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Betriebswirtschaftliches Denken von der Antike bis zur Gegenwart

1111
2024
978-3-8385-6291-9
978-3-8252-6291-4
UTB 
Lars Wächter
10.36198/9783838562919

Eine faszinierende Wissenschaftsgeschichte Der wissenschaftliche Charakter der BWL wurde in der Vergangenheit oft in Frage gestellt und die BWL teils als Profitlehre verspottet. Lars Wachter zeichnet hingegen ein facettenreiches Bild von dieser spannenden Wissenschaft: Er erläutert zentrale Begriffe und Konzepte, stellt die großen Namen der Disziplin vor und geht auf deren Bedeutung ein. Beispielhafte Fragen, die im Buch Beantwortung finden: - Warum spricht die Buchhaltung von Soll und Haben? - Gab es Marketing schon im 18. Jahrhundert? - Wer war der eigentliche Gründervater der deutschen BWL? Und warum geriet er in Vergessenheit? - Gab es eine "Nazi-BWL"? - Und: Welcher Betriebswirt prophezeite das Ende des Kapitalismus? Lesenswert für Lehrende und Studierende der Wirtschafts-, Sozial- und Geisteswissenschaften sowie für BWL-Interessierte.

<?page no="0"?> Lars Wächter Betriebswirtschaftliches Denken von der Antike bis zur Gegenwart <?page no="1"?> utb 6291 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Lars Wächter ist Diplom-Handelslehrer und Studienrat. Er ist Autor zahlreicher wirtschaftswissenschaftlicher Auf‐ sätze und Bücher, z. B. „Ökonomen auf einen Blick - Ein Personenhandbuch zur Geschichte der Wirtschaftswissen‐ schaft“ (2. A., 2022) und „Groß- und Außenhandel - Ein‐ führung in die Handelsbetriebslehre mit historischen und praktischen Bezügen“ (1. A., 2023). <?page no="3"?> Lars Wächter Betriebswirtschaftliches Denken von der Antike bis zur Gegenwart UVK Verlag · München <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838562919 © UVK Verlag 2024 ‒ Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro‐ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Heraus‐ geber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung Elanders Waiblingen GmbH utb-Nr. 6291 ISBN 978-3-8252-6291-4 (Print) ISBN 978-3-8385-6291-9 (ePDF) ISBN 978-3-8463-6291-4 (ePub) Umschlagabbildung: © Evgeny Gromov · iStock Autorenbild: © privat Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi‐ bliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 11 15 1 19 1.1 19 1.2 20 1.3 22 1.4 23 1.5 25 27 2 29 2.1 30 2.2 34 2.2.1 35 2.2.2 37 2.3 38 2.4 41 2.5 43 2.6 47 2.7 55 2.8 59 2.9 60 64 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebswirtschaftslehre: Profitlehre oder Wissenschaft? . Betrieb, Betriebswirtschaft und Betriebswirtschaftslehre . Der „Denkstil von der geschichtslosen Managementwissenschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Nutzen der Geschichte für die BWL . . . . . . . . . . . . . . . „Periodizing, as we know, is a-necessary evil“ . . . . . . . . . . . ➲ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Buchhaltungs- und Verfahrenstechniken in Mesopotamien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Griechische Lehre vom „Oikos“ (Xenophon, Aristoteles) . . . Oikonomikós (Xenophon) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oikonomiká (Aristoteles) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Römische Landwirtschaftslehre (Marcus Porcius Cato) . . . Arabische Handelslehre (Alī ad-Dimišqī) . . . . . . . . . . . . . . . Scholastische Handelslehre im Mittelalter (Thomas von Aquin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Italienische Buchhaltungslehre der Renaissance (Luca Pacioli) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christliche Handelslehre vom „gerechten Preis“ (Martin Luther) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Enthüllung „verborgener Künste“ (Lorenz Meder) . . . . Versuch einer systematischen Lehre vom Handel (Giovanni D. Peri) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ➲ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 3 67 3.1 72 3.2 77 3.3 81 3.4 88 3.5 91 3.6 98 104 4 107 4.1 107 4.2 110 4.2.1 110 4.2.2 115 4.2.3 122 4.3 126 129 5 131 5.1 132 5.2 140 5.3 144 5.3.1 144 5.3.2 147 5.3.3 149 5.4 151 5.5 157 5.6 161 163 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) . . . . . . . . . . . „Le Parfait Négociant“ oder „Der vollkommene Kauff- und Handels-Mann“ ( Jaques Savary) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Neu-Eröffnetes Kauffmanns-Magazin“ (Paul Jacob Marperger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Eröffnete Akademie der Kaufleute: oder vollständiges Kaufmanns-Lexicon“ (Carl Günther Ludovici) . . . . . . . . . . „Versuch einer Einleitung in die Handlungswissenschaft“ ( Johann Carl May) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Einleitung zur Handlungswissenschaft“ (Gerhard Heinrich Buse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „System des Handels“ ( Johann Michael Leuchs) . . . . . . . . . ➲ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) . . . . . . Verflachung und Verfall der Handlungswissenschaft . . . . . Vorboten der „modernen“ Betriebswirtschaftslehre . . . . . . Die „Theorie und Praxis des Geschäftsbetriebs“ ( Jean-Gustave Courcelle-Seneuil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die „Allgemeine Gewerkslehre“ (Arwed Emminghaus) . . Die „Handelsbetriebslehre“ (Arnold Lindwurm) . . . . . . . . . Der Ruf nach Handelshochschulen wird lauter . . . . . . . . . . ➲ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) . . . Die erste Handelshochschule in Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . Die Stammväter der Hochschullehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . Das „große betriebswirtschaftliche Dreigestirn“ . . . . . . . . Eugen Schmalenbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinrich Nicklisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebswirtschaftliche Fachzeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . Der Werturteilsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Streit um die Fachbezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ➲ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 6 165 6.1 165 6.2 171 6.3 178 183 7 185 7.1 185 7.2 194 7.2.1 196 7.2.2 198 7.2.3 199 7.3 203 7.4 210 215 8 217 8.1 217 8.2 222 8.3 229 8.4 232 8.4.1 234 8.4.2 235 8.4.3 237 8.4.4 239 240 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen . . . . „System der Welthandelslehre“ (1910) ( Josef Hellauer) . . . „Allgemeine Handelsbetriebslehre“ (1911) ( Johann Friedrich Schär) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Allgemeine-kaufmännische Betriebslehre als Privatwirtschaftslehre des Handels (und der Industrie)“ (1912) (Heinrich Nicklisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ➲ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) . . . . . . . . . . . . Der Ausbau der Professorenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebswirtschaftliche Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Verband der Inhaber deutscher Handelshochschul-Diplome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verein Deutscher Handelslehrer mit Handelshochschulbildung- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verband der Dozenten für Betriebswirtschaftslehre an deutschen Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebswirtschaftliche Forschungsinstitute . . . . . . . . . . . . Handwörterbücher und Sammelwerke der Betriebswirtschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ➲ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) . . Wirtschaftspolitik im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . Einfluss des Nationalsozialismus auf die Betriebswirtschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versuch einer „nationalsozialistischen Betriebswirtschaftslehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menschliche Schicksale der Betriebswirte . . . . . . . . . . . . . . Ermordete und durch Freitod aus dem Leben geschiedene Hochschullehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Emigrierte Hochschullehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entlassungen und entlassungsähnliche Fälle . . . . . . . . . . . . Verzögerte und verhinderte Hochschulkarrieren . . . . . . . . ➲ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 9 243 9.1 245 9.2 253 9.2.1 256 9.2.2 260 9.2.3 262 9.3 265 9.3.1 265 9.3.2 266 9.3.3 268 9.3.4 270 9.3.5 271 276 10 279 10.1 280 10.2 282 10.3 290 10.4 294 10.5 298 10.6 306 10.7 310 318 11 323 11.1 323 11.2 325 11.3 326 331 333 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) . . . Von Plan zu Plan - Betriebswirtschaftslehre in der SBZ und DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Dislozierung und Desorientierung“ - Betriebswirtschaftslehre in Westdeutschland (1945-1951) „Der christliche Gedanke in der Wirtschaft“ (Wilhelm Kalveram) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Der Mensch im Betrieb“ (Guido Fischer) . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Betriebswirtschaftslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . Die „Gutenberg-Ära“ (1951 bis ca. 1969) . . . . . . . . . . . . . . . . „Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ . . . . . . . . . . . . . Das System der produktiven Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grundidee des faktororientierten Ansatzes . . . . . . . . . . Der Methodenstreit zwischen Gutenberg und Mellerowicz . ➲ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der sozialwissenschaftliche Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die entscheidungstheoretische Ansatz (Edmund Heinen) . Der systemorientierte Ansatz (Hans Ulrich) . . . . . . . . . . . . Die Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre . . . . . . . . . . . Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . Der ökologische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Institutionenökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ➲ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Generalisierung vs. Spezialisierung in der BWL . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Betriebswirtschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle Betriebswirtschaftslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ABWL und SBWL im Spannungsfeld von Reziprozität-und Zersplitterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ➲ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsbelegverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> 337 337 338 339 341 343 345 346 348 350 352 355 357 371 384 387 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 9 <?page no="10"?> Für Lia & Massiel <?page no="11"?> Vorwort Während die betriebswirtschaftliche Literatur selbst für ausgewiesene Fach‐ leute schon seit Jahrzehnten kaum mehr zu überschauen ist, verhält es sich mit der Literatur über die Entwicklung der Disziplin völlig anders. Die Anzahl der Arbeiten zur Geschichte der BWL ist insgesamt recht übersichtlich. Dabei möchte man eigentlich meinen, dass mit zunehmendem Alter einer Wissenschaft auch das Bedürfnis steigen würde, sich über deren Entwicklungsstufen zu informieren; und dies insbesondere dann, wenn - wie dies in der BWL der Fall ist - seit über einem halben Jahrhundert eine zunehmende Spezialisierung und Zersplitterung des Faches zu konstatieren ist. Überraschenderweise setzte der Beginn der BWL-Geschichtsschrei‐ bung schon sehr früh ein, zu einer Zeit, als die BWL als Wissenschaft noch in den Kinderschuhen steckte: 1914 erschien die „Literaturgeschichte der Handelsbetriebslehre“ von Eduard Weber. Und im Jahre 1923, zum 25-jähri‐ gen Bestehen des Faches als Hochschuldisziplin, veröffentlichte der junge Betriebswirt Alfred Isaac „Die Entwicklung der wissenschaftlichen Betriebs‐ wirtschaftslehre in Deutschland seit 1898“. Zwei Jahre später erschien ein Aufsatz von Balduin Penndorf mit dem Titel „Die geschichtliche Entwicklung der Handelswissenschaften bis zum Ende des 19. Jahrhunderts“. Rudolf Seÿffert, der sich auf dem Gebiet der historischen Forschung und Lehre der BWL besonders verdient gemacht hat und schon früh Vorlesungen hierzu in Köln hielt, veröffentlichte 1924 seine Antrittsvorlesung über „Begriff, Aufgaben und Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre“ als Aufsatz in der Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis, der in ähnlicher Form auch in das 1926 erstmals erschienene Handwörterbuch der Betriebs‐ wirtschaftslehre Eingang fand. Dieser Text erlebte als Separatdruck bis 1971 sechs Auflagen und bietet auf rund 70 Seiten eine kenntnisreiche und immer noch lesenswerte Einführung in die Entwicklung der Betriebswirtschafts‐ lehre bis in die 1960er-Jahre. 1932 erschien „Das Methodenproblem in der Einzelwirtschaftslehre“ von Fritz Schönpflug. Wie Hans Seischab im Vorwort zu der von ihm herausgegebenen und erweiterten zweiten Auflage von 1954 bemerkt, wollte Schönpflug „keine Geschichte der gesamten betriebs‐ wirtschaftlichen Lehrmeinungen geben, sondern einen Querschnitt durch das Schrifttum zu Beginn der 30er-Jahre legen.“ 1935 veröffentlichte Josef <?page no="12"?> Löffelholz seine soziologisch geprägte „Geschichte der Betriebswirtschaft und der Betriebswirtschaftslehre“, in der er, wie Wilhelm Kalveram im Geleitwort schreibt, „versucht, die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Mensch, zwischen Gesellschaft und Betrieb mit Hilfe der ‚historischen Methode‘ zu erforschen.“ Immer noch lesenswert ist die „Geschichte der Betriebswirtschaftslehre“ von Bernhard Bellinger aus dem Jahr 1967, der auf rund 100 Seiten die Entwicklung der BWL von der Antike bis zu den Entwicklungstendenzen in der Mitte des 20. Jahrhunderts nachzeichnet. Bellingers Anspruch war es, die Geschichte der BWL sowohl unter problemals auch unter ideengeschichtlichen Gesichtspunkten zu behandeln. Um die Jahrtausendwende erschienen zum hundertjährigen Jubiläum der BWL als Fachdisziplin (Gründung der ersten Handelshochschule 1898 in Leipzig) die von Michael Lingenfelder (1999) sowie von Eduard Gaugler/ Richard Köhler (2002) herausgegebenen Sammelwerke, in denen namhafte Fachvertreter die Entwicklungspfade der Allgemeinen BWL sowie insbe‐ sondere der Speziellen Betriebswirtschaftslehren nachzeichnen. In diese Zeit fällt auch die voluminöse Monographie von Dieter Schneider (2001), der im vierten Band seiner Betriebswirtschaftslehre auf über 1.000 Seiten (! ) die „Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft“ äußert fundiert und kenntnisreich darstellt. Als aktuelle Monographien sind die vornehmlich wissenschaftsprogrammatisch bzw. wissenschaftstheoretisch orientierte „BWL-Story“ von Günther Schanz und die „Betriebswirtschafts‐ lehre in Wissenschaft und Geschichte“ von Klaus Brockhoff zu nennen. Das jüngste Sammelwerk ist die zweibändige „Ideengeschichte der BWL“: Der von Wenzel Matiaske und Wolfgang Weber (2018) herausgegebene erste Band thematisiert die ABWL sowie die Spezialgebiete Organisation, Personal, Rechnungswesen und Steuern; der von Wenzel Matiaske und Dieter Sadow‐ ski (2022) besorgte zweite Band widmet sich den Bereichen Produktion, Operations Research, Innovation, Marketing, Finanzierung, Nachhaltigkeit, ÖBWL und internationales Management. Diese Spezialisierung spiegelt auch die reale Entwicklung des Faches wi‐ der. Zwar wirkt sich die Spezialisierung - im Sinne einer wissenschaftlichen Arbeitsteilung - zumeist förderlich auf den wissenschaftlichen Fortschritt aus und wird als wünschenswert erachtet; allerdings sollte sie nicht zu einer Verengung der Perspektive, zur Verselbständigung der Teilbereiche oder zum Verlust einer ganzheitlichen Perspektive führen. Gerade die Wis‐ senschaftsgeschichte kann hier nützliche Dienste leisten und als „Klammer“ der Allgemeinen BWL wirken. 12 Vorwort <?page no="13"?> Sowohl für Studenten der BWL als auch für alle an der Wissenschaftsge‐ schichte der BWL Interessierten scheint mir - zumindest für den Einstieg in das Thema - eine kompakte, überschaubare Darstellung geeignet, die gleichermaßen sowohl die herausragenden Persönlichkeiten des Faches vorstellt als auch deren Schriften, Ideen, Theorien und Wissenschaftspro‐ gramme darstellt und historisch einordnet. Damit ist im Wesentlichen auch schon der Zweck umrissen, den das vorliegende Buch verfolgt: Es soll eine grundlegende, aber auch facettenreiche Einführung bieten in die faszinierende Ideengeschichte der Betriebswirtschaftslehre. Danken möchte ich Wolf-Dieter Ludwig, der das Manuskript Korrektur gelesen hat. Herr Prof. Dr. Norbert Koubek gab nicht nur nützliche Hinweise zum zehnten Kapitel, insbesondere zum Konzept der AOEWL, sondern war auch so freundlich, mir ein Foto zur Verfügung zu stellen, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte. Bei meiner Bildrecherche wurde ich weiterhin unterstützt von: Birgit Abeler (Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V.), Dr. Sandra Eichfelder (Universitätsarchiv der Universität Mannheim), Frau Prof. Dr. Andrea Gröppel-Klein (Institut für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität des Saarlandes), Corinna Groß (NWB Verlag), Dr. Wolfgang Müller (Universitätsarchiv der Universität des Saarlandes), Dr. Katharina Schaal (Hessisches Staatsarchiv Marburg), Dr. Bianca Volk (Verband der Hochschullehrer für Betriebswirt‐ schaft e. V.) und dem Stadtarchiv Nürnberg. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt! Herrn Rainer Berger vom UVK Verlag danke ich für die stets professionelle und sehr angenehme Zusammenarbeit. Kassel, im Sommer 2024 Lars Wächter Vorwort 13 <?page no="15"?> Abkürzungsverzeichnis Abb. | Abbildung ABWL| Allgemeine BWL AOEWL| Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre Aufl. | Auflage Bd./ Bde. | Band/ Bände BLBS | Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen BRD | Bundesrepublik Deutschland BvLB | Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung BWL | Betriebswirtschaftslehre DBW | Die Betriebswirtschaft DDP | Deutsche Demokratische Partei DDR | Deutsche Demokratische Republik DGB | Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft oder Deutscher Gewerk‐ schaftsbund D.H.H.L | Diplom der Handels-Hochschule Leipzig (bis 1920er-Jahre) Dipl.-Hdl. | Diplom-Handelslehrer Dipl.-Kfm. | Diplom-Kaufmann DM | Deutsche Mark Dr. | Doktor jur. | juris (Rechtswissenschaft) oec. | oeconomiae (Wirtschaftswissenschaft) phil. | philosophiae (geisteswissenschaftliche Disziplinen) rer. pol. | rerum politicarum (Politik-, Sozial- oder Wirtschaftswissenschaft) ebd. | ebenda et al. | et alii (und andere) f./ ff. | folgende/ folgenden (Seiten) FDJ | Freie Deutsche Jugend FfH | Forschungsstelle für den Handel HdStW | Handwörterbuch der Staatswissenschaften HdSW | Handwörterbuch der Sozialwissenschaften HdWW | Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft HfÖ | Hochschule für Ökonomie HH | Handelshochschule hrsg. v. | herausgegeben von <?page no="16"?> Hrsg. | Herausgeber Jb. | Jahrbuch JBE | Journal of business economics (zuvor ZfB) Jh. | Jahrhundert Kap. | Kapitel KZ | Konzentrationslager LDPD | Liberal-Demokratische Partei Deutschlands MEW | Marx-Engels-Werke NIÖ | Neue Institutionenökonomik NS | Nationalsozialismus, nationalsozialistisch NSD | Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund NSDStB | Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund NSDAP | Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei RM | Reichsmark S. | Seite SBWL | Spezielle Betriebswirtschaftslehre/ n SBZ | Sowjetische Besatzungszone SED | Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sp. | Spalte SPD | Sozialdemokratische Partei Deutschlands Tab. | Tabelle TH | Technische Hochschule UdSSR | Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Sowjetunion) vgl. | vergleiche VDDK | Verband deutscher Diplom-Kaufleute e. V. VEB | Volkseigener Betrieb VHB | Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V. VLW | Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen VWL | Volkswirtschaftslehre WiSt | Wirtschaftswissenschaftliches Studium WSI | Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut WU | Wirtschaftsuniversität ZfB | Zeitschrift für Betriebswirtschaft ZfbF | Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung ZfhF | Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung ZfHH | Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis (später DBW) zit. n. | zitiert nach 16 Abkürzungsverzeichnis <?page no="17"?> 1 Johann Carl May (1731-1784) in seinem „Versuch einer allgemeinen Einleitung in die Handlungs-Wissenschaft“, Erster Band, Altona 1767, S.-27, § 34. 2 Alfred Isaac (1888-1956) in seiner Dissertation: Die Entwicklung der wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre in Deutschland seit 1898, Berlin 1923, S.-192. 3 Otto Schnutenhaus (1894-1976), ein Vorreiter des Marketings in Deutschland, in seinem Geleitwort zu der Arbeit von Dieter Marscheider: Die Erkenntnisse auf dem Gebiet des Vertriebs in der deutschsprachigen Literatur von 1868 bis 1914, Berlin 1967. „Die Geschichte einer Kunst oder Wissenschaft trägt sehr viel zur rich‐ tigen Beurtheilung und Verbesserung derselben bey. Sie legt uns den Zeitpunct vor Augen, da dieselbe gestiegen oder gefallen ist, und entde‐ cket uns dadurch die Ursachen und Mittel, die zu ihrem Wachsthum oder Verfall etwas beygetragen haben, oder noch beytragen können.“ 1 J. C. May, 1762 „Unsere Wissenschaft, einstmals kaum eines mitleidigen Blickes gewürdigt, gehört längst zu den Kulturgütern der Nation.“ 2 A. Isaac, 1923 „Auf dem Gebiet der historischen Forschung in unserer betriebs‐ wirtschaftlichen Disziplin zeigt sich ganz allgemein eine gewisse Scheu oder Uninteressiertheit.“ 3 O. R. Schnutenhaus, 1967 <?page no="19"?> 4 K. Diehl: Nationalökonomie und Handelsbetriebslehre, in: Jahrbücher für Nationalöko‐ nomie und Statistik, III. Folge, Bd.-43, Jena 1912, S.-98f. 5 Vgl. H. Wächter: Gesamtwirtschaftliche Bezüge im Denken älterer Betriebswirte, in: G. Schanz (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre und Nationalökonomie, Wiesbaden 1984, S. 8. 1 Einleitung Die Geschichte der Betriebswirtschaftslehre ist eine Wissenschaftsge‐ schichte. Es ist noch gar nicht lange her, dass der Wissenschaftscharakter der Betriebswirtschaftslehre in Frage gestellt und sie als eine bloße „Profitlehre“ verspottet wurde. Bevor wir uns anschauen, wie sich die Betriebswirt‐ schaftslehre entwickelt hat, werden in dieser Einleitung vorab wichtige Be‐ griffe wie Betrieb, Betriebswirtschaft und Betriebswirtschaftslehre erklärt. Anschließend wird nach dem Nutzen gefragt, den die Beschäftigung mit der Wissenschaftsgeschichte bzw. mit der Geschichte der Betriebswirtschafts‐ lehre bringt, bevor abschließend auf die Problematik der Periodisierung eingegangen wird und die Epochen benannt und voneinander abgegrenzt werden, an denen sich der Aufbau des vorliegenden Buches orientiert. 1.1 Betriebswirtschaftslehre: Profitlehre oder Wissenschaft? Da sich die Betriebswirtschaftslehre erst ab dem 20. Jahrhundert zu einer Hochschuldisziplin entwickelt hat, wurde sie innerhalb der Wirtschafts‐ wissenschaft im Vergleich zur (vermeintlich) „altehrwürdigen“ Volkswirt‐ schaftslehre nicht nur als eine junge, sondern auch als eine unreife Disziplin betrachtet. Zuweilen haben Volkswirtschaftler der Betriebswirtschaftslehre überhaupt den Rang einer Wissenschaft abgesprochen: So bezeichnete der Nationalökonom Lujo Brentano (1844-1931) die Privatwirtschaftslehre, wie die Betriebswirtschaftslehre damals auch genannt wurde, polemisch als „Profitlehre“. Und auch dessen Fachkollege Karl Diehl (1864-1943) konnte seinen wissenschaftlichen Hochmut nicht verbergen, wenn er in seinem Beitrag über „Nationalökonomie und Handelsbetriebslehre“ 4 dem privatwirtschaftlichen Fach keinen Wissenschaftscharakter zuspricht. 5 Wie Schneider klarstellt, sind jedoch „wissenschaftliche Einsichten, die heute zur Betriebswirtschaftslehre zählen, älter als solche zur Volkswirt‐ <?page no="20"?> 6 D. Schneider: Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, in: Lingenfelder (Hrsg.): 100 Jahre Betriebswirtschaftslehre in Deutschland 1999, S.-1. 7 J. Löffelholz: Geschichte der Betriebswirtschaft, in: Seischab/ Schwantag: Handwörter‐ buch der Betriebswirtschaft, Bd.-1, 3. Aufl., Stuttgart 1956, Sp. 970. schaftslehre, weil es in Landgütern, Handelsgesellschaften oder bei der Verwaltung von Heeresbeständen und deren Rechnungslegung seit Jahr‐ tausenden Probleme zu lösen galt, während eine Volkswirtschaft als Wirt‐ schaftssystem […] sich erst ab dem 17./ 18. Jahrhundert herausgebildet hat.“ 6 Gestützt wird diese Auffassung von Löffelholz: „Betrieb und Betriebswirt‐ schaft […] bestehen vom Urbeginn der Menschheit an. So lange der Mensch als denkendes Wesen existiert, hat er innerhalb eines Betriebes gewirtschaf‐ tet.“ 7 Wenn dies zunächst überzogen klingen mag, liegt das wohl daran, dass mit dem Begriff „Betrieb“ zumeist die neuzeitliche Erscheinungsform einer gewinnorientierten, kapitalistischen Unternehmung in Verbindung gebracht wird. Verständlich werden diese Hinweise auf „jahrtausende alte Probleme“ - die sogar bis zum „Urbeginn der Menschheit“ reichten - erst dann, wenn man sich das Erfahrungsobjekt (Betrieb) und Erkenntnisobjekt (Wirtschaften) der Betriebswirtschaftslehre vergegenwärtigt. 1.2 Betrieb, Betriebswirtschaft und Betriebswirtschaftslehre In seiner Betrachtung gelangt Seÿffert - der sich übrigens als einer der ersten Betriebswirte auch der Geschichte seines Faches widmete - zu der Erkenntnis, dass es außerhalb der Betriebe gar kein Wirtschaften gibt. Was er unter Betrieb, Betriebswirtschaft und der Lehre davon versteht, erläutert er so: „Der Betrieb im allgemeinsten Sinne ist ein soziales Gebilde, das mit menschli‐ chem Zweckhandeln erfüllt ist. Er tritt überall auf, wo menschliche körperliche und geistige Bedürfnisse zur Befriedigung drängen und die Mittel und Wege dazu gesucht werden. Der Betrieb kann schon durch einen einzelnen Menschen in seinem organisierten Bemühen um die Zweckverwirklichung gebildet werden. […] Mit Betriebswirtschaft wird sowohl der einzelne wirtschaftliche Betrieb (die Einzelwirtschaft) wie das Wirtschaftsleben der Betriebe als Gesamterscheinung bezeichnet […]. Die wirtschaftlichen Betriebe oder Betriebswirtschaften sind 20 1 Einleitung <?page no="21"?> 8 R. Seÿffert: Über Begriff, Aufgaben und Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., Stuttgart 1971, S.-7-13. 9 Vgl. M. Bardmann: Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, 3. Aufl., Wiesbaden 2019, S.-46. in sich geschlossene, mit wirtschaftlichen Prozessen erfüllte Sozialgebilde im Dienste der menschlichen Bedarfsdeckung. Sie sind Organisationseinheiten der Wirtschaft. […] Unmittelbare Bedürfnisdeckung erfolgt in den Haushaltungen, die insofern auch als wirtschaftliche Betriebe anzusehen sind. Mittelbar wird der Bedarf durch arbeitsteiliges Wirtschaften gedeckt, das zumeist auf den Erwerb von Kaufkraft ausgerichtet ist, die dann der Bedarfsdeckung in der Haushaltung dient. Alle wirtschaftlichen Betriebe stellen in sich geschlossene Organisationseinheiten dar, die durch Wirtschaften die Bedürfniswerte für die Bedürfnisbefriedigung bereitstellen. […] Alles Wirtschaften dient dem Bereitstel‐ len der Befriedigungswerte für die Bedürfnisbefriedigung. Von hier aus erhalten die Vorgänge in der Wirtschaft ihren Sinn und ihre Berechtigung. […] Jede andere Zwecksetzung widerspricht dem wahren Wesen wirtschaftlicher Betätigung. […] Die Betriebswirtschaftslehre befaßt sich mit der Erforschung der wirtschaftli‐ chen Erscheinungen an der Stelle ihrer Entstehung in den wirtschaftlichen Betrie‐ ben. Die betriebswirtschaftliche Forschung geht immer vom einzelnen Betriebe aus. Ihr Aufgabenkreis umfaßt das Erforschen und Beschreiben, Analysieren und Systematisieren der inneren und der äußeren Beschaffenheit der Betriebs‐ wirtschaften, der Betriebsvorgänge, der Beziehungen der Betriebswirtschaften untereinander und ihrer Stellung im gesellschaftlichen Leben, eingeschlossen jegliche Art von Zusammenschlüssen von Betriebswirtschaften.“ 8 Im Laufe der Menschheitsgeschichte wurden vielfältige Organisationsfor‐ men und Sozialgebilde zur Bedarfsdeckung verwirklicht. Zu unterschiedli‐ chen Zeiten sind sie in ganz unterschiedlichen Formen in Erscheinung getreten. So unterscheidet sich z. B. die zentral geplante und gesteuerte Tem‐ pelwirtschaft im altertümlichen Orient von der Oikos-Wirtschaft im antiken Griechenland, welche die zwei unterschiedlichen sozialen Einheiten Fami‐ lie und Betrieb miteinander verbindet. 9 Die römische Sklavenwirtschaft, die mittelalterliche Lehnswirtschaft und das Zunftsystem funktionierten wiederum völlig anders als der frühe Handelskapitalismus zur Zeit der Renaissance. Dies führt uns zu der grundsätzlichen Frage, ob damals gewon‐ nene Einsichten und Erkenntnisse heutzutage überhaupt noch von Nutzen sein können: Kann man also aus der Geschichte der Betriebswirtschaftslehre 1.2 Betrieb, Betriebswirtschaft und Betriebswirtschaftslehre 21 <?page no="22"?> 10 Die folgenden Ausführungen basieren auf diesem Aufsatz: D. Schneider: Management‐ fehler durch mangelndes Geschichtsbewusstsein in der Betriebswirtschaftslehre, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte/ Journal of Business History, 29. Jg., Heft 2, München: C. H. Beck 1984, S.-114-130. 11 Ebd., S.-115. etwas lernen? Oder ist die Wissenschaftsgeschichte für den Betriebswirt‐ schaftler nutzlos? 1.3 Der „Denkstil von der geschichtslosen Managementwissenschaft“ In einem 1984 erschienenen Aufsatz stellte Dieter Schneider (1935-2014) die weit verbreitete Auffassung unter Betriebswirtschaftlern in Frage, wo‐ nach die eigene Wissenschaftsgeschichte nutzlos sei. 10 Hierfür prägte er den Begriff vom „Denkstil der geschichtslosen Managementwissenschaft“ und untermauerte ihn anhand einiger recht plausibler Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte: So setzten sich seit den 1960er-Jahren Zustands- und Entscheidungsbäume in der Planungstheorie durch, die durch Überset‐ zung der angelsächsischen Literatur auch Einzug in die deutschen BWL- Lehrbücher fanden. Doch diese Konzepte seien eben nicht neu, wie Schneider betont. Um eine logische Entscheidung bei alternativen Zukunftslagen zu erläutern, habe der Philosoph Chrysippos im 3. Jahrhundert v. Chr. das Beispiel eines Hundes gewählt, der beim Jagen der Beute an eine Stelle kommt, wo der Weg sich dreiteilt. Der Hund versucht die Fährte auf zwei Wegen zu erschnüffeln - und folgt dann ohne Zögern und erneutes Schnüffeln dem dritten Weg. Denn wenn von einer bestimmten Anzahl von Möglichkeiten alle bis auf eine ausgeschlossen werden können, dann muss die verbleibende die richtige sein. „Wenn schon in der Antike Hunde ihre Entscheidungen an Zustandsbäumen ausrichteten, dann stellt sich“, wie Schneider süffisant anmerkt, „doch die Frage: Warum wurde dieses einfache Planungskonzept in der Betriebswirtschaftslehre bis nach 1960 nicht gelehrt und mußte erst aus dem angelsächsischen Managementschrifttum übersetzt werden? “ 11 Gleiches gilt auch für die weiteren von Schneider genannten Beispiele aus der Geschichte der Betriebswirtschaftslehre: die Berechnung von Ertragswerten bzw. Kapitalwerten mittels Zinseszinsen durch Gottfried Wilhelm Leibnitz 1682 und darauf aufbauend durch Friedrich Löhmann 1829, die Ausführungen Johann Heinrich von Thünens über Planungsrechnungen 22 1 Einleitung <?page no="23"?> 12 Vgl. ebd., S.-117/ 120. 13 Ebd., S.-125. zur Sensitivitätsanalyse, die Plankostenrechnung mit Ursachenanalyse von Fredersdorff aus dem Jahr 1802 und die erste Berechnung der kostende‐ ckenden Ausbringung, die Carl Freiherr von Oeynhausen im Jahre 1822 aufstellte - 80 Jahre vor der Break-even-Analyse des Amerikaners Henry Hess, auf den auch die Bezeichnung Break-even-Point zurückgehe; und 90 Jahre vor der Berechnung der kostendeckenden Ausbringung durch Johann Friedrich Schär, der hierfür den Namen Toter Punkt fand. So gelangt Schneider zu dem Befund, dass bei etwas mehr wissenschaftlichem Interesse so manche der heutigen betriebswirtschaftlichen Grundlagen Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte früher hätten gelehrt und negative unternehmens- und gesellschaftspolitische Folgen verhindert werden können. 12 Als „eine Ursache des fragwürdigen Geschichtsbewusstseins in der BWL“ nennt Schneider das „Fehlverständnis von wissenschaftlichem Arbeiten“ von Eugen Schmalenbach, einem der Gründerväter der modernen Betriebs‐ wirtschaftslehre und einflussreichsten Hochschullehrer seiner Zeit. Dieser sprach sich gegen eine auf Erklärung ausgerichtete Theorie aus und stattdes‐ sen für eine Lehre, die auf unmittelbar praktische Anwendbarkeit gerichtet ist, also für eine Betriebswirtschaftslehre im Sinne einer auf Vermarktung gerichteten Managementwissenschaft. Schneider kritisiert daran, dass über‐ zeugende, durch Argumente abgewogene Handlungsempfehlungen ohne erklärende Theorien nicht möglich seien. Zuerst seien empirische Gesetzmä‐ ßigkeiten zu erarbeiten, ehe Handlungsempfehlungen für die Praxis gegeben werden können: „Wer eine Wissenschaft anwenden will, muß erst einmal eine Wissenschaft haben.“ 13 1.4 Vom Nutzen der Geschichte für die BWL Schon relativ früh, Mitte der 1920er-Jahre, bemängelt Seÿffert, dass die „historische Methode als der Erforschung von Betriebsverhältnissen, die der Vergangenheit angehören“ in der betriebswirtschaftlichen Forschung vernachlässigt wird und stellt hierzu kritisch fest: „Die historische Methode kann für die Betriebswirtschaftslehre sehr ergiebig sein. Viele technische Besonderheiten, z. B. das Rechnungswesen, der Welthandelsor‐ ganisation, des Verkehrswesens können nur historisch erklärt und verstanden 1.4 Vom Nutzen der Geschichte für die BWL 23 <?page no="24"?> 14 R. Seÿffert: Betriebswirtschaftliche Forschung, ihre Entwicklung, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von H. Nicklisch, Bd. 1, Stuttgart 1926, Sp. 1188-1193 (hier: Sp. 1190). 15 D. Schneider: Betriebswirtschaftslehre, Bd. 4: Geschichte und Methoden der Wirt‐ schaftswissenschaft, München/ Wien 2001, S.-1. 16 Vgl. ebd., S.-1-8. werden. Weiter bieten die Geschichte der Firmen, der Kolonialgesellschaften, des Geldwesens usw. eine Fülle von auch für die Jetztzeit ausnutzenswerten Stoffes, der betriebswirtschaftlich noch nicht durchgearbeitet worden ist. Von der An‐ wendung der historischen Methode ist noch viel für die Betriebswirtschaftslehre zu erwarten.“ 14 Dennoch scheint es auch ein Jahrhundert später immer noch nötig zu sein, eine Rechtfertigung der historischen Methode zu liefern bzw. den Nutzen der Geschichte für die betriebswirtschaftliche Forschung zu begründen. „Was lehrt eine Beschäftigung mit der Geschichte wirtschaftlichen Denkens? “ 15 Diese Frage wirft Schneider am Beginn des vierten Bandes seiner Betriebs‐ wirtschaftslehre auf, in dem er sich auf über 1.000 Seiten der „Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft“ widmet. Nach seiner Auffassung erleichtere sie das Erlernen, das Beurteilen und die spätere berufliche An‐ wendung wirtschaftswissenschaftlicher Theorien in fünffacher Hinsicht: 16 1. Verständnis einzelner Theorien: Die Theoriegeschichte helfe beim Verständnis des Problems und der vorgeschlagenen Lösung sowie beim Erkennen der Voraussetzungen der Theorie. 2. Anwendungsvoraussetzungen von Theorien Kenntnisse um die Geschichte des wirtschaftlichen Denkens können voreilige Schlüsse und Irrtümer verhindern. 3. Verständnis für den Theoriezusammenhang Wissenschaftsgeschichte bilde einen inneren Zusammenhang der ein‐ zelnen wirtschaftswissenschaftlichen Teilgebiete und biete die Möglich‐ keit, eine Fülle an Einzelwissen miteinander zu verknüpfen. Zudem lasse sich aus den Erfahrungen des bisherigen Vorgehens in der wirt‐ schaftswissenschaftlichen Forschung die Fruchtbarkeit verschiedener Forschungsmethoden überprüfen. 4. Entwicklung verbesserter Theorien Häufig offenbare erst das Lesen der Originaltexte bzw. Primärliteratur zu einer heutigen Theorie, was diese beantworten wollte, was sie gelöst 24 1 Einleitung <?page no="25"?> 17 J. A. Schumpeter: History of Economic Analysis, Abingdon/ Oxfordshire: Routledge 1954, S.-379. 18 J. A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. 1, Göttingen: Vandenho‐ eck & Ruprecht 2007, S.-475. 19 E. Gutenberg: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 1958, S.-14. hat oder nicht gelöst hat. So könne der Blick auf Kritikpunkte erweitert werden und es werden Lösungsalternativen erkennbar. 5. Standortbestimmung der Wissenschaft Mangelndes Wissen über die Geschichte einer Wissenschaft begünstige eine Fehleinordnung neuer Problemstellungen und verführe zu einer Über- oder Unterschätzung von Methodenproblemen, wodurch es zu Fehlurteilen hinsichtlich der Aussagefähigkeit von Theorien kommen kann. Eine letzte Frage, die hier in der Einleitung angesprochen werden soll, betrifft die Periodisierung. Wann lässt man eine Geschichte der Betriebs‐ wirtschaftslehre beginnen? Und in welche Epochen lassen sich die Entwick‐ lungsstufen (sinnvoll) einteilen? 1.5 „Periodizing, as we know, is a-necessary evil“ 17 „Bekanntlich ist die Einteilung in verschiedene Perioden ein notwendiges Übel“, stellte schon Schumpeter in seiner „History of Economic Analysis“ (dt. „Geschichte der ökonomischen Analyse“) fest, denn „geschichtliche Entwicklungen sind immer kontinuierlich, und man kann sie niemals in Abschnitte zerlegen, ohne Willkür und Verlust mit in Kauf zu nehmen.“ 18 Dies betrifft nicht nur die Einteilung in einzelne Epochen innerhalb der Geschichtserzählung, sondern auch deren Beginn und Ende. Zwar lässt Gutenberg in seiner „Einführung in die Betriebswirtschaftslehre“ - sie gilt als Klassiker unter den betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern - seinen kurzen historischen Rückblick im 15. Jahrhundert mit Luca Pacioli beginnen; er weist aber auch darauf hin, dass „sich bereits bei den Ägyptern und den Babyloniern, selbstverständlich auch bei den Griechen und Römern, Schrif‐ ten nachweisen lassen, die betriebstechnische und betriebswirtschaftliche Erörterungen enthalten.“ 19 Ähnlich äußert sich Seÿffert, wenn er berechtigte Fragen zur Datierung der Geschichte der Betriebswirtschaftslehre aufwirft - und zugleich eine Antwort auf diese findet: 1.5 „Periodizing, as we know, is a-necessary evil“ 25 <?page no="26"?> 20 Seÿffert (1971), S.-32. 21 Ebd., S.-35. 22 B. Bellinger: Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 1967, S.-10f. 23 K. Brockhoff: Betriebswirtschaftslehre in Wissenschaft und Geschichte, 5. Aufl., Wies‐ baden 2017, S.-107. „Von wann ist die Geschichte der Betriebswirtschaftslehre zu datieren? Erst von dem Zeitpunkt an, von dem von einer wissenschaftlichen Lehre gesprochen werden kann? Oder hat die Forschung sich auch zu erstrecken auf die Vorläufer der eigentlichen Lehre, auch wenn weder Wille noch Vermögen zur Ausbildung einer wissenschaftlichen Disziplin festzustellen ist? Mir scheint kein Zweifel darüber, daß auch diese ersten Keime, aus denen sich später eine Lehre entwickeln konnte, mit einzubeziehen sind; ohne Rücksicht darauf, welchen Motiven sie ihre Entstehung zu verdanken haben.“ 20 Seine weiteren Ausführungen lassen erkennen, dass eine Datierung demge‐ mäß „in der frühesten Zeit der Geschichte“ ihren Anfang nehmen kann, da sich beweisen lässt, dass schon damals eine geordnete Rechnungsführung existierte und „das Buchhaltern, das Wirtschaftsrechnen und später auch das Verfassen kaufmännischer Schriftstücke verbreitete, erlernbare Techniken waren.“ 21 Diesem Verständnis folgt auch Bellinger, der seine „Geschichte der Betriebswirtschaftslehre“ mit der „Alten Geschichte“ beginnen lässt, die einen Zeitraum von ca. 3000 v. Chr. bis ca. 1600 n. Chr. umfasst. Denn in dieser Spanne sei es gelungen, „einzelne soziale Beziehungen im be‐ triebswirtschaftlichen Bereich durch die Buchhaltung zu erfassen und zu quantifizieren, bestimmte Verfahrenstechniken zu entwickeln, zu generell gültigen Prinzipien erfolgreichen Wirtschaftens vorzustoßen, die theoreti‐ schen Grundlagen gesicherter Erkenntnisse zu entdecken, das kaufmänni‐ sche Rechnen mit indischen Zahlzeichen zu entwickeln, Grundsätze der Geschäftspolitik aufzustellen und für Forschungszwecke rationale und kau‐ sale Betrachtungsweisen einzuführen.“ 22 Brockhoff lässt seine Ideengeschichte der BWL im Altertum mit der physischen Dokumentation von Geschäftsfällen durch Tontafeln und Keil‐ schrift im Zweistromland beginnen. Als Ende der Periodisierung wählt er die 1970er-Jahre, um so „Herkommen und Einordnung gegenwärtiger Wissensstände etwas besser beurteilen zu können.“ 23 26 1 Einleitung <?page no="27"?> 24 Vgl. Seÿffert (1971), S.-34. In der Geschichtsschreibung der Betriebswirtschaftslehre hat sich im We‐ sentlichen die Periodisierung von Seÿffert durchgesetzt, die aus folgenden Entwicklungsstufen besteht: ■ Die Frühzeit der verkehrs- und rechnungstechnischen Anleitungen (bis 1675). ■ Die Zeit der systematischen Handlungswissenschaft (1675-1804). ■ Die Niedergangszeit der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert). ■ Die Aufbauzeit der beschreibenden Handelstechnik (1898-1910). ■ Die Zeit des Ausbaus zur Betriebswirtschaftslehre und deren Instituie‐ rung als Hochschuldisziplin (ab 1910/ 12-1954). ■ Die Expansion der Betriebswirtschaftslehre in der Nachkriegszeit durch Rezeptionsprozesse, zunehmende Ausrichtung auf die Betriebswirt‐ schaftspolitik und Ausfächerungstendenzen (ab 50er-Jahre). 24 Diese Einteilung Seÿfferts soll im Wesentlichen (leicht modifiziert) auch der hier vorliegenden Darstellung zugrunde gelegt werden. Abweichungen von Seÿfferts Periodisierung erfolgen ab der neueren Geschichte: Die Zeit des Ausbaus (1910/ 12-1954) wird hier differenzierter dargestellt (Systemati‐ sierung und Konsolidierung). Die Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945) stellt hier eine eigene Epoche dar. Die Entwicklung der BWL im Nachkriegs‐ deutschland erfordert aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftssysteme eine entsprechende separate Darstellung der Fachdisziplin in der SBZ/ DDR und in den Westsektoren bzw. der BRD. Dieses Kapitel endet mit der Guten‐ berg-Ära Ende der 1960er-Jahre. Das Kapitel zur neueren Entwicklung las‐ sen wir 1969 beginnen und befassen uns darin mit verschiedenen Ansätzen, die im Wesentlichen eine Folge der sozialwissenschaftlichen Öffnung des Fachs sind und deren Bedeutung teilweise bis in die jetzige Zeit hineinreicht. Den Abschluss bildet die Problematik, die sich aus dem Spannungsverhältnis von Allgemeiner und Spezieller Betriebswirtschaftslehre ergibt. ➲ Zusammenfassung ■ Allgemein versteht man unter einem Betrieb ein soziales Gebilde, eine in sich geschlossene Organisationseinheit, in der Menschen zweckmä‐ ➲ Zusammenfassung 27 <?page no="28"?> ßig handeln. Insofern stellen auch Haushaltungen natürliche, ursprüng‐ liche Betriebe dar. ■ Betriebswirtschaft bezeichnet sowohl den Einzelbetrieb als auch die Betriebe in ihrer Gesamtheit. Betriebswirtschaften sind in sich geschlossene Organisationseinheiten der Wirtschaft, die dem Zweck der menschlichen Bedarfsdeckung dienen. ■ Zu den Aufgaben der Betriebswirtschaftslehre (BWL) gehören das □ Erforschen, □ Beschreiben, □ Analysieren und das □ Systematisieren der wirtschaftlichen Vorgänge in den Betrieben/ Betriebswirtschaften. ■ Kenntnisse über die historische Entwicklung der BWL (Wissenschafts‐ geschichte) □ erleichtern das Verständnis von Problemen und Theorien, □ helfen Fehlurteile zu vermeiden und □ ermöglichen methodische Probleme besser einzuschätzen. ■ Eine Periodisierung der Geschichte der BWL kann durch Einteilung in folgende Entwicklungsstufen erfolgen: □ bis 1675: Frühzeit (Handelskunde/ Anleitungen und „Rezepte“), □ 1675-1804: Systematische Handlungswissenschaft □ 19.-Jahrhundert: Niedergang/ Verfall der Handlungswissenschaft, □ ab 1898: Aufbau der BWL zur wissenschaftlichen Disziplin (Grün‐ dung der ersten Handelshochschulen), □ 1910-1933: Ausbau der BWL (erste systematische Abhandlungen, zunehmende Professionalisierung, Gründung von Zeitschriften, Verbänden und Instituten, Promotionsrecht), □ 1933-1945: ideologisierte, unwissenschaftliche BWL in der NS- Zeit, □ 1945-ca. 1969: Wiederaufbau der BWL, Expansion, Übernahme amerikanischer Ansätze (z.-B. Marketing), □ ab ca. 1969: Öffnung der BWL, sozialwissenschaftliche und alter‐ native Ansätze, zunehmende Spezialisierung und Internationali‐ sierung. 28 1 Einleitung <?page no="29"?> 25 Oppenheimer, zit. n. Löffelholz (1956), Sp. 971. 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens In einem äußerst weitgefassten Verständnis lassen sich die Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens bereits für altorientalische Tempelwirt‐ schaften im Altertum festmachen, in denen - wie archäologische Funde zeigen - schon das Bedürfnis bestand, Vermögen, Schulden und Lagerbe‐ stände zu dokumentieren, um die Erzeugung und Herstellung von Gütern sowie deren Lagerung und Distribution zu koordinieren. In der Antike beruhte die Wirtschaft auf der Sklaverei, und der für diese Epoche und dieses Wirtschaftssystem charakteristische Betriebstyp war der Oikos, d. h. die geschlossene Hauswirtschaft, die auch hand‐ werkliche und landwirtschaftliche Betriebe umfasste. Sowohl griechische Philosophen als auch römische Schriftsteller priesen den Oikos als die Betriebswirtschaft, die der menschlichen Gesellschaft entspricht. In Grie‐ chenland waren dies z. B. Aristoteles und Xenophon, in Rom vor allem Marcus Porcius Cato. Als durch systematische Raubzüge im Mittelmeer die Sklavenreservoire erschöpft waren, brach auch dieses antike Wirtschafts‐ system zusammen: „Die Römer schlachteten selbst die Henne, die ihnen die goldenen Eier gelegt hatte.“ 25 Im Mittelalter nahmen arabische Kaufleute eine herausragende Stellung ein. Aus der Blütezeit des arabischen Handels stammt eine der ältesten Schriften über den Handel. Später entwickelten sich italienische Städte zu Zentren des Handelskapitalismus. Hier nahm die doppelte Buchführung ihren Anfang und fand schließlich durch Luca Pacioli ihre Verbreitung. Christliche Gelehrte wie Thomas von Aquin und Martin Luther setzten sich mit Fragen auseinander, welche die Vereinbarkeit des Handels mit der christlichen Lehre betrafen. Der Handel galt aus christlicher Sicht als problematisch, da die Kaufleute nicht - wie in der Landwirtschaft und dem Handwerk - ihren Unterhalt im Schweiße des Angesichts verdienten, sondern dadurch, dass sie Güter unverändert weiterverkauften. So trieb die Kaufleute die Sorge um, ob und wie es möglich sei, im Einklang mit der christlichen Lehre Handel zu treiben, ohne das eigene Seelenheil zu gefährden. Daher entwickelten Thomas von Aquin und Martin Luther wirt‐ schaftsethische Grundsätze und gaben praktische Ratschläge, die es den <?page no="30"?> 26 Zit. n. E. Leitherer: Geschichte der handels- und absatzwirtschaftlichen Literatur, Köln/ Opladen 1961, S.-41. Kaufleuten ermöglichen sollten, sich mit den Fragen und Problemen, die der aufkommende Frühkapitalismus mit sich brachte, zurechtzufinden. Auch die meisten kaufmännischen Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts werden noch dominiert von moralischen und religiösen Anweisungen. Praktische Kenntnisse über den Handel wurden bis dahin von den Handelsherren als Geschäftsgeheimnis gehütet, in Notizbüchern festgehalten und nur an den eigenen Nachwuchs oder Geschäftspartner weitergegeben. Zu den ersten Schriften, in denen Handelskenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zugäng‐ lich gemacht werden, gehören die Bücher des Nürnberger Kaufmanns Lorenz Meder und des Genuesen Giovanni Domenico Peri. Sie enthalten eine bunte Zusammenstellung praktischer Kenntnisse, die ein Kaufmann damals wissen musste. Ihr Mangel besteht in der unsystematischen Ordnung und einer lückenhaften Darstellung; und theoretische Zusammenhänge sucht man dort vergebens. Weber versteht diese Schriften daher auch als „Winke aus der Praxis für die Praxis“, während sie für Sombart ein „ziemlich konfuses, schlecht disponiertes Sammelsurium aller möglichen Lehren“ 26 sind. Die im Folgenden dargestellten Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens umfassen einen Zeitraum, der von den ersten Buchhaltungs- und Verfahrenstechniken im Altertum bis hin zum ersten Versuch einer sys‐ tematischen Lehre vom Handel in der ersten Hälfte des 17.-Jahrhunderts reicht. 2.1 Erste Buchhaltungs- und Verfahrenstechniken in Mesopotamien Bereits für das Altertum lassen sich durch archäologische Funde und andere Quellen kaufmännische Aufzeichnungen nachweisen. Sie stammen vornehmlich aus dem Bereich des sogenannten Fruchtbaren Halbmondes, einem Gebiet, das sich vom Persischen Golf im Süden des heutigen Irak über den Norden von Syrien, den Libanon, Israel, Palästina und Jordanien er‐ streckt (→ Abb. 2.1). 30 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="31"?> 27 V. G. Childe, The Urban Revolution.-Town Planning Review-21, 1950, S.-3-17. 28 W. Zorn: Wirtschaftsgeschichte, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW), Bd.-9, Stuttgart et al. 1982, S.-66. Abb. 2.1: Mesopotamien innerhalb heutiger Staatsgrenzen. | [1] Im 4. Jahrtausend vollzogen sich dort tiefgreifende soziale und kulturelle Veränderungen. In dieser Periode, die auch Uruk-Zeit genannt wird, kam es zu einem starken Bevölkerungswachstum und zur Entstehung echter Städte. Der marxistische Archäologe Vere Gordon Childe (1892-1957) führte hierfür den Begriff der urbanen Revolution 27 ein. Zahlreiche dörfliche Siedlungen wurden von den Bewohnern aufgegeben, um sich in der Stadt Uruk oder ihrer näheren Umgebung anzusiedeln. Dies hatte Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Dörfliche Strukturen, die bis dahin das Wirtschaftsleben prägten, und in denen territoriale und verwandtschaftliche Beziehungen weitgehend identisch waren, mussten durch neue Organisa‐ tionsformen ersetzt werden. So mussten vor allem neue Prinzipien der Arbeitsteilung und der Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen entwickelt werden. Dies konnte nur erreicht werden „durch eine eingreifende zentrale Planwirtschaft und eine Zwangsfestlegung der erreichten Arbeitsteilung“ 28 . 2.1 Erste Buchhaltungs- und Verfahrenstechniken in Mesopotamien 31 <?page no="32"?> 29 Vgl. Brockhoff (2017), S.-108. 30 Vgl. Bellinger (1967), S.-11. 31 Vgl. Brockhoff (2017), S.-110. Abb. 2.2: Sumerische Bilder‐ schrift. | [2] Dadurch, dass die kleinen Stadtstaaten Mesopotamiens die Produktionsleis‐ tung in Landwirtschaft, Bergbau und Handwerk vorschrieben, die Distribu‐ tion der Versorgungsgüter organisierten und auch das Volkseinkommen umverteilten, ergab sich die Notwendigkeit, Vermögen, Schulden und Wa‐ renbestände zu dokumentieren. Dies geschah zunächst durch Einkerben und Ritzen in Tonscherben; später wurden Symbole entwickelt, die Auskunft über Warenart und Menge gaben (→ Abb. 2.2), und schließlich entwickelten sich die Schrift und Zahlen. Durch diese konnten seit etwa 3000 v. Chr. Geschäftsvorfälle erstmals abstrakt dokumentiert und rechenbar gemacht werden. 29 Die ältesten Buchhaltungsaufzeichnungen stammen aus der Tempelwirtschaft des Tempels Dublal-mach in Ur, die aus einem fortlaufend geführten Inventar und einer monatlichen Ge‐ winn- und Verlustrechnung bestand und die auf einem Kontenplan basierte, der sogar Kostenstel‐ len für die tempeleigenen Spinnereien und We‐ bereien enthielt. 30 Um 3000 v. Chr. wurden auch schon Plankalkulationen, Soll-Ist-Vergleiche, Ab‐ rechnungen von Arbeitsleistungen und Aggrega‐ tionen von Mengengrößen aufgestellt. Weitere keilschriftliche Aufzeichnungen sind Gesetze, wie z.-B. jene des Urnamus von Ur („Codex Ur-Nammu“) von ca. 2100 v. Chr. und des Königs Hammurapi, einem der bedeutendsten Herrscher des alten Orients, der von 1792-1750 v. Chr. in Babylon regierte. Dieser „Codex Hammurapi“ ist die umfangreichste Sammlung von Rechtsnormen aus dem Alten Orient und der antiken Welt - lange vor dem römischen Recht, das erst im 6. Jahrhundert nach Chr. kodifiziert wurde. Im „Codex Hammurapi“, der aus 282 kasuistisch formulierten (Wenn-dann-Schema) Rechtssätzen (Paragraphen) besteht, werden auch Bereiche des Wirtschaftslebens geregelt, wie z. B. Kauf, Miete, Pacht, Darlehen sowie Höchstsätze für Preise, Löhne und Zinsen. 31 Auch in der altindischen Maurya-Dynastie im 4.-3. Jahrhundert v. Chr. wurden ähnliche Buchhaltungs- und Verfahrenstechniken sowie wirt‐ schaftlich relevante Rechtsvorschriften entwickelt, welche die Grundlage 32 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="33"?> 32 Vgl. ebd., S.-113. bildeten für die Tätigkeiten der königlichen Beamten und ihnen auch er‐ möglichten, Kontrolle auszuüben und Strafen zu verhängen. Brockhoff hebt hervor, dass „Redlichkeit eine mehrfach geforderte Tugend ist, der vielfach Nachdruck verliehen wird“. Werden z. B. Waren aus dem königlichen Eigentum verkauft, so soll auch die Bevölkerung davon profitieren. 32 Zu einer interessanten wirtschaftshistorischen und sozialanthropologi‐ schen Einordnung dieser altertümlichen Buchhaltungs- und Verfahrens‐ techniken gelangt Karl Polanyi (1886-1964). Er vertritt in seinem Werk „The Great Transfomation“ (1944) die Ansicht, dass vor den modernen Zeiten und dem Aufkommen der Marktwirtschaft die meisten ökonomischen Transaktionen unter der Aufsicht und nach den Regeln eines bestimmten gesellschaftlichen Akteurs stattfanden. Nach seiner Meinung war die Wirt‐ schaft in der Geschichte so gut wie immer in eine Gesellschaft eingebettet. Soziale Normen hatten Priorität vor wirtschaftlichen Aktivitäten. Seiner Ansicht nach dürfe aus den oben beschriebenen Buchhaltungs- und Verfah‐ renstechniken nicht der Schluss gezogen werden, Geschäfte zu machen sei so alt wie die Menschheit und die damals gemachten Geschäfte seien von der Art, wie wir sie heute kennen, nämlich Kaufen und Verkaufen mit dem Ziel, Profite zu machen. Die Händler von damals seien wohl eher mit Beamten vergleichbar. Ihr Einkommen stammte nicht aus den Profiten des Handels, sondern aus den Gehältern, die sie vom Herrscher bezogen. Polanyi bemängelte, dass viele Ökonomen die Art dieses altertümlichen Handels missverstanden hätten; denn es ist eben nicht der Handel, wie wir ihn heute kennen. Damals sei die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen in seine Sozialbeziehungen eingebettet gewesen. Erst sehr viel später setzte sich im Zuge einer großen Transformation der sichselbstregulierende Markt als Steuerungsmechanismus der Ökonomie durch, und die Wirtschaft wurde aus ihrer „Einbettung“ in die Gesellschaft herausgelöst. Während in nicht‐ marktwirtschaftlichen Gesellschaften die Wirtschaftsordnung bloß eine Funktion der Gesellschaftsordnung war, jene also von dieser abhängig war bzw. die Gesellschaft die Ökonomie dominierte, kehrte sich im Zuge der Transformation diese Beziehung um: „Die neuere historische und anthropologische Forschung brachte die große Erkenntnis, daß die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen in der Regel in seine Sozialbeziehungen eingebettet ist. Sein Tun gilt nicht der Sicherung seines 2.1 Erste Buchhaltungs- und Verfahrenstechniken in Mesopotamien 33 <?page no="34"?> 33 K. Polanyi: The Great Transformation, 14. Aufl., Frankfurt a.-M. 2014, S.-75 34 Vgl. Zorn (1982), S.-67. 35 G. Audring/ K. Brodersen: Oikonomika - Quellen zur Wirtschaftstheorie der griechi‐ schen Antike, Darmstadt 2008, S.-7. individuellen Interesses an materiellem Besitz, sondern der Sicherung seines gesellschaftlichen Rangs, seiner gesellschaftlichen Ansprüche und seiner gesell‐ schaftlichen Wertvorstellungen. Er schätzt materielle Güter nur insoweit, als sie diesem Zweck dienen. 33 Vor diesem Hintergrund lassen sich die beschriebenen kaufmännischen Aufzeichnungen als ein Managementinstrument altorientalischer Planwirt‐ schaft begreifen. 2.2 Griechische Lehre vom „Oikos“ (Xenophon, Aristoteles) Im Gegensatz zur altorientalischen Planwirtschaft Mesopotamiens war das Wirtschaftssystem des antiken Griechenlands von 560 bis 330 v. Chr. markt‐ wirtschaftlich geprägt. So konnten beispielsweise für das vierte Jahrhun‐ dert eine Athener Getreidebörse mit Musterproben sowie Anfänge von Schreibgeld (Giro) nachgewiesen werden. Diesen freiwirtschaftlichen As‐ pekten stand allerdings eine gesellschaftliche Produktionsbeziehung entge‐ gen, die auf Sklavenarbeit basierte. 34 Die vorherrschende Wirtschaftsweise der griechischen Privatwirtschaft war die sogenannte Oikos-Wirtschaft. Sie war die zentrale Organisationsform der Produktion, Distribution und Konsumtion von Gütern und Leistungen. Im Rahmen der Lehre vom Oikos setzten griechische Philosophen sich mit betriebswirtschaftlichen Fragen und Problemen auseinander. Oikos bezeichnete im Griechischen nicht nur das „Haus“, sondern es „umfasste die Familie des Eigentümers, die Sklaven oder andere abhängige Arbeitskräfte, die Wohn- und Wirtschaftsräume, Äcker und Baumpflanzungen, die Vorräte an Saatgut und Lebensmitteln, das Vieh und die Gerätschaften, mithin eine ganze Welt im Kleinen“ 35 . Der Oikos war Untersuchungsgegenstand einer eigenen Kunstlehre: der Oeconomia. Der Begriff Ökonomie setzt sich zusammen aus Oikos (= Haus, Haushalt, Betrieb) und Nomos (= Gesetz, Regel) und kann dementsprechend übersetzt werden mit der „Lehre von der Hauswirtschaft“, „Haushaltungskunst“, „Haushaltsführung“ oder auch „Be‐ 34 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="35"?> 36 D. Schneider: Betriebswirtschaftslehre, Bd. 4, Geschichte und Methoden, München/ Wien 2001, S.-100. Abb. 2.3: Xenophon. | [3] triebslehre“. Aus dem Bemühen, praktische Aufgaben der Versorgung mit Lebensnotwendigem zu bewältigen, entsteht einzelwirtschaftliches Denken und schließlich auch eine Lehre von der Ökonomie. Die Ökonomik begegnet uns in der Literatur einiger griechischer Philosophen, deren Adressat der bildungsbeflissene Hausherr ist. Schneider erkennt in dieser Ökonomiklite‐ ratur eine „ganzheitliche Managementlehre zur Führung einer Organisation oikos“ 36 . Die bedeutendsten antiken Schriften zur Ökonomik ist Xenophons Werk „Oikonomikós“ („Über die Haushaltsführung“) und das Aristoteles zugeschriebene Buch „Oikonomika“. 2.2.1 Oikonomikós (Xenophon) Xenophon (um 430-354 v. Chr.) stammte aus einer wohlhabenden Familie, vermutlich aus der griechischen Ritterschaft, und wirkte in der Praxis als Söldnerführer und Landgutbesitzer. Nach der Schlacht bei Koroneia (394) wurde Xenophon aus politischen Gründen aus Athen verbannt und ließ sich in Skillus bei Olympia nieder. Dort lebte er von 390 bis 365 v. Chr. auf seinem Landgut, das er von Sparta erhielt. Wahrscheinlich führte diese erzwungene Tätigkeit in der Haus- und Landwirtschaft dann zur Entstehung seines Werkes „Oikonomikos“. Xenophon, der für die Klarheit seines Stils be‐ kannt ist, verfasste zwei Bücher, in denen er sich mit ökonomischen Fragestellungen beschäftigt. Diese beiden Werke können im Prinzip als die ersten Fachbücher für Betriebs- und für Volks‐ wirtschaftslehre betrachtet werden. Hier ist sein Werk „Oeconomicus“ (dt.: „Von der Hauswirt‐ schaft“/ „Über die Haushaltsführung“) von Inter‐ esse, das Xenophon vermutlich zwischen 385 und 370 v. Chr. verfasste. Darin werden in Form eines kunstvollen Dialogs zwischen Sokrates und Kritobulus die Prinzipien einer guten Haus‐ haltungskunst und Landwirtschaft diskutiert. Der erste Teil (Kap. I bis VI) handelt von der Haushaltungskunst im Allgemeinen. Es werden zunächst die Grundbegriffe 2.2 Griechische Lehre vom „Oikos“ (Xenophon, Aristoteles) 35 <?page no="36"?> der Unterredung definiert und gezeigt, dass die Haushaltung eine Kunst sei, welche sich mit der Verwaltung des Hauswesens befasst - und zwar so‐ wohl eines eigenen oder auch eines fremden. Ökonomie definiert Xenophon als die Wissenschaft, durch welche die Menschen „ihr Hauswesen empor‐ zubringen imstande sind“. Das erste Thema befasst sich mit den Pflichten einer Hausfrau (z. B. Aufsicht im Haus, Verantwortung für Ordnung und Ar‐ beitseinteilung, Einrichtung des Hauses, Auswahl einer guten Haushälterin) sowie den Pflichten des Ehemanns (z. B. Aufsicht und Rechtsprechung über die Sklaven, Auswahl und Einweisung der richtigen Mitarbeiter). Im zweiten Teil (ab Kap. VII) geht es um die Landwirtschaft. Darin werden Themen von der Bodenkunde bis hin zu den ökonomischen und menschlichen Qualitäten eines Landmanns behandelt. Dieser Teil kann im Prinzip als eine erste (ag‐ rarökonomische) Betriebswirtschaftslehre betrachtet werden: Ein Experte namens Ischomachos unterrichtet über Inventur, Organisation und Planung. Sodann wird die Notwendigkeit erörtert, Überschüsse anzustreben und auf eine Vermehrung des Reichtums bedacht zu sein. In diesem Zusammenhang werden Anforderungen genannt, die an den Eigentümer und Verwalter gestellt werden, wie beispielsweise eine geschickte Verhandlungstechnik, Fachkenntnisse und Prinzipien guter Menschenführung. Schließlich wird eine Theorie der Landwirtschaft entworfen und es werden Techniken der Bodenbearbeitung, der Aussaat und der Ernte besprochen. Einige jener wirtschaftlichen Fragestellungen, mit denen sich Xenophon befasste, sind auch heute noch von Bedeutung. So erkannte er die Bedeu‐ tung der Arbeitsteilung als Mittel zur Qualitätssteigerung der Produktion und beschäftigte sich beispielsweise mit Fragen zu Investitionen und zur Gewinnmaximierung. 36 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="37"?> 37 Vgl. Audring/ Brodersen (2008), S.-139. 38 Aristoteles: Oionomiká, in: Audring/ Brodersen, (2008), S.-139/ 141. Abb. 2.4: Aristoteles. | [4] 2.2.2 Oikonomiká (Aristoteles) Aristoteles (384-322 v. Chr.) gilt als ein hervor‐ ragender Beobachter, der der Erfahrung und Wirklichkeit zugewandt und auch entschie‐ den sachlicher und systematischer war als Pla‐ ton. Aristoteles (→ Abb. 2.4) beschäftigte sich mit einer Vielzahl von Wissensgebieten und gelangte auch auf ökonomischem Gebiet zu tiefen Einsichten. Seine ökonomischen Abhand‐ lungen in Form von Dialogen und Monologen finden sich in seiner „Politik“ und der „Nikoma‐ chischen Ethik“, mit denen er die praktische Philosophie begründete. Im Zusammenhang mit den dort behandelten Fragestellungen, wie der Staat aufgebaut sein sollte, beschäftigt er sich auch mit der Verwaltung und Führung des Oi‐ kos, denn das Haus ist seiner Ansicht nach die kleinste Einheit des Staates. Bestandteile des Hauses sind der Mensch und die Besitztümer. Zu den wichtigsten Besitztümern, die sich ein Hauseigentümer beschaffen muss, werden die Sklaven gezählt. Im Zusammenhang mit der Führung der Skla‐ ven setzt sich Aristoteles mit Problemen der Personalführung auseinander, insbesondere mit Formen der Entlohnung und der Motivation. 37 Im Umgang mit dem Vermögen nennt Aristoteles konkrete Tätigkeiten, die der Hauswirt kennen sollte: „Er soll sowohl fähig sein zu erwerben als auch zu bewahren, wenn nicht nützt das Erwerben nichts; das heißt mit dem Sieb schöpfen und ist das sprichwörtliche Faß ohne Boden. Außerdem soll er das Vorhandene in Ordnung halten und zu gebrauchen verstehen, denn wegen dieser letztgenannten Tätigkeitsformen brauchen wir auch jene erstgenannten. Es ist nötig, daß jeder Teil des Besitzes aufgegliedert wird und daß die einträglichen Teile mehr sind als die nicht einträglichen, und daß die Arbeiten so eingeteilt werden, daß die einzelnen nicht zugleich allen Gefahr bringen.“ 38 Bellinger erkennt in diesen Tätigkeiten „vier Grundprinzipien der betriebs‐ wirtschaftlichen Betätigung“ und findet es bemerkenswert, „daß in das 2.2 Griechische Lehre vom „Oikos“ (Xenophon, Aristoteles) 37 <?page no="38"?> 39 Bellinger (1967), S.-16. 40 Aristoteles: Oionomiká, in: Audring/ Brodersen, (2008), S.-143. erwerbswirtschaftliche Prinzip unmittelbar das Prinzip der Sicherung gegen Risiken eingeht“, denn dadurch, dass die ertragsreichen Kapitalan‐ lagen überwiegen müssten, wird zugleich eine Verteilung der Risiken gefordert. 39 Neben der Hausführung setzt sich Aristoteles auch mit den Einkünften auseinander. „Die wichtigste Einnahme [ist] die, die aus dem Boden kommt. Die zweite ist die aus den anderen stets wiederkehrenden Tätigkeiten. Die dritte ist die aus dem Geld“. Zudem formuliert Aristoteles mit der generellen Forderung, „daß die Ausgaben nicht größer sein dürfen als die Einkünfte“ 40 ein grundlegendes finanzwirtschaftliches Ziel, nämlich das des finanziellen Gleichgewichts. Von der Ökonomik, die Aristoteles als eine naturgegebene wirtschaft‐ liche Tätigkeit zur Bedürfnisbefriedigung begreift, grenzt er die Chrema‐ tistik ab, unter der er eine naturwidrige „Kunst, Vermögen zu machen“ sieht - eine schrankenlose Anhäufung von Reichtum in Geldform. So un‐ terscheidet er Güter einerseits in Verbrauchsgüter, die dem unmittelbaren Gebrauch dienen, und andererseits in Güter, die dem Tausch dienen. Er‐ werbsarten, die der Versorgung dienen, seien natürlich, der bloße Erwerb von Tauschmitteln sei künstlich. Diese entstehen durch Überproduktion in dem einen Haushalt und Unterproduktion in dem anderen. Solange diese Überproduktion zufällig ist, bleibt die Verwendung von Gütern als Tauschmittel noch natürlich. Geschieht Überproduktion jedoch ganz gezielt, um das Produkt marktfähig zu machen, so entwickelt sich eine künstliche Erwerbsart. Deren Regeln sind dann nicht mehr Gegenstand der Ökonomik, sondern der sog. Chrematistik. 2.3 Römische Landwirtschaftslehre (Marcus Porcius Cato) Das Imperium Romanum, das antike römische Reich, war im Wesentlichen eine politische und militärische Macht. Die Römer waren Bauern, Soldaten, Juristen und Staatsmänner. Kaufleute hatten in dieser Gesellschaft einen schlechten Ruf. Und da der Handel eines feinen Mannes unwürdig war, wurde der Einzelhandel in Rom vor allem von Sklaven betrieben; und der 38 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="39"?> 41 Vgl. K. Ruffing: Wirtschaft in der griechisch-römischen Antike, Darmstadt 2012, S.-89. 42 Brockhoff (2017), S.-118. 43 Vgl. Schneider (2001), S.-108. Fern- und Großhandel lag fast vollständig in den Händen von Griechen, Syrern, Karthagern und anderen fremden Völkern. Die Wirtschaft im Rö‐ mischen Reich beruhte hauptsächlich auf der Landwirtschaft (wichtigste Agrarerzeugnisse waren Wein, Oliven und Getreide), die sehr arbeitsinten‐ siv und in der Regel ohne technische Hilfsmittel betrieben wurde. Im 5. bis 3. Jahrhundert v. Chr. bildete die Landwirtschaft die wesentliche, wenn nicht gar die alleinige Grundlage der Wirtschaft. Im 3. Jahrhundert kam es zu einer enormen Ausweitung des römischen Staatsgebietes: Umfasste das Staatsgebiet um 338 v. Chr. 5.525 km 2 , kontrollierte Rom um 200 v. Chr. ein Territorium von 130.000 km 2 mit einer Bevölkerung von etwa 3.000.000 freien Bürgern, an die Rom Gebiete zur Bewirtschaftung verteilte. Es entstehen erste mittlere (villae) und große Landgüter (latifundiae), durch welche die Landwirtschaft auf eine neue Grundlage gestellt und in der Folge rationeller und marktorientierter geführt wird. 41 Bildeten früher Getreideanbau und Tierhaltung die Grundlage der römi‐ schen Selbstversorgungswirtschaft, kam es mit zunehmender Größe der Landgüter, mit einem Aufblühen der Latifundien zur Spezialisierung. Etwa im 1. Jahrhundert v. Chr. spezialisierten sich die Latifundien, die riesige Ausmaße annahmen und von Verwaltern und Sklaven bewirtschaftet wurden, zunehmend auf den Wein- und Olivenanbau. Daher verwundert es nicht, dass hier eine Literatur entstand, „die sich vor allem der Führung von Landgütern widmet und teilweise erstaunlich tiefe Spezialisierungen in diesem Bereich aufweist“ 42 , und in der neben naturkundlichen Fragen auch solche der Produktionsplanung und der Organisation des Arbeitsablaufs behandelt werden. 43 2.3 Römische Landwirtschaftslehre (Marcus Porcius Cato) 39 <?page no="40"?> 44 Ebd., S.-108. 45 O. Schönberger (Hrsg.): Marcus Pordus Cato: Vom Landbau, 2. Aufl., Düsseldorf/ Zürich 2000, S.-338. Abb. 2.5: Cato. | [5] Von den römischen Schriftstellern der Land‐ wirtschaftslehre ist neben Marcus Terentius Varro, Virgil und Lucius Junius Moderatus Colu‐ mella vor allem Marcus Porcius Cato (Cato der Äl‐ tere, 234-149 v. Chr.) erwähnenswert, der von 234 bis 149 v. Chr. lebte und als Feldherr, Politiker und Schriftsteller wirkte (→ Abb. 2.5). Er, der sich als „knochenharter Haustyrann“ 44 gab, gilt als Ver‐ fechter altrömischer Lebensart. In Wort und Schrift bekämpfte die nach Rom eingeführte hel‐ lenistische Kultur, die von ihm als verderblich gewertet wurde. Auch erkannte Cato die Gefahr, die Rom durch die überlegene hellenistische Landwirtschaft drohte. Durch neue Methoden versuchte er die römischen Landwirte konkurrenzfähig zu halten. 45 Dies erklärt auch, warum seine im Jahre 154 v. Chr. verfasste Schrift De agricultura, auch: De re rustica (lat. „Vom Landbau“), einen warnenden und belehrenden Charakter hat. Auffällig an diesem Werk ist die äußere Formlosigkeit, das Bauprinzip lockerer Rei‐ hung, das infolge der vielfachen Abschweifungen und Einschübe den Ein‐ druck einer willkürlichen Notizensammlung erzeugt, obwohl der Beginn durchaus planvoll anmutet. Zunächst hebt Cato in einem Vorwort die Vor‐ züge der Landwirtschaft hervor und preist den Wert des Bauern gegenüber dem Banker und dem Kaufmann: „Mag sein, daß es manchmal besser ist, durch Handel nach Vermögen zu streben, wenn es nicht so gefährlich wäre, und ebenso, Wucher zu treiben, wenn es nur ehrenhaft wäre. Unsere Voreltern haben es so gehalten und so in den Gesetzen verordnet, daß ein Dieb ums Doppelte, der Wucherer ums Vierfache gestraft werde. […] Und einen rechten Mann wenn sie lobten, lobten sie ihn so: als einen rechten Bauern und guten Landwirt; […]. Den Kaufmann aber halte ich für einen tüchtigen und auf Erwerb bedachten Mann, doch ist er […] der Gefahr und dem Unglück ausgesetzt. Aber aus den Bauern gehen die tapfersten Männer und die tüchtigsten Krieger hervor, und der ehrlichste und dauerhafteste Gewinn kommt 40 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="41"?> 46 Ebd., S.-15. 47 Vgl. Schneider (2001), S.-109 und Brockhoff (2017), S.-119. 48 M. Finley: Die antike Wirtschaft, 3. Aufl., München 1993, S.-61. 49 Ruffing (2012), S.-91. heraus und der am wenigsten dem Neid ausgesetzte, und am wenigsten schlechte Gedanken haben die, welche mit dieser Arbeit beschäftigt sind.“ 46 Anschließend gibt Cato Anweisungen für die Einrichtung eines Landgutes und Vorschriften für die anfallenden Tätigkeiten in Feld, Garten und Wein‐ berg. Dann wird es ungeordnet: Es folgen z. B. Vorschläge für Kochrezepte, es werden Haus- und Heilmittel aufgezählt und Gebetsvorschriften erteilt. Die Themen springen vor und zurück, von Schädlingsbekämpfung bis zur Behandlung von Verdauungsbeschwerden. Konsequent eingehalten wird eigentlich nur ein strenger, erzieherischer Befehlston. Betriebswirtschaftliche Aspekte kommen bei den römischen Auto‐ ren zur Sprache, wenn z. B. auf die mengenmäßige Kombination von (limitationalen) Produktionsfaktoren bei der Bewirtschaftung eines Oliven‐ hains oder Weinbergs eingegangen wird oder Zusammenhänge zwischen Bewirtschaftungsintensität und Bodenertrag aufzeigt werden, Hinweise auf die Bedeutung der Transportkosten erfolgen und Vorgabezeiten für Landarbeiter genannt werden. 47 Diese betriebswirtschaftliche Denkweise mag wohl Finley zu folgendem Urteil über Cato veranlasst haben: „Es gab niemals jemanden, der das Gewinnstreben leidenschaftlicher vertrat als jener selbsternannte Hohepriester der alten Tugenden, […] der ältere Cato.“ 48 Eine ähnliche Meinung scheint auch Ruffing zu vertreten, denn er sieht in Catos Schrift „ein Zeugnis für die hohe Bedeutung einer rationell geführten und marktorientierten Landwirtschaft, wie sie von der Oberschicht in dieser Zeit betrieben wurde.“ 49 2.4 Arabische Handelslehre (Alī ad-Dimišqī) Im Mittelalter nahmen arabische Kaufleute eine Mittlerfunktion zwischen China und Europa ein. Sie beherrschten die alten Handelswege zu Lande und zu Wasser, insbesondere die Seidenstraße sowie die wichtigsten Seerouten im Mittelmeer und im Indischen Ozean. „Die arabischen Kaufleute des 8. bis 15. Jahrhunderts beherrschten den Handel in Kleinasien, Ägypten, den Durchgangshandel über die alten Karawanenstraßen vom Fernen Osten 2.4 Arabische Handelslehre (Alī ad-Dimišqī) 41 <?page no="42"?> 50 H. Linhardt: Die historische Komponente der funktionalen Betriebswirtschaftslehre, Berlin 1964, S.-35. 51 B. Penndorf: Die geschichtliche Entwicklung der Handelswissenschaften bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, in: Zur Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre - Festschrift für Robert Stern, Berlin/ Wien/ Leipzig 1925, S.-8. 52 Sein vollständiger Name lautet Scheikh Abu l’Fadl Gafar ben Ali ad Dimisqi. 53 H. Ritter: Ein arabisches Handbuch der Handelswissenschaft, in: Der Islam - Journal of the History and Culture of the Middle East, 1916. mit den großen Umschlagsplätzen Bagdad, Antiochien, Ephesos, Alexan‐ drien, Kairo. Sie teilten sich den Mittelmeerhandel mit Byzanz und den italienischen Handelsstädten“ 50 (→ Abb. 2.6). Ihr Handelsnetz, das sich über ganz Eurasien erstreckte, machte sie zu einer wahren Wirtschaftsmacht im Mittelalter. ✸ Thapsacus ✸ Thapsacus Kreta Zypern ✸ Trapezunt ✸ Sinop Alexandria ✸ ✸ Kairo ✸ Alexandrette ✸ Antiochia ✸ Tripolis ✸ Beirut Sidon ✸ ✸ Damaskus Tyrus ✸ ✸ Basra Babylon ✸ Bagdad ✸ ✸ Tadmor Abb. 2.6: Handelswege nach dem Nahen Osten. | [6] Aus dieser Blütezeit des arabischen Handels stammt „die älteste zusam‐ menhängende Darstellung über Handelswissenschaften“ 51 . Es wird ange‐ nommen, dass dieses arabische Kaufmannsbuch zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert von Alī ad-Dimišqī 52 in Damaskus verfasst worden ist. Über den Verfasser und die exakte Abfassungszeit seiner Schrift mit dem ausschweifenden Titel „Das Buch des Hinweises auf die Schönheiten des Handels und die Kenntnis der guten und schlechten Waren und die Fäl‐ schungen der Betrüger an ihnen“ 53 ist nichts bekannt. Dieses orientalische Handbuch der Handelskunde besteht aus vier Teilen, nämlich einer Warenkunde, einem wirtschaftstheoretischen Teil, 42 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="43"?> 54 Zit. n. Leitherer (1961), S.-45. 55 Schneider (2001), S.-123. 56 Zit. n. Penndorf (1925), S.-8. 57 Leitherer (1961), S.-44. 58 Löffelholz (1956), Sp. 974. einem handelswissenschaftlichen Teil und einem paränetischen Teil, wobei neben sittlichen Ermahnungen und Belehrungen auch absatzpolitische und geschäftspolitische Ratschläge gegeben werden. So heißt es z. B.: „Alles, was verkauft und gekauft wird, wird mit dem Hohlmaß gemessen oder abgewogen oder mit dem Längenmaß gemessen oder nach Zeit oder Zahl bestimmt.“ „Beim Ausgeben hat man sich vor fünf Eigenschaften zu hüten: vor Geiz, Knauserigkeit, Verschwendung, Protzerei und schlechter Verwal‐ tung.“ 54 Schneider hebt hervor, dass dieses Buch „auch erste Erwägungen über die Einflußgrößen des Marktpreises und die Bestimmungsgründe der Lagerhaltung bringt.“ 55 So heißt es über das Zustandekommen der Waren‐ preise: „Der Marktpreis ist das Produkt von Angebot und Nachfrage, die wieder von verschiedenen Faktoren abhängen.“ 56 Leitherer weist darauf hin, dass dieses Buch „außer den üblichen informatorischen Mitteilungen bereits gewisse theoretische Einsichten in die wirtschaftlichen Zusammenhänge erkennen läßt.“ 57 Im Welthandel wurden die arabischen Kaufleute abgelöst von den Italienern. 2.5 Scholastische Handelslehre im Mittelalter (Thomas von Aquin) Nördlich der Alpen prägten zwei selbständige Wirtschaftssysteme mit eige‐ nen Betriebsformen und Betriebsweisen die mittelalterliche Wirtschaft: Das System der kirchlich-feudalen Naturalwirtschaft mit dem Betrieb der Klöster und der Grundherrschaft sowie das System der berufsständischen Stadtwirt‐ schaft mit dem Zunftbetrieb. Klosterbetrieb und Grundherrschaft wirtschaf‐ teten autark, sie waren eine Bedarfsdeckungswirtschaft. Der wirtschaftliche Schwerpunkt lag auf der (primitiven) Landwirtschaft. Handel wurde nur mit solchen Gütern betrieben, die in den grundherrschaftlichen Großbetrieben nicht selbst hergestellt wurden. „Betriebswirtschaftlich gesehen stellt sich die Grundherrschaft als ein autarker Produktionsverband selbständiger ländlicher Betriebe mit einem Herrenhof als Mittelpunkt dar.“ 58 2.5 Scholastische Handelslehre im Mittelalter (Thomas von Aquin) 43 <?page no="44"?> 59 Ebd. Die Wirtschaftsweise der mittelalterlichen Stadtwirtschaft, die das Gemeinschaftswohl im Blick hatte, war geprägt durch das Prinzip der wirtschaftlichen Selbstgenügsamkeit, der ökonomischen Autarkie und die „Idee der Nahrung“. So entstand ein kompliziertes und straffes System von Regeln, welches das Wirtschaftsleben ordnete. Tragende Organisationen dieses Systems waren die Zünfte der Handwerker und die Gilden der Kaufleute. Zu deren Aufgabenbereichen gehörten neben wirtschaftlichen auch soziale und sogar religiöse Angelegenheiten. „Die planenden und dispositiven betriebswirtschaftlichen Funktionen sind so umfassend, daß sie für sich selbst eine Betriebswirtschaft darstellen, in welche die einzelnen Zunftbetriebe gleichsam als Teilbetriebe eingebettet sind.“ 59 Das theologisch-philosophische Fundament des mittelalterlichen Wirtschafts- und Lebenssystems bestand aus der katholischen Sitten- und Soziallehre sowie der Scholastik. Als Scholastik (lat. schola = Schule) wird sowohl die theologisch-philosophische Lehre bezeichnet als auch die Methode, d. h. die Art und Weise der Begründung der Glaubenswahrheiten, wie sie an den Klosterschulen praktiziert wurde. In der Scholastik wurde der Versuch unternommen, die aristotelische Philosophie mit den christlichen Auffassungen zu verbinden; darüber hinaus erfolgte auch eine Auseinan‐ dersetzung mit der arabischen Philosophie. Mit Thomas von Aquin (1225-1274) erreichte die mittelalterliche Rezep‐ tion der Schriften des Aristoteles ihren Höhepunkt. Thomas versuchte, die christliche Lehre mit der Wissenschaftsauffassung des Aristoteles in Einklang zu bringen. Die Grundlage der Theologie bildet der Glaube, die der Philosophie die Vernunft. Nach Thomas ließen sich einige Wahrheiten sowohl mit der Vernunft, d. h. rational und wissenschaftlich, als auch durch die Offenbarung ergründen. Beide gelangten also durch unterschiedliche Herangehensweise letztlich zum gemeinsamen Ziel. 44 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="45"?> 60 F. Beutter: Thomas von Aquin, in: Starbatty (Hrsg.): Klassiker des ökonomischen Denkens, München 1989, S.-63. 61 Leitherer (1961), S.-15. 62 Beutter (1989), S.-63. Abb. 2.7: Thomas von Aquin. | [7] Thomas wirkte im 13. Jahrhundert zu einer Zeit, als sich die Städte - basierend auf dem Marktrecht - zu Zentren von Handel und Ge‐ werbe entwickelten: Der Warenaustausch er‐ höhte sich, die Bedeutung der Geldwirtschaft nahm zu und der Einfluss der Kaufleute ver‐ stärkte sich. Vor allem der Fernhandel mit be‐ gehrten Luxusgütern aus dem Orient (z. B. Ge‐ würze, Seide, Weihrauch) bescherte den Kaufleuten äußerst lukrative Gewinne. Da sie aber - im Gegensatz zu den Bauern und Hand‐ werkern - ihren Lebensunterhalt nicht nach dem Willen der Bibel „im Schweiße ihres Ange‐ sichts“ verdienten, trieb sie die Sorge um eine Erlösung aus dem Fegefeuer in besonderem Maße um: Wie war es möglich, im Einklang mit der Lehre des Christentums wirtschaften und Handel treiben zu können, ohne das eigene Seelenheil zu gefährden? Tho‐ mas, „dem die Probleme der Menschen in seiner Zeit bekannt waren und der auf Antworten bedacht war, die Hilfen für die Menschen sein sollten“ 60 , lie‐ fert keine Wirtschaftstheorie, sondern er entwickelte vielmehr sittliche Grundsätze, die es dem Menschen ermöglichen sollen, sich in wirtschaft‐ lichen Angelegenheiten zurechtzufinden. Seine ökonomischen Ansichten und Lehren, die über sein Gesamtwerk verstreut sind, stellen ein „Funda‐ ment der mittelalterlichen Wirtschaftslehre“ 61 dar und „haben auch heute noch einen tiefen Sinn für die Deutung unserer Probleme.“ 62 Für Thomas gehört das Wirtschaften zur Schöpfung Gottes. Als animal sociale et politicum sei der Mensch auf wirtschaftliche Aktivitäten angewie‐ sen, denn diese haben die Aufgabe, die leiblichen, seelischen und geistigen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Allerdings dient das Wirtschaf‐ ten nicht dazu, Reichtümer und Gewinn zu mehren, sondern dass alle das zum Leben Notwendige und Angemessene erhalten. Wenn Gewinne erwirtschaftet werden, so darf davon nur das einbehalten werden, was 2.5 Scholastische Handelslehre im Mittelalter (Thomas von Aquin) 45 <?page no="46"?> 63 Vgl. Löffelholz (1956), Sp. 975. 64 Zit. n. Leitherer (1961), S.-16. 65 Ebd. 66 Löffelholz (1956), Sp. 975. der Existenzsicherung dient und zudem einen standesgemäßen Unterhalt sichert. Was darüber hinausgeht, ist der Gemeinschaft wieder zurückzufüh‐ ren. Daher wird in der Regel auch gar kein Gewinn erzielt, der über die standesgemäße Nahrung hinausgeht. 63 Grundlage der städtischen Wirtschaft solle die Eigenversorgung sein. Eine Versorgung mittels des Handels betrachtet Thomas als gefährlich. Er ist sich aber wohl bewusst, dass dies nicht immer zu vermeiden ist, „weil keine städtische Wirtschaftsgemeinschaft alle lebensnotwendigen Güter innerhalb ihres Gebietes erzeugen kann.“ 64 Insofern misst er dem Handel eine gemeinwirtschaftliche Bedeutung zu. Trotz übler Folgen für das Seelenheil der Kaufleute sei er aus ökonomischen Gründen nicht zu entbehren. Allerdings solle beim Handel Gleichwertiges ausgetauscht werden. Thomas unterscheidet - wie schon zuvor Aristoteles - zwei Arten von Tausch. Den Tausch, der dazu dient, lebensnotwendige Bedürfnisse zu befriedigen (Ware gegen Ware), betrachtet er als natürlich und nützlich. Der berufsmäßige Handel jedoch, den Kaufleute treiben (Geld gegen Ware bzw. Ware gegen Geld), um Gewinn zu erzielen, habe etwas Schimpfliches an sich, da er kein ehrenhaftes Ziel verfolge. Werde allerdings der Gewinn für den Familienunterhalt oder zur Unterstützung der Armen verwendet, werde das Handeln zu einer ehrenhaften Beschäftigung. Gleiches gilt auch, „wenn der Handel dem öffentlichen Nutzen dient und wenn dabei der Gewinn nicht als Ziel gesucht wird, sondern als Lohn der Arbeit aufgefasst wird. […] Nach dieser Auffassung ist der Gewinn des Kaufmanns der Lohn für seinen Beitrag zur Güterversorgung.“ 65 Löffelholz führt hierzu aus, dass sowohl der Wert der Arbeit als auch der Gewinn nicht durch marktwirtschaftliche Faktoren bestimmt werde, sondern vom Status der Person und der Rangordnung des Berufs. Diese war in der kleinen mittelalterlichen Stadt „durch die ständische Verfassung der Zünfte so stabil, daß der Kostenwert der Arbeit als „aestimatio communis“ erschien und nicht als Ergebnis einer betriebs‐ wirtschaftlichen Wertung auf der Grundalge von Marktpreisen.“ 66 Ähnlich einfach wird der Wert eines Produktes ermittelt, der sich zusammensetzt aus den Arbeitskosten (labores) plus den Rohstoff- und Materialkosten (expensae). Da sich ein großer Teil des Handels in Form von Naturaltausch (Ware gegen 46 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="47"?> 67 Ebd., Sp. 976. 68 Siehe auch meinen Aufsatz: L. Wächter: 525 Jahre Luca Paciolis doppelte Buchführung, in: WiSt, 49. Jg., Heft 6/ 2020, S.-53-55. Ware) vollziehen sollte und zudem die Wirtschaft und die Märkte streng reguliert und stabil waren, waren ein kostenmäßiges Denken in Zahlen und Preiskalkulationen dem Zunftbetrieb völlig fremd. Für Handwerksbetriebe bestand kein Marktrisiko, da in der Regel auf Bestellung produziert wurde. Im Handel sollte nach scholastischer Lehre ein Äquivalenzprinzip befolgt werden, d. h. eine Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung sollte dem Tauschgeschäft innewohnen. Dies führe zum iustum Pretium, einem gerechten Preis, der eine Preisbildung am Markt überflüssig mache. Aller‐ dings sah Thomas schon früh die Gefahr, die dem Äquivalenzprinzip durch die Kaufleute drohte. „Da dem Handel das Erwerbsstreben immanent ist, hat er dann schließlich auch die mittelalterliche Stadtwirtschaft gesprengt.“ 67 2.6 Italienische Buchhaltungslehre der Renaissance (Luca Pacioli) In der Renaissance, einer Übergangsphase zwischen Mittelalter und Neuzeit (etwa 1400 bis 1600) befreiten Wissenschaftler, Forscher und Künstler sich aus der gedanklichen Enge der mittelalterlichen Scholastik. Sie sahen ihren Sinn nicht mehr darin, durch die christliche Lehre ohnehin schon vorgegebene Antworten neu zu begründen. Vielmehr besann man sich zurück auf das Geistesleben der Antike und suchte nach neuen Antworten auf alte Fragen. Einer der führenden Mathematiker dieser Zeit war der italienische Franziskanermönch Luca Pacioli (1445-1517). Er publizierte als erster eine geschlossene Darstellung der doppelten Buchführung 68 und trug entscheidend zu deren Verbreitung bei. Wirtschaftlich ist die Epoche der Renaissance gekennzeichnet durch die Herausbildung frühkapitalistischer Strukturen infolge der sogenannten kommerziellen Revolution, die durch folgende Umstände begünstigt wurde: Die Kaufleute bedienten sich verstärkt des Schriftverkehrs (z. B. kaufmännischer Briefwechsel, Bücher mit Umrechnungstabellen für un‐ terschiedliche Maße, Münzen und Gewichte), und es wurden Schreibschu‐ len für Kaufleute gegründet. Im Zahlungsverkehr bzw. im Kreditwesen gewann der Warenkredit zunehmend an Bedeutung: „Spätestens im ausge‐ henden 13. Jh. hatte sich eine Kreditkette aufgebaut, die vom Produzenten 2.6 Italienische Buchhaltungslehre der Renaissance (Luca Pacioli) 47 <?page no="48"?> 69 M. North (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsgeschichte, München 2000, S.-69. bis hin zum Konsumenten reichte. Der Kaufmann, der seinen Lieferanten bar bezahlte, dem Kunden jedoch Kredit einräumte, wäre rasch insolvent geworden.“ 69 Durch eine größere Dauerhaftigkeit der Lagergebäude (z.-B. Gewölbe, Kammern) wurde die Lagerhaltung verbessert, wodurch besser auf Markterfordernisse (Angebot, Nachfrage, Preise) reagiert werden konnte. Der Warentransport wurde optimiert durch ein leistungsfähige‐ res und zuverlässigeres Verkehrs- und Transportwesen. Auch wurden erste Versicherungen für Warentransporte entwickelt (z. B. stammt die älteste Police einer Seeversicherung aus dem Jahr 1350). Im Bereich der Unternehmensorganisation kam es zur Arbeitsteilung durch den Aufbau von Handelsstützpunkten mit Vertretern, Kommissionären, halbselbstän‐ digen „Faktoren“ und unselbständigen „Dienern“. Auch entstanden neue Rechtsformen wie die Handelsgesellschaft. Schließlich gewann auch das Messewesen weiter an Bedeutung, denn Messen boten den Händlern bessere Markttransparenz und große Rechtssicherheit durch eine kauf‐ männische Gerichtsbarkeit; außerdem mussten sie keine Steuern und Abgaben leisten. Diese die frühkapitalistische Entwicklung im Handel begünstigenden Faktoren wurden verstärkt durch weitere, sich wechselseitig beeinflussende Umstände: Zum einen kam es zu einem Bevölkerungswachstum und einem Wachstum der Städte. Der Lebensstandard erhöhte sich und die Bedürfnisse der Menschen vermehrten sich. Zum anderen setzte sich das Erwerbsprinzip immer weiter durch und verdrängte endgültig die althergebrachte Wirt‐ schaftsweise der mittelalterlichen Stadt, die auf dem „Prinzip der Nahrung“ beruhte. Infolge fortschreitender Arbeits- und Berufsteilung sowie zahlrei‐ cher technischer Innovationen (z. B. Hochofen, Optimierung des Spinnrades, Buchdruck) wurden die Betriebe gezwungen, rationeller zu arbeiten. Die stetige Vergrößerung der Produktion und die damit verbundene Ausweitung des Geschäfts- und Kundenkreises führten zu einer Intensivierung des Han‐ delsverkehrs. Frühestens ab dem 14., insbesondere aber im 15. Jahrhundert machte sich im Handel eine Arbeitsteilung bemerkbar: Es kam zu Speziali‐ sierungen im Handel und auch zu Differenzierungen der Handelsbetriebe. Der Großhandel als Betriebsform entstand. Ein außerordentlich aktuelles Problem in venezianischen Kaufmannskrei‐ sen stellte damals das System der neuen Buchhaltung dar. Dieses lernte der damals 20-jährige Luca Pacioli durch den reichen Kaufmann Rompiansi 48 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="49"?> 70 Vgl. T. Hermann: Luca Pacioli im Lichte von Betriebswirtschaftslehre und Economia Aziendale, in: Matiaske/ Weber (Hrsg.): Ideengeschichte der BWL, Wiesbaden 2018, S.-120. 71 Den folgenden Ausführungen liegt die Ausgabe zugrunde: Luca Pacioli, Abhandlung über die Buchhaltung, ins Deutsche übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Balduin Penndorf, Stuttgart 1933. Abb. 2.8: Luca Pacioli. | [8] kennen, bei dem er während seines Studiums lebte. Pacioli unterrichtete nicht nur dessen drei Söhne als Hauslehrer, sondern er nahm auch als Assistent Rompiansis an mehreren Schiffshandelsreisen teil und lernte so die Handelspraxis kennen. 1472 entschloss sich Pacioli dem Franziskanerorden beizutreten, wo ihm die Möglichkeit geboten wurde, unabhängig zu for‐ schen. Ab 1476 führte er ein Leben als Wanderlehrer und lehrte als Professor an den wichtigsten Universitäten Italiens. Nach den Wanderjahren kehrte er in seine Heimatstadt zurück, wo er bis 1493 blieb und die Veröffentlichung seines ersten gedruckten Buches vorbereitete. Im Herbst 1494 erschien es dann in Venedig unter dem Titel „Summa de Arithmetica, Geometria, Proportioni e Proportionalita“ in einer geschätzten Auflagenhöhe von 1.000 bis 2.000 gedruckten Exemplaren. 70 Ursprünglich wollte Pacioli sein Werk in fünf Hauptteile gliedern. Von diesem Plan wich er jedoch ab. Tatsächlich besteht die Summa aus zwei Hauptteilen, nämlich der Arithmetik und der Geometrie. Diese sind ihrerseits in distin‐ zioni unterteilt, welche wiederum in trattati und schließlich in articoli unterteilt sind. Der erste Hauptteil umfasst die vier ersten in der ursprünglichen Reihenfolge vorgesehenen Ka‐ pitel. Arithmetik und Algebra nehmen mit acht von insgesamt neun Teilen den meisten Raum in Anspruch. Die ersten sieben distinzioni sind der Arithmetik gewidmet, die achte behandelt die Algebra. Die neunte distinctio deckt die ursprünglichen Teile 2 bis 4 ab, befasst sich also mit handelskundlichen Themen (z. B. Gesellschaften, Waren, Wechselgeschäfte, Löhne, Münzen, Maße, Gewichte, Buchhaltung). Der elfte Traktat der „Summa“ ist der „Tractatus particularis de computis et scripturis“, worin auf etwa 20 Folioseiten (in dt. Übersetzung von Penndorf 72 Seiten) in 36 kurzen Kapiteln das System der doppelten Buchführung dargestellt ist. 71 Dieser Abschnitt ist „die älteste Druckschrift über die 2.6 Italienische Buchhaltungslehre der Renaissance (Luca Pacioli) 49 <?page no="50"?> 72 E. Weber: Literaturgeschichte der Handelsbetriebslehre, Tübingen 1914, S.-7. 73 J. Löffelholz: Geschichte der Betriebswirtschaft und der Betriebswirtschaftslehre, Stutt‐ gart 1935, S.-144. 74 Pacioli/ Penndorf (1933), S.-62. 75 Ebd., S.-61. Doppelbuchhaltung“ 72 und „wurde in fast alle Kultursprachen übersetzt.“ 73 Pacioli behandelt in dem Werk nur die Buchhaltung des Warenhandels. Die Form legt die Vermutung nahe, dass die Schrift für Unterrichtszwecke bestimmt ist. Pacioli ist darum bemüht, „den spröden Stoff lebendig und anschaulich darzustellen“ und schreibt nicht, wie damals üblich, in der lateinischen Sprache, wie sie die Gelehrten zu verwenden pflegten, sondern in der Sprache des Volkes, d. h. in der italienischen Sprache - genauer gesagt: in einem venezianischen Dialekt. Die Abhandlung ist insbesondere für den Selbstunterricht gedacht, wobei Pacioli „einen Schüler von gesundem Menschenverstande“ 74 voraussetzt. Pacioli gibt in der „Summa“ eine Inhaltsangabe des Werkes; über den Buchhaltungsteil sagt er Folgendes: „Der dritte Hauptteil enthält Regeln, Formen, Mittel und Wege über die Führung aller Konten und Buchungen eines Geschäfts sowie eines Ladens, Lagers oder einer besonderen Nieder‐ lassung, ausreichend und genügend für die ganze Welt, besonders aber in der Form, die in Venedig angewendet wird und irgendwo anders, wenn man will. Nämlich mit aller Sorgfalt ein Hauptbuch zu führen mit seinem Journal und Memorial, das immer der Ursprung und die Wurzel aller Bücher und Buchhaltung ist, die die Kaufleute in allen Orten der Welt führen, wie Du an jener Stelle verstehen wirst gemäß der Ordnung, die sich vorn im Anfang der genannten Abhandlung befindet und die nach Kapiteln eingeteilt ist. Dieser Teil wird, wie gesagt, durch seine Kapitel, die Bilanz eines Hauptbuchs zu machen, ausgezeichnet und wie im Soll und Haben die Vorfälle gebucht werden, sowie durch die zwei im Journal gebräuchlichen Ausdrücke Per und A und durch das Übertragen des Journals in das Hauptbuch. Ferner durch die Form, die Einträge im Journal mit zwei Linien durchzustreichen, eine den Debitor und die andere den Kreditor, und die Bezeichnung der Blätter des Hauptbuchs am Rande des Journals, die die Nummern der Blätter angeben, wo im Hauptbuch Debitoren und Kreditoren gesetzt worden sind, mit deren Hilfe man das Hauptbuch erneuern könnte, wenn es verloren wäre, mit genau so viel Blättern wie das erste, wie Du begreifen wirst usw. Und am Ende der ganzen Abhandlung wird man eine Zusammenstellung aller Buchungen finden.“ 75 50 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="51"?> 76 Vgl. zu den folgenden Ausführungen ebd., S.-88 ff. Zu Beginn der Abhandlung weist Pacioli auf die Bedeutung dreier Eigenschaften hin, die ein Kaufmann haben müsse, „der mit gebührendem Fleiß Handel treiben will“ 76 : Dies sind erstens die Eigenschaften eines ehrenwerten Kaufmanns, die z. B. erst ein auf Vertrauen fußendes Kre‐ ditgeschäft ermöglichen. Dies begründet er religiös-wirtschaftsethisch: „Nichts galt höher als das Wort des guten Kaufmanns, und so bekräftigten sie ihre Eide, indem sie sagten: ‚Bei der Ehre eines wahren Kaufmanns‘. Dies soll niemand verwundern, weil jedermann nach katholischer Weise nur durch den Glauben selig wird, ohne den es unmöglich ist, Gott zu gefallen.“ Zweitens sei es zum Handeltreiben notwendig, „daß man ein guter Rechner und geschickter Buchhalter sei.“ Und drittens sei es nötig, „daß man mit schöner Ordnung alle seine Geschäfte in gebührender Weise einträgt, damit man in aller Kürze von jedem Kenntnis haben kann, sowohl von den Schulden als auch von den Guthaben, denn auf anderes erstreckt sich der Handel nicht.“ Anschließend erläutert Pacioli den Inhalt seiner Abhandlung. Er fordert zunächst ein Eröffnungsinventar, sodann drei Bü‐ cher, nämlich Memorial, Journal und Hauptbuch. Das 9. Kapitel gibt einen Überblick über neun Zahlungsarten, die dem Kaufmann zur Verfügung stehen: „nämlich gegen Kasse, oder gegen Ziel, oder gegen Waren, was man gewöhnlich Tausch nennt, oder teils gegen Kasse und teils gegen Ziel, oder teils gegen Kasse und teils gegen Waren, oder teils gegen Waren und teils gegen Ziel, oder gegen Anweisung einer Bürgschaft, oder teils gegen Bürgschaft und teils gegen Ziel, oder teils gegen Bürgschaft und teils gegen Waren.“ Kapitel 10 bis 12 behandeln das Journal. Im 11. Kapitel werden die Bezeichnungen Per und A definiert: „Mit Per bezeichnet man immer den Schuldner, sei es einer oder seien es mehrere, und mit A den Gläubiger, sei es einer oder seien es mehrere.“ Im 12. Kapitel werden neben der Technik der Journalbuchung die Begriffe Kasse und Kapital erläutert: „Unter der Kasse versteht man Deinen Anteil oder Deine (Geld-)Börse, unter Kapital versteht man die Gesamtheit und Gesamtsumme Deines gegenwärtigen Vermögens.“ Das 14. Kapitel behandelt den doppelten Buchungssatz, die Buchungen im Soll und im Haben. In den Kapiteln 32-34 behandelt Pacioli die Bilanz. Er beschreibt, wie man die Bilanz des Hauptbuches zu erstellen habe, wie das alte Hauptbuch in das neue übertragen werden muss, wie die Konten des alten Hauptbuches abzuschließen seien. Bevor das Werk mit 2.6 Italienische Buchhaltungslehre der Renaissance (Luca Pacioli) 51 <?page no="52"?> 77 Pacioli/ Penndorf (1933), S.-59. 78 Vgl. Hermann (2018), S.-118 ff. 79 Bellinger (1967), S.-23. 80 Brockhoff (2017), S.-129. einer Zusammenfassung abschließt, gibt Pacioli Hinweise zum Umgang mit Schriftstücken (Briefen, Urkunden etc.). Penndorf sieht das Innovative der Schrift weniger in ihrem wissenschaft‐ lichen Inhalt, sondern vielmehr darin, wie dieser gestaltet und dargeboten wird: „Das Neue an der ,Summa‘ ist also nicht der Inhalt, sondern die Form. […] Immer hat Pacioli bei Abfassung seines Werkes die praktischen Bedürfnisse, insbesondere die des Kaufmanns, im Auge, und so wählte er eine Form der Darstellung, die verständlich war. Deshalb schrieb er sein Werk nicht in der Gelehrtensprache, sondern in der Volkssprache und suchte die trockene Auseinandersetzung des Gegenstandes mit Beispielen, Anekdoten, Sprichwörtern, Zitaten und Sprüchen zu beleben, denn der Lehrer muss nach ihm stets tausenderlei Arten herausfinden, um von dem Lernenden verstanden zu werden.“ 77 Fragen nach der Didaktik des Werkes, der Zielgruppe sowie der Verbreitung haben in der modernen Forschung eine Kontroverse ausgelöst. 78 Bellinger gelangt zu folgender Würdigung: „Pacioli erkannte das Prinzip der Doppik und formulierte die doppelte Buchhaltung dem Sinne nach als Kalkül. Es gelang ihm, den gesamten quantifizierbaren Bereich kaufmänni‐ scher Tätigkeiten in ein abstimmbares, lückenloses und sogar praktikables System zu fassen. Sein Modell erlaubte es, nicht nur den wissenschaftlichen Stand und die Struktur einer Betriebswirtschaft zu jedem Zeitpunkt darzu‐ stellen, sondern auch deren Entwicklung in der Zeit wiederzugeben. Für den weiteren Aufstieg der Betriebswirtschaftslehre war diese wissenschaftliche Leistung von unschätzbarem Wert.“ 79 Als eine bedeutsame Errungenschaft führen einige Autoren an, dass in Paciolis Schrift sich erstmals die Trennung von privatem Haushalt und Betrieb nachweisen ließe, welche die Voraussetzung für die Entwick‐ lung der am Gewinn orientierten kapitalistischen Unternehmung war. Nach Brockhoff könne dieser Auffassung jedoch kaum gefolgt werden, da „im Inventar aber auch Kleidung, Betten, Wäsche oder Tischgeschirr aufgeführt werden sollen.“ 80 Schneider kritisiert, dass Paciolis Darstellung in vielem hinter dem zurückbleibe, was schon mehr als hundert Jahre zuvor oberitalienische Kaufleute praktizierten. So seien beispielsweise 52 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="53"?> 81 Vgl. Schneider (2001), S.-78. 82 Löffelholz (1935), S.-142 f. und 146. 83 Löffelholz (1956), Sp. 979. 84 Vgl. J. Löffelholz: Geschichte der Betriebswirtschaft und der Betriebswirtschafts‐ lehre, Stuttgart 1935, S.-145. schon die Rechnungsbücher der Stadt Genua, die ab 1340 erhalten sind, in doppelter Buchhaltung geführt. 81 In dem Zusammenhang wird zuweilen der Vorwurf erhoben, dass es sich bei der Schrift von Pacioli um ein Plagiat handele. Diesen Vorwurf will Löffelholz nicht gelten lassen. Er sieht darin vielmehr eine jener „Sensationstheorien“, denen auch Shakespeare und Homer ausgesetzt gewesen seien, und lässt „darum den Ruhm, die Buchhaltung zum ersten Male dargestellt zu haben, ungeschmälert dem Franziskanermönch Luca Pacioli.“ Dieser sei „einer der stärksten Geister der Renaissance“ gewesen und habe weit über seine Zeit hinaus gewirkt: „Der Buchhaltungstraktat des gelehrten Mönches hat einen außerordent‐ lichen Einfluß auf die gesamte Buchhaltungsliteratur der Renaissance gehabt. Er wird sogar noch im 17. und 18. Jahrhundert von italienischen Schriftstellern als Lehrbuch empfohlen.“ 82 Zur Bedeutung der doppelten Buchführung konstatiert Löffelholz an anderer Stelle: „Die Buchhaltung hat die wirtschaftliche Welt erschlossen.“ Denn mit ihr mussten auch alle anderen Begriffe des modernen Wirtschaftsbetriebes geschaffen werden. Diesbezüglich weist er insbesondere auf den Kapitalbegriff hin, aus dem sich zahlreiche andere Begriffe entwickelten, „die für die neuzeitliche Betriebswirtschaft charakteristisch sind, wie die Begriffe Gewinn und Verlust, die als Saldo des Kapitalkontos erklärt werden.“ 83 Exkurs | Warum sprechen wir heute von „Soll und Haben“ „Du musst wissen, daß von allen Posten, welche du im Journal gebildet hast, immer je zwei in dem großen Heft gemacht werden sollen, nämlich einer im Geben und einer im Haben“ 84 . So übersetzt Löffel‐ holz eine Textstelle in Paciolis Werk und verwendet damit dessen ursprüngliche Formulierung für die Seiten eines Kontos. Statt Geben und Haben verwendet Penndorf in seiner Übersetzung die auch heute üblichen Bezeichnungen Soll und Haben. Doch wie ist es zu dieser Be‐ griffsbildung gekommen? Woher stammen die heute gebräuchlichen Fachbegriffe Soll und Haben? Wie Penndorf in seiner „Geschichte 2.6 Italienische Buchhaltungslehre der Renaissance (Luca Pacioli) 53 <?page no="54"?> 85 B. Penndorf: Geschichte der Buchhaltung in Deutschland, Leipzig 1913, S.-42. 86 J. Favier: Gold und Gewürze - Der Aufstieg des Kaufmanns im Mittelalter, Hamburg 1992, S.-285. der Buchhaltung“ erläutert, hatte „die deutliche Kennzeichnung der Schuld, Forderung oder Zahlung von jeher zum Wesen der Buchhal‐ tung gehört“: „Ägypter und Babylonier hatten dafür die Ausdrücke ‚belasten‘ und ‚er‐ kennen‘, die Römer ihr ‚acceptum und expensum‘. In Italien schrieb man ursprünglich unter das ‚de avere‘ das ‚aver dato‘, später erst ‚de dar‘ links und ‚de aver‘ rechts, oder auch ‚dover dare‘ (= Soll Geben) und ‚dover avere‘ (= Soll Haben). Auf der linken Seite wurde zuerst das dare (das Geben), auf der rechten ziemlich später das dover (das Soll) weggelassen, und so entstand unser heutiges Soll und Haben.“ 85 Der französische Historiker Jean Favier erläutert, dass die Formulierun‐ gen soll geben und soll haben im Italien des 13. Jahrhunderts durchaus noch ihren Sinn gehabt hätten. „Die Redewendung ist logisch. Die Dinge ändern sich und die Sache wird komplizierter, als die Franzosen zu Beginn der Neuzeit mitmischen. Weniger vertraut mit den kapitalistischen Strukturen der großen Gesellschaften, haben sie einige Mühe, den Chef und seinen Kassierer zu unterscheiden. Und anstatt ‚soll geben und soll haben einander entgegenzustellen, stellen sie soll und haben einander gegenüber. Natürlich besagen soll und soll geben das gleiche, und der Widerspruch versteht sich von selbst. Aber er macht soll haben zu haben, was eigentlich ein Widersinn ist. Die französischen Buchhalter des 15. Jahrhunderts kümmern sich dennoch wenig darum. Hier, wie häufig auch andernorts, übernehmen sie mit Verspätung die italienische Praxis, ohne sie richtig zu verstehen.“ 86 54 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="55"?> Genua Venedig 1340 Älteste nachweisbare doppelte Buchführung in der Finanzbehörde Genuas. 14./ 15. Jahrhundert Weiterentwicklung und Vervollkommnung der doppelten Buchhaltung. Von Venedig ausgehend wird die doppelte Buchhaltung weiterverbreitet. 16. Jahrhundert Die doppelte Buchhaltung wird in Deutschland verwendet. 15. Jahrhundert Die französischen Buchhalter übernehmen mit Verspätung die italienische Praxis, ohne sie richtig zu verstehen. Die Verbreitung der doppelten Buchhaltung in Europa: Abb. 2.9: Die Verbreitung der doppelten Buchhaltung in Europa.| [9] 2.7 Christliche Handelslehre vom „gerechten Preis“ (Martin Luther) Dreißig Jahre nach dem Erscheinen von Paciolis „Summa“ erscheint nördlich der Alpen eine Schrift des Theologen, Moralphilosophen und Augustiner‐ mönchs Martin Luther (1483-1546). In seinen philosophisch-theologischen Schriften hat er sich auch mehrfach mit ökonomischen Fragestellungen auseinandergesetzt. Allerdings sind seine diesbezüglichen Ausführungen nicht das Ergebnis systematischer Reflexion; vielmehr reagierte er auf Be‐ gebenheiten, die er in seiner Umwelt wahrnahm oder auf Probleme, die vom Volk an ihn (in seiner Funktion als Seelsorger) herangetragen wurden. Seine ökonomischen Ansichten sind ethisch-religiös geprägt und drücken eine kritische Haltung aus gegenüber den aufkommenden frühkapitalistischen Produktionsverhältnissen; die Naturalwirtschaft und die einfache Waren‐ produktion hingegen verteidigte er. Finanz- und Ausbeutungspraktiken der 2.7 Christliche Handelslehre vom „gerechten Preis“ (Martin Luther) 55 <?page no="56"?> Abb. 2.10: Martin Luther. | [10] katholischen Kirche prangerte er an und suchte nach Möglichkeiten, soziale und ökonomische Missstände in Übereinstimmung mit der Bibel zu lösen. In seinen Schriften richtete er sich gegen den Missbrauch menschlicher Arbeit zu Profitzwecken, gegen den Wucher, den Zins, den Luxus, gegen „Monopolia“ und das Handelskapital. In dem Zusammenhang entwickelte er auch seine Vorstellungen vom gerechten Preis, die in der Tradition von Aristoteles und Thomas von Aquin stehen. Das ökonomische Hauptwerk Luthers ist die Schrift „Von Kaufshandlung und Wucher“ aus dem Jahr 1524, die im 16. Jahrhundert sie‐ benmal gedruckt worden ist. Darin formuliert er im Predigtstil zentrale Ansichten für ein christ‐ liches Handeln im Wirtschaftsleben. Den (evan‐ gelisch gesinnten) Kaufleuten, die einerseits Ge‐ winne erwirtschaften müssen, andererseits aber ihre Mitmenschen nicht übervorteilen sollen (→ Abb. 2.11), werden Ratschläge erteilt, wie sie ihre Handelsgeschäfte im Einklang mit der christlichen Lehre betreiben können. Konkret werden z.-B. Überlegungen angestellt zur richti‐ gen Preisbildung und Ermittlung der Handels‐ spanne. Deutlich wird insbesondere, dass Luthers Idee vom gerechten Preis auf eine optimale Güter- und Einkommensverteilung abzielt, die sowohl das Allgemeinwohl als auch eine für Käufer- und Verkäuferseite akzeptable Preisgestaltung berücksichtigt. „[…]. Das kann man aber nicht leugnen, daß Kaufen und Verkaufen ein notwendig Ding ist, das man nicht entbehren und gut christlich brauchen kann, besonders in den Dingen, die zum täglichen Bedarf und in Ehren dienen. […] Aber der ausländische Kaufhandel, der aus Indien und dergleichen Ware herbringt (wie solch kostbares Seiden- und Goldwerk und Gewürz), die nur zur Pracht und keinem Nutzen dient […] sollte nicht zugelassen werden […]. Wir wollen hier von Mißbrauch und Sünden des Kaufhandels reden, soweit es das Gewissen betrifft. […] Erstens haben die Kaufleute unter sich eine allgemeine Regel, […] daß sie sagen: Ich darf meine Ware so teuer geben, wie ich kann. Das halten sie für ein Recht, da ist dem Geiz der Raum gemacht und der Hölle alle Tür und Fenster aufgetan. […] 56 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="57"?> 87 M. Luther: Von Kaufshandlung und Wucher, in: Werke, Bd. 7, hrsg. v. K. Aland, Göttingen 1991, S.-264-269. Es sollte nicht so heißen: Ich darf meine Ware so teuer geben, wie ich kann oder will, sondern so: Ich darf meine Ware so teuer geben, wie ich soll, oder wie es recht und billig ist. Denn dein Verkaufen soll nicht ein Werk sein, das frei in deiner Macht und Willen ohne alles Gesetz und Maß steht, als wärest du ein Gott, der niemand verbunden wäre. Sondern weil solches dein Verkaufen ein Werk ist, das du gegen deinen Nächsten übst, soll es durch solch Gesetz und Gewissen begrenzt sein, daß du es ohne Schaden und Nachteil deines Nächsten übst. Und du sollst viel mehr acht darauf haben, wie du ihm nicht Schaden tust, als wie du Gewinn davon trügest. […] Da fragst du dann: Ja, wie teuer soll ichs denn geben? Wo treffe ich das Recht und die Billigkeit, daß ich meinen Nächsten nicht übervorteile oder überteure? Antwort: […] Nun ists aber billig und recht, daß ein Kaufmann an seiner Ware so viel gewinne, daß seine Kosten bezahlt, seine Mühe, Arbeit und Gefahr belohnt werde. […] Wo aber die Ware nicht festgesetzt noch gang und gäbe ist und du sie zum ersten festsetzen sollst und mußt, hier kann man wahrlich nicht anders lehren, man muß es deinem Gewissen anheimstellen, daß du zusehest und deinen Nächsten nicht übervorteilest, und nicht den Geiz, sondern deine ausreichende Nahrung suchest. […] Darum mußt du dir vornehmen, nichts als deine ausreichende Nahrung in solchem Handel zu suchen, danach Kosten, Mühe, Arbeit und Gefahr rechnen und überschlagen, und alsdann die Ware selbst festsetzen, (im Preis) steigern oder erniedrigen, auf daß du solcher Arbeit und Mühe Lohn davon habest. […] Dementsprechend berechne, wieviel Tage du an der Ware, sie zu holen und zu erwerben dich gemüht, und wie große Mühe und Gefahr du darin ausgestanden habest. Denn große Mühe und viel Zeit(verlust) soll auch desto größern und mehr Lohn haben. Näher und besser und bestimmter kann man in dieser Sache nicht reden noch lehren. […]“ 87 2.7 Christliche Handelslehre vom „gerechten Preis“ (Martin Luther) 57 <?page no="58"?> 88 Vgl. B. Lohse: Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk, 3. Aufl., München 1997, S.-151. 89 Leitherer (1961), S.-32. Abb. 2.11: Wucher und Fürkauf. | [11] Der Theologe Lohse sieht in Luthers Hauptwerk Von Kaufshandlung und Wu‐ cher zwar ein Zeichen für Luthers sozialpolitisches Interesse, kritisiert aber, dass dessen Vorschläge nicht auf einer näheren Kenntnis der wirtschaftli‐ chen Zusammenhänge basieren, wie sie damals schon durchaus bekannt gewesen seien. 88 Zu anderer Auffassung gelangt Leitherer: „Dieses kleine Buch ist aber noch das bedeutendste und überlegteste Schriftwerk unter der ganzen Literatur der Reformationszeit über den Handel, in welchem eine gewisse theoretische Analyse (auf dem Gedankengut der Scholastik fußend) enthalten ist.“ 89 58 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="59"?> 90 L. Meder: Handel-Buch, Nürnberg: Vom Berg und Neuber 1558. 91 Löffelholz (1935), S.-211. 92 Vgl. Löffelholz (1935), S.-210 u. Leitherer (1961), S.-35. 93 Vgl. Weber (1914), S.-4. 2.8 Die Enthüllung „verborgener Künste“ (Lorenz Meder) Als im Jahre 1558 - vierunddreißig Jahre nach dem Erscheinen von Luthers Schrift Von Kaufshandlung und Wucher - der Nürnberger Kaufmann Lorenz Meder sein „Handel Buch“ 90 veröffentlichte, muss dies für den Kaufmanns‐ stand ein ungeheuerlicher Vorgang gewesen sein, denn „man fasste es als ei‐ nen Verrat kaufmännischer Geschäftsgeheimnisse auf, wenn ein Kaufmann etwas über handelskundliche Dinge veröffentlichte.“ 91 Ob Meders Hinweis in der Vorrede, dass etliche seiner Freunde ihn um diese Publikation gebeten hätten, ihn tatsächlich vom Verdacht des Verrats entlasteten, erscheint fraglich. Immerhin weist er selbst darauf hin, er schreibe von „verborgenen Künsten so bishero noch nie an den tag kommen und von niemands biß auff diese stund klerlich durch den Truck an den tag gegeben worden sein“. Die Gründe, ein solches kaufmännisches Handbuch trotzdem zu verfassen, müssen für Meder also schon schwerwiegend gewesen sein. In den deut‐ schen Landen herrschte damals ein völliges Durcheinander an vielfältigen Maßen, Gewichten, Münzen und Zolltarifen. Erschwerend kamen noch die schlechten Transportverhältnisse, die verschiedenen Handelsbräuche und unterschiedliche örtliche Gebräuche im Wechsel- und Zahlungsverkehr hinzu. Wegen des Mangels an Informationsquellen schrieben die Kaufleute daher zum eigenen Gebrauch sämtliche den Geschäftsbetrieb betreffende Informationen, Erfahrungen, Kenntnisse und Hinweise feinsäuberlich in ein Notizbuch nieder, das zunächst wohl lediglich dazu diente, sich selbst besser zurechtfinden zu können. Später wurde aus diesem Notizbuch ein richtiges Geschäftsbuch, um den Erfahrungsschatz an den Nachwuchs und die Geschäftspartner weitergeben zu können. 92 Insofern handelt es sich bei diesen Schriften um „Winke aus der Praxis für die Praxis“; eine systematische, wissenschaftliche Stoffbehandlung lag den Verfassern fern. 93 Auch Meders „Handel Buch“ soll, wie der Verfasser in der Vorrede schreibt, „den grossen Hendlern und kauffleuten behilflich und gefellig sein“. Es könne genutzt werden „gleich wie ein Register, handbuch, Wegweyser und anleytung in alle Hendel, kauff und rechenschafften etc.. Dann es zeygt und lehret was der gebrauch, nit allein in Teutschen, sonder auch aller 2.8 Die Enthüllung „verborgener Künste“ (Lorenz Meder) 59 <?page no="60"?> 94 Vgl. Weber (1914), S.-25ff. 95 Ebd., S.-31. 96 Ebd., S.-25/ 26. anderer lender, Jahrmärckten handlen seye, Was für unkosten aufs jede Wahren gehen, Wie sich allerley Münzen, Eln, Massen, Gewichten etc. gegeneinander vergleychen. Mit allerley vortheylen in Wechsseln und was dergleychen stücken mehr sind, dadurch jeder gnugsamen bericht seines handels erfaren mag.“ Die literaturwissenschaftliche Nachforschung Webers hat ergeben, dass Meders gedrucktem „Handel Buch“ von 1558 ältere Handschriften von 1511 und 1538 zugrunde liegen, deren Verfasser Lorenz Meders Vater gewesen sein soll. 94 Der Hauptunterschied zwischen dem „Handel Buch“ und den Schriften des Vaters bestünden vor allem in der Gliederung: „In der älteren Arbeit ist alles nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet, während in den jüngeren die geographische Einteilung nach Ländern oder Handelsplätzen gewählt ist.“ 95 Dass gerade die ältere Schrift, die Vorarbeit zum „Handel Buch“, sachlich gegliedert war, ist bemerkenswert, denn eine solche Form ist die Voraussetzung für eine wissenschaftliche Herangehensweise. Aufgrund der sachlich-systematischen Einteilung der älteren Schrift gelangt Weber zu der Beurteilung, „daß das Werk trotz seines hervorragend praktischen Zweckes auch auf einer für diese Zeit überraschenden wissenschaftlichen Höhe steht.“ Der Inhalt sei seiner Ansicht nach „eine privatwirtschaftliche internationale Handelskunde und somit ein früher Vorläufer von Hellauers ‚Welthandelslehre‘, im weiteren Sinne auch der Handelungswissenschaft und der späteren Handelsbetriebslehre.“ 96 Diese Feststellung Webers ist äußerst bemerkenswert, da in der Literatur die Auffassung vorherrscht, dass wissenschaftliche Ansätze, wenn überhaupt, erst rund hundert Jahre später in dem Werk des Italieners Giovanni Domenico Peri erkennbar sind. 2.9 Versuch einer systematischen Lehre vom Handel (Giovanni D. Peri) Den Abschluss der ersten Entwicklungsstufe betriebswirtschaftlichen Den‐ kens bildet das Werk „Il Negotiante“ (1639) des Genuesen Giovanni Dome‐ nico Peri (1590-1666). Es ist die letzte bedeutende kommerzienkundliche Publikation der Renaissance, gilt aber zugleich auch als die erste handels‐ wissenschaftliche Schrift im Sinne des Merkantilismus. Sein Werk ist von 60 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="61"?> 97 Vgl. E. Sundhoff: Dreihundert Jahre Handelswissenschaft, Göttingen 1979, S.-22ff. 98 Zur Inhaltsangabe vgl. insbesondere Weber (1914), S. 9-12 und Löffelholz (1935), S. 215f. 99 Löffelholz (1935), S.-216. 100 Bellinger (1967), S.-30. Abb. 2.12: Giovanni Dome‐ nico Peri. | [12] Bedeutung, weil es auf der Schwelle zu einer höheren Entwicklungsstufe der Betriebswirtschaftslehre steht, den Übergang bildet von der Kommer‐ zienkunde zu Merkantilwissenschaft. 97 Dieser Dualismus spiegelt sich im Inhalt des Buches wider, der sowohl auf Peris persönlichen praktischen Erfahrungen und Kenntnissen der Geschäftspraxis beruht als auch auf seinen philosophischen, theologischen und juristischen Studien. Die Venediger Ausgabe des „Il Negotiante“ von 1682 umfasst rund 700 Seiten; der Inhalt 98 gliedert sich in vier Teile: Im ersten Teil spricht Peri u. a. über den Ursprung der Kaufleute, von dem Rechnen mit arabischen Ziffern, dem Latein, dem Briefschreiben, der Buchführung sowie den Aufgaben und Tätigkeiten des Kassierers und des Korrespondenten. Ein Schwerpunkt liegt auf den rechtlichen Aspekten der Geschäftstätigkeit. So erläutert Peri ausführlich die Wechselangelegenheiten und gibt Beispiele für richtige Vertragsabschlüsse. In dem Zusammenhang liefert er auch Hinweise zu den Handelsbräuchen an der berühmten Messe von Besançon. Der erste Teil behandelt im Wesentlichen die „innerbetriebliche Problematik“ 99 , den „organisatorischen Aufbau und Ablauf eines Wirtschaftsbetriebes“ 100 . Der zweite Teil, der sich ausführlich mit der Handelsverkehrslehre befasst, beginnt zunächst mit einer Einleitung über die „wahren“ Kauf‐ leute und ihre Eigenschaften. Anschließend werden Verkäufe gegen bar und auf Ziel sowie die dazugehörige Korrespondenz und Buchhal‐ tung erläutert. Es folgen Ausführungen über kaufmännische Rechtsgutachten und Schieds‐ sprüche (sie hatten damals bei Konflikten zwi‐ schen den Kaufleuten eine große Bedeutung), über den Zins und wiederum über den Wech‐ sel. Dabei geht Peri zugleich auf die Kurse an verschiedenen Handelsplätzen ein; und er be‐ schreibt auch diese Plätze nach Lage, Handel und Gewerbe. Des Weiteren befasst Peri sich mit dem Messe- und mit dem Transportwesen, insbesondere mit der Schifffahrt. 2.9 Versuch einer systematischen Lehre vom Handel (Giovanni D. Peri) 61 <?page no="62"?> 101 W. Sombart: Der moderne Kapitalismus, Bd. II/ 1, 2. Aufl., München/ Leipzig 1916, S. 522. 102 Ebd., 523. 103 Vgl. Weber (1914), S.-11. Im dritten Teil wird ausführlich die doppelte Buchführung behandelt. Nach Ausführungen zu den Themen Zins, Geld und Frachtgeschäft kommt Peri abermals auf den Wechsel, sein (wie Weber es nennt) „Lieblingsthema“, zu sprechen. Doch erscheint es etwas zu naiv, den von Peri so häufig thematisierten Wechsel einfach als „Lieblingsthema“ abzutun. Bei kritischer Betrachtung würde die betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Bedeutung des Wechsels zu der damaligen Zeit ins Auge fallen, auf die z. B. Sombart hinweist: Der Kreditwechselverkehr, der wegen des damaligen Wucherproblems von großer (juristischer) Bedeutung war, beherrschte die gesamte frühkapitalistische Epoche. Er „spielte sich vom 15. Jahrhun‐ dert […] bis zum Ende des 17. und, allmählich verschwindend, bis ins 18. Jahrhundert hinein auf einigen ,Weltmessen‘ ab, die ursprünglich auch Warenmessen gewesen waren, im Laufe des 16. Jahrhunderts sich aber in reine Wechselmessen umwandelten.“ 101 Die bedeutendsten Messen dieser Art waren Lyon, Antwerpen und Besançon. Diese Messeplätze wurden von den genuesischen Kaufleuten, zu denen auch Peri zählte, gewählt „im Hinblick auf das kanonische Wucherrecht, das den Wechsel nur zuließ, wenn er auf einen anderen Ort als den Wohnort des Ausstellers lautete.“ Eine genaue Kenntnis war also unabdingbar nicht nur für die Durchführung von Warengeschäften, sondern vielmehr von Finanztransaktionen. „Die Funktion jener Wechselmessen bestand darin, eine Vermittlungsstelle für den Leiheverkehr zwischen den verschiedenen europäischen Ländern zu bilden, insbesondere aber die Aufnahme der großen Anleihen der Fürsten und Staaten zu erleichtern.“ So verwundert es auch nicht, dass Peri, wie Sombart bemerkt, „die beste Beschreibung der Vorgänge auf diesen Messen liefert“ 102 . Wie Weber bemerkt, mache der vierte Teil „mit seinem buntscheckigen Inhalt“ den „Eindruck einer Nachlese“. Zu den vielfältigen Themen, die hier behandelt werden, gehören z. B. die Notwendigkeit und Nützlichkeit des Handels, die Eigenschaften und Kenntnisse des Kaufmanns, Kontokorrente, Partizipationen, Wechselzahlungen, Versicherungen, Prokuren, Quittungen. Zumeist handelt es sich bei den Ausführungen zu diesen Themen lediglich um Ergänzungen und Erweiterungen der vorangegangenen Kapitel. 103 62 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="63"?> 104 Sombart (1916), S.-426. 105 Leitherer (1961), S.-41. 106 Vgl. ebd., S.-41f. 107 Bellinger (1967), S.-31. Dieser methodischer Mangel mag wohl auch den Anstoß gegeben haben zu Sombarts Kritik, wonach Peris Werk ein „ein ziemlich konfuses, schlecht disponiertes Sammelsurium aller möglichen Lehren“ 104 sei. Diese Auffas‐ sung hält auch Leitherer für „nicht ganz unberechtigt“, denn Peri versuche, „neben einer systematischen Lehre vom Handel […] auch den Inhalt eines Handbuches“ (Münze, Maße, Gewichte, geographische Beschreibungen usw.) zu bringen; und diese „Fülle der Tatsachenbeschreibungen sprengt die Geschlossenheit der Darstellung“ 105 . Diese „kunterbunte Stoffanordnung“ bzw. methodische Schwäche habe nach Leitherer wohl nicht nur die Lektüre des Werkes und seinen praktischen Nutzen erschwert, sondern auch dessen literaturgeschichtliche Wirkung verhindert. 106 Leitherer charakterisiert die Methodik im Werk Peris, die dadurch gekennzeichnet sei, dass die Theorie zugunsten der moralischen Belehrung und der Vermittlung praktischer Dinge in den Hintergrund trete, zusammenfassend mit den Worten: „Faust‐ regeln und gute Lehren.“ Trotz dieser methodischen Mängel sollte die Leistung Peris nicht abschätzig beurteilt werden. So gelangt Bellinger sogar zu einem positiven Urteil, wenn er die damals herrschenden schwierigen Arbeitsbedingungen und Anforderungen, die an Wissenschaftler gestellt wurden, berücksichtigt: „In dieser Situation waren die damaligen Arbeiten durchaus von wissenschaftlichem Erkenntniswert, zumal das Ausgangsma‐ terial und die wissenschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten der Autoren eine bessere Bearbeitung kaum zuließen. Unter diesen Umständen war es auch richtig, das Ausgangsmaterial für eine theoretische Einsicht wiederzugeben und nach der eigenen theoretischen Arbeit bewährte Sondererfahrungen insoweit festzuhalten, als sie späteren theoretischen Arbeiten anderer Au‐ toren vielleicht nützlich sein könnten.“ 107 Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt auch Sundhoff, wenn er schreibt, dass „von Peri zunächst einmal die Bausteine bereitgestellt [wurden], deren man zum weiteren Ausbau der Handelswissenschaft bedurfte.“ Und trotz aller Vorbehalte gegenüber der Kommerzienkunde sei festzuhalten, „daß sie als Vorläuferdisziplin für die moderne Betriebswirtschaftslehre eine nicht unerhebliche Bedeutung besitzt. Ohne ihre Vorarbeit wäre jedenfalls die sie im 17. Jahrhundert ablö‐ sende Merkantilwissenschaft nicht möglich gewesen. Weder der eigentliche 2.9 Versuch einer systematischen Lehre vom Handel (Giovanni D. Peri) 63 <?page no="64"?> 108 Sundhoff (1979), S.-24/ 25. Begründer der Handelswissenschaft, der Franzose Jacques Savary, noch sein Übermittler und Verbreiter in Deutschland, Paul Jacob Marperger, hätten ihr Lebenswerk zu vollbringen vermocht, wären sie nicht in der günstigen Situation gewesen, auf die italienischen Autoren und insbesondere Peri zurückgreifen zu können.“ 108 ➲ Zusammenfassung ■ Altertum: Im 4. Jahrtausend v. Chr. kommt es in Mesopotamien zur urbanen Revolution: Dörfliche Strukturen, die bis dahin das Wirt‐ schaftsleben geprägt haben, müssen durch neue Organisationsformen ersetzt werden. Vorgaben der Produktionsleistung, der Distributionsor‐ ganisation sowie der Umverteilung des Volkseinkommens erfordern die Dokumentation von Vermögen, Schulden und Warenbeständen. Dies geschieht zunächst durch Einkerben in Tonscherben, später durch Symbole, die Auskunft über Warenart und Menge geben. Seit ca. 3000 v. Chr. entwickeln sich Schrift und Zahlen. Dadurch werden die Geschäftsvorfälle erstmals abstrakt dokumentiert und rechenbar gemacht. Diese ältesten Buchhaltungsaufzeichnungen lassen sich als ein Managementinstrument altorientalischer Planwirtschaft begreifen. ■ Antike: Die vorherrschende Wirtschaftsweise ist die Oikos-Wirtschaft. Sie ist die zentrale Organisationsform der Produktion, Distribution und Konsumtion von Gütern. ■ Im Rahmen der Lehre vom Oikos setzen griechische Philosophen (z. B. Aristoteles, Xenophon) und römische Schriftsteller (z. B. Cato) sich mit betriebswirtschaftlichen Fragen auseinander. Aus dem Bemü‐ hen, die Versorgung mit Lebensnotwendigem zu bewältigen, entsteht eine Lehre von der Ökonomie. Im Oikos sehen die Philosophen jene Form der Betriebswirtschaft, die der menschlichen Gesellschaft ent‐ spricht. ■ Der Begriff Ökonomie setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern Oikos (= Haus, Haushalt, Betrieb) und Nomos (= Gesetz, Regel). ■ Im Mittelalter nehmen arabische Kaufleute mit ihrer Mittlerfunktion zwischen China und Europa eine herausragende Stellung ein. Sie be‐ herrschen die wichtigsten Handelswege (z. B. die Seidenstraße). Ihr 64 2 Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens <?page no="65"?> Handelsnetz macht sie zu einer Wirtschaftsmacht. Aus der Blütezeit des arabischen Handels stammt eine der ältesten Schriften über den Handel. Dieses „arabische Kaufmannsbuch“ wird vermutlich im 11./ 12. Jahr‐ hundert von Alī ad-Dimišqī in Damaskus verfasst. Es trägt den Titel: „Das Buch des Hinweises auf die Schönheiten des Handels und die Kenntnis der guten und schlechten Waren und die Fälschungen der Betrüger an ihnen“. ■ Im 13.-Jahrhundert versucht Thomas von Aquin, die christliche Lehre mit der Wissenschaftsauffassung des Aristoteles in Einklang zu bringen. Thomas entwickelt sittliche Grundsätze, die es dem Menschen ermögli‐ chen sollen, sich in wirtschaftlichen Angelegenheiten zurechtzufinden. ■ In Folge der kommerziellen Revolution im 13./ 14.-Jahrhundert (z.-B. Schriftlichkeit, Kredit-, Verkehrs- und Messewesen) bilden sich im Spätmittelalter frühkapitalistische Strukturen im Handel heraus. ■ Luca Pacioli stellt 1494 in seiner „Summa“ als erster das System der Doppelten Buchhaltung vor. Für die Entwicklung der BWL ist diese wissenschaftliche Leistung von unschätzbarem Wert. ■ Martin Luthers ökonomische Ansichten (z. B. vom gerechten Preis) sind ethisch-religiös geprägt. In seinen Schriften richtet er sich gegen den Missbrauch menschlicher Arbeit zu Profitzwecken, gegen den Wucher, Zins, Luxus sowie den aufkommenden Handelskapitalismus. ■ 1558 veröffentlicht der Nürnberger Kaufmann Lorenz Meder sein „Han‐ del Buch“, ein praktisches Handbuch und Nachschlagewerk für Kauf‐ leute. ■ 1639 erscheint das Werk „Il Negotiante“ von Giovanni Domenico Peri. Es ist die letzte bedeutende handelskundliche Publikation der Renaissance. Sie bildet den Übergang von der Kommerzienkunde zu Merkantilwissenschaft. ➲ Zusammenfassung 65 <?page no="67"?> 109 Vgl. Löffelholz (1956), Sp. 977. 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675- 1804) Während noch bis in das ausgehende Mittelalter das Ziel eines Unter‐ nehmers darin bestand, dem Prinzip der standesgemäßen Nahrung zu folgen und einen lediglich angemessenen Gewinn für seinen Unterhalt zu erwirtschaften, galt dies spätestens ab dem 16. Jahrhundert nicht mehr. Die festgefügte mittelalterliche Sozialordnung war zusammengebrochen, und der Reichtum wurde zum Ziel des wagemutigen Kaufmanns. 109 Die Wirtschaft nach 1500 war gekennzeichnet durch Aufbruch und Dynamik: Eroberungen in der Neuen Welt, Entdeckungen neuer Handelswege und Märkte, Innovationen im Handels- und Gewerbesektor sowie eine verbes‐ serte Kapitalwirtschaft durch den Aufschwung der Börsen und innova‐ tive Finanzinstrumente bildeten beste Voraussetzungen für wagemutige, gewinnorientierte Kaufleute. Als im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts die internationalen Handelsverflechtungen zunahmen, wuchs auch das Interesse europäischer Staaten, ihre wirtschaftliche Entwicklung aktiv zu fördern und diese für die eigene politische Vorherrschaft zu nutzen. Hierzu musste vor allem die Staatskasse gefüllt werden, um den Finanzbedarf für die Kriegs- und Handelsflotten sowie einen wachsenden Beamtenapparat decken zu können. Die in Europa vorherrschende Wirtschaftstheorie und Staatswirtschafts‐ politik in der Phase des Frühkapitalismus, die vom Beginn des 17. bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts reicht, wird allgemein als Merkantilismus bezeichnet. In Frankreich wurde hierfür auch der Begriff Colbertismus verwendet - benannt nach seinem bedeutendsten Vertreter Jean-Baptiste Colbert (1619-1683); und in Deutschland bildete sich infolge des Dreißig‐ jährigen Krieges eine eigene Spielart heraus: der Kameralismus. Macht und Reichtum eines Landes, so die merkantilistische Auffassung, werde bestimmt durch die Menge an Gold und Silber. Um diese zu erhöhen, nutzten z. B. die Spanier die Möglichkeit, ihre Kolonien in Lateinamerika auszuplün‐ dern. Die englischen Merkantilisten erkannten hingegen die Vorteile des Handels. Durch eine Ausweitung der Exporte sollten mehr Edelmetalle in das Land fließen. Eine Beschränkung der Importe - z.B. durch Zölle <?page no="68"?> 110 Zit. n. Penndorf (1951), S.-9. - sollte dagegen den Abfluss des Geldes ins Ausland verhindern und so dem Schutz der inländischen Wirtschaft dienen (→ Abb. 3.1). Demgemäß rückte der bedeutendste englische Merkantilist Thomas Mun (1571-1641) die Forderung nach einer aktiven Handelsbilanz und einer Maximierung des Handelsbilanzüberschusses in den Vordergrund. Da Deutschland kein Nationalstaat war, sondern aus einem „Flickenteppich“ an Fürstentümern bestand, hatte hier der Außenhandel nicht den Stellenwert wie in England. Zudem stand nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges der Wiederaufbau der deutschen Lande im Vordergrund. Um den Finanzbedarf durch Steuer‐ einnahmen decken zu können, förderten die deutschen Herrscher nicht nur Handel und Gewerbe, sondern errichteten auch selbst großgewerbliche Betriebstypen wie Manufakturen und Verlage. Die Herrscher erkannten den Vorteil des Unternehmertums für ihre (politischen) Zwecke; und so wurde dem Kaufmann auch zugestanden, dass seine unternehmerische Tätigkeit auf Gewinnmaximierung gerichtet ist. So heißt es 1758 bei dem deutschen Nationalökonomen und Kameralisten Johann Heinrich Gottlob Justi (1717- 1771): „Der einzige Endzweck des Kaufmanns ist der Gewinnst, den man ihm in Ansehung des Nutzens, den er dem Staate leistet, der Gefahr, der Mühewaltung […] wohl gönnen kann.“ 110 Abb. 3.1: Das Zollhaus in London. | [13] 68 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="69"?> 111 Neben Chemie, Medizin und Theologie studierte Becher auch Staatswirtschaftslehre in Mainz. Abb. 3.2: Johann Joachim Be‐ cher. | [14] Ein weiterer deutscher Merkantilist, der hier kurz vorgestellt werden soll, war Johann Joachim Becher (1635-1682). Als Universalgelehrter und Öko‐ nom 111 lieferte er einige Erkenntnisse, die der Handelswissenschaft dienlich waren. Diese gewann er überwiegend aus seinen vielen praktischen Tätig‐ keiten für unterschiedliche Herrscher. Im Jahre 1660 wurde er Hofrat und Mitglied des Kommerzienkollegiums in Wien, wo er Pläne für Manufakturen entwarf und sich für die Errichtung einer österreichisch-indischen Handels‐ gesellschaft einsetzte. Nachdem er in Ungnade gefallen war, musste er Wien verlassen und lebte seit 1662 in München, wo er eine Seidenmanufaktur gründete, sowie in Würzburg, Haarlem und London, wo er sich vor allem mit großen Bergwerksunternehmungen beschäftigte. Ab 1664 wandte er sich ausschließlich der praktischen Kameralistik zu und war darum bemüht, neue Manufakturen anzusiedeln, wie z. B. eine Glashütte und eine Seidenmanu‐ faktur. Ab 1666 war Becher der Wirtschaftsberater Kaiser Leopolds I. in Wien und übte starken Einfluss auf dessen Wirtschafts- und Handelspolitik aus. Auch hier wurde auf sein Betreiben hin eine Seidenmanufaktur gegründet, die jedoch - wie so viele seiner Projekte - hohe Kosten verursachte und nicht rentabel war. Schon kurze Zeit später kehrte Becher nach München zurück, wo er seine Hauptwerke, den „Politischen Discurs“ und den „Moral Discurs“, verfasste. Im „Politischen Discurs“ (1668), liefert Be‐ cher eine Analyse der soziologischen Struktur der Wirtschaft. Er identifiziert die drei Stände Bauern, Handwerker und Kaufleute und be‐ stimmt diese näher. Wirtschaft und Staat stel‐ len für ihn eine Einheit dar, eine „volkreiche, nahrhafte Gemein“, die zum Ziel habe, die Be‐ völkerungszahl zu erhöhen. Denn auch Becher geht, wie überhaupt die Merkantilisten, von dem Grundsatz aus, dass die Macht des Staa‐ tes mit steigender Bevölkerungszahl zunimmt. Dem Staat komme daher die wichtige Aufgabe zu, sowohl für die Ernährung als auch für die Beschäftigung der Bevölkerung Sorge zu tra‐ 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) 69 <?page no="70"?> 112 Vgl. J. J. Becher: Politischer Discurs, Frankfurt 1668, S.-29-30. 113 Vgl. G. Kolb: Geschichte der Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl., München 2004, S.-30. gen. Becher identifiziert und analysiert jene Faktoren, die der Erreichung dieses Zieles im Wege stehen: Eine Gefahr sieht er insbesondere in der Bildung von sogenannten Monopolien, Polypolien und Propolien. „Ein Mo‐ nopolium besteht darin, wann ein Glied in der Gemeinschaft das allein hat in Nahrung, woran sonsten in der Gemeinde viele andere leben können.“ Unter einem Polypolium versteht Becher ein Überangebot bzw. einen rui‐ nösen Wettbewerb, denn es teilten sich zu viele, „wovon nur etliche leben können“. 112 Mit dem Begriff Propolium bezeichnet er verschiedene Formen des unerwünschten Wettbewerbs, wie Preisabsprachen oder auch - wie wir heute sagen - Dumpingpreise, die zum Ziel haben, die Konkurrenz auszuschalten. Mit dieser einfachen Marktformenlehre möchte er her‐ ausfinden, wie man Störungen des Marktes verhindern bzw. das Funktio‐ nieren des Marktes gewährleisten kann. Als Abwehrmaßnahmen gegen diese Störungen regte Becher eine staatliche Reglementierung des Han‐ dels (z. B. staatliche Preisregulierung, Zusammenschluss von Unterneh‐ men in Kompagnien) und eine Beaufsichtigung des Zunftwesens an und setzte sich für die Einrichtung von Ankaufstellen ein. Durch die Grün‐ dung von Manufakturen sollte der Import ausländischer Waren be‐ grenzt werden. Wie alle Merkantilisten sträubte er sich gegen die Einfuhr ausländischer Waren, da dies mit einer Ausfuhr von Geld einherging. Die Koordination der von ihm vorgeschlagenen wirtschaftspolitischen Maß‐ nahmen sollte durch ein Kommerzienkolleg erfolgen. Unter den Kameralisten nimmt Becher eine herausragende Stellung ein. Er leistete als Erster Vorarbeiten zu Fragen der Marktformen, der Konzentra‐ tion und des Wettbewerbs sowie zur Beschäftigungspolitik. Kolb zählt Becher „zu den wirklich originellen Köpfen des Kameralismus“. Beispielsweise habe er „als erster den Terminus des Polypols in die Wirtschaftslehre eingebracht und außerdem auf Entartungserscheinungen des Wettbewerbs aufmerksam gemacht, die später bei der Entstehung der Marktformenlehre wieder aufgegriffen wurden.“ Außerdem entwickelte er neue Betriebsformen im Handel. 113 Neben diesen Nationalökonomen traten auch die ersten handlungswis‐ senschaftlichen Schriftsteller auf den Plan, die sich mit einzelwirtschaft‐ lichen bzw. betriebswirtschaftlichen Fragen und Problemen auseinander‐ setzten. Von einer wissenschaftlichen Behandlung könne nach Seÿffert erst 70 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="71"?> 114 Vgl. Seÿffert (1971), S.-36. 115 Sombart (1914), Bd. II, S.-426. 116 Nach Ansicht Sombarts (1916, S. 428) sind die nachfolgend genannten deutschen Werke den französischen, holländischen und englischen Schriften zumindest in pädagogischer Hinsicht überlegen. von dem Augenblick an gesprochen werden, „in dem versucht wird, das Leben der kaufmännischen Betriebe vollständig und in geordneter und begründeter Form zu erfassen.“ 114 Der erste, dem dieses in richtunggebener Form gelungen sei, ist der Franzose Jaques Savary. Mit ihm lassen sowohl Weber als auch Seÿffert die Epoche der systematischen Handlungswissen‐ schaft beginnen. Werner Sombart ist davon überzeugt: Wer dieses Buch „nicht gründlich kennt, weiß nicht, wie es in der Geschäftswelt um die Wende des 17.-Jahrhunderts ausschaute.“ 115 Die besten deutschen Lehrbücher 116 dieser Zeit sind nach der Auffassung Sombarts neben den Schriften Paul Jacob Marpergers die folgenden: ■ Gottfried Christian Bohn: Wohlerfahrener Kaufmann (1727), ■ Carl Günther Ludovici: Grundriss eines vollständigen Kaufmanns-Systems (1756), ■ Johann Carl May: Versuch einer Einleitung in die Handlungswissenschaft (1763), ■ Johann Heinrich-Jung: - Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungswissenschaft (1785) und ■ Johann Michael Leuchs: System des Handels (1804). Mit der Nennung dieser deutschen Autoren folgt Sombart der Literaturge‐ schichtsschreibung Webers, auf den sich auch die Epochenbezeichnung der systematischen Handlungswissenschaft zurückführen lässt und die sich in der Literatur weitgehend durchgesetzt hat. So lässt z. B. auch Seÿffert sein Kapitel „Die Zeit der Systematischen Handlungswissenschaft“ mit Savary beginnen und mit Leuchs enden. Somit umfasst diese Epoche den Zeitraum von 1675 bis 1804. Bezüglich der Periodisierung weist Leitherer darauf hin, dass eine Einteilung in Epochen schwierig sei, da deren Grenzen nicht als Zäsuren aufgefasst werden dürfen. Die Literatur dieser Zeit habe immer noch das Ziel verfolgt, den praktischen Kaufmann zu informieren. Obwohl die wissenschaftliche Absicht in dieser Epoche stärker hervortrete, herrsch‐ ten immer noch Rezepte und Moralanweisungen vor. Wissenschaftliche 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) 71 <?page no="72"?> 117 Vgl. Leitherer (1961), S.-47. 118 Eine sehr gute Darstellung von Leben, Werk und Wirkung des Jacques Savary liefert Sundhoff (1979), S. 27-46. Hier findet sich m. E. eine der besten Lebensbeschreibungen (S. 30-32), zu der auch weitere Literaturhinweise gegeben werden. Die mir bekannte umfangreichste und beste Inhaltsangabe des „Parfait Négociant“ ist die von Weber (1914), S.-15-23. 119 K. Schwantag: Betriebswirtschaftslehre (I): Geschichte, in: Handwörterbuch der Sozi‐ alwissenschaften, Bd. 2, hrsg. von Erwin v. Beckerath et al., Stuttgart et al. 1959, S. 114. Abb. 3.3: Jaques Savary. | [15] Einsichten seien eher ein Nebenprodukt des praktischen Zwecks. So sei auch bei Savary das wirklich Neue in seinem Werk, mit dem die Epoche der systematischen Handlungswissenschaft eingeleitet wird, in der Systematik der Stoffanordnung zu sehen. 117 3.1 „Le Parfait Négociant“ oder „Der vollkommene Kauff- und Handels-Mann“ (Jaques Savary) Jaques Savary (1622-1690) war ein französischer Kaufmann, Verwaltungs‐ beamter und Berater von Colbert, dem Wirtschaftsminister Ludwigs XIV. 118 Savary gilt nicht nur als der Gründervater der französischen Handelsge‐ setzgebung, er verfasste auch das bedeutendste handelswissenschaftliche Werk des 17./ 18. Jahrhunderts, „welches mit weiteren Auflagen ein ganzes Jahrhundert die einschlägige Literatur stark beeinflußt hat.“ 119 Bis zu seinem Tode war er schriftstelle‐ risch tätig, bekleidete zahlreiche Ämter und diente drei Finanzministern als Wirtschafts‐ berater. Savary entstammt einer Familie, die im 15. Jahrhundert auf Vorrechte des Adels verzichtete, um ein Handelsgewerbe ausüben zu dürfen. Nach dem Tode des Vaters wurde der junge Jacques zu seinem Onkel, einem angesehenen Kaufmann, nach Paris geschickt, um ihn dort getreu der Familientradition zum Kaufmann ausbilden zu lassen. Die Ausbildung war breit angelegt und umfasste neben der Lehre in einer sehr vornehmen Großhandelsgilde auch Tätigkeiten bei einem Anwalt und einem Notar. Nachdem Savary als Kaufmann im Tuchgroßhandel in kurzer Zeit zu großem Wohlstand gekommen war, zog er sich von den Handelsgeschäften zurück, um ein öffentliches Amt zu 72 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="73"?> 120 Vgl. Sundhoff (1979), S.-33. 121 Ebd., S.-36. 122 Weber (1914), S.-22. bekleiden. Bereits kurze Zeit später bekleidete er eine hohe Position in der Gesellschaft zur Verwaltung der königlichen Domänen. Zwar verlor er dieses Amt später, doch es dauerte nicht lange, bis er wieder in den Dienst des Königs trat. Seit 1667 arbeitete Savary in der Staatskanzlei, wo Col‐ bert - Merkantilist und Wirtschaftsminister Ludwigs des XIV. - auf ihn aufmerksam wurde. Savarys anschließende Gutachter- und Beratertätig‐ keit war so erfolgreich, dass er schließlich von Colbert in das Conseil de Réforme berufen wurde, welches die Aufgabe hatte, ein einheitliches fran‐ zösisches (Handels-)Recht zu erarbeiten. Das Ergebnis war ein Handels‐ gesetzbuch, auf das Savary einen solch großen Einfluss hatte, dass es auch „Code Savary“ genannt wurde. Sowohl dieses Handelsgesetzbuch, die „Ordonnance de Commerce“ von 1673, als auch das zwei Jahre später von Savary veröffentlichte handelswissenschaftliche Werk „Le Parfait Négo‐ ciant“ sind eng miteinander verknüpft und vor dem Hintergrund der mer‐ kantilistischen Wirtschaftspolitik, des Colbertismus, zu verstehen: Col‐ bert und Savary verfolgten das Ziel, durch Ausbildungsförderung den Kaufmannsstand leistungsfähig zu erhalten, sein Ansehen im In- und Ausland zu heben sowie insbesondere durch die Vereinheitlichung des Handelsrechts den Handelsverkehr zu erleichtern. 120 „Es genüge nicht nur, betonte Savary, daß der Handel ein auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Recht besitze; um ihn wirksam zu fördern, müsse der Unwissenheit der Kaufleute zu Leibe gegangen werden, denn in ihr liege der Grund für die meisten volks- und privatwirtschaftlichen Verluste.“ 121 Dementsprechend lautet auch die Grundfrage des „Parfait Négociant“: „Wie kann auf eine redliche Weise dauernd der größte Gewinn erzielt werden? “ sowie die da‐ bei mitschwingende volkswirtschaftliche bzw. wirtschaftspolitische Frage: „Wie kann durch eine Erziehung des Einzelnen zu einem guten Wirtschafter und Staatsbürger eine Gesundung der darniederliegenden gesamten Wirtschaft herbeigeführt werden? “ 122 Savarys Hauptwerk „Le Parfait Négociant“, in dem das gesamte kaufmännische Wissen der damaligen Zeit wiedergegeben wird, erschien im Jahre 1675 und erlebte über 20 Auflagen in französischer Sprache. Bereits 1676 lag eine deutsche Ausgabe mit dem Titel „Der vollkommene Kauff- und Handels-Mann“ vor. Savary verarbeitete für dieses Werk 3.1 „Le Parfait Négociant“ oder „Der vollkommene Kauff- und Handels-Mann“ 73 <?page no="74"?> 123 Sundhoff (1979), S.-38. umfangreiches Material und bediente sich einer Vielzahl von Quellen: seine eigenen Erfahrungen und seine Sachkenntnis aus kaufmännischer und beratender Tätigkeit, Berichte und Materialien von (im Ausland ansässigen) Kaufleuten, amtliche Unterlagen aus seiner Zeit im Staats‐ dienst sowie schließlich die französische und italienische Fachliteratur, vor allem die Schriften von Pacioli, Cotrugli und Peri. Die „Genauigkeit und Zuverlässigkeit“, mit der Savary dieses Material zusammentrug, machte den „Parfait Négociant“ „zu einer Fundgrube für alle Wissenschaftler, die sich später des Werkes bedienten.“ 123 Das Werk sollte ein praktisches Handbuch für den Kaufmann und zugleich ein Lehrbuch für kaufmänni‐ sche Lehrlinge sein. Abb. 3.4: Titelkupfer aus J. Savarys „Der vollkommene Kauff- und Handels-Mann“ (1676). | [16] In dem Vorwort beschreibt Savary den inhaltlichen Aufbau entsprechend seiner didaktischen Zielsetzung: 74 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="75"?> „Zu diesem Ende nehme ich ein Kind gleichsam wann es aus der Wiegen kömt / und damit dasselbe von seinen Lehrjahren an desto besser unterwiesen werde / führe ich es zu dem Handkauff / zu grosser Handlung / in die Wechsel- Bänke / Manufacturen und Mess oder Märckte. Ich nehme es mit in frembde Länder / und vermittelst langer Reise in die weit entlegenen Örter / indem ich es aber also herumb führe / zeige ich ihm alle Gebräuche / welche es in acht nehmen / und die Dinge so es hingegen meiden muß. Ich weise ihm zugleich aus dem Grund / was entweder rechtmässig oder unrechtmäßig zu der Kauffmannschaft / wie sie auch Nahmen haben mögen / erfordert / und wie die Königlichen Verordnungen / vornemlich die vom Mon. Martio 1673 angewendet wird / auff daß es also in einem so nützlichen und löblichen Beruff sich leiten möge.“ In dem Buch, dessen Inhalt sich über nahezu sämtliche Gebiete der Han‐ delswissenschaft - insbesondere des Großhandels - erstreckt, werden bei‐ spielsweise die folgenden Themen behandelt: ■ die Bedeutung des Handels und der Ausbildung des Kaufmanns, ■ die Ursachen der Insolvenz durch Unwissenheit und Unvorsichtigkeit des Kaufmanns, ■ die rechtliche Stellung des Lehrlings und Verhaltensregeln für diesen, ■ das Recht des Handlungsgehilfen, ■ Maße und Gewichte, ■ die Warenkunde (insbesondere der Tuchbranche), ■ das Handelsrecht, ■ das Wechselrecht und Fragen des Kredit- und Zahlungsverkehrs, ■ die Voraussetzungen für die Aufnahme in eine Kaufmannsgilde, ■ die Führung des Handelsgeschäfts (Betriebsgründung, Ein- und Ver‐ kaufspolitik, Buchführung und Inventur), ■ der Großhandelsbetrieb, ■ das Gesellschaftsrecht, ■ der Außenhandel (Import und Export), ■ der Handelsvermittler und ■ das Konkursrecht. Die folgende Übersicht über die Kapitelfolge soll die Systematik des Werkes verdeutlichen: 3.1 „Le Parfait Négociant“ oder „Der vollkommene Kauff- und Handels-Mann“ 75 <?page no="76"?> 124 Ebd., S.-229. 125 Vgl. Weber (1914), S.-22. I. Teil 1. Buch (Einleitung): Nützlichkeit des Handels; Darlegung und Be‐ gründung der Methode; die Vorbereitung des Kindes auf den Kaufmannsberuf usw. (5 Kapitel). 2. Buch (Lehrling): Seine Aufgaben und Pflichten; Münz- und Ge‐ wichtskunde; Warenkunde (Textilwaren) (11 Kapitel). 3. Buch (Gehilfe): Seine Aufgaben und Pflichten (1 Kapitel); Wech‐ sellehre (11 Kapitel). 4. Buch (Kleinhändler): Gründung, Einrichtung und Führung des Ladengeschäfts; die Buchführung im Kleinhandel; Ein- und Ver‐ kaufspolitik; das Inventar; Gesellschaftsformen im Kleinhandel (12 Kapitel). II. Teil 1. Buch (Großhändler): Gesellschaftsformen; Gründung und Füh‐ rung der Unternehmung; der Fabrikbetrieb; Ein- und Verkaufspo‐ litik des Großhändlers (5 Kapitel). 2. Buch (Importeur und Exporteur): Welthandelskunde (7 Kapitel). 3. Buch: Kommissionär, Spediteur, Agent und Makler. 4. Buch (Nachlese): insbesondere über Konkurse (12 Kapitel). Das Verdienst des Werkes sieht Löffelholz „vor allem in der Gründlichkeit, der Tiefe und Sachlichkeit der Darstellung […]. Man kann ohne Übertrei‐ bung sagen, daß kein zweites betriebswirtschaftliches Werk jemals einen solchen Einfluß auf die gesamte Literatur […] gehabt hat wie der Parfait Négociant. […] In allen späteren Schriften bis weit ins 19. Jahrhundert hinein stößt man immer wieder auf die Weisheiten des alten Franzosen.“ 124 Ähnlich äußerte sich zuvor schon Weber, der im Jahre 1914 feststellte, dass im Hinblick auf die praktische Brauchbarkeit „heute noch“ - also fast 240 Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage! - keine gleichwertige Schrift existiere. 125 Diese Aussage kann aber nur für die praktische Handhabung des Buches gelten, nicht für dessen wissenschaftliches Niveau. Denn wie 76 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="77"?> 126 Vgl. Sundhoff (1979), S.-39. 127 E. Sundhoff: Stichwortartikel „Savary, Jacques“ in: Handwörterbuch der Betriebswirt‐ schaft, 3. Aufl., Bd.-3, hrsg. v. H. Seischab und K. Schwantag, Stuttgart 1960, Sp. 4763. 128 Sundhoff (1979), S.-32. 129 Ebd., S.-46. Seÿffert bemerkt, stellte bereits Ludovicis „System der Kaufmannschaft“ von 1752 einen erheblichen Fortschritt gegenüber Savary dar. Sundhoff bemerkt zwar, dass es Savary nicht gelungen sei, allgemein geltende Gesetzmäßigkeiten festzustellen und so der Weiterentwicklung der ökonomischen Theorie zu dienen 126 ; dennoch kommt er anderer Stelle zu dem Befund: „Der Parfait Négociant ist das erste Werk, das neben den allgemeinen Grundlagen die wichtigsten Sonderprobleme der Betriebs‐ wirtschaftslehre unter Ausnutzung aller verfügbaren Quellen straff und systematisch darstellt.“ 127 So ist es auch kaum verwunderlich, dass Savarys Werk „einen überragenden Einfluß auf das Handelsschrifttum [hatte], da es die Eigenschaften eines gründlichen Lehrbuches für den Jungkaufmann, eines Nachschlagewerkes für den Handeltreibenden und eines anschauli‐ chen Kommentars zu der ‚Ordonnance de Commerce‘ in sich vereinigte.“ 128 Eine solche literarische Leistung hängt sehr eng zusammen mit der Person des Autors, die Sundhoff mit den folgenden Worten charakterisiert: „Es sind die Tugenden des Kaufmanns und des Wissenschaftlers, die Savary in sich vereint. Da er zudem als handelsrechtlicher Kommentator Autorität erlangte und infolge seiner öffentlichen Funktionen ebenso wie durch seine Beziehungen zu Colbert in volkswirtschaftlichen Zusammenhängen zu denken gewohnt war, besaß er im Rahmen des damals Möglichen alle Fähigkeiten und Kenntnisse, derer ein Ökonom bedurfte, um als mer‐ kantilwissenschaftlicher Autor nicht nur seiner Zeit, sondern auch den kommenden Jahrhunderten wertvolle Einsichten zu vermitteln.“ 129 3.2 „Neu-Eröffnetes Kauffmanns-Magazin“ (Paul Jacob Marperger) Marperger (1656-1730), ebenfalls ein Vertreter der merkantilistischen Öko‐ nomik, gilt als der erste deutsche Schriftsteller der systematischen Handels‐ wissenschaft. Löffelholz sieht in ihm sogar den Begründer der betriebs‐ wirtschaftlichen Literatur in Deutschland. 3.2 „Neu-Eröffnetes Kauffmanns-Magazin“ (Paul Jacob Marperger) 77 <?page no="78"?> Marperger, Sohn eines Offiziers, zeigte bereits von Jugend an ein großes Interesse an den Wissenschaften. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Nürnberg begann er mit dem Studium der Rechtswissenschaften und wider‐ setzte sich dem Willen seines Vaters, der ihn zum Studium der Theologie drängen wollte. Schließlich nahm der Vater Marperger von der Universität und schickte ihn nach Lyon, wo er den Beruf des Kaufmanns erlernte. In Frankreich beschäftigte Marperger sich intensiv mit politischer Ökono‐ mie und Staatswissenschaften. Auf zahlreichen Reisen quer durch Europa vertiefte und erweiterte er seine Kenntnisse auf diesem Gebiet, die später Eingang in seine zahlreichen Werke finden. Zu Marpergers Aufenthaltsorten gibt es widersprüchliche Angaben. Sicher ist wohl, dass er längere Zeit in Hamburg lebte, wo er auch 1681 heiratete. 1714 übersiedelte er nach Dresden. Weitere Aufenthaltsorte, an denen Marperger als Angestellter und Berater von Fürsten arbeitete, waren: Wien, Lübeck, Kiel, Breslau, Moskau, Petersburg, Stockholm, Kopenhagen und Berlin. 1708 wurde Marperger in die einige Jahre zuvor von Leibniz gegründete Königlich Preußische Sozietät der Wissenschaften zu Berlin aufgenommen. Später bekam er Anstellungen am königlichen Hof in Dänemark, Preußen und zuletzt Polen, wo er die Stelle eines Hof- und Kommerzienrates erhielt. Marperger hat über 90 Schriften veröffentlicht, 71 blieben unveröffent‐ licht. In seinem Œuvre behandeltet er neben der Ökonomie und Handels‐ wissenschaft die verschiedensten Themen, z. B. Architektur, Geschichte und Medizin. Von seinen Werken kann etwa die Hälfte als ökonomische Werke im weiteren Sinn angesehen werden, wobei rund 20 Veröffentlichungen der Handelswissenschaft zuzuordnen sind. Marperger gilt somit als der erste deutsche Schriftsteller, der sich breitgefächert mit handlungswissenschaft‐ lichen Themen beschäftigte. Bemerkenswert erscheint, dass er - ganz im Sinne der Aufklärung - seine Werke, die an das Bürgertum bzw. an die Kaufleute gerichtet waren, in deutscher und nicht wie damals üblich in lateinischer Sprache publizierte. Der Durchbruch zum ökonomischen Schriftsteller gelang Marperger mit dem 1699 erschienenen ersten Band des „Allezeit fertigen Handels- Correspondenten“ (der zweite bis vierte Band erscheinen zwischen 1705 und 1714), in dem der kaufmännische Schriftverkehr behandelt wird. Hervorzu‐ heben sind weiterhin sein „Neu-Eröffnetes Manufacturen-Hauß“ (1704), das als Vorläufer einer Industriebetriebslehre angesehen werden kann, seine wirtschaftsgeographischen Werke, zu denen beispielsweise der „Schlesische Kauffmann“ (1714) gehört und die „Beschreibung der Banquen“ (1716), 78 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="79"?> 130 Sundhoff (1979), S. 68. Auch Bellinger (1967, S. 47) nennt dieses Werk als erste Bankbetriebslehre im Sinne einer Wirtschaftszweiglehre. 131 Vgl. Leitherer (1961), S.-54. eine „Erstlingsschrift der deutschen Bankbetriebslehre“. Nach Sundhoff gehört dieses Buch „zweifellos zu den besten, die Marperger verfaßt hat, und ist wohl die erste in sich abgerundete Wirtschaftszweiglehre wissen‐ schaftlichen Charakters in deutscher Sprache.“ 130 Unter wissenschaftlichem Aspekt bedeutsam ist das 1708 erschienene „Neu-Eröffnete Kauffmanns- Magazin“. Es ist das erste Handelslexikon in deutscher Sprache. Aus wirt‐ schaftspädagogischer Sicht ist das Werk „Trifolium Mercantile Aureum oder Dreyfaches Güldenes Klee-Blat der werthen Kauffmannschafft“ (1723) bedeutsam. Hierin unterbreitet Marperger Vorschläge zur Ausbildung von Kaufleuten und thematisiert die Errichtung von Fachschulen sowie deren mögliche Lehrinhalte. Wie Leitherer bemerkt, biete diese Schrift einen gewissen Überblick über Marpergers Gedankenwelt, während seine handels‐ kundlichen Ansichten am besten aus seinem Lexikon ersichtlich seien. 131 Marpergers handlungswissenschaftliches Hauptwerk - falls man von einem solchen überhaupt sprechen kann - ist das ursprünglich auf vier Bände angelegte Werk zum Erlernen des Berufs eines ehrbaren Kaufmanns. Es glie‐ dert sich entsprechend der Lernstufen vom Lehrling („Kauffmanns-Jung“) über den Kaufmannsgehilfen (Handels-Diener) bis hin zum Unternehmer („Kauffmannschafft“, 2 Bde.). In dem ersten Teil der „Kauffmannschaft“, der 1714 erschienenen Schrift „Nothwendig und nützliche Fragen über die Kauffmannschafft“ werden in einem Frage-Antwort-Stil handelskundliche Aspekte behandelt - so zum Beispiel die Warenkunde, die Eigenschaften der Kaufleute hinsichtlich ihrer Tätigkeiten und Branchen, Einkauf und Verkauf, Kostenkalkulation sowie Überlegungen zum Gewinn aus theolo‐ gischer und kaufmännischer Sicht. Der letzte Band wurde nicht mehr vollendet. Marpergers wissenschaftliches und schriftstellerisches Wirken war darauf gerichtet, sich eine umfassende Bildung auf dem Gebiet der Ökonomie anzueignen und seine Kenntnisse - neben wirtschaftspolitischer Einfluss‐ nahme auch zum Zwecke der Belehrung - zu systematisieren und zu publizieren. Seine Wirtschaftskompetenz wurde von hochrangigen Beamten in Brandenburg-Preußen geachtet und geschätzt. Allerdings gehen die Ansichten über den äußerst produktiven Schriftsteller weit auseinander: So schreibt z. B. der Kamarelist G. H. Zincke im Jahre 1744 über ihn: 3.2 „Neu-Eröffnetes Kauffmanns-Magazin“ (Paul Jacob Marperger) 79 <?page no="80"?> 132 Sundhoff (1979), S.-54. 133 Löffelholz (1935), S.-232. 134 Vgl. Brockhoff (2017), S.-144 ff. 135 Von 1731 bis 1754 erschien „Das Grosse vollständige Universal-Lexicon aller Wissenschaff‐ ten und Künste“. Es umfasst 64 Bände und 4 Supplementbände mit insgesamt rund 63.000 Seiten und ist damit die umfangreichste-Enzyklopädie 18.-Jahrhunderts. Sie wurde herausgegeben von dem Buchhändler und Verleger Johann Heinrich Zedler (1706-1751), nach dem es „Zedlers Universallexikon“-oder auch einfach nur-„Zedler“ genannt wird. „Herr Paul Jacob Marperger war zu seiner Zeit ein Mann, welcher durch unermüdlichen Fleiß, vielen Nachdencken, Lesen, Zusammentragen und Schreiben […] fast am meisten die ökonomische, Policey- und Cameral- Wissenschaft in die Höhe zu bringen […] gesuchet hat.“ In seiner Geschichte der Nationalökonomik stempelt W. Roscher Marperger kurzerhand als einen „entsetzlichen Vielschreiber“ ab. Für Sundhoff war Marperger „nicht nur der erste deutsche Autor, der in wissenschaftlich relativ ernst zu nehmender Weise ein bisher nur sehr unzureichend behandeltes Gebiet systematisch durchforschte; er hat dies auch mit einer erstaunlichen Gründlichkeit getan […].“ 132 Eines der positivsten Urteile über Marperger stammt wohl von Löffelholz. Er sieht „die Bedeutung Marpergers für die Betriebswirtschaft vor allem in seinem genialen Bestreben, der deutschen Wirtschaft […] die geistigen Grundlagen zu geben, um den Betrieb nach den neuen Prinzipien zu organisieren. Er zeigt der Praxis neue Wege und Probleme der Wirtschaft, er regt den denkenden Kaufmann an, sich mit der neuen kapitalistischen Lehre […] zu befassen.“ Löffelholz kommt zu dem Befund, „daß selten ein einzelner Schriftsteller so befruchtend und formend auf das betriebswirt‐ schaftliche Leben gewirkt hat wie gerade Marperger. Er ist der Begründer der ‚modernen‘ betriebswirtschaftlichen Literatur in Deutschland.“ 133 Darüber hinaus hat Marperger auch eine große Bedeutung für die Ent‐ wicklung der Betriebswirtschaftslehre zur Universitätsdisziplin sowie für die Errichtung von Handelsschulen. In seiner Funktion als Hof- und Kommerzi‐ enrat schlug er schon im Jahre 1715 die Errichtung einer Kauffmannsacademie vor! Dieser Vorschlag kann als Ausgangspunkt des kaufmännischen Berufs‐ schulwesens in Deutschland gesehen werden. Außer dem Verdienst, als Erster ein wohldurchdachtes Konzept (Lehrpläne) für die Errichtung kaufmännischer Berufsschulen in Deutschland ausgearbeitet zu haben, plädierte Marperger auch dafür, eine kaufmännische Lehre an Universitäten zu lehren. 134 Dieses Plädoyer fand sogar Eingang in „Zedlers Universallexikon“ 135 und wurde im Stichwortartikel „Professor der Kauffmannschaft“ abgedruckt. Dort heißt es: 80 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="81"?> 136 Zedlers Großes Universallexikon, Bd.-29, Leipzig/ Halle 1741, Sp. 770. 137 Daher finden sich auch in der Gründergeneration der BWL-Professoren zu Beginn des 20.-Jahrhunderts fast ausnahmslos Diplom-Handelslehrer. „Es wirft der berühmte Marperger […] die Frage auf: ob es nicht rathsam wäre, auf Universitäten öffentliche Professores der Kauffmannschafft zu verordnen, welche die Kauffmannschafft, und alles, was in die selbe hinein lauft, oder von solcher dependiret, lehren müsten. […]“ 136 Dass Marperger neben der Gründung einer kaufmännischen Berufsschule auch die Handelswissenschaft als Universitätsdisziplin fordert, liegt auf der Hand. Denn zur Beschulung der kaufmännischen Lehrlinge bzw. Schüler an einer Handelsschule müssen zuvor qualifizierte Lehrer an Universitäten ausgebildet werden. 137 Hätte sich Marperger mit seiner Forderung zu Beginn des 18.-Jahrhunderts durchgesetzt, wäre dies ein wichtiger Schritt gewesen für die Weiterentwicklung des Faches zu einer wissenschaftlichen Disziplin - und womöglich hätte eine Betriebs‐ wirtschaftslehre schon zur Zeit Goethes und Schillers an den deutschen Univer‐ sitäten gelehrt werden können. Unterstützt wurden Marpergers Bemühungen zur Institutionalisierung der Handlungswissenschaft u. a. von Carl Günther Ludovici, der übrigens auch der verantwortliche Redakteur jenes Bandes des Zedlerschen Lexikons war, in welchem das Plädoyer von Marperger abgedruckt wurde. 3.3 „Eröffnete Akademie der Kaufleute: oder vollständiges Kaufmanns-Lexicon“ (Carl Günther Ludovici) Während Marperger ein praktisch tätiger Kaufmann war, war Carl Günther Ludovici (1707-1778) ein erfahrener Hochschullehrer und Philosoph. Er gilt als Wegbereiter und erster akademischer Vertreter der Handlungswissen‐ schaft, der ebenso wie Savary bestrebt war, das gesamte kaufmännische Wissen seiner Zeit zu sammeln und in ein System zu bringen. Anregung hierzu fand er wohl aus seiner Tätigkeit als Enzyklopädist und Hauptredak‐ teur des berühmten „Zedler Universal-Lexicon“. Ludovici nahm am 25.10.1724 im Alter von 17 Jahren das Studium der Phi‐ losophie und Theologie an der Universität Leipzig auf, wo sein Vater zu der Zeit als Rektor amtierte. Im Juni 1725 wurde er Baccalaureus (= Bachelor) der Weltweisheit und drei Jahre später Magister der philosophischen Fakultät. Sein Studium der Rechtswissenschaften, das er 1732 begonnen hatte, brach 3.3 „Eröffnete Akademie der Kaufleute: oder vollständiges Kaufmanns-Lexicon“ 81 <?page no="82"?> 138 Weber (1914), S.-55. 139 Hier liegt ein Nachdruck der 2. Aufl. von 1768 vor: Ludovici: Grundriß eines vollstän‐ digen Kaufmanns-Systems …, 2. Aufl., Leipzig 1768, hrsg. von R. Seÿffert, mit einer Einleitung: Carl Günther Ludovici und sein Hauptwerk, Stuttgart 1932. er schon nach kurzer Zeit wieder ab, als er am 06.05.1733 zum ordentlichen Professor der Weltweisheit (= Lehrstuhl für praktische Philosophie) ernannt wurde. Ab 1738 war er der Hauptredakteur des „Zedlers Universal-Lexicon“. 1761 wurde er zum Professor für Aristotelische Logik ernannt. Von 1765 bis 1766 war Ludovici Dekan der Philosophischen Fakultät und zugleich Rektor der Universität Leipzig. Er war Mitglied der Ökonomischen Societät zu Leipzig und der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Ber‐ lin. Neben seiner Beschäftigung mit philosophischen Werken trat Ludovici besonders hervor als Lexikograf, als der er eine gewaltige Arbeitsleistung bewältigte. Er ist weniger der Wissenschaftler, der neue Erkenntnisse liefert, sondern vielmehr der Sammler, der den Stoff zusammenträgt und systematisiert. Das Werk, welches ihm dauernd einen hervorragenden Platz in der Geschichte der Betriebswirtschaftslehre sichert, ist seine „Eröffnete Aka‐ demie der Kaufleute: oder vollständiges Kaufmanns-Lexicon“. In diesem zwischen 1752-1756 erschienenen fünfbändigen Lexikon, welches das erste und beste seiner Zeit in Deutschland war, werden handelswissenschaft‐ liche, warenkundliche und wirtschaftsgeografische Inhalte systematisch aufbereitet und dargestellt. Von besonderer Bedeutung ist der Anhang zu diesem Lexikon, in dem Ludovici, wie er schreibt, „alle kaufmännischen Wissenschaften nach ihrer natürlichen Verbindung untereinander“ darstel‐ len will. Dieser Anhang stellt eine selbständige Abhandlung dar, die mit dem Lexikon durch zahlreiche Verweise verbunden ist, „so daß in gewissem Sinne das Gesamtwerk ein organisches Ganzes bildet.“ 138 In diesem 624 Seiten starken „Grundriß eines vollständigen Kaufmanns-Systems“ 139 präsentiert Ludovici ein System der Handelswissenschaften, das aus drei „Kaufmännischen Hauptwissenschaften“ und „Kaufmännischen Bey- oder Nebenwissenschaften“ besteht. Wie → Abb. 3.5 zeigt, gehören zu den Hauptwissenschaften die Warenkunde, die Handlungswissenschaft und das Buchhalten. Die „Kaufmännischen Bey- oder Nebenwissenschaften“ unter‐ teilen sich einerseits in „Nötige oder unentbehrliche Beywissenschaften“ und andererseits in „Nützliche oder Hilfswissenschaften“. 82 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="83"?> 140 Ludovici (1768), S.-27 f., § 33 Kaufmannssystem nach Ludovici kaufmännische Hauptwissenschaften (eigenetliche Kaufmannschaft) kaufmännische Bei- und Nebenwissenschaften (angewandte Kaufmannschaft) 1. Warenkunde 2. Handlungswissenschaft 3. Buchhaltern nötige oder entbehrliche Beiwissenschaften nützliche oder Hilfswissenschaften a) Allgemeine Warenkunde b) Besondere Warenkunde a) Die Handlung an und für sich b) Die handlungsfähigen und zur Handlung erforderlichen Personen c) Die Hilfsmittel zur Treibung der Handlung a) Die Handlungsarten b) Die Handelsbücher c) Die Nebenhandelsbücher d) Die Führung der Bücher e) Die Rechnungen oder Konti 1) Rechenkunst 2) Schreibkunst 3) Münzwissenschaft 4) Maß- und Gewichtskunde 5) Kaufmannsgeographie 6) Handlungs- oder Kaufmannsrecht 7) Anweisung zu kaufm. Briefen 8) Warenzeichenkunst 9) Kaufm. Kryptographie 10) Kaufm. Sprachkunst 11) Manufakturen- oder Fabrikenkenntnis 1) Handlungspolitik 2) Wappenkunst 3) Naturlehre 4) Mechanik 5) Visierkunst 6) Zeichenkunst 7) Vernunftlehre des Wahrscheinlichen 8) Schöne Wissenschaften Abb. 3.5: Das Kaufmannssystem nach Ludovici. | [17] Unter dem Kaufmannsystem versteht Ludovici „einen Inbegriff aller kaufmännischen Wissenschaften nach ihrer natürlichen Verbindung unter einander: und folglich müssen in einem solchen Kaufmannssysteme nicht nur die Theile der eigentlichen, sondern auch der angewendeten Kaufmann‐ schaft […] mit abgehandelt seyn, wenn anders dasselbe vollständig seyn soll. Die angesprochene natürliche Verbindung bezieht Ludovici nicht nur „auf die verschiedenen kaufmännischen Wissenschaften an und für sich unter‐ einander; sondern auch auf den natürlichen Zusammenhang der Sachen, die in einer jeden von diesen Wissenschaften vorgetragen worden sind. Man kann daher das Kaufmannssystem auch durch einen natürlich zusammen‐ hangenden Inbegriff aller kaufmännischen Wissenschaften, erklären.“ 140 In dem Werk erscheinen einige Aspekte besonders bemerkenswert, auf die hier hingewiesen werden soll: Zu Beginn seines „Grundriß“ trennt Lu‐ dovici klar zwischen der gesamtwirtschaftlichen „Handlungspolitik, oder der Regierungskunst der Handlung eines Staates […], worunter man die Wissen‐ schaft versteht, wie die Handlung in einem Staate zu ihrer Vollkommenheit, oder zu ihrem Flore zu bringen sey“, und der Privathandlung im Sinne einer 3.3 „Eröffnete Akademie der Kaufleute: oder vollständiges Kaufmanns-Lexicon“ 83 <?page no="84"?> 141 Vgl. Ludovici (1768), S.-1f., §§ 1-2. 142 Ludovici (1768), S.-21, § 22. 143 Bei Weber (1914, S. 59) heißt es hingegen: „Es ist verwunderlich, daß erst ein Men‐ schenalter später J. M. Leuchs auf den Gedanken kam, die Regeln dieser Wahrschein‐ lichkeitslehre, die für die kaufmännische Unternehmung in Betracht kommen, wirklich herauszuarbeiten.“ 144 Vgl. Brockhoff (2017), S.-143. 145 Von Hazard/ Hasard (frz. „Glücksspiel“, stammt vom arab. yasara „würfeln“). Hasardie‐ ren bedeutet so viel wie „rücksichtslos alles aufs Spiel setzen“, „ein zu hohes Risiko bzw. Wagnis/ Gefahr eingehen“. 146 Vgl. Weber (1914) „Wissenschaft der Kaufleute“. 141 Somit löst er die Handelsbetriebslehre bzw. Betriebswirtschaftslehre aus der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung heraus und erhebt diese zu einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin. Interessant ist außerdem, dass Ludovici die „Vernunftlehre des Wahr‐ scheinlichen“ zu den Hilfswissenschaften des Kaufmanns zählt, „weil dem Kaufmanne so gar viele Fälle in Ansehung des Gewinnsts und Verlusts vorkommen, die er alle nach den Graden der Wahrscheinlichkeit beurteilen muß, und wozu ihm die Regeln der Wahrscheinlichkeit vortreffliche Dienste thun werden.“ So verweist Ludovici darauf, dass der Kaufmann „bey seinen Handelsgeschäften und sich ereignenden Fällen (z. B. ob dieser oder jener Wechselcours, der Preis dieser oder jener Waare, muthmaßlich steigen oder fallen werde) die Gründe für und dagegen wohl erwäget.“ 142 Dass Ludovici die Wahrscheinlichkeitsrechnung als nützlich für den Kaufmann ansieht und ihm diese für seine Geschäftstätigkeit empfiehlt, ist nach der Einschätzung von Brockhoff „sehr beachtlich und weitsichtig“, denn erst etwa 25 Jahre später widme Leuchs diesem Thema ein Hauptkapitel in seinem Werk 143 ; und es dauere dann „immerhin weitere 150 Jahre, bis die Unsicherheit in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur deutlich erkennbar behandelt wird.“ Noch weitere 50 Jahre habe es dann gedauert, bis die Entscheidungen unter Unsicherheit generell in die Lehrpläne der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre Einzug gehalten haben. 144 Im engen Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeitslehre ist auch das Thema Spekulation bzw. „Hazardiren“ 145 zu sehen, das Ludovici im zweiten Teil (§ 505) diskutiert und welches damals in der handelswissenschaftlichen Literatur bis dato ein Novum darstellte. 146 Dabei geht er insbesondere der Frage nach, „ob, und in wie fern ein Kaufmann hazardiren, (das ist, etwas 84 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="85"?> 147 Ludovici (1768), S.-256, § 505. 148 Ebd. 149 Vgl. Ludovici (1768), S.-174-176. 150 Vgl. ebd., S. 175, § 354. Der Begriff Zeitung bedeutete im 18. Jh. soviel wie „Nachricht von einer Begebenheit“. ungewisses in der Hoffnung, daß es glücken solle, unternehmen) könne.“ 147 Hierzu führt Ludovici folgendes aus: „Wenn ein Kaufmann nicht mehr harzardiret, als die Klugheit erlaubet, so ist solches an ihm mehr zu loben, als zu tadeln. Es sind aber drey Fälle, in welchen die Klugheit solches erlaubet: 1) Wenn das anzuwendende Mittel kein Geld, sondern bloße Bemühung kostet; 2) wenn das Mittel zwar Geld kostet, aber nicht mehr als man leicht verschmerzen kann, und der Gewinn gleichwohl um ein ansehnliches größer als der Aufwand ist; und 3) wenn Wahrscheinlichkeit da ist, daß die Sache gut gehen werde. In Ansehung des letzten Punctes hat man die Gründe sowohl für als wider die Hoffnung reiflich zu überlegen und gegen einander zu halten, um die Grade der Hoffnung bestimmen zu können. Ist nun (a) das Mittel, in Ansehung unsers ganzen Vermögens, von sehr hohem Werthe, und wir haben den stärksten Grad der Hoffnung vor uns; oder (b) das Mittel ist von sehr schlechtem Werthe, und die Hoffnung auch in einem schlechten Grade: so ist es in beyden Fällen zu hazardiren erlaubt, wenn der gesuchte Nutzen sehr groß ist. Hingegen ist die Hoffnung schlecht, und die Mittel sind sehr kostbar: so darf man sich dem Hazarde nicht aussetzen; gleichwie es auch nicht rathsam ist, sein ganzes Vermögen an Absichten zu wagen, wenn auch die Hoffnung und der gehoffte Nutzen noch so groß wäre, weil es gleichwohl nur Hoffnung und keine Gewissheit ist.“ 148 Ebenfalls eine Neuerung in der handelswissenschaftlichen Literatur ist das Thema Aktienhandel 149 , das Ludovici im 17. Kapitel behandelt. Dabei steht der Handel, d. h. der Ein- und Verkauf der Aktien, im Vordergrund und nicht deren unternehmerische Funktion als Finanzierungsinstrument. Bemerkenswert ist die Erwähnung der Kursmanipulation bzw. des Kursbet‐ rugs durch „erdichtete Zeitungen“, d. h. durch von Aktienhändlern bewusst verbreitete Falschinformation. 150 Der Kursbetrug fand 1884 Eingang in das Handelsgesetzbuch und 1896 in das Börsengesetz. Erwähnenswert erscheint zudem ein - wenn auch nur rudimentär er‐ kennbarer - moderner Marketingansatz, der bei verschiedenen absat‐ zwirtschaftlichen Fragen mitschwingt: So unterscheidet Ludovici zwischen verschiedenen Nutzenarten und erwähnt einen „eingebildeten Nutzen“ der „auf der Menschen falsche Einbildungen, verderbte Affecten und Neigungen 3.3 „Eröffnete Akademie der Kaufleute: oder vollständiges Kaufmanns-Lexicon“ 85 <?page no="86"?> 151 Vgl. ebd., S.-42, § 30. 152 Ebd., S.-118 153 Vgl. ebd., S.-108 f., §174 154 „Konkurrenzkampf “, „Wettbewerb“ 155 Vgl. Ludovici (1768), S.-117 f., § 183. 156 Vgl. ebd., S.-113f., § 179. 157 Ebd., S.-114. gründet.“ 151 Weiterhin müsse der Kaufmann, „die Personen kennen, welche die […] Waare vorzüglich gebrauchen“ und „es muss ihm auch von solchen bekannt seyn, wo sie am meisten florieren, um sich mit der Waare dahin wenden zu können.“ 152 Im Rahmen seiner simplen Preispolitik erläutert Ludovici die Kalkulation des Verkaufspreises nach der Zuschlagskalkula‐ tion/ Kosten-Plus-Methode 153 und gibt dabei auch Hinweise zur Gestaltung der Handelsspanne, weist auf das Instrument der Preisdifferenzierung hin, führt Gründe für Dumpingpreise an und erklärt in dem Zusammenhang die Penetrationsstrategie: Ein Grund, warum der Kaufmann seine Ware „unter dem gewöhnlichen Preise, ja wohl gar unter dem Preise des Einkaufes, oder was sie ihn selbst gekostet, hingeben“ könne, ist der von Ludovici sogenannte „Profeßionsneid“ 154 , „da ein Kaufmann, weil er keinen von seiner Profeßion neben sich aufkommen lassen will, zu dem Ende die Waaren verschleudert, damit er alle Käufer an sich ziehen möge. […] Insonderheit geschieht es von großen Capitalisten, daß sie ihre Waaren mit wenigem, oder gar keinem Profite, oftmals auch mit Schaden wegschlagen, um nur andere junge und schwache Anfänger […] niederzuschlagen, daß sie die Handlung nicht fortsetzen können, sondern ihnen solche allein überlassen müssen.“ Dieser heute kartellrechtlich untersagte wettbewerbsschädigende Preiskampf im Einzelhandel wurde schon damals von Ludovici aus ethischen Gründen missbilligt, denn er sei „doch wider die Liebe des Nächsten“ 155 . Im Hinblick auf die Käufer 156 unterscheidet Ludovici zwischen Endkunden und Geschäftskunden, nennt Maßnahmen der Kundenbindung („Liebe und Vertrauen erwecken“) und nimmt eine simple Bewertung und Seg‐ mentierung der Kunden vor, indem er darauf hinweist, dass „Käufer, die gut bezahlen, und eine Menge Waaren nehmen“ denen vorzuziehen seien, „welche übel bezahlen und die Waaren nur Stückweise holen.“ 157 Zu den „Hülfsmitteln des Verkaufs“ zählt Ludovici distributions- und kommunika‐ tionspolitische Kenntnisse, nämlich über die Absatzmittler (§ 186) und das „Anpreisen der Waare“ (§ 188). Die Werbung bzw. das „Anpreisen“ beurteilt er positiv, denn es diene dazu, den Kunden über die Beschaffenheit der 86 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="87"?> 158 Ebd., S.-119, § 188. 159 Ludovici (1768), S.-312, § 620. Ware zu informieren. Ein wichtiger Grundsatz der Werbung sei daher die Wahrheit der Werbeaussage: „[…] Denn ob man im gemeinen Sprüchworte saget: Eine gute Waare lobet sich selbst : so kann es doch nicht schaden, deren Beschaffenheit dem Käufer anzupreisen, weil nicht alle Käufer genaue Kenner der Waaren sind. Jedoch aber muß solches ohne falschen Hinterhalt und geziemend geschehen : weswegen denn von einem Kaufmanne dabey alles Lügen, sonderlich aber das falsche Schwören, weit entfernet seyn muß, damit es bey ihm nicht heiße, nach dem gemeinen Sprichworte : Ein jeder Kramer lobet seine Waare. Denn dieses Lob muß so gemäßigt seyn, daß es die Schranken der Wahrheit nicht überschreite, oder der Nächste durch falsches Vorgeben betrogen, und um das Seinige gebracht werde, indem es eine Unbilligkeit ist, von des Käufers Unerfahrenheit auf diese Art Vortheil ziehen zu wollen.“ 158 Ludovici hebt die Informationsfunktion der Werbung hervor und möchte den Kaufmann von irreführender Werbung abhalten. Zur Gestaltung der Werbung und zum Einsatz von Werbemitteln und Werbeträgern äußert er sich nicht. Dies war aber auch nicht nötig: Zwar sind diese Aspekte der Werbung heute von betriebswirtschaftlichem Interesse, im 18. Jahrhundert spielten sie hingegen eine untergeordnete Rolle, da die zur Verfügung stehenden Werbemittel und Werbeträger sehr eingeschränkt waren. In Betracht kommen außer dem mündlichen Anpreisen im Rahmen eines Ver‐ kaufsgesprächs noch Flugschriften, Plakate mit Zeichnungen oder einfachen Kupferstichen sowie Anzeigen in Zeitschriften. Letztere fanden aber auch erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts eine größere Verbreitung und waren nur bedingt für Werbezwecke geeignet. Zudem muss berücksichtigt werden, dass zur Zeit Ludovicis schriftsprachliche Werbemittel (z. B. Flugschriften, Plakate) noch nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung erreichen konnten. Noch im Jahre 1816 lag die Alphabetisierungsquote in Deutschland bei etwa 54 Prozent. Dass Ludovici bezüglich der Warenpräsentation auf die Wirkung des Lichts hinweist, die „den Verkauf einiger Waaren befördern oder verhin‐ dern kann“ 159 , lässt erkennen, dass ihm die grundsätzliche psychologische Wirkungsweise der Werbung, die immer auf der Sinneswirkung aufbaut, durchaus bewusst war. Vor diesem Hintergrund erscheint die Behauptung Schneiders, dass weder Leuchs noch andere Handlungswissenschaftler des 3.3 „Eröffnete Akademie der Kaufleute: oder vollständiges Kaufmanns-Lexicon“ 87 <?page no="88"?> 160 Vgl. D. Schneider: Betriebswirtschaftslehre, Bd. 4: Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft, München/ Wien 2001, S.-748, Anm. 612. 161 R. Seÿffert in seiner Einleitung zu Ludovicis „Grundriß“ unter dem Titel „Carl Günther Ludovici und sein Hauptwerk“, Stuttgart 1932, S. XV. 162 Bellinger (1967), S.-33. 163 Weber (1914), S.-67-72. 164 Leitherer (1961), S.-55. 18. Jahrhunderts die Probleme erörtern, die heute unter Werbung verstanden werden, höchst zweifelhaft. 160 Zugleich kann die Aussage Schneiders aber auch als ein Beleg dafür gesehen werden, dass Ludovici damals seinen Schriftstellerkollegen voraus war. So gelangt Leuchs, einer seiner Nachfolger, zu folgender Beurteilung: „Ludovici hat sich unter den Deutschen […] ein größeres Verdienst um die Handelswissenschaft erworben als jeder andere vor und nach ihm. Richtige Erklärungen, genaue Zerlegung der Begriffe, geordneter, deutlicher Vortrag, nebst Vollständigkeit, erheben dieses Werk über andere.“ Ganz ähnlich äußert sich Seÿffert in seiner Einleitung zu dem Werk, wenn er darauf hinweist, Ludovici habe „durch die von ihm gewählte Anordnung des Stoffes eine für die Folgezeit sehr wichtige Systematisierungsarbeit geleistet, die sich durch Vollständigkeit, klare Begriffsbildung, Gründlichkeit, kurz durch wissenschaftliche Korrektheit auszeichnet.“ 161 Demzufolge kann, wie Bellinger konstatiert, Ludovici durchaus „als Begründer einer deutschen Betriebswirtschaftslehre angesehen werden, deren Existenz damit spä‐ testens im Jahre 1756 beginnt.“ 162 Zweifellos hatte das Werk Ludovicis großen Einfluss auf die ihm nachfolgenden betriebswirtschaftlichen Schriftsteller, wie insbesondere J. C. May, G. H. Buse und den bereits erwähnten J. M. Leuchs. 3.4 „Versuch einer Einleitung in die Handlungswissenschaft“ (Johann Carl May) Über die Bedeutung des Bremer Kaufmanns Johann Carl May (1731-1784), dessen „Versuch einer allgemeinen Einleitung in die Handlungswissenschaft“ (1763) im Folgenden vorgestellt werden soll, gehen die Meinungen auseinander: Während Weber ihm immerhin einen ganzen Abschnitt in seiner Literaturge‐ schichte 163 widmet, erwähnt Leitherer ihn mit nur wenigen Zeilen 164 , die mit dem Hinweis beginnen, dass Mays Bedeutung für die Handelswissenschaft im allgemeinen überschätzt werde. Nach Sundhoff biete das Werk von May 88 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="89"?> 165 Sundhoff (1979), S.-155. 166 Sombart (1916), Bd. II, S.-428. 167 Vgl. Weber (1914), S.-69. 168 Leitherer (1961), S.-57. gegenüber dem von Ludovici zwar „keinen wesentlichen Fortschritt“ 165 , sei aber als die bekannteste lehrbuchartige Gesamtdarstellung der Handelswissenschaft hervorzuheben. So zählt z.-B. auch Sombart das Werk von May zu den „besten Lehrbüchern“ 166 , was wohl an einem „flüssigen Stil“ und einer „lebendigen Darstellung“ liegen mag. 167 So weist May auch in seiner Vorrede darauf hin, dass er „als ein Handelsmann schreibe“, dem bewusst sei, dass „weitläuftige Schriften unter den Handelsleuten selten Leser finden.“ Er verfolge das Ziel, „ein gemeinnütziges Handbuch, insonderheit für die zur Handlung bestimmte Jugend“ zu verfassen und ist davon überzeugt: „Man wird es mir zu gute halten, daß ich meinen Vortrag in eine ungeschmückte und trockne Schreibart eingekleidet habe.“. Seine Arbeit solle sogar, was für diese Zeit bemerkenswert ist, dem „schönen Geschlecht angenehm seyn.“ Den Aufbau und Inhalt seiner „Einleitung“ beschreibt May im Vorbericht wie folgt: „Das ganze Werk wird aus zweyen Bänden, und jeder Band aus drey Stücken bestehen […]. Der erste Band wird theoretische oder allgemeine Abhandlungen enthalten, als von der Handlung überhaupt, von der Handlungsfreyheit, den Mün‐ zen, dem Pari und Agio, dem Credit, den Zinsen, dem Gewinn und Verlust, ferner, von den Eigenschaften eines Handelsmanns etc.. Von Handlungsgesellschaften, Handlungsbüchern und Scripturen. Dieses erstere Stück selbst bestehet aus einer systematischen Einleitung, aus der Geschichte der Handlung und Schiffahrt, und einem Wörterbuche. Diese drey Theile zusammen können füglich als die nothwendigen Vorläufer beyder Bände angesehen werden. Der zweyte Band wird praktisch. Sein Gegenstand ist der Land-, Feld- und Bergbau, die Manufacturen und Fabriken, der Wechselhandel, die Banken, die Schiffahrt, Assecuranzen, Havarien etc. ferner der Ein- und Verkauf, Gutgewicht, Thara etc. Der Empfang und die Versendung der Waaren u.s.f.“ Vor allem diese Zweiteilung in einen allgemeinen und einen besonderen (betriebstypologischen) Teil hält Leitherer in methodologischer Hinsicht für wichtig. 168 Weber weist in seiner recht umfangreichen Inhaltsangabe darauf hin, dass insbesondere jene Abschnitte am besten seien, in denen „der Verfasser aus der Fülle seiner praktischen Erfahrungen schöpfen konnte.“ Dies sei z. B. der Fall bei den Eigenschaften und Tätigkeiten des Kauf‐ 3.4 „Versuch einer Einleitung in die Handlungswissenschaft“ (Johann Carl May) 89 <?page no="90"?> 169 Vgl. Weber (1914), S.-70 f. 170 Vgl. hierzu Weber (1914), S.-70 und Leitherer (1961), S.-55. 171 Löffelholz (1935), S.-234. 172 Weber (1914), S.-71. manns, der Leitung eines Kontors, der betrieblichen Finanzwirtschaft sowie dem Warenhandel. Seine besondere Stärke sieht Weber bei den einzelnen Kaufarten; hier „ist May ganz in seinem Elemente“. Ein Novum in der Handelswissenschaft ist die Erwähnung des Auktionshandels und einiger Spekulationskaufarten. 169 Bemängelt wird Mays allzu weit gefasster Han‐ delsbegriff, der keine einheitliche Stoffanordnung zulasse, sein partielles Abschweifen in den technischen Bereich und eine Vernachlässigung der wirtschaftlichen Besonderheiten. 170 Auch Löffelholz bemängelt, dass es May, der zwar „einen scharfen und klaren Weitblick“ zeige und „sein kluges Buch mit schwungvoller Feder schrieb“, jedoch allzu leicht passiere, „daß er die Grenzen seines Themas weit überschreitet und sich in volkswirtschaftliches Gebiet verirrt.“ 171 Die Verdienste Mays sieht Weber „in einer Erweiterung des handlungswissenschaftlichen erfassten Gebietes und dann in einer Popularisierung der Handlungswissenschaft selber.“ 172 Nach May erscheinen noch zahlreiche weitere Veröffentlichungen, die das gesamte literarische Spektrum der Literatur umfassen: rein handlungs‐ wissenschaftliche Schriften (z. B. Gottfried Christian Bohn: Wohlerfahrener Kaufmann), kameralistische Abhandlungen, Untersuchungen zu speziellen Fragen der Handlung, Handbücher und Lexika (z. B. von Johann Georg Krünitz: Oekonomische Encyklopädie, Berlin 1773-94; Martin Euler: Neues Handlungs-Lexicon, Karlsruhe/ Frankfurt 1790; Johann Isaak Berghaus: Handbuch für Kaufleute, Münster/ Osnabrück 1796-97) sowie Zeitschriften und Zeitungen (z. B. „Der Kaufmann“ von J. C. Sinapius, das „Allgemeine Journal für Handlung, Schiffahrt, Manufactur und Gewerbe“ von Sinapius und Schedel und die Vierteljahresschrift „Journal für Kaufleute“ von L. V. Seehusen). Aus dieser Zeit sind noch die folgenden Autoren erwähnenswert: Johann Heinrich Jung (Jung-Stilling), Johann Georg Büsch, der Begründer der bekannten Handelsakademie sowie der Erfurter Handelsschulleiter Gerhard Heinrich Buse. Dessen Werk wird von Leitherer wegen seiner hohen wissenschaftlichen Qualität sehr positiv beurteilt: „Dieser sehr zu Unrecht wenig gewürdigte Autor […] dürfte das ausgefeilteste Einteilungssystem des handlungswissenschaftlichen Stoffes geschaffen haben. Er vermag ein Werk darzubieten, dem auch nach modernen Begriffen das Prädikat der 90 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="91"?> 173 Leitherer (1961), S.-57. 174 Seÿffert (1971), S.-40. 175 H.-O. Schenk: Dogmengeschichte des Handels. In: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, hrsg. v. B. Tietz, Stuttgart 1974, Sp. 487-504 (hier: Sp. 495). 176 Vgl. Sundhoff (1979), S.-155 und Schenk (1974), Sp. 494. 177 Vgl. Leitherer (1961), S.-57. Wissenschaftlichkeit nicht verweigert werden kann. Buse […] versucht, auf theoretisch-abstrahierendem Wege seine Erkenntnisse zu gewinnen. Leider ist die systematische Schrift […] ohne größere Beachtung geblieben. Sie hätte durchaus das Fundament für eine theoretische Betriebswirtschafts‐ lehre des 19.-Jahrhunderts abgeben können.“ 173 „Alles in allem“, stellt Seÿffert fest, „erweist sich die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts als eine Zeit regster literarischer Tätigkeit auf betriebswirt‐ schaftlichem Gebiete.“ 174 Zu diesem Befund gelangt auch Schenk, der für das 18. Jahrhundert „eine Zeit ungestümen Dranges in der literarischen Entfaltung“ konstatiert, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die handelswissenschaftlichen Autoren danach wetteifern, „ein jeweils besseres und umfassenderes Buch zu schreiben als der Vorgänger.“ 175 Die Epoche der „Systematischen Handlungswis‐ senschaft“ zeichnet sich also nicht nur durch die Menge der in ihr erschienenen Werke aus, sondern sie ist auch in qualitativer Hinsicht eine sehr ergiebige. Ihren Abschluss und zugleich ihren Höhepunkt findet sie mit den Arbeiten von Gerhard Heinrich Buse und Johann Michael Leuchs. 176 3.5 „Einleitung zur Handlungswissenschaft“ (Gerhard Heinrich Buse) Gerhard Heinrich Buse (1764-1827) zählt wohl zu den am meist verkann‐ ten Handlungswissenschaftlern. Sein Werk „Einleitung zur Handlungswissen‐ schaft“ fand sowohl in der zeitgenössischen als auch in der heutigen Literatur sehr wenig Beachtung. Dies ist umso erstaunlicher, als beispielsweise Leitherer dieser Schrift durchaus zutraut, das „Fundament für eine theoretische Betriebs‐ wirtschaftslehre des 19.-Jahrhunderts“ hätte abgeben zu können. 177 Buse war seit seinem 17. Lebensjahr als Lehrer tätig, zunächst als Privat‐ lehrer in Hannover, anschließend an der weiblichen Erziehungsanstalt in Gotha. Später ging er nach Erfurt, wo er erst Privatunterricht in Rechnen und Buchhaltung erteilte und später unter schwierigsten Bedingungen im 3.5 „Einleitung zur Handlungswissenschaft“ (Gerhard Heinrich Buse) 91 <?page no="92"?> 178 Buse nennt sie an einer Stelle „Allgemeine Erziehungsanstalt für Knaben und damit verbundene Handlungsschule für Jünglinge“, vgl. Buse (1807), S. 99, Anm. 11. Im „Erfurtischen Intelligenzblatt“ wird „die Errichtung einer Handlungsschule oder kauf‐ männischen Instituts“ am 13. Januar 1798 bekanntgegeben. 179 Zur Biographie Buses vgl. K. F. Pott: Gerhard Heinrich Buse …, in: Gerhard Heinrich Buse, Einleitung zur Handlungswissenschaft, (Nachdruck der Ausgabe von 1807), hrsg. v. F. Klein-Blenkers/ K. Robl, Bergisch Gladbach 2004, S. IX-XVII (= Schriften zur Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, Nr.-18). 180 Buse (1807), Vorrede, nicht paginiert. 181 Leitherer (1961), S.-57. 182 Klein-Blenkers (2004), S. LXIX. Jahre 1798 eine Handelsschule 178 gründete, deren Rektor er bis 1807 lang war. Die Folgen des Dritten Napoleonischen Krieges wirkten sich auf Buses Erfurter Wirkungskreis so negativ aus, dass er sich gezwungen sah, Erfurt zu verlassen. Er nahm 1807/ 1808 einen Ruf nach Brünn an, wo er zunächst Oberlehrer und später Schulleiter wurde. Nach einem außergewöhnlich arbeitsreichen Leben starb er 1827 als Privatlehrer und Schriftsteller. 179 Sein schriftstellerisches Hauptwerk auf dem Gebiet der Handlungs‐ wissenschaft umfasst 22 Bände, die unter dem Reihentitel „Das Ganze der Handlung oder vollständiges Handbuch der vorzüglichsten Handlungs‐ kenntnisse“ (1798-1820) erschienen sind. Diese Reihe besteht aus den Abteilungen der Warenkunde, Geldkunde, Comptoirkunde, Wirtschaftsgeo‐ graphie sowie der Handlungs-, Zahlungs- und Frachtkunde. Zu dieser Reihe gehört auch die „Einleitung zur Handlungswissenschaft“ (1807). Diese „enthält die allgemeinen Grundsätze der ganzen Handlungswissenschaft“, schreibt Buse in der Vorrede, und könne „als eine für sich bestehende erläu‐ terte Uebersicht des ganzen Gebiets der Handlungskenntnisse betrachtet werden.“ Er weist darauf hin, dass seine „Einleitung“ keines der vorhan‐ denen Lehrbücher der Handelswissenschaft entbehrlich mache; vielmehr gedenke er „ein geordnetes ausführliches […] Lehrbuch der Wissenschaft zu liefern.“ 180 Und dies ist ihm auch in hervorragender Weise gelungen. Wie Leitherer hervorhebt, habe Buse „das ausgefeilteste Einteilungssys‐ tem des handlungswissenschaftlichen Stoffes geschaffen.“ 181 Auch Klein- Blenkers sieht den „Wert dieses Buches im systematischen und fortlaufenden Überblick über die einzelnen Komponenten der Aufgaben und Tätigkeiten eines Handelskaufmanns.“ 182 Buses Systematisierungsbestrebungen zie‐ hen sich durch das gesamte Werk und berühren vielfältige Themen der Handelsbetriebslehre, von denen nachfolgend einige exemplarisch genannt seien: 92 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="93"?> 183 Vgl. Buse (1807), S.-5 f. 184 Ebd., S.-22. 185 Ebd., S.-39. 186 Ebd., S.-42-44. 187 F. Klein-Blenkers (2004), S. LXXX. ■ Bei den Voraussetzungen der Handelstätigkeit unterscheidet Buse zwi‐ schen Bedürfnis, Befriedigungsmittel, Mangel und Überfluss. Die Be‐ dürfnisse unterteilt er weiter in die Kategorien „natürliche“ und „künst‐ liche“, die Befriedigungsmittel in „nothwendige“ und „willkührliche“. Den Zusammenhang zwischen Bedürfnissen und Befriedigungsmitteln leitet er ab aus den Situationen des Mangels und des Überflusses. 183 ■ Als Mittel der Bedürfnisbefriedigung nennt Buse die Waren (z. B. Ge‐ treide), Leistungen (z. B. Arbeitsleistung gegen Lohn) und Rechte (z. B. Wohnrecht gegen Miete). 184 Waren im engeren Sinne bezeichnet er auch als „Produkte“. Er unterscheidet den Handel mit „Natur-Produkten“ und „Kunst-Produkten“, gliedert diese nach ihren Grundstoffen in solche aus dem „Pflanzenreiche, Thierreiche und Mineralreiche“ und belegt sie mit Beispielen. Naturprodukte werden hervorgebracht durch „Feldbau, Viehzucht, Jägerey, Fischerey und Bergbau“. Kunstprodukte „werden von Handwerkern, Manufacturisten, Fabrikanten und Künstlern aus rohen Naturprodukten verfertigt oder bereitet.“ 185 ■ Im Gegensatz zu anderen Autoren befasst Buse sich neben dem Groß‐ handel, den er als „viel bedeutender und vorteilhafter als den Kleinhan‐ del“ ansieht, trotzdem mit eben diesem und unterscheidet drei Arten, nämlich „Kleinhändler in großen Städten“, „Detailhändler in kleinen Städten“ und „Krämer“. Nicht berücksichtigt werden die „Hausirer“, die nach Buses Auffassung „als schädliche Glieder des Staates in keinem Lande geduldet werden sollten.“ 186 Buse erstellt „die erste systematische Auflistung von zwischenbetrieblichen Aufgabenbereichen der Handelsbetriebe“ 187 in der handlungswissenschaft‐ lichen Literatur, die nachfolgend grob skizziert werden soll (→ Abb. 3.6): Das elementare Geschäftsmodell des Handels beruht auf dem gewinnori‐ entierten Einkauf und Verkauf von Waren. Diese beiden betrieblichen Funktionsbereiche (Einkauf und Verkauf) nennt Buse „Hauptgeschäfte“ und beschreibt sie zunächst ganz allgemein: 3.5 „Einleitung zur Handlungswissenschaft“ (Gerhard Heinrich Buse) 93 <?page no="94"?> 188 Buse (1807), S.-57. 189 Buse (1807), S.-59. 190 Buse (1807), S.-60/ 61. „Die H a u p t g e s c h ä f t e, d. h. diejenigen, worauf sich alle anderen beziehen, sind: a. Der E i n k a u f, der das Geschäft, durch welches man Güter (Waaren oder Geld) unter der Bedingung zum Eigenthum erhält, daß man ihren bedunge‐ nen Werth entweder gleich oder auch nach einer gewissen bestimmten Zeit wieder erstatte; b. Der V e r k a u f, oder das Geschäft, durch welches man Güter unter der Bedingung an andere abtritt, daß man ihren bedungenen Werth entweder gleich oder nach einer gewissen Zeit wieder zurück erhalte.“ 188 Aus diesen Hauptgeschäften ergeben sich sowohl für den Einkauf als auch für den Verkauf die „nothwendigen Verrichtungen“ sowie die „Hülfsver‐ richtungen“. Zu den notwendigen Tätigkeiten des Einkaufs gehören die Kaufvertragsverhandlung, die Warenbestellung, der Warenempfang und die Wareneingangskontrolle sowie die Zahlung. Zu den Tätigkeiten des Verkaufs zählen die Kalkulation des Verkaufspreises, Festlegung der Zah‐ lungsbedingungen, das Kommissionieren und Versenden der Waren, sowie die Kontrolle des Zahlungseingangs. Die „durch die Hauptgeschäfte veranlaßten Hülfsverrichtungen“ beziehen sich einerseits auf die Betreibung dieser Geschäfte (hierzu gehören Verwal‐ tungstätigkeiten wie der kaufmännische Schriftverkehr und die Buchhaltung) und andererseits „auf den Hauptzweck des Handels - auf den Gewinn.“ 189 „Die sich auf den Gewinn beziehenden Hülfsgeschäfte betreffen theils die Verhü‐ tung des möglichen Schadens, teils die Ausmittelung und Berechnung des Ge‐ winns.“ 190 Zur Schadensverhütung zählen z. B. „Versicherungen gegen Schaden und Verlust“ und „bey auswärtigen Bestellungen von unbekannten Personen […] Erkundigung nach ihren Vermögensumständen, ihrer Rechtschaffenheit, Solidität u.s.w.“ Zur „Ausmittelung und Berechnung des Gewinns“ ist eine vollständige Rechnungsführung erforderlich. Klein-Blenkers weist darauf hin, dass Buse mit dieser „Zweiteilung in Schadenverhütung und Gewinnermittlung die beiden Komponenten benennt, die auch heute als Hauptziele unternehme‐ 94 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="95"?> 191 Klein-Blenkers (2004), S. LXXXII. 192 Vgl. hierzu auch die Darstellung von Klein-Blenkers (2004), S. LXXIX ff. und insbesondere die Übersicht auf S. LXXXI. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Klein-Blenkers ein begrifflicher Fehler bei der Visualisierung unterlaufen ist: Buse bezeichnet den Einkauf und Verkauf als Hauptgeschäfte. In der Darstellung von Klein-Blenkers werden diese von ihm als Tätigkeitsfelder bezeichnet, und auf der nachfolgenden Gliederungsebene unterteilt er in Hauptgeschäfte und Hülfsverrichtungen. Das, was Klein-Blenkers als Hauptgeschäfte bezeichnet, sind bei Buse die „nothwendigen Geschäftsteile oder einzelne Verrichtungen“ (vgl. Buse, S.-57). rischer Betätigung angesehen werden.“ 191 Eine Übersicht der „Haupt- und Hülsgeschäfte des Handels“ gibt die folgende Abbildung. 192 Geschäft (Der Handel eines Kaufmanns) Hauptgeschäft a) Einkauf Hauptgeschäft b) Verkauf nothwendige Geschäftsanteile oder einzelne Verrichtungen Hülfsverrichtungen regelmäßige, ordentliche Betreibung der Geschäfte Gewinn (Hauptzweck des Handels) Verhütung des möglichen Schadens Ausmittelung und Berechnung des Gewinns Abb. 3.6: „Haupt- und Hülsgeschäfte des Handels“ nach Buse. | [18] Was Buse von den Handelsschriftstellern vor ihm unterscheidet, ist seine Leistung auf dem Gebiet der Wirtschaftspädagogik und Wirtschaftsdi‐ daktik. Er gründete nicht nur eine der ersten Handelsschulen, sondern schrieb Lehrpläne und entwickelte Lehr-Lern-Arrangements, die seiner Zeit 3.5 „Einleitung zur Handlungswissenschaft“ (Gerhard Heinrich Buse) 95 <?page no="96"?> 193 Zitiert nach Pott (2004), S. XIV. 194 Seit dem 19. Jh. haben sich in Europa unterschiedliche Modelle der Berufsausbil‐ dung herauskristallisiert. Ein wichtiger Aspekt, der dabei eine Rolle spielt(e), ist die jeweils herrschende Arbeitskultur. So wird in Großbritannien, dem „Mutterland des Kapitalismus“, die Produktionsbeziehung als reiner Marktprozess aufgefasst, und Arbeitnehmer sind dementsprechend bloße Marktakteure. In Frankreich wird die Produktionsbeziehung als eine politisch gestaltete verstanden, wobei der Staat der gestaltende Akteur ist, der auch das Arbeitsleben entscheidend prägt. In Deutschland wird die Produktionsbeziehung als eine gemeinschaftliche wahrgenommen, die geprägt ist von wechselseitiger Verantwortung und Rücksicht auf das gesellschaftliche Ganze. Der in England vorherrschende Leitgedanke der Ökonomie, die in Frankreich vorherr‐ schende Idee des Politischen und der Ordre Public sowie der in Deutschland verankerte soziale Grundsatz spiegeln sich wider in deren jeweiligen Berufsbildungssystemen. So lassen sich heute in Europa drei Modelle identifizieren, wie die Berufsausbildung organisiert und durchgeführt werden kann: die vollzeitschulische Berufsausbildung (z. B. in Frankreich), die überwiegend betriebliche Berufsausbildung (z. B. in England) sowie eine Mischform aus aufeinander abgestimmten betrieblichen (praktischen) und schulischen (theoretischen) Elementen, die als „duales System“ bezeichnet wird (z. B. in Deutschland). weit voraus waren, wie z.-B. den schülerzentrierten und den handlungsori‐ entierten Unterricht. So heißt es in Buses Lehrplan aus dem Jahr 1801: „Die beste Methode […] ist unstreitig diejenige, welche das Selbstdenken am meis‐ ten begünstigt, und dazu hinlängliche Veranlassungen, Gelegenheiten und Mittel darbietet. Sie besteht in einer Anleitung zum eigenen Forschen und Arbeiten, wodurch der Stunden-Unterricht vermindert, oberflächliche Vielwisserey, und blindes Vertrauen auf das Ansehen und die Hülfe der Lehrer gehindert, dagegen aber gründliches Wissen, eigene Ueberzeugung und praktische Brauchbarkeit der auf diesem Wege erworbenen Kenntnisse befördert […] wird.“ 193 Von der historischen Berufsbildungsforschung „völlig übersehen“ wurde der in Buses „Einleitung“ enthaltene Unterabschnitt über die „Handlungs- Lehrlinge“, der mit 31 Seiten relativ umfangreich ausfällt. Dort geht Buse der Frage nach, ob der angehende Kaufmann besser betrieblich, schulisch oder universitär ausgebildet werden soll. Im Wesentlichen spricht er damit die auch heute noch gegebenen Möglichkeiten an, wie angehende Kauf‐ leute ausgebildet werden. 194 Allerdings steht Buse einer kaufmännischen Ausbildung an Universitäten ablehnend gegenüber, da diese keine prak‐ tische Ausbildung gewährleisten können und außerdem zu befürchten sei, dass die kaufmännische Ausbildung an Universitäten als Anhängsel 96 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="97"?> 195 Auf den Seiten 98-113 setzt sich Buse kritisch mit den Ansichten F. G. Canzlers auseinander, der am Beispiel von Göttingen für eine Ausbildung von Kaufleuten „auf Teutschlands Universitäten“ plädiert. Vgl. hierzu außerdem Klein-Blenkers (2004), S. XCII. 196 Buse (1807), S.-113. 197 Buse (1807), S.-178. 198 Leitherer (1961), S.-57. der Staatswirtschaft (Volkswirtschaftslehre) betrieben werde. 195 So stellt er fest: „Die Handlungsschulen machen keine Ansprüche auf die Bildung der Staatswirthe, und die Universitäten sollten keine auf die Bildung der Kaufleute machen.“ 196 Abschließend seien hier noch einige formale Aspekte von Buses „Einlei‐ tung“ erwähnt, die in wissenschaftsmethodologischer Hinsicht interessant sind. Im letzten Kapitel gibt Buse den damaligen aktuellen Forschungsstand wieder, wenn er die Werke von Ludovici, May, Jung, Büsch und Leuchs bespricht. Hierzu merkt Buse an: „Es ist lehrreich, die vorzüglichsten Sys‐ teme, die seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis auf unsere Zeiten, für die Handlungswissenschaft aufgestellt worden sind, näher kennen zu lernen. Die Darstellung dieser Systeme deutet nicht nur die wesentlichen Fortschritte dieser Wissenschaften an, sondern setzt auch jedem […] in den Stand, […] sich auf dem kürzesten Wege in dem weitläuftigen Gebiete der Handlungskenntnisse zu orientieren.“ 197 Positiv hervorzuheben ist auch, dass Buse in seinem Text Zitate kenntlich macht, was zur damaligen Zeit unüblich war. Zitate werden von ihm - wenn auch stellenweise unzulänglich - durchweg als solche kenntlich gemacht, indem zumindest der Name des Verfassers genannt wird. Querverweise zu eigenen Schriften aus der Reihe „Das Ganze der Handlung…“ erfolgen meist im Fließtext, während erläuternde Anmerkungen und fremde Quellen zumeist in Fußnoten erscheinen und als Referenzzeichen Sternchen (*) verwendet werden. Zwar genügt Buses Form des wissenschaftlichen Arbeitens nicht immer den heutigen Ansprüchen, aber seine Einleitung ist insgesamt nachvollziehbar, transparent und überwiegend auch fundiert geschrieben, sodass Leitherer durchaus zugestimmt werden kann, wenn er schreibt, dass Buses Werk „das Prädikat der Wissenschaftlichkeit nicht verweigert werden kann.“ 198 Was die Lehre der Betriebswirtschaft betrifft, so liegt die Bedeutung Buses in der Förderung des kaufmännischen Berufsschulunterrichts - auch im Hinblick auf das spätere duale System der (kaufmännischen) Berufsausbil‐ 3.5 „Einleitung zur Handlungswissenschaft“ (Gerhard Heinrich Buse) 97 <?page no="98"?> dung. Für die Entwicklung des Fachs zur Universitätsdisziplin hingegen erweisen sich seine Ansichten und Bestrebungen als hemmend. 3.6 „System des Handels“ (Johann Michael Leuchs) Buses „Einleitung zur Handlungswissenschaft“ bildet zusammen mit dem 1804 veröffentlichten „System des Handels“ des Nürnberger Kaufmanns und Handelsschuldirektors Johann Michael Leuchs (1763-1836) den Abschluss der Epoche der „Systematischen Handlungswissenschaft“. Leuchs begann bereits im Alter von elf Jahren bei Verwandten in Nürnberg eine kaufmännische Lehre, die acht Jahre dauerte (von 1774 bis 1882). Anschließend unternahm er eine zweijährige Studienreise, die ihn zunächst nach Wien führte. Hier hielt er sich längere Zeit auf und hörte Vorlesungen in Medizin und Staatswissenschaft, u. a. bei dem Kameralisten Josef von Sonnenfels. Nach weiteren Stationen in Köln, Amsterdam, Brüssel, Paris und Straßburg kehrte er 1784 nach Nürnberg zurück und fand in einem Handlungshaus eine Anstellung. Während sei‐ ner sieben Jahre dauernden Tätigkeit als Handlungsgehilfe (bis 1791) reifte auch sein Entschluss, sich eingehend mit den theoretischen Grundlagen des Kaufmannsberufs zu beschäftigen. Als Ergebnis dieses handelswissen‐ schaftlichen Studiums erschien 1791 sein Werk Allgemeine Darstellung der Handlungswissenschaft. Kurz darauf machte er sich als Großhändler mit einer Manufaktur-, Material- und Farbenhandlung selbständig. Als das Geschäft wegen des Revolutionskrieges nicht mehr lukrativ war, wurde er Herausgeber und Verleger der Allgemeinen Handlungs-Zeitung, die seit 1794 erschien und sehr großen Anklang in Deutschland fand. 1795 gründete Leuchs in Nürnberg seine Akademie-, Lehr- und Pensions- Anstalt der Handlung. In dieser kaufmännischen Berufsschule wurden Lehrlinge, deren „Alter, wo möglich, nicht unter 15 Jahre seyn“ soll, in einer dreibis fünfjährigen Lehre sowohl theoretisch als auch praktisch ausgebildet. Der Unterricht, der täglich fünf bis acht Stunden dauerte, wurde von Lehrern und Kaufleuten gehalten. Das Schulgeld betrug 300 Gulden jährlich. 1812 zog sich Leuchs aus dem Erwerbsleben zurück und überließ die Geschäfte seinen Söhnen. In seiner Funktion als Gemeinde‐ bevollmächtigter und stellvertretender Magistratsrat setzte er sich, als das Volksschulwesen neu geordnet wurde, für eine bessere Lehrerbesoldung ein. 1824 erschien Leuchs „Ausführliches Handels-Lexicon oder Handbuch 98 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="99"?> 199 J. M. Leuchs: Die Kunst reich zu werden, Nürnberg 1837, S.-26. 200 Vgl. Seÿffert (1971), S.-41. der höhern Kenntnisse des Handels“. Die letzten rund zehn Jahre seines Lebens verbrachte Leuchs viel Zeit in seiner Privatbibliothek, die 20.000 Bände umfasste, denn, wie er in seiner Autobiographie schreibt, war „die Unterhaltung mit den Büchern seine letzte und liebste Beschäftigung“ 199 Das erste Werk von Leuchs erschien im Jahre 1791 und trägt den Titel: „Allgemeine Darstellung der Handelswissenschaft nebst einer Anzeige der damit verbundenen Kenntnisse, und einige Gedanken über kaufmännische Erziehung.“ Hier entwickelt Leuchs schon im Wesentlichen sein System des Handels, welches 1804 unter gleichnamigem Titel erscheint. Eingeleitet wird seine „Allgemeine Darstellung“ durch ein wirtschaftspädagogisches Kapitel, in dem sich Leuchs für die Einrichtung von Handelsschulen einsetzt. Außerdem schlägt er vor, dass die kaufmännische Ausbildung mit einem öffentlichen Examen abschließen sollte. Auch hält er es für möglich, dass die Handlungswissenschaft als universitäre Disziplin gelehrt werden könnte. Damit sieht er die Entwicklung voraus, die erst gut hundert Jahre später einsetzen wird, nämlich die Gründung der ersten betriebswirtschaftlichen Lehrstühlen und den Abschluss des Diplom-Kaufmanns bzw. -Handelsleh‐ rers. Zu den wichtigen Werken, die Leuchs in seiner wissenschaftlichen Schaffensphase verfasste, gehören das „System des Handels“ (1804), die „Contorwissenschaft“, (4 Teile., 1806-1823), das „Handels-Lexikon“ (1824) und die „Kunst Reich zu werden“ (1826). Sein Hauptwerk, das „System des Handels“, erlebte insgesamt vier Auflagen (1804, 1817, 1822 und 1839). Mit dieser Arbeit erreichte die Handlungswissenschaft ihren Höhepunkt und den Rang einer Wissenschaft. Das Werk besteht aus drei Teilen: Der bürgerlichen Handelswissenschaft (Privathandelswissenschaft), der Staatshandelswissenschaft und der Han‐ delskunde. Zur Handelskunde, die Leuchs eindeutig von der Handelswissen‐ schaft abgrenzt, zählen die Warenkunde, die Handelsgeographie und die Handelsgeschichte. Kernstück seines „Systems“ ist der erste Teil („Bürger‐ liche Handelswissenschaft“), der, wie Seÿffert feststellt, auch „am besten entwickelt worden“ ist. 200 Dieser Teil gliedert sich wie folgt: 3.6 „System des Handels“ (Johann Michael Leuchs) 99 <?page no="100"?> 201 Weber (1914), S.-79. 1. Tauschmittellehre: Eine Lehre von der Ware und vom Gelde. 2. Wertbestimmungslehre: Eine Kalkulationslehre, die außerordentlich exakt ausgebildet worden ist. Sie könne nach Weber „auch als Kalkulationslehre bezeichnet wer‐ den, weil die Fabrikations-, Bezugs-, und Verkaufskalkulationen von ihr ihre Grundsätze nehmen.“ 201 3. Handelslehre: Sie hat den Handel als solchen zum Gegenstand, d. h. die Einkaufslehre, die Verkaufslehre, die Zahlungslehre und die Versendung. 4. Kontorwissenschaft: In ihr werden das Buchhalten, der Briefwechsel, die kaufmännischen Aufsätze und schriftlichen Ausfertigungen behandelt. 5. Wahrscheinlichkeitslehre (Spekulationslehre, Mutmaßungs‐ lehre): Sie untersucht die Grundlagen und Voraussetzungen des dauernden und sicheren Absatzes, um nach Bestimmung des Allgemein-Grundsätzli‐ chen der Wahrscheinlichkeit des Erfolges im Handel diese Erkenntnisse anzuwenden auf den praktischen Fall des Wahrscheinlichen im Waren‐ handel, bei Fabrikunternehmungen, im Handel mit Staatspapieren, bei Assekuranzen, bei den Wechselpreisen und beim Steigen und Fallen von Aktien. Die Darstellung des Systems der Handelswissenschaft, wie sie sich im Original bei Leuchs findet, zeigt die →-Abb. 3.7. 100 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="101"?> Abb. 3.7: Leuchs System der Handlungswissenschaft (1791). | [19] 3.6 „System des Handels“ (Johann Michael Leuchs) 101 <?page no="102"?> 202 Löffelholz (1935), S.-236f. 203 Vgl. Weber (1914), S.-94. In seiner Würdigung des Werks hebt Löffelholz vor allem hervor, dass Leuchs zu einer objektiven Darstellung gelangt, indem er sich auf den betrieblichen Leistungserstellungsprozess konzentriert und diesen losgelöst betrachtet von der Person des Kaufmanns: „Leuchs hatte die Trennung der Person vom Betriebe als die notwendige Konsequenz des liberal-kapita‐ listischen Systems erkannt, […]. Dem ,persönlichen‘ Handelsbetrieb stellt er dann in der ,Anstaltenlehre‘ den entpersönlichten Betrieb gegenüber.“ 202 Dies veranlasste jedoch Weber zu der kritischen Bemerkung, dass Leuchs Werk insofern eine Lücke aufweise, „als es die Arbeit als Produktionsfak‐ tor nur wenig in ihrer Bedeutung berücksichtigt.“ Dass der Bereich der Personalwirtschaft ignoriert wird, führt Weber darauf zurück, dass Leuchs wohl „das Rechnen, das Berechnen mehr lag, als Betrachtungen über das Arbeiten.“ 203 Neben der Handelsbetriebslehre sind auch die Bemühungen Leuchs auf dem Gebiete der kaufmännischen Lehrlingsausbildung bedeutsam. Der Lehrplan seiner 1795 gegründeten Handlungsakademie umfasste neben dem Stoff der Handelswissenschaft auch Warenkunde, Chemie und Fremdspra‐ chen. Neben einer guten Fachausbildung wurden den Lehrlingen auch die für das menschliche Zusammenleben nötigen Kenntnisse vermittelt. Leuchs Lehrplan von 1797 sah die folgenden Inhalte vor: ■ „Handlungswissenschaft, im engeren Verstande, wöchentlich zwei Stunden, nach meinem Lehrbuche. ■ Kontorwissenschaft (Buchhalten, Korrespondenz usw.), nach eigenen Hilfs‐ mitteln, wöchentlich zwei Stunden. ■ Wechselrecht, nach Püttmann, und Wechselgeschäft; beides ein halbes Jahr lang, wöchentlich eine Stunde. Handelsrecht besonders. ■ Rechnen und Handelsrechnungen, nach verschiedenen Lehrbüchern, wö‐ chentlich zwei Stunden. ■ Politische und Handelsgeographie, nach Fabris größerm Lehrbuche u.-a. ■ Sprachkenntnisse und Stil: a) deutsche Sprache nach Adelung und Moritz, wöchentlich eine Stunde; b) französische Sprache, wöchentlich drei Stunden; c) italienische, wöchentlich eine Stunde; d) englische, wöchentlich eine Stunde. Bei den fremden Sprachen wird nur auf vollkommene Erlernung der französischen gesehen, um den eigentlichen Handelskenntnissen nicht zuviel 102 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="103"?> 204 Zitiert nach Sundhoff (1979), S.-144f. 205 Zitiert nach Sundhoff (1979), S.-145. 206 G. Wöhe: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 15. Aufl., München 1984, S.-65. Zeit zu entziehen und Englisch und Italienisch nur soweit gelehrt, daß Briefe und Bücher in diesen Sprachen verstanden werden können; es müßten denn mehrere Kenntnisse darin besonders veranlagt werden. ■ Schönschreiben. ■ Zur technischen Chemie, Fabrikwissenschaft, Warenkunde und Handelsge‐ schichte erhalten sie Hilfsmittel zur eigenen Belehrung, und auch die nötigen Erläuterungen.“ 204 In wirtschaftsdidaktischer Hinsicht war Leuchs auch aus heutiger Sicht sehr fortschrittlich. So führte er in seiner Akademie z. B. ein Musterkontor ein. Diese Juniorfirma, wie sie heute genannt wird, zählt zu den handlungsorien‐ tierten Ausbildungsmethoden und ist eine Variante des situativen Lernens. Gut 100 Jahre später wird der Leipziger Professor Robert Stern an der ersten Handelshochschule diese Lehrmethode wiederbeleben. Leuchs erläutert die Bedeutung des Musterkontors für den fachpraktischen Unterricht: „Zur Erlernung des Buchhaltens oder der Kontorwissenschaft habe ich eine eigene Lehrart eingeführt, bei welcher zugleich alle Handelskenntnisse Anwen‐ dung finden. Die Zöglinge übernehmen in verschiedenen Handelsstädten, z. B. London, […] Hamburg, Nürnberg usw. teils schon als bestehend betrachtete Handlungen, teils fangen sie welche an […]. Es führt also jeder eine eigene Hand‐ lung. Bei dieser Lesart hat nicht nur der Lernende äußerst viel Anschauung und Interesse, sondern auch der Lehrer die beste Gelegenheit, die mannigfaltigsten Kenntnisse beizubringen und ihre Wichtigkeit und Anwendung zu zeigen, sie in kritische Lagen zu versetzen und ihre Denkkraft auf alle Art zu üben.“ 205 Wöhe gelangt zu der Feststellung, dass das Hauptwerk von Leuchs „noch heute relativ modern anmutet“ und führt weiter aus: „Das Leuchs’sche System des Handels geht also weit über eine Handelsbetriebslehre im heutigen Sinne hinaus, da es im zweiten Teil auch eine volkswirtschaftliche Analyse des Handels und im dritten Teil eine Beschreibung der Warenkunde, der Wirtschaftsgeographie und anderer Gebiete enthält“ 206 . Ähnlich positiv äußert sich auch Schwantag: „Das Werk überrascht durch die Fülle echter betriebswirtschaftlicher Probleme, die aufgeworfen und richtig gelöst wer‐ den.“ Dass dieses „letzte und zugleich wissenschaftlich beachtlichste Werk 3.6 „System des Handels“ (Johann Michael Leuchs) 103 <?page no="104"?> 207 Seÿffert (1971), S.-41f. der so fruchtbaren Handlungswissenschaft“, wie Seÿffert feststellt, „ohne Einfluß auf unsere heutige Lehre geblieben ist, liegt an dem Verfall der Handlungswissenschaft, den das 19.-Jahrhundert brachte.“ 207 ➲ Zusammenfassung ■ Im Europa des 17./ 18. Jahrhunderts ist der Merkantilismus das vor‐ herrschende Wirtschaftssystem. ■ Um den Finanzbedarf durch Steuereinnahmen decken zu können, för‐ dern die deutschen Herrscher Handel und Gewerbe, und sie errichten auch selbst Betriebe (z. B. Manufakturen). Die Herrscher erkennen den Vorteil des Unternehmertums für ihre (politischen) Zwecke. Deswegen wird dem Kaufmann auch zugestanden, dass seine unterneh‐ merische Tätigkeit auf Gewinnmaximierung gerichtet ist. ■ Mit dem Werk „Le Parfait Négociant“ (1675) des Franzosen Jaques Savary beginnt die Epoche der Systematischen Handlungswissenschaft. ■ Paul Jacob Marperger ist der erste deutsche Schriftsteller der sys‐ tematischen Handelswissenschaft und „Begründer der modernen be‐ triebswirtschaftlichen Literatur in Deutschland“ (Löffelholz). Darüber hinaus hat er eine große Bedeutung für die Entwicklung der BWL zur Universitätsdisziplin sowie für die Errichtung von Handelsschulen. Bereits 1715 schlägt er die Errichtung einer Kaufmannsakademie vor. Dies kann als Ausgangspunkt des kaufmännischen Berufsschulwesens in Deutschland gesehen werden. ■ Der Hochschullehrer und Philosoph Carl Günther Ludovici gilt als Weg‐ bereiter und erster akademischer Vertreter der Handlungswissenschaft. 1752-56 erscheint seine „Eröffnete Akademie der Kaufleute“. Neben dem umfangreichen Lexikon enthält es einen „Grundriß eines vollstän‐ digen Kaufmanns-Systems“. In dieser Handelsbetriebslehre werden handelswissenschaftliche, warenkundliche und wirtschaftsgeografische Inhalte systematisch aufbereitet und dargestellt. ■ 1763 erscheint der „Versuch einer allgemeinen Einleitung in die Handlungswissenschaft“ des Kaufmanns Johann Carl May. ■ Der Nürnberger Kaufmann und Handelsschuldirektor Johann Michael Leuchs veröffentlicht 1804 sein „System des Handels“. Damit erreicht 104 3 Systematische Handlungswissenschaft (1675-1804) <?page no="105"?> die Handlungswissenschaft ihren Höhepunkt und den Rang einer Wis‐ senschaft. Auch als Wirtschaftspädagoge ist Leuchs sehr fortschrittlich: Schon 1795 gründet er in Nürnberg eine Handelsschule, die Akademie-, Lehr- und Pensions-Anstalt der Handlung. Dort führt er als Unterrichts‐ methode ein „Musterkontor“ ein, eine Übungsfirma. ■ Gerhard Heinrich Buse veröffentlicht 1807 sein Lehrbuch „Einleitung zur Handlungswissenschaft“. Wie Leuchs gründet auch er eine Handels‐ schule, konzipiert Lehrpläne und entwickelt moderne wirtschaftsdidak‐ tische Konzepte wie den handlungsorientierten Unterricht. ➲ Zusammenfassung 105 <?page no="107"?> 208 A. Lindwurm: Die Handelsbetriebslehre und die Entwicklung des Welthandels, Stutt‐ gart & Leipzig 1869, S. VI. 209 Vgl. J. Hellauer: System der Welthandelslehre, Berlin 1920, S.-18-20. 210 Vgl. Weber (1914), S.-1. 211 Vgl. Weber (1914), S.-111. 212 Seÿffert (1938), Sp. 934. 213 Seÿffert (1971), S.-42. 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) 4.1 Verflachung und Verfall der Handlungswissenschaft Die verheißungsvolle Entwicklung der systematischen Handlungswissen‐ schaft fand im 19. Jahrhundert ihr jähes Ende. Die Ursachen und Gründe für diesen Niedergang sind immer noch unklar. Bereits 1869 stellte Lindwurm fest, dass die Handelswissenschaft „seit Büsch und seinen Zeitgenossen so geringe Fortschritte gemacht hat, ja was das eigentlich Wissenschaftliche, nämlich die Betriebslehre anbetrifft, eher zurückgegangen ist.“ 208 Ähnlich äußert sich auch Hellauer, wenn er sagt, dass er die „Originalität“ und den „wissenschaftlichen Ernst“ dieser Literatur vermisse. Außerdem kritisiert er eine „Überproduktion spekulativer Buchfabrikate“, die schließlich zur „Diskreditierung der Handelswissenschaften“ geführt habe. 209 Weber gelangt 1914 zu dem Befund, dass die industrielle Betriebslehre in der Technologie stecken blieb, während die Betriebslehre des Handels sogar gänzlich wieder vergessen wurde. 210 Die Abkehr von der Handlungswissenschaft habe sich so vollständig vollzogen, dass spätestens „nach den 1870er-Jahren auch die letzte Erinnerung an sie völlig dahingeschwunden war.“ 211 Ihre Tradition sei sogar „so gründlich vernichtet“ worden, konstatierte Seÿffert im Jahre 1938, „daß auch heute noch die nähere Kenntnis ihrer Literatur auf einen engen Forscherkreis beschränkt ist.“ 212 Seÿffert, der selber diesem Kreis angehörte, stellte noch Jahrzehnte später, kurz vor seinem Tode fest, dass es besonderer Forschung vorbehalten bleibe, „die Gründe voll aufzudecken, welche die Ursache des Verfalls der Handlungswissenschaft gewesen sind.“ 213 Die Ursachen für diesen Niedergang sieht Weber „teils in der haupt‐ sächlich abwartenden oder gar ablehnenden Haltung der kaufmännischen Praxis, teils in der Umgestaltung des Handelsschulwesens […] und teils in <?page no="108"?> 214 Weber (1914), S.-111. 215 Schwantag (1959), Sp. 115. 216 Lindwurm (1869), S. VI. 217 K. H. Rau: Über die Kameralwissenschaft, Heidelberg 1823, S. III. 218 Rau (1823), S.-26. 219 D. Schneider: Die ersten Handelshochschulen. In: Entwicklungen der Betriebswirt‐ schaftslehre, hrsg. v. E. Gaugler/ R. Köhler, Stuttgart 2002, S.-45. der Entwicklung der Kameralwissenschaften zur Volkswirtschaftslehre.“ 214 Zur Kameralwissenschaft gehörte - zunächst sogar gleichberechtigt - auch die „Bürgerliche Wirtschaftslehre“; jedoch drängte die staatswirtschaftliche Sichtweise schon rasch in den Vordergrund und forcierte den Übergang zur Volkswirtschaftslehre. Auch Schwantag sieht die Gründe für diese „eigenartige Entwicklung“ in der Umbildung der Kameralwissenschaften zur modernen Volkswirtschaftslehre. 215 Diese Auffassung vertrat Lindwurm übrigens schon im 19. Jahrhundert: Die Ursache für den Rückgang der Betriebslehre sei „darin zu suchen, daß die ,Volkswirtschaftslehre‘, unter dem überwiegenden Einflusse einer mit den praktischen Wirtschaftsbedürf‐ nissen wenig bekannten Gelehrtenwelt, sich […] das Vorrecht angemaßt hatte, allein etwas Wissenschaftliches vorzustellen, während den Gewerbe‐ lehren, also auch der Handelswissenschaft, die Rolle zuerkannt worden war, eine bloß zu praktischen Zwecken vorgenommene Zusammenstellung von Regeln zu sein (Roscher).“ 216 Diese ablehnende Haltung wird auch deutlich bei Karl Heinrich Rau, der erklärte: „Wer sich nicht mit der Politi‐ schen Ökonomie vertraut macht, sondern bei der Privatökonomie stehen bleibt, kann ebenso wenig ein (theoretischer) Kameralist genannt werden, als Jemand auf den Namen eines Mathematikers Anspruch hat, wenn er nicht in die höhere Analysis und Geometrie eingedrungen ist.“ 217 Und er betont: „Die eigenthümliche Wesenheit der Volkswirtschaftslehre zeigt sich gerade darin, daß sie aus einem höheren Standpunkte die wirthschaftlichen Angelegenheiten betrachtet.“ 218 Schneider erkennt darin eine beklagenswerte Tradition: „Diese Einbildung, dass derjenige, der gesamtwirtschaftliche Probleme zu behandeln vorgibt, automatisch einen geistig höheren Stand‐ punkt einnehme, durchzieht das Verhältnis von Volkswirtschaftslehre und einzelwirtschaftlichem Denken bis heute.“ 219 Dass die Vertreter der Volkswirtschaftslehre, die zu dieser Zeit bereits als eine voll anerkannte Wissenschaft galt, die Einzelwirtschaftslehre ab‐ schätzig nur als eine Sammlung von Regeln ohne besonderen theoretischen Gehalt und bloß für den praktischen Gebrauch beurteilten, wirkte sich zwei‐ 108 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="109"?> 220 Vgl. E. Sundhoff: Dreihundert Jahre Handelswissenschaft, Göttingen 1979, S.-159. 221 Vgl. Weber (1914), S.-115. 222 Vgl. Seÿffert (1971), S.-43. fellos hemmend auf die weitere Beschäftigung mit betriebswirtschaftlichen Fragestellungen aus. Dazu kommt, dass beide Disziplinen nur eine sehr geringe Schnittmenge aufweisen, d.-h. nur teilweise denselben Gegenstand betrachten, nämlich die Unternehmung. Zudem hat sich auch diese selbst im Zuge der Veränderung wirtschaftlicher Verhältnisse - insbesondere der industriellen Revolution und der sie begleitenden Expansion der Geld- und Kreditwirtschaft - gewandelt von eher kleineren, inhabergeführten Unternehmungen zu immer größeren Kapitalgesellschaften. Neben dieser Entpersönlichung der Unternehmung, der Trennung von Person und Betrieb (Objektivierung), kam es zu zunehmender Arbeitsteilung und Spezialisie‐ rung, die sich nicht nur in der innerbetrieblichen Organisation bemerkbar machte, sondern auch in einer horizontalen und vertikalen Herausbildung verschiedener Betriebstypen in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen, die gründlich zu erforschen waren. So bildeten sich neben einer Wirtschafts‐ zweiglehre des Handels auch spezifische Lehren der Industrie und des Bankwesens aus. Dies hatte später zur Folge, dass die den verschiedenen Wirtschaftszweiglehren gemeinsamen Gebiete ausgeklammert wurden, um sie in einer allgemeinen Betriebswirtschaftslehre zusammenzufassen. 220 Festgehalten werden kann, dass die einst so vielversprechende Entwick‐ lung, den die Handlungswissenschaft zum Ende des 18. Jahrhunderts ge‐ nommen hatte, abriss. Die Autoren dieser Zeit (z. B. Leuchs und Buse) und ihre Werke gerieten in Vergessenheit. In wissenschaftlicher Hinsicht brachte das 19. Jahrhundert für die Betriebswirtschaftslehre, so die einhel‐ lige Meinung, Stagnation, Rückschritt, Verfall, Niedergang. Die Ursa‐ chen und Gründe hierfür sind nicht eindeutig geklärt, und wie schon Weber feststellte, sei es müßig diese Fragen weiter zu erörtern. Die tatsächliche Entwicklung habe nun mal dazu geführt, dass es mit der Handlungswissen‐ schaft sang- und klanglos zu Ende gegangen sei. 221 Selbst die wenigen wis‐ senschaftlichen Werke, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erschienen sind und die wieder ein ansprechendes Niveau erreicht hatten, blieben un‐ beachtet. Die Betriebswirtschaftslehre wäre heute erheblich weiter, beklagte Seÿffert, wenn die Leistungen solcher Autoren wie Arnold Lindwurm, Arwed Emminghaus und J. G. Courcelle-Seneuil Beachtung gefunden hätten. 222 4.1 Verflachung und Verfall der Handlungswissenschaft 109 <?page no="110"?> 223 Vgl. Sundhoff (1979, S. 251ff.) sowie F. Klein-Blenkers: Courcelle-Seneuil, Emminghaus und Lindwurm als Vorläufer der neuen Betriebswirtschaftslehre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Aufsätze zur Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, hrsg. von F. Klein-Blenkers, Köln 1994, S.-111-130. 224 Zum Lebenslauf Courcelle-Seneuils vgl. die gleichnamigen Stichwortartikel von Lippert im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. III, 2. Aufl., Jena 1900, Sp. 97, von E. Sundhoff im Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre, Bd. I, 3. Aufl., Stuttgart 1956, Sp. 1360ff. sowie von H. Hesse im Personenlexikon der Wirtschaftsgeschichte, 2. Aufl., Stuttgart 2009, S.-110f. 4.2 Vorboten der „modernen“ Betriebswirtschaftslehre In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts traten J. G. Courcelle-Seneuil, A. Emminghaus und A. Lindwurm auf den Plan. Deren Werke heben sich, so die einhellige Meinung in der Literatur, deutlich von den anderen ab. Daher werden sie auch als „Vorboten der modernen Betriebswirtschaftslehre“ betrachtet. 223 Dass dies jedoch nicht gleichermaßen auf alle drei Genannten zutrifft, werden die folgenden Ausführungen zeigen. 4.2.1 Die „Theorie und Praxis des Geschäftsbetriebs“ (Jean-Gustave Courcelle-Seneuil) Als junger Mann betätigte Courcelle-Seneuil sich ab 1830 als Journalist in Paris. Anschließend studierte er Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften und war anschließend als Anwalt und Geschäftsmann tätig. Zudem war er zeitweilig Chefredakteur des bedeutenden, 1841 gegründeten „Journal des Économistes“, welches Themen aus den Bereichen der politischen Ökonomie, der Landwirtschaft, der Produktion und des Handels behandelte. Im Jahre 1848 war Courcelle-Seneuil für zwei Monate Domänendirektor im französischen Finanzministerium. Nach dem Scheitern der 2. Republik emigrierte er 1852 nach Chile, wo er von 1853 bis 1863 an der Universität zu Santiago als Professor für Nationalökonomie lehrte. 1860 beriet er die chilenische Regierung bei der Einführung eines freien Bankensystems. Zehn Jahre später kehrte Courcelle- Seneuil nach Frankreich zurück und wurde 1879 Staatsrat. Von 1881 bis1883 lehrte er als-Dozent für politische Ökonomie an der-École normale supérieure und wurde 1882 als Mitglied in die-Académie des sciences morales et politiques aufgenommen. 224 Courcelle-Seneuil starb am 29. Juni 1892 in Paris. In seiner Trauerrede sagte Gustave de Molinari über den Verstorbenen: „Er war einer 110 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="111"?> 225 Sundhoff (1979), S.-251. 226 J.-G. Courcelle-Seneuil: „Theorie und Praxis des Geschäftsbetriebs in Ackerbau, Ge‐ werbe und Handel“, Stuttgart 1868. Abb. 4.1: Jean-Gustave Cour‐ celle-Seneuil. | [20] der Meister der nationalökonomischen Wissenschaft und ein würdiger Nach‐ folger von Turgot, J. B. Say, Dunoyer und Bastiat.“ Courcelle-Seneuil war als Nationalökonom ein entschiedener Anhänger individualistischer und liberalistischer Ideen. Als ein Vertreter des Freihandels übernahm er die Auffassung von Adam Smith, dass das Streben nach persön‐ lichem Vorteil auch der Allgemeinheit zugute‐ käme. Die Bedeutung von Courcelle-Seneuil als Ökonom wird darin gesehen, dass er volkswirt‐ schaftliche Erkenntnisse auf das Unternehmen zu übertragen versuchte. Insbesondere mit sei‐ nem 1854 erschienenen Buch „Traité théorique et pratique des entreprises industrielles, com‐ merciales & agricoles ou Manuel des Affaires“ habe er, so die weitverbreitete Auffassung, ei‐ nen beachtlichen Beitrag für die Entwicklung der modernen Betriebswirtschaftslehre geleis‐ tet. 1868 erschien dieses Werk in deutscher Übersetzung von G. A. Eber‐ bach unter dem Titel „Theorie und Praxis des Geschäftsbetriebs in Ackerbau, Gewerbe und Handel“. „Da das Buch sich mit Betrieben sehr verschiedener Wirtschaftszweige befaßt und dabei ihre Gemeinsamkeiten erkennen läßt, besitzt es stark den Charakter einer Allgemeinen Betriebs‐ wirtschaftslehre.“ 225 Courcelle-Seneuil gliedert sein Werk „Theorie und Praxis des Geschäfts‐ betriebs in Ackerbau, Gewerbe und Handel“ 226 in vier Teile („Bücher“): 1. Das Geschäft nach seinen inneren Beziehungen 2. Das Geschäft nach seinen äußeren Beziehungen 3. Der eigentliche Geschäftsbetrieb 4. Einige allgemeine Fragen aus dem Geschäftsleben Die Betriebswirtschaftslehre, die Courcelle-Seneuil entwirft, lässt sich cha‐ rakterisieren als eine „Verschmelzung von volkswirtschaftlicher Theorie 4.2 Vorboten der „modernen“ Betriebswirtschaftslehre 111 <?page no="112"?> 227 Vgl. Klein-Blenkers (1994), S.-119f. 228 Courcelle-Seneuil (1868), S.-15. 229 Courcelle-Seneuil (1868), S.-20f. 230 Courcelle-Seneuil (1868), S.-60. mit den empirischen Erkenntnissen kaufmännischer Praxis“. 227 Dement‐ sprechend werden in den ersten beiden Teilen seines Buches die (auf volkswirtschaftlichen Erkenntnissen basierenden) allgemeinen Grundsätze erläutert, wie nach Ansicht des Verfassers ein Geschäft zu betreiben sei. Der Unternehmenszweck bzw. das Ziel eines Geschäftsmannes ist die Gewinnmaximierung: „Alle Diejenigen, welche […] ein Geschäft beginnen […] verfolgen sämmtlich denselben Zweck; sie wollen […] reich werden, […] sie wollen Geld verdienen.“ 228 Der Geschäftsmann, den Courcelle-Seneuil als die „leitende Seele“ bezeichnet und der für den Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens verantwortlich ist, habe die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital miteinander zu kombinieren - und zwar nach dem Prinzip der Profitmaximierung: „Aller Fortschritt, alle Vervollkommnung im geschäftlichen Leben strebt einzig darauf hin, mit einer bestimmten Menge von Löhnen und Capital-Nutzungen entweder einen höheren Ertrag zu erzielen, oder aber den gleichen, wo nicht einen größeren Ertrag bei einem geringeren Aufwand an Kräften zu erhalten. Wenn wir auf die Volkswirthschaft die kurzen Formeln der Mathematik übertragen wollen, so können wir den Rein-Gewinn ausdrücken durch G, den Werth des Roh-Ertrags durch E, die Capital-Nutzung und die Löhne durch C und L, und bekommen dann die Formel G = E - (C + L) Aus dieser Formel geht hervor, daß der Zweck jedes Geschäfts und selbst des ganzen Geschäftslebens darin gipfelt, die Ziffer E so groß und die Ziffern C und L so klein als möglich zu erhalten.“ 229 Das, was Courcelle-Seneuil hier formuliert, ist das Ökonomische Prinzip. Spätestens, wenn er dieses auf den Produktionsfaktor Arbeit anwendet, wird der Deckmantel der mathematischen Rationalität gelüftet und es kommt eine gnadenlose Profitgier zum Vorschein. So heißt es in dem Abschnitt zur Arbeit, „daß die Ausgabe des Geschäftsmanns für Arbeitslohn der allgemeinen Regel unterworfen ist: ‚für einen bestimmten Aufwand so viel als möglich Arbeitsleistung zu erhalten‘ und von der Richtschnur dieser Regel werden wir nicht abweichen.“ 230 112 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="113"?> 231 Courcelle-Seneuil (1868), S.-33. 232 Courcelle-Seneuil (1868), S.-32. 233 Courcelle-Seneuil (1868), S.-160. 234 H.-J. Bontrup: Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl., München/ Wien 2004, S.-599. 235 Vgl. Courcelle-Seneuil (1868), S.-208ff. Im Prinzip vertritt Courcelle-Seneuil einen autoritären Führungsstil des Unternehmers: „Der Hauptberuf des Geschäftsherrn ist die Berechnung, die Anordnung und die Überwachung des Ganzen, er ist die treibende Kraft in allen Zweigen des Geschäfts, sein Beruf ist mit einem Wort die Oberleitung.“ 231 Wenn er überhaupt Aufgaben delegieren muss, so müsse mit großer Sorgfalt bestimmt werden „was er sich zur eigenen Erledigung vorbehalten und was er anderen übertragen will.“ 232 Im zweiten Teil behandelt Courcelle-Seneuil zunächst den Tauschverkehr und seine Gesetze (Angebot und Nachfrage) sowie den Warenabsatz. Seine diesbezüglichen volkswirtschaftlichen Ausführungen spiegeln die „klassi‐ schen Ideen“ der damaligen Zeit wider. So erweist sich Courcelle-Seneuil als Anhänger des Sayschen Theorems, wenn er behauptet: „Alle Waaren, welche auf den Markt kommen, sorgen gegenseitig selbst für ihren Absatz […]. Dies ist eine Wahrheit, bei welcher wir uns […] gar nicht weiter aufzuhalten brauchen.“ 233 Doch damit lag er falsch. Seit den Erkenntnissen von Keynes hat diese vermeintlich unumstößliche Wahrheit, „die bis auf den heutigen Tag den Kern marktwirtschaftlichen Denkens bildet“ 234 , massive Risse bekommen. Nach den Abschnitten zu Handelskrisen und zur Spekulation folgen zwei Abschnitte zum internen (Kostenrechnung) und externen Rechnungs‐ wesen (Buchführung). Dabei befasst sich der Autor z. B auch mit den fixen Kosten und der Fixkostendegression, Themen, mit denen sich später in der „modernen“ Betriebswirtschaftslehre Eugen Schmalenbach intensiv auseinandersetzen wird. 235 Im dritten Teil des Buches werden dann die allgemeinen betriebswirtschaft‐ lichen Erkenntnisse auf die speziellen Anwendungsgebiete des Geschäftsbe‐ triebes in den Branchen Handel, Produktion und Landwirtschaft übertragen. Gravierende Mängel weist der Abschnitt über den Großhandel auf. So fällt schon die Begriffsbestimmung des Großhandels von Courcelle-Seneuil weit hinter den Stand zurück, der bereits mit Ludovici, Leuchs oder Buse erreicht wurde, wenn er schreibt: „Unter Großhandel im eigentlichen Sinne versteht man diejenige Thätigkeit, welche sich mit dem Umtausch der Erzeugnisse des einen Volks gegen diejenigen eines andern befasst: den Einfuhr- und 4.2 Vorboten der „modernen“ Betriebswirtschaftslehre 113 <?page no="114"?> 236 Courcelle-Seneuil (1868), S.-329. 237 Vgl. Courcelle-Seneuil (1868), S.-331. 238 Vgl. J. Löffelholz: „Handelsgeschichte“, in Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd.-2, Stuttgart 1958, Sp. 2561. 239 Vgl. Löffelholz (1958), Sp. 2563. 240 J. Kulischer: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Bd.-2, 4. Aufl., München/ Wien 1971, S.-513. Ausfuhrhandel.“ 236 Hier findet eine Beschränkung auf den Außenhandel statt, ausgeklammert wird die Existenz des Binnengroßhandels. Wird dieser doch mal erwähnt, behauptet der Verfasser, dass dieser sich fast ausschließlich auf landwirtschaftliche Produkte beschränke und im gewerblichen Bereich kaum existiere. 237 Damit wird die tatsächliche historische Entwicklung des Handels völlig ignoriert. Denn bereits im Merkantilismus vollzog sich eine Differenzierung des Handels „sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Richtung“, nämlich vertikal in Groß- und Kleinhandel und horizontal in Branchen. 238 Als das Werk von Courcelle-Seneuil 1868 in der Phase des Hoch‐ kapitalismus erschien, hatten der Großhandel sich bereits spezialisiert „nach den Rohstoffen (z. B. Metallhändler, Lederhändler, Holz-, Kohlenhändler) oder nach den Halbfabrikaten (z. B. Glas-, Tuch-, Papierhändler) oder nach den Fer‐ tigfabrikaten.“ 239 Dasselbe Phänomen beschreibt Kulischer aus der Perspektive des Einzelhandels. Dieser sei ab dem 19.-Jahrhundert nicht mehr in der Lage gewesen, seine Waren direkt vom Fabrikanten zu beziehen. „Endlos wäre die Zahl der Fabriken, die er für seine in die verschiedensten Produktionszweige gehörenden Artikel aufzusuchen hätte. Deshalb entstand seit den sechziger Jahren der Großsortimenter, der sich zwischen beide Parteien als Mittelglied einschob.“ 240 In seinen Ausführungen zum Industriebetrieb weist Courcelle- Seneuil eigentlich zu Recht darauf hin, dass dieser „auf den möglichen Absatz Rücksicht nehmen“ müsse. Diese Erkenntnis steht jedoch im Widerspruch zu seinen vorherigen Ausführungen, wonach alle angebotenen Waren selbst für ihren Absatz sorgten. Der abschließende vierte Teil, der ideologisch stark liberalistisch geprägt ist, soll dem Geschäftsmann eine „richtige“ Einstellung zu seinem Beruf und zum Wettbewerb vermitteln. Hier werden u. a. die Vorteile und die Bedeutung der Konkurrenz hervorgehoben und der Geschäftsmann, insbesondere sein „Geschäftsgeist“ sehr stark idealisiert: „Der erste Grundsatz des Geschäftsgeistes ist: sich nur auf sich selbst zu verlassen und auch in den schwierigsten Verhältnissen keine Hilfe von Außen her zu erwarten. Wohin sollte es führen, wenn man von der Vorsehung, von der 114 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="115"?> 241 Courcelle-Seneuil (1868), S.-541/ 545 242 Vgl. Weber (1914), S.-133. 243 Zum Lebenslauf von Emminghaus vgl. die Stichwortbeiträge von A. Schuricht in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 4, Berlin 1959, S. 485 sowie von E. Sundhoff im Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre, Bd. I, 3. Aufl., Stuttgart 1956, Sp. 1629/ 30. Gesetzgebung oder von Beamten erwarten wollte, daß sie die bei jedem Schritte im Geschäftsleben vorkommenden Schwierigkeiten beseitigen, das Verhältnis zu den Arbeitern ordnen und stets dafür sorgen, daß die Preise heute nicht zu hoch und morgen nicht zu tief stehen, daß je nach Bedürfnis bald mehr Absatz und bald mehr Arbeitskräfte zu haben seien? Wohin sollte dies alles führen? - Dahin, daß es bald kein selbständiges Geschäft mehr gäbe, sondern Bestechungen und Begünstigungen einreißen und daß die Unfähigkeit, die Trägheit, die Gleichgül‐ tigkeit, mit Einem Wort die dem Geschäftsgeist widersprechendsten Untugenden geradezu aufgemuntert würden. […] Der Geschäftsgeist bewegt und belebt mehr oder weniger Alle, welche in Handel, Gewerben oder Landwirthschaft ihre Dienste in irgend welcher Weise dem ge‐ meinsamen Besten widmen. Und wollte Gott, er wäre der einzige Geist, welcher sie beherrscht! Der Geschäftsgeist ist ein Geist des Friedens und der Arbeit, der Sparsamkeit, der Unabhängigkeit, der Mäßigung und der Klarheit, ein Geist der Versöhnlichkeit, der Duldung und der Aufklärung, welcher gegen alle Schwierig‐ keiten, gegen alle Störungen das richtige Mittel findet in selbstthätigem freiem Schaffen […]; er ist mit Einem Wort der Geist des Fortschritts selbst, welcher nur ein Gebot kennt und anerkennt, und dieses Gebot heißt: ‚Mensch, hilf dir selbst! ‘“ 241 Weber kommt zu dem Befund, dass Courcelle-Seneuils Ausführungen und Ergebnisse vielfach zu allgemein und auch nicht von der Brauchbarkeit seien wie später diejenigen von Emminghaus. 242 4.2.2 Die „Allgemeine Gewerkslehre“ (Arwed Emminghaus) Emminghaus 243 studierte Nationalökonomie und Rechtswissenschaften in Jena. Nach Promotion im Jahre 1855 war er drei Jahre im Finanzministerium von Sachsen-Weimar-Eisenach in Weimar tätig. Anschließend leitete er von 1858-1861 in Bern das Schweizer Geschäft der Dresdner Feuerversicherungsge‐ sellschaft, wo er mit dem Aufbau und der Organisation des Versicherungsge‐ schäftes in der Schweiz beauftragt war. Ab 1861 war er Redakteur des Bremer Handelsblatts, einer Wochenschrift für Handel, Volkswirtschaft und Statistik. Diese Stellung hat er 1865 aufgegeben, um einem Ruf nach Karlsruhe zu folgen, 4.2 Vorboten der „modernen“ Betriebswirtschaftslehre 115 <?page no="116"?> Abb. 4.2: Arwed Emming‐ haus. | [21] wo er ein Jahr später eine Professur für Nationalökonomie am Polytechnikum (der späteren Technischen Hochschule) übernahm. Hier verfasste er auch seine „Allgemeine Gewerkslehre“ (1868), die als Lehrbuch für seine Kurse diente. Von 1873-1903 war Emminghaus vorsitzender Direktor der Gothaer Lebensversicherungsbank. Neben seiner praktischen Tätigkeit auf dem Gebiet des Versicherungswesens (Beirat, Gutachter), bemühte er sich auch um die wissenschaftliche Durchleuchtung der Probleme der Lebensversicherung. Zudem war er auf sozialpolitischem Gebiet sehr umtriebig und setzte dort seine innovativen Ideen um. So war Emminghaus nicht nur der Gründer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger; in seiner Heimat Gotha förderte er die Einführung des Elberfelder Systems für Armenpflege und war Mitbegründer der Gesellschaft für Volksbildung sowie des Vereins zur Wohnungshilfe, einem Vorläufer der Wohnungsgenossenschaften. Außerdem machte er sich stark für die Gründung des Verbands deutscher Lebensversicherer und des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft. Emminghaus hat eine Reihe von wirtschafts‐ wissenschaftlichen Schriften verfasst, die sich teils mit gesamtwirtschaftlichen und teils mit einzelwirtschaftlichen Fragestellungen befas‐ sen. Beispielhaft seien hier nur die folgenden erwähnt: „Die Schweizerische Volkswirtschaft“, 2 Bände (1860/ 61), „Lehrbuch der allgemeinen Landwirtschaft“ (1863), sein betriebswirtschaft‐ liches Hauptwerk „Allgemeine Gewerkslehre“ (1868) sowie „Das Armenwesen und die Armen‐ gesetzgebung in europäischen Staaten“ (1870). Zu Beginn seiner „Allgemeinen Gewerks‐ lehre“ stellt Emminghaus seine Systematik der Wirtschaftswissenschaft vor (→ Abb. 4.3). Da‐ nach teile sich die Allgemeine Wirtschaftslehre in eine Privatwirtschafts‐ lehre und in eine Staatswirtschaftslehre. Die Privatwirtschaftslehre umfasse die Allgemeine Hauswirtschaftslehre sowie die Allgemeine Gewerbslehre. Letztere stelle „ein System von Betriebsregeln“ dar, „welche durch die Gesetze des Wirtschaftslebens zu begründen sind“, ist also das, was heute als Allgemeine Betriebswirtschaftslehre bezeichnet wird. Zur Allgemeinen Gewerbslehre zählt Emminghaus neben der Allgemeinen Landwirtschafts-, Forstwirtschafts-, Bergbau- und Handelslehre die Allgemeine Gewerkslehre. Letztere könne man als eine Wirtschaftslehre von Produktionsbetrieben 116 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="117"?> (Industrie und Handwerk) bezeichnen. Welche Stellung die Allgemeine Gewerkslehre in dem System der Wirtschaftswissenschaften einnimmt, stellt Emminghaus graphisch dar: Abb. 4.3: Die Allgemeine Gewerkslehre im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften. | [22] „Eine allgemeine Gewerbslehre“, stellt Emminghaus fest, „wird sich zu verbreiten haben: 1. über das Wesen, die wirtschaftliche Bedeutung und die Zwecke des betref‐ fenden Gewerbes […]; 2. über das Wesen, die Bedeutung, die Erwerbung und Anwendung der Ge‐ werbsmittel, also der Arbeit und des Kapitals […]; 3. über das Wesen, die Bedeutung und die Benutzungsart der […] sich darbie‐ tenden unmittelbaren oder mittelbaren Hilfsmittel; 4. über die […] Betriebsmethoden und Betriebseinrichtungen; 5. über die Mittel zur Prüfung der Betriebsresultate und die zweckmäßigste Anwendungsart dieser Mittel.“ Entsprechend diesen Untersuchungsschwerpunkten gliedert Emminghaus auch den Inhalt seines Buches, welches aus sechs Teilen besteht: 4.2 Vorboten der „modernen“ Betriebswirtschaftslehre 117 <?page no="118"?> 244 Vgl. Emminghaus (1868), S.-28ff. 1. Einleitung (z. B. Begriff, Arten, Stellung der Gewerke, Zweck des Gewerksbetriebs, Mittel zur Gewinnsteigerung) 2. Die gewerkliche Arbeit (z. B. personalwirtschaftliche Inhalte wie Entlohnungsarten, Lohnhöhe, Arbeitsvertrag, Beschäftigung von Frauen und Jugendlichen, Gesund‐ heit und Sicherheit, umfangreiche Fürsorge des Unternehmers, Verhält‐ nis des Unternehmers zu den Managern) 3. Das gewerkliche Kapital (z. B. „stehendes und umlaufendes“ Kapital, Kapitalbedarfsermittlung, Grund und Boden, Gebäude, Roh- und Hilfsstofe, Fragen zur Investition und Finanzierung) 4. Die Hülsmittel der Gewerke und deren Benutzung (z. B. Hilfsmittel zur Aus- und Fortbildung, Gewerbevereine und -kam‐ mern, Märkte, Messen und Ausstellungen sowie Fragen zum Transport, zur Versicherung und zur Reklame) 5. Die Wahl der gewerklichen Betriebsart und Betriebs-Einrichtung (z. B. Merkmale der Betriebsformen, Fragen des Managements und der Unternehmerpersönlichkeit) 6. Die gewerkliche Buchführung (z. B. Aufgaben und Zweck der Buchführung sowie Merkmale der einfachen und doppelten Buchführung). Das Werk von Emminghaus fußt auf dem Grundgedanken des privatwirt‐ schaftlichen Erwerbsprinzips. Der Zweck der unternehmerischen Tätigkeit liege in der Gewinnmaximierung. 244 Zwar betrachtet er das Gewinnstre‐ ben als das oberste Unternehmensziel - allerdings nicht so dogmatisch und ideologisch überhöht wie dies bei Courcelle-Seneuil der Fall ist. Eine Erhöhung des Gewinns lasse sich, wie Emminghaus im ersten Teil darlegt, auf fünf verschiedenen Wegen erreichen, nämlich „indem man 1. den Rohertrag vergrößert und die Auslagen vermindert; 2. den Rohertrag vergrößert, während die Auslagen gleichbleiben; 3. den Rohertrag und die Auslagen vergrößert, aber den Rohertrag in stärkerem Verhältnisse; 4. den Rohertrag erhält, aber die Auslagen vermindert; 118 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="119"?> 245 Emminghaus (1868), S.-32. 246 Klein-Blenkers (1994, S. 118) hebt hervor, dass diese beiden Teile sehr ausführlich seien und auch in die Tiefe gehen. 247 M. Bardmann: Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, 3. Aufl., Wiesba‐ den 2019, S.-57. 248 Emminghaus (1868), S.-51. 5. den Rohertrag und die Auslagen vermindert, aber die letzteren in stärkerem Verhältnisse.“ 245 In den beiden folgenden Teilen des Buches, die sich mit der gewerklichen Arbeit und dem gewerklichen Kapital (Werkstoffe, Sachmittel, Geld) befas‐ sen, zeigt Emminghaus, wie durch die Kombination der Produktionsfaktoren das Unternehmensziel verwirklicht werden könne. 246 So werden z. B. im Zusammenhang mit dem Faktor Arbeit sehr weitreichende Überlegungen angestellt, welche die soziale Frage betreffen und somit den Bereich der Volkswirtschaftslehre bzw. der Politik streifen. Deutlich wird eine fortschrittliche und soziale Grundeinstellung des Autors, wenn er z. B. die Koalitionsfreiheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern fordert oder sich für einen 8-Stunden-Tag stark macht. Bardmann deutet dies sogar dahinge‐ hend, dass Emminghaus die Sozialpolitik als „ein Mittel zur Steigerung der Effizienz“ begreife. 247 Vor dem Hintergrund der von Emminghaus genannten dritten Möglich‐ keit, wie der Gewinn des Unternehmens erhöht werden könne (siehe oben), erscheint es auch nicht widersprüchlich, wenn er die Erfolgsbeteiligung von Arbeitern am Gewinn diskutiert oder dazu rät, „einem Anlass zur Löhnerhöhung Folge zu leisten, sobald man ihn bemerkt, als sich erst durch den Eintritt der üblen Folgen einer ungünstigen Konkurrenz dazu nöthigen zu lassen. Eine rechtzeitige freiwillige Lohnerhöhung ist für beide Teile vorteilhafter, als eine verspätete nothgedrungene.“ 248 Interessant ist auch die fünfte Möglichkeit der Gewinnerhöhung, die praktisch auf einer Schrumpfung und nicht auf einem Wachstum des Unternehmens beruht. Probleme, die den absatzwirtschaftlichen Bereich (Verkauf) betreffen, behandelt Emminghaus im 22. Kapitel („Das Geld als gewerkliches Kapital“). Beim Verkauf unterscheidet er zwischen dem Verkauf auf Bestellung und dem Marktverkauf. Behandelt werden Fragen u. a. der Preisgestaltung, der Konkurrenz, der Produktqualität und der Reklame. Ausgangspunkt der Preisgestaltung ist die Kalkulation. Der Unternehmer müsse „den Preis so feststellen, dass er für sämtliche baare Aufwände, sowie für den Ab‐ 4.2 Vorboten der „modernen“ Betriebswirtschaftslehre 119 <?page no="120"?> 249 Emminghaus (1868), S.-251f. 250 Emminghaus (1868), S.-252. 251 Emminghaus (1868), S.-286. nutz der entstehenden Kapitalien entschädigt wird, und ausserdem einen angemessenen Reingewinn bezieht.“ Nur ausnahmsweise dürfe auf einen angemessenen Überschuss verzichtet werden, „namentlich bei jungen Un‐ ternehmungen, welche, die Konkurrenz unterbietend, Kundschaft gewinnen wollen, und darauf rechnen, dass die feste Kundschaft, mit Rücksicht auf die gute Beschaffenheit des Erzeugnisses, fest bleiben werde, auch wenn später höhere Preise berechnet werden würden.“ 249 Ausnahmsweise dürfe der Unternehmer „zu Reklamezwecken“ die Konkurrenz auf Kosten seines ganzen Reingewinns unterbieten. Gewerktreibende, so Emminghaus „haben in der Regel mit mehrfacher oder vielfacher Konkurrenz zu kämpfen. „Die wichtigsten Waffen in diesem Kampf “ seien „genaueste Kalkulation; einge‐ hendste Sach- und Geschäfts-Kenntnis; strengste Solidität.“ „Unter keinen Umständen mag man sich verleiten lassen, an der Qualität des Erzeugnisses, anstatt am Preise, zu verdienen.“ 250 Ein Mittel zur Sicherstellung des Verkaufs sei u. a. die Marktforschung: „die genaue und sorgfältige Erforschung der Natur und Stärke des Marktbedarfes“. Was den Verkauf selbst anbelangt, so sei die oberste Regel die, „die Konkurrenz nicht lediglich im Preise, sondern durch die Qualität der Waare zu bekämpfen, d. h. dadurch, dass man womöglich den Geschmack und Bedarf der Abnehmer richtiger zu treffen sucht, als die Konkurrenten, und dass man das Versprochene immer vollkommen so leistet, wie man es versprochen hat.“ Die Themen Reklame, Messen und Ausstellungen, die heute zur Kommu‐ nikationspolitik im Rahmen des Marketings gezählt werden, behandelt Emminghaus nicht im Zusammenhang mit dem Verkauf, sondern im 24. Kapitel, das sich mit den „unmittelbaren Hülsmitteln der Gewerke“ befasst. Das „Gedeihen der Unternehmung“ hänge, wie Emminghaus feststellt, oft „von der verständigen Benutzung der Hülfsmittel der Reklame ab.“ Zur Reklame, „die eine Kunst ist, die gelernt sein will“, führt er aus: „Das erste Erfordernis einer wirksamen Reklame ist, dass sie auf Menschenkenntnis beruhe, dass sie Eindruck mache. Ein gutes Inserat ist stets ein psychologi‐ sches Meisterstück. Man muss seinen künftigen Kundenkreis kennen und ihn zu behandeln wissen.“ 251 Emminghaus betont, dass das Produkt und der Werbeträger bzw. die Werbegestaltung zueinander passen müssen. Auch 120 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="121"?> 252 Emminghaus (1868), S.-286. 253 Emminghaus (1868), S.-286. 254 Sundhoff (1979), S.-251. 255 Schneider (2001), S.-188. weist er auf das Problem der psychologischen Werbewirkung und der Werbekosten hin: „Man kann Unsummen auf Inseratgebühren verwenden und keinen einzigen Kunden gewinnen, und ein einziges geschickt gefasstes Inserat kann Hunderte von Kunden anziehen. Es ist nicht zu läugnen, dass in der Regel auch die ge‐ schicktest gefasste Anzeige erst bei konsequenter, unter Umständen vielmaliger, Wiederholung Erfolg hat. Man muss sich, wenn man nicht Gefahr laufen will, die ganzen, bereits aufgewandten, Kosten einzubüssen, die Mühe der Wiederholung nicht verdriessen lassen.“ 252 Mit dem Hinweis auf den so wichtigen Werbegrundsatz der Wahrheit enden die Ausführungen zur Reklame: „Vor Grosssprecherei, vor übertriebener Anpreisung […] sollte man sich ernstlich hüten. Vor Allem gefährlich ist es, mehr zu versprechen, als man zu leisten vermag. Man verdirbt sich dadurch den Kredit unter Umständen für alle Zeit.“ 253 Nach Sundhoff komme Emminghaus nicht nur „das Verdienst zu, nach‐ drücklich auf die Notwendigkeit des weiteren Ausbaus einer den Zeit‐ verhältnissen gerecht werdenden Einzelwirtschaftslehre hingewiesen zu haben.“ Mit seiner „Allgemeinen Gewerkslehre“ habe er eine Zusammenfas‐ sung von Allgemeiner Betriebswirtschaftslehre und Industriebetriebslehre dargelegt, die den modernen Erfordernissen Rechnung trägt und erfolgreich die wissenschaftliche Stagnation seiner Zeit überwindet. 254 Schneider geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er zu dem Befund kommt, dass „die Gewerkslehre von Emminghaus den allgemeinen Betriebs‐ wirtschaftslehren aus der akademischen Betriebswirtschaftslehre über 50 Jahre später, insbesondere den Büchern von Schär, Nicklisch, Leitner, in der Sorgfalt der Gedankenführung überlegen“ erscheint. 255 Warum das Werk von Emminghaus dann „nicht unmittelbar zur Grund‐ lage eines neuen Faches wurde“, führt Brockhoff darauf zurück, dass ■ Emminghaus nur wenige Jahre Hochschullehrer war und kaum Einfluss ausüben konnte, ■ sein Werk der Zeit voraus war und wohl nicht recht verstanden wurde, 4.2 Vorboten der „modernen“ Betriebswirtschaftslehre 121 <?page no="122"?> 256 Vgl. Brockhoff (2017), S.-160f. 257 F. Klein Blenkers/ M. Reiß: Geschichte der Betriebswirtschaftslehren, in: Handwörter‐ buch der Betriebswirtschaftslehre, Bd.-1, 5. Aufl., Stuttgart 1993, Sp. 1421. 258 Vgl. Weber (1914), S.-128. 259 Lindwurm, 1870, zit. n. K. F. Pott: Arnold Lindwurm - oder: Wer zu früh kommt, der steht vor verschlossenen Türen. In: Berufsbiographien von Handelsschullehrern des 19.-Jahrhunderts, hrsg. von K. F. Pott, 2. Aufl., Detmold 2017, S.-267-296. ■ die fachliche Institutionalisierung fehlte (und somit auch die Auseinan‐ dersetzung mit Fachkollegen), ■ der Titel nicht die Breite und Tiefe des Inhalts signalisierte, ■ das Werk wenig bekannt geworden und schnell in Vergessenheit geraten ist, ■ für die ab 1898 gegründeten Handelshochschulen die Darstellung zu anspruchsvoll gewesen sei und sie wegen des Gewinnstrebens als Un‐ ternehmensziel ideologische Vorbehalte bei einigen Hochschullehrern ausgelöst habe, wie z.-B. bei Schär. 256 Insgesamt gesehen kann der Auffassung von Klein-Blenkers zugestimmt werden, dass man Emminghaus als „ersten Vertreter der neuen BWL“ 257 bezeichnen könne. Darüber hinaus kann seine „Allgemeine Gewerkslehre“ als erste Industriebetriebslehre gesehen werden. Schon 1914 wies Weber auf den sehr großen Wert dieser Schrift für die Entwicklung der Betriebs‐ wirtschaftslehre als Wissenschaft hin. 258 4.2.3 Die „Handelsbetriebslehre“ (Arnold Lindwurm) „Ich wollte eine Wissenschaft lehren, welche noch nicht geschrieben war, eine Carriere ergreifen, welche noch nicht existierte, und mich für ein Fach ausbilden, in dem nirgend in eingehender, gründlicher Weise gelehrt wurde“ 259 , fasste der 37-Jährige Arnold Lindwurm seinen bisherigen Lebens‐ weg zusammen. Als Kind erhielt er eine ausgezeichnete und vielseitige Erziehung in Form des Privatunterrichts. Im Alter von 14 Jahren begann er eine kaufmännische Lehre in einem Bremer Handelshaus. Anschließend war er zunächst noch zwei Jahre als kaufmännischer Angestellter in Bremen tätig gewesen, bevor er in die Welt hinauszog und als Dolmetscher auf Handelsschiffen sowie als Korrespondent in verschiedenen europäischen Handelshäusern sein Geld verdiente. Dabei gelangte er wohl zu der Einsicht, dass ein Kaufmann über eine fundierte, wenn nicht gar akademische Aus‐ bildung verfügen sollte. So schrieb er sich im Sommer 1861 an der Berliner 122 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="123"?> 260 Vgl. F. Leitner: Wirtschaftslehre der Unternehmung, 5. Aufl., Berlin/ Leipzig 1926, S. 21. 261 Lindwurm (1869), S. VI. Friedrich-Wilhelm-Universität ein, wo er zunächst Philosophie und später Staatswissenschaften studierte. 1863 ging er nach Jena, um dort mit einer Ar‐ beit über „Das Geld, volkswirtschaftlich kein umlaufendes, sondern ein ste‐ hendes Capital“ zu promovieren. Seine dort noch im selben Jahr eingereichte Habilitationsschrift „Über den Begriff des Wertes“ wurde wegen formaler und inhaltlicher Mängel abgelehnt. Ebenso scheiterten seine Bemühungen, in Jena eine Handelsschule in Kooperation mit der Universität zu gründen. Von 1863 bis 1865 unterrichtete Lindwurm als Lehrer an der Handelsschule der Polytechnischen Gesellschaft in Frankfurt am Main. Anschließend war er in Bremen Mitredakteur der Weser-Zeitung und Sekretär der dorti‐ gen Handelskammer. 1866 veröffentlichte er seine „Staats- und Privatwirt‐ schaftslehre“, in der er als Erster versucht, die Nationalökonomie von der Privatwirtschaftslehre zu trennen, die Begriffe „Betriebslehre“ und „Han‐ delsbetriebslehre“ verwendet sowie die Sinnkriterien „Wert“ und „Preis“ als die Grundlagen einer wissenschaftlichen Handelsbetriebslehre betrachtet. 260 Dieses Buch war sozusagen die Vorarbeit für sein betriebswirtschaftliches Hauptwerk mit dem Titel „Handelsbetriebslehre und die Entwicklung des Welthandels“ (1869). Beide stehen in engem Zusammenhang, denn sie verfolgen das gemeinsame Ziel, den Stand der Betriebswirtschaftslehre zu verbessern, sie wissenschaftlich voranzubringen. Dazu musste Lindwurm, wie er im Vorwort seiner „Handelsbetriebslehre“ schreibt, „nach zwei Seiten hin vorgehen“: „Einmal mußte ich den Nachweis führen, daß der Anspruch der Volkswirthschaftslehre, allein etwas Wissenschaftliches zu sein, ein ungerechtfertigter sei; zweitens mußte ich das wissenschaftliche Element, welches aus den verwandten Wissensgebieten für die Handelswissenschaft fruchtbar zu machen war, in diese hineintragen und mit den besonderen Leh‐ ren in begründeten Zusammenhang bringen. Das erstere habe ich in meinen […] Grundzügen der Staats- und Privatwirthschaftslehre gethan, indem ich gezeigt, daß die Ungetheiltheit des Gebietes der Volkswirtschaftslehre eine eingebildete ist, und deshalb das System der Volkswirthschaft notwendig ein verkehrtes sein muß; das letztere habe ich in dem […] vorliegenden Buche unternommen, indem ich meine eigenen praktischen Anschauungen mit den allgemeinen wirthschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpft habe.“ 261 4.2 Vorboten der „modernen“ Betriebswirtschaftslehre 123 <?page no="124"?> 262 Dieser eigentümliche Name rührt daher, dass dort ausschließlich die spezielle Betriebs‐ wirtschaftslehre des Handels gelehrt wurde. 263 Lindwurm (1869), S. VIII. Als Lindwurms „Handelsbetriebslehre“ erschien, war er als Lehrer an einer privaten „Höheren Handelsschule“ in Hildesheim tätig (1868-1870). Anschließend zog er nach Bonn, wo er eine „Tauschwirtschaftliche Aka‐ demie“ 262 errichtete. Als auch dieser Versuch drei Jahre später scheiterte, zog es ihn wiederum in die Welt hinaus und er verdingte sich fortan als Wanderlehrer für die Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung. Lindwurms betriebswirtschaftliches Werk „Handelsbetriebslehre und die Entwicklung des Welthandels“ besteht aus zwei Teilen: Es beginnt mit einer 160 Seiten umfassenden geschichtlichen Darstellung des Welthan‐ dels, der sich dann die eigentliche, 240 Seiten starke Handelsbetriebslehre anschließt. Den geschichtlichen Teil betrachtet Weber in seiner Besprechung als „überflüssig“. Lindwurm begründet jedoch im Vorwort recht überzeu‐ gend, warum er diesen Teil für zweckmäßig hält. Dort führt er auf, dass er einerseits die auf abstrakttheoretischem Wege gewonnenen Erkenntnisse anhand konkreter geschichtlicher Vorgänge überprüfen möchte; anderer‐ seits verfolge er einen didaktischen Zweck: „Ich habe der Handelsbetriebslehre eine Darstellung der Entwicklung des Welt‐ handels vorausgeschickt, […] weil ich dies für die Lehrzwecke des Buches förderlich hielt; […]. Mir lag […] daran, meinen Schülern […] einen Nachweis der Ursachen zu geben, deren Wirksamkeit die Zustände der Gegenwart auf dem Gebiete des Welthandels zuzuschreiben sind […].“ Zudem habe sich gezeigt, „dass meine geschichtlichen Untersuchungen genau zu dem Resultate geführt haben, wohin ich, auf rein philosophischem Wege, schon in meinen […] Grundzügen gelangt war.“ 263 Den Inhalt seiner Handelsbetriebslehre teilt Lindwurm in 13 Kapitel: Die ersten Kapitel behandeln den „Handelsgewinn im Allgemeinen“ und den „Geschäftsgewinn insbesondere“. Es folgt ein recht merkwürdiges Kapitel zur „Bereicherung“, das moralische Belehrungen zur Sparsamkeit und zum Lebensglück enthält. Dem liberalen Zeitgeist entsprechend bildet (ebenso wie bei Courcelle-Seneuil und Emminghaus) auch bei Lindwurm das unter‐ nehmerische Ziel der Gewinnmaximierung den Ausgangspunkt der Über‐ legungen. Grundlage des Gewinns ist bei Lindwurm das Wertverhältnis. Die Wertschätzung beruhe auf subjektiven und objektiven Faktoren. Der 124 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="125"?> 264 Vgl. Lindwurm (1869), S.-166f. 265 Vgl. Lindwurm (1869), S.-173ff. 266 Vgl. Weber (1914), S.-126f. 267 A. Isaac: Die Entwicklung der wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre in Deutsch‐ land seit 1898, Berlin 1923, S.-44. Wert entstehe durch ein subjektives Urteil, eine persönliche Schätzung und zugleich „durch die Vergleichung mit einem anderen Werthe“. Demgemäß definiert Lindwurm den Begriff Wert „als das Ergebnis der Schätzung des Verhältnisses, worin ein Gegenstand im Vergleiche mit anderen zum Menschen steht.“ 264 Der Handelsgewinn entspringe zwei Quellen: Die erste sei das regelmäßige, laufende Geschäft, dessen Leistungskomponente die berechnete Ortsveränderung der Waren ist. Die zweite Quelle stelle das unregelmäßige Geschäft (Spekulationsgeschäft) dar, dessen Leistungskom‐ ponente die „Veränderung der Warenpreise in der Zeit“ ist. 265 Die weiteren Kapitel widmen sich den „privatwirthschaftlichen Hülfsmitteln des Han‐ dels“, wo Finanzierungs- und Zahlungsmöglichkeiten behandelt werden, einer Warenlehre, in der der nach Warenarten differenziert wird, der Geschäftsführung, dem Außenhandel, dem Binnenhandel sowie schließlich einer Reihe branchenspezifischer Handelsfragen (Spedition, Bank, Buchhan‐ del). In Webers Literaturgeschichte erfährt Lindwurm eine überwiegend nega‐ tive Würdigung. So werde dieser seiner eigentlich richtigen Kritik an der Situation der Betriebswirtschaftslehre selbst nicht gerecht. Sein Buch kranke an einer nicht einwandfreien (volkswirtschaftlichen) Werttheorie. Überhaupt seien „Lindwurms oft dilettantenhaft anmutende Ausführungen wissenschaftlich unzulänglich“ geblieben. Ihren geschichtlichen Ruf habe das Buch dadurch erhalten, dass Lindwurm als der Schöpfer des Begriffes „Handelsbetriebslehre“ gelten kann und sich die Verwendung dieses Wortes in der Betriebswirtschaftslehre durchgesetzt hat. 266 Alfred Isaac kritisiert an Lindwurm, dass dieser durch seine vielseitigen Reflexionen und moralischen Betrachtungen „den einheitlichen Faden des Wirtschaftswis‐ senschaftlers“ verliere. Hingegen zeige Emminghaus eine „Grundanschau‐ ung, wie man sie heute gereifter kaum wünschen könnte.“ 267 Den unmittel‐ baren Einfluss Lindwurms auf die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre schätzt Sundhoff als gering ein: „Die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre verdankt ihm kaum etwas und die Besondere des Handels nicht eben viel.“ Indirekt habe Lindwurm durchaus einen positiven Einfluss gehabt, „indem er 4.2 Vorboten der „modernen“ Betriebswirtschaftslehre 125 <?page no="126"?> 268 Sundhoff (1979), S.-252. 269 J. F. Schär: Allgemeine Handelsbetriebslehre, 3. Aufl., Leipzig 1918, S. V. 270 Sundhoff (1979), S.-253. 271 Bellinger (1967), S.-48. 272 Seÿffert (1971), S.-43f. die von ihm vorgefundene Situation des Faches einer realistischen Analyse und einer sehr scharfen Kritik unterzog.“ 268 Johann Friedrich Schär kritisiert im Vorwort seiner „Allgemeinen Han‐ delsbetriebslehre“, die etwa 40 Jahre später den Auftakt zur nachfolgenden Epoche der Betriebswirtschaftslehre bilden wird, dass weder Emminghaus, noch Lindwurm, ebenso wenig Courcelle-Seneuil für ihn eine brauchbare Grundlage bieten würden, „schon aus dem Grunde nicht, weil alle diese Werke nichts anderes sein wollen, als eine Anleitung zum Profitmachen.“ Nach Schärs Auffassung könne es unmöglich Aufgabe der handelswissen‐ schaflichen Lehre sein, „das Gewinnprinzip bzw. die Profitmacherei zum Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Darstellung zu erheben.“ 269 Doch die herrschende Meinung scheint den drei Autoren insgesamt positiv gegenüberzustehen. So konstatiert Sundhoff: „Durch diese drei Vorboten der modernen Betriebswirtschaftslehre war die für ihren weiteren Ausbau wesentliche wissenschaftstheoretische Diskussion in Gang gekommen.“ 270 Bellinger hebt hervor, dass mit den Werken der drei Autoren „die wichtigsten Wirtschaftszweiglehren für die damalige Zeit voll ausreichend ausgebaut“ waren. 271 Positiv werden sie auch von Seÿffert gewürdigt: „Wir wären heute erheblich weiter, wenn die Einwände eines so kritischen Kopfes wie Arnold Lindwurm, die durchaus originelle, tiefschürfende Industriebetriebslehre (Gewerkslehre) von Arwed Emminghaus (1868) und die klare, in Anlage und Ausführung bringende Theorie und Praxis des Geschäftsbetriebes von J. G. Courcelle-Seneuil (1855, deutsche Übersetzung von G. A. Eberbach 1868) beachtet worden wären. […] Und doch kommt in der Zeit des Niedergangs der Gedanke zur Reife, der die Betriebswirtschaftslehre herausführt aus der Verflachung und ihr zu einer zweiten Blütezeit verhilft: die Handelshoch‐ schulidee.“ 272 4.3 Der Ruf nach Handelshochschulen wird lauter Die Gründung von handelswissenschaftlichen Hochschulen erfolgte maß‐ geblich auf Druck von zwei Seiten: einerseits aus dem Bildungsbereich bzw. 126 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="127"?> 273 Vgl. Weber (1914), S.-136. 274 Vgl. Schneider (2001), S.-187. 275 Weber (1914), S.-135. dem Berufsschulwesen über den Deutschen Verband für das Kaufmännische Unterrichtswesen (D.V.f.d.K.U.); andererseits aus der Wirtschaft über die Handels- und Gewerbekammer. Beide Verbände veröffentlichten im Jahr 1897 jeweils eine Denkschrift, in der sie die Gründung von Handelshochschulen fordern, und die dann auch den entscheidenden Durchbruch brachten. Die Denkschrift aus dem Berufsschulwesen verfasste Viktor Böhmert, der sich auf eine Umfrage stützt, die vom Deutschen Verband für das Kaufmännische Unterrichtswesen durchgeführt wurde. Böhmert fordert nicht nur eine Gründung von Handelshochschulen, sondern auch eine Handels‐ betriebslehre sowie eine Handelsmorallehre (das heutige Fach Wirtschafts‐ ethik) als akademisches Fach. 273 Diese sollten begründet werden auf der Basis von Emminghaus und insbesondere des „engagiert um eine akademische Ausbildung von Kaufleuten kämpfenden Arnold Lindwurm“, der nicht nur eine strikte Trennung von Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschafts‐ lehre forderte, sondern zudem die „Notwendigkeit der ethischen Begrün‐ dung der Wirtschaftslehren“ betonte. 274 Dass einer der entscheidenden Anstöße aus den kaufmännischen Fort‐ bildungsschulen (Berufsschulen) kam, erklärt sich dadurch, dass mit der Einführung der Berufsschulpflicht für kaufmännische Lehrlinge auch der Bedarf an qualifizierten Handelslehrern stark angestiegen ist: „Seit 1890 etwa wuchs das kaufmännische Fortbildungsschulwesen an Umfang und Bedeutung durch die ausgedehnte Einführung des Schulzwanges für die Handlungslehrlinge […]. Damit war jedoch die Frage der Handelslehrerbe‐ schaffung und -Ausbildung brennend geworden, eine Frage, die offenbar nur durch die Schaffung eines akademischen Bildungsganges befriedigend gelöst werden konnte.“ 275 Dem D.V.f.d.K.U. lag also daran, qualifizierte Lehrkräfte (die künftigen Diplom-Handelslehrer) auszubilden, die für den kaufmännischen Berufsschulunterricht dringend benötigt wurden. Bis 1898 war „von einem bestimmten, planmäßigen Bildungsgange […] für diese Lehrer nicht die Rede, und man mußte oft froh sein, wenn Kaufleute, denen oft die pädagogische Befähigung abging, oder Volksschullehrer, denen wiederum jede Einsicht in das kaufmännische Getriebe fehlte, sich zur Übernahme von Unterricht an kaufmännischen Schulen bereit finden ließen. Bei dem Aufschwung, in dem sich aber damals das kaufmännische Fortbil‐ 4.3 Der Ruf nach Handelshochschulen wird lauter 127 <?page no="128"?> 276 B. Penndorf: Kaufmännisches Bildungswesen. In: Handwörterbuch des Kaufmanns, Bd. III, hrsg. von K. Bott, Hamburg/ Berlin 1927, S.-282. 277 H. Raydt: Zur Begründung einer Handels-Hochschule in Leipzig, Leipzig 1897, S.-5. 278 Penndorf (1927), S.-282. 279 Raydt (1897), S.-3. dungsschulwesen befand, und bei der Stellung, die es einnahm, war die Sorge für eine bessere und planmäßigere Ausbildung von Handelslehrern unerläßlich. Die Errichtung von Handels-Hochschulen, aus denen fachlich gut vorgebildete Handelslehrer in ausreichender Zahl hervorgehen konnten, war demnach ein wirkliches Bedürfnis.“ 276 Der andere Anstoß ging etwa zeitgleich bezeichnenderweise von der Kaufmannschaft aus - die sich ja mehr als hundert Jahre erfolgreich gegen eine Hochschulausbildung von Kaufleuten ausgesprochen hatte. Die Forderung aus der Wirtschaft wurde vertreten in der Denkschrift des Lehrers (! ) Hermann Raydt (Direktor der Öffentlichen Handelslehranstalt zu Leipzig), der diese im Auftrag der Handelskammer Leipzig verfasste. Auch er beklagt zwar, dass „an tüchtigen Handelslehrern ein großer Mangel herrscht“ und befürchtet, das ein „noch stärkerer Mangel eintreten“ werde, „wenn das kaufmännische Fortbildungsschulwesen und die eigentlichen Handelsschulen eine größere Ausdehnung […] bekommen.“ 277 Jedoch haben die aus der Wirtschaft kommenden Forderungen ihre Ursache in der ökonomischen Entwicklungsphase des Spätkapitalismus: einerseits in gesamtwirtschaftli‐ cher Hinsicht (Industrialisierung, Arbeitsteilung), andererseits in betriebs‐ wirtschaftlicher Hinsicht (Unternehmensgröße, betriebliche Organisation, Management). Diese Folgen wirtschaftlicher Entwicklung stellten gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Management der Großunternehmen vor komplexe Aufgaben, die „eine erweiterte und vertiefte Bildung des Kaufmanns“ sowie „eine Fülle von Unternehmergeist und Organisationstalent verlangten.“ 278 Dieses Hauptargument, dass die Leitung von Großunternehmen eine betriebs‐ wirtschaftliche Ausbildung auf akademischem Niveau erfordere, bringt auch Raydt ansatzweise vor, wenn er darauf hinweist, dass „man doch in unserem Handelsstande selber das Gefühl hat, dass seine heutige Ausbildung mit den wachsenden Verkehrsverhältnissen, dem Fortschreiten der industriellen Technik, der immer mehr zunehmenden Bedeutung der socialpolitischen Verhältnisse und dem immer schwieriger werdenden Kampfe um das Dasein nicht gleichen Schritt hält.“ 279 Bemerkenswert ist ein weiterer Aspekt, den Raydt anführt und der weder etwas mit Bildung noch mit Wirtschaft zu tun hat: „In noch stärkerem Maße empfindet man es im deutschen Handelsstande 128 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="129"?> 280 Ebd. 281 Penndorf (1927), S.-282. 282 Vgl. Schneider (2001), S.-189. schmerzlich, dass bei der Leitung unseres Staatslebens, im Reiche wie in den einzelnen deutschen Staaten, der Einfluss des Kaufmanns ein zu geringer ist.“ Diesem Mangel hoffe man „am besten durch eine noch gediegenere Ausbildung und Erziehung unserer jungen Kaufleute für die Zukunft abhelfen zu können.“ 280 Noch deutlicher bringt dies Penndorf auf den Punkt, wenn er schreibt, dass „eine akademische Bildung für die führende Schicht, die Elite, erwünscht ist, damit sie in der Lage ist, leitende Stellen, verantwortungsvolle Posten einzunehmen und richtig auszufüllen.“ 281 Dies legt die Vermutung nahe, dass es den Kaufleuten bei der Gründung der Handelshochschulen auch um politische Macht und (ideologische) Einflussnahme im Staat ging. Der japanische Forscher Masaya Okada vertritt die Auffassung, dass die Entstehung der Betriebswirtschaftslehre das Resultat aus dem Klassenkampf zwischen kapitalistischem Rhein-Bürgertum und dem die volkswirtschaftli‐ chen Lehrstühle beherrschenden Katheder-Sozialismus sei. Der Zusammen‐ hang zwischen der mit politischer Einflussnahme begründeten Forderung, Handelshochschulen zu gründen, um die Elite der Kaufleute auszubilden und ihnen den Zugang zu wichtigen Posten zu ermöglichen und dem Hinweis Okadas auf einen ideologischen Kampf zwischen Katheder-Sozialismus und Profitlehre ist evident - auch wenn nach Schneiders Auffassung diese soziologische Erklärung zu stark vereinfache. 282 Die Denkschriften von Viktor Böhmert und Hermann Raydt führten in Leipzig zur Gründung der ersten Handels-Hochschule (1898), der in kurzer Zeit weitere folgten. ➲ Zusammenfassung ■ Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nimmt die Handlungswissenschaft eine sehr vielversprechende Entwicklung. Diese reißt dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts plötzlich ab. Autoren wie Ludovici, Leuchs und Buse sowie deren Werke geraten in Vergessenheit. ■ In wissenschaftlicher Hinsicht bringt das 19. Jahrhundert für die Handelswissenschaft (wie die BWL damals genannt wurde) Stagnation, Rückschritt, Verfall, Niedergang. Die Gründe hierfür sind nicht eindeutig bzw. vollständig geklärt. Häufig genannte Gründe: ➲ Zusammenfassung 129 <?page no="130"?> □ die ablehnende Haltung der kaufmännischen Praxis, □ die Umgestaltung des Handelsschulwesens und □ die Entwicklung der Kameralwissenschaften zur Volkswirtschafts‐ lehre. Die Vertreter der VWL betrachten die Einzelwirtschaftslehre abschätzig als eine Sammlung von Regeln ohne besonderen theo‐ retischen Gehalt. Auch dies wirkt sich hemmend auf die Beschäf‐ tigung mit betriebswirtschaftlichen Fragestellungen aus. ■ Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erscheinen in Deutsch‐ land wieder betriebswirtschaftliche Arbeiten, die ein halbwegs anspre‐ chendes Niveau erreichen: □ J. G. Courcelle-Seneuil: „Theorie und Praxis des Geschäftsbetriebs in Ackerbau, Gewerbe und Handel“ (1868), □ Emminghaus: „Allgemeine Gewerkslehre“ (1868) und □ Lindwurm: „Handelsbetriebslehre und die Entwicklung des Welthandels“ (1869). ■ Durch die Arbeiten dieser „drei Vorboten der modernen Betriebswirt‐ schaftslehre“ (Sundhoff) wird der Grundstein für die Wirtschafts‐ zweiglehren gelegt. Das Werk von Emminghaus stellt die erste Indust‐ riebetriebslehre dar. ■ Am Ende des 19. Jahrhunderts wird sowohl aus dem Bildungsbereich als auch aus der Wirtschaft die Forderung laut, handelswissenschaft‐ liche Hochschulen zu gründen. Zum einen steigt mit der Einführung der Berufsschulpflicht für kaufmännische Lehrlinge auch der Bedarf an qualifizierten Handelslehrern. Zum anderen stellt die Industrialisierung das Management der Großunternehmen vor komplexe Aufgaben, die eine erweiterte und vertiefte Bildung des Kaufmanns erfordern. 130 4 Niedergang der Handlungswissenschaft (19.-Jahrhundert) <?page no="131"?> 283 Um den Rahmen nicht zu sprengen, wird im Folgenden nur exemplarisch auf die erste dieser Hochschulen (Handelshochschule Leipzig) eingegangen. Eine Darstellung aller Handelshochschulen in der Aufbauphase liefert die 2004 veröffentlichte Dissertation von Gunther H. Zander: Gründung der Handelshochschulen im deutschen Kaiserreich (1898-1919). Diese ist online verfügbar: https: / / kups.ub.uni-koeln.de/ 1573/ , https: / / ku ps.ub.uni-koeln.de/ 1573/ 284 Vgl. F. Klein-Blenkers: Die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre bis 1955. In: Aufsätze zur Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, hrsg. von F. Klein-Blenkers, Köln 1994, S.-33. 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) Die vierte Entwicklungsstufe nennt Seÿffert die „Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre“. Diese lässt er mit der Gründung der ersten Han‐ delshochschule im Jahr 1898 beginnen, auf die sodann in kurzen Abständen weitere im gesamten deutschsprachigen Gebiet folgen. 283 Wie noch gezeigt wird, kann die Handelshochschule in Leipzig durchaus als die Wiege der BWL betrachtet werden - zumindest in personeller Hinsicht. Das Ende der Aufbauphase legt Seÿffert in das Jahr 1909, also kurz bevor 1910 das Werk von Josef Hellauer veröffentlicht wurde, das als erste Gesamtdarstellung gilt, in der die Betriebswirtschaftslehre als ein geschlossenes System dargestellt wird. 284 Demnach umfasst diese vierte Entwicklungsstufe einen relativ kurzen Zeitraum von 12 Jahren. In dieser recht kurzen Epoche wurden sieben Handelshochschulen gegründet, die Hochschullehrer professionali‐ sierten sich, die Zahl der Studenten stieg rasant an und die ersten betriebs‐ wirtschaftlichen Fachzeitschriften wurden gegründet. Der Übergang zur nachfolgenden Entwicklungsstufe, die durch Systematisierungsbestrebun‐ gen und dem Erscheinen der ersten Gesamtdarstellungen gekennzeichnet ist, wurde begleitet von Streitigkeiten innerhalb der Fachdisziplin, bei denen es zunächst um die wissenschaftliche Arbeitsweise bzw. methodische Ausrichtung in der Betriebswirtschaftslehre ging (Werturteilsstreit ab 1909 in der VWL, ab 1912 in der BWL). Letztlich kam es - auch als Folge des Werturteilsstreits - sogar zum Streit über den Namen der jungen Fachdis‐ ziplin, insbesondere zwischen den Verfechtern der Privatwirtschaftslehre und denen der Betriebswirtschaftslehre. <?page no="132"?> 285 H. Franz/ A. Kieser: Die Frühphase der Betriebswirtschaftslehre an Hochschulen (1898- 1932), Stuttgart 2002, S.-65. 5.1 Die erste Handelshochschule in Leipzig Mit der Gründung neuer Handelshochschulen sowie der Errichtung von Lehrstühlen an bereits existierenden Hochschulen (→ Tab. 5.1) beginnt die Institutionalisierung der modernen Betriebswirtschaftslehre. Eine be‐ sondere historische Bedeutung nimmt dabei die erste Handelshochschule ein, die 1898 in Leipzig gegründet wurde. Denn aus dieser sind „fast sämtliche Pioniere der Betriebswirtschaftslehre“ hervorgegangen, „die dann - allerdings nicht in Leipzig - den Durchbruch von der ‚Handelstechnik‘ zur wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre bewerkstelligten.“ 285 Gründung von Handelshochschulen Jahr Ort 1898 Leipzig, Wien 1901 Köln, Frankfurt am Main 1903 Aachen 1906 Berlin 1907 Mannheim 1910 München 1911 St. Gallen (bereits 1898 als Höhere Schule für Handel, Verkehr und Verwaltung) 1915 Königsberg 1919 Nürnberg Tab. 5.1: Die Gründung der ersten Handelshochschulen. 132 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="133"?> 286 Vgl. B. Rogowsky: Lambert, Richard. In: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. III., 3. Aufl., Stuttgart 1960, Sp. 3680f. Abb. 5.1: Sitz der HH Leipzig in der Schulstraße 1 von 1902 bis 1910. | [23] Mit der Eröffnung der Handelshochschule Leipzig im Jahre 1898 wurde auf Vorschlag des Nationalökonomen Karl Bücher dort Richard Lambert (1846-1912) mit der ersten Dozentur für Handelswissenschaften betraut. 286 Er war zuvor als Oberlehrer an der Handelsschule tätig und steht beispielhaft für die erste Generation der Lehrer an den Handelshochschulen. Denn hauptberufliche Professoren für Betriebswirtschaftslehre gab es in den An‐ fangsjahren noch nicht. Da es das Fach BWL noch nicht gab, konnten die Stammväter dieser erst noch zu gründenden Disziplin nicht den üblichen akademischen Weg über Promotion und Habilitation beschreiten. Neben diesen erstmals berufenen Professoren wirkte an den Handelshochschulen eine stetig wachsende Zahl an Lehrbeauftragten und Assistenten an der Lehre mit. Speziell für Leipzig wird berichtet, dass noch erschwerend hinzukam, „daß alle Dozenten für die ,Handelswissenschaften‘ im Nebenamt wirkten, daß sie mit Unterrichtstätigkeit nicht unter 18 Stunden die Woche und dementspre‐ chenden Korrekturen und Beratungssitzungen belastet waren, die zu einer 5.1 Die erste Handelshochschule in Leipzig 133 <?page no="134"?> 287 F. Werner: Die Betriebswirtschaftslehre und die Handelshochschulen. In: Zur Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre - Festschrift für Robert Stern, Berlin/ Wien/ Leipzig 1925, S. 21. 288 Vgl. Klein-Blenkers: Gesamtübersicht über die Hochschullehrer der Betriebswirtschaft in der Zeit von 1898-1955, 2. Aufl., Köln 1992, S.-100. 289 Klein-Blenkers (1994), S.-34. 290 Werner (1925), S.-23. 291 A. Isaac: Die Entwicklung der wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre in Deutsch‐ land seit 1898, Berlin 1923, S.-43. 292 Schneider (2001), S.-192. wissenschaftlichen Vertiefung des Gebietes, zu einer eingehenden Forschung keine Zeit gelassen haben.“ 287 Doch gerade eine gute Lehre spielte in dieser Aufbauphase der Fachdisziplin eine wichtige Rolle. Und vielleicht war sie zunächst sogar wichtiger als die Publikation von Forschungsergebnissen. Denn durch die Lehre und den intensiven Austausch mit den Studenten konnten betriebswirtschaftliche Ideen, Konzepte und Erkenntnisse weiterge‐ geben, diskutiert und in Wissenschaft und Praxis weiterverbreitet werden. So hat der bereits erwähnte Lambert, der stets in engem Kontakt mit der Praxis stand und daraus wertvolle Anregungen für seine Lehre empfing, so gut wie nichts publiziert. Doch viele seiner Schüler sollten künftig herausragende Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre werden. Zu diesen zählen Eugen Schmalenbach, Hermann Großmann, Balduin Penndorf, Heinrich Nicklisch, Fritz Schmidt, Willi Prion, Bruno Pfeiffer, Ernst Pape, Friedrich Leitner und [Curt] Felix Werner. 288 Sie konnten in ihrem Studium durch Lambert „ganz wesentliche Anregungen für die eigenen wissenschaftlichen Arbeiten gewin‐ nen.“ 289 Rückblickend würdigt Felix Werner, der 1902 sein Handelslehrer- Diplom bei Lambert erworben hatte und später Professor in Königsberg und München wurde, diesen als einen „vielseitig erfahrenen, wissenschaftlich und praktisch gebildeten Lehrer“; „und was er erforschte, das gab er seinen Studierenden in klarer, höchst verständlicher Form. Er war der Pionier der neueren betriebswirtschaftlichen Forschung und Lehre.“ 290 „Die Handelshochschulen waren nur eine Form, der Inhalt mußte noch hineingetragen werden.“ 291 Doch die betriebswirtschaftlichen Lehrinhalte hatten anfangs nur sehr wenig Gemeinsames mit den heutigen. In den ersten zehn Jahren ihres Bestehens wurde an den Hochschulen „praktisch nichts gelehrt, was heute zur Betriebswirtschaftslehre gezählt werden könnte.“ 292 So enthielt in Leipzig der viersemestrige Vorlesungsplan 17 Stunden Volks‐ wirtschaftslehre, 13 Stunden Recht, 12 Stunden Warenkunde, 32 Stunden Fremdsprachen, 6 Stunden kaufmännisches Rechnen, 6 Stunden Buchhal‐ 134 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="135"?> 293 Schneider (2002), S.-52. 294 Vgl. G. H. Zander: Gründung der Handelshochschulen im deutschen Kaiserreich (1898- 1919), S.-85. 295 Vgl. z. B. Carl G. Odermann: Lehrbuch der Kontorwissenschaft, 9. Aufl., Leipzig 1889, S.-2. Abb. 5.2: Robert Stern. | [24] tung und deutsche Korrespondenz. 293 Sowohl für die angehenden Diplom- Kaufleute als auch die Diplom-Handelslehrer waren folgende obligatorische Prüfungsfächer vorgesehen: ■ Höheres kaufmännisches Rechnen, ■ Buchhaltung, ■ Deutsche Handelskorrespondenz und Kontorarbeiten, ■ Volkswirtschaftslehre, Finanzwissenschaft und Grundzüge der Handels‐ geschichte, ■ Handels- und Wechselrecht und ■ Grundzüge der Wirtschaftsgeographie. 294 Den Kern des betriebswirtschaftlichen Studi‐ ums bildeten in den Anfangsjahren die so‐ genannten Kontorwissenschaften. Unter die‐ ser Bezeichnung fasste man die Lehrinhalte des kaufmännischen Schrift- und Zahlungsver‐ kehrs, der Buchführung, des kaufmännischen Rechnens sowie des Vertragsrechts zusam‐ men. 295 An der Leipziger Handelshochschule wurde die Lehre der kontorwissenschaftlichen Fächer von Robert Stern übernommen. Robert Stern (1855-1930) war nach praktischer Tätigkeit in verschiedenen Wirtschaftsbranchen (Bank, Handel, Industrie) und anschließender Lehramtsprüfung ab 1881 in Wien als Lehrer an Handelsschulen, den heutigen kaufmännischen Berufsschulen, tätig. 1899 wurde er in Leipzig Oberlehrer an der Handelslehranstalt und zugleich Dozent für Handelstechnik an der Handelshochschule. Im Gebäude der Schule bot er ergänzend zu seinen Hochschulvorlesungen praktische Übungen zu den Kontorwissenschaften an. Diese wurden im Rahmen eines sogenannten „Musterkontors“ durchgeführt, „wobei Geschäftsvorfälle unter Besprechung der zugrunde liegenden betriebswirtschaftlichen Über‐ 5.1 Die erste Handelshochschule in Leipzig 135 <?page no="136"?> 296 R. Seÿffert: Über Begriff, Aufgaben und Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., Stuttgart 1971, S.-45. 297 Werner (1925), S.-21. 298 Vgl. H. Göschel: Die Handelshochschule in Leipzig, Leipzig 2008, S.-80. 299 Vgl. H. Franz: Zwischen Markt und Profession - Betriebswirte in Deutschland im Spannungsfeld von Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum (1900-1945), Göttingen 1998, S.-58. legungen gemeinsam aber mit verteilten Rollen bearbeitet wurden.“ 296 Aus wirtschaftspädagogischer Sicht mag das Musterkontor zwar für die Schule eine fortschrittliche Unterrichtsmethode dargestellt haben; für die Lehre an einer Hochschule war sie allerdings umstritten und rief Kritik hervor: „Daß das hier geübte Verfahren, die Praxis nachzuahmen, zu einer Routine der Behandlung mannigfacher Geschäftsfälle, […] zu einem leeren Abbild des praktischen Verfahrens, der Technik der Praxis führen mußte, was wieder alle diejenigen Studierenden, die schon jahrelange praktische Tätigkeit hinter sich hatten, als verlorene Studienzeit erkannten, das wollte man in Leipzig nicht erkennen und hielt daran auch noch fest, als Stern selbst ein‐ sah, daß er mit seinem Musterkontor auf verlorenem Posten stand.“ 297 Eine weitere für damalige Verhältnisse überaus fortschrittliche Lehrmethode, derer sich Stern bediente, stellten seine Exkursionen in die Wirtschafts‐ praxis dar, die er ab 1901 organisierte. Zusammen mit seinen Studenten unternahm er Studienreisen nach Berlin, Bremen, Hamburg, Amsterdam, Rotterdam und London. Seine letzte Studienreise vor Beginn des Ersten Weltkrieges führte nach Magdeburg, Berlin, Prag, Wien und Budapest. Zurück in Leipzig mussten die Studenten in abendlichen Veranstaltungen vor der gesamten Studentenschaft über ihre gewonnenen Erkenntnisse aus diesen Betriebserkundungen referieren. 298 Vor welchen organisatorischen Problemen Stern mit seinem Musterkon‐ tor gestanden haben muss, lässt sich erahnen, wenn man die Entwicklung der Studentenzahlen in den Anfangsjahren der Leipziger Hochschule betrachtet (→ Tab. 5.2). Hatte man kurz vor der Aufnahme des Lehrbetriebs mit nur etwa 50 Studenten gerechnet, immatrikulierten sich tatsächlich im SS 1898 mit 97 Studenten fast doppelt so viele. Im WS 1898/ 99 waren dann schon 139 Studenten eingeschrieben. In der Folge konnte die Hochschule kontinuierlich steigende Studentenzahlen registrieren. Im Jahr 1906 wurde mit 565 Studenten der Höhepunkt vor dem Ersten Weltkrieg erreicht. Einen spürbaren Einbruch der Studentenzahlen gab es erst nach Ausbruch des Krieges. 299 Dieser wirkte sich erheblich auf den Lehrbetrieb aus. Denn es 136 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="137"?> 300 Vgl. Göschel (2008), S.-80. 301 Vgl. D. Schneider: Die ersten Handelshochschulen. In: Entwicklungen der Betriebswirt‐ schaftslehre, Stuttgart 2002, S.-52. 302 Vgl. A. Pfeiff: Die Entstehung und Entwicklung der Handelshochschulen in Deutsch‐ land, Frankfurt am Main, 2009, S. 503ff. Zahlen für die Kriegsjahre (1915-1918) liegen nicht vor. wurden nicht nur viele Studenten zum Kriegsdienst einberufen, sondern auch etliche der Dozenten. Dadurch kam es zu Lücken im Unterrichtsplan und zu vielen Ausfällen in der Lehre. Auch die Forschung kam fast völlig zum Erliegen. 300 Diese Entwicklung in Leipzig steht repräsentativ für die Entwicklung der Handelshochschulen in Deutschland. Sommersemester Studenten - Sommersemester Studenten 1898 97 - 1907 548 1899 194 - 1908 530 1900 262 - 1909 497 1901 335 - 1910 484 1902 349 - 1911 497 1903 393 - 1912 507 1904 438 - 1913 503 1905 558 - 1914 512 1906 565 - 1915 259 Tab. 5.2: Studentenzahlen an der Handelshochschule Leipzig Die Handelshochschulen hatten gleich zu Beginn einen überraschend gro‐ ßen Erfolg. Bereits im Jahre 1910 studierten an den Handelshochschulen Leipzig, Köln, Frankfurt am Main und Mannheim insgesamt 1.744 Studenten. Zum Vergleich: Im Studiengang Volkswirtschaftslehre standen ihnen im gesamten Deutschen Reich 1.322 Studenten gegenüber. Erst ab 1920 wurde die Volkswirtschaftslehre unter den Studenten wieder beliebter. 301 Wie sich in Deutschland insgesamt die Studentenzahlen in den ersten 25 Jahren des Bestehens der Handelshochschulen (1898-1923) entwickelt haben, zeigt Tabelle 5.3. 302 Daraus lässt sich der kontinuierliche Anstieg der Studenten‐ zahlen ablesen, der lediglich durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen wird. 5.1 Die erste Handelshochschule in Leipzig 137 <?page no="138"?> 303 W. Busse von Colbe: Wirtschaftshochschulen und wirtschafts- und sozialwissenschaft‐ liche Fakultäten. In: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 4, hrsg. von H. Seischab u. K. Schwantag, 3. Aufl., Stuttgart: Poeschel 1962, Sp. 6395. Doch schon 1919 haben sich die Vorkriegszahlen fast verdoppelt. Bis zum SS 1923 wuchs dann die Zahl der Studenten sogar noch schneller an und erreichte mit 13550 Studenten einen Höhepunkt. Sommersemester Studenten - Sommersemester Studenten 1898 97 - 1911 1.968 1899 194 - 1912 2.107 1900 262 - 1913 2.298 1901 421 - 1914 2.691 1902 553 - 1915 ? 1903 744 - 1916 ? 1904 829 - 1917 ? 1905 993 - 1918 ? 1906 1.068 - 1919 5.166 1907 1.334 - 1920 7.030 1908 1.552 - 1921 7.942 1909 1.688 - 1922 9.494 1910 1.644 - 1923 13.550 Tab. 5.3: Studierende an deutschen Handelshochschulen 1898-1923 Zwar waren die Handelshochschulen ihrem Wesen nach von Anfang an öf‐ fentliche wissenschaftliche Hochschulen, „da sie der Forschung und wissen‐ schaftlichen Lehre in gegenseitiger Durchdringung gewidmet waren und sie den ordentlichen Studierenden bei grundsätzlicher Lehr- und Lernfreiheit eine wissenschaftliche Grundausbildung vermittelten.“ 303 In institutioneller Hinsicht gewannen sie ihren Hochschulcharakter jedoch erst Schritt für Schritt: Wichtige Stationen waren die Verleihung der Rektoratsverfassung (z. B. Leipzig 1923), das Abitur als Zulassungsvoraussetzung für das Studium und das Promotionsrecht. Bedeutsam war auch die erste Studienreform, die 138 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="139"?> 304 Vgl. B. Penndorf: Kaufmännisches Bildungswesen. In: Handwörterbuch des Kaufmanns, Bd. III, hrsg. von K. Bott, Hamburg/ Berlin 1927, S.-282. 305 Vgl. Zander (2004), S.-88f. 306 Im Oktober 1992 knüpfte man an die alte Tradition der „Handelshochschule“ an und gründete eine private Hochschule mit eben diesem Namen. 1999 wurde sie umbenannt in HHL Leipzig Graduate School of Management. Ende 1924 in Preußen durchgeführt wurde: Die Regelstudienzeit für die Diplome der Hochschulen (Diplom-Kaufmann und Diplom-Handelslehrer) wurde von vier auf sechs Semester erhöht. Für die Zulassung zu diesen Studiengängen wurde das Abitur gefordert. Praktische Kaufleute konnten mit der Obersekundareife und einer abgeschlossenen Lehre, die auf die Studienzeit angerechnet wurde, eine spezielle Prüfung schon nach vier Se‐ mestern ablegen. Zudem konnte diese Gruppe auch nachträglich das Abitur zum Zwecke des Weiterstudiums erwerben. Abweichende Regelungen gab es insbesondere in Süddeutschland. Während die wirtschaftswissenschaft‐ lichen Fakultäten an den Universitäten schon früh das Promotionsrecht besaßen, mussten die Handelshochschulen noch Ende der 1920er-Jahre darum kämpfen. 304 So wurde z. B. der Handelshochschule Leipzig erst am 13. Mai 1930 das Promotionsrecht verliehen (Doktor der Wirtschaftswissen‐ schaften (Dr. rer. oec.)).“ 305 Ein Jahr später wurde die „Handelshochschule“ umgewandelt die „Wirtschaftshochschule“. 306 Auch die anderen Handels‐ hochschulen machten eine ähnliche Entwicklung durch. So ging z. B. aus der 1901 gegründeten Handelshochschule in Köln 1919 die Universität zu Köln mit einer Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät hervor. Die Akademie für Social- und Handelswissenschaft in Frankfurt am Main ging als Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in der neuen Johann Wolfgang Goethe-Universität auf. Die Handelshochschule Nürnberg, die 1920 ihren Lehrbetrieb aufgenommen hatte, wurde 1961 mit der Universität Erlangen vereinigt und ist dort seither eine Fakultät. Die 1889 in St. Gallen eröffnete Handelshochschule für Verkehr, Handel und Verwaltung erhielt 1911 den Namen Handelshochschule, 1962 wurde sie in die Hochschule St. Gallen für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften umgewandelt. Aus der österreichi‐ schen Export-Akademie des k. u. k. österreichischen Handelsmuseums in Wien wurde 1919 die Hochschule für Welthandel. Diesen Namen trug sie bis 1975, seitdem heiß sie Wirtschaftsuniversität Wien (WU). 5.1 Die erste Handelshochschule in Leipzig 139 <?page no="140"?> 307 Zander (2004), S.-43. 308 Zander (2004), S.-87. Vgl. auch Franz (1998), S.-65. 309 Zur Gründung der Handelshochschule Leipzig und zur Bedeutung Richard Lamberts als Stammvater der deutschen Betriebswirtschaftslehre siehe meinen Aufsatz: L. Wächter: 125 Jahre Handelshochschule - Die Wiege der BWL, in: WiSt, 52. Jg., Heft 11/ 2023, S.-55-59. 310 Vgl. Sächs. Wirtschaftsarchiv (Hrsg.): Die öffentliche Handelslehranstalt zu Leipzig 1831-1950, Festschrift zum 170.-Jahrestag ihrer Gründung, Leipzig 2001, S.-59. 5.2 Die Stammväter der Hochschullehrer Eine wichtige Rolle in der Aufbauphase der Betriebswirtschaftslehre als wissenschaftliche Disziplin spielte die Professionalisierung des akademi‐ schen Lehrkörpers. Die nach den Hochschulgründungen neu geschaffenen Professorenstellen ermöglichten die hauptberufliche Forschung und Lehre, was auch zum beschleunigten Aufstieg der Betriebswirtschaftslehre beitrug. Bei der Gründung der Handelshochschulen um die Jahrhundertwende stellte es generell ein Problem dar, „dass für die kaufmännischen Unter‐ richtsfächer […] nur in Ausnahmefällen Handelswissenschaftler berufen werden konnten. In Deutschland war das Fach an Hochschulen praktisch nicht vertreten. Vielmehr handelte es sich entweder um Lehrpersonal aus dem Bereich der Handelsschulen oder um Praktiker.“ 307 So gestaltete es sich z. B. auch an der Handelshochschule in Leipzig „besonders schwer […], geeignete Lehrkräfte für die eigentlichen Handelsfächer wie Buchhal‐ tung, kaufmännische Arithmetik und kaufmännische Korrespondenz in deutscher und ausländischer Sprache zu finden. Hierfür wurde auf Lehrer der Öffentlichen Handelslehranstalt zurückgegriffen, während für die volks‐ wirtschaftlichen, juristischen und sonstigen Vorlesungen Lehrkräfte von der Universität bereitgestellt wurden.“ 308 Mit der ersten Dozentur für Handelswissenschaften an der Leipziger Handelshochschule wurde Richard Lambert (1846-1926) betraut. 309 Der erste und einzige festangestellte Vertreter des Lehrkörpers war Robert Stern bis 1916. 310 Erst in diesem Jahr wurde der erste handelswissenschaftliche Lehrstuhl errichtet und mit Hermann Großmann besetzt. 140 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="141"?> 311 Vgl. Stichwort „Lambert“ in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 3, Stuttgart 1927, Sp. 1042. 312 Werner (1925), S.-23. 313 P. Mantel: Betriebswirtschaftslehre und Nationalsozialismus, Wiesbaden 2009, S.-559. 314 Schmalenbach an Willy Minz am 24.9.1937; zit. n. Mantel (2009), S.-229. Abb. 5.3: Richard Lambert. | [25] Lambert zog es drei Jahre später nach Frank‐ furt am Main, wo er bei Gründung der Akademie für Handels- und Sozialwissenschaften im Jahre 1901 mit dem neuen Ordinariat für Handels‐ wissenschaften betraut worden ist, das er bis 1912 inne hatte. 311 Werner bezeichnet ihn daher auch zu Recht als den „Pionier der neueren betriebswirtschaftlichen Forschung und Lehre“ 312 . Auf den ersten „echten“ BWL-Lehr‐ stuhl an einer Universität im deutschsprachigen Raum wurde 1903 Johann Friedrich Schär in Zü‐ rich berufen. Er hatte sich - ebenso wie Lambert - weder promoviert noch habilitiert. Dass trotz‐ dem regelmäßig Schär in der Literatur als erster Lehrstuhlinhaber genannt wird, obwohl Lam‐ bert bereits zwei Jahre zuvor (1901) Ordinarius für Handelswissenschaften in Frankfurt am Main geworden ist, lässt sich lediglich damit rechtfertigen, dass die Handelshochschule in Frankfurt am Main eben keine „echte“ Universität war. Dass dies als Manko empfunden wurde, zeigt sich auch daran, dass sich viele Betriebswirte vehement darum bemühten, „weg von den Handelshochschulen, hin zu den Universitäten zu kommen - um so Teil der bisweilen fast mythisch verklärten deutschen Wissenschaft zu werden.“ 313 Eugen Schmalenbach sah diese Entwicklung im Rückblick äußerst kritisch und kritisierte an den jungen Fachkollegen, dass sie viel zu sehr darauf sähen, „daß sie gegenüber den Nationalökonomen als gebildete Wissenschaftler“ dastünden und dabei „nicht genug auf die Sache“ sähen. Schmalenbachs Erfolge und die der Betriebswirtschaftslehre seien hingegen darauf zurückzuführen, dass sie „sich nie darum bekümmert hät‐ ten, was andere Wissenschaften dazu“ sagten. 314 Da viele Karrieren der ersten Betriebswirtschaftler an der Leipziger Handelshochschule ihren Anfang nahmen, wird sie zuweilen auch als „Wiege der deutschen Betriebswirtschaftslehre“ bezeichnet. Im Zeitraum 1898-1955 war von allen 142 Hochschullehrern mit einer Professur für 5.2 Die Stammväter der Hochschullehrer 141 <?page no="142"?> 315 Vgl. Göschel (2008), S.-79, 252 sowie Klein-Blenkers (1992). 316 So bezieht Klein-Blenkers (1992, S. 41) die Nationalökonomen Emminghaus und Ehren‐ berg in seine Gesamtdarstellung der Hochschullehrer der Betriebswirtschaft mit ein, da sie „in starkem Umfang betriebswirtschaftlich arbeiteten“. Betriebswirtschaftslehre im deutschsprachigen Raum fast jeder Vierte ein ehemaliger Student an der Leipziger Handelshochschule. Unter diesen finden sich so berühmte Namen wie Eugen Schmalenbach, Heinrich Nicklisch, Willi Prion und Fritz Schmidt; und nicht wenige gehörten später auch selbst dem Leipziger Lehrkörper an (z. B. Balduin Penndorf, Arthur Lisowsky, Hermann Großmann und Ernst Pape). 315 Jene Hochschullehrer, die das Fach an den Handelshochschulen bzw. an den Universitäten aufbauten, können als die Stammväter gelten und bilden die erste Generation der Betriebswirte. Denn sie hatten keine be‐ triebswirtschaftlichen Lehrer bzw. betriebswirtschaftlichen Betreuer der Dissertation und Habilitation gehabt. Falls sie sich überhaupt promoviert oder habilitiert hatten, geschah das zumeist auf anderen Gebieten als der Betriebswirtschaftslehre (die ja eben noch nicht existierte), wie z. B. der Volkswirtschaft, der Rechtswissenschaft oder der Geschichte. Häufig waren die Stammväter auch „Quereinsteiger“ (z. B. Lehrer von Handelsschulen, Kaufleute aus der Praxis oder Volkswirte 316 ). Zu dieser ersten Generation der Betriebswirte gehören: ■ Josef Hellauer (1898 ordentl. Prof. an der Exportakademie Wien), ■ Richard Lambert (1901 ordentl. Prof. für Handelswissenschaften an der HH Frankfurt am Main), ■ Johann Friedrich Schär (1903 ordentl. Prof. für Handelswissenschaften an der Uni Zürich), ■ Friedrich Leitner (1908 ordentl. Prof. an der HH/ WH Berlin), ■ Anton Schmid (1908 ordentl. Prof. an der Exportakademie Wien) und ■ Robert Stern (1898/ 99 Handelsschullehrer und Dozent, 1912 Prof. und Hofrat an der HH Leipzig). 142 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="143"?> 317 Vgl. Klein-Blenkers (1992), S.-100. Auch wenn sie in der Literatur zumeist fälschlicherweise zur zweiten Gene‐ ration gerechnet werden, so müssen Wilhelm Rieger (1919 ordentl. Professor an der HH Nürnberg) und Walter Le Coutre (1921 ordentl. Professor an der HH Königsberg) auch noch zur ersten Generation der Betriebswirte gezählt werden, da sie sich noch bei Nationalökonomen mit volkswirtschaftlichen Themen promoviert und habilitiert haben. Aufgrund der Lehrer-Schüler- Beziehungen muss das berühmte „Dreigestirn“ der BWL, nämlich Schmal‐ enbach, Nicklisch und Schmidt zur zweiten Generation gezählt werden, da sie alle von Richard Lambert in Leipzig betreut worden sind. 317 1. Generation 2. Generation erste Professur . . . . . . Eugen Schmalenbach 1906 Heinrich Nicklisch 1910 Fritz Schmidt 1913 Ernst Pape 1914 Richard Lambert Bruno Pfeiffer 1915 (1898 Dozent an der HH Leipzig, 1901 Prof. in Frankfurt am Main) Willi Prion 1915 Felix Werner 1915 Hermann Großmann 1916 Balduin Penndorf 1922 Abb. 5.4: Die zweite Generation der Betriebswirte, Schüler von Richard Lambert. | [26] Neben dem Bestreben der ersten Generation, das Fach hochschulpädago‐ gisch auszugestalten, erforschten die Vertreter der zweiten Generationen die neue Wissenschaftsdisziplin überwiegend deskriptiv und widmeten sich De‐ tailfragen. In diesem Zusammenhang nahmen die betriebswirtschaftlichen Fachzeitschriften, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet wurden, eine wichtige Funktion ein. Deren Herausgeber, allesamt Betriebswirte der zweiten Generation, trugen damit wesentlich zum Aufbau der BWL bei. Die wichtigsten betriebswirtschaftlichen Fachzeitschriften sind die von Schmalenbach gegründete „Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung (ZfhF)“, die von Heinrich Nicklisch herausgegebene „Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis (ZfHH)“ sowie die später von Fritz Schmidt gegründete „Zeitschrift für Betriebswirtschaft (ZfB)“. Diese drei Herausgeber bilden auch in wissenschaftstheoretischer Hinsicht das 5.2 Die Stammväter der Hochschullehrer 143 <?page no="144"?> 318 Schneider (2001), S.-211, 215. „große betriebswirtschaftliche Dreigestirn“ (Gutenberg), das in den folgen‐ den Jahrzehnten das Fach maßgeblich prägen wird. 5.3 Das „große betriebswirtschaftliche Dreigestirn“ Eugen Schmalenbach, Heinrich Nicklisch und Fritz Schmidt sind die prägen‐ den Charaktere und herausragenden Persönlichkeiten der sich im Aufbau befindenden Betriebswirtschaftslehre. Ihre Bedeutung liegt vor allem darin, dass sie die verschiedenen Wissenschaftsprogramme repräsentieren, die in der Aufbauphase des Fachs miteinander konkurrierten: Schmalenbach steht für eine empirisch-realistische Methode, Nicklisch vertritt ein normativ-wer‐ tendes Wissenschaftsverständnis und Schmidt favorisiert die reine Theorie. Um den an späterer Stelle dargestellten Werturteilsstreit und den Streit um die Fachbezeichnung besser verstehen und einordnen zu können, werden diese drei Betriebswirte und deren grundlegendes Wissenschaftsverständnis zunächst kurz vorgestellt. Auch auf den „scharfsinnigen Kritiker“ und „zornigen Außenseiter“ 318 Wilhelm Rieger wird in diesem Zusammenhang an späterer Stelle noch einzugehen sein. 5.3.1 Eugen Schmalenbach Schmalenbach wurde am 20.08.1873 in Halver (Westfalen) als Sohn eines Türschlossfabrikanten geboren. Wegen finanzieller Probleme seines Vaters musste er vorzeitig das Gymnasium verlassen und absolvierte anschließend eine technische und eine kaufmännische Ausbildung. 1891 trat der junge Eugen in die väterliche Fabrik ein und war dort für die Buchführung verantwortlich. Dabei stieß er auf praktische Probleme, die ihn veranlassten, sich mit betriebswirtschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Antworten erhoffte er sich an der neu gegründeten Handelshochschule in Leipzig, an der er sich 1898 immatrikulierte. Nach dem Studium, welches er mit dem Diplom abgeschlossen hatte, ging er zurück in die Heimat, um bei der Rem‐ scheider Deutsche Metall-Industriellen-Zeitung als Redakteur zu arbeiten. In dieser Zeitschrift hatte er schon 1899, also noch als Student, ohne Wissen seines Professors Lambert den Aufsatz „Buchführung und Kalkulation im Fabrikgeschäft“ publiziert. In diesem anonym erschienenen Beitrag, der 144 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="145"?> 319 E. Schmalenbach: Die Privatwirtschaftslehre als Kunstlehre, in: Zeitschrift für betriebs‐ wirtschaftliche Forschung, 6. Jg., 1911/ 12, S.-304-316. Abb. 5.5: Eugen Schmalen‐ bach. | [27] auch in Lamberts Seminar diskutiert wurde, machte Schmalenbach sich stark für die Ausgliederung der Fixkosten aus Kalkulation und Preispolitik. 1901 wurde Schmalenbach Assistent von Bü‐ cher in Leipzig. Auf dessen Anregung wechselte er an die Handelshochschule in Köln, wo er sich 1903 mit einer Arbeit über Verrechnungspreise in Großbetrieben habilitierte, als Dozent lehrte und drei Jahre später eine Professur erhielt. Im selben Jahr (1906) rief Schmalenbach die Zeit‐ schrift für handelswissenschaftliche Forschung (ZfhF) ins Leben. In den ersten Jahren ihres Be‐ stehens war die Zeitschrift fast eine „Ein-Mann- Zeitschrift“, denn mehr als die Hälfte der Bei‐ träge verfasste Schmalenbach selbst. Auch seine bedeutende Streitschrift „Die Privatwirtschafts‐ lehre als Kunstlehre“, die den Methodenstreit in der Betriebswirtschaftslehre forcierte, wurde in der ZfhF veröffentlicht. 319 Abb. 5.6: Hörsaal der Handelshochschule Köln. | [28] 5.3 Das „große betriebswirtschaftliche Dreigestirn“ 145 <?page no="146"?> 320 P. Mantel (2009), S.-392. 321 Vgl. hierzu G. Schanz: Eine kurze Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, Kon‐ stanz/ München 2014, S.-30ff. 322 Schmalenbach, zitiert nach W. Cordes (1984), S.-58. 323 Vgl. Schanz (2014), S.-33. Als die Kölner Handelshochschule in eine Universität umgewandelt wurde, wurde Schmalenbach zum ordentlichen Professor der Betriebswirtschafts‐ lehre ernannt und blieb seiner Universität ein Leben lang treu. Als Nazi- Gegner, zudem verheiratet mit einer jüdischen Frau, war er „mit weitem Abstand das prominenteste Opfer des Dritten Reichs unter den Betriebswir‐ ten.“ 320 Dies führte dazu, dass er sich 1933 aus der Wissenschaft zurückzog. Während der Nazi-Diktatur musste er sich mit seiner Frau verstecken und fand Unterschlupf bei ehemaligen Schülern. 1945 wirkte Schmalenbach an der Wiedererrichtung der Kölner Universität mit und hielt dort bis 1947 Vorlesungen. Er starb am 20.02.1955 in Köln. In methodologischer Hinsicht versteht Schmalenbach die Betriebswirt‐ schaftslehre als eine Kunstlehre. In inhaltlicher Hinsicht ist seine Auf‐ fassung von der Betriebswirtschaftslehre geprägt von der Idee der Wirt‐ schaftlichkeit. 321 Eine programmatische Erklärung zur Kunstlehre findet sich im Jahresbericht der Kölner Handelshochschule (1912). Darin erklärt Schmalenbach: „Die Cölner Privatwirtschaftslehrer pflegen ihr Fach als Kunstlehre. Sie stellen ihre Lehr- und Forschungstätigkeit in den Dienst der Praxis. … Der Praktiker soll in Zukunft im Stande sein, … auf Grund des Standes der Wissenschaft bestimmte Verfahren als … am geeignetsten anzugeben. Mit einer philosophi‐ schen Betrachtungsweise … kann er wenig anfangen, … sie kann dieses Problem nicht rationell lösen. Daß die Kunstlehre die Theorie nicht entbehren kann, ist selbstverständlich, aber ihre Theorie ist keine Spekulation, sondern abgeleitete Praxis.“ 322 Diese methodologische Auffassung von Schmalenbach hängt eng damit zusammen, wie er die Betriebswirtschaftslehre inhaltlich versteht. Eine nicht als Kunstlehre konzipierte Disziplin würde nach seiner Auffassung der Erfüllung des zentralen Anliegens im Wege stehen, „in welcher Weise ein wirtschaftlicher Erfolg mit möglichst geringer Aufwendung wirtschaftlicher Werte erreicht wird.“ 323 Schmalenbachs inhaltliche Leitmaxime ist die Wirtschaftlichkeit im Sinne einer möglichst sparsamen Mittelverwendung: „Die Frage lautet 146 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="147"?> 324 Schmalenbach, zitiert nach W. Cordes (1984), S.-283. 325 Schmalenbach, zitiert nach S. Hundt: Zur Theoriegeschichte der Betriebswirtschafts‐ lehre, Köln 1977, S.-49. 326 Hundt (1977), S.-49. 327 Vgl. Hundt (1977), S.-50 nicht: Wie verdiene ich am meisten? , sondern: Wie fabriziere ich diesen Gegenstand mit der größten Ökonomie? “ 324 Während die erste Frage das Unternehmen als Kapitaleinheit begreift, als Veranstaltung eines gewinnori‐ entierten Unternehmers, liegt der zweiten Frage die Auffassung zugrunde, dass der Betrieb im Sinne einer technischen Einheit Bestandteil der Gesamt‐ wirtschaft ist. Wie Schmalenbach betont, interessiere ihn „die Fabrik als Fabrik“, d. h. der Betrieb als solches, „und nicht als Veranstaltung eines Un‐ ternehmers.“ 325 War früher der Betrieb der Kapitalverwertung untergeordnet und der kaufmännische Gesichtspunkt dominierte den technischen, löst Schmalenbach nun den Betrieb vom Unternehmer und vom Unternehmen. „Neben den technischen tritt der wirtschaftliche Betrieb.“ 326 Konsequenter‐ weise spricht Schmalenbach nicht mehr von der (profitorientierten) „Privat‐ wirtschaftslehre“, sondern von Betriebswirtschaftslehre. Fortan gilt er als Namensgeber des Fachs. Zugleich wurde in der BWL ein jahrzehntelanger Methodenstreit ausgelöst, der mit Schmalenbach seinen Anfang nahm. 327 In diesen Streit war auch sein Kollege und ehemaliger Kommilitone Nicklisch involviert. 5.3.2 Heinrich Nicklisch Nicklisch schloss 1901 sein Studium an der Handelshochschule Leipzig als Diplom-Handelslehrer ab und promovierte ein Jahr später an der Universität Tübingen über „Handelsbilanz und Wirtschaftsbilanz“. Danach arbeitete er bis 1906 bei der Magdeburger Privatbank. 1907 wurde Nicklisch Dozent an der Handelshochschule Leipzig. Ab 1908 war er Herausgeber der „Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis (ZfHH)“. 1910 wurde Nicklisch Professor an der Hochschule Mannheim und gründete dort das Betriebswis‐ senschaftliche Institut für Forschungen auf dem Gebiete des Betriebslebens. Von 1911-1914 war er dort Prorektor, anschließend bis 1918 Rektor. Von 1921 bis 1945 lehrte er an der Wirtschaftshochschule in Berlin, wo er über viele Jahre hinweg die Leitung des Kreditwirtschaftlichen Seminars innehatte und durch seine bankwirtschaftliche Vortragsreihe die Berliner Bankpraxis mit der Wissenschaft eng verband. Im Dritten Reich versuchte Nicklisch seine 5.3 Das „große betriebswirtschaftliche Dreigestirn“ 147 <?page no="148"?> 328 Vgl. Mantel (2009), S.-56 f. 329 H. Nicklisch: Die Betriebswirtschaft, 7. Aufl., Stuttgart 1932, S.-296 330 Nicklisch (1932), S.-6. Abb. 5.7: Heinrich Nicklisch. | [29] ethisch-normative, gemeinwirtschaftliche Betriebswirtschaftslehre unter nationalsozialistischen Vorzeichen zu etablieren und sich als „nationalso‐ zialistischer Muster-Betriebswirt“ zu profilieren. 328 1945 wurde er aus dem Dienst entlassen, wogegen er sich jedoch heftig wehrte. Heinrich Nicklisch (1876-1946) vertritt einen ethisch-normativen An‐ satz. Aufgabe der BWL sei es, aus ethischen Grundwerten Normen für wirtschaftliches Handeln abzuleiten und in der Wirtschaftspraxis umzusetzen. Eine herausragende Bedeutung in seiner Lehre hat die Idee der Betriebsgemeinschaft. Das Gewinnstreben sieht Nicklisch kritisch. Nicklisch, der neben Johann Friedrich Schär (und später Wilhelm Kalveram) als der wichtigste Vertreter der normativen Betriebswirtschafts‐ lehre gilt, betrachtet die Betriebswirtschafts‐ lehre als eine Disziplin der Sozialwissenschaf‐ ten. Sein ganzes Werk ist geprägt von der Idee der Betriebsgemeinschaft: „Das Wort Betriebs‐ gemeinschaft bedeutet, daß Menschen, einheit‐ lich verbunden, das Leben des Betriebes leis‐ ten und daß der Mensch auf diese Weise aus dem Betriebsmechanismus einen Organismus macht. Die Menschen stehen mit ihren Rechten und Pflichten in ihm, und das Wohlergehen des Betriebes und ihr eigenes hängt davon ab, daß diese erfüllt werden.“ 329 Kapitalisten und Arbeiter sind demnach Teil eines Ganzen. Das Postulat der Gewinnmaxi‐ mierung lehnt Nicklisch ab. Denn habe der Mensch erst dieses „Mittel der Machtentfaltung“ erkannt, werde dieser versuchen, „mit krampfender Energie Geldwert anzuhäufen, gleichgültig ob er seinen Weg mit Leichen besät oder nicht.“ 330 . An diesem Beispiel wird seine ethisch-normative Denkrichtung deutlich, wonach Wirtschaftlichkeit immer „anständig“ zu sein habe. 148 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="149"?> 331 Nicklisch (1932), S. S.-28/ 29. 332 Vgl. J. Löffelholz: Repetitorium der Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., Wiesbaden 1980, S.-902 u. 904. 333 J. Löffelholz: Repetitorium der Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., Wiesbaden 1980, S.-903. 334 Mantel (2009), S.-90. Nicklischs Forschungsansatz ist intuitiv und wertbezogen. Diesen An‐ satz verteidigt er gegen empirische und wertfreie Forschungsverfahren: „Für die Betriebswirtschaft wie für die Betriebswirtschaftslehre muß das herrschende Forschungsverfahren das der Intuition sein […] vom Reich der Zwecksetzungen kann es keine wertfreie Wissenschaft geben, deshalb auch nicht von der Betriebswirtschaft.“ 331 Das von Nicklisch konzipierte betriebswirtschaftliche System, welches geistig-philosophisch fundiert ist, fußt auf dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit, nicht auf dem der Rentabili‐ tät. 332 Nach Löffelholz sah Nicklisch „im Betrieb ein geistiges Gebilde, das als Ganzheit nicht von seinen ethischen Bedingungen gelöst betrachtet werden kann. So mündet sein System in einer Ordnung des Betriebslebens, in der der gemeinschaftzerstörende Gegensatz zwischen Arbeit und Kapi‐ tal aufgehoben ist.“ 333 Insbesondere seine Überlegungen zur betrieblichen Mitbestimmung, zum Problem des gerechten Lohns, zur Gestaltung eines optimalen Arbeitstages sowie zur Gewinnbeteiligung von Arbeitnehmern betreffen Themen, die auch heute (wieder) aktuell sind. 5.3.3 Fritz Schmidt Nach Realschule und kaufmännischer Ausbildung war Fritz Schmidt (1882- 1950) im Großhandel und in der Industrie tätig, u. a. in New York und Buenos Aires. Von 1906 bis 1909 studierte er an der Handelshochschule Leipzig und Besançon (Frankreich) und ergriff nach dem Abschluss den Beruf des Handelslehrers. Nachdem er zwei Jahre in Dortmund unterrichtet hatte, wurde er 1911 als Dozent an die zehn Jahre zuvor gegründete Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frankfurt am Main berufen, wo er sich ein Jahr später mit einer Arbeit über Die Liquidation und Prolongation im Effektenhandel habilitierte und 1913 zum ordentlichen Professor ernannt wurde. 1914 wechselte Schmidt an die neu gegründete Johann-Wolfgang- Goethe-Universität, an der er sein Leben lang lehrte und „eine der prägenden Persönlichkeiten des Faches“ 334 war. Schmidt war Begründer und Herausge‐ 5.3 Das „große betriebswirtschaftliche Dreigestirn“ 149 <?page no="150"?> 335 F. Schmidt: Organische Bilanz, in: Handwörterbuch des Kaufmanns, Bd. IV, hrsg. von K. Bott, Hamburg 1927, S.-195. 336 Vgl. Isaac (1923), S.-36. Abb. 5.8: Fritz Schmidt. | [30] ber der „Zeitschrift für Betriebswirtschaft (ZfB)“. 1932 wurde ihm von der Wirtschaftshochschule Mannheim die Ehrendoktorwürde verliehen. In seinen ersten Werken widmete Schmidt sich dem Bank- und Börsenwesen und erforschte den Zahlungsverkehr. Als es nach dem Ersten Weltkrieg zu einer massiven Geldentwertung durch Hyperinflation kam, gelangte er „im Frühjahr 1921 […] zu grundsätzlich neuen Anschauungen über die Bilanzbe‐ wertung, weil mir die große Wertverschiebung der Inflation die Möglichkeit zu bieten schien, die Einflüsse jeder Art von Wertverschiebung zwischen Ein- und Ausgang der Kostenwerte klarer herauszuarbeiten.“ Ihm sei deutlich gewor‐ den, „daß die alten Bilanzanschauungen, die den Grundsatz Mark gleich Mark vertraten, falsch sein mussten.“ 335 Aufbauend auf dieser Erkenntnis entwickelte er eine „organische Bilanzlehre“, die er schließlich zu einer organischen Theorie der Betriebswirtschaft ausbaute. Schmidt zählt zu den Vertretern der empi‐ risch-realistischen Betriebswirtschaftslehre und sieht in ihr eine theoretische Wissenschaft. Jede Forschereinstellung, die ethisch, philoso‐ phisch oder technisch beeinflusst wird, lehnte er ab. 336 Im Gegensatz zu anderen Fachkollegen, die den Betrieb als selbständiges Gebilde auffas‐ sen, betrachtet Schmidt den Betrieb als „Glied der Marktwirtschaft“ und bezieht volkswirt‐ schaftliche Aspekte (z. B. Konjunktur und Infla‐ tion) in seine Lehre ein. „Die Unternehmung arbeitet nicht im luftleeren Raum, sie ist vielmehr eingespannt in das Netz der Marktwirtschaft. Aus der Marktwirtschaft empfängt die […] Unternehmung ihre Werte, an sie führt sie diese zu anderen Zeiten und in anderen Formen wieder ab.“ Zwischen den einzelnen Organen (Betrieben) und dem Gesamtorganismus (Volkswirtschaft) bestehen nach seiner Auffassung Wechselwirkungen: Der Marktwert, der sich in der Gesamtwirtschaft bildet, beeinflusst durch seine Schwankungen auch die Vermögenswerte und den Erfolg des Un‐ 150 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="151"?> 337 Vgl. Löffelholz (1980), S.-909. 338 Schmidt, zit. nach Löffelholz, S.-909f. 339 Löffelholz (1980), S.-911. 340 K. Schmaltz: Betriebswirtschaftliche Zeitschriften in Deutschland, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd.-5, Stuttgart 1928, Sp. 1283. ternehmens. Umgekehrt ist die Volkswirtschaft von dem Verhalten der Unternehmen abhängig. Schmidt bezieht somit Verhaltensweisen der Markt‐ teilnehmer in die Analyse mit ein. Jene Faktoren, auf die Schmidt den Konjukturverlauf zurückführt, ähneln den drei grundlegenden psychologi‐ schen Faktoren, die J. M. Keynes fast 15 Jahre später in seiner „General Theory“ nennen wird (Liquiditätsvorsorge, Investitionsneigung, Hang zur Konsumtion). 337 Ausgehend von seiner dynamisch-organischen Betrachtungsweise entwi‐ ckelte Schmidt ein Kreislaufmodell, das er bereits 1923 in die betriebswirt‐ schaftliche Theorie einführte. Er glaubte, „daß die Erkenntnis des Kreislaufs noch etwas weiter führt als die des freien Marktes.“ So versucht er dann auch „aus den Tatsachen des Kreislaufs allgemeingültige Grundsätze des Betriebsgeschehens und der Betriebsführung abzuleiten.“ 338 Wie Löffelholz konstatiert, habe Schmidt „durch die Einbeziehung der Theorie der Markt‐ wirtschaft in die Betriebswirtschaftslehre […] viele neue Zusammenhänge zwischen Betrieb und Markt aufgedeckt und die Entwicklung der Betriebs‐ wirtschaftslehre stark beeinflußt.“ 339 Schmalenbach, Nicklisch und Schmidt sind jene Wissenschaftler, die erstmals „den Mut und den notwendigen Weitblick“ hatten, die Herausgabe betriebs‐ wirtschaftlicher Fachzeitschriften zu wagen, um so „Bausteine zusammenzu‐ tragen für ein Gebiet, das man seinem Umfang nach wohl schon umreißen, aber seinem Inhalt nach im einzelnen noch nicht kennen konnte.“ 340 5.4 Betriebswirtschaftliche Fachzeitschriften Die Fachzeitschrift hat eine lange Tradition, die bis ins späte 17. Jahr‐ hundert zurückreicht. War sie anfangs noch als universelles wissenschaft‐ liches Organ konzipiert, begann ab dem 18. Jahrhundert mit zunehmender Spezialisierung der Wissenschaften eine Differenzierung in verschiedene Zeitschriftentypen. Die erste handelswissenschaftliche bzw. kaufmännische Fachzeitschrift war wohl das in Brüssel ab 1759 erschienene „Journal de Commerce“ (→ 5.4 Betriebswirtschaftliche Fachzeitschriften 151 <?page no="152"?> 341 Vgl. Weber (1914), S.-105 u. 107. 342 Vgl. Brockhoff (2017), S.-167. Abb. 5.9: Titelblatt der ersten kaufmänni‐ schen Fachzeitschrift „Journal de Commerce“ (Brüssel 1759). | [31] Abb. 5.9). Als älteste deutsche Fachzeitschrift gilt die erstmals 1766 in Breslau herausgegebene Wochenschrift „Der Kaufmann“ von Johann Christian Si‐ napius. Eine weitere Wochenschrift erschien ab 1770 in Leipzig mit dem Titel „Der Kaufmann oder Beyträge zur Aufnahme der Handlung und Seefahrt“. Ab 1780 gab L. V. Seehusen in Hamburg die Vierteljahresschrift „Journal für Kaufleute“ heraus. Die zahlreichen kaufmännischen Fachzeitschriften, die im 18. Jahrhundert publiziert worden sind, konnten sich jedoch nicht auf Dauer etablieren; viele mussten schon nach kurzer Zeit ihr Erscheinen einstellen. 341 Gerade beim Aufbau einer Wis‐ senschaftsdisziplin haben Fachzeit‐ schriften eine wichtige Funktion. Brockhoff sieht in ihnen auch ein Indiz für die Institutionalisierung der Disziplin. 342 Durch Fachzeit‐ schriften lassen sich rasch neue Erkenntnisse mitteilen und es kann ein wissenschaftlicher Austausch stattfinden. Auch kann die einset‐ zende wissenschaftliche Entwick‐ lung kritisiert und gelenkt werden. „Im Unterschied zu Fachbüchern erlauben betriebswirtschaftliche Fachzeitschriften eine zeitnahe und regelmäßige Informationsbe‐ reitstellung sowie die gezielte De‐ ckung eines aktuellen Informa‐ tionsbedarfs. Der grundsätzlich geringe Zeitverzug bei der Ver‐ öffentlichung relevanter Informa‐ tionen und die weitgehende Ver‐ fügbarkeit und Zugänglichkeit betriebswirtschaftlicher Fachzeit‐ 152 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="153"?> 343 H. Maltry: Betriebswirtschaftliche Zeitschriften, in: Handwörterbuch der Betriebswirt‐ schaft, Bd.-3, 5. Aufl., Stuttgart 1993, Sp. 4786. 344 Schmalenbach 1931 in Zfhf, zit. n. Karl Hax: 50 Jahre Zeitschrift für Handelswissenschaftliche Forschung, in ZfhF, Nf, 8. Jg. 1956, S.-1-6. 345 Vgl. K. Schwantag: Betriebswirtschaftslehre, in HDSW, Bd. 2, Stuttgart et al., 1959, S. 116. 346 Bellinger (1967), S.-52. schriften machen sie zu einem wichtigen Instrument des betriebswirtschaft‐ lichen Fortschritts: betriebswirtschaftliche Forschungsergebnisse können ausgetauscht und Problemstellungen öffentlich diskutiert werden, die Dif‐ fusion theoretischer Erkenntnisse in die betriebliche Praxis wird beschleu‐ nigt und das Bewußtsein um neue Anforderungen an Forschung und Praxis durch das Aufzeigen aktueller Entwicklungen und veränderter Rahmenbe‐ dingungen im betriebswirtschaftlichen Umfeld (technologischer und sozia‐ ler Fortschritt, Gesetzgebung und Rechtssprechung) gefördert.“ 343 1906 gab Eugen Schmalenbach die erste Ausgabe seiner Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung (ZfhF) heraus, die später umbenannt wird in „Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (zfbf)“. Dazu bemerkte er im Jahr 1931 rückblickend: „Was die Zeitschrift sollte, war klar vorgezeichnet, dazu brauchte es keiner großen Überlegung. Sie sollte den Baustein liefern für die Entwicklung des Faches zur Wissenschaft. Zu einer Wissenschaft natürlich, wie ich sie verstand. Eine Betriebswirtschaftslehre nach meinem Sinne musste letzten Endes, unmittelbar oder mittelbar, dem praktischen Betrieb dienen.“ 344 Dieses Verständnis kommt auch in der Gliederung der ZfhF zum Aus‐ druck. Schmalenbach hat darin eine Gliederung in eine Betriebslehre und in eine Verkehrslehre und sodann in eine allgemeine und in eine spezielle Betriebslehre vorgenommen. Dass er diese Lehren als Techniken bezeichnet, lässt erkennen, dass er diese nicht zu einer reinen, theoretischen Wissen‐ schaft, sondern zu einer angewandten, einer praktischen Wissenschaft ausbauen wollte, d. h. zu einer Kunstlehre. 345 Die Entwicklung einer betriebs‐ wirtschaftlichen Kunstlehre entsprach auch dem ursprünglichen Auftrag der Handelshochschulen, deren wissenschaftliches Ziel darin bestand, „die wissenschaftlichen Erscheinungen bei ihrem Entstehen in den Betrieben zu erforschen und für Unternehmer eine Lehre erfolgreichen Wirtschaftens zu entwickeln.“ 346 Dazu bedient Schmalenbach sich eines induktiven Vor‐ gehens, welches auch der Zeitschrift zugrunde liegt: Das Fachgebiet soll mittels Einzeldarstellungen erschlossen werden, die zunächst nur die in der Praxis angewandten Verfahren schildern, um dann später daraus grund‐ 5.4 Betriebswirtschaftliche Fachzeitschriften 153 <?page no="154"?> 347 Vgl. Schwantag (1959), S.-116. 348 Bellinger (1967), S.-52. 349 Vgl. W. Cordes: Eugen Schmalenbach, Stuttgart 1984, S.-48f. 350 Cordes (1984), S.-49. 351 Poeschel (ca. 1911), zit. n. R. Riese: Am Strom der Zeit - Carl Ernst Poeschel und sein Verlag für kaufmännische Fachliteratur in Leipzig 1902 bis 1919, in: Gaugler/ Köhler (Hrsg.): Entwicklungen der Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 2002, S.-23. sätzliche Abhandlungen zu bilden. 347 „Das damalige Vorgehen war ganz an den konkreten Erfordernissen der Praxis ausgerichtet. Um beweiskräftige Ergebnisse vorlegen zu können, mussten die Betriebswirte sich zunächst auf Erscheinungen beschränken, bei denen sie messen, unterscheiden und vergleichen konnten.“ 348 Als besonders zweckdienlich erwiesen sich hierfür betriebliche Vorgänge, die dokumentiert sind, wie z. B. im Rechnungswesen. Somit war es möglich, die in Form von Kunstlehren entwickelten Sätze empirisch auf Richtigkeit nachzuprüfen. Ausgehend von den Tatsachen des einzelnen Betriebes erfolgten Vergleiche mit ähnlichen Betrieben und eine Ausweitung auf ganze Betriebsgruppen und Branchen. Die betriebs‐ wirtschaftliche Forschung erfolgte also vom Besonderen zum Allgemeinen. So wurde aus der Empirie eine Theorie, die schließlich die Basis bilden konnte für eine „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“. Die Themenschwerpunkte der ZfhF waren die Finanzierung, die Buchführung, die Kostenrechnung und die (kritische) Bilanzanalyse. Auch Schmalenbachs erste grundlegende Werke, die „Dynamische Bilanz“ und die „Kostenrechnung“ sind in der ZfhF erstmals erschienen (1919 und 1920, später als erste Auflage bezeichnet). 349 Ihren besonderen Charakter erhielt die Zeitschrift durch die Rubrik „Mitteilungen“ und die von Schmalenbach verfassten Buchbesprechungen. In seinen fast 300 Rezensionen „entzündete sich Schmalenbachs Temperament, im positiven wie im negativen Sinne. In manchen Buchbesprechungen ergießt sich ein wahrer Funkenregen von Ironie, Sarkasmus, zuweilen auch Spott über den Autor.“ 350 Die zweite betriebswirtschaftliche Fachzeitschrift wurde 1908 gegründet: Im April traten Hermann Rehm, Robert Stern, Georg Obst und Heinrich Nicklisch mit ihrer Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis (ZfHH) erstmals an die Öffentlichkeit (→ Abb. 5.10). Mit dieser setzten der Verleger Poeschel und der Herausgeber Obst eines ihrer Hauptanliegen in die Tat um: Eine betriebswirtschaftliche Fachzeitschrift hielten sie „in höchstem Maße geeignet […], das selbständige Denken des Praktikers anzuregen und ihm sowohl auf seinem Spezialgebiet, als auch in den Nebengebieten kräftig zu fördern.“ 351 154 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="155"?> 352 Isaac (1923), S.-51. 353 M. Lingenfelder/ P. Loevenich: Medien und Fachverlage in der Betriebswirtschaftslehre, in: M. Lingenfelder (Hrsg.): 100 Jahre Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, Mün‐ chen 1999, S.-236. Abb. 5.10: Titelkopf der „Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis“ (Heft 6, 1908). | [32] Wie Issac fünfzehn Jahre nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe feststellt, habe die ZfHH „das gesamte betriebswirtschaftliche Gebiet berücksichtigt und besonders in den Jahren bis zum Kriege wertvolles Material über den Warenverkehr gesammelt. Daneben hat sie stets ihr Augenmerk sowohl auf buchhaltungspraktische als auch buchhaltungstheoretische Arbeiten gelenkt, ebenso Aufsätze juristischer Art aus dem Gebiete des Wirtschaftslebens mit‐ berücksichtigt. Sie hat des öfteren Preisausschreiben veranstaltet, aus denen manch wertvolle Arbeit hervorgegangen ist. Nach dem Kriege stellten sich die Herausgeber mehr auf die Sammlung kürzerer Arbeiten über Tagesfragen ein, ohne dabei wissenschaftliche Abhandlungen zu vernachlässigen. Als besonde‐ res Verdienst der Zeitschrift ist die Pflege des Werbewesens, dem u.-a. 1919 ein Sonderheft gewidmet wurde, hervorzuheben.“ 352 Die ZfhF und die ZfHH „waren bis in die zwanziger Jahre hinein die bedeutendsten Fachzeitschriften und leisteten der Entwicklung der Betriebs‐ wirtschaftslehre großen Vorschub.“ 353 5.4 Betriebswirtschaftliche Fachzeitschriften 155 <?page no="156"?> Abb. 5.11: Werbeanzeige des Verlags G. A. Gloeckner für die „Betriebswirtschaftliche Rund‐ schau“ | [33] 156 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="157"?> 354 K. Schmaltz: Betriebswirtschaftliche Zeitschriften in Deutschland, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd.-5, Stuttgart 1928, Sp. 1283 f. 355 Vgl. Klein-Blenkers (1992), S.-190-191. 356 Heber in seinem Bewerbungsschreiben um eine Professur in Bern vom 15.4.1928, zit. nach Mantel (2009), S.-716. Ab 1924 erscheinen dann wieder zwei Fachzeitschriften, die für die weitere Entwicklung der betriebswirtschaftlichen Zeitschriften richtungsweisend werden sollen: Die von Fritz Schmidt gegründete Zeitschrift für Betriebswirtschaft sowie die im Auftrag der Frankfurter Gesellschaft für wirtschaftliche Aus‐ bildung (ab 1925 Gesellschaft für Betriebsforschung) herausgegebene Be‐ triebswirtschaftliche Rundschau (→ Abb. 5.11). „Mit diesen beiden Zeitschriften zeigten sich zum erstenmal zwei neue Tendenzen, die sich in den folgenden Jahren in der Gründung neuer Zeitschriften und auch in der allmählichen inhaltlichen Umgestaltung der alten Zeitschriften immer stärker auswirkten, nämlich 1. die Tendenz einer stärkeren Hervorhebung der theoretischen Probleme und 2. die Tendenz zur Spezialisierung.“ 354 In der „Zeitschrift für Betriebswirtschaft“ wurde (vor allem in den ersten Jahren) die Theorie besonders betont. Die „Betriebswirtschaftliche Rundschau“ spezialisierte sich auf die Industriebetriebslehre und berücksichtigte daher auch arbeitstechnische Themen. Arthur Heber (1884-1946), der die „Rund‐ schau“ als Schriftleiter verantwortete, lehrte ab 1924 an der TH Darmstadt, habilitierte sich dort 1925 und wurde ein Jahr später Professor für Betriebs‐ wirtschaftslehre. 355 In wissenschaftstheoretischer Hinsicht betrachtete er sich als unabhängig: „An irgendeine der Schulmeinungen, die zum Nachteil des Faches gerade in Deutschland eine große Rolle spielen“, fühle er sich nicht gebunden. Er gehe seinen „eigenen Weg, verhehle aber nicht“, dass er in seiner „wissenschaftlichen Einstellung der von Schmalenbach und Walb vertretenen Richtung am nächsten stehe.“ 356 5.5 Der Werturteilsstreit Der Übergang von der Aufbauphase zur Phase des weiteren Ausbaus der Betriebswirtschaftslehre (etwa 1909-1912) verläuft nicht ohne Konflikte. Er erfolgt zunächst im Schatten des sogenannten Werturteilsstreits, bei dem um die „richtige“ wissenschaftliche Methode bzw. Arbeitsweise gerungen wird. Kurz darauf wird auch darüber gestritten, welchen Namen die junge 5.5 Der Werturteilsstreit 157 <?page no="158"?> 357 Schneider (2001), S.-196. 358 Vgl. Bardmann (2014), S.-57f. Wissenschaftsdisziplin tragen soll. Der Streit um die Privatwirtschaftslehre als Wissenschaft (1912) nehme nach Schneider eine „Schlüsselstellung“ ein: „Dieser Streit entsteht als Nachwehe zum Werturteilsstreit drei Jahre zuvor in der Volkswirtschaftslehre.“ 357 Der Werturteilsstreit wurde ab 1909 zunächst in der Volkswirtschafts‐ lehre ausgetragen. Dabei wurde heftig darüber gestritten, ob es wissen‐ schaftlich legitim sei, aus Erkenntnissen über ökonomische Ursache-Wir‐ kungsbeziehungen Handlungsempfehlungen (Werturteile) abzuleiten. Der Soziologe Max Weber (1864-1920), der diese Diskussion angestoßen hatte, sprach sich dagegen aus und forderte eine wertfreie Wissenschaft. Sein Widersacher, der Nationalökonom und Hauptvertreter der Historischen Schule Gustav Schmoller (1838-1917), wollte hingegen die Volkswirtschafts‐ lehre als „große moralisch-politische Wissenschaft“ verstanden wissen. Nach seiner Auffassung ließen sich aus Einsichten in Kausalzusammen‐ hänge sehr wohl Normen des Handelns ableiten. Schmoller propagierte eine ethisch-normative Wirtschaftswissenschaft, die auf induktivem Wege zu Erkenntnissen führen solle. 358 Schmollers heftigster Widersacher in der Volkswirtschaftslehre war Carl Menger, der Begründer und Protagonist der Österreichischen Schule, mit dem Schmoller schon seit den 1880er-Jahren eine heftige Auseinandersetzung zur Frage der Forschungsmethoden in der Nationalökonomie führte. Menger strebte eine theoretische, analytische Wirtschaftswissenschaft an, die auf deduktivem Wege Erklärungen liefern sollte. Im Mittelpunkt seiner theoretischen Volkswirtschaftslehre steht eine Wert- und Preistheorie, die auf subjektivistischen bzw. psychologischen Faktoren basiert. Eine ethisch-normative Auffassung, wie sie von Schmoller und anderen Anhängern der Historischen Schule vertreten wurde, lehnte er ab. Im Jahre 1912 weitete sich der Werturteilsstreit auf die BWL aus. Ein besonderer Streitpunkt war das Theorie-Praxis-Verhältnis. Es kam zu einem Richtungs- und Methodenstreit, in dessen Verlauf die unterschied‐ lichsten Auffassungen aufeinanderprallten: Soll die Betriebswirtschaftslehre empirisch-realistisch, normativ-ethisch oder rein theoretisch ausgerichtet sein? Zwei Betriebswirte stachen mit ihren gegensätzlichen Auffassungen besonders hervor: einerseits der empirisch-realistisch arbeitende Eugen Schmalenbach, nach dessen Auffassung die BWL anwendungsbezogen, d. h. 158 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="159"?> 359 Schmalenbach, zitiert nach W. Cordes (1984), S.-57. eine Kunstlehre sein solle; andererseits Wilhelm Rieger, der sich für eine ausschließlich theoretisch ausgerichtete und von ihm so genannte Privat‐ wirtschaftslehre stark machte. 1912 wendet sich Eugen Schmalenbach in dem Aufsatz „Die Privatwirt‐ schaftslehre als Kunstlehre“ gegen die beiden Nationalökonomen Moritz Weyermann und Hans Schönitz. Sie vertreten die die These, dass die Privatwirtschaftslehre, die sich mit der systematischen Erforschung der empirischen betrieblichen Probleme befasse, nur dann einen Anspruch erheben könne, eine Wissenschaft zu sein, wenn sie keine Anleitungen und Rezepte für das praktische Handeln entwickele. Andernfalls sei sie eine bloße Kunstlehre. Dies veranlasste Schmalenbach, sich mit der Frage aus‐ einanderzusetzen, was eigentlich der Unterschied ist zwischen Wissenschaft und Kunstlehre. In einem Brief an seinen Bruder Hermann, der sich gerade als Philosoph habilitierte, fragt er: „Was ist eine Wissenschaft? “ Und fährt fort: „Ein Fach, das Verfahrensregeln gibt, ist keine. Aber ist es nun eine, wenn wir durch wissenschaftliche Arbeit gewonnene Erkenntnisse einfach der Verfahrens‐ regeln entkleiden? Beispiel: Ich sage auf Grund wissenschaftlicher Untersuchung: Wer die Finger an glühendes Eisen hält, verbrennt sich die Finger. Das ist Wissenschaft? Oder ich sage noch dazu: Also halte, wenn Du dir die Finger nicht verbrennen willst, sie nicht an glühendes Eisen. Das ist Kunstlehre? Das wäre doch ein bloßer Komment.“ 359 Letzten Endes gelangt Schmalenbach zu der Auffassung, die Wissenschaft sei philosophisch, die Kunstlehre hingegen technologisch orientiert. Das bedeute für ihn aber nicht, dass die Kunstlehre ihre Erkenntnisse und die daraus abgeleiteten Verfahrensregeln nicht durch wissenschaftliche Arbeit gewinnen könne. „Das Geben oder Nicht-Geben von Verfahrensregeln kann für den wissenschaftlichen Gehalt eines Faches nichts ausmachen“, stellt Schmalenbach fest. Einen völlig entgegengesetzten Standpunkt ver‐ trat Wilhelm Rieger: Eine Betriebswirtschaftslehre, die „Anleitungen und Rezepte zum praktischen Handeln“ (wertende Urteile, Empfehlungen oder gar Vorschriften) gibt, lehnte er kategorisch ab. Wilhelm Rieger (1878-1971) studierte nach Abitur und Banklehre an der Universität Straßburg Rechts- und Staatswissenschaften (1914-1916) und anschließend Nationalökonomie bei G. F. Knapp. Bei ihm promovierte er 5.5 Der Werturteilsstreit 159 <?page no="160"?> 360 W. Rieger: Einführung in die Privatwirtschaftslehre, S.-81. 361 Vgl. Schneider (2001), S.-201. 362 W. Rieger: Einführung in die Privatwirtschaftslehre, Nürnberg 1928, S.-72. Abb. 5.12: Wilhelm Rieger. | [34] sich im November 1918 mit einer Arbeit über „Die Gründe für den Übergang zur Goldwährung in Deutschland“. Nach kurzer Lehrtätigkeit an der Han‐ delshochschule Mannheim hat Rieger ab 1919 als Professor in Nürnberg gewirkt. Von 1928-1947 hatte er den Lehrstuhl für Privatwirtschaftslehre in Tübingen. Daneben lehrte er auch noch mit einem Lehrauftrag ein Jahr an der TH Stuttgart. Seine Berufungen nach Köln (1936) und Straßburg (1941) wurden wegen seiner Kritik am Nazi-Regime abgelehnt. Als Rieger der Auffassung Schmalenbachs sein Konzept der Privatwirtschaftslehre gegen‐ überstellte, wurde eine Kontroverse ausgelöst, die auch als zweiter Methodenstreit in die Ge‐ schichte der Betriebswirtschaftslehre eingegan‐ gen ist. Rieger als starker Verfechter einer analy‐ tisch-deduktiven Methode bezieht einen rein theoretischen Standpunkt, losgelöst vom realen Wirtschaften. Nach seinem Verständnis sei es nicht Aufgabe der Wirtschaftslehre, Aussagen darüber zu treffen, wie die Einzelwirtschaft sein soll, sondern ihr Sein zu analysieren: „Die Privat‐ wirtschaftslehre enthält sich […] jedes direkten Eingriffes in das Leben; ihre Aufgabe ist das Forschen und Lehren als Ding an sich.“ 360 Das Untersuchungsobjekt ist bei Rieger nicht der Betrieb schlechthin, sondern die kapitalistische Unternehmung als die dominierende Erschei‐ nungsform des Betriebes in der Marktwirtschaft. Als wesentlichen Untersu‐ chungsaspekt betrachtet er das Rentabilitätsprinzip. 361 Damit erhebt er das kapitalistische Gewinnprinzip zur Grundidee der Privatwirtschaftslehre: „Wenn nun in der Unternehmung nach Gewinn gestrebt wird, so muß die Privatwirtschaftslehre dies sagen, sie ginge ja sonst am Leben vorbei, und zwar in einem grundlegenden Punkte. Denn um des Ertrages willen - so behaupten wir - werden die Unternehmungen gegründet, und nach dem Ertrag müssen sie in ihrer Führung ausgerichtet werden, wenn anders sie bestehen wollen.“ 362 160 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="161"?> 363 Rieger (1928), S. 364 Vgl. E. Baumstark: Kameralistische Encyclopädie, Heidelberg/ Leipzig 1835, S.-155. Vor diesem Hintergrund ist dann auch zu verstehen, warum Rieger den Na‐ men Privatwirtschaftslehre der Bezeichnung Betriebswirtschaftslehre (mit der Schmalenbach die Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund rücken will) vorzieht. Über sein Buch, das „Privatwirtschaftslehre“ im Titel trägt, sagt Rieger: „Es handelt ja nicht von den Betrieben oder von der Wirtschaft der Betriebe, sondern Gegenstand seiner Untersuchungen sind ausschließ‐ lich die privaten Erwerbswirtschaften, insbesondere die Unternehmung, die man allenfalls als eine besondere Art von Betrieb, nämlich als erwerbsori‐ entierten Betrieb, bezeichnen kann.“ 363 Die Bezeichnung „Privatwirtschaftslehre“, an der Rieger zeitlebens fest‐ hielt, war es auch, welche die junge Wissenschaft als Profitlehre verdächtig machte. Und genau dem wollte Schmalenbach entgegenwirken. Denn im Gegensatz zum Rentabilitätsprinzip Riegers erhob Schmalenbach das Wirt‐ schaftlichkeitsprinzip zur Maxime, welches er im Sinne einer „gemeinwirt‐ schaftlichen Produktivität“ verstand. Da Schmalenbach nicht wollte, dass die junge Betriebswirtschaftslehre auf das Gewinnstreben reduziert wird, lehnte er auch die Fachbezeichnung „Privatwirtschaftslehre“ ab. 5.6 Der Streit um die Fachbezeichnung Obwohl der Begriff Betriebswirthschaft erstmals bereits 1835 von dem in Heidelberg lehrenden Kameralisten Eduard Baumstark (1807- 1889) 364 verwendet worden ist, sollte es noch fast ein Jahrhundert dauern, bis sich „Betriebswirtschaftslehre“ als Fachbezeichnung endgültig durchsetzt. Noch das gesamte 19. Jahrhundert hindurch und bis Ende der 1920er-Jahre kursier‐ ten parallel unterschiedliche Bezeichnungen für das Fach: Handelswissen‐ schaften, Einzelwirtschaftslehre, Handelsbetriebslehre, Privatwirtschaftslehre, Wirtschaftliche Betriebslehre, Betriebswissenschaft, Betriebswirtschaftslehre. Im Jahre 1923 stellte Issac diesbezüglich fest, dass schon bei der Gründung der Handelshochschulen die aus früheren Zeiten übernommene Bezeich‐ nung Handelswissenschaften „viel zu eng“ gewesen sei und schildert die weitere Entwicklung der Fachbezeichnung: „In den Zeiten, da es noch keine Industrie gab, war der Kaufmann, der Handels‐ mann, der Haupttypus des Wirtschafters, der Handelsbetrieb der Haupttypus 5.6 Der Streit um die Fachbezeichnung 161 <?page no="162"?> 365 Isaac (1923), S.-37. 366 D. Schneider: Prägende Persönlichkeiten in der Gründungsphase des VHB 1921-1933, in: Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, hrsg. vom VHB, Wiesba‐ den: 2012, S.-38 367 Vgl. Schneider (2001), S.-200 und Brockhoff (2017), S.-171. 368 Brockhoff (2017), S.-177. der Unternehmung. Als man jedoch […] zur Gründung von Handelshochschulen überging, war die industrielle Entwicklung bereits derart vorgeschritten, daß man mit dem Begriff Handelswissenschaften oder Handelstechnik, wie man das Fach in Köln anfänglich nannte, die große Gruppe der Industrieprobleme auch nicht im entferntesten andeutete. Die später von Nicklisch in Leipzig eingeführte Bezeichnung Handelsbetriebslehre änderte nur den Namen, aber nicht den Sinn. Wesentlich dem Inhalt näherkommend war die Privatwirtschaftslehre. Diese Fach‐ bezeichnung wollte jedoch auch keine rechte Befriedigung aufkommen lassen, weil es ja für die Forschung vom Standpunkt der Unternehmung gleichgültig erscheint, ob es ein privates oder öffentliches Unternehmen ist. Deshalb hat man auch die […] Bezeichnung Einzelwirtschaftslehre vorgezogen, bis man in der Betriebswirtschaftslehre eine befriedigende Fachbezeichnung gefunden zu haben glaubte. Zurzeit sind die Bezeichnungen allerdings noch nicht ganz ein‐ heitlich: Die Bezeichnung Betriebswirtschaftslehre wenden folgende Hochschulen an: Frankfurt am Main, Köln, Königsberg, Leipzig, Berlin. Mannheim hält an der Bezeichnung Kaufmännische Einzelwirtschaftslehre fest, Nürnberg an der Privatwirtschaftslehre.“ 365 Dass sich die Mehrzahl der Hochschullehrer ab 1919 für den Namen „Be‐ triebswirtschaftslehre“ entschied, geschah nicht nur, um „dem Vorwurf einer ‚Profitlehre‘ zu entgehen“, sondern wohl „auch in der Absicht, in der damals regierten Weimarer Republik politisch gehört zu werden.“ 366 Dass dies Schmalenbach in besonderer Weise gelungen ist, wird daran deutlich, dass er zahlreiche wichtige Funktionen innehatte. So wurde er 1919 als „Betriebs‐ wirtschaftler“ in den vorläufigen Reichswirtschaftsrat berufen. 367 Später wurde er Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Reichsbahn (1924), Obmann des Fachausschusses für Rechnungswesen beim Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit sowie Vorsitzender des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (1921-1931). Ob ihm das auch als „Privatwirtschaftler“ gelungen wäre, ist fraglich, denn „der Name Betriebswirtschaftslehre“, be‐ merkt Brockhoff, „eröffnete leichter als ‚Privatwirtschaftslehre‘ den Zugang zur Politikberatung.“ 368 162 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="163"?> Dass der Name „Privatwirtschaftslehre“ auch unter den meisten Betriebs‐ wirten nicht besonders angesehen war, zeigte sich auch im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft. Rieger war während seiner gesamten akademischen Karriere kein Mitglied in diesem Verband. Die Differenzen mit Schmalenbach und die Ablehnung von Riegers Aufnahmeantrag in den 1920er-Jahren, weil er sich als Privatwirtschaftler und nicht als Betriebs‐ wirtschaftler beworben hatte, führten dazu, dass er nicht in den Verband aufgenommen wurde. Erst zehn Jahre nach seiner Emeritierung, im Jahr 1957, trat er in den VHB ein, als ihm nach dem Tode Schmalenbachs die Ehrenmitgliedschaft angeboten wurde. ➲ Zusammenfassung ■ Zwischen 1898 (HH Leipzig) und 1919 (HH Nürnberg) werden im deutschsprachigen Raum 11 Handelshochschulen (HH) gegründet. ■ Die Zahl der Studenten nimmt rasch zu: 1898 immatrikulieren sich die ersten 57 Studenten an der HH Leipzig. Im Sommersemester 1914 schreiben sich mehr als 500 Studenten an den HH ein; insgesamt studieren zu dieser Zeit fast 3.000 Studenten an deutschen HH. ■ Akademische Grade sind zunächst Diplom-Handelslehrer und Di‐ plom-Kaufmann. ■ Erst in den 1920er-Jahren erhalten die HH das Promotionsrecht. ■ Im Laufe der Zeit werden die meisten HH umgewandelt zu Universi‐ täten bzw. gehen in den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten an bereits bestehenden Universitäten auf. ■ Die ersten Hochschulprofessoren für BWL sind Josef Hellauer (Ex‐ portakademie Wien 1898), Richard Lambert (Akademie für Handels- und Sozialwissenschaften in Frankfurt am Main 1901), Johann Friedrich Schär (Universität Zürich 1903). ■ Eugen Schmalenbach, Heinrich Nicklisch und Fritz Schmidt gelten als die herausragenden Wegbereiter der BWL. Sie haben ein unterschiedli‐ ches Forschungsverständnis: □ Schmalenbach steht für eine empirisch-realistische Methode. Die Betriebswirtschaftslehre versteht er als „Kunstlehre“, als praxis‐ orientierte Wissenschaft. Leitmaxime ist die Wirtschaftlichkeit. Folgerichtig lehnt er den Begriff der (profitorientierten) „Privatwirt‐ schaftslehre“ ab und nennt das Fach „Betriebswirtschaftslehre“. ➲ Zusammenfassung 163 <?page no="164"?> □ Nicklisch ist einer der wichtigsten Vertreter der ethisch-nor‐ mativen Betriebswirtschaftslehre. Er betrachtet die Betriebswirt‐ schaftslehre als eine Disziplin der Sozialwissenschaften. Sein Werk ist geprägt von der Idee der „Betriebsgemeinschaft“. □ Schmidt zählt zu den Vertretern der empirisch-realistischen Betriebswirtschaftslehre. Er begreift sie als eine rein theoretische Wissenschaft. Jede Forschereinstellung, die ethisch, philosophisch oder technisch beeinflusst wird, lehnte er ab. Den Betrieb betrach‐ tet er als „Glied der Marktwirtschaft“ und bezieht volkswirtschaft‐ liche Aspekte (z.-B. Konjunktur und Inflation) in seine Lehre ein. ■ Beim Aufbau der Betriebswirtschaftslehre zur Wissenschaftsdisziplin haben Fachzeitschriften eine wichtige Funktion: Durch diese lassen sich rasch neue Erkenntnisse mitteilen und es kann ein wissenschaftli‐ cher Austausch stattfinden. □ 1906 gibt Schmalenbach die erste Ausgabe seiner „Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung (ZfhF)“ heraus. □ 1908 gründet Nicklisch die „Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis (ZfHH)“. □ 1924/ 1925 erscheinen die von Schmidt gegründete „Zeitschrift für Betriebswirtschaft“ sowie die im Auftrag der Gesellschaft für Betriebsforschung herausgegebene „Betriebswirtschaftliche Rund‐ schau“. □ 1912 kommt es zum Werturteilsstreit in der BWL. In diesem Richtungs- und Methodenstreit geht es um die Frage, ob die BWL empirisch-realistisch, normativ-ethisch oder rein theoretisch ausgerichtet sein soll. □ Ab 1919 setzt sich der Name Betriebswirtschaftslehre gegen konkurrierende Fachbezeichnungen (z. B. Handelswissenschaften, Einzelwirtschaftslehre, Handelsbetriebslehre, Privatwirtschafts‐ lehre, Betriebswissenschaft) durch. 164 5 Aufbauzeit der neueren Betriebswirtschaftslehre (1898-1909) <?page no="165"?> 369 Vgl. D. Schneider: Betriebswirtschaftslehre, Bd. 4, Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft, München 2001, S.-193f. 6 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen Nur wenige Jahre nach der Gründung der ersten Handelshochschulen (ab 1898) und betriebswirtschaftlichen Fachzeitschriften (1906 und 1908) und etwa zeitgleich zum Werturteilsstreit (ab 1909/ 12) erscheinen in kurzer Folge die ersten Gesamtdarstellungen der BWL: ■ Josef Hellauer: „System der Welthandelslehre“ (1910), ■ Johann Friedrich Schär: „Allgemeine Handelsbetriebslehre“ (1911) und ■ Heinrich Nicklisch: „Allgemeine kaufmännische Betriebslehre als Privatwirtschaftslehre des Handels (und der Industrie)“ (1912). Nach Auffassung von Schneider ordneten Hellauer, Schär und Nicklisch den Rest, der als Handelswissenschaften übrig geblieben ist: Schär „folgt im Aufbau seines Buches dem führenden Lehrbuch der Handlungswissenschaft des 17. Jahrhunderts (Savary)“. Hellauer „nimmt in der Breite, mit der er einzelwirtschaftliche und volkswirtschaftliche (internationale) Handels‐ kunde sammelt, das Konzept des reichlich hundert Jahre zuvor erschienenen ‚System des Handels‘ von Leuchs wieder auf.“ Erst die Allgemeine Betriebs‐ wirtschaftslehre von Nicklisch reiche „über den Rahmen der Handelskunde hinaus.“ 369 6.1 „System der Welthandelslehre“ (1910) (Josef Hellauer) Josef Hellauer (1871-1956) war von 1892 bis 1894 als Assistent an der Wiener Handelsakademie tätig. Es folgten Lehrtätigkeiten an den Handelsakade‐ mien in Linz a. D. (1894 bis 1897) und Brünn (1897 bis 1898). 1898 promovierte Hellauer sich an der Universität Greifswald bei dem Handelswissenschaftler <?page no="166"?> 370 G. Strejcek: Der Erforscher des Welthandels, in: Wiener Zeitung, 03. 12. 2016. 371 J. Löffelholz: Geschichte der Betriebswirtschaft und der Betriebswirtschaftslehre, Stutt‐ gart 1935, S.-108. 372 J. Hellauer: System der Welthandelslehre, 3.-8. Aufl., Berlin 1920, S.-9. R. Sonndorfer (1839-1910) mit einer Dissertation mit dem Titel „Der Wucher - ein aktives Kreditverbrechen“. Nach seiner Promotion wurde Hellauer im Alter von 27 Jahren in Wien an die neugegründete Exportakademie und gleichzeitig an die Konsular-Akademie berufen. An beiden Akademien lehrte er bis zum Jahre 1912 Welthandelslehre. Welthandelslehre war im damaligen Österreich ein programmatischer Begriff. „Die Habsburger Monarchie betrachtete neiderfüllt den Aufstieg, den das Deutsche Reich mit Hilfe von Handelsniederlassungen und dem Aufbau einer Flotte genommen hatte. Dieses erkannte Defizit begünstigte die Gründung neuer Ausbildungsstätten.“ 370 . Zur Herausbildung einer Welt‐ handelslehre und zu deren Bedeutung für die Betriebswirtschaftslehre führt Löffelholz aus: „Die Organisation des internationalen Wirtschaftsver‐ kehrs, des Zahlungs- und Kredit-, Nachrichten- und Güterverkehrs steht im Mittelpunkt des Interesses. Der Export- und Importbetrieb, die übersee‐ ische Transportunternehmung, die Überseebank werden zu komplizierten Organismen ausgestaltet und entwickeln neue betriebliche Formen und verkehrswirtschaftliche Institutionen. Der imperialistische Liberalismus beherrscht das Leben der Betriebswirtschaft. Hochschulen und Akademien für Welthandel wurden gegründet, Lehrbücher und Kompendien der ‚Welt‐ handelslehre‘ und ähnliche imperialistische Handelskunden beherrschen unsere Wissenschaft.“ 371 „Als Methode hat die Welthandelslehre, die eine Wirtschaftswissenschaft ist, im allgemeinen die in der Volkswirtschaftslehre geübte zu verwenden. Es ist zuerst möglichst viel Tatsachenmaterial zu sammeln. […] Das erlangte Material muß […] sorgfältig gesichtet und überprüft werden. Auf Grund entsprechender Grup‐ pierung und Vergleichung sind dann die Gleichmäßigkeiten und das Typische in den Tatsachen und Vorgängen festzustellen, ihr Wesen sowie ihre Ursachen und Wirkungen klarzulegen, die in ihnen bestehenden Entwicklungstendenzen zu erforschen und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen.“ 372 166 6 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen <?page no="167"?> 373 J. Hellauer: System der Welthandelslehre, 3.-8. Aufl., Berlin 1920, S.-25. 374 Vgl. D. Marscheider: Die Erkenntnisse auf dem Gebiet des Vertriebes in der deutsch‐ sprachigen Literatur von 1868 bis 1914, Berlin 1967, S.-125. 375 Vgl. B. Bellinger: Die Betriebswirtschaftslehre der neueren Zeit, Darmstadt 1988, S. 21. Abb. 6.1: Josef Hellauer. | [35] In diese Zeit fällt die wissenschaftliche Tätigkeit Hellauers, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts sämtliche Facetten des Handels erforschte. Aus‐ gangspunkt seiner Studien waren englische Ver‐ träge und Versicherungen im Seehandel. Seine Erkenntnisse verarbeitete er in seinem 1910 erstmals erschienenen Hauptwerk „System der Welthandelslehre“, das rasch große Verbrei‐ tung fand und für Jahrzehnte zu einem der be‐ deutendsten Lehrbücher zum Handel avan‐ cierte. Er widmete sich darin vornehmlich der Betriebswirtschaftslehre des Handels, des Wa‐ rensowie des Güterverkehrs. Sein besonderes Verdienst liegt darin, als Erster den Außenhan‐ del systematisch vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt aus behandelt zu haben. Wie Hellauer im Vorwort zur ersten Auflage schreibt, möchte er mit dem Werk die Welthandelslehre „als Wissenschaft und Hochschuldisziplin in ih‐ ren Grenzen abstecken und systematisch aufbauen.“ Das Buch solle als Lehr- und Handbuch für den kommerziellen Hochschulunterricht dienen, vor allem auch für Hellauers Lehrveranstaltungen an den Wiener Akademien. Er weist darauf hin, dass ihm beim Verfassen des Buches nur sehr wenig einschlägige Literatur zur Verfügung gestanden habe und er weitgehend auf Originalinformationen habe zurückgreifen müssen. Dieses schriftliche Material aus der kaufmännischen Praxis betrachtet er sogar als „die wich‐ tigste Quelle für die Welthandelslehre“ 373 . Hierzu zählt er insbesondere Korrespondenzen, Preisverzeichnisse, Rechnungen und Verträge. Aus dieser Materialquelle schöpften, wie Marscheider feststellt, die systematischen, vertiefenden Untersuchungen Hellauers. 374 Nach Bellinger habe Hellauer alle wichtigen Fakten in lückenloser Kleinarbeit gesammelt und diese zu einem System zusammengeführt, das die Entwicklungsbedingungen und die Organisation des Handels ausreichend und vollständig beschrieben und erklärt habe. 375 „Hellauers Ziel war es, die Organisation des Handels 6.1 „System der Welthandelslehre“ (1910) (Josef Hellauer) 167 <?page no="168"?> 376 B. Bellinger: Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart, 1967, S.-52. 377 E. Leitherer: Geschichte der handels- und absatzwirtschaftlichen Literatur, Köln und Opladen 1961, S.-97. 378 Hellauer (1920), S.-2. 379 Hellauer (1920), S.-4. und den Kaufvertrag als Teile einer umfassenden Welthandelslehre zu analysieren und zu systematisieren.“ 376 Diese induktive Vorgehensweise (das Sammeln, Auswerten und Systematisieren von Tatsachenmaterial) ist die typische wissenschaftliche Arbeitsweise in der Anfangsphase der Betriebswirtschaftslehre. Zugleich steht Hellauers wissenschaftliche Arbeit repräsentativ für die (österreichische) Verkehrslehre. Diese versucht, die Außenbzw. die Marktbeziehungen der Handelsbetriebe darzustellen, ins‐ besondere die mit Kauf und Verkauf zusammenhängenden Fragen. „Charak‐ teristisch für die Verkehrslehre ist eine Beschreibung der Institutionen und der rechtlichen Seite des Handels, besonders auch der Handelsusancen.“ 377 In der Einleitung definiert Hellauer grundlegende Begriffe. Unter Han‐ del (im engeren Sinne) versteht er „jene aus Kauf und Verkauf […] sich zusammensetzende wirtschaftliche Tätigkeit, durch die der Austausch von Gütern zwischen Produzent und Konsument bewirkt wird, die aber unmittelbar darauf gerichtet ist, die Tauschobjekte aus der Hand jener, bei denen sie geringeren Wert haben, in die Hand jener zu bringen, die sie […] höher schätzen, um an einem Teile dieser Wertdifferenz einen Gewinn zu finden.“ 378 Der Handel lasse sich nach verschiedenen Gesichts‐ punkten einteilen, nämlich nach den Objekten (Warenhandel, Geldhandel), den Handeltreibenden (Großhandel, Einzelhandel, Produzentenhandel), der Ortsansässigkeit (nationalem Handel und internationalem Handel) und dementsprechend nach Binnenhandel und Außenhandel (Exporthandel, Importhandel, Zwischenhandel). Ferner unterscheidet Hellauer zwischen internationalem Handel und Welthandel. Der Unterschied lasse sich schon daran erkennen, „daß man zwar vom internationalen Handel eines Landes, jedoch nur von dessen Anteil am Welthandel zu sprechen vermag.“ Dem‐ entsprechend ist der Welthandel nach Hellauers Auffassung „der Inbegriff des internationalen Handels der gesamten Erdoberfläche.“ 379 Die Welthan‐ delslehre betrachtet er als „eine Lehre vom Warenhandel mit besonderer Berücksichtigung des internationalen Handelsverkehrs.“ Diese will er als eine Betriebswirtschaftslehre verstanden wissen, nicht als Bestandteil der Volkswirtschaftslehre: „Die Welthandelslehre […] widmet ihr Interesse nicht dem Handel als einer volkswirtschaftlichen Funktion, sondern als einer 168 6 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen <?page no="169"?> 380 Hellauer (1920), S.-8f. 381 Vgl. Hellauer (1920), S.-9. 382 Auf die vertrieblichen Aspekte in Hellauers Werk konzentriert sich z. B. die Arbeit von Dieter Marscheider (1967). privatwirtschaftlichen Tätigkeit von Wirtschaftseinheiten. Unter welchen Bedingungen, in welcher Art und Weise, mit welchen Wirkungen für den Handeltreibenden und den Handel selbst diese Tätigkeit vor sich geht, das ist, was die Welthandelslehre zur wissenschaftlichen Darstellung bringen will.“ 380 Diese Ausführungen wecken noch die Erwartung, dass Hellauer tatsächlich betriebswirtschaftliche Fragestellungen in das Zentrum seiner Arbeit stellen will. Merkwürdigerweise ist er jedoch davon überzeugt, dass dazu hauptsächlich der dem Warenhandel zugrunde liegende „Abschluß des Tauschvertrages“ untersucht und „in allen seinen wesentlichen Einzelhei‐ ten“ erfasst werden müsse. 381 So verwundert es auch nicht, dass die Lehre vom Kaufvertrag von Hellauer ausführlich behandelt wird. Den weiteren Inhalt seiner „Welthandelslehre“ gliedert Hellauer in drei Abschnitte: 1. Zunächst behandelt er die „Entwicklungsbedingungen des internatio‐ nalen Handels“. Dieser Teil ist volkswirtschaftlich und juristisch gefärbt. 2. Im zweiten Abschnitt stellt er die „Organisation des Welthandels“ dar, insbesondere des Exporthandels und Importhandels. Hier stehen absat‐ zwirtschaftliche und vertriebstechnische Aspekte im Vordergrund. 382 Im Wesentlichen werden hier jene Aspekte behandelt, die sich nach heuti‐ gem Verständnis dem Vertriebsmanagement und/ oder dem (internatio‐ nalem) Marketing zuordnen lassen. Hellauer erläutert beispielsweise die Formen des Vertriebs, geht auf Vor- und Nachteile des direkten und indirekten Vertriebs ein, behandelt den persönlichen Verkauf und den Distanzverkauf. Weiterhin behandelt er die Arten, Entwicklungen und Funktionsweisen von Märkten, Auktionen, Ausschreibungen und Börsen. 3. Der letzte Abschnitt behandelt den „Geschäftsabschluß“, d. h. den Kaufvertrag. Hier geht er zunächst auf den Abschluss und die Formen des Vertrages ein und erläutert Handelsbräuche und Mustervertrags‐ bedingungen. Daran anschließend behandelt er die Vertragsinhalte bezüglich der Ware, die Erfüllungszeit, den Erfüllungsort, die Abliefe‐ rung und Gefahr bezüglich der Ware, den Preis der Ware und die Zahlungsbedingungen. Den Abschluss bilden einige besondere Arten 6.1 „System der Welthandelslehre“ (1910) (Josef Hellauer) 169 <?page no="170"?> 383 Zitiert nach Löffelholz (1967), S.-783. 384 Weber (1914), S.-139. 385 W. Koch: Grundlagen und Technik des Vertriebs, Bd. I, S. 32, zitiert nach Marscheider (1967), S.-125. 386 E. Schäfer: Das Absatzwesen, S.-69, zitiert nach Marscheider (1967), S.-125. von Kaufverträgen. Da Hellauer der Auffassung ist, dass der Handel als privatwirtschaftliche Tätigkeit hauptsächlich in der Formulierung von Rechtsakten bestehe, nimmt dieser Abschnitt den größten Raum ein, er umfasst etwa die Hälfte des Buches. Henzler kommt zu folgender Würdigung: „Mit diesem Werk, dessen Bedeu‐ tung man nur ermessen kann, wenn man sich in die Zeit seines Erscheinens zurückversetzt und sich den damaligen Stand der Fachwissenschaft verge‐ genwärtigt, ist Hellauer zum Schöpfer der Verkehrslehre geworden.“ 383 So äußerte sich bereits Weber vier Jahre nach dem Erscheinen der Welthan‐ delslehre: „Hellauers Werk stellt einen Höhepunkt in der Entwicklung der privatwirtschaftlich gerichteten Handelskunde dar […]. Arbeiten dieser Art, noch dazu in so fleißiger Durchführung, sind für die wissenschaftliche Entwicklung der Handelsfächer ebenso notwendig wie förderlich. […] Die in diesem Buche positiv geleistete Arbeit der Sammlung, Sichtung und Gliederung und systematischen Darstellung des Stoffes […] ist sein großes Hauptverdienst.“ 384 Koch sieht in der „Welthandelslehre“ „eine Vertriebslehre des Export- und Importhandels in einem allerdings weit gesteckten Rah‐ men.“ 385 Auch wenn Hellauer entgegen seinen eigenen Vorsätzen über weite Stellen zur Volkswirtschaftslehre tendiert, die den Wert seiner „Welthan‐ delslehre“ aus betriebswirtschaftlicher Sicht schmälern, so vermag diese Arbeit nach Schäfers Urteil „einer modernen Lehre von der Absatzwirtschaft im einzelnen viele wertvolle Anregungen und Materialien zu bieten.“ 386 In der Tradition Hellauers steht Karl Oberparleiter (1886-1968). Er hat 1922 bei Hellauer über „Das dokumentäre Akkreditiv“ promoviert und entwickelte ab 1918 eine Funktionenlehre des Handels, die er später zu einer „Funktionen- und Risikenlehre des Welthandels“ ausbaute. 170 6 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen <?page no="171"?> 387 Schär: Allgemeine Handelsbetriebslehre, 3. Aufl., Leipzig 1918, S. VII. Abb. 6.2: Johann Friedrich Schär. | [36] 6.2 „Allgemeine Handelsbetriebslehre“ (1911) (Johann Friedrich Schär) Johann Friedrich Schär (1846-1924) war zu‐ nächst als Gymnasiallehrer tätig und unterrich‐ tete die Fächer Mathematik, Physik und Chemie. 1870 wechselte er in den kaufmännischen Be‐ ruf. Als Unternehmer wirkte er als Gastwirt und Hotelier sowie zweimal als Gesellschafter. Er war Teilhaber einer Käseexporthandlung (Schwarz und Schär) und ab 1873 einer Karton‐ fabrik (Harder und Schär). Nachdem er über zehn Jahre als selbständiger Exportkaufmann tätig gewesen war, kehrte er wieder zurück in den Lehrberuf und lehrte von 1882 bis 1903 an der Höheren Handelsschule in Basel. Wie er in seinen Lebenserinnerungen schreibt, un‐ terrichtete er dort „kaufmännisches Rechnen, Buchhaltung, Korrespondenz, Kontorarbeiten, Handelslehre, Handelsrecht und Volkswirtschaftslehre“. 1903 übernahm Schär den Lehrstuhl für Handelswissenschaften an der Universität Zürich - den ersten handelswissenschaftlichen Lehrstuhl an einer deutschsprachigen Universität. Bereits ein Jahr später wurde ihm der Ehrendoktor verliehen, und zwar „wegen der hervorragenden Verdienste um die Förderung der Handelswissenschaften und um die Entwicklung des Verbandes schweizeri‐ scher Konsumvereine“, wie es in der Begründung heißt. Im April 1906 folgte Schär dem Ruf auf einen Lehrstuhl für Handelswissenschaften an die gerade neugegründete Handelshochschule Berlin. Hier lehrte und forschte er auf dem Gebiet der Handelsbetriebslehre bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1919. Als sein bedeutendstes Werk „Die Allgemeine Handelsbetriebslehre“ erstmals erschien, war Schär bereits 65 Jahre alt. 1911 erschien der erste Teil von Schärs „Allgemeine Handelsbetriebs‐ lehre“. Der zweite Band ist nie erschienen. „Doch ist schon der erste Band“, wie Schär im Vorwort zur ersten Auflage bemerkt, „ein in sich geschlossenes Ganze.“ 387 Als Schär im Jahre 1903 auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Handelswissenschaften an der Universität Zürich berufen 6.2 „Allgemeine Handelsbetriebslehre“ (1911) (Johann Friedrich Schär) 171 <?page no="172"?> 388 Vgl. ebd., S. V. 389 Ebd. 390 Ebd., S. VI f. 391 E. Leitherer: Geschichte der handels- und absatzwirtschaftlichen Literatur, Köln u. Opladen 1961, S.-100. wurde, sah er die Zeit gekommen, die Handelsbetriebslehre loszulösen von den einzelnen handelswissenschaftlichen Disziplinen - die sind bis dahin unter der Bezeichnung „Kontorwissenschaft“ an den Handelshochschulen gelehrt worden - „und sie als eine selbständige wissenschaftliche Disziplin nach wissenschaftlicher Methode zu lehren“. 388 Wie Schär anmerkt, stelle sein Werk „das Ergebnis einer mehr als zehnjährigen, wiederholt erprobten und überprüften Arbeit“ dar. Was er während seiner mehr als vierzigjährigen Praxis in Schule und Kontor erfahren, erlebt, gelernt und gelehrt habe, sei in diesem Werk niedergelegt: „Es enthält die Quintessenz meines Lebens und meines Strebens.“ 389 Über den Inhalt der „Allgemeinen Handelsbetriebslehre“ heißt es im Vorwort: „Das Werk beschäftigt sich mit der Erforschung und kritischen Beurteilung des ganzen kaufmännischen Betriebs in seiner gesamten Orga‐ nisation im Innern und seinen Beziehungen nach außen.“ Dabei geht Schär, wie er sagt, derart vor, „nach einer einleitenden Darstellung der Entwicklung und der Aufgabe der kaufmännischen Bildungsanstalten den Handelsbegriff derart zu entwickeln, daß aus ihm die allgemeinen Betriebsgrundsätze in logischer Folge abgeleitet werden können.“ Im weiteren Verlauf wolle er zeigen, „wie sich der Handelsbetrieb unter dem Einfluß der Entwicklungs‐ tendenzen des Wirtschaftslebens gestaltet.“ Dazu behandelt er abschließend den „Handelsbetrieb unter dem Einfluß des Kampfes zwischen Groß- und Kleinbetrieb, der Arbeitsteilung und Ausschaltung, der Konkurrenz, der Koalition, der Spekulation und der Konjunktur.“ 390 Wenn Schär die inneren und die äußeren Beziehungen des Handelsbetriebes behandelt, so stehen dabei nicht Fragen des Kaufs und Verkaufs im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Einbindung des Handelsbetriebs in die Gesamtwirtschaft. So gibt er, wie Leitherer feststellt, „gewissermaßen eine Darstellung der Wirt‐ schaftsphänomene aus der Perspektive des Handels.“ 391 Die tragende Grundlage für Schärs gesamtes System, von dem im Folgen‐ den nur einige bedeutende Schlaglichter vorgestellt werden sollen, ist seine eigentümliche Auffassung vom Handel. Über die Bedeutung und Aufgabe des Handels im Allgemeinen sagt Schär: 172 6 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen <?page no="173"?> 392 Schär (1918), S.-4. 393 Ebd., S.-79 und auch S.-92. 394 Ebd., S.-94. 395 Ebd., S.-101. „Der Handel ist nicht mehr die Summe von Praktiken und Kunstgriffen, sich auf Kosten anderer zu bereichern, sondern er ist zu einer volkswirtschaftlichen Funktion der Gesellschaft und der Staaten geworden. Nicht Reichtum sammeln, sondern Reichtum erzeugen ist seine heutige Aufgabe. Hat er doch die Endglieder der Weltwirtschaft auf die billigste, bequemste, schnellste und zuverlässigste Art zu verbinden, damit ihre Produktionskraft gemehrt, ihre Bedürfnisbefriedigung erhöht und ihre Kultur gefördert wird.“ 392 Der Handel stellt für Schär einen Teil im Organismus der Wirtschaft dar, der die Funktionen zu übernehmen habe, die räumliche, zeitliche und persönliche Trennung zwischen Produzent und Konsument zu überwinden, um so die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der verbundenen Glieder in‐ nerhalb der Gesamtwirtschaft zu stärken. Daraus folgt Schärs Definition von Handel, nämlich den „nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit organisierten Güteraustausch“. 393 Dieses volkswirt‐ schaftliche Motiv (Wirtschaftlichkeit) und das privatwirtschaftliche Motiv (Gewinnstreben) schließen sich nach Schär nicht aus. Ganz im Gegenteil ist er sogar davon überzeugt, „daß es dem einzelnen Träger des Handels nur in dem Maße dauernd gelingen wird, den von ihm gesetzten privaten Zweck des Erwerbs zu erreichen, als er sich dem volkswirtschaftlichen Prinzip unterordnet bzw. im Wirtschaftsorganismus nützliche und notwendige Arbeit verrichtet.“ 394 Oberflächlich betrachtet herrscht ein Konflikt zwischen dem Gewinn‐ prinzip, das der Händler verfolgt, und dem ökonomischen Prinzip, das dem Wohle der Gemeinschaft dient. Der Händler ist zwar auch bestrebt, die Kosten möglichst gering zu halten, aber eben nur aus dem Grund, um seinen Gewinn zu erhöhen. Allerdings kann er dies in den allermeisten Fällen (außer im Monopol) nicht tun. Denn die gesamtwirtschaftliche Entwicklung setzt ihm Grenzen. „Der einzelne Kaufmann steht unter dem Einfluß und un‐ ter der Macht der das Gesamtwirtschaftsleben beherrschenden Gesetze.“ 395 Zu diesen Mächten, die den Handelsbetrieb zwingen, sein individuelles Profitstreben dem allgemeinen wirtschaftlichen Prinzip unterzuordnen, zählen nach Schär die Ausschaltungstendenz, die Arbeitsteilung und das Prinzip der Wirtschaftlichkeit im Zusammenwirken verschiedener Entwick‐ 6.2 „Allgemeine Handelsbetriebslehre“ (1911) (Johann Friedrich Schär) 173 <?page no="174"?> 396 Vgl. ebd., S.-102. 397 Ebd., S.-101. 398 Siehe hierzu auch meinen Aufsatz: L. Wächter: Das Schärsche Gesetz, in: WiSt, 50. Jg., Heft 10/ 2021, S.-41-43. 399 B. Tietz: Der Handelsbetrieb, 2. Aufl., München 1993, S.-20. 400 Schär (1918), S.-192. 401 Schär (1918), S.-205. lungstendenzen des Handels. 396 „Produzent und Konsument bedienen sich des Kaufmanns nur solange, als dieser den Austausch der Produkte billiger und wirtschaftlicher besorgt, wie es ohne seine Vermittlung geschehen könnte.“ 397 Ob der Handel in den Distributionsweg eingeschaltet oder ausge‐ schaltet wird, ist nach Schär davon anhängig, ob der Händler (gesamtwirt‐ schaftlich) nützliche Dienste erbringt, d. h. die Leistung besser erbringen kann, als dies durch den Direktvertrieb des Herstellers geschehen würde. Die Ausführungen Schärs zur Ausschaltung des Handels fanden unter der Bezeichnung Schärsche Gesetz 398 Eingang in die betriebswirtschaftliche Literatur. Nach Tietz  399 habe es eine explikative (erklärende, darstellende) und eine entscheidungsorientierte Komponente. Diese lauten bei Schär wie folgt: 1. „Selbständigkeit und Existenzmöglichkeit jedes Gliedes sind bedingt durch die Summe von nützlichen und notwendigen Diensten in der Güterzirkulation, die es leistet bzw. die von einem anderen Gliede nicht ebensogut und wirtschaftlich verrichtet werden können.“ 400 (= explikative Komponente) 2. „Wer ein Glied ausschalten will, muß erstens genau wissen, welche Dienste dieses Glied bisher geleistet hat, zweitens erwägen, ob er diese Dienste nunmehr ebensogut selbst ausführen kann, und drittens kalkulieren, ob der Vorteil aus der Ausschaltung größer oder kleiner ist als der Aufwand, um das ausgeschaltete Glied zu ersetzen.“ 401 (= entscheidungsorientierte Komponente) Die mögliche Gestaltung des Absatzweges vom Produzenten bis zum Kon‐ sumenten durch Ein- und Ausschaltungen verschiedener Handelsstufen zeigt Schär anhand eines Schaubilds (→-Abb.-6.3). 174 6 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen <?page no="175"?> Abb. 6.3: Ein- und Ausschaltung der Glieder in die Organisation des Handels. | [37] Der von Schär aufgestellte allgemeine Grundsatz, „daß der Handel den Güteraustausch mit dem geringsten Aufwand von Kosten zu besorgen habe“, führt ihn zu einer Untersuchung der Handelskosten. Denn diese beeinflussen den privatwirtschaftlichen Erfolg des Handelsunternehmens und liegen zudem auch im volkswirtschaftlichen Interesse. Inwiefern der privatwirtschaftliche Erfolg eines Handelsunternehmens von der Höhe der Kosten abhängt, veranschaulicht Schär anhand eines Beispiels nebst graphischer Darstellung (→ Abb. 6.4): „Wir setzen voraus, daß drei konkurrierende Kaufleute der gleichen Branche, A., B., C., im allgemeinen mit gleichen Einkaufs- und Verkaufspreisen zu rech‐ nen haben, weil diese durch die Konkurrenz nivelliert werden, oder wie bei Massenartikeln von den Produzenten festgelegt sind. Für alle drei ist somit der Unterschied zwischen beiden Preisen, der Bruttogewinn, gleich groß. Dieser zerfällt nun in zwei Teile. Der eine Teil wird durch die Betriebskosten gebildet, und der überschießende Rest ist der Handelsgewinn, der selbstverständlich um so kleiner wird, je größer der erste Teil, die Betriebskosten, ist; ja der Reingewinn kann ganz verschwinden, sogar in einen Verlust umschlagen, wenn die Kosten den ganzen Handelsbruttogewinn verschlingen oder ihn übersteigen. A. hat bei k 1 -Kosten einen Reingewinn von g 1 . B. erzielt keinen Reingewinn, da seine Kosten 6.2 „Allgemeine Handelsbetriebslehre“ (1911) (Johann Friedrich Schär) 175 <?page no="176"?> 402 Schär (1918), S.-163. 403 Vgl. Käfer (1946), S.-6. 404 Schär (1918), S.-166f. k 2 gleich dem Bruttogewinn sind. C. arbeitet mit Verlust, weil seine Kosten k 3 den Bruttogewinn übersteigen.“ 402 Abb. 6.4: Schärs Darstellung des Einflusses der Betriebskosten auf den Handelsgewinn. | [38] Im weiteren Verlauf seiner Untersuchung nimmt Schär eine systematische Zusammenstellung der Handelsbetriebskosten vor. In dem relativ kurzen Kapitel über die Betriebskosten, das zum Ausgangspunkt einer ausgedehn‐ ten Literatur wurde, betrachtet Schär die Abhängigkeit der Kosten vom Beschäftigungsgrad. 403 Diesbezüglich unterscheidet er zwei Kostenarten, für die heute die Fachbegriffe variable Kosten und als fixe Kosten verwendet werden: Die „proportionalen Kosten“ sind nach Schär „solche, die nach der Quantität der umgesetzten Ware bzw. der Umsatzgröße zu- oder abnehmen“; „nichtproportionale, mehr gleichbleibende Kosten“, die er auch als „eiserne Kosten“ bezeichnet, sind jene, „die die einzelne Umsatzeinheit um so höher belasten, auf je weniger solche Einheiten die ganze Summe verteilt wird.“ 404 Darauf aufbauend ist es Schär nun möglich, den von ihm so genannten toten Punkt zu berechnen, der heute unter den Bezeichnungen Break-even- Point oder auch „Gewinnschwelle“ bekannt ist. Bei dieser Berechnung geht es um die „Bestimmung derjenigen Umsatzgröße, bei welcher der 176 6 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen <?page no="177"?> 405 Ebd., S.-167. 406 Weber (1916), S.-140 f. 407 F. Schönpflug: Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 1954, S.-122f. 408 Vgl. Sundhoff (1979), S.-187. Bruttogewinn aus dem Umsatz durch sämtliche Betriebsspesen aufgezehrt wird, so daß Gewinn und Verlust gleich Null ist und das Eigenkapital leer ausgeht.“ 405 Bemerkenswert ist, dass Schär zeitgleich mit dem deutschen Nationalökonomen Karl Bücher die Bedeutung der fixen und variablen Kosten erkannt hat, sodass die beiden als die Entdecker des Break-Even- Points gelten können. Während Schär von den Gesamtkosten ausging und eine Gleichung entwickelte, in der Erlöse und Kosten übereinstimmen, entwickelte Bücher eine ähnliche Formel für die Stückkosten, indem er noch durch die Absatzmenge x dividierte. Schärs „Allgemeine Handelsbetriebslehre“ war eine der ersten Gesamt‐ darstellungen des betriebswirtschaftlichen Wissens der damaligen Zeit und rief - insbesondere im Hinblick auf Schärs normative Methode - ganz unterschiedliche Reaktionen hervor. „Schärfsten Widerspruch“ erhob Weber „gegen die Verwässerung der Privatwirtschaftslehre mit ethischen Werturteilen und gegen ihre bedingungslose Abhängigmachung von der Volkswirtschaftslehre.“ „Der Blick des Forschers“ dürfe nach Webers Auffas‐ sung „keinesfalls durch ethische Werturteile und vorgefaßte Meinungen getrübt werden.“ 406 Und Seÿffert bezweifelte, dass dieses „eigenwillige Sys‐ tem“ Nachfolger finden werde. Doch es gab auch positive Beurteilungen. So stellte Schönpflug fest: „Schärs Handelsbetriebslehre ist in vieler Hinsicht ein geistvoller und in seiner ethischen Bedeutung nicht zu unterschätzender Versuch, der Einzelwirtschaftslehre eine logisch begründete Gestalt zu geben. … Wenn es ihm auch nicht gelang, das hohe Ziel, das er sich setzte, zu erreichen; als einem Weiser neuer Pfade in unserer Wissenschaft wird ihm in der Methodengeschichte immer Anerkennung gezollt werden müssen. Er ist der Vater und Begründer der modernen normativen Einzelwirtschaftslehre. Seine Grundgedanken sind nicht vergessen, sondern wurden von seinen Nachfolgern wieder aufgenommen und in bedeutsamem Sinne weiterent‐ wickelt.“ 407 Den Einfluss Schärs auf nachfolgende Betriebswirtschafter verdeutlicht Sundhoff anhand folgender Beispiele 408 : ■ Schärs Darstellung der Organisation des Handels wurde zur Grundlage für Seÿfferts Lehre von den Handelsketten. 6.2 „Allgemeine Handelsbetriebslehre“ (1911) (Johann Friedrich Schär) 177 <?page no="178"?> 409 Vgl. B. Falk/ J. Wolf: Handelsbetriebslehre, 11. Aufl., Landsberg/ Lech 1992, S.-41-45. 410 Vgl. Sundhoff (1979), S.-189. ■ Schärs Lehre von den Aufgaben und Risiken im Handel bildeten den Ausgangspunkt für Oberparleiters Lehre von den „Funktionen und Risiken des Warenhandels“ sowie für nachfolgende Darstellungen zu den Funktionen des Handels (z. B. von Lisowsky, Seÿffert, Buddeberg, C. W. Meyer, Behrens  409 ). ■ „Schärs Gesetz“ zur Ausschaltung bzw. Einschaltung von Handelsbetrie‐ ben in die Distributionskanäle hat den Anstoß gegeben zu weiterfüh‐ renden Diskussionen, die im Zusammenhang stehen mit Fragen der zu erbringenden Leistungen sowie einer optimalen Zahl und Größe von Handelsbetrieben. ■ Schärs Einteilung der Kosten in „proportionale“ und „nichtproportio‐ nale“ bzw. „eiserne Kosten“ bildet die Vorstufe zu der später von Schmal‐ enbach vorgenommenen Unterteilung in fixe, proportionale, degressive und progressive Kosten. 410 6.3 „Allgemeine-kaufmännische Betriebslehre als Privatwirtschaftslehre des Handels (und der Industrie)“ (1912) (Heinrich Nicklisch) Heinrich Nicklisch (1876-1946) gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der normativen Betriebswirtschaftslehre. In seinem 1912 erschienenen Werk mit dem Titel „Allgemeine kaufmännische Betriebslehre als Privatwirtschafts‐ lehre des Handels (und der Industrie)“ entwickelt er ein in sich geschlossenes System der Betriebswirtschaft. Diesem liegt die essenzielle Frage nach dem Sinn des wirtschaftlichen Geschehens zugrunde. Diesen sieht Nicklisch in der Bewerkstelligung der Bedarfsdeckung, der Bedürfnisbefriedigung des Menschen. Das wirtschaftliche Geschehen vollziehe sich in jenen Einheiten der Wirtschaft, die Nicklisch als Betriebe bezeichnet. Dabei unterscheidet er zwischen ursprünglichen Betrieben (Haushalte) und abgeleiteten Betrie‐ ben (Unternehmungen), die in verschiedenen Arten in Erscheinung treten können (z. B. Handelshäuser, Fabriken, Landwirtschaften, Verwaltungen). Wirtschaftlich gesehen vollziehe sich das betriebliche Geschehen in allen Betrieben als ein Prozess, in dem durch den Einsatz von Arbeits- und Güter‐ werten neue Güter hervorgebracht werden, deren Wert den der eingesetzten 178 6 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen <?page no="179"?> 411 H. Nicklisch: Die Betriebswirtschaft, 7. Aufl., Stuttgart 1932, S. 164. Die Grundzüge von Nicklischs Werk stellt Gerhard Völker in komprimierter Form dar: Heinrich Nicklisch - Grundzüge seiner Lehre, Stuttgart 1961. Einen kurzen, einführenden Überblick zu Nicklischs Lehre liefern z. B. Löffelholz (1980), S. 902-904 und Bardmann (2019), S.-68-70. 412 Vgl. Nicklisch (1932), S.-103 ff. Werte übersteigen soll. Diese Betriebsleistung stellt jedoch nur eine Seite des Prozesses dar. Erst dieser Rücklauf des Wertes in Gegenwerten mache „den Wertumlauf als kontinuierlichen Prozess, als ununterbrochenen sich wiederholenden Gesamtvorgang möglich.“ 411 Diesen betrieblichen Wertkreislauf betrachtet Nicklisch differenziert. Er unterscheidet zwischen Wertumlauf und Finanzumlauf sowie bei diesen wiederum zwischen innerem und äußerem Umlauf. Der äußere Wertumlauf ist dadurch gekennzeichnet, dass z. B. Arbeitswerte, Dienstleistungen, Vorprodukte, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe in den Betrieb einfließen und als eigene Erzeugnisse wieder aus dem Betrieb hinausfließen. Der innere Wertumlauf entspricht dem Produktionsprozess, in dem durch den Einsatz der Produktionsfaktoren neue Werte geschaffen werden. Der äußere Finanzumlauf verbindet den Betrieb mit dem Kapitalmarkt. Es fließen Werte in den Betrieb hinein (z. B. Darlehen, Beteiligungskapital) und mit zeitlicher Verzögerung wieder hinaus (Zinsen, Dividenden). Der innere Finanzumlauf sorgt für die Liquidität zur Durchführung der Produktion. Die inneren und äußeren Wertumläufe bilden jeweils eine Einheit und bedingen sich wechselseitig. Die Wertbeziehungen stellen in einer arbeitsteiligen Wirtschaft das ver‐ bindende Element dar zwischen den ursprünglichen Betrieben (Haushalte) und den abgeleiteten Betrieben (Unternehmen). Die Wertbeziehungen in der Wirtschaft lassen sich nach Nicklisch mit einem Netz vergleichen, das aus dem Umlauf von Leistungen sowie Einnahmen und Ausgaben besteht, und zwar zwischen den Haushalten und den Unternehmen sowie zwischen den Unternehmen (→ Abb. 6.5). 412 6.3 „Allgemeine kaufm. Betriebslehre als Privatwirtschaftslehre des Handels“ 179 <?page no="180"?> 413 Nicklisch, S.-267. Abb. 6.5: Das Netz der Wertbeziehungen in der Wirtschaft. | [39] Weiterhin unterscheidet Nicklisch zwischen dem Ertragserzielungsprozess (Kombination von Arbeit, Vermögen und Kapital im Produktionsprozess) und dem Ertragsverteilungsprozess. Eine herausragende Bedeutung misst Nicklisch der menschlichen Arbeit bei, denn in dieser sieht er den eigent‐ lich schöpferischen Produktionsfaktor. Daher setzt er sich ausführlich mit der Frage nach dem „gerechten Lohn“ auseinander. Dieser ist „eine Größe der Ertragsverteilung […] bei der die richtige Bemessung im Verhältnis zu dem geleisteten Wert erfolgen muß.“ 413 Vor diesem Hintergrund untersucht 180 6 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen <?page no="181"?> 414 Nicklisch, S.-280. 415 Nicklisch, S.-296. 416 Vgl. Löffelholz (1980), S.-904. er die Größen, die den Lohn bestimmen und setzt sich kritisch mit den ver‐ schiedenen Lohnformen des Zeitlohns und des Leistungslohns auseinander. Auch befasst er sich mit der Gewinnbeteiligung der Arbeiter. Diese trennt er klar von der Kapitalbeteiligung und der Umsatzbeteiligung. Unter Gewinn‐ beteiligung versteht Nicklisch „Gewinnanteile auf Grund der Leistungen, die den Lohn ergänzen“ und sich auf den verteilbaren Jahresgewinn des Betriebes beschränken. 414 Da die Wertumläufe der Bedarfsdeckung dienten, müssten sie nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit bestmöglich gestaltet werden. Die Wertum‐ läufe durchzögen den gesamten Betrieb bis in die einzelnen Glieder hinein (Abteilungen, Büros, Werkstätten). Als kleinste Einheit, die in den Wertum‐ lauf eingebunden ist, sieht Nicklisch den Menschen an seinem Arbeitsplatz. Zwar sei dieser als kleinste Organisationseinheit in eine Abhängigkeit eingebunden, jedoch ist er zugleich die Kraft, welche die Wertbewegung verursacht und in Gang hält. Nach Nicklisch ist ein Betrieb seinem Wesen nach eine Betriebsgemeinschaft; das bedeutet, „daß Menschen, einheitlich verbunden, das Leben des Betriebes leisten und daß der Mensch auf diese Weise aus dem Betriebsmechanismus einen Organismus macht. Die Men‐ schen stehen mit ihren Rechten und Pflichten in ihm, und das Wohlergehen des Betriebes und ihr eigenes hängt davon ab, daß diese erfüllt werden.“ 415 Eine rein technische Betrachtungsweise des betrieblichen Geschehens lehnt Nicklisch ab, denn es folge nicht naturgesetzlichen Bedingungen, sondern vielmehr den menschlichen Zweckvorstellungen. Darum begreift Nicklisch den Betriebsprozess als einen durch und durch geistigen Vorgang. In dieser geistig-philosophischen Fundierung erkennt Löffelholz die Bedeutung und die Geschlossenheit des betriebswirtschaftlichen Systems Nicklischs. Dessen fundamentale Leit- und Grundideen bilden die Idee der Freiheit, die Idee der Pflicht, die Idee der Gemeinschaft. 416 Auch wenn die Lehre von Nicklisch heftig umstritten war und ist, darf nicht vergessen werden, dass sie zur damaligen Zeit zur Anerkennung, Vertiefung und Verbreitung betriebswirtschaftlicher Forschung und Kennt‐ nisse viel beigetragen hat. Wie Kosiol konstatiert, „hat Nicklisch ein System der normativen Betriebswirtschaftslehre geschaffen, das in seiner logischen Geschlossenheit und architektonischen Vollendung den bisher bedeutsams‐ 6.3 „Allgemeine kaufm. Betriebslehre als Privatwirtschaftslehre des Handels“ 181 <?page no="182"?> 417 E. Kosiol: Wegbereiter der Betriebswirtschaftslehre, in: Bausteine der Betriebswirt‐ schaftslehre, Bd.-1, hrsg. von E. Kosiol, Berlin 1973, S.-39. 418 Zur Rolle Nicklischs im Nationalsozialismus siehe Kapitel 8. 419 R. O. Large: Heinrich Nicklisch, in: VHB (Hrsg.): Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, Wiesbaden 2012, S.-64. 420 Vgl. D. Schneider: Nicklisch, Heinrich, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 199- 200. Online-Version: https: / / www.deutsche-biographie.de/ pnd118734741.html#ndbcon tent ten Versuch dieser Art darstellt.“ 417 Zur aktuellen Bedeutung Nicklischs und der Frage, ob man sein Werk vor dem Hintergrund nationalsozialisti‐ scher Aussagen 418 noch lesen oder zitieren dürfe, konstatiert Large: „Ja, als kritischer Vertreter des Fachs darf man und sollte man. Nicklisch ist aus inhaltlicher und institutioneller Sicht einer der Gründungsväter der Betriebswirtschaftslehre. Alleine dafür gebührt ihm Respekt. Seine Lehre stellt einen wesentlichen Meilenstein in der Geschichte des Fachs dar. Insbe‐ sondere seine Überlegungen zur Mitbestimmung und zur Ertragsverteilung im Betrieb sind von ungebrochener Bedeutung und Aktualität. Allerdings erfordert das manifeste und latente Vorhandensein von nationalsozialisti‐ schem Gedankengut in seiner Lehre Wachsamkeit und kritische Distanz. Vor allem seine Aussagen zur Wesensgleichheit von Nationalsozialismus und Betriebswirtschaftslehre sowie sein Versuch einer Integration des Führer‐ prinzips sind unter keinen Umständen akzeptabel und verlangen deutlichen Widerspruch.“ 419 Schneider betont zwar, dass Nicklisch „wegen seiner idealisierenden und z. T. naiven Organisationssicht („Betriebsgemeinschaft“) […] keinen Einfluß mehr auf die heutige betriebswirtschaftliche Organisationslehre“ habe, doch tat Nicklisch etwas, was heute wieder vermehrt von verschiedenen Seiten gefordert wird, nämlich den Menschen in den Mittelpunkt der Wirtschaft zu stellen. 420 In einer Gesamtschau der drei Autoren gelangt Seÿffert zu folgendem Befund: „Hellauer entwickelt ein ausgebautes System der Welthandelslehre, in dem naturgemäß die Verkehrslehre ganz im Vordergrund steht. Schärs Handelsbetriebslehre umfaßt das gesamte Gebiet der Betriebswirtschafts‐ lehre unter stärkerer Betonung der Handelsseite. Nicklisch behandelt die innerbetriebliche Organisation und die Struktur der Betriebe. Diese seitdem oft gewürdigten grundlegenden Veröffentlichungen brachten die Systema‐ 182 6 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen <?page no="183"?> 421 R. Seÿffert: Über Begriff, Aufgaben und Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., Stuttgart 1971, S.-47. tisierung des bisher Erarbeiteten und seine Vervollständigung und Auswer‐ tung zu in sich geschlossenen Lehren.“ 421 ➲ Zusammenfassung ■ Zwischen 1910 und 1912 erscheinen drei betriebswirtschaftliche Werke, die eine neue Epoche der BWL einleiten: □ Josef Hellauer: „System der Welthandelslehre“ (1910), □ Johann Friedrich Schär: „Allgemeine Handelsbetriebslehre“ (1911) und □ Heinrich Nicklisch: „Allgemeine kaufmännische Betriebslehre als Privatwirtschafts‐ lehre des Handels (und der Industrie)“ (1912). ■ Hellauer (1910) entwickelt ein System der Welthandelslehre, in dem die betriebswirtschaftliche Verkehrslehre (die Außenbeziehungen, die Absatzwirtschaft des Betriebes) im Vordergrund steht. Die Organisation des internationalen Wirtschaftsverkehrs steht im Mittelpunkt des Inter‐ esses. Das Werk kann als eine betriebswirtschaftliche Vertriebslehre des Export- und Importhandels gesehen werden. Hellauer, der als Schöpfer der sog. Verkehrslehre gilt, leistet mit dieser wichtige Vorarbeiten für eine moderne Absatzlehre. ■ Schär (1911) betrachtet in seiner Handelsbetriebslehre das gesamte Gebiet der BWL unter stärkerer Betonung der Handelsseite. Bei ihm steht die Einbindung des Handelsbetriebs in die Gesamtwirtschaft im Mittelpunkt des Interesses. Der Handel stellt für Schär einen Teil im Organismus der Wirtschaft dar, der die Funktionen zu übernehmen habe, die räumliche, zeitliche und persönliche Trennung zwischen Produzent und Konsument zu überwinden, um so die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der verbundenen Glieder innerhalb der Gesamtwirt‐ schaft zu stärken. Schär ist ein Befürworter des Genossenschaftswesens. ■ Nicklisch (1912) behandelt die innerbetriebliche Organisation und die Struktur der Betriebe. In seinem Werk entwickelt er ein in sich ge‐ schlossenes System der Betriebswirtschaft; diesem liegt die essenzielle ➲ Zusammenfassung 183 <?page no="184"?> Frage nach dem Sinn des wirtschaftlichen Geschehens zugrunde. Dieses vollziehe sich in allen Betrieben als ein Prozess, in dem durch den Einsatz von Arbeits- und Güterwerten neue Güter hervorgebracht werden, deren Wert den der eingesetzten Werte übersteigen soll. Diese Betriebsleistung stellt jedoch nur eine Seite des Prozesses dar; erst der Rücklauf des Wertes in Gegenwerten mache den Wertumlauf als kontinuierlichen Prozess, als ununterbrochenen sich wiederholenden Gesamtvorgang möglich. Da die Wertumläufe der Bedarfsdeckung dien‐ ten, müssten sie nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit bestmöglich gestaltet werden. ■ Schär und Nicklisch gelten als die bedeutendsten Vertreter eines ethisch-normativen Ansatzes in der BWL. Dem Gewinnstreben ste‐ hen sie kritisch bis ablehnend gegenüber. 184 6 Erste Systematisierungsversuche und Gesamtdarstellungen <?page no="185"?> 422 Seÿffert (1971), S.-54. 423 Vgl. Klein-Blenkers (1994) 424 Vgl. Schneider (2001), S.-237; Brockhoff (2017), S.-167. 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912- 1932) Während Seÿffert in der Zeit von 1910/ 12 bis 1954 „eine in sich geschlossene, konsequente Entwicklung“ 422 der BWL sieht und diese Epoche als „die Zeit des Ausbaues zur Betriebswirtschaftslehre und deren Instituierung als Hochschuldisziplin“ bezeichnet, soll hier auch die Auffassung von Klein- Blenkers berücksichtigt werden. Er modifiziert diese Epoche dahingehend, dass er die Zeit von 1910 bis 1932 als eine „Zeit der Konsolidierung“ 423 betrachtet, deren Ende er in das Jahr 1932 legt. Dies begründet er einerseits mit dem 1928 erschienenen Werk von Wilhelm Rieger, das er noch dieser Epoche zugeordnet wissen möchte, sowie andererseits mit der nationalso‐ zialistischen Herrschaft, die im Jahr 1933 ihren Anfang nahm. Daher wird diese Epoche hier zusammenfassend als „Zeit des Ausbaus“ (Seÿffert) und der „Konsolidierung“ (Klein-Blenkers) behandelt. Die Zeit des Nationalsozialis‐ mus wird im nächsten Kapitel behandelt. Der Ausbau und die Konsolidierung der Betriebswirtschaftslehre lassen sich auf verschiedenen Gebieten feststellen, die im Folgenden beleuchtet werden. Diese Epoche ist vor allem gekennzeichnet durch 1. eine stetige Erhöhung der Anzahl der BWL-Professoren, 2. die Gründung mehrerer betriebswirtschaftlicher Verbände, 3. die Errichtung zahlreicher Forschungsinstitute und 4. das Erscheinen betriebswirtschaftlicher Nachschlage- und Sammel‐ werke (Lexika, Handwörterbücher). 7.1 Der Ausbau der Professorenschaft Gab es im Jahr 1910 erst 10 Professoren für Betriebswirtschaftslehre 424 , so nennt Isaac in seiner im Frühjahr 1923 fertiggestellten Schrift zu diesem Zeitpunkt schon 17 hauptamtliche Professoren: <?page no="186"?> „Zur Zeit verteilen sich die hauptamtlich betriebswirtschaftlich-wissenschaftlich tätigen Fachvertreter auf die folgenden Hochschulen: H a n d e l s h o c h s c h u l e --B e r l i n : ■ Prof. Dr. Leitner, ■ Prof. Dr. Nicklisch. U n i v e r s i t ä t - F r a n k f u r t - a. --M. : ■ Prof. Dr. Hellauer, ■ Prof. Dr. Pape, ■ Prof. Dr. Schmidt, ■ Dr. Auler, ■ Dr. Kalveram. U n i v e r s i t ä t - z u --K ö l n : ■ Prof. Dr. Prion, ■ Prof. Dr. Schmalenbach, ■ Dozent Harzmann, ■ Dr. Beste, ■ Dr. Geldmacher, ■ Dr. Seÿffert. H a n d e l s h o c h s c h u l e - K ö n i g s b e r g : ■ Prof. Dr. Le Coutre, ■ Prof. Dr. Pfeifer. H a n d e l s h o c h s c h u l e - L e i p z i g : ■ Prof. Dr. Großmann" ■ Prof. Dr. Kämpfe, ■ Prof. Dr. Penndorf. H a n d e l s h o c h s c h u l e - -M a n n h e i m : ■ Prof. Dr. Mahlberg, ■ Prof. Dr. Sommerfeld, ■ Dr. Grünholz, ■ Dr. Lysinski. 186 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="187"?> 425 A. Isaac: Die Entwicklung der wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre in Deutsch‐ land seit 1898, Berlin 1923, S.-32. 426 F. Klein-Blenkers: Die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre bis in die Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, in: Klein-Blenkers (Hrsg.): Aufsätze zur Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, Köln 1994, S.-65-85, hier: S.-72. 427 Die tabellarische Aufzählung der Hochschullehrer ist abgedruckt ebd., S.-73-74. H a n d e l s h o c h s c h u l e --N ü r n b e r g: ■ Prof. Dr. Findeisen, ■ Prof. Dr. Rieger, ■ Glück, ■ Dr. ter Vehn. U n i v e r s i t ä t --T ü b i n -g e n: ■ Prof. Dr. Eisfeld.“ 425 Berücksichtigt man in der Aufzählung noch den Frankfurter Dr. Kalveram, der sich schon 1922 habilitiert und noch im Jahre 1923 eine Professur erhalten hat, so gab es im Jahr 1923 tatsächlich 18 Professoren. Ebenfalls bereits im Jahr 1922 hatten sich Geldmacher, Seÿffert und Auler habilitiert, die jedoch erst 1924 bzw. 1925 eine Professur erhielten. Der Nürnberger Betriebswirt ter Vehn wurde 1926 Professor in Schweden. Zu guter Letzt sei auch noch der Verfasser dieser Auflistung, Alfred Isaac, erwähnt, der sich 1926 in Frankfurt am Main habilitierte und dort zwei Jahre später zum ordentlichen Professor berufen wurde. Nach einer von Klein-Blenkers vorgenommenen Auflistung der Hochschullehrer der BWL von 1898 bis 1928 „wirkten bis 1928 mehr als 60 Forscherpersönlichkeiten als hauptamtliche Hochschullehrer an der Entwicklung der neuen Betriebswirtschaftslehre mit“ 426 . Nach seiner Auflistung haben zwischen 1910 und 1928 46 Hochschullehrer ihre erste Professur erhalten. 427 Isaacs Liste bietet einen ersten groben Überblick über wichtige Fach‐ vertreter, die insbesondere der zweiten und dritten Generationen der Be‐ triebswirte angehören. Nachfolgend werden deren wichtigsten Vertreter kurz vorgestellt. Aus Platzgründen kann hier keine vollständige Erfassung erfolgen. Entscheidendes Kriterium für die nachfolgende Zuordnung der Wissenschaftler zu einer bestimmten Generation ist insbesondere die Leh‐ rer-Schüler-Beziehung: Beispielsweise wurde Richard Lambert 1901 zum ordentlichen Professor für Handelswissenschaften ernannt und bildet mit Johann Friedrich Schär und Josef Hellauer die erste Generation der Be‐ 7.1 Der Ausbau der Professorenschaft 187 <?page no="188"?> 428 In der Gesamtübersicht über die Hochschullehrer von Klein-Blenkers (1992) wird bei mehreren Wissenschaftlern in der Kategorie „Habilitation“ Lambert als „(Betreuer)“ genannt. Damit soll ausgedrückt werden, dass nur eine lose Beziehung („Prägung“) des Habilitanden zum Betreuer bestand. triebswirte. Zu Lamberts Schülern gehören z. B. Nicklisch, Schmalenbach und Schmidt, die folglich zur zweiten Generation gezählt werden müssen. Zur dritten Generation der Betriebswirte sind z. B. Erich Gutenberg (Schüler von Schmidt) und Rudolf Seÿffert (Schüler von Nicklisch) zu zählen. Die zweite Generation Die zweite Generation, die zwar durchweg ein betriebswirtschaftliches Studium mit einem Diplom (Diplom-Kaufmann (Dipl.-Kfm.), Diplom-Han‐ delslehrer (Dipl.-Hdl.)) abgeschlossen, aber noch nicht vollständig in diesem Fach promoviert und habilitiert hatte, entfesselte nicht nur den ersten Methodenstreit, bei dem um die grundsätzliche Ausrichtung des Faches gerungen wurde, sondern kämpfte in den 1920er-Jahren auch um die Anerkennung der Disziplin. Inhaltlich standen vor allem Fragen des betrieb‐ lichen Rechnungswesens, der Bilanzierung und der Kostenrechnung im Mittelpunkt der Forschungen. Der zweiten Generation gehören die folgenden Betriebswirte an: ■ Eugen Schmalenbach (Dipl.-Kfm., Dr. rer. pol., habilitiert bei Lambert  428 ; 1906 Prof. der Privat‐ wirtschaftslehre an der HH Köln), ■ Heinrich Nicklisch (Dipl.-Hdl., Dr. rer. pol., habilitiert bei Lambert; 1910 ordentl. Prof. der BWL an der HH Mannheim), ■ Fritz Schmidt (Dipl.-Hdl., Dipl.-Kfm., Dr. rer. pol., habilitiert bei Lambert; 1913 ordent‐ licher Prof. der BWL an der HH/ Univ. Frankfurt am Main), ■ Julius Hirsch (Dipl.-Kfm, Dr. phil, Dr. jur, 1911 habilitiert in VWL, 1917 Prof. an der HH Köln, 1933 emigriert), ■ Bruno Rogowsky (Dipl.-Kfm, Dr. phil., habilitiert an der HH Königsberg 1924, 1930 ordentl. Prof. für Handel und Industrie), 188 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="189"?> ■ Albert Calmes (promoviert bei Schär zum Dr. rer. pol., 1911 Prof. an der HH Mannheim), ■ Felix Werner (Dipl.-Hdl., Dr. phil., habilitiert bei Lambert; 1915 ordentl. Prof. für Handelswissenschaften an der HH Königsberg, 1920 Prof. für Privat‐ wirtschaftslehre an der HH München), ■ Hermann Großmann (Dipl.-Hdl., Dr. rer. pol., habilitiert bei Lambert; 1916 ordentl. Prof. der BWL u. Steuerkunde an der HH Leipzig), ■ Ernst Pape (Dipl.-Hdl., Dr. phil., habilitiert bei Lambert; 1914 außerordentl. Prof., 1919 ordentl. Prof. der BWL an der Univ. Frankfurt), ■ Bruno Pfeiffer (Dipl.-Hdl., promoviert bei Fritz Schmidt und Josef Hellauer, habilitiert bei Lambert; 1915 Prof. für BWL und Handelsschulpädagogik an der HH Königsberg), ■ Willi Prion (Dipl.-Kfm., Dr. rer. pol., habilitiert bei Lambert; 1916 Prof. der Handels‐ wissenschaften an der HH Berlin, 1920 ordentl. Prof. der BWL an der Univ. Köln), ■ Heinrich Sommerfeld (Dipl.-Hdl., Dr. phil., 1920 ordentl. Prof. der BWL in Mannheim), ■ Balduin Penndorf (Dipl.-Hdl., Dr. sc. pol., habilitiert bei Lambert; 1922 ordentl. Prof. für Betriebswirtschaftslehre an der HH Leipzig), ■ Wilhelm Auler (Dipl.-Hdl., Dipl.-Kfm., habilitiert an der WiSo-Fakultät der Univ. Frank‐ furt am Main; 1925 ordentl. Prof. der BWL an der Univ. Gießen), ■ Karl Oberparleiter (Dipl.-Hdl., Dr. rer. pol., 1921 außerordentl. Prof., 1926 ordentl. Prof. in Wien), ■ Curt Eisfeld (Dipl.-Hdl., Dr. sc. pol., Assistent bei Schär, später bei Leitner; 1922 außerordentl. Prof., 1926 ordentl. Prof. in Tübingen), ■ Reinhold Henzler (Dipl.-Hdl., Dr. rer. pol., 1929 promoviert und 1934 habilitiert bei Hel‐ lauer; außerordentl. Prof. 1937, ordentl. Prof. 1940 in Frankfurt am Main), 7.1 Der Ausbau der Professorenschaft 189 <?page no="190"?> 429 Vgl. Brockhoff (2017), S.-280. 430 Vgl. Mantel (2009), S.-364. ■ Konrad Mellerowicz (Dipl.-Hdl., 1926 habilitiert bei Leitner, 1929 außerordentl. und 1934 ordentl. Prof. an der HH Berlin) und ■ Erich Schäfer (Dipl.-Kfm., Dr. rer. pol., 1931 habilitiert bei Rieger  429 ). Prägende Persönlichkeiten der zweiten Generation waren insbesondere Eugen Schmalenbach, Heinrich Nicklisch, Fritz Schmidt. Dieses Dreigestirn repräsentiert verschiedene Wissenschaftsprogramme: Schmalenbach ein empirisch-realistisches, Nicklisch ein normativ-wertendes sowie Schmidt und Rieger ein rein theoretisches. Die dritte Generation Insbesondere die Vertreter der dritten Generation, die durchweg eine vollständige akademisch-betriebswirtschaftliche Ausbildung durchlaufen hatten und seit Ende der 1920erbzw. Anfang der 1930er-Jahren lehrten, spezialisierten sich inhaltlich auf bestimmte Themen (z. B. Mellerowicz auf Kosten) bzw. betriebswirtschaftliche Funktionen (z. B. Schäfer und Findeisen auf die Absatzwirtschaft, Seÿffert auf Werbung) oder legten branchenspezifische Arbeiten und spezielle Betriebswirtschaftslehren vor (z. B. Theodor Beste zur Industriebetriebslehre und Seÿffert zum Einzel‐ handel). Zur herausragenden Persönlichkeit dieser Generation wird sich nach dem Zweiten Weltkrieg Erich Gutenberg entwickeln, der sich 1928 bei Fritz Schmidt mit seiner Arbeit „Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ habilitierte. Im Folgenden werden jene Vertreter der 3. Generation aufgezählt, die von Schmidt, Nicklisch und Schmalenbach ausgebildet worden sind. Bei Fritz Schmidt haben sich habilitiert: ■ Alfred Isaac (Dipl.-Kfm., promoviert und habilitiert bei Fritz Schmidt 430 in Frankfurt am Main; 1928 ordentl. Prof. an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Hf WS) Nürnberg), 190 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="191"?> ■ Wilhelm Kalveram (Dipl.-Hdl., Dr. rer. pol., promoviert und habilitiert bei F. Schmidt, 1923 außerordentl. Prof., 1924 ordentl. Prof. der BWL an der Univers. Frankfurt am Main), ■ Franz Findeisen (Dipl.-Hdl., Dr. phil., habilitiert bei Fritz Schmidt; 1920 Prof. der BWL an der Hf WS Nürnberg, ab 1924 ordentl. Prof. für Warenhandel und Reklame an der HH Leipzig), ■ Max Rudolf Lehmann (Dipl. Ing. 1913 und Dr. Ing. 1916 in Aachen; Dr. rer. Pol. 1919 und Habilitation 1920 bei Schmidt in Frankfurt am Main; Prof. in Dresden und Nürnberg), ■ Friedrich Henzel (Dipl.-Kfm., promoviert 1926 und habilitiert 1929 bei Schmidt, 1934 Prof. in Frankfurt, 1938 Prof. in Leipzig), ■ Karl Theisinger (Dipl.-Kfm., promoviert 1925 bei Kalveram, habilitiert 1933 bei Schmidt; Prof. in Frankfurt am Main und Nürnberg), ■ Karl Schwantag (1935 Dipl.-Kfm. und Dipl.-Hdl., promoviert 1939 bei Schmidt, habilitiert bei Schmidt und Kalveram, 1949 Prof. in Mainz) und ■ Ewald Aufermann (Dipl.-Hdl., promoviert 1919 und habilitiert 1941 bei Schmidt, Prof. in Frankfurt am Main und Saarbrücken). Der mit großem Abstand bedeutendste Schüler von Fritz Schmidt ist zwei‐ fellos Erich Gutenberg. Er habilitierte sich 1928 bei Schmidt mit der wegwei‐ senden Arbeit „Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ (1929). Gutenberg wird insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg das Fach wie kein anderer prägen. Habilitanden von Heinrich Nicklisch waren: ■ Rudolf Seÿffert (Dipl.-Kfm. 1914 und Dipl.-Hdl. 1917 in Mannheim, promoviert bei F. Schmidt in Frankfurt a.M. 1919, habilitiert bei Nicklisch 1922. Nach Assistententätigkeit ab 1924 ordentl. Prof. in Köln) 7.1 Der Ausbau der Professorenschaft 191 <?page no="192"?> 431 Kruk (1984), S.-41. 432 Vgl. Kruk (1984), S.-42. ■ Karl Rößle (1920 Dipl.-Kfm., promoviert 1923 bei Pape u. Kalveram, 1926 habilitiert bei Nicklisch, 1928 a. o. Prof. in Bonn, 1933 ordentl. Prof. in Königsberg, 1937 ordentl. Prof. in Bonn), ■ Otto Hummel (1919 Dipl.-Kfm., 1920 Dipl.-Hdl., promoviert 1922 bei Schmidt, 1926 habilitiert bei Nicklisch, Prof. in Berlin und Königsberg, Posen Braun‐ schweig), ■ Kurt Schmaltz (1921 Dipl.-Kfm., 1922 promoviert und 1928 habilitiert bei Nicklisch, 1935 außerordentl. Prof. in Halle), ■ Walter Schuster (1920 Dipl.-Kfm., promoviert 1924 in Frankfurt am Main, 1930 habilitiert bei Nicklisch, 1932 Prof. in Berlin) und ■ Hans Seischab (1922 Dipl.-Kfm., promoviert 1931 bei Leitner u. Nicklisch, 1938 habili‐ tiert bei Nicklisch, 1940 Prof. in Breslau). Zu den Schülern von Eugen Schmalenbach zählen: ■ Erwin Geldmacher (promoviert und habilitiert bei Schmalenbach; 1924 ordentl. Prof. der BWL an der Univ. Köln), ■ Walter Mahlberg („war schon an anderer Stelle der Kölner Handelshochschule tätig und habilitierte sich 1913 für das Fach Handelstechnik“ 431 ), ■ Theodor Beste (promoviert und habilitiert bei Schmalenbach; 1925-27 außerordentl. Prof. an der Univ. Bonn und der TH Dresden, 1928 ordentl. Prof. für BWL an der TH Dresden) und ■ Ernst Walb (promoviert bei Schmalenbach, aber nicht habilitiert, auf Empfehlung Schmalenbachs 1909 Prof. für Handelstechnik in Stockholm, 1911 Prof. für Privatwirtschaftslehre an der HH/ Univers. Köln 432 ). 192 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="193"?> 1. Generation 2. Generation 3. Generation (Karl B. A. Emminghaus) (Richard Ehrenberg) Karl Alewell Reinhold Henzler Josef Hellauer Herbert Vormbaum Georg Scheller Walter Mahlberg Erwin Geldmacher Eugen Schmalenbach Theodor Beste Walter Krähe Hermann Großmann Gerhard Krüger Felix Werner Oscar Reuther Ernst Pape Franz Findeisen Max Rudolf Lehmann Wilhelm Kalveram Fritz Schmidt Erich Gutenberg Friedrich Henzel Richard Lambert Karl Theisinger Bruno Pfeiffer Ewald Aufermann Karl Schwantag Wilhelm Hasenack Willi Prion Waldemar Koch Carl Ruberg Günther Kühn Balduin Penndorf Rudolf Seÿffert Karl-Friedrich Rößle Heinrich Nicklisch Otto Hummel Kurt Schmaltz Walter Schuster Hans Seischab Robert Schweitzer Johann Friedrich Schär Albert Calmes Curt Eisfeld Horst Schwarz Friedrich Leitner Hans Günther Abromeit Konrad Mellerowicz Karl-Heinz Berger Robert Stern Eugen Leitherer Hans Knoblich Erich Schäfer Paul Riebel Helmut Kurt Weber Wilhelm Rieger Erich Preiser Hans Blohm Otto Hintner Karl Scheidl Gerhard Mann Anton Heigl Peter Penzkofer Walter Le Coutre Walter Thoms Johann Heinrich von Stein Vgl. Klein-Blenkers (1992) und Brockhoff (2017), biographischer Anhang, S. 261ff. Die Stammbäume erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Abb. 7.1: Der Stammbaum der BWL (Auswahl). | [40] 7.1 Der Ausbau der Professorenschaft 193 <?page no="194"?> 433 Vgl. Klein-Blenkers (1994), S.-72-74. 434 Vgl. zu den Daten über die Hochschullehrer insbesondere F. Klein-Blenkers (1992) und K. Brockhoff (2017), S.-261ff. 435 Seÿffert (1971), S.-53. 436 Vgl. Brockhoff (2017), S.-168 und 169. 437 G. Schanz: Eine kurze Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, Konstanz/ München 2014, S.-5. Wie Klein-Blenkers konstatiert, war „die Entwicklung der neuen Betriebswirt‐ schaftslehre das Verdienst einer sich ständig vergrößernden Zahl betriebswirt‐ schaftlicher Lehrer und Forscher.“ Laut seiner Auflistung wirkten zwischen 1898 und 1928 60 hauptamtliche Hochschullehrer an der Entwicklung des Faches mit; dazu komme noch eine große Zahl nebenamtlicher Dozenten und Praktiker. Damit werde auch der oftmals vermittelte Eindruck widerlegt, dass das Fach nur von sehr wenigen Forschern aufgebaut worden sei. 433 Einen Überblick über die ersten Generationen der Betriebswirtschafter soll abschließend der nebenstehende Stammbaum (→ Abb. 7.1) geben. 434 Dieser umfasst lediglich die ersten drei Generationen, um noch einen Überblick gewährleisten zu können. Zu den Versuchen, die Betriebswirt‐ schaftler nach Generationen zu gruppieren, kritisierte Seÿffert, dass dies wenig anschaulich sei. „Eine Einteilung nach Generationen läßt sich kaum über die Anfangszeiten mit ihren leicht überschaubaren Verhältnissen wei‐ terführen. Verfälschend ist es, wenn die Generationenzählung an späterer Stelle einsetzt. Man kann Vorgänger nicht unterschlagen.“ 435 7.2 Betriebswirtschaftliche Vereinigungen Die Institutionalisierung einer Disziplin in Form von wissenschaftlichen Vereinigungen in Form von (Fach-)Gesellschaften, Verbänden und Institu‐ ten ist ein wesentliches Merkmal von Wissenschaft. 436 Diese bilden laut Schanz die institutionellen Rahmenbedingungen, derer es bedarf, „damit sich Forschung und Lehre wirksam zu entfalten vermögen.“ 437 Ganz allgemein schließen sich in solchen Vereinigungen die Mitglieder einer Wissenschafts‐ gemeinschaft zusammen, um sich in regelmäßigen Treffen über die aktuel‐ len Entwicklungen und Trends ihrer Disziplin auszutauschen sowie den Wissenstransfer zu fördern. So ist es auch in der Betriebswirtschaftslehre. Unter betriebswirtschaftlichen Vereinigungen versteht Fuchs-Wegner solche Verbände, deren primäres Ziel es ist, die Betriebswirtschaft zu fördern, d. h. die Gewinnung von Erkenntnissen über betriebswirtschaftli‐ 194 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="195"?> 438 Vgl. G. Fuchs-Wegner: Betriebswirtschaftliche Vereinigungen, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd.-3, 5. Aufl., Stuttgart 1993, Sp. 4485-4495. 439 Vgl. K. Backhaus: Betriebswirtschaftliche Vereinigungen, in: M. Lingenfelder (Hrsg.): 100 Jahre Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, München 1999, S.-214. che Sachverhalte zu fördern und die Verbreitung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse in der Öffentlichkeit anzustreben. 438 Dieser Wissenstransfer lässt sich als ein wechselseitiger Prozess beschreiben: Einerseits werden die an den Hochschulen erarbeiteten (theoretischen) wissenschaftlichen Ergebnisse in die Praxis transferiert; andererseits werden (praktische) be‐ triebswirtschaftliche Probleme und Forschungsergebnisse aus den Unter‐ nehmen an die wissenschaftliche Hochschulforschung herangetragen. 439 Die betriebswirtschaftlichen Fachgesellschaften stellen dabei gewissermaßen ein Bindeglied zwischen Forschung, Lehre und Praxis dar. Die ersten betriebswirtschaftlichen Fachgesellschaften, die im Folgen‐ den vorgestellt werden, waren der 1. Verband der Inhaber deutscher Handelshochschul-Diplome (gegründet 1905), ab 1913 umbenannt in Verband deutscher Diplom-Kaufleute e. V. (VDDK), 2. Verein Preußischer Handelslehrer mit Handelshochschulbildung (ge‐ gründet 1908), 1911 umbenannt in Verein Deutscher Handelslehrer, 1927 in Reichsverband Deutscher Handelslehrer mit Hochschulbildung, sowie der 3. Verband der Dozenten für Betriebswirtschaftslehre an Deutschen Hoch‐ schulen (gegründet 1921). Das wissenschaftliche Fundament aller drei genannten Verbände bildet die Betriebswirtschaftslehre. Sie alle haben es sich - darin besteht ihre Gemein‐ samkeit - zur Aufgabe gesetzt, die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft zu fördern. Ihr Unterschied besteht darin, dass sie auf unterschiedliche Berufsgruppen in Praxis, Ausbildung und Wissenschaft abzielen, nämlich auf die 1) Diplom-Kaufleute, 2) Diplom-Handelslehrer (kaufmännische Berufsschullehrer) und 3) Hochschullehrer. 7.2 Betriebswirtschaftliche Vereinigungen 195 <?page no="196"?> 440 Werner Böhme berichtet in der Verbandszeitschrift „Der Diplom-Kaufmann“ (Nr. 6, Juni 1930, S. 247) von einem 1903 in Berlin gegründetem „Verein akademischer Kaufleute“, den er als Vorläufer betrachtet. Dieser sei jedoch nach außen nur wenig in Erscheinung getreten und 1905 in der Gründung des „Verbandes“ aufgegangen. 441 Vgl. K. Bott (Hrsg.): Handwörterbuch des Kaufmanns, Bd.-5, Hamburg 1927, S.-783; W. Pfundt: Verband deutscher Diplom-Kaufleute e. V., in: Handwörterbuch der Betriebs‐ wirtschaftslehre, Bd. 5, 1. Aufl., Stuttgart 1928, Sp. 560-562; H.-E. Littmann: Verband deutscher Diplom-Kaufleute e. V. (VddK), in: Handwörterbuch der Betriebswirtschafts‐ lehre, Bd.-4, 3. Aufl., Stuttgart 1962, Sp. 5617 f. 442 Vgl. M. Kruk: Leben und Wirken Schmalenbachs, in: W. Cordes (Hrsg.): Eugen Schmal‐ enbach, Stuttgart 1984, S.-15. 443 Vgl. Littmann (1962), Sp. 5617. 7.2.1 Verband der Inhaber deutscher Handelshochschul-Diplome Eine der ersten deutschen betriebswirtschaftlichen Vereinigungen 440 war der Verband der Inhaber deutscher Handelshochschul-Diplome (VDDK). Dieser berufsständische Verband wurde auf Initiative von Eugen Schmalenbach ins Leben gerufen und am 23. Juli 1905 in Köln von 53 Inhabern des kaufmännischen Diploms der Handelshochschulen Köln und Leipzig sowie der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frankfurt am Main gegründet. 441 Der etwas sperrig anmutende Name erklärt sich dadurch, dass es in der Gründungsphase der Handelshochschulen weder eine einheitliche Berufsbezeichnung noch einen akademischen Grad für die Absolventen eines betriebswirtschaftlichen Studiums gab. So fügten die ersten Absolven‐ ten der Diplomprüfung an der Handelshochschule Leipzig fortan ihrem Namen das Kürzel D.H.H.L hinzu, das für „Diplom der Handels-Hochschule Leipzig“ stand und die wissenschaftliche Vorbildung bekunden sollte. Es ist überliefert, dass Eugen Schmalenbach dieses Kürzel sogar „bis in die dreißiger Jahre hinein“ gebraucht habe. 442 Im Jahre 1913 änderte der Verband seinen Namen in Verband deutscher Di‐ plom-Kaufleute e. V. (VDDK). Sein Zweck war, wie es in § 1 der Satzung heißt, die Förderung der Wirtschaftswissenschaften durch Verbreitung betriebs‐ wirtschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen, die fachliche Förderung der Diplom-Kaufleute und die Förderung seiner Mitglieder. Ordentliche Mitglieder konnten Deutsche werden, die ein kaufmännisches Diplom einer deutschsprachigen Hochschule oder ein Handelslehrer-Diplom erworben haben oder als Professoren, Dozenten oder Lehrbeauftragte wirtschaftswis‐ senschaftlicher Fächer an deutschsprachigen Hochschulen tätig sind. 443 196 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="197"?> 444 K.-D. Schmidt: Fachvereinigungen, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre, Bd.-1, 2. Aufl., Stuttgart 1938, Sp. 1685. 445 Vgl. P. Mantel: Betriebswirtschaftslehre und Nationalsozialismus, Wiesbaden 2009, S.-333. In den Anfangsjahren seines Bestehens widmete sich der VDDK der Organisation der kaufmännischen Hochschullehre. In den Jahren 1906-1911 sah der Verband es als seine wichtigste Aufgabe an, am Ausbau eines Lehr‐ plans für die Handelshochschulen mitzuarbeiten. Eine wichtige Vorarbeit hat der VDDK für die 1924/ 25 durchgeführte Studienreform geleistet. An der Anerkennung und Einführung der Bezeichnung Diplom-Kaufmann als akademischer Grad sowie an der Erkämpfung des Promotionsrechts der Handelshochschulen war er maßgeblich beteiligt, „und hat so dazu beigetragen, das Gemeinschaftsgefühl und die innere Geschlossenheit des deutschen akademischen Betriebswirts zu stärken.“ 444 Außerdem veranstal‐ tete der VDDK jährliche Verbandstagungen; auch regelmäßige fachwissen‐ schaftliche Vortragabende wurden in den Bezirksgruppen durchgeführt. Auf literarischem Gebiet nahm der Verband Einfluss auf die Entwicklung des Faches durch die Veröffentlichung der „Handels-Hochschul-Nachrichten“ (Beiblatt der der deutschen Wirtschaftszeitung von 1906-1919) sowie ab 1921 durch die Herausgabe der monatlich erscheinenden „Zeitschrift des Verbandes deutscher Diplom-Kaufleute e. V.“ unter der Schriftleitung von Dipl.-Kfm. Walter Pfund. Am 4. April 1936 ist vom VDDK die Deutsche Gesellschaft für Betriebs‐ wirtschaft (DGB) gegründet worden. Diese veranstaltete den Deutschen Betriebswirtschaftler-Tag und kooperierte eng mit dem VDDK. Ziel der DGB war vor allem die Verbreitung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse in der Praxis. Mit ihrer Arbeit hatte die DGB erheblichen Einfluss auf die Popularisierung betriebswirtschaftlichen Wissens. Vor allem kleinere Unternehmen konnten von der Arbeit der DGB profitierten, insbesondere auf dem Gebiet des betrieblichen Rechnungswesens. 445 Der VDDK existierte bis April 1971 und ging dann im Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte e. V. auf. 7.2 Betriebswirtschaftliche Vereinigungen 197 <?page no="198"?> 446 Vgl. R. Fuchs: Verein Deutscher Handelslehrer mit Hochschulbildung, in: Handwörter‐ buch der Betriebswirtschaftslehre, Bd.-5, 1. Aufl., Stuttgart 1928, Sp. 641. 447 Vgl. https: / / www.bvlb.de/ geschichte/ (26.05.2023). 448 Vgl. Fuchs (1928), Sp. 641. 449 G. Tafner: Reflexive Wirtschaftspädagogik, Detmold 2015, S.-78. 450 Fuchs (1928), Sp. 642. 451 Ebd., Sp. 642. 7.2.2 Verein Deutscher Handelslehrer mit Handelshochschulbildung- Bereits zehn Jahre nach Gründung der ersten Handelshochschule in Leipzig und noch parallel verlaufend zum Aufbauprozess weiterer Handelshoch‐ schulen (z. B. 1906 Berlin, 1907 Mannheim, 1910 München) wurde am 14. April 1908 auf der Gründungsversammlung in Kassel der Verein Preußi‐ scher Handelslehrer mit Handelshochschulbildung ins Leben gerufen. 446 Drei Jahre später wurde er umbenannt in Verein Deutscher Handelslehrer (1911) und nochmals im Jahre 1927 in Reichsverband Deutscher Handelslehrer mit Hochschulbildung. 447 In ihm schlossen sich die akademisch ausgebildeten Handelslehrer zusammen. Gemäß seiner Satzung bezweckt der Verein die Förderung des öffentlichen kaufmännischen Unterrichtswesens, die Pflege der handelswissenschaftlichen Forschung sowie die Vertretung der Standes‐ interessen seiner Mitglieder. 448 Anfangs stand insbesondere die Frage im Mittelpunkt, wie die Hoch‐ schulausbildung der angehenden Handelslehrer organisiert und gestaltet werden solle. „Die Unterscheidung in der Ausbildung von Kaufleuten und Handelslehrern wurde nicht in den fachwissenschaftlichen, sondern in den pädagogischen Inhalten gesehen.“ 449 Neben den Fragen der akademischen Ausbildung der Handelslehrer an den Hochschulen gingen die Bestrebungen des Vereins auch dahin, die (betriebswirtschaftliche) Fortbildung seiner Mitglieder zu fördern: „Eine Befruchtung des handelskundlichen Unter‐ richts durch die Ergebnisse der betriebswirtschaftlichen Forschungen wird mit Nachdruck betrieben.“ 450 Im Hinblick auf die Weiterentwicklung des kaufmännischen Schulwesens machte der Verein sich dafür stark, eine zweijährige Höhere Handelsschule sowie eine zum Abitur führende Wirt‐ schaftsoberschule einzurichten, denn diese „wäre die beste Vorbereitung für das wirtschaftswissenschaftliche Studium.“ 451 Das Publikationsorgan des Vereins war die „Deutsche Handelsschul- Warte“. Diese Zeitschrift wurde zweimal monatlich von dem Verein unter der Schriftleitung von Dipl.-Hdl. Gustav Ramlow (bis 1930) und Prof. Dr. Adolf 198 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="199"?> 452 Vgl. https: / / www.bvlb.de/ geschichte/ (26.05.2023). 453 Vgl. K. Brockhoff: Zur Vor- und Frühgeschichte des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (zfbf), Heft 2/ 2016, S.-229-251 (hier S.-234). 454 Vgl. A. Picot: Überblick über Geschichte und Struktur des VHB, in: VHB (Hrsg.): Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, Wiesbaden 2012, S.-3f. Ziegler im Verlag G. A. Gloeckner herausgegeben; die Auflage betrug 1.400 Exemplare (1925). Nach 1933 wurde der Verband in den NS-Lehrerverband zwangsintegriert und 1948 als Verband Deutscher Diplom-Handelslehrer wiedergegründet. Die letzte Namensänderung zum Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen (VLW) erfolgte im Jahr 1973. Am 11. April 2018 ist der VLW mit dem Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen (BLBS) zum Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB) verschmolzen. 452 7.2.3 Verband der Dozenten für Betriebswirtschaftslehre an deutschen Hochschulen Die Initiative zur Gründung eines Verbandes, der sich für die Belange der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre einsetzt, ging im Wesent‐ lichen von Heinrich Nicklisch aus. Er konnte den Handelswissenschaftler und Wirtschaftspädagogen Abraham Adler (1850-1922) von der Handelshoch‐ schule Leipzig dafür gewinnen, die „Dozenten für Einzelwirtschaftslehre an den Handelshochschulen“ zu einer Tagung ab Pfingstmontag im Jahre 1914 nach Leipzig einzuladen, um über die Ziele und Wege der betriebswirt‐ schaftlichen Forschung zu diskutieren. Dort wurde dann auch beschlossen, regelmäßig nach Pfingsten zu einer Tagung zusammenzukommen. 453 Damit war nicht nur die Idee einer fachwissenschaftlichen Vereinigung geboren, sondern auch die Tradition eines Treffens der Hochschullehrer in der Pfingstwoche. 454 Diese Phase der informellen Treffen, die der offiziellen Verbandsgründung im November 1921 vorausgegangen ist, bezeichnet Picot als Vorgründungsphase (1914-1920). Dieser folgten dann (gemäß seiner Periodisierung) die eigentlichen fünf Phasen („1+5 Phasen“): 1. 1921-1932: Gründung 2. 1933-1947: weitgehendes Ruhen der Verbandstätigkeit 3. 1948-1970: Wiedererrichtung und Expansion 7.2 Betriebswirtschaftliche Vereinigungen 199 <?page no="200"?> 455 Vgl. Picot (2012), S.-3-9. 456 D. Schneider: Prägende Persönlichkeiten in der Gründungsphase des VHB 1921-1933, in: VHB (Hrsg.): Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, Wiesbaden 2012, S.-39. 457 o.V.: Verband der Dozenten für Betriebswirtschaftslehre an deutschen Hochschulen, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre, Bd.-5, 1. Aufl., Stuttgart 1928, Sp. 553. 4. 1970-2000: Expansion 5. 2000-heute (2012): Expansion und Vernetzung 455 Laut § 2 der ersten Satzung vom 26. November 1921 verfolgt der Verband den Zweck 1) Die Betriebswirtschaftslehre in Forschung und Lehre zu fördern, 2) auf eine angemessene Vertretung der Betriebswirtschaftslehre an den in Frage kommenden Hochschulen hinzuwirken und 3) die Standesinteressen seiner Mitglieder zu vertreten. Die Mitgliedschaft besteht „aus ordentli‐ chen und außerordentlichen Mitgliedern“ (§ 3). Ordentliche Mitglieder sind laut Satzung hauptamtliche Dozenten und Privatdozenten der BWL an deutschen Hochschulen; außerordentliche Mitglieder sind nebenamtliche Dozenten und hauptamtliche Assistenten (mit Dipl. oder Dr. in BWL). Nur die ordentlichen Mitglieder können den Vorstand wählen. Dieser besteht aus drei Mitgliedern: dem Vorsitzenden, dem stellvertr. Vorsitzenden und dem Geschäftsführer. In der Gründungsphase (1921-1933) waren dies Heinrich Nicklisch, Eugen Schmalenbach und Fritz Schmidt. Die ordentliche Hauptversammlung findet gemäß § 9 „in der Regel alljährlich im Monat Juni statt.“ Da traditionell die Pfingstwoche hierfür vorgesehen ist, wird die Versammlung auch Pfingsttagung genannt. Die Tagungsordnung sieht zwei Teile vor, nämlich die Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten und ein fachwissenschaftliches Programm. Letzteres diente auch als „Aushän‐ geschild des damaligen VHB“ 456 , denn „über den wissenschaftlichen Teil der Betriebswirtschaftertagungen wird in den Fachzeitschriften und in der Tagespresse berichtet.“ 457 Welche Breitenwirkung die fachwissenschaftlichen Fragen in der Öffent‐ lichkeit erreichen konnten, zeigt das Beispiel der Pfingsttagung 1928 in Wien (→ Abb. 7.2). 200 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="201"?> Abb. 7.2: Pfingst-Tagung des VHB in Wien (1928), in der Mitte Eugen Schmalenbach (mit Stock). | [41] Am 31. Mai hielt Eugen Schmalenbach dort einen Vortrag, dessen aka‐ demisch-nüchtern klingender Titel „Die Betriebswirtschaftslehre an der Schwelle der neuen Wirtschaftsverfassung“ noch nicht erahnen lässt, wie brisant der Inhalt ist. In der Wiener Rede, wie der Vortrag später auch genannt wurde, argumentiert Schmalenbach im Kern wie folgt: Für die Pro‐ duktion sei der Anteil der Fixkosten in hohem Maße bestimmend geworden. Dieser steige auf lange Sicht immer weiter an. Und weil die proportionalen Kosten in hohem Ausmaß zu fixen Kosten geworden seien, fehle der Wirtschaft die Fähigkeit zur Anpassung der Produktion an die Konsumtion. Trotz mangelnder Nachfrage würden die fixen Kosten einen Betrieb dazu drängen, seine Produktion auszudehnen. Da dies auch andere Betriebe täten, würden sich die Industriezweige automatisch in eine übergroße Kapazität hineinrationalisieren, was die Gründung von Kartellen verstärke. „Und so“, konstatiert Schmalenbach, „drängen die fixen Kosten einen Industriezweig aus der freien Wirtschaft in die gebundene hinein.“ Er gelangt zu dem Befund: „Wir stehen heute am Ausgang einer alten und am Beginn einer neuen Wirtschafts‐ periode. […] Das 19. Jahrhundert mit seiner freien Wirtschaft wird […] seine eigenen, keinem anderen Jahrhundert eigentümliche Berühmtheit bekommen […]. Nicht Menschen, sondern starke wirtschaftliche Kräfte sind es, die uns in die neue Epoche 7.2 Betriebswirtschaftliche Vereinigungen 201 <?page no="202"?> 458 Schmalenbach, zitiert nach Kruk (1984), S.-114. 459 Ebd. S.-119. 460 Ebd. S.-113. 461 Kruk (1984), S.-114. 462 Eine historische Rekonstruktion der Schmalenbach-Kontroverse um die These von der Fixkostenfalle unternimmt R. Köster: Die Schmalenbachkontroverse während der Welt‐ wirtschaftskrise. Ein Fallbeispiel für die ökonomische Wissensrezeption, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Bd.-50, Heft 1/ 2009, S.-233ff. hineintreiben. […] Es ist fast ausschließlich eine einzige Erscheinung, die dies bewirkt: Die Verschiebung der Produktionskosten hin zu den fixen Kosten.“ 458 Einen Tag später, am 1. Juni 1928, wurden die Inhalte dieser Rede in Form eines langen Aufsatzes unter dem provokativen Titel „Der gefesselte Kapita‐ lismus“ in der Vossischen Zeitung abgedruckt. Dieser Beitrag erregte nicht nur unter den Fachgelehrten großes Aufsehen. „Die Frage, ob sich das kapitalistische Zeitalter seinem Ende nähere, beschäftigte die Geister damals ohnehin stark. Hier kam nun einer, ein Wissenschaftler gar, der den Menschen das Ende des herrschenden Wirtschaftssystems als unabweisbares Schicksal darstellte.“ 459 Mit überzeugenden Argumenten prophezeite ein Betriebswirt „das Ende der freien Wirtschaft und das Heraufdämmern einer neuen Wirtschaftsverfas‐ sung, die dem Staat einen großen und unablässig wachsenden Einfluß auf das Wirtschaftsgeschehen einräumen werde.“ 460 Nach Auffassung von Kruk „übertrifft dieses Referat in der historischen Weite seines Blickfeldes, in der Prägnanz der Gedankenführung ebenso wir durch die klare Diktion und die frische Sprache alle früheren und späteren Arbeiten Schmalenbachs. Es ist ein Geistesprodukt, das den Wissenschaftler und Schriftsteller auf der Höhe seines Könnens zeigt.“ 461 So erlangte nicht nur der Name Schmalenbach eine nie dagewesene Popularität; auch der VHB und seine fachwissenschaftliche Tagung, die erstmals im fernen Wien stattfand, wurden nun einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Dazu beigetragen haben nicht zuletzt auch die heftigen Debatten, welche die Wiener Rede zwischen den Ökonomen ausgelöst hatte. „Frontalangriffe“ gegen Schmalenbach - die wohl auch ideologisch motiviert waren - wurden insbesondere von dem Freiburger Nationalökonomen Robert Liefmann, dem Oberhaupt der Österreichischen Schule Ludwig Mieses sowie dem Herausgeber des „Deutschen Volkswirts“ Gustav Stolper geführt. 462 Sogar ein halbes Jahrhundert später (Ende der 1970erbzw. Anfang der 1980er-Jahre) flammte die Kontroverse um die Rolle der Fixkosten nochmal auf: Der Bremer Betriebswirtschafter Sönke Hundt lobte nicht nur die These Schmalenbachs als einen originären Beitrag, mit dem diesem „eine ökono‐ 202 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="203"?> 463 S. Hundt: Zur Theoriegeschichte der Betriebswirtschaftslehre, Köln 1977, S.-71. 464 Vgl. Köster (2009), S.-242f. 465 D. Schneider: Betriebswirtschaftslehre, Bd. 4: Geschichte und Methoden der Wirt‐ schaftswissenschaft, München 2001, S.-217. 466 Köster (2009), S.-242f. 467 Vgl. B. Bellinger: Die Betriebswirtschaftslehre der neueren Zeit, Darmstadt 1988, S.-24. mische Erklärung des Zwangs zur Kartellbildung“ 463 gelungen sei, sondern wandte selbst diesen Ansatz zur Erklärung der Stahlkrise Mitte der 1970er- Jahre an. 464 Sein Widersacher, der Bochumer Betriebswirt Dieter Schneider (1935-2014), hielt dem entgegen: „Natürlich erklären die fixen Kosten nicht die Kartellbildung oder die Zerstörung der freien Wirtschaft. […] Sicher be‐ einflussen die fixen Kosten und die daraus folgende Abnahme der Stückkos‐ ten bei steigender Ausbringung Konzentrationsvorgänge. Aber fixe Kosten sind nur einer und selten der wichtigste Anlaß zur Konzentration.“ 465 Dies verdeutlicht nochmals die weitreichende Bedeutung des Wiener Vortrags, der nach Ansicht Kösters schon damals eine Signalfunktion hatte. Denn die Betriebswirtschaftslehre erhob hier den Anspruch, dass sie auch zur Lösung gesamtwirtschaftlicher Problemstellungen etwas beizutragen habe. „Nach ihrer Meinung hätten viele Probleme der Unternehmen gelöst oder gemildert werden können, wäre das von ihr bereitgestellte Wissen genutzt worden; die Praxis jedoch habe notwendige Innovationen verschleppt. […] Auch wenn keineswegs klar ist, ob die Weltwirtschaftskrise durch ein ausgefeiltes betriebliches Rechnungswesen und eine adäquate Preispolitik hätte gemildert oder früher überwunden werden können, so konnte sich die Betriebswirtschaftslehre doch an diesem Punkt profilieren.“ 466 Auf die Wiener Pfingsttagung folgten in den kommenden Jahren Treffen in Berlin (1929), Bad Kissingen (1930), Bad Homburg (1931) und Berlin (1932). Als nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten der Verband seine Arbeit aus politischen Gründen einstellen musste, gründeten die Hochschullehrer der Betriebswirtschaftslehre zusammen mit dem VDDK im Jahre 1935 den Deutschen Betriebswirtschafter-Tag, aus dem dann ein eigener Verband entstand, der jährlich in Berlin eine mehrtägige Veranstaltung durchführte. 467 7.3 Betriebswirtschaftliche Forschungsinstitute Neben den Verbänden stellen die Forschungsinstitute wichtige Institutio‐ nen für die Betriebswirtschaftslehre dar. Schon Mitte der 1920er-Jahre 7.3 Betriebswirtschaftliche Forschungsinstitute 203 <?page no="204"?> 468 R. Seÿffert: Betriebswirtschaftliche Forschung, ihre Entwicklung. In: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd.-1, hrsg. v. H. Nicklisch, 1. Aufl., Stuttgart 1926, Sp. 1192. 469 Ebd., Sp. 1191. 470 Zit. n. Kruk (1984), S.-47. 471 E. Sundhoff: Dreihundert Jahre Handelswissenschaft, Göttingen 1979, S.-202. bemängelte Rudolf Seÿffert (1893-1971) einen „mangelhaften Ausbau der institutsmäßigen Forschung“. Der Beitrag, den solche Institute für die be‐ triebswissenschaftliche Forschung leisten könnten, sieht er darin, „alles be‐ reitzustellen, was für einen geordneten Forschungs- und auch Unterrichts‐ betrieb erforderlich ist […]. Der Anteil der Institute an der Forschungsarbeit wird in der Hauptsache bestehen im Materialsammeln und im Bereitstellen von Apparatur und Arbeitsplätzen zu experimentellen Untersuchungen.“ 468 Experimente als betriebswirtschaftliche Methode kamen seinerzeit schon in einem „zunehmenden Maße“ zum Einsatz, beispielsweise auf dem Gebiet der Absatzorganisation (heute würde man von Marketing sprechen), um die Wirkung von Werbung zu erforschen. 469 Als eines der ersten Institute kann das von Schmalenbach in den Jahren 1905-1908 errichtete Bilanzarchiv in Köln gesehen werden. In einem Bericht der Handelshochschule an den Minister für Handel und Gewerbe aus dem Sommer 1906, in dem die Tätigkeiten des Instituts beschrieben werden, heißt es: „In dem Bilanzarchiv werden […] Kartogramme gezeichnet und statistische Un‐ tersuchungen angestellt, die für handelstechnisch-privatwirtschaftliche Fragen näheren Aufschluß geben sollen. So wird z. B. untersucht, welche periodisch regelmäßigen Bewegungen die Devisenkursnotierungen zeigen. […] Oder es wird untersucht, welcher Zinsfuß den Differenzen der Wechselkurse lang und kurz zu Grunde liegt, oder es werden Reichsbank-Ausweis-Diagramme hergestellt, die der Erkenntnis der regelmäßigen periodischen Beanspruchungen der Reichsbank dienen, und derartige Arbeiten mehr.“ 470 Ein richtungsweisendes Institut für den weiteren Ausbau von Forschungsinsti‐ tuten, und vielleicht auch das bedeutendste, wurde 1914 von Heinrich Nicklisch an der Handelshochschule Mannheim errichtet. Es trug den etwas sperrig klingenden Namen Betriebswirtschaftliches Institut für Forschung auf dem Gebiete des Betriebslebens. Dessen Organisation und Ausstattung sei nach den Worten Seÿfferts, der kurz nach seiner Promotion dort „die Stelle eines Direktorialassistenten und Abteilungsleiters bekleidete“ 471 , vorbildlich gewesen. Die Materialsammlungen umfassten zahlreiche Unterlagen, Doku‐ 204 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="205"?> 472 Vgl. Seÿffert (1926), Sp. 1192f. 473 Viktor Poeschl (1884-1948) war seit 1912 Professor für Warenkunde an der HH Mannheim. Er gilt als Begründer der teleologischen Warenkunde, die in der Ware in erster Linie ein Mittel der Bedürfnis- oder Anspruchsbefriedigung sieht und sie demgemäß von der Gebrauchstauglichkeit oder dem Gebrauchswert ausgehend behandelt (vgl. Wikipedia). 474 Walter Moede (1888-1958) zählt zu den Begründern der Wirtschaftspsychologie. Einer seiner Forschungsschwerpunkte war die „industrielle Psychotechnik“, die er im System der Wissenschaften zur Privatwirtschaftslehre zählt (vgl. Moede: Die Experimentalpsy‐ chologie im Dienste des Wirtschaftslebens, Berlin 1919, S. III). 475 Laut Seÿffert (1932, S. 882) wurde die FfH „Ende 1928“ gegründet. In der Literatur wird jedoch zumeist das Jahr 1929 genannt, z. B. bei H. Bunge: Siebzig Jahre Forschungsstelle für den Handel, in: V. Trommsdorff (Hrsg.): Handelsforschung 1999/ 00, Wiesbaden 2000, S.-1ff. 476 Seÿffert (1926), Sp. 1193. mente und Formulare von Unternehmen, Kataloge, Organisationsmittel, Mo‐ delle, Prospekte, Arbeitsproben, Gebrauchsbeschreibungen, Werbemittel, Fotos, Filme und sogar ein wirtschaftspsychologisches Labor. 472 Galt das Mannheimer Institut noch als ein „Vollinstitut“, so ist bei den nachfolgenden Einrichtungen bereits eine Spezialisierung erkennbar. So gründeten beispielsweise ■ Viktor Pöschl 473 1912 in Mannheim das Warenkundliche Institut, ■ Hermann Großmann 1920 in Leipzig das Institut für Steuerkunde, ■ Walther Moede 474 1920 in Berlin das Institut für Wirtschaftspsychologie, ■ Rudolf Seÿffert 1922 in Köln das Werbewissenschaftliche Institut, ■ Wilhelm Vershofen 1923 (eröffnet 1925) das Institut für Wirtschaftsbeo‐ bachtung, das von Erich Schäfer geleitet wurde und sich der Marktfor‐ schung für Konsumwaren widmete, ■ Julius Hirsch 1928 475 in Berlin die Forschungsstelle für den Handel (FfH) und ■ Rudolf Seÿffert 1928 in Köln das Einzelhandelsinstitut. Seÿffert bemerkte Mitte der 1920er-Jahre, dass sich „in Zukunft […] die betriebswirtschaftliche Forschung in stärkerem Maße als bisher der Institute [wird] bedienen müssen, um ihren Aufgaben immer besser gerecht werden zu können.“ 476 Diesem Anspruch wurde er selbst in vorbildlicher und heraus‐ ragender Weise gerecht. Über einen Zeitraum von rund 40 Jahren gründete er mehrere Institute oder war maßgeblich daran beteiligt. Nachdem er bereits 1922 das Werbewissenschaftliche Institut gegründet hatte (das bis 1971 fortbestand), errichtete er 1928 sein Betriebswirtschaftliches Institut für Einzelhandelsforschung (Einzelhandelsinstitut). → Abb. 7.3 zeigt Aufnahmen aus dem Kölner Institut. Laut Satzung hatte es die Aufgabe, die Probleme des Einzelhandels wissenschaftlich zu 7.3 Betriebswirtschaftliche Forschungsinstitute 205 <?page no="206"?> untersuchen. Die Ergebnisse wurden ausgewertet und literarisch durch die von Seÿffert herausgegebene Reihe „Schriften zur Einzelhandelsforschung“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Abb. 7.3: Das Kölner Einzelhandelsinstitut. | [42] 206 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="207"?> 477 Ebd., S.-225. 478 Vgl. ebd., S.-226. 479 Die 5. Auflage wurde posthum herausgegeben. von Edmund Sundhoff. Standen anfangs vor allem die (mittelständischen) Einzelhandelsbetriebe im Mittelpunkt des Interesses, weitete Seÿffert schon bald sein Blickfeld aus auf zwischen- und überbetriebliche Aspekte. So nahm er im Laufe der Zeit mehr und mehr den Distributionsprozess über die gesamte Han‐ delskette in den Blick: ausgehend vom Produzenten über den Großhandel und den Einzelhandel bis hin zum Verbraucher. Nicht zuletzt verlangte auch die wirtschaftliche Entwicklung (z. B. die Zusammenschlüsse des Handels zu Ketten) die wissenschaftliche Notwendigkeit, das Institut vom (institutionellen) Einzelhandel auf den (funktionalen) Handel auszuwei‐ ten. So wurde das Einzelhandelsinstitut umgewandelt und umbenannt zum Institut für Handelsforschung. In den rund 35 Jahren, die es unter der Leitung Seÿfferts stand (bis 1963), ist es „zu einer zentralen For‐ schungsstelle im deutschen Sprachgebiet für alle Probleme der Distributi‐ onswirtschaft“ geworden. 477 Bedeutsame Leistungen erbrachte das Institut auf dem Gebiet des Betriebsvergleichs und der von Seÿffert entwickelten „Handelskettenanalyse“. 1956 wurde die Institutsabteilung für den Außenhandel verselbständigt und umgewandelt in das Institut für Außenwirtschaft. Dieses befasste sich neben dem Außenhandel im engeren Sinne mit dem industriellen Export und Import, mit der Außenhandelsfinanzierung, den multinationa‐ len Unternehmungen sowie den Wirtschaftsbeziehungen zu den Entwick‐ lungsländern. Eine weitere Neugründung war das Institut für Distribu‐ tionsforschung, das 1967 ebenfalls aus dem Institut für Handelsforschung hervorgegangen ist. Unter maßgeblicher Mitwirkung Seÿfferts wurde bereits 1958 das Institut für Mittelstandsforschung errichtet, in dem er als Vorstandsmitglied und Direktor der betriebswirtschaftlichen Abteilung tätig war. Außerdem war er Mitherausgeber der „Abhandlungen zur Mit‐ telstandsforschung“, die seit 1962 erschienen sind. 478 Die Ergebnisse von Seÿfferts langjährigen Forschungen auf dem Gebiet der Werbung und der Handelsforschung fanden ihren Niederschlag in seinen zahlreichen Pu‐ blikationen. Von diesen sind besonders hervorzuheben das voluminöse, zweibändige Werk „Werbelehre - Theorie und Praxis der Werbung“ (1966) sowie die in fünf Auflagen erschienene „Wirtschaftslehre des Handels“ (1. Aufl. 1951, 5. Aufl. 1972) 479 . Beide Werke stellen Meilensteine in der 7.3 Betriebswirtschaftliche Forschungsinstitute 207 <?page no="208"?> 480 Sundhoff (1979), S.-225. 481 Vgl. Bunge (2000), S.-1. Abb. 7.4: Julius Hirsch. | [43] Betriebswirtschaftslehre dar. Im inhaltlichen Zusammenhang zu Seÿfferts Forschertätigkeit am Einzelhandelsinstitut ist das von ihm herausgegebene „Handbuch des Einzelhandels“ (1932) zu sehen, in dem „erstmalig auf breiter Basis das lange vernachlässigte Gebiet des Einzelhandels eine umfassende Darstellung erfuhr“ 480 . Etwa zeitgleich mit dem Kölner Einzelhan‐ delsinstitut wurde in Berlin die Forschungs‐ stelle für den Handel (FfH) gegründet. Initia‐ tor und erster wissenschaftlicher Leiter war Julius Hirsch, der als Professor an der Handels‐ hochschule Berlin die „Spezielle Betriebswirt‐ schaftslehre des Handels“ lehrte. Mitbegründer des FfH waren Joachim Tiburtius (Vorstands‐ mitglied der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels) und Leo Engel (Geschäftsführer des Reichsverbandes des Deutschen Groß- und Überseehandels). 481 Julius Hirsch (1882-1961) promovierte 1909 in Bonn und habilitierte 1911 in Köln. Anschließend lehrte er dort zunächst als Dozent, ab 1917 als Professor. 1919 wurde Hirsch Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium. Ab 1922 lehrte er in Berlin an der Handelshochschule so‐ wie an der Universität als Honorarprofessor. Forschungsschwerpunkte von Hirsch waren die Preisgestaltung der Handelsunternehmen, die Organisation, Formen und Strukturen des Handels, die Analyse der Handelsleistungen, die Kosten, Kalkulation und Preisbildung sowie das Verhältnis des Handels zum Staat. Sein Hauptwerk „Der moderne Han‐ del“ (1925) gilt als „ein Handbuch von einmaliger Prägung“ (Facius). Hirsch war maßgeblich am Aufbau der Internationalen Handelskam‐ mer beteiligt und nahm in ihr führende Positionen wahr. Der FfH oblag die fortlaufende Untersuchung und Hilfestellung bei der Rationalisierung von Groß- und Einzelhandlungen. Die Aufgaben seiner Forschungsstelle hatte Hirsch im Jahre 1935 mit den folgenden Worten 208 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="209"?> 482 J. Hirsch: Kennzahlen zur Handelsforschung, S.-1, zitiert nach Bunge (2000), S.-2. 483 Vgl. K.-D. Schmidt: Institute, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 2, hrsg. v. H. Nicklisch, 2. Aufl., Stuttgart 1939, Sp. 479. 484 H.-O. Schenk: Handelsforschung gestern und heute, in: Handelsforschung heute, hrsg. von der Forschungsstelle für den Handel, Berlin 1979, S.-30. 485 Die letzte Schrift erschien 1984. 486 Vgl. Mantel (2009), S.-362. umrissen: Sie „will durch Tatsachen-Kenntnis zur Leistungsverbesserung führen helfen. Sie will auch auf dem überaus wichtigen Gebiete der Waren‐ verteilung führen vom Meinen zum Wissen, vom Wissen zum Können, vom Können zur planmäßigen dauernden Höhersteigerung der Wirtschaftlich‐ keit in der gesamten Verteilungswirtschaft.“ 482 Als Methode bediente Hirsch sich des Betriebsvergleichs, d. h. eines fortlaufenden zwischenbetrieblichen Vergleichs von deutschen Handelsun‐ ternehmen. So führte das FfH z. B. im Jahr 1937 in 31 Zweigen des Einzelhan‐ dels und in 24 Zweigen des Großhandels Erhebungen durch, an denen 6.000- 7.000 Einzelhandelsgeschäfte und 4.000-5.000 Großhandlungen teilnahmen. Gegenstand der Erhebungen waren z. B. Umsätze, Wareneingänge, Lagerbe‐ stände, Vermögen und Schulden. In langfristig angelegten Untersuchungen wurden Betriebsmerk-male erfragt, wie z. B. Art, Größe und Personalbe‐ stand des Handelsbetriebs sowie Daten zum Sortiment, zur Kundschaft und zum Standort. 483 Bemerkenswert seien Hirschs „Originalität und Weitblick“, die nach Schenk daran deutlich werden, „daß das von ihm entwickelte Instrumentarium betrieblicher Kennzahlen (Personal- und Raumleistung, Lagerumschlagskennzahlen) im wesentlichen unverändert noch heute im Zentrum der Betriebsvergleiche steht! “ 484 Hirsch wollte die gewonnenen Erkenntnisse einerseits den Handelsun‐ ternehmen zugänglich machen, andererseits die Öffentlichkeit über die Entwicklung des Handels unterrichten. Dies geschah durch zwei Publi‐ kationsorgane: den „FfH-Mitteilungen“ sowie der „Schriftenreihe der Forschungsstelle für den Handel“ 485 , die Hirsch 1931 mit seiner Arbeit zur Handelsspanne eröffnet. Sie gehört mit zu den letzten Schriften, die er vor 1933 veröffentlichte. Denn schon kurz nach der Machtergreifung der Na‐ tionalsozialisten wurde ihm durch die Reichsschrifttumskammer „jegliche literarische oder öffentliche rednerische Betätigung“ untersagt. 486 7.3 Betriebswirtschaftliche Forschungsinstitute 209 <?page no="210"?> 487 Seÿffert (1971), S.-55. 488 K. Bott (Hrsg.): Handwörterbuch des Kaufmanns, Hamburg 1925, S. VI. 7.4 Handwörterbücher und Sammelwerke der Betriebswirtschaftslehre Der systematische Auf- und Ausbau der BWL wurde auf literarischem Gebiet abgerundet durch das „Zusammenfassen des sich zunehmend konsolidie‐ renden Stoffes in Form großer Sammelwerke.“ 487 Hierzu zählen insbesondere die folgenden Werke, die zwischen 1925-1932 erschienen sind: ■ Karl Bott (Hrsg.): Handwörterbuch des Kaufmanns - Lexikon für Handel und Industrie, 5 Bände, Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1925-1927. Das „Handwörterbuch des Kaufmanns“ sieht sich, wie es im Vorwort heißt, in der Tradition von Ludovicis „Kaufmannslexikons“, welches 1752-56 in erster und 1797-1801 in dritter Auflage erschienen ist. Als ein „Speziallexikon“ richtet es sich in erster Linie an die praktisch „tätigen Kaufleute“, aber auch an „Studierende der Wirtschaftswissenschaften“. Das Lexikon berücksichtigt „alle Stoffgebiete […], die zum heutigen Kaufmannswissen gehören, also insbesondere das volkswirtschaftliche Gebiet einschließlich des finanzwissenschaftlichen und statistischen, Betriebswirtschaft und kaufmännische Fertigkeiten, Wirtschaftsgeogra‐ phie, Warenkunde, Technik, das Recht, das kaufmännische und gewerb‐ liche Bildungswesen, die Sozialpolitik und das Zeitungswesen.“ 488 Zu den Autoren gehören viele namhafte Fachvertreter: Wilhelm Auler, Karl Banse, Walter Le Coutre, Guido Fischer, Wilhelm Kalveram, Kon‐ rad Mellerowicz, Balduin Penndorf, Bruno Pfeiffer, Karl Rößle, Fritz Schmidt, Rudolf Seÿffert Heinrich Sommerfeld und Felix Werner. Die Bände haben einen Umfang von je rund 1.000 zweispaltig gesetzten Seiten und enthalten zahlreiche Fotos, Abbildungen und Karten. Der Umfang der Stichwörter variiert von wenigen Zeilen bis hin zu mehre‐ ren Seiten; so umfasst z. B. das Stichwort „Handels- und Wirtschaftsge‐ schichte“ fast 40 Seiten. ■ Heinrich Nicklisch (Hrsg.): Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, 5 Bände, 1. Aufl., Stuttgart: C. E. Poeschel 1926-1928. Die ersten beiden Auflagen des „Handwörterbuchs der Betriebswirt‐ schaft“ (HWB) wurden 1926-28 sowie 1938/ 39 von Nicklisch herausge‐ 210 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="211"?> 489 H. Nicklisch (Hrsg.): Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 1, 1. Aufl., Stuttgart 1926, S. IV. geben. Wie er im Vorwort zur ersten Auflage schreibt, war es u. a. die Absicht des Werkes, „ein Gesamtbild der Betriebswirtschaftslehre“ zu geben, welches bis dahin noch nicht bestanden habe. Das Handwörter‐ buch „will dem einzelnen Betriebswirtschafter zeigen, was erarbeitet ist, in welchem Zusammenhange mit dem Ganzen dieses Einzelne steht und wie die Grenzgebiete sich an die Betriebswirtschaftslehre anschließen.“ 489 In den nachfolgenden Jahren wurde es von verschiedenen Herausgebern fortgeführt: Hans Seischab und Karl Schwantag (3. Aufl., 1950-1962), Erwin Grochla und Waldemar Wittmann (4. Aufl., 1974-1976), Waldemar Wittmann, Werner Kern, Richard Köhler et al. (5. Aufl., 1993) und zuletzt von Richard Köhler, Hans-Ulrich Küpper und Andreas Pfingsten (6. Aufl., 2007). Seit den 1970er-Jahren wird das Handwörterbuch ergänzt um zwölf weitere Bände, die sich betriebswirtschaftlichen Spezialbereichen widmen, wie beispielsweise das „Handwörterbuch des Rechnungswesens“ (1. Aufl., 1970), „Handwörterbuch der Produktionswirtschaft“ (1. Aufl., 1979), Hand‐ wörterbuch der Absatzwirtschaft“ (1. Aufl., 1970; 2. Aufl. 1994 unter dem Titel „Handwörterbuch des Marketing“). Zusammen bilden sie die „Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre“ (EdBWL). In dieser Reihe stellt das „Handwörterbuch“ sozusagen das Grundlagenwerk dar. Abb. 7.5: (v. l. n. r.) Das fünfbändige „Handwörterbuch des Kaufmanns“ von Karl Bott, die fünfbändige 1. und die zweibändige 2. Auflage des „Handwörterbuchs der Betriebswirt‐ schaft“ von Heinrich Nicklisch. | [44] 7.4 Handwörterbücher und Sammelwerke der Betriebswirtschaftslehre 211 <?page no="212"?> 490 H. Göschel: Die Handelshochschule in Leipzig, Leipzig 2008, S.-86. 491 W. Le Coutre: Organisations-Lexikon, Berlin 1930, S.-3. ■ Fritz Schmidt (Hrsg.): Die Handels-Hochschule - Lehrbuch der Wirtschaftswissen‐ schaften, 6 Bände, Berlin: Industrieverlag Spaeth & Linde 1927-1932. „Eine bedeutende Rolle für die Entwicklung des Faches spielte das gemeinsam von allen Handelshochschulen beschlossene und heraus‐ gegebene Lehrbuch Die Handelshochschule, das ab 1927 an allen Ein‐ richtungen verbindlich war.“ 490 Dieses voluminöse, mehrere Tausend Seiten umfassende Sammelwerk deckte den gesamten wirtschaftswis‐ senschaftlichen Stoff ab, der seinerzeit an den Universitäten und Han‐ delshochschulen gelehrt wurde. Die Gliederung ist wie folgt angelegt: □ Band I: Betriebswirtschaftslehre, □ Band II: Volkswirtschaftslehre, □ Band III: Rechtswissenschaft, □ Band IV: Sondergebiete der Wirtschaftswissenschaft und □ Band V: Ergänzungsband (Teil I) sowie □ Band VI: Ergänzungsband (Teil II). Der Band zur Betriebswirtschaftslehre (1. Auflage 1927) enthält Beiträge von Kalveram zum Kaufmännischen Rechnen, zur Buch‐ haltung und zur Finanzierung. Isaac verfasste den Beitrag zu Bilanzen, Hellauer den zur Handelsverkehrslehre, Le Coutre den zur Betriebsorganisation, Penndorf den zur Industriebetriebslehre, Schmidt den zur Kalkulation und Preispolitik und Großmann den zum Zahlungsverkehr. Insgesamt erlebt dieses Sammelwerk drei Auflagen; die 2. Auflage erschien ab 1937, die 3. Auflage ab 1950. ■ Walter Le Coutre (Hrsg.): Organisations-Lexikon - Kurzgefaßtes Auskunftswerk für die gesamte Betriebsorganisation, Berlin: Hobbing 1930. Mit seinem rund 600 Seiten starken Lexikon verfolgt der Herausgeber, wie er im Vorwort schreibt, insbesondere die Ziele „der Praxis für das ge‐ genwärtig so wichtige Gebiet der Betriebsorganisation die Erkenntnisse und Methoden der betriebswirtschaftlichen Forschung in unmittelbar verwendbarer Form dar[zu]bieten“ sowie den Auf- und Ausbau der wissenschaftlichen Organisations-lehre zu fördern. 491 212 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="213"?> 492 Ebd. 493 W. Le Coutre: Organisations-Lexikon, Berlin 1930, S.-331. Abb. 7.6: Walter Le Coutre. | [45] Werke wie das „Orlex“ sollen nach Auffassung von Le Coutre „erschöp‐ fend sein, indem sie über jeden vorkommenden Begriff unmittelbar und verständlich unterrichten. Sie sollen das Wesen der Dinge, ihre Bedeutung und ihre Problematik kurz umreißen, die vorliegenden Er‐ fahrungen aufzeigen und die Stellen angeben, bei denen der Interessent […] sich bis in die letzten Einzelheiten weiter unterrichten kann. Voll‐ ständigkeit im Hinblick auf alle vorkommenden Begriffe, Fragen usw. und Hervorhebung alles Wesentlichen in knapper Form, das ist das, was auch praktisch zunächst und allgemein gebraucht wird.“ 492 Die zwei großen Hauptabschnitte des „Orlex“ behandeln die Organisa‐ tionslehre (das Grundsätzliche der Betriebsorganisation) sowie die Or‐ ganisationstechnik (die Praxis der Betriebsorganisation). So werden im ersten Teil z. B. Begriffe, Aufgaben, Methoden, Grundsätze, Mittel und Probleme erläutert, während im zweiten Teil praktische Aspekte wie die Raumgestaltung, Apparate, Maschinen, (personelle) Organisations‐ prinzipien, Betriebsverfahren usw. dargestellt werden. Biographische Angaben und eine Bibliographie runden das Handbuch ab. Walter Le Coutre (1885-1965) war Profes‐ sor für BWL in Königsberg und Mann‐ heim. Sein Hauptarbeitsgebiet war die Betriebsorganisation. Im Mittelpunkt sei‐ ner Forschung stand die Lehre von Auf‐ bau, Leben und Leistung des Betriebes, den er als Organismus betrachtet. Davon leiteten sich auch die Begriffe Organi‐ sieren und Organisation ab: „Organisie‐ ren heißt allgemein organisch gestalten, d. h. irgendwelche Einrichtungen oder Arbeitsvorgänge in die zweckmäßigste Form bringen.“ „Organisation ist die bei einem Organ oder bei einem Organismus in ihrem Bestand oder in ihrer Betätigung festzustellende, bewußt oder unbewußt herbeigeführte Zweckmäßig‐ keit im Hinblick auf die zu erfüllenden Aufgaben.“ 493 7.4 Handwörterbücher und Sammelwerke der Betriebswirtschaftslehre 213 <?page no="214"?> 494 R. Seÿffert: Handbuch des Einzelhandels, Stuttgart 1932, S. V. 495 Vgl. E. Schäfer: Etappen der Handels- und Absatzlehre, in: Handelsforschung heute, hrsg. von der Forschungsstelle für den Handel, Berlin 1979, S.-49. Abb. 7.7: Handbuch des Ein‐ zelhandels. | [46] ■ Rudolf Seÿffert (Hrsg.): Handbuch des Einzelhandels, Stuttgart: C. E. Poeschel 1932. Im Herbst 1932 gab Seÿffert das „Handbuch des Einzelhandels“ heraus, zu dem noch weitere 43 Autoren aus Wissenschaft und Praxis Beiträge lieferten. Wie es im Vorwort heißt, sammele das Handbuch erstmalig die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung „und macht darüber hinaus den Versuch, den gesamten Fragenkreis des Einzelhandels […] systema‐ tisch geordnet darzustellen.“ Dabei habe sich „die praktische Aufgabe gestellt, durch ein geschlossenes System der Einzelhandelsbetriebslehre und ihrer wichtigsten Hilfsgebiete einen gedrängten, möglichst voll‐ ständigen Überblick über alle wichtigeren Einzelhandelsfragen zu ge‐ ben, aus dem der Stand und die Hauptergebnisse der Detailforschung ersichtlich und in einen größeren Zusammenhang eingeordnet wer‐ den.“ 494 Das knapp 1.000 Seiten starke „Handbuch des Einzelhandels“, das in fünf große Teile gegliedert ist, deckt sämtliche Ge‐ biete und Themen der Einzelhandelsbet‐ riebslehre und der Warenkunde ab, die etwa 2/ 3 des gesamten Umfangs ausmachen. Das letzte Drittel des Buches behandelt recht‐ liche, volkswirtschaftliche und berufspäda‐ gogische Themen im Zusammenhang mit dem Einzelhandel. Nach der Einschätzung Erich Schäfers sei eine solche Publikation „in gleicher Art in jenen Jahren auf anderen Feldern betriebswirtschaftlicher Forschung kaum denkbar“ gewesen, und er sieht darin zugleich einen Beleg für eine „Ein‐ zelhandels-Epoche“ der 1930erbis 1950er- Jahre. 495 Das „Handbuch des Einzelhandels“ ist das letzte betriebswirtschaftliche Sammelwerk, das vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten veröf‐ fentlicht worden ist. Mit den bis dahin erschienenen großen Sammelwerken, 214 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="215"?> 496 R. Seÿffert: Über Begriff, Aufgaben und Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., Stuttgart 1971, S.-56. die nach Seÿffert zumeist „eine beachtliche Systematik und Beiträge von hohem Niveau“ 496 aufweisen, hat die Konsolidierungsphase der Betriebs‐ wirtschaftslehre ihren literarischen Abschluss gefunden. Von da an wird mehr und mehr die theoretische Vertiefung einzelner betriebswirtschaftli‐ cher Funktionen (z. B. Absatzwirtschaft) und Branchen (z. B. Einzelhandel, Großhandel, Industrie) in den Vordergrund rücken. Allerdings wird die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre durch den Nationalsozialismus überschattet und massiv beeinträchtigt werden. ➲ Zusammenfassung ■ In der Zeit von 1910 bis 1932 finden ein Ausbau und eine Konsoli‐ dierung der BWL statt. Dies lässt sich auf verschiedenen Gebieten feststellen, z.-B. durch □ eine stetige Erhöhung der Anzahl der BWL-Professoren, □ die Gründung mehrerer betriebswirtschaftlicher Verbände, □ die Errichtung zahlreicher Forschungsinstitute und □ das Erscheinen betriebswirtschaftlicher Nachschlage- und Sam‐ melwerke (Lexika, Handwörterbücher). ■ Von 1898 bis 1928 wirken mehr als 60 hauptamtliche Hochschullehrer am Aufbau und der Entwicklung der BWL mit. Zwischen 1910 und 1928 erhalten 46 Hochschullehrer ihre erste Professur. □ Die erste Generation baut das Fach auf. Ihr Tätigkeitsschwer‐ punkt ist zumeist die Lehre. □ Die zweite Generation der Betriebswirte kämpft in den 1920er- Jahren um die Anerkennung der Disziplin. Inhaltlich stehen vor al‐ lem Fragen des betrieblichen Rechnungswesens, der Bilanzierung und der Kostenrechnung im Mittelpunkt der Forschungen. □ Die Vertreter der dritte Generation, die durchweg eine vollstän‐ dige akademisch-betriebswirtschaftliche Ausbildung durchlaufen haben und seit Ende der 1920erbzw. Anfang der 1930er-Jahren lehren, spezialisieren sich auf bestimmte betriebswirtschaftliche Themen (z. B. Kosten), Funktionen (z. B. Absatz) oder spezielle Betriebswirtschaftslehren (z.-B. Handel, Bank). ➲ Zusammenfassung 215 <?page no="216"?> ■ Die ersten betriebswirtschaftlichen Fachgesellschaften sind der □ Verband deutscher Diplom-Kaufleute e.-V. (VDDK), □ Verein Deutscher Handelslehrer, □ Verband der Dozenten für Betriebswirtschaftslehre an Deutschen Hochschulen heute: VHB - Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V. ■ Insbesondere in den 1920er-Jahren werden mehrere betriebswirtschaft‐ liche Forschungsinstitute gegründet: □ 1912 das Warenkundliche Institut in Mannheim, □ 1920 das Institut für Steuerkunde in Leipzig, □ 1920 das Institut für Wirtschaftspsychologie in Berlin, □ 1922 das Werbewissenschaftliche Institut in Köln, □ 1923/ 1925 das Institut für Wirtschaftsbeobachtung in Nürn‐ berg. □ 1928 die Forschungsstelle für den Handel (FfH) in Berlin und □ 1928 das Einzelhandelsinstitut in Köln. ■ Auf literarischem Gebiet wird der systematische Auf- und Ausbau der BWL abgerundet durch das „Zusammenfassen des sich zunehmend konsolidierenden Stoffes in Form großer Sammelwerke“ (Seÿffert). Zwischen 1925-1932 erscheinen: □ Karl Bott (Hrsg.): Handwörterbuch des Kaufmanns, Hamburg 1925-1927, □ Heinrich Nicklisch (Hrsg.): Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, 1. Aufl., Stuttgart 1926-1928, zuletzt erschienen in 6. Auflage 2007, hrsg. v. R. Köhler, H.-U. Küpper und A. Pfingsten, □ Fritz Schmidt (Hrsg.): Die Handels-Hochschule, Berlin 1927-1932, □ Walter Le Coutre (Hrsg.): Organisations-Lexikon, Berlin 1930 und □ Rudolf Seÿffert (Hrsg.): Handbuch des Einzelhandels, Stuttgart 1932. 216 7 Ausbau und Konsolidierung der BWL (1912-1932) <?page no="217"?> 497 Vgl. R. Walter: Wirtschaftsgeschichte, 5. Aufl., Köln/ Weimar/ Wien 2011, S.-195. 498 K. Müller/ H. Lochner: Das Grundwissen des Kaufmanns, Leipzig 1938, S.-167. 499 Walter (2011), S.-201. 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) 8.1 Wirtschaftspolitik im Nationalsozialismus Die 1920 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) hatte zunächst kein eigenständiges, in sich konsistentes, geschlossenes Wirtschaftsprogramm. 497 Doch schon bald nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 wurde die Wirtschaft in ihrem Sinne umgestaltet und nach dem Führerprinzip organisiert. Grundlage hierfür war insbesondere das „Ge‐ setz zur Vorbereitung des organisatorischen Aufbaues der deutschen Wirt‐ schaft“ vom 27. Februar 1934. Es ermächtigt den Reichswirtschaftsminister, Wirtschaftsverbände als alleinige Vertretung ihres Wirtschaftszweiges an‐ zuerkennen, diese zu gründen, aufzulösen oder miteinander zu vereinigen. Insbesondere wird er befugt, den Führergrundsatz einzuführen; dazu kann er die Führer von Wirtschaftsverbänden bestellen und abberufen sowie Unternehmer und Unternehmungen an Wirtschaftsverbände anschließen. Der Zweck dieses Gesetzes wird in einem zeitgenössischen BWL-Schulbuch folgendermaßen verklärt: „Der nationalsozialistische Staat stellt die Wirt‐ schaft in den Dienst des Volkes. Er verstaatlicht […] sie aber deswegen nicht (wie etwa der Bolschewismus), sondern er schätzt die schaffensfrohe Einzelpersönlichkeit. Deshalb hat er die Wirtschaft nur geordnet.“ 498 In Wahrheit war dieses Gesetz „nichts anderes als ein Ermächtigungsgesetz zur totalen staatlichen Kontrolle der Wirtschaft einschließlich aller Verbände und Personen unter Maßgabe des Führerprinzips.“ 499 <?page no="218"?> 500 Vgl. Müller/ Lochner (1938), S.-167f. Abb. 8.1: Die Organisation der deutschen Wirtschaft. | [47] Wie → Abb. 8.1 veranschaulicht, war die gewerbliche Wirtschaft folgender‐ maßen organisiert: An der Spitze des Reichsgebietes stand die Reichswirt‐ schaftskammer. Ihr gehörten die sechs Reichsgruppen an, die wiederum in Wirtschafts- und Fachgruppen aufgegliedert waren: Industrie, Handwerk, Handel, Banken, Versicherungen, Energiewirtschaft. Nur bei der umfangrei‐ cheren Reichsgruppe Industrie gab es zunächst große Hauptgruppen, dann erst die kleineren Wirtschafts- und Fachgruppen. Außerdem waren in der Reichswirtschaftskammer alle Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern vertreten. Neben dieser fachlichen Gliederung wurde auch noch eine räumliche Aufteilung nach Bezirken vorgenommen. Die Selbstverwaltung jedes Gebietes übernahm eine „Kammer“. Gemeinsam mit den Fachgruppen arbeiteten sie z. B. an der Normung, betrieben Marktforschung, erstellten Statistiken, führten Betriebsvergleiche durch und arbeiteten an der Vereinheitlichung der Buchführung und Kalkula‐ tion. 500 An der Spitze eines größeren Wirtschaftsgebietes stand die Wirt‐ schaftskammer. Zu ihr gehörten alle Industrie- und Handelskammern sowie 218 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="219"?> 501 Vgl. G. Ambrosius: Von Kriegswirtschaft zu Kriegswirtschaft 1914-1945. In: M. North: Deutsche Wirtschaftsgeschichte, München 2000, S.-327. 502 T. Beste: Wirtschaftsplanung, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 2, 2. Aufl., Stuttgart 1939, Sp. 2341. Handwerkskammern des jeweiligen Wirtschaftsgebietes. Auch die übrigen Wirtschaftszweige (Landwirtschaft, Verkehrswirtschaft, Kulturberufe, Wer‐ bewirtschaft) waren straff durchgegliedert. Eine besondere Stellung nahm der sogenannte „Reichsnährstand“ ein, der am 13. September 1933 gebildet wurde. Zu diesem gehörten außer der eigentlichen Landwirtschaft der Gartenbau, der Weinbau, die Fischerei, die Jagd, die Imkerei sowie alle Lebensmittel-Hersteller, -Großhändler und -Einzelhändler. Der Reichsnähr‐ stand war wichtig für die von Hitler angestrebte wirtschaftliche Autarkie im Hinblick auf die Kriegsvorbereitung. Die gleich nach der Machtübernahme in mehr oder weniger chaotischer Folge erlassenen zahlreichen Gesetze, Verordnungen und Richtlinien ent‐ hielten kaum konkrete Angaben über Inhalt, Zweck und Ausmaß der Regelungen. Sie kamen vielmehr einer Generalermächtigung gleich, die willkürliche Auslegungen ermöglichte. 501 Daher kann von einer echten Wirtschaftsplanung der Nationalsozialisten kaum die Rede sein. Umso be‐ merkenswerter erscheinen Äußerungen von Betriebswirten, die eben diese befürworteten. Ein Beispiel hierfür ist der Beitrag „Wirtschaftsplanung“ des Dresdner Betriebswirts Theodor Beste (1894-1973) im Handwörterbuch der Betriebswirtschaft (1939): „Je freier Erzeuger und Verbraucher in der Wirtschaft sich betätigen dürfen, um so leichter können vernünftige Überlegungen über den Verlauf der Zukunft ihren Sinn und ihre Berechtigung verlieren und der Planung den sicheren Boden entziehen. Dagegen liegen günstige Bedingungen für die Planung dort vor, wo der Staat die Wirtschaft lenkt, die Preisbildung beeinflusst, für einen geordneten Wettbewerb sorgt, der Wirtschaft für längere Zeit bestimmte Aufgaben setzt und es unternimmt, auch auf den Verbrauch einzuwirken.“ 502 Die fundamentale Umgestaltung der Wirtschaft im Sinne des Nationalsozialis‐ mus fand ihren Ausdruck in zwei Vierjahresplänen - wohl auch so genannt, um sich von den sowjetischen Fünfjahresplänen abzugrenzen. Kurz nach seiner Ernennung zum Reichskanzler verkündete Hitler den ersten Vierjahresplan. Dieses Wirtschaftsprogramm, das vor allem Propagandazwecken und der Stabilisierung seiner Macht diente, wurde am 1. Februar 1933 im Rundfunk 8.1 Wirtschaftspolitik im Nationalsozialismus 219 <?page no="220"?> 503 Vgl. die „Chronik des nationalsozialistischen Aufbauwerkes“ in J. Greifzu (Hrsg.): Handbuch des Deutschen Kaufmanns, Hamburg 1935, S.-1057. 504 W. Hasenack: Vierjahresplan, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 2, 2. Aufl., Stuttgart 1939, Sp. 2142. übertragen. 503 Hitler versprach darin: „Die nationale Regierung wird das große Werk der Reorganisation der Wirtschaft unseres Volkes mit zwei großen Vier‐ jahresplänen lösen.“ Der Betriebswirt Wilhelm Hasenack (1901-1984) schreibt dazu im Handwörterbuch der Betriebswirtschaft von 1939: „Ehe die deutsche Wirtschaft wieder zu größeren Aufgaben fähig war, mußte ein entschlossener Reinigungs- und Belebungsprozeß die durch Weltkrieg, Inflation, Reparationen und Depression gestörten Funktionen des Wirtschaftskörpers wie‐ der in Gang bringen. Die Beseitigung dieser kräftezehrenden Krankheitsherde war die Aufgabe des ersten Vierjahresplanes. Er hatte vor allem drei Teilaufgaben zu bewältigen: 1. Wiedereingliederung von 6 bis 7 Mill. Arbeitslosen in den Wirtschaftsprozeß; 2. Kräftigung, ja Rettung der vor dem Zusammenbruch stehenden deutschen Landwirtschaft; 3. Vollbeschäftigung der industriellen Anlagen […] mit dem Ergebnis einer vielfach gesteigerten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Als diese drei Teilziele im wesentlichen erreicht […] waren, konnte der Staat seine helfenden Stützen allmählich abbauen und seinerseits die Wirtschaft vor die Aufgaben des zweiten Vierjahresplanes stellen. So ist der Erfolg des ersten Vierjahresplanes die Voraussetzung des zweiten Vierjahresplanes gewesen.“ 504 Mit dem zweiten Vierjahresplan von 1936 verfolgt Hitler im Wesentlichen zwei Ziele, die er in einer Denkschrift zum Vierjahresplan so formuliert: 1. „Die deutsche Armee muß in vier Jahren einsatzfähig sein.“ 2. „Die deutsche Wirtschaft muß in vier Jahren kriegsfähig sein.“ Wesentliche Merkmale der NS-Wirtschaftspolitik bzw. der Vierjahrespläne waren Arbeitsbeschaffung, Arisierung, Autarkiebestrebungen und die sys‐ tematische Vorbereitung auf den Krieg (Rüstungsproduktion). Die Arbeits‐ beschaffung diente dem Abbau der Arbeitslosigkeit, von der 1932 rund 30 % der Arbeitnehmer betroffen waren. Dieses Ziel ergänzte sich zum Teil mit der Kriegsvorbereitung. So diente beispielsweise der Bau der Autobahn auch militärischen Zwecken (Kriegslogistik). Insgesamt ist die gesamte 220 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="221"?> 505 H. Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte, 2. Aufl., Berlin/ Boston 2016, S.-214. 506 Vgl. Walter (2011), S.-213-215. 507 K. Uckel: Wirtschaftslenkung (Wirtschaft und Judentum), in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd.-2, 2. Aufl., Stuttgart 1939, Sp. 2705. Arbeitsbeschaffungspolitik der Nazis unter rüstungspolitischen Vorzeichen zu verstehen. Von Anfang an bereitete sich das Regime auf den Krieg vor. Mit seinen Autarkiebestrebungen wollte Hitler die deutsche Wirtschaft unabhängig machen von internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Doch damit wurden auch gewachsene Handelsbeziehungen zerstört. Unterneh‐ men verloren ihren langjährigen Geschäftspartner. Benötigte Rohstoffe konnten nicht mehr importiert werden und mussten durch minderwertige Ersatzprodukte ersetzt werden. Viele Maßnahmen stellten die Unternehmer vor Probleme, „denn die Absichten des Dritten Reiches widersprachen immer häufiger ihren ureigensten betriebswirtschaftlichen Interessen.“ 505 Die sogenannte Arisierung der Wirtschaft fußt auf dem Antisemitismus der NS-Ideologie und zielt auf den Ausschluss der Juden aus dem Wirtschafts‐ leben. Sie wurden diskriminiert, enteignet, mit Berufsverboten belegt, von leitenden Funktionen entbunden, aus Verbänden ausgeschlossen und über‐ haupt aus nahezu sämtlichen Bereichen der Wirtschaft radikal verdrängt. Jüdischen Betrieben wurden Verkaufsverbote und Verkaufsbeschränkungen auferlegt; die wirtschaftliche Tätigkeit wurde immer wieder behindert durch Propaganda, Erschwerung der Werbung, Kontrollen, Drohungen, Plakate und Schmierereien. 506 Eine perfide „Rechtfertigung“ dieser Maßnahmen findet sich im Artikel „Wirtschaft und Judentum“ von Kurt Uckel im „Hand‐ wörterbuch der Betriebswirtschaft“ (1939): „Die Ausschaltung des Judentums aus der Wirtschaft […] ist primär eine politi‐ sche Maßnahme, keine wirtschaftliche. Wenn aber das Volk Träger der Wirtschaft ist, so bedeutet dies, daß auch für die Wirtschaft nur die Lebensgesetze des Volkes gelten können. Damit ist die Einheitlichkeit beider Gesichtspunkte klar, und es ergeben sich daraus auch die wirtschaftlichen Auswirkungen.“ 507 Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, wirkte sich die NS-Ideologie sehr stark auf die Wirtschaft aus. Da die Unternehmen nach dem Führerprin‐ zip organisiert und in eine staatlich gelenkte Planwirtschaft eingebunden worden sind, wurden somit auch das Erfahrungsobjekt (die Betriebe) und das Erkenntnisobjekt (das Wirtschaften) der Betriebswirtschaftslehre modi‐ 8.1 Wirtschaftspolitik im Nationalsozialismus 221 <?page no="222"?> Abb. 8.2: Wilhelm Auler. | [48] fiziert. Sie mussten nun unter politischen bzw. ideologischen Vorzeichen betrachtet werden. 8.2 Einfluss des Nationalsozialismus auf die Betriebswirtschaftslehre Der Einfluss des Nationalsozialismus auf die Betriebswirtschaftslehre wird sehr deutlich geschildert in dem von Wilhelm Auler verfassten Kapitel „Allgemeine kaufmännische Betriebswirtschaft“ im Handbuch des Deutschen Kaufmanns (1935). Dort führt er Folgendes aus: „Ein völliger Umbruch in unserer geistigen Auffas‐ sung und Haltung hat sich vollzogen. Es erfolgt eine scharfe Abkehr von der individualistisch-kapitalisti‐ schen Lehre und ein uneingeschränktes Bekenntnis zur organisch-ganzheitlichen Idee. An die Stelle der liberalistischen tritt die organische Wirtschaftsauf‐ fassung. Im Gegensatz zur individualistisch-liberalis‐ tischen Auffassung wird die Wirtschaft […] in den Dienst der Nation gestellt. Der Primat des Staates vor der Wirtschaft wird zur grundsätzlichen Forderung. […] Die Initiative der Persönlichkeit wird gefördert, die Verantwortung bis auf die untersten Stellen ver‐ teilt und auf diese Weise das Führerprinzip auf die Wirtschaft übertragen. Das Leistungsprinzip wird zur Grundforderung erhoben. Das Eigentum bleibt bestehen, wird jedoch der Volksgesamtheit verpflichtet. Die ständische Ordnung wird gefordert. Die inte‐ ressenpolitischen Gegensätze zwischen Unternehmer, Angestellten und Arbei‐ tern werden behoben. Die so geschaffene Gemeinschaft ist eine Leistungsgemein‐ schaft, ein organisches Gefüge, in dem die Arbeitsgruppen zu einem bewußten und gewollten Ganzen vereinigt sind. Das Materielle darf nicht wie beim Libera‐ lismus das alles beherrschende Ziel sein. Das Gewinnstreben muß dem Gemein‐ wohl untergeordnet werden. In dieser Weise wird die liberalistisch-kapitalistische durch die organische Wirtschaftsauffassung abgelöst. Gegenüber dem reinen Rentabilitätsstreben des Liberalismus ist das Endziel der organischen Wirtschaft die bestmögliche, unter den vorteilhaftesten Bedingungen erfolgende Bedarfsde‐ ckung der Volksgenossen. Der Gedanke der Gemeinwirtschaftlichkeit soll und muß das Denken des Unternehmers erfüllen und sein Handeln bestimmen. Als 222 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="223"?> 508 W. Auler: Allgemeine kaufmännische Betriebswirtschaft. In: Handbuch des Deutschen Kaufmanns, hrsg. von J. Greifzu. Hamburg 1935, S.-335-360 (hier: S.-335ff.). 509 Vgl. Mantel (2009), S.-175 u. 649 f.; Klein-Blenkers (1992), S.-114f. gemeinwirtschaftlich gilt aber nur das, was auf die Volksgemeinschaft bezogen wertvoll ist. […] Im Mittelpunkte der Betrachtungen steht nun für die kaufmän‐ nische Betriebswirtschaftslehre die Unternehmung als Glied der organischen Wirtschaft. Die einzelne Unternehmung und der Austausch der Leistungen dieser Wirtschaftsglieder untereinander und mit Dritten bilden das Forschungsfeld. Alle Unternehmungen suchen ihr Ziel mit den gleichen Mitteln zu erreichen, sie haben daher die gleichen betriebswirtschaftlichen Probleme zu lösen. Drei große Fragenkomplexe sind es, die nach Walb (Professor der Betriebswirtschaftslehre, Köln) in das Lehrgebiet der der kaufmännischen Betriebswirtschaftslehre fallen: die Organisation, die Berechnung und die Rechnungslegung.“ 508 Wilhelm Auler (1883-1955) war von 1925-45 als Professor für BWL in Gießen und zugleich als Dozent in Marburg tätig, da die BWL dort keinen eigenen Vertreter hatte. In seinen Schriften hat sich Auler (seit 1937 Mitglied der NSDAP) für eine nationalsozialistische Wirtschafts‐ ideologie eingesetzt. Auler rechtfertigte seine nationalsozialistische Betätigung später damit, dass er durch seine politische Einstellung vor 1933 zu Beginn des Dritten Reichs diskriminiert worden sei. Nach eigenen Worten habe er nach der Machtübernahme der Nazis in füh‐ renden Kreisen der Universität Gießen als Anhänger der sozialistischen Planwirtschaft und des Kommunismus gegolten. 509 Schauen wir uns im Folgenden einige von Auler angesprochenen Aspekte genauer an, an denen exemplarisch die inhaltliche Beeinflussung der BWL durch die NS-Ideologie verdeutlicht werden soll. Auler fordert, dass das Gewinnstreben dem Gemeinwohl untergeordnet werden müsse, um so die liberalistisch-kapitalistische durch die organische Wirtschaftsauffassung zu ersetzen. Das Ziel sei nicht mehr das Rentabilitätsstreben, sondern die Bedarfsdeckung. „Der Gedanke der Gemeinwirtschaftlichkeit soll und muß das Denken des Unternehmers erfüllen und sein Handeln bestimmen.“ Diese Forderung veranschaulicht, in welchem Widerspruch die NS-Wirtschafts‐ politik zu betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen steht. Denn weil der Na‐ tionalsozialismus das Privateigentum an den Produktionsmitteln weiterhin zugesteht, kann auf eine Mindestrentabilität gar nicht verzichtet werden. 8.2 Einfluss des Nationalsozialismus auf die Betriebswirtschaftslehre 223 <?page no="224"?> 510 Vgl. Schneider (2001), S.-232. 511 C. Sanidig: Wo liegt die Grenze der Rentabilität? In: Die Betriebswirtschaft, Jg. 32, (1939), S.-121-128 (hier: S.-127), zit. n. Schneider (2001), S.-232. 512 A. Borgstedt et al.: Curt Sandig, der Nationalsozialismus, die deutsche BWL und die Universität Mannheim. Pressemitteilung der Universität Mannheim vom 07.06.2019, S.-4. 513 P. Mantel: „Eine vollkommen unpolitische Disziplin“ - Zur Entwicklung der modernen Betriebswirtschaftslehre im ersten Halbjahrhundert ihres Bestehens, in: Die Hoch‐ schule - Journal für Wissenschaft und Bildung, 19. Jg., Heft 1/ 2010, S. 148-164 (hier: S.-159). Dieses Problem veranlasste einige Betriebswirte, über die Bedeutung und die Grenze der Rentabilität nachzudenken. Antworten fanden sie nicht; vielmehr verirrten sie sich, wie z.-B. Curt Sandig, in Floskeln: 510 „Die Grenze für die betriebliche Rentabilität verläuft dort, wo der Gewinn noch als Entgelt für die Leistung von Betriebsführer und Gefolgschaft und noch als Gegenleistung für den Anteil des Kapitals am Wert der gesamten Betriebsleistung angesehen werden kann. […] Die Frage nach der Grenze der Rentabilität ist eine Frage der Haltung, des Charakters, nicht der Rechnung. Und hier zeigt sich die Größe einer Erziehungsaufgabe an. Die Wirtschaft braucht auf der ganzen Linie Nationalsozialisten als Betriebsführer […] Männer, […] die das gleiche Familien-, Sippen-, Stammes-, Volks- und Rassenschicksal teilen.“ 511 Während Schneider solche Gedankengänge als „Floskeln“ wertet, glauben Mannheimer Historiker eine „identifizierende Selbstgleichschaltung“ San‐ digs feststellen zu können. Er habe „dezidiert nationalsozialistische Ideen in einem solchen Maße in die Zusammenhänge seiner normativen be‐ triebswirtschaftlichen Konzeptionen und Ansätze integriert, dass diese als nahezu vollständig nationalsozialistisch ‚kontaminiert‘ bezeichnet werden können.“ 512 Die von Auler erwähnten BWL-Bereiche Organisation, Berechnung und Rechnungslegung hatten für die nationalsozialistische Wirtschafts‐ politik eine nützliche Funktion. Denn die Erkenntnisse aus diesen Bereichen konnten von den NS-Wirtschaftsplanern in ihrem Sinne in der Praxis sofort angewendet werden. „Die planwirtschaftlichen Elemente der nationalso‐ zialistischen Wirtschaftsverfassung, insbesondere nach der Schaffung der Vierjahresplan-Gesetzgebung und -behörde unter Görings Leitung ab 1936, erforderten eine genaue Erfassung der Kostenstrukturen der Unternehmen - und die BWL hatte mit der Kostenrechnung das dafür geeignete Instru‐ mentarium anzubieten.“ 513 Dadurch erfuhr die BWL bei vielen NS-Stellen 224 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="225"?> 514 Vgl. ebd. 515 Ebd., S.-160. 516 P. Lorson/ M. Häußler/ E. Martins: Geschichte und Denker der Betriebswirtschaftslehre, in: Schweitzer/ Baumeister: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 11. Aufl., Berlin 2015, S.-58. 517 Mantel (2009), S.-347. 518 Vgl. Mantel (2010), S.-159. 519 Vgl. E. Potthoff: Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) bei poli‐ tischer Gleichschaltung und staatlicher Wirtschaftslenkung, in: E. Gaugler/ R. Köhler (Hrsg.): Entwicklungen der Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 2002, S.-100. 520 Mantel (2009), S.-348. eine so große Wertschätzung, dass z. B. die Vierjahresplan-Behörde darauf hinwirkte, das Preisrecht und die Preispolitik in Universitätsvorlesungen stärker zu berücksichtigen. Damit wollte Göring sicherstellen, dass vor allem die „künftigen Verwaltungsbeamten und Wirtschaftsführer“ in diesen Bereichen akademisch ausgebildet werden. 514 Nach Mantel wurden durch die Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre und die aktive Mitarbeit von Betriebswirten bei deren Umsetzung „die deutsche Wirtschaft gerade im buchhalterischen Bereich einschneidend reformiert“ 515 . Als Folge der Vier‐ jahrespläne und der mit ihnen verbundenen großen Volumina an staatlichen Aufträgen wurden Vorschriften erlassen über die Vereinheitlichung des betrieblichen Rechnungswesens, z. B. zur Organisation der Buchführung (1936), zur Preisbildung für öffentliche Aufträge (ab 1938) und zur Kos‐ tenrechnung (1939). Diese Vorschriften, die „bis heute als anerkannte Kostenrechnungsgrundsätze“ 516 gelten, wirkten sich gewissermaßen förder‐ lich auf die Fachdisziplin aus; sie trugen nach Mantel sogar zum Aufschwung der BWL bei: „Im Gefolge der Vierjahresplangesetzgebung gewann die BWL weiter an Ansehen und wurde intensiv gefördert.“ 517 So wurden zwischen 1939 und 1945 viele Planstellen anderer Hochschuldisziplinen zugunsten der Betriebswirtschaftslehre umgewidmet. Insofern konnte die BWL insti‐ tutionell von der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik profitieren. 518 Inhaltlich hatte das NS-Regime jedoch überwiegend negative Auswirkungen auf die BWL gehabt. Beispielsweise waren die Bereiche Personalwesen und Organisation durch die NS-Ideologie „kontaminiert“ und konnten sich „verstärkt systemimmanent“ entwickeln. Eine große Rolle spielte z. B. die Überwachung und Steuerung der Mitarbeiter. 519 Der Münchner Betriebswirt Guido Fischer (1899-1983) hielt sich daher im Dritten Reich „bewusst von Forschungen auf dem Gebiet des Personalswesens fern, da diese leicht nationalsozialistisch instrumentalisierbar waren.“ 520 8.2 Einfluss des Nationalsozialismus auf die Betriebswirtschaftslehre 225 <?page no="226"?> 521 S. Hundt: Zur Theoriegeschichte der Betriebswirtschaftslehre, Köln 1977, S.-94. 522 E. Kosiol: Nicklischs Theorie der Betriebswirtschaft, in: Bausteine der Betriebswirt‐ schaftslehre, Bd.-1, hrsg. von E. Kosiol, Berlin 1973, S.-233. 523 Vgl. Klein-Blenkers (1994), S.-44f. Im Gegensatz dazu sah z. B. sein Fachkollege Heinrich Nicklisch, dessen Hauptaugenmerk auf der innerbetriebliche Organisation und der Struktur der Betriebe lag, gerade in einer staatlich gelenkten NS-Wirtschaft die (naive) Chance, seine normative Betriebswirtschaftslehre zu etablieren. Die Idee von der Betriebsgemeinschaft, in die sich der Mensch einfügt, die Bedeutung der menschlichen Arbeitskraft als einzig schöpferischer Produktionsfaktor sowie die grundsätzliche Ablehnung des Rentabilitätsst‐ rebens als beherrschendes betriebswirtschaftliches Prinzip machten seine Lehre zwar stellenweise kompatibel mit der NS-Ideologie. Dass, wie Hundt behauptet, die Lehre Nicklischs jedoch „eine starke Prädisposition für fa‐ schistische Gedanken“ 521 aufweise, erscheint mir etwas übertrieben, da sie ebenso Anknüpfungspunkte bietet für den Sozialismus. Kosiol sieht in Nicklisch sogar den „wissenschaftliche[n] Wegbereiter eines ethischen Sozialismus auf dem Gebiete der Betriebswirtschaft.“ 522 Wie Karl Marx in der menschlichen Arbeitskraft den alleinigen Produktionsfaktor sieht, so rückt auch Nicklisch den Betriebsfaktor Arbeit in den Vordergrund und weist eben diesem - und nicht dem Kapital - die bestimmende Rolle in der Wirtschaft zu. Dies ist zunächst eine rein ökonomische, antikapitalistische Betrachtungsweise. Die NS-Ideologie jedoch missbraucht diese für ihre Zwecke, indem sie argumentiert, dass das kapitalistisch-liberalistische Wirt‐ schaftssystem ja von Juden beherrscht werde. Und so ist dann nicht mehr der Kapitalismus für die Ausbeutung der Arbeiter verantwortlich, sondern das Judentum. In Nicklischs Lehrsystem findet sich kein Antisemitismus - wie dies z. B. in besonders stark ausgeprägter Form bei Walter Thoms der Fall ist -, wohl aber eine grundsätzliche Kritik am Gewinnstreben und an der schon von Marx konstatierten Tatsache, dass die Arbeit „zur Ware herabgewürdigt“ worden sei. 523 Die ethisch-normative Grundlegung der Nicklisch’schen Betriebswirtschaftslehre, die Ablehnung des Gewinn‐ strebens, die Stellung des Menschen in der (Betriebs-)Gemeinschaft, der Vergleich der Wirtschaft mit einem Organismus und dem Mensch als Glied des Ganzen, all diese Aspekte der Nicklisch’schen Lehre reichen bis 1912 zurück - als es noch gar keinen Faschismus bzw. die NSDAP gab - und sind im Zusammenhang mit seiner ökonomischen Analyse der Wertumläufe 226 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="227"?> 524 Diese Auffassung vertritt auch Klein-Blenkers (1994), S.-44. 525 J. M. Keynes im Vorwort vom 7. 9. 1936 zur ersten deutschen Ausgabe der Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, der Zinsen und des Geldes, S. IX. 526 Zitiert nach Mantel (2009), S.-38f. 527 Vgl. ebd., S.-38. zu begreifen. Wenn man eine Verbindung zwischen Nicklischs Lehre und dem nationalsozialistischem Gedankengut zu erkennen glaubt, dann scheint diese, wie ich meine, wohl eher darauf zurückzuführen zu sein, dass die Nazis Bestandteile der Nicklisch’schen Lehre für ihre Zwecke missbrauchten 524 , indem sie die darin enthaltenen ökonomisch-philosophischen Zusammen‐ hänge durch ihre ideologische Propaganda ersetzten. Folgte man der Logik Hundts, so müsste man auch dem Keynesianismus eine gedankliche Nähe zum Faschismus unterstellen, denn im Vorwort zur deutschen Ausgabe seiner „Allgemeinen Theorie“ (1936) - dreieinhalb Jahre nach der Macht‐ übernahme der Nazis (! ) - brachte Keynes seine Hoffnung zum Ausdruck, dass er „einen wichtigen Beitrag zur Auslegung zeitgenössischer Ereignisse und zur Formung einer zeitgenössischen Politik“ leisten könne. Er werde „zufrieden sein“, schreibt er weiter, „wenn ich einige einzelne Brocken beitragen kann zu einem von deutschen Ökonomen zubereiteten vollen Mahl, eigens auf deutsche Verhältnisse abgestellt“ 525 . Würde man daher dem Keynesianismus „eine starke Prädisposition für faschistische Gedanken“ vorhalten? Kritischer und differenzierter als Nicklischs Lehrgebäude ist sein eigenes Verhalten zu sehen. Weder war er nur ein bloßer Mitläufer noch war er ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus. Dass er nicht nur als Mitläufer betrachtet werden kann, lässt sich z. B. seinem öffentlichen „Aufruf an die Betriebswirtschafter“ entnehmen. Darin forderte er von seinen Fachkollegen, „dem Führer des neuen Deutschland alle ihre Kräfte zur Verfügung zu stellen, die Ziele ihrer Forschung nach den Bedürfnissen der politischen Gestaltung zu setzen und in erster Linie die für diese maßgeben‐ den Zusammenhänge klären zu helfen.“ 526 Allerdings weist Mantel darauf hin, dass dieses „eindeutig scheinende Bekenntnis“ vielmehr als „ein Aufruf aus der Defensive“ zu verstehen sei, da die BWL sich in der Anfangszeit des Dritten Reichs in ihrer Existenz bedroht gesehen habe. 527 Nicklisch fürchtete wohl, dass die BWL unter den neuen Machthabern als Profitlehre abgestempelt und in ihrer Entwicklung behindert werden könnte. Sein Aufruf könnte also auch dem Schutz der jungen Fachdisziplin gegolten haben. Dass Nicklisch wohl aber auch kein überzeugter Anhänger des 8.2 Einfluss des Nationalsozialismus auf die Betriebswirtschaftslehre 227 <?page no="228"?> 528 1946 wurde die Berliner Wirtschaftshochschule (zuvor HH) in die Wirtschaftswissen‐ schaftliche Fakultät der-Humboldt-Universität-integriert. 529 Vgl. ebd., S.-501. 530 F. Schönpflug: Betriebswirtschaftliche Methoden und Hauptströmungen, 2. Aufl., Stutt‐ gart 1954 (1. Aufl. 1933 u. d. T. Das Methodenproblem in der Einzelwirtschaftslehre), S.-415. 531 Vgl. Potthoff (2002), S.-107. 532 Schneider (2001), S.-235. 533 Zitiert nach Klein-Blenkers (1994), S.-45. Nationalsozialismus war, wird z. B. durch die Aussagen seiner Kollegen nach 1945 deutlich: So sagte Nicklischs Widersacher Mellerowicz im September 1945, dass für Nicklisch stets die Sache im Vordergrunde gestanden habe, politische Betätigung habe ihm fern gelegen. Und laut Bruno Rogowsky - er wurde 1945 zum neuen Rektor der Wirtschaftshochschule Berlin 528 berufen und gehörte dem antifaschistischen Ausschuss der Hochschule an, der mit der Entnazifizierung beauftragt worden war - sei Nicklisch, „obwohl er früher keiner Partei angehört“ habe, „ein Sozialist gewesen, dem die Nationalsozialisten seine Verbindungen zu sozialdemokratischen Staatsmännern wie Ebert usw. vorgeworfen“ hätten - woraus er auch „entsprechende Nachteile“ zu erleiden gehabt habe. 529 Die Bewertung der Rolle einzelner Betriebswirtschafter in der NS-Zeit ist ebenso schwierig wie die Beantwortung der Frage, wie sich die NS-Ideologie auf die Fachdisziplin ausgewirkt hat. Zu facettenreich, teils widersprüchlich erscheinen die persönlichen Entwicklungen und inhaltlichen Auswirkun‐ gen. Wie Fritz Schönpflug in seiner „Methodenlehre“ von 1933 feststellte, habe die betriebswirtschaftliche Forschung damals „keineswegs am Ende einer wissenschaftlichen Entwicklung“ gestanden, „sondern im Gegenteil an einem Anfang, der zahlreiche hoffnungsvolle Entfaltungsmöglichkeiten in sich birgt.“ 530 Und nach Potthoff sei die Zeit von 1933-1945 wohl (relativ) zu kurz gewesen, als dass das nationalsozialistische Ideengut hätte nachhaltig einwirken können auf Forschung, Theoriebildung und Lehre. 531 Dagegen vertritt Schneider die Auffassung, dass „die Zeit 1933-1945 mit ihren Folgen in den ersten Nachkriegsjahren als Schädigung betriebswirtschaftlicher For‐ schung neben den menschlichen Tragödien anzusehen [ist].“ 532 Erich Schä‐ fer bemerkte einmal zur Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus: „Manches, was damals von ,Fachvertretern‘ auf diesem Gebiet ,geleistet‘ worden ist, bleibt am besten ungenannt.“ 533 Hierzu gehört vor allem der 228 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="229"?> 534 Mantel (2009), S.-552. 535 Mantel (2009), S.-57. 536 Mantel (2009), S.-552. 537 Vgl. Mantel (2009), S.-57-58. Abb. 8.3: Walter Thoms. | [49] Versuch, eine nationalsozialistische BWL zu konzipieren - ein Schandfleck und trauriger Tiefpunkt der deutschen Betriebswirtschaftslehre. 8.3 Versuch einer „nationalsozialistischen Betriebswirtschaftslehre“ Walter Thoms (1899-1994) gilt als „der expo‐ nierteste Nationalsozialist unter den Betriebs‐ wirten“ 534 , der auch den Versuch unternahm, eine nationalsozialistische Betriebswirtschafts‐ lehre zu konzipieren: „Thoms versuchte, Nati‐ onalsozialismen mit Hilfe betriebswirtschaftli‐ cher Methoden zu operationalisieren, um sie so für die tägliche Wirtschaftspraxis anwendbar zu machen.“ 535 Nach Mantel sei Thoms vor 1933 ein unbedeutender Nachwuchswissenschaftler ge‐ wesen. Während des Dritten Reichs sei er „nicht durch bahnbrechende wissenschaftliche Leis‐ tungen, sondern durch propagandagetränkte Pseudowissenschaft hervorgetreten.“ 536 Thoms wollte eine Wirtschaftstheorie schaf‐ fen, die, wie er sagt, „eingeschlossen im Nationalsozialismus“ sein sollte. Die bisherige Wirtschaftstheorie, „wie sie sich seit 150 Jahren entwickelt“ habe, müsse abgelehnt werden - „aus der ganz einfachen Feststellung, daß es vor Adolf Hitler keinen Nationalsozialismus“ gegeben habe. Die Betriebswirtschaftslehre müsse „unmittelbar aus der nationalsozialistischen Weltanschauung“ herauswachsen „und in allen Einzelheiten von ihr ge‐ formt“ sein. 537 Der wegen seiner Veröffentlichungen aus den Jahren 1933-1945 verfemte Betriebswirt hatte sich 1933 nach fünfjähriger Assistententätigkeit bei Walter Le Coutre an der Wirtschaftshochschule Mannheim habilitiert und erhielt 1936 einen Ruf auf ein betriebswirtschaftliches Extraordinariat in 8.3 Versuch einer „nationalsozialistischen Betriebswirtschaftslehre“ 229 <?page no="230"?> 538 Vgl. O. Hahn: Funktionale Kontorechnung - Zum Tode von Walter Thoms. In: Zeit‐ schrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen (ZögU/ Journal for Public and Nonprofit Services), Bd.-18, H. 3 (1995), S.-356-361. 539 Zitiert nach K. P. Schultes: Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Heidelberg 1934-1946, Heidelberg 2010, S.-139. 540 Zitiert nach Schultes (2010), S.-143. 541 W. Thoms: Nationalsozialistische Betriebswirtschaftslehre, in: Der praktische Betriebs‐ wirt, Jg. 18, 1938. 542 H. Franz: Zwischen Markt und Profession: Betriebswirte in Deutschland im Spannungs‐ feld von Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum (1900-1945), Göttingen 1998, S.-105. 543 Thoms, zit. n. Franz (1998), S.-105. Heidelberg, wo er 1940 zum Ordinarius ernannt wurde. 538 „Um so mehr freue ich mich natürlich“, schrieb der Stuttgarter Professor Kurt Ziegler am 20. Oktober 1936 an Thoms „daß wieder ein echter Vorkämpfer für eine nationalsozialistische Wirtschaftslehre ernannt worden ist.“ 539 Auch die Heidelberger Studentenschaft schätzte Thoms nicht nur „als einen wirklichen Nationalsozialisten von ausgezeichneter Haltung, sondern auch als einen der wenigen Wissenschaftler, die mit großem Mut und Ernst an den Neuaufbau der Betriebswirtschaftslehre herangehen.“ 540 Die nationalsozialistische Gesinnung Thoms - er war NSDAP-Mitglied seit Dezember 1932 und in mehreren NS-Organisationen aktiv - tritt deut‐ lich in seinen Schriften zutage. Hier ist zunächst einmal sein 1938 veröffent‐ lichter Aufsatz „Nationalsozialistische Betriebswirtschaftslehre“ 541 zu nennen, in dem er u. a. „zu einem Fundamentalangriff auf die ‚alte‘ Betriebs‐ wirtschaftslehre“ 542 ausholt. Insbesondere lehnt er darin die Objektivität der Wissenschaft ab. Entscheidend für den Wahrheitsgehalt der Wissenschaft sei nach Thoms’ Auffassung „das Verhältnis von Wissenschaft und Weltan‐ schauung.“ Die „alte“ Betriebswirtschaftslehre halte er für „völlig unbrauch‐ bar“, ihre Werke seien „ungeeignet“. Er hält sie sogar für „gefährlich, weil sie eine Wirtschaft darstellen, die nicht mehr vorhanden ist und deren letzte Reste ausgerottet werden müssen.“ 543 Ein weiteres Zeugnis für Thoms’ Bestreben, eine nationalsozialistische BWL zu entwerfen, ist seine 1944 erschienene „Allgemeine Betriebswirt‐ schaftslehre“. Im Vorwort des 200 Seiten umfassenden Buches weist er dar‐ auf hin, dass er „einen kleinen Beitrag zur Neugestaltung der Betriebswirt‐ schaftslehre“ leisten wolle. Nach seiner Auffassung werde „die endgültige und vollständige geistige und tatsächliche Überwindung des Kapitsalismus zu einer wesentlichen Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre, bis die neue Gestaltungsidee fest im Gefühl und Bewußtsein sitzt und dem Leben des 230 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="231"?> 544 W. Thoms: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Berlin/ Potsdam/ Wien 1944, S.-9/ 10. 545 Ebd., S.-195. 546 Hahn (1995), S.-359f. Betriebs seine Ordnung aufprägt. Die international-liberal-kapitalistische Wirtschafts- und Betriebsordnung ist durch eine rassisch-völkisch-politisch bestimmte Arbeitsordnung des deutschen Volkes vollständig abzulösen. […] Der Weg ist weit und beschwerlich, der zu der Betriebswirtschaftslehre führt, die unmittelbar aus der nationalsozialistischen Weltanschauung her‐ auswächst und in allen ihren Einzelheiten von ihr geformt ist. Die folgende kleine Abhandlung ist ein solcher Versuch.“ 544 Thoms lässt seine Schrift mit den Worten enden: „Aus der Idee des Führers, aus der die deutsche Volksordnung neugeschaffen wird, muß die Betriebsordnung als Teil des blutvollen Volkslebens herauswachsen. Das ist die Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft, die Tiefe der Wahrheit, d.-h. das Leben zu ergründen. Notwendig dafür ist das Begreifen von Sinn und Ziel der nationalsozialistischen Revolution, die das deutsche Leben neu begründet hat und es zur höchsten Entfaltung führt. Nur aus diesem Ansatz heraus kann die Betriebswirtschaftslehre auch Forschung und Lehre betreiben, die letzthin auch nur Diener des Lebens sind, wenn sie wahr sein wollen. Das deutsche Leben aber verwirklicht sich wahrhaft in der sozialistischen Volksgemeinschaft im Großdeutschen Reich.“ 545 Hahn gelangt zu folgendem Urteil: „Die Allgemeine Betriebswirtschafts‐ lehre von Thoms, kurz vor Kriegsende erschienen, muß leider als eine von NS-Gedankengut durchsetzter Schrift charakterisiert werden: Leistung als ,Ausdruck der rassisch-politischen Gestaltungs-, Ordnungs- und Wil‐ lenskraft‘ (S. 30); Ablehnung der ,Weltwirtschaft‘ mit dem Hinweis, das ,in‐ ternationale Judentum‘ stelle diesen Anspruch (S. 21); ,von der kapitalisti‐ schen Unternehmung zum sozialistischen Volksbetrieb‘ (S. 16); ,Betreuung des Betriebs durch die Partei‘ (S. 25) - dies nur als Auszüge. Thoms hat sich dort auch indirekt als Gegner der freien Marktwirtschaft bekannt mit der Forderung einer ,Marktregelung durch den Nationalsozialismus‘.“ 546 1945 erhielt Thoms seinen Entlassungsbescheid und wurde zugleich von der US-Armee interniert. 1948 wurde er in seinem Entnazifizierungsverfah‐ ren in Heidelberg als Minderbelasteter eingestuft. Die Kammer stellte fest, dass Thoms „den Hass gegen das Judentum geschürt und bestärkt und damit den Ungeist, der zu den Pogromen führte, mit vorbereitet“ habe. Aus 8.3 Versuch einer „nationalsozialistischen Betriebswirtschaftslehre“ 231 <?page no="232"?> 547 Zitiert nach Mantel (2009), S.-466. 548 Vgl. Potthoff (2002), S.-91. seinen Erklärungen lasse sich entnehmen, dass er „noch weitgehend in seine frühere Anschauungswelt versponnen […] sei.“ 547 8.4 Menschliche Schicksale der Betriebswirte Während der Nazi-Herrschaft wurden aus ideologischen und politischen Gründen unliebsame BWL-Professoren ermordet, in den Selbstmord getrie‐ ben, entlassen, in ihrer Karriere behindert oder in die Emigration getrie‐ ben. Und diejenigen, die blieben, wurden teils in ihrer wissenschaftlichen Arbeit eingeschränkt oder politisch instrumentalisiert. Andere wiederum resignierten und wendeten sich Forschungsgebieten der BWL zu, die unter ideologischen bzw. politischen Gesichtspunkten „unproblematisch“ waren. Insbesondere zwei Rechtsnormen dienten den Nationalsozialisten dazu, aus rassischen und politischen Gründen unerwünschte Personen aus dem öffentlichen Dienst bzw. dem Hochschuldienst zu entfernen. Dies geschah auf Grundlage des am 7. April 1933 in Kraft getretenen Gesetz zur Wie‐ derherstellung des Berufsbeamtentums: Dessen Kernvorschrift war der gegen die Juden gerichtete sogenannte Arierparagraph (§ 3): „Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand zu versetzen.“ Überdies bot § 4 die Möglichkeit, politische Gegner (z. B. Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschafter, Freimaurer, aktive Christen) aus dem Beam‐ tenverhältnis zu entfernen: „Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden.“ Ein weiteres Instrument, das vor allem der Gleichschaltung diente, war der Kultusminister-Erlass über „vorläufige Maßnahmen zur Vereinfachung der Hochschulverwaltung“ vom 22. Oktober 1933. Dadurch gingen die Rechte des Senats auf den Rektor über, der nun über dessen Einberufung willkürlich entscheiden konnte. Außerdem war nun erstmals vorgesehen, dass auch der Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes (NSD) und des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) daran teil‐ nahmen. 548 232 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="233"?> Abb. 8.4: Bücherverbrennung auf dem Opernplatz in Berlin am 10. Mai 1933. | [50] Zweck des NS-Dozentenbundes waren die Einflussnahme auf die Universitäten und die politische Kontrolle der Hochschullehrerschaft. Er hat massiven Einfluss auf Berufungen bzw. Stellenbesetzungen ausgeübt. Auch die Vertreibung jüdischer Wissenschaftler von den Hochschulen wurde maßgeblich von den Mitgliedern des Dozenten‐ bundes forciert. Der 1926 gegründete NS-Studentenbund (NSDStB) sollte im Auftrag der NSDAP die weltanschauliche Schulung der Studenten im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie übernehmen. Der NSDStB war maßgeblich an den Bücherverbrennungen beteiligt, die im Frühjahr 1933 in mehren Städten stattfinden (→ Abb. 8.4). Durch einen weiteren, nunmehr reichsministeriellen Erlass vom 3. April 1935 wurden dem Rektor die Leiter der Dozentenschaft und der Studenten‐ schaft unterstellt und zudem sämtliche Vollmachten verliehen: „Führer der Hochschule ist der Rektor. Er untersteht dem Reichswissenschaftsminister 8.4 Menschliche Schicksale der Betriebswirte 233 <?page no="234"?> 549 „Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung“ vom 1.4.1935, in Kraft gesetzt durch Erlass vom 3.4.1935. Zitiert nach Hellmut Seier: Der Rektor als Führer. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 12. Jg. (1964), Heft 2, S.-105. 550 Die folgende Aufzählung basiert auf Mantel (2009), S.-354-358. 551 Vgl. Mantel (2009), S.-350, 354 und 746. 552 Klappentext zu Schönpflugs „Betriebswirtschaftslehre - Methoden und Hauptströmun‐ gen“, 2.-Aufl., hrsg. von H. Seischab, Stuttgart 1954. unmittelbar und ist ihm allein verantwortlich.“ 549 Somit wurde das Führer‐ prinzip auf die von den Nazis so verachtete Wissenschaft übertragen und ein Herrschaftssystem errichtet, das für etliche Professoren gravierende Folgen hatte. Die persönlichen Schicksale, von denen nachfolgend einige beispielhaft geschildert werden, reichen von Karriereschädigung bis hin zu Mord. 8.4.1 Ermordete und durch Freitod aus dem Leben geschiedene Hochschullehrer 550 Zwei Betriebswirte wurden durch Nationalsozialisten ermordet: Der Prager Gustav Flusser und der Mannheimer Joseph Koburger. Flusser starb im Konzentrationslager Buchenwald; Koburger wurde 1942 nach Auschwitz deportiert und gilt seitdem offiziell als „verschollen“. 551 Der Münsteraner Privatdozent Albert Rasch nahm sich das Leben, weil er aus Rassegründen beruflich zurückgesetzt werden sollte. Hugo Kanter wurde 1933 aus rassischen Gründen als außerordentlicher Professor an der TH Braunschweig entlassen und nahm sich 1938 das Leben. Fritz Schönpflug emigrierte 1933 aus Deutschland, da seine Frau jüdisch‐ stämmig war und für ihn daher keine Aussicht bestand, sich im Reich zu habilitieren. Nach dem Tod seiner Frau nahm er sich das Leben. „Als er 1936, in einer Zeit wissenschaftlicher, politischer und für ihn auch seelischer Nöte starb, verlor die Betriebswirtschaftslehre eine ihrer hoffnungsvollsten Begabungen.“ 552 Fritz Lehmann, der als der talentierteste junge Betriebswirt der Weima‐ rer Republik galt, hatte seit 1929 einen Lehrauftrag in Köln inne. Diesen musste er nach der Machtübernahme der Nazis zwangsweise aufgeben. Im Mai 1934 wurde er an die New Yorker University in Exile (die spätere New School for Social Research) berufen, wo er Professor für Volkswirtschafts‐ lehre wurde. 1940 beging er Selbstmord. Die Hintergründe sind unklar. Es ist möglich, dass seine Vertreibung aus Deutschland eine Rolle gespielt haben könnte. 234 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="235"?> 553 Die folgenden Darstellungen basieren im Wesentlichen auf Mantel (2009), S.-358-392. 554 Vgl. ergänzend zu Mantel (2009) H. Göschel: Die Handelshochschule in Leipzig, Leipzig 2008, S.-185 u. 264. Abb. 8.5: Alfred Isaac. | [51] 8.4.2 Emigrierte Hochschullehrer 553 Dem jüdischen Betriebswirt Julius Hirsch wurde am 25. September 1933 die Lehrbefugnis an Universität und Handelshochschule entzogen. Schon einige Monate zuvor war er aus der Internationalen Handelskammer entfernt worden. Außerdem wurde ihm durch die Reichsschrifttumskammer „jegli‐ che literarische oder öffentliche rednerische Betätigung“ untersagt. Hirsch emigrierte zunächst nach Dänemark, wo er 1933 Dozent und 1935 Professor an der Handelshochschule Kopenhagen wurde. Nach dem Einmarsch der Nazis musste Hirsch dann auch Dänemark verlassen. Über Russland gelangte er nach New York, wo er - auf Empfehlung von Joseph Schumpeter - eine Professur an der New School for Social Research erhielt. Alfred Isaac (1888-1956) - nach Hirsch der zweite Ordentliche Professor der BWL jüdi‐ schen Glaubens - war an der Hochschule Nürn‐ berg beschäftigt, als er zum 1. März 1934 zu‐ nächst in den einstweiligen und zum 1. Juni 1934 dann in den dauernden Ruhestand versetzt wurde. 1937 nahm Isaac einen Ruf nach Istanbul an, wo er 13 Jahre lang äußerst produktiv tätig war und maßgeblich den Aufbau der Betriebs‐ wirtschaftslehre vorantrieb. Im türkischen Exil verfasste er 12 Lehrbücher und zahlreiche an‐ dere Schriften. 1950 kehrte er nach Deutschland zurück und lehrte in Göttingen. Siegfried Berliner (1884-1961), ebenfalls jüdi‐ scher Professor für Betriebswirtschaftslehre, lehrte von 1909-1914 an der HH Leipzig Politische Arithmetik einschließlich Versicherungsrechnen so‐ wie Handelsbetriebslehre (Das Kapital in der Handelsunternehmung; Be‐ trieb und Organisation des Detailgeschäfts mit besonderer Berücksichtigung des Warenhauses; Die Organisation des Exports). 1914 folgte er einem Ruf an die Kaiserliche Universität zu Tokyo, wo er eine Professur für Handelsbet‐ riebslehre erhielt. 554 1919 kehrte er nach Deutschland zurück. Von 1927 bis 1933 lehrte er wieder an der HH Leipzig Nachrichtenverkehr und Außen‐ 8.4 Menschliche Schicksale der Betriebswirte 235 <?page no="236"?> 555 Vgl. hierzu die äußerst interessanten Lebenslaufschilderungen bei Mantel (2009), S. 376- 392. handel. Berliner veröffentlichte bei C. E. Poeschel Bücher über „Renten und Anleihen“, „Politische Arithmetik“ (beide 1912), „Das Geld als Kapital“ (1924) sowie die mehrbändige Reihe „Weltwirtschaftliche Abhandlungen“ (1925- 1933). 1933 wurde er von dem Lehrauftrag entbunden. Beruflich war er aber noch als Mitgründer und Mitdirektor bei der Deutschen Lloyd Lebensversi‐ cherungs AG tätig und hielt noch Abendkurse für Versicherungskaufleute. Seit 1933 nahm die Diskriminierung immer weiter zu, so dass er sich 1938 genötigt sah, zusammen mit seiner Ehefrau in die USA auszuwandern. Dort dauerte es über ein Jahr, bis er wieder eine Beschäftigung fand. Erst zum Oktober 1939 bekam er eine befristete Anstellung an der Howard University in Washington, D. C. Friedrich Kürbs, ein Schüler und Mitarbeiter von Julius Hirsch, war ab 1925 Dozent an der HH Berlin und ging 1929 als Privatdozent nach Königsberg. Als überzeugter Sozialist und SPD-Mitglied war er schon 1925 als Gegner der NSDAP in Erscheinung getreten. Am 28. Februar 1934 wurde er aus politischen Gründen aus dem Staatsdienst entlassen. Nach dem Krieg erhob Kürbs schwere Vorwürfe gegen seinen Kollegen Otto Hummel, dem späteren Rektor der HH Königsberg und sehr aktiven Nationalsozialisten (Dozenten‐ bundführer, Gauleiter, Obersturmbannführer der SA), der ihm gesagt habe, dass er als Sozialdemokrat „an die Wand gestellt“ gehöre. Erst 1937 gelang Kürbs die Emigration nach Peru. In Lima war er von 1937 bis 1950 Professor für „Statistik und Konjunkturforschung“ an der Universidad Nacional Mayor de San Marcos und zudem Leiter des Nationalen Statistischen Amtes. Weitere Gelehrte, die auf der Flucht vor den Nazis in das Ausland emigrie‐ ren mussten, waren: Nathan Stein (TH Karlsruhe), Alfred Manes (HH Berlin), Wilhelm Friedrich Riester (TH Berlin), Clodwig Kapferer (Uni Köln), Martin Götz (HH Berlin), Hermann Halberstädter (Uni Köln) und Walter Schück (HH Berlin). 555 Viele der - zumeist jüdischen - Betriebswirtschaftler, die ins Ausland emigrierten, sahen sich im Exil mit vielfältigen Schwierigkeiten und Problemen konfrontiert: Zunächst galt es, überhaupt eine Einreisege‐ nehmigung zu erhalten, denn in den meisten Aufnahmeländern galten strenge Einreisebestimmungen. War diese Hürde gemeistert, gestaltete sich das Leben in den Exilländern zumeist außerordentlich problematisch. Viele der emigrierte Wissenschaftler - wie z. B. Siegfried Berliner - waren von 236 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="237"?> 556 Vgl. Mantel (2009), S.-387. 557 Mantel (2009), S.-387. 558 Die folgenden Darstellungen basieren sämtlich auf Mantel (2009), S.-392-419. 559 Mantel (2009), S.-392. 560 Vgl. W. Cordes (Hrsg.): Eugen Schmalenbach, Stuttgart 1984, S.-150 Arbeitslosigkeit bedroht, arbeiteten in Positionen weit unter ihrer (wissen‐ schaftlichen) Qualifikation und wurden dementsprechend schlecht bezahlt. Als „ein anschauliches Beispiel für die Beschwernisse, denen sich junge, unbekannte Emigranten ausgesetzt sahen“ nennt Mantel das Schicksal des jüdischen Betriebswirts Martin Götz  556 , der bis 1933 Assistent an der Forschungsstelle für den Handel von Julius Hirsch war: Er emigrierte im Februar 1934 nach London, wo er als unplaced gemeldet war und sich zu‐ nächst mit Gelegenheitsarbeiten behelfen musste. Später verdiente Götz „als ‚writer on economics‘ mehr schlecht als recht seinen Lebensunterhalt.“ Zwar fand er schließlich als freiberuflicher Journalist ein Auskommen; „seine wissenschaftliche Karriere konnte er aber, obwohl dies sein Wunsch war, nicht fortsetzen.“ 557 Neben den finanziellen Problemen hatten die jüdischen Emigranten auch im Ausland Probleme mit rassistischer und antisemitischer Diskriminierung. Entweder sie wurden diskriminiert, weil sie Juden oder weil sie Deutsche waren. Vielen Exilanten gelang es nur schwerlich, den Verlust ihrer Heimat zu verwinden. 8.4.3 Entlassungen und entlassungsähnliche Fälle 558 Eugen Schmalenbach, „das Gesicht der deutschen Betriebswirtschafts‐ lehre“, gilt als das „mit weitem Abstand […] prominenteste Opfer des Dritten Reichs unter den Betriebswirten.“ 559 Spätestens nachdem er - seit über 30 Jahren mit der Jüdin Marianne verheiratet - im März 1933 bedroht und erpresst worden ist, wurde ihm klar, dass sich Terror und Verfolgung nicht nur gegen Juden richtet, sondern auch gegen deren Ehepartner. 560 Mitte April fasste er den Entschluss, dass er diesem Unrechtsstaat nicht weiter dienen will. Zunächst beantragte er ein Freisemester. Als ihm dieses gewährt worden war, bat er am 13. Mai um seine Emeritierung im Anschluss an das Freisemester. Da er den wahren Grund nicht angeben konnte, begründete er sein Gesuch mit „den Wirkungen des Alterns“, die sich angeblich bemerkbar machten. Durch die Emeritierung zum 1. Oktober 1933 kam Schmalenbach einer Zwangsemeritierung zuvor, die 8.4 Menschliche Schicksale der Betriebswirte 237 <?page no="238"?> 561 Ebd., S.-151ff. 562 Vgl. Mantel (2009), S.-406-408. 563 Vgl. Hans Friedrichs: Würdigung von Guido Fischer. In: Personal, 31. Jg., Heft 4/ 1979, S.-130. Abb. 8.6: Bruno Rogowsky. | [52] erhebliche finanzielle Einbußen bedeutet hätte. 561 Rufe aus Dorpat, Ankara (April und Oktober 1933) und später aus Istanbul (Sommer 1937) lehnte Schmalenbach ab. Sein Gesuch, eine Gastprofessur an der Universität Bern anzunehmen, wurde im Januar 1939 vom Kultusminister abgelehnt, da der Reichsdozentenführer Bedenken geäußert hatte. Im Herbst 1944 spitzte sich die Lage für das Ehepaar Schmalenbach bedrohlich zu: Marianne drohte die Deportation. Wie Schmalenbach „unter der Hand“ erfuhr, sollte das Ziel „entweder Polen oder Theresienstadt“ sein. Ihm war klar, dass dies einem Todesurteil gleichgekommen wäre. Ludwig Feist, ein ehemaliger Schüler und Assistent Schmalenbachs, versteckte die Schmalenbachs in seinem Haus in Godesberg. Als im März 1945 die ersten Amerikaner in Godesberg einrückten, war die Gefahr vorüber. Bruno Rogowsky (1890-1961) war ab 1924 Or‐ dinarius an der Handelshochschule Königsberg und ab 1928 deren Rektor. Als Mitglied der libe‐ ralen DDP und Freimaurer war er entschiede‐ ner Gegner des Nationalsozialismus. Nach sys‐ tematischer Hetze seines Kollegen Erwin Scheu, Professor für Wirtschaftsgeographie, ordnete Gauleiter Koch an, Rogowsky in ein KZ zu depor‐ tieren. Da Rogowsky rechtzeitig gewarnt wurde, konnte er vor der geplanten Verhaftung aus Königsberg fliehen. Später wurde der Haftbe‐ fehl zwar aufgehoben; allerdings wurde er kurz nach seiner Flucht beurlaubt und 1934 endgültig entlassen. 562 Guido Fischer (1899-1983) wurde 1928 Privatdozent und 1934 außerordent‐ licher Professor an der Universität in München. Danach geriet seine Karriere aus politischen Gründen ins Stocken, da er praktizierender Katholik war. Sein ganzes wissenschaftliches und persönliches Wirken war stark von der katholischen Soziallehre geprägt. 563 Dies erregte Misstrauen bei den nationalsozialistischen Stellen. Es kam zu stetig wachsenden Spannungen - vor allem mit dem NSDAP-Ortsgruppenleiter seines Wohnorts, dem Fischers 238 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="239"?> 564 Vgl. Mantel (2009), S.-411-414. 565 Vgl. Mantel (2009), S.-419-436. Abb. 8.7: Waldemar Koch. | [53] Engagement in katholischen Organisationen missfiel. 1939 scheiterte die von der Fakultät beantragte Übernahme einer Dozentur durch Fischer auf‐ grund seiner, wie es durch NS-Stellen heißt, „politischen Unzuverlässigkeit“. Diese wurde auch als Grund dafür angeführt, dass Fischer von seinem Posten als Kriegsverwaltungsrat und Leiter des Arbeitsstabes „Gruppenpreise“ entlassen und degradiert wurde. Parallel dazu wurde ihm durch das Reichs‐ erziehungsministerium Mitte 1944 die Lehrbefugnis entzogen. 564 Waldemar Koch (1880-1963) habilitierte sich 1931 an der TH Berlin und wurde dort Privat‐ dozent. 1934 wurde ihm die Lehrbefugnis ent‐ zogen. Er hatte zuvor an der Hochschule den von der NSDAP favorisierten Kandidaten bei der Senatswahl verhindert. Außerdem wurde er im selben Jahr von der Gestapo in Haft genom‐ men, weil er sich für einen Juden eingesetzt hat: Bei diesem Fall ging es um die geplante Ari‐ sierung der Berliner Engelhardt-Brauerei. Der jüdische Großaktionär Ignatz Nacher war ein alter Freund Kochs. Koch setzte sich auf der Hauptversammlung der Brauerei für Nacher ein und wollte verhindern, dass die Dresdner Bank mit Unterstützung durch die Nationalsozialisten die Brauerei übernimmt. Anwesende SA-Leute fielen über Koch her, verprü‐ gelten ihn und hätten ihn beinahe - wäre nicht der Versammlungsleiter dazwischen gegangen - aus dem Fenster geworfen. Nachdem man Koch 1939 die Lehrbefugnis wieder erteilt hatte, nahm er 1942 einen Lehrauftrag an der Universität Halle wahr. Nach dem Krieg lehrte er in Berlin BWL. Zu seinen Werken gehören z. B. die „Grundlagen und Techniken des Vertriebs“ (Bd. 1: „Organisation des Vertriebs“, Bd. 2: „Marktforschung“). 1945 gründete Koch in der SBZ die liberale Partei LDPD und war deren 1. Vorsitzender. 8.4.4 Verzögerte und verhinderte Hochschulkarrieren 565 Von 14 Betriebswirten wurden die Karrieren durch nationalsozialistische Diskriminierung verzögert oder behindert: Hans Erich Kalischer, Robert 8.4 Menschliche Schicksale der Betriebswirte 239 <?page no="240"?> 566 Peter Gmähle: Betriebswirtschaftslehre und Nationalsozialismus, Diss. Univ. Erlangen- Nürnberg 1968, S.-183. 567 Mantel (2009), S.-59. Kneller, Kuno Barth, Kurt Junckerstorff, Hans Holzer, Viktor Hüber, Helmut Knoblauch, Willy Lück, Erich Thiess, Karl-Christian Behrens, Carl Ruberg, Walter Cordes und Adolf Berliner. In Zahlen zusammengefasst gelangt Mantel in seiner Studie zu dem Befund, dass in der NS-Zeit unter den Betriebswirten 2 Morde, 3 Selbst‐ morde, 11 Emigranten, 6 Entlassungen und 14 verzögerte und verhinderte Hochschulkarrieren zu beklagen sind. Trotz dieses unermesslichen Leids und der zahlreichen menschlichen Schicksale ist es jedoch, wie Gmähle konstatiert, „dem Nationalsozialismus nicht gelungen […], die Pluralität der betriebswirtschaftlichen Meinungen aufzuheben.“ 566 Zudem seien auch, wie Mantel feststellt, alle Versuche, eine nationalsozialistische BWL durch‐ zusetzen, letztlich gescheitert. 567 ➲ Zusammenfassung ■ Nach Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 wird die Wirtschaft im Sinne des Nationalsozialismus umstrukturiert, ideologisch umge‐ staltet und nach dem Führerprinzip organisiert. Die Wirtschaft ein‐ schließlich aller Verbände und Personen steht unter totaler staatlicher Kontrolle der Nazis. ■ Wesentliche Ziele der NS-Wirtschaftspolitik sind □ Arbeitsbeschaffung, □ Arisierung, □ Autarkiebestrebungen (Unabhängigkeit vom Ausland) und □ systematische Vorbereitung auf den Krieg (Rüstungsproduktion). ■ Liberalismus und Marktwirtschaft werden zügig abgeschafft und durch eine nationalsozialistische Planwirtschaft (Vierjahrespläne) ersetzt. □ Mit dem 1. Vierjahresplan (1933) soll die hohe Arbeitslosigkeit überwunden und die Wirtschaft gestärkt werden. □ Der 2. Vierjahresplan (1936) soll innerhalb von vier Jahren die Wirtschaft kriegsfähig machen. ■ Die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die BWL sind negativ: Zwar fördern die Nazis auch jene Bereiche, die ihnen konkret nutzten 240 8 Betriebswirtschaftslehre im Nationalsozialismus (1933-1945) <?page no="241"?> (z. B. Organisation, Personalwirtschaft, Kostenrechnung), allerdings sind eben diese Bereiche dann auch ideologisch „kontaminiert“. ■ Unliebsame Betriebswirte werden ermordet, in den Selbstmord getrie‐ ben, inhaftiert, ins Exil gejagt, aus dem Dienst entlassen oder in ihrer Karriere massiv behindert. Trotz dieses unermesslichen Leids und der zahlreichen menschlichen Schicksale ist es jedoch „dem Nationalso‐ zialismus nicht gelungen, die Pluralität der betriebswirtschaftlichen Meinungen aufzuheben“ (Gmähle). ■ Insgesamt ist der Schaden, welcher der BWL als Wissenschaft von 1933-45 zugefügt wird, erheblich. ■ Bei der BWL zur NS-Zeit handelt es sich überwiegend nicht mehr um Wissenschaft, sondern um propagandagetränkte Pseudowissen‐ schaft: „Manches, was damals von ,Fachvertretern‘ auf diesem Ge‐ biet ,geleistet‘ worden ist, bleibt am besten ungenannt“ (Schäfer). ■ Schandfleck und trauriger Tiefpunkt der deutschen BWL ist der Versuch, eine nationalsozialistische BWL zu konzipieren. Diesen unternimmt Walter Thoms (1899-1994), der als der „exponierteste Nationalsozialist unter den Betriebswirten“ gilt. Er „versuchte, Nationalsozialismen mit Hilfe betriebswirtschaftlicher Methoden zu operationalisieren, um sie so für die tägliche Wirtschaftspraxis anwendbar zu machen“ (Mantel). ➲ Zusammenfassung 241 <?page no="243"?> 568 Vgl. Klein-Blenkers (1994), S.-45. 569 Vgl. P. Mantel: Das Frankfurter Betriebswirte-Treffen von 1948 und Hanns Linhardts Fachkritik, in: Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, hrsg. vom VHB, Wiesbaden 2012, S.-82. 570 Vgl. Mantel (2012), S. 83. 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) Die NS-Zeit bedeutete für die Betriebswirtschaftslehre in Deutschland und Österreich Stagnation, Verirrung und Rückschritt. 568 In dieser Zeit hatte sich die Unwissenschaftlichkeit, ja sogar Wissenschaftsfeindlichkeit verstärkt. Betriebswirte hatten sich opportunistisch verhalten; und das po‐ litische Bekenntnis war an die Stelle wissenschaftlicher Erkenntnis getreten, konstatierte Hanns Linhardt auf dem Frankfurter Betriebswirte-Treffen 1948. 569 Das Ende des Zweiten Weltkrieges und der Zusammenbruch des Nationalsozialismus am 7./ 8. Mai 1945 stellten daher auch für die Betriebs‐ wirtschaftslehre in gewisser Hinsicht eine Stunde Null dar. Nicht nur waren die Hochschulen, wie überhaupt die gesamte Infrastruktur, im Bombenhagel der Alliierten teils massiv zerstört worden (→ Abb. 9.1); es mussten auch in allen vier Besatzungszonen und in Berlin Entnazifizierungsprozesse durchgeführt werden. Doch schon bald zeigte sich, dass eine konsequente Entnazifizierung der BWL nicht nur wenig erfolgversprechend sein würde; es wurden - außer Walter Thoms und Erwin Geldmacher - fast sämtliche NS-nahen Betriebswirte mittelfristig wieder auf Ordinariate berufen. 570 Vor allem stand die BWL inhaltlich vor einem Neuanfang, denn sie hatte sich nun völlig neu zu orientieren. Nach Kriegsende entsprach die Lage an den Hochschulen der allgemei‐ nen Situation: Gebäude, Bibliotheken und Geräte waren zerstört oder schwer beschädigt. Der Lehrbetrieb, der bereits im letzten Kriegsjahr durchweg zum Erliegen gekommen war, konnte nur mit Genehmigung der Siegermächte und unter äußerst schwierigen Bedingungen wieder aufgenommen werden (vgl. Klein-Blenkers, 1994, S.-46). <?page no="244"?> Abb. 9.1: Hauptgebäude der Berliner Humboldt-Universität (Ruine) im Jahr 1949. | [54] Erich Gutenberg schildert die damalige Situation seiner Disziplin, so wie er sie empfand, im Rückblick mit den folgenden Worten: „Es ist nicht schwer zu verstehen, daß nach den inneren und äußeren Erschüt‐ terungen des Zweiten Weltkrieges eine gewisse Unsicherheit darüber entstand, wie es weitergehen sollte. Bald zeigte es sich aber deutlich, daß genügend Fundament vor allem aus den zwanziger und ersten dreißiger Jahren vorhanden war, um auf ihm wissenschaftlich weiterbauen zu können. So galt es, sich zunächst dessen zu vergewissern, was schon erarbeitet war. Viele Probleme, die damals diskutiert wurden, hatten an Aktualität nichts verloren, viele mußten neu definiert werden. Neue Perspektiven erwiesen sich als notwendig, um die sich abzeichnenden neuen Entwicklungen in den richtigen Blick zu bekommen. Drängende Fragen anderer Art stellten sich, die fraglich erscheinen ließen, ob denn die bisher in der Betriebswirtschaftslehre benutzte methodische 244 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="245"?> 571 E. Gutenberg: Die Betriebswirtschaftslehre in den Jahren des Wiederaufbaus, in: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler in Frankfurt am Main, hrsg. von B. Schefold, 3. Aufl., Marburg 2016, S.-158. Apparatur ausreichen würde, um befriedigende Lösungen für die sich neu stellenden Probleme zu finden.“ 571 Die Betriebswirtschaftslehre musste sich nach Kriegsende an den neuen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausrichten. Diese unterschieden sich jedoch in den westlichen Besatzungszonen (der spä‐ teren BRD) erheblich von denen der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), der späteren DDR. Während sich in Westdeutschland die von Alfred Müller-Armack (1901-1978) wissenschaftlich konzipierte und von Ludwig Erhard (1897-1977) politisch umgesetzte Soziale Marktwirtschaft als ein „dritter Weg“ zwischen Planwirtschaft und freier Marktwirtschaft erfolgreich etablieren konnte, wurde in Ostdeutschland (wieder) eine Planwirtschaft errichtet - diesmal jedoch nach sowjetisch-kommunisti‐ scher Vorgabe. Diese zwei unterschiedlichen Wirtschaftssysteme sowie die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erfordern eine ge‐ trennte Darstellung der Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre. Daher wird nachfolgend zunächst die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre in der DDR in groben Zügen skizziert und anschließend die Entwicklung in der BRD ausführlicher dargestellt. 9.1 Von Plan zu Plan - Betriebswirtschaftslehre in der SBZ und DDR „Von Plan zu Plan“ beschreibt die Situation der Betriebswirtschaftslehre in der SBZ/ DDR gleich in doppelter Hinsicht: Zum einen sah sich die Betriebswirtschaftslehre nach der NS-Planwirtschaft wieder einer Plan‐ wirtschaft ausgesetzt, zum andern war das Fach selbst von den Plänen der Staats- und Parteiführung abhängig bzw. an diese gebunden. Doch zunächst konnte die Betriebswirtschaftslehre in der unmittelbaren Nach‐ kriegszeit in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) ungehindert weiter‐ geführt werden und so an ihre Vorkriegstradition anknüpfen: Als 1946 in der SBZ der Lehrbetrieb wieder aufgenommen wurde, blieb das Fächer‐ angebot im Wesentlichen unverändert. Auch viele Lehrbücher wurden 9.1 Von Plan zu Plan - Betriebswirtschaftslehre in der SBZ und DDR 245 <?page no="246"?> 572 Vgl. Pieper (1989), S.-81f. 573 Vgl. Schneider (2001), S.-236. 574 Pieper (1989), S.-82. 575 Berger promovierte 1949 bei Fritz Behrens in Leipzig mit einer Arbeit über die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre. Seit 1949 war er persönlicher Mitarbeiter und einflussreicher Wirtschaftsberater von Walter Ulbricht. Vgl. hierzu J. Roesler: Beh‐ rens und Berger - Zur Rolle des Behrens-Schülers und Ulbricht-Beraters Wolfgang Berger in der Wirtschaftspolitik der SED. In: E. Müller/ M. Neuhaus/ J. Tesch: »Ich habe einige Dogmen angetastet…« - Werk und Wirken von Fritz Behrens, Leipzig 1999, S.-39f. weiterbenutzt. Und zuweilen gab es sogar Neuauflagen, z.-B. von Mellero‐ wicz (1947) und Schmalenbach (1948). In einer antifaschistischen Phase (bis etwa 1949) stand zunächst die Entnazifizierung des Hochschullehrkörpers im Vordergrund. So wurden z. B. allein an der Universität Leipzig mehr als Dreiviertel der Hochschullehrer (170 von 222) entlassen. 572 In der Folge wurde die Betriebswirtschaftslehre an den Hochschulen praktisch zerstört. Berlin und Leipzig als die Hauptzentren der BWL in der Vorkriegszeit wurden als „kapitalistische Überbleibsel zügig abgeschafft.“ Zugleich sah sich die BWL einer heftigen Diffamierungskampagne ausgesetzt. In der antifaschistischen Propaganda hieß es beispielsweise: „Das geistige Rückzeug, das die Handelshochschule Berlin zum Faschismus beisteuerte, bildete die Betriebswirtschaftslehre.“ 573 Im Zuge einer Hochschulreform erfolgte die zentrale Unterstellung aller Universitäten und Hochschulen unter ein neues Staatssekretariat für Hochschulwesen. Zugleich verstärkte sich der Druck auf die Wissen‐ schaft, sich sozialistisch zu positionieren. 1951 wurden dann sämtliche betriebswirtschaftlichen Lehrstühle aufgelöst und eine marxistisch-leni‐ nistische Wirtschaftswissenschaft eingeführt und institutionalisiert. Um die Forderung der SED, auch die Wissenschaft solle sich politisch ver‐ stehen und für den Sozialismus eintreten, entbrannte ein Streit in der Wirtschaftswissenschaft. Denn gerade ihr und insbesondere der Betriebs‐ wirtschaftslehre „wurde vorgeworfen, bürgerlichem, d. h. kapitalistischem Denken verhaftet und somit eher Apologetik als Wissenschaft zu sein.“ 574 Diese Auffassung wurde z. B. von dem Leipziger Ökonomen Wolfgang Berger 575 vertreten. In seinem im Oktober 1949 in der Zeitschrift „Deutsche Finanzwirtschaft“ erschienenen Artikel „Karl Marx und die Kritiker der modernen Betriebswirtschaftslehre“ sprach Berger den nichtmarxistischen Wirtschaftstheorien, die er - mit den Worten von Karl Marx - als „Vulgä‐ rökonomie“ verspottete, das Vermögen ab, innere Strukturen und kausale 246 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="247"?> 576 Vgl. Roesler (1999), S.-40. 577 Zitiert nach Pieper (1989), S.-82. 578 Mellerowicz zitiert nach Pieper (1989), S.-83f. Zusammenhänge der Wirtschaft, ihr „Wesen“ zu erfassen. In dem Zusam‐ menhang griff er auch das wissenschaftliche Werk des an der Humboldt- Universität lehrenden Betriebswirtschaftlers Konrad Mellerowicz pauschal an und warf der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre vor, ihre Produkti‐ onskostentheorie sei „wissenschaftlich unbrauchbar“. 576 Berger forderte, „der Betriebswirtschaftslehre eine neue theoretische Grundlage zu geben oder noch besser, die Betriebswirtschaftslehre als den Teil in der Theorie der politischen Ökonomie aufzunehmen, der im Besonderen der Analyse des innerbetrieblichen Produktionsumlaufes und seiner qualitativen Er‐ fassung gewidmet ist.“ 577 Konrad Mellerowicz lehnte ein Zusammengehen der BWL mit der Politi‐ schen Ökonomie ab, da die Politische Ökonomie ein grundsätzlich anderes Erkenntnisinteresse als die BWL habe. Er verstand die BWL als eine be‐ triebswirtschaftliche Technik, die unabhängig von der Wirtschaftsordnung sei: „Kennzeichnend für den Betriebswirt ist […] immer, daß er die so gewonnenen Erkenntnisse auf den konkreten Einzelbetrieb bezieht, ohne den Anspruch zu erheben, gesellschaftliche Zustände erklären zu wollen.“ Beispielsweise gebe es keinen qualitativen Unterschied zwischen dem Rechnungswesen in einem kapitalistischen oder sozialistischen Betrieb. Es gebe nur „ein gutes oder schlechtes Rechnungswesen“. Gleiches gelte für die Betriebswirtschaftslehre insgesamt. Es sei unwichtig, ob sie sich als kapitalistisch oder marxistisch verstehe. Entscheidend sei, ob sie zu einer Betriebsführung mit dem Ziel höchster Wirtschaftlichkeit fähig ist [oder] […] zu betrieblicher Misswirtschaft führt.“ 578 Solche und ähnliche Aussagen, die Mellerowicz auch in seinen Lehrver‐ anstaltungen äußerte, brachten ihm massive Probleme ein. Mit der Zeit wurde die Atmosphäre an der Humboldt-Universität für Mellerowicz immer feindseliger. Besonders Studenten der FDJ machten gegen ihn Stimmung und denunzierten ihn. Am 8. Februar 1950 meldete sich Mellerowicz „bis auf weiteres arbeitsunfähig.“ Einige Tage später bat er um seine Entlassung. Schließlich fasste er den Entschluss, in den Westsektor überzusiedeln. Dies gestaltete sich äußerst dramatisch. Im Rundfunk war schon von seiner Verhaftung berichtet worden, obwohl diese gar nicht mehr durchgeführt 9.1 Von Plan zu Plan - Betriebswirtschaftslehre in der SBZ und DDR 247 <?page no="248"?> 579 Vgl. Pieper (1989), S.-85f. werden konnte, da er Ost-Berlin früher als erwartet verlassen hatte. Viele Studenten folgten Mellerowicz an die TU Berlin in den Westen. Mit der Auflösung der Betriebswirtschaftslehre wurden die wirtschafts‐ wissenschaftlichen Fakultäten grundlegend umgestaltet. In ihr Zentrum rückte die Politische Ökonomie, die zusammen mit dem historischen und dialektischen Materialismus das Fundament der sozialistischen Theo‐ rie bildet. Daneben wurden nach dem Vorbild der UdSSR die Fächer Ökonomik der nationalen Wirtschaft (Volkswirtschaftsplanung) und Betriebs‐ ökonomik geschaffen. Letzteres beinhaltet Zweig- und Fachökonomiken und umfasste zumindest Teilaspekte der früheren Betriebswirtschaftslehre (→ Abb. 9.2). Allerdings war es fachlich enger begrenzt auf Fragen der Betriebsorganisation, Verwaltung und Planungsmethoden und zudem auf verschiedene Fakultäten und Institute aufgeteilt. Zugleich wurden innerhalb der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten separate Ausbildungswege für Industrieökonomen, Finanzökonomen, Arbeitsökonomen und Außenhan‐ delsfachleute geschaffen. Sie schlossen ihr Studium mit dem Grad eines Diplom-Wirtschaftlers ab. Später erfolgten weitere Differenzierungen, sodass 1955 27 wirtschaftswissenschaftliche Fachrichtungen mit 19 Spezia‐ lisierungsmöglichkeiten existierten. 579 Wirtschaftswissenschaften Politische Ökonomie Wirtschaftspolitik Zweig- und Fachökonomiken (z.B. Industrieökonomie, Binnenhandelsökonomie) Ökonomik der nationalen Wirtschaft Abb. 9.2: Struktur der Wirtschaftswissenschaft in der DDR (Mitte der 1950er-Jahre). | [55] Eine besondere Rolle spielten in der DDR anfangs die Versorgungspro‐ bleme. Da diese die Stimmung in der Bevölkerung beeinflussen konnten, hatte die Partei- und Staatsführung ein gesteigertes Interesse an spezia‐ 248 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="249"?> 580 Göschel (2008), S.-214. 581 W. Kupferschmidt: Abwicklung einer „Kaderschmiede“, in: Neues Deutschland vom 24. 09. 2011. lisierten Hochschulen für Binnenhandelsökonomie. 580 Bis 1952 wurden mehrere Institute für Binnenhandelsökonomie gegründet, z. B. an der Humboldt-Universität Berlin, der Karl-Marx-Universität Leipzig, der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften in Potsdam- Babelsberg sowie an der 1950 auf Beschluss der DDR-Regierung gegründe‐ ten Hochschule für Planökonomie in Berlin-Karlshorst, die 1954 umbenannt wurde in Hochschule für Ökonomie (HfÖ) (→ Abb. 9.3). Walter Kupferschmidt (1931-2019), Professor an der HfÖ und von 1972 bis 1979 deren Rektor, erinnert sich so an seine alte Wirkungsstätte: „Sie war die größte wirtschaftswissenschaftliche Lehr- und Forschungseinrich‐ tung der DDR. Mehr als 1000 Hochschullehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter, Arbeiter und Angestellte haben hier gelehrt, geforscht und gearbeitet. Einige Zehntausend haben hier studiert oder die umfangreichen Weiterbildungsange‐ bote genutzt. Mehr als 2000 wurden promoviert oder habilitiert. Tausenden von Fachleuten der Wirtschaftspraxis wurde die Möglichkeit geboten, über ein Fern‐ studium den Hochschulabschluss zu erlangen. Eine große Anzahl von Büchern und Lehrbüchern, Monografien und anderen wissenschaftlichen Arbeiten, die fast das gesamte Spektrum der Wirtschaftswissenschaften, der Wirtschaftsge‐ schichte sowie Teile der Rechtswissenschaften und der Wirtschaftsinformatik umfassten, wurden - auch international - publiziert. Die HfÖ verfügte über ein beträchtliches Forschungspotenzial und über gute Voraussetzungen für die individuelle Betreuung der Studenten und deren Einbeziehung in die For‐ schung. Die Einheit von Lehre und Forschung war ein grundlegendes Prinzip ihrer Arbeit. Ein Hemmnis war jedoch der hohe Geheimhaltungsgrad vieler grundlegender Daten der Volkswirtschaft, vor allem aber der Monopolanspruch der Parteiorgane auf die Deutungshoheit in Fragen der sozialökonomischen Theorie und ihr restriktiver Einfluss auf die ökonomische Forschung in der DDR.“ 581 9.1 Von Plan zu Plan - Betriebswirtschaftslehre in der SBZ und DDR 249 <?page no="250"?> 582 Vgl. W. Cramer und Kollektiv: Handelsökonomie, 2. Aufl., Berlin (DDR), 1989, S.-37. Abb. 9.3: Blick in einen Hörsaal der HfÖ, 1970. | [56] „Über 10.000 Studenten absolvierten seit 1950, dem Gründungsjahr der Hochschule für Ökonomie in Berlin, diese bedeutendste wirtschaftswis‐ senschaftliche Bildungseinrichtung in der Deutschen Demokratischen Re‐ publik. Für etwa 4500 Ökonomen fanden hier Weiterbildungslehrgänge statt […]. Zu den 400 Studenten, die im September 1970 an der HfÖ immatrikuliert wurden, gehören auch diese beiden: Clement Kindombi aus der Volksrepublik Kongo (Mitte) und Kone Mahamoud aus Mali.“ Nachdem in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre die Institute für Binnen‐ handelsökonomie gegründet worden waren, bildete sich die sogenannte Handelsökonomie als „marxistisch-leninistische Lehr- und Forschungs‐ disziplin“ heraus. 582 Hierbei handelte es sich um eine Wirtschaftszweiglehre (Handelsbetriebslehre), die neben den betriebswirtschaftlichen Fragestel‐ lungen auch volkswirtschaftliche Aspekte des Handels berücksichtigt, da sie den politischen und ideologischen Besonderheiten der sozialistischen Plan‐ 250 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="251"?> wirtschaft Rechnung tragen muss. Die Handelsökonomie war insbesondere in ihrer Anfangsphase in der DDR noch sehr stark sowjetisch geprägt. Bemerkenswerterweise sehen ihre Vertreter sie nicht in der Tradition der deutschen Handelswissenschaft bzw. Betriebswirtschaftslehre, sondern sie sehen ihren Ursprung in den 1930er-Jahren in der Sowjetunion. Der Leipzi‐ ger Professor Werner Cramer schreibt zu ihrer geschichtlichen Entwicklung: „Die Handelsökonomie ist eine junge Wissenschaft. Ihre Geschichte umfaßt etwa ein halbes Jahrhundert. Sie entstand als selbständige Disziplin am Ende der Übergangsperiode vom Kapitalismus zu Sozialismus in der UdSSR. Ihre Anfänge liegen in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre. Bis dahin war die Theorie des sozialistischen Handels ausschließlich Gegenstand der Politischen Ökonomie des Sozialismus. Alle Gedanken von Marx, Engels und Lenin zur Theorie der Zirkulation und des Handels wurden schöpferisch aufbewahrt. Sie werden den praktischen Erfordernissen in Gegenwart und Zukunft entspre‐ chend weiterentwickelt. Ebenso wird alles Progressive und Wertvolle, das die bürgerliche Handelslehre auf Spezialgebieten hervorbrachte und -bringt, mit wissenschaftlicher Sorgfalt verarbeitet. […] Die Handelsökonomie formierte sich als marxistisch-leninistische Lehr- und Forschungsdisziplin. Damit begann eine neue Etappe in der wissenschaftlichen Begründung des sozialistischen Handels. […] 1950 erschien in Moskau das erste Hochschullehrbuch der Handelsökonomie. […] Einen wichtigen Beitrag zur Formierung der Handelsökonomie als Wissenschaft in der DDR […] leistete W. Jarowinsky mit seiner Monographie „Wesen, Funktionen und Hauptaufgaben des Binnenhandels in der Deutschen Demokratischen Republik“, die 1955 […] erschienen ist. […] Gegen Ende der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus im Jahre 1961 erschien das erste in der DDR erarbeitete Hochschullehrbuch der Handels‐ ökonomie, verfaßt von W. Heinrichs […]. Zusammen mit C. Teichmann, dem damaligen Rektor der Hochschule für Binnenhandel Leipzig, gehört Heinrichs zu den Nestoren der Handelsökonomie in der DDR […]. In den folgenden sech‐ ziger Jahren ging es um das gründliche Studium der Probleme, die mit den Anforderungen an die Entwicklung der Wirtschaft und des Handels, an die Wechselbeziehungen zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen sowie an die Leitung, Planung und wirtschaftliche Rechnungsführung in der neuen Entwicklungsphase zusammenhingen […]. […] Eine neue Etappe in der theoretischen Arbeit wurde unter Führung der SED nach ihrem VIII. Parteitag 1971 eingeleitet. […] Die Handelsökonomie war aufgerufen, ausgehend von 9.1 Von Plan zu Plan - Betriebswirtschaftslehre in der SBZ und DDR 251 <?page no="252"?> 583 Cramer und Kollektiv (1987), S.-34-38 (stark gekürzt). 584 M. Bardmann: Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, 3. Aufl., Wiesba‐ den 2019, S.-81. 585 H. Meffert: Betriebswirtschaftslehre in den Siebziger- und Achtzigerjahren, in: Ent‐ wicklungen der Betriebswirtschaftslehre, hrsg. von E. Gaugler/ R. Köhler, Stuttgart 2002, S.-138. 586 Ökonomisches Lexikon, Band A-G, 3. Aufl., Berlin (Ost) 1978, S.-343. der Politischen Ökonomie, noch tiefer und umfassender in die Wirkungsweise der ökonomischen Gesetze und Kategorien der sozialistischen Warenzirkulation einzudringen […].“ 583 Da in einer staatlich gelenkten Planwirtschaft, in der die Unternehmen in Form von Volkseigenen Betrieben (VEB) eingebunden waren, eine Betriebswirtschaftslehre nicht nur als überflüssig erschien, sondern auch schlichtweg als ideologisch unvereinbar mit dem Wirtschaftssystem, entwi‐ ckelte sich erst relativ spät, etwa seit Ende der 1960erbzw. Anfang der 1970er-Jahre, eine sogenannte sozialistische Betriebswirtschaftslehre heraus, in deren Folge auch betriebswirtschaftliche Lehrstühle entstan‐ den. „Ab 1973 gab es wieder Lehrstühle für Betriebswirtschaft an den Hochschulen der DDR.“ 584 Allerdings war diese Betriebswirtschaftslehre ideologisch dominiert vom Marxismus-Leninismus. Sowohl der Betrieb als auch die Betriebswirtschaftslehre hatten „in erster Linie dem Staat zu dienen und den Richtungsänderungen in der Politik zu folgen.“ 585 In einem DDR-Wirtschaftslexikon aus dem Jahr 1978 heißt es: „Die sozialistische Betriebswirtschaft beruht auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den Pro‐ duktionsmitteln und wird durch Beziehungen kameradschaftlicher Zusam‐ menarbeit und gegenseitiger Hilfe zwischen den Werktätigen und zwischen den Arbeitskollektiven charakterisiert. Die sozialistische Betriebswirtschaft ist bewußte, planmäßige Tätigkeit der Werktätigen zur Verwirklichung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus.“ 586 Auf der Grundlage einer Untersuchung der Lehrinhalte und der Untertei‐ lung der sozialistischen BWL, wie sie den einschlägigen DDR-Lehrbüchern zu entnehmen sind, gelangt Bernhard Bellinger (1920-2016) zu dem Befund, „daß die Sozialistische Betriebswirtschaftslehre einen ingenieurwissenschaftli‐ chen Charakter besitzt und praxisorientiert ist. Ihre theoretische Grundlage entspricht jener der systemorientierten Betriebswirtschaftslehre mit sozialwis‐ senschaftlichem Ansatz. Das Denkgebäude ist jedoch kein offenes, sondern ein geschlossenes System. Ihrem Grundcharakter nach ist die Sozialistische 252 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="253"?> 587 B. Bellinger: Die Betriebswirtschaftslehre der neueren Zeit, Darmstadt 1988, S.-162. 588 Nach der Auffassung von Hanns Linhardt (1948/ 1951) habe die BWL in der Nachkriegszeit „unter dem Eindruck der Dislozierung und Desorientierung“ gestanden. Vgl. hierzu Mantel (2012), S.-82. 589 Klein-Blenkers (1994), S.-47. Betriebswirtschaftslehre eine Funktionenlehre. Die Produktionsfaktoren sind der Mensch, die Arbeitsmittel, die Arbeitsgegenstände, die Technologie und die Organisation der Arbeit. Im Prinzip entspricht diese Einteilung jener der Produktionstheorie nach Gutenberg, […] Nur wird in der Sozialistischen Be‐ triebswirtschaftslehre der Mensch als Ganzes als Produktionsfaktor betrachtet, während in der westlichen Welt die menschliche Arbeitsleistung, abstrahiert von dem Menschen als Ganzes, als Produktionsfaktor betrachtet wird.“ 587 Die von Bellinger angesprochene faktororientierte Betriebswirtschaftslehre von Erich Gutenberg schwang sich in der jungen Bundesrepublik zur „herr‐ schenden Meinung“ in der Betriebswirtschaftslehre auf und dominierte das Fach bis in die 1970er-Jahre hinein. Doch schon gleich nach Kriegsende wurden wissenschaftliche Auseinandersetzungen um grundlegende metho‐ dologische Fragen und die künftig einzuschlagende Richtung des Faches geführt. 9.2 „Dislozierung und Desorientierung“ 588 - Betriebswirtschaftslehre in Westdeutschland (1945-1951) Auch in den westlichen Zonen gehörte gleich nach Kriegsende der Wieder‐ aufbau der zerstörten Wirtschaft zu den drängenden Problemen. Nicht nur deren Einheiten, die Betriebe, mussten wieder aufgebaut werden, es mussten sämtliche wirtschaftlichen Strukturen neu errichtet werden. Am 9. Januar 1946 meldete sich Eugen Schmalenbach mit einem Rundfunkvortrag zum Thema „Wirtschaftliche Notwendigkeiten der Gegenwart“ zu Wort: „Als Hauptprobleme bezeichnete er die Wiederherstellung einer stabilen Währung, die Beseitigung der Produktionshemmnisse wie Rohstoff- und Energiemangel, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Errichtung einer leistungsfähigen Regierung und die Änderung des aufbaufeindlichen Steu‐ erwesens.“ 589 Auch in seinen Schriften greift Schmalenbach immer wieder aktuelle gesamtwirtschaftliche Probleme auf. In seinem Spätwerk „Der freien Wirtschaft zum Gedächtnis“ (1949) begründet er dies so: „Wie der 9.2 „Dislozierung und Desorientierung“ - BWL in Westdeutschland 253 <?page no="254"?> 590 E. Schmalenbach: Der freien Wirtschaft zum Gedächtnis, Köln / Opladen 1949, S.-11. 591 G. Wöhe: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 15. Aufl., München 1984, S.-74. Volkswirt nicht umhin kann, sich mit den Dingen des Betriebs, wie Löhnen, Unternehmergewinn usw. zu beschäftigen, so kann der Betriebswirt nicht an der Frage vorbeigehen, wie die volkswirtschaftliche Organisation, in die der Betrieb eingebettet und deren Teilorgan er ist, aussieht.“ 590 Am 20. Juni 1948 wurde die Währungsreform in den westlichen Be‐ satzungszonen vollzogen, und die alte Reichsmark (RM) wurde ersetzt durch die Deutsche Mark (DM). Ein knappes Jahr später, am 23. Mai 1949, wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik verabschiedet. Während die Einführung der Deutschen Mark faktisch die Marktwirtschaft einleitete, wurde mit dem Grundgesetz ein neuer rechtlicher Ordnungsrahmen ge‐ schaffen, der die Etablierung der Sozialen Marktwirtschaft ermöglichte. In der Folge traten zahlreiche neue Wirtschaftsgesetze in Kraft, welche die unternehmerische Tätigkeit berührten, wie z. B. das Tarifvertragsgesetz (1949), das Kündigungsschutzgesetz (1951), das Betriebsverfassungsgesetz (1952) und das umgangssprachlich als Kartell-Gesetz bezeichnete Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (1958). Zudem verschob „die Wie‐ dereinführung der Marktwirtschaft nach der Währungsreform […] den Akzent der betriebswirtschaftlichen Forschung stärker auf das Gebiet des Absatzes, der Marktforschung und der Werbung“ 591 . Diese Akzentverschie‐ bung in der betriebswirtschaftlichen Forschung wurde noch forciert durch die Orientierung der Wirtschaft sowie auch der Forschung an den USA und dem damit verbundenen Einfluss der angloamerikanischen Marketinglehre. Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft geht zurück auf die theore‐ tischen Arbeiten von Alfred Müller-Armack, politisch umgesetzt wurde sie von Ludwig Erhard, nachdem mit der Währungsreform die Voraussetzungen geschaffen worden waren. Den Begriff der sozialen Marktwirtschaft defi‐ niert Müller-Armack als „eine ordnungspolitische Idee […], deren Ziel es ist, auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden.“ „Sinn der sozialen Marktwirtschaft ist es, das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden.“ Die soziale Marktwirtschaft „ist eine neuartige Synthese“, die versuche, „die Ideale der Gerechtigkeit, der Freiheit und des wirtschaftlichen Wachstums in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen.“ Die neue Wirtschaftspolitik 254 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="255"?> 592 Vgl. A. Müller-Armack: Soziale Marktwirtschaft, in: Handwörterbuch der Sozialwissen‐ schaften (HDSW), Bd.-9, Stuttgart/ Tübingen/ Göttingen 1956, S.-390f. 593 Vgl. P. Mantel: Das Frankfurter Betriebswirte-Treffen von 1948 und Hanns Linhardts Fachkritik. In: Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, hrsg. von VHB, Wiesbaden 2012, S.-82f. 594 P. Mantel: „Eine vollkommen unpolitische Disziplin“ - Zur Entwicklung der modernen Betriebswirtschaftslehre im ersten Halbjahrhundert ihres Bestehens. In: Die Hoch‐ schule 1/ 2010, S.-162. „erstrebt sozialen Fortschritt über marktkonforme Maßnahmen“, die „den sozialen Zweck sichern, ohne störend in die Marktapparatur einzugreifen.“ 592 Der Neustart der BWL in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg setzte ein, als die Besatzungsmächte die Aufnahme des Lehrbetriebs geneh‐ migten. Hierzu wurde zunächst auch geprüft, ob und inwiefern Professoren nationalsozialistisch vorbelastet sind. In einem weiteren Schritt erfolgte die Wiedererrichtung der für die Wissenschaft essentiellen Institutionen. So fand am 22./ 23. Oktober 1948 auf Initiative von Rudolf Seÿffert das erste Betriebswirte-Treffen nach dem Krieg in den Trümmern der Universi‐ tät Frankfurt am Main statt. Diese äußere Kulisse mag wohl auch die innere Verfasstheit der Betriebswirte widergespiegelt haben, die nicht nur wissenschaftlich Halt und Orientierung suchten. So hielt Hanns Linhardt auf diesem Treffen ein Referat, in dem er einerseits scharfe Kritik an seinen Fachkollegen und deren Verhalten während der NS-Zeit äußerte, mit dem er andererseits aber auch einen Anstoß geben wollte zu einer Aussprache über die „unter dem Eindruck der Dislozierung und Desorientierung“ befindli‐ chen Betriebswirtschaftslehre sowie über deren zukünftige Entwicklung. 593 Diese war völlig unklar, denn „in Westdeutschland war das Fach Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre auch inhaltlich an einem Wendepunkt angekommen.“ 594 Welche Richtung sollte die Betriebswirtschaftslehre künf‐ tig einschlagen? An dieser Frage entzündete sich auf dem Frankfurter Treffen ein wis‐ senschaftlicher Disput, in dem die gegensätzlichen Auffassungen von Mar‐ tin Lohmann (1901-1993) und Karl Hax (1901-1978) aufeinanderprallten: Lohmann sprach sich gegen eine Betriebswirtschaftslehre als „Wirtschaft‐ lichkeitslehre der Unternehmung“ aus und forderte „eine die Sach- und Sozialwelt des Unternehmens in gleicher Weise umschließende Lehre“. Hax hielt dem entgegen: „Man kann natürlich die Betriebswirtschaftslehre auch in Richtung auf eine Betriebssoziologie entwickeln; dann ist sie aber keine Wirtschaftswissenschaft 9.2 „Dislozierung und Desorientierung“ - BWL in Westdeutschland 255 <?page no="256"?> 595 K. Hax zitiert nach Schneider (2001), S.-241. 596 G. Wöhe: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 24. Aufl., München 2010, S.-16. mehr. Es fördert auch die Lösung der Probleme nicht, wenn man die Vertreter des Wirtschaftlichkeitsprinzips […] im Zwielicht einer materialistischen Weltan‐ schauung erscheinen läßt, der gegenüber sich dann die eigene ‚soziale‘ Haltung umso wirkungsvoller abhebt. Das ist die glatte und bequeme Formel, mit der man den Problemen ausweicht, die aber nichts zu ihrer Lösung beiträgt.“ 595 Dieser Meinungsstreit um die „richtige“ Forschungskonzeption werde, wie Wöhe feststellt, „im Grunde genommen bis heute geführt: Hier die Anhän‐ ger einer erwerbswirtschaftlich ausgerichteten, an Effizienz und Rentabi‐ lität orientierten Betriebswirtschaftslehre, dort die sozialwissenschaftlich geprägten Fachvertreter, die den Betrieb als spannungsreiches soziales Konstrukt begreifen, das vornehmlich unter verhaltenswissenschaftlichen Aspekten zu untersuchen ist.“ 596 Es sollte nicht bei der Kontroverse zwischen Hax und Lohmann bleiben. Auch in den nachfolgenden Jahren lassen sich mannigfache Bestrebungen der Fachvertreter nach inhaltlicher Orientierung erkennen. Unter dem belastenden Eindruck der Grausamkeiten des Krieges und der Verbrechen des NS-Regimes erlebte beispielsweise die normative Richtung der Betriebs‐ wirtschaftslehre nochmals eine Renaissance: 1949 veröffentlichte Wilhelm Kalveram seine Schrift „Der christliche Gedanke in der Wirtschaft“. Kurz darauf erschien Guido Fischers „Christliche Gesellschaftsordnung und Sozi‐ alpraxis des Betriebes“ (1950). Auch er steht für eine (auf der christlichen Lehre fußenden) am Menschen orientierte Betriebswirtschaftslehre und machte sich stark für eine Öffnung des Faches zur Soziologie und Psycho‐ logie. 9.2.1 „Der christliche Gedanke in der Wirtschaft“ (Wilhelm Kalveram) Wilhelm Kalveram (1882-1951) gilt als „eifriger Verfechter“ (Wöhe) der normativ-ethischen Betriebswirtschaftslehre. Seine von der katholischen Soziallehre geprägten wirtschaftsethischen Ansichten legte er in seinem Spätwerk „Der christliche Gedanke in der Wirtschaft“ nieder. Seine Arbeits‐ schwerpunkte waren die Bankbetriebslehre, Industriebetriebslehre und das Rechnungswesen. 256 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="257"?> 597 In der nachfolgenden Inhaltsangabe erfolgen die Quellenangaben im Text (Seitenzahl in Klammern) und nicht als Fußnoten. 598 W. Kalveram: Der christliche Gedanke in der Wirtschaft, Köln 1949, S. 9-15 (stark gekürzt). Abb. 9.4: Wilhelm Kalveram. | [57] In dem 1949 veröffentlichten Bändchen „Der christliche Gedanke in der Wirtschaft“ 597 fasst der Frankfurter Professor die Ergebnisse seiner Bemühungen, die Betriebswirtschaftslehre in der Ethik zu fundieren, zusam‐ men. Wie Kalveram im Vorwort anmerkt, sei das Buch „als ein Baustein im Gesamtgebäude der christlichen Wirtschafts- und Soziallehre anzusehen. Es handelt sich nicht um ein gelehrtes fachwissenschaftliches Buch, sondern um ein weltanschauliches Bekenntnis zu einer Einordnung alles wirtschaft‐ lichen Denkens und Handelns in einen höheren Seinszusammenhang, zu einer Ganzheitsbetrachtung aller wirtschaftlichen Teilaufgaben aus der Zielordnung des persönlichen und sozialen Lebens“ (S.-7). Im I. Kapitel nimmt Kalveram eine „Einord‐ nung des wirtschaftlichen Bereichs in die Ganz‐ heit des menschlichen Einzel- und Gemein‐ schaftslebens“ vor: „Die Wirtschaft mit ihrem Sachziel im ganzen und ihren vielfältigen Ziel‐ setzungen im einzelnen hat sich einzuordnen in den Gesamtaufbau, in die sinnvolle Stufen‐ folge oder Hierarchie der Werte, in die ewig konstanten Prinzipien und inneren Regel- und Gesetzmäßigkeiten menschlichen Einzel- und Gemeinschaftslebens.“ 598 Im II. Kapitel befasst Kalveram sich mit Mes‐ sung und Wertung wirtschaftlicher Leistungen. In diesem Zusammenhang untersucht er die Produktivität, Rentabilität und Wirtschaft‐ lichkeit; diese Größen ermöglichten, „ein Urteil über Sinn, Wert und menschliche Bedeutung wirtschaftlicher Leistung zu gewinnen“ (S.-34). Im III. Kapitel wird der Produktionsfaktor Arbeit untersucht. Für Kalveram ist „die Arbeit eine Auswirkung der persönlichen Würde und Freiheit des Werkers, ist sittliche Leistung, Christentum des Werktags, Dienst auf Geheiß Gottes“ (S. 48). Nach seiner Auffassung sei es „naturwidrig den Wert der Arbeitsleistung ausschließlich nach dem Grundsatz einer 9.2 „Dislozierung und Desorientierung“ - BWL in Westdeutschland 257 <?page no="258"?> Gleichwertigkeit der im wirtschaftlichen Wettkampf erbrachten Leistungen des Arbeiters und der Gegenleistungen des Unternehmers zu messen, die Arbeit also nur als Tauschobjekt im Wirtschaftsprozeß zu werten“ (S.-49). Im IV. Kapitel geht es um das Thema Preisgerechtigkeit. Ausgehend von der Voraussetzung eines geordneten Geldwesens behandelt Kalveram die Faktoren der Preisbildung, hinterfragt die Kalkulation zu Wiederbeschaf‐ fungspreisen, geht auf die Gefahr von Verkäufen unter Selbstkosten ein, hebt die Notwendigkeit einer behördlichen Preisregulierung in gewissen Fällen hervor und beschreibt abschließend das Wesen des gerechten Prei‐ ses: „Gerechte Preise gewährleisten nach der einen Seite hin die sachlich notwendige Kostendeckung; nach der anderen Seite verwirklichen sie das ethische Postulat, daß die einzelnen Glieder des durch die Preisrelationen in‐ einander greifenden Leistungsgefüges in einem wohlgeordneten Verhältnis zueinander und zum Ganzen, zur gegebenen Sozialstruktur, Einkommens‐ schichtung und Kaufkraftverteilung zu stehen haben, so daß Preisscheren, die das wirtschaftliche und soziale Gefüge stören würden, nach Möglichkeit vermieden werden“ (S.-78 f.). Im V. Kapitel geht Kalveram der Frage nach, welchen Anspruch Kapital und Arbeit auf den Ertrag haben. Nach seiner Auffassung müssen beide „über den beiderseitigen Erhaltungsaufwand hinaus am Reinertrag beteiligt werden“ (S. 82). Es müsse eine „richtige Verteilung des Ertrages“ unter Kapitalgeber und allen Betriebsangehörigen vorgenommen werden, sodass „eine gesunde Stufung von Einkommen und Eigentum herbeigeführt wird […] Der Wirtschaftertrag muß aber in so breiter Weise aufgeteilt werden, daß soziale Spannungen durch nicht vertretbare Vermögensanhäufungen weniger und durch Besitzlosigkeit breiter Massen vermieden und allmählich zum Ausgleich gebracht werden“ (S.-83 f.). Im VI. Kapitel befasst Kalveram sich mit dem Verhältnis von Berufsar‐ beit und Persönlichkeitsentfaltung. Ausgehend von seiner Forderung, dass alle Arbeitsbedingungen so zu gestalten seien, dass der Arbeitsplatz jedem Mitarbeiter „eine Quelle innerer Befriedigung, persönlichen und sittlichen Reiferwerdens und einer Aufwärtsentwicklung seiner Persönlichkeit wer‐ den kann“ (S. 91), setzt er sich mit den negativen Folgen der betrieblichen Arbeitsteilung und Organisation auseinander. So bleibe bei zahlreichen Arbeiten „ein weites Feld mechanischer, wenig anregender, geistloser, bü‐ rokratischer, repetitiver Betätigung. […] Bei solcher Sinnentleerung der Arbeit, bei solcher Neutralisierung der persönlichen Werte muß die Berufs‐ freude ersterben“ (S. 95). Im Folgenden werden Vorschläge unterbreitet zur 258 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="259"?> Beseitigung bzw. zur Milderung dieser Gefahren. Zum Beispiel könne das Gefühl der Abhängigkeit und Unfreiheit beim Arbeiter durch angemessene Rechte der Mitbestimmung gemildert werden: „Es entspricht der sozialen Gerechtigkeit, wenn Betriebsräte als Vertreter der Arbeiter und Angestellten zu einer wertvollen Institution zwecks Überbrückung der betrieblichen Gegensätze ausgebaut werden“ (S.-105). Das VII. Kapitel geht auf die Wirtschaftssysteme ein. Zu Beginn umreißt Kalveram eine dem christlichen Gedanken entsprechende Gestal‐ tung der wirtschaftlichen und sozialen Gesellschaftsordnung. Anschließend setzt er sich kritisch mit der liberalistischen und der sozialistischen Wirt‐ schaftsauffassung auseinander. Dabei geht er sowohl auf die Gefahren staatlicher Zwangswirtschaft ein als auch auf die negativen Auswüchse der freien Marktwirtschaft. Im Hinblick auf den Liberalismus kritisiert er den Homo oeconomicus: Dieser „nüchterne, kalt und seelenlos rechnende Mensch einer mechanischen Tauschtechnik ohne sittliche Bindung und Lenkung ist kein Wirklichkeitsbegriff, sondern eine Verfälschung“. Eine Überhöhung der liberalen, materialistischen Wirtschaftsauffassung habe „zu zunehmenden sozialen Gegensätzen, zu Bruchstellen und Zerreißungen im gesellschaftlichen Gefüge geführt (S. 111). Die Nachteile staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft sieht Kalveram vor allem in Form von bürokratischen Verordnungen, Beschränkungen, Kontrollen sowie Ge- und Verboten, da diese zu Gleichgewichtsstörungen führten. Dadurch trete „allmählich ein unorganisches System sich vielfach widersprechender Anweisungen an die Stelle eines natürlichen Wirtschaftsablaufes“, was schließlich „zu einer Ver‐ minderung der Produktivität, zu einem Erschlaffen der Risikobereitschaft, zu einem Verkümmern des technischen Fortschritts und zu einem Absinken des Sozialprodukts“ (S. 116 f.) führe. Anschließend erläutert Kalveram die Schnittmengen zwischen christlicher Sozialordnung und Sozialismus einerseits sowie zwischen christlicher Sozialordnung und Liberalismus andererseits (vgl. S.-120 f.). Im VIII. Kapitel entwirft Kalveram ein christliches Ordnungsbild der Gesellschaft, das auf der 1931 von Papst Pius XI. veröffentlichten Enzyklika Quadragesimo anno beruht. Dreh- und Angelpunkt der von Kalveram dargestellten christlichen Wirtschafts- und Sozialordnung ist eine organische Gliederung der Gesellschaft nach Leistungsgemeinschaften (vgl. S. 126 ff.): „Aus der christlichen Idee wird ein Richtziel abgeleitet, welches lautet: Eine Schichtung der Gesellschaft nach gegensatzbeladenen 9.2 „Dislozierung und Desorientierung“ - BWL in Westdeutschland 259 <?page no="260"?> 599 Der Beitrag erschien erstmals 1952 in der ZfB, 22. Jg, S. 253-264. Hier liegt ein Wiederabdruck vor aus dem Jubiläumsband „Meilensteine der Betriebswirtschaftslehre - 60 Jahre Zeitschrift für Betriebswirtschaft“, Ergänzungsheft der ZfB 2/ 1991, hrsg. von H. Albach, Wiesbaden 1991, S.-135-146. Klassen ist unnatürlich. Natürlichem Denken entspricht eine Gruppierung nach objektiven Verbundenheiten, nach Leistungs-gemeinschaften“ (S. 130). Obwohl eine ethisch-normative und christlich geprägte Wirtschaftslehre nach Kalverams Vorstellungen keinen merklichen Einfluss auf die Betriebs‐ wirtschaftslehre ausübte, hat er in seiner Schrift einige Aspekte gedanklich vorweggenommen, die zu den Grundprinzipien der Sozialen Marktwirt‐ schaft geworden sind. Vor dem Hintergrund der in den letzten Jahrzehnten zunehmenden Bedeutung von Corporate Social Responsibility (CSR), von Wirtschafts- und Unternehmensethik sowie den Problemen in der Arbeits‐ welt (Arbeitsbelastung, Geringverdiener, Mini-Jobs) sind seine Ideen nicht obsolet geworden. 9.2.2 „Der Mensch im Betrieb“ (Guido Fischer) Guido Fischer (1899-1983) gilt als der „Vater der betrieblichen Sozialpraxis“. Er war Professor und Leiter des von ihm 1946 gegründeten Instituts für Betriebswirtschaft und Sozialpraxis in München und seit 1949 Herausgeber der Fachzeitschrift „Mensch und Arbeit“ (seit 1969 „Personal“). 1952 erschien in der Zeitschrift für Betriebswirtschaft (ZfB) sein Beitrag mit dem Titel „Der Mensch im Betrieb - Die Grenze zwischen Betriebs‐ wirtschaftslehre, Soziologie und Psychologie“. 599 Darin zeigt Fischer die Berührungspunkte der Betriebswirtschaftslehre mit der Soziologie auf, die sich ergeben, wenn „der Mensch und seine Arbeitsweise innerhalb der Betriebswirtschaft gesehen und gewürdigt werden soll.“ Unter methodolo‐ gischen Gesichtspunkten stellt Fischer neben die ökonomische Sichtweise in der Betriebswirtschaftslehre einen sozialwissenschaftlichen Ansatz. Diese Öffnung des Faches zu Nachbarwissenschaften erscheint folgerichtig, denn wenn - von seinem christlichen Standpunkt aus - der Mensch im Mittelpunkt stehen soll, dann müssen Erkenntnisse der Soziologie und Psychologie sowohl im Betrieb selbst als auch in der Wissenschaft berück‐ sichtigt werden. „[…] Wenn die Betriebswirtschaftslehre den Betrieb auch als Arbeitsstätte sieht, in ihm die menschlichen Beziehungen erkennt und organisatorisch löst, auch 260 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="261"?> 600 G. Fischer: Der Mensch im Betrieb - Die Grenze zwischen Betriebswirtschaftslehre, Soziologie und Psychologie, in: ZfB, 22. Jg., 1952, S.-264 (ZfB 1991, S.-146). 601 H. Albach: 60 Jahre ZfB - Meilensteine der Betriebswirtschaftslehre, ZfB 2/ 1991, S. XI. 602 Klein-Blenkers (1994), S.-48. alle notwendigen Maßnahmen der betrieblichen Sozialpolitik klärt, um das notwenige Betriebsklima zu schaffen, dann wird dieser Betrieb auch für die Soziologie mehr sein als nur ein technisches Produktionsgebilde. Der Betrieb wird vielmehr zu einem Organismus innerhalb der menschlichen Gesellschafts‐ ordnung, der von ihr aus untersucht und dargestellt werden muß. […] Doch vermag die Soziologie alle im Betrieb auftretenden einzelnen Erscheinungen des menschlichen Zusammenlebens nicht allein zu erfassen. Sie muß vielmehr auf die Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre zurückgreifen, besonders auf ihre Lehren von der Arbeit und Arbeitsgestaltung, von der betrieblichen Menschenführung und der Organisation. […] Die Kenntnis der Grenzen zwischen beiden Wissenschaften […] schafft die Voraussetzung, daß diese Grenzen keine Trennungslinien bedeuten, sondern daß sie nur methodisch die Zuständigkeiten abstecken zwischen zwei unmittelbar benachbarten Wissenschaftsbereichen im großen Gebiet der Sozialwissenschaften. Dann können beide Wissenschaften gegenseitig auf den Forderungen und Erfahrungen der anderen weiterbauen und sich viele sonst notwendig werdende Einzelarbeiten ersparen. […] Damit wird erreicht, daß im Wirtschaftsleben und im Betrieb der Mensch mit seiner Arbeitsleistung aus einem Objekt zum Subjekt wird, daß es auch im praktischen Wirtschafts- und Betriebsleben möglich ist, die Menschenwürde des arbeitenden Menschen organisationstechnisch zu wahren, sowie wirtschaftlich und ethisch zu begründen. Betriebswirtschaftslehre und Soziologie sind keine Gegen‐ sätze, sondern sie ergänzen sich beiderseits.“ 600 Horst Albach sieht in Fischers Aufsatz einen „bedeutenden Meilenstein“ in der Entwicklung einer Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, denn „er war nicht nur Eck- und Grundstein für die weitere Forschung in der Personal‐ wirtschaftslehre, sondern war auch ein Prüfstein für alle betriebswirtschaft‐ lichen Forscher, die den Menschen als Produktionsfaktor eingebunden sahen in ein Gefüge aus sozialen und technischen Beziehungen.“ 601 Zwischen 1945 bis 1955 wenden sich mehrere Fachvertreter (wieder) der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre zu und untersuchen „das Gesamt der Betriebswirtschaftslehre unter unterschiedlichen methodischen Ansät‐ zen.“ 602 Bereits in diesen Werken zeichnet sich ansatzweise ab, welche 9.2 „Dislozierung und Desorientierung“ - BWL in Westdeutschland 261 <?page no="262"?> 603 Vgl. Klein-Blenkers (1994), S.-48. starke Entwicklung in Breite und Tiefe die Betriebswirtschaftslehre in den nachfolgenden Jahrzehnten nehmen wird. 603 9.2.3 Allgemeine Betriebswirtschaftslehren Neben überarbeiteten Auflagen früherer Werke (z. B. von K. Mellerowicz und G. Fischer) erscheinen in den Nachkriegsjahren (1945-1955) neue Untersuchungen zur „Allgemeinen Betriebswirtschaftslehren“: ■ Willy Bouffier: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Wien 1946. ■ Karl-Friedrich Rößle: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, München 1948 (5. Aufl. Stuttgart 1956). ■ Martin Lohmann: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Tübingen 1949 (4. Aufl. 1964). ■ Erich Schäfer: Die Unternehmung - Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Wies‐ baden 1949 (10. Aufl. 1980). ■ Erich Gutenberg: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, 3 Bände, Berlin/ Heidel‐ berg/ New York 1951, 1955, 1969; □ Bd. I: Die Produktion 1951 (24. Aufl. 1983) und □ Bd. II: Der Absatz 1955 (17. Aufl. 1984). ■ Curt Sandig: Die Führung des Betriebes - Betriebswirtschaftspolitik, Stuttgart 1953 (2. Aufl. 1966). ■ Leopold Mayer: Grundriß der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, 1955 (2. Aufl. 1970). Auf die Werke von Schäfer, Sandig, Lohmann soll nachfolgend etwas näher eingegangen werden. Das Werk des Nürnberger Professors Erich Schäfer (1900-1984) hat in Wissenschaft und Praxis starke Beachtung gefunden, denn es ist klar konzipiert, anschaulich geschrieben und enthält Beispiele aus der Praxis. Durch den Einsatz der typologischen Methode und der damit verbundenen 262 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="263"?> 604 Klein-Blenkers (1994), S.-49. 605 Erich Schäfer: Die Unternehmung, 8. Aufl., Wiesbaden 1974, S.-352/ 353. Klassifizierung macht Schäfer, wie Klein-Blenkers bemerkt, „die Vielfalt der Erscheinungen der Unternehmungen der Praxis im System überschaubar“ und entwickelt „auf diese Weise eine eng an den Belangen der Praxis orientierte, wissenschaftlich hochstehende Betriebswirtschaftslehre.“ 604 Den späteren Auflagen fügte Schäfer noch ein Kapitel hinzu, in dem er auf neue methodische Strömungen in der Betriebswirtschaftslehre eingeht. Hier kritisiert er ziemlich scharf eine Überbetonung des Methodischen und Formalen, vor allem eine zunehmende Mathematisierung des Faches: „Die hohe Einschätzung quantitativ-formaler Methoden in der neueren Be‐ triebswirtschaftslehre entspricht einem heute weitverbreiteten Grundzug wis‐ senschaftlichen Selbstverständnisses: die wissenschaftlichen Ergebnisse sollen auf möglichst „objektive“ Weise, und das heißt hier unter weitestgehender Ausschaltung subjektiver Erwagungen und Meinungen, gewonnen werden. […] Dabei wird freilich übersehen, daß die so gewonnenen Ergebnisse am Schluß doch durch eigenes Überlegen beurteilt und interpretiert werden müssen, und daß schon am Anfang eines Forschungsvorhabens, zumeist auch zwischendrin, das eigene Denken - dem man heute so mißtrauisch gegenübersteht - den Ausschlag für den Erkenntnisfortschritt geben muß. […]“ „Jedenfalls empfiehlt es sich, die „formale Welle“ in angemessenen Grenzen zu halten und es nicht soweit kommen zu lassen, wie in Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern.“ 605 Der Forschungsschwerpunkt des Mannheimer Professors Curt Sandig (1901-1981) war die Betriebswirtschaftspolitik; heute würde man von Un‐ ternehmensführung oder Management sprechen. In seinem 1953 erschiene‐ nen Hauptwerk „Die Führung des Betriebes - Betriebswirtschaftspolitik“ erläutert er das Verhältnis von Betriebswirtschaftstheorie und Betriebswirt‐ schaftspolitik so: „In der Betriebswirtschaftstheorie sehe ich eine Lehre von den Tatsachen, vom Sein im Betriebe und vom Sein in dem für die Existenz des Betriebes wesentlichen Markte, und zwar eine Lehre vom ruhenden wie vom bewegten Zustand. In der Betriebswirtschaftspolitik erblicke ich dagegen eine Lehre von den Zielsetzungen, vom Handeln der verantwortlichen Menschen unter selbstgesetzten Zielen, von den Kräften in ihrer durch Tatsachen beeinflußten Wirksamkeit, kurz eine Lehre von der Führung des Betriebes“ (S.-51). 9.2 „Dislozierung und Desorientierung“ - BWL in Westdeutschland 263 <?page no="264"?> 606 Vgl. Klein-Blenkers (1994), S.-50. 607 E. Gutenberg: Martin Lohmann, Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, in: Zeit‐ schrift für die gesamte Staatswissenschaft, H. 2 (1950), S.-380-382. Sandig behandelt erstmals den Fragenkomplex der Unternehmensziele. Die Zielsetzung ist nach Sandig der Ausgangspunkt der Betriebswirtschaftspo‐ litik. 606 Stand für ihn während der NS-Zeit die Idee der Betriebsgemein‐ schaft als wesentliche Gestaltungsaufgabe der Betriebswirtschaftslehre im Vordergrund, distanzierte er sich in seinem Hauptwerk „Die Führung des Betriebes“ von seinen vorherigen Ansichten. Er rückt nicht nur vom Konzept der Betriebsgemeinschaft ab, sondern von der normativen Ausrichtung insgesamt. Das Erscheinen der „Einführung in die Betriebswirtschaftslehre“ (1949) des Freiburger Wissenschaftlers Martin Lohmann (1901-1993 veranlasste Erich Gutenberg zu einer Buchbesprechung in der „Zeitschrift für die ge‐ samte Staatswissenschaft“, wo er zu einer äußerst positiven Würdigung gelangt: „[…] Er [Lohmann] gliedert in die drei Hauptteile: Wirtschaftsführung der Unternehmung, optimaler Aufbau der Unternehmung und, als Schlußteil, die Unternehmung und der Unternehmer im Wandel der Wirtschaftsverfassung. […] Er legt die Elemente dar, aus denen die Probleme bestehen und zeigt damit den eigentlichen Diskussionsgegenstand in seiner vollen Breite, Abhängigkeit und Schwierigkeit. Er öffnet auch den Weg in jene Region, in der die Theoreme und Phänomene nicht mehr zum gesicherten Bestande der Disziplin gehören, in denen vielmehr die Argumente um ihre Anerkennung noch kämpfen. Diese Art der Darstellung konnte Lohmann deshalb gelingen, weil er die Problematik der von ihm vorgetragenen Sachverhalte wirklich kennt und die Lösungen, die die Wissenschaft anbietet, beherrscht. […] Aber der Autor behält sich vor, seinen Standpunkt autonom zu bestimmen. Schon bei der Lektüre des ersten einleitenden Kapitels spürt man, wie eine Position bezogen wird, die dem liberalistischen System mit viel Vorbehalt gegenübersteht. […] Um der sozialen Spannungen willen […] verlangt Lohmann gewisse planende Korrekturen. Er will zu einer ‚menschlich erträglichen Ordnung‘ kommen […]. So ist aus dieser Haltung ein Buch entstanden, das den Rahmen einer in die Grundfragen der Betriebswirtschaftslehre einführenden Arbeit weit übersteigt. […] Es gibt kein Buch, das besser zu den Problemen der Betriebswirtschaftslehre hinführte, als die ‚Einführung‘, die Lohmann geschrieben hat.“ 607 264 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="265"?> 608 B. Schauenberg (2012, S. 216) spricht von einer „Gutenberg-Phase“, die nach dem Zweiten Weltkrieg beginne und bis in die frühen 1970er-Jahre anhalte. Ein Jahr nach dem Erscheinen dieser Buchbesprechung veröffentlichte Gu‐ tenberg den ersten Band seiner „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“. Dieses Werk ragt aus den Schriften zur Allgemeinen Betriebswirtschafts‐ lehre, die in der Nachkriegszeit erschienen, weit hinaus. Da es eine neue Ära der modernen Betriebswirtschaftslehre einläutete, wird ihm ein eigener Abschnitt gewidmet. 9.3 Die „Gutenberg-Ära“ (1951 bis ca. 1969) 608 Die „Gutenberg-Ära“ datieren wir hier auf den Zeitraum zwischen 1951 und 1969. In dieser Zeit erschienen die drei Bände „Grundlagen der Betriebs‐ wirtschaftslehre“, die das Hauptwerk von Erich Gutenberg darstellen. Die Vorarbeiten dazu reichen allerdings noch viel weiter zurück, nämlich bis in das Jahr 1929, dem Jahr der Habilitation Gutenbergs. Obwohl das Werk Gutenbergs noch weit über das Jahr 1969 hinaus seine Wirkung entfaltete und die Betriebswirtschaftslehre dominierte, lassen wir diese Ära in diesem Jahr, mit dem Erscheinen des dritten und letzten Bandes seiner Grundlagen, enden. 9.3.1 „Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ Den Grundstein der wissenschaftlichen Ausrichtung seines Werkes legte Erich Gutenberg bereits mit der Habilitationsschrift „Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ aus dem Jahre 1928/ 29. „Der Grundgedanke“ dieser Arbeit bestehe, wie Gutenberg im Vorwort schreibt, „darin, zu untersuchen, was es denn überhaupt mit einer betriebswirtschaftlichen Theorie auf sich haben könne, insbesondere, in welcher Weise die Unternehmung als Einzelwirtschaft Gegenstand einer solchen Theorie zu sein vermag. Im wesentlichen handelt es sich also um das Aufsuchen einer solchen Fragestellung, die auf das für eine betriebswirtschaftliche Theorie Relevante gerichtet ist und die 9.3 Die „Gutenberg-Ära“ (1951 bis ca. 1969) 265 <?page no="266"?> 609 E. Gutenberg: Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, Berlin/ Wien 1929, S.-5. 610 E. Gutenberg: Zum Methodenstreit, in: ZfhF, 1953, S.-340. 611 H. Albach: Erich Gutenberg, die Entstehung der „Grundlagen der Betriebswirtschafts‐ lehre“ und der VHB, in: Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, hrsg. vom VHB, Wiesbaden 2012, S.-87. es erlaubt, die Fülle der von der Betriebswirtschaftslehre bisher aufgeworfenen Probleme auf ihren theoretischen Gehalt zu überprüfen.“ 609 Obwohl es Gutenberg letztlich gar nicht um methodologische Fragen ging, wird doch bereits hier jener Ansatz erkennbar, der auch sein späteres Werk prägen wird. Nach Gutenbergs Vorstellung soll betriebswirtschaftliche Forschung nach hypothetisch deduktiver Methode erfolgen und rein theo‐ retisch, wertfrei und nomothetisch sein (ähnlich den Naturwissenschaften). Die Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre sieht er darin, „die innere Logik der Dinge aufzuspüren und die betrieblichen Sachverhalte geistig zu durch‐ dringen.“ 610 Albach bringt Gutenbergs Ansatz so auf den Punkt: „Es ging ihm um wissenschaftliche Erkenntnis, um die Gesetze, die hinter der Vielfalt der Erscheinungen von Unternehmungen in der Realität stehen.“ 611 9.3.2 „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ Gutenberg versteht den Betrieb als Einheit, als ein geschlossenes System aus den betrieblichen Teilfunktionen Beschaffung, Produktion und Absatz. Diese werden von den Finanzen zusammengehalten und von der Unterneh‐ mensführung, dem sogenannten „dispositiven Faktor“, gesteuert. Dement‐ sprechend sind auch seine „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ gegliedert: ■ Band I: „Die Produktion“ (1951) Insbesondere der erste Band war sehr einflussreich und hat zu vielen Weiterentwicklungen in der Betriebswirtschaftslehre angeregt. Im Mit‐ telpunkt stehen der Kombinationsprozess der Produktionsfaktoren und das Verhältnis von Input und Output (Faktoreinsatz und Faktorertrag), also die sogenannte „Produktivitätsbeziehung“ (→ Abb. 9.7). Gutenberg reduziert den Betriebsprozess auf dessen letzte, grundlegende Elemente. Diese findet er in den produktiven Faktoren „menschliche Arbeitsleis‐ tung, Betriebsmittel und Werkstoffe“, die er als „Elementarfaktoren“ bezeichnet, da aus ihnen der betriebliche Leistungsprozess besteht. Den 266 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="267"?> 612 Vgl. G. Wöhe: Entwicklungstendenzen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre im letzten Drittel unseres Jahrhunderts - Rückblick und Ausblick, in: Die Betriebswirt‐ schaft (DBW), 50. Jg., Heft 2, 1990, S.-226. 613 Vgl. B. Bellinger: Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 1967, S.-69. „Elementarfaktor menschliche Arbeitsleistung“ gliedert er in objektbe‐ zogene (Tätigkeit der Leistungserstellung) und in dispositive Arbeits‐ leistungen (Leitung und Lenkung). Die Funktion des Unternehmers bestehe darin, diese Produktionsfaktoren optimal zu kombinieren. Dabei besteht ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen Faktoreinsatz und Faktorertrag dergestalt, dass die Ausbringung durch einen Produktions‐ koeffizienten mit dem notwendigen Faktoreinsatz verbunden ist. 612 Betrieblicher Produktionsprozess Faktoreinsatz Menschliche Arbeitsleistung Werkstoffe Betriebsmittel Faktorertrag Kombination der Produktionsfaktoren x = f (r 1 , r 2 , …, r n ) Abb. 9.5: Die Produktivitätsbeziehung nach Gutenberg. | [58] ■ Band II: „Der Absatz“ (1955) Im zweiten Band begründet Gutenberg eine eigenständige absatzwirt‐ schaftliche Theorie. 613 Zunächst erläutert er die Aufgaben der Geschäfts‐ führung im Hinblick auf die Absatzpolitik. Den Absatzkosten wird dabei ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Daran anschließend folgt eine Darstellung des absatzpolitischen Instrumentariums: „Absatzmethode, Preispolitik, Werbung und Produktgestaltung sind die vier Hauptin‐ strumente, die den Unternehmen die Möglichkeit geben, Absatzpolitik zu betreiben. In diesem Sinn sind sie Absatzeinflußgrößen“ (S. 9). Gutenberg behandelt diesen Komplex als erster Autor systematisch im Gesamtzusammenhang. Mit seinen „Hauptinstrumenten“ nimmt er übrigens jenes berühmte Marketing-Konzept vorweg, welches fünf 9.3 Die „Gutenberg-Ära“ (1951 bis ca. 1969) 267 <?page no="268"?> 614 Vgl. Klein-Blenkers (1994), S.-52. 615 Brockhoff (2017), S.-224. Jahre später (1960) von Jerome McCarthy prägnant als die „4 P’s“ des Marketing bezeichnet wird: „product, price, promotion, place“. Auch in diesem Band greift Gutenberg auf mathematische Methoden zurück. Im Bereich der Preispolitik arbeitet er heraus, unter welchen Umständen sich Unternehmen im Polypol eine Marktposition verschaffen können, die der eines Monopolisten gleichkommt. 614 ■ Band III: „Die Finanzen“ (1969) „Der dritte Band“, schreibt Gutenberg im Vorwort, „bringt die Grund‐ lagen der Betriebswirtschaftslehre zum Abschluß.“ Er „steht mit den beiden ersten Bänden in einem inneren Zusammenhang“, denn „die finanziellen Vorgänge bilden die Voraussetzung, gewissermaßen das Medium für den gesamtbetrieblichen Leistungsvollzug. Insofern umfaßt die finanzielle Sphäre das Ganze des betrieblichen Geschehens […]“. Zunächst wird der Kapitalbedarf des Unternehmens aus den Produk‐ tionsbedingungen abgeleitet. Anschließend wird der Kapitalfonds dar‐ gestellt und schließlich die optimale Abstimmung von Kapitalbedarf und Kapitaldeckung behandelt. Wie Brockhoff bemerkt, ist dieser (mit großem zeitlichen Abstand erschienene) Band „weniger einflussreich als die beiden vorangehenden“, was damit erklärt werden könne, „dass die amerikanische Kapitalmarkttheorie zum Zeitpunkt seines Erscheinens bereits wesentlichen Einfluss gewonnen hat.“ 615 9.3.3 Das System der produktiven Faktoren Im ersten Band seiner „Grundlagen“ („Die Produktion“) stellt Gutenberg zu Beginn das System der produktiven Faktoren vor, das aus den drei Elementarfaktoren Arbeitsleistungen, Betriebsmittel und Werkstoff sowie aus dem dispositiven Faktor Geschäfts- und Betriebsleitung besteht: „Menschliche Arbeitsleistungen, Betriebsmittel und Werkstoffe sind produktive Faktoren. Da sie die Elemente darstellen, aus denen der Prozeß der betrieblichen Leistungserstellung besteht, so sollen sie als betriebliche Elementarfaktoren bezeichnet werden. […] Das System der Elementarfaktoren läßt sich zunächst so skizzieren: Der Elementarfaktor Menschliche Arbeitsleistungen im Betrieb ist in zwei grundsätzlich voneinander verschiedene Arbeitsleistungen aufzu‐ 268 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="269"?> gliedern, und zwar einmal in die objektbezogenen und zum anderen in die dispositiven Arbeitsleistungen. Unter objektbezogenen Arbeitsleistungen werden alle diejenigen Tätigkeiten verstanden, die unmittelbar mit der Leistungserstellung, der Leistungsverwer‐ tung und mit finanziellen Aufgaben in Zusammenhang stehen, ohne dispositivanordnender Natur zu sein. So stellt die Arbeit an einer Drehbank oder an einem Webstuhl oder an einem SM-Ofen sowie die Arbeit der Buchhalter, Konstruk‐ teure, Chemiker, auch die Durchführung von Verhandlungen zum Zwecke der Aufnahme einer Anleihe objektbezogene Arbeit dar. Dispositive Arbeitsleistungen liegen dagegen vor, wenn es sich um Arbeiten handelt, die mit der Leitung und Lenkung der betrieblichen Vorgänge in Zusam‐ menhang stehen. […] Unter dem zweiten Elementarfaktor Arbeits- und Betriebsmittel sollen alle Einrichtungen und Anlagen verstanden werden, welche die technische Vor‐ aussetzung betrieblicher Leistungserstellung, insbesondere also der Produktion, bilden. […] Zu den Arbeits- und Betriebsmitteln gehören demnach alle bebauten oder unbebauten Betriebs-, Verwaltungs-, Wohn- und Abbaugrundstücke, die Gesamtheit aller maschinellen Apparatur […], Geräte und Apparate, Hand- und Maschinenwerkzeuge, Vorrichtungen, Lehren und Meßgeräte, das gesamte Büro- und Betriebsinventar, Schaufenstereinrichtungen u. dgl., deren der Betrieb zur Erfüllung seiner Aufgaben bedarf. Zu den Betriebsmitteln gehören auch diejenigen Hilfsstoffe und Betriebsstoffe, die notwendig sind, um den Betrieb arbeitsfähig zu machen und zu erhalten. […] Unter dem dritten Elementarfaktor Werkstoff werden hier alle Rohstoffe, Halb- und Fertigerzeugnisse verstanden, die als Ausgangs- und Grundstoffe für die Herstellung von Erzeugnissen zu dienen bestimmt sind. […] Geht man davon aus, daß die betriebliche Leistungserstellung in Fertigungsbe‐ trieben, also die Produktion, in der Kombination von Elementarfaktoren besteht, dann bleibt noch zu untersuchen, wie diese Elementarfaktoren zu einer produk‐ tiven Einheit verbunden werden. Ganz offenbar vollzieht sich diese Kombination weder mechanisch noch organisch, sie geschieht vielmehr durch bewußtes menschliches Handeln nach Prinzipien. Die Person oder Personengruppe, die die Vereinigung der Elementarfaktoren zu einer produktiven Kombination vollzieht, stellt einen vierten produktiven Faktor dar. […] Dieser vierte zusätzliche Faktor sei als Geschäfts- und Betriebslei‐ tung bezeichnet. Ihre Aufgabe besteht darin, die drei Elementarfaktoren zu einer produktiven Kombination zu vereinigen. […] Die Kombination der elementaren Faktoren schlechthin ist die betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche 9.3 Die „Gutenberg-Ära“ (1951 bis ca. 1969) 269 <?page no="270"?> 616 E. Gutenberg: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Band I: Die Produktion, 24. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York: Springer, S.-2 ff., stark gekürzt.) 617 E. Gutenberg: Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft, in: ZfB, 27. Jg. (1957), S.-608/ 609. Hervorhebungen im Text von L. W. Aufgabe der Unternehmer in marktwirtschaftlichen Systemen. Allein mit dieser Aufgabe läßt sich der Anspruch der Unternehmer auf Unternehmergewinn be‐ gründen. Er stellt eine Vergütung für die erfolgreiche Durchführung produktiver Kombinationen dar. […]“ 616 9.3.4 Die Grundidee des faktororientierten Ansatzes Die Grundidee, die seiner einheitlichen Konzeption der Betriebswirt‐ schaftslehre zugrunde liegt, beschreibt Gutenberg in seiner berühmten Rede „Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft“, die er zur Gründungsfeier der Universität Köln am 22. Mai 1957 gehalten hat: „Der Betriebswirtschaftslehre ist oft der Vorwurf gemacht worden, daß ihrem Gegenstande die Geschlossenheit und Einheitlichkeit fehle. […] Vielleicht ist es möglich, […] zu einer einheitlichen Konzeption von Betriebswirtschaftslehre zu gelangen. In jedem Unternehmen werden Arbeitsleistungen der verschie‐ densten Art und technische Apparatur dazu verwandt, Sachgüter zu erzeugen oder Dienstleistungen bereitzustellen. Bezeichnet man die Arbeitsleistungen und die technischen Einrichtungen als Produktionsfaktoren und das Ergebnis der von diesen Produktionsfaktoren eingesetzten Mengen als Produktmenge, Ausbringung oder Ertrag (physisch-mengenmäßig gesehen), dann erhält man eine Beziehung zwischen dem Faktorertrag und dem Faktoreinsatz. Diese Beziehung ist eine Produktivitätsbeziehung, und zwar nicht irgendeine, sondern die betriebliche Produktivitätsbeziehung schlechthin. Es wäre nun zu prüfen, ob nicht dieses, ganz und gar ursprüngliche Verhältnis zwischen Faktorertrag und Faktoreinsatz als Grundlage für ein Bezugssystem verwandt werden könnte, in dem alle betrieblichen Vorgänge ihre natürliche Ordnung finden. Da nun der Faktoreinsatz auf ein bestimmtes Ziel gerichtet ist, läßt er sich als eine Einheit im Sinne einer Kombination der Produktionsfaktoren auffassen. In dem Akt der Kombination ist das Nebeneinander der Produktionsfaktoren aufgehoben. Sie sind aus einem übergeordneten Prinzip heraus zu einer Einheit gefügt und miteinander in eine systematische Beziehung gebracht.“ 617 270 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="271"?> 618 Bellinger (1967), S.-70. 619 H. Albach im Geleitwort zu Gutenberg, Erich: Zur Theorie der Unternehmung - Schriften und Reden von Erich Gutenberg, Berlin/ Heidelberg/ New York 1989, S. VI. 620 K. Mellerowicz: Eine neue Richtung in der Betriebswirtschaftslehre? Eine Betrachtung zu dem Buch von E. Gutenberg: „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ - I. Band: Die Produktion, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 22. Jg. (1952), S.-145-161. Gutenbergs Werk ist stark durch Modellhaftigkeit gekennzeichnet, was damit zusammenhängt, dass seine Produktions- und Kostentheorie auf mikroökonomischen Theorien fußt (Modelle zur Produktions-, Kosten- und Preistheorie). Dass der formale Aspekt einen hohen Stellenwert einnimmt, wird z. B. an der sogenannten „Gutenberg-Produktionsfunktion“ und der „Gutenberg-Nachfragefunktion“ deutlich. Nach Bellinger sei „mit der offe‐ nen oder versteckten Grenzbetrachtung und der Mathematisierung eine aus‐ gesprochen quantitative Richtung in das ökonomische Denken gekommen, die von der substanziellen zur funktionellen Betrachtung führe.“ Positiv hebt Bellinger daran hervor, dass Gutenberg „sowohl mit seinen Methoden als auch mit seinen neuen Problemstellungen eine wissenschaftliche Bewegung in der Betriebswirtschaftslehre eingeleitet“ und „sowohl von den Problem‐ stellungen als auch von den angewandten Methoden her“ der Disziplin „eine Basis für neue und fruchtbare Weiterentwicklung“ gegeben habe. 618 Ähnlich äußert sich auch Albach: „Er wollte die Probleme, mit denen er in der Praxis konfrontiert wurde, besser und tiefer verstehen und aus diesem Verständnis heraus Lösungen entwickeln. Bemerkenswert ist, daß sich die theoretische Sicht der Probleme, mit denen Gutenberg konfrontiert wurde, so umfassend und so allgemein im Fach und in der Praxis durchgesetzt hat, obwohl Gutenberg das theoretische Instrumentarium, mit dem er die Lösung dieser Probleme anging, selbst stets als vorläufig und unvollkommen empfand.“ 619 Gutenbergs Ansatz hat aber auch heftige Kontroversen ausgelöst, die bis heute diskutiert werden. 9.3.5 Der Methodenstreit zwischen Gutenberg und Mellerowicz Der heftigste Disput im Zusammenhang mit Gutenbergs „Grundlagen“ ist als sogenannter dritter Methodenstreit oder betriebswirtschaftlicher Methodenstreit in die Annalen der Betriebswirtschaftslehre eingegangen. Ausgelöst wurde er 1952 von Konrad Mellerowicz (1891-1984) mit dem Aufsatz „Eine neue Richtung in der Betriebswirtschaftslehre? “ 620 9.3 Die „Gutenberg-Ära“ (1951 bis ca. 1969) 271 <?page no="272"?> 621 Von Mellerowicz erschienen in der Zeitschrift für Betriebswirtschaft die Aufsätze „Betriebswirtschaftslehre am Scheidewege? “ (ZfB, 1953, S. 265-276), „Kostenkurven und Ertragsgesetz - Zu Gutenbergs These über den Verlauf von Kostenkurven“ (ZfB, 1953, S. 329-346) und „Idealtypische und realtypische Betrachtungsweise in der Betriebswirtschaftslehre. Zugleich eine Ergänzung des Aufsatzes Kosten‐ kurven und Ertragsgesetz“ (ZfB, 1953, S. 553-567). Gutenberg reagiert darauf in der Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung mit den Artikeln „Über den Verlauf von Kostenkurven und seine Begründung“ (ZfhF, 1953, S.-1-35) und „Zum Methodenstreit“ (ZfhF, 1953, S.-327-355). 622 Vgl. K. Mellerowicz: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd. 1, 7. Aufl., Berlin 1952, S.-31f. Abb. 9.6: Konrad Mellerowicz. | [59] Im Anschluss daran kam es zu einem Schlag‐ abtausch zwischen Gutenberg und Mellerowicz in den Fachzeitschriften. 621 Viele weitere Fach‐ vertreter wie z. B. Wolfgang Waffenschmidt, Erich Schäfer, Guido Fischer und Josef Löffel‐ holz mischten sich in diese Auseinanderset‐ zung ein. Um den Methodenstreit besser einordnen zu können, ist es sinnvoll, den von Mellerowicz vertretenen grundsätzlichen methodologischen Standpunkt kurz zu skizzieren: Der grundle‐ gende Aufbau der Betriebswirtschaftslehre setzt sich nach Mellerowicz zusammen aus den drei Teilen: 1. Betriebswirtschaftliche Theorie (des Gesamtbetriebes sowie der einzelnen Teilgebiete), 2. Betriebspolitik (z.-B. Finanzierungs-, Produktions-, Lager-, Vertriebspolitik) und 3. Betriebstechnik (z.-B. Buchhaltung, Kalkulation, Statistik). 622 Über die in der Betriebswirtschaftslehre anzuwendende Methode vertritt Mellerowicz folgende Auffassung: „Der Betrieb und die Vorgänge in ihm sind eine empirische Realität. Aber wirtschaftliche Erscheinungen gibt es im Betriebe eine ungeheure Fülle. Dabei sind sie wechselnd und in sich veränderlich. Entscheidend ist, daß sie so erfaßt 272 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="273"?> 623 K. Mellerowicz: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd. 1, 7. Aufl., Berlin 1952, S. 32- 36. werden, wie sie wirklich sind, nicht, daß sie etwa nur erdacht und in der Phantasie vorgestellt sind. Auf die Erfassung des wirklichen Lebens kommt alles an. Leere Konstruktionen, fern ab der Wirklichkeit, sind nicht nur wertlos, sondern auch gefährlich. In der Erfassung der betrieblichen Zusammenhänge kann der Betriebswirt daher nicht anders als vom Betriebe selbst, von den Erfahrungen des täglichen Lebens ausgehen: die BWL ist eine Erfahrungswissenschaft. Ihre ureigene Methode ist die Induktion […]. Es muß aber daran erinnert werden, daß in der Wirtschaft keine Naturgesetze herrschen, daß daher die auf induktive Weise festgestellten Zusammenhänge keine Gesetze sind, die sich wie Naturge‐ setze durchsetzen müssten. […] Es sind im Wirtschaftsleben zu viele unwägbare Einflüsse wirksam. Insbesondere der Mensch, ein irrationales Wesen macht es mit seinem mehr emotionalen als rationalen Verhalten unmöglich, für jeden Fall gültige Gesetze festzustellen. […] Ist die Induktion für jede wirtschaftliche, insbesondere betriebswirtschaftliche Forschung unentbehrlich, ist sie (Beobach‐ tung und Beschreibung, Einzelerfassung, Sammlung, Ordnung und Auswertung) notwendigerweise der Ausgangspunkt, so ist sie doch wiederum nicht die einzige und allein ausreichende Forschungsmethode. Sie bedarf der Ergänzung durch die Deduktion. […] Aber beide bergen Gefahren in sich: die Deduktion kann leicht zur wirklichkeitsfernen Spekulation führen, und die Induktion birgt die Gefahr in sich, nicht zur vollen Theorie und nicht zum System zu gelangen […]. Darum muß jede Induktion, um zur vollen Theorie und zum System zu kommen, durch die Deduktion ergänzt werden […]. Aber jede Theorie ist Abstraktion, ist das Allgemeine, nicht das Konkrete des Lebens. Mit der Erkenntnis des Allgemeinen und Gesetzmäßigen geben wir die Einzelheiten preis, das Farbige des wirklichen Lebens. Wir erfassen dann niemals die volle Wirklichkeit, sondern nur Systeme, die uns für das Seiende gelten […]. Darum ist es auch für die BWL von großer Bedeutung 1. ihre Erkenntnisobjekt zu bestimmen und gegenüber dem anderer Wissen‐ schaften abzugrenzen, 2. durch die richtige Anwendung von Deduktion, Induktion und Verifikation, dieses Erkenntnisobjekt in ihr System aufzunehmen.“ 623 Mellerowicz schrieb diese Zeilen kurz nach dem Erscheinen von Gutenbergs Band „Die Produktion“, der im Prinzip all das verkörpert, was Mellerowicz in den obigen Zeilen kritisiert: Anstatt die BWL von der VWL abzugrenzen, 9.3 Die „Gutenberg-Ära“ (1951 bis ca. 1969) 273 <?page no="274"?> 624 K. Mellerowicz: Eine neue Richtung in der Betriebswirtschaftslehre? ZfB, 22. Jg. (1952), S.-147. 625 Ebd., S.-149. 626 Ebd., S.-145. 627 H. Müller-Merbach: Der Methodenstreit in der BWL: Mellerowicz versus Gutenberg, in: Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, hrsg. vom VHB, Wiesbaden 2012, S.-179-184 (hier: S.-182). 628 E. Gutenberg: Zum Methodenstreit, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche For‐ schung (ZfhF), 1953, S.-327. 629 Vgl. ebd., S.-341. integriert Gutenberg die volkswirtschaftliche Theorie in sein betriebswirt‐ schaftliches Werk, er geht deduktiv vor, verwendet die mathematischisolierende Methode, abstrahiert die Realität und macht aus dem Menschen einen Elementarfaktor. Mellerowicz befürchtete wohl, dass die Entwicklung einer reinen Theorie des Betriebes, wie sie Gutenberg sich vorstellte, zu einer Trennung von betriebswirtschaftlicher Theorie und Betriebspolitik führen würde. Mellerowicz eröffnete den Methodenstreit. Er warf Gutenberg vor, er treibe „Theorie um der Theorie willen“. Die Betriebswirtschaftslehre habe „keine Verwendung für Zahlenspielereien und für so weit getriebene ma‐ thematisch-isolierende Methoden, daß sie zu einer betriebswirtschaftlich unbrauchbaren Höhe der Abstraktion führen und die erzielten Erkenntnisse für die betriebliche Wirtschaftsführung ohne Belang sind.“ 624 Und weiter kritisiert Mellerowicz: „Aber diese mathematische Untersuchung des Kombi‐ nationsprozesses ist nicht imstande, dem Betrieb die Wertung, Planung und Disposition zu erleichtern, weil sie in völlig unbetrieblicher Weise einzelne Faktoren variiert, wie es der praktische Betriebswirt niemals machen würde, noch machen kann.“ 625 „Was nützt eine logisch bestechende Methode, wenn ihre Ergebnisse nicht zu gebrauchen sind? “ 626 Gutenberg reagierte, wie Müller-Merbach bemerkt, „in der für ihn charakte‐ ristischen feinen und distinguierten Art.“ 627 So schreibt Gutenberg: „Jeder, der in der Tradition deutscher Hochschulen steht, wird Verständnis dafür haben, daß ich es ablehne, in dem gleichen Ton persönlicher Aggressivität zu disku‐ tieren, den Mellerowicz in seiner Auseinandersetzung mit mir anschlägt.“ 628 Fachlich hält er Mellerowicz entgegen, dass er die „im Grund doch so trivialen Regeln und Gebrauchsanweisungen für die Praxis“ ablehne. 629 Vielmehr habe die BWL „die innere Logik der Dinge aufzuspüren und die betrieblichen Sachverhalte geistig zu durchdringen […] Der wissenschaftliche Wert oder 274 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="275"?> 630 Ebd., S.-340. 631 Ebd., S.-336 f. 632 G. Schreyögg: Das Verhältnis der Betriebswirtschaftslehre zu ihren Nachbardisziplinen, in: Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, Wiesbaden 2012, S.-198f. 633 Schneider (2001), S.-250f. Unwert einer betriebswirtschaftlichen Untersuchung hängt nicht von der praktischen Bedeutung des zu untersuchenden Gegenstandes ab.“ 630 Zu dem Vorwurf, sein Werk sei zu mathematisch, bemerkt Gutenberg: „Im ganzen sind es kaum 30 Seiten in dem 400 Seiten umfassenden Buche, auf dem sich mathematische Symbole finden“, und fügt hinzu, er habe versucht, „bestimmte quantitative Zusammenhänge neben der verbalen Erklärung zusätzlich durch Verwendung mathematischer Begriffe zu präzisieren.“ 631 Die Kritik an der Mathematisierung des Faches, wie sie von Mellero‐ wicz und anderen Betriebswirten geäußert wurde, mag auf den ersten Blick überzogen erscheinen. Schließlich gehören heute Mathematik und Statistik zu den unverzichtbaren Hilfswissenschaften der Wirtschaftswissenschaft bzw. der Betriebswirtschaftslehre. Eine gewisse Skepsis im Hinblick auf deren Verwendung erscheint jedoch durchaus angebracht. So weist Georg Schreyögg kritisch darauf hin, dass die vermeintlich neutralen Hilfsmittel „keineswegs einen neutralen Charakter haben“, denn „sie interagieren mit dem betreffenden Fach und formen es gewissermaßen nach der eigenen Logik. Man verwendet nicht nur die Statistik, sondern die Statistik formu‐ liert klare Anforderungen, denen sich dann die übernehmende Wissenschaft unterwirft und an denen sie ihre Forschungsdesigns ausrichtet. Auch hier ist das Verhältnis keineswegs so unkompliziert, wie es auf den ersten Blick er‐ scheinen mag. Die interaktiven Effekte werden chronisch unterschätzt; […] Hilfsmittel unterstützen nicht nur Vorhaben, sie definieren auch (implizit) den Denkstil mit.“ 632 Ein völlig unterschiedlicher betriebswirtschaftlicher Denkstil von Mel‐ lerowicz und Gutenberg scheint wohl auch der wahre Grund für deren Disput gewesen zu sein. Ähnlich sieht dies auch Dieter Schneider: „Nur an der Oberfläche geht es in diesem Methodenstreit um den Verlauf von Kostenkurven […] und um das Für und Wider der ‚mathematisch-deduk‐ tiven Methode‘.“ Vielmehr „fühlen sich die Anhänger einer Betriebswirt‐ schaftslehre als ganzheitlicher Organisationswissenschaft bedroht durch die sich auf einen Aspekt betrieblichen Lebens beschränkende, dafür aber logisch nachvollziehbare Aussagen vortragende mikroökonomische Lehre Gutenbergs.“ 633 9.3 Die „Gutenberg-Ära“ (1951 bis ca. 1969) 275 <?page no="276"?> 634 Vgl. Albach (2012), S.-89. 635 E. Gutenberg: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 1958, S.-21. 636 Zit. n. Albach (1989), S.-209. 637 Vgl. Wöhe (1990), S.-226. Wie Horst Albach, der Schwiegersohn von Gutenberg, zu berichten weiß, „entstanden die Erwiderungen Gutenbergs auf die Attacken von „Melle“ in wütenden Umläufen um den Esstisch […], an dem Frau Gutenberg sie auf einer alten Schreibmaschine niederschrieb.“ Gutenberg soll gesagt haben: „Nicht jedem Menschen ist ein Mellerowicz vergönnt.“ und wollte damit zum Ausdruck bringen, dass der Erfolg seiner „Grundlagen“ direkt auf den Methodenstreit zurückzuführen sei. 634 Allerdings scheint der Streit mit „Melle“ auch bei Gutenberg gewisse Spuren hinterlassen zu haben. In seiner 1958 erschienenen „Einführung in die Betriebswirtschaftslehre“, einem „Lehrbuch mit Tiefgang“ (Albach), bemerkt Gutenberg im Bezug auf die Unternehmensführung (dispositiver Faktor): „Dabei sollte den menschlichsozialen Problemen der Rang gewährt werden, den sie mit Recht beanspru‐ chen können.“ 635 Diese selbstkritischen Töne spiegeln aber auch zugleich sein optimistisches wissenschaftliches Selbstverständnis wider. So sagte er einst: „Die Betriebswirtschaftslehre ist eine noch sehr junge Disziplin. Sie hat noch viele Chancen. Ich bin sicher, daß sie sie nutzen wird.“ 636 Heute lässt sich konstatieren, dass Gutenberg zwar die betriebswirtschaft‐ liche Theorie nachhaltiger geprägt hat als Mellerowicz, dennoch gebührt beiden Wissenschaftlern das Verdienst, mit ihrer Arbeit wesentlich zum Fortschritt der Betriebswirtschaftslehre beigetragen zu haben. Nach der Auffassung von Wöhe stelle Gutenbergs System keinen Bruch mit Vergangenheit dar. In methodologischer Hinsicht bestünden Verbindun‐ gen sowohl zu Wilhelm Rieger als auch zu Eugen Schmalenbach. Wöhe kommt zu dem Befund, dass Gutenbergs Werk „den großen Schlußstein in der Entwicklung einer betriebswirtschaftlichen Theorie“ bildet. 637 ➲ Zusammenfassung ■ Nach Kriegsende stehen Wiederaufbau und Entnazifizierung an erster Stelle. Ab 1949 muss die BWL sich an den neuen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im geteilten Deutschland ausrichten. 276 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="277"?> ■ In der DDR wird eine Planwirtschaft nach sowjetisch-kommunistischer Vorgabe errichtet. Eine BWL wird als überflüssig und ideologisch unvereinbar mit diesem Wirtschaftssystem betrachtet. □ 1951 werden sämtliche BWL-Lehrstühle aufgelöst und eine marxistisch-leninistische Wirtschaftswissenschaft eingeführt. Die wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten werden grundle‐ gend umgestaltet, in ihr Zentrum rückt die Politische Öko‐ nomie. Daneben werden die Fächer Ökonomik der nationalen Wirtschaft (Volkswirtschaftsplanung) und Betriebsökonomik ge‐ schaffen. □ Die Betriebsökonomik entspricht teilweise der früheren BWL, ist aber enger begrenzt auf Fragen der Betriebsorganisation, Ver‐ waltung und Planungsmethoden und zudem auf verschiedene Fakultäten und Institute aufgeteilt. □ Ab 1973 werden wieder Lehrstühle für BWL an den Hochschulen errichtet. Allerdings ist diese BWL ideologisch dominiert vom Marxismus-Leninismus. □ Die Sozialistische Betriebswirtschaftslehre besitzt einen in‐ genieurwissenschaftlichen Charakter und ist praxisorientiert. Ihre theoretische Grundlage entspricht der systemorientierten Be‐ triebswirtschaftslehre mit sozialwissenschaftlichem Ansatz. Das Denkgebäude ist ein geschlossenes System. Ihrem Grundcharakter nach ist die Sozialistische Betriebswirtschaftslehre eine Funktio‐ nenlehre. ■ Die Erfahrungen aus der NS-Diktatur einerseits und die im Entste‐ hen begriffene Soziale Marktwirtschaft andererseits zwingen die Betriebswirte in der BRD zu einer wissenschaftlichen Standortbestim‐ mung. Welche Richtung soll die Betriebswirtschaftslehre künftig ein‐ schlagen? Das Streben nach inhaltlicher Orientierung tritt deutlich zutage auf dem 1. Betriebswirte-Treffen im Oktober 1948 in Frankfurt am Main. Hier wird nicht nur Kritik am Verhalten der Betriebswirte im Dritten Reich geäußert, sondern auch über die zukünftige Richtung des Fachs gestritten. Dieser Disput wird ausgefochten zwischen den Anhängern einer erwerbswirtschaftlichen, rentabilitätsorientierten BWL und den sozialwissenschaftlich geprägten Fachvertretern. □ Zwischen 1945-1955 erscheinen mehrere Allgemeine Betriebs‐ wirtschaftslehren mit unterschiedlichen methodischen Ansät‐ zen, z. B. von Willy Bouffier (1946), Karl-Friedrich Rößle (1948), ➲ Zusammenfassung 277 <?page no="278"?> Martin Lohmann (1949), Erich Schäfer (1949) und Erich Gutenberg (1951 ff.). □ Das Werk von Erich Gutenberg wird in den 1950er- und 1960er- Jahren die BWL dominieren. Insbesondere der erste Band ist sehr einflussreich. Im Mittelpunkt stehen der Kombinationsprozess der Produktionsfaktoren und das Verhältnis von Input und Output (Faktoreinsatz und Faktorertrag), d. h. die Produktivitäts‐ beziehung. □ 1952 löst Konrad Mellerowicz mit einem gegen Gutenbergs Ansatz gerichteten Aufsatz den sogenannten dritten Methodenstreit aus. 278 9 Betriebswirtschaftslehre nach dem 2. Weltkrieg (1945-1969) <?page no="279"?> 638 Vgl. H. Meffert: Betriebswirtschaftslehre in den Siebziger- und Achtzigerjahren, in: Entwicklungen der Betriebswirtschaftslehre, hrsg. von E. Gaugler/ R. Köhler, Stuttgart 2002, S.-137. 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) Die späten 1960er-Jahre in der Bundesrepublik waren gekennzeichnet durch das Aufkommen eines neuen Lebensgefühls, durch Aufbruchsstimmung, Reformwillen und die Ablehnung aller Autoritäten, was schließlich in den 68er-Studentenprotesten seinen Ausdruck fand. Mit der Wahl Willy Brandts (SPD) zum Bundeskanzler am 21. Oktober 1969 zog auch ein neuer Geist in den Bundestag ein. Eine Woche später trug Brandt vor dem Deutschen Bundestag in Bonn seine Regierungserklärung vor, in der er die berühmten Worte sprach: „Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. […] Mitbestimmung, Mitverantwortung in den verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft wird eine bewegende Kraft der kommenden Jahre sein. […] Wir wollen eine Gesell‐ schaft, die mehr Freiheit bietet und mehr Mitverantwortung fordert […], sei es in den Kirchen, der Kunst, der Wissenschaft und der Wirtschaft oder in anderen Bereichen der Gesellschaft.“ Vor diesem Hintergrund zeichnete sich auch in der Betriebswirtschaftslehre ein Wandlungsprozess ab. Bereits Ende der 1960er-Jahre setzte die Kritik an Gutenbergs Ansatz ein. Seine wirtschaftstheoretische Auffassung sah sich zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, seine Annahmen seien restriktiv und realitätsfremd, wie z. B. die der Gewinnmaximierung als bestimmendes Unternehmensziel oder die des zugrundeliegenden Menschenbildes vom Homo oeconomisus. 638 Einer‐ seits erwies sich sein System zwar für quantitative Fragestellungen (z. B. zur Kosten-, Investitions- und Finanzierungstheorie sowie zu Operations- Research-Verfahren) als sehr förderlich, andererseits schloss es qualitative Fragestellungen aus. Als besonders hinderlich erwies sich das System bei der Aufnahme „moderner“ Ansätze. So ließen sich Probleme des Marketings, der Organisation und Führung sowie des Personalwesens nicht in sein System integrieren. Gutenbergs sog. „dispositiver Faktor“ (Unternehmensführung) bot keinen tragfähigen Ansatz für die Weiterentwicklung der BWL zu einer <?page no="280"?> 639 Vgl. G. Schanz: Eine kurze Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, München 2014, S. 52f und G. Schanz: Wissenschaftsprogramme, in: 100 Jahre Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, hrsg. von M. Lingenfelder, München 1999, S.-37f. 640 Schanz (1999), S.-38. 641 Zu den folgenden Punkten vgl. E. Rühli: Betriebswirtschaftslehre nach dem Zweiten Weltkrieg, in Entwicklungen der Betriebswirtschaftslehre, hrsg. von E. Gaugler/ R. Köhler, Stuttgart 2002, S.-123. Managementlehre. 639 „Die sozialwissenschaftliche Öffnung des Fachs war die fast zwangsläufige Folge. Ende der sechziger Jahre erschien die Zeit dafür reif.“ 640 10.1 Der sozialwissenschaftliche Ansatz Der sozialwissenschaftliche Ansatz beruhe laut Rühli auf der Grundvorstel‐ lung, dass die Betriebswirtschaftslehre eine Teildisziplin der Sozialwissen‐ schaften ist. Folgende Annahmen über das Erfahrungsobjekt bzw. den Betrieb liegen ihm zugrunde: 641 ■ Der Betrieb ist eine besondere Ausprägungsform unter vielen anderen sozialen Systemen (z. B. private Vereine, staatliche Institutionen) und als solche ein Element im gesellschaftlichen Institutionengefüge. Daher könne auch für die BWL eine sozialwissenschaftliche Grundorientie‐ rung reklamiert werden. ■ Der Betrieb ist eine organisatorische Einheit, deren Funktionsweise und Handlungsergebnisse bestimmt werden durch formale und informale Strukturen sowie durch vielfältige Interaktionsprozesse zwischen Indi‐ viduen und Gruppen. ■ Der Betrieb wird von Menschen gestaltet und getragen. Das Modell vom Homo oeconomicus ist für eine Verhaltenserklärung der im Betrieb tätigen Menschen nicht ausreichend. Für eine realistische Analyse und Erklärung des menschlichen Verhaltens sind psychologische und soziologische Aspekte zu berücksichtigen. Exkurs | Homo oeconomicus Der Homo oeconomicus ist das in der Wirtschaftswissenschaft lange Zeit vorherrschende Menschenbild, ein theoretisches Modell eines ausschließlich wirtschaftlich-rational denkenden Menschen. Der (eme‐ 280 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="281"?> 642 J. Freimann: Das Märchen vom gerechten Markt - Wie wir den homo oeconomicus überwinden können, Baden-Baden 2017, S.-19f. 643 Rühli (2002), S.-123. ritierte) Kasseler BWL-Professor Jürgen Freimann beschreibt diesen „Wirtschaftsmenschen“ so: „Dieser eigenartige Bursche ist nicht nur ein knallharter Egoist, der nur seinen persönlichen Vorteil im Sinn hat. Er ist auch ein Genie mit der beson‐ deren Fähigkeit, alles, was er tut und was ihm angeboten wird, ohne weiteres in Geld zu bewerten. Als Unternehmer maximiert dieser Homo oeconomicus seinen Gewinn, als Konsument maximiert er seinen Nutzen. Zudem hat er den totalen Durchblick: Er verfügt - im einfachen Marktmodell - über vollständige Informationen, das heißt, er kann alle seine Handlungsmöglich‐ keiten umfassend beurteilen, ohne dass ihm für die Informationsbeschaffung Kosten entstehen. Er entscheidet und handelt, ohne dafür Zeit zu brauchen (also mit einer sogenannten unendlichen Reaktionsgeschwindigkeit). Seine Vorlieben (Präferenzen) sind stets gleich, verändern sich nie. Er selbst wie auch seine Marktpartner haben keinen Einfluss auf den Marktpreis, sondern können nur die von ihnen angebotene beziehungsweise nachgefragte Menge nach Maßgabe des Marktpreises anpassen. All dies sind, wie die meisten Ökonomen zugeben, völlig unrealistische Annahmen. […] Trotzdem wird dieses Märchen an den Schulen, Fachhochschulen und Universitäten wei‐ terhin eifrig erzählt und auswendig gelernt. Es stelle das Prinzip gut dar, nach dem Märkte funktionieren, heißt es. Tatsächlich soll es vor allem den Eindruck erwecken, die Ökonomik sei eine exakte Wissenschaft, die wie die ‚echten‘ Naturwissenschaften auch rechenbare und daher ‚objektive‘ Ergebnisse zu liefern in der Lage ist. […] Weil aber alle Grundannahmen dieses Märchens in Wirklichkeit nicht zutreffen, hat die Ökonomik nach und nach einige der unrealistischen Annahmen aufgegeben und differenzierte Modelle entwickelt.“ 642 Aus dem sozialwissenschaftlichen Basiskonzept folgt eine Öffnung der BWL hin zu anderen sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen. „Nicht die Abgrenzung zu diesen, sondern das Zusammenwirken steht im Vordergrund (Interdisziplinarität): Daraus resultiert ein weit geöffnetes Disziplinenkon‐ zept, jedenfalls in Richtung auf die Sozialwissenschaften.“ 643 Dieser interdis‐ 10.1 Der sozialwissenschaftliche Ansatz 281 <?page no="282"?> 644 E. Heinen: Betriebswirtschaftslehre heute - Die Bedeutung der Entscheidungstheorie für Forschung und Praxis, Wiesbaden 1966, S.-4. ziplinären Managementwissenschaft folgen insbesondere jene Forscher, die sich mit Fragen des Absatzes bzw. Marketings, der Unternehmensführung sowie des Personalwesens befassen. Im Folgenden sollen zunächst zwei bedeutsame Ansätze vorgestellt wer‐ den, die als direkter Gegenentwurf zum Gutenbergschen System verstanden werden können und die ein wichtiger Bestandteil einer interdisziplinären Managementwissenschaft sind: die entscheidungsorientierte Betriebswirt‐ schaftslehre nach Heinen und der systemtheoretische Ansatz nach Ulrich. 10.2 Die entscheidungstheoretische Ansatz (Edmund Heinen) In den 1960er-Jahren rückte Edmund Heinen (1919-1996) das Entscheidungs‐ problem und dessen Bedeutung für die Analyse und Gestaltung betriebs‐ wirtschaftlicher Fragestellungen in den Vordergrund. Wie er in einem 1966 gehaltenen Vortrag bemerkt, komme der Anstoß für eine entscheidungs‐ theoretische Betriebswirtschaftslehre aus der betrieblichen Praxis: „Die moderne, hochentwickelte Industriewirtschaft hat den Entscheidungsprob‐ lemen in der Praxis ein ganz besonderes Gepräge verliehen. Die Dynamik des technischen Fortschrittes, das horizontale und vertikale Wachstum der Betriebe, die vielgestaltigen Verflechtungen auf der Marktseite, insbesondere die Anpas‐ sungen an die vergrößerten Absatz- und Beschaffungsmärkte, sie alle stellen die Unternehmensführung vor immer differenziertere Planungs-, Kontroll- und Koordinationsaufgaben. Die Schnelllebigkeit der wirtschaftlichen Erscheinungen und die damit ständig kürzer werdenden Anpassungszeiten erfordern ein ra‐ sches Informiertsein über alle marktlichen und betrieblichen Vorgänge, bedingen ständig ein systematisches und sicheres Eingreifen in den gesamten Betriebspro‐ zeß. Angesichts dieser Entwicklung hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß betriebliche Führungsentscheidungen nicht mehr von irgendwelchen zufälligen Augenblickseingebungen und überkommenen Erfahrungsregeln geleitet werden. Das intuitive Moment wird durch das rationale Moment ersetzt, die Konsequen‐ zen der Wahl durchdacht, die Handlungsmöglichkeiten abgewogen, kurz: die Entscheidung tritt als Vorgang ins Bewußtsein.“ 644 282 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="283"?> 645 E. Heinen: Zum Wissenschaftsprogramm der entscheidungsorientierten Betriebswirt‐ schaftslehre. In: ZfB, 39 Jg., 1969, S.-207f. 646 Wöhe (1990), S.-227f. Das Entscheidungsverhalten bzw. der Entscheidungsprozess des wirt‐ schaftenden Menschen im Betrieb ist das tragende Element, die Grundidee, welche der betriebswirtschaftlichen Konzeption Heinens zugrunde liegt. Die bis dahin von der Betriebswirtschaftslehre bereitgestellten Konzepte boten jedoch kein tragfähiges Fundament, auf dem Heinen eine entscheidungsori‐ entierte Betriebswirtschaftslehre hätte aufbauen können. Daher versuchte er, die beiden Grundideen des ethisch-normativen und des faktororien‐ tierten Ansatzes zu einem neuen System zu verbinden: „Diese beiden Alternativen stehen sich wie These und Antithese gegenüber. Die entschei‐ dungsorientierte Betriebswirtschaftslehre […] strebt eine gewisse Synthese und damit eine Vereinigung beider Wege an.“ 645 Nach der Auffassung von Wöhe handelt es sich bei der entscheidungsorientierten Betriebswirtschafts‐ lehre jedoch um „kein neues System der Betriebswirtschaftslehre, sondern einen neuen methodischen Ansatz, der dadurch gekennzeichnet ist, daß die Frage nach Entscheidungen gestellt wird, mit denen betriebswirtschaftliche Ziele optimal realisiert werden können.“ 646 Edmund Heinen (1919-1996) gilt als Schöpfer und Wegbereiter der entscheidungsorientierten BWL. Heinen studierte an der Universität Frankfurt am Main (auch bei Erich Gutenberg) und promovierte (1949) und habilitierte (1951) an der Universität des Saarlandes in Saarbrü‐ cken. Von 1957 bis 1987 lehrte und forschte er als Professor für BWL an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, wo er auch das Institut für Industrieforschung gründete. 10.2 Die entscheidungstheoretische Ansatz (Edmund Heinen) 283 <?page no="284"?> 647 Zitiert nach E. Schäfer: Die Unternehmung, 8. Aufl., Opladen 1974, S.-332. 648 Heinen (1969), S.-208. Abb. 10.1: Edmund Heinen. | [60] Schon Schmalenbach hat über die Wahlvor‐ gänge im Wirtschaftsbetrieb gesprochen und einmal lapidar festgestellt: „Wirtschaft ist Wäh‐ len“. 647 In der betrieblichen Praxis sind seit jeher Entscheidungen zu treffen: Welche Rechtsform soll das Unternehmen haben? Welche Investi‐ tion soll getätigt und wie soll diese finanziert werden? Wie soll das Produktionsprogramm oder das Sortiment gestaltet werden? Sollen be‐ stimmte betriebliche Leistungen selbst erbracht oder ausgelagert werden? Sollen eigene Außen‐ dienstmitarbeiter oder selbständige Handels‐ vertreter für den Vertrieb eingesetzt werden? Die Aufzählung von Beispielen ließe sich belie‐ big fortsetzen. Die Erkenntnis, dass Menschen zwischen Handlungsalternativen zu wählen haben, ist in der Wirtschafts‐ wissenschaft nicht neu. Das räumt auch Heinen ein, betont aber: „Neu und für die Zukunft richtungweisend ist nicht so sehr die Tatsache, daß sich die Betriebswirtschaftslehre mit Entscheidungen befaßt, sondern die Art und Weise, die Methodik, wie sie Entscheidungen untersucht.“ 648 Zur Methodik der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre schreibt Heinen in seiner „Einführung in die Betriebswirtschaftslehre“: „Die Tatsache, daß sich das wissenschaftliche Bemühen der Betriebswirtschafts‐ lehre auf die Entscheidungen konzentriert, darf nicht mißverstanden werden. Die Betriebswirtschaftslehre erfaßt grundsätzlich alle Tätigkeiten. Sie stellte die Entscheidungen lediglich deshalb in den Vordergrund, weil diese letztlich für alle ausführenden Tätigkeiten bestimmend sind. […] Die Betriebswirtschaftslehre beschränkt sich nicht auf die Entscheidungen im engeren Sinn, auf die eigentlichen Willensakte […]. Es wird vielmehr der gesamte Entscheidungsprozeß betrachtet. Dies erfordert die Berücksichtigung aller ausfüh‐ renden Tätigkeiten der Planungs-, Vollzugs-, und Kontrollphase, soweit sie in einem Zusammenhang mit Entscheidungen stehen. 284 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="285"?> Der Entscheidungsprozeß durchläuft mehrere Phasen. Diese können grundsätz‐ lich in die beiden Hauptphasen der Willensbildung und der Willensdurchsetzung gegliedert werden [→ Abb. 10.2] Willensdurchsetzung Willensbildung Planung Anregung Suche Auswahl Erkennen und Klarstellen des Problems Festlegen von Kriterien - Suche nach Handlungsmöglichkeiten - Beschreibung und Bewertung ihrer Folgen Bestimmung der günstigsten Handlungsweise (Entscheidungsakt) Vollzug Kontrolle Verwirklichungsphase Bestimmung der Zielerreichung Einflussgrößen Phasen Teilaufgaben Rückinformation für Revisionsentscheidungen Zielsystem Informationssystem Sozialsystem Abb. 10.2: Einflussgrößen und Phasen des Entscheidungsprozesses in der Unternehmens‐ organisation. | [61] Der Prozeß der Willensbildung wird in einer Vorstufe durch die Feststellung eines ungelösten Problems ausgelöst. Anregungs-(Impuls-)Informationen lie‐ fern die Erkenntnis, daß die Wirklichkeit nicht den Zielvorstellungen entspricht. Dieser Tatbestand veranlasst die Gewinnung zusätzlicher Informationen, die in der anschließenden Ursachenanalyse zu einer Klärung und genaueren Be‐ schreibung der offenen Fragen beitragen. Wird - nachdem das Problem formuliert 10.2 Die entscheidungstheoretische Ansatz (Edmund Heinen) 285 <?page no="286"?> 649 E. Heinen: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 9. Aufl., Wiesbaden 1985, S. 22f. ist - die Herbeiführung einer Entscheidung für unabweisbar erachtet, so gilt die Anregungsphase als abgeschlossen. Die nächste Stufe des Entscheidungsprozesses, die Suchphase, leitet vom Zu‐ stand der „Unorientiertheit“ zum eigentlichen Prozeß der Willensbildung über. Es sind die der Entschlußfassung vorausgehenden Maßnahmen zu treffen. In der Suchphase werden die Handlungsmöglichkeiten und ihre zu erwartenden Folgen erfaßt. […] Mit der Auswahl- oder Optimierungsphase wird der Prozeß der Willensbil‐ dung abgeschlossen. Die im Rahmen der Beschränkungen zulässigen Handlungs‐ möglichkeiten sind in eine Rangfolge zu bringen. Das Entscheidungsproblem ist gelöst, wenn eine Handlungsmöglichkeit gefunden ist, die unter Berück‐ sichtigung des angestrebten Ausmaßes der Zielerreichung von keiner anderen übertroffen wird. Mit der Entschlußfassung ist der abwägende Prozeß der Willensbildung abge‐ schlossen. Dem Wahlakt folgt die Durchsetzung dessen, wozu sich der Entschei‐ dungsträger entschlossen hat. Der Prozeß der Willensdurchsetzung führt zur Verwirklichung der ge‐ wählten Handlungsmöglichkeit. Da Entscheidung und Ausführung meist per‐ sonell getrennt sind, müssen anweisende oder unterrichtende Informationen von Entscheidungsträgern zum Ausführenden fließen. In der Regel besitzt der Ausführende noch einen gewissen Handlungsspielraum, den er durch eigene Entscheidungen „überbrücken“ muß. Alle Vorgänge im Rahmen eines Entscheidungsprozesses bedürfen einer laufen‐ den Überwachung. Die Kontrollphase überlagert somit den gesamten Prozeß der Willensbildung und Willensdurchsetzung. Bei Abweichungen zwischen Plan- und Kontrollwerten fließen Revisionsinformationen zurück zum Entscheidungs‐ träger. Sie führen zu Anpassungsmaßnahmen und lösen neue Entscheidungen aus. Der Entscheidungsprozeß nimmt damit einen neuen Anfang. Die Kontroll‐ phase der Willensdurchsetzung geht in die Anregungsphase erneuter Willensbil‐ dung über. Es beginnt ein neuer Entscheidungsprozeß.“ 649 Den interdisziplinären Ansatz der entscheidungsorientierten Betriebs‐ wirtschaftslehre erläutert Heinen in seiner „Industriebetriebslehre“: „Die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre analysiert sowohl die Umstände, unter denen Entscheidungsprozesse stattfinden als auch die spezifi‐ schen Verhaltensweisen von an solchen Prozessen beteiligten Individuen und 286 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="287"?> 650 E. Heinen (Hrsg.): Industriebetriebslehre, 8. Aufl., Wiesbaden 1990, S.-7, 12. 651 E. Heinen: Grundfragen der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, Mün‐ chen: Goldmann 1976, S.-395. 652 Vgl. Heinen (1985), S.-38ff. Gruppen. Diese auf das menschliche Verhalten ausgerichtete Konzeption sieht Betriebswirtschaften als Sozialsysteme, d. h. als Mehrheiten von Personen, zwi‐ schen denen - bedingt durch die Arbeitsteiligkeit - vielfältige Beziehungen be‐ stehen. Das Entscheidungsverhalten der Mitglieder einer Betriebswirtschaft läßt sich nur unter Berücksichtigung solcher Beziehungen sowie der externen und in‐ dividuellen Einflüsse erfassen. Dies erfordert ein begriffliches Instrumentarium, das ohne Rückgriff auf Erkenntnisse anderer sozialwissenschaftlieber Disziplinen wie z. B. Psychologie, Sozialpsychologie oder Politologie kaum zu entwickeln ist. Eine in diesem Sinne entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre ist daher notwendigerweise interdisziplinär angelegt. […] Die nachstehende Abbildung [→ Abb. 10.3] soll den Forschungsansatz der ent‐ scheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre verdeutlichen. Das breite obere Rechteck kennzeichnet den Aktivitätsbereich der Betriebswirtschaftslehre, das untere Rechteck deutet ihre interdisziplinäre Verbundenheit an.“ 650 Heinens Ansatz der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre führte auch allgemein zu einer interdisziplinären Öffnung der Betriebswirt‐ schaftslehre (z. B. zur Psychologie und den Sozialwissenschaften), die bis dahin im Wesentlichen durch Gutenberg dominiert wurde. Somit wurde auch der vorherrschende neoklassische Ansatz abgelehnt, der auf dem Menschenbild vom Homo oeconomicus basiert - und implizit auch dem Gutenberg’schen System zugrunde liegt: „Die entscheidungsorientierte Be‐ triebswirtschaftslehre entlässt […] den Homo oeconomicus der klassischen Mikroökonomie in das Reich der Fabel.“ 651 Der entscheidungsorientierte Ansatz berücksichtigt vielmehr „ein wirklichkeitsnahes Modell des wirt‐ schaftenden Menschen“ und geht nicht mehr nur vom modellhaften, rational denkenden Nutzenmaximierer aus. 652 10.2 Die entscheidungstheoretische Ansatz (Edmund Heinen) 287 <?page no="288"?> 653 Vgl. Meffert (2002), S.-140. 654 Schanz (2014), S.-62. (1) Erforschung betriebswirtschaftlicher Ziele und Zielbildungsprozesse (z. B. Gewinn-, Umsatz-, Rentabilitäts-, Sicherheitsstreben etc.) (2) Systematisierung betriebswirtschaftlicher Entscheidungstatbestände (z. B. Problemstellung im Produktions-, Absatz- oder Finanzbereich etc.) (3) Betriebswirtschaftliche Erklärungsmodelle (z. B. Produktionsfunktion, Preis-Absatz- Funktion etc.) (4) Betriebswirtschaftliche Entscheidungsmodelle (z.B. Entscheidungsmodell zur optimalen Programmplanung, Investitionsmodelle etc.) (5) Grundmodelle Betriebswirtschaftlich relevante Modelle der Menschen, der Gruppe, der Organisation und der Gesellschaft (6) Fachübergreifende Auffassungen (z.B. Entscheidungs-, Organisations-, Systemtheorie) (7) Nachbarwissenschaften (z.B. Volkswirtschaftslehre, Rechtswissenschaft, Soziologie, Politologie, Psychologie, Sozialpsychologie, Mathematik) Bewertung von Handlungsmöglichkeiten Betriebswirtschaftslehre Ergebnis fachverbindender (interdisziplinärer) Forschung Abb. 10.3: Der Forschungsansatz der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre. | [62] Wurde der Ansatz von Heinen anfangs euphorisch begrüßt, setzte schon Ende der 1970er-Jahre eine gewisse Ernüchterung ein, da die quantitativen Modellvorstellungen der Komplexität und Dynamik der Entscheidungspro‐ bleme nur sehr bedingt gerecht wurden. 653 Doch trotz aller Kritik ist nach Auffassung von Schanz „das heuristische Potenzial dieses Ansatzes beträchtlich“. Durch die sozialwissenschaftliche Ausrichtung seien „der Be‐ triebswirtschaftslehre neue und wichtige Zugangsmöglichkeiten zu bislang verschlossen gebliebenen Problemfeldern eröffnet worden.“ 654 Diesbezüg‐ lich führt Edwin Rühli folgende Aspekte des entscheidungsorientierten An‐ 288 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="289"?> 655 Vgl. Rühli (2002), S.-126f. satzes an, welche in der Gesamtschau die Denkweise der deutschsprachigen BWL positiv beeinflusst hätten: ■ Der entscheidungsorientierte Ansatz bricht eine verengte Sichtweise durch die bis dahin vorherrschenden betriebswirtschaftlichen Konzepte auf. ■ Andere Wissenschaften und Denkmuster können in die betriebswirt‐ schaftlichen Modelle integriert werden, insbesondere institutionelle und soziale Faktoren. ■ Verschiedene methodologische Vorgehensweisen werden akzeptiert, wodurch der Methodenmonismus überwunden werde. ■ Dadurch, dass der Ansatz von Heinen umfassend interdisziplinär ist, können Erkenntnisse der Mathematik, der Wirtschafts-, Natur- und Sozialwissenschaften fruchtbar gemacht werden. ■ Durch den entscheidungsorientierten Ansatz kann die Aufmerksamkeit auf neue oder zeitbedingt besonders aktuelle Fragestellungen gelenkt werden. ■ Die starke Betonung der Gestaltungsaufgabe der entscheidungsorien‐ tierten Betriebswirtschaftslehre fördert deren Praxisnähe. 655 Zu einer negativen Würdigung des entscheidungsorientierten Ansatzes gelangt Dieter Schneider, der konsequent auf einer streng wirtschaftswissen‐ schaftlichen Denkweise beharrt. Er kritisiert an dem Ansatz von Heinen, dass „weder die von ihm behauptete Synthese zwischen Nicklisch und Gutenberg zu erkennen [ist], noch leuchtet ein, daß bei ‚echten‘ (also Nicht-Routine-)Entschei‐ dungen gerade die deskriptive sozialwissenschaftliche Entscheidungstheorie (die ihr empirisches Material aus konstruierten oder Routine-Entscheidungen gewinnt) für das Ableiten von Handlungsempfehlungen nützlich sei, während Routine-Entscheidungen mit Hilfe der Entscheidungslogik ‚befriedigend‘ gelöst werden können, also Entscheidungen bei denen regelmäßig kaum mehr nachge‐ dacht wird. Eher trifft das Gegenteil zu. Genauso unklar bleibt, wie diese sich wertfrei verstehende praktisch gestaltende Lehre begründete Handlungsempfeh‐ lungen abgeben will, wenn zugleich betont wird, klar formulierte Unternehmens‐ 10.2 Die entscheidungstheoretische Ansatz (Edmund Heinen) 289 <?page no="290"?> 656 Schneider (2001), S.-260. 657 Ulrich, zitiert nach Wöhe (1990), S.-230. 658 H. Ulrich: Die Unternehmung als produktives soziales System, 1970, S.-105. 659 H. Ulrich: Management - eine unverstandene gesellschaftliche Funktion, 1983, S.-181. ziele existieren praktisch nicht. Hier gehen erklärende und gestaltende Theorie- Wunschvorstellungen ein nicht geglücktes Gemisch ein.“ 656 Etwa zeitgleich zu der in Deutschland stattfindenden sozialwissenschaftli‐ chen Öffnung der Betriebswirtschaftslehre versuchte in der Schweiz Hans Ulrich noch einen Schritt weiterzugehen. Seine „systemorientierte Betriebs‐ wirtschaftslehre“ rücke „zukünftige Wirklichkeiten“ ins Blickfeld, die nicht erklären wolle, „was ist“, sondern „was in Zukunft sein wird“. 10.3 Der systemorientierte Ansatz (Hans Ulrich) Der in St. Gallen lehrende Hans Ulrich (1919-1997) fasst die Betriebswirt‐ schaftslehre als eine kybernetische Wissenschaft auf, die „sich nicht für das Seiende, sondern das Werdende, nicht für das Bestehen, sondern das Funktionieren von Systemen“ interessiere. 657 Seinen „systemorientierten Ansatz“ stellte er 1968 in seinem Werk „Die Unternehmung als produktives soziales System“ vor. Unternehmen - als eine besondere Erscheinungsform von Organisationen - stellen für Ulrich Systeme dar: „Unter einem System verstehen wir eine geordnete Gesamtheit von Elementen, zwischen denen irgendwelche Beziehungen bestehen oder hergestellt werden können.“ 658 Der konkrete Bezug zur Be‐ triebswirtschaft wird hergestellt durch die von Ulrich verwendeten Attribute produktiv und sozial: Unternehmungen seien sowohl produktive als auch soziale Systeme. Ulrich zielt darauf ab, eine Unternehmung aufzugliedern, in ihre Subsysteme zu zerlegen und deren Beziehungen untereinander zu analysieren. Da er Unternehmen als Regelsysteme versteht, möchte er sodann aufzeigen, wie diese im Sinne der Kybernetik geregelt und gesteuert werden können. Zur Kybernetik schreibt er: „Dieses Teilgebiet der Systemtheorie befasst sich mit einem bestimmten Phäno‐ men, das überall in der Natur und in der Gesellschaft vorkommt, demjenigen der Lenkung, dem unter Kontrolle halten von Zuständen. Sie ist also durchaus eine empirische Wissenschaft, aber mit einem Problembereich, der gewissermaßen quer liegt zu allen üblichen wissenschaftlichen Disziplinen.“ 659 290 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="291"?> 660 Wöhe (1990), S.-230. 661 H. Ulrich: Der systemorientierte Ansatz in der Betriebswirtschaftslehre, in: Wissen‐ schaftsprogramm und Ausbildungsziele der Betriebswirtschaftslehre, Berlin 1971, S. 46. Zur Verortung des systemorientierten Ansatzes innerhalb der Wissen‐ schaftsdisziplinen, der zu einer erheblichen Erweiterung und Öffnung der Betriebswirtschaftslehre führte, stellt Wöhe fest: „Der systemorientierte Ansatz fasst die Betriebswirtschaftslehre als eine ,Gestaltungslehre‘ auf, die sich von den Naturwissenschaften dadurch unterscheidet, daß sie nicht auf Erklärung, sondern auf Zukunftsgestaltung ausgerichtet ist. Sie wird in die Nähe der Ingenieurwissenschaften gestellt, von denen sie sich dadurch unterscheidet, daß sie sich nicht mit technischen, sondern mit sozialen Systemen beschäftigt.“ 660 Darin sehe Ulrich „eine notwendige Vorstufe zu einem sinnvoll praktischen Handeln der sogenannten Führungskräfte in zweckorientierten sozialen Systemen, insbesondere in Unternehmungen.“ 661 Da Unternehmungen auch soziale Gebilde sind, die der Lenkung und Steuerung bedürfen, spricht man bei der Anwendung der Kybernetik auf das betriebswirtschaftliche Erkenntnisprojekt Unternehmung auch von einem sozial-kybernetischen Ansatz der Betriebswirtschaftslehre. Wenn ein Unternehmen ein regelungsbedürftiges System ist, kann es verglichen werden mit der Funktionsweise eines Thermostats: Zunächst herrscht ein Gleichgewichtszustand. Eine Störung innerhalb des Systems führt zu einem schlechteren Ist-Wert, der an einen Regler gemeldet wird. Dieser erfasst die Soll-Ist-Abweichung und reagiert in Form einer veränderten Anweisung an die Regelstrecke, und zwar so lange, bis die Ist-Werte den Soll-Werten entsprechen. Dieses Prinzip überträgt Ulrich auf das Unternehmen (→ Abb. 10.4). Entspricht der Output (z. B. ein Produkt) nicht den Sollwerten (z. B. Qualitätsstandards), nimmt eine Entscheidungsinstanz (z. B. der Maschi‐ nenführer) eine Korrekturentscheidung vor und verändert die Einstellung der Maschine. Dieses ist der erste Regelkreis, der unterhalb der Unterneh‐ mensleitung abläuft. Kommt es zu weiteren massiven Störungen, die sich auf der unteren Ebene nicht korrigieren lassen, wird die übergeordnete Instanz (z. B. Unternehmensführung) einbezogen und es kommt evtl. zu einer Formulierung eines neuen Soll-Wertes. Es entsteht also ein zweiter Regelkreis. 10.3 Der systemorientierte Ansatz (Hans Ulrich) 291 <?page no="292"?> Zielsetzendes System (ZS) Entscheidungsinstanz (EI) Regler (R) (Soll-Ist-Vergleich) Ist-Wert- Erfasser (IWE) Aktivität Ziel, Sollwert Übergeordnetes System Korrekturentscheide Regler im w. S. Istwert Regelsystem Störungen Input Output Auslösung und Inganghaltung des Ziel-Ansteuerungsvorganges Rückkopplungsschleife, bestehend aus - Istwert-Erfassung - Soll-Ist-Vergleich - Korrekturmaßnahmen Abb. 10.4: Aufbau eines Regelsystems nach Ulrich. | [63] Rühli fasst die den systemorientierten Ansatz kennzeichnenden Merkmale wie folgt zusammen: Das Unternehmen ■ wird als System aufgefasst, d. h. als eine Menge von Elementen, zwischen denen Interaktionen bestehen, ■ verfolgt einen produktiven Zweck, nämlich die betriebliche Leistungs‐ erstellung und Leistungsverwertung, ■ ist zugleich auch immer ein soziales Gebilde, in dem Individuen und Gesellschaften aktiv tätig sind, ■ ist als System gestaltbar, d. h. der Gestaltungsaspekt steht im Zentrum des betriebswirtschaftlichen Denkens und Handelns und ■ bedarf als System der Steuerung und Lenkung. Die Führung sozialer Systeme ist demnach ein zentrales Problem der Betriebswirtschafts‐ 292 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="293"?> 662 Vgl. Rühli (2002), S.-128. 663 E. Gutenberg: Zur Theorie der Unternehmung, Berlin u.-a. 1989, S.-169 f. 664 Vgl. Wöhe (1990), S.-230. 665 Vgl. Rühli (2002), S.-129f. lehre, die Ulrich im Sinne einer systemorientierten Managementlehre begreift. 662 Starke Kritik am sytemtheoretischen Ansatz übte Erich Gutenberg: „Der Systemansatz von Ulrich liefert keine methodische Prozedur, weder für Fragen der Prozeßanalyse noch der Prozeßgestaltung. Es wird nur ausführlich gesagt, daß es Systeme ‚natürlicher‘ oder ‚künstlicher‘, von Menschen geschaffe‐ ner Art gibt, daß sich ein System durch eine Menge von Elementen kennzeichnet, zwischen denen Abhängigkeiten bestehen, daß Systeme sich in Subsysteme untergliedern lassen, daß es offene und geschlossene, deterministische und pro‐ babilistische, statische und dynamische Systeme gibt. […] Über die Beliebigkeit des Systembegriffs im heutigen deutschen Sprachgebrauch (und nicht nur in ihm) kommt Ulrich denn auch nicht heraus. […] Dem Systemansatz von Ulrich fehlt also die Systemidee. Er ist blaß und nur eine Rahmenbedingung unverbindlicher Art. Es ist schwer zu verstehen, wie ein solcher Systemansatz den Gegenstand einer Disziplin zu bestimmen die Kraft haben soll.“ 663 Heute wird allgemein anerkannt, dass der von Ulrich entwickelte Ansatz wesentlich dazu beigetragen hat, eine Verschiebung der Betriebswirtschafts‐ lehre hin zur Managementlehre bewirkt zu haben. Auch hat er zu einer erheblichen Öffnung des Faches geführt. Durch die Betrachtung der Unter‐ nehmen als offene, soziale Systeme wurde die BWL für ökologische und ethische Fragen (Unternehmensethik) geöffnet, und die rein analytische Betrachtungsweise hat sich geweitet zu einer systemischen Denkweise. Ob allerdings eine Wissenschaft, die nicht bestehende, sondern künftige Wirklichkeiten erklären bzw. diese sogar realisieren möchte, überhaupt noch eine Betriebswirtschaftslehre darstellt, erscheint fraglich. 664 Jedenfalls hat der systemorientierte Ansatz sowohl in einzelnen Funktionsbereichen der Betriebswirtschaftslehre (z. B. Management, Marketing, Personalwesen) als auch in den speziellen Betriebswirtschaftslehren (Industriebetriebslehre, Handelsbetriebslehre usw.) zu einer Ausweitung der Forschungsaktivitäten geführt. 665 Nachfolgend werden zunächst drei Ansätze vorgestellt, die als eine direkte Folge der sozialwissenschaftlichen Öffnung verstanden werden 10.3 Der systemorientierte Ansatz (Hans Ulrich) 293 <?page no="294"?> 666 Vgl. H. Wächter/ T. Metz: Das kritische Vermächtnis der AOEWL, in: Innovation und Internationalisierung, hrsg. von W. Baumann/ U. Braukmann/ W. Matthes, Wiesbaden 2010, S.-31. 667 Vgl. ebenda, S.-29. 668 Vgl. ebenda. können: Die Anfang der 1970er-Jahre aufkommende Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre (AOEWL), die allerdings schon bald wieder in der Bedeutungslosigkeit versunken ist, sowie zwei Ansätze, die aktuell eine große Relevanz in der Betriebswirtschaftslehre haben, nämlich der ver‐ haltenswissenschaftliche Ansatz und der ökologische Ansatz. Dieses Kapitel endet mit der Neuen Institutionenökonomik, deren Vertreter den Anspruch erheben, dass es sich dabei um einen wirtschaftswissenschaftli‐ chen Ansatz handle. 10.4 Die Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre Im Mittelpunkt der Anfang der 1970er-Jahre konzipierten Arbeitsorientier‐ ten Einzelwirtschaftslehre (AOEWL) steht der Interessengegensatz zwi‐ schen Arbeit und Kapital. Dieses neue Alternativkonzept stellte für die herr‐ schende „kapitalorientierte“ Betriebswirtschaftslehre einen exogenen Schock dar: Einerseits kam diese Entwicklung nicht aus dem universitären Wissen‐ schaftsbetrieb, nicht aus der Fachdisziplin heraus, sondern „von außen“, nämlich von gewerkschaftsnahen Wissenschaftlern, die ein politisch-ökono‐ misches Grundverständnis vertraten, das der klassischen Betriebswirtschafts‐ lehre zwar nicht ganz fremd war - man denke beispielsweise an Schär, Nicklisch, Schmalenbach -, das jedoch schon seit Jahrzehnten als obsolet erschien. Andererseits wurde der Schock „von unten“ ausgelöst, d. h. von unbekannten Wissenschaftlern und nicht von arrivierten Fachvertretern. 666 Von letzteren „wurde schweres Geschütz aufgefahren“ 667 : Norbert Koubek, der führende Vertreter der AOEWL, wurde auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik von namhaften Fachvertretern ermahnt, er solle auf den Pfad der ökonomischen Tugend zurückkehren (F. Neumark), die AOEWL wurde als „wenig sinnvoll“ (W. Engels) und als „Dumme-Jungen-Streich“ (H. Albach) abgetan. 668 Der Schock für die etablierten Fachvertreter muss heftig gewesen sein: Denn gerade erst hatte die BWL mit dem Ansatz von Guten‐ berg ihr fachwissenschaftliches Selbstwertgefühl zurückerlangt, da rissen auch schon Heinen und Ulrich mit ihren sozialwissenschaftlichen Ansätzen, 294 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="295"?> 669 Mitglieder der Projektgruppe waren: U. Briefs, U. Engelen-Kefer, M. Helfert, G. Himmel‐ mann, H. Kohl, N. Koubek, H.-D. Küller, B. Mühlhaupt und I. Scheibe-Lange. Vgl. N. Koubek: Jenseits und Diesseits der Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 2010, S.-130. 670 H. Wächter/ T. Metz (2010), S.-29. Abb. 10.5.: Norbert Koubek, 1973. | [64] die zeigten, dass es alternative und widerstreitende Unternehmensziele zu berücksichtigen gelte, Tür und Tor der Betriebswirtschaftslehre weit auf. Und dies machte sich dann ausgerechnet eine Gruppe von gewerkschafts‐ nahen Forschern zunutze. Von April 1972 bis März 1973 entwickelte eine aus neun Mitarbeitern 669 bestehende Pro‐ jektgruppe des Wirtschafts- und Sozialwissen‐ schaftlichen Instituts (WSI) des Deutschen Ge‐ werkschaftsbundes (DGB) die „Grundelemente einer Arbeitsorientierten Einzelwirtschaftslehre“ (AOEWL). Diese Gruppe setzte sich zusammen aus Betriebswirten, Volkswirten, Soziologen und Politologen. Hauptprotagonist war der dama‐ lige junge Frankfurter Wirtschaftswissenschaft‐ ler Norbert Koubek. „Er hat dieses Projekt aus der Taufe gehoben, er war Integrator, Moderator, Frontmann, Anchorman.“ 670 Norbert Koubek (*1942) studierte von 1962 bis 1969 Volkswirtschaftslehre an der Goe‐ the-Universität Frankfurt am Main. Nach dortiger Promotion war er Mitarbeiter am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI), wo er maßgeblich an der Konzeption der Arbeitsorientierten Einzelwirtschaftslehre (AOEWL) beteiligt war. Von 1974 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2010 hatte Koubek eine Professur für Betriebswirtschaftslehre an der Bergischen Universität Wuppertal. Mit ihrer Studie, die aufgrund ihrer wissenschaftsprogrammatischen Aussa‐ gen wohl eher als Aufruf zu einer Umorientierung der BWL denn als fertige Theorie verstanden werden muss, wollten die Wissenschaftler den Versuch unternehmen, der herkömmlichen kapitalorientierten Betriebswirtschafts‐ lehre ein alternatives Konzept entgegenzusetzen, das dazu beitragen sollte, den Interessen der abhängig beschäftigten Arbeitnehmer stärkeres 10.4 Die Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre 295 <?page no="296"?> 671 N. Koubek: Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre (AOEWL), Mitbestimmung und Gewerkschaftspolitik, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 24. Jg., H. 11/ 1973, S.-688f. 672 WSI-Forum am 6. und 7. Juni 1973: Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre contra Kapitalorientierte Betriebswirtschaftslehre, in WSI-Studien, Nr. 24, Bund-Verlag-Köln 1973. Gewicht zu verleihen. Denn in der klassischen Betriebswirtschaftslehre, so die Kritik der Projektgruppe, wurde „die Einbeziehung der abhängig Beschäftigten in die Theorie weitgehend vernachlässigt. Vielmehr habe sich gezeigt, „daß sich die BWL als Entscheidungslehre für einen mög‐ lichst rentablen privatwirtschaftlichen Kapitaleinsatz entwickelt hat.“ 671 Der kleine Seitenhieb auf den entscheidungsorientierten Ansatz von Heinen ist offensichtlich. Die Projektgruppe stellte ihr Konzept der AOEWL 1973 im Rahmen eines zweitägigen WSI-Forums vor, an dem auch zahlreiche Vertreter der kritisierten Betriebswirtschaftslehre mit eigenen Vorträgen und Diskussi‐ onsbeiträgen teilnahmen. 672 Zum Ziel und Begriff der AOEWL heißt es dort: „Der Versuch, die Betriebswirtschaftslehre als Teil der Wirtschafts- und Gesell‐ schaftswissenschaften aus ihrer Umklammerung durch ausschließlich oder zu‐ mindest vorrangig an Kapitalverwertung interessierten gesellschaftlichen Grup‐ pen zu lösen, dient dem Ziel, die Humanisierung der Gesellschaft zu fördern, indem für diesen zentralen Bereich der Ökonomie wissenschaftlich abgesicherte Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. […] Unter Einzelwirtschaftslehre wird die Lehre von autonomen wirtschaftlichen Entscheidungseinheiten zur Produktion und Verteilung von Gütern und Dienst‐ leistungen verstanden, die in gesellschaftlichen Kooperations- und Austauschbe‐ ziehungen stehen. Damit werden diese Entscheidungseinheiten erstens gegen‐ über gesamtwirtschaftlichen Institutionen abgegrenzt. Zweitens ergibt sich eine Abgrenzung zur Betriebswirtschaftslehre, und zwar aus dem Bemühen, die Inhalte des dogmengeschichtlich vorbelasteten Begriffs Betriebswirtschafts1ehre durch Anwendung des hier vorgelegten arbeitsorientierten Interessenansatzes abzulösen. Drittens soll damit auch das vordergründige Mißverständnis aufgeho‐ ben werden, das durch den unterschiedlichen Gebrauch des Begriffs Betrieb in Theorie und Praxis zustande kommt. Der zweite Begriff soll wie folgt definiert werden: Als arbeitsorientiert wird die Prägung von Handlungen verstanden, die auf die Durchsetzung von Interessen der abhängig Beschäftigten in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft 296 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="297"?> 673 N. Koubek: Grundelemente einer Arbeitsorientierten Einzelwirtschaftslehre, in: WSI- Mitteilungen, H. 5/ 1973. Auch: Projektgruppe im WSI: Grundelemente einer Arbeits‐ orientierten Einzelwirtschaftslehre. Ein Beitrag zur politischen Ökonomie der Unter‐ nehmung, WSI-Studie Nr. 23, Köln 1974. Der Text ist auch abgedruckt in Koubek: Jenseits und Diesseits der Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 2010, S.-130-156. Nach letzterer Quelle wird hier zitiert. 674 Vgl. Koubek (2010), S.-142f. 675 Vgl. Koubek (2010), S.-140, S.-144f. und H. Wächter/ Metz (2010), S.-32. abzielen. In diesem Sinne sind die arbeitsorientierten Interessen im Rahmen einer Einzelwirtschaftslehre erkenntnisleitende Interessen. Dem steht der Begriff kapitalorientiert gegenüber, der das vorrangig auf das Kapitalverwertungsin‐ teresse ausgerichtete Handeln kennzeichnet.“ 673 Im Zentrum der AOEWL stehen auf einzelwirtschaftlicher Ebene insbe‐ sondere die ■ Sicherung der Arbeitsplätze, ■ optimale Gestaltung der Arbeit (Maßnahmen zur besseren Befriedigung der beruflichen, sozialen und politischen Bedürfnisse der Arbeitnehmer) und ■ Sicherung und Steigerung der Einkommen. 674 Daneben werden auf gesamtwirtschaftlicher Ebene folgende Aspekte in den Blick genommen: ■ rationale Steuerung der Produktion (Probleme der gesamtwirtschaftli‐ chen Kosten sowie des Einsatzes von Arbeit und Kapital), ■ bedürfnisgerechte Versorgung und Verteilung, ■ gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung und ■ Einbeziehung von Kriterien des Verbraucherschutzes und der Umwelt‐ bedingungen. 675 Zudem erhoffte sich die Projektgruppe, mit ihrem Konzept ■ den wissenschaftlichen Diskurs und die Forschung anzuregen, ■ die gewerkschaftsinterne Diskussion zu fördern, um zu einer arbeits‐ orientierten Theorie mitbestimmter und gemeinwirtschaftlicher Unter‐ nehmungen zu gelangen, ■ eine Auseinandersetzung mit den aufgezeigten Problemen im Bildungs- und Berufsbildungsbereich zu anzustoßen und 10.4 Die Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre 297 <?page no="298"?> 676 Vgl. Koubek (2010), S.-130. 677 Vgl. Wöhe (1990), S.-230f. 678 Vgl. Schanz (2014), S.-82. 679 H. Wächter/ Metz (2010), S.-43. 680 Vgl. J.-P. Thommen: Betriebswirtschaftslehre, in: Gabler Wirtschaftslexikon, Bd. 1, 16. Aufl., Wiesbaden 2004, S.-440-445 (hier: S.-441) sowie Schanz (2014), S.-113. 681 Vgl. Brockhaus Psychologie, Leipzig/ Mannheim 2001, S.-655. ■ wirksame gewerkschaftliche Strategien gegenüber kapitalorientierten Interessengruppen zu entwickeln. 676 Neben der einseitigen Ausrichtung auf die Arbeitnehmer waren es die von der AOEWL verfolgten gesamtwirtschaftlichen Interessen, die Wöhe und andere Kritiker an „marxistische Vergangenheit erinnern“ ließen und sie dazu veranlassten, den arbeitsorientierten Ansatz als „methodologisch und auch politisch-ideologisch vorbelastet“ zu betrachten. 677 Wie Schanz anmerkt, sei zwar das gesamte Konzept der AOEWL innerhalb der Betriebs‐ wirtschaftslehre seinerzeit auf nahezu einhellige Ablehnung gestoßen; dies sei jedoch insofern nicht gerechtfertigt gewesen, als von der Projektgruppe durchaus konstruktive Kritik geleistet worden sei. 678 Zu einem ähnlichen Befund gelangen auch H. Wächter und T. Metz: „Auch wenn die AOEWL heute kaum mehr bekannt ist, kann sie sich das Verdienst zurechnen, die eta‐ blierte BWL auf breiter Front herausgefordert und in ihrer Selbstgewissheit in neuer Weise provoziert zu haben. Dadurch, dass sie sowohl theoretische als auch praktische Alternativen reklamierte, hat sie Fragen aufgeworfen, an denen Fachvertreter bis heute nicht vorbeikommen.“ 679 10.5 Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz Der verhaltensorientierte Ansatz (engl. Behavioral Approach) versucht, mit‐ hilfe von Theorien über menschliches Verhalten soziale und soziotechnische Beziehungen auf Märkten und in Organisationen zu erklären, deren wirt‐ schaftliche Konsequenzen aufzuzeigen und der Praxis kritisch-konstruktiv zur Seite zu stehen. 680 „Verhalten“ ist eine Sammelbezeichnung für alle menschlichen Akti‐ vitäten, die für einen Betrachter äußerlich wahrnehmbar oder indirekt erschließbar sind. 681 Zu den Erscheinungsformen des Verhaltens zählen 298 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="299"?> 682 Vgl. G. Schanz: Verhaltenswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre, in: Handwör‐ terbuch der Betriebswirtschaft, Bd.-3, 5. Aufl., Stuttgart 1993, Sp. 4522. 683 D. G. Myers: Psychologie, 4. Aufl., Berlin/ Heidelberg 2023, S. 11. 684 Vgl. Brockhaus Psychologie (2001), S.-655. 685 Schanz (1993), Sp. 4522. 686 Vgl. Schanz (2014), S.-115. 687 Vgl. Meffert (2002), S.-143. sowohl das unbewusste Reagieren als auch das willensgesteuerte Agieren. 682 Die Wissenschaft, die sich mit dem menschlichen Verhalten befasst, nennt man Verhaltenswissenschaften (engl. Behavioral Sciences). Zu dieser ge‐ hören insbesondere die Psychologie, Verhaltensforschung, Anthropologie, Soziologie, Medizin und Biologie. Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz in der Betriebswirtschaftslehre fußt vor allem auf der Psychologie und der Soziologie. Während sich die Soziologie der Erforschung des sozialen Zusammenlebens der Menschen widmet, befasst sich die Psychologie mit dem Verhalten und den mentalen Prozessen von Menschen. „Verhalten ist alles, was ein Organismus macht - jede Handlung, die wir beobachten und registrieren können. […] Mentale Prozesse sind innere subjektive Erfahrun‐ gen, die wir aus dem Verhalten erschließen.“ 683 Von besonderem Interesse ist dabei das Verhalten, welches beobachtbar und messbar ist. Aber auch die mentalen Prozesse (Gedanken, Gefühle, Überzeugungen, Imagination usw.) können relevant sein, wenn sie beobachtbar oder ableitbar sind. 684 Werden die Verhaltenswissenschaften konsequent in die Betriebswirt‐ schaftslehre integriert, so könne nach Schanz „von einer verhaltenstheore‐ tischen BWL im Sinne eines Wissenschaftsprogramms gesprochen werden, das sich von anderen Konzeptionen erkennbar abhebt.“ 685 Sein zentrales Merkmal ist der methodologische Individualismus. Darunter versteht man eine Analysemethode (nicht eine Werthaltung von Menschen! ), wel‐ cher der Leitgedanke zugrunde liegt, dass Individuen und deren Verhalten erforscht werden müssen, um komplexe soziale Gebilde und Prozesse verstehen und erklären zu können. 686 Insofern bildet der methodologische Individualismus auch die Grundlage und Voraussetzung des sozialwissen‐ schaftlichen Ansatzes. Denn erst wenn realistische Annahmen über das Verhalten von Wirtschaftssubjekten getroffen werden, gewinnen auch die entscheidungsorientierten (Heinen) und systemorientierten (Ulrich) Kon‐ zepte an Gehalt. 687 Seinen betriebswirtschaftlichen Ursprung hat der verhaltenswissen‐ schaftliche Ansatz in der angelsächsischen Organisations- und Manage‐ 10.5 Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz 299 <?page no="300"?> 688 Vgl. Meffert (2002), S.-143. 689 Philip Kotler in einem persönlichen Brief an L. W. vom 11. Mai 2021. Abb. 10.6: Herbert A. Simon. | [65] mentlehre. Er geht zurück auf die Forschungsarbeiten von Herbert A. Simon, James March-und Richard Cyert in den 1950er- und 1960er-Jahren. Erst einige Jahre später fanden die Verhaltenswissenschaften Eingang in die deutsche Betriebswirtschaftslehre. 688 Herbert A. Simon (1916-2001) erhielt 1978 den Wirtschaftsnobelpreis für „seine bahnbrechende Erforschung der Entscheidungsprozesse in Wirtschaftsorganisationen“. Nach Simon strebe der Mensch bei seinen Entscheidungen nicht nach dem ökonomischen Optimum, sondern nach Befriedigung seiner Bedürfnisse. Dies gelte auch für Unterneh‐ men. Dort seien aufgrund der widerstreitenden persönlichen rationalen und emotionalen Ziele der Menschen nicht „die besten Lösungen“, sondern lediglich „zufriedenstellende“ zu erreichen. Grundsätzlich können in der Betriebswirt‐ schaftslehre die Verhaltenswissenschaften (Be‐ havioral Economics) überall dort (als Hilfswis‐ senschaften) zum Einsatz kommen, wo das menschliche Verhalten im Zentrum steht. Dies ist vor allem der Fall auf den Gebieten der Organisation (z. B. Märkte, Arbeitsteilung, Unternehmensbereiche und -abteilungen), des Personalmanagements (z. B. Lohn- und Ge‐ haltssysteme, Formen der Arbeitsgestaltung wie Jobrotation, Jobenlargement, Jobenrichment usw.) sowie des Marketings, hier insbeson‐ dere bei der Untersuchung des Konsumentenbzw. Käuferverhaltens. Philip Kotler, der „Vater des modernen Marketings“, stellte diesbezüglich fest: „The best thing to happen was the growing interest in behavioral economics. This is recognition that a large part of decision making is emotional.“ 689 Aber auch in der Finanzwirtschaft hat unter dem Label Behavioral Finance das verhaltenswissenschaftliche Denken Einzug gehalten, beispielsweise bei der Analyse, wie Finanzakteure Entscheidungen treffen. Den Marktteilnehmern wird dabei kein bestimmtes 300 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="301"?> 690 Vgl. A. Gröppel-Klein: Geschichte der BWL - Die Konsumentenverhaltensforschung in Marketing und Betriebswirtschaftslehre, in: Ideengeschichte der BWL II, hrsg. von W. Matiaske und D. Sadowski, Wiesbaden 2022, S.-201. 691 Meffert (2002), S.-144. 692 W. Kroeber-Riel/ A. Gröppel-Klein: Konsumentenverhalten, 11. Aufl., München: Vahlen 2019. Abb. 10.7: Werner Kroeber- Riel. | [66] Verhaltensmuster unterstellt (z. B. Homo oeconomicus), sondern es werden hier vielmehr die Schwächen und kognitiven Grenzen in den Mittelpunkt gerückt, wie z.-B. Informationsasymmetrien zwischen den Marktakteuren. Im Marketing ist der verhaltenswissenschaft‐ liche Ansatz in Deutschland untrennbar mit Werner Kroeber-Riel (1934-1995) verbunden. Er gilt als Pionier und prominentester deutscher Vertreter der neobehavioristischen Konsumfor‐ schung. Er ging davon aus, dass Konsumenten sich bei ihren Kaufentscheidungen von vielfälti‐ gen, oft unbewussten und irrationalen Impulsen leiten lassen. Während seine amerikanischen Fachkollegen sich zur damaligen Zeit fast aus‐ schließlich darauf konzentrierten, affektive Pro‐ zesse aus einer kognitiven Perspektive zu ana‐ lysieren, um den Einfluss von Emotionen auf die Entscheidungsfindung zu untersuchen, wid‐ mete sich Kroeber-Riel schon in den 1970er-Jah‐ ren den biologischen Wurzeln von Emotionen. Dazu baute er als einer der ersten Forscher ein eigenes Labor auf, um die psychophysiologischen Reaktionen von Konsumenten mit entsprechenden Verfahren zu messen. 690 Auf dem Gebiet der experimentellen Erforschung des Konsumentenver‐ haltens und der Werbepsychologie erbrachte Kroeber-Riel herausragende Leistungen: Er „entwickelte die Konsumentenforschung zu einem selbstän‐ digen, interdisziplinär ausgerichteten Teilbereich der Betriebswirtschafts‐ lehre, insbesondere des Marketing.“ 691 Einen wichtigen Beitrag hierzu leis‐ tete das im Jahr 1969 an der Universität des Saarlandes von Kroeber- Riel gegründete und geleitete Institut für Konsum- und Verhaltensfor‐ schung. Kroeber-Riels Forschungsergebnisse flossen in sein 1975 in erster Auflage erschienenes Lehrbuch „Konsumentenverhalten“ ein. 692 Darin nimmt er fol‐ 10.5 Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz 301 <?page no="302"?> Nach dem Tod von Kroeber-Riel im Jahre 1995 wurde das Werk zunächst von Peter Weinberg (ab der 6. Aufl.) und dann von Andrea Gröppel-Klein (ab der 8. Aufl.) fortgeführt. 693 Vgl. Gröppel-Klein (2022), S.-199. gende Einteilung vor: Zunächst unterscheidet er zwischen den psychischen Determinanten sowie den Umweltdeterminanten des Konsumentenverhal‐ tens. Zu den psychischen Determinanten des Konsumentenverhaltens zählen ■ aktivierende Prozesse: Emotion, Motivation, Einstellung ■ kognitive Prozesse: Aufnahme, Verarbeitung und Lernen von Informa‐ tionen ■ Entscheidungsverhalten: Zusammenwirken von aktivierenden und ko‐ gnitiven Prozessen, Entscheidungsverhalten bei starker kognitiver Kon‐ trolle (z. B. bei sehr teuren Gütern), Entscheidungsverhalten bei geringer kognitiver Kontrolle (z. B. habitualisiertes Kaufverhalten, Impulskäufe). Zu den Umweltdeterminanten des Konsumentenverhaltens zählen ■ die Erfahrungsumwelt des Konsumenten (die direkte physische und soziale Umwelt) und ■ die Medienumwelt (Werbung, Kommunikation). Kroeber-Riel lag sehr viel daran, seine Forschungsergebnisse auch für den Verbraucherschutz einzusetzen, von dessen Notwendigkeit er überzeugt war. Mittels verhaltenswissenschaftlicher Sozialtechniken wollte er zur Stärkung der Konsumentenposition beitragen und die Verbraucher vor betrügerischen Machenschaften schützen. 693 Etwa zeitgleich als Kroeber-Riel sein Institut gründete, trat Heribert Meffert (*1937) in Münster seine Professur an. Meffert war der erste Inhaber eines Marketinglehrstuhls in Deutschland und zählt ebenfalls zu den Vertretern eines verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes im Marketing. Sein 1977 erst‐ mals erschienenes Lehrbuch „Marketing“, das damals noch den Untertitel „Einführung in die Absatzpolitik“ trug, gehört, ebenso wie das von Kroe‐ ber-Riel, seit fast einem halben Jahrhundert zu den Standardwerken der deutschsprachigen Marketingliteratur. Die Erklärungsansätze in der Kon‐ sumentenverhaltensforschung erläutert Meffert in einer neueren Auflage seines Lehrbuchs wie folgt: 302 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="303"?> „Zur Erklärung des Verhaltens von Nachfragern existiert eine Fülle von Mo‐ dellen und Theorien […]. Stark vereinfacht können behavioristische, neobehavi‐ oristische und kognitive Forschungsansätze des Käuferverhaltens unterschieden werden [→ Abb. 10.8]. Forschungsansätze des Käuferverhaltens S-R-Modelle (Behavioristische Forschungsansätze) S-O-R-Modelle (Echte Verhaltensmodelle) Neobehavioristische Forschungsansätze kognitive Forschungsansätze Abb. 10.8: Forschungsansätze des Käuferverhaltens. | [67] Behavioristische Erklärungsansätze lassen für ihre Analysen nur beob‐ achtbare und messbare Variablen des Käuferverhaltens zu. Vertreter dieser Ansätze gehen davon aus, dass psychische Prozesse des Nachfragers nicht beobachtbar sind und daher nicht Gegenstand der Untersuchungen sein sollten. In diesem Zusammenhang wird häufig auch von Black-Box-Modellen oder S- R-Modellen gesprochen. Das Verhalten des Menschen wird als Reaktion (R - Response) auf beobachtbare Stimuli (S) interpretiert. Zu den Stimuli zählen alle Sinnesreize und damit auch alle auf den Nachfrager ausgerichteten Marketing‐ aktivitäten. So kann bspw. die attraktive Gestaltung einer Produktverpackung (Stimulus) zu einem Impulskauf (Reaktion) führen. Unbeachtet bleiben dabei nicht-beobachtbare Prozesse, die im Nachfrager vor und während des Kaufes wirksam werden. Neobehavioristische Erklärungsansätze arbeiten mit sog. „intervenieren‐ den Variablen“ [→ Abb. 10.9]. Neben beobachtbaren und messbaren Variablen werden auch solche zugelassen, die nur indirekt über Indikatoren empirisch erfasst werden können. So wird versucht, die im Organismus (O) ablaufenden, nicht beobachtbaren Vorgänge zur Erklärung menschlichen Verhaltens her‐ 10.5 Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz 303 <?page no="304"?> anzuziehen. Folglich werden diese Modelle als „echte Verhaltensmodelle“ (Stimulus-Organism-Response/ S-O-R-Modelle) bezeichnet. So kann bspw. die Wirkung einer Werbeanzeige (Stimulus) durch die Einstellung, die ein Nachfrager (Organismus) einem beworbenen Produkt entgegenbringt, positiv oder negativ verstärkt werden und dazu führen, dass er dieses kauft oder nicht kauft (Response). Stimulus Organismus Response intervenierende Variablen: - Zufriedenheit - Motive - Einstellungen - Involvement - Image Informationsgewinnung und -verarbeitung nicht kontrollierte Stimuli (situative Faktoren) kontrollierte Stimuli (Marketing-Mix) Reaktion Kaufverhalten Verwendungsverhalten Kommunikationsverhalten Abb. 10.9: S-O-R-Paradigma der Käuferverhaltensforschung. | [68] Neobehavioristische Ansätze unterstellen, dass die „intervenierenden Variablen wie Schaltelemente die eingehenden Stimuli in einer bestimmten Weise verän‐ dern“ (Behrens). Diese Annahme wird den differenzierten Informationsverarbei‐ tungsprozessen beim Käufer nur bedingt gerecht. Zwar finden die Konstrukte Aktiviertheit, Involvement, Emotionen, Motive und Einstellungen Beachtung, nicht jedoch die kognitiven Prozesse. Dies hat zur Entwicklung kognitiver Erklä‐ rungsansätze geführt, die aktivierende, emotionale, motivationale und kognitive Prozesse gleichermaßen berücksichtigen. Die kognitiven Erklärungsansätze betrachten zusätzlich zu den genann‐ ten Konstrukten Informationsverarbeitungsprozesse im Lang- und Kurzzeitge‐ dächtnis und damit die Variablen „Lernen“, „Denken“ und „Wissen“. […] Ein Beispiel zur Veranschaulichung der kognitiven Erklärungsansätze stellt das neue Auto des Nachbarn (Stimulus) von Nachfrager A dar, der sich dadurch veranlasst sieht, sich ebenfalls einen Neuwagen anschaffen zu wollen. Bei der Suche wird sich Nachfrager A aufgrund des hohen Preises von Neuwagen i. d. R. 304 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="305"?> 694 H. Meffert et al.: Marketing - Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung, 13. Aufl., Wiesbaden 2019, S.-90f. 695 Vgl. E. Schäfer: Über einige Grundfragen der Betriebswirtschaftslehre, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft , Jg. 20, 1950, S.-556f. genau überlegen, welches Fahrzeuge mit welcher Ausstattung in die engere Wahl zu ziehen sind. Dabei wird er auf vorhandenes Wissen (z. B. Erfahrungen mit einer bestimmten Automarke) zurückgreifen. Eine Entscheidung wird Nachfrager A i.-d.-R. erst nach einem relativ langen Kaufentscheidungsprozess treffen, der gleichermaßen durch affektiv-gefühlsmäßige (bspw. bei der Wahl der Sitzfarbe) und kognitiv-rationale Bestandteile (bspw. bei der Wahl des Motors) gekennzeichnet ist.“ 694 Neben Kroeber-Riel und Meffert gab es noch viele weitere Marketingwis‐ senschaftler, die sich des verhaltensorientierten Ansatzes bedienten, wie beispielsweise Erwin Dichtl, Hermann Diller, Lothar Müller-Hagedorn und die akademischen Schüler von Kroeber-Riel, insbesondere Peter Weinberg, Volker Trommsdorff und Gerold Behrens. Diesen Wegbereitern des verhaltenswissenschaftlich orientierten Marke‐ tings standen aber auch nicht wenige Betriebswirte gegenüber, die einen interdisziplinären Ansatz bzw. eine Öffnung der BWL zur Psychologie entschieden ablehnten. Vor allem die Vertreter eines sogenannten ökono‐ mischen Basiskonzepts forderten, dass sich die Betriebswirtschaftslehre auf die wirtschaftlichen Aspekte zu konzentrieren habe. So forderte Erich Schäfer, dass sich das Fach als streng ökonomische Disziplin verstehen und sich auf ihre spezifischen Fragestellungen und identitätsstiftende Sicht‐ weisen beschränken sollte. Hierzu zählt er vor allem das Denken in den Kategorien: Aufwand und Ertrag, Wirtschaftlichkeit, Rentabilität und Liqui‐ dität sowie das marktorientierte Denken. 695 Seinen Fachkollegen, die sich für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Nachbardisziplinen und eine Öffnung der Betriebswirtschaftslehre stark machten, hielt er spöttisch entgegen: „Wem die Geduld fehlt (und vielleicht auch die Selbstbescheidung), die For‐ schungsarbeit reifen zu lassen, der wird immer wieder nach ,Neuausrichtung‘ des Faches rufen, sich an neuen Schlagworten berauschen und nach allen Seiten blicken, um besondere ,Erfolgschancen‘ ausfindig zu machen. Man tritt als Kün‐ der neuer grundlegender Ideen auf, ohne ernsthafte Arbeit auf dem gepriesenen Betätigungsfelde zu leisten und richtet so per Saldo mit der Neuausrichtung 10.5 Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz 305 <?page no="306"?> 696 E. Schäfer: Selbstliquidation der Betriebswirtschaftslehre? , in: ZfB, Jg. 22 (1952), S. 611f. 697 Deutsche Gesellschaft Club of Rome: https: / / clubofrome.de/ historie/ (aufgerufen am 17.11.2023). Abb. 10.10: Titelseite des Be‐ richts des Club of Rome | [69] herzlich wenig aus - es sei denn, daß man sich um das Fach bei wirklichen Fachleuten des usurpierten Gebietes lächerlich macht und so an dem Ast sägt, auf dem man selbst sitzt.“ 696 Als Schäfer diese Worte 1952, zur Zeit des Wirtschaftswunders, geschrieben hat, konnte (oder wollte) niemand ahnen, dass gerade an einem ganz anderen „Ast gesägt“ wird, und auch noch nicht absehen, dass die Erfordernis eines wirtschaftlichen Umdenkens - auch oder gerade in der Betriebswirtschafts‐ lehre - für nachfolgende Generationen existenziell sein wird. 10.6 Der ökologische Ansatz Nachdem im Jahre 1972 eine im Auftrag des Club of Rome beauftragte Gruppe von MIT- Wissenschaftlern (D. Meadows et al.) die Er‐ gebnisse ihrer Untersuchung unter dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ (The Limits to Growth) publiziert hatte (→ Abb. 10.10), wurde der breiten Öffentlichkeit klar, dass wir auf eine Umweltkrise zusteuern, wenn sich un‐ ser ökologisches Handeln und unsere Art zu wirtschaften nicht grundlegend ändern. „Der Bericht wirkte katalytisch und wurde zum Mei‐ lenstein für die Nachhaltigkeitsbewegung: Zum ersten Mal traten das Verstehen ökologischer Zusammenhänge und die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt in ein breiteres öffentliches Bewusstsein.“ 697 Warum hat es so viele Jahre gedauert, bis sich diese Erkenntnis auch in der Betriebswirtschaftslehre durchgesetzt hat? Nach Schanz seien in der Wirtschaftswissenschaft die Klassiker (Smith, Ricardo) noch durchaus von einem Naturbezug allen Wirtschaftens ausgegangen. Ergänzend sei hierzu angemerkt, dass dies auch später im 19. Jahrhundert zumindest noch auf Marx und Engels zutrifft. Sie haben 306 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="307"?> 698 Vgl. C. Henning: Marx und die Folgen. Stuttgart 2017, S.-108. 699 F. Engels: Dialektik der Natur. In: Marx/ Engels Werke (MEW), Bd. 20, Berlin (Ost): Dietz, S.-452 f. 700 K. Marx: Das Kapital, Bd. 3, In: Marx/ Engels Werke (MEW), Bd. 25, Berlin (Ost): Dietz, S.-784. 701 Vgl. Schanz (2014), S.-88f. 702 J. Freimann: Betriebliche Umweltpolitik, Bern/ Stuttgart/ Wien 1996, S.-267. nicht nur das Spannungsverhältnis von Ökonomie und Ökologie erkannt, sondern sie verfügten auch über ein hohes ökologisches Bewusstsein. 698 Für die „Zerstörung der Wälder“ und den „Ruin des Bodens“ machte Marx vor allem das Privateigentum verantwortlich. Und Engels prophezeite in pessi‐ mistischem Ton: „Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns.“ 699 Im „Kapital“ mahnt Marx, dass die Natur allen Menschen gehöre: „Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesell‐ schaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie […] den nachfolgenden Gene‐ rationen verbessert zu hinterlassen.“ 700 Der Bruch zwischen Ökonomie und Ökologie habe sich, wie Schanz dann weiter ausführt, erst im Zuge der Industrialisierung und der Art ihrer wissenschaftlichen Behandlung vor allem durch die Neoklassiker vollzo‐ gen. In ihren Modellen wurden ökologische Probleme wegabstrahiert; nicht zuletzt auch, weil die natürliche Umwelt als „freies Gut“ betrachtet wurde. Mit der Übernahme des neoklassischen Denkstils in die Betriebswirtschafts‐ lehre durch Gutenberg wurde diese Naturferne des Wirtschaftens auch in sein System der produktiven Faktoren übernommen. 701 Auch Freimann sieht in der (neoklassischen) Betrachtungsweise, dass die Natur ein freies Gut sei, einen „Grund für den distanzierten Umgang vieler Betriebswirte mit der Umweltproblematik“, denn „Umweltprobleme sind nicht im engeren Sinne ökonomische Probleme. Solange Umweltverzehr keinen Preis hat, der ihm in der überwiegenden Zahl der Fälle nur durch staatliche Gebühren bzw. Strafandrohungen zugemessen werden kann, ist er in betriebswirtschaftlichen Kostenüberlegungen unbekannt. Dann aber braucht er von einer Betriebswirtschaftslehre, die ihren Gegenstandsbereich auf die finanziellen Aspekte der Unternehmenstätigkeit beschränkt sieht, nicht thematisiert zu werden.“ 702 10.6 Der ökologische Ansatz 307 <?page no="308"?> 703 Freimann (1996), S.-267. 704 Vgl. J. Freimann: Der Bock als Gärtner - Vom Wachsen und Werden der ökologisch orientierten Betriebswirtschaftslehre, in: Ideengeschichte der BWL II, hrsg. von W. Matiaske/ D. Sadowski, Wiesbaden 2022, S.-325. 705 Vgl. Freimann (1996), S.-266. Einen weiteren Grund sieht Freimann darin, dass die Unternehmen selbst sich lange Zeit defensiv zu den Umweltproblemen verhalten haben: „Sie haben zwar durch ihre wirtschaftlichen Aktivitäten […] zur Entstehung und Verschärfung von Umweltbelastungen und -zerstörungen beigetragen, deren Regulierung jedoch als originäre Aufgabe des Staates bzw. der Allge‐ meinheit angesehen. Von Einzelfällen abgesehen, entstand eine eigenstän‐ dige betriebliche Umweltpolitik […] erst in der zweiten Hälfte der 80er- Jahre.“ 703 Bereits Ende der 1970erbzw. Anfang der 1980er-Jahre legten einige junge Nachwuchswissenschaftler Untersuchungen zur betrieblichen Umweltpro‐ blematik vor, diese blieben jedoch im betriebswirtschaftlichen Diskurs weitgehend unbeachtet. Zu diesen Pionieren der ökologisch orientierten Betriebswirtschaftslehre zählen insbesondere Hans Raffée, Heinz Strebel, Edgar Stoll, Reinhard Pfriem und Jürgen Freimann. 704 Im wissenschaftlichen Bereich „platzte der Knoten“ erst im Jahr 1988, als fast zeitgleich drei be‐ triebswirtschaftliche Monographien bzw. Lehrbücher publiziert wurden: 705 ■ Manfred Schreiner: Umweltmanagement in 22 Lektionen, Wiesbaden: Gabler 1988. ■ Eberhard Seidel/ Heiner Menn: Ökologisch orientierte Betriebswirtschaft, Stuttgart: Kohlhammer 1988. ■ Ulrich Steger: Umweltmanagement, Frankfurt/ Wiesbaden: FAZ/ Gabler 1988. Kurze Zeit später, mit der Gründung einer wissenschaftlichen Kommission „Umweltwissenschaft“ im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirt‐ schaft (VHB) im Jahre 1990, gelang es dann, die betriebswirtschaftliche Behandlung ökologischer Fragen im „Mainstream“ diskussionsfähig zu machen. Danach fand das Thema dann auch breiten Niederschlag in den betriebswirtschaftlichen Fachzeitschriften. Zwischen 1980 und 2000 wurden insgesamt 51 einschlägige Aufsätze in den führenden Journalen (DBW, ZfB und ZfbF) veröffentlicht. Bemerkenswert ist die Entwicklung an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten. Laut Freimann ist es maßgeblich der Studentenschaft zu verdanken, dass etablierte Forscher sich in ihren 308 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="309"?> 706 Vgl. Freimann (2022), S.-326. 707 Vgl. Freimann (2022), S.-337. Fachgebieten ökologischen Fragestellungen zuwandten. Und auch die Er‐ richtung einschlägiger Lehrstühle sei, wie Freimann schreibt, auf Betreiben der Studenten erfolgt. 706 Etwa seit den 2000er-Jahren hat eine Ausweitung stattgefunden. Das betriebliche Umweltmanagement bzw. der ökologische Ansatz wurde mehr und mehr zurückgedrängt zugunsten des umfassenderen Nachhaltigkeits‐ ansatzes bzw. eines Nachhaltigkeitsmanagements. So hat z. B. auch der VHB im Jahr 2008 den Begriff der Umweltwissenschaft bzw. umweltorientierten BWL ersetzt durch den Begriff des Nachhaltigkeitsmanagements. Zeitgleich wurde die Wissenschaftliche Kommission „Umweltwissenschaft“ umbe‐ nannt in „Nachhaltigkeitsmanagement (NAMA)“. Diese Umbenennung trägt der Tatsache Rechnung, dass eine inhaltliche Erweiterung stattgefunden hat zu einem „Drei-Säulen-Modell“, in dem Ökologie, Ökonomie und Soziales drei gleichberechtigte Nachhaltigkeitsdimensionen darstellen. 707 Für die zukünftige Entwicklung plädiert Freimann für „eine Rückbesin‐ nung auf die konzeptionellen Wurzeln des Fachs“ im Sinne Eugen Schmal‐ enbachs, d. h. eine anwendungsbezogene Wissenschaft, eine „Kunstlehre“, in der die Wirtschaftlichkeit Vorrang hat vor dem privaten Profit: „Vor dem Hintergrund der gravierenden ökologischen Probleme der Gegenwart - vom Klimawandel über die Ressourcenverschwendung und das Artensterben bis zur Vergiftung der Weltmeere - ist es meines Erachtens an der Zeit, in Schmalenbachscher Tradition nach Wegen zu suchen, wie die ,Gesundheit des wirtschaftlichen Körpers‘ wiederhergestellt und dauerhaft gesichert werden kann. Dazu wäre es heute notwendig ,über Geld hinaus‘ zu denken und zu handeln. Nicht die Beförderung des monetären Wohlergehens eines Unterneh‐ mens oder seiner Eigentümer wäre dann das Anliegen der BWL, sondern die Beförderung seines Beitrags zum gesellschaftlichen Wohlergehen im Sinne einer Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen für alle. […] Inhaltlich bedeutet das, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen die von der Unternehmenstätigkeit berührten Bestände an wirtschaftlichem, sozialem und naturalem Kapital mindestens zu bewahren, möglichst zu vermehren und so das kaufmännische Substanzerhaltungsdenken auf den gesamten Kapitalstock und den Produktlebenszyklus zu erweitern, vor allem durch: 10.6 Der ökologische Ansatz 309 <?page no="310"?> 708 Freimann (2022), S.-342. 709 K.-H. Hillmann: Wörterbuch der Soziologie, 5. Aufl., Stuttgart 2007, S.-381. ■ die Optimierung der bestehenden Strukturen und Prozesse im Hinblick auf die Ausschöpfung der vorhandenen Effizienzpotenziale, ■ die Reduktion der ökologischen und sozialen Risiken der derzeit genutzten Technologien oder der Verzicht auf ihre Nutzung, ■ die weitestmögliche Schließung der vom Menschen initiierten Stoffkreisläufe im Sinne einer Industrial Ecology ■ sowie die absolute Reduktion der Ressourcenverbräuche und Schadstoffein‐ träge auf ein langfristig global tragfähiges Maß.“ 708 Während sich die Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre, der verhaltens‐ wissenschaftliche Ansatz und der ökologische Ansatz von Beginn an mehr oder weniger starker Kritik von den Vertretern eines streng wirtschaftlichen Verständnisses ausgesetzt sahen, wurde die Neue Institutionenökonomik von vielen Fachvertretern „mit offenen Armen empfangen“. 10.7 Neue Institutionenökonomik Die Neue Institutionenökonomik (NIÖ) ist ein aus den USA übernommenes Wissenschaftsprogramm. Das Fundament dieses Theoriegebäudes liegt in der neoklassischen Mikroökonomie. Im Zentrum steht das ökonomische Organisationsproblem. Der Begriff „Institution“ (von lat. institutio = Einrichtung) wird unein‐ heitlich definiert. In der Soziologie bezeichnet er in einem grundlegenden Sinne „jegliche Form bewusst gestalteter oder ungeplant entstandener stabi‐ ler, dauerhafter Muster menschlicher Beziehungen, die in einer Gesellschaft erzwungen oder durch die allseits als legitim geltenden Ordnungsvorstellun‐ gen getragen und tatsächlich ‚gelebt‘ werden.“ 709 Beispiele für Institutionen sind: Menschenrechte, Kultur, Bräuche, Verfassungen, Gesetze, Eigentum, Geld, Verträge. Schon die Klassiker der Ökonomie (z. B. Adam Smith) hatten die Be‐ deutung der Institutionen für das Wirtschaftsleben erkannt und in ihre Überlegungen mit einbezogen. Die Neoklassiker (Carl Menger, William Stanley Jevons, Léon Walras) hingegen berücksichtigten später die Institutio‐ nen nicht mehr, während für deren Widersacher, die Vertreter der (jüngeren) Historischen Schule, die Institutionen sehr wohl eine bedeutende Rolle 310 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="311"?> 710 G. Schmoller: Grundriss der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Erster Teil, 1.-3. Auflage, Leipzig: Duncker & Humblot 1900, S.-61. 711 Vgl. M. Bardmann: Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, 3. Aufl., Wiesbaden 2019, S.-3 712 Vgl. A. Picot/ S. Schuller: Institutionenökonomie, in: Handelsblatt Wirtschaftslexikon, Bd.-5, Stuttgart 2006, S.-2538. spielten. So kritisierte deren Hauptvertreter Gustav Schmoller (1838-1917), dass bei der Analyse und Erklärung der Wirtschaft die Untersuchung des „socialen Körpers“, der aus historisch nachweisbaren Institutionen bestehe, nicht unberücksichtigt bleiben dürfe. Unter einer „Institution“ versteht Schmoller eine „[…] bestimmten Zwecken dienende […] Ordnung des Gemeinschaftslebens, welche das feste Gefäß für das Handeln von Generationen, oft von Jahrhunderten und Jahrtausenden abgiebt: das Eigentum, die Sklaverei, die Leibeigenschaft, die Ehe, die Vormundschaft, das Marktwesen, das Münzwesen, die Gewerbefreiheit, das sind Beispiele von Institutionen. Es handelt sich bei jeder Institution um eine Summe von Gewohnheiten und Regeln der Moral, der Sitte und des Rechtes, die einen gemeinsamen Mittelpunkt oder Zweck haben, unter sich zusammenhän‐ gen, ein System bilden, eine gemeinsame praktische und theoretische Ausbildung empfangen haben, festgewurzelt im Gemeinschaftsleben […].“ 710 - Neben der Historischen Schule haben später auch die „Österreichische Schule“, die „Freiburger Schule“ und der amerikanische Institutionalismus die Bedeutung von Institutionen in ihre Untersuchungen einbezogen. Vor al‐ lem der amerikanische Institutionalismus, als dessen „Gründerväter“ Joseph Schumpeter, Thorstein Veblen und John Rogers Commons gelten, wurde stark von der Jüngeren Historischen Schule beeinflusst. 711 Alle diese genannten Richtungen, die zumeist deskriptiv ausgerichtet waren, werden als Alte Institutionenökonomik bezeichnet. Die Neue Institutionenökonomik hingegen geht analytisch-erklärend vor und stützt sich auf mathematische Modelle, wodurch sie sich methodisch der Neoklassik annähert. 712 Während bei der Neoklassik die Güter und Produk‐ tionsfaktoren den wirtschaftlichen Ansatzpunkt bildeten rücken bei der NIÖ die Eigentumsverhältnisse in den Mittelpunkt. Diesbezüglich haben sich (mindestens) drei Ansätze herausgebildet, sodass unter der Bezeichnung Neue Institutionenökonomik drei sich überlappende Theoriegebiete zusammengefasst werden: 10.7 Neue Institutionenökonomik 311 <?page no="312"?> 713 M. Schweitzer: Transaktionskostentheorie, in: BWL-Lexikon, hrsg. von F. Bea/ R. Helm/ M. Schweitzer, Stuttgart 2009, S.-379-380 (hier: S.-380). ■ Die Theorie der Verfügungsrechte (Property-Rights-Theorie) geht hauptsächlich auf Coase zurück. Wirtschaftliche Transaktionen (z. B. Kauf, Miete, Arbeitsverhältnis) werden als Tausch von Verfügungsrech‐ ten betrachtet. Im Zentrum steht dabei der Einfluss rechtlicher Regelun‐ gen oder Bedingungen auf das Verhalten von Wirtschaftssubjekten. Es wird danach gefragt, ob und wie die Verteilung von Verfügungsrechten das Verhalten der Wirtschaftssubjekte beeinflusst. ■ Die Transaktionskostentheorie findet in der Betriebswirtschafts‐ lehre seit etwa Mitte der 1980er-Jahre große Aufmerksamkeit. Sie untersucht die institutionelle Gestaltung von Leistungsbeziehungen auf innerbetrieblicher und zwischenbetrieblicher Ebene (z. B. optimale Fer‐ tigungstiefe, Eigenerstellung, Outsourcing, Kooperationsformen; siehe auch das Beispiel unten). Dieser Ansatz geht davon aus, dass sich das Wirtschaften in den Kategorien von Verträgen und Vereinbarungen voll‐ ziehe. Für deren Anbahnung, Gestaltung, Einhaltung und Anpassung entstehen sogenannte Transaktionskosten (z. B. Such-, Informations-, Motivations- und Kontrollkosten). Bei der Koordination ökonomischer Aktivitäten wird eine Minimierung der Transaktionskosten angestrebt. Ein großes Problem besteht allerdings darin, dass diese Kosten schlecht quantitativ messbar und prognostizierbar sind. Sie lassen sich nur bedingt verursachungsgerecht zurechnen und haben den Charakter von Gemeinkosten. „Einzelne Wissenschaftler und Praktiker behaupten sogar, dass Transaktionskosten gar nicht berechenbar seien.“ 713 ■ Die Principal-Agent-Theorie (Agency-Theorie) untersucht die Bezie‐ hung zwischen Principal (Auftraggeber) und Agent (Auftragnehmer). Konkret kann es sich dabei um die Delegationsbeziehung zwischen z. B. Eigentümern und Managern, Aufsichtsrat und Vorstand, Vorge‐ setzten und untergebenen Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten han‐ deln. Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Beziehungen zumeist durch asymmetrische Informationsverteilungen (Informations‐ asymmetrien) gekennzeichnet sind, und zwar aufgrund von sogenann‐ ten hidden characteristics (dem Prinzipal nicht bekannte Eigenschaften des Agenten), hidden actions (dem Prinzipal verborgen gebliebene Hand‐ lungen des Agenten) sowie hidden intentions (vom Prinzipal nicht erkennbare bzw. abzuschätzende Absichten des Agenten). Der Prinzipal 312 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="313"?> 714 Vgl. Meffert (2002), S.-156. 715 A. Kieser: Geschichte der Organisationslehre, in: 100 Jahre Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, hrsg. v. M. Lingenfelder, München 1999, S.-107-123 (hier: S.-116). erwartet generell, dass der Agent seine Vorteile (bestimmte Qualifika‐ tionen, Wissen usw.) im Interesse des Prinzipals nutzt. Es besteht jedoch das Risiko, dass der Agent die durch die Unwissenheit bzw. das Informationsdefizit des Prinzipals bestehenden Handlungsspielräume ausnutzt und seine eigenen Ziele verfolgt. Um dies zu verhindern, muss der Prinzipal Kontrollbzw. Überwachungsmaßnahmen durchführen und/ oder andere geeignete Vorkehrungen (Anreizsysteme, Leistung von Schadensersatz oder Rechenschaft) ergreifen, die verhindern sollen, dass der Agent den Prinzipal übervorteilt. Dadurch werden sogenannte Agency-Kosten verursacht. Als Ausgangspunkt der NIÖ wird der 1937 veröffentlichte Aufsatz „The Nature of the Firm“ von Ronald H. Coase (1910-2013) betrachtet. Er wurde 1991 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet für „seine Entdeckung und Klärung der Bedeutung der sogenannten Transaktionskosten und der Verfügungsrechte für die institutionelle Struktur und das Funktionieren der Wirtschaft“ (Coase-Theorem). Zu den grundlegenden Fragestellungen, die Coase 1937 aufgeworfen hat, gehört z. B. die Frage, warum es überhaupt Unternehmen gibt. Etwa seit den 1960er-Jahren bildete die NIÖ sich als kri‐ tischer Gegenentwurf und zugleich als Weiterentwicklung zur Neoklassik heraus. Seit Mitte der 1980er-Jahre machte sich der Einfluss der NIÖ auf die Betriebswirtschaftslehre bemerkbar, der sich dann in den 1990er-Jahren verstärkte und die Weiterentwicklung der Disziplin maßgeblich prägte. 714 Beispielsweise gilt Arnold Picot (1944-2017) „als einer der ersten“ 715 , der das Potenzial dieses Ansatzes für die Organisationslehre erkannte. Die Anwendungsfelder der NIÖ in der Betriebswirtschaftslehre sind vielfältig: Sie kann (1) institutionell angewendet werden, d. h. im Hinblick auf die Unternehmen (z. B. „Warum gibt es Unternehmen? “); (2) in funktioneller Hinsicht, d. h. bezüglich einzelner betriebswirtschaftlicher Funktionen (z. B. Organisation, Personalmanagement, Marketing). Im Folgenden soll die institutionelle und die funktionelle Anwendung der NIÖ-Ansätze anhand von Beispielen veranschaulicht werden: 10.7 Neue Institutionenökonomik 313 <?page no="314"?> 716 H. Baligh/ L. Richartz: Vertical Market Structures, Boston: Allyn and Bacon 1967. Institutionelle Anwendung: Warum gibt es Handelsunternehmen? Als Ausgangspunkt für die Frage nach der Existenz von Handelsunterneh‐ men kann die Wertschöpfungskette genommen werden. Bevor ein Produkt zum Endverbraucher gelangt, durchläuft es mehrer Stufen: Angefangen bei der Rohstoffgewinnung, über die Weiterverarbeitung, die Produktion sowie schließlich die Distribution der Ware. Diese könnte direkt vom Hersteller an die Verbraucher verkauft werden. Möglich ist aber auch ein Vertrieb über den Handel. Dabei könnte der Hersteller die Ware entweder an den Einzel‐ handel liefern, es könnten aber auch noch ein oder zwei Großhandelsstufen zwischengeschaltet werden. Die zentrale Frage lautet nun: Ist eine direkte Güterverteilung (von allen Produzenten zu allen Konsumenten) oder eine indirekte Güterverteilung (über Handelsunternehmen) effizienter? Eine Antwort fanden die Ökonomen Baligh und Richartz. 716 Ihnen ist es gelungen, die Vorteilhaftigkeit des Einschaltens mehrerer Großhandelsstu‐ fen (die viele Jahre lang häufig bestritten wurde) wissenschaftlich nachzu‐ weisen. Damit lieferten sie einen wichtigen Beitrag zur Existenzbegründung von Handelsunternehmen. Die → Abb. 10.11 veranschaulicht, wie durch die Einschaltung eines Handelsunternehmens die Anzahl der Geschäftsbe‐ ziehungen verringert wird. Ohne den Handel (rechts) muss jeder der drei Produzenten (P) zu jedem der Konsumenten (K) einen Kontakt herstellen, also insgesamt 9 Kontakte. Durch die Einschaltung eines Händlers (links) verringern sich die Kontakte auf 6. Dies führt zur Kostensenkung und Ressourcenersparnis im Wirtschaftssystem. P P P H K K K P P P K K K Abb. 10.11: Geschäftsbeziehungen mit Handel (links) und ohne Handel (rechts). | [70] 314 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="315"?> 717 R. Gümbel: Handel, Markt und Ökonomik, Wiesbaden 1985, S.-168. 718 Vgl. A. Picot: Transaktionskosten im Handel, in: Betriebsberater, Beilage 13 zu Heft 27/ 1986, S.-3. 719 R. Betancourt/ D. Gautschi: Distribution Services and Economic Power in a Channel, in: Journal of Retailing, Jg. 74, H. 1, 1998, S.-37-60. Neben diesem sog. Baligh-Richartz-Effekt gibt es noch weitere institutio‐ nenökonomische Analysen, mit denen die Vorteilhaftigkeit bzw. die Existenz von Handelsunternehmen belegt werden kann. Picot ist davon überzeugt, dass die ökonomische Daseinsberechtigung von Handelsunternehmen - Gümbel bezeichnet sie sogar als „Transaktionskos‐ ten-Spezialisten“ 717 - aus der Existenz von Transaktionskosten resultiert. Diese entstehen in verschiedenen Phasen des Handels, nämlich bei ■ der Anbahnung von Verträgen: Kosten der Suche nach Vertragspartnern auf dem Beschaffungssowie Absatzmarkt (z. B. Kosten für Werbung, Messebesuche, Kosten für Kommunikation, Preisvergleiche, Prüfung der Warenqualität), ■ dem Abschluss von Verträgen: Kosten der Vertragsverhandlungen, Rechtsberatung, ■ der Kontrolle und Durchsetzung von Vertragsleistungen: Sie entstehen z. B. durch die Überwachung von Lieferterminen, Qua‐ litäten, Mengen, Preisen und Kosten die mit der Durchsetzung der Forderungen verbunden sind, ■ den Kosten der Anpassung: Sie entstehen, wenn sich nach den Vereinbarungen Änderungen ergeben oder Transaktionen modifiziert werden müssen (z. B. Veränderungen der Nachfrage, Gesetzesänderungen). 718 Als Analysehilfe kommt in der NIÖ auch immer öfter die Spieltheorie zum Einsatz. Beispielsweise entwickelten Betancourt und Gautschi einen spieltheoretischen Ansatz unter besonderer Berücksichtigung von Preis und Service. 719 Sie interpretieren die Rolle des Handels wie folgt: Ein Händler bietet nicht nur Waren an, sondern auch Dienstleistungen (Service, um‐ fangreiches Warensortiment, Lieferdienst usw.). Diese verursachen Kosten beim Händler, die er auf den Konsumenten abwälzt; andererseits tragen die Dienstleistungen dazu bei, die Kosten des Konsumenten zu senken. Hat z. B. ein Händler ein tiefes Sortiment, so wird dem Kunden bei Nichtverfüg‐ barkeit eines Artikels eine Reihe von Kaufalternativen geboten. Die Breite eines Sortiments kann dazu beitragen, die Transport- und Zeitkosten des 10.7 Neue Institutionenökonomik 315 <?page no="316"?> 720 Vgl. A. Kuß: Marketing-Theorie, 3. Aufl., Wiesbaden 2013, S.-222. 721 Zitiert nach U. Hansen/ M. Bode: Marketing & Konsum, München 1999, S.-250. Konsumenten zu reduzieren. Betancourt und Gautschi kommen zu folgen‐ dem Ergebnis: Solange der Kostenanstieg beim Händler geringer ausfällt als die Kostenreduktion beim Konsumenten, ist die Kostenumschichtung insgesamt vorteilhaft. Dieser Ansatz ist nicht nur in der Lage, die grundsätz‐ liche Vorteilhaftigkeit, sondern auch die Erscheinungsvielfalt des Handels (unterschiedliche Betriebsformen) zu erklären. Funktionelle Anwendung: NIÖ im Marketing Für die Integration der NIÖ in die Marketingtheorie nennt Kuß zwei Gründe: Einerseits „die Sehnsucht nach Theorie im Marketing“, nachdem die neoklassische Wirtschaftstheorie in diesem Bereich gescheitert war. Ande‐ rerseits die aus anderen Teilgebieten der Betriebswirtschaftslehre erhobene Forderung nach einer stärkeren Verankerung des Marketings in ökonomi‐ schen Theorien. 720 Diese Rückbesinnung auf ökonomische Theorien wurde ab den 1980er-Jahren maßgeblich umgesetzt von der Forschungsgruppe um Klaus Peter Kaas. Sein Ansatzpunkt war die Kritik an der verhaltenswissen‐ schaftlichen Konsumentenforschung, die sich in „feinste Verästelungen“ fortentwickelte, dabei aber „den Blick für die großen Fragen“ verloren habe. 721 Nach Kuß spiegeln sich die oben dargestellten Theoriestränge der NIÖ im Marketingkontext folgendermaßen wider: „Am Beginn steht der Wunsch, ein Sachgut oder eine Dienstleistung zu erwerben. Dabei steht nicht der bloße Besitz im Vordergrund, sondern die Möglichkeit, z. B. ein gekauftes Auto oder eine gemietete Wohnung nutzen zu können (Theorie der Verfügungsrechte). Im zweiten Schritt kommt es zur Interaktion von Anbieter und Nachfrager. So kann man sich bei Dienstleistungen leicht vorstellen, dass der Kunde/ Auftraggeber hier in der Rolle des „Principals“ und der Auftragnehmer, der ja die gewünschte Leistung erbringt, in der Rolle des Agents ist (Principal- Agent-Theorie). Wenn Anbieter und Nachfrager einen Geschäftsabschluss vorbereiten, dann spielt dabei der Austausch von Informationen eine zentrale Rolle (Informationsökonomik). Der Kunde will vor allem die Qualität der zu kaufenden Leistung einschätzen können. Mit einem Geschäftsabschluss (Trans‐ aktion) sind Kosten bei der Übertragung von Verfügungsrechten, insbesondere 316 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="317"?> 722 Kuß (2013), S.-223 (um die Bezeichnung „Prinzipal-Agent-Theorie“ ergänzt, L.-W.). 723 Vgl. Kuß (2013), S.-226f. 724 Zitiert nach Kuß (2013), S.-227f. für Abschluss und Durchsetzung von Verträgen, verbunden (Transaktionskos‐ tentheorie).“ 722 Eine besondere Bedeutung im Marketing spielt nach Kuß der informations‐ ökonomische Ansatz, bei dem es insbesondere um die Einschätzung der Produktqualität geht. Im Wesentlichen hat der Kunde die Möglichkeit, durch „Suchen“ (vor dem Kauf) oder durch „Erfahrungen“ (nach dem Kauf) Informationen über die Qualität zu erhalten. Dementsprechend lassen sich Produkte klassifizieren in sogenannte „Suchgüter“, deren Qualität sich vor dem Kauf überprüfen lässt (z. B. Schuhe), und „Erfahrungsgüter“, deren Qualität vor dem Kauf nur schwer beurteilt werden kann (z. B. Urlaubsreise, Friseurbesuch). Hinzu kommen noch sogenannte „Vertrauensgüter“, deren Qualität weder vor noch nach dem Kauf beurteilt werden kann und man daher den Angaben des Verkäufers vertrauen muss (z. B. Bio-Produkte, Zahnarztbehandlung). 723 Kaas kommt zu folgender Gesamteinschätzung der NIÖ im Marketing und zählt einige Beiträge auf, die sie für das Marketing leisten kann: „Die Stärke des neoinstitutionellen Paradigmas liegt darin, dass es die Analyse von Informationsasymmetrien, ihrer Voraussetzungen und Folgen für die Er‐ klärung von Marktstrukturen und -prozessen in den Mittelpunkt stellt, von Phänomenen, die für das Marketing von großer Bedeutung sind.“ „Beiträge der neoinstitutionellen Marketingtheorie sind die informationsökono‐ mische Analyse der Informationslagen auf Märkten („Inspektions-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften“), die Bedeutung von Mechanismen wie Screening, Signaling und Self Selection zur Überwindung von Informationsasymmetrien durch Marketing, die Wirkung von Institutionen auf Anreize und Risiken, z. B. von Warentestergebnissen, Markennamen, Reputation, die Theorie ,hybrider‘ Koordinationsformen zwischen Markt und Hierarchie, das Marketing für Kon‐ traktgüter, die Prinzipal-Agent-Theorie zur Entlohnung von Verkäufern, zur Preisbildung im Kontraktgütermarketing.“ 724 Diesbezüglich merken Hansen/ Bode kritisch an, dass „der Kaufprozess als isolierter, rationaler und kognitiver Akt betrachtet wird. Weder die Beziehung 10.7 Neue Institutionenökonomik 317 <?page no="318"?> 725 Hansen/ Bode (1999), S.-255f. 726 Hansen/ Bode (1999), S.-255. 727 Vgl. G. Wöhe: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 24. Aufl., Mün‐ chen 2010, S.-24. 728 Vgl. D. Schneider: Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, in: 100 Jahre Betriebswirt‐ schaftslehre in Deutschland, hrsg. v. M. Lingenfelder, München 1999, S.-24. von verschiedenen Kaufakten, noch affektive Kaufprozesse, wie z. B. der Impulskauf, können durch die NIÖ erklärt werden.“ 725 Als Kritik wird zudem geäußert, dass der Transaktionskostenansatz roh sei, die Modelle primitiv, Messprobleme erheblich und der Grad der Unbestimmtheit zu hoch. Ein weiterer Vorwurf ist die Vernachlässigung von Machtprozessen und Konflikten: „In Anwendungen auf den Distributions‐ kanal zeigen sich die Grenzen des Erklärungsansatzes bei unterschiedlichen Händler/ Hersteller-Machtbeziehungen.“ 726 Bei der Frage, welche Bedeutung die NIÖ allgemein für die Betriebswirt‐ schaftslehre hat, gelangt Wöhe zu der positiven Feststellung, dass ■ die NIÖ zu einer Wiederannäherung zwischen Mikroökonomik und Betriebswirtschaftslehre geführt hat, ■ durch die ökonomische Funktionsanalyse von Rechtsfiguren die Be‐ triebswirtschaftslehre in allen Teilbereichen eine deutliche Bereiche‐ rung erfährt und ■ die NIÖ einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der Kluft zwischen sozialwissenschaftlich orientierter und wirtschaftstheoretisch ausge‐ richteter Betriebswirtschaftslehre leisen kann. 727 Zudem weist Schneider darauf hin, dass die NIÖ das Interesse an einer Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre wiederbelebt habe. 728 Diese wird Gegenstand des letzen Kapitels sein. ➲ Zusammenfassung ■ Ende der 1960er-Jahre öffnet sich die BWL den Sozialwissenschaf‐ ten. Vertreter des sozialwissenschaftlichen Ansatzes betrachten die BWL als eine Teildisziplin der Sozialwissenschaften. Der Betrieb stelle ein soziales System und eine organisatorische Einheit dar, die geprägt ist durch formale und informale Strukturen sowie durch vielfältige 318 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="319"?> menschliche Interaktionsprozesse. Das Modell vom Homo oeconomicus wird aufgrund seiner Realitätsferne abgelehnt. ■ Entscheidungsorientierte BWL: Im Zentrum der betriebswirtschaft‐ lichen Konzeption von Edmund Heinen stehen die Entscheidungspro‐ zesse des wirtschaftenden Menschen im Betrieb ist. Ein Entscheidungs‐ prozeß durchläuft mehrere Phasen: □ Willensbildung: Feststellung eines ungelösten Problems → Ursachenanalyse → Anregungsphase → Suchphase → Auswahl-/ Optimierungsphase. □ Willensdurchsetzung: Verwirklichung → Kontrolle. Die entscheidungsorientierte BWL analysiert sowohl die Um‐ stände der Entscheidungsprozesse als auch die Verhaltenswei‐ sen der beteiligten Menschen. Der Ansatz ist interdisziplinär ausgerichtet. Er bedient sich sozialwissenschaftlicher Disziplinen (Psychologie, Sozialpsychologie, Politologie). Durch die entschei‐ dungsorientierte BWL werden verengte Sichtweisen aufgebro‐ chen und die Integration anderer Wissenschaften, Denkmuster und Methoden wird ermöglicht (insbesondere institutionelle und soziale Faktoren). ■ Der systemorientierte Ansatz von Hans Ulrich fasst die BWL als eine kybernetische Wissenschaft auf, die nicht erklären wolle, „was ist“, son‐ dern „was in Zukunft sein wird“. Das Funktionieren von Systemen steht im Mittelpunkt des Interesses. Auch Unternehmen stellen für Ulrich Systeme dar, und zwar „produktive und soziale Systeme“. Ulrich zielt darauf ab, eine Unternehmung aufzugliedern, in ihre Subsysteme zu zerlegen und deren Beziehungen untereinander zu analysieren. Sein Ansatz hat dazu beigetragen, die BWL hin zu einer Managementlehre zu verschieben. Durch die Betrachtung der Unternehmen als offene, soziale Systeme wurde das Fach auch für z. B. ökologische und ethische Fragen geöffnet. ■ 1972-73 entwickeln gewerkschaftsnahe Wissenschaftler die sog. Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre (AOEWL). Sie stellt den Versuch dar, der herkömmlichen kapitalorientierten Betriebswirt‐ schaftslehre ein alternatives Konzept entgegenzusetzen. Im Zentrum stehen die Arbeitnehmerinteressen, vor allem die □ Sicherung der Arbeitsplätze, □ optimale Gestaltung der Arbeit und ➲ Zusammenfassung 319 <?page no="320"?> □ Sicherung und Steigerung der Einkommen. ■ Zentrales Merkmal des verhaltensorientierten Ansatzes ist der me‐ thodologische Individualismus, eine Analysemethode, die dem Leit‐ gedanken folgt, dass das Verhalten von Individuen erforscht werden müsse, um komplexe soziale Gebilde und Prozesse verstehen und erklä‐ ren zu können. Damit hält in den 1970er-Jahren die Psychologie als Hilfswissenschaft Einzug in die BWL, insbesondere in das Marketing (z.-B. das Käuferverhalten). ■ In den 1980er-Jahren wendet sich die BWL der Umweltproblematik zu. Ende der 80er-Jahre erscheinen zahlreiche Publikationen zur ökolo‐ gisch orientierten BWL bzw. zum betrieblichen Umweltmanagement. Ab 1990 wird die betriebswirtschaftliche Behandlung ökologischer Fragen im „wissenschaftlichen Mainstream“ diskussionsfähig. In den 2000er-Jahren wird der ökologische Ansatz zurückgedrängt zugunsten eines umfassenderen Nachhaltigkeitsansatzes bzw. Nachhaltigkeits‐ managements mit den drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales. Mitte der 1980er-Jahre macht sich der Einfluss der Neuen Institutio‐ nenökonomik (NIÖ) auf die BWL bemerkbar, der sich in den 1990er- Jahren verstärkt. Die NIÖ, die analytisch-erklärend vorgeht und sich auf mathematische Modelle stützt, stellt sowohl einen kritischen Gegenent‐ wurf zur als auch eine Weiterentwicklung der Neoklassik dar. Die NIÖ setzt sich aus drei überlappenden Theoriegebieten zusammen: □ Theorie der Verfügungsrechte (Property-Rights-Theorie) Im Zentrum steht der Einfluss rechtlicher Regelungen oder Bedin‐ gungen auf das Verhalten von Wirtschaftssubjekten. □ Transaktionskostentheorie Für die Anbahnung, Gestaltung, Einhaltung und Anpassung von Geschäften/ Verträgen entstehen Transaktionskosten (z. B. Such-, Informations- und Kontrollkosten). Diese gilt es bei der Koordina‐ tion ökonomischer Aktivitäten zu minimieren. □ Principal-Agent-Theorie (Agency-Theorie) Sie untersucht die Beziehung zwischen Prinzipal (Auftraggeber) und Agent (Auftragnehmer) und stellt dabei das Problem der Informationsasymmetrie in den Mittelpunkt. Die NIÖ kann in ganz unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen Bereichen zur Anwendung kommen, z. B. in der Organisation, dem Marketing oder dem Personalmanagement. 320 10 Neue Wege der BWL (seit ca. 1969) <?page no="321"?> Zumeist wird der Einzug der NIÖ in die BWL positiv gewürdigt: Sie habe zu einer Wiederannäherung zwischen Mikroökonomik und BWL geführt, und sie könne einen Beitrag leisten zur Über‐ windung der Kluft zwischen sozialwissenschaftlich orientierter und wirtschaftstheoretisch ausgerichteter BWL. ➲ Zusammenfassung 321 <?page no="323"?> 729 B. Bellinger: Allgemeine und Spezielle Betriebswirtschaftslehre(n), in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre, hrsg. v. W. Wittmann et al., Stuttgart 1993, Sp. 68-84 (hier: Sp. 79 f.). 11 Generalisierung vs. Spezialisierung in der BWL Zwischen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre (ABWL) und den Spe‐ ziellen Betriebswirtschaftslehren (SBWL) besteht ein unmittelbarer Zu‐ sammenhang, der innerhalb der Disziplin zugleich ein Spannungsfeld zwischen Generalisierung und Spezialisierung bildet. Die Allgemeine und die Spezielle BWL befruchten und erweitern sich gegenseitig: „Die Neube‐ gründung und der Ausbau Spezieller Betriebswirtschaftslehren führt in der Allgemeinen BWL zu der Frage, ob und inwieweit der von ihr bearbeitete Gegenstandsbereich noch die gesamte Wissenschaft abdeckt. Umgekehrt werfen Neuentwicklungen in der Allgemeinen BWL in allen Speziellen Betriebswirtschaftslehren die Frage auf, ob und inwieweit die neuen Ergeb‐ nisse der Forschung und Lehre in die jeweilige Spezielle BWL integriert werden sollen.“ 729 11.1 Allgemeine Betriebswirtschaftslehre Die Allgemeine BWL befasst sich mit Sachverhalten, Fragestellungen und Problemen, die allen Betrieben gemeinsam sind, und versucht zu Aussagen‐ systemen zu kommen, die für alle Betriebe Gültigkeit haben. Die Bedeutung des Konzepts einer ABWL wird zumeist vor allem in der Lehre gesehen. Hier liefere sie einen Überblick über das Fach (= „Überblicksfunktion“) und sie integriere die Teilbereiche der BWL (= „Klammerfunktion“). Schneider hebt besonders die „Theoriebildungsfunktion“ hervor. Demnach habe die ABWL „die Aufgabe, einen Wissensstamm zu lehren, einen Baumstamm darzustellen, aus dem die Speziellen Betriebswirtschaftslehren sich verästeln. Der Baum ‚All‐ gemeine‘ Betriebswirtschaftslehre saugt in seinen Wurzeln Forschungsnahrung in Form von Leitbildern zur Theorienbildung auf, er entwickelt in seinem Stamm Zusammenhänge zwischen beobachtbaren Handlungen und Umweltbedingun‐ gen in Form erklärender Theorien und erarbeitet metrisierende Theorien, über die eine bessere Meßbarkeit von Begriffsinhalten erreicht wird, die in erklärenden <?page no="324"?> 730 D. Schneider: Betriebswirtschaftslehre, Bd. 1, Grundlagen, 2. Aufl., München/ Wien 1995, S.-150. 731 Vgl. Podiumsdiskussion "Erwartungen an eine Allgemeine Betriebswirtschaftslehre aus der Sicht von Forschung und Lehre", in: D. Adam et al. (Hrsg.): Integration und Flexibilität, Wiesbaden 1990, S.-137-180. Theorien benutzt werden. Darauf aufbauend sucht sie, in gestaltenden Theorien Handlungsempfehlungen auszusprechen. Das ‚Allgemeine‘ in der Betriebswirt‐ schaftslehre besteht also in einem Theorienstamm. Innerhalb des Stammes muß von vielem abstrahiert werden, was in Speziellen Betriebswirtschaftslehren an vielblättrigem Einzelwissen hinzuzufügen ist.“ 730 Welche Erwartungen an die ABWL gestellt werden können bzw. welche Aufgaben diese haben sollte, wurde 1989 auf der Tagung des VHB in Münster diskutiert. Dabei kristallisierten sich die nachfolgend kurz zusammengefass‐ ten Funktionen der ABWL heraus: 731 ■ Überblicksbzw. Orientierungsfunktion (Schaffung und Vermittlung eines Überblicks über die BWL), ■ Integrationsfunktion (Verklammerung der Spezialdisziplinen; Schaffung einer theoretischen Basis), ■ Querschnittsfunktion (Suche nach Paradigmata, nach Gemeinsamkeiten und Gesetzmäßigkei‐ ten), ■ Brückenfunktion (Damit meint Dichtl „die Hinwendung des Blicks weg von Teilsystemen der Unternehmung zur Unternehmung als Einheit oder zu höheren Systemen bis hin zur Volkswirtschaft“) und ■ Drehscheibenfunktion (Damit meint Schierenbeck den Transfer von Methoden- und Objektwis‐ sen zwischen ABWL und SBWL. So könne z. B. die ABWL wertvolle Impulse für die Forschung in speziellen Betriebswirtschaftslehren lie‐ fern; umgekehrt könnten neuere Erkenntnisse in speziellen Betriebs‐ wirtschaftslehren auch wieder zurückwirken in das Aussagensystem der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre und dort bisher gültiges Ba‐ siswissen in Frage stellen.). 324 11 Generalisierung vs. Spezialisierung in der BWL <?page no="325"?> 732 Die Auflistung ist unvollständig. Eine umfassende, systematische Auflistung, die von der Schmalenbach-Gesellschaft erarbeitet wurde, findet sich bei Bellinger (1993), Sp. 71f. 733 Vgl. Bellinger (1993), Sp. 77. In der Hochschullehre werden insbesondere folgende Studiengebiete zum festen Bestandteil der ABWL gezählt: 732 ■ Einordnung der BWL als Wissenschaft, ■ Geschichte der BWL, ■ Betrieb und Wirtschaftssystem, ■ Betrieb und Umwelt, ■ Betriebsformen/ Betriebstypen, ■ Unternehmensorganisation, ■ Standortwahl, ■ Rechtsformen und ■ Unternehmensziele und -strategien. Betriebliche Funktionen und Aufgabenbereiche wie Marketing, Personal‐ wirtschaft, Logistik, Investition und Finanzierung, Rechnungswesen, Steu‐ ern usw. in ihren wesentlichen Grundzügen. Diese können im Rahmen der ABWL nur verkürzt bzw. oberflächlich behandelt werden und werden daher in den Speziellen Betriebswirtschaftslehren vertieft. 11.2 Spezielle Betriebswirtschaftslehren Die Speziellen Betriebswirtschaftslehren (SBWL) bauen auf der ABWL auf und können in Erscheinung treten als Betriebswirtschaftslehre der ■ Wirtschaftszweige (z. B. Industriebetriebslehre, Handelsbetriebslehre, Bankbetriebslehre, Öffentliche Betriebswirtschaftslehre, Verkehrsbetriebslehre, Landwirt‐ schaftliche Betriebslehre), ■ Funktionsbereiche (z.-B. Produktion, Marketing, Personalwirtschaft, Logistik) und ■ Entwicklungsphasen (z. B. Unternehmensgründung, -wachstum, -kooperation, -konzentra‐ tion, -rationalisierung, -krisen, -sanierung, -liquidation). 733 Spezialisierungsprozesse im Sinne einer wissenschaftlichen Arbeitsteilung wirken sich generell förderlich auf den wissenschaftlichen Fortschritt aus. 11.2 Spezielle Betriebswirtschaftslehren 325 <?page no="326"?> 734 Vgl. W. Weber: Allgemeine vs. Spezielle Betriebswirtschaftslehren, in: Ideengeschichte der BWL, hrsg. v. W. Matiaske/ W. Weber, Wiesbaden 2018, S.-21-39 (hier: S.-26). 735 Weber (2018), S.-26. 736 Vgl. Weber (2018), S.-27. Nach Weber habe die Spezialisierung innerhalb der Betriebswirtschaftslehre positive Auswirkungen auf das Niveau von Forschung und Lehre und werde daher grundsätzlich als wünschenswert erachtet. Eine Spezialisierung ne‐ ben der Betriebswirtschaftslehre führe hingegen zu einer Verengung der Perspektive, zur Verselbständigung der Teilbereiche und zum Verlust einer ganzheitlichen Perspektive. 734 Darüber hinaus könne die BWL sogar in ihrer Identität gefährdet sein, wenn sich die Teildisziplinen bzw. Spezialbereiche von der BWL loslösen, sich verselbständigen und für die BWL schließlich nur noch eine Restmenge solcher Wissensgebiete verbleibt, die nicht in den SBWL bearbeitet werden. Diese Problematik wird seit geraumer Zeit im Fach diskutiert und von nicht wenigen Fachvertretern kritisch gesehen. „Die warnenden Stimmen nehmen zu.“ 735 Die Ursachen der zunehmenden Spezialisierung werden gesehen in ■ einer zunehmenden Komplexität und Unübersichtlichkeit von Proble‐ men in betriebswirtschaftlichen Teilbereichen, ■ dem weltweit dominierenden US-amerikanischen Fachverständnis von Funktionsbereichen (Managementlehren), das den ganzheitlichen An‐ satz der „Betriebswirtschaftslehre“ - den es in den USA nie gegeben hat - verdrängt hat, ■ einem Anreiz- und Gratifikationssystem, das die Forschung in Spezial‐ gebieten und die Publikation in hoch eingestuften (englischsprachigen) „Journals“ belohne und ■ der Besetzung von Professorenstellen mit Fachfremden (z. B. Psycho‐ logen im Marketing oder der Personalwirtschaft), wodurch eine enge Bindung an den Gesamtkomplex der BWL unwahrscheinlich wird. 736 11.3 ABWL und SBWL im Spannungsfeld von Reziprozität-und Zersplitterung Die bereits anfangs erwähnte Reziprozität zwischen ABWL und SBWL spiegelt sich in der Entwicklung der BWL zur Wissenschaftsdisziplin wider: Am Anfang der Entwicklung (Aufbauphase) stand die SBWL, denn die 326 11 Generalisierung vs. Spezialisierung in der BWL <?page no="327"?> Gründerväter der BWL (z. B. Schmalenbach) untersuchten zunächst Frage‐ stellungen in unterschiedlichen Spezialgebieten und erschlossen darauf aufbauend Schritt für Schritt mittels Einzeldarstellungen ihr Fachgebiet. Der erste betriebswirtschaftliche Schwerpunkt war das Rechnungswesen. Davon ausgehend erfolgte dann eine Differenzierung bzw. Spezialisierung in die Bilanztheorie und die Kostenrechnung. Ausgehend von den Tatsachen des einzelnen Betriebes erfolgten Vergleiche mit ähnlichen Betrieben und eine Ausweitung auf ganze Betriebsgruppen und Branchen. Die betriebs‐ wirtschaftliche Forschung erfolgte also vom Besonderen zum Allgemeinen. So wurde aus der Empirie eine Theorie, die schließlich die Basis bilden konnte für eine „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ (z.-B. Nicklisch). Als dieses Fundament stand (Konsolidierungsphase) - oder im bildhaf‐ ten Vergleich von Schneider: der Stamm einigermaßen ausgebildet und kräftig war -, fand eine Verästelung statt, d. h. Spezialisierungen nach Branchen (z. B. Handel, Industrie) bzw. auf einzelne Funktionsbereiche (z. B. Absatzwirtschaft, Werbung, Kosten) statt. Die hier gewonnen Erkenntnisse stärkten wiederum das Fundament der ABWL. Ihre Blütezeit erreichte die ABWL in der jungen Bundesrepublik, insbeson‐ dere in den ersten zehn Jahren nach dem Krieg, etwa zwischen 1946-1955. Wie schon in Kapitel 9 dargestellt, erschienen in dieser Zeit die ersten Auflagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehren: Den Anfang machte die „Einführung in die Betriebswirtschaftslehre“ von Willy Bouffier (1946), die sogar schon 1938 fertiggestellt worden war, jedoch aus politischen Gründen in der NS-Zeit nicht erscheinen durfte. Es folgten die Erstauflagen von Karl-Friedrich Rößle (1948), Martin Lohmann (1949), Erich Schäfer (1949), Carl G. Baier (1951), Erich Guten‐ berg (1951ff.), Curt Sandig (1953) und Leopold Mayer (1955). Auch erschienen nach dem Krieg Folgeauflagen älterer Allgemeiner Betriebswirtschaftslehren: Die bereits 1929 erstmals erschienene „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ von Konrad Mellerowicz kam z. B. 1952 in 7. Auflage heraus. Auch die 1936 in erster Auflage veröffentlichte „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ von Guido Fischer erschien in der Nachkriegszeit in mehreren Auflagen (z. B. 6. Aufl. 1952). Die meisten dieser Werke erlebten Auflagen bis in die 1960/ 70er- Jahre. Und „Die Unternehmung“ von Erich Schäfer erschien sogar bis 1980. Indes darf der Einfluss Gutenbergs nicht unterschätzt werden, der bis zu dieser Zeit quasi als ABWL in persona galt: „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre 11.3 ABWL und SBWL im Spannungsfeld von Reziprozität-und Zersplitterung 327 <?page no="328"?> 737 B. Schauenberg: Spezialisierung in der BWL und die Frage nach der Allgemeinen BWL, in: Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, hrsg. vom VHB, Wiesbaden 2012, S.-217. 738 B. Bellinger: Die Betriebswirtschaftslehre der neueren Zeit, Darmstadt 1988, S.-73. Abb. 11.1: Günter Wöhe. | [71] war eben Gutenberg.“ 737 Eine wahre Erfolgsgeschichte unter den „Allgemeinen Betriebswirtschaftslehren“ stellt das 1960 veröffentlichte Werk von Günter Wöhe dar. Exkurs | Allgemeine Betriebswirtschaftslehre Die „Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ von Günter Wöhe (1924-2007) erschien erstmals im Herbst 1960. Damit forderte der damals 36-jährige, gerade frisch habilitierte Autor die renommierten Fachkollegen wie Gutenberg, Mellerowicz und Schäfer heraus, die bis da‐ hin den Lehrbuchmarkt unter sich aufteilten. Das Werk sollte sich rasch zum führenden Standardlehrbuch der ABWL im deutschsprachigen Raum entwickeln und zählt heute mit weit über 1,5 Millionen verkauften Exemplaren „zu den erfolgreichsten Lehrbüchern der Welt“ 738 . Im Vorwort zur ersten Auflage erläutert Wöhe die Gliederung seiner „Einführung“ in sechs Abschnitte: Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit dem Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre sowie mit der Glie‐ derung der Betriebe und der Betriebswirt‐ schaftslehre. Daran schließen sich metho‐ dologische Fragen an. Der zweite Abschnitt ist dem Aufbau des Betriebes gewidmet. Zunächst werden die betriebswirtschaftli‐ chen Produktionsfaktoren behandelt, es folgt eine Darstellung der Rechtsformen der Unternehmen und schließlich werden wirtschaftlichen Fragestellungen im Zu‐ sammenhang mit dem Standort besprochen. Der dritte bis fünfte Ab‐ schnitt beschäftigt sich mit den drei betrieblichen Hauptfunktionen 328 11 Generalisierung vs. Spezialisierung in der BWL <?page no="329"?> 739 Vgl. G. Wöhe: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 1. Aufl., Mün‐ chen: Vahlen 1960, S. V-VI. 740 Vgl. Bellinger (1988), S.-73-76. 741 Vgl. U. Döring: Günter Wöhe - Der lange Weg vom Würzburger Privatdozenten zum Lehrbuchklassiker der deutschen Betriebswirtschaftslehre, Saarbrücken: universaar 2011, S.-19. Abb. 11.2: Titelseite der Erst‐ auflage von 1960. | [72] Produktion, Absatz sowie Finanzierung und Investition. Der sechste Abschnitt behandelt das Rechnungswesen. 739 Neu und bemerkenswert an dem Lehrbuch war, dass Wöhe ■ die neuen Erkenntnisse von Gutenberg bzw. dessen faktororientierten Ansatz übernahm, ■ entscheidungstheoretische Aspekte und Forschungsergebnisse der Operations- Research-Verfahren berücksichtigte, ■ gegenüber früheren Darstellungen der ABWL die neueren Produktions- und Kostentheorien übernahm, ■ bis dahin nicht dagewesene Erkennt‐ nisse auf dem Gebiet der Absatzwirt‐ schaft darstellte, ■ neue Bilanztheorien mit einbezog und ■ die Einflüsse der neuen Produktions- und Kostentheorie auf die Kostenrech‐ nung darstellte. 740 Wöhes „Einführung“ war und ist gekennzeichnet durch drei methodi‐ sche Grundsätze, die sich wie ein „roter Faden“ durch das Werk ziehen: 1. Disziplinarität, d. h. klare Abgrenzung der Betriebswirtschaftslehre gegenüber ihren Nachbarwissenschaften, 2. Ökonomisches Prinzip als Auswahlkriterium zur Beurteilung be‐ trieblichen Handelns und 3. Wertfreiheit, d.-h. einer Vermeidung von Werturteilen. 741 Diese Grundsätze, gepaart mit didaktischem Geschick und der Verwen‐ dung einfacher Sprache, sind wohl die wesentlichen Faktoren, die zum jahrzehntelangen Erfolg des Lehrbuches beigetragen haben. 11.3 ABWL und SBWL im Spannungsfeld von Reziprozität-und Zersplitterung 329 <?page no="330"?> 742 Wöhe (1990), S.-233. 743 Brockhoff (2017), S.-253. 744 G. Schreyögg: Betriebswirtschaftslehre nur noch als Etikett? - Betriebswirtschaftslehre zwischen Übernahme und Zersplitterung, in: Zukunft der Betriebswirtschaftslehre, Düs‐ seldorf 2007, S.-145. 745 Weber (2018), S.-32. 746 Weber (2018), S.-33. Gegen Ende seiner akademischen Laufbahn im Jahre 1990 beklagte Wöhe: „Leider gibt es in der Lehre schon lange keine ganzheitliche Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mehr, die als geschlossenes Lehrsystem vermittelt wird“. 742 Ein solches sei noch, wie Brockhoff feststellt, bis in die 1970er-Jahre erkennbar gewesen, heute hingegen kaum mehr. Die Ausdifferenzierung vieler „Spezieller Betriebswirtschaftslehren“ habe „den Kern der Disziplin in jüngster Zeit verdeckt und diffus erscheinen lassen.“ 743 Deutlich wird dies auch an zahlreichen Lehrbüchern der ABWL, die - im Gegensatz zum „Wöhe“ - nicht „aus einer Feder“ stammen und einen bestimmten Ansatz konsequent verfolgen, sondern, wie Schreyögg feststellt, „eher Sammelwerke darstellen, zu denen Spezialisten ihre Perspektive beitragen.“ Gleiches treffe auch auf die Lehrveranstaltungen zur „Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre“ zu. Viele Hochschullehrer würden unter diesem Etikett nur noch „eine bunte Reihe abgemagerter Versionen ihrer Spezialveranstaltungen anbieten“, denen „in aller Regel eine verbindende theoretische Perspektive fehlt.“ 744 Die zuneh‐ mende Öffnung der Betriebswirtschaftslehre seit Ende der 1960er-Jahre mit untereinander konkurrierenden Ansätzen (entscheidungsorientiert, system‐ orientiert, verhaltenswissenschaftlich usw.) sowie die parallel zunehmenden Spezialisierungstendenzen führten zu jenem Bedeutungsverlust der ABWL, der von vielen Fachvertretern seit geraumer Zeit beklagt wird. Die weitere Entwicklung der ABWL hänge nach Weber vor allem von der Entwicklung einer tragfähigen Theorie ab, denn „die Entwicklung einer tragfähigen Theorie bedeutet die Reduktion von Komplexität. Das Fehlen oder der Verzicht auf Theorie bedeutet, dass mehr oder weniger zusammenhanglos Wissen gesammelt und angehäuft wird.“ Dies führt Weber zu der These: „Je theorieärmer eine Disziplin ist, desto mehr neigt sie zur Zersplitterung und Auflösung.“ 745 Weber plädiert dafür, dass die BWL ihre Verpflichtungen als wissenschaftliche Disziplin ernst nehme und „sich (wieder) mit großem Einsatz dem Ausbau der theoretischen Basis des Faches“ widme. Es sei geboten, „an der Diskussion in der Betriebswirtschaftslehre in den 1950er-, 60er-, 70er- und 80er- Jahre anzuknüpfen.“ 746 Dies würde allerdings voraussetzen, dass die jüngere 330 11 Generalisierung vs. Spezialisierung in der BWL <?page no="331"?> 747 R. Seÿffert: Über Begriff, Aufgaben und Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., Stuttgart 1971, S.-31f. 748 R. Seÿffert: Betriebswirtschaftliche Forschung, ihre Entwicklung, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von H. Nicklisch, Bd.-1, Stuttgart 1926, Sp. 1190. Forschergeneration sich (wieder) der Geschichte der Betriebswirtschaftslehre zuwendet und auch eine kritischere Position gegenüber dem US-amerika‐ nischen Managementdenken einnimmt. Nicht ohne Grund beklagte Dieter Schneider schon in den 1980er-Jahren den in der Betriebswirtschaftslehre vor‐ herrschenden „Denkstil von der geschichtslosen Managementwissenschaft.“ Diese Ahistorizität in der BWL, die paradoxerweise mit zunehmendem Alter und zunehmender Spezialisierung des Faches angewachsen ist, hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass die Zentrifugalkräfte in der BWL stärker geworden sind und die ABWL immer mehr von ihrer Identität einbüßen musste. Spezialisierungen gibt es in jeder Wissenschaft. Allerdings lehren und forschen die anderen Wissenschaftsdisziplinen auch allesamt über ihre eigene Geschichte! Vermutlich hat die BWL die Notwendigkeit hierfür zu lange ignoriert. „Dabei ist der Erkenntniswert der Geschichte der Lehre gerade in der Betriebswirtschaftslehre groß. Die zunächst verwirrende Fülle der Lehrmeinungen, die mangelhafte Umgrenzung des Gebietes, der für den Studenten schwierig erfassbare innere Zusammenhang ihrer weit verzweigten und isoliert gewachsenen Erkenntnisse drängen auf eine Beschäftigung mit ihrer Geschichte.“ 747 Diese Worte hören sich sehr aktuell an; sie sind aber bereits über ein halbes Jahrhundert alt. Rudolf Seÿffert schrieb sie 1971, kurz vor seinem Tod. Er gehörte zu den relativ wenigen Betriebswirten, die die Bedeutung der Geschichte ihres eigenen Faches erkannten und auch auf diesem Gebiete forschten und lehrten. Bleibt zu hoffen, dass seine 1926 geäußerte Voraussage sich bewahrheiten wird: „Von der Anwendung der historischen Methode ist noch viel für die Betriebswirtschaftslehre zu erwarten.“ 748 ➲ Zusammenfassung ■ Die ABWL befasst sich mit Sachverhalten, Fragestellungen und Proble‐ men, die allen Betrieben gemeinsam sind. Sie versucht zu Aussagensys‐ temen zu kommen, die für alle Betriebe Gültigkeit haben. ➲ Zusammenfassung 331 <?page no="332"?> ■ Die wichtigsten Funktionen der ABWL sind: □ Überblicksfunktion/ Orientierungsfunktion, □ Klammerfunktion und □ Theoriebildungsfunktion. ■ Zur ABWL zählen z.-B. folgende Inhalte: □ Einordnung der BWL als Wissenschaft, □ Geschichte der BWL, □ Betrieb und Umwelt, □ Betriebsformen/ Betriebstypen, □ Unternehmensorganisation, □ Standortwahl, Rechtsformen, □ Unternehmensziele und -strategien und □ betriebliche Funktionsbereiche in ihren Grundzügen. ■ Eine SBWL kann sich beziehen auf: □ Wirtschaftszweige (z.-B. Industrie, Handel, Banken), □ Funktionsbereiche (z. B. Produktion, Marketing, Personalwirt‐ schaft) und □ Entwicklungsphasen von Unternehmen (z. B. Gründung, Wachs‐ tum, Sanierung). ■ Ursachen der Spezialisierung: □ zunehmende Komplexität, □ US-amerikanisches Fachverständnis von Funktionsbereichen (Ma‐ nagementlehren), □ Einfluss der englischsprachigen „Journals“ und □ Besetzung von Professorenstellen mit Fachfremden (z. B. Psycho‐ logen im Marketing). ■ ABWL und SBWL beeinflussen sich gegenseitig. Die SBWL ist vor allem aus Forschungssicht positiv zu werten. Sie kann aber auch zur Auflösung der ABWL beitragen. ■ Etwa seit den 1980er-Jahren ist eine ABWL im Sinne eines geschlosse‐ nen Lehrsystems kaum mehr erkennbar. Die zunehmende Speziali‐ sierung hat die ABWL immer weiter geschwächt. Die Gefahr eines Bedeutungsverlustes der ABWL wird sehr kritisch gesehen. 332 11 Generalisierung vs. Spezialisierung in der BWL <?page no="333"?> Abbildungsbelegverzeichnis [1] Abb. 2.1: Mesopotamien innerhalb heutiger Staatsgrenzen. | Wikimedia [2] Abb. 2.2: Sumerische Bilderschrift. | in Anlehnung an Faszination Weltgeschichte, 2004, S.-30 [3] Abb. 2.3: Xenophon. | Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Bd.-4, Leipzig 1841, S.-768 [4] Abb. 2.4: Aristoteles. | Gemälde von J. van Gent, 1476, Wikimedia [5] Abb. 2.5: Cato. | Wikimedia [6] Abb. 2.6: Handelswege nach dem Nahen Osten. | Eigene Darstellung in Anleh‐ nung an Samhaber, E., Kaufleute wandeln die Welt, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1993, S.-81 [7] Abb. 2.7: Thomas von Aquin. | Wikimedia [8] Abb. 2.8: Luca Pacioli. | Penndorf, B., Geschichte der Buchhaltung in Deutschland, Leipzig 1913, S.-41 [9] Abb. 2.9: Die Verbreitung der doppelten Buchhaltung in Europa. | eigene Darstellung [10] Abb. 2.10: Martin Luther. | Lucas Cranach der Ältere, 1522, Wikimedia [11] Abb. 2.11: Wucher und Fürkauf. | Steinhausen (1899), S.-79 [12] Abb. 2.12: Giovanni Domenico Peri. | Wikimedia Commons [13] Abb. 3.1: Das Zollhaus in London. | Wikimedia [14] Abb. 3.2: Johann Joachim Becher. | Wikimedia [15] Abb. 3.3: Jaques Savary. | Wikimedia [16] Abb. 3.4: Titelkupfer aus J. Savarys „Der vollkommene Kauff- und Han‐ dels-Mann“ (1676). | „Der vollkommene Kauff- und Handels-Mann“, 1676: Stein‐ hausen, G., Kaufleute und Handelsherren in alten Zeiten, Leipzig 1899, S.-106 [17] Abb. 3.5: Das Kaufmannssystem nach Ludovici. | in Anlehnung an Sundhoff (1979), S.-113 [18] Abb. 3.6: „Haupt- und Hülsgeschäfte des Handels“ nach Buse. | eigene Darstel‐ lung nach nach Buse (1807), S.-56-62 [19] Abb. 3.7: Leuchs System der Handlungswissenschaft (1791). | Sundhoff (1979), S.-129 [20] Abb. 4.1: Jean-Gustave Courcelle-Seneuil. | Wikimedia [21] Abb. 4.2: Arwed Emminghaus. | Wikimedia [22] Abb. 4.3: Die Allgemeine Gewerkslehre im Rahmen der Wirtschaftswissen‐ schaften. | Emminghaus (1868), S.-12 <?page no="334"?> [23] Abb. 5.1: Sitz der HH Leipzig in der Schulstraße 1 von 1902 bis 1910. | Göschel, H., Die Handelshochschule in Leipzig, Leipzig 2008, S.-63 [24] Abb. 5.2: Robert Stern. | Robert Stern: Zur Entwicklung der Betriebswirtschafts‐ lehre - Festschrift für Robert Stern, Berlin/ Wien/ Leipzig 1925, S.-1 [25] Abb. 5.3: Richard Lambert. | Lambert, R., Buchhaltung, hrsg. v. VDDK, Berlin 1938, S.-1 [26] Abb. 5.4: Die zweite Generation der Betriebswirte, Schüler von Richard Lambert. | eigene Darstellung [27] Abb. 5.5: Eugen Schmalenbach. | mit Unterstützung der Schmalenbach-Gesell‐ schaft [28] Abb. 5.6: Hörsaal der Handelshochschule Köln. | historische Postkarte [29] Abb. 5.7: Heinrich Nicklisch. | Universität Mannheim (Fotograf: G. Till‐ mann-Matter, Mannheim) (UA MA 100 Nr.-4) [30] Abb. 5.8: Fritz Schmidt. | Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Signatur: UAF Abt. 854 Nr.-1482 [31] Abb. 5.9: Titelblatt der ersten kaufmännischen Fachzeitschrift „Journal de Commerce“. | Brüssel 1759 [32] Abb. 5.10: Titelkopf der „Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspra‐ xis“. | Heft 6, 1908 [33] Abb. 5.11: Werbeanzeige des Verlags G. A. Gloeckner für die „Betriebswirt‐ schaftliche Rundschau“. | Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Nr. 119, 21. Mai 1924) [34] Abb. 5.12: Wilhelm Rieger. | Stadtarchiv Nürnberg C 21/ VII Nr.-128 [35] Abb. 6.1: Josef Hellauer. | Festschrift zu Hellauers 65. Geburtstag: Die Erfolgs‐ rechnung der Handels- und Verkehrsbetriebe, hrsg. von C. Lüer und R. Henzler, Frankfurt. a.-M. 1936. [36] Abb. 6.2: Johann Friedrich Schär. | Bibliothek der Universität Basel [37] Abb. 6.3: Ein- und Ausschaltung der Glieder in die Organisation des Handels. | Schär (1918), S.-193 [38] Abb. 6.4: Schärs Darstellung des Einflusses der Betriebskosten auf den Handels‐ gewinn. | Schär (1918), S.-163 [39] Abb. 6.5: Das Netz der Wertbeziehungen in der Wirtschaft. | Nicklisch (1932), S.-108 [40] Abb. 7.1: Der Stammbaum der BWL (Auswahl). | Eigene Darstellung in Anleh‐ nung an Klein-Blenkers (1992) und Brockhoff (2017), biographischer Anhang, S. 261ff. (der hier dargestellte Stammbaum erhebt keinen Anspruch auf Vollstän‐ digkeit) 334 Abbildungsbelegverzeichnis <?page no="335"?> [41] Abb. 7.2: Pfingst-Tagung des VHB in Wien (1928), in der Mitte Eugen Schmal‐ enbach (mit Stock). | Foto: Simonis/ VHB [42] Abb. 7.3: Das Kölner Einzelhandelsinstitut. | Seÿffert: Handbuch des Einzelhan‐ dels, Stuttgart 1932, S.-881 [43] Abb. 7.4: Julius Hirsch. | Der Handel heute (in Memoriam Julius Hirsch), hrsg. von K. C. Behrens, Tübingen 1962 [44] Abb. 7.5: Das fünfbändige „Handwörterbuch des Kaufmanns“ von Karl Bott, die fünfbändige 1. und die zweibändige 2. Auflage des „Handwörterbuchs der Betriebswirtschaft“ von Heinrich Nicklisch. | eigenes Foto [45] Abb. 7.6: Walter Le Coutre. | Universität Mannheim (UA MA 100 Nr.-1561) [46] Abb. 7.7: Handbuch des Einzelhandels. | Poeschel Verlag, Stuttgart 1932 [47] Abb. 8.1: Die Organisation der deutschen Wirtschaft. | Die rechte Hand des Kaufmanns, 18. Aufl., Osnabrück 1937, S.-53 [48] Abb. 8.2: Wilhelm Auler. | Universitätsarchiv Marburg,-UniA Marburg 312/ 7 Nr.-4 [49] Abb. 8.3: Walter Thoms. | Walter Thoms: Weilbach, E.: Neue Wege der Betriebs‐ wirtschaft - Festschrift für Walter Thoms zu seinem 65. Geburtstag, Herne/ Berlin 1964, S. IV [50] Abb. 8.4: Bücherverbrennung auf dem Opernplatz in Berlin am 10. Mai 1933. | Bundesarchiv, Bild 102-14597 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0 [51] Abb. 8.5: Alfred Isaac. | Wikimedia Commons [52] Abb. 8.6: Bruno Rogowsky. | Festschrift Ein Halbjahrhundert betriebswirtschaft‐ liches Hochschulstudium, Festschrift zum 50. Gründungstag der Handels-Hoch‐ schule Berlin, hrsg. vom Verband Deutscher Diplomkaufleute e.-V., Berlin 1956 [53] Abb. 8.7: Waldemar Koch. | Wikimedia [54] Abb. 9.1: Hauptgebäude der Berliner Humboldt-Universität (Ruine) im Jahr 1949. | Wikimedia [55] Abb. 9.2: Struktur der Wirtschaftswissenschaft in der DDR (Mitte der 1950er-Jahre). | angelehnt an Pieper (1989), S.-88 [56] Abb. 9.3: Blick in einen Hörsaal der HfÖ, 1970. | Wikimedia [57] Abb. 9.4: Wilhelm Kalveram. | Universitätsarchiv Frankfurt, Signatur: UAF, Abt. 854, Nr.-719. [58] Abb. 9.5: Die Produktivitätsbeziehung nach Gutenberg. | eigene Darstellung [59] Abb. 9.6: Konrad Mellerowicz. | Abromeit, H.-G./ Jonas, H./ Labes, J.-R. (Hrsg.): Aktuelle Betriebswirtschaft, Festschrift zum 60. 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Simon. | Wikimedia [66] Abb. 10.7: Werner Kroeber-Riel. | Prof. Dr. Andrea Gröppel-Klein [67] Abb. 10.8: Forschungsansätze des Käuferverhaltens. | in Anlehnung an H. Meffert et al.: Marketing, 13. Aufl., Wiesbaden 2019, S.-90 [68] Abb. 10.9: S-O-R-Paradigma der Käuferverhaltensforschung. | in Anlehnung an H. Meffert (Hrsg.): Marktorientierte Unternehmensführung im Wandel, Wiesba‐ den 1999, S.-48 [69] Abb. 10.10: Titelseite des Berichts des Club Rome. | deutsche Ausgabe/ Rowohlt Verlag [70] Abb. 10.11: Geschäftsbeziehungen mit Handel (links) und ohne Handel (rechts). | in Anlehnung an L. Müller-Hagedorn / W. Toporowski / S. Zielke: Der Handel, 2. Aufl., Stuttgart 2012, S.-104 [71] Abb. 11.1: Günter Wöhe. | Universitätsarchiv Saarbrücken [72] Abb. 11.2: Titelseite der Erstauflage von 1960. | Verlag Franz Vahlen 336 Abbildungsbelegverzeichnis <?page no="337"?> Literaturverzeichnis 1. 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Weber, Wolfgang: Allgemeine vs. Spezielle Betriebswirtschaftslehren, in: Ideenge‐ schichte der BWL, hrsg. v. W. Matiaske/ W. Weber, Wiesbaden: Springer/ Gabler 2018, S.-21-39. Wöhe, Günter: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 1. Aufl., München: Vahlen 1960. 356 Literaturverzeichnis <?page no="357"?> Glossar Dieses Glossar erläutert überwiegend wirtschaftsgeschichtliche und wissenschaftstheoretische Begriffe im Zusammenhang mit der histori‐ schen Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre. Verweise innerhalb des Glossars werden durch einen ▷ angezeigt, ein ▶ verweist auf ein Kapitel dieses Buches. Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre (AOEWL) | Anfang der 1970er-Jahre konzipiertes Alternativkonzept zur „kapitalorientierten“ BWL. Im Mittelpunkt der AOEWL stehen die Interessen der Arbeitnehmer (z. B. Sicherung der Arbeitsplätze, optimale Gestaltung der Arbeit, Sicherung und Steigerung der Einkommen). | ▶ 10.4 Beobachtung | Systematische und geplante Erfassung von sinnlich wahr‐ nehmbaren Sachverhalten, Eigenschaften, Zusammenhängen und Wir‐ kungsweisen im Augenblick ihres Auftretens. Die Beobachtung ist eng verwandt mit dem ▷ Experiment, unterscheidet sich jedoch von diesem dadurch, dass sie nicht unmittelbar auf das Objekt einwirkt. Große Bedeutung hat die Beobachtung in der Marktforschung (z.-B. Käuferverhalten). Betriebswirtschaft | Bezeichnung sowohl für den einzelnen wirtschaftli‐ chen Betrieb als auch für das Wirtschaftsleben der Betriebe als Gesamter‐ scheinung. Der Begriff „Betriebswirthschaft“ wurde erstmals von dem Heidelberger Professor Eduard Baumstark (1807-1889) in seiner „Kameralistischen Enzy‐ klopädie“ (1835, S.-155) verwendet. | ▶ 1.2 | ▶ 5.6 Deduktion/ deduktive Methode | lat. „Herabführung“ | Schlussfolgerung vom Allgemeinen auf das Spezielle. Dieses Verfahren zur Gewinnung neuer Erkenntnisse mittels logischer Ableitung setzt einen relativ hohen Stand der theoretischen Erkenntnis in dem betreffenden Wissensgebiet voraus, der sich in der präzisen Formulie‐ rung von Grundbegriffen und Gesetzesaussagen ausdrückt. Davon ausge‐ <?page no="358"?> hend lassen sich Folgerungen ableiten, die neue Erkenntnisse enthalten. Das Gegenstück der Deduktion ist die Induktion. | ▶ 9.3.5 Definition | Verfahren, durch welches das Wesen von Gegenständen, Eigenschaften, Beziehungen und Prozessen begrifflich genau bestimmt und festgelegt wird. Doppelte Buchhaltung/ Buchführung | Der Begriff „Doppelte Buchfüh‐ rung“ kann mehrfach gedeutet werden: ■ Durch Abschluss der Bestandskonten (in der Bilanz) und durch Ab‐ schluss der Erfolgskonten (in der Gewinn- und Verlustrechnung) wird der Periodenerfolg doppelt ermittelt. ■ Jeder Geschäftsfall wird doppelt festgehalten: im Grundbuch (zeitliche Ordnung) und im Hauptbuch (sachliche Ordnung). ■ Da jeder Buchungsvorgang einen Wertübergang darstellt (jeder Leis‐ tung entspricht eine Gegenleistung) werden zwangsläufig zwei Konten berührt. Die Technik der „Doppelten Buchführung“ ist seit 1340 nachweisbar. Luca Pacioli veröffentlichte 1494 die erste gedruckte Schrift zur Doppelten Buch‐ führung und trug so wesentlich zu deren Verbreitung bei. | ▶ 2.6 Ehrbarer Kaufmann | Das Konzept vom „ehrbaren Kaufmann“ ist ein in der europäischen Kaufmannskultur historisch gewachsenes Leitbild, das den Kaufmann zu einem verantwortungsvollen Handeln in der Wirtschaft anleiten will. Ludovici (1767) nennt die Ehre sowie Treue und Glauben als die „größten Kostbarkeiten der rechtschaffenen Kauf- und Handelsleute“. Schlagwörter, die seit jeher regelmäßig im Zusammenhang mit dem „ehrbaren Kaufmann“ genannt werden, sind z. B. Ehrlichkeit, Verantwortung, Anstand, Sorgfalt und Zuverlässigkeit (im Sinne von „Wort halten“). | ▶ 2.6 Empirisch | gr./ lat. „erfahrungsgemäß“ | Aus der ▷ Beobachtung bzw. Erfahrung erwachsen oder dem ▷ Experiment entnommen. Empirismus | Bezeichnung für (philosophische bzw. wissenschaftstheore‐ tische) Lehren, die den Ursprung aller ▷ Erkenntnis in der Erfahrung sehen (▷ Beobachtung, ▷ Experiment). Entscheidungsorientierte BWL | Neuerer Ansatz in der BWL, der von E. Heinen Ende der 1960er-Jahre begründet wurde. Die entscheidungsorientierte 358 Glossar <?page no="359"?> BWL versteht sich als eine angewandte Wissenschaft, die darauf abzielt, das betriebliche Entscheidungsverhalten transparenter und prognostizierbarer zu machen. Dieser Ansatz (▷ Wissenschaftsprogramm) rückt das betriebli‐ che Entscheidungsproblem in den Mittelpunkt. Es entsteht dadurch, dass Unternehmen nicht nur ein Ziel (z. B. Gewinnmaximierung) verfolgen, son‐ dern ein ganzes Bündel unterschiedlicher Ziele. Die entscheidungsorientierte BWL öffnete das Fach für sozialwissenschaftliche Fragestellungen. | ▶ 10.2 Epoche | gr. „Haltepunkt“ | Zeitpunkt, an dem etwas Neues beginnt, ein Ereignis eintritt, das dem Lauf der Dinge eine neue Richtung gibt. Im übertragenen Sinne auch die Bezeichnung für einen ganzen Zeitraum, der von den Nachwirkungen eines solchen Ereignisses geprägt ist. Die Einteilung der Geschichte in Epochen (Periodisierung) stellt in der Geschichtswissenschaft ein wichtiges Hilfsmittel dar. Kritisiert wird das Willkürliche, Subjektive an der Epochengliederung. Eine klassische Groß‐ gliederung ist die in Altertum, Mittelalter, Neuzeit. | ▶ 1.5 Erfahrungsobjekt | Die in der Realität vorkommende Erscheinung bzw. der konkrete Gegenstand, auf den sich das Interesse der wissenschaftlichen Disziplin richtet. Das Erfahrungsobjekt der BWL ist der Betrieb. Der Betrieb kann für verschiedene Disziplinen das Erfahrungsobjekt sein, z. B. für die Soziologie oder Psychologie. Für diese steht dann aber ein anderes ▷ Erkenntnisobjekt im Vordergrund (z. B. das Verhalten der Menschen). Erkenntnis | Erkenntnis wird sowohl der Vorgang (das Erkennen) als auch das Ergebnis der theoretischen Widerspiegelung eines objektiven Sachverhalts im menschlichen Bewusstsein genannt. Zu einer Erkenntnis kann man durch Erfahrung, (logisches) Denken oder ▷ Intuition gelangen. Erkenntnisobjekt | Aus dem ▷ Erfahrungsobjekt wird durch gedankliche Isolierung das jeweils interessierende Erkenntnisobjekt (= Denkobjekt) gewonnen. Das Erkenntnisobjekt der BWL ist das Wirtschaften im Betrieb. Ethik | gr. „Sittenlehre“ | Die philosophische Wissenschaft vom Sittlichen. Teil der Philosophie, welcher die Moral, d. h. die sittlichen Verhaltensweisen, Werte, Normen und Anschauungen der Menschen untersucht. Der ethische ▷ Normativismus in der BWL kommt insbesondere bei Nicklisch, Schär und Kalveram zum Tragen. | ▶ 6.2 | ▶ 6.3 | ▶ 9.2.1 Glossar 359 <?page no="360"?> Experiment | lat. „Probe, Versuch“ | Wissenschaftliche Methode, die eng verwandt ist mit der ▷ Beobachtung, sich von dieser jedoch durch einen aktiven Charakter unterscheidet. Beim Experiment wird die zu untersu‐ chende Erscheinung weitgehend von störenden Einflüssen isoliert und unter verschiedenen natürlichen/ normalen (Feld-Experiment) und künst‐ lichen Bedingungen (Labor-Experiment) untersucht. Die experimentelle Wirtschaftsforschung gehört zur ▷ empirischen Wirtschaftswissenschaft (z.-B. Marktexperimente, Experimente zur Entscheidungstheorie). Falsifikation | lat. „als falsch erkennen“ | Widerlegung bzw. Nachweis der Falschheit einer wissenschaftlichen Aussage. Das Gegenteil ist die ▷ Verifikation. Forschungsmethoden | ▷ Methoden Fürkauf | (auch Vorhökerei) bedeutete im Mittelhochdeutschen so viel wie „Vorwegkauf “, ein Ankauf von Waren mit dem Ziel, diese gewinnträchtig weiterzuverkaufen. Um diesen spekulativen Zwischenhandel zu verhindern, bestand vielerorts ein Marktzwang, der es Zwischenhändlern untersagte, Waren auf Wochenmärkten aufzukaufen. | ▶ 2.7 gerechter Preis | Zu der Frage, welcher Preis als „gerecht“ anzusehen ist, gehen die Ansichten weit auseinander, weil Moralnormen nicht nur kultur- und zeitabhängig, sondern auch subjektiv auslegbar sind. Eine allgemeingültige ▷ Definition existiert nicht. Bereits antike griechische Philosophen setzten sich mit der Frage des gerechten Preises auseinander: Nach Platon dienen wirtschaftliche Trans‐ aktionen vor allem der Versorgung der Bürger, ein Gewinn sei daher nur in mäßigen Margen erlaubt. Eine differenziertere Auffassung vertritt Aristoteles: Preise müssten ver‐ hältnismäßig sein, wobei das Maß für Verhältnismäßigkeit der Bedarf sei. Der Preis einer Ware solle sich nach dem Bedürfnis richten. Der Römer Cicero berücksichtigt bezüglich des gerechten Preises die Bedeutung der Informationen: Der Verkäufer habe alle den Kaufabschluss betreffenden Informationen aufzudecken. Im Mittelalter zielt Luthers Idee vom gerechten Preis auf eine optimale Güter- und Einkommensverteilung ab, die sowohl das Allgemeinwohl als auch eine für Käufer- und Verkäuferseite akzeptable Preisgestaltung berück‐ sichtigt. 360 Glossar <?page no="361"?> Der Betriebswirt Kalveram thematisiert die Preisgerechtigkeit in seinem Buch „Der christliche Gedanke in der Wirtschaft“ (1949). | ▶ 2.6 | ▶ 2.7 Gesetz | ■ Wissenschaftstheorie: Ein notwendiger und wesentlicher Zusam‐ menhang zwischen Dingen, Erscheinungen oder Vorgängen, der sich durch Beständigkeit auszeichnet und sich unter gleichen Bedingungen wiederholt. Beispiele: Gesetz der Massenproduktion, Gesetz vom abneh‐ menden Grenznutzen, Ertragsgesetz. ■ Rechtswissenschaft: Eine verbindliche Rechtsnorm, eine rechtsver‐ bindliche Regel. Gesetzmäßigkeit | Der Ablauf von Prozessen gemäß den ihnen innewoh‐ nenden ▷ Gesetzen. Handelshochschulen (HH) | (Fach-)Hochschulen für die qualifizierte Ausbildung von Handelslehrern und Kaufleuten. Obwohl die Idee zu deren Errichtung bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht (P. J. Marperger), wurden sie erst ab 1898 in Deutschland gegründet (Leipzig, Aachen). Die Initiative kam gleichzeitig aus dem Bildungssystem und aus der Wirtschaft, um einerseits dem Mangel an qualifizierten Lehrkräften in der kaufmännischen Bildung entgegenzuwirken und andererseits den Erfordernissen in den Unternehmen Rechnung zu tragen. Nach einiger Zeit wurden die HH in Universitäten integriert (z. B. Frankfurt am Main) oder zu Universitäten umgewandelt (z.-B. Mannheim). | ▶ 5.1 Hermeneutik | gr. „Kunst der Auslegung“ | Die Lehre vom Verstehen, vom wissenschaftlichen Begreifen geisteswissenschaftlicher Gegenstände (z. B. Texte und andere kulturelle Erzeugnisse). Die Hermeneutik zielt auf die Rekonstruktion jener Aussagen und Aussagensystemen, die ihnen im Kontext ihrer Entstehung zukamen. Im Forschungsprozess stellt die Hermeneutik ein Verfahren der Sinngebung und Sinndeutung dar. Hilfswissenschaften | ▷ Interdisziplinarität Historische Schule | Von W. Roscher begründete Schule der Nationalöko‐ nomie, die von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Weimarer Republik die vorherrschende Denk- und Forschungsrichtung in Deutschland war. Weitere Vertreter sind: G. Schmoller, K. Bücher, W. Sombart und M. Weber. Die Historische Schule geht davon aus, dass gesellschaftliche und ökonomische Glossar 361 <?page no="362"?> Verhältnisse historisch entstanden sind und es keine allgemeingültigen ▷ Theorien geben könne. Ihr Ziel war eine historisch fundierte Sozialwis‐ senschaft. Die ▷ Forschungsmethode war ein ▷ empirisch-beschreibendes Vorgehen. Auch sollten auf die Wirtschaft einwirkende außerökonomische Faktoren (z.-B. Recht, Moral, Politik, Religion) berücksichtigt werden. Homo oeconomicus | Menschenbild, das sich auf J. St. Mill zurückführen lässt und insbesondere der Klassik und Neoklassik zugrunde liegt. Das Mo‐ dell des Homo oeconomicus geht von einem Menschen aus, der ausnahmslos rational handelt. Er ist vollständig über das Marktgeschehen informiert und strebt danach, stets seinen eigenen Nutzen zu maximieren. In die BWL fand das Modell indirekt Eingang durch den Ansatz von Gutenberg. Es wird zunehmend kritisiert bzw. ganz abgelehnt (z. B. in der VWL von R. Selten und in der BWL von E. Heinen). | ▶ 9.2.1 | ▶ 10.1 Hypothese | gr. „Grundlage“ | Annahme, die noch nicht bewiesen ist. Sie bildet die Vorstufe für eine ▷ Theorie. Erweist sich eine Hypothese als richtig bzw. wird sie bestätigt (Verifizierung), so spricht man von einem ▷ Gesetz. Induktion/ induktive Methode | lat. „Hinführung“ | Schlussfolgerung vom Speziellen auf das Allgemeine. Einzelne ▷ Beobachtungen (empirisches Material) werden systematisiert und zu einem sinnvollen Ganzen zusam‐ mengeführt, d. h. aus der Beobachtung und Analyse der Wirklichkeit werden Regelmäßigkeiten abgeleitet und theoretisch verallgemeinert, um so eine neue Theorie zu entwickeln. Um zu richtigen induktiven Schlüssen zu gelangen, ist es notwendig, die wesentlichen Eigenschaften der Gegenstände und ihre Beziehungen zueinander zu untersuchen. Die Induktion ist von großer Bedeutung für den Erkenntnisprozess, weil durch sie neue Aussagen gewonnen werden können. Zusammen mit ihrem Gegenstück, der ▷ Deduktion bildet sie ein grundlegendes Verfahren des erkennenden Denkens. Beide Methoden ergänzen sich: Durch Induktion lässt sich eine Theorie entwickeln, durch Deduktion lässt sich eine Theorie überprüfen. | ▶ 9.3.5 Informationsasymmetrie | Zustand, in dem die Marktakteure über unter‐ schiedliche Informationen verfügen. Dieser Zustand kann durch adverse Selektion (= Negativauslese) zu Marktversagen führen. Interdisziplinarität/ interdisziplinärer Ansatz | Verwendung von An‐ sätzen, Denkweisen und Methoden verschiedener Wissenschaften, die zwar 362 Glossar <?page no="363"?> selbständig bleiben, jedoch als Hilfswissenschaften zur Lösung von Frage‐ stellungen innerhalb der eigenen Disziplin herangezogen werden. Hilfswissenschaften der BWL sind insbesondere VWL, Mathematik, Statistik, Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte. „Im Rahmen der interdisziplinären Kooperation kann die Betriebswirtschaftslehre einerseits die sie interessierenden Er‐ kenntnisse aus den Nachbarwissenschaften übernehmen, andererseits aber auch Anregungen zur Untersuchung bestimmter Fragen durch die Nachbar‐ wissenschaften geben“ (H. Raffée). | ▶ 9.2.2 Intuition | lat. „Blick, Anschauung“ | Ein besonderer Erkenntnisakt, der plötzlich zu unmittelbarer Einsicht in bisher unbekannte Zusammenhänge führt. Dabei handelt es sich um eine eingebungsartige Erkenntnis und nicht durch ein vermitteltes Wissen (durch Logik oder Überlegung). Die Intuition ist keine übernatürliche, irrationale Erkenntnisweise, sondern ein spezifischer Erkenntnisvorgang, in dem sinnliche Anschauung und abs‐ traktes Denken auf besondere Weise verflochten sind. Das intuitiv gewon‐ nene Wissen bedarf weiterer theoretischer Verarbeitung und praktischer Überprüfung. Nach der Auffassung von H. Nicklisch, dem Hauptvertreter des ethisch-normativen Ansatzes, „muß für die Betriebswirtschaft wie für die Betriebswirtschaftslehre das herrschende Forschungsverfahren das der Intuition sein“ (Die Betriebswirtschaft, 7. Aufl., 1932, S.-28). | ▶ 5.3.2 Kameralismus | Eine Variante des Merkantilismus, speziell in den deut‐ schen Staaten vom 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stand die wirtschaftliche Entwicklung des Staates durch handelspolitische Maßnahmen und die Förderung des Manufakturwesens, um so Einnahmen für die Staatskasse zu generieren. | ▶ 3 Kapital | „Kapital“ hat in der Wirtschaftswissenschaft eine dreifache Be‐ deutung: 1. Neben Boden und Arbeit bezeichnet es den dritten volkswirtschaftlichen Produktionsfaktor. 2. Im Sinne von Geldkapital, welches die finanziellen Mittel umfasst, die zur Erneuerung bzw. Erweiterung des Kapitalstocks zur Verfügung stehen. 3. Im betrieblichen Rechnungswesen das Gesamtvermögen (bestehend aus Eigenkapital und Fremdkapital), das auf der Passivseite der Bilanz erfasst wird. Glossar 363 <?page no="364"?> Kapitalismus | Bezeichnung für ein neuzeitliches Wirtschaftssystem, das gekennzeichnet ist durch freies Unternehmertum und Privateigentum an den Produktionsmitteln. Die Steuerung der Wirtschaftsaktivitäten wird - im Gegensatz zur ▷ Planwirtschaft - dem Markt überlassen. Synonym für ‚Kapitalismus‘ wird der Begriff (freie) Marktwirtschaft verwendet. W. Rieger sieht im kapitalistischen Gewinnprinzip die Grundidee seiner Pri‐ vatwirtschaftslehre. Zu den Betriebswirten, die dem Kapitalismus kritisch gegenüberstehen, gehören z. B. H. Nicklisch, J. F. Schär sowie die Vertreter der ▷ AOEWL. | ▶ 5.5 | ▶ 8.2 Kommerzielle Revolution | Ein europäisches Phänomen im Hochmittel‐ alter, das die Handelsstrukturen und das Wirtschaftsleben etwa zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert grundlegend veränderte. Die kommerzielle Revolution wurde forciert durch das Aufkommen der Schriftlichkeit, die Einführung der ▷ Doppelten Buchhaltung, die Ablösung des Wanderhandels durch die Sesshaftwerdung der Kaufleute sowie durch Innovationen im Zahlungsverkehr (z. B. Kredit und Wechsel) und im Transportwesen (bessere Lagermöglichkeiten und Transportmittel). Die Bezeichnung Kommerzielle Revolution wurde von dem Wirtschaftshistoriker R. de Roover (1904-1972) in den 1940er-Jahren geprägt. | ▶ 2.6 Mathematik (in der Wirtschaftswissenschaft) | Mathematik als eine formale Ausdrucksweise (formale Logik) ist gekennzeichnet durch eine hohe Präzision ihres Begriffssystems, strenge Beweismethoden und einen stark ▷ deduktiven Charakter. Als „Vater der mathematischen Wirtschaftswissenschaft“ wird Cournot angesehen. Mit seinem Werk „Untersuchungen über die mathematischen Grundlagen der Theorie des Reichtums“ erklärte er den Marktmechanismus unter Zuhilfenahme der mathematischen Analyse. In der BWL kam es zwischen E. Gutenberg und K. Mellerowicz zu einem ▷ Methodenstreit um die Frage, ob die Verwendung von mathematischen Modellen in der betriebs‐ wirtschaftlichen ▷ Theorie sinnvoll ist. Mellerowicz vertrat die traditionelle unmathematische Methode, Gutenberg setzte sich für mathematische Ver‐ fahren ein. | ▶ 9.2.3 | ▶ 9.2.5 Merkantilismus | ▷ Kameralismus | ▶ 3 Methoden | gr. „das Nachgehen, Verfolgen“ | Art und Weise, Verfahren, Technik des Forschens. Jede Forschung wird stets unter Verwendung geeig‐ neter Methoden vollzogen. Zu den wissenschaftlichen Methoden (die abhän‐ 364 Glossar <?page no="365"?> gig sind von der jeweiligen Theorie) gehören beispielsweise ▷ Beobachtung, ▷ Deduktion,▷ Experiment, ▷ Hermeneutik, ▷ Induktion, ▷ Intuition. Methodenstreit | Wissenschaftliche Auseinandersetzung um die „richtige“ bzw. angemessene Forschungsmethode in der Wirtschaftswissenschaft. ■ In der VWL entbrannte der 1. Methodenstreit zwischen G. Schmoller (Historische Schule) und C. Menger (Grenznutzenschule). Dabei ging es um die Berechtigung und Bedeutung der theoretischen Forschungs‐ methode, insbesondere um ▷ deduktive und ▷ induktive Verfahren. Beim 2. Methodenstreit (zwischen M. Weber und W. Sombart auf der einen Seite und G. Schmoller, A. Wagner und E. von Philippovich auf der anderen Seite) ging es um die Zulässigkeit von ▷ normativen Aussagen (Werturteilen). Weber und Sombart vertraten die Auffassung, dass ▷ Werturteile mit objektiver Wissenschaft nicht vereinbar seien. ■ In der BWL wurde Der 1. Methodenstreit 1912 von M. Weyermann und H. Schönitz ausgelöst. Sie betrachteten die BWL als einen Bereich der VWL. E. Schmalenbach vertrat hingegen die Ansicht, dass die BWL eine technologisch orientierte Kunstlehre sei, in deren Mittelpunkt der Wirt‐ schaftlichkeitsaspekt stehe. Der 2. Methodenstreit entzündete sich an der Wirtschaftlichkeitslehre von E. Schmalenbach. W. Rieger löste diesen Streit aus, als er Schmalenbachs Auffassung seine Privatwirtschaftslehre gegenüberstellte, die sich am Rentabilitätsaspekt orientiert. Beim 3. Methodenstreit zwischen E. Gutenberg und K. Mellerowicz ging es insbesondere um die Frage, ob die Verwendung von mathematischen Modellen in der betriebswirtschaftlichen Theorie sinnvoll ist. Meller‐ owicz vertrat die traditionelle unmathematische Methode, Gutenberg setzte sich für mathematische Verfahren ein. | ▶ 9.3.5 Modell | Vereinfachte, übersichtlichere Darstellung der Realität bzw. des Originals zum Zwecke der Problemlösung. Beispiele: Der ▷ Homo oeconomi‐ cus, Bilanzen, Produktionsfunktionen. Nationalökonomie | Veraltete Bezeichnung für das Fach Volkswirtschafts‐ lehre, die so nur im deutschsprachigen Raum existiert. Der Begriff wurde populär durch F. Lists Werk „Das nationale System der politischen Ökono‐ mie“ (1841). Neue Institutionenökonomik (NIÖ) | Oberbegriff für drei zusammenge‐ hörige bzw. sich überlappende Theoriegebiete: Glossar 365 <?page no="366"?> ■ Die Theorie der Verfügungsrechte (Property-Rights-Theorie) be‐ trachtet wirtschaftliche Transaktionen (z. B. Kauf, Miete, Arbeitsver‐ hältnis) als Tausch von Verfügungsrechten und fragt danach, wie sie das Verhalten der Wirtschaftssubjekte beeinflussen. ■ Die Transaktionskostentheorie geht davon aus, dass sich das Wirt‐ schaften in den Kategorien von Verträgen und Vereinbarungen voll‐ ziehe. Für deren Anbahnung, Gestaltung, Einhaltung und Anpassung entstehen sog. Transaktionskosten (z. B. Such-, Informations-, Kontroll‐ kosten). Diese sollen bei der Koordination ökonomischer Aktivitäten minimiert werden. ■ Die Principal-Agent-Theorie (Agency-Theorie) untersucht die Be‐ ziehung zwischen Principal (Auftraggeber) und Agent (Auftragnehmer). Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Beziehungen zumeist durch ▷ Informationsasymmetrien gekennzeichnet sind. Der Einfluss der NIÖ auf die BWL machte sich seit Mitte der 1980er-Jahre bemerkbar und verstärkte sich in den 1990er-Jahren. | ▶ 10.7 Normativistische Theorie/ normative Richtung der BWL | Eine ethischwertende Denkrichtung, die auf Werturteilen basiert. Sie beschreibt also nicht (nur) objektiv, wie etwas ist, sondern insbesondere wie etwas sein soll. Die bekanntesten Vertreter dieser Richtung in der BWL sind Nicklisch, Schär, Kalveram. | ▶ 5.3.2 | ▶ 6.2 | ▶ 6.3 | ▶ 9.2.1 Periodisierung | ▷ Epoche Planwirtschaft | auch „Zentralverwaltungswirtschaft“ | Ein Ordnungssys‐ tem der Wirtschaft, in dem ökonomische Entscheidungen zentral getroffen und die Abläufe auch zentral gesteuert und kontrolliert werden. Die Pro‐ duktion und Verteilung der Güter wird also nicht wie in der Marktwirtschaft über den Preismechanismus durch Angebot und Nachfrage gesteuert, son‐ dern von einer zentralen Stelle (z. B. einer Behörde) geplant. Beispiele: „4-Jahres-Pläne“ der Nazis, „5-Jahres-Pläne“ der kommunistischen Staaten (Sowjetunion, DDR, Nordkorea, China). | ▶ 9.1 Principal-Agent-Theorie | ▷ Neue Institutionenökonomik (NIÖ) Privatwirtschaftslehre | Auf W. Rieger zurückgehende (alternative) Be‐ zeichnung für Betriebswirtschaftslehre, die sich für einen kurzen Zeitraum eingebürgert hatte. 1928 erschien sein Werk Einführung in die Privatwirt‐ 366 Glossar <?page no="367"?> schaftslehre. Als Name des Fachs setzte sich jedoch der von E. Schmalenbach eingeführte Begriff „Betriebswirtschaftslehre“ durch. | ▶ 5.5 Systemorientierte Betriebswirtschaftslehre | Von Hans Ulrich initiier‐ ter Ansatz in der BWL, der die Systemtheorie bzw. die Kybernetik (gr. „Steuermannskunst“) auf die Unternehmung anwendet, da diese sowohl ein „produktives“ als auch ein „soziales“ System darstelle und es mithin der Lenkung und Steuerung bedürfe. Der systemorientierte Ansatz führte zu einer Öffnung des Fachs und schuf die Basis für die Managementlehre. | ▶ 10.3 Theorie | gr. „Schauen“ | Ein systematisch geordnetes Aussagensystem zu einem Wissensbereich. Die Theorie widerspiegelt die Struktur, die Funktion und die Gesetzmäßigkeiten der Realität bzw. einer Erscheinung in verall‐ gemeinerter Form und formuliert diese sprachlich möglichst exakt. Die Bildung von Theorien ist eine entscheidende Etappe im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Theorien haben eine Beschreibungs-, Erklärungs- und Prognosefunktion; sie bilden das „Rückgrat“ und das „Lehrgebäude“ einer Wissenschaft bzw. eines ▷ Wissenschaftsprogramms. Theorie der Verfügungsrechte | ▷ Neue Institutionenökonomik (NIÖ) These | gr. „Setzung“ | Aussage bzw. Behauptung, die als Ausgangspunkt für die weitere Diskussion dient. Transaktionskostentheorie | ▷ Neue Institutionenökonomik (NIÖ) Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB) | Der VHB ist ein eingetragener Verein, der am 26.11.1921 in Frankfurt am Main als Verband der Dozenten für Betriebswirtschaftslehre an deutschen Hochschulen gegründet wurde mit dem „Zweck, die BWL in Forschung und Lehre zu fördern, auf eine angemessene Vertretung der BWL an den in Frage kommenden Hochschulen hinzuwirken und die Standesinteressen seiner Mitglieder zu vertreten“ (HWB, Bd.-5, 1928, Sp. 552). Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Heinrich Nicklisch, Abraham Adler und Fritz Schmidt; bald darauf traten Ernst Pape, Josef Hellauer und Eugen Schmalenbach dem VHB bei. Die jährliche Hauptversammlung des VHB findet traditionell zu Pfingsten statt. Offizielle Internetseite des VHB: https: / / vhbonline.org | ▶ 7.2.3 Glossar 367 <?page no="368"?> Verifikation | lat. „die Wahrheit erweisen“ | Erweis der Wahrheit einer wissenschaftlichen Aussage (z. B. durch empirische Beobachtung oder logischen Beweis). Das Gegenteil ist die ▷ Falsifikation. Verkehrswirtschaft/ Verkehrslehre | Der veraltete, heute kaum noch verwendete betriebswirtschaftliche Fachbegriff war von den 1910erbis in die 1950er-Jahre gebräuchlich als Bezeichnung für das von J. Hellauer begründete Teilgebiet der BWL, das sich mit den Beziehungen - dem Verkehr von Waren, Geld und Informationen - zwischen dem Betrieb und seinen Marktpartnern (Lieferanten und Kunden) befasst. Somit ist der Begriff zu einem Teil deckungsgleich mit Absatzwirtschaft bzw. Marketing. Werturteil/ Werturteilsstreit | Dem Werturteilsstreit, der aus den metho‐ dologischen Untersuchungen M. Webers hervorgegangen ist, liegt die Frage zugrunde, ob wirtschaftliche (und gesellschaftliche) Tatbestände einer Wer‐ tung (z. B. unter ethischen, moralischen oder religiösen Gesichtspunkten) unterzogen werden dürfen. Es geht im Kern also um die Frage, ob die Wirtschaftswissenschaft Werturteile enthalten darf oder nicht. M. Weber und W. Sombart vertraten die Auffassung, dass die Wirtschafts‐ wissenschaft eine ▷ empirische Wissenschaft sei, in der Werturteile keinen Platz hätten. Nach A. Wagner und G. Schmoller müsse die Wirtschaftswis‐ senschaft Werturteile enthalten bzw. diese bei der Theoriebildung berück‐ sichtigen. Wissenschaft | lat. „scientia“ | Je nach Abgrenzung (Kulturzweig, Einzel‐ wissenschaft, methodischer Prozess) unterschiedlicher Bedeutungsinhalt und -umfang, z.-B.: ■ Inbegriff menschlichen Wissens, das systematisch gesammelt, aufbe‐ wahrt, gelehrt und tradiert wird. ■ Gesamtheit von Erkenntnissen, die sich auf einen Gegenstandsbereich beziehen und in einem Begründungszusammenhang stehen. ■ Zusammenhängendes System von überprüften Aussagen, Theorien und Verfahrensweisen, das den Anspruch auf objektive Gültigkeit erhebt. Das Bundesverfassungsgericht versteht unter wissenschaftlicher Tätigkeit „alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist.“ 368 Glossar <?page no="369"?> Wissenschaftsprogramme (der BWL) | Konkrete Ausgestaltung einer Wissenschaftsdisziplin auf der Grundlage eines systemkonstituierenden Grundgedankens, einer „Leitidee“ (Schanz). Auf der Grundlage einer spezifischen Forschungskonzeption lassen sich Einzelprobleme in einen Aussagenzusammenhang systematisch einordnen, sodass dem Wissenschaftsprogramm eine gewisse Geschlossenheit inne‐ wohnt. Problematisch ist, dass der Forscherblick möglicherweise nur in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt wird („Scheuklappen“). In der BWL wurden folgende Wissenschaftsprogramme konzipiert: ■ BWL als „Kunstlehre“ (Eugen Schmalenbach), ■ BWL als „ethisch-normative Wissenschaft“ (Heinrich Nicklisch), ■ BWL als „rein theoretische Wissenschaft“ (Wilhelm Rieger) ■ BWL als „System der betrieblichen Produktivitätsbeziehung“ (Erich Gutenberg), ■ „Entscheidungsorientierte BWL“ (Edmund Heinen), ■ „Systemorientierte BWL“ (Hans Ulrich) und ■ „Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre (AOEWL)“ (WSI/ Norbert Koubek). Wucher | Ein nichtäquivalenter Austausch bzw. Verkauf von Waren. Indem der Preis erheblich vom Warenwert abweicht, lässt sich ein zusätzlicher Profit erzielen. Wuchergeschäfte waren in vorkapitalistischen Gesellschaftsordnun‐ gen (z.-B. im Mittelalter) stark ausgeprägt. Heute sind im bürgerlichen Recht wucherische Rechtsgeschäfte sittenwidrig und somit nichtig (§ 138 BGB). |-▶-2.7 Glossar 369 <?page no="371"?> Personen- und Sachregister Absatz-119, 190, 204, 267, 329 ABWL-323-326, 328, 330f. Académie des sciences morales et politiques-110 Adler, Abraham-199 Ägypten-54 Ahistorizität-331 Akademie-, Lehr- und Pensions- Anstalt der Handlung (Nürnberg)-98 Akademie für Handels- und Sozialwissenschaften-141 Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften-139, 149 aktivierende Prozesse-302 Albach, Horst-261, 266, 271, 276, 294 Algebra-49 Alī ad-Dimišqī-42, 65 Allgemeine Handlungs-Zeitung-98 Altertum-29f., 64 Anregungsphase-286 Antike-29, 64 Äquivalenzprinzip-47 arabisches Kaufmannsbuch-42 Arbeit-112, 257 Arbeitskosten-46 arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre-295ff. Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre-294 Arbeitsteilung-36 Arbeitswerte-179 Arierparagraph-232 Arisierung-221 Aristoteles-29, 34f., 37f., 44, 56 Arithmetik-49 Aufermann, Ewald-191 Auler, Wilhelm-189, 222f. Ausbeutung-55 Ausstellungen-120 Auswahlphase-286 Autarkiebestrebung-221 autoritärer Führungsstil-113 Babylon-32, 54 Baier, Carl G.-327 Baligh, Helmy H.-314 Baligh-Richartz-Effekt-315 Bankbetriebslehre-325 Bardmann, Manfred-119 Barth, Kuno-240 Baumstark, Eduard-161 Becher, Johann Joachim-69f. Bedürfnisbefriedigung-93 Behavioral Approach-298 Behavioral Economics-300 Behavioral Finance-300 Behavioral Sciences-299 Behrens, Gerold-305 Behrens, Karl-Christian-240 Bellinger, Bernhard-26, 37, 52, 63, 88, 126, 167, 253, 271 Beobachtung-357 Berger, Wolfgang-246f. Berghaus, Johann Isaak-90 Berliner, Adolf-240 Berliner, Siegfried-235 Berufsschulen-80, 97, 127 Berufsschullehrer-195 <?page no="372"?> Besatzungszonen-245 Beste, Theodor-190, 192, 219 Betancourt, Roger-315f. Beteiligungskapital-179 Betrieb-20, 27, 52, 181 Betriebsgemeinschaft-164 Betriebslehre-107, 161, 165, 178, 183 Betriebsökonomik-277 Betriebsstoffe-179 Betriebsverfassungsgesetz-254 Betriebswirtschaft-20, 28, 161, 357 betriebswirtschaftliches Dreigestirn-144 Betriebswirtschaftliches Institut für Einzelhandelsforschung-205 Betriebswirtschaftliches Institut für Forschung auf dem Gebiete des Betriebslebens-204 Betriebswirtschaftslehre-19, 21, 23, 26ff., 84, 109ff., 122, 126, 131, 147, 161f., 164, 168, 182, 260, 266, 313 Betriebswirtschaftslehre, Allgemeine-262, 318, 323 Betriebswirtschaftslehre, entscheidungsorientierte-358 Betriebswirtschaftslehre, Konsolidierung-185 Betriebswirtschaftslehre, moderne-130 Betriebswirtschaftslehre, normative-178 Betriebswirtschaftslehre, sozialistische-252, 277 Betriebswirtschaftslehre, Spezielle-323, 325 Betriebswirtschaftslehre, systemorientierte-367 Betriebswissenschaft-161 Betriebswissenschaftliche Institut für Forschungen auf dem Gebiete des Betriebslebens-147 Bilanzanalyse-154 Bilanzarchiv-204 Bilanzierung-188 Black-Box-Modelle-303 Böhmert, Viktor-127, 129 Bohn, Gottfried Christian-71, 90 Bolschewismus-217 Bott, Karl-210 Bouffier, Willy-262 Brandt, Willy-279 Break-even-Point-23, 176 Brentano, Lujo-19 Brockhoff, Klaus 26, 33, 52, 84, 121, 152, 162, 330 Brückenfunktion-324 Bücher, Karl-133, 145, 177 Buchführung-154, 358 Buchhaltung-48, 50, 52f., 64, 272, 358 Buchhaltung, älteste-32 Buchhaltung, doppelte-49, 62, 65 Buchhaltung, Techniken-30, 32 Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen-199 Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung-199 Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte-197 Bürgerliche Wirtschaftslehre-108 Büsch, Johann Georg-90, 97 Buse, Gerhard Heinrich-91ff., 96f., 105, 109, 113 Calmes, Albert-189 Carl von Oeynhausen-23 Cato, Marcus Porcius-29, 38, 40f. Childe, Vere Gordon-31 372 Personen- und Sachregister <?page no="373"?> Chrematistik-38 christliche Handelslehre-55 christliche Lehre-256f. christliches Ordnungsbild-259 Chrysippos-22 Club of Rome-306 Coase, Ronald H.-312 Coase-Theorem-313 Code Savary-73 Codex Hammurapi-32 Codex Ur-Nammu-32 Colbert, Jean-Baptiste-67, 73, 77 Colbertismus-67 Columella, Lucius Junius Moderatus-40 Commons, John Rogers-311 Conseil de Réforme-73 Cordes, Walter-240 Corporate Social Responsibility-260 Cotrugli-74 Courcelle-Seneuil, Jean-Gustave-110- 114, 118, 124, 126, 130 Cramer, Werner-251 Cyert, Richard-300 Darlehen-179 DDR-27, 245, 248f., 251f., 277 Deduktion-357 Definition-358 de Molinari, Gustave-110 de Roover, Raymond-364 Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft-197 Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger-116 Deutsche Mark-254 Deutscher Betriebswirtschaftler- Tag-197, 203 Deutscher Gewerkschaftsbund-295 Deutscher Verband für das Kaufmännische Unterrichtswesen (D.V.f.d.K.U.)-127 Deutscher Verein für Versicherungswissenschaft-116 Deutsches Reich-166 Dichtl, Erwin-305, 324 Diehl, Karl-19 Dienstleistungen-179, 315 Diller, Hermann-305 Diplom-Handelslehrer 99, 127, 139, 163, 188, 195 Diplom-Kaufmann-99, 139, 163, 188, 195, 197 Diplom-Wirtschaftler-248 Dividenden-179 Dokumentation-32, 64 Drehscheibenfunktion-324 Drittes Reich-146 Dumpingpreise-86 Eberbach, G. A.-111 Einzelhandelsinstitut-205, 208 Einzelwirtschaftslehre-161, 357 Eisfeld, Curt-189 Elberfelder System-116 Emminghaus, Arwed-109f., 115-122, 124, 126f., 130 Emotionen-300ff., 304 empirisch-112, 358 Empirismus-358 Engels, Friedrich-306f. Engels, W.-294 Entscheidungsprozess-283f., 319 Entscheidungsverhalten-302 Entwicklungsphasen-325 Epoche-359 Erfahrungsgüter-317 Personen- und Sachregister 373 <?page no="374"?> Erfahrungsobjekt-359 Erfahrungswissenschaft-273 Erhard, Ludwig-245, 254 Erkenntnis-359 Erkenntnisobjekt-359 Ermächtigungsgesetz-217 Ertragserzielungsprozess-180 Ethik-359 ethische Frage-293 ethischer Sozialismus-226 ethisch-normativer Ansatz-148, 158, 164, 184, 226, 260, 283, 363 ethisch-wertende Denkrichtung-366 Euler, Martin-90 Exil-235f. Existenzsicherung-46 Experiment-360 experimentelle Erforschung-301 Export-75f., 166, 168ff., 207 Export-Akademie des k.-u.-k. österreichischen Handelsmuseums-139 Fabrikwissenschaft-103 Fachbezeichnung-161 Fachgesellschaften-216 faktororientierter Ansatz-270 Falsifikation-360 Finanzen-268 Finanzierung-154, 272, 279, 325, 329 Finanzumlauf-179 Finanzwirtschaft-300 Findeisen, Franz-191 Finley, Moses I.-41 Fischer, Guido-225, 256, 260ff., 272, 327 Flugschriften-87 Flusser, Gustav-234 Forschungsinstitute-185, 203, 216 Forschungsmethode-360 Forschungsstelle für den Handel-205, 208, 237 Forstwirtschaftslehre-116 Fredersdorff, Leopold Friedrich-23 Freihandel-111 Freimann, Jürgen-281, 308f. Fruchtbarer Halbmond (Gebiet)-30 Frühkapitalismus-30, 48, 65 Führer-240 Führerprinzip-217 Fünfjahresplan-219 Funktionsbereiche-325 Gautschi, David-315f. Geldmacher, Erwin-192 Generation, dritte-190 Generation, erste-142, 187 Generation, zweite-188 Generationen-215 Generationenübersicht-194 Gesamtwirtschaft-172, 183, 297 Geschäftsabschluß-169 Geschäftsbuch-59 Gesellschaft-33 Gesellschaft für Betriebsforschung-157 Gesellschaft für Volksbildung-116 Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung-157 Gesetze-32, 254, 361 Gesetzmäßigkeit-361 Gewerbekammer-127 Gewerbslehre-116f. Gewerkslehre-116f., 121 Gewinn-53, 73, 112, 119, 168, 173 Gewinn, Beteiligung-181 Gewinn, Maximierung-36, 68, 118 Giro-34 374 Personen- und Sachregister <?page no="375"?> Glauben-51 Göring, Hermann-225 Götz, Martin-236 Grenzen des Wachstums-306 Griechenland-29, 34 Großmann, Hermann 134, 140, 142, 189, 205 Grundgesetz-254 Gümbel, Rudolf-315 Gut, freies-307 Gutenberg, Erich 25, 188, 190f., 244, 253, 262, 264ff., 268, 271f., 274, 276, 278f., 289, 293, 307, 327, 364 Gutenberg-Ära-265 Güter-38 Habsburger Monarchie-166 Halberstädter, Hermann-236 Hammurapi (König)-32 Handbuch-63 Handel-30, 46, 168 Handel, Aufgabe-172 Handel, Definition-173 Handel, Geschäftsmodell-93 Handel, internationaler-169 Handel, Kosten-175 Handel, System-99 Handel, Verflechtungen-67 Handelsakademie Brünn-165 Handelsakademie Linz-165 Handelsakademie Wien-165 Handelsbetriebe-93 Handelsbetriebslehre-104, 122ff., 161, 165, 171f., 183 Handelsbuch-60, 65 Handelsgeographie-102 Handelsgesetzbuch-73 Handelshochschule Berlin-186 Handelshochschule Köln-146 Handelshochschule Königsberg-186 Handelshochschule Leipzig-132f., 139, 147, 149, 186, 196, 199 Handelshochschule Mannheim 186, 204 Handelshochschulen-126, 128f., 131, 133f., 137, 139f., 153, 163, 361 Handelshochschule Nürnberg-187 Handelskammer-127 Handelskunde-79 Handelslehre-100, 116 Handelslehre, arabische-41 Handelslehre, christliche-55 Handelslehre, scholastische-43 Handelsmann-73 Handelsniederlassungen-166 Handelsökonomie-250 Handelsrechnung-102 Handelsschulen-99 Handelstätigkeit-93 Handelstechnik-132 Handelsverkehrslehre-61 Handelswissenschaft-75, 82, 100, 129, 161 Handelswissenschaft, Diskreditierung-107 Handlungspolitik-83 Handlungswissenschaft-91f., 97f., 102, 104, 107 Handlungswissenschaft, systematische-67 Handwörterbücher-210 Hasenack, Wilhelm-220 Haushalte-52, 178 Hauswesen-36 Hauswirtschaftslehre-116 Hax, Karl-255 Hazardiren-84 Personen- und Sachregister 375 <?page no="376"?> Heinen, Edmund-282ff., 286-289, 294, 299, 319 Hellauer, Josef-60, 107, 131, 142, 165- 170, 183, 187, 189 Henzel, Friedrich-191 Henzler, Reinhold-170, 189 Hermeneutik-361 Hess, Henry-23 Hilfsstoffe-179 Hilfswissenschaft-82, 300, 361, 363 Hirsch, Julius-188, 205, 208f., 235, 237 Historische Schule-310f., 361 Hitler, Adolf-219, 221 Hochschulcharakter-138 Hochschule für Ökonomie (HfÖ)-249 Hochschule für Planökonomie Berlin- Karlshorst-249 Hochschule für Welthandel-139 Holzer, Hans-240 Homer-53 Homo oeconomicus 259, 279f., 301, 319, 362 Hüber, Viktor-240 Hummel, Otto-192, 236 Hundt, Sönke-202 Hypothese-362 Il Negotiante-61, 65 Import-75f., 166, 168ff., 207 Induktion-362 induktive Vorgehensweise-168 Industriebetriebslehre-126, 325 Informationsasymmetrien 301, 312, 362 Informationsökonomik-316 Institute für Binnenhandelsökonomie-249 Institut für Außenwirtschaft-207 Institut für Distributionsforschung-207 Institut für Handelsforschung-207 Institut für Konsum- und Verhaltensforschung-301 Institut für Steuerkunde-205 Institut für Wirtschaftsbeobachtung-205 Institut für Wirtschaftspsychologie-205 Institution-310 Institutionalisierung-194 Institutionenökonomik, Alte-311 Institutionenökonomik, Neue-294, 310f., 313, 315-318, 320, 365 Integrationsfunktion-324 Interdisziplinarität-281, 286, 362 Intuition-363 Investition-36 Isaac, Alfred-185, 187, 190, 235 Ischomachos-36 Jevons, William Stanley-310 Journal für Kaufleute-90 Junckerstorff, Kurt-240 Jung, Johann Heinrich-71, 90, 97 Justi, Johann Heinrich Gottlob-68 Kaas, Klaus Peter-316f. Kalveram, Wilhelm-191, 256-260 Kameralismus-363 Kameralwissenschaften-108 Kanter, Hugo-234 Kapferer, Clodwig-236 Kapital-363 Kapitalismus-364 Kassel-198 Katheder-Sozialismus-129 Kaufmann-73, 79, 81, 84f. Kaufmann, Akademie-104 Kaufmann, ehrbarer-358 376 Personen- und Sachregister <?page no="377"?> Kaufmann, ehrenwerte-51 Kaufmann, Ethik-51 Kaufmann, Lexikon-82 Kaufmann, System-83 Kaufmann, wagemutiger-67 Keynes, John Maynard-151, 227 Klassik-306, 310 Klein-Blenkers, Fritz-92, 94, 122, 185, 187, 194, 263 Klimawandel-309 Knapp, G. F.-159 Kneller, Robert-240 Knoblauch, Helmut-240 Koburger, Joseph-234 kognitive Prozesse-302 kommerzielle Revolution-47, 65 Kommerzienkollegium Wien-69 Kommunikationspolitik-120 Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin-82 Königlich Preußische Sozietät der Wissenschaften zu Berlin-78 Konjunktur-150f., 164, 172, 236 Konkurrenz-40 Konsolidierung-185, 215 Konsumentenverhalten-301f. Kontorwissenschaft-100, 102f., 135, 172 Kontrollphase-286 Kosiol, Erich-181 Kosten-178 Kosten, fixe-176, 203 Kosten, variable-176 Kosten-Plus-Methode-86 Kostenrechnung-154, 188 Koubek, Norbert-294f. Kreislauf-151, 179 Kritobulus-35 Kroeber-Riel, Werner-301f., 305 Kulischer, Josef-114 Kundenbindung-86 Kündigungsschutzgesetz-254 Kunstlehre-146, 159 Kuobek, Norbert-296f. Kürbs, Friedrich-236 Kursmanipulation-85 Kuß, Alfred-316f. Kybernetik-290, 319 Lambert, Richard-133f., 140-144, 163, 187 Landgüter-39 landwirtschaftliche Betriebslehre-325 Landwirtschaftslehre-116 Large, Rudolf O.-182 Latifundien-39 Le Coutre, Walter-143, 212, 229 Lehmann, Fritz-234 Lehmann, Max Rudolf-191 Lehrbücher-53, 71, 74, 105, 212, 245, 301f., 308, 328f. Lehrinhalte-134 Lehrlingsausbildung-102 Lehrplan-102 Lehrstühle-99, 132, 141, 160, 171, 302 Leibnitz, Gottfried Wilhelm-22 Leistungsgemeinschaften-259 Leitherer, Eugen-43, 63, 71, 79, 88-92, 97, 172 Leitner, Friedrich-134, 142 Leopold I. (Kaiser)-69 Le Parfait Négociant-73 Leuchs, Johann Michael-71, 84, 87f., 97ff., 102ff., 109, 113, 165 liberalistische Ideen-111 Liefmann, Robert-202 Lindwurm, Arnold-107-110, 122-126, Personen- und Sachregister 377 <?page no="378"?> 130 Linhardt, Hanns-243, 255 Liquidität-179 Lisowsky, Arthur-142 Löffelholz, Josef-20, 46, 53, 76f., 80, 90, 102, 149, 166, 181, 272 Logistik-325 Löhmann, Friedrich-22 Lohmann, Martin-255, 262, 264, 327 Lohn, gerechter-180 Lück, Willy-240 Ludovici, Carl Günther-71, 77, 81f., 84- 88, 97, 104, 113 Luther, Martin-29, 55f., 58, 65 Mahlberg, Walter-192 Management-22f., 34f., 118, 128, 130, 263, 280, 282, 293, 309, 319, 326, 331f. Manes, Alfred-236 Manufakturen-70 March, James-300 Marketing 85, 120, 293, 300ff., 313, 316f., 320, 325 Markt-33 Marktformen-70 Marktforschung-205 Marktwirtschaft-34, 150 Marktwirtschaft, Soziale-245, 254, 277 Marperger, Paul Jacob 64, 71, 77-81, 104 Marx, Karl-226, 246, 306f. marxistisch-leninistischer Ansatz-250, 277 Mathematik-364 mathematisch-deduktive Methode-275 Mathematisierung-275 May, Johann Carl-71, 88ff., 97, 104 Mayer, Leopold-327 McCarthy, Jerome-268 Meder, Lorenz-30, 59f. Meffert, Heribert-302, 305 Mellerowicz, Konrad-190, 228, 246f., 262, 271-274, 276, 278, 327, 364 Menger, Carl-158, 310 Menn, Heiner-308 mentale Prozesse-299 Merkantilismus-67, 104, 364 Mesopotamien-30 Messen-120 Methode-272, 364 Methode, deduktive-357 Methode, induktive-362 Methodenstreit-158, 188, 271, 274, 276, 278, 365 Methodik-284 methodologischer Individualismus-299 Metz, Thomas-298 Mieses, Ludwig-202 Mikroökonomik-287, 318 Mitbestimmung-259 Mittelalter-64 Modell-365 Moede, Walther-205 Monopolia-56 Monopolien-70 Müller-Armack, Alfred-245, 254 Müller-Hagedorn, Lothar-305 Müller-Merbach, Heiner-274 Mun, Thomas-68 Musterkontor-103, 136 Nachhaltigkeitsmanagement-309 Nationalökonomie-365 Nationalsozialismus-27, 182, 217, 222, 224, 228, 232, 240, 243 Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund-232 378 Personen- und Sachregister <?page no="379"?> Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund-232 neobehavioristischer Ansatz-303 Neoklassik-307, 310 Neue Welt-67 Neumark, F.-294 Nicklisch, Heinrich 134, 142ff., 147, 149, 164f., 178-183, 188, 191, 199f., 210, 226ff., 289 Nicklisch, Henrich-178 Nikomachischen Ethik-37 NIÖ-318 Nomos-34 NSDAP-217, 226, 230 Oberparleiter, Karl-170, 178, 189 Oeconomia-34 Oeconomicus-35 Oikonomiká-35, 37 Oikonomikós-35 Oikos-21, 29, 34, 37, 64 Okada, Masaya-129 Ökologie-307, 320 Ökonomie-34, 36, 64 Ökonomik-38 ökonomische Prinzip-112 Ökonomische Societät zu Leipzig-82 Operations Research-279 Optimierungsphase-286 Ordonnance de Commerce-73 Organisation-225, 300, 313 Organisationsformen-31, 64 Orientierungsfunktion-324 Pacioli, Lca-52 Pacioli, Luca-25, 29, 47, 49-53, 65, 74 Pape, Ernst-134, 142, 189 Penndorf, Balduin-52f., 129, 134, 142, 189 Peri, Giovanni Domenico-30, 60-63 Periodisierung-28 Personal-225, 261, 279, 282, 293, 300, 313, 320, 325f. Pfeiffer, Bruno-134, 189 Pfingsttagung-199f., 203 Pfriem, Reinhard-308 Picot, Arnold-199, 313, 315 Pioniere-132, 308 Pius XI. (Papst)-259 Plakate-87 Planwirtschaft-245, 251, 366 Planwirtschaft, altorientalische-34, 64 Platon-37 Polanyi, Karl-33 Politik-37, 67, 69, 83, 119, 254 Politik, nationalsozialistische-220, 225 Politikberatung-162 Politische Ökonomie-247f., 277 Polypolien-70 Pöschl, Viktor-205 Preis, gerechter-47, 258, 360 Preisdifferenzierung-86 Preispolitik-86 Preisregulierung-70 Principal-Agent-Theorie-312, 316, 320 Prion, Willi-134, 142, 189 Privatwirtschaftslehre-116, 123, 131, 147, 159, 161, 165, 366 Produktion-179, 266, 268, 272, 325 Produktionsprozess-179f. Produktivität-161, 257, 259, 266 Professoren-185, 187, 194, 215, 232, 234ff. Profitlehre-19 Profitmaximierung-112 Promotion-142 Personen- und Sachregister 379 <?page no="380"?> Promotionsrecht-139, 163 Property-Rights-Theorie-312 Propolium-70 Psychologie-87, 256, 260, 299, 320 Qualität-36 Querschnittsfunktion-324 Raffée, Hans-308 Ramlow, Gustav-198 Rasch, Albert-234 Rau, Karl Heinrich-108 Raydt, Hermann-128f. Rechnungswesen-188 Reichsverband Deutscher Handelslehrer mit Hochschulbildung-198 Reichswirtschaftskammer-218 Reklame-120f. Renaissance-21, 47, 60 Rentabilität-257 Rentabilitätsprinzip-160f. Revolution, industrielle-109 Revolution, kommerzielle-47, 65, 364 Revolution, urbane-31 Reziprozität-326 Ricardo, David-306 Richartz, Leon E.-314 Rieger, Wilhelm-143f., 159ff., 185, 276 Riester, Wilhelm Friedrich-236 Risiken-38 Rogowsky, Bruno-188, 228 Rohstoffe-179 Rom-29, 38 Roscher, Wilhelm-80, 108 Rößle, Karl-Friedrich-192, 262, 327 Ruberg, Carl-240 Ruffing, Kai-41 Rühli, Edwin-280, 292 Saldo-53 Sammelwerke-210 Sandig, Curt-224, 263f., 327 Savary, Jacques-64, 71-74, 77, 104 Saysches Theorem-113 SBWL-323, 325f., 332 Schäfer, Erich-170, 190, 205, 214, 262, 272, 305, 327 Schanz, Günther-194, 288, 298f., 306 Schär, Johann Friedrich-23, 126, 141f., 148, 163, 165, 171-175, 177f., 183, 187 Schärsche Gesetz-174, 178 Schenk, Hans-Otto-91 Schierenbeck, Henner-324 Schmalenbach, Eugen 23, 113, 134, 141- 144, 146, 153, 158f., 162f., 178, 188, 192, 196, 200f., 246, 253, 276, 284, 327 Schmaltz, Kurt-192 Schmid, Anton-142 Schmidt, Fritz-134, 142ff., 149ff., 164, 188ff., 200, 212 Schmoller, Gustav-158, 311 Schneider, Dieter-19, 22ff., 43, 52, 88, 108, 129, 158, 165, 182, 203, 275, 289, 318, 323, 327 Scholastik-44 Schönpflug, Fritz-177, 228, 234 Schreiner, Manfred-308 Schreyögg, Georg-275, 330 Schriften zur Einzelhandelsforschung-206 Schück, Walter-236 Schumpeter, Joseph-25, 311 Schuster, Walter-192 Schwantag, Karl-103, 191 Screening-317 380 Personen- und Sachregister <?page no="381"?> Seehusen, L. V.-90, 152 Segmentierung-86 Seidel, Eberhard-308 Seischab, Hans-192 Self Selection-317 Seÿffert, Rudolf-20, 23, 27, 70f., 77, 88, 91, 99, 104, 107, 109, 131, 177, 182, 185, 191, 194, 204f., 214f., 255 Signaling-317 Simon, Herbert A.-300 Sinapius, Johann Christian-90, 152 Sklaven-34, 37 Smith, Adam-111, 306 Sokrates-35 Soll-Ist-Abweichung-291 Soll und Haben-53 Sombart, Werner-30, 62f., 71, 89 Sommerfeld, Heinrich-189 Sonndorfer, R.-166 S-O-R-Modelle-304 Sozialbeziehungen-33 soziale Frage-119 Soziale Marktwirtschaft-245, 254, 277 soziale Systeme-280, 290 Sozialismus-226, 246 Sozialismus, ethischer-226 sozialistische Betriebswirtschaftslehre-252, 277 Soziallehre-257 Sozialwissenschaften-318 sozialwissenschaftlicher Ansatz-260, 280 Soziologie-256, 260, 280 Spekulation-84 Spezialisierung-39, 205 Spieltheorie-315 Sprachkenntnisse-102 S-R-Modelle-303 Stammbaum-194 Stammväter-140, 142 standesgemäße Nahrung-46 Steger, Ulrich-308 Stein, Nathan-236 Stern, Robert-135f., 142 Stoll, Edgar-308 Stolper, Gustav-202 Strebel, Heinz-308 Suchgüter-317 Suchphase-286 Summa-49, 52 Sundhoff, Edmund-63, 77, 79f., 121, 125f., 177 System-292 Systematisierung-88 systemorientierte Ansatz-290 Tarifvertragsgesetz-254 Tausch-38, 46, 113 Tauschmittellehre-100 Tempelwirtschaft-21, 29 Theisinger, Karl-191 Theorie-24, 265, 272, 274, 367 Theorie, Anwendungsvoraussetzung-24 Theorie, normativistische-366 Theorie, Verständnis-24 Theorie, Zusammenhang-24 Theoriebildungsfunktion-323 These-367 Thiess, Erich-240 Thoms, Walter-226, 229ff., 241 Tiburtius, Joachim-208 toter Punkt-176 Transaktionskosten-312, 315, 317, 320 Transformation-33 Trommsdorff, Volker-305 Personen- und Sachregister 381 <?page no="382"?> Uckel, Kurt-221 UdSSR-248, 251 Ulrich, Hans-290, 293f., 299, 319 Umweltmanagement-308, 320 Universitäten-80, 99, 104 Universität Frankfurt am Main 139, 186, 255 Universität Tübingen-187 Universität zu Köln-139, 146, 186 Universität zu Tokyo-235 Unternehmensethik-293 Unternehmensführung-263, 266, 276, 279, 282, 291 Unternehmertum-104 Unternehmungen-178 urbane Revolution-31 Ursachenanalyse-285 Varro, Marcus Terentius-40 Veblen, Thorstein-311 Verband der Dozenten für Betriebswirtschaftslehre an Deutschen Hochschulen-195 Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft-162f., 200, 308, 367 Verband der Inhaber deutscher Handelshochschul-Diplome-195f. Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen-199 Verband Deutscher Diplom- Handelslehrer-199 Verband deutscher Diplom- Kaufleute-196 Verbände-185, 194 Verein Deutscher Handelslehrer-198 Verein für Socialpolitik-294 Vereinigungen-194 Verein Preußischer Handelslehrer mit Handelshochschulbildung-195, 198 Verein zur Wohnungshilfe-116 Verfahrenstechniken-30 Verfügungsrechte-312, 316, 320 Verhaltenswissenschaften-299 verhaltenswissenschaftliche Ansatz-294 Verifikation-368 Verkehrsbetriebslehre-325 Verkehrslehre-168, 183 Verkehrswirtschaft-368 Verlust-53 Vershofen, Wilhelm-205 Verträge-315 Vertrauensgüter-317 Vertrieb-169, 272, 284, 314 Vierjahresplan-219f., 240 Virgil-40 Volkseigene Betriebe (VEB)-252 Volkswirtschaftslehre-97, 108, 111, 123, 130, 158, 168, 273 von Aquin, Thomas-29, 43-47, 56, 65 von Sonnenfels, Josef-98 von Thünen, Johann Heinrich-22 Vorprodukte-179 Wächter, Hartmut-298 Waffenschmidt, Wolfgang-272 Wahrscheinlichkeit-84, 100 Walb, Ernst-192 Walras, Léon-310 Warenkundliche Institut-205 Weber, Eduard-30, 60, 62, 71, 76, 89f., 102, 107, 109, 122, 124f. Weber, Max-158 Weber, Wolfgang-330 Wechselrecht-102 Weimarer Republik-162 382 Personen- und Sachregister <?page no="383"?> Weinberg, Peter-305 Welthandel-123f. Welthandelslehre-165-168, 170, 183 Werbemittel-87 Werbung-87, 190, 302 Werner, Felix-134, 189 Wertbestimmungslehre-100 Wertfreiheit-329 Wertkreislauf-179 Wertumlauf-184 Werturteilsstreit-131, 157, 164, 368 Wettbewerb-70, 219, 254 Weyermann, Moritz-159 Wiener Rede-201, 203 Willensbildung-285 Wirtschaft-33 Wirtschaften-45 Wirtschaftlichkeit-146, 257 Wirtschaftlichkeitsprinzip-161 wirtschaftsethische Grundsätze-29 Wirtschaftshochschule-139 Wirtschaftslehre-116 Wirtschaftspädagogik-95 Wirtschaftsplanung-219 Wirtschaftspolitik-73, 254 Wirtschaftspolitik, Nationalsozialismus-217 Wirtschaftssysteme-259 Wirtschaftsuniversität Wien-139 Wirtschaftswissenschaft-19, 116f., 166 Wirtschaftszweige-325 Wissenschaft-368 wissenschaftliches Arbeiten-97 Wissenschaftlichkeit-91 Wissenschaftsfeindlichkeit-243 Wissenschaftsgeschichte-19, 22, 28 Wissenschaftsprogramme-369 Wissenstransfer-195 Wöhe, Günter-103, 256, 276, 291, 298, 318, 328, 330 Wucher-40, 56, 58f., 62, 65, 369 Xenophon-29, 34ff. Zahlen-32, 64 Zedler, Johann Heinrich-80 Zedlers Universallexikon-80ff. Zeitschrift Betriebswirtschaftliche Rundschau-157 Zeitschrift Der Kaufmann-152 Zeitschrift des Verbandes deutscher Diplom-Kaufleute-197 Zeitschriften-151, 164, 308 Zeitschrift für Betriebswirtschaft-157 Zeitschrift für Betriebswirtschaft (ZfB)-143, 150 Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (zfbf)-153 Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung (ZfhF)-143, 145, 153 Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis (ZfHH)-143, 147, 154 Zentralverwaltungswirtschaft-366 Zersplitterung-326 Ziegler, Adolf-199 Ziegler, Kurt-230 Zincke, G. H.-79 Zinsen-179 Zünfte-44 Zuschlagskalkulation-86 Personen- und Sachregister 383 <?page no="384"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 2.1: Mesopotamien innerhalb heutiger Staatsgrenzen. | [1] 31 Abb. 2.2: Sumerische Bilderschrift. | [2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Abb. 2.3: Xenophon. | [3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Abb. 2.4: Aristoteles. | [4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Abb. 2.5: Cato. | [5] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Abb. 2.6: Handelswege nach dem Nahen Osten. | [6] . . . . . . . . 42 Abb. 2.7: Thomas von Aquin. | [7] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Abb. 2.8: Luca Pacioli. | [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Abb. 2.9: Die Verbreitung der doppelten Buchhaltung in Europa.| [9] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Abb. 2.10: Martin Luther. | [10] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Abb. 2.11: Wucher und Fürkauf. | [11] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Abb. 2.12: Giovanni Domenico Peri. | [12] . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Abb. 3.1: Das Zollhaus in London. | [13] . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Abb. 3.2: Johann Joachim Becher. | [14] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Abb. 3.3: Jaques Savary. | [15] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Abb. 3.4: Titelkupfer aus J. Savarys „Der vollkommene Kauff- und Handels-Mann“ (1676). | [16] . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Abb. 3.5: Das Kaufmannssystem nach Ludovici. | [17] . . . . . . . 83 Abb. 3.6: „Haupt- und Hülsgeschäfte des Handels“ nach Buse. | [18] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Abb. 3.7: Leuchs System der Handlungswissenschaft (1791). | [19] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Abb. 4.1: Jean-Gustave Courcelle-Seneuil. | [20] . . . . . . . . . . . . 111 Abb. 4.2: Arwed Emminghaus. | [21] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Abb. 4.3: Die Allgemeine Gewerkslehre im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften. | [22] . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Abb. 5.1: Sitz der HH Leipzig in der Schulstraße 1 von 1902 bis 1910. | [23] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Abb. 5.2: Robert Stern. | [24] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Abb. 5.3: Richard Lambert. | [25] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Abb. 5.4: Die zweite Generation der Betriebswirte, Schüler von Richard Lambert. | [26] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Abb. 5.5: Eugen Schmalenbach. | [27] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 <?page no="385"?> Abb. 5.6: Hörsaal der Handelshochschule Köln. | [28] . . . . . . . . 145 Abb. 5.7: Heinrich Nicklisch. | [29] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Abb. 5.8: Fritz Schmidt. | [30] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Abb. 5.9: Titelblatt der ersten kaufmännischen Fachzeitschrift „Journal de Commerce“ (Brüssel 1759). | [31] . . . . . . . 152 Abb. 5.10: Titelkopf der „Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis“ (Heft 6, 1908). | [32] . . . . . . . . . . . 155 Abb. 5.11: Werbeanzeige des Verlags G. A. Gloeckner für die „Betriebswirtschaftliche Rundschau“ | [33] . . . . . . . . 156 Abb. 5.12: Wilhelm Rieger. | [34] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Abb. 6.1: Josef Hellauer. | [35] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Abb. 6.2: Johann Friedrich Schär. | [36] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Abb. 6.3: Ein- und Ausschaltung der Glieder in die Organisation des Handels. | [37] . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Abb. 6.4: Schärs Darstellung des Einflusses der Betriebskosten auf den Handelsgewinn. | [38] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Abb. 6.5: Das Netz der Wertbeziehungen in der Wirtschaft. | [39] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Abb. 7.1: Der Stammbaum der BWL (Auswahl). | [40] . . . . . . . 193 Abb. 7.2: Pfingst-Tagung des VHB in Wien (1928), in der Mitte Eugen Schmalenbach (mit Stock). | [41] . . . . . . . . . . . 201 Abb. 7.3: Das Kölner Einzelhandelsinstitut. | [42] . . . . . . . . . . . 206 Abb. 7.4: Julius Hirsch. | [43] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Abb. 7.5: (v. l. n. r.) Das fünfbändige „Handwörterbuch des Kaufmanns“ von Karl Bott, die fünfbändige 1. und die zweibändige 2. Auflage des „Handwörterbuchs der Betriebswirtschaft“ von Heinrich Nicklisch. | [44] . . 211 Abb. 7.6: Walter Le Coutre. | [45] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Abb. 7.7: Handbuch des Einzelhandels. | [46] . . . . . . . . . . . . . . . 214 Abb. 8.1: Die Organisation der deutschen Wirtschaft. | [47] . . 218 Abb. 8.2: Wilhelm Auler. | [48] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Abb. 8.3: Walter Thoms. | [49] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Abb. 8.4: Bücherverbrennung auf dem Opernplatz in Berlin am 10. Mai 1933. | [50] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Abb. 8.5: Alfred Isaac. | [51] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Abb. 8.6: Bruno Rogowsky. | [52] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Abb. 8.7: Waldemar Koch. | [53] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Abbildungsverzeichnis 385 <?page no="386"?> Abb. 9.1: Hauptgebäude der Berliner Humboldt-Universität (Ruine) im Jahr 1949. | [54] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Abb. 9.2: Struktur der Wirtschaftswissenschaft in der DDR (Mitte der 1950er-Jahre). | [55] . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Abb. 9.3: Blick in einen Hörsaal der HfÖ, 1970. | [56] . . . . . . . 250 Abb. 9.4: Wilhelm Kalveram. | [57] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Abb. 9.5: Die Produktivitätsbeziehung nach Gutenberg. | [58] 267 Abb. 9.6: Konrad Mellerowicz. | [59] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Abb. 10.1: Edmund Heinen. | [60] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Abb. 10.2: Einflussgrößen und Phasen des Entscheidungsprozesses in der Unternehmensorganisation. | [61] . . . . . . . . . . . . . . . 285 Abb. 10.3: Der Forschungsansatz der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre. | [62] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Abb. 10.4: Aufbau eines Regelsystems nach Ulrich. | [63] . . . . . 292 Abb. 10.5.: Norbert Koubek, 1973. | [64] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Abb. 10.6: Herbert A. Simon. | [65] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Abb. 10.7: Werner Kroeber-Riel. | [66] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Abb. 10.8: Forschungsansätze des Käuferverhaltens. | [67] . . . . 303 Abb. 10.9: S-O-R-Paradigma der Käuferverhaltensforschung. | [68] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Abb. 10.10: Titelseite des Berichts des Club of Rome | [69] . . . . . 306 Abb. 10.11: Geschäftsbeziehungen mit Handel (links) und ohne Handel (rechts). | [70] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Abb. 11.1: Günter Wöhe. | [71] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Abb. 11.2: Titelseite der Erstauflage von 1960. | [72] . . . . . . . . . . 329 386 Abbildungsverzeichnis <?page no="387"?> Tabellenverzeichnis Tab. 5.1: Die Gründung der ersten Handelshochschulen. . . . . . . 132 Tab. 5.2: Studentenzahlen an der Handelshochschule Leipzig . . . 137 Tab. 5.3: Studierende an deutschen Handelshochschulen 1898- 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 <?page no="388"?> BUCHTIPP UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany \ Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de Dieses Buch bietet Studierenden eine verständliche Einführung in die Betriebswirtschaftslehre. Dabei stellt der Autor die wesentlichen Elemente und Grundbegriffe vor. Folgende Themen werden behandelt: Rechnungswesen, Investition und Finanzierung, Controlling, Personalwirtschaft, Materialwirtschaft und Logistik, Produktion, Marketing sowie Organisation und Führung. espresso-Kurzlehrbücher bereiten ideal auf Studium, Vorlesung und Prüfung vor - die konzentrierte Dosis Wissen für Ihren Studienerfolg. Jeder Band wird von einem passenden eLearning-Kurs (mit 180 Fragen) begleitet, der den Lernfortschritt kontinuierlich sichtbar macht. Gerald Pilz BWL-Einführung Kurzlehrbuch mit eLearning-Kurs espresso 1. Auflage 2024, 139 Seiten €[D] 22,00 ISBN 978-3-381-11151-0 eISBN 978-3-381-11152-7 <?page no="389"?> ISBN 978-3-8252-6291-4 Eine faszinierende Wissenschaftsgeschichte Der wissenschaftliche Charakter der BWL wurde in der Vergangenheit oft in Frage gestellt und die BWL teils als Profitlehre verspottet. Lars Wächter zeichnet hingegen ein facettenreiches Bild von dieser spannenden Wissenschaft: Er erläutert zentrale Begriffe und Konzepte, stellt die großen Namen der Disziplin vor und geht auf deren Bedeutung ein. Beispielhafte Fragen, die im Buch Beantwortung finden: ● Warum spricht die Buchhaltung von Soll und Haben? ● Gab es Marketing schon im 18. Jahrhundert? ● Wer war der eigentliche Gründervater der deutschen BWL? Und warum geriet er in Vergessenheit? ● Gab es eine „Nazi-BWL“? ● Und: Welcher Betriebswirt prophezeite das Ende des Kapitalismus? Lesenswert für Lehrende und Studierende der Wirtschafts-, Sozial- und Geisteswissenschaften sowie für BWL-Interessierte. Wirtschafts- | Sozial- und Geisteswissenschaften Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel