurden, sind sie nach der Maßgabe zu bewerten, wie sie sich auf das menschliche Wohlbefinden auswirken. Das Verständnis individuellen Wohlbefindens wurde von der OECD beschrieben und dient bei der VBA als Zielgröße für die Bewertung der Wirkungen. Dabei wird auf die einseitige Betrachtung des wirtschaftlichen Wohlstands mit Hilfe des Bruttoinlandsprodukts verzichtet. Zur Ermittlung, was unter einem individuellen Wohlbefinden zu verstehen ist, befragt die OECD seit 2011 Menschen weltweit nach den Werten, die ihnen wichtig sind. Aus diesen Kriterien wurde der Better-Life-Index entwickelt, der regelmäßig für zahlreiche Länder entwickelt wird (vgl. https: / / www.oecdbetterlifeindex.org/ de/ #/ 11111111111, Abruf: 02.03.2024). Der Index basiert auf 11 Themenfeldern, die nicht nur die materiellen Lebensbedingungen, sondern die Lebensqualität insgesamt beschreiben. Auf der <?page no="235"?> 6.5 Ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte 235 Website des OECD-Better-Life-Index befinden sich detaillierte Beschreibungen und die Auswertungen der Themenfelder für unterschiedliche Länder (Auswertung für Deutschland: https: / / www.oecdbetterlifeindex.org/ de/ countries/ germany-de/ , Abruf: 02.03.2024). Folgende Abbildung zeigt acht Themen, welche die Lebensqualität beschreiben und drei Themen, die den materiellen Wohlstand beschreiben. Diese werden jeweils gemessen und anschließend in eine Skala zwischen 0 und 10 überführt, um sie zwischen verschiedenen Ländern und gesellschaftlichen Gruppen sowie im Zeitverlauf vergleichen zu können. Abb. 6.29: OECD Well Being Framework (eigene Abbildung, angelehnt an OECD, in: https: / / www.oecd-ilibrary.org/ sites/ f6dfefd1-de/ index.html? itemId=/ content/ component/ f6dfefd1de, Abruf: 16.05.2022) Um auch zukünftig ein Wohlbefinden sicherzustellen, müssen Ressourcen entwickelt werden, bei denen die OECD die vier Kapitalarten Naturkapital (z.B. Treibhausgasemissionen pro Kopf, materieller Fußabdruck), Ökonomisches Kapital (z.B. produzierte Anlagegüter, Verschuldung privater Haushalte), Humankapital (z.B. Bildungsabschlüsse, vorzeitige Mortalität) und Sozialkapital (z.B. Vertrauen in die Regierung, Geschlechtergleichstellung in der Politik) verwendet. Für die monetäre Bewertung der Impacts sieht die VBA drei Ansätze vor: stated preference approaches, revealed preferenze approaches und cost-based approaches: Stated preference approaches: ◼ Willingness to pay: der maximale Betrag, den jemand für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu bezahlen bereit ist <?page no="236"?> 236 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling ◼ Willingness to accept: der Mindestbetrag, den jemand fordert, um auf ein Produkt oder auf eine Dienstleistung zu verzichten Revealed preference approaches: ◼ Hedonic pricing method: beispielsweise werden Kosten für Lärmbelästigung aus dem Preisunterschied von Häusern in leiser und lauter Umgebung ermittelt, Arbeitsrisiken werden durch Lohnunterschiede zwischen einer gefährlichen und einer weniger gefährlichen Tätigkeit gemessen ◼ Travel-cost-approach: beispielsweise wird der Wert einer kulturellen Veranstaltung an den Kosten festgemacht, die ein Besucher durch Eintritt und Anfahrt in Kauf nimmt Cost-based approaches: ◼ Kosten, die jemand aufwendet, um negative Beeinträchtigungen abzuwenden Mit den zu entwickelnden Standards sollen den Unternehmen Werte für verschiedene Impacts zur Verfügung gestellt werden. Es ist somit nicht die Aufgabe eines jeden Unternehmens, selbst eine geeignete Methode zur monetären Bewertung zu suchen, sondern die in einer Datenbank zur Verfügung gestellten Werte angemessen zu nutzen. Die notwendigen Daten sollen den Unternehmen über die OECD zur Verfügung gestellt werden. Der Ansatz der Value Balancing Alliance wird aber auch kritisiert. So wird bemänglet, dass keine Bezüge zu planetaren Belastungsgrenzen bestehen. Es wird ein monetärer Schaden ausgewiesen, doch welche Relevanz dieser für die Erreichung der Klimaziele hat, ist nicht ersichtlich. Es fehlen wissenschaftsbasierte Ziele und Transformationspfade, wie dies etwa die Science Based Targets vorgeben. Die Aufrechnung von negativen und positiven Wirkungen beurteilt die VBA zwar selbst auch als kritisch, doch kann diese Denkweise nicht ausgeschlossen werden (vgl. Knewitz 2022). Die zukünftige praktische Bedeutung der VBA dürfte maßgeblich durch die Entwicklung eines international gültigen neuen Nachhaltigkeitsstandards geprägt werden. Die VBA ist ein bedeutender Akteur des seit Ende 2021 in Frankfurt/ Main ansässigen International Sustainability Standards Board (ISSB). Das ISSB steht mit dem International Accounting Standards Board (IASB) unter dem gemeinsamen Dach der IFRS- Stiftung (International Financial Reporting Standards). Das ISSB soll zu einem weltweiten, unabhängigen Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickelt werden, so wie es das IASB mit dem Reportingstandard IFRS im Bereich der finanziellen Berichterstattung bereits gelungen ist. IFRS ist in über 140 Ländern verpflichtender Standard, so auch in der Europäischen Union für kapitalmarktorientierte Unternehmen. Die Methoden der VBA können somit im zukünftigen ISSB-Standard weltweit Bedeutung erlangen und zu einer verpflichtenden Grundlage für die Nachhaltigkeitsberichterstattung werden (vgl. Heller, Schwebel, Wiesheu 2022, S. 12). Aufgrund der Vielfalt an Methoden zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und der damit <?page no="237"?> 6.5 Ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte 237 einhergehenden geringen Transparenz ist es zu begrüßen, wenn sich einheitliche Standards wie im finanziellen Berichtswesen durchsetzen (vgl. Haut u.a. 2021, S. 54). “Although - or perhaps because - corporate reporting has significantly evolved, we currently have an alphabet soup of reporting frameworks. This creates barriers to informed investor decisions and effective company steering and necessitates harmonization.” (Heller u.a. 2022, S. 77) Sustainable Value Wird eine schwache Nachhaltigkeit mit substituierbaren Nachhaltigkeitszielen unterstellt, lassen sich verschiedene Nachhaltigkeitskennzahlen aufrechnen und in einer einzigen Spitzenkennzahl verschmelzen. Die Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens wird somit in nur einer Kennzahl ausgedrückt. Ebenso wie ökonomische Spitzenkennzahlen über den wirtschaftlichen Erfolg informieren, stellen diese den nachhaltigen Erfolg dar. Somit können die Nachhaltigkeitsleistungen verschiedener Unternehmen direkt miteinander verglichen werden. Zwar gehen durch die Verdichtung in eine Kennzahl Informationen verloren, doch dies ist mit der einfacheren Kommunizierbarkeit abzuwägen. Keinesfalls sollen dadurch detaillierte Messkonzepte ersetzt, sondern sie sollen um die Spitzenkennzahl ergänzt werden. Der Sustainable Value ist eine solche Spitzenkennzahl. Auch wenn die praktische Bedeutung im Nachhaltigkeitscontrolling gering ist, handelt es sich um einen interessanten, logisch aufgebauten und gut kommunizierbaren Ansatz. Er orientiert sich an der Logik der finanziellen Steuerung, wodurch er für Betriebswirte leicht zugänglich ist. Kritisiert wird die konzeptionelle Einschränkung, dass verschiedene Nachhaltigkeitswirkungen gegeneinander aufgerechnet werden, was der Prämisse der schwachen Nachhaltigkeit entspricht. Der Sustainable Value nutzt die in der Ökonomie etablierte Methodik des Vergleichs mit der besten Alternative. Im Sinne des Opportunitätskostenprinzips soll ein Unternehmen immer dann investieren, wenn diese Investition rentabler ist als eine vergleichbare Verzinsung im Markt. Ebenso wird auch ein Investor nur dann Anteile eines Unternehmens kaufen, wenn diese mindestens so rentabel sind wie eine andere Investition mit vergleichbaren Risiken. Die Entscheidung für eine Investition fällt also immer im Vergleich zu den Alternativen. Beim Sustainable-Value-Ansatz wird auch die Nachhaltigkeit im Unternehmen entsprechend beurteilt. Wenn ein Unternehmen beispielsweise weniger CO 2 emittiert als im Vorjahr, kann daraus noch nicht geschlossen werden, dass bereits ein gutes Niveau erreicht wurde. Die Beurteilung hängt vor allem davon ab, ob andere Unternehmen bei vergleichbaren Produkten mehr oder weniger CO 2 emittieren. Das Opportunitätskostenprinzip findet damit nicht nur beim Einsatz von Finanzmitteln, sondern auch beim Einsatz ökologischer und sozialer Ressourcen Anwendung. Solche Ressourcen werden immer dann eingesetzt, wenn sie zu einem höheren Wertbeitrag führen als im Branchendurchschnitt oder in der Volkswirtschaft insgesamt. <?page no="238"?> 238 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Das Opportunitätskostenprinzip ist ein alternativer Ansatz zur direkten Messung von externen Effekten. Anstatt sämtliche Schäden mit allen Neben- und Folgewirkungen zu quantifizieren und zu monetarisieren, werden beim Sustainable Value für eine bestimmte Auswahl an Ressourcen die Opportunitätskosten ermittelt. Kosten sind damit entgangene Erträge, die bei einem alternativen Einsatz entstanden wären. Diese lassen sich teils einfacher ermitteln als die Kosten tatsächlicher Schäden oder als die Kosten der Schadenvermeidung. Für jede eingesetzte ökonomische, ökologische und soziale Ressource wird ein positiver oder negativer Wertbeitrag ermittelt, wenn das Unternehmen beim Einsatz dieser Ressource erfolgreicher oder weniger erfolgreich ist als der Benchmark. Der Sustainable Value integriert somit verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit, wie dies auch bei der Sustainability Balanced Scorecard der Fall ist. Beispiel Ein Unternehmen verursacht 5 Tonnen Abfälle, um eine Wertschöpfung von 1.000 € zu erzielen. Die Abfalleffizienz beträgt damit 200 € je Tonne Abfall. Wenn in der Branche im Durchschnitt nur 180 € Wertschöpfung je Tonne Abfall erzielt werden, ist das Unternehmen je Tonne Abfall um 20 € effizienter als die Branche. Mit 5 Tonnen Abfällen wird in der Branche im Durchschnitt ein Wert in Höhe von 5 × 180 € = 900 € erzielt. Bezogen auf die einzelne Ressource Abfälle schafft das Unternehmen somit einen Sustainable Value in Höhe von 100 € (1.000 € - 900 €). Werden für sämtliche eingesetzten ökologischen, sozialen und ökonomischen Ressourcen die einzelnen Wertbeiträge ermittelt, ergibt sich hieraus der Sustainable Value des Unternehmens. Ein positiver Sustainable Value bedeutet, dass das Unternehmen die Ressourcen insgesamt effizienter einsetzt als der Branchendurchschnitt oder als die Volkswirtschaft, je nachdem, womit das Unternehmen verglichen wird. Ein negativer Sustainable Value bedeutet hingegen, dass das Unternehmen seine Ressourcen weniger effizient einsetzt und damit weniger nachhaltig ist als andere Unternehmen. Selbst wenn ein Unternehmen hohe Gewinne ausweist und wirtschaftlich erfolgreich ist, kann es durch einen ineffizienten Einsatz ökologischer und sozialer Ressourcen zu einem negativen Wertbeitrag gelangen. Ohne dieses Unternehmen wäre die Branche oder die Volkswirtschaft nachhaltiger als mit diesem. Die „License to operate“ des Unternehmens wird somit in Frage gestellt. Der Sustainable Value erweitert die betriebliche Erfolgsmessung um die ökologische und soziale Dimension. Eine Investition ist nicht schon deshalb erfolgreich, weil nach der Investition mehr Geld zur Verfügung steht als zuvor. Vielmehr ist auch der Einsatz der Umwelt, als Lieferant für Boden, Rohstoffe und als Aufnahmemedium für Schadstoffemissionen, und der Einsatz von Menschen, als Arbeitskräfte, Kunden oder Anwohner, in die Erfolgsermittlung einzubeziehen. Link: www.sustainablevalue.com <?page no="239"?> 6.5 Ganzheitliche nachhaltige Messkonzepte 239 Beispiel Für ein Unternehmen soll der Sustainable Value mit den beiden Kriterien Rendite und Abfall berechnet werden. Als Vergleich dient die Branche. Sowohl bei der Rendite als auch bei der Abfalleffizienz ist das Unternehmen erfolgreicher als die Branche. Der Sustainable Value ergibt sich aus der Summe der Wertbeiträge, geteilt durch die Anzahl der Kriterien. Dies ist notwendig, da die Wertschöpfung sonst mehrfach gezählt wird. Abb. 6.30: Beispiel zur wertorientierten Methodik des Sustainable Value (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Hahn, Figge, Barkemeyer, Liesen, Müller 2013, S. 9) Beurteilung des Sustainable-Value-Ansatzes Der Sustainable Value nimmt einen relativen Vergleich mit ausgewählten Wettbewerbern, der Branche oder mit der Volkswirtschaft vor. Ein Wert wird geschaffen, wenn das Unternehmen effizienter ist als der Durchschnitt. Ein Finanzinvestor wird sich hingegen selten damit begnügen, dass die Rendite über dem Durchschnitt liegt, vielmehr wird er die beste Alternative als Vergleich heranziehen. Beim Sustainable Value wäre es demnach anspruchsvoller, sich mit den ökologischen und sozialen Branchenführern zu vergleichen als nur mit dem Durchschnitt. Zur Berechnung des Sustainable Value sollte deshalb ein anspruchsvoller Benchmark festgelegt werden. Ohne Kenntnis der Benchmark lässt sich ein Sustainable Value nicht beurteilen. Die Kritik an einer nur schwachen Nachhaltigkeit und der daraus folgenden Substituierbarkeit einzelner Nachhaltigkeitsziele wurde bereits genannt. Vergleiche von Unternehmen mit unterschiedlichen Geschäftsfeldern und Konzernstrukturen sind ebenfalls nur eingeschränkt möglich. Kritisch ist ebenfalls, dass Vorprodukte und die vorgelagerte Wertschöpfung keinen Eingang in die Beurteilung finden. Zwei Unternehmen derselben Branche sind nur eingeschränkt vergleichbar, wenn sie eine unterschiedliche Fertigungstiefe aufweisen. Stellt beispielsweise ein Unternehmen ressourcenintensive Vorprodukte selbst her, ein anderes bezieht diese hingegen extern, schneidet das Unternehmen mit geringer Fertigungstiefe besser ab. Das Unternehmen gilt als nachhaltiger, obwohl nur eine Produktionsstufe ausgelagert ist. Daher sollte <?page no="240"?> 240 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling idealerweise die gesamte Wertschöpfungskette in die Betrachtung einbezogen werden. Der Sustainable Value misst die Ressourceneffizienz. Die verschiedenen strategischen Ansätze zur Steuerung der Nachhaltigkeit haben aber gezeigt, dass Effizienz dort an Bedeutung verliert, wo Konsistenz erreicht wird. Sofern die Datenqualität zufriedenstellend ist, kann der Sustainable Value als internes Steuerungsinstrument genutzt werden, um etwa Geschäftsfelder, verschiedene Landesgesellschaften oder Produktionsstätten zu vergleichen (vgl. Arnsfeld, Peters, Wübben 2011, S. 84f.; Arnsfeld, Wübben 2011, S. 51ff.). Software und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung Controller arbeiten mit Daten, die gesammelt, sortiert, gespeichert und ausgewertet werden. Dies beschränkt sich nicht nur auf Daten aus dem Rechnungswesen und der Kosten- und Leistungsrechnung, sondern umfasst auch Daten über Kunden, Geschäftsprozesse, durch Sensoren ermittelte Messwerte, Daten über Produkte, Märkte und Geschäftspartner. Dabei liegen die Daten nicht nur als tabellarisch sortierte Zahlen vor, sondern auch unstrukturiert in unterschiedlichen Formaten. Teils werden sie laufend aktualisiert und können somit „real-time“ ausgewertet werden. Controller verschaffen sich mit Hilfe der Daten Transparenz über die finanzielle und wirtschaftliche Lage des Unternehmens, sie nutzen die Daten für die Planung, für Analysen und zur Steuerung. Dem Management werden Reports mit relevanten Daten zur Verfügung gestellt, damit diese datenbasiert Entscheidungen treffen können. Bis heute ist das meistgenutzte Softwaretool im Controlling Microsoft Excel. Sein Vorteil liegt in der Agilität, in der großen Verfügbarkeit und Bekanntheit. Dies ist ein niedrigschwelliges Tool für schnelle Analysen und Auswertungen und kann für den Datentransfer und die Dateneingabe auch von Mitarbeitern außerhalb des Controllings genutzt werden. Als alleiniges Tool für die Unternehmenssteuerung ist es hingegen ungeeignet. Aufbauend auf dem Buchhaltungssystem und einem ERP-System (Enterprise Resource Planning) werden Business Intelligence Tools benötigt, welche die operative Planung, die Analyse und das Reporting effizient unterstützen. Für tiefergehende Analysen werden Advanced Analytics Tools eingesetzt, etwa für die automatisierte Erstellung von Forecasts, für Cluster- oder für Regressionsanalysen. Nachhaltigkeitssoftware Die Steuerung der Nachhaltigkeit erweitert das bestehende Controlling und erfordert daher auch eine entsprechende Erweiterung der Software-Werkzeuge. Erstmals starten viele mit der flexiblen und verfügbaren Lösung, also mit Excel. Die Daten der Nachhaltigkeit werden dabei häufig parallel zu den bestehenden Controllingprozessen erhoben. In solch einer frühen Phase erfolgt die Steuerung der Nachhaltigkeit zumeist <?page no="241"?> 6.6 Software und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung 241 auch noch getrennt vom Controlling. Im dritten Kapitel wurde die Notwendigkeit einer integrierten Steuerung ausführlich beschrieben. Damit sind auch die bestehenden Steuerungssysteme zu erweitern. So ist etwa ein Planungstool zu erweitern, da nicht mehr nur Erträge und Aufwendungen geplant werden, sondern auch ökologische Daten wie Emissionen oder soziale Daten wie Arbeitsunfälle. Zudem besteht der Bedarf, die Planung über das Unternehmen hinaus auf die Wertschöpfungskette auszuweiten, um Effekte auf den Ebenen Scope 2 und 3 zu erfassen. Schließlich werden spezialisierte Softwaretools benötigt, etwa zur Erstellung von Ökobilanzen oder von genormten Nachhaltigkeitsreports. Datenmanagement, Performance Management und Reporting Das Datenmanagement ist der Ausgangspunkt mit dem Ziel, das Performance Management, also die Planung und Steuerung optimal zu unterstützen. Über den Erfolg des Performance Managements werden sowohl intern für das Management sowie extern für die Stakeholder Berichte erstellt. Dieser Managementzyklus und die Teilaufgaben sind in folgender Abbildung dargestellt: Abb. 6.31: Managementzyklus aus Datenmanagement, Performance Management und Reporting (Quelle: eigene Abbildung, angelehnt an BARC 2023b) Für das Nachhaltigkeitsmanagement werden eine große Anzahl unterschiedlicher Softwarelösungen angeboten. Diese lassen sich nach BARC folgendermaßen unterscheiden (vgl. BARC 2023c): a) ERP- (Enterprise Resource Planning) und CPM-Systeme (Corporate Performance Management) mit integrierten ESG-Lösungen <?page no="242"?> 242 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling b) ESG Performance Management c) ESG-Datenmanagement d) ESG-konformes Disclosure Management Innerhalb des Managementzyklus können die Softwarelösungen nach ihrem Schwerpunkt folgendermaßen zugeordnet werden: Abb. 6.32: Zuordnung der Softwarelösungen im Managementzyklus (Quelle: BARC 2023c, S. 23) a) ERP- und CPM-Systeme mit integrierten ESG-Lösungen ERP-Systeme sind Softwarelösungen zur Unterstützung der unternehmensweiten Ressourcenplanung und -steuerung. Dabei werden Geschäftsprozesse über die gesamte betriebliche Wertschöpfung hinweg digital abgebildet, um sämtliche betrieblichen Ressourcen unternehmensweit verwalten zu können. Teilbereiche der ERP-Software sind insbesondere: ◼ Stammdatenverwaltung ◼ Produktstücklisten und Produktdatenmanagement ◼ Dokumentenmanagement ◼ Materialwirtschaft ◼ Produktionsplanung und -steuerung ◼ Personalwirtschaft ◼ Finanz- und Rechnungswesen ◼ Controlling Die Daten bilden sämtliche betrieblichen Prozesse ab und sind damit auch Grundlage für das Nachhaltigkeitsmanagement. Für ESG-spezifische Anforderungen sind die ERP-Systeme zu erweitern, wie etwa die Erweiterung um Emissionsdaten. CPM-Systeme werden im Finanzbereich eingesetzt, um Unternehmen bei der Planung, Budgetierung, Prognose, Konsolidierung der Finanzdaten und der Erstellung von Finanzberichten zu unterstützen. Diese Funktionen sind auch für die Steuerung <?page no="243"?> 6.6 Software und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung 243 der Nachhaltigkeit relevant. Diese muss geplant, die Entwicklung muss prognostiziert, über den Erfolg muss berichtet und Abweichungen müssen analysiert werden. Die ERP- und CPM-Systeme sind bisher auf betriebswirtschaftliche Belange ausgerichtet. Die bestehenden Systeme beinhalten bereits Datenmanagement, Performance Management und Reporting und müssen nun um ESG-Funktionalitäten erweitert werden. Dies ermöglicht eine integrierte Steuerung. Es liegt auf der Hand, dass ein separates System für das Nachhaltigkeitsmanagement ohne Anbindung an ERP- und CPM-Systeme nicht ausreicht. Aufgrund der engen Verzahnung müssten bei getrennten Systemen ständig manuell Anpassungen vorgenommen werden. Neben dem Aufwand stellen manuelle Eingriffe Fehlerquellen dar. Bei jeder Prozessänderung müsste die Nachhaltigkeitssteuerung manuell angepasst werden. Aus der Notwendigkeit einer integrierten Steuerung ergibt sich die Notwendigkeit einer integrierten Softwarelösung. Durch die weite Verbreitung der ERP-Systeme von SAP liegt es nahe, dass SAP die Erweiterung um ESG-Funktionalitäten vornimmt. Beispiel: SAP „CO 2 -Emissionsdaten und Finanzdaten gemeinsam verwalten Interpretieren wir das „R“ in ERP neu und erweitern wir die Definition von Ressourcen um Nachhaltigkeitsdaten, angefangen bei Kohlendioxid. Mit dem Green Ledger in SAP S/ 4HANA Cloud werden CO 2 -Emissionen in Ihre Transaktionsdatenbasis integriert, sodass Sie CO 2 -Daten und Finanzdaten im selben Buch verwalten können.“ Unübertroffene Granularität Schlüsseln Sie einzelne Geschäftstransaktionen auf, wie Sie es von Finanzdaten kennen, um eine effektive Budgetierung und Steuerung auf Kostenstellenebene zu ermöglichen. Unübertroffene Genauigkeit Treffen Sie verlässliche Entscheidungen und erstellen Sie Berichte auf der Grundlage standardisierter und genauer Daten, die auf Ist-Daten und einer gemeinsamen Buchhaltungsmethodik basieren. Unübertroffene Einblicke Betrachten Sie CO 2 -Daten und Finanzdaten nebeneinander, um zum erforderlichen Zeitpunkt Entscheidungen treffen zu können.“ Quelle: SAP, https: / / www.sap.com/ germany/ sustainability/ climate-action..html, Abruf: 29.02.2024. Anbieter von ERP-/ CPM-Systemen mit integrierten ESG-Lösungen sind unter anderem: ◼ SAP ◼ Oracle <?page no="244"?> 244 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling ◼ IBM ◼ Board ◼ Wolters Kluwer ◼ Jedox b) ESG Performance Management ESG Performance Management Software deckt ein breites Spektrum an Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen ab. Dies reicht von unternehmensübergreifenden Umwelt- und Sozialinformationssystemen, über spezialisierte Nachhaltigkeitsanwendungen, wie Tools zur Ermittlung von Emissionen, zum Energiemanagement in Gebäuden, zur Sicherung der Compliance in der Lieferkette oder zur Sicherstellung der Governance. Betriebliche Umwelt- und Sozialinformationssysteme Die im nachhaltigkeitsorientierten Rechnungswesen gewonnenen Informationen müssen in strukturierter Form gespeichert und für eine weitere Verarbeitung zur Verfügung gestellt werden. Hierfür ist ein Umweltbzw. Sozialinformationssystem zu errichten, wobei in der Praxis vor allem Umweltinformationssysteme etabliert sind. Zur Abgrenzung von staatlichen Umweltinformationssystemen, welche die Information der Bürger zum Ziel haben, werden Umweltinformationssysteme in Unternehmen als „Betriebliche Umweltinformationssysteme“ (BUIS) bezeichnet. Mit Hilfe eines Umweltbzw. Sozialinformationssystems werden die für das Unternehmen relevanten Umwelt- und Sozialdaten systematisch erfasst, verarbeitet und bereitgestellt. Dies können sowohl physikalische als auch monetäre Daten sein. Unter dem Begriff der betrieblichen Umweltinformationssysteme verbergen sich sehr unterschiedliche Lösungen. Dies sind zum einen Systeme, die die Anwendung von Umweltstandards durch ein Daten- und Dokumentenmanagement unterstützen. Zum anderen sind dies spezifische Softwarelösungen für eine automatisierte Erstellung von CO 2 -Footprints, Ökobilanzen oder einem Monitoring von Umweltdaten (vgl. Peverali u.a. 2021, S. 55). Seit einigen Jahren werden anspruchsvolle BUIS sowie technisch orientierte Softwarelösungen, etwa zur Steuerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs oder zur Erstellung einer Ökobilanz, entwickelt. Die Anforderungen an die Entwickler und Anwender dieser Informationstechnik- und Softwarelösungen sind so stark gestiegen, dass zur adäquaten Ausbildung mittlerweile eigenständige Bachelor- und Masterstudiengänge für Umweltinformatik existieren. Die Breite der angebotenen Softwarelösungen reicht von kostenlosen Web-Applikationen für einen Quick-Check der Nachhaltigkeit über Speziallösungen zur Steuerung des Energieverbrauchs von Anlagen und Maschinen. Darüber hinaus gibt es umfassende Softwaretools zur Nachhaltigkeitssteuerung, welche die Datenerhebung, die Strategieentwicklung und -umsetzung, die operative Steuerung bis zur GRI-konformen Berichterstellung unterstützen. Hierfür ist <?page no="245"?> 6.6 Software und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung 245 zum Teil umfangreiches Expertenwissen über ökologische und soziale Sachverhalte notwendig, über die ein Controller in der Regel nicht verfügt. Diese Aufgaben müssen deshalb von Nachhaltigkeitsexperten abgedeckt werden, wie etwa Umweltingenieure, Energieingenieure, Umweltinformatiker oder von Juristen für Umweltrecht. Aufgabe des Controllings ist es schließlich nicht, operative Aufgaben des Nachhaltigkeitsmanagements eigenständig durchzuführen, sondern dies im Unternehmen integriert zu steuern. Spezialisierte Softwaretools zur Erstellung von Ökobilanzen oder zur Steuerung der Compliance sind daher keine vorrangigen Werkzeuge der Controller. Dies ist etwa vergleichbar mit Tools für die Kundenbetreuung, die ein Werkzeug für den Vertrieb und nicht für den Controller sind, oder mit einem Tool zur Produktionssteuerung, welches Mitarbeiter in der Produktion nutzen. Die gegenseitige Abhängigkeit von ökologischen, ökonomischen und sozialen Faktoren macht es notwendig, Umwelt- und Sozialinformationssysteme nicht als Insellösung zu führen, sondern mit dem ökonomischen Informationssystem, also den Daten aus dem bestehenden Controlling, zu verknüpfen. Hierdurch ergibt sich ein integriertes betriebliches Informationssystem. Es können Aussagen etwa dazu getätigt werden, ob die Kosten einer ökologischen Maßnahme wirtschaftlich vertretbar sind oder ob sich der Verzicht schädigender Stoffe positiv auf den Gesundheitszustand der Mitarbeiter auswirkt. Diese Daten dienen also nicht nur der Dokumentation, sondern auch der Planung und Beurteilung von Szenarien (vgl. Schaltegger u.a. 2007, S. 79). Softwaretools für spezielle Nachhaltigkeitsanwendungen Für spezielle Nachhaltigkeitsanwendungen wie die Erstellung einer Ökobilanz bzw. eines Life Cycle Assessments (z.B. GaBi, SimaPro, Umberto), für das Stoffstrommanagement (z.B. Umberto) oder für Nachhaltigkeitsanalysen bzw. Audits (z.B. EcoVadis, N-Kompass) gibt es entsprechend spezialisierte Softwaretools. In der Praxis bedeutsam sind zudem EHS-Softwaresysteme (Environment, Health, Safety). Diese unterstützen das Umweltmanagementsystem, die rechtliche Compliance sowie Arbeits- und Anlagensicherheit. Ein Schwerpunkt liegt hierbei häufig in der Einhaltung von Rechtspflichten und der Sicherstellung notwendiger Genehmigungen. Es sind hier also eher formale, rechtliche und technische Sachverhalte abgebildet, die in Abteilungen wie Umweltschutz oder Arbeitssicherheit bedeutsam sind. In diesem Feld unterstützen die EHS-Tools aber auch die Nachhaltigkeitsberichterstattung und damit die Steuerung. Nachfolgend finden sich zwei Beispiele von Softwareanbietern. Beispiel Ökobilanz mit SimaPro „Viele Organisationen haben Schwierigkeiten dabei Wege zu finden, um ihre Nachhaltigkeitsbemühungen messbar zu machen. Sie überlegen, wie man Nachhaltigkeit in die täglichen Prozesse einbindet und wie sie ihre Nachhaltigkeitsanstrengungen in einen Wettbewerbsvorteil umwandeln können. Die Ökobilanz ist weltweit als führende Methode zur Messung von Produktnachhaltigkeit anerkannt und kann eine große Breite von Umweltthemen quantifizieren sowie ein gutes Verständnis <?page no="246"?> 246 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling der Auswirkungen bieten - von der Wiege bis zur Bahre. SimaPro ist das professionelle Tool, mit dem Sie die Daten zur Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung von Produkten und Dienstleistungen sammeln, analysieren und überwachen können. Die Software wird für eine Vielfalt von Anwendungen wie Treibhausgas- und Wasserbilanzen, Produktdesign, Erstellung von Umweltdeklarationen (Environmental Product Declaration (EPD)) sowie für die Ermittlung von Leistungsindikatoren eingesetzt.“ (Quelle: SimaPro, in: https: / / network.simapro.com/ esuservices/ , Abruf: 29.02.2024) Beispiel iPoint Product Sustainability „Die Analyse und Bewertung der Umweltauswirkungen von Produkten gewinnt zunehmend an Bedeutung. Jedoch stellt die Erfassung relevanter Daten über den gesamten Produktlebenszyklus Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Mit iPoint Product Sustainability ‒ der neuen webbasierten Generation der Ökobilanzierungssoftware ‒ können Sie die Umweltauswirkungen Ihrer Produkte in kurzer Zeit analysieren und so Zeit und Ressourcen sparen. Automatisierung von Ökobilanzen Automatisieren Sie die Erstellung von Ökobilanzen und übertragen Sie diese einfach auf alle Ihre Produkte. Integration von LCA-Ergebnissen in die Unternehmensprozesse Verbreiten Sie entscheidungsrelevante Umweltinformationen im gesamten Unternehmen und lassen Sie andere an der Entstehung nachhaltiger Produkte teilhaben. Kombination von Compliance & Nachhaltigkeit Berücksichtigen und integrieren Sie Konformitätsinformationen, um sowohl nachhaltige als auch konforme Produkte zu erstellen. Verbesserung der Umweltverträglichkeit Durch die Automatisierung von Ökobilanzen und deren Integration in andere Geschäftsprozesse können Produkte nicht nur hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit optimiert, sondern auch im Vorfeld nachhaltig geplant und entwickelt werden.“ (Quelle: https: / / www.ipoint-systems.com/ de/ software/ ipoint-product-sustainability/ , Abruf: 29.02.2024) c) Datenmanagement Die Beschaffung von Nachhaltigkeitsdaten gestaltet sich oft schwierig. Daten sind entweder nicht verfügbar, werden unregelmäßig bereitgestellt oder weisen Qualitätsmängel auf. Es gibt unterschiedliche Messmethoden, Berechnungslogiken, Berichtsstandards, Richtlinien, Datenmodelle und uneinheitliche Schnittstellen. Daten lassen sich nur erschwert miteinander vergleichen. Sie können nicht aggregiert und in den Geschäftsprozessen genutzt werden. Die Nachhaltigkeitssteuerung kann dadurch fehlerhaft und die Berichterstattung unvollständig sein. (vgl. Lösken, Sailer 2023, S. 11f.) <?page no="247"?> 6.6 Software und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung 247 Das Datenmanagement schafft die Voraussetzungen für die Steuerung und basiert auf verschiedenen Anforderungen. Es sollten Standards und Richtlinien für Datenquellen und Kennzahlen definiert werden. Für ESG-Daten sollten grundsätzlich dieselben Anforderungen gelten wie für Finanzdaten. In der Praxis gibt es jedoch noch große Schwierigkeiten im Datenmanagement, um eine wirksame Nachhaltigkeitssteuerung und Berichterstattung zu gewährleisten. Die Untersuchung von BARC aus dem Jahr 2023 zeigt Defizite bei der Datenqualität und Zuverlässigkeit auf. Auch Schwierigkeiten durch verschiedene Datenquellen und manuelle Prozesse werden genannt. Die Green Controlling-Studie des Internationalen Controller Vereins aus dem Jahr 2022, an der europaweit mehr als 200 Controller teilgenommen haben, bestätigt die Schwierigkeiten im Datenmanagement. 55% der befragten Controller sind unzufrieden mit der Verfügbarkeit ökologischer Daten und über 50% bemängeln die Datenqualität. Lediglich 2% sind mit der Verfügbarkeit und Qualität sehr zufrieden. Daher besteht ein großer Bedarf an der Erfassung und Aufbereitung von Nachhaltigkeitsinformationen. 75% der befragten Controller sehen einen hohen Bedarf an geeigneter Softwareunterstützung für das ESG-Datenmanagement (vgl. Internationaler Controller Verein 2022, S. 31f.). „Vor dem Hintergrund der zukünftig höheren Qualitätsanforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung und der Integration in den Lagebericht - und damit in den Geschäftsjahresabschluss - kommt dem Datenmanagement und der Automatisierung mehr denn je eine entscheidende Rolle zu. Die Studienergebnisse machen noch einmal deutlich, dass beide Themen für die kommenden Jahre zentrale Handlungsfelder für die meisten Unternehmen darstellen werden.“ Quelle: Internationaler Controller Verein 2022, S. 33. Insbesondere bei der Ermittlung der Emissionen in Scope 3 führen fehlende Daten dazu, dass häufig für einzelne Materialarten Industriedurchschnittswerte anstatt der tatsächlichen Werte genutzt werden. Dies führt zu einer geschätzten Fehlerquote im Vergleich zu den tatsächlich verursachten Emissionen in Höhe von 25-30% (vgl. Ganser 2023). In der Automobilbranche wurde zur Behebung der Datenmängel die Initiative Catena-X (vgl. Catena-X, https: / / catena-x.net/ de/ , Abruf: 29.02.2024). gegründet, bei der ein gemeinsamer Datenraum entwickelt wird. Verschiedene Automobilhersteller und Lieferanten stellen auf sämtlichen Ebenen der Wertschöpfungskette Emissionsdaten für ihre Produkte bereit, wodurch ein Austausch von CO 2 -Daten ermöglicht wird. Dadurch kann der CO 2 -Fußabdruck einzelner Produkte auf Basis von Realdaten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg ermittelt werden. Die Datenplattform Catena-X nahm im Oktober 2023 ihren Betrieb auf. Sie könnte auch für andere Branchen als Vorbild dienen. ESG-Datenmanagement-Software Für das Performance Management werden Daten aus verschiedenen zentralen und dezentralen, internen und externen Quellen benötigt. Zur Erfassung, Aufbereitung und Übertragung der Daten von der Quelldatenbank in die Zieldatenbank sowie zur Sicherstellung der Datenqualität werden spezielle Softwaretools verwendet. <?page no="248"?> 248 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling In der BARC-Studie gaben 43% der befragten Unternehmen an, dass sie hauptsächlich Excel zur Erhebung von ESG-Daten nutzen. 28% der Unternehmen nutzen Daten aus bestehenden Technologien wie dem Data Warehouse und 15% verlassen sich auf unstrukturierte Datenformate wie Microsoft Word. (vgl. BARC 2023d) Die Anforderungen an das Datenmanagement sind so umfassend, dass die bisher genutzten Softwarelösungen weitgehend unzureichend sind (vgl. Sailer 2022, S. 37). Die Daten stammen aus verschiedenen Quellen und sind oft wenig standardisiert. Eine manuelle Erfassung in Excel ist nicht nur zeitaufwändig, sondern auch fehleranfällig. Die Daten müssen zeitnah, genau und zuverlässig vorliegen. Daher sollte angestrebt werden, die Daten automatisiert in die bestehenden Systeme des Unternehmens, wie den Performance Management Tools, zu integrieren. Dies spricht für den Einsatz geeigneter Softwaretools. Anbieter von ESG-Datenmanagement-Systeme sind unter anderem: ◼ Alteryx ◼ Snowflake ◼ OneTrust ◼ Informatica ◼ Novata ◼ Novisto Beispiel: Novata „Eine einzigartige ESG-Datenquelle Mit unserer sicheren Multi-User-Plattform, die immer auf dem neuesten Stand ist, machen wir die Erfassung all ihrer ESG-Daten effizient. Auswahl von ESG-Kennzahlen Mit dem Framework Builder von Novata können sie ganz einfach entscheiden, welche ESG-Daten sie erheben möchten, denn sie haben Zugriff auf gängige Frameworks und weit verbreitete Metriken. Für jede Kennzahl gibt es eine klare Definition, eine Liste der Rahmenwerke, in denen sie vorkommt, und eine Einschätzung, wie schwierig die Berichterstattung sein wird. Datenerfassung Novata vereinfacht die Erfassung von ESG-Daten mit seiner sicheren, mehrbenutzerfähigen Plattform. Wir bieten Anleitungen zur Meldung von Metriken, Rechner zur Umwandlung von Rohdaten in Metriken für die Übermittlung und Leitplanken zur Gewährleistung einer hohen Datenqualität.“ Quelle: Novata, https: / / www.novata.com/ esg-data-management/ und https: / / www.novata.com/ esg-software/ , eigene Übersetzung, Abruf: 04.01.2024. d) ESG-konformes Disclosure Management Beim Reporting von Nachhaltigkeitsinformationen werden hierauf spezialisierte Softwaretools derzeit nur in einem geringen Umfang genutzt. Gemäß BARC-Studie aus <?page no="249"?> 6.6 Software und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung 249 dem Jahr 2023 verwenden nur 15% der befragten europäischen Unternehmen eine spezialisierte ESG-Reportingsoftware, wie folgende Abbildung zeigt. Abb. 6.33: Häufigkeit verwendeter Softwaretools für die ESG-Berichterstattung (Quelle: BARC 2023a, S. 7) Mit 35% werden am häufigsten die im Controlling etablierten Business Intelligence (BI) Tools genutzt. Am zweithäufigsten werden Microsoft Office Produkte wie Excel, Word und PowerPoint eingesetzt. Diese Tools haben mit einem ESG-konformen Disclosure Management jedoch nichts zu tun. ESG-spezifische Anforderungen wie die Vorgaben der CSRD oder der EU-Taxonomie werden dabei nicht systemseitig unterstützt. Es besteht somit noch ein großer Nachholbedarf bei der Automatisierung des externen Berichtswesens. Anbieter ESG-konformer Disclosure-Management-Systeme sind z.B.: ◼ Amana ◼ Insight Software ◼ Workiva ◼ Oracle ◼ Amelkis ◼ OneTrust Für die externe ESG-Berichterstattung gelten formale Anforderungen, die in der Regel in den Softwaretools enthalten sind. Es müssen bestimmte Vorlagen verwendet werden, der verpflichtende Umfang muss berücksichtigt werden, Termine müssen eingehalten werden und die technischen Formate der Informationsübermittlung müssen gewahrt werden. So ist beispielsweise für die elektronische Übermittlung von ESG-Daten, wie auch bei den Jahresabschlussdaten, ein sogenanntes XBRL-Tagging vorgesehen. Die digitale Berichterstattung nach XBRL ermöglicht Unternehmen, die Berichte in maschinenlesbarer Form zu übermitteln, wodurch vereinfacht Datenanalysen durchgeführt werden können. <?page no="250"?> 250 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Beispiel: Softwareanbieter Amana „Beim Veröffentlichungsprozess ergeben sich folgende Anforderungen: Einsatz von Disclosure Management Software, um kollaborativ an den Nachhaltigkeitsberichten arbeiten zu können. Automatisierung des Datenflusses aus verschiedenen Quellen in die Managementberichte, um den manuellen und fehleranfälligen Prozess zu eliminieren und den Last-Mile-Reporting-Prozess zu optimieren. Optionen für die Formatierung und Erstellung von Hochglanz- und druckfertigen Berichten in Word oder InDesign sowie von Online-Berichten. Digitales Tagging von Nachhaltigkeits- und Finanzberichten mit der ESRS- oder ISSB-XBRL-Taxonomie. Prüfung und Veröffentlichung des Abschlussberichts.“ Quelle: Amana, https: / / amana-esef.com/ de/ esg-reporting.html, Abruf: 29.02.2024. Auswahl von Nachhaltigkeitssoftware Die Auswahl einer geeigneten Nachhaltigkeitssoftware hängt von verschiedenen Kriterien ab. Hierzu zählen die spezifischen Anforderungen des Unternehmens, die vorhandene IT-Infrastruktur und die unternehmensspezifische Bedeutung des Nachhaltigkeitsmanagements (vgl. Lösken, Sailer 2023, S. 14). Häufig werden verschiedene Softwarelösungen kombiniert eingesetzt. In den letzten Jahren sind zahlreiche neue Softwaretools in den Markt gekommen und bestehende wurden intensiv weiterentwickelt. Dadurch ist der Markt sehr zersplittert, was die Entscheidung für ein Tool erschwert. Zur Entscheidungsfindung können Analyseunternehmen wie BARC oder Gartner hinzugezogen werden (vgl. BARC, https: / / barc.com/ de/ esg-tools/ ; Gartner, https: / / www.gartner.com/ en/ documents/ 4341799, Abruf: 29.02.2024). Die generellen Anforderungen an eine IT-Unterstützung zur Nachhaltigkeitssteuerung ist im Grunde vergleichbar mit den Anforderungen an Softwarelösungen im traditionellen Controlling (vgl. Conrad 2014, S. 197, Muuß 2015, S. 10): ◼ einfache Datenerhebung und -konsolidierung ◼ keine Medienbrüche und Mehrfach-Erfassungen ◼ automatisierte Schnittstellen ◼ einheitliche und nachvollziehbare Datengrundlagen ◼ Echtzeiterfassung ◼ definierte und nachvollziehbare Umrechnungsfaktoren ◼ hohe Datenqualität und effiziente Datenverwaltung ◼ einfache und flexible Auswertungen und Analysen ◼ Unterstützung der Steuerung von (automatisierten) Nachhaltigkeitsprozessen ◼ Kompatibilität zu bestehenden Software-Lösungen und Systemplattformen ◼ automatisierte Berichterstattung ◼ Revisionssicherheit, damit sowohl intern als auch extern vertrauenswürdig und auditierfähig <?page no="251"?> 6.6 Software und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung 251 Stand der Softwarenutzung Zur Erfassung und zum Reporting nichtfinanzieller Daten nutzt aktuell die Mehrheit der Unternehmen keine Business-Intelligence-Tools aus dem Controlling und auch keine spezifischen Nachhaltigkeitstools. Eine Studie von PwC aus dem Jahre 2022 fragte nach den eingesetzten Tools, wobei auch Mehrfachnennungen möglich waren. Abb. 6.34: Software zur Erfassung und zum Reporting nichtfinanzieller Daten (Quelle: PwC 2022, S. 32) Die befragten Unternehmen nutzen mehrheitlich Microsoft-Office-Lösungen für die Berichterstattung nichtfinanzieller Daten. Der Automatisierungsgrad ist damit noch sehr gering. PwC bezeichnet dies als dramatisch, da die aus der EU-Taxonomie geforderte Prüfungssicherheit so nicht gewährleistet werden kann. Hierfür sind Zugriffskontrollen und eine Änderungsverfolgung notwendig. Genau für diese Bedürfnisse entwickelte Softwaretools setzen nur 4% der befragten Unternehmen ein. Ein Viertel der Unternehmen sieht zudem keinen Bedarf, die IT- und Prozesslandschaft anzupassen, was PwC als riskante Fehleinschätzung erachtet. (PwC 2022, S. 33) „Die Umsetzung der EU-Taxonomie erfordert es, nichtfinanzielle Daten detailliert zu erfassen - nicht nur global für den gesamten Konzern oder Tochtergesellschaften, sondern granular, beispielsweise nach Fertigungsstandorten, Produktgruppen oder sogar einzelnen Produkten, was an sich schon die Implementierung neuer Prozesse erfordern dürfte. Darauf scheinen viele Unternehmen allerdings noch kaum vorbereitet zu sein. Auch die Qualität nichtfinanzieller Daten erscheint fraglich, wenn beispielsweise rund sechs von zehn Befragten noch nicht über einen standardisierten Prozess zur Qualitätssicherung verfügen. Für uns folgt daraus und aus weiteren Ergebnissen ein massiver Bedarf an Investitionen in Personal, Prozesse und IT-Systeme rund um das Thema Nachhaltigkeit.“ (PwC 2022, S. 34) Einen hilfreichen Überblick über rund 150 Softwaretools zu verschiedenen Anwendungsfeldern im Klima-, Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagement bietet die Webseite der EMAS in der Rubrik Softwaredatenbank. Suchfilter erleichtern die Eingrenzung auf geeignete Tools, zu denen ausführliche Informationen bereitgestellt werden wie Einsatzbereiche, Funktionen, zugrundeliegende Standards, technische Schnittstellen, Lizenzmodelle und Datenschutz. Link: https: / / software.emas.de <?page no="252"?> 252 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Digitalisierung im Nachhaltigkeitscontrolling Digitalisierung im Controlling Auch wenn Controller seit jeher mit Daten und Informationstechnologie arbeiten, verändert der Megatrend Digitalisierung auch ihr Aufgabengebiet im großen Umfang. Controlling wird dadurch nicht nur effizienter und effektiver, auch die Rollenbilder und die notwendigen Kompetenzen entwickeln sich weiter. Eine weitaus größere Datenverfügbarkeit, die sich immer weniger auf die strukturierten Daten aus dem Rechnungswesen beschränkt, eine gesteigerte Datenverarbeitungskapazität und zahlreiche neue und niedrigschwelliger nutzbare Softwaretools, die in der Vergangenheit allenfalls IT-Experten zugänglich waren, bieten für die Unternehmenssteuerung unzählige Chancen. Stichworte sind hierbei Künstliche Intelligenz, Big Data, Machine Learning, Advanced Analytics, Predictive Analytics, Self-Service-BI, Reporting Factory oder Business Analytics. (vgl. Sailer 2023, S. 10ff.) Zahlreiche Methoden, Techniken und Tools stehen heute zur Verfügung, die den Software- und Beratungsmarkt dominieren, die in der praxisnahen Controllingliteratur und auf Konferenzen omnipräsent sind. Sämtliche Controller wissen, dass sich neue Chancen ergeben und Änderungen eintreten werden. In manchen Unternehmen werden diese Chancen bereits umfassend genutzt, in anderen aufgrund von Ressourcen- und Know-how-Mangel hingegen noch nicht (vgl. Camelot 2017, S. 6). Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass in vielen Unternehmen noch ein erhebliches Potenzial besteht, die Digitalisierung zu nutzen. Für die Controller, als wichtigstem Informationslieferanten für das Management, spielt die Digitalisierung sämtlicher Geschäftsprozesse eine zentrale Rolle (vgl. BARC 2022, S. 6; Sailer 2023, S. 15ff.). Künstliche Intelligenz Wesentlich für die Digitalisierung ist die Entwicklung von Softwarelösungen, die menschliche Intelligenz nachahmen. Im Ergebnis kann der Computer nicht nur schnellere und zuverlässigere Entscheidungen treffen, sondern auch bessere, wenn menschliche Gedächtnisleistungen übertroffen werden. Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Werkzeug, das in komplexen Daten Muster erkennt, die für Entscheidungen genutzt werden können. KI wird seit Jahren in verschiedenen wirtschaftlich interessanten Feldern angewendet: Fertigungsroboter, Diagnosesysteme, Kundenportale, Suchmaschinen, Sprachübersetzer, … Für die nachhaltige Transformation der Gesellschaft kann KI wichtige Beiträge leisten. Auch wenn es hier seit einigen Jahren zunehmend mehr praktische Anwendungsmöglichkeiten gibt, wird das Potenzial bis heute nur zum Teil gehoben (vgl. Zielinski 2020, S. 16). KI kann sowohl zur Steigerung der Nachhaltigkeit in Unternehmen genutzt werden, ebenso für globale Herausforderungen wie etwa die Erfassung und Prognose von Plastik im Ozean, die intelligente Vernetzung in der Logistik und im Individualverkehr oder die Prognose der Auswirkungen von Naturkatastrophen. <?page no="253"?> 6.6 Software und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung 253 Auf der Ebene der Unternehmen finden sich zahlreiche Anwendungen der KI zur Optimierung operativer Aufgaben. In der Beschaffung verderblicher Waren können auf Basis von Machine-Learning-Algorithmen Absatzprognosen die Menge zu entsorgender Waren verringern. Ein digitaler Produktpass ermöglicht die Verwertung der Produktbestandteile beim Recycling, erlaubt eine sortenreine Sortierung von Abfallstoffen und fördert die Kreislaufwirtschaft. Intelligente Maschinen können Arbeitsunfälle verhindern, indem die Mensch-Maschine-Schnittstelle beobachtet und gesteuert wird. Energiekosten können durch eine intelligente Prozesssteuerung eingespart werden. Für Produktions- und Logistiktätigkeiten werden sogenannte digitale Zwillinge entwickelt, die für Simulationen genutzt werden können. Damit lassen sich rein digital Prozesse optimieren und Einsparungen erzielen. Mittels Textmining lassen sich aus den sozialen Medien frühzeitig Meinungen oder Missstände im Unternehmen und in der Lieferkette identifizieren, die dann rasch beseitigt werden. Diese Anwendungsfelder bergen ein großes Potenzial zur Steigerung der Effizienz, sie führen zu Einsparungen an Ressourcen und Energie und können soziale Missstände frühzeitig aufdecken. „Aktuelle Studienergebnisse zeigen deutlich, dass die Digitalisierung und darauf aufbauende KI-Anwendungen großes Potenzial besitzen, ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Viel mehr noch: Insbesondere die Effizienzgewinne durch KI ermöglichen es, dass ökologisch und sozial nachhaltige Produkte und Prozesse gleichzeitig auch ökonomisch nachhaltig sein können.“ (Lernende Systeme 2022, S. 9) Künstliche Intelligenz im Nachhaltigkeitsmanagement In einer Stichprobe in der deutschen Automobilbranche im Jahr 2020 wurden im Nachhaltigkeitsmanagement noch keine nennenswerten Aktivitäten festgestellt, um die große Menge verfügbarer Daten zu nutzen. Einzig bei der Messung des Energieverbrauchs und bei der Steigerung der Energieeffizienz mittels datenbasierter Analysen waren erste Unternehmen engagiert. Bei der Messung und Steuerung von Emissionen, des Wasserverbrauchs, beim Abfallmanagement oder bei der Erstellung von Ökobilanzen war in der Stichprobe noch kein Unternehmen aktiv, obwohl datenbasierte Analysen auch hier die Effizienz steigern könnten. (vgl. Beier, Kiefer, Knopf 2020, S. 11f.) Bei der jährlichen Befragung von 7.500 IT-Führungskräften weltweit durch IBM im Jahr 2022 gaben jedoch zwei Drittel der Befragten an, dass sie KI zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen einsetzen oder dies planen (vgl. IBM 2022, S. 14). Die Verfügbarkeit niedrigschwellig nutzbarer Softwarelösungen kann zukünftig zu einer verstärkten Datennutzung führen. Voraussetzung ist aber eine hohe Datenverfügbarkeit bei einer guten Datenqualität. Nach einer Befragung des Internationalen Controller Vereins bemängeln 55% der Controller die Verfügbarkeit ökologischer Daten, 50% sind mit der Datenqualität unzufrieden und gerade mal 2% zeigen sich sehr zufrieden (vgl. Internationaler Controller Verein 2022, S. 32). Die KI optimiert nicht nur bestehende Geschäftsprozesse, bei denen Effizienzziele im Vordergrund stehen, sondern ermöglicht auch neue digitale und nachhaltige Ge- <?page no="254"?> 254 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling schäftsmodelle. Diese steigern die Effektivität und die Suffizienz. Das kann etwa eine intelligente Steuerung der Heizung und Kühlung von Gebäuden sein, die Reiseplanung unter der Nutzung von Mobilitäts- und Sharingkonzepten oder Predictive- Maintenance-Methoden zur Vermeidung ungeplanter Ausfälle von Maschinen bzw. einer günstigen Planung von Reparatur- und Wartungsmaßnahmen. Ein weiteres Beispiel ist die gemeinsame Entwicklung einer Software von SAP und dem Fraunhofer- Institut für Produktionstechnik und Automatisierung, um CO 2 -Emissionen weitgehend zu vermeiden. Hierbei sammelt die Software Echtzeitdaten aus den Produktionsanlagen und spielt diese in ein datenbasiertes Modell der Produktionsanlagen ein. Durch Simulationen werden unbekannte Stellhebel aufgedeckt, mit denen die Emissionen gesteuert werden können. Auf dieser Basis lassen sich Szenarien entwickeln, die zu einer Vermeidung von Emissionen führen. Nach dieser digitalen Optimierung erfolgt die Umsetzung in realen betrieblichen Prozessen, so dass die laufende Produktion angepasst werden kann (Kaldenhof 2021). Business Intelligence und Business Analytics Eine der wichtigsten und verbreitetsten Softwarewerkzeuge der Controller sind Business Intelligence Tools (BI). Hiermit werden Daten gesammelt, strukturiert, verarbeitet, analysiert und ausgewertet. Daraus entstehen Berichte und Entscheidungsvorlagen für das Management. Die zukunftsgerichtete Analyse unternehmensrelevanter Daten wird als Business Analytics (BA) bezeichnet. Seiter definiert Business Analytics folgendermaßen: „Das Ziel von Business Analytics ist es, Problemstellungen im gesamten Managementzyklus von Planung, Steuerung und Kontrolle evidenzbasiert zu lösen. Evidenzen, verstanden als begründete und objektive Einsichten in einen Sachverhalt, werden durch Daten mittels Algorithmen aus den Bereichen Statistik, Data Mining und Machine Learning gewonnen.“ (Seiter 2017, S. 1) Die Unterscheidung von BI und BA erfolgt in der Literatur nicht einheitlich. Häufig wird aber BI als die vergangenheitsbezogene und BA als zukunftsbezogene Datenanalyse verstanden. Nachfolgende Abbildung ordnet BI und BA die typischen Analysemethoden zu und führt die Anwendungshäufigkeit im Controlling auf. BA nutzt Methoden der künstlichen Intelligenz, sogenannte Machine-Learning-Algorithmen, um aus einer automatisierten Mustererkennung in historischen Daten Einsichten zu gewinnen und Vorhersagen zu generieren. Dies sind anspruchsvollere Methoden als ein Zugriff auf historisch vorliegende Daten und die Erstellung von Reports. Untersuchungen zeigen, dass Controller heute überwiegend mit der Analyse historischer Daten beschäftigt sind und nur in einem geringen Umfang Daten zukunftsorientiert nutzen, Szenarien erstellen und Simulationen durchführen (vgl. Camelot 2017, S. 8). <?page no="255"?> 6.6 Software und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung 255 Abb. 6.35: Business Intelligence und Business Analytics (Quelle: Sailer, Lohmann 2024, S. 5; die Daten stammen aus dem WHU-Controller Panel 2022, bei dem rund 1.000 Controlling in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt wurden, vgl. Reimer, Schäffer 2022) Machine Learning umfasst statistische Verfahren, bei denen der Anwender aber nicht einfach eine statistische Formel nutzt und ein Ergebnis berechnet. Machine- Learning-Algorithmen analysieren auf Basis verschiedener statistischer Verfahren historische Daten und nehmen dabei laufend Optimierungen vor, um aussagekräftige Ergebnisse zu generieren. Dabei kann ein Ziel vorgegeben sein, das der Algorithmus anstrebt, oder es wird in den Daten ohne eine Zielvorgabe eigenständig nach Mustern gesucht. Eine Zielvorgabe wäre beispielsweise die Analyse von Kundendaten, um attraktive von weniger attraktiven Kunden anhand von Kundenmerkmalen zu trennen. Ohne konkrete Zielvorgabe würde der Algorithmus nach Mustern in den Daten suchen, deren Nutzen anschließend erst noch überprüft werden muss. So könnte man etwa Kunden clustern und anschließend überlegen, welchen Nutzen diese Cluster stiften können. Die Mustererkennung übersteigt die menschliche Rechenfähigkeit und Auffassungsgabe. Maschinelles Lernen führt in Bruchteilen von Sekunden zu eigenständigen, raschen Optimierungen, hin zu bestmöglichen Ergebnissen. (vgl. Sailer 2023, S. 81ff.; Seiter 2017, S. 21f.) „Wir sind heute schon in der Lage, Produktionsprozesse einschließlich des Energieverbrauchs digital abzubilden. Es entsteht ein grüner digitaler Zwilling der analogen Welt. Dieser ‚Green Digital Twin‘ zeigt uns den CO 2 -Fußabdruck der einzelnen Komponenten eines Produkts. Schon heute wissen wir, dass unsere Kunden und Lieferanten daran ein sehr hohes Interesse haben und wir sie damit unterstützen können.“ (Judith Wiese, Vorstandsmitglied Siemens AG, in: Raffel, Wörner 2021, S. 49) <?page no="256"?> 256 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Nachhaltigkeitssteuerung mit Treibermodellen Bei der Digitalisierung des Controllings spielen Treibermodelle eine zunehmend wichtige Rolle. Treibermodelle stellen Ursache-Wirkungsbeziehungen dar, die auf ein Unternehmensziel ausgerichtet sind und sämtliche, für die Zielerreichung wesentlichen Faktoren, die Treiber, enthält. Die Beschränkung auf die wesentlichen Faktoren führt zwar dazu, dass keine vollständige und detailgenaue Planung möglich ist. Allerdings ist das Modell übersichtlich und die wesentlichen Faktoren und deren Wirkungen auf das Ziel sind bekannt. Damit können Maßnahmen auf Basis des Modells diskutiert und simuliert werden. Das Modell verdeutlicht die Wirkungen der Maßnahmen unmittelbar. Die Entscheidung für oder gegen Maßnahmen kann somit direkt in Abhängigkeit von der Wirksamkeit getroffen werden. Treibermodelle, die mit historischen Daten unterlegt und damit evidenzbasiert sind, sind hilfreiche Werkzeuge zur Entscheidungsunterstützung. Es können Szenarien entwickelt und verprobt werden und durch Simulationen lassen sich die Bandbreiten möglicher Ergebnisse aufzeigen. Die Auswirkungen der Unsicherheit werden aufgezeigt und Handlungsbedarfe werden offensichtlich. (vgl. Sailer 2023, S. 44ff.) Die Zielgrößen von Treibermodellen müssen dabei keinesfalls nur wirtschaftlicher Art sein. Es können genauso ökologische oder soziale Zielgrößen verfolgt werden. Ein Treibermodell zur CO 2 -Steuerung enthält beispielsweise sämtliche wesentliche Faktoren, die den CO 2 -Ausstoß beeinflussen. Anschließend sind die funktionalen Beziehungen dieser Einflussfaktoren bis hin zur Zielgröße aufzudecken. Damit wird das Modell mittels mathematischer Funktionen beschrieben und kann simuliert werden. Anhand verschiedener Szenarien lassen sich bestmögliche Wege aufzeigen, die Emissionen zu steuern und zu reduzieren. Zur Simulation von Treibermodellen eignen sich insbesondere Softwaretools aus der System Dynamics, wie etwa Vensim, der iModeler oder Silico. Auch mit Hilfe des Tools Valsight, das den Schwerpunkt in der finanziellen Treibermodellierung hat, lassen sich Treibermodelle für die Nachhaltigkeitssteuerung erstellen und simulieren. Beispiel Valsight „Maßgeschneidertes Simulationsmodell für Nachhaltigkeitscontrolling Wo immer Ihr Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit steht - gemeinsam definieren, simulieren und testen wir das für Sie passende Steuerungsmodell. Als Experten für die Simulation von Finanz-KPIs und die Definition der zugrunde liegenden Werttreiber für unterschiedliche Geschäftsmodelle unterstützen wir Sie beim Beantworten relevanter Fragen wie: - Welche Auswirkungen haben definierte Nachhaltigkeitsziele auf das Geschäftsmodell? - Wie lassen sich geschäftsmodellrelevante Nachhaltigkeitsziele in finanzielle KPIs übersetzen? - Was sind die zugrunde liegenden Nachhaltigkeitstreiber? <?page no="257"?> 6.6 Software und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung 257 - Wie wirken sich unternehmerische Maßnahmen auf gesetzte Nachhaltigkeitsziele und -KPIs aus? - Wie lässt sich das Nachhaltigkeitsreporting mit Planung & Steuerung optimal verknüpfen? - Welche neuen Geschäftschancen bietet Nachhaltigkeit Ihrem Unternehmen? ” (Quelle: Valsight GmbH, https: / / valsight.com/ de/ anwendungsfaelle/ nachhaltigkeitscontrolling/ , Abruf: 12.07.2022) Durch den visuell unterstützten Aufbau von Treibermodellen sind diese deutlich transparenter als solche, die mit einem Tabellenkalkulationsprogramm erstellt werden. Zudem erlauben die System Dynamic Tools auch Rückkopplungen und Zeitverzögerungen einzubauen, die typisch für dynamische Systeme sind. Die Ergebnisdarstellung in Form von Dashboards erleichtert die Manipulation von Faktoren und die Darstellung und Interpretation der Auswirkungen. Die Nutzung dieser Tools erfordert aber einen gewissen Einarbeitungsaufwand. Auch wenn bisher nur eine Minderheit der Unternehmen treiberbasierte Modelle zur Planung und Steuerung nutzt, bemängeln zahlreiche Manager fehlende Ursache- Wirkungsbeziehungen in der Steuerung. Dies leuchtet ein, da ohne Kenntnis dieser Beziehungen kaum zielgerichtete Maßnahmen ergriffen werden können. Die Alternative, eine rein erfahrungsbasierte Einschätzung der Einflussfaktoren, ist bei komplexen Beziehungen und Abhängigkeiten unzureichend (vgl. Sailer 2021, S. 586). Dies gilt um so mehr, wenn neben ökonomisch relevanten Faktoren auch ökologische und soziale Einflussfaktoren in das Modell aufgenommen werden. Ein Treibermodell zur operativen Steuerung wurde bereits in Kapitel 6.1 vorgestellt und am Beispiel von SAP aufgezeigt. Im Vergleich zu einer traditionellen operativen Planung, die überwiegend Bottom-up erstellt wird und daher auch sehr detailliert ist, weist die treiberbasierte Planung einen mittleren Detaillierungsgrad auf. Der Aufwand zur Erstellung des Plans ist daher deutlich geringer. Der mittlere Detaillierungsgrad entspricht dem typischen Level für Managemententscheidungen. Liegt das Treibermodell vor und ist es mit aktuellen Daten befüllt, kann der Controller direkt im Managementmeeting diskutierte Maßnahmen im Modell als ein Szenario berücksichtigen und die Auswirkungen ermitteln. Auf dieser Basis können datenbasierte Entscheidungen getroffen werden. In einem detaillierten Plan lassen sich solche Ad-hoc-Szenarien nicht abbilden. Dies könnte allenfalls im Anschluss eines Meetings in mühsamer Arbeit erstellt werden. Ein Treibermodell ermöglicht dem Controller die aktive Übernahme der Business-Partner-Rolle. (vgl. Sailer 2023, S. 35ff.; Sailer 2021, S. 586; Isbruch u.a. 2016, S. 755) Zur Identifikation der Treiber können BA-Methoden genutzt werden. Algorithmen können dabei helfen, hinter die direkt erkennbaren Zusammenhänge zu blicken und zu Ergebnisgrößen korrelierende Faktoren aufdecken. Verhalten sich Faktoren gleichgerichtet, kann eine kausale Beziehung bestehen, was mittels weiterer Analysen auf Basis fundierter Geschäftskenntnisse ermittelt werden kann. Den genauen Zusam- <?page no="258"?> 258 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling menhang zwischen zwei Faktoren, als deren funktionale Beziehung, kann durch Regressionsanalysen aufgedeckt werden. Regressionsanalysen sind eine der bedeutendsten Machine Learning Algorithmen. Bestätigen sich aus der berechneten Korrelation konkrete Ursache-Wirkungsbeziehungen, können diese für Entscheidungen genutzt werden. Beispielsweise ist bekannt, wie sich Preiserhöhungen auf andere Faktoren wie die Kundentreue, Wiederholungskäufe, Absatzmenge und auf das Unternehmensergebnis auswirken. Ebenso kann in einem Treibermodell simuliert werden, wie sich Maßnahmen zur Senkung von Emissionen auf die Kosten, auf die Reputation, das Käuferverhalten, auf das Unternehmensergebnis und auf die Ökobilanz auswirken. Oder es können Szenarien entwickelt werden, bei denen auf sozial verantwortlich handelnde Lieferanten gewechselt wird. Datenbasierte Prognosen Eine hilfreiche Methodik zur Unterstützung der Unternehmenssteuerung sind datenbasierte Prognosen bzw. automatisierte Forecasts. Forecasts werden in Unternehmen insbesondere für unterjährige Prognosen im Sinne von Hochrechnungen genutzt. Dies betrifft etwa die erwartete Absatzmenge bis zum Ende des Geschäftsjahres. Zumeist werden diese Daten mühsam durch die Befragung der Vertriebsmitarbeiter beschafft. Solche Schätzungen sind nicht selten durch sogenannte Biases, also kognitive Verzerrungen, beeinflusst. Die Einschätzung kann zu optimistisch oder auch übermäßig pessimistisch ausfallen. Bei der Befragung von Mitarbeitern wird regelmäßig auch opportunistisches Verhalten beobachtet. Es wird oftmals eine nur geringe Absatzmenge bis Jahresende gemeldet, um das Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu erreichen. Datenbasierte Prognosen sind frei von solchen Verzerrungen. (vgl. Sailer 2023, S. 40ff.) Regressionsanalysen oder Zeitreihenanalysen schreiben aus Vergangenheitsdaten erkannte Muster fort. Sofern keine drastischen Musterbrüche eingetreten sind, etwa durch externe Schocks oder durch Sondereffekte, führen die automatisierten Forecasts häufig zu genaueren Ergebnissen als subjektive Schätzungen. Im Nachhaltigkeitscontrolling können automatisierte Forecasts für zahlreiche Zielgrößen durchgeführt werden. So können Forecasts für Emissionen erstellt und mit den geplanten Emissionen abgeglichen werden. Bei negativen Abweichungen müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden. Forecasts der Absatzmenge ermöglichen eine zuverlässigere Personaleinsatzplanung, wodurch zu große Arbeitsverdichtungen und kurzfristige Zusatzschichten vermieden werden. Es können aber auch Forecasts für die Mitarbeiter- oder Kundenzufriedenheit, für Arbeitsunfälle, für Energie- oder Rohstoffverbräuche erstellt werden. (vgl. Tischler u.a. 2018, S. 19f.) Voraussetzung zur Erstellung guter Forecasts ist jeweils eine hohe Datenverfügbarkeit und eine hohe Datenqualität. Mitarbeiter müssen über ein fundiertes Know-how über Machine-Learning-Algorithmen und über die Interpretation und Bewertung der Ergebnisse verfügen. Programmierkenntnisse sind in den meisten Fällen nicht notwendig. Sogenannte Advanced Analytics Tools arbeiten mit visuellen Oberflächen und Serleichtern somit die praktische Anwendung. Geeignete Softwaretools sind beispiels- <?page no="259"?> 6.6 Software und Digitalisierung der Nachhaltigkeitssteuerung 259 weise KNIME, Rapidminer oder Microsoft Azure Machine Learning. (vgl. Sailer, Lohmann 2024, S. 6ff.) Self-Service-Reporting In den meisten Unternehmen erhalten Manager die regelmäßigen Informationen zum aktuellen Stand als Managementreports in Form von pdf´s. Häufig werden diese Berichte jeweils zum Monatsbeginn verteilt. Wirft ein Bericht Fragen auf oder werden weitere Informationen benötigt, erfolgt eine Anfrage an das Controlling. Mittlerweile bestehen aber Softwarelösungen, die interaktive Dashboards für das Reporting zur Verfügung stellen. Ein Dashboard stellt die Informationen visuell aufbereitet zur Verfügung und die Daten können zeitnah oder in Echtzeit aktualisiert werden. Manager können auf die Informationen weltweit über einen PC, ein Tablet oder per Smartphone zugreifen. Interessant machen diese Tools aber die Möglichkeiten der Interaktion. Dies erlaubt dem Nutzer auch ohne IT-Kenntnisse die Daten in unterschiedlicher Form zu selektieren und tiefergehende Analysen durchzuführen. Dabei kann ein einzelnes Dashboard eine Vielzahl an pdf´s ersetzen. Informationen werden wesentlich transparenter und individueller zur Verfügung gestellt und sind zugleich aktuell. Bedeutsame BI Tools mit umfangreichen Self-Service-Funktionalitäten sind Microsoft Power BI und Tableau. Durch die gestiegene Relevanz ökologischer und sozialer Ziele steigt auch der Informationsbedarf des Managements. Eine Ausweitung der pdf-Reports um sämtliche Daten, die für das Management möglicherweise interessant sein können, dürfte keine sinnvolle Maßnahme sein. Die Einführung interaktiver Dashboards ist mit zunehmender Bedeutung der Nachhaltigkeit und mit steigendem Informationsbedarf der Entscheidungsträger zu empfehlen. (vgl. Sailer 2023, S. 56ff.) Kapitel 6: Erkenntnisse Die operative Steuerung der Nachhaltigkeit ist eine umfassende, große Aufgabe. Bevor einzelne Maßnahmen zur Messung und Steuerung ergriffen werden, ist ein Steuerungs- und Kennzahlensystem zu entwickeln. Dies ist mit Hilfe der Sustainability Balanced Scorecard aus der Strategie abzuleiten. Darauf baut die operative Planung auf, die alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen integrieren sollte. Dies lässt sich entweder in einem linearen Steuerungsmodell abbilden, oder besser in einem dynamischen Ursache-Wirkungsmodell. Zur Messung der Nachhaltigkeit liegen zahlreiche Konzepte vor. Ausgangspunkt sollte ein Nachhaltigkeitsrechnungswesen sein, das sich in ein Umweltrechnungswesen und in das Social Accounting aufteilt. Die traditionelle Umweltkostenrechnung auf Voll- und Teilkostenbasis und die prozessorientierte Umweltkostenrechnung sind, wie auch das Impact Measurement und umfassende KPI- Sets, ganzheitliche Messkonzepte. Zukünftig bedeutsam dürfte der Ansatz der Value Balancing Alliance werden. In der Praxis werden insbesondere Konzepte <?page no="260"?> 260 6 Operatives Nachhaltigkeitscontrolling genutzt, die einzelne Nachhaltigkeitsthemen fundiert messen. Dies sind etwa der Carbon Footprint, eine Ökobilanz oder die Ökoeffizienzanalyse. Im Social Accounting dominieren umfassende Kennzahlenkataloge, die an den GRI angelehnt sein können. Die Messung des wirtschaftlichen Erfolgs tendiert zu kurzfristig ausgerichteten Größen, da sich wertorientierte Konzepte zur Steuerung wenig eignen. Bei der Steuerung der Nachhaltigkeit ist ein Softwareeinsatz unerlässlich. Dabei ist zwischen speziellen Anwendungen, die eher für den Nachhaltigkeitsexperten relevant sind, und Anwendungen für das Nachhaltigkeitsmanagement zu unterscheiden, die zum Werkzeugkasten der Controller gehören. Die Digitalisierung bietet dem Controlling und damit auch der Nachhaltigkeitssteuerung große Chancen zur Steigerung der Effektivität und Effizienz. <?page no="261"?> 7 Nachhaltiges Investitionscontrolling Lernziele Die Leser ◼ sind sich der Hebelwirkung des Investitionscontrollings bewusst, die diese für die nachhaltige Transformation hat. ◼ kennen die verschiedenen Methoden zur Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Investitionsentscheidung. ◼ können die Kapitalwertberechnung um externe Effekte erweitern, die ökologische Rückzahldauer ermitteln und nachhaltigkeitsbezogene Nutzwertanalysen durchführen. Bedeutung nachhaltiger Investitionen Investitionen sind die entscheidenden Maßnahmen, um ein Unternehmen weiterzuentwickeln und um es zu verändern. Die gegenwärtigen Investitionen prägen die Produkte, die Produktionsweisen und den Erfolg der nächsten Jahre. Werden Investitionen getätigt, bei denen neben der Wirtschaftlichkeit auch ökologische und soziale Standards beachtet werden, wird sich ein Unternehmen zunehmend zu einem nachhaltigen Unternehmen wandeln. So wird ein Unternehmen in neue Maschinen und in Know-how investieren, um ressourcenschonender zu produzieren. Es wird in 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.2 <?page no="262"?> 262 7 Nachhaltiges Investitionscontrolling Forschung und Entwicklung investieren, wenn es ökologische Produkte anbieten möchte, und es wird in Personal und Prozesse investieren, um die Compliance sicherzustellen. Aus der Art der Investitionen lässt sich auf Inhalt und Umfang des nachhaltigen Engagements schließen. Da Investitionen kostenintensive unternehmerische Entscheidung sind, ist diese Information gewichtiger als öffentliche Willensbekundungen zu verantwortlichem Handeln. Die Stakeholder können über einen fundierten Investitionsbericht somit glaubwürdig über das nachhaltige Engagement informiert werden (vgl. Frank 2014, S. 245f.). Die Investitionsentscheidung stellt einen entscheidenden Hebel für mehr Nachhaltigkeit dar. Wenn Investitionen nicht nach Nachhaltigkeitsgesichtspunkten bewertet werden, verbleibt in der laufenden operativen Steuerung nur ein begrenzter Handlungsspielraum für mehr Nachhaltigkeit. Je früher die Nachhaltigkeit in der Unternehmensentwicklung berücksichtigt wird, desto größer sind die Einflussmöglichkeiten. Im laufenden operativen Betrieb können wesentliche Steigerungen der Nachhaltigkeit kaum oder nur zu hohen Kosten geleistet werden, wie folgende Abbildung zeigt. Der Investitionsbedarf wird in der strategischen und operativen Planung erkannt, wenn mit der gegenwärtigen betrieblichen Infrastruktur zukünftige strategische Erfolgspotenziale nicht erschlossen oder operative Ziele nicht erreicht werden können. Ein nachhaltiges Investitionscontrolling ist somit von herausragender Bedeutung für die Entwicklung hin zu einem nachhaltigen Unternehmen. Dies ist der Grund dafür, das nachhaltige Investitionscontrolling gesondert in einem eigenen Kapitel zu behandeln. Abb. 7.1: Einflussmöglichkeiten auf den nachhaltigen Wandel (Quelle: eigene Darstellung) <?page no="263"?> 7.1 Bedeutung nachhaltiger Investitionen 263 In großen Unternehmen dominiert das Unternehmensziel der Wertsteigerung. Somit muss auch jede Investition einen Beitrag leisten, diesen Wert zu steigern. Die Wertsteigerung einer Investition misst die Kapitalwertmethode: der Kapitalwert einer Investition ist positiv, wenn der Gegenwartswert der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse die Investitionskosten überwiegt. Ein Unternehmen steigert also den Wert, solange es sicherstellt, dass Investitionen mit einem positiven Kapitalwert getätigt werden. Unternehmensziele spiegeln sich in den Investitionszielen wider. Die Investition ist an den gleichen Zielgrößen zu messen wie das Unternehmen. Wenn ein Unternehmen mit seinen Stakeholdern neben ökonomischen auch ökologische und soziale Ziele vereinbart, müssen auch die Investitionen nach ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen beurteilt werden. Im Investitionscontrolling müssen wir also nicht erst überlegen, woran die Vorteilhaftigkeit einer Investition festgemacht werden könnte (vgl. Internationaler Controller Verein 2015b, S. 14). Sollen der Gewinn gesteigert und die Treibhausgasemissionen verringert werden, ist die Investition danach zu beurteilen, ob sie zur Gewinnsteigerung und zur Reduktion der Treibhausgase beiträgt. Wenn auch nicht jede Investition Einfluss auf sämtliche Unternehmensziele hat, so müssen doch in Summe alle Investitionen zu den Zielen beitragen. Entgegen dieser Logik zeigt eine Befragung bei 55 deutschen Unternehmen durch die Universität Bochum, dass bei weniger als 20% der Unternehmen Nachhaltigkeit im Investitionsprozess als wichtig angesehen wird. Für über die Hälfte der Unternehmen ist dies gegenwärtig unwichtig. Knapp 30% der Unternehmen nutzen quantitative Nachhaltigkeitskriterien für Investitionsentscheidungen, zumeist in Kombination mit qualitativen Kriterien. Bei über 70% werden demnach keine quantitativen Kriterien, wie etwa der Umfang an Emissionen oder die Abwassermenge, bei Investitionsentscheidungen berücksichtigt. Trotz der hohen strategischen Bedeutung der Investitionen für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen, hat Nachhaltigkeit im Investitionsprozess aktuell nur eine geringe Relevanz (vgl. Apitz, Gubini, Knauer, Winkelmann 2023, S. 23). Bei der Planung der ökologischen und der sozialen Ziele einer Investition ist darauf zu achten, dass diese in der Regel über dem Unternehmensziel liegen. Sollen beispielsweise die Treibhausgasemissionen in den nächsten fünf Jahren um 20% gesenkt werden und werden in diesem Zeitraum 40% des Anlagenbestands ersetzt, müssen die neuen Anlagen eine um 50% geringere Treibhausgasemission aufweisen als bisher, wenn im Altbestand der Anlagen keine weiteren Optimierungen möglich sind. Die unternehmensweite Reduktion muss allein durch die neuen Anlagen erreicht werden. Und möchte ein Unternehmen den Anteil nachhaltiger Produkte in den nächsten 3 Jahren von 10% auf 25% steigern, dann müssen in diesem Zeitraum 50% der neuen Produkte nachhaltig sein, wenn jährlich ein Anteil von 10% neuer Produkte in den Markt gebracht wird. <?page no="264"?> 264 7 Nachhaltiges Investitionscontrolling Methoden nachhaltiger Investitionsentscheidung Der Investitionsprozess besteht aus den folgenden Phasen: ◼ Investitionsbedarf systematisch aufdecken ◼ aus dem Unternehmensziel abgeleitete Bewertungskriterien festlegen ◼ Investitionsalternativen suchen und Daten erheben ◼ Alternativen bewerten (Investitionsrechnung) und entscheiden ◼ Investition realisieren und Steuerung der Umsetzung ◼ Kontrolle Der Investitionsbedarf wird in der strategischen und operativen Planung systematisch aufgedeckt. So kann beispielsweise durch eine GAP-Analyse die Abweichung zwischen dem Ziel und dem erwarteten Ergebnis einer Unternehmensfortführung ohne grundsätzliche Änderungen ermittelt werden. Lässt sich diese Lücke nur durch Investitionen schließen, ist der Bedarf systematisch begründet. Im Rahmen der operativen Planung wird beispielsweise erkannt, dass der im nächsten Jahr erwartete Absatz die Produktionskapazität übersteigt, weshalb Erweiterungsinvestitionen notwendig sind. Oder es wird erkannt, dass zur Sicherstellung der geplanten Compliance- Standards Know-how und notwendige Prozesse fehlen, weshalb in den Aufbau zu investieren ist. Nach Aufdeckung des Investitionsbedarfs sind, wie bereits dargelegt, die Unternehmensziele auf die Ebene der Investition herunterzubrechen, wodurch die Bewertungskriterien für eine Investition festgelegt werden. Die Investitionsziele können dabei identisch sein: das Unternehmen möchte seinen Gewinn steigern und die Investition führt zu neuen Produkten mit überdurchschnittlichen Margen. Das Unternehmen möchte seine CO 2 -Emissionen verringern und beschafft eine Ersatzmaschine mit geringerem CO 2 -Ausstoß. Die Investitionsziele können andererseits auch Werttreiber für das Unternehmensziel sein: das Unternehmen möchte den Gewinn steigern und investiert in ein Anreizsystem für die Mitarbeiter. Das Unternehmen möchte das Mitarbeiterengagement steigern und investiert in Maßnahmen zur Gesundheitsförderung sowie in die Arbeitsergonomie. Es besteht eine begründete Erwartung, dass der Werttreiber das Unternehmensziel fördert. Wenn das Unternehmensziel also nicht direkt auf der Ebene der Investition gemessen werden kann, so kann dies dennoch indirekt über die Werttreiber gemessen werden. Nach der Aufdeckung der Bewertungskriterien werden Investitionsalternativen gesucht und die für eine Bewertung notwendigen Daten beschafft. Diese Phase hängt von der Charakteristik einer Investition ab (Ersatzmaschine, Prozessoptimierung, Übernahme eines Wettbewerbers, ...), weshalb keine allgemeingültigen Vorgehensweisen und Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden können. Liegen die Alternativen vor, folgt die Alternativenbewertung. Es ist eine geeignete Methodik auszuwählen, welche die Vorteilhaftigkeit einer Investition verdeutlicht. Eine Investition ist umso vorteilhafter, je stärker sie das Unternehmensziel unterstützt. Genau <?page no="265"?> 7.2 Methoden nachhaltiger Investitionsentscheidung 265 dieses muss die Methodik also messen können. Im Folgenden werden fünf Methoden einer nachhaltigen Investitionsrechnung aufgezeigt. ◼ finanzorientierte Investitionsrechnung ◼ wertschöpfungsbasierte Investitionsrechnung ◼ Kapitalwertrechnung ergänzt um externe Effekte ◼ ökologische Rückzahldauer ◼ nachhaltigkeitsorientierte Nutzwertanalyse Finanzorientierte Investitionsrechnung Sofern sich nachhaltige Investitionen auf das Rechnungswesen auswirken, finden sie auch in die statische Investitionsrechnung Eingang. Der Kauf einer ressourcenschonenden Anlage findet sich beispielsweise zum einen im Anlagevermögen in der Bilanz und zum anderen im gesunkenen Ressourcenaufwand in der GuV. Somit kann die Auswirkung der Investition auf den Gewinn oder auf die Rendite ermittelt werden. Sicherlich bestehen teilweise Abgrenzungsschwierigkeiten, solange aber die GuV und Bilanz durch eine nachhaltige Investition beeinflusst werden, kann dieser Einfluss quantifiziert und für die Investitionsentscheidung genutzt werden. In der dynamischen Investitionsrechnung werden sämtliche Investitionsauszahlungen erfasst, unabhängig von ihrer bilanziellen Behandlung, ob sie also aktiviert werden müssen (z.B. Anlagen, Immobilien, ...) oder ob sie direkt als Aufwand gewertet werden (z.B. Beratungsaufwand, Schulungsaufwand, Personalaufwand in der Forschung, ...). Verlässt man also die statische Investitionsrechnung mit den buchhalterisch bestimmten Gewinnen und Renditen und wechselt man zur zahlungsstromorientierten dynamischen Investitionsrechnung (Kapitalwert, interner Zinssatz), erweitert sich der Spielraum zur Bewertung nachhaltiger Investitionen. Zahlungen für den Kauf einer energieeffizienten Maschine, für die Weiterbildung der Mitarbeiter in Bezug auf Compliance oder Forschungsausgaben für nachhaltige Produkte können in Investitionsrechnungen eingebunden werden. Den Investitionsauszahlungen auf der einen Seite sind die zukünftigen finanziellen Vorteile gegenüberzustellen, die monetär bewertet werden müssen. Dies können einfach zu messende Einzahlungen aus dem Verkauf nachhaltiger Produkte sein, oder ebenfalls noch gut messbare Einsparungen an Energie und Ressourcen, nachdem die Produktionsprozesse optimiert wurden. Führt andererseits eine Investition zu weniger Feinstaubbelastungen in der Umgebung, fällt die finanzielle Bewertung ungleich schwerer, ebenso wie etwa eine Maßnahme zur Sicherung der biologischen Artenvielfalt. Die Ausführungen zur Value Balancing Alliance haben gezeigt, dass eine Messung auch solcher Faktoren zukünftig durchaus zur Regel werden kann (vgl. 6.5.2.3). Die traditionellen betriebswirtschaftlichen Investitionsrechenverfahren beurteilen Nachhaltigkeitsinvestitionen primär danach, ob sie wirtschaftlich vorteilhaft sind, also zu einer höheren Rendite führen oder den Unternehmenswert steigern. Weitere Auswirkungen auf die Stakeholder, die sich nicht finanziell auf das Unternehmen auswirken, werden nicht beachtet. <?page no="266"?> 266 7 Nachhaltiges Investitionscontrolling Dies soll aber nicht vorschnell als K.o.-Kriterium für die klassische Investitionsrechnung gewertet werden. Wie bei jeder verwendeten Methode müssen deren Grenzen bekannt sein, um sie richtig anwenden zu können. Nehmen wir das Beispiel einer Investition zur Steigerung der Energieeffizienz der Produktionsanlagen. Den Investitionsauszahlungen können Einsparungen aus dem geringeren Energiebedarf gegenübergestellt werden. Ergibt sich hieraus eine Rendite, die knapp unter den Verzinsungsanforderungen der Kapitalgeber liegt, wäre sie aus rein finanziellen Gründen abzulehnen. Andererseits gibt es aber bedeutsame nicht-monetäre Vorteile für andere Stakeholder, so dass die Entscheidung dennoch für die Investition getroffen wird. Die nicht-monetären Vorteile sind so umfangreich, dass sie die ökonomischen Nachteile aufwiegen. Wenn die Kapitalgeber wissen, wie sich eine nachhaltige Investition für sie auswirkt, also beispielsweise die Kapitalkosten nicht komplett gedeckt werden können, können sie dennoch eine fundierte Entscheidung treffen. Die Aussage, dass man auf die Anwendung der betriebswirtschaftlichen Investitionsrechenmethoden im Nachhaltigkeitscontrolling verzichten könne, da externe Kosten nicht monetär bewertet werden, ist daher abzulehnen. Wie gesagt: wenn man die Grenzen einer Methode kennt, wird es dennoch zahlreiche Anwendungsfälle geben, um sie sinnvoll einzusetzen. Sollten sich Ansätze zur umfassenden Bewertung und Monetarisierung durchsetzen, könnten die finanzorientierten Investitionsrechenverfahren auch für nachhaltige Investitionsentscheidungen umfassend genutzt werden. Wertschöpfungsbasierte Investitionsrechnung Die Wertschöpfungsrechnung wurde als eine Methode des Social Accounting in Kapitel 6.3.2 vorgestellt. Die Vorteilhaftigkeit einer Investition wird nicht nur danach beurteilt, ob der den Eigentümern zustehende Gewinn ausreichend groß ist oder ob die den Kapitalgebern zustehenden Erträge über deren Kapitalkosten liegen. Im Sinne der sozialen Nachhaltigkeit werden nicht nur die finanziellen Vorteile für die Eigentümer, sondern auch für die anderen Stakeholder erfasst. Die Daten stammen dabei aus dem Rechnungswesen. Eine Investition ist dann vorteilhaft, wenn die Wertschöpfung (Zahlungen, die im Unternehmen verbleiben (Gewinnthesaurierung), Gewinnausschüttungen an die Eigentümer, Zinszahlungen an die Kreditgeber, Steuerzahlungen an den Staat, Gehalts- und Lohnzahlungen an die Mitarbeiter) insgesamt in einem günstigen Verhältnis zu den Investitionsauszahlungen steht. Eine Investition kann sich also auch dann lohnen, wenn einzelne Stakeholder wenig oder nicht profitieren, andere aber dafür umso mehr. Die Verteilungsfrage, wie viel welcher Stakeholder von der Wertschöpfung profitiert, ist hierfür also nicht relevant. Entscheidend ist, dass die Wertschöpfung insgesamt groß genug ist. Eine wertschöpfungsbasierte Investitionsrechnung misst die Nachhaltigkeit in der Form, dass alle Stakeholder, die an der Wertschöpfung teilhaben, berücksichtigt werden. Kapitalwertberechnung ergänzt um externe Effekte Die traditionelle betriebswirtschaftliche Investitionsrechnung, welche die unternehmensintern anfallenden Zahlungen erfasst, kann um negative oder positive externe Effekte erweitert werden. Negative externe Effekte sind Schäden, die das Unterneh- <?page no="267"?> 7.2 Methoden nachhaltiger Investitionsentscheidung 267 men zwar verursacht hat, die aber für andere anfallen und auch von diesen zu tragen sind. Verursacht das Unternehmen für andere hingegen Vorteile, ohne dass diese hierfür etwas bezahlen müssen, handelt es sich um positive externe Effekte. Dass eine monetäre Bewertung externer Effekte unter Umständen schwierig sein kann und zu Akzeptanzproblemen führen kann, wurde bereits dargestellt. Wo externe Effekte bewertbar sind, können diese auch in die Investitionsrechnung eingebunden werden. Im Unternehmen anfallende und erfasste Kosten und Erträge sind um extern anfallenden Kosten und Erträge zu ergänzen. Hieraus ergeben sich die insgesamt, für das Unternehmen und die Gesellschaft, anfallenden, sogenannten sozialen Kosten und Erträge, saldiert der soziale Gewinn. Somit sind Investitionen auszuwählen, die zu einem positiven sozialen Gewinn führen. Einer Studie der Initiative Carbon Tracker (www.carbontracker.org) zur Folge, würden die ausgewiesenen Gewinne der Unternehmen durch die Internalisierung negativer externer Umweltkosten um 41% sinken (vgl. KPMG International 2014, S. 10; Bergius 2015, S. 7). Chancen und Grenzen einer monetären Bewertung externer Effekte wurden bereits in Kapitel 6.1.4 diskutiert. Solche Ansätze befinden sich überwiegend noch im Entwicklungsstadium und die praktische Bedeutung ist sehr gering. Das Engagement und die Ernsthaftigkeit dieser Entwicklung lässt aber erwarten, dass dies zukünftig bedeutsam sein wird. Die Auszahlungen für eine Investition werden mit dem Barwert der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse verglichen. Ist dieser Barwert größer als die Auszahlung, und damit der Kapitalwert positiv, sollte investiert werden. Werden neben den tatsächlichen betrieblichen Ein- und Auszahlungen auch fiktive Zahlungen erfasst, die externen Geschädigten zur Kompensation des Schadens zufließen müssten oder die externe Begünstigte dem Unternehmen zahlen müssten, kann ein sozialer Kapitalwert bestimmt werden. Die externen Effekte würden somit internalisiert. Als externe Auszahlungen würden beispielsweise Ausgleichszahlungen an Anwohner erfasst, die durch den Transportverkehr Werteinbußen ihrer Immobilien erleiden. Externe Einzahlungen wären etwa Einsparungen einer Kommune durch die Errichtung eines Betriebskindergartens. Die durch die Investition anfallenden zukünftigen sozialen Einzahlungsüberschüsse werden auf die Gegenwart diskontiert und mit den Auszahlungen für die Investition verglichen. Eine Investition ist vorteilhaft, wenn der Barwert der sozialen Einzahlungsüberschüsse größer ist als die Investitionsauszahlung. Somit verlieren beispielsweise Investitionen in fossile Energien aufgrund des in einigen Jahrzehnten geplanten Ausstiegs aus der fossilen Energiegewinnung deutlich an Wert. Bei der Berechnung des Barwerts ist zum einen das Ende der positiven Einzahlungsüberschüsse einzuplanen, zum anderen müssen zukünftige Kosten für Abbruch und Rückbau eingeplant werden. In der Literatur wurde teils kritisch diskutiert, ob die in der Finanzwirtschaft übliche Diskontierung zukünftiger Werte für ökologische Sachverhalte angemessen sei (vgl. Bayer 2001, S. 257ff.). Der Methodik wird vorgeworfen, dass sie zu einer Geringschätzung zukünftiger Werte führe. Ein in 50 Jahren entstehender Schaden in Höhe von <?page no="268"?> 268 7 Nachhaltiges Investitionscontrolling 1 Mio. € hat bei einem Kalkulationszinssatz von 10% heute einen Wert von rund 8.500 €. Es wäre damit wirtschaftlich lohnend, diesen Schaden in 50 Jahren in Kauf zu nehmen, wenn man heute mehr als 8.500 € erzielen könnte. Die Unterschiede in den absoluten Beträgen schrecken ab. Man würde also einen relativ kleinen finanziellen Vorteil in der Gegenwart einem großen Schaden in der Zukunft vorziehen und somit nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ handeln. Solch eine Interpretation der Diskontierung ist jedoch fehlerhaft. Die Diskontierung sagt eben nicht, dass ein kleiner Betrag in der Gegenwart wertvoller ist als ein deutlich größerer Betrag in der Zukunft. Die Diskontierung unterstellt stets einen gleichen Wert. 8.500 € heute sind bei einem Zinssatz von 10% so wertvoll wie 1 Mio. € in 50 Jahren. Der Wert ist gleich, die absolute Zahl ist hingegen unterschiedlich. Die Diskontierung an sich ist nicht falsch und auch bei ökologischen Investitionsentscheidungen nicht unangemessen. Die Schwierigkeiten, weshalb die Ergebnisse einer Diskontierung in der Nachhaltigkeit weniger Akzeptanz finden, liegen in der Unsicherheit begründet (Wie groß wird der zukünftige Schaden tatsächlich sein? ). Sie liegen in der schwierigen finanziellen Bewertbarkeit (kann man drastische Einbußen an Lebensqualität in Geld ausdrücken? ) und in der Wachstumsperspektive begründet, die ja eben den Zins rechtfertigt (Ist ein Kalkulationszins von 10% angemessen? ). Ein hohes erwartetes Wachstum von Wirtschaft und Wohlstand führt zu einem entsprechend hohen Zinssatz. Bezüglich des zukünftigen Wachstums gehen die Erwartungen weit auseinander: aus der Perspektive der Postwachstumsökonomie („in einer begrenzten Welt kann es kein unbegrenztes Wachstum geben“) wäre kein oder nur ein geringer Zinssatz sinnvoll. Aus einer fortschritts- und wachstumsorientierten Sicht (Innovationen, Verlagerung auf Dienstleistungen) ist auch zukünftig ein positiver Zinssatz zu rechtfertigen. Langfristig sollte ein Zinssatz vorsichtig und damit eher niedrig angesetzt werden. Die Kritik an der Diskontierung ist zumeist eine Kritik an der Wachstumsorientierung, an ethisch bedenklichen finanziellen Bewertungen und an der Unsicherheit, wie groß Schäden zukünftig sein werden. Diese Schwierigkeiten sind ernst zu nehmen, aber nicht mit der Methodik der Diskontierung zu verwechseln. Generell sollte man nur finanzielle Beträge diskontieren, da man Geld anlegen kann, wodurch der absolute Betrag zunimmt, und der Wert erhalten werden kann. Eine Diskontierung physikalischer Größen sollte hingegen nicht erfolgen: eine Tonne CO 2 in 50 Jahren entspricht einer Tonne CO 2 heute. Schließlich kann eine physikalische Größe auch nicht verzinslich angelegt werden. Ökologische Rückzahldauer Mit Hilfe der ökologischen Rückzahldauer wird die Effizienz einer ökologischen Investition bewertet. Gemessen wird hierbei die Anzahl an Jahren, bis der Schaden, der durch die Herstellung und Inbetriebnahme des Investitionsobjektes entstanden ist, durch die in der Nutzungsdauer entstandenen Einsparungen an Schäden kompensiert wurde (vgl. Schaltegger, Sturm 2000, S. 193f.): <?page no="269"?> 7.2 Methoden nachhaltiger Investitionsentscheidung 269 Rückzahldauer = verursachte Schadschöpfung der Investition jährliche Schadstoffeinsparung während der Nutzung Damit sich eine Investition ökologisch lohnt, muss die Rückzahldauer innerhalb der Nutzungsdauer liegen. Reicht hingegen die Nutzungsdauer gar nicht aus, um die Schadschöpfung der Investition zu kompensieren, ist der ökologische Schaden der Investition größer als der Nutzen. Die Investition lohnt sich dementsprechend nicht. Einfacher als die Ermittlung einer gesamten Schadschöpfung ist die Berechnung der Rückzahldauer für einzelne Schadstoffe. Anstatt der Zeitdauer, bis sich eine ökologische Investition rechnet, kann auch die Leistungsmenge berechnet werden, ab der sich eine Investition lohnt. So wird etwa bei Fahrzeugen typischerweise ein Verbrauch oder ein CO 2 -Ausstoß jeweils auf die Laufleistung bezogen, da dieses einen wesentlich größeren Einfluss auf die Umwelt hat als der Faktor Zeit. Der Energieeinsatz wird in Liter je 100 km gemessen und der CO 2 -Ausstoß in Gramm je Kilometer. Da Fahrzeuge mit einer unterschiedlichen Laufleistung benutzt werden, ist eine zeitliche Angabe (Verbrauch pro Jahr) nicht sinnvoll. Beispiel Ökologische Rückzahldauer für den CO 2 -Ausstoß eines Autos Es wird überlegt, ob ein älteres, umweltbelastendes Auto durch ein neues, umweltfreundlicheres Auto ersetzt werden soll. Die Umweltbelastung wird hierbei am CO 2 -Ausstoß festgemacht. Durch die Herstellung eines Autos entstehen 5 Tonnen CO 2 . Verursacht das alte Auto je km 150 Gramm CO 2 , das neue Auto 100 Gramm und wird mit einer jährlichen Laufleistung von 10.000 km gerechnet, ergibt sich eine jährliche CO 2 -Einsparung von 500 kg. Die ökologische Rückzahldauer beträgt: Rückzahldauer = 5.000 kg = 10 Jahre 500 kg Der zusätzliche CO 2 -Ausstoß durch die Herstellung des Autos führt erst nach 10 Jahren zu einer Reduktion der Gesamtbelastung durch CO 2 . Beispielsweise kann berechnet werden, ab welcher Gesamtlaufleistung ein stromgetriebenes Fahrzeug weniger CO 2 ausstößt als ein benzinbetriebenes Fahrzeug. Diese Fragestellung ist relevant, weil durch die Herstellung der Batterie der CO 2 -Ausstoß bei der Fertigung eines Elektro-Fahrzeugs größer ist als bei der Fertigung eines Fahrzeugs mit Verbrennermotor. Nachfolgend sind die CO 2 -Emissionen von vier Fahrzeugen von Mercedes-Benz aufgeführt. Mercedes-Benz stellt diese vom TÜV SÜD überprüften Daten online zur Verfügung Beispiel CO 2 -Ausstoß von Mercedes-Benz-Fahrzeugen In der Graphik sind die CO 2 -Emissionen der Modelle B 180 (Benzin), E 220 d (Diesel), EQC 400 (EU-Strommix), EQC 400 (regenerativer Strom) und S 580 e Hybrid (EU-Strommix) enthalten. Unabhängig von der Laufleistung sind die Emissionen <?page no="270"?> 270 7 Nachhaltiges Investitionscontrolling der Herstellung und der Entsorgung. Von der Laufleistung abhängige Emissionen sind bei Verbrennerfahrzeugen diejenigen aus dem Fahrbetrieb und aus der Kraftstoffherstellung. Bei Elektrofahrzeugen sind im Fahrbetrieb die Emissionen aus der Stromerzeugung relevant, die entweder am durchschnittlichen Strommix der EU angelehnt sind, oder die aus rein regenerativer Stromerzeugung resultieren. Es wird deutlich, dass strombetriebene Fahrzeuge ihre Vorteile erst mit regenerativ gewonnenem Strom erzielen. Auch wenn die verschiedenen Fahrzeugkategorien nicht direkt miteinander vergleichbar sind, lässt sich daraus ableiten, dass bei den hier aufgeführten Modellen ab einer Gesamtlaufleistung von ca. 80.000 km ein mit regenerativ erzeugtem Strom betriebenes Fahrzeug weniger CO 2 ausstößt als ein benzin- oder dieselbetriebenes Fahrzeug. Mit EU-Strommix betriebene SUV mit großer Batterie verursachen durchweg höhere Treibhausgasemissionen als die hier aufgeführten Verbrennerfahrzeuge. Ebenfalls wird deutlich, dass selbst mit regenerativ gewonnenem Strom immer noch in erheblichem Umfang CO 2 -Emissionen durch die Produktion des Fahrzeugs verursacht werden. Es wird ersichtlich, dass effiziente Lösungen noch lange nicht effektiv sind. Abb. 7.2: CO 2 -Ausstoß in kg bei Mercedes-Benz-Fahrzeugen in Abhängigkeit von der km-Laufleistung (Quelle: eigene Berechnung, aus: Mercedes-Benz AG, in: https: / / group.mercedesbenz.com/ nachhaltigkeit/ umweltzertifikate/ , Abruf: 01.06.2022) Nachhaltigkeitsorientierte Nutzwertanalyse Der Internationale Controller Verein empfiehlt, Investitionen anhand einer „nachhaltigkeitsorientierten quantitativen Nutzwertanalyse“ zu bewerten. Neben der in den Unternehmen üblichen finanziellen Investitionsrechnung solle eine separate, <?page no="271"?> 7.2 Methoden nachhaltiger Investitionsentscheidung 271 Anlage Kapitalwert CO 2 -Ausstoß Ergonomie-Index A 7,6 Mio. € 4.200 t 83% B 8,4 Mio. € 5.800 t 78% C 6,0 Mio. € 4.000 t 86% D 7,7 Mio. € 3.800 t 82% Tabelle 7.1: Beispiel für die quantitative Bewertung in der Nutzwertanalyse Wenn Werte nicht direkt gemessen (z.B. in kg CO 2 ) oder berechnet (z.B. als Kapitalwert) werden können oder keine einzelne Maßgröße existiert, die ein Ziel zutreffend bewertet, kann auch ein Bündel bewährter Kriterien benutzt werden, um die Zielausprägung zu bestimmen. In diesem Beispiel wurde etwa ein Ergonomie-Index ermittelt, den Experten checklistenbasiert bestimmen können. quantitative Bewertung der Nachhaltigkeit erfolgen. Anschließend sind die beiden Teilbewertungen zusammenzuführen und integriert zu analysieren (vgl. Internationaler Controller Verein 2015b). Die Nachhaltigkeit von Investitionen soll zwar quantitativ bewertet werden, wobei aber ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass Stoff- und Energieströme in physikalischen und nicht in monetären Einheiten erfasst werden sollen. Hierdurch soll die Objektivität der Methodik gewahrt werden, da eine Monetarisierung externer Effekte häufig subjektiv geprägt ist und deshalb als Entscheidungsgrundlage im Unternehmen nur eingeschränkt nützlich sei. Somit stehen die verschiedenen Maßeinheiten wie CO 2 / Tonne oder Liter für Abwasser, ... nebeneinander und bleiben auch als solche erkennbar. Durch eine Monetarisierung ginge diese Transparenz verloren. Nicht sinnvoll quantifizierbare Entwicklungen sollen die Investitionsbewertung in Form einer qualitativen Chancen- und Risikoeinschätzung ergänzen. Die Nutzwertanalyse, teils auch als Scoring-Modell bezeichnet, ist eine Methode zur nicht-monetären Bewertung von Alternativen anhand mehrerer Zielkriterien. Ausgehend vom Oberziel (z.B. Investition zur Erhöhung der Produktionskapazität) werden Subziele ausgewählt (zügige Fertigstellung, geringe Kosten, Produktqualität, ...). Üblicherweise erfolgt in der Nutzwertanalyse eine Gewichtung der Faktoren. Der Ansatz des Internationalen Controller Vereins sieht hiervon allerdings ab. Der Verzicht auf die Gewichtung ist allerdings selbst bereits eine Gewichtung, nämlich eine Gleichgewichtung aller Subziele. Neben der Gewichtung kann einzelnen, überragend bedeutsamen Kriterien auch der Status eines K.o.-Kriteriums zugeordnet werden. Wird dieses Kriterium nicht erfüllt, entfällt die Alternative, unabhängig von ihren Ergebnissen bei den anderen Subzielen. Dies kann beispielsweise das Ziel eines positiven Kapitalwerts sein, der auf jeden Fall erreicht sein muss. Nach der Festlegung der Subziele und der Messmethode wird für jede Investitionsalternative und für jedes Subziel der Wert in einer geeigneten Maßeinheit ermittelt. Für die Investition in eine neue Produktionsanlage kann dies beispielsweise so aussehen: <?page no="272"?> 272 7 Nachhaltiges Investitionscontrolling Wird innerhalb jedes Ziels die Rangfolge der Alternativen ermittelt, können, bei unterstellter Gleichgewichtung, Durchschnitte berechnet werden: ökonomisches Ziel ökologisches Ziel soziales Ziel Anlage Kapitalwert CO2-Ausstoß Ergonomie-Index Nutzwert A 3 3 2 8 B 1 4 4 9 C 4 2 1 7 D 2 1 3 6 Tabelle 7.2: Nutzwertberechnung Die Produktionsanlage D erzielt insgesamt die beste Gesamtplatzierung, den besten Nutzwert, und wird als Investition empfohlen. Für die Kommunikation kann eine graphische Darstellung als Portfolio hilfreich sein, bei dem das ökonomische und die nicht-ökonomischen Ziele verdeutlicht werden. Hierdurch wird die Erweiterung des Entscheidungsfeldes über rein wirtschaftliche Ziele hinaus sichtbar: Abb. 7.3: Gegenüberstellung ökonomischer und sozialer/ ökologischer Zielerreichung (Quelle: in Anlehnung an Internationaler Controller Verein 2015b, S. 19) <?page no="273"?> 7.2 Methoden nachhaltiger Investitionsentscheidung 273 Die Alternative D ist bei keiner der beiden Kriterien am besten, insgesamt aber am ausgewogensten. Die graphische Darstellung verschleiert allerdings den tatsächlichen Nutzwert, da die sozialen und ökologischen Kriterien bei der Nutzwertberechnung jeweils einzeln gewichtet wurden, in der Graphik aber als eine Dimension, quasi gleichrangig zum ökonomischen Ziel, zusammengefasst sind. Die Graphik suggeriert damit, dass die soziale und ökologische Nachhaltigkeit zusammen genommen gleichbedeutend ist wie das ökonomische Ziel. Kritisch ist die Frage der Gewichtung der einzelnen Faktoren anzumerken. Wenn also eine Vielzahl ökologischer und sozialer Kriterien benutzt wird, soll dann jedes dieser Kriterien so viel zählen wie das einzelne ökonomische Kriterium? Würden beispielsweise dem ökonomischen Ziel des Kapitalwerts zehn ökologische und fünf soziale Ziele gemessen, soll dann das ökonomische Ziel den Nutzwert mit 1/ 16 beeinflussen oder aber mit einem Drittel, wenn die drei Dimensionen gleichgewichtet werden? Die Frage der Gewichtung ist also relevant. Weiterhin sind die Kriterien mit Bedacht zu wählen. Nicht immer sind sie unabhängig voneinander. Werden beispielsweise die Kriterien Energieverbrauch und CO 2 - Ausstoß als ökologische Ziele genutzt, findet teilweise eine Doppelbewertung statt, da im Allgemeinen ein höherer Energieverbrauch mit einem höheren CO 2 -Ausstoß einhergeht. Wenn sich dies nicht vermeiden lässt, sollte solch eine Doppelung durch eine entsprechend geringere Gewichtung ausgeglichen werden. Schließlich ist die Methodik zur Berechnung des Nutzwerts aus der durchschnittlichen Rangfolge eines jeden Kriteriums kritisch zu beurteilen. Eine direkte Aufrechnung der verschiedenen Kriterien ist nicht möglich, da sie unterschiedliche Maßeinheiten aufweisen. Der Umweg über die Berechnung der Rangfolgen kann aber zu starken Verzerrungen führen. Ist etwa der Kapitalwert einer Investition um 2% größer, die Umweltbelastung aber um 20% schlechter als die nächstbeste Alternative, verlieren sich diese deutlich unterschiedlichen Abstände bei der Rangfolge. Die verschiedenen Kardinalskalen (Kapitalwert, CO 2 -Ausstoß, ...) werden in eine Ordinalskala umgewandelt (Rangfolge), damit sie verrechnet werden können. Der Informationsverlust kann unter Umständen hierdurch aber enorm sein, worunter die Qualität des Ergebnisses leidet. Somit bleibt festzuhalten, dass die nachhaltigkeitsorientierte Nutzwertanalyse ein pragmatischer Ansatz zur nachhaltigen Investitionsbewertung ist, die den Einstieg über die bekannte Nutzwertanalyse systematisiert und erleichtert. Die Methodik ist gut nachvollziehbar und fördert die Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeit. So ist zu klären, welche Kriterien überhaupt bedeutsam sind und zur Entscheidung genutzt werden sollen, ebenso ist die gewünschte Ausprägung der Kriterien und deren Messung abzustimmen. Die Nutzwertanalyse erleichtert den Einstieg in die Nachhaltigkeit, zeigt aber deutliche methodische Schwächen. Bei zunehmender Bedeutung der Nachhaltigkeit sollte dieser Ansatz nicht mehr benutzt werden. <?page no="274"?> 274 7 Nachhaltiges Investitionscontrolling Kapitel 7: Erkenntnisse Das Investitionscontrolling stellt eine Art „Schleusenfunktion“ für die nachhaltige Entwicklung eines Unternehmens dar. Werden nur noch nachhaltige Investitionen getätigt, entwickelt sich das Unternehmen auch hin zu mehr Nachhaltigkeit. Ohne ein nachhaltiges Investitionscontrolling erscheint es hingegen kaum möglich, Nachhaltigkeitsziele mittelfristig zu erreichen. Ein an Nachhaltigkeitszielen ausgerichtetes Investitionscontrolling hat deshalb eine elementare Bedeutung für die Entwicklung nachhaltiger Unternehmen. Entscheidungen für nachhaltige Investitionen können mit statischen und dynamischen Rechenverfahren getroffen werden. Dabei können die Daten aus dem Rechnungswesen um monetarisierte externe Effekte erweitert werden oder es wird die Entwicklung der Wertschöpfung betrachtet. Weitere Methoden sind die Nutzwertanalyse und die Berechnung der ökologischen Rückzahldauer. <?page no="275"?> 8 Nachhaltiges Risikocontrolling Lernziele Die Leser ◼ kennen die verschiedenen nachhaltigkeitsbezogenen Risiken. ◼ sind sich der Bedeutung der Risiken für das Unternehmen und für die Stakeholder bewusst. ◼ können zwischen Risikomanagement und Risikocontrolling unterscheiden. ◼ wissen, wie ein nachhaltiges Risikocontrolling praktisch umgesetzt werden kann. Risikomanagement umfasst die systematische Erfassung und Bewertung von Risiken sowie das Ergreifen geeigneter Maßnahmen zur Begrenzung oder Verhinderung von Risiken. Diese beziehen sich vorwiegend auf negative Abweichungen von der erwünschten Unternehmensentwicklung. Daneben können aber auch positive Abweichungen, also Chancen, betrachtet werden. Risiken werden dabei sowohl auf der strategischen Ebene (z.B. Erosion des Geschäftsmodells) als auch auf der operativen Ebene (z.B. Zahlungsausfall eines Kunden) betrachtet. Das Risikomanagement liegt im ureigentlichen unternehmerischen Interesse, da es um die Sicherung des Erfolgs und Existenz des Unternehmens geht. Risikomanagement ist mit den unternehmerischen Aktivitäten und den betrieblichen Funktionen eng verbunden und kann nicht losgelöst von diesen betrachtet werden. Es sind auch zahlreiche rechtliche Vorschriften zu 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.2 <?page no="276"?> 276 8 Nachhaltiges Risikocontrolling beachten, durch die der Gesetzgeber Unternehmen dazu zwingt, in einem Mindestumfang Risikomanagement zu betreiben. Da es das Kernanliegen des Controllings ist, für eine hohe Transparenz und für rationale Entscheidungen zu sorgen, um die Unternehmensziele zu erreichen, ist auch das Risikomanagement ein wesentlicher Bestandteil der Controllertätigkeit. Im Rahmen der Unternehmensplanung ist es selbstverständlich, dass auch die Auswirkungen veränderter Planungsprämissen bekannt sind und Gegenmaßnahmen durchdacht werden. Liegen der Planung erwartete Rohstoffpreise zugrunde, sind die Auswirkungen von Preisänderungen abzuschätzen und Maßnahmen zur Begrenzung negativer Auswirkungen zu planen. Im Bereich der Nachhaltigkeit entstehen zusätzliche Risiken und ein erweiterter Bedarf des Risikocontrollings, was Gegenstand dieses Kapitels ist. Nachhaltigkeitsrisiken Durch die Nachhaltigkeit erwachsen den Unternehmen verschiedene Risiken, aber auch Chancen. Einerseits müssen sich Unternehmen anpassen und neu ausrichten, um den Anforderungen der Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Veränderte Verfügbarkeiten von Rohstoffen, veränderte Kundenbedürfnisse, neue rechtliche Vorschriften oder der Klimawandel nehmen Einfluss auf die strategische und operative Unternehmenssteuerung und den Unternehmenserfolg. Andererseits wirken die Aktivitäten des Unternehmens auch auf die Stakeholder. Unternehmen sind durch die GRI-Berichterstattung und durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) gezwungen, die Auswirkungen ihres Handelns auf die Stakeholder zu erfassen und zu messen. Bereits dieses Monitoring leistet einen Beitrag, Risiken frühzeitig zu erkennen. Eine nicht vertretbare Beeinträchtigung der Stakeholder, welche wiederum negative Konsequenzen für das Unternehmen haben kann, wird frühzeitig erkannt und kann behoben werden. Nachhaltigkeitsbezogene Risiken sind insbesondere: Klimarisiken Der durch Treibhausgasemissionen verursachte Klimawandel führt zu unumkehrbaren Folgen für Ökosysteme und damit auch für die Menschen. Der Anstieg des Meeresspiegels gefährdet Küstengebiete, extreme Wetterverhältnisse wie Starkregen, Hitzeperioden und Wirbelstürme nehmen zu und lange Trockenphasen führen zu Ernteausfällen und Waldbränden. Als Konsequenz wird ein weltweiter Rückgang des Bruttoinlandsprodukts prognostiziert. Der zur Begrenzung des Klimawandels eingeführte EU-Emissionshandel hat zu einer Preissteigerung bei den Emissionszertifikaten geführt und damit die treibhausgasintensive Produktion verteuert. Der Klimawandel kann enorme wirtschaftliche Schäden verursachen, woraus sich für Unternehmen erhebliche Risiken ergeben können. Umweltrisiken Zwar steht der Klimawandel in den Medien häufig im Vordergrund, doch gibt es noch weitere bedeutsame und teils existenzielle Auswirkungen auf die Umwelt. Zu nennen sind etwa der Verlust der Artenvielfalt, die Verschmutzung und Übersäuerung der <?page no="277"?> 8.1 Nachhaltigkeitsrisiken 277 Meere und der Wasserressourcen, die Austrocknung von Wasserressourcen und der Landverbrauch. Soziale Risiken Soziale Risiken ergeben sich aus der Verletzung arbeitsrechtlicher Standards wie Diskriminierung, Zwangs- und Kinderarbeit, aus der Verletzung von Menschenrechten, aus Arbeitsunfällen, gesundheitlicher Beeinträchtigung, Behinderung der Versammlungsfreiheit und unzureichender Produktsicherheit. Governance-Risiken Hierbei sind Risiken aus der Korruption, aus einer unzureichenden Beaufsichtigung der Unternehmensleitung, aus der Verletzung von Arbeitnehmerrechten und des Datenschutzes zu nennen. Konkrete Auswirkungen der Klima- und Umweltrisiken sind etwa der Ausfall von Lieferanten, Rohstoffknappheit, die Einstellung von wasser- und CO 2 -intensiver Produktion, aber auch Migrationsbewegungen und bewaffnete Konflikte, durch die wiederum Lieferketten unterbrochen und Absatzmärkte entfallen können. Zudem ist es nicht auszuschließen, dass klimaschädliches Verhalten vor Gericht gestellt und bestraft wird. Auch die nachhaltige Transformation der Wirtschaft birgt Risiken. Der Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung erfordert erhebliche Investitionen, etwa für Produktionsumstellungen, für den Auf- und Ausbau der Infrastruktur, für die Entwicklung neuer Technologien und für Sanierungen. Für die Durchführung dieser Investitionen muss es den Unternehmen gelingen, zusätzliche Finanzierungsmittel zu beschaffen. Rangliste globaler Risiken Im Global Risk Report 2022, der seit 2006 jährlich vom World Economic Forum herausgegeben wird, werden die aktuell und zukünftig bedeutsamsten Risiken identifiziert. Hierbei werden weltweit 1.000 Experten aus Organisationen und Unternehmen nach den Risiken für die Menschheit, für Länder und für Unternehmen befragt. Dabei wird zwischen Risiken aus dem Bereich der Wirtschaft, der Umwelt, der Geopolitik, der Gesellschaft und der Technologie differenziert. Im Jahre 2022 wurde die Rangfolge der zehn schwerwiegendsten Risiken der nächsten zehn Jahre folgendermaßen identifiziert (vgl. World Economic Forum 2022, S. 14 und S. 93ff., eigene Übersetzung): [1] Umwelt: Scheitern von Klimaschutzmaßnahmen Versäumnis von Regierungen und Unternehmen, wirksame Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und zur Eindämmung des Klimawandels durchzusetzen, zu erlassen oder in sie zu investieren, Ökosysteme zu erhalten, die Bevölkerung zu schützen und den Übergang zu einer kohlenstoffneutralen Wirtschaft zu vollziehen. [2] Umwelt: Extreme Wetterereignisse Verlust von Menschenleben, Schädigung von Ökosystemen, Zerstörung von Eigentum und finanzielle Verluste auf globaler Ebene infolge extremer Wetterereignisse: Kaltfronten, Brände, Überschwemmungen, Hitzewellen, Stürme. <?page no="278"?> 278 8 Nachhaltiges Risikocontrolling [3] Umwelt: Verlust der biologischen Vielfalt, Zusammenbruch des Ökosystems Unumkehrbare Folgen für die Umwelt, den Menschen und die Wirtschaftstätigkeit sowie eine dauerhafte Zerstörung des Naturkapitals infolge des Aussterbens von Arten und der Verringerung der Artenvielfalt. [4] Gesellschaft: Erosion des sozialen Zusammenhalts Verlust von sozialem Kapital und Zersplitterung sozialer Netze mit negativen Auswirkungen auf die soziale Stabilität, das individuelle Wohlergehen und die wirtschaftliche Produktivität als Folge von anhaltendem öffentlichem Misstrauen, Spaltung, mangelnder Empathie, Ausgrenzung von Minderheiten und politischer Polarisierung. [5] Gesellschaft: Beschäftigungs- und Lebensunterhaltskrisen Strukturelle Verschlechterung der Arbeitsaussichten und -standards für die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter: Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, niedrigere Löhne, brüchige Verträge, Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte. [6] Gesellschaft: Ansteckende Krankheiten Massive und rasche Ausbreitung von Viren, Parasiten, Pilzen oder Bakterien, die eine unkontrollierte Ansteckung mit Infektionskrankheiten verursachen und zu einer Epidemie oder Pandemie mit Verlusten an Menschenleben und wirtschaftlichen Störungen führen. [7] Umwelt: Vom Menschen verursachte Umweltschäden Verlust von Menschenleben, finanzieller Verlust und Schädigung von Ökosystemen infolge menschlicher Aktivitäten und mangelnder Koexistenz mit tierischen Ökosystemen: Deregulierung von Schutzgebieten, Industrieunfälle, Ölverschmutzung, radioaktive Verseuchung, Wildtierhandel. [8] Umwelt: Krisen im Zusammenhang mit natürlichen Ressourcen Chemie-, Nahrungsmittel-, Mineralien-, Wasser- oder andere Rohstoffkrisen auf globaler Ebene als Folge der übermäßigen Ausbeutung und/ oder Misswirtschaft kritischer natürlicher Ressourcen durch den Menschen. [9] Wirtschaft: Verschuldungskrisen in großen Volkswirtschaften Unternehmens- und Staatsfinanzen, die durch die Anhäufung von Schulden und den Schuldendienst in großen Volkswirtschaften überfordert sind, was zu Massenkonkursen, Zahlungsausfällen, Insolvenz, Liquiditätskrisen oder Staatsschuldenkrisen führt. [10] Geopolitische Ebene: Geoökonomische Konfrontationen Einsatz wirtschaftspolitischer Maßnahmen, wie Investitionskontrollen, Handelskontrollen, nichttarifäre Handelshemmnisse und Währungsmaßnahmen durch <?page no="279"?> 8.2 Risikocontrolling 279 globale oder regionale Mächte, um wirtschaftliche Interaktionen zwischen Nationen zu entkoppeln und Einflusssphären zu konsolidieren. Die acht weltweit bedeutsamsten Risiken sind der Umwelt und der Gesellschaft zuzuordnen. Einzig das zehnte Risiko ist kein originäres Nachhaltigkeitsrisiko. Dies unterstreicht eindrucksvoll die Notwendigkeit der Unternehmen, das Risikocontrolling stark auf diese Risiken auszurichten. Ein unternehmerisches Risikocontrolling ohne die detaillierte Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken ist unvollständig und mangelhaft. Risikocontrolling Nachdem ein fundierter Überblick über die Nachhaltigkeitsrisiken gegeben wurde, soll nun der Blick auf den Umgang im Unternehmen und auf die Aufgaben der Controller gerichtet werden. Hierbei ist es notwendig, auf die Begriffe des Risikomanagements und des Risikocontrollings näher einzugehen. Für das Risikomanagement ist die Unternehmensleitung verantwortlich, für das Risikocontrolling die zuständigen Controller. Die Abgrenzung erfolgt anhand deren typischen Aufgaben (vgl. Vanini, Rieg 2021, S. 41). Risikomanagement Risikocontrolling Unternehmerische Führung in der Verantwortung der Unternehmensleitung Methodische Unterstützung durch (Risiko-) Controller  Ableitung einer Risikostrategie und risikopolitischer Grundsätze  Initiierung des Risikomanagement-Prozesses  Aufbau einer Risikomanagement-Organisation  Implementierung einer Risikokultur  Risikosteuerung  Schaffung betriebswirtschaftlicher Strukturen und einer technischen Infrastruktur  Entwicklung und Umsetzung der Risikoberichterstattung und -dokumentation  Entwicklung und Koordination eines operativen Risikomanagement-Prozesses  Übernahme einzelner Aktivitäten wie der Messung, Analyse und Überwachung von Risiken  Implementierung eines geeigneten Risikocontrolling-Instrumentariums  Aufbau der notwendigen Fach- und Methodenkompetenz im Unternehmen Tabelle 8.1: Abgrenzung von Risikomanagement und Risikocontrolling anhand typischer Aufgaben (Quelle: Vanini, Rieg 2021, S. 41) Bezogen auf diese Aufgaben lässt sich das Risikocontrolling folgendermaßen definieren: Definition des Risikocontrollings „Das Risikocontrolling unterstützt das Risikomanagement bei der Entscheidungsfindung und -umsetzung durch die Bereitstellung risikorelevanter Informationen sowie geeigneter Instrumente und Methoden, insbesondere zur Risikoidentifika- <?page no="280"?> 280 8 Nachhaltiges Risikocontrolling tion und -bewertung. Zudem entlastet das Risikocontrolling das Management durch die Übernahme ausgewählter Aufgaben und die Abstimmung der einzelnen Phasen und Aktivitäten des operativen Risikomanagement-Prozesses. Direktes Ziel des Risikocontrollings ist die Verbesserung der Entscheidungsqualität des Risikomanagements, indirekt soll das Risikocontrolling auch zur langfristigen Existenzsicherung und Erreichung der Unternehmensziele beitragen.“ (Quelle: Vanini, Rieg 2021, S. 40) Risiken sind Planabweichungen und Controller sind die Planungsexperten. Um Szenarien für Planabweichungen zu entwickeln und mittels Simulationen die Auswirkungen zu prognostizieren, ist eine fundierte Kenntnis möglicher Nachhaltigkeitsrisiken notwendig. Dem Management können damit sehr transparent die Chancen und Risiken aufgezeigt werden, die für Entscheidungen genutzt werden können. Voraussetzung ist auch hierfür die Quantifizierung von Risiken. Dies umfasst vor allem die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Auswirkungen des Risikos sowie die Risikoverteilung. Wer sich mit Risiken beschäftigt, wird zumeist bereits implizit eine Vorstellung davon haben, wie groß das Risiko in etwa ist. Diese Vorstellung muss durch die Anwendung fundierter Geschäftskenntnisse und (statistischer) Methoden explizit gemacht werden. Dabei kann man sich auf die wesentlichen Risiken beschränken. Schließlich wird auch hier das Pareto-Prinzip gelten: mit 20% des Aufwands werden 80% der Ergebnisse gesichert - sofern man sich für die richtigen Maßnahmen entscheidet. Rechnet sich Risikocontrolling? In der Praxis hört man nicht selten, dass ein Risikocontrolling zwar sinnvoll sei, um existenzielle Risiken wie etwa eine drohende Zahlungsunfähigkeit rechtzeitig zu erkennen und zu vermeiden, ansonsten aber die Unternehmensentwicklung doch eher behindere. Ein Risikomanagement wird oftmals als destruktiv, als die mutige Geschäftspolitik behindernd und letztlich für die Wertsteigerung hinderlich angesehen. Sie solle also den Worst-Case verhindern, sei aber für eine wertorientierte Weiterentwicklung ansonsten nicht hilfreich. Bei dieser Argumentation wird übersehen, wie Unternehmenswerte zustande kommen. Der Unternehmenswert entspricht mathematisch stets einem Barwert zukünftiger Einzahlungsüberschüsse, also dem heutigen Wert dessen, was das Unternehmen zukünftig an Cashflows erzielt. Zukünftige Cashflows werden somit auf die Gegenwart diskontiert. Um diesen Wert zu ermitteln, benötigt man eben die zukünftigen Cashflows und den Diskontierungszinssatz. Dieser setzt sich aus einem risikolosen Basiszinssatz, beispielsweise dem Zinssatz einer sicheren Staatsanleihe, und einem Risikoaufschlag zusammen. Der Risikoaufschlag ist unternehmensindividuell zu ermitteln. In der Unternehmenspraxis wird für die Ermittlung des angemessenen Zinssatzes zumeist das Capital Asset Pricing Model (CAPM) genutzt. Dieses leitet bei börsennotierten Gesellschaften das unternehmensindividuelle Risiko aus den Aktienkursschwankungen ab. Dabei werden die Schwankungen des Aktienkurses mit den <?page no="281"?> 8.2 Risikocontrolling 281 Schwankungen eines Aktienindex verglichen. Der sogenannte Beta-Faktor drückt aus, wie der Kurs des Unternehmens im Vergleich zum Index schwankt. Die Kursschwankungen sind dabei umso größer, je stärker die aktuellen und potenzielle Aktionäre das Risiko des Unternehmens wahrnehmen. Große wahrgenommene Risiken führen zu stärkeren Kursschwankungen, somit zu einem höheren Beta-Faktor und durch den höheren Risikoaufschlag zu einem höheren Kalkulationszins. Ein Risikocontrolling kann somit dazu beitragen, dass das Risiko des Unternehmens verringert und damit schließlich auch der Kalkulationszins verringert wird. Je geringer der Kalkulationszins ist, desto größer wird der Barwert der zukünftigen Cashflows und damit auch der Unternehmenswert. Dies bedeutet, dass ein erfolgreiches Risikocontrolling zu einer Wertsteigerung führt und keinesfalls nur ein Kostenfaktor ist, der außer der Verhinderung existenzieller Risiken verzichtbar sei. Beispiel: Wertsteigerung durch Risikocontrolling Bei einem Unternehmen werden dauerhafter jährliche Cashflows in Höhe von 10 Mio. € erwartet. Der Kalkulationszins beträgt i = 10%. Daraus ergibt sich ein Unternehmenswert in Höhe von: 10 Mio. € / 10% = 100 Mio. €. Steigen nun die Nachhaltigkeitsrisiken für das Unternehmen, ohne dass dieses durch ein effektives Risikocontrolling diese Risiken begrenzt, erhöht sich der Risikoaufschlag für das Unternehmen. Der Kalkulationszinssatz steige somit auf 12%. Dies wirkt sich folgendermaßen auf den Unternehmenswert aus: 10 Mio. € / 12% = 83,3 Mio. €. Das unzureichende Risikocontrolling hat den Wert in Höhe von knapp 17 Mio. € vernichtet. Anders betrachtet würden sich Maßnahmen zur Begrenzung der Nachhaltigkeitsrisiken bis zu einem Betrag von 17 Mio. € lohnen. Ein wirksames Risikocontrolling identifiziert die Nachhaltigkeitsrisiken und empfiehlt Maßnahmen zu deren Begrenzung. Würden etwa Maßnahmen in einem finanziellen Umfang von 5 Mio. € bewirken, dass die Nachhaltigkeitsrisiken begrenzt werden und der Kalkulationszinssatz damit bei 10% verbleibt, wären diese Ausgaben keinesfalls nur möglichst zu vermeidende Kosten. Vielmehr wäre dies eine höchst wirkungsvolle Investition. Der Einsatz von 5 Mio. € würde eine Wertvernichtung in Höhe von rund 17 Mio. € verhindern und wäre damit möglicherweise eine der rentabelsten Investitionen des Unternehmens. Nachhaltigkeitsrisiken sind von sehr großer Bedeutung und können deutliche Wertverluste bewirken. Ein nachhaltiges Risikocontrolling kann diese Wertvernichtung begrenzen und sollte daher ein etablierter Bestandteil der Unternehmenssteuerung sein. Organisation des Controllings von Nachhaltigkeitsrisiken In den vorangehenden Kapiteln wurde die Empfehlung erarbeitet, dass die Steuerung der Nachhaltigkeit in die generelle Unternehmenssteuerung integriert werden sollte. Dasselbe gilt für das Risikocontrolling. Die Identifikation, Bewertung und Steuerung von Nachhaltigkeitsrisiken erfordern zwar fachspezifische Kenntnisse, doch sollten diese integriert im Risikomanagement und Risikocontrolling erfolgen. Risiken können <?page no="282"?> 282 8 Nachhaltiges Risikocontrolling in aller Regel nicht isoliert betrachtet werden, sondern sie sind mit anderen Risiken eng verflochten und können sich gegenseitig beeinflussen. Beispiel Mercedes-Benz „Das Risiko- und Chancenmanagement ist ein fester Bestandteil des konzernweiten Planungs-, Steuerungs- und Berichterstattungsprozesses mit dem Ziel, die Erreichung der Unternehmensziele nachhaltig zu unterstützen und das Risikobewusstsein im Unternehmen sicherzustellen. Die Nachhaltigkeitsaspekte sind in den konzernweiten Risikomanagementprozess bei der Mercedes-Benz Group integriert. Hierunter werden Bedingungen, Ereignisse oder Entwicklungen aus den Bereichen Umwelt, Soziales oder Unternehmensführung (ESG) verstanden, deren Eintreten sich tatsächlich oder potenziell auf die Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage sowie auf die Reputation der Mercedes-Benz Group auswirken können. Unter Sachverhalten bezogen auf den Bereich Umwelt werden unter anderem der CO 2 -Ausstoß, Extremwetterereignisse sowie Abfallvermeidung und Recycling verstanden. Arbeitsrechtliche Standards, Arbeits- und Produktsicherheit sowie Produkthaftung und die Einhaltung arbeitsrechtlicher Standards bei Lieferanten sind Beispiel für Sachverhalte unter dem Bereich Soziales. Der Bereich Unternehmensführung befasst sich beispielsweise mit Steuerehrlichkeit, Maßnahmen zur Korruptionsprävention sowie der Gewährleistung des Datenschutzes.“ (Quelle: Mercedes-Benz Group AG, Nachhaltigkeitsbericht 2021, S. 83) Bei Mercedes-Benz, aber auch bei vielen anderen Unternehmen, werden Nachhaltigkeitsrisiken im bestehenden Risikomanagementsystem gesteuert. Risiken gelten als solche Ereignisse, die sich auf die Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage sowie auf die Reputation auswirken können. Hierbei gilt somit nicht die doppelte Wesentlichkeit, da nur die Auswirkungen auf das Unternehmen, beschränkt auf wirtschaftliche Zielgrößen, betrachtet werden. Die doppelte Wesentlichkeit, wie sie bei der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) oder bei der Anwendung der GRIs gefordert wird, würde auch die Auswirkungen auf die Stakeholder beinhalten. Das Risiko, dass Stakeholder einen Schaden erleiden, liegt nicht im Fokus des Risikomanagements. Beispiel Gothaer Finanzholding „Nachhaltigkeitsrisiken wurden im Risikomanagement seit vielen Jahren als Emerging Risks betrachtet und gemanagt. Der Begriff Nachhaltigkeitsrisiken ist eine Verfeinerung und tiefergehende Definition dieser Risiken. Die BaFin hat 2019 in ihrem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken empfohlen, diese im Rahmen von bestehenden Risikokategorien in das Risikomanagement zu integrieren. Tatsächlich ist aus Sicht eines verantwortungsvollen Risikomanagements eine sorgfältige Befassung mit Nachhaltigkeit unabdingbar. Es ist absehbar, dass sich beispielweise die Folgen des Klimawandels zu einem erheblichen Teil auch auf unser Geschäft auswirken werden - etwa in Form steigender Schadenquoten durch <?page no="283"?> 8.2 Risikocontrolling 283 Extremwetterereignisse. Vor diesem Hintergrund haben wir ein doppeltes Interesse daran, einen aktiven Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten.“ (Quelle: Gothaer Finanzholding AG, Nachhaltigkeitsbericht 2020, S. 17f.) Instrumente des Risikocontrollings Da die Steuerung nachhaltiger Risiken integriert im Risikocontrolling erfolgt, werden zumeist auch die bestehenden Instrumente zur Identifikation, zur Bewertung und zur Steuerung von Risiken genutzt. Diese werden hier daher nur knapp benannt. Diese können in der einschlägigen Literatur zum Risikomanagement und zum Risikocontrolling nachgelesen werden (vgl. hierzu etwa Vanini, Rieg 2021; Romeike, Hager 2020; Gleißner 2022). Instrumente der Risikoidentifikation auf der strategischen Ebene sind die bereits in Abschnitt 4.5 vorgestellten strategischen Analysemethoden PESTEL und SWOT. Daneben werden Indikatoren zur strategischen Frühaufklärung, Trend- und Szenarioanalysen genutzt. Auf der operativen Ebene werden Checklisten, Risikokataloge, Systemanalysen, Brainstormingmethoden, Simulationen und zunehmend auch Machine- Learning-Algorithmen genutzt. Als Ergebnis der Risikoidentifikation kann ein Risikoinventar erstellt werden, das sämtliche wesentlichen Risiken und die Schätzung der Relevanz für das Unternehmen enthält. Einfache Methoden der Risikobewertung sind die Risikoklassifikation, bei der das Risikoausmaß vom Management eingeschätzt wird und die Nutzwertanalysen bzw. Scoringmodelle, die mittels mehrerer gewichteter Kriterien einen Nutzwert bzw. einen Score ermitteln. Häufig werden auch Risikoportfolios benutzt, die in einer zweidimensionalen Matrix die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos und das Schadensausmaß anschaulich darstellen. Bei quantifizierbaren Risiken und hoher Datenverfügbarkeit können statistische Risikomaße genutzt werden wie etwa die Varianz, die Standardabweichung oder der Value at Risk. Schließlich können bei quantitativen Daten auch Worst- und Best-Case-Szenarien berechnet werden, oder es werden durch eine Monte-Carlo-Simulation sämtliche erwartbaren Risikoausprägungen berechnet. Über die identifizierten und bewerteten Risiken berichtet das Risikocontrolling dem Management, damit diese bei Entscheidungen berücksichtigt werden können. Die Risikoberichterstattung kann über die Regelberichte, also etwa mit dem Monatsreport erfolgen oder als Sonderbericht, der die Ergebnisse spezieller Analysen enthält. Neben dem internen Berichtswesen besteht für mittlere und große Kapitalgesellschaften gemäß § 267 HGB auch die Pflicht, im Lagebericht über Chancen und Risiken zu berichten. Zur Steuerung der Risiken lassen sich verschiedene strategische Ansätze unterscheiden (vgl. Vanini, Rieg 2021, S. 317ff.). Dies können beispielsweise Maßnahmen zur Risikovermeidung sein. So kann die Gefahr einer Gesundheitsschädigung der Kunden durch die Verwendung bedenklicher Zusatzstoffe wie Aluminium in Deodorants dadurch vermieden werden, dass auf den Einsatz dieser Bestandteile verzichtet <?page no="284"?> 284 8 Nachhaltiges Risikocontrolling wird. Oder ein Automobilhersteller kann das Risiko des Verkaufsverbots von Verbrennerfahrzeugen durch die Produktion elektrisch betriebener Fahrzeuge vermeiden. Die Risikoverminderung kann einem Unternehmen dadurch gelingen, dass es auf bedenkliche Zusatzstoffe zwar nicht komplett verzichtet, diese aber durch weniger kritische Zusatzstoffe ersetzt. Risiken von Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette können dadurch vermindert werden, dass Lieferanten regelmäßig überprüft werden. Risiken durch Verstöße gegen die Gleichbehandlung können durch Mitarbeiterschulungen vermindert werden und interne Überwachungssysteme können die Gefahr von Korruption begrenzen. Die Vorgabe von Verhaltensrichtlinien etwa beim Umgang mit Gefahrenstoffen oder mit vertraulichen Daten können ebenfalls zu einer Minderung von Risiken führen. Ein Risikotransfer ist durch den Abschluss von Versicherungen möglich. So können Schäden aus klimabedingten Naturkatastrophen durch Gebäudeversicherungen oder durch Betriebsunterbrechungsversicherungen gemindert werden. Die Gefahr einer unbeabsichtigten Schädigung von Stakeholdern kann durch Produkt- oder Umwelthaftpflichtversicherungen begrenzt werden. Können Risiken nicht vermieden werden, ist eine Risikovorsorge zu treffen. Dies können finanzielle Reserven sein, damit sich finanzielle Schäden nicht existenziell auswirken. Denkbar sind auch personelle Reserven, um bei vermehrten Krankheitsfällen Mitarbeiter nicht über Gebühr zu belasten. Nachhaltigkeitsrisiken erfordern kein neues Risikocontrolling und auch keine neuen Instrumente, sondern eine Erweiterung der zu steuernden Risiken. Nachhaltigkeitsrisiken sind integriert im bestehenden Risikomanagement und Risikocontrolling zu steuern. Kapitel 8: Erkenntnisse Aus der Nachhaltigkeit erwachsen den Unternehmen und den Stakeholdern vielfältige Risiken. Diese gefährden nicht nur die Existenz des Unternehmens, sondern sie vernichten auch Werte. Es ist daher ein Risikomanagement notwendig und die Controller müssen dieses durch ein Risikocontrolling wirksam unterstützen. Risiken sind Planabweichungen und Controller sind Experten für die Planung, für Abweichungsanalysen und für die Kommunikation von Erkenntnissen und Empfehlungen. Neben den der Compliance zuordenbaren Risiken sind diejenigen Risiken, die den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens beeinflussen, dem Kernbereich des Controllings zuzuordnen. Die Aufgaben erstrecken sich dabei von der Risikoidentifikation, der Risikobewertung, der Berichterstattung bis hin zur Steuerung der Risiken. <?page no="285"?> 9 Nachhaltigkeitsreporting Lernziele Die Leser ◼ sind sich der Bedeutung der Nachhaltigkeitskommunikation für das Management und für die Stakeholder bewusst und sie verfügen über einen Einblick in die praktische Umsetzung der Nachhaltigkeitskommunikation. ◼ kennen die Berichtspflichten und die bedeutsamsten Anforderungen an Nachhaltigkeitsberichte. ◼ verfügen über einen Einblick in das Integrated Reporting und kennen dessen Relevanz für eine integrierte Steuerung. ◼ sind mit den Aufgaben der Controller zur Erstellung von externen und internen Nachhaltigkeitsberichten vertraut. Durch die Vielgestaltigkeit der Nachhaltigkeit und der beteiligten Akteure erweist sich auch die Kommunikation über die Nachhaltigkeit als herausfordernd. Fasst man den Begriff der Nachhaltigkeitskommunikation sehr weit, ist darunter jede Kommunikationsmaßnahme zu verstehen, die Nachhaltigkeit zum Inhalt hat: Werbung, Pressemitteilungen, Social-Media-Aktivitäten, persönlicher Austausch mit Geschäftspartnern, interne Kommunikation mit Mitarbeitern sowie Nachhaltigkeitsberichte. Zielgruppen der Nachhaltigkeitskommunikation sind somit neben aktuellen 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.2 <?page no="286"?> 286 9 Nachhaltigkeitsreporting und potenziellen Kunden die Mitarbeiter sowie generell die Stakeholder bzw. die Öffentlichkeit. Im Controlling wird üblicherweise zwischen internen Berichten, den für die Entscheidungsträger bestimmten Managementreports, und den für die Stakeholder bestimmten externen Berichten unterschieden. Unter dem Begriff der Nachhaltigkeitsberichterstattung wird in der Praxis und in der Literatur in aller Regel die externe Berichterstattung verstanden. Der Nachhaltigkeitsbericht erweitert somit den ebenfalls für die Stakeholder bestimmten Geschäftsbericht, wobei er sich von diesem aber deutlich unterscheidet. Nachhaltigkeitskommunikation Nachhaltigkeitskommunikation lässt sich folgendermaßen definieren: „Unternehmerische Nachhaltigkeitskommunikation umfasst alle kommunikativen Handlungen über soziales und ökologisches Engagement sowie über die Zusammenhänge ökologischer, sozialer und ökonomischer Perspektiven in den drei Teilbereichen Marktkommunikation, Organisationskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, mit denen ein Beitrag zur Aufgabendefinition und -erfüllung in gewinnorientierten Wirtschaftseinheiten geleistet wird.“ (Brugger 2010, S. 3f.) Die Nachhaltigkeitskommunikation umfasst demnach: ◼ Kommunikation über ökologisches und soziales Handeln des Unternehmens ◼ Verständlich machen der Zusammenhänge ökologischer, sozialer und ökonomischer Inhalte ◼ Aufzeigen, welchen Beitrag das Nachhaltigkeitsmanagement zur Erreichung der strategischen und operativen Unternehmensziele leistet ◼ Aufzeigen, welchen gesellschaftlichen Beitrag das Unternehmen für die nachhaltige Entwicklung leistet ◼ Zielgruppen sind insbesondere Kunden, die Mitarbeiter des eigenen Unternehmens sowie die Öffentlichkeit Die Nachhaltigkeitskommunikation ist der Teil der Unternehmenskommunikation, der den inhaltlichen Fokus auf die Nachhaltigkeit legt. Wurde die Unternehmenskommunikation in den 1960er Jahren noch primär als Produktinformation für Kunden verstanden, die eine hohe Glaubwürdigkeit besaß, haben sich Inhalt, Zielgruppe und auch deren Bewertung seitens der Informationsempfänger deutlich gewandelt. Man spricht von einer integrierten Unternehmenskommunikation, Zielgruppen sind die Stakeholder, zur einseitigen Information kam der Dialog und statt nur über Produkte zu informieren sind heute umfassende Unternehmensbelange Inhalt. Unternehmen werden medial beobachtet und müssen sich einer kritischen Öffentlichkeit gegenüber erklären. Einher geht diese Veränderung mit einem gravierenden Wandel der Medienlandschaft und der Mediennutzung. Medien bilden nicht nur <?page no="287"?> 9.1 Nachhaltigkeitskommunikation 287 die Wirklichkeit ab, sondern konstruieren diese (vgl. Brugger 2010, S. 56ff.). Neben den klassischen Medien wie Werbeanzeigen, Unternehmensberichte oder Kundenveranstaltungen werden Plattformen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat), beziehungsstiftende Kanäle (z.B. Content-Marketing, Blogger-Relations, Audience- und Influencer-Mapping) und Online Marketing Tools (z.B. interaktive Werbung, Online- Targeting) genutzt (vgl. Kirf, Eicke, Schömburg 2018, S. 8). Es entstanden professionelle Kommunikationsabteilungen mit multimedialen Kompetenzen, die häufig in der obersten Unternehmensebene angesiedelt sind. Unternehmenskommunikation gilt heute als eine selbstverständliche Managementaufgabe. Die praktische Umsetzung der Nachhaltigkeitskommunikation erfolgt typischerweise in Form des Plan-Do-Check-Act-Zyklus (PDCA): Kommunikationsziele, etwa nach Zielgruppen, nach Inhalten bzw. Botschaften und der beabsichtigten Wirkung sowie Maßnahmen, wie Kommunikationskanäle und die Dialogform, werden geplant. Nach der Durchführung erfolgt ein Abgleich mit dem Ziel, woraus eine Anpassung der Maßnahmen oder der Ziele resultieren kann. Nachhaltigkeit behandelt Fragestellungen, die mittelbis langfristig von höchster Relevanz für die Menschheit sind, in den Massenmedien dominieren hingegen Ereignisse von aktueller und kurzfristiger Relevanz, die mehrmals täglich durch wiederum neue Meldungen verdrängt werden. Zudem ist die Nachhaltigkeit eine komplexe Angelegenheit, die sich wenig dafür eignet, simplifiziert und leicht verständlich dargestellt zu werden (vgl. Brugger 2010, S. 63ff.). Zwischen den medialen Voraussetzungen einer hohen Aufmerksamkeit und den Inhalten der Nachhaltigkeitskommunikation bestehen somit vielfältige Dissonanzen, die im Folgenden ‒ durchaus etwas pauschaliert ‒ dargestellt werden. typisch für die Nachhaltigkeit typisch für die Massenmedien vorwiegend zukunftsorientiert vorwiegend vergangenheitsorientiert komplexe, schwer verständliche Inhalte einfache, gut verständliche Inhalte interdisziplinär Ressortorientierung überwiegend mittelbis langfristige Relevanz überwiegend aktuelle und kurzfristige Relevanz Verhaltensänderungen und das Vorsorgeprinzip erfordern dauerhafte Präsenz und Sensibilität laufend wechselnde Themen von jeweils nur kurzer Dauer, schnelle Ermüdungseffekte Tabelle 9.1: Typische Ursachen für Dissonanzen zwischen Nachhaltigkeit und Medien (in Anlehnung an Fiedler 2007, S. 89) Zielgruppen der Nachhaltigkeitskommunikation Der Unternehmenswie auch der Nachhaltigkeitskommunikation werden zumeist drei Zielgruppen zugeordnet: die Kunden bzw. der Markt zur direkten Erfüllung des <?page no="288"?> 288 9 Nachhaltigkeitsreporting Unternehmenszwecks, die Mitarbeiter der eigenen Organisation und die für das Unternehmen relevante Gesellschaft, die Stakeholder (vgl. Brugger 2010, S. 79). Nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die wesentlichen Kommunikationsziele und Instrumente der drei Zielgruppen: Markt / Kunden Mitarbeiter Gesellschaft transaktionsorientiert aufgabenorientiert interaktionsorientiert externe Kommunikation mit Kunden interne Kommunikation externe Kommunikation mit Stakeholder Wirtschaftlichkeitsperspektive: Gewinnung von Kunden, Umsatz- und Gewinnsteigerung, Nachhaltigkeit als relevantes Kaufkriterium wirtschaftliche Perspektive sowie Schaffung von Vertrauen: Mitarbeiterzufriedenheit, Loyalität und Engagement, Employer Branding, gemeinsames Nachhaltigkeitsverständnis Schaffung von Vertrauen und Goodwill: Nachhaltigkeit zur Sicherung der License to operate, Risiken erkennen, Informationsrecht der Gesellschaft Kommunikation im Rahmen des Marketingmix (z.B. Product-Placement, Werbeanzeigen, Kundenzeitung, Eventmarketing, Online-Werbung, TV-Spot, Influencer-Marketing) interne Kommunikation (z.B. Mitarbeitergespräche, Teamsitzungen, Intranet, Mitarbeiterzeitschrift, Rundschreiben, Broschüren, Informationsveranstaltungen, Schulungen, Wikis, Blogs) Public Relations/ Öffentlichkeitsarbeit (z.B. Nachhaltigkeitsbericht, Stakeholderdialog, Pressearbeit, Homepage, Unternehmensdarstellung in sozialen Medien) Tabelle 9.2: Zielgruppen der Unternehmenskommunikation (in Anlehnung an Mast, Güller, Huck 2005, S. 37) Aus der Kombination der drei Zielgruppen mit den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit ergeben sich neun Felder, die mit Zielen und Maßnahmen ausgestaltet werden müssen (vgl. Brugger 2010, S. 86ff.). In der Tabelle ist für jedes Feld ein Beispiel genannt. Ökonomie Ökologie Soziales Markt/ Kunden Produktwerbung Information über die CO 2 - Produktbilanz Fairtrade-Siegel auf der Verpackung Mitarbeiter Kommunikation der Ergebniserwartungen Handlungsanweisungen zum Umgang mit Gefahrstoffen Information über Compliance- Richtlinien Stakeholder Veröffentlichung Geschäftsbericht Information über die Entwicklung der Emissionen im Nachhaltigkeitsbericht Veröffentlichung einer Sozialbilanz Tabelle 9.3: Beispiele für Kommunikationsmaßnahmen nach Zielgruppen <?page no="289"?> 9.1 Nachhaltigkeitskommunikation 289 Praxis der Nachhaltigkeitsberichte Nachhaltigkeitsberichte sind ein wesentlicher Bestandteil der Nachhaltigkeitskommunikation. Die meisten Unternehmen erstellen hierzu einen Printbericht und stellen diesen auf der Homepage als pdf zum Download zur Verfügung. Ein sozialer Austausch, der im Internet seit Jahren durch die große Bedeutung der sozialen Medien üblich ist, findet in der Regel nicht statt. Das Internet wird vielmehr wie noch zur Jahrtausendwende genutzt: eine große Anzahl detaillierter Daten wird statisch zur Verfügung gestellt. Dies entspricht kaum einer am Empfänger orientierten Kommunikation. Es erscheint wenig verwunderlich, dass Nachhaltigkeitsberichte nur von wenigen Experten gelesen werden. Eine breite Aufklärung der Stakeholder erfolgt hierdurch nicht. Das traditionelle Berichtswesen ist somit durch eine mangelnde Transparenz, durch einen fehlenden Dialog und durch den Verzicht auf ein aktives Beziehungsmanagement gekennzeichnet. Ein modernes Kommunikationsverständnis und die Einbindung in Social Media kann diese Schwächen beheben. Der Nachhaltigkeitsbericht ist im Vergleich zum Geschäftsbericht oftmals weniger einheitlich strukturiert und standardisiert, er ist weniger nüchtern, sondern benutzt eine bildhafte Sprache. Nicht selten stehen auch werbliche Aussagen im Vordergrund, die den Verdacht auf Greenwashing lenken. Es wird dann beispielsweise von der Erschließung neuer umweltfreundlicher Technologien, von einer Clean-Production- Philosophie, Clean-Car-Policies, von hoher Ressourceneffizienz, von der Attraktivität als Arbeitgeber und von der Gesundheitsförderung der Mitarbeiter gesprochen. Die Einordnung, ob hierbei jeweils bereits ein gutes Niveau erreicht wurde, ob das Unternehmen besser ist als der Wettbewerb, ob das Ergebnis den Vorstellungen der Stakeholder entspricht oder ob noch umfangreiche Potenziale zur Steigerung der Nachhaltigkeit bestehen, bleibt fraglich. Ebenso finden sich in Berichten umfangreiche Zahlenwerke zu teils sehr speziellen Indikatoren, die der Leser zumeist nicht beurteilen und einordnen kann. So dürften die Wenigsten mit der Information, dass in einem Fahrzeug 4% Elastomere und 2% Duromere enthalten sind, etwas anfangen. Ist dies ein herausragender Erfolg aufgrund jahrelanger Bemühungen oder gab es hierbei noch gar keine nennenswerten Aktivitäten? Ist der Einsatz dieser Materialien ökologisch bedenklich oder ist dies ökologisch irrelevant, da sie in einem Kreislaufkonzept eingebunden sind? Ebenso dürfte es schwer zu beurteilen sein, ob ein Anteil von 20% an Kunststoffrezyklaten in einem Auto als großer Erfolg zu werten ist oder ob eine Smartphone-App, die den Aufenthaltsort von Familienmitgliedern auf einer Karte zeigt, eine nachhaltige Mobilitätsleistung ist. Zwar gibt es konkrete Nachhaltigkeitsziele, die oft durch pauschale Prozentsätze oder Jahresziele (20% weniger CO 2 -Ausstoß, ab 2025 nur noch regenerativ gewonnene Energie nutzen, ...) beschrieben werden. Fast nie findet sich hierfür eine plausible Herleitung: Leisten diese Ziele einen wirksamen Beitrag hin zu einer nachhaltigen Entwicklung oder führen sie nur zu einer etwas weniger schnellen Schädigung? Nachhaltigkeitsberichte von zum Teil über 100 Seiten (Allianz 2021: 111 Seiten, BASF (Integrierter Bericht) 2021: 290 Seiten, BMW (Integrierter Bericht) 2021: 352 Seiten, <?page no="290"?> 290 9 Nachhaltigkeitsreporting Daimler 2021: 294 Seiten, Deutsche Bahn (Integrierter Bericht) 2021: 280 Seiten, RWE 2021: 139 Seiten, Siemens 2021: 172 Seiten) erwecken den Eindruck, dass ein Unternehmen umfassend nachhaltig engagiert ist, eine tatsächliche Bewertung des Erfolgs fällt aber schwer. Der Vergleich von Unternehmen auf der Basis einheitlicher Indikatoren ist nur eingeschränkt möglich. Ein genauer Blick auf zu vergleichende Unternehmen zeigt, dass sich Geschäftsfelder und Produkte, Produktionsweisen und die Wertschöpfungstiefe doch vielfach unterscheiden. Die Indikatoren werden auf verschiedene Arten gemessen und die hierbei vorliegenden Freiräume werden individuell genutzt. Für einen internationalen Vergleich kommen politische, gesellschaftliche und kulturelle Unterschiede noch hinzu. Die Standards, die Indikatoren und deren Messverfahren entwickeln sich permanent weiter. Die Europäische Union strebt eine Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsdaten wie bei den Finanzdaten an. Auf Basis international vereinheitlichter nachhaltiger Rechnungslegungsstandards, vergleichbar mit den International Financial Reporting Standards (IFRS), wären die Leistungen bewertbar und vergleichbar. Die Verantwortung für die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten ist in den Unternehmen unterschiedlich zugeordnet. Eine Erhebung von PwC aus dem Jahre 2022 führt zu folgenden verantwortlichen Abteilungen: Abb. 9.1: Verantwortliche Abteilungen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (Quelle: PwC 2022, S. 15) Die Nachhaltigkeitskommunikation war früher oftmals ein „Image-Thema“ und somit der Kommunikation oder Investor Relations zugeordnet. Mit zunehmenden Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung und damit auch an Daten steigt die Notwendigkeit, das Controlling und das Rechnungswesen einzubinden bzw. die Verantwortung der Berichterstattung an diese zu übertragen. Inhalte der Nachhaltigkeitsberichte Die Inhalte der Nachhaltigkeitsberichte ergeben sich einerseits aus den aus unternehmensinterner Sicht relevanten Informationen, andererseits aber auch durch von außen an das Unternehmen herangetragene Informationswünsche. Dementsprechend lassen sich zwei Ansätze unterscheiden: <?page no="291"?> 9.1 Nachhaltigkeitskommunikation 291 Inside-outvs. Outside-in-Ansatz Aus der internen Steuerung der Nachhaltigkeit werden Daten gewonnen, über die das Unternehmen berichtet. Es besteht die Erwartung, dass die Stakeholder die Berichte verstehen und dass ihre Informationswünsche befriedigt werden. Unternehmensintern definierte Ziele und Maßnahmen bilden somit die Basis der externen Berichterstattung. Die inhaltliche Ausgestaltung der Nachhaltigkeitsberichte orientiert sich am intern als relevant erachteten Informationsbedarf, weshalb diese Vorgehensweise als Inside-out-Ansatz bezeichnet wird. Sind hingegen die Informationswünsche der Stakeholder für die Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts maßgeblich, handelt es sich um den Outside-in-Ansatz. Der Bericht soll dafür sorgen, dass keine wesentlichen nachhaltigkeitsbezogenen Fragen der Stakeholder unbeantwortet bleiben. Eine hohe Transparenz und Glaubwürdigkeit sollen die „License to operate“ wahren. Sich im Zeitverlauf verändernde Informationsbedürfnisse der Stakeholder müssen durch entsprechende Anpassungen des Nachhaltigkeitsberichts berücksichtigt werden. „Während eine radikale Outside-in-Perspektive Gefahr läuft, der Beantwortung eines „Konzerts an Stakeholder-Wünschen“ zum Opfer zu fallen und strategisch bedeutende und ökonomisch wesentliche Aspekte zu vernachlässigen, schwächelt eine zu ausgeprägte Inside-out-Sichtweise an möglicher Betriebsblindheit und der Vernachlässigung der aus gesellschaftlicher Sicht wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen.“ (Schaltegger 2014, S. 29). Twin-Track-Ansatz Da die beiden Ansätze nicht ausreichen, den internen wie den externen Informationsbedarf zu befriedigen, bietet es sich an, diese miteinander zu verbinden. Hierbei spricht man vom Twin-Track-Ansatz. Mit diesem „Zwillingsansatz“ können sowohl externe als auch interne Informationsbedürfnisse befriedigt werden. Er sorgt für die Transparenz nach außen und kann intern zur Sicherstellung guter Entscheidungen genutzt werden. Den Stakeholdern werden weder Informationen nach dem Motto „nimm oder lass es bleiben“ aufgetischt, noch unterwirft sich das Unternehmen den Stakeholdern und erfüllt als „Laufbursche“ alle Wünsche (vgl. Brugger 2010, S. 169; Schaltegger 2014, S. 30). Die Erstellung von Berichten funktioniert nicht auf Knopfdruck, sondern stellt die Unternehmen vor zahlreiche Herausforderungen. Dazu zählen die mangelnde Datenqualität und vielfältige Datenquellen ebenso wie fehlende personelle Ressourcen und mangelndes Bewusstsein in den betroffenen Abteilungen. Die folgende Abbildung aus der BARC-Studie aus dem Jahr 2023 zeigt die Bedeutung der wichtigsten Herausforderungen: <?page no="292"?> 292 9 Nachhaltigkeitsreporting Abbildung 9.2: Herausforderungen bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung (Quelle: BARC 2023a, S. 32) Berichtspflichten Nachhaltigkeitsberichte werden von der Mehrheit der großen Unternehmen erstellt. So stellte etwa die KPMG in ihrer umfangreichen Studie „The KPMG Survey of Corporate Responsibility Reporting 2020“ (vgl. KPMG International 2020) fest, dass bei den jeweils 100 nach Umsatz größten Unternehmen aus 52 Ländern 80% einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen. Bei den 250 weltweit größten Unternehmen beträgt der Anteil 96%. Von den jeweils 100 größten Unternehmen in Nord- und Südamerika beträgt der Anteil derer, die über die Nachhaltigkeit berichten, 90%. Im asiatisch-pazifischen Raum beträgt die Quote 84% und in Europa 77%. Mit Ausnahme Europas haben sich die Quoten in allen Regionen in den letzten Jahren nochmals erhöht. Zwischen den Ländern gibt es teils deutliche Unterschiede. In einigen Ländern bestehen gesetzliche Pflichten zur Berichterstattung, teils wird den Vorgaben der Börsen nachgekommen oder es werden die Erwartungen internationaler Geschäftspartner erfüllt. Folgende Auswahl gibt einen Überblick darüber, wie viel Prozent der jeweils 100 größten Unternehmen in einem Land einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen. Mexico 100% Italien 86% Japan 100% Brasilien 85% Indien 98% Nigeria 85% USA 98% Schweiz 80% Spanien 98% China 78% Frankreich 97% Polen 77% Südafrika 96% Norwegen 77% Großbritannien 94% Österreich 74% Deutschland 92% Griechenland 59% Australien 92% Türkei 56% Niederlande 88% Saudi Arabien 36% Tabelle 9.4: Anteil der 100 größten Unternehmen eines Landes, die im Jahr 2020 einen Nachhaltigkeitsbericht erstellt haben (vgl. KPMG International 2020, S. 13ff.) Abb. 9.2 20% 21% 22% 23% 27% 29% 32% 36% 42% unklare Definition von KPIs unzureichende Software-Unterstützung unklare Definition der Anforderungen Zeitdruck mangelndes Interesse in den Abteilungen zu viele manuelle Aufgaben Mangel an Ressourcen zu viele verschiedene Datenquellen mangelnde Datenqualität sowie Zuverlässigkeit <?page no="293"?> 9.2 Berichtspflichten 293 Betrachtet man nicht nur die 100 größten Unternehmen eines Landes, nimmt der Anteil der über Nachhaltigkeit berichtenden Unternehmen rapide ab. Die EU-Kommission bemängelte 2016 etwa, dass von den 42.000 größten europäischen Unternehmen nicht einmal 10% über die Nachhaltigkeit berichten (vgl. European Commission 2016). Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sind ab 2024 jedoch deutliche Steigerungen zu erwarten. Rund 50.000 Unternehmen in der Europäischen Union sind dann verpflichtet, über die Nachhaltigkeit zu berichten - und zwar nicht in einem gesonderten Nachhaltigkeitsbericht, sondern im Lagebericht innerhalb des Geschäftsberichts. Zudem müssen die Nachhaltigkeitsinformationen unabhängig geprüft werden (vgl. die regulatorischen Anforderungen in Kapitel 2.4). Anforderungen an Nachhaltigkeitsberichte Nachhaltigkeitsberichte richten sich an folgenden Anforderungen aus: [a] gesetzliche Vorgaben bzw. Vorgaben von Aufsichtsbehörden [b] im Stakeholderdialog formulierte Informationsbedürfnisse [c] freiwillige Standards für das Nachhaltigkeitsreporting [d] Anforderungen der Prüforganisationen (z.B. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Auditierungsgesellschaften, ...) zu [a] Gesetzliche Vorgaben und Vorgaben von Aufsichtsbehörden Seit 2006 sind in Deutschland Unternehmen, die einen Geschäftsbericht veröffentlichen müssen, verpflichtet, im Lagebericht über die Nachhaltigkeit zu informieren, sofern Entwicklungen in Bezug auf die Mitarbeiter und auf die Umwelt für den Erfolg des Unternehmens relevant sind (HGB §§ 289, 315). Im Jahre 2014 haben das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten der EU die Richtlinie zur Offenlegung nicht-finanzieller Informationen beschlossen. Ziel war die Steigerung der Transparenz über ökologische und soziale Aspekte der Unternehmen innerhalb der EU. Unternehmen ab 500 Mitarbeiter, bei denen ein öffentliches Interesse besteht, mussten ab 2017 über nachhaltigkeitsrelevante Inhalte berichten. Neben börsennotierten Unternehmen betraf dies insbesondere Finanzdienstleister und Versicherungen. Europaweit waren hiervon 6.000 Unternehmen betroffen. In Deutschland wurde die Richtlinie durch das CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) in nationales Recht übertragen. Die Berichtspflicht erstreckte sich auf die Unternehmensstrategie, auf mitarbeiterbezogene Risiken, auf ökologische und soziale Risiken, auf die Korruptionsbekämpfung sowie auf die Wahrung der Menschenrechte. Bei der Form der Umsetzung dieser Berichtspflicht bestanden weitreichende Freiheiten. Über die direkt berichtspflichtigen Unternehmen hinaus waren über die Beschaffungs- und Wertschöpfungsketten hinweg auch Zulieferer hiervon betroffen. Bei einer an der Nürtinger Hochschule durchgeführten Erhebung mit einer Stichprobe von 37 Unternehmen hatten rund zwei Drittel, der von CSR-RUG betroffenen <?page no="294"?> 294 9 Nachhaltigkeitsreporting Unternehmen auch schon vor 2017 über die Nachhaltigkeit berichtet. Für etwa ein Drittel war das Gesetz aber Anlass, dies erstmals zu tun. Knapp die Hälfte der Unternehmen bestätigte, dass seither umfangreicher über Nachhaltigkeit berichtet wird. Der Aufwand zur Erstellung des Berichts wurde mehrheitlich als hoch im Vergleich zur bisherigen Berichterstattung beschrieben. Insbesondere schienen sich zahlreiche Unternehmen damit schwer zu tun, die notwendigen Nachhaltigkeitskennzahlen zeitnah zu ermitteln. Aufgrund anfänglich notwendiger Klärung von Inhalten und Prozessen dürfte der Aufwand mit der Zeit aber geringer werden. Bei über 80% der befragten Unternehmen führte die Berichtspflicht zu einer intensiveren Beschäftigung mit der Nachhaltigkeit sowie zu einer erhöhten Aufmerksamkeit in der Unternehmensleitung und in den Aufsichtsgremien, was sich durch die Prüfpflicht und die Haftung erklärt. Einzelne Unternehmen berichteten gar, dass die Nachhaltigkeit hierdurch unternehmensweit stärker wahrgenommen wurde und nicht mehr nur als eine Aufgabe des betrieblichen Umweltschutzes galt. Insgesamt überwog aber die Skepsis, ob das Gesetz die Nachhaltigkeit spürbar fördert. In den letzten Jahren wurden, insbesondere durch die Europäische Union, verschiedene regulatorische Anforderungen erlassen. Diese wurden bereits in Kapitel 2.4 vorgestellt, weshalb sie hier nur sehr kurz beschrieben werden. Bereits bei der Einführung des CSR-RUG wurde erwartet, dass die Anforderungen zukünftig verschärft und der Kreis berichtspflichtiger Unternehmen erweitert würden. Dies erfolgt seit 2024 mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) als Nachfolger der CSR-RUG. Die CSRD gilt für alle großen Unternehmen, womit sich, wodurch sich die Anzahl berichtspflichtiger Unternehmen vervielfacht. Im Lagebericht ist über nachhaltigkeitsrelevante Wirkungen des Unternehmens (Inside-out) und über die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsthemen auf das Unternehmen (Outside-in) zu berichten. Diese doppelte Wesentlichkeit erweitert den Umfang berichtspflichtiger Inhalte deutlich. Im Jahr 2022 die EU-Taxonomie in Kraft getreten. Hiernach müssen Unternehmen ausweisen, zu welchem Anteil der Umsatz, die Investitionen und die operativen Betriebsausgaben als nachhaltig zu kategorisieren sind. Kapitalanlegern soll damit Transparenz verschafft werden, um nachhaltige Geldanlagen zu ermöglichen. Schließlich führt auch das Lieferkettengesetz zu erweiterten Berichtspflichten. Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten sind seit 2024 verpflichtet, ein Risikomanagement einzurichten, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen in der Lieferkette zu identifizieren und zu vermeiden. Hierüber ist ebenfalls zu berichten. zu [b] Im Stakeholderdialog formulierte Informationsbedürfnisse Die Nachhaltigkeitsziele der Stakeholder wurden in Kapitel 2.3 behandelt und die Organisation und Durchführung des Stakeholderdialogs und der Wesentlichkeitsanalyse erfolgten in Kapitel 4.3 und 4.4. <?page no="295"?> 9.2 Berichtspflichten 295 zu [c] Freiwillige Standards für das Nachhaltigkeitsreporting Der weltweit am häufigsten genutzte freiwillige Berichtsstandard ist der GRI (Global Reporting Initiative), seit 2018 in der Version des GRI-Standards und ab 2023 in der Version des Universal Standards. Von den jeweils 100 größten Unternehmen eines Landes nutzen diesen Standard 77% aller Unternehmen. Bei den 250 weltweit größten Unternehmen sind dies 84%. Bei dieser Dominanz kann man von einem Defacto-Standard sprechen, der sich weltweit durchgesetzt hat (vgl. KPMG International 2020, S. 25). Die Inhalte des GRI wurden bereits in Kapitel 2.5.1 vorgestellt, auf das hier verwiesen wird. Der noch sehr junge und nicht abschließend entwickelte Standard zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung IFRS S wurde in Kapitel 2.4.3 vorgestellt, auf den hier verwiesen wird. Aus der Kritik, dass Investoren, Finanzanalysten und Kreditgeber sowohl aus dem Lagebericht als auch aus den herkömmlichen Nachhaltigkeitsberichten nur unzureichend die für sie relevanten Informationen finden, wurden von der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) mit den ESG-KPI eigene Schlüsselkriterien für die Nachhaltigkeit entwickelt. Mit Hilfe dieses Kriterienkatalogs sollen Chancen und Risiken erkannt werden, die einen Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben. Die ESG-KPI sind relevant, wenn Finanzanalysten für das Unternehmen bedeutsam sind und diese mit geeigneten Informationen versorgt werden sollen. Der Standard ist online verfügbar (vgl. Kapitel 6.5.1). Die folgende Abbildung zeigt eine von BARC durchgeführte Befragung von über 260 überwiegend großen Unternehmen in Europa und Nordamerika zu den zukünftig verwendeten ESG-Berichtsstandards im Jahr 2023. Sie verdeutlicht die erwartete zukünftige Bedeutung der Standards und den Unterschied zwischen Europa und Nordamerika. Abb. 9.3: Zukünftig verwendeter ESG-Berichtsstandard in Europa und Nordamerika (Quelle: BARC 2023a, S. 19) <?page no="296"?> 296 9 Nachhaltigkeitsreporting zu [d] Anforderungen der Prüfgesellschaften Insbesondere die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben die Prüfung von Nachhaltigkeitsberichten, die sogenannte Assurance, als neues Tätigkeitsfeld entdeckt. Obwohl es erst mit Gültigkeit des CSRD eine Prüfungspflicht gibt, lassen diesen 51% der jeweils 100 größten Unternehmen eines Landes prüfen, bei den weltweit größten 250 Unternehmen sind dies 71%. In 9 von 10 Fällen erfolgt die Prüfung durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Ziel der Prüfung ist neben der Verbesserung der internen Prozesse, die Steigerung der Glaubwürdigkeit gegenüber den Stakeholdern (vgl. KPMG International 2020, S. 23). Ab dem Jahr 2026 müssen gemäß CSRD die Nachhaltigkeitsberichte mit begrenzter Sicherheit (limited Assurance) und ab 2028 mit der strengeren, hinreichenden Sicherheit (reasonable Assurance) geprüft werden. Hierbei werden die Prozesse, die IT-Systeme, das interne Kontrollsystem und die Qualität der Berichte überprüft (vgl. Lösken, Sailer 2023, S. 12). Integrated Reporting Geschäftsbericht + Nachhaltigkeitsbericht = Integrated Reporting? - Nein, Integrated Reporting ist weit mehr als die gemeinsame Veröffentlichung zweier bisher getrennter Berichte. Die Integration bezieht sich auf die Inhalte, auf die vernetzten Beziehungen ökonomischer, ökologischer und sozialer Faktoren sowie die Steuerung und Erfolgsmessung innerhalb dieses vernetzten Systems und keinesfalls nur auf das äußere Format. „Integrated Reporting möchte zugleich das traditionelle ‚Silo‘-Denken, d.h. die isolierte Betrachtung einzelner Themengebiete und die damit verbundene separate Berichterstattung per Finanzbericht, Nachhaltigkeitsbericht, Umweltbericht etc. aufbrechen. Integrated Reporting ist letztlich auch ein Gradmesser dafür, wie stark der Gedanke des ‚Integrated Thinking‘ in den Unternehmen verankert ist.“ (Ernst & Young 2012, S. 6) Seit mehreren Jahren veröffentlichen einige Unternehmen sogenannte „Integrierte Berichte“, die ökonomische, ökologische und soziale Sachverhalte in einem Bericht vereinen. Hierdurch wird der Entwicklung Rechnung getragen, dass gesellschaftliche und ökologische Aspekte zunehmend Einfluss auf den Unternehmenserfolg und den Unternehmenswert nehmen und der traditionelle Geschäftsbericht hierüber nur unzureichend informiert. Wenn in der Wesentlichkeitsanalyse Ziele aller drei Nachhaltigkeitsdimensionen als wesentlich erachtet werden, sind diese in der Steuerung zu verankern und die Stakeholder sind hierüber zu informieren. Integrierte Nachhaltigkeitsziele führen somit zu einer integrierten Steuerung und diese führt zu einer integrierten Berichterstattung. Eine getrennte Berichterstattung in Form eines Geschäfts- und eines Nachhaltigkeitsberichts scheint allenfalls eine Übergangslösung zu sein, solange die Nachhaltigkeit auch noch getrennt von der Ökonomie gesteuert wird und solange die ökonomischen Ziele höher gewichtet werden. Die KPMG-Studie aus dem Jahr 2020 ergab, dass 22% der 250 weltweit größten Unternehmen ihren Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht zu einem integrierten Bericht <?page no="297"?> 9.2 Berichtspflichten 297 zusammengefasst haben. In Deutschland sind beispielsweise die BASF (seit 2011), SAP (seit 2012), Bayer (seit 2013) sowie die Deutsche Bahn und die EnBW (seit 2014) zu nennen. Beispiel BASF „In unserem integrierten Unternehmensbericht verbinden wir Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung. Wir zeigen auf, wie wir uns als Unternehmen weiterentwickeln und wie wir durch unser Handeln Wert für unsere Stakeholder schaffen.“ Quelle: BASF SE: BASF-Bericht 2021, in: https: / / bericht.basf.com/ 2021/ de/ , Abruf: 19.06.2022. International Integrated Reporting Council Maßgeblicher Treiber des „Integrated Reporting“ ist das 2010 gegründete International Integrated Reporting Council (IIRC). Mitglieder sind die bedeutenden Standardsetzer der Rechnungslegung, derNachhaltigkeitsberichterstattung, die vier weltweit größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und mehrere Konzerne. Diese große Bandbreite an Initiatoren ist zugleich Ausdruck einer großen Unzufriedenheit mit der bestehenden Berichtspraxis. Im Dezember 2013 wurde das Rahmenwerk zur integrierten Berichterstattung (IIRC 2013) verabschiedet. Das IIRC nennt folgende Ziele: ◼ Verbesserung der Qualität der Informationen für Kapitalgeber, um eine bessere Kapitalallokation zu ermöglichen. ◼ Förderung eines verständlichen und effizienten Berichtswesens, das alle den Unternehmenswert beeinflussenden Faktoren berücksichtigt. ◼ Stärkung der Rechenschaftspflicht und Verantwortung für das eingesetzte Kapital (Finanzkapital, Produktionskapital, intellektuelles Kapital, Humankapital, Sozialkapital, Naturkapital). ◼ Förderung eines integrierten Denkens und Handelns in Bezug auf kurz-, mittel- und langfristige Wertschöpfung. (vgl. IIRC, in: https: / / integratedreporting.ifrs.org/ the-iirc-2/ , Abruf: 29.02.24) Umsetzung des Integrated Reportings Der IIRC strebt eine neue Qualität der Unternehmensberichterstattung an. Der Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht soll nicht summarisch zusammengeführt werden, sondern es wird mit der auf Quantität ausgerichteten Berichterstattung in Form detaillierter Finanz- und ESG-Kennzahlen gebrochen. Es wurde die Idee entwickelt, auf 30 Seiten alle bedeutsamen Informationen zu einem Unternehmen darzustellen. Hierin sollen die Geschäftsentwicklung, die ökonomischen, ökologischen und sozialen Leistungen sowie wesentliche Chancen und Risiken aufgeführt werden. Durch die integrierte Berichterstattung sollen die Stakeholder, insbesondere die Kapitalgeber, besser informiert werden als durch mehrere, umfangreiche und sachlich <?page no="298"?> 298 9 Nachhaltigkeitsreporting voneinander getrennte Berichte. Es werden die Wechselwirkungen zwischen den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit deutlich und es können sowohl langfristige Entwicklungen, die beispielsweise für die Aktionäre oder auch für die Gesellschaft insgesamt relevant sind, als auch kurzfristige Entwicklungen, wie sie für die periodische Ergebniserzielung oder auch für die Liquiditätssicherung wichtig sind, beurteilt werden. Finanzielle und nichtfinanzielle Leistungsindikatoren werden hierfür miteinander verknüpft, um die Erfolgsfaktoren des Geschäftsmodells zu erkennen. Damit sichert ein integrierter Bericht die License to operate, da kurz- und langfristig der wirtschaftliche Erfolg, der ökologische Fußabdruck, die Sozialbilanz, die wesentlichen Nachhaltigkeitsziele und die Maßnahmen verständlich dargestellt werden. Die integrierte Berichterstattung wird auch durch die Akteure der finanziellen Rechnungslegung, wie dem IFRS und der US-GAAP, befürwortet. Ausgangspunkt ist das Ziel, informative Berichte zu erstellen, die zu einer Zusammenführung von Geschäftsbericht, Nachhaltigkeitsbericht, Vergütungsbericht, Lagebericht, ... führen. Der langfristige Erfolg des Geschäftsmodells, die Strategie und die zukünftigen Chancen und Risiken können nicht allein auf der Basis von Finanzkennzahlen beurteilt werden. Ein integrierter Bericht muss auch konform zu den Rechnungslegungsstandards sein, um den traditionellen Geschäftsbericht zu ersetzen. Die umfangreiche Beteiligung von Organisationen der Rechnungslegung, der Nachhaltigkeitsberichterstattung, Prüfgesellschaften, Unternehmen und Wissenschaft stellt somit eine geeignete Basis dar, um eine neue Art der Berichterstattung zu etablieren. Abb. 9.4: Value Creation Process (Quelle: eigene Darstellung, angelehnt an: International Integrated Reporting Committee IIRC 2013, S. 13) <?page no="299"?> 9.2 Berichtspflichten 299 Die Erweiterung des Blicks über den finanziellen Erfolg hinaus, geschieht durch die Ergänzung um zusätzliche Kapitalarten, die insgesamt als ein „Wertspeicher“ betrachtet werden können. Neben dem Finanzkapital, das traditionell im Mittelpunkt der Steuerung und Berichterstattung steht, werden fünf weitere Kapitalarten genannt: ◼ Finanzkapital (finanzielle Mittel des Unternehmens) ◼ Produktionskapital (physische Objekte im Wertschaffungsprozess) ◼ intellektuelles Kapital (wissensbasierte, immaterielle Vermögensgegenstände) ◼ Humankapital (Kompetenzen, Fähigkeiten, Erfahrungen der Mitarbeiter) ◼ natürliches Kapital (regenerative und nichtregenerative Umweltfaktoren) ◼ Sozialkapital (förderliche Gemeinschaft) Diese Kapitalarten erweitern den finanzorientierten Blick und integrieren die ökologische und die soziale Perspektive der Nachhaltigkeit. Dabei fördern sie auch einen differenzierten, längerfristig ausgerichteten, strategischen Blick auf das Geschäftsmodell. Die Kapitalarten stellen den Input für ein Unternehmen dar und zugleich lässt sich durch die Veränderungen der verschiedenen Kapitalarten auch der Erfolg messen. Der Erfolg bezieht sich auf alle Kapitalarten und nicht nur auf die finanziellen Größen. Die Wertschaffung erfolgt durch die Ausgestaltung des Geschäftsmodells. Zwischen den Kapitalarten bestehen vielfältige Wirkungszusammenhänge, deren Kenntnis, insbesondere im zeitlichen Verlauf, für die Steuerung der Geschäftsaktivitäten fundamental ist. Schließlich beschränkt sich das Selbstverständnis des IIRC nicht darauf, einen besseren Bericht zur Verfügung zu stellen. Der Bericht soll auch ein Nachweis dafür sein, ob ein Unternehmen integrativ geführt wird, ob also das Management die Komplexität der Wertschaffung versteht und ob dies in die Unternehmensentscheidungen einfließt. Diese Fähigkeit wird als „Integrated thinking“ bezeichnet. Die Verknüpfung zwischen „Integrated reporting“ und „Integrated thinking“ verdeutlicht, dass das Ziel nicht nur ein neuer Bericht ist, sondern dass hiermit eine veränderte, integrierte Form der Unternehmensführung angestrebt wird (vgl. IIRC 2011, S. 6). Auch der Internationale Controller Verein hat die Konzeption der Kapitalarten und des Value Creation Processes in sein Diskussionspapier „Moderne Wertorientierung“ übernommen und schlägt dieses als Weiterentwicklung der finanzlastigen Shareholder-Value- Orientierung in der Unternehmensführung vor (vgl. Internationaler Controller Verein 2015a). Das Rahmenwerk IIRC 2013 erfuhr aber auch Kritik. So erscheint es fraglich, ob die international unterschiedlichen und häufig sehr detaillierten Berichtsanforderungen harmonisiert und vom Umfang her gekürzt werden können. Es fehlen objektive Kriterien, wie die relevanten Inhalte ausgewählt werden. Damit besteht die Gefahr, dass nachteilige Informationen als unwesentlich beurteilt und nicht veröffentlicht werden. Es fehlen zudem genaue Vorgaben für Kennzahlen und Bewertungsmethoden. Kritisiert wurde zudem die starke Ausrichtung an den Informationsbedürfnissen der Kapitalgeber, was im IIRC selbst auch als Ziel genannt wird. Andere gesellschaftliche <?page no="300"?> 300 9 Nachhaltigkeitsreporting Gruppen werden hierdurch vernachlässigt. Seitens des IIRC ist dies dem Pragmatismus geschuldet, dass man eben mit einer Interessengruppe starten müsse und man dies in den Folgejahren sukzessive erweitern könne. Es wird daher zum Teil die Meinung vertreten, dass ein integrierter Bericht den Nachhaltigkeitsbericht noch nicht ersetzen könne (Peters 2014, S.35). Ein solcher Wandel des Berichtswesens hat auch unmittelbare Auswirkungen auf das Controlling. Wenn es eine integrierte Steuerung und einen integrierten Bericht gibt und somit ein „Integrated Thinking“ vorherrscht, gibt es auch nur noch ein integriertes Controlling. Eine Aufteilung in eine wirtschaftliche und in eine nachhaltigkeitsorientierte Unternehmenssteuerung ist damit hinfällig. Ausblick Im Jahr 2022 wurde der Träger des Integrated Reportings in die IFRS-Foundation integriert. Die IFRS-Foundation hat ein Jahr zuvor mit der Gründung des ISSB (International Sustainability Standards Board) selbst die Entwicklung internationaler Nachhaltigkeitsberichtsstandards, den IFRS S, angestoßen (vgl. Kapitel 2.4.3). Welche Rolle das Integrated Reporting bei der Entwicklung der IFRS S zukünftig spielen wird, ist noch ungewiss. Beide Ansätze sind sich zwar ähnlich darin, Kapitalgebern entscheidungsrelevante Informationen zu liefern und finanzielle mit nichtfinanziellen Informationen zu verbinden. Doch gibt es auch Unterschiede. Integrated Reporting fußt auf der umfassenden Betrachtung der Wertschöpfung, wohingegen IFRS S den Unternehmenswert und die Chancen und Risiken durch die Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt. (vgl. van Wyk, Els 2023, S. 5ff.) Die CSRD ist seit 2024 für große kapitalmarktorientierte Unternehmen gültig und wird schrittweise für weitere Unternehmenskategorien eingeführt. Die EFRAG und GRI streben an, ihre Standards möglichst zu vereinheitlichen und damit die Transparenz zu erhöhen. Ein großer Teil der Unternehmen wird voraussichtlich die Berichterstattungspflichten nach CSRD erfüllen und darüber hinaus keine weiteren Berichtsstandards nutzen. Bei einer Befragung des Internationalen Controller Vereins im Jahr 2022 sagten nur 14% der Unternehmen, dass sie zusätzlich auch nach GRI berichten werden. 63% der Unternehmen beabsichtigen ausschließlich nach CSRD zu berichten. (vgl. Internationaler Controller Verein 2022, S. 27) Verschiedene weitere Kooperationen werden die Landschaft der Nachhaltigkeitsstandards auch zukünftig prägen. Dabei differiert ein US-amerikanisch geprägter, am Kapitalmarkt ausgerichteter Nachhaltigkeitsstandard (IFRS mit der Unterstützung des SASB-Standards) vom europäischen Multistakeholderansatz (EFRAG mit der Unterstützung der GRI-Standards). Beide Ansätze unterscheiden sich deutlich vom Verständnis der Nachhaltigkeit, was sich im Spannungsfeld von Share- und Stakeholderorientierung widerspiegelt. <?page no="301"?> 9.3 Managementreports 301 Managementreports Über welche nachhaltigkeitsrelevanten Inhalte im internen Managementreport zu berichten ist, wird im Rahmen des operativen Nachhaltigkeitscontrollings entschieden. Durch die Integration der Nachhaltigkeit in die Controlling-Regelprozesse wurden Nachhaltigkeitsziele benannt und in einem operativen Steuerungsbzw. Kennzahlensystem integriert. Die Zielerreichung wird gemessen, mit dem Plan abgeglichen und anschließend wird über diese intern berichtet. Die Erfassung der nachhaltigkeitsrelevanten Daten ist unterschiedlich schwer und aufwendig. Daher ist bei der Entscheidung für eine Kennzahl und für ein Messverfahren darauf zu achten, dass diese regelmäßig ermittelt werden muss und die Infrastruktur und die Ressourcen hierfür zur Verfügung stehen. Die automatisiert erfassbaren Daten, also vor allem die Daten aus dem Rechnungswesen, werden zumeist im monatlichen Rhythmus als Managementreports den Entscheidungsträgern zur Verfügung gestellt. Dies gilt gleichfalls für nachhaltigkeitsrelevante Daten, die im Rechnungswesen erfasst werden (z.B. Gehaltszahlungen, Umsatzanteile für nachhaltige Produktlinien, Kosten aus Arbeitsunfällen, ...). Bei eher einfach messbaren Nachhaltigkeitskennzahlen, die aber nicht im Rechnungswesen generiert werden, wie beispielsweise der Energie- oder Wasserverbrauch, die CO 2 -Emissionen, die Anzahl an Arbeitsunfällen oder die Anzahl an Beschwerdeverfahren, kann ebenfalls durchaus eine monatliche Berichterstattung erfolgen. Zeitnahe Informationen haben den Vorteil, dass Ursache-Wirkungszusammenhänge besser erkannt und somit auch rasch Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Wenn der Energieverbrauch erst jüngst angestiegen ist, lässt sich die Ursache hierfür in der Regel finden. Inhaltlich überzeugende, dafür aber aufwendige und deshalb nur selten durchgeführte Messungen enttäuschen, wenn aus diesen nur wenig gelernt werden kann und sie deshalb auch nur einen geringen Wert für zukünftige Entscheidungen bieten. Es besteht ein ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis. Der Trade-off zwischen einfachen und schnell messbaren Ergebnissen, die die Nachhaltigkeit möglicherweise nur unvollständig messen, und aufwendigen und deshalb selten durchgeführten Messverfahren auf der anderen Seite, sollte deshalb bedacht werden. Entscheidend für die Auswahl von Kennzahlen und Messverfahren ist ein günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis. Das theoretisch überzeugendere Konzept muss keinesfalls auch für die Praxis hilfreich sein. Der Aufbau von automatisierten Regelprozessen, einer standardisierten Umweltkostenrechnung und eines Social Accounting befördern eine schnellere und wenig aufwendige Ergebnismessung. Sofern also Methoden entwickelt und eine geeignete IT- Infrastruktur erstellt wurde, lassen sich auch umfangreichere und bedeutsamere Kennzahlen ermitteln. Die nachhaltigkeitsbezogenen Inhalte in den Managementreports werden daher parallel zu den zunehmenden Kompetenzen im Nachhaltigkeitscontrolling inhaltlich wertvoller, zugleich aber automatisiert ermittelt. <?page no="302"?> 302 9 Nachhaltigkeitsreporting Controlleraufgaben Die interne Nachhaltigkeitsberichterstattung erfolgt im Rahmen etablierter Controlling-Prozesse, womit auch die Controller-Tätigkeiten vergleichbar sind. Bei der externen Berichterstattung ist eine enge Verzahnung mit dem Controlling notwendig. Aus den regulatorischen Anforderungen lassen sich verschiedene Aufgaben ableiten. Nach der EU-Taxonomie sind die Anteile des Umsatzes, des Unternehmensergebnisses, der Investitionen und der Betriebsausgaben anzugeben, die als nachhaltig beurteilt werden. Diese Angaben sind nur möglich, wenn die betriebswirtschaftlichen und die ökologischen Daten integriert betrachtet werden. Idealerweise werden Umsätze, Investitionen und Betriebsausgaben bereits buchhalterisch gemäß ihrer Nachhaltigkeitskonformität kategorisiert. Gemäß dem Lieferkettengesetz muss über identifizierte Risiken und deren Auswirkungen berichtet werden. Dies schließt betriebswirtschaftliche Bewertungen mit ein, etwa wie sich Risiken auf Geschäftsprozesse, auf die Unternehmensergebnisse oder auf die Liquidität auswirken. Die doppelte Wesentlichkeit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) erfordert zur Definition der Wesentlichkeit eine betriebswirtschaftliche Bewertung der Auswirkungen auf das Unternehmen. Es muss beispielsweise eine Einschätzung erfolgen, wie sich der Klimawandel auf die Rohstoffversorgung, auf die Produktion und auf den Absatz auswirkt. Mittels Szenarien werden wirtschaftliche Auswirkungen transparent und Gegenmaßnahmen können bewertet werden. Ein zeitnahes und weitgehend automatisiertes Reporting erfordert eine systematische, vereinheitlichte und zentralisierte Datenhaltung. In der PwC-Studie aus dem Jahre 2022 teilen 61% der befragten Unternehmen mit, dass sie über noch keine standardisierten Prozesse zur Lieferung nichfinanzieller Daten verfügen (vgl. PwC 2022, S. 29). Neben der Data Governance und einer geeigneten Ausstattung mit IT-Systemen müssen ökonomische, ökologische und soziale Daten in einer Business-Intelligence- Software integriert werden. Damit liegen die Daten in der Verantwortung des Controllings an einer Stelle und können so qualitätsgesichert ausgewertet werden. „Ein Planungs- oder Reporting Prozess unterscheidet sich nicht dadurch, dass zusätzlich zu den financials auch non-financials einbezogen werden. Die Instrumente und Abläufe sind gleich und müssen nur um nachhaltige Aspekte erweitert werden“ (Maron 2021). Daraus lassen sich entweder statische Berichte im pdf-Format generieren, oder es werden interaktive Dashboard-Lösungen wie Tableau oder Power BI genutzt. Diese Self-Service Tools erlauben in einem definierten Umfang eine internetbasierte Sichtung und Auswertung von Daten durch das Management in Echtzeit. Die Organisation der Datenbereitstellung liegt in der Verantwortung des Controllings. „Die steigenden Anforderungen von Stakeholdern und insbesondere die kontinuierliche Verschärfung der gesetzlichen Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung zeigt die Notwendigkeit auf, Nachhaltigkeitsziele systematisch in die Unternehmens- <?page no="303"?> Kapitel 9: Erkenntnisse 303 führung und -steuerung zu integrieren. Rechnungswesen und Controlling können dabei eine bedeutende Rolle übernehmen. Die Unterstützung der Unternehmensleitung bei der Steuerung, Bewertung und Kontrolle wirtschaftlicher Prozesse ist eine Kernaufgabe des Controllings. Hier bietet sich an, diese bisher weitestgehend auf den finanziellen Bereich beschränkte Funktion auf die Nachhaltigkeitsleistung des Unternehmens auszuweiten.“ (Quelle: Lühn u.a. (2022), S. 29) Kapitel 9: Erkenntnisse Nachhaltigkeitsberichte werden aufgrund regulatorischer Anforderungen zukünftig noch weiter an Bedeutung gewinnen, insbesondere weitet sich der Kreis berichtender Unternehmen von großen Konzernen auf mittelständische Unternehmen aus. Dabei verzahnen sich ökonomische, ökologische und soziale Inhalte zusehends. Zudem ist der Blick nicht nur auf das Unternehmen zu richten, sondern auch auf die Wirkungen auf Stakeholder. Der Berichtsstandard GRI hat sich als „Quasi-Standard“ durchgesetzt und wird weiterhin bedeutsam sein. Zukünftig ist mit einer Verschmelzung von finanzorientierten und nachhaltigkeitsorientierten Berichtsstandards zu rechnen. Zudem scheint sich die Vielfalt der Berichtsstandards mittelfristig zu vereinheitlichen. Durch die Bedeutungszunahme der externen Berichterstattung erwächst auch der Bedarf, in Managementreports über Nachhaltigkeit zu berichten. Dies ist Aufgabe der Controller. Aber auch aus der externen Berichterstattung erwachsen zunehmend Aufgaben für Controller, da durch die EU-Taxonomie Geschäftsvorfälle danach differenziert werden müssen, ob sie nachhaltig sind oder nicht. <?page no="305"?> 10 Green Finance Lernziele Die Leser ◼ kennen die Bedeutung der ESG für den Finanzmarkt. ◼ können die verschiedenen Instrumente der Green Finance unterscheiden und sind sich der inhaltlichen Anforderungen bewusst. ◼ sind mit den wichtigsten Aufgaben der Controller vertraut, die für eine grüne Finanzierung notwendig sind. ESG im Finanzbereich „Im Finanzmarkt besitzt Nachhaltigkeit mittlerweile eine hohe Relevanz. Wenn bestimmte Kriterien nicht erfüllt sind, findet überhaupt kein Investment mehr statt.“ (Alexander Birken, Vorstandsvorsitzender Otto Group) „Im Finanzmarkt besitzt Nachhaltigkeit mittlerweile eine hohe Relevanz. Wenn bestimmte Kriterien nicht erfüllt sind, findet überhaupt kein Investment mehr statt.“ (Alexander Birken, Vorstandsvorsitzender Otto Group) Im Umfeld der Finanzierung wird Nachhaltigkeit in der Regel mit dem Akronym ESG gleichgesetzt: Environment, Social und Governance. Letzteres steht für die Kontroll- und Steuerungsstruktur des Unternehmens. 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.2 <?page no="306"?> 306 10 Green Finance Verschiedene Gründe, weshalb sich Kapitalgeber für die Nachhaltigkeit von Unternehmen interessieren, wurden bereits in den vorangehenden Kapiteln aufgeführt. Ein Unternehmen, das sich seinen Nachhaltigkeitsrisiken bewusst ist und diese steuert, verringert seine Ausfallrisiken und steigert seinen Wert. Berichtet ein Unternehmen anschaulich über die Nachhaltigkeit, so ist es für Geschäftspartner transparent und vertrauenswürdig. Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle frühzeitig an der nachhaltigen Transformation ausrichten, sind zukunftsgerichtet und umgehen die Erosion der alten Geschäftsmodelle. Diese und weitere Gründe unterstreichen die Notwendigkeit einer nachhaltigen Unternehmenssteuerung im Interesse der Kapitalgeber. „Viele Investoren sind mittlerweile überzeugt, dass Firmen mit einem starken Nachhaltigkeitsmanagement und einer stringenten Corporate Governance auch besser in Bezug auf ihre finanzielle Rendite abschneiden. Nachhaltige Unternehmen gelten als innovativer, können höhere Preise für ihre Produkte erzielen, mehr Talente für sich gewinnen, sind im Abschwung widerstandsfähiger und werden generell als weniger risikoreich wahrgenommen. Die Folge: Bei Investoren hat die ESG-Performance einen hohen Stellenwert und folglich nehmen Investitionsströme in nachhaltige Finanzanlagen zu.“ (Borgstädt, Bergmann 2022, S. 46) Bereits in Kapitel 2.2 wurde dargestellt, welche Interessen die Shareholder an der nachhaltigen Steuerung von Unternehmen haben. Insbesondere Investmentgesellschaften und nachhaltig ausgerichtete Fonds sind in den letzten Jahren durch ein vermehrtes Engagement hin zu nachhaltigen Investitionen aufgefallen. Aber auch für kreditgebende Banken hat die Bedeutung der Nachhaltigkeit zugenommen. Immer häufiger sind die Kreditvergabe und die Kreditkonditionen an die nachhaltige Leistungsfähigkeit gekoppelt. In einer Studie des Deutschen Aktieninstituts aus dem Jahre 2021 bestätigten 85% der befragten Unternehmen, dass sie das Thema nachhaltige Finanzierung bereits aktiv aufgegriffen haben und dass dies für das Unternehmen eine übergreifende Bedeutung habe (vgl. Deutsches Aktieninstitut 2021, S. 11). Bei den Instrumenten der Green Finance lassen sich zwei Typen unterscheiden. Einmal erfolgt die Finanzierung konkreter nachhaltiger Projekte. Die Verwendung der Finanzmittel muss somit dezidiert vereinbart und auch überprüft werden. Dies sind beispielsweise Investitionen in Projekte für erneuerbare Energien. Im anderen Fall ist die tatsächliche Verwendung der Finanzmittel irrelevant. Dafür werden zwischen Kapitalgeber und Unternehmen Nachhaltigkeitsziele vereinbart, an deren Erreichung die Finanzierungskosten gekoppelt sind. Nachhaltigkeitsziele können dabei die Ergebnisse von Nachhaltigkeitsratings sein. Oder es werden Nachhaltigkeitskennzahlen vereinbart, wie etwa die Senkung von Treibhausgasemissionen oder die Steigerung des Recyclinganteils. Zwar gibt es aktuell noch kein gesetzliches Regelwerk für grüne Finanzierungen, doch haben sich Marktstandards wie die Green Bond Principles der International Capital Markets Association (ICMA) etabliert. Zudem hat die Europäische Union den EU-Green-Bond-Standard erstellt, der ab dem 21.12.2024 freiwillig genutzt werden kann. Dieser ist an das Klassifizierungssystem der EU-Taxonomie angelehnt, bei der <?page no="307"?> 10.1 ESG im Finanzbereich 307 wirtschaftliche Aktivitäten danach kategorisiert werden, ob sie nachhaltig sind. Eine Anleihe, die unter diesem Standard ausgegeben wird, muss ökologische Nachhaltigkeitskriterien erfüllen und extern geprüft werden (vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 2023). Instrumente für die beiden Arten nachhaltiger Finanzierung sind: Finanzierung nachhaltiger Projekte: ◼ Green Bonds/ Social Bonds Dies sind von Unternehmen ausgegebene Anleihen, bei denen die eingeworbenen Geldmittel ausschließlich für nachhaltige Projekte verwendet werden. ◼ Green Schuldschein Bei diesem vor allem in Deutschland vorzufindenden Schuldschein wird das Darlehen ebenfalls ausschließlich für nachhaltige Projekte eingesetzt. ESG-linked-Finanzierungen: ◼ ESG-linked Loans / Sustainability-linked Loans Hierbei handelt es sich um einen Kredit, bei dem die Konditionen an das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen gekoppelt sind. Der Kreditbetrag ist nicht verpflichtend für nachhaltige Projekte auszugeben. ◼ ESG-linked Schuldscheine Dieselbe Logik wie bei den ESG-linked Loans kann auch für Schuldscheine angewendet werden. ◼ ESG-linked Bonds Schließlich lässt sich dieses Modell auch auf Bonds im Anleihenmarkt übertragen, die jüngst auch in Deutschland zunehmend Anwendung finden. Durch die ESG-linked Finanzierungen wurde auch für Unternehmen, die nicht explizit in nachhaltigen Geschäftsfeldern wie etwa erneuerbare Energien tätig sind, der Zugang zu grünen Finanzierungen ermöglicht. Der Umfang nachhaltiger Finanzierungen wurde damit stark erweitert. Für die Zukunft wird erwartet, dass sich für Unternehmen ohne überzeugendes Nachhaltigkeitsmanagement die Finanzierungskosten erhöhen werden (vgl. Kögler 2022, S. 69). „Der Trend zu nachhaltigen Finanzierungstransaktionen zeigt sich auch am Schuldscheinmarkt deutlich. Wie aus einer aktuellen Veröffentlichung der Ratingagentur Scope hervorgeht, sind inzwischen rund 42 Prozent aller neuen Transaktionen am Schuldscheinmarkt mit einer ESG-Komponente versehen. Das umfasst Green Schuldscheine, die zur Finanzierung nachhaltiger Projekte eingesetzt werden, ebenso wie ESG-linked Transaktionen, deren Marge an ein Rating oder individuelle Nachhaltigkeitsziele gekoppelt ist. Die sogenannten ESG-linked Transaktionen sind die am häufigsten genutzte Variante, heißt es seitens der Agentur. Dominierend ist dabei die Koppelung der Zinsen an ESG-Ratings.“ (Der Treasurer, 23.06.22, in: https: / / www.dertreasurer.de/ news/ finanzierung-corporate-finance/ green-finance-die-wichtigsten-news-aus-der-esg-welt-2021871/ , Abruf: 05.07.2022) <?page no="308"?> 308 10 Green Finance Öfters wird bemängelt, dass die Einsparungen an Finanzierungskosten zumeist noch zu gering sind, um einen ausreichenden finanziellen Anreiz für ein nachhaltiges Engagement zu bieten. Eine Motivation dürfte aber der befürchtete Reputationsverlust im Kapitalmarkt sein, wenn vereinbarte Nachhaltigkeitsziele nicht erreicht werden. Zum Teil sind die Nachhaltigkeitsziele aber nicht sehr ambitioniert, so dass sich der Verdacht des Greenwashings aufdrängt. Insbesondere bei Green Bonds wird zum Teil die enge Begrenzung der Finanzierung einzelner Projekte bemängelt. Für Unternehmen, die als Ganzes stark nachhaltig engagiert sind, wäre eine Würdigung der Nachhaltigkeitsstrategie angemessener als die Bindung an einzelne Nachhaltigkeitsprojekte. „Bereits im Jahr 2018 hat Henkel als erstes Unternehmen in Deutschland und weltweit in seiner Branche eine „nachhaltige Kreditlinie“ abgeschlossen, die Zinskonditionen mit Nachhaltigkeitskriterien verbindet. Und im Juli 2020 konnte Henkel als erstes Unternehmen weltweit einen so genannten „Plastic Waste Reduction Bond“ emittieren, dessen Erlöse ausschließlich zur Reduzierung von Plastikabfall verwendet werden.“ (Quelle: Borgstädt, Bergmann 2022, S. 46) Bei der Umsetzung der nachhaltigen Finanzierung erwächst der Bedarf einer intensiveren Abstimmung zwischen der Finanzabteilung und der für Nachhaltigkeit verantwortlichen Abteilung. 93% der vom Deutschen Aktieninstitut befragten Unternehmen bestätigen, dass der Austausch zwischen Finanz- und Nachhaltigkeitsabteilung hierdurch zum Teil deutlich zugenommen hat. Zudem haben bereits 78% das Wissen der Mitarbeiter über die Nachhaltigkeit durch Schulungen gesteigert (vgl. Deutsches Aktieninstitut 2021, S. 14f.). Die nachhaltige Finanzierung führt allerdings auch zu erhöhten Aufwendungen, insbesondere durch die Klärung der konkreten Anforderungen der Finanzierungsinstrumente, durch die Identifizierung geeigneter Investitionsprojekte, durch externe Zertifizierungen sowie durch ein umfangreiches Reporting (vgl. Deutsches Aktieninstitut 2021, S. 20). Controlleraufgaben Finanzierung ist nicht die Aufgabe der Controller, sondern der Finanzabteilung bzw. des Treasurys. Doch durch nachhaltige Finanzierungen steigt der Informationsbedarf für das Treasury, den das Controlling befriedigen muss. Es werden Nachhaltigkeitskennzahlen benötigt, die das Controlling erstellt und die den Kapitalgebern zur Verfügung gestellt werden. Die nachhaltige Finanzierung ist aber nie der erste Schritt der nachhaltigen Transformation eines Unternehmens. Erst wenn sich ein Unternehmen auf den Weg zu mehr Nachhaltigkeit gemacht hat, die Mission, die Vision und die Strategie nachhaltig ausgerichtet sind, die ablauf- und aufbauorganisatorischen Fraugen geklärt sind, die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodell initiiert wurde und die Messung und operative Steuerung der Nachhaltigkeit erfolgt, kann eine nachhaltige Finanzierung erfolgen. Dieses Kapitel zur nachhaltigen Finanzierung steht folgerichtig nicht am Beginn dieses Buches, sondern am Ende. Die voranstehenden Inhalte des Nachhaltigkeitscontrollings müssen erfolgt sein. Bei einer ESG-linked Finanzierung muss das Unternehmen bereits auf dem Weg sein, seine Nachhaltigkeitsperformance zu steigern. Die Verbesserung von Nachhaltigkeitskennzahlen oder der Rating- <?page no="309"?> 10.2 Controlleraufgaben 309 ergebnisse muss planerisch erfasst sein, so dass die Ziele mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht und die Finanzierungskosten gesenkt werden können. Bei projektorientierten Finanzierungen durch Green Bonds müssen nachhaltige Projekte oder Geschäftsmodelle bereits strategisch initiiert sein. Erst dann können die hierfür beschafften Finanzmittel auch verwendet werden. Die nachhaltige Finanzierung folgt der nachhaltigen Unternehmenssteuerung. Es kann ein zusätzlicher Anreiz sein, neue Finanzierungsquellen zu erschließen und die Finanzierungskosten zu senken. Oftmals folgt die nachhaltige Finanzierung aber schlichtweg der Logik, dass bei einem nachhaltig ausgerichteten Unternehmen eben alle wesentlichen Aufgaben und Funktionsbereiche einzubeziehen sind - und dazu gehört auch die Finanzierung. Das Controlling als wesentlicher Akteur für die nachhaltige Transformation von Unternehmen schafft die Voraussetzung für eine erfolgreiche nachhaltige Finanzierung. Darüber hinaus gibt es auf der Ebene der operativen Umsetzung der nachhaltigen Finanzierung verschiedene Handlungsfelder, bei denen das Controlling den Finanzbereich unterstützt. Bei der Identifikation und Vorbereitung von Projekten, für die eine Finanzierung durch einen Green Bond vorgesehen ist, müssen die Voraussetzungen für die Erfüllung der Anforderungen eines „grünen Projekts“ überprüft, gestaltet und bewertet werden. Erst nach einer durchgängigen Budgetierung des Projekts lässt sich abschätzen, ob sich eine günstigere ESG-Finanzierung auch lohnt. Muss ein Projekt aufgrund restriktiver ESG-Vorgaben umgestaltet werden oder entstehen durch ESG-Ratings unverhältnismäßig hohe Aufwendungen, kann gegebenenfalls auch eine traditionelle Finanzierung besser geeignet sein. Das Investitionscontrolling übernimmt somit erweiterte Aufgaben, indem es die Vorgaben der ICMA oder der EU-Taxonomie in der Planung des Investitionsprojekts berücksichtigt. Bei ESG-linked Finanzierungen muss das Controlling auf Basis der Unternehmensplanung abschätzen, wie sich die mit dem Finanzierungspartner vereinbarten Nachhaltigkeitskennzahlen entwickeln. Die Ermittlung der Kennzahlen, deren detaillierte Abgrenzung, die laufende Ermittlung und der Soll-Ist-Abgleich sind Aufgaben des operativen Controllings. Der Controller unterstützt das Management dabei, dass es die Nachhaltigkeitskennzahlen für laufende Entscheidungen beachtet und nutzt. Er berät das Management zu Maßnahmen, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und bewirkt dadurch eine Senkung der Finanzierungskosten. Die mit dem Finanzierungspartner vereinbarten Nachhaltigkeitsziele finden somit Eingang in den Controllingprozess von Planung, Reporting, Analyse und Steuerung. Für ESG-Ratings sind durch das Controlling die notwendigen Informationen zu beschaffen und zur Verfügung zu stellen. Hierfür müssen die konkreten Anforderungen der Ratinggesellschaft bekannt sein. Ebenso ist sicherzustellen, dass bei der Informationsweitergabe keine Missverständnisse und Fehlinterpretationen entstehen. Nach erfolgter Finanzierung ist die mit dem Finanzierungspartner vereinbarte laufende Berichterstattung zu erfüllen. Dies können Nachweise über die vereinbarungsgemäße Verwendung der Finanzmittel und Informationen zu den Umweltwirkungen <?page no="310"?> 310 10 Green Finance des Projektes sein. Liegen die Grundsätze der Green-Bond-Prinzipien der International Capital Market Association (ICMA) zugrunde, müssen folgende Felder bewertet und berichtet werden (vgl. ICMA 2021, S. 3ff.; Grunow, Zender 2020, S. 26): ◼ Verwendung der Emissionserlöse: Für die grünen Projekte ist der Umweltnutzen darzustellen, zu evaluieren und nach Möglichkeit zu quantifizieren. ◼ Prozess der Projektbewertung und -auswahl: Darlegung der ökologisch nachhaltigen Zielsetzung und des Vorgehens zur Bestimmung geeigneter grüner Projektkategorien. ◼ Management der Erlöse: Sicherstellung, dass die Emissionserlöse ausschließlich für das Projekt verwendet werden. ◼ Berichterstattung: Informationen zur Verwendung der Erlöse sollen regelmäßig, mindestens jährlich zur Verfügung gestellt werden. Der ICMA-Standard soll zu einer Transparenz nachhaltiger Investitionen führen und Mindeststandards setzen (im nachfolgenden Zitat werden die Green Bond Principles mit GBP abgekürzt): „Die GBP zielen darauf ab, Emittenten bei der Finanzierung umweltfreundlicher und nachhaltiger Projekte zu unterstützen. Diese Projekte sollen eine Netto-Null-Emissionswirtschaft fördern und die Umwelt schützen. GBP konforme Emissionen sollen neben einer Investitionsmöglichkeit auch transparente, grüne Orientierungshilfen bieten. Die GBP empfehlen Emittenten, über die Verwendung Green Bond-Erlöse zu berichten und fördern so einen Schritt in Richtung Transparenz, der die Rückverfolgung der Emissionserlöse für Umweltprojekte erleichtert und zudem einen besseren Einblick in die geschätzten Auswirkungen ermöglicht.“ (Quelle: International Capital Market Association ‒ ICMA (2021): Die Green Bond Principles 2021, in: https: / / www.icmagroup.org/ assets/ documents/ Sustainable-finance/ Translations/ German_GBP-06-2021-301221.pdf, Abruf: 21.06.2022) Kapitel 10: Erkenntnisse Die ESG-Kriterien spielen bereits für zahlreiche Unternehmen bei der Finanzierung eine große Rolle. Finanzierungen können dabei entweder für nachhaltige Projekte vorgesehen sein, oder sie sind unabhängig von der Investition, erfordern aber eine zunehmende Nachhaltigkeit des Unternehmens. Bevor ein Unternehmen sich nachhaltig finanziert, ist eine funktionierende Nachhaltigkeitssteuerung zu etablieren. Zur Vorbereitung der ESG-Finanzierungen und zur laufenden Berichterstattung für die Kapitalgeber müssen Controller Daten beschaffen und dem Finanzbereich zur Verfügung stellen. Die ESG-Finanzierung intensiviert die Zusammenarbeit von Treasury und Controlling und beschleunigt die nachhaltige Transformation. <?page no="311"?> 11 Nachhaltigkeitskultur Lernziele Die Leser ◼ sind sich der Bedeutung der Nachhaltigkeitskultur für die nachhaltige Transformation bewusst. ◼ kennen die drei Ebenen einer Unternehmenskultur. ◼ wissen, worin sich die formelle und die informelle Steuerung der Nachhaltigkeit unterscheiden und weshalb beide notwendig sind. „Established firms, founded in the 20th century, were simply not designed for sustainability, and consequently they have not developed a culture of sustainability. This means that for the vast majority of older organizations, putting sustainability at the heart of their purpose requires a deep cultural transformation. It’s not simply a recalibration of the mission statement or a new manifesto of values. Changing people’s hearts and minds is the biggest challenge — and it must start with an organization’s leaders.“ (Quelle: Farri, Cervini, Rosani 2022) Nachhaltigkeitskultur bedeutet, dass Nachhaltigkeit für jeden Mitarbeiter und für das Unternehmen insgesamt integraler Bestandteil des Handelns ist (vgl. Grothe, Teller 2020, S. 69). In der Praxis ist Nachhaltigkeit hingegen oftmals 9. Nachhaltigkeitsreporting 4. Normative und strategische Nachhaltigkeitssteuerung 7. Nachhaltiges Investitionscontrolling 8. Nachhaltiges Risikocontrolling 5. Nachhaltige Unternehmensentwicklung 11. Nachhaltigkeitskultur 10. Green Finance 2. Anforderungen an die Unternehmen 3. Organisation der Nachhaltigkeitssteuerung 6. Operatives Nachhaltigkeitscontrolling Abb. 0.2 <?page no="312"?> 312 11 Nachhaltigkeitskultur Stückwerk. Viele arbeiten an verschiedenen Maßnahmen, bei denen die Verbindung und das große Ganze unklar bleibt. Unternehmen, die sich in einem CSR-Reifegrad 0.0 befinden (vgl. Kapitel 1.1) weisen eine ökonomische Kultur auf, aber keine Nachhaltigkeitskultur. Auch der Fokus auf die Verringerung von Schäden steht nicht für eine Nachhaltigkeitskultur, sondern erst die Schaffung von Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen der Nachhaltigkeit. Unternehmenskultur Eine Unternehmenskultur lässt sich nach Schein in drei Ebenen unterteilen (vgl. Schein, Schein 2018, S. 14ff.): ◼ Symbolsystem Diese Ebene ist sichtbar, muss vom Einzelnen aber interpretiert werden. Dies ist beispielsweise die Art der Kommunikation mit Geschäftspartnern und Mitarbeitern, dies sind Rituale, Umgangsformen und Leitbilder, aber auch die Büroausstattung, Logos und Parkplatzregelungen. ◼ Normen und Standards Die Inhalte dieser Ebene sind nur zum Teil sichtbar. Es handelt sich hierbei um Werte wie Ehrlichkeit, Technik-Verliebtheit und Freundlichkeit sowie um Normen, aber auch um Ideale und Ideologien. Hierzu gehören auch die Erwartungsstrukturen zwischen Mitarbeitern und hin zu Vorgesetzten. Manche Richtlinien und Verbote werden formal fixiert und damit sichtbar sein, viele werden aber auch nur informell vorzufinden sein. ◼ Basisannahmen Diese Ebene ist nicht sichtbar, der Einzelne kann sie nur individuell wahrnehmen. Es handelt sich hierbei beispielsweise um Werte, die als selbstverständlich angenommen werden, wie Vertrauen, um die Wertschätzung der Umwelt oder um soziale Beziehungen. Auch Nachhaltigkeit kann ein Teil dieser selbstverständlichen Werte sein. Die sichtbare Ebene der Unternehmenskultur kann sich von der unsichtbaren Ebene unterscheiden. Zwischen dem professionell gestalteten Nachhaltigkeitsbericht und der tatsächlichen Bedeutung ökologischer Belange in alltäglichen Unternehmensentscheidungen können große Differenzen bestehen. Die Anpassung der Symbolebene ist relativ einfach, hier kann eine professionelle Agentur viel erreichen. Die Glaubwürdigkeit leidet jedoch, wenn die symbolisierten Werte in der zweiten und dritten Ebene nicht verankert werden. Diese Ebenen legen die Basis, die Symbole sollten diesen folgen. Das Management hat dafür Sorge zu tragen, dass die drei Ebenen zueinander passen. Das Management eines kulturellen Wandels muss alle drei Ebenen einbeziehen. Der Ausgangspunkt von Änderungen wird zumeist in der zweiten Ebene, den Normen und Standards liegen. Diese können vom Management zum Teil aktiv gestaltet und vorgelebt werden. Als Folge sollten sich auch die Basisannahmen schrittweise ver- <?page no="313"?> 11 Nachhaltigkeitskultur 313 ändern. Werden Normen und Richtlinien zum sparsamen Umgang mit Ressourcen und einem verantwortungsvollen Umgang in der Lieferkette erlassen, vom Management vorgelebt und in der Planung und in Maßnahmen berücksichtigt, werden sich diese allmählich als selbstverständliche Verhaltensweisen etablieren. Ein über Normen und Standards initiierter Wandel kann insbesondere durch externe oder interne Impulse verursacht werden. Dies kann beispielsweise ein neuer Vorstand sein, der Nachhaltigkeit als wesentliches Element seiner Agenda führt. Ein interner Impuls kann die Implementierung des Nachhaltigkeitscontrollings sein, das durch die Erhebung von Kennzahlen die Nachhaltigkeitsleistungen sichtbar macht (vgl. Bernatzky, Endenich, Wömpener 2018, S. 11). Durch Symbole wie neue Leitbilder, Veranstaltungen und durch sichtbare Maßnahmen zum Ressourcen sparen, wird der kulturelle Wandel unterstützt. Der Prozess kann allerdings langwierig sein und bei einer inkonsistenten Umsetzung kann er zu Verwirrung führen. Kultur ist etwas, mit der sich Menschen identifizieren, die sie als Teil von sich wahrnehmen. Ein Wandel greift somit sehr tief ein und betrifft nicht nur die Zusammenarbeit im Unternehmen. „Eine Kultur sagt ihren Mitgliedern, wer sie sind, wie sie sich untereinander zu verhalten haben und wie sie sich mit sich selbst wohlfühlen können. Indem wir diese wichtigen Funktionen erkennen, begreifen wir, warum die „Veränderung“ einer Kultur so angsteinflößend ist.“ (Quelle: Schein, Schein 2018, S. 19) Formelle und informelle Steuerung der Nachhaltigkeit Das Controlling wird traditionell als ein Steuerungssystem verstanden, dass vorwiegend durch formelle Prozesse und Strukturen geprägt ist. Daneben gibt es auch eine informelle Steuerung, die vor allem die Unternehmenskultur und das Führungsverhalten umfasst. In der Regel wird hierbei primär das Management in der Verantwortung gesehen. Für ein erfolgreiches Unternehmen sind beide Dimensionen notwendig. In gewissen Umfängen können sie sich aber substituieren. In einer sehr offenen, kommunikativen Unternehmenskultur wird die Koordinationsfunktion des Controllings weniger bedeutsam sein, als wenn sich die einzelnen Funktionen streng voneinander abschotten. In einer vertrauensvollen Unternehmenskultur sind engmaschige Kontrollsysteme nicht notwendig. Dort wo das Unternehmen eine starke und förderliche Kultur prägt, sind formelle Controllingprozesse weniger bedeutsam. Bei kulturellen Schwächen können Controllingprozesse negative Auswirkungen begrenzen, eklatante Kulturdefizite können jedoch nicht durch Planungs-, Kontroll- und Koordinationsaufgaben egalisiert werden. Förderlich sind generell starke Ausprägungen von formellen und informellen Steuerungssystemen. Zahlreiche in diesem Buch behandelten Steuerungsmethoden sind formeller Natur. Dies wird insbesondere bei den Messkonzepten, bei der Sustainability Balanced Scorecard oder bei der operativen Planung deutlich. Es sollte dabei aber stets beachtet werden, dass die informelle Steuerung für ein erfolgreiches Nachhaltigkeitsmanagement ebenso bedeutsam ist. Diese ist, stets im Kontext mit der formellen Steuerung, <?page no="314"?> 314 11 Nachhaltigkeitskultur zu thematisieren und zu gestalten. Der Rollenwandel im Controlling hin zu einem Business Partner oder auch zu einem Change Agent ermöglicht ihm, auch die informelle Steuerung einzubinden. Eine Beschränkung auf rein formelle Steuerungsaspekte ist weder zeitgemäß noch der Sache dienlich. Praktische Relevanz In der Studie von Crutzen, Zvezdov und Schaltegger werden die formellen und informellen Steuerungssysteme empirisch auf ihre Bedeutung für eine nachhaltige Transformation untersucht (vgl. Crutzen, Zvezdov, Schaltegger 2017). Die analysierten Unternehmen sind im Dow Jones Sustainability Index gelistet und gelten somit als überdurchschnittlich nachhaltig. Die meisten Unternehmen aus der Stichprobe weisen eine schwächere formelle und starke informelle Steuerung auf. Daneben gibt es einige Unternehmen mit einer starken formellen und weniger starken informellen Steuerung sowie Unternehmen, bei denen beide Dimensionen schwach ausgeprägt sind. Hierbei wird vermutet, dass das positive Nachhaltigkeitsimage von der tatsächlichen Umsetzung wohl deutlich abweicht. In der Stichprobe wurden keine Unternehmen identifiziert, bei denen beide Steuerungssysteme stark ausgeprägt waren, was eine wirkungsvolle Umsetzung der Nachhaltigkeit erwarten ließe. Aus der Häufigkeit dieser Zustandsbeschreibung ist nicht abzuleiten, welche Kombination von formeller und informeller Steuerung empfehlenswert ist. Anzustreben ist eine starke Ausprägung beider Dimensionen. Problematisch wird in der Studie die schwächere Ausprägung der formellen Steuerung der Nachhaltigkeit gesehen. Als Ursachen werden etwa genannt, dass insbesondere bei Unternehmen, die mit der Integration der Nachhaltigkeit in die Steuerung erst gestartet sind, sich die formellen Strukturen noch im Aufbau befinden. Der Wandel beginnt also mit der informellen Steuerung, indem das Management die Nachhaltigkeit priorisiert und die Mitarbeiter hiervon überzeugen und gewinnen möchte. Die formellen Instrumente werden anschließend Schritt für Schritt aufgebaut. Die weniger starke Ausprägung formeller Instrumente bei der Nachhaltigkeitssteuerung mag auch daran liegen, dass dies dem Management weniger bewusst ist. Die Steuerung der Nachhaltigkeit wird im Gegensatz zur traditionellen Unternehmenssteuerung möglicherweise als ein weiches, eher informell zu steuerndes Thema angesehen. Zudem kann es im Management auch eine Abneigung geben, sich in einem weiteren Handlungsfeld auf verbindliche, mess- und kontrollierbare Prozesse einzulassen und seine Handlungsfreiheit damit zu beschränken. (vgl. Crutzen, Zvezdov, Schaltegger 2017, S. 1297f.) Bei Unternehmen mit einer dominierend informellen Steuerung, die bei der Stichprobe am häufigsten gefunden wurden, erfolgen Kontrollen subtiler als bei formeller Steuerung. Dies wird zu weniger Widerständen führen und ist für das Management somit leichter umsetzbar. Zu einem späteren Zeitpunkt mag dann die Bereitschaft größer sein, auch formelle Prozesse und Kontrollen zu akzeptieren. Solche Unternehmen befinden sich daher wohl eher noch am Anfang einer Ausrichtung auf die Nachhaltig- <?page no="315"?> 315 keit. Der Verzicht auf ein formales Kontrollsystem kann das Management der Nachhaltigkeit erschweren, da Zielkonflikte häufiger auftreten, Ziele weniger verbindlich sind und die aus den Zielen resultierende Motivation geringer ausfallen kann. Ein Grund für den geringen Einsatz formeller Methoden wird in der Studie auch darin gesehen, dass dem Management die Methoden zur Steuerung der Nachhaltigkeit nicht bekannt sind, dass sie über wenig Erfahrung verfügen und skeptisch sind, wie Nachhaltigkeit gemessen werden kann. All dies mag dazu führen, dass formelle Steuerungsprozesse im Vergleich zu den informellen vernachlässigt werden. (vgl. Crutzen, Zvezdov, Schaltegger 2017, S. 1298) In der Stichprobe wurde auch eine geringere Anzahl an Unternehmen identifiziert, bei denen die formalen Kontrollmechanismen dominieren. Hierbei wurden scheinbar die in vielen großen Unternehmen bewährten Routinen zur Formalisierung auch auf die Nachhaltigkeit übertragen. Die informelle Herangehensweise und kulturelle Aspekte werden von diesen Unternehmen möglicherweise unterschätzt. Wenn Ziele und Maßnahmen zwar fix gegeben sind, diese aber nicht verstanden und akzeptiert werden, wird dies den Erfolg beeinträchtigen. Es ergab sich kein klares Bild, ob das Nachhaltigkeitsmanagement der eher formell arbeitenden Unternehmen erfolgreicher ist als das der eher informell arbeitenden Unternehmen. Gerade die informellen Prozesse sind wichtig, um die formellen zu unterstützen. Bei der Entwicklung eines eher formellen Systems des Nachhaltigkeitscontrollings sollte zugleich auch das informelle Systeme mitgedacht und entwickelt werden. Das technische System funktioniert ohne die entsprechende Kulturentwicklung nur eingeschränkt. Auch wenn der Schwerpunkt des Controllings im formellen System liegt, sollte das Management sensibilisiert und dafür gewonnen werden, Aufgaben der Kulturentwicklung, der internen Kommunikation und der Mitarbeitermotivation zu übernehmen. Konkrete Bestandteile informeller Systeme können beispielsweise gemeinsame Werte sein, die vom Management vorgelebt werden, dies können Kommunikations- und Diskussionsplattformen im Intranet sein, es können Informationsveranstaltungen durchgeführt werden und Mitarbeiter können für gemeinnützige Arbeiten gewonnen werden. Auch Symbole können hierfür genutzt werden. Dies wäre etwa der Vorstandsvorsitzende, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit kommt, die Begrünung von Gebäuden oder Statements zur Nachhaltigkeit in Firmenbroschüren und in den sozialen Medien. (vgl. Crutzen, Zvezdov, Schaltegger 2017, S. 1296) „Eine Dienstanweisung ‚Sustainability‘ reicht bei weitem nicht aus, um die Dinge zu ändern. Wenn in Unternehmen über Jahrzehnte hinweg Verhaltensmuster geprägt wurden, wird man diese nicht in wenigen Tagen auf den Kopf stellen.“ (Quelle: Harry Hohmeister, Vorstand Deutsche Lufthansa AG) Der ganzheitlich agierende Controller beachtet neben den formalen Steuerungsinstrumenten auch die informellen Instrumente sowie die kulturelle Ebene. Beide Seiten bedingen und fördern sich und dürfen nicht ignoriert werden, weil sie traditionell nicht zum Werkzeugkoffer des Controllers gehören. Bereits im Kapitel zur nachhaltigen 11 Nachhaltigkeitskultur <?page no="316"?> 316 11 Nachhaltigkeitskultur Unternehmensentwicklung (Kapitel 5) wurde erkannt, dass der Controller, der Änderungen anstößt und gestaltet, auch als ein Change Agent agieren muss, um wirksam zu sein. Kapitel 11: Erkenntnisse Im Controlling sind formelle Strukturen zur Unternehmenssteuerung traditionell weit bedeutsamer als informelle. Für eine nachhaltige Transformation sind aber beide Methoden notwendig. Sie unterstützen sich gegenseitig und können sich nur in einem begrenzten Umfang substituieren. Die drei Ebenen der Unternehmenskultur nach Schein stellen einen Ansatz dar, Kultur besser zu verstehen und sie zu gestalten. Der Controller als Business Partner und als Change Agent muss sich auch diesen Fragen widmen, um erfolgreich zu sein. Gerade zu Beginn der nachhaltigen Ausrichtung eines Unternehmens spielen die Nachhaltigkeitskultur und die informelle Steuerung eine große Rolle. <?page no="317"?> Glossar Im Folgenden werden wichtige Begriffe aus der betrieblichen Nachhaltigkeit erläutert, um bei der Vielzahl an Ansätzen und Konzepten eine Orientierung zu geben (vgl. Ernst, Sailer, Gabriel 2021, S. 405ff.). 3-Säulen-Modell Das Modell begründet, dass Nachhaltigkeit nur dann möglich ist, wenn ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte gleichermaßen berücksichtigt werden. Alternativ werden z.B. auch die Begriffe Dimensionen der Nachhaltigkeit oder Nachhaltigkeitsdreieck verwendet. Brundtland-Bericht Gro Harlem Brundtland hatte den Vorsitz der von den Vereinten Nationen eingesetzten „World Commission on Environment and Development“ inne. Der Abschlussbericht dieser Kommission aus dem Jahre 1987 trägt den Titel „Our Common Future“ und wird zumeist als Brundtland-Bericht bezeichnet. Dieser hat das Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung maßgeblich geprägt. Business Partner Business Partner ist ein modernes Rollenbild des Controllers, bei dem die umfassende Unterstützung des Managements betont wird. Dies geht über die Fokussierung auf die Daten des Rechnungswesens deutlich hinaus und beinhaltet ein proaktives Zugehen auf das Management. Er ist ein Berater des Managements mit einem fachlichen Fokus auf die Analytik und nimmt dabei eine ganzheitliche Perspektive ein. Corporate Compliance Unter Compliance versteht man ein auf Integrität beruhendes Verhaltenskonzept zur Sicherstellung der Konformität aller Entscheidungen und Handlungen der Beschäftigten eines Unternehmens mit geltendem Recht jeder Art (Legal Compliance) sowie die freiwillige Wahrnehmung der berechtigten Interessen aller relevanten Stakeholder eines Unternehmens im Rahmen der Sozial- und Umweltverantwortung (Social Compliance). Corporate Citizenship Über die eigentliche Geschäftstätigkeit hinausgehendes gesellschaftliches Engagement im lokalen Umfeld der Unternehmen, z.B. Sponsoring, Stiftungen, Spenden. Corporate Governance Eine gute und transparente Unternehmensführung, die sich in Deutschland zumeist am Corporate Governance Kodex orientiert. Dieser enthält Regelungen für eine transparente Unternehmensführung und -überwachung und soll damit das Vertrauen in die Unternehmensführung stärken. <?page no="318"?> 318 Glossar Corporate Social Responsibility (CSR) Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren. (CSR-Definition im Grünbuch der Europäischen Kommission) Effizienz (Öko-/ Sozioeffizienz) Ökologische und soziale Maßnahmen sollen möglichst wirtschaftlich durchgeführt werden. ESG Bezeichnet die nichtfinanziellen Leistungen eines Unternehmens: Environmental, Social und Governance. Dies drückt die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens aus. ESG wird insbesondere im Finanzsektor genutzt und grenzt sich von der Nachhaltigkeit dadurch ab, dass ökonomische Dimension nicht integriert wird. Die ökonomische Ausrichtung gilt zumeist als selbstverständlich, so dass das Ergänzende, ESG, gesondert erwähnt wird. Global Compact Aufruf der Vereinten Nationen im Jahre 1999 an die führenden Unternehmen, Minimalstandards im Bereich der Menschenrechte, des Umweltschutzes, der Arbeitsstandards und der Korruptionsbekämpfung zu etablieren. Global Reporting Initiative (GRI) Die GRI ist eine gemeinnützige Stiftung, die 1997 gemeinsam von CERES und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) in den USA gegründet wurde. Ziel der Global Reporting Initiative ist die Unterstützung der Nachhaltigkeitsberichterstattung aller Organisationen. Der GRI-Berichtsstandard ist der weltweit bekannteste und am häufigsten genutzte Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Greenwashing Unternehmen betreiben Greenwashing, wenn sie sich zu Unrecht ihres nachhaltigen Engagements rühmen, obwohl dies nicht oder nur in einem geringen Umfang vorhanden ist. Impact Die von Unternehmen angestrebte positive und langfristige Wirkung in Bezug auf ein gesellschaftliches Problem oder einen als wünschenswert angesehenen Zielzustand. Der Impact eines Unternehmens könnte zum Beispiel darin bestehen, einen wirksamen Beitrag zu den Sustainable Development Goals zu leisten. <?page no="319"?> Glossar 319 Konsistenz/ Effektivität Bestehende Bedürfnisse sollen mit insgesamt weniger Ressourcen, mit regenerativen Ressourcen oder ohne einen Ressourcenverlust erfüllt werden. Nachhaltigkeit Leitbild für eine zukunftsfähige Entwicklung der Menschheit. „Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Zukunftsfähig wirtschaften bedeutet also: Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Gefüge hinterlassen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.“ (Grundidee für nachhaltiges Handeln des Rats für Nachhaltige Entwicklung) Nachhaltigkeitscontrolling Nachhaltigkeitscontrolling sorgt für Strategie-, Ergebnis-, Finanz- und Prozesstransparenz und trägt damit zu höherer Wirtschaftlichkeit, zu mehr sozialer Gerechtigkeit und zu mehr Umweltschutz bei. Es werden Teilziele und Teilpläne ganzheitlich koordiniert und es wird unternehmensübergreifend zukunftsorientiert berichtet. Nachhaltig agierende Controller moderieren und gestalten den Management-Prozess der Zielfindung, der Planung und der Steuerung so, dass jeder Entscheidungsträger zielorientiert handeln kann. Sie leisten den dazu erforderlichen Service der betriebswirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Daten- und Informationsversorgung und sie gestalten und pflegen die Controllingsysteme. Reboundeffekt Maßnahmen führen direkt zu einer Verringerung der ökologischen oder sozialen Belastung, allerdings werden hierdurch weitere Effekte verursacht, die indirekt wieder zu einer Zunahme der Belastung führen. Damit ist der Nettoeffekt kleiner als die unmittelbare Wirkung. Shareholder-Value Der Shareholder Value bezeichnet den Marktwert des Eigenkapitals. Der Shareholder- Value entspricht vereinfacht dem Wert eines Unternehmens aus Sicht der Eigenkapitalgeber. Der Shareholder-Value-Ansatz wurde von Alfred Rappaport entwickelt. Er ist ein betriebswirtschaftliches Konzept, welches die Unternehmensführung nach den zukünftigen Zahlungen (Cashflows) an die Eigenkapitalgeber ausrichtet. Andere Interessengruppen neben den Eigenkapitalgebern werden nicht explizit berücksichtigt. Social Accounting Eine Rechenmethodik, um die negativen und positiven Auswirkungen des unternehmerischen Handelns auf Mitarbeiter, Geschäftspartner bzw. Stakeholder sowie die Gesellschaft zu erfassen und ihre Ursachen aufzudecken. Die Berichterstattung erfolgt regelmäßig und in einer nachvollziehbaren Systematik. <?page no="320"?> 320 Glossar Stakeholder Stakeholder sind alle Interessen- und Personengruppen, die am nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens partizipieren. Dazu gehören beispielsweise die Mitarbeiter, Gemeinden, Kunden, Lieferanten, Darlehensgeber sowie Eigentümer des Unternehmens. Der Einfluss der Stakeholder auf das Unternehmen unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Macht und ihrem grundlegenden Einflussinteresse. Oftmals wird ein gegensätzliches Interesse zwischen den Shareholdern und den restlichen Stakeholdern unterstellt. Stakeholderdialog Stakeholderdialoge sind organisierte und strukturierte Gespräche zwischen Vertretern des Unternehmens und Vertretern von Anspruchsgruppen, die dem gegenseitigen Informationsaustausch dienen, insbesondere in Bezug auf die für die Anspruchsgruppen relevanten Themen. Suffizienz Der Lebensstandard soll mit weniger materiellen Bedürfnissen und damit auch mit weniger materiellen Ressourcen gesteigert oder gehalten werden. Neben der Suffizienz können die Nachhaltigkeit steigernde Maßnahmen der Effizienz und der Konsistenz zugeordnet werden. Sustainability Balanced Scorecard (SBSC) Instrument zur Umsetzung der Strategie und eine Erweiterung der Balanced Scorecard um den Aspekt der Nachhaltigkeit. Neben den Potenzialen, Prozessen, Kunden und Finanzen wird auch die Nachhaltigkeit in der Strategieumsetzung berücksichtigt. Sustainable Development Goals (SDG) Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (UN), die weltweit der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung dienen sollen. Sie traten am 1. Januar 2016 mit einer Laufzeit bis 2030 in Kraft. Daher tragen sie auch den Titel „Agenda 2030“. Triple-Bottom-Line-Ansatz Ökonomische, ökologische und soziale Anforderungen werden als gleichrangige Dimensionen angesehen. Nachhaltigkeit ist da gegeben, wo die drei Dimensionen im Kerngeschäft des Unternehmens eingehalten werden. Umweltrechnungswesen Mit dem Umweltrechnungswesen wird das Ziel verfolgt, vom Unternehmen verursachte Umwelteinwirkungen nach Art und Umfang zu erfassen, ihre Entstehung und Einflussgrößen zu erkennen und sie den erstellten Produkten bzw. den erbrachten Dienstleistungen zuzuordnen. <?page no="321"?> Literaturverzeichnis Ahrend, K.-M. (2016): Geschäftsmodell Nachhaltigkeit. Ökologische und soziale Innovationen als unternehmerische Chance, Berlin/ Heidelberg. Apitz, N./ Gubini, T./ Knauer, T./ Winkelmann, S. (2023): Nachhaltigkeitsorientiertes Investitionscontrolling, in: Controlling, Heft 1, S. 20-27. Arnsfeld, T./ Peters, H.-G./ Wübben, G. (2011): Sustainable Value in der Unternehmenssteuerung, Konzepte - Grenzen - Einsatzmöglichkeiten am Beispiel der Deutschen Telekom AG, in: Controller Magazin, Heft 5, S. 80-85. Arnsfeld, T./ Wübben, G. 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A. Sailer Ulrich Sailer Nachhaltigkeitscontrolling 5. Auflage Betriebswirtschaftslehre | Management ISBN 978-3-8252-6254-9 Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel „Wer die einzelnen Bausteine der Nachhaltigkeitssteuerung im Unternehmen und im Controlling verankern möchte, muss wissen, dass es sich um einen mehrstufigen Prozess handelt, der eine klare Zielrichtung, Geduld und Einsatz voraussetzt. Dieses Buch ist ein wichtiger Ratgeber und Helfer für eine erfolgreiche Implementierung der Nachhaltigkeit in die Unternehmenspraxis.“ Siegfried Gänßlen Ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Internationalen Controller Vereins Ehemals Vorstandsvorsitzender der Hansgrohe SE „Integrierte Konzepte der Nachhaltigkeitssteuerung kennzeichnen die Praxis noch selten. Eine systematische Koordination und Ausrichtung auf die Unternehmensstrategie wird immer häufiger eine Aufgabe des Controllings. Aktuell sind nur wenige Controller hierauf vorbereitet. Dieses Buch zeigt Wege auf, wie Nachhaltigkeitscontrolling praktisch funktionieren und organisiert sein kann und welche Aufgaben hierbei anfallen.“ Prof. Dr. Stefan Schaltegger Professor für Nachhaltigkeitsmanagement Leiter des Centre for Sustainability Management Leiter des MBA Sustainabililty Management Leuphana Universität Lüneburg 6254-9_Sailer_XL-geb_5332_PRINT.indd Alle Seiten 6254-9_Sailer_XL-geb_5332_PRINT.indd Alle Seiten 11.06.24 14: 59 11.06.24 14: 59