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Friedens- und Konfliktforschung

Einführung

1014
2024
978-3-8385-6278-0
978-3-8252-6278-5
UTB 
Ines-Jacqueline Werkner
10.36198/9783838562780

Die Friedens- und Konfliktforschung ist wichtiger denn je. Ines-Jacqueline Werkner reflektiert den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung und zeigt die derzeitigen Herausforderungen auf. Ausgehend von begrifflichen Vorüberlegungen zum Frieden fokussiert sie zwei Schwerpunkte: Zum einen wendet sie sich weltpolitischen Konflikten zu. Sie blickt auf deren Ebenen, Akteure, Gegenstände sowie Austragungsformen. Zum anderen stellt sie zentrale Friedensstrategien vor, die für verschiedene Denkschulen stehen, und debattiert Chancen und Hindernisse. Abschließend gibt sie einen Überblick über den Stand der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland mit seinen Instituten und universitären Studiengängen. Das Buch richtet sich an Studierende der Politikwissenschaft, der Internationalen Beziehungen sowie der Friedens- und Konfliktforschung. Es ist auch für Politik, Journalismus und die interessierte Öffentlichkeit eine aufschlussreiche Lektüre.

<?page no="0"?> Ines-Jacqueline Werkner Friedens- und Konfliktforschung 2. Auflage <?page no="1"?> utb 5443 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> PD Dr. Ines-Jacqueline Werkner ist Leiterin des Ar‐ beitsbereichs Frieden an der Forschungsstätte der Evan‐ gelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg und Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. <?page no="3"?> Ines-Jacqueline Werkner Friedens- und Konfliktforschung Einführung 2., vollständig überarbeitete Auflage UVK Verlag · München <?page no="4"?> 1. Auflage 2020 2., vollständig überarbeitete Auflage 2024 DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838562780 © UVK Verlag 2024 ‒ Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro‐ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Heraus‐ geber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung Elanders Waiblingen GmbH utb-Nr. 5443 ISBN 978-3-8252-6278-5 (Print) ISBN 978-3-8385-6278-0 (ePDF) ISBN 978-3-8463-6278-5 (ePub) Umschlagabbildung: © Nikada ∙ iStock Autorinnenfoto: © privat Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> 9 11 1 13 1.1 14 1.2 17 1.3 21 1.4 23 1.5 24 2 27 2.1 27 2.2 33 2.3 35 3 37 3.1 38 3.2 42 3.3 45 3.4 49 53 4 55 4.1 55 4.2 57 4.3 58 4.4 63 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Part I: Frieden - Begriffliche Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Begriff des Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewalt und Frieden bei Johan Galtung . . . . . . . . . . . . . . . . . Frieden - mehr als die Abwesenheit von Krieg? . . . . . . . . . Frieden - eine Utopie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friede als Weltfriede? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frieden und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was heißt Sicherheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friedensversus Sicherheitslogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friedensforschung und Debatten um ihr Selbstverständnis . . . . Zur Normativität der Friedensforschung . . . . . . . . . . . . . . . Zur Praxisorientierung der Friedensforschung . . . . . . . . . . Zur disziplinären Verortung der Friedensforschung . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Part II: Weltpolitische Konflikte - Begriff, Formationen und Austragungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konflikt - Konzeptionelle Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Konfliktbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konflikte - unerwünschte Erscheinungen? . . . . . . . . . . . . Konflikte - komplexe Phänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriegsdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 4.5 67 4.6 71 5 73 5.1 73 5.2 77 5.3 80 5.4 83 5.5 91 6 95 6.1 95 6.1.1 96 6.1.2 101 6.1.3 105 6.2 111 6.2.1 112 6.2.2 120 6.2.3 126 6.3 135 6.4 139 7 143 7.1 143 7.2 149 7.3 153 7.4 160 163 8 165 8.1 165 Kriegsursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Symmetrie und Asymmetrie im Konfliktgeschehen . . . . . . Die neuen Kriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritik der neuen Kriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der transnationale Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konfliktgegenstände - zentrale Formationen . . . . . . . . . . . . . . . . . Zentrale Konfliktformationen zu Zeiten des Kalten Krieges Der Ost-West-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Nord-Süd-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Nahostkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen . . . Geopolitische Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ethnonationale Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Innerstaatliche Macht- und Herrschaftskonflikte durch fragile Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewalt durch Klimawandel - ein Konfliktszenario der Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Austragungsformen von Konflikten - friedenspolitische Herausforderungen durch neue technologische Entwicklungen Unbemannte Waffen und der Trend zu ihrer Autonomisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Cyberraum und die Digitalisierung der Kriegsführung Die Militarisierung des Weltraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Part III: Friedensstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frieden durch Abschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der (neo)realistische Zugang zum Frieden . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 8.2 168 8.3 172 8.4 177 9 181 9.1 181 9.2 185 9.3 188 9.4 192 9.5 199 9.6 201 10 203 10.1 204 10.2 207 10.3 212 10.4 215 10.5 221 11 223 11.1 224 11.2 227 11.3 232 11.4 236 11.5 239 241 12 243 12.1 243 12.2 244 Begriff und Funktionsweise der Abschreckung . . . . . . . . . . Nukleare Abschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der institutionalistische Zugang zum Frieden . . . . . . . . . . . Das völkerrechtliche Gewaltverbot und seine Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanitäre militärische Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . Die internationale Schutzverantwortung . . . . . . . . . . . . . . Systeme kollektiver Sicherheit - ein Mythos? . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frieden durch Demokratisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der liberale Zugang zum Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der demokratische Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antinomien des demokratischen Friedens . . . . . . . . . . . . . . Frieden als Zivilisierungsprozess - das zivilisatorische Hexagon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Respekt, Anerkennung und Vertrauen als Wege zum Frieden . . . Der konstruktivistische Zugang zum Frieden . . . . . . . . . . . Respekt und Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Konzept der gemeinsamen Sicherheit . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Part IV: Zum Stand der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Institute der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland . . Zu den Anfängen der Institutionalisierung der Friedens- und Konfliktforschung - ein kursorischer Überblick . . . . . Außeruniversitäre Institute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 12.3 246 12.4 247 12.5 250 12.6 252 13 255 14 261 14.1 261 14.2 262 14.3 263 269 304 Außeruniversitäre Institute mit Forschungsschwerpunkten im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung . . . . . . . . Universitäre Institute und Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbände, Netzwerke und Stiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Masterstudiengänge der Friedens- und Konfliktforschung . . . . . Zur Publikationslandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Friedensgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fachzeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lehr- und Handbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> Vorwort „Es ist begreiflich, daß die Zeitgenossen die Sache so auffaßten. Es ist begreiflich, daß Napoleon meinte, die Ursache des Krieges liege in den Intrigen Englands […]. Es ist begreiflich, daß die Mitglieder des englischen Parlaments der Ansicht waren, die Ursache des Krieges sei Napoleons Herrschsucht; daß der Herzog von Oldenburg als die Ursache des Krieges die gegen ihn verübte Gewalttat betrachtete; daß die Kaufleute glaubten, die Ursache des Krieges sei das Kontinen‐ talsystem, durch das Europa zugrunde gerichtet werde; daß die alten Soldaten und Generale die Hauptursache des Krieges in der Notwendigkeit suchten, sie wieder einmal zum Kampf zu verwenden, und die Legitimisten in der Notwendigkeit, les bons principes wiederherzustellen; daß die Diplomaten überzeugt waren, alles sei davon hergekommen, daß das Bündnis zwischen Rußland und Österreich im Jahre 1809 vor Napoleon nicht kunstvoll genug verheimlicht worden und das Memorandum Nr. 178 ungeschickt redigiert worden sei. Es ist begreiflich, daß diese und noch zahlreiche andere Dinge, deren Menge durch die unendliche Mannigfaltigkeit der Gesichtspunkte bedingt ist, den Zeitgenossen als Ursachen des Krieges erschienen; aber wir Nachkommen, die wir die gewaltige Größe des stattgefundenen Ereignisses in ihrem ganzen Umfang zu überblicken und die wahre, furchtbare Bedeutung dieses Ereignisses zu würdigen vermögen, wir müssen diese Ursachen für unzulänglich erachten“ (Tolstoj 2015 [1867], S. 1056). Fragen nach Krieg und Frieden standen nicht nur bei Lew N. Tolstojs Werk im Mittelpunkt, sie prägten von jeher die Menschheitsgeschichte. Und auch die heutige Friedens- und Konfliktforschung bezieht ihre Bedeutung aus genau diesen essenziellen Fragen. Für sie erweisen sich insbesondere zwei politische Ereignisse als prägend: Zum einen ist es das Ende des Ost-West-Konfliktes, das strukturell zu einer Zäsur führte. Mit dem Wegfall des Systemantagonismus brachen die bisherige Ausrichtung und darauf basierende Grundlagen der Friedens- und Konfliktforschung weg. Insbeson‐ dere im Lichte neuer grenzüberschreitender und globaler Konfliktkonstella‐ tionen tat sich ein neuer Bedarf an friedenswissenschaftlichen und friedens‐ politischen Kompetenzen auf. Exemplarisch stehen hierfür die neuen Kriege und der transnationale Terrorismus. Sie erforderten und erfordern auch weiterhin die Bereitstellung analytischer und praktischer Qualifikationen zu essenziellen Fragen von Krieg und Frieden. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine markiert eine zweite Zäsur. Er stellt die bislang größte <?page no="10"?> Gefährdung des Friedens in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges dar. Mit ihm dominiert erneut die Politik der militärischen Abschreckung, allerdings unter neuen und weitaus komplexeren Rahmenbedingungen als zu Zeiten des Kalten Krieges. Das fordert die Friedensforschung in beson‐ derer Weise heraus. Insbesondere für Friedensforscherinnen und -forscher gilt es, ihre bisherigen Prämissen neu zu überdenken. Das vorliegende Lehrbuch reflektiert den aktuellen Stand der wissen‐ schaftlichen Forschung und zeigt die derzeitigen friedenspolitischen Her‐ ausforderungen auf. Es enthält drei inhaltliche Schwerpunkte: Im Fokus der Analyse steht zunächst - als theoretisches Fundament - der Friedensbegriff mit seinen Dimensionen, seinem Verhältnis zur Sicherheit und seinem Selbstverständnis (Part I). Der zweite Part wendet sich weltpolitischen Konflikten zu. Das umfasst Begriff, Formationen und Austragungsformen von Konflikten. Vor diesem Hintergrund analysiert der dritte Part zentrale Konfliktbearbeitungsmechanismen und zeigt aus der Perspektive der gro‐ ßen Theorieschulen der Internationalen Beziehungen zentrale Friedensstra‐ tegien auf. Abschließend gibt das Lehrbuch einen Überblick über den Stand der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland mit seinen Instituten, Netzwerken und universitären Studiengängen sowie einen Einblick in die friedenswissenschaftliche Publikationslandschaft. Die einzelnen Kapitel des Lehrbuches folgen im Wesentlichen der gleichen Grundstruktur: Für das jeweilige Themenfeld werden zentrale Fragestellungen, Grundbegriffe, theoretische Ansätze und empirische Befunde vorgestellt. Eine annotierte Auswahlbibliografie am Ende jedes Kapitels soll helfen, den Einstieg in die entsprechende Thematik zu erleichtern. Abschließend möchte ich mich ganz herzlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen des Arbeitsbereichs Frieden der FEST bedanken, die durch ihre Anregungen und die vielen gemeinsamen Diskussionen zum Gelingen dieses Lehrbuchs beigetragen haben. Für diese zweite und aktualisierte Auflage gilt mein besonderer Dank Anna Löw, die mir bei den Recherchen, der Literaturbeschaffung sowie dem Korrekturlesen eine große Hilfe war und stets auch für Fragen und Diskussionen zur Verfügung stand. Heidelberg, August 2024 Ines-Jacqueline Werkner 10 Vorwort <?page no="11"?> Part I: Frieden - Begriffliche Vorüberlegungen <?page no="13"?> 1 So seien die Aufgaben des Friedensforschers - vergleichbar mit denen des Arztes - die Diagnose, Prognose und Therapie. 2 Dieses Kapitel stützt sich auf Werkner (2017). 1 Zum Begriff des Friedens „Der Friede ist als Sehnsucht, Hoffnung, Traum oder Verheißung eine der ältesten Ideen der Menschheit; Friedensforschung jedoch ist erst im Atomzeitalter entstanden“. In dieser Formulierung von Georg Picht (1971, S. 13) deutet sich bereits ein gewisses Spannungsverhältnis an: Einerseits war und ist der Begriff des Friedens - anders als andere sozialwissenschaft‐ liche Grundbegriffe - allgegenwärtig: in der Politik, in den Medien und in öffentlichen Debatten. Frieden gilt als hohes, wenn nicht sogar höchs‐ tes Gut, nach dem norwegischen Friedensforscher Johan Galtung (2007, S. 15) vergleichbar mit der Gesundheit eines Menschen (wie Gewalt mit der Krankheit). 1 Vor diesem Hintergrund stelle der Frieden eine zentrale Kategorie der Politik dar: „Der Friede ist der Grund und das Merkmal und die Norm des Politischen, dies alles zugleich“ (Sternberger 1986, S. 76; vgl. auch Meyers 1994, S. 17). 2 Andererseits ist die Frage, wie der Frieden inhaltlich zu fassen ist, nach wie vor umstritten. So konstatiert der Politikwissenschaftler Ernst-Otto Czempiel (2002, S. 83), die Friedensforschung habe bis heute keinen ge‐ klärten Friedensbegriff, ihr Erkenntnisinteresse sei distinkt, aber diffus. Dieser Zustand lasse sich auf verschiedene Ursachen zurückführen: Zum einen sei die Friedensforschung eine sehr junge Wissenschaftsdisziplin, galt sie bis vor wenigen Jahrzehnten noch als „ungesicherte Disziplin“ (Der Spiegel, 18.08.1969). Zum anderen verzichteten einige Friedensforscher und -forscherinnen sogar ganz darauf, den Begriff des Friedens näher zu bestimmen. Aber auch die mittlerweile in der Friedensforschung gängige Formel „Frieden ist mehr als kein Krieg“ (Rittberger 1977) bleibt diffus, hinterlässt sie doch Fragen nach dem, was dieses „Mehr“ ausmacht. Für Thorsten Bonacker und Peter Imbusch (2006, S. 130) wiederum stellt der ungeklärte Friedensbegriff gar kein Manko dar, sondern ist eher Ausdruck „einer lebendigen fachlichen und offenen Diskussion über das Profil der Friedens- und Konfliktforschung“. Dabei bewegt sich die Debatte letztlich vor allem um drei Fragen: (1) Ist Frieden mehr als die Abwesenheit von Krieg? (2) Ist Frieden eine Utopie? Herrscht erst dann Frieden, wenn die <?page no="14"?> Ursachen für Kriege überwunden und diese nicht mehr möglich sind? (3) Ist Frieden teilbar oder nur als Weltfriede vorstellbar? (vgl. auch Brock 1990, S. 72). 1.1 Gewalt und Frieden bei Johan Galtung Als zentral kann die auf Johan Galtung zurückgehende Unterscheidung zwischen negativem und positivem Frieden gelten. Er leitet den Friedens‐ begriff vom Gewaltbegriff ab (vgl. Abbildung 1). Ausgangspunkt ist der „Doppelaspekt“ der Gewalt (Galtung 1975, S. 32), bei dem Galtung zwischen personaler (direkter) und struktureller (indirekter) Gewalt differenziert. Die direkte Gewalt zielt unmittelbar auf die Schädigung, Verletzung und in extremster Form auf die Tötung von Personen. Sie ist personal und direkt, insofern es „einen Sender gibt, einen Akteur, der die Folgen der Gewalt beabsichtigt“ (Galtung 2007, S. 17; vgl. auch Bonacker und Imbusch 2006, S. 86). Strukturelle Gewalt umfasst dagegen all jene Arten von Gewalt, die aus systemischen Strukturen resultieren. Zu den Hauptformen zählen Re‐ pression und Ausbeutung. Beide sind nicht notwendigerweise beabsichtigt, auch nicht mehr individuell zurechenbar (sie basieren auf der jeweiligen politischen, ökonomischen und sozialen Verfasstheit der Welt), können aber ebenso töten - durch Verelendung, Hunger und Krankheit (Galtung 2007, S. 17; vgl. auch Bonacker und Imbusch 2006, S. 86). 14 1 Zum Begriff des Friedens <?page no="15"?> 11 Schaubild 1: Die erweiterten Begriffe von Gewalt und Frieden nach Johan Galtung (1975, S. 33) Nach Galtung greift der eng gefasste - personale beziehungsweise direkte - Gewaltbegriff deutlich zu kurz, denn auf diese Weise bleibe die Gewalt, die von „[v]öllig inakzeptable[n] Gesellschaftsordnungen“ (Galtung 1975, S. 9) ausgehe, weitgehend außen vor. Vor diesem normativen Hintergrund plädiert er für den erweiterten Gewaltbegriff. Danach liege Gewalt immer dann vor, „wenn Menschen so beeinflußt werden, daß ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung“; sie wird damit zur „Ursache für den Unterschied zwischen dem Potentiellen und dem Aktuellen, zwischen dem, was hätte sein können, und dem, was ist“ (Galtung 1975, S. 9). Frieden fasst Johan Galtung als Negation von Gewalt. Der Doppelaspekt der Gewalt findet sich somit auch in seinem Friedensbegriff wieder: „Ein erweiterter Begriff von Gewalt führt zu einem erweiterten Begriff von Frieden: Frieden definiert als Abwesenheit von personaler Gewalt und Abwesenheit GEWALT FRIEDEN strukturelle (indirekte) personale (direkte) Abwesenheit von personaler Gewalt oder negativer Frieden Abwesenheit von struktureller Gewalt oder positiver Frieden Abbildung 1: Die erweiterten Begriffe von Gewalt und Frieden nach Johan Galtung (1975, S. 33) Nach Galtung greift der eng gefasste - personale beziehungsweise direkte - Gewaltbegriff deutlich zu kurz, denn auf diese Weise bleibe die Gewalt, die von „[v]öllig inakzeptable[n] Gesellschaftsordnungen“ (Galtung 1975, S. 9) ausgehe, weitgehend außen vor. Vor diesem normativen Hintergrund plädiert er für den erweiterten Gewaltbegriff. Danach liege Gewalt im‐ mer dann vor, „wenn Menschen so beeinflußt werden, daß ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung“; sie wird damit zur „Ursache für den Unterschied zwischen dem Potentiellen und dem Aktuellen, zwischen dem, was hätte sein können, und dem, was ist“ (Galtung 1975, S. 9). Frieden fasst Johan Galtung als Negation von Gewalt. Der Doppelaspekt der Gewalt findet sich somit auch in seinem Friedensbegriff wieder: „Ein erweiterter Begriff von Gewalt führt zu einem erweiterten Begriff von Frie‐ den: Frieden definiert als Abwesenheit von personaler Gewalt und Abwesenheit 1.1 Gewalt und Frieden bei Johan Galtung 15 <?page no="16"?> 3 Die Unterscheidung zwischen negativem und positivem Frieden findet sich begrifflich erstmalig bei Johann Baptist Sartorius in seinem Werk „Organon des vollkommenen Friedens“ (1837). 4 Diese von Galtung aus Gründen der Vereinfachung eingeführte Gleichsetzung von positivem Frieden und sozialer Gerechtigkeit erweist sich als nicht unproblematisch, führt diese Verkürzung unter anderem zu semantischen Irritationen. 5 Zuvor hatte bereits Hans Saner (1982) zwischen personaler, strukturaler und symboli‐ scher Gewalt unterschieden. struktureller Gewalt. Wir bezeichnen diese beiden Formen als negativen Frieden bzw. positiven Frieden“ (Galtung 1975, S. 32). 3 Damit scheint der Begriff des negativen Friedens dem alltäglichen Ver‐ ständnis von Frieden als Abwesenheit von Krieg beziehungsweise friedens‐ wissenschaftlich formuliert als Abwesenheit organisierter militärischer Ge‐ waltanwendung zu entsprechen. Primäre Friedensaufgabe im Sinne dieses eng gefassten Friedensbegriffes stellt dann die Kontrolle und Verminderung offener Gewaltanwendung dar. Anders beim positiven Frieden: Definiert als Abwesenheit struktureller Gewalt hat er seine Entgegensetzung nicht im Krieg, eher im Unfrieden. Positiver Frieden gilt - in Anlehnung an die obige Gewaltdefinition - als ein Zustand, in dem die Verwirklichung des Menschen möglich wird. Auch wenn sich der Begriff des positiven Friedens mit der Entwicklung ändere - so wie auch der der Gesundheit in der Medizin - werden mit ihm vor allem Aspekte wie Kooperation und Integration, das Fehlen von Repression und Ausbeutung, wirtschaftliche und soziale Entwicklung sowie Gerechtigkeit und Freiheit verbunden. Insbesondere stehe der positive Frieden für soziale Gerechtigkeit 4 , bezeichne diese eine positiv definierte Bedingung, und zwar die nach gleicher Verteilung von Macht und Ressourcen (Galtung 1975, S. 32, insb. auch FN 30). Ende der 1990er Jahre ergänzte Johan Galtung seine Unterscheidung zwischen direkter und struktureller Gewalt um eine dritte Komponente: die kulturelle Gewalt. 5 So wird auch vom Galtung’schen Gewaltdreieck gesprochen. Unter kultureller Gewalt werden all jene Aspekte einer Kultur verstanden, die dazu dienen, direkte oder strukturelle Gewalt zu rechtferti‐ gen beziehungsweise zu legitimieren (Galtung 2007, S. 341). Galtung führt in seiner Definition sechs Kulturbereiche auf: Religion (beispielsweise in Form eines rigiden Monotheismus), Ideologie (wie Nationalismus), Sprache (etwa Sprachsexismus), Kunst (beispielsweise durch den Transport von stereotypen Vorurteilen), empirische Wissenschaft (zum Beispiel in Form 16 1 Zum Begriff des Friedens <?page no="17"?> des neoklassischen Wirtschaftslebens) sowie formale Wissenschaft (wie der Entweder-Oder-Charakter der Mathematik, wonach Aussagen nur wahr oder unwahr sein können) (Galtung 2007, S. 341ff.). Zudem verweist er auf Bereiche wie Recht, Medien und Erziehung (Galtung 2007, S. 18). Diese Ausweitung des Gewaltbegriffs führte vom Doppelaspekt der Gewalt zum Gewaltdreieck (vgl. Abbildung 2). Mit der Einführung der kulturellen Gewalt hat sich auch der Friedensbegriff noch einmal erweitert: „Friede = direkter Friede + struktureller Friede + kultureller Friede“ (Galtung 2007, S. 458), wobei unter kulturellem Frieden die Abwesenheit kultureller Gewalt verstanden Das beinhaltet die Überwindung von Einstellungen und Verhaltensmustern, die die Anwendung von Gewalt rechtfertigen beziehungsweise legitimieren - von den Akteuren selbst häufig gar nicht mehr als solche wahrgenommen. Aufgabe sei es daher, „aus der harten Kruste des Kollektivs Sub-Kollektive und Individuen herauszubrechen und aus Unterbewußtem Bewußtes zu machen“ (Galtung 2007, S. 415). Die Bedeutung eines kulturellen Friedens zeigen gerade religiös konnotierte Konflikte auf, die nicht selten mit einer Nichtanerkennung religiöser Minderheiten einhergehen. 1.2 Frieden - mehr als die Abwesenheit von Krieg? Galtungs Unterscheidung zwischen direkter und struktureller Gewalt sowie negativem und positivem Frieden prägt bis heute maßgeblich den friedenswissenschaftlichen Diskurs. 6 bewegen sich die Debatten - nunmehr seit mehr als 40 Jahren - stets um die eine, aber für die Friedensforschung doch zentrale Frage, wie eng beziehungsweise weit der Friedensbegriff direkte Gewalt kulturelle Gewalt strukturelle Gewalt sichtbar unsichtbar Abbildung 2: Das Gewaltdreieck nach Johan Galtung (2007) Mit der Einführung der kulturellen Gewalt hat sich auch der Friedensbegriff noch einmal erweitert: „Friede = direkter Friede + struktureller Friede + kul‐ tureller Friede“ (Galtung 2007, S. 458), wobei unter kulturellem Frieden die Abwesenheit kultureller Gewalt verstanden wird. Das beinhaltet die Über‐ windung von Einstellungen und Verhaltensmustern, die die Anwendung von Gewalt rechtfertigen beziehungsweise legitimieren - von den Akteuren selbst häufig gar nicht mehr als solche wahrgenommen. Aufgabe sei es daher, „aus der harten Kruste des Kollektivs Sub-Kollektive und Individuen herauszubrechen und aus Unterbewußtem Bewußtes zu machen“ (Galtung 2007, S. 415). Die Bedeutung eines kulturellen Friedens zeigen gerade religiös konnotierte Konflikte auf, die nicht selten mit einer Nichtanerkennung religiöser Minderheiten einhergehen. 1.2 Frieden - mehr als die Abwesenheit von Krieg? Galtungs Unterscheidung zwischen direkter und struktureller Gewalt sowie negativem und positivem Frieden prägt bis heute maßgeblich den friedens‐ 1.2 Frieden - mehr als die Abwesenheit von Krieg? 17 <?page no="18"?> 6 Die dritte Komponente, die kulturelle Gewalt beziehungsweise der kulturelle Frieden, die er im Rahmen seiner Zivilisationstheorie entwickelte, hat dagegen keine annä‐ hernde Resonanz erfahren. Das mag irritieren, gerade angesichts der zunehmenden Bedeutung kulturell beziehungsweise religiös konnotierter Konflikte. wissenschaftlichen Diskurs. 6 Dabei bewegen sich die Debatten - nunmehr seit mehr als 40 Jahren - stets um die eine, aber für die Friedensforschung doch zentrale Frage, wie eng beziehungsweise weit der Friedensbegriff gefasst werden sollte. Einerseits lässt sich in der Friedensforschung „ein ver‐ breitetes Unbehagen an einem ‚bloß‘ auf die Negation des Krieges bezogenen Friedensbegriff “ (Brock 2002, S. 96) feststellen. Dieses Unbehagen resultiert aus der Zeit der Ost-West-Konfrontation, in der Krieg durch nukleare Abschreckung vermieden werden sollte - ein Zustand „organisierter Fried‐ losigkeit“ (Senghaas 1972), ohne Krieg, jedoch stets kurz vor der Katastrophe und der Zerstörung des gesamten europäischen Kontinents. Genau diese Situation hatte Johan Galtung bei seiner Konzeption des erweiterten Gewalt- und Friedensbegriffs im Blick. So blende der negative Friedensbegriff die herrschaftlichen, sozialen und kulturellen Dimensionen des Friedens aus; mehr noch, er trage mit dazu bei, ungerechte Verhältnisse auf der Suche nach Frieden zu zementieren. Andererseits mehren sich aber auch die kritischen Stimmen gegenüber dem positiven Friedensbegriff. Dazu gehören vor allem Frankfurter Frie‐ densforscher wie Lothar Brock (1990, 2002), Ernst-Otto Czempiel (1998, 2002), Christopher Daase (1996) oder Harald Müller (2003). Ihre Kritik glie‐ dert sich in verschiedene Argumentationsstränge: forschungspraktische, ethische sowie empirische. Forschungspraktisch wird gegen den positiven Friedensbegriff seine Weite und Unbestimmtheit in Anschlag gebracht. Unklar bleibe, was konkret der Gegenstand des Friedens sei und wo die Abgrenzungen der Friedensproblematik gegenüber anderen gesellschaftli‐ chen Großthemen liegen. Ein Friedensbegriff, der von der Verhinderung und Eindämmung des Krieges über die Schaffung sozialer Gerechtigkeit bis hin zum Umweltschutz alles umfasse, verliere die Fähigkeit „zur unterschei‐ denden Beschreibung“ (Müller 2003, S. 211). „Friedensforschung bzw. die Theoriebildung über Frieden wäre für alles und das heißt im Umkehrschluss für nichts zuständig“ (Brock 1990, S. 78). In diesem Kontext fordern die Frankfurter eine Trennung von Friedensbegriff und Friedensursachen. Aus ethischer Sicht wird befürchtet, dass der positive Frieden zur Legiti‐ mation von Gewalt missbraucht werden könne. Werde Gerechtigkeit als 18 1 Zum Begriff des Friedens <?page no="19"?> 7 Dieser Gefahr ist sich auch Johan Galtung (1975, S. 34) bewusst: „Anstrengungen, sowohl personale als auch strukturelle Gewalt zu vermeiden, können leicht dazu führen, eine von beiden oder gar beide zu akzeptieren. Wenn man also die Wahl zwischen der Korrektur eines sozialen Übels mit Hilfe personaler Gewalt und dem Nichtstun hat, kann letzteres in der Tat bedeuten, daß man die Kräfte unterstützt, die für die Ungerechtigkeit verantwortlich sind. Und umgekehrt: der Gebrauch personaler Gewalt kann leicht dazu führen, daß man weder langfristige Abwesenheit von Gewalt noch Gerechtigkeit erreicht.“ Dieses Dilemma führt bei Galtung aber nicht zur Verwerfung des positiven Friedensbegriffs, sein Plädoyer lautet vielmehr, beide Ziele in gleicher Weise zu verfolgen. Alles andere sei „eine Art intellektueller und moralischer Kapitu‐ lation“ (Galtung 1975, S. 36). 8 Hinzu kommt bei Müller (2003, S. 213) das semantische Argument: Unterschiedliche Begriffe - Frieden und Gerechtigkeit - sollten auch unterschiedliche Sachverhalte benennen. wesentliches Moment des positiven Friedens in den Friedensbegriff hinein‐ genommen, stoße man - so Harald Müller (2003, S. 212) - auf zwei Probleme: Erstens könnten Gewaltfreiheit und Gerechtigkeit in Widerspruch zueinan‐ der treten. Gewalt könne zur (Wieder-)Herstellung von Gerechtigkeit in Anspruch genommen werden. 7 Zweitens gebe es verschiedene Gerechtig‐ keitsvorstellungen, die den positiven Friedensbegriff unbrauchbar machen, abgesehen davon, dass diese auch zu einer neuen Quelle von Gewalt führen können. 8 In diesem Sinne argumentiert auch Ernst-Otto Czempiel (1995, S. 167): „Da die Gerechtigkeit partikular und fraktioniert ist, ist es auch der Friedensbegriff.“ Frieden sei dann nicht das Werk der Gerechtigkeit, sondern des Gewaltverzichts. Ferner ergebe sich ein ethisches Problem aus der unzulänglichen Differenzierung direkter und struktureller Gewalt, denn während Tod und Verstümmlung irreversible Zustände sind, haben Ausbeutung und Repression zumindest hypothetisch die Chance ihrer Reversibilität (Müller 2003, S. 212f.). Schließlich sei der positive Friedensbegriff mit seiner Intention aus der Zeit der Ost-West-Konfrontation empirisch überholt. Angesichts der gegen‐ wärtigen weltpolitischen Lage sei der negative Frieden - die Eindämmung, Beendigung und Verhinderung von Kriegen - wichtiger denn je, während der positive Frieden in dieser Situation fast schon anachronistisch erscheine (Bonacker und Imbusch 2006, S. 132). Auch werde mit dem Begriff des ne‐ gativen Friedens eine qualitative Abwertung insinuiert, die sich empirisch in keiner Weise rechtfertigen lasse. So sei bereits die Abwesenheit kollektiver Gewaltanwendung ein hohes Gut und in ihrer Bedeutung gar nicht zu überschätzen (Huber und Reuter 1990, S. 22). 1.2 Frieden - mehr als die Abwesenheit von Krieg? 19 <?page no="20"?> 9 Dagegen lässt sich natürlich einwenden, dass auch der negative Friedensbegriff nicht nur den Zustand zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation ausdrücke. Nehme man ihn ernst, so Czempiel selbst, sei dieser durchaus anspruchsvoll und nicht nur als prekärer oder temporärer Frieden denkbar. 10 Diese Strategien bleiben nicht ausschließlich auf die personale Ebene beschränkt, sie reichen auch in die anderen Bereiche hinein. Diese Kritik bedeutet für die hier angeführten Vertreter aber nicht, sich im Umkehrschluss für den negativen Frieden auszusprechen; die Forderung besteht vielmehr nach einem engen Friedensbegriff. Was dieses „Mehr“ ge‐ genüber dem negativen Friedensbegriffs ausmachen soll, lässt sich bis heute schwer exakt fassen; und auch die Übergänge - sowohl in die eine als auch in die andere Richtung - erweisen sich als fließend. Übereinstimmung unter den Befürwortern des engen Friedensbegriffs scheint in der Trennung von Friedensbegriff und Friedensursachen zu liegen. Der Friedensbegriff setze dann auf die „Eliminierung des Krieges“ (Czempiel 2002, S. 84), und zwar im substanziellen Sinne: Er fokussiere auf die Verhinderung des Krieges, einschließlich der Bereitschaft zum Krieg, und auf einen Konfliktaustrag, der durch Gewaltverzicht gekennzeichnet sei. Beispielhaft hierfür sei die Definition von Ernst-Otto Czempiel: „Friede besteht in einem internationalen System dann, wenn die in ihm ablau‐ fenden Konflikte kontinuierlich ohne die Anwendung organisierter militärischer Gewalt bearbeitet werden.“ (Czempiel 1998, S. 45) Das mache die Begriffsdefinition, so ähnlich sie zunächst der des negativen Friedens erscheint, voraussetzungsreich. Sie unterscheide sich deutlich von einem „Friedens“-Zustand zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation; hinzu trete ihre zeitliche Dimension: Friede als dauerhafter Friede. 9 Ausgehend von einem eng, aber substanziell gefassten Friedensbegriff werde dann nach den konkreten Bedingungen des Friedens gefragt. Dabei lassen sich verschiedene Zugänge ausmachen: Ansätze auf der Mikroebene zielen auf die individuellen Bedingungen gewaltfreier Kon‐ fliktaustragung und umfassen verschiedene Streitbeilegungsmechanismen, Formen friedlicher Konfliktbeilegung, Konflikttransformation oder auch konsensorientierte Konfliktlösungsstrategien. 10 Die Mesoebene fokussiert auf gesellschaftliche Friedensbedingungen. Hier spielen Theorien der De‐ mokratisierung und Zivilisierung (Demokratischer Frieden, Zivilisatori‐ sches Hexagon etc.) eine zentrale Rolle. Auf der Makroebene werden vor allem systemische Bedingungen untersucht. Dazu zählen Ansätze, die auf 20 1 Zum Begriff des Friedens <?page no="21"?> 11 Der eschatologische Friedensbegriff versteht sich im prophetischen Sinne. Er orientiert sich in Erwartung eines messianischen völkerumspannenden Friedensreiches an dem „vorbehaltlos positiven“ Schöpfungszustand (Schmid 1983, S. 605). eine Transformation der Struktur des internationalen Systems zielen wie beispielsweise Verrechtlichung, internationale Organisationen und Regime sowie wirtschaftliche Kooperation und Freihandel. Zudem finden sich kon‐ struktivistische Ansätze, die auf eine Veränderung von Wahrnehmungen und der Etablierung einer Friedenskultur setzen. Der Philosoph Georg Picht (1975, S. 46) vertritt dagegen die These, es gehöre zum Wesen des Friedens, dass er nicht definiert werden könne. Stattdessen fokussiert er auf die Dimensionen politischen Handelns, an‐ hand derer der Friedenszustand realisiert werden müsse, denn - so Picht (1971, S. 33) - „[w]enn wir Frieden herstellen, definiert er sich selbst“. In diesem Kontext deckt er drei Parameter des Friedens auf, die unauflöslich miteinander zusammenhängen: Schutz gegen Gewalt, Schutz vor Not und Schutz der Freiheit. Der Politikwissenschaftler Dieter Senghaas fügt später eine vierte Dimension hinzu: Schutz vor Chauvinismus beziehungsweise positiv formuliert die Anerkennung kultureller Vielfalt (vgl. Senghaas und Senghaas-Knobloch 2017). Nach Picht (1971, S. 33) müsse jede Ordnung - innergesellschaftlich wie international - friedlos sein, die eine dieser Dimensionen vernachlässige. Auch wenn Picht explizit auf eine Definition des Friedens verzichtet, lässt sich unschwer erkennen, dass Frieden hier inhaltlich weiter als der negative Frieden gefasst wird. 1.3 Frieden - eine Utopie? Zeichnet der Frieden - und das ist die zweite Frage, die sich an den Friedens‐ begriff stellt - politische und soziale Vorstellungen einer idealen Ordnung, die auf die Zukunft gerichtet sind, in der Realität aber nicht ihren Ort haben? Die chronischen, aber auch aktuellen Kriege und gewaltsam ausgetragenen Konflikte, nicht zuletzt das Ausbleiben des prognostizierten „Endes der Geschichte“ (Fukuyama 1992) scheinen diese Annahme zu stützen. Aber auch die These vom Krieg als eine Konstante der conditio humana lässt sich, und dafür spricht die europäische Geschichte, empirisch widerlegen. Wie verhält es sich nun mit dem „unausweichlich Utopische[n] im Reden über den Frieden“ (Brock 2002, S. 110)? Betrachten wir den positiven Frie‐ den, lässt dieser eine gewisse Nähe zum eschatologischen Friedensbegriff 11 1.3 Frieden - eine Utopie? 21 <?page no="22"?> 12 Diese Nähe zwischen christlichen und politologischem Friedensbegriffen erscheine zwar - so Czempiel (1971, S. 125) - auf den ersten Blick irritierend, zwischen ihnen bestehen aber häufig Beziehungen, teilweise sogar Isomorphien. erkennen: Frieden als das Werk der Gerechtigkeit (opus iustitiae pax). 12 Das eschatologische Moment ist der Galtung’schen Definition eingeschrieben: Wenn strukturelle Gewalt zur „Standardbeschreibung gesellschaftlicher Wirklichkeit“ (Müller 2003, S. 212) wird, fällt ihr Abbau - und als Pendant dazu die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit - in den Bereich dessen, was als „handlungsleitende Utopie“ beschrieben werden kann (Czempiel 1971, S. 126; vgl. auch Bonacker und Imbusch 2006, S. 128). Aber auch der enge Friedensbegriff kann diese Spannung nicht völlig auflösen. Selbst Frieden im Sinne einer (dauerhaften) Abwesenheit von Krieg scheint unmöglich, solange Gewaltakteure vom Krieg profitieren. Das sind heute nicht in erster Linie Staaten, sondern Akteure unterhalb dieser Ebene (die sogenannten „neuen Kriege“). Das Problem dahinter scheint von grundsätzlicher Natur: Wenn Krieg - so Herfried Münkler (2009, S. 367f.) - zu einer Lebensform werde, weil diejenigen, die Gewalt anwenden, davon leben, gerate die historisch gewachsene Trennung von Krieg und Frieden in Gefahr. Einen Ausweg aus dem „unausweichlich Utopischen“ bietet Czempiels Formel vom Frieden als dynamischer Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit (vgl. Abbildung 3). Czempiel nimmt die zeitli‐ che Dimension des Friedens in den Begriff mit hinein. Frieden gilt nicht als (Ideal-)Ziel oder Zustand gesellschaftlichen und politischen Handelns, sondern wird als ein historischer Prozess der Zivilisierung von Konflikten, d. h. der Institutionalisierung dauerhafter und gewaltfreier Formen der Konfliktbearbeitung begriffen. Damit lässt sich die Realität im historischen Prozess verorten und in Relation zu diesem messen (u. a. Meyers 2011, S. 41; Müller 2003, S. 217). 22 1 Zum Begriff des Friedens <?page no="23"?> 1.4 Friede als Weltfriede? organisierte militärische Gewaltanwendung Gewaltandrohung, Aufrüstung, Boykotte, Sanktionen, (Kalter Krieg) machtpolitische Konkurrenz mit latenter Gewaltandrohung (Koexistenz, Rüstungskontrolle, Abschreckung) Machtpolitik mit Berücksichtigung von Interessen (Verhandlung, Entspannung, Abrüstung) Machtpolitik als wechselseitige Anpassung; Funktionslosigkeit des Militärs (Kooperation, Integration) Nicht- Frieden Frieden Phase 1 Frieden Phase 2 Frieden Phase 3 Frieden Phase 4 Krieg Frieden abnehmende Gewalt, zunehmende Gerechtigkeit Abbildung 3: Phasenmodell des Friedens nach Ernst-Otto Czempiel (1998, S. 65) 1.4 Friede als Weltfriede? Zunehmende Interdependenz und Globalisierung, unter anderem bedingt durch technische Innovationen, politische Entscheidungsprozesse und Maßnahmen zur Liberalisierung des Welthandels, prägen das internationale System. Auch die äußeren Beziehungen von Staaten werden immer enger miteinander verknüpft; ebenso steigt die Zahl der weltpolitischen Akteure dramatisch an. Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich eine dritte Frage an den Friedensbegriff, die der räumlichen Dimension und geografischen Reichweite, oder anders formuliert: Ist Frieden teilbar oder nur als Weltfriede vorstellbar? Prominent für die Sichtweisen zu Zeiten des Ost-West-Konflikts ist die Rede von Carl Friedrich von Weizsäcker anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Oktober 1963. Seine dort formulierte erste These lautet: „Der Weltfriede ist notwendig. Man darf fast sagen: der Weltfriede ist unver‐ meidlich. Er ist Lebensbedingung des technischen Zeitalters. Soweit unsere menschliche Voraussicht reicht, werden wir sagen müssen: Wir werden in einem Zustand leben, der den Namen Weltfriede verdient, oder wir werden nicht leben.“ Zentraler Bezugspunkt dieser These ist der wissenschaftlich-technische Fortschritt und die stetige Entwicklung der Waffentechnik, insbesondere die Existenz von Atomwaffen einschließlich ihres möglichen Gebrauchs. 1.4 Friede als Weltfriede? 23 <?page no="24"?> Angesichts dieser Gefahr werde der Frieden zwingend und der Weltfriede zur „Lebensbedingung des technischen Zeitalters“; denn die Alternative zum Frieden sei im Atomzeitalter nicht mehr der Krieg, sondern der „biologische Untergang der Menschheit“ (Picht 1971, S. 24). Wie lässt sich diese Frage heute beantworten? Ist Frieden nur als Weltfrieden denkbar? Die Friedensforschung ist in dieser Frage gespalten. Für viele Vertreterin‐ nen und Vertreter des weiten beziehungsweise positiven Friedensbegriffs ist Frieden unteilbar. Interdependenz und Globalisierung machen es unmög‐ lich, Frieden räumlich zu begrenzen. So sei ein regionaler Friede ein Wider‐ spruch in sich und nur der Weltfriede ein stabiler Frieden (Schwerdtfeger 2001, S. 204; vgl. auch Bonacker und Imbusch 2006, S. 131). Dieser Aspekt schwingt auch bei Weizsäckers Rede mit, wenn er von einer „allmählichen Verwandlung der bisherigen Außenpolitik in Welt-Innenpolitik“ spricht und damit den Übergang zu einer Weltgesellschaft im Blick hat. Dagegen halten Friedensforscher wie Harald Müller (2003, S. 216) einen regionalen Frieden für durchaus möglich. Müller bedient sich zum einen des semantischen Arguments: Wenn Frieden nur als Weltfrieden denkbar sei, warum unterscheide man dann beide Begriffe? Zum anderen sei es trotz globaler Interdependenzen nicht zwingend, dass beispielsweise Gewaltkonf‐ likte in Sierra Leone Einfluss auf den Frieden in Skandinavien haben. Ebenso könne man einen Frieden zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union konstatieren, auch wenn bestimmte Regionen wie Nordirland oder das Baskenland davon ausgenommen seien oder in vielen EU-Ländern auch innergesellschaftliche Gewalt (zum Beispiel gegenüber Immigrantinnen und Immigranten) existiere. Notwendig sei es aber, die Akteure präzise zu benennen, denn Friede herrsche immer „zwischen bestimmten sozialen und politischen Kollektiven“ (Müller 2003, S. 216). Mit Rückgriff auf Lothar Brock (2002, S. 106) schlägt Müller vor, als Weltfriede „die Gesamtzahl der Räume, in denen Menschen friedlich zusammenleben“ zu bezeichnen. Damit verbleibe der Weltfriede nicht nur auf der internationalen Ebene, sondern schließe auch die innergesellschaftliche Dimension mit ein. 1.5 Fazit Was kann nun als angemessener Friedensbegriff in der Friedensforschung gelten? Einfache Antworten auf diese Frage wird es angesichts der beste‐ henden Kontroversen nicht geben können. Der enge Friedensbegriff scheint 24 1 Zum Begriff des Friedens <?page no="25"?> durch seine inhaltliche Fokussierung auf die Eliminierung des Krieges und seine klare Abgrenzung zu Bereichen wie Entwicklung und Gerechtig‐ keit, die als Friedensbedingungen fungieren, methodisch-theoretisch wie handlungspolitisch praktikabel. Diese Stärke ist zugleich aber auch seine Schwäche, steht der enge Friedensbegriff doch in der Gefahr, das Wesen des Friedens zu verkürzen. Dagegen ermöglicht der positive Friedensbegriff ein umfassendes Verständnis von Frieden einschließlich einer Friedenspolitik, die auf die Überwindung struktureller Gewalt abzielt, steht aber in der Kritik, so umfassend zu sein, dass er sich einer Operationalisierung entziehe. Statt einer Dichotomisierung sollten die verschiedenen Begriffe und Friedensan‐ sätze stärker zueinander in Beziehung gesetzt werden. Hierbei kann sich das Verständnis von Frieden als Prozess, insbesondere das Phasenmodell des Friedens von Ernst-Otto Czempiel mit seinen Abstufungen als hilfreich erweisen. Aber auch das Bild eines Friedens in konzentrischen Kreisen kann die verschiedenen Erwartungen an den Friedensbegriff miteinander verbinden: mit der Abwesenheit direkter Gewalt beziehungsweise der Eli‐ minierung des Krieges als innersten Kreis und Kern des Friedensbegriffs und der Abwesenheit struktureller sowie kultureller Gewalt als weitere, nicht zu vernachlässigende, wenn auch fernerstehende Friedensinhalte. Weiterführende Literatur: Czempiel, Ernst-Otto. 1998. Friedensstrategien. Eine systematische Darstellung außenpolitischer Theorien von Machiavelli bis Madariaga. 2. akt. u. überarb. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag. Der Autor diskutiert sehr facettenreich den Friedensbegriff und Friedensstrategien. Zentral ist seine Darstellung des Friedens als Prozess. Galtung, Johan. 1975. Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konflikt‐ forschung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Dieses Buch gilt als ein Klassiker der Friedensforschung, in dem Johan Galtung seinen zentralen Ansatz der strukturellen Gewalt darstellt. Sahm, Astrid, Manfred Sapper und Volker Weichsel (Hrsg.). 2002. Die Zukunft des Friedens. Eine Bilanz der Friedens- und Konfliktforschung. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Ein Sammelband, der prominente Autorinnen und Autoren versammelt und die neueren Debatten in der Friedensforschung (zum Begriff, aber auch zu seinen Akteuren und Strategien) aufgreift und bilanziert. 1.5 Fazit 25 <?page no="27"?> 2 Frieden und Sicherheit „Frieden ist gut - Sicherheit ist besser? “ - Mit dieser rhetorischen Frage macht der Friedensforscher Johannes Schwerdtfeger (1991, S. 21) auf die Verdrängung des Friedensbegriffs durch den Sicherheitsbegriff aufmerksam und unterstreicht mit Dietrich Bonhoeffer: „Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit! “. Diese Entwicklung beklagt auch der Politik‐ wissenschaftler Christopher Daase (2010b, S. 9): „Sicherheit ist der zentrale Wertbegriff unserer Gesellschaft. Das war nicht immer so. Noch vor wenigen Jahren konkurrierten die Begriffe ‚Sicherheit‘ und ‚Frieden‘ um den Vorrang in Strategiedebatten und Parteiprogrammen. Heute ist ‚Sicherheit‘ der Goldstandard nationaler und internationaler Politik, und vom Frieden wird fast nur noch in politischen Sonntagsreden gesprochen.“ Was steht hinter diesem Wechsel der Termini? Lassen sich Frieden und Sicherheit synonym verwenden? Sind sie wechselseitig aufeinander bezo‐ gen im Sinne von „ohne Frieden keine Sicherheit und ohne Sicherheit kein Frieden“? Oder macht es einen erkennbaren Unterschied, von Frieden beziehungsweise von Sicherheit zu sprechen und können Frieden und Sicherheit vielleicht sogar in Widerspruch zueinander geraten? 2.1 Was heißt Sicherheit? Die etymologische Wurzel des Wortes Sicherheit (se cura, lateinisch) steht für „ohne Sorge sein“. In diesem Sinne lässt sich Sicherheit als die Abwe‐ senheit von Bedrohungen definieren. Diese Bestimmung verweist auf die subjektive Dimension des Begriffs, abhängig von persönlichem Empfinden, historischen Erfahrungen oder Einflüssen der Umwelt (vgl. auch im Folgen‐ den Gießmann 2011; Nielebock 2016; Jaberg 2017a). Später kommt mit dem lateinischen tutus im Sinne von Sicherheit als Schutz eine objektive Dimension hinzu. Diese inhaltliche Erweiterung ist untrennbar mit der Entstehung der Nationalstaaten (mit dem Westfälischen Frieden von 1648) verbunden. Wirkmächtig wurden in diesem Kontext insbesondere die Ausführungen von Thomas Hobbes im Leviathan (1651). In seinem dort entwickelten Gesellschaftsvertrag wurde Sicherheit zum „Zentralbegriff des Staatszwecks“ (Conze 1984, S. 845). Danach unterwerfen <?page no="28"?> sich die Bürger und Bürgerinnen freiwillig dem Staat; im Gegenzug dafür garantiert er ihnen Sicherheit. Mit der Westfälischen Ordnung und der Konstituierung der modernen Nationalstaaten kommt es zugleich zu einer Ausdifferenzierung der Staats‐ aufgabe Sicherheit, die auch schon in Hobbes’ Leviathan angelegt ist: Zum einen hat der Staat seine Bürgerinnen und Bürger vor Angriffen Dritter zu schützen (äußere Sicherheit, vorrangig verstanden als militärische Sicherheit); zum anderen hat er Gefahren für die öffentliche Sicherheit und innerstaatliche Ordnung abzuwehren (innere Sicherheit). Sicherheit als Staatszweck in Thomas Hobbes’ Leviathan (1651): „Der alleinige Weg zur Errichtung einer […] allgemeinen Gewalt, die in der Lage ist, die Menschen vor dem Angriff Fremder und vor gegenseitigen Übergriffen zu schützen und ihnen dadurch eine solche Sicherheit zu verschaffen, daß sie sich durch eigenen Fleiß und von den Früchten der Erde ernähren und zufrieden leben können, liegt in der Übertragung ihrer gesamten Macht und Stärke auf einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen, die ihre Einzelwillen durch Stimmenmehrheit auf einen Willen reduzieren können“ (Hobbes 1984 [1651], S. 134). „Die Aufgabe des Souveräns, ob Monarch oder Versammlung, ergibt sich aus dem Zweck, zu dem er mit der souveränen Gewalt betraut wurde, nämlich der Sorge für die Sicherheit des Volkes. […] Mit ‚Sicherheit’ ist hier aber nicht die bloße Erhaltung des Lebens gemeint, sondern auch alle anderen Annehmlichkeiten des Lebens, die sich jedermann durch rechtmäßige Arbeit ohne Gefahr oder Schaden für den Staat erwirbt“ (Hobbes 1984 [1651], S. 255). Mit den Globalisierungsdebatten der 1970er Jahre und verstärkt mit dem Ende des Kalten Krieges sowie den jüngsten Entwicklungen seit den Ter‐ roranschlägen vom 11. September 2001 sind Diskurse um Erweiterungen eines Sicherheitsbegriffs erkennbar, der sich nicht mehr nur auf die staatli‐ che Sphäre und „die äußere und innere Funktionsfähigkeit von Staaten“ (Gießmann 2011, S. 548) beschränkt, sondern zunehmend auch die gesell‐ schaftliche und individuelle Ebene einbezieht. Als ein Meilenstein dieser Entwicklung kann dabei - ausgehend von dem Reaktorunglück in Tscher‐ 28 2 Frieden und Sicherheit <?page no="29"?> nobyl - der Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, der sogenannte Brundtland-Bericht, gelten. Aus dem Bericht der Brundtland-Kommission (1987): „Konflikte können nicht nur aus politischen und militärischen Bedro‐ hungen der nationalen Souveränität entstehen, sie können ebenso gut ausbrechen infolge von Umweltzerstörungen und des Verspielens von Entwicklungsmöglichkeiten.“ (Kap. 11.37) „Eine solche Neubestimmung könnte erreicht werden, wenn man sich generell auf eine umfassendere Definition von Sicherheit verständigen könnte und wenn militärische, politische, umweltbedingte und andere Konfliktquellen einbezogen würden.“ (Kap. 11.44) Daase (2010a, b) unterscheidet vier Dimensionen der Erweiterung des Sicherheitsbegriffs (vgl. Abbildung 4): ▸ inhaltlich: von der militärischen zur wirtschaftlichen und ökologischen, mittlerweile auch zur humanitären Sicherheit; ▸ von seinem Referenzrahmen her: von der nationalen zur menschlichen Sicherheit; ▸ geografisch: von der territorialen zur globalen Sicherheit sowie ▸ bezüglich der Gefahrendimension: von der Bedrohungsabwehr zur Risikovorsorge. 2.1 Was heißt Sicherheit? 29 <?page no="30"?> 21  geografisch: von der territorialen zur globalen Sicherheit sowie  bezüglich der Gefahrendimension: von der Bedrohungsabwehr zur Risikovorsorge. Schaubild 4: Dimensionen des erweiterten Sicherheitsbegriffs (Daase 2010a, S. 3) Die inhaltliche beziehungsweise Sachdimension definiert die Problembereiche, in denen Sicherheitsgefahren festgestellt werden. Dabei wird Sicherheit traditionell militärisch verstan- Referenzdimension Sachdimension Gefahrendimension ökonomisch ökologisch humanitär international Risiko Individuum regional Verwundbarkeit Gesellschaft Staat Bedrohung militärisch national Raumdimension global Abbildung 4: Dimensionen des erweiterten Sicherheitsbegriffs nach Christopher Daase (2010a, S. 3) Die inhaltliche beziehungsweise Sachdimension definiert die Problemberei‐ che, in denen Sicherheitsgefahren festgestellt werden. Dabei wird Sicherheit traditionell militärisch verstanden. Das traf insbesondere für die ersten Jahrzehnte der bipolaren Konstellation des Kalten Krieges zu, verbunden mit einem riesigen Nuklearwaffenpotenzial sich gegenüberstehender Groß‐ mächte. Erst mit der Entspannungspolitik der 1970er Jahre wurden auch Herausforderungen neuer Art wahrgenommen. Dazu zählten insbesondere die Ölkrisen 1973 und 1979. Seit dieser Zeit gilt Sicherheit nicht mehr nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich als Zugang zu wichtigen strategi‐ 30 2 Frieden und Sicherheit <?page no="31"?> schen Ressourcen. In den 1980er Jahren, ausgelöst durch das Reaktorunglück in Tschernobyl, erweiterte sich der Sicherheitsbegriff erneut. Bedrohungen werden nunmehr auch ökologisch gefasst. So wird auch der Klimawandel zunehmend unter dem Sicherheitsaspekt verhandelt. Mit den Debatten um den Menschenrechtsschutz und die Responsibility to Protect Anfang der 2000er Jahre erfährt der Sicherheitsbegriff eine weitere inhaltliche Ausdehnung um den Faktor der humanitären Sicherheit. Die zweite Dimension bezieht sich auf das Referenzobjekt und damit auf die Frage, wessen Sicherheit gewährleistet werden soll. Aus der Perspektive des politischen (Neo-)Realismus, wie sie dem Leviathan zugrunde liegt, bedeutet Sicherheit die Sicherheit des Staates vor äußeren Feinden (natio‐ nale Sicherheit). Im Fokus steht hier die Aufrechterhaltung der staatlichen Souveränität. Liberale Vertreterinnen und Vertreter betonen zudem die Gesellschaft als Referenzobjekt. So heißt es bei Wilhelm von Humboldt: „Diejenigen, deren Sicherheit erhalten werden muss, sind auf der einen Seite alle Bürger in völliger Gleichheit, auf der anderen Seite der Staat selbst“ (zit. nach Daase 2010a, S. 10). Zu einem Perspektivenwechsel kommt es mit dem Konzept der menschlichen Sicherheit (human security). Hier steht nicht mehr der Staat oder die Gesellschaft als Gesamtheit, sondern das Individuum im Fokus der Betrachtung. Dieser Ansatz steht im Kontext kosmopolitischer Einflüsse, die dem Individuum und seinen Rechten Vorrang vor Gruppen- und Staatenrechten einräumen. Dabei verfolgt menschliche Sicherheit das Ziel, die Menschen vor direkten und gravierenden Bedrohungen zu schützen und sie zu befähigen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen (vgl. Commis‐ sion on Human Security 2003). Das umfasst dann auch „neue Gefahren für die Sicherheit“ wie „Kriminalität, soziale Not, Krankheit, Armut, Arbeitslo‐ sigkeit, Migration, illegaler Drogen- und Waffenhandel“ (Daase 2010b, S. 10). Der Bericht der Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen spricht von sieben Dimensionen menschlicher Sicherheit: von der wirtschaftlichen Sicherheit, der Ernährungssicherheit, der gesundheitlichen Sicherheit, der Umweltsicherheit, der persönlichen Sicherheit, der Sicherheit der Gemein‐ schaft sowie der politischen Sicherheit (vgl. UNDP 1994, S. 24f.). Die dritte Dimension beinhaltet die Raumdimension und die Frage, für welches geografische Gebiet Sicherheit angestrebt wird. Im traditionellen Verständnis wird mit Sicherheit die Sicherheit des nationalen Territoriums eines Staates gefasst. Dieser staatszentrierte Zugang steht in einem engen Kontext mit realistischen und neorealistischen Theorieansätzen der Interna‐ tionalen Beziehungen (vgl. Waltz 1979). Regionale Sicherheitsgemeinschaf‐ 2.1 Was heißt Sicherheit? 31 <?page no="32"?> ten wie beispielsweise die NATO beziehen Verbündete in das Sicherheits‐ streben mit ein; das Territorialprinzip wird regional, in der Regel auf der Basis eines gemeinsamen Wertefundaments, ausgedehnt - am Beispiel der NATO auf den euro-atlantischen Raum. Eine nochmalige Erweiterung er‐ folgt mit der internationalen Sicherheit. Dieser sicherheitspolitische Ansatz zielt auf staatliche Koexistenz und zwischenstaatliche Stabilität. Dahinter steht eine institutionalistische Perspektive (vgl. Keohane 1989), verbun‐ den mit der Annahme, dass auch unter Bedingungen der Anarchie des internationalen Staatensystems Kooperationen im gegenseitigen Interesse möglich sind. Ein klassisches Beispiel stellen hier Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen dar. Noch weitreichender greift das Konzept der globalen Sicherheit. Es basiert auf kosmopolitischen Ansätzen und steht in einem engen Kontext mit der menschlichen Sicherheit. Globale Sicherheit geht von einer poststaatlichen Konstellation aus mit der „Menschheit als Ganzes und [der] Aussicht auf eine globale Weltgesellschaft freier Indivi‐ duen“ (Daase 2010b, S. 13). Die vierte Dimension schließlich erfasst die Gefahrendimension. Mit ihr verbindet sich die Art und Weise, wie Gefahren verstanden und Unsi‐ cherheiten konzeptualisiert werden: Das kann auf verschiedenen Wegen erfolgen: „als Abwehr von Bedrohungen, als Verringerung von Verwundbar‐ keit und als Reduzierung von Risiken“ (Daase 2010a, S. 15). Traditionell (wie beispielsweise zu Zeiten des Ost-West-Konflikts) steht Sicherheit für die Abwehr von Bedrohungen. Diese beziehen sich auf territorial begrenzte Räume und setzen „die Existenz eines gegnerischen Akteurs, eine feindliche Intention und ein militärisches Potenzial“ (Daase 2010a, S. 15) voraus. In Zeiten wachsender ökonomischer und ökologischer Interdepen‐ denzen innerhalb der internationalen Staatenwelt lassen sich Gefahren nicht mehr allein durch feindliche Akteure und ihre militärischen Potenziale ausmachen, sondern auch durch „Verwundbarkeiten“ durch externe Effekte im Sinne von Abhängigkeitsverhältnissen, die eigene Handlungsoptionen einschränken. Mit dem Ende des kalten Krieges dominierte der Begriff des Risikos. Dazu zählten in erster Linie der transnationale Terrorismus, aber auch die nukleare Proliferation, organisierte Kriminalität oder Migra‐ tion. Diese Verschiebung von der Bedrohungsabwehr zur Risikovorsorge bedeutet zugleich, Unsicherheiten auf Ungewissheiten auszuweiten. Eine Sicherheitspolitik, die durch Risiken bestimmt wird, „kann nicht länger reaktiv sein, wie im Falle von Bedrohungen, sondern sie muss proaktiv werden und den Risiken ‚begegnen‘“ (Daase 2010a, S. 17). 32 2 Frieden und Sicherheit <?page no="33"?> 13 Ein klassisches Beispiel stellt die Migration dar: Wurde sie in den 1950er und 1960er Jahren noch als erwünschte ökonomische Maßnahme interpretiert, verbunden mit i. d. R. positiven Konnotationen, gilt diese seit den 1980er Jahren zunehmend als Problemanzeige, gefasst als Bedrohung sozialer Identität und Wohlfahrtsstaatlichkeit. Mit diesen Erweiterungen des Sicherheitsbegriffs gehen zugleich Gefah‐ ren einher. Das Streben nach Sicherheit gilt neben Herrschaft und wirt‐ schaftlicher Wohlfahrt als elementare Staatsaufgabe (vgl. Czempiel 2004, S. 8), begründet es nach Thomas Hobbes überhaupt erst die Existenz des Staates. Wenn aber Sicherheit „zum Maßstab politischen und gesellschaft‐ lichen Handelns“ erhoben wird, liegt in der Erweiterung des Sicherheits‐ begriffs die Gefahr, „sämtliche sozialen und politischen Beziehungen als Abwehr von mutmaßlichen Bedrohungen zu verstehen“ (Gießmann 2011, S. 543). Dieses Phänomen wird unter dem Schlagwort der „Versicherheitli‐ chung“ (securitization) verhandelt. Dafür steht die in den 1990er Jahren von Barry Buzan, Ole Waever und Jaap de Wilde entwickelte und stark im Konstruktivismus verankerte Kopenhagener Schule (vgl. Buzan et al. 1998). Sie setzt bei der subjektiven Dimension von Sicherheit an. Danach konstruieren Sprechakte, konkret die Benennung von Problemen als Sicher‐ heitsprobleme, einen Ausnahmezustand, der außerordentliche Maßnahmen rechtfertigt und bestehende Entscheidungswege außer Kraft setzen kann. 13 2.2 Friedensversus Sicherheitslogik Die Begriffe Frieden und Sicherheit lassen Parallelen, aber auch Divergen‐ zen erkennen. Einerseits zeigt der erweiterte Sicherheitsbegriff - wie am Beispiel menschlicher Sicherheit - „eine große Nähe zu den von Picht eingeführten Konstitutionsbedingungen des Friedens“ (Nielebock 2016, S. 9) auf. Die Kriterien menschlicher Sicherheit nach dem Bericht der Entwick‐ lungsorganisation der Vereinten Nationen (UNDP 1994, S. 3) als freedom from fear (Freiheit von Furcht) und freedom from want (Freiheit von Not) korrespondieren offensichtlich mit den Picht’schen Parametern des Friedens (Schutz gegen Gewalt, Schutz vor Not und Schutz der Freiheit). Andererseits erweisen sich Frieden und Sicherheit aber auch als „differente Kategorien“ ( Jaberg 2017a, S. 43) und „nicht […] auf gleicher Ebene verrechenbare Größen“ (Daase und Moltmann 1991, S. 45). Beide Begriffe implizieren unterschiedliche Logiken. Dahinter stehen eigene Formen beziehungsweise Grammatiken, die sich im Laufe der Geschichte herausgebildet haben und 2.2 Friedensversus Sicherheitslogik 33 <?page no="34"?> das Denken und Handeln innerhalb der jeweiligen Kategorien prägen (vgl. Jaberg 2017b, S. 170). Nach der Friedensforscherin Sabine Jaberg (2017a, S. 46) zeigen sich in der Auseinandersetzung mit den Begriffen Frieden und Sicherheit zwei ka‐ tegoriale Differenzen: Während erstens Frieden nur gemeinsam mit anderen Akteuren verwirklicht werden könne und in diesem Sinne einen sozialen Begriff darstelle, müsse Sicherheit - insbesondere in ihrem traditionellen Verständnis als Sicherheit vor oder gegen andere - als „asozialer Begriff “ gefasst werden, der vom einzelnen Akteur her denke. So komme im Kontext von Sicherheit dem Anderen keine eigene Wertigkeit zu, diese ergebe sich vielmehr aus der Relevanz für das eigene Sicherheitsstreben. Zweitens setze Frieden - zielt dieser Begriff auf Gewaltfreiheit - den Akteuren Grenzen. Das „wechselseitige Anerkennungsverhältnis“ fordere von ihnen als innere Haltung „Liebe“, „Güte“ und die „Einsicht in die prinzipielle Untauglichkeit gewaltsamer Mittel“ sowie im konkreten Handeln „den Abbau gewaltgene‐ rierender Strukturen und den Aufbau friedlicher Bearbeitungskapazitäten“. Eine Sicherheitslogik weise „diesbezüglich keine immanenten Schranken“ auf. Im Gegenteil, sie tendiere zur Grenzenlosigkeit bezüglich (a) der Wahl der Mittel, denn auch Krieg werde unter Umständen als legitim erachtet; (b) des Zeitrahmens, der gegebenenfalls ein präemptives oder gar präven‐ tives Agieren gerechtfertigt erscheinen lasse; (c) der Reichweite, wonach prinzipiell jedes Politikfeld als sicherheitsrelevant betrachtet werden könne (Versicherheitlichung) sowie (d) der Reaktion der Exekutive, von der Dra‐ matisierung der Lage bis hin zu einer Eskalation im Handeln (vgl. Jaberg 2014). Auch die Friedensforscherin Hanne-Margret Birckenbach (2014) differen‐ ziert zwischen einer Friedens- und Sicherheitslogik. In ihren Ausführungen fokussiert sie auf fünf zentrale Prinzipien friedenslogischen Denkens und Handelns: ▸ das Prinzip der Gewaltprävention mit der Zielsetzung, „vorausschauend deeskalierend“ (S. 4) tätig zu sein; ▸ das Prinzip der Konflikttransformation, basierend auf dem Verständnis, dass Gewalt nicht außerhalb, sondern zwischen Konfliktparteien ent‐ steht, und auch der eigene Anteil an Gewalt reflektiert werden muss; ▸ das Prinzip der Dialog- und Prozessorientierung mit dem Ziel, in einer zu‐ nehmend interdependenten Welt „Gelegenheiten für einen verstärkten 34 2 Frieden und Sicherheit <?page no="35"?> 14 Detailliertere Ausführungen zu diesen fünf Prinzipien bei Birckenbach (2023, S. 39ff.). Austausch von und mit möglichst vielen politischen und gesellschaftli‐ chen Kräften [zu suchen]“ (S. 5); ▸ das Prinzip der Einhaltung universaler Normen, um „an ihnen die Legi‐ timität der eigenen Interessen und Handlungsweisen sowie die zur Problembearbeitung eingesetzten ideologischen, militärischen, ökono‐ mischen und politischen Machtquellen [zu prüfen]“ (S. 6) sowie ▸ das Prinzip der Reflexivität, wonach das Eingestehen des eigenen Schei‐ terns nicht wie beim sicherheitslogischen Denken als Schwäche gilt, sondern als „eine Fähigkeit, die zu verbesserten Resultaten führen kann“ (S. 6). 14 2.3 Fazit Bei Frieden und Sicherheit handelt es sich - das haben die obigen Ausfüh‐ rungen aufzeigen können - um durchaus differente Begriffe. Insbesondere verweisen sie auf unterschiedlich eingenommene Perspektiven. Dabei lässt sich die Debatte um eine Friedens- und Sicherheitslogik auf einen zentralen Punkt bringen: „[D]ie Sicherheitslogik mit ihrer auf Abgrenzung zielenden Orientierung befördert Sicherheit gegen einen anderen, die Friedenslogik weist dem Gegenüber dagegen eine zentrale Rolle als mitverantwortlichem Partner für die Qualität der Beziehung zu“ (Nielebock 2016, S. 10). Was folgt nun aber aus dieser begrifflichen Differenz von Frieden und Sicherheit? Hanne-Margret Birckenbach (2012, S. 42; Hervorh. d. Verf.) spricht von einer „Friedenslogik statt Sicherheitslogik“ und räumt damit dem Frieden den sachlichen Vorrang ein. Und auch für Sabine Jaberg (2017a, S. 43) „gebührt aus ethischer Perspektive dem Frieden der Vorzug“. Beide Friedensforscherinnen setzen auf einen Perspektivenwechsel und die kon‐ sequente Einlösung einer Friedenspolitik. Dagegen plädieren Christopher Daase und Bernhard Moltmann (1991, S. 35) für ein „integriertes Verständnis von Friedens- und Sicherheitspolitik“: 2.3 Fazit 35 <?page no="36"?> „Auch wenn dem Frieden der sachliche Vorrang einzuräumen ist, muß die Sicherheitspolitik auf ihrem temporären Vorrang bestehen, denn Friedenspolitik ohne den realistischen Blick auf die internationale Lage wird am nationalen und innergesellschaftlichen Sicherheitsbedürfnis scheitern. Sicherheitspolitik aber ohne das Korrektiv des Friedens ist nicht friedensfähig“ (Daase und Moltmann 1991, S. 35; vgl. auch Daase 2024, S. 115f.). Beide Auffassungen müssen nicht in Widerspruch zueinander treten, lässt sich ein integratives Verständnis von Frieden und Sicherheit durch eine Konvergenz beider Begriffe erreichen (vgl. Jaberg 2017a, S. 47ff.), auch wenn diese nicht völlig zur Deckung gebracht werden können. Konzepte wie beispielsweise die auf die Palme-Kommission von 1982 zurückgehende Gemeinsame Sicherheit verweisen - und das zeigt sich bereits am Begriff der Gemeinsamen Sicherheit selbst - auf Möglichkeiten einer friedensfähigen Sicherheitspolitik. Ein solches Konzept ist voraussetzungsreich - das zeigt sich aktuell im Lichte des Krieges in der Ukraine - und zielt, verbunden mit der Annahme, dass Sicherheit nicht voreinander, nur miteinander zu suchen ist, auf eine konsequente Abkehr jeglicher Abschreckungspolitik (vgl. Kapitel 11.4; auch Werkner 2019a). Weiterführende Literatur: Gießmann, Hans J. 2011. Frieden und Sicherheit. In Handbuch Frieden, hrsg. von Hans J. Gießmann und Bernhard Rinke, 541-556. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Dieser Beitrag gibt einen guten Überblick über die begrifflichen Parallelen und Divergenzen der beiden Begriffe Frieden und Sicherheit. Jaberg, Sabine. 2017. Frieden und Sicherheit. In Handbuch Friedensethik, hrsg. von Ines-Jacqueline Werkner und Klaus Ebeling, 43-53. Wiesbaden: Springer VS. Ausgehend von der Definition von Frieden und Sicherheit verhandelt die Autorin beide Begriffe als differente Kategorien und diskutiert Möglichkeiten einer kategorialen Konvergenz. Nielebock, Thomas. 2016. Frieden und Sicherheit - Ziele und Mittel der Po‐ litikgestaltung. Deutschland & Europa: Zeitschrift für Gemeinschaftskunde, Geschichte und Wirtschaft (71): 6-17. Hierbei handelt es sich um einen gut zugänglichen Beitrag zur friedenswissenschaftlichen Debatte beider Begriffe. 36 2 Frieden und Sicherheit <?page no="37"?> 3 Friedensforschung und Debatten um ihr Selbstverständnis Der Diskussion um den Begriff des Friedens und der ihm eingeschriebenen Logiken schließt sich eine weitere Frage im Rahmen dieses Lehrbuchs unmittelbar an: Was heißt Friedensforschung? - oder anders gefragt: Was tun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wenn sie sich dem Untersu‐ chungsgegenstand Frieden zuwenden? Diese Frage wird in gleicher Weise divers diskutiert wie der Friedens‐ begriff selbst. In den Anfangsjahren der Institutionalisierung wurde der Friedensforschung teilweise sogar ihr Status als Wissenschaft abgesprochen. Diesem Einwand lag „ein positivistisches Verständnis von objektiver Wis‐ senschaft“ zugrunde, „vor dem sich Friedensforschung in der Tat nicht rechtfertigen“ ließ. So stellt der Frieden „kein gegebenes Objekt“, sondern „eine konkrete Utopie“ dar. Friedensforschung heißt demnach, über „Bedin‐ gungen dieser Utopie“, das heißt über ein „noch nicht realisierte[s] Ziel“ zu forschen (Huber 1971, S. 45). Folgend soll exemplarisch auf drei Definitionen verwiesen werden, die - zu sehr unterschiedlichen Zeiten entstanden - eine relative Stabilität dessen anzeigen, was unter Friedensforschung zu verstehen ist (vgl. Bonacker 2011, S. 68): In den Empfehlungen der Struktur- und Findungskommission zur Frie‐ densforschung vom Januar 2000, einer interdisziplinär und breit aufgestell‐ ten Arbeitsgruppe von Friedensforscherinnen und -forschern, eingesetzt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Vorbereitung zur Gründung der Deutschen Stiftung Friedensforschung, heißt es dazu: „[Die Friedens- und Konfliktforschung] befasst sich erstens mit der Frage, welche Faktoren dazu beitragen, dass aus Konflikten gefährliche Konflikte werden und welche Möglichkeit zu ihrer Einhegung bestehen. […] Die Friedens- und Kon‐ fliktforschung richtet zweitens ihre Aufmerksamkeit auf die Voraussetzungen und Bedingungen eines andauernden - aus Sicht der Beteiligten: gelungenen - Friedens“ (Struktur- und Findungskommission zur Friedensforschung 2000, S. 259). <?page no="38"?> In den jüngsten Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Weiterentwick‐ lung der Friedens- und Konfliktforschung vom Juli 2019 findet sich folgende Definition: „Die Friedens- und Konfliktforschung befasst sich insbesondere mit Ursachen, Formen, Dynamiken und Folgen von Konflikten und Gewalt sowie mit Mög‐ lichkeiten der Prävention, Einhegung oder Beilegung von Konflikten und der dauerhaften Stabilisierung von Frieden.“ (Wissenschaftsrat 2019, S. 13) Ähnlich formulierte er es bereits fünfzig Jahre zuvor. Friedensforschung soll - so der Wissenschaftsrat der Bundesregierung im Mai 1970 - „die Probleme erforschen, die den Frieden in der Welt bedrohen, und die Bedingungen für die Erhaltung bzw. Schaffung des Friedens ermitteln“ (zit. nach DGFK 1983, S. 14). Damit kristallisieren sich für Friedensforscher und -forscherinnen zwei zentrale Tätigkeitsbereiche heraus: die Analyse von Konflikten und deren Ursachen (vgl. Part II dieses Lehrbuchs) sowie die Erarbeitung von Frie‐ densstrategien zu ihrer Einhegung (vgl. Part III dieses Lehrbuchs). Diese beiden hier exemplarisch aufgeführten Definitionen zeigen den engen Zusammenhang von Frieden und Konflikt auf. Nach Harald Müller (2012, S. 158, 155) sind sie „ein siamesischer Zwilling“, bei dem man „über den einen nicht sprechen [kann], ohne den anderen mitzuführen“. Das erklärt zugleich die in der Literatur häufig synonyme Verwendung der Termini „Friedensforschung“ und „Friedens- und Konfliktforschung“. Weitaus kontroverser als die Beschreibung dessen, was Friedensfor‐ schung inhaltlich umfasst, ist ihr Selbstverständnis (vgl. Bonacker 2011, S. 68). Das beinhaltet vor allem drei Aspekte: Fragen der Normativität, der Praxisorientierung und der disziplinären Verortung der Friedensforschung. 3.1 Zur Normativität der Friedensforschung Debatten um die Normativität der Friedensforschung stehen symptomatisch für die Auseinandersetzung mit der sogenannten „kritischen Friedensfor‐ schung“. Diese Strömung ist in den 1970er Jahren in Abgrenzung zur traditionellen Friedensforschung entstanden und steht in einem engen Zusammenhang mit Johan Galtungs Konzept der strukturellen Gewalt und des positiven Friedens (vgl. u. a. Senghaas 1971a). Während Vertre‐ terinnen und Vertreter der traditionellen Friedensforschung ausgehend 38 3 Friedensforschung und Debatten um ihr Selbstverständnis <?page no="39"?> 15 Zur Auseinandersetzung zwischen traditioneller und kritischer Friedensforschung vgl. u. a. Koppe (2006, S. 58ff.), Schlotter und Wisotzki (2011b, S. 19f.), Bonacker (2011, S. 54f.) sowie Graf und Wintersteiner (2016, S. 69f.). 16 Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor. von einem negativen Friedensbegriff und einem realistischen Paradigma wesentlich auf Konfliktmanagement setzten (um Gefahren - beispielsweise des Abschreckungssystems - zu reduzieren), ging es den Protagonistinnen und Protagonisten der kritischen Friedensforschung um dahinterliegende strukturelle Ursachen und damit um eine umfassendere, vor allem auch herrschaftskritische Perspektive. Sie sahen vor allem in der Herrschaftsform eine zentrale Konfliktursache und ein Instrument zur Unterdrückung von Konflikten. So warfen sie der traditionellen Friedensforschung auch vor, Friedensforschung lediglich als „Befriedungsforschung“ zu verstehen. 15 Mit dieser Phase verbindet sich eine stark normativ geprägte Friedens‐ forschung, die ihren Ausdruck im „Engagement zum Frieden“ (Kaiser 1970, S. 58) findet. In diesem Kontext zieht Karlheinz Koppe (2006, S. 60) wie zuvor auch schon Johan Galtung eine Parallele zu den ethischen Standards in der Medizin: Wie jeder Arzt durch den Eid des Hippokrates der Erhaltung des Lebens verpflichtet sei, habe auch der Friedensforscher der Maxime si vis pacem para pacem  16 zu folgen. Auch für Harald Müller (2012, S. 160f.) stellt Normativität ein konstitutives Merkmal der Friedensforschung dar. Ihm zufolge gebe es drei Pfeiler, die als normative Richtschnur friedenswis‐ senschaftlichen Arbeitens dienen können: erstens das Ziel der Minderung physischer Gewalt, zweitens - ausgehend vom Verständnis des Friedens als soziale Beziehung - die Befriedung eines Handlungssystems sowie drittens die Einnahme der Opferperspektive (im Sinne ziviler Opfer). Dieses stark normative Verständnis von Friedensforschung wird seit den 1990er Jahren zunehmend infrage gestellt. Insbesondere von der jüngeren und mittleren Generation wird ihr nur noch eine „partielle Funktion“ (Brühl 2012, S. 176) zuerkannt. Mittlerweile beantwortet ein Großteil von ihnen die Frage, ob Friedensforschung als „Forschung für oder Forschung über den Frieden“ (Bonacker 2011, S. 46) zu verstehen sei, mit der letzteren Option (vgl. u. a. Daase 1996; Weller 2003; Bonacker 2011; Schlichte 2012; Brühl 2012). Dementsprechend konstatiert Sabine Jaberg (2009, S. 5): „Aus dem ursprünglichen Unbehagen am Normverlust ist mittlerweile ein Unbehagen mit der Norm geworden.“ 3.1 Zur Normativität der Friedensforschung 39 <?page no="40"?> 17 Zuvor prägte bereits Nicolai Hartmann (1962 [1926], S. 574) den Terminus der „Tyrannei der Werte“. Was heißt Normativität? Der Begriff der Normativität beinhaltet in seinem Wortstamm die „Norm“. In diesem Sinne stellen normative Äußerungen Äußerungen über Normen dar. Norm wiederum bedeutet etymologisch, Richt‐ schnur, Regel und Maßstab zu sein. Im hier verhandelten Kontext erweisen sich zwei Begriffsdeutungen als zentral: Zum einen zeigt sich Norm „als Idee, als ideativer Begriff, als Grenzbegriff einer Eigenschaft im Status unüberschreitbarer Vollkommenheit, im Blick auf den empirische Gegenstände bzw. Handlungen als mehr oder weniger gelungene Annäherungen realisiert und beurteilt werden“ (Forschner 2002, S. 191). Diese Perspektive umfasst ihre direktive Seite als inhaltliche Richtschnur. Zum anderen versteht sich Norm „im rechtlichen oder moralischen Sinn als genereller Imperativ, der recht‐ liches und sittliches Handeln von Einzelnen und Gruppen orientiert“ (Forschner 2002, S. 192), womit ihre imperative Seite angesprochen wird (vgl. Jaberg 2009, S. 9ff.). Gegen das Prinzip der Normativität lassen sich vor allem zwei, auf frühere Debatten zurückgehende Argumente in Anschlag bringen: die Tyrannei der Werte sowie die Zerstörung der Wissenschaft durch das Werturteil (ausführlich hierzu Jaberg 2009). Die erste Debatte geht wesentlich auf Carl Schmitt (1979 [1959]) zurück. 17 Danach existiere eine innere Logik: Mit dem Setzen von Werten grenze sich das Individuum zugleich gegen andere Werte beziehungsweise „Unwerte“ ab. Diese Über- und Unterordnung von Werten führe zu einer potenziellen Aggressivität: So tendiere der „höhere Wert“ dazu, „den niederen Wert sich zu unterwerfen, und der Wert als solcher vernichtet mit Recht den Unwert als solchen“ (Schmitt 1979 [1959], S. 36). Eine Alternative zu dieser Tyrannei der Werte sieht Schmitt in der Wertfreiheit. In Anlehnung an diese Argumentation wird in aktuellen Debatten - beispielsweise von Gertrud Brücher oder Christoph Weller - „der Friedensnorm ein unvermeidbares Potenzial zur Legitimierung jener Gewalt unterstellt, die das Friedensideal verwirklichen soll“ ( Jaberg 2011, S. 62, vgl. auch 2009, S. 19f., 23 ff.). 40 3 Friedensforschung und Debatten um ihr Selbstverständnis <?page no="41"?> Die zweite, gegen die Normativität der Friedensforschung in Anschlag gebrachte Argumentation weist enge Bezüge zum Werturteilsstreit auf (vgl. Jaberg 2009, S. 21f., 25 ff.). Dieser wurde in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg um das Verhältnis von Wissenschaft und Politik geführt. Im Zentrum stand die Frage, ob (objektive) Wissenschaft normative Aussagen für politisches Handeln treffen könne beziehungsweise solle. Während für Protagonisten wie Gustav Schmoller Wissenschaft auch Stellungnahmen zu konkreten politischen und gesellschaftlichen Problemen umfassen sollte, plädierten Vertreter wie Max Weber (1985 [1904], S. 149f.) für eine Trennung von Forschung und Werturteil, berge Letzteres die Gefahr, die Wissenschaft als solche zu zerstören. So könne es „niemals Aufgabe einer Erfahrungswis‐ senschaft sein […], bindende Normen und Ideale zu ermitteln, um daraus für die Praxis Rezepte ableiten zu können“. Sie könne nur „die Frage der Geeignetheit der Mittel bei gegebenem Zwecke“ beantworten: „Jene Abwägung selbst nun aber zur Entscheidung zu bringen ist freilich nicht mehr eine mögliche Aufgabe der Wissenschaft, sondern des wollenden Men‐ schen“ (Weber 1985 [1904], S. 150). Parallelitäten zu aktuellen Debatten sind unverkennbar. So argumentiert beispielsweise Christopher Daase (1996, S. 482): „Mit der politisierten Begrifflichkeit grenzt die Friedensforschung […] nicht nur politische Positionen aus, die ihrem Verständnis von ‚Progressivität’ nicht entsprechen, sondern sie schaltet auch einen wichtigen wissenschaftlichen Regulierungsmechanismus aus: die Selbstkritik. […] Indem die Verfahren zur Selbstkritik, die jeder Wissenschaft eingebaut sind, aufgegeben werden, verändert die Friedensforschung ihren Charakter von einem offenen Vernunftunternehmen zu einem geschlossenen Aussagesystem. […] Friedensforschung ist im Grunde eine situative Wissenschaft geworden, ihre Progressivität beschränkt sich auf das politische Engagement ihrer Mitglieder.“ Mit dieser „Entnormativierung“ ( Jaberg 2009, S. 39) und „Entpolitisierung“ (Ruf 2009, S. 46) sehen Vertreterinnen und Vertreter der kritischen Friedens‐ forschung die Friedensforschung in ihren Grundfesten erschüttert. Nach Werner Ruf (2009, S. 49) zeichne sie sich „durch die freiwillige Einordnung in den herrschenden Wissenschaftsbetrieb [aus], den zu bekämpfen sie einst angetreten war“. Für diese Entwicklung lassen sich nach Thorsten Bonacker (2011, S. 69f.) verschiedene Gründe anführen: Erstens habe sich das Feld der Friedens‐ 3.1 Zur Normativität der Friedensforschung 41 <?page no="42"?> forschung mit dem Ende des Kalten Krieges ausdifferenziert. Mit neuen beziehungsweise bis dahin wenig beachteten theoretischen und empirischen Phänomenen sei auch der Friedensbegriff nicht mehr nur „Ausweis für eine normative Selbstverpflichtung der eigenen Forschung“, sondern selbst zum Untersuchungsgegenstand empirischer Forschung geworden. Zweitens lasse sich angesichts der gestiegenen Komplexität ein verstärktes politisches In‐ teresse an Expertise identifizieren, die die Friedensforschung in eine größere Nähe zur Politik gebracht habe. Drittens sei eine zunehmende Professiona‐ lisierung der Friedensforschung erkennbar, womit nicht mehr nur ihr nor‐ mativer Status, sondern zunehmend auch Theorie- und Methodendebatten in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt seien. Schließlich wirken sich viertens auch der Paradigmenwechsel in den Sozialwissenschaften und die Zunahme konstruktivistischer und poststrukturalistischer Zugänge auf das Selbstverständnis der Friedensforschung aus, gewinnen damit Ansätze an Bedeutung, die stärker auf die Beobachtung von Diskursen setzen. Letztlich kommen aber auch psychologische Komponenten zum Tragen, die sich mit normativen Debatten inhaltlich überschneiden. In gewisser Weise sei Berufswahl auch Symptomwahl. So könne die Arbeit am Frieden dazu verleiten, entweder „die eigenen destruktiven Impulse anzuregen“, beispielsweise in Form „einer heimlichen Affinität zu Militär und Krieg“, oder aber „von der eigenen Destruktivität abzulenken“, das sich dann „in einer besonders heftigen Distanz zu den Institutionen, die angeblich allein für Krieg und Gewalt verantwortlich sind“, äußert (Krell 2017, S. 957). 3.2 Zur Praxisorientierung der Friedensforschung Zu den konstitutiven Merkmalen der Friedensforschung zählt auch ihre Praxisorientierung. Wilfried Graf und Werner Wintersteiner (2016, S. 43) sprechen von einer handlungs- und lösungsorientierten Wissenschaft. In ähnlicher Weise konstatiert Harald Müller (2012, S. 163): „Es geht nicht lediglich darum, über den Frieden, seine Störungen und seine Ursachen zu räsonieren, sondern auch darum, den Praktikern und Praktikerinnen Praxeologien zur Verfügung zu stellen, die zum Schutz und Verwirklichung des Friedens nützlich sein könnten.“ Und auch Michael Brzoska (2012, S. 134) betont die Praxisorientierung der Friedensforschung und sieht in ihr „eine wichtige Legitimation für die 42 3 Friedensforschung und Debatten um ihr Selbstverständnis <?page no="43"?> Förderung von Friedensforschung durch öffentliche Geldgeber, etwa die DSF (Deutsche Stiftung Friedensforschung, Anm. d. Verf.)“. Die Realisierung dieses Anspruches erweist sich als durchaus herausfor‐ dernd, müssen wissenschaftliche Erkenntnisse „in handhabbare Praxeolo‐ gien“ (Müller 2012, 163) umgesetzt werden. Seitens der Friedensforscher und -forscherinnen erfordert dies eine doppelte Transferleistung: zum einen eine Übersetzung von der Theorie in die Praxis, zum anderen eine „Übersetzung aus der Sprache des Wissenschaftssystems in die der Praktiker und Praktikerinnen“ (Müller 2012, S. 163; vgl. auch Schwerdtfeger 2001, S. 171). Mit dem jährlich herausgegebenen Friedensgutachten versuchen die führenden Friedensforschungsinstitute in Deutschland, genau diesem Anspruch gerecht zu werden. Aber auch inhaltlich können sich konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik als schwierig erweisen. Ein Beispiel stellt die Stellungnahme der Herausgeber und Herausgeberinnen des Friedensgutachtens 2011 ( Johann‐ sen et al. 2011, S. 20ff.) dar, in der die Friedensforscher und -forscherinnen zu keiner einheitlichen Einschätzung zur internationalen Schutzverantwor‐ tung im Falle Libyens gelangten und stattdessen mehrere Optionen ne‐ beneinander stellten. Dies stellt ein durchaus legitimes wissenschaftliches Vorgehen dar und lässt sich ganz im Sinne des Wissenschaftsverständnisses Max Webers verorten (vgl. obigen Abschnitt 3.1). Angesichts der geforderten Orientierungsleistung bleibt dennoch ein Grundproblem bestehen: „Eine Politikberatung mit dem Ziel, all die Maßnahmen und Strategien der Politik näher zu bringen, die den Frieden fördern bzw. ihn zu gefährden scheinen, verliert jedoch ihren scheinbar eindeutigen Fokus angesichts der Vielfalt von Friedensverständnissen. Weder über die Ausgestaltung des Friedens als Zustand noch über die Wege und Mittel, mit deren Hilfe dieser Zustand erreicht werden soll, herrscht Einigkeit“ (Nielebock 2017, S. 933). Neben der von Praktikern und Praktikerinnen eingeforderten „Bringschuld“ der Friedensforschung verweist Karlheinz Koppe (2006, S. 61) auch auf die Defizite im Hinblick auf die „Holschuld der Politik“. Hier lassen sich zwei potenzielle Gefahren ausmachen: Politiker und Politikerinnen können erstens Wissenschaft für ihre Zwecke - zur Legitimationsbeschaffung - instrumentalisieren. Werden dagegen ihre Erwartungen durch abweichende friedenswissenschaftliche Positionen enttäuscht, können sie diese gegebe‐ nenfalls auch bewusst ignorieren. Diese Tendenz lässt sich beispielsweise bei der Vorstellung des Friedensgutachtens in der Berliner Politik erken‐ 3.2 Zur Praxisorientierung der Friedensforschung 43 <?page no="44"?> nen. So zeigen sich die einzelnen Bundestagsfraktionen - je nach außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischer Ausrichtung - in durchaus un‐ terschiedlicher Weise an den Ergebnissen der Friedensforschungsinstitute interessiert. Illustrativ vergleicht Michael Brzoska (2012, S. 134) das Verhält‐ nis der Politik zur Wissenschaft mit dem des Betrunkenen zum Laternen‐ pfahl: „Sie suchen Halt und nicht Erleuchtung.“ Dahinter steht die für die Friedensforschung virulente Frage, inwieweit angesichts dieser Situation „eine gleichermaßen kritische wie handlungsrelevante Friedensforschung“ (Senghaas 1971b, S. 313f.) überhaupt möglich und sinnvoll ist. Zu den Trägerinnen und Trägern friedenspraktischen Handelns gehört neben der staatlichen Exekutive und den etablierten politischen Parteien auch die Öffentlichkeit, darunter insbesondere die Friedensbewegung (vgl. Schwerdtfeger 2001, S. 181). Was lässt sich nun über die Beziehungen von Friedensforschung und Friedensbewegung konstatieren? Karlheinz Koppe (2009, S. 78) fasst das Verhältnis beider unter dem Stichwort „ein Ziel, zwei Wege“ zusammen: „Sie verfolgen das gleiche Ziel: Frieden schaffen, wenn’s geht ohne Waffen und ohne Gewalt. Aber ihre Wege sind verschieden: […] Die Friedensforschung beansprucht, durch möglichst sorgfältige Untersuchung von Kriegsursachen und Friedensbedingungen den Weg dahin zu bahnen. Die Friedensbewegung will sich aktiv in das politische Geschehen einmischen, um mit gewaltfreien Demonstrationen, Protestaktionen und öffentlichen Aufrufen die gesellschaftli‐ chen Verhältnisse in Richtung Friedensbereitschaft und Friedensfähigkeit zu verändern“ (Koppe 2009, S. 78). Diese beiden Wege zeichnen sich im dialektischen Sinne durch „Nähe und Distanz“ (Koppe 1987, S. 97) aus. Die Nähe ergibt sich durch die Verfolgung des gemeinsamen Ziels, Frieden zu befördern, jedenfalls dann, wenn Frie‐ densforschung normativ verstanden wird. Für die Distanz spricht nach Karlheinz Koppe ein Aspekt, der an obiger Stelle bereits für den politischen Raum konstatiert wurde: „Die Forschung liefert Analysen (auch hinsichtlich denkbarer Strategien zur Um‐ setzung von Schlüssen aufgrund eben solcher Analysen in politisches Handeln), während die Bewegung Rezepte anbietet und oft die Analysen der Forschung - wenn überhaupt - nur nutzt, wenn sie ihre in der Regel politisch begründeten Vorschläge stützen“ (Koppe 1987, S. 97f.). 44 3 Friedensforschung und Debatten um ihr Selbstverständnis <?page no="45"?> Diese „Unterwerfung der Friedensforschung“ (Koppe 1987, S. 98) unter die eigenen Prämissen könne in der Friedensbewegung gegebenenfalls sogar noch „rigoroser, durch keine selbstkritische Toleranz gemäßigt“ (Koppe 1987, S. 98) ausfallen als bei politischen Repräsentantinnen und Repräsen‐ tanten. Auch schrecken Vertreterinnen und Vertreter der Friedensbewegung bisweilen nicht davor zurück, Forschungsergebnisse einseitig in ihrem Sinne zu interpretieren (vgl. hierzu auch Schmitt 1990, S. 101). Diese These von der Distanz wird von einer, wenn auch älteren empiri‐ schen Untersuchung in Finnland gestützt: Danach betrachte die Friedensbe‐ wegung die Friedensforschung (entgegen ihrem eigenen Selbstverständnis) als „einfache soziale Technologie“. Umgekehrt kritisiere die Friedensfor‐ schung Aktionen und alternative Wege der Friedensbewegung, die für diese einen hohen Stellenwert besitzen, als naive Utopie (vgl. Koppe 1987, S. 99). Welche Schlussfolgerungen sollten Friedensforscher und -forscherinnen aus dieser Konstellation und den mit der Politikberatung verbundenen Herausforderungen ziehen? Nach Johan Galtung (1985, S. 149) könne dies nur bedeuten, im Sinne wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit sowohl zum Establishment als auch zum Anti-Establishment Distanz zu wahren. In diesem Sinne spricht sich auch Andrew Mack (1985) für eine öffentliche Bereitstellung von Informationen aus, ohne sich selbst in den Dienst dieser zu stellen (vgl. Koppe 1987, S. 98). In der Praxis stellt dies für Friedensfor‐ scherinnen und -forschern ein nicht einfaches Unterfangen dar, gilt es, die wissenschaftliche Unabhängigkeit auch bei finanziellen Abhängigkeiten gegen potenziell entgegenstehende Akteursinteressen aufrechtzuerhalten. 3.3 Zur disziplinären Verortung der Friedensforschung Umstritten ist zudem der disziplinäre Status der Friedensforschung: Zu klären ist zuvorderst, wie sich die Friedensforschung zu den Internationalen Beziehungen positioniert, beschäftigen auch diese sich mit dem Thementa‐ bleau von Krieg und Frieden. Stellt sie eine Subdisziplin der Internationalen Beziehungen dar, kann sie als eigenständige Disziplin gelten oder fungiert sie eher als Forschungsverbund? Und was bedeutet die in diesem Kontext häufig konstatierte Interdisziplinarität - jüngst auch Transdisziplinarität - der Friedensforschung? Das Verhältnis zwischen der Friedensforschung und den Internationa‐ len Beziehungen war von Beginn an weitgehend unbestimmt und ihre 3.3 Zur disziplinären Verortung der Friedensforschung 45 <?page no="46"?> Forschungsfelder nicht klar voneinander abgegrenzt (vgl. Czempiel 1986, S. 254). In den Anfangsjahren der Friedensforschung haben viele ihrer Vertreterinnen und Vertreter diese als Gegenentwurf zum neorealistischen Paradigma der Internationalen Beziehungen verstanden. Damit sollte ex‐ plizit eine Alternative zur neorealistischen Annahme, Gewalt lasse sich nur durch Gegengewalt begrenzen, aufgezeigt werden (vgl. Bonacker 2011, S. 66; Brühl 2012, S. 174). Mit der seit den 1990er Jahren zu beobachtenden Verengung des Friedensbegriffs auf die Dimension des Schutzes vor Gewalt (vgl. Kapitel 1 dieses Lehrbuchs) sowie Forschungen zu militärischen In‐ terventionen oder zur internationalen Schutzverantwortung scheint diese Form der Abgrenzung von den Internationalen Beziehungen immer weniger zuzutreffen. Im Gegenteil: Seit dem Krieg in der Ukraine gilt die Aufrüstung und militärische Abschreckung zunehmend auch unter Friedensforscher und -forscherinnen zumindest für einen Großteil von ihnen als probate Strategie gegen Bedrohungen. Friedensforscherinnen wie Tanja Brühl (2012, S. 172) konstatieren schon seit Jahren eine Annäherung der beiden Diszipli‐ nen: „Die Schnittmenge wird tendenziell eher größer als kleiner“. Was bedeutet nun dieser Befund für die Friedensforschung? Kann sie - auf Forschungen zum Frieden fokussiert - als eine Subdisziplin der Internationalen Beziehungen gelten? Die personellen und inhaltlichen Überschneidungen könnten symptomatisch dafür sprechen. So lässt sich zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Internationalen Beziehungen und der Friedensforschung häufig nicht trennen. In diesem Sinne ist es kenn‐ zeichnend, dass sich unter den Autoren und Autorinnen von Lehrbüchern zu den Internationalen Beziehungen (vgl. Deitelhoff und Zürn 2016; Krell und Schlotter 2018) oder unter den Herausgebern und Herausgeberinnen von Zeitschriften der Internationalen Beziehungen (wie z. B. die Zeitschrift Internationale Beziehungen, ZIB) dezidiert auch Friedensforscher und -for‐ scherinnen finden. Ein anderer Faktor spricht aber eher gegen die Annahme einer Subdis‐ ziplin: die Multidisziplinarität der Friedensforschung. Während sich die Internationalen Beziehungen als Teildisziplin der Politikwissenschaft eta‐ bliert haben und weitgehend mit einem politikwissenschaftlichen Theorien- und Methodenset arbeiten, verbindet sich mit der Friedensforschung eine Vielzahl von Disziplinen: Neben Vertreterinnen und Vertretern der Politik‐ wissenschaft sind es Soziologinnen, Völkerrechtler, Historikerinnen, Philo‐ sophen, Theologinnen, Psychologen, Ethnologinnen, Ökonomen oder auch Naturwissenschaftlerinnen wie Physiker (vgl. Jahn 2012, S. 7; auch Schneider 46 3 Friedensforschung und Debatten um ihr Selbstverständnis <?page no="47"?> 18 Zum institutionellen Stand der Friedensforschung in Deutschland vgl. Part IV des Lehr‐ buches, insbesondere die Kapitel 13 und 14 (darüber hinaus vgl. auch Koppe 2001, Kap. V, 2006). et al. 2017), die ihre je eigenen theoretischen Ansätze und methodischen Zugänge in die friedenswissenschaftliche Forschung einbringen. So sind auch wegweisende Friedensforscherinnen und -forscher wie beispielsweise Johan Galtung nicht der Politikwissenschaft zuzurechnen. Wenn vieles dagegen spricht, die Friedensforschung als Subdisziplin der Internationalen Beziehungen zu verorten, kann sie dann als eigenständige Disziplin gelten? In den letzten Jahrzehnten ist zumindest eine deutliche Professionalisierung der Friedensforschung zu verzeichnen: In Deutschland - wie auch in Europa insgesamt - etablierten sich außeruniversitäre Friedens‐ forschungsinstitute, universitäre Institute und Zentren, Masterstudiengänge zur Friedens- und Konfliktforschung, friedenswissenschaftliche Vereinigun‐ gen und Netzwerke sowie Stiftungen. 18 Von der Institutionalisierung lässt sich aber noch nicht ohne Weiteres auf eine eigenständige Disziplin schlie‐ ßen. Dazu bedarf es bestimmter Kriterien: Eine Disziplin ist durch (1) den Gegenstand, (2) ein spezifisches Erkenntnisinteresse, (3) Theorien und deren systematische und historische Zusammenhänge sowie (4) (Kern-)Methoden gekennzeichnet und grenzt sich durch diese von anderen Disziplinen ab (vgl. Dubielzig und Schaltegger 2004, S. 8; Sukopp 2013, S. 19f.). Diesbezüglich ver‐ füge die Friedensforschung zwar - so Wilfried Graf und Werner Wintersteiner (2016, S. 45) - über „einen (wenn auch diffusen) Gegenstand, über den sie sich definiert: Frieden“, auch gebe es „ein Repertoire an (kontroversen) Theorien, um den Gegenstand zu erklären“. Es fehle ihr aber ein verbindliches „Set an Methoden“. Die Bandbreite der methodischen Zugänge erweise sich - entsprechend der mit der Friedensforschung in Verbindung zu bringenden Disziplinen - als derart groß, dass von einer eigenständigen Disziplin nicht gesprochen werden könne, beziehungsweise positiv formuliert: „Die Offenheit zu vielen Fächern überwiegt die Nachteile, die ein Verzicht auf Disziplinierung mit sich bringt, wie etwa den Verzicht auf einen eigenen methodischen Zugang“ (Brzoska 2012, S. 135). Stattdessen wird Friedensforschung als „disziplintheoretisches Patchwork“ (Jaberg 2011, S. 55), als „inhaltlich variables Forschungsprogramm, das un‐ terschiedliche disziplinäre Aggregatzustände annehmen kann“ (Jaberg 2011, S. 64), als „interdisziplinärer Forschungskomplex“ (Jahn 2012, S. 7) beziehungs‐ 3.3 Zur disziplinären Verortung der Friedensforschung 47 <?page no="48"?> 19 Die Begriffsbestimmungen zur Interdisziplinarität und Transdisziplinarität wie auch ihre Abgrenzungen voneinander erweisen sich als überaus divers, teilweise auch wider‐ weise als „multi-, inter- und transdisziplinäres Forschungsfeld“ (Ide 2017, S. 8) beschrieben. Wilfried Graf und Werner Wintersteiner (2016, S. 79) sprechen von einer „Inter-Disziplin“, „die sich den Standards, Fragestellungen und Herausforderungen, wie sie sich in jeder für sie relevanten Einzelwissenschaft ergeben, stellen muss, die aber durch ihren integrativen und inter- und transdisziplinären Ansatz unverbundene Theoriestränge zusammenführt und damit zu neuen Erkenntnissen gelangt, die über eine Einzelwissenschaft nicht zu erlangen wären“. Multidisziplinarität - Interdisziplinarität - Transdisziplinarität Multidisziplinarität liegt vor, „wenn sich mehrere Disziplinen eines vorgegebenen Problems annehmen und dieses unabhängig vonein‐ ander mit ihren eigenen Methoden und Theorien untersuchen. Die Ergebnisse der von den Disziplinen analysierten Teilprobleme werden in der Regel am Ende nur additiv zusammengefügt“ (Dubielzig und Schaltegger 2004, S. 8). Interdisziplinarität ist „eine Form wissenschaftlicher Kooperation in Bezug auf gemeinsam zu erarbeitende Inhalte und Methoden, wel‐ che darauf ausgerichtet ist, durch Zusammenwirken geeigneter Wis‐ senschafter/ innen unterschiedlicher fachlicher Herkunft das jeweils angemessenste Problemlösungspotenzial für gemeinsam bestimmte Zielsetzungen bereitzustellen“ (zit. nach Dubielzig und Schaltegger 2004, S. 9). Transdisziplinarität stellt eine weitere, häufig als höherwertig ange‐ sehene Stufe der Kooperation dar. Sie unterscheidet sich von der Interdisziplinarität (1) durch die Dauerhaftigkeit der Kooperation, (2) durch die Transformation disziplinärer Orientierungen und (3) durch die Beschäftigung mit lebensweltlichen, gesellschaftlich relevanten Problemen (vgl. Mittelstraß 2003, S. 9f; Jungert 2013, S. 6f.). Als weite‐ res Merkmal gilt häufig auch die Einbeziehung von Vertreterinnen und Vertretern der Praxis in die Kooperation (vgl. Dubielzig und Schaltegger 2004, S. 10f.). 19 48 3 Friedensforschung und Debatten um ihr Selbstverständnis <?page no="49"?> sprüchlich. Einen Überblick über die verschiedenen Zugänge findet sich beispielsweise bei Völker (2004), Jungert (2013) und Sukopp (2013). Die Inter- und Transdisziplinarität der Friedensforschung scheint so elemen‐ tar wie ambitioniert. Sie erfordert gemeinsame, disziplinenübergreifende Verständigungen und Forschungspraktiken. Damit einher geht die Notwen‐ digkeit von Übersetzungsprozessen, rekursiven Lernprozessen, einer kom‐ plexen Problemsicht und einer Erweiterung der Wahrnehmungsfähigkeit und endet bei einem neuen Wissenschaftsverständnis. Fraglos ist ein solcher Zugang angesichts der zu verhandelnden Probleme durchaus erstrebens‐ wert, gehen mit disziplinärer Arbeit stets auch Erkenntnisgrenzen einher (vgl. Dubielzig und Schaltegger 2004, S. 7). Dennoch wird dieser Anspruch - und zwar nicht nur in der Friedensforschung - häufig nicht eingelöst (vgl. Jahn 2012, S. 27; Brühl 2012, S. 178; Sukopp 2013, S. 14ff.)). Bestenfalls lassen sich, wenn überhaupt, multidisziplinäre Ansätze erkennen. So konstatiert auch Jürgen Kocka (1987, S. 8): „Der Glanz des Begriffs ist ein wenig verblaßt. […] einstmals hochgespannte Erwartungen [sind] angesichts zäher Schwierigkeiten reduziert worden“. Zu den Schwierigkeiten inter- und transdisziplinärer Arbeit zählen unter anderem die unterschiedlichen disziplinären Codes und Sprachen, die mangelnde „Kopulationsfähigkeit“ grundsätzlich verschiedener Theorieentwürfe aus den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften, die jeweils in den einzelnen Fachdisziplinen vorherr‐ schenden spezifischen Methoden oder auch die in den einzelnen Disziplinen etablierten Denkweisen und Anschauungen, die häufig als unhintergehbar gelten (vgl. Kocka 1987, S. 8f.; Sukopp 2013, S. 14f.). 3.4 Fazit Normativität, Praxisorientierung und Interbeziehungsweise Transdiszipli‐ narität - diese Merkmale prägten von Beginn an die Friedensforschung. In der Literatur werden sie häufig sogar als konstitutiv angesehen. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Systemwandel in Europa, aber auch fortführend mit dem Krieg in der Ukraine und dem Umgang mit revisionistischen Akteuren ist - das haben die obigen Ausführungen auf‐ zeigen können - ein Wandel im Selbstverständnis der Friedensforschung unverkennbar. Dieser führt aber nicht zwangsweise zu einer Aufgabe der genannten Ansprüche. So fordert der zu verzeichnende Trend von einer 3.4 Fazit 49 <?page no="50"?> „Forschung für den Frieden“ zu einer „Forschung über den Frieden“ sicher‐ lich eine stärkere empirische Unterfütterung ein, er negiert aber nicht per se das normative Selbstverständnis der Friedensforschung. Bereits jede Forschungsfrage stellt eine normative Setzung dar. So mag beispielsweise die Frage nach der Effektivität von targeting killing als Forschungsthema unter die Freiheit der Forschung nach Artikel 5 des Grundgesetzes fallen und sich in den Internationalen Beziehungen als relevant erweisen, in der Friedensforschung aber auf normative Vorbehalte stoßen. Im Vergleich zu Hochzeiten der kritischen Friedensforschung, deren normative Aussagen sich am weiten Friedensbegriff orientierten, wird seit den 1990er Jahren verstärkt ein enger (substanzieller) Friedensbegriff vertreten (vgl. Kapitel I in diesem Lehrbuch). Normative Aussagen bestehen weiterhin, verweisen aber auf einen anderen Bezugspunkt. Vor diesem Hintergrund erweisen sich für Friedensforscher und -forsche‐ rinnen zwei Aspekte als dringlich: Erforderlich ist erstens ein fortwährendes Austarieren: Darauf verweisen nicht nur Debatten über die Zivilklausel. Auch stellt die Praxisorientierung für Friedensforscher und -forscherinnen eine stete Gratwanderung dar: Zum einen verfolgen sie den Anspruch, mit ihren Hand‐ lungsempfehlungen gehört zu werden; zugleich gehen sie die Gefahr ein, von politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren für ihre Ziele im Sinne eines „Flankenschutzes“ missbraucht zu werden. Benötigt wird hier eine immer neu zu justierende Balance von Nähe und Distanz. Zweitens bedarf es der Transparenz: sowohl im Hinblick auf das eigene Selbstverständnis als auch in Bezug auf die Vorgehensweise. Unerlässlich ist bei Letzterem auch ein ehrlicher Ausweis verfolgter mono-, interbe‐ ziehungsweise transdisziplinärer Ansätze und ihrer Schwierigkeiten, auch einer sich in diesem Kontext abzeichnenden Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Denn auch wenn Inter- und Transdisziplinarität oft ge‐ fordert wird, wird sie nur selten betrieben. Dieser Sachverhalt ist zumindest offenzulegen. Weiterführende Literatur: Bonacker, Thorsten. 2011. Forschung für oder Forschung über den Frieden? Zum Selbstverständnis der Friedens- und Konfliktforschung. In Friedens- und Konfliktforschung, hrsg. von Peter Schlotter und Simone Wisotzki, 46-77. Baden-Baden: Nomos. Mit dieser im Beitrag diskutierten Frage markiert 50 3 Friedensforschung und Debatten um ihr Selbstverständnis <?page no="51"?> der Autor einen wichtigen Wendepunkt im Selbstverständnis der Friedens‐ forschung. Jaberg, Sabine. 2009. Vom Unbehagen am Normverlust zum Unbehagen mit der Norm? Zu einem fundamentalen Problem der neueren Friedensforschung. Hamburger Beiträge zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Heft 152. Hamburg: IFSH. Dieser Text setzt sich in Reflexion zweier historischer Debatten - der Tyrannei der Werte und dem Werturteilsstreit - kritisch mit den Argumenten der Skeptikerinnen und Skeptiker einer normativen Wissenschaft auseinander und plädiert für die Beibehaltung einer wert- und normbasierten Friedensforschung. Zeitschrift für Internationale Beziehungen 19 (1). Die Zeitschrift veröffentlicht in diesem Heft die Beiträge des von ihr im Oktober 2011 organisierten Symposiums zum Verhältnis zwischen den Internationalen Beziehungen und der Friedens- und Konfliktforschung. Hier finden sich die zum Teil konträren Positionen unter anderem von Michael Brzoska, Tanja Brühl, Harald Müller und Klaus Schlichte. 3.4 Fazit 51 <?page no="53"?> Part II: Weltpolitische Konflikte - Begriff, Formationen und Austragungsformen <?page no="55"?> 20 Intrapersonale Konflikte werden hier vernachlässigt, gehören diese nicht zum Gegen‐ stand der Friedens- und Konfliktforschung. 4 Konflikt - Konzeptionelle Vorüberlegungen Konflikt zählt zu den zentralen Grundbegriffen - nicht nur der Friedens- und Konfliktforschung, sondern der gesamten Sozialwissenschaften. Konflikte sind allgegenwärtig: Sie sind auf weltpolitischer Ebene, zwischenstaatlich, innergesellschaftlich sowie zwischenmenschlich und sogar intrapersonal anzutreffen. Zugleich gehört der Konfliktbegriff zu den umstrittensten sei‐ nes Fachs. Er kann auf verschiedenste Weise verstanden und unterschiedlich eng und weit gefasst werden. Diese Debatten hat der Konfliktbegriff mit dem des Friedens gemeinsam. In der normativen Bewertung zeigen sich jedoch fundamentale Unterschiede: Zählt der Frieden als höchstes und anzustre‐ bendes Gut, verbindet sich mit dem Terminus des Konflikts - insbesondere in seinem Alltagsverständnis - eine in der Regel negative Konnotation. Konflikte gelten gemeinhin als gewaltsame Erscheinungen, die einem fried‐ lichen Miteinander abträglich und zu vermeiden beziehungsweise, sofern ausgebrochen, zu beenden sind. Ist ein solches Konfliktverständnis aber auch wissenschaftlich zu rechtfertigen und zu stützen? Dafür ist zunächst der Terminus selbst in den Blick zu nehmen. 4.1 Zum Konfliktbegriff Konflikt ist dem lateinischen Ausdruck conflictus entlehnt und steht für Widerstreit und Zwiespalt. Etymologisch geht er auf confligere zurück, zusammengesetzt aus dem Präfix con (lateinisch für mit, zusammen) und dem Verb fligere (lateinisch für prallen). In dieser Ableitung stellen Konflikte - zunächst völlig wertneutral und unvoreingenommen - soziale Interaktio‐ nen beziehungsweise „soziale Tatbestände“ (Bonacker und Imbusch 2006, S. 68) dar, an denen mindestens zwei Akteure 20 (Individuen, Gruppen, Orga‐ nisationen, Staaten etc.) beteiligt sind, charakterisiert durch unvereinbare Positionsdifferenzen. Johan Galtung (2007, S. 135f.) betrachtet Konflikte als „triadisches Kon‐ strukt“ (vgl. Abbildung 5), bestehend aus: <?page no="56"?> ▸ dem Verhalten der Konfliktakteure, die den Konflikt anzeigen und bewusst werden lassen, ▸ den Einstellungen und Annahmen der Konfliktakteure in Bezug auf die angenommenen Konfliktursachen, die Wahrnehmung der eigenen Position und die Bewertung der anderen Partei sowie ▸ dem Widerspruch, ausgedrückt in inkompatiblen Zielzuständen. Schaubild 5: Das Konfliktdreieck nach Johan Galtung (2007, S. 136) „Konflikt = Annahmen/ Einstellungen + Verhalten + Widerspruch/ Inhalt“ - so die Galtungsche Kurzformel (2007, S. 135). Zwischen allen drei Komponenten besteht ein enger Zusammenhang; sie sind stets im Kontext zu betrachten. Dabei könne ein Konflikt von Punkt aus beginnen: Beispielsweise könne ein Widerspruch, der ein gewünschtes Ziel versperrt, als Frustration erlebt werden und zu einer aggressiven Einstellung und einem aggressiven Verhalten führen. Aber auch negative Einstellungen oder Verhaltensdispositionen können - sofern „etwas ‚auftaucht’, das nach einem Problem aussieht“ (Galtung 2007, S. 137) - viert werden und zu einem manifesten Konflikt führen. Diese Mechanismen bergen tenzial, Gewaltspiralen auszulösen. Zugleich lassen sich aber auch negative Einstellungen und negatives Verhalten zügeln und Widersprüche überwinden. Galtung unterscheidet zudem zwischen der manifesten (sichtbaren) und latenten (unsichtbaren) Ebene eines Konflikts. Das Konfliktverhalten bildet die manifeste Ebene. Dagegen bleiben die Einstellungen der Akteure sowie ihre verfolgten Absichten und Ziele häufig im Ve borgenen. Sie bilden die latente, unterbewusste Ebene des Konflikts. Dabei gebe es zwar Konflikte, die sich ausschließlich auf der latenten Ebene befinden, nicht dagegen Konflikte, die allein auf manifester Ebene verortet werden können. Soll aus einem Konflikt ein manifester werden, müssen die widerstreitenden, unvereinbaren Positionsdifferenzen auch offen kommuniziert werden. Das heißt: Die Positionsdifferenzen müssen den Akteuren bewusst sein und für sie handlungsbestimmend werden. Zudem müssen Verhalten Einstellungen, Annahmen Widerspruch manifeste Ebene latente Ebene Abbildung 5: Das Konfliktdreieck nach Johan Galtung (2007, S. 136) „Konflikt = Annahmen/ Einstellungen + Verhalten + Widerspruch/ Inhalt“ - so die Galtungsche Kurzformel (2007, S. 135). Zwischen allen drei Kom‐ ponenten besteht ein enger Zusammenhang; sie sind stets im Kontext zu betrachten. Dabei könne ein Konflikt von jedem Punkt aus beginnen: Beispielsweise könne ein Widerspruch, der ein gewünschtes Ziel versperrt, als Frustration erlebt werden und zu einer aggressiven Einstellung und einem aggressiven Verhalten führen. Aber auch negative Einstellungen oder Verhaltensdispositionen können - sofern „etwas ‚auftaucht’, das nach einem Problem aussieht“ (Galtung 2007, S. 137) - aktiviert werden und zu einem manifesten Konflikt führen. Diese Mechanismen bergen das Potenzial, Gewaltspiralen auszulösen. Zugleich lassen sich aber auch negative Einstel‐ lungen und negatives Verhalten zügeln und Widersprüche überwinden. Galtung unterscheidet zudem zwischen der manifesten (sichtbaren) und latenten (unsichtbaren) Ebene eines Konflikts. Das Konfliktverhalten bildet die manifeste Ebene. Dagegen bleiben die Einstellungen der Akteure sowie ihre verfolgten Absichten und Ziele häufig im Verborgenen. Sie bilden die latente, unterbewusste Ebene des Konflikts. Dabei gebe es zwar Konflikte, 56 4 Konflikt - Konzeptionelle Vorüberlegungen <?page no="57"?> die sich ausschließlich auf der latenten Ebene befinden, nicht dagegen Konflikte, die allein auf manifester Ebene verortet werden können. Soll aus einem Konflikt ein manifester werden, müssen die widerstreiten‐ den, unvereinbaren Positionsdifferenzen auch offen kommuniziert werden. Das heißt: Die Positionsdifferenzen müssen den Akteuren bewusst sein und für sie handlungsbestimmend werden. Zudem müssen sie - so Werner Link (1994, S. 100) - „eine kritische Spannung im Beziehungszusammenhang bilden“. Letzteres stellt eine notwendige Bedingung dafür dar, dass „aus in sich selbst ruhenden Individuen Konfliktparteien werden“ (Meyer 2011, S. 29). 4.2 Konflikte - unerwünschte Erscheinungen? Wie ein Konflikt bewertet und ob er als destruktive oder konstruktive Kraft wahrgenommen wird, hängt wesentlich von den jeweiligen theoretischen Vorannahmen ab. Idealtypisch lassen sich vier konflikttheoretische Positio‐ nen ausmachen (vgl. Bonacker und Imbusch 2006, S. 76f.): ▸ Aus der Sicht konservativer Gesellschaftstheorien gilt Konflikt als pathologische Erscheinung, der die soziale Ordnung bedrohe und zu bekämpfen sei. Dem Konflikt kommt hier eine ausschließlich negative Funktion zu; die gesellschaftliche Konfliktrealität wird dabei weitge‐ hend geleugnet. ▸ In einer abgeschwächten Variante wird Konflikt als Dysfunktion betrach‐ tet. Hier wird die gesellschaftliche Konfliktrealität zwar nicht negiert, der Konflikt aber doch weitgehend negativ bewertet, sei er ein Anzei‐ chen für die mangelnde Effizienz beziehungsweise das Nicht-Funktio‐ nieren gesellschaftlicher Strukturen. ▸ Andere betonen dagegen die integrative Funktion von Konflikten. Aus dieser Perspektive sei der Konflikt ein normales Phänomen von Gesell‐ schaften. Hier erfährt der Konflikt eine positive Bewertung, insbeson‐ dere infolge seiner angenommenen systemintegrativen Funktionen. ▸ Darüber hinaus gibt es Vertreterinnen und Vertreter, die Konflikt als Katalysator sozialen Wandels betrachten. Aus dieser Perspektive werden soziale Konflikte als für die gesellschaftliche Entwicklung notwendiges Moment und Fortschritt der Geschichte verstanden. 4.2 Konflikte - unerwünschte Erscheinungen? 57 <?page no="58"?> Was bedeutet nun aber die sozialwissenschaftliche Anerkennung der Rolle von Konflikten für den sozialen Wandel für die Friedens- und Konfliktfor‐ schung? Wie passt diese positive Funktionszuschreibung zu dem auch in der Friedens- und Konfliktforschung vorherrschenden negativen Bild von Konflikten? Hier gilt es zunächst, zwischen dem Konflikt und Formen seines Austrags zu unterscheiden (vgl. Wasmuht 1992, S. 7; Bonacker und Imbusch 2006, S. 68f.). Denn erfahren Konflikte - entgegen ihrer wertneutralen Beschreibung als soziale Tatbestände und ungeachtet ihrer auch positiven Funktionen - eine vorrangig negative Zuschreibung, ist dies häufig dem Umstand geschuldet, vorrangig Konflikte mit einem hohen Gewaltpotenzial im Blick zu haben. Diese Perspektive ist der Friedens- und Konfliktforschung auch eingeschrieben, befasst sie sich - wie im Kapitel 3 ausgeführt - mit der Frage, „welche Faktoren dazu beitragen, dass aus Konflikten gefährliche Konflikte werden und welche Möglichkeiten zu ihrer Einhegung bestehen“ (Struktur- und Findungskommission der Friedensforschung 2000, S. 259). Ungeachtet dessen - und das ist stets mit im Blick zu behalten - werden die meisten der zwischenwie auch innerstaatlichen Konflikte friedlich ausgetragen; nur wenige von ihnen entwickeln sich zu ernsten Krisen und von diesen wiederum enden etwa zehn Prozent im Krieg (vgl. Ruloff 2004, S. 14; Bonacker und Imbusch 2006, S. 75). Das erkenntnistheoretische Interesse der Friedens- und Konfliktfor‐ schung ist es also nicht, Konflikte per se zu vermeiden. Vielmehr geht es um einen gewaltfreien Austrag von Konflikten, das heißt um eine geregelte, zivile Konfliktbearbeitung. Das folgende Zitat illustriert diesen Sachverhalt in einem sehr anschaulichen Bild: „Konflikte sind […] das Salz in der Suppe sozialen Lebens. Weder versalzene Suppen - gewaltsam ausgetragene Konflikte - noch salzlose Suppen - völlig konfliktfreie Welten - sind wünschenswert“ (List 2006, S. 54). 4.3 Konflikte - komplexe Phänomene Ausgehend von dem skizzierten Konfliktbegriff und -verständnis lassen sich weitere Bestimmungen vornehmen, die den Terminus näher qualifizieren (vgl. hierzu auch Bonacker und Imbusch 2006, S. 69ff.). Zentrale Differenzie‐ rungen sind die nach Konfliktebenen und -akteuren, Konfliktgegenständen sowie Austragungsformen von Konflikten. 58 4 Konflikt - Konzeptionelle Vorüberlegungen <?page no="59"?> Zu Konfliktebenen und -akteuren: Konflikte können auf verschiedenen Ebe‐ nen stattfinden: von intra- und interpersonalen über intergruppale und innerstaatliche bis hin zu zwischenstaatlichen sowie transnationalen und globalen Konflikten. Angesichts von Globalisierung und Global Governance gewinnen insbesondere Letztere zunehmend an Bedeutung. Ein prominen‐ tes Beispiel stellt hier der Klimawandel dar. Ebenso vielfältig sind die Konfliktakteure: Bei ihnen kann es sich um Individuen, Gruppen, Netzwerke und Bewegungen, Organisationen und Regime sowie Staaten handeln. Das Verhältnis zwischen den Konfliktparteien wird häufig mit dem Begriffs‐ paar „symmetrische“ versus „asymmetrische“ Konflikte näher bestimmt. Diese Differenzierung lässt Aussagen zur Vergleichbarkeit der beteiligten Konfliktparteien hinsichtlich ihrer Größe und Stärke zu. Ein klassisches Beispiel für einen symmetrischen Konflikt stellt der im 20. Jahrhundert dominierende Ost-West-Konflikt dar, bei dem die beteiligten Akteure über annähernd gleiche Voraussetzungen, Fähigkeiten und Mittel verfügten. Dagegen verweisen asymmetrische Konflikte auf heterogene Strukturen, Fähigkeiten und Ressourcen der Konfliktparteien, die dann auch die Aus‐ tragungsformen von Konflikten determinieren. Exemplarisch steht hierfür der transnationale Terrorismus. Zu Konfliktgegenständen: Darunter werden „jene materiellen oder immate‐ riellen Güter verstanden, die von den direkten Konfliktakteuren durch konstitutive Konfliktmaßnahmen angestrebt werden“ (HIIK 2024). Diesbe‐ züglich existieren verschiedene Typologien: Es kann sich beispielsweise um „objektive Konflikte“ handeln, bei denen es um die Verteilung knapper Werte und Güter geht (zum Beispiel Macht, Herrschaft, Ressourcen), oder um „subjektive Konflikte“, bei denen bestimmte Prädispositionen und sich daraus ergebene Einstellungen wie Ressentiments, Feindschaft, Aggressi‐ vität und Hass den Ausschlag geben (vgl. Meyers 1994, S. 31; Bonacker und Imbusch 2006, S. 73). Konfliktgegenstände lassen sich aber auch nach teilbaren und unteilbaren Konflikten differenzieren. Bei Erstgenannten handelt es sich um Konflikte, deren Ziel es ist, von einem Gut mehr als die andere Partei zu besitzen (beispielsweise Macht, Ressourcen, Territorium). Sie entsprechen der Logik des „Mehr-oder-Weniger“. Die Güter unteilbarer Konflikte wie Konflikte um Anerkennung, Werte und Normen oder Wahr‐ heit können dagegen nur einer Partei zukommen. Sie folgen der Logik des „Entweder-Oder“. Hier schließt die Systematik verschiedener Konflikttypen 4.3 Konflikte - komplexe Phänomene 59 <?page no="60"?> von Volker Rittberger und Michael Zürn (1991, S. 420) an. Sie unterscheiden zwischen: ▸ Wertekonflikten, bei denen zwischen den Akteuren unvereinbare Posi‐ tionsdifferenzen über das anzustrebende Ziel bestehen; ▸ Mittelkonflikten, bei denen zwischen den Akteuren ein Dissens über den einzuschlagenden Weg, ein gemeinsames Ziel zu erreichen, besteht sowie ▸ Interessenkonflikten, bei denen die Akteure um ein knappes Gut konkur‐ rieren. Dabei ist zwischen Interessenkonflikten über absolut und relativ bewertete Güter zu differenzieren: „Charakteristisch für ein absolut bewertetes Gut ist, daß der Wert, den es für die Partei besitzt, nicht davon beeinflußt wird, über wieviel die jeweils andere Partei davon verfügt. Demgegenüber bezieht ein relativ bewertetes Gut seinen Wert erst daraus, daß man mehr davon besitzt als andere“ (Rittberger und Zürn 1991, S. 420; Hervorh. im Original). Diese Konflikttypen bieten zugleich Anhaltspunkte für Konfliktbearbei‐ tungsmöglichkeiten. Danach seien die Chancen einer Verregelung von Interessenkonflikten über absolut bewertete Güter relativ hoch, während Wertekonflikte und Interessenkonflikte über relativ bewertete Güter weit‐ aus schwieriger zu bearbeiten seien (vgl. Abbildung 6). Konflikttypen Beispiel Verregelungsfähigkeit Wertekonflikt islamischer Fundamentalis‐ mus versus westliche Werte sehr gering Interessenkonflikt über relativ bewertete Güter Rüstung und Rüstungskontrolle gering Mittelkonflikt Klimaschutz mittel Interessenkonflikt über absolut bewertete Güter Freihandel hoch Abbildung 6: Konflikttypen nach Volker Rittberger und Michael Zürn (1991, S. 406) mit zum Teil veränderten Beispielen 60 4 Konflikt - Konzeptionelle Vorüberlegungen <?page no="61"?> Das Heidelberger Konfliktbarometer wiederum differenziert die Konflikt‐ gegenstände danach, „welches Gut von den Konfliktakteuren angestrebt wird: ▸ Ideologie/ System: Veränderung der ideologischen, religiösen, sozioöko‐ nomischen oder rechtlichen Ausrichtung des politischen Systems oder Änderung des Regimetyps. ▸ Nationale Macht: Herrschaftsgewalt in einem Staat. ▸ Autonomie: Erlangung oder Ausweitung der politischen Selbstbestim‐ mung einer Bevölkerung in einem Staat oder eines abhängigen Gebiets ohne Unabhängigkeitsbestrebungen. ▸ Sezession: Trennung eines Teils eines Staatsgebiets mit dem Ziel der Er‐ richtung eines neuen Staates oder des Anschlusses an einen bestehenden Staat. ▸ Dekolonialisierung: Unabhängigkeit eines abhängigen Gebiets. ▸ Subnationale Vorherrschaft: De-facto-Kontrolle einer Regierung, einer nicht-staatlichen Organisation oder einer Bevölkerung über ein Gebiet oder eine Bevölkerung. ▸ Ressourcen: Besitz natürlicher Ressourcen oder Rohstoffe beziehungs‐ weise der hieraus erzielte Profit. ▸ Territorium: Veränderung des Verlaufs einer zwischenstaatlichen Grenze. ▸ Internationale Macht: Veränderung der Machtkonstellation im interna‐ tionalen System oder in einem seiner Regionalsysteme. ▸ Anderes: Residualkategorie“ (HIIK 2024). Zu Austragungsformen von Konflikten: Konflikte können sich destruktiv entwickeln und zu einer Eskalation - bis hin zu ihrem gewaltsamen Austrag - führen. Sie können aber auch einen konstruktiven Verlauf nehmen, indem Unvereinbarkeiten transformiert werden. Die Bandbreite reicht damit von Kriegen und bewaffneten Konflikten bis hin zu gewaltfreien und integrati‐ ven Handlungen (vgl. Abbildung 7). 4.3 Konflikte - komplexe Phänomene 61 <?page no="62"?> ▸ Ausrottungskrieg ▸ begrenzter Krieg ▸ punktueller Konfliktaustrag mit militärischen Mitteln ▸ Abschreckung ▸ einseitige Anpassung ▸ Schlichtung ▸ Verhandlung ▸ wechselseitige Anpassung ▸ Interessenausgleich im Kompro‐ miss ▸ Zusammenarbeit ▸ Bündnis ▸ Konföderation ▸ Integration ▸ Vereinigung Abnahme gewaltsamer- und Zunahme gewaltfreier Modi des Konfliktaustrags- Abbildung 7: Formen politischen Konfliktverhaltens nach Reinhard Meyers (1994, S. 29) Der Konfliktaustrag unterliegt auch Dynamiken. Gelingt es den Konflikt‐ parteien nicht, rechtzeitig und mit einem angemessenen Verhalten auf Konflikte zu reagieren, kann eine Eskalationsspirale einsetzen, die sich verselbständigen kann: „Wir geraten in den Strudel der Konfliktereignisse und merken plötzlich, wie uns eine Macht mitzureißen droht. Wir müssen all unsere Sinne wach halten und sehr überlegt handeln, damit wir uns nicht weiter in die Dynamik des Konflikts verstricken“ (Glasl 1997, S. 34). Der österreichische Trainer für Konfliktmanagement Friedrich Glasl ent‐ wickelte ein 9-stufiges Modell der Konflikteskalation (vgl. Abbildung 8). Danach verengen sich mit jeder neuen Eskalationsstufe die Handlungsmög‐ lichkeiten der Konfliktakteure. Bei Konflikten, die sich auf den ersten Eskalationsstufen (Stufen 1-3) befinden, ist eine (begrenzte) Kooperation der beteiligten Parteien noch möglich. Das erlaubt inhaltliche und produktive Auseinandersetzungen sowie das Erreichen von win-win-Situationen. Bei weiterer Konflikteskalation (Stufen 4-6) schwinden die Chancen einer konstruktiven Konfliktbearbeitung. Der Konflikt wird zunehmend auf der Beziehungsebene ausgetragen: „[D]er ursprüngliche Konfliktgegenstand verliert an Bedeutung, während das Verhältnis der Parteien zueinander selbst zum zentralen Gesichtspunkt ihrer Auseinandersetzung wird“ (Meyer 2011, S. 37). 62 4 Konflikt - Konzeptionelle Vorüberlegungen <?page no="63"?> Kritisch erweist sich nach Glasl das Überschreiten der Stufe 5, die mit einem Gesichtsverlust bei zumindest einer Konfliktpartei einhergeht. Im letzten Stadium (Stufen 7-9) schließlich können alle beteiligten Konfliktparteien nur noch verlieren. 1 1.Verhärtung 2.Debatte und Polemik 3.Taten statt Worte 2 4.Images, Koalitionen 5.Gesichtsverlust 6.Drohstrategien 3 7.Begrenzte Vernichtungsschläge 8.Zersplitterung (des Gegners) 9. Gemeinsam in den Abgrund WIN-WIN WIN-LOSE LOSE-LOSE Abbildung 8: Konflikteskalation in 9 Stufen nach Friedrich Glasl (1997, S. 216, 218 f.) Die Konflikteskalation nach Glasl kann unmittelbar an die Galtungsche Konflikttheorie anschließen. Das Modell stützt seinen triadischen Ansatz; insbesondere betont es die Bedeutung der Beziehungsebene der Konflikt‐ akteure und hebt damit auf die Einstellungen und Wahrnehmungen der Akteure im Konfliktgeschehen ab. 4.4 Kriegsdefinitionen Kriege stellen eine bestimmte Form gewaltsamer Konflikte dar, gekenn‐ zeichnet durch „großräumig organisierte Gewalt“ (Münkler 2002, S. 11). Die wohl bekannteste Definition stammt vom preußischen Militärtheoretiker 4.4 Kriegsdefinitionen 63 <?page no="64"?> Carl von Clausewitz: Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln - beziehungsweise in der Originalfassung: „So sehen wir also, daß der Krieg nicht bloß als politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln“ (Clausewitz 2000 [1832], S. 44). Des Weiteren bestimmt Clausewitz (2000 [1832], S. 27) Krieg als einen „Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“. Damit sind Mittel (Gewalt) und Zweck („dem Feinde unseren Willen aufzud‐ ringen“) des Krieges benannt. Diese funktionalistische Kriegsdefinition kann an Thomas Hobbes anschließen, hat dieser „das Konfliktpotenzial aus dem Inneren der Gesellschaft in das äußere verlagert“ und Krieg „als Motor dieser Transformation“ (Bonacker und Imbusch 2006, S. 108) angesehen. Mit der Aufklärung hat sich ein rationalistischer Kriegsbegriff herausgebildet (vgl. Bonacker und Imbusch 2006, S. 108). Danach sei Krieg irrational und eine Folge absolutistischer Herrschaftsstrukturen. Ein wesentlicher Vertreter dieses Ansatzes ist Immanuel Kant. Ihm zufolge sei der Mensch - ist er ein‐ mal durch eine republikanische Ordnung von seiner Unmündigkeit befreit - aufgrund seiner Vernunft in der Lage, Konflikte mit nicht-kriegerischen Mitteln zu lösen: „Wenn (wie es in dieser Verfassung nicht anders sein kann) die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ob Krieg sein solle, oder nicht, so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten […], sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen“ (Kant 1968 [1795], S. 351). Seit den Weltkriegen dominiert die völkerrechtliche Definition. Danach stellen Kriege mit Waffengewalt und über einen längeren Zeitraum ausge‐ tragene Konflikte zwischen zwei oder mehreren organisierten und zentral gelenkten Gruppen dar, bei denen es sich mindestens auf einer Seite um reguläre Streitkräfte eines Staates handeln muss. Im Völkerrecht kommt der Kriegsbegriff allerdings immer seltener zum Tragen. Stattdessen wird von „internationalen bewaffneten Konflikten“ (Formen zwischenstaatlicher Anwendung von Waffengewalt) beziehungsweise von „nicht-internationa‐ len bewaffneten Konflikten“ (Formen innerstaatlicher Anwendung von Waffengewalt) gesprochen. Die empirische Kriegsforschung versucht, sich dem Phänomen des Krie‐ ges durch quantitative beziehungsweise qualitative Operationalisierungen 64 4 Konflikt - Konzeptionelle Vorüberlegungen <?page no="65"?> anzunähern. Im Fokus quantitativer Definitionen steht die Anzahl der Kriegs‐ opfer. Sie bezeichnen einen sozialen Tatbestand als Krieg, wenn die Zahl der (direkten oder indirekten) Todesopfer einer gewaltsamen Auseinander‐ setzung einen bestimmten Schwellenwert überschreitet. Hier dominiert der Ansatz von David Singer und Melvin Small, der in das Projekt Correlates of War der Universität Michigan eingegangen ist. Sie bezeichnen jeden bewaff‐ neten Konflikt mit mindestens 1.000 getöteten Kombattanten (battle deaths) pro Jahr als Krieg. Quantitative Definitionen sind nicht unumstritten; auch differieren sie stark. Das beinhaltet zum einen den Schwellenwert selbst, ist dieser immer auch zu einem gewissen Grade willkürlich. Auch gibt es Konfliktdatenbanken wie die der Universität Uppsala in Schweden, die nicht nur getötete Kombattanten, sondern auch zivile Todesopfer (battle-related deaths) mit in ihre Analysen einbeziehen. Wieder andere mahnen an, gleichfalls die Größe der betroffenen Populationen mit zu berücksichtigen. Insbesondere würden quantitative Zugänge - so die Hauptkritik - keine Aussagen über zentrale Charakteristika des Krieges zulassen (vgl. Boemcken und Krieger 2006, S. 12f.). Qualitative Definitionen stützen sich stärker auf die Beschaffenheit des Konfliktaustrags. In dieser Tradition sieht sich beispielsweise das Heidel‐ berger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK), auch wenn es an die eben beschriebenen quantitativen Ansätze anknüpfen kann. Das HIIK beschränkt sich in seiner Analyse nicht nur auf Kriege, sondern nimmt alle Konflikte in den Blick, die die „staatliche Kernfunktion oder die völkerrecht‐ liche Ordnung bedrohen oder eine solche Bedrohung in Aussicht stellen“ (HIIK 2024). Im Fokus steht die Konfliktintensität. In die Operationalisierung einbezogen werden Mittel (Waffen- und Personaleinsatz) sowie Folgen des Gewalteinsatzes (Todesopfer, Flüchtlinge und Ausmaß der Zerstörung). Dabei werden fünf Intensitätsstufen von Konflikten unterschieden: Disput, gewaltlose Krise, gewaltsame Krise, begrenzter Krieg und Krieg (vgl. Abbil‐ dung 9). Ein politischer Konflikt wird als Krieg eingestuft, wenn physische Gewalt „in massivem Ausmaß angewandt wird“ und die eingesetzten Mittel und Folgen „in ihrem Zusammenspiel als umfassend bezeichnet werden“ (HIIK 2024). 4.4 Kriegsdefinitionen 65 <?page no="66"?> Disput gewaltfreie Konflikte niedrige Intensität gewaltlose Krise gewaltsame Krise gewaltsame Konflikte mittlere Intensität begrenzter Krieg hohe Intensität Krieg Quelle: HIIK. https: / / hiik.de/ hiik/ methodik/ . Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung an der Universität Hamburg (AKUF) entiert sich an der oben erwähnten völkerrechtlichen Definition. In Anlehnung an den ungarischen Friedensforscher István Kende (1917-1988) gilt ein gewaltsam ausgetragener Konflikt als Krieg, wenn er alle der folgenden Merkmale aufweist: <<Aufzählung (a) bis (c)>> (a) „an den Kämpfen sind zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte beteiligt, bei denen es sich mindestens auf einer Seite um reguläre Streitkräfte (Militär, paramilitärische Verbände, Polizeieinheiten) der Regierung handelt; (b) auf beiden Seiten muss ein Mindestmaß an zentral gelenkter Organisation der führenden und des Kampfes gegeben sein, selbst wenn dies nicht mehr bedeutet als organisierte bewaffnete Verteidigung oder planmäßige Überfälle (Guerillaopera nen, Partisanenkriege usw.); (c) die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer gewissen Kontinuierlichkeit und nicht nur als gelegentliche, spontane Zusammenstöße, das heißt beide Seiten operieren nach einer planmäßigen Strategie, gleichgültig ob die Kämpfe auf dem Gebiet e oder mehrerer Gesellschaften stattfinden und wie lange sie dauern“ (AKUF 2020). Zudem differenziert die AKUF zwischen Kriegen und bewaffneten Konflikten. Letzteres bezeichnet militärische Auseinandersetzungen, die die Kriterien der Kriegsdefinition nicht in vollem Umfang erfüllen, beispielsweise wenn die Kontinuität der Kampfhandlungen (noch nicht gegeben ist. Abbildung 9: Stufen der Konfliktintensität nach dem HIIK (2024) Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung an der Universität Ham‐ burg (AKUF) orientiert sich an der oben erwähnten völkerrechtlichen Definition. In Anlehnung an den ungarischen Friedensforscher István Kende (1917-1988) gilt ein gewaltsam ausgetragener Konflikt als Krieg, wenn er alle der folgenden Merkmale aufweist: (a) „an den Kämpfen sind zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte beteiligt, bei denen es sich mindestens auf einer Seite um reguläre Streitkräfte (Militär, paramilitärische Verbände, Polizeieinheiten) der Regierung handelt; (b) auf beiden Seiten muss ein Mindestmaß an zentral gelenkter Organi‐ sation der Kriegsführenden und des Kampfes gegeben sein, selbst wenn dies nicht mehr bedeutet als organisierte bewaffnete Verteidigung oder planmäßige Überfälle (Guerillaoperationen, Partisanenkriege usw.); (c) die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer gewissen Kon‐ tinuierlichkeit und nicht nur als gelegentliche, spontane Zusammen‐ stöße, das heißt beide Seiten operieren nach einer planmäßigen Stra‐ tegie, gleichgültig ob die Kämpfe auf dem Gebiet einer oder mehrerer Gesellschaften stattfinden und wie lange sie dauern“ (AKUF 2024). Zudem differenziert die AKUF (2024) zwischen Kriegen und bewaffneten Konflikten. Letzteres bezeichnet militärische Auseinandersetzungen, die die Kriterien der Kriegsdefinition nicht in vollem Umfang erfüllen, beispiels‐ weise wenn die Kontinuität der Kampfhandlungen (noch) nicht gegeben ist. 66 4 Konflikt - Konzeptionelle Vorüberlegungen <?page no="67"?> Auch qualitative Ansätze unterliegen der Kritik. Zum einen bleiben diese in der Regel einer staatszentrierten Perspektive verhaftet (vgl. beispielsweise Punkt a der AKUF-Definition), die der zunehmenden Entgrenzung des Krieges nicht gerecht werden. Zum anderen werden Kriege und bewaffnete Konflikte als klar abgrenzbare Tatbestände begriffen. In der empirischen Wirklichkeit sind die Grenzen - zwischen Kriegs- und Friedenszuständen, zwischen militärischer und ziviler Sphäre sowie zwischen innen und außen - dagegen fließend. So lassen sich auch Entwicklungen und Phänomene wie die sogenannten neuen Kriege nur begrenzt in die klassischen Kategorien einordnen. Bis heute besteht eine offene Debatte darüber, wo der transnatio‐ nale Terrorismus zu verorten sei: als Krieg oder krimineller Akt, verbunden mit differenten Strategien der Konfliktbearbeitung (ausführlicher dazu Kapitel 5.4). Was macht nun aber das Wesen des Krieges aus? Hier lassen sich drei zentrale Merkmale ausmachen (vgl. Jahn 2012, S. 33): Erstens stellen Kriege - in Anlehnung an Carl von Clausewitz - eine Form der Politik dar. Damit bleiben andere gewaltsame Formen individueller oder gesellschaftlicher Konflikte wie Privatfehden oder kriminelle Bandenkriege außen vor (auch unabhängig von der Zahl der Opfer). Zweitens erfordern Kriege mindestens zwei kriegsbereite Akteure oder provokant formuliert: Krieg beginnt mit der Verteidigung. Und drittens unterscheiden sich die normativen Prämissen der Gewaltanwendung: Das Töten im Krieg ist - selbst heutzutage bei Einhaltung des humanitären Völkerrechts - rechtlich und häufig auch ethisch erlaubt. Dabei verlangen auch Demokratien ihren Soldaten und Soldatinnen im Krieg ab, entgegen gesellschaftlich etablierter Normen und Werte zu handeln, indem sie töten und zugleich die Bereitschaft eingehen, getötet zu werden. 4.5 Kriegsursachen Warum kommt es zu Kriegen? Diese Frage ist für die Friedens- und Kon‐ fliktforschung essenziell. Die Kriegsursachenforschung hat sich zu einem etablierten Bereich des Fachs entwickelt. Dabei ist es selbstredend, dass Kriegsursachen hochkomplex und nur multikausal zu erklären sind (vgl. Matthies 2004, S. 412). Kenneth Waltz (2001) verweist auf drei Ebenen von Kriegsursachen (vgl. Abbildung 10). Danach sind es auf individueller Ebene Aggressionen, das 4.5 Kriegsursachen 67 <?page no="68"?> Menschenbild oder Machtkalküle von Eliten, die Entscheidungen zum Krieg befördern können. Auf staatlicher Ebene werden bestimmte Herrschafts‐ strukturen wie nicht-demokratische, ungerechte oder schwache Staaten für einen gewaltsamen Konfliktaustrag verantwortlich gemacht. Auf interna‐ tionaler Ebene wiederum seien es die Anarchie des internationalen Systems, das sich daraus ergebene Sicherheitsdilemma sowie eine (Un-)Balance of Power, welche die Anwendung militärischer Gewalt begünstigen. First Image Second Image Third Image Kriege entstehen in den Köpfen der Menschen als Folge von Dummheit, Selbstsucht oder aggressiven Impulsen. Kriege sind das Ergebnis despotischer Herrschaft, mangelnder rechtstaatlicher Verfassung oder ungerechter Verteilung. Kriege resultieren aus dem anarchischen Naturzustand: Staaten als souveräne Akteure sind keiner höheren Macht unterworfen. Individuen Staaten Internationales System Abbildung 10: Typologie von Kriegsursachen nach Kenneth Waltz (2001) Waltz’ Perspektive ist eine spezifisch (neo)realistische und als solche bietet sie einen unmittelbaren konflikttheoretischen Zugang, geht sie „vom kon‐ kurrierenden Machtstreben politischer Einheiten und vom Konflikt als der Grundbedingung der Weltpolitik“ (Hubel 2005, S. 19) aus. Zusätzlich dazu lassen sich in der Kriegsursachenforschung zwei zentrale Ansätze voneinander unterscheiden: systemische und strategische Ansätze (vgl. Rapoport 1966; ebenso Ruloff 2004, S. 14). Strategische beziehungsweise entscheidungstheoretische Ansätze haben ihre Wurzeln bei Carl von Clau‐ sewitz und seiner Bestimmung des Krieges als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Sie gehen davon aus, dass Kriege die Folge von Kalkülen von Akteuren seien. In dieser Perspektive lassen sich drei Theorien ausmachen: (a) Rational Choice-Ansätze, nach denen sich „die Rationalität des Entscheidens, zu den Waffen zu greifen, in einigen Fällen rein logisch nachvollziehen [lasse]“ (Ruloff 2004, S. 15), (b) spieltheoretische Ansätze, die auf Dilemma-Situationen abzielen, sowie (c) organisationssoziologische und -psychologische Ansätze. 68 4 Konflikt - Konzeptionelle Vorüberlegungen <?page no="69"?> Systemische Ansätze dagegen negieren die zentrale Rolle der Handelnden; sie verweisen auf vorrangig strukturelle Ursachen. Diese Perspektive findet sich prominent bei Lew Tolstoj, heißt es in seinem Epos „Krieg und Frieden“: „Obgleich Napoleon im Jahre 1812 mehr als je der Ansicht war, daß es von ihm abhänge, ob er das Blut seiner Völker vergießen wolle oder nicht […], so war er doch nie in höherem Maß als damals jenen unübertretbaren Gesetzen unterwor‐ fen, die, während er nach freiem Willen zu handeln meinte, ihn zwangen, für die Allgemeinheit, für die Geschichte eben das zu tun, was sich vollziehen sollte“ (Tolstoj 2015 [1867], S. 1059f.). Aus systemischer Sicht werden Kriege heute nicht mehr als Gesetze der Geschichte betrachtet, vielmehr als „Nebenprodukt sozialer, wirtschaftlicher und politischer Umwälzungen“ (Ruloff 2004, S. 14). Hier kommen insbeson‐ dere fünf Dimensionen von Kriegsursachen zum Tragen (vgl. u. a. Brown 2001; Smith 2004; Boemcken und Krieger 2006): ▸ Sozioökonomische Faktoren: Sie gelten als die bedeutendste langfristige Ursache innerstaatlicher bewaffneter Konflikte und Kriege. Ein wesent‐ liches Kennzeichen ist die sozioökonomische Heterogenität (soziale Un‐ gerechtigkeit). Diese hat zahlreiche Ursachen: ungerechte Verteilungen, Wirtschaftssysteme, die einzelne Gruppen bevorzugen beziehungsweise benachteiligen, oder auch ökonomische Entwicklungen, die mit Verän‐ derungen der Sozialstruktur einhergehen. ▸ Politische Faktoren: Auch sie erweisen sich als zentrale Kriegsursache. Insbesondere können repressive politische Systeme Krieg befördern, speziell in Transitionszeiten. Hinzu kommen politische Machterhal‐ tungsinteressen (wie Herrschaftssicherung, Hegemoniebestrebungen, Territoriumsansprüche), gegebenenfalls politische Fehlperzeptionen nationaler Eliten und Herrschaftsgruppen, eine Nichtbeachtung bezie‐ hungsweise Verletzung politischer Gruppenrechte, aber auch Risiken, die von fragiler Staatlichkeit ausgehen (Legitimationsdefizite von Re‐ gierung und öffentlichen Einrichtungen, fehlende Gewaltenteilung, Kriminalität etc.). ▸ Sicherheitspolitische Faktoren: Diese gehen auf vorrangig neorealistische Annahmen zurück (vgl. auch obige Ausführungen zu Kenneth Waltz’ Typologie); sie ergeben sich aus der internationalen Ordnung. Dabei werden für Kriege vor allem die Anarchie der Staatenwelt und das damit verbundene Sicherheitsdilemma verantwortlich gemacht. 4.5 Kriegsursachen 69 <?page no="70"?> ▸ Ökologische Faktoren: Selbst wenn sie an die Bedeutung sozio‐ ökonomischer und politischer Faktoren nicht heranreichen, spielen sie eine nicht zu unterschätzende Rolle. So können Zerstörungen der Umwelt (wie Bodenerosion, Abholzung oder durch Naturabbau beding‐ ter Wassermangel) zu einer Verknappung von Ressourcen führen und wirtschaftliche Probleme noch befördern. ▸ Kulturelle Faktoren: Hierzu zählen verschiedenste Muster kultureller Diskriminierung. Häufig wird auf die ethnisch-kulturelle Heterogenität abgehoben. Dabei stellen ethnische Differenzen selten die alleinige Ursache von bewaffneten Konflikten dar, sie kommen aber - in Verbin‐ dung mit sozioökonomischen und politischen Faktoren - „als wichtige Ressource machtpolitischer Mobilisierung und Manipulierung“ (Knapp und Krell 2004, S. 413) zum Tragen. Bewaffnete Konflikte und Kriege lassen sich selten auf nur eine dieser Ursachenkategorien zurückführen; es gibt nicht den sozioökonomischen, politischen oder kulturellen Konflikt. Vielmehr dienen die verschiedenen Erklärungsansätze als „analytisches Gesamtmodell“ (Boemcken und Krieger 2006, S. 17), in dem sich die Konflikte und Kriege in je spezifischer Weise verorten lassen. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, welche der Ursachen sich wie und zu welchem Grade in einem konkreten Fall als erklärungsfähig erweisen, sondern auch, wie die verschiedenen Faktoren in Beziehung zueinander stehen und interagieren (vgl. Smith 2004, S. 7). Mit diesen - hier nur stichwortartig aufgezeigten - Kriegsursachen ist die Vielschichtigkeit des Phänomens Krieg aber noch nicht vollständig erfasst. Für eine multidimensionale Analyse erarbeitete Dan Smith (2004, S. 8f.) in Anlehnung an David Dessler eine Typologie, mit der er neben Hinter‐ gründen bewaffneter Konflikte und Kriege (background causes, underlying conditions) weitere Faktoren in Anschlag bringt: ▸ Mobilisierungsstrategien (mobilisation strategy): Diese gehen insoweit über die Zielsetzungen der politischen Akteure hinaus, als sie Wege und Taktiken ansprechen, diese zu erreichen (einschließlich von Strategien zur Mobilisierung der Bevölkerung). ▸ Konfliktauslöser (triggers): Diese erklären weniger, warum ein bewaff‐ neter Konflikt oder Krieg beginnt, sondern vielmehr, warum gerade zu diesem Zeitpunkt. ▸ Katalysatoren (catalysts): Darunter werden Faktoren gefasst, die die Intensität und Dauer des bewaffneten Konflikts beeinflussen. Das kön‐ 70 4 Konflikt - Konzeptionelle Vorüberlegungen <?page no="71"?> 21 Zu Typologien bewaffneter Konflikte und Kriege vgl. auch BICC (2011). nen interne Aspekte (zum Beispiel ein militärisches Kräftegleichgewicht der beteiligten Parteien), externe Einflüsse (wie Interventionen von außen, beispielsweise durch die internationale Gemeinschaft) oder auch Naturphänomene (Territorium, Klima etc.) sein. 4.6 Fazit Konflikte sind hochgradig komplexe und ambivalente Phänomene: Sie kön‐ nen „sowohl als ‚Klebstoff ‘ wie auch als ‚Lösemittel‘ fungieren“ (Bonacker und Imbusch 2006, S. 77) und eine konstruktive, aber auch destruktive Kraft entfalten. Dabei ist zwischen den verschiedenen Konfliktdimensionen zu unterscheiden: zwischen dem Konfliktbegriff und seinem Austrag wie auch zwischen den Konfliktformen und seinen Ursachen. Zudem erweisen sich die in der Friedens- und Konfliktforschung exis‐ tierenden Konflikttypologien nicht ohne Weiteres als kompatibel, setzen sie bei verschiedenen Größen an: Das HIIK beispielsweise orientiert sich wie an obiger Stelle ausgeführt an der Konfliktintensität. Die AKUF 2024 wiederum differenziert nach Konfliktgegenständen beziehungsweise nach der Zielsetzung der Konfliktparteien und unterscheidet vier Kriegstypen: Antiregime-Kriege, Autonomie- und Sezessionskriege, zwischenstaatliche Kriege und Dekolonisationskriege. Auch lassen sich Konflikte nach Kon‐ fliktakteuren klassifizieren. Hierbei hat sich die Vergesellschaftungsform beziehungsweise der politische Status der Akteure als zentrales Kriterium durchgesetzt. Eine weitere Typologie stellt, da sie bewaffnete Konflikte und Kriege nicht zwingend an einen staatlichen Akteur bindet, die des Politikwissenschaftlers Sven Chojnacki (2006, S. 56) dar. Er spricht von vier Kerntypen kriegerischer Gewalt und unterteilt diese in: ▸ „zwischenstaatliche Kriege (zwischen mindestens zwei souveränen Staa‐ ten), ▸ extrastaatliche Kriege (zwischen Staaten und nichtstaatlichen Akteuren jenseits bestehender Staatsgrenzen), ▸ innerstaatliche Kriege (zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteu‐ ren innerhalb bestehender Grenzen) sowie ▸ substaatliche Kriege (zwischen nichtstaatlichen Gewaltakteuren inner‐ halb oder jenseits formaler Staatsgrenzen).“ 21 4.6 Fazit 71 <?page no="72"?> Diese Vielschichtigkeit macht es schwer, wenn nicht gar praktisch unmög‐ lich, eine allgemeingültige Konflikttypologie zu entwickeln, die umfassend und widerspruchsfrei zugleich ist. Die folgenden Ausführungen beanspru‐ chen auch nicht, eine solche zu liefern. Vielmehr sollen im Hinblick auf die Differenzierung von Konflikten nach ihren Ebenen und Akteuren, ihren Gegenständen und ihren Austragungsformen wesentliche Charakteristika und Herausforderungen aktueller Konstellationen herausgearbeitet und diskutiert werden. Weiterführende Literatur: Bonacker, Thorsten (Hrsg.). 2008. Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Eine Einführung. 4. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Dieses Lehrbuch liefert einen ideengeschichtlichen und systematischen Überblick über soziologische, politikwissenschaftliche und psychologische Konflikt‐ theorien. Das umfasst neben klassischen Positionen von Thomas Hobbes, Karl Marx, Max Weber und Georg Simmel Konflikttheorien der Internationa‐ len Beziehungen, soziologischer Gesellschaftstheorien sowie sozialwissen‐ schaftlicher Akteurstheorien. Galtung, Johan. 2007. Frieden mit friedlichen Mitteln. Friede und Konflikt, Entwicklung und Kultur. Münster: agenda Verlag. Die Konflikttheorie von Galtung (im Teil II seines Bandes) fokussiert auf die zerstörerisch-schöpfe‐ rische Doppelnatur des Konflikts. Nach einer Klärung von Grundbegriffen entwickelt Galtung Typologien möglicher Konflikttransformationen und gewaltloser Konfliktinterventionen. Geis, Anna (Hrsg.). 2006. Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheo‐ rien in der Kontroverse. Baden-Baden: Nomos. Die Beiträge dieses Bandes befassen sich mit den empirischen und theoretischen Herausforderungen des globalen Kriegsgeschehens und behandeln für die gegenwärtige Friedens- und Konfliktforschung zentrale Kriegsbegriffe und -theorien. 72 4 Konflikt - Konzeptionelle Vorüberlegungen <?page no="73"?> 5 Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen Asymmetrische Konstellationen stellen keine neuen Erscheinungen im Konfliktgeschehen dar, sind aber in den letzten Jahrzehnten verstärkt in den Blick der Friedens- und Konfliktforschung geraten. Stellvertretend dafür stehen die Debatten um die sogenannten „neuen Kriege“. Worauf ist aber dieser Fokus auf asymmetrische Konflikte, die historisch wie global eher den Regelfall denn die Ausnahme bilden (vgl. Münkler 2006a, S. 215; Schmidt 2012, S. 28), zurückzuführen? Was zeichnet asymmetrische Konflikte über‐ haupt aus? Und worin besteht das Neue an den heutigen asymmetrischen Konflikten? 5.1 Symmetrie und Asymmetrie im Konfliktgeschehen Zunächst bedürfen die beiden Begriffe - Symmetrie und Asymmetrie - einer Klärung. Unter Symmetrie wird allgemein „Ebenmaß sowie Ausgewogenheit oder die wechselseitige Entsprechung von Teilen in Bezug auf Größe, Form oder Anordnung“ verstanden (Schmidt 2012, S. 26). Dagegen lässt sich Asymmetrie als die Abwesenheit dieser wechselseitigen Entsprechung beziehungsweise „den Mangel an Symmetrie“ fassen und als „Ungleichmä‐ ßigkeit“ definieren (Schmidt 2012, S. 26). Diese kann verschiedene Dimen‐ sionen annehmen. So könne ein asymmetrischer Konflikt sowohl „als eine Unterschiedlichkeit der Akteure, deren Strategien, Mittel und Methoden als auch ihrer Ressourcen verstanden werden“ (Schmidt 2012, S. 29; vgl. auch Feichtinger 2004, S. 69). Das Wörterbuch zur Sicherheitspolitik beschreibt asymmetrische Operationen als „Operationen zwischen Kräften von Gegnern/ Kontrahenten, die weitgehend in der Organisationsform, ihren eingesetzten Mitteln und Fähigkeiten und in der technologischen Entwicklung der eingesetzten Mittel nicht übereinstimmen“ (Meier et al. 2003, S. 30). Auf die Bedeutung der Organisationsform der Akteure verweist auch Chris‐ topher Daase. Gemäß seiner Argumentation führen verschiedene Vergesell‐ schaftungsformen der Akteure zu unterschiedlichen Konfliktstrukturen und <?page no="74"?> 22 Herfried Münkler (2005a, S. 12f.) verweist hierbei auf die Territorialität und ihre Bedeu‐ tung für das Staatensystem, die Symmetrie seiner Akteure und die damit verbundene Reziprozität: „Territorialität schafft einen identifizierbaren und insofern angreifbaren und dementsprechend verletzbaren politischen Körper. Wer von seinem Territorium aus das anderer angreift, muss damit rechnen, dass sein eigenes Territorium ebenfalls angegriffen und verheert wird. So funktioniert Reziprozität. […] In einem prinzipiellen Sinne ändert sich dies erst, wenn der politische Körper verschwindet, also nichtterri‐ toriale politische Akteure auftreten.“ Kriegsformen, die wiederum unterschiedliche Wirkungen auf die Normkon‐ formität zeitigen (vgl. Daase 1999, S. 91ff.). So seien Symmetrie und Asym‐ metrie von Akteuren nicht nur eine Frage militärischer Macht, sondern vorrangig eine der politischen Organisation. Danach führe „eine bestimmte Vergesellschaftung zu einer bestimmten Art der Interessendefinition und einer bestimmten Präferenz hinsichtlich des Konfliktaustragungsmodus“ (Daase 1999, S. 93). Ein Staat sei - schon aufgrund seiner Ordnungsstruktur - auf bestimmte nationale Interessen und die Kontrolle von Territorium und Bevölkerung ausgerichtet. Diese versetze ihn zugleich in die Lage, ein stehendes Heer zu unterhalten, welches er - will er dem politischen System nicht nachhaltig schaden - regelgeleitet einzusetzen habe. Dagegen sei ein nichtstaatlicher Akteur, der einen weitaus geringeren Organisationsgrad aufweise und weder über die Kontrolle von Territorium und Bevölkerung noch über ein stehendes Heer verfüge, nicht diesen ordnungspolitischen Zwängen unterworfen. Er müsse sich an keine Regeln und keine konven‐ tionelle Kriegsführung halten und könne dies (neben häufig fehlendem konventionellen Kriegsgerät) angesichts fehlender politischer Organisation auch gar nicht. 22 Vor diesem Hintergrund liegt eine symmetrische Konflikt‐ struktur vor, wenn zwei gleich oder ähnlich vergesellschaftete Akteure (z. B. zwei staatliche Akteure) - und damit gleiche oder ähnliche Interessenstruk‐ turen und Präferenzen der Konfliktaustragung - aufeinandertreffen. Eine asymmetrische Konfliktstruktur herrscht dagegen vor, wenn zwei ungleich vergesellschaftete Akteure (staatlicher und nichtstaatlicher Akteur) - und damit divergierende Interessenstrukturen und Präferenzen der Konfliktaus‐ tragung - aufeinandertreffen (vgl. Daase 1999, S. 93f.). Bezüglich asymmetrischer Konfliktstrukturen lassen sich verschiedene Konstellationen der Kriegsführung unterscheiden: Asymmetrien der Stärke und Asymmetrien der Schwäche (vgl. Münkler 2006a, S. 140f.). Asymmetrien der Stärke resultieren - militärisch betrachtet - aus einer militärorganisa‐ torischen und/ oder waffentechnischen Überlegenheit. Im Fokus des Bestre‐ 74 5 Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen <?page no="75"?> bens steht hier die Gewinnung neuer Räume und Sphären. Das reicht von der Eroberung von Land- und Seeräumen über den Luft- und Weltraum bis hin zur heute dominant werdenden Sphäre des Cyberraums. Ziel dieser Strategie ist die Unverwundbarkeit. Stellt die unterlegende Seite ihre Ansprüche nicht zurück, liegt eine militärische Reaktion auf die Asymmetrie der Stärke in der „Resymmetrierung militärischer Ungleichgewichte“ (Münkler 2006a, S. 141). Ein Beispiel hierfür stellen die Rüstungsspiralen zu Zeiten des Kalten Krieges dar. Gelingt diese Strategie angesichts nicht verfügbarer Ressourcen oder divergierender Vergesellschaftungsformen der Akteure nicht, bleibt der unterlegenden Seite - militärisch betrachtet - als Reaktion nur die „Form der strategischen Asymmetrie aus Schwäche“ (Münkler 2006a, S. 141; Hervorh. d. Verf.). Ein klassisches Beispiel stellt der Partisanenkrieg dar. In diesem geben sich die Kämpfer nicht als solche zu erkennen, sie operieren aus dem Untergrund, greifen überfallsartig an und tauchen wieder unter. Ziel dieser Strategie ist die Unerkennbarkeit. Mit ihr soll der Krieg räumlich und zeitlich entgrenzt werden, um auf diese Weise die überlegende Seite zu zermürben (vgl. Münkler 2006a, S. 141). Die verschiedenen Konfliktstrukturen und Kriegsformen haben zugleich Auswirkungen auf die Legitimität des (militärischen) Konfliktaustrags. Während sich in symmetrischen Konfliktstrukturen Streitkräfte zumeist staatlicher Konfliktparteien gegenüberstehen, die sich angesichts ihrer Gleichheit der militärischen Organisation und ihrer im Völkerrecht veran‐ kerten Regelungen als gleichrangige und legitime Gegner ansehen, stehen sich in asymmetrischen Kriegen Konfliktparteien gegenüber, die sich in ihrer militärisch-strategischen Zielsetzung grundlegend voneinander unter‐ scheiden. Dabei werden asymmetrische Kriege nicht unter den Bedingungen wechselseitiger Anerkennung als iustus hostis geführt, womit auch die Regelungen des humanitären Völkerrechts ihre Bindekraft zu verlieren drohen (vgl. Daase 1999, S. 95f.; Münkler 2006a, S. 217; Schmidt 2012, S. 35). Die Frage der Normkonformität zeitigt wiederum stabilisierende respek‐ tive destabilisierende Konsequenzen. Dementsprechend resümiert Christo‐ pher Daase (1999, S. 101): „Wo den Normen und Regeln gemäß gehandelt wird, wie im konventionellen Krieg, dort werden diese Normen und Regeln reproduziert, und diese Reproduk‐ tion führt zur Stabilisierung des politischen Systems. Wo Normen gebeugt und Regeln gebrochen werden, wie im unkonventionellen Krieg, dort verlieren sie an Gültigkeit, was zur Destabilisierung des politischen Systems beiträgt.“ 5.1 Symmetrie und Asymmetrie im Konfliktgeschehen 75 <?page no="76"?> 23 In Anlehnung an Buciak (2008, S. 36), der sechs Kriterien („Sextett der Divergenzkrite‐ rien“) in Anschlag bringt: die quantitative, qualitative und strategisch-taktische sowie die Rechts-, Eskalations- und ökonomische Divergenz. Zusammenfassend betrachtet lassen sich asymmetrische Konstellationen der Kriegsführung mittels verschiedener Divergenzkriterien 23 näher charak‐ terisieren: ▸ Akteursdivergenz: Die Akteure weisen in der Regel unterschiedliche Ver‐ gesellschaftungsformen auf (staatliche versus nichtstaatliche Akteure, qualitative Divergenz). Dabei sind nichtstaatliche Akteure im Kampf gegen staatliche Streitkräfte stets auch zahlenmäßig unterlegen (quan‐ titative Divergenz). ▸ Mitteldivergenz: Akteure in asymmetrischen Konstellationen verfügen über ungleiche Mittel. Das umfasst die Menge an Waffensystemen (quantitative Divergenz), aber auch deren Reichweite und Durch‐ schlagskraft (qualitative Divergenz). Dazu gehört auch die Fähigkeit, bestimmte Räume und Sphären (Land, Wasser, Luft, Weltraum, Cyber‐ raum) zu beherrschen. Neben unterschiedlichen technologischen Zu‐ gängen ist dies auch differierenden finanziellen Ressourcen geschuldet. ▸ Strategisch-taktische Divergenz: Während sich in symmetrischen Krie‐ gen gleiche oder ähnliche Militärorganisationen mit vergleichbaren Strategien und Taktiken gegenüberstehen, zeigen asymmetrische Kon‐ stellationen deutliche Unterschiede auf (Strategie der Unverwundbar‐ keit versus Strategie der Unerkennbarkeit). ▸ Rechtsdivergenz: Reguläre Streitkräfte sind - zumindest in Demokra‐ tien - normgebunden und regelgeleitet; sie sind innerstaatlich (in der Regel auf verfassungsrechtlicher Ebene) verankert und unterliegen völkerrechtlichen Regelungen. Demgegenüber stehen die irregulären Kämpferinnen und Kämpfer, die „eigene Handlungs- und Rechtferti‐ gungsmaßstäbe“ (Buciak 2008, S. 36) entwickeln und sich in der Regel nicht an die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts gebunden fühlen. Nicht selten führt die Irregularität auch in eine „Rebarbarisie‐ rung gewaltsamer Konfliktaustragung“ (Vogt 2008, S. 45). ▸ Legitimationsdivergenz: Während sich die Akteure in symmetrischen Konflikten - und dafür stehen auch die völkerrechtlichen Regelungen - als gleichrangige und legitime Gegner ansehen, sprechen sich Akteure in asymmetrischen Konstellationen gegenseitig ihre Legitimität ab. Das 76 5 Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen <?page no="77"?> eröffnet dann auch häufig Wege für Instrumentalisierungen ideologi‐ scher oder religiöser Art. 5.2 Die neuen Kriege Mit dem Ende der Bipolarität und Blockkonfrontation wurde verstärkt ein Wandel des Krieges konstatiert. Martin van Creveld argumentierte bereits 1991, dass der klassische zwischenstaatliche Krieg überholt sei und zunehmend nichtstaatliche Akteure, innerstaatliche Kriege sowie „low intensity conflicts“ an Bedeutung gewinnen. Andere Autoren sprachen von „wars of the ‚third kind‘“ (Holsti 1996), „kleinen Kriegen“ (Daase 1999) oder „wilden Kriegen“ (Sofsky 2002). Besondere Aufmerksamkeit erfahren hat der Begriff der „neuen Kriege“ - ein Terminus, der begrifflich auf Mary Kaldor (1999) zurückgeht und den Herfried Münkler (2002) prominent in die deutsche Forschungslandschaft eingeführt hat. Dabei setzen die einzelnen Autorinnen und Autoren dieses Theorems unterschiedliche Fokusse: So macht van Creveld vorrangig die Waffentechnologie und die Existenz atomarer Waffen für das Verschwinden des Krieges zwischen Großmächten verantwortlich, während Kriege an der Peripherie fortdauern. Kaldor betont die identitätspolitische Dimension der neuen Kriege, die die machtpolitische der alten Kriege ablöse. So werden die neuen Kriege im Namen der Identität (Nation, Stamm, Religion) geführt, wobei nationalistische oder ethnische Identitäten von Kriegsakteuren benutzt werden, um Bevölkerungsgruppen zu mobilisieren und die Diaspora zu unterstützen. Münkler (2002; 2006a, b; 2018) wiederum hebt auf drei Merkmale ab: ▸ die Entstaatlichung beziehungsweise Privatisierung des Krieges: Mit den neuen Kriegen habe der Staat sein Kriegsführungsmonopol verloren. So seien es zunehmend nichtstaatliche Akteure - Warlords, lokale Kriegsherren oder überregionale Kriegsunternehmer -, die das Kriegs‐ geschehen bestimmen und von ihm profitieren, während Staaten fast nur noch reaktiv auf Kriege reagieren. ▸ die Kommerzialisierung des Krieges: Die neuen Kriege führen zu einer Diffusion von Gewaltanwendung und Erwerbsleben. Münkler (2002, S. 29) konstatiert: „Der Krieg wird zur Lebensform: Seine Akteure si‐ chern ihre Subsistenz durch ihn, und nicht selten gelangen sie dabei zu beträchtlichem Vermögen. Jedenfalls bilden sich Kriegsökonomien aus, die kurzfristig durch Raub und Plünderungen, mittelfristig durch 5.2 Die neuen Kriege 77 <?page no="78"?> unterschiedliche Formen von Sklavenarbeit und längerfristig durch die Entstehung von Schattenökonomien gekennzeichnet sind, in denen Tausch und Gewaltanwendung eine untrennbare Verbindung eingehen.“ Dabei unterscheiden sich die Warlordfigurationen der neuen Kriege von klassischen Bürgerkriegskonstellationen. Während Letztere politisch konnotiert seien und innerstaatliche Auseinandersetzungen zur Durch‐ setzung politischer Interessen und Ideen darstellen, könne - so Münkler (2002, S. 44) - davon „in vielen der neuen Kriege nicht die Rede sein“. ▸ die Asymmetrierung des Krieges: Diese stelle eine Reaktion auf nicht überwindbare militärische Asymmetrien dar und führe zu einer „Asym‐ metrierung der Kriegsgewalt durch ansonsten unterlegene und kaum kampffähige Akteure“ (Münkler 2006b, S. 134), die sich auf diese Weise zu behaupten suchen. „Die Entstehung weltpolitischer Asymmetrien durch die offenkundig uneinholbare wirtschaftliche, technologische, militärische und kulturindustrielle Überlegenheit der USA geht mit einer Asymmetrierung des Krieges durch die Verlagerung der Kampf‐ zonen, die Umdefinition der Mittel zur Kriegführung und die Mobilisie‐ rung neuer Ressourcen einher“ (Münkler 2002, S. 53). Darunter lassen sich auch Strategien des transnationalen Terrorismus fassen (vgl. Kapitel 5.4 dieses Lehrbuchs). Die Asymmetrien beschränken sich dabei nicht nur auf die physische Sphäre, sie beinhalten auch eine psychische Dimension. Diese setzen bei der hohen Verwundbarkeit postheroischer Gesellschaften an, die immer weniger bereit seien, eigene Opfer in Kauf zu nehmen (vgl. Münkler 2002, S. 50). Mit dem Theorem der neuen Kriege verbinden sich weitere Charakteristika: Sie reichen von einer Entmilitarisierung des Krieges (so seien die kriegsfüh‐ renden Parteien immer häufiger Krieger und nicht Soldaten) über die Nivel‐ lierung der Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten und eine damit verbundene Regellosigkeit, Entzivilisierung (auch Barbarisierung) und Enthegung des Krieges (sowohl zeitlich als auch räumlich) bis hin zu einer Hybridisierung der Zustände (weder Krieg noch Frieden). Die neuen Kriege richten sich auch nicht mehr gegen bewaffnete Kräfte, sondern primär gegen die Zivilbevölkerung. Waren in klassischen Staatenkriegen bis zu etwa 90 Prozent der Getöteten und Verwundeten Kombattanten, sind es in den neuen Kriegen mit 80 Prozent vorrangig Zivilisten (vgl. Münkler 2002, S. 28f.). Damit einher gehen ein „Angstmanagement“, eine weitgehende „Entdiszipli‐ 78 5 Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen <?page no="79"?> nierung der Bewaffneten“ und eine „Resexualisierung der Gewaltanwendung“ (Münkler 2002, S. 29f.; vgl. Abbildung 11). Zentrale Charakteristika der neuen Kriege „Die Neuen Kriege schwelen vor sich hin, lodern gelegentlich auf und glimmen dann untergründig fort, so dass man oft nicht mit Sicherheit sagen kann, ob in dem betreffenden Gebiet Krieg oder Frieden herrscht; die Neuen Kriege sind weder zwischenstaatliche noch rein innergesell‐ schaftliche Kriege, sondern fast immer beides zugleich, weswegen man auch von transnationalen Kriegen spricht; die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nonkombattanten, eine Schlüsseldifferenz des klassi‐ schen Kriegsrechts, spielt in ihnen keine Rolle, weswegen mit Blick auf die Zivilbevölkerung auch von Semikombattanten gesprochen wird. Die Neuen Kriege sind infolgedessen dadurch charakterisiert, dass sie keinerlei evolutive Richtung aufweisen, sondern durch rekursive und zirkuläre Dynamiken gekennzeichnet sind“ (Münkler 2018, S. 1886). Als Vergleichsfolie dient dem Theorem der neuen Kriege das herkömmli‐ che Kriegsgeschehen, die sogenannten „alten Kriege“. Darunter werden nicht die Imperialkriege der europäischen Kolonialmächte oder die inner‐ gesellschaftlichen Kriege in Europa und andernorts gefasst, sondern „die zwischenstaatlichen Kriege, bei denen souveräne Territorialstaaten die Monopolisten sowohl der legitimen als auch der faktischen Kriegsführungs‐ fähigkeit waren“ (Münkler 2018, S. 1885). Dagegen mag man einwenden, dass es sich bei dieser Sichtweise um eine eurozentristische handelt, stellen die Staatenkriege global betrachtet eher die Ausnahme denn die Regel dar. Dennoch hat sich diese Konstellation international als durchaus prägend erwiesen: Allen Kriegsdefinitionen ist gemeinsam, dass sie den klassischen Staatenkrieg im Blick haben (vgl. Schmidt 2012, S. 24). Die Charta der Vereinten Nationen wie auch das humanitäre Völkerrecht haben den Staat als Referenzpunkt (vgl. Münkler 2018, S. 1885). Und auch Kalevi J. Holsti (1992, S. 38f., zit. nach Daase 1999, S. 15) konstatiert: „Unsere leitenden Begriffe, Theorien der internationalen Beziehungen, strategi‐ schen Analysen und Untersuchungen über systemischen Wandel und die Rolle 5.2 Die neuen Kriege 79 <?page no="80"?> von Krieg in diesen Prozessen basieren explizit oder implizit auf den Mustern der Geschichte Europas und des Kalten Krieges.“ Kriterien Alte Kriege Neue Kriege Zeit: 18. Jahrhundert - 1945 verstärkt seit 1990 Akteure: Krieg zwischen modernen Staaten Kriege zwischen politisch organisierten Gruppen Implikatio‐ nen für den Staat: Monopolisierung staatlicher Gewalt (zentralisiert, nationale Armeen) der Staat hat sein Monopol der Kriegsgewalt verloren; Entstaat‐ lichung und Privatisierung des Krieges (Warlords, kriminelle Gruppen, Söldnerfirmen) - zentrales Moment: Nation (Tri‐ nität von Volk, Heer, Regierung) Aufhebung der Trinität - Krieg als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln Krieg als Fortführung der Öko‐ nomie mit anderen Mitteln (Kommerzialisierung des Krie‐ ges) - Konsolidierung staatlicher Macht (Staatsbildungskriege) Erosion staatlicher Strukturen (Staatszerfallskriege) Kriegsführung: klar definierter Beginn (Kriegs‐ erklärung) und klar definiertes Ende konturlos; weder Krieg noch Frieden - regelgeleitet (ius in bello), klare Unterscheidung von Kombat‐ tanten und Nichtkombattanten regellos, Enthegung, Entzivili‐ sierung, Barbarisierung, Nivel‐ lierung der Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkom‐ battanten - hohe Intensität geringe Intensität - Symmetrie des Krieges Asymmetrie des Krieges Abbildung 11: Alte versus neue Kriege in Anlehnung an Herfried Münkler (2002) 5.3 Kritik der neuen Kriege Das Theorem der neuen Kriege ist wirkmächtig, hat aber auch viel Kritik er‐ fahren. Sven Chojnacki (2004, S. 406f.) bringt fünf Kritikpunkte in Anschlag: 80 5 Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen <?page no="81"?> „1. Die simple, ja allzu simple Unterscheidung ‚alter‘ und ‚neuer‘ Kriege sowie die damit verbundene Überpointierung des Wandels; 2. Der vermeintliche Zu‐ sammenhang zwischen einer zunehmenden Ökonomisierung und einer damit einhergehenden Entpolitisierung des Krieges; 3. Die damit verbundene Tendenz, ‚neue‘ Gewaltkonflikte als ‚brutalisiert‘ und ‚resexualisiert‘ zu deuten; 4. Die problematische Verknüpfung mit anderen politischen Gewaltphänomenen wie dem internationalen Terrorismus; sowie 5. die Annahme der Asymmetrierung des Krieges.“ So führe erstens die Unterscheidung zwischen alten und neuen Kriegen zu keiner wissenschaftlichen Klarheit; vielmehr sei die Rede von neuen Kriegen „trügerisch“ und „irreführend“ (Chojnacki 2004, S. 407). Denn weder sei der zwischenstaatliche Krieg ein historisches Auslaufmodell. Dagegen sprechen die militärischen zwischenstaatlichen Konflikte in Asien, im Nahen und Mittleren Osten sowie in Lateinamerika oder auch die „ordnungspolitisch geleitete[n] Pazifizierungsakte“ der westlichen Welt wie beispielsweise der Krieg der USA und ihrer Verbündeten 2003 gegen den Irak (vgl. Chojnacki 2004, S. 407). Und auch der russische Krieg gegen die Ukraine ist ein Beispiel eines zwischenstaatlichen Krieges in Europa des 21. Jahrhunderts. Noch stellen die zentralen Merkmale der neuen Kriege - die nichtstaatlichen Akteurskonstellationen, die ökonomischen Motivstrukturen und die asym‐ metrischen Kriegsformen - neue Phänomene dar. Diese seien, und das gelte selbst für die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, eher der Regelfall denn die Ausnahme bewaffneter Auseinandersetzungen (vgl. Daase 2011, S. 25; Pradetto 2004, S. 197f.). Zweitens stößt die mit der Entstehung und Verstetigung von Kriegsökono‐ mien angenommene Entpolitisierung des Krieges auf Kritik (vgl. Chojnacki 2004, S. 408ff.; Daase 2011, S. 24). Dabei werden nicht die Rolle von Gewalt‐ märkten und ihre Auswirkungen auf das Kriegsgeschehen infrage gestellt. Unstrittig sei, so Chojnacki (2004, S. 409f.), dass es Gewaltakteure gebe, die mittels Kriege bewusst die Kontrolle über Märkte, Ressourcenvorkommen und Handelsverbindungen anstreben und von ihnen profitieren. Fraglich sei aber, ob Kriegsökonomien „quasi automatisch zu einem Verlust des Politischen am Kriege führen“. Auch Christopher Daase (2011, S. 24) kon‐ statiert, dass mit dieser Fokussierung „eine wenig fruchtbare Dichotomie zwischen politischen und ökonomischen Motivationen“ geschaffen werde, die dazu führe, nichtstaatlichen Oppositions- und Rebellenbewegungen ein politisches Interesse abzusprechen und ihre Legitimität zu bestreiten. 5.3 Kritik der neuen Kriege 81 <?page no="82"?> 24 Vgl. die Debatte 2008 in Erwägen - Wissen - Ethik 19 (1), hier insbesondere Barth (Abs. 8), Chojnacki (Abs. 7), Gärtner (Abs. 10), Imbusch (Abs. 6), Jung (Abs. 4), Kahl (Abs. 10), Krieger (Abs. 5-6), Ruf (Abs. 9) und Schlichte (Abs. 6). Ein dritter Kritikpunkt bezieht sich auf die mit den neuen Kriegen einhergehende Tendenz der Brutalisierung und Resexualisierung des Krie‐ ges. Diese sei „grob überzeichnet“ und lasse sich empirisch nicht belegen (Chojnacki 2004, S. 412). Dabei werden zwei Argumentationen in Anschlag gebracht: Zum einen folge Gewalt auch in nichtstaatlichen, ökonomisierten und asymmetrischen Konstellationen durchaus rationalen Handlungskal‐ külen. Zum anderen werde ebenso in Staatenkriegen „die Zerstörung der infrastrukturellen und ökologischen Überlebensbedingungen des Gegners und Opfer unter der Zivilbevölkerung direkt oder indirekt in Kauf genom‐ men (u. a. Vietnam, Kosovo)“ (Chojnacki 2004, S. 412). Hierfür ist auch der Ukrainekrieg mit den russischen Gräueltaten in Butscha, den Folterungen, Vergewaltigungen und Verschleppungen von Kindern ein Beispiel. Letztlich seiden - so Chojnacki (2004, S. 417) - sexualisierte Gewalt und Vergewalti‐ gungen kein neues Phänomen, sondern stets schon praktizierte Strategien im Krieg. Umstritten ist viertens die Einbeziehung von bisher vom Krieg getrennten Gewaltphänomenen unter das Theorem der neuen Kriege. Der Begriff subsumiere sehr unterschiedliche Formen politischer Gewalt (Krieg, Bür‐ gerkrieg, Terrorismus), sodass traditionelle Differenzierungen unterminiert werden und sich verallgemeinernde Aussagen nur schwerlich fassen lassen (vgl. Daase 2011, S. 25; Chojnacki 2004, S. 413ff.; Pradetto 2004, 196). Als besonders problematisch zeigt sich für Kritikerinnen und Kritiker die Ver‐ knüpfung der neuen Kriege mit dem transnationalen Terrorismus. 24 Für Klaus Schlichte (2008, S. 107) erweise sich diese gar als „politisch verhee‐ rend“: „Es mag sicherheitspolitische Interessenten geben, die behaupten, es gäbe einen notwendigen kausalen Zusammenhang zwischen dem Krieg in Afghanistan und dem immer schimärenhafter werdenden ‚Terrornetzwerk‘ Al Qaida. Empirische Belege finden sich dafür nicht.“ Insbesondere verhindere die Verschmelzung von Terrorismus und Krieg „den Blick auf die unterschiedlichen Organisationsformen, individuellen Motive und Strategien von Terroristen“ (Kahl 2008, S. 81). 82 5 Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen <?page no="83"?> Fünftens stößt die Annahme der Asymmetrierung des Krieges auf Kritik. Auch diese sei keine neue Erscheinung (vgl. Chojnacki 2004, S. 416ff.). Vielmehr drücke sich mit der Westfälischen Ordnung als Referenzpunkt eine eurozentristische Perspektive aus. Dabei sei zu fragen, wie repräsentativ dieses System überhaupt global betrachtet sei: „Viele Entwicklungen mögen aus der Perspektive Westfalens zwar ‚neu‘ sein, nicht aber für den großen Rest der Welt, wo sich dieses System nicht hat etablieren können“ (Kahl 2008, S. 81). August Pradetto (2004, S. 196) hält das Phänomen der asymmetrischen Gewalt nicht für ein zentrales Charakteristikum der neuen Kriege, sondern für ein „ureigene[s] Wesensmerkmal“, um „ein bestimmtes Ziel mittels effektiver und effizienter Methoden zu erreichen“. Beziehen sich die obigen Kritikpunkte auf die von Herfried Münkler her‐ ausgearbeiteten zentralen Charakteristika des Theorems der neuen Kriege, fällt die Kritik bei Christopher Daase (2011, S. 26) weitaus elementarer aus. Danach beschreibe das Theorem der neuen Kriege nicht nur den Wandel der Kriegsformen, sondern betreibe ihn auch. Indem er die Akteure der neuen Kriege delegitimiere, weise er den Staaten - insbesondere der westlichen Welt - eine aktive Ordnungsfunktion zu. So sei als Reaktion auf die neuen Kriege, da es sich letztlich um Kriege handele, militärische Gewalt „nicht nur möglich, sondern geboten“. Das veranlasst Daase (2011, S. 21f.) zu der These: „Neu ist nämlich nicht, dass nicht-staatliche Gruppen Krieg führen; nicht, dass ökonomische Beweggründe eine Rolle bei der Kriegsführung spielen; nicht, dass schwache Parteien zu asymmetrischen Strategien greifen. Neu ist vielmehr die normative Einbettung der ‚neuen Kriege‘ in einen Diskurs von Recht und Gerechtigkeit, der sie zwar als ‚Kriege‘ einstuft und damit militärische Gegen‐ maßnahmen legitimiert, sie gleichzeitig aber als ‚neu‘ bezeichnet und damit die Dispensation von den Regeln des Kriegsvölkerrechts verlangt. Neu sind diese Kriege, insofern sie weltpolizeiliche Reaktionen und eine ‚neue Kriegsführung‘ zu erfordern scheinen.“ 5.4 Der transnationale Terrorismus Als Synonym für den transnationalen Terrorismus steht der 11. September 2001. An diesem Tag wurden vier zeitgleich entführte zivile Flugzeuge zu „lebende[n] Marschflugkörper[n]“ (Hubel 2005, S. 131). Sie zerstörten das World Trade Center in New York City und trafen das Pentagon in Washing‐ 5.4 Der transnationale Terrorismus 83 <?page no="84"?> ton, 3.000 Menschen wurden getötet und 25.000 verwundet. Diese Anschläge trafen die Vereinigten Staaten ins Mark. Seitdem gilt der transnationale Terrorismus als ein Symbol für die Verwundbarkeit der Supermacht USA, aber auch der gesamten westlichen Welt. Entsprechend fiel die Reaktion aus: Die NATO rief zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall aus. Die USA sprachen vom War on Terrorism. Mit Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UN-Charta begann im Herbst 2001 die Operation Enduring Freedom: eine militärische Großoperation unter Führung der USA, um die für die Anschläge verantwortliche Al Qaida zu zerschlagen, ihren Anführer Osama bin Laden zu fassen und das mit dieser Terrororganisation verbündete Regime der Taliban in Afghanistan zu entmachten (vgl. u. a. Hubel 2005, S. 130f.). Der 11. September 2001 stellt eine historische Zäsur dar, die die Weltpolitik nachhaltig beeinflusste und bis heute prägt. Nach Ulrich Schneckener (2006, S. 12ff.) sind es vier Aspekte, die diese Anschläge zu einem „singulären Ereignis“ machen: ▸ die destruktive Dimension: Noch nie zuvor kostete ein Terroranschlag mehr Menschen das Leben und gab es mehr Verwundete. Hinzu kamen die materiellen Verluste: 40 Milliarden US-Dollar unmittelbare Kosten sowie 80 Milliarden US-Dollar durch direkte und indirekte Folgekosten (unter anderem durch die Einstellung des Flugverkehrs, den Einbruch der Börsenkurse oder erhöhte Sicherheitsvorkehrungen im Flugverkehr und bei kritischer Infrastruktur). ▸ die mediale Dimension: Die mediale Aufmerksamkeit war so hoch wie noch nie. Zum ersten Mal in der Geschichte gab es von einem Ter‐ roranschlag Live-Bilder und Live-Übertragungen, die unmittelbar und weltweit verfolgt werden konnten. ▸ die operative Dimension: Die simultanen Anschläge waren durchaus komplex; sie erforderten eine jahrelange Planung (unter anderem mit zahlreichen Flugstunden) und einen hohen Grad an Koordination. ▸ die weltpolitische Dimension: Die Anschläge vom 11. September 2001 stellten „einen erfolgreichen, von außen geplanten Anschlag auf dem Territorium der Vereinigten Staaten“ und damit „einen Angriff auf die Weltmacht Nummer eins“ dar (Schneckener 2006, S. 14). 84 5 Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen <?page no="85"?> Terrorismus - zwei Definitionen „Terrorismus sind planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund. Sie sollen allgemein Unsicherheit und Schrecken, daneben aber auch Sympathie und Unterstüt‐ zungsbereitschaft erzeugen […] Der Guerillero will den Raum, der Terrorist will dagegen das Denken besetzen“ (Waldmann 2000, S. 11, 17). „Ganz allgemein lässt sich Terrorismus als eine Form der Gewaltanwendung beschreiben, die wesentlich über die indirekten Effekte der Gewalt Erfolge erringen will. Terroristische Strategien zielen dementsprechend nicht auf die unmittelbaren physischen, sondern auf die psychischen Folgen der Gewalt‐ anwendung; sie sind weniger an den materiellen Schäden - dem Ausmaß der Zerstörungen, der Anzahl von Toten, dem Zusammenbruch der Versor‐ gungssysteme - interessiert, die von den Anschlägen verursacht werden, als an dem Schrecken, der dadurch verbreitet wird, und den Erwartungen und Hoffnungen, die mit diesen Anschlägen als Zeichen der Verletzbarkeit eines scheinbar übermächtigen Gegners verbunden werden können“ (Münkler 2002, S. 177; Hervorh. im Original). Was heißt nun aber Terrorismus? Das Wort geht auf das lateinische terror zurück, das für „Furcht“ und „Schrecken“ steht. Diese Grundbedeutung ist allen Definitionen gemeinsam. Eine frühe Begriffserklärung liefert Victor Walter (1969, S. 56). Für ihn handelt es sich um einen „spezifischen Akt oder die Drohung von Gewalt, die einen allgemeinen Zustand der Angst hervorrufen, die dann typische reaktive Verhaltensmuster bewirken“ (vgl. auch Hubel 2005, S. 132). Auch andere Autorinnen und Autoren betonen die psychische Dimension, das heißt das Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten (vgl. u. a. Waldmann 2000; Daase 2001; Münkler 2002, S. 177; Schneckener 2006, S. 21; Hoffman 2019, S. 80f.). Historisch haben sich verschiedene Formen des Terrorismus herausge‐ bildet (anarchistischer, sozialrevolutionärer, ethnischer oder auch ein reli‐ giös-motivierter Terrorismus; vgl. Müller 2004, S. 487ff.). Die gegenwärtig größte Herausforderung stellt seine Transnationalisierung dar. Das Wort „transnational“ steht für „grenzüberschreitende Aktivitäten nichtstaatlicher Akteure“ (Schneckener 2006, S. 49). Das zeigt sich im Hinblick auf: 5.4 Der transnationale Terrorismus 85 <?page no="86"?> ▸ die Zielsetzung: Dem transnationalen Terrorismus geht es nicht mehr allein um eine Reformierung der nationalen, sondern vielmehr um eine Änderung der internationalen beziehungsweise regionalen Ordnung. Dazu zählt beispielsweise der Kampf gegen das westliche System (vgl. Schneckener 2006, S. 57ff.). ▸ die Legitimation: Die globale Zielsetzung wird durch eine transnationale Ideologie gerechtfertigt, „die möglichst viele Personen und Gruppen erreichen und miteinander verbinden soll“ (Schneckener 2006, S. 60). Das gelingt häufig mittels religiöser Rückgriffe und Deutungen. ▸ die Art und Weise der Mobilisierung: Die Rekrutierung von Kämpferinnen und Kämpfern erfolgt nicht mehr nur aus einer ethnischen Gruppe oder national, sondern transnational. So zeichnen sich Terrororganisationen wie Al Qaida durch eine multinationale Mitgliedschaft aus (vgl. Schne‐ ckener 2006, S. 67ff.). ▸ die Organisationsstrukturen: Terroristische Organisationen verändern sich in Richtung transnationaler Netzwerkstrukturen, „die sich über mehrere Staaten und Weltregionen erstrecken und die offen für per‐ sönliche und institutionalisierte Kontakte zu anderen Gruppen und Netzwerken sind“ (Schneckener 2006, S. 72; vgl. auch Bergesen und Lizardo 2006, S. 259f.). Für den (transnationalen) Terrorismus erweisen sich insbesondere fünf Merkmale als zentral: Bei terroristischen Angriffen handelt es sich um asymmetrische Konstellationen. Es sind grundsätzlich nichtstaatliche und militärisch schwache Akteure, die Gewalt gegen wesentlich mächtigere staatliche Akteure androhen und anwenden. Dabei sind terroristische Ak‐ tionen „nicht Ausdruck einer prinzipiellen Feigheit, sondern vielmehr das Ergebnis einer rationalen Abschätzung der Kräfteverhältnisse“ (Münkler 2002, S. 177). Es handelt sich um eine Strategie, mit der militärisch schwa‐ che Akteure und selbst kleinste Gruppen sich gegen mächtige Akteure - auch gegen Groß- und Supermächte - zu behaupten suchen, sozusagen um eine „terroristische Umkehrung von Machtasymmetrien“ (Münkler 2002, S. 187; vgl. auch Hubel 2005, S. 140; Schneckener 2006, S. 25; Hoffman 2019, S. 419f.). 86 5 Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen <?page no="87"?> 25 Diesen Begriff hat Herfried Münkler von Rolf Schroers (1961) und Carl Schmitt (2017 [1963]) übernommen und weiterentwickelt, den diese für die Förderer von Partisanenkriegen eingeführt haben. (1) Terrorismus als Ausdruck asymmetrischer Konstellationen „Die systematische Asymmetrierung der Gewaltmittel durch den auf strategischer Ebene auftretenden Terrorismus ist in der Regel freilich selbst eine Reaktion auf vorhandene militärische, ökonomische, technolo‐ gische und kulturelle Asymmetrien, bei denen für die unterlegende Seite keinerlei Aussicht auf eine Resymmetrierung durch Steigerung der eigenen Anstrengungen besteht“ (Münkler 2002, S. 194). Terrorismus zeichnet sich durch grundsätzlich politische Zielsetzungen und Motive aus (vgl. Müller 2004, S. 482; Hubel 2005, S. 141; Hoffman 2019, S. 80). Dementsprechend betont auch Peter Waldmann (2000, S. 11) in seiner an obiger Stelle zitierten Definition: „Terrorismus sind planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund“. (2) Terrorismus als politisch motivierte Handlung „Der Terrorismus dient dazu, Macht zu erringen, wo es daran fehlt, oder Macht zu festigen, wo sie zu gering ist. Durch die mit ihren Gewalttaten erzeugte Aufmerksamkeit versuchen Terroristen, die Druckmittel, den Einfluss und die Macht zu erlangen, an denen es ihnen ansonsten mangelt, um politische Veränderungen auf lokaler oder internationaler Ebene her‐ beizuführen“ (Hoffman 2019, S. 81). Terroristische Angriffe stellen eine Kommunikationsstrategie dar, die sich an zwei Adressaten richtet: zum einen an den Angegriffenen, um ihm dessen Verletzlichkeit bewusst zu machen und ihn zum Aufbeziehungsweise Nachgeben zu bewegen; zum anderen an „den zu interessierenden Dritten“ (Münkler 2002, S. 180), 25 verbunden mit der Botschaft, dass Widerstand gegen die überlegende Macht möglich ist und erfolgreich sein kann. Dabei 5.4 Der transnationale Terrorismus 87 <?page no="88"?> dient der zu interessierende Dritte zugleich als „Legitimationsspender“ (Münkler 2002, S. 181), in deren Interesse der Terrorist zu kämpfen vorgibt. (3) Terrorismus als Kommunikationsstrategie „Terroranschläge [sind] fast immer gleichermaßen eine demonstrativ in‐ szenierte Drohung, die der angegriffenen Macht signalisiert, dass die Kosten für eine Weiterführung ihrer Politik kontinuierlich steigen werden, und ein Weckruf an den zu interessierenden Dritten, der aus seiner (angeb‐ lichen) politischen Resignation und Apathie gerissen und zur Aufnahme des bewaffneten Kampfes motiviert werden soll“ (Münkler 2002, S. 181). Den Medien kommt eine zentrale Rolle zu. Sie dienen als Transmissions‐ riemen. Erst durch die Berichterstattung der Medien erhalten Terroristen „den Sauerstoff der Publicity, auf den sie angewiesen sind“, so die frühere britische Premierministerin Magret Thatcher (zit. nach Hoffman 2019, S. 297). Infolge der hohen Mediendichte und des offenen Medienzugangs der Angegriffenen können „bei relativ geringem Gewalteinsatz maximale Effekte erzielt werden“ (Münkler 2002, S. 189; vgl. auch Hubel 2005, S. 140). Vor diesem Hintergrund spricht Bruce Hoffman (2019, S. 296f.) auch von einer „engen symbiotischen Beziehung, in der jede Seite die andere füttert und für ihre Zwecke benutzt“. (4) Bilder als ein Mittel terroristischer Kriegsführung „[D]ie medial inszenierte Symbolkonfrontation zwischen kleinen Grup‐ pen zum Äußersten entschlossener, todesmutiger Kämpfer auf der einen und ökonomisch wie militärisch dominierenden, postheroisch geprägten Mächten und Gesellschaften auf der anderen Seite [ist] immer schon selbst ein Bestandteil des Kampfes. In diesem Sinne stellt der Terrorismus eine Form der Kriegsführung dar, in welcher der Kampf mit Waffen als Antriebsrad für den eigentlichen Kampf mit Bildern fungiert. Die Verwandlung der Berichterstattung über den Krieg in ein Mittel seiner Führung war der wahrscheinlich größte Schritt bei der Asymmetrierung des Krieges“ (Münkler 2002, S. 197). 88 5 Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen <?page no="89"?> 26 Johan Huizinga (1948, S. 103) fasst Heroismus als „ein erhöhtes persönliches Bewußt‐ sein, berufen zu sein, unter Einsatz aller Kräfte bis zur Selbstopferung mitzuwirken an der Verwirklichung einer allgemeinen Aufgabe“. Dementsprechend zeichnen sich post‐ heroische Gesellschaften - so Herfried Münkler (2006a, S. 310) - durch das Schwinden eines solchen Bewusstseins aus. Schließlich machen sich Terroristen die im Westen vorherrschende posthe‐ roische Mentalität und damit die „fragile psychische Textur hoch entwickel‐ ter Gesellschaften“ zunutze (Münkler 2002, S. 198). Als postheroisch werden Gesellschaften mit einem Mangel an Opferbereitschaft bezeichnet. 26 So interagieren westliche Gesellschaften über „Recht, Tausch und Wohlstand, nicht über Opfer und Ehre“ (Münkler 2005a, S. 15). Das erhöht ihre Verletz‐ lichkeit gegenüber heroischen Gruppierungen und verstärkt die Wirkung terroristischer Angriffe: „Es mit Zeiten zu tun zu haben, die in einer Weise mit dem Leben umgehen, wie dies für uns gänzlich unvorstellbar ist“ (Münkler 2005a, S. 16). (5) Postheroische Mentalitäten als Ressource des Terrorismus „Eine weitere Ressource, die Terroristen bei ihren Angriffen auf hoch entwickelte Gesellschaften ausbeuten, ist die in diesen Gesellschaften vor‐ herrschende postheroische Mentalität, gegen die Terroristen ganz gezielt den Gestus ihrer heroischen Entschlossenheit setzen. Wer zur Aufopferung des eigenen Lebens bereit ist, muss sich um die Sicherung von Rückzugs‐ möglichkeiten und Fluchtwegen nicht kümmern und kann seine gesamte Energie auf den Angriff konzentrieren, wodurch die Durchführbarkeit und die Erfolgsaussichten terroristischer Aktionen deutlich erhöht und oft überhaupt erst ermöglicht werden. Wahrscheinlich noch wichtiger ist jedoch die in solchen Selbstmordanschlägen zum Ausdruck gebrachte Ver‐ achtung gegenüber den unheroischen Lebensformen der Angegriffenen, denn die psychischen Effekte, auf die terroristische Anschläge vor allem abzielen, werden dadurch dramatisch intensiviert“ (Münkler 2002, S. 193). Diese Konstellation hat Münkler dazu veranlasst, es auf die folgende Para‐ doxie zuzuspitzen: „Wir müssen eine heroische Gelassenheit entwickeln. Es wird auch bei uns früher oder später einen Anschlag geben. Dabei erwächst die Macht der Terroristen aus 5.4 Der transnationale Terrorismus 89 <?page no="90"?> unserer eigenen Angst. Wenn wir aber die Anschläge als Unfälle ansehen würden, dann stellt sich heraus, dass die Terroristen uns gar nichts anhaben können“ (zit. nach Biermann 2010). Dieser Weg mag - speziell in Demokratien - wenig realistisch erscheinen, er markiert aber „die Bedingung der Möglichkeit des Erfolgs“ (Münkler 2005a, S. 16). Die (westlichen) Reaktionen auf den transnationalen Terrorismus sind andere. Als strittig erweist sich in diesem Kontext insbesondere die Verortung dieses Gewaltphänomens (vgl. Kap. 5.3 zur Kritik der neuen Kriege): Handelt es sich beim transnationalen Terrorismus um eine Form der neuen Kriege oder doch eher um einen kriminellen Akt? Dies ist insofern bedeutend, als sich daraus differente Strategien der Konfliktbearbeitung ableiten. Sind beispielsweise Terroristinnen und Terroristen bei der Gefan‐ gennahme nach der Genfer Konvention als Kriegsgefangene oder aber als Kriminelle und Verbrecher zu behandeln? In der Praxis zeigt sich hier häufig eine Vermischung beider Sphären. Und auch Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler sind in dieser Frage durchaus gespalten. Für die einen handelt es sich beim transnationalen Terrorismus um eine Form der Gewaltanwendung, die vom Krieg zwingend zu unterscheiden sei. So sei die Trennung von Krieg und Terrorismus eine historische Errungenschaft, die politisch legitime von illegitimer Gewaltanwendung und Kriegsführung von politischem Verbrechen trenne (vgl. Daase 2002a, S. 374). Zudem ent‐ sprechen terroristische Anschläge nicht dem „kriegerische[n] Merkmal der Interaktion im Sinne wechselseitiger, kontinuierlicher Gewaltanwendung“ (Chojnacki 2004, S. 414). Hinzu kommen normative Bedenken bezüglich der Folgen „eines ungehegten Counterterrorismus der angegriffenen Staaten“ (Geis 2006b, S. 22). So könnten demokratisch legitimierte Regierungen unter dem Vorwand eines permanenten Kriegszustandes die Einschränkung von Bürgerrechten sowie den Ausbau des Sicherheitsapparates vorantreiben (vgl. Daase 2002b). Andere hingegen bezeichnen den transnationalen Terrorismus als eine „spezifische Form der Kriegsführung“ (Hubel 2005, S. 140). Sie bringen die politische Zielsetzung und Motivation des Terrorismus in Anschlag. So argumentiert Herfried Münkler mit Rückgriff auf Carl von Clausewitz, wonach der Krieg „ein Akt der Gewalt [sei], um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“ (zit. nach Münkler 2008a, S. 28) und hebt - wiederum mit Rückgriff auf Clausewitz - die Chamäleonartigkeit des Krieges hervor. In diesem Sinne besitze auch der transnationale Terrorismus 90 5 Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen <?page no="91"?> eine politisch-militärische Strategie, den Willen der westlichen Welt zu brechen oder zumindest soweit zu schwächen, um den eigenen politischen Willen durchzusetzen. Die Reichweite seiner Positionierung ist Münkler wohl bewusst: „Selbstverständlich ist die Rubrizierung des Terrorismus als innerstaatliche Kri‐ minalität friedenspolitisch naheliegend, aber sie liefert sich der eskalatorischen Fähigkeit der Gegenseite aus. Massive, insbesondere serielle Anschläge auf die Verkehrsinfrastruktur urbaner Räume, dazu die Drohung mit dem Einsatz von Massenvernichtungsmitteln können diese Bändigung leicht sprengen. Die von mir vorgeschlagene Rubrizierung des Terrorismus als Krieg hat einen beachtli‐ chen Preis, aber den Vorteil, das Heft des Handelns nicht der Gegenseite zu überlassen“ (Münkler 2008b, S. 139). Wann Gewalt als Krieg bezeichnet wird, hängt letztlich von den Kriterien und der Typologisierung des Krieges ab. Wird eine staatsbezogene Typolo‐ gisierung gewählt, die an der Vergesellschaftungsform der Akteure ansetzt, wird man nicht umhinkommen, den neuen transnationalen Terrorismus als Krieg zu bezeichnen, denn dieser richtet sich - und damit ist letztlich auch der Position Herfried Münklers zuzustimmen - gegen den gesamten Staat in seiner Trinität: gegen das Staatsvolk, das Staatsterritorium sowie die Staatsgewalt. Hier sind nicht mehr einzelne Individuen oder Gruppen Ziel des Angriffs, sondern der Staat in seinem gesamten Gebilde. 5.5 Fazit Die neuen Kriege und der transnationale Terrorismus verweisen auf die Rolle der asymmetrischen Konstellationen im gegenwärtigen Konfliktge‐ schehen. Nach Herfried Münkler impliziert dies drei Befunde: Erstens handelt es sich bei dem Theorem der neuen Kriege nicht um völ‐ lig neuartige Phänomene. Die Symmetrie der Kriegsführung und die damit verbundene „privilegierte Alleinverfügung des Militärs über die Gewalt des Krieges“ (Münkler 2002, S. 189) waren ein zentrales Kennzeichen der europäi‐ schen Kriegsgeschichte vom 17. bis 20. Jahrhundert, von daher ein europäischer Sonderweg. Neu ist dagegen die Bedeutung, die diesen Phänomenen zukommt. Im Hinblick auf den transnationalen Terrorismus konstatiert Münkler (2002, S. 189) eine „Verselbständigung bislang untergeordneter taktischer Elemente der Kriegführung zu selbständigen Strategien“. Die Anschläge vom 11. September 5.5 Fazit 91 <?page no="92"?> 2001 mögen hierfür ein Beispiel sein, wurden sie zum „operativen Mittelpunkt des Kriegsplanes“ (Münkler 2002, S. 187). Zweitens ist mit diesem Wandel noch keine Aussage über das Gewaltmaß getroffen. Denn auch wenn es in der Folge des Westfälischen Systems zu einer Einhegung und Verrechtlichung des (symmetrischen) Krieges gekommen ist, waren die europäischen Staatenkriege überaus blutige und verlustreiche Kriege. Dagegen weisen die neuen Kriege eine weitaus gerin‐ gere Gewaltintensität auf, allerdings verschwimmen auch die Grenzen von Krieg und Frieden. Durch die zeitliche und räumliche Ausdehnung der neuen Kriege wird Gewalt omnipräsent (vgl. Münkler 2002, S. 218f.). Und drittens sind auch die Reaktionen auf derartige Gewaltphänomene nicht ausgemacht. Wird der transnationale Terrorismus als eine spezifische Form der neuen Kriege gefasst, mag eine solche Verortung zunächst das Kriegsparadigma auf den Plan rufen. Mit dem War on Terror fand diese Sichtweise auch eine politische Entsprechung. Kriege gegen terroristische Organisationen wie die Taliban oder Al Qaida sind aber nur schwer zu führen. So hat auch der US-amerikanische militärische Einsatz in Afgha‐ nistan, das die Taliban unterstützte, die terroristische Bedrohung nicht gebannt, „denn was bleibt, sind Netzwerkorganisationen, die aus der Tiefe des sozialen Raumes heraus weiterhin ihre tödlichen Angriffe durchführen können“ (Münkler 2015a). Aber auch die Verortung des transnationalen Terrorismus als eine Form von Kriminalität wird dem Gewaltphänomen nicht gerecht. Kriminelle Akte richten sich gegen Individuen oder einzelne Gruppierungen im Staat, stellen aber keine (äußere) Bedrohung dar, die unterschiedslos die gesamte Bevölkerung ins Visier nimmt. Letztlich sind es die fehlenden Mechanismen, asymmetrische gewaltsam ausgetragene Konflikte und Kriege zu beenden. Sie stellen neben weiterhin bestehenden zwischenstaatlichen Kriegen eine der zentralen Herausforderungen der internationalen Staatenwelt, insbesondere in außereuropäischen Kontexten, dar (vgl. Münkler 2006a, S. 220). Weiterführende Literatur: Kaldor, Mary. 1999. New and Old Wars. Organized Violence in a Global Era. London: Polity Press. Die Autorin prägte als erste den Begriff der neuen Kriege. In ihrem Werk hebt sie vor dem Hintergrund der Balkankriege auf die identitätspolitische Dimension der neuen Kriege ab, die an die Stelle der machtpolitischen getreten sei. 92 5 Konfliktebenen und Konfliktakteure - asymmetrische Konstellationen <?page no="93"?> Münkler, Herfried. 2002. Die neuen Kriege. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Ta‐ schenbuch Verlag. Hierbei handelt es sich um das viel zitierte Standardwerk zu den neuen Kriegen, mit dem der Autor den Begriff prominent in die deutsche Forschungslandschaft eingebracht hat. Hoffman, Bruce. 2019. Terrorismus. Der unerklärte Krieg. Neuen Gefahren poli‐ tischer Gewalt. 3. Aufl. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag. Der US-amerikanische Terrorismusforscher analysiert die verschiedenen Facet‐ ten des transnationalen Terrorismus und beschreibt auf empirisch fundierter Basis die von ihm ausgehenden Entwicklungen und Gefahren. Schneckener, Ulrich. 2006. Transnationaler Terrorismus. Frankfurt a.M.: Suhr‐ kamp. Der Autor widmet sich zentralen Charakteristika, dem Zerstörungs‐ potenzial, der Infrastruktur, dem begünstigenden Umfeld sowie Wegen der Bekämpfung des transnationalen Terrorismus. 5.5 Fazit 93 <?page no="95"?> 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen Das weltweite Konfliktgeschehen - bestimmt „durch die jeweiligen Kon‐ fliktgüter und durch die Akteure, die sich darum streiten“ (Pfetsch 1998, S. 1) - ist nach wie vor ein gewaltsames: 2022 wurden von 363 beobachteten Kon‐ flikten 216 gewaltsam ausgetragen, davon 21 durch Kriege (HIIK 2023, S. 17). So divers die einzelnen Konflikte auch sind, lassen sich in den jeweiligen Epochen zentrale internationale Konfliktformationen aufzeigen. Darunter fasst Dieter Senghaas (1988, S. 7) „makropolitische, makromilitärische und makroökonomische Achsen des internationalen Systems“, durch die „inter‐ nationale Politik strukturiert [wird]“. Im Unterschied zu Konfliktanalysen setzen Konfliktformationen auf einer abstrakten Ebene an. Sie beschäftigen sich weniger mit den konkreten Konflikten und deren Inhalten, sondern mit „den jeweiligen Rahmenbedingungen von internationaler Politik“ (Senghaas 1988, S. 10). Ein solcher Zugang ermöglicht „einen Überblick, den detail‐ liertere Analysen über einzelne Konflikte oft nicht zu leisten vermögen“ (Senghaas 1988, S. 10). Vor diesem Hintergrund soll drei Leitfragen nachge‐ gangen werden: Was waren die zentralen Konfliktformationen zu Zeiten des Kalten Krieges? Was sind die vorherrschenden Konflikttypen heute? Und welche Konfliktkonstellationen werden in naher Zukunft von Bedeutung sein? 6.1 Zentrale Konfliktformationen zu Zeiten des Kalten Krieges In der Zeit vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Systemwandel 1989/ 90 dominierte - und zwar nicht nur in Europa, sondern weltweit - der Ost-West-Konflikt. Er galt als hoch gefährlich und drohte, bei Eskalation in einen Dritten Weltkrieg zu münden und nuklear ausgetragen zu werden. Zugleich war er durch „eine bemerkenswerte politische Stabilität von Konfliktstruktur und im Verhalten der Konfliktparteien“ (Senghaas 1988, S. 32) gekennzeichnet. Die zweite große internationale Konfliktformation jener Zeit war der Nord-Süd-Konflikt. Im Vergleich zum Ost-West-Konflikt war dieser weitaus amorpher: zum einen infolge der größeren Heterogenität der Konfliktparteien, die sich mit „Nord“ und „Süd“ verbanden, zum anderen aufgrund der verschiedenen Sichtweisen der Akteure im Hinblick auf den <?page no="96"?> Konfliktgegenstand einschließlich der Frage, „ob überhaupt ein Konflikt vorliegt und wenn ja worüber“ (List 2006, S. 119). Und als dritte bestimmende Konfliktkonstellation jener Zeit kann der Nahostkonflikt gelten. Dieser stellt nicht wie der Ost-West- und Nord-Süd-Konflikt einen weltumspannenden Konflikt dar; bei ihm handelt es sich um einen regionalen Konflikt, dessen Stellenwert aber so hoch ist, dass er die internationale Politik im Ganzen zu beeinflussen vermag (vgl. List 2006, S. 131). Dieser wirkt bis in die heutige Zeit fort und bestimmt wesentlich auch das heutige internationale Konfliktgeschehen. 6.1.1 Der Ost-West-Konflikt Konstitutiv für den Ost-West-Konflikt war sein Systemantagonismus, bei dem sich zwei entgegengesetzte Systeme unversöhnlich gegenüberstanden. Origi‐ när lag dem Ost-West-Konflikt ein „ordnungspolitischer Konflikt“ (Senghaas 1988, S. 31) zugrunde, gekennzeichnet durch „Positionsdifferenzen über eine wünschbare politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung“ (Seng‐ haas 1998, S. 31). Der Ost-West-Konflikt besaß vier miteinander verwobene Konfrontationslinien: ▸ Ideologisch fand er zwischen Kapitalismus und Sozialismus statt. Dabei steht der Kapitalismus für „ein kulturelles System auf der Basis von wirtschaftlichen Handlungsweisen, in deren Mittelpunkt das impera‐ tive Gewinnstreben privater Investoren steht“ (Appleby 2011, S. 42). Während für dieses System zusammen mit dem Prinzip der freien Marktwirtschaft und liberalen Grundwerten die westlichen Länder standen, wurde in der früheren Sowjetunion und im gesamten Ostblock der Marxismus-Leninismus als Weltanschauung der Arbeiterklasse zur offiziellen politischen Ideologie und Staatsdoktrin. Er gliederte sich in drei Hauptbestandteile: in den dialektischen und historischen Ma‐ terialismus (philosophische Grundlage), in die politische Ökonomie (Beziehungen der Menschen in Produktion und Gesellschaft) sowie in den wissenschaftlichen Sozialismus (Wissenschaft vom Klassenkampf und von der Errichtung einer sozialistischen beziehungsweise kommu‐ nistischen Gesellschaft). ▸ Politisch fand der Ost-West-Konflikt seinen Ausdruck zwischen dem politischen System der liberalen Demokratie im Westen - charakterisiert durch freie Wahlen, Gewaltentrennung, Rechtsstaatlichkeit etc. - und dem 96 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="97"?> der „Diktatur des Proletariats“ im Osten. Letzteres ist ein von Karl Marx und Friedrich Engels geprägter Begriff, der originär für die Herrschaft der Arbeiterklasse steht. ▸ Wirtschaftlich äußerte er sich in der Entgegensetzung von Marktwirt‐ schaft und Planwirtschaft. Bei Ersterem werden Produktion und Vertei‐ lung von Gütern durch den Markt reguliert (Wettbewerb, unsichtbare Hand). Die sozialistische Planwirtschaft basierte dagegen auf einer Wirtschaftsordnung, in der alle ökonomischen Prozesse (Produktion, Verteilung von Dienstleistungen) zentral und nach Plan gesteuert wur‐ den. ▸ Militärisch bestand eine Rüstungskonkurrenz und -dynamik - auf kon‐ ventioneller wie nuklearer Ebene. Dabei führte die Rüstungsspirale zu wechselseitigen Asymmetrierungen (in Form von Aufrüstungen) und Resymmetrierungen (zur Wiedererlangung des militärischen Gleichge‐ wichts). Mit dem Ost-West-Konflikt wird häufig die Zeit des Kalten Krieges (1945-1989/ 90) assoziiert. Seine Ursprünge reichen allerdings bis zur Okto‐ berrevolution 1917 zurück, als die Bolschewiki unter Führung von Wladimir Iljitsch Lenin in Russland an die Macht kamen. Mit der Gründung der Sowjetunion (UdSSR) und deren Anspruch, „an der Spitze einer historisch notwendigen weltrevolutionären Bewegung zu stehen“ (Loth 2015, S. 354), wurde der innergesellschaftliche russische Konflikt zu einem internationa‐ len, bei dem sich die UdSSR und die westlichen Staaten gegenüberstanden. Der Zweite Weltkrieg und sein Ausgang führten einerseits zu einem enor‐ men Machtzuwachs der Sowjetunion in Europa; andererseits entwickelten sich die USA als Vorreiter westlicher Prinzipien zur führenden Weltmacht. Damit war die Grundkonstellation des Ost-West-Konfliktes mit der Sowjet‐ union und den USA als seine beiden Hauptkontrahenten geschaffen (vgl. Senghaas 1988, S. 31; Loth 2015, S. 354f.). Der Ost-West-Konflikt durchlief verschiedene Phasen: Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zur Herausbildung der Blockkonfrontation. Wirtschaftlich standen sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1957) und spätere Europäische Gemeinschaft (EG) im Westen und der Rat für gegen‐ seitige Wirtschaftshilfe (RGW, 1949) im Osten gegenüber. Dabei erfolgte die Gründung des RGW als Reaktion auf den Marshallplan (1948) - ein Wirtschafts- und Wiederaufbauprogramm der USA für Westeuropa - und die Gründung der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammen‐ 6.1 Zentrale Konfliktformationen zu Zeiten des Kalten Krieges 97 <?page no="98"?> 27 Da die Sowjetunion zu jener Zeit den Sicherheitsrat boykottierte, konnte sie auch von ihrem Vetorecht keinen Gebrauch machen. arbeit (OEEC, 1948). Zudem entstanden auf beiden Seiten Militärallianzen: die NATO (1949) auf westlicher und der Warschauer Pakt (1955) auf östli‐ cher Seite. Die Spaltung zeigte sich aber auch unmittelbar auf deutschem Territorium: mit zwei Staatsgründungen, der Wiederbewaffnung - in der Bundesrepublik 1955 mit der Gründung der Bundeswehr und in der DDR 1956 mit der Schaffung der Nationalen Volksarmee (wobei es dort bereits seit 1952 als Vorläufer die Kasernierte Volkspolizei gab) - sowie der Integration der Bundesrepublik und der DDR in die jeweiligen wirtschaftlichen und militärischen Bündnisse beider Blöcke. So wurden die beiden deutschen Staaten zum Epizentrum des Ost-West-Konflikts. Mit dem Koreakrieg (1950-1953) - ein klassischer Stellvertreterkonflikt - und der Kubakrise (1962) erlangte der Ost-West-Konflikt eine weltpolitische Dimension. Koreakrieg (1950-1953) Korea wurde 1910 von Japan annektiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg beendeten die USA und die Sowjetunion die japanische Vorherrschaft; Korea wurde geteilt. Im Zuge des Kalten Krieges zwischen der Sowjet‐ union und den USA verschärfte sich auch die Situation zwischen Nord- und Südkorea. Am 25. Juni 1950 überschritten nordkoreanische Truppen die Demarkationslinie zu Südkorea, nachfolgend unterstützt durch China und die Sowjetunion. Auf Initiative der USA wurde im UN-Sicherheitsrat die Resolution 82 verabschiedet, 27 die auch ein militärisches Eingreifen vorsah, um Südkorea zu unterstützen. Dieses erfolgte unter Führung der USA. Der Krieg forderte ca. 4 Millionen Opfer. Er endete am 27. Juli 1953 mit einem von den USA und der Sowjetunion initiierten Waffenstillstand, der auch die Teilung des Landes besiegelte. Insbesondere die Kubakrise stellte eine ernste Konfrontation zwischen der Sowjetunion und den USA dar (vgl. Greiner 2010). Ihr voraus gingen Versuche beider Seiten, Mittelstreckenraketen möglichst nahe am Gegner zu stationieren. Die Sowjetunion brachte atomare Mittelstreckenraketen 98 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="99"?> in der DDR in Stellung. Die USA reagierten und stationierten 1959 ihre Atomraketen in Großbritannien, Italien und der Türkei. Dieses Wettrüsten eskalierte, als die Sowjetunion nukleare Mittelstreckenraketen auch auf dem sozialistischen Kuba - geostrategisch für die UdSSR von höchster Bedeutung - aufstellten. Als US-amerikanische Aufklärungsflugzeuge den Aufbau sowjetischer Raketenbasen entdeckten, beschloss der damalige US-ameri‐ kanische Präsident John F. Kennedy die Einrichtung einer Seeblockade vor Kuba. Zugleich forderte Kennedy den sowjetischen Regierungschef Nikita S. Chruschtschow auf, die Raketen wieder abzuziehen. Sowjetische Kriegsschiffe nahmen dennoch Kurs auf Kuba, um die Seeblockade zu durchbrechen, drehten letztlich aber doch ab. Chruschtschow signalisierte Bereitschaft, die Raketen abzuziehen, wenn im Gegenzug die USA auf eine Invasion Kubas verzichteten und ihre Raketen aus der Türkei abzögen. Als zeitgleich dann ein US-amerikanisches Aufklärungsflugzeug abgeschossen wurde, drohte der Dritte Weltkrieg. Nur durch Geheimdiplomatie gelang es, die Situation zu deeskalieren: Die Sowjetunion zog ihre Raketen aus Kuba ab und die USA verzichteten auf eine militärische Invasion der Insel. Im Nachgang wurden auch die US-amerikanischen Raketen aus der Türkei abgezogen. Wie dramatisch die Lage war, beschrieb der damalige US-amerikanische Verteidigungsminister Robert McNamara wie folgt: „Wir standen so nah am nuklearen Abgrund. Und verhinderten den atomaren Schlagabtausch nicht etwa durch ein gekonntes Management, sondern durch schieres Glück. Keiner von uns begriff damals wirklich, wie nah wir am Rand der Katastrophe standen“ (zit. nach Ortmann 2010, S. 438). Der Ost-West-Konflikt besaß zugleich eine innergesellschaftliche Dimension. In den Ostblockstaaten zeigten sich Liberalisierungs- und Demokratisie‐ rungstendenzen; es formierte sich Widerstand. Eine starke Oppositionsbe‐ wegung stellte hier insbesondere die unabhängige polnische Gewerkschaft Solidarność dar. In der Folge wurden die Aufstände in der DDR (1953), in Ungarn (1956) und in Prag (1968) unter Beteiligung sowjetischer Truppen blutig niedergeschlagen. Polen rief 1981 den Kriegszustand aus, verbot die Solidarność und verhaftete führende Vertreterinnen und Vertreter. Zudem gab es innergesellschaftliche Proteste gegen die militärische - insbesondere auch nukleare - Aufrüstung. Hier formierte sich in den 1970er Jahren eine Friedensbewegung. In der DDR wandte sie sich insbesondere gegen die Stationierung sowjetischer SS-20-Raketen und die zunehmende Milita‐ risierung der DDR (unter dem Slogan „Schwerter zu Pflugscharen“), in 6.1 Zentrale Konfliktformationen zu Zeiten des Kalten Krieges 99 <?page no="100"?> 28 Mit dem NATO-Doppelbeschluss reagierte die westliche Allianz auf die sowjetische Aufrüstung. Er beinhaltete das Angebot von Verhandlungen über beidseitige Begren‐ zungen atomarer Mittelstreckenraketen; bei Nichterfolg legitimierte er zugleich aber auch die Nachrüstung und Aufstellung von Pershing II-Raketen in Europa. 29 Mutual Assured Destruction (MAD) steht im Kontext der nuklearen Abschreckung und für die Drohung einer „wechselseitigen gesicherten Vernichtung“ (Conze 2012). der Bundesrepublik gegen den NATO-Doppelbeschluss von 1979 28 und die Stationierung von Pershing-II-Raketen und Cruise-Missiles. Auch wenn der Ost-West-Konflikt zu einer massiven, auch nuklearen Aufrüstung auf beiden Seiten führte, waren auch Phasen der Entspannung zu verzeichnen. Als Reaktion auf die Kubakrise wurde der sogenannte Heiße Draht, eine direkte Telefonverbindung zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml, eingerichtet. Erstmals kam dieser 1967 nach Beginn des Sechs‐ tagekrieges zwischen Israel und den arabischen Staaten Ägypten, Jordanien und Syrien zum Einsatz. Die sich einsetzende Entspannungspolitik hatte allerdings weniger Abrüstung als vielmehr Stabilität zum Ziel: „Beide Seiten versuchten daher, die gewünschte politische Sicherheit durch eine Strategie der Abschreckung noch zu verstärken, ja ihr überhaupt eine Grundlage zu geben. Die Fähigkeit zur Mutual Assured Destruction 29 musste deshalb erhalten und ausgebaut werden, wobei es in sämtlichen Segmenten der atomaren Rüstung ein möglichst gut austariertes Gleichgewicht herzustellen galt. […] Nach wie vor basierte das Verhältnis von USA und Sowjetunion auf dem Prinzip ‚Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter‘“ (Conze 2012). Das schloss Rüstungskontrollabkommen nicht aus. Zu den zentralen Abkom‐ men jener Zeit zählten vor allem das Teststoppabkommen über Atomwaffen (1963), der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (1968), SALT I (1972), der ABM-Vertrag (1972) oder auch die Schlussakte von Helsinki (1975). Auch hatte die neue Ostpolitik Willy Brandts in den 1970er Jahren wesentlich zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen Ost und West beigetragen. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass es sich hierbei um keinen linearen Pro‐ zess handelte und sich Phasen der Konfrontation und Entspannung einander ablösten. Das Ende des Ost-West-Konflikts wurde 1985 mit den Reformen von Michail Gorbatschow eingeleitet. In Reaktion auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme im Land setzte er auf Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) und war damit auch der Wegbereiter für Refor‐ 100 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="101"?> men im Ostblock. Über die Ursachen des Endes des Ost-West-Konfliktes gibt es verschiedene Ansätze und Argumentationslinien: ▸ Nach (neo)realistischem Ansatz war die Sowjetunion nicht mehr in der Lage, die Rüstungsspirale fortzuführen, und mit der militärischen Stärke des Westens mitzuhalten. ▸ Vertreterinnen und Vertreter des Institutionalismus machen den sich entwickelten institutionellen Rahmen dafür verantwortlich, dass eine Entspannung möglich wurde, die dann zur Überwindung des Konfliktes beigetragen habe. ▸ Die liberale Position geht von der Überlegenheit des westlichen Gesell‐ schaftsmodells aus; danach sei das Ende des Sozialismus/ Kommunismus innergesellschaftlich begründet, sozusagen als ein Triumph von Demo‐ kratie und Marktwirtschaft. ▸ Gemäß dem Konstruktivismus habe sich die soziale Konstruktion der Wirklichkeit verändert. Infolge der Reformpolitik Gorbatschows sei die Wahrnehmung der sowjetischen Politik im internationalen System eine andere geworden, womit ein Wandel möglich wurde. 6.1.2 Der Nord-Süd-Konflikt Die zweite große Konfliktformation zu Zeiten des Kalten Krieges stellt der Nord-Süd-Konflikt dar. Er bezeichnet die konfliktive Diskrepanz in der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Entwicklung zwischen den Indus‐ trieländern im Norden und den Entwicklungsländern im Süden (in Afrika, Asien und Lateinamerika) oder anders formuliert „zwischen den weltge‐ sellschaftlich Privilegierten und Unterprivilegierten“ (List 2006, S. 120). Damit verbindet sich zugleich die kausale Annahme, dass der Wohlstand des Nordens für die Armut des Südens verantwortlich sei. So verdanke der Norden seine Entwicklung der kolonialen Ausbeutung der heutigen Entwicklungsländer (vgl. List 2006, S. 120f.). Seine Wurzeln hat der Nord-Süd-Konflikt in der Kolonialisierung. Noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich die Weltordnung durch große Kolonialreiche aus, die die Hälfte des Festlandes und einen Drittel der Weltbe‐ völkerung ausmachten. Zwischen 1943 und 2002 haben 120 ehemalige Kolonien (oder Territorien) ihre Unabhängigkeit erlangt (vgl. Brock 2004, S. 618; Woyke 2016, S. 161). Inzwischen gibt es kaum noch Kolonien im Sinne „der formalen Herrschaft über fremde Territorien und Völker“ (Brock 2004, S. 618). 6.1 Zentrale Konfliktformationen zu Zeiten des Kalten Krieges 101 <?page no="102"?> Konfliktgegenstand: Dekolonisierung „Beide - Kolonisierung und Entkolonisierung - gingen mit erheblicher Gewalt‐ anwendung einher, wobei deren Ausmaß im Prozess der Entkolonisierung dort am höchsten war, wo die Kolonialmächte besonders rigide Kolonialverwaltun‐ gen aufgebaut beziehungsweise eine enge Anbindung der Kolonien an das Mutterland angestrebt hatten, wie das beim französischen im Unterschied zum britischen Kolonialreich der Fall war“ (Brock 2004, S. 618). Im Rahmen des Dekolonisierungsprozesses formte sich der Süden zu einem „kollektive[n] Akteur“ (Hartmann 2015, S. 339). Angesichts ihrer kolonialen Vergangenheit und einer damit einhergehenden wirtschaftlichen Margina‐ lisierung verband die Länder des Südens eine gemeinsame Identität. Dabei verfolgten sie vor allem drei Ziele (vgl. Hartmann 2015, S. 339f.): ▸ die Befreiung der letzten Völker von kolonialen Regimen und die Überwindung der auf Rassentrennung basierenden Regime im südlichen Afrika, ▸ das Revidieren der aus der kolonialen Vergangenheit resultierenden ökonomischen Ungerechtigkeiten und strukturellen Hindernisse, die zu Unterschieden in der Wirtschaftskraft und in den Lebensbedingungen zwischen den Industrieländern im Norden und den Entwicklungslän‐ dern im Süden geführt haben, sowie ▸ das Sich-Heraushalten aus der Konfrontation zwischen dem westlichen und östlichen Block. Aus diesem Kontext heraus entstand für den Süden auch der Begriff der „Dritten Welt“. Zur Aushandlung und Erreichung ihrer Ziele gründeten die Entwicklungs‐ länder eigene Foren, darunter die politisch-militärische Bewegung der Blockfreien (1961) und die stärker entwicklungspolitisch und außenwirt‐ schaftlich organisierte Gruppe der 77 (1964). Als das wichtigste Forum für den Süden galt die 1964 gegründete United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD). Hier war es vor allem die Gruppe der 77, die sich zum Sprachrohr der Entwicklungsländer machte und versuchte, die wirtschaftlichen Forderungen gegenüber den Industrieländern bei den Vereinten Nationen und auf der UNCTAD geltend zu machen. Zur Verbes‐ serung ihrer Entwicklungsbedingungen forderten sie eine Neuordnung der 102 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="103"?> 30 OPEC ist die Organisation erdölexportierender Länder (Organization of the Petroleum Exporting Countries). 31 Der G7 gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA an. Gegründet wurde das Forum 1975 zunächst als G6 (noch ohne Kanada). Weltwirtschaft. Diese Forderung sowie die 1973 durch den Jom-Kippur-Krieg ausgelöste Ölpreiskrise, die den Industrieländern ihre Abhängigkeit von Rohstofflieferungen der Dritten Welt vor Augen führte, wurden vom Norden als Bedrohung wahrgenommen und ließ den Nord-Süd-Konflikt als solchen erkennbar werden. Mit einer neuen Weltwirtschaftsordnung ging es dem Süden vor allem um ▸ den Abbau von Handelshemmnissen, ▸ eine stärkere Regulierung der Preise für alle wichtigen Rohstoffe, ▸ eine Steigerung der Investitionen im Industriesektor, ▸ einen erleichterten Technologietransfer, ▸ höhere direkte Zuwendungen aus dem Norden sowie ▸ mehr Mitbestimmungsrechte und Entscheidungsbefugnisse in Organi‐ sationen, die Steuerungsfunktionen in den internationalen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen wahrnehmen, wie der Weltbank und dem In‐ ternationalen Währungsfonds (vgl. Hartmann 2015, S. 340). Mit der Mehrheit der Stimmen der Entwicklungsländer verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1974 eine „Erklärung über die Errichtung einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung“ (UN-Dok. A/ RES/ 3201 vom 1. Mai 1974). Auch wenn diese „eine der wichtigsten Grundlagen für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen allen Völkern und allen Nationen“ (Ziff. 7) sein sollte, scheiterte sie weitgehend. Ange‐ sichts der Politik der OPEC 30 und der Ölpreiskrise reagierte der Norden mit der Gründung der G7, einem jährlichen Gipfeltreffen der führenden Industrienationen. 31 In der Folge vermochte es dieses Forum, die internatio‐ nale wirtschaftliche Agenda wesentlich zu beherrschen und die Vereinten Nationen sowie die Bemühungen um eine neue Weltwirtschaftsordnung zu marginalisieren (vgl. Sackel 2018). Aber auch im Süden lassen sich verschiedene Gründe für das Scheitern der anvisierten neuen Weltwirt‐ schaftsordnung ausmachen (vgl. Hartmann 2015, S. 341ff.): ▸ die Heterogenität des Südens: Trotz der gemeinsamen kolonialen Ver‐ gangenheit und damit einhergehender gemeinsamer Merkmale und 6.1 Zentrale Konfliktformationen zu Zeiten des Kalten Krieges 103 <?page no="104"?> Interessen differenzierten sich die Entwicklungsländer immer stärker aus: Einige Länder erzielten durch eine hohe wirtschaftliche Eigendyna‐ mik (hohe Wachstumsraten) beachtliche Industrialisierungsfortschritte (dazu gehören die sogenannten Schwellenländer); andere dagegen - insbesondere in Subsahara-Afrika - wurden vom Weltmarkt abgekop‐ pelt und zählen zu den ärmsten Ländern weltweit („vierte Welt“). ▸ die Schuldenkrise: Diese führte in den 1980er Jahren zu einem Verfall der Rohstoffpreise und einer zunehmenden Verschuldung vieler Ent‐ wicklungsländer. Die vom Internationalen Währungsfonds und von der Weltbank beschlossene Strukturanpassung sah vor allem eine Konditio‐ nierung über Kredite vor, die zu teilweise unbeabsichtigten wirtschaft‐ lichen Folgen für die Entwicklungsländer führte (vgl. Abbildung 12). ▸ die Auflösung der Dritten Welt: Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts kam es schließlich auch zu einem „Ende der Idee einer ‚Dritten Welt‘ jenseits von Ost und West“ (Hartmann 2015, S. 343). Mit dem Ende des Kalten Krieges hat der Nord-Süd-Konflikt - ungeachtet des Fortbestehens wirtschaftlicher und verteilungspolitischer Interessen‐ konflikte - seine ordnungspolitische Bedeutung zu einem Großteil verloren. Handels- und entwicklungspolitische Fragen werden immer stärker zu‐ gunsten sicherheitspolitischer Aspekte verdrängt. Nach Christof Hartmann (2015, S. 343) sei eine „Versicherheitlichung der Nord-Süd-Beziehungen“ zu beobachten, bei der sich die Industrieländer des Nordens „durch Pandemien, ungesteuerte Migration, ökologische Katastrophen und die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen“ im Süden herausge‐ fordert sehen. 104 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="105"?> Maßnahmen Ziele unbeabsichtigte Folgen Beschränkung des inländischen Geld‐ umlaufs Inflationsbekämpfung Existenzgefährdung von Klein‐ kreditnehmern Reduzierung von Staatsausgaben (Personal, Subven‐ tionen, Zuschüsse) Abbau der Staatsver‐ schuldung erhöhte Arbeitslosigkeit, Verfall öffentlicher Dienstleistungen (Ausbildung, Gesundheit), Ver‐ teuerung der Lebenshaltungs‐ kosten Privatisierung Effizienzsteigerung von Wirtschaftsaktivitäten Arbeitslosigkeit durch Rationa‐ lisierung, Verlust an entwick‐ lungspolitischen sowie umwelt- und sozialpolitischen Hand‐ lungsspielräumen Liberalisierung des Außenwirtschafts‐ verkehrs stärkere Einbindung in den Weltmarkt, Stärkung der Wettbewerbsfähig‐ keit durch Abbau innova‐ tionsfeindlicher Schutz‐ maßnahmen Zusammenbruch einheimischer Betriebe, weitere Spezialisie‐ rung auf bestimmte Export‐ produkte unter Verwendung industrieller Inputs statt Diver‐ sifizierung der Produktion Abbildung 12: Maßnahmen, Ziele und unbeabsichtigte Folgen der Strukturanpassung nach Lothar Brock (2004, S. 631) 6.1.3 Der Nahostkonflikt Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zählt der Konflikt im Nahen und Mittleren Osten zu den beherrschenden im globalen Konfliktgeschehen. Dabei handelt es sich - im Gegensatz zu den beiden zuvor diskutieren weltumspannenden Formationen - um einen regionalen Konflikt. Das mindert nicht seine Bedeutung. Nach Dieter Senghaas (1988, S. 158) gehören „regional begrenzte Konflikte in der Dritten Welt […] zu den Kernproblemen der internationalen Politik der Gegenwart“. Der Nahe und Mittlere Osten zählt seit Jahrzehnten zu den konflikt‐ reichsten Regionen der Welt, geprägt durch zahlreiche zwischen- und innerstaatliche Konflikte, die sich überlagern und gegenseitig verstärken (vgl. Asseburg und Busse 2020, S. 8). Diese Region ist die Schnittstelle dreier Kontinente und das Zentrum dreier Weltreligionen. Über lange Zeit galt der israelisch-palästinensische Konflikt als der Kernkonflikt dieser Region, verbunden mit der Annahme, dass die Lösung dieses Konflikts die 6.1 Zentrale Konfliktformationen zu Zeiten des Kalten Krieges 105 <?page no="106"?> Voraussetzung für die der anderen Konflikte sei. Auch wenn diese These mittlerweile umstritten ist (vgl. Asseburg und Busse 2020, S. 8ff.), so wird ihm doch eine „in weiten Teilen der Region nach wie vor erhebliche Wirkungs- und Mobilisierungskraft“ (Asseburg und Busse 2020, S. 10) zuerkannt. Die Wurzeln des israelisch-palästinensischen Konfliktes reichen bis vor die Zeit der Entstehung des Staates Israels zurück. Ende des 19. Jahrhunderts entstand eine national-jüdische Bewegung, der Zionismus: zum einen aus „Furcht vor einem Verlust jüdischer Identität durch Assimilation“, zum anderen durch „die Zunahme des Antisemitismus in West- und Osteuropa“ (Robert 2015, S. 320). Ausgehend von der Idee der Rückkehr der Juden in ihre historische Heimat forderte der Zionismus einen jüdischen Staat im „Eretz Israel“ (Palästina). Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war Palästina Teil des Osmanischen Reiches. Nach seinem Zusammenbruch erhielt Großbritannien 1922 das Völkerbundsmandat für Palästina. In dieser Zeit formierte sich bereits arabischer Widerstand gegen „den zionistischen Siedlungskolonialismus“ (Robert 2015, S. 320). Nach erfolglosen Versuchen, zwischen Juden und Arabern zu vermitteln, zog sich Großbritannien mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus Palästina zurück und übertrug die Palästinafrage an die Vereinten Nationen als Nachfolgeorganisation des Völkerbundes. 1947 votierte die UN-Generalversammlung für eine Beendigung des britischen Mandats und eine Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat mit Jerusalem als neutrale Enklave. Der Teilungsplan scheiterte. Als am 14. Mai 1948 das britische Mandat endete, proklamierte David Ben Gurion noch am selben Tag einseitig den Staat Israel. Im Gegenzug besetzte Jordanien die Westbank, Jerusalem wurde geteilt und der Gazastreifen unter ägyptische Verwaltung gestellt (vgl. Robert 2015, S. 320f.). Jahr Bewaffnete Konflikte und Kriege 1948 Erster arabisch-israelischer Krieg, ausgelöst durch die Staats‐ gründung Israels 1956 Suezkrieg mit Israel, England und Frankreich auf der einen und Ägypten auf der anderen Seite um die Kontrolle des Suez-Kanals in Ägypten 1967 Sechstagekrieg Israels gegen Ägypten, Jordanien und Syrien mit weitreichenden Gebietseroberungen Israels 1973 Jom-Kippur-Krieg Ägyptens und Syriens gegen Israel 106 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="107"?> 1978 Operation „Litani“: Einmarsch der israelischen Armee in den Libanon 1981 Annexion der Golanhöhen durch Israel 1982 Erster Libanonkrieg: nach Angriffen der PLO vom Libanon aus entschließt sich Israel zu einer Invasion im Nachbarland 1987-1993 Erste Intifada: gewaltsamer Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis, „Krieg der Steine“ gegen die israelische Besatzung im Westjordanland 1990-1991 Zweiter Golfkrieg: der Irak beschießt Israel mit Scud-Raketen; Israel schlägt nicht zurück 2000 Beginn der zweiten Intifada: gewaltsamer Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis nach dem Scheitern des Oslo-Frie‐ densprozesses 2005 Rückzug Israels aus dem Gazastreifen 2006 Zweiter Libanonkrieg: Kämpfe zwischen der Hisbollah und Israel 2008/ 09 Operation „Gegossenes Blei“: Militäroperation Israels gegen Einrichtungen und Mitglieder der Hamas im Gazastreifen 2012 Operation „Säulen der Verteidigung“: Militäroperation Israels gegen Einrichtungen und Mitglieder der Hamas im Gazastreifen 2014 „Bombardements ohne Pause“ zwischen Israel und Palästina 2014 Operation „Protective Edge“: Militäroperation der israelischen Streitkräfte als Reaktion auf den anhaltenden Raketenbeschuss durch die Hamas und andere militante palästinensische Grup‐ pierungen 2023 Terroranschlag der Hamas auf Israel, als Reaktion startet Israel eine Militäroperation gegen den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen Abbildung 13: Israelisch-palästinensische/ arabische Auseinandersetzungen Die Komplexität des israelisch-palästinensischen Konfliktes zeigt sich in der Mehrdimensionalität und Verwobenheit seiner Konfliktgegenstände und -akteure. Er hat eine territoriale, ethnische und religiöse Dimension (vgl. Asseburg und Busse 2020, S. 10): ▸ Zuallererst handelt es sich um einen Territorialkonflikt. Es besteht eine „Konkurrenz zwischen zwei Nationen, Juden und palästinensische 6.1 Zentrale Konfliktformationen zu Zeiten des Kalten Krieges 107 <?page no="108"?> Araber, um denselben geographischen Raum“ ( Johannsen 2004, S. 469). Dabei haben sich das palästinensische Territorium und seine Grenzver‐ läufe seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den Teilungsplänen der Vereinten Nationen immer stärker zu Ungunsten Palästinas entwi‐ ckelt. Neben der „kriegerische[n] Landnahme“ ( Johannsen 2004, S. 462) schafft die israelische Politik mit ihren Siedlungsaktivitäten „‚facts on the ground‘ - gemäß der Logik‚ was wir heute bauen, wird uns morgen gehören“ ( Johannsen 2004, S. 462). ▸ Damit im Zusammenhang steht der Konflikt um Staatlichkeit und Auto‐ nomie. 1948 wurde einseitig der jüdische Staat ausgerufen. Die nationale Selbstbestimmung der Palästinenser steht bis heute aus. Infolge der Territorialentwicklungen wird es auf palästinensischer Seite auch im‐ mer schwieriger, einen funktionsfähigen Staat zu etablieren. Das von der palästinensischen Autonomiebehörde verwaltete Territorium ist mittlerweile hochgradig fragmentiert. Das betrifft die „asymmetrischen Beziehungen zwischen den Ökonomien der Konfliktparteien“ ( Johann‐ sen 2004, S. 465), die fehlende Kontrolle über strategische Ressourcen wie Wasser und fruchtbaren Boden (vgl. Johannsen 2004, S. 460f.), aber auch fehlende staatliche Funktionen wie ein funktionierendes Gewalt‐ monopol. Teilweise ist gar von einem „failed quasi-state“ ( Johannsen 2004, S. 461) die Rede. ▸ Ein weiterer Streitpunkt stellt der Verbleib der Flüchtlinge dar. Mit der Staatsgründung Israels und den folgenden Kriegen kam es zu einer massiven Vertreibung von Palästinensern aus ihrem angestammten Ge‐ biet. Mittlerweile gibt es ca. 5,9 Millionen palästinensische Flüchtlinge (vgl. Statista 2024a, Stand: Januar 2022). Die Araber fordern ein Recht auf Rückkehr ein, was von der überwiegenden Mehrheit der Israelis abgelehnt wird, bedrohe dies - so die Befürchtung - das zionistische Staatsprojekt (vgl. Johannsen 2004, S. 468). ▸ Ungeklärt ist nach wie vor auch die Frage des künftigen Status von Jerusalem. Die Palästinenser erheben Anspruch auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Israel verweigert dies und argumentiert mit der eigenen demografischen Mehrheit in der Stadt, die auch politisch forciert wird beispielsweise durch einen staatlich geförderten Wohnungsbau für jüdi‐ sche Siedlerinnen und Siedler oder administrative Beschränkungen für palästinensische Einwohnerinnen und Einwohner. Für die Palästinenser stellt Ost-Jerusalem nach wie vor die größte arabische Stadt dar; „sie bleibt das religiöse, politische, soziale und ökonomische Zentrum der 108 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="109"?> 32 Stand: Human Development Index (HDI) von 2019 (UNDP 2019). Der HDI berücksich‐ tigt das Bruttonationalprodukt, die Bildung sowie die Lebenserwartung. Palästinenser und der Verkehrsknotenpunkt der Westbank“ ( Johannsen 2004, S. 465). ▸ Schließlich handelt es sich beim israelisch-palästinensischen Konflikt um eine religiöse Aufladung einer Konfrontation zwischen Juden und Muslimen. Die religiöse Dimension zeigt sich exemplarisch bei der Hauptstadtfrage, ist Jerusalem doch für Juden und Muslime gleicherma‐ ßen von hoher religiöser Symbolkraft. Neben dieser Diversität von Konfliktgegenständen zeigen sich aber auch voneinander zu unterscheidende Akteursebenen (vgl. Robert 2015, S. 321ff.; Johannsen 2017, S. 129ff.): ▸ Die lokale Ebene umfasst die unmittelbar beteiligten Akteure - die Israelis und Palästinenser - vor Ort. Hier steht die Auseinandersetzung um gegenseitige Anerkennung, gesicherte Lebensbedingungen und Entwicklungschancen im Zentrum des Konflikts. Diese Ebene zeichnet sich durch eine hochgradige Asymmetrie aus. Gemessen am Human De‐ velopment Index der Vereinten Nationen, einem Wohlstandsindex, steht Israel weltweit an 22. Stelle und zählt zu den Ländern mit sehr hoher menschlicher Entwicklung, Palästina dagegen weist an 119. Stelle nur eine mittlere menschliche Entwicklung auf. 32 Dazu beigetragen haben vor allem auch die Kriege, Zerstörungen und Territorialverschiebungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. ▸ Auf der regionalen Ebene stehen sich Israel und die arabischen Staaten sowie der Iran gegenüber. Das primäre israelische Ziel ist die Sicherheit seines Landes. Dies umfasst „die militärische Überlegenheit Israels ge‐ genüber seinen Nachbarn ebenso wie der unausgesprochene Anspruch auf den alleinigen Besitz von Atomwaffen“ (Robert 2015, S. 322). Das Ver‐ hältnis Israels zu den arabischen Staaten gestaltet sich unterschiedlich: Friedensschlüsse gibt es mit Ägypten (1979) und Jordanien (1994), nicht dagegen mit Syrien und dem Libanon. Das iranische Atomprogramm wird als Bedrohung wahrgenommen. Die aktuellen Umbrüche in der Region haben die Situation noch verschärft und für Israel auch zu einem „Wegbrechen alter Verbündeter“ (Asseburg und Busse 2020, S. 88) geführt. 6.1 Zentrale Konfliktformationen zu Zeiten des Kalten Krieges 109 <?page no="110"?> ▸ Die zentralen Akteure auf weltpolitischer Ebene waren zu Zeiten des Ost-West-Konflikts die USA und die Sowjetunion. Dabei stehen die USA traditionell Israel nahe; die Sowjetunion und das heutige Russland unterstützen dagegen die Interessen Palästinas und der arabischen Staaten. Beide Großmächte verfolgen aber auch eigene geostrategische Interessen in der Region wie die Sicherung ihrer Einflusssphären (zum Beispiel der Zugang zum Suez-Kanal oder auch zu den Erdölvorräten am Persischen Golf). Mit dem Ende des Kalten Krieges spielt Russland im israelisch-palästinensischen Konflikt nur noch „eine mittelbare Rolle“ (Robert 2015, S. 324), erkennbar in der russischen Parteinahme für das Assad-Regime im syrischen Bürgerkrieg oder auch in der Vermittlerrolle im Streit um das iranische Atomprogramm. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist zu einem chronischen Konflikt geworden, bei dem Lösungen immer schwieriger werden. Das trifft nicht nur auf den einstigen Schlüsselkonflikt in dieser Region zu. Die aktuellen bewaffneten Auseinandersetzungen und Umbrüche in der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens haben diese zu einer „Welt in Unordnung“ (Kissinger 2016, S. 113) werden lassen: „Nirgends ist die Herausforderung der internationalen Ordnung komplexer, und das gilt sowohl mit Blick auf die Aufgabe, im Nahen Osten eine regionale Ordnung herzustellen, als auch in Bezug auf die gewaltige Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass diese Ordnung mit dem Frieden und der Stabilität der übrigen Welt kompatibel ist.“ Terroranschlag der Hamas auf Israel Der 7. Oktober 2023 markiert eine neue Eskalationsstufe im Nahost‐ konflikt, verbunden mit der Gefahr, einen Flächenbrand in dieser Region auszulösen. Beim Terroranschlag der radikal-islamistischen Hamas auf Israel wurden an diesem Tag über 1.200 israelische Männer, Frauen und Kinder brutal ermordet und etwa 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel reagierte auf den Angriff mit einer massiven Militäroperation gegen den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen. Allein in den ersten neun Monaten führte diese zu über 38.000 palästinensischen Toten und 89.000 Verletzten (Stand: 18. Juli 2024, vgl. Statista 2024b) sowie zu einer humanitären Kata‐ strophe im gesamten Gazastreifen. Die internationale Gemeinschaft 110 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="111"?> 33 Das Heidelberger Konfliktbarometer zählte 2022 einen zwischenstaatlichen, neun innerstaatliche, drei substaatliche und acht transstaatliche Kriege (vgl. HIIK 2023, S. 21). verurteilte einhellig den Terroranschlag der Hamas. Zudem forderte der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 2728 vom 25. März 2024, für die 14 der 15 Mitglieder stimmten (die USA enthielten sich), „eine sofortige Waffenruhe für den Fastenmonat Ramadan, die von allen Parteien eingehalten wird und zu einer andauernden tragfähigen Waffenruhe führt“, die „sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln“ sowie „die Gewährleistung des humanitären Zugangs“. Dabei unterstreicht er mit Verweis auf das Humanitäre Völkerrecht „die dringende Notwendigkeit, den Fluss der humanitären Hilfe für die Zivilbevölkerung im gesamten Gazastreifen auszuweiten und deren Schutz zu verstärken, und verlangt erneut die Aufhebung aller Hin‐ dernisse für die Bereitstellung humanitärer Hilfe in großem Umfang“. 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen Mit dem Ende des Kalten Krieges haben sich „die internationalen Hand‐ lungsebenen neu formiert“ (Pfetsch 1998, S. 3). Die festen, bipolaren Struk‐ turen des Ost-West-Konflikts sind weggefallen; die relative Stabilität ist einer neuen Unordnung gewichen. Damit ergeben sich Veränderungen der Machtkonstellation im internationalen System. Mit den USA, Russland und China kristallisiert sich ein strategisches Dreieck heraus, das die neue Welt‐ ordnung herausfordert. Zudem sind es - ungeachtet des in der europäischen Öffentlichkeit omnipräsenten Ukrainekrieges - nicht mehr die zwischen‐ staatlichen Kriege, die dominieren; die große Mehrheit der gegenwärtigen Kriege sind inner-, sub- und transstaatliche. 33 Hier sind mit dem Wegfall der bipolaren Strukturen auch zuvor überdeckte ethnische Spannungen und Identitätskonflikte aufgebrochen. Insgesamt machen ethnische Konflikte etwa zwei Drittel aller Gewaltkonflikte aus (vgl. Scherrer 1997, S. 322). Eine weitere Herausforderung, die mit Beginn der 1990er Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, stellt fragile Staatlichkeit dar. Diese geht häufig mit innerstaatlichen Macht- und Herrschaftskonflikten - die dominierende Konfliktkonstellation in Subsahara-Afrika (vgl. HIIK 2023, S. 59) - einher. 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 111 <?page no="112"?> 34 Die geopolitischen Arbeiten von Karl Haushofer, die mit dazu beigetragen haben, die nationalsozialistische Politik zu legitimieren, haben in Deutschland zu einer Dis‐ kreditierung geopolitischen Denkens geführt. Damit sind lange Zeit auch alternative geopolitische Ansätze aus den USA, Großbritannien oder Frankreich nicht rezipiert worden (vgl. Hoffmann 2012, S. 29; Münkler 2015b, S. 258). 6.2.1 Geopolitische Konflikte Mit dem Begriff der Geopolitik verbinden sich verschiedene Aspekte, darunter Territorialansprüche von Staaten, die Reichweite und Ausdehnung von Einflusssphären (von Welt-, Groß- oder auch Regionalmächten), Zu‐ sammenschlüsse von Staaten zu regionalen Verbänden und deren globale Einflussnahme, die Ausbreitung und räumliche Diffusion politischer und religiöser Ideologien oder auch die Sicherung von Rohstoffquellen und Handelswegen (vgl. Ossenbrügge und Scholvin 2013 mit Bezug auf Lacoste 1990). Geopolitik „Praktische Geopolitik bezeichnet eine Methode der Sicherheitspolitik, deren Initiativen auf einer besonderen Berücksichtigung geographischer Faktoren (zum Beispiel Raum, Lage, Demographie, Ressourcen) fußen und darauf aufbauend von der Definition und Verfolgung geopolitischer Interessen gekennzeichnet sind. Geopolitik ist als eine aktive Sicherheits‐ politik zu verstehen, die vor diesem geographischen Hintergrund nach Einflussnahme in bestimmten Zielregionen sucht und dort mit einem Gestaltungsanspruch und der Durchsetzung von Ordnungsvorstellungen verbunden ist. Praktisches geopolitisches Handeln manifestiert sich dem‐ nach in geographisch begründeten, aktiven sicherheitspolitischen Initiati‐ ven“ (Hoffmann 2012, S. 47). 34 Die Frage nach geopolitischen Konstellationen und Konfliktlinien - und in diesem Zusammenhang auch die nach Weltordnungsmodellen - ist eine (neo)realistische. Hier kommt der Macht - im klassischen Sinne nach Max Weber (1985 [1922], S. 28) als „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ - eine Schlüsselrolle zu. Dabei ist Macht nicht ausschließlich an den militärischen Potenzialen zu messen. Der Begriff ist 112 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="113"?> weitaus vielschichtiger. Michael Mann (1986) unterscheidet vier Quellen und Organisationsformen von Macht: die ideologische, wirtschaftliche, militärische sowie politische Macht. Herfried Münkler (2005b, S. 53) benennt fünf Macht- und Einflusskomponenten: neben dem militärischen Potenzial die ökonomische Kapazität, die zivilisatorisch-kulturelle Attraktivität, die wissenschaftlich-technologische Dynamik sowie die demografische Ent‐ wicklung. Folgten die Politik des 19. und 20. Jahrhunderts wie auch der Kalte Krieg mit den beiden antagonistischen Blöcken und seinen Kernstaaten USA und Sowjetunion dem Primat der Geopolitik, war mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation zunächst „eine gewisse Abwendung von Geopolitik als übergeordnetes Erklärungsmuster“ (Binder und Stachowitsch 2019, S. 5) erkennbar. Dazu hat wesentlich die Hoffnung auf ein „Ende der Geschichte“ (Fukuyama 1992), die sich auch in der Charta von Paris (KSZE 1990) wider‐ spiegelt, beigetragen. So bestand die Annahme einer globalen Durchsetzung der liberalen Weltordnung, basierend auf Demokratie und Marktwirtschaft. Diese Phase währte aber nur kurz. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 geriet dieses Modell zunehmend unter Druck. Spätestens aber mit dem Scheitern in Afghanistan und dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 ist - so Herfried Münkler (2023) - die kooperative und liberale Weltordnung und mit ihr die Dominanz des Westens an ihr Ende gekommen: „Eine auf Werten und Normen fußende Weltordnung durchzusetzen, übersteigt die Fähigkeiten des Westens. Die USA, einst ‚Weltpolizist‘, befinden sich trotz internationalen Engagements auf dem Rückzug; die UN, der man diese Rolle ebenfalls zugedacht hatte, blockiert sich selbst. Und die Europäer sind schlicht nicht imstande, eine Weltordnung zu hüten“ (Münkler 2023, Klappentext; vgl. auch S. 24f.). Das heißt: Den USA wie auch dem Westen insgesamt gelingt es immer weniger, „Entwicklungen in anderen Bereichen der Welt zu ihren Gunsten zu beeinflussen“ (Masala 2023, S. 79). Vor diesem Hintergrund erklären sich dann auch Debatten um multipolare Weltordnungsmodelle. Diese können - je nachdem, auf welche Faktoren die einzelnen Vertreterinnen und Vertreter abheben, verschiedene Gestalt annehmen. Herfried Münkler (2023) beispielsweise geht aktuell von der Entwicklung zu einer Pentarchie aus - mit den USA, der EU, Russland, China und Indien als dominierende Macht‐ zentren. Ähnliche Modelle finden sich bereits zuvor bei Henry Kissinger (1994) und Zbigniew K. Brzezinski (1997). 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 113 <?page no="114"?> 35 Vgl. u.a. Smith (2012); Hall (2014); Bolt (2018). Im Kern der Debatten um multipolare Weltordnungsmodelle, die auch unter dem Stichwort „Rückkehr der Geopolitik“ (Binder und Stachowitsch 2019) geführt werden, steht das strategische Dreieck USA/ Westen - Russland - China (vgl. Abbildung 14). 35 Dieses ist gekennzeichnet durch die enorm steigende wirtschaftliche, politische und militärische Macht Chinas und seiner „sich zunehmend in Konkurrenz zum Westen definierenden Rolle“ (Binder und Stachowitsch 2019, S. 5), durch die zugleich stattfindenden Debatten um den Verlust der Deutungsmacht des Westens sowie durch ein zunehmend revisionistisches Russland unter Wladimir Putin. USA/ Westen: Neben dem Verlust seiner weltpolitischen Dominanz zeigt sich der Westen zunehmend fragmentiert (vgl. Jäger 2019, S. 14ff.). Zwischen den USA und den europäischen Staaten werden - je nach US-amerikanischer Präsidentschaft - mehr oder weniger starke Spannungen sichtbar. Das reicht vom Irakkrieg 2003, dem nicht alle NATO-Staaten folgten, über die Libyen-Entscheidung mit der deutschen Enthaltung 2011 bis hin zur ersten Amtszeit des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump, in der er die NATO kurzerhand für obsolet erklärte und von den europäischen Staaten höhere Verteidigungsausgaben „zur Begleichung ihrer Schulden“ einforderte. Auch seine Ankündigung im Wahlkampf 2024, die europäi‐ schen Verbündeten, die ihre NATO-Beiträge nicht zahlen, im Falle eines russischen Angriffs nicht zu verteidigen, löste bei den Europäern ernste sicherheitspolitische Bedenken aus. Das Paradigma America First dominierte die US-amerikanische Politik unter Donald Trump. Dafür steht zum Beispiel der Handelsstreit mit China und der Europäischen Union, bei dem zugunsten eines US-amerikanischen Protektionismus der Freihandel zunehmend unter Druck geriet. Aber auch unter dem demokratischen US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden war dieses Paradigma nicht verschwunden. Beispiels‐ weise begünstigte er mit dem Inflation Reduction Act Konsumentinnen und Konsumenten, die US-Produkte kauften, mit massiven steuerlichen Vorteilen. So ist die Entschlossenheit der USA, bei Interessengegensätzen gegebenenfalls auch allein zu agieren, nicht neu; sie gehört zu den Grund‐ konstanten der hegemonial geprägten US-amerikanischen Politik und zeigt sich auch schon in früheren sicherheitspolitischen Dokumenten. 114 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="115"?> 36 G8 bezeichnet den informellen Zusammenschluss der führenden Industrienationen der Welt, der G7 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA), plus Russland (1998-2014). Nationale Sicherheitsstrategie der USA von 1994 (Auszug) „Our engagement must be selective, […] - being willing to act unilaterally when our direct national interests are most at stake; in alliance and partnership when our interests are shared by others; and multilaterally when our interests are more general and the problems are best addressed by the international community“ (The White House 1994, S. 5). Angesichts dieser Grundkonstante in der US-amerikanischen Politik - und insbesondere in dem Bewusstsein, „dass die USA nicht länger zu einer gleichzeitigen und gleichgewichtigen Machtprojektion in den atlantischen und den pazifischen Raum hinein in der Lage seien“ (Münkler 2023, S. 14) -, versucht die Europäische Union, sich von den USA zu emanzipieren. Die in Anschlag gebrachte Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspo‐ litik steckt allerdings noch in ihren Anfängen. Zum einen fehlt es ihr an militärischen Kapazitäten und Fähigkeiten; zum anderen hat sie bei einem Verbund von 32 kleinen und mittelgroßen Staaten Koordinations- und Kooperationsprobleme zu überwinden (vgl. Dembinski 2024). Zudem zeigen sich auch in anderen Bereichen der EU zahlreiche Konfliktlinien: vom Brexit über populistische Strömungen bis hin zu Kontroversen in der Einwanderungspolitik (vgl. Jäger 2019). Russland: Als Rechtsnachfolger der Sowjetunion war Russland vom Sys‐ temwandel 1989/ 90 am stärksten betroffen. Seit dem Zerfall der UdSSR - für Wladimir Putin die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts - kämpft Russland um seine Stellung in der Welt und seine Anerkennung als Großmacht. Nach anfänglicher Annäherung an den Westen unter Präsident Boris Jelzin - und dafür steht auch die Kooperation in der G8 36 - entwickelt sich Russland zunehmend zu einem revisionistischen Staat in fundamentaler Abgrenzung zum liberalen Ordnungsmodell des Westens. Als Reaktion auf die NATO-Offerte an Georgien und die Ukraine fand 2008 der russisch-ge‐ orgische Krieg mit der russischen Anerkennung der beiden abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien statt. 2014 wiederholte sich das russische Vorgehen mit dem Krieg in der Ostukraine und der Annexion 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 115 <?page no="116"?> 37 Der Eurasischen Union gehören derzeit Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan und Russland an. der Krim. Auslöser war ein beabsichtigtes Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine. Dieses hätte geopolitisch einen weiteren Einschnitt für Russland bedeutet. Hinzu kam, dass sich Russland zu jener Zeit auch um einen für das Bündnis notwendigen Beitritt der Ukraine zur Eurasischen Wirtschaftsunion 37 - dem russischen Gegenmodell zur Europäischen Union - bemühte. Am 24. Februar 2022 begann Wladimir Putin dann den Angriff auf die gesamte Ukraine. Dieser Angriffskrieg speist sich zum einen aus den imperialen Ambitionen Putins (2022). Mit einem weiten wie selektiven Rückgriff in die russische Vergangenheit - bis in die Zarenzeit - betrachtet er die Ukraine als einen integralen Bestandteil der russischen Geschichte und spricht ihr ihren Status als eigenständige Nation ab. Zum anderen sieht Putin seine Macht und seinen Einfluss durch liberale Bestrebungen in seiner unmittelbaren Umgebung bedroht (zur russischen Geopolitik vgl. auch Münkler 2023, S. 172ff.). Der Krieg in der Ukraine Der Ukrainekrieg stellt die größte Bedrohung der europäischen Si‐ cherheits- und Friedensordnung seit dem Ende des Zweiten Weltkrie‐ ges dar. Mit ihm hat Russland zentrale Prinzipien des Völkerrechts missachtet. Der Krieg gegen die Ukraine stellt eine Verletzung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar (Art. 1 Abs. 1 UN-Charta); er verstößt gegen das Gewaltverbot und die territoriale Integrität von Staaten (Art. 1 Abs. 4 UN-Charta). In einer ersten Reso‐ lution hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen (A/ RES/ ES-11/ 1) bereits am 2. März 2022 mit einer Stimmenmehrheit von 78 Prozent den russischen Einmarsch in die Ukraine verurteilt und Moskau zum Ende seiner Aggression aufgefordert. Was auf den ersten Blick nach einer weltweiten und deutlichen Verurteilung des russi‐ schen Angriffskrieges aussieht, hält einer differenzierten Sicht nicht stand. So haben sich mit China und Indien auch die beiden weltweit größten Länder der Resolution enthalten. Zusammen repräsentieren diejenigen Länder, die sich nicht gegen die russische Aggression gestellt haben, gemessen an der Einwohnerzahl über die Hälfte der Weltbevölkerung. Werden darüber hinaus konkrete Maßnahmen ge‐ 116 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="117"?> 38 Die zehn Schlüsseltechnologien umfassen Informations- und Kommunikationstechno‐ logien, Maschinenbau/ Robotertechnik, Luft- und Raumfahrt, Meerestechnik/ Spezial‐ schiffsbau, Bahntechnik, Fahrzeuge mit alternativen Antrieben, Energieversorgung, Landwirtschaftsmaschinen, neue Materialien sowie Pharma- und Medizintechnik. gen den Krieg in den Blick genommen, reduzieren diese sich fast ausschließlich auf die westliche Welt, insbesondere auf die EU- und NATO-Staaten. Die Absicht des Westens, Russland als Pariastaat zu isolieren, ist ungeachtet des russischen Völkerrechtsbruchs nicht gelungen. Verstärkt wendet sich Russland China zu. Zwischen beiden Staaten besteht eine „strategische Partnerschaft“ - sowohl wirtschaftlich als auch militä‐ risch -, die der Devise folgt: „Niemals gegeneinander, aber nicht unbedingt immer miteinander“ (Trenin 2018a). Dabei ist China geopolitisch wenig an einem starken Russland gelegen (vgl. Jäger 2019, S. 75f.); die Partnerschaft ist eher dem gemeinsamen Ziel verpflichtet, der globalen Dominanz der USA entgegenzuwirken. China: Neben der Machtkonkurrenz zwischen Russland und dem Westen ist mittlerweile auch die Rivalität zwischen China und den USA „zu einem Leitparadigma der internationalen Beziehungen geworden“ (Perthes 2020, S. 5). China verfolgt eine „Politik der ökonomischen Expansion“ ( Jäger 2019, S. 87). Mit der Strategie „Made in China 2025“ verabschiedete der chinesische Staatsrat 2015 einen Zehnjahresplan. Danach will China bis 2025 in zehn Schlüsseltechnologien 38 weltweit führende Unternehmen hervorbringen; bis 2049 soll es sich zur führenden Industrienation der Welt entwickeln. Einen besonderen wirtschaftlichen wie strategischen Stellenwert besitzt für China die Initiative „Neue Seidenstraße“. Dabei sollen durch neue Stra‐ ßen, Bahnstrecken und Häfen Handelswege zwischen China und anderen Teilen der Welt (Zentral- und Südostasien, Nord- und Ostafrika sowie Europa) entstehen und Rohstoffquellen gesichert werden. Die Route führt von Chinas Küste über das Südchinesische Meer durch die Straße von Mallaka und den Indischen Ozean und weiter durch das Mittelmeer bis zur Nordsee. Sie gilt als „geopolitisch/ geostrategische Bruchlinie […], an der sich die Machtkonstellation des 21. Jahrhunderts entwickelt“ (Lacher 2016). China setzt bei der Durchsetzung seiner außenpolitischen Interessen vor allem auf seine Wirtschafts- und Handelskraft. Zunehmend kommt aber 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 117 <?page no="118"?> 39 Dazu gehören die Anrainerstaaten Vietnam, Malaysia und Philippinen sowie Brunei, Taiwan und Japan. auch sein militärisches Gewicht zum Tragen. Chinas Militärausgaben, die zweitgrößten der Welt, steigen jährlich. 2023 lagen diese bei 296 Milliarden Dollar, ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 6 Prozent (SIPRI 2024). Und auch die Konkurrenz um den internationalen Einfluss mit den USA hat das Potenzial, militärisch ausgetragen zu werden (vgl. Rudolf 2020, S. 11). Dafür steht beispielsweise der Konflikt um das Südchinesische Meer. China erhebt gegenüber den anderen Ländern in dieser Region 39 Territorialansprüche. Damit will es sich geopolitisch den Zugang zum pazifischen Raum sichern: zum einen, um „eine Sicherheitszone zu errichten und die amerikanische Interventionsfähigkeit zu konterkarieren“ (Rudolf 2020, S. 11); zum anderen, um diese Region „im Sinne einer geschützten Bastion für nuklear bewaffnete U-Boote auszubauen“ (Rudolf 2020, S. 11). Der Konflikt um Taiwan stellt ein weiteres Beispiel dar: Die USA verstehen sich als Schutzmacht Taiwans und unterhalten - verstärkt seit der Taiwankrise 1995/ 96 - militärische Beziehungen zu dem Inselstaat. China dagegen betrachtet Taiwan als Teil des eigenen Territoriums und wertet das US-amerikanische Agieren als Einmischung in die inneren Angelegenheiten (vgl. Jäger 2019, S. 104ff.). Konflikte um die internationale Vormachtstellung im strategischen Drei‐ eck USA/ Westen - Russland - China zeigen sich aber nicht nur in ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Dimension, sondern auch ideologisch. Hier stehen sich die liberale Demokratie des Westens, die „russische Welt“ mit ihren konservativen und antiliberalen Wertehaltungen und der engen religiösen Rückbindung an die Orthodoxie (vgl. Jäger 2019, S. 79f.) sowie der „digitale[] Autoritarismus“ Chinas (Rudolf 2020, S. 11) gegenüber und bieten den jeweiligen Akteuren einen Legitimationsrahmen zur Durchsetzung ihrer geopolitischen Interessen. 118 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="119"?> 40 Die Länderabkürzungen in der Abbildung orientieren sich an den IOC-Ländercodes. 41 BRICS steht für die Staatengruppe Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. 42 Zu den G7, ein informeller Zusammenschluss der bedeutendsten Industrienationen der westlichen Welt, gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA. IND USA EU G7 BRICS RUS CHN FRA GER ITA GBR CAN JPN IRI RSA UAE EGY ETH BRA Abbildung 14: Zentren multipolarer Weltordnungsmodelle 40 Eine weitere geopolitische Konstellation gewinnt an Bedeutung: die BRICS 41 als Gegenmodell zu den G7  42 (vgl. Abbildung 14). Zunächst standen die BRICS-Staaten für die aufstrebenden Schwellenländer; sie profilierten sich „als die neuen Anführer des Globalen Südens“ (Maihold und Müller 2023, S. 3). In jüngster Zeit - und verstärkt seit dem Ukrainekrieg - wird ein neues Rollenverständnis der BRICS erkennbar: Sie verstehen sich zuneh‐ mend „als Plattform alternativer Stimmen bei der Ausgestaltung der Global Governance“ (Maihold und Müller 2023, S. 8). Und insbesondere Staaten wie China und Russland sehen in der BRICS die Chance, eine neue internationale Ordnung in Abkehr zum Westen - und zu den führenden westlichen Industrienationen, den G7 - zu etablieren (vgl. Maihold 2022; Maihold und Müller 2023). Die Wirtschaftszahlen sprechen dafür: Im Jahr 2018 überholten die BRICS-Staaten den Anteil der G7-Staaten am weltweiten Bruttoinlands‐ produkt (BIP) gemessen an der Kaufkraftparität. Lag der prozentuale Anteil der BRICS-Staaten am weltweiten BIP im Jahr 2000 bei 21 Prozent (G7: 43 Prozent), stieg dieser bis 2024 auf 35 Prozent an (G7: 30 Prozent) (vgl. 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 119 <?page no="120"?> Statista 2024c). Vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges verfolgen die BRICS-Staaten auch das Ziel, Intra-BRICS-Lieferketten einzurichten und einen vom US-Dollar unabhängigen Zahlungsverkehr (als Alternative zum SWIFT-System für Finanztransaktionen) zu etablieren (vgl. Maihold 2022; Maihold und Müller 2023, S. 5f.). Das BRICS-Format ist für viele Länder attraktiv: Anfang 2024 erweiterten sich die BRICS um vier Staaten - Ägyp‐ ten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate - und etliche weitere Staaten streben eine Mitgliedschaft in der BRICS an. Damit zeigt sich, „dass viele Länder des Globalen Südens der internationalen Isolierung Russlands nicht zustimmen - und auch nicht bereit sind, dem vom Westen vorgetragenen Lagerdenken zu folgen“ (Maihold 2022). 6.2.2 Ethnonationale Konflikte Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Aufbrechen der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien und im postsowjetischen Raum sind ethnonatio‐ nale Konflikte in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Doch auch in anderen Regionen der Welt bestimmen ethnische Auseinandersetzungen das Konfliktgeschehen; sie sind „zu einem Kernproblem regionaler, nationaler und internationaler Politik geworden“ (Senghaas 1992, S. 116) und „zu einer friedenspolitischen Herausforderung ersten Ranges avanciert“ (Helmerich 2011, S. 439). Ethnonationale Konflikte Ethnonationale Konflikte sind „Konflikte, in denen es um reelle oder subjektiv als solche wahrgenommene Differenzen zwischen ethni‐ schen Gruppen geht (vgl. Rösel 1990, S. 123) und ‚meist die Sprach- und Kulturpolitik, weiterhin die Auseinandersetzung um eine faire politische Beteiligung‘ und ‚schließlich die Wirtschaftspolitik‘ zum ‚Kristallisationspunkt der Politisierung‘ wird (Senghaas 1994, S. 72)“ (Helmerich 2011, S. 439). Bei ethnonationalen Konflikten stehen sich zwei Hauptakteure - zum einen die in einem Nationalstaat organisierte Mehrheitsgesellschaft, zum anderen Minderheiten in Form ethnonationaler Gruppen - konfliktiv gegenüber (vgl. Schneckener 2015, S. 28). Diese Konfliktkonstellation geht auf das Verhältnis 120 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="121"?> von Staat und Nation zurück. Hier lassen sich zwei idealtypische Entwick‐ lungspfade ausmachen, denen beide - wenn auch in unterschiedlicher Weise - eine „Homogenitätsannahme“ (Schneckener 2015, S. 29) zugrunde liegt: ▸ der Demos: Dieses Modell setzt beim Staat an, der mit seinen ihn tra‐ genden Eliten bestrebt ist, „eine an sich heterogene Bevölkerung zu ‚na‐ tionalisieren‘“ (Schneckener 2015, S. 30): durch Schaffung einheitlicher Institutionen, einer gemeinsamen Öffentlichkeit oder auch nationaler Symbole. Der Demos wirkt inklusiv, indem er dazu neigt, ethnonationale Minderheiten zu assimilieren (vgl. Schneckener 2015, S. 32). ▸ der Ethnos: Dieses Modell geht von der Nation aus; hier erfolgt die Nationsbildung ohne einen beziehungsweise gegen den Staat. Es zielt darauf, „eine als homogen ‚vorgestellte Gemeinschaft‘ (Anderson 1988) zu ‚verstaatlichen‘“ (Schneckener 2015, S. 30). Der Ethnos wirkt exklusiv, indem er stärker zu Segregation und Separation tendiert (vgl. Schnecke‐ ner 2015, S. 32). Vor diesem Hintergrund sind ethnonationale Konflikte ein Resultat bezie‐ hungsweise „die Kehrseite des Nationalstaates“ (Meyer 2011, S. 340). Dabei weisen ethnonationale Gruppen spezifische Charakteristika auf, die sie von anderen sozialen und kulturellen Gruppen unterscheiden (vgl. Schneckener 2015, S. 39): ▸ Es handelt sich um überpersonale, intergenerationelle und substaatli‐ che historisch gewachsene Gruppen, die sich durch eine gemeinsame Sprache, Tradition, Kultur, Religion, eigene Institutionen oder einen bestimmten Siedlungsraum auszeichnen und von anderen Gruppen sowie der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden. ▸ Zentral ist ein „von ihren Mitgliedern geteiltes Bewusstsein der Einheit und Zusammengehörigkeit“ (Meyer 2011, S. 340; vgl. auch Waldmann 1989, S. 16ff.). Es bedarf einer kollektiven Identität, eines sogenannten „Wir-Gefühls“. ▸ Die Gruppenzugehörigkeit ist umfassend; sie betrifft einen Großteil der Bereiche des Lebens und ergibt sich sozusagen von selbst aufgrund des Daseins: „Membership is a matter of belonging, not of achievement“ (Margalit und Raz 1990, S. 446). ▸ Sie fordern Selbstregierungsrechte ein, um ihre politischen, kulturellen beziehungsweise sozio-ökonomischen Angelegenheiten selbst regeln zu können. 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 121 <?page no="122"?> Zudem lassen sich verschiedene Typologien von Minderheitensituationen ausmachen, die die Konstellation und Dynamik von ethnonationalen Kon‐ flikten beeinflussen können. Dazu gehören insbesondere drei Faktoren (vgl. Schneckener 2015, S. 48ff.; Abbildung 15). ▸ Nationalstaat versus multinationaler Staat: Im Nationalstaat stehen sich idealtypisch die Mehrheitsgesellschaft als Titularnation und die ethnonationale(n) Minderheit(en) gegenüber, wobei die Konfliktlinie zwischen der Regierung als wesentliche Vertreterin der Mehrheitsge‐ sellschaft und den Repräsentantinnen und Repräsentanten der ethno‐ nationalen Minderheit(en) verläuft. Multinationale Staaten bestehen dagegen aus zwei oder mehreren ethnonationalen Gruppen; eine Mehr‐ heitsgesellschaft existiert nicht. Hier verläuft die Konfliktlinie zwischen den jeweiligen ethnonationalen Gruppen. ▸ Territorialität versus Nicht-Territorialität: Im ersten Fall ist die ethnona‐ tionale Gruppe „schwerpunktmäßig und in kompakter Weise in einem geschlossenen Siedlungsgebiet“ anzutreffen, welches sie „als ihr tradi‐ tionelles, angestammtes homeland begreift“ (Schneckener 2015, S. 52). Im zweiten Fall lässt sich keine solche Dichte ausmachen; hier leben die Angehörigen der ethnonationalen Gruppe(n) zerstreut im Land beziehungsweise in vereinzelten Enklaven. ▸ Patronage versus Nicht-Patronage: Einige ethnonationale Gruppen verfü‐ gen über Patronagestaaten, die ihnen als Schutzmacht zur Seite stehen und sie bei der Durchsetzung ihrer sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Interessen gezielt unterstützen. Damit einher geht aber auch die Gefahr, die innerstaatlichen Auseinandersetzungen auf eine bilaterale beziehungsweise internationale Ebene zu heben, verbunden mit einer möglichen Konflikteskalation. 122 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="123"?> Nationalstaat Multinationaler Staat - Patronage Nicht- Patronage Patronage Nicht- Patronage Territoria‐ lität Abchasien und Südossetien (Georgien) - Irakisch- Kurdistan (Irak) Korsika (Frankreich) - Chittagong Hill Tracts (Bangladesch) Kosovo (ehemaliges Jugoslawien) - Kaschmir (Indien) Katalonien (Spanien) - Darfur (Sudan) - Rohingya (Myanmar) Nicht-Ter‐ ritorialität Russen (baltische Staa‐ ten) Roma (in vielen europäischen Staaten) Zypern (bis 1961) Rätoromanen (Schweiz) Abbildung 15: Typologie von Minderheitensituationen nach Ulrich Schneckener (2015, S. 56) mit zum Teil veränderten Beispielen In der jüngeren Nationalismusforschung werden ethnonationale Konflikte entlang der Frage diskutiert, „ob es sich bei einer Nation beziehungsweise Ethnie um eine naturgegebene und unveränderbare Realität oder um eine sozial konstruierte Kategorie handelt“ (Helmerich 2011, S. 437). Hier lassen sich vor allem drei Erklärungsansätze voneinander unterscheiden (vgl. Schrader 2012; Helmerich 2011, S. 437ff.): ▸ der Primordialismus: Dieser vertritt eine essentialistische Sichtweise. Danach erweisen sich die ethnischen Merkmale sozialer Gruppen als zentral; sie leiten das kollektive Selbstverständnis und ihr Handeln. Nach dieser Perspektive stellen ethnische Faktoren eigenständige Wirk‐ mächte in der Weltpolitik und eine unabhängige Variable in Gewalt‐ konflikten dar. Ein bekannter Vertreter dieses Zugangs ist Samuel P. Huntington (1996). So entstünden mit dem Ende des Kalten Krieges Al‐ lianzen nicht mehr vorrangig auf der Basis politisch-ideologischer oder wirtschaftlicher Interessen, sondern entlang ethnischer, kultureller und religiöser Konfliktlinien, die nach Huntington zu einem Kulturkampf - einem clash of civilizations - führen können. ▸ der Konstruktivismus: Nach diesem Ansatz sind Akteure in intersub‐ jektive Strukturen eingebettet. Ethnische Identitäten sind soziale Kon‐ strukte, „die unter dem Einfluss dominierender Eliten und im Zusam‐ 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 123 <?page no="124"?> menleben der jeweiligen Gruppe geformt, verändert, aufgewertet oder in den Hintergrund gedrängt werden“ (Schrader 2012) und entscheidend das Selbst- und Fremdverständnis der Akteure prägen. Ethnische Fak‐ toren nehmen hier die Funktion einer intervenierenden Variablen an. ▸ der Instrumentalismus: Aus dieser Perspektive stellen ethnische Faktoren in den seltensten Fällen eine genuine Konfliktursache dar; vielmehr besteht eine Scheinkorrelation zwischen ethnischen Faktoren und Gewaltkonflik‐ ten. Sie werden - als Folge ökonomischer und sozialer Krisen - von Eliten bewusst für politische Zwecke instrumentalisiert. „Die eigene Anhänger‐ schaft soll gegen andere Gruppen aufgehetzt und mobilisiert werden. Ziel ist es, rivalisierende Gemeinschaften und ihre Führer abzuwerten, vom Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen abzuschneiden und von der politischen Macht zu verdrängen“ (Schrader 2012). Gemeinsam ist allen drei theoretischen Ansätzen die Anerkennung der Lebens- und Konfliktrelevanz ethnischer Faktoren. Sie unterscheiden sich analytisch hinsichtlich ihrer Annahmen über den Wirkzusammenhang: Während Primordialisten in ethnischen Faktoren eine zentrale Konfliktur‐ sache sehen, stellen sie für Konstruktivisten und Instrumentalisten „weniger die Ursache als vielmehr die Folge von Konflikten“ (Schneckener 2015. S. 40) dar. So kann der ethnische Fokus durchaus zu einer Verkürzung der durch‐ aus komplexen Konfliktursachen führen, denen in der Regel strukturelle, sozio-ökonomische, politische und kulturelle Faktoren zugrunde liegen (vgl. Abbildung 16). Faktoren Formen strukturelle Faktoren ▸ fragile Staatlichkeit/ Staatskollaps ▸ innerstaatliche Sicherheitsprobleme ▸ ethnische Geografie politische Faktoren ▸ diskriminierende politische Institutionen (Benachteiligung einzelner Gruppen) ▸ exklusive nationale Ideologien ▸ Politik zwischen Gruppen (Wenn einzelne Gruppen konfrontative Strate‐ gien verfolgen) ▸ Elitenpolitik sozio-ökonomische Faktoren ▸ ökonomische Probleme ▸ diskriminierende ökonomische Systeme (Benachteiligung einzelner Gruppen) 124 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="125"?> ▸ ökonomische Entwicklung und Modernisierung (Veränderung der Sozialstruktur, nachhaltige Ab‐ werbung von Fachkräften, Flüchtlingsströme etc.) kulturelle Faktoren ▸ Muster kultureller Diskriminierung ▸ problematische Historie Abbildung 16: Zugrundeliegende Konfliktursachen nach Michael E. Brown (2001, S. 5) Ethnonationale Gruppen fühlen sich „ökonomisch benachteiligt, kulturell überfremdet und politisch entmündigt beziehungsweise rechtlos“ (Senghaas 1992, S. 117). Daraus leiten sich nach Dieter Senghaas (1992, S. 118ff.) drei mögliche konkrete Konfliktkonstellationen ab: Zum einen werden ethno‐ nationale Konflikte aus Gründen der Besitzstandswahrung geführt. Das ist immer dann der Fall, wenn eine ethnonationale Gruppe ökonomisch stark ist und sich von der Mehrheitsgesellschaft ausgenutzt fühlt. Das motiviert Se‐ zessionsbestrebungen, also die Loslösung des eigenen Gebietes vom Staats‐ verband. Dies war beispielsweise bei Slowenien im ehemaligen Jugoslawien der Fall; ein aktuelles Beispiel stellt Katalonien dar. Zum zweiten ergeben sich ethnonationale Konflikte aus einer Überfremdungsabwehr heraus. Hier hat eine ethnische Minderheit die tatsächliche oder vermeintliche Vorherr‐ schaft über eine ethnische Mehrheit. Dabei ist die Mehrheitsgesellschaft bemüht, die Dominanz der Minderheit abzuwehren. Ende der 1980er Jahre waren es die baltischen Staaten, die sich mit ihrer Politik der Loslösung gegen „die wachsende Gefahr einer ‚Russifizierung‘“ (Senghaas 1992, S. 118) wandten. Drittens und am häufigsten zeigen sich ethnonationale Konflikte als Ergebnis einer Assimilationsabwehr. Hier versucht die Minderheit, sich gegen den Assimilierungsdruck der Mehrheit zu stellen: „Wird Assimilierungsdruck penetrant, entstehen gewaltträchtige Minderheiten‐ konflikte, im Grenzfall eine dramatische Eskalation ethnonationalistisch moti‐ vierter Gewalt, die in aller Regel erhebliche Gegengewalt provoziert: Das bedeutet Bürgerkrieg“ (Senghaas 1992, S. 120). Ethnonationale Politik erweist sich letztlich aber auch immer als ambivalent: Die Befreiung aus der erfahrenen Benachteiligung, Überfremdung und Entmündigung erfordert eine Abgrenzung nach außen, auch gegenüber an‐ deren Ethnien. Damit verbindet sich „die Gefahr der Selbstabkapselung und der daraus resultierenden Lernpathologie, die Entwicklung eines Machtbe‐ 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 125 <?page no="126"?> 43 Bei fragiler Staatlichkeit „handelt es sich weniger um eine Bedrohung als vielmehr um ein Risiko, aus dem konkrete Bedrohungen für andere hervorgehen oder sich verstärken können“ (Schneckener 2005). hauptungswillens, der sich […] bis zur Machtbesessenheit steigern kann“ (Senghaas 1992, S. 125). 6.2.3 Innerstaatliche Macht- und Herrschaftskonflikte durch fragile Staatlichkeit Innerstaatliche Macht- und Herrschaftskonflikte stellen eine zentrale Her‐ ausforderung im globalen Konfliktgeschehen dar, insbesondere in der Re‐ gion Subsahara-Afrika (vgl. HIIK 2023, S. 59). Diese gehen zumeist auf fragile Staatlichkeit und damit auf die Schwäche und den Zerfall von Staaten zurück. 43 Mit fragiler Staatlichkeit kann eine Vielzahl unterschiedlicher Konflikte, unter anderem auch ethnonationale Konflikte, die im vorherigen Abschnitt verhandelt wurden, einhergehen. Der Fokus soll hier auf den Kon‐ fliktgegenstand der nationalen Macht und Fragen der Herrschaftsgewalt in einem Staat liegen. Zudem handelt es sich bei fragiler Staatlichkeit nicht allein um ein Phänomen des afrikanischen Kontinents und begrenzt auf den Subsahararaum (vgl. hierzu auch die Kritik von Schubert 2005, S. 22f.). Neben diesem zeichnen sich beispielsweise auch die MENA-Region ( Jemen, Syrien, Irak oder auch Libyen) oder Südasien (Afghanistan, Pakistan) durch einen hohen Grad an fragiler Staatlichkeit aus (vgl. Lambach 2016; Fragile States Index 2020). Das Phänomen der Schwäche und des Zerfalls von Staaten hat mit Beginn der 1990er Jahren an Bedeutung gewonnen. Zum einen bewirkten das Ende des Ost-West-Konfliktes und der Wegfall von Hilfeleistungen der beiden Supermächte an potenziell Verbündete in der Dritten Welt einen verstärkten - insbesondere auch sicherheitspolitischen - Fokus auf dieses Phänomen, „brachen die zuvor künstlich am Leben gehaltenen Staaten reihenweise zusammen“ (Lambach et al. 2016, S. 70; vgl. auch Schubert 2005, S. 18). Zum anderen verstärkte sich die mediale Aufmerksamkeit. Dazu haben insbesondere zwei Ereignisse beigetragen: der internationale Einsatz in So‐ malia mit der für das US-amerikanische Militär verlustreichen Schlacht von Mogadischu (1993) sowie die Terroranschläge vom 11. September 2001, die den Zusammenhang von failing respektive failed states und transnationalem Terrorismus offenbarten (vgl. Schubert 2005, S. 18f.; Schneckener 2007, S. 99). 126 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="127"?> Fragile Staaten sind „Staaten, deren Institutionen nicht oder nicht mehr in der Lage sind, bestimmte elementare Leistungen gegenüber ihrer Bevöl‐ kerung zu erbringen“ (Schneckener 2007, S. 104). Es gibt verschiedene Wege, dieses institutionelle Versagen zu definieren. Das ist davon abhängig, wie die Funktionen des Staates gefasst werden (vgl. Lambach 2012, S. 35ff.): Für Max Weber (1985 [1922], S. 822) zeichnet sich der Staat insbesondere dadurch aus, dass er „innerhalb eines bestimmten Gebietes - dies: das ‚Gebiet‘, gehört zum Merkmal - das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht“. Während der Staat bei Weber „nicht aus dem Inhalt dessen zu definieren [ist], was er tut“ (Weber 1985 [1922], S. 821), wird er bei John Locke genau darüber bestimmt: zum Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum. In diesem liberalen Sinne definiert auch Ulrich Schneckener (2007, S. 105) die Kernfunktionen des Staates mit „Sicherheit, Wohlfahrt und Legitimität/ Rechtsstaatlichkeit“. In der Literatur wird häufig zwischen vier verschiedenen Typen von Staatlichkeit unterschieden (vgl. u. a. Schneckener 2007, S. 107f.; Hirsch‐ mann 2016. S. 24f.; auch Abbildung 17): ▸ konsolidierte beziehungsweise sich konsolidierende Staatlichkeit (con‐ solidated/ consolidating states): Dieser Typus umfasst Länder, bei denen alle drei Kernfunktionen des Staates - auch über einen längeren Zeit‐ raum - gewährleistet sind. ▸ schwache Staatlichkeit (weak states): Diese stellt die erste Stufe der Fragilität dar. Hier funktioniert - mit gewissen Abstrichen - noch weitgehend das staatliche Gewaltmonopol; größere Defizite treten da‐ gegen bei der Gewährleistung von Wohlfahrt und/ oder bezüglich der Legitimität und Rechtsstaatlichkeit auf. ▸ versagende oder verfallende Staatlichkeit (failing states): Bei dieser zweiten Fragilitätsstufe ist das staatliche Gewaltmonopol und damit die Schutzfunktion des Staates stark eingeschränkt, während der Staat in seinen anderen beiden Kernfunktionen (Wohlfahrt und/ oder Legitimi‐ tät/ Rechtsstaatlichkeit) noch eine gewisse Steuerungsfähigkeit besitzt. ▸ gescheiterte beziehungsweise zerfallene Staatlichkeit (failed/ collapsed states): Hier ist die höchste Fragilitätsstufe erreicht, bei der alle drei Kernfunktionen des Staates weitgehend versagen. 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 127 <?page no="128"?> konsolidierter Staat schwacher Staat zerfallender Staat zerfallener Staat starker Staat kollabierter Staat fragile Staatlichkeit Abbildung 17: Das Kontinuum von Staatlichkeit nach Daniel Lambach (2012, S. 35) Für fragile Staatlichkeit lässt sich eine Vielzahl von Erklärungsfaktoren ausmachen. Ulrich Schneckener (2007, S. 109ff.) differenziert zum einen zwischen Struktur-, Prozess- und Auslösefaktoren. Dabei beschreiben Struk‐ turfaktoren jene Bedingungen, die sich aus „den natürlichen Gegebenheiten eines Landes“ (Schneckener 2007, S. 110) ergeben. Prozessfaktoren fokussie‐ ren stärker auf Aspekte, die aus dem Verhalten der Akteure, insbesondere der Eliten, resultieren. Auslösefaktoren wiederum sind bestimmte Begeben‐ heiten, die einen (spontanen) Wandel auslösen. Zum anderen unterschei‐ det Schneckener verschiedene Ebenen: die internationale beziehungsweise regionale Ebene mit dem Verhältnis zwischen dem jeweiligen Staat und seinem internationalen beziehungsweise regionalen Umfeld (Makroebene), die nationale Ebene mit dem Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft (Mesoebene) sowie die substaatliche Ebene mit dem Verhältnis zwischen Staat und substaatlichen Akteuren (Mikroebene). Daraus ergibt sich eine Matrix mit neun Erklärungsansätzen (vgl. Abbildung 18). Die aus fragiler Staatlichkeit resultierenden innerstaatlichen Macht- und Herrschaftskonflikte gehen vielfach auf die Kolonialzeit zurück. Das trifft insbesondere auf den afrikanischen Kontinent zu, hat „die ‚Portionierung‘ Afrikas entlang europäischer Interessenpolitik“ (Hirschmann 2016, S. 167) im 19. Jahrhundert die Basis für dortige bis heute währende Spannungen, Konflikte und Kriege gelegt. Ebenso gehen viele der politischen - aber auch wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen - Faktoren, mit denen sich Konflikte um Macht und Herrschaft im Staat erklären lassen, aus den Kolonialisierungs- und Dekolonisierungsprozessen hervor. Vor diesem Hintergrund differenziert Kai Hirschmann (2016, S. 169) auch dezidiert zwischen Ursachen und Wirkungen. 128 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="129"?> Ebene Strukturfaktoren Prozessfaktoren Auslösefaktoren Internationale/ regionale Ebene Grad der Einbindung in die Welt‐ wirtschaft -Instabilität der Region/ fragile Staaten im Umfeld -Einfluss anderer Staaten (Groß‐ macht, frühere Kolonialmacht etc.) Bürgerkriege im Umfeld -Aktivitäten transnationaler Gewalt‐ netzwerke -Wirtschaftskrisen in Nachbarstaa‐ ten -ökologische Degradierung der Re‐ gion Militärintervention von außen -Auswirkungen externer Finanz‐ krisen -rapider Preisverfall bei Rohstof‐ fen -Flüchtlingsströme -Zustrom von Waffen -Auswirkungen von Natur- und Dürrekatastrophen Nationale Ebene „ererbte“ Strukturen (z. B. kolo‐ niale Strukturen) -multiethnische Bevölkerungs‐ struktur -demografische Faktoren (Gebur‐ tenrate, Anteil Jugendlicher etc.) -Ressourcenknappheit/ struktu‐ relle Ungleichverteilung von Ressourcen -krisenanfällige Rentenökonomie rapide Absenkung des Lebensstan‐ dards -politische Instrumentalisierung so‐ zialer Unzufriedenheit -Politisierung ethnischer Differen‐ zen -Zunahme des politischen Extremis‐ mus (inkl. Repression) -Diskriminierung bestimmter Grup‐ pen rasche machtpolitische Verände‐ rung (Putsch, Umsturz, Rebellion) -massive Unterdrückung der Op‐ position (Massaker, Verhaftungen etc.) -rapide Verschlechterung der wirt‐ schaftlichen Lage (soziale Unru‐ hen, Plünderungen) -Hungersnot/ Epidemien -Ausbruch eines Bürgerkrieges 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 129 <?page no="130"?> Einfluss traditioneller Herr‐ schaftsformen (Clanstruktur, Rolle von Chiefs, patriarchische Strukturen) -Erfahrungen vorangegangener Konflikte -Zunahme von Korruption und Kli‐ entelismus -Privatisierung von Gewalt -gescheiterte/ stagnierende Demo‐ kratisierung -Zunahme ökologischer Probleme (z. B. Wassermangel) Substaatliche Ebene Zentrum-Peripherie-Gegensätze (z. B. Landflucht) -lokale Ungleichheiten -regionale bzw. lokale Identitäten wachsende Kriminalität in Städten -Zunahme lokaler Gewaltakteure -ethnischer Separatismus -lokale Machtkämpfe lokale Unruhen (riots) -lokale/ regionale Naturkatastro‐ phen bzw. Ernteausfälle Abbildung 18: Destabilisierende Faktoren für Staatlichkeit nach Ulrich Schneckener (2007, S. 112) 130 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="131"?> Im Folgenden soll ein vertiefter Blick auf politische Konstellationen, die in‐ nerstaatliche Macht- und Herrschaftskonflikte befördern können, erfolgen. Hier lassen sich verschiedene Aspekte ausmachen (vgl. Lambach et al. 2016, S. 57ff.): ▸ Neopatrimonialismus, Klientelismus und Korruption: Der Neopatrimoni‐ alismus ist ein häufiges Charakteristikum fragiler Staaten und bedeutet, „dass die Machtausübung des Herrschers durch alle gesellschaftlichen Ebenen hindurch personalisiert und der Zugang zu ihr monopolisiert ist“ (Tetzlaff 2000, S. 13f.; vgl. auch Lambach et al. 2016, S. 57). We‐ sentliche Elemente einer solchen Regierungsführung sind Korruption (Selbstbereicherung) durch Verwaltungsbeamte und politische Eliten sowie Klientelismus (die umgekehrte Richtung der Korruption, indem der Klient politische Unterstützung leistet und dafür entlohnt wird). Beide Momente schwächen die Legitimation des Staates und höhlen ihn von innen aus. ▸ gezielte Demontage staatlicher Institutionen: Fehlt einer Regierung der notwendige Rückhalt in der Bevölkerung, kann sie versucht sein, alter‐ native Machtzentren (wie Armee, Polizei, Verwaltung) zu kontrollieren oder zu zerstören. Letzteres erfolgt entweder durch die Behinderung der Verwaltung (durch Kürzung/ Aussetzung der Beamtengehälter) oder Erosion des Gewaltmonopols (durch Korrumpierung der Sicherheits‐ kräfte oder Aufstellung eigener paramilitärischer Einheiten). ▸ die Existenz eines Schattenstaates: Das meint die Schaffung einer „per‐ sonenbezogene[n], klientelistische[n] Politikformation, die außerhalb des formalen Staatsapparates steht“ mit „quasi-feudale[n] Beziehungen zwischen Patronen und Klienten“ (Lambach et al. 2016, S. 60). ▸ Regimetyp: Hier existieren zwei differente Positionen: Eine sieht in au‐ tokratischen Regimen eine Ursache für Macht- und Herrschaftskonflikte sowie Staatszerfall, die andere eher in hybriden Regimen beziehungs‐ weise Regimetransformationen. ▸ Fragmentierung des politischen Systems durch Eskalation von Macht‐ kämpfen: Machtkämpfe sind Konflikte „um die Frage der Verteilung beziehungsweise des Zugangs zu staatlicher Macht […], entweder im Rahmen eines bestehenden Regimes oder im Versuch, das herrschende Regime durch ein anderes zu ersetzen“ (Lambach et al. 2016, S. 63f.). Die Fragmentierung des politischen Systems basiert auf einer Polarisierung der beteiligten politischen Akteure, setzt etwa gleich starke Machtres‐ 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 131 <?page no="132"?> sourcen der Akteure voraus und führt häufig zu einer Militarisierung der Gruppen. ▸ Transition: Auch Regimewandel bergen Risiken. Demokratisierungsbe‐ strebungen können Auslöser für größere politische Gewalt sein. So könne ein Scheitern „in konsolidierten Staaten zum Widererstarken der Autokratie, in fragilen Staaten aber zu Bürgerkrieg und Staatskollaps führ[en]“ (Lambach et al. 2016, S. 64). Exemplarisch steht hierfür der Arabische Frühling. Die folgenden drei Konfliktportraits in Subsahara-Afrika - konkret Soma‐ lia, Mali und Kongo - sollen diese Konfliktkonstellation um nationale Macht und Herrschaft durch fragile Staatlichkeit noch einmal exemplarisch veranschaulichen. Außerhalb des Subsahara-Raums gilt Afghanistan als ein Beispiel von hoher internationaler Aufmerksamkeit; aber auch die post‐ sozialistischen Farbrevolutionen (2003-2005) und der Arabische Frühling (2010-2012) - von Henry E. Hale (2013) als „regime change cascades“ bezeichnet - stehen für diesen Konflikttypus. Konfliktportrait Somalia Somalia - geprägt durch eine diverse Clanstruktur - ist 1960 aus dem Zusammenschluss der ehemaligen Kolonien Britisch-Somaliland und Italienisch-Somaliland entstanden. 1969 übernahm Siad Barre die Macht. Nach brutaler Herrschaft, die das Vertrauen der Bevölkerung in eine Zentralregierung nachhaltig beschädigte, und der Unterdrückung der anderen Clans einschließlich einer stetigen Umverteilung der Ressourcen zugunsten seines Clans (Darod) wurde er 1991 gestürzt. Seit dieser Zeit ist das Land von Bürgerkrieg, gewaltsamen Clanriva‐ litäten und humanitären Katastrophen geprägt. Trotz internationaler Einsätze (UNOSOM, AMISOM, ATMIS) scheiterten mehrere Versuche, eine Zentralregierung zu etablieren. Auch beansprucht das relativ stabile Somaliland im Nordwesten des Landes internationale Aner‐ kennung als eigenständiger Staat. Neben den Kämpfen zwischen den Clans um Land, Ressourcen und die Vorherrschaft gewinnt die islamistische Bewegung al-Shabaab zunehmend an Bedeutung. Sie kontrolliert Teile in Zentral- und Südsomalia, hat Verbindungen zu al-Qaida und zum IS und verübt zahlreiche Anschläge im Land. Ihr Ziel ist die Errichtung eines islamischen Staates und die Beteiligung 132 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="133"?> am weltweiten islamistischen Terrornetzwerk. So formiert sich die heutige Konfliktlinie zwischen der Regierung unter dem Präsidenten Hassan Sheikh Mohamud, unterstützt durch die Missionen UNSOM (Vereinte Nationen) und ATMIS (Afrikanische Union), und al-Shabaab, die unter anderem mit Waffenlieferungen aus dem Ausland unter‐ stützt wird. Konfliktportrait Mali Seit der Unabhängigkeit 1960 von der Kolonialmacht Frankreich ist Mali durch fragile Staatlichkeit geprägt. Insbesondere im Norden des Landes hat es der Staat nie vermocht, zentrale Funktionen zu erfüllen. Der Konflikt in Mali speist sich aus dem Aufbegehren der Tuareg (Ber‐ bernomaden aus der Sahara) im Norden, einer sozio-ökonomischen Krise, kleineren Konflikten zwischen verschiedenen Stämmen und der dschihadistischen Expansion in der gesamten Sahel-Zone. 2012 eskalierte der Konflikt: Eine Allianz aus Tuareg und Dschihadisten eroberten den Norden Malis und erklärten die von ihnen Azawad genannte Region für unabhängig. Während mit der Unabhängigkeit von der Zentralmacht das Ziel der Tuareg erreicht war, ging es den Dschihadisten um einen islamistischen Staat und die Einführung der Scharia. Letztere vertrieben die Tuareg aus dem Norden und übernahmen die Kontrolle. Im selben Jahr stürzte auch die Regierung Malis infolge eines Militärputsches. 2013 eroberten malische und französische Truppen wichtige Städte im Norden zurück. Zudem ver‐ suchten mehrere internationale Missionen (MINUSMA, EUTM sowie Truppen der Afrikanischen Union und der G5 Sahel), den Staat Mali zu stabilisieren. Das gelang nicht. Im Gegenteil: 2020 und 2021 putschten die malischen Streitkräfte erneut. Daraufhin folgte der internationale Rückzug. Die Lage in Mali ist weiterhin angespannt mit Anschlägen im Norden und ethnischen Spannungen und islamistischem Terror im Süden. 6.2 Gegenwärtig vorherrschende Konfliktkonstellationen 133 <?page no="134"?> Konfliktportrait Kongo Bis zur Staatsgründung 1960 war das Gebiet des Kongo unter belgi‐ scher Kolonialherrschaft. Unter der 30-jährigen Herrschaft des Dikta‐ tors Mobutu Sese Seko (1965-1997) hat sich nie ein funktionierender Staat entwickeln können; auch fehlte infolge von Korruption und Vetternwirtschaft das Vertrauen in staatliche Institutionen (wie Poli‐ zei, Militär, Justiz oder Parteien). Mobutu unterdrückte seine Bevöl‐ kerung und bereicherte sich und seine Familie an den Ressourcen des Landes. Mit dem Genozid in Ruanda (1994) und der Flucht von Hutus in den Kongo nahm die Instabilität des Landes noch zu. Im Bürgerkrieg (Erster Kongokrieg 1996-1997) wurde Mobuto von der durch mehrere Nachbarländer unterstützten Rebellenkoalition AFDL gestürzt und der Rebellenchef Laurent-Désiré Kabila neuer Präsident. Es folgte ein weiterer Bürgerkrieg (Zweiter Kongokrieg 1998-2003), in dem wiederum mehrere untereinander zerstrittene Rebellengruppen versuchten, die Regierung in Kinshasa zu entmachten - mit Unter‐ stützung von außen (Ruanda, Uganda und Burundi intervenierten gegen Kabila, während Simbabwe, Angola, Namibia und Sudan den Präsidenten unterstützten). Nach der Ermordung des Präsidenten und der Machtübernahme durch seinen Sohn Joseph Kabila kam es 2002 unter Vermittlung Südafrikas zu einem Friedensabkommen und 2006 zu ersten freien Wahlen, aus denen Kabila als Sieger hervorging. Ein Jahr nach den Wahlen kämpften in der Provinz Nord-Kivu im Osten des Landes Tutsi-Rebellen des Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes (CNDP) gegen kongolesische Regierungsstreitkräfte (Dritter Kongokrieg, 2006-2008). Ziel war es, die Regierung in Kinshasa zu stürzen. Nach internen Streitigkeiten des CNDP endete der Krieg; ein dauerhafter Frieden kam jedoch nicht zustande. Die heutige Lage ist vor allem gekennzeichnet durch das Wiedererstarken der M23, einer größtenteils aus Tutsi bestehenden Rebellengruppe, die von Ruanda unterstützt wird. Sie ist eine von weit über 100 bewaffneten Milizen im Land. Die heftigen Kämpfe zwischen der kongolesischen Armee und den M23-Rebellen verschärfen noch einmal die Sicherheitskrise im Osten der Demokratischen Republik Kongo. 134 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="135"?> 6.3 Gewalt durch Klimawandel - ein Konfliktszenario der Zukunft? Seit Ende der 1980er Jahre geraten Umweltkonflikte verstärkt in den Fokus der Friedens- und Konfliktforschung. Dabei werden Umweltzerstörungen zum einen im Kontext ökologischer Sicherheit und damit als Teil des erweiterten Sicherheitsbegriffs diskutiert; zum anderen wird debattiert, inwieweit mit dem Umweltwandel auch Konflikte und Kriege einhergehen können (vgl. Libiszewski 1993, S. 23). Dazu gehören Phänomene wie der Klimawandel, der Abbau der stratosphärischen Ozonschicht, die Degrada‐ tion von Agrarland, die Entwaldung, die Verschmutzung und Zerstörung von Wasservorräten oder auch die Erschöpfung von Fischbeständen (vgl. Scheffran 2011, S. 33). Eine besondere politische Aufmerksamkeit erfahren der Klimawandel und seine Folgen. Ein weiterer globaler Temperaturanstieg würde das Ausmaß extremer Wetterereignisse (Dürren, Überschwemmungen, Sturm- und Flutkatastrophen) erhöhen und zu großskaligen - teilweise auch voneinander abhängenden - Veränderungen im Erdsystem führen. Wenn die Klimaerwärmung über einen kritischen Punkt hinausreicht, kann sie sprunghafte und irreversible Veränderungen auslösen. Zu diesen sogenann‐ ten Kippelementen gehören das Austrocknen des Amazonasregenwaldes, der Verlust der Taigawälder durch Feuer, Trockenheit und Stürme, das Ab‐ schmelzen der arktischen Eisplatte, tauende Permafrostböden, das weltweite und unwiederbringliche Schmelzen von Gletschern, die Verlangsamung des Golfstromes, das Ausbleiben des asiatischen Monsuns oder auch das Abster‐ ben der Korallenriffe. Nach jüngsten Forschungen zeigen sich ernsthafte Auswirkungen bereits bei einer durchschnittlichen Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius (vgl. Lenton at al. 2019; auch Dröge 2019). Wesentlich trug die Weltklimakonferenz in Toronto 1988 dazu bei, den Klimawandel auf die internationale politische Agenda zu setzen; zugleich wurde dieser in den Kontext internationaler Sicherheit gestellt (so auch der Titel der UN-Klimakonferenz: World Conference on the Changing Atmo‐ sphere: Implications for Global Security). Dabei erkannte die UN-Generalver‐ sammlung den Klimawandel als einen „common concern of mankind“ an (UN-Dok. A/ RES/ 43/ 53 vom 6. Dezember 1988, Ziff. 1; vgl. auch Dröge 2020, S. 16). Zwanzig Jahre später sprach der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in seinem Bericht „Climate change and ist possible security implications“ 6.3 Gewalt durch Klimawandel - ein Konfliktszenario der Zukunft? 135 <?page no="136"?> (UN-Dok. A/ 64/ 350 vom 11. September 2009) von fünf potenziellen Wegen des Einflusses des Klimawandels auf die Sicherheit: ▸ Vulnerabilität: Bedrohung der Ernährungssicherheit und Gesundheit sowie erhöhte menschliche Belastungen durch extreme Wetterlagen; ▸ Entwicklung: negative Auswirkungen auf Entwicklungsprozesse mit der Folge verminderter Kapazitäten von Staaten, ihre Stabilität aufrechtzu‐ erhalten; ▸ Sicherheit: ein erhöhtes Risiko innerstaatlicher Konflikte durch klima‐ induzierte Migration und Konkurrenz um natürliche Ressourcen ein‐ schließlich internationaler Auswirkungen; ▸ Staatenlosigkeit: der Verlust von Staatlichkeit durch das Verschwinden von Territorien mit entsprechenden Auswirkungen auf die Rechte, Sicherheit und Souveränität der betroffenen Staaten und ihrer Bevölke‐ rungen; ▸ internationaler Konflikt: negative Auswirkungen auf die internationale Kooperation durch einen klimainduzierten Abbau gemeinsam genutzter Ressourcen. In Deutschland war es insbesondere der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen“ (WBGU), der auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam machte. So könne aus diesem „Ge‐ walt und Destabilisierung erwachsen, die die nationale und internationale Sicherheit in einem erheblichen Ausmaß bedrohen“ (WBGU 2008, S. 1; vgl. auch Abbildung 19). Die Rede vom Klimawandel als Sicherheitsproblem - auch unter dem Begriff der ökologischen Sicherheit gefasst - steht im Kontext des erweiter‐ ten Sicherheitsbegriffes (vgl. Kap. 2.1). Sie kann unterschiedliche politische Implikationen auslösen, hinter denen verschiedene theoretische Zugänge stehen (vgl. Brzoska und Oels 2011, S. 56ff.): ▸ der positivistisch-pluralistische Ansatz: Danach ist „[d]ie Rede von der Sicherheit […] nützlich, weil sie Aufmerksamkeit und Ressourcen mobilisiert“ (Brzoska und Oels 2011, S. 56). Sie soll „direkt zu den gewünschten Maßnahmen führen“ (Brzoska und Oels 2011, S. 57) wie beispielsweise zu einer umfassenden Klimaschutzpolitik. Die Verortung des Klimawandels als Sicherheitsproblem könne - so die Annahme - Vorteile im politischen Wettbewerb gegenüber anderen Policyfeldern bewirken. 136 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="137"?> ▸ die Versicherheitlichung nach der Kopenhagener Schule: Sie sieht die Rede vom Klimawandel als Sicherheitsproblem kritisch. So verbinde sich mit Sprechakten, das heißt mit der Benennung von Problemen als Sicher‐ heitsprobleme, die Gefahr, dass die politische Ordnung untergraben werden und der Staat in seiner Existenz gefährdet sein könnte. Damit können Sicherheitsprobleme einen Ausnahmezustand legitimieren, der außerordentliche Maßnahmen rechtfertigt sowie bestehende Entschei‐ dungswege und demokratische Verfahren außer Kraft setzt. ▸ die Versicherheitlichung nach der Pariser Schule: Nach ihr ist es „eine empirisch offene Frage, was die politischen Implikationen [des Klima‐ wandels] sind“ (Brzoska und Oels 2011, S. 59). Bei diesem Ansatz stellt Sicherheit eine Form des Risikomanagements dar, verbunden mit dem Ziel, „die für die Reproduktion und Produktivität einer Bevölkerung notwendige Zirkulation von Menschen und Dingen vor Störungen zu sichern“ (Brzoska und Oels 2011, S. 60) beziehungsweise wenn diese auftreten, auf ein vertretbares Ausmaß zu beschränken. Im Hinblick auf den Klimawandel kommt hier insbesondere der Wissenschaft die Rolle zu, dieses Ausmaß (Ausstoß von Kohlendioxid, Temperaturanstieg etc.) zu definieren. Konfliktkonstellationen ▸ Degradation der Süßwasserressourcen ▸ Rückgang der Nahrungsmittelproduktion ▸ Zunahme von Sturm- und Flutkatastrophen ▸ Migration Schlüsselfaktoren bei der Entstehung und Verstärkung der Konfliktkonstellationen ▸ Staatsform, politische Stabilität ▸ Governance-Strukturen (Leistungs- und Problem‐ lösungsfähigkeit von Institutionen) ▸ Wirtschaftsleistung und Verteilungsgerechtigkeit ▸ gesellschaftliche Stabilität (u. a. ethnische Balance) und Demografie (Bevölkerungsdichte und -wachs‐ tum) ▸ geografische Faktoren ([in]stabile Nachbarländer) ▸ internationale Machtverteilung und Interdepen‐ denz (u. a. Zugang zu Weltmärkten) Abbildung 19: Klimainduzierte Konfliktkonstellationen und deren Schlüsselfaktoren in Anlehnung an den WBGU (2008, S. 170) In der Friedens- und Konfliktforschung kontrovers diskutiert wird die Frage, inwieweit der Klimawandel zur Entstehung respektive Verschärfung von gewaltsamen Konflikten beitragen kann. Während Harald Welzer (2008) 6.3 Gewalt durch Klimawandel - ein Konfliktszenario der Zukunft? 137 <?page no="138"?> von Klimakriegen spricht und einen Anstieg dieser voraussagt, sehen viele Friedensforscherinnen und -forscher keine direkten Kausalitäten zwischen Klimavariablen und unmittelbarer Gewalt (vgl. die Studie von Sakaguchi et al. 2017, Dröge 2020, S. 17), insbesondere „keine monokausalen Verknüp‐ fungen“ (Waldmann 2011, S. 453). Für sie stellt der Klimawandel eher ein „Risikomultiplikator und Konflikttreiber“ (Rüttinger 2018) dar. Dieser könne soziale und wirtschaftliche Verwerfungen hervorrufen, das heißt den sozioökonomischen Druck erhöhen, die Ressourcenknappheit verstärken und damit Flüchtlingsbewegungen befördern. Inwieweit diese Faktoren letztlich in gewaltsame Konflikte münden, hänge - so die Argumentation - zuvorderst von den vorherrschenden gesellschaftlichen und politischen Bedingungen ab (vgl. u. a. Breitmeier 2009, S. 14ff.; Scheffran 2011, S. 33ff.; Sakaguchi et al. 2017; Dröge 2020, S. 17f.). Darfur-Konflikt Seit 2003 kämpfen in der westsudanesischen Provinz Darfur die von der Regierung in Khartum unterstützten arabischen Reitermilizen gegen verschiedene Rebellen um Einfluss und Ressourcen in der Region. Die Kämpfe kulminierten 2007; sie zeichneten sich durch eine enorme Brutalität gegenüber der Zivilbevölkerung aus: Allein bis 2007 verloren mehr als 200.000 Menschen ihr Leben, über zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohner flüchteten. Daraufhin beschloss der UN-Sicherheitsrat mit UNAMID eine der größten Frie‐ densmissionen zur Stabilisierung der sudanesischen Region Dafur (vgl. UN-Dok. S/ RES 1769 vom 31. Juli 2007). Die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union entsandten gemeinsam 26.000 Polizisten und Soldaten nach Darfur. Nachdem die Mission keinen Fortschritt bei der politischen Bearbeitung des Konflikts erzielte, fokussierte sie sich auf den Schutz der Zivilbevölkerung und humanitäre Hilfe. Anfang 2021 wurde UNAMID durch die zivile Mission UNITAMIS abgelöst. Verbessert hat sich die Lage in Dafur nicht; es herrscht ein brutaler Bürgerkrieg mit Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Vereinten Nationen sprechen von der größten Flüchtlingskrise der Welt und die WHO warnen vor einer Hungerkatastrophe. 138 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="139"?> Die Kontroverse um den Einfluss des Klimawandels auf gewaltsame Kon‐ flikte ist intensiv am Beispiel des Krieges in Darfur (2007) geführt worden. Für die einen steht der Darfur-Konflikt exemplarisch für klimainduzierte Gewalt: „The violence in Darfur is usually attributed to ethnic hatred. But global warming may be primarily to blame“ (Faris 2007). Und auch der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon (2007) sah den Darfur-Konflikt als wesentliche Folge des Klimawandels an: „[T]he Darfur conflict began as an ecological crisis, arising at least in part from climate change“. In ähnlicher Weise verweist Welzer (2008, S. 94ff.) auf die ökologische Komponente. So würden „klimabedingte Veränderungen den Ausgangspunkt des Konfliktes bilden“ (Welzer 2008, S. 97), auch wenn andere Konfliktursachen mit hinzukämen. Im Fokus dieser Analysen steht insbesondere der Konflikt zwischen sesshaften Ackerbauern und nomadi‐ schen Hirten um lebensnotwendige Ressourcen wie Wasser und Land, der sich infolge des Rückgangs der Niederschläge und der ausbreitenden Dürre verstärkte und in Gewalt umschlug. Für die anderen stehen dagegen ursächlich andere Konfliktkonstellati‐ onen: Dazu gehört der ethnische Konflikt zwischen arabischen und afri‐ kanischen Gruppierungen im Land und die zunehmende Unterstützung arabischer Milizen durch die Zentralregierung in Khartum. Mit dem zuneh‐ menden Einfluss der Muslimbrüder im Land verstärkte sich die Dichotomie „Araber versus Afrikaner“ noch. Zudem haben die Politik der Regionalisie‐ rung und Verwaltungsreformen zu verstärkten Spannungen geführt: durch die Ersetzung traditioneller Regelungen durch staatliches Verwaltungsrecht wie auch traditioneller Methoden der Streitschlichtung durch staatliche Verwaltungsakte. Hinzu komme noch eine internationale Dimension des Konfliktes (Tschad, Libyen) (vgl. Schreiber 2011, S. 220ff.). 6.4 Fazit Die vorgestellten Konfliktformationen und -konstellationen können keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben; zu divers sind die Gegenstände und Ursachen von gewaltsamen Konflikten und Kriegen. Entsprechend defizitär bleiben monokausale Erklärungen; die Hintergründe des Konfliktgeschehens lassen sich nur mit multidimensionalen Ansätzen analysieren und verstehen. Das erklärt auch, warum sich keine allgemeingültigen und vor allem auch trennscharfen Konflikttypologien entwickeln lassen. Das trifft insbesondere 6.4 Fazit 139 <?page no="140"?> auf das heutige Konfliktgeschehen zu. Gelang es noch, zu Zeiten des Kalten Krieges zentrale Formationen mittels der Ost-West- und Nord-Süd-Achse zu bestimmen, zeigen sich die heutigen gewaltsamen Konflikte und Kriege weitaus facettenreicher. Sie sind sowohl regionaler als auch transnationaler: ▸ Große bipolare Blöcke wie zu Zeiten des Kalten Krieges lassen sich nicht mehr ausmachen; dennoch bestimmen internationale Machtkonflikte (wie gegenwärtig zwischen den USA, Russland und China) weiterhin das Konfliktgeschehen. ▸ Ein Großteil von Konflikten ist auf Regionen beschränkt. Dabei finden weit über 90 Prozent aller gewaltsamen Konflikte in Subsahara-Afrika, der MENA-Region, Asien und Lateinamerika statt. Hier wirkt die Nord-Süd-Konfliktlinie fort. ▸ Zwischenstaatliche Konflikte sind - ungeachtet des Theorems der neuen Kriege - zwar weiterhin präsent, aber auf einem sehr niedrigen Niveau. Auch wenn gegenwärtig der Ukrainekrieg omnipräsent ist, dominieren innerstaatliche sowie transnationale Konflikte. Dabei prägt bis heute vielfach die Kolonialgeschichte mit ihren künstlichen Staats‐ bildungen und willkürlichen Grenzziehungen das aktuelle Konfliktge‐ schehen. Das lässt sich sowohl bei ethnonationalen Konflikten als auch bei innerstaatlichen Macht- und Herrschaftskonflikten durch fragile Staatlichkeit aufzeigen. ▸ Sozioökonomische Faktoren erweisen sich nicht nur als eine bestim‐ mende Komponente im innerstaatlichen Konfliktgeschehen, sie ent‐ scheiden häufig auch darüber, ob globale Herausforderungen wie beispielsweise der Klimawandel bewältigt werden können oder in ge‐ waltsame Konflikte und Kriege münden. Weiterführende Literatur: Dülffer, Jost. 2004. Europa im Ost-West-Konflikt 1945-1990. München: Olden‐ bourg Verlag. Dieser Band gibt einen Überblick über die von Brüchen, Konflikten und Integrationsversuchen geprägte Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Auflösung des Ostblocks. Senghaas, Dieter. 1988. Konfliktformationen im internationalen System. Frank‐ furt a.M.: Suhrkamp. Der Autor wendet sich zentralen Konfliktformationen jener Zeit zu: dem Ost-West-Konflikt, dem Nord-Süd-Konflikt sowie Regio‐ nalkonflikten in der internationalen Politik. 140 6 Konfliktgegenstände - zentrale Formationen <?page no="141"?> Johannsen, Margret. 2023. Der Nahost-Konflikt. Eine Einführung. 5. Aufl. Wies‐ baden: Springer VS. Die Autorin geht auf die Entstehung und Entwicklung des Nahostkonflikts ein, nimmt eine Konfliktanalyse vor und reflektiert den Friedensprozess. Dabei stellt sie sowohl den Kern des Konflikts als auch seine internationalen Dimensionen dar. Münkler, Herfried. 2023. Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert. Berlin: Rowohlt. In diesem wegweisenden Werk gibt Münkler einen Ausblick auf die Machtkonstellationen, die die kommenden Jahrzehnte prägen werden. Dabei geht er von einem neuen System regionaler Einfluss‐ zonen aus, dominiert von den USA, China, Russland, Indien und der EU. Hall, Gregory O. 2014. Authority, Ascendancy, and Supremacy. China, Russia, and the United States’ Pursuit of Relevancy and Power. New York: Routledge. Der Autor untersucht die US-amerikanische, chinesische und russische Konkurrenz um Macht und Einfluss nach dem Ende des Kalten Krieges. Dabei nimmt er jeweils die ökonomische, politische, militärische sowie soziale und demografische Sphäre der Big 3 in den Blick. Wolff, Stefan (Hrsg.). 2018. Ethnic Conflict. Critical Concepts in Political Science. London: Routledge. Dieses vierbändige Werk mit zahlreichen Beiträgen bie‐ tet einen umfassenden und repräsentativen Überblick über die verschiedenen Ansätze und Aspekte ethnischer Konflikte. Lambach, Daniel, Eva Johais und Markus Bayer. 2016. Warum Staaten zusam‐ menbrechen. Eine vergleichende Untersuchung der Ursachen von Staatskollaps. Wiesbaden: Springer VS. Die Autorinnen und Autoren dieser Studie dis‐ kutieren verschiedene - politische, wirtschaftliche, sozialstrukturelle und kulturelle sowie internationale und regionale - Faktoren, die zu einem Staatskollaps führen beziehungsweise diesen befördern können. Brzoska, Michael, Martin Kalinowski, Volker Matthies und Berthold Meyer (Hrsg.). 2011. Klimawandel und Konflikte. Versicherheitlichung versus präven‐ tive Friedenspolitik? Baden-Baden: Nomos. In diesem Band geht es um den spezifischen Wirkungszusammenhang von Klimawandel und Gewaltkonf‐ likten, um die Kritik an der Konstruktion des Klimawandels als Sicherheits‐ bedrohung sowie um friedenspolitische Präventionsstrategien. 6.4 Fazit 141 <?page no="143"?> 7 Austragungsformen von Konflikten - friedenspolitische Herausforderungen durch neue technologische Entwicklungen Nicht nur weltpolitische Konflikte bedrohen den Frieden, auch neue tech‐ nologische Entwicklungen, die in neue Waffensysteme, Formen der Kriegs‐ führung und damit verbundene Rüstungswettläufe münden. Dazu gehören insbesondere unbemannte Waffensysteme und ihre zunehmende Automa‐ tisierung und Autonomisierung, der Cyberraum und die Digitalisierung der Kriegsführung (Cyberwar) oder auch Bestrebungen zur Bewaffnung des Weltraums. Ihre zugrundeliegenden Technologien stellen keine dezidiert militärischen Entwicklungen dar, sie finden sich gleichfalls im zivilen Bereich. Und auch hier entfachen sie vielfach kontroverse Debatten - sei es um das autonome Fahren oder auch um die zunehmende Digitalisierung des Alltags („Internet der Dinge“). Im militärischen Kontext verschärfen sich diese Anfragen noch einmal, stehen hier nicht Gefahren durch potenzielle Unfälle zur Debatte, sondern Formen gezielten Tötens von Menschen. Das impliziert politische, ethische und rechtliche Infragestellungen: bezüglich der Auswirkungen auf die beteiligten Akteure, der Hemmschwelle zum Krieg sowie bestehender völkerrechtlicher Regelungen. 7.1 Unbemannte Waffen und der Trend zu ihrer Autonomisierung Unbemannte Waffensysteme - umgangssprachlich Drohnen - entfachen kontroverse Debatten: Während die einen vom „drohenden Ende der Menschlichkeit“ (Human Rights Watch) sprechen, halten sie andere für „ei‐ nen bedeutenden ethischen Fortschritt in der Geschichte der Kriegsführung“ (Statman 2014, S. 46). Dass die Kriegsführung durch eine immer stärker werdende Technologisierung geprägt ist, stellt keine Ausnahme, sondern den Regelfall dar (vgl. Geiß 2015, S. 10). Dabei ist im Laufe der Geschichte die Distanz des Soldaten zum Gefechtsfeld immer größer geworden: vom unmittelbaren Kampf Mann gegen Mann auf dem Schlachtfeld über eine Kriegsführung mit Artillerie und gepanzerten Fahrzeugen bis hin zu Bom‐ bardements aus der Luft. Unbemannte Systeme gehen noch einen Schritt <?page no="144"?> 44 Dieser Abschnitt stützt sich auf Werkner (2019b). 45 Aber auch im zivilen Bereich werden unbemannte Systeme vielfältig eingesetzt: bei Sicherheitsorganen wie der Polizei, dem Zoll oder dem Grenzschutz, im Katastrophen‐ schutz und in der Unfallrettung, im Bereich der Infrastruktur beispielsweise zur Ver‐ kehrsüberwachung, in der Logistik bei der Paketzustellung oder im Lieferservice, in der Medizin unter anderem als Operationsdrohnen, in der Wissenschaft bei geologischen oder biologischen Beobachtungen, aber auch in den Medien oder im Sport (vgl. Funk 2017, S. 180). 46 US-amerikanische Einsätze bewaffneter Drohnen erfolgten aber auch in Somalia und in Jemen. weiter: Sie ermöglichen einen „Luftkrieg per Joystick“ (Gast 2010), bei dem die eigenen Soldatinnen und Soldaten außerhalb der Gefahrenzone bleiben. 44 Das Einsatzspektrum unbemannter Systeme ist mittlerweile vielfältig: ▸ zur Bekämpfung von Bodenzielen in Gebieten ohne hinreichende Luft‐ abwehr, ▸ zur Unterstützung von Infanterie/ Bodentruppen beispielsweise im Häu‐ serkampf, ▸ zur Unterstützung der Marine im Kampf gegen Piraten oder bei huma‐ nitären Einsätzen (Seenotrettung, Flüchtlinge etc.), ▸ zum Aufspüren und zur Erstversorgung von Verwundeten, ▸ zur Aufklärung und Spionage, zum Entschärfen von Minen oder Spreng‐ fallen sowie ▸ bei ABC-Einsätzen. Künftig sind Einsätze unbemannter Systeme auch für Luftkämpfe, Luft‐ raumkontrollen und automatisierte beziehungsweise autonomisierte Ab‐ fangmissionen an Luftraumgrenzen oder im Weltraum beispielsweise zur Läsion feindlicher Satelliten denkbar (vgl. Funk 2017, S. 179f.). 45 Letztlich sind „findigen Nutzern wohl im Guten wie im Schlechten kaum Grenzen gesetzt“ (Funk 2017, S. 180). In der Entwicklung unbemannter Systeme wird eine „nächste militärische Evolutionsstufe“ (König 2017, S. 1) und ein „Paradigmenwechsel im Bereich der Militärtechnologie“ (Geiß 2015, S. 3) gesehen. Aktuell lassen sich zwei zentrale Trends ausmachen: zum einen zu ihrer Bewaffnung, zum anderen zu einer immer größeren Autonomie (vgl. Schörnig 2012, S. 34ff.). Infolge des massiven Einsatzes bewaffneter Drohnen durch die USA gegen Al Qaida und die Taliban in Afghanistan sowie im Norden Pakistans 46 gelangten unbemannte Waffensysteme in den Fokus der Öffentlichkeit (vgl. 144 7 Austragungsformen von Konflikten <?page no="145"?> Oeter 2014, S. 36). Nach dem Bericht des Bureau of Investigative Journalism sind zwischen 2015 und 2020 allein in Afghanistan bei US-amerikanischen Einsätzen 4.126 bis 10.076 Menschen getötet (davon 300 bis 909 Zivilisten) und 658 bis 1.769 verletzt worden (The Bureau of Investigative Journalism 2020; Stand 1. Juli 2020). Eng damit verbunden sind Diskussionen um das sogenannte targeting killing. Auch der Ukrainekrieg zeigt, welchen Stellenwert Kampf- und Aufklärungsdrohnen mittlerweile einnehmen; dort sind sie zu einem wesentlichen Bestandteil der Kriegsführung beider Seiten geworden (vgl. u.a. Kreowski 2022). Neben der Bewaffnung unbemannter Systeme ist ein Trend zu einer immer größeren Autonomie zu verzeichnen. Der Übergang von automatisierten zu autonomen Systemen ist fließend. Der Unterschied bemisst sich daran, wie hoch der Grad menschlicher Beteiligung am System ist. Verbreitet ist ein dreistufiger Ansatz (Human Rights Watch 2012; vgl. auch Dickow 2015; Geiß 2015; Franke 2016), der zwischen nicht-autonomen, semi-autonomen und autonomen Systemen unterscheidet: ▸ Nicht-autonome Systeme erfordern - wenn auch in großer Distanz - über eine Fernsteuerung einen menschlichen Bediener (human in the loop). ▸ Bei semi-autonomen Systemen werden die Einsätze autonom ausge‐ führt, aber durch den Menschen überwacht; dabei kann der Mensch jederzeit in die Autonomie des Systems eingreifen und eine Verhaltens‐ änderung bewirken (human on the loop). ▸ Vollautonome Systeme, die gegenwärtig noch nicht existieren, agieren ohne die Steuerung oder Kontrolle durch die Anwenderin und den Anwender. Hier kann der Mensch nur durch einen Veto-Befehl - der gegebenenfalls temporär aus technischen oder operativen Gründen nicht wahrgenommen werden kann - in die Funktionsweise eingreifen (human out of the loop). Auch Michael Funks Kategorisierung (2017, S. 166ff.) basiert auf diesem dreistufigen Ansatz, wobei er auch die historischen Entwicklungsstufen in den Blick nimmt und die unbemannten Systeme in diesem Kontext verortet (vgl. Abbildung 20). 7.1 Unbemannte Waffen und der Trend zu ihrer Autonomisierung 145 <?page no="146"?> Formen technischer Werkzeuge (Kategorien 1-6) Energie Bewegung/ Prozess Intention/ Rahmen - Routine Problemlösung Ziel/ Zweck Kontrolle/ Eingriff vormodern/ modern 1 Handwerkzeug Menschlicher Leib (Faustkeil etc.) 2 Maschine Zeug Menschlicher Leib 3 Automat Zeug Menschlicher Leib hypermodern 4 eingebettete technische Autonomie Zeug Drohne Menschlicher Leib 5 technische Semiautonomie Zeug Drohne Menschlicher Leib Postulat 6 technische Autonomie „Zeug“ (? ) Abbildung 20: Formen technischer Werkzeuge nach Michael Funk (2017, S. 168) 146 7 Austragungsformen von Konflikten <?page no="147"?> 47 Vgl. hierzu u. a. Schörnig (2012, 2014), Petermann (2012), Koch (2014), Oeter (2014), Ru‐ dolf (2014), Statman (2014), Dickow (2015), Geiß (2015), Franke (2016) und Bustamante (2017). Dabei nimmt er eine stufenweise aufsteigende Implementierung von Berei‐ chen menschlicher Leiblichkeit in Werkzeuge vor. Werkzeuge der Katego‐ rien 1 bis 3 gehören zu vormoderner und moderner Technik. Unbemannte Systeme stellen hypermoderne Techniken (im Sinne der Steigerung mo‐ derner Entwicklungen) dar und sind - je nach Autonomiegrad - in den Kategorien 4 bis 6 zu verorten. Gegenwärtige unbemannte Systeme bezie‐ hungsweise Drohnen gehören zu den Kategorien 4 (eingebettete technische Autonomie) und 5 (technische Semiautonomie). Autonome Waffen der Kategorie 6 existieren aktuell noch nicht; „doch mehr und mehr wird sich das Aufgabenfeld den wachsenden technologischen Fähigkeiten der Robotik anpassen“ (Dickow 2015, S. 5), sodass in den kommenden Jahren mit einer schleichenden Autonomisierung zu rechnen sein dürfte. Im Hinblick auf die zunehmende Automatisierung und Autonomisierung bewegt sich die Diskussion 47 zwischen zwei Polen: Die einen sehen darin eine Effektivitätssteigerung wie auch eine Humanisierung der Kriegsfüh‐ rung. Automatisierte Systeme entlasten den Menschen von gefährlichen, eintönigen oder auch „schmutzigen“ Aufgaben. Sie übernehmen zunehmend auch komplexe Datenauswertungen und bieten auf deren Grundlage ent‐ sprechende Handlungsoptionen an. Militärisch verbinden sich damit zwei zentrale Vorteile: Zum einen können unbemannte Systeme eingesetzt wer‐ den, ohne die eigenen Soldatinnen und Soldaten zu gefährden. Gerade in postheroischen Gesellschaften sei dieser Vorzug nicht zu unterschätzen und in der Politik ein Standardargument für deren Einsatz. Zum anderen können automatisierte Waffen, da sie im Vergleich zum Menschen weitaus mehr Informationen in kürzerer Zeit auswerten können, Reaktionszeiten und Abläufe deutlich beschleunigen. Zudem gelten automatisierte Waffen als Präzisionswaffen. Der israelische Philosoph und Ethiker Daniel Statman (2014, S. 47) sieht darin eine positive Entwicklung: „Je präziser eine Waffe ist, desto eher entspricht sie den Anforderungen in puncto Zielunterscheidung und Verhältnismäßigkeit“, würde der Einsatz ungenauerer Waffen eher mehr als weniger zivile Opfer fordern. Ronald Arkin (2010) vertritt sogar die These, dass Roboter, da sie ohne Emotionen und niedere Beweggründe agierten, die ethisch besseren Entscheidungen träfen, also die Kriegsführung humaner würde. 7.1 Unbemannte Waffen und der Trend zu ihrer Autonomisierung 147 <?page no="148"?> Gleichwohl sind unbemannte Waffensysteme hoch umstritten: Die Vor‐ züge einer fortschreitenden Automatisierung implizieren zugleich Gefahren und ethische Infragestellungen. Zum einen könne mit dieser Entwicklung ein Absinken der Hemmschwelle zum militärischen Einsatz einhergehen, seien Soldatinnen und Soldaten „mit den Konsequenzen der Gewaltein‐ wirkung nicht mehr unmittelbar konfrontiert“ (Oeter 2014, S. 39). Zum anderen verweist der Philosoph und Ethiker Bernhard Koch (2014, S. 24) auf den Umstand, dass es weniger um „Risiko-Minimierungs-Kriege“ gehe, sondern eher um „Risiko-Transfer-Kriege“. So berge eine Kriegsführung mit unbemannten Systemen die Gefahr einer Entgrenzung des Krieges. Des Weiteren wird von Kritikerinnen und Kritikern eine mangelnde Diskriminierung zwischen Kämpfer und Zivilisten angemahnt. So seien Kämpferinnen und Kämpfer in asymmetrischen Konflikten üblicherweise nicht klar von der Zivilbevölkerung zu unterscheiden - ein Problem, das sich beim Einsatz von Distanzwaffen noch potenziere (vgl. Oeter 2014, S. 37; Schörnig 2012, 50 f.). Neben Aspekten der Kompatibilität unbemannter Waffen mit dem humanitären Völkerrecht (Unterscheidungsgebot, Verhält‐ nismäßigkeitsprinzip) sind insbesondere auch offene Fragen hinsichtlich der Kontrolle und Verantwortung der neuen Waffen zu klären (vgl. Geiß 2015; König 2017). Mit steigendem Autonomisierungsgrad (bis hin zu autonomen Systemen) nimmt die Virulenz dieser Fragen zu: Wer kann beispielsweise zur Rechen‐ schaft gezogen werden, wenn autonome Waffen das falsche Ziel angreifen oder gar Zivilistinnen und Zivilisten töten? In diesem Kontext bedarf auch die neue Qualität des Gewalteinsatzes einer kritischen Reflexion: Dürfen Maschinen - so unter anderem Marcel Dickow (2015, S. 5) - über Leben und Tod von Menschen entscheiden? Angesprochen sind hiermit elementare Fragen der Menschenwürde. So könne eine Maschine sich nicht moralisch verhalten und kein „Verständnis für Sterblichkeit und den Wert des Lebens“ entwickeln (Dahlmann und Dickow 2019, S. 19). Darüber hinaus sei beim Einsatz bewaffneter unbemannter Systeme (automatisiert wie autonom) ganz grundsätzlich das ethische Rechtferti‐ gungsmuster des Tötens im Krieg infrage gestellt. Während die Soldatin und der Soldat „in einer Art institutionalisierter Notwehr“ den Gegner gezielt töten dürfe, da jener seine Gewalt sonst gegen ihn oder seine Kameraden, die er „solidarisch vor der Gewalt des Gegners zu schützen habe“, richten wird, lasse sich diese Argumentation bei unbemannten, ferngesteuerten Systemen nicht mehr anwenden. Hier stehen die Soldatin und der Soldat außerhalb 148 7 Austragungsformen von Konflikten <?page no="149"?> 48 Dieser Abschnitt stützt sich auf Werkner (2019c). der Gefahrenzone und auch in keiner unmittelbaren Solidaritätsbeziehung zu gefährdeten Kameradinnen und Kameraden (Oeter 2014, S. 39). Schließlich ergeben sich zahlreiche Herausforderungen in Rüstungs‐ fragen: Mit den neuen Waffensystemen steige die Gefahr des Wettrüs‐ tens (vgl. Schörnig 2012; Geiß 2015); eine Vielzahl der bestehenden Rüs‐ tungskontrollverträge schließen unbemannte Systeme nicht mit ein; die Dual-Use-Komponenten sowie die schnelle Weitergabe technologischen Wissens erschweren die Rüstungsexportkontrolle; auch ergeben sich Ri‐ siken der Proliferation und Missbrauchspotenziale unter anderem durch substaatliche Akteure oder Terroristen (vgl. Petermann 2012, S. 80ff.). 7.2 Der Cyberraum und die Digitalisierung der Kriegsführung Eine weitere friedenspolitische Herausforderung besteht in der Digitalisie‐ rung der Kriegsführung. Der sogenannte Cyberwar stellt - so die häufige Charakterisierung in der Literatur - neben Land, Wasser, Luft und Weltraum die „fünfte Dimension der Kriegsführung“ dar. Mit ihm verlagert sich die Kriegsführung in einen vom Menschen selbst geschaffenen virtuellen Raum, in eine nicht-physische Domäne (vgl. Taddeo 2014, S. 42; Dickow und Bashir 2016), was ihn grundlegend von herkömmlichen Kriegsformen unterscheidet. 48 Das Phänomen des Cyberwar „Der Alptraum aller Militärs: Der Feind ist unsichtbar, blitzschnell und scheinbar überall, doch nicht zu fassen. Und er kann hart zuschlagen: Die Energieversorgung großer Städte bricht zusammen, die Verkehrsregelung ebenso wie der Währungskurs an den internationalen Börsen. Nationale und globale Infrastrukturen, Wirtschaft und Politik sind von Informations‐ technik durchdrungen und Kriegsgeräte arbeiten auf informationstechni‐ scher Grundlage, alles ist mit allem vernetzt“ (Irrgang 2017, S. 101). 7.2 Der Cyberraum und die Digitalisierung der Kriegsführung 149 <?page no="150"?> Die Diskurse zum Cyberwar sind divers: Für die einen stellt dieser lediglich einen Mythos dar. Mit ihm verbinde sich vielmehr das Bestreben von Sicherheitsfirmen und Regierungen, Restriktionen von Freiheiten im Netz durchzusetzen (vgl. Dunn Cavelty 2013, S. 106f.). Auch sehen einige in die‐ sem Phänomen gewöhnliche Formen von Sabotage und Spionage (vgl. Rid 2018, S. 13). Dagegen halten Experten wie Sandro Gaycken den Cyberwar für eine real existierende Bedrohung und Sicherheitsgefahr (vgl. Gaycken und Talbot 2010, S. 32). Insbesondere ermögliche er schwächeren wie substaatli‐ chen Akteuren, mit einem relativ geringen Ressourceneinsatz dem Gegner zu schaden (vgl. Gaycken 2010, S. 104f.). Weitaus dramatischer äußern sich US-amerikanische Politiker. Nach dem damaligen Antiterror-Berater des Weißen Hauses Richard A. Clark verbinde sich mit dem Cyberwar gar die Gefahr eines „electronic Pearl Harbor“ (vgl. Linzen 2014, S. 5). Unabhängig, welcher Position man folgt, wird die zunehmende Digitali‐ sierung die Kriegsführung wesentlich prägen. Zu klären bleibt, welcher Sphäre (zivil oder militärisch) sich Cyberangriffe zuordnen lassen und wann von einem bewaffneten Angriff gesprochen werden kann, das heißt, inwieweit und ab welchem Zeitpunkt ein Cyberangriff auf die Infrastruktur eines Landes als „digitale Kriegserklärung“ (Linzen 2014, S. 2f.) aufzufassen ist. Eine allgemein verbindliche Definition des Cyberwar existiert nicht; in der Literatur finden sich verschieden enge beziehungsweise weite Ver‐ ständnisse. Einigkeit besteht allerdings darin, den Cyberwar als eine „Zu‐ standsbeschreibung eines Krieges mit Cybermitteln“ zu verstehen (Linzen 2014, S. 2), ganz im Sinne von Peter W. Singer und Allan Friedman (2014, S. 121): „The key elements of war in cyberspace all have their parallels and connections to warfare in other domains“. Das Tallinn Manual on the International Law Applicable to Cyber Warfare, eine Studie über die Anwendbarkeit des Völkerrechts auf Cyberkonflikte und Cyberkrieg, versteht unter einem Cyberangriff im Sinne eines Cyberwar „a cyber operation, whether offensive or defensive, that is reasonably expected to cause injury or death to persons or damage or destruction to objects“ (Schmitt 2013, Rule 30; identisch in der Fassung 2.0 von 2017, Rule 92). Zentral ist bei dieser Begriffsbestimmung der Aspekt der Gewaltanwendung („the use of violence against a target“; Schmitt 2017, S. 415), die einen Cy‐ berangriff beispielsweise von Cyberspionage unterscheidet. Dabei versteht das Tallinn Manual unter Gewalt nicht nur den gewaltsamen Akt selbst, sondern auch seine Konsequenzen: „‚[V]iolence‘ must be considered in the 150 7 Austragungsformen von Konflikten <?page no="151"?> sense of violent consequences and is not limited to violent acts“ (Schmitt 2013, Rule 30; 2017, Rule 92). Auch Niklas Schörnig (2019, S. 45ff.) setzt beim Ausmaß und der Zielset‐ zung der Gewaltanwendung an und nimmt fünf Abstufungen vor: ▸ den Hacktivismus, bei dem Protest oder Propaganda mit möglichst hoher Aufmerksamkeit erreicht werden soll, ▸ die Cyberkriminalität, worunter ökonomisch motivierte Attacken gegen Privatpersonen oder Unternehmen zu verstehen sind, ▸ die Cyberspionage, ein ähnliches Phänomen, ohne damit aber primär ökonomische, vielmehr politische Ziele zu verfolgen, ▸ den Cyberterrorismus mit dem Motiv, gezielt materielle oder gar physi‐ sche Schäden anzurichten, zum Beispiel durch Angriffe gegen die zivile Infrastruktur, sowie ▸ den Cyberwar, wenn ein Land einer Vielzahl von Angriffen ausgesetzt ist, die entweder physische Schäden anrichten oder darauf zielen, die Verteidigungsfähigkeit des Landes in starkem Maße zu beeinträchtigen, um so einen Angriff zu erleichtern. In diesem Sinne sollte vom Cyberwar nur im Zusammenspiel mit kinetischen Angriffen gesprochen werden. Auch wenn die Grenzen fließend sind, lassen diese Abstufungen eine differenzierte Sicht auf Cyberangriffe zu. Insbesondere dienen sie dazu, einen inflationären Gebrauch des Kriegsbegriffes zu verhindern. Mit Cyberangriffen verbinden sich vier zentrale Herausforderungen: 1. Es kommt zu einer Verschmelzung militärischer und ziviler Räume. Die Kriegsführung wird mit zivilen Mitteln geführt, sie erweist sich als „vollkommen blutlos“ (Gaycken 2014, S. 6). Ihre - zumeist zeitlich ver‐ zögerten - Wirkungen beispielsweise auf vitale Teile der Infrastruktur eines Landes können dagegen dramatisch sein. Und je nachdem, ob Cyberangriffe als zivile oder militärische Bedrohung gefasst werden, werden auch Verantwortlichkeiten und Maßnahmen zur Abwehr dieser virtuellen Angriffe unterschiedlich ausfallen (vgl. Kriesel und Kriesel 2012, S. 128f.; Theiler 2012, S. 145; PoKemptner 2014, S. 39). 2. Cyberangriffe sind durch eine hohe Wirkasymmetrie gekennzeichnet. So können schon kleine Angriffe mit wenig technischem Aufwand und geringen Kosten dramatische Wirkungen zeitigen, insbesondere wenn diese kritische Bereiche der Infrastruktur treffen. Man denke nur an den Ausfall von Wasser- oder Stromversorgungen in Großstädten oder 7.2 Der Cyberraum und die Digitalisierung der Kriegsführung 151 <?page no="152"?> Angriffe auf Chemiefabriken und Atomkraftwerke. Innerhalb weniger Tage könnten Zwischenfälle dieser Art - ganz unblutig - zu hohen Opferzahlen führen. Zugleich besteht eine „Asymmetrie der Fehlertole‐ ranz“ (Gaycken 2012, S. 99). Während die Angreiferin und der Angreifer etliche Versuche unternehmen kann, von denen nur einer seine Wirkung entfalten muss, hat die Verteidigerin und der Verteidiger zur Abwehr dieses Angriffs in der Regel nur einen Versuch und dieser müsse dann „immer erfolgreich sein“ (Gaycken 2012, S. 99). 3. Es besteht das Problem der Attributation. Das heißt: Angreiferinnen und Angreifer können im Cyberraum häufig nicht - und wenn überhaupt, dann nur mit großer zeitlicher Verzögerung - identifiziert werden. Dies ist allerdings zentral, wenn potenzielle Angreifer durch Strafen abgeschreckt werden sollen. Die fehlende Täteridentifikation lässt sich auf verschiedene Gründe zurückführen: auf „die Flüchtigkeit der physischen Spuren“ im Internet, auf den „apologetische[n] Charakter der Datenspuren“, ist der informatorische Gehalt bei Cyberangriffen grundsätzlich manipulierbar, auf den „Mensch-Maschine-Gap“, denn selbst wenn die Maschine identifiziert werden könne, sei weiterhin ungeklärt, welche Person zum entscheidenden Zeitpunkt einen Zugriff gehabt habe, und auf „die Alltäglichkeit der Waffe“, handelt es sich im Cyberwar um „handelsübliche Alltagstechnologien“ wie alltägliche PCs, USB-Sticks oder Standardprogramme (Gaycken 2012, S. 101ff.). 4. Cyberangriffe besitzen gegenüber allen konventionellen Formen der Kriegsführung einen zentralen Vorteil: Sie benötigen keine Vorwarn‐ zeiten. Digitale Erstschläge erfolgen in Bruchteilen von Sekunden. Entsprechend gering ist die Zeit, sich gegenüber diesen Angriffen zu verteidigen. Wie sieht nun der empirische Befund aus? In den vergangenen Jahren lassen sich durchaus Beispiele aufzeigen, die auf die außenpolitische Dimen‐ sion von Cyberangriffen verweisen: So hat 2007 ein Angriff auf Estland (durch kremlnahe Aktivistinnen und Aktivisten aus Russland) zentrale Regierungs- und Bankinternetseiten lahmgelegt. Weitere Angriffe gab es auf Einrichtungen in Georgien (im Kontext des Kaukasuskrieges), auf Sony (durch Nordkorea), auf das interne Kommunikationssystem des Deutschen Bundestages oder auf die Energieversorgung in der Ukraine. Mit Stuxnet haben es US-amerikanische und israelische Militärs und Nachrichtendienste im Juni 2010 sogar erreicht, mit Hilfe einer Schadstoffsoftware in das 152 7 Austragungsformen von Konflikten <?page no="153"?> Netz der Urananreicherungsanlage in Natanz im Iran einzudringen und einige hundert Zentrifugen zu zerstören. Stuxnet gilt als die „erste digitale, zielgerichtete ‚Cyberwaffe‘“ (Neuneck 2017, S. 809). Die Staaten reagieren zum einen mit geheim- und nachrichtendienstli‐ chen Maßnahmen, zum anderen mit einer zunehmenden Militarisierung des Cyberraums (vgl. Heintschel von Heinegg 2015). So haben mittlerweile zahlreiche Länder - auch die Bundesregierung - in ihren Streitkräften Cyberkommandos eingerichtet. Darüber hinaus hat der NATO-Gipfel 2016 in Warschau Cyberangriffe als militärische Aktion bewertet, die nach Art. 5 des NATO-Vertrages auch den Bündnisfall auslösen kann. Diese Militarisierung der Cybersicherheit ist nicht unproblematisch, verbinden sich mir ihr nicht unerhebliche Probleme: Zunächst zeitigt sie Tendenzen eines digitalen Rüstungswettlaufs. Des Weiteren stellen sich grundlegende völkerrechtliche Anfragen: Zum einen machen die Attributa‐ tion und die völkerrechtlich notwendige Zurechnung eines Cyberangriffs zu einem Staat die Anwendung des Selbstverteidigungsrechts schwierig; zum anderen setzt die zeitlich versetzte Wirkung von Cybergriffen (beispiels‐ weise bei Angriffen auf vitale Teile der Infrastruktur) der Selbstverteidigung enge Grenzen. So wird „ein primär reaktiver Ansatz […] regelmäßig nicht genügen, um Sicherheitsbedrohungen aus dem Cyberspace effektiv zu begegnen“ (Kreuzer 2019, S. 82). 7.3 Die Militarisierung des Weltraums Weniger im Fokus der Aufmerksamkeit steht eine weitere Entwicklung: die Militarisierung des Weltraums. Solche Programme sind nicht neu: 1983 - zu Hochzeiten des Ost-West-Konfliktes - kündigte der damalige US-ameri‐ kanische Präsident Ronald Reagan die Strategic Defense Initiative (SDI) an. Das sogenannte Star-Wars-Programm sollte sowjetische Interkontinentalra‐ keten abfangen. Zu seiner Umsetzung kam es letztlich nicht und mit dem Ende des Kalten Krieges gerieten derartige Programme auch weitgehend aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit. 35 Jahre später, am 18. Juni 2018, kündigte der US-amerikanische Präsident Donald Trump an, bis Ende 2020 eine Weltraumarmee (Space Force) als eigene Teilstreitkraft aufzubauen mit dem erklärten Ziel, den Weltraum zu dominieren. Bereits ein Jahr später nahm das United States Space Command seine Arbeit auf. Auch andere Staaten sehen den Weltraum als einen neuen Bereich der Konfrontation 7.3 Die Militarisierung des Weltraums 153 <?page no="154"?> an. So gibt es beispielsweise in Frankreich oder auch in Deutschland ein militärisches Weltraumkommando. Und auch die NATO hat 2019 mit ihrer Weltraumstrategie den Weltraum zu einer militärischen Sphäre erklärt; danach soll es künftig neben Heer, Luftwaffe, Marine und Cyber auch eine Teilstreitkraft Weltraum geben (vgl. Hagen 2015; Deutscher Bundestag 2018, S. 4f.; 2020, S. 1f.; ZDF 2019). Zu den führenden Weltraumnationen gehören aber auch Länder wie Russland, China und Indien - Staaten, die geo‐ politische Konstellationen und machtpolitische Gleichgewichte nachhaltig beeinflussen können. Die Nutzung des Weltraums erweist sich für das 21. Jahrhundert als es‐ senziell. Der Weltraum stellt eine klassische Dual-Use-Domäne dar, das heißt eine Sphäre, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt wird. Im zivilen Bereich spielt der Weltraum bei der Datenübermittlung, Kommunikation und Beobachtung eine zentrale Rolle; mittlerweile zählen Satelliten zur kritischen Infrastruktur (vgl. Neuneck 2008, S. 130; Mutschler 2013, S. 7ff.). Der Weltraum - eine kritische Infrastruktur „Das öffentliche Leben würde buchstäblich aus dem Takt geraten: Ampeln und Signale im Schienenverkehr, die über GPS synchronisiert werden, würden den Dienst verweigern, Geldautomaten wären funktionsunfähig, Kartenzahlung wäre nicht mehr möglich. Die globalen Finanzmärkte, die zu großen Teilen von präzisen Zeitsignalen aus dem Weltraum abhän‐ gig sind, würden ebenso zusammenbrechen wie mancherorts die Strom‐ netze. Ohne funktionierende Kommunikationssatelliten würden zudem Mobilfunknetze und Internetverbindungen ausfallen. Innerhalb weniger Stunden käme es zu schwerwiegenden Unfällen etwa im Flugverkehr, wo Piloten plötzlich ohne Navigations- und Wetterdaten auskommen müssten“ (Becker 2019, S. 62). Bislang ist ein derartiges Szenario noch nicht eingetreten, aber es zeigt die Abhängigkeit des zivilen und kommerziellen Bereichs des Lebens von satellitengestützten Daten auf. Satelliten stellen ein sehr „transparentes Medium“ dar (Neuneck 2008, S. 130); ihre kreisförmigen Bahnen sind gut zu bestimmen und gegenüber äußeren Einflüssen (beispielsweise Kollisionen mit anderen Objekten) nur schlecht zu schützen (vgl. Neuneck 2008, S. 130). 154 7 Austragungsformen von Konflikten <?page no="155"?> Gegenwärtig bestehen drei Tendenzen beziehungsweise Herausforderun‐ gen bei der (zivilen) Nutzung des Weltraums (vgl. Mutschler 2013; Becker 2019, S. 63ff.): 1. die Kommerzialisierung der internationalen Raumfahrt: Seit dem Ende des Kalten Krieges wächst die Weltraumnutzung kontinuierlich. Sie hat mittlerweile zu einer Vervielfachung der Satelliten im Orbit geführt. Praktisch nutzen alle Länder - und nicht nur staatliche, sondern auch nichtstaatliche Akteure - satellitengestützte Dienste; gegenwärtig ver‐ fügen mehr als 60 Staaten über eigene Satelliten. Gab es im 2018 insgesamt 1.886 Satelliten, ist die Anzahl innerhalb von nur fünf Jahren auf 7.560 angestiegen. Die meisten Satelliten besitzen die USA (5.184), China (628) und Russland (181) (Stand: 1. Mai 2023, Union of Concerned Scientists). Mit dieser Entwicklung gehen dann auch zunehmende Pro‐ bleme hinsichtlich der Verkehrssicherheit einher. 2. die Zunahme des Weltraumschrotts: Das umfasst „von Menschen er‐ zeugte Gegenstände im All oder abgebrochene Teile von Weltraum‐ gegenständen, die nicht mehr funktionstüchtig sind und auch keine Funktionstüchtigkeit mehr erlangen können“ (Deutscher Bundestag 2018, S. 12). Mit der steigenden zivilen, kommerziellen und militärischen Nutzung des Weltraums nimmt dieser zu. Angesichts der Geschwindig‐ keit, mit der diese Gegenstände im Orbit unterwegs sind, können schon kleine Teile schwere Schäden anrichten. Zudem setzen Kollisionen von Satelliten, deren Wahrscheinlichkeit infolge ihrer größeren Dichte steigt, immense Mengen an Weltraumschrott frei. 3. der Rüstungswettlauf im Weltraum: Die friedliche und zivile Nutzung des Weltraums würde durch einen Rüstungswettlauf im Orbit herausgefordert, auch erhöhten sich dadurch noch einmal die Gefahren von Kollisionen sowie durch Weltraumschrott, bei denen Satelliten zerstört oder auch ganze Bereiche des erdnahen Weltraums unbenutzbar werden könnten. Die politischen Pläne und militärischen Programme der letzten Jahre lassen eine solche Entwicklung - noch verschärft durch den Ukrainekrieg - als reale Gefahr erscheinen. Die Auswirkungen wären global: Da der Weltraum keine nationalen Grenzen kennt, würden auch unbeteiligte Akteure von einem militärisch im Weltraum ausgetragenen Konflikt potenziell unmittelbar betroffen sein. Inwieweit ist der Weltraum schon zu einer militärischen Domäne geworden? Prinzipiell müssen im militärischen Bereich zwei Formen der Nutzung des 7.3 Die Militarisierung des Weltraums 155 <?page no="156"?> Weltraums unterschieden werden: zum einen die militärische Nutzung von Satellitenfunktionen im Orbit („military use of space resources“, Zhao und Jiang 2019, S. 51), zum anderen die Entwicklung und Installation von Weltraumwaffen („to develop and install weapons either in outer space or on earth with the target in outer space“, Zhao und Jiang 2019, S. 51). In der Literatur findet sich hierfür bisweilen auch die Unterscheidung zwischen „space militarization“ und „space weaponization“ (Zhao und Jiang 2019, S. 51). Im militärischen Alltag ist die erste Form („military use of space recour‐ ces”) inzwischen unverzichtbar: für die Datenübermittlung, Kommunikation, Aufklärung, Navigation und Überwachung. Dabei spielt das Global Positioning System (GPS) eine zunehmende Rolle. Das folgende Beispiel verdeutlicht diese Entwicklung: Während der Anteil gelenkter Munition (mit GPS-Signalen) im US-amerikanischen Militär im Zweiten Golfkrieg 1991 lediglich acht Prozent betrug, erhöhte sich dieser Anteil im Kosovokrieg 1999 auf 28 Prozent, im Afghanistaneinsatz 2001 auf 52 Prozent und im Irakkrieg 2003 auf 64 Prozent (vgl. Hansel 2010, S. 267). Dabei steigert sich auch stetig „der anteilige Rückgriff auf kommerzielle Übertragungskapazitäten“: von 15 Prozent während der Operation Desert Storm über 60 Prozent während der Operation Allied Force bis zu 80 Prozent während der Operation Iraqi Freedom (Hansel 2010, S. 267). Weltraumwaffen „Als Weltraumwaffen gelten zum einen bewaffnete Systeme wie waffentra‐ gende Satelliten, die im Weltraum stationiert sind, und bewaffnete Raumglei‐ ter, also Flugkörper, die längere Zeit im Weltraum um die Erde kreisen. Solche Systeme könnten Ziele im Weltraum selbst und/ oder Ziele auf der Erde angreifen. Zum anderen gehören auch bodengestützte Raketen, die zum Beispiel gegen Satelliten eingesetzt werden können, zu dieser Kategorie“ (BICC 2013). „A space weapon is a device stationed in outer space […] or in the earth environment designed to destroy, damage or otherwise interfere with the normal functioning of an object or being in outer space, or a device stationed in outer space designed to destroy, damage or otherwise interfere with the normal functioning of an object or being in the earth environment. Any other device with the inherent capability to be used as defined above will be considered as a space weapon” (Chanock 2013, S. 695). 156 7 Austragungsformen von Konflikten <?page no="157"?> Davon zu unterscheiden ist die Bewaffnung des Weltraums („space weapo‐ nization“). Im Gegensatz zur ersten beschriebenen Form der militärischen Nutzung zeichnen sich Weltraumwaffen durch ihre Intention des direkten Schädigens und Zerstörens aus. Es gibt verschiedene Kategorien von Weltraumwaffen. Zum einen lassen sie sich im Hinblick auf geografische Aspekte kategorisieren. Hier existieren drei Optionen, die bereits in den obigen Definitionen anklingen: from space to space, from space to earth sowie from earth to space. Waffen wie beispielsweise bodengestützte Interkontinentalraketen, die sich gegen Ziele auf der Erde richten, zählen, auch wenn sie durch den Weltraum fliegen, im Allgemeinen nicht zu Weltraumwaffen (vgl. BICC 2013). Zum anderen lassen sich Weltraumwaffen nach ihren Technologien differenzieren (vgl. Neuneck 2008, S. 134ff.; Mutschler 2010, S. 3ff.). Dazu zählen insbesondere: ▸ Nuklearexplosionen: Eine im Weltall ausgelöste Nuklearexplosion kann infolge ihrer radioaktiven Strahlung Satelliten und ihre Umgebung auf viele Jahre hin schädigen oder zerstören. ▸ Strahlenwaffen: Dazu gehören Waffen, die durch Laser oder Mikrowel‐ len einen gezielten Strahl erzeugen und auf diese Weise Satelliten blenden oder auch (durch Hitze beziehungsweise Schmelzen) zerstören können. ▸ kinetisch wirkende Waffen: Hierbei erfolgen Zerstörungen durch direkte Aufpralle, die angesichts der genauen Vorausberechnung der Bahnen und der Leichtbauweise der Satelliten relativ leicht zu erzeugen sind. Welche Weltraumwaffen bereits verfügbar sind, lässt sich schwer exakt ermitteln. Zum einen handelt es sich um Dual-Use-Objekte, die sich sowohl in der zivilen Raumfahrt als auch für die Kriegsführung einsetzen lassen, zum anderen unterliegt die Entwicklung dieser Waffen einer strengen Geheimhaltung. Bereits entwickelt und getestet worden sind Antisatelliten‐ waffen. Sie zielen darauf, die Satelliten des Gegners zu zerstören oder funk‐ tionsunfähig zu machen. Bei Antisatellitenraketen (ASAT-Raketen) erfolgt dies auf kinetischem Wege, das heißt durch direkten Aufprall. Die führenden Weltraumstaaten - USA, Russland und China - haben „ihre Fähigkeit zum Satellitenkrieg“ allesamt demonstriert (Hagen 2015, S. 16). Russland und die USA führten bereits zu Zeiten des Kalten Krieges Tests durch. 2007 schoss China einen eigenen, ausgedienten Satelliten ab. 2008 zerstörten die USA einen ihrer Spionagesatelliten, zu dem der Kontakt abgebrochen 7.3 Die Militarisierung des Weltraums 157 <?page no="158"?> war. Und jüngst testeten sowohl China (2018) als auch Russland (2018) ihre neuesten ASAT-Raketen. Aber auch Indien gab bekannt, im März 2019 erfolgreich einen Testsatelliten in niedriger Umlaufbahn abgeschossen zu haben (vgl. Hagen 2015, S. 16; Huber 2019). Neben Antisatellitenwaffen sind weltraumgestützte Waffen denkbar. Hierbei handelt es sich um Waffen, die im Weltraum stationiert sind und von dort aus Ziele im Orbit oder auf der Erde angreifen können. Diese existieren bislang noch nicht. Am wahrscheinlichsten scheinen hier weltraumgestützte Laserwaffen, die die USA bereits erfolgreich getestet haben (vgl. Huber 2019). Mit Weltraumwaffen verbinden sich verschiedene Funktionszuschrei‐ bungen. Zunächst fällt hierunter die aktive Kontrolle des Weltraums. Diese umfasst vier Komponenten (vgl. Hansel 2010, S. 273): ▸ Surveillance: Maßnahmen zur Überwachung des Weltraums, um Gefah‐ ren zu erfassen und näher zu bestimmen, ▸ Protection: Maßnahmen zum Schutz der eigenen Systeme, ▸ Prevention: vorbeugende Maßnahmen, damit die eigenen Fähigkeiten oder die Fähigkeiten Dritter nicht durch die Gegnerin oder den Gegner genutzt werden können, sowie ▸ Negation: Maßnahmen, um zu verhindern, dass die Gegnerin oder der Gegner seine eigenen Fähigkeiten zum Einsatz bringen kann. Die Implementierung dieser Aufgaben kann defensiv wie offensiv erfolgen und mit diplomatischen, wirtschaftlichen oder aber auch mit militärischen Mitteln erfolgen. Die ambitionierten Pläne der USA gehen aber noch weiter. Mit dem Aufbau einer Weltraumarmee beabsichtigen sie nicht nur die Kontrolle, sondern die Dominanz im Weltraum. So erklärte Donald Trump anlässlich der Errichtung des U.S. Space Command: „With today’s action, we open another great chapter in the extraordinary history of the United States military. SPACECOM will ensure that America’s dominance in space is never questioned and never threatened, because we know the best way to prevent conflict is to prepare for victory“ (The White House 2019). Internationale Verträge setzen einer Militarisierung im Weltraum gewisse Grenzen, erweisen sich aber auch als labil. Der Weltraumvertrag von 1967 - die sogenannte Magna Charta des Weltraums - ist bislang von 112 Staaten ratifiziert worden, darunter auch von jenen Staaten, die militärische Ambitionen im Weltraum verfolgen (wie den USA, Russland und China). Mit ihm verpflichten sich die Staaten im Interesse der gesamten Menschheit zur 158 7 Austragungsformen von Konflikten <?page no="159"?> ausschließlich friedlichen Nutzung des Weltraums (das Common Heritage of Mankind- oder kurz: CHOM-Prinzip). Der Weltraumvertrag untersagt eine Militarisierung des Mondes und anderer Himmelskörper wie auch eine Stationierung von Massenvernichtungswaffen - insbesondere von Nukle‐ arwaffen - im Orbit. Jedoch sind weder das Durchqueren des Weltraums mit nuklear bestückten Raketen zu Angriffs- oder Raketenabwehrzwecken noch die Verwendung und Stationierung konventioneller Weltraumwaffen verboten. Die völkerrechtliche Debatte um eine aktive militärische Nutzung des Weltraums entfacht sich insbesondere an der Auslegung des Gebots der „friedlichen Nutzung“ des Weltraums nach Art. IV des Weltraumvertrages. Speziell die USA interpretieren „friedliche Nutzung“ im Sinne von „nicht aggressiv“, womit eine militärische Nutzung des Weltraums zu Selbstver‐ teidigungszwecken nicht ausgeschlossen wäre (vgl. Deutscher Bundestag 2018, S. 8). Unwidersprochen ist diese Interpretation nicht; Kritikerinnen und Kritiker bezeichnen diese Sichtweise auch als „unnecessary, wrong, and potentially noxious“ (Mosteshar 2019). Neben dem Weltraumvertrag erwies sich der ABM-Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion von 1972 als zentral - der erste Vertrag, der nicht Offensiv-, sondern Defensivwaffen begrenzte. Er erlaubte eine begrenzte Anzahl von Raketenabwehrstellungen auf dem Land, verbot aber vorbeu‐ gend eine Stationierung auf Schiffen, in Flugzeugen und im Weltraum. Damit sollte die gegenseitige Verwundbarkeit der Großmächte erhöht und ein nuklearer Erstschlag verhindert werden. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kündigten die USA diesen Vertrag auf. Während die internationale Gemeinschaft seit Jahren auf ein Verbot von Weltraumwaffen drängt, weigern sich insbesondere die USA, sich in ihrer militärischen Handlungsfähigkeit bei weltraumgestützter Raketenabwehr, Antisatellitenwaffen und Weltraumwaffen gegen Luft- und Bodenziele zu beschränken (vgl. Altmann et al. 2017, S. 118). Ihre Programme zielen darauf, die eigene Verwundbarkeit zu reduzieren. Das gilt nicht nur für den Schutz ihrer militärischen Objekte im Orbit, sondern auch der zivilen, „[bestehen] Anreize für einen terroristischen Angriff […] weniger in der militärischen, sondern weit mehr in der gesellschaftlichen Abhängigkeit der USA von ihren Weltraumfähigkeiten“ (Hansel 2010, S. 271). Im Ergebnis führt dies zu einer weiteren Asymmetrierung der Kriegsführung. 7.3 Die Militarisierung des Weltraums 159 <?page no="160"?> 7.4 Fazit Technologische Innovationen haben von jeher die Kriegsführung und den Konfliktaustrag beeinflusst. Im 20. Jahrhundert war es die Atomwaffe, die den Ost-West-Konflikt nachhaltig prägte und die weltpolitische Konstella‐ tion bis heute prägt. Das 21. Jahrhundert zeichnet sich insbesondere durch Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechno‐ logien aus, die - militärisch genutzt - die Sicherheitspolitik herausfordern können. Dazu zählen unbemannte Waffen und der Trend zu ihrer Autono‐ misierung, der Cyberraum und die Digitalisierung der Kriegsführung sowie die jüngsten Programme zu einer Militarisierung des Weltraums. Mit ihnen einher geht: ▸ ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Zivilem und Militärischem: Es sind allesamt Dual-Use-Technologien, die von staatlichen wie nicht‐ staatlichen Akteuren für zivile, kommerzielle und militärische Zwecke nutzbar gemacht werden können. Das erschwert Abrüstungs- und Rüstungskontrollbemühungen. ▸ ein Wandel der Streitkräfte: „Die Massenarmeen des 20. Jahrhunderts werden im Zuge der digitalen Revolution mehr und mehr von High‐ tech-Armeen abgelöst“ (Neuneck 2014). US-Expertinnen und Experten sprechen inzwischen von einer „Revolution in Military Affairs“ (vgl. Neuneck 2014). ▸ eine Veränderung der Kriegsführung: Verwundbarkeiten werden einseitig minimiert und Asymmetrien verstärkt. Das macht sie für technisch hochgerüstete westliche Staaten attraktiv: „Der ‚postheroische‘ Westen wird schon deshalb nicht auf Hochtechnologie verzichten, um die eigenen Verluste zu minimieren und der Öffentlichkeit Waffengänge so überhaupt vermitteln zu können“ (Neuneck 2014). Das erweist sich durchaus als ambivalent, handelt es sich hierbei häufig nicht um „Risi‐ kominimierung“, sondern um „Risikotransfer“ (vgl. Koch 2014). ▸ eine Ausdehnung der Dimensionen der Kriegsführung: Bei den Sphären des Cyber- und Weltraumes handelt es sich um „gemeinschaftsfreie Räume“ (Neuneck 2014): zahlreiche Staaten haben Zugang zu diesen Räumen, in ihnen fehlen nationale Grenzen, das Agieren erfolgt global. Die Einführung dieser Waffensysteme ist umstritten. Argumentativ lassen sich drei Zugänge beziehungsweise Theorieschulen ausmachen (vgl. Moltz 2019, S. 23ff.): 160 7 Austragungsformen von Konflikten <?page no="161"?> ▸ ein Nationalismus, der basierend auf realistischen Grundannahmen auf Dominanz und geopolitische Vorteile setzt und vor diesem Hintergrund die Einführung der neuen Systeme für die eigene Sicherheit als essenziell ansieht; ▸ ein technologischer Determinismus, der gleichfalls eine Bewaffnung für unvermeidbar hält, allerdings weniger aus politischen Gründen als vielmehr aus einem technologischen Determinismus heraus, sowie ▸ ein globaler Institutionalismus, der die Etablierung internationaler Institu‐ tionen und Vereinbarungen zur Durchsetzung eines Verbots destruktiver Waffen für unerlässlich erachtet (auch unter Verweis auf das Konzept der gemeinsamen Sicherheit, vgl. Wolter 2003). Friedenspolitisch wird es darauf ankommen, die destruktiven Seiten der neuen technologischen Entwicklungen nicht zum Tragen kommen zu las‐ sen. Hier verorten sich dann auch Bemühungen um ein vorzeitiges Verbot von autonomen oder auch weltraumgestützten Waffen. Weiterführende Literatur: Werkner, Ines-Jacqueline und Marco Hofheinz (Hrsg.). 2019. Unbemannte Waf‐ fen und ihre ethische Legitimierung. Wiesbaden: Springer VS. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes nehmen unbemannte Waffensysteme in den Blick. Sie diskutieren Fragen der Veränderung der Kriegsführung und ihrer Legitimität, strategische und sicherheitspolitische Aspekte, völkerrechtliche Dimensionen sowie Rüstungskontrollfragen. Werkner, Ines-Jacqueline und Niklas Schörnig (Hrsg.). 2019. Cyberwar - die Digitalisierung der Kriegsführung. Wiesbaden: Springer VS. Ausgehend von einer begrifflichen Differenzierung reflektieren die Autorinnen und Autoren die Herausforderungen im Cyberraum aus technologischer, friedenspoliti‐ scher, völkerrechtlicher, rüstungspolitischer und theologischer Perspektive. Moltz, James Clay. 2019. The Politics of Space Security: Strategic Restraint and die Pursuit of National Interests. 3. Aufl. Stanford: Standford University Press. Der Autor nimmt die politischen Strategien der militärischen Nutzung des Weltraums der letzten sechzig Jahre in den Blick und untersucht die Hintergründe, die in früheren Phasen zu ihrer Begrenzung geführt haben, mittlerweile aber in Richtung einer Weltraumbewaffnung deuten. 7.4 Fazit 161 <?page no="163"?> Part III: Friedensstrategien <?page no="165"?> 8 Frieden durch Abschreckung In jüngster Zeit finden sich verstärkt Bemühungen, „die in den Großtheo‐ rien der Internationalen Beziehungen bisweilen nur implizit enthaltenen Aussagen zu den Voraussetzungen für Frieden expliziter herauszuarbeiten“ (Kahl und Rinke 2019, S. 65). Diese prägen die Debatte in besonderer Weise. Ein solcher Zugang weist zudem den Vorteil auf, Friedensstrategien systematischer in den Blick zu nehmen, zielgerichteter zu verorten und in ihren Grundannahmen und Wirkungen klarer differenzieren zu können. Die (neo)realistische Denkschule war über einen langen Zeitraum des Kalten Krieges das in der politischen Praxis vorherrschende Paradigma. Dazu haben wesentlich die bipolare Struktur und der Systemantagonismus beigetragen. Ausdruck fand es in der Gleichgewichts- und Abschreckungs‐ politik. Mit der einsetzenden Entspannungspolitik, spätestens aber mit dem Ende des Ost-West-Konflikts durchbrachen institutionalistische, liberale wie auch zunehmend konstruktivistische Ansätze diese (neo)realistische Dominanz. Jedoch scheinen die gegenwärtigen Machtverschiebungen im internationalen System und Auseinandersetzungen um die internationale Vormachtstellung (USA/ Westen - Russland - China; vgl. Kap. 6.2.1) - insbesondere aber auch der Ukrainekrieg - zu einer Rückkehr der Geopolitik geführt zu haben und damit (neo)realistische Strategien wieder zu begüns‐ tigen. Das (neo)realistische Paradigma ist in der Friedensforschung hoch um‐ stritten, dabei wird ihm vielfach seine Friedensfähigkeit abgesprochen. Kritisiert wird insbesondere das in der Abschreckung angelegte immanente Auseinanderdriften von Ziel und Mittel im Sinne der Maxime „Si vis pacem, para bellum“ (Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor). Diese Kritik findet ihren Kulminationspunkt in der Strategie der nuklearen Abschreckung. 8.1 Der (neo)realistische Zugang zum Frieden Der Realismus entstand in der Mitte des 20. Jahrhunderts als Reaktion auf die Krisenerfahrungen jener Zeit - das Aufkommen des Faschismus und Stali‐ nismus, das Scheitern des Völkerbundes sowie den Zweiten Weltkrieg - und als Gegenbewegung zum Idealismus mit seinen „utopischen“ Hoffnungen <?page no="166"?> auf Völkerverständigung und friedlicher internationaler Zusammenarbeit (vgl. Krell 2004, S. 62). Mit seinem Buch „Politics Among Nations: The Struggle for Power und Peace“ (1948) prägte Hans J. Morgenthau wesentlich den politischen Realismus. In Entgegensetzung zum Idealismus ging es ihm darum, die „ideologische Verbrämung zu durchschauen“ und „die wirklichen politischen Kräfte und Erscheinungen, die dahinter liegen, zu erfassen“ (Morgenthau 1963 [1948], S. 122). Sein Anspruch war es, sich nicht von einem Idealzustand leiten zu lassen, sondern von der realen politischen Si‐ tuation - das heißt der weltpolitischen Lage, so wie sie ist - auszugehen. Und diese sei stets von gegensätzlichen Interessen und Konflikten geprägt und ein Interessenausgleich immer nur vorübergehend (vgl. Krell und Schlotter 2018, S. 150). Das zentrale Charakteristikum der realistischen Denkschule ist das Machtstreben. Dabei verfolgt Morgenthau einen anthropologischen Ansatz, wonach es wesentlich in der Natur des Menschen liege, andere zu beherrschen. In diesem Punkt unterscheiden sich die realistische und neorealistische Schule voneinander. John H. Herz (1950), ein weiterer bedeutender Vertreter des Realismus und bereits Vordenker eines Neorealismus, hebt auf die Struktur des in‐ ternationalen Systems ab. Da dieses keine übergeordnete Ordnungs- und Sanktionsinstanz kenne, entstehe eine Unsicherheit, die die Staaten zwinge, selbst Vorsorge für ihre Sicherheit zu treffen. Da dies alle Staaten tun, resul‐ tiere daraus ein Sicherheitsdilemma: So verstärke sich mit der Maximierung der jeweils eigenen Sicherheit die Unsicherheit der Anderen und erhöhe wiederum deren Sicherheitsvorsorge. Letztlich führe dieser Mechanismus zu einem gegenseitigen und konkurrierenden Macht- und Rüstungswettlauf. Statt mehr Sicherheit komme es im Ergebnis zu mehr Instabilität und größerer Unsicherheit - ein Teufelskreis von Sicherheitsbedürfnis und Machtanhäufung. Der Neorealismus, entstanden mit dem Kalten Krieg und dem Ost-West-Konflikt, setzt hier an. Auch er sieht die Machtkonkurrenz in der Struktur des internationalen Systems begründet. Kenneth N. Waltz (1979), einer der führenden Vertreter des Neorealismus, differenziert zwischen Akteuren (units) und Strukturen (structure). Die zentralen Akteure sind bei Waltz - wie generell im Neorealismus - Staaten. Sie besitzen ein zentrales Bedürfnis: das Überleben. Daraus resultiere auch das Streben nach Erhalt der staatlichen Integrität und nach Sicherheit. Dabei seien Staaten in ihrem Kern identisch und unterscheiden sich lediglich in ihrer Machtfülle (capabilities) voneinander. Die politische Struktur - neben den Akteuren der zweite 166 8 Frieden durch Abschreckung <?page no="167"?> Faktor im internationalen System - zeichnet sich bei Waltz durch drei wesentliche Merkmale aus: ▸ durch Ordnungsprinzipien: So fehle es dem internationalen System im Gegensatz zur staatlichen Ordnung an einer übergeordneten Ordnungs- und Sanktionsmacht, insbesondere an einem Gewaltmonopol. Zentraler Ausgangspunkt stellt bei ihm die anarchische Ordnung des internatio‐ nalen Systems dar. ▸ durch die Eigenschaften der Akteure: Die Anarchie und die damit verbundene Unsicherheit zwinge die Staaten - in Anlehnung an John H. Herz -, sich jeweils selbst um ihr Überleben und ihre Souveränität zu kümmern - „durch Vorsorge für die Verteidigung, durch Abschreckung oder durch Bündnisse“ (Krell und Schlotter 2018, S. 159). ▸ durch deren Stärkeverhältnisse: Die Staaten unterscheiden sich in ihren zur Verfügung stehenden Machtpotenzialen voneinander. Dabei stelle die militärische Macht einschließlich technologischer Entwicklungen und Fähigkeiten (wie beispielsweise Nuklearwaffen) die zentrale Res‐ source im internationalen System dar. Die entscheidende Frage sei hierbei auch nicht, „wie viel“, sondern „wie viel mehr“ Macht ein Akteur besitze. Im Hinblick auf den Frieden zeigen sich Realismus wie Neorealismus eher pessimistisch: Frieden sei „ein stets prekärer Zustand“ (Kahl und Rinke 2019, S. 67). So verstehe sich Friedenspolitik auch vorrangig als Sicherheitspolitik (vgl. Kahl und Rinke 2019, S. 68). Nach (neo)realistischer Logik sei das zentrale Ziel der Staaten - die Stabilität und Sicherheit im internationalen System - nur über ein Mächtegleichgewicht (Balance of Power) zu erreichen: „Der Staat darf sich keiner anderen Organisation unterordnen und keine Sou‐ veränität abgeben. Um sein bloßes Überleben zu gewährleisten, sieht er sich vielmehr zu Gleichgewichtspolitik und militärischer Abschreckung gezwungen“ (Kahl und Rinke 2019, S. 69). Dabei sei Frieden - je nachdem, welche Form das internationale System an‐ nehme (uni-, bi- oder multipolar) - leichter oder auch schwerer zu erreichen beziehungsweise zu sichern. Für Kenneth N. Waltz (1979) erweist sich das bipolare System am stabilsten. In einem solchen sei die Anzahl der potenzi‐ ellen Konflikte geringer; Bipolarität erleichtere die Gegenmachtbildung und reduziere die Gefahr von Fehlkalkulationen der relativen Macht. So verband 8.1 Der (neo)realistische Zugang zum Frieden 167 <?page no="168"?> sich für ihn mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes auch die Gefahr eines Verlustes relativer Stabilität zugunsten einer neuen Unordnung. 8.2 Begriff und Funktionsweise der Abschreckung Abschreckung zählt zu den klassischen (neo)realistischen Strategien. Sie stellt ein an sich einfaches Prinzip dar: „The concept of deterrence is simple, prevention by threat. One side advertises the damaging consequences of an act, to prevent an adversary from acting” (Mandelbaum 1979, S. 47). Glenn Snyder (1960, S. 164) definiert Abschreckung in Anlehnung an Max Weber als „eine Art politischer Macht“. Abschreckung als Form politischer Macht „Wenn wir politische Macht allgemein als die Fähigkeit definieren, andere zu veranlassen, etwas zu tun oder nicht zu tun (was sie andernfalls getan oder nicht getan hätten), so ist Abschreckung einfach der negative Aspekt politischer Macht. Es ist die Macht, jemanden davon abzuhalten etwas zu tun, was den eigenen Interessen zuwiderläuft - und dies auf Grund angedrohter Sanktionen“ (Snyder 1960, S. 164; vgl. auch Senghaas 1981, S. 213). Darauf basiert auch die Definition von Klaus-Dieter Schwarz (2005, S. 5). Er fasst unter Abschreckung „die Einflussnahme auf das Verhalten ande‐ rer, um sie davon abzuhalten, etwas Unakzeptables zu tun, indem man für sie ebenfalls Unakzeptables als Erwiderung in Aussicht stellt“. Mit welchen Mitteln abgeschreckt wird, hänge dabei „vom jeweiligen Problem und Kontext der Bedrohung“ (Schwarz 2005, S. 5) ab. In diesem weiten Verständnis ist Abschreckung nicht auf das Militärische, insbesondere nicht auf das Nukleare, beschränkt, sondern umfasst ein breites Spektrum von Sanktionen. Einige Vertreterinnen und Vertreter sehen hier auch Parallelen zum kriminologischen Modell der Strafverfolgung: “[T]here is substancial evidence that in many areas of crime sentencing creates a deterrent effect“ (Freedman 2008, S. 64; vgl. auch Hoberg 2019, S. 15). 168 8 Frieden durch Abschreckung <?page no="169"?> Abschreckungsstrategien sind voraussetzungsreich; für ihr Funktionie‐ ren bedarf es notwendiger Bedingungen - und zwar auf beiden Seiten: Abschreckung und ihre wechselseitigen Perzeptionen „Abschreckung verlangt Macht, Bereitschaft, sie zu nutzen, und auf Seiten des Gegners das Bewusstsein, daß beides auf der anderen Seite vorhanden ist. Abschreckung ist darüber hinaus nicht die Summe dieser Faktoren, sondern ein Produkt aus ihnen. Sinkt einer auf Null, wird Abschreckung wirkungslos“ (Kissinger 1961, S. 24; vgl. auch Delbrück 1989). Dies impliziert einen Mechanismus der Interdependenz von Konflikt und Kooperation. Beide sind konstitutiv: „[E]einem Gegner klar zu machen, aus eigenem Interesse bestimmte Absichten aufzugeben, setzt ein zweiseitiges, kooperatives Verhältnis voraus“ (Senghaas 1981, S. 122). Abschreckung wirkt nur, solange „die Drohung der einen die Intention und das Verhalten der anderen Seite überhaupt beeinflussen kann“ (Senghaas 1981, S. 123). Dies gilt für beide Seiten; so wird auch das eigene Verhalten von dem des Gegners beeinflusst (vgl. Senghaas 1981, S. 123). Diese Form der Interdependenz setzt rational handelnde Akteure voraus. Vor diesem Hintergrund müssen Strategien der Abschreckung zumindest vier Faktoren berücksichtigen: 1. „unser Verständnis des relativen militärischen Gleichgewichts sowie der Verfügbarkeit anderer Machtinstrumente (wie etwa Sanktionen); 2. unsere Einschätzung der Grenzen unserer eigenen Entschlossenheit und die der Gegner, militärische Mittel und Sanktionen einzusetzen; 3. das Verständnis des relativen militärischen Gleichgewichts sowie der Verfügbarkeit anderer Machtinstrumente durch den Gegner; und 4. die Einschätzung unserer Entschlossenheit durch unsere Gegner, mili‐ tärische Mittel und Sanktionen einzusetzen“ (Bergeron 2018, S. 22; vgl. auch Huth 1999). Das Konzept der Abschreckung beruht damit auf drei Voraussetzungen (vgl. Haffa 2018, S. 96f.): Zum einen bedarf es der Fähigkeit. Abschreckung funktioniert nur, wenn die Mittel der Abschreckung zu jeder Zeit und in entsprechender Weise zur Verfügung stehen. Zweitens erfordert Abschre‐ ckung Glaubwürdigkeit, das heißt die „hinreichende Entschlossenheit […], 8.2 Begriff und Funktionsweise der Abschreckung 169 <?page no="170"?> wirklich militärisch aktiv zu werden, ‚if deterrence fails‘“ (Langendörfer 1987, S. 122). Und drittens benötigt Abschreckung Kommunikation. Dem potenziellen Aggressor müssen in unmissverständlicher Weise die Fähigkeit und die Bereitschaft zur Abschreckung kommuniziert werden. Von daher ist Abschreckung stets auch „ein psychologisch-politischer Akt“ (Krause 2015, S. 2). Abschreckungskonzeptionen variieren, je nachdem, vor was und wie abgeschreckt werden soll. In der Literatur lassen sich vier zentrale Unter‐ scheidungen identifizieren (vgl. u. a. Freedman 2008, S. 32ff.; Mazarr 2018, S. 2ff.: Schwarz 2005, S. 9ff.): ▸ enge versus weite Formen der Abschreckung: Abschreckung kann begriff‐ lich enger und weiter gefasst sein und verschiedene Reichweiten besit‐ zen. Sie kann eng ausgerichtet sein, indem sie ausschließlich militärische Maßnahmen der Abschreckung einschließt: „The narrowest definitions hold that deterrence refers solely to military tools of statecraft - using the threat of military response to prevent a state from taking an action“ (Mazarr 2018, S. 4). Oder sie kann weiter ausgelegt sein und den Gegner auch mit nicht-militärischen Mitteln von einer militärischen Aktion abzuhalten beabsichtigen: „A broader conception keeps the focus on threats but expands the scope to nonmilitary actions: A state can deter using threats of economic sanctions, diplomatic exclusion, or informa‐ tion operations“ (Mazarr 2018, S. 4). Bei diesem weiten Verständnis ist allerdings der Grat zwischen Abschreckung (jemanden von einer Aktion abhalten) und Erzwingung (jemanden zwingen, sein Verhalten zu ändern) relativ schmal (vgl. Schwarz 2005, S. 10f.). ▸ unmittelbare versus allgemeine Abschreckung: Ersteres beinhaltet die Abschreckung in einer akuten Krise: „Immediate deterrence represents more short-term, urgent attempts to prevent a specific, imminent attack“ (Mazarr 2018, S. 4). Letzteres - und das ist der vorherrschende Typus - richtet sich gegen eine fortwährende Bedrohung: „General deterrence is the ongoing, persistent effort to prevent unwanted actions over the long term and in noncrisis situations“ (Mazarr 2018, S. 4). ▸ direkte und erweiterte Abschreckung: Direkte Abschreckung beinhaltet die Abschreckung zum Schutz des eigenen Staates; erweiterte Abschre‐ ckung schließt den Schutz anderer mit ein: „Direct deterrence consists of efforts by a state to prevent attacks on its own territory […]. Extended deterrence involves discouraging attacks on third parties, such as allies 170 8 Frieden durch Abschreckung <?page no="171"?> or partners“ (Mazarr 2018, S. 3). Ein prominentes Beispiel für Letztere stellt der nukleare Schutzschirm der USA über die NATO-Verbündeten zu Zeiten des Kalten Krieges dar. Die Wirkung der erweiterten Abschre‐ ckung ist aber nicht unumstritten; so dürfte sich deren Glaubwürdigkeit - insbesondere in heutigen Zeiten - als geringer erweisen. ▸ Verweigerung versus Bestrafung: Der erste Ansatz setzt auf Erfolgsver‐ weigerung. Diese beruht auf der Fähigkeit, einen potenziellen Angriff militärisch erfolgreich verteidigen zu können: „Deterrence by denial strategies seek to deter an action by making it infeasible or unlikely to succeed, thus denying a potential aggressor confidence in attaining its objectives” (Mazarr 2018, S. 2). Der zweite Ansatz basiert auf Bestra‐ fung und Vergeltung: „Deterrence by punishment […] threatens severe penalties, such as nuclear escalation or severe economic sanctions, if an attack occurs. […] The focus of deterrence by punishment is not the direct defense of the contested commitment but rather threats of wider punishment that would raise the cost of an attack” (Mazarr 2018, S. 2). Abschreckung ist damit ein durchaus facettenreiches Phänomen. Sie kann mit verschiedenen Mitteln, in unterschiedlicher Reichweite und in diversen Konstellationen zur Geltung kommen: „Abschreckung wird daher missverstanden, wenn man sie auf die militärische Sicherheitspolitik reduziert, wie es in der Zeit des Kalten Krieges weithin üblich war, oder sie als ein typisches Element traditioneller Machtpolitik begreift, die Gewalt androht oder einsetzt, um Vorteile zu erringen und Nachteile zu vermei‐ den. Ihr Gehalt ist wesentlich umfassender und beruht auf dem Einsatz vielfältiger und sich ergänzender Machtmittel, nicht nur der ‚harten‘, sondern auch der ‚weichen‘ Macht der Diplomatie, mit der sie bei der Verfolgung außenpolitischer Interessen und der Gestaltung internationaler Ordnung eng zusammenwirkt“ (Schwarz 2005, S. 11). Und auch wenn Abschreckungstheorien in den bipolaren Zeiten des Kalten Krieges häufig auf zwei Akteure beschränkt waren, kann Abschreckung zugleich in mehrdimensionalen und multipolaren Strukturen erfolgen. Das erhöht die Komplexität, verändert aber nicht das Prinzip der Abschreckung. 8.2 Begriff und Funktionsweise der Abschreckung 171 <?page no="172"?> 8.3 Nukleare Abschreckung Ungeachtet der Weite des Anwendungsbereiches fokussieren viele der Vertreterinnen und Vertreter von Abschreckungstheorien - und das sowohl im akademischen als auch im politischen Feld - auf eine spezifische Form: auf die nukleare Abschreckung. Das ist insbesondere der atomaren Gefahr zu Zeiten des Kalten Krieges geschuldet. Angesichts der Zerstörungskraft der Atombombe sei - so Georg Picht (1971, S. 24) zu Hochzeiten des Ost-West-Konfliktes - die Alternative zum Frieden nicht mehr der Krieg, sondern der „biologische Untergang der Menschheit“. Das unterscheidet nukleare Abschreckung von ihren konventionellen Formen und zeigt in besonderer Weise die friedenspolitischen Dilemmata eines solchen Ansatzes auf. Sie ist „wahrscheinlich das einzige politische Konzept, das total versagt, wenn es nur zu 99,9 Prozent erfolgreich ist“ (Wieseltier 1984, S. 93). Wirkungen von Nuklearwaffen Atomare Waffen erzielen ihre dramatische Wirkung durch die freige‐ setzte Energie infolge von Kernexplosionen. Dafür sind drei Haupt‐ zerstörungsformen verantwortlich (vgl. Altmann et al. 2017, S. 76ff.): ▸ Hitzestrahlung: Sie umfasst 35 Prozent der Zerstörung. Nach Ende der Spaltkettenbeziehungsweise Fusionsreaktion heizt sich das Material der Bombe auf 10 7 bis 10 8 Grad Celsius auf und gibt diese Wärme in die Umgebung ab. „Getroffene Lebewesen und Objekte werden außen beginnend verbrannt, brennbare Stoffe werden angezündet - bei Wasserstoffbomben in bis zu über 10 km Entfernung“ (Altmann et al. 2017, S. 77). ▸ Druckwelle: Sie verursacht 50 Prozent der Zerstörungskraft. Vom Feuerball geht eine Stoßwelle (schneller als Schallgeschwindig‐ keit) aus, verbunden mit starken Luftströmungen. „Die auf getrof‐ fene Flächen ausgeübten Kräfte können Menschen und Objekte umherschleudern, Gebäude umwerfen usw. […]. Die Druckwelle kann über Lungenriss primäre Todesursache sein. Splitter von Glasscheiben, die noch in großer Entfernung bersten, können als Geschosse Sekundärverletzungen hervorrufen“ (Altmann et al. 2017, S. 82). ▸ radioaktive Strahlung: Sie macht 15 Prozent der Zerstörung aus (5 Prozent Sofortstrahlung und 10 Prozent verzögerte radioaktive 172 8 Frieden durch Abschreckung <?page no="173"?> Strahlung). Die Strahlung resultiert aus den bei der Spaltung beziehungsweise Fusion erzeugten Neutronen sowie der Röntgen- und Gammastrahlung aus dem Feuerball. Tödliche Dosen reichen kilometerweit. „Weiterhin rufen die Neutronen Reaktionen in den umliegenden Kernen hervor […]. Zusammen mit den fast ausnahmslos radioaktiven Spaltprodukten werden diese Atome bzw. Staubteilchen mit dem Aufwind der Explosion in die Luft gehoben und dann mit dem Wind weiter verbreitet“ (Altmann et al. 2017, S. 83). Die zentralen Abschreckungsvoraussetzungen gelten in gleicher Weise für die nukleare Abschreckung. Auch hier bedarf es zum einen der Fähigkeit, diese Waffen vorzuhalten. Angesichts des unermesslichen Zerstörungspo‐ tenzials erweist sich diese Voraussetzung aber nicht als trivial: Nuklearwaf‐ fen müssen in einer Weise zur Verfügung stehen, die es der Gegnerin und dem Gegner unmöglich machen, sie durch einen Erstschlag vollständig zu zerstören. Gefordert ist eine Zweitschlagsfähigkeit, das heißt das Potenzial, mit atomaren Waffen auf einen nuklearen Erstschlag des Gegners reagieren zu können: „Die gesicherte Fähigkeit zum nuklearen Gegenschlag gilt als das wichtigste Kriterium für nukleare Abschreckung“ (Krell 1984, S. 80; vgl. auch Langendörfer 1987, S. 127ff.). Diese lässt sich auf verschiedene Weise errei‐ chen, beispielsweise durch die Härtung von Raketensilos, die Verteilung der Nuklearwaffen auf mehrere Trägerarten (Bomber, Landraketen, U-Boot-Ra‐ keten) oder einen vorzeitigen Start der eigenen Raketen (in der Zeit zwischen Anflug und Auftreffen der gegnerischen Sprengköpfe). Insbesondere Letz‐ teres birgt die Gefahr, durch einen Fehlalarm einen Nuklearkrieg auszulösen (vgl. Altmann et al. 2017, S. 103). Aber auch prinzipiell impliziert diese Form der Unverwundbarkeit ein Dilemma: Sie muss „auf Dauer funktionieren“, ohne genau zu wissen, ob sie „tatsächlich funktioniert“ (Atomwaffen A-Z 2020a). Zum anderen setzt auch nukleare Abschreckung Glaubwürdigkeit voraus. Diese Forderung stellt eines der zentralen Dilemmata dar. So lassen sich die Drohung mit und der Einsatz von Nuklearwaffen zwar unterscheiden, voneinander zu trennen sind sie dagegen nicht (vgl. Quinlan 1989, S. 209). Das trifft für jede Form der Abschreckung zu; allerdings verweisen Nuklearwaffen auf die spezifische Ambivalenz dieser Strategie. 8.3 Nukleare Abschreckung 173 <?page no="174"?> Vor diesem Hintergrund lassen sich in friedenspolitischen und -ethischen Debatten um die nukleare Abschreckung drei grundlegende Positionen voneinander unterscheiden: 1. „Der Einsatz nuklearer Waffen muß stets verwerflich sein, folglich auch der Besitz zum Zwecke der Abschreckung. 2. Der Einsatz kann in bestimmten Formen und unter bestimmten Umstän‐ den legitim sein, folglich kann der Besitz gerechtfertigt werden. 3. Während der Einsatz stets als verwerflich gelten muß, kann der Besitz zum Zwecke der Abschreckung zu rechtfertigen sein“ (Quinlan 1989, S. 195). Bei allen stellen sich kritische Anfragen: Vertreterinnen und Vertreter der ersten Position müssen sich fragen lassen, wie sie es verantworten können, den Einsatz von Atomwaffen einseitig „durch keine Gegenmacht eingeschränkte Option den Skrupellosen und Aggressiven [zu] überlassen“ (Quinlan 1989, S. 196). Denn Nuklearwaffen sind entwickelt und präsent. Zwar lassen sich auch Hoffnungen auf eine atomwaffenfreie Welt in An‐ schlag bringen. Angesichts aktueller Entwicklungen scheint diese aber eher ferne Vision als politische Realität. Und auch der Atomwaffenverbotsvertrag von 2017 vermag es nicht, die Nuklear- und NATO-Staaten mit einzubezie‐ hen. Die zweite Position kann das Glaubwürdigkeitsproblem nuklearer Abschre‐ ckung zwar umgehen, ist aber mit dem Problem der Verhältnismäßigkeit konfrontiert und der Frage, wie ein nuklearer Einsatz überhaupt mit einer differenzierten und verhältnismäßigen Anwendung von Gewalt einhergehen kann. Selbst die Entwicklungen „kleiner“ Atomwaffen („Mini-Nukes“) können das Problem der Verhältnismäßigkeit nicht lösen, denn auch bei Atomwaffen mit geringer Sprengkraft wären „Kollateralschäden an der Zivilbevölkerung infolge der Verstrahlung durch den radioaktiv verseuchten Auswurf ungeheuer groß“ (Barleon 2012, S. 141). Befürworterinnen und Befürworter der dritten Position müssen sich schließlich dem Dilemma stellen, mit Waffen zu drohen, die niemals ein‐ gesetzt werden dürfen. Nukleare Abschreckung bedarf der hinreichenden Entschlossenheit, diese im Ernstfall auch einzusetzen. Entfällt diese Hand‐ lungsoption, verfehlt Abschreckung ihre Wirkung. So liegt dieser Option die prekäre Annahme zugrunde, „durch das bewußte Eingehen von Risiken […] den Gegner zu einer bestimmten positiven Verhaltensweise anzuregen 174 8 Frieden durch Abschreckung <?page no="175"?> beziehungsweise ihn von spezifischen Handlungen abzuhalten“ (Senghaas 1981, S. 124). Wie sieht angesichts dieser Dilemmata die politische Praxis aus? Zu Zeiten des Kalten Krieges war die nukleare Abschreckung stets präsent, fester Be‐ standteil der Militärstrategien beider Hauptkontrahenten - der USA und der früheren Sowjetunion - und zentrales Charakteristikum des Ost-West-Kon‐ fliktes. Es galt das „Gleichgewicht des Schreckens“. Dieser Terminus steht umgangssprachlich für die Doktrin der Mutual Assured Destruction (MAD), das heißt der wechselseitig zugesicherten Zerstörung. Mit der MAD-Doktrin verbindet sich die (neo)realistische Logik einer Balance of Power mit dem Bestreben beider Seiten, „eine gesicherte Zweitschlagskapazität aufrecht zu erhalten“ (Krause 2015, S. 4). Dabei würden sich die Parteien - so die Argumentation - nicht gegenseitig angreifen, „denn in diesem Falle hätte der Angegriffene immer noch genügend verbleibende Kernwaffen, um zu einem flächendeckenden Gegenschlag auszuholen. Folglich würde der An‐ greifer gleichzeitig sein eigenes Todesurteil unterschreiben“ (Atomwaffen A-Z 2020b). Auf diese Weise sollte ein atomarer Krieg verhindert und Frie‐ den gesichert werden. Dementsprechend kritisch wurden auch Abwehrsys‐ teme bewertet, was unter anderem 1972 zum Abschluss des ABM-Vertrages (Anti-Ballistic-Missiles) führte. Mit ihm verpflichteten sich die USA und die UdSSR, keine landesweiten Verteidigungssysteme gegen ballistische Raketen aufzubauen. So erlaubt der Vertrag jedem Vertragspartner lediglich zwei lokal begrenzte Raketenabwehranlagen. Mit dem Ende des Kalten Krieges schienen Nuklearwaffen an Bedeutung zu verlieren. So kündigte der damalige US-amerikanische Präsident Barack Obama das Ziel eines Global Zero an. Barack Obamas Prager Rede vom 5. April 2009 (Auszüge) „Ein Thema, das ganz entscheidend für die Sicherheit der Nationen ist und für Frieden in der Welt, die Zukunft der Atomwaffen im 21. Jahrhundert. Die Existenz Tausender von Atomwaffen ist das gefährlichste Erbe des Kalten Krieges. […] Der Kalte Krieg ist zu Ende gegangen. Und Tausende von diesen Waffen existieren weiter. Es ist eine seltsame Wendung der Geschichte: Die Gefahr eines weltweiten Atomkriegs hat sich verringert, das Risiko eines atomaren Angriffs ist gestiegen. Mehrere Nationen haben solche Waffen entwickelt, die Tests gehen weiter, der Handel auf dem Schwarzmarkt mit spaltbarem Material blüht. Die Technologie zum Bau 8.3 Nukleare Abschreckung 175 <?page no="176"?> einer Bombe wurde verbreitet. Die Terroristen sind entschlossen, eine solche Waffe zu kaufen, zu bauen oder zu stehlen. Und deswegen brauchen wir ein weltweites Nichtverbreitungssystem. Denn immer mehr Menschen und auch Nationen können sonst die Regeln brechen und dann könnten wir einen Punkt ohne Wiederkehr erreichen. […] Als Nuklearmacht, als einzige Atommacht, die diese Nuklearwaffe eingesetzt hat, haben die Vereinigten Staaten eine moralische Verpflichtung, hier zu handeln. Wir können das nicht alleine leisten, aber wir können führend dabei sein. Wir können das einleiten. Ich möchte heute also ganz deutlich und mit Überzeugung Amerikas Bereitschaft erklären, den Frieden und die Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen anzustreben. Ich bin nicht naiv. Das Ziel wird sich nicht rasch erreichen lassen. Vielleicht auch nicht in der Zeit meines Lebens. Es wird Geduld und Beharrlichkeit erfordern. Aber jetzt müssen wir die Stimmen jener ignorieren, die sagen, dass die Welt sich nicht ändern kann. Wir müssen darauf bestehen und sagen: Yes, we can. […] Zunächst einmal werden die Vereinigten Staaten konkrete Schritte einleiten, um zu einer Welt ohne Atomwaffen zu gelangen. Das Denken des Kalten Krieges zu beenden, dafür brauchen wir eine Reduzierung der Rolle der Nuklearwaffen in unserer eigenen nationalen Sicherheitsstrategie. Andere mögen das Gleiche tun. Aber damit kein Missverständnis entsteht: Solange diese Waffen existieren, werden die USA ein sicheres und effektives Arsenal behalten, um jeden Gegner potenziell abzuschrecken und unseren Verbündeten […] zur Hilfe kommen zu können. Aber wir werden die Arbeit an der Reduzierung unseres Arsenals einleiten, unsere Gefechtsköpfe und Arsenale reduzieren. Und dafür werden wir einen neuen Vertrag zur Reduzierung strategischer Waffen in diesem Jahr mit Russland verhandeln“ (Obama 2009). Von diesem Ziel scheint die Welt heute entfernter denn je: Die internationa‐ len Rüstungskontroll- und Abrüstungsbemühungen sind an einen Tiefpunkt angelangt: „Obwohl die Weiterentwicklung von Kernwaffen nie gestoppt wurde, entwickelte sich zwischen Ost und West eine gemeinsame Verantwortung für die Verhin‐ derung eines atomaren Untergangs. Diese gemeinsame Verantwortlichkeit ist mittlerweile nahezu komplett verloren gegangen“ (Thränert 2018). 176 8 Frieden durch Abschreckung <?page no="177"?> Die großen Nuklearmächte sind „nicht mehr auf Ausgleich bedacht“ (Thrä‐ nert 2018). Ziel sei es vielmehr, „in einer auf Konkurrenz angelegten internationalen Arena auf der Siegerseite zu sein“ (Thränert 2018). So ist die nukleare Option - auch die des Erstschlages - weiterhin Bestandteil von Militärstrategien (so in den USA, in der NATO sowie in Russland). Die Nuclear Posture Review der USA von 2022 beispielsweise sieht diese - wie zuvor auch schon - sogar für nichtnukleare Bedrohungen vor. Danach würden sowohl eine „No First Use“als auch eine „Sole Purpose“-Politik ein inakzeptables Risiko für die USA darstellen, die in den 2030er Jahren zum ersten Mal in ihrer Geschichte - mit Russland und China als strategischen Konkurrenten und potenziellen Gegnern - zwei großen Atommächten gegenüberstehen werden (vgl. The White House 2022, S. 9, 4). Angesichts dieser neuen Großmachtrivalitäten ist derzeit nicht nur in den USA und in Russland, sondern auch in Asien eine nukleare Aufrüstung zu verzeichnen. Auch hat die neue Struktur des internationalen Systems im 21. Jahrhun‐ dert „zu Veränderungen und Erweiterungen von Abschreckungstheorie und -doktrin“ (Krause 2015, S. 5) geführt. Dazu zählt unter anderem die Neube‐ wertung der strategischen Bedeutung von Abwehrsystemen. So haben die Terroranschläge vom 11. September 2001 die USA unmittelbar veranlasst, aus dem ABM-Vertrag auszusteigen. Und auch Staaten mit anders gelagerten strategischen Kulturen beziehungsweise Rationalitätserwägungen - sei es der Iran mit seinem Atomprogramm und der damit verbundenen Gefahr der Entwicklung von atomaren Waffen oder aber auch die potenziell höhere Risikobereitschaft der chinesischen Führung - lassen „Möglichkeiten zur Neutralisierung der Abschreckungsmittel des Kontrahenten“ (Krause 2015, S. 6) bedeutsam werden (deterring their deterrent, vgl. Payne 2001, S. 185ff.). Ferner spielen neue technologische Möglichkeiten, die mit militärischen Fähigkeiten im Weltraum und im Cyberbereich einhergehen (vgl. Kapitel 7), eine zunehmende Rolle. Sie führen dazu, die Trennlinie zwischen atomaren und nichtatomaren Waffen immer stärker zu verwischen (vgl. Thränert 2018). 8.4 Fazit Angesichts seines Hauptziels, Stabilität im internationalen System durch eine Balance of Power zu bewahren beziehungsweise herzustellen, setzt der (Neo)Realismus sehr viel stärker auf eine sicherheitspolitische denn 8.4 Fazit 177 <?page no="178"?> friedenspolitische Logik. In diesem Sinne konstatiert auch Ulrich Menzel (2001, S. 18): „An die Stelle der Friedenspolitik tritt die Sicherheitspolitik“ (vgl. auch Kahl und Rinke 2019, S. 68). Mit dem Fokus auf das militärische Instrument fallen dann auch Ziel und Mittel auseinander. Das wird in Abschreckungskonzeptionen - insbesondere in nuklearen - deutlich. Hierin zeigt sich ihre „Janusköpfigkeit“ (Trenin 2018b, S. 43): „Das Dilemma besteht in der fundamentalen Ungereimtheit dieser Politik: über Drohpolitik die Stabilisierung des Status quo anstreben zu wollen, während Droh‐ politik allemal langfristig Stabilität untergräbt“ (Senghaas 1981, S. 119; Hervorh. im Original). Frieden und Abschreckung bilden - so die dominierende Position der bundesdeutschen Friedensforschung bis zum Ukrainekrieg 2022 - einen Antagonismus: 1. „weil Abschreckung ein ‚System organisierter Friedlosigkeit‘ (Senghaas 1981, S. 288) ist; 2. weil Abschreckung die Kontrahenten zwingt, permanent Militärpoten‐ ziale, also Mittel der Kriegführung zu unterhalten - und zwar im Zustand der Kriegsbereitschaft; 3. weil bei Versagen der Abschreckung Krieg stattfindet, und zwar gege‐ benenfalls bis hin zur letzten Konsequenz eines allgemeinen thermonu‐ klearen Schlagabtausches; 4. weil das vordergründig defensive Basistheorem der Abschreckungskon‐ zeption auch die Möglichkeit zulässt, nukleare Erstschlagsfähigkeit und damit Vorbereitungen für einen offensiven Angriffskrieg zu rechtferti‐ gen; 5. weil Abschreckung ein konfrontatives Konzept ist, das eines Feindbildes bedarf und damit kooperative politische Ansätze zur gemeinsamen Friedenssicherung mit Kontrahenten und Gegnern konterkariert; 6. weil Abschreckung destabilisierende Rüstungswettläufe induziert, da der Gegner auf militärische Maßnahmen zur ‚Verbesserung der Abschre‐ ckung‘ jeweils mit eigenen Maßnahmen reagiert“ (Schwarz 2019, S. 275). Damit schließt sich im Senghaas’schen Sinne die Konsequenz an: „Frieden wird es nur jenseits von Abschreckung geben“ (Senghaas 1981, S. 15 u. 289). Dieses Urteil wurde aber auch kritisch hinterfragt. Denn das, was jeder nuklearpazifistischen Position entgegensteht, ist die Verfügbarkeit der nu‐ klearen Waffe. Das schließt auch das Potenzial zur kurzfristigen Wiederer‐ 178 8 Frieden durch Abschreckung <?page no="179"?> langung nuklearer Fähigkeiten mit ein. So folgert der Philosoph Dieter Henrich (1990, S. 18): „Die unmittelbar überzeugende Begründung für die unbedingte Illegitimität ihres Gebrauchs steht also der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit entgegen, dem absoluten Gebot durch einen Appell zur sittlichen Eindeutigkeit auch ebenso unmittelbar wirkliche Geltung zu verschaffen. Und das Widerspiel beider Einsich‐ ten, um die sich gegenläufig jeweils ein Totaleindruck zur Beurteilung unserer Situation und einer grundsätzlichen Handlungsperspektive ausbildet, führt in eine Antinomie, in der sich jeder Ansatz zur Besinnung zunächst einmal verfängt.“ Mit dem Ukrainekrieg 2022 ist eine Zeitenwende auch in der Friedensfor‐ schung erkennbar. Frieden durch Abschreckung - eine Strategie, die unter Friedensforschern und -forscherinnen bislang vorwiegend kritisch reflek‐ tiert wurde - scheint im Lichte des russischen Angriffskrieges zunehmend an Akzeptanz zu gewinnen. So folgt ein Großteil von ihnen der (neo)rea‐ listischen Logik und bedient sich der machtpolitischen Argumentation, beispielsweise beim Eintreten für Waffenlieferungen an die Ukraine. Dabei stellen, so das Friedensgutachten 2024, militärische Logik und diplomatische Ansätze „keine Gegensätze dar, sondern müssen klug verzahnt werden“ (BICC et al. 2024, S. 10). Ein deutlich kleinerer Kreis von Friedensforschern und -forscherinnen hält an der kritischen Positionierung gegenüber der militärischen Abschreckung fest und appelliert an das historische Selbstver‐ ständnis der Friedensforschung: „Befleißigte sich Friedensforschung dieses Argumentationsmusters, dann mu‐ tierte sie zu jenen Strategischen Studien, gegen die sie ursprünglich angetreten war. Sie beförderte genau die gleiche Politik, deren Risikopotential sie zu Zeiten des Kalten Kriegs als unverantwortlich hoch einstufte. Sie redete quantitativer wie qualitativer Aufrüstung das Wort“ ( Jaberg 2023, S. 7). Weiterführende Literatur: Freedman, Lawrence. 2008. Deterrence. Cambridge: Polity Press. Dieser Band beleuchtet zentrale Grundlagen der Abschreckung einschließlich jüngerer Debatten im angloamerikanischen Raum. Senghaas, Dieter. 1981. Abschreckung und Frieden. Studien zur Kritik organisier‐ ter Friedlosigkeit. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Europäische Verlagsanstalt. Der Autor kritisiert die nukleare Abschreckung als Form „organisierter Friedlo‐ 8.4 Fazit 179 <?page no="180"?> sigkeit“. Seine Kritik aus Zeiten des Kalten Krieges erweist sich für viele Vertreterinnen und Vertreter der Friedensforschung bis heute als zentral. Werkner, Ines-Jacqueline und Thomas Hoppe (Hrsg.). 2019. Nukleare Abschre‐ ckung in friedensethischer Perspektive. Wiesbaden: Springer VS. Die Autorin‐ nen und Autoren dieses Bandes nehmen die nukleare Abschreckung unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts in den Blick und reflektieren ihre Voraussetzungen und Risiken. Ikonomou, Pantelis F. 2022. Globale nukleare Entwicklungen. Einblicke eines ehemaligen IAEO-Nuklearwaffeninspekteurs. Wiesbaden: Springer VS. Der Band bietet einen Überblick über die aktuellen globalen Entwicklungen im Nuklearbereich. Der Autor gibt detaillierte Einblicke in aktuelle und vergan‐ gene Nuklearkrisen und analysiert die technischen Fähigkeiten, politischen Strategien und Motive der Nuklearwaffenstaaten. 180 8 Frieden durch Abschreckung <?page no="181"?> 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation Institutionalistische Friedensstrategien suchen den Frieden durch Einwir‐ kung auf die Interaktion der Akteure im internationalen System zu errei‐ chen. Prinzipiell stehen hierfür zwei Wege offen: „Frieden durch internatio‐ nale Institutionen“ und „Frieden durch Völkerrecht“. Wie eng beide Zugänge zusammenhängen können, zeigt sich bei den Vereinten Nationen. Ihnen kommt bei der Friedenssicherung eine herausgehobene Position zu. Als größte internationale Organisation - gegenwärtig gehören ihr 193 Staaten an - kann sie als universalistische Institution par excellence gelten. Mit dem in der UN-Charta verankerten Gewaltverbot gelang dem Völkerrecht ein historischer Durchbruch. Dennoch sind Geist, Logik und Praxis des Krieges nicht überwunden. Derzeit werden weltweit 21 Kriege gezählt (vgl. HIIK 2023). Und auch die Entwicklungen seit den 1990er Jahren zur Verhinderung beziehungsweise Beendigung massiver Menschenrechtsverletzungen durch humanitäre militärische Interventionen oder auch durch die in den 2000er Jahren in die internationale Politik implementierte internationale Schutz‐ verantwortung haben bislang zu keiner Pazifizierung des internationalen Systems führen können. Die folgende Fokussierung auf die Vereinten Nationen, das völkerrechtli‐ che Gewaltverbot und Wege seiner Durchsetzung stellt nur einen - aber zen‐ tralen - Ausschnitt institutionalistischer Friedensstrategien dar. Auch wenn diese sehr viel weiter zu fassen sind, lassen sich an der vorgenommenen Auswahl grundlegende Prinzipien des institutionalistischen Zugangs, seine Chancen und Hindernisse sowie aktuellen Herausforderungen aufzeigen und diskutieren. 9.1 Der institutionalistische Zugang zum Frieden Wie der neorealistische Ansatz geht auch die institutionalistische Denk‐ schule von der Anarchie des internationalen Systems aus, in Abgrenzung zu ihm könne aber ihre Wirkung durch internationale Kooperation verringert werden. Hintergrund dieser Annahme ist die zunehmende Interdependenz, womit Staaten ihre zentralen Funktionen ohne Zusammenarbeit gar nicht <?page no="182"?> 49 Eine supranationale Institution ist eine überstaatliche Einrichtung, die für die Bürge‐ rinnen und Bürger der zur Institution gehörenden Staaten unmittelbar verbindliche - also nicht erst in innerstaatliches Recht zu transformierende - Normen schaffen kann. beziehungsweise nur zu einem geringen Teil oder zu hohen Kosten errei‐ chen können. Die Einsicht in die Interdependenz von Staaten lasse auch die Wahrscheinlichkeit eines gewaltsamen Konfliktaustrags sinken, womit zugleich die Sorge schwindet, Opfer militärischer Macht zu werden (vgl. Keohane und Nye 1977; Schimmelfennig 2017, Kap. 4; Kahl und Rinke 2019, S. 70ff.). Dazu bedarf es geeigneter Institutionen. Institutionen sind auf Dauer gestellte Norm- und Regelsysteme, „die Verhaltensmuster vorschreiben, Aktivitäten beschränken und Verhaltenserwartungen bestimmen“ (Brühl 2019, S. 428). Institutionen sind vielfältig: Es können internationale Organisa‐ tionen sein, die über eine Rechtspersönlichkeit, ein Budget, feste Strukturen und Arbeitsteilungen verfügen und als eigenständige Akteure agieren. Sie können auf ein einzelnes Politikfeld begrenzt sein wie die NATO oder aber problemfeldübergreifend wirken wie die Vereinten Nationen oder die Europäische Union. Letztgenannte geht in ihrer Kooperation deutlich weiter. Als supranationale Institution 49 zeichnet sie sich nicht nur durch Zusammenarbeit, sondern auch durch einen Prozess der Integration aus. Dabei lässt sich Integration idealiter „als Endpunkt einer Entwicklung fassen, die bei der Zivilisierung von Konflikten im Sinne einer immer weiteren Zurückdrängung gewaltsamer Konfliktaustra‐ gungsmodi beginnt und sich über die Stadien einer immer enger und gehaltvoller werdenden Kooperation zwischen gesellschaftlichen und/ oder nationalen Akteu‐ ren bis zu deren Verschmelzung vorarbeitet“ (Meyers 1994, S. 58; vgl. auch Kahl und Rinke 2019, S. 72). Neben internationalen Organisationen gibt es internationale Regime. Sie sind politikfeldspezifische Institutionen, die sich durch gemeinsame Prinzipien, Normen, Regeln und Verfahren auszeichnen. Im Gegensatz zu Organisatio‐ nen besitzen sie keine Akteursqualität, sie können also nicht als eigenstän‐ diger Akteur auftreten. Dazu zählen beispielsweise Rüstungskontroll- und Abrüstungsregime. Darüber hinaus existieren internationale Netzwerke, die gleichfalls über prozedurale Regeln verfügen, im Unterschied zu internatio‐ nalen Regimen aber keine inhaltlichen Regeln aufweisen. Dazu gehört unter anderem das G8-Treffen. Aber auch internationale Ordnungsprinzipien wie 182 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation <?page no="183"?> beispielsweise der Grundsatz der staatlichen Souveränität lassen sich unter internationale Institutionen fassen (vgl. Brühl 2019, S. 428). Internationale Institutionen weisen verschiedene friedensfördernde Funktionen auf: Zum einen stellen sie eine Plattform für Verhandlungen be‐ reit und ermöglichen Kommunikationsprozesse zwischen Konfliktparteien. Zum anderen können sie den Konfliktaustrag positiv beeinflussen, indem sie spezifische Verfahren zur Verfügung stellen. Beispielsweise setzte die KSZE zu Zeiten des Ost-West-Konflikts auf die „normative Kraft des Dauerdialogs“ (Schlotter 1995, S. 121). Und auch die UN-Charta verfügt über ein breites Spektrum an Maßnahmen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten wie Verhandlungen, Untersuchungen, Vermittlungen, Vergleiche, Schiedssprü‐ che, gerichtliche Entscheidungen oder auch die Inanspruchnahme regiona‐ ler Einrichtungen (Art. 33). Zudem können internationale Institutionen Mechanismen bereitstellen, Vereinbarungen umzusetzen, die Einhaltung von Standards zu überwachen oder auch Fehlverhalten zu identifizieren und zu sanktionieren (vgl. Brühl 2011, S. 225; Meyer 2011, S. 501). Allerdings sind internationale Institutionen nicht per se friedlich; „Insti‐ tutionalisierung und Friedensförderung gehen nicht zwangsläufig Hand in Hand“ (Müller 1994, S. 228). Die friedensstiftende Funktion von Institu‐ tionen könne „durch friedensgefährdende oder gerechtigkeitsmindernde Nebenwirkungen kompensiert oder kompromittiert“ werden (Müller 1994, S. 228). So gebe es auch Formen „antagonistische[r] Kooperation“, die In‐ teressengegensätze verschärfen und Konflikte zementieren. Dafür stehen insbesondere exklusive Organisationen, die Staaten in Ingroup und Outgroup verorten und so zwischen Freund und (potenziellem) Feind differenzieren (vgl. Brühl 2011, S. 244). Nach Harald Müller (1994, S. 232ff.) müssen internationale Institutionen, um friedensfördernd wirken zu können, idealtypisch acht Bedingungen erfüllen (vgl. auch Brühl 2011, S. 244): 1. Sie müssen kooperativ ausgerichtet sein. 2. Sie müssen sowohl den Gewaltcharakter von Nationalstaaten einhegen als auch die Entstehung eines globalen Gewaltmonopols, „demgegen‐ über die Weltgesellschaft bei Missbrauch hilflos wäre“ (Müller 1994, S. 232), verhindern können. Zentrale Kennzeichen hierfür sind Subsidia‐ rität und Transnationalität. 3. Sie müssen inklusiv sein und keinen Akteur, dessen Interessen von den Regelungen der Institution betroffen sind, ausschließen. 9.1 Der institutionalistische Zugang zum Frieden 183 <?page no="184"?> 4. Ihre Transferleistungen müssen allgemein zustimmungsfähig sein, das heißt den Rawlsschen Gerechtigkeitskriterien entsprechen, und dürfen nicht zu einer weiteren Ausdehnung von Asymmetrien führen. 5. Ihre Partizipationschancen müssen fair sein. Ohne Machtressourcen zu ignorieren haben sie die regionale Repräsentation und die Mitsprache aller teilnehmenden Akteure (auch im Hinblick auf die von ihnen vertretenen Menschen) zu ermöglichen. 6. Sie müssen flexibel, anpassungs- und lernfähig sein: sowohl bezüglich politikfeldspezifischer Kausalitäten und Zweck-Mittel-Relationen als auch im Hinblick auf systemexterne Herausforderungen. 7. Sie müssen empathiefähig und in der Lage sein, ein wechselseitiges Verständnis für Interessen, Empfindlichkeiten und Wertorientierungen der jeweils anderen Seite zu entwickeln. 8. Schließlich müssen sie sich am Wohl des einzelnen Menschen orientie‐ ren. Diese Bedingungen haben eine zentrale Funktion: „die konfligierenden Interessen der Akteure derart zu kanalisieren, daß friedliche Konfliktbe‐ handlung gefördert wird“ (Müller 1994, S. 232). Damit zielen internationale Institutionen auf eine Änderung des Kontextes der Interaktion der Akteure im internationalen System (vgl. Czempiel 1998, S. 83). Neben internationalen Institutionen gibt es einen zweiten Ansatz, der im institutionalistischen Sinne bei der Interaktion des internationalen Systems ansetzt: die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. Dafür steht auch die Kurzformel: „Frieden durch Recht“. Eine globale Friedensordnung wird als Rechtsordnung verstanden, womit dem Völkerrecht und seinen Institutionen ein zentraler Stellenwert zukommt. Ihnen sind wichtige frie‐ densstiftende Funktionen inhärent: Erstens kann das Völkerrecht dazu beitragen, die Interaktionen von staatlichen Akteuren, ihre Vereinbarungen sowie die sich daraus entwickelnden Stadien des Friedensprozesses zu kodifizieren. In diesem Kontext haben sich auch Institutionen zur internatio‐ nalen Konfliktbearbeitung etabliert, die häufig analog zum innerstaatlichen Recht geschaffen wurden. Zweitens entfaltet es seine friedensfördernde Wirkung durch seine Rechtsprechung. Diese ist - so Ernst-Otto Czempiel (1998, S. 85) - „die höchste und friedlichste Form der Konfliktregelung“, sie „[verbindet] Gewaltlosigkeit und Gerechtigkeit miteinander“ und stellt damit „die andere, dem Krieg entgegengesetzte Seite des Kontinuums der Konfliktlösungen“ dar. Und drittens vermag das Völkerrecht durch die Wei‐ 184 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation <?page no="185"?> 50 Das humanitäre Völkerrecht regelt die Art und Weise des Einsatzes militärischer Gewalt in den internationalen Beziehungen. Es dient „dem Schutz von Menschen, die an be‐ waffneten Konflikten beteiligt oder von diesen betroffen sind und deren fundamentale terentwicklung von Normen die Entstehung beziehungsweise Eskalation von Konflikten zu verhindern. Dabei reagiert es auch auf den Gestaltungs‐ bedarf neuer Problemlagen in der internationalen Politik (vgl. Czempiel 1998, S. 85ff.; auch Brühl 2011, S. 229f.). Die Verrechtlichung des internationalen Systems erweist sich aber auch als voraussetzungsreich und bewegt sich häufig jenseits von Idealvorstel‐ lungen. So kann das Völkerrecht nur das festschreiben, „was von den Staaten als Teilnehmern des Systems als verbindlich angesehen wird“ (Czempiel 1998, S. 85). 9.2 Das völkerrechtliche Gewaltverbot und seine Durchsetzung Das völkerrechtliche Gewaltverbot ist erst jüngeren Datums. Historisch hat sich das Völkerrecht vom bellum iustum zum ius contra bellum fort‐ entwickelt. Mit der Lehre vom gerechten Krieg wurden Maßstäbe zur Bewertung von Kriegen, die zu jener Zeit als ein legitimes Mittel der Politik galten, entwickelt (vgl. Werkner 2018, S. 36ff.). Dabei differenziert die Lehre zwischen dem Recht zum Kriegführen (ius ad bellum) und der rechtmäßigen Kriegsführung (ius in bello). Das ius ad bellum umfasst die Kriterien legitime Autorität, gerechter Grund, rechte Absicht, letztes Mittel, Aussicht auf Erfolg und Verhältnismäßigkeit der Folgen. Das ius in bello beinhaltet die beiden Kriterien Verhältnismäßigkeit der Mittel und Unterscheidung in Kombattanten und Nicht-Kombattanten. Ziel der Lehre vom gerechten Krieg war es - entgegen mancher Kritik - nie, Kriege zu legitimieren und Herrscher in ihrem kriegerischen Tun zu bestärken, sondern durch das Insistieren auf bestimmte Kriterien - die alle in ihrer Gesamtheit erfüllt sein müssen - dazu beizutragen, Kriege zu begrenzen. Zeitlich reicht die bellum iustum-Lehre bis in die Antike, bis zu Platon und Aristoteles, zurück. Mit Hugo Grotius (1583-1645) hat sie Eingang in das moderne Völkerrecht gefunden. Zentral ist bei ihm der Gedanke der grundsätzlichen Gleichheit der Kriegsparteien - ein Kennzeichen, das auch das heutige humanitäre Völkerrecht 50 prägt. 9.2 Das völkerrechtliche Gewaltverbot und seine Durchsetzung 185 <?page no="186"?> Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum) beeinträchtigt werden“ (Krajewski 2020, S. 237). Die beiden Weltkriege bewirkten einen Bewusstseinswandel. Mit dem 1919 gegründeten Völkerbund wurde das erste System kollektiver Sicher‐ heit geschaffen. Dieses sah ein partielles Kriegsverbot vor (Art. 11 Völker‐ bundsatzung). So sollten zwischenstaatliche Konflikte durch Verfahren der friedlichen Streitbeilegung gelöst werden (Art. 12 ff. Völkerbundsatzung). Erst wenn diese Bemühungen fehlschlugen, durften die Mitgliedsstaaten nach Ablauf von drei Monaten militärische Maßnahmen ergreifen. Dass der Völkerbund Kriege letztlich nicht verhindern konnte, lag zum einen an der „Halbherzigkeit bezüglich des Gewaltverbots“ (Heintze 2019, S. 755), zum anderen an dem Umstand, dass der Völkerbund zu keiner Zeit alle Groß‐ mächte der damaligen Zeit umfasste (vgl. Heintze 2019, S. 755). Einen wei‐ teren Schritt auf dem Weg zum Gewaltverbot stellte der Briand-Kellogg-Pakt von 1928 dar. Das ursprünglich bilaterale Abkommen zwischen Frankreich und den USA über einen Gewaltverzicht stand allen Staaten offen, so dass die meisten Staaten diesem beitraten und ein universelles Völkerrecht entstehen konnte. Es enthielt erstmals ein Verbot der Anwendung kriegerischer Gewalt. Nach Artikel 2 sollte die Konfliktbeilegung ausschließlich mit friedlichen Mitteln erfolgen. Dass auch der Briand-Kellogg-Pakt fehlschlug war vor allem dem fehlenden Mechanismus zur Durchsetzung des Kriegs‐ verbots geschuldet. Hinzu kam, dass das Abkommen zwar den Krieg, nicht aber bereits Angriffsakte und Grenzverletzungen verbot (vgl. Heintze 2019, S. 756; Brühl 2011, S. 231). Zu einer „kopernikanischen Wende“ und einem Ende des ius ad bellum kam es 1945 mit der Gründung der Vereinten Nationen. Angesichts der Er‐ fahrungen des Zweiten Weltkrieges galt es, „künftige Generationen von der Geißel des Krieges zu befreien“ und alle Anstrengungen zu unternehmen, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“ (Präambel der UN-Charta). Ausgangspunkt der UN-Charta ist die souveräne Gleichheit aller Mitgliedsstaaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta). Sie verpflichten sich, Streitigkeiten durch friedliche Mittel beizulegen (Art. 2 Abs. 3 UN-Charta). In diesem Kontext enthält die UN-Charta - und zwar erstmals - ein universelles Verbot der Androhung und Anwendung militärischer Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen (Art. 2 Abs. 4 UN-Charta). Beide Prinzipien - das Gewaltverbot und das Gebot der friedlichen Streitbeilegung 186 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation <?page no="187"?> - stehen in einem engen systematischen Zusammenhang; sie stehen spie‐ gelbildlich zueinander (vgl. Krajewski 2020, S. 187). Das Gewaltverbot in der Charta der Vereinten Nationen „Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden“ (Art. 2 Abs. 3). „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“ (Art. 2 Abs. 4). Die Charta der Vereinten Nationen kennt nur zwei Ausnahmen vom Gewalt‐ verbot: Die erste Ausnahme umfasst den Einsatz militärischer Gewalt im Rahmen einer vom Sicherheitsrat beschlossenen Zwangsmaßnahme nach Kapitel VII der UN-Charta. So kann der Sicherheitsrat bei einer Bedrohung oder einem Bruch des Weltfriedens die Mitgliedsstaaten ermächtigen, alle notwendigen Maßnahmen - darunter auch militärische - zu ergreifen, um den Frieden zu sichern beziehungsweise wiederherzustellen. Dabei gelten militärische Mittel als Ultima Ratio; sie dürfen erst angeordnet werden, wenn nichtmilitärische Maßnahmen keinen Erfolg zu zeitigen versprechen (vgl. Heintze 2019, S. 763; Krajewski 2020, S. 188). Ausnahmen vom Gewaltverbot (I): Art. 42 UN-Charta (Auszug) „Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, dass die in Artikel 41 vorgesehe‐ nen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, so kann er mit Luft-, See- und Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationa‐ len Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen.“ Die zweite Ausnahme umfasst im Falle eines bewaffneten Angriffs das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta - ein Recht, das begrenzt ist und nur solange gilt, bis der Sicherheitsrat die 9.2 Das völkerrechtliche Gewaltverbot und seine Durchsetzung 187 <?page no="188"?> erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Es versteht sich „angesichts der Primärverantwortlichkeit des Sicherheitsrates als subsidiärer ‚Notbehelf ‘“ (Krajewski 2020, S. 223). Ausnahmen vom Gewaltverbot (II): Art. 51 UN-Charta (Auszug) „Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen.“ Wie ausgeführt verbinden die Vereinten Nationen das Gewaltverbot mit Mechanismen seiner Durchsetzung; der Sicherheitsrat dient dabei als zen‐ trale Sanktionsinstanz. Diese Konstruktion stellt eine Konsequenz aus dem Scheitern des Völkerbundes dar. Dennoch: Die Vereinten Nationen sind weit davon entfernt, dem Anspruch ihrer Charta gerecht zu werden. Häufig ist der Sicherheitsrat durch politische Interessengegensätze seiner Mitglieder - insbesondere seiner fünf ständigen Mitglieder - blockiert und bleibt un‐ geachtet seiner Verpflichtung auf das Völkerrecht ein vorrangig politisches Gremium. So konstatiert Ernst-Otto Czempiel (1998, S. 107): „Das Völkerrecht ist und bleibt ein Konsensrecht, das darauf angewiesen ist, von den beteiligten Staaten akzeptiert zu werden. Seine Friedensleistung ist nur so groß, wie die Systemmitglieder dies zulassen. Bei ihnen liegt daher die Entscheidung darüber, ob und in welchem Maße das Völkerrecht den Frieden voranbringen kann.“ 9.3 Humanitäre militärische Interventionen Mit den 1990er Jahren gerieten humanitäre militärische Interventionen in den Fokus der Aufmerksamkeit. Sie haben kontroverse Debatten entfacht. Sie stehen in Verdacht, zentrale völkerrechtliche Normen wie das Souveräni‐ tätsprinzip, die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, vor allem 188 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation <?page no="189"?> aber auch das Gewaltverbot - die größte historische Errungenschaft der Ver‐ einten Nationen - infrage zu stellen oder zumindest zu schwächen. Zugleich wurden völkerrechtlich verbindliche Menschenrechtsnormen geschaffen, die durch internationale Gremien geschützt werden (internationaler Men‐ schenrechtsschutz). Dafür steht beispielsweise die Annahme der Allgemei‐ nen Erklärung der Menschenrechte durch die UN-Generalversammlung. Berechtigen nun - so die grundlegende Frage - massive Menschenrechtsver‐ letzungen in einem Staat andere Staaten oder internationale Organisationen zur militärischen Gewaltanwendung? Der Begriff der humanitären militärischen Interventionen „Als humanitäre Intervention wird […] der Einsatz von Waffengewalt ver‐ standen, mit dem schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder andere schwere humani‐ täre Krisen unterbunden oder verhindert werden sollen, ohne dass der betroffene Staat diesem Einsatz zustimmt. Abzugrenzen ist die humanitäre Intervention somit zunächst von der Intervention auf Einladung und von humanitären Aktionen ohne Gewaltanwendung (Krajewski 2020, S. 225, Hervorh. im Original). Völkerrechtlich wird das Recht zu humanitären militärischen Interven‐ tionen mit Kapitel VII der UN-Charta begründet (vgl. Krajewski 2020, S. 226). Danach können schwerste Menschenrechtsverletzungen als eine Bedrohung des Friedens im Sinne von Artikel 39 UN-Charta gelten. Deren Maßnahmen bedürfen dann wie alle Kapitel VII-Maßnahmen der Ermäch‐ tigung des UN-Sicherheitsrates. Kontrovers debattiert wird dagegen die Frage, ob in Ausnahmesituationen auch ohne eine Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates gehandelt werden kann - gerade in Fällen, in denen sich der Sicherheitsrat als handlungsun‐ fähig oder -unwillig erweist und es gilt, Massaker und Genozid zu stoppen. Exemplarisch für diese Debatte steht der Einsatz der NATO 1999 im Kosovo. Der UN-Sicherheitsrat bewertete zwar die Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen im Kosovo durch serbische Sicherheitskräfte als eine Gefahr für den Frieden in der Region, erteilte aber angesichts der Haltun‐ gen von Russland und China keine Ermächtigung zu einem militärischen 9.3 Humanitäre militärische Interventionen 189 <?page no="190"?> 51 Neben dieser grundsätzlichen Debatte spielt auch das Kriterium der rechten Absicht mit hinein. So sind humanitäre Motive häufig auch nur ein Vorwand für politische Zwecke. Einsatz. Da eine weitere Verschärfung der Situation im Kosovo absehbar war, entschied sich die NATO zu Luftangriffen gegen Serbien. Der Einsatz der NATO im Kosovo (1999) 1989 hob der damalige jugoslawische Präsident Slobodan Miloševiċ die Autonomie des Kosovo auf, entmachtete das kosovarische Regio‐ nalparlament und führte gezielte Umsiedlungsprogramme durch, um Serben im Kosovo anzusiedeln. Es kam zu systematischen Menschen‐ rechtsverletzungen (Enteignungen, Vertreibungen, Massaker). Mit der Gründung der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) begann 1998 der Krieg um die Kontrolle des Kosovo. Internationale Bemühungen führ‐ ten zum Vertrag von Rambouillet, einem Friedensvertrag zwischen Jugoslawien und der politischen Führung der Kosovo-Albaner. Als Miloševiċ diesen Vertrag nicht unterzeichnete, griff die NATO ein (24. März - 10. Juni 1999). Ziel des NATO-Einsatzes war es, die serbische Regierung zum Abzug ihrer Armee aus dem Kosovo zu zwingen, um weitere serbische Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Im Kontext des Kosovoeinsatzes ist diese Debatte um das rechte Verhältnis von Politik, Recht und Moral geführt worden (vgl. Werkner 2010, S. 142ff.). So sei eine zunehmende Diskrepanz von Moral und Recht zu beobachten. 51 Nach dem Staats- und Verfassungsrechtler Ulrich Preuß (2000, S. 136) stell‐ ten die NATO-Aktionen in Jugoslawien den Versuch dar, unter Berufung auf die Legitimität einer universalen Moral die Legalität der bestehenden rechtlichen Ordnung zu relativieren und diese, zumindest vorübergehend, außer Kraft zu setzen. Der Soziologe Ulrich Beck (2000, S. 234) beschreibt die Entwicklung in analoger, durchaus pointierter Weise: „An die Stelle des in der nationalstaatlichen ersten Moderne geltenden Grundsatzes Völ‐ kerrecht bricht Menschenrecht tritt der in seinen Folgen noch undurchdachte, weltgesellschaftliche Grundsatz der zweiten Moderne: Menschenrecht bricht Völkerrecht.“ Krieg sei dann - so Beck (2000, S. 236) - nicht mehr im Clausewitzschen Sinne eine Fortsetzung der Politik, sondern der Moral mit anderen Mitteln. Auch Jürgen Habermas (1999) argumentiert im Hinblick 190 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation <?page no="191"?> auf den Kosovoeinsatz der NATO: „[W]eil der Sicherheitsrat blockiert ist, kann sich die NATO nur auf die moralische Geltung des Völkerrechts berufen - auf Normen, für die keine effektiven, von der Völkergemeinschaft anerkannten Instanzen der Rechtsanwendung und -durchsetzung bestehen“ und folgert, die Menschenrechtspolitik sei „angesichts des unterinstituti‐ onalisierten Weltbürgerrechts zum bloßen Vorgriff auf einen künftigen kosmopolitischen Zustand, den sie zugleich befördern will, genötigt“ - eine völkerrechtlich durchaus streitbare Position. Humanitäre militärische Interventionen sind genau in diesem Span‐ nungsverhältnis zwischen Legalität und Legitimität zu verorten. Auf der einen Seite sind die Staaten im Sinne der Legalität an das Völkerrecht als geltendes Recht gebunden. Andererseits betrachten Staaten es aber auch als moralisch geboten und folglich legitim, im Falle massiver Menschen‐ rechtsverletzungen einzugreifen und - notfalls auch ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrates - militärische Gewalt anzuwenden. Im Unterschied zur formalen Gesetzmäßigkeit der Legalität zielt Rechtmäßigkeit im Sinne der Legitimität auf die Einhaltung bestimmter Standards und Wertvorstel‐ lungen, im Kontext der humanitären militärischen Interventionen auf den Schutz der Menschenrechte. So firmiert der Kosovoeinsatz auch unter dem Label „nicht legal, aber legitim“. Bei dieser Gegenüberstellung geht es vor allem um das Verhältnis von Souveränität und Menschenrechten. Das ergibt sich bereits aus dem Begriff der humanitären militärischen Intervention. In der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen lassen sich diesbezüglich zwei idealty‐ pische Grundkonzeptionen unterscheiden: eine völkerrechtlich-institutio‐ nalistische und eine menschenrechtlich-individualistische (vgl. Kersting 1998, S. 34ff.). Beim völkerrechtlich-institutionalistischen Ansatz spielen die Staaten, die als Rechts- und Pflichtsubjekte auftreten, eine zentrale Rolle. Die Innerstaatlichkeit erweist sich in diesem Konzept als eigenständiger normativer Bereich, womit der Souveränität ein bedeutender Stellenwert zu‐ kommt. Menschenrechtliche Theoriekonzeptionen hingegen stellen das In‐ dividuum in den Mittelpunkt. Dabei atomisiert der individualistische Ansatz das Völkerrecht und ersetzt es durch ein Weltbürgerrecht, verbunden mit einer „radikalen Depotenzierung einzelstaatlicher Souveränität“ (Kersting 1998, S. 35). Diese Konzeption erfordert im Grunde eine Revision des klas‐ sischen Nicht-Interventionismus des gegenwärtigen Völkerrechts zulasten des Prinzips der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten und der staatlichen Selbstbestimmung. Damit sind interventionistische Positionen 9.3 Humanitäre militärische Interventionen 191 <?page no="192"?> 52 Dieser Abschnitt stützt sich auf Werkner (2019d). stets von souveränitätstheoretischen Überzeugungen und theoriekonzepti‐ onellen Entscheidungen abhängig, die sich letztlich auf das grundlegende Verständnis des Verhältnisses von Recht und Moral zurückführen lassen und historisch ihre Wurzeln in der Gegenüberstellung von Naturrecht und Rechtspositivismus haben. 9.4 Die internationale Schutzverantwortung Zu einer Weiterentwicklung kam es mit der internationalen Schutzverant‐ wortung (Responsibility to Protect, R2P), die wie kaum ein anderes Konzept in nur kurzer Zeit Eingang in die internationale Politik gefunden hat. 52 Entwickelt wurde es durch die von der kanadischen Regierung eingesetzte unabhängige Kommission International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS 2001). Ausgangspunkt waren die Massaker in Ruanda 1994 und Srebrenica 1995, verbunden mit Überlegungen, Menschen‐ rechtsverletzungen in den Fokus des ansonsten stark staatsbezogenen Völ‐ kerrechts zu rücken. Völkermord in Ruanda (1994) Mit dem bis heute ungeklärten Mord am ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana begann am 6. April 1994 ein Völkermord, dem in nur 100 Tagen bis zu einer Million Menschen - darunter etwa 800.000 Tutsi und 200.000 moderate Hutu - zum Opfer fielen. Diese Gewaltes‐ kalation kam nicht überraschend. Bereits seit Jahrzehnten herrschten Spannungen zwischen der Hutu-Mehrheit und der Tutsi-Minderheit, deren Wurzeln bis in die koloniale Geschichte Ruandas zurückreichen. Obwohl UN-Truppen vor Ort waren (Mission UNAMIR), verhinderten sie den Genozid nicht. Die stationierten Blauhelme besaßen kein Mandat für ein militärisches Eingreifen und die internationale Staa‐ tengemeinschaft vermochte es nicht, auf diese Situation zu reagieren und notwendige Maßnahmen zu ergreifen. 192 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation <?page no="193"?> Massaker in Srebrenica 1995 Am 11. Juli 1995 nahm die bosnisch-serbische Armee unter General Ratko Mladić die Stadt Srebrenica ein - ein Ort im Osten von Bosnien und Herzegowina nahe der Grenze zu Serbien und Zufluchtsort für bosnische Muslime. In den folgenden Tagen wurden 7.000 muslimi‐ sche Männer und Jungen im wehrfähigen Alter selektiert, hingerichtet und in Massengräbern verscharrt. Dieses Massaker gilt als das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Dabei hatten die Vereinten Nationen das Gebiet zur UNO-Sicherheitszone erklärt und niederländische UN-Truppen dort stationiert. Ähnlich wie in Ruanda konnten auch sie nur zu‐ schauen; weder das UN-Mandat noch die Ausrüstung reichten aus, einzugreifen und den Genozid zu stoppen. Das Konzept der internationalen Schutzverantwortung hat die Kontrover‐ sen zwischen dem souveränitäts- und menschenrechtsbasierten Ansatz nicht vollständig auflösen können; mit ihm ist es aber gelungen, die gegen‐ sätzlichen Positionen zueinander in Beziehung zu setzen. Im Mittelpunkt des ICISS-Berichtes steht die Neubestimmung des Souveränitätsbegriffs. Danach beinhalte staatliche Souveränität nicht allein die Unabhängigkeit (Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten) und Selbstbestimmung von Staaten, sondern müsse sich zugleich an der Souveränität seiner Bürge‐ rinnen und Bürger messen lassen. Das schließe den Schutz der Bevölkerung mit ein. Sind Staaten nicht in der Lage oder willens, dem Schutz ihrer eigenen Bevölkerung nachzukommen, gehe diese Verantwortung an die internationale Gemeinschaft über. Dieser von der Kommission neu gefasste Souveränitätsbegriff basiert auf dem Human Security-Ansatz, er stellt „den Menschen in den Mittelpunkt und macht ihn zum Maßstab internationaler Politik“ (Kursawe 2012, S. 35). Der ICISS-Bericht benennt drei Teilverantwortlichkeiten: die Prävention (Responsibility to Prevent), die Reaktion (Responsibility to React) und den Wie‐ deraufbau (Responsibility to Rebuild). Im Gegensatz zu den humanitären mili‐ tärischen Interventionen wird ein weiter Ansatz der Krisen- und Konfliktbe‐ arbeitung verfolgt. Auch wenn öffentliche Debatten eher selten darauf Bezug nehmen, gilt Gewaltprävention als die vorrangige Aufgabe und Verpflichtung. Auch im Falle der Responsibility to React, die erst eintritt, wenn die Prävention 9.4 Die internationale Schutzverantwortung 193 <?page no="194"?> versagt hat, sind zunächst Zwangsmaßnahmen jenseits militärischer Gewalt vorgesehen wie finanzielle Sanktionen, Zugriffssperren, das Einfrieren von Bankkonten oder auch Waffenembargos und die Einstellung militärischer Unterstützungsprogramme. Militärische Interventionen sieht das Konzept der internationalen Schutzverantwortung nur in Ausnahmesituationen - bei Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnischen Säuberungen - als Ultima Ratio vor. Mittlerweile ist das Konzept der internationalen Schutzverantwortung auch in Dokumenten der Vereinten Nationen verankert (vgl. u. a. Haedrich 2012, S. 26f.; Loges 2013, S. 19ff.). Zunächst fand es Aufnahme im High Level Panel Report von 2004: „Wir unterstützen die sich herausbildende Norm, der zufolge eine kollektive internationale Schutzverantwortung besteht, die vom Sicherheitsrat wahrzuneh‐ men ist, der als letztes Mittel eine militärische Intervention genehmigt, falls es zu Völkermord und anderen Massentötungen, ethnischer Säuberung oder schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht kommt und souveräne Regierungen sich als machtlos oder nicht willens erwiesen haben, diese zu verhindern“ (UN-Dok. A/ 59/ 565 vom 2. Dezember 2004, Art. 203). Auf dem Weltgipfel der Vereinten Nationen 2005 ist die Responsibility to Pro‐ tect von den Staats- und Regierungschefs einstimmig verabschiedet worden (UN-Dok. A/ RES/ 60/ 1 vom 24. Oktober 2005). Die zentralen Bestimmungen finden sich in den Artikeln 138 und 139. Auszüge aus der Resolution des Weltgipfels von 2005 (UN-Dok. A/ RES/ 60/ 1) 138. Jeder einzelne Staat hat die Verantwortung für den Schutz seiner Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. […] Die internationale Ge‐ meinschaft sollte gegebenenfalls die Staaten ermutigen und ihnen dabei behilflich sein, diese Verantwortung wahrzunehmen, und die Vereinten Nationen bei der Schaffung einer Frühwarnkapazität unterstützen. 139. Die internationale Gemeinschaft hat durch die Vereinten Nationen auch die Pflicht, geeignete diplomatische, humanitäre und andere friedli‐ che Mittel nach den Kapiteln VI und VIII der Charta einzusetzen, um beim Schutz der Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit behilflich zu sein. 194 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation <?page no="195"?> In diesem Zusammenhang sind wir bereit, im Einzelfall und in Zusam‐ menarbeit mit den zuständigen Regionalorganisationen rechtzeitig und entschieden kollektive Maßnahmen über den Sicherheitsrat im Einklang mit der Charta, namentlich Kapitel VII, zu ergreifen, falls friedliche Mittel sich als unzureichend erweisen und die nationalen Behörden offenkundig dabei versagen, ihre Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, eth‐ nischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. […] Eine Stärkung erfuhr die internationale Schutzverantwortung, als der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon 2007 Francis Deng zum Sonderberater zur Verhinderung von Völkermord und 2008 Edward C. Luck zum Sonderberater für die Responsibility to Protect ernannte. In seinem Bericht über die „Umsetzung der Schutzverantwortung“ (UN-Dok. A/ 63/ 677 vom 12. Januar 2009) konkretisierte er das Konzept der R2P und beschrieb die erforderlichen Maßnahmen seiner Implementierung. Dies erfolgte - in Anlehnung an die Artikel 138 und 139 der Resolution des Weltgipfels (UN-Dok. A/ RES/ 60/ 1 vom 24. Oktober 2005) - im Rahmen einer Drei-Säulen-Strategie, die erstens die Schutzverantwortung des Staates, zweitens internationale Hilfe und Kapazitätsaufbau sowie drittens die rechtzeitige und entschiedene Reaktion der internationalen Gemeinschaft enthält. Ein wesentlicher Fokus liegt dabei auf der Schaffung einer Frühwarnkapazität. Ein Vergleich zwischen dem ICISS-Bericht und der Umsetzung der inter‐ nationalen Schutzverantwortung im Rahmen der Vereinten Nationen lässt Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede erkennen. Als zentral erweist sich der breite Ansatz, insbesondere die herausgehobene Rolle der Prävention. Allerdings wurde der von der kanadischen Kommission vorgeschlagene dritte Teil der Schutzverantwortung - die internationale Verantwortung für den Wiederaufbau (Responsibility to Rebuild) - nicht in die Dokumente der Vereinten Nationen übernommen. Hier gab es Bedenken insbesondere von Ländern des Südens, die darin die Gefahr einer Dominanz westlicher Normsetzung und eines „Rückfall[s] in koloniale Bevormundung“ sahen (Justitia et Pax 2015, S. 3). Auch finden sich weder die konkreten Kriterien für 9.4 Die internationale Schutzverantwortung 195 <?page no="196"?> 53 Hier bedient sich der ICISS-Bericht der Kriterien der Lehre vom gerechten Krieg. Danach müssen sechs Kriterien erfüllt sein: legitime Autorität, gerechter Grund, rechte Absicht, letztes Mittel, Verhältnismäßigkeit der Mittel sowie Aussicht auf Erfolg (vgl. ICISS 2001, S. 32). 54 Diesbezüglich machte die Kommission weitreichende Vorschläge, u. a. zur Einbeziehung regionaler Organisationen, zur Möglichkeit der „konstruktiven Enthaltung“ im UN-Si‐ cherheitsrat oder zur Einbeziehung der UN-Generalversammlung. militärische Interventionen 53 noch die Vorschläge der Kommission bei einer Blockierung des UN-Sicherheitsrates 54 in den UN-Dokumenten wieder. Diese heben unverändert auf die zentrale Stellung des UN-Sicherheitsrates ab. Ein weiterer Unterschied besteht im Anwendungsspektrum. Die Responsibility to Protect greift - entsprechend den UN-Dokumenten - in vier konkreten Fällen: bei Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie ethnischen Säuberungen. Der ICISS-Bericht bezog noch einen weiteren Tatbestand ein: dramatische Natur- oder Umweltkatastrophen (vgl. ICISS 2001, S. 33). Dieser fand bei der internationalen Verankerung des Konzepts jedoch keine Berücksichtigung. So wird häufig auch von einer „R2P-lite“ gesprochen (u. a. Weiss 2006, S. 750; Krause und Staack 2019, S. 645). Welchen völkerrechtlichen Status besitzt nun die Responsibility to Protect? Vielfach ist von einer „emerging norm“ beziehungsweise einer in „Norm im Entstehen“ die Rede. Diese Einschätzung ist nicht unumstritten. Politische, rechtliche und ethische Debatten zeigen sich hier durchaus gespalten (vgl. u. a. auch Staack und Krause 2015). Während Ban Ki-moon in seinem Bericht von 2009 betont: „Hervorzuheben ist, dass die Bestimmungen der Ziffern 138 und 139 des Gipfeler‐ gebnisses fest in den anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts verankert sind. Sowohl nach Völkervertragsrecht als auch nach Völkergewohnheitsrecht sind die Staaten verpflichtet, Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhüten und zu bestrafen“ (UN-Dok. A/ 63/ 677 vom 12. Januar 2009), kritisiert beispielsweise der Politikwissenschaftler Christopher Daase (2013), dass „quasi-rechtliche Rechtfertigungsstrategien für Maßnahmen ermöglicht [werden], die stricto sensu völkerrechtswidrig sind“. So gebe die Rede von der „emerging norm“ vor, „die Kluft zwischen Legitimität und Legalität zu schließen“, womit die Grenze zwischen moralischer und rechtlicher Normativität zulasten der Autorität beider verschwimme. Auch 196 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation <?page no="197"?> jüngste friedensethische Debatten nehmen hier Differenzierungen vor; sie verweisen auf den vorrangig politisch-ethischen Charakter der R2P: „Das Konzept nimmt völkerrechtliche Normen auf, gibt aber auch Gelegenheit, das Völkerrecht weiterzuentwickeln. Es bewegt sich dementsprechend auf der Ebene politischer Normativität und stellt eine ‚rechtsethische Überlegung‘ dar, die zur Bearbeitung ‚politischer Aufgaben‘ motiviert“ (Marauhn 2019, S. 145; vgl. auch Hoppe 2019, S. 40f.; Krause 2019, S. 107). In diesem Sinne sei die internationale Schutzverantwortung zwar ein „nor‐ matives Konzept, aber keine völkerrechtliche Norm“ (Marauhn 2019, S. 144). In der politischen Praxis kam das Konzept der R2P jedenfalls bisher nur sehr selektiv und auch eher restriktiv zur Anwendung, zumeist in Form seiner ersten Säule, das an die Verantwortung des betreffenden Staates, seine Bevölkerung zu schützen, appelliert, und weniger als Aufforderung der internationalen Staatengemeinschaft, ihrer Schutzverantwortung nachzu‐ kommen (vgl. Hoppe und Schlotter 2017, S. 694). Dazu hat zu einem Großteil auch der Einsatz in Libyen 2011 - die erste militärische Intervention, die explizit mit der Responsibility to Protect gerechtfertigt wurde - beigetragen. Dieser Einsatz galt mit dem verfolgten Regimewandel nicht nur als negativer Präzedenzfall einer (zu) weiten Auslegung des UN-Mandats, sondern hat vor allem das prinzipielle Missbrauchspotenzial des Konzepts der internationa‐ len Schutzverantwortung offen zutage treten lassen. Die Libyen-Intervention 2011 In Reaktion auf die sich verschärfende Situation des Bürgerkrieges in Libyen verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 17. März 2011 die Resolution 1973. In dieser autorisierte der Sicherheitsrat erstmals ein militärisches Eingreifen in einen inneren Konflikt im Namen der Responsibility to Protect. Die Mitgliedsstaaten wurden ermächtigt, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“, die libysche Zivilbevöl‐ kerung zu schützen und eine Flugverbotszone einzurichten. Nachdem die NATO (vor allem unter französischer und britischer Beteiligung) die Kontrolle über den Luftraum erreicht hatte, setzte sie ihre Angriffe auf militärische Ziele in Libyen fort, um die oppositionellen libyschen Rebellen im Kampf gegen die Regierungstruppen von Muammar al-Gaddafi zu unterstützen. Dabei zielte der NATO-Einsatz mit dem Sturz Gaddafis im August 2011 auf einen Regimewechsel und überzog 9.4 Die internationale Schutzverantwortung 197 <?page no="198"?> damit - so die zentrale Kritik - das UN-Mandat. Dieses Vorgehen hatte Folgen: So scheiterte beispielsweise ein westlicher Resolutionsent‐ wurf zu Syrien im Oktober 2011 mit dem expliziten Verweis Russlands, dass das Eingreifen der NATO den Bürgerkrieg in Libyen verschärft habe und sich dieses westliche Vorgehen nicht wiederholen dürfe. Neben diesen Bedenken stellt sich mit Thomas Hoppe (2019, S. 50) aber auch die ethisch entscheidende Frage, „welche Aussichten bestehen, Menschen wirksam zu schützen und eine Ordnung zu errichten, die weiteren Gräuel‐ taten vorbeugen soll, wenn zugleich diejenigen Akteure, ohne deren maß‐ gebliches Zutun eine interventionsbedürftige Situation nicht entstanden wäre, ihre Macht und die damit verbundene Handlungsfreiheit behalten“. Das zeigt den schmalen Grat zwischen Schutz und Missbrauch auf. Im Nachgang der Kontroverse um das Libyen-Mandat brachte Brasilien die Responsibility while Protecting (die Verantwortung beim Schützen) in die Debatte ein. Das brasilianische Konzept baut auf die R2P auf. Dabei wird die militärische Intervention als letztes Mittel einer internationalen Schutzverantwortung nicht negiert, diese soll aber, um Missbrauchsfälle zu verhindern, von Elementen einer Responsibility while Protecting flankiert werden. Dazu gehören unter anderem: ▸ die politische Unterordnung und chronologische Sequenzierung aller drei Pfeiler der R2P, ▸ eine umfassende Analyse potenzieller Konsequenzen eines militäri‐ schen Eingreifens im Vorfeld der Entscheidung, ▸ die Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat nach Kapitel VII der UN-Charta sowie „in außergewöhnlichen Umständen durch die Gene‐ ralversammlung gemäß Resolution 377 (V)“, ▸ eine rechtliche, operative und zeitliche Begrenzung des militärischen Einsatzes und eine Beschränkung auf die originäre Intention des Man‐ dats sowie ▸ verbesserte Verfahren im UN-Sicherheitsrat zur Überwachung der Inter‐ pretation und Umsetzung der Mandate (vgl. Brenner 2012). Statt dieses Konzeptpapier konstruktiv zu diskutieren und weiterzuentwi‐ ckeln, stieß es - insbesondere im Westen - auf weitgehende Skepsis mit der Folge, dass der brasilianische Vorschlag wieder weitgehend aus dem Fokus aktueller Debatten verschwand. Unabdingbar bleibt aber auch künftig 198 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation <?page no="199"?> die Fortentwicklung der Responsibility to Protect: Zum einen gilt es, das Missbrauchspotenzial zu verringern. Ein Problem stellen hier die „hidden agendas“ von intervenierenden Staaten dar mit dem Potenzial, die originäre Intention der internationalen Schutzverantwortung zu diskreditieren. Zum anderen ist es die selektive Befassung mit Menschenrechtsverletzungen, die der Glaubwürdigkeit der R2P entgegensteht. Schließlich bestehen nach wie vor Implementierungsprobleme. So ist weiterhin die zentrale Frage offen, wie der Schutz durchgesetzt werden kann. Diesbezüglich erweist sich die Bindung der internationalen Schutzverantwortung an eine Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat als „ein Problem von besonderer Tragweite“ (Hoppe 2019, S. 51), führt sie in vielen Fällen zu einer Nichtreaktion auf schwerste Menschenrechtsverletzungen. Erforderlich ist ein „normativer Konsens über das Verhältnis von R2P und militärischer Intervention“ (Oeter 2019, S. 99). Mit einer Responsibility not to Veto oder eines Code of Conduct für die Ausübung des Vetorechts existieren entsprechende Vorschläge, die Handlungsfähigkeit des UN-Sicherheitsrates in R2P-Fragen zu erhöhen, die Erfolgsaussichten dürften allerdings eher gering sein. 9.5 Systeme kollektiver Sicherheit - ein Mythos? Die Reformbedürftigkeit der Vereinten Nationen ist allgegenwärtig; sie wird seit Jahrzehnten angemahnt. Und auch die jüngsten Entwicklungen wie die R2P, die sich am Schutz des Individuums ausrichtet, haben es nicht vermocht, das in der Charta verankerte Gewaltverbot durchzusetzen. Dafür lassen sich verschiedene Gründe anführen: Das beginnt bei der nicht vorhandenen Repräsentativität des UN-Sicherheitsrates, insbesondere im Hinblick auf seine ständigen Mitglieder, und die damit verbundene Vetopraxis und reicht bis zum nur unvollständig ausgeprägtem Gewaltmo‐ nopol. So besitzen die Vereinten Nationen mit dem Sicherheitsrat zwar das „legitimierende Gewaltmonopol“, angesichts fehlender Stand-by-Forces und entsprechender Abkommen nach Art. 43 UN-Charta fehlen ihnen bislang jedoch die Mittel (das „possessive Gewaltmonopol“, vgl. Jaberg 2013, S. 243), es auch durchzusetzen. Als noch grundsätzlicher dürften sich aber die Herausforderungen, die konzeptionell mit Systemen kollektiver Sicherheit einhergehen, erweisen. Im Gegensatz zu Allianzen sind Systeme kollektiver Sicherheit inklusive Institutionen, womit sie nach Harald Müller (1994, S. 233) eine zentrale 9.5 Systeme kollektiver Sicherheit - ein Mythos? 199 <?page no="200"?> Bedingung zu ihrer Friedensfähigkeit erfüllen. Zudem verfügen sie über einen nach innen wirkenden Sanktionsmechanismus (vgl. Meyer 2011, S. 481, 566). Systeme kollektiver Sicherheit Darunter wird „eine spezifische Anordnung von Staaten zur Gewähr‐ leistung ihrer Sicherheit verstanden […], die im Wesentlichen durch das Zusammenwirken zweier Merkmale charakterisiert ist: 1. Ein System kollektiver Sicherheit bezieht die potenziellen Gegner ein. 2. Im Fall eines Rechtsbruchs (zumal mit militärischer Gewaltanwen‐ dung verbunden) sind alle anderen Mitglieder dazu verpflichtet, mittels Sanktionen gegen den Rechtsbrecher dem Recht Geltung zu verschaffen“ (Jaberg 1998, S. 16). Damit können Systeme kollektiver Sicherheit als Sicherheitsgarant fungie‐ ren, die Abschreckung beziehungsweise Abhaltung verstärken und Koope‐ ration begünstigen (vgl. Jaberg 1999, S. 50ff.). In der Definition von Daniel Frei (1970, S. 69f.) deutet sich aber bereits die Schwachstelle des Konzeptes an: „Das Wesen der kollektiven Sicherheit […] liegt darin, daß dieses System zwar mit dem Krieg rechnet und auch bereit ist, gegen Widerspenstige […] einen gerechten Krieg zu führen. Aber man setzt dabei offenbar stillschweigend voraus, dass es gar nicht zu einem solchen Strafkrieg im Namen der Völkergemeinschaft kommen werde, sondern daß bereits die Aussicht auf einen solchen den potentiellen Rechtsbrecher abschrecken werde“ (vgl. auch Meyer 2011, S. 481). Ernst-Otto Czempiel (1994, S. 792) setzt an diesem Punkt an. Er erkennt zwar den institutionellen Fortschritt eines solchen Systems an, sieht aber in der kollektiven Sicherheit einen „Konstruktionsfehler“: „Das Prinzip kann nur funktionieren, wenn es nicht gebraucht wird; wird es gebraucht, funktioniert es nicht. Kollektive Sicherheit beruht auf einem Mythos“ (Czempiel 1994, S. 795; vgl. auch Meyer 2011, S. 482; Hubel 2005, S. 180f.). 200 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation <?page no="201"?> Einwände gegen das System kollektiver Sicherheit sind verbreitet. In diesem Kontext werden vor allem drei Argumente in Anschlag gebracht (vgl. Jaberg 1999, S. 48f.; Hubel 2005, S. 182): ▸ Nach dem Prinzip der kollektiven Sicherheit müssen Staaten bereit sein, einen Aggressor notfalls auch mit militärischen Mitteln abzuwehren. Das setzt die Bereitschaft voraus, „einen lokalen Konflikt auch zu einem umfassenden Krieg eskalieren zu lassen und dafür die eigenen Streitkräfte entschlossen einzusetzen“ (Hubel 2005, S. 182) - und zwar auch dann, wenn die eigenen Interessen nicht unmittelbar betroffen sind. ▸ Systeme kollektiver Sicherheit erfordern die klare Identifizierung von Opfer und Aggressor. Das schließt die Bereitschaft ein, „traditionelle freundschaftliche Beziehungen zu einem nun als Aggressor zu kenn‐ zeichnenden Staat aufzugeben“ (Hubel 2005, S. 182). ▸ Schließlich stößt das Prinzip der kollektiven Sicherheit gegenüber Atommächten an ihre Grenze, erhöhe sich unter diesen Bedingungen die Gefahr einer nuklearen Zerstörung. Diese Einwände negieren nicht per se die Verdienste kollektiver Sicherheit, verweisen aber auf das, was Ernst-Otto Czempiel Konstruktionsfehler nennt. Dieser bezieht sich allerdings vorrangig auf das militärische Ein‐ greifen der internationalen Staatengemeinschaft gegen einen potenziellen Aggressor. Davon unberührt bleiben dagegen in der Regel Maßnahmen unterhalb der militärischen Schwelle. 9.6 Fazit Die institutionalistischen Ansätze zum Frieden - das Setzen auf internatio‐ nale Institutionen wie auch die zunehmende Verrechtlichung der interna‐ tionalen Beziehungen - haben eines gemeinsam: Sie verbindet das Ziel, die anarchische, rechtlose Situation im internationalen System aufzuheben oder zumindest abzumildern. Durch Regeln und Normen suchen sie, die Voraus‐ setzungen für einen Interessenausgleich zu schaffen und die Interaktion von Staaten so zu beeinflussen, dass ein gewaltfreier Umgang mit Konflikten befördert wird. Dieser Zugang mag defizitär, wenn nicht gar ambivalent erscheinen. Da‐ für sprechen die nach wie vor fehlende Durchsetzungskraft des völkerrecht‐ 9.6 Fazit 201 <?page no="202"?> lichen Gewaltverbots, die häufig zu konstatierende Handlungsunfähigkeit der Vereinten Nationen oder auch der OSZE, das interessengeleitete „Ab‐ schotten“ exklusiver Organisationen, wie es selbst die Politik der Europäi‐ schen Union zeigt (als Synonym hierfür steht ihre Flüchtlingspolitik), oder auch das Missbrauchspotenzial, das sich mit der internationalen Schutz‐ verantwortung und humanitär begründeten militärischen Interventionen verbindet. Warnungen vor allzu überzogenen Erwartungen und Hoffnungen auf einen globalen Frieden durch einen „irgendwie gearteten Friedensbund“ (Knapp 1994, S. 261) oder die eine idealtypische Institution sind nicht neu. Unter Verweis auf Vertreter wie Jean Jacques Rousseau oder Immanuel Kant betont auch Manfred Knapp (1994, S. 261f.) im Hinblick auf die Vereinten Nationen die notwendig gradualistische Annäherung an den Frieden, ver‐ steht sich dieser als Prozess: „Nicht die perfektionierte Friedensorganisation mit sehr weitgehenden Rege‐ lungskompetenzen sei das Ziel, sondern die durch sie - im Sinne eines regulierten friedlichen Wandels - instrumentierte Friedensstrategie verspreche einen gang‐ baren Weg zur annäherungsweisen Lösung des Friedensproblems.“ Weiterführende Literatur: Czempiel, Ernst-Otto. 1998. Friedensstrategien. Eine systematische Darstellung außenpolitischer Theorien von Machiavelli bis Madariaga. 2. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag. Ausgehend vom Verständnis des Friedens als Prozess untersucht der Autor institutionalistische wie auch liberale Friedensstrate‐ gien. Im ersten Fall wird der Friede durch Einwirkung auf die Interaktion gesucht, im zweiten durch Änderung gesellschaftlicher Strukturen. Merkel, Reinhard (Hrsg.). 2000. Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Anlässlich des NATO-Einsatzes 1999 im Kosovo diskutieren die Autoren Fragen nach dem Fundament, der Reichweite, der Revisions‐ bedürftigkeit und Zukunft tradierter Normen des Völkerrechts und der internationalen politischen Ethik. Werkner, Ines-Jacqueline und Thilo Marauhn (Hrsg.). 2019. Die internationale Schutzverantwortung im Lichte des gerechten Friedens. Wiesbaden: Springer VS. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes diskutieren, inwieweit es im Rahmen der Schutzverantwortung möglich ist, Geist, Logik und Praxis des Krieges zu überwinden. 202 9 Friedenssicherung durch Verrechtlichung und internationale Kooperation <?page no="203"?> 10 Frieden durch Demokratisierung Während (neo)realistische und institutionalistische Zugänge ihren Fokus auf die Anarchie des internationalen Systems richten, nehmen liberale Friedensstrategien die staatlich organisierten Gesellschaften in den Blick. Im Zentrum der Betrachtung steht hier die Frage, unter welchen innerge‐ sellschaftlichen Bedingungen außenpolitische Entscheidungen getroffen werden und wie ein Frieden durch Änderung gesellschaftlicher Strukturen erreicht werden kann. Hier lassen sich zwei potenzielle Wege ausmachen: Ein erster setzt beim Herrschaftssystem an und fragt nach der Regierungs‐ form und der Verfasstheit des politischen Systems. Ein zweiter bezieht sich auf das Wirtschaftssystem und umfasst Fragen der Förderung des Friedens und des Wohlstands durch Freihandel, internationale Wirtschaftsorgani‐ sationen, Handel, Verstaatlichung der Rüstungsindustrie oder Kontrolle wirtschaftlicher Macht (vgl. Czempiel 1998, S. 6, 147 ff.). Beide „entscheiden über die Auswahl der zu verfolgenden Interessen und über die Mittel und In‐ strumente, mit denen sie in der internationalen Umwelt verwirklicht werden sollen“ (Czempiel 1998, S. 147). Dabei erweist sich das Herrschaftssystem als die bestimmende Struktur; „davon abhängig ist das Wirtschaftssystem. Seine Verteilungsprozesse lassen sich leichter verändern als die der Herrschaft“ (Czempiel 1998, S. 149). Herrschaftsfragen dominieren dementsprechend auch die liberalen De‐ batten der Friedens- und Konfliktforschung, insbesondere Fragen der Förde‐ rung des Friedens durch demokratische Strukturen und Prozesse der Demo‐ kratisierung. In diesem Kontext beherrschen zwei Theoreme die Diskussion: der auf Immanuel Kant zurückgehende demokratische Frieden sowie - als ein jüngeres Konzept aus der Zeit der heutigen Friedensforschung - das zivilisatorische Hexagon von Dieter Senghaas. Die folgenden Ausführun‐ gen beschränken sich auf die Darstellung und Diskussion dieser beiden Theoreme. Auch wenn sie nur exemplarisch für die liberalen Debatten der Friedensforschung stehen, lassen sich an ihnen zentrale Argumentationen dieses Zugangs einschließlich seiner Antinomien aufzeigen. <?page no="204"?> 10.1 Der liberale Zugang zum Frieden Im Gegensatz zu den beiden zuvor behandelten Denkschulen öffnet die liberale Schule die Blackbox des Staates. Für liberale Vertreterinnen und Ver‐ treter wird das Verhalten von Staaten weniger durch ihre Machtverteilung oder ihre Kooperationen und Kooperationshindernisse im internationalen System bestimmt. Vielmehr geht es auf die „Beziehungen der Regierungen zu ihren gesellschaftlichen Umfeldern“ (Mayer 2017, S. 554) zurück. Im Fokus der liberalen Analyse stehen die Präferenzbildungsprozesse der staatlich organisierten Gesellschaften. Die zentralen Akteure im internationalen System sind also nicht Staaten, sondern Individuen und Gruppen. Konkreter gefasst sind es die demokratischen Mehrheiten beziehungsweise mächtige Interessengruppen, die das Verständnis von Sicherheit, Wohlfahrt und Souveränität prägen, welches die einzelnen Regierungen nach außen ver‐ folgen. Staaten agieren dabei als „Transmissionsriemen der dominanten gesellschaftlichen Präferenzen“ (Kahl und Rinke 2019, S. 73). Auf der Ba‐ sis gemeinsamer Interessen kann es zu Koexistenz und Kooperation, bei unterschiedlichen Präferenzen aber auch zu Konflikten und gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen (vgl. Krell und Schlotter 2018, S. 176f.). Liberale Traditionen reichen bis zum Ende des 18./ Anfang des 19. Jahr‐ hunderts zurück und verbinden sich ideengeschichtlich insbesondere mit Immanuel Kant (1724-1804). Dafür steht vor allem Kants „Zum ewigen Frieden“ (1795) - ein zentrales Referenzwerk auch für die heutige Friedens- und Konfliktforschung. Spätestens mit den Krisenerfahrungen des 20. Jahr‐ hunderts, zuvorderst dem Scheitern des Völkerbundes und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, traten liberale Theorien zugunsten realistischer in den Hintergrund. Und auch die Friedensforschung hat, sofern sie Herr‐ schaftsfragen in den Blick genommen hat, angesichts der Dominanz des Ost-West- und Nord-Süd-Konflikts zumeist einen anderen Fokus gesetzt: „Im Allgemeinen dominierten seinerzeit anstelle der Dichotomie Demokratie/ Au‐ tokratie jedoch die Unterscheidungen Kapitalismus/ Kommunismus sowie Indus‐ trieländer/ Entwicklungsländer die Debatten. Entsprechend waren Entwicklung, Abrüstung oder friedliche Koexistenz die bestimmenden Leitbilder, nicht Demo‐ kratisierung“ (Geis und Wolff 2011, S. 113). Zu einer Renaissance liberaler Ansätze kam es mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Systemwandel in Mittel- und Osteuropa, der „einen Blick in die gesellschaftlichen Tiefenschichten der internationalen Politik freige‐ 204 10 Frieden durch Demokratisierung <?page no="205"?> geben und die Gültigkeit der liberalen Analyse bestätigt [hat]“ (Schieder 2006, S. 175). In jüngerer Zeit war es Andrew Moravcsik (1997), der in Aus‐ einandersetzung und Differenz zum (Neo)Realismus und Institutionalismus einen „neuen Liberalismus“ entwickelte (vgl. auch Schieder 2006). Den Kern seiner Theorie bilden drei Grundannahmen: ▸ der Vorrang des sozialen Akteurs und der Gesellschaft vor dem Staat: Die Hauptakteure im internationalen System sind Individuen und gesellschaft‐ liche Gruppen, „die gemäß ihren jeweiligen Präferenzen materielle und ideelle Interessen innerhalb des Staates, aber auch im transnationalen Beziehungsgeflecht durchsetzen“ (Schieder 2006, S. 182; vgl. Moravcsik 1997, S. 516f.). Das muss nicht zwingend harmonisch verlaufen; „[v]ielmehr ist die Gesellschaft von einem ständigen Wettbewerb zwischen Einzel- und Gruppeninteressen geprägt“ (Schieder 2006, S. 183). Konflikte entstehen, wenn Wertvorstellungen auseinanderdriften, die Ressourcen knapp sind oder unterschiedliche Zugänge zur politischen Partizipation bestehen (vgl. Moravcsik 1997, S. 517; Schieder 2006, S. 183). ▸ innergesellschaftliche Repräsentation und staatliche Präferenzbildung: Der Staat ist kein einheitlicher Akteur; er repräsentiert die Präferenzen gesellschaftlicher Akteure, die sich in Interessenvermittlungs- und Ent‐ scheidungsprozessen durchsetzen. Nach Moravcsik (1997, S. 518) ist er „a representative institution constantly subject to capture and recapture, construction and reconstruction by coalitions of social actors“. Das heißt nicht, dass der Staat im (neuen) Liberalismus keine Bedeutung mehr habe: „Im Gegenteil: Jede Regierung repräsentiert bestimmte Gruppen und Individuen mehr oder weniger vollständig als andere - von Diktaturen im Stile eines Josef Stalin bis hin zu breiten Formen der demokratischen Partizipation in der OECD-Staatenwelt“ (Schieder 2006, S. 184). Die Annahme des Staates als Transmissionsriemen gesell‐ schaftlicher Präferenzen impliziert dann auch, dass es Staaten nicht per se und vorrangig um die Maximierung von Sicherheit und Macht geht. „Ihr Grundmotiv ist vielmehr das Streben nach Wohlfahrtsgewinnen“ (Schieder 2006, S. 184). ▸ internationale Umwelt und interdependente Präferenzordnungen: Die In‐ teraktion im internationalen System ergibt sich ebenfalls aus den in‐ nerstaatlichen und innergesellschaftlichen Präferenzbildungsprozessen. Moravcsik (1997, S. 521) hat es auf die Kurzformel gebracht: „[W]hat states want is the primary determinant of what they do.“ Dabei lassen 10.1 Der liberale Zugang zum Frieden 205 <?page no="206"?> sich drei potenzielle Konstellationen von Präferenzordnungen ausma‐ chen: (1) konvergierende Präferenzen der Staaten - sie erhöhen die Chancen für zwischenstaatliche Kooperationen; (2) divergierende ge‐ sellschaftliche Präferenzen zwischen den Staaten - sie vergrößern die Wahrscheinlichkeit von Spannungen und Konflikten; und (3) komple‐ mentäre nationale Präferenzen - hier bestehen in der Regel „ausreichend Anreize für zwischenstaatliche Verhandlungen, Konzessionen und For‐ men der internationalen Politikkoordination“ (Schieder 2006, S. 185). Dabei wird internationale Politik über zwei Mechanismen gesteuert: Einer‐ seits beschränken gesellschaftliche Präferenzordnungen Handlungsoptio‐ nen und damit staatliche Außenpolitik (Selektion). Andererseits versuchen Staaten, ihre innergesellschaftlichen Strukturen und Handlungen auf das internationale System zu übertragen (Externalisierung). In diesem Sinne konstatiert Ernst-Otto Czempiel (1998, S. 152): „Ist die Gewalt traditionelles Medium des internen Verteilungsprozesses, ist sie, sozusagen, Bestandteil der politischen Kultur eines Staates, so wird sie sich auch bei der Regelung externer Konflikte anbieten. Sie wird um so attraktiver sein, als das Instrumentarium dazu, die organisierte militärische Gewalt, ohnehin vorhanden ist.“ Im Weiteren differenziert Andrew Moravcsik (1997, S. 524ff.; vgl. auch Schieder 2006, S. 186ff.) die liberale Theorie weiter aus. Er unterscheidet - je nachdem, welche Einflussfaktoren im Fokus des Interesses und der Analyse stehen - zwischen drei Varianten des Liberalismus: ▸ dem ideellen Liberalismus: Darunter fasst Moravcsik (1997, S. 525) ein „set of preferences shared by individuals concerning the proper scope and nature of public goods provision, which in turn specifies the nature of legitimate domestic order by stipulating which social actors belong to the policy and what is owed them”. Der ideelle Liberalismus fokussiert auf die Kompatibilität sozialer Werte und Identitäten bezüglich des Ausmaßes und der Natur öffentlicher Güter. ▸ dem kommerziellen Liberalismus: Hier ist das Staatsverhalten von den Gewinnen und Verlusten gesellschaftlicher Akteure durch transnatio‐ nale Wirtschaftsbeziehungen abhängig. In Anlehnung an Adam Smith (1723-1790) gehören Freihandel und wirtschaftliche Ordnungen, die auf Privateigentum und Marktwirtschaft beruhen, zu den erfolgver‐ sprechendsten Voraussetzungen für die Schaffung und Sicherung des 206 10 Frieden durch Demokratisierung <?page no="207"?> Friedens. Dahinter steht die „Annahme einer Kausalbeziehung zwischen wachsender ökonomischer Abhängigkeit, Gewinnen aus internationaler Arbeitsteilung (und deren Antizipation) und internationalem Handel sowie steigender (ökonomischer) Nachteile eines Einsatzes militärischer Gewalt und damit einer konfrontativen staatlichen Außenpolitik, insbe‐ sondere für Wirtschaftsakteure“ (Groten und Staack 2015, S. 273). ▸ dem republikanischen Liberalismus: Bei dieser Variante des Liberalismus stehen die Art und Weise der gesellschaftlichen Präferenzbildungsprozesse und der Zugang zur politischen Partizipation im Zentrum der Betrachtung. Je stärker Individuen und Gruppen in Entscheidungsprozessen repräsentiert sind, desto größer ist ihr politischer Einfluss. Ist der politische Einfluss auf viele Akteure verteilt, neigen Staaten eher zu Kooperation, da ein Großteil der gesellschaftlichen Akteure - so die republikanische Annahme - risikoavers sei. Konzentriert sich dagegen der politische Einfluss auf nur wenige Individuen beziehungsweise Gruppen, ist das Risiko höher, dass Staaten eine konfliktive oder gar expansive Politik verfolgen. So könne die „überrepräsentierte Minderheit […] die Kosten für eine konfrontative Außenpolitik überproportional auf die unterrepräsentierte Mehrheit über‐ tragen […], bei gleichzeitiger Nutzbarmachung der damit einhergehenden Vorteile (materiell, ideell) einer solchen Politik für sich selbst“ (Groten und Staack 2015, S. 273f.). Vor diesem Hintergrund ist in Anlehnung an Immanuel Kant Frieden nur möglich, wenn Staaten demokratisch beziehungsweise republikanisch verfasst sind. 10.2 Der demokratische Frieden Der demokratische Frieden und mit ihm „die Idee einer besonderen Frie‐ densfähigkeit der Demokratie“ (Geis und Wolff 2011, S. 112) zählen „zu den am erfolgreichsten popularisierten Ergebnissen staatsphilosophischen und politologischen Denkens der Moderne“ (Müller 2002, S. 47). In der friedenswissenschaftlichen Forschung waren es insbesondere Ernst-Otto Czempiel (1986, 1996) und im amerikanischen Raum Michael Doyle (1983) und später Bruce Russett (1993), die in Aufnahme des Kant’schen Argu‐ ments „Zum ewigen Frieden“ den liberalen Ansatz stark machten und das Theorem des demokratischen Friedens etablierten. Dieses erweist sich auch politisch als wirkmächtig. „Die aktive Förderung von Demokratie - Demokratisierungshilfe oder auch Demokratisierungsdruck - steht heute 10.2 Der demokratische Frieden 207 <?page no="208"?> an der Spitze der Ziele westlicher Außenpolitik. […] Neben normativen Begründungen gilt die ordnungsstiftende, friedenserhaltende Wirkung der Demokratie nach außen als wichtigste Rechtfertigung“ (Müller 2002, S. 47). So werden nicht nur Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union und die Europäische Nachbarschaftspolitik entsprechend konditioniert. Auch die Entwicklungshilfe oder internationale Einsätze werden vor diesem Hintergrund häufig mit dem Aufbau demokratischer Strukturen verknüpft. Dabei ist der Zusammenhang von Demokratie und Frieden nicht so ein‐ deutig wie es das Theorem des demokratischen Friedens zunächst vermuten lässt. Ausgehend von der Grundthese des demokratischen Friedens, dass demokratische Staaten untereinander keine Kriege führen, lassen sich zwei Theoriestränge ausmachen: Der monadische Strang geht davon aus, dass Demokratien grundsätzlich friedfertiger sind als andere Formen staatlicher Organisation. Für Vertreterinnen und Vertreter des dyadischen Stranges gilt die Friedfertigkeit nur für Demokratien untereinander. So lässt sich empirisch ein Doppelbefund konstatieren: Einerseits führen Demokratien in der Tat untereinander (fast) keine Kriege und tragen ihre Konflikte in der Regel mit zivilen Mitteln aus. Andererseits sind Demokratien gegenüber nicht-demokratischen Staaten durchaus kriegsbereit und verhalten sich ihnen gegenüber in ähnlicher Weise unfriedlich wie dies bei autokratischen Staaten zu beobachten ist (vgl. u. a. Aust et al. 2004, S. 15; Rauch 2005, S. 22ff.; Hasenclever 2006, S. 214f.). Die dyadische Variante des demokratischen Friedens stellt den friedenswissenschaftlichen Mainstream dar. Nur wenige Friedensforscherinnen und -forscher halten an der monadischen Argumen‐ tation fest. Dazu zählen insbesondere der US-amerikanische Politikwissen‐ schaftler Rudolph Rummel (1995), aber auch der deutsche Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel (1998, S. 149ff.). Nach Czempiel (1972, S. 55) stehe nicht die theoretische Beziehung von Demokratie und Frieden infrage, „sondern die Unzulänglichkeit, ja die Verfälschung ihrer Umsetzung in politische Praxis“. So widerlege der empirische Doppelbefund nicht die monadische Argumentation, sondern sei vielmehr Ausdruck einer unvollkommenen Demokratie. Dazu gehöre beispielsweise die mangelhafte Demokratisierung der Außenpolitik, was sich unter anderem an begrenzten parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten zeige (vgl. auch Geis und Wolff 2011, S. 116f.). Welche Erklärungsansätze kommen nun aber konkret beim demokrati‐ schen Frieden zum Tragen? Zwei Bemerkungen seien hier vorangestellt: Zum einen basieren monadische und dyadische Theoriestränge auf den gleichen beziehungsweise ähnlichen Annahmen über Kausalmechanismen, 208 10 Frieden durch Demokratisierung <?page no="209"?> die ausgehend vom politischen System der Demokratie entsprechende Rückschlüsse auf das Außenverhalten von demokratischen Staaten ziehen. So besteht ungeachtet des empirischen Doppelbefundes zwischen beiden Versionen ein enger theoretischer Zusammenhang: „Da die Argumentationslogiken beider weitgehend identisch sind, wird die dya‐ dische Theorie von Zweifeln an der Stimmigkeit und Richtigkeit der monadischen erheblich in Mitleidenschaft gezogen“ (Müller 2002, S. 48). Obgleich der demokratische Frieden - dies als zweite Vorbemerkung - als eine der zentralen liberalen Friedensstrategien firmiert, werden neben liberalen auch Argumentationslinien anderer Metatheorien wirksam. So nimmt der demokratische Frieden Anleihen aus der Rational Choice-Theorie, dem Funktionalismus sowie dem Konstruktivismus (vgl. Müller 2002, S. 52). Der liberale Erklärungsansatz des demokratischen Friedens geht auf den ersten Definitivartikel von Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden“ zurück. Immanuel Kant (1795): „Zum ewigen Frieden“ (Auszug) „Erster Definitivartikel zum ewigen Frieden: Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein. Die erstlich nach Prinzipien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen), zweitens nach Grundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertanen) und drittens die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung - die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet sein muß - ist die republikanische. […] Wenn (wie es in dieser Verfassung nicht anders sein kann) die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ob Krieg sein solle, oder nicht, so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten (als da sind: selbst zu fechten; die Kosten des Krieges aus ihrer eigenen Habe herzugeben; die Verwüstung, die er hinter sich läßt, kümmerlich zu verbessern; zum Übermaße des Übels endlich noch eine den Frieden selbst verbitternde, nie (wegen naher, immer neuer Kriege) zu tilgende Schuldenlast selbst zu übernehmen), sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen“ (Kant 1968 [1795], S. 351). 10.2 Der demokratische Frieden 209 <?page no="210"?> Nach Kant stellt die Beschaffenheit des politischen Systems - konkret die republikanische Verfassung - die zentrale Friedensbedingung dar. Maßgeb‐ lich sei dabei das Mitspracherecht der Bürgerinnen und Bürger bei allen wichtigen (außen)politischen Fragen. So entscheiden sich diese aus utilita‐ ristischen Gründen und Kosten-Nutzen-Abwägungen gegen den Krieg, da sie sowohl „das leibliche Risiko für sich und ihre Angehörigen“ als auch „die unmittelbaren und die längerfristigen Folgekosten“ scheuen (Müller 2002, S. 53, siehe Kasten). Das heißt: Je größer der Grad der politischen Partizipation der Bürgerinnen und Bürger ist, desto risikoscheuer und kriegsabgeneigter zeigen sich Staaten. In diesem Sinne konstatiert auch Harald Müller (2002, S. 53): „Für die Theorien des demokratischen Friedens ist die Präferenzstruktur der Bürger demokratischer Staaten keine empirische Frage, sondern - zumindest im Sinne einer statistischen Verteilung - fixiert.“ Der demokratische Frieden basiert auf der Annahme, dass „die Institu‐ tionen der Demokratie - Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, Wahlen, Koalitionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und die entsprechende Transparenz und die öffentlichen Diskurse - den Bürgerwillen in politische Entscheidungen transformieren“ (Müller 2003, S. 227; vgl. auch Hasencle‐ ver 2006, S. 217ff.). Dabei garantiert die demokratische Gewaltenteilung (Legislative, Exekutive und Judikative) die wechselseitige Kontrolle, ausge‐ drückt in dem Prinzip der Checks and Balances. Die Rechenschaftspflicht der Exekutive trägt zur nötigen Transparenz in Demokratien bei. Wahlen repräsentieren die Bürgerinteressen, legitimieren die Arbeit von Parlament und Regierung, gewährleisten den Interessenausgleich, integrieren die Be‐ völkerung in die Politik und ermöglichen die Konkurrenz persönlicher und programmatischer Alternativen. Zudem sind es die in Demokratien garan‐ tierte Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit, die die Voraussetzungen für die politische Partizipation der Bürgerinnen und Bür‐ ger schaffen und öffentliche Diskurse ermöglichen. Demokratisch gewählte Regierungen unterliegen somit „dem Imperativ der doppelten Konsonanz“; ihnen müssen nicht nur „weite Teile der politischen Eliten freiwillig folgen, sondern auch die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger“ (Hasenclever 2006, S. 217f.). Mit dem Krieg und seinen hohen Kosten stehen stets auch das politische Amt beziehungsweise die Wiederwahl auf dem Spiel. So werden Regierungen demokratischer Staaten einen Krieg nur riskieren, wenn sie diesen vor ihren Bevölkerungen auch rechtfertigen können. Das dürfte 210 10 Frieden durch Demokratisierung <?page no="211"?> vorrangig bei Verteidigungskriegen der Fall sein (vgl. Hasenclever 2006, S. 218). In autokratischen Systemen ist die politische Partizipation der Bürgerin‐ nen und Bürger dagegen deutlich eingeschränkt. Das erlaubt autokratischen Regierungen, Entscheidungen - selbst Kriegsentscheidungen - zu treffen, die nicht am Bürgerwillen rückgebunden sind. So belegen auch empirische Untersuchungen, dass das Risiko des Verlustes des politischen Amtes im Falle einer militärischen Niederlage in Autokratien weitaus geringer ist als in Demokratien (vgl. Bueno de Mesquita und Siverson 1995; Hasenclever 2006, S. 218f.). Neben den politischen Institutionen zählt die politische Kultur zu den wesentlichen Kontextfaktoren außenpolitischen Verhaltens von Staaten (vgl. Hasenclever 2006, S. 219ff.). Sie gibt unter anderem Auskunft über die innergesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt. Nach liberaler Lesart externa‐ lisieren Staaten Normen, „welche sie im Innern selbst praktizieren“ (Rauch 2005, S. 39). Dabei befördern die Institutionen der Demokratie ein Verhalten, das Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ablehnt. „Viel‐ mehr ergibt sich aus dem grundlegenden Respekt vor der Würde und den Rechten des Anderen eine fundamentale Präferenz für Interessenausgleich und Kompromiss“ (Hasenclever 2006, S. 219). Und das führe dazu, dass „die Bürgerinnen und Bürger von ihren Regierungen erwarten, dass sie so wenig Gewalt wie möglich bei der Verfolgung nationaler Interessen einsetzen“ (Hasenclever 2006, S. 219). In autokratischen Systemen herrscht eine Minderheit über eine Mehrheit. Die ungleichen Partizipationsmöglichkeiten bergen Ungerechtigkeiten, die „sich auf Dauer nur mit organisiertem Zwang aufrechterhalten [lassen]“ (Hasenclever 2006, S. 220). Die daraus resultierende innere Gewalt übertrage sich auf das internationale System. So seien autokratische Staaten außer‐ stande, Konflikte friedlich zu lösen. „Vielmehr stellen sie eine permanente Gefahr für die internationale Sicherheit und den Frieden in der Welt dar“ (Hasenclever 2006, S. 220). Hieraus leite sich dann auch die Erklärung dafür ab, dass die Friedfertig‐ keit von Demokratien nur gegenüber ihresgleichen gelte: „Demokratien und Autokratien befinden sich im ‚Naturzustand‘, weil demokra‐ tische Regierungen nicht erkennen können, dass autokratische Regierungen ähnlichen Gewaltbeschränkungen unterworfen sind wie sie selbst. Zwischen 10.2 Der demokratische Frieden 211 <?page no="212"?> ihnen herrscht tiefstes Misstrauen und entsprechend brutal entfaltet das Sicher‐ heitsdilemma seine Wirkung“ (Hasenclever 2006, S. 220). So führe das Sicherheitsdilemma dazu, „dass demokratische Regierungen meinen, sich vor der Ausbeutung ihrer natürlichen Zurückhaltung durch gewaltbereite Autokratien schützen zu müssen“, und zwar in aller Härte, gegebenenfalls auch „präemptiv auf Bedrohungen ihrer Interessen“ (Hasen‐ clever 2006, S. 221). 10.3 Antinomien des demokratischen Friedens In der Friedensforschung ist das Theorem des demokratischen Friedens nicht unwidersprochen geblieben. Das empirische Spannungsverhältnis, „warum ‚der demokratische Friede‘ statistisch nicht eine deutlich größere Friedfer‐ tigkeit der Demokratien insgesamt, sondern nur ihren außergewöhnlichen Pazifismus gegenüber ihresgleichen beinhaltet“ (Müller 2008), ist bis heute Gegenstand intensiver Debatten. Das größte deutsche Friedensforschungsin‐ stitut, das PRIF (Peace Research Institute Frankfurt, die frühere Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung), hat ihr Forschungsprogramm über zwölf Jahre (2000-2011) explizit den Antinomien des demokratischen Friedens gewidmet. Antinomien gehen weiter als Kritik; sie nehmen die theoretischen Annahmen und die ihr inhärenten Widersprüche in den Blick: „Die Antinomie ist als Widerspruch ‚in dem Sinne fundamental, dass er etwas Wesentliches über das System, in dem er entsteht (z. B. […] über die Struktur einer bestimmten Theorie) aussagt und man ihn durch bloßes Bestreiten einer seiner Seiten nicht eliminieren kann, sondern, wenn überhaupt, erst durch die Änderung der Grundlage, aus der er entsteht‘ (Sandkühler 1990, S. 147). Das Auffinden von ‚Antinomien des demokratischen Friedens‘ würde also die Notwendigkeit nach sich ziehen, die Befunde in die Theorie zu integrieren und/ oder diese gründlich zu ändern“ (Müller 2002, S. 51f.). Harald Müller (2002) macht zahlreiche Antinomien (insgesamt 26) fest, bei denen die gesetzten Kausalmechanismen auch andere Entwicklungsmög‐ lichkeiten als die im Theorem angenommenen zulassen. Dabei eruiert er vier Kategorien von Antinomien (vgl. Müller 2002; 2003, S. 229ff.): Inklusion/ Exklusion: Der demokratische Frieden basiert auf „der bewuss‐ ten Selbstvergewisserung der Demokratien“ (Müller 2003, S. 229). Nur Staa‐ ten, die mit den Institutionen der Demokratie ausgestattet sind, seien 212 10 Frieden durch Demokratisierung <?page no="213"?> in der Lage, dem Frieden zugewandte Wertorientierungen und Normen zu generieren, diese auf das internationale System zu übertragen und eine friedfertige Außenpolitik zu betreiben. Der dyadische Theoriestrang setzt bei Demokratien auf eine sich gegenseitig verstärkende Wirkung der institutionellen Faktoren. Sozial-konstruktivistisch betrachtet entstehe ein „Engelskreis“; Demokratien erkennen einander als solche an und gehen von positiven Erwartungen über das Verhalten der Partnerdemokratien aus (vgl. Risse-Kappen 1995). Demgegenüber wird Autokratien ein solches friedfertiges Verhalten abgesprochen; sie werden als different angesehen und als minderwertig und gefährlich diskreditiert. Die Zuordnung zur demokratischen Ingroup beziehungsweise nicht-demokratischen Outgroup einschließlich der mit ihr verbundenen Dichotomie von „Demokratie = friedlich“ und „Nicht-Demokratie = gewaltsam“ erfolgt jedoch nicht nach objektiven Kriterien. Zwar mag sie häufig der Realität entsprechen, zwin‐ gend ist sie aber nicht (vgl. auch Müller 2008). Vielmehr ist sie das Resultat einer sozialen Konstruktion. Der Doppelbefund des demokratischen Frie‐ dens lässt sich dann wie folgt erklären: „Im Ergebnis bildet sich eine demokratische Sicherheitsgemeinschaft heraus, die nach innen durch Verständnis und Solidarität gekennzeichnet ist und nach außen auf Unabhängigkeit und Distanz achtet. Die Gemeinschaftsmitglieder entwickeln ein starkes Gruppenbewusstsein oder „Wir-Gefühl“. Sie haben ein gemeinsames Interesse am Erhalt ihrer Gruppe und sind zunehmend bereit, Ressourcen zu ihrer Verteidigung zu mobilisieren“ (Hasenclever 2006, S. 229). Eine weitere Antinomie lässt sich dieser Kategorie zuordnen: die Ambiva‐ lenz der liberalen Kultur. Die Wertorientierung der Bürgerinnen und Bürger und die liberale Kultur - unter anderem gekennzeichnet durch die Achtung der Menschenwürde, der Menschenrechte, des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit - zählen zu den zentralen Grundbedingungen des demo‐ kratischen Friedens. Vor diesem Hintergrund mag der Demokratieexport im Sinne der Übertragung „ihre[r] internen Konfliktlösungsmechanismen auf die Außenbeziehungen“ (Müller 2002, S. 58) als wünschenswerte Strate‐ gie gelten. Dafür stehen verschiedene Wege offen: zum einen durch das Vertrauen „auf die unwiderstehliche Kraft von Modernisierungsprozessen“ (Hasenclever 2006, S. 231; pazifistischer Liberalismus), zum anderen durch die „tätige[] Befreiung von Menschen aus Unrechtsverhältnisse[n]“ (Hasen‐ clever 2006, S. 230f.) mittels militärischer Gewalt (militanter Liberalismus). Diesbezüglich weisen die einzelnen Demokratien sehr unterschiedliche 10.3 Antinomien des demokratischen Friedens 213 <?page no="214"?> Kulturen auf: Während beispielsweise Deutschland eher durch eine antimi‐ litaristische Kultur geprägt sei, gebe es auch Demokratien wie die USA oder Großbritannien, deren Bevölkerungen sich sehr viel einfacher „von der Angemessenheit kriegerischer Maßnahmen gegenüber einem nicht-demo‐ kratischen Staat überzeugen“ (vgl. Hasenclever 2006, S. 231) lassen. Konfliktverschärfende Folgen wettbewerblicher Strukturen: Wettbewerbli‐ che Strukturen sind wesentlicher Bestandteil demokratischer Institutionen im Staat, aber auch der Wirtschaftsbeziehungen von Demokratien unter‐ einander sowie weltweit. Aufgrund von Wohlfahrtsinteressen entwickeln Demokratien ein kooperatives Verhalten und gehen interdependente Bezie‐ hungen mit anderen Staaten ein. Die daraus resultierenden Prozesse können sich jedoch ambivalent gestalten: „Wettbewerb kann Interesse an der kooperativen Erarbeitung von Rahmenregeln wecken oder zur friedlichen Transformation von Konflikten führen. Wettbewerb selbst kann überdies als friedliches Substitut für gewaltsame Konflikte verstanden werden. Er kann indes auch Interessengegensätze und damit Inklusions-/ Exklu‐ sionsdynamiken hervorrufen oder verstärken“ (Müller 2003, S. 229f.). Hierfür steht beispielsweise die bisweilen auch wirtschaftliche Konkurrenz zwischen den USA und der Europäischen Union, bei dem der Freihandel unter Druck geraten kann (vgl. Kapitel 6.2.1). Die Ambivalenz utilitaristischer Kosten-Nutzen-Kalküle: Aus Kants Grund‐ annahme, dass Bürgerinnen und Bürger unter allen Umständen Kriegsopfer und Kriegskosten vermeiden würden, folge nicht zwingend eine friedfertige Außenpolitik. Denn so lassen sich (eigene) Opfer und Kosten durch neue militärische Optionen - sei es durch wirksamere Waffen, neue Technologien oder Strategien - umgehen. Auf diese Weise wird das Argument in sein Gegenteil verkehrt. In der politischen Praxis finden sich hierfür zahlreiche und auch aktuelle Beispiele: So führe der Trend zur Automatisierung und Autonomisierung von Waffen zu einer Humanisierung der Kriegsführung. Unbemannte Systeme können eingesetzt werden, ohne die eigenen Soldatin‐ nen und Soldaten zu gefährden. Zudem gelten Drohnen als Präzisionswaffen; das fördere das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und minimiere zivile Opfer. Damit sinkt - empirisch wie normativ - die Hemmschwelle zum militärischen Einsatz (vgl. auch Müller und Schörnig 2001; Kapitel 7.1). Entdemokratisierungstendenzen durch Entscheidungsverlagerung: Gerade Demokratien sind vielfach in internationale Organisationen und Institutio‐ nen eingebunden. Damit einher geht eine Entscheidungsverlagerung auf 214 10 Frieden durch Demokratisierung <?page no="215"?> 55 Die Begriffe Zivilisierung und Zivilisation sind nicht synonym zu verwenden; Zivili‐ sierung ist hier stärker im Sinne von Zivilität zu verstehen. die internationale Ebene. Diese unterminiere aber zugleich zwei zentrale Grundbedingungen des demokratischen Friedens - die politische Partizi‐ pation der Bürgerinnen und Bürger sowie die Transparenz politischer Entscheidungen - und führe unmittelbar „zur Aufhebung der wichtigsten friedensfördernden Mechanismen“ (Müller 2003, S. 230). Dabei degradiere die in internationalen Organisationen, insbesondere in Verteidigungsalli‐ anzen, vielfach erwartete Bündnissolidarität die Parlamente zu „pure[n] Akklamationsinstanzen“ (Müller 2003, S. 230). Die von Harald Müller aufgezeigten Antinomien negieren nicht die Kausalitätsannahmen des demokratischen Friedens, relativieren sie aber (Müller 2002, S. 76). Dabei liegt für Müller (2002, S. 76) die größte Brisanz in der dritten Kategorie, das heißt „in der gegenwärtig beobachtbaren Tendenz, Risiken und Kosten des Krieges durch gezielte Rüstungsanstrengungen zu mindern“. 10.4 Frieden als Zivilisierungsprozess - das zivilisatorische Hexagon Im Kontext liberaler Friedensstrategien steht neben dem Theorem des demokratischen Friedens ein weiterer Ansatz: Frieden durch Zivilisierung. 55 Mit ihm verbindet sich in der Friedensforschung insbesondere das von Dieter Senghaas (u. a. 1995) entwickelte zivilisatorische Hexagon. Allge‐ meinsprachlich steht Zivilisierung für die „Verwirklichung fortschrittlicher Lebensumstände und sozial verträglicher Verhaltensweisen“ (Wortbedeu‐ tung.info 2020). Senghaas geht es allerdings nicht um Zivilisierung „in einem abstrakt-allgemeinen Sinne“, sondern um Konstitutionsbedingungen des Friedens „in und zwischen sich modernisierenden beziehungsweise moder‐ nen Gesellschaften“ (Senghaas 1995, S. 196; Hervorh. im Original). Dabei bündelt er die „historische Erfahrung aus der neuzeitlichen Geschichte in Teilregionen Europas“ (Senghaas 1995, S. 202) und „[geht] den Wurzeln des relativ gewaltfreien Zusammenlebens in und zwischen westlichen Staaten auf den Grund“ (Müller 2003, S. 233). Im Ergebnis identifiziert er sechs Bedingungen für einen inneren Frieden, die sich zu einem zivilisatorischen Hexagon fügen (vgl. Abbildung 21): 10.4 Frieden als Zivilisierungsprozess - das zivilisatorische Hexagon 215 <?page no="216"?> ▸ staatliches Gewaltmonopol: Eine wesentliche Friedensbedingung stellt „die Entprivatisierung der Gewalt beziehungsweise die Herausbildung eines legitimen, in aller Regel staatlichen Gewaltmonopols“ (Senghaas 1995, S. 198) dar. Sie markiert „die friedensstrategische conditio sine qua non“ ( Jaberg 2019, S. 86; Hervorh. im Original), ohne die eine gewaltfreie Konfliktbearbeitung nicht umsetzbar ist. ▸ Rechtsstaatlichkeit: Das Gewaltmonopol bedarf zu seiner Einhegung und Kontrolle der Rechtsstaatlichkeit. Erst damit verliert es „seinen ursprünglichen Charakter, nämlich einfach eine Instanz von letztlich kriegerisch errungener, also willkürlicher Vormacht zu sein“ (Senghaas 1995, S. 199). Andernfalls bestünde die Gefahr der Entwicklung zu einer Diktatur. ▸ Interdependenzen und Affektkontrolle: Ein weiteres konfliktregulieren‐ des Moment stellen für Senghaas die aus der arbeitsteiligen Ökono‐ mie bekannten „langen Ketten des Handelns“ (Norbert Elias) dar. Sie schaffen Interdependenzen und damit Verflechtungen zwischen den Individuen und verbinden sie mit dem Ganzen. Damit einher geht eine Affektkontrolle, das heißt „die in differenzierten Gesellschaften sich aus diversen komplexen Handlungszusammenhängen ergebende Selbst‐ kontrolle beziehungsweise Selbstbeherrschung“ (Senghaas 1995, S. 200). Die Affektkontrolle stellt eine wesentliche Voraussetzung sowohl für Aggressionshemmung und Gewaltverzicht als auch für Toleranz und Kompromissfähigkeit dar (vgl. Senghaas 1995, S. 200; auch Müller 2003, S. 231). ▸ demokratische Partizipation: Sie dient der breiten Artikulation von Interessen in politisierbaren Gesellschaften und der Integration dieser in den politischen Prozess. „Je offener und flexibler dabei das rechtsstaat‐ lich-demokratische Institutionsgefüge ist, um so belastungsfähiger wird es bei anhaltenden und möglicherweise sich ausweitenden politischen Anforderungen sein“ (Senghaas 1995, S. 201). ▸ soziale Gerechtigkeit: Dazu zählen eine Politik der Chancen- und Vertei‐ lungsgerechtigkeit sowie Maßnahmen der Sicherung der Grundbedürf‐ nisse (Bedürfnisgerechtigkeit). Sie sind für die Mehrheit der Menschen in einem solchen politischen Rahmen im Sinne der Fairness unerlässlich. „Die materielle Anreicherung von Rechtsstaatlichkeit, insbesondere im Sinne eines Anteils an Wohlfahrt, ist […] eine konstitutive Bedingung der Lebensfähigkeit von rechtsstaatlichen Ordnungen und damit des inneren Friedens“ (Senghaas 1995, S. 2ß1f.). 216 10 Frieden durch Demokratisierung <?page no="217"?> 56 Gleichwohl nimmt das Gewaltmonopol - wie es Sabine Jaberg dezidiert anmerkt - eine besondere Stellung ein, wofür „die Platzierung des Gewaltmonopols an prominenter Stelle, nämlich der oberen Spitze des Hexagons“ ( Jaberg 2019, S. 86) stehe. ▸ Konfliktkultur: Die beschriebenen gesellschaftlichen Entwicklungen und sozialisatorischen Prägungen können - so Senghaas (1995, S. 202) - die Voraussetzungen dafür schaffen, „daß ein solches Arrangement verläßlich verinnerlicht wird, eine Bereitschaft zur produktiven Aus‐ einandersetzung mit Konflikten vorliegt und kompromißorientierte Konfliktfähigkeit einschließlich der dafür erforderlichen Toleranz zu einer selbstverständlichen Orientierung politischen Handelns wird“. Gewaltmonopol Interdependenzen und Affektkontrolle Soziale Gerechtigkeit Konfliktkultur Demokratische Partizipation Rechtsstaatlichkeit Abbildung 21: Das zivilisatorische Hexagon nach Dieter Senghass (1995, S. 203) Das zivilisatorische Hexagon ist nicht „monothematisch oder schrumpfthe‐ oretisch“ von einem der sechs Punkte her zu denken, sondern konfigurativ. Erst aus der Betrachtung der Gesamtheit aller sechs Komponenten ergeben sich die „eingebauten wechselseitigen Korrektive (negative Rückkoppelun‐ gen)“ wie „die sich wechselseitig stützenden Rückkoppelungen“ (Senghaas 1995, S. 204). 56 Im Ergebnis führen die genannten Kriterien des zivilisatori‐ schen Hexagons zu einem inneren Frieden. 10.4 Frieden als Zivilisierungsprozess - das zivilisatorische Hexagon 217 <?page no="218"?> 57 Die ersten drei Postulate übernimmt er von Georg Picht (1971, S. 33) und ergänzt diese um einen weiteren Schutzimperativ. Frieden durch Zivilisierung „Wo Politik innerhalb von Gesellschaften zu verläßlicher Koexistenz führt, ist innerer Frieden gesichert. Der Zusammenbruch von Koexistenz, also Regression, wäre dann gleichbedeutend mit Entzivilisierung beziehungs‐ weise der Gefährdung und dem Verlust des inneren Friedens. Gelungene Zivilisierung und Frieden sind also identische Tatbestände“ (Senghaas 1995, S. 197; Hervorh. im Original). In einem weiteren Schritt diskutiert Dieter Senghaas die Übertragbarkeit des zivilisatorischen Hexagons auf die internationale Ebene. Angesichts unterschiedlicher Realitäten könne dieses „nicht unkontextiert auf die Welt insgesamt übertragen werden“ (Senghaas 1995, S. 214). Dennoch sei „die zi‐ vilisatorische und damit friedenspolitische Aufgabenstellung vergleichbarer Natur“ (Senghaas 1995, S. 214). Folgend benennt er in Anlehnung an Georg Picht vier Postulate 57 für eine Zivilisierung internationaler Politik: ▸ Schutz vor Gewalt durch Erwartungssicherheit, ▸ Schutz der Freiheit durch Rechtsstaatlichkeit, ▸ Schutz vor Not durch ökonomischen Ausgleich sowie ▸ Schutz vor Chauvinismus durch Empathie. Diese haben sich „historisch als notwendig für einen tragfähigen, das heißt nachhaltigen politischen Modus Vivendi erwiesen, der als ‚Engelskreis‘ die Chancen zu politischer Progression beschreibt“ (Senghaas und Seng‐ haas-Knobloch 2019, S. 52f.). Dazu bedarf es anhaltender Bemühungen, auch weil Rückfälle - selbst in etablierten Demokratien - immer möglich sind (vgl. Senghaas 1995, S. 222; Senghaas und Senghaas-Knobloch 2019, S. 52f.). Das zivilisatorische Hexagon hat eine breite Rezeption erfahren und „der erlahmten Diskussion über die Friedenstheorie wichtige produktive Anstöße gegeben“ (Vogt 1996, S. 100), zugleich aber auch ein geteiltes Echo hervorgerufen: Einerseits sehen Friedensforscherinnen und -forscher im Hexagon einen „umfassenden Ansatz zu den Grundbedingungen zivilisier‐ ter Konfliktbearbeitung“ (Ropers und Debiel 1995, S. 16) beziehungsweise 218 10 Frieden durch Demokratisierung <?page no="219"?> eine „Basisstruktur einer verlässlichen Friedensordnung“ (Matthies 1997, S. 22). Andererseits ist das Senghaas’sche Konzept auf heftige Kritik gesto‐ ßen, insbesondere bei denjenigen, die die Gewaltursachen in der westlichen Entwicklung und deren Strukturen festmachen (vgl. Müller 2003, S. 238). Dabei werden vor allem folgende Einwände in Anschlag gebracht (vgl. Jaberg 2019, S. 91ff.; Vogt 1996, S. 101ff.; Müller 2003, S. 233ff.): ▸ Ambivalenz des staatlichen Gewaltmonopols: Friedenswissenschaftlich erfährt das staatliche Gewaltmonopol eine dreifache Kritik. So diene es erstens der „Stabilität staatlicher Herrschaft“ (Zellentin 1995, S. 59; zit. nach Jaberg 2019, S. 92). Zweitens stehe es für „militärisch organisierte[] Gewalt“ (Zellentin 1995, S. 60; zit. nach Jaberg 2019, S. 92). Und drittens komme darin eine „Paradoxie“ zum Ausdruck, wenn „Gewalt - und mithin die Negation des Friedens - als staatliches Gewaltmonopol und als zivilisierende Gewalt zusätzlich auf der Seite des positiven Friedens auftaucht“ (Brücher 2002, S. 230; zit. nach Jaberg 2019, S. 93). Die dahinterstehende Fundamentalkritik - der staatliche Missbrauch von Gewalt als Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols - lässt sich aber auch entkräften. So bindet Senghaas das staatliche Gewaltmonopol bewusst an die Rechtsstaatlichkeit und demokratische Partizipation zurück (vgl. Müller 2003, S. 233). ▸ Ambivalenz der Affektkontrolle: Kritikerinnen und Kritiker betonen die friedensgefährdenden Momente der Affektkontrolle. So könne diese zu einer „Barriere gegenüber der eigenen Emotionalität“ führen und „die Fähigkeit zur Einfühlung in fremdes Leiden und fremde Notlagen [erschweren]“ (Brücher 2002, S. 236; zit. nach Jaberg 2019, S. 94). Auch hier sieht das Gegenargument ähnlich aus: Übersehen werde, dass die Affektkontrolle nicht für sich alleine steht, sondern an die anderen Komponenten des Hexagons rückgebunden ist, etwa an eine konstruk‐ tive Konfliktkultur (vgl. Müller 2003, S. 233). ▸ Eurozentrismus: Als zentral erweist sich auch der Vorwurf eines Eu‐ rozentrismus. So werde die westliche Zivilisation in den Fokus der Betrachtung gerückt, idealisiert und von der Universalisierbarkeit der europäischen Erfahrungen und Entwicklungen ausgegangen. Senghaas (1995, S. 206) selbst betont: „Das zivilisatorische Hexagon systematisiert Erfahrungen, die ganz ohne Zweifel europäischen und nicht außereu‐ ropäischen Ursprungs sind. […] Insofern ist ihre Charakterisierung als eurozentristisch korrekt. Universelle Geltung gewinnen diese Errungen‐ 10.4 Frieden als Zivilisierungsprozess - das zivilisatorische Hexagon 219 <?page no="220"?> schaften in der Gegenwart nicht dadurch, daß eine solche postuliert oder gar in der übrigen Welt missionarisch propagiert wird. Die universelle Geltung stellt sich vielmehr dadurch ein, daß es auch in allen übrigen Teilen der Welt einen Übergang in die Moderne, das heißt in sozial mobile und darauf aufbauend politisierte Gesellschaften gibt“. ▸ Gleichzeitigkeit von Zivilisation und Barbarei: Kritikerinnen und Kritiker wie Wolfgang R. Vogt werfen dem Senghaas’schen Konstrukt eine Idealisierung der westlichen Zivilisation vor. Denn diese habe zugleich auch Gewalt freigesetzt: innergesellschaftlich als Unterwerfung der Schwachen und Unterprivilegierten sowie zwischenstaatlich, wofür exemplarisch die Kriegsgräuel im 19. und 20. Jahrhundert stehen (vgl. Vogt 1996, S. 103). Diese Gewaltexzesse lediglich als Regressionen zu betrachten, verstellten - so Vogt (1996, S. 106) - „den Blick für die unheilvolle, verkoppelte Gleichzeitigkeit von Zivilisation und Barbarei in der Moderne“. ▸ insuffiziente Eckvariablen: Aus einer „modellimmanenten Kritik“ ( Jaberg 2019, S. 91) heraus stellen die sechs Komponenten des zivilisatorischen Hexagons zwar notwendige, aber keine hinreichenden Kriterien einer Zivilisierung dar. In diesem Kontext werden verschiedene Erweiterun‐ gen in die Debatte eingebracht: Christoph Drewes (1997, S. 128) plä‐ diert für „einen Kreis der Nachhaltigkeit“, der alle sechs Eckpunkte umschließt. Günther Bächler (1997, S. 319) verortet die ökologische Dimension als einen siebten Eckpunkt. Ulrike C. Wasmuht (1998, S. 377) fordert dagegen in feministischer Kritik die Aufnahme der Kate‐ gorie „Geschlecht“ ein. Harald Müller (2003, S. 234) wiederum schlägt eine Erweiterung zum „Dekagon“ vor. So seien Interdependenz und Affektkontrolle zwei eigenständige Elemente von Zivilisation. Zudem seien eine aktive und engagierte Zivilgesellschaft, Vertrauen sowie die wirtschaftliche Struktur, insbesondere die Frage ihrer Konzentration, unverzichtbare Teile einer gewaltfreien Zivilisation. Senghaas lehnt eine Komponentenerweiterung nicht prinzipiell ab, eine solche sei allerdings nur notwendig, wenn das Hexagon aus „systematischen Gründen erweitert werden muss, um zivilisierte Konfliktbearbeitung in allen konkreten Politikfeldern zu garantieren“ (Senghaas 2004, S. 134; Hervorh. im Original). 220 10 Frieden durch Demokratisierung <?page no="221"?> 10.5 Fazit Das liberale Forschungsprogramm unterscheidet sich von den beiden zuvor behandelten Ansätzen vorrangig dadurch, dass es darauf insistiert, die Blackbox des Staates zu öffnen (vgl. Mayer 2017, S. 554). Damit wird es möglich, innergesellschaftliche Friedensbedingungen freizulegen. Vor dem Hintergrund der Theoreme des demokratischen Friedens und des zivilisa‐ torischen Hexagons scheint die Förderung von Demokratie und Demokra‐ tisierungsprozessen friedenspolitisch geboten. Die westliche Politik - und dafür steht exemplarisch die Politik der Europäischen Union - hat diese Empfehlung aufgegriffen und versucht, sie in die Praxis umzusetzen. Dieser direkte Zugriff, so Harald Müller (2002, S. 47), verwundert nicht, denn: „Über sich selbst Gutes zu hören, ist stets angenehm“. Aber nicht nur in der politischen Praxis scheint die Umsetzung mit Schwierigkeiten behaftet, auch in der Theorie sind die liberalen Annahmen über den unmittelbaren Kausalzusammenhang von Frieden und Demokratie nicht unumstritten. Darüber hinaus - und hierin liegt das eigentliche Defizit - erklären beide Theoreme nicht, wie Frieden zwischen heterogenen Akteuren (beispiels‐ weise zwischen Demokratien und autoritären Regimen) gelingen kann und welche Rahmenbedingungen strategisch verlässlichen Friedenshandelns in diesen Kontexten zu gelten haben. Denn „[e]s gibt gesellschaftliche Umbruchsituationen, in denen die Anwendung der liberalen Demokratie westlicher Provenienz nicht möglich erscheint“ (Tetzlaff 2017, S. 663). In diesem Sinne konstatiert auch Harald Müller (2003, S. 242): „Das ‚zivilisatorische Hexagon‘ ebenso wie die Theorie vom ‚demokratischen Frieden‘ gehen das Risiko ein, aus einer kontingenten historischen Formation auf generalisierbare Friedensursachen hin zu schließen. Sie bleiben dabei die Antwort auf die Frage schuldig, ob und wie Frieden zwischen den relativ homologen Akteuren innerhalb dieser Ordnung und jenen außerhalb, also Frieden in einer heterogenen Welt möglich sein kann. Sie vermögen bislang auch nichts über die Robustheit des Modells gegenüber Herausforderungen aus der Tiefenstruktur zu sagen. Genau in diesen beiden offenen Fragen liegen die Hausaufgaben künftiger Friedenswissenschaft.“ 10.5 Fazit 221 <?page no="222"?> Weiterführende Literatur: Czempiel, Ernst-Otto. 1998. Friedensstrategien. Eine systematische Darstellung außenpolitischer Theorien von Machiavelli bis Madariaga. 2. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag. Ausgehend vom Verständnis des Friedens als Prozess untersucht der Autor institutionalistische wie auch liberale Friedensstrate‐ gien. Im ersten Fall wird der Friede durch Einwirkung auf die Interaktion gesucht, im zweiten durch Änderung gesellschaftlicher Strukturen. Geis, Anna, Harald Müller und Wolfgang Wagner (Hrsg.). 2007. Schattenseiten des Demokratischen Friedens. Zur Kritik einer Theorie liberaler Außen- und Sicherheitspolitik. Frankfurt a. M.: Campus Verlag. In Anlehnung an Imma‐ nuel Kant sind Demokratien friedfertig. Dennoch führen sie militärische Interventionen und Demokratisierungsfeldzüge durch. Der Band geht diesen Schattenseiten liberaler Friedens- und Sicherheitspolitik nach. Vogt, Wolfgang R. (Hrsg.). 1995. Frieden als Zivilisierungsprojekt. Neue Heraus‐ forderungen an die Friedens- und Konfliktforschung. Baden-Baden: Nomos. Dieser Band startet mit einem Beitrag von Dieter Senghaas zum „Frieden als Zivilisierungsprojekt“. Er und die anderen Autorinnen und Autoren reflektieren in diesem Band den Ansatz „Frieden durch Zivilisierung“ und diskutieren die damit verbundenen Friedensbedingungen. 222 10 Frieden durch Demokratisierung <?page no="223"?> 11 Respekt, Anerkennung und Vertrauen als Wege zum Frieden Konstruktivistische Zugänge zum Frieden brechen mit den rationalistischen und materialistischen Annahmen der (neo)realistischen wie auch der in‐ stitutionalistischen und liberalen Theorieschulen. Im Fokus der Betrach‐ tung stehen hier nicht Fragen der Macht- oder Wohlfahrtsmaximierung. Nach konstruktivistischem Verständnis folgen Staaten und gesellschaftliche Gruppen in ihrem Verhalten einer Logik der Angemessenheit. In diesem Sinne konstituiert sich internationale Politik als „ein sozialer Raum, der von Ideen (in Gestalt von Werten, Kultur und Identitäten) bestimmt ist, die die Vorstellungen und das Handeln der Akteure prägen und weit mehr sind als ein Oberflächenreflex materieller Bedingungen“ (Mayer 2017, S. 556). Insbesondere mit dem Ende des Kalten Krieges haben konstruktivistische Ansätze eine zunehmende Bedeutung in den Internationalen Beziehungen erfahren; Jeffrey Checkel (1998) spricht in diesem Kontext von einem „Constructivist Turn“. Die Friedens- und Konfliktforschung hat schon sehr früh diesen Weg ein‐ geschlagen und sich nicht-materiellen Faktoren gewidmet, „ohne dabei von ‚Konstruktion‘ oder ‚konstruktivistischen Faktoren‘ zu sprechen“ (Weller 2008): „Self-fulfilling prophecies (Kelman 1965), autistische Wahrnehmungsstrukturen (Senghaas 1972), Lernpathologien (Deutsch 1966), Fehlwahrnehmungen ( Jervis 1976), gesellschaftliche Projektionen (Richter 1982), Feindbilder (Senghaas 1969), ‚Subjektivität‘ (Steinweg und Wellmann 1990) und ideologische Faktoren (Vilmar 1972) sind nur einige der Stichworte und Konzepte, die in den wissenschaftli‐ chen Analysen von Krieg und Frieden lange Zeit vor dem Aufkommen des ‚Konstruktivismus‘, insbesondere in der politikwissenschaftlichen Teildisziplin ‚Internationale Beziehungen‘ eine bedeutsame Rolle spielten“ (Weller 2008). Für Christoph Weller (2008) liegen Kriegsursachen wie Friedensbedingun‐ gen „nachweislich auch - oder sogar vor allem - in subjektiven und kollek‐ tiven Konstruktionen der jeweiligen Konflikt-‚Wirklichkeiten‘“ begründet. Dennoch haben sich in diesem Feld keine systematischen Forschungslinien oder dominierenden Theoreme herausgebildet. Vielmehr sind parallele Diskurse erkennbar, die häufig voneinander unabhängig geführt werden, <?page no="224"?> aber durchaus inhaltliche Überschneidungen und Bezüge aufweisen. In diesem Kapitel werden zwei vielversprechende Zugänge näher vorgestellt: der Einfluss von Respekt und Anerkennung in Friedensfragen sowie die in diesem Kontext dem Vertrauen zukommende Rolle. Letzteres ist nicht neu; vertrauensbildende Maßnahmen und das damit im Zusammenhang stehende Konzept der gemeinsamen Sicherheit stellte zu Hochzeiten des Kalten Krieges eine zentrale Friedensstrategie dar. Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes trat dieser Ansatz weitgehend in den Hintergrund, dabei scheint er angesichts aktueller Spannungen und Machtrivalitäten dringlicher denn je. 11.1 Der konstruktivistische Zugang zum Frieden Zu den prominentesten Vertretern des Konstruktivismus zählt in den Inter‐ nationalen Beziehungen Alexander Wendt (u. a. 1992, 1999). Er setzt sich kritisch mit den (neo)realistischen Grundannahmen, wie sie beispielsweise Kenneth Waltz formuliert hat (vgl. Kapitel 8.1), auseinander. So seien „nicht allein materielle Faktoren wie ökonomische Ressourcen oder militärische Fähigkeiten, sondern auch immaterielle Faktoren wie Ideen, Normen und Identitäten bei der Erklärung von internationaler Politik entscheidend“ (Ul‐ bert 2015, S. 254). Dabei wendet sich Wendt drei Aspekten beziehungsweise Problemlagen zu: (1) dem Verhältnis von Akteur und Struktur, (2) dem Stellenwert der Anarchie sowie (3) der Basis des Handelns von Staaten im internationalen System (vgl. Ulbert 2006, S. 415; 2015, S. 254). Ausgangspunkt ist bei Wendt das Wechselverhältnis zwischen kollekti‐ vem sozialem Handeln und sozialen Strukturen. Dabei seien sowohl rein individualistische als auch ausschließlich strukturalistische Ansätze zur Erklärung sozialer Phänomene verkürzend. Vielmehr bedingen Akteure und Strukturen sich gegenseitig: Einerseits sind Strukturen „konstitutiv für Akteure und deren Interessen“, andererseits „[können] Akteure diese Struk‐ turen durch ihr Handeln immer wieder reproduzieren und aufrechterhalten, aber auch verändern“ (Ulbert 2006, S. 417). Das heißt: „Die (soziale) Realität ist sehr viel mehr von uns Menschen gemacht als wir wahrhaben wollen“ (Krell 2004, S. 78). An diesem Punkt setzt Wendt`s Hauptkritik am (Neo)Realismus an. Denn so sei auch die Anarchie im internationalen System nicht unausweichlich, sondern das Resultat der Konstruktion von Staaten: „Anarchy is What 224 11 Respekt, Anerkennung und Vertrauen als Wege zum Frieden <?page no="225"?> States Make of it” (Wendt 1992). Das im (Neo)Realismus bestimmende Sicherheitsdilemma und der daraus folgende Rüstungswettlauf hängen viel‐ mehr von den Signalen, die Staaten im internationalen System aussenden, und von den Interpretationen dieser durch die anderen Staaten ab. Dabei seien verschiedene Entwicklungen denkbar: „Ein Teufelskreis aus Angst und Misstrauen wäre ebenso möglich wie ein Engelskreis aus Neugier und Vertrauen“ (Krell und Schlotter 2018, S. 334). „Anarchy is What States Make of it” (Auszug) „This process of signaling, interpreting, and responding completes a ‚social act‘ and begins the process of creating intersubjective meanings. […] Self-help security systems evolve from cycles of interaction in which each party acts in ways that the other feels are threatening to the self, creating expectations that the other is not to be trusted. Competitive or egoistic identities are caused by such insecurity; if the other is threatening, the self is forced to ‘mirror’ such behavior in its conception of the self ’s relationship to that other. Being treated as an object for the gratification of others precludes the positive identification with others necessary for collective security; conversely, being treated by others in ways that are empathic with respect to the security of the self permits such identification” (Wendt 1992, S. 405, 406 f.). Nach Wendt (1999, S. 254) sind drei prinzipielle Ausrichtungen von Bezie‐ hungen zwischen Staaten im internationalen System denkbar: Sie können sich gegenseitig als Feinde, Rivalen oder Freunde wahrnehmen (vgl. Ulbert 2006, S. 421f.; Abbildung 22). Aus diesen Rollen ergeben sich verschiedene Strukturen. Charakterbildend für diese sind unterschiedliche Stufen der Gewaltbereitschaft: ▸ Hobbes’sche Kultur: In dieser nehmen sich die Staaten einander als eine Art Widersacher wahr. Es herrscht ein potenzieller „Krieg aller gegen alle“. Die Beziehungen zwischen ihnen sind durch Feindschaft geprägt. Es besteht eine hohe Gewaltbereitschaft, die in der Folge zu einem anarchischen Selbsthilfesystem führt. ▸ Locke’sche Kultur: Sie ist durch Rivalität gekennzeichnet. Die Akteure stehen untereinander in einem (ökonomischen) Wettbewerb. Aus Eigen‐ 11.1 Der konstruktivistische Zugang zum Frieden 225 <?page no="226"?> nutz erkennen sie internationale Regeln und Normen an. Die Strukturen sind hier nicht mehr antagonistisch, wobei Akteure zur Durchsetzung ihrer Interessen unter Umständen auch bereit sein können, Gewalt anzuwenden, ▸ Kantianische Kultur: Hier nehmen sich die Staaten gegenseitig als Freunde beziehungsweise Verbündete wahr. Ihre Beziehungen zeichnen sich durch Kooperation aus. Sie agieren miteinander auf der Basis von Respekt, Anerkennung und Legitimität. Damit verbunden ist eine gewaltfreie Beilegung von Meinungsverschiedenheiten. Feind Rivale Freund hoch Gewaltbereitschaft niedrig Abbildung 22: Rollenverständnisse internationaler Akteure nach Cornelia Ulbert (2006, S. 421) in Anlehnung an Alexander Wendt (1999, S. 254) Diese verschiedenen Rollenverständnisse im Handeln von Staaten sind nicht nur das Resultat materieller Strukturen, sie werden wesentlich von ideellen Faktoren bestimmt: „Erst diese Ideen sorgen dafür, dass die Interessen von Staaten inhaltlich bestimmt werden, dass abstrakte Konzepte wie ‚Macht‘ eine Bedeutung erhalten und dass sich Staaten darüber im Klaren werden, mit welchen Strategien sie ihre Interessen verfolgen“ (Ulbert 2006, S. 423). Ideen sind dabei nicht lediglich ein „Ausdruck von Interessen“ oder ein „Fil‐ ter für die Wahrnehmung von Interessen“; sie „ermöglichen und rechtfertigen Handlungen, Handlungsspielräume und Strategien“ (Krell und Schlotter 2018, S. 338; Hervorh. im Original). In diesem Sinne ist auch das Menschen‐ bild im Konstruktivismus nicht fix und unveränderlich, das heißt der Mensch ist nicht von Natur aus friedfertig oder aggressiv, sondern variabel und abhängig von historischen und kulturellen Kontexten (vgl. Wendt 1999, S. 133; Krell und Schlotter 2018, S. 339). Indem sich Ideen, Normen und Identitäten in der Interaktion mit anderen Akteuren verändern und zu einer Neubestimmung von Interessen führen können, wird auch ein struktureller Wandel im internationalen System möglich (vgl. Ulbert 2006, S. 423f.). 226 11 Respekt, Anerkennung und Vertrauen als Wege zum Frieden <?page no="227"?> Der Konstruktivismus unterscheidet sich somit in zentralen Punkten von anderen Theorieschulen. Die Akteure haben andere Dispositionen. Zentral ist die soziale Angemessenheit von Handlungen, nicht ihre Zweckrationa‐ lität. Für die konstruktivistische Denkschule charakteristisch sind - noch einmal zusammenfassend dargestellt - drei Faktoren: ▸ Internationale Gegebenheiten wie die Anarchie sind zu einem Großteil nicht Ergebnis materieller Bedingungen, sondern sozial konstruiert „im Sinne von ‚hergestellt‘ und damit grundsätzlich auch veränderbar“ (Krell und Schlotter 2018, S. 339). ▸ Ideen spielen eine größere Rolle als in anderen Theorieschulen. Nicht die Struktur des internationalen Systems entscheidet, wie wir Staaten wahrnehmen, sondern „unsere Vorstellungen und Interpretationen, also ‚Ideen‘, die […] auf doppelte Weise (über die Reaktionen der Gegenseite) Realität selbst herstellen“ (Krell und Schlotter 2018, S. 342). ▸ Zudem erfahren kulturelle Faktoren, insbesondere Identitäten und Nor‐ men, in den internationalen Beziehungen eine Aufwertung. Wie in einem Schachspiel konstituieren sie „die Rollen der Figuren und ihr Verhältnis zueinander, und sie verleihen Zügen einen Sinn“ (Krell und Schlotter 2018, S. 342). Inwieweit der Konstruktivismus als eigenständige Theorieschule auf einer Stufe stehend neben dem (Neo)Realismus, Institutionalismus und Liberalis‐ mus gelten kann, ist umstritten. Gert Krell und Peter Schlotter (2018, S. 345) sprechen vielmehr von einer „generelle[n] Forschungsperspektive“, die „die Beachtung selbstverständlicher sozial- oder geisteswissenschaftlicher Einsichten und Haltungen anmahnt“. So lasse sich der Konstruktivismus auch mit anderen theoretischen Perspektiven verbinden. Beispielhaft steht dafür die konstruktivistische Interpretation des demokratischen Friedens (vgl. Kapitel 10.2). 11.2 Respekt und Anerkennung Debatten um Respekt und Anerkennung können konstruktivistisch gelesen und fruchtbar gemacht werden. Indem der Fokus auf der sozialen Ange‐ messenheit liegt, kommen Verhaltensweisen der Akteure („appropriate behaviours“; Lindemann 2010, S. 22) stärker in den Blick: 11.2 Respekt und Anerkennung 227 <?page no="228"?> „This means, for example, that it is important to know if state actors perceive themselves as representatives of a traditional military power or as that of a ‘civil power’ in order to understand their interest or their hesitation in sending their soldiers into battle” (Lindemann 2010, S. 22). Fragen um Respekt und Anerkennung gehen aber noch weiter. Anerkennung stellt „ein fundamentales menschliches Bedürfnis“ (Wolf 2017, S. 903) dar. Das bedeutet: „Wird sie Individuen oder ihren Identifikationsgruppen verweigert, kommt es zu Störungen von Kommunikation und Zusammenarbeit, weil Akteure ihren Anspruch auf angemessenen Respekt missachtet sehen. Umge‐ kehrt spricht Vieles dafür, dass mehr Respekt friedliche Kooperation fördert“ (Wolf 2017, S. 903). Die essenzielle Bedeutung, die diesen Faktoren zukommt, spiegelte sich jedoch lange Zeit kaum in den Forschungen der Internationalen Beziehungen wider (vgl. Wolf 2008, S. 7). Zuvorderst waren es Vertreterinnen und Vertreter der Politischen Philosophie, die sich diesen Debatten stellten (vor allem Honneth 1992; Taylor 1993). Das scheint sich - auch infolge des „constructivist turn“ in den Internationalen Beziehungen - zu ändern. In der deutschen Friedensforschung ist es gegenwärtig insbesondere Reinhard Wolf (2008, 2011, 2017), der den Einfluss der immateriellen Faktoren Respekt und Anerkennung auf Konfliktkonstellationen und deren Nutzbarmachung für Friedensstrategien untersucht. Begrifflich lassen sich unter Respekt und Anerkennung zunächst einmal „affirmative Verhaltensweisen beziehungsweise Haltungen“ verstehen, „die Akteure gegenüber fremden Identitäten zum Ausdruck bringen“ (Wolf 2017, S. 905). Der Terminus der Anerkennung ist vielschichtig; er kann verschiedene semantische Bedeutungen annehmen (vgl. Smetkamp 2012, S. 112): 1. die formelle Anerkennung als Rechtsprechung (innerstaatlich, aber auch auf völkerrechtlicher Ebene wie beispielsweise die Anerkennung von Staaten oder der Autonomie von Gebieten; Anm. d. Verf.); 2. die würdigende Anerkennung als Lob für die Leistung oder Fähigkeit von Personen oder Institutionen; 3. die bejahende Anerkennung als Akzeptanz und Toleranz von Standpunk‐ ten oder Forderungen; 4. die epistemologische Anerkennung als ein Für-Wahr-Halten von Aussa‐ gen oder Tatbeständen; 5. die deontologische Anerkennung als Achtung, beispielsweise des Status von Personen als frei und selbstbestimmt, sowie 228 11 Respekt, Anerkennung und Vertrauen als Wege zum Frieden <?page no="229"?> 6. die konsequenzialistische Anerkennung als Rücksichtnahme gegenüber Personen, die von der eigenen Handlung betroffen sind. Auch lassen sich verschiedene Sphären der Anerkennung - ohne diese hier näher ausführen zu können - ausmachen, wie die Struktur sozialer Anerken‐ nungsverhältnisse bei Axel Honneth aufzeigt (vgl. Abbildung 23). Anerkennungs‐ weise emotionale Zuwendung kognitive Achtung soziale Wertschätzung Persönlichkeits‐ dimension Bedürfnis- und Affektnatur moralische Zurechnungsfähigkeit Fähigkeiten und Eigenschaften Anerkennungs‐ formen Primärbeziehun‐ gen (Liebe, Freundschaft) Rechtsverhältnisse (Rechte) Wertegemein‐ schaft (Solidarität) Entwicklungspotenzial - Generalisierung, Materialisierung Individualisierung, Egalisierung praktische Selbstbeziehung Selbstvertrauen Selbstachtung Selbstschätzung Missachtungsformen Misshandlung und Vergewaltigung Entrechtung und Ausschließung Entwürdigung und Beleidigung bedrohte Persönlichkeitskomponente physische Integrität soziale Integrität „Ehre“, Würde Abbildung 23: Struktur sozialer Anerkennungsverhältnisse nach Axel Honneth (1992, S. 211) Für den Kontext der Friedens- und Konfliktforschung erweist sich die Definition von Reinhard Wolf als konstruktiver Referenzrahmen: 11.2 Respekt und Anerkennung 229 <?page no="230"?> 58 Respekt wird häufig auch synonym zu dem Begriff der Achtung verwendet (vgl. u. a. Smetkamp 2012, Kap. III; Correll 2016, S. 86). Anerkennung „Soziale Anerkennung kann als Akt verstanden werden, mit dem Alter deutlich macht, dass er Egos Selbstbild akzeptiert. Indem er dieses bestä‐ tigt, verfestigt er es für Ego (aber auch in der Wahrnehmung Dritter) und beseitigt eine mögliche Quelle von Irritationen und Konflikten. Da jedes Selbstbild ganz heterogene Inhalte von unterschiedlicher Relevanz haben kann (von trivialen biographischen Ereignissen bis hin zu höchst individuellen Stärken oder Schwächen) kann auch Anerkennung ganz ver‐ schiedene Formen und Qualitäten annehmen: rechtliche Gleichstellung, öffentliche Auszeichnung, persönliche Bewunderung, Freundschaft und Liebe“ (Wolf 2017, S. 905). Demgegenüber ist Respekt 58 ein enger zu fassender Begriff. Er bezieht sich auf die Anerkennung des Status einer Person oder Institution und damit auf die Anerkennung einer bestimmten Position innerhalb einer sozialen Hierarchie (vgl. Wolf 2017, S. 905). Respekt „Vom Streben nach sozialem Respekt will ich deshalb immer dann spre‐ chen, wenn Akteure (Individuen, informelle Gruppen, Organisationen) mit ihren Handlungen (auch oder ausschließlich) darauf abzielen, dass ihr selbstempfundener Wert eine angemessene Beachtung durch ihre soziale Umwelt erfährt. Vereinfacht ausgedrückt verlangen wir nach möglichst vollständiger Respektierung all dessen, worauf sich unser Selbstwertgefühl gründet“ (Wolf 2008, S. 8; Hervorh. im Original). Akteuren kann es, wenn sie nach Respekt streben, um verschiedene Aspekte gehen. Sie können um eine „angemessene[] Beachtung ihrer physischen Gegenwart, ihrer sozialen Bedeutung (im Sinne von ‚Wichtigkeit‘), ihrer Standpunkte, Ideen und Werte, ihrer Interessen und Bedürfnisse, ihrer 230 11 Respekt, Anerkennung und Vertrauen als Wege zum Frieden <?page no="231"?> Leistungen, Fähigkeiten, Verdienste und Vorzüge [oder, Anm. d. Verf.] ihrer Rechte“ streben (Wolf 2008, S. 10). In der internationalen Politik können beispielsweise Staaten, „die ihr Ansehen oder ihren Status gewürdigt sehen wollen oder einfach nur mehr internationale Beachtung finden möchten“ (Wolf 2008, S. 16), nach Respekt und Anerkennung streben. In Anlehnung an Axel Honneth und Charles Taylor ist „ein positives Selbstverhältnis elementar angewiesen auf die Anerkennung durch andere“ (Wolf 2017, S. 906). Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass eine Verweigerung dieser Anerkennung „nicht stoisch ignoriert werden“ kann, sondern „eine schwerwiegende Verletzung des eigenen Selbstwertgefühls“ darstellt (Wolf 2017, S. 906). In der Konsequenz führt dies zu einem „Kampf um Anerkennung“ (Honneth 1992) - eine für Honneth zentrale Ursache sozialer Konflikte (vgl. auch Wolf 2017, S. 907). Lassen die negativen Folgen einer Missachtung des Bedürfnisses nach Anerkennung aber auch den Schluss zu, dass ein Mehr an gegenseitigem Respekt und wechselseitiger Anerkennung zu friedlicheren Beziehungen führt? Diese These liegt nahe, wenngleich empirisch belastbare Studien hierzu noch ausstehen (vgl. Wolf 2017, S. 908). Dennoch ist davon auszuge‐ hen, „dass wechselseitige Respektbezeugungen auf die Dynamik der Konfliktinter‐ aktion einwirken. Vor allem bei Beziehungen zwischen Akteuren, die selten interagieren und sich hinsichtlich ihres relativen Status im Unklaren sind, könnte die Berücksichtigung des Faktors Respekt zu plausibleren Erklärungen führen. Gegenseitige Respektbezeugungen, so die Vermutung, sollten nicht nur eine allgemeine Entkrampfung angespannter Situationen begünstigen, sondern auch Statuskonflikte entschärfen, deliberative Lernprozesse begünstigen und gegenseitige Empathie fördern. Auf diese Weise könnten sowohl das wechselsei‐ tige Vertrauen als auch die Schnittmenge der verhandlungsleitenden win sets vergrößert werden“ (Wolf 2008, S. 35; Hervorh. im Original). Angesichts dieses Befundes spricht vieles dafür, „das konstruktive Potenzial menschlicher Anerkennungsbedürfnisse“ (Wolf 2017, S. 911) friedenspoli‐ tisch fruchtbar zu machen. Diesbezüglich schlägt Reinhard Wolf verschie‐ dene Schritte vor. So gelte es, ▸ stärker die Identitäten und Sichtweisen der Anderen sowie damit ver‐ bundene Erwartungen zu berücksichtigen, um Missverständnisse zu vermeiden; 11.2 Respekt und Anerkennung 231 <?page no="232"?> ▸ dem Gegenüber intensiver zuzuhören und ihm Raum für seine Sichtwei‐ sen zu geben; ▸ nach Gesten zur Anerkennung fremder Statusansprüche zu suchen; ▸ nicht davor zurückzuschrecken, auch abweichende Bewertungen und Standards anzusprechen; ▸ Doppelstandards zu thematisieren, um Vorwürfe auszuräumen oder aber eigene Haltungen zu korrigieren, sowie ▸ bewusster auf Public Diplomacy zu setzen und die Sichtweisen der Bevölkerungen - gerade in autokratischen Staaten - mit einzubeziehen (vgl. Wolf 2017, S. 911). Dieser Weg ist nicht einfach, denn mit der Anerkennung des Anderen sind auch Risiken verbunden: Die Respektbekundung könnte zu Missver‐ ständnissen über den Status von Akteuren führen, als Zustimmung ihrer (aggressiven) Politik gewertet werden und mögliche Transformationschan‐ cen verschütten; durch sie könnten sich andere Akteure zurückgesetzt fühlen; oder sie könnte von der eigenen Bevölkerung als unangemessen betrachtet und abgelehnt werden (vgl. Wolf 2017, S. 908f.). So besteht die Herausforderung einerseits darin, die normative Differenz - aus westlicher Perspektive gegenüber autoritären Regimen und Diktatu‐ ren - auszuhalten. Diese Spannung hat eine lange Tradition. Sie zieht sich sowohl durch die UN-Charta als auch durch den KSZE-Prozess (zwischen dem Prinzip VI der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und dem Prinzip VII der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten). Ande‐ rerseits existieren aber auch Grenzen: nicht in der Achtung des Anderen, jedoch in der Anerkennung seiner Handlungen. 11.3 Vertrauen Ein weiterer in den Internationalen Beziehungen und der Friedens- und Konfliktforschung „stark vernachlässigter, aber höchst lohnenswerter Un‐ tersuchungsgegenstand“ (Brugger et al. 2013, S. 66; vgl. auch Booth und Wheeler 2008, S. 252) stellt das Vertrauen dar. Vertrauen gilt als „Schmiermit‐ tel sozialer Interaktionen“; es „ermöglicht […] robuste Absprachen, fördert offene Kommunikation, erhöht den Glauben in externe Informationen und schafft Raum für gemeinsames soziales Lernen“ (Brugger et al. 2013, S. 66). Eine einheitliche und allgemein anerkannte Definition existiert auch bei diesem Terminus nicht. Dennoch gibt es Grundkonstellationen, die 232 11 Respekt, Anerkennung und Vertrauen als Wege zum Frieden <?page no="233"?> 59 Sowohl Vertrauen als auch Kontrolle zielen auf „die Bildung positiver Kooperationser‐ wartungen“. Dabei setzt Vertrauen „auf die Einschätzung eines Akteurs als vertrauens‐ würdig“, während Kontrolle „auf das Wissen über die kooperationsfördernde Wirkung struktureller Rahmenbedingungen“ basiere (Brugger et al. 2013, S. 69; Hervorh. d. Verf.). als Konsens gelten können: So wird formell zwischen der Vertrauenshand‐ lung durch die Geberin oder den Geber und der möglichen Erwiderung durch die Nehmerin oder den Nehmer unterschieden: „Ein Akteur, der Vertrauensgeber, entscheidet sich für oder gegen eine Vertrauenshandlung in Form einer kooperativen und riskanten Vorleistung gegenüber dem Vertrauensnehmer in Abhängigkeit von dessen zu erwartender Reaktion (Vertrauenserwartung)“ (Brugger et al. 2013, S. 68; Hervorh. im Original). Aus der zeitlichen Verzögerung zwischen der Vertrauenshandlung und der möglichen Erwiderung resultiere dann „das Vertrauensproblem“ (Brugger et al. 2013, S. 68; Hervorh. im Original; vgl. Abbildung 24). 175 2013, S. 66; vgl. auch Booth und Wheeler 2008, S. 252) stellt das Vertrauen dar. Vertrauen gilt als „Schmiermittel sozialer Interaktionen“; es „ermöglicht […] robuste Absprachen, fördert offene Kommunikation, erhöht den Glauben in externe Informationen und schafft Raum für gemeinsames soziales Lernen“ (Brugger et al. 2013, S. 66). Eine einheitliche und allgemein anerkannte Definition existiert auch bei diesem Terminus nicht. Dennoch gibt es Grundkonstellationen, die als Konsens gelten können: So wird formell zwischen der Vertrauenshandlung durch die Geberin oder den Geber und der möglichen Erwiderung durch die Nehmerin oder den Nehmer unterschieden: „Ein Akteur, der Vertrauensgeber, entscheidet sich für oder gegen eine Vertrauenshandlung in Form einer kooperativen und riskanten Vorleistung gegenüber dem Vertrauensnehmer in Abhängigkeit von dessen zu erwartender Reaktion (Vertrauenserwartung)“ (Brugger et al. 2013, S. 68; Hervorh. im Original). Aus der zeitlichen Verzögerung zwischen der Vertrauenshandlung und der möglichen Erwiderung resultiere dann „das Vertrauensproblem“ (Brugger et al. 2013, S. 68; Hervorh. im Original; vgl. Schaubild 25). Schaubild 25: Die Reaktionszeit als Dimension des Vertrauensproblems Reaktionszeit Vertrauenshandlung mögliche Erwiderung durch Geber durch Nehmer Quelle: Brugger et al. (2013, S. 69). Vertrauen aus konstruktivistischer Perspektive, die hier im Fokus der Betrachtung stehen soll, geht deutlich über rationalistische Ansätze hinaus. Letztere dominieren zwar die Forschungslandschaft (vgl. Brugger et al. 2013), sind aber substanzieller Kritik ausgesetzt: „So wird zum einen argumentiert, dass sich Vertrauen im Sinne eines informationsbasierten Kalküls kaum noch von Kontrolle unterscheiden lässt. 57 Zum anderen wird bezweifelt, dass Vertrauen - wenn es denn mehr ist als informationsbasiertes Kalkül - überhaupt rationalen Ursprungs sein kann“ (Brugger et al. 2013, S. 66f.). Forschungen zum Vertrauen im konstruktivistischen Sinne finden sich mittlerweile in verschiedenen Bereichen der Internationalen Beziehungen: Sie reichen von der internationalen Gemeinschaftsbildung über psychologisch fundierte Außen- 57 Sowohl Vertrauen als auch Kontrolle zielen auf „die Bildung positiver Kooperationserwartungen“. Dabei setzt Vertrauen „auf die Einschätzung eines Akteurs als vertrauenswürdig“, während Kontrolle „auf das Wissen über die kooperationsfördernde Wirkung struktureller Rahmenbedingungen“ basiere (Brugger et al. 2013, S. 69; Hervorh. d. Verf.). Abbildung 24: Die Reaktionszeit als Dimension des Vertrauensproblems nach Philipp Brugger et al. (2013, S. 69) Vertrauen aus konstruktivistischer Perspektive, die hier im Fokus der Be‐ trachtung stehen soll, geht deutlich über rationalistische Ansätze hinaus. Letztere dominieren zwar die Forschungslandschaft (vgl. Brugger et al. 2013), sind aber substanzieller Kritik ausgesetzt: „So wird zum einen argu‐ mentiert, dass sich Vertrauen im Sinne eines informationsbasierten Kalküls kaum noch von Kontrolle unterscheiden lässt. 59 Zum anderen wird bezwei‐ felt, dass Vertrauen - wenn es denn mehr ist als informationsbasiertes Kalkül - überhaupt rationalen Ursprungs sein kann“ (Brugger et al. 2013, S. 66f.). Forschungen zum Vertrauen im konstruktivistischen Sinne finden sich mitt‐ lerweile in verschiedenen Bereichen der Internationalen Beziehungen: Sie reichen von der internationalen Gemeinschaftsbildung über psychologisch 11.3 Vertrauen 233 <?page no="234"?> fundierte Außenpolitikforschung bis hin zur Versöhnungsforschung (vgl. hierzu auch den Literaturbericht von Brugger et al. 2013, S. 84ff.). In der deutschen Friedensforschung ist es insbesondere der Philosoph Pascal Delhom (2007, 2015, 2019a, 2019b), der das Konzept des Vertrauens für ein Friedensdenken fruchtbar macht. Er betont die Rolle des Vertrauens „als Wagnis mit eigenen Bedingungen“ (Delhom 2019a, S. 120). In Anlehnung an Niklas Luhmann versteht Delhom (2019a, S. 120) Vertrauen „als eine Form des Umgangs mit der Freiheit anderer Menschen“. Freiheit heißt hier, „dass kein Handlungssubjekt die Handlungen der anderen gänzlich vorhersehen oder kontrollieren kann“ (Delhom 2019a, S. 121) - und zwar nicht nur angesichts der nicht vorhersehbaren Zukunft, sondern auch aufgrund des „offenen Handlungsspielraums, den die Freiheit bedeutet“ (Delhom 2019a, S. 121). Daraus resultiert dann auch unser Unwissen: Zum einen wissen wir nicht, wie sich die anderen - auch uns gegenüber - verhalten werden. Zum anderen können wir „unser eigenes Vertrauen ihnen gegenüber nie völlig begründen“ (Delhom 2019a, S. 121) - oder mit Niklas Luhmann (2014, S. 32) gesprochen: „Vertrauen bleibt ein Wagnis.“ Vertrauen als asymmetrische Beziehung „Vertrauen [ist] grundsätzlich eine asymmetrische Beziehung. Denn das jeweils eigene Vertrauen, das wir im anderen haben oder das wir ihm schenken, hängt nicht vom Vertrauen des anderen in mir ab. Und das Wagnis des Vertrauens wird nicht dadurch geringer, dass der andere dasselbe Wagnis auch eingeht. Gegenseitiges Vertrauen bildet also keine Symmetrie der Beziehung, sondern eine doppelte Asymmetrie“ (Delhom 2019b, S. 97). Die Vertrauensbildung umfasst drei konstitutive Elemente: Erstens beinhal‐ tet es das Vertrauen desjenigen, der unter bestimmten Bedingungen seinem Gegenüber Vertrauen schenkt; zweitens handelt es sich um das Vertrauen, das der andere durch bestimmte Verhaltensweisen bei dem Vertrauenden hervorruft; und drittens inkludiert es die inhaltliche Komponente, das heißt, was anvertraut wird (vgl. Delhom 2007, S. 339ff.; 2019b, S. 100ff.). Vertrauen zu schenken birgt das Risiko der Enttäuschung. Da Vertrauen stets ein Wagnis darstellt, ist die oder der Vertrauende auch beständig der Gefahr 234 11 Respekt, Anerkennung und Vertrauen als Wege zum Frieden <?page no="235"?> ausgesetzt, sich verletzbar zu machen. Bestimmte Bedingungen können - auch wenn sie keine Garantie für die Verlässlichkeit des Anderen darstellen - Vertrauen begünstigen (vgl. Delhom 2019a, S. 123ff.; 2019b, S. 101ff.): ▸ die Annahme der Vertrauenswürdigkeit des anderen Akteurs: Zum einen setzt es das Zutrauen in die Fähigkeit des Anderen voraus, diese Aufgabe auch erfüllen zu können. Zum anderen speist es sich aus den Erfahrungen vergangener Handlungen, aus dem Ruf und dem Ansehen des Anderen oder aus einer günstigen Situation heraus. ▸ die Bereitschaft des anderen Akteurs, Verantwortung zu übernehmen: So können explizite Selbstverpflichtungen zur Übernahme von be‐ stimmten Aufgaben Vertrauen fördern. ▸ das Vorhandensein eines Vertrauensklimas: Besteht eine Kultur des Vertrauens, ist Vertrauen also weitläufig akzeptiert und existiert eine entsprechende Praxis, erweist sich „die verbindliche Kraft des geschenk‐ ten Vertrauens“ (Delhom 2019b, S. 102) als hoch wie auch umgekehrt enttäuschtes Vertrauen sich nachteilig auf das Vertrauensklima auswir‐ ken kann. ▸ die Einbeziehung eines dritten Akteurs: Diese oder dieser kann als Zeu‐ gin oder Zeuge einer Selbstverpflichtung, als Garant für die Einhaltung dieser oder aber als Vertrauensperson fungieren und Vertrauensbezie‐ hungen begünstigen. Auch Vertrauen hervorzurufen ist nicht einfach - insbesondere in konflikt‐ iven Zeiten. Wenn Skepsis und Misstrauen die Wahrnehmungen und Inter‐ aktionen bestimmen, bedarf es häufig „,kostspielige[r] Zeichen‘, durch die eine der Parteien die Verlässlichkeit ihrer Haltung gegenüber der anderen glaubwürdig zu bezeugen hat. Je geringer das Vertrauen des anderen ist, desto kostspieliger müssen die Signale sein, um zu überzeugen“ (Delhom 2019a, S. 104). So bedurfte es beispielsweise nach dem Ende des Kalten Krieges zahlreicher Gesten und Signale von Michael Gorbatschow, um im Westen Vertrauen in den Reformwillen der Sowjetunion hervorzurufen. Nach Andrew H. Kydd (2007, S. 230ff.) waren es 1988 insbesondere vier Ereignisse, die die Wahrnehmungen des Westens in die Sowjetunion ver‐ änderten: (1) der Beginn des sowjetischen Rückzugs aus Afghanistan, (2) das Gipfeltreffen zwischen Michael Gorbatschow und Ronald Reagan in Moskau, bei dem sich Reagan davon überzeugen konnte, dass „Soviet inten‐ tions had fundamentally altered“ (Kydd 2007, S. 231), (3) die im Anschluss stattfindende 19. Parteikonferenz mit der Zielsetzung einer umfassenden 11.3 Vertrauen 235 <?page no="236"?> 60 Dieser Abschnitt basiert auf Werkner (2019a). gesellschaftlichen und politischen Umgestaltung des Landes sowie (4) die Rede Gorbatschows vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der Ankündigung eines einseitigen substanziellen Truppenabzugs aus Osteuropa von 500.000 Mann einschließlich sechs Panzerdivisionen (vgl. auch Delhom 2019b, S. 104ff.). Das friedenspolitische Potenzial des Vertrauens „Dieses doppelseitige Wagnis des Vertrauens, das einerseits ohne Garan‐ tie des Erfolgs - wenn auch immer mit bestimmten Absicherungen - geschenkt wird, und um das andererseits mit gewagten Vorleistungen geworben wird, scheinen die Bedingungen dafür zu sein, dass eine Sicher‐ heitspolitik durch Kooperation in Zeiten des Konfliktes entstehen, aber auch in Zeiten des Friedens bestehen und sich etablieren kann“ (Delhom 2019b, S. 107). 11.4 Das Konzept der gemeinsamen Sicherheit Ein Beispiel, wie die verhandelten friedenswissenschaftlichen Ansätze von Respekt, Anerkennung und Vertrauen in friedens- und sicherheitspolitische Strategien münden können, ist das Konzept der gemeinsamen Sicherheit. Die auf die Palme-Kommission 1982 und ihren Bericht „Common Security“ zurückgehende Grundidee, die konfrontative Abschreckungspolitik durch kooperative bündnisüberwölbende Regelungen zu ersetzen (vgl. Palme et al. 1982), eröffnete im Kalten Krieg Potenziale für eine konstruktive Sicherheitspolitik. 60 Mit dem Begriff der gemeinsamen Sicherheit ist der Lösungsansatz bereits angezeigt. Die eigene Sicherheit muss „stets auch die Sicherheit des Nachbarn und des Gegenübers berücksichtigen“ (Lutz 1986, S. 46). Sicherheit ist nicht mehr voreinander, sondern nur noch miteinander zu suchen (vgl. Schubert 1992, S. 161). Auf diese Weise geht gemeinsame Sicherheit über die traditionelle Sicherheitslogik hinaus und lässt Momente einer Friedenslogik wirksam werden (vgl. Kapitel 2.2). 236 11 Respekt, Anerkennung und Vertrauen als Wege zum Frieden <?page no="237"?> Gemeinsame Sicherheit beruht auf der Akzeptanz wechselseitiger öko‐ nomischer und politischer Abhängigkeiten und auf der gemeinsamen und unteilbaren Verantwortung für den Frieden. Dabei werden - im Gegensatz zu Ansätzen des liberalen Friedens (wie der Politik der EU-Integration) oder (neo)realistischen Ansätzen der kollektiven Verteidigung (wie der NATO), die beide auf gemeinsamen Wertefundamenten beruhen - gesellschaftspo‐ litische Differenzen anerkannt. Das vorrangige Ziel sind koexistenzielle Beziehungen, bei denen ein Wertekonsens nicht erreicht, ein globaler Interessenabgleich aber möglich wird: „Gemeinsame Sicherheit leugnet nicht den Gegensatz der Sicherheitskontrahenten, sie baut aber auf ihr vernunftorientiertes Miteinander am und im Interesse der Kriegsverhütung“ (Lutz 1986, S. 79). Gemeinsame Sicherheit unterscheidet sich in Intention, Wirkung und Mitteln grundlegend von einer Politik der Abschreckung. Von ihrer Intention her fokussiert eine auf Abschreckung abzielende Politik auf die eigene Sicherheit, während gemeinsame Sicherheit die Sicherheitsinteressen und Bedrohungswahrnehmungen aller Beteiligten mit bedenkt und einbezieht. Das bedeutet zugleich, dass jede Seite der anderen „das gleiche Maß an Sicherheit zubillig[t], das sie für sich selbst in Anspruch nimmt“ (Scheler 2012, S. 84). Grundbedingung dieses Interessenabgleichs und Basis einer solchen Zusammenarbeit ist der Gewaltverzicht. Im Gegensatz zu einer Politik der Abschreckung, die auf das militärische Instrument setzt, versucht gemein‐ same Sicherheit, diese Logik zu durchbrechen und die Rüstungsspirale zu beenden. Damit impliziert sie eine andere Wirkung. An die Stelle militäri‐ schen Denkens tritt die „Repolitisierung der Sicherheitspolitik“ (Pott 1988, S. 5). Gemeinsame Sicherheit setzt auf ein gemeinsames Vorgehen mit Mitteln der Kommunikation und Kooperation sowie gegenseitiger Vereinbarungen und vertrauensbildender Maßnahmen. Im Gegensatz zur Abschreckung verlangt gemeinsame Sicherheit zieladäquate Mittel. Aus dieser Perspektive erweist sich der politische Dialog als der wichtigste Schritt zu einem gewaltfreien System. Erst wenn es gelingt, Konfrontation durch Dialog zu ersetzen, kann Vertrauen gebildet sowie Frieden geschaffen und konsolidiert werden (vgl. Mutz 1986, S. 109ff.). Dabei ist Dialog dort am drängendsten, wo er unmöglich erscheint (vgl. Reißig 2008, S. 34). Er setzt voraus, den Akteuren - auch den „normativ Anderen“ - ihre Lern-, Reform- und Friedensfähigkeit nicht grundlegend abzusprechen (vgl. IFSH 1988, S. 9). 11.4 Das Konzept der gemeinsamen Sicherheit 237 <?page no="238"?> Diese Friedensstrategie steht vor Herausforderungen: Sie erfordert zu‐ nächst Vertrauen. Unter konfrontativen Konstellationen ist Vertrauensbil‐ dung nicht einfach, muss diese unter Bedingungen doppelter Kontingenz hergestellt werden. Da sowohl die Äußerungen und Reaktionen des einen als auch des anderen Akteurs anders ausfallen können als der jeweils andere erwartet, bleibt Vertrauen „eine zunächst einseitige und darum ‚riskante Vorleistung‘“ (Stegmaier 2008, S. 415). Neben Vertrauen basiert gemeinsame Sicherheit auf Respekt und Anerkennung. Das erfordert die Überwindung eines Denkens in Freund-Feind-Schemata und die Fähigkeit, ohne die „Projektion des Bösen“ (Nedelmann et al. 1987, S. 211) auszukommen. Gemeinsame Sicherheit birgt - und darin liegt die zweite Herausforde‐ rung - ein Paradoxon in sich: Das Konzept setzt „als Funktionsbedingung sein Funktionieren voraus“ (Müller 1986, S. 170). Gewaltfreiheit ist zugleich Voraussetzung und Ergebnis gemeinsamer Sicherheit. Wie kann - so die sich daraus ergebene zentrale Frage - gemeinsame Sicherheit angesichts bewaffneter Konflikte zur Anwendung kommen? Hier schlägt Erwin Müller (1986, S. 170) zwei Auswege aus diesem Dilemma vor: Erstens könne ein Akteur, sofern er sich damit nicht selbst gefährdet, so handeln, „als bestünde bereits Einigkeit über den noch zu vereinbarenden beidseitigen Verhaltens‐ kodex“. Damit verbindet sich die Intention, auf diesem Wege - sozusagen im Vorgriff - den angestrebten Verhaltenskodex zu etablieren. Zweitens könnten die Beteiligten den Konflikt „einfrieren“, bis eine einvernehmli‐ che Lösung gefunden ist. Auch hinter diesem Ansatz steht der Gedanke, auf der Basis der Vorwegnahme des gewünschten Zustandes (durch eine einstweilige Vernachlässigung des konkreten Konfliktes) eine konstruktive Konfliktbearbeitung zu ermöglichen. Gemeinsame Sicherheit kann allerdings nicht gelingen, wenn vitale und existenzielle Interessen von Beteiligten verletzt werden. Hier stößt das Konzept an seine Grenzen. Das Recht auf Sicherheit endet - so der Friedensforscher Reinhard Mutz (1986, S. 137) - dort, „wo es das Recht des Kontrahenten auf gleiche Sicherheit in Frage stellt“. Gemeinsame Sicherheit ist - und das hat sie mit dem Friedensbegriff gemeinsam - als Prozess zu verstehen; sie ist sowohl Ziel als auch Verlaufsmuster (vgl. Pott 1988, S. 7). Damit stellt gemeinsame Sicherheit ein sehr voraussetzungsreiches Kon‐ zept dar. Angesichts des Wandels von einem bizu einem multipolaren System hat sich seine Komplexität noch einmal gesteigert. Dabei weist die gemeinsame Sicherheit, vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts entstanden, deutlich über diese Konstellation hinaus und lässt sich - und 238 11 Respekt, Anerkennung und Vertrauen als Wege zum Frieden <?page no="239"?> darauf verwiesen Friedensforscherinnen und -forscher bereits in den 1980er Jahren - auch auf andere Konfliktkonstellationen anwenden: „Räumlich und zeitlich ist die Reichweite des Konzepts Gemeinsamer Sicherheit prinzipiell unbegrenzt. Es gibt kein systematisches Argument, das ausschließt, daß nach demselben Handlungsmodell, das die Sicherheit zwischen den USA und den UdSSR, zwischen West- und Osteuropa auf ein solides Fundament stellt, auch die Sicherheitsbeziehungen zwischen den Konfliktparteien im Nahen Osten, in Südostasien oder in Mittelamerika dauerhaft stabilisiert werden können“ (Mutz 1986, S. 145). 11.5 Fazit Im Vergleich zu (neo)realistischen, institutionalistischen und liberalen Frie‐ densstrategien betonen konstruktivistische Zugänge immaterielle Faktoren, womit die Interaktionen der Akteure in den Fokus der Betrachtung rücken und diskursive Prozesse für das Zustandekommen von Kooperation Bedeu‐ tung erlangen. Exemplarisch stehen hierfür die Ostpolitik Willy Brandts, die Rolle Michael Gorbatschows beim Systemwandel Ende der 1980er Jahre oder auch das Agieren von Yitzhak Rabin und Jassir Arafat im Osloer Friedensprozess 1993. Die hier vorgestellten Zugänge - und darin liegt ihr zentraler Vorteil gegenüber liberalen Friedensstrategien - eröffnen Wege der Kooperation mit dem Anderen, auch mit dem „Normativ-Anderen“. Vertrauen führt nicht schon automatisch zu einer kooperativen Sicherheitspolitik; eine solche Politik ist aber ohne Vertrauen nicht möglich. Dabei findet sich Vertrauen nicht bereits vor, sondern muss aktiv gebildet werden (vgl. Delhom 2019b, S. 108). Respekt und Anerkennung stellen hierfür notwendige Bedingungen dar (vgl. Brugger et al. 2013, S. 89). Das heißt: Auch wenn Respekt und Anerkennung Risiken bergen und Vertrauen stets ein Wagnis darstellt, gibt es hierzu keine Alternativen. Vertrauen aufzubauen und Kooperation auf Anerkennung zu gründen, ist ein langer Prozess. In dessen Verlauf kann dieses Wagnis aber auch „berechenbarer“ werden. Dafür steht der „Schatten der Zukunft“ (Axelrod 1984, S. 11, 113 ff.) - kein inhärent konstruktivisti‐ sches Argument, es lässt sich aber auch für diese Perspektive fruchtbar machen. Wenn Akteure annehmen, auch in der Zukunft hinreichend oft zu interagieren, und sich damit wiederholt in derselben Konstellation befinden, 11.5 Fazit 239 <?page no="240"?> antizipieren sie diese Situation bereits in ihrer aktuellen Strategie und verhalten sich kooperativer. Weiterführende Literatur: Booth, Ken und Nicholas J. Wheeler. 2008. The Security Dilemma: Fear, Coope‐ ration, and Trust in World Politics. Houndmills: Palgrave. Die beiden Autoren analysieren die Bedeutung des Faktors Vertrauen unter den anarchischen Bedingungen des internationalen Systems. Hirsch, Alfred und Pascal Delhom (Hrsg.). 2015. Friedensgesellschaften - zwi‐ schen Verantwortung und Vertrauen. Freiburg: Verlag Karl Alber. Die hier versammelten Beiträge verhandeln aus friedenswissenschaftlicher Perspek‐ tive das Konzept des Vertrauens und seinVerhältnis zur Verantwortung. Lindemann, Thomas und Erik Ringmar (Hrsg.). 2014. The International Politics of Recognition. New York: Routledge. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes reflektieren aus theoretischer Perspektive sowie anhand empirischer Beispiele die Rolle von Anerkennung in der internationalen Politik. Luhmann, Niklas. 2014. Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 5. Aufl. Konstanz: UVK. Bei diesem Band handelt es sich um ein soziologisches Standardwerk. In diesem analysiert Luhmann die Funktion, Bedingungen und Taktiken des Vertrauens. 240 11 Respekt, Anerkennung und Vertrauen als Wege zum Frieden <?page no="241"?> Part IV: Zum Stand der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland <?page no="243"?> 12 Institute der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland 12.1 Zu den Anfängen der Institutionalisierung der Friedens- und Konfliktforschung - ein kursorischer Überblick Auch wenn die Ursprünge der Friedensforschung bis in die Zeit der Auf‐ klärung zurückreichen, entwickelte sich die moderne Friedensforschung in Deutschland - wie auch in den USA und Europa - mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Als wegweisend kann hier die Konstituierung der Forschergruppe Research Exchange on the Prevention of War in den USA (1951/ 52) um die Wissenschaftler Kenneth E. Boulding, Arthur Gladstone und Herbert C. Kelman gelten, die dann an der Universität Michigan das Center for Research on Conflict Resolution (1957) sowie das Journal of Conflict Resolution (1957) ins Leben riefen. Eine wichtige Etappe der Institutionali‐ sierung der Friedensforschung in Europa stellt die Gründung des Peace Research Institute Oslo (PRIO) in Norwegen 1959 dar, das eng mit dem Namen Johan Galtung verbunden ist. Er gründete auch die Zeitschrift Journal of Peace Research (1964). Im selben Jahr etablierte sich ein internationaler Verband der Friedensforschung, die International Peace Research Association. Weitere wichtige Institutsgründungen folgten in Europa: 1966 das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) in Schweden, 1970 das Tampere Peace Research Institute (TAPRI) in Finnland sowie 1971 das Uppsala Univer‐ sity’s Department for Peace and Conflict Research in Schweden. Neben den skandinavischen Ländern wurden friedenswissenschaftliche Programme auch in den Niederlanden, Belgien und Großbritannien eingerichtet. Für den deutschsprachigen Raum ist exemplarisch das in den 1980er Jahren entstan‐ dene und eng mit dem Namen Gerald Mader verbundene Friedenszentrum in Stadtschlaining in Österreich - mit dem Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK), der European Peace University (EPU, bis 2013) und dem Friedensmuseum - zu erwähnen oder mit Swisspeace die schweizerische friedenswissenschaftliche Stiftung in Bern (vgl. Koppe 2006, S. 31f.; Graf und Wintersteiner 2016, S. 38ff.). In Deutschland selbst begann die Institutionalisierung der Friedensforschung mit der Gründung der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft <?page no="244"?> 61 Diese Aufstellung folgt zu großen Teilen der Institutsliste, die mir die Deutsche Stiftung Friedensforschung zur Verfügung stellte, wofür ich mich an dieser Stelle vielmals bedanken möchte. Die Darstellungen selbst basieren auf den Ausführungen der Instituts-Homepages. (FEST) 1958 in Heidelberg unter der Leitung des Philosophen und Bildungsre‐ formers Georg Picht. Eine der ersten Untersuchungen des Instituts widmete sich den friedensethischen Implikationen des durch Atomwaffen revolutionierten Kriegsbildes. Die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK), der deutsche Dachverband der Friedensforscher und -forscherinnen, wurde 1968 eingerichtet. Die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK), eine Fördereinrichtung der Friedensforschung, bestand nur von 1970 bis 1983, hat in dieser Zeit aber etwa 360 Projekte im gesamten Spektrum der Friedensforschung gefördert. Aufgelöst wurde sie infolge des Parteienstreits um die sozialliberale Ost- und Entspannungspolitik (vgl. Koppe 2006, S. 37ff.; Jahn 2012, S. 25). Zwei zentrale Institutsgründungen folgten: 1970 die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt a. M. mit dem Politikwissenschaftler Ernst-Otto Czempiel als einem der Mitbegründer des Instituts sowie 1971 das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) in Hamburg, das bis 1984 von General a. D. Wolf Graf von Baudissin und in der darauffolgenden Dekade von Egon Bahr geleitet wurde. Beide Institute sind die größten Friedensforschungsinstitute in Deutschland; bis heute erfolgt dort ein Großteil der friedenswissenschaftlichen Forschung. In der Folge entstanden weitere Einrichtungen der Friedens- und Konfliktforschung; insbesondere seit den 1990er Jahren ist eine Etablierung neuer Institute zu verzeichnen. Der nachstehende, nur kursorische Überblick über die aktuelle Insti‐ tutslandschaft in Deutschland gliedert sich - jeweils alphabetisch - in außeruniversitäre Institute (Abschnitt 17.2), außeruniversitäre Institute, die (nur) einen Schwerpunkt im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung aufweisen (Abschnitt 17.3), universitäre Institute und Zentren (Abschnitt 17.4) sowie Verbände, Netzwerke und Stiftungen (Abschnitt 17.5). 61 12.2 Außeruniversitäre Institute Die Berghof Foundation wurde 1971 von Georg Zundel gegründet. Sie weist einen starken Praxisbezug auf. Als unabhängige und gemeinnützige Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Berlin und Tübingen unterstützt 244 12 Institute der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland <?page no="245"?> sie Konfliktparteien und andere Akteure in ihren Bemühungen, durch Frie‐ densförderung, Friedenserziehung und Konflikttransformation politischen und sozialen Wandel sowie dauerhaften Frieden zu erreichen. Das Bonn International Center for Conversion (BICC) wurde 1994 mit Sitz in Bonn unter dem Gründungsdirektor Herbert Wulff errichtet. Im Zentrum der Forschung des BICC stehen Probleme organisierter Gewalt. Seine The‐ men reichen von der Mobilisierung beziehungsweise Demobilisierung von Gewaltakteuren über Rüstungsexporte und Kleinwaffenkontrolle bis hin zur Bedeutung von organisierter Gewalt in globalen Migrationsströmen und der Nutzung natürlicher Ressourcen. Die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt a. M., 1970 errichtet, ist das größte Friedensforschungsinstitut in Deutsch‐ land und seit 2009 Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. 2023 erfolgte die Umbenennung des Instituts in Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) - Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung. In ihrer Arbeit folgt die HSFK dem Motto theoria cum praxi: Sie betreibt erkenntnisorientierte Grundlagenforschung und strebt danach, praxisrelevante Ergebnisse in Politik und Gesellschaft zurückzuspielen. Thematisch beschäftigte sich die HSFK zu Beginn ihres Bestehens vor allem mit dem Ost-West- und Nord-Süd-Konflikt; in den 1990er Jahren dominierten Reflektionen zum Bei‐ trag Europas zum Frieden; die 2000er Jahre waren geprägt von Forschungen zu Antinomien des demokratischen Friedens; es folgten ein Forschungspro‐ gramm zu „Just Peace Governance“ sowie Projekte zu den ambivalenten Beziehungen zwischen Zwang und Frieden. Seit 2024 präsentiert sich das Forschungsprogramm des PRIF als strategisches Rahmenwerk. Anders als die zeitlich begrenzten und thematisch fokussierten Forschungsprogramme der Vergangenheit ist das neue Forschungsprogramm thematisch breiter angelegt. Es reagiert damit auf das Wachstum des Instituts und die konti‐ nuierliche Weitung der Forschungsagenda durch neue Forschungsthemen, -formate und Kooperationen. „Wer Frieden will, muss für Sicherheit sorgen“ - unter dieser Maxime steht die Arbeit des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) in Hamburg. 1971 gegründet stellt es neben dem PRIF einen der wichtigen Orte friedenswissenschaftlicher Forschung dar. Inhaltlich steht das IFSH für vier Themen: Erstens untersucht es europäische Friedens- und Sicherheitsordnungen. Das Zentrum für OSZE-Forschung (CORE) am IFSH ist das einzige Institut weltweit, das die Arbeit der OSZE wissen‐ schaftlich begleitet und auswertet. Unter diesen ersten Schwerpunkt fallen 12.2 Außeruniversitäre Institute 245 <?page no="246"?> aber auch Forschungen zu internationalen Polizeimissionen. Ein zweiter Arbeitsschwerpunkt widmet sich dem gesellschaftlichen Frieden und der inneren Sicherheit, ein dritter untersucht Fragen von Rüstungskontrolle und neuen Technologien und ein vierter verhandelt Folgen des Klimawandels auf das Konfliktgeschehen, die Sicherheit und den Frieden. Das Institut für Theologie und Frieden (ITHF), 1978 gegründet mit Sitz in Hamburg, stellt eine relativ kleine Forschungseinrichtung der katholischen Kirche in Trägerschaft der katholischen Militärseelsorge dar. Es betreibt theologische und für die Theologie bedeutsame Forschung zum Thema Frie‐ den. Aktuell arbeitet das Institut zu Fragen der Friedenskonsolidierung, des Rechts und der Ethik im bewaffneten Konflikt, normativer Grundlagen der EU-Sicherheitspolitik, islamischer Friedensethik, der Terrorismusbekämp‐ fung, des Cyberwar sowie zur Rolle der Religionen in den Krisengebieten Irak und Syrien. Zudem werden historische friedensethische Traditionsli‐ nien aufgearbeitet. 12.3 Außeruniversitäre Institute mit Forschungsschwerpunkten im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung Die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (FEST) ist ein interdisziplinäres Forschungsinstitut, seit 1958 mit Sitz in Heidelberg. Hier entstanden 1959 unter anderem auch die wesentlich auf Carl Friedrich von Weizsäcker zurückgehenden Heidelberger Thesen. Die FEST steht für einen weiten Friedensbegriff; Forscher um Georg Picht entwickelten ein bis heute zentrales mehrdimensionales Modell (vgl. Kapitel 1). Der Arbeitsbereich „Frieden“ trägt diesem Friedensverständnis Rechnung. Thematisch widmet er sich friedensethischen Fragestellungen. Neben dem aktuellen Fokus auf den Krieg in der Ukraine umfasst es drei Schwerpunkte: Fragen zum Konzept des gerechten Friedens, zu Militär und Frieden (unter anderem zur Bundeswehr im neuen Modus der Landes- und Bündnisverteidigung) sowie zu Religion und Frieden (insbesondere zu ihrer Rolle in Konflikten und Friedensprozessen). Das German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg wurde 1964 gegründet und ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das GIGA gehört zu den führenden europäischen Forschungsinstituten für Area Studies und Comparative Area Studies. Es arbeitet zu politischen, ökonomischen und so‐ 246 12 Institute der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland <?page no="247"?> zialen Entwicklungen in den vier Weltregionen Afrika, Asien, Lateinamerika und Nahost. Zugleich forscht das GIGA zu Themen mit globaler Bedeutung. Im Forschungsschwerpunkt „Frieden und Sicherheit“ analysieren Wissen‐ schaftler und Wissenschaftlerinnen Friedens- und Konfliktprozesse in den Regionen, untersuchen internationale Gewalt- und Sicherheitsdynamiken und gehen der Rolle von lokalen, nationalen, regionalen und internationalen Akteuren in Konflikten nach. Das German Public Policy Institute (GPPi) ist ein im Jahr 2003 gegründe‐ ter unabhängiger Thinktank in Berlin. Die Arbeit des Instituts folgt drei Prinzipien: Erstens soll die Forschung des GPPI dem besseren Verständ‐ nis der weltweiten politischen Zusammenhänge dienen (reflect); zweitens bietet es Politikberatung an, unter anderem für die Vereinten Nationen, die Europäische Kommission und nationale Regierungen (advise), und drittens beabsichtigt es, mit seiner Forschung die öffentliche Debatte zu wesentlichen Fragen globaler Politik zu befördern (engage). In einem seiner Forschungsschwerpunkte widmet sich das Institut dem Thema „Frieden und Sicherheit“. Im Fokus der Untersuchungen stehen hier Fragen militärischer Gewaltanwendung einschließlich der Prävention und Beendigung organi‐ sierter Gewalt. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) wurde 1962 in München gegründet, seit 2001 hat sie ihren Sitz in Berlin. Die SWP ist der führende Thinktank der Bundesregierung und des Bundestages. Sie berät politische Entscheidungsträgerinnen und -träger zu Fragen der Außen- und Sicher‐ heitspolitik beziehungsweise der internationalen Politik. Mit ihren derzeit 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bietet sie eine breite regionale und thematische Expertise: Das umfasst Fragen der Kooperation im Kontext systemischer Rivalität, die Neugestaltung der europäischen Sicherheitsord‐ nung, die Autokratisierung als Herausforderung für die deutsche und euro‐ päische Politik sowie wirtschaftliche und technologische Transformationen. 12.4 Universitäre Institute und Zentren Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) der Universität Hamburg wurde 1986 etabliert. Zentraler Gegenstand der Arbeit der AKUF ist die Beobachtung und Analyse des weltweiten Kriegsgeschehens. Sie erfasst und typologisiert alle aktuellen Kriege und bewaffneten Konflikte, ermittelt und analysiert statistische Trends zum Kriegsgeschehen und trägt 12.4 Universitäre Institute und Zentren 247 <?page no="248"?> auf dieser Basis zur Theoriebildung über Kriegsursachen bei. Die Daten der AKUF, ihre Kriegsdefinition und ihre Kriegstypologie bilden in Deutschland eine wichtige empirische Grundlage friedenswissenschaftlicher Forschung. Das Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF) der Universität Hamburg entstand 2006. Es sieht sich in der Tradition der von Carl Friedrich von Weizsäcker an der Univer‐ sität Hamburg Mitte der 1960er Jahre gegründeten Forschungsstelle der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW). Sein Ziel ist es, die eigene primär naturwissenschaftliche Forschung mit der Friedensforschung in den Fakultäten zu verknüpfen. Zu den Forschungsschwerpunkten des ZNF zäh‐ len die Nuklearwaffen- und Biowaffenkontrolle, die Analyse biologischer Risiken sowie Interessen- und Zielkonflikte der Land- und Wassernutzung. Die Friedensakademie Rheinland-Pfalz wurde 2014 gegründet. Sie ver‐ folgt das Ziel, als Schnittstelleninstitution den wechselseitigen Austausch zwischen akademischer Forschung und zivilgesellschaftlichen Akteuren zu fördern. In ihrer Forschung fokussiert die Friedensakademie auf drei Bereiche: auf Umwelt- und Ressourcenkonflikte, auf die Stärkung und Weiterentwicklung von Strategien der Krisenprävention und zivilen Kon‐ fliktbearbeitung sowie auf Friedenspädagogik. Das Friedensinstitut der Evangelischen Hochschule Freiburg wurde 2020 gegründet. Diese Gründung geht auf einen Synodenbeschluss der Evangeli‐ schen Kirche in Baden im April 2019 zurück und versteht sich als ein weiterer Schritt der Landeskirche auf dem Weg zu einer „Kirche des gerechten Friedens". Das Friedensinstitut dient der interdisziplinären angewandten Forschung und Lehre sowie der Fort- und Weiterbildung in den Friedens‐ wissenschaften, vor allem der Friedenspädagogik und der Friedenstheologie. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung e.V. (HIIK) existiert seit 1991. Es widmet sich der Förderung und Verbreitung des Wis‐ sens um Entstehung, Verlauf und Beilegung inner- und zwischenstaatlicher politischer Konflikte weltweit. Das HIIK gliedert sich in fünf Regionalgrup‐ pen: Asien, Vorderer und Mittlerer Orient und Maghreb, Amerika, Afrika und Europa. In diesen arbeiten derzeit über 200 ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen - überwiegend Studierende, aber auch Promovierende und Alumni - an der Erstellung von Datenbanken zu den einzelnen Kon‐ flikten. Bekannt ist das HIIK vor allem durch die jährliche Herausgabe des Konfliktbarometers. Das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duis‐ burg-Essen wurde 1990 eingerichtet. Das INEF stellt sich der Aufgabe, die 248 12 Institute der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland <?page no="249"?> Felder Entwicklung und Frieden gemeinsam zu bearbeiten und insbesondere Fragen an deren Schnittstelle zu untersuchen. Es verbindet allgemeine Grundlagenforschung mit anwendungsorientierter Forschung und Politik‐ beratung zu spezifischen Themenbereichen. Das derzeitige Forschungspro‐ gramm „Umstrittene Autorität im transnationalen Regieren“ fokussiert auf drei Bereiche: auf „Global Governance für nachhaltige Entwicklung“, auf „Menschenrechte und Regulierung in der globalen Wirtschaft“ sowie auf „Gesellschaftliche Konflikte und Resilienz“. Das Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht (IFHV) der Universität Bochum wurde 1988 auf Initiative des damaligen Rektors Knut Ipsen mit dem Ziel gegründet, internationale Konflikte zu erforschen und Lösungsansätze für diese Konflikte zu entwickeln. Es gehört zu den führenden Forschungsinstituten des humanitären Völkerrechts in Europa. Zu den Forschungsbereichen des interdisziplinären, aber in seinem Schwerpunkt rechtswissenschaftlich arbeitenden Instituts gehören unter anderem Fragen des internationalen und des nicht-internationalen bewaff‐ neten Konflikts, Fragen im Bereich der Minderheitenrechte und des Rechts auf Selbstbestimmung sowie Probleme internationaler Organisationen bei der Durchführung humanitärer Hilfsoperationen. Das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld wurde 1996 eingerichtet. Es analysiert die Bedin‐ gungen, Ausdrucksformen und Konsequenzen von Konflikten und Gewalt innerhalb von Gesellschaften. Das IKG hat vier Forschungscluster: (1) Radikalisierung/ De-Radikalisierung von Individuen und (extremistischen) Gruppen, (2) Diskriminierung/ Gleichwertigkeit von Gruppen innerhalb der Gesellschaft, (3) Marginalisierung/ Integration von Individuen und Gruppen innerhalb der Gesellschaft sowie (4) Migration, Raum und sozialer Wandel. Das Institut für Konfliktmanagement (IKM), 2008 gegründet, ist eine Einrichtung der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). In den ver‐ gangenen Jahren hat das Institut seinen ursprünglich rechtswissenschaft‐ lichen Fokus erweitert und arbeitet nunmehr disziplinen- und fakultäts‐ übergreifend. Das IKM verfolgt das Ziel, interessenbasierte Methoden der Konfliktbearbeitung in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft weiter zu etablieren und neue Anwendungsmöglichkeiten zu erschließen. Der Bereich der internationalen Friedensprozesse widmet sich vorrangig der Forschung zu und der Praxis von Friedensmediation (Center for Peace Mediation). Das 2012 gegründete Institute for International Peace and Security Law (IIPSL) der Universität Köln ist der Forschung und Lehre zum Völkerrecht 12.4 Universitäre Institute und Zentren 249 <?page no="250"?> der Friedenssicherung in einem weiten Sinn gewidmet. Zu den Forschungs‐ feldern des Instituts zählen Fragen zum Gewaltverbot und seiner Ausnah‐ men (ius contra bellum), zum Recht der bewaffneten Konflikte (ius in bello) wie auch zur Beendigung bewaffneter Konflikte und Konsolidierung eines friedlichen Zustandes (ius post bellum). Das Zentrum für Historische Friedensforschung (ZHF) der Universität Bonn wurde 2013 gegründet. Es setzt im Bereich der historischen Friedensfor‐ schung die Arbeit der 2011 aufgelösten Vereinigung zur Erforschung der neueren Geschichte e. V. fort. Das ZHF dient als Ankerpunkt für vielfältige Projekte zur Erforschung von Frieden und Sicherheit in der Geschichte. Das Zentrum für Konfliktforschung (ZfK) wurde 2001 als eine fachbe‐ reichsübergreifende Einrichtung der Universität Marburg gegründet. Es widmet sich der Aufbereitung schwerer Menschenrechtsverletzungen und Prozessen der Friedenskonsolidierung nach massiver Gewalt, Intergruppen‐ konflikten sowie der Politik des internationalen State- und Peacebuilding in Nachkriegsgesellschaften. Zu den aktuellen Forschungsschwerpunkten zäh‐ len Flucht und Migration, Gewalt, Protest und Widerstand, internationale Interventionen und Friedenskonsolidierung, Land- und Umweltkonflikte, Transitional Justice und Erinnerungspolitik sowie Ungleichheit und Vertei‐ lungskonflikte. 12.5 Verbände, Netzwerke und Stiftungen Die Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK) wurde 1968 als deutsche Wissenschaftsvereinigung von Friedens- und Konfliktfor‐ schern und -forscherinnen aus allen akademischen Disziplinen gegründet. Derzeit zählt die AFK über 270 Mitglieder. Im Zentrum ihrer Aktivität stehen die jährlich stattfindenden AFK-Kolloquien. Sie dienen dem wis‐ senschaftlichen Austausch ebenso wie der Vermittlung der Friedens- und Konfliktforschung in die Öffentlichkeit. Innerhalb der AFK koordinieren Arbeitskreise fachlich orientierte Diskurse und organisieren Tagungen und Workshops, wobei insbesondere die Forschungsinteressen der AKF-Mitglie‐ der berücksichtigt werden. Der Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AHFK) besteht seit 1984. Er ist eine wissenschaftliche Vereinigung von Mitglie‐ dern aus verschiedenen Ländern in und auch außerhalb von Europa. Der Arbeitskreis will dazu beitragen, die Herausforderungen des Friedens in 250 12 Institute der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland <?page no="251"?> all seinen historischen Dimensionen zu erforschen. Er vereint vielfältige Positionen, Ansätze und Interessen. Der AHFK versteht sich als Forum für einen interdisziplinären und internationalen Austausch, der durch jährliche wissenschaftliche Tagungen und Mitgliederversammlungen gefördert wird. Die Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik e.V. (AGFP) gibt es seit 1974. An der Schnittstelle zwischen Friedenswissenschaft und Vermittlungsarbeit sowie zwischen pädagogischer Konzeption und praktischer Projektarbeit organisiert die AGFP Bildungsprojekte zu den Schwerpunktthemen demo‐ kratische Bildung, Partizipation und Gewaltprävention. Je nach Angebot oder Projekt wendet sich die Arbeit der AGFP an Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene oder Fachkräfte. Dahinter steht die Überzeugung, dass Men‐ schen jeden Alters lernen können, zu einer friedlicheren Welt beizutragen. Die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) wurde im Oktober 2000 durch die deutsche Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministe‐ rium für Bildung und Forschung, gegründet. Sie ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Osnabrück. Das Ziel der Stiftung ist es, „das friedliche Zusammenleben der Menschen und Völker [zu] fördern. Sie soll mithelfen, Voraussetzungen und Bedingungen dafür zu schaffen, dass Krieg, Armut, Hunger, Unterdrückung verhütet, Menschenrechte gewahrt und die internationalen Beziehungen auf die Grundlage des Rechts gestellt werden. Sie soll ferner mithelfen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen und ihre Ent‐ wicklungsmöglichkeiten sowohl genutzt als auch für kommende Generationen erhalten werden“. Die DSF führt keine eigenen Forschungsprojekte durch. Als Bundesstiftung fördert sie friedenswissenschaftliche Vorhaben (Standardprojekte, Pilotstu‐ dien), den wissenschaftlichen Nachwuchs (Post-doc-Projekte), die wissen‐ schaftliche Vernetzung, die Vermittlung von Forschungsergebnissen in die Praxis und Öffentlichkeit oder auch Publikationen wie das Friedensgutach‐ ten. Sie folgt - mit 20-jähriger Unterbrechung - der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK). Der Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit e.V. (FONAS) wurde 1996 im Physikzentrum der Deutschen Physi‐ kalischen Gesellschaft als eingetragener Verein mit Sitz in Hamburg gegrün‐ det. Zweck von FONAS ist es, die wissenschaftliche Arbeit zu Fragen der Abrüstung, der internationalen Sicherheit und des internationalen Friedens mit mathematischen, natur- oder technikwissenschaftlichen Methoden zu fördern. Das beinhaltet zum Beispiel die Abschätzung der Folgen neuer 12.5 Verbände, Netzwerke und Stiftungen 251 <?page no="252"?> Waffentechnologien, die Analyse militärrelevanter Forschungs- und Tech‐ nologieentwicklungen, den Vergleich verschiedener Abrüstungsoptionen, die Erarbeitung von Vertragsvorschlägen oder die Forschung und Entwick‐ lung neuer Verifikationsmethoden. Das Forum Friedenspsychologie e.V. wurde 1982 gegründet und ist seit 1986 ein eingetragener Verein mit gegenwärtig etwa 100 Mitgliedern. Die Aktivitäten des Forums Friedenspsychologie umfassen die Mitarbeit bei der Herausgabe der Zeitschrift „Wissenschaft und Frieden“, die Durchführung von Kongressen und Fachtagungen, Informationen durch öffentliche Vor‐ träge sowie Veröffentlichungen und Stellungnahmen zu friedenspolitischen Themen. Ziel ist es, psychologische Erkenntnisse zur gewaltfreien Bearbei‐ tung von Konflikten, zur Vermeidung von Krieg und zur Förderung von Frieden und sozialer Gerechtigkeit zu erarbeiten und zu vermitteln. Die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung e.V., ein Netzwerk deutscher Organisationen und Einzelpersonen, verfolgt das Ziel, Gewaltkonflikte zu vermeiden, beizulegen und aufzuarbeiten. Seit ihrer Gründung im Jahr 1998 setzt sich die Plattform für eine vorrangige und zunehmende Anwendung der vielfältigen Ansätze der zivilen Konfliktbearbeitung ein. Sie verbindet und stärkt die zivilgesellschaftliche Community und setzt neue Themen im gesellschaftlichen und politischen Raum. Dazu schafft sie Räume für den Informationsaustausch zwischen zivilgesellschaftlichen und politischen Akteuren sowie Foren für die weitere Zusammenarbeit. Das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) gGmbH wurde 2002 von Bundesregierung und Bundestag gegründet, um internationale zivile Kapazitäten für Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidie‐ rung zu stärken. Das ZIF bietet Dienstleistungen und Expertise im In- und Ausland rund um das Thema Friedenseinsätze „aus einer Hand“. Sein inte‐ grierter Ansatz verbindet Training, Personalentsendungen, Politikberatung, Analyse, internationalen Kapazitätsaufbau und Dialogformate. 12.6 Fazit Die moderne Friedensforschung ist noch ein sehr junges Wissenschaftsfeld, dennoch erweist sich ihre institutionelle Landschaft als durchaus vielfältig. Dabei hat der obige kursorische Überblick drei zentrale Kennzeichen der deutschen Friedens- und Konfliktforschung offengelegt: 252 12 Institute der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland <?page no="253"?> 1. Während viele der außeruniversitären friedenswissenschaftlichen Insti‐ tute sowie Verbände und Netzwerke sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und mit dem Ost-West-Konflikt zu etablieren begannen, hat sich die Friedens- und Konfliktforschung in den Universitäten erst nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Systemwandel in Europa durchsetzen können. So gründete sich ein Großteil der universitären Institute und Zentren erst nach 1990. Diese Entwicklung dürfte auch in einem engen Zusammenhang mit der Einrichtung von universitären Studiengängen zur Friedens- und Konfliktforschung stehen. 2. Ein Großteil der friedenswissenschaftlichen Institute, Zentren und Netzwerke betont Interdisziplinarität als ein zentrales Merkmal ihrer Institution. Diese Zuschreibung sagt noch nichts darüber aus, inwieweit damit auch explizit interdisziplinäre Arbeit verbunden ist; häufig wird es über Multidisziplinarität nicht hinausgehen. Zumindest zeigt dies jedoch ein entsprechendes Problembewusstsein an. 3. Schließlich lassen fast alle friedenswissenschaftlichen Einrichtungen eine enge Verbindung von Theorie und Praxis erkennen. Weitgehend durchgängig haben sie den Anspruch, eine erkenntnisorientierte Grund‐ lagenforschung mit praxisrelevanten Ergebnissen zu verbinden, wobei auch dem Aspekt der Vermittlung von Forschungsergebnissen eine zentrale Bedeutung zukommt. Weiterführende Literatur: Koppe, Karlheinz. 2001. Der vergessene Frieden. Friedensvorstellungen von der Antike bis zur Gegenwart. Opladen: Leske + Budrich. Im Kapitel V dieses Buches erfolgt eine ausführliche Dokumentation der Friedenswissenschaften im 20. Jahrhundert. Koppe, Karlheinz. 2006. Zur Geschichte der Friedensforschung im 20. Jahrhun‐ dert. In Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung, hrsg. von Peter Imbusch und Ralf Zoll, 17-66. 4. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozial‐ wissenschaften. In diesem Aufsatz gibt der Autor einen guten Überblick insbesondere über die Anfänge der Institutionalisierung der Friedens- und Konfliktforschung in den USA, Europa und Deutschland. 12.6 Fazit 253 <?page no="255"?> 62 Der Studiengang an der Fernuniversität Hagen wurde 2007 eingestellt, damit auch die Förderung durch die DSF. 63 Die Deutsche Stiftung Friedensforschung listet neun Masterstudiengänge der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland auf, die explizit in ihrem Namen den Begriff Frieden beinhalten. Darüber hinaus zählt sie den Studiengang „Internationale Beziehungen und Ent‐ wicklungspolitik“ zur Friedens- und Konfliktforschung. Zudem existieren aber auch weitere Studiengänge, die thematisch eng an die Friedens- und Konfliktforschung anschließen, wie beispielsweise „International Humanitarian Action“ in Bochum, „Demokratisches Regieren und Zivilgesellschaft“ in Osnabrück oder „Mediation und Konfliktmanagement“ an der Viadrina in Frankfurt (Oder). 64 Die Darstellungen folgen im Wesentlichen den Beschreibungen auf den Universitäts-Home‐ pages. 13 Masterstudiengänge der Friedens- und Konfliktforschung In den 2000er Jahren haben sich in Deutschland die ersten universitären Mas‐ terstudiengänge für Friedens- und Konfliktforschung etabliert - auch mit Hilfe der DSF, die den Aufbau einiger dieser Studiengänge (in Hagen 62 , Hamburg, Marburg und Tübingen) im Rahmen ihres Sonderprogramms zur Struktur- und Nachwuchsförderung gefördert hat. Die Masterstudiengänge weisen - je nach Begriffsverständnis des Friedens, Traditionen und Anknüpfungspunkten vor Ort - unterschiedliche Ausrichtungen, Schwerpunkte und Zielsetzungen auf: So sind sie an verschiedenen Instituten und Fachbereichen angesiedelt, stärker disziplinär oder multibeziehungsweise interdisziplinär ausgerichtet sowie eher forschungs- oder praxisorientiert (vgl. auch Imbusch und Zoll 2006, S. 179ff.). Der nachstehende Überblick über diese Studienangebote 63 erfolgt in gebotener Kürze und alphabetisch nach dem Standort der Universitäten: 64 An der Universität Augsburg wird seit 2016 der viersemestrige Masterstu‐ diengang Sozialwissenschaften: Konflikte in Politik und Gesellschaft angebo‐ ten. Der Studiengang vermittelt politikwissenschaftliche und soziologische Theorien und Methoden der Konfliktanalyse. Das beinhaltet die Analyse von Konfliktursachen, -verläufen und -dynamiken auf unterschiedlichen politi‐ schen und gesellschaftlichen Ebenen. Dabei lernen die Studierenden zentrale Instrumente der Konfliktanalyse sowie politische und gesellschaftliche Strategien der Konfliktregelung kennen. Ziel des Masterstudiengangs ist es, die Studierenden auf Beratungs-, Management- und Forschungstätigkeiten <?page no="256"?> in politischen, soziokulturellen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Einrichtungen vorzubereiten. Der vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Es‐ sen getragene viersemestrige Masterstudiengang Internationale Beziehun‐ gen und Entwicklungspolitik wurde 2006 eingerichtet. Er verbindet eine fun‐ dierte theoretische Ausbildung im Fachgebiet Internationale Beziehungen mit einer intensiven Ausbildung im Teilgebiet Entwicklungspolitik. Neben einschlägigen Theorien und Themen der Internationalen Beziehungen - darunter regionale Kooperation und Integration, internationale Organisa‐ tionen, Globalisierung, internationale Wirtschaftsbeziehungen - legt der Studiengang einen speziellen Fokus auf Theorien von Global Governance, Friedens- und Konfliktforschung, die Nord-Süd-Beziehungen sowie die entwicklungspolitische Praxis. Der Bereich Entwicklungspolitik zeichnet die Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen in besonderer Weise aus, vor allem auch durch die räumliche und institutionelle Nähe zum Institut für Entwicklung und Frieden. Zudem verbindet sich mit dem Studiengang eine regionale Orientierung auf Ostasien, Europa und Afrika (primär Sub-Sahara-Afrika). Das befähigt die Studierenden insbesondere für Tätigkeiten in der internationalen Politik und Entwicklungszusammen‐ arbeit, in internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen. Lehrsprachen sind Deutsch und Englisch. Seit 2018 bietet die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) ei‐ nen viersemestrigen deutsch-kolumbianischen Masterstudiengang Conflict, Memory and Peace an. Die Absolventinnen und Absolventen des viersemest‐ rigen Double-Degree-Programms erhalten nach erfolgreichem Abschluss sowohl einen Mastertitel der KU als auch der Universidad del Rosario. Die Studierenden erwerben zentrale analytische und praktische Kompe‐ tenzen der Friedens- und Konfliktforschung. Diese werden ihnen unter anderem über theoriebasierte Friedens- und Konflikt- und Lösungsmodelle, eine solide Methodenausbildung und forschungssowie praxisorientierte Lehrveranstaltungen vermittelt. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Gebieten der kollektiven Erinnerung, der Erinnerungspolitik und der Ge‐ schichtskultur. Lehrsprachen sind Englisch und Spanisch. Der konsekutive und forschungsorientierte viersemestrige Masterstudi‐ engang Internationale Studien/ Friedens- und Konfliktforschung wurde 2006 eingerichtet und wird gemeinsam von der Goethe-Universität Frankfurt und der Technischen Universität Darmstadt in Kooperation mit dem Peace Research Institute Frankfurt - Leibniz-Institut für Friedens- und Konflikt‐ 256 13 Masterstudiengänge der Friedens- und Konfliktforschung <?page no="257"?> forschung angeboten. Die Studierenden werden mit theoretisch angeleiteten und normativ begründeten Perspektiven nationaler, transnationaler und globaler Vergesellschaftungsprozesse vertraut gemacht und erwerben die Fähigkeit zu einer differenzierten Analyse von inner- und zwischenstaatli‐ chen Konflikten sowie einer reflektierten Entwicklung von Strategien der Konfliktregelung und Friedensförderung. Im Zentrum des Studiengangs steht die Politikwissenschaft, insbesondere die Internationalen Beziehun‐ gen. Des Weiteren sind die Disziplinen Soziologie und Philosophie sowie über die Wahlpflichtmodule auch die Rechts- und Wirtschaftswissenschaf‐ ten sowie Ingenieur- und Naturwissenschaften (Letztere schwerpunktmäßig in Darmstadt) beteiligt. Insgesamt zeichnet sich der Masterstudiengang durch eine große Auswahl an unterschiedlichen Lehrveranstaltungen aus, die neben der Kooperation auch der Größe des politikwissenschaftlichen Fachbereichs an der Universität Frankfurt geschuldet ist. Dementsprechend breit sind die Berufsoptionen. Seit 2022 gibt es an der Evangelischen Hochschule Freiburg einen konsekutiven dreisemestrigen Masterstudiengang Friedenspädagogik. Er beinhaltet eine praxisorientierte Forschung und Lehre. Zu seinen Themen‐ schwerpunkten zählen: Friedens- und Menschenrechtspädagogik im 21. Jahrhundert, interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung als Grund‐ lage einer menschenrechtsorientierten und transformativen Bildungsarbeit, interkulturelle, intersektionale und internationale Dimensionen von Frie‐ densbildung und Friedensförderung, Grundlagen und Konzepte ziviler Konfliktbearbeitung und Gewaltprävention, Mediation in Bildungsarbeit und Gemeinwesen sowie theologische und philosophische Wirklichkeits‐ deutung. An der Universität Hamburg wird in Zusammenarbeit mit dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der der zweijährige Masterstudi‐ engang Peace and Security Studies - 2006 erstmalig akkreditiert - angeboten (Verkürzung möglich, wenn bereits 240 ECTS erworben wurden). Ziel des Studienganges ist es, hochqualifizierte Absolventen und Absolventinnen auf Tätigkeiten in der friedenswissenschaftlichen Forschung und Lehre sowie in der Praxis (Peacekeeping, Monitoring, Verifikation, Entwicklung, Mediation, Vermittlung, Konversion, Verwaltung in nationalen und internationalen Organisationen, Verbänden, Medien, Unternehmen etc.) vorzubereiten. Die Studierenden erhalten einen Überblick über sozialwissenschaftliche Grund‐ lagen der Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Sie beschäftigen sich unter anderem mit konkreten Aspekten der Friedenssicherung, der Abrüs‐ 13 Masterstudiengänge der Friedens- und Konfliktforschung 257 <?page no="258"?> tung und der Außenpolitik und mit aktuellen Konflikten in verschiedenen Weltregionen. Der Studiengang ist sowohl forschungsals auch praxisori‐ entiert. Dabei gibt es enge Kooperationen mit anderen akademischen Ein‐ richtungen aus dem In- und Ausland, die eine thematische Nähe zur Arbeit des IFSH aufweisen. Die Studieninhalte sind interdisziplinär ausgerichtet: Vermittelt werden Wissen und Kompetenzen an den Schnittstellen zwischen Sozialwissenschaften, Ethik, Rechtswissenschaften, Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften. Lehrsprachen sind Deutsch und Englisch. Die Universität Jena hat zum Wintersemester 2020/ 21 einen neuen Masterstudiengang International Organisations and Crisis Management ein‐ gerichtet. Dieser fokussiert auf drei Bereiche: Erstens geht es um Ziele, Aufgaben, Strukturen, Kulturen und Normen internationaler Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen. Zweitens fragt er nach Möglichkeiten und Grenzen internationalen Krisenmanagements. Und drittens themati‐ siert er, ob und wie internationale Organisationen diese Krisen bewältigen können, welche Effektivitäts- und Legitimationsprobleme dabei entstehen und wie internationale Organisationen auch selbst in die Krise geraten können. Lehrsprache ist Englisch. Das dritte Semester wird findet an einer internationalen Partneruniversität statt. Der Masterstudiengang Friedens- und Konfliktforschung an der Otto von Guericke-Universität Magdeburg, 2017 umbenannt in Peace and Conflict Studies, ist ein viersemestriges, nunmehr ausschließlich englischsprachiges Studienfach. Etwa ein Viertel der Studierenden kommt aus dem Ausland, unter anderem aus Lateinamerika, Asien und Afrika. Seine Kernfächer sind die Politikwissenschaft und Soziologie. Darüber hinaus können die Studierenden auch Lehrveranstaltungen in den Disziplinen Geschichte, Phi‐ losophie, Psychologie und Kulturwissenschaften belegen. Die thematischen Schwerpunkte liegen im Pflichtbereich neben grundsätzlichen Theorien und Methoden der Friedens- und Konfliktforschung in der Konfliktanalyse und Konfliktbearbeitung sowie in Konzepten der Friedenssicherung. Im Wahlpflichtbereich stehen vier Themen - regionale und globale Ordnungs‐ bildung, nachhaltige Entwicklung und Ressourcenmanagement, Gewalt und Medien sowie globale Gerechtigkeit - im Fokus der Lehre. Typischerweise qualifiziert der Studiengang für eine Tätigkeit in der Entwicklungszusam‐ menarbeit, in internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisatio‐ nen, Verbänden und Stiftungen, in Medien, in der Wissenschaft wie in staatlichen Behörden und Ministerien. 258 13 Masterstudiengänge der Friedens- und Konfliktforschung <?page no="259"?> Der viersemestrige Masterstudiengang Friedens- und Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg ist ein forschungsorientierter, interdiszi‐ plinärer und international ausgerichteter Studiengang. Er fokussiert auf die Bearbeitung und friedliche Regelung von Konflikten. Im Mittelpunkt stehen potenziell gefährliche Konflikte, die in oder zwischen Staaten ausgetragen werden. Eine besondere Rolle spielt dabei die internationale und globale Umwelt dieser Konflikte. Im Gegensatz zu den vielfach politikwissenschaft‐ lich dominierten Studiengängen weist die Friedens- und Konfliktforschung in Marburg eine starke soziologische Ausrichtung auf. Dementsprechend liegen die thematischen Schwerpunkte dieses Masterstudiengangs neben Aspekten der strukturellen Prävention von Konflikt- und Gewalteskala‐ tion und der politischen, kulturellen und sozio-ökonomischen Ursachen von Konflikten in der Dynamik von Intergruppen-, innerstaatlichen und internationalen Konflikten. Darüber hinaus werden Möglichkeiten der In‐ tervention in und der Schlichtung von Konflikten sowie Probleme der Konfliktnachsorge, der Friedenskonsolidierung und der Aufarbeitung von Massengewalt behandelt. Das Studium ermöglicht die berufliche Tätigkeit in einem weiten Bereich von Berufsfeldern: in der Wissenschaft, in der zivilen Konfliktbearbeitung, in staatlichen Institutionen und Organisationen, in der Konfliktmediation und im Konfliktmanagement, in der Politikberatung, in den Medien sowie in der Wirtschaft. Lehrsprachen sind Deutsch und Englisch. Zudem bietet die Philipps-Universität Marburg in Kooperation mit der Uni‐ versity of Kent einen viersemestrigen englischsprachigen Masterstudiengang Peace and Conflict Studies an. Die Studierenden verbringen jeweils ein akade‐ misches Jahr in Canterbury und Marburg und erhalten nach erfolgreichem Abschluss einen MA in Peace and Conflict Studies (International Joint Degree) von der Universität Marburg und der University of Kent. Gegenstand dieses gemeinsamen Studiengangs sind Konflikte und Friedensprozesse im interna‐ tionalen Wandel. Zu seinen thematischen Schwerpunkten zählen Konflikt‐ theorien, Konfliktbearbeitung, Konfliktanalyse und Intergruppenkonflikte. Auch hier ist das Spektrum der möglichen beruflichen Tätigkeiten breit gefächert, vergleichbar mit dem deutschsprachigen Marburger Studiengang. Seit 2021 gibt es an der Universität Osnabrück einen viersemestrigen Masterstudiengang Conflict Studies and Peacebuilding. Die Studierenden befassen sich mit der Rolle verschiedener Konfliktakteure, mit Ursachen und Dynamiken von Konflikten und Gewalt sowie mit Praktiken der Konfliktvermittlung und Friedensförderung durch internationale, staatliche 13 Masterstudiengänge der Friedens- und Konfliktforschung 259 <?page no="260"?> wie nicht-staatliche Akteure. Einen empirischen Schwerpunkt bildet die Untersuchung von gewaltsamen, innerstaatlichen Konflikten. Zudem inte‐ griert der Studiengang Erkenntnisse und Erfahrungen aus der beruflichen Praxis. Er wendet sich an Studierende, die eine künftige berufliche Laufbahn in einem internationalen Umfeld anstreben. Lehrsprache ist Englisch. 2004 wurde an der Universität Tübingen der viersemestrige Masterstu‐ diengang Peace Research and International Relations eingerichtet. Dieser Studiengang ist stark politikwissenschaftlich geprägt mit einem Fokus auf die Internationalen Beziehungen und damit disziplinär ausgerichtet. Ziel des Studienganges ist es, den Studierenden auf den Gebieten der Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung sowie des Weltregierens die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, um konstruktiv mit alten und neuen Herausforderungen des Friedens umgehen zu können. Im Studiengang werden zum einen die Dynamiken, Prozesse und Strukturen gewaltförmiger Konflikte analysiert und diese Analyse durch praxisrelevante Erfahrungen vertieft. Zum anderen lernen die Studierenden Chancen und Möglichkeiten von Kooperation zur Bewälti‐ gung internationaler und innergesellschaftlicher gewaltträchtiger Konflikte kennen. Die thematischen Scherpunkte des Studienprogramms umfassen neben theoretischen und methodischen sowie normativen und kritischen Perspektiven die Herausforderungen globalen Regierens und die Analyse bewaffneter Konflikte. Lehrsprache ist Englisch. Zudem gibt es an zahlreichen Universitäten - zumeist in der Politikwis‐ senschaft - Universitätsprofessuren mit der Denomination Friedens- und Kon‐ fliktforschung beziehungsweise Konfliktforschung. Ein Großteil von ihnen steht im Kontext der Masterstudiengänge und der universitären Institute und Zentren zur Friedens- und Konfliktforschung. Auch sind mit der Leitung außeruniversitärer Institute - wie des PRIF, des IFSH und des BICC - häufig auch Professuren an den entsprechenden Universitäten verbunden. Darüber hinaus finden sich Professuren mit entsprechenden Denominationen an ver‐ schiedenen Universitäten, beispielsweise an den Bundeswehr-Universitäten in Hamburg und München, am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin oder auch an den Universitäten in Bielefeld, Erfurt und Mannheim. 260 13 Masterstudiengänge der Friedens- und Konfliktforschung <?page no="261"?> 65 Auch hier folge ich der Liste der Deutschen Stiftung Friedensforschung. Die Darstel‐ lungen selbst basieren auf den Ausführungen der Homepages der Fachzeitschriften. 14 Zur Publikationslandschaft Auch ein Blick in die friedenswissenschaftlichen Publikationen zeugt von der Etablierung der Friedens- und Konfliktforschung in der deutschen Wis‐ senschaftslandschaft: An erster Stelle ist das jährliche Friedensgutachten (Abschnitt 19.1) aufzuführen, das nicht nur innerhalb der Wissenschaft, son‐ dern vor allem auch im bundespolitischen Berlin zur Kenntnis genommen wird. Des Weiteren existieren mittlerweile vier renommierte friedenswis‐ senschaftliche Fachzeitschriften (Abschnitt 19.2). 65 Darüber hinaus stehen für Studierende, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie die inter‐ essierte Öffentlichkeit diverse Lehr- und Handbücher (Abschnitt 19.3) zur Verfügung. 14.1 Das Friedensgutachten Das Friedensgutachten analysiert das aktuelle Konfliktgeschehen, zeigt Trends der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik auf und gibt konkrete Empfehlungen für das friedenspolitische Handeln der deutschen Bundesregierung. Das Gutachten wird von den führenden deutschen Frie‐ densforschungsinstituten seit 1987 jährlich herausgegeben. Seit 2018 er‐ scheint das Friedensgutachten in neuer Konzeption und Gestaltung: In fünf Kapiteln - bewaffnete Konflikte, nachhaltiger Frieden, Rüstungsdynamiken, institutionelle Friedenssicherung und transnationale Sicherheitsrisiken - bilanzieren und bewerten Autorenteams der Institute die aktuellen Ent‐ wicklungen. Zusätzlich nimmt das Kapitel „Fokus“ jeweils einen aktuel‐ len Konflikt beziehungsweise eine aktuelle Konfliktregion in den Blick. Die Ergebnisse des Friedensgutachtens werden jährlich in Berlin - auf der Bundespressekonferenz, in Bundesministerien sowie Fraktionen und Ausschüssen des deutschen Bundestages, aber auch der Öffentlichkeit - vorgestellt und diskutiert. <?page no="262"?> 14.2 Fachzeitschriften Die Friedens-Warte. Journal of International Peace and Organization, eine halbjährlich als Doppelheft erscheinende begutachtete Fachzeitschrift im Berliner Wissenschaftsverlag, wurde 1899 vom späteren Friedensnobel‐ preisträger Alfred Fried begründet. Sie ist die älteste Zeitschrift im deutsch‐ sprachigen Raum für Fragen der Friedenssicherung und der internationalen Organisation. Neben dem fachlichen Austausch innerhalb und zwischen den friedenswissenschaftlichen Disziplinen will die Zeitschrift traditionell einen Beitrag dazu leisten, das für eine Politik der aktiven Friedensgestal‐ tung erforderliche Fachwissen in die politische Praxis zu vermitteln. Sie berücksichtigt deutsch- und englischsprachige Beiträge aus den Politik- und Rechtswissenschaften, aus den Wirtschafts- und Naturwissenschaften sowie aus der Soziologie, Sozialpsychologie und Sozialanthropologie. Die Zeitschrift Wissenschaft und Frieden (W&F) gibt es seit 1983. Sie ist eine vierteljährlich im Eigenverlag erscheinende interdisziplinäre Wis‐ senschaftszeitschrift für Friedensforschung, Friedenspolitik und Friedens‐ bewegung. 1992 vereinigte sich der ehemalige „Informationsdienst Wissen‐ schaft und Frieden“ mit „Frieden“ (vormals „medatus“), der Zeitschrift des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e. V. in Weilheim. Aus dem Zusammenschluss wurde die Zeitschrift Wissenschaft und Frieden, getragen von einem gemeinnützigen Verein, dem wichtige friedenswissenschaftliche Institutionen angehören wie beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK). W&F publiziert zu friedenspoliti‐ schen, militärstrategischen und rüstungstechnischen Fragen, untersucht Gewaltursachen und -verhältnisse und thematisiert Wege und Möglichkei‐ ten zur zivilen Konfliktlösung, zur Wahrung der Menschenrechte und zur Zukunftssicherung. Sie bietet ein Forum für die Diskussion wissenschaft‐ licher Analysen und Einschätzungen. Zudem informiert die Zeitschrift über aktuelle Publikationen und Termine und berichtet aus Initiativen und Projekten sowie von Konferenzen und Tagungen. Die Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung (ZeFKo) erscheint halb‐ jährlich. Sie ist ein peer-reviewed journal, das seit 2012 im Auftrag des Vor‐ stands der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) zunächst im Nomos Verlag und seit 2019 bei Springer VS herausgegeben wird. Die ZeFKo versteht sich als Kommunikationsforum für die Auseinan‐ dersetzung um begriffliche, theoretische, methodische und konzeptionelle Fragen der Forschung zu Gewalt, Konflikt und Frieden und beabsichtigt, 262 14 Zur Publikationslandschaft <?page no="263"?> insbesondere auch die interdisziplinären Debatten in der Friedens- und Konfliktforschung anzuregen. Ergänzend zu den ZeFKo-Ausgaben gab die Zeitschrift zunächst auch Sonderbände zu spezifischen Themen der Frie‐ dens- und Konfliktforschung heraus; mit dem Verlagswechsel zu Springer VS wurden diese eingestellt. 14.3 Lehr- und Handbücher Mit der Etablierung der universitären Masterstudiengänge sind verstärkt auch Lehr- und Handbücher zur Friedens- und Konfliktforschung erschie‐ nen. Folgend soll ein kurzer kursorischer Überblick gegeben werden. Die - alphabetisch aufgeführten - Bände deutscher Friedensforscher und -for‐ scherinnen sind allesamt nach 2000 erschienen. Sie sollen - ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit - einen Einblick in die Schwerpunkte und Vielfalt der verhandelten friedenswissenschaftlichen Themen vermitteln: Altmann, Jürgen, Ute Bernhardt, Kathryn Nixdorff, Ingo Ruhmann und Dieter Wöhrle. 2017. Naturwissenschaft - Rüstung - Frieden. Basiswissen für die Friedensforschung. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer VS. Diese Einfüh‐ rung stellt die naturwissenschaftlichen Grundlagen für die Friedens- und Konfliktforschung dar. Das umfasst die Bereiche Physik, Chemie, Biologie, Informatik, militärische Forschung und Entwicklung sowie Grundsatzfra‐ gen der Bewertung und Gestaltung von Naturwissenschaft und Technik. Bonacker, Thorsten (Hrsg.). 2008. Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Eine Einführung. 4. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Dieses Lehrbuch liefert einen ideengeschichtlichen und systematischen Überblick über soziologische, politikwissenschaftliche und psychologische Konflikttheorien. Das umfasst neben klassischen Positionen von Thomas Hobbes, Karl Marx, Max Weber und Georg Simmel Konflikttheorien der Internationalen Beziehungen, soziologischer Gesellschaftstheorien sowie sozialwissenschaftlicher Akteurstheorien. Davy, Jennifer A., Karen Hagemann und Ute Kätzel (Hrsg.). 2005. Frieden - Gewalt - Geschlecht: Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterfor‐ schung. Essen: Klartext. Dieser Band stellt neue Ansätze und Ergebnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung vor. Im Mittelpunkt der Beiträge steht die Frage, wie Weiblichkeit und Männlichkeit in historischen und aktuellen Diskursen konstruiert werden und Geschlech‐ 14.3 Lehr- und Handbücher 263 <?page no="264"?> terbilder die Möglichkeiten und Grenzen friedenspolitischen Handelns beeinflussen. Eckern, Ulrich, Leonie Herwartz-Emden und Rainer-Olaf Schultze (Hrsg.). 2004. Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Eine Bestandsauf‐ nahme. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Ausgehend von theoretischen Fragestellungen (unter anderem zum Selbstverständnis der Friedensforschung sowie zu friedenstheoretischen Ansätzen) liefert der Band eine Bestandsaufnahme der deutschen Friedens- und Konfliktfor‐ schung aus historischer, theologischer, sozialwissenschaftlicher, rechtlicher und naturwissenschaftlicher Sicht. Gerster, Daniel, Jan Hansen und Susanne Schregel (Hrsg.). 2023. Histori‐ sche Friedens- und Konfliktforschung. Die Quadratur des Kreises? Frankfurt a. M.: Campus Verlag. Der Band bietet einen Überblick über die program‐ matischen und methodischen Einsichten der Historischen Friedens- und Konfliktforschung und gibt Impulse zu ihrer konzeptionellen und themati‐ schen Weiterentwicklung. Dabei werben die Beiträge für einen Ansatz, der Gewalt und Krieg nicht als Ausgangspunkt setzt, sondern problematisiert und erklärt. Gießmann, Hans J. und Bernhard Rinke (Hrsg.). 2019. Handbuch Frieden. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer VS. Das Handbuch nimmt den Begriff des Friedens in seinen verschiedenen Facetten in den Blick. Das verdeutlicht auch die Struktur des Bandes. Nach einer wissenschaftlichen und politischen Einordnung des Friedensbegriffs (erster Teil) werden - jeweils alphabetisch - im zweiten Teil des Handbuchs das Begriffsfeld Frieden verhandelt (Gerechter Frieden, Friedensbewegung, Friedenspädagogik, Friedensethik etc.) sowie im dritten Teil Friedenskontexte in den Blick genommen (Frieden und Abschreckung, Frieden und Bildende Kunst, Frieden und Demokratie, Frieden und Demokratisierung, Frieden und Entwicklung, Frieden und Gender etc.). Eine dritte aktualisierte Auflage ist derzeit in Arbeit. Gulowski, Rebecca und Michaela Zöhrer (Hrsg.). 2022. Forschungen für Frieden. Perspektiven sozialwissenschaftlicher Konfliktforschung. Baden-Ba‐ den: Nomos. Die Beiträge des Sammelbandes widmen sich in einem ersten Teil theoretischen Positionen und konzeptionellen Zugängen zu Frieden und Konflikt. Zweitens wenden sie sich exemplarischen Anwendungsfeldern zu. Im dritten Teil erfolgt eine kritische Selbstreflexion der deutschsprachigen Friedens- und Konfliktforschung in Forschung und Lehre. Hubel, Helmut. 2005. Weltpolitische Konflikte. Baden-Baden: Nomos. Im Rahmen der Reihe „Studienkurs Politikwissenschaft“ erschienen untersucht 264 14 Zur Publikationslandschaft <?page no="265"?> der Band weltpolitische Konflikte. Der Autor gibt einen Überblick über Theorieansätze, Konflikttypen (exemplarisch werden hier sieben Typen vorgestellt) sowie ausgewählte Akteure der Konfliktbewältigung (Vereinte Nationen, OSZE, NATO, USA, EU). Imbusch, Peter und Ralf Zoll (Hrsg.). 2010. Friedens- und Konfliktfor‐ schung. Eine Einführung. 5. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen‐ schaften. Dieses Lehrbuch kann als ein Klassiker der deutschen Friedens- und Konfliktforschung gelten. Hervorzuheben ist das Grundlagenkapitel, das neben der Geschichte der Friedensforschung im 20. Jahrhundert eine sehr gute Darstellung der zentralen Begriffe der Friedens- und Konfliktfor‐ schung (unterteilt in Konflikt, Gewalt, Krieg und Frieden) sowie einen Überblick über sozialwissenschaftliche Konflikttheorien enthält. Es folgen Konfliktanalysen aus dem internationalen System (Kapitel 2), gesellschaft‐ liche Konfliktkonstellationen (Kapitel 3) sowie Ausführungen zu Friedens‐ ethik, Friedenserziehung und Konfliktregelung (Kapitel 4). Ein Manko stellt hier angesichts der unveränderten Ausgaben - die erste Auflage erschien 1996 - die fehlende Aktualität der Fallbeispiele dar. Jahn, Egbert. 2012. Frieden und Konflikt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozi‐ alwissenschaften. Dieser Band bietet eine kurze, soziohistorisch geprägte Einführung in zentrale Bereiche der Friedens- und Konfliktforschung. Das Lehrbuch enthält fünf Kapitel: 1. Entstehung und Rolle der Friedens- und Konfliktforschung im Wissenschaftssystem, 2. Konflikt, Krieg, Gewalt und Massenmord, 3. Kooperation, zivile Konfliktbearbeitung sowie Frieden und Sicherheit, 4. Entwicklungsetappen des Krieges und Friedens sowie 5. ausgewählte Forschungsfelder der Friedens- und Konfliktforschung. Meyer, Berthold. 2011. Konfliktregelung und Friedensstrategien. Eine Ein‐ führung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Dieser Einfüh‐ rungsband gliedert sich in vier Abschnitte: Grundlagen, Konfliktregelung im demokratischen Rechtsstaat, Konfliktregelung im interethnischen und interkulturellen Bereich sowie Konfliktregelung durch internationale Orga‐ nisationen. Dabei werden jeweils die eigenen Ausführungen des Autors um Texte weiterer Friedens- und Konfliktforscher und -forscherinnen ergänzt. Rinke, Bernhard und Wichard Woyke (Hrsg.). 2004. Frieden und Sicherheit im 21. Jahrhundert. Eine Einführung. Opladen: Leske + Budrich. Das Buch stellt aktuelle Risiken vor (Proliferation und Rüstung, internationaler Terro‐ rismus, ökologische Aspekte), verhandelt Fragen der Konfliktregelung und Friedenssicherung (Vereinte Nationen, USA, humanitäre Interventionen, Rolle Deutschlands) und diskutiert die europäische Sicherheitsarchitektur 14.3 Lehr- und Handbücher 265 <?page no="266"?> (NATO, EU, OSZE). Insofern weist das Lehrbuch einen spezifischen Fokus auf die Internationalen Beziehungen auf. Sahm, Astrid, Manfred Sapper und Volker Weichsel (Hrsg.). 2002. Die Zukunft des Friedens. Bd. 1: Eine Bilanz der Friedens- und Konfliktforschung. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. In diesem ersten Band versuchen Mit‐ glieder der Gründergeneration der Friedens- und Konfliktforschung, einen Rückblick auf die vergangenen vier Jahrzehnte der Forschung zu Krieg und Frieden (Friedensbegriff, Friedensakteure, Friedensstrategien) und einen Ausblick auf die Zukunft des Friedens zu geben. In der Folge ist ein zweiter Band erschienen: Jahn, Egbert, Sabine Fischer und Astrid Sahm (Hrsg.). 2005. Die Zukunft des Friedens. Bd. 2: Die Friedens- und Konfliktforschung aus der Perspektive der jüngeren Generationen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Dieser präsentiert Diagnosen und Strategien, wie sie gegenwärtig von den jüngeren Vertreterinnen und Vertretern der Friedens- und Konfliktforschung diskutiert werden. Schlotter, Peter und Somone Wisotzki (Hrsg.). 2011. Friedens- und Kon‐ fliktforschung. Baden-Baden: Nomos. Dieses Buch gibt einen Überblick über die zentralen Themenbereiche der Friedens- und Konfliktforschung. Ausgehend vom Stand und Selbstverständnis der Friedensforschung ent‐ hält der Band Beiträge zum Umgang mit Konflikt, Gewalt und Krieg (Kriegsursachenforschung, demokratischer Frieden, Entwicklungstheorien, Militär und Gesellschaft), zu Friedensstrategien (internationale Organisatio‐ nen, Rüstungskontrolle und -abrüstung, Geschlechterperspektiven, zivile Konfliktbearbeitung) sowie Texte anderer Disziplinen (Friedenspädagogik, historische Friedensforschung, Naturwissenschaft). Schwerdtfeger, Johannes. 2001. Begriffsbildung und Theoriestatus in der Friedensforschung. Opladen: Leske + Budrich. Dieser Band zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht die inhaltlichen Probleme der Friedensforschung reflektiert, sondern sich mit den verschiedenen Verfahren zur Bestimmung des Friedensbegriffs sowie mit unterschiedlichen wissenschaftstheoretisch begründeten Denkansätzen beschäftigt. Vor diesem Hintergrund behandelt das Buch Dimensionen des Friedensbegriffs, Theoriebegriffe und -konzepte des Friedens sowie Fragen von Theorie und Praxis. Sommer, Gert und Albert Fuchs (Hrsg.). 2004. Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim: Beltz Verlag. Dieser Band widmet sich insbesondere aus psychologischer Perspektive (aber auch aus Sicht der Soziologie und Pädagogik) Themen wie Aggression, Angst und Traumatisierung, Konfliktverständnis und -bearbeitung, Feind- und Selbst‐ 266 14 Zur Publikationslandschaft <?page no="267"?> bilder, gewaltfreier Widerstand und Friedensbewegung sowie Verhandlung, Mediation und Versöhnung. Werkner, Ines-Jacqueline (Hrsg.). 2024. Handbuch Religion in Konflikten und Friedensprozessen (unter Mitarbeit von Madlen Krüger und Anna Löw). Wiesbaden: Springer VS. Das Handbuch reflektiert die Rolle, die der Religion in Konflikten und Friedensprozessen zukommt. Mit seinen insgesamt fast 100 Beiträgen von Autorinnen und Autoren verschiedener Fachdisziplinen bietet es eine umfassende, systematische Übersicht zu diesem Themenfeld. Ausgehend von drei zentralen Kategorien - Recht, Gewalt und Frieden - erfolgt eine differenzierte Sicht auf verschiedene religiöse Traditionen. In die Betrachtung einbezogen wurden die abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, die dharmischen Religionen Hinduismus und Bud‐ dhismus sowie der Daoismus und Konfuzianismus als die vorherrschenden Orientierungen im sinischen Kulturkreis. Werkner, Ines-Jacqueline und Klaus Ebeling (Hrsg.). 2017. Handbuch Friedensethik. Wiesbaden: Springer VS. Dieses fast 1.000-seitige Handbuch bietet eine umfassende, systematische Übersicht zu zentralen Aspekten der Friedensethik, einen interdisziplinären Zugang zum Stand der Forschung sowie zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Debatten. Nach einer Verständigung über Grundbegriffe (Frieden, Ethik, Friedensethik) widmet sich der Band friedensethischen Diskursen (gerechter Krieg, gerechter Frie‐ den, Pazifismus, Krieg und Frieden in der politischen Theorie der Internatio‐ nalen Beziehungen) sowie - in dialogorientierter Perspektivenerweiterung - Ausführungen zu Krieg und Frieden im jüdischen, islamischen, hinduisti‐ schen sowie buddhistischen Kontext. Es folgen friedensethische Analysen zu aktuellen Kontroversen und Entwicklungen (Fragen zu Herrschaft, Recht, Gerechtigkeit und Gewalt). Beiträge zur ethischen Selbstreflexion der Frie‐ dens- und Konfliktforschung beschließen diesen Band. 14.3 Lehr- und Handbücher 267 <?page no="269"?> Literatur Altmann, Jürgen, Ute Bernhardt, Kathryn Nixdorff, Ingo Ruhmann und Dieter Wörhrle. 2017. Naturwissenschaft - Rüstung - Frieden. Basiswissen für die Frie‐ densforschung. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer VS. Appleby, Joyce. 2011. Die unbarmherzige Revolution. 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Literatur 303 <?page no="304"?> Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Die erweiterten Begriffe von Gewalt und Frieden nach Johan Galtung (1975, S. 33) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Abbildung 2: Das Gewaltdreieck nach Johan Galtung (2007) . . . . . 17 Abbildung 3: Phasenmodell des Friedens nach Ernst-Otto Czempiel (1998, S. 65) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Abbildung 4: Dimensionen des erweiterten Sicherheitsbegriffs nach Christopher Daase (2010a, S. 3) . . . . . . . . . . . . . . 30 Abbildung 5: Das Konfliktdreieck nach Johan Galtung (2007, S. 136) 56 Abbildung 6: Konflikttypen nach Volker Rittberger und Michael Zürn (1991, S. 406) mit zum Teil veränderten Beispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Abbildung 7: Formen politischen Konfliktverhaltens nach Reinhard Meyers (1994, S. 29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Abbildung 8: Konflikteskalation in 9 Stufen nach Friedrich Glasl (1997, S. 216, 218 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Abbildung 9: Stufen der Konfliktintensität nach dem HIIK (2024) . 66 Abbildung 10: Typologie von Kriegsursachen nach Kenneth Waltz (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Abbildung 11: Alte versus neue Kriege in Anlehnung an Herfried Münkler (2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Abbildung 12: Maßnahmen, Ziele und unbeabsichtigte Folgen der Strukturanpassung nach Lothar Brock (2004, S. 631) 105 Abbildung 13: Israelisch-palästinensische/ arabische Auseinandersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Abbildung 14: Zentren multipolarer Weltordnungsmodelle . . . . . . . 119 Abbildung 15: Typologie von Minderheitensituationen nach Ulrich Schneckener (2015, S. 56) mit zum Teil veränderten Beispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Abbildung 16: Zugrundeliegende Konfliktursachen nach Michael E. Brown (2001, S. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Abbildung 17: Das Kontinuum von Staatlichkeit nach Daniel Lambach (2012, S. 35) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Abbildung 18: Destabilisierende Faktoren für Staatlichkeit nach Ulrich Schneckener (2007, S. 112) . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 <?page no="305"?> Abbildung 19: Klimainduzierte Konfliktkonstellationen und deren Schlüsselfaktoren in Anlehnung an den WBGU (2008, S. 170) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Abbildung 20: Formen technischer Werkzeuge nach Michael Funk (2017, S. 168) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Abbildung 21: Das zivilisatorische Hexagon nach Dieter Senghass (1995, S. 203) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Abbildung 22: Rollenverständnisse internationaler Akteure nach Cornelia Ulbert (2006, S. 421) in Anlehnung an Alexander Wendt (1999, S. 254) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Abbildung 23: Struktur sozialer Anerkennungsverhältnisse nach Axel Honneth (1992, S. 211) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Abbildung 24: Die Reaktionszeit als Dimension des Vertrauensproblems nach Philipp Brugger et al. (2013, S. 69) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Abbildungsverzeichnis 305 <?page no="306"?> ISBN 978-3-8252-6278-5 Die Friedens- und Konfliktforschung ist wichtiger denn je. Ines-Jacqueline Werkner reflektiert den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung und zeigt die derzeitigen Herausforderungen auf. Ausgehend von begrifflichen Vorüberlegungen zum Frieden fokussiert sie zwei Schwerpunkte: Zum einen wendet sie sich weltpolitischen Konflikten zu. Sie blickt auf deren Ebenen, Akteure, Gegenstände sowie Austragungsformen. Zum anderen stellt sie zentrale Friedensstrategien vor, die für verschiedene Denkschulen stehen, und debattiert Chancen und Hindernisse. Abschließend gibt sie einen Überblick über den Stand der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland mit seinen Instituten und universitären Studiengängen. Das Buch richtet sich an Studierende der Politikwissenschaft, der Internationalen Beziehungen sowie der Friedens- und Konfliktforschung. Es ist auch für Politik, Journalismus und die interessierte Öffentlichkeit eine aufschlussreiche Lektüre. Politikwissenschaft Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel