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Mehrsprachigkeit und Bildung in KiTas und Schulen

0414
2025
978-3-8385-6411-1
978-3-8252-6411-6
UTB 
Elke G. Montanari
Julie A. Panagiotopoulou
10.36198/9783838564111

Dieses Buch zielt darauf ab, individuelle und gesellschaftliche Zwei- und Mehrsprachigkeit als Normalität und Herausforderung in/von Bildungsinstitutionen zu deuten. Es sensibilisiert pädagogische Fach- und Lehrkräfte für diese Anforderungen und vermittelt ihnen wichtige Grundlagen und relevante Forschungsergebnisse aus Linguistik, Pädagogik und Didaktik. Dies geschieht in zwei separaten Themenblöcken, um der Spezifizität der jeweiligen Lebens- und Lernphase und den Besonderheiten des pädagogischen Alltags in Kitas und Grundschulen gerecht zu werden. Für die Neuauflage wurde der Band umfassend aktualisiert und um neue Themen wie die Rolle von KI ergänzt.

<?page no="0"?> Elke G. Montanari Julie A. Panagiotopoulou Mehrsprachigkeit und Bildung in KiTas und Schulen 2. Auflage <?page no="1"?> utb 5140 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Psychosozial-Verlag · Gießen Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Prof. Dr. Elke G. Montanari hat an der Stiftung Univer‐ sität Hildesheim die Professur für Deutsch als Zweitspra‐ che am Institut für deutsche Sprache und Literatur inne. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Mehrsprachigkeits‐ forschung, Translanguaging und Spracherwerb der deut‐ schen Sprache im Kontext von Mehrsprachigkeit. Prof. Dr. Julie A. Panagiotopoulou ist Professorin für Er‐ ziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Bildung in frü‐ her Kindheit an der Universität zu Köln. Ihre Forschungs‐ schwerpunkte sind u. a. Sprachenpolitik und Sprachpraxis in Familien, Kindertagesstätten und Schulen; Translanguaging und pädagogische Professionalisierung vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheiten in Migrationsgesellschaften. <?page no="3"?> Elke G. Montanari / Julie A. Panagiotopoulou Mehrsprachigkeit und Bildung in KiTas und Schulen 2., überarbeitete Auflage Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen <?page no="4"?> 2., überarbeitete Auflage 2025 1. Auflage 2019 DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838564111 © 2025 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro‐ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Heraus‐ geber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung Druck: Elanders Waiblingen GmbH utb-Nr. 5140 ISBN 978-3-8252-6411-6 (Print) ISBN 978-3-8385-6411-1 (ePDF) ISBN 978-3-8463-6411-6 (ePub) Umschlagabbildung: Robert Kneschke, Hände mit Sprechblase als Social Media Konzept. © AdobeStock. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> 7 11 13 1 15 1.1 16 1.2 20 1.3 23 27 2 29 2.1 30 2.2 34 2.3 37 2.4 41 3 47 3.1 48 3.2 53 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Wer ist mehrsprachig? | Elke G. Montanari / Julie A. Panagiotopoulou . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Individuelle Mehrsprachigkeit im Kontext von Institutionen und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein- und Mehrsprachigkeit in Bildungsinstitutionen . . . . Heteroglossie als individuelle und institutionelle Praxis: mehrsprachiges Wissen, Handeln und Multikompetenz . . B. Mehrsprachigkeit und Bildung in der KiTa | Julie A. Panagiotopoulou Translanguaging: Mehrsprachigkeit im Erwerb und Gebrauch . . Sprachmischung: zur translingualen Praxis mehrsprachiger Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quersprachigkeit: zur translingualen Logik des dynamischen Mehrspracherwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf dem Weg zu einer Didaktik der Mehrsprachigkeit . . . Translanguaging in der frühpädagogischen Praxis . . . . . . . Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit von Anfang an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühe Literacy-Praktiken mehrsprachiger Kinder: von der Bilderbuchbetrachtung zur Verschriftlichung erster Sätze . Über (‘fehlende’) Literacy-Erfahrungen junger Kinder aus zugewanderten Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 3.3 57 3.4 61 4 67 4.1 68 4.2 70 4.3 73 4.4 76 4.5 78 83 5 85 5.1 86 5.2 88 5.3 90 5.4 99 6 101 6.1 102 6.2 107 6.3 117 7 119 7.1 119 7.2 126 7.3 133 135 Über (‘fehlende’) ‘bildungssprachliche’ Fähigkeiten junger Kinder aus zugewanderten Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Multi- und Pluriliteracy-Ansätze zur Förderung konzeptioneller Mehrschriftlichkeit im KiTa-Alltag . . . . . Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation Kinder als angehende Mehrsprachige: zur Bedeutung metasprachlicher Fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsprachige Feststellungsdiagnostik für mehrsprachige Vorschulkinder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentation mehrsprachiger Entwicklung anhand von Elterngesprächen im KiTa-Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentation mehrsprachiger Entwicklung anhand von Beobachtungen im KiTa-Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ‚Sprachenporträts‘ - aus der Perspektive mehrsprachiger Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Mehrsprachigkeit und Bildung in der Schule | Elke G. Montanari . . Sprachentwicklung und Diagnose im Schulalter . . . . . . . . . . . . . . Verteilung sprachlicher Handlungen auf Handlungsbereiche: das Komplementaritätsprinzip . . . . . Die Problematik des Vergleichens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachige Diagnoseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit im Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsätzliche Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Translanguaging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf einen Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrschriftlichkeit und Multiliteralität im Schulalter . . . . . . . . . . Grundsätzliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrschriftliches literales Handeln in der Schule . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> Vorwort Mit diesem Buch wenden wir uns an Dozierende und Studierende in den Einführungsveranstaltungen in der Frühen Bildung und im Studium mit dem Abschlussziel Lehramt. Das Ziel ist es, angehende pädagogische Fachkräfte und Lehrkräfte für Mehrsprachigkeit und Translingualität zu sensibilisieren, wichtige Grundlagen und relevante Forschungsergebnisse transparent zu machen und die Verzahnung von Linguistik, Pädagogik und Didaktik aufzuzeigen. Aus der Entwicklung Europas zu einer der weltweit bedeutenden Zielregionen internationaler Migration resultieren laut Michael Bommes „kulturelle Plurali‐ sierung und Mehrsprachigkeit, auf die die europäischen Staaten nicht mehr in der Weise reagieren, dass sie diese für ein Übergangsphänomen halten, das durch forcierte kulturelle und sprachliche Assimilation aufgehoben werden kann“ (Bommes 2011: 149). Der Erwerb der „Schrift- und Verkehrssprache[n]“ heutiger Mehrheitsgesellschaften wird zwar nach wie vor als notwendige Voraussetzung „für soziale Teilnahmekompetenz“ angesehen, aber dies geschieht „im Kontext einer im Übrigen sozial weitgehend freigegebenen Mehrsprachigkeit“. Ange‐ strebt wird damit Inklusion „und nicht kulturelle Homogenisierung“ (ebd.). Aus diesen Gründen rechnen heute Einrichtungen frühkindlicher und schulischer Erziehung und Bildung in den meisten europäischen Ländern einerseits mit einer mehrsprachigen Klientel, mit Eltern und Kindern, die ein vielfältiges Sprachen‐ repertoire mitbringen, unabhängig davon, ob und unter welchen Umständen und wie genau sie die sogenannten nationalen Sprachen verwenden. Andererseits und obwohl „keine gewaltsamen nationalstaatlich kulturellen Homogenisierungsprogramme mehr zur Herstellung einer nationalen Gemein‐ schaft“ umgesetzt werden, „wie dies noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts der Fall war“ (ebd.), wird auch in Bildungseinrichtungen die mehrsprachige familiale Alltagspraxis von jungen Kindern, Schülerinnen und Schülern heute oft noch als Abweichung von einer monolingualen Norm betrachtet. Die Förde‐ rung von Mehrsprachigkeit ist zwar ein explizites sprachenpolitisches Ziel der Europäischen Union, die national verfassten Bildungssysteme und so auch die deutsche Bildungspolitik haben aber bis heute - beispielsweise in curricularer Perspektive - weder in Bildungsempfehlungen für Kindertageseinrichtungen, noch in schulischen Lehrplänen auf diese Realität adäquat reagiert. So wird in aktuellen Empfehlungen der Kultusministerkonferenz ein geeig‐ neter Umgang mit kultureller und sprachlicher Vielfalt in Kindertageseinrich‐ <?page no="8"?> tungen und Schulen hauptsächlich in der Würdigung der Herkunftssprachen gesehen, während aber - insbesondere migrationsbedingte - Mehrsprachigkeit nach wie vor außerhalb von Bildungsinstitutionen gelebt bzw. praktiziert werden soll (vgl. KMK 2013). Frühkindliche und schulische Bildungsangebote werden heute in vielen Fällen noch kompensatorisch ausgerichtet, sie zielen eher auf Einsprachigkeit und tradieren damit monolinguale Strategien und Praktiken. Die Förderung eines mehrsprachigen Repertoires bleibt somit meistens eine Angelegenheit der Familien. Gleichzeitig bleibt die Forderung nach Einsprachig‐ keit in deutschen Kindertageseinrichtungen und Schulen für mehrsprachig lebende Familien und deren Kinder eine große Herausforderung. Darüber hinaus kollidiert diese Forderung mit dem Anspruch, Mehrsprachigkeit von Anfang der Bildungskarriere an zu fördern. Insbesondere für Neuzugewanderte ist diese Sprachenpolitik und -praxis als eine Bildungsbarriere zu betrachten. Mit unserem Buch möchten wir die Konzepte „Mehrsprachigkeit“ und „Bil‐ dung“ systematisch verbinden und dabei den Schwerpunkt auf die (frühe) Kindheit in Kindertageseinrichtungen und in Grundschulen setzen. Wenn alle Kinder in ihren Möglichkeiten als potentielle Mehrsprachige gesehen werden können, dann sind die Unterstützung ihres Sprachenerwerbs und die Förderung einer grundlegenden Bildung von Mehrsprachigkeit und Mehrschriftlichkeit wichtige Aufgabenbereiche der Bildungsinstitutionen. Dieses Buch soll die angehenden pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte darauf vorbereiten, diese Aufgabenbereiche wahrzunehmen und umsetzen zu können. Wir sehen die beiden Bildungsbereiche Elementar- und Primarbereich als For‐ schungsfelder und als Praxisfelder unserer Studierenden bzw. der angehenden pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte eng verknüpft. Unter Berücksichti‐ gung der Sprach- und Lernbiographien von Kindern und Jugendlichen sind die langfristigen Verläufe und die Übergänge von der Familie in die KiTa und von der KiTa in die Grundschule bedeutsam. Jedoch haben wir uns für dieses Buch für eine inhaltliche Aufteilung entschieden, weil wir auf diese Weise die spezifi‐ schen Besonderheiten des pädagogischen Alltags in KiTas und Grundschulen in den Mittelpunkt stellen wollen. Dieses Buch ist daher in ein gemeinsam verfasstes einleitendes Kapitel mit dem Titel „Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit“ (Abschnitt A.: Montanari/ Panagiotopoulou) und in die Abschnitte „Mehrsprachigkeit und Bildung in der KiTa“ (Abschnitt B.: Panagiotopoulou) sowie „Mehrsprachigkeit und Bildung in der Schule“ (Abschnitt C.: Montanari) eingeteilt. 8 Vorwort <?page no="9"?> Im ersten Kapitel diskutieren wir zentrale Grundbegriffe. Dabei wird Mehr‐ sprachigkeit auf mehreren Ebenen dargestellt und mit den zentralen Begriffen Heteroglossie und Translanguaging in Verbindung gebracht. Die Kapitel zwei, drei und vier behandeln - in Anlehnung an den Translanguaging-Ansatz - grundlegende Themen frühkindlicher Erziehung und Bildung im Zusammenhang mit der Frage nach neuen Konzepten und Methoden zur Mehrsprachigkeitsförderung von Anfang an. Im zweiten Kapitel wird auf den dynamischen Mehrspracherwerb im Kindesalter sowie auf entsprechende Ansätze einer Didaktik der Mehr- und Quersprachigkeit eingegangen. Kapitel Drei widmet sich den frühkindlichen Erfahrungen mit Mehrschriftlichkeit, problematisiert den auf Einsprachig‐ keit basierenden Terminus Bildungssprache und verweist auf die Bedeutung der Förderung von Pluri- und Multiliteracy im Kontext der KiTa. Bezugneh‐ mend auf den grundlegenden Begriff angehende Mehrsprachigkeit werden im vierten Kapitel Methoden zur Beobachtung und Dokumentation kindlicher Sprachbiographien im KiTa-Alltag und beim Übergang in die Grundschule diskutiert. Die Kapitel fünf, sechs und sieben widmen sich der Thematik Mehr‐ sprachigkeit und Bildung in der Grundschule: Das fünfte Kapitel stellt die Diagnose in den Mittelpunkt. Dafür werden zunächst Eigenschaften mehrsprachiger Sprachbeherrschung und mehrsprachigen Handelns geklärt und mehrsprachige sowie einsprachige Modi thematisiert. Das Komplemen‐ taritätsprinzip (Complementarity Principle) wird ebenfalls dort vorgestellt. Im weiteren Verlauf werden mehrsprachige Diagnostikverfahren diskutiert. Das Kapitel sechs legt den Fokus auf Mehrsprachigkeit im Unterricht und zeigt Unterrichtsmöglichkeiten auf, die Translanguaging und mehrspra‐ chige Unterrichtsdiskurse einbeziehen. Das letzte Kapitel widmet sich der Aneignung von Literalität in mehreren Schriften im Schulalter. Alle Kapitel sind für die Hochschullehre konzipiert, sodass für jeden Themen‐ bereich ein bis zwei Sitzungen verwendet werden können. Wir wünschen den Dozentinnen und Dozenten sowie den Studierenden viel Spaß und interessante Einblicke! Hildesheim und Köln, im Februar 2019 Elke G. Montanari und Julie A. Panagiotopoulou Vorwort 9 <?page no="11"?> Vorwort zur zweiten Auflage In den seit der ersten Auflage vergangenen sechs Jahren hat sich die Nor‐ malität der Mehrsprachigkeit weiter durchgesetzt. Pädagogische Praktiken und einfache Formen der Anerkennung von Familiensprachen in KiTas und Schulen gehören mittlerweile zum Alltag, obwohl gleichzeitig Spra‐ chenverbote weiterhin zu beobachten sind. Punktuell wird Mehrsprachig‐ keit als Vehikel für einen besseren Zugang zur KiTa- und Unterrichtsspra‐ che genutzt. Die Anerkennung von Mehrsprachigkeit als legitimes Mittel sprachlichen Handelns in frühpädagogischen und schulischen Bildungs‐ einrichtungen, ist jedoch noch sehr selten anzutreffen. Gleichzeitig sind Mehrsprachigkeitskonzepte wie Heteroglossie und Translanguaging sowie mehrsprachige Methoden wie Scaffolding inzwischen fester Bestandteil der Aus- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften und Lehrkräften. Die wissenschaftliche Debatte zu diesen Themen scheint uns stabil und kontinuierlich. Allein im Jahr 2022 ergab eine Internetrecherche rund 23.000 Forschungs‐ publikationen zum Begriff „Translanguaging“ im Zusammenhang mit Er‐ ziehung und Bildung, wie Ofelia García und Li Wei in einer Publikation aus demselben Jahr bilanzierten. Auch im deutschsprachigen Raum gibt es zahlreiche Veröffentlichungen, die für eine Überwindung monolingua‐ ler Sprachideologien im Kontext von Bildungspolitik und Bildungspraxis plädieren und dies mit der Realität mehrsprachiger Familien begründen (Stichwort Family Language Policy). Schließlich stehen im Kontext der deutschsprachigen Migrations- und Mehrsprachigkeitsforschung und des Bildungsdiskurses nicht mehr (isoliert) die sprachlichen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund, sondern ihre komplexen Sprachbiographien, ihre mehrsprachigen Sprachressourcen sowie ihre Prak‐ tiken im Familienalltag, aber auch in Kindertageseinrichtungen und Schu‐ len. In den Forschungsaktivitäten ist eine Hinwendung zu größeren Stichpro‐ ben zu beobachten, die es erlaubt, komplexe statistische Modelle einzuset‐ zen. Insbesondere der Einsatz von Sprachkorpora gewinnt an Bedeutung. Die theoretischen Modelle zur Mehrsprachigkeit werden differenzierter und gehen auf die Heterogenität mehrsprachiger Konstellationen besser ein. Waren in frühen Forschungen zur Mehrsprachigkeit vor allem zweispra‐ <?page no="12"?> chige Individuen sichtbar, wird jetzt die Bandbreite einbis n-sprachiger mit unterschiedlichen Dominanzen und Präferenzen betrachtet. Vor diesem Hintergrund haben wir den Band entsprechend aktualisiert, dabei aber die bewährte Gliederung und die Themenwahl beibehalten, für die wir viele positive Rückmeldungen erhalten haben, wofür wir uns sehr bedanken. Es wurden insbesondere jüngste Veröffentlichungen aufgenom‐ men, ältere Publikationen entfernt, um das Literaturverzeichnis handhabbar zu halten. Sehr viele dieser Quellen sind online verfügbar, so dass das Nachlesen einfach möglich ist. Die Möglichkeiten digitaler Medien und davon, was unter „KI“ gefasst wird, haben wir verstärkt berücksichtigt und damit den medialen Alltag der Kinder und Jugendlichen stärker in den Blick genommen. Wir wünschen viel Freude beim Lesen und Umsetzen! Hildesheim und Köln, Februar 2025 Elke G. Montanari und Julie A. Panagiotopoulou 12 Vorwort zur zweiten Auflage <?page no="13"?> A. Wer ist mehrsprachig? Elke G. Montanari/ Julie A. Panagiotopoulou <?page no="15"?> 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit „In welcher Sprache denkst du, wenn du rechnest? “ „Auf Spanisch.“ „Und wenn du Notizen während des Unterrichts machst: In welcher Sprache machst du das? “ „Auf Deutsch, aber auf Spanisch auch.“ (Ausschnitt aus einem Gespräch mit einer jugendli‐ chen neu zugewanderten Schülerin, Korpus Monta‐ nari) „Also als ich das jetzt gehört habe, fiel mir ein, dass wir in meiner Schulzeit immer zwischen Sprachen geswitcht sind, besonders eben mit Kindern, mit Freunden, die auch beide Sprachen konnten, Deutsch und Türkisch. Da haben wir fast ausschließlich beide Sprachen benutzt, also nie, fast nie, durchgehend eine Sprache, einen Satz in einer Sprache fertigge‐ bracht, würde ich sagen, wenn ich jetzt daran denke.“ Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen Lehr‐ amtsstudierenden im Rahmen eines Lehrforschungs‐ projektes an der Universität zu Köln (Panagiotopoulou/ Rosen 2016a: 183) In deutschen Bildungsinstitutionen finden sich vielfältige Bezüge zur Mehr‐ sprachigkeit der Kinder und Jugendlichen, wie es in diesen Interviewaus‐ schnitten aus zwei unterschiedlichen Forschungsprojekten deutlich wird. Das erste Zitat zeigt, dass neu zugewanderte mehrsprachige Schülerinnen und Schüler ihr gesamtes Sprachenrepertoire beim Lernen nutzen. Das zweite Beispiel wirft ein Licht darauf, wie angehende Lehrkräfte aus zu‐ gewanderten Familien rückblickend ihre Sprachpraxis in ihrer Schulzeit reflektieren, wobei sie berichten, dass sie fast immer mehrsprachig handel‐ ten bzw. „nie, fast nie, durchgehend eine Sprache“ verwendeten. Mehrspra‐ <?page no="16"?> chigkeit gehört zum Alltag von Bildungseinrichtungen in der deutschen Migrationsgesellschaft dazu. Was aber zeichnet Mehrsprachigkeit aus? 1.1 Individuelle Mehrsprachigkeit im Kontext von Institutionen und Gesellschaft Es zeichnet sich eine neue Sichtweise auf die Sprachensituation von Individuen, Organisationen und Gesellschaften ab. Die Kategorien L1- Sprecherinnen und Sprecher, L2-Sprecherinnen und Sprecher, Einsprachige werden auf ihr Diskriminierungspotential reflektiert und zunehmend als überholt verstanden, als Bezeichnungen, welche die Vielfalt der Sprachen‐ verhältnisse nicht ausreichend erfassen können (siehe auch Busse/ Hardy 2023). Individuelle, institutionelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit folgen aus einer mehrsprachlichen Vielfalt in allen Lebens- und Gesell‐ schaftsbereichen. Diese mehrsprachige Entwicklung von Migrationsgesell‐ schaften wurde in den letzten Jahrzehnten zu einem intensiv beforschten Gegenstand; u. a. werden seit mehr als zehn Jahren im Rahmen des multi‐ lingual turn (Conteh/ Meier 2014) und des translanguaging turn (García/ Li Wei 2014) unterschiedliche Arten, Formen, Ausprägungen von Mehrspra‐ chigkeit und ihre Folgen im Kontext von Erziehung und Bildung beforscht. Damit geht endlich die lang geforderte Abkehr von Vergleichen scheinbar Einsprachiger mit Mehrsprachigen einher - scheinbar Einsprachiger, weil auch diese Personen, die vor allem mit einer einzigen Sprache in der Familie aufwuchsen, in der Kindertagesstätte, in der Familie ihrer Freunde, in der Nachbarschaft, im Urlaub und in der Schule mit weiteren Sprachen in Kontakt kamen. Diese Menschen haben schon immer Elemente aus weiteren Sprachen wahrgenommen, verstanden und entsprechende Ausdrücke ver‐ wendet und lernten mehr oder weniger gut die in der Schule unterrichteten Sprachen (z. B. in Deutschland: Englisch, Französisch, Spanisch oder auch Latein). Mehrsprachigkeit kann als individuelle, als institutionelle oder als ge‐ sellschaftliche Mehrsprachigkeit verstanden werden. Bei der Betrachtung aus der Perspektive der individuellen Mehrsprachigkeit steht das Indi‐ viduum, die jeweilige Person mit ihren Erfahrungen und Fähigkeiten, im Fokus. Es werden u. a. Fragen wie die folgenden gestellt: 16 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit <?page no="17"?> 1 Art. 55 des Vertrags über die Europäische Union, https: / / dejure.org/ gesetze/ EU/ 55.htm l, zuletzt abgerufen am 15.1.2025. • In welchem Kontext und auf welche Weise hat sich die Person ihre Sprachen angeeignet? • In welchen Situationen wählt diese Person welche sprachlichen Ele‐ mente aus ihrem sprachlichen Repertoire aus? • Wie beeinflusst die Mehrsprachigkeit dieser Person andere individuelle Faktoren, z. B. die Intelligenz oder den Bildungserfolg in einem bestimm‐ ten Schulsystem, und umgekehrt? • Wie wird Mehrsprachigkeit kognitiv prozessiert, z. B. welche Sprachen sind aktiviert, wie gelingt es in Echtzeit, aus mehreren Sprachen ange‐ messen die Sprache für die Antwort auszuwählen? • Wie ist das mentale Lexikon organisiert? Wird Mehrsprachigkeit in (Bildungs-)Institutionen in den Mittelpunkt gestellt, werden oft die Praktiken der beteiligten Rollen und Agenten der Institution analysiert. Sind diese einsprachig orientiert oder beziehen sie Mehrsprachigkeit ein? Sind Merkmale institutioneller Diskriminierung sichtbar, werden Mehrsprachige benachteiligt? Beispiele für mehrsprachige Institutionen sind mehrsprachige Schulen und Kindertagestätten, z. B. die Staatlichen Europaschulen in Berlin oder die Internationalen Kindertages‐ stätten und Schulen, in denen pädagogische Fach- und Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler Mehrsprachigkeit als Grundlage ihrer Arbeit wählen. Nicht in allen Fällen sind alle Mitglieder gleichermaßen mit den in der Institution verwendeten Sprachen vertraut. Die Europäische Union ist ein Beispiel für eine Institution, in der die Beschäftigten eine, zwei oder drei. Sprachen verwenden, innerhalb der Institution aber insgesamt viel mehr, aktuell 24, Amtssprachen gebraucht werden. 1 Andererseits können Institutionen einsprachig agieren, auch wenn ihre Mitglieder zu großen Teilen mehrsprachig sind, indem sie die Mehr‐ sprachigkeit der Akteurinnen und Akteure nicht einbeziehen. Dies Praxis kann in Schulen und Kindertagesstätten beobachtet werden, wenn trotz der mehrsprachigen Sozialisation der Eltern, Kinder, Schüler- und Lehrerschaft ein monolinguales Selbstverständnis gepflegt wird. Für die Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit ist das Verhältnis von Standardsprache(n), Varietäten und Regionalspra‐ chen, Sprachen autochthoner Gruppen, Sprachen in Grenzregionen und 1.1 Individuelle Mehrsprachigkeit im Kontext von Institutionen und Gesellschaft 17 <?page no="18"?> migrationsbedingter Sprachvielfalt ein lebhaftes Forschungsfeld. Beispiele für Regionalsprachen sind z. B. in Deutschland: Berlinisch, Kölsch, Pfälzisch, Platt. Mehrsprachigkeit in Grenzregionen wird z. B. an den deutsch-franzö‐ sischsprachigen Grenzen und deutsch-polnischsprachigen Grenzen erkenn‐ bar. Als autochthone Minderheitensprachen sind u. a. Sorbisch, Friesisch und Dänisch anerkannt. Nationalstaaten unterscheiden sich stark darin, ob sie Mehrsprachigkeit anerkennen und in ihrer Verfassung und ihrer Sprachen- und Bildungspoli‐ tik abbilden. Beispiele für Staaten mit offizieller gesellschaftlicher Mehrspra‐ chigkeit sind die Schweiz mit den anerkannten Sprachen Rätoromanisch, Italienisch, Französisch und Deutsch; Luxemburg mit den Amtssprachen Luxemburgisch, Deutsch und Französisch oder Südafrika mit zwölf offiziel‐ len Amtssprachen. In anderen Staaten wird dagegen Mehrsprachigkeit nicht im Grundgesetz oder der Verfassung erwähnt, z. B. in Deutschland oder Frankreich. Die sprachliche Vielfalt in Gesellschaften wird durch die Verwendung im öffentlichen Raum sichtbar. „Linguistic Landscaping“ ist das Stichwort für einen Forschungsansatz, der mittels Fotos von Schildern, Straßen, Läden u.v.m. die Bedeutung von Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum rekonstruiert. Auch wenn es manchmal scheint, Migration wäre ein aktuelles oder neues Phänomen: Das stimmt nicht, Wanderungsbewegungen und gesellschaftli‐ che Mehrsprachigkeit haben auf der ganzen Welt und so auch in Europa eine lange Tradition. Es gibt sie seit der Besiedlung des Kontinents. Einige Beispiele für die zahlreichen Migrationsbewegungen, die mehrsprachige Konstellationen in Europa befördert haben, sind in der jüngeren Vergangen‐ heit die Einwanderung der Hugenotten aus Frankreich nach Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert, die Arbeitsmigration Ende des 19. Jahrhunderts in die Gegend um die Ruhr aus dem ehemaligen Königreich Polen, aus Oberschlesien, den Masuren und der Kaschubei sowie die Auswanderung Deutscher nach Russland ab dem 12. Jahrhundert und im 18. Jahrhundert. All dies erfolgte, lange bevor es die Anwerbeabkommen in den 1960er Jahren gab, welche die Arbeitsmigration der 1960er und 1970er Jahre aus u. a. der Türkei, Italien, Griechenland, Portugal und dem ehemaligen Jugoslawien organisierten. Europäische Gesellschaften waren zu vielen Zeiten mehrspra‐ chig und durch Arbeits- und Fluchtmigration bzw. durch transnationale Mobilität geprägt (Redder 2013). 18 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit <?page no="19"?> Vom Mittelalter bis in die Gegenwart haben sich oft die Ansichten darüber geändert, für welche Sprachen welche Zwecke geeignet sind. So wurden im Mittelalter sakrale und wissenschaftliche Texte in Latein, Aramäisch, Heb‐ räisch, Arabisch und Griechisch verfasst, regionale Varietäten wie Deutsch oder Italienisch wurden erst viel später als geeignet dafür angesehen, um Literatur oder Wissenschaft zu behandeln. Trotz dieser tatsächlichen Mehrsprachigkeit entwickelte sich im Zuge der Gründung der Nationalstaaten ein großes Interesse an einer gemeinsamen nationalen Identität, die durch eine einzige Sprache, vermittelt durch ein nationales Schulsystem, wesentlich mitgeformt würde. Die Standardsprache entwickelte sich von einer nützlichen überregionalen Verkehrssprache zu einem identitätsstiftenden gesellschaftlichen Element (Ehlich 2001) und erfuhr eine herausgehobene Interpretation, sollte sie doch eine einsprachige Nationalstaatlichkeit unterstützen (Krumm 2003). Diese Idee wird als Ein‐ sprachigkeitsideologie kritisiert, z. B. von Li Wei (2011) in Anknüpfung an Cook (1992), siehe auch Becker-Mrotzek 2023. Eine moderne Politik, die diesen Zwiespalt zwischen Einsprachigkeitsideologie und faktischer Mehrsprachigkeit überbrückt, ist daher dringend nötig. Eine grundlegende Voraussetzung für eine glaubwürdige Sprachen‐ politik auf gesellschaftlicher Ebene setzt voraus, dass ein offener und vielfältiger Diskurs über Sprachen möglich ist und „dass Diskussionen über Sprachen zu einer Gesellschaft gehören wie Debatten über Kultur-, Sozial- oder Bildungspolitik“ (Marten 2016: 11). Die Trennung in individuelle, institutionelle und gesellschaftliche Mehr‐ sprachigkeit ist für systematische Zwecke hilfreich; natürlich beeinflussen sie sich gegenseitig, denn Individuen und Institutionen sind eingebettet in Gesellschaften. Auf gesellschaftlicher Ebene besteht eine Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Gegebenheiten und Individuen: Individuen antworten auf ungleiche gesellschaftliche Verhältnisse, während wiederum Gesellschaften auf individuelle Handlungen mit sprachpolitischen Maßnah‐ men reagieren (Brizić/ Hufnagl 2016). Es gibt viele verschiedene individuelle und institutionelle Strategien und Maßnahmen zum „Erhalt“ von Sprachen (vgl. Cantone et al. 2024) wie z. B. mehrsprachige Elternaktivitäten: In vielen Städten reagieren Eltern und Erziehungsberechtigte (als Individuen) darauf, dass die Schule (als Institution) ihre Kinder zu wenig beim Erwerb der schriftlichen Kompetenzen in der Familiensprache unterstützt. Sie haben daher Elterninitiativen gegründet, die u. a. das Lesen und Schreiben in vie‐ 1.1 Individuelle Mehrsprachigkeit im Kontext von Institutionen und Gesellschaft 19 <?page no="20"?> 2 An staatlichen Schulen in Deutschland werden heute vor allem die Fremdspra‐ chen Englisch, Französisch, Latein, Altgriechisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, Türkisch und „sonstige Sprachen“ unterrichtet (Quelle: Statistisches Bundesamt, GE‐ STATIS Tabelle 21111-0006, https: / / www-genesis.destatis.de/ genesis/ online? languag e=de&; sequenz=tabelleErgebnis&selectionname=21111-0006#abreadcrumb abgerufen am 10.6.2024). Damit kann nur ein kleiner Bruchteil der 24 offiziellen EU-Sprachen an einer Schule gelernt werden. len Sprachen fördern. Somit antworten mehrsprachige Sprecherinnen und Sprecher auf eine im Bildungswesen institutionalisierte Begrenzung oraler und literaler Erziehung mit eigenen Literalisierungsaktivitäten (siehe dazu auch Kapitel drei und fünf). Darauf wiederum wird auf gesellschaftlicher Ebene reagiert, indem in einigen Bundesländern Prüfungen in Familienspra‐ chen (Türkisch, Russisch z. B.) abgelegt werden können, die im Zeugnis aufgeführt werden. 2 1.2 Ein- und Mehrsprachigkeit in Bildungsinstitutionen Der Kindertageseinrichtung als der frühesten Bildungsinstitution im Leben eines Kindes kommt eine sehr große Bedeutung zu, in der Kinder mit einer einsprachigen Realität konfrontiert werden (vgl. Panagiotopoulou 2016: 18f.). Daran schließt sich die Schule an: sprachliche Kompetenzen wer‐ den in der Schulsprache weitgehend voraussetzt und dafür in anderen Spra‐ chen, bis auf die gelehrten Fremdsprachen, nicht berücksichtigt. Einige Spra‐ chen werden als prüfungsrelevant eingestuft und für Unterrichtsdiskurse eingesetzt, andere bleiben unbeachtet. Damit wird eine Vereinheitlichung von Sprachpraktiken und Sprachfertigkeiten unterstützt; die migrationsge‐ sellschaftliche Realität wird nicht akzeptiert und die individuelle und insti‐ tutionelle Mehrsprachigkeit werden nicht weiterentwickelt. Letztlich wird damit ein hegemonialer Anspruch der Schulsprache Deutsch formuliert und verfestigt, wie Dirim (2023) kritisiert. In der migrationspädagogischen Arbeit muss es daher um die Frage der Reproduktion von machtvollen Zugehörigkeitsordnungen in der Migra‐ tionsgesellschaft gehen und darum, wie sie sich auf Bildungsprozesse auswirken, d. h. welche Bildungsprozesse durch die gegebenen Zugehörigkeitsordnungen ermöglicht und welche verhindert werden. In diesem Verständnis verweist der Begriff Bildung auf viel mehr als „nur“ die Ergebnisse von formalen Bildungsprozessen; es geraten Momente und Prozesse der Subjektbildung in den Blick, auch 20 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit <?page no="21"?> in formalen Bildungskontexten wie die der Bildungsinstitution Schule (Dirim 2023: 380). Bevor die Diskussion um mögliche Probleme aufgrund der migrationsbe‐ dingten Mehrsprachigkeit der Gesellschaft Fahrt aufnahm, galt bereits die Mehrsprachigkeit der ortsansässigen Bevölkerung als Herausforderung für die Schule. Sieger im „Streit über die Mundarten“ (Krüger-Potratz 2011: 57) war die an der Schriftsprache orientierte, standardisierte Varietät, die heute als ‚Bildungssprache Deutsch‘ bezeichnet, aber bisher nicht klar definiert und operationalisiert wurde (vgl. hierzu auch Kap. 3). „Bildungssprache (…) wird ganz wesentlich zur Kommunikation bei der Vermittlung oder Aneignung von Inhalten benutzt, aber als sprachliche Kompetenz auch verlangt, wenn Lernende unter Beweis stellen sollen, was sie erreicht haben“ (Becker-Mrotzek et al. 2023). Die Diskussion um Dialekte hat eine lange Tradition: Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird diskutiert, welche Rolle der Dialekt in der Schule einnehmen kann, z. B. in einem Aufsatz des Berner Landpfarrers Johann Ru‐ dolf Wyss aus dem Jahr 1827 (und Schmidlin 2018, Schaller/ Schiesser 2023). Eine stigmatisierende und von der sogenannten „Sprachrichtigkeitsideolo‐ gie“ geprägte Überzeugung, dass das „Hochdeutsch im Norden Deutsch‐ lands“ „das beste Hochdeutsch“ sei, sei weit verbreitet (Maitz 2014: 14, Krüger-Potratz 2011). Dagegen können, wie am Beispiel einer Schweizer Schule argumentiert wird, die unterschiedlichen Werte und Stärken von Dialekt und Standardsprache deutlich gesehen werden. Auf der einen Seite fungiert die Standardsprache als Bildungssprache und Code für die weiträumige Kommunikation, auf der anderen Seite haben Dialekte ihren Wert als identitätsstiftende Codes mit ihrem regionalen Variantenreichtum (Schmidlin/ Luginbühl/ Christen 2024). Ein weiteres Beispiel für marginalisierte und diskriminierte Sprachen ist die Gebärdensprache, die in Schulen nicht regelmäßig angeboten wird und deren Sprecherinnen und Sprecher die Standardsprache in Laut und Schrift erwerben müssen. Für Menschen, die früh oder seit Geburt ertaubt sind und für die eine adäquate technische Hörversorgung nicht möglich oder nicht erwünscht war, ist der Lautspracherwerb besonders schwierig, was sich auch auf den Schriftspracherwerb auswirkt (siehe dazu ausführlich Hennies 2019). Einschränkungen in der Verwendung von Gebärdensprache stellen daher eine große Diskriminierung dar. 1.2 Ein- und Mehrsprachigkeit in Bildungsinstitutionen 21 <?page no="22"?> Sowohl bei der Mehrsprachigkeitsdiskussion als auch bei der Debatte um die Bedeutung von Dialekten zeigt sich: Sprachen in Bildungseinrichtungen werden hierarchisiert. Die Rangordnung ist nicht mit linguistischen oder pädagogischen Kriterien zu erklären, sondern auf bildungs- und sprachpo‐ litische Entscheidungen zurückzuführen, die die Praxis der pädagogischen Fachkräfte mitbestimmen (vgl. Panagiotopoulou 2016: 18-20; Panagiotopou‐ lou 2017: 263ff.). Bildungsinstitutionen bewegen sich also nicht in einem herrschaftsfreien Raum, sondern können als zentrale Rollenträger bei der Si‐ cherung eines „Natiolekts“ (Dirim/ Mecheril 2017: 450ff.) verstanden werden, d. h. der Konstitution einer Sprachvarietät, die in einem nationalen Kontext als akzeptabel gilt, während andere dies nicht sind. Daher ist kritisch zu fragen, welche Positionen die pädagogischen Fach- und Lehrkräfte in Bezug auf Sprachenpolitik beziehen. Denn die Zulassung oder Ablehnung von Sprachen für Prüfungen, die Begrenzung von Optionen, Hausarbeiten und Prüfungsleistungen in einigen Sprachen zu erbringen und in anderen nicht, wirken sich auf die Möglichkeiten für die Teilhabe von mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen an Bildung aus. Insbesondere im Hinblick auf eine inklusive Bildung lässt sich sagen, dass die Berücksichtigung aller Sprachrepertoires zur sozialen Gerechtigkeit beitragen kann, während die Exklusion ausgewählter Sprachen „die Lebenswirklichkeit mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler aus zugewanderten Familien negiert“ (Panagio‐ topoulou/ Rosen 2016b: 164). In diesem Sinne ist es Aufgabe der (angehenden) pädagogischen Fach- und Lehrkräfte zu reflektieren, ob die Bildungsinsti‐ tutionen, in denen sie tätig sind, allen Kindern und Jugendlichen genügend Raum für ihre Bildungsprozesse bieten, damit ihre familialen Sprachprakti‐ ken weiter gefördert und erweitert werden können. Um neue Impulse zu setzen, sind in den letzten Jahren verstärkt einige mehrsprachige Konzepte entwickelt worden, die einen gleichberechtigten Gebrauch von Sprachen ermöglichen sollen: u. a. Ansätze einer Erziehung zur Mehrsprachigkeit in Einrichtungen frühkindlicher und vorschulischer Bildung (siehe Kapitel 2) und didaktische Modellierungen eines sprach- und diversitätssensiblen Unterrichts in Schulen (siehe Kapitel fünf). Sollen mehrsprachige Bildungskonzepte jedoch erfolgreich sein, so müs‐ sen sie eine grundsätzliche Anerkennung erfahren ( Jessner 2017): Es reicht nicht aus, nur zu behaupten, dass Mehrsprachigkeit etwas Positives ist. Eine konkrete, in sprachlichen Handlungen realisierte Anerkennung, die im Unterrichtsdiskurs, in der Bewertung und in Beurteilungen deutlich wird und verbindlich ist, die eingefordert werden kann, unterstützt den 22 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit <?page no="23"?> Lernprozess. Das wäre eine Praxis, bei der Lernenden und Lehrende sich Rückmeldungen geben und sich in ihrer Mehrsprachigkeit unterstützen. Kinder und Jugendliche würden so ihr gesamtes sprachliches Repertoire, inklusive Gebärden, selbstverständlich in Alltags- und Lernsituationen in pädagogischen Feldern (KiTa und Schule) einbringen und dabei von pädago‐ gischen Fach- und Lehrkräften unterstützt werden. So entsteht gemeinsam eine diversitätssensible Lernumgebung. 1.3 Heteroglossie als individuelle und institutionelle Praxis: mehrsprachiges Wissen, Handeln und Multikompetenz Heteroglossia und translanguaging sind laut García und Li Wei (2014) zwei konzeptionell verwandte Begriffe, da beide „the fluid language practices of speakers“ beschreiben, wobei heteroglossia als ein Oberbegriff verstanden wird: „The Bakhtinian concept of heteroglossia, […] serves as an umbrella term for all of these practices, including that of translanguaging“ (García/ Li Wei 2014: 36). Den Begriff Heteroglossia hat der Literatur- und Sprachwis‐ senschaftler Mikhail Bakhtin (auch geschrieben: Michail Bachtin) in den 1930er-Jahren eingeführt, um zu erfassen, dass Sprachen, wenn sie aus der Perspektive der Sprecherinnen und Sprecher betrachtet werden, keine in sich geschlossenen Systeme sind. Damit soll deutlich gemacht werden, dass eine „einheitliche Sprache“ nicht mit der „lebendigen Sprache“ oder der sprachlichen Realität der Sprecherinnen und Sprecher übereinstimmt (Busch 2015: 50). Laut Bakhtin befinden sich alle Menschen immer in „einem Dialog von Sprachen“ (Bakhtin 1979: 186). Damit ist u. a. „das Bündel an Varietäten, Registern oder Jargons gemeint, das man traditionellerweise mit dem Begriff ‚innersprachliche Mehrsprachigkeit‘ fasst“ (Busch ebd.). Wie kann nun diese Vielsprachigkeit konzeptionell gefasst werden? In verschiedenen aktuellen Mehrsprachigkeitsdebatten zeigen sich unter‐ schiedliche Sichtweisen auf die Frage der Einzelsprachen und ihrer Realität. Einerseits gibt es klar abgrenzbare Systematiken von Sprachen: Es liegen Grammatiken, Lehrwerke und Beschreibungen von Sprachen vor, Lernende und Lehrende kennen Gemeinsamkeiten von Sprachen und können Un‐ terschiede, z. B. in der Deklination, Morphologie, Wortstellung, vielleicht nicht mit den Fachwörtern, aber in der Funktion benennen und erklären. Übersetzungen sind bei Bedarf als APP auf dem Smartphone verfügbar. 1.3 Heteroglossie als individuelle und institutionelle Praxis 23 <?page no="24"?> Während eine Übersetzungssoftware oder eine auf die Bedürfnisse der Lernenden zugeschnittene Grammatik das Verstehen und Erlernen von Sprachen als System ermöglicht, ist die Frage, was eine Sprache von einer anderen unterscheidet, oft nicht linguistisch eindeutig zu beantworten. Linguistische Kriterien sind typologische Distanz oder Nähe (z. B. eine ähnliche Grammatik) oder die Lexik. Sprachen verändern sich aber durch die Sprachpraxis der Sprechenden im sozialen Kontext: Menschen handeln sprachenübergreifend oder translingual und kreativ: Das bedeutet, dass Menschen durch ihre Sprachpraxis ihr sprachliches Wissen von einem Sprachsystem in ein anderes übertragen, dass sie Elemente auch innerhalb eines Sprachsystems mischen, dass sie Ausdrücke übersetzen, für die sie sich Anregungen aus anderen Sprachsystemen oder Sprachvarietäten holen (z. B. Fachbegriffe in der Umgangssprache verwenden), oder dass sie sogar neue Ausdrücke erfinden (sog. Neologismen), die nicht immer einer Sprache zugeordnet werden können, wie dies beim kindlichen Spracherwerb zu beobachten ist (sog. Protowörter). Fragen der Sprachlichkeit sind in Gegenwartsgesellschaften politisch bestimmt und damit verbunden, welche Sprache(n) welchen Nationen oder sozialen Gruppen zugeschrieben bzw. von diesen als Zugehörigkeitsmerk‐ mal gewählt oder beansprucht werden. Luxemburgisch ist ein Beispiel dafür, wie sich eine Nationalsprache entwickeln kann und „wie die politische Eigenständigkeit eines Landes den Status einer Sprache beeinflussen kann“ (Marten 2016: 166). Die Abgrenzung von Sprachen und Sprachvarietäten voneinander ist also schon aus systematischer Sicht ein komplexes Unter‐ fangen, bei dem sprachwissenschaftliche und politische-gesellschaftliche Kriterien angewendet werden. Dagegen wird heute davon ausgegangen, dass das sprachliche Wissen Mehrsprachiger diese Abgrenzungen von Sprachen außer Acht lässt: Mehr‐ sprachige verfügen über ein Repertoire mit Mitteln aus mehreren Sprachen. Dieses Wissen kann nicht in additiven Vorstellungen als multiple Einspra‐ chigkeit erfasst werden: Mehrsprachigkeit ist mehr und etwas anderes als eine Multiplikation Einsprachiger (Grosjean 1989, 2024). Das Wechseln zwischen Sprachen und der Einfluss der Sprachen aufeinander als statischer oder temporärer Transfer (Grosjean 2024: 101 f.) ist typisch für Mehrspra‐ chige und zeigt die Fähigkeit, das eigene sprachliche Repertoire adäquat an die jeweilige Situation angepasst einzusetzen und in eine regelkonforme Form zu bringen. Der gemischte Gebrauch mehrerer Sprachen in sprachli‐ chen Handlungen erhöht die Möglichkeiten, sich auszudrücken, und ist 24 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit <?page no="25"?> in mehrsprachigen Gruppen schon in der frühen Kindheit (García/ Li Wei 2014: 85) und im jungen Schulalter häufig anzutreffen (Li Wei 2011). Diese besondere Kompetenz wurde als Multikompetenz von Cook (u. a. 2021) be‐ zeichnet und beschreibt die komplexe spezifische Fähigkeit Mehrsprachiger, in Interaktionen angemessen multilingual zu handeln und zu denken. Ein an Multikompetenz orientierter Ansatz bezieht ein, wie sich das Wissen über mehrere Sprachen in den verschiedenen Interaktionen entwickelt (Cook 2021). Vor diesem Hintergrund ist also zu fragen, ob es nicht sinnvoller ist, auch translinguale Kompetenzen im Umgang mit Sprachenvielfalt und Heteroglossie zu erforschen und zu fördern, anstatt die Idee von klar abgrenzbaren Sprachen und ihren Didaktiken weiterzuverfolgen. Ein sprachliches Repertoire ist nicht als unveränderlich und geographisch bestimmt zu verstehen, sondern als dynamischer und in den sozialen Praxen verankerter vielsprachiger Sprachgebrauch anzusehen (Busch 2015). Damit verwenden Mehrsprachige ihre Sprachen als Ressource für erfolgreiche Kommunikation und gestalten ihre Identitäten in mehrsprachigen Handlun‐ gen (Cenoz/ Gorter 2014). So zeigt sich als Fazit, dass Sprachen einerseits strukturell voneinander unterschieden werden können. Andererseits zielen die Konzepte Heteroglos‐ sie, Translanguaging und Multikompetenz auf eine pädagogische Praxis in Bildungsinstitutionen (wie Kindertagesstätten und Schulen), in der alle Sprecherinnen und Sprecher als werdende und kompetente Mehrsprachige verstanden werden. Fragen und Aufgaben Beratungsanfrage: „Mein Mann und ich kommen gebürtig aus Bulgarien und leben seit 14 Jahren in Deutschland. Nun kam unser Sohn Alexander zur Welt. Er ist jetzt 4 Monate alt. Ich hatte mir vorgenommen, mit ihm Deutsch zu sprechen und mein Mann Bulgarisch. Allerdings wurde mir gesagt, ich soll das nicht machen, da Deutsch nicht meine Muttersprache ist. Ich mache keine Fehler beim Sprechen, habe aber eine slawische Aussprache. Zu Hause sprechen wir vorwiegend Bulgarisch, ab und zu leider sogar ge‐ mischt Deutsch-Bulgarisch-Griechisch. (Ich weiß, dass das für den Kleinen nicht gut sein kann, deshalb versuchen wir es jetzt schon zu vermeiden.) 1.3 Heteroglossie als individuelle und institutionelle Praxis 25 <?page no="26"?> Ich habe Sprachwissenschaften studiert und würde ganz gern meinem Sohn mehrere Sprachen beibringen wollen. In Bulgarien sind die Großeltern. Wir leben in Deutschland. Dazu haben wir ein Haus in Griechenland. Und Englisch muss heutzutage sein. Ich möchte aber das Kind nicht überfordern, deshalb wäre zum Anfang super, wenn es Deutsch und Bulgarisch lernt. Wie machen wir das am besten? Darf ich zu ihm Deutsch sprechen, wenn das nicht meine Muttersprache ist? Wann fangen wir am besten an? “ • Diskutieren Sie, wie Sie hier beraten würden. Berücksichtigen Sie dabei folgende Aussagen: a. Wenn wir sprechen, befinden wir uns immer in „einem Dialog von Sprachen“ (Bakhtin 1979: 186). b. „Translanguaging is the discursive norm in bilingual families and communities. For example, the only way to communi‐ cate in bilingual/ multilingual family events is to translangu‐ age“ (García/ Li Wei 2014: 23). 26 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit <?page no="27"?> B. Mehrsprachigkeit und Bildung in der KiTa Julie A. Panagiotopoulou <?page no="29"?> 2 Translanguaging: Mehrsprachigkeit im Erwerb und Gebrauch Die vierjährige Lena hört zu, während ihre Erziehe‐ rin spricht; plötzlich stellt sie laut fest: „Hanna sagt auch ‚isch‘ - wie ich! “ Die fünfjährigen Max und Lena sind gut befreun‐ det und spielen oft zusammen. Am Frühstückstisch sitze ich mit einer Gruppe von Kindern neben Max, der plötzlich auf Lena zeigt und kommentiert: „Sie spricht mit uns Spanisch! Wir verstehen nicht, was sie sagt“. „Ich spreche nicht Spanisch“, erwidert Lena (lachend), „ich spreche Griechisch! “ „Ja“, setzt Max fort und schaut sie dabei an, „wir verstehen nicht, was du sagst“. Lena erklärt ihm in beruhigendem Ton „ich spreche mit euch Griechisch, damit ihr Griechisch lernt! “ und an mich gewandt mit etwas lauter Stimme: „Ich spreche zwei Sprachen ganz: ‚germanika ke elinika‘ [Deutsch und Griechisch] und Englisch lerne ich noch in der Schule! “ Kurz danach teilt sie der Gruppe mit: „Nein, ich spreche drei Sprachen: Deutsch, Griechisch und Kölsch! “ (Ausschnitte aus Beobachtungen im KiTa-Alltag, aus der Fallstudie ‚Lena‘; Protokoll: Panagiotopoulou) <?page no="30"?> 2.1 Sprachmischung: zur translingualen Praxis mehrsprachiger Kinder Die vorangestellten Beispiele ethnographischer Beobachtungen im Alltag einer Kindertageseinrichtung in Nordrhein-Westfalen sollen exemplarisch verdeutlichen, wie mehrsprachig lebende Kinder mit verschiedenen Spra‐ chen und Varietäten (Regiolekten, Dialekten; siehe dazu auch Kapitel 1) in Berührung kommen und sie parallel, aber auch ineinander bzw. ‚gemischt‘ gebrauchen. In deutschsprachigen Fallstudien der letzten Jahre werden entsprechende Interaktionen zwischen Kindern und Erwachsenen doku‐ mentiert, mit deren Hilfe verdeutlicht werden kann, wie im familialen Alltag sprachenübergreifend kommuniziert wird (vgl. Tracy 2008: 102). Insbesondere wenn Eltern systematisch ihre Familiensprachen und die Umgebungssprache(n) gemischt einsetzen, produzieren ihre Kinder logische „Mischäußerungen“ (ebd.: 107). Denn das Phänomen der „Sprachmischung gehört zur Natur der Bilingualität“ (Schneider 2015: 36), und zwar sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern: Sie [die Sprachmischung] zeichnet erwachsene fließende Sprecher und Spreche‐ rinnen von zwei Sprachen genauso aus wie Kinder, die gerade im Begriff sind, zwei Sprachen zu erwerben. (ebd.: 37) „Kinder mischen nicht mehr oder schlechter als Erwachsene es tun“ (Müller, Kupisch, Schmitz, Cantone 2011: 200, 2023, Müller 2024) und sind außerdem sehr wohl in der Lage, auf den translingualen Sprachgebrauch zu ver‐ zichten, um je nach Situation und Gesprächspartner bzw. Gesprächspartne‐ rin monolingual zu handeln. Dies zeigt, dass Mehrsprachige sehr früh damit beginnen, ihre sprachliche Praxis (inklusive Sprachwahl) bewusst zu gestal‐ ten (vgl. auch Riehl 2014: 85; Panagiotopoulou 2016: 14). Darüber hinaus sind mehrsprachige Kinder mit der Zeit auch in der Lage, ihr komplexes linguistisches Repertoire verschiedenen Sprachen und Sprachvarietäten zuzuordnen. Die vorangestellten Protokollausschnitte zeigen exemplarisch, wie Lena im KiTa-Alltag sowie in Interaktion mit Kindern und Erwachsenen trans‐ lingual handelt. Dabei verwendet sie nicht nur zwei Sprachen, sondern auch Varietäten, sowohl monoals auch translingual. Das erste Beispiel deutet darauf hin, dass die vierjährige Lena über ihre eigene sowie über die Sprachpraxis ihrer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner reflek‐ tiert: hier am Beispiel der Aussprache „ich“ und „isch“. Den im KiTa-Alltag 30 2 Translanguaging: Mehrsprachigkeit im Erwerb und Gebrauch <?page no="31"?> 3 Ein weiteres Beispiel für diesen Abwertungsdiskurs ist die Bezeichnung „Kanak Sprak“, die vom Schriftsteller Feridun Zaimoglu im deutschsprachigen Raum eingeführt wurde. Die in seinem Roman beschriebene Sprachpraxis basiert nicht auf empirisch gewonne‐ nen Merkmalen des translingualen Sprachgebrauchs, obwohl dies vom Schriftsteller unterstellt und vom öffentlichen Diskurs entsprechend wahrgenommen wurde. Mit der Verbreitung solch defizitärer Betrachtungen hängen Diskriminierungserfahrungen türkisch-deutschsprachiger Kinder und Jugendlicher im Kontext der deutschen Schule zusammen (vgl. Dirim 2010: 99 ff.). verwendeten Regiolekt setzen die Kinder in der Tat hauptsächlich in Inter‐ aktion mit ihrer Erzieherin Hanna ein. Das zweite Beispiel deutet darauf hin, dass Lena, wahrscheinlich aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit ihren zweisprachigen Eltern, ihre Deutsch sprechenden Freundinnen und Freunde bewusst auf Griechisch anspricht, damit diese ebenfalls zweispra‐ chig werden. Dass Lena mit der deutsch-griechischsprechenden Beobachte‐ rin nicht nur monolingual Deutsch oder Griechisch, sondern regelmäßig auch translingual Deutsch-Griechisch kommuniziert, bestätigt die These, dass Kinder in der jeweiligen Interaktion das linguistische Repertoire ihrer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner berücksichtigen und ihre eigene Sprachpraxis entsprechend anpassen. Mit anderen Worten: Der weit verbreitete Mythos „Children raised bilingual will always mix their langua‐ ges“ (Grosjean 2010: 197) lässt sich in der Praxis nicht bestätigen. Vielmehr hängt der mono- oder translinguale Sprachgebrauch von Kindern mit pragmatischen Bedingungen innerhalb von konkreten Interaktionen und - mit zunehmendem Alter - auch mit bewussten Entscheidungen zusammen: Kinder mischen folglich Elemente aus ihren Sprachen in der Regel nur dann, wenn sie mit Personen interagieren, die über ein vergleichbares Sprachenrepertoire verfügen. Insbesondere unter den Bedingungen der eigenen oder familialen Migra‐ tion und ihrer transnationalen Bildungs- und Sprachbiographien greifen bereits junge Kinder in der Regel gleichzeitig auf Elemente aus mehreren Sprachen und deren Varietäten zurück. Insbesondere der translinguale Sprachgebrauch von Kindern und Jugendlichen wird in der öffentlichen Diskussion als Halbsprachigkeit wahrgenommen. Ihre mehrsprachige Praxis wird somit abgewertet oder karikiert. 3 Während die translinguale Praxis Erwachsener sogar als besondere Kompetenz anerkannt wird, wird „die Sprachmischung in der frühkindlichen Zweisprachigkeit“ (Schneider 2015: 37) eher negativ betrachtet: 2.1 Sprachmischung: zur translingualen Praxis mehrsprachiger Kinder 31 <?page no="32"?> Das vermeintlich unsystematische und gegen alle Regeln verstoßende Mischen der Kinder wird als nachteilige Auswirkung des bilingualen Erstspracherwerbs interpretiert. In der neueren linguistischen Forschung wird Sprachmischung hingegen als nützliche Strategie gesehen, mit deren Hilfe sich bilinguale Kinder und Erwachsene effektiver ausdrücken können. (Schneider 2015: ebd.) Kinder, die beispielsweise in deutsch-türkischsprechenden Familien in Deutschland aufwachsen, würden mit großer Wahrscheinlichkeit auch in der Kindertageseinrichtung mit deutsch-türkischsprechenden Kindern und Erzieherinnen und Erziehern Deutsch und/ oder Türkisch, aber auch ‚gemischt‘ kommunizieren (vgl. Uçan 2022). Am Frühstückstisch würden die Kinder in Interaktion mit der gesamten Gruppe wahrscheinlich den gemeinsamen deutschen Regiolekt verwenden, aber in einer Vorlesesitua‐ tion die geschriebene Variante des Deutschen (oder einer weiteren Sprache) wahrnehmen, um anschließend das Geschriebene auch sprachenübergrei‐ fend zu kommentieren. Diese fließenden Sprachverwendungspraktiken werden aus einer einsprachigen Perspektive als Herausforderung gedeutet, in mehrsprachigen Bildungseinrichtungen sind sie jedoch Normalität, wie Beobachtungen im KiTa-Alltag zeigen (zur „Sprachenmischung“ im Kinder‐ gartenalltag in der deutschsprachigen Schweiz vgl. Kassis-Filippakou/ Pana‐ giotopoulou 2015). Im deutschsprachigen (Fach-)Diskurs gelten auch im Hinblick auf den kindlichen Spracherwerb und Sprachgebrauch nur „Fähigkeiten im Deut‐ schen“ als „sprachlicher Fortschritt“, während „die erst- oder gemischt‐ sprachlichen Fähigkeiten des mehrsprachigen Individuums in den Hinter‐ grund treten“ (Chilla/ Rothweiler/ Babur 2013/ 2022: 72). Hingegen befassen sich in den letzten Jahren sprachwissenschaftlich fundierte erziehungswis‐ senschaftliche Studien mit der allgegenwärtig beobachtbaren translingualen Praxis. Bereits vor über zehn Jahren wurden beispielsweise interessante Forschungsergebnisse über den Sprachgebrauch von in Hamburg lebenden Kindern und Jugendlichen mit dem Titel „Türkisch sprechen nicht nur die Türken“ publiziert (vgl. Dirim/ Auer 2004). Das Projekt zeigte u. a. auf, dass durch die zahlreichen Möglichkeiten, die verwendeten Sprachen „miteinan‐ der zu kombinieren und zu verschmelzen […] neue Sprechweisen [entste‐ hen]“ (Krehut/ Dirim 2008: 413). Damit hängt auch die Erkenntnis zusammen, dass Kinder, die im Kontext von Migration mit mehreren Sprachen und Sprachvarietäten aufwachsen, zwar sprachenübergreifend handeln, aber trotzdem keine ‚halben‘ Sprachen dabei erwerben oder von der sogenannten 32 2 Translanguaging: Mehrsprachigkeit im Erwerb und Gebrauch <?page no="33"?> 4 Im englischsprachigen Raum beziehen sich die Begriffe „Bilingualism“ und „bilingual“ nicht nur auf zwei Sprachen bzw. auf „Zweisprachigkeit“, sondern auch auf mehrere Sprachen und somit auf „Mehrsprachigkeit“. „doppelten Halbsprachigkeit“ betroffen seien (zur grundlegenden Kritik dieser Pseudodiagnose vgl. Dirim 1999; Panagiotopoulou 2002, 2017a; Wiese 2011; Chilla/ Rothweiler/ Babur 2013; David-Erb/ Panagiotopoulou 2024). Das allgegenwärtige Phänomen der Sprachmischung weist also nicht auf eine Sprachstörung zwei- und mehrsprachiger Kinder hin, sondern betrifft eine legitime und sinnvolle Sprachpraxis neben anderen. Diese wichtige Erkennt‐ nis lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen: There is no evidence that bilingual children 4 differ from monolingual children except for the fact that they produce mixed utterances in addition to monolingual ones; that is, they translanguage from an early age. (García 2009: 64) Laut Meisel deutet die spezifische Praxis der „Sprachmischung“ auf beson‐ dere sprachliche Fähigkeiten hin (Meisel 2013: 122). Sie findet sich nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Jugendlichen und Erwachsenen, „und dort genau bei denen, die in beiden Sprachen besonders kompetent sind“ (ebd.). Die sogenannte „balancierte“ Zwei- oder Mehrsprachigkeit von Jugendlichen und Erwachsenen schließt nicht aus, dass diese bereits als Kinder translingual handeln. Anders ausgedrückt: Mehrere Sprachen gut zu beherrschen, setzt nicht voraus, diese getrennt voneinander zu erwerben und zu verwenden. Ausgehend von einer soziolinguistischen Perspektive sind auch Kinder, die Varietäten ausschließlich einer Sprache erwerben, nicht einsprachig. In sprach- und erziehungswissenschaftlichen Publikationen der letzten Jahre wird betont, dass Dialekte oder Regionalsprachen wie „die Sprache des Ruhrgebiets“ oder „das Berlinische“ ebenfalls zur deutschen Sprache gehö‐ ren: Die Sprachverwendungspraxis Einsprachiger umfasst sowohl einen standardisierten, primär an der Schriftsprache orientierten Sprachgebrauch als auch den Gebrauch der Alltagssprache, der „Sprache des vertrauten Umgangs“ (Ehlich/ Bredel/ Reich 2008: 15). Eine Priorisierung der (deutschen) „Bildungssprache“ als der (einzigen? ) Sprache der Bildung (zu einer kriti‐ schen Betrachtung siehe auch Kapitel 3) lässt sich somit nicht legitimieren: List hat diesbezüglich in ihrem Beitrag mit dem Titel „‚Bildungssprache‘ in der KiTa“ aufgezeigt, dass „der Kontrast Alltagsgegen Bildungssprache“ mit herkömmlichen „Antinomien“ und „Dichotomien“ sowie mit einer „Wertig‐ 2.1 Sprachmischung: zur translingualen Praxis mehrsprachiger Kinder 33 <?page no="34"?> keit der Sprachvarietäten“ zusammenhängt, und dies, obwohl nicht nur eine standardisierte Sprachform dafür geeignet ist, kindliche Bildungsprozesse im KiTa-Alltag lernförderlich zu begleiten (vgl. List 2010: 185). Allerdings gehören Bildungseinrichtungen zu den bedeutendsten Institutionen der Sprachenpolitik, denn sie beeinflussen vom Kindergarten über die Schule bis zur Universität und zu Institutionen der Erwachsenenbildung (…) Sprachgebrauch und Spracherwerb zunächst explizit (…). Aber auch implizit sind sie maßgeblich daran beteiligt, Sprachstandards festzuschreiben und durchzusetzen. (Marten 2016: 35) Die Vorstellung einer reinen einsprachigen Sprachpraxis in ausschließlich einer legitimen Sprachvarietät (‚Standardsprache‘ oder ‚Bildungssprache‘) erweist sich aufgrund von Beobachtungen in der frühpädagogischen Praxis als Illusion. Beispielsweise lässt sich in der deutschsprachigen Schweiz auch in didaktischen Settings, die als Förderung der sogenannten ‚Hochsprache‘ oder ‚Standardsprache‘ deklariert werden, durchgängig das Phänomen der Sprachmischung beobachten, obwohl das Gebot einer strikten Sprachen‐ trennung in Form einer institutionellen ‚Diglossie‘ nach wie vor verbreitet ist (vgl. Kassis-Filippakou/ Panagiotopoulou 2015; Panagiotopoulou/ Krom‐ pák 2014; Panagiotopoulou/ Kassis 2016). Als institutionelle Sprachen‐ politik (vgl. Marten 2016: 35-36) steht eine solche Vorgehensweise im Kontrast zur Alltagsrealität mehrsprachiger Kinder, insbesondere in offiziell mehrsprachigen Gesellschaften wie z. B. in der Schweiz oder in Luxem‐ burg. Aus sprachdidaktischer Perspektive betrachtet ist diese herkömmli‐ che Sprachenpolitik insgesamt problematisch, da sie neuere Erkenntnisse über den dynamischen Mehrspracherwerb im Kindesalter und seiner „translingualen Logik“ (List 2004: 139) (siehe Kapitel 2.2), sowie über aktuelle Konzepte einer inklusiven mehrsprachigen Bildung (siehe Kapitel 2.3 und 2.4) kaum berücksichtigt. 2.2 Quersprachigkeit: zur translingualen Logik des dynamischen Mehrspracherwerbs Im deutschsprachigen Raum beschreibt der Begriff „Quersprachigkeit“ den „multiplen Sprachgebrauch“ mehrsprachiger Menschen, indem er sich auf „ein im pragmatischen Sinn verändertes Verständnis von Sprache“ bezieht (Rösch 2009: 235). Mehrsprachige Kinder erwerben und gebrauchen ihre 34 2 Translanguaging: Mehrsprachigkeit im Erwerb und Gebrauch <?page no="35"?> Sprachen nicht nacheinander oder parallel zueinander, sondern dynamisch und komplementär. Sie bekommen die Gelegenheit, ihre „quersprachige Kompetenz“ zu entwickeln, indem sie mit Sprachen spielen, diese wechselnd verwenden oder mischen bzw. „quer durch sie hindurch“ handeln lernen (Günther List 2004: 133; vgl. Gudula List 2013: 185). Der Begriff Querspra‐ chigkeit ergänzt somit den Begriff Mehrsprachigkeit und soll die translinguale Logik eines Sprachenlernens markieren, bei dem sprachpsy‐ chologisch […] die metasprachlichen und metakognitiven Leistungen im Vorder‐ grund stehen: Sprachen durch Sprachen (hindurch) Lernen und Gebrauchen, quer durch Sprachen hindurch Handeln. (List 2004: 139; Hervorhebung i. O.) Für den Erwerb einer neuen Sprache ist es zwar unerlässlich, dass auch entsprechende Bildungsangebote im Alltag der Kindertageseinrichtung ge‐ macht werden und dass die zu erlernende Sprache nicht nur in der Kinder‐ gruppe kommunikativ eingesetzt wird (vgl. List 2013: 186). Dies bedeutet aber nicht, dass stets und unter allen Umständen ausschließlich die jeweilige Zielsprache bzw. die (zukünftige) Schul- und Unterrichtssprache verwendet werden soll. Das Beharren auf Einsprachigkeit in der frühpädagogischen Praxis ignoriert die heteroglossische Realität in Migrationsgesellschaften (zum Begriff Heteroglossie siehe Kapitel 1) und somit auch die realen Bedingungen mehrsprachiger Sozialisation in (neu) zugewanderten Fami‐ lien. Im Gegensatz dazu verweist das Konzept eines dynamischen Mehrspra‐ cherwerbs (Riehl 2014: 15) bzw. der Ansatz eines „dynamic bilingualism“ (García/ Li Wei 2014: 14) auf die Flexibilität mehrsprachiger Praxis: Denn „the language practices of bilinguals are complex and interrelated“, sie entstehen nicht linear und funktionieren auch nicht getrennt voneinander (ebd.). In mehrsprachig organisierten familialen Situationen und in Bildungseinrich‐ tungen werden die zu erwerbenden Sprachen und Sprachvarietäten nicht als Entitäten, etwa autonom, erworben oder gelernt (vgl. Panagiotopoulou 2016: 16f.). Mit dem Begriff dynamischer Mehrspracherwerb sollen ad‐ ditive Vorstellungen von der kindlichen Sprachentwicklung überwunden werden, denn: Sprachwissen und Sprachkompetenz eines Mehrsprachigen [bestehen] nicht aus getrennten oder trennbaren Subsystemen (L1, L2, L3 usw.), sondern bilden ein holistisches dynamisches System, in dem jede Veränderung Auswirkungen auf alle Subsysteme hat. (Riehl 2014: 15) 2.2 Quersprachigkeit: zur translingualen Logik des dynamischen Mehrspracherwerbs 35 <?page no="36"?> Aktuelle neurolinguistische Studien zur mehrsprachigen Entwicklung be‐ stätigen und übertreffen sogar die bekannte Interdependenzhypothese, „showing that even when one language is being used, the other language remains active and can be easily accessed“ (García/ Li Wei 2014: 14). Mit dem theoretischen Konzept „translanguaging“ ist diese Komplexität beim Erwerb und Gebrauch mehrerer Sprachen jenseits von einsprachigen Normen zu beschreiben. Bereits mehrsprachige Kinder verfügen über ein Sprachenrepertoire, „one linguistic repertoire from which they select features strategically to communicate effectively“ (García 2011a: 1). Ähnlich haben Jørgensen, Karrebæk, Madsen und Møller die Bezeichnung „poly‐ lingual languaging“ in die Fachdiskussion eingeführt, um die Kommunika‐ tionspraxis von mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen im Kontext von durch (sprachliche) Diversität geprägten Migrationsgesellschaften zu beschreiben (vgl. Jørgensen/ Karrebæk, Madsen/ Møller 2011). Indem Mehrsprachige situativ passend, flexibel, mehr- und quersprachig bzw. translingual handelnd lernen, lernen sie auch in mehrsprachigen Situationen angemessen zu kommunizieren (vgl. García/ Li Wei 2014: 22). Translanguaging legt den Fokus auf die Praxis des sprachenübergreifenden ‚languaging‘, auf die individuelle und originelle Sprachverwendungspra‐ xis der Sprecherinnen und Sprecher: „the speaker’s complete language repertoire“ (vgl. ebd.: 109f.). Die Beschreibung von Sprachlichkeit oder Sprachigkeit setzt die Betrachtung von Sprache als soziale Praxis (und nicht nur als System) voraus: Translanguaging takes the position that language is action and practice, and not a simple system of structures and discreet sets of skills. That’s why translanguaging uses an -ing form, emphasizing the action and practice of languaging bilingually. (García 2011a: 1; Hervorhebung d. Panagiotopoulou) Canagarajah hat den Begriff „translingual practice“ eingeführt, um die dynamischen und fließenden „language practices in multilingual encoun‐ ters“ zu konzeptualisieren (Canagarajah 2013: 8, zit. nach García/ Li Wei 2014: 40). Es geht um den Versuch, die komplexe translinguale Praxis von mehrsprachigen Individuen in mehrsprachigen Kontexten als Realität an‐ zuerkennen. Insbesondere für Kindertageseinrichtungen, wo junge Kinder gerade dabei sind ihre Sprache(n) zu erwerben, ist diese Betrachtungsweise besonders treffend und hilfreich, wenn es darum geht, ihre konkreten familialen Sozialisationsbedingungen zu berücksichtigen, ohne sie pauschal zu problematisieren. 36 2 Translanguaging: Mehrsprachigkeit im Erwerb und Gebrauch <?page no="37"?> Die Fähigkeit mehrsprachiger Kinder, ihre „gesamten sprachlichen Res‐ sourcen nutzen zu können“, wird „als Multicompetence bezeichnet“ (Riehl 2014: 15; siehe dazu auch Kapitel 1). In der Praxis zeichnet sich diese Fähig‐ keit dadurch aus, dass Kinder den kommunikativen Anforderungen der jeweiligen Situation und ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend einaber auch mehr- und quersprachig handeln. Von dieser heteroglossischen Realität und Praxis ausgehend ist eine alltagsintegrierte und inklusive Sprachbildung in frühpädagogischen Feldern zu gestalten. 2.3 Auf dem Weg zu einer Didaktik der Mehrsprachigkeit Mit dem Titel „Mehrsprachigkeit institutionell sichtbar machen“ vertreten Chilla und Niebuhr-Siebert (2017: 98) einen inklusiven und zugleich alltags‐ integrierten Ansatz mehrsprachlicher Bildung, den sie wie folgt begründen: Mehrsprachige Bildung lebt von den Möglichkeiten, die eine Einrichtung zur Entwicklung aller Sprachen eines Kindes bietet. Mit anderen Worten: So lange mehrsprachige Kommunikation unsichtbar bleibt, kann Mehrsprachigkeit nicht als Bildungsressource genutzt werden. (Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 98f) Insbesondere in der frühen Kindheit und im Vorschulalter kann die „Förde‐ rung von Mehrsprachigkeit (…) nicht als Förderung additiver systematischer Kenntnisse verstanden werden“ (List 2007: 10). Es geht vielmehr darum, ein „Handeln quer durch die in der Institution vorgefundenen Sprachen hindurch“ zu fördern. Mit der Inklusion aller mitgebrachten Sprachenreper‐ toires bzw. unter Berücksichtigung der komplexen Sprachwelten der Kinder wären auch konkrete Ziele zu erreichen wie zum Beispiel: Symbolische Dienste unterschiedlicher Sprachen und Register erkennen, zwi‐ schen ihnen unterscheiden, sie womöglich selbst mischen oder wechselnd benut‐ zen, sie zum Objekt des Nachdenkens über die Vielgestaltigkeit der Sprachwelten machen. (List 2007: 10) In einer früheren Publikation von Mario Wandruszka aus dem Jahre 1979, die in den letzten Jahren in der deutschsprachigen Literatur wiederholt zitiert und explizit gewürdigt wird (vgl. z. B. Fürstenau/ Gomolla 2011: 22; Fürstenau 2011: 29f.), wird ebenfalls für eine Inklusion aller Sprachen und Sprachvarietäten plädiert. Auch hier wird die gelebte Mehrsprachigkeit 2.3 Auf dem Weg zu einer Didaktik der Mehrsprachigkeit 37 <?page no="38"?> der Heranwachsenden als Ausgangspunkt aller didaktischen Überlegungen und Handlungen betrachtet: Die pädagogischen Fachkräfte sind als „Er‐ zieher[innen] zur Mehrsprachigkeit“ zu verstehen (Wandruszka 1979: 18), die zunächst alle „von den Kindern mitgebrachten Sprachen, Dialekte, Regiolekte und Soziolekte in ihrem Eigenwert erkennen und anerkennen“ und erst davon ausgehend die Kinder in die Sprache der Schule bzw. in die sogenannte „Bildungssprache einführen“ (ebd.: 14f.). Im deutschsprachigen Raum wird in den letzten Jahren versucht, den her‐ kömmlichen Grammatikunterricht der Schule durch deskriptiv-analytische Sprachreflexionen zu erweitern oder zumindest die vorrangig normativen Ansätze der Deutschdidaktik auch für nicht standardsprachliche Varietäten der deutschen Sprache zu öffnen (vgl. Reich/ Krumm 2013: 84). Seit den 1990er-Jahren gibt es darüber hinaus verschiedene mehrsprachigkeitsdidak‐ tisch ausgerichtete Ansätze (von Hans Reich, Ingelore Oomen-Welke, Basil Schader u. a.). Diese konzeptionellen Überlegungen basieren auf gemeinsa‐ men Grundsätzen, die auch für den Elementarbereich von Bedeutung sein können. Es wird davon ausgegangen, • dass Kinder ihr gesamtes Sprachenrepertoire benötigen, um (sprachlich) zu lernen. Daher sollen alle Kinder auch in pädagogischen Feldern die Möglichkeit erhalten, ihre vielfältigen sprachlichen Kompetenzen und Praktiken selbstständig zu implementieren, insbesondere wenn sie damit beginnen, eine weitere, für sie mehr oder weniger neue Sprache oder Sprachvarietät (z. B. ein auf Schriftlichkeit basierendes Register) zu erwerben (siehe Kapitel 2.2 und Kapitel 3), • dass im pädagogischen Kontext alle (Familien-)Sprachen - unabhängig von ihrem sozialen Prestige und offiziellen Status - als gleichwertig anerkannt werden sollen, da sie auch mit der Persönlichkeitsbildung der Kinder zusammenhängen. Aus diesem Grund dürfen sie gerade im Kontext von Bildungseinrichtungen nicht ausgeblendet oder sogar marginalisiert werden. Diese konzeptionelle Wende zur Mehrsprachigkeit wird im englischsprachi‐ gen Raum als „multilingual turn“ (Conteh/ Meier 2014) bezeichnet und ist allmählich auch im deutschsprachigen Raum beobachtbar: In Österreich wurden entsprechende Prinzipien und Ziele einer „Mehrsprachigkeitsdidak‐ tik“ (Reich/ Krumm 2013) und in der Schweiz konzeptionelle Überlegungen zur Förderung von „Mehrsprachigkeitskompetenz“ (Berthele 2010) formu‐ liert. In Deutschland wurde bereits vor einigen Jahren eine interkultu‐ 38 2 Translanguaging: Mehrsprachigkeit im Erwerb und Gebrauch <?page no="39"?> relle mehrsprachige Deutschdidaktik für die Schule konzipiert (vgl. Oomen-Welke 2003) und für eine „Didaktik der Quersprachigkeit“ in Kin‐ dertageseinrichtungen (List 2004) plädiert. Konzeptionell vergleichbare An‐ sätze werden unter dem Begriff „multilingual pedagogies“ zusammengefasst und als „dynamic plurilingual pedagogies“ (García/ Flores 2012: 244) verstan‐ den, zu denen auch das Konzept „translanguaging pedagogy“ zählt (García 2009; García/ Li Wei 2014). Auch sie zielen allerdings hauptsächlich auf eine Neuorientierung des schulischen Unterrichts und beziehen sich seltener auch auf die frühpädagogische Praxis. Aus einer sprachdidaktischen Per‐ spektive lässt sich hier die kritische These aufstellen, dass paradoxerweise insbesondere jüngere Kinder nicht dort abgeholt werden, wo sie sich sprach‐ lich befinden, nämlich mitten in ihrem dynamischen Mehrspracherwerb, der ohnehin translingual verläuft (siehe Kapitel 2.2). Und so dominieren in der frühpädagogischen Praxis additive und sprachtrennende Vorgehensweisen, obwohl neuere Ergebnisse psycholinguistischer Erwerbsforschung belegen, wie Hopp, Thoma und Tracy (2010: 611) zusammenfassend feststellen, dass im frühen Kindesalter „implizite Sprachlernprozesse“ verfügbar sind, die „möglicherweise sogar auf für Sprache spezialisierte Lernmechanismen aufbauen“ und einen zügigen und erfolgreichen Spracherwerb von weiteren Zielsprache(n) innerhalb von wenigen Jahren gewährleisten. Nicht die üblichen Fördermaßnahmen, sondern der „kindliche Spracherwerb“ hat sich also „als ein überaus effizientes Modell für Sprachförderung“ erwiesen (ebd.). Kinder benötigen vergleichbare authentische Situationen und Inter‐ aktionen auch im KiTa-Alltag, um ihr sprachliches Repertoire zu erweitern. So kann die natürliche, multi- und translinguale Alltagspraxis in (neu) zugewanderten Familien nicht (und keinesfalls pauschal) als nicht lern‐ förderlich betrachtet werden. In der Regel erwerben Kinder im Kontext mehrsprachiger Familien mit einer Migrationsgeschichte ein umfassendes linguistisches Repertoire. Sie wachsen mit Eltern und Geschwistern auf, die (auch) die Sprache der Mehrheitsgesellschaft in ihrem Alltag, im Beruf, in der Schule etc. verwenden und darüber hinaus auch situativ ein- oder mehrsprachig bzw. translingual kommunizieren, um ihre translokalen Be‐ ziehungen mit weiteren Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden etc. aufrechtzuerhalten (vgl. Panagiotopoulou 2016: 16). Sobald die Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen, d. h. „sobald sich das Umfeld über die Familie hinaus erweitert“, kann die „Didaktik einer Quersprachigkeit“ anset‐ zen (List 2004: 133). Dabei sollen Kindertageseinrichtungen „respektvoll mit den familialen Sprachwelten“ der Kinder umgehen und zwar unabhängig 2.3 Auf dem Weg zu einer Didaktik der Mehrsprachigkeit 39 <?page no="40"?> davon, ob diese aus „hochsprachlichen“, „dialektalen“ oder „durchmischten“ Registern bestehen. Die „erste Sprachwelt“, aus der „ein Kind zur Kinderta‐ geseinrichtung kommt“, bildet nämlich „eine Plattform“ für die Entwicklung einer „in der modernen Welt“ lebenswichtigen, translingualen Kompetenz (ebd.). In einer ähnlichen Argumentation plädiert García etwa ein Jahrzehnt später für eine inklusive Translanguaging-Pädagogik, die den Anforde‐ rungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird (vgl. García 2009). Dabei werden alle Sprachenrepertoires bzw. „all the language practices“ der beteiligten Kinder berücksichtigt (García/ Kano 2014, zit. n. García/ Li Wei 2014: 225). Auf der Grundlage der bereits entwickelten Sprachpraktiken und Sprach‐ kompetenzen soll auch der Erwerb der weiteren Zielsprache(n), auch der sogenannten Standardsprache(n), unterstützt werden. Ausgehend vom erziehungswissenschaftlichen Inklusionsdiskurs im deutschsprachigen Raum ist es erforderlich, eine pädagogische Praxis zu überwinden, die Sprachbildung ausschließlich als Förderung einer Varietät des Deutschen versteht und somit die Lebenswirklichkeit mehrsprachiger Kinder aus den Bildungsinstitutionen (KiTas und Schulen) systematisch ex‐ kludiert (vgl. Panagiotopoulou 2020). Die Nichtberücksichtigung der fami‐ lialen Erziehungs- und Sozialisationsbedingungen mehrsprachiger Kinder sowie die weiterhin verbreitete sprachseparierende Förderung im Vorschul‐ alter (zu einer kritischen Betrachtung vgl. Christmann/ Panagiotopoulou 2012, Neumann 2015, Panagiotopoulou/ Zettl 2021) gilt es zu überwinden. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, um mehrsprachige Konzepte nicht nur für die Schule, sondern auch für die KiTa zu entwerfen. 40 2 Translanguaging: Mehrsprachigkeit im Erwerb und Gebrauch <?page no="41"?> 2.4 Translanguaging in der frühpädagogischen Praxis „I don’t know what’s going on in their heads but it is amazing! They are using language and you realize that they are really trilingual. They just did three languages within a matter of a minute! “ „… I say ‚oh es azul‘ and she’ll go ‚blue‘. It means that she understands the Spanish but she’s responding in English but she understands that it’s ‚azul‘‘“ (Ausschnitte aus Interviews mit pädagogischen Fachkräften in einer mehrsprachigen Kindertage‐ seinrichtung in den USA) (entnommen aus Garrity/ Aquino-Sterling/ Day 2015: 187f.) Neue Konzepte mehrsprachiger Bildung gewinnen an Bedeutung, sobald alle Kinder als angehende Mehrsprachige, als „emergent bilinguals“ (Gar‐ cía/ Kleifgen 2010: 3) anerkannt und adressiert werden (siehe auch Kapitel 4). Didaktische Überlegungen und Konzepte zur mehrsprachigen Bildung fokussieren dabei nicht abstrakt auf autonome Lerngegenstände, sondern auf konkrete Situationen und ihre Sprecherinnen und Sprecher mit ihren unterschiedlichen Spracherfahrungen, Sprachbiographien und Sprachprak‐ tiken (vgl. García/ Li Wei 2015: 225). In konkreten didaktisch vorbereiteten Situationen kann somit das linguistische Repertoire, das mehrsprachige Kinder außerhalb von Kindertageseinrichtungen ohnehin verwenden, auch in der frühpädagogischen Praxis authentisch genutzt werden. García, Flores und Woodley (2012) konkretisieren, wie der Gebrauch von Sprachen in einer multilingualen Lerngruppe didaktisch konzipiert werden kann: Zentral und zugleich lernförderlich sind in diesem Kontext sogenannte „transglossic spaces“ bzw. translinguale Spielräume, in denen Wissen produziert und tie‐ fes Verständnis erreicht werden kann. Über den Wissenserwerb hinaus trägt diese pädagogische Praxis auch zur Identitätsbildung der Kinder bei, die sich als (angehende) Mehrsprachige verstehen und erleben. Mehr noch: Es geht darum, für alle Kinder „coherent identifications and performances as bilinguals“ im pädagogischen Alltag zu initiieren (García/ Flores/ Woodley 2012: 48). 2.4 Translanguaging in der frühpädagogischen Praxis 41 <?page no="42"?> Die zwei vorangestellten Interviewausschnitte entstammen einer Feldstu‐ die (der San Diego State University, USA) über eine bilinguale Einrichtung für Babys und junge Kinder im Alter zwischen 5 und 16 Monaten aus englischsprachigen sowie englisch-spanischsprachigen Familien. Die daran beteiligten Kinder wurden von den Forscherinnen und Forschern als „social novices“ beschrieben, die zunächst nicht an implizite oder explizite Regeln zur sprachlichen Kommunikation, „about what language to use when, with whom, or in what context“ (Garrity/ Aquino-Sterling/ Day 2015: 193), gebunden waren. Interessanterweise sollten die Kinder im Kontext dieser Einrichtung lernen, ihre Sprachen möglichst zu trennen und je nach Situa‐ tion und Gesprächspartner oder -partnerin einsprachig zu handeln. Doch genau dies ist nicht aufgetreten, da die pädagogischen Fachkräfte sich auf die translinguale Praxis der Kinder eingelassen haben, sodass insgesamt im Rahmen der Studie das Phänomen Translanguaging empirisch erfasst werden konnte. Die Forscherinnen und Forscher bringen auf den Punkt, was ihre Daten insgesamt gezeigt haben, nämlich „the reality of a multilingual infant classroom in which both children and teachers used language fluidly as they went about their daily lives“ (ebd.: 189; Hervorhebung i. O.). Die beteiligten Pädagoginnen und Pädagogen stellten dabei fest - wie die ausge‐ wählten Interviewausschnitte exemplarisch verdeutlichen - dass alle Kinder auf diese Weise lernten, effektiv zu kommunizieren, indem sie ihr gesamtes Repertoire nutzten und dadurch ihre sprachlichen Fähigkeiten erweiterten. Die Ergebnisse dieser Studie entsprechen den Beobachtungen insbesondere in bilingualen Einrichtungen, wo sowohl Kinder als auch Erwachsene „in order to learn and teach […] use what we are calling here translanguaging“ (García/ Li Wei 2014: 59). Dieses Konzept wird im Zusammenhang mit einer grundlegenden Wende zur Mehrsprachigkeit als eine für alle Altersstufen geeignete Pädagogik definiert. Canagarajah hat allerdings darauf hinge‐ wiesen, dass wir uns bei der systematischen Dokumentation von „trans‐ languaging strategies“ und deren Theoretisierung noch ganz am Anfang befinden (Canagarajah 2011: 415). Daher empfiehlt er einen empirischen Zugang vor, der darin besteht, die Praktiken mehrsprachiger Individuen konsequent zu beobachten. Feldstudien, die Translanguaging-Praktiken im Kontext mehrsprachiger Kindertageseinrichtungen empirisch erfassen und dokumentieren, wurden in den letzten Jahren in den USA (García 2011b) und darüber hinaus in Frankreich (vgl. Hélot/ O’Laoire 2011; Latisha/ Young 2017), Israel (vgl. Schwartz/ Asli 2014, Schwartz et al. 2023), der Schweiz (Neumann/ Kuhn/ Tinguely/ Brandenberg 2015), in Luxemburg (vgl. Kirsch 42 2 Translanguaging: Mehrsprachigkeit im Erwerb und Gebrauch <?page no="43"?> 2017) und in Deutschland (Panagiotopoulou/ Hammel 2020, 2023; Winter 2022) durchgeführt. Ausgewählte Befunde dieser Feldstudien sind für eine Neuorientierung frühpädagogischer Praxis und einer Wende zur Mehrsprachigkeit beson‐ ders relevant: a. Die authentische Kommunikation mehrsprachiger Kinder ist besonders ertragreich, denn sie fördert den Dialog in „transglossic situations“ (Kirsch 2017: 160). Kinder nehmen dabei, sowohl monolingual als auch translingual handelnd, neue sprachliche Elemente in ihr Repertoire auf, passen diese kreativ an und setzen sie strategisch ein, um ihre (kommunikativen) Ziele im pädagogischen Alltag zu erreichen (Winter 2022: 120ff). b. Mehrsprachige Kinder werden als „translinguals“ (Canagarajah 2013: 8) angesehen und als kompetente Lernende anerkannt, ihr sprachliches Handeln wird zum Ausgangspunkt pädagogischen Handelns. Das be‐ deutet: Nicht die Kinder, sondern die Pädagoginnen und Pädagogen passen folglich ihren Sprachgebrauch an, um der Logik des translingu‐ alen Lernens folgend (siehe Kapitel 2.1), den Mehrspracherwerb der Kinder zu unterstützen (vgl. Neumann, Kuhn, Tinguely, Brandenberg 2015: 25; Panagiotopoulou/ Hammel 2020). c. Der Gebrauch aller im Alltag der Kindertageseinrichtung vorhandenen sprachlichen Ressourcen bedeutet für Kinder keine Überforderung. So können z. B. neben anerkannten Sprachen, wie Englisch und Spanisch, auch Zeichensprachen zum Einsatz kommen, die ebenfalls von den Kin‐ dern verwendet und dadurch gelernt werden und zur Kommunikation im pädagogischen Alltag beitragen (vgl. Garrity/ Aquino-Sterling/ Day 2015). d. Die Verwendung aller Sprachen und Register, die Kinder mit in die Institution bringen, dekonstruiert die üblichen sozialen Hierarchien: zum Beispiel zwischen Englisch und Spanisch (vgl. García 2011b, Garrity/ Aquino-Sterling/ Day 2015), Arabisch und Hebräisch (vgl. Schwartz/ Asli 2014), Deutsch und Französisch (Neumann, Kuhn, Tin‐ guely, Brandenberg 2015) oder Deutsch und Arabisch oder Türkisch (Panagiotopoulou/ Hammel 2023). Dies hat eine besondere Bedeutung für die Beteiligung aller Kinder an ihrer eigenen Identitätsbildung. So schreibt beispielsweise Garcia: „children construct their own hybrid linguistic and cultural identities“ (García 2011b: 44) bzw. Kinder mit 2.4 Translanguaging in der frühpädagogischen Praxis 43 <?page no="44"?> unterschiedlichem „linguistic and cultural background […] construct integrated language identities“ (ebd.: 54). e. Die sprachseparierende Praxis seitens der pädagogischen Fachkräfte wird durch die Sprachpraxis junger Kinder irritiert oder sogar dekonstruiert: „Despite the strict linguistic compartmentalization […], the children cross these boundaries daily, sometimes multiple times during the day“ (García 2011b: 41). Kinder orientieren sich dabei an der jeweiligen Situation und/ oder Gesprächspartner*innen und handeln abwechselnd ein- oder mehrsprachig bzw. translingual (vgl. Kirsch 2017; Panagiotopoulou/ Hammel 2020). f. Durch Praktiken des Translanguaging im frühpädagogischen Alltag beginnt auch die frühe Einführung in die (mehrsprachige) Welt der Schriftlichkeit und somit in die Weltliteratur (vgl. Hélot 2011; Winter 2022). Wenn beispielsweise in einer Sprache vorgelesen wird, während das Vorgelesene in eine weitere Sprache übersetzt oder mehrsprachig kommentiert wird (vgl. Latisha/ Young 2017), erfahren alle (angehenden) mehrsprachigen Kinder, dass Mehrsprachigkeit auch mit Mehrschrift‐ lichkeit zusammenhängt (siehe Kapitel 3). Fragen und Aufgaben 1. Definieren Sie die Begriffe Standardsprache und Sprachvarietät sowie Mehrheitssprache vs. Minderheitensprache (majority vs. mi‐ nority language) mithilfe linguistischer (nicht nur deutschsprachi‐ ger) Lexika. Geben Sie Beispiele für die Hierarchisierung von (Fremd-)Sprachen z. B. Englisch und Russisch im Kontext von national verfassten Bildungssystemen sowie über das unterschied‐ liche Prestige der Varietäten einer (Landes-)Sprache (z. B. des Deutschen in Nord-, Süd- oder Ostdeutschland). Welche Rolle spielen diese sozialen Unterschiede im Kontext der KiTa bzw. der ersten Bildungsinstitution, in der Kinder und ihre Familien Erfahrungen mit der institutionellen Sprachenpolitik sammeln? 2. Führen Sie Gespräche mit mehrsprachig lebenden Eltern über ihre Kinder: Mit welchen Einstellungen aber auch Vorurteilen werden sie in der Nachbarschaft, in der Kindertageseinrichtung, in ihrem Bekanntenkreis, in der eigenen Familie etc. bezüglich des 44 2 Translanguaging: Mehrsprachigkeit im Erwerb und Gebrauch <?page no="45"?> Mehrspracherwerbs und der mehrsprachigen Entwicklung ihrer Kinder konfrontiert? 3. Befassen Sie sich mit folgendem Ausschnitt aus einem Interview mit einer Erzieherin an einer Deutschen Schule in Montreal (Kanada) und versuchen Sie zu rekonstruieren, welche Maximen einer Translanguaging-Pädagogik (siehe unter Kapitel 2.4) damit zum Ausdruck gebracht werden: „Die Kinder sprechen mit mir Deutsch, drehen sich um, sprechen mit der Mutter Französisch und mit dem Freund Englisch. Es gibt aber auch Kinder, denen ist gar nicht bewusst, welche Sprache sie gerade sprechen, dann kann ich sagen „… welche Sprache sprichst du denn zu Hause“ und dann kommt die Antwort „Je parle anglais“ […]. „Und wenn ich ein Kind auf Deutsch anspreche und es antwortet mir auf Englisch oder Französisch, akzeptiere ich das genauso, ich bemerke an der Antwort hat es meine Frage verstanden, und das ist für mich wichtig; also die werden nicht forciert ‚Ihr müsst Deutsch sprechen‘ sondern wir lassen jedem Kind individuell seine, sein Lerntempo; (…) ich hatte ein Kind das kam, ‚Frau Esser ich habe zu Hause eh deep deep, was heißt deep‘, und da sag ich ‚ein Tief ‘. ‚Frau Esser ich habe zu Hause ein tiefes, tiefes‘, gleich richtig konjugiert [dekliniert] gehabt, und ‚what is a hole‘; na sage ich ‚ein Loch‘ und dann ging‘s wieder von vorne los und dann noch ein drittes Wort gefragt und das in ein Satz, deswegen; also wir setzen uns auch nicht hin und machen ‚Du musst das so und so machen‘.“ Ausschnitt aus einem Interview im Rahmen eines international vergleichenden Forschungsprojektes über Mehrsprachigkeit und pädagogische Professionalität (vgl. Panagiotopoulou/ Rosen 2015a; Panagiotopoulou 2017). 4. Befassen Sie sich in Gruppen mit folgenden zwei Thesen und versuchen Sie diese zu belegen oder zu revidieren: Das Konzept „translanguaging pedagogy“ soll dazu beitragen, dass Mehrsprachigkeit im Kontext von Bildungssystemen nicht defizitär betrachtet wird und dadurch zur Bildungsgerechtigkeit führen (vgl. García 2009, 2011a; García / Flores 2012). 2.4 Translanguaging in der frühpädagogischen Praxis 45 <?page no="46"?> Laut García und Li Wei (2014: 52) handelt es sich beim Trans‐ languaging um einen pädagogischen Ansatz, der in allen ein- oder mehrsprachigen Lerngruppen und von allen pädagogischen Fachkräften, unabhängig davon, ob diese ein- oder mehrsprachig leben, umgesetzt werden kann. 46 2 Translanguaging: Mehrsprachigkeit im Erwerb und Gebrauch <?page no="47"?> 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit von Anfang an Während die zweieinhalbjährige Lena mit ihrer Großmutter, die in Griechenland lebt, telefoniert, blättert sie ein Bilderbuch durch, zeigt auf einzelne Bilder und kommentiert mit Begeisterung: „kita, jaja, puli“ [guck, Oma, Vogel] oder „kita edo, luludi“ [guck da, Blume]. Dabei geht Lena offensichtlich davon aus, dass ihre Großmutter die Bilder ebenfalls sehen kann. Diese reagiert auch entsprechend, da sie Lenas Äußerungen bestätigt und sie anschließend fragt, welche Bilder sie noch sieht. Bei ihrem Dia‐ log handeln Lena und ihre Großmutter ausschließ‐ lich monoligual-griechisch. Gleichzeitig wendet sich Lena immer wieder an ihre anwesenden Eltern und handelt dann monolingual-deutsch, aber auch translingual, indem sie zum Beispiel sagt: „Papa, guck mal, petaluda! “ [Schmetterling]. (Ausschnitt aus der Fallstudie ‚Lena‘: Beobachtung in Lenas Familie, Protokoll: Panagiotopoulou) <?page no="48"?> 3.1 Frühe Literacy-Praktiken mehrsprachiger Kinder: von der Bilderbuchbetrachtung zur Verschriftlichung erster Sätze Der Terminus „Literacy“ wurde in den deutschdidaktischen Fachdiskurs durch die internationalen Vergleichsstudien PISA und IGLU, die die Lese‐ kompetenz von Schülerinnen und Schülern erfassten, integriert und wird heute teilweise als Synonym der Begriffe „Literalität“ und „Schriftlichkeit“ verwendet. Die Ergebnisse dieser Studien lenkten die Aufmerksamkeit auf erfolgreiche(re) Bildungssysteme, die schriftsprachliche Erfahrungen - an‐ ders als das deutsche Bildungssystem - bereits vor der Schule systematisch ermöglichen (vgl. Hortsch/ Panagiotopoulou 2011). Im Kontext frühpädago‐ gischer Diskurse wurde die Rolle der Kindertageseinrichtungen und der Familien als Orte der Lesesozialisation bzw. der frühen Leseförderung oder der Literacy-Erziehung hervorgehoben (Füssenich/ Geisel 2008; Ulich 2003). Das „Literacy-Konzept“ (Wieler 2003) hat sich im deutschsprachigen Fachdiskurs insbesondere durch die konzeptionellen Überlegungen zur frühkindlichen „Literacy-Erziehung“ nach Ulich (2003) etabliert. Auf Ulichs Konzept bezieht sich auch Füssenich, um die Bedeutung und Funktion von Schrift „mit Blick auf die frühkindliche Lesesozialisation“ zu erläutern, ohne dabei den deutschen Begriff „Literalität“ aufzugeben (Füssenich 2011: 6). Bezogen auf eine frühkindliche Bildung, die auch Mehrsprachigkeit als Ziel implementiert, ist der Begriff „Literacy“ anschlussfähiger, um auch im deutschsprachigen Diskurs international bedeutsame Konzepte zur För‐ derung von „Literacies“ oder „Multiliteracies“ (vgl. Wildemann 2013: 97) zu berücksichtigen. Laut Gee können insbesondere mit der Pluralform „Literacies“ mehrsprachige Praktiken von Individuen beschrieben werden: „Each of these literacies is tied to a particular set of uses“ (2012: 72f.). So wird beispielsweise die (Schrift-)Sprache der Mehrheitsgesellschaft Be‐ hörden und Bildungsinstitutionen zugeordnet, während die Schriftsprache innerhalb einer (Buch-)Religion mit einer der weiteren Familiensprachen zusammenhängt. Auch Li Wei, Mc Entee-Atalianis und Lorch beschreiben „Literacy“ als „Multimodality“ und beziehen sich dabei ebenfalls auf die Pluralform „Literacies“: „Literacy, according to Gee (…) should be conceived as being multiple, or comprising different literacies“ (2014: 130). Anhand des Textlesens erklären sie die Vielfalt an Literacy-Praktiken, da wir beispiels‐ weise einen Roman auf eine andere Weise als ein Kochrezept lesen: 48 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit von Anfang an <?page no="49"?> 5 Der Begriff „Bildungsferne“ ist aus mehreren Gründen problematisch, u. a. wird damit das Fehlen der (deutschen) Bildungssprache gemeint, was wiederum die gelebte Mehr‐ schriftlichkeit in mehrsprachigen Familien nicht berücksichtigt. This sociocultural approach to literacy has come to be known as the New Literacy Studies, which emphasize studying language-in-use and literacies within their contexts of social practice. (ebd.) Auch im deutschsprachigen Raum wird bis heute ein mehrdimensionaler „erweiterter Literacy-Begriff “, der auch Mehrsprachigkeit bzw. „Multilitera‐ lität“ berücksichtigt, favorisiert (Wildemann 2013: 97). Die Übersetzung von Literacy als „Lese- und Schreibkompetenz“ wurde bereits im Anschluss an die erste Pisa-Studie im deutschdidaktischen Diskurs als nicht breit genug und eindimensional kritisiert (vgl. z. B. Wieler 2003: 47). Im frühpädagogi‐ schen Diskurs verbreitete sich bereits 2003 ein breiter Literacy-Begriff, der in Anlehnung an Ulich (früh-)kindliche Erfahrungen und Fähigkeiten „rund um die Buch-, Erzähl-, Reim- und Schriftkultur“ umfasste (Ulich 2014: 288). Dazu zählen zum Beispiel sowohl Erzählkompetenz als auch Erzählfreude sowie Buchstabenkenntnis und phonologische Bewusstheit, aber auch das allgemeine Textverständnis von (Vorschul-)Kindern. Vor allem geht es bei diesem Konzept um die Berücksichtigung der individuellen Vorstellungen und Zugriffsweisen, da Kinder, die in literalen Gesellschaften aufwachsen, sich auf dem Weg zur Schrift und Schriftlichkeit befinden, lange bevor sie eine Schule besuchen (vgl. Füssenich 2011: 6). Übertragen auf mehrsprachig lebende Kinder, lässt dieses breite Verständnis die Annahme zu, dass in deren Familien sprachenübergreifende Sozialisationsbedingungen vorherrschen. Dies impliziert, dass entsprechende Vorgehensweisen, Vorstellungen und Praktiken in und mit mehreren Sprachen zu erwarten sind, die jedoch in Kindertageseinrichtungen kaum Berücksichtigung finden (vgl. Panagioto‐ poulou/ Uçan 2023). Vorausgesetzt, dass mehrsprachiges Aufwachsen nicht pauschal mit einer angeblichen Bildungsferne 5 gleichgesetzt wird, ist anzunehmen, dass alle mehrsprachigen Kinder in Interaktion mit ihren Bezugspersonen auch auf der Ebene der Schriftlichkeit vielfältige Erfahrungen sammeln und ent‐ sprechende Kompetenzen entwickeln (können). Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ihre Eltern und älteren Geschwister translingual han‐ deln, indem sie z. B. eine SMS oder eine E-Mail verfassen, oder wenn sie Einkaufslisten diktieren oder laut vorlesen und kommentieren, beispiels‐ weise Internetnachrichten aus unterschiedlichen Ländern oder eine Ge‐ 3.1 Frühe Literacy-Praktiken mehrsprachiger Kinder 49 <?page no="50"?> schichte vorlesen, um anschließend das Erzählte translingual zu besprechen. Diese mehrsprachigen familialen Praktiken werden selten empirisch erfasst und in der deutschsprachigen Fachdiskussion zur frühkindlichen Literacy- Sozialisation oder in einschlägigen Bildungsprogrammen und konzeptionellen Überlegungen kaum thematisiert. Ethnographische Beobachtungen, wie sie in den „‘emergent literacy‘-Stu‐ dien“ u. a. im Sammelband von Schieffelin und Gilmore (1986) dokumentiert wurden, konnten laut Wieler (2003: 50) dazu beitragen, dass die spezifische Ausprägung der familialen Literacy-Praxis aus der Perspektive der Betei‐ ligten rekonstruiert wurde. Eine ethnographische Forschungsperspektive sei von Bedeutung, weil auch im deutschdidaktischen Diskurs „Indizien für die frühe Aneignung eines Spektrums ‚literaler Praktiken‘ […] als wichtige Voraussetzungen des Lesenlernens“ gelten (ebd.: 51, Hervorhebung i. O.). Feldstudien könnten außerdem dazu beitragen, das Ideal einer mo‐ nolingualen Einführung in die Welt der Schriftlichkeit zu hinterfragen, die deutschsprachige Fachdiskussion zu bereichern und eine konzeptio‐ nelle Verknüpfung zwischen frühkindlicher Mehrsprachigkeit und Literacy- Erziehung in Kindertageseinrichtungen zu erreichen. Der zu Beginn des Kapitels präsentierte Ausschnitt aus einer ethnogra‐ phischen Beobachtung im Kontext einer deutsch-griechischsprachigen Fa‐ milie soll exemplarisch illustrieren, wie Ein- und Mehrsprachigkeit sowie Mündlichkeit und Schriftlichkeit in alltäglichen Interaktionen der Familienmitglieder nicht dichotomisch existieren, sondern ineinander verwoben sind. Es handelt sich bei diesem Beispiel um eine dialogische Betrachtung eines Bilderbuches, die mündlich und schriftlich sowie mehrsprachig reali‐ siert wird. An der konkreten Situation sind die zweieinhalbjährige Lena, ihre Griechisch sprechende Großmutter, die nicht in Deutschland lebt, sowie ihre Deutsch-Griechisch sprechenden Eltern beteiligt. Um effektiv zu kommunizieren, passt Lena ihr sprachliches Handeln der jeweiligen Person, die sie adressiert, situativ an, mit dem Ergebnis, dass sie konsequent monolingual-Griechisch am Telefon mit der Großmutter und zugleich mo‐ nolingual-Deutsch und parallel dazu translingual Deutsch-Griechisch mit ihren Eltern, die anwesend sind, spricht. Auf diese Weise bewältigt Lena eine translinguale (und in diesem Fall, bedingt durch die Migrationsgeschichte der Familie, auch translokale) Alltagssituation, die aus ihrer Perspektive als Normalität zu deuten ist. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte Lena mehrfach Erfahrungen mit teilweise per Telefon oder Skype realisierten Treffen mit weiteren Familienmitgliedern gesammelt, die in Griechenland oder 50 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit von Anfang an <?page no="51"?> Kanada lebten. Lena konnte auf diese Weise wiederholt erfahren, dass ihre weiteren Bezugspersonen, d. h. ihre Großeltern, ihre Tanten, Onkel und deren Kinder, zwar kein Deutsch, aber dafür andere Sprachen, wie Englisch und Französisch, und vor allem die gemeinsame Sprache Griechisch spra‐ chen. Die an der hier präsentierten Situation beteiligte Großmutter hat für Lena regelmäßig griechische Kinderlieder gesungen, Märchen erzählt oder vorgelesen und Bilderbücher gemeinsam mit ihr per Skype, aber auch, wie oben beschrieben, telefonisch betrachtet. Parallel dazu sammelte Lena schriftkulturelle Erfahrungen nicht nur mit ihren Eltern, sondern auch in der KiTa, die sie bereits als Einjährige besuchte. In Anlehnung an das hier beschriebene breite Verständnis von Literacy bzw. Literacies hat Lena Erfahrungen rund um eine mehrsprachige Reim-, Buch-, Erzähl- und Schriftkultur sammeln und entsprechende Kompetenzen entwickeln können. Frühkindliche Erfahrungen mit Mehrschriftlichkeit basieren folglich auf einer sprachenübergreifenden Verflechtung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Kontext von multilingualen Familien sowie im Rah‐ men von (multi-) literalen Gesellschaften. Einige Facetten dieser Komplexität der - auch schriftkulturell geprägten - Sprachwelten junger Kinder werden im Folgenden anhand weiterer Bei‐ spiele aus der Fallstudie Lena illustriert. Durch den nächsten Protokollaus‐ schnitt aus einer Beobachtung, die ca. drei Monate später stattgefunden hat, lässt sich ein Einblick in das schriftkulturelle Wissen mehrsprachiger Kinder gewinnen: Lena möchte noch mehr Milch ins Glas gießen. Lenas Großmutter erklärt ihr (auf Griechisch), dass das Glas bereits voll sei. Lena zeigt auf die Milchpackung und betont (auf Griechisch): „Hier steht: mehr Milch! “ (Ausschnitt aus einer Beobachtung in Lenas Familie, Protokoll: Panagiotopoulou) Der Begriff „Mehrschriftlichkeit“ meint „die schriftliche Ausdrucksfähig‐ keit“ in mehreren Sprachen und wurde in Anlehnung an den englischen Terminus „multiliteracy“ definiert (Riehl 2014: 121). Dass Mehrsprachigkeit in der Regel auch mit Mehrschriftlichkeit oder „Mehrschriftigkeit“ (Maas 2008, 2021) zusammenhängt und dass mehrsprachige Erwachsene geschrie‐ bene Texte in mehreren Sprachen verwenden können, erfahren Kinder im besten Fall sowohl durch ihre Sozialisation in der Familie als auch durch entsprechende Angebote in der KiTa. So wusste auch Lena bereits zu diesem Zeitpunkt, dass diejenigen, die kein Deutsch mündlich verwendeten, auch keinen deutschen Text entziffern konnten. Dieses Wissen nutzt sie 3.1 Frühe Literacy-Praktiken mehrsprachiger Kinder 51 <?page no="52"?> in der hier geschilderten Situation pragmatisch adäquat und argumentativ passend. Lena bezieht sich nämlich auf einen von ihr erfundenen Text, der angeblich auf der Milchpackung steht und den sie ins Griechische zu übersetzen vorgibt: „Hier steht: mehr Milch! “. Damit ist anzunehmen, dass Lena bereits über das schriftkulturelle Wissen verfügt, dass etwas Geschrie‐ benes prinzipiell Gültigkeit beansprucht. Darüber hinaus weiß sie auch, dass eine nicht deutschsprechende Person (hier: ihre Großmutter) nicht überprüfen kann, was der auf einer Milchpackung gedruckte (deutsche) Text tatsächlich bedeutet. In der konkreten Situation nutzt Lena dieses sprachbzw. schriftkulturelle Wissen, um ihr Ziel zu erreichen und noch mehr Milch zu bekommen, als ihr eigentlich erlaubt ist. Zwei weitere Beispiele zeigen, wie mehrsprachige Kinder auch beim be‐ ginnenden Schriftspracherwerb quer durch Sprachen und Sprachvarietäten hindurch handeln, um effektiv (schriftlich) zu kommunizieren. Sobald Lena anfing, erste Wörter in Laute zu zergliedern und diese mit Buchstaben zu verbinden, implementierte sie Elemente aus ihrem gesamten Sprachen‐ repertoire, u. a. aus dem in der KiTa verwendeten Regiolekt (siehe hierzu auch Kapitel 2): „Ich schreibe“, kündigte heute Lena (5; 6) erneut an, während sie sich ein Blatt Papier nahm. Sie verschriftete, wie immer flüsternd und zugleich lautierend, ihren eigenen Namen, dann die Namen ihrer Freundinnen und Freunde (z. B. „EVA“, „LEO“) anschließend die Wörter „MAMA“ und „PAPA“ sowie das griechische Wort „BABA“ mit lateinischen Buchstaben. Während sie den Großbuchstaben T schrieb, fragte sie plötzlich: „Wie geht ein Ü? “. „Was möchtest du schreiben? “, wollte ich wissen. „Tüsch! “ antwortete Lena. (Ausschnitt aus einer Beobachtung im KiTa-Alltag, aus der Fallstudie ‚Lena‘; Protokoll: Panagiotopoulou) Auch Kinder, die formell als einsprachig gelten, orientieren sich bei ihren ersten Schreibversuchen an ihrer eigenen Aussprache. Deswegen werden nicht nur Wörter der standardisierten Varietät des Deutschen schriftlich festgehalten (zum Schriftspracherwerb einbzw. deutschsprachiger Kinder vgl. Brügelmann 1994; Dehn/ Hüttis-Graff 2013). Die mehrsprachige Lena hat darüber hinaus auch griechische Wörter, hier z. B. die Bezeichnung für „Papa“, zunächst mit dem lateinischen (und erst später auch mit dem griechischen) Alphabet verschriftet. Lena hat kurz vor ihrer Einschulung, wie sie selbst kommentierte, ihren ersten griechischsprachigen Satz „auf Deutsch geschrieben“, wohl wissend, dass nicht nur eine Art der Verschrift‐ 52 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit von Anfang an <?page no="53"?> 6 Berendes, Dragon, Weinert, Heppt und Stanat (2013: 19f.) definieren den Begriff „Bil‐ dungssprache“ u. a. im Zusammenhang mit einem hohen „Maß an konzeptioneller Schriftlichkeit (Orientierung an der Schriftsprache)“ in Anlehnung an Koch/ Oesterrei‐ cher (1985). lichung oder nur ein Schriftsystem existiert. Es handelte sich dabei um ein an ihre Eltern gerichtetes Statement, welches wie folgt lautete: „i LENA KALOPESAKI“ [übersetzt: „die Lena [ist ein] nettes kleines Kind“; siehe Abbildung]. Abb. 1: Lenas erster Satz, den sie wie folgt kommentierte: „Ich habe Griechisch, auf Deutsch geschrieben! “ Einige Kinder verfügen „bereits im Elementarbereich über beeindruckende schriftsprachliche Fähigkeiten“ (Füssenich 2011: 10). Mehrsprachig auf‐ wachsende Kinder können solche Fähigkeiten quer durch Sprachen und Sprachvarietäten hindurch entwickeln, wenn ihnen dafür die Möglichkeit in der Familie und/ oder der KiTa gegeben wird. Ihre dabei entwickelten Zugriffsweisen, Vorstellungen und Praktiken werden aber kaum registriert oder als Kompetenzen anerkannt (vgl. Panagiotopoulou/ Uçan 2023). Viel‐ mehr wird eine mehrsprachige Sozialisation heute noch mit ‘fehlenden’ schriftsprachlichen Erfahrungen und Kompetenzen in Verbindung gebracht. 3.2 Über (‘fehlende’) Literacy-Erfahrungen junger Kinder aus zugewanderten Familien Frühkindliche Erfahrungen mit medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit (vgl. Koch/ Oesterreicher 1985) werden, wie bereits erläutert, im Anschluss an internationale Vergleichsstudien als wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schriftsprachentwicklung angesehen, die auch im mündlichen Bereich, zum Beispiel beim Erzählen einer kohärenten Geschichte, rele‐ vant sind. 6 In der (früh-)pädagogischen und deutschdidaktischen Fachdis‐ kussion wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern Kinder, die Deutsch als 3.2 Über (‘fehlende’) Literacy-Erfahrungen junger Kinder 53 <?page no="54"?> Zweitsprache erwerben, vergleichbare schriftsprachliche Fähigkeiten wie einsprachige Kinder entwickeln. Des Weiteren wurde postuliert, dass der behauptete Mangel an Kompetenzen mehrsprachiger Kinder in Zusammen‐ hang mit ihren familialen Sozialisationsbedingungen steht. Bereits im Jahre 1998 nahm Rachner Bezug auf die Annahme, dass es einen Unterschied hinsichtlich der Schriftlichkeitserfahrungen von Vor‐ schulkindern mit und ohne Migrationsgeschichte gebe. Aufgrund seiner Beobachtungen ließen sich aber in der Haltung von aus der Türkei mi‐ grierten Eltern gegenüber den frühen Lese- und Schreibversuchen ihrer Kinder keine prinzipiellen „kulturbedingten“ Besonderheiten erkennen (vgl. Rachner 1998: 132). Allerdings konnte er feststellen, dass türkeistämmige Eltern in Bezug auf beide Sprachen bereit waren, auf die Schreib- und Leseversuche ihrer Kinder einzugehen. Somit kam Rachner zu dem Ergebnis, dass Vorschulkinder aus deutsch-türkisch-sprachigen Familien sowohl mit türkischals auch mit deutschsprachiger Schriftlichkeit Literacy-Erfahrun‐ gen sammeln könnten (vgl. ebd.). Seine Argumentation stellte zu jener Zeit eine Ausnahme dar, denn in deutschdidaktischen Fachdiskursen überwogen eher skeptische Deutungen gegenüber der - unterstellten, aber empirisch kaum geprüften - fehlen‐ den schriftkulturellen Alltagspraxis im Kontext zugewanderter Familien. Beispielsweise nahm Siebert-Ott (1998: 170) im Rahmen ihrer Publikation über „Probleme des Schriftspracherwerbs bei Kindern aus zugewanderten Sprachminderheiten“ auf der Grundlage der konzeptionell mündlich reali‐ sierten Texte eines deutsch-griechisch-sprachigen Grundschülers an, dass seine Schreibstrategien auf fehlende Literalitätserfahrungen zurückzufüh‐ ren seien bzw. mit der „Orientierung des Kindes und seiner Familie an einer tendenziell durch Mündlichkeit geprägten Kultur“ zusammenhingen. Davon ausgehend stellte Siebert-Ott die Hypothese auf, dass mehrsprachige Kinder „andere“ Erfahrungen mit Schrift und Schriftlichkeit in der Familie machen als monolingual deutschsprachige Kinder aus nicht zugewanderten Familien. Auf der Grundlage einer fast dichotomischen Unterscheidung von Erziehungs- und Sozialisationsbedingungen im Kontext von Familien mit und ohne Migrationsgeschichte formulierte sie folgende Forschungs‐ frage: „Werden andere Erfahrungen mit Schrift und Schriftlichkeit in der Sprachminderheit weitergegeben als die für unseren westlichen Kulturkreis charakteristischen? “ (Siebert-Ott 1998: 171). Die angenommenen „charak‐ teristischen“ Schrifterfahrungen eines (hier als homogen verstandenen) 54 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit von Anfang an <?page no="55"?> deutschen bzw. „westlichen“ Kulturkreises wurden allerdings nicht weiter erläutert. Die latent hierarchisierende Betrachtung der in Deutschland lebenden Angehörigen von „Sprachminderheiten“ und von ‚nicht westlichen‘ sowie ‚eher mündlich orientierten Kulturen‘ war zu jener Zeit im Fachdiskurs keine Ausnahme. In einer weiteren Publikation aus dem Jahr 1998 wurde der „westliche“ Kulturkreis sogar als „westdeutscher“ präzisiert, „Westdeutsche“ als „stärker literal orientierte Menschen“ definiert - und im Kontrast dazu stünden „Arbeitsmigranten“, aber auch „Ostdeutsche“, Menschen, die „weit stärker einer oralen Tradition verhaftet“ seien (vgl. Steinig 1998: 23f.; zur kritischen Betrachtung dieser Argumentation vgl. Panagiotopoulou 2002). Unterscheidungen zwischen einerseits westlichen, schriftlich orientie‐ rten und deswegen angeblich modernen und andererseits vormodernen mündlich orientierten Kulturen und Sprachgemeinschaften sind auch im englischsprachigen Diskurs weit vertreten. Allerdings werden sie in den letzten Jahren zunehmend stark kritisiert. Insbesondere in neueren sozio‐ linguistischen Publikationen wird retrospektiv auf diesen defizitären Blick hingewiesen: „Literacy has been argued to be the basis of a ‚great divide‘ between cultures: ‚oral cultures‘ versus ‚literate cultures‘. Literacy is suppo‐ sed to be the sine qua non of ‚modern‘, ‚sophisticated‘, ‚complex‘ cultures“ (Gee 2012: 63). Inwieweit lernförderliche Literacy-Praktiken nur oder „vor allem in Familien der mittleren sozialen Schicht“ beobachtbar sind, wie Wieler (2003: 51) vor fast fünfzehn Jahren schrieb, ist in Deutschland noch nicht aus‐ reichend empirisch überprüft. Zu diesem Zeitpunkt wurden Eltern aufgrund ihrer Vorlesepraktiken in Interaktion mit ihren vierjährigen Kindern zwei verschiedenen Gruppen zugeordnet: der Gruppe der bildungsorientierten oder „akademischen“ versus der Gruppe der „bildungsfernen“ Familien (ebd.: 57). Hier stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien Eltern, die Vorlesungspraktiken entwickeln bzw. ihren Kindern regelmäßig vorlesen, als ‚bildungsfern‘ charakterisiert werden können. Die Ausführungen der Autorin deuten darauf hin, dass sie familiale Vorlesepraktiken, die sie als didaktisch wertvoll erachtete, auch als bildungsnah kategorisierte. So schreibt sie weiter, dass „diese Differenz im Vergleich“ eines „Vorlesebei‐ spiels aus einer ‚Akademikerfamilie‘ mit der (…) Dialogsequenz aus einem bildungsfernen Familienkontext“ anschaulich wird: Letztere versuche, kei‐ nen „intensiven dialogischen Austausch über literalische und alltägliche Erfahrung“ zu erreichen, sondern „lediglich die Aufmerksamkeit des Kindes 3.2 Über (‘fehlende’) Literacy-Erfahrungen junger Kinder 55 <?page no="56"?> 7 Eine differenzierte Deutung solcher Rituale ist jedoch unerlässlich, da die beobachtete Praxis auch als eine bewusste Strategie der Eltern interpretiert werden kann, jungen Kindern das „Zuhören“ während einer Vorlesesituation beizubringen. Obgleich diese Strategie möglicherweise nicht als besonders effektiv zu bewerten ist (zumindest bei vierjährigen Kindern), kann sie dennoch keinesfalls als „bildungsfern“ (ebd.) abgewertet werden. zu sichern“; dem Kind werde so „die Rolle des ‚stillschweigenden Zuhörers‘“ zugewiesen (ebd.). 7 Unterschiede zwischen familialen Erfahrungen und Kompetenzen auf‐ grund ihres einsprachigen versus migrationsbedingt mehrsprachigen All‐ tags wurden lange nicht nur von Forscher: innen, sondern auch von päda‐ gogischen Fachkräften unterstellt. Dazu hat Blackledge bereits im Jahre 2000 ein prägnantes Beispiel aus Großbritannien aufgrund langjähriger Studien über „home literacy practices“ in zugewanderten Familien dokumentiert. Er hat mehrsprachige Eltern bzw. Mütter aus Bangladesch interviewt, die ihren Kindern bewusst und systematisch sogar Lesen und Schreiben zu Hause beibrachten, aber von den Lehrkräften ihrer Kinder als „illiterate“ bezeichnet wurden (Blackledge 2000: 36). Blackledge stellte damals auf der Grundlage seiner Ergebnisse fest, dass nur die „literacy practices“ der britischen Mit‐ telschicht als bildungsrelevant akzeptiert wurden. Die Überzeugungen und Praktiken der in mehreren Sprachen alphabetisierten Mütter stimmten nicht mit der monolingualen Ideologie und den monolingualisierenden Strategien des britischen Bildungssystems und der darin tätigen Pädagoginnen und Pädagogen überein: The language ideology of these women was plainly multilingual, both in their attitudes and in their practices. Yet they found themselves dealing with a school which, despite its explicitly positive attitudes to multilingualism, was revealed as a monolingual and monolingualizing institution. (ebd. 37f.) Bis heute scheint diese Problematik auch im deutschsprachigen Kontext zentral zu bleiben: Eltern, die nicht als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft bzw. der Ober- und Mittelschicht gelten, wird pauschal unterstellt, den An‐ forderungen der Bildungsinstitutionen, der Kindertageseinrichtungen und Schulen, nicht zu entsprechen (für einen empirisch fundierten Einblick in dieses internationale Themenfeld vgl. Betz/ Bischoff/ Eunicke/ Kayser/ Zink 2017). Eine defizitäre Betrachtung familialer Ressourcen wird häufig im Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status und/ oder der Migrati‐ onsgeschichte der Familien gesehen. Beispielsweise werden Eltern, die in 56 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit von Anfang an <?page no="57"?> der Türkei gelebt und dort die Schule besucht haben, paradoxerweise als bildungsfern, genauer gesagt als „buchfern“ charakterisiert: „Die Eltern von Emel können trotz des türkischen Abiturs der Mutter als buchfern bezeichnet werden“ (Kuyumcu/ Senyıldiz 2011: 114). Im Rahmen eines For‐ schungsprojektes zur Familiensprachenpolitik wurde ein Interview auf Dari mit Eltern einer seit Jahren in Deutschland lebenden geflüchteten Familie aus Afghanistan durchgeführt. Die Eltern berichteten, dass ihnen in der KiTa, die von ihrem Kind besucht wurde, pauschal unterstellt wurde, die deutsche Alltags- und Schriftsprache überhaupt nicht zu verstehen. Die pädagogischen Fachkräfte führten das Gespräch mit der Mutter der Familie in Form von grammatikalisch unvollständigen Sätzen oder mittels Gestikulation durch (vgl. Panagiotopoulou/ Uçan 2023) oder sie kommuni‐ zierten überhaupt nicht mit dem Vater und übergaben ihm stattdessen Informationsblätter, paradoxerweise auf Deutsch (Panagiotopoulou/ Samani 2024: 106). In diesem Zusammenhang berichtet der Vater wie folgt: „Wir hatten noch Fragen, die [Antworten darauf] haben wir ja dann selber herausgefunden. Aus diesen Dokumenten“ (ebd.: 107). Pauschalisierungen bezüglich fehlender Literacy-Praktiken in mehrspra‐ chig lebenden Familien finden sich nicht nur in der (früh)pädagogischen Praxis, sondern werden auch im (früh-)pädagogischen Fachdiskurs reprodu‐ ziert. Diese sollen auch die angeblich kaum vorhandenen ‘bildungssprach‐ lichen’ Praktiken und Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder erklären. 3.3 Über (‘fehlende’) ‘bildungssprachliche’ Fähigkeiten junger Kinder aus zugewanderten Familien Der Begriff „Bildungssprache“ wird zwar in deutschsprachigen Fachdiskur‐ sen auch mit frühkindlichen sprachlichen und schriftkulturellen Fähigkeiten (vage) verknüpft. Er gilt aber insgesamt als „ein schwer zu operationalisie‐ rendes Konstrukt“, da empirische Daten zu möglichen „Zusammenhängen zwischen Bildungssprache und der sprachlich-kognitiven Entwicklung von Kindern“ sowie „spezifische Instrumente zur Erfassung bildungssprachli‐ cher Merkmale im Vorschul- und frühen Schulalter noch fehlen“ (Fornol, Heppt, Sutter, Hartinger, Rank 2015: 157). Laut Maas ist das „Konzept“ Bildungssprache „nicht sonderlich klar“ und es „suggeriert die elitäre ‚Bil‐ dung‘ des herkömmlichen (gymnasialen) Deutschunterrichts“ (2016: 82). 3.3 Über (‘fehlende’) ‘bildungssprachliche’ Fähigkeiten junger Kinder 57 <?page no="58"?> Konzeptionell nicht widerspruchsfrei begründet ist außerdem die Verbin‐ dung des deutschen Begriffs „Bildungssprache“ mit dem Konzept „Cognitive Academic Language Proficiency“, nach Jim Cummins (1979), und seiner Übersetzung mit dem Terminus „akademische Sprache“ (Fried 2009). Ein zentraler Widerspruch besteht darin, dass mit „Cognitive Academic Lang‐ uage Proficiency“ eine Kompetenz beschrieben wird, die durch schulischen Unterricht erworben werden soll, während im deutschsprachigen Raum dieses Sprachregister bzw. die „Bildungssprache“ als Voraussetzung für eine erfolgreiche schulische Bildung betrachtet wird. So wird der Erwerb der standardisierten deutschen Schriftsprache, der Unterrichtssprache Deutsch oder der sogenannten ‚Bildungssprache Deutsch‘ im deutschsprachigen Diskurs auf die familiale Sozialisation zurückgeführt: Es scheint dort zu funktionieren, wo vom Elternhaus entsprechende Sprachge‐ wohnheiten schon grundlegend sind und weiter verstärkt werden. Wo dies nicht der Fall ist, ist der Zugang zur Bildungssprache erschwert. (Reich 2013: 64) Wenn sich bei jungen Kindern „die akademische Sprache nicht altersent‐ sprechend entwickelt“, stellte auch Fried fest, wird dies „kurz-, mittel- und langfristig“ negative Konsequenzen „im Hinblick auf ihre Bildungs‐ chancen“ haben (Fried 2009: 38). Daher sollten Kinder vor der Einschulung im Kontext ihrer Familie und spätestens in der KiTa diesbezüglich ge‐ fördert werden. Konzeptionell mündliche Sprachverwendungspraxis, z. B. eine unvollständige oder parataktische Satzstruktur, Wortauslassungen und Wortwiederholungen etc., gilt als „Alltagssprache“ im Kontrast zur konzep‐ tionell schriftlichen und schulisch relevanten „Bildungssprache“: Schul- und bildungssprachliche Kompetenzen sind außerhalb von Lehr-Lern-Situ‐ ationen „nur unter besonders begünstigten Bedingungen, etwa einem für die entsprechenden Fähigkeiten förderlichen familiären Bildungsklima“, zu erwerben (Gogolin 2006: 245). Diese normativ gesetzte Abgrenzung des Unterrichtsregisters ‚Bildungs‐ sprache‘ von einer, unter Umständen auch sprachenübergreifend realisier‐ ten ‚Alltagssprache‘, ist zu hinterfragen, da Kinder und pädagogische Fachkräfte im KiTa-Alltag auch mehr- und quersprachig über abstrakte (Bildungs-)Inhalte kommunizieren können (vgl. List 2010; Panagiotopoulou 2016: 31ff.). Darüber hinaus ist nicht direkt von einer fehlenden Passung zwischen Familien und KiTa, sondern vielmehr von einer fehlenden An‐ schlussfähigkeit der Bildungsinstitutionen KiTa und Schule auszugehen, wenn sich herausstellt, dass Kinder das für die Schule notwendige Register 58 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit von Anfang an <?page no="59"?> nicht erwerben, obwohl sie eine Institution frühkindlicher Bildung besucht haben. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn Erfahrungen „rund um die Buch-, Erzähl- und Schriftkultur“ (Ulich 2014) auch im deutschsprachigen Post-Pisa-Diskurs als eine solide Grundlage für die (schrift-)sprachliche Lernentwicklung der Kinder und für alle weiteren schulischen Bildungs‐ prozesse gelten sollen. Ebenfalls kritisch anzumerken ist, dass in diesem Zusammenhang die Frage ausgeblendet wird, was es konkret und auch mit Blick auf die (schrift-)sprachliche Entwicklung junger Kinder bedeutet, mit und in mehreren (Schrift-)Sprachen frühzeitig Erfahrungen zu sammeln und entsprechende, z. B. metasprachliche Fähigkeiten zu entwickeln. For‐ schungsergebnisse, die zur Beantwortung dieser Frage dienen könnten, liegen noch nicht vor. Dies hängt auch damit zusammen, dass das mehrspra‐ chige Aufwachsen junger Kinder insgesamt ein weitgehend unerforschtes Gebiet bleibt. Darüber hinaus „wissen wir noch immer sehr wenig über den Aufbau schriftkultureller Fähigkeiten“ mehrsprachiger Kinder „im Migrati‐ onskontext“ (Maas, Mehlem, Schröder 2004: 140). Möglicherweise aufgrund fehlender Forschungsergebnisse über Familien und KiTas, die auch mehrsprachige Literacy-Erfahrungen ermöglichen, dominiert bis heute eine defizitorientierte Betrachtung der angeblich kaum vorhandenen oder nicht ausreichenden bildungssprachlichen Fähigkeiten junger Kinder. Kinder aus (neu) zugewanderten Familien werden dabei fast automatisch und ohne Berücksichtigung ihrer konkreten Sozialisationsbedingungen pauschal einer Risikogruppe zugeordnet. Diese stigma‐ tisierende Betrachtung erfolgt im Kontrast zu einer angeblich normalen, monolingualen Sozialisation im Kontext von einsprachigen Familien ohne Migrationsgeschichte. Somit werden die schrift- oder bildungssprachlichen Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder im Migrationskontext als norm- oder altersabweichend konstruiert und abgewertet. Aufgrund dieser Gruppenkonstruktionen stellt sich beispielsweise die Frage, wie lange mehrsprachige Kinder vor der Schule gefördert werden sollen, damit sie in der Schule vergleichbare bildungssprachliche Leistungen wie ihre einsprachigen Mitschülerinnen und Mitschüler erbringen können. In ihrem Beitrag zur „Förderung von Kindern mit Migrationshinter‐ grund im Elementarbereich“ stellt Gogolin beispielsweise fest, dass Kinder viel Zeit brauchen, bis sich ihre sprachlichen (und schriftsprachlichen? ) Fähigkeiten „nicht mehr“ von denen Einsprachiger unterscheiden (vgl. Gogolin 2008: 87). 3.3 Über (‘fehlende’) ‘bildungssprachliche’ Fähigkeiten junger Kinder 59 <?page no="60"?> Die Feststellung, dass zweisprachige Kinder schlicht mehr Zeit benötigen, um sich auf die einsprachige Schule vorzubereiten, blendet aus, dass es kaum empirische Analysen über die konkreten Probleme gibt, die einige Heranwachsende aus zugewanderten Familien „mit der etablierten Schule (und erst recht mit der traditionellen ‚Bildung‘)“ haben (Maas 2016: 82). Außerdem werden durch diesen pauschalen Vergleich die Sprachbiogra‐ phien von Kindern aus (neu) zugewanderten Familien und ihre bereits erworbenen (schrift-)sprachlichen Fähigkeiten negiert. Anders formuliert: Der Erwerb von Mehrsprachigkeit und Mehrschriftlichkeit erscheint als normabweichend, während die Sprachbiographie einsprachiger Kinder als Norm elaboriert wird (siehe auch Kapitel 4). Gleichzeitig belegten bereits vor fast zehn Jahren verschiedene Studien, dass migrationsbedingt mehrsprachige Grundschulkinder nicht verallge‐ meinernd als Risikogruppe zu betrachten sind. Interessant ist beispielsweise das Ergebnis, dass „in einigen Klassen die mehrsprachigen Schüler/ innen hinsichtlich des Gebrauchs der bildungssprachlichen Mittel besser […] als ihre einsprachigen Mitschüler/ innen“ abschneiden (Fornol/ Heppt/ Sut‐ ter/ Hartinger/ Rank 2015: 166). Die Forscherinnen und Forscher kommen‐ tieren dieses Ergebnis als „überraschend“, insbesondere angesichts der Darstellungen in der aktuellen Forschungsliteratur, „denn dort werden Schüler(innen) mit Zuwanderungshintergrund als besonders ‚gefährdete‘ Gruppe hinsichtlich des Erwerbs bildungssprachlicher Fähigkeiten einge‐ stuft“ (ebd.). Unter Berücksichtigung eines Überblicksartikels von Berendes, Dragon, Weinert, Heppt und Stanat (2013) - ziehen Fornol, Heppt, Sutter, Hartin‐ ger und Rank die Schlussfolgerung, dass die empirisch nicht geprüften, „theoretisch vermuteten, besonders ausgeprägten Leistungsnachteile von Kindern mit anderer Erstsprache als Deutsch bei der Verarbeitung von Bildungssprache“ (Fornol/ Heppt/ Sutter/ Hartinger/ Rank 2015: 159) durch die vorliegenden Studien nicht bestätigt werden können. Diese Studien haben eher gezeigt, „dass das Verständnis bildungssprachlich anspruchsvoller Texte auch für Kinder mit Deutsch als Erstsprache mit Herausforderungen verbunden ist“ (ebd.). Die Relevanz der frühkindlichen Bildung für die Entwicklung schriftkul‐ tureller Praktiken und Kompetenzen, die als bildungssprachlich bezeichnet werden, wurde im Rahmen einer weiteren Studie ebenfalls bestätigt: Bei der Betrachtung der „im Wesentlichen als bildungssprachlich deklarierten Sprachmerkmale im Kontext der kindlichen Sprachentwicklung“ wurde er‐ 60 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit von Anfang an <?page no="61"?> sichtlich, „dass Kinder diese bereits frühzeitig erwerben - und dies in einem natürlichen, nichtschulischen Umfeld“ (Wildemann, Rank, Hartinger, Sutter 2016: 69; Hervorhebung d. Panagiotopoulou). Darüber hinaus bestätigten sich durch diese Studie mittels Videoanalysen bereits vorhandene Ergeb‐ nisse über die Möglichkeit, auch in medial mündlichen Lernsettings konzeptionell schriftsprachliche Erfahrungen zu sammeln bzw. sogenannte bildungssprachliche Kompetenzen zu entwickeln: Es zeigt sich zunächst, dass auch im Vorschulalter und in einer medial mündlichen Situation bildungssprachliche Kompetenzen beobachtet und eingeschätzt werden können - dies lässt sich also sowohl aus der Spracherwerbsforschung als auch aus den eigenen Befunden ableiten. (ebd.: 77) Ein wichtiges Ergebnis betrifft schließlich die Bedeutung der institutionellen Bedingungen in der KiTa sowie die konkreten Bemühungen der pädagogi‐ schen Fachkräfte: Die beteiligten Kinder zeigten „teilweise erstaunlich hohe bildungssprachliche Kompetenzen“, die hauptsächlich mit der Qualität der pädagogischen Konzepte und deren Durchführung im pädagogischen Alltag zusammenhingen (vgl. ebd.). 3.4 Multi- und Pluriliteracy-Ansätze zur Förderung konzeptioneller Mehrschriftlichkeit im KiTa-Alltag Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im deutschsprachigen Raum sprachpädagogische Konzepte zum Anbahnen einer mehrsprachigen Lite‐ ralität oder Multiliteracy bereits vor der Schule eher selten sind (z. B. Schader 2000). Die frühkindliche Förderung von „Biliteralität“ (vgl. z. B. Hoppenstedt/ Apeltauer 2010) wird oft als eine kompensatorisch ausgerich‐ tete Vorbereitung von Kindern mit einem sogenannten ‚Migrationshinter‐ grund‘ auf die deutsche Schule konzipiert. Wildemann kritisiert, dass im deutschsprachigen Fachdiskurs „eine ausgeprägte Defizitorientierung“ vor‐ herrscht, sodass das „Konzept einer Multiliteralitätsförderung“ mit seinen didaktischen Prämissen nicht mit den weit verbreiteten Maßnahmen früh‐ kindlicher Sprachbildung übereinstimmt (2011: 282). Dabei erläutert sie ei‐ nerseits, dass „Literacy-Erfahrungen“ nicht auf das einsprachige Lesen- und Schreibenkönnen und „deren Vorformen (Preliteracy)“ reduziert werden können. Andererseits stellt sie fest, dass Literacy bzw. Mulitiliteracy „auch Fähigkeiten in der Erst- und Zweit- oder gar Drittsprache“ umfasst, „deren 3.4 Multi- und Pluriliteracy-Ansätze im KiTa-Alltag 61 <?page no="62"?> Beherrschung Einfluss auf die schriftsprachliche Entwicklung nehmen kann“ (ebd.). Sie kommt zu dem Schluss, dass eine „Multiliteralitätsdidaktik“ zunehmend im vorschulischen Bereich implementiert werden soll, da „Erzie‐ her/ -innen für die frühe Sprachentwicklung verantwortlich sind“ (ebd. 281) und skizziert das Potential einer solchen „integrativen Sprachbildung“ in der Kindertageseinrichtung, „wo kein Sprachunterricht im herkömmlichen Sinne stattfindet, sondern vorwiegend Sprachbegegnungen“ ermöglicht werden sollen (ebd. 284f.). In einem Überblicksartikel von Lengyel (2017) zum Thema „alltagsinteg‐ rierte Sprachbildung“ werden „literale Aktivitäten“ und „literale Erziehung in der Familie (home literacy)“ sowie „gute (bildungs-)sprachliche Fähigkei‐ ten“ von Kindern in Zusammenhang gebracht. Doch „die Rolle der Spra‐ che(n) und deren Nutzung im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachbildung in der mehrsprachigen KiTa sind bislang ungeklärt“ (ebd. 281). Auch sie beklagt „die Konzentration auf das Deutsche“ und verweist auf Konzepte aus Luxemburg und Kanada, die bereits mehrsprachig konzipiert sind. Für deutsche Einrichtungen frühkindlicher Sprachbildung lässt sich festhalten, „dass noch kein systematisch ausgearbeitetes Konzept für die Integration von Mehrsprachigkeit vorliegt“ (ebd.). In den vergangenen Jahren ist eine Vielzahl von Publikationen erschie‐ nen, die sich mit einer Translanguaging-Pedagogy befassen und die Rele‐ vanz der Förderung von Multi- oder Pluriliteracies bzw. Literacies betonen. Es handelt sich um Ansätze, die multiliteracy als Alltagspraxis konzipieren (vgl. Hélot/ O’Laoire 2011; Hélot 2011) und die zur Ermöglichung von „pluriliteracy practices“ (García/ Bartlett/ Kleifgen 2007) im pädagogischen Alltag (siehe auch Kapitel 2) beitragen sollen. „Kindergarteners translanguage orally“, stellen Ofelia García und Li Wei (2014: 85) fest, aber auch durch diese mündlich realisierte translinguale Praxis wird konzeptionelle Schriftlichkeit erworben. Dies impliziert, dass der fließende Übergang von der konzeptionellen Mündlichkeit zur konzeptionellen Schriftlichkeit - beispielsweise das medial mündliche aber teilweise konzeptionell schriftliche Erzählen oder die „mündliche Literalität“ (List 2007: 51) - einsprachig, aber auch mehr- und quersprachig verlaufen kann. Es geht darum, dass „mündliche Literalität […] schon in der KiTa auf den Weg gebracht werden kann“ (ebd.: 24), denn mündliche Literalität lässt sich (…) durchaus bereits vor der formalen Schriftbenutzung durch pädagogische Interaktionen dadurch anregen, dass in 62 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit von Anfang an <?page no="63"?> spielerischen Übungen der unmittelbare Situationsbezug verlassen wird, und Phantasieleistungen für die Konstruktion von „Geschichten“ herausgefordert werden. (ebd.: 51) Eine dialogische Bilderbuchbetrachtung, in der auch eine mehrsprachige Erzieherin konsequent mehrsprachig handelt, implementiert im KiTa-Alltag Praktiken des mono- und translingualen Vorlesens und Erzählens, die Kinder im besten Fall bereits im familialen Kontext erleben (siehe oben die Ausführungen zu Lenas familialen Erfahrungen). Dies setzt allerdings voraus, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. Literacy oder Literalität nicht nur als monolinguale, sondern auch als translinguale Praxis von Kin‐ dern und Erwachsenen (an-)erkannt und in den frühpädagogischen Alltag systematisch vorkommen. Die Sprachideologie der Notwendigkeit einer Trennung der (Familien-)Sprachen und das dabei verbundene Insistieren auf nur einer (Bildungs-)Sprache bzw. auf standardsprachiger Monolingualität blockieren möglicherweise die authentische Sprachpraxis junger Kinder. García und Flores sehen genau darin die besondere Chance neuer sprach‐ pädagogischer Konzepte: The concept of „pluriliteracy practices“ which moves away from the traditional L1/ L2 pairing, emphasizing instead that multiple language and literacy practices are inter-related and flexible (…). (García/ Flores 2012: 242) Dabei soll nicht normativ und dichotomisch zwischen konzeptionell schrift‐ lich versus mündlich bzw. zwischen bildungs- und alltagsprachlichen Prak‐ tiken unterschieden werden, denn „(…) all literacy practices have equal value“ (ebd.). Insofern erscheint es im Kontext frühkindlicher Bildung als sinnvoll, alle (mehr oder weniger) schriftkulturell geprägten Sprachwelten der Kinder zu berücksichtigen. Dies würde es ermöglichen, Sprachideologien sowie Sprachhierarchien zwischen Alltags- und Bildungssprache(n) zu überwin‐ den und alle Kinder in die mehrsprachige Welt konzeptioneller Schrift‐ lichkeit einzuführen. 3.4 Multi- und Pluriliteracy-Ansätze im KiTa-Alltag 63 <?page no="64"?> Fragen und Aufgaben 1. Diskutieren Sie die Feststellung „We are all translinguals“ (Cana‐ garajah 2013: 8) mit Blick auf junge Kinder sowie im Zusammen‐ hang mit dem Begriff „pluriliteracy practices“ (García, Bartlett, Kleifgen 2007). In diesem Kontext ist es von Bedeutung, auf eigene mehrsprachige Erfahrungen, die im Kontext der (frühen) Kindheit in der Familie und/ oder in der Kindertageseinrichtung gemacht wurden, einzugehen. Dabei ist es wichtig, mögliche Zu‐ sammenhänge zwischen diesen Erfahrungen und Ihren heutigen alltäglichen Literacy-Praktiken zu erkennen und zu reflektieren. 2. Diskutieren Sie die zu Beginn des Kapitels dargestellten Beispiele zu Lenas Umgang mit ein- und mehrsprachigen Interaktionen, Strategien und Praktiken im Vergleich zu Lenas weiteren (sowie zu Ihren eigenen) Erfahrungen mit mehrsprachiger Praxis während der (frühen) Kindheit: Während ihrer Grundschulzeit erwarb Lena zudem das Alphabet sowie die Regeln der griechischen Orthographie. In ihrer Freizeit las sie regelmäßig griechische Bücher, besprach diese mono- oder translingual mit ihren Bezugs‐ personen und vertiefte so ihre Kenntnisse. Schließlich erweiterte sich ihr Sprachenrepertoire durch den Englischunterricht in der Grundschule sowie durch das Hören von englisch- und spanisch‐ sprachigen Liedern, die sie insbesondere in ihrer Freizeit mit ihrer Peer-Group sang. Darüber hinaus suchte sie selbstständig entsprechende Liedtexte im Internet, um sie auswendig zu lernen. Die achtjährige Lena informierte sich im Vorfeld ihrer ersten Begegnung mit einer spanischsprachigen Bekannten im Internet über die adäquate Begrüßungsform auf Spanisch, welche sie auswendig lernte und mündlich vortrug, sodass sie von ihrer Gesprächspartnerin als spanischsprachig wahrgenommen wurde. 3. In ihrem Beitrag mit dem Titel „Varianten des Literacy-Konzeptes und ihre Bedeutung für die Deutschdidaktik“ sowie in Anlehnung an Schieffelin und Gilmore (1986) verweist Wieler auf die Be‐ deutung ethnographischer Forschungsperspektiven, die „‚literacy events‘, d. h. all diejenigen Gelegenheiten, in denen (konzeptio‐ nell) schriftliche Formen der Sprachverwendung im Alltag des Kindes eine Rolle spielen“, erfassen und „aus der Perspektive der 64 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit von Anfang an <?page no="65"?> Beteiligten rekonstruieren“ (2003: 50). In den letzten Jahren hat sich in diesem Zusammenhang der Begriff „homescape“ etabliert. a. Sammeln Sie ethnographisches Material in Form von Vi‐ deoaufzeichnungen und/ oder Beobachtungsprotokollen zur (schrift-)sprachlichen Praxis in mehrsprachigen Familien. b. Analysieren Sie in Arbeitsgruppen dieses Material insbeson‐ dere aus der Perspektive der beteiligten Kinder und disku‐ tieren Sie dabei die These „[…] children play an important role in shaping their homescapes“ (Yu 2022). 3.4 Multi- und Pluriliteracy-Ansätze im KiTa-Alltag 65 <?page no="67"?> 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation Die zweieinhalbjährige Lena schaut mich an und sagt „Uzeug“, während wir uns gemeinsam ein Buch betrachten. „Was ist das? “ frage ich sie auf Grie‐ chisch. Daraufhin fragt Lena zurück: „Aplano? “ „Ah, du meinst Aeroplano! “, antworte ich, das von ihr übersetzte Wort zugleich betonend und korrigie‐ rend, um zu signalisieren, dass ich jetzt verstehe, was sie meinte (nämlich „Flugzeug“). Lena nickt bestätigend, während sie ihre Äußerung ebenfalls wiederholt und zugleich korrigiert: „Aeplano! “ „Ich kann schon drei Sprachen! “ stellt die vierjäh‐ rige Lena mit Begeisterung fest, „nein, so viele! “ ergänzt sie noch, zeigt mir alle fünf Finger ihrer rechten Hand und beginnt aufzuzählen: „Deutsch, Griechisch…“, sie überlegt kurz und setzt fort: „Ich kann auch Spanesisch! “ „Spanesisch? Wie klingt denn Spanesisch? “, frage ich. Lena beginnt gestiku‐ lierend und mit lauter Stimme „etwas auf Spane‐ sisch“ zu erzählen. Sobald sie damit aufhört, stelle ich mit Bedauern fest, dass ich „leider kein Wort verstanden habe! “ „Ja, ich weiß“, antwortet mir Lena mit einer Stimme, die Mitgefühl zeigt, „du kannst leider kein Spanesisch! “ (Ausschnitte aus Bobachtungen im KiTa-Alltag, aus der Fallstudie ‚Lena‘; Protokoll: Panagiotopoulou) <?page no="68"?> 8 „Thinking of these students as emergent bilinguals has important consequences not only for the children, but also for teachers, policy makers, parents, the language education profession (…)“ (García/ Kleifgen 2010: 3). 4.1 Kinder als angehende Mehrsprachige: zur Bedeutung metasprachlicher Fähigkeiten Wenn wir alle Kinder, und insbesondere diejenigen, die in einer Familie mit einer Migrationsgeschichte aufwachsen, als angehende Mehrsprachige wahrnehmen 8 , die ihre Sprachen nicht additiv, sondern dynamisch und komplementär erwerben und gebrauchen, indem sie neue Sprachpraktiken in ihr komplexes Sprachenrepertoire integrieren - wie im Kapitel 2 erläutert wurde - dann benötigen wir auch neue Konzepte und Methoden zur Dokumentation dieser Sprachpraktiken und insbesondere ihrer spezifischen mehrsprachigen Fähigkeiten. Denn während Kinder ihre Sprache(n) erwerben, lernen sie nicht nur effektiv zu kommunizieren, d. h. sprachliche Äußerungen situativ passend zu verwenden und zu verstehen, sondern auch über diese Äußerungen sowie über die (eigene) sprachliche Praxis im Allgemeinen nachzudenken. Das bedeutet: Kinder entwickeln von Anfang an auch metasprachliche Fähigkei‐ ten. Beispielsweise verfügen sie bald über die Fähigkeit das linguistische Repertoire ihrer verschiedenen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspart‐ ner treffend einzuschätzen. So verwenden vierjährige Kinder, wie frühere Studien gezeigt haben, kürzere und syntaktisch vereinfachte Formulierun‐ gen in Gesprächen mit Zweijährigen und komplexere Äußerungen, wenn sie mit Erwachsenen kommunizieren (vgl. Stude 2013: 66). Die metasprachlichen Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder beziehen sich auf mehrere Sprachen und Sprachvarietäten bzw. auf Sprachvergleiche, gebildete Analogien oder festgestellte Diskrepanzen (z. B. in der Gram‐ matik). Kinder produzieren und verstehen von Anfang an sprachliche Äußerungen, die unterschiedlichen Sprachsystemen zuzuordnen sind oder mehrere Sprachvarietäten (Regiolekte, Dialekte etc.) betreffen. Dabei stel‐ len sie immer wieder fest, dass beispielsweise derselbe Gegenstand bzw. das ‚Bezeichnete‘ mit unterschiedlichen ‚Bezeichnungen‘ versehen werden kann. Darüber hinaus werden Kinder im Laufe ihrer mehrsprachigen Erwerbs‐ prozesse mit ein- und mehrsprachigen sowie translingualen Sprachprakti‐ ken vertraut, können je nach Situation ihr sprachliches Handeln differen‐ ziert anpassen und „ein stärker gemischtes oder weniger stark gemischtes 68 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation <?page no="69"?> System verwenden“, während sie gleichzeitig wissen, dass sie nicht nur eine Sprache sprechen (Riehl 2014: 85). Die vorangestellten Protokollausschnitte aus der Fallstudie Lena ver‐ weisen auf solche Erfahrungen junger Kinder, auf ihr Nachdenken und das „Bewusstsein ihrer wachsenden Mehrsprachigkeit“ (vgl. Wandruszka 1979: 19) sowie auf ihre spezifischen metasprachlichen Kompetenzen. Auf die Fähigkeit, eine Äußerung simultan zu übersetzen, um die Kommunika‐ tion fortzusetzen, verweist die erste Sequenz: Die griechische Bezeichnung „A(ero)plano“ wird von der zweieinhalbjährigen Lena komplementär zur deutschen Bezeichnung „(Fl)u(g)zeug“ angeboten, sobald die deutsch-grie‐ chisch-sprachige Gesprächspartnerin nach der Bedeutung der Bezeichnung „Uzeug“ fragt. Das Beispiel soll darüber hinaus zeigen, wie beim Mehr‐ spracherwerb die gleichzeitige Auseinandersetzung mit Elementen aus zwei Sprachsystemen „der Stärkung der metasprachlichen Kompetenz [dient]“ (Tracy 2008: 126) und überhaupt den Erwerbsprozess, in diesem Beispiel: die Wortschatzentwicklung des Kindes, vorantreibt. Mit „Aplano“ übersetzt nämlich Lena simultan ihre ursprüngliche Äußerung „Uzeug“ und sorgt dafür, dass diese als „Flugzeug“ von ihrer Gesprächspartnerin erkannt wird. Mit ihrem verbesserten zweiten Versuch („Aeplano“), der eine weitere Silbe beinhaltet, nähert sich Lena darüber hinaus der zielsprachlichen Äußerung („Aeroplano“). Genau diese Korrektur macht ihren fluiden, dynamischen und sprachenübergreifenden Erwerb (hier mit Blick auf ihren mehrspra‐ chigen Wortschatz) sowie allgemein Lenas translinguales Lernen (siehe Kapitel 2) für uns beobachtbar. Es gibt „Belege dafür, dass Interdependenzen auch sprachübergreifend bestehen“ und dass „mehrsprachige Kompeten‐ zen“ auch für den Erwerb von „weiteren Sprachen genutzt werden können“ (Wildemann/ Döll Brizić 2023: 36) Der zweite Protokollausschnitt erlaubt Rückschlüsse auf Lenas Erfahrun‐ gen mit mehrsprachigen Situationen und die damit verbundenen Erkennt‐ nisse hinsichtlich der Funktion einer Sprache, die als solche gilt, weil sie ei‐ nen Namen hat (zum Begriff „named languages“ siehe Otheguy/ Garcia/ Reid 2015). Es handelt sich um eine konkrete (wenn auch fiktive? ) Sprache namens „Span(es)isch“. Dieses Beispiel illustriert, wie Kinder metalinguisti‐ sches Wissen über die Eigenschaften des Sprachgebrauchs erwerben, indem sie Erfahrungen in diversen parallel existierenden, aber nicht immer trenn‐ baren Sprachgemeinschaften, in konkreten Situationen, in ihren Familien und in Bildungsinstitutionen sammeln. So hat die vierjährige Lena im Zuge ihrer sprachlichen Sozialisation im familialen Kontext sowie im KiTa-Alltag 4.1 Kinder als angehende Mehrsprachige: zur Bedeutung metasprachlicher Fähigkeiten 69 <?page no="70"?> der Migrationsgesellschaft erkannt, dass Sprecherinnen und Sprecher einer konkreten Sprache, in diesem Fall ‚span(es)ischsprachige‘, eine Äußerung mit einer spezifischen Form und einer konkreten ‚Melodie‘ produzieren, deren Inhalt nur für diejenigen, die diese Sprache (imaginär) beherrschen, verständlich ist. Das vorliegende Kapitel thematisiert die pädagogische Aufgabe, Sprach‐ biographien mehrsprachig aufwachsender Kinder nicht defizitär, sondern unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Lebensbedingungen ressourcen‐ orientiert zu erfassen. Zunächst soll aber der in den letzten Jahren syste‐ matisch unternommene Versuch, diese komplexe Aufgabe in Form von einsprachigen Testverfahren zu simplifizieren, kritisch betrachtet werden. 4.2 Einsprachige Feststellungsdiagnostik für mehrsprachige Vorschulkinder? Bereits beim Eintritt in die erste Bildungsinstitution, zum Beispiel in eine deutsche Kindertageseinrichtung, werden mehrsprachige Kinder - oft mit Blick auf den nächsten anstehenden Übergang in die Schule - als (noch) ‚Nicht-Deutschsprachige‘ wahrgenommen. In der pädagogischen Praxis und im fachlichen Diskurs dominiert aufgrund der Orientierung an der Sprachpolitik der deutschen Schule ein einsprachiger Blick auf mehrspra‐ chige Sprach- und Bildungsbiographien. Dementsprechend hat sich in den letzten Jahren eine frühkindliche Feststellungsdiagnostik für potentielle Schulanfängerinnen und Schulanfänger durchgesetzt, die fast ausschließlich auf monolingualen Testverfahren basiert, die für einbzw. deutschsprachig aufwachsende Vorschulkinder entwickelt wurden. Diese Instrumente durften außerdem nicht von den beteiligten pädagogischen Fachkräften eingesetzt werden. Laut Kany und Schöler ist die Frage „Wer darf testen? “ unmittelbar mit bildungspolitischen Interessen, aber auch mit einer oft fehlenden spezifischen Qualifikation der Pädagoginnen und Pädagogen verbunden: Das Kindeswohl darf nicht von standespolitischen Interessen bestimmt werden, sondern muss sich am fachlich Wünschenswerten und Praktikablen orientie‐ ren. Dies bedeutet u. a., dass „Testen“ nicht länger ausschließlich Psychologen, Logopädinnen, Sprachheilpädagogen, (Patho-)Linguistinnen oder Medizinern vorbehalten sein darf. Vielmehr müssen insbesondere pädagogische Fachkräfte 70 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation <?page no="71"?> im diagnostischen Methodenspektrum gezielt geschult werden. (Kany/ Schöler 2010: 101) Dennoch bleiben auch im Rahmen dieser kritischen Betrachtung Fragen zur spezifischen Situation mehrsprachiger Kinder unbeantwortet wie zum Bei‐ spiel: Welche Fähigkeiten sollen bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern diagnostiziert werden? Inwieweit und wie sollen sprachenübergreifende Praktiken, z. B. metasprachliche Strategien der Kinder, die, wie oben er‐ läutert, ihren Mehrspracherwerb vorantreiben, ebenfalls erfasst werden? Außerdem stellt sich die Frage, inwieweit für mehrsprachige Kinder eine Stichprobe einsprachig lebender Gleichaltriger als repräsentativ gelten darf. So kritisieren auch Chilla, Rothweiler und Babur (2022: 72), dass es kaum ein diagnostisches Verfahren gibt, das „den Anforderungen des mehrspra‐ chigen Erwerbs“ gerecht wird. Die Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder werden in der Regel nicht wirklich erfasst, stattdessen werden angebliche „Abweichungen“ festgestellt, die aus der monolingualen Orientierung der Instrumente resultieren und Sprachauffälligkeiten insbesondere bei Kindern aus zugewanderten Familien attestieren, ohne dass „eine genuine Sprach‐ erwerbsstörung zugrunde liegen muss“ (ebd.). Zehn Jahre später ziehen Wildemann, Döll und Katharina Brizić (2023: 33) für den deutschsprachigen Raum Bilanz und stellen fest, dass „weder in der Konstruktion noch in der Anwendung von sprachdiagnostischen Verfahren“ die lebensweltliche Mehrsprachigkeit von Kindern und Jugendlichen adäquat berücksichtigt wird. Außerdem konstatieren sie mit Blick auf Schule und Unterricht, dass "Sprachdiagnose und Bildungspraxis im Kontext von Mehrsprachigkeit […] sich im Spannungsfeld zwischen sprachassimilativen Bestrebungen und transmigrantischer Lebensrealität [befinden]" (ebd: 43). Die monolinguale Ausrichtung der nicht nur in der Schule, sondern bereits in der frühpädagogischen Praxis eingesetzten diagnostischen Instru‐ mente (Diehm/ Panagiotopoulou 2021) wird in der internationalen Mehr‐ sprachigkeitsforschung seit Jahren problematisiert. So verweist Grosjean darauf, dass der Wortschatz mehrsprachiger Kinder aufgrund der eingesetz‐ ten Testverfahren als weniger oder als nicht normgerecht entwickelt gilt, da diese nicht dafür geeignet sind, ihr gesamtes linguistisches Repertoire zu erfassen: This is because the vocabulary they have in each language is often smaller than that of comparable monolinguals. Of course when bilingual children are evaluated in terms of both their languages, then the situation improves greatly, but if 4.2 Einsprachige Feststellungsdiagnostik für mehrsprachige Vorschulkinder? 71 <?page no="72"?> one looks at just one language at a time, there is frequently a difference. […] Unfortunately, vocabulary tests do not take this principle into account and hence test results penalize bilingual children. (Grosjean 2010: 225-226) Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Mehrsprachige ihre sprachliche Praxis im Kontext verschiedener Lebensbereiche den Gegebenheiten sowie den konkreten Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern anpassen. Des‐ wegen gehen sie mit ihren sprachlichen Ressourcen komplementär um, sodass sie nicht in jeder Sprache einen identischen Wortschatz parallel ent‐ wickeln: „This is because a single person does not lead two lives“ (de Houwer 2009: 310). Ausgehend von der angeblichen Normalität einer einsprachigen (Bildungs-)Biographie wird dennoch die Feststellung, dass die Wortschätze mehrsprachiger Kinder „nicht deckungsgleich“ seien, als problematisch deklariert (vgl. Rothweiler/ Ruberg 2011: 9), es wird zum Beispiel unterstellt, dass ihnen die entsprechenden deutschen Wörter einfach „fehlen“ (ebd.). Im Rahmen ihrer Expertise mit dem Titel „Sprachstandsfeststellung bei mehrsprachigen Kindern im Elementarbereich“ warnt Lengyel (2012: 17) vor solchen „Fehldiagnosen“ aufgrund einer verbreiteten „Dominanz der ‚monolingualen Sprachkompetenz‘“. Darüber hinaus problematisiert sie, dass es kaum Verfahren gibt, mit denen „spezifische mehrsprachige Sprach‐ gebrauchsformen, beispielsweise das Code-Switching, das Übersetzen oder das Mischen von Sprachen im Allgemeinen einbezogen werden“ (ebd.: 33). Da mehrsprachige Kinder in der Regel mit ungeeigneten Verfahren konfrontiert werden, empfehlen auch Kany und Schöler insbesondere „für die Zeit der Frühen Kindheit, in der Kinder noch nicht mit standardisierten Tests untersucht werden können“, eine „systematische Beobachtung“ im Kontext von Kindertageseinrichtungen (2010: 10). Diese Methode betrachten sie, „neben der Elternbefragung“, als „die einzige Möglichkeit“, notwendige Informationen für eine „individualisierte Förderung“ zu erhalten (Kany/ Schöler 2010: 109). Chilla und Niebuhr-Siebert (2017: 191) gehen auf die Problematik des Übergangs in die monolinguale Schule ein. Dementsprechend schlagen sie vor, dass die von Cloos und Schröer beschriebenen „Perspektiven auf das Phänomen Übergang“ (Cloos/ Schröer 2011) um „Aspekte mehr‐ sprachiger Bildung“ ergänzt werden sollen, damit die Perspektive mehr‐ sprachig aufwachsender Kinder berücksichtigt wird: Da mehrsprachige Kinder den Übergang „aus einer mehrsprachigen Bildungsperspektive“ bewältigen (müssen), sollten pädagogische Maßnahmen angepasst werden, 72 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation <?page no="73"?> sodass sie „die Perspektive Mehrsprachigkeit fokussieren“. Darüber hinaus sollte die Diagnostik „konsequent alle Sprachressourcen in den Fokus neh‐ men“, mehrsprachige Bildungsangebote sollten curricular abgesichert und „Quersprachigkeit als Leitbild“ angesehen werden (Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 191-192). Im Folgenden werden Möglichkeiten der Erfassung und Dokumentation kindlicher Sprachressourcen auf der Grundlage von Elterngesprächen (Ka‐ pitel 4.3), anhand von Beobachtungen (Kapitel 4.4) sowie aus der Perspektive der Kinder selbst (Kapitel 4.5) erörtert. 4.3 Dokumentation mehrsprachiger Entwicklung anhand von Elterngesprächen im KiTa-Alltag Um Strategien für eine sprachpädagogische Begleitung der kindlichen Sprach(en)entwicklung zu entwerfen, bedarf es einer systematischen Doku‐ mentation beispielsweise mittels Portfolioarbeit in der KiTa unter Beteili‐ gung der Kinder (vgl. Filtzinger/ Montanari/ Cicero Catanese 2016), aber auch in Kooperation mit den Erziehungsberechtigten, die den Sprachgebrauch ihrer Kinder im familialen Alltag beobachten und dazu konkrete Fragen beantworten können (vgl. Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 178). Ein geeignetes Beispiel für Elterngespräche findet sich im vom Staat New York geförderten CUNY-NYSIEB-Project ("City University of New York-New York State Initiative on Emergent Bilinguals-Project"). Dieses hatte zum Ziel, die Bildungschancen von mehrsprachigen Kindern zu verbessern (Seltzer/ Ascenzi-Moreno/ Aponte 2020: 24). Zu diesem Zweck wurde mit Kindertagesstätten, Schulen und Familien kooperiert und u. a. ein Leitfaden erstellt, welcher pädagogischen Fachkräften dazu dient, Eltern zu den Sprachpraktiken in der Familie befragen (vgl. ebd.: 35). Im Rahmen eines Projekts der Universität zu Köln zur „Family Language Policy“ in der deutschen Migrationsgesellschaft wurde dieser Leitfaden adaptiert und für die Elterngespräche in verschiedene Sprachen (Farsi, Italienisch, Griechisch, Türkisch, Russisch u. a.) übersetzt (vgl. Panagiotopoulou/ Uçan 2023). Bei‐ spielhaft seien hier folgende Fragen genannt: Welche Sprachen sprechen Sie und Ihre Kinder zu Hause? In welchen Sprachen sprechen Sie die meiste Zeit mit Ihrem Kind? In welchen Sprachen singen Sie, lesen Sie Ihrem Kind vor oder erzählen ihm Geschichten? Wie hat Ihr Kind bisher seine Sprache(n) erworben (durch Fernsehen, durch die Interaktion mit 4.3 Dokumentation mehrsprachiger Entwicklung im KiTa-Alltag 73 <?page no="74"?> Geschwistern, durch den Besuch der KiTa usw.)? etc. Die Fragen zielen einerseits auf die Erfassung der elterlichen Ansichten zu Sprache(n) und Sprachpraxis sowie ihrer Erfahrungen innerhalb und außerhalb der Familie. Andererseits stehen die damit verbundenen Entscheidungen, Erziehungs‐ vorstellungen und Strategien im Fokus, insbesondere im Hinblick auf die Förderung von Literacy-Praktiken, die den Mehrspracherwerb der Kinder aus der Perspektive der Eltern vorantreiben sollten. Im Rahmen von Elterngesprächen besteht für Erzieherinnen, Erzieher und Eltern die Möglichkeit, sich über die aktuelle familiale Sprachenpo‐ litik sowie über die aktuelle institutionelle Sprachenpolitik der Kinder‐ tagesstätte auszutauschen: Erzieherinnen und Erzieher können zunächst erklären, dass beispielsweise nur einige Familiensprachen im KiTa-Alltag situativ verwendet werden können, weil es pädagogische Fachkräfte und/ oder Kinder und Eltern gibt, die ebenfalls diese Sprachen sprechen, oder dass sie momentan beispielsweise hauptsächlich auf Türkisch (neben Deutsch) Geschichten vorlesen und dass im KiTa-Alltag für alle Kinder diese Sprache an Bedeutung gewinnt etc. Eltern können transparent machen, welche Fami‐ liensprachen sie zuhause mit ihren Kindern und mit weiteren Familienmit‐ gliedern, die nicht in Deutschland leben, sprechen oder mit wem ihre Kinder welche Sprachen favorisieren. Zum Beispiel sprechen die Kinder mit den Eltern einen deutschen Regiolekt oder kommunizieren oft deutsch-türkisch, mit der Oma verwenden sie ausschließlich einen türkischen Dialekt, aber mit ihren Nachbarn die standardisierte Varietät des Türkischen etc. Eltern können auch über die Erzählfreude ihrer Kinder oder über die Sprachspiele und Reime, die sie auf Deutsch über ihre älteren Geschwister kennenlernen, berichten - oder über die Schwierigkeiten, die ihre Kinder haben, mit unbekannten Personen ein Gespräch auf Deutsch anzufangen, wohingegen sie mit der Nachbarin, die sie als Bezugsperson wahrnehmen, hauptsächlich auf Deutsch reden etc. Die Erstellung eines individuellen Profils aller Kinder auf der Grundlage von Gesprächen mit Erziehungsberechtigten setzt nicht nur gegenseitiges Vertrauen, sondern auch die Bereitschaft der pädagogischen Fachkräfte voraus, die Spracherwerbsprozesse der Kinder im Zusammenhang mit dem pädagogischen Geschehen selbstkritisch zu betrachten. So könnten auch potenziell konfliktbeladene, u. a. diskriminierende Erfahrungen der Eltern und ihrer Kinder, auch im Kontext von Bildungseinrichtungen, thematisiert werden. Diese Erfahrungen wurden von Eltern bislang möglicherweise kaum im pädagogischen Kontext, jedoch bereits in Forschungsarbeiten ge‐ 74 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation <?page no="75"?> schildert (vgl. Panagiotopoulou/ Uçan 2023; Panagiotopoulou/ Samani 2024). Dies könnte dazu beitragen, Familien unmittelbar adäquat zu begleiten und zu unterstützen. Dabei soll der Fokus auf einer grundlegenden selbst- und machtkritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Praxis im Kontext der postmigrantischen Gesellschaft liegen, um diese weiterzuentwickeln (vgl. Bostancı/ Ilgün-Birhimeoğlu 2024) Voraussetzung für solche Gespräche sind darüber hinaus gezielte Fragen, die präzise Antworten zur kindlichen Sprachbiographie ermöglichen. Zum Beispiel: Welche Erfahrungen macht ihr Kind aufgrund seiner familialen Mehrsprachigkeit sowie seiner multi- und translingualen Praxis? Wie wurde mit seinen multi- und translingualen Kompetenzen in seiner Umgebung, beispielsweise in der Nachbarschaft oder der KiTa, umgegangen? Zeigt sich das Kind auch im Kontext der Familie erzählfreudig und worüber und wie spricht es mit den Eltern oder mit Geschwistern? Schweigt das Kind auch in der Familie regelmäßig und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Und falls eine Diskrepanz zwischen Familie und KiTa existiert, woran könnte dies liegen etc. Diese Fragen sollten dabei stets so formuliert werden, dass Eltern sie auch sinnvoll beantworten oder gegebenenfalls ihre Kinder demnächst gezielter beobachten können, um darüber zu berichten. Ziel ist es, dass die pädagogischen Fachkräfte mit ihrer Hilfe die sprachlichen Erfahrungen ihrer Kinder besser einschätzen und ihre Erwerbsprozesse auch im KiTa-Alltag adäquat begleiten können. Es ist allerdings davon auszugehen, dass nur wenige Eltern spezifische Fragen bezüglich der Entwicklung des Wortschatzes oder der grammati‐ schen Schwierigkeiten, die ihre Kinder in den verschiedenen Sprachen haben oder der syntaktischen Muster, die sie abwechselnd favorisieren, beantworten können. Mit anderen Worten: Eltern verfügen in der Regel nicht über entsprechende Kompetenzen, um die Sprachentwicklung ihres mehrsprachig (oder auch einsprachig) aufwachsenden Kindes zu diagnostizieren. Ein charakteristisches Beispiel hierzu liefert Scharff Rethfeldt (2016: 73f.) über Gespräche mit mehrsprachigen Eltern bezüglich der Frage, ob ihr Kind „zumindest in der Erstsprache bereits den Plural erworben habe.“ Pädagoginnen und Pädagogen gehen nämlich davon aus, dass die Pluralbildung nicht nur in der deutschen, sondern auch in weiteren Famili‐ ensprachen eine Herausforderung für Kinder sei, was beispielsweise für die türkische Sprache nicht zutrifft. Daher fallen die Antworten der Eltern „nicht nur aufgrund der variablen kindlichen Entwicklung und des individuell variierenden Sprachangebotes (Input) sehr unterschiedlich aus“, sondern 4.3 Dokumentation mehrsprachiger Entwicklung im KiTa-Alltag 75 <?page no="76"?> hängen auch „von der Komplexität der zu erwerbenden Strukturen in den jeweiligen Sprachen“ ab (ebd.). Dass alle Eltern die von ihren Kindern (nicht) erworbenen grammatischen Muster in der einen oder anderen Sprache identifizieren können, ist also kaum zu erwarten, auch weil „es einige Strukturen in manchen Sprachen nicht [gibt], die im Deutschen vorkommen - und umgekehrt“ (ebd.: 75). Die Aufgabe der KiTa ist vor allem darin zu sehen, mehrsprachige Eltern in ihrer Rolle als Vorbilder zu stärken, da „[m]ehrsprachige Bildung […] von mehrsprachigen Vorbildern [lebt]“ (Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 97). Aus diesem Grund ist in der Zusammenarbeit mit Eltern Mehrsprachigkeit als Ressource wertzuschätzen, die zugleich „von allen Beteiligten in ihrem Ausbau unterstützt werden sollte“ (ebd.). 4.4 Dokumentation mehrsprachiger Entwicklung anhand von Beobachtungen im KiTa-Alltag „Anders als beim Diagnostizieren müssen beim Beobachten“ keine Verglei‐ che zwischen ein- und mehrsprachigen Kindern „vorgenommen werden“ (Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 111). Sprachliche Leistungen können außer‐ dem nicht durch Momentaufnahmen, und auch nicht isoliert, sondern müs‐ sen systematisch und langfristig sowie im Kontext von realen Situationen erfasst werden, da sprechende Kinder im KiTa-Alltag in sozialen Interakti‐ onen mit mehreren (auch mehrsprachigen) Kindern und (professionellen) Erwachsenen involviert sind. Im KiTa-Alltag sind Formate teilnehmender bzw. alltagsintegrierter Beobachtung üblich und für die Gestaltung sprachförderlicher Situationen sinnvoll, während die ein- oder mehrmalige Beobachtung eines Kindes durch eine externe Diagnostikerin oft ohne Berücksichtigung der pädagogischen Praxis realisiert wird und kaum zur Veränderung der sprachpädagogischen Interventionen beitragen kann. Da aber die Erzieherinnen und Erzieher unmittelbar am Geschehen beteiligt sind und bestimmte Erwartungen an ihre eigenen sprachpädagogischen Angebote haben, sind gegenseitige Beobachtungen der pädagogischen Fach‐ kräfte in Interaktion mit den Kindern anzustreben. Mittlerweile wird auch die Videographie als Beobachtungs- und Reflexionsmethode im KiTa-Alltag eingesetzt. Für eine alltagsintegrierte, aber auch systematische Förderung ist es möglich, mittels Videoaufzeichnung 76 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation <?page no="77"?> die Bandbreite der verbalen, non-verbalen und spielerischen Ausdrucksformen eines Kindes differenziert wahrzunehmen und zu beschreiben. Auch für die Analyse von pädagogischen Situationen oder des eigenen Dialoghandelns bietet sie viele Vorteile. (Best, Bosch, Jampert, Zehnbauer 2017: 12) Das Ziel jeglicher Beobachtung - und somit eine der klar definierbaren Grenzen dieser Methode - ist allerdings nicht das Erreichen von Objektivi‐ tät, sondern einer gewissen Intersubjektivität im KiTa-Team bezüglich der brauchbaren Informationen, um geeignete Bildungsangebote für einzelne Kinder oder für die Arbeit in Kleingruppen zu gestalten (zur notwendi‐ gen Reflexion über die „Grenzen des Beobachtbaren“ vgl. Kany/ Schöler 2010: 105). Der besondere Ertrag der Beobachtung ist also auch in den Gren‐ zen dieser Methode zu sehen, da das Beobachtbare nicht normativ, sondern deskriptiv dokumentiert werden soll, um anschließend in Kooperation mit weiteren pädagogischen Fachkräften im KiTa-Team analysiert zu werden. Um präzise und systematisch Informationen für eine alltagsintegrierte Förderung zu gewinnen, ist es zunächst erforderlich die Frage zu klären, was genau beobachtet (oder videographiert) werden soll. Auch in diesem Fall ist es also notwendig, Fragestellungen zu formulieren, die tatsächlich beantwortet werden können. Um den individuellen Mehrspracherwerb eines Kindes dokumentieren zu können, bedarf es darüber hinaus keiner Pauschalisierungen oder Etiket‐ tierungen über angeblich nicht sprachförderliche familiale Bedingungen, wichtig sind genauere Informationen darüber, welche Personen, u. a. in ihrer sprachanregenden Funktion sowie als Sprachmo‐ dell wie häufig und wie intensiv und in welchem Kontext mit welcher Intention und in welcher sprachlichen Qualität die sprachliche Interaktion mit dem Kind gestalten. (Scharff Rethfeldt 2016: 23f.; Hervorhebung i. O.) Als besonders ergiebig, um sprachliche Praxis zu erfassen und die indi‐ viduelle Sprachentwicklung einzelner Kinder zu dokumentieren, haben sich Interaktionen mit Gleichaltrigen im KiTa-Alltag erwiesen (vgl. Stude 2013: 251). Im Rahmen eines neuen Forschungsprojekts erfolgt eine Untersuchung des Sprachgebrauchs mehrsprachig sozialisierter Kinder in niederösterrei‐ chischen Kindergärten. Dazu werden audio- und videobasierte Beobachtun‐ gen durchgeführt. Die zentrale Fragestellung lautet, ob und in welcher Form Kinder aus mehrsprachigen Familien „in der Institution Kindergarten andere 4.4 Dokumentation mehrsprachiger Entwicklung anhand von Beobachtungen im KiTa-Alltag 77 <?page no="78"?> Sprachen als Deutsch verwenden und welche Faktoren sie dabei am stärk‐ sten beeinflussen“ (Blaschitz 2024: 9). Zu den relevanten Faktoren zählen dabei unter anderem „institutionelle und strukturelle Vorgaben, sprachen‐ politische und gesellschaftliche Aspekte“, wie beispielsweise Sprachgebote, aber auch die konkreten Bedingungen der Interaktion mit pädagogischen Fachkräften, mit Gleichaltrigen und Erziehungsberechtigten (ebd.). Des Weiteren ist vorgesehen, die Kinder selbst zu befragen, um ihre Perspektive auf Sprache und Mehrsprachigkeit sowie ihren Sprachgebrauch zu ermitteln (vgl. ebd: 10). 4.5 ‚Sprachenporträts‘ - aus der Perspektive mehrsprachiger Kinder „Welche Sprachen sprichst du? “, fragt die Intervie‐ werin die fünfjährige Lena. Daraufhin listet Lena selbstbewusst auf: „Deutsch, Griechisch, Monster‐ sprache, Tiersprache“. Nach kurzer Überlegung er‐ gänzt sie noch: „Delfinsprache und Vogelsprache“. Die Interviewerin lobt Lena für ihre „vielen Spra‐ chen“ und macht sie dann aufmerksam auf eine Kopiervorlage mit einer Körpersilhouette [zur Er‐ stellung eines sogenannten Sprachenporträts], die bereits auf dem Tisch liegt. Während Lenas Blick noch auf die Kopiervorlage gerichtet ist, fragt die Interviewerin: „Was meinst du, Lena, wo genau in deinem Körper sind deine Sprachen? “ Lena antwor‐ tet sofort: „Meine Sprachen sind in meinem Mund.“ Nach kurzer Überlegung korrigiert sie aber ihre Aussage: „Nein, in meinem Gehirn! “ Auf die Auffor‐ derung der Interviewerin, „alle diese Sprachen mit vielen Farben“ bzw. „mit diesen bunten Filzstiften“, die ebenfalls auf dem Tisch liegen, innerhalb der Körpersilhouette „zu malen“, geht Lena nicht ein. Stattdessen betrachtet sie kurz das Blatt und verlässt dann unseren Tisch, um sich nebenan einer auf dem Teppich sitzenden Gruppe spielender Kinder anzuschließen. 78 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation <?page no="79"?> (Ausschnitt aus einer Beobachtung im KiTa-Alltag, aus der Fallstudie ‚Lena‘; Protokoll: Panagiotopoulou) Kuba (5; 8) wächst in Deutschland als einziges Kind einer Polnisch sprechenden Mutter und eines Deutsch sprechenden Vaters auf. Er malt sein Spra‐ chenporträt zunächst mit bunten Wachsmalstiften aus. Er wählt Rot für Polnisch und malt damit den Brust- und Bauchraum der Silhouette aus. Er fügt der menschlichen Silhouette blaue Ohren hinzu und sagt, dass er damit englische Songs aus dem Radio meint, und äußert, dass er Englisch eine coole Spra‐ che findet. Zum Ende des Malerereignisses nimmt er einen schwarzen Wachsmalblock und übermalt großzügig die gesamte Silhouette. Auf die Nach‐ frage, was er jetzt male, antwortet Kuba, dass dies Deutsch sei, und fügt hinzu: „Ich soll kein Polnisch mit anderen reden.“ (Entnommen aus: Scharff Rethfeldt 2016: 128) Busch beschreibt das Sprachenportrait als eine „multimodale Methode“, die am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien mehrfach erprobt und für besonders ergiebig befunden wurde. Es handelt sich um einen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene geeigneten sprachbiographischen Zugang, um ein „Angebot, sprachliches Erleben kreativ zu visualisieren“ (2013: 34ff.). Auch Hans-Jürgen Krumm bilanziert den Ertrag dieser Methode als „Einstieg in sprachenbiographisches Erzählen“: Er betont, dass nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene diese „Aktivität […] mit großem Eifer ausführen“ und dass diese Aufgabe in der Regel dazu führt, „dass fast alle ihr Porträt beschriften bzw. etwas dazu erzählen wollen“ (2010: 16). Die zwei zu Beginn ausgewählten Beispiele sollen eher zu einem kri‐ tischen Nachdenken über diese weit verbreitete Methode beitragen und verdeutlichen, dass bereits junge Kinder im Zusammenhang mit ihrer Sprachpraxis auch negative Erfahrungen sammeln (wie der fünfjährige Kuba) oder dass sie ihre Sprachpraxis zwar mit ihrem „Mund“ und „Gehirn“ in Verbindung bringen (wie die fünfjährige Lena), aber nicht unbedingt metaphorisch - also übertragenerweise - mit einzelnen Farben und an‐ 4.5 ‚Sprachenporträts‘ - aus der Perspektive mehrsprachiger Kinder 79 <?page no="80"?> 9 Die Beschäftigung mit diesem Thema ist nicht banal und die Frage, wie genau die Modalitäten Sprechen und Denken zusammenhängen, stellen sich früher oder später viele Kinder. Es handelt sich außerdem um eine Frage, die bis heute im internationalen Fachdiskurs intensiv behandelt wird (vgl. hierzu das Buch von Charles Taylor mit dem Titel „Das sprachbegabte Tier“, 2016). schließend mit einzelnen Körperteilen verbinden, wie es die Methode der Sprachenporträts vorgibt. Lenas logische Antwort „meine Sprachen sind in meinem Mund (…) nein, in meinem Gehirn“ lassen die Vermutung zu, dass bereits Fünfjährige wissen, dass Sprachen zwar mündlich realisiert werden, sich aber nicht im Mund befinden. Aufgrund dieser Aussage kann außerdem angenommen werden, dass Lena ihr mehrsprachiges Sprechen als eine kognitive Leistung ansieht, was für die Bildungsdokumentation ihrer individuellen Sprach- und Bildungsbiographie von Bedeutung wäre; allerdings setzt dies ein Gespräch mit dem Kind über seine vorläufigen Annahmen und theoretischen Konzepte voraus 9 . Das zweite Beispiel vom fünfjährigen Kuba verdeutlicht, dass auch diese spielerisch zu gestaltende und nicht verpflichtende Aufgabe dazu führen kann, dass Kinder sprachliches Erleben nicht nur positiv assoziieren, son‐ dern auch über ihre bisherigen diskriminierenden Erfahrungen innerhalb und außerhalb von Bildungseinrichtungen berichten: So erhält die pädagogische Fachkraft eventuell Zugang zu Informationen, die bisher nicht thematisiert wurden, wie beispielsweise zu Migrationsgeschichten, bestimmten (nicht nur sprachlichen) Vorlieben, Vorstellungen, (Sprach-)Kon‐ flikten, Sprachprestiges, Ängsten, Diskriminierungserfahrungen o. Ä. (Scharff Rethfeldt 2016: 127) Dass ein fünfjähriges Kind seine mehrsprachige Realität und Praxis durch die Sprache der Mehrheitsgesellschaft, die Sprache der Schule symbolisch durchstreicht bzw. mit der entsprechenden Farbe seine weitere Sprachpraxis übermalt und somit sein komplexes Sprachenrepertoire zurückweist, sollte die an seiner Lern- und Sprachbiographie Beteiligten alarmieren. Kubas Er‐ klärung dazu, er solle „kein Polnisch mit anderen reden“, lässt die Vermutung zu, dass er bereits mit einem Sprachverbot, oder im besten Fall mit dem Deutschgebot, systematisch konfrontiert wurde. Sprachenporträts sind zwar als „ein hilfreiches Mittel“ einzusetzen, um die Sprachvielfalt „und somit Mehrsprachigkeit als selbstverständliches Element einer Gruppe bzw. eines Kindes abzubilden“ (Scharff Rethfeldt 2016: 127), aber Erzieherinnen und Erzieher (und Lehrkräfte) sollen darauf 80 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation <?page no="81"?> 10 Für eine kritische Betrachtung der Methode „Sprachenporträts“ auch innerhalb der Professionalisierung angehender pädagogischer Fachkräfte vgl. Panagiotopoulou/ Ro‐ sen 2016 b. vorbereitet sein, dass Kinder auch diskriminierende Erfahrungen aufgrund ihrer mehrsprachigen Alltagspraxis zum Ausdruck bringen könnten und dass sie damit nicht allein gelassen werden dürfen. 10 Fragen und Aufgaben 1. Im Rahmen ihrer Expertise mit dem Titel „Sprachstandsfeststel‐ lung bei mehrsprachigen Kindern im Elementarbereich“ stellte Lengyel (2012: 17) die These einer Dominanz der „monolingualen Sprachkompetenz“ auf und begründete diese, indem sie darauf aufmerksam machte, „dass alle derzeit existenten Tests für mono‐ linguale Kinder entwickelt wurden und das Konstrukt ‚monolin‐ guale Sprachkompetenz‘ messen. Dementsprechend lässt sich in Testmanualen mitunter der Hinweis lesen, dass die Normwerte, für die die aufwändige Testkonstruktion ja durchgeführt wurde, nur eingeschränkt für Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch gelten und die Ergebnisse somit vorsichtig interpretiert werden müssten, um keine Fehldiagnosen zu erhalten“. Diskutie‐ ren Sie diese Kritik und prüfen Sie auf dieser Grundlage die Testmanuale von mehrsprachig konzipierten Diagnoseverfahren für Vorschulkinder (wie z. B. Cito oder Havas 5). 2. Eine zentrale Aufgabe von pädagogischen Fachkräften besteht darin, Kinder dabei zu unterstützen, das „Bewusstsein ihrer wach‐ senden Mehrsprachigkeit“ (Wandruszka 1979: 19) zu erkennen. Stellen Sie (fiktive) Situationen dar, mit denen sie dieses Ziel bei jungen Kindern und bei Schulanfängerinnen und Schulanfängern erreichen und dokumentieren könnten. 3. Nehmen Sie kurze Gespräche zwischen mehrsprachigen Vor‐ schulkindern, Erzieherinnen und Erziehern im KiTa-Alltag auf, transkribieren ausgewählte Stellen daraus und/ oder verfassen Beobachtungsprotokolle, die möglichst viele authentische (auch translinguale) Äußerungen von Kindern und Erwachsenen bein‐ halten. Diese Daten stellen Sie in Gruppen oder im Plenum zur 4.5 ‚Sprachenporträts‘ - aus der Perspektive mehrsprachiger Kinder 81 <?page no="82"?> Diskussion - kombiniert mit dem Arbeitsauftrag, nicht nach Problemen und Schwierigkeiten zu suchen, sondern sich auf die Sprachpraktiken und kommunikativen Fähigkeiten der Vorschul‐ kinder zu fokussieren. 82 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation <?page no="83"?> C. Mehrsprachigkeit und Bildung in der Schule Elke G. Montanari <?page no="85"?> 5 Sprachentwicklung und Diagnose im Schulalter Als ich zehn Jahre alt war, wanderte ich zusammen mit meinem Vater in die USA aus. Mit knapp 16 Jahren kam ich wieder nach Deutschland zurück. In der Zwischenzeit wurde Englisch zu meiner zweiten Muttersprache, sodass ich vieles auf Englisch besser ausdrücken konnte als auf Deutsch. Nachdem ich in Deutschland eine bilinguale Schule besucht und ein Studium in englischer Sprache angefangen hatte, lernte ich meinen heutigen Mann kennen. Da ich in Deutschland wieder mehr Deutsch als Englisch sprach, wurde mein Deutsch wieder besser als mein Englisch. (Aus einer Beratungsanfrage an EM) Die Mehrsprachigkeit eines Menschen verändert sich im Laufe des Heran‐ wachsens, denn der Gebrauch beeinflusst, welche Sprache die stärkere oder die flüssigere wird. Das ist ein adaptiver Prozess, die Sprachbeherrschung passt sich an die Bedarfe im Alltag an. In diesem Lichte gesehen ist es eigentlich kein Verlust, wenn Sprachfähigkeiten scheinbar verloren gehen, Sprache „einrostet“, sondern ein Beweis für die Flexibilität des Gehirns, das sich umorganisiert; auch wenn die Sprecherinnen und Sprecher das manchmal als verlorene Fähigkeiten erleben. Für die Durchführung von Spracherhebungen ist es sinnvoll, zu erfassen, in welcher Sprachensituation sich die betreffende Person befindet. Ist die Person gerade in ein deutschsprachiges Gebiet eingereist, oder wohnt sie schon lange dort? Welche Sprache spricht sie zu Hause oft, selten oder gar nicht? Soll nur eine Sprache diagnostisch betrachtet werden, oder können alle Sprachen einbezogen werden? Am allerwichtigsten ist es jedoch zu bestimmen, welches Ziel mit der Erhebung erreicht werden soll, welche Frage beantwortet werden soll: Ist es ein Einstufungsscreening für die Einschulung? Erscheint die Sprachent‐ wicklung ungewöhnlich und sollen Hinweise für eine weitere Diagnostik erarbeitet werden? Gab es einen Unfall, ein Trauma oder ein einschneiden‐ <?page no="86"?> des Ereignis, nach dem die Sprachentwicklung auffällig erscheint? Sollen Fördermaßnahmen evaluiert werden? Zunächst klären wir dazu in diesem Kapitel wichtige Eigenschaften mehrsprachiger Sprachbeherrschung und mehrsprachigen Handelns. In diesem Zusammenhang wird auf mehrsprachige und einsprachige Modi eingegangen und es wird das Komplementaritätsprinzip (Complementarity Principle, u.a. Grosjean 2024) vorgestellt. Weiterhin diskutieren wir die Fach‐ begriffe Ausgewogenheit, Dominanz sowie Attrition. Anschließend werden mehrsprachige Diagnoseverfahren dargestellt. 5.1 Verteilung sprachlicher Handlungen auf Handlungsbereiche: das Komplementaritätsprinzip Mehrsprachige Sprecherinnen und Sprecher gebrauchen in ihrem Alltag nicht für alle Lebensbereiche sämtliche Sprachen in gleicher Weise. Für man‐ che Lebensbereiche wird vorwiegend eine Sprache genutzt: z. B. Deutsch in der Schule; für andere Lebensbereiche werden andere Sprachen eingesetzt, z. B. für den häuslichen Bereich Spanisch. Der Sprachgebrauch verteilt sich also komplementär auf die Lebensbereiche des Menschen. Dieses Prinzip von einer an Handlungsfelder bzw. Lebensbereiche gebundenen Sprachenverteilung hat Grosjean (1989, 2024) als Complementary Principle formuliert. Der Sprachengebrauch ist auf unterschiedliche Handlungsfelder verteilt. Aus einem verstärkten Gebrauch einer Sprache in einem Hand‐ lungsbereich - insbesondere bei symmetrischem Sprachgebrauch, wenn also das Gegenüber in der gleichen Sprache antwortet - ergeben sich dann mehr Input und mehr Handlungsoptionen in eben dieser verwendeten Sprache. Damit erweitert sich der Wortschatz, und grammatische Strukturen der verwendeten Sprache können schneller erworben werden. Das führt dazu, dass diese Sprache dann in diesem Handlungsfeld besser beherrscht wird als andere (siehe dazu auch empirische Daten in Montanari/ Abel 2018). Umgekehrt folgt aus einem Gebrauch einer Sprache in weniger Hand‐ lungsfeldern, dass Verlusterscheinungen wie Fehler oder Lücken wahr‐ scheinlicher werden. Das Phänomen, dass die Sprachbeherrschung zurück‐ gehen kann, wird mit dem Begriff Attrition, „Reibung“, angesprochen. Attrition beschreibt den Abbau sprachlicher Handlungsfähigkeit, wenn z. B. Wörter nicht mehr schnell aktiviert werden können oder sich die Aussprache verändert (Schmid/ Jarvis 2014; Schmid et al 2022). Dabei ist 86 5 Sprachentwicklung und Diagnose im Schulalter <?page no="87"?> Attrition nicht nur negativ zu verstehen, sondern stellt eine funktionale Adaption des sprachlichen Wissens und der mentalen Organisation an die aktuellen Anforderungen, die das Individuum erlebt, dar. Was oft gebraucht wird, wird schneller aktiviert als Wissen, das selten gebraucht wird. Was nicht benötigt wird, wird vergessen. Attrition tritt nicht nur in Zweit- und Fremdsprachen, sondern auch in der Erstsprache auf. Die Sprachwahl beschreibt Grosjean (2024) als Kontinuum von Sprach‐ modi. Dieses reicht von einem vorwiegend einsprachigen Sprachmodus über den gelegentlichen Gebrauch einer weiteren Sprache bis hin zu einem Gebrauch aller Sprachen im multilingualen Modus. Ob ein monolingualer oder ein multilingualer Modus angemessen ist, hängt von sozialen und sprachlichen Faktoren ab und ist eine Wahl der Sprecherinnen und Sprecher. Sprecherinnen und Sprecher, die mehrere Sprachen gleichermaßen gut beherrschen, sind eher selten. Häufiger ist die Dominanz einer Sprache zu finden. Es scheint zunächst einfach zu prüfen, welche Sprache stär‐ ker scheint, doch tatsächlich sind die Kriterien äußerst vielfältig: Welche Sprache wird flüssiger, grammatisch komplexer, mit mehr Wortreichtum, schönerer Aussprache, lieber, bei Aufregung verwendet? Wie schätzen die Sprecherinnen und Sprecher das selbst ein? All dies kann auf der kognitiven Ebene als sprachliches Wissen thematisiert werden, oder im Gebrauch und damit im Kontext der konkreten Handlungsfähigkeit untersucht werden. Am Beispiel des Kriteriums der flüssigen Sprachbeherrschung erläutert Piller (2016), wie sehr der Kontext beeinflusst, ob Flüssigkeit als ausreichend gelten kann oder nicht: To be ‚fluent‘ as a supermarket check-out operator is different from being ‚fluent‘ as a university student. Overall, the key point is that ‚fluency‘ means different things to different people and while we often are too eager to pass judgement on the proficiency of those who have traces of complex language learning trajectories in their repertoires, our judgements are rarely particularly valid or reliable. (Piller 2016: 48) Spontane Fehleinschätzungen von Flüssigkeit und Sprachbeherrschung unterlaufen dabei leicht. So weist Piller (2016: 48ff.) darauf hin, dass junge Lerner leicht überschätzt werden, weil sie relativ leicht kommunikative Fähigkeiten erwerben; ältere Lernende werden, wenn sie ihren Akzent beibehalten, dagegen tendenziell in ihren Sprachfähigkeiten unterschätzt. 5.1 Verteilung sprachlicher Handlungen auf Handlungsbereiche 87 <?page no="88"?> 5.2 Die Problematik des Vergleichens Das mehrsprachige Wissen eines Individuums ist eine Gesamtheit von Wissen und sprachlichen Handlungsfähigkeiten. Um Mehrsprachigkeit zu erfassen, muss also immer reflektiert werden, wie der Sprachengebrauch in dem betreffenden Handlungsfeld gestaltet ist und welche Handlungsfelder nicht betrachtet werden. Welche Sprachen werden in dem untersuchten Handlungsfeld verwendet? Ist das getestete Kind gewohnt, das, was jetzt erwartet wird, in dieser Sprache durchzuführen? Als Beispiel möchte ich hier eine Erfahrung aus einer eigenen Daten‐ erhebung aus meiner Studie 2010 anführen. Ich hatte mit Vorschulkin‐ dern für eine Evaluationsstudie eine Erzählung nach Abbildungen erhoben. Ein Mädchen hatte die Aufgabe auf Deutsch ganz gut gemeis‐ tert. Danach bat ich es, die Erzählung nach Bildern auf Kurdisch für ihre Eltern zu tun. Das Kind fand das sehr schwer und sagte schließlich, dass es das auf Kurdisch überhaupt nicht könne. Dabei sprach es zu Hause nur Kurdisch, bestimmt kannte es die nötigen Wörter. Ich denke, die Aufgabe war eine typische „Kindergartenaufgabe“ im deutschsprachi‐ gen Umfeld. Deshalb fiel es ihm so schwer, die Nacherzählung in der Herkunftssprache zu meistern. (EM) Das gleiche Verfahren kann in mehreren Sprachen schon von der Anlage her unterschiedlich schwierig sein. Werden nur die Ergebnisse in einer Sprache analysiert, dann werden immer Ausschnitte betrachtet, es erfolgt also eine Teildiagnostik der sprachlichen Fähigkeiten. Die besonderen Fähigkeiten Mehrsprachiger z. B. beim Übersetzen und bei der Sprachmittlung, bleiben unberücksichtigt. So wird beispielsweise weder die kognitive Leistung, sich auf einen monolingualen Modus einzustellen, noch die Fähigkeit, in ein- und mehrsprachigen Kontexten multikompetent (s. Kapitel 1.1) zu handeln, erfasst. Auch die hohe kognitive Aktivität, die beim Code-Switching und anderen Formen der gleichzeitigen Sprachenverwendung vorliegt, kann von einsprachigen Verfahren nicht berücksichtigt werden. Sollen Gruppen verglichen werden, so finden wir in der Forschungslite‐ ratur zahlreiche Vergleiche zwischen mehrsprachigen sowie mit einsprachi‐ gen Stichproben, wie wir sie auch selbst durchgeführt haben. Tatsächlich werden jedoch sehr unterschiedliche Spracherwerbsverläufe verglichen. Daraus ergibt sich vor allem, dass der Vergleich monolingualer und multi‐ 88 5 Sprachentwicklung und Diagnose im Schulalter <?page no="89"?> lingualer Stichproben für die meisten Fragestellungen problematisch ist. Rothmann et al. 2023 nennen die Vergleichspraxis ein- und mehrsprachiger Stichproben „out of control“ (ebd.: 316), mahnen Alternativen an und brin‐ gen Beispiele. Stehen mehrere Datenreihen zur Verfügung, so bieten sich interindividuelle Vergleiche eher an: Wie hat sich ein Kind entwickelt, was sind die Ergebnisse mit sechs, neun und zwölf Jahren? Interessanter sind grundsätzlich Vergleiche mehrerer Stichproben bilingualer bzw. mehrspra‐ chiger Probanden untereinander, zum Beispiel im Hinblick auf die Fragen, wie sich Dominanz auf unterschiedliche Handlungsbereiche verteilt oder wie sich ältere und jüngere Mehrsprachige unterscheiden. Obwohl Vergleiche von ein- und mehrsprachigen Probanden also zahlrei‐ che Probleme aufweisen, können sie für spezifische Fragestellungen sinnvoll sein; sollen z. B. Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung der ersten Lebens‐ jahre aufgeklärt werden, so ist eine schnelle, auch eine einsprachige, Diagnostik sinnvoll, vor allem wenn keine mehrsprachige Diagnostik verfügbar ist. Bei auffälligen Testergebnissen kann dann schnell vorausschauend therapeutisch gehandelt werden, was für die weitere Sprachentwicklung sehr wichtig ist. Eine eventuelle Überversorgung durch ein falsch positives Ergebnis ist in diesem Zusammenhang weniger schädlich als eine Unterver‐ sorgung - sollte ein Kind sich zügiger als erwartet entwickeln, kann die Sprachtherapie beendet werden. Wird jedoch z. B. ein Entwicklungsproblem über längere Zeit nicht erkannt, so sind die Folgen oft schwerwiegend. Auch kann ein kritisches Gegenüberstellen von Bildungserfolgen ein- und mehrsprachiger Gruppen dazu dienen, Benachteiligungen zu identifi‐ zieren, also zu bemerken, ob in Schulen mehrsprachige Kinder systematisch schlechtere Ergebnisse erzielen (z. B. Montanari et al. 2018 a, b). Auf diese Weise können diskriminierende institutionelle Praktiken aufgedeckt werden. Die Schule ist ein Handlungsfeld, das ein- und mehrsprachige Kinder typi‐ scherweise unter den Bedingungen von Einsprachigkeit vergleicht und Ein‐ sprachigkeit als Norm im Sinne eines monolingualen Habitus setzt (Gogolin 1994, Piller, Torsh et al. 2024). Damit wird Mehrsprachigkeit diskriminiert, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern werden in der Wahrnehmung ihrer Bildungschancen eingeschränkt. Auch das ist ein weiterer Grund dafür, über Sprachbeherrschung nicht auf der Grundlage allgemeiner Merkmale wie Name, Hautfarbe, Herkunft zu spekulieren, wie das im Schulalltag schnell passieren kann, sondern sie diagnostisch zu erfassen (wie es Piller/ Bodis 5.2 Die Problematik des Vergleichens 89 <?page no="90"?> 11 COST Action IS0804, Language Impairment in a Multilingual Society: Linguistic Patterns and the Road to Assessment 12 Website: https: / / www.bi-sli.org/ , abgerufen am 20.1.2025 2024 für das Englische in Hochschuleingangstests beschreiben, was sich gut auf Schule übertragen lässt). 5.3 Mehrsprachige Diagnoseverfahren Im Vergleich zur frühen Kindheit haben sich relativ wenige Diagnoseansätze damit beschäftigt, wie mehrsprachige Diagnose von Sprachentwicklung im Schulalter durchgeführt werden kann. Einige Möglichkeiten werden im Folgenden dargestellt. Kombinierte Testbatterie für Kinder in einer mehrsprachigen Welt: LITMUS Der europäische Stakeholder COST: European Cooperation in Science and Tecnology förderte in einer Aktion ein europäisches Netzwerk von Forscher‐ innen und Forschern, um Diagnosemöglichkeiten für Spracherwerbsauffäl‐ ligkeiten in einer mehrsprachigen Welt zu verbessern. 11 In diesem Netzwerk entstand die Testbatterie LITMUS. 12 Einige Tests aus der LITMUS-Testbat‐ terie sind für Kinder bis in das Schulalter normiert, wie die im Folgenden vorgestellten Verfahren MAIN (für Erzählfähigkeit) und LITMUS-CLT (Für den Wortschatz). Erzählungen nach Abbildungen: Sprechen über Frösche und andere Tiere In vielen, vielleicht in allen Kulturen und Sprachen wird erzählt. Dabei sind die Erzählungen nicht gleich, aber auch nicht völlig unterschiedlich. Gibt es mehr- und übersprachliche Gemeinsamkeiten, die diagnostisch genutzt werden können? Dieser Frage ging ein großes, mittlerweile klassi‐ sches Projekt nach, das viele Sprachen und Gesellschaften einbezog (Slobin 1985). Für den Gesprächsanlass, der Kindern auf der ganzen Welt vorgelegt wurde, wurde ein textloses Bilderbuch ausgesucht, das damit zu dem berühmtesten Bilderbuch in der Sprachforschung wurde: die Geschichte von einem Jungen und seinem Frosch, den der Junge sucht und am Schluss 90 5 Sprachentwicklung und Diagnose im Schulalter <?page no="91"?> an einem Froschteich (vielleicht? ) findet, die Frog Story (Mayer 1969). Das Untersuchungsdesign war im Kern einsprachig: Den Kindern wurde das Bilderbuch vorgelegt und sie wurden gebeten, die in den Abbildungen dargestellte Geschichte nachzuerzählen. Dieses Vorgehen wurde in vielen Sprachen eingesetzt und auch für mehrsprachige Kinder verwendet (z. B. Akıncı 2002). Da die Froschgeschichte recht lang ist, außerdem schwarz/ weiß und nicht immer nah an der Lebenswelt der Kinder, wird sie heute oft durch andere Stimuli ersetzt. Daraus entwickelte sich das Vorgehen, über Bildimpulse Narrationen in unterschiedlichen Sprachen anzuregen und dabei mit einem Analyseraster den Sprachstand zu erfassen, wie es im Projekt Multilingual Assessment Instrument for Narratives MAIN für Kinder bis zu zehn Jahren umgesetzt ist (u. a. Bohnacker/ Gagarina 2020). Damit können Nacherzählungen, Antworten auf Verständnisfragen und Erzählungen nach Abbildungen erhoben werden. Aus qualitativer und quantitativer Sicht wird der Sprachstand anhand einer Modellgeschichte, einer Erzählung nach Abbildungen oder einer Nacherzählung multilingual erfasst. Die besonderen Eigenschaften des Verfahrens liegen einmal darin, dass es vier international, interlingual und interkulturell abgestimmte Bildvorlagen gibt; so kann die Erhebung in mehreren Sprachen des Kindes erfolgen, und dafür können unterschiedliche Impulse genutzt werden. Es gibt außerdem einen rezeptiven Testteil. Sprachverständnis geht der Sprachproduktion ja grundsätzlich voraus, und der Test für das Verständnis von Narrationen ermöglicht es, auch Sprecherinnen und Sprecher mit noch sehr geringer Sprachkompetenz zu erfassen. Das Ziel von MAIN ist es dabei nicht, Altersnormen zu generieren, sondern Vergleichswerte innerhalb einer ähnlichen Gruppe zu schaffen, z. B. innerhalb der Schülerinnen und Schüler eines Schuljahrgangs. 5.3 Mehrsprachige Diagnoseverfahren 91 <?page no="92"?> Abb. 2: Multilingual Assessment Instrument for Narratives MAIN (Gagarina et al. 2012: 3) Dieses Verfahren wurde mit mehr als 500 Kindern für 15 Sprachen entwi‐ ckelt und ist für Kinder bis zu zehn Jahren geeignet, die von einem frühen Lebensalter an mehrsprachig aufwachsen. Abb. 3: Multilingual Assessment Instrument for Narratives MAIN, türkisch-deutschsprachi‐ ger Schüler, 2. Klasse (Korpus Gagarina et al.) Für die Auswertung gibt es einen detaillierten Auswertungsbogen, der bei den meisten Aufgaben zwischen falsch (= 0 Punkte) und richtig (= 1 Punkt) bzw. 2 Punkte (für eine richtige Antwort und genannte Referenzen zu Zeit und Ort) unterscheidet und daher schnell auszufüllen ist. 92 5 Sprachentwicklung und Diagnose im Schulalter <?page no="93"?> Richtige Antwort1 Bewertung Bemerkung A1. Setting Zeit und/ oder Ort des Ge‐ schehens: es war einmal, vor langer Zeit, an einem See 0 1 2 - Episode 1: Schmetterling (Charaktere: Katze und Schmetterling) A2. IST als einleiten‐ des Ereignis Katze ist verspielt/ will spielen/ sieht einen Schmetterling 0 1 - A3. Goal Katze will den Schmet‐ terling fangen/ schnap‐ pen/ packen. 0 1 - A4. Attempt Katze springt nach vorne/ hoch 0 1 - A5. Outcome Katze fällt in den Busch, bekommt den Schmet‐ terling nicht/ war nicht schnell genug Schmet‐ terling entkommt/ fliegt weg/ ist schneller 0 1 - Abb. 4: Bewertungsbogen für „CAT“, Auszug, Gagarina et al. 2012: 9 Innerhalb einer Gruppe können so Erzählfähigkeiten sehr gut verglichen werden und mit den Fähigkeiten in den anderen Sprachen verglichen wer‐ den. Bisher wird MAIN im Wesentlichen für Forschungszwecke eingesetzt. Wortschatz in LITMUS: Bildbenennungstests Gängige Verfahren, um den Wortschatz im Schulalter zu testen, sind z. B. der Wortschatz- und Wortfindungstest für 6-10-Jährige WWT 6-10 (Glück 2011), der PPVT (Dunn/ Dunn 2007, für die Altersgruppe 3-99 Jahre) oder die CLT aus LITMUS. Für den WWT 6-10 und den PPVT gibt es eine umfangreiche Literatur. Im Prinzip funktionieren die Wortschatztests sehr ähnlich: Für den rezeptiven Teil werden mehrere Bilder (= Items) gezeigt, und das Kind soll auf ein bestimmtes Bild zeigen („Zeige auf ‚Ente‘“). Unter den angebotenen Bildern sind Distraktoren, z. B. Bilder von Dingen, die sich so ähnlich anhören oder die konzeptionell ähnlich sind, z. B. könnten das Ende einer Schnur dargestellt sein und ein anderes Tier, z. B. ein Pinguin, zu sehen sein. 5.3 Mehrsprachige Diagnoseverfahren 93 <?page no="94"?> Für den Test des expressiven Wortschatzes wird ein Bild gezeigt und das Kind wird gefragt, wie das heißt. Meist werden Ausspracheschwierigkeiten und morphologische Elemente ausgeblendet: Ente, Enten, Enta, Entenbaby wären dann korrekte Zielantworten. Für mehrsprachige Ergebnisse in Bildbenennungstests werden die Ergeb‐ nisse aus den einzelsprachlichen Testungen addiert (ausführlich diskutiert in Montanari et al. 2018 a, b). Für die Summe werden für jedes Testkind die Rohwerte (= richtigen Antworten im Sinne des Verfahrens) zusammenge‐ zählt (total vocabulary TV, Gesamtwortschatz) oder die in mindestens einer Sprache benannten Items gezählt (total conceptual vocabulary TCV). Antworten TV TCV Haus, house 2 1 Haus, - 1 1 -, house 1 1 Abb. 5: Berechnung von TV und TCV Die Werte aus den Tests in unterschiedlichen Sprachen können nicht einfach gleichgesetzt werden, denn die Tests sind je nach Sprache für die Kinder unterschiedlich schwierig, denn: • Die Worthäufigkeiten unterscheiden sich in unterschiedlichen Spra‐ chen, • für Sammelkategorien sind in einigen Sprachen Oberbegriffe vorhan‐ den, in anderen nicht (z. B. „Geschirr“ gibt es auf Italienisch nicht als Oberbegriff), • Wörter sind unterschiedlich lang, • Wörter sind unterschiedlich phonologisch komplex, • Wortarten können sich unterscheiden, • Kinder im gleichen Alter haben je nach Sprachfamilie z.T. unterschied‐ lich große Wortschatzumfänge (Haman et al. 2017), • u.v.m. All das muss bei einem transsprachlichen Vergleich berücksichtigt werden. Als Auswertungsansatz haben sich z. B. Prozentränge innerhalb von Stich‐ proben bewährt: Dabei werden nicht Testergebnisse verglichen, sondern 94 5 Sprachentwicklung und Diagnose im Schulalter <?page no="95"?> 13 http: / / psychologia.pl/ clts/ ; abgerufen am 22.1.2025. Ränge innerhalb von Stichproben („welches deutsch-türkischsprachige Kind hat am besten/ zweitbesten abgeschnitten? “). Als über mehrere Altersgruppen und Sprachkombinationen stabiler Be‐ fund zeigt sich eine Wortschatzlücke zwischen ein- und mehrsprachigen Probanden, wenn nur eine Sprache ausgewertet wird. Bei der Auswertung in mehreren Sprachen mittels TV und TCV verschwindet die Wortschatzlücke zwischen ein- und mehrsprachigen Altersgenossen (u. a. De Houwer 2010, 2023). Die individuellen Unterschiede sind dabei sehr groß; mehrsprachige Schüler können auch einen größeren Wortschatzumfang als einsprachige Klassenkameraden oder -kameradinnen aufweisen. Die neueste Entwicklung ist die LITMUS-CLT Cross-linguistic Lexical Task. Das Verfahren LITMUS-CLT wurde dafür entwickelt, sprachenübergreifend bis in das Schulalter, bis zum Alter von 6 Jahren 11 Monaten, zu testen. Es ist in 24 Sprachen verfügbar. 13 Dabei müssen Kinder im Untertest zum rezeptiven Wortschatz Bilder zu einem Wort identifizieren und für den Test auf expressiven Wortschatz einen dargestellten Gegenstand benennen. Das Vorgehen ist also wie bei PPVT und WWT 6-10. In der Entwicklung des Verfahrens wurde eine Vorstudie mit 34 Sprachen durchgeführt. Es wurden nur Zielwörter ausgewählt, die es in den meisten der 34 untersuchten Sprachen gibt, für die das durchschnittliche Aneignungsalter übereinstimmt und die eine ähnliche Komplexität phonologischer und morphologischer Merkmale zeigen (Haman et al. 2017). Die Bilder wurden eigens für die CLT gezeichnet und zum Teil in unterschiedlichen Versionen nach gesellschaft‐ lichen und kulturellen Gesichtspunkten angepasst. Der Test kann auf Papier, als Präsentation oder auf einem Tablet mit touch-screen durchgeführt werden. Dadurch bietet das Verfahren sehr gute Möglichkeiten, stärker und schwächer entwickelte Sprachen anzuzeigen. Auch auf die Motivation und das Selbstbild der Kinder kann sich die Möglichkeit, in einer Sprache sehr gut abzuschneiden, wenn der Test in einer anderen Sprache sehr schwierig war, sehr positiv auswirken. In einer zweisprachigen Testgruppe können dann wieder die Summen, wie oben, TV und TCV, gebildet werden. Die Niveaubeschreibungen Deutsch als Zweitsprache Für die Beobachtung der Zweitsprache Deutsch liegen die Niveaubeschrei‐ bungen Deutsch als Zweitsprache für die Grundschule und die Sekundar‐ 5.3 Mehrsprachige Diagnoseverfahren 95 <?page no="96"?> 14 Online zu finden z. B. hier: www.foermig.uni-hamburg.de/ pdf-dokumente/ sh-niveaub eschreibung-2010.pdf stufe 1 vor (Döll/ Saalmann 2021; Sächsisches Bildungsinstitut 2013). 14 Der Schwerpunkt liegt auf der Aneignung der deutschen Sprache in Syntax, Lexik und Sprachverwendung, es gibt auch ein Modul zur Beherrschung der Herkunftssprache. Der umfassende Dokumentationsbogen für Unter‐ richtsbeobachtungen bietet Musterformulierungen an, mit denen die Schü‐ lerinnen und Schüler eingeschätzt werden können. Das Vorgehen ist im Schulalltag einfach durchzuführen: Eine oder zwei Personen tragen nach dem Unterricht ihre Beobachtungen ein und erstellen so ein Protokoll ihrer Einschätzungen. I II III IV Der Schüler zeigt sehr wenig Sprechfreude; im Unterricht meldet er sich nur bei di‐ rekter Aufforde‐ rung zu Wort. Der Schüler zeigt wenig Sprech‐ freude, im Unter‐ richt ist er über‐ wiegend still. Er beteiligt sich aber gelegentlich auch unaufgefor‐ dert an Unter‐ richtsgesprächen. Der Schüler zeigt solide Sprech‐ freude. An Unter‐ richtsgesprächen beteiligt er sich re‐ gelmäßig freiwil‐ lig. Der Schüler zeigt große Sprech‐ freude. Seine frei‐ willige Beteili‐ gung an Unterrichtsge‐ sprächen ist konti‐ nuierlich und rege. Abb. 6: Freude und Interesse am Sprechen - Deutsch und Herkunftssprache. Niveaube‐ schreibungen Deutsch als Zweitsprache, Sächsisches Bildungsinstitut (2013: 18) Die Beobachtungsbögen stehen auf mehreren Bildungsservern als freeware zum Download zur Verfügung. Wenn sich die Beobachtenden absprechen, ist der Vergleich der Beobachtungen in der Praxis gut anwendbar. Die Durchführung sollte zunächst geübt werden, damit Erfahrungen mit dem eigenen Beobachtungsverhalten gesammelt werden können. Wenn die Sprachentwicklung ungewöhnlich erscheint Manchmal werden Sprachentwicklungsauffälligkeiten erst im Schulalter sichtbar, zum Beispiel weil sie sich auf den Schrifterwerb auswirken (Sansa‐ vini et al. 2021). Sansavini et al. (2021) stellen einige Prediktoren zusammen, die auf eine Sprachentwicklungsauffälligkeit (Development Language Disor‐ 96 5 Sprachentwicklung und Diagnose im Schulalter <?page no="97"?> der) hinweisen können und durch Tests abgeklärt werden sollten. Nicht sicher belegt ist allerdings, wie diese Prediktoren interagieren und welche Aussagekraft sie haben. Das Vorliegen mehrerer Prediktoren kann also wertvolle Hinweise geben, um eine testdiagnostische Klärung anzustoßen. Allein haben sie jedoch keine signifikante Aussagekraft. Das heißt: Es gibt viele Kinder mit typischer Sprachentwicklung, auf die diese Eigenschaften auch zutreffen. Erst ein Test schafft daher Klarheit, Eltern sollten nicht vorschnell beunruhigt werden. Die folgende Aufstellung orientiert sich an Sansavini et al. (2021). Genetische Prediktoren • Eine Häufung in der Familie; wenn also Eltern berichten, dass sie selbst, der Bruder, der Cousin … spät angefangen hätten zu sprechen, Sprachauffälligkeiten zeigen oder ähnliches; Sprachliche Prediktoren • Undeklinierte Wortstämme (*„zwei Haus“; *„Peter komm“) bei mehr als 20 % der Äußerungen; • auffallender Kasusgebrauch, der nicht altersgerecht ist (und der nicht durch das Komplementaritätsprinzip oder die Erwerbsbiografie erklärt werden kann, z. B. bei newcomers im ersten Jahr), z. B. keine Dativver‐ wendung; • ungewöhnliche Prosodie (Satzmelodie); • (durch Tests oder Beobachtung nachgewiesener) geringer Wortschatz, rezeptiv oder expressiv, falls nicht z. B. durch das Komplementaritäts‐ prinzip erklärbar; • ungewöhnliche, nicht zielsprachliche Wortstellung, wenn sie nicht durch Satzabbrüche etc. erklärt werden kann ( „dann … oh …/ ich gehe zu Mona! “ mit Äußerungsabbruch und Neubeginn mit zielsprachlicher Wortstellung im Unterschied zu *„dann ich gehe zu Mona“ mit Verbdritt‐ stellung) bei mehr als 20 % der Äußerungen. Bruchstückhafte Sätze, in denen die Grammatik drunter und drüber zu gehen scheint, produzieren fast alle Sprecherinnen und Sprecher ab und zu und öfter bei Aufregung. Erst wenn die bruchstückhaften oder ungrammatischen Äußerungen häufig sind, sollte ihnen Aufmerksamkeit geschenkt werden. In der Spracherwerbsforschung liegt das Kriterium bei 80-90 % korrekter Äußerungen, damit ein Merkmal als beherrscht gilt. 5.3 Mehrsprachige Diagnoseverfahren 97 <?page no="98"?> Soziale Prediktoren wie die Interaktionsqualität in der Familie, das li‐ terale Verhalten in der Umgebung des Kindes und sozio-ökonomischer Hintergrund werden in viele Studien einbezogen. Ihre Vorhersagekraft für Entwicklungsauffälligkeiten ist jedoch oft nicht signifikant und sehr anfällig für eine diskriminierende Interpretation. Vorsicht ist also bei der Verwendung dieser Merkmale geboten. Die Anregung zu einem intensi‐ ven literalen Umgang in der Familie, wie z. B. gemeinsames Lesen und Gespräche über Gelesenes, Bilderbücher ansehen und darüber sprechen, ein regelmäßiger Spieltag in der Bücherei / Mediathek und das gemeinsame Ansehen von Videos mit Gespräch sind aber immer gute Beratungsimpulse im Elterngespräch für eine klassische Literalität (mit Büchern z. B.) und die Entwicklung medialer Literalität, z. B. im Internet. Fragen wie „Wie führe ich ein Gespräch mit meinem Kind? “ oder „Wie betrachten wir gemeinsam eine Lektüre und haben Spaß dabei? “ sind gute Themen für interessante Elternabende! Werden Sprachentwicklungsauffälligkeiten frühzeitig erkannt, sind die Möglichkeiten für eine Therapie und die Erfolgsaussichten umso größer. Viele Sekundäreffekte im Verhalten und in der Selbstwahrnehmung, wie z. B. geringeres Selbstbewusstsein, Angst zu sprechen oder zu schreiben, können bei einer frühen Therapie vermieden werden. Auch wenn es bisher nur wenige Verfahren für die klinische Diagnose mehrsprachiger Kinder im Schulalter gibt, sollte eine Diagnostik in allen Zweifelsfällen durch Pädaudiologen, Sprachambulanzen oder Entwicklungszentren mit Überwei‐ sung vom Kinderarzt bzw. der Kinderärztin vorgenommen werden. Das Ziel ist es dabei, dem Kind Angebote zu machen, um die Entwicklung zu fördern und das optimale Ergebnis zu erreichen, und das möglichst frühzeitig. Desiderata und Ausblick Die Annahme, dass Mehrsprachigkeit eine ganz eigene Multikompetenz hervorbringt (Cook 1992, Sommer-Farias 2023), konnte bisher noch nicht diagnostisch oder empirisch bestätigt oder verworfen werden. Wie könnte sich eine solche Multikompetenz im sprachlichen Handeln zeigen? Bedeutet Multikompetenz mehr als eine gute Fertigkeit zum Transfer und ausgebaute interkulturelle Handlungsfähigkeiten? In dem folgenden Beispiel ist der Gebrauch mehrsprachigen Wissens im Text gut zu sehen. Dieser Schüler, der zu diesem Zeitpunkt erst seit einigen Monaten in Deutschland lebt, überträgt 98 5 Sprachentwicklung und Diagnose im Schulalter <?page no="99"?> eine in Nepali sehr geläufige Praxis der Entlehnung englischer Wörter in seinen deutschen Text („table tennis“, „field“): Abb. 7: Brief eines Deutsch-Englisch-Nepali sprechenden Schülers; Eich 2018 Hier ist sichtbar, wie aus mehreren Sprachen Schreibweisen und Wörter zusammengebracht werden. Es sind noch Forschungsdesiderata vorhanden, wie die Kompetenzen in mehreren Sprachen zu einer Multikompetenz zusammengefügt werden. 5.4 Zusammenfassung Sollen mehrsprachige und multikompetente Ressourcen bei Schülerinnen und Schülern erfasst werden, stehen Testverfahren in mehreren Sprachen zur Verfügung, bei denen gesamtsprachliche Werte berechnet werden kön‐ nen. Im pädagogischen Handeln hat sich eine Kombination von Beobach‐ tung und Dokumentation bewährt: Wann verwenden die Schülerinnen und Schüler welche Sprachen? Zu welchen Handlungszwecken? Was erreichen sie damit? 5.4 Zusammenfassung 99 <?page no="100"?> Aufgaben 1. „The bilingual is not two monolinguals in one person“ (Grosjean 1989): Diskutieren Sie bitte diesen Satz aus einem klassischen und berühmten Aufsatz der Mehrsprachigkeitsforschung. Warum war dieser Aufsatz so wichtig? 2. Suchen Sie Texte von Grosjean in Ihrer Bibliothek und lesen Sie sie. Was sind die Neuerungen und Veränderungen? Welche Inhalte und Thesen sind gleichgeblieben? 3. Befragen Sie eine/ n Kommilitonen oder eine Person aus Ihrem Freundeskreis zu der Sprachenverwendung nach Handlungsberei‐ chen und dokumentieren Sie die Antwort. Können Sie Komple‐ mentarität feststellen? 100 5 Sprachentwicklung und Diagnose im Schulalter <?page no="101"?> 15 Sämtliche Zitate dieses Kapitels sind aus dem Korpus Montanari 2017. Alle Äußerungen wurden für diese Veröffentlichung redaktionell bearbeitet. 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht Und wie findest du das, dass so viele Sprachen gesprochen werden? Also da gibt es ja nicht nur Ara‐ bisch. Da gibt es vielleicht noch Türkisch, Kurdisch, Polnisch, Spanisch. Das finde ich sehr gut. Und warum? Also wir können uns von der ganzen Welt in der Sprachlernklasse treffen und die Person da wird zum Beispiel auch die andere Sprache lernen und was sie sagen, wie ist ihre Sprache oder so. Ja, das gefällt mir sehr. (Neu zugewanderte Schülerin der siebten Klasse)  15 Diese Schülerin sieht die sprachliche Vielfalt im Unterricht positiv. Doch es gibt auch andere Meinungen: Schülerinnen und Schüler äußern sich sehr differenziert dazu, für welche kommunikativen Zwecke sie einsprachig und für welche sie vielsprachig agieren wollen und sie weisen oft auch darauf hin, dass sie ausreichend Sprachkontakt brauchen, um sich die neue Spra‐ che Deutsch anzueignen: „Wenn wir immer sprechen Arabisch, dann wir sprechen also nicht korrektes Deutsch“, formuliert ein neu zugewanderter Schüler seine Bedenken (Montanari 2017). Der Unterricht stellt selbst einen Sprachraum dar, in dem soziale Un‐ terscheidungen erfolgen, d. h. Sprachen und Varianten werden ganz unter‐ schiedliche Werte der Anerkennung zugeordnet (Mecheril/ Natarajan 2022: 60). Unter Bedingungen einer monolingualistischen Gesellschaft, d. h. einer alltags‐ weltlich viel- und mehrsprachigen Gesellschaft, für die das weitgehend für legitim gehaltene Vorherrschen einer Sprache kennzeichnend ist, wird von konkreten Sprecher*innen noch etwas anderes verlangt: Sie sind gehalten, jene Sprache zu <?page no="102"?> sprechen, die in einem gesellschaftlichen Kontext die dominante Sprachweise darstellt … Aus diesem Grund heißt es mit Bezug auf Schüler*innen, die als Schüler*innen mit Migrationshintergrund gelten, selbst in wissenschaftlichen Studien nicht selten, ihre ‚Sprachfertigkeiten‘ seien gering. (Mecheril/ Natarajan 2022: 61) Wie kann diskriminierungskritisch ein positiver Umgang mit der Mehr‐ sprachigkeit der Schülerinnen und Schüler im Unterricht gefunden und wie können gleichzeitig ausreichend Freiräume für die Vermittlung der Unterrichts- und Bildungssprache bereitgestellt werden? Gerade um die Kritik an diskriminierenden Praxen der Schule aufzugreifen, werden grund‐ legende Überlegungen zu mehrsprachigem Unterricht, Multikompetenz und Translanguaging angestellt. Davon ausgehend wird die Öffnung des Unterrichts für Mehrsprachigkeit diskutiert; hierfür werden Äußerungen aus einer Befragung von Lehrkräften sowie von Schülerinnen und Schülern herangezogen. Anschließend werden Anregungen für die Praxis eines mehrsprachigen Unterrichts gegeben. 6.1 Grundsätzliche Fragen Diskriminierung und Linguizismus Eine an Mehrsprachigkeit orientierte Didaktik wendet sich an sämtliche Schülerinnen und Schüler - an diejenigen, die in der Familie eine Sprache sprechen, an Kinder, bei denen Dialekte und Hochsprache(n) zusammen‐ kommen, an Kinder, die in einer mehrsprachigen Welt aufwachsen und sich darin zurechtfinden wollen, an junge Menschen, die Sprachen lernen, aufschnappen, verstehen, gebrauchen und das auf sehr unterschiedlichen Niveaus, und natürlich auch an Kinder und Jugendliche mit Behinderung oder Beeinträchtigungen (siehe grundsätzlich dazu Dirim 2023). Pauschale Zuordnungen wie die folgenden Negativbeispiele werden heute als diskri‐ minierend wahrgenommen und abgelehnt: 102 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht <?page no="103"?> 16 Das ist das Beispiel eines Schülers, der diese Frage in der 7. Klasse so erlebt hat und sich unglaublich geärgert hat. Lieber A., hab herzlichen Dank für das Beispiel! • Kinder mit Deutsch als Zweisprache haben ein schlechteres Sprach‐ gefühl; • mehrsprachige Kinder müssen besondere Hilfe erhalten, weil sie Schwierigkeiten mit der Schulsprache haben; • Kinder mit Deutsch als Zweitsprache benötigen besondere Unterstüt‐ zung beim Lernen; • Es ist toll, wie gut *** Deutsch spricht, obwohl sie ja mehrsprachig ist/ zu Hause xxx spricht; • Wahrscheinlich lesen die Eltern von +++ nicht viel vor, sie kommen ja aus ###; • Woher kommst du denn? - Aus Frankfurt. - Nein, ich meine wirklich?   16 Die Liste unangebrachter Äußerungen, die trotzdem oft zu hören sind, ist leider endlos. Den Äußerungen gemeinsam ist, dass sie Defizithypothesen implizieren und/ oder ausgrenzen. Sie widersprechen daher grundlegenden pädagogischen Grundsätzen, nach denen jedes Kind in seiner Persönlichkeit gesehen werden sollte. Zielführender ist es, die Familiensprachen einzube‐ ziehen. Doch genau davor scheuen sich viele Lehrpersonen. Es sind vor allem vier Legitimationen, mit denen begründet wird, Familiensprachen aus der Schule auszugrenzen (Lange et al. 2024): • fehlende Kompetenzen des Lehrpersonals, • Vielfältigkeit der Familiensprachen in der Klasse, • Notwendigkeit des Erwerbs der deutschen Verkehrssprache als Voraus‐ setzung für Integration und • umzusetzende Sprachverbote. Das haben Lange et al. 2024 in einer Befragungsstudie herausgefunden. Sprache funktioniert als „ein Werkzeug und ein Medium, durch das Dif‐ ferenzordnungen geschaffen werden (Lange et al. 2024: 250). Damit wird der Sprachgebrauch im Unterricht als ein Werkzeug erkennbar, mit dem Diskriminierungen umgesetzt werden können. Das wird als Linguizismus bezeichnet. Vielleicht steckt oft Unsicherheit dahinter, wie Mehrsprachig‐ 6.1 Grundsätzliche Fragen 103 <?page no="104"?> 17 https: / / www.biss-sprachbildung.de/ btools/ sprachliche-kompetenzen-paedagogischerfachkraefte-sprachkopf/ 18 https: / / www.dazkom.de/ instrumente-1/ keit in den Unterricht Einzug halten könnte? Einer diskriminierungssensib‐ len Ausbildung der Lehramtsstudierenden und geeigneten Fortbildungen kommt also eine entscheidende Rolle dafür zu, gleichberechtigte sprachliche Zugänge in der Schule zu schaffen (für Beispiele siehe Binanzer et al. 2023 und der Abschnitt „Translanguaging“ ab Seite 107). Dazu gehört es auch, strukturiert didaktisch gut konzipierte Angebote zu machen, um auf allen Erwerbsstufen die Beherrschung des Unterrichtsmediums zu unterrichten, damit alle Schülerinnen und Schüler zielsprachlich und korrekt in der oder den Schulsprachen handeln können und dafür auch den monolingualen Modus (s. Kapitel 5) beherrschen. Dies zu erreichen ist eine zentrale Aufgabe der Bildungsinstitutionen und damit der Lehrperso‐ nen. Doch wie gut sind Lehrpersonen auf diese Aufgabe vorbereitet? In den Universitäten und Hochschulen gehören Inhalte wie durchgängige Sprachbildung und Mehrsprachigkeit zum Studienplan (Becker-Mrotzek et al. 2017). Es gibt zwei Verfahren, mit denen Lehramtsstudierende und Lehrkräfte ihr Wissen und ihre theoretische Handlungskompetenz zu Mehr‐ sprachigkeit und DaZ prüfen können. Der Test „Sprachliche Kompetenzen Pädagogischer Fachkräfte (SprachKoPF)“ 17 (Thoma et al. 2012) hat das Ziel, die Sprachförderkompetenz von pädagogischen Fachkräften zu erfassen, zum Beispiel während des Studiums oder vor und nach einer Fortbildung. Er befindet sich aktuell noch in der Weiterentwicklungsphase und steht für Forschungszwecke zur Verfügung. Als zweites Verfahren steht DaZKom 18 , bisher ebenfalls nur für Forschungszwecke, zur Verfügung (Hammer et al. 2015). DaZKom liegt als Papier- und Bleistiftversion und als Videotest vor und wurde für Lehramtsstudierende aller Fächer entwickelt. Der sprachensensible Fachunterricht und das Vermitteln der deutschen Sprache müssen in allen Fächern erfolgen und dabei die fachspezifischen Erfordernisse besonders berücksichtigen, z. B. ihre Fachausdrücke, die besonderen Textarten, wie die Textaufgabe in Mathematik oder die Ver‐ suchsbeschreibung in Sachkunde. Die Aneignung einer Bildungssprache benötigt viel Zeit. So lange kann das schulische Lernen jedoch nicht war‐ ten: Schülerinnen und Schüler müssen vom ersten Schultag an Inhalte in den Fächern lernen, Hausarbeiten verfassen und Lernstandsüberprüfungen 104 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht <?page no="105"?> 19 Das Modell ist an zahlreichen Stellen im Internet zu finden, z. B. hier: https: / / www.md pi.com/ 2226-471X/ 9/ 3/ 106 mitschreiben. Die gleichzeitige Aneignung von Wissen und sprachlichen Handlungsfähigkeiten stellt natürlich eine große Herausforderung dar. Erst wenn die Sprachen der Schülerinnen und Schüler in das Fachlernen einbezogen werden, kann ein tiefergehendes Verständnis der Inhalte in den Fächern befördert werden. Wie grundlegend Sprache für alle an Bildung beteiligten Komponenten ist, zeigen Wildemann/ Fornol (2023), indem sie im Unterrichtsmodell von Helmke (2022) die Sprachanteile sichtbar machen (Wildemann/ Fornol (2023: 13). Die Vermittlung der deutschen Unterrichts‐ sprache kann daher nur dann gelingen, wenn alle Lehrkräfte in allen Fächern die Vermittlung der Schulsprache als zentrale Aufgabe anerkennen (Wildemann/ Bien-Miller 2024). In der pädagogischen und linguistischen Debatte wird manchmal gegen‐ übergestellt, dass die Vermittlung der Bildungssprache bzw. der Unterrichts‐ sprache einerseits und der Einbezug von Mehrsprachigkeit andererseits zwei unterschiedliche Perspektiven oder Vorgehensweisen seien. Diese Sicht wird jedoch den kognitiven Erkenntnissen nicht gerecht. Sprecherinnen und Sprecher wachsen ja gerade nicht sozusagen mit zwei Sprachschubladen auf, die sie befüllen, sondern mit sprachlichen Verarbeitungsprozessen und sprachlichem Wissen. Dabei gibt es sowohl Wissen, das auf Einzelsprachen bezogen ist (z. B. dass ein Tisch auf Deutsch Tisch heißt und auf Englisch table), als auch übersprachliches mentale Wissen (z. B. wie in Tisch ungefähr beschaffen ist, z. B. in Europa meist mit Beinen oder Mittelsäule, Tischplatte etc.). Das mentale Lexikon ist ein gutes Beispiel dafür, wie einzelsprachliches und übersprachliches Wissen gemeinsam verarbeitet werden (mehr dazu in Sperl et al. 2024). So geht bereits das klassische und sehr gut verständliche Hierarchiemodell der Sprachen (RHM) von Kroll/ Stewart (1994) 19 davon aus, dass es eine sprachübergreifende Vorstellung von Begriffen gibt (in ihrer Terminologie „concepts“, wir übersetzen es in Anlehnung an Freges Termi‐ nologie), auch wenn die Autoren noch von zwei (oder mehr) abgrenzbaren Einzelsprachen ausgehen. 6.1 Grundsätzliche Fragen 105 <?page no="106"?> Abb. 8: Angebot-Nutzungs-Modell von Unterricht aus Wildemann/ Fornol 2023: 13 20 106 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht <?page no="107"?> 20 mit freundlichem Dank für die Zitiergenehmigung Dagegen hat die weitere psycholinguistische Forschung gezeigt, dass die Interaktionen über Sprachgrenzen hinaus im Individuum wesentlich kom‐ plexer sind, als es das RHM vorsieht, und dass das mentale Lexikon dyna‐ misch zwischen den Sprachen interagiert (sehr gut ist die Entwicklung der Modelle dargestellt in de Bot/ Bátyi 2022): Sprachenkompetenz ist, um die Erkenntnisse vereinfachend auf den Punkt zu bringen, letztlich immer eine, mit einzelsprachlichen interagierenden Modulen oder Einheiten, wobei eine Sprache besser beherrscht werden kann als die andere, vielleicht auch nur bezogen auf bestimmte Handlungsfelder. Diese Weiterentwicklung im Verständnis von Sprachenverarbeitung spiegelt sich im Translangua‐ ging-Ansatz wider. 6.2 Translanguaging Der Translanguaging-Ansatz (Li Wei/ García 2022) geht von einem un‐ geteilten und unteilbaren Sprachenrepertoire aus. Natürlich wissen auch die selbst mehrsprachigen ForscherInnen Li Wei (Englisch-Mandarin) und Ofelia García (Spanisch-Englisch), dass für die Beherrschung einer neuen Sprache vieles neu gelernt werden muss - neue Wörter, neuer Satzbau, neue Bedeutungen und vieles mehr; doch sie verstehen dieses Wissen als ein im Individuum vernetztes Wissen. Sie schlagen vor, Mehrsprachigkeit zur Grundlage des Unterrichts zu machen. Das Ziel dabei ist ein durchaus politisches: In der Bildung soll dadurch mehr soziale Gerechtigkeit erreicht werden (García 2020). Viele Anregungen dafür sind in der Praxis, in einem Schulprojekt von García und Seltzer (García/ Seltzer 2016), entwickelt wor‐ den. Translanguaging beschreibt einen Umgang mit Sprachen, bei dem alle Beteiligten ihre sprachlichen Ressourcen einsetzen dürfen - mit dem Ziel, so viel Verständigung, so viel Lernen wie möglich zu erreichen. Translanguaging is the act performed by bilinguals of accessing different lingu‐ istic features or various modes of what are described as autonomous languages, in order to maximize communicative potential. (García 2009: 140) Man kennt es aus Alltagssituationen, dass Sprecher mehrere Sprachen nutzen, wenn eine nicht ausreicht, um eine Handlung zu einem erfolgrei‐ chen Ziel zu bringen, z. B. auf internationalen Tagungen oder beim wissen‐ 6.2 Translanguaging 107 <?page no="108"?> schaftlichen Arbeiten ist die Nutzung mehrerer Sprachen gängig. Wenn im Unterricht zum Beispiel aus einem Text zentrale Aussagen herausgesucht werden sollen, um damit ein Argument in einer Diskussion zu stützen oder ein mathematisches Problem zu bearbeiten, dann kann das in vielen Sprachen geschehen. Translanguaging in die Schule bringen: Schritte Wie kann Translanguaging in der Schule umgesetzt werden? In der Praxiserprobung zeigte sich, dass einfach machen einen kleinschrittigen Beginn bedeutet und auch viele Chancen hat; sinnvoller und nachhaltiger ist aber ein mit den Kolleginnen und Kollegen abgestimmtes Vorgehen. Schritt 1: Das Kollegium Den ersten Schritt stellt die Reflexion im Lehrerkollegium dar. Wie ist die Haltung in der Schule zu Mehrsprachigkeit? Welche Lehrpersonen sind selbst mehrsprachig? Welche Medien sind in der Schule verfügbar? Die folgenden grundlegenden Prinzipien schlagen García/ Menken (2015: 100) als Ausgangsbasis vor, über die sich die Schulen verständigen und versuchen können, weitgehende Einigkeit herzustellen. a. Mehrsprachigkeit ist eine Ressource. Die Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler wird nicht nur abstrakt wertgeschätzt, sondern sie wird als Potential, Bildungswerkzeug und sprachliches Mittel in den Unterricht aktiv und konkret einbezogen. b. Die Schule ist eine Sprachenlandschaft. In der Schule haben alle Sprachen Platz und werden sichtbar: in Beschrif‐ tungen, in Elterninformationen, als gesprochene Sprachen in allen Räumen, in der Bücherei, in den Klassenzimmern wie in der gesamten Schule. Mehrsprachigkeit ist in der ganzen Schule präsent und wahrnehmbar. c. Alle Sprachen sind gleichwertig. Einige Sprachen werden von sehr großen Sprechergruppen gesprochen, andere von kleinen Gruppen; einige werden als Fremdsprachen gelehrt, in der Musik oft genutzt, andere nicht. Sie sind alle gleich wichtig, bedeutsam 108 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht <?page no="109"?> und schön. Diese Gleichwertigkeit wird auch in der Schule sichtbar - in Beispielen, im Respekt vor jeder Sprache, im Einbezug der Sprachen. d. Zu Mehrsprachigkeit gehört die Vermittlung des Unterrichtsmediums. Wie können die Lehrpersonen aller Fächer zusammenarbeiten, damit die‐ jenigen Schülerinnen und Schüler, die noch Schwierigkeiten mit der deut‐ schen Sprache haben, gut in ihrem Aneignungsprozess vorankommen? Welche Unterstützung können sie erhalten? Die Vermittlung der deutschen Bildungssprache ist eine Aufgabe für alle Fachlehrpersonen. Sprachbildung kann additiv, z. B. durch Arbeitsgruppen (AGs), oder als durchgängige Sprachbildung integriert in den Fachunterricht, oder als Kombination von beidem erfolgen. Schritt 2: Die Praxis des mehrsprachigen Unterrichts In unserer Befragung von neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften unterstreichen die Gesprächspartnerinnen und -partner, dass es ihnen an der Schule besonders wichtig ist, dass sie dort die Bildungs‐ sprache und das Unterrichtsmedium lernen können (Koch et al. 2017). Die Schule ist damit für Schülerinnen und Schüler ein besonderer Ort, um die deutsche Bildungssprache zu lernen. Würdest du gerne im Unterricht öfter Arabisch oder Kurdisch sprechen? Nein. Weil Mitschüler alle sind… alle sprecht… alle sprechen Deutsch, einfach so, dadurch rede ich Deutsch. In einem mehrsprachigen Umfeld Deutsch zu lernen, bedeutet auch, dass es neben mehrsprachigen Sprachanlässen viele Gelegenheiten und gut strukturierte Angebote in der Bildungssprache geben muss: Gefällt dir der Unterricht in der Sprachlernklasse? Nein. Und warum nicht? Ich spreche immer da drin Arabisch. Und ich kann kein Deutsch lernen. Aber die normale Klasse, ich kann gut, als ich spreche immer Deutsch. Wenn Erklärungen nicht verstanden werden, wird eine Öffnung für Mehr‐ sprachigkeit als hilfreich beurteilt: 6.2 Translanguaging 109 <?page no="110"?> Vielleicht manchmal, wenn man Arabisch spricht, dann würden wir immer so lange Arabisch sprechen. Und dann würden wir auch gar nicht Deutsch lernen. Aber manchmal, wenn wir was nicht verstehen, fragen Mitschüler, die auch Arabisch können, in der Sprache, die sie eben sprechen können. Dann sagen die Lehrer manchmal auch, nein, ihr dürft gar nicht Arabisch sprechen. Oder so, Englisch, Chinesisch oder so was. Wir dürfen das nicht sprechen. Aber ich finde das auch nicht so gut, wenn wir das nicht verstehen! Im Unterricht selbst konnten wir am Beispiel der Verwendung der kur‐ dischen Sprache beobachten, wie die neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler ihre Sprachen konsistent in einigen spezifischen Situationen einsetzen (Montanari 2017). Wir waren überrascht festzustellen, dass wir diese Beobachtungen gerade in einer Schulklasse machen konnten, in der die Lehrperson davon überzeugt war, dass ausschließlich Deutsch gesprochen würde und das auch so vorgegeben hatte. In der Mathematik‐ stunde fiel immer wieder auf, dass die Schülerinnen und Schüler in den Familiensprachen zählten oder sich Unklarheiten aufklärten. (EM) Wir konnten einige systematische Situationen für mehrsprachige Äußerun‐ gen finden (Montanari 2017): • Erklärungen, • Nachfragen, • Zählen und Rechnen und • das innere Sprechen. Der lange Gebrauch der Erstsprache beim Zählen kann auf den komplexen und verschränkten Aneignungsvorgang von Zahlen, Zahlenverständnis und Zahlwort zurückgeführt werden (Wiese 2003). Den Wechsel von der informellen Sprachenverwendung, z. B. vom multilingualen Modus in Arbeitsgruppensituationen zum Unterrichtsdiskurs in der Schulsprache, steuern Schülerinnen und Schüler selbst, indem sie für die Kommunikation in der Arbeitsgruppenphase Mehrsprachigkeit nutzen, sich aber auf das Unterrichtsmedium im monolingualen Modus konzentrieren, wenn der Diskurs in der gesamten Klasse geführt wird. So beschreibt es eine Lehrerin: In einer Unterrichtssequenz werden Gruppentische gebildet. An einem Gruppen‐ tisch sitzen vier Schülerinnen und Schüler kurdischer Herkunft. Sie nutzen ihre Erstsprache, um sich dadurch eine gewisse Privatsphäre zu schaffen; es fällt ihnen 110 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht <?page no="111"?> leichter, sich gegenseitig Aufgaben in ihrer Erstsprache zu erklären. Des Weiteren wechseln die Schülerinnen und Schüler in das Kurdische, wenn sie die Lösungen und Inhalte vergleichen wollen. Doch unmittelbar mit meinem Herantreten an den Gruppentisch wechseln die Schülerinnen und Schüler augenblicklich in das Deutsche und ermahnen sich gegenseitig auf Kurdisch, sie sollten Deutsch sprechen. (Montanari 2017) In der Kommunikation mit Gleichaltrigen, die die gleiche Sprache sprechen, wird oft die Erstsprache verwendet, wenn der Anschluss an die Unterrichts‐ kommunikation nicht gelingt: Adjektiv çi ye? (Was heißt „Adjektiv“? ) Mehrsprachigkeit im Unterricht einzusetzen hilft dabei, allen Lernenden einen bestmöglichen Zugang zum Unterricht zu ermöglichen (Wiese et al. 2022; Koch/ Riehl 2024). Das betrifft in ganz besonderem Maße Schülerin‐ nen und Schüler, die bereits in einer Sprache beschult wurden und ihre Schullaufbahn jetzt in deutscher Sprache fortsetzen. Gleichzeitig weisen die Schülerinnen und Schüler auf die Bedeutung von ausreichendem Input in der Bildungssprache Deutsch in Qualität und Menge hin. Die Wahl der geeigneten Unterrichtssprache(n) ist eine auf die Handlungsziele ausgerich‐ tete didaktische Entscheidung, für die in jeder Unterrichtssituation eine Entscheidung getroffen werden muss. Hinweise und Beispiele für die Unterrichtsgestaltung Mehrsprachige Unterrichtsentwürfe erweitern die klassischen Vorlagen um die Ebene Mehrsprachigkeit. So viel ändert sich also nicht! Es werden Aktivitäten hinzugefügt, die Mehrsprachigkeit in der Mündlichkeit und Schriftlichkeit einbeziehen. Dabei kann zwischen rezeptiven Aktivitäten, bei denen es auf das Verstehen mehrerer Sprachen ankommt, und expressiven Aktivitäten, bei denen Äußerungen in mehreren Sprachen im Fokus stehen, unterschieden werden. Der Unterricht kann in unterschiedliche Phasen aufgeteilt werden, die kombiniert werden können: Phasen, in denen in vielen Sprachen agiert wird oder werden kann, und Phasen, in denen das Unterrichtsmedium im Vordergrund steht. 6.2 Translanguaging 111 <?page no="112"?> Ressourcen für mehrsprachigen Unterricht Die einbezogenen Sprachen sind die Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler, Fremdsprachenkenntnisse, Dialekte und alle sonstigen sprach‐ lichen Ressourcen, die im Unterrichtsraum zur Verfügung stehen. Die Eltern und Erziehungspersonen und die Lehrkräfte des Herkunftssprachlichen Unterrichts können einbezogen werden. Da der Herkunftssprachliche Un‐ terricht oft am Nachmittag stattfindet, wäre eine stärkere Vernetzung mit dem Vormittagsunterricht sehr sinnvoll und förderlich. Das Internet bietet eine wichtige Ressource, auf die Schülerinnen und Schüler per Tablet oder Handy Zugriff haben können: Websites in allen Sprachen, digitale Übersetzungstools, Erklärvideos können beim Erarbeiten eines Sachverhalts helfen, der dann in der Bildungssprache Deutsch weiter diskutiert wird. Linguistic Landscaping in der Schule Linguistic Landscaping beschreibt die Suche danach, wie Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum sichtbar wird: in Schildern an Geschäften, Straßenbe‐ zeichnungen, Cafés und vielem mehr. Wie sieht es damit an der Schule aus? Ist die Mehrsprachigkeit der Schülerschaft sichtbar, oder wirkt die Schule sehr monolingual? Schon der Eingangsbereich der Schule kann die Vielfalt abbilden. Im Klassenraum können mehrsprachige Bücher, mehrsprachige Schülertexte und Poster ermöglichen, dass alle Sprachen gesehen werden können (Ascenzi-Moreno et al. 2015). Das ist auch eine schöne Aufgabe für eine Projektwoche oder eine Ausstellung. Gestaltungsmöglichkeiten im Unterricht Die Sitzordnung in einer Lerngruppe bietet zahlreiche Chancen für intensive Interaktion, aber auch für Konflikte oder die Vermeidung von Interaktion. Sollen sich Schülerinnen und Schüler nach Sprachgruppen zusammensetzen können, so brauchen sie Freiräume, in denen sie ihre sprachenbestimmte Sitzordnung selbst bestimmen können - auch zeitweise, z. B. mit flexiblen Sitzgelegenheiten wie Kissen. Ein interkulturell ausgerichteter Unterricht würde dabei auf Zuweisungen und Zuteilungen verzichten und es den Kindern selbst überlassen, ob sie sich nach Sprachengruppen zusammenfin‐ 112 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht <?page no="113"?> den wollen und welche das sein sollen, also eine lehrerseitige Einteilung vermeiden. In den Unterricht einbezogene Übersetzungsmöglichkeiten per Handyapp erleichtern es, sich zwischen den Sprachen zu bewegen. Das sollte bei der Zeitplanung berücksichtigt werden. Der aktuelle zentrale Fachwortschatz als Wandplakat in mehreren Spra‐ chen unterstützt beim Erkennen von Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen Sprachen und hilft den Lernenden zugleich, den bildungssprach‐ lichen Wortschatz in ihren Familiensprachen zu erweitern. Das können die Schülerinnen und Schüler mit ihren Eltern vorbereiten („Hausaufgabe: Fragt Eure Erziehungspersonen/ Eltern, wie heißt Schwimmen und Sinken in anderen Sprachen? Lasst Euch das bitte aufschreiben.“) Außerdem können Lehrpersonen des Herkunftssprachlichen Unterrichts angefragt werden, vielleicht sind sie ja sogar zu einem koordinierten Unterricht bereit? Scaffolding ist ein didaktisches Vorgehen, im Unterrichtsverlauf Gerüste auf- und - wenn sie nicht mehr gebraucht werden - abzubauen, um weiter hinauszukommen, als es die Schülerin oder der Schüler ohne Unterstützung schaffen könnte. Dazu gehören • eine Klärung wichtiger Begriffe im Voraus, • Angebote für binnendifferenzierte, freiwillige Hilfen, • bildungssprachliche Formulierungen, • Musterformulierungen, • Textausschnitte in mehreren Sprachen, • Zusammenfassungen von Texten, • Nutzung von Webresourcen wie Erklärvideos, die in der Schule oder zu Hause mehrfach angesehen werden können und im Idealfall mehrspra‐ chig vorliegen, • Sprachenvergleiche. Durch den Einbezug digitaler Texte kann der mehrsprachige Unterricht sehr profitieren. Lawida/ Maahs 2022 haben zahlreiche Ideen für jüngere und ältere Schülerinnen ausprobiert und z. B. Schülertexte aus Chats und Medien im Unterricht verwendet: • Digitale Texte mit Hyperlinks auf mehrsprachige Websites, • Multimedial code-meshing, Interaktion in Arbeitsgruppen in allen Spra‐ chen und unterschiedlichen Medien zur Vorbereitung einer gemeinsa‐ men Präsentation, 6.2 Translanguaging 113 <?page no="114"?> • multimodale Texte mit Einbindung audio-visueller Medien, z. B. in einer Präsentation, • multilinguale Mind Maps mit digitalen Tools. (Lawida/ Maahs 2022) Grammatikunterricht Der Grammatikunterricht für mehrsprachige Schülerinnen und Schüler steht vor der Herausforderung, Regularitäten (auch) explizit der Reflexion zugänglich zu machen und damit den Erwerb zu fördern. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied zu einem Grammatikunterricht, der davon ausgeht, dass ein Phänomen bereits erworben ist und nun reflektiert und systematisiert werden soll. Der Grammatikunterricht in mehrsprachigen Lerngruppen hat also einige Gemeinsamkeiten mit dem Fremdsprachen‐ unterricht: Es reicht nicht aus, z. B. für Genus oder Kasus Arbeitsblätter auszuteilen, in denen abgefragt wird, was sich die Lernenden hoffentlich bereits anderswo angeeignet haben. Vielmehr ist ein aktives Erarbeiten in der Lerngruppe gefragt. Regularitäten müssen zum Entdecken angeboten, aufgedeckt, formuliert, diskutiert werden. Neben einem focus on content ist also ein focus on form hilfreich. Lehrwerke für Deutsch als Fremdsprache bieten dafür viele Anregungen, auch einige Lehrwerke für Deutsch als Zweitsprache geben gute Hinweise, z. B. Strozyk et al. 2011. Im Grammatikunterricht bieten sich viele Möglichkeiten für Sprachenver‐ gleiche, bei denen die Lernenden intensiv und grundsätzlich über Sprachen diskutieren. Da gerade junge mehrsprachige Kinder oft gar nicht so sicher sind, wie es denn nun „richtig“ ist und die Lehrkraft nicht alle Sprachen beherrschen kann oder muss, können die Eltern und die Lehrkräfte des Herkunftssprachlichen Unterrichts und natürlich zahlreiche Websites einbezogen werden. Ein Lernziel kann dabei sein, dass sich die Lernenden bewusstwerden, dass unterschiedliche Sprachen sehr verschiedene Mittel nutzen, um etwas auszudrücken, es ihnen aber letztlich gelingt, alles ausdrückbar zu machen und sie daher gleichwertig sind. Die Reflexion über Phänomene in mehreren Sprachen fördert ein tiefes Verständnis von Grammatik! Einige Beispiele für wichtige Unterschiede, über die man gut in der Klasse nachdenken kann, sind: • Wird das Subjekt immer genannt oder ist es eine Pro Drop Sprache? 114 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht <?page no="115"?> In der deutschen Sprache wird z. B. fast immer das Subjekt genannt: „Paolo geht … dann macht Paolo …“ Auf Italienisch wird auf die andauernde Wiederholung verzichtet: „Paola va … dopo fa …“ • Gibt es eine feste oder eine freie Wortstellung? Deutsch hat eine relativ freie Wortstellung, wobei das Verb an zweiter Position im Haupt- und an letzter Stelle im Nebensatz festgelegt ist. In der englischen Sprache ist dagegen die Wortstellung stärker festgelegt. • Wird flektiert oder agglutiniert? Deutsch und Polnisch sind Beispiele für vorwiegend flektierende Sprachen, die die Wörter nach Kasus, Numerus, Tempus und Aspekt beugen. Beispiele für agglutinierende Sprachen sind z. B. Baskisch und Türkisch, in denen stark von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, Wörter aneinanderzufügen, z. B. bei dem Ausdruck „in meinen Häusern: ev+ler+im+de = evlerimde“ im Türkischen. Auch flektie‐ rende Sprachen kennen oft Zusammenfügungen, z. B. „Apfeltortenstück“, sie nutzen sie nur nicht so oft wie das Flektieren. • Kennt die Sprache ein Artikelsystem, und wie transparent ist es? In der deutschen Sprache haben wir drei Genera (feminin, maskulin, neutrum), die aber nur im Singular markiert werden. Im Plural werden die Genera nicht ausgedrückt. Die Beherrschung des Genussystems in der deutschen Sprache ist auch für sehr fortgeschrittene Lernende meist schwierig, weil es oft intransparent ist (Montanari 2010 ausführlich). Doch es gibt einige Regeln, die im Unterricht thematisiert werden können, z. B. für Wörter, die auf bestimmte Silben enden (wie „-ung“, feminin), für grammatische Verkleinerungen (wie „Mäd-chen“, neutrum), und die im Duden nachgelesen werden können. Viele andere Sprachen brauchen kein grammatisches Genus, sondern nur Sexus, z. B. die englische Sprache („she/ her“). Italienisch ist ein Beispiel für eine Sprache, die zwei Genera kennt, die aber bei vielen Wörtern gut zu hören sind, wie feminin bei „la casa“ und maskulin bei „il martello“. Es wird immer wieder vermutet, dass der Erwerb des deutschen Genussystems für Sprecherinnen und Sprecher, die in ihren Erstsprachen kein Genus kennen, besonders schwierig wäre; dafür liegen aber wenige Belege vor - es ist einfach für alle komplex. Unterrichtsskizze: Literaturgespräche In die Einstiegsphase wird zunächst die rezeptive Mehrsprachigkeit einge‐ bracht: Die Schülerinnen und Schüler hören Werke der Kinder- und Jugend‐ literatur in mehreren Sprachen, im Original, in einer deutschsprachigen 6.2 Translanguaging 115 <?page no="116"?> Version und sehen sie in einer Gebärdensprache. Hierfür werden Medien einbezogen, z. B. Online-Plattformen mit Videos, die die Schülerinnen und Schüler selbst aussuchen. Als Werke eignen sich nicht zu lange Abschnitte aktueller und in möglichst viele Sprachen übersetzter Kinder- und Jugend‐ literatur. Was bemerken die Schülerinnen und Schüler beim Hören in einer anderen Sprache? Erkennen sie etwas wieder? Welches Video hat ihnen besonders gut gefallen und warum? Wie gut finden sie die Übersetzung? Im nächsten Unterrichtsabschnitt geht es um expressive Fähigkeiten: Die Schülerinnen und Schüler lesen den Text in der deutschen Übersetzung und in einer weiteren Sprache ihrer Wahl und suchen sich wichtige oder lustige Wörter in mehreren Sprachen heraus. Mit diesen Wörtern werden Sprachspiele durchgeführt, z. B. Reime, RAPs oder Kurzgedichte. In der Erarbeitungsphase lesen die Schülerinnen und Schüler die Texte noch einmal für sich. Welche Gedanken und Gefühle löst der Text aus? Dann wird der Text kreativ umgesetzt: Die Schülerinnen und Schüler erstellen mehrsprachige Poster mit Assoziationen zu dem Text, die sie anschließend der Klasse präsentieren. In der Ergebnissicherung wird der Text noch einmal gemeinsam zusammengefasst und ein mehrsprachiger Index der wichtigen Wörter wird erstellt. Unterrichtsskizze: Informationen einem Sachtext entnehmen Als Einstieg kann ein mehrsprachiges Brainstorming zu der Überschrift des Sachtextes und ggf. zu einer zum Sachtext gehörenden Abbildung erfolgen. Im Web können die Schülerinnen und Schüler selbständig weitere Informationen in allen Sprachen suchen. Wer mag, gibt den Text oder Teile des Textes in eine Übersetzungsapp ein. In der Erarbeitung eignen sich die Schülerinnen und Schüler die Fachbegriffe an. Worterklärungen werden in der Unterrichtssprache erarbeitet. Gemeinsam werden Sprachcousins bzw. Kognaten, also Wörter, die im Sachtext und in anderen Sprachen ähnlich sind, gesucht (z. B. water und Wasser). Gerade beim Fachwortschatz gibt es hier oft viele Entdeckungen! Sofern möglich, werden Eltern und/ oder die Lehrkräfte des Herkunftssprachlichen Unterrichts eingeladen, um wichtige Wörter in anderen Sprachen zu erläutern und der Klasse vorzustellen. 116 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht <?page no="117"?> Erklärungen Gerade in Klassen mit vielen newcomers sind Runden sinnvoll, in denen die Schülerinnen und Schüler Erklärungen in allen Sprachen austauschen dür‐ fen und dabei auch auf Videos und Webressourcen zurückgreifen können. Die Sicherung, dass die Inhalte wirklich richtig verstanden wurden, kann dann wieder in der Unterrichtssprache erfolgen. Dafür ist es nicht nötig, dass die Lehrperson auch die Sprachen der Kinder beherrscht. Der Ablauf könnte z. B. folgender sein: • Erklärung eines Sachverhaltes (z. B. Bruchrechnen, Wasserkreislauf …) in der Unterrichtssprache in der Klasse; • Runden, in denen die Kinder sich das Verstandene selbst erklären, in von ihnen gewählten Sprachen; • Rezeption von Webressourcen in einer Sprache der Wahl (z. B. als Hausaufgabe, mit den Eltern, bei größeren Gruppen in der Klasse); • Verständnissicherung in der Klasse in der Unterrichtssprache Deutsch, z. B. durch Präsentationen der Kinder; • Anwendung in Aufgaben, die in der Unterrichtssprache formuliert sind mit der Möglichkeit von Nachfragen beim Sitznachbar oder der -nachbarin in einer Sprache der Wahl. 6.3 Auf einen Blick Mehrsprachigkeit im Unterricht beinhaltet die nach Handlungszielen aus‐ gerichtete, freie Wahl der Sprachen durch alle Beteiligten. Die Aufgabe der Lehrpersonen besteht darin, Freiräume dafür zu schaffen und gleichzeitig die Balance zur Aneignung des Unterrichtsmediums herzustellen. Ein Wechsel von monolingualen und multilingualen Unterrichtsphasen ermöglicht es den Lernerinnen und Lernern sowie den Lehrkräften, ihr gesamtes Spra‐ chenrepertoire einzusetzen. Das ist insbesondere dann für den Lernprozess förderlich, wenn die Sprachenkenntnisse der Schülerinnen und Schüler in der Unterrichtssprache noch zu begrenzt sind, um ein angemessenes Fachlernen zu ermöglichen, sie aber über ausgebaute Sprachfähigkeiten in anderen Sprachen verfügen. Der Unterricht sollte neben einem Fokus auf Inhalte auch einen Fokus auf die Form legen und Regularitäten explizit erarbeiten. 6.3 Auf einen Blick 117 <?page no="118"?> Fragen und Aufgaben 1. Führen Sie eine Unterrichtsbeobachtung durch. Wie geht die Lehrkraft mit der Mehrsprachigkeit der Schülerschaft um? Greift sie sie auf ? Ist Mehrsprachigkeit Teil des Unterrichts? 2. Sammeln Sie Ideen, wie Sie mehrsprachig im Unterricht handeln wollen. 3. Erstellen Sie einen Unterrichtsentwurf zu einer mehrsprachigen Unterrichtseinheit. 118 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht <?page no="119"?> 7 Mehrschriftlichkeit und Multiliteralität im Schulalter Ja, ich kann ein bisschen schreiben auf Deutsch. Auf Kurdisch, ich kann, aber ein bisschen. Auf Arabisch, ich kann gut schreiben. (Neu zugewanderter Schüler in der sechsten Klasse, Korpus Montanari) In diesem Kapitel werden die Aneignung und Vermittlung von Literalität im Kontext von Mehrsprachigkeit diskutiert. Literalität wird als ein sprach‐ liches Handeln aufgefasst, bei dem Schrift, Bilder, Zeichen, Texte und Medien verwendet werden - es wird also ein weiter Textbegriff angewen‐ det, der Videos, Blogs, Chats, Tweets und SMS ebenso erfasst wie Briefe oder Romane. Zunächst wird der Zusammenhang von der Beherrschung von Literalität und gesellschaftlicher Teilhabe in modernen Gesellschaften diskutiert. In der Folge werden dann die Begriffe Zweitschrifterwerb, Mehrschriftigkeit und Multiliteralität erörtert und Möglichkeiten der Vermittlung vorgestellt. 7.1 Grundsätzliche Überlegungen Praktiken literalen Handelns Kinder und Jugendliche schreiben heute sehr viel, oft mehrfach am Tag, ih‐ ren Freunden, ihrer Familie, in ihrer direkten Umgebung wie auch über weit entfernte Orte, selbst wenn sie die Adressaten im Verlauf des Tages noch sehen. Die Schreiberinnen und Schreiber lesen und verfassen Texte in vielen Sprachen, von Songtexten über Suchmaschinen-Anfragen, Bücher bis zum Schulaufsatz. Die Orthografie ist für diese Texte viel stärker selbstbestimmt und kreativ (z. B. Alber et al. 2024 zu mehrsprachigen Nachrichten in Social Media). Die Breite der literalen Handlungen umfasst zwar auch noch jenen Handlungszweck, der zur frühen Entwicklung von Dokumenten geführt hat, nämlich das gesprochene Wort über die Zeit und über Ortsgrenzen hinweg dauerhaft festzuhalten (Ehlich 2007). Der Vertrag, die Bescheinigung, das <?page no="120"?> Jahrgangszeugnis und das unterschriebene Abschlusszertifikat sind nach wie vor Dokumente, die oft noch auf Papier ausgestellt werden, deren Ori‐ ginal aber häufig bereits digital ist, z. B. als Transcript of Records an den Uni‐ versitäten oder als Notenstatistik in der Schule. Das gedruckte Dokument hat damit seinen einzigartigen Urkundenstatus weitgehend verloren, ist es doch jederzeit wiederbeschaffbar. Das eigentliche Dokument entwickelt sich mehr und mehr zu einer digitalen Textdatei, die klassischen literalen Textmedien befinden sich in Wandlungsprozessen. Textmuster müssen sich ändern - führte im analogen Kontext z. B. eine Frage zu einer Antwort, so sind bei Suchmaschinenanfragen Wörter und Textbausteine zielführender; in Texten der sozialen Medien sind die Freiräume für syntaktisch unvoll‐ ständige Äußerungen groß, der Satz gilt oft als redundant, altmodisch. Neue Textsorten wie Sprachnachrichten, Videos, Mimes sind entstanden. Die verwendeten sprachlichen Mittel beinhalten Symbole wie Emoticons und interpretieren Interpunktionszeichen neu ; ). Der mediale Wandel in den Schriftlichkeitsmedien erzeugt neue Bedeutungen multimedialer und digitaler Schriftformen und Medien. So ist die schriftliche Kommunikation als multimodales literales Handeln mit Bild, Zeichen und Schrift mit den Optionen der Simultanität (z. B. im Chat) oder gerade der absichtlichen Zeitverschiebung der Antworten möglich geworden. Wie eignen sich nun Kinder eine Literalität an, mit der sie mehrsprachig und multikompetent handeln und in vielfältigen Medien neue Zugänge zu Text, Rezeption, Bildern und Zeichen entwickeln? Die literalen Basisqualifikationen und ihr Erwerb Die literale Basisqualifikation I umfasst grundlegendes frühes schriftliches und literales Handeln, z. B. das Erkennen und Produzieren von Schriftzei‐ chen und die Umsetzung mündlicher in schriftliche Sprachprodukte und umgekehrt. Die literale Basisqualifikation II bezieht sich auf die Entwicklung von Graphie, Lesevermögen, Orthographie und schriftlicher Textualität und den Auf- und Ausbau von Sprachbewusstheit (Ehlich 2013: 202). Die Aneignung der Basisqualifikation II erfolgt in der Regel im strukturierten Unterricht. Über die gesamte Lebensspanne verändert sich Schriftlichkeit und entwickelt sich weiter oder auch zurück, wenn sie lange Zeit nicht gebraucht wird. Nicht in allen Umgebungen, in denen Kinder aufwachsen, erfolgt die frühe Begegnung mit Schrift auf die gleiche Weise und in gleichem Umfang; 120 7 Mehrschriftlichkeit und Multiliteralität im Schulalter <?page no="121"?> 21 „Sozial privilegierte Schülerinnen und Schüler in Deutschland [erreichten] 111 Punkte mehr als sozial benachteiligte 15-Jährige. Der Abstand zwischen beiden Gruppen ist größer als im OECD-Durchschnitt (93 Punkte).“ Deutsches Schulportal der Ro‐ bert-Bosch-Stiftung, https: / / deutsches-schulportal.de/ bildungswesen/ die-zehn-wichti gsten-ergebnisse-der-pisa-studie/ #die-ergebnisse-der-pisa-studie-2022, abgerufen am 26.1.2025. einige Elternhäuser bieten die Möglichkeit zu intensiven und vielfältigen Begegnungen mit Schrift häufiger, andere weniger. Den Bildungseinrich‐ tungen kommt daher die Aufgabe zu, die Vielfalt in den Schrifterfahrungen produktiv aufzugreifen, allen Kindern einen guten Kontakt mit Schrift zu ermöglichen und bestmögliche Bedingungen zu schaffen. Nach wie vor zeigen PISA-Studien wie zuletzt PISA 2022, dass gerade und besonders im deutschen Schulsystem der statistische Zusammenhang zwischen Leseleis‐ tungen und sozio-ökonomischem Status der Familien besonders stark ist: Hier liegt ein wirkliches Desiderat für Lehrkräfte vor, durch entsprechenden Unterricht mehr soziale Gerechtigkeit zu erreichen! 21 Um unter den aktuellen und zukünftigen Bedingungen sprachlich multi‐ kompetent ( Jessner 2017) handeln zu können, müssen Schülerinnen und Schüler verstehen, wie sie sprachliche Ressourcen, Bilder, Zeichen und Textsorten in unterschiedlichen Medien einsetzen können, um ihre Hand‐ lungsziele zu erreichen und Bedeutung zu erzeugen. Translanguaging, koordinierte oder sukzessive Alphabetisierung in einer weiteren Schrift sind einige der Möglichkeiten, Mehrschriftlichkeit in die Schule einzubringen. Mehrschriftlichkeit und gesellschaftliche Teilhabe Moderne Gesellschaften sind durch die Verwendung von Schriftlichkeit im Alltag und in wichtigen Handlungsfeldern wie Arbeit, politische Teilhabe, Wirtschaft geprägt. Schrift zu beherrschen, ist in literalen Gesellschaften unverzichtbar und eine Voraussetzung für Teilhabe: an Bildung, am Arbeits‐ markt, an gesellschaftlichen und politischen Vorgängen. So betont Maas (2016: 82f.), dass der Ausbau eines formellen und schriftlichen Registers in allen Sprachen eine Voraussetzung für den Ausbau von Mehrsprachigkeit in literalen Gesellschaften darstellt. Daher ist es ein zentraler Bestandteil der mehrsprachigen Entwicklung, in allen für die Lebenswelt wichtigen Sprachen auch schreiben und lesen zu können, denn 7.1 Grundsätzliche Überlegungen 121 <?page no="122"?> Wenn Sprecher: innen, die mit zwei (oder mehr) Sprachen gleichzeitig aufwach‐ sen, die Schriftsprache nur in einer dieser Sprachen erwerben, bleiben sie im Bereich des schriftlichen Ausdrucks einsprachig. Damit gehen aber in einer Welt, in der schriftsprachliche Kompetenzen vor allem für das berufliche Weiterkom‐ men eine große Rolle spielen, wichtige Ressourcen verloren. (Riehl 2024: 99) Die in diesem Sinne angestrebte Kompetenz nennen Yılmaz Woerfel und Riehl (2016) Mehrschriftlichkeit: Die Kompetenz, sich im Schriftlichen in mehreren Sprachen ausdrücken zu können, bezeichnen wir mit dem Terminus „Mehrschriftlichkeit“. Darunter ver‐ stehen wir nicht den Schrifterwerb in L1 und L2, sondern eine mehrsprachige kommunikative Kompetenz im schriftlichen Medium, die auch Textkompetenz miteinschließt. (Yılmaz Woerfel/ Riehl 2016: 305) Mehrschriftlichkeit kann man sich als Kompetenzbündel vorstellen, das alle Fähigkeiten in dem Sprachenrepertoire eines Menschen umfasst und sich kontinuierlich und dynamisch weiterentwickelt (Canagarajah 2015). Dabei ist es noch Gegenstand der wissenschaftlichen Debatte, ob für jede Sprache/ Schrift von einer spezifischen Kompetenz ausgegangen werden muss oder ob Mehrschriftlichkeit nicht vielmehr als eine Tiefenstruktur, eine über einzelne Sprachen hinausgehende translinguale Schreibkompetenz verstanden werden sollte; es kann dabei für jede Sprache unterschiedliche Schreibfähigkeiten geben, aber eine grundlegende transsprachliche Kompe‐ tenz (ebd.). Die Annahme eines grundlegenden Wissens über Schreiben und Lesen geht von Handlungen und Vorgängen aus, die sprachenüber‐ greifend erfolgen (Verhoeven/ Perfetti 2017): So werden in Schriftsystemen phonologische, gestische (bei Gebärdensprachen, Moren), semantische und/ oder morphologische Einheiten (ebd.: 4ff.) in eine Beziehung gesetzt. Wie schnell und effizient gelesen wird, hängt damit zusammen, wie gut gelernt wurde, auf welche Weise das jeweilige Schriftsystem eine Sprache mit welchen Zeichen kodiert, und wie daraus Bedeutung generiert werden kann. Diese Diskussion zu einer angenommenen grundlegenden Literalität versus mehrerer einzelsprachbezogener Schriftkompetenzen führt dann auch zu der Unterscheidung, ob im mehrschriftlichen Handeln literales Wissen für die Einzelsprachen genutzt wird, oder ob, bei der Annahme von mehreren literalen Kompetenzen, von einem Transfer von Wissen ausgegangen wird. So wichtig diese Frage aus einer theoretischen Sicht ist, scheint jedoch ihre Auswirkung auf den Schulalltag eher gering. Daher sollen im Folgenden 122 7 Mehrschriftlichkeit und Multiliteralität im Schulalter <?page no="123"?> 22 Canagarajah (2024) beschreibt in diesem sehr lesenswerten Text seine persönliche Erfahrung als Studierender, wie seine Art, englischsprachige Texte zu Schreiben im Studium in Sri Lanka sehr gelobt wurde, und wie erschrocken er war, als, im weiteren Verlauf seiner akademischen Ausbildung in Nordamerika, seine Art zu schreiben stark kritisiert wurde. Er führt die Unterschiede in der Reaktion auf gesellschaftlich differente Vorstellungen von Explizitheit und Inexplizitheit zurück, so dass, stark vereinfacht dargestellt, der Leserin und dem Leser in Sri Lanka mehr Freiräume für eigene Gedanken bei der Textrezeption zugestanden werden, während in Nordamerika Explizitheit bevorzugt wird. auch Ansätze dargestellt werden, die von Transfer ausgehen, auch wenn es sich möglicherweise eher um das Nutzen einer grundlegenden Schriftkom‐ petenz handelt. Einmal Gelerntes für mehrere Schriften nutzen - Transfer oder Repertoire? Mehrschriftliches Handeln baut auf der Kenntnis mehrerer Schriftsysteme auf, geht aber weit über diese hinaus und beinhaltet die Fähigkeit, mit Texten (und Videos, Clips, Chats …) in mehreren Sprachen und Schriften angemessen zu handeln. Mehrschriftlich handeln zu können bedeutet, diese Texte verstehen zu können, sie sachgerecht und adressatenangemessen erfassen zu können und dafür die Textsorten mit ihren Besonderheiten in den jeweiligen Gesellschaften und Sprachen zu kennen, also expressiv und rezeptiv zu handeln. Das Verständnis davon, wie ein guter oder akzeptabler Text aufgebaut und formuliert sein sollte, wie explizit er sein muss oder darf, ist stark kulturell geprägt und spiegelt die politischen Machtverhältnisse in Gesellschaften wider. Canagarajah (2024) nennt das die Notwendigkeit der Dekolonialisierung des Schreibens und fordert, z. B. im wissenschaftlichen Feld, nicht nur Texte zu akzeptieren, die englischsprachigen Mustern in Aufbau und Klarheit entsprechen, sondern auch andere Textmuster stärker zu würdigen, die sich an anderen Normen der Erwünschtheit, z. B. in Bezug auf (In-)Explizitheit und Offenheit, orientieren. 22 Für die Aneignung von Textsorten und Handlungsmustern und für die Bezüge zwischen Phonologie und Schrift geht Noack 2021 von der Möglichkeit von Transfers aus. Der Transfer erfolgt sowohl von der Her‐ kunftssprache auf das Unterrichtsmedium als auch in der anderen Richtung; auch erkannte Verschriftlichungsmuster des Unterrichtsmediums werden auf die Familiensprache übertragen (Kalkavan 2012). 7.1 Grundsätzliche Überlegungen 123 <?page no="124"?> 23 Die Studie wertete Daten aus dem Panel Mehrsprachigkeitsentwicklung im Zeitverlauf (MEZ) aus. Schreibfähigkeiten in der Herkunftssprache Russisch oder Türkisch, der Fremdsprache Englisch und der Schulsprache beeinflussen sich oft gegenseitig, so dass Schnoor/ Usanova (2023) bei einer Untersuchung an 2103 Schülerinnen und Schülern einen positiven statistischen Einfluss von herkunfts- und fremdsprachlichen Schriftfähigkeiten auf das Schreiben in der Schulsprache Deutsch feststellten (Gogolin et al. 2022). 23 Zu der Beherrschung von Schrift im Schreiben und Lesen gehört ein um‐ fassendes Wissen über die kulturspezifischen Erwartungen an Textaufbau, -zusammenhänge und -strukturen. Wenn eine Leserin oder ein Leser sich dieses angeeignet hat, kann sie oder er dieses Wissen auf andere Sprachen und ihre Schriften übertragen. Rehbein (2016) beschreibt das transferierbare Wissen folgendermaßen: Zu transferierbaren Aspekten rechne ich das „universale“ Wissen, dass Texte Handlungsstrukturen enthalten, Bedeutungen (Symbolfelder) haben, die Phan‐ tasie anregen und sprachlich konstituierte Zusammenhänge jenseits der wahr‐ nehmbaren Realität erzeugen. Ist die textuelle Literalisierung mehrsprachig bzw. in einer anderen Sprache als später in der Schule die Alphabetisierung, dann ist zu untersuchen, wie solches „universales“ Wissen, ist es einmal in L1 ausgebildet, sprachübergreifend auch in L2 genutzt werden kann. (Rehbein 2016: 274) Transfer ist erst dann möglich, wenn die formellen Strukturen in den Familiensprachen angeeignet sind: Bei Migranten ist ein Transfer der literalen Strukturen der einheimischen Sprache (bei ihnen also eine Zweitsprache, im Folgenden mit dem dafür üblichen Sigel L2) in ihre Erstsprache (die Familiensprache, im Folgenden L1) nur problemlos, wenn bei ihnen das formelle Register in der Erstsprache ohnehin schon ausgebaut ist. In diesem Fall können sie die ‚fremdsprachigen‘ Strukturen relativ problemlos replizieren. (Maas 2016: 147) In einem Experiment konnte Rehbein (2016) die Übertragbarkeit von litera‐ len Fähigkeiten in der Erstsprache Türkisch in die zweite Sprache Deutsch zeigen: Türkisch-deutschsprachigen sukzessiv-bilingualen Kindern wurde zunächst ein Text auf Deutsch vorgelesen. Sie hatten große Mühe, ihn auf Deutsch wiederzugeben; nach dem Vorlesen des Textes in einer türkischen Fassung gelang die Nacherzählung auf Deutsch jedoch. Das Verstehen der 124 7 Mehrschriftlichkeit und Multiliteralität im Schulalter <?page no="125"?> Handlungsstruktur in der Erstsprache hat also die sprachlichen Mittel in der Zweitsprache aktiviert (siehe auch Riehl/ Schröder 2022 und Kalkavan/ Efing 2024 zum Begriff der Zweitsprache). Bei neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern in Deutschland kann beobachtet werden, wie schon nach kurzer Beschulung von sechs bis zwölf Monaten Texte in einer neuen Schrift verfasst werden (Montanari 2017): bild ein: ein Mann macht Photo von zwei Kinder und er seigt das sie sind auf den bank setzen. Sie sind ein jung und eine mädchen bild zwei: die Kinder zetzt sich auf den bank und der mann macht Photo. bild drei: der Mann gebit das Kamira Für Mädchen und er sagt für sie ich liege mich auf dem blumen und du mach ein bild von mir. bild vier: das Mädche photograpfert der Mann bild fünf: der Mann seht seinem Photo (Montanari 2017, Korpus, Text #64) Der Schüler, der diesen Text verfasst hat, ist erst vor kurzer Zeit nach Deutschland zugewandert. Er hat einen verständlichen, strukturierten Text zu der Bilderfolge „Tulpenbeet“ verfasst (Gantefort/ Roth 2008). Wir sehen bereits die Verwendung der Interpunktionszeichen Doppelpunkt und Punkt und die Majuskelschreibung von Köpfen der Nominalphrase (Photo, Kamira (= Kamera), Kinder, Mädche(n) und Mann). Grundregeln der Syntax und der Textgestaltung werden also bereits angewendet. Digitale Literalität Mit digitaler Literalität sind grundlegende Fähigkeiten und Kenntnisse darüber, wie man das Internet liest, gemeint. Das betrifft z. B. Wissen darüber, wie Schülerinnen und Schüler Falschnachrichten und fakes erken‐ nen können und wie sie mit der (Un-)Zuverlässigkeit von Quellen oder mit Hassnachrichten umgehen können (siehe Jaki/ De Smedt 2019). All das stellt eine neue Dimension von Schriftlichkeit dar und sollte in der Schule vermittelt werden (Marín/ Castaneda 2023). Hassnachrichten und gewalttätige Kommunikation in der schriftlichen Webkommunikation sind eine gesellschaftliche Herausforderung und stellen durch ein komplexes Zusammenwirken von Wortebene, eingebetteten Bildern, verlinkten Inhal‐ 7.1 Grundsätzliche Überlegungen 125 <?page no="126"?> ten und Emojis für Kinder schwer zu durchschauende Feindbilder her ( Jaki 2023). Multiliteralität fordert daher von den Lernenden, neben den traditionel‐ len Fertigkeiten des Lesens, Schreibens, Sprechens und Hörens, auch Texte in neuen Formen, Sorten, Deutungsmöglichkeiten, Sprachen, Medien und Präsentationsformen zu rezipieren und zu produzieren (Wildemann 2013). Um die Schülerinnen und Schüler auf die gewandelten Herausforderungen des zukünftigen beruflichen, öffentlichen und privaten Lebens vorzuberei‐ ten, sollen sie als Individuen zunehmend an sozialen Praktiken im Web und in neuen Medien teilhaben. Es wird also eine emanzipatorische, sozialpolitische Perspektive eingenommen, die ein digitales Empowerment der Schülerinnen und Schüler als kompetente, kritische Nutzende vielfältiger Literalitäten anstrebt. 7.2 Mehrschriftliches literales Handeln in der Schule In einer multilingualen Literalitätserziehung wird mehrschriftliche Textproduk‐ tion als selbstreguliertes Handeln der Schülerinnen und Schüler verstanden. Lehrpersonen können entsprechende Freiräume öffnen und die Schülerinnen und Schüler anregen, sie für sich zu nutzen. Ob und in welchem Umfang mehr‐ schriftlich agiert wird, liegt dann in der Steuerung der Kinder und Jugendlichen. Jede und jeder darf dabei selbst entscheiden, ob er oder sie mehrschriftlich oder nicht handeln möchte. Mehrschriftliches Handeln wird dann möglich, wenn es nicht nur gestattet, sondern positiv und konkret Einfluss auf das Unterrichtsge‐ schehen entwickeln kann (siehe Rösch 2024). Es muss daher sichtbar werden dürfen, zur Erledigung von Hausarbeiten etc. akzeptiert sein, prüfungsrelevant sein und in Benotung und Zeugnisse eingehen. Hier sind in den Schulen noch viele Diskussionen offen. Die Schule bietet im Wesentlichen drei Herangehensweisen an Mehr‐ schriftigkeit an, die koordiniert umgesetzt werden können: a. den Einbezug von Mehrsprachigkeit in den Fachunterricht (u. a. in mündlichen Gruppen‐ arbeitsphasen, durch sprachkontrastives Vergleichen oder mehrsprachiges Unterrichtsmaterial), b. das Angebot eines Herkunftssprachlichen Unter‐ richts (in der Schweiz „Unterricht in Heimatlicher Sprache und Kultur“, in Österreich „Muttersprachlicher Unterricht“), der literale Kenntnisse in den Herkunftssprachen systematisch aufbaut und c. bilinguale Programme 126 7 Mehrschriftlichkeit und Multiliteralität im Schulalter <?page no="127"?> 24 Umfangreiches Material für Türkisch und Portugiesisch zeigt z. B. die Website www.koala-projekt.de (Gürsoy et al. 2020). Bilinguale Programme ermöglichen es am besten, mehrschriftig zu werden! Mehrsprachige Alphabetisierung in der Schule Die lateinische Alphabetschrift, die für die Verschriftlichung der deutschen Sprache genutzt wird, wird auch in vielen weiteren Sprachen verwendet, z. B. im Italienischen oder im Türkischen, sodass vielfältige Transfermög‐ lichkeiten gegeben sind. Lehrkräfte können diese in ihrem Unterricht aufgreifen, z. B. indem sie Ähnlichkeiten immer wieder ansprechen. Über‐ tragungsfehler sind bei deutsch-türkischsprachigen Schülerinnen und Schü‐ lern mit einem Anteil von 5 % an allen Fehlern selten ( Jeuk 2012). Etwas komplexer wird die Alphabetisierung, wenn die Schülerinnen und Schüler schon ein anderes Alphabet gelernt haben, z. B. das kyrillische, und dann im lateinischen Alphabet schreiben und lesen lernen. Doch diese Lernenden wissen dadurch bereits, wie Alphabete aufgebaut sind. Es gibt jedoch auch ganz andere Grundbausteine von Schrift, z. B. Moren (ja‐ panische Hiragana), Morpheme (chinesische Han) oder visuelle Medien (Videos in der Deutschen Gebärdensprache) (Wrobel 2013). Trotzdem können häufig auch in diesen Schriftsystemen Alphabete verwendet werden und sind daher vielen Lernenden bekannt, z. B. für ausländische Eigennamen. Für die Aneignungsreihenfolge der Schriftsysteme gibt es simultane und sukzessive Vorgehensweisen. Sukzessive Methoden unterrichten die Schriftlichkeit nacheinander, also entweder zuerst in der Familiensprache oder zuerst im Unterrichtsmedium. Die dazu vorliegenden Studien sind recht alt: Engle (1975) findet keine Effekte der Alphabetisierungsreihenfolge bei biliteraler Beschulung. In der Studie von Chu-Chang (1980) zeigte sich ein sukzessiver Ansatz, der von der Familiensprache ausgeht, als vorteilhaft. Simultane Ansätze wie die Koordinierte Alphabetisierung KOALA unter‐ richten beide Schriften gleichzeitig. Diese Idee geht auf die Migrationsarbeit in den 1980er Jahren zurück (Nakipoğlu-Schimang 1988; Nehr, Birnkott-Ri‐ xius, Kubat, Masuch 1988). Im Tandemunterricht einer muttersprachlichen Lehrperson für Schrift 1 und einer weiteren muttersprachlichen Lehrkraft für Schrift 2 werden lautliche und graphemische Einheiten in beiden Sprachen koordiniert im Unterricht behandelt. 24 In vielen Fällen müssen 7.2 Mehrschriftliches literales Handeln in der Schule 127 <?page no="128"?> 25 Z.B. im Hamburger Bildungsserver: https: / / www.rechtschreibwerkstatt-konzept.de/ w p-content/ uploads/ 2014/ 08/ AL_Tuerkisch_LowRes.pdf, abgerufen am 30.1.2025 die Unterrichtsmaterialien von den Lehrkräften adaptiert und hergestellt werden, zweisprachige Anlauttabellen gibt es aber z. B. auf einigen Bil‐ dungsservern und im Web. 25 Obwohl Anlauttabellen durchaus, insbesondere wenn sie isoliert angewendet werden, kritisiert werden, so sind sie doch bei einer differenzierten Betrachtung und im Kontext einer Alphabetisierungs‐ strategie, die phonologische, silbische, morphologische und syntaktische Schreibprinzipien präsentiert, sehr gute Hilfsmittel für eine Übersicht über Alphabete. Das phonologische Schreibprinzip betrifft die Korrespondenz von graphemischen Einheiten (Buchstaben) und Lauten, die in einer Sprache bedeutungsunterscheidend sind (Phoneme). Das silbische Prinzip erfasst die Schreibung innerhalb von Silben und im Verhältnis von Silben zueinander und erfasst z. B. die Darstellung von gespannten, „langen“ Lauten z. B. mit dem Dehnungs-H (wie in „Rum“ versus „Ruhm“oder die Abbildung von Schärfungen und Silbengelenken durch Doppelkonsonanten (wie z. B. in „Puppe“). Das morphologische Schreibprinzip beschreibt den Grundsatz, dass Wörter eines Lemmas, eines Wortstamms, ähnlich geschrieben werden, z. B. „Kind - Kinder“ oder „Haus - Häuser“ und setzt sich damit über das phonologische Prinzip hinweg. Das syntaktische Prinzip erklärt, dass Köpfe von Nominalphrasen mit einer Majuskel sozusagen groß geschrieben wer‐ den („Das Schwimmen ist ein schöner Sport“ und nicht *“Das schwimmen …“ oder „Das rote große Haus …“ und nicht *“ Das Rote große …“). Mit der Koordinierten Alphabetisierung arbeiten zum Beispiel die Staat‐ lichen Europaschulen Berlin, die bilingualen Schulen in Frankfurt und an vielen anderen Standorten seit vielen Jahren. Dieses Konzept kann daher als in der Praxis gut erprobt gelten. Dort ist noch ein Forschungsfeld für wissenschaftliche Arbeiten. Die Schwierigkeiten bei der Aneignung der Orthographie sind für ein- und mehrsprachige Kinder und Jugendliche die gleichen. Es werden bei mehrsprachigen Lernenden grundsätzlich keine anderen Verschriftungsstrategien als bei monolingualen Gleichaltrigen beobachtet. Schwierigkeiten mit Dehnungs- und Schärfungsschreibung, mit dem Erkennen der Stamm‐ schreibung (Becker/ Siekmann 2012) sind für alle Gruppen belegt. 128 7 Mehrschriftlichkeit und Multiliteralität im Schulalter <?page no="129"?> Schrifterwerb im Herkunftssprachlichen Unterricht und in Vereinen Der Herkunftssprachliche Unterricht in den Schulen ist ein wichtiger Ort für die Alphabetisierung und Literalisierung in den Herkunftssprachen. In der Regel sind dort muttersprachliche Lehrkräfte tätig (Kniffka/ Siebert-Ott 2007, Lengyel/ Neumann 2017). Die Sprachbeherrschung der Schülerschaft ist außerordentlich unterschiedlich, und die Lernziele des Herkunftssprach‐ lichen Unterrichts sind offen. In einer Befragung Hamburger Eltern zeigte sich, dass die Möglichkeit, Lesen und Schreiben in den Herkunftssprachen zu lernen, der wichtigste Grund für Eltern ist, den Herkunftssprachlichen Unterricht zu befürworten, und das vor allem deshalb, damit die Kinder später ihre Chancen in einer mehrsprachigen Arbeitswelt wahrnehmen können (Lengyel/ Neumann 2017: 60). Dieser Herkunftssprachliche Unter‐ richt ist oft wenig koordiniert mit dem üblichen Unterricht; daher können alle Lehrkräfte den Herkunftssprachlichen Unterricht mehr stärken, wenn sie Angebote zur Verzahnung mit dem Regelunterricht am Schulvormittag machen und mit den Lehrkräften in einen Dialog treten (Gürsoy et al. 2020). Im außerschulischen Bereich bieten Vereine in privater, konfessioneller oder religiöser Trägerschaft Schriftaneignung und Literalitätserziehung an (z. B. Roeder/ Kreß 2023). Zum Teil erfolgt die Alphabetisierung vor der Einschulung in die deutsche Schule, z. B. weil damit an Konventionen im Heimatland angeknüpft wird, wenn die Einschulung dort schon vor dem sechsten Lebensjahr üblich ist. Ein weiterer Grund liegt darin, die hohe Mo‐ tivation und Neugierde der Kinder auf Schrift aufzugreifen (Montanari, Abel, Graßer, Tschudinovski 2018a). Der Schrifterwerb erfolgt meist sukzessiv, zuerst in der Familiensprache und später in der Schule im Unterrichtsme‐ dium. Diese Angebote sind außerordentlich heterogen. Sie sind lokal in den Communities organisiert. Über die gesamte Schulzeit: Translanguaging und Schreiben Den Gebrauch aller Sprachen in den Phasen des Schreib- und Schreibpla‐ nungsprozesses wie auch in der Rezeption von Texten zu ermöglichen, hilft dabei, komplexe Texte zu verfassen - das gilt auch für einsprachige Ergebnisse. Schon Grundschüler können ihre Sprachenvielfalt in Lese- und Schreibprozessen nutzen. In einer Untersuchung mit amerikanischen Viertklässlern (Velasco/ García 2014) wurde deutlich, dass der Einbezug aller Sprachen die Kinder dabei unterstützt, komplexe Texte zu verfassen: 7.2 Mehrschriftliches literales Handeln in der Schule 129 <?page no="130"?> Die Schülerinnen und Schüler schrieben hochwertigere Texte in der Unter‐ richtssprache, wenn sie während des Schreibprozesses mehrschriftlich und mehrsprachig agieren durften. Für alle Planungsphasen wird daher der Einbezug aller Sprachen empfohlen, um das Wissen optimal zu aktivieren. When planning writing, bilingual students should always be encouraged to engage with their multilingual repertoire. Only then planning will serve the purpose for which it is meant. (Velasco/ García 2014: 15) Als besonders ergiebig erwies es sich, wenn der Gebrauch der Familienspra‐ che gezielt angeregt wurde, um literale Aufgaben mit häuslichem Bezug zu lösen (Velasco/ García 2014). In einer Studie mit Lehrpersonen zeigten sich sechs Strategien, um Erstklässler zur Mehrschriftlichkeit im Unterricht anzuregen, als besonders erfolgreich: • ein ausreichendes Angebot an mehrsprachigen Büchern und Texten im Klassenraum; • eine umfangreiche Wissensaktivierung, für die Antworten und Kom‐ mentare in allen Sprachen zugelassen werden. Die Lehrperson und ggf. die Klassengemeinschaft suchen bei Bedarf die Übersetzung in die Unterrichtssprache; • Antworten, die anzeigen, dass der Sinn erfasst wurde, werden in jeder sprachlichen Form akzeptiert; • die Lehrperson gibt für zentrale Begriffe Übersetzungswörter an, die sie vorbereitet hat; • Antworten mit Code-Switching (Sprachwechsel) werden mehrschriftlich an die Tafel geschrieben; • um einen Text zu verstehen, wird ein mehrsprachiges Scaffolding erar‐ beitet (Michael-Luna/ Canagarajah 2007: 72 ff.). Multilingual Digital Literacy Mehrschriftige webgestützte Kommunikation ermöglicht es den Schülerin‐ nen und Schülern, ihre multilinguale und multimediale Identität zu leben. Wenn es Lehrkräften gelingt, diese multilingualen Schriftpraxen in den Unterricht digital einzubeziehen, dann kann es gelingen, eine Kontinuität zwischen den privaten und schulischen Sprachpraxen herzustellen (Duek Nilsberth 2022). 130 7 Mehrschriftlichkeit und Multiliteralität im Schulalter <?page no="131"?> In Chats, Blogs, Kommunikationen in Messengern u. a. sehen viele Schrei‐ bende es deutlich gelassener, wenn sie mehrere Sprachen verwenden, nicht orthografisch richtig schreiben und unterschiedliche Schreibweisen im glei‐ chen Text einsetzen. Eine regelkonforme Schreibweise wirkt schnell über‐ korrekt; die Online-Kommunikation ist durch eine hohe graphematische Schreibungsvariation ausgezeichnet (Abel/ Glaznieks 2020). Blogs und Chats sind aus vielen Gründen gut dafür geeignet, in den Unterricht eingebunden zu werden: • Die Texte sind kurz und daher für Anfänger geeignet. • Die Freiräume sind groß. • Sie sind nah an der Realität und den Interessen der Kinder. • Viele Kinder nutzen bereits Smartphones. • Es ist lohnend, schon mit jungen Kindern pragmatische und ethische Aspekte anzusprechen. Das macht diese Textformen geeignet dafür, um zu schreiben, auch wenn die Orthographie noch nicht „sitzt“. Einige Anregungen für die Schulpraxis: Für das Lesen einer Klassenlektüre wird ein Weblog zu einem Thema auf einer Kinderplattform eingerichtet. Mögliche Themen: Vorschläge für den nächsten Ausflug oder Kommentare zu der aktuellen Klassen‐ lektüre. Jedes Kind ist eingeladen, etwas zu posten. Bei Schreibanfän‐ gern kann das auch ein Emoji, ein Ausruf o.Ä. sein. Wichtige Wörter werden im Unterricht in mehreren Sprachen geschrieben. Für das nächste Klassenpicknick wird (temporär) eine Gruppe auf einem Messenger gegründet: Wer bringt was mit? Bei Gerichten, die (auch) einen Namen in anderen Sprachen haben, den mit aufschreiben. Ein Sachthema wird in mehreren Sprachen recherchiert. Welche Quellen sind zuverlässig? Welche wahrscheinlich nicht? Wie kann das erkannt werden? Erkennbar ist die Qualität z. B. am Impressum, an den Herstellern. Gibt es eine Redaktion? Mehrschriftiges Schreiben mit KI Die Schülerinnen und Schüler dürfen KI und mehrsprachige Websites für eine Hausarbeit einsetzen, z.B. 7.2 Mehrschriftliches literales Handeln in der Schule 131 <?page no="132"?> • Programme wie DUDEN Mentor, Grammarly u. a. für die Recht‐ schreibkorrektur, • Chat GPT für das Heraussuchen von Literatur, • Übersetzungstools. Sie dokumentieren, welches Programm sie für welche Arbeitsab‐ schnitte genutzt haben. Es sollte mindestens eine Quelle verwendet worden sein, die nicht in der Unterrichtssprache geschrieben ist. Übersetzen eines Textes aus den Erstsprachen der Schülerinnen und Schüler in die deutsche Sprache (oder umgekehrt) mit Hilfe eines Übersetzungstools: Was geht verloren? Entstehen Fehlübersetzun‐ gen? Gibt es etwas zu lachen? Praxisbeispiel: Hörspielproduktion in einer mehrsprachigen Lerngruppe der vierten Klasse Ein sehr anschaulisches Beispiel für ein mehrschriftiges Projekt ist die Beschreibung einer Hörspielproduktion in einer vierten Grundschul‐ klasse in Mogl (2023). Vom Schreiben des Skripts, der Adaption eines Bilderbuches, dem Festhalten von organisatorischen Absprachen wie Zeitplänen, Rollen finden sich zahlreiche Anlässe für soziales, koope‐ ratives und mehrschriftiges Lesen und Schreiben, bis schlussendlich das Produkt fertiggestellt ist und den Eltern (mit schriftlicher An‐ kündigung, also wieder schreiben) präsentiert werden kann. Auch das Ergebnis ist ein mehrsprachiger Text, nämlich ein Hörspiel mit Anteilen in unterschiedlichen Sprachen. Die Autorin fasst zusammen: Es zeigte sich, dass Schreiben in solch einem Szenario einen großen Stel‐ lenwert einnimmt. Indem die Lernenden gemeinsam schreiben, kommen sie miteinander in Kontakt und können aufgrund des Austausches auch die Sprachenvielfalt, die ihre Klasse bietet, entdecken. (Mogl 2023: 381) Das inhaltliche sowie sprachliche Wagnis, in unterschiedlichen Sprachen zu schreiben, wurde von den Lernenden dennoch begeistert ergriffen. Sie treten in den Austausch, beschäftigen sich mit ihren Herkunftssprachen und entdecken somit neue Möglichkeiten (Mogl 2023: 278). 132 7 Mehrschriftlichkeit und Multiliteralität im Schulalter <?page no="133"?> Mehrschriftlichkeit im Unterricht: CLIL Im sprachenintegrierenden Sachfachunterricht (Content and Language Integra‐ ted Learning, CLIL) kommt dem Umgang mit Mehrschriftlichkeit besondere Bedeutung zu, da hier Texte und Medien aus unterschiedlichen Fachkulturen im Unterricht zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen. Das ist insbesondere deshalb eine Herausforderung, weil diese Texte und Medien für Schülerinnen und Schüler erschlossen werden müssen, die, bevor sie in CLIL unterrichtet wurden, in der Schulsprache mit den dort üblichen literalen Konventionen konfrontiert waren. Es gilt dabei, Mikro- und Makrostrukturen von Texten in unterschiedlichen Literalitätskulturen zu vergleichen (Whittaker/ Avecedo 2016). Dabei ist das Ziel von CLIL, mehr als eine funktionale Literalität zu erreichen: Globalisierung erfordert einen Fokus auf Kommunikation und Verstehen und darüber hinaus werden multiliterate Schreiberinnen und Schreiber benötigt, die nicht nur über eigene funktionale Literalität verfügen, sondern darüber hinaus über literale Fähigkeiten verfügen, erfolgreich ihre Schulbildung in jeder Sprache zu absolvieren, die ihnen hilft, Literalität im Beruf zu erlangen. (Dalton-Puffer, Hüttner Llinares 2023: 195, übertragen von EM) 7.3 Ausblick Ob multiliterale Praktiken in Schulen nachhaltig und erfolgreich umge‐ setzt werden können, hängt in erheblichem Maße davon ab, wie gut die bildungspolitische Unterstützung ist, d. h. ob Staaten oder Bundesländer Multiliteralität unterstützen, indem sie Ressourcen zur Verfügung stellen (Warren 2017). Hier ist also die gesellschaftliche Unterstützung gefragt. Die Lehrpersonen können dafür systematisch Freiräume eröffnen, ihre eigene Mehrschriftlichkeit einbringen und Mehrschriftlichkeit kontinuierlich im Unterricht verankern. Die Freiheit für die Schülerinnen und Schüler bei der Sprachenwahl ist ein entscheidender Faktor: Möchte man den Lernenden somit einen Unterricht bieten, der sie Mehrsprachig‐ keit als Chance wahrnehmen lässt, muss den Schüler*innen die Möglichkeit zum Austausch sowie zur aktiven Mitarbeit geboten werden. Durch das gemeinsame Aufschreiben können sich die Lernenden unterschiedliche Strategien im Umgang mit den mehrsprachigen Passagen erarbeiten. (Mogl 2023: 276) 7.3 Ausblick 133 <?page no="135"?> Literaturverzeichnis Abel, Andrea & Glaznieks, Aivars (2020): Textqualität in sozialen Medien. In: Deutsch in Sozialen Medien. Interaktiv-multimodal-vielfältig (pp. 53-74). de Gruyter. Alber, Birgit; Frey, Jennifer C.; Glaznieks, Aivars; Glück, Alexander & Kokkel‐ mans, Joachim (2024). Verschriftungsprinzipien im geschriebenen Dialekt: What‐ sApp-Nachrichten aus Südtirol. Linguistik online, 127(3), 25-49. file: / / / Users/ mon‐ tanar/ Downloads/ IA_Alber+et+al_Endversion3_23Mar_14h54.pdf Akıncı, Mehmet Ali (2002): Développement des compétences narratives des enfants bilingues turc-français en France âgés de 5 a 10 ans. München: Lincom Europa. Anstatt, Tanja (2008): Russisch in Deutschland: Entwicklungsperspektiven. Bulletin der deutschen Slavistik 14. 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Dies geschieht in zwei separaten Themenblöcken, um der Spezifizität der jeweiligen Lebens- und Lernphase und den Besonderheiten des pädagogischen Alltags in KiTas und Grundschulen gerecht zu werden. Für die Neuauflage wurde der Band umfassend aktualisiert und um neue Themen wie die Rolle von KI ergänzt.