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Marketing-Management

Märkte, Marktforschung und Marktbearbeitung

1016
2023
978-3-8385-8829-2
978-3-8252-8829-7
UTB 
Matthias Sander
10.36198/9783838588292
<?page no="0"?> Marketing-Management 4. A. Sander Marketing verstehen und anwenden! Dieses Lehrbuch lässt keine Fragen offen: Matthias Sander stellt darin die Grundlagen des Marketings, des Käuferverhaltens und der Marktforschung vor. Zudem geht er u.a. auf das Neuromarketing, das Yield-Management und das Social-Mediasowie Mobile-Marketing ein. Neu: Die vierte, überarbeitete und erweiterte Auflage wurde um das alternative Konzept des Demarketings ergänzt. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung wurden auch die Ausführungen zum Influencer-Marketing ausgebaut. Das wertvolle Nachschlagewerk und Lehrbuch richtet sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften an Universitäten und Fachhochschulen sowie an Praktiker: innen, die sich in ihrem Berufsalltag mit Marketing-Entscheidungen auseinandersetzen. Betriebswirtschaftslehre ISBN 978-3-8252-8829-7 Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel umfassend und praxisnah Matthias Sander Marketing- Management Märkte, Marktforschung und Marktbearbeitung 4. Auflage 2023-09-22_8829-7_Sander_XL_8251_gebunden_PRINT.indd Alle Seiten 2023-09-22_8829-7_Sander_XL_8251_gebunden_PRINT.indd Alle Seiten 22.09.23 13: 02 22.09.23 13: 02 <?page no="1"?> utb 8251 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Prof. Dr. Matthias Sander hat den Lehrstuhl für Marketing an der Universität Konstanz inne. <?page no="3"?> Matthias Sander Marketing-Management Märkte, Marktforschung und Marktbearbeitung 4., überarbeitete und erweiterte Auflage UVK Verlag · München <?page no="4"?> 4., überarbeitete und erweiterte Auflage 2023 3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2019 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage 2011 1. Auflage 2004 DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838588292 © UVK Verlag 2023 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 8251 ISBN 978-3-8252-8829-7 (Print) ISBN 978-3-8385-8829-2 (ePDF) Umschlagabbildung: © anilakkus ∙ iStock Autorenbild: © Universität Konstanz Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> VVorwort zur 4. Auflage Die 3. Auflage war schnell vergriffen. Die inhaltliche Struktur des Buches hat sich offensichtlich bewährt und wurde daher auch in der 4. Auflage beibehalten. Erweitert wurde das Buch um die aktuelle Entwicklung des „Demarketing“. Außerdem wurde aufgrund der zunehmenden Bedeutung dem „Influencer-Marketing“ mehr Platz eingeräumt. Unabhängig hiervon wurde das Buch grundlegend überarbeitet und aktualisiert. Bei der Erstellung der Neuauflage dieses Buches haben wiederum viele fleißige Helferinnen und Helfer mitgewirkt. Herzlich danken möchte ich meinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Herrn M.Sc. Jens Ruben Dankerl sowie Herrn M.Sc. Semjon Fischer für Hinweise in formaler Hinsicht sowie für inhaltliche Beiträge. Dank gebührt auch meiner Sekretärin Frau Karin Feldmann für die tatkräftige Unterstützung bei der Erstellung der Neuauflage. Mein Dank gilt auch den wissenschaftlichen Hilfskräften für die Erstellung und Aktualisierung zahlreicher Abbildungen. Bedanken darf ich mich insbesondere bei Herrn Rainer Berger vom UVK Verlag München für die wieder einmal reibungslose Zusammenarbeit. Konstanz, im Mai 2023 Matthias Sander Zusatzmaterialien online Für die Aufgaben im Buch bietet der Autor Lösungshinweise an. Diese finden Sie online unter https: / / files.narr.digital/ 9783825288297/ Zusatzmaterial.zip oder alternativ auf Titelebene bei www.utb.de Vorwort zur 1. Auflage Viele Märkte sind heutzutage geprägt von intensivem Wettbewerb und hohem Konkurrenzdruck. Begriffe wie Innovationsdynamik, Imitationsbeschleunigung und Hyperwettbewerb sorgen im Verbund mit sich rasch ändernden Rahmenbedingungen für enorme Anforderungen an Unternehmen zur nachhaltigen Sicherung ihrer Existenz am Markt. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch das Aufkommen neuer Medien (z.B. Internet, digitales Fernsehen), deren adäquater Einsatz erst erlernt werden muss, um die gewünschte Zielwirkung entfalten zu können. Hinzu treten Konsumentenverhaltensmuster, welche mit Begriffen wie „Smart Shopper“ oder „hybrides Kaufverhalten“ belegt sind und Unternehmen vor neue Herausforderungen stellen. Vor diesem <?page no="6"?> VI Vorwort Hintergrund ist ein systematisch betriebenes Marketing-Management wichtiger denn je. Prinzipiell muss sich jedes Unternehmen mit dem Marketing-Gedanken auseinandersetzen. Neue Märkte aufzuspüren und bereits bestehende Märkte mit dem Marketing-Instrumentarium adäquat zu bearbeiten, ist eine absolute Notwendigkeit geworden. Das vorliegende Buch versteht sich als umfassendes Lehrbuch, welches die wesentlichen Grundlagen des Marketing-Management darlegt und sich bemüht, ein umfassendes Marketing-Verständnis beim Leser zu entwickeln. Es spiegelt in den dargestellten Bereichen den aktuellen Stand des Marketing als betriebswirtschaftliche Teildisziplin wider und verdeutlicht, welche Managementaufgaben hiermit jeweils verbunden sind. Grundsätzlich wurde dabei eine entscheidungsorientierte Sichtweise eingeschlagen, um Handlungsempfehlungen abgeben zu können. Neben Studenten als Zielgruppe ist dieses Buch daher auch für Praktiker geeignet, welche in ihrem Berufsalltag mit Marketing-Entscheidungen konfrontiert werden. Dass ein derartig umfassendes Werk in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum entstehen konnte, ist der Mitarbeit einer Vielzahl von Personen zu verdanken. Danken möchte ich für die Mitarbeit in den Frühphasen der Entstehung dieses Buches meinem früheren wissenschaftlichen Assistenten, Herrn Prof. Dr. Michael Streich, welcher in vielen Bereichen des Buches konstruktiv tätig war und seine Entstehung nachhaltig unterstützt hat. Dank gebührt auch meinen derzeitigen wissenschaftlichen Mitarbeitern, Frau Dipl.-Oec. Meike Lemke und Herrn Dipl.-Kfm. Berthold Weywara, deren Anregungen ich gerne umgesetzt habe und welche in den Schlussphasen der Entstehung des Buches eine unschätzbare Hilfe waren. Zuständig für die Erstellung der zahlreichen Abbildungen waren die am Lehrstuhl tätigen wissenschaftlichen Hilfskräfte, welche ihrer Arbeit gewissenhaft nachgekommen sind. Danken möchte ich hierfür Frau Kim Ahrens, Herrn Florian Bubla, Herrn Sven Rottner, Frau Kathrin Runge, Frau Christine Rupp, Herrn Johannes Schweizer und Frau Polina Voytovych. Mit den schwierigen Fragen und Problemen der Formatierung hat sich Herr Marc Stiefenhofer auseinandergesetzt, welcher außerhalb dieser Tätigkeit als Webmaster am Lehrstuhl beschäftigt ist. Auch hierfür möchte ich mich herzlich bedanken. Ein besonderer Dank gebührt meiner Sekretärin, Frau Herta Kopp, welche sich unermüdlich durch einen großen Stoß Papier mit überwiegend schwer lesbaren handschriftlichen Aufzeichnungen gekämpft hat und diese Aufzeichnungen in eine vernünftige Form bringen konnte. Auch Herrn Dr. Wulf D. v. Lucius, v. Lucius & v. Lucius Verlagsgesellschaft Stuttgart, möchte ich meinen Dank aussprechen für die bereitwillige Übernahme der Drucklegung dieses Buches sowie die unproblematische Inkaufnahme der einen oder anderen Verzögerung. Schließlich möchte ich mich bei meiner Frau Claudia und meinen beiden Söhnen Philip und Dominik bedanken. Sie haben unter der Erstellung dieses Werkes besonders gelitten, da ein großer Teil meiner Freizeit für diese Aufgabe investiert wurde und die Familie in vielerlei Hinsicht zu kurz kam. Ihr ist daher auch dieses Buch gewidmet. Konstanz, im Mai 2004 Matthias Sander <?page no="7"?> AAufbau des Lehrbuches und Hinweise für die Lektüre Das vorliegende Lehrbuch gliedert sich in drei Teile: 1. Teil: Grundlagen des Marketing-Management 2. Teil: Märkte und Marktinformationen 3. Teil: Marktbearbeitung Gegenstand des 1. Teiles ist die Darlegung des Marketing-Konzeptes sowie die Charakterisierung des Marketing-Management. Hier werden begriffliche Grundlagen erarbeitet, um ein Marketing-Verständnis beim Leser aufzubauen. Darüber hinaus wird ein Überblick über die Aufgaben des Marketing-Management vermittelt. Dieser Teil bildet die Basis, auf welcher die nachfolgenden Teile aufbauen. Im 2. Teil stehen Märkte und Marktinformationen im Mittelpunkt der Betrachtung. Konkret wird aufgezeigt, was sich hinter dem wichtigen Konstrukt „Markt“ verbirgt und wie Märkte definiert, kategorisiert und abgegrenzt werden können. Weiten Raum nimmt nachfolgend die Analyse des Verhaltens von Marktteilnehmern ein. Determinanten und Modelle des Käuferverhaltens werden ausführlich diskutiert. Als Käufer werden dabei sowohl Konsumenten als auch Unternehmen betrachtet. Bei den Unternehmen wird eine differenzierte Darstellung dahingehend unternommen, ob es sich um Industriebetriebe, Handelsbetriebe oder öffentliche Betriebe handelt. Neben dem Käuferverhalten wird darüber hinaus auch das Anbieterverhalten dargestellt. An die Analyse des Verhaltens von Marktteilnehmern schließt sich das Kapitel „Marktinformationen“ an. Neben den vielfältigen Möglichkeiten der Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der betrieblichen Marktforschung unter Berücksichtigung der wesentlichen Datenanalyseverfahren wird hier auf die wichtige Aufgabe der Marktsegmentierung eingegangen. Es wird erörtert, wie Marktsegmente gebildet sowie ausgewählt und zielgerichtet bearbeitet werden können. Schließlich wird aufgezeigt, wie Prognosen im Marketing erstellt werden können. Die Vielfalt der Prognosemethoden wird eingehend dargelegt und ihre Anwendungsmöglichkeiten im Marketing aufgezeigt. Der 3. Teil widmet sich der Marktbearbeitung. Hier stehen die einzelnen Aufgaben des Marketing-Management im Mittelpunkt der Betrachtung. Konkret werden hier behandelt: die strategische Marketing-Planung, die Planung des Marketing-Instrumente-Einsatzes, die Marketing-Implementierung, das Marketing-Controlling, die Marketing-Organisation sowie das Human Resource Management im Marketing. Detailliert werden diese Aufgabenbereiche des Marketing-Management beschrieben sowie Handlungsmöglichkeiten innerhalb der einzelnen Aufgabenbereiche aufgezeigt und diskutiert. Durchweg wird eine entscheidungsorientierte Vorgehensweise eingeschlagen, welche die unter <?page no="8"?> VIII Aufbau und Hinweise Zugrundelegung der jeweiligen Situation bestmögliche Handlungsalternative aufzeigt. Verdeutlicht werden die Ausführungen durch eine Vielzahl von Beispielen, um das Verständnis weiter zu fördern. Ein besonderes Schwergewicht bildet dabei die Planung des Marketing-Instrumente- Einsatzes. Umfassend werden die Handlungsmöglichkeiten in der Produktpolitik, der Kontrahierungspolitik, der Kommunikationspolitik sowie der Distributionspolitik aufgezeigt. Auch wird auf ihre Zusammenfassung in Form eines adäquaten Marketing-Mix eingegangen. Nach jedem Kapitel finden sich Hinweise auf weitere grundlegende Literatur zu den in dem jeweiligen Kapitel behandelten Inhalten. Hier werden ausschließlich Werke angeführt, welche weiten Eingang in die einschlägige Literatur gefunden haben oder aber in besonderer Weise geeignet sind, die angesprochenen Themenbereiche zu vertiefen. Der gesamte Nachweis der in dem vorliegenden Buch verwendeten Literatur findet sich wie üblich im Literaturverzeichnis am Ende des Buches. Bei der Erstellung eines derart umfassenden Werkes bleibt es nicht aus, dass sich Fehler einschleichen. Diese Fehler gehen natürlich ausschließlich zu Lasten des Autors. Für die Meldung etwaiger Fehler und Mängel, aber auch für kritische Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge bin ich sehr dankbar. Gerne nehme ich sie unter folgender Adresse entgegen: Prof. Dr. Matthias Sander Universität Konstanz Lehrstuhl für Marketing Fach 130 78457 Konstanz e-mail: matthias.sander@uni-konstanz.de <?page no="9"?> IInhaltsübersicht 1. Teil: Grundlagen des Marketing-Management 1 Das Marketing-Konzept ...................................................................... 3 1.1 Grundgedanke des Marketing............................................................................... 3 1.2 Begriff und Merkmale des Marketing .................................................................. 4 1.3 Entwicklungslinien und aktuelle Trends im Marketing .................................... 6 1.4 Arten des Marketing ............................................................................................... 9 2 Charakterisierung des Marketing-Management ................................. 13 2.1 Begriff des Marketing-Management .................................................................... 13 2.2 Aufgaben des Marketing-Management ............................................................... 13 2.3 Teilfunktionen des Marketing-Management ...................................................... 15 2. Teil: Märkte und Marktinformationen 1 Charakterisierung und Arten von Märkten ......................................... 21 1.1 Märkte ....................................................................................................................... 21 1.2 Marktteilnehmer ...................................................................................................... 24 1.3 Erscheinungsformen von Märkten ...................................................................... 26 1.4 Marktabgrenzungen ................................................................................................ 30 2 Verhalten von Marktteilnehmern ........................................................ 37 2.1 Das Käuferverhalten .............................................................................................. 37 2.2 Das Anbieterverhalten ........................................................................................... 134 3 Marktinformationen ............................................................................ 139 3.1 Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung ................................................................................................ 140 3.2 Marktsegmentierung ............................................................................................... 230 3.3 Marktprognosen ...................................................................................................... 241 3. Teil: Marktbearbeitung 1 Strategische Marketing-Planung......................................................... 285 1.1 Situationsanalyse und -prognose .......................................................................... 287 1.2 Marktorientierte Unternehmensplanung............................................................. 298 1.3 Marktorientierte Geschäftsfeldplanung............................................................... 323 2 Planung des Marketing-Instrumente-Einsatzes ................................. 345 2.1 Produktpolitik.......................................................................................................... 346 2.2 Kontrahierungspolitik ............................................................................................ 431 2.3 Kommunikationspolitik ......................................................................................... 512 2.4 Distributionspolitik................................................................................................. 642 2.5 Marketing-Mix ......................................................................................................... 709 <?page no="10"?> X Inhaltsübersicht 3 Marketing-Implementierung............................................................... 737 3.1 Grundlagen der Marketing-Implementierung .................................................... 737 3.2 Begriff und Inhalt der Marketing-Implementierung ......................................... 739 3.3 Realisierungsvoraussetzungen............................................................................... 744 3.4 Aufgabenbereiche der Marketing-Implementierung......................................... 750 3.5 Prozess der Marketing-Implementierung............................................................ 755 3.6 Unterstützende Instrumente der Marketing-Implementierung....................... 758 3.7 Kontrolle der Marketing-Implementierung........................................................ 763 3.8 Probleme bei der Marketing-Implementierung ................................................. 769 4 Marketing-Controlling......................................................................... 775 4.1 Grundlagen des Marketing-Controlling .............................................................. 775 4.2 Aufgaben des Marketing-Controlling .................................................................. 776 4.3 Instrumente des Marketing-Controlling.............................................................. 790 4.4 Organisatorische Einbindung des Marketing-Controlling ............................... 807 5 Marketing-Organisation...................................................................... 811 5.1 Grundlagen der Marketing-Organisation............................................................ 811 5.2 Integration der Marketingfunktion in die Organisation des Unternehmens .................................................................................................. 812 5.3 Determinanten der Marketing-Organisation...................................................... 815 5.4 Grundsätzliche Gestaltungsparameter für die Unternehmens- und Marketing-Organisation ......................................................................................... 819 5.5 Organisation der Marketingfunktion ................................................................... 830 5.6 Neuere Organisationsformen ............................................................................... 841 5.7 Beurteilung der Effizienz der Marketing-Organisationsformen ..................... 846 6 Human Resource Management im Marketing ................................... 857 6.1 Grundlagen des Human Resource Management im Marketing ...................... 857 6.2 Personalbedarfsplanung im Marketing ................................................................ 859 6.3 Personalgewinnung und -beurteilung im Marketing ......................................... 861 6.4 Personalvergütung im Marketing ......................................................................... 871 6.5 Personalführung im Marketing ............................................................................. 874 6.6 Personalentwicklung im Marketing...................................................................... 884 Literaturverzeichnis .................................................................................................... 893 Sachverzeichnis ........................................................................................................... 925 <?page no="11"?> IInhaltsverzeichnis 1. Teil: Grundlagen des Marketing-Management 1 Das Marketing-Konzept ....................................................................................... 3 Lernziele im Kapitel „Das Marketing-Konzept“ .................................................................. 3 1.1 Grundgedanke des Marketing ............................................................................................. 3 1.2 Begriff und Merkmale des Marketing ................................................................................ 4 1.3 Entwicklungslinien und aktuelle Trends im Marketing .................................................. 6 1.4 Arten des Marketing ............................................................................................................. 9 Wiederholungsfragen und -aufgaben zum „Marketing-Konzept“ ............................... 11 Einführende Literaturempfehlungen zum „Marketing-Konzept“................................. 12 2 Charakterisierung des Marketing-Management ................................................. 13 Lernziele im Kapitel „Charakterisierung des Marketing-Management“ ................... 13 2.1 Begriff des Marketing-Management................................................................................. 13 2.2 Aufgaben des Marketing-Management............................................................................ 13 2.3 Teilfunktionen des Marketing-Management................................................................... 15 Wiederholungsfragen und -aufgaben zum „Marketing-Management“...................... 17 Einführende Literaturempfehlungen zum „Marketing-Management“....................... 17 2. Teil: Märkte und Marktinformationen 1 Charakterisierung und Arten von Märkten .........................................................21 Lernziele im Kapitel „Charakterisierung und Arten von Märkten“.............................. 21 1.1 Märkte ................................................................................................................................... 21 1.2 Marktteilnehmer .................................................................................................................. 24 1.3 Erscheinungsformen von Märkten .................................................................................. 26 1.4 Marktabgrenzungen ............................................................................................................ 30 Wiederholungsfragen und -aufgaben zur „Charakterisierung und Arten von Märkten“ ....................................................................................................................................... 36 Einführende Literaturempfehlungen zur „Charakterisierung und Arten von Märkten“ ....................................................................................................................................... 36 2 Verhalten von Marktteilnehmern ........................................................................37 Lernziele im Kapitel „Verhalten von Marktteilnehmern“ ............................................... 37 2.1 Das Käuferverhalten...........................................................................................................37 2.1.1 Kaufentscheidungsträger und Kaufentscheidungstypen ....................................... 37 2.1.2 Das Kaufverhalten von Konsumenten..................................................................... 41 2.1.2.1 Grundlegende Modelltypologien zur Abbildung des Konsumentenverhaltens................................................................................... 41 2.1.2.2 Determinanten des Konsumentenverhaltens ............................................... 42 2.1.2.3 Der Kaufentscheidungsprozess....................................................................... 49 2.1.2.4 Modelle des Konsumentenverhaltens ............................................................ 52 2.1.2.4.1 Überblick ............................................................................................... 52 2.1.2.4.2 Strukturmodelle des Konsumentenverhaltens ................................ 52 <?page no="12"?> 2.1.2.4.2.1 Partialmodelle ...................................................................... 52 2.1.2.4.2.1.1 Intrapersonelle Partialmodelle ..................... 54 2.1.2.4.2.1.2 Interpersonelle Partialmodelle ..................... 66 2.1.2.4.2.2 Totalmodelle........................................................................ 78 2.1.2.4.2.2.1 Systemansätze ................................................. 80 2.1.2.4.2.2.2 Der Entscheidungsnetz-Ansatz von Bettman............................................................ 82 2.1.2.4.3 Stochastische Modelle des Konsumentenverhaltens ..................... 85 2.1.2.4.3.1 Teilstochastische Modelle ................................................. 85 2.1.2.4.3.2 Vollstochastische Modelle................................................. 86 2.1.2.4.4 Simulationsmodelle des Konsumentenverhaltens .......................... 91 2.1.2.4.5 Vergleichende Beurteilung der Modelle des Konsumentenverhaltens ..................................................................... 92 2.1.2.5 Neuere Erkenntnisse der Konsumentenverhaltensforschung ................... 94 2.1.2.5.1 Zufriedenheit und Beschwerdeverhalten ......................................... 94 2.1.2.5.2 Nachkaufprozesse und After-Sales-Marketing................................ 96 2.1.2.5.3 Neue Kaufverhaltensmuster .............................................................. 99 2.1.2.5.4 Neuromarketing ................................................................................. 104 2.1.3 Das Kaufverhalten von Industriebetrieben ........................................................... 105 2.1.3.1 Besonderheiten industrieller Beschaffungsprozesse .................................. 105 2.1.3.2 Monoorganisationale Modelle des industriellen Beschaffungsverhaltens .................................................................................. 107 2.1.3.2.1 Partialmodelle ..................................................................................... 107 2.1.3.2.2 Totalmodelle ....................................................................................... 113 2.1.3.2.2.1 Das Webster/ Wind-Modell ............................................ 113 2.1.3.2.2.2 Der Ansatz von Sheth...................................................... 117 2.1.3.2.2.3 Das Modell von Choffray und Lilien.............................119 2.1.3.3 Interaktionsansätze des industriellen Beschaffungsverhaltens................. 119 2.1.3.3.1 Personale Interaktionsansätze.......................................................... 123 2.1.3.3.2 Organisationale Interaktionsansätze ............................................... 125 2.1.4 Das Kaufverhalten von Handelsbetrieben............................................................. 126 2.1.4.1 Besonderheiten handelsbetrieblicher Beschaffungsprozesse ................... 126 2.1.4.2 Der Beschaffungsprozess in Handelsbetrieben und dessen Determinanten ................................................................................................. 128 2.1.5. Das Kaufverhalten von öffentlichen Betrieben .................................................... 130 2.1.5.1. Besonderheiten öffentlicher Beschaffungsprozesse .................................. 130 2.1.5.2. Der Kaufentscheidungsprozess von Behörden.......................................... 133 2.2 Das Anbieterverhalten...................................................................................................... 134 2.2.1 Wettbewerbsstrategische Grundausrichtungen und Haltungen......................... 134 2.2.2 Verhaltensstile von Unternehmen........................................................................... 136 Wiederholungsfragen und -aufgaben zum „Verhalten von Marktteilnehmern“ ... 137 Einführende Literaturempfehlungen zum „Verhalten von Marktteilnehmern“..... 138 3 Marktinformationen .......................................................................................... 139 Lernziele im Kapitel „Marktinformationen“ ..................................................................... 139 3.1 Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung .......................................................................................................... 140 <?page no="13"?> Inhaltsverzeichnis XIII 3.1.1 Begriff und Formen der Marktforschung .............................................................. 140 3.1.2 Der Ablaufprozess der Marktforschung ................................................................ 140 3.1.3 Die Gewinnung von Marktinformationen ............................................................. 144 3.1.3.1 Grundlegende messtechnische Aspekte der Informationsgewinnung ... 144 3.1.3.1.1 Skalierung von Variablen .................................................................. 144 3.1.3.1.2 Messinstrumente ................................................................................ 147 3.1.3.1.3 Gütemaße ............................................................................................ 147 3.1.3.2 Sekundärstatistische Datengewinnung ......................................................... 149 3.1.3.3 Primärstatistische Datengewinnung ............................................................. 152 3.1.3.3.1 Auswahl der Merkmalsträger ........................................................... 152 3.1.3.3.1.1 Überblick............................................................................ 152 3.1.3.3.1.2 Nichtzufällige Auswahl .................................................... 152 3.1.3.3.1.3 Zufällige Auswahl ............................................................. 155 3.1.3.3.1.4 Stichprobenfehler und Stichprobenumfang ................. 157 3.1.3.3.1.5 Weitere Fehler der Teilerhebung ................................... 161 3.1.3.3.2 Datenerhebung ................................................................................... 161 3.1.3.3.2.1 Befragung ........................................................................... 161 3.1.3.3.2.2 Beobachtung...................................................................... 165 3.1.3.3.2.3 Experiment ........................................................................ 166 3.1.3.3.2.4 Panel als Spezialform der Datenerhebung.................... 171 3.1.4 Die Auswertung von Marktinformationen ............................................................ 173 3.1.4.1 Überblick über die Verfahren der Datenanalyse ........................................ 173 3.1.4.2 Univariate Datenanalyse ................................................................................. 176 3.1.4.3 Bi- und Multivariate Datenanalyse................................................................ 177 3.1.4.3.1 Kontingenzanalyse ............................................................................. 177 3.1.4.3.1.1 Aufgabe einer Kontingenzanalyse ................................. 177 3.1.4.3.1.2 Vorgehensweise im Rahmen einer Kontingenzanalyse............................................................ 180 3.1.4.3.2 Korrelationsanalyse............................................................................ 180 3.1.4.3.2.1 Aufgabe einer Korrelationsanalyse ................................ 180 3.1.4.3.2.2 Vorgehensweise im Rahmen einer Korrelationsanalyse .......................................................... 182 3.1.4.3.3 Regressionsanalyse ............................................................................. 183 3.1.4.3.3.1 Aufgabe einer Regressionsanalyse ................................. 183 3.1.4.3.3.2 Vorgehensweise im Rahmen einer Regressionsanalyse............................................................ 183 3.1.4.3.4 Varianzanalyse .................................................................................... 190 3.1.4.3.4.1 Aufgabe einer Varianzanalyse......................................... 190 3.1.4.3.4.2 Vorgehensweise im Rahmen einer Varianzanalyse ..... 190 3.1.4.3.5 Clusteranalyse ..................................................................................... 194 3.1.4.3.5.1 Aufgabe einer Clusteranalyse .......................................... 194 3.1.4.3.5.2 Vorgehensweise im Rahmen einer Clusteranalyse ...... 196 3.1.4.3.6 Conjoint Measurement...................................................................... 204 3.1.4.3.6.1 Aufgabe des Conjoint Measurement ............................. 204 3.1.4.3.6.2 Vorgehensweise im Rahmen des Conjoint Measurement ..................................................................... 204 3.1.4.3.7 Weitere multivariate Datenanalyse-Verfahren .............................. 209 <?page no="14"?> 3.1.4.3.7.1 Diskriminanzanalyse......................................................... 210 3.1.4.3.7.2 Faktorenanalyse................................................................. 213 3.1.4.3.7.3 Multidimensionale Skalierung......................................... 219 3.1.4.3.7.4 Kausalanalyse..................................................................... 224 3.1.5 Marketing-Informationssysteme .............................................................................. 225 3.1.5.1 Ziele und Strukturen von Marketing-Informationssystemen................... 225 3.1.5.2 Grundtypen von Marketing-Informationssystemen .................................. 226 3.1.6 Organisation der betrieblichen Marktforschung ................................................... 228 3.2 Marktsegmentierung ......................................................................................................... 230 3.2.1 Ziele und Aufgaben der Marktsegmentierung....................................................... 230 3.2.2 Vorgehensweise im Rahmen der Marktsegmentierung ....................................... 230 3.2.2.1 Segmentierungskriterien.................................................................... 233 3.2.2.2 Segmentierungsverfahren ................................................................. 234 3.2.3 Life-Style-Typologien ................................................................................................ 235 3.2.4 Marktsegment-Management ..................................................................................... 237 3.2.4.1 Auswahl der Marktsegmente ......................................................................... 237 3.2.4.2 Bearbeitung von Marktsegmenten ................................................................ 238 3.3 Marktprognosen ................................................................................................................241 3.3.1 Grundlagen.................................................................................................................. 241 3.3.1.1 Begriff der Prognose ....................................................................................... 241 3.3.1.2 Formen von Prognosen.................................................................................. 241 3.3.2 Quantitative Prognosemethoden............................................................................. 242 3.3.2.1 Einfache Prognosemethoden ........................................................................ 242 3.3.2.1.1 Arithmetische Mittel und gleitende Durchschnitte ...................... 243 3.3.2.1.2 Exponentielle Glättung ..................................................................... 245 3.3.2.1.3 Trendextrapolation ............................................................................ 247 3.3.2.2 Komplexe Prognosemethoden...................................................................... 249 3.3.2.2.1 Indikatorprognosen ........................................................................... 249 3.3.2.2.2 Trendextrapolationen mit Saisoneffekten oder nicht-linearen Spezifikationen ................................................................................... 250 3.3.2.2.3 Prognosen auf Basis von Strukturmodellen .................................. 252 3.3.2.2.4 Prognosen auf Basis von Wachstumsfunktionen ......................... 253 3.3.2.2.5 Prognosen auf Basis von Marktreaktionsfunktionen................... 255 3.3.3 Qualitative Prognosemethoden ............................................................................... 260 3.3.3.1 Expertenbefragung .......................................................................................... 260 3.3.3.1.1 Kurzfristige Expertenprognose ....................................................... 261 3.3.3.1.2 Mittelbzw. langfristige Expertenprognose .................................. 266 3.3.3.2 Konsumentenbefragung ................................................................................. 272 3.3.3.2.1 Direkte Konsumentenbefragung..................................................... 273 3.3.3.2.2 Indirekte Konsumentenbefragung .................................................. 276 3.3.4 Messung der Prognosegüte....................................................................................... 277 3.3.5 Verknüpfungen von Prognosemethoden............................................................... 279 Wiederholungsfragen und -aufgaben zu „Marktinformationen“ ............................... 279 Einführende Literaturempfehlungen zu „Marktinformationen“................................. 281 <?page no="15"?> Inhaltsverzeichnis XV 33. Teil: Marktbearbeitung 1 Strategische Marketing-Planung.......................................................................285 Lernziele im Kapitel „Strategische Marketing-Planung“ .............................................. 285 1.1 Situationsanalyse und -prognose .................................................................................... 287 1.1.1 Umweltanalyse und -prognose ................................................................................. 288 1.1.1.1 Analyse der globalen Umwelt ........................................................................ 288 1.1.1.2 Analyse von Branche und Wettbewerb........................................................ 288 1.1.1.3 Prognose zukünftiger Umweltentwicklungen ............................................. 292 1.1.2 Unternehmensanalyse................................................................................................ 293 1.2 Marktorientierte Unternehmensplanung....................................................................... 298 1.2.1 Strategische Unternehmensziele und Mission ....................................................... 298 1.2.2 Bildung Strategischer Geschäftsfelder .................................................................... 301 1.2.3 Strategische Stoßrichtungen und Ressourcenallokation ...................................... 302 1.2.4 Einsatz strategischer Analyseinstrumente .............................................................. 304 1.2.4.1 Portfolioanalyse................................................................................................ 304 1.2.4.2 Lebenszyklusanalyse ........................................................................................ 311 1.2.4.3 Positionierungsanalyse .................................................................................... 315 1.2.4.4 Erfahrungskurvenanalyse ............................................................................... 317 1.2.4.5 Wertkettenanalyse ............................................................................................ 320 1.2.5 Timing-Aspekte des Markteintritts.......................................................................... 321 1.3 Marktorientierte Geschäftsfeldplanung......................................................................... 323 1.3.1 Strategische Geschäftsfeldziele ................................................................................ 324 1.3.2 Marketing-Strategien auf Geschäftsfeldebene ....................................................... 325 1.3.2.1 Kundengerichtete Strategien.......................................................................... 325 1.3.2.2 Konkurrenzgerichtete Strategien .................................................................. 328 1.3.2.3 Absatzmittlergerichtete Strategien ................................................................ 329 1.3.2.4 Stakeholdergerichtete Strategien ................................................................... 332 1.3.3 Strategiebewertung und -auswahl ............................................................................ 333 1.3.3.1 Vorgehensweise und Ansätze zur Strategiebewertung und -auswahl ..... 333 1.3.3.2 Die Monte-Carlo-Simulation zur Bewertung und Auswahl von Strategiealternativen ........................................................................................ 336 1.3.4 Strategische Budgetierung......................................................................................... 341 Wiederholungsfragen und -aufgaben zur „Strategischen Marketing-Planung“.... 343 Einführende Literaturempfehlungen zur „Strategischen Marketing-Planung“ ..... 343 2 Planung des Marketing-Instrumente-Einsatzes ...............................................345 Lernziele im Kapitel „Planung des Marketing-Instrumente-Einsatzes“................... 345 2.1 Produktpolitik .................................................................................................................... 346 2.1.1 Grundlagen der Produktpolitik................................................................................ 346 2.1.1.1 Arten von Produkten ...................................................................................... 346 2.1.1.2 Ziele und Restriktionen der Produktpolitik ................................................ 348 2.1.2 Analyse des bestehenden Produktprogramms ...................................................... 351 2.1.2.1 Strategische Produktprogrammanalyse ........................................................ 351 2.1.2.2 Operative Produktprogrammanalyse ........................................................... 354 2.1.3 Veränderung des Produktprogramms..................................................................... 356 2.1.3.1 Produktinnovation........................................................................................... 356 2.1.3.1.1 Begriff und Bedeutung der Produktinnovation ............................ 356 <?page no="16"?> 2.1.3.1.2 Planungsprozess der Produktinnovation ....................................... 360 2.1.3.1.3 Ideengewinnung für neue Produkte ............................................... 362 2.1.3.1.4 Grobauswahl von Produktideen...................................................... 369 2.1.3.1.5 Konzept- und Strategieentwicklung................................................ 373 2.1.3.1.6 Wirtschaftlichkeitsanalyse ................................................................. 374 2.1.3.1.7 Produktentwicklung........................................................................... 377 2.1.3.1.8 Test neuer Produkte .......................................................................... 380 2.1.3.1.9 Markteinführung neuer Produkte.................................................... 384 2.1.3.2 Produktvariation .............................................................................................. 386 2.1.3.3 Produktdifferenzierung................................................................................... 389 2.1.3.4 Produktelimination .......................................................................................... 392 2.1.4 Weitere produktpolitische Entscheidungstatbestände ......................................... 395 2.1.4.1 Markenpolitik ................................................................................................... 395 2.1.4.1.1 Begriff der Marke und des Markenartikels .................................... 395 2.1.4.1.2 Wert der Marke .................................................................................. 399 2.1.4.1.3 Markierungsstrategien ....................................................................... 406 2.1.4.2 Verpackungspolitik.......................................................................................... 413 2.1.4.2.1 Begriff und Funktionen der Verpackung....................................... 413 2.1.4.2.2 Verpackungsgestaltung...................................................................... 414 2.1.4.3 Servicepolitik .................................................................................................... 416 2.1.4.3.1 Begriff und Arten von Serviceleistungen ....................................... 416 2.1.4.3.2 Optimierung des Serviceniveaus ..................................................... 419 2.1.4.4 Produktpolitik im Internet ............................................................................. 419 2.1.4.4.1 Eignung von Produkten für das Internet....................................... 419 2.1.4.4.2 Ausgewählte Aspekte der Produktpolitik im Internet ................. 420 2.1.4.5 Programmpolitik .............................................................................................. 423 2.1.4.5.1 Grundlagen der Programmplanung ................................................ 423 2.1.4.5.2 Gestaltung des Produktprogramms ................................................ 425 2.1.4.5.2.1 Strategische Programmgestaltung .................................. 425 2.1.4.5.2.2 Operative Programmgestaltung ..................................... 425 2.2 Kontrahierungspolitik ...................................................................................................... 431 2.2.1 Begriff und Aufgaben der Kontrahierungspolitik ................................................ 431 2.2.2 Preispolitik................................................................................................................... 432 2.2.2.1 Preispsychologische Wirkungen aus Sicht des Nachfragers ..................... 432 2.2.2.1.1 Preiswahrnehmung und Preisbeurteilung ...................................... 432 2.2.2.1.2 Der Preis als Qualitätsindikator....................................................... 439 2.2.2.1.3 Weitere preispsychologische Effekte aus Nachfragersicht ......... 442 2.2.2.2 Preispolitik aus Sicht des Anbieters .............................................................. 444 2.2.2.2.1 Ziele und Restriktionen der Preispolitik ........................................ 444 2.2.2.2.2 Der Preismanagement-Prozess ........................................................ 448 2.2.2.2.3 Ansätze zur Preisbestimmung.......................................................... 450 2.2.2.2.3.1 Kostenorientierte Preispolitik......................................... 450 2.2.2.2.3.2 Nachfrageorientierte Preispolitik ................................... 453 2.2.2.2.3.2.1 Bestimmung von Preisabsatzfunktionen.. 453 2.2.2.2.3.2.2 Nachfrageorientierte Preispolitik bei unterschiedlichen Marktformen ................ 456 2.2.2.2.3.2.2.1 Preisfindung im Monopol .. 457 <?page no="17"?> Inhaltsverzeichnis XVII 2.2.2.2.3.2.2.2 Preisfindung im Oligopol ... 462 2.2.2.2.3.2.2.3 Preisfindung im Polypol ..... 464 2.2.2.2.3.3 Konkurrenzorientierte Preispolitik ................................ 471 2.2.2.2.3.4 Nutzenorientierte Preispolitik ........................................ 473 2.2.2.2.4 Einzelprobleme der Preispolitik ...................................................... 477 2.2.2.2.4.1 Preisdifferenzierung ......................................................... 478 2.2.2.2.4.2 Preisbündelung und Preislinienpolitik........................... 483 2.2.2.2.4.3 Dynamisches Preismanagement..................................... 491 2.2.2.2.4.4 Vertikales Preismanagement ........................................... 492 2.2.2.2.4.5 Preispolitik in Risiko- und Ungewissheitssituationen. 495 2.2.2.2.4.6 Preispolitik im Internet .................................................... 502 2.2.2.2.4.7 Yield-Management............................................................ 505 2.2.2.2.4.8 Pay-What-You-Want (PWYW) ...................................... 506 2.2.3 Konditionenpolitik..................................................................................................... 507 2.2.3.1 Rabattpolitik ..................................................................................................... 507 2.2.3.2 Lieferungs- und Zahlungsbedingungen ....................................................... 510 2.2.3.3 Absatzfinanzierung.......................................................................................... 510 2.3 Kommunikationspolitik ................................................................................................... 512 2.3.1 Begriff und Bedeutung der Kommunikationspolitik ........................................... 512 2.3.2 Ziele und Restriktionen der Kommunikationspolitik .......................................... 515 2.3.3 Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Wirkungen kommunikativer Maßnahmen................................................................................................................. 520 2.3.3.1 Teilprozesse der Kommunikationswirkung ................................................ 520 2.3.3.2 Modelle der Kommunikationswirkung ........................................................ 522 2.3.4 Planungsprozess der Kommunikationspolitik....................................................... 526 2.3.5 Planung des Einsatzes der Kommunikationsinstrumente................................... 527 2.3.5.1 Überblick........................................................................................................... 527 2.3.5.2 Corporate-Identity-Policy............................................................................... 529 2.3.5.2.1 Ziele und Bestandteile einer Corporate-Identity-Policy .............. 529 2.3.5.2.2 Planung eines Corporate-Identity-Konzeptes............................... 534 2.3.5.3 Werbung ............................................................................................................ 536 2.3.5.3.1 Begriff und Arten der Werbung ...................................................... 536 2.3.5.3.2 Der Planungsprozess der Werbung ................................................ 539 2.3.5.3.2.1 Überblick............................................................................ 539 2.3.5.3.2.2 Werbezielplanung ............................................................. 543 2.3.5.3.2.3 Werbebudgetplanung ....................................................... 545 2.3.5.3.2.3.1 Praxisorientierte Verfahren der Werbebudgetierung...................................... 546 2.3.5.3.2.3.2 Theoretische Ansätze der Werbebudgetierung...................................... 546 2.3.5.3.2.3.3 Zeitliche Verteilung des Werbebudgets.... 560 2.3.5.3.2.4 Werbegestaltungsplanung................................................ 561 2.3.5.3.2.5 Werbestreuplanung........................................................... 574 2.3.5.3.3 Kontrolle der Werbewirkungen....................................................... 588 2.3.5.4 Sales Promotions ............................................................................................. 592 2.3.5.4.1 Ziele und Instrumente der Verkaufsförderung............................. 592 2.3.5.4.2 Planung des Einsatzes von Verkaufsförderungsmaßnahmen .... 596 <?page no="18"?> 2.3.5.5 Public Relations................................................................................................ 596 2.3.5.5.1 Ziele und Erscheinungsformen der Öffentlichkeitsarbeit .......... 596 2.3.5.5.2 Planung von PR-Maßnahmen.......................................................... 597 2.3.5.6 Direct Communications ................................................................................. 599 2.3.5.6.1 Ziele und Erscheinungsformen von Direct Communications ... 599 2.3.5.6.2 Database-Management und Direct Communications ................. 602 2.3.5.7 Sponsoring ........................................................................................................ 602 2.3.5.7.1 Ziele und Erscheinungsformen des Sponsoring........................... 602 2.3.5.7.2 Planung von Sponsoring-Maßnahmen ........................................... 607 2.3.5.8 Product Placement .......................................................................................... 610 2.3.5.8.1 Ziele und Erscheinungsformen von Product Placements .......... 610 2.3.5.8.2 Planung von Placement-Maßnahmen............................................. 615 2.3.5.9 Online-Werbung .............................................................................................. 618 2.3.5.9.1 Ziele und Erscheinungsformen von Online-Werbung................ 618 2.3.5.9.2 Planung von Online-Werbemaßnahmen ....................................... 624 2.3.5.10 Social Media Marketing.................................................................................... 626 2.3.5.10.1 Ziele und Erscheinungsformen von Social Media Marketing ...... 626 2.3.5.10.2 Planung von Social Media Marketing-Maßnahmen ....................... 630 2.3.5.11 Mobile Marketing.............................................................................................. 632 2.3.5.11.1 Ziele und Erscheinungsformen von Mobile Marketing ................ 632 2.3.5.11.2 Planung von Mobile Marketing-Maßnahmen ................................. 632 2.3.5.12 Einsatz weiterer Kommunikationsinstrumente .......................................... 633 2.3.6 Integrierte Kommunikation...................................................................................... 636 2.3.6.1 Begriff und Formen der Integrierten Kommunikation............................. 636 2.3.6.2 Wirkungen einer Integrierten Kommunikation .......................................... 637 2.3.6.3 Umsetzung eines Integrierten Kommunikationskonzeptes ..................... 640 2.4 Distributionspolitik........................................................................................................... 642 2.4.1 Begriff und Aufgaben der Distributionspolitik ..................................................... 642 2.4.2 Ziele und Restriktionen der Distributionspolitik.................................................. 642 2.4.3 Distributionspolitische Organe ................................................................................ 645 2.4.4 Vertriebspolitik ........................................................................................................... 649 2.4.4.1 Absatzwegewahl............................................................................................... 650 2.4.4.1.1 Strukturen von Absatzkanälen......................................................... 650 2.4.4.1.2 Auswahl alternativer Absatzkanäle.................................................. 652 2.4.4.1.3 Besonderheiten des Online-Vertriebs (E-Commerce)................. 658 2.4.4.2 Beziehungsmanagement im Vertriebssystem.............................................. 662 2.4.4.2.1 Kooperative Strategien...................................................................... 663 2.4.4.2.2 Konfliktmanagement......................................................................... 669 2.4.4.2.3 Einsatz von Macht im Vertriebskanal ............................................ 673 2.4.5 Verkaufspolitik............................................................................................................ 676 2.4.5.1 Formen und Aufgaben des Verkaufs ........................................................... 676 2.4.5.2 Bestimmung der Anzahl von Außendienstmitarbeitern ........................... 679 2.4.5.3 Selektion und Schulung von Verkäufern ..................................................... 681 2.4.5.4 Steuerung des Verkaufspersonals.................................................................. 682 2.4.5.5 Phasen des persönlichen Verkaufs ............................................................... 687 2.4.5.6 Customer Relationship Management ........................................................... 692 2.4.6 Marketing-Logistik ..................................................................................................... 698 <?page no="19"?> Inhaltsverzeichnis XIX 2.4.6.1 Grundlagen und Ziele der Marketing-Logistik ........................................... 698 2.4.6.2 Logistische Entscheidungstatbestände......................................................... 699 2.4.6.2.1 Auftragsabwicklung ........................................................................... 700 2.4.6.2.2 Lagergestaltung und Lagerhaltung .................................................. 702 2.4.6.2.3 Transportmittel- und Transportwegewahl..................................... 706 2.4.6.2.4 Gestaltung der Außenbzw. Versandverpackung........................ 708 2.5 Marketing-Mix ................................................................................................................... 709 2.5.1 Begriff und Besonderheiten des Marketing-Mix................................................... 709 2.5.2 Gestaltung des Marketing-Mix................................................................................. 712 2.5.2.1 Analytische Verfahren zur Gestaltung des Marketing-Mix ...................... 712 2.5.2.2 Heuristische Verfahren zur Gestaltung des Marketing-Mix..................... 719 2.5.2.3 Demarketing als alternative Gestaltung des Marketing-Mix .................... 728 Wiederholungsfragen und -aufgaben zur „Planung des Marketing-Instrumente- Einsatzes“................................................................................................................................... 731 Einführende Literaturempfehlungen zur „Planung des Marketing-Instrumente- Einsatzes“................................................................................................................................... 735 3 Marketing-Implementierung ............................................................................737 Lernziele im Kapitel „Marketing-Implementierung“ ...................................................... 737 3.1 Grundlagen der Marketing-Implementierung .............................................................. 737 3.2 Begriff und Inhalt der Marketing-Implementierung ................................................... 739 3.2.1 Konzept der Marketing-Implementierung............................................................. 739 3.2.2 Ziele der Marketing-Implementierung.................................................................... 740 3.2.3 Ebenen der Marketing-Implementierung............................................................... 741 3.3 Realisierungsvoraussetzungen......................................................................................... 744 3.3.1 Implementierungsstile ............................................................................................... 744 3.3.2 Implementierungsgeschwindigkeit .......................................................................... 746 3.3.3 Implementierungsintensitäten .................................................................................. 746 3.3.4 Implementierungsträger ............................................................................................ 748 3.3.5 Organisation der Marketing-Implementierung ..................................................... 750 3.4 Aufgabenbereiche der Marketing-Implementierung ................................................... 750 3.4.1 Durchsetzung.............................................................................................................. 750 3.4.2 Umsetzung................................................................................................................... 753 3.4.2.1 Konkretisierung der Marketing-Implementierung ..................................... 753 3.4.2.2 Anpassung der Unternehmenspotenziale .................................................... 753 3.5 Prozess der Marketing-Implementierung...................................................................... 755 3.6 Unterstützende Instrumente der Marketing-Implementierung................................. 758 3.6.1 Maßnahmen der Marketing-Implementierung ...................................................... 758 3.6.2 Internes Marketing ..................................................................................................... 760 3.6.3 Organisationales Lernen - Wissensmanagement.................................................. 761 3.7 Kontrolle der Marketing-Implementierung .................................................................. 763 3.7.1 Grundlagen der Implementierungskontrolle ......................................................... 763 3.7.2 Kontrollorgane, Kontrollarten und Kontrollkriterien ......................................... 767 3.8 Probleme bei der Marketing-Implementierung............................................................ 769 Wiederholungsfragen und -aufgaben zur „Marketing-Implementierung“............... 772 Einführende Literaturempfehlungen zur „Marketing-Implementierung“................ 772 <?page no="20"?> 4 Marketing-Controlling.......................................................................................775 Lernziele im Kapitel „Marketing-Controlling“ .................................................................. 775 4.1 Grundlagen des Marketing-Controlling ........................................................................ 775 4.2 Aufgaben des Marketing-Controlling ............................................................................ 776 4.2.1 Überblick .....................................................................................................................776 4.2.2 Informationsversorgung des Marketing-Management......................................... 779 4.2.3 Planungsunterstützung .............................................................................................. 782 4.2.4 Marketing-Kontrolle .................................................................................................. 784 4.2.4.1 Strategische Marketing-Kontrolle und -Überwachung.............................. 784 4.2.4.2 Operative Marketing-Kontrolle..................................................................... 786 4.2.5 Marketing-Audit ......................................................................................................... 788 4.3 Instrumente des Marketing-Controlling........................................................................ 790 4.3.1 Überblick .....................................................................................................................790 4.3.2 Kennzahlen und Kennzahlensysteme..................................................................... 792 4.3.3 Balanced Scorecard .................................................................................................... 796 4.3.4 Absatzsegmentrechnung ........................................................................................... 800 4.3.5 Kundenportfolioanalyse ............................................................................................ 805 4.4 Organisatorische Einbindung des Marketing-Controlling ......................................... 807 Wiederholungsfragen und -aufgaben zum „Marketing-Controlling“......................... 809 Einführende Literaturempfehlungen zum „Marketing-Controlling“.......................... 809 5 Marketing-Organisation.................................................................................... 811 Lernziele im Kapitel „Marketing-Organisation“............................................................... 811 5.1 Grundlagen der Marketing-Organisation...................................................................... 811 5.2 Integration der Marketingfunktion in die Organisation des Unternehmens .......... 812 5.3 Determinanten der Marketing-Organisation ................................................................ 815 5.4 Grundsätzliche Gestaltungsparameter für die Unternehmens- und Marketing- Organisation....................................................................................................................... 819 5.4.1 Spezialisierung............................................................................................................. 819 5.4.2 Koordination............................................................................................................... 821 5.4.3 Konfiguration.............................................................................................................. 823 5.4.4 Entscheidungsdelegation .......................................................................................... 826 5.4.5 Formalisierung ............................................................................................................ 829 5.5 Organisation der Marketingfunktion ............................................................................. 830 5.5.1 Funktionale Organisationsformen........................................................................... 830 5.5.2 Objektorientierte Organisationsformen ................................................................. 831 5.5.2.1 Produktorientierte Marketing-Organisation................................................ 832 5.5.2.2 Regionenorientierte Marketing-Organisation ............................................. 837 5.5.2.3 Kundenorientierte Marketing-Organisation................................................ 838 5.6 Neuere Organisationsformen.......................................................................................... 841 5.6.1 Prozessorganisatorische Ansätze ............................................................................. 842 5.6.2 Netzwerke und virtuelle Unternehmen .................................................................. 844 5.6.3 Teammodelle............................................................................................................... 845 5.7 Beurteilung der Effizienz der Marketing-Organisationsformen ............................... 846 5.7.1 Effizienzkriterien........................................................................................................ 847 5.7.2 Beurteilung einzelner Marketing-Organisationsformen ...................................... 847 Wiederholungsfragen und -aufgaben zur „Marketing-Organisation“ ....................... 855 <?page no="21"?> Inhaltsverzeichnis XXI Einführende Literaturempfehlungen zur „Marketing-Organisation“ ........................ 855 6 Human Resource Management im Marketing .................................................857 Lernziele im Kapitel „Human Resource Management im Marketing“..................... 857 6.1 Grundlagen des Human Resource Management im Marketing ................................ 857 6.2 Personalbedarfsplanung im Marketing .......................................................................... 859 6.3 Personalgewinnung und -beurteilung im Marketing ................................................... 861 6.3.1 Prozess der Personalauswahl.................................................................................... 861 6.3.2 Personalbeurteilung.................................................................................................... 868 6.4 Personalvergütung im Marketing.................................................................................... 871 6.5 Personalführung im Marketing ....................................................................................... 874 6.5.1 Führungstheorien ....................................................................................................... 875 6.5.2 Führungsstile ............................................................................................................... 877 6.5.3 Führungstechniken..................................................................................................... 882 6.6 Personalentwicklung im Marketing ................................................................................ 884 Wiederholungsfragen und -aufgaben zum „Human Resource Management im Marketing“.................................................................................................................................. 890 Einführende Literaturempfehlungen zum „Human Resource Management im Marketing“.................................................................................................................................. 890 Literaturverzeichnis ...............................................................................................893 Sachverzeichnis......................................................................................................925 <?page no="23"?> 11. Teil: Grundlagen des Marketing-Management <?page no="25"?> 11 Das Marketing-Konzept Lernziele im Kapitel „Das Marketing-Konzept“ : In diesem Kapitel erfahren Sie von welchem Grundgedanken das Marketing ausgeht, was man unter dem Begriff „Marketing“ versteht, welche Merkmale das Marketing aufweist, welche Entwicklungslinien und Trends im Marketing zu erkennen sind und welche Arten des Marketing existieren. 1.1 Grundgedanke des Marketing Eine systematische und gezielte Gestaltung marktgerichteter Aktivitäten ist heute für nahezu jedes Unternehmen unabdingbar, um seine Existenz am Markt nachhaltig sichern zu können. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Fragmentierung der Märkte, einer wachsenden Marktdynamik mit sich immer schneller ändernden Bedürfnissen bei gleichzeitig hoher Wettbewerbsintensität und zahlreichen Marktsättigungserscheinungen gewinnt das Marketing zunehmend an Bedeutung. Der Grundgedanke des Marketing besteht dabei in der konsequenten Ausrichtung sämtlicher Aktivitäten eines Unternehmens auf die Erfordernisse des Marktes. Damit rückt der Markt und die Bedürfnisse und Ansprüche der Marktteilnehmer in den Mittelpunkt der Betrachtung (vgl. auch Kap. 1 im 2. Teil). Gegenüber ursprünglichen Konzepten hat das Anspruchsspektrum des Marketing eine deutliche Ausweitung erfahren. Diese Ausweitung bezieht sich auf die Dimension „Verständnis des Marketing“ und auf die Dimension „Bezugsobjekte des Marketing“ (vgl. Abb. 1.1). Im Hinblick auf die Dimension „Verständnis des Marketing“ wurde ursprünglich unter Marketing eine Unternehmensfunktion verstanden, welche gleichberechtigt neben anderen Unternehmensfunktionen wie z.B. Beschaffung, Produktion, Forschung, Entwicklung usw. steht. In moderner Interpretation versteht sich Marketing heutzutage viel weiter gefasst als unternehmerisches Führungskonzept, welches eine marktorientierte Ausrichtung und Koordination sämtlicher Funktionsbereiche eines Unternehmens umfasst. Das gesamte Unternehmen ist damit auf die Bedürfnisse aktueller und potenzieller Kunden auszurichten (vgl. Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2019, S. 13 f.). Ziel muss es dabei sein, komparative Wettbewerbsvorteile im Vergleich zu Wettbewerbern zu erzielen, welche zu Kundenbindung und Kundenzufriedenheit führen und auf diese Weise dem Unternehmen gestatten, seine ökonomischen Ziele zu erreichen. Hinsichtlich der Dimension „Bezugsobjekte des Marketing“ ist eine Ausrichtung von der ursprünglichen Kundenfokussierung hin zu einer Orientierung an sämtlichen Anspruchsgruppen (stakeholder) des Unternehmens zu erkennen. Zu diesen Anspruchsgruppen zählen nicht nur die Kunden des Unternehmens, sondern sämtliche Vereinigungen, Institutionen, Unternehmen und Gruppierungen, mit denen das Unternehmen interagiert wie Banken, Anteilseigner, Mitarbeiter, <?page no="26"?> 4 Das Marketing-Konzept Staat usw. In diesem Sinne wird das moderne Marketing-Verständnis auch als „Integriertes Marketing“ bezeichnet, welches funktionen- und anspruchsgruppenübergreifend gestaltet ist. 11.2 Begriff und Merkmale des Marketing In der einschlägigen Literatur existiert eine Vielzahl von Definitionen des Marketing (vgl. z.B. Cooke/ Rayburn/ Abercrombie 1992). Im Kern können dabei drei Richtungen erkannt werden (vgl. Homburg 2017, S. 8 f.): aktivitätsorientierte Definitionen, beziehungsorientierte Definitionen sowie führungsorientierte Definitionen. In Abb. 1.2 sind die Kernaussagen sowie beispielhafte Definitionen der einzelnen Marketing- Verständnisse im Überblick zusammengefasst. Diese drei Richtungen des Marketing-Verständnisses sind nicht als substitutiv, sondern als komplementär anzusehen, indem sie jeweils unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Gleichwohl sind sämtliche drei Perspektiven aus Marketing- Modernes Marketing ("Integriertes Marketing") Traditionelles Marketing Kundenorientierung Anspruchsgruppenorientierung Marketing als Führungskonzept Marketing als Funktion Bezugsobjekte des Marketing Verständnis des Marketing Abb. 1.1: Wandel des Anspruchsspektrums des Marketing <?page no="27"?> Begriff und Merkmale des Marketing 5 Sicht relevant. Wir verfolgen im vorliegenden Buch daher folgendes integriertes Marketing-Verständnis: „Marketing ist die ganzheitliche Ausrichtung sämtlicher Aktivitäten eines Unternehmens auf die für ein Unternehmen relevanten aktuellen und potentiellen Märkte durch die Planung und Implementierung produkt-, preis-, kommunikations- und distributionspolitischer sowie marktinformationsbezogener Entscheidungen und Kontrolle ihrer Ergebnisse mit dem Ziel des Aufbaus, der Erhaltung und Intensivierung von Austauschbeziehungen mit den Marktteilnehmern zur Sicherstellung übergeordneter Unternehmensziele.“ Übergeordnete Unternehmensziele sind dabei im Regelfall ökonomischer Natur und werden in Form von Gewinn-, Wachstums-, Rentabilitäts-, Marktanteilszielen usw. formuliert. Aus dieser Sichtweise des Marketing heraus lassen sich acht Merkmale ableiten, welche typisch sind für das Marketing (vgl. auch Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2019, S. 12 ff.): Philosophieaspekt: Im Mittelpunkt steht die bewusste Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten auf die Probleme, Wünsche und Bedürfnisse aktueller und potenzieller Kunden. Dies impliziert eine marktorientierte Sichtweise sämtlicher Unternehmensbereiche. Art des Marketingverständnisses Aktivitätsorientiert Beziehungsorientiert Führungsorientiert Kernaussage Marketing wird als Bündel marktgerichteter Aktivitäten verstanden. Die Zielsetzung des Marketing besteht in dem Aufbau, der Erhaltung und Intensivierung der Beziehungen zu Kunden. Marketing bedeutet die Führung des Unternehmens vom Markt her. Beispielhafte Definition "Marketing is the process of planing and executing the conception, pricing, promotion and distribution of ideas, goods and services to create exchanges that satisfy individual and organizational goals." (American Marketing Association 1985, vgl. o.V. 1985) "Marketing is to establish, maintain, enhance and commercialize customer relationships (often but not neccessarily always long term relationships) so that the objectives of the parties involved are met. This is done by a mutual exchange and fulfillment of promises." (Grönroos 1990, S. 5) "Marketing ist die bewußte marktorientierte Führung des gesamten Unternehmens oder marktorientiertes Entscheidungsverhalten in der Unternehmung." (vgl. Meffert 2000, S. 8) Abb. 1.2: Begriffsverständnisse des Marketing <?page no="28"?> 6 Das Marketing-Konzept Verhaltensaspekt: Zur Umsetzung des Marketinggedankens ist die Erfassung und Beobachtung der für die Unternehmung relevanten Umwelt (Käufer bzw. Konsumenten, Wettbewerber, Absatzmittler usw.) mit dem Ziel der Erfassung und Erklärung ihres Verhaltens wichtig (vgl. Kap. 2 im 2. Teil). Informationsaspekt: Ausgangspunkt jeglicher Marktsuche und -erschließung sind systematische Informationsgewinnungsaktivitäten im Rahmen der Marktforschung zur Ermöglichung einer adäquaten Marktbearbeitung (vgl. Kap. 3 im 2. Teil). Segmentierungsaspekt: Ausdruck eines systematisch betriebenen Marketing ist die differenzierte Bearbeitung einzelner Marktsegmente gemäß den Bedürfnissen und Ansprüchen dieser Segmente (vgl. Abschnitt 3.2 im 2. Teil). Strategieaspekt: Im übergeordneten Sinne umfasst Marketing die Entwicklung und Umsetzung längerfristig orientierter Verhaltenspläne des Unternehmens gegenüber seiner Umwelt. Diese Verhaltenspläne konkretisieren sich in bewusst gewählten Marketingstrategien auf ausgewählten Märkten zur Erreichung übergeordneter Unternehmensziele (vgl. Kap. 1 im 3. Teil). Aktionsaspekt: Die konkrete Umsetzung des Marketinggedankens erfolgt durch den zielgerichteten Einsatz der Marketing-Instrumente Produkt-, Kontrahierungs-, Kommunikations- und Distributionspolitik, welche im Rahmen des Marketing-Mix adäquat aufeinander abgestimmt werden (vgl. Kap. 2 im 3. Teil). Koordinationsaspekt: Die organisatorische Voraussetzung des Marketingkonzeptes innerhalb der Unternehmensorganisation verlangt eine Koordination aller marktgerichteten Aktivitäten des Unternehmens, um einen einheitlichen Auftritt des Unternehmens am Markt gewährleisten zu können (vgl. Kap. 3 und Kap. 5 im 3. Teil). Sozialaspekt: Marketing im Sinne eines integrierten Marketing-Konzepts verlangt die Einbeziehung weiterer Anspruchsgruppen in die Marketing-Entscheidungen (vgl. Kap. 1 im 3. Teil). Diese Merkmale kennzeichnen die Marketing-Philosophie. Sie sind untrennbar mit dem modernen Marketing-Verständnis verbunden. 11.3 Entwicklungslinien und aktuelle Trends im Marketing Ohne Zweifel hat das Marketing als betriebswirtschaftliche Disziplin in den vergangenen Jahrzehnten sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis enorm an Bedeutung gewonnen (vgl. hierzu und zum Nachfolgenden Sander 2001a). Einher geht diese Entwicklung mit dem Wandel vom Verkäuferzum Käufermarkt, welcher auf nahezu allen Produktmärkten nachzuvollziehen ist. Entsprechend hat sich das Marketingverständnis seit den 50er Jahren erheblich geändert (vgl. auch Meffert 1999, S. 411 ff.). Während in den 50er Jahren im Zuge der beginnenden Massenfertigung eine starke Produktions- und Distributionsorientierung vorlag, rückte mit dem Aufkommen von Absatzengpässen in den 60er Jahren der Endkäufer bzw. Konsument stärker in den Mittelpunkt des Interesses. Diese Phase kann als Beginn des instrumentalen Marketing gesehen werden, welches eine systematische Marktbeeinflussung durch die vier P’s (Product, Price, Promotion, Place) vorsieht. Die darauffolgenden 70er Jahre befassten sich insbesondere mit Aspekten des vertikalen Marketing und der damit verbundenen Handelsforschung, wohingegen in den 80er Jahren infolge wachsender Rohstoffverknappung, gesättigten Märkten und daraus resultierendem Verdrängungswettbewerb <?page no="29"?> Entwicklungslinien und aktuelle Trends im Marketing 7 eine verstärkte Konkurrenzorientierung Platz griff. Im Mittelpunkt stand dabei das strategische Marketing, welches Themen wie Marktpositionierung des Unternehmens bzw. seiner Produkte, Identifikation von Quellen für Wettbewerbsvorteile und Möglichkeiten zu deren Absicherung sowie die strategische Programmplanung umfasst. Gleichzeitig wurden infolge von Internationalisierungsbzw. Globalisierungsaktivitäten in Unternehmen zunehmend Forschungsaktivitäten im Bereich des internationalen Marketing unternommen. Zu Beginn der 90er Jahre schließlich wurde eine umfassendere, ganzheitliche Betrachtungsweise des Marketing eingeschlagen, indem neben Konkurrenten und Abnehmern verstärkt auch die breite Öffentlichkeit sowie der in der Gesellschaft stattfindende Wertewandel (z.B. verstärkte Freizeit- und Ökologieorientierung) in die Überlegungen mit einbezogen wurden; parallel hierzu verstärkte sich eine funktionenübergreifende Sichtweise des Marketing innerhalb des Unternehmens (vgl. die vorangegangenen Abschnitte 1.1 und 1.2). Es ist nicht verwunderlich, dass die aufgezeigten Entwicklungslinien des Marketing begleitet werden von mehreren Paradigmen bzw. Wissenschaftsprogrammen, welche sich weniger einander ablösten, sondern vielmehr im Rahmen eines gesunden Wissenschaftspluralismus gegenseitig konkurrenzierten bzw. im Wesentlichen immer noch in Konkurrenz zueinander stehen. Dies ist keine Besonderheit des Fachs Marketing an sich, sondern durchzieht durchaus die Betriebswirtschaftslehre als Ganzes (vgl. Schanz 2000, S. 81 ff.). Auch wenn das ursprüngliche Anwendungsgebiet für den Begriff "Paradigma“ in der Naturwissenschaft liegt (vgl. Kuhn 1967), so lässt sich der Begriff bei etwas großzügigerer Auslegung durchaus auf die Betriebswirtschaftslehre bzw. das Marketing als betriebswirtschaftliche Teildisziplin anwenden. Kennzeichen von Paradigmen sind grundsätzlich in der Beispiellosigkeit zu sehen, eine Gruppe von Anhängern nachhaltig anzuziehen, sowie ihrer Offenheit, um der neu bestimmten Gruppe von Anhängern alle möglichen Probleme zur Lösung zu überlassen (vgl. Kuhn 1967, S. 28). Derartig definiert beinhalten Paradigmen grundlegende Leitlinien, welche von Vertretern eines wissenschaftlichen Fachgebietes weitgehend geteilt werden. Im Hinblick auf das Marketing haben sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte die in Abb. 1.3 dargestellten Paradigmen herauskristallisiert. Diese Wissenschaftsprogramme bzw. wissenschaftliche Problemlösungsmuster stehen dabei nicht nur in konkurrierendem Verhältnis zueinander, sondern ergänzen sich zum Teil im Sinne komplementärer Forschungsrichtungen; dies gilt insbesondere für die Ansätze der modernen Marketingtheorie sowie für die neueren Paradigmen in der Marketingtheorie (vgl. Abb. 1.3). Die sich derzeit abzeichnenden Trends im Marketing leiten sich unmittelbar aus den dargestellten neueren Paradigmen der Marketingtheorie ab bzw. stellen deren inhaltliche Konkretisierung dar. Im Wesentlichen sind folgende Trends zu verzeichnen: verstärkte Kunden- und Marktorientierung, Ausbau der informationstechnischen Basis im Rahmen des Database-Marketing (Big Data), Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere sozialer Medien wie Facebook, Twitter usw., zunehmende prozessuale Sichtweise der Aktivitäten innerhalb und zwischen Unternehmen, verstärkte Ressourcenorientierung zum Ausbau der Kernkompetenzen eines Unternehmens. Diese Trends sind als logische Konsequenz der auf vielen Märkten zunehmenden Dynamik und Wettbewerbsintensität zu begreifen (vgl. i.E. Sander 2001a, S. 398 ff.). <?page no="30"?> 8 Das Marketing-Konzept Welche der dargelegten Wissenschaftsprogramme im Marketing sich letztendlich durchsetzen werden, ist aus heutiger Sicht nicht abschätzbar. Beurteilt werden muss die Zweckmäßigkeit der Ansätze zweifelsohne anhand ihrer Nützlichkeit zur Bewältigung von Marketingproblemen der Prozeßorientierter Ansatz Erklärung und Gestaltung inner- und zwischenbetrieblicher Prozesse zur Optimierung des Kundennutzens und Vermeidung von Ineffizienzen. Bsp. Konzepte: Lean Management, Business- Process-Reengineering, Efficient Consumer Response. Paradigmen im Marketing Ansätze der modernen Marketingtheorie Neuere Paradigmen der Marketingtheorie Klassische Absatztheorie Institutionenorientierter Ansatz Beschreibung, Klassifikation und Erklärung empirisch bedeutsamer absatzwirtschaftlicher Institutionen, insb. des Handels und seiner Betriebsformen. Verhaltenswissenschaftlicher Ansatz Gewinnung von Erkenntnissen über Kaufentscheidungsprozesse von Konsumenten und Organisationen sowie der Wirkung von Marketing- Instrumenten auf diese Prozesse. Informationsökonomischer Ansatz Verstärkte Berücksichtigung von marktbezogenen Informations- und Unsicherheitsproblemen (z.B. Informationsasymmetrien zwischen Anbietern und Nachfragern). Funktionenorientierter Ansatz Systematisierung der Funktionen des Marketing nach räumlichen und objektbezogenen Gesichtspunkten, z.B. Unterscheidung zwischen Hersteller- und Handelsmarketing. Entscheidungsorientierter Ansatz Ableitung normativer Aussagen über rationale Wahlhandlungen des Marketing-Managements zur optimalen Zielerreichung (z.B. im Hinblick auf den Marketing- Instrumente-Einsatz). Ansatz des Relationship- Marketing Erklärung und Gestaltung von dauerhaften Kundenbeziehungen zur Erreichung eines nachhaltigen Erfolges ("Kundenbindung"). Warenorientierter Ansatz Spezifische Produkte und deren Eigenschaften führen zu differenzierten Anforderungen an den Marketing-Mix. Bedeutende Einteilung: Investitionsgüter, Dienstleistungen, Konsumgüter. Systemtheoretischer Ansatz Beschreibung und Erklärung umfassender Marketing-Systeme sowie einzelner Systemelemente (z.B. Einbezug der gesellschaftlichen oder ökologischen Komponenten). Ressourcenorientierter Ansatz Erklärung überdurchschnittlicher Renditen als Ergebnis besonderer Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens ("Kernkompetenz"). Situativer Ansatz Identifikation relevanter Situationsvariablen und Ableitung von Gestaltungsempfehlungen zur Erlangung eines Fit zwischen Marktsituation und Marketing- Strategien bzw. -Instrumenten (z.B. innerhalb des Produktlebenszyklus). Zeit Abb. 1.3: Kurzcharakterisierung verschiedener Paradigmen im Marketing 1930 1960 1990 <?page no="31"?> Arten des Marketing 9 Praxis. Es spricht daher vieles dafür, dass mehrere Ansätze bzw. Paradigmen parallel bestehen bleiben oder sogar kombinativ benutzt werden, um die vielschichtigen und facettenreichen Probleme der Praxis lösen zu können. Darüber hinaus muss die Marketingdisziplin als angewandte Wissenschaft auch danach beurteilt werden, in welchem Maße sie eine "Vorlaufwissenschaft“, welche eigenständige Konzepte und gehaltvolle Erklärungsaussagen entwickelt, darstellen kann (vgl. Meffert 1999, S. 430 ff.). Wesentliche Rahmenbedingungen für das Marketing der Zukunft sind dabei in den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, uneinheitlichen Konsumstrukturen (hybrider Konsument) sowie sich auflösenden Marktstrukturen infolge überlappender Branchengrenzen mit der Begleiterscheinung einer zunehmenden Konzentration und Kooperation im Sinne strategischer Netzwerke zu sehen. 11.4 Arten des Marketing Grundsätzlich existieren verschiedene Arten des Marketing. Diese leiten sich aus den jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen ab, welche auf die branchenspezifische Tätigkeit des betrachteten Unternehmens zurückzuführen sind oder durch das Ausmaß der Internationalität eines Unternehmens determiniert werden. Folgende Arten können identifiziert werden: Konsumgütermarketing, Dienstleistungsmarketing, Handelsmarketing, Industriegütermarketing, Marketing für öffentliche Betriebe, Social Marketing, Öko-Marketing sowie das internationale Marketing. Ausgangspunkt und erstes Analysefeld von Marketingaktivitäten war das Konsumgütermarketing. Hier steht die Vermarktung von Gütern des täglichen bzw. kurzfristigen Bedarfs (z.B. Lebensmittel) sowie von Gebrauchsgütern (z.B. Möbel, Autos) im Mittelpunkt des Interesses. Zielgruppe der Marketingaktivitäten sind Konsumenten, welche derartige Produkte konsumieren. Auf diesen Bereich stützt sich das vorliegende Buch im Wesentlichen. Gegenstand des Dienstleistungsmarketing ist die bedarfsgerechte Gestaltung und Vermarktung von Dienstleistungen. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Dienstleistungen in zahlreichen Gesellschaften, insbesondere in hoch entwickelten Industrieländern, ist dieser Zweig der Marketingforschung in jüngerer Vergangenheit verstärkt bearbeitet worden. Das Marketing für Dienstleistungen unterscheidet sich dabei erheblich vom Marketing für Konsumgüter aufgrund der Besonderheiten von Dienstleistungen. Hierzu zählen die Intangibilität, die Nicht-Lagerbarkeit, die Integration des externen Faktors (z.B. Kunde selbst, reparaturbedürftiges Produkt), das hohe wahrgenommene Kaufrisiko aufgrund stärker ausgeprägter Qualitätsunsicherheit sowie die Individualität (zum Dienstleistungsmarketing vgl. z.B. Scheuch 2002; Meffert/ Bruhn/ Hadwich 2018; Bieberstein 2006; Meyer 1998). Als Handelsmarketing bezeichnet man das Marketing von Handelsunternehmen gegenüber ihren Nachfragern. Davon zu unterscheiden ist das Trade Marketing, welches das Marketing von <?page no="32"?> 10 Das Marketing-Konzept Herstellern gegenüber Handelsunternehmen meint. Handelsunternehmen können in verschiedene Betriebsformen eingeteilt werden, welche sich aus unterschiedlichen Ausprägungen der Kriterien Standort, Sortiment, Preisniveau, Verkaufsfläche sowie Bedienungspraxis ergeben. Typische Aufgaben, welche im Rahmen des Handelsmarketing erledigt werden müssen, sind die Sortiments- und Ladengestaltung, die Regalplatzierung der angebotenen Produkte, die Sonderangebotspolitik, Festlegung der Ladenöffnungszeiten, Filialisierungsentscheidungen sowie Entscheidungen über die Handelsmarkenpolitik des betreffenden Handelsunternehmens (zum Handelsmarketing vgl. z.B. Schröder 2012; Müller-Hagedorn/ Natter 2011; Berekoven 1995. Zu Beschaffungsprozessen im Handel vgl. auch Abschnitt 2.1.4 im 2. Teil). Im Mittelpunkt des Industriegütermarketing (auch: Investitionsgütermarketing) stehen Produkte, welche von Organisationen bzw. gewerblichen Institutionen beschafft werden, um ihrerseits mit diesen Produkten andere Produkte herstellen zu können. Beleuchtet werden hier also Kaufbzw. Beschaffungsentscheidungen zwischen zwei Unternehmen z.B. im Rahmen der Beschaffung von Maschinen oder Materialien. Derartige Beschaffungsprozesse unterscheiden sich strukturell im Regelfall erheblich von Kaufentscheidungen bei Konsumgütern. Hervorzuheben ist hier beispielsweise die Multipersonalität, der hohe Formalisierungsgrad, der hohe Individualisierungsgrad, das große Ausmaß von Interaktion sowie die besondere Dauer bis zum Abschluss des Geschäfts (zum Kaufverhalten von Industriebetrieben vgl. Abschnitt 2.1.3 im 2. Teil; zum Industriegütermarketing vgl. z.B. Backhaus/ Voeth 2014; Plinke 1991; Engelhardt/ Günter 1981). Das Marketing für öffentliche Betriebe befasst sich mit dem Angebots- und Nachfrageverhalten von öffentlichen Verwaltungen und öffentlichen Unternehmen. Besonderheiten ergeben sich hier daraus, dass derartige Betriebe im Regelfall keine erwerbswirtschaftlichen Ziele verfolgen bzw. derartige Ziele nur Nebenbedingungen darstellen oder in anderer Form formuliert werden (z.B. Kostendeckungsziele). Häufig liegt zudem eine Subventionierung der angebotenen Produkte vor: Dies kann der Fall sein bei öffentlichen Individualgütern wie Pässen bzw. Ausweisen oder Bildungsangeboten (z.B. Volksschulen). Die angebotenen Produkte können darüber hinaus auch Kollektivgüter sein, welche sich durch die Prinzipien des Nicht-Ausschlusses und der Nicht-Rivalität im Konsum auszeichnen, d.h. Personen können nicht von der Nutzung des angebotenen Produkts bzw. der gebotenen Leistung ferngehalten werden, wobei der Konsum des Gutes durch eine Person nicht beeinträchtigt wird durch den Konsum durch eine andere Person (z.B. Landesverteidigung) (zum Kaufverhalten öffentlicher Betriebe vgl. auch den Abschnitt 2.1.5 im 2. Teil; zum Marketing für öffentliche Betriebe vgl. z.B. Berndt 1988; Bargehr 1991; Töpfer/ Braun 1989). Von Social Marketing wird gesprochen, wenn das Marketing für soziale Ziele bzw. die Lösung sozialer Aufgaben gemeint ist. Hier geht es um die Förderung gesellschaftlich wünschenswerter Ziele (z.B. Linderung des Hungers im Rahmen der Welthungerhilfe, Versorgung von elternlosen und verlassenen Kindern durch die SOS-Kinderdörfer usw.), wobei neben Produkten und insbesondere Dienstleistungen auch Ideen angeboten werden (z.B. Verbot des globalen Walfanges, Anti-Raucher-Kampagnen). Die Bereiche, aus denen Social Marketing betreibende nichtkommerzielle Organisationen stammen, sind sehr heterogen und reichen von der Kultur (z.B. Museen, Theater, Opernhäuser), Freizeitgestaltung (z.B. Wohlfahrtsorganisationen, Kindergärten), Umweltschutz (Behörden, Initiativen wie z.B. BUND), Bildungswesen (z.B. Schulen, Universitäten) über Entwicklungshilfe (z.B. UNESCO) und Kriminalitätsbekämpfung (z.B. Polizei, Ministerien, Behörden) bis hin zur Gesundheitsvorsorge (z.B. Krankenhäuser, Wohlfahrtsorganisationen) und der Verkehrs- und Landschaftsplanung (z.B. Ministerien, Bürgerinitiativen). Wie beim Marketing für öffentliche Betriebe steht auch hier die Gewinnerzielungsabsicht nicht im Vordergrund, aller- <?page no="33"?> Arten des Marketing 11 dings müssen wirtschaftlich tragfähige Konzepte, welche einen angestrebten Kostendeckungsgrad garantieren, entwickelt werden (zum Social Marketing vgl. i.E. Kotler/ Roberto 1991; Auer/ Gerz 1992; Beilmann 1999). Infolge einer höheren Sensibilität der Gesellschaft gegenüber der Umwelt und sich weiter verknappenden natürlichen Ressourcen hat sich das Öko-Marketing (bzw. ökologieorientiertes Marketing) einen Stellenwert im Rahmen der Marketingtheorie und -praxis geschaffen. Aus Anbieterperspektive steht hier die umweltbewusste Unternehmensführung i.S. des Anstrebens eines Vermeidens oder zumindest Verringerns von Umweltbelastungen im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit im Mittelpunkt der Betrachtung. Zweck ist hier nicht nur die tatsächliche Verringerung der Umweltbelastung, sondern auch und insbesondere die Abgrenzung vom Wettbewerb bzw. das Herausarbeiten von Wettbewerbsvorteilen sowie die Erschließung neuer erfolgversprechender Marktsegmente durch das Anbieten ökologieorientierter Produkte (zum Öko-Marketing vgl. z.B. Burghold 1988; Hopfenbeck 1994; Meffert/ Kirchgeorg 1998). Gegenstand des internationalen Marketing ist das erfolgreiche Agieren eines Unternehmens bei länderübergreifender Tätigkeit. Das internationale Marketing stellt dabei ein besonders komplexes Gebiet dar, da einerseits der Verschiedenartigkeit der Ländermärkte in gewissem Ausmaß im Rahmen der Marktbearbeitung Rechnung getragen werden muss, andererseits müssen die länderübergreifenden Aktivitäten eines Unternehmens koordiniert werden, damit ein einheitlicher internationaler Auftritt des Unternehmens gewährleistet werden kann. Gegenüber dem nationalen Marketing treten zudem Erscheinungen wie Wechselkurse bzw. Wechselkursschwankungen, graue Märkte usw. auf, welche beim rein nationalen Marketing bedeutungslos sind. Das „Going“ bzw. „Being International“ stellt daher besondere Ansprüche an die Unternehmensführung und das Marketing (zum internationalen Marketing vgl. i.E. Berndt/ Fantapié Altobelli/ Sander 2020 sowie Berndt/ Fantapié Altobelli/ Sander 1997). Wiederholungsfragen und -aufgaben zum „Marketing-Konzept“: [1] Definieren Sie den Begriff „Marketing“. [2] Charakterisieren Sie den Grundgedanken des Marketing. [3] Erörtern Sie unterschiedliche Begriffsverständnisse des Marketing. [4] Welche Merkmale können als typisch für das Marketing gelten? [5] Zeigen Sie Entwicklungslinien und aktuelle Trends des Marketing auf. [6] Welche Arten des Marketing können im Einzelnen erkannt werden? <?page no="34"?> 12 Das Marketing-Konzept Einführende Literaturempfehlungen zum „Marketing-Konzept“ “: Cooke, E.; Rayburn, J.; Abercrombie, C. (1992): The History of Marketing Thought as Reflected in the Definition of Marketing, in: Journal of Marketing Theory and Practice, Vol. 1 (1992), No. 1, S. 10-21. Becker, J. (2019): Marketing-Konzeption. Grundlagen des ziel-strategischen und operativen Marketing-Managements, 11. Aufl., München 2019. Berndt, R. (1995a): Marketing 2. Marketing-Politik, 3. Aufl., Berlin u.a. 1995. Meffert, H. (1999): Marketing - Entwicklungstendenzen und Zukunftsperspektiven, in: Die Unternehmung, 53. Jg. (1999), Nr. 6, S. 409-432. Meffert, H.; Burmann, C.; Kirchgeorg, M. (2019): Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung, 13. Aufl., Wiesbaden 2019. Sander, M. (2001a): Entwicklungslinien und aktuelle Trends im Marketing, in: Berninghaus, S.; Braulke, M. (Hrsg.), Beiträge zur Mikro- und Makroökonomik, Berlin u.a. 2001, S. 395- 407. <?page no="35"?> 22 Charakterisierung des Marketing-Management Lernziele im Kapitel „Charakterisierung des Marketing-Management“: In diesem Kapitel erfahren Sie was man unter dem Begriff „Marketing-Management“ versteht, welche Aufgaben das Marketing-Management hat und welche Teilfunktionen das Marketing-Management umfasst. 2.1 Begriff des Marketing-Management Der Begriff „Management“ kann sowohl in institutionaler als auch in funktionaler Hinsicht interpretiert werden. In institutionaler Hinsicht versteht man unter „Management“ die Gruppe von Personen, die in einem Unternehmen bzw. einer Organisation mit Anweisungsbefugnissen betraut ist (vgl. Schreyögg/ Koch 2020 S. 4f.). In funktionaler Hinsicht hingegen kann das Management als betriebliche Funktion verstanden werden, welche zum Inhalt hat, die betriebsinternen Prozesse sowie die Transaktionsprozesse zwischen einem Unternehmen und seiner Umwelt auf die Unternehmensziele auszurichten und zu koordinieren (vgl. Pfohl 1981, S. 14). Die Prozesse können dabei güter-, finanz- und informationswirtschaftlicher Art sein. Bezogen auf den Bereich des Marketing umfasst das Management somit alle Prozesse, welche marketingrelevante Fragestellungen betreffen. Entsprechend kann „Marketing-Management“ in funktionaler Hinsicht definiert werden als betriebliche Funktion, welche sämtliche marketingrelevanten Prozesse (güter-, finanz- und informationswirtschaftlicher Art) innerhalb des Unternehmens sowie zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt unter Berücksichtigung der verfolgten Unternehmens- und Marketingziele umfasst. In institutioneller Hinsicht umfasst das Marketing-Management diejenigen Personen, welche mit Anweisungsbefugnissen im Marketing-Aufgabenbereich ausgestattet sind. 2.2 Aufgaben des Marketing-Management Das Marketing-Management hat sich mit drei wichtigen Aufgabenkomplexen zu beschäftigen. Hierzu gehören (vgl. Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2019, S. 17 ff.): marktbezogene Aufgaben, unternehmensbezogene Aufgaben sowie gesellschafts- und umweltbezogene Aufgaben. Marktbezogene Aufgaben dienen der Nachfragesteuerung. Dabei lassen sich folgende Marketingaufgaben identifizieren: <?page no="36"?> 14 Charakterisierung des Marketing-Management vorhandene Nachfrage: Bedarf decken, fehlende Nachfrage: Bedarf schaffen, latente Nachfrage: Bedarf entwickeln, stockende Nachfrage: Bedarf beleben, schwankende Nachfrage: Bedarf synchronisieren, übersteigerte Nachfrage: Bedarf reduzieren. Aufgabe des Marketing ist daher nicht nur die Bedarfsbefriedigung, sondern auch die Bedarfsweckung und -beeinflussung i.S. einer Verhaltenssteuerung der Marktteilnehmer. Gemäß dem Ansoff’schen Schema (vgl. auch Abschnitt 1.2.3 im 3. Teil) lassen sich dabei folgende grundsätzliche Stoßrichtungen identifizieren: bestehende Märkte mit bestehenden Produkten bearbeiten (Marktdurchdringung), bestehende Märkte mit neuen Produkten bearbeiten (Produktentwicklung), neue Märkte mit bestehenden Produkten erschließen (Marktentwicklung) sowie neue Märkte mit neuen Produkten erschließen (Diversifikation). Unternehmensbezogene Aufgaben stellen die Koordination von Marketing-Aufgaben mit den anderen betrieblichen Funktionsbereichen (z.B. Einkauf, Produktion usw.) im Unternehmen sowie innerhalb des Marketing-Bereichs in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Abstimmung der Prozesse hat dabei auf sachlicher, aber auch auf zeitlicher Ebene zu erfolgen. Darüber hinaus ist ein Marketing-Verständnis im Gesamtunternehmen zu entwickeln, welches die besondere Bedeutung des Marketing als betriebliche Teilfunktion vor dem Hintergrund dynamischer, wettbewerbsintensiver Märkte hervorhebt. Dies bedeutet, dass das Marketing zunächst gleichberechtigt neben den anderen betrieblichen Teilfunktionen im Unternehmen institutionalisiert sein muss (vgl. auch Kap. 5 im 3. Teil). Förderlich für eine gezielte Marktbearbeitung sowie eine marktorientierte Denkweise im Gesamtunternehmen ist zudem die Verankerung der Marketing-Philosophie in der Unternehmensspitze. Hier werden übergeordnete Rahmenkonzepte vorgegeben und darauf aufbauend geeignete Marketing-Strategien entwickelt, welche die mittelbis langfristigen Verhaltensmuster des Unternehmens prägen. In besonderem Maße sieht sich das Marketing in der jüngeren Vergangenheit auch umwelt- und gesellschaftsbezogenen Aufgaben verpflichtet. Dies ist insbesondere verständlich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Marketing verstanden im Sinne von „Bedarfsweckung und Verkaufen“ den Konsumerismus anheizt und in Verbindung gebracht wird mit Sinnbildern wie „Überflussgesellschaft“, „Verpackungsmüllflut“, „Umweltzerstörung“ o.ä. An dieser Stelle treten neben rein ökonomischen Überlegungen auch ökologische und ethische Sachverhalte, welche es in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen gilt. Diese Entwicklung ist von besonderer Bedeutung vor dem Hintergrund zunehmend kritischer Konsumenten, welche die Folgewirkungen des unternehmerischen Handelns, aber auch der eigenen Kauf- und Konsumentscheidungen, verstärkt hinterfragen. Hier gilt es aus Sicht des Marketing, eine Balance zwischen „vernünftigem“ Konsum und übergeordneten gesellschafts- und marktpolitischen Ansprüchen zu wahren. <?page no="37"?> Teilfunktionen des Marketing-Management 15 22.3 Teilfunktionen des Marketing-Management Als Teilfunktionen des Marketing-Management können die Marketing-Planung, die Marketing-Implementierung, das Marketing-Controlling, die Marketing-Organisation sowie das Human Resource Management im Marketing identifiziert werden. Gegenstand der Marketing-Planung ist die strategische Marketing-Planung einerseits sowie die Planung des Marketing-Instrumente-Einsatzes i.S. einer weitestgehend operativ-taktischen Planung andererseits. Ausgangspunkt der strategischen Marketing-Planung ist die Situationsanalyse und -prognose, welche in Form einer Umweltanalyse und -prognose sowie einer Unternehmensanalyse durchgeführt wird. Hierauf aufbauend erfolgt die marktorientierte Unternehmensplanung, welche überleitet zu einer marktorientierten Geschäftsfeldplanung. Gegenstand der Unternehmens- und Geschäftsfeldplanung sind u.a. die Formulierung strategischer Ziele, die Bestimmung der strategischen Stoßrichtungen sowie die Ableitung geeigneter Strategien und deren Bewertung. Zur Ermöglichung der Umsetzung der Strategien ist zudem eine strategische Budgetierung vorzusehen, indem den entsprechenden organisatorischen Einheiten finanzielle Mittel zugewiesen werden (zur strategischen Marketing-Planung vgl. i.E. Kap. 1 im 3. Teil). Im Rahmen der Planung des Marketing-Instrumente-Einsatzes steht die Ausgestaltung der vier Marketing-Instrumente Produktpolitik, Kontrahierungspolitik, Kommunikationspolitik sowie Distributionspolitik im Mittelpunkt der Betrachtung. Diese vier Instrumentalbereiche sind so einzusetzen, dass letztendlich die verfolgten Marketing-Ziele erreicht werden. Abzustimmen sind die Marketing- Instrumente dabei im sog. Marketing-Mix, innerhalb dessen Interdependenzen zwischen den einzelnen Marketing-Instrumenten berücksichtigt werden können. Auf diese Weise gelingt es, gestalthaft ganzheitlich auf die Konsumenten bzw. Zielgruppen einzuwirken bzw. ihnen gegenüber aufzutreten (zur Planung des Einsatzes der Marketing-Instrumente sowie der Planung des Marketing-Mix vgl. i.E. Kap. 2 im 3. Teil). Ist die Marketing-Planung abgeschlossen, so ist im Rahmen der Marketing-Implementierung für die Umsetzung der geplanten Strategien und Maßnahmen zu sorgen. Auch hier gilt es, eindeutige Implementierungsziele zu formulieren. Darüber hinaus besteht die Notwendigkeit, u.a. die Implementierungsträger, Implementierungsstile, Implementierungsgeschwindigkeiten und intensitäten zu bestimmen sowie die typischerweise bei der Umsetzung von Strategien und Maßnahmen auftauchenden Probleme zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist auch das sog. interne Marketing ein bedeutendes Hilfsinstrument (zur Marketing-Implementierung vgl. i.E. Kap. 3 im 3. Teil). <?page no="38"?> 16 Charakterisierung des Marketing-Management Zentraler Gegenstand des Marketing-Controlling ist die Überprüfung der mittels der durchgeführten Marketing-Maßnahmen erzielten Ergebnisse. Hierfür können z.B. klassische Soll-Ist- Vergleiche herangezogen werden, mit deren Hilfe die Abweichungen der tatsächlichen Ergebnisse von den Zielvorgaben ermittelt werden. Darüber hinaus können auch sog. Marketing-Audits durchgeführt werden, mittels derer u.a. die Planungsprämissen selbst einer Überprüfung unterzogen werden. Die im Rahmen des Marketing-Controlling einsetzbaren Instrumente sind dabei sehr weit gefächert. Typische Instrumente sind beispielsweise Absatzsegmentrechnungen, die Balanced Scorecard oder Kundenportfolios. Schließlich ist im Rahmen des Marketing- Controlling eine entsprechende informationswirtschaftliche Infrastruktur im Unternehmen (z.B. Datenbanken, Marketing-Informationssysteme) zur Verfügung zu stellen (zum Marketing- Controlling vgl. i.E. Kap. 4 im 3. Teil). Die Marketing-Organisation als weitere Marketing-(Teil-)funktion stellt eine zieladäquate Eingliederung des Marketing-Bereichs in das Unternehmen sowie eine aufgabengerechte Gestaltung der Marketing-Abteilung selbst in den Vordergrund der Überlegungen. Dabei sind auch neuere Organisationsformen wie Netzwerke, virtuelle Organisationsformen, Teammodelle und prozessorientierte Organisationsformen im Hinblick auf ihre Eignung vor dem Hintergrund der jeweiligen Marketingaufgaben zu überprüfen. Anhand spezifischer Effizienzkriterien lassen sich dann Aussagen über die jeweiligen Stärken und Schwächen der einzelnen Organisationsformen ableiten (zur Marketing-Organisation vgl. i.E. Kap. 5 im 3. Teil). Das Human Resource Management im Marketing schließlich befasst sich mit der wichtigen Ressource „Personal“ im Marketing-Aufgabenbereich. Typische Aktivitäten im Rahmen des Human Resource Management sind die Personalbedarfsplanung, die Personalgewinnung und beurteilung, die Vergütung des Personals sowie die Personalführung. Darüber hinaus sind Maßnahmen der Personalentwicklung notwendig, um eine ziel- und sachgerechte Qualifikation des Personals im Marketingbereich auch im Zeitablauf gewährleisten zu können (zum Human Resource Management im Marketing vgl. Kap. 6 im 3. Teil). Damit adäquate und zielführende Marketing-Managemententscheidungen getroffen werden können, ist eine breite informatorische Absicherung dieser Entscheidungen notwendig. Insbesondere werden Informationen benötigt über Märkte und deren Charakteristika sowie das Verhalten der Nachfrager bzw. Konsumenten und der Anbieter auf den einzelnen Märkten. Diese Informationen gilt es im Rahmen der Marktforschung zu erheben und zu verarbeiten. In diesem Zusammenhang besteht auch die Möglichkeit der Marktsegmentierung, d.h. der Identifikation unterschiedlicher Marktsegmente, welche anschließend differenziert bearbeitet werden können. Von besonderer Bedeutung sind im Marketingbereich auch Prognosen, mittels derer zukünftige marketingrelevante Entwicklungen sowie (voraussichtliche) Wirkungen von Marketing-Entscheidungen antizipiert werden können (vgl. zur Charakterisierung von Märkten, dem Verhalten von Konsumenten und Anbietern sowie zur Marktforschung, Marktsegmentierung und Marketing-Prognose den nachfolgenden 2. Teil dieses Buches). <?page no="39"?> Teilfunktionen des Marketing-Management 17 Wiederholungsfragen und -aufgaben zum „Marketing-Management“: [1] Definieren Sie den Begriff „Marketing-Management“. [2] Welche Aufgaben umfasst das Marketing-Management? [3] Charakterisieren Sie die einzelnen Teilfunktionen des Marketing-Management. Einführende Literaturempfehlungen zum „Marketing-Management“: Berndt, R. (1995b): Marketing 3. Marketing-Management, 2. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York 1995. Bruhn, M. (2022b): Marketing. Grundlagen für Studium und Praxis, 15. Aufl., Wiesbaden 2022. Homburg, C. (2017): Marketingmanagement: Strategie - Instrumente - Umsetzung - Unternehmensführung, 6. Aufl., Wiesbaden 2017. Köhler, R. (1993a): Beiträge zum Marketing-Management - Planung, Organisation, Controlling, 3. Aufl., Stuttgart 1993. Kotler, P.; Keller, K.L.; Opresnik, M.O. (2017): Marketing-Management. Konzepte- Instrumente-Unternehmensfallstudien, 15. Aufl., Hallbergmoos 2017. <?page no="41"?> 22. Teil: Märkte und Marktinformationen <?page no="43"?> 11 Charakterisierung und Arten von Märkten Lernziele im Kapitel „Charakterisierung und Arten von Märkten“: In diesem Kapitel erfahren Sie was man unter dem Begriff „Märkte“ versteht, welche Marktteilnehmer existieren, welche Erscheinungsformen von Märkten zu erkennen sind und wie Märkte abgegrenzt werden können. 1.1 Märkte Allgemein wird mit dem Begriff „Markt“ das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage umschrieben. Im Mittelpunkt stehen damit Austauschprozesse, die Güter bzw. Wirtschaftsobjekte wie Sachgüter, Rechte, Dienstleistungen sowie Nominalgüter umfassen können. Abb. 2.1 zeigt eine Systematik handelbarer Güter auf. Durch den gegenseitigen Austausch versuchen sich die beteiligten Marktpartner besser zu stellen, d.h. sie handeln zielkonform, indem Nachfrager z.B. Konsumbedürfnisse befriedigen wollen, Anbieter hingegen betriebliche Ziele wie z.B. Gewinnerzielung verfolgen. Märkte besitzen damit grundsätzlich eine Koordinationsfunktion, da sie ökonomische Entscheidungen und Verhaltensweisen der Marktpartner aufeinander abstimmen. Auf funktionierenden Märkten besteht auf diese Weise die Möglichkeit, die produzierten und angebotenen Güter in Quantität und Qualität auf den vorhandenen Bedarf abzustimmen. Als Ergebnis dieser Aktivitäten resultiert für die gehandelten Güter jeweils ein Preis. Je nach Marktvollkommenheit bzw. -unvollkommenheit können dabei durchaus unterschiedliche Preise für gleiche bzw. gleichartige Produkte erzielt werden. Eine Markttransaktion zwischen Anbieter und Nachfrager wird dann erfolgen, wenn für beide der Nettonutzen als Saldo vom erwarteten Nutzen und erwarteten Kosten aus der Transaktion positiv ist. Der Nutzen resultiert beim Anbieter aus der zu erwartenden Gegenleistung vom Nachfrager (i.d.R. Geld), beim Nachfrager aus der vom Anbieter angebotenen Leistung (z.B. ein bestimmtes Produkt). Die Kosten für den Anbieter aus der Markttransaktion entstehen im Wesentlichen aus der Herstellung und dem Vertrieb der angebotenen Leistung, beim Nachfrager entsprechen die Kosten aus der Markttransaktion der zu erbringenden Gegenleistung, also i.d.R. dem zu entrichtenden Geldbetrag. Abb. 2.2 zeigt das Grundmodell des Austausches im Markt im Überblick auf. Zu beachten ist dabei, dass aus Sicht des Anbieters mit der zu erbringenden Leistung auch ein Nutzen resultieren kann (z.B. zusätzliche Produktionserfahrung), mit der zu erwartenden Gegenleistung aber durchaus auch Kosten verbunden sein können (z.B. die Instandsetzung eines in Zahlung genommenen Gebrauchtwagens für den Weiterverkauf). Gleiches gilt für den <?page no="44"?> 22 Charakterisierung und Arten von Märkten Güter Nominalgüter (Geld, Darlehenswerte, usw.) materiell immateriell Sachgüter Dienstleistungen Rechte sonstige Rechte Nutzungsrechte (z.B. Lizenzen) Schutzrechte (z.B. Patente) Schürfrechte Wartungsdienste Beratungsdienste sonstige Dienstleistungen (z.B. Vermittlung, Vermarktung, usw.) mobil immobil Konsumgüter Produktivgüter langlebig kurzlebig Abb. 2.1: Systematik von Gütern als Gegenstand von Austauschprozessen Realgüter <?page no="45"?> Märkte 23 Anbieter Austausch? Nachfrager Quelle: In Anlehnung an Steffenhagen 2008, S. 21 Abb. 2.2: Grundmodell des Austausches im Markt K O M M U N IK A TI O N Bedürfnisse / Motive ("Ziele") Bedürfnisse / Motive ("Ziele") Fähigkeiten und Ressourcen Fähigkeiten und Ressourcen Erwarteter Nettonutzen ("Wert") Erwarteter Nettonutzen ("Wert") Erwarteter Nutzen Erwartete Kosten Erwartete Kosten Erwarteter Nutzen Zu erwartende Gegenleistung Zu erbringende Leistung Zu erbringende Gegenleistung Zu erwartende Leistung dominant untergeordnet <?page no="46"?> 24 Charakterisierung und Arten von Märkten Nachfrager, da mit der erwarteten Leistung Kosten verbunden sein können (z.B. Unterhaltskosten nach dem Kauf einer Segelyacht) bzw. mit der zu erbringenden Gegenleistung auch Nutzenvorteile realisiert werden können (z.B. ein Bequemlichkeitsnutzen durch Einräumung einer Einzugsermächtigung für das Abonnement einer Tageszeitung). Dominant sind jedoch die im Hinblick auf die aus der Transaktion erwarteten Nutzen und Kosten beim Anbieter und beim Nachfrager in Abb. 2.2 horizontal ausgerichteten Pfeile. Offensichtlich ist die Tatsache, dass Märkte aus der Arbeitsteilung heraus resultieren. In der idealtypischen Vorstellung, dass jeder für seinen eigenen Bedarf selber produziert, können Märkte sich nicht entwickeln. Umgekehrt gilt damit, dass Märkte umso wichtiger werden, je größer die Arbeitsteilung und damit die Spezialisierung ist. Betrachtet man das Konstrukt „Markt“ aus einer einzelwirtschaftlichen, absatzorientierten Perspektive, so kann ein „Markt“ wie folgt definiert werden: „Ein Markt besteht aus allen potentiellen Kunden mit einem bestimmten Bedürfnis oder Wunsch, die willens oder fähig sind, durch einen Austauschprozess das Bedürfnis oder den Wunsch zu befriedigen“ (Kotler/ Keller/ Opresnik 2017, S. 19). Wichtig ist hier offenbar die genaue Definition des „bestimmten Bedürfnisses oder Wunsches“ und damit die Frage der Marktabgrenzung (vgl. auch Abschnitt 1.4). 11.2 Marktteilnehmer In Abschnitt 1.1 wurde deutlich, dass Märkte aus Transaktionen zwischen Anbietern und Nachfragern aufgespannt werden. Genauer zu analysieren ist nun, wer als Anbieter und wer als Nachfrager auf Märkten auftreten kann. Generell können als Anbieter die Erzeuger bzw. Hersteller von Gütern bzw. Wirtschaftsobjekten (z.B. Sachleistungsunternehmen wie Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen - s.a. Abb. 2.1) am Markt auftreten. Dabei kann man zwischen privaten Anbietern, öffentlichen Anbietern und Verwaltungsbetrieben unterscheiden (vgl. Berndt 1996, S. 18 ff.). Abb. 2.3 charakterisiert diese drei Formen von Anbietern näher. Darüber hinaus existieren auf der Anbieterseite Unternehmen, welche Produkten keine (wesentlichen) Änderungen unterziehen bzw. keine Weiterveredlung von Produkten vornehmen. Diese Unternehmen verkaufen Produkte, welche sie selbst nicht hergestellt haben. Hierbei handelt es sich um Handelsunternehmen, wobei näher zwischen Unternehmen des Großhandels und Unternehmen des Einzelhandels unterschieden werden kann. Während der Großhandel an Wiederverkäufer (Einzelhändler) oder Großverbraucher häufig in großen Gebindegrößen verkauft, veräußert der Einzelhändler seine Ware an Endverbraucher auch in kleinen bzw. Kleinstmengen. Groß- und Einzelhandel können dabei zu sog. Absatzmittlern zusammengefasst werden. Darüber hinaus können Absatzhelfer in den Marktprozess eingeschaltet werden. Grundsätzlich versteht man unter Absatzhelfern all jene Funktionsträger, die an der Anbahnung von Kontakten zwischen Anbietern und Nachfragern beteiligt sind und für den reibungslosen Übergang der Ware vom Anbieter an den Nachfrager sorgen. Hierzu zählen z.B. Makler, Kommissionäre, Handelsvertreter, Speditionsbetriebe, Werbeagenturen, Lagerhausbetriebe, Marktforschungsinstitute usw. (zu distributionspolitischen Organen wie z.B. Absatzmittler und Absatzhelfer vgl. auch Abschnitt 2.4.3 im 3. Teil). <?page no="47"?> Marktteilnehmer 25 Zu beachten ist, dass der Handel aus der Perspektive des Produzenten bzw. Erstellers der Ware selbst ein Nachfrager ist. Auf der Nachfragerseite eines Marktes können daher Händler (Groß- und Einzelhandel), private Produktionsbzw. Weiterverarbeitungsbetriebe, öffentliche Betriebe bzw. Verwaltungsbetriebe sowie private Haushalte bzw. Privatpersonen (Konsumenten) auftreten (vgl. auch Steffenhagen 2008, S. 27 f.; Berndt 1996, S. 19 ff.). Privater Betrieb Öffentlicher Betrieb Verwaltungsbetrieb Anteil öffentlicher Institutionen 0 % 25 % - 100 % 100 % Bestandsrisiko gering ja nein Oberste Betriebsziele Gewinn- und Rentabilitätsziele kollektive Wohlstandsmaximierung Bedarfsdeckung unter der Bedingung einer (gewissen) Kostendeckung Individuelle / kollektive Fremdbedarfsdeckung individuelle Fremdbedarfsdeckung vorwiegend individuelle Fremdbedarfsdeckung überwiegend kollektive Fremdbedarfsdeckung Art der Leistungsabgabe Leistungsabgabe ohne leistungsbezogenes Entgelt Absatz gegen leistungsbezogenes Entgelt Absatz gegen leistungsbezogenes Entgelt Herkunft der Einnahmen leistungsbezogenes Entgelt überwiegend aus Steuern leistungsbezogenes Entgelt Leistungsverpflichtung nein überwiegend ja überwiegend ja Abnahmepflicht des Leistungsempfängers nein im Ausnahmefall ( z.B. Anschlusszwang ) zum Teil ( z.B. Schulpflicht ) Quelle: Berndt 1996, S. 20 Abb. 2.3: Charakterisierung von privaten und öffentlichen Betrieben sowie von Verwaltungsbetrieben <?page no="48"?> 26 Charakterisierung und Arten von Märkten Im Hinblick auf ihr Nachfrageverhalten unterscheiden sich diese Nachfragergruppen erheblich (vgl. hierzu Abschnitt 2.1 im 2. Teil). So können bei einzelnen Nachfragergruppen Kaufentscheidungen multipersonal statt lediglich von einer Person getroffen werden, gesetzliche Grundlagen im Hinblick auf das Einkaufsverhalten eine Rolle spielen (bei öffentlichen Betrieben bzw. Verwaltungsbetrieben) und Käufer und Verwender des beschafften Gutes nicht in einer einzigen Person begründet liegen. Aus Sicht eines Anbieters sind diese Besonderheiten zu berücksichtigen, um erfolgreich am Markt tätig sein zu können. Schließlich sind als Marktakteure noch die sog. Beeinflusser zu nennen (vgl. Steffenhagen 2008, S. 29 f.). Hierbei handelt es sich um Institutionen, die durch ihren Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung das Marktgeschehen beeinflussen. Dazu gehören öffentliche und private Medien mit ihrer redaktionellen Arbeit (z.B. Stiftung Warentest) sowie wissenschaftliche Institute, die durch ihre Veröffentlichungen (z.B. über Umweltverträglichkeit von Produkten) zur Meinungsbildung in der breiten Öffentlichkeit beitragen. 11.3 Erscheinungsformen von Märkten Märkte können sehr vielgestaltige Strukturen annehmen. Um die Vielgestaltigkeit von Märkten überschaubarer zu machen, können Märkte anhand von Kriterien klassifiziert werden. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, verschiedene Erscheinungsformen von Märkten identifizieren zu können. Zu diesen Kriterien zählen die Zahl der Anbieter und Nachfrager auf dem jeweiligen Markt, die Einbzw. Mehrstufigkeit von Märkten, die Organisationsform des Marktes sowie die Art des verwendeten Mediums bei der Interaktion von Anbieter und Nachfrager (vgl. auch Berndt 1996, S. 22 ff.). Im Hinblick auf die Zahl der Anbieter und Nachfrager auf einem Markt lassen sich die in Abb. 2.4 dargestellten Marktformen identifizieren. Als elementare Formen können dabei das Monopol, das Oligopol und das Polypol erkannt werden. Bei dieser Marktform stoßen jeweils viele Nachfrager auf nur einen, wenige bzw. viele Anbieter. Dabei spielt das Monopol aufgrund der Dynamik der Märkte vielfach nur eine untergeordnete Rolle. Monopole können wegen der hohen Wettbewerbsintensität auf den meisten Märkten nur für kurze Zeit aufrechterhalten werden. Sofern nicht bestimmte Rahmenbedingungen (z.B. gesetzliche Regelungen) Monopole schützen (z.B. Telefon-Monopole, regionale Monopole bei Ver- und Entsorgungsbetrieben für Strom, Gas, Wasser, Müll), sind sie häufig zeitlich befristet bis eben ein neuer Wettbewerber in den Markt eintritt. Die Dauer dieser zeitlichen Befristung des Monopols hängt dabei in erster Linie von den Markteintrittsschranken (z.B. Zugang zu Absatzkanälen, notwendige finanzielle Mittel, Verbraucherverhalten, insbesondere Markentreue, Kostenvorteile des Pioniers usw.) sowie der Attraktivität des Marktes (Marktvolumen, Gewinnpotenzial usw.) ab. In quantitativer Hinsicht relevanter sind heutzutage oligopolistische und polypolistische Marktformen, bei denen mehrere bzw. sogar viele Anbieter auf eine breite Nachfrage treffen. Sind hingegen viele Anbieter vorhanden, aber nur ein bzw. wenige Nachfrager, so liegt ein Monopson bzw. Oligopson vor. Beispiele hierfür können regionale Aufkäufer von z.B. Obst sein, das von einer Vielzahl von Kleinbauern und -gärtnern angeliefert wird; auch die Zulieferindustrie <?page no="49"?> Erscheinungsformen von Märkten 27 im Automobilbereich sieht sich vielfach oligopsonistischen Marktstrukturen gegenüber (vgl. Berndt 1996, S. 23). Werden Produkte von Produzenten unmittelbar an Endabnehmer verkauft, so liegt ein einstufiger Markt vor. In diesem Fall spricht man auch vom Direktvertrieb des Herstellers. Sind hingegen weitere Organe in die Vertriebskette eingeschaltet (z.B. Einzelhandel, Großhandel), so liegt ein mehrstufiger Markt vor. Entsprechend werden Produkte auf diesen Märkten indirekt vertrieben. Abb. 2.5 zeigt typische Erscheinungsformen ein- und mehrstufiger Märkte. Wesentlich ist, dass auf einstufigen Märkten der Produzent selbst über den Einsatz des absatzpolitischen Instrumentariums gegenüber dem Endabnehmer bzw. Konsumenten entscheidet. Auf mehrstufigen Märkten, auf denen stets rechtliche und wirtschaftliche selbstständige Organe zwischengeschaltet sind, kann der Produzent häufig lediglich Empfehlungen gegenüber diesen Organen abgeben (z.B. unverbindliche Preisempfehlung), wie die Endabnehmer absatzpolitisch zu bearbeiten sind. Auch muss der Produzent eine Entscheidung dahingehend treffen, ob nur der Endabnehmer von ihm absatzpolitisch bearbeitet werden soll (z.B. Einsatz der Werbung gegenüber Endabnehmer) oder ob auch der Handel in das absatzpolitische Instrumentarium mit einbezogen werden soll (z.B. Verkäuferschulung, Sales Promotions gegenüber dem Handel). Polypol Oligopol Monopol Oligopson Bilaterales Oligopol Beschränktes Monopol Monopson Beschränktes Monopson Bilaterales Monopol einer viele wenige einer Anbieter Nachfrager viele wenige viele wenige Quelle: Ott 1989, S. 39 Abb. 2.4: Marktformen Einen Überblick über mögliche Marktorganisationsformen gibt Abb. 2.6. Kennzeichnend für Börsen als überbetriebliche Marktveranstaltung ist das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage, wobei über Börsenorgane der Preis für die gehandelten Waren (z.B. Aktien) festgestellt wird. Bei Auktionen werden Produkte im Rahmen eines öffentlichen, organisierten Bietverfahrens gehandelt. Diese Art überbetrieblicher Marktveranstaltungen wird insbesondere im Internet sehr erfolgreich eingesetzt (vgl. Streich 2001). Messen stellen im Regelfall überregionale, organisierte Veranstaltungen dar, bei denen Anbieter über eine fest vorgegebene Zeit an einem bestimmten Ort ihre Waren präsentieren (vgl. Fliess 1994). Eine einzelbetriebliche Marktveranstaltung eines Nachfragers stellt eine Ausschreibung dar. Ausschreibungen sind gekennzeichnet durch die Tatsache, dass einem Nachfrager mehrere Anbieter gegenüberstehen, die jeweils ein einmaliges, geheimes Angebot abgeben, wobei der Zuschlag an den Anbieter mit dem günstigsten Angebot (günstigster Preis bei Einhaltung der <?page no="50"?> 28 Charakterisierung und Arten von Märkten vorgegebenen Mindestqualität der Leistungserstellung) erfolgt (vgl. Berndt 1988). Derartige Ausschreibungen finden sich insbesondere im öffentlichen Beschaffungswesen. Bei Einschreibungen als einzelbetriebliche Marktveranstaltungen hingegen wird eine Leistung angeboten (z.B. Bohr- oder Schürfrechte). Potenzielle Nachfrager sind hier aufgefordert, ein einmaliges, geheimes Gebot für die angebotene Leistung abzugeben. Der Zuschlag erfolgt in der Regel an den Nachfrager mit dem höchsten Preisgebot. Von Beschaffungsorganisation spricht man, wenn sich mehrere Nachfrager einer Leistung zusammenschließen und ein oder mehrere Produkte gemeinsam beschaffen. Dies ist z.B. bei einer Einkaufskooperation der Fall. Ziel ist es häufig, günstige Beschaffungskonditionen (z.B. niedrigere Preise) durch Abnahme einer größeren Menge zu erhalten. Im Falle von Absatzorganisationen schließen sich mehrere Anbieter zusammen, um den Absatz ihrer Waren zu fördern (z.B. CMA). Ein Resultat einer Absatzorganisation kann z.B. die Durchführung einer Gemeinschaftswerbung der in der Absatzorganisation zusammengeschlossenen Mitglieder sein. Hinsichtlich der Art des verwendeten Mediums bei der Interaktion von Anbietern und Nachfragern können die in Abb. 2.7 dargestellten Formen identifiziert werden. Kennzeichnend für die persönliche Interaktion ist die unmittelbare räumliche Anwesenheit von Anbieter und Nachfrager. Bei der telefonischen Interaktion hingegen ist eine räumliche Distanz zwischen Anbieter und Nachfrager gegeben. Dies ist auch bei der brieflichen Interaktion der Fall, allerdings ist hier keine sofortige, unmittelbare Reaktion möglich. Zu beachten sind hier die Briefversandbzw. -zustellzeiten, die zu zeitlichen Verzögerungen führen. Eine elektronische Interaktion ist z.B. durch die Neuen Medien wie das Internet bzw. die elektronische Post (e-mail) gegeben. Innerhalb von wenigen Sekunden können Kommunikationsinhalte weltweit versandt werden. Eine massenmediale Interaktion schließlich liegt vor, wenn sich die Interaktion nicht auf eine Person, sondern auf (große) Personenmehrheiten bezieht. Beispiel für eine massenmediale Interaktion ist der Einsatz der Werbung in typischen Massenmedien (z.B. Printmedien oder Fernsehen) oder die Durchführung von Direct Communication (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.3.5 im 3. Teil). Produzent Produzent Produzent Produzent Einstufiger Markt Mehrstufige Märkte Konsument Konsument Konsument Konsument Großhandel Einzelhandel Einzelhandel Einkaufskooperationen Abb. 2.5: Typische Erscheinungsformen ein- und mehrstufiger Märkte <?page no="51"?> Erscheinungsformen von Märkten 29 Marktorganisationsformen Beschaffung und Absatz mittels überbetrieblicher Marktveranstaltungen für Anbieter und Nachfrager Beschaffung mittels einzelbetrieblicher Marktveranstaltungen Beschaffung und Absatz mittels der einzelbetrieblichen Beschaffungs- und Absatzorganisation Börsen Messen Auktionen Marktveranstaltungen der Nachfrager Marktveranstaltungen der Anbieter Ausschreibung Einschreibung Beschaffungsorganisation Absatzorganisation der Anbieter Quelle: In Anlehnung an Berndt 1996, S. 27f. Abb. 2.6: Marktorganisationsformen <?page no="52"?> 30 Charakterisierung und Arten von Märkten Interaktionsformen auf Märkten persönliche Interaktion telefonische Interaktion briefliche Interaktion elektronische Interaktion massenmediale Interaktion Abb. 2.7: Interaktionsformen auf Märkten 1.4 Marktabgrenzungen Das Problem der Marktabgrenzung gilt gemeinhin als schwierige Aufgabe. Bisher gibt es keine allgemeingültige Antwort auf die Frage, wie der „relevante Markt“ für ein Unternehmen abzugrenzen ist. Dabei spielt die Bestimmung des relevanten Marktes eine entscheidende Rolle z.B. bei der Bestimmung von Marktreaktionsfunktionen (z.B. Preisabsatzfunktionen), der Entwicklung und Modifikation von Produkten, der Optimierung der Sortimentspolitik, der Identifikation von Marktnischen sowie beim Einsatz strategischer Analyseinstrumente im Rahmen der Marketing-Planung (z.B. Portfolio- oder Positionierungsanalysen) (vgl. hierzu auch Abschnitt 3.2 in diesem Teil sowie die entsprechenden Abschnitte im 3. Teil). Darüber hinaus sind Marktabgrenzungen in wettbewerbsrechtlicher und -politischer Hinsicht wichtig. Diesbezügliche Fragen betreffen beispielsweise die Bestimmung von Marktanteilen, Marktbeherrschung und Marktmissbrauch, um wettbewerbswidriges Handeln feststellen zu können oder Entscheidungen für oder gegen Fusionen von Unternehmen fällen zu können. Wie Abb. 2.8 zeigt, sind Märkte zunächst in zeitlicher, räumlicher und sachlicher Hinsicht abzugrenzen (vgl. hierzu i.E. Sander 1994a, S. 140 ff.). Während die räumliche (z.B. regional, national, EU-Markt, Weltmarkt) und die zeitliche (z.B. laufendes Geschäftsjahr, nächstes Geschäftsjahr, mittelfristige Planperiode (z.B. 5 Jahre)) Dimension vergleichsweise einfach zu bestimmen sind und sich aus dem Zweck der Marktabgrenzung ergeben, wirft die sachliche Marktabgrenzung weitaus mehr Probleme auf. Sachliche Marktabgrenzungen können aus der Perspektive des Anbieters oder des Nachfragers erfolgen. Abb. 2.8 zeigt wesentliche diesbezügliche Möglichkeiten auf. Gemäß dem Konzept der Wirtschaftspläne als anbieterorientiertes Marktabgrenzungsschema sind neben dem eigenen <?page no="53"?> Marktabgrenzungen 31 Marktabgrenzungen räumlich zeitlich sachlich generische Marktabgrenzung anbieterbezogen nachfragerbezogen Marktabgrenzung auf Basis des manifestierten Konsumentenverhaltens: -Konzept der Kreuzpreiselastizität der Nachfrage -Markenwahlverhalten -Nutzungsverhalten von Konsumenten Abb. 2.8: Möglichkeiten der Marktabgrenzung Marktabgrenzung auf Basis von Konsumentenurteilen: -Entscheidungsnetzanalyse -Bestimmung von Wahrnehmungsräumen auf Basis von Produktähnlichkeiten Konzept der Wirtschaftspläne Industriekonzept <?page no="54"?> 32 Charakterisierung und Arten von Märkten Unternehmen alle diejenigen Unternehmen ein und demselben Markt zuzuordnen, welche in den Planungen des betrachteten Unternehmens miteinbezogen werden (vgl. Oberender 1975, S. 576). Das betrachtete Unternehmen erwartet also, dass neben den eigenen Aktivitäten auch die Aktivitäten der in die Planungen mit einbezogenen Unternehmen den eigenen Absatz tangieren. Problematisch ist bei diesem Konzept offensichtlich die hohe Subjektivität der Vorgehensweise sowie die mangelnde Nachvollziehbarkeit, da detaillierte Informationen über Wirtschaftspläne von Unternehmen wohl kaum verfügbar sind. Das Industrie-Konzept als weitere anbieterorientierte Vorgehensweise zur Marktabgrenzung stellt auf technisch-objektive Produkteigenschaften sowie die zur Herstellung von Produkten verwendeten Produktionsverfahren ab (vgl. Mecke 2018). Technisch-objektiv identische bzw. ähnliche Produkte, welche in vergleichbarer Art und Weise hergestellt werden, gehören nach diesem Konzept demselben Markt an. Problematisch an diesem Konzept ist die Tatsache, dass technisch-objektiv vergleichbare Produkte nicht auch aus Nachfragersicht vergleichbar bzw. substituierbar sein müssen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn starke Markenpräferenzen vorliegen. Von den eigentlichen Produkteigenschaften her vergleichbare Produkte mit unterschiedlichen Markenzeichen werden in diesem Fall häufig als wenig austauschbar seitens der Nachfrager angesehen. Entscheidend ist jedoch unter Zugrundelegung des Marketing-Gedankens allein die Nachfragerperspektive zur Abgrenzung von Märkten, weshalb anbieterbezogene Ansätze zur Marktabgrenzung generell wenig dienlich sind. Nachfragebezogene Ansätze zur Marktabgrenzung sind gegeben durch (vgl. Abb. 2.8) generische Marktabgrenzungen, Marktabgrenzungen auf Basis des manifestierten Konsumentenverhaltens sowie Marktabgrenzungen auf Basis von Konsumentenurteilen. Generische Marktabgrenzungen versuchen, mittels der allgemeinen Produktbezeichnung eine Bestimmung des relevanten Marktes vorzunehmen. Ausgegangen wird zunächst von einer Produktkategorie, deren zugehörige Produkte in der Lage sind, ein bestimmtes fundamentales Bedürfnis der Konsumenten zu befriedigen. So kann in generischer Hinsicht beispielsweise vom Markt für Kühlschränke (Bedürfnis: Kühlung von verderblicher Ware) oder vom Markt für Autoradios (Bedürfnis: mobile Information bzw. Unterhaltung) gesprochen werden. Dabei wird unterstellt, dass die gleiche Produktbezeichnung ein gewisses Ausmaß an Substituierbarkeit zwischen den Produkten, welche diese Produktbezeichnung tragen, impliziert. Sofern grundlegende Unterscheidungsmerkmale bei den einzelnen so identifizierten Produkten dazu führen, dass die Annahme der hinreichenden Substituierbarkeit als verletzt anzusehen ist, ist eine weitere Unterteilung des Marktes vorzunehmen. So kann beispielsweise der Markt für Autoradios in den Markt für Autoradios mit ausschließlicher Rundfunkempfangsmöglichkeit sowie in den Markt für Autoradios mit Compact-Disc(CD)-Eignung unterteilt werden. Dies ist so weit fortzuführen, bis eine weitgehende Homogenität der Produkte hinsichtlich ihrer prinzipiellen Gebrauchs- und Verwendungsmöglichkeiten aus Sicht der Konsumenten gegeben ist. Auf diesem Wege entsteht also eine Produkthierarchie mit mehreren Hierarchieebenen, bei welcher das Ausmaß der Substituierbarkeit mit weiterer Unterteilung des Marktes innerhalb der einzelnen Ebenen immer weiter zunimmt. <?page no="55"?> Marktabgrenzungen 33 Offensichtlich räumt eine derartige generische Marktabgrenzung z.T. erhebliche Ermessens- und Interpretationsspielräume ein, da sie in der Regel nicht unwesentlich auf Plausibilitätsüberlegungen beruht. Im Mittelpunkt stehen dabei die Fragen (vgl. Bauer 1989, S. 169), in welcher Reihenfolge welche Kriterien, die die Austauschbarkeit von Produkten determinieren, herangezogen werden sollen, so dass die Substituierbarkeit der Produkte von der Spitze zum Boden der Produkthierarchie ständig zunimmt, und welche Ausprägungen eines Merkmals zur Bildung vieler Teilmengen innerhalb derselben Hierarchieebene verwendet werden sollen. Als weiterer Ansatz zur Identifizierung von Märkten ist die Marktabgrenzung auf Basis des manifestierten Konsumentenverhaltens zu erwähnen. Wesentliche Verfahren, welche hierunter zu subsumieren sind, sind das Konzept der Kreuz-Preis-Elastizität der Nachfrage, die Marktabgrenzung auf Basis des Markenwahlverhaltens sowie die Analyse des Nutzungsverhaltens der Konsumenten gegenüber einzelnen Produkten bzw. Produktvarianten (vgl. Abb. 2.8). Das Konzept der Kreuz-Preis-Elastizität der Nachfrage geht von der Vorstellung aus, dass Güter mit hohen und symmetrischen Werten dieses Koeffizienten demselben Markt angehören (vgl. Mecke 2018). In diesem Fall führt eine Preisänderung von Gut 1 (2) zu einer merklichen Nachfrageänderung von Gut 2 (1); ein positives Vorzeichen des Koeffizienten deutet dabei auf eine substitutive Beziehung zwischen den beiden Gütern hin, ein negatives Vorzeichen hingegen impliziert ein komplementäres Verhältnis. Konkret ist die Kreuz-Preis-Elastizität der Nachfrage definiert als i i j j ji p dp x dx : Für die hier gegebenen Zwecke interessiert allein die Substituierbarkeit von Gütern bzw. Produkten. Je größer demnach der Wert der Kreuz-Preis-Elastizität ist, desto stärker ist die nachfragemäßige Interdependenz zwischen den beiden betrachteten Produkten. Trotz der großen Bedeutung, die dieses Konzept in der Literatur erlangt hat, sind mit der Marktabgrenzung auf Basis der Kreuz-Preis-Elastizität erhebliche Nachteile verbunden, welche insbesondere deren empirische Umsetzbarkeit stark beeinträchtigen. So ist unklar, ab welchem konkreten Wert der Kreuz-Preis-Elastizität der Zustand einer hinreichenden Substituierbarkeit und damit der Konkurrenz gegeben sein soll. Zudem ist das Konzept der Kreuz-Preis-Elastizität statischer Natur; Marktein- und -austritte im Zeitablauf führen i.d.R. zu Veränderungen der Kreuz-Preis- Elastizitäten zwischen den auf dem Markt befindlichen Produkten. Schließlich ist das Konzept der Kreuz-Preis-Elastizität ein strukturprüfendes, nicht strukturermittelndes Verfahren, da a priori Informationen darüber zur Verfügung stehen müssen, welche Produkte überhaupt in Substitutionskonkurrenz zueinander stehen bzw. stehen könnten. Auf Basis des Markenwahlverhaltens lassen sich Märkte dann abgrenzen, wenn man die Prämisse akzeptiert, dass verschiedene Marken bzw. Produkte in einem umso engeren Substitutionsverhältnis zueinander stehen, je öfter zwischen ihnen gewechselt wird. Dies bedeutet, dass Produkte umso eher einem Produktmarkt zugehörig anzusehen sind, je größer die (bedingten) Markenwechselwahrscheinlichkeiten zwischen den betrachteten Marken bzw. Produkten sind (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.1.2.4.3.2 in diesem Teil). Problematisch an diesem Konzept ist, dass wiederum Schwellenwerte für die Markenwechselwahrscheinlichkeiten <?page no="56"?> 34 Charakterisierung und Arten von Märkten angegeben werden müssen, ab welchen die Marken bzw. Produkte demselben Produktmarkt zugeordnet werden können. Zudem müssen wie beim Konzept der Kreuz-Preis-Elastizität die in die Untersuchung mit aufzunehmenden Produkte vorab bekannt sein. Schließlich stößt dieses Konzept an seine Grenzen bei Produkten, die nur selten gekauft werden (z.B. höherwertige Gebrauchsgüter wie Autos, Unterhaltungselektronik usw.), da eine bestimmte Anzahl von Wiederholungskäufen innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes notwendig für valide Messungen und statistische Auswertungen ist. Die explizite Analyse des Nutzungsverhaltens von Konsumenten gegenüber verschiedenen Produkten bzw. Produktvarianten ermöglicht schließlich eine detaillierte Aufteilung eines mittels generischer Abgrenzung zunächst grob ermittelten Produktmarktes. Voraussetzung hierfür ist, dass verschiedene Produkte für unterschiedliche Verwendungszwecke herangezogen werden. Starke Substituierbarkeit zwischen einzelnen Produkten herrscht in diesem Fall lediglich dann, wenn diese Produkte für denselben Verwendungszweck benutzt werden. Unterschiedliche Verwendungszwecke für einzelne Produkte führen also zu eingeschränkter Substituierbarkeit und implizieren somit unterschiedliche Märkte. Dies bedeutet beispielsweise, dass der Markt für Compact-Disc(CD)-Abspielgeräte zu unterteilen ist in den Markt für stationäre CD-Spieler und in den Markt für tragbare CD-Spieler, da für beide Gerätearten aufgrund der stark unterschiedlichen Gehäuseform und -abmessungen sowie dem stark divergierenden Gewicht der Geräte grundsätzlich andere Nutzungsverhalten unterstellt werden können. Die Substituierbarkeit zwischen beiden Gerätearten darf daher als gering eingeschätzt werden. Innerhalb dieser beiden Märkte ist die Konkurrenzintensität daher zweifelsohne größer als zwischen den beiden Märkten. Marktabgrenzungen auf Basis des tatsächlichen Nutzungsverhaltens der Konsumenten können somit wertvolle Anregungen für eine weitere Unterteilung generisch gewonnener Märkte liefern und stellen daher ein nützliches Instrument zur detaillierten Offenlegung von Wettbewerbsbzw. Substitutionsbeziehungen zwischen einzelnen Produkten dar. Neben den Verfahren der Marktabgrenzung auf Basis des manifestierten Konsumentenverhaltens können auch Abgrenzungsverfahren auf Basis von Konsumentenurteilen herangezogen werden. Als Marktabgrenzungsverfahren auf Basis von Konsumentenurteilen sind insbesondere die Entscheidungsnetzanalyse und Verfahren auf der Basis von Wahrnehmungsräumen zu nennen (vgl. Abb. 2.8). Im Rahmen der Entscheidungsnetzanalyse kann die Reihenfolge festgestellt werden, in welcher Konsumenten Produkteigenschaften heranziehen, um aus dem Spektrum der zur Verfügung stehenden Produktalternativen letztlich diejenige Alternative auszuwählen, welche ihre Bedürfnisse am besten befriedigt (zur Entscheidungsnetzanalyse vgl. auch Abschnitt 2.1.2.4.2.2.2 in diesem Teil). Mittels Protokollen, die während des Kaufentscheidungsprozesses von einem Interviewer auf Basis verbaler Äußerungen des Probanden erstellt werden, lassen sich so individuelle Entscheidungsbäume aufstellen, welche den Kaufentscheidungsprozess des Probanden detailliert wiedergeben. Je später eine Produktalternative ausgesondert wird, desto größer ist ihre Substituierbarkeit gegenüber der letztlich ausgewählten Produktvariante . Diese individuell erstellten Entscheidungssequenzen sind schließlich zu aggregieren, um Aussagen über eine Mehrzahl von Personen treffen zu können. Entscheidungsbäume mit gleichartigen Strukturen können dann zu Segmenten von Konsumenten mit ähnlichen Entscheidungsmustern zusammengefasst werden. Problematisch sind Entscheidungsnetzmuster dahingehend, dass die Künstlichkeit der Versuchssituation das Kaufentscheidungsverhalten der Probanden verzerrt. Zudem können die Probanden aufgrund der hohen kognitiven Anforderung des Verfahrens <?page no="57"?> Marktabgrenzungen 35 überfordert sein, ihre Gedanken entsprechend zu verbalisieren. Für höherwertige Gebrauchsgüter scheidet diese Vorgehensweise zudem weitgehend aus, da sich Kaufentscheidungsprozesse für derartige Produkte über längere Zeiträume (z.T. Wochen oder Monate) erstrecken können. Neben dem Entscheidungsnetzansatz stellen Wahrnehmungsräume eine weitere Alternative dar, um auf Konsumentenurteilen basierende Produktmärkte zu identifizieren. Abgestellt wird hier auf die Ähnlichkeit von Produkten. Je ähnlicher Produktalternativen aus Sicht des Konsumenten sind, desto geringer ist ihre relative Distanz im Wahrnehmungsraum. Zur Aufstellung derartiger Wahrnehmungsräume ist zunächst grundsätzlich zu unterscheiden, ob die Beurteilungsdimensionen, d.h. die Dimensionen, die den Wahrnehmungsraum aufspannen, vorgegeben sind oder erst im Nachhinein als Ergebnis der Analyse resultieren. Im ersten Fall kann der Wahrnehmungsraum mittels direkter Skalierung per Rating-Skala, bei welcher die Probanden konkret nach der Ähnlichkeit verschiedener Produktalternativen hinsichtlich vorgegebener Produkteigenschaften befragt werden, aufgespannt werden; die einzelnen Dimensionen des Wahrnehmungsraumes entsprechen dann den vorgegebenen Produkteigenschaften. Bei dieser Vorgehensweise ist zu beachten, dass die Vorauswahl der Beurteilungsdimensionen zu Verzerrungen der Analyseergebnisse führen kann, beispielsweise weil nicht alle relevanten Produkteigenschaften berücksichtigt werden. Werden die einzelnen Produkteigenschaften daher nicht vorgegeben, sondern erfolgt lediglich eine Beurteilung der globalen Ähnlichkeit von Objekten bzw. Produktalternativen, so kann zur Aufstellung von Wahrnehmungsräumen die Multidimensionale Skalierung herangezogen werden (vgl. auch Abschnitt 3.1.4.3.7.3 in diesem Teil). Ziel der Multidimensionalen Skalierung ist es, Objekte in einem mehrdimensionalen Raum räumlich zu positionieren, und zwar so, dass die Positionen der Objekte und ihre gegenseitigen räumlichen Entfernungen mit den tatsächlichen Entfernungen bzw. Unterschieden dieser Objekte weitestgehend übereinstimmen. Die Rangfolge der Distanzen der Objekte im möglichst niedrig dimensionierten Wahrnehmungsraum soll also so weit wie möglich der Rangfolge der wahrgenommenen Affinitäten bzw. Ähnlichkeiten der einzelnen Produkte zueinander entsprechen. Entscheidend ist jeweils, dass unabhängig von der Art der Erhebung der Ähnlichkeitsdaten die Ähnlichkeit von Produktalternativen als Maß für ihre Substituierbarkeit herangezogen wird. Sofern die Aufstellung eines lediglich zwei oder drei Dimensionen umfassenden Wahrnehmungsraumes möglich ist, können Produktmärkte also bereits auf optischem Wege durch Zusammenfassung räumlich benachbarter Produktalternativen erkannt werden. Problematisch an der Abgrenzung von Produktmärkten auf Basis von Wahrnehmungsräumen ist die Tatsache, dass unterschiedliche Verfahren zur Aufstellung von Wahrnehmungsräumen häufig auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Es ist daher vorab zu klären, welche Vorgehensweise für den jeweiligen Zweck der Untersuchung die geeignetste ist. Die Aufstellung von Wahrnehmungsräumen muss sich darüber hinaus auf eine relativ geringe Anzahl von Produkten beschränken, um der Gefahr der Überforderung der Probanden mit der Folge einer eingeschränkten Validität und Reliabilität der Untersuchungsergebnisse vorzubeugen. So sind im Falle einer direkten Skalierung, die beispielsweise 50 Produkte mit je 15 relevanten Eigenschaften umfasst, 750 Produkteinstufungen auf Rating-Skalen vorzunehmen; bei der Aufstellung von Wahrnehmungsräumen auf Basis globaler Ähnlichkeitsurteile ergeben sich in diesem Falle sogar 1225 Paarvergleiche. Als möglicher Ausweg bietet sich hier an, nicht alle existierenden Produktalternativen (einer Produktkategorie) zu berücksichtigen, sondern lediglich die den Probanden bekannten oder die von ihnen in die nähere Auswahl gezogenen Produktalternativen heranzuziehen. <?page no="58"?> 36 Charakterisierung und Arten von Märkten Wiederholungsfragen und -aufgaben zur „Charakterisierung und Arten von Märkten“: [1] Erläutern Sie, was man unter dem Begriff „Markt“ verstehen kann. [2] Erarbeiten Sie eine Systematik handelbarer Güter. [3] Stellen Sie anhand des Grundmodells des Austausches im Markt dar, unter welchen Bedingungen es zu Markttransaktionen kommt. [4] Welche Marktteilnehmer können typischerweise erkannt werden? [5] Anhand welcher Kriterien können verschiedene Erscheinungsformen von Märkten erkannt werden? Charakterisieren Sie diese Erscheinungsformen näher. [6] Erörtern Sie verschiedene Methoden zur Abgrenzung von Märkten. Gehen Sie dabei näher auf die Möglichkeiten der sachlichen Marktabgrenzung ein. Einführende Literaturempfehlungen zur „Charakterisierung und Arten von Märkten“: Berndt, R. (1996): Marketing 1. Käuferverhalten, Marktforschung und Marketing-Prognosen, 3. Aufl., Berlin u.a. 1996. Oberender, P. (1975): Zur Problematik der Marktabgrenzung unter besonderer Berücksichtigung des Konzeptes des „relevanten Marktes“, in: Wist, 4. Jg. (1975), Nr. 12, S. 575-579. Sander, M. (1994a): Die Bestimmung und Steuerung des Wertes von Marken. Eine Analyse aus Sicht des Markeninhabers, Heidelberg 1994. Steffenhagen, H. (2008): Marketing. Eine Einführung, 6. Aufl., Stuttgart 2008. <?page no="59"?> 22 Verhalten von Marktteilnehmern Lernziele im Kapitel „Verhalten von Marktteilnehmern“: In diesem Kapitel erfahren Sie welche Kaufentscheidungsträger und Kaufentscheidungstypen existieren, wie das Kaufverhalten von Konsumenten, Industriebetrieben, Handelsbetrieben und öffentlichen Nachfragern modellhaft dargestellt werden kann und welche jeweiligen Besonderheiten bestehen, welche wettbewerbsstrategischen Grundausrichtungen und Haltungen auf der Anbieterseite gegeben sind und welche Verhaltensstile von Unternehmen erkannt werden können. Nach Bearbeitung des Kapitels sind Sie in der Lage die Determinanten des Kaufverhaltens von Konsumenten aufzuzeigen, den Kaufentscheidungsprozess von Konsumenten zu erläutern, verschiedene Modelle des Konsumentenverhaltens detailliert darzulegen, die Vor- und Nachteile der einzelnen Modellansätze aufzuzeigen, neuere Erkenntnisse im Rahmen der Konsumentenverhaltensforschung darzulegen (z.B. zur Konsumentenzufriedenheit und Beschwerdeverhalten, zum After-Sales-Marketing und zu neuen Kaufverhaltensmustern), Besonderheiten von Kaufprozessen von Industriebetrieben, Handelsorganisationen und öffentlichen Nachfragern herauszuarbeiten und unterschiedliche Arten des Anbieterverhaltens aufzuzeigen und zu charakterisieren. Marktergebnisse hängen von den Aktivitäten der Marktteilnehmer ab. Näher analysiert wird zunächst das Käuferverhalten. Anschließend wird das Anbieterverhalten betrachtet. 2.1 Das Käuferverhalten 2.1.1 Kaufentscheidungsträger und Kaufentscheidungstypen Im Hinblick auf die Frage, wer überhaupt Kaufentscheidungen trifft, kann zwischen Entscheidungen in Haushalten und Unternehmen differenziert werden. Ergänzt man diese Einteilung um das Kriterium „Anzahl der Entscheidungsträger“, so lassen sich insgesamt vier Erscheinungsformen von Kaufentscheidungen erkennen (vgl. Abb. 2.9). <?page no="60"?> 38 Verhalten von Marktteilnehmern Unternehmen Haushalte Kollektiventscheidung Individualentscheidung Kollektiventscheidung Individualentscheidung Kaufentscheidung eines einzelnen Konsumenten (Typ I) Familienkaufentscheidung (Typ II) Kaufentscheidung des Repräsentanten bzw. Einkäufers eines Betriebes (Typ III) Kaufentscheidung eines Einkaufsgremiums ("Buying Center") (Typ IV) Art der Entscheidungsträger Anzahl der Entscheidungsträger Beispielhafte Ausprägung Abb. 2.9: Träger von Kaufentscheidungen Träger von Kaufentscheidungen <?page no="61"?> Das Käuferverhalten 39 Typ der Kaufentscheidung komplexer Kaufentscheidungsprozess mehrstufige Kaufentscheidung (Problemanalyse, Zielbildung, Alternativensuche, Bewertung, Entscheidung) beträchtlicher Zeitaufwand für Kaufentscheidung hohes wahrgenommenes Kaufrisiko (sozial und finanziell) affektive und kognitive Prozesse dominant Extremierungsverhalten (möglichst beste Alternative finden) hoher Informationsbedarf hohes Involvement Extensive Kaufentscheidung Habitualisierte Kaufentscheidung Limitierte Kaufentscheidung Impulsive Kaufentscheidung C h a r a k t e r i s i e r u n g gewohnheitsmäßige Produktbzw. Markenwahl geringe kognitive Steuerung des Kaufentscheidungsprozesses Verzicht auf Suche nach neuen Produktalternativen, keine weitere Informationssuche und Verarbeitung quasi-automatischer Ablauf des Kaufentscheidungsprozesses Kaufentscheidung beruht auf bisheriger Kauferfahrung geringes Involvement kein Extremierungs-, sondern Satisfizierungsverhalten (Suche einer zufriedenstellenden statt besten Alternative) Rückgriff auf bewährte Problemlösungsmuster und Entscheidungskriterien bewusste Begrenzung des Entscheidungsaufwandes beschränkte Informationssuche begrenztes Involvement Heranziehen bestimmter Schlüsselfaktoren, welche eine Vielzahl von Informationen bündeln (z.B. die Marke) begrenztes wahrgenommenes Kaufrisiko (finanziell und sozial) stark reaktives Verhalten geringe kognitive Kontrolle hohes situationsspezifisches Involvement starke Aktivierung des Kaufentscheidungsträgers reizgesteuertes Kaufentscheidungsverhalten ungeplantes Verhalten B e i s p i e l e Kauf hochwertiger, langlebiger Gebrauchsgüter (Autos, Unterhaltungselektronik, Kameras...) Güter des täglichen Bedarfs (z.B. Lebensmittel) Kauf von mittelbis hochpreisigen Produkten, welche für den Kaufentscheidungsträger keine übergeordnete Bedeutung besitzen Geringwertige Produkte im Kassenbereich von Supermärkten Abb. 2.10: Typen von Kaufentscheidungen <?page no="62"?> 40 Verhalten von Marktteilnehmern Im Mittelpunkt standen aus wissenschaftlicher Sicht zunächst die Individualkaufentscheidungen von Konsumenten (Typ I). Eine monozentrierte Willensbildung wurde auch zunächst bei der Analyse der Kaufentscheidungen von Unternehmen unterstellt (Typ III). Ausgangspunkt waren dabei zunächst rationale Kaufentscheidungen eines nach maximalem Nutzen strebenden Konsumenten im Rahmen der ökonomischen Haushaltstheorie bzw. eines „Ein-Mann-Unternehmens“, welches Beschaffungsentscheidungen ausschließlich auf Basis von Investitions- und Beschaffungskalkülen vornahm. Die Annahme vollständig rationalen Verhaltens als Grundlage jeglicher Kaufentscheidung ist inzwischen fallen gelassen worden. Ebenso wurde von der Wissenschaft lange Zeit die polyzentrische Willensbildung vernachlässigt. Kaufentscheidungen wurden per Prämisse ad hoc getroffen oder es herrschten homogene Präferenzen und gleichgerichtete Ziele, sodass de facto auch bei multipersonalen Entscheidungen eine Reduktion auf eine Individualentscheidung vorgenommen werden konnte. In späteren Analysen wurden dann unterschiedliche individuelle Zielsetzungen und unterschiedliches Rollenverhalten bei polyzentrischer Willensbildung berücksichtigt (Typ II und Typ IV). Ursächlich für die zunächst stiefmütterliche Behandlung der Kollektiventscheidungen in Familien und Unternehmen dürften dabei insbesondere die Komplexität der Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern bzw. den Mitgliedern des Einkaufsgremiums sowie die problematische empirische Überprüfung der Zusammenhänge sein (vgl. Meffert 1992, S. 38 f.). Neben der Art und Anzahl der Kaufentscheidungsträger nehmen auch die Typen von Kaufentscheidungen eine zentrale Rolle in der Kaufentscheidungsforschung ein. In der einschlägigen Literatur zum Käuferverhalten lässt sich eine Vielzahl von Typologien von Kaufentscheidungen finden, welche jeweils bestimmte Kriterien zur Klassifizierung von Kaufentscheidungen heranziehen (vgl. z.B. den Überblick bei Kuß 1987). Besondere Beachtung hat dabei die Klassifizierung von Kaufentscheidungstypen gefunden, welche auf Katona (1968) zurückzuführen ist und durch Howard/ Sheth (1969) erweitert wurde. Sie unterscheiden in: extensive Kaufentscheidungen, habitualisierte (gewohnheitsmäßige) Kaufentscheidungen, limitierte (vereinfachte) Kaufentscheidungen sowie impulsive Kaufentscheidungen. Abb. 2.10 charakterisiert diese Kaufentscheidungstypen näher und gibt ausgewählte Beispiele für die einzelnen Kaufentscheidungstypen. Insbesondere im Hinblick auf Güter des täglichen Bedarfs haben Brisoux/ Laroche (1980) ein Modell entwickelt, welches wiederholt überprüft und bestätigt wurde. Abb. 2.11 zeigt dieses Modell im Überblick. Dabei bedeuten: Available Set: Alle zu einem bestimmten Zeitpunkt am Markt existenten Marken einer bestimmten Produktgruppe. Awareness Set: Dem Konsumenten zum Kaufzeitpunkt bewussten Marken. Unawareness Set: Dem Konsumenten zum Kaufzeitpunkt unbewussten Marken. Processed Set: Dem Konsumenten bewusste Marken, welche gleichzeitig eine besondere Bedeutung für sein Kaufverhalten haben. Foggy Set: Marken, welche dem Konsumenten zwar bewusst sind, für sein Kaufverhalten aber keine Bedeutung haben. <?page no="63"?> Das Käuferverhalten 41 Evoked Set: Alternative Marken, welche zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung näher betrachtet werden und Eingang in das Kaufverhalten finden („relevante Alternativen“). Hold Set: Marken, welche für die momentan anstehende Kaufentscheidung keine Bedeutung haben. Reject Set: Jene Marken, welche auf Ablehnung seitens des Konsumenten stoßen. Aus Sicht eines Anbieters ist es dabei wichtig, in das „Evoked Set“ von Personen zu gelangen, welche sich im Kaufentscheidungsprozess befinden. Nur diese Marken haben bei der anstehenden Kaufentscheidung eine Chance gekauft zu werden. Empirische Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass ein „Evoked Set“ von Konsumenten in vielen Produktbereichen lediglich aus ca. 3-5 Marken besteht. Quelle: Brisoux/ Laroche 1980, S. 113 Abb. 2.11: Strukturierung der Markenwahl von Konsumenten Available Set Awareness Set Unawareness Set Processed Set Foggy Set Evoked Set Hold Set Reject Set 2.1.2 Das Kaufverhalten von Konsumenten 2.1.2.1 Grundlegende Modelltypologien zur Abbildung des Konsumentenverhaltens Wesentliche Aufgabe der Konsumentenverhaltensforschung ist es, Kaufentscheidungsprozesse zu beschreiben, zu erklären und darauf aufbauend auch zukünftiges Kaufentscheidungsverhalten zu prognostizieren. Hierzu werden sog. S(timulus)-O(rganismus)-R(esponse)-Modelle herangezogen. Abb. 2.12 zeigt ein derartiges S-O-R-Modell in schematisierter Form auf. Zu unterscheiden ist dabei zwischen beobachtbaren und nicht-beobachtbaren Variablen bzw. Prozessen. Während Marketing- und Umfeldstimuli als exogene Variablen das Kaufverhalten beeinflussen und ebenso wie das Kaufergebnis im Sinne der realisierten Kaufhandlung beobachtbar sind, sind die Vorgänge im Inneren des Konsumenten („Black Box“) in Form des eigentlichen Kaufentscheidungsprozesses nicht beobachtbar. Gerade an dieser „Black Box“ setzen die unterschiedlichen Modelltypologien des Konsumentenverhaltens an. Während Strukturmodelle des Konsumentenverhaltens versuchen, die relevanten Determinanten des Kaufverhaltens im Einzelnen zu bestimmen und zu strukturieren (vgl. auch den nachfolgenden Abschnitt 2.1.2.2 sowie den <?page no="64"?> 42 Verhalten von Marktteilnehmern Abschnitt 2.1.2.4.2 in diesem Teil), wird bei den sog. Stochastischen Modellen des Käuferverhaltens die „Black Box“ durch einen Zufallsmechanismus ersetzt (vgl. Abschnitt 2.1.2.4.3 in diesem Teil). Unter Berücksichtigung der beobachtbaren exogenen Stimuli des Konsumentenverhaltens (Input) wird das zukünftige Kaufverhalten der Konsumenten (Output) auf Basis eines stochastischen Zusammenhangs zwischen diesen Input- und Outputgrößen prognostiziert. Darüber hinaus existieren „eigenständige“ Simulationsmodelle des Konsumentenverhaltens, welche aufgrund der Fortschritte in der Computertechnologie zunehmend eingesetzt werden können (vgl. Abschnitt 2.1.2.4.4 in diesem Teil). 22.1.2.2 Determinanten des Konsumentenverhaltens Das Kaufverhalten von Konsumenten wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Grundsätzlich können kulturelle Faktoren, soziale Faktoren, Exogene Stimuli Black Box des Konsumenten eigentlicher Kaufentscheidungsprozess Realisierte Kaufhandlung Produktwahl Markenwahl Geschäftswahl Kaufmenge Kaufzeitpunkt Marketingstimuli Umfeldstimuli z.B. Produkt, Preis, Kommunikation, Distribution z.B. ökonomische, technologische, soziologische, politischrechtliche, ökologische Stimuli Input Output beobachtbar beobachtbar nicht beobachtbar Abb. 2.12: Schematische Darstellung des Kaufentscheidungsprozesses eines Konsumenten <?page no="65"?> Das Käuferverhalten 43 persönliche Faktoren sowie psychologische Faktoren identifiziert werden. Kulturelle und soziale Faktoren gehören zu den interpersonalen Determinanten des Kaufverhaltens von Konsumenten, persönliche und psychologische Faktoren hingegen stellen intrapersonale Faktoren dar und beeinflussen die Kaufprozesse von Konsumenten. Abb. 2.13 stellt die einzelnen Determinanten im Überblick dar. Im Rahmen ihrer Kultur entwickelt jede Gesellschaft kollektive Wertsysteme oder Normen, deren Einhaltung zu einem gesellschaftlich anerkannten und konformen Verhalten führen (vgl. Meffert 1992, S. 81). Wünsche und Verhaltensweisen von Individuen werden daher auf grundsätzliche Art und Weise von dem Kulturkreis geprägt, dem das jeweilige Individuum angehört. Derartige Vorstellungen, Präferenzen, Werte und Verhaltensweisen werden von Generation zu Generation überliefert, wobei sie durchaus gewissen Änderungen unterliegen können. Insgesamt handelt es sich hier jedoch um sehr zeitstabile Erscheinungen. Jeder Kulturkreis lässt sich weiter in Subkulturen gliedern, welche die zugehörigen Mitglieder noch spezifischer prägen und sozialisieren (vgl. Kotler/ Keller/ Opresnik 2017, S. 203). Subkulturen können u.a. nach geographischen (Stadtvs. Landbevölkerung), ethnischen (Religion, Nationalität, Rasse) oder altersmäßigen (Jugendliche, Erwachsene im erwerbsfähigen Alter, Senioren) Merkmalen gebildet werden. Innerhalb der einzelnen Subkulturen sind die gelebten Werte und Normen sowie die Verhaltensweisen der Mitglieder recht homogen, zwischen einander unterscheiden sie sich in der Regel recht stark. Gleiches gilt für soziale Schichten, welche sich in jeder Gesellschaft finden lassen. Typische Einteilungskriterien zur Bildung sozialer Schichten sind das Einkommen, der Beruf, die Wohngegend, die Art der ausgeübten Freizeitaktivitäten, die Kleidung, die Ausbildung sowie die Sprache. Für Angehörige einer bestimmten Schicht gilt häufig, dass sie sich am Verhalten der nächsten übergeordneten sozialen Schicht orientieren (z.B. hinsichtlich der Art der gekauften Produkte, Kleidung sowie ausgeübte Freizeitaktivitäten). Massenmedien stellen einen weiteren kulturellen Faktor dar, da sich in ihren Inhalten die in einer Gesellschaft gelebten Werte und Normen widerspiegeln. Sie können somit als „Verstärker“ der kulturtypischen Eigenheiten einer bestimmten Kultur gelten. Durch die Internationalisierung der Medien werden zudem auch andere Kulturen immer transparenter und zugänglicher. Hierdurch kommt es durchaus zu „Durchmischungen“ von Kulturen, indem kulturspezifische Eigenheiten von anderen Kulturen übernommen werden. Beispielsweise ist seit geraumer Zeit eine „Amerikanisierung“ der deutschen Jugend zu beobachten, welche sich in der Angleichung der Kleidung gegenüber amerikanischen Jugendlichen, Übernahme deren Sportarten (z.B. Basketball bzw. Streetball, Skateboard) und deren Essgewohnheiten (Fast-Food), sprachlichen Übernahmen (Anglizismen bzw. idiomatische Ausdrücke) sowie der verstärkten Hinwendung zur amerikanischen bzw. englischen Musik (z.B. Hip Hop) äußern. Von Bedeutung für das Kaufverhalten von Konsumenten sind auch soziale Faktoren (vgl. Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2013, S. 521 ff.). Hierzu zählen zunächst die Familienmitglieder, welche insbesondere Einfluss auf den Kauf langlebiger Gebrauchsgüter (PKW, Möbel usw.) ausüben können (vgl. Ruhfus 1976; Dahlhoff 1980). Wesentliches Element hierbei sind die Interaktionen zwischen den Familienmitgliedern, welche das Ergebnis von Kaufentscheidungen erheblich beeinflussen können. <?page no="66"?> 44 Verhalten von Marktteilnehmern Kaufverhalten des Konsumenten Persönliche Faktoren demographische Variablen (Alter, Beruf, Einkommen, usw.) Werte Involvement Wahrgenommenes Risiko Persönlichkeit und Selbstbild Psychologische Faktoren Aktivierende Determinanten Emotionen Bedürfnisse und Motive Einstellungen Kognitive Determinanten Wahrnehmung Denken und Lernen Kulturelle Faktoren Kulturkreis Subkultur Soziale Schicht Massenmedien Soziale Faktoren Familienmitglieder Bezugsgruppen Meinungsführer Rollen und Status Interpersonale Faktoren Intrapersonale Faktoren Abb. 2.13: Determinanten des Kaufverhaltens von Konsumenten <?page no="67"?> Das Käuferverhalten 45 Bei Bezugsgruppen handelt es sich um Gruppen oder Personen, mit denen sich das jeweilige Individuum identifiziert (vgl. Meffert 1992, S. 83). Eine tatsächliche Gruppenzugehörigkeit (z.B. Partei, Gewerkschaft) muss nicht bestehen. Derartige Bezugsgruppen stellen soziale Systeme dar, deren Normen Entscheidungsprämissen beim Kauf von Produkten für das jeweilige Individuum darstellen können. Die Stärke des Gruppeneinflusses hängt dabei im Wesentlichen von der Häufigkeit der Gruppeninteraktionen, der Zahl der durch die Gruppe befriedigten Bedürfnisse, der Übereinstimmung der verfolgten Ziele, der Stärke des Gruppenzusammenhalts sowie der Intensität, mit der die Gruppe geschätzt wird, ab. Eine besondere Rolle spielen in diesem Zusammenhang Meinungsführer. Unter Meinungsführern sind diejenigen Mitglieder einer Gruppe zu verstehen, welche im Rahmen des Kommunikationsprozesses einen stärkeren Einfluss als andere ausüben und auf diese Weise die Meinung anderer beeinflussen (vgl. Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2019, S. 502 ff.). Meinungsführer besitzen daher eine Multiplikatorfunktion aufgrund der Vielzahl der Interaktionen mit anderen Individuen sowie der hohen Glaubwürdigkeit, welche Meinungsführern regelmäßig zugesprochen wird. Diese hohe Glaubwürdigkeit kann das Ergebnis eines besonderen Expertenwissens sein, welches Meinungsführern häufig anhaftet. Dieses Expertenwissen ist i.d.R. produktspezifisch, d.h. für bestimmte Produktbereiche werden jeweils unterschiedliche Meinungsführer konsultiert bzw. sie besitzen je nach Produktkategorie eine unterschiedlich hohe Glaubwürdigkeit. Ausgenutzt wird das Meinungsführerkonzept insbesondere im Bereich der Werbung, indem populäre Personen bzw. „Experten“ eingesetzt werden, welche einen positiven Einfluss auf die Produktwahrnehmung und die Glaubwürdigkeit ausüben sollen. Auch Rolle und Status einer Person prägen das Kaufverhalten. Generell kann man unter einer Rolle diejenigen Aktivitäten verstehen, welche andere von jemandem erwarten (z.B. in der Rolle als Familienoberhaupt, Geschäftsführer, Vereinsmitglied usw.). Mit jeder Rolle ist ein Status verbunden, welcher ihr Ansehen in der Gesellschaft widerspiegelt. Individuen verhalten sich rollen- und statuskonform, indem sie diejenigen Produkte kaufen, welche der Rolle bzw. dem Status entsprechen. Dabei sind insbesondere nach außen hin sichtbare Produkte bzw. Verhaltensweisen von Bedeutung, welche die Rolle bzw. den Status einer Person unterstützen sollen (z.B. Kleidung, Autos, bevorzugte Geschäfte, Anzahl von Theater- oder Opernbesuchen). Im Rahmen der intrapersonellen Faktoren bestimmen insbesondere persönliche Determinanten das Kaufverhalten. Welche Produkte gekauft werden, hängt daher von demographischen Variablen wie Alter, Einkommen, Geschlecht, Beruf usw. ab. Aufbauend auf derartigen Variablen werden häufig Marktsegmentierungen vorgenommen (vgl. Abschnitt 3.2 in diesem Teil). Darüber hinaus spielen Werte eine Rolle, welche auch als „Meta-Einstellungen“ bzw. ein konsistentes System von Einstellungen bezeichnet werden können (vgl. Boltz/ Trommsdorff 2022, S. 158). Derartige Werte können auf drei Ebenen angesiedelt sein: Während Basiswerte auf der ersten Ebene generelle Grundorientierungen eines Konsumenten widerspiegeln (z.B. gegenüber Krieg, Sicherheit, Gerechtigkeit), beziehen sich Bereichswerte auf der zweiten Ebene auf verschiedene Lebens- und Gesellschaftswerte der Konsumenten (z.B. Demokratieverständnis im Bereich der Politik oder Arbeitslosigkeit im Bereich der Wirtschaft). Die dritte Ebene schließlich stellt auf produktbezogene Bewertungen ab (z.B. Umweltfreundlichkeit, Sparsamkeit von Produkten) und legt warengruppenbezogene Grundhaltungen offen. Unter Involvement kann das Ausmaß des Engagements einer Person verstanden werden, sich für bestimmte Sachverhalte oder Aufgaben zu interessieren (vgl. Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2019, S. 389 ff.; Boltz/ Trommsdorff 2022, S. 37 f.). Dabei kann das Ausmaß des Involvements eines Konsumenten auf einem Kontinuum von „High“ bis „Low“ reichen. High-Involvement- <?page no="68"?> 46 Verhalten von Marktteilnehmern Käufe haben für Individuen eine besondere Bedeutung bzw. Wichtigkeit, weil sie in engem Verhältnis zur Persönlichkeit und Selbsteinschätzung des Individuums stehen und/ oder mit einem nicht unerheblichen (finanziellen, sozialen oder psychologischen) Risiko verbunden sind (vgl. Berndt 1996, S. 53). Daher wird viel Zeit und Aufwand in eine Kaufentscheidung unter High- Involvement-Bedingungen gesteckt. Entsprechend sind Low-Involvement-Käufe gekennzeichnet durch geringe unternommene Anstrengungen, da sie aus Sicht des jeweiligen Individuums von untergeordneter Bedeutung sind und auch nur geringe (finanzielle, soziale und/ oder psychologische) Risiken aufwerfen. Abb. 2.14 zeigt weitere typische Charakteristika von High- und Low- Involvement-Käufen auf. High-Involvement Low-Involvement Passives Informationsverhalten Passives Ausgesetztsein Geringe Verarbeitungstiefe (Passierenlassen) Geringe Persuasivwirkung Keine Markenbewertung vor dem Kauf Wenig Merkmale beachtet Viele akzeptable Alternativen Wenig sozialer Einfluß Anspruchsniveauziel Markentreue allenfalls durch Gewohnheit Gering verankerte Einstellung Geringe Gedächtnisleistung Aktive Informationssuche Aktive Auseinandersetzung Hohe Verarbeitungstiefe Hohe Persuasivwirkung Markenbewertung vor dem Kauf Viele Merkmale beachtet Wenig akzeptable Alternativen Viel sozialer Einfluß Optimierungsziel Markentreue durch Geschäftsbeziehung Stark verankerte, intensive Einstellung Hohe Gedächtnisleistung Quelle: Boltz/ Trommsdorff 2022, S. 84 Abb. 2.14: Konsumentenverhalten bei High- und Low-Involvement-Käufen Nicht alle Konsequenzen von Produktkäufen sind aus Sicht des Konsumenten mit Sicherheit vorhersehbar, d.h. Produktkäufe sind mit gewissen Risiken verbunden. Im Vordergrund dieser Risikotheorie (vgl. z.B. Panne 1977; Cunningham 1967; Boltz/ Trommsdorff 2022) stehen dabei finanzielle, soziale, psychische, funktionale und gesundheitliche Risiken. Soziale Risiken entstehen dann, wenn aus Sicht Dritter das „falsche“ Produkt (z.B. eine in der Bezugsgruppe des betrachteten Konsumenten nicht anerkannte Marke) gekauft wurde. Finanzielle Risiken ergeben sich dadurch, dass das Produkt zu einem zu hohen Preis gekauft wurde und anderweitig (z.B. in anderen Geschäften) günstiger erworben werden kann sowie durch die Tatsache, dass durch den Produktkauf auf andere Produkte verzichtet werden muss. Funktionale Risiken beziehen sich auf die eingeschränkte Funktionstüchtigkeit eines Produkts infolge von Qualitätsmängeln, während gesundheitliche Risiken sich aus dem Gebzw. Verbrauch von Produkten (z.B. Tabak, Alkohol) ergeben können. Psychische Risiken münden schließlich in der Unzufriedenheit des Konsumenten mit dem Produktkauf. Inwiefern derartige Risiken kaufverhaltenswirksam werden, hängt von <?page no="69"?> Das Käuferverhalten 47 den Persönlichkeitsmerkmalen des Konsumenten (Selbstvertrauen, Risikobereitschaft usw.) sowie von den Produktmerkmalen (Neuheitsgrad, Verwendungserfahrung, soziale Bedeutung des Produkts usw.) ab (vgl. Berndt 1996, S. 75). Die Persönlichkeit des Individuums kann umfassend mit Eigenschaften wie Dominanz, Selbstständigkeit, Nachgiebigkeit, Geselligkeit, Anpassungsfähigkeit, Abwehrverhalten, Risikobereitschaft und Selbstvertrauen umschrieben werden (vgl. z.B. Kassarjian/ Sheffet 1981). Derartige Eigenschaften bewirken im Zeitablauf recht gleichbleibende und konsistente Reaktionen eines Menschen auf seine Umwelt. Gleichzeitig prägen sie damit die Produkt- und Markenwahl von Konsumenten. Ebenfalls wird das Kaufverhalten vom Selbstbild eines Individuums bestimmt, welches als komplexe Vorstellung eines Menschen von sich selbst verstanden werden kann (z.B. vernunftorientierter, preisbewusster Konsument). Dieses Selbstbild weicht in der Regel sowohl vom Idealbild, welches man von sich hat, ab, als auch von dem vermuteten Fremdbild, welches andere über einen selbst besitzen. Anwendung findet die Vorstellung eines Selbstbildes insbesondere in der Werbung, indem Personen als selbstbewusst, dominant usw. dargestellt werden. Bei den psychologischen Faktoren kann zwischen aktivierenden und kognitiven Determinanten unterschieden werden. Aktivierende Prozesse versorgen ein Individuum mit Energie und führen zu Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit (vgl. Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2019, S. 54 ff.). Aktivierung geht damit einher mit inneren Erregungszuständen, welche auf einen Kontinuum von Tiefschlaf (Nullwert) bis Panik (Maximalwert) reichen. Zurückzuführen ist die Aktivierung eines Menschen auf Reizwirkungen, welche emotionaler (z.B. Darstellung nackter Menschen in der Werbung), kognitiver (z.B. gedankliche Konflikte bzw. Widersprüche, wenn eine Aufgabe nicht oder nicht in der vorgegebenen Zeit gelöst werden kann) oder physischer Natur (Sinneswahrnehmungen durch Fühlen, Riechen, Hören, Schmecken oder Sehen von als angenehm oder unangenehm empfundenen Dingen) sein können. Motive (Bedürfnisse) hingegen richten das Verhalten von Konsumenten konstant auf ein Ziel aus. Sie umfassen aktivierende Komponenten als auch kognitive Elemente. Beispielsweise wird „Durst“ als ein innerer Spannungszustand empfunden, der durch das Wissen, eine Bedürfnisbefriedigung durch Einnahme von bestimmten Getränken erreichen zu können, abgebaut werden kann. Dass ein Motiv überhaupt Bedeutung erlangt bzw. aktualisiert wird, kann auf die Aktiviertheit eines Konsumenten zurückgeführt werden. Damit ist die Aktiviertheit ein Grundbaustein bzw. Voraussetzung für Motive als komplexere, kognitive Vorgänge. Emotionen sind psychische Erregungen, Gefühle und Empfindungen, welche innerlich erlebt werden (vgl. Izard 1981). Zu den emotionalen Grundhaltungen zählen z.B. Interesse, Freude, Scham, Überraschung, Zorn, Kummer, Geringschätzung, Furcht, Ehre und Schuldgefühl. Emotionen erfüllen dabei drei Funktionen (vgl. Boltz/ Trommsdorff 2022, S. 97 ff.): die Antriebsfunktion, d.h. Emotionen beeinflussen das menschliche Verhalten, die Nachrichtenfunktion, d.h. Gefühle fungieren als innere Nachrichten über die Bedeutung von Signalen und lösen dadurch Denken und Handeln aus, sowie die Kommunikationsfunktion, da Gefühle von physischen Ausdrucksformen begleitet werden und somit Basis des beobachtbaren Verhaltens sind. Gemessen werden Emotionen sowohl durch apparative Verfahren (z.B. Hautwiderstandsmessungen, Messungen der Pupillenerweiterung bzw. -verengung) als auch durch verbale Verfahren (z.B. semantisches Differential). Verbale Messungen sind notwendig, da apparative Verfahren nur etwas über die Stärke von Emotionen aussagen können, jedoch keine Aussagen über die Richtung <?page no="70"?> 48 Verhalten von Marktteilnehmern (angenehm/ unangenehm) oder die Inhalte der Emotionen zulassen. Emotionen spielen auf vielen Produktmärkten insofern zunehmend eine Rolle, da die objektiv-technische Qualität von Produkten sich immer mehr angleicht. Hier kann eine Differenzierung der eigenen Produkte gegenüber dem Konkurrenzangebot durch eine sogenannte „emotionale Aufladung“ der Produkte erfolgen, beispielsweise durch eine entsprechende Produktpositionierung, welche durch eine adäquate Kommunikationsstrategie unterstützt wird. Erfolgreiche diesbezügliche Beispiele lassen sich auf dem Markt für Zigaretten oder Bier finden. Eine besondere Rolle sowohl im Rahmen der Konsumentenverhaltenstheorien als auch in der alltäglichen Unternehmenspraxis spielen Einstellungen, da sie einerseits als verhaltensprägend angesehen werden, andererseits vergleichsweise gut messbar sind. Unter einer Einstellung versteht man die innere Bereitschaft eines Individuums, gegenüber bestimmten Reizen eine relativ stabile positive oder negative Reaktion zu zeigen (vgl. Berndt 1996, S. 46). Gemäß der 3-Komponenten-Theorie der Einstellung umfassen Einstellungen eine affektive, kognitive und konative Komponente (vgl. Boltz/ Trommsdorff 2022, S. 137f.): die affektive Komponente umfasst die mit der Einstellung verbundene gefühlsmäßige Einschätzung eines Objekts, die kognitive Komponente beinhaltet die mit der Einstellung verbundenen Gedanken bzw. das subjektive Wissen über das Einstellungsobjekt, die konative Komponente schließlich stellt die mit einer Einstellung verbundene Verhaltensintention (z.B. Kaufabsicht) dar. Die Verhaltensintention schließlich mündet in einem bestimmten realen Verhalten, welches jedoch - z.B. auf Grund situativer Faktoren wie Zeitdruck, Geldmangel o.ä. - von der (ursprünglichen) Verhaltensintention abweichen kann. Damit haben Einstellungen einen direkten Einfluss auf das tatsächliche Verhalten von Konsumenten. Abb. 2.15 erläutert die Zusammenhänge. In engem Zusammenhang mit dem Einstellungsbegriff steht das Image; häufig werden beide Begriffe synonym benutzt. Unter einem Image kann generell eine ganzheitliche, mehrdimensionale Einstellung einer Person oder Personengruppe gegenüber einem Meinungsgegenstand (z.B. Produkt, Marke, Unternehmen) verstanden werden. Images sind wie Einstellungen nicht nur kognitiv, sondern auch emotional bzw. umfassen auch affektive Komponenten. Ausgangspunkt aller kognitiven Prozesse ist die Wahrnehmung. Damit eine Wahrnehmung überhaupt stattfinden kann, ist vorher eine Aktivierung des Individuums notwendig. Die Wahrnehmung selbst umfasst dabei den Vorgang der Aufnahme und Selektion von Informationen sowie deren Organisation (Gliederung und Strukturierung) und Interpretation durch das Individuum (vgl. Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2019, S. 95). Damit eine Wahrnehmung überhaupt stattfindet, muss in der heutigen Welt der Reizüberflutung, welche sich in einem Information- Overload (Nichtwahrnehmung vorhandener Informationen) der Konsumenten äußert, ein bestimmter Schwellenwert der Reizintensität überschritten werden. Weitere kognitive Determinanten des Konsumentenverhaltens sind das Denken und das Lernen. Denken umfasst das Verarbeiten wahrgenommener Sachverhalte. Lernen hingegen beinhaltet das systematische Erkennen und Ändern von Verhalten, welches auf wahrgenommene und durchdachte Reize bzw. Informationen zurückzuführen ist. Die Lerninhalte werden dabei im Gedächtnis gespeichert. Nach dem 3-Speicher-Modell können hier der sensorische Speicher, der Kurzzeitspeicher sowie der Langzeitspeicher identifiziert werden (vgl. Kroeber-Riel/ Gröppel- Klein 2019, S. 258 f.). Der sensorische Speicher fungiert als Ultrakurzzeitspeicher und ist mit der <?page no="71"?> Das Käuferverhalten 49 Tatsächliches Verhalten Einstellung Verhaltensintention Affektive Komponente Kognitive Komponente : Komponenten der 3-Komponenten-Theorie Quelle: In Anlehnung an Boltz/ Trommsdorff 2022, S. 155 Abb. 2.15: Das Konstrukt der Einstellung nach der 3-Komponenten-Theorie sinnlichen Wahrnehmung von Informationen beschäftigt. Die Auswahl, Interpretation und Verknüpfung aufgenommener Reize erfolgt dabei ungerichtet. Die Speicherkapazität ist sehr groß, die Speicherdauer jedoch kurz (max. 1 Sekunde). Der Kurzzeitspeicher stellt den eigentlichen Arbeitsspeicher dar, in dem Reize ausgewertet und zu Informationen umgewandelt werden. Hierzu kann auf Inhalte des Langzeitspeichers zurückgegriffen werden. In diesen Langzeitspeicher werden die verarbeiteten Informationen überführt, oder aber sie werden nach einigen Sekunden gelöscht. Der Langzeitspeicher schließlich stellt das eigentliche Gedächtnis dar, dessen Hauptfunktion nicht in der Verarbeitung, sondern in der Speicherung von Reizen bzw. Informationen besteht. Inhalte, die in diesen Speicher gelangt sind, gehen nicht mehr verloren. Lassen sich Inhalte des Langzeitspeichers nicht mehr in Erinnerung bringen, so wird dies nicht auf eine Elimination bzw. Vergessen dieser Inhalte zurückgeführt, sondern auf eine - häufig momentane - Nichtzugriffsmöglichkeit auf diese Information. Als Ursache für diese Nichtzugriffsmöglichkeit wiederum werden in der Regel Interferenzen (Informationsüberlagerungen) angegeben. Abb. 2.16 zeigt das 3-Speicher-Modell im Überblick auf. 2 2.1.2.3 Der Kaufentscheidungsprozess Kaufentscheidungen bestehen nicht nur aus dem eigentlichen Kaufakt, sondern umfassen mehrere Phasen, die der Konsument durchläuft. Abb. 2.17 zeigt die Struktur eines derartigen Kaufentscheidungsprozesses in idealtypischer Weise auf. Dieses Sechs-Stufen-Modell, welches von der Problemerkennung ausgeht, über die Informationssuche, Bewertung der Produktalternativen, Kaufabsicht bis zur Kaufentscheidung führt und schließlich im Nachkaufverhalten mündet, gilt insbesondere für High-Involvement-Käufe, welche einem extensiven Kaufentscheidungsprozess unterliegen. Grundsätzlich können einzelne Phasen stark zeitlich verkürzt bzw. sogar übersprungen werden. Bei Impulskäufen können beispielsweise die Phasen „Informationssuche“ sowie „Bewertung der Produktalternativen“ ausgelassen werden. Im Regelfall werden jedoch sämtliche Phasen durchlaufen, wobei je nach Art der Kaufentscheidung die einzelnen Phasen mehr oder <?page no="72"?> 50 Verhalten von Marktteilnehmern Reize (Informationen) Sensorischer Speicher (Ultrakurzzeitspeicher) Informationsaufnahme Affektive (quasi-automatische) Informationsverarbeitung Kurzzeitspeicher kognitive (bewusste) Informationsverarbeitung kurzfristige Informationsspeicherung Löschung der Information Langzeitspeicher Langfristige Informationsspeicherung Drop-out Weitergabe Bereitstellung von Informationen Quelle: In Anlehnung an Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2019, S. 105 Abb. 2.16: Das 3-Speicher-Modell <?page no="73"?> Das Käuferverhalten 51 weniger stark ausgeprägt sind (zu den Typen von Kaufentscheidungen vgl. auch Abschnitt 2.1.1 in diesem Teil). Grundsätzlich gilt dabei, dass die einzelnen Phasen interdependent sind, d.h. der Kaufentscheidungsprozess wird nicht systematisch von Stufe zu Stufe durchlaufen, sondern es bestehen Rückkopplungen. Resultieren beispielsweise aus der Bewertung der Produktalternativen nur unbefriedigende Ergebnisse, so kann dies dazu führen, dass auf die Stufe der Informationssuche Problemerkennung Informationssuche Bewertung der Produktalternativen Kaufabsicht Kaufentscheidung Verhalten nach dem Kauf Situative Faktoren } eigentlicher Kaufakt Interdependenz Abb. 2.17: Der Kaufentscheidungsprozess <?page no="74"?> 52 Verhalten von Marktteilnehmern zurückgesprungen wird und nach weiteren Produktalternativen gesucht wird. Eventuell erfolgt auch ein Sprung zurück zur Problemerkennung, indem das Problem bzw. das Bedürfnis neu definiert wird, wenn erkannt wird, dass die Bewertung der alternativen Produkte nur zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Entsprechende Rückkopplungen sind auch für die anderen Stufen des Kaufentscheidungsprozesses möglich Grundsätzlich können also einzelne Stufen neben dem Normalfall des einmaligen Durchlaufs auf Grund von Rückkopplungen bzw. Interdependenzen mehrmals durchlaufen werden oder aber auch wie dargestellt übersprungen werden. Aus Sicht des Anbieters ist es wichtig, die Marketing-Aktivitäten nicht nur auf den eigentlichen Kaufakt von Konsumenten auszurichten, sondern den gesamten Kaufentscheidungsprozess zu betrachten. So kann die Informationssuche des Konsumenten beispielsweise durch Zurverfügungstellung von aussagekräftigem Informationsmaterial (z.B. Prospekte, Online-Informationen im Internet) vereinfacht werden. Die Bewertung der Produktalternativen wird erleichtert, wenn der Anbieter die kaufentscheidungsrelevanten Kriterien beim jeweiligen Produkt darlegt, und deren Ausprägungen für das eigene Produkt angibt. Auf diese Weise wird ein Vergleich mit alternativen Produkten vereinfacht. Darüber hinaus ist die Berücksichti gung des Verhaltens der Konsumenten nach dem Kauf im Rahmen des After-Sales-Marketing wichtig, um eine hohe Kundenzufriedenheit und eine starke Kundenbindung zu erzielen (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.5 in diesem Teil). Zu beachten ist, dass situative Faktoren bewirken können, statt des ursprünglich beabsichtigten Produkts tatsächlich ein anderes Produkt zu kaufen. So kann durch die Beratung eines Verkäufers im Fachhandel die ursprüngliche Produktpräferenz revidiert werden. Auch die Wahrnehmung eines Sonderangebots (z.B. durch einen sehr günstigen Preis) kann dazu führen, dass ein anderes als das eigentlich geplante Produkt gekauft wird. Derartige situative Faktoren entziehen sich häufig dem Einfluss des Anbieters. 22.1.2.4 Modelle des Konsumentenverhaltens 2.1.2.4.1 Überblick In der einschlägigen Literatur zum Konsumentenverhalten finden sich zahlreiche Ansätze, welche das Kaufverhalten von Konsumenten abbilden. Diese Modelle versuchen, das Konsumentenverhalten zu beschreiben und zu erklären, um darauf aufbauend Prognosen ableiten zu können, wie sich Konsumenten zukünftig unter den jeweils gegebenen Bedingungen verhalten werden. Abb. 2.18 gibt einen Überblick über die generellen Modelle des Konsumentenverhaltens (zu den grundlegenden Modelltypen zur Abbildung des Konsumentenverhaltens vgl. auch Abschnitt 2.1.2.1 in diesem Teil). 2.1.2.4.2 Strukturmodelle des Konsumentenverhaltens Bei den Strukturmodellen des Konsumentenverhaltens kann zwischen Partialmodellen und Totalmodellen unterschieden werden. Während Partialmodelle dadurch charakterisiert sind, nur eine Determinante bzw. wenige ausgewählte Determinanten des Konsumentenverhaltens explizit in die Analyse einzubeziehen, versuchen Totalmodelle, möglichst alle kaufverhaltensrelevanten Determinanten simultan zu erfassen. 2.1.2.4.2.1 Partialmodelle Partialmodelle des Konsumentenverhaltens lassen sich dahingehend unterscheiden, ob Vorgänge innerhalb des Konsumenten (intrapersonelle Partialmodelle) oder Interaktionen zwischen Konsumenten (interpersonelle Partialmodelle) Gegenstand der Betrachtung sind. <?page no="75"?> Das Käuferverhalten 53 Modelle des Konsumentenverhaltens Strukturmodelle Stochastische Modelle Simulationsmodelle Teilstochastische Modelle Vollstochastische Modelle Partialmodelle Totalmodelle Systemansätze Entscheidungsnetzansatz Intrapersonelle Partialmodelle Interpersonelle Partialmodelle Abb. 2.18: Modelle des Konsumentenverhaltens <?page no="76"?> 54 Verhalten von Marktteilnehmern 2.1.2.4.2.1.1 Intrapersonelle Partialmodelle Bei den intrapersonellen Partialmodellen lassen sich zunächst mikroökonomische Partialmodelle und psychologische Partialmodelle unterscheiden. Kennzeichen mikroökonomischer Partialmodelle des Konsumentenverhaltens ist die Tatsache, dass von einem völlig rational handelnden Individuum ausgegangen wird, welches Kaufentscheidungen bewusst und durchdacht vornimmt (homo oeconomicus). Derartige mikroökonomische Partialmodelle basieren auf der Haushaltstheorie, welche der Frage nachgeht, welche Mengen welcher Produkte bzw. Güter bei gegebenem Budget und gegebenen Produktpreisen nachgefragt werden unter der Zielsetzung der Maximierung des Nutzens des Individuums bzw. Haushalts. Die Nutzenfunktion selbst hängt dabei (positiv) von den Mengen der nachgefragten Produkte ab, welche es im Rahmen des Modells zu bestimmen gilt. Der formale Ansatz zu dieser Problemstellung ist in Abb. 2.19 wiedergegeben. Kritisch zu hinterfragen sind die Prämissen dieses Ansatzes: Die Annahme eines ausschließlich rational handelnden Individuums wird der Realität nicht gerecht. Die Nutzenfunktion, welche die Präferenzstruktur des Individuums wiedergibt, ist empirisch schwierig zu bestimmen. Es wird volle Markttransparenz unterstellt, d.h. die zur Bedürfnisbefriedigung geeigneten Produkte sowie deren zugehörige Preise sind den Individuen vollständig bekannt. Bestimmte Kaufentscheidungstypen (z.B. Impulskäufe) können mit diesem Ansatz nicht abgebildet werden. Insgesamt ist der Aussagegehalt dieses mikroökonomischen Partialmodells für reale Fragestellungen des Konsumentenverhaltens daher als vergleichsweise gering einzustufen. Allerdings ergibt sich ein gewisser Aussagewert für das Marketing durch folgenden Sachverhalt (vgl. Berndt 1996, S. 58 f.): Variiert man den - zunächst als konstant angenommenen - Preis eines bestimmten Produkts, so lässt sich bestimmen, wie das Individuum unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Nutzenmaximierung und bei gegebenem Budget darauf reagieren wird. Auf diese Weise lassen sich individuelle Preisabsatzfunktionen ermitteln, welche nach Aggregation über eine Mehrzahl von Konsumenten zu einer Gesamtmarkt-Preisabsatzfunktion entwickelt werden können. Diese Gesamtmarkt-Preisabsatzfunktion kann dann beispielsweise zur Auffindung gewinnmaximaler Produktpreise herangezogen werden (vgl. auch Abschnitt 2.2.2.2.3.2.1 im 3. Teil). Zu den psychologischen Partialmodellen des Konsumentenverhaltens zählen u.a. die Motivtheorie, die Einstellungstheorie, die Risikotheorie sowie die Theorie der kognitiven Dissonanz. Die Motivtheorie Nach der Maslowschen Motivtheorie sind Bedürfnisse in einer vom höchsten bis zum geringsten Dringlichkeitsgrad abgestuften Hierarchie angesiedelt (vgl. Maslow 1975). Maslow unterscheidet dabei zwischen physiologischen Bedürfnissen, Sicherheitsbedürfnissen, sozialen Bedürfnissen, Prestigebedürfnissen sowie dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Abb. 2.20 zeigt den Aufbau dieser Bedürfnishierarchie mit zugehörigen Beispielen auf. <?page no="77"?> Das Käuferverhalten 55 Symbole: U: Nutzen i: Index für Güter ( i = 1, ..., n) p i : Preis pro Einheit des Gutes i x i : (zu bestimmende) Beschaffungsmenge des Gutes i B: Budget Ausgangsansatz: U = U (x 1 ,... , x i , ..., x n ) Max! unter der Bedingung Optimalitätsbedingungen erster Ordnung: Lagrange-Funktion: ! ,... ,..., 1 1 Max B x p x x x U n i i i n i B x p i n i i 1 n ,..., 1 i 0 p x U x ! i i i 0 B x p ! n 1 i i i Quelle: Berndt 1996, S. 58 Abb. 2.19: Mikroökonomischer Optimierungsansatz zur Bestimmung der nutzenmaximalen Nachfragemenge von Produkten Ausschlaggebend für das Verhalten sind die jeweils wichtigsten Bedürfnisse. Dabei werden die Bedürfnisse in der Maslowschen Bedürfnispyramide von unten nach oben nacheinander verhaltensrelevant. Sind die physiologischen Bedürfnisse befriedigt, werden die Sicherheitsbedürfnisse relevant. Sind auch die Sicherheitsbedürfnisse befriedigt, so verlieren diese bis auf weiteres ihre motivierende Wirkung und die sozialen Bedürfnisse steuern das Verhalten einer Person. Dabei wird zwischen Defizit- und Wachstumsbedürfnissen unterschieden. Während Defizitbedürfnisse bzw. -motive ihre Verhaltensrelevanz verlieren, wenn sie entsprechend erfüllt worden sind, bleibt das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung auf der obersten Ebene der Bedürfnishierarchie als Wachstumsmotiv stets verhaltensrelevant. Je nachdem, auf welcher Stufe ein Individuum steht, lässt sich auf diese Weise ein bestimmtes Verhalten erklären. Während beispielsweise eine Person viel Zeit und Energie in die Anerkennung durch Dritte investiert, strebt eine andere Person nach <?page no="78"?> 56 Verhalten von Marktteilnehmern persönlicher Sicherheit. Mit der Maslowschen Motivtheorie werden dem Anbieter Hinweise darauf gegeben, wie sich verschiedene Produkte in Ziele und das Leben potenzieller Kunden einfügen. Herzberg hingegen formulierte eine Zwei-Faktor-Motivationstheorie (vgl. Herzberg 1966). Er unterscheidet zwischen „Satisfaktoren“ und „Dissatisfaktoren“. Satisfaktoren stellen Befriedigung verursachende Faktoren dar, Dissatisfaktoren hingegen sorgen für Unzufriedenheit. Beispielsweise sorgt ein Produkt, für welches ein Anbieter keine Garantie bzw. Gewährleistung übernimmt, für Unzufriedenheit. Würde das Produkt mit der Gewährleistung versehen werden, Bedürfnis nach Selbstverwirklichung (z.B. Entfaltung der Persönlichkeit, Kreativität) Prestigebedürfnisse (z.B. Status, Selbstachtung, Anerkennung durch Dritte) Soziale Bedürfnisse (z.B. Zugehörigkeitsgefühl, Zuneigung und Liebe) Sicherheitsbedürfnisse (z.B. Geborgenheit, Schutz der Person, Erhaltung der Erwerbsfähigkeit, Alterssicherung) Physiologische Bedürfnisse (z.B. Nahrung, Schlaf, Erhaltung der Gesundheit) Abb. 2.20: Maslowsche Bedürfnishierarchie Defizitmotive Wachstumsmotiv <?page no="79"?> Das Käuferverhalten 57 welche andere Anbieter in dem jeweiligen Produktmarkt üblicherweise offerieren, so würde sich jedoch nicht automatisch Zufriedenheit einstellen, da sich das Produkt in dieser Hinsicht dann nicht vom Konkurrenzangebot unterscheidet und der Konsument ohnehin von einer Gewährleistung im jeweiligen Umfang ausgeht. Zufriedenheit hingegen würde sich einstellen, wenn das Produkt in einem aus Sicht des Konsumenten relevanten Kriterium besonders gut abschneidet (z.B. Spritverbrauch beim Auto), möglicherweise besser als die meisten anderen Produkte im jeweiligen Produktmarkt. Aus Sicht eines Anbieters bedeutet dies, dass er Dissatisfaktoren unbedingt vermeiden muss (z.B. mangelnder Kundenservice, komplizierte Handhabung des Produkts) und gleichzeitig zufriedenheitstiftende, kaufmotivierende Faktoren erkennen und bereitstellen muss. Abb. 2.21 zeigt die Bedeutung von Satisfaktoren und Dissatisfaktoren im Überblick auf. Art des Motivationsfaktors Satisfaktoren Dissatisfaktoren Existenz vorhanden nicht vorhanden vorhanden nicht vorhanden Resultat Zufriedenheit keine (Un-) Zufriedenheit Unzufriedenheit keine (Un-) Zufriedenheit Kaufwirkung (potenzieller) Kauf keine Auswirkung Nichtkauf keine Auswirkung Abb. 2.21: Satisfaktoren und Dissatisfaktoren nach der Herzbergschen Motivtheorie Die Einstellungstheorie Der Einstellungstheorie kommt im Marketing eine besondere Bedeutung zu (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.2 in diesem Teil). Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass dieses Konstrukt eine der am häufigsten herangezogenen Variablen zur Erklärung des Konsumentenverhaltens ist und auch heute noch in der kommerziellen Marktforschung - insbesondere als Imagebegriff - eine beherrschende Rolle innehat (vgl. Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2019, S. 198 ff.). Zur Ermittlung einer Einstellung gegenüber einem Objekt ist die Art der Messung wichtig. Eine weit verbreitete Methode zur Einstellungsmessung ist das Semantische Differential (vgl. Osgood/ Suci et al. 1957). Hierzu verwendet man eine Menge von gegensätzlichen Eigenschaftswörtern, die mit einer Rating-Skala verknüpft werden. Bei Rating-Skalen handelt es sich um einfache Skalen, mit deren Hilfe die Stärke einer Zustimmung bzw. Ablehnung ausgedrückt werden kann. Abb. 2.22 zeigt zwei alternative Skalierungen für eine Rating-Skala, wobei die Messwerte i.A. als metrisch aufgefasst werden, d.h. die Abstände zwischen den Zahlen können als gleich große Intervalle interpretiert werden (vgl. Bortz/ Schuster 2010, S. 23). <?page no="80"?> 58 Verhalten von Marktteilnehmern Wie schätzen Sie die Marke X ein? 1 2 3 +2 4 5 +1 0 -1 -2 sehr gut sehr gut gut gut durchschnittlich durchschnittlich schlecht schlecht sehr schlecht sehr schlecht Alternative Skala: Abb. 2.22: Alternative Rating-Skalen 1 2 3 4 5 6 7 schwer gut leise glücklich schnell stark leicht laut traurig langsam schwach schlecht Andy Warhol Lila Pause Saarland Quelle: Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2013, S. 272 Abb. 2.23: Auszug aus einem Semantischen Differential für drei Einstellungsobjekte <?page no="81"?> Das Käuferverhalten 59 1 2 3 4 5 6 7 8 sicher / unsicher billig / teuer modisch / zeitlos umweltfreundlich/ -feindlich aggressiv / friedlich fortschrittlich / rückständig fremd / heimisch Die Skala bedeutet (Bsp.): 1 extrem sicher 2 sehr 3 etwas 4 kaum 5 kaum (unsicher) 6 etwas 7 sehr 8 extrem unsicher Legende: ESSO JET ARAL FANAL SHELL Quelle: Hüttner/ Schw arting 2002, S. 117 Abb. 2.24: Ein Imagedifferential für Benzinmarken <?page no="82"?> 60 Verhalten von Marktteilnehmern Die bei einem Semantischen Differential herangezogenen Wortgegensatzpaare sind nicht wörtlich, sondern im übertragenen Sinne zu verstehen. Dadurch lassen sie sich auf unterschiedliche Konzepte beziehen. Abb. 2.23 zeigt, wie sich unterschiedliche Einstellungsobjekte (Andy Warhol, Saarland, Lila Pause) auf einem Semantischen Differential einordnen lassen. Hierbei kann es sich um die Einschätzung einer einzelnen Person handeln oder um die Gruppenantwort einer Personenmehrheit. Im letzteren Fall sind die auf den Rating-Skalen des Semantischen Differentials abgetragenen Werte dann Durchschnittswerte (arithmetisches Mittel). Offensichtlich können Wortgegensatzpaare, welche weitgehend unabhängig vom einzuschätzenden Objekt sind, zu Interpretationsschwierigkeiten führen. Daher wurden ersatzweise Imagedifferentiale vorgeschlagen, welche objektbezogene Wortgegensatzpaare verwenden. Abb. 2.24 zeigt ein beispielhaftes Imagedifferential. Sowohl Semantische Differentiale als auch insbesondere Imagedifferentiale werden häufig in der betrieblichen Marktforschung angewandt, da sie ein vergleichsweise einfaches Messinstrument darstellen, gleichzeitig aber auf optischem Wege unmittelbar verdeutlichen, wo die Stärken und Schwächen der eigenen Marke bzw. des eigenen Produkts (oder Unternehmens) liegen. Hierfür können Konkurrenzprodukte herangezogen werden, um die Einstellung bzw. das Image im Vergleich zur Konkurrenz feststellen zu können (vgl. Abb. 2.24). Alternativ (aber auch zusätzlich) können die Probanden auch nach ihrer Idealausprägung im Hinblick auf die verwendeten Wortpaare (Items) befragt werden und festgestellt werden, wie weit die eigene Marke (und die Konkurrenzmarken) von dieser Idealausprägung bei den einzelnen Items entfernt sind. Eine sehr spezielle Technik zur Einstellungsmessung stellen Multiattributmodelle dar, mittels derer auf formalem Wege ein Einstellungswert einer Person gegenüber einem Einstellungsobjekt bestimmt werden kann. Abb. 2.25 stellt derartige Multiattributmodelle im Überblick dar. In Abb. 2.26 finden sich für das Fishbein-Modell, das Rosenberg-Modell sowie das Trommsdorff- Modell beispielhafte Fragen mit zugehörigen Skalen, welche die Art der Messung verdeutlichen. Um zu einem Gesamteinstellungswert einer Person k gegenüber dem Produkt i (E ik ) zu gelangen, sind neben dem in Abb. 2.26 dargestellten Item (Langlebigkeit eines Personal Computers) weitere diesbezüglich relevante Items (z.B. Speicherkapazität, Rechnergeschwindigkeit, Stromverbrauch usw.) heranzuziehen. Im Hinblick auf eine Beurteilung dieser Multiattributmodelle gilt, dass alle Ansätze additiver Natur sind, d.h. der Gesamteinstellungswert ergibt sich aus der Summation der Einzelbewertungen der jeweiligen Items. Dies unterstellt einerseits, dass die verwendeten Items unabhängig voneinander sein müssen, andererseits gilt die Kompensationsprämisse, d.h. schlechte Bewertungen eines Items können durch gute Bewertungen bei anderen Items ausgeglichen werden (vgl. Brockhoff 1999, S. 52). Da im Regelfall nicht Einstellungswerte einzelner Personen relevant sind (E ik ), sondern von Personenmehrheiten, muss zudem noch eine Aggregation erfolgen. Hierzu können wieder arithmetische Mittelwerte der einzelnen E ik über alle befragten Personen bestimmt werden. Alternativ kann eine Cluster-Analyse durchgeführt werden, um Personengruppen identifizieren zu können, die in sich homogen, zwischen einander jedoch heterogen sind (zur Cluster- Analyse vgl. Abschnitt 3.1.4.3.5 in diesem Teil). In Abb. 2.27 finden sich abschließend typische Anwendungsbereiche für die Einstellungsmessung im Marketing. <?page no="83"?> Das Käuferverhalten 61 Name Modellaufbau E ik =Einstellung der Person k gegenüber Produkt i Bedeutung der Modellbestandteile kognitiver Bestandteil aus Sicht der k-ten Person bezüglich Produkt i motivationaler oder affektiver Bestandteil aus Sicht der k-ten Person Fishbein Rosenberg adequacy importance adequacy value Trommsdorff E ik = W ijk U ijk E ik = W ijk U jk wie oben wie oben E ik = |I jk - R ijk | W ijk = Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der j-ten Eigenschaft W ijk = Zielbedeutung der j-ten Eigenschaft (Eignung zur Befriedigung des jten Motivs) W ijk = Eindruck vom Vorhandensein der j-ten Eigenschaft wie oben R ijk = Real wahrgenommene Ausprägung der j-ten Eigenschaft am i-ten Produkt U ijk = Bewertungs- oder Bedeutungsgewicht der j-ten Eigenschaft bei Produkt i U jk = Wahrgenommene Instrumentalität der j-ten Eigenschaft zur Zielerreichung (Wichtigkeit) U jk = Empfundene Wichtigkeit der j-ten Eigenschaft U jk = Bewertung der j-ten Eigenschaft I jk = Als ideal empfundene Ausprägung der j-ten Eigenschaft Quelle: In Anlehnung an Brockhoff 1999, S. 53 Abb. 2.25: Einstellungsmessung mittels Multiattributmodellen j j j Die Risikotheorie Ausgangspunkt der Risikotheorie als Käuferverhaltensmodell ist die Tatsache, dass Kaufentscheidungen mit Konsequenzen verbunden sind, welche vom Konsumenten nicht mit Sicherheit vorhersehbar sind. Ausschlaggebend ist dabei nicht das objektive, sondern das mit der Kaufentscheidung verbundene subjektiv wahrgenommene Risiko (Bauer 1976). Zu unterscheiden ist dabei zwischen finanziellen Risiken (Produkt in einem anderen Geschäft günstiger zu erwerbenbzw. genereller Verlust an Freiheitsgraden beim Konsum für andere Produkte durch Geldausgabe), sozialen Risiken (fehlende Anerkennung des gekauften Produkts im Freundeskreis), funktionalen Risiken (Mängel am Produkt mit der Folge einer eingeschränkten Funktionsfähig- <?page no="84"?> 62 Verhalten von Marktteilnehmern Trommsdorff-Modell: Wie langlebig ist der Personal Computer der Marke X ? überhaupt sehr nicht langlebig langlebig Wie langlebig ist ein idealer Personal Computer? überhaupt sehr nicht langlebig langlebig Abb. 2.26: Rating-Skalen zur Messung von Einstellungswerten nach dem Fishbein-, Rosenberg- und Trommsdorff-Modell Fishbein-Modell: Dass der Personal Computer der Marke X langlebig ist, halte ich für sehr sehr unwahrscheinlich wahrscheinlich Wenn der Personal Computer der Marke X langlebig ist, so ist das für mich sehr sehr schlecht gut Rosenberg-Modell: Dass der Personal Computer der Marke X langlebig ist, halte ich für sehr sehr unwichtig wichtig Wenn ich einen langlebigen Personal Computer erwerben möchte , dann halte ich die Marke X für sehr sehr ungeeignet geeignet <?page no="85"?> Das Käuferverhalten 63 keit), gesundheitlichen Risiken (durch Produktverwendung wie z.B. bei Tabak- oder Alkoholprodukten) und psychischen Risiken (Unzufriedenheit mit Produktkauf) (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.2 in diesem Teil). Ein Ansatz zur Messung der Stärke derartiger Risiken bei Kaufentscheidungen findet sich in Abb. 2.28. Die jeweiligen Kauffolgen sind dabei aus den möglichen Risiken des Produktkaufs abzuleiten (z.B. Haltbarkeit, Funktionsfähigkeit, Wiederverkaufswert eines Produktes). Grundsätzlich versuchen Konsumenten, Risiken aus Kaufentscheidungen zu vermeiden bzw. zu verringern. Diesbezügliche Verhaltensweisen sind (vgl. auch Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2019, S. 110 f.) Markentreue, d.h. Kauf von Produkten, bei denen bereits positive Kauferfahrungen vorliegen, Kauf von anerkannten, zertifizierten Qualitätsprodukten, Kauf von hochpreisigen Produkten, sofern ein (positiver) Preis-Qualitätszusammenhang unterstellt werden kann, Kauf in bekannten Einkaufsstätten (Einkaufsstättentreue), Erwerb von Produkten mit positiven Testergebnissen anerkannter Prüforganisationen (z.B. Stiftung Warentest), Nutzung von Kaufempfehlungen aus dem Bekanntenkreis, wo bereits Kauferfahrungen mit dem betreffenden Produkt bzw. der betreffenden Produktklasse vorliegen. Aus Sicht des Anbieters sind folgende Maßnahmen erwägenswert, um die vom Konsumenten wahrgenommenen Risiken zu verringern: Anbieten von Probepackungen, Einräumung großzügiger Garantiebzw. Rückgabebedingungen, Abb. 2.27: Typische Anwendungsbereiche für die Einstellungsmessung im Marketing - Ermittlung von Einstellungswerten für eigene Produkte, Marken und/ oder Unternehmen, um Vergleiche zu Konkurrenzprodukten, -marken und/ oder -unternehmen vornehmen zu können und auf diese Weisen Stärken / Schwächen des eigenen Angebots bzw. Unternehmens aufdecken und beseitigen (Schwächen) bzw. ausbauen (Stärken) zu können. - Ermittlung von Einstellungswerten für eigene Produkte, Marken und/ oder Unternehmen im Vergleich mit Idealeinstellungen bzw. Idealimages. Auch auf diese Weise werden Stärken/ Schwächen sichtbar , welche beseitigt (Schwächen) bzw. ausgebaut (Stärken) werden können. - Durchführung einer Marktsegmentierung basierend auf Einstellungswerten mittels der Cluster-Analyse - Einstellungswerte als außerökonomische (psychologische) Zielgrößen im Rahmen der Kommunikationspolitik eines Unternehmens - Einstellungsmessungen im Rahmen von Imagetransfers in der Markenpolitik (Markentransfer) <?page no="86"?> 64 Verhalten von Marktteilnehmern Auswahl geeigneter Vertriebskanäle (z.B. Fachhandel), Einschaltung von Referenzpersonen (Testimonials) in Werbekampagnen. Die Theorie der kognitiven Dissonanz Ein weiterer Ansatz im Rahmen der intrapersonellen Partialmodelle zum Konsumentenverhalten stellt die Dissonanztheorie von Festinger (1957) dar (zum aktuellen Stand der Diskussion vgl. auch Frey/ Gaska 1993). Festinger definiert als kognitive Dissonanz das Vorhandensein von nicht zusammenpassenden Kognitionen, wobei Kognitionen einzelne Wissenselemente sein können oder auch komplexere Konstrukte wie Meinungen oder Einstellungen. Generell handelt es sich um eine psychische Spannung, welche als unangenehm empfunden wird. Kognitive Dissonanz kann insbesondere nach Kaufentscheidungen entstehen, wobei als Hauptursachen ein nachträgliches Bedauern (die negativen Aspekte einer gewählten Alternative werden mit den positiven Aspekten einer verworfenen Alternative verglichen) und neue Informationen (Abwertung der gekauften Alternative, positive Berichterstattung über ausgeschlagene Alternative, bessere Informationsquelle) in Frage kommen (vgl. Berndt 1996, S. 77). Wie die Stärke von kognitiver Dissonanz bestimmt werden kann, zeigt Abb. 2.29. Je größer das Maß für die Stärke der kognitiven Dissonanz p i ist, desto mehr widersprüchliche Kognitionen liegen vor und desto stärker ist die kognitive Dissonanz. Vorab gilt es, die relevanten Kognitionen k festzustellen und deren Wichtigkeit a ik aus Sicht von Person i anhand einer numerischen Skala zu bestimmen. R ij = U ijk * W ijk mit R ij : Empfundenes Risiko der Person i bei Kaufobjekt j U ijk : Unsicherheit der Person i bezüglich Kauffolge k bei Kaufobjekt j W ijk : Empfundene Wichtigkeit der Kauffolge k beim Kaufobjekt j durch Person i k Beispiel für die Messung der Unsicherheit: "Sind Sie immer nie sicher, dass das Produkt j, das Sie vorher noch nie benutzt haben, bezüglich der Kauffolge k so gut wie das bisherige Produkt ist? " Beispiel für die Messung der empfundenen Wichtigkeit: "Ist für Sie die Kauffolge k beim Kaufobjekt j sehr wichtig überhaupt nicht wichtig? " Quelle: Berndt 1996, S. 76 Abb. 2.28: Ein Ansatz zur Messung des subjektiv empfundenen Risikos einer Person bei einem Kaufobjekt <?page no="87"?> Das Käuferverhalten 65 Bestimmte Umstände fördern dabei das Entstehen von kognitiven Dissonanzen (vgl. Berndt 1996, S. 78 f.): Bedeutung des Produkts: kognitive Dissonanzen sind umso stärker, je bedeutsamer der Produktkauf (z.B. im Hinblick auf den Preis des Produkts) ist. Kognitive Dissonanzen treten daher insbesondere bei teuren, selten gekauften Produkten auf. Ähnliche Attraktivität der Produkte: Hat das nach einer Wahl abgelehnte Produkt vergleichsweise viele vorteilhafte Eigenschaften, so ist die kognitive Dissonanz größer, als wenn die ausgeschlagene Produktalternative vergleichsweise unattraktiv ist. Eigene Entscheidung und Verbindlichkeit der Wahl: Die Kaufentscheidung muss selbst getroffen und nicht von anderen aufoktroyiert worden sein. Außerdem muss die Entscheidung bindend sein, d.h. ohne die Möglichkeit der Revision. Vorhersehbarkeit der Entscheidungskonsequenzen: Je eher die Kauffolgen hätten vorausgesehen werden können, umso eher tritt eine Dissonanz auf. Dringlichkeit des Entschlusses: Die kognitive Dissonanz fällt im Regelfall umso höher aus, je weniger dringlich die Kaufentscheidung war, da eine bessere und intensivere Kaufvorbereitung in diesem Falle möglich gewesen wäre (z.B. ausführliche Informationssuche). Informiertheit des Konsumenten: Je weniger Informationen bei der Kaufentscheidung tatsächlich berücksichtigt worden sind, desto stärker ist die Dissonanz. Quelle: Hubel 1986, S.53 Abb. 2.29: Messung der kognitiven Dissonanz Definitionen: i : Personen-Index p i : Stärke der kognitiven Dissonanz bei Person i k : Index der Kognitionen (k=1,...,K) a ik : von Person i empfundene Wichtigkeit der Kognition k (für alle i, k) 1, falls Kognition k bei Person i dissonant d ik = 0, falls Kognition k bei Person i konsonant (nicht dissonant) { Stärke der kognitiven Dissonanz bei Person i : K k ik ik K k ik ik i d a d a p 1 1 1 K 1 k ik K d i mit <?page no="88"?> 66 Verhalten von Marktteilnehmern Grundsätzlich versuchen Konsumenten, aufgetretene kognitive Dissonanzen zu vermeiden bzw. zu verringern. Hierzu existieren folgende Verhaltensstrategien (vgl. Kroeber-Riel/ Gröppel- Klein 2019, S. 220 ff.): Konsumenten mit kognitiver Dissonanz nach dem Kauf eines Produkts reagieren mit einer Einstellungsänderung zugunsten des gewählten Produkts und zuungunsten der nicht gewählten Alternative. Im Falle kognitiver Dissonanz kann auch eine Informationsselektion auftreten: Werbung und positive Information über die gewählte Produktalternative werden bevorzugt und intensiv wahrgenommen, während (positive) Informationen über die ausgeschlagene(n) Alternative(n) verdrängt bzw. nicht aufgenommen werden. Im Falle der Informationsaufnahme kann eine subjektive Auswertung bzw. Umbewertung der Information erfolgen z.B. im Sinne der Reduktion der Glaubwürdigkeit einer Informationsquelle, um kognitive Dissonanzen zu reduzieren. Anbieter von Produkten sollten danach trachten, kognitive Dissonanzen bei Konsumenten gar nicht erst entstehen zu lassen. Denkbare Ansatzpunkte lassen sich dabei bei allen Marketing-Instrumenten finden (vgl. Berndt 1996, S. 79 f.): Produktpolitik: Angebot eines ausgewogenen Sortiments, in dem die meisten Konsumenten ein passendes Produkt ihrer Wahl finden. Vermeidung von Sortimentslücken. Preispolitik: Vermeidung von starken Preisdifferenzen für ein und dasselbe Produkt. Auf diese Weise wird vermieden, dass andere Personen das betreffende Produkt günstiger erwerben können als man selbst. Kommunikationspolitik: Durchführung von Nachkaufwerbung (z.B. in Bedienungsanleitungen „Herzlichen Glückwunsch für die Wahl des Produkts XY aus unserem Hause“). Distributionspolitik: Ausgewählte Vertriebspartner (z.B. Fachhandel), welche in Beratungsgesprächen kompetent, sachlich und umfassend informieren. 2.1.2.4.2.1.2 Interpersonelle Partialmodelle Im Gegensatz zu den intrapersonellen Partialmodellen, welche Konsumenten als Einzelpersonen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, analysieren interpersonelle Partialmodelle den Einfluss Dritter auf das Kaufverhalten von Konsumenten. Auf diese Weise werden Umweltfaktoren, welche Einfluss auf das Kaufverhalten von Konsumenten nehmen können, mit berücksichtigt (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.2 in diesem Teil). In Abhängigkeit von der Personenanzahl, der Zugehörigkeit und der Schaffung von Normen können unterschieden werden (vgl. Scheuch 2007, S. 63 ff.) Primär- und Sekundärgruppen, Mitgliedschaftsgruppen und Fremdgruppen sowie Bezugsgruppen und Nicht-Bezugsgruppen. Primärgruppen zeichnen sich durch geringe Größe, engen Kontakt und „Wir-Gefühl“ aus. Die psychologische Nähe und emotionale Bindung der Gruppenmitglieder ist hoch (z.B. Familie, Nachbarschaft, Freunde). Sekundärgruppen hingegen sind größer, die Beziehung zwischen den Gruppenmitgliedern ist unpersönlicher als bei Primärgruppen. Statt emotionaler Bindung bilden Zweck- und Zielorientierung die Klammer für derartige Gruppen (z.B. Parteien, Wirtschaftsver- <?page no="89"?> Das Käuferverhalten 67 bände). Während bei Mitgliedschaftsgruppen eine faktische oder zumindest nominelle Zugehörigkeit vorliegt, ist dies bei Fremdgruppen nicht der Fall (vgl. Bänsch 2002, S. 99). Im Falle faktischer Mitgliedschaft ist das Individuum in die Gruppe integriert und nimmt am Gruppenleben teil, bei nomineller Mitgliedschaft sind dem Individuum die übrigen Mitglieder evtl. sogar gar nicht bekannt (z.B. Großunternehmen, Kirchen, Großgemeinden). Die nominelle Mitgliedschaft kommt bereits dadurch zustande, dass ein Individuum in der Mitgliedsliste geführt wird. Bezugsgruppen (Referenzgruppen) hingegen können Mitgliedschafts- oder Fremdgruppen sein, kennzeichnend ist die Tatsache, dass eine Identifikation mit und eine Beeinflussung durch die Gruppe vorliegt. Bezugsgruppen sind daher alle Gruppen, mit denen sich das Individuum identifiziert und die sein Verhalten beeinflussen, unabhängig von einer bestehenden oder nicht bestehenden Mitgliedschaft. Abb. 2.30 fasst die einzelnen Gruppenarten im Überblick zusammen. Entsprechend der unterschiedlichen Gruppenarten sollen im Folgenden die Kaufentscheidungsfindung in Familien, das Bezugsgruppenmodell, das Meinungsführermodell sowie das Diffusionsmodell als interpersonelle Partialmodelle des Konsumentenverhaltens näher dargestellt werden. GRUPPEN ( Mehrzahl von Personen mit wechselseitigen Beziehungen ) Primärgruppen ( kleine Gruppen ) Mitgliedschaftsgruppen mit faktischer Mitgliedschaft mit nomineller Mitgliedschaft Mitgliedschaftsgruppen Fremdgruppen Fremdgruppen Sekundärgruppen ( große Gruppen ) Bezugsgruppen Nicht-Bezugsgruppen Quelle: Scheuch 2007, S. 65 Abb. 2.30: Gruppenarten <?page no="90"?> 68 Verhalten von Marktteilnehmern Quelle: Die Stern-Bibliothek 1995, S. 23 Abb. 2.31: Rollenverteilung bei Kaufentscheidungen in Partnerschaftshaushalten 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Mann allein Mann hauptsächlich Gemeinsam Frau hauptsächlich Frau allein Gemeinsam Zunehmende gemeinsame Entscheidung Lesebeispiel: 83% der Befragten entscheiden über ihr Urlaubsziel gemeinsam. Der Mann entscheidet in den meisten Fällen über den Kauf von Bier, nur bei 24% der Befragten wird auch diese Entscheidung gemeinsam getroffen. Mann dominant Frau dominant III I II IV Personal-, Homecomputer Bier Spirituosen Sport, Fitness Wertvolle Uhren Wein, Sekt Echter Schmuck Körperpflege Duftwässer Art der Ernährung Kreditkarten Telefon und Zusatzgeräte PKW Wohnungseinrichtung Kleinere elektr. Geräte Heimtextilien Fotokameras Größere elektr. Geräte Hifi-Geräte Urlaubsreisen: Ziele CD, MC, Platten Videogeräte Geldanlagen Versicherungsabschlüsse Fernsehgeräte Urlaubsreisen: Gesellschaft <?page no="91"?> Das Käuferverhalten 69 Kaufentscheidungsfindung in Familien Innerhalb von Familien sind häufig kollektive Kaufentscheidungsprozesse zu beobachten, wobei die Art, die Intensität sowie die jeweilige Aufgabe von Mann, Frau und ggf. Kindern im Rahmen dieser Prozesse variieren können. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Rollenstruktur innerhalb der Familie, d.h. die Tätigkeitsaufteilung zwischen Mann, Frau und Kindern (vgl. Ruhfus 1976; Davis/ Rigaux 1974; Dahlhoff 1980). Abb. 2.31 zeigt, bei welchen Produkten der Mann bzw. die Frau eine dominante Rolle im Kaufentscheidungsprozess einnimmt und welche Produkte gemeinsam gekauft werden. Generell zeigt sich dabei, dass der Mann dominant beim Kauf von Gebrauchsgütern, die technisch sehr komplex sind oder deren Nutzung außerhalb des Hauses stattfindet, die Frau hingegen häufig bei Produkten dominant ist, welche innerhalb des Hauses genutzt werden (vgl. Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2019, S. 466 ff.). Produkte, welche gemeinsam genutzt werden und von größerer Bedeutung sind, werden zudem zunehmend gemeinsam erworben. Eine modellhafte Darstellung der Präferenzbildung für Produkte unter Berücksichtigung des Einflusses von Kindern zeigt Abb. 2.32. Böcker/ Thomas (1983) ermittelten auf diese Weise die Präferenzen für ein Verbrauchsgut (Schokolade) sowie drei teurere Gebrauchsgüter (Fahrräder, Radiowecker, Mopeds). Die Familienmitglieder wurden dabei zweimal befragt: Zunächst nach der ersten Phase der individuellen Urteilsbildung, dann nach der zweiten Phase der gemeinsamen Urteilsbildung. Auf diese Weise konnte der Einfluss der Interaktionen zwischen den Mitgliedern festgestellt werden. Änderungen der Präferenzwerte bei der Mutter bzw. dem Kind wurden auf diese Interaktionen zurückgeführt, wobei diejenige Person, deren Präferenzwerte weniger stark verändert wurden, als die einflussreichere Person bezeichnet wurde. In dynamischer Hinsicht ist darüber hinaus von Bedeutung, in welcher Phase des Lebenszyklus einer Familie sich die jeweils beobachtete Familie befindet. Es ist davon auszugehen, dass sich das jeweilige Einflusspotenzial der Familienmitglieder im Zeitablauf ändert. Diesbezügliche Ergebnisse von Ruhfus (1976) zeigt Abb. 2.33. Jedes Stadium des Familienlebenszyklus ist dabei eng mit bestimmten Konsumstrukturen verbunden. Während bei kinderlosen, jung-verheirateten Ehepaaren der Kauf von Ausstattungs- und Einrichtungsgegenständen im Vordergrund steht, determinieren in der Phase der Ehepaare mit Kleinbzw. Schulkindern kinderspezifische Anschaffungen (Spielzeug, Kinderzimmermöbel usw.) die Konsumstruktur. In der Phase der Ehepaare mit älteren, berufstätigen Kindern entwickeln die Kinder eigene Konsumstile und steuern Kauf- und Konsumerfahrungen für familiale Kaufentscheidungen bei. In der letzten Phase des Familienlebenszyklus, nachdem die Kinder aus der Familie ausgeschieden sind, stehen die Kinder - wenn überhaupt - nur noch beratend für Kaufentscheidungen zur Seite. Hinzu kommt häufig ein Umbruch der Konsumstrukturen bei dem altverheirateten Ehepaar aufgrund von Einkommensminderungen durch den Eintritt in den (erwerbslosen) Ruhestand. Generell gilt jedoch, dass die Bedeutung der Familienmitglieder für individuelle und gemeinsame Kaufentscheidungen abnimmt. Ursächlich hierfür sind folgende gesellschaftlichen Entwicklungen (vgl. Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2019, S. 445 ff.): Es herrscht ein Trend zur zeitweise dezentral lebenden Kernfamilie (Eltern und Kinder) vor. Immer mehr Personen leben als Single (2021: 18,7 Millionen Singles in Deutschland). Die Menschen werden älter (2021: mehr als 29 % der Bevölkerung in Deutschland sind über 60 Jahre). Die Berufstätigkeit der Frau nimmt zu. <?page no="92"?> 70 Verhalten von Marktteilnehmern Der Einfluss von Bezugsgruppen außerhalb der Familie hat sich verstärkt. Der Anteil getrennt wohnender Paare nimmt zu. Das Bezugsgruppenmodell Bezugsgruppen werden als Gruppen beschrieben, mit denen sich das Individuum identifiziert, wobei durch diese Identifikation ein Einfluss auf das (Kauf)Verhalten des Individuums stattfin- Präferenzbildungsprozess Kind - Präferenzwerte - Mentales Modell Gemeinsamer Präferenzbildungsprozess - Präferenzwerte - Mentales Modell Präferenzbildungsprozess Mutter - Präferenzwerte - Mentales Modell Produkte Persönlichkeit, Umwelt Einfluss von Kind Exogene Variable der Erklärung des Einflusses eines Individuums Veränderungen der Idealvorstellungen der Mutter infolge des Einflusses des Kindes Entscheidungsprozesse Datenfluss für Analyse Fortgang des Präferenzbildungsprozesses Analyseprozeduren Einflussvariablen Quelle: Böcker/ Thomas 1983, S. 247 Abb. 2.32: Erfassung der Präferenzbildung in Familien bei einer Mutter-Kind-Situation <?page no="93"?> Das Käuferverhalten 71 det. Der Bezugsgruppeneinfluss übt zusammen mit anderen sozialen Einflüssen einen Anpassungsdruck auf das Individuum aus, wodurch das Individuum zu bezugsgruppenkonformem Verhalten gezwungen wird. Damit erfüllen Bezugsgruppen grundsätzlich auch eine normative Funktion, wobei diese Funktion häufig begleitet wird von einer Vergleichsfunktion, indem das Konsumverhalten, Wertvorstellungen und Verbrauchs-gewohnheiten anderer als Maßstab für das eigene Verhalten dienen (vgl. Meffert 1992, S. 83 f.). Dieser Vergleichsprozess kann zur Folge haben, dass sich das Individuum an das (höhere) Konsumniveau der Bezugsgruppe anpasst. Dies ist insbesondere der Fall, wenn als Bezugsgruppe aus Sicht des jeweiligen Individuums höhere soziale Schichten fungieren. In diesem Zusammenhang ist der „demonstrative Konsum“ zu nennen, der die Zugehörigkeit zu einer höheren Schicht signalisieren soll (Duesenberry-Effekt). Trotz gleichbleibender Preise und ohne Veränderung des Einkommens steigen dann die Konsumausgaben. Ähnlich gelagert ist der sog. Veblen-Effekt, welcher einem hohen Preis einen hohen Nutzen zuordnet, d.h. dass der Preis selbst zu einem positiven (und nicht wie üblich negativen) Produktnutzen bzw. zu Nutzenzuschlägen (statt -abschlägen) führt. Hier wird bereits deutlich, dass kinderlose jungverheiratete Ehepaare Ehepaare mit Kleinkindern Schulkindern berufstätigen Kindern kinderlose altverheiratete Ehepaare Relativer Einfluss auf Kaufentscheidungen 100 % Quelle: Ruhfus 1976, S. 118 Abb. 2.33: Der relative Entscheidungseinfluss von Familienmitgliedern im Ablauf des Lebenszyklus einer Familie Mann Frau Kind <?page no="94"?> 72 Verhalten von Marktteilnehmern ein Bezugsgruppeneinfluss insbesondere bei sozial auffälligen Produkten gegeben ist. Sozial auffällige Produkte sind sichtbare Produkte, welche von anderen beachtet werden. Produkte werden in erster Linie dann beachtet, wenn sie (noch) keine weite Verbreitung gefunden haben, aber allgemein als wünschenswert angesehen werden. Dies galt beispielsweise vor einigen Jahrzehnten für das Automobil, heute ist dieser Effekt nur noch in abgeschwächter Form zu finden, da ein PKW inzwischen zum Alltagsgut mit weiter Verbreitung geworden ist. Gleichzeitig wird deutlich, dass sozial auffällige Produkte im Zeitablauf wechseln. Wesentlicher Faktor hierfür ist das Ausmaß der Diffusion eines Produkts in der Gesellschaft (vgl. auch die Ausführungen zur Diffussionstheorie am Ende dieses Abschnitts 2.1.2.4.2.1.2). Selbst wenn ein Produkt inzwischen weit verbreitet ist, so kann über die Markenwahl jedoch noch ein Aufmerksamkeitseffekt erzielt werden. Zu unterscheiden ist demnach zwischen der Produktart und der Marke. Bearden/ Etzel (1982) greifen diesen Gedanken auf und unterteilen Produkte weiter in „Luxusgüter vs. Alltagsgüter“ sowie „öffentlich konsumierte Güter vs. privat konsumierte Güter“. Einteilungskriterium für die erste Gruppenart ist die Verbreitung der Produkte, für die zweite Gruppenart deren Sichtbarkeit für Dritte. Hierdurch entstehen 4 Segmente, welche Abb. 2.34 verdeutlicht. Dabei gilt, dass die Tatsache, ob ein Gut ein Alltags- oder ein Luxusprodukt ist, vor allem den Bezugsgruppeneinfluss auf die Wahl des Produkts bestimmt; ob es öffentlich oder privat konsumiert wird und dadurch auffällig ist oder nicht, bestimmt den Bezugsgruppeneinfluss auf die Wahl der Marke (vgl. Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein 2019, S. 479 ff.). Der stärkste Bezugsgruppeneinfluss besteht im rechten oberen Quadranten, der schwächste Einfluss im linken unteren Feld. Im Hinblick auf die Anwendung des Bezugsgruppeneinflusses im Marketing ist insbesondere die Werbung und der Verkauf zu nennen. Vorab ist im Rahmen der Produkt- und Preispolitik dafür zu sorgen, dass es sich um ein sozial möglichst auffälliges Produkt handelt (z.B. ungewohnte Farben, neues Design, besonders hoher Preis). In der Werbung können dann Bezugsgruppen als Produktnutzer Verwendung finden, nach denen sich der Einzelne richten soll. Auch Hinweise auf Konsumentenmehrheiten, welche das Produkt bereits erworben haben bzw. nutzen, können einen derartigen Anpassungsdruck im Hinblick auf einen Produktkauf ausüben. Im Rahmen des persönlichen Verkaufs schließlich kann auf Bezugsgruppen (Nachbarn, Freunde, Prominente usw.) hingewiesen werden, welche das betrachtete Produkt ebenfalls bereits gekauft haben. Das Meinungsführermodell Ein weiterer interpersoneller Erklärungsansatz des Käuferverhaltens besteht in dem Meinungsführermodell. Unter Meinungsführer versteht man Mitglieder einer Gruppe, welche im Rahmen des Kommunikationsprozesses einen stärkeren Einfluss als andere ausüben und damit in der Lage sind, die Meinung anderer zu beeinflussen oder zu ändern (vgl. Meffert 1992, S. 95). Ihnen werden folgende Eigenschaften zugeschrieben (vgl. Scheuch 2007, S. 68): hohe Kontaktanzahl, Funktion als Quasi-Experte, d.h. der Meinungsführer wird nach seiner Meinung oder Empfehlung gefragt, Meinungsführer geben Empfehlungen und Informationen, Meinungsführer suchen selbstständig Informationen über einen Themenbereich oder Produktbereich. <?page no="95"?> Das Käuferverhalten 73 Die hohe Kontaktanzahl sowie die aktive Teilnahme an Interaktionsprozessen zwischen Individuen führen dazu, dass Meinungsführern eine Schlüsselrolle innerhalb des Kommunikationsprozesses zukommt. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der Multiplikatorfunktion von Meinungsführern. Abb. 2.35 verdeutlicht die kommunikativen Beziehungen im Rahmen des Meinungsführerkonzepts. Wie anhand der Abbildung deutlich wird, können Ratsuchende ebenfalls als Meinungsführer (2. Grades) fungieren, wenn sie die Informationen, welche sie vom Meinungsführer 1. Grades erhalten haben, weitergeben. Zu beachten ist, dass auf diese Weise auch Personen erreicht werden können, welche auf Grund starker Skepsis gegenüber allem Neuen und Fremden oder auf Grund von Bequemlichkeit Kommunikationsaversionen besitzen und daher nicht über unpersönliche Kommunikation (Massenmedien) oder persönliche Kommunikation (Verkäufer) ansprechbar sind (vgl. Bänsch 2002, S. 104). Meinungsführer besitzen gegenüber anderen einen Informationsvorsprung, welcher durchaus auch als „informelle Macht“ angesehen werden kann. Die Meinungsführerschaft bezieht sich dabei häufig nicht auf ein einzelnes Produkt bzw. eine Produktart, sondern auch auf diejenigen öffentlicher Konsum + Alltagsgut: schwacher Einfluss Luxusgut: starker Einfluss auf Produktwahl auf Produktwahl öffentl. Konsum: starker öffentl. Konsum: starker Einfluss auf Markenwahl Einfluss auf Markenwahl Autos Golfclub Herrenanzüge Segelboot Armbanduhren usw. usw. Alltags- Luxusgüter güter - + Alltagsgut: schwacher Einfluss Luxusgut: starker Einfluss auf Produktwahl auf Produktwahl priv. Konsum: schwacher priv. Konsum: schwacher Einfluss auf Markenwahl Einfluss auf Markenwahl Matratzen Antiquitäten Eisschrank Sorbetmaschinen usw. usw. privater Konsum Quelle: Bearden/ Etzel 1982, S. 185 Abb. 2.34: Bezugsgruppeneinfluss auf Kaufentscheidungen für Produkte und Marken <?page no="96"?> 74 Verhalten von Marktteilnehmern Produkte, welche in einem Interessenverbund zueinander stehen (z.B. Kosmetika, Bekleidung, Bekleidungsaccessoires). Aus Sicht von Unternehmen ist insbesondere die Identifikation von Meinungsführern wichtig. Hierzu existieren folgende Verfahren: der soziometrische Test, Auskunft von Schlüsselinformanten sowie die Selbsteinschätzung der Befragten. Der soziometrische Test (vgl. Moreno 1995) versucht, per Befragung die faktischen Interaktionen zwischen Personen festzustellen. Die Probanden werden gefragt, von wem sie jeweils im Hinblick auf den interessierenden Untersuchungsgegenstand Informationen einholen würden bzw. wen sie um Rat fragen würden. Die Ergebnisse dieser Befragung können dann in einem Kommunikator Inaktive Meinungsführer 1. Grades Meinungsführer 2. Grades (Ratsucher) Gefolgsleute Quelle: Bänsch 2002, S. 106 Abb. 2.35: Kommunikative Beziehungen im Rahmen des Meinungsführerkonzepts <?page no="97"?> Das Käuferverhalten 75 Soziogramm festgehalten werden, welches diese Interaktionsstrukturen graphisch wiedergibt (vgl. Abb. 2.36). Die Pfeile in Abb. 2.36 sind so zu interpretieren, dass beispielsweise die Person 5 die Person 3 fragen würde. Offensichtlich existieren im Beispiel von Abb. 2.36 zwei Interaktionsgruppen A und B, welche weitgehend isoliert voneinander sind. Innerhalb der beiden Gruppen ist offensichtlich Person 3 (Gruppe A) bzw. Person 9 (Gruppe B) ein Meinungsführer. Das Schlüssel-Informanten-Verfahren beginnt mit der Eingangsanweisung, in der jeweiligen Gruppe diejenige Person herauszufinden, welche einen besonders guten Überblick über die Gruppe besitzt. Diese Person (Schlüsselinformant) wird dann im nächsten Schritt befragt, wer Meinungsführer innerhalb der betreffenden Gruppe ist. Die hohe Subjektivität und geringe Validität des Verfahrens führen jedoch dazu, dass diese Vorgehensweise nahezu keine praktische Relevanz besitzt. A B 1 2 3 4 5 6 7 10 8 9 11 12 13 14 Isolierte Person Abb. 2.36: Beispielhaftes Soziogramm zur Abbildung von Interaktionsbeziehungen <?page no="98"?> 76 Verhalten von Marktteilnehmern Im Falle der Selbsteinschätzung werden den Probanden Fragen mit etwa folgendem Wortlaut vorgelegt (vgl. z.B. Bruhn 1978, S. 193): „Haben Sie den Eindruck, dass Sie allgemein von Freunden oder Nachbarn als gute Quelle für Ratschläge betrachtet werden? “ „Wenn Sie mit Freunden diskutieren, welche Rolle spielen Sie meistens? Hören Sie hauptsächlich zu, was Ihre Freunde sagen, oder versuchen Sie, Ihre Freunde von Ihren eigenen Ideen oder Meinungen zu überzeugen? “ „Wenn Sie sich mit Ihren Freunden vergleichen, werden Sie ungefähr genauso gern oder mehr oder weniger gern um Ratschläge gefragt? “ Im Regelfall werden derartige Fragen bezogen auf konkrete Produkte bzw. Produktbereiche. Aus dem Antwortverhalten der Probanden lassen sich dann Rückschlüsse dahingehend ziehen, wer als Meinungsführer in Frage kommt und wer nicht. Die individuelle namentliche Feststellung von Meinungsführern ist auf Massenmärkten im Regelfall nicht möglich. Hier verlässt man sich auf die Meinungsführer auszeichnenden Merkmale wie „Persönlichkeitsstärke“, „Kommunikationsverhalten“ oder „Involvement“, welche häufig Mediaanalysen entnommen werden können. Auf kleineren Märkten (z.B. im Investitionsgüterverbrauch) hingegen ist der gezielte, personenbezogene Einsatz von Meinungsführern ein gangbares Konzept. Schließlich besteht eine andere Möglichkeit darin, Meinungsführer zu kreieren, indem konkrete Personen (z.B. bekannte Sportler bewerben ein sportnahes Produkt) oder abstrakte Personen (z.B. ein Arzt empfiehlt ein bestimmtes Medikament) als Testimonials im Rahmen der sog. Leitbildwerbung eingesetzt werden. Konsumenten übernehmen dann Verhaltensweisen vom Leitbild (Vorbild bzw. Meinungsführer) auf Grund von Beobachtung, indem sie deren Verhalten im Sinne einer positiven Verstärkerfunktion imitieren. Typische Kennzeichen von Leitbildern, welche alternativ oder kombinativ auftreten können, sind (vgl. Bänsch 2002, S. 109): Attraktivität, Bekanntheit in Verbindung mit Beliebtheit/ Popularität, Sachkompetenz/ fachliche Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Ähnlichkeit (wahrgenommene oder erwünschte/ angestrebte). Aktuell hat das Meinungsführermodell wieder verstärkte Bedeutung durch das Influencer-Marketing gewonnen. Unter Influencer-Marketing versteht man den Einsatz von Meinungsführern für werbliche Zwecke in sozialen Medien (vgl. Hotz-Behofsits/ Wlömert/ Abou Nabout 2018, S. 18 ff.). Hierdurch versprechen sich Unternehmen eine höhere Werbewirksamkeit insbesondere bei jungen Zielgruppen, da diese über klassische Medien (z.B. TV) immer schlechter erreichbar sind. Konkret veröffentlichen bei dieser Werbeform Social Media-Nutzer werbliche Inhalte wie Bilder, Videos oder Musik auf Online-Plattformen. Die Anzahl der Nutzer (Follower, Subscriber bzw. Abonnenten) wird dabei weltweit auf insgesamt mehrere hundert Millionen Personen geschätzt, wobei grundsätzlich jeder Social Media-Nutzer Influencer werden kann. Über die tatsächliche Werbewirkung von Influencer-Marketing besteht allerdings aufgrund fehlender wissenschaftlicher Studien (noch) weitgehend Unklarheit (vgl. zum Influencer-Marketing auch Abschnitt 2.3.5.12 im 3. Teil). <?page no="99"?> Das Käuferverhalten 77 Das Diffusionsmodell Die Diffusionstheorie (vgl. Rogers 1983; Pechtl 2014; Bass 1969; Fantapié Altobelli 1991) befasst sich mit der Verbreitung einer Innovation (z.B. eines neuen Produkts) in einem sozialen System im Zeitablauf. Kennzeichnend für die Diffusionstheorie ist die Tatsache, dass eine unterschiedliche Akzeptanz einer Innovation bei den Konsumenten vorliegt. Konkret werden fünf Klassen unterschieden (vgl. Fantapié Altobelli 1991, S. 28): Klasse I: Innovatoren, Klasse II: frühe Annehmer, Klasse III: frühe Mehrheit, Klasse IV: späte Mehrheit, Klasse V: Nachzügler. Gemäß der „Trickle-Down-Theorie“ wird der Diffusionsprozess von den Innovatoren (als Meinungsführer bzw. Leitbildgruppe) in Gang gesetzt. Diese fungieren als Antriebskraft für die frühen Annehmer, diese wiederum ziehen die frühe Mehrheit nach sich usw. Kriterien, welche die Innovationsbereitschaft von Individuen beeinflussen, sind (vgl. Lilien/ Kotler 1983, S. 74 f.; Kaas 1973, S. 24 ff.): demographische Merkmale (Einkommen, Bildungsniveau, Lebensstandard usw.), Persönlichkeitsmerkmale (Selbstbewusstsein, Wagemut, Spontaneität, Neugierde usw.) sowie Merkmale des sozialen Verhaltens (Aufgeschlossenheit, Weltoffenheit, Kontaktfreudigkeit usw.). Im Rahmen der Diffusionstheorie sind verschiedene analytische Modelle entwickelt worden. Besondere Beachtung hat dabei das Modell von Bass (1969) gefunden, welches wie folgt formuliert ist: (1) t t t d N a b N N N d t mit: t d N d t : Bestandszuwachs in der Periode t (Neuadaptionen einer Innovation in Periode t bzw. Absatzmenge eines neuen Produktes in der Periode t) t N : Bestand in Periode t N : Sättigungsbestand (Marktpotenzial) , a b : Wachstumskoeffizienten. Durch Integration der Gleichung (1) gelangt man zum kumulierten Bestand bzw. Absatz in Periode t. Abb. 2.37 zeigt den kumulierten Bestand sowie den jeweiligen Bestandszuwachs einer Innovation nach dem Bass-Modell für eine beispielhafte Parameterkonstellation. In der Literatur finden sich vielfältige Erweiterungen derartiger Diffusionsmodelle. Mögliche Erweiterungen bestehen insbesondere in der Einführung eines sich im Zeitablauf verändernden <?page no="100"?> 78 Verhalten von Marktteilnehmern Marktpotenzials sowie der Berücksichtigung von Marketing-Instrumenten (z.B. Preis, Werbung) im Rahmen des Diffusionsprozesses (vgl. z.B. Fantapié Altobelli 1991). Die Einsatzmöglichkeiten der Diffusionstheorie sind vielfältig (vgl. Berndt 1996, S. 91 f.): Offensichtlich besteht zunächst die Möglichkeit, Prognosen über die Bestandsentwicklung bzw. den Absatz von Produkten durchzuführen (vgl. auch Abschnitt 3.3.2.2.4 in diesem Teil). Gleichzeitig ist die Schätzung des noch vorhandenen Marktpotenzials für das betrachtete Produkt (als Differenz zwischen dem Sättigungswert und dem aktuellen Bestand) möglich. Werden schließlich Marketing-Instrumente berücksichtigt, so ist es möglich, kapitalwertmaximierende Strategien (z.B. Preisstrategien, Werbestrategien) abzuleiten. Allerdings ist zu beachten, dass derartige Modelle nur für Güter des einmaligen Bedarfs (langlebige Gebrauchsgüter wie PKW, Computer, Möbel usw.) geeignet sind, da Wiederholungskäufe nicht abgebildet werden. 2.1.2.4.2.2 Totalmodelle Während bei den dargestellten Partialmodellen des Konsumentenverhaltens lediglich ausgewählte Konstrukte und ihre Auswirkungen auf das Käuferverhalten analysiert werden, versuchen Totalmodelle, alle verhaltensrelevanten Konstrukte in einem Modell simultan zu integrieren. Auf diese 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 0 Quelle: Fantapié Altobelli 1991, S. 43 Abb. 2.37: Entwicklung des Bestands und des Bestandszuwachs nach dem Bass-Modell für eine exemplarische Situation 0 ( ) * t N ( ) t N ( ) dt t dN dt t dN * * t (Tausender) dN(t) dt N(t) Periode , <?page no="101"?> Das Käuferverhalten 79 Input Informationsverarbeitungsprozess Entscheidungsprozess Einflussvariable des Entscheidungsprozesses Stimuli Marketerdominiert Andere Externe Suche Umwelteinflüsse -Kultur -Soziale Schicht -Persönliche Einflüsse -Familie -Situative Einflüsse Individuelle Charakteristika -Ressourcen der Konsumenten -Motivation und Involvement -Wissen -Einstellung -Persönlichkeit, Werte und Lebensstil Vor-Kauf- Alternativen- Bewertung Interne Suche Informationssuche Mangelempfinden Nach-Kauf- Alternativen- Bewertung Ausgesetztsein Kauf Unzufriedenheit Zufriedenheit Konsum Aufnahme Akzeptanz Verständnis Aufmerksamkeit G E D Ä C H T N I S Quelle: Engel / Blackwell/ Miniard 2006, S. 85 Abb. 2.38: Das Totalmodell des Konsumentenverhaltens von Engel/ Blackwell/ Miniard <?page no="102"?> 80 Verhalten von Marktteilnehmern Weise soll das Kaufverhalten von Konsumenten vollständig und umfassend erklärt werden. Dabei können zwei Vorgehensweisen unterschieden werden (vgl. Berndt 1996, S. 93): Bei der deduktiven Methode wird auf Basis des gesamten relevanten Wissens über das Konsumentenverhalten ein idealtypisches Modell des individuellen Kaufentscheidungsprozesses entwickelt. Konkret werden Hypothesen über die Strukturierung der „Black Box“ (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.1 in diesem Teil) aufgestellt, welche im zweiten Schritt empirisch überprüft werden sollen. Modelle, welche der deduktiven Methode folgen, sind die sog. Systemansätze. Bei der induktiven Methode hingegen wird zunächst das reale Kaufverhalten während des Einkaufsvorganges empirisch erhoben und anschließend ausgewertet, indem versucht wird, den Kaufentscheidungsprozess in eine graphische Struktur zu überführen. Eine Vorgehensweise, welche sich der induktiven Methode bedient, ist der Entscheidungsnetz-Ansatz von Bettman. 2.1.2.4.2.2.1 Systemansätze Zu den Systemansätzen gehört das Modell von Engel/ Blackwell/ Miniard (2006, S. 153 ff.), welches eine Weiterentwicklung des ursprünglichen Ansatzes von Engel/ Kollat/ Blackwell (1968) darstellt (vgl. Abb. 2.38). Ausgangspunkt des Entscheidungsprozesses ist ein Mangelempfinden seitens des Konsumenten, welches durch eine Divergenz zwischen Ideal- und Realzustand entsteht. Stellt die interne Suche im Gedächtnis ausreichendes Wissen über Alternativen zur Beseitigung des Mangelempfindens zur Verfügung, kann unmittelbar eine Kaufentscheidung getroffen werden. Anderenfalls ist im Rahmen der externen Suche auf Informationen aus den Medien, Verkäufergesprächen, Gesprächen mit Bekannten und Freunden oder Informationen aus der Produktwerbung, Broschüren, Testberichten usw. zurückzugreifen. Engel/ Blackwell/ Miniard unterscheiden dabei zwischen Marketer-dominierten Informationen, welche vom Anbieter gesteuert bzw. verbreitet werden (z.B. Prospekte, Werbung), und sonstigen Informationsquellen. Die Auswertung derartiger Informationen erfolgt in dem Block „Informationsverarbeitungsprozess“ (s. Abb. 2.38). Schließlich findet eine (Vor-Kauf-)Alternativenbewertung im Rahmen des eigentlichen Entscheidungsprozesses statt und es erfolgt dann (im positiven Fall) der Kauf. Betrachtet wird zudem auch die Phase nach dem Kauf, d.h. die Periode der Produktverwendung, welche zur Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit dem Produkt führen kann. Beeinflusst wird der Kaufentscheidungsprozess durch Umwelteinflüsse und individuelle Charakteristika des Konsumenten (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.1.2.2 in diesem Teil). Offensichtlich handelt es sich um ein vergleichsweise komplexes Modell, welches versucht, das Konsumentenverhalten umfassend zu erklären. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass zur Wahrung der Übersichtlichkeit nur die bedeutendsten Konstrukte und auch nur die wesentlichen Beziehungen zwischen den Konstrukten dargestellt werden. Problematisch an diesem Ansatz ist die (offene) Frage, wie die einzelnen Konstrukte zu operationalisieren sind und welcher Art die Beziehungen zwischen den Konstrukten (z.B. linear, nicht-linear) sind. Ein weiteres Totalmodell ist mit dem Systemansatz von Howard/ Sheth (1969) gegeben. Sie unterscheiden im Rahmen eines S-O-R-Ansatzes (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.1 in diesem Teil) zwischen Inputvariablen (Stimuli) und Outputvariablen (Response) und strukturieren die Black Box (O) in Form von Wahrnehmungs- und Lernkonstrukten (vgl. Abb. 2.39). Ausgehend von den Wahrnehmungskonstrukten wird der Konsument mit einer Vielzahl von Stimuli konfrontiert (Ratschlägen von Freunden, Prospektinformationen, Testberichten usw.). Ein aktives Suchver- <?page no="103"?> Das Käuferverhalten 81 Inputvariable Outputvariable Lernkonstrukte Wahrnehmungskonstrukte Signifikante Informationen Qualität Preis Eigenart Service Erhältlichkeit Informationen aus sozialen Quellen Familie Referenzgruppe soziale Klasse Kauf Aufmerksamkeit Markenkenntnis Einstellung Kaufabsicht Suchverhalten Stimulusmehrdeutigkeit Aufmerksamkeit Wahrnehmungsverzerrung Kaufabsicht Grad der Sicherheit Einstellung Entscheidungskriterien Markenkenntnis Motive Zufriedenheit Quelle: In Anlehnung an Howard/ Sheth 1969, S. 30 Abb. 2.39: Das Totalmodell des Konsumentenverhaltens nach Howard/ Sheth + + + + + Informationsfluss Rückkopplungseffekte gemessene Werte Symbolische Informationen Qualität Preis Eigenart Service Erhältlichkeit <?page no="104"?> 82 Verhalten von Marktteilnehmern halten wird dann stattfinden, wenn der Konsument meint, noch nicht über ausreichende Informationen für den Produktkauf zu verfügen. Dabei tritt eine Stimulusmehrdeutigkeit dann auf, wenn die empfangenen (signifikanten) Informationen von den im Gedächtnis gespeicherten (symbolischen) Informationen (z.B. bezüglich des Preises oder der Produktqualität) voneinander abweichen. Dies kann zu einer erhöhten Aufmerksamkeit oder einem erneuten Suchverhalten des Konsumenten führen, um eine Stimulusübereinstimmung generieren zu können. Eng verzahnt mit diesen Wahrnehmungskonstrukten sind die Lernkonstrukte. Die Motive dienen zur Ableitung von Entscheidungskriterien, anhand derer die Alternativen beurteilt werden. Zurückgegriffen wird dabei auf die Markenkenntnis, welche das Wissen um die Existenz der Marken sowie die Kenntnis der Eigenschaften der Marken widerspiegelt. Die Einstellung repräsentiert dabei die Einordnung der Marken im Hinblick auf ihre Fähigkeit zur Motiverfüllung. Je nachdem, wie hoch die empfundene Sicherheit hinsichtlich der Markenkenntnis ausfällt, wird dann eine Kaufentscheidung getroffen (hohe Sicherheit) oder nach weiteren Informationen gesucht (niedrige Sicherheit). Das Ausmaß der Zufriedenheit mit dem Kauf geht schließlich ein in die Markenkenntnis. Im Falle hoher Zufriedenheit findet eine Stabilisierung der (positiven) Einstellung gegenüber der Marke sowie des Sicherheitsempfindens gegenüber der Marke statt. Wie Abb. 2.39 zeigt, bietet das Modell zudem weitere Outputvariablen (neben dem eigentlichen Kauf) an, welche empirischen Messungen zugänglich sind. Auch das Modell von Howard/ Sheth versucht wie das Modell von Engel/ Blackwell/ Miniard, das Konsumentenverhalten umfassend abzubilden und zu erklären. Operationalisierungsprobleme sowie wenig Kenntnisse über die Art und Anzahl der Verknüpfungen zwischen den Variablen führten jedoch zu recht enttäuschenden Ergebnissen bei der empirischen Überprüfung des Modells (vgl. Farley/ Ring 1970). 2.1.2.4.2.2.2 Der Entscheidungsnetz-Ansatz von Bettman Der Entscheidungsnetz-Ansatz von Bettman (1970; 1979) stellt im Gegensatz zu den Totalmodellen von Engel/ Blackwell/ Miniard und Howard/ Sheth ein induktives Verfahren dar. Konkret werden Kaufprotokolle erstellt, indem ein Interviewer aufzeichnet, was der Proband bzw. ein Konsument während seines Weges durch einen Supermarkt äußert (z.B. welche Marken er aus welchen Gründen wählt und welche er zurückweist). Die auf diese Weise geäußerten und protokollierten Gedanken werden anschließend in Form einer Netzwerkstruktur grafisch wiedergegeben. Abb. 2.40 zeigt beispielhaft ein derartiges Netzwerk auf. Es ist u.a. zu erkennen, dass der betrachtete Konsument bei Fleisch und Eiern zunächst auf den Preis achtet, bevor andere Kriterien herangezogen werden. Zu beachten ist, dass ein derartiges Entscheidungsnetz nur für einen einzigen Konsumenten gilt. Um für einen Anbieter interessante Aussagen treffen zu können, sind die Entscheidungsnetze vieler Konsumenten zu aggregieren. In einer anschließenden Cluster-Analyse (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.5 in diesem Teil) kann dann überprüft werden, ob es Gruppen von Konsumenten mit gleichem bzw. ähnlichem Einkaufsverhalten gibt. Beispielsweise könnte ein wesentliches Ergebnis darin bestehen, dass es Konsumenten gibt, welche bei bestimmten Produkten preisorientiert einkaufen, bei anderen Produkten hingegen stärker auf die Qualität achten. Nachteilig an der dargestellten Vorgehensweise ist neben dem hohen Zeit- und Kostenaufwand für die Erstellung <?page no="105"?> Das Käuferverhalten 83 Quelle: Bettman 1979, S. 240 Abb. 2.40: Exemplarisches Entscheidungsnetz nach Bettman X 2 X 1 X 4 X42 X44 X 3 Y Y Y Y N N N N N R R R A X 5 X 6 X 7 Y Y Y A N R N X43 X41 Y Y Y Y X 8 X 9 X10 N N N N A A A Y R R R X15 AR X11 X14 X13 X12 X30 X17 X16 X35 X36 X37 X31 X34 X33 X32 AR X19 X20 X18 X22 X24 X28 X29 X27 X25 X26 X23 X21 N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y A A A A A A A A A A A R R R R R R R R R R R R R R Symbolik: A = Annahme/ Kauf R = Zurückweisung/ kein Kauf AR= Risikoassoziation/ schlechte Erfahrung Y = Ja N = Nein <?page no="106"?> 84 Verhalten von Marktteilnehmern x1 = Ist dies Fleisch oder Gemüse/ Obst? x2 = Liegt der Preis unterhalb der gesetzten Grenze? x3 = Ist die Farbe in Ordnung? x4 = Ist dies das größte unter den akzeptablen? x5 = Sind dies Eier? x6 = Liegt der Preis der extragroßen mehr als 5 Cent über dem der großen? x7 = Ist dies die große Kategorie? x8 = Ist dies die extragroße Kategorie? x9 = Ist dieses Produkt beim letzten Kauf aus dieser Produktklasse gekauft worden? x10 = War die Erfahrung damit gut? x11 = Beinhaltet das Produkt Risiken? x12 = Sind die Risiken für diese Produktklasse hoch? x13 = Haben die Kinder oder der Ehemann spezielle Präferenzen? x14 = Entspricht dies ihren Präferenzen? x15 = Ist dies die billigste Größe? x16 = Spielen bei dieser Produktklasse Gesundheitsfaktoren eine Rolle? x17 = Ist dieses Produkt hinsichtlich dieser Faktoren in Ordnung? x18 = Gilt dies für den Hersteller? x19 = Ist die billigste Marke gut genug? x20 = Ist dies die Billigste? x21 = Liegen gute Erfahrungen mit irgendwelchen Marken dieser Klasse vor? x22 = Ist es diese Marke? x23 = Ist dies die billigste nationale Marke? x24 = Sind die Kinder die Hauptverwender? x25 = Haben sie in dieser Woche eine Präferenz geäußert? x26 = Haben sie dies in den letzten zwei Wochen verwendet? x27 = Ist dies die billigste Größe? x28 = Ist es jene? x29 = Ist dies die billigste die sie auf Lager haben? x30 = Sind verschiedene akzeptable Marken gleich billig? x31 = Ist dies die billigste? x32 = Gibt es einen Kupon für diese? x33 = Ist dies die größte? x34 = Ist da eine einzige nationale Marke? x35 = Ist es diese? x36 = Habe ich sie früher schon verwendet? x37 = Ist dies die naheliegendste? x41 = Erscheint diese in Ordnung? x42 = Ist sie für einen speziellen Zweck? x43 = Ist diese Größe dafür in Ordnung? x44 = Ist dies Gemüse/ Obst? Abb. 2.40: (Forts.) <?page no="107"?> Das Käuferverhalten 85 einer repräsentativen Anzahl von Kaufprotokollen auch die Tatsache, dass sich die Konsumenten bzw. Probanden in einer künstlichen Kaufsituation befinden und ihr Kaufverhalten somit in bestimmtem Ausmaß verzerrt ist. Darüber hinaus stellt dieser Ansatz nicht unerhebliche Anforderungen an die Probanden im Hinblick auf ihre Fähigkeiten, die eigenen Gedankengänge strukturiert wiederzugeben. Eher ungeeignet erscheint diese Vorgehensweise auch für Impulskäufe, da durch die „Verbalisierung“ der Einkaufsvorgang verlangsamt wird und eine Tendenz zu reflektierten, rationaleren Entscheidungen besteht. 2.1.2.4.3 Stochastische Modelle des Konsumentenverhaltens Kennzeichen der stochastischen Modelle des Konsumentenverhaltens ist die Tatsache, dass im Gegensatz zu den Strukturmodellen die „Black Box“ des Konsumenten nicht rekonstruiert bzw. in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt wird, sondern dass sie durch einen Zufallsmechanismus ersetzt wird (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.1 in diesem Teil). Hieraus folgt, dass die verhaltenswissenschaftliche Fundierung der stochastischen Modelle grundsätzlich als geringer anzusehen ist als bei den Strukturmodellen. Je nach dem Ausmaß, in welchem Zufallseinflüsse in das Modell eingehen, unterscheidet man teilstochastische und vollstochastische Modelle des Konsumentenverhaltens. 2.1.2.4.3.1 Teilstochastische Modelle Teilstochastische Modelle ergeben sich aus ökonometrischen Modellen, indem im Rahmen von an sich deterministischen Modellen eine stochastische Größe in Form eines Störgliedes berücksichtigt wird (vgl. Bänsch 2002, S. 141 ff.). Konkret werden Marktreaktionsfunktionen aufgestellt, welche als abhängige Variable eine ökonomische Größe (z.B. Absatzmenge, Umsatz, Marktanteil) und als unabhängige Variable Marketing-Instrumentalgrößen (z.B. Preis, Produktqualität, Werbeausgaben) umfassen. Häufig sind derartige Funktionen linearer oder zumindest linearisierbarer Natur. Ein Beispiel für eine mögliche Marktreaktionsfunktion zeigt die Gleichung (2): (2) t t t t x W p mit: t x = Absatzmenge in Periode t t W = Werbeausgaben in Periode t t p = Preis in Periode t = Parameter t = stochastisches Störglied Per Regressionsanalyse gilt es, die Parameter , und zu ermitteln (vgl. auch Abschnitt 3.1.4.3.3 in diesem Teil). In dem stochastischen Störglied t sind alle (Zufalls-) Einflüsse enthalten, welche sich auf die Absatzmenge t x auswirken, jedoch nicht auf die Werbeausgaben und den Preis zurückzuführen sind. Damit stellt das Störglied t eine Residualgröße dar, welche alle Effekte außer den Preis und die Werbeausgaben auffängt bzw. enthält. Offensichtlich stellen derartige teilstochastischen bzw. ökonometrischen Modelle keine Kaufverhaltensmodelle im engeren Sinne dar, da eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Input bzw. dem Stimulus (Preis, Werbeausgaben usw.) und dem Output bzw. dem Response (Absatzmenge, Umsatz usw.) unter- <?page no="108"?> 86 Verhalten von Marktteilnehmern stellt wird. Die Vorgänge in der „Black Box“ des Konsumenten werden auf diese Weise ausgeklammert. Darüber hinaus werden Marktreaktionsfunktionen wie Gleichung (2) auf Basis von aggregierten Marktdaten erstellt und nicht auf der Grundlage konsumentenindividueller Daten. Aus Sicht des Anbieters ist dies allerdings insofern von Vorteil, als dass individuelle Daten für ihn im Regelfall nicht von Interesse sind. Positiv ist die vergleichsweise einfache Ermittlung von Marktreaktionsfunktionen hervorzuheben, da eine komplexe Strukturierung der „Black Box“ sowie die Schwierigkeit der Operationalisierung der in ihr enthaltenen Konstrukte wie bei den Strukturmodellen des Konsumentenverhaltens entfällt. Ökonometrische Modelle haben in der Praxis daher eine weitreichende Verbreitung gefunden. 2.1.2.4.3.2 Vollstochastische Modelle Vollstochastische Modelle unterstellen, dass der Kaufentscheidungsprozess insgesamt als Zufallsmechanismus angesehen werden kann. Als Hauptgröße dieses Prozesses fungiert die individuelle Kaufgeschichte des Individuums, d.h. das in der Vergangenheit beobachtete Kaufverhalten. Als Output ergibt sich dann eine bestimmte (zu ermittelnde) Kaufwahrscheinlichkeit gegenüber z.B. einer bestimmten Marke. Abb. 2.41 stellt diesen stochastischen Kaufentscheidungsprozess in schematisierter Form dar. Schätzgrößen auf Basis von empirischen Vergangenheitsdaten (z.B. Paneldaten) Stochastischer Prozess Kaufwahrscheinlichkeiten (z.B. gegenüber einer bestimmten Marke) "Black Box" Input Output Abb. 2.41: Schematische Darstellung eines vollstochastischen Kaufverhaltensmodells Im Gegensatz zu den teilstochastischen Modellen handelt es sich bei vollstochastischen Modellen um Mikromodelle, welche auf individuellen Kaufdaten aus der Vergangenheit basieren. Erst durch Aggregation werden sie zu Makrobzw. Gesamtmodellen. Dabei ist zu unterscheiden, in welchem Ausmaß das Kaufverhalten aus der Vergangenheit das zukünftige Kaufverhalten von Konsumenten prägt. Besondere Aufmerksamkeit haben in diesem Zusammenhang das Markoff- Modell sowie das lineare Lernmodell erfahren. Beim Markoff-Modell (Erster Ordnung) wird unterstellt, dass das Kaufverhalten in der Periode t von der Kaufentscheidung der Vorperiode t - 1 abhängt. Konkret wird in diesem Modell von folgenden Prämissen ausgegangen (vgl. Massy/ Montgomery/ Morrison 1970, S. 80 ff.): Pro Periode kauft ein Konsument nur eine Marke der betrachteten Produktklasse in jeweils gleichbleibender Menge. Die Zahl der Marken in der betrachteten Produktklasse ist vorgegeben und ändert sich im Zeitablauf nicht. <?page no="109"?> Das Käuferverhalten 87 Zwischen den Käufen von Marken in der betrachteten Produktklasse besteht eine stochastische Abhängigkeit erster Ordnung. Die Übergangswahrscheinlichkeiten, welche angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit von einer Marke i in t (für i = 1, . . ., m) zu einer Marke j in t + 1 (j = 1, . . ., m) gewechselt wird, sind im Zeitablauf konstant. Es erfolgt eine diskrete Betrachtung der Zeit, d.h. es existieren eindeutige Periodenabgrenzungen. Die erwähnten Übergangswahrscheinlichkeiten können in einer Matrix dargestellt werden. Als Ausgangspunkt zur Ermittlung derartiger Matrizen können Panels herangezogen werden (vgl. auch Abschnitt 3.1.3.3.2.4 in diesem Teil). Ein mögliches Ergebnis eines Panels für einen einfachen 5-Marken-Fall ist im oberen Teil der Abb. 2.42 zu sehen. Durch Relativierung der beobachteten Markenkäufe anhand der Zeilensumme ergeben sich Anteilswerte, welche als Übergangswahrscheinlichkeiten interpretiert werden können. Werte auf der Diagonalen kennzeichnen dabei markentreues Verhalten (auf Kauf einer Marke in t folgt in t + 1 ein Kauf derselben Marke), Werte außerhalb der Diagonalen stellen Markenwechsel dar. Sind nun auch die Ausgangskaufwahrscheinlichkeiten für t = 0 mit (3) 0 0 0 0 0 1 2 3 , , , . . ., m Q Q Q Q Q ; 0 1 1 m i i Q mit 0 i Q = Ausgangskaufwahrscheinlichkeit für Marke i zum Zeitpunkt t = 0 gegeben, so lassen sich die Kaufwahrscheinlichkeiten für die einzelnen Marken für die Folgeperiode t = 1 wie folgt berechnen: (4) 1 0 1 m j ij i i Q P Q für alle j mit: 1j Q = Kaufwahrscheinlichkeit für Marke j in Periode t = 1 ij P = Übergangswahrscheinlichkeit von Marke i zu Marke j Zur Ermittlung der Kaufwahrscheinlichkeiten in t = 2 für die einzelnen Marken werden neben den (konstanten) Übergangswahrscheinlichkeiten die in Zeitpunkt t = 1 gültigen, soeben ermittelten Kaufwahrscheinlichkeiten für die einzelnen Marken herangezogen. Damit gilt: (5) 2 1 1 m j ij i i Q P Q für alle j Durch wiederholtes Fortführen dieser Vorgehensweise lassen sich dann die Kaufwahrscheinlichkeiten für die einzelnen Marken im Zeitablauf für beliebig viele zukünftige Perioden berechnen. Abb. 2.43 zeigt die Entwicklung der Kaufwahrscheinlichkeiten für 5 Marken auf Basis der in Abb. 2.42 gegebenen Übergangswahrscheinlichkeiten und der in Abb. 2.43 angegebenen Ausgangskaufwahrscheinlichkeiten für die Perioden 1 bis 3. <?page no="110"?> 88 Verhalten von Marktteilnehmern Sofern von einer zahlenmäßig konstanten und homogenen Käuferschaft ausgegangen werden kann, können die prognostizierten Kaufwahrscheinlichkeiten in Abb. 2.43 für die einzelnen Marken unmittelbar als deren erwarteter Marktanteil in den einzelnen Perioden interpretiert werden. Multipliziert man den erwarteten Marktanteil einer Marke für eine Periode mit der Anzahl der Käufer (konstant) sowie der Nachfragemenge pro Kauf (konstant), so erhält man zudem eine Aussage über die erwartete Nachfragemenge für eine Marke in der betrachteten Periode. Liegt Abb. 2.42: Absolute Kaufhäufigkeiten und Übergangswahrscheinlichkeiten Matrix 1: Absolute Häufigkeiten als Ergebnis eines Panels 20 60 40 50 30 10 10 80 40 20 50 25 50 100 25 5 5 25 10 5 30 60 90 60 30 1 2 3 4 5 200 160 250 50 270 Kauf in t+1 Marke 1 2 3 4 5 Kauf in t Marke Matrix 2: Übergangswahrscheinlichkeiten (relative Häufigkeiten) 0,1 0,3 0,2 0,25 0,15 0,0625 0,0625 0,5 0,25 0,125 0,2 0,1 0,2 0,4 0,1 0,1 0,1 0,5 0,2 0,1 0,1 0,2 0,3 0,2 0,1 1 2 3 4 5 1 1 1 1 1 Kauf in t+1 Marke 1 2 3 4 5 Kauf in t Marke <?page no="111"?> Das Käuferverhalten 89 beispielsweise eine Käuferschaft auf dem beobachteten Produktmarkt von 50.000 vor und werden im Durchschnitt 2 Einheiten pro Kopf gekauft, so beträgt die erwartete Absatzmenge für eine Marke bei einem erwarteten Marktanteil von 20 % 20.000 Stück. Ist allerdings eine heterogene Käuferschaft (unterschiedliche Ausgangskaufwahrscheinlichkeiten, unterschiedliche Kaufmengen pro Kopf, unterschiedliche Kaufintervalle, andere Übergangswahrscheinlichkeiten) gegeben, so sind zunächst homogene Segmente z.B. mittels der Cluster-Analyse (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.5 in diesem Teil) zu bilden. Innerhalb der einzelnen Segmente kann dann wie dargelegt vorgegangen werden, um Marktanteile oder Absatzmengen für einzelne Marken im Zeitablauf zu prognostizieren. Erweiterungsmöglichkeiten dieses Markoff-Grundmodells sind in vielerlei Hinsicht denkbar. Beispielsweise lässt sich eine „Nullmarke“ in der Matrix der Übergangswahrscheinlichkeiten einführen, welche als Nichtkauf interpretiert werden kann. Auf diese Weise lässt sich abbilden, dass nicht in jeder Periode unbedingt ein Kauf erfolgen muss. Ist davon auszugehen, dass nicht nur Abb. 2.43: Entwicklung von Kaufwahrscheinlichkeiten für 5 Marken im Markoff-Modell erster Ordung 0 0,05 0,1 0,15 0,2 0,25 0,3 0,35 0,4 0,45 0 1 2 3 Marke 1 Marke 2 Marke 3 Marke 4 Marke 5 Kaufwahrscheinlichkeit in Marke t=1 t=2 t=3 1 0,115 0,125 0,132 2 0,187 0,131 0,134 3 0,303 0,354 0,338 4 0,269 0,279 0,286 5 0,125 0,112 0,111 Q t i Ausgangskaufwahrscheinlichkeiten : = 0,4 = 0,15 = 0,2 = 0,15 = 0,1 Q 0 2 Q 0 1 Q 0 3 Q 0 4 Q 0 5 <?page no="112"?> 90 Verhalten von Marktteilnehmern die Vorperiode den Kauf in der laufenden Periode bestimmt, sondern auch weiter zurück liegende Perioden, so können darüber hinaus entsprechend Markoff-Modelle höherer (zweiter, dritter usw.) Ordnung definiert werden. Auch kann die Prämisse der Zeitkonstanz im Hinblick auf die Übergangswahrscheinlichkeiten aufgehoben werden (vgl. Haase 1973). Zudem lassen sich Marketing-Instrumente (Preis, Werbung, usw.) in den Ansatz integrieren, indem Übergangswahrscheinlichkeiten z.B. für unterschiedliche Preishöhen oder Werbebudgets für die einzelnen Marken bestimmt werden. Auf diese Weise wird sichtbar, wie sich die Absatzmengen bzw. Marktanteile der einzelnen Marken im Zeitablauf bei unterschiedlichen (aber im Zeitablauf konstanten) Preisen bzw. Werbebudgets entwickeln. Auch lässt sich der Ansatz dahingehend erweitern, dass nicht nur unterschiedliche Marken betrachtet werden, sondern auch unterschiedliche Einkaufsmengen, Einkaufszeitpunkte und/ oder Einkaufsstätten. Die Matrizen der Übergangswahrscheinlichkeiten sind dann jeweils um diese Dimensionen zu ergänzen bzw. zu erweitern. Anzumerken ist schließlich, dass auf Grund der Notwendigkeit von Wiederholungskäufen die Anwendung des Markoff-Modells sich im Wesentlichen auf Verbrauchsgüter bzw. Güter des täglichen Bedarfs beschränkt. Im Gegensatz zum Markoff-Modell (erster Ordnung) spielen beim linearen Lernmodell (vgl. Kuehn 1962) sämtliche vorgelagerten Käufe für den Kauf einer Marke in der betrachteten Periode eine Rolle. Ausgangspunkt des Ansatzes ist die Überlegung, dass die Wahrscheinlichkeit für Wiederholungskäufe mit der Anzahl der Markenkäufe steigt und umgekehrt. Betrachtet wird dabei nur eine einzige Marke. Abb. 2.44 stellt das lineare Lernmodell graphisch dar. Wesentlicher Bestandteil des Modells ist der Kaufoperator und der Nichtkaufoperator (vgl. Abb. 2.44). Der Kaufoperator kommt zum Tragen, wenn die Marke in Zeitpunkt t gekauft wurde, der Nichtkaufoperator hingegen, wenn die Marke in t nicht gekauft wurde. Die Operatoren sind dabei wie folgt definiert: Kaufoperator: 1 2 2 t t P a P Nichtkaufoperator: 1 1 1 t t P a P mit: 1 2 1 2 , , , a a : Parameter 1 t t P : Kaufwahrscheinlichkeit für die betrachtete Marke in t (t + 1) Beträgt die Kaufwahrscheinlichkeit in t beispielsweise P 1 und wird die Marke tatsächlich gekauft, so erhöht sich die Kaufwahrscheinlichkeit in t + 1 gemäß dem Kaufoperator auf P 2 (vgl. Abb. 2.44). Beträgt die Kaufwahrscheinlichkeit für die betrachtete Marke in t hingegen P 3 und wird die Marke in t nicht gekauft, so verringert sich die Kaufwahrscheinlichkeit in t + 1 auf P 4 . Ein nochmaliger Nichtkauf führt dann zu einer Kaufwahrscheinlichkeit von P 5 in t + 2. Offensichtlich ist, dass die Grenzen P max bzw. P min nicht überbzw. unterschritten werden können. Man spricht in diesen Fällen auch von unvollständigem Lernen bzw. Vergessen. Kritisch zu hinterfragen in diesem Modell ist die Grundannahme, dass Käufe tatsächlich zu einer Erhöhung der Wiederkaufwahrscheinlichkeit führen bzw. Nichtkäufe zu einer Reduzierung der Wahrscheinlichkeiten. Unzufriedenheit mit dem Kauf einer Marke und auch das Bedürfnis nach Abwechslung lassen sich auf diese Weise nicht adäquat abbilden. <?page no="113"?> Das Käuferverhalten 91 2.1.2.4.4 Simulationsmodelle des Konsumentenverhaltens Der Begriff „Simulation“ wird verwendet für Techniken, mit deren Hilfe eine numerische Auswertung eines quantitativen Modells möglich ist. Eine Simulation bietet sich in folgenden Situationen an: Das zugrundeliegende Modell ist sehr komplexer Natur, da es aus einer Vielzahl von Variablen und funktionalen Beziehungen zwischen Variablen besteht. Eine analytische Optimierung ist dann häufig nicht möglich. Man möchte die Sensitivität der Modellergebnisse bei systematischer Variation ausgewählter Modellvariablen ermitteln. Es sollen Langfristwirkungen im Modell in zeitsparender Weise analysiert werden (dynamische Modelle bzw. Mehrperiodenmodelle). Grundsätzlich ist es möglich, z.B. im Rahmen der Totalmodelle des Konsumentenverhaltens sowohl die dargelegten Systemansätze als auch den Entscheidungsnetz-Ansatz einer Simulation zugänglich zu machen (vgl. Abschnitt 2.1.2.4.2.2 in diesem Teil). Dies setzt jedoch voraus, dass die Quelle: In Anlehnung an Berndt 1996, S. 105 Abb. 2.44: Ermittlung von Kaufwahrscheinlichkeiten auf der Grundlage des linearen Lernmodells a 2 a 1 45° - Linie Kaufoperator O 1 Nichtkaufoperator O 2 P t+1 P t P min P max 1 P 5 P 4 P 3 P 2 P 1 1 <?page no="114"?> 92 Verhalten von Marktteilnehmern Systemansätze zunächst in eine quantitative Formulierung überführt werden, d.h. die Variablen des Modells müssen operationalisiert werden und die funktionalen Beziehungen zwischen den Variablen müssen bestimmt werden. Auf diese Weise hat Perry (1974) eine vereinfachte Version des Howard/ Sheth-Modells überprüft. Zwar zeigte das Modell auf aggregierter Ebene über alle Konsumenten und den gesamten Simulationszeitraum gute Ergebnisse, individuelle Kaufgeschichten konnten jedoch nur unzureichend abgebildet werden. Der Entscheidungsnetz-Ansatz besitzt bereits eine quantitative Struktur. Dieses Modell wurde von Bettman in ein Computerprogramm übersetzt. Anschließend wurden die über die einzelnen Konsumenten vorliegenden Informationen eingegeben. Ein Vergleich der Modellergebnisse mit dem tatsächlichen Kaufverhalten zweier ausgewählter Konsumenten zeigte dabei eine hohe Übereinstimmung zwischen Modelloutput und dem realen Kaufverhalten (vgl. Topritzhofer 1974, S. 28). Ebenfalls sind die dargelegten stochastischen Modelle des Konsumentenverhaltens sehr gut geeignet für eine Simulation, da sie von vornherein numerisch formuliert sind bzw. eine quantitative Struktur aufweisen (vgl. Abschnitt 2.1.2.4.3 in diesem Teil). So lässt sich beispielsweise mit nur geringem Aufwand ermitteln, wie die Marktanteilsentwicklung verschiedener Marken im Markoff-Modell bei einer gegebenen Parameterkonstellation aussieht. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit zu analysieren, wie sich Veränderungen in der Parameterkonstellation (z.B. die Übergangswahrscheinlichkeiten) auf die Modellergebnisse auswirken. Ähnliche Anwendungsfelder bieten auch die teilstochastischen (ökonometrischen) Modelle. Frank/ Massy (1971) zeigen im Rahmen eines derartigen Modells auf, wie sich unterschiedliche Marketingaktivitäten auf die jeweiligen Zielvariablen (z.B. Umsatz oder Marktanteil) auswirken. Darüber hinaus existieren „eigenständige“ Simulationsmodelle, welche von vornherein als Simulationsmodelle konzipiert wurden. Einen umfassenden Ansatz stellt das Modell von Amstutz (1967) dar, welches Teilmodelle zur Abbildung des Verhaltens von Hersteller, Großhändler, Einzelhändler, Verkäufer/ Vertreter sowie Konsumenten umfasst. Problematisch an diesem Ansatz ist der enorme Dateninput, welcher sich - wenn überhaupt - nur unter großem Aufwand ermitteln lässt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Validität des Dateninputs sich natürlich niederschlägt in der Validität der Modellergebnisse. Ein valider Modellinput ist damit eine notwendige (nicht jedoch hinreichende) Bedingung für gültige bzw. valide Modellergebnisse. Ein weiteres Simulationsmodell zum Käuferverhalten wurde von Sander (1997a) vorgeschlagen. In diesem Modell wird das Kaufverhalten von Konsumenten in einem internationalen Kontext abgebildet. Konkret wird untersucht, ob bei Vorliegen von Preisdifferenzen für ein Produkt in verschiedenen Ländern Konsumenten unter Berücksichtigung von Transaktionskosten (z.B. Transportkosten) länderübergreifend einkaufen oder nicht. Ziel des Modells ist es, optimale Produktpreise aus Sicht des Anbieters unter Berücksichtigung des länderübergreifenden Arbitrageverhaltens der Konsumenten abzuleiten. Kritisch ist auch hier der hohe Aufwand im Hinblick auf den Dateninput zu hinterfragen. 2.1.2.4.5 Vergleichende Beurteilung der Modelle des Konsumentenverhaltens Nachdem diverse Modelle des Konsumentenverhaltens dargelegt wurden, soll abschließend eine vergleichende Beurteilung dieser Modelle erfolgen. Hierzu werden folgende Kriterien herangezogen: <?page no="115"?> Das Käuferverhalten 93 Kriterien des Gültigkeitsbereiches Beurteilungskriterien Modellart Systemmodelle Partialmodelle Entscheidungsnetzmodelle stochastische Prozess-Modelle (Markoff-Modelle) ökonometrische Modelle eigenständige Simulationsmodelle erhebungstechnische Kriterien verhaltenswissenschaftliche Fundierung Güterkategorie Berücksichtigung des Konkurrenzeinflusses Berücksichtigung absatzpolitischer Instrumente Aggregierbarkeit notwendige Daten und Beschaffbarkeit umfangreiche nicht direkt beobachtbare Variable; Spezialerhebung vergleichsweise unaufwendig; je nach Modell Befragung oder Beobachtung einseitig (nur eine Dimension) modellabhängig möglich gering gering Kaufprotokolle stark Makromodell des Gesamtmarktes möglich möglich Individualmodell, kaum aggregierbar modellabhängig Individualmodell, kaum aggregierbar Kaufprotokolle; Spezialerhebung Umsatz, Ausgaben für absatzpolitische Instrumentalbereiche Verhaltensdaten z.B. über Haushaltspanel modellabhängig unklar ja möglich, jedoch schwierig ja möglich, Zusammenhänge jedoch meist unklar möglich ja alle ja modellabhängig unklar Konsum- und Haushaltsinvestitionsgüter Konsum- und Haushaltsinvestitionsgüter unklar ja alle indirekt Konsum- und (datenabhängig) auch Haushaltsinvestitionsgüter Quelle: In Anlehnung an Topritzhofer 1974, S. 54 f. Abb. 2.45: Vergleichende Beurteilung der Modelle des Konsumentenverhaltens Kriterien des Gültigkeitsbereichs <?page no="116"?> 94 Verhalten von Marktteilnehmern Ausmaß der verhaltenswissenschaftlichen Fundierung, Umfang des notwendigen Dateninputs und Beschaffbarkeit, Aggregierbarkeit der Modelle, Berücksichtigung absatzpolitischer Instrumente, Berücksichtigung des Konkurrenzeinflusses sowie Relevanz nach Produktarten bzw. Güterkategorien. Abb. 2.45 fasst die Beurteilung der behandelten Modelle synoptisch im Hinblick auf die erwähnten Kriterien zusammen. Es zeigt sich, dass die jeweiligen Modellansätze stark unterschiedlich im Hinblick auf die angeführten Kriterien einzuordnen sind. Je nach vorliegender Problemstellung erweisen sich daher bestimmte Modelltypen als eher geeignet bzw. andere Modelltypen als eher ungeeignet. Ein umfassender, allgemeingültiger Ansatz fehlt offensichtlich nach wie vor. Die hohe Flexibilität sowie die stark vorangeschrittene Computertechnologie lassen jedoch insbesondere eigenständige Simulationsmodelle als zukunftsträchtige Alternative erscheinen. Auf das Problem des umfassenden und gleichzeitig validen Dateninputs bei diesen Modelltypen wurde jedoch bereits hingewiesen. 22.1.2.5 Neuere Erkenntnisse der Konsumentenverhaltensforschung 2.1.2.5.1 Zufriedenheit und Beschwerdeverhalten Konsumentenzufriedenheit kann erklärt werden durch die Übereinstimmung zwischen subjektiven Erwartungen an Produkte bzw. Dienstleistungen und der tatsächlich erlebten Motivbefriedigung (vgl. Meffert 1992, S. 115). Die Erwartungen an die Leistung des Angebots werden dabei determiniert durch die Bedürfnisse und eigenen Erfahrungen sowie durch die Mund-zu- Mund-Kommunikation und der Kommunikation durch den Anbieter (Werbung). Durch den Vergleich dieser Leistungserwartung mit der tatsächlich wahrgenommenen Leistung entsteht bei erheblicher negativer Diskrepanz Unzufriedenheit beim Konsumenten, bei starker positiver Diskrepanz hingegen Zufriedenheit. Decken sich Leistungserwartung und Leistungswahrnehmung, so stellt sich Indifferenz ein. Je nach Bewertungsstandard kann sich bei der Übereinstimmung von Leistungserwartung und Leistungswahrnehmung jedoch auch bereits Zufriedenheit einstellen. Abb. 2.46 zeigt das Zusammenwirken der Faktoren bei der Entstehung von Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit auf. <?page no="117"?> Das Käuferverhalten 95 Im Hinblick auf die konkrete Messung von Konsumentenzufriedenheit herrscht ein kaum übersehbarer Methodenpluralismus. Diese reichen von Fokusgruppen über die sog. Critical Incident Technique (CIT) bis hin zu multivariaten statistischen Methoden wie z.B. die Conjoint Analyse (vgl. Stauss 1999, S. 12 ff.; Homburg/ Werner 1996a und 1996b; Hentschel 1992). Dabei sind die Mehrzahl der existierenden Ansätze als komplementär zu bezeichnen, da jeweils unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen und Erklärungsgegenstände vorliegen. Zur umfassenden Analyse des Konsumentenverhaltens bietet sich daher der simultane Einsatz mehrerer Messverfahren an. Abb. 2.47 zeigt im Überblick auf, welche Ansatzpunkte zur Messung der Konsumentenzufriedenheit existieren. Ist ein Konsument unzufrieden, so bestehen für ihn mehrere Handlungsalternativen: Abwanderung zur Konkurrenz (Markenwechsel), negative Mund-zu-Mund-Kommunikation, trotz Unzufriedenheit inaktiv bleiben oder sich gegenüber dem Unternehmen zu beschweren. Welche Handlungsmöglichkeit jeweils ergriffen wird, hängt dabei von den Beschwerdekosten (Zeit- und Kostenaufwand) Bedürfnisse Leistungserwartung Leistungswahrnehmung Anbieterkommunikation Mundkommunikation eigene Erfahrungen Vergleich erhebliche Diskrepanz Unzufriedenheit Indifferenz Zufriedenheit Zufriedenheit ja + ja nein Quelle: In Anlehnung an Stauss/ Seidel 2023, S. 29 Abb. 2.46: Die Entstehung von Zufriedenheit und Unzufriedenheit <?page no="118"?> 96 Verhalten von Marktteilnehmern den Beschwerdenutzen (Umtausch, Bonus, Rückgabe usw.) den Produktmerkmalen (Produktalter, Anschaffungspreis, Nutzungsintensität, Produktpflege usw.), den Problemmerkmalen (z.B. Eindeutigkeit und Nachweisbarkeit eines Defekts) personenspezifischen Merkmalen (z.B. Kommunikations- und Interkaktionsverhalten) sowie situationsspezifischen Merkmalen (z.B. Zeitdruck, Ausmaß alternativer Produktangebote) ab (vgl. Stauss/ Seidel 2023, S. 31 ff.). Die Bedeutung von Konsumentenzufriedenheit bzw. -unzufriedenheit wird aus Abb. 2.48 deutlich. Durchschnittlich ist die Intensität der Mundwerbung höher bei unzufriedenen Konsumenten als bei zufriedenen Konsumenten. Über Negativerfahrungen wird demnach besonders häufig berichtet. Gleichzeitig ist zu erkennen, dass auch zufriedene Konsumenten durchaus eine erhebliche positive Kommunikationswirkung entfalten können. Dies ist insbesondere deswegen von Bedeutung, weil der Mundwerbung generell eine höhere Glaubwürdigkeit zugesprochen wird als der Massenwerbung über Medien. 2.1.2.5.2 Nachkaufprozesse und After-Sales-Marketing Ursprünglich lag der Schwerpunkt des Marketingdenkens in der Gestaltung der Vorkaufphase mit dem Ziel der Erlangung von Kaufabschlüssen. Gegenstand des After-Sales-Marketing (Nachkaufmarketing) hingegen ist die aktive Gestaltung der Nachkaufphase zur Aufrechterhaltung dauerhafter Beziehungsstrukturen (vgl. Plinke 1989, S. 307). Erklärt werden können Nachkaufprozesse, welche sich im Konsumenten abspielen, sowohl durch psychologische als auch soziologische Ansätze. Zu den psychologischen Ansätzen gehören beispielsweise die Messung ohne Bezugnahme auf Kundenprobleme Messung mit Bezugnahme auf Kundenprobleme Objektbezogene Messung Subjektbezogene Messung - Umsatz - Marktanteil - Wiederkaufsraten - Eroberungsdaten - Konsumentenbefragung (Zufriedenheits-Skalen) - Meinungsbefragung von Verkäufern und Absatzmittlern - Häufigkeit von Garantiemängeln - Häufigkeit objektiver Produktmängel - Häufigkeit wahrgenommener Kundenprobleme - Prozess der Beschwerdeführung - Beschwerdezufriedenheit - Häufigkeit von "unvoiced complaints" Quelle: Meffert/ Bruhn 1981, S. 600 Abb. 2.47: Ansatzpunkte zur Messung der Konsumentenzufriedenheit <?page no="119"?> Das Käuferverhalten 97 Beschwerdezufriedenheit und Kommunikationsverhalten Fallstudie Durchschnittliche Intensität der Mundwerbung von ... zufriedenen Beschwerdeführern unzufriedenen Beschwerdeführern Hersteller von Elektrowerkzeugen Bekleidungsversandhändler Öffentlicher Personenverkehr Versicherungsunternehmen Hersteller von Unterhaltungselektronik Hersteller von Kraftfahrzeugen 6 Personen 5 Personen 7 Personen 6 Personen 9 Personen 18 Personen 18 Personen 25 Personen 12 Personen 10 Personen 9 Personen 7 Personen Quelle: Hoffmann 1991, S. 198 Abb. 2.48: Beschwerdezufriedenheit und Kommunikationsverhalten Hypothesentheorie der sozialen Wahrnehmung, die Attributionstheorie, die Theorie der Selbstwahrnehmung, die Theorie der psychologischen Reaktanz, die Equity-Theorie, die Motivationstheorie sowie die Theorie der kognitiven Dissonanz (vgl. hierzu i.E. Scheck 1999, S. 27 ff.). Der Theorie der kognitiven Dissonanz kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da kognitive Dissonanzen unmittelbar verhaltenswirksam werden können (vgl. hierzu Abschnitt 2.1.2.4.2.1.1 in diesem Teil). Relevante soziologische Ansätze sind in dem Bezugsgruppenkonzept sowie der Theorie der Meinungsführerschaft zu erkennen (vgl. Scheck 1999, S. 73 ff. sowie Abschnitt 2.1.2.4.2.1.2 in diesem Teil). Zudem kann die weitere Umwelt in Form der Kultur, der Medien sowie der Gesellschaft als solche das Nachfrageverhalten steuern. Derartige soziologische Ansätze stellen auf die interindividuellen Kommunikationsprozesse ab, welche Nachkaufmarketing-Aktivitäten eines Anbieters sowohl unterstützen als auch konterkarieren können. Sowohl psychologische als auch soziologische Ansätze versuchen, verhaltensrelevante Determinanten herauszukristallisieren. Abb. 2.49 zeigt, welche Determinanten das Nachkaufverhalten von Konsumenten grundsätzlich beeinflussen können. Gleichzeitig verdeutlicht Abb. 2.49, wie sich das Nachkaufverhalten konkret äußert. Diesbezüglich relevante Teilphasen umfassen (vgl. auch Hansen/ Jeschke 1992, S. 99) die eigentliche Produktbzw. Servicenutzung in der Gebzw. Verbrauchsphase inklusive der Entsorgung, das Wiederverkaufsverhalten, das Beschwerdeverhalten sowie das Informations- und Kommunikationsverhalten. <?page no="120"?> 98 Verhalten von Marktteilnehmern SOZIALE UMWELT weitere Umwelt nähere Umwelt - Bezugsgruppen - Meinungsführer - Kultur - Medien - Gesellschaft PRODUKT Relationsmerkmale Eigenmerkmale - Gewicht - Sperrigkeit angebotsseitig konsumentenseitig Quelle: Jeschke 1995, S.157 ff. Abb. 2.49: Determinanten des Nachkaufverhaltens Nachkaufverhalten Wiederkaufverhalten Informations- und Kommunikationsverhalten Beschwerdeverhalten Produkt-/ Servicenutzung Entsorgung/ Weiterverwendung PERSON situative Persönlichkeitsmerkmale generelle Persönlichkeitsmerkmale - Lebensstil sozioökonomische Faktoren demografische Faktoren - Zufriedenheit - Involvement - Risikobereitschaft - Emotionen - Motive - Einstellungen Offensichtlich ist der enge Zusammenhang zwischen den Nachkaufprozessen sowie der Konsumentenzufriedenheit (vgl. den vorangegangenen Abschnitt 2.1.2.5.1). Dies schlägt sich auch in den vom Anbieter verfolgten Nachkaufmarketing-Zielen nieder. Abb. 2.50 zeigt auf, welche konkreten Ziele im After-Sales-Marketing verfolgt werden. <?page no="121"?> Das Käuferverhalten 99 Quelle: Hansen/ Jeschke 1992, S. 93 Abb. 2.50: Ziele des Nachkaufmarketing Vorökonomische Nachkaufziele Ökonomische Nachkaufziele hohe Nachkaufzufriedenheit hohe Beschwerdezufriedenheit hohe Kundenloyalität positive Mundwerbung kundennahes Marken- und Unternehmensimage - Absatz-, Umsatz-, Gewinnsteigerung hohe Kundendeckungsbeiträge minimale Nachkaufkosten hohe Folgekauf- und Wiederkaufrate Zur Erreichung dieser Ziele ist ein entsprechender Nachkaufmarketing-Mix einzusetzen. Dieser Nachkaufmarketing-Mix besteht aus den Bereichen Nachkaufservice, Beschwerdemanagement, Nachkaufkommunikation sowie Redistribution. Abb. 2.51 legt dar, welche Instrumente zu diesen einzelnen Bereichen gehören. Die Zusammenstellung dieser Instrumente hat sich an den Bedürfnissen der Konsumenten zu orientieren. Auf Basis der Einstellungen der Konsumenten (z.B. durch vorangegangene Kontakte mit dem Anbieter) bilden sich Erwartungen an die Interaktion mit dem Anbieter, welche durch die tatsächlich erlebte Interaktion (z.B. im Rahmen eines Umtauschbzw. Rückgabeprozesses) bestätigt werden oder nicht. Sowohl die Erwartungen an die Interaktion als auch die tatsächlich erlebte Interaktion werden dabei vom Nachkaufmarketing-Mix beeinflusst. Als intervenierende Variable zwischen der Diskrepanz dieser beiden Variablen bzw. Konstrukte wird nach Bitner (1990) dabei das Konzept der Kausalattribution angesehen, d.h. die Interpretation von Erfahrungen, mit welchen soziale Ereignisse kausale Ursachen zugeschrieben werden. Der Konsument sucht nach Erklärungen, warum sich Erwartungen nicht erfüllt haben. Folge dieser Ursachenattribution ist die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit der Qualität der Nachkaufmarketing-Leistung des Anbieters. Abb. 2.52 zeigt die Zusammenhänge im Einzelnen auf. 2.1.2.5.3 Neue Kaufverhaltensmuster Die dynamische Veränderung der Rahmenbedingungen, welche u.a. charakterisiert werden kann durch eine enorme Verstärkung des Wettbewerbs auf vielen Produktmärkten (Hyperwettbewerb), Angleichung der Produktqualität mit der Folge der Austauschbarkeit des Produktangebots, zunehmende Markttransparenz infolge neuer Medien (insbesondere Internet), Inflationierung des Produktangebots sowie Informationsüberlastung (information overload) der Konsumenten <?page no="122"?> 100 Verhalten von Marktteilnehmern hat dazu geführt, dass sich neue Kaufverhaltensmuster herausgebildet haben. Zu diesen neuen Kaufverhaltensmustern gehören das Smart Shopping, das Variety Seeking Behavior, das hybride Kaufverhalten das multioptionale Kaufverhalten sowie das Convenience Shopping. Die Smart-Shopper-Mentalität kann mit „Geld sparen = clever“ charakterisiert werden (vgl. Esch/ Wicke 2001, S. 23). Im Gegensatz hierzu ist die ebenfalls weit verbreitete Schnäppchenjäger-Mentalität mit „Geld sparen = billig“ zu kennzeichnen. Smart Shopper versuchen demnach, hochwertige Markenprodukte besonders preisgünstig einzukaufen (vgl. Gröppel-Klein 2001, S. 566). Für sie steht ein hervorragendes Preis-Leistungsverhältnis im Vordergrund. Als Resultat dieses Kaufverhaltensmusters haben sich Factory Outlets erfolgreich etablieren können, welche Markenprodukte deutlich unter dem üblichen Einzelhandelspreisniveau anbieten. Variety Seeking Behavior hingegen beschreibt das Phänomen, dass Konsumenten ein ausgeprägtes Markenwechselverhalten an den Tag legen, obwohl sie mit der Qualität der Produkte bzw. Marke durchaus zufrieden sind (vgl. Helmig 2001, S. 727). Hier steht der Markenwechsel um des Wechselns willen im Vordergrund. Veränderung des Geschmacks oder des Preises zwischen zwei Kaufgelegenheiten spielen damit keine Rolle zur Erklärung des Wechselverhaltens. Erklärt werden kann das Variety Seeking Behavior durch das Konzept des „Optimum Stimulation Level“ (OSL). Nach diesem Konzept tritt beim Konsumenten ein reduziertes Stimulus-Potenzial auf, wenn stets dieselbe Marke bzw. dasselbe Produkt gewählt wird. Konsumenten hingegen streben gemäß dem OSL-Konzept danach, ein bestimmtes Erregungsniveau aufrechtzuerhalten. Dieses Erregungsniveau kann erreicht werden, indem Marken bzw. Produkte gewechselt werden, um neue Produkteigenschaften (z.B. Geschmack bei Lebensmitteln) zu erfahren. Dabei kann auch das Hin- und Herwechseln innerhalb einer Produktart bei bereits bekannten Produktalternativen den individuellen Stimulus-Level steigern. Das jeweils als angenehm empfundene Reizniveau ist interindividuell verschieden (vgl. Koppelmann/ Brodersen/ Volkmann 2001, S. 60). So ist davon Quelle: In Anlehnung an Hansen/ Jeschke 1992, S. 94 Abb. 2.51: Kerninstrumente des Nachkaufmarketing-Mix Nachkaufservice Beschwerdemanagement Nachkaufkommunikation Redistribution - Auslieferung - Installation - Wartung - Reparatur - Kundenschulung - Beschwerdeinput - Fallbearbeitung - Informationsgewinnung - Gebrauchsanweisungen - Nachkaufwerbung - Kundenbindungsprogramme (z. B. Kundenclubs) - Nachkaufberatung - Vollständige/ partielle Produktrücknahme - Recycling - Entsorgung <?page no="123"?> Das Käuferverhalten 101 Nachkaufmarketing- Mix Erlebte Interaktion Bestätigung/ Widerlegung Erwartungen an die Interaktion Nachkaufmarketing- Mix Einstellungen (vorh. Erfahrungen mit Leistungen nach dem Kauf etc.) Attribution Zufriedenheit Wahrgenommene Qualität der Nachkaufmarketing- Leistung Nachkaufmarketing- Mix Wechsel des Anbieters Kundenloyalität Mund-zu- Mund- Propaganda Q u e lle : Bitn e r 1990, S. 71 Abb. 2.52: Die Bedeutung des Nachkaufmarketing-Mix im Modell von Bitner <?page no="124"?> 102 Verhalten von Marktteilnehmern auszugehen, dass Konsumenten mit einer hohen OSL ein sehr starkes Markenwechselbedürfnis haben (und umgekehrt). Gleichzeitig gilt, dass ein wiederholter Erwerb derselben Marke bzw. desselben Produkts das Erregungspotenzial dieser Marke absinken lässt, sodass c.p. die Wiederkaufwahrscheinlichkeit für diese Marke beim nächsten Kaufakt sinkt. Zu beachten ist, dass das Variety Seeking Behavior-Konzept insbesondere für geringwertige Güter des täglichen Bedarfs eine Bedeutung besitzt, weniger bei selten gekauften, hochwertigen Produkten (z.B. Autos). Als Managementimplikation bei Gültigkeit des Variety Seeking Behavior ergibt sich, dass ein Anbieter möglichst mehrere Marken innerhalb einer Produktart anbietet, welche sich im Hinblick auf ihre Produkteigenschaften unterscheiden. Auf diese Weise wird dem Abwechslungsbedürfnis des Konsumenten Rechnung getragen, gleichzeitig wandert der Konsument nicht zur Konkurrenz ab. Eine im Hinblick auf die Markenführung kostengünstigere Alternative ergibt sich durch die Dachmarkenstrategie, indem verschiedene Produktvarianten unter derselben Dachmarke geführt werden. Allerdings ist davon auszugehen, dass das Stimulierungs-Potenzial bei dieser Strategie nicht so hoch ist wie bei der Mehrmarkenstrategie (zu den einzelnen Markenstrategien vgl. Abschnitt 2.1.4.1.3 im 3. Teil). Die Dachmarkenstrategie ist also dann geeignet, wenn die Zielgruppe des betrachteten Anbieters überwiegend einen niedrigen OSL besitzt. Hybrides Kaufverhalten schließlich liegt vor, wenn ein und derselbe Konsument gleichzeitig verschiedene Verhaltensfacetten in Form von Billigkäufen und Teuerbzw. Markenkäufen aufweist (vgl. Schmalen/ Lang 1998, S. 5 ff.). Unter Zuhilfenahme der Dimensionen „Preisbereitschaft“ und „Markenpräferenz“ ergeben sich damit insgesamt 4 Kauftypen (vgl. Abb. 2.53): komfortorientierter Markenkauf: Bereitwillige Ausgabe von viel Geld für bekannte Marken, sparorientierter Markenkauf: Kauf von bekannten Markenprodukten, aber starke Berücksichtigung des Preises („Smart Shopper“, s.o.), komfortorientierter Billigkauf: Verzicht auf Kauf bekannter Marken, aber Kauf im Fachgeschäft, sparorientierter Billigkauf: Produkt soll so günstig wie möglich (keine bekannte Marke, Kauf im Discounter) eingekauft werden. Der Versuch einer Erklärung dieses scheinbar widersprüchlichen Verhaltens kann über das Involvement-Konstrukt erfolgen (vgl. Abb. 2.53). Zu unterscheiden ist dabei zwischen Produkt- und Kaufinvolvement. Während das Produktinvolvement die Bedeutung des Produkts z.B. in hedonistischer oder sozialer Sicht für den Konsumenten widerspiegelt, wird das Kaufinvolvement im Wesentlichen über das in der jeweiligen Situation subjektiv empfundene Kaufrisiko (funktional, sozial, ökonomisch) abgebildet. Hohes Kaufrisiko führt also zu hohem Kaufinvolvement und damit zu hoher Preisbereitschaft, um das subjektiv empfundene Kaufrisiko zu senken (und umgekehrt). Typischerweise erfolgt eine Absicherung des Kaufs und damit eine Absenkung des Kaufrisikos durch die Inanspruchnahme von Beratung und Service. Ist hingegen das Produktinvolvement hoch, so spielt das Produkt bzw. die Marke eine große Rolle, die Markenpräferenz ist entsprechend stark ausgeprägt (und umgekehrt). Über das Involvement-Konstrukt ist es demnach möglich, Billig- und Teuerbzw. Markenkäufe bei ein und derselben Person zu erklären. Multioptionales Kaufverhalten liegt vor, wenn sich Konsumenten je nach Einkaufsanlass oder Einkaufssituation für unterschiedliche Angebote, Händler oder Kanäle entscheiden (vgl. Kock 2008, S. 18). Multioptionale Konsumenten zeichnen sich durch ein über die Zeit instabiles und divergentes Verhalten aus. Dieses intrapersonell mehrdimensionale Verhalten kann sich bspw. darin äußern, dass Konsumenten innerhalb derselben Produktgruppe zwischen Impuls- und Zielkäufen abwechseln. Auch kann das Verhalten in Abhängigkeit der Tageszeit variieren (z.B. ein <?page no="125"?> Das Käuferverhalten 103 gesundheitsorientiertes Frühstück am Morgen, ein zeitrestriktionsbedingtes Fast-Food-Essen am Mittag und ein genussorientierter Besuch eines hochpreisigen Restaurants mit Freunden am Abend). Grundsätzlich handelt es sich um ein vielschichtiges, aus Anbietersicht z.T. widersprüchliches Verhalten. Das hybride Konsumentenverhalten kann dabei als Vorstufe zum multioptionalen Verhalten angesehen werden. Convenience Shopping stellt die Einfachheit und Bequemlichkeit des Einkaufens in den Vordergrund. Im Mitttelpunkt stehen hier die Reduktion der Einkaufsbelastung sowie die Möglichkeit des zeitlich flexiblen Einkaufs. Erreicht wird dies bspw. durch die Erreichbarkeit des Unternehmens rund um die Uhr, eine zielgerichtete Informationsbereitstellung über das Warenangebot sowie bequeme und einfache Bestellmöglichkeiten. Zurückzuführen ist das Convenience Shopping vor allem auf das knapper werdende subjektive Zeitbudget. Familiäre, berufliche und private Verpflichtungen schränken für viele Konsumenten die für Einkäufe zur Verfügung stehende Zeit ein (vgl. Wirtz 2022, S. 56). Alternative Vertriebskanäle wie Kioske, Tankstellen, Teleshopping und insbesondere das Internet (Online-Shopping; vgl. auch Abschnitt 2.4.4.1.3 im 3. Teil) stehen für diese Zielgruppe im Vordergrund. Markenpräferenz Preisbereitschaft gering hoch gering hoch Sparorientierter Billigkauf Produktinvolvement: gering Kaufinvolvement: gering Sparorientierter Markenkauf Produktinvolvement: hoch Kaufinvolvement: gering Komfortorientierter Markenkauf Produktinvolvement: hoch Kaufinvolvement: hoch Komfortorientierter Billigkauf Produktinvolvement: gering Kaufinvolvement: hoch Absicherungsbedürfnis hoch Absicherungsbedürfnis gering } } Quelle: Schmalen/ Lang 1998, S. 6 Abb. 2.53: Facetten hybriden Kaufverhaltens <?page no="126"?> 104 Verhalten von Marktteilnehmern 2.1.2.5.4 Neuromarketing Im Rahmen des Neuromarketing wird der Versuch unternommen, neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden auf das Gebiet des Marketing zu übertragen. In übergeordneter Hinsicht geschieht dies im Rahmen allgemeiner ökonomischer Fragestellung im Rahmen der Neuroökonomie. Im Mittelpunkt der Analyse stehen jeweils intra- oder interpersonelle Versuchsanordnungen, bei welchen die Hirnaktivitäten während spezifischer Entscheidungssituationen der Probanden gemessen und dokumentiert werden. Von Relevanz sind hier weiterentwickelte bildgebende Verfahren (Neuroimaging), mit deren Hilfe auf optischem Wege erkannt werden kann, welche Gehirnregionen bei bestimmten Aufgaben aktiviert werden und welche nicht. Zurückgegriffen wird hierbei häufig auf die funktionale Magnet-Resonanz-Tomographie (fMRT), welche sich auf die Stoffwechseleigenschaften des Gehirns stützt. Anwendung findet aber auch die Elektroencephalographie (EEG), welche auf die Messung elektromagnetischer Veränderungen im Gehirn abstellt (vgl. Hain/ Kenning/ Lehmann-Waffenschmidt 2007, S. 501). Grundsätzlich erlaubt der Einsatz hirndiagnostischer Verfahren die Messung innerer Prozesse beim Konsumenten. Vorteilhaft ist dabei die Nichtbeeinflussbarkeit dieser Prozesse seitens des Konsumenten bzw. Probanden (im Gegensatz z.B. zur Selbstauskunft des Probanden oder anderen Verfahren wie Augenbewegungsmessungen usw.). Generell ist das Neuromarketing an der Schnittstelle zwischen dem verhaltensorientierten Marketing sowie dem experimentellen Marketing anzusiedeln. Besondere Anwendungsgebiete für das Neuromarketing ergeben sich im Bereich der Werbewirkungsforschung, der Markenforschung sowie der Erforschung des Kaufentscheidungsverhaltens von Konsumenten. Im Rahmen der Werbewirkungsforschung steht insbesondere das Konstrukt „Emotionen“ im Mittelpunkt der Betrachtung. Emotionen werden seit geraumer Zeit einen signifikanten Einfluss auf den Werbeerfolg zugeschrieben (vgl. z.B. O´Shaughnessy/ O´Shaughnessy 2003; LeDoux 2002). In einer Studie konnten beispielsweise Ambler und Burne nachweisen, dass emotional geladene Wirkung im Gegensatz zu rationaler Wirkung besser im Langzeitgedächtnis verankert wird (vgl. Ambler/ Burne 1999, S. 29 f.). Emotionen spielen auch bei der Markenforschung eine große Rolle. Je mehr Emotionen mit einer Marke verknüpft sind und je positiver diese Emotionen sind, umso wertvoller ist die Marke aus Sicht des jeweiligen Konsumenten (vgl. Esch 2018, S. 70 ff.). Esch et al. konnten in ihrer Studie durch Anwendung der fMRT zeigen, dass hoch emotionale, gering emotionale und unbekannte Marken weitgehend unterschiedliche Gehirnregionen aktivieren. Im Schluss kamen sie zu dem Ergebnis, dass Marken mit positiven Markenemotionen mit einer höheren Markenbekanntheit, einem ausgeprägteren Markenimage, einer positiven Markeneinstellung, einer stärkeren Markenbindung sowie einem höheren Markenvertrauen einhergehen als Marken mit neutralen Markenemotionen (vgl. Esch et al. 2008, S. 111 ff.). Für die Planung, Urteils- und Entscheidungsfindung im Rahmen von Kaufentscheidungen von Konsumenten ist der Frontallappen als Teil des menschlichen Großhirns (Kortex) verantwortlich. Eine besondere Rolle spielt hier der präfrontale Kortex als vorderer Teil des Frontallappens. Bisher existieren nur wenige Studien, welche sich dieser Thematik gewidmet haben. Bereits vorliegende Erkenntnisse deuten aber darauf hin, dass Kaufentscheidungsprozesse äußerst komplex verlaufen <?page no="127"?> Das Käuferverhalten 105 können, wobei neben sequentiellen auch parallele Prozesse eine Rolle spielen (vgl. Hain/ Kenning/ Lehmann-Waffenschmidt 2007, S. 505). Generell wird davon ausgegangen, dass (Kauf -) Entscheidungsprozesse im Gehirn als gleichzeitig seriell und parallel ablaufende Prozesse der Aktivierung multifokaler, eng miteinander verschalteter neuronaler Netzwerke verstanden werden müssen. Auch hier spielen Emotionen eine Rolle wie beispielsweise Studien zu Finanzanlageentscheidungen von Konsumenten eindeutig belegt haben (vgl. z.B. Lo/ Repin 2002; Shiv et al. 2005). Wesentliche Nachteile des Neuromarketing sind in dem erheblichen technischen und finanziellen Aufwand zu sehen, welcher insbesondere der apparative Einsatz mit sich bringt. Zudem existieren häufig Interpretationsspielräume hinsichtlich der gemessenen Ergebnisse, welche eine eindeutige und zweifelsfreie Auslegung verhindern und so gesicherte Erkenntnisfortschritte erschweren. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass das Neuromarketing noch am Anfang seiner Entwicklung steckt und weitere wichtige Einblicke in die „Black Box“ des Konsumenten erwartet werden können. 22.1.3 Das Kaufverhalten von Industriebetrieben Industrielle Betriebe benötigen zur Produktion der von ihnen abgesetzten Produkte diverse Inputfaktoren wie Maschinen, Materialien (Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe), Energie und Arbeitskräfte. Daher treten Industriebetriebe nicht nur als Anbieter der von ihnen produzierten Güter auf, sondern auch als Nachfrager nach den genannten Inputfaktoren. Gegenüber dem Nachfrageverhalten von Konsumenten ergeben sich dabei einige Besonderheiten, welche im Folgenden aufgezeigt werden. Darüber hinaus werden monoorganisationale Modelle des industriellen Käuferverhaltens dargestellt, welche nur das Entscheidungsverhalten eines einzelnen Unternehmens analysieren, sowie Interaktionsansätze, welche die Entscheidungsprozesse zwischen Anbieter und Nachfrager beleuchten. 2.1.3.1 Besonderheiten industrieller Beschaffungsprozesse Industrielle Beschaffungsprozesse unterscheiden sich nicht unwesentlich von Konsumentenbeschaffungsentscheidungen. Als generelle Besonderheiten industrieller Beschaffungsprozesse werden genannt (vgl. Kotler/ Keller/ Opresnik 2017, S. 238 ff.; Meffert 1992, S. 141 f.; Bänsch 2002, S. 182): Multipersonalität der Entscheidung: Bei Kaufentscheidungen in Unternehmen handelt es sich in den meisten Fällen um Kollektiventscheidungen, welche von 2 bis über 20 Personen umfassenden Kollegien (Buying Center, Buying Group, Decision Making Unit; vgl. Abschnitt 2.1.3.2.1 in diesem Teil) getroffen werden. Dies gilt insbesondere bei einem Erstkauf von Produkten und/ oder beim Kauf von vergleichsweise hochwertigen Produkten (z.B. Maschinen). Hoher Formalisierungsgrad: Fixierte Verfahrensregeln und Zuständigkeiten für die an der Kaufentscheidung Beteiligten sind typisch für industrielle Beschaffungsprozesse. Fremddeterminiertheit von Kaufentscheidungen: Viele Beschaffungsvorgänge sind aus Sicht des beschaffenden Unternehmens fremddeterminiert, da Kunden beispielsweise einem Anbieter industrieller Anlagen häufig vorschreiben, welche Teilkomponenten bzw. Modelle sie von welchen Sublieferanten in die von ihnen nachgefragten Maschinen eingebaut haben wollen. <?page no="128"?> 106 Verhalten von Marktteilnehmern Anreiz- und Sanktionsmechanismen für die am Kaufprozess Beteiligten: Verletzung von vorgegebenen Verfahrensregeln im Rahmen des Beschaffungsprozesses kann zu Sanktionen (z.B. Versetzung, Entlassung) führen. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, materielle und immaterielle Leistungsanreize zu gewähren, wenn besonders gute Beschaffungsergebnisse erzielt werden (z.B. günstige Preise, besondere Serviceleistungen). Möglichkeit der Automatisierung von Beschaffungsvorgängen: Beschaffungsvorgänge bei unmodifizierten Wiederkäufen können EDV-mäßig automatisiert werden (z.B. automatische Bestellung von Rohstoffen, wenn ein kritischer Mindestbestand erreicht wird). Höhere Bedarfsspezialisierung: Im Vergleich mit Konsumentenentscheidungen bestehen bei industriellen Beschaffungsprozessen häufig präzisere Vorstellungen über den Kaufwunsch. Stärkere Neigung bzw. Zwang zur Rationalität: Eine höhere Rationalität der am Kauf Beteiligten mag eine Folge des höheren Formalisierungsgrads sowie der Existenz von Anreiz- und Sanktionsmechanismen sein. Die Multipersonalität der Beschaffungsentscheidung ermöglicht zudem die gegenseitige Kontrolle der Mitglieder des Beschaffungsgremiums. Längere Dauer der Beschaffungsprozesse und multiple Verkaufskontakte: Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass industrielle Beschaffungsprozesse Zeiträume von einem Jahr durchaus überschreiten können. Dies gilt in erster Linie für komplexe, neuartige Produkte, welche mit einem vergleichsweise hohen Investitionsvolumen verbunden sind. Zudem sind auf Grund der Multipersonalität der Beschaffungsentscheidung eine Vielzahl von Verkaufskontakten (telefonische Kontakte, persönliche Gespräche) notwendig, um einen Verkaufsabschluss zu erzielen. Spezifische Zielsetzungen: Zielsetzungen von Unternehmen im Rahmen von Beschaffungsprozessen unterscheiden sich von denjenigen der Konsumenten. Im Regelfall werden ökonomische Ziele (z.B. Gewinnerzielung, Kostensenkung) verfolgt. Außerökonomische Ziele können durch gesetzliche oder soziale Anforderungen gegeben sein (z.B. Filterkauf zur Reduktion der Umweltbelastung infolge gesetzlicher Vorschriften). Konsumenten hingegen orientieren sich an dem mit dem Produktkauf erworbenen Produktnutzen, welcher sich aus den Präferenzen des jeweiligen Konsumenten ergibt. Direktverkauf und Reziprozität: Industrielle Einkäufer erwerben die Produkte häufig direkt beim Hersteller der Produkte unter Ausschaltung von Zwischenhändlern. Dabei werden häufig Lieferanten gewählt, welche umgekehrt wiederum bei ihnen kaufen (z.B. kann ein Chemieunternehmen, welches Chemikalien an ein papierherstellendes Unternehmen verkauft, das benötigte Papier bei diesem Unternehmen beziehen). Es ist darauf hinzuweisen, dass für industrielle Beschaffungsvorgänge nicht jeweils alle der genannten Besonderheiten simultan zutreffen müssen. Welche der genannten Besonderheiten zutreffen, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. <?page no="129"?> Das Käuferverhalten 107 22.1.3.2 Monoorganisationale Modelle des industriellen Beschaffungsverhaltens Wie bei den Ansätzen zur Abbildung und Erklärung des Konsumentenverhaltens kann auch bei industriellen Beschaffungsvorgängen zwischen Partial- und Totalmodellen unterschieden werden (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.4.2 in diesem Teil). Während Partialmodelle einen spezifischen Aspekt des Beschaffungsverhaltens herausgreifen, versuchen Totalmodelle das industrielle Kaufverhalten ganzheitlich abzubilden. 2.1.3.2.1 Partialmodelle Zu den Partialmodellen des industriellen Beschaffungsverhaltens gehören u.a. das Buying Center Konzept, Prozessmodelle sowie Buygrid-Modelle. Buying Center Konzept Im Mittelpunkt des Buying Center Konzeptes stehen die Zusammensetzung des Einkaufsgremiums sowie die Entscheidungsprozesse der beteiligten Personengruppen (vgl. Webster/ Wind 1972; Backhaus/ Voeth 2014, S. 45 ff.). Ausgegangen wird dabei von komplexen, nicht-routinemäßigen Entscheidungen. Nach Webster/ Wind (1972, S. 78 ff.) existieren fünf unterschiedliche Rollen, welche die Mitglieder des Buying Center einnehmen können. Ein Mitglied kann dabei durchaus mehrere Rollen gleichzeitig innehaben. Gleichzeitig kann eine Rolle durchaus von mehreren Personen ausgefüllt werden. Abb. 2.54 zeigt die Rollen im Überblick auf und kennzeichnet sowohl das rollentypische Verhalten als auch den typischen Rollenträger. Auf Grund seiner Anschaulichkeit hat das Buying Center Konzept weiten Eingang in der Literatur gefunden. Ergänzt wurde dieses Konzept durch Bonoma (1982, S. 113 ff.) um eine sechste Rolle, den Initiator, welcher den Kaufprozess in Gang bringt. Wie vielfältig die Kommunikationsbeziehungen in einem Buying Center sein können, zeigt Abb. 2.55. Differenziert wird dabei nach der vertikalen Beteiligung, lateralen Beteiligung, Größe, Kommunikationsgrad sowie der Zentralisation als Dimensionen des Buying Centers. Offen bleibt dabei allerdings die Frage, welchen tatsächlichen Einfluss die einzelnen Mitglieder im Buying Center besitzen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Bedeutung einzelner Buying Center Mitglieder u.a. in Abhängigkeit von der Kaufphase variiert (vgl. Backhaus/ Voeth 2014, S. 49). Der Frage des Einflusses im Buying Center geht das Promotoren-Modell von Witte (1973) nach. Als Promotoren werden Mitglieder des Buying Center bezeichnet, welche den Beschaffungsprozess aktiv fördern und von der Initiierung bis zum Kauf beeinflussen. Witte unterscheidet dabei zwischen Fachpromotoren und Machtpromotoren. Zu den Fachpromotoren gehören alle Mitglieder eines Buying Centers, welche sich unabhängig von ihrer hierarchischen Position durch ihr spezifisches Fachwissen auszeichnen. Machtpromotoren hingegen sind hierarchisch hoch angesiedelte Organisationsmitglieder, welche auf Grund ihrer hierarchischen Stellung über Entscheidungsmacht verfügen. Sie zeichnen sich durch eine aggregierte Gesamtbeurteilung des Beschaffungsobjektes und seiner Auswirkungen auf das Gesamtunternehmen aus. Ergänzt wurde dieses Konzept durch den Prozesspromotor, welcher über innerbetriebliches Organisationswissen sowie über Kommunikationsbeziehungen zu Schlüsselakteuren der eigenen Organisation verfügt. Abb. 2.56 fasst die wesentlichen Charakteristika der Macht-, Fach- und Prozesspromotoren hinsichtlich ihrer Machtquellen, Leistungsbeiträge und Barrieren zusammen. Zu beachten ist dabei, <?page no="130"?> 108 Verhalten von Marktteilnehmern dass wie im Buying Center Konzept von Webster/ Wind eine Person mehrere Promotoren-Rollen (z.B. Macht- und Fachpromotor) gleichzeitig einnehmen kann bzw. mehrere Personen eine Promotoren-Rolle einnehmen können. Koalieren Promotoren, welche aus mehreren Personen bestehen, untereinander, d.h. wirken sie zusammen, so spricht man vom Promotoren-Gespann (Koalition von Macht- und Fachpromotor) bzw. von der Promotoren-Troika (vgl. Hauschildt 1998, S. 5). Von derartigen Konstellationen verspricht man sich besonders effiziente Beschaffungsprozesse. Ergänzt wird das Promotoren-Modell durch den Beziehungspromotor, welcher über ein weit verzweigtes Netzwerk von persönlichen Kontakten innerhalb des Unternehmens verfügt und auch Beziehungen zu unternehmensexternen Personen und Institutionen pflegt. Der Beziehungspromotor ist allerdings nicht unbedingt Mitglied eines Buying Centers, sondern kümmert sich u.a. im Rahmen des Innovationsmanagements um die Lösung der durch Innovationen im Unternehmen ausgelösten Konflikte sowie die Förderung des Verständnisses für die Notwendigkeit von Innovationen im Unternehmen. Auch kann er die sozialen Beziehungen zwischen Macht-, Fach- und Prozesspromotor intensivieren und so indirekt auf Beschaffungsentscheidungen des Buying Centers einwirken. Rollenbezeichnung Rollentypisches Handeln/ Verhalten Typischer Rollenträger Vor-Selektierer/ Pförtner (gatekeeper) Informationssammlung/ Identifikation der in Betracht kommenden Kaufalternativen/ Entscheidungsvorbereitung Handelsmittler, Verkäufer (des kaufenden Unternehmens); Mitglieder technischer Stäbe Entscheider (decider) Letztauswahl des Kaufobjekts und Lieferanten Mitglieder der Unternehmensleitung Kaufabschluss-Tätigender (buyer) Vorauswahl von Lieferanten; formaler Kaufabschluss nach Detailverhandlungen (z.B. über Preis, Lieferkonditionen) und Kaufabwicklung Einkäufer Verwender (user) Anregung von Käufen auf Grund eines von ihnen empfundenen Mangelzustands; Beurteilung von Produktqualitäten/ Definition von Mindestqualitäten; Beurteilung gekaufter Güter (Nach-Kauf-Urteile) Mitglieder der Bereiche Fertigung/ Produktion, Kontrolle Beeinflusser (influencer) Kriterienformulierung und -durchsetzung Mitglieder der Bereiche technische Leitung, technische Stäbe, Forschung und Entwicklung Quelle: Bänsch 2002, S. 183 Abb. 2.54: Das Buying Center Konzept nach Webster/ Wind <?page no="131"?> Das Käuferverhalten 109 Anbieterorganisation Nachfrageorganisationen Drittparteien Aufsichtsrat Geschäftsführung Leiter Funktionsbereich Hauptabteilungsleiter Abteilungsmitglieder Angestellte, Arbeiter Leiter der Beschaffung Beratungsunternehmen Beschaffungsleiter einer anderen Unternehmung Legende =Individuum =Mitglied eines Buying Centers =Kommunikations richtung Dimensionen des Buying Center Vertikale Beteiligung: 5 von 6 Ebenen Laterale Beteiligung: 11 von 13 Abteilungen Größe: Insgesamt waren 25 Mitarbeiter beteiligt Kommunikationsgrad: 56 von 600 möglichen Kommunikationsbeziehungen Zentralisation: Beschaffungsmanager übt 8 von 48 möglichen Verbindungen aus Quelle: Johnston/ Bonoma 1981, S. 147 Abb. 2.55: Kommunikationsbeziehungen in einem Buying Center <?page no="132"?> 110 Verhalten von Marktteilnehmern Machtpromotor Prozesspromotor Fachpromotor Machtquellen Barrieren Leistungsbeiträge - Hohe hierarchische Position - Willensbarrieren - Hierarchiebarrieren - Fachspezifische Fähigkeitsbarrieren - Stellt organisationale Ressourcen bereit - Legt Ziele fest - Gewährt Anreize - Sanktioniert Akteure - Blockiert Opponenten - Expertenkompetenz - Organisatorische und administrative Barrieren - Evaluiert neuartige u. komplexe Probleme - Beurteilt u. entwickelt Problemlösungsvorschläge - Realisiert Problemlösungen - Initiiert u. fördert fachspezifische Lernprozesse - Organisationskenntnisse - Organisationsinterne Kommunikationspotenziale - Sammelt, filtert, übersetzt u. interpretiert Informationen u. leitet diese gezielt an Akteure weiter - Fördert Kommunikationsbeziehungen u. Koalitionen zwischen Akteuren Quelle: In Anlehnung an Walter 1998, S. 106 ff. Abb. 2.56: Rollenmodelle des Macht-, Fach- und Prozesspromotors <?page no="133"?> Das Käuferverhalten 111 Prozessmodelle Neben der Frage, wer in welcher Rolle am industriellen Beschaffungsprozess beteiligt ist, ist auch von Interesse, welche verschiedenen Phasen im Rahmen eines derartigen Beschaffungsprozesses durchlaufen werden. Hierzu existiert in der Literatur eine Vielzahl von Konzepten, welche sich im Wesentlichen in ihrem jeweiligen Detailliertheitsgrad unterscheiden (vgl. z.B. den Überblick bei Backhaus/ Voeth 2014, S. 44 ff.). Das Modell von Robinson/ Faris/ Wind (1967) beispielsweise geht von folgenden acht Stufen im Rahmen industrieller Kaufentscheidungen aus: [1] Antizipation der Wahrnehmung eines Problems (Bedürfnisses) und einer allgemeinen Lösung [2] Feststellung der Eigenschaften und Mengen der benötigten Artikel [3] Beschreibung der Eigenschaften und Mengen der benötigten Artikel [4] Suche und Qualifikation potenzieller Bezugsquellen [5] Einholen und Analyse von Angeboten [6] Bewertung und Auswahl des (der) Lieferanten [7] Festlegung des Bestellverfahrens [8] Leistungsfeedback und Neubewertung Backhaus/ Günter (1976) hingegen unterscheiden zwischen Voranfragephase, Angebotserstellungsphase, Kundenverhandlungsphase sowie Abwicklungs- und Gewährleistungsphase. Wie umfassend die einzelnen Prozesse innerhalb und zwischen diesen Teilphasen für den Fall des Kaufs einer komplexen Anlage sind, zeigt Abb. 2.57. Empirische Untersuchungen haben dabei gezeigt, dass die Anwendbarkeit der verschiedenen Phasenkonzepte offenbar situationsspezifisch variiert. Damit existiert kein allgemeingültiges Phasenkonzept zur Beschreibung realer Kaufprozesse. Trotz dieser Einschränkung verdeutlichen diese Phasenkonzepte zumindest den ausgeprägten prozessualen Charakter von organisatorischen Beschaffungen. Zudem weisen sie auf die phasenspezifisch unterschiedlichen Marketingprobleme hin. Buygrid-Modelle Buygrid-Modelle zeichnen sich dadurch aus, dass sie neben den einzelnen Kaufphasen zusätzlich verschiedene Kaufklassen (Erstkauf, modifizierter Wiederkauf, identischer Wiederkauf) zur Erklärung der unterschiedlichen Komplexitätsgrade von Phasenabläufen heranziehen. Abb. 2.58 charakterisiert diese verschiedenen Kaufklassen anhand der Dimensionen „Neuheit des Problems“, „Informationsbedarf“ sowie „Betrachtung neuer Alternativen“. Die Bedeutung der verschiedenen Kaufklassen für den Beschaffungsprozess zeigt Abb. 2.59 anhand des Beispiels „Kauf eines Bohrwerkzeugs“. Eine empirische Überprüfung des Buygrid-Ansatzes liefert Brand (1972). Abb. 2.60 zeigt auf, wer in welcher Kaufphase in Abhängigkeit von der Kaufklasse am Kauf beteiligt ist. <?page no="134"?> 112 Verhalten von Marktteilnehmern - Klärung von Rückfragen Nm - Anfrageselektion - Projektbezogene Kooperationsverhandlungen (Wahl der Anbieterorganisation) - Konzeption der t echnischen Lösung - Preispolitik - Financial Engineering - Lieferzeitplanung - Projektbezogene Kooperationsverhandlungen - Produktion, Lieferung, Montage - Probelauf - Abwicklung von Gewährleistungsansprüchen - Kulanzverhandlungen - Finanzierungsabwicklung Überwachung - Koordination von = Lieferzeiten = physical distribution = Personalressourcen - Abklärung interner Haftungsansprüche - Allgemeine Akquisition durch Kommunikation Nachfrager m (Nm) Consultant (C) Staat (S) - Erstellen von Bedarfsanalysen - Erstellen einer Vorstudie (Preliminary Study) - Problemerkennung - Prüfung der Vorstudie - Prüfung der grundsätzlichen Realisierungsmöglichkeit - Erstellung der Anfragen-/ Ausschreibungsunterlagen Nm - Verhandlungen über technische und ökonomische Konditionen incl. Lieferzeit - Letter of Intent - Juristische Vertragsausfertigung Nm Anbieter m (Am) Am Am Am Anbieter 1 (A 1) Nachfrager 1 (N 1) N 1 N 1 N 1 Anfrage / Ausschreibung Angebotsabgabe Auftragseingang Projektabwicklungs- und Gewährleistungsphase Kundenverhandlungsphase Angebotserstellungsphase Voranfragenphase <?page no="135"?> Das Käuferverhalten 113 Kaufklasse Dimensionen Identischer Wiederkauf Modifizierter Wiederkauf Neukauf Betrachtung neuer Alternativen Neuheit des Problems Informationsbedarf Hoch Gering Mittel Minimal Eingeschränkt Begrenzt Keine Bedeutend Maximal Quelle: Robinson/ Faris/ Wind 1967, S. 25 Abb. 2.58: Charakterisierung der Kaufklassen 2.1.3.2.2 Totalmodelle Totalmodelle industrieller Beschaffungsentscheidungen streben im Gegensatz zu Partialmodellen eine vollständige Erfassung derjenigen Faktoren an, welche die Beschaffungsentscheidung beeinflussen. Im Folgenden werden das Webster/ Wind-Modell, der Ansatz von Sheth sowie das Modell von Choffray/ Lilien vorgestellt. 2.1.3.2.2.1 Das Webster/ Wind-Modell Eines der ersten und umfassendsten Strukturmodelle des organisationalen Beschaffungsverhaltens, welches weiten Eingang in die Literatur gefunden hat, haben Webster und Wind (1972) vorgestellt. Abb. 2.61 stellt dieses Modell im Überblick dar. Webster/ Wind unterscheiden vier Gruppen von Einflussfaktoren: umweltbezogene Determinanten, organisationale Determinanten, interpersonale Determinanten sowie intrapersonale Determinanten. Zu den umweltbezogenen Determinanten zählen die physische, technologische, rechtliche, kulturelle, ökonomische und politische Umwelt. Diese Determinanten stellen einen übergeordneten Rahmen dar und beeinflussen das Kaufverhalten von Unternehmen von „außen“. Typische organisationale Einflussfaktoren sind die organisationale Technologie, die Organisationsstruktur, die organisationalen Ziele und Aufgaben sowie die Organisationsmitglieder selbst. Die interpersonalen Determinanten des Kaufverhaltens ergeben sich aus dem Zusammenwirken der Personen des Buying Centers. Diese Personen besitzen jeweils aufgabenbezogene und nicht-aufgabenbezogene Zielvorstellungen und entwickeln entsprechende aufgabenbezogene bzw. nicht- <?page no="136"?> 114 Verhalten von Marktteilnehmern Kundenauftrag Monate Bohrwerkzeug im Einsatz Bohrwerkzeug im Einsatz Bohrwerkzeug im Einsatz Neue Aufgabe Modifizierter Wiederkauf Unmodifizierter Wiederkauf Am Entwurf beteiligte Ingenieure Technische Zeichner Werkstätten Produktionsablaufplaner Planer Käufer Werkzeugentwurf Potentielle Lieferanten Gewählter Lieferant 1 9 8 7 4 3 2 6 5 5 1 2 3 3 3 4 5 6 6 6 7 8 8 8 8 9 1 1 2 2 3 3 3 4 4 5 5 6 6 6 8 8 8 9 9 1 2 3 4 5 Entwurf Entwurf Detaillierte Zeichnungen, Aufstellung der benötigten Teile Anforderungen von Teilen Bestellung Bestellung Bestellung Grobe Skizzierung (falls kein vorheriger Einkauf getätigt wurde) Anforderung von Lieferantenangeboten Wiederbestellung Auslieferungsanforderung (falls vorherige Einkäufe getätigt wurden) Lieferant benachrichtigt Lieferant benachrichtigt Kontrollen Eingang der Lieferantenangebote Eingang der Lieferantenangebote Präzisierung des Entwurfs Anforderungen, Layouts und Lieferantenangebote Quelle: Meffert 1992, S. 147 Abb. 2.59: Ablauf des Kaufprozesses beim Neukauf, modifizierten und identischen Wiederkauf am Beispiel der Beschaffung eines Bohrwerkzeugs Anforderung von Teilen <?page no="137"?> Das Käuferverhalten 115 Einkaufsabteilung (evtl. Delegation an untergeordnete Stellen bzw. EDV) Einkaufsabteilung (evtl. Delegation an untergeordnete Stellen bzw. EDV) Einkaufsabteilung (evtl. Delegation an untergeordnete Stellen bzw. EDV) Einkaufsabteilung (evtl. Delegation an untergeordnete Stellen bzw. EDV) Kaufphasen Wiederholungskauf Lieferantenwechsel Erstkauf Problemerkennung Festlegung der Produkteigenschaften (Anforderungen) Beschreibung der Produktionseigenschaften Lieferantensuche Beurteilung der Lieferanteneigenschaften Einholung von Angeboten Bewertung von Angeboten Auswahl von Lieferanten Abwicklungstechnik (Festlegung, Handlungsanweisung) Ausführungskontrolle und -beurteilung Geschäftsführung Technisches Personal Technisches Personal Technisches Personal Technisches Personal Technisches Personal Technisches Personal + Einkäufer Technisches Personal + Einkäufer Technisches Personal + Einkäufer (informal) Einkäufer Einkäufer Einkäufer Einkäufer Einkäufer Einkäufer Einkäufer (informal) System (formal) Einkäufer (informal) System (formal) Einkäufer Technisches Personal, Geschäftsführung, Einkäufer Lagerkontrolle - - - - (Geprüfte Lieferanten) (Geprüfte Lieferanten) Quelle: Backhaus 2003, S. 108 Abb. 2.60: Kaufentscheidungsbeteiligte in Abhängigkeit von Kaufklasse und Kaufphase nach Brand (1972) <?page no="138"?> 116 Verhalten von Marktteilnehmern I. Die Umwelt (Umweltbezogene Determinanten des Kaufverhaltens) Physische Umwelt Ökonomische Umwelt Rechtliche Umwelt Technologische Umwelt Politische Umwelt Kulturelle Umwelt IV. Die Individuen Motivation kognitive Struktur Persönlichkeit Lernen Rollenverhalten Lieferanten Kunden Staat Gewerkschaften Handelsverbände Berufsverbände Andere industrielle Anbieter Andere soziale Institution Informationen über Anbieter Erhältlichkeit von Allgemeine wirt- Werte und Normen (Marketing-Kommunikation) Gütern und Diensten schaftliche Lage Kaufentscheidung Kaufentscheidungsprozess 1. Individuelle 2. Gruppenbezogene Entscheidungs- Entscheidungseinheit einheit Aufgaben Nichtaufgaben- Tätigkeiten, Interaktionen, Gefühle Tätigkeiten, Interaktionen, Gefühle bezogene bezogene Gruppenprozesse II. Die Organisation (Organisationale Determinanten des Kaufverhaltens) Organisationsklima: physisch technologisch ökonomisch kulturell Organisationale Technologie Organisationsstruktur Organisationale Ziele und Aufgaben Organisationsmitglieder Für den Kauf relevante Technologie Organisation des Buying Center und der Beschaffungsfunktion Beschaffungsaufgaben Mitglieder des Buying Center Technologische Beschränkungen und verfügbare Technologie Gruppenstruktur Gruppenaufgaben Eigenschaften und Ziele, Führungsstil III. Das Buying Center (Interpersonale Determinanten des Kaufverhaltens) Quelle: Webster/ Wind 1972, S. 15 Abb. 2.61: Das Webster/ Wind-Modell <?page no="139"?> Das Käuferverhalten 117 aufgabenbezogene Aktivitäten. Intrapersonelle Determinanten sind schließlich durch die Persönlichkeitsmerkmale der einzelnen am Kaufentscheidungsprozess Beteiligten Entscheidungsträger gegeben. Die Kaufentscheidung selbst ist dann das Ergebnis intraindividueller und kollektiver Prozesse. Das Modell von Webster/ Wind systematisiert auf diese Weise die Vielzahl potenzieller Einflussfaktoren auf das organisationale Beschaffungsverhalten und stellt sie in einen Beziehungszusammenhang. 2.1.3.2.2.2 Der Ansatz von Sheth Ein weiteres Totalmodell industriellen Beschaffungsverhaltens ist mit dem Modell von Sheth (1973) gegeben, welches aus folgenden vier Kernelementen besteht: die psychologischen Entscheidungsdeterminanten der beteiligten Entscheidungsträger (1) die Bedingungen, welche zu einer kollektiven Entscheidung führen (2) die Konfliktlösungsmechanismen (3) sowie situative Faktoren (4). Abb. 2.62 zeigt das Modell von Sheth auf. Wesentliches Element des Modells sind die psychologischen Entscheidungsdeterminanten, welche das Verhalten der einzelnen Entscheidungsträger steuern. Dabei spielen die Erwartungen der Einkäufer, Techniker und Verwender eine besondere Rolle, welche vom Erfahrungshorizont der jeweiligen Individuen, der Zufriedenheit mit bereits getätigten Käufen sowie den aktiv und passiv aufgenommenen Informationen beeinflusst werden. Der Erfahrungshorizont selbst („Background“) wiederum wird bestimmt durch die Ausbildung, das Rollenverhalten sowie den Lebensstil der jeweiligen Person. Die Erwartungen der an der Kaufentscheidung beteiligten Mitglieder bestimmen den eigentlichen Kaufprozess, welcher als autonomer Entscheidungsprozess eines einzelnen Individuums oder als Kollektiventscheidung ablaufen kann. Ob eine Kollektiventscheidung oder ein autonomer Entscheidungsprozess vorliegt, wird nach dem Modell von Sheth von produkt- und unternehmensspezifischen Faktoren determiniert. Zu den produktspezifischen Faktoren gehören die Kaufklasse (vgl. den vorangegangenen Abschnitt 2.1.3.2.1 in diesem Teil), das empfundene Risiko sowie der Zeitdruck, welcher der Entscheidung zugrunde liegt. Die unternehmensspezifischen Faktoren umfassen die Größe der Organisation, den Grad der Dezentralisierung sowie die generelle Ausrichtung der Organisation. Dabei ist davon auszugehen, dass Individualentscheidungen umso eher vorliegen, je höher der Zeitdruck ist, je geringer das empfundene Kaufrisiko ist und je mehr Käufe derselben Art bereits stattgefunden haben (unmodifizierter Wiederkauf). Im Falle von Kollektiventscheidungen kann nach Sheth eine Lösung durch ein geeignetes Problemlösungsverhalten (z.B. gezielte Informationssuche), Überreden, Verhandeln oder Austricksen im Rahmen eines Machtkampfes gefunden werden. Beeinflusst wird die resultierende Kaufentscheidung schließlich durch situative Faktoren (z.B. Streiks, ökonomische Konditionen), welche die aus den drei übrigen Faktoren erklärten Ergebnisse verändern können. Wie das Modell von Webster/ Wind hat das Sheth-Modell eher deskriptiven Charakter. Operationalisierungsvorschläge für die einzelnen Elemente des Ansatzes und deren Verknüpfung fehlen weitgehend, sind jedoch für eine empirische Überprüfung des Ansatzes unverzichtbar. <?page no="140"?> 118 Verhalten von Marktteilnehmern Informationsquellen -Verkäufer -Messen und Ausstellungen -Direktwerbung -Pressemitteilungen -Zeitschriftenwerbung -Fachkonferenzen und Tagungen -Wirtschaftspresse -"Mund-zu-Mund- Werbung" -Andere Spezielle Ausbildung Lebensstil ("life style") Rollenverhalten Kollektive Entscheidungen Autonome Entscheidungen Konfliktlösung 1. Problemlösungsverhalten 2. Überreden 3. Verhandeln 4. Machtkampf "Austricksen" Lieferantenu. Markenwahl Situative Faktoren Persönlicher "Background" der Beteiligten Aktive Informationssuche Erwartungen der 1. Einkäufer 2. Techniker 3. Verwender 4. Andere Wahrnehmungsverzerrung Industrieller Kaufprozess Zufriedenheit mit dem Kauf 1a 1d 2a 2 1b 3 4 1c 1e 2b Zeitdruck Empfundenes Risiko Kaufklasse Größe der Organisation Ausrichtung der Organisation Grad der Dezentralisierung Produktspezifische Faktoren Unternehmensspezifische Faktoren Quelle: Sheth 1973, S. 51 Abb. 2.62: Das Modell von Sheth <?page no="141"?> Das Käuferverhalten 119 2.1.3.2.2.3. Das Modell von Choffray und Lilien Choffray und Lilien (1976, 1978) zerlegen den organisationalen Beschaffungsprozess in drei Phasen: die Alternativenauswahl, die Präferenzbildung bei den Mitgliedern des Buying Centers sowie die Präferenzbildung bei der Gesamtorganisation. Abb. 2.63 stellt das Phasenmodell von Choffray/ Lilien im Überblick dar. Ausgehend von in Betracht gezogenen Alternativen werden die grundsätzlich geeigneten bzw. realisierbaren Alternativen unter Berücksichtigung von Umweltrestriktionen und organisationalen Erfordernissen herausgefiltert. Basis der jeweils individuell präferierten Alternativen sind die individuellen Bewertungskriterien. Die organisationalen Präferenzen hingegen werden determiniert durch die Interaktionsstrukturen im Buying Center, welche schließlich die endgültige Kaufentscheidung herbeiführen. Zusätzlich wurde von Choffray/ Lilien ein Marketing-Response-Modell entwickelt, im Rahmen dessen der Entscheidungsprozess der nachfragenden Organisation detailliert abgebildet wird und gleichzeitig dargelegt wird, inwiefern der Anbieter Einfluss auf den Entscheidungsprozess nehmen kann (vgl. Abb. 2.64). Dieses Marketing-Response-Modell umfasst vier Submodelle: Awareness-Modell, Akzeptanz-Modell, individuelle Bewertungsmodelle sowie Gruppenentscheidungsmodelle. Diese Submodelle haben jeweils gewisse Response-Wahrscheinlichkeiten zum Ergebnis. Da die Modelle aufeinander aufbauen, handelt es sich um bedingte Wahrscheinlichkeiten. Ergebnis des Akzeptanz-Modells ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, dass Produkt a realisierbar ist unter der Bedingung, dass es im Rahmen des Awareness-Modells im Evoked Set war. Auch existieren Überlegungen, wie die einzelnen Submodelle des Marketing-Response-Modells empirisch überprüft bzw. operationalisiert werden können. Abb. 2.65 stellt mögliche Messansätze für die vier Submodelle dar. Damit werden Operationalisierungsbemühungen zur empirischen Überprüfung des Ansatzes sichtbar, welche in diesem Maße bei den Modellen von Webster/ Wind und Sheth nicht erkennbar sind. Allerdings bleibt dem Modellanwender die Auswahl der vorgeschlagenen Messverfahren für die dargestellten Submodelle überlassen. 2 2.1.3.3 Interaktionsansätze des industriellen Beschaffungsverhaltens Die bisher dargestellten Ansätze des industriellen bzw. organisationalen Beschaffungsverhaltens haben sich auf ein einzelnes Unternehmen konzentriert. Gerade bei industriellen Beschaffungsentscheidungen erfolgt jedoch der Beschaffungsprozess unter wechselseitiger Einflussnahme von Nachfrager- und Anbieterseite. Insofern wird die Analyse ausgehend von der Seite des nachfragenden Unternehmens ausgeweitet durch den expliziten Einbezug der anbietenden Seite, wobei die Mitglieder beider Seiten als Elemente einer gemeinsamen sozialen Gruppe angesehen werden können. Im Rahmen von Interaktionsansätzen werden also die Abhängigkeitsbeziehungen beider Marktparteien und deren gegenseitige Beeinflussung in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Auf diese Weise werden die Einwirkungsmöglichkeiten des Anbieters auf den Beschaffungsprozess <?page no="142"?> 120 Verhalten von Marktteilnehmern der nachfragenden Organisation deutlich herausgearbeitet. Abb. 2.66 zeigt eine Typologie für Interaktionsansätze auf, in welcher die Vielzahl der existierenden Ansätze eingeordnet werden können. In Betracht gezogene Alternativen Realisierbare Alternativen Bildung individueller Präferenzen Bildung organisationaler Präferenzen Organisationale Entscheidung Umweltrestriktionen physischer technologischer ökonomischer sozialer Organisationserfordernisse technischer finanzieller Informationsquellen Interaktionsstrukturen Bewertungskriterien Individuelle Entscheidungsträger im Buying Center Phasenablauf Buying Center Art Art Quelle: Choffray/ Lilien 1978, S. 22 Abb. 2.63: Das Modell des organisationalen Beschaffungsverhaltens von Choffray/ Lilien <?page no="143"?> Das Käuferverhalten 121 Quelle: Choffray/ Lilien 1978, S. 23 Abb. 2.64: Marketing-Response-Modell nach Choffray/ Lilien Alle Produktalternativen A Wahrscheinlichkeit, dass Produkt a realisierbar ist, unter der Bedingung, dass es im Evoked Set war Akzeptanz Modell Awareness Modell Wahrscheinlichkeit, dass Produkt a aus A im Evoked Set ist Individuelle Bewertungsmodelle Wahrscheinlichkeit, dass a von Personengruppe i gewählt wird, unter der Bedingung, dass a realisierbar und im Evoked Set war Gruppenentscheidungsmodelle Wahrscheinlichkeit, dass a vom Buying Center gewählt wird unter der Bedingung, dass mindestens eine Personengruppe i für dieses Produkt Präferenzen hat und a realisierbar und im Evoked Set war Marketing- Unterstützung für Produkt a Produktmerkmale von Produkt a Kommunikationsverhalten der Entscheidungsbeteiligten im Buying Center Umweltrestriktionen und Organisationserfordernisse Wahrnehmung der Entscheidungsbeteiligten und deren Entscheidungskriterien Beteiligte Entscheidungsgruppen; Annahmen über die Beziehungsstrukturen Entscheidungsparameter des Anbieters Entscheidungsprozess des Nachfragers Vom Anbieter nicht beeinflussbare Einflussgrößen <?page no="144"?> 122 Verhalten von Marktteilnehmern Submodell Messverfahren Awareness-Modell Akzeptanz-Modell Gruppenentscheidungsmodelle Individuelle Bewertungsmodelle - Regressionsanalysen mit Daten aus Felduntersuchungen . Abhängige Variable ist die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens ein Mitglied i des Buying Centers das Produkt a im Evoked Set hat. Unabhängige Variablen sind die Aufwendungen für Werbung, Personal Selling und technischen Service. - Decision Calculus, bei dem die jeweiligen Marketing-Manager aufgrund ihrer Erfahrungen die funktionale Beziehung zwischen Aufmerksamkeitswirkung und Marketing-Bemühungen quantifizieren (schätzen). Um festzulegen, welche Produktcharakteristika notwendig sind, um nicht grundsätzlich die Akzeptanz zu verhindern, werden vorgeschlagen: - Bestimmung der multivariaten Verteilung der organisationalen Erfordernisse aus Stichprobenwerten (Wahrscheinlichkeitsansätze) oder - Simulation und Logit Regressionen. Verschiedene Methoden, insbesondere: - Präferenz-Regressions-Modelle Vorgeschlagen werden 4 Typen von Modellen, deren Auswahl dem Manager aufgrund seiner speziellen Erkenntnisse überlassen bleibt : - Gewichtetes Wahrscheinlichkeitsmodell - Proportionalitätenmodell - Einstimmigkeitsmodell - Akzeptierbarkeitsmodell Gewichtszahlen repräsentieren die relative Machtposition der Individuen im Buying Center. Gleiche Gewichtszahlen für alle Beteiligten im Buying Center. Iterationsansatz, bis Einstimmigkeit hergestellt ist. Wahl der Alternative, die die geringste Präferenzeinschränkung bei den Mitgliedern des Buying Centers bewirkt. Quelle: Choffray/ Lilien 1978, S. 23 ff. Abb. 2.65: Messverfahren für die Submodelle des Marketing-Response-Modells von Choffray/ Lilien <?page no="145"?> Das Käuferverhalten 123 2.1.3.3.1 Personale Interaktionsansätze Bei dyadisch-personalen Interaktionsansätzen stehen überwiegend Matching-Studien im Vordergrund der Analyse. Hierbei handelt es sich um Studien, welche die Ähnlichkeit der beiden Verhandlungspartner als Determinante für das Ergebnis des Interaktionsprozesses untersuchen (vgl. z.B. Evans 1963; Dion/ Easterling/ Hiller 1995). Gemessen wird die Ähnlichkeit beispielsweise anhand von ökonomischen, sozialen, demographischen, physischen, kognitiven und Persönlichkeitsmerkmalen der Interaktionspartner. Darüber hinaus ist das Rollenverhalten von Relevanz. Schoch (1969) zeigt, dass ein kongruentes Rollenverhalten den Transaktionsverlauf positiv beeinflusst, d.h. Verhaltenserwartung und Verhaltenserfüllung auf Anbieter- und Nachfragerseite stimmen jeweils überein. Derartige dyadisch-personale Interaktionsansätze spielen insbesondere beim persönlichen Verkauf eine Rolle (vgl. Abschnitt 2.4.5.5 im 3. Teil). Multipersonale Interaktionsansätze berücksichtigen die Tatsache, dass häufig nicht nur zwei, sondern mehrere Personen am Transaktionsprozess teilnehmen. Hieraus ergeben sich z.T. erhebliche Unterschiede im Vergleich zu den dyadisch-personalen Interaktionsansätzen (vgl. Backhaus/ Voeth 2014, S. 110 f.): Bei steigender Zahl der Interaktionsbeteiligten erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Statusprobleme zwischen den beteiligten Mitgliedern auftauchen können (z.B. Anwesenheit eines Sachbearbeiters kann dazu führen, dass ein ebenfalls anwesendes Vorstandsmitglied sich statusmäßig abgewertet fühlt). Derartige Statusprobleme können den Transaktionsverlauf negativ beeinflussen. Dyadisch-personale Interaktionsansätze Dyadisch-organisationale Interaktionsansätze Multipersonale Interaktionsansätze Multiorganisationale Interaktionsansätze zwei mehr als zwei Personale Interaktionsansätze Organisationale Interaktionsansätze Quelle: In Anlehnung an Backhaus/ Voeth 2014, S.107 ff. Abb. 2.66: Typologie von Interaktionsansätzen Personen Organisationen Art der Beteiligten Zahl der Beteiligten <?page no="146"?> 124 Verhalten von Marktteilnehmern In Mehrpersonengruppen besteht die Möglichkeit, Koalitionen zu bilden. Hierdurch werden Machtverhältnisse verschoben, welche zu einer erheblichen Beeinflussung des Interaktionsergebnisses führen können. Unternehmensgröße Geschäftsbeziehung SC-Verhandlungen Buying Center Verhandlungsdauer Ausgang Konjunktur Produktwert Konkurrenz Einzelverhandlungen Quelle: Kern 1990, S. 198 Abb. 2.67: Ergebnisse einer LISREL-Analyse in einem organisationalen Interaktionsansatz 0,836 0,119 0,259 0,909 -0,027 0,142 0,119 -0,087 0,493 0,055 0,853 -0,034 0,044 0,167 0,017 0,113 0,109 -0,128 0.117 -0,109 0,061 0,052 0,265 -0,027 0,195 -0,093 -0,368 <?page no="147"?> Das Käuferverhalten 125 Indirekte Beziehungen, welche zu verdeckten Einflussbeziehungen im Beziehungsnetz führen, erlangen Bedeutung. Sie werden jedoch häufig übersehen, obwohl sie für die Interaktionsprozesse sowie das Interaktionsergebnis relevant sind. 2.1.3.3.2 Organisationale Interaktionsansätze Organisationale Interaktionsansätze berücksichtigen die Abhängigkeit des Einzelnen von der Organisation. Konkret werden zusätzliche organisationale Einflussfaktoren in die Analyse mit einbezogen. Mittels kausalanalytischer Verfahren (z.B. LISREL) lässt sich dann das simultane Zusammenwirken der relevanten Einflussfaktoren im Hinblick auf das Ergebnis der Interaktionen zwischen den Beteiligten analysieren. Abb. 2.67 zeigt ein dyadisch-organisationales Strukturmodell, welches von Kern (1990) aufgestellt wurde. Indirekt messbare Konstrukte werden durch Kreise dargestellt, direkt gemessene Variablen durch Rechtecke. Die Werte (Pfadkoeffizienten) an den Pfeilen geben dabei Stärke und Richtung des Zusammenhangs an. Sie sind (analog dem Korrelationskoeffizienten) auf Werte zwischen -1 und +1 normiert. Beispielsweise ist ersichtlich, dass die Unternehmensgröße die Größe des Buying Center erheblich beeinflusst (0,909), wohingegen die Konjunktur kaum einen Einfluss auf die Anzahl der Selling Center (SC)-Verhandlungen hat (0,017). Multiorganisationale Interaktionsansätze greifen die Tatsache auf, dass bei industriellen Beschaffungsprozessen durchaus mehr als zwei Organisationen (kaufende und verkaufende Organisation) beteiligt sein können. Ein Beispiel hierfür könnte eine Arbeitsgemeinschaft zur gemeinschaftlichen Durchführung eines Großprojektes (z.B. Staudamm, Atomkraftwerk) sein, welcher ein Einkaufsbzw. Beschaffungskonsortium gegenübersteht. Besondere Beachtung hat dabei der Ansatz von Kirsch/ Kutschker (1978) gefunden. Zentrale Konstrukte dieses multiorganisationalen Interaktionsansatzes sind das Episoden- und das Potenzialkonzept. Eine Episode umfasst die kollektiven Planungs-, Entscheidungs- und Verhandlungsprozesse zwischen und innerhalb einer Organisation im Hinblick auf die Anbahnung, den Abschluss und die Realisation einer Transaktion. Unter Potenzialen hingegen werden die früher geschaffenen Voraussetzungen, die die Möglichkeit zur Transaktionsprozessbeeinflussung bieten, bezeichnet. Derartige Potenziale werden dabei häufig auch unter den Begriff „Geschäftsbeziehung“ subsummiert. Die Qualität einer Geschäftsbeziehung kann dabei u.a. dadurch zum Ausdruck kommen, inwieweit über den eigentlichen Verhandlungsgegenstand hinausgehende persönliche Kontakte das Transaktionsergebnis beeinflussen. Die diesbezüglichen empirischen Ergebnisse sind jedoch widersprüchlich (vgl. z.B. Kapitza 1987; Kern 1990). Die Grundstruktur des Ansatzes von Kirsch/ Kutschker zeigt Abb. 2.68. Die Herstellerorganisation, die Verwenderorganisation sowie Drittparteien bestimmen im Rahmen von Verhandlungen die entscheidenden Größen (Produktmerkmale, Preis, Konditionen) im Hinblick auf das betrachtete Kaufbzw. Verkaufsobjekt. Hersteller und Verwender setzen dabei unabhängig von der jeweiligen Transaktion Marketing-Maßnahmen zur Pflege ihrer Potenziale ein (Pfeile 1). Gleichzeitig beeinflussen die Potenziale von Hersteller und Verwender die Verhandlungen (z.B. Entwicklungsvorsprünge durch intensive F&E-Arbeit; Pfeile 2). Die Verhandlungen selbst wirken wieder auf die Potenziale von Hersteller und Verwender ein (z.B. Erkenntnisfortschritte im Rahmen der Verhandlung, Erkennen von Bedarfslücken; Pfeile 3). Schließlich können exogene Entwicklungen (z.B. neue Gesetzesauflagen) die Potenziale von Hersteller und Verwender beeinflussen (Pfeile 4). Andere Interaktionsansätze stellen die Auswirkungen langfristiger Geschäftsbeziehungen auf den Interaktionsprozess in den Mittelpunkt der Betrachtung (vgl. z.B. <?page no="148"?> 126 Verhalten von Marktteilnehmern Exogene Entwicklungen Transaktionsepisode (Verhandlungen) Potenziale des Herstellers Potenziale des Verwenders Herstellerorganisation Verwenderorganisation Drittparteien Konkurrenten 1 1 2 2 3 3 4 4 Quelle: Backhaus/ Voeth 2014, S. 117 Abb. 2.68: Wirkungszusammenhang von Episoden und Potenzialen bei Kirsch/ Kutschker Hakansson/ Östberg 1975). Auch wurde die Atmosphäre, in welcher die Interaktion stattfindet, auf ihre Bedeutung im Hinblick auf das Transaktionsergebnis untersucht. Dies deutet auf die Vielzahl von Interaktionsansätzen hin, welche mittlerweile in der Literatur existiert. 2.1.4 Das Kaufverhalten von Handelsbetrieben 2.1.4.1 Besonderheiten handelsbetrieblicher Beschaffungsprozesse Handelsbetriebe lassen sich charakterisieren als Unternehmen, welche Produkte einkaufen, um sie unverändert bzw. ohne gravierende Veränderung (z.B. Umverpackung) wieder zu veräußern (vgl. Berndt 1996, S. 140). Zu differenzieren ist dabei zwischen Groß- und Einzelhandel. Während Großhandelsbetriebe an Wiederverkäufer (insbesondere den Einzelhandel) und Großabnehmer verkaufen, veräußern Einzelhändler ihre Ware unmittelbar an Endverbraucher (Konsumenten). Generell besteht die zentrale Aufgabe des Handels darin, Waren von einer vorgelagerten Stufe im Absatzkanal zur Nachstufe weiterzuleiten und sie durch Kombination mit bestimmten Leistungen konsumreifer zu machen (vgl. Hansen 1990, S. 464). Da die Wertschöpfung von Handelsbetrieben nicht aus der Veränderung bestehender Ware bzw. der Produktion neuer Produkte resultiert, wird die besondere Bedeutung des Einkaufs bzw. der Beschaffung für Handelsbetriebe deutlich. Generell existiert für diese Aufgabe auch im Handel ein mehrköpfiges Einkaufsgremium (vgl. Bänsch 2002, S. 211 f.). Dieses Buying Center ist typischerweise besetzt mit dem Chefeinkäufer, dem jeweiligen Ressorteinkäufer, dem Vertriebsleiter, dem Verkaufsförderer und dem Inhaber bzw. Geschäftsführer. Lediglich in kleinen Handelsbetrieben <?page no="149"?> Das Käuferverhalten 127 Beschaffungsentscheidungen von Handelsunternehmen Bestimmung der zu beschaffenden Waren Bestimmung der Beschaffungswege Kontaktanbahnung zum Lieferanten Institutionalisierung der Lieferantenauswahl vertikal horizontal persönlich unpersönlich formal informell Quelle: Meffert 2000, S. 144 Abb. 2.69: Beschaffungsentscheidungen von Handelsunternehmen und deren Bestimmungsfaktoren Bestimmungsfaktoren der Unternehmensumwelt o Allgemeine Umwelt rechtlich wirtschaftlich technisch o Herstellerbzw. lieferantenbezogen - Marketingaktivitäten ggf. Handel/ Konsument - Push-Effekte - Bonität, Zuverlässigkeit etc. des Lieferanten - Produktangebot (Markenbekanntheit, Substituierbarkeit im Sortiment etc.) - ... o Konsumentenbezogen - Konsumtrends - Pull-Effekte - ... o Konkurrenzbezogen - Sortiment der Wettbewerber vertragliche Restriktionen (z.B. Ausschließlichkeitsbedingungen etc.) - ... Bestimmungsfaktoren des Handelsunternehmens o Strukturbezogen - Marktstufe (Groß- und Einzelhandel) - Betriebstyp - Lagerhaltung (zeit- und mengenmäßig) - ... o Organisationsbezogen - Entscheidungsbeteiligung von Ein- und Verkauf im Buying Center - Einkaufsorganisation (nach Warenarten, Regionen oder Lieferanten) - ... o Personenbezogen - Alter, Ausbildung und Informationsverhalten der Entscheidungsbeteiligten - Kommunikationsverhalten im Unternehmen - ... <?page no="150"?> 128 Verhalten von Marktteilnehmern werden die Einkaufsentscheidungen ausschließlich durch den Inhaber des Handelsgeschäfts gefällt. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Routinekaufentscheidungen (habitualisiertem Kaufverhalten) sowie extensiven Kaufentscheidungen. Routinekaufentscheidungen liegen vor, solange die regelmäßigen Sortimentskontrollen keine Änderung des Einkaufsverhaltens oder sogar eine Elimination des beschafften Produkts (z.B. wegen starker Umsatzrückgänge) anzeigen. Der betreffende Artikel wird dann turnusgemäß in gleicher Menge und gleicher Qualität weiter beschafft. Extensive Kaufentscheidungen hingegen sind zu erwarten, wenn neue Produkte in das Sortiment des Handels aufzunehmen sind. Auf Grund begrenzter Regalfläche sind Neuproduktkaufentscheidungen dabei häufig verbunden mit Eliminationsentscheidungen im Sortiment. Im Hinblick auf die Zeitdauer der Beschaffungsprozesse gilt, dass diese bei Handelsbetrieben häufig kürzer dauern als bei Industriebetrieben. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass das wertmäßige Volumen pro beschafftem Artikel im Regelfall deutlich niedriger ausfällt als bei Kaufentscheidungen von Industriegütern in Industriebetrieben. Neben geringeren finanziellen Konsequenzen ist auch eine höhere Revidierbarkeit der Kaufentscheidung gegeben: Neuprodukte können zunächst in geringen Mengen geordert werden. Bei guten Abverkäufen können größere Mengen nachgeordert werden, bei schlechtem Abverkauf besteht die Möglichkeit, durch Sonderaktionen (z.B. Preisnachlässe) die Regalfläche für Nachfolgeprodukte frei zu bekommen. Durch die moderne Scannertechnologie ist in diesem Zusammenhang eine hohe Transparenz im Hinblick auf die Verkaufsdaten einzelner Artikel gegeben. Kontinuierlich lässt sich abprüfen, zu welchem Preis in welcher Menge ein bestimmtes Produkt verkauft werden konnte. 2 2.1.4.2 Der Beschaffungsprozess in Handelsbetrieben und dessen Determinanten Der Beschaffungsprozess von Handelsbetrieben kann als ein mehrstufiger Entscheidungsprozess angesehen werden, welcher von diversen Bestimmungsfaktoren beeinflusst wird. Abb. 2.69 zeigt den Beschaffungsprozess zusammen mit den Determinanten der Beschaffungsentscheidung im Überblick auf. Ausgangspunkt ist die Frage, welche Artikel überhaupt gekauft bzw. in das Sortiment aufgenommen werden sollen. Diese Entscheidung selbst kann wiederum durch einen mehrstufigen Prozess dargestellt werden (vgl. Abb. 2.70). Auf das Herstellerangebot (Phase 1a) folgt die originale Neuproduktentscheidung über die Aufnahme oder Ablehnung des Produkts (Phase 1b). Typische diesbezügliche Entscheidungskriterien zeigt Abb. 2.71. Erfolgt eine Testphase, so kann diese originale Kaufentscheidung in Phase 1c erstmalig korrigiert werden. Eine zweite Möglichkeit der Kaufentscheidungskorrektur besteht in Phase 2a infolge einer Hersteller-Nachfass-Aktion bzw. einer Händler-Sortimentskontrolle. In Phase 2b ist schließlich über die endgültige Ablehnung bzw. Aufnahme des betrachteten Artikels in das Sortiment des Handels zu befinden. In unmittelbarem Zusammenhang mit der Entscheidung, was eingekauft werden soll, steht die Entscheidung, wo bzw. bei wem eingekauft werden soll. Diese Frage stellt sich insbesondere für den Einzelhandel, welcher im Rahmen der vertikalen Lieferantenauswahl eine Entscheidung zwischen dem Bezug beim Großhandel und dem direkten Bezug beim Hersteller zu befinden hat. Im Rahmen der horizontalen Lieferantenauswahl ist zu entscheiden, bei welchem Hersteller bzw. (Groß-)Händler die Ware zu beziehen ist, sofern es diesbezüglich Entscheidungsspielräume (Existenz mehrerer Anbieter) gibt. Diese Entscheidung orientiert sich an den Beschaffungszielen des Handels sowie an dem Beitrag, den der Lieferant zur Zielerreichung des Handels beitragen kann (vgl. Meffert 1992, S. 160). <?page no="151"?> Das Käuferverhalten 129 Quelle: Bauer 1980, S.166 Abb. 2.70: Der Prozess der Annahme bzw. Ablehnung eines neuen Produktes durch den Handel Phase 1a: Herstellerangebot Phase 1b: Originale Neuproduktentscheidung Phase 1c: Neuproduktentscheidung nach zusätzlicher Information Phase 2a: Hersteller-"Nachfass"-Aktion bzw. Händler-Sortimentskontrolle Phase 2b: Korrektive Neuproduktentscheidung Angebot eines neuen Produktes Neu- Produktentscheidung Test Ablehnung Aufnahme Fehler wird erkannt Test positiv? Ablehnung Aufnahme Nein Ja Neuprodukt anderswo erfolgreich bzw. neu angeboten? Ablehnung Nein Neuprodukt erfolgreich? Behalten Ja Fehler wird erkannt Ja Nein Korrekturentscheidung Korrekturentscheidung Aufnahme Elimination Ja Ja Behalten Nicht aufgenommen Nein Nein <?page no="152"?> 130 Verhalten von Marktteilnehmern Die Kontaktanbahnung im nächsten Schritt zwischen den jeweiligen beiden betroffenen Unternehmen kann persönlich oder unpersönlich erfolgen. Eine unpersönliche Kontaktanbahnung findet vor allem bei komplexen Produkten in Form von schriftlichen Anfragen und Angebotseinholungen oder bei Produkten, deren Qualität gemeinhin bekannt ist und welche keine zusätzlichen Inspektionen bzw. Qualitätsprüfungen erfordern (z.B. Markenartikel im Verbrauchsgüterbereich wie z.B. Lebensmittel), statt. Im Rahmen der Institutionalisierung der Lieferantenwahl besteht die Möglichkeit einer formellen oder einer informellen Gestaltung der Beschaffungswege. Eine formelle Gestaltung der Lieferantenbeziehung durch Verträge, schriftliche Fixierung von bestimmten Verhaltensweisen oder Prozeduren usw. sichert zwar eine genaue Abgrenzung von Rechten und Pflichten der Vertragspartner, schränkt jedoch gleichzeitig verschiedene Entscheidungsspielräume auf beiden Seiten (z.B. im Hinblick auf die Aufnahme von Konkurrenzprodukten, Mitsprache bei Sortimentsgestaltung, Sicherung des Rechtes auf Exklusivvertrieb) ein. Das Ausmaß der Einschränkung auf der einen oder anderen Seite hängt dabei von den jeweiligen Marktverhältnissen zwischen verkaufender und kaufender Organisation ab. Beeinflusst wird der Beschaffungsprozess des Handels von einer Reihe von Determinanten, welche unternehmensexterner und unternehmensinterner Natur sein können. Zu den unternehmensexternen Faktoren zählen allgemeine (rechtliche, wirtschaftliche, technische) Determinanten, herstellerbzw. lieferantenbezogene Faktoren sowie konsumenten- und konkurrenzbedingte Einflüsse. Auf der Seite der unternehmensinternen Faktoren finden sich strukturbezogene, organisationsbezogene und personenbezogene Einflussfaktoren, welche den Beschaffungsprozess von Handelsunternehmen determinieren (vgl. Abb. 2.69 sowie i.E. Meffert 1992, S. 162 ff.). 22.1.5. Das Kaufverhalten von öffentlichen Betrieben 2.1.5.1. Besonderheiten öffentlicher Beschaffungsprozesse Eine öffentliche Beschaffung liegt vor, wenn Verwaltungsbetriebe des Bundes, der Länder oder der Gemeinden sowie öffentliche Unternehmen (wie z.B. Bundesbahn, Bundespost) Güter bzw. Dienstleistungen nachfragen. Im Vergleich zu den Beschaffungsprozessen von Konsumenten oder privatwirtschaftlicher Industrie- oder Handelsbetriebe treten hierbei einige Besonderheiten zu Tage. Gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmen weisen öffentliche Unternehmen bzw. Behörden grundsätzlich unterschiedliche Zielsetzungen auf. Die Zielsetzungen werden durch die den öffentlichen Unternehmen bzw. der Verwaltung zugewiesenen öffentlich-rechtlichen Aufgaben (z.B. Gesundheitsvorsorge, Sicherheit und Ordnung, Verteidigung) determiniert. Generelles Ziel ist dabei im Hinblick auf die Beschaffung die Minimierung der Beschaffungskosten unter der Bedingung einer Bedarfsdeckung in zeitlicher, örtlicher, qualitativer und quantitativer Hinsicht (vgl. Berndt 1996, S. 149). Hinzu können weitere Ziele treten wie die Förderung des Wettbewerbs auf der Anbieterseite, die Mittelstandsförderung, Förderung von Anbietern in strukturschwachen Räumen usw. Reglementiert wird die Beschaffung öffentlicher Betriebe durch eine Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien. Hierzu zählen allgemeine Rechtsgrundlagen wie das Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG), die Bundeshaushaltsordnung (BHO) sowie das Grundgesetz (GG). In diesen allgemeinen Rechtsgrundlagen sind verschiedene Grundsätze festgelegt wie z.B. das Prinzip der Vollständigkeit sowie die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Das Prinzip der Vollständigkeit besagt, dass alle zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben sowie <?page no="153"?> Das Käuferverhalten 131 Gewinnbeitrag des Produktes Produktakzeptanz durch den Nachfrager bzw. Konsumenten Marketingunterstützung seitens des Herstellers Ertragspotenzial - Handelsspanne - Umschlagsgeschwindigkeit - Flächenproduktivität - Warenbewegungsaufwand (Einführungs-) Rabatte des Herstellers Serviceleistungen des Herstellers Sortimentsverbundeffekte - DB-Verluste bei Substitutionsverbundeffekte - DB-Gewinne bei Komplementärartikeln Bekanntheitsgrad Wahrgenommene Produktqualität Unique Selling Proposition Image des Produkts bzw. der Marke Wahrgenommenes Preis-Leistungsverhältnis Neuheitsgrad Verpackungsattraktivität Ausmaß werblicher Unterstützung des Produkts Kooperationsbereitschaft des Herstellers Ausmaß von handels- und verbrauchergerichteter Sales Promotions Bereitschaft zu vertraglicher Bindung Abb. 2.71: Kriterien des Handels bei der Entscheidung der Aufnahme neuer Produkte Verpflichtungsermächtigungen bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplanes zu berücksichtigen sind. Dass nur so viel ausgegeben werden darf, wie zur Erfüllung der Aufgaben des Staates bzw. öffentlicher Behörden notwendig ist, entspricht dem Prinzip der Sparsamkeit. Nach dem (nicht näher definierten) Prinzip der Wirtschaftlichkeit hingegen ist ein optimales Verhältnis zwischen Leistung und Aufwand anzustreben. Generell sind zunächst die notwendigen staatlichen Aufgaben festzustellen, welche dann mit möglichst geringen finanziellen Mitteln erfüllt werden sollen. Darüber hinaus existieren spezielle Verordnungen für die Beschaffung von Leistungen wie die Verdingungsordnungen für Leistungen (VOL), die Verordnungen über Preise bei öffentlichen Aufträgen (VPöA) sowie die Leitsätze für Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten (LSP). Für die Beschaffung von Bauleistungen durch öffentliche Nachfrager existieren die Verdingungsordnungen für Bauleistungen (VOB), die Verordnung über Preise bei öffentlichen und mit öffentlichen Mitteln finanzierten Aufträgen (VPöA-Bau) sowie die Leitsätze für Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten speziell für Bauleistungen (LSP-Bau). Hinzu treten ergänzende Richtli- <?page no="154"?> 132 Verhalten von Marktteilnehmern Bedarfsentstehung Bedarfsplanung Haushaltsvoranschlag Verabschiedung bzw. Genehmigung der Pläne Mittelzuteilung Beschaffungsdisposition Erstellen der Auftragsunterlagen (Leistungsbeschreibung) Festlegung der Vergabeart Zuschlagserteilung Vertragsabschluss Auftragsdurchführung Güteprüfung und Abnahme Rechnungserstellung Preisprüfung Zahlung Eingang und Öffnung der Angebote Beschränkte Ausschreibung Öffentliche Ausschreibung Freihändige Vergabe Aufforderung zur Angebotsabgabe Bekanntmachung der Auftragsvergabe (öffentliche Bekanntmachung; öffentlicher Teilnahmewettbewerb) Prüfung der Angebote Aufhebung der Ausschreibung Freihändige Vergabe Quelle: Hammann/ Lohrberg 1986, S. 61 Abb. 2.72: Beschaffungsprozess in öffentlichen Institutionen <?page no="155"?> Das Käuferverhalten 133 nien wie z.B. die Richtlinien der Bundesregierung zur angemessenen Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nach der VOL (vgl. zu den rechtlichen Regelungen der Beschaffung auch Berndt 1988, S. 25 ff.). Die Beschaffung im öffentlichen Bereich erfolgt im Regelfall gemäß einer Ausschreibung. Allgemein wird unter einer Ausschreibung die Aufforderung von Anbietern verstanden, Angebote für eine nachgefragte Leistung unter Beachtung bestimmter Verfahrensregeln einzureichen. Zu diesen Verfahrensregeln gehören die Geheimhaltung der Angebote bis zum Ende der Angebotsfrist sowie der Ausschluss von Nachverhandlungen. Unterschieden werden kann dabei zwischen der öffentlichen Ausschreibung, der beschränkten Ausschreibung sowie der freihändigen Vergabe. Bei einer öffentlichen Ausschreibung wird eine unbegrenzte Zahl von Anbietern aufgefordert, ein Angebot für eine von der öffentlichen Hand nachgefragte Leistung abzugeben. Eine beschränkte Ausschreibung hingegen liegt vor, wenn eine bestimmte Anzahl von Anbietern von dem öffentlichen Beschaffungsorgan direkt aufgefordert wird, ein Angebot abzugeben. Dabei sollen im Regelfall mindestens drei voneinander unabhängige Anbieter herangezogen werden, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie fachkundig, leistungsfähig und zuverlässig sind. Eine derartige Vorgehensweise wird insbesondere dann eingeschlagen, wenn eine öffentliche Ausschreibung im Hinblick auf die zu beschaffende Leistung zu aufwendig ist, die Eigenart der nachgefragten Leistung keine öffentliche Ausschreibung erlaubt (z.B. im militärischen Bereich) oder eine bereits erfolgte öffentliche Ausschreibung kein befriedigendes Ergebnis erzielt hat. Eine freihändige Vergabe schließlich liegt vor, wenn die Auftragsvergabe nach freiem Ermessen des öffentlichen Nachfragers erfolgt. Sie bietet sich z.B. bei besonderer Dringlichkeit oder bei einer vorteilhaften Gelegenheit an. Ebenfalls kann eine freihändige Vergabe erfolgen, wenn im Hinblick auf den Anbieter der nachgefragten Leistung keine Entscheidungsspielräume existieren (z.B. bei Angebotsmonopolen oder bei patentbzw. lizenzgeschützten Leistungen). Eine weitere Besonderheit öffentlicher Beschaffungsprozesse besteht in dem hohen Formalisierungsgrad, welcher regelmäßig mit öffentlichen Beschaffungen verbunden ist. Im Regelfall ist eine Vielzahl von detaillierten Formularen auszufüllen und gegenzeichnen zu lassen, bevor eine Anschaffung genehmigt wird. Dies resultiert u.a. aus der Tatsache, dass öffentliche Beschaffungsentscheidungen einer kritischen Überprüfung der Verwendung öffentlicher Mittel (z.B. durch den Bundes- oder Landesrechnungshof, Bund der Steuerzahler) standhalten müssen. 2 2.1.5.2. Der Kaufentscheidungsprozess von Behörden Öffentliche Beschaffungsprozesse weisen eine nicht unerhebliche Komplexität auf. Abb. 2.72 zeigt die einzelnen Stufen des Beschaffungsprozesses in öffentlichen Institutionen auf. Ausgehend von der Bedarfsentstehung und Bedarfsplanung müssen finanzielle Mittel veranschlagt werden, welche offiziell im Rahmen der Haushaltsplanung genehmigt bzw. verabschiedet werden müssen. Nach der Mittelzuteilung erfolgt die Beschaffungsdisposition sowie eine genaue Beschreibung der nachgefragten Leistung. Schließlich erfolgt eine Entscheidung über die Vergabe- <?page no="156"?> 134 Verhalten von Marktteilnehmern art, welche im Regelfall in einer öffentlichen Ausschreibung besteht. Nach Ablauf der Ausschreibungsfrist werden die Angebote geöffnet und geprüft. Der Zuschlag ergeht an das „angenehmste“ Angebot. Dies muss nicht immer das Angebot mit dem niedrigsten Preis sein, z.B. wenn ein Verdacht des ruinösen Wettbewerbs vorliegt oder Zweifel im Hinblick auf die Qualität der zu erbringenden Leistung bei einem bestimmten Anbieter gehegt werden. Nach der Auftragsdurchführung erfolgt schließlich eine Prüfung und Abnahme der Leistung sowie die Zahlung des Rechnungsbetrages nach erfolgter Rechnungsprüfung. Sollte eine öffentliche Ausschreibung nicht zu befriedigenden Ergebnissen führen, so kann eine beschränkte Ausschreibung mit gezielter Aufforderung zur Angebotsabgabe oder eine freihändige Vergabe erfolgen. 22.2 Das Anbieterverhalten 2.2.1 Wettbewerbsstrategische Grundausrichtungen und Haltungen Konkurrenzorientiertes Agieren von Anbietern kann sich in zwei grundsätzlichen wettbewerbsstrategischen Grundausrichtungen manifestieren (vgl. Becker 2019, S. 374 ff.): Anpassung (an das Marktbzw. Branchenübliche) oder Abhebung (vom Marktbzw. Branchenüblichen). Während sich die Anpassungsstrategie durch Festhalten an bewährten Standards im Marketingund/ oder (Produkt- und Fertigungs-) Technologiebereich auszeichnet, wird im Rahmen der Abhebungsstrategie versucht, sich durch Ausnutzung spezifischer Potenziale des Unternehmens (z.B. besonderes Know-how, Image- oder Qualitätsvorteile) vom Angebot der Konkurrenz zu differenzieren. Zur Umsetzung der Abhebungsstrategie bedarf es dabei bestimmter Voraussetzungen, welche insbesondere in der Bereitschaft der Unternehmensführung gegeben ist, eine besondere (höhere) Risikoneigung zu zeigen sowie spezifische (in der Regel längere) Zielfristen zu akzeptieren. Als zweite Dimension des Anbieterverhaltens sind die Haltungen der Unternehmen heranzuziehen (vgl. Berndt/ Fantapié Altobelli/ Sander 2020, S. 224 f.). Zu unterscheiden ist zwischen offensiven Haltungen sowie defensiven Haltungen. Defensive Haltungen streben eine Bewahrung des Status Quo an und zeichnen sich dadurch aus, dass konkurrenzgerichtete Maßnahmen erst dann eingeleitet werden, wenn das Unternehmen durch ein offensives Vorgehen eines oder mehrerer anderer Anbieter bedroht wird. Offensive Haltungen hingegen sind dadurch gekennzeichnet, dass mögliche Vorgehensweisen der Konkurrenz explizit in die eigene Planung mit eingehen und bereits im Vorfeld marktgerichteter Aktivitäten der Konkurrenz durch Auswertung „schwacher Signale“ (vgl. Ansoff 1976, S. 129) reagiert wird. Offensichtlich spielt damit der Zeitpunkt der Einleitung konkurrenzgerichteter Maßnahmen zur Unterscheidung zwischen offensiven und defensiven Haltungen eine große Rolle. Betrachtet man die wettbewerbsstrategische Grundausrichtung sowie die jeweilige Haltung von Unternehmen simultan, so ergeben sich vier generelle Handlungsanweisungen (vgl. Abb. 2.73). <?page no="157"?> Das Anbieterverhalten 135 Symmetrische Kombinationen stellen dabei natürliche Bündel dar, welche sich im konventionellen Handeln (Anpassung an marktbzw. branchenübliche Standards im Marketingund/ oder Technologiebereich) mit dem Ziel der Sicherung der erlangten Position oder im kontrastierenden Handeln (Abhebung von marktbzw. branchenüblichen Standards z.B. im Hinblick auf die Produkttechnologie, Verwendung unüblicher Absatzwege, auffällige Werbekampagnen usw.) mit dem Ziel einer marktlichen Besserstellung des Unternehmens niederschlagen. Asymmetrische Kombinationen wettbewerbsstrategischer Handlungsmuster stellen demgegenüber „unnatürliche“ Verknüpfungen dar, welche unter Berücksichtigung situativer Gegebenheiten jedoch durchaus möglich und sinnvoll sein können (z.B. Kaschierung eines offensiven Verhaltens durch bewusstes Festhalten an wichtigen Marketingstandards wie Qualitätsabstufungen und/ oder Serviceniveau bzw. Stützung eines an sich defensiven Marktverhaltens durch partielle Abhebung in Schlüsselbereichen wie die Produktqualität; vgl. Becker 2019, S. 375 ff.). Konkretisiert werden die strategische Grundausrichtung sowie die Haltung eines Unternehmens durch die Handhabung von Schlüsselfaktoren wie die angebotene Leistungsbzw. Produktqualität, die Preispositionierung, die räumliche Ausbreitung der unternehmerischen Aktivitäten (z.B. Inland/ Ausland) sowie das strategische Timing von Maßnahmen (vgl. hierzu i.E. die Abschnitte 1.2 und 1.3 im 3. Teil). Das strategische Timing von Maßnahmen führt dabei zur Unterscheidung zwischen einer Pionier-Strategie (First-to-the-Market-Strategy), einer Frühfolger-Strategie (Second-to-the-Market-Strategy) und einer Spätfolger-Strategie (Later-to-the-Market- Strategy). Sowohl die Frühfolgerwie auch die Spätfolger-Strategie stellen dabei Imitationsstrategien dar, wohingegen die Pionier-Strategie mit einer Innovationsstrategie gleich zu setzen ist. Abb. 2.74 fasst die grundsätzlichen Vor- und Nachteile einer Innovationsstrategie zusammen. Die Vor- und Nachteile einer Imitationsstrategie sind spiegelbildlich zu interpretieren. Generell gilt, dass von einem strategischen Wettbewerbsvorteil nur dann gesprochen werden kann, wenn folgende drei Kriterien erfüllt sind (vgl. Simon 1988, S. 4): Eine im Vergleich zum Wettbewerb überlegene Leistung muss sich auf ein für den Kunden wichtiges Leistungsmerkmal beziehen. Die überlegene Leistung muss tatsächlich wahrgenommen werden. Diese Leistung muss eine bestimmte Dauerhaftigkeit im Sinne einer schwierigen Imitierbarkeit durch die Konkurrenz aufweisen. Unterschiedliche Handlungscharakter Alternative Handlungsweisen Grad der Originalität Grad der Aktivität unkonventionell konventionell defensiv offensiv symmetrische Kombination asymmetrische Kombination Quelle: Becker 2019, S. 375 Abb. 2.73: Matrix wettbewerbsstrategischer Handlungsmuster <?page no="158"?> 136 Verhalten von Marktteilnehmern Quelle: Brockhoff 1999, S. 272 Abb. 2.74: Vor- und Nachteile eines Innovators Sind diese drei Anforderungen nicht erfüllt, so kann nicht von einem strategischen Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens gesprochen werden. 22.2.2 Verhaltensstile von Unternehmen In engem Zusammenhang mit den Haltungen von Unternehmen stehen deren Verhaltensstile, d.h. ihr tatsächlich am Markt geäußertes Verhalten. Verhaltensstile von Unternehmen werden entscheidend geprägt durch oberste Unternehmensziele bzw. generellen Wertvorstellungen, welche sich in der Corporate Mission eines Unternehmens niederschlagen. Die Corporate Mission ist dabei wesentlicher Bestandteil der Corporate-Identity-Policy (vgl. Abschnitt 2.3.5.2 im 3. Teil). Grundsätzlich lassen sich vier Verhaltensstile identifizieren, die in Abb. 2.75 näher charakterisiert werden. Zu beachten ist dabei, dass sich das tatsächliche Verhalten eines Unternehmens u.U. nicht genau einem Verhaltensstil zuordnen lässt, weil die Verhaltensstile inhaltlich nicht völlig disjunkt sind und sich Unternehmen simultan mehrerer Verhaltensstile bedienen können (z.B. en auf einem anderen Produktmarkt bzw. Geschäftsfeld; vgl. zu den Verhaltensstilen von Unternehmen auch Abschnitt 1.3.2 im 3. Teil). Vorteile Nachteile Ausnutzung einer zeitweise monopolistischen Angebotssituation zur Erwirtschaftung hoher Produzentenrenten Errichtung von Markteintrittsschranken, z.B. durch den Aufbau eines zeitlich übertragbaren Produktimage, Prägung des Produktgattungsbegriffs durch den eigenen Markennamen, Einführung von Standards, Aufbau von Erfahrungen in der Produktverwendung usw. Ausnutzung von Größenvorteilen (scale economies) Aufbau von Produktionserfahrungen zur Senkung der Herstellkosten Kontrolle knapper Inputfaktoren Aufnahme von mehr Information und besserer Beurteilung von Pioniermarken im Vergleich zu Folgemarken (Lern- und Behaltenseffekte) Besetzung von Distributionskanälen Große Schwierigkeiten bei der Abschätzung der Nachfragebedingungen Notwendigkeit der Weckung der latenten Bedürfnisse Auftreten von „Kinderkrankheiten“ am neuen Produkt Keine (oder nur beschränkte) Nutzung von Verwendererfahrungen Keine Nutzung fremder Vorbilder zur Senkung eigener Entwicklungsaufwendungen <?page no="159"?> Das Anbieterverhalten 137 Wiederholungsfragen und -aufgaben zum „Verhalten von Marktteilnehmern“: [1] Charakterisieren Sie extensive, habitualisierte, limitierte sowie impulsive Kaufentscheidungen als alternative Kaufentscheidungstypen. [2] Erörtern Sie das Markenwahl-Modell von Brisoux/ Laroche. [3] Erläutern Sie verschiedene Determinanten des Konsumentenverhaltens. Nehmen Sie dabei eine Unterteilung in interpersonale und intrapersonale Faktoren vor. [4] Stellen Sie dar, in welchen Stufen der Kaufentscheidungsprozess eines Konsumenten typischerweise abläuft. [5] Stellen Sie den Aufbau des mikroökonomischen Partialmodells des Konsumentenverhaltens dar. [6] Nennen und erläutern Sie die Ihnen bekannten psychologischen Partialmodelle des Konsumentenverhaltens. [7] Nennen und erläutern Sie die Ihnen bekannten interpersonellen Partialmodelle des Konsumentenverhaltens. Stiltyp Inhaltliche Ausprägung Friedlich Zurückhaltendes Agieren des Unternehmers am Markt („Am Markt ist Platz für alle“) Kooperativ Bewusstes Zusammenwirken mehrerer Anbieter, um die jeweils gesteckten Ziele einfacher erreichen zu können Aggressiv Offensives Angriffsverhalten (z.B. massive Werbung, starke Preissenkungen) zur Verbesserung der eigenen Marktposition Konfliktär Bewusste Inkaufnahme von Konflikten mit anderen Unternehmen oder Institutionen (z.B. Kartellamt) im Rahmen der Verfolgung der eigenen Ziele (z.B. durch intensive vergleichende Werbung) Abb. 2.75: Verhaltensstile von Unternehmen <?page no="160"?> 138 Verhalten von Marktteilnehmern [8] Nennen und erläutern Sie die Ihnen bekannten Totalmodelle des Konsumentenverhaltens. Worin besteht in diesem Zusammenhang der Unterschied zwischen der induktiven und der deduktiven Methode? [9] Stellen Sie die Funktionsweise des Markoff-Modells (1. Ordnung) sowie des linearen Lernmodells als vollstochastische Modelle des Konsumentenverhaltens dar. Gehen Sie dabei näher auf die Unterschiede beider Modellansätze ein. [10] Charakterisieren Sie Simulationsmodelle des Konsumentenverhaltens. [11] Welche Besonderheiten existieren generell bei industriellen Kaufbzw. Beschaffungsprozessen? [12] Erörtern Sie das Buying Center Konzept, Prozessmodelle sowie Buygrid-Modelle als Partialansätze im Rahmen des industriellen Beschaffungsverhaltens. [13] Erläutern Sie die Ihnen bekannten Totalmodelle des industriellen Beschaffungsverhaltens. [14] Worin bestehen die Besonderheiten von Interaktionsansätzen des industriellen Beschaffungsverhaltens? Wie können diese Ansätze typologisiert werden? [15] Stellen Sie die Besonderheiten handelsbetrieblicher Beschaffungsprozesse dar. [16] Welches sind typische Kriterien des Handels bei der Aufnahme neuer Produkte in das eigene Sortiment? [17] Stellen Sie die Besonderheiten der Beschaffungsprozesse öffentlicher Betriebe dar. [18] Erläutern Sie den Ablauf von Beschaffungsprozessen in öffentlichen Institutionen. [19] Welche wettbewerbsstrategischen Grundausrichtungen und Haltungen existieren auf der Anbieterseite? [20] Erörtern Sie mögliche Verhaltensstile von Unternehmen. Einführende Literaturempfehlungen zum „Verhalten von Marktteilnehmern“: Bänsch, A. (2002): Käuferverhalten, 9. Aufl., München, Wien 2002. Berndt, R. (1996): Marketing 1. Käuferverhalten, Marktforschung und Marketing-Prognosen, 3. Aufl., Berlin u.a. 1996. Engel, J.F.; Blackwell, R.D.; Miniard, P. (2006): Consumer Behavior, 10. Aufl., Mason 2006. Kern, E. (1990): Der Interaktionsansatz im Investitionsgütermarketing, Berlin 1990. Kroeber-Riel, W.; Gröppel-Klein, A. (2019): Konsumentenverhalten, 11. Aufl., München 2019. Scheck, C. (1999): Nachkaufmarketing. Ein interdisziplinärer Ansatz zur Generierung von Strategien der Kundenbindung unter besonderer Berücksichtigung von Kundenclubs, Frankfurt/ Main 1999. Boltz, D.-M./ Trommsdorff, V. (2022): Konsumentenverhalten, 9. Aufl., Stuttgart u.a. 2022. <?page no="161"?> 33 Marktinformationen Lernziele im Kapitel „Marktinformationen“: In diesem Kapitel erfahren Sie was man unter dem Begriff „Marktforschung“ versteht, wie der Marktforschungsprozess abläuft, wie auf sekundärstatistischem Wege Daten gewonnen werden können, wie auf primärstatistischem Wege Daten gewonnen werden können, welche Möglichkeiten der Datenauswertung bestehen, wie Marketing-Informationssysteme funktionieren, was man unter dem Begriff „Marktsegmentierung“ versteht und wie Prognosen im Rahmen des Marketing erstellt werden können. Nach Bearbeitung des Kapitels sind Sie in der Lage unterschiedliche Skalenniveaus von Variablen aufzuzeigen, Messinstrumente darzulegen und deren Güte zu beurteilen, die Vor- und Nachteile der primär- und sekundärstatistischen Datengewinnung aufzuzeigen, diverse Auswahlverfahren für Merkmalsträger vorzustellen, unterschiedliche Datenerhebungsmethoden zu erläutern und deren Vor- und Nachteile darzustellen, alternative uni-, bi- und multivariate Datenanalysemethoden detailliert zu erläutern, den Zweck und die Vorgehensweise im Rahmen der Marktsegmentierung darzulegen, diverse quantitative und qualitative Marketing-Prognoseverfahren zu erklären und anzuwenden sowie die Güte von Prognosen zu beurteilen. <?page no="162"?> 140 Marktinformationen 33.1 Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 3.1.1 Begriff und Formen der Marktforschung Gegenstand der Marktforschung ist die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen über Märkte. Auf diese Weise soll ein Informationsbedarf befriedigt werden, welcher anhand des jeweiligen Entscheidungsproblems im Hinblick auf die Art, den Inhalt und den Umfang konkretisiert werden muss. Untersuchungsgegenstand können dabei sowohl Absatzals auch Beschaffungsmärkte sein. Erfolgt eine länderübergreifende Analyse, so sind die Besonderheiten der internationalen Marktforschung (z.B. Vergleichbarkeit der erhobenen Daten) zu beachten (vgl. hierzu i.E. Berndt/ Fantapié Altobelli/ Sander 2020, S. 48 ff.). Zu unterscheiden ist darüber hinaus zwischen der demoskopischen und der ökoskopischen Marktforschung: Während sich die ökoskopische Marktforschung mit objektiven, von den Marktteilnehmern losgelösten Marktgrößen wie Umsätze, Produktpreise, Marktanteile usw. befasst, bezieht sich die demoskopische Marktforschung auf die Erforschung der mit den Marktteilnehmern untrennbar verbundenen Tatbestände wie Alter, Geschlecht, Beruf, Meinungen, Einstellungen usw. (vgl. Meffert 1992, S. 177). Weitere Formen der Marktforschung zeigt Abb. 2.76. Abgegrenzt werden kann die Marktforschung zudem von der Marketingforschung: Während sich die Marktforschung auf die Analyse von (Absatz- und Beschaffungs-) Märkten konzentriert, befasst sich die Marketingforschung auch mit Informationen aus nicht-marktlichen Bereichen (z.B. rechtliche, technische, gesamtgesellschaftliche Daten), welche für betriebliche Marketingentscheidungen relevant sind. Darüber hinaus können betriebsinterne Tatbestände Gegenstand der Marketingforschung sein. Abb. 2.77 zeigt die Informationsbereiche der Marketingforschung im Überblick auf. 3.1.2 Der Ablaufprozess der Marktforschung Grundsätzlich kann die Marktforschungstätigkeit als ein Ablauf aufeinanderfolgender Phasen verstanden werden. Abb. 2.78 zeigt die einzelnen Phasen der Marktforschung auf. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass zwischen den einzelnen Phasen Rückkopplungen existieren können (z.B. wenn im Rahmen der Datensammlung festgestellt wird, dass die Erhebungsmethoden ungeeignet oder die Stichprobe bei einer Teilerhebung inadäquat oder zu klein ist). In diesen Fällen werden die einzelnen Phasen nicht stringent nacheinander „abgearbeitet“. Zudem können auch einige Stufen übersprungen werden, wenn entsprechende Vorarbeiten bereits geleistet wurden (z.B. wenn ein geeignetes Datenmaterial bereits vorliegt). Ausgangspunkt des Ablaufprozesses ist die Formulierung des Forschungsproblems und darauf aufbauend die Ableitung des eigentlichen Forschungsziels. Dies setzt eine geeignete Kommunikation zwischen Marketing-Manager und Marktforscher voraus. Der Marketing-Manager muss die vorliegende Problemsituation verdeutlichen können, sodass der Marktforscher das Entscheidungsproblem versteht und den Informationsbedarf abschätzen kann. Gleichzeitig muss der Manager die Möglichkeiten und Grenzen der Marktforschung kennen. Das eigentliche <?page no="163"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 141 Problem sollte dann exakt formuliert und möglichst schriftlich festgehalten werden. Auf diese Weise wird vermieden, dass an eigentlichen Problemen „vorbeigeforscht“ wird. Aus der Problemformulierung wird dann das eigentliche Forschungsziel abgeleitet i.S. einer Konkretisierung der Aufgabenstellung. Besteht beispielsweise das Problem darin, dass das eigene Produkt qualitative Nachteile gegenüber Konkurrenzprodukten aufweist, so könnte das Untersuchungsziel in der Aufdeckung der für die Zielgruppe(n) bedeutenden Produkteigenschaften sowie der Einschätzung der einzelnen Produkte hinsichtlich dieser Eigenschaften liegen (vgl. Kuß/ Kleinaltenkamp 2020, S. 94 f.). Im nächsten Schritt ist die Zeit-, Organisations- und Finanzplanung durchzuführen. Konkret ist zu bestimmen, zu welchem Zeitpunkt die Marktforschungsergebnisse vorliegen sollten, wer Formen der Marktforschung Bezugszeitraum Einmalige Erhebung Permanente Erhebung Art des Untersuchungsobjektes Ökoskopische Marktforschung Demoskopische Marktforschung Form der Informationsgewinnung Primärforschung Sekundärforschung Erhebungsmethode Befragung Beobachtung Experiment Untersuchte Marketinginstrumente Produktforschung Preisforschung Kommunikationsforschung Vertriebsforschung Untersuchte Marktteilnehmer Konsumentenforschung Konkurrenzforschung Absatzmittlerforschung Art der Messung Quantitative Marktforschung Qualitative Marktforschung Träger der Marktforschung Instituts-Marktforschung Betriebliche Marktforschung Ort der Messung Laboruntersuchung Felduntersuchung Räumlicher Geltungsbereich Nationale/ lokale Marktforschung Internationale Marktforschung Quelle: In Anlehnung an Fantapié Altobelli/ Hoffmann 2011, S. 6 Abb. 2.76: Formen der Marktforschung <?page no="164"?> 142 Marktinformationen die Marktforschungsaktivitäten durchführen soll (z.B. externes Marktforschungsinstitut vs. interne Marktforschungsabteilung) und wieviel Geld für die Marktforschungsaktivitäten insgesamt zur Verfügung gestellt werden soll. Der anschließende Schritt befasst sich mit der wesentlichen Entscheidung, ob auf Sekundärdaten zurückgegriffen werden kann oder ob Primärforschung betrieben werden soll. Hier spielen Zeit-, Kosten- und Nutzenaspekte eine Rolle. Eine sekundärstatistische Datengewinnung liegt vor, wenn auf bereits existierende Daten zurückgegriffen wird (vgl. Abschnitt 3.1.3.2 in diesem Teil). Primärstatistische Datengewinnung hingegen ist gegeben, wenn für das vorliegende Forschungsproblem eine eigene Untersuchung durch das Unternehmen initiiert wird (vgl. Abschnitt 3.1.3.3 in diesem Teil). Im Regelfall ist die Sekundärforschung weniger zeit- und kostenintensiv als die Primärforschung, häufig ist aber auch ihr Nutzen geringer, weil z.B. die Informationsbereiche Informationen über die Unternehmensumwelt Informationen über betriebsinterne Tatbestände wirtschaftliche Daten Informationen über gesamtwirtschaftliche Größen Informationen über die betriebliche Marktlage und die Marktentwicklung nichtwirtschaftliche Daten rechtliche Daten gesellschaftliche Daten technische Daten Brancheninformationen Nachfragerinformationen Konkurrenzinformationen Informationen über Umweltreaktionen auf marketingpolitische Maßnahmen Informationen über die Unternehmens reaktionen auf Aktivitäten der Umwelt Quelle: Bidlingmaier 1983, S. 35 Abb. 2.77: Informationsbereiche der Marketingforschung Instrumentalinformationen Dateninformationen <?page no="165"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 143 Abb. 2.78: Der Ablaufprozess der Marktforschung Formulierung von Forschungsproblem und Forschungsziel Zeit-, Organisations- und Finanzplanung Entscheidung über Primär- oder Sekundärforschung Primärforschung Sekundärforschung Definition der Grundgesamtheit und Bestimmung der erhebungsrelevanten Merkmale Festlegung der Anforderungen an die Informationsquantität und -qualität Entscheidung über Vollbzw. Teilerhebung Bestimmung der Erhebungsmethoden Bei Teilerhebung Festlegung des Auswahlplans Datensammlung Identifizierung, Erfassung und Evaluation der Datenquellen Datenanalyse und -interpretation Ergebnisdokumentation und Präsentation der Ergebnisse <?page no="166"?> 144 Marktinformationen vorliegenden Daten veraltet, unvollständig oder in Teilen inadäquat (z.B. ungeeignete Variablendefinition, unpassende Skalierung) sind. Grundsätzlich gilt jedoch das Primat der Sekundärforschung, d.h. dass zunächst versucht wird, den Informationsbedarf auf dem (billigeren und schnelleren) sekundärstatistischen Wege zu befriedigen. Eine generelle Abwägung des Nutzens und der Kosten zusätzlich zu beschaffender Informationen kann über eine Bayes-Analyse erfolgen (vgl. z.B. Hammann/ Erichson 2000, S. 54 ff.; Berndt 1995a, S. 113 ff.). Wird eine Entscheidung zugunsten der Sekundärforschung gefällt, so sind die Anforderungen an die Informationsqualität und -quantität zu formulieren sowie die relevanten Datenquellen zu identifizieren und zu evaluieren bevor die eigentliche Datensammlung beginnt. Wird hingegen die Primärforschung bevorzugt, so ist zunächst die Grundgesamtheit zu definieren und zu bestimmen, welche Merkmale erhoben werden sollen. Anschließend erfolgt die Entscheidung über eine Voll- oder Teilerhebung, wobei bei realen Fragestellungen auf Grund des Umfanges der Grundgesamtheit im Regelfall auf eine Teilerhebung zurückgegriffen werden muss. In diesem Fall ist dann der Auswahlplan festzulegen (vgl. Abschnitt 3.1.3.3.1 in diesem Teil). Unabhängig davon ist die Erhebungsmethode festzulegen, welche in Form einer Befragung, Beobachtung oder Experiment sowie in der Spezialform eines Panels bestehen kann (vgl. Abschnitt 3.1.3.3.2 in diesem Teil). Ist die Datensammlung abgeschlossen, so erfolgt die Datenanalyse einschließlich einer Interpretation der Ergebnisse. Für die Datenanalyse steht eine Vielzahl von uni-, bi- und multivariaten Analyseverfahren zur Verfügung, welche unter Berücksichtigung der Analysezwecke sowie der Art des zu Grunde liegenden Datenmaterials herangezogen werden können (vgl. Abschnitt 3.1.4 in diesem Teil). Abschließend ist eine Dokumentation der Ergebnisse vorzunehmen (z.B. in Form eines zusammenfassenden schriftlichen Berichts). Im Regelfall erfolgt zudem eine Präsentation der Ergebnisse durch den (die) Marktforscher gegenüber denjenigen Managern, welche die Marktforschungsaktivitäten in Auftrag gegeben haben. Bestehende Verständigungsprobleme können im Rahmen einer Diskussion beseitigt und Interpretationsspielräume der Ergebnisse ausgelotet werden. 33.1.3 Die Gewinnung von Marktinformationen 3.1.3.1 Grundlegende messtechnische Aspekte der Informationsgewinnung 3.1.3.1.1 Skalierung von Variablen Die Skalierung von Variablen hat im Rahmen der Marktforschung eine erhebliche Bedeutung, da sie einerseits die anzuwendenden bzw. anwendbaren Datenanalyseverfahren determiniert, andererseits die Aussagekraft der Marktforschungsergebnisse beeinflusst. In Abb. 2.79 sind die vier möglichen Skalenniveaus aufgeführt und umfassend beschrieben. Während eine Nominalskala lediglich die Feststellung von Identitäten ermöglicht, kann anhand einer Ordinalskala eine Rangfolge zwischen verschiedenen Objekten festgestellt werden. Die Abstände zwischen den Objekten sind dabei unbekannt. Sind die Abstände zwischen den Objekten messbar, liegt eine Intervallskala vor, im Falle eines existenten absoluten Nullpunkts ist eine Verhältnisskala gegeben. Nominal- und Ordinalskalen entsprechen nicht-metrischen Skalen, Intervall- und Verhältnisskalen hingegen sind metrische Skalen. <?page no="167"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 145 Je nach untersuchtem Gegenstand sind zudem Skalenfragen zu entwickeln, welche eine Messung des interessierenden Sachverhalts erst ermöglichen. Dies gilt insbesondere für die Einstellungsforschung (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.4.2.1.1 in diesem Teil). Dabei kann man zwischen monopolaren vs. bipolaren Skalen sowie kontinuierlichen vs. diskontinuierlichen Skalen unterscheiden. Nominalskala Ordinalskala Intervallskala Verhältnisskala zulässige Rechenoperation empirische Aussage zulässige Maßzahlen u. Verfahren Beispiel jede eindeutige Operation Feststellung von Identitäten Modus, Kontingenzmaße Geschlecht des Probanden: 1 = männlich 2 = weiblich jede monotone, rangerhaltende Operation Feststellung von größeren oder kleineren Werten Median, Centile, Rangkorrelation Rangreihe von Produkten nach ihrer Präferierung durch einen Probanden: Produkt B = Rang 1 Produkt C = Rang 2 Produkt A = Rang 3 lineare Transformation Feststellung der Gleichheit von Intervallen oder Differenzen arithmetisches Mittel, Varianz, Produkt-Moment- Korrelation, t-Test, F-Test Einstellung eines Probanden zu einem Produkt: sehr sehr gut schlecht Einkommen in Euro Ähnlichkeitstransformation Feststellung eines Verhältnisses zweier Werte geometrisches Mittel, harmonisches Mittel 1 1 2 6 7 4 5 3 Quelle: Zentes 1998, S. 393 Abb. 2.79: Skalenniveaus Die Antwortskala hat zunächst ordinales Niveau. Sie nimmt die Eigenschaft einer Intervallskala an, wenn die Hypothese zugrunde gelegt werden kann, dass die semantischen Abstände zwischen den Skalenwerten als gleich eingeschätzt werden. 1 <?page no="168"?> 146 Marktinformationen Während bei monopolaren Skalen zwischen dem Minimum auf der einen Seite und dem Maximum auf der anderen Seite verschiedene Intensitätsabstufungen gegeben sind, finden sich bei bipolaren Skalen an den Skalenenden Ausdrücke mit gegensätzlicher Bedeutung. Bei kontinuierlichen Skalen besteht die Möglichkeit, sämtliche Ausprägungen bzw. Intensitätseinstufungen zwischen den Skalenenden heranzuziehen, bei diskontinuierlichen Skalen hingegen sind die Antwortmöglichkeiten auf der Skala fest vorgegeben. Abb. 2.80 zeigt Beispiele für monobzw. bipolare sowie kontinuierliche und diskontinuierliche Skalen. Mono- und bipolare Skalen können dabei beliebig mit kontinuierlichen bzw. diskontinuierlichen Skalen verknüpft werden. In diesem Zusammenhang ist auf einen wichtigen Effekt hinzuweisen: Wird bei einer diskontinuierlichen Skala eine gerade Anzahl an Antwortmöglichkeiten vorgegeben (z.B. in Abb. 2.80 im Feld unten links), so ist das Ankreuzen einer mittleren Position nicht möglich. Diese Auskunftsperson muss sich also für eine eher positive bzw. negative Haltung entscheiden. Hierdurch wird das tendenziell „mittige“ Antwortverhalten von unentschlossenen Auskunftspersonen vermieden. Allerdings kann in diesem Fall eine tatsächlich mittige bzw. indifferente Position nicht zum Ausdruck gebracht werden. Unterstützt werden kann das Antwortverhalten durch die Flächigkeit der Antwortmöglichkeiten. Eine größere Fläche drückt dabei eine höhere Intensität aus (vgl. auch das Feld unten links in Abb. 2.80). Ein weiteres diesbezügliches Beispiel ist die Aufgabe an eine Auskunftsperson, eine Karte mit der Aufschrift „Würde ich kaufen“ aus einem Stapel von Karten, auf denen dieser Schriftzug in unterschiedlicher Größe gestaltet ist, auszuwählen. Von der Größe des Schriftzuges der ausgewählten Karte wird dann auf die Kaufwahrscheinlichkeit des betreffenden Produkts geschlossen. Kontinuierliche Skala Diskontinuierliche Skala Monopolare Skala Bipolare Skala stimme überhaupt nicht zu stimme voll und ganz zu 1 2 3 4 5 6 7 -3 -2 -1 0 1 2 3 sehr unsympathisch sehr symphatisch halte ich für völlig ungeeignet halte ich für äußerst geeignet -3 -2 -1 0 1 2 3 1 2 3 4 5 6 teuer billig Abb. 2.80: Beispiele für verbal-numerische Skalen <?page no="169"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 147 3.1.3.1.2 Messinstrumente Messinstrumente sind einzusetzen zur Durchführung von Messungen. Dabei ist zwischen apparativen und nicht-apparativen Messinstrumenten zu unterscheiden. Bei apparativen Verfahren finden Messinstrumente wie Stoppuhr, Waage, Thermometer, Lichtschranke o.ä. Verwendung. Im Rahmen der Marktforschung existieren dabei spezifische apparative Techniken wie z.B. das Tachistoskop zur kurzzeitigen Einblendung von Werbemitteln oder die Blickregistrierung mittels einer Spezialbrille zur Messung der Werbewirkung von Anzeigen; auch kann mittels Einsatz psycho-biologischer Messinstrumente bspw. die Veränderung des Pupillendurchmessers ermittelt werden, welche Aufschluss über den Grad der Aktivierung der Versuchsperson bei der Wahrnehmung von Werbemitteln gibt (vgl. zu diesen apparativen Verfahren Fantapié Altobelli 2017, S. 121 ff.). Derartige non-verbale apparative Verfahren werden insbesondere dann eingesetzt, wenn die Vermutung einer Unwilligkeit oder Unfähigkeit zur Äußerung seitens der Versuchspersonen besteht. Hier steht jeweils die Beobachtung als Erhebungsinstrument im Vordergrund der Betrachtung (vgl. auch Abschnitt 3.1.3.3.2 in diesem Teil). Ein nicht-apparatives Verfahren (in technischer Hinsicht) besteht in der Befragung. Bestimmte Sachverhalte wie Einstellungen, Meinungen oder Absichten lassen sich ausschließlich durch Befragungen (und nicht durch Beobachtungen) in Erfahrung bringen. Problematisch ist dabei die Tatsache, dass die Messung ein und desselben Sachverhalts (z.B. die Einstellung gegenüber einem Objekt bzw. Produkt/ Marke) auf verschiedene Art und Weise erfolgen kann (vgl. Abschnitt 2.1.2.4.2.1.1 in diesem Teil) mit der Folge u.U. divergierender Ergebnisse. Hier besteht die Gefahr subjektiver Verzerrungen. Die Beobachtung als Erhebungsinstrument hingegen führt zu objektiven Ergebnissen, welche allerdings einer (subjektiven) Interpretation bedürfen. 3.1.3.1.3 Gütemaße Zur Beurteilung der Güte eines Messinstruments oder Messverfahrens können verschiedene Gütekriterien herangezogen werden. Hierzu zählen insbesondere die Reliabilität, die Validität sowie die Objektivität. Ein Messinstrument ist reliabel (zuverlässig), wenn es bei wiederholten Messungen unter völlig gleichen Bedingungen das gleiche Messergebnis erbringt. Die Reliabilität bezieht sich dabei auf unsystematische (variable) Fehler. Die Validität (Gültigkeit) eines Messinstruments hingegen zielt auf die Frage ab, ob ein Messinstrument tatsächlich das misst, was es zu messen vorgibt, und wie genau es den zu messenden Sachverhalt abbildet. Im Gegensatz zur Reliabilität bezieht sich die Validität auf systematische (konstante) Fehler. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Validität und Reliabilität eines Messinstruments: Ist ein Maßkrug zur Messung des Inhalts (z.B. Wasser) falsch geeicht, so ist das Messinstrument nicht valide (beispielsweise würde der Maßkrug einen Inhalt von einem Liter Wasser anzeigen, obwohl der tatsächliche Inhalt von diesem Wert abweicht). Verändert der Maßkrug hingegen in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen (z.B. Temperatur, Luftfeuchtigkeit usw.) auf Grund seines Materials sein Inhaltsvolumen, so führen unterschiedliche Messungen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das Messinstrument ist dann nicht reliabel; die Reliabilität des Messinstruments ist allerdings umso höher, je weniger die Messergebnisse variieren. Sind die Fehler in den Messergebnissen zufällig verteilt, so <?page no="170"?> 148 Marktinformationen sind sie (stochastisch) messbar und können durch wiederholte Messungen verringert werden. Anhand des Beispiels kann die Reliabilität auch als Voraussetzung für die Validität eines Messinstruments angesehen werden, da ein Maßkrug, dessen inhaltliches Volumen ständig variiert, nicht exakt geeicht werden kann. Im Hinblick auf die Marktforschung ist ein Messinstrument, mit dessen Hilfe beispielsweise die Einstellung von Probanden bezüglich eines Objektes (z.B. eine bestimmte Produktmarke) gemessen werden soll, nicht valide, wenn im Rahmen einer Befragung „falsche“ Fragen gestellt werden, mit denen sich die Einstellung gegenüber dem Einstellungsobjekt nicht adäquat abbilden lässt. Die Validität des Messinstruments wäre auch gestört, wenn die „falschen“ Probanden befragt würden (z.B. Personen, welche gar nicht zur Zielgruppe der Produktmarke gehören). Mangelnde Reliabilität kann sich in diesem Beispiel durch unsorgfältige Interviewer oder verzerrtes Antwortverhalten der Probanden ergeben. Zur Überprüfung von Reliabilität und Validität existieren verschiedene Konzepte (vgl. Hüttner/ Schwarting 2002, S. 13 ff.). Zur Überprüfung der Reliabilität lassen sich die Test-Retest-Reliabilität, die Parallel-Test-Reliabilität sowie die Interne-Konsistenz-Reliabilität unterscheiden. Während bei der Test-Retest-Reliabilität eine Wiederholungsmessung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, wird bei der Parallel-Test-Reliabilität eine Vergleichsmessung zum selben Zeitpunkt vorgenommen. Bei der Internen-Konsistenz-Reliabilität erfolgt eine Aufteilung des Messinstruments (z.B. eines Fragebogens) in zwei Teile gleicher Länge (split-half-reliability) und eine Überprüfung der Einheitlichkeit der Ergebnisse. Bestimmt wird die Reliabilität jeweils über die Korrelation der Messergebnisse, welche möglichst hoch sein sollte. Bedeutende Konzepte zur Überprüfung der Validität sind die Inhalts-Validität, die Konstrukt-Validität sowie die Kriteriums-Validität. Gegenstand der Inhalts-Validität ist die Frage, ob ein Messinstrument inhaltlich (sachlich und logisch) geeignet ist, einen bestimmten Sachverhalt zu messen. Dies erfolgt im Regelfall durch Plausibilitätsüberlegungen (Face-Validität) oder mittels Beurteilung durch Experten (Experten- Validität). Die Konstrukt-Validität stellt darauf ab, in welchem Ausmaß Beziehungen zwischen einem theoretischen Konstrukt (z.B. „Einstellung“) und der empirischen Messung vorliegen. Diese Beziehung kann in Form der Diskriminanz-Validität (Unterschiedlichkeit der Messungen verschiedener Konstrukte mit einem Messinstrument) oder der Konvergenz-Validität (Übereinstimmung der Messungen eines Konstrukts mit verschiedenen Messinstrumenten) abgebildet werden. Gegenstand der Kriteriums-Validität ist die Übereinstimmung der Messung eines Konstruktes mit den Messungen eines Kriteriums dieses Konstruktes. Je nachdem, ob die Messungen zeitgleich oder später erfolgen, unterscheidet man zwischen Konkurrent-Validität (zeitgleiche Messung) und Prognose-Validität (zeitlich aufeinanderfolgende Messung). <?page no="171"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 149 Gütemaße Validität -Inhalts-Validität -Face-Validität -Experten-Validität -Konstrukt-Validität -Diskriminanz- Validität -Konvergenz-Validität -Kriteriums-Validität -Konkurrent-Validität -Prognose-Validität Reliabilität -Test-Retest-Reliabilität -Parallel-Test-Reliabilität -Interne-Konsistenz- Reliabilität Objektivität Abb. 2.81: Gütemaße in der Marktforschung Die Objektivität eines Messinstruments schließlich ist dann gewährleistet, wenn die gewonnenen Messwerte personenunabhängig zustande kommen. Unterschiedliche Forscher kommen auf demselben Wege also zum selben Ergebnis. Abb. 2.81 zeigt die Gütemaße im Überblick auf. 3 3.1.3.2 Sekundärstatistische Datengewinnung Bei sekundärstatistischem Material handelt es sich um für andere Zwecke zu einem früheren Zeitpunkt erhobenes Informationsmaterial. Im Hinblick auf die Herkunft des Materials kann zwischen unternehmensexternen und unternehmensinternen Informationsquellen der Sekundärforschung unterschieden werden (vgl. Hammann/ Erichson 2000, S. 77 ff.). Zu den unternehmensinternen Informationsquellen gehören die Umsatzstatistik, die Kostenrechnung, Kunden- und Lieferantenkarteien, Kunden- und Lieferantenkorrespondenz, Absatz- und Beschaffungsmittlerdateien, Vertreter- und Einkäuferberichte, Kundendienstberichte sowie Lagerstatistiken. Typische unternehmensexterne Informationsquellen sind Amtliche Statistiken (z.B. Statistisches Bundesamt, Statistische Landesämter), Prospekte und Kataloge der Lieferanten und Konkurrenten, Wirtschaftsverbände, <?page no="172"?> 150 Marktinformationen Wirtschaftswissenschaftliche Institutionen (z.B. Institut für Weltwirtschaft Kiel, Ifo-Institut München, Hamburger Weltwirtschaftsarchiv), Geschäftsberichte, Zeitungen und Fachzeitschriften, Adress- und Handbücher, Messebesuche, Absatzhelfer (Makler, Kommissionäre usw.), Werbeträger (Rundfunkanstalten, Verlage usw.) sowie Internationale Organisationen (UNO, OECD, IWF, Weltbank usw.). Abb. 2.82 zeigt, welche Quellen für welche absatzpolitischen Fragestellungen besonders geeignet sind. Als besonders interessantes und nützliches Medium für die Sekundärforschung hat sich seit einiger Zeit das Internet erwiesen (vgl. hierzu Fantapié Altobelli/ Sander 2001, S. 71 f.). Im Internet steht per Mausklick eine Fülle von aktuellen Daten zur Verfügung, welche häufig in speziellen (Online-)Datenbanken von kommerziellen und nicht-kommerziellen Institutionen zusammengefasst werden. Zum Teil stehen die Daten kostenlos zur Verfügung, zum Teil sind sie entgeltpflichtig. Im Hinblick auf die Beurteilung sekundärstatistischen Datenmaterials gilt, dass die Aussagefähigkeit des Materials beschränkt sein kann durch Unvollständigkeit der Daten, mangelnde Qualität der Daten (z.B. bei ungewisser Herkunft bzw. unseriösen Anbietern), mangelnde Aktualität der Daten, mangelnde Detailliertheit der Daten aus verschiedenen Untersuchungen (z.B. wegen uneinheitlicher Abgrenzung von Variablen wie Einkommen, Umsatzklassen, Betriebsgrößen usw.). Eine Beurteilung der Eignung sekundärstatistischen Materials für ein Forschungsprojekt kann jeweils nur im Einzelfall vorgenommen werden. Trotz der generellen Vorteile der Sekundärforschung gegenüber einer primärstatistischen Untersuchung wie Kostenersparnis und geringerem Zeitaufwand kann eine eigene primärstatistische Analyse - zumindest für Teile des Forschungsprojekts - unumgänglich sein. <?page no="173"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 151 Abnehmer/ Verwender Fertigungsstätten u. Verfahren Geschäftsberichte Auskunfteien Wirtschaftszeitschriften Tageszeitungen u. Wirtschaftspresse Wirtschaftswissenschaftl. Institute Bankauskünfte Kataloge u. Preisli sten Einkaufsführer, Bezugsquell ennachweis Zeitungsausschnitt-Dienste Firmenu. Branchenhandbücher Messekataloge Prospekte Produktionsstatistik Fachzeitschriften Außenhandelsstatistik Statistisches Jahrbuch Preisu. Lohnstatistik Umsatzsteuerstati stik Ausu. Einfuhrprei se Industrieberichte Handelskamm erberichte u. Informationen Fachdokumentation (vorwiegend techn.) Verbandsauskünfte Verbandsstatistik Verbandsmitgliederverzeichnis Handelskammerauskünfte Verbandsberichte Liquiditätsstatus Konkurrenz Kapitalstruktur Jahresabschluss Investitionen Inlandsumsatz Großhandelspreise Gewinn/ Rentabilität Geschäftsleitung Forschung u. Entwicklung Finanzierung Branchenstruktur Branchenkonjunktur Beschäftigung/ Beschäftigte Bankverbindungen Auslandskonjunktur Auftragsl age Anbieter Absatzwege Absatzorganisation Absatzlage Um satz Rechtsform Regionale Schwerpunkte Produktionsprogramm Preisentwicklung Preise Marktstell ung Was Woher Quelle: Schwarz 1987, S. 92 Abb. 2.82: Informationsbeschaffung aus Sekundärquellen <?page no="174"?> 152 Marktinformationen 33.1.3.3 Primärstatistische Datengewinnung Wesentliche Schritte im Rahmen einer primärstatistischen Datengewinnung bestehen in der Auswahl der Merkmalsträger sowie in der Datenerhebung (vgl. Abschnitt 3.1.2 in diesem Teil). Dabei bestehen jeweils verschiedene Möglichkeiten, die Merkmalsträger festzulegen bzw. die Daten zu erheben. 3.1.3.3.1 Auswahl der Merkmalsträger 3.1.3.3.1.1 Überblick Im Rahmen der Auswahl von Merkmalsträgern stellen sich zwei wichtige Fragen: Auf welche Art und Weise sollen die Merkmalsträger, welche Eingang in die Untersuchung finden sollen, bestimmt werden, und wie viele Merkmalsträger sollen überhaupt ausgewählt werden? Eine Vollerhebung (Totalerhebung), bei welcher alle in Betracht kommenden Merkmalsträger in die Untersuchung einbezogen werden, ist im Regelfall nur selten möglich (z.B. bei Händler- oder Herstellerbefragungen). Häufig ist die Grundgesamtheit zu groß und die Anzahl der interessierenden Merkmale zu umfangreich, als dass alle Elemente der Grundgesamtheit berücksichtigt werden könnten. Finanzieller und zeitlicher Aufwand sprechen dann gegen eine Vollerhebung. In diesen Fällen ist eine Teilerhebung durchzuführen. Dabei sollen die Merkmalsträger so ausgewählt werden, dass sie hinsichtlich der Untersuchungsmerkmale repräsentativ sind und somit ein sog. Inferenzbzw. Repräsentationsschluss von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit möglich wird. Voraussetzung hierfür ist eine Strukturgleichheit (Isomorphie) zwischen Stichprobe und Grundgesamtheit, d.h. dass sich die in der übergeordneten Grundgesamtheit bestehenden Relationen in der Stichprobe wiederfinden müssen. Abb. 2.83 gibt einen Überblick über mögliche Formen von Auswahlverfahren zur Bildung von Stichproben, welche im Folgenden eingehend dargestellt werden. 3.1.3.3.1.2 Nichtzufällige Auswahl Zur nichtzufälligen Auswahl gehören die willkürliche Auswahl sowie Verfahren der bewussten Auswahl. Der willkürlichen Auswahl liegt kein expliziter Auswahlplan zugrunde, die Merkmalsträger werden aufs Geratewohl ausgewählt. In der Regel werden Personen ausgewählt, welche besonders leicht erreichbar sind (z.B. eine Befragung auf dem städtischen Marktplatz, auf welchem je nach Tageszeit überwiegend z.B. Schüler, Berufstätige, Einkaufende oder Touristen anzutreffen sind; Befragung von Bekannten). Eine derartige Vorgehensweise führt im Regelfall zu verzerrten Ergebnissen, ein Repräsentationsschluss ist nicht möglich. Wegen des geringen zeitlichen und finanziellen Aufwands wird eine derartige Vorgehensweise in praxi trotzdem häufig durchgeführt. Verfahren der bewussten Auswahl sind die typische Auswahl, die Quotenauswahl sowie die Auswahl nach dem Konzentrationsprinzip (Cut-off-Verfahren). <?page no="175"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 153 Abb. 2.83: Formen von Auswahlverfahren Willkürliche Auswahl Bewusste Auswahl Zufällige Auswahl Nichtzufällige Auswahl Vollerhebung Teilerhebung Auswahlverfahren Typische Auswahl Auswahl nach dem Konzentrationsprinzip Quotenauswahl Einfache Verfahren Einfache Zufallsauswahl Komplexe Verfahren Mehrstufige Auswahl Geschichtete Auswahl Klumpenauswahl Sequentielle Auswahl <?page no="176"?> 154 Marktinformationen Bei der typischen Auswahl wird eine Anzahl charakteristisch erscheinender Elemente als typisch für die Grundgesamtheit herausgegriffen (vgl. Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen 2002, S. 432). Eine derartige Vorgehensweise erscheint insbesondere im Falle einer recht homogenen Grundgesamtheit vertretbar, sodass davon ausgegangen werden kann, dass einige „typische“ Merkmalsträger die gesamte Menge hinreichend gut repräsentieren. Die wesentliche Schwäche dieses Verfahrens liegt darin zu bestimmen, was typische Merkmalsträger sind bzw. was charakteristisch für einen typischen Merkmalsträger ist. Ein sehr häufig angewandtes Auswahlverfahren ist die Quotenauswahl (vgl. z.B. Fantapié Altobelli 2017, S. 137 f.). Zur Anwendung dieses Verfahrens ist die Kenntnis befragungsrelevanter Merkmale sowie deren anteilsmäßige Verteilung in der Grundgesamtheit Voraussetzung. Abb. 2.84 zeigt anhand eines einfachen Beispiels auf, wie mittels der Quotenauswahl eine Stichprobe gebildet werden kann. Als erhebungsrelevante Merkmale wird dabei von dem Geschlecht, dem Wohnort und dem Alter ausgegangen. Vorgegeben ist eine Stichprobengröße von 500 Merkmalsträgern. Auf der Grundlage dieser Quotenanweisung kann der Interviewer die zu befragenden Personen selbst aussuchen. Die wesentlichen Vorteile dieses Verfahrens liegen in der Einfachheit und Kostengünstigkeit der Vorgehensweise sowie der hohen Flexibilität (einfacher Austausch von Ausfällen). Allerdings weist das Verfahren diverse Nachteile auf (vgl. Berndt 1996, S. 177): Es besteht die Gefahr von Verzerrungen der Erhebungsergebnisse durch die Interviewer (z.B. Befragung leicht zu erreichender Personen wie Freunde und Bekannte; bewusste Nichteinhaltung von Quoten). Darüber hin- Geschlecht weiblich männlich Alter 16 - 25 Jahre 26 - 35 Jahre 36 - 45 Jahre 46 - 55 Jahre > 55 Jahre Wohnort - Stadtteil A - Stadtteil B - Stadtteil C 100.000 60.000 40.000 10.000 15.000 30.000 20.000 25.000 30.000 50.000 20.000 Grundgesamtheit (z.B. Einwohner einer Stadt) 300 200 50 75 150 100 125 150 250 100 Stichprobe per Quotenauswahl (n=500) Abb. 2.84: Beispiel für eine Quotenauswahl <?page no="177"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 155 aus können nur wenige Merkmale quotiert werden, da mit der Anzahl der Merkmale der Erhebungsaufwand steigt; insbesondere ergibt sich dann das Problem von (kaum erfüllbaren) Restquoten. Auch kann die Auswahl der Quotierungsmerkmale selbst subjektiv verzerrt sein; dies ist insbesondere dann zu vermuten, wenn keine genaue Kenntnis darüber besteht, in welchem Ausmaß die Quotierungsmerkmale mit den eigentlich interessierenden Sachverhalten zusammenhängen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine statistisch fundierte Berechnung des Auswahlfehlers nicht möglich ist, Verzerrungen der Ergebnisse durch Ausfälle bzw. Auskunftsverweigerungen sind unbekannt (vgl. auch Abschnitt 3.1.3.3.1.4 in diesem Teil). Ein weiteres Verfahren der bewussten Auswahl besteht in der Auswahl nach dem Konzentrationsprinzip (Cut-off-Verfahren). Hier werden nur die im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand wesentlichen Merkmalsträger berücksichtigt. Erreichen beispielsweise einige wenige Unternehmen einen Marktanteil von 80 %-90 %, so liegt es nahe, eine Konzentration der Untersuchung auf diese wenigen Unternehmen vorzunehmen und die (möglicherweise vielen) restlichen Anbieter nicht in die Untersuchung mit einzubeziehen. Auf diese Weise kann der Informationsverlust in engen Grenzen gehalten werden, gleichzeitig verringert sich der Zeit- und Kostenaufwand der Datenerhebung erheblich. Voraussetzung für die Anwendung dieses Verfahrens ist allerdings die Kenntnis, welche Merkmalsträger im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand als wesentlich anzusehen sind. 3.1.3.3.1.3 Zufällige Auswahl Die zufällige Auswahl ist dadurch gekennzeichnet, dass die Auswahl der Merkmalsträger durch einen Zufallsprozess und damit objektiv (d.h. frei vom subjektiven Auswahlverhalten des Interviewers bzw. Forschers) erfolgt (vgl. Hammann/ Erichson 2000, S. 137 ff.). Dabei besitzt jedes Element der Grundgesamtheit eine bestimmte (berechenbare) Wahrscheinlichkeit, in die Auswahl zu gelangen. Dadurch wird der Zufallsfehler (Stichprobenfehler) im Gegensatz zu den nichtzufälligen Auswahlverfahren berechenbar (vgl. den nachfolgenden Abschnitt 3.1.3.3.1.4 in diesem Teil). Durch die Objektivität der Auswahl der Untersuchungseinheiten können zudem grobe Verzerrungen bei der Auswahl vermieden werden. Wesentliche Nachteile in der Zufallsauswahl liegen allerdings in dem erhöhten Planungs- und Durchführungsaufwand sowie der fehlenden Möglichkeit, ausgewählte Untersuchungseinheiten durch andere Merkmalsträger zu ersetzen, sofern die Berechenbarkeit der Wahrscheinlichkeiten gewährleistet sein soll. Die unaufwendigste Methode einer zufälligen Auswahl besteht in der einfachen Zufallsauswahl. Hier besitzt jedes Element dieselbe Wahrscheinlichkeit, in die Auswahl zu gelangen. Idealtypisch kann man sich hier das Urnenmodell vorstellen: Aus einer gut gemischten Urne, welche Kugeln, Namenskärtchen o.ä. enthält, werden zufällig nacheinander die Kugeln bzw. Namenskärtchen im Umfang der jeweiligen Stichprobengröße gezogen (lottery sampling). Auf Grund des Aufwands, welchen diese Vorgehensweise bei realen Stichprobengrößen impliziert (Anfertigen von Namenskärtchen bzw. Kugeln mit Namen, Auswahl aus einer Urne, Zurverfügungstellung einer Urne entsprechender Größe), werden in der Praxis häufig Zufallszahlentabellen herangezogen. Diese Tabellen enthalten per Zufallsmechanismus erstellte Zahlen. Diese Zahlen repräsentieren dabei jeweils ein bestimmtes Element der Grundgesamtheit. Enthält die Tabelle beispielsweise vierstellige Zufallszahlen und lauten die ersten vier Zahlen 2153, 0518, 7194 und 3327, so kommen bei einer dreistelligen Grundgesamtheit die Elemente 215, 51, 719 und 332 in die Auswahl, wenn die jeweils letzte Stelle der Zufallsdaten negiert wird. Alternativ kann jede beliebige andere Stelle (die erste, zweite oder dritte) weggelassen werden. Eine derartige Zufallszahlentabelle stellt damit eine Art „Urne auf Vorrat“ dar. Denkbar ist als alternative Vorgehensweise eine <?page no="178"?> 156 Marktinformationen systematische Auswahl mit Zufallsstart (vgl. Hammann/ Erichson 2000, S. 151). Soll beispielsweise aus einer Grundgesamtheit von N = 20.000 eine Stichprobe von n = 400 gezogen werden, so würde jedes k-te Element mit 20.000 50 400 N k n in die Stichprobe gelangen, beginnend bei einem zufällig ausgewählten Element, welches sich an r-ter Stelle befindet. Gilt beispielsweise ein per Zufall gezogenes r = 17, so würde das 67. Element, das 117. Element usw. in die Stichprobe aufgenommen werden bis die Stichprobengröße von n = 400 erreicht ist. Als Auswahlbasis benötigt man hierzu wie bei der Auswahl per Zufallszahlentabelle eine Kartei oder Liste, welche die jeweiligen Elemente der Grundgesamtheit enthält. Komplexere Verfahren der zufälligen Auswahl bestehen in der geschichteten Auswahl, der mehrstufigen Auswahl, der Klumpenauswahl sowie der sequentiellen Auswahl. Bei der geschichteten Auswahl wird die Grundgesamtheit zunächst in disjunkte Teilmengen (Schichten) zerlegt (vgl. Fantapié Altobelli 2017, S. 147 f.). Anschließend erfolgt aus jeder Schicht eine Zufallsauswahl. Gegenüber der einfachen Zufallsauswahl ergibt sich infolge des Schichtungseffektes eine höhere Genauigkeit bei gleichem Stichprobenumfang. Der Schichtungseffekt tritt auf, wenn die Mittelwerte der einzelnen Schichten hinsichtlich des Untersuchungsmerkmals differieren je heterogener die einzelnen Schichten (z.B. Bundesländer) bezüglich des Untersuchungsmerkmals (z.B. Einkommen) sind, desto exakter sind also die Ergebnisse bzw. eine gleich hohe Genauigkeit wie bei einer einfachen Zufallsauswahl kann mit einem geringeren Stichprobenumfang (und damit geringerem Zeit- und Kostenaufwand) realisiert werden. Im Hinblick auf die Aufteilung des Stichprobenumfangs erfolgt im Allgemeinen eine proportionale Schichtung, d.h. die einzelnen Schichten sind in der Stichprobe im gleichen Verhältnis wie in der Grundgesamtheit vertreten. Bei einer optimalen Schichtung hingegen erfolgt eine disproportionale Aufteilung in dem Sinne, dass Schichten mit einer stärkeren Streuung bezüglich des Untersuchungsmerkmals überproportional in der Stichprobe vertreten sind. Eine mehrstufige Auswahl kann vorgenommen werden, wenn die Grundgesamtheit eine hierarchische Struktur besitzt (vgl. Hüttner/ Schwarting 2002, S. 131). Beispielsweise kann die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland mit dem Schema „Individuum - Haushalt - Gemeinde - Bundesland“ strukturiert werden. In diesem Fall kann im Rahmen einer mehrstufigen Auswahl zunächst eine Stichprobe von Gemeinden auf Landesebene, dann eine Auswahl von Haushalten auf kommunaler Ebene und schließlich eine Auswahl von Individuen, welche letztendlich in die Stichprobe aufgenommen werden sollen, erfolgen. Es handelt sich also um eine Hintereinanderschaltung von Zufallsauswahlen, wobei die Auswahlebene jeweils wechselt. Vorteile ergeben sich hier in einer Kostenersparnis im Rahmen der Datenerhebung auf Grund der räumlichen Konzentration der Untersuchungseinheiten. Eine weitere Variante der zufallsgesteuerten Stichprobenbildung besteht in der Klumpenauswahl (vgl. z.B. Berndt 1996, S. 176). Ausgangspunkt ist hier eine Grundgesamtheit, welche in disjunkte „Klumpen“ eingeteilt werden kann (z.B. Stadtbezirke in einer Stadt, Landkreise innerhalb eines Bundeslandes). Es erfolgt dann eine Zufallsauswahl der Klumpen, welche im Rahmen der Stichprobe berücksichtigt werden sollen. Innerhalb der ausgewählten Klumpen werden dann <?page no="179"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 157 alle Untersuchungseinheiten herangezogen. Diese Vorgehensweise birgt große ökonomische Vorteile in sich, da die Datenerhebung räumlich konzentriert erfolgen kann (z.B. innerhalb des ausgewählten Stadtteils oder Befragung sämtlicher Personen innerhalb eines Betriebes, sofern Betriebe die Klumpen darstellen). Nachteilig an der Klumpenauswahl ist der Klumpeneffekt, welcher dann auftritt, wenn die Untersuchungseinheiten innerhalb eines Klumpens im Hinblick auf die Untersuchungsmerkmale homogener sind als dies bei einer einfachen Zufallsauswahl zu erwarten wäre. Die Klumpen sind dann weniger repräsentativ im Hinblick auf die Grundgesamtheit. Abgemildert werden kann der Klumpeneffekt durch eine Ausdehnung der Stichprobengröße, welche infolge der erleichterten Datenerhebung im Regelfall problemlos möglich ist und nur mit vergleichsweise geringen zusätzlichen Erhebungskosten behaftet ist. Anders ausgedrückt: Im Vergleich mit einer einfachen Zufallsauswahl kann der Stichprobenumfang bei gleichen Kosten u.U. erheblich ausgeweitet werden, sodass trotz Klumpeneffekt genauere Ergebnisse erzielt werden. Eine sequentielle Auswahl schließlich liegt vor, wenn der Stichprobenumfang nicht von vornherein festliegt, sondern vielmehr zunächst eine kleine Stichprobe gezogen und analysiert wird (vgl. Hammann/ Erichson 2000, S. 148). Anschließend wird entschieden, ob die Informationen aus dieser kleinen Stichprobe bereits ausreichend sind oder nicht (z.B. für die Anwendung von Hypothesentests). Im negativen Falle erfolgt eine weitere Stichprobenziehung bis schließlich ein hinreichender Informationsstand gegeben ist. Offensichtlich ergeben sich hier zwei gegenläufige Effekte. Die sequentielle Auswahl minimiert den Erhebungsaufwand, da die Stichprobe so klein wie möglich gehalten wird. Andererseits entsteht ein nicht unerheblicher Analyseaufwand, da nach jeder erneuten Stichprobenziehung auf Grund der Analyseergebnisse entschieden werden muss, ob der Informationsbedarf jetzt befriedigt ist. 3.1.3.3.1.4 Stichprobenfehler und Stichprobenumfang Wurde eine Auswahl der Merkmalsträger per Zufallsverfahren vorgenommen, so kann der Stichprobenfehler berechnet werden. Unter dem Stichprobenfehler versteht man die Abweichung eines Stichprobenergebnisses vom „wahren“ Wert in der Grundgesamtheit, welcher im Allgemeinen unbekannt ist: (1) x Stichprobenfehler mit: = wahrer Wert des Untersuchungsmerkmals in der Grundgesamtheit x = Wert der Stichprobe Dabei steigt die Chance, den richtigen bzw. wahren Wert der Grundgesamtheit zu treffen mit der Stichprobengröße. Das Ergebnis einer per Zufallsverfahren ermittelten Stichprobe ist selbst eine Zufallsvariable. Folglich ist auch der Stichprobenfehler eine Zufallsvariable. Über die Größe von Stichprobenfehlern lassen sich daher nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen. Unabhängig von der Verteilung der zu untersuchenden Größe in der Grundgesamtheit gilt jedoch gemäß dem zentralen Grenzwertsatz der Statistik, dass das Stichprobenergebnis normalverteilt ist. Eine Vielzahl von Stichproben aus ein und derselben Grundgesamtheit führt also zu normalverteilten Stichprobenwerten. Damit ist auch der Stichprobenfehler normalverteilt mit einem Mittelwert von 0 und einer Zufallsverteilung von <?page no="180"?> 158 Marktinformationen (2) 2 x n mit: x = Streuung des Mittelwertes von Stichproben 2 = Varianz der Werte in der Grundgesamtheit n = Umfang der Stichprobe Wie groß der Stichprobenfehler maximal sein kann, kann bei vorgegebener Irrtumswahrscheinlichkeit bzw. Vertrauenswahrscheinlichkeit (1- ) ermittelt werden gemäß (3) e t n mit: e = Fehlerspanne (maximaler Stichprobenfehler) t (zweiseitige) Vertrauensgrenzen der standardisierten Normalverteilung für vorgegebene Irrtumswahrscheinlichkeit = Standardabweichung der Werte in der Grundgesamtheit. Problematisch hierbei ist die Tatsache, dass die Standardabweichung der Werte aus der Grundgesamtheit im Regelfall unbekannt ist. Sie wird dann häufig ersetzt durch die Standardabweichung des Untersuchungsmerkmals in der Stichprobe. Auch möchte man mit einer möglichst hohen Vertrauenswahrscheinlichkeit (1- ) bzw. einer möglichst geringen Irrtumswahrscheinlichkeit eine Aussage über den Stichprobenfehler machen können. Mit steigender Vertrauenswahrschein- 1 1,96 2 2,58 3 68,27% 95% 95,45% 99% 99,73% 31,73% 5% 4,55% 1% 0,27% Vertrauenswahrscheinlichkeit (1 - ) t Irrtumswahrscheinlichkeit Abb. 2.85: Werte von t bei alternativen Vertrauensbzw. Irrtumswahrscheinlichkeiten <?page no="181"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 159 lichkeit (und damit steigendem Wert von t ) steigt allerdings c.p. gemäß (3) auch die Fehlerspanne (Unschärfe), sodass in der Marktforschungspraxis häufig mit Vertrauenswahrscheinlichkeiten von 90 % oder 95 % operiert wird. Abb. 2.85 zeigt die zugehörigen t -Werte bei alternativen Vertrauensbzw. Irrtumswahrscheinlichkeiten. Abb. 2.86 verdeutlicht zudem die Ausführungen zur Bestimmung des Stichprobenfehlers anhand eines Beispiels. Handelt es sich bei dem Untersuchungsmerkmal nicht um eine stetige (quantitative) Größe (wie z.B. Einkommen, Absatzmengen, Umsätze), sondern um diskrete (qualitative) Größen, welche anhand von Anteilswerten dargestellt werden (z.B. Religionszugehörigkeit, Familienstand usw.), so erfolgt die Berechnung des Stichprobenfehlers analog der Abb. 2.86, allerdings gilt für die Stichprobenvarianz s 2 bei einem qualitativen Merkmal (4) 2 1 s p p mit: p = gemessener Anteilswert eines qualitativen Merkmals in der Stichprobe. Hat das betrachtete Unternehmen neben dem Einkommen beispielsweise auch noch den Anteil von Pensionären in der Zielgruppe erfragt, und hat sich bei derselben Stichprobengröße (n = 200) Ein Unternehmen möchte das durchschnittliche Einkommen seiner Zielgruppe ermitteln. Die Zielgruppe umfasst insgesamt N = 10.000 Personen. Aus dieser Zielgruppe wird eine Stichprobe im Umfang von n = 200 gezogen. Als Ergebnis dieser Stichprobe wird ein Wert von 3120 Euro ermittelt. Für die Stichprobenvarianz s ² mit n 1 i i 2 x x 1 n 1 s mit: = Einkommen der Person i = Durchschnittseinkommen in der Stichprobe x i x wird ein Wert von 120.000 ermittelt. Da die Varianz des Einkommens in der Grundgesamtheit nicht bekannt ist, wird die Stichprobenvarianz herangezogen. Bei einer vorgegebenen Vertrauenswahrscheinlichkeit (1 - ) von 95% ist t = 1,96. Damit gilt für die Fehlerspanne bzw. den maximalen Stichprobenfehler 48 200 000 . 120 96 , 1 e Der wahre Wert des durchschnittlichen Einkommens liegt damit in der Grundgesamtheit mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% bei 3120 Euro 48 Euro Abb. 2.86: Bestimmung des Stichprobenfehlers ² <?page no="182"?> 160 Marktinformationen ein Wert von p = 18 % ergeben, so gilt für den maximalen Stichprobenfehler bei einer Vertrauenswahrscheinlichkeit (1- ) von wiederum 95 % (5) 0, 18 1 0, 18 1, 96 0, 053 200 e Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % liegt damit der Anteil der Pensionäre in der Grundgesamtheit bei 18 % 5,3 %. Dabei wurde wieder davon ausgegangen, dass die Varianz des Anteilswerts in der Grundgesamtheit unbekannt ist, weswegen er durch die Varianz der Stichprobe ersetzt wurde. Zur Ermittlung des notwendigen Stichprobenumfangs schließlich kann wiederum (3) herangezogen werden. Notwendig ist hierfür die Vorgabe der Fehlerspanne sowie der Vertrauenswahrscheinlichkeit (1- ) (bzw. der Irrtumswahrscheinlichkeit ). Auflösen von (3) nach n ergibt (6a) 2 2 2 2 2 bzw. t t t n n s e e e bzw. für den Fall eines diskreten (qualitativen) Merkmals (6b) 2 1 t n p p e Soll im Beispiel der Abb. 2.86 bei gegebener Vertrauenswahrscheinlichkeit von 95 % die Fehlerspanne nicht mehr als 20 € betragen, so ergibt sich ein notwendiger Stichprobenumfang von (7) 2 1, 96 120.000 1152 20 n Soll gleichfalls der Anteil der Pensionäre bei gleicher Vertrauenswahrscheinlichkeit von 95 % nicht mehr als 2 % um den wahren Wert schwanken, ergibt sich (8) 2 1, 96 0,18 1 0,18 1418 0, 02 n . In diesem Fall ist der größere Wert des Stichprobenumfangs heranzuziehen, also n = 1418, damit beide Fehlerspannen eingehalten werden. Es ist darauf hinzuweisen, dass zur Bestimmung des notwendigen Stichprobenumfangs ein Wert für die Varianz des Untersuchungsmerkmals in der Grundgesamtheit bzw. als Ersatzwert die Varianz des Merkmals in der Stichprobe einzusetzen ist. Da es hier um die Planung des notwendigen Stichprobenumfangs geht, liegt ein derartiger Wert im Regelfall nicht vor. In diesem Fall ist eine außerstatistische Schätzung vorzunehmen, indem auf Expertenurteile oder ähnlich gelagerte Untersuchungen aus der Vergangenheit zurückgegriffen wird. Anzumerken ist schließlich, dass gemäß (6a) bzw. (6b) eine steigende Vertrauenswahrscheinlichkeit bzw. eine sinkende Fehlerspanne zu einem überproportionalen Anstieg des notwendigen Stichprobenumfangs führen. <?page no="183"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 161 3.1.3.3.1.5 Weitere Fehler der Teilerhebung Stichprobenfehler (Zufallsfehler) tauchen in jeder Teilerhebung auf. Der gemessene Wert der Stichprobe wird - wie dargelegt - mehr oder weniger vom wahren Wert der Grundgesamtheit abweichen. Dieser Fehler ist demnach unvermeidbar, er lässt sich allerdings (bei Zufallsstichproben) statistisch abschätzen und durch Vergrößerung der Stichprobe (bzw. Verringerung der Vertrauenswahrscheinlichkeit (1- ) ) verkleinern. Neben dem Stichprobenfehler existiert jedoch auch ein systematischer Fehler. Im Gegensatz zum Stichprobenfehler ist der systematische Fehler einer Teilerhebung weder verringerbar noch abschätzbar, er ist jedoch vermeidbar. Der systematische Fehler kommt zustande durch nichtzufällige Einflussfaktoren, welche das Ergebnis der Teilerhebung verzerren. Denkbare Fehlerquellen sind z.B. in der inadäquaten Zusammensetzung des Interviewstabes, der antwortverzerrenden Fragebogengestaltung, der willkürlichen Auswahl von Untersuchungseinheiten sowie der Nichtbeantwortungsproblematik zu sehen. Weitere typische systematische Fehler sind Erfassungsfehler, welche sich in Zählungsfehlern, Ziehungsfehlern oder Aufnahmefehlern manifestieren können. Darüber hinaus können generelle Planungsfehler auftreten. Derartige übergeordnete Fehler liegen z.B. in einer falschen Abgrenzung der Grundgesamtheit oder in einer unpräzisen Operationalisierung des Untersuchungszieles begründet. Schließlich ist die Gefahr von Auswertungs- und Interpretationsfehlern gegeben. Beispielsweise implizieren die Datenanalysetechniken bestimmte Bedingungen, damit sie adäquat eingesetzt werden können bzw. nicht zu verzerrten Ergebnissen führen (vgl. hierzu Abschnitt 3.1.4 in diesem Teil). Die Gefahr von Fehlinterpretationen hingegen ist insbesondere dann gegeben, wenn Interpretationsspielräume vorliegen. 3.1.3.3.2 Datenerhebung Generell existieren drei Formen der Datenerhebung: die Befragung, die Beobachtung sowie das Experiment. Darüber hinaus ist eine Datenerhebung in der Spezialform eines Panels möglich. Sämtliche der genannten Datenerhebungsformen sind auch per Internet möglich (vgl. hierzu i.E. Fantapié Altobelli/ Sander 2001, S. 72 ff.). 3.1.3.3.2.1 Befragung Im Rahmen einer Befragung werden Personen aufgefordert, über den interessierenden Sachverhalt Auskunft zu geben. Dabei können verschiedene Arten der Befragung anhand folgender Kriterien unterschieden werden (vgl. auch Hüttner/ Schwarting 2002, S. 68 ff.): Erhebungsmodus, Adressatenkreis, Standardisierungsgrad, Gegenstand der Befragung, <?page no="184"?> 162 Marktinformationen Zahl der simultan befragten Personen, Art der Fragestellung sowie Art der verwendeten Fragen. Hinsichtlich des Erhebungsmodus kann zwischen schriftlicher, mündlicher (Face-to-Face), telefonischer und Online-Befragung unterschieden werden. Bei der schriftlichen Befragung wird der Auskunftsperson ein Fragebogen mit der Bitte um Beantwortung zugesandt. Eine mündliche bzw. Face-to-Face-Befragung liegt vor, wenn von den befragten Personen Auskunft gegenüber einem Interviewer gegeben wird. Die Fragen werden wörtlich gestellt und beantwortet, die Antworten werden dabei vom Interviewer (schriftlich) festgehalten. Bei der telefonischen Befragung erfolgt die Stellung der Fragen und deren Beantwortung ebenfalls mündlich, allerdings unter Zwischenschaltung des Telefons als Kommunikationsmedium. Im Gegensatz zur mündlichen Befragung ist damit keine Face-to-Face-Situation gegeben. Online-Befragungen werden häufig auf Basis des Internets durchgeführt. Alle vier Arten der Befragung weisen spezifische Vor- und Nachteile auf. Wesentliche Vorzüge der schriftlichen Befragung liegen in den relativ geringen Kosten, dem nicht vorhandenen Interviewereinfluss sowie der großen räumlichen Repräsentation, da Entfernungen bei per Post versandten Fragebögen prinzipiell keine Rolle spielen. Nachteilig sind hingegen die häufig recht geringen Antwortquoten, der beschränkte Fragenumfang sowie die Nichtkontrollierbarkeit von situativen Umfeldeinflüssen (z.B. Zeitdruck, Beantwortung durch Drittpersonen usw.). Bei der telefonischen Befragung bestehen ebenfalls Vorteile hinsichtlich der Kosten und der räumlichen Repräsentation, auch ist die Antwortquote höher als bei der schriftlichen Befragung. Denkbar ist hier allerdings ein Interviewereinfluss (z.B. Sympathie/ Antipathie gegenüber der Stimme des Interviewers). Mündliche Befragungen erfordern einen Interviewerstab mit der Folge recht hoher Kosten der Befragung. Auch hier existiert das Problem des Interviewereinflusses. Gleichzeitig können allerdings wie bei der telefonischen Befragung Missverständnisse ausgeräumt werden durch Nachfragen der Auskunftsperson. Auch ermöglichen mündliche Befragungen umfangreichere Fragebögen als schriftliche oder telefonische Befragungen. Eingeschränkt ist hingegen die räumliche Repräsentation der Befragung. Online-Befragungen sind kostengünstig, problematisch ist hier die häufig geringe Antwortquote. Abb. 2.87 fasst die wesentlichen Vor- und Nachteile der einzelnen Befragungsarten anhand spezifischer Kriterien im Überblick zusammen. Hinsichtlich des Adressatenkreises der Befragung kann zwischen einer Expertenbefragung, Händlerbefragung und Konsumentenbefragung unterschieden werden. Bei der Expertenbefragung werden Spezialisten befragt, welche im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand über einen besonderen Sachverstand verfügen. Häufig beschränkt sich die Expertenbefragung auf nur wenige Personen, weswegen auch keine Repräsentativität der Befragung im eigentlichen Sinne angestrebt wird. Vielmehr können in Expertenbefragungen grundlegende Sachverhalte aufgedeckt werden mit der Folge, dass die Ergebnisse häufig in Leitstudien verarbeitet werden. Expertengespräche haben daher vielfach explorativen Charakter und werden geführt, wenn im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand nur rudimentäre Erkenntnisse bzw. vage Vorstellungen existieren. Ein weiteres Einsatzgebiet von Expertenbefragungen besteht zudem in der Erarbeitung von Prognosen (vgl. Abschnitt 3.3.3.1 in diesem Teil). Händlerbefragungen werden in der Praxis häufig in Form von Panels durchgeführt (vgl. Abschnitt 3.1.3.3.2.4 in diesem Teil). Gegenstand der Befragung ist dabei das Verbraucherverhalten und/ oder das eigene Geschäftsgebaren. Aussagen über das Verbraucherverhalten sind allerdings einer kritischen Überprüfung hinsichtlich der Validität zu unterziehen, da diese Aussagen auf einer (u.U. verzerrten) Fremdbeobachtung <?page no="185"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 163 beruhen. Den Normalfall von Befragungen stellen schließlich Konsumentenbefragungen dar. Verbraucher sollen hier Aufschluss über die Art und Beweggründe ihres Verhaltens geben. Hinsichtlich des Standardisierungsgrads von Befragungen ist zwischen standardisiertem und nicht-standardisiertem Interview zu unterscheiden. Hier existiert ein Kontinuum mit den Polaritätsenden „völlige Standardisierung“ bzw. „völlige Differenzierung“, wobei sich diese Einstufung auf die Formulierung, Zahl und Reihenfolge der Fragen bezieht. Dazwischen sind sämtliche Abstufungen möglich. Der wesentliche Vorteil einer völligen Standardisierung der Befragung liegt in der einfachen Auswertbarkeit der Antworten, welche bei einer Differenzierung im Sinne eines individuell gestalteten Gesprächs nicht in diesem Maße gegeben ist. Auch sind die Anforderungen an den Interviewer gering. Hat die Untersuchung stark explorativen Charakter, weil man mit dem Untersuchungsgegenstand bislang wenig vertraut ist, lassen sich nur gering strukturierte Gespräche (z.B. mit Experten) allerdings häufig nicht vermeiden. Im Regelfall existiert in diesen Fällen lediglich ein Interviewer-Leitfaden zur teilweisen Strukturierung des Gesprächs. Im Gegensatz zum strukturierten Interview besteht hier allerdings die Möglichkeit der Anpassung an individuelle Situationen. Nach dem Gegenstand der Befragung kann zwischen Spezialbefragungen und Omnibusbefragungen unterschieden werden (vgl. Berndt 1996, S. 183). Die Spezialbefragung bezieht sich nur auf ein spezifisches Gebiet und wird daher auch Einthemenbefragung genannt, wohingegen Omnibusbefragungen stets Mehrthemenbefragungen sind. Mehrthemenbefragungen kommen zumeist durch den Zusammenschluss mehrerer Unternehmen bzw. Auftraggeber zusammen, welche jeweils an Informationen über spezifische Gebiete interessiert sind. Auf diese Weise können die Kosten der Befragung (z.B. für den Interviewerstab) auf alle Beteiligten umgelegt und für jeden einzelnen Auftraggeber reduziert werden. Damit der Umfang der Befragung in einem akzeptablen Rahmen bleibt, ist für den einzelnen Auftraggeber die Anzahl der zu stellenden Fragen allerdings beschränkt. Auch muss darauf geachtet werden, dass sich die Inhalte bzw. Themen einer Omnibusbefragung nicht gegenseitig beeinflussen bzw. kein verzerrtes Antwortverhalten Online- Befragung Beurteilungskriterien schriftliche Befragung telefonische Befragung Face-to-Face- Befragung Antwortquote einheitlicher Erhebungsstichtag Antwortzeit -Ausschluss unüberlegter Antworten -Messung Einfluss von dritter Seite Umfang des Fragebogens Gefahr von Missverständnissen komplexe Information Interviewereinfluss schwer erreichbare Berufskreise räumliche Repräsentation Kosten - o - - - - - + + + + + + - + o - + o o + + + + + o + + + + - - - - - + o + - - - - + + + + Es bedeuten: + = Vorteil; - = Nachteil; o = Indifferenz bzw. (noch) unklar Abb. 2.87: Vor- und Nachteile der Befragung nach dem Erhebungsmodus <?page no="186"?> 164 Marktinformationen des Befragten hervorrufen. Der Normalfall der Befragung ist daher in der Einthemenbefragung zu sehen. Je nachdem, wieviele Personen simultan befragt werden, ist zwischen Einzelinterviews und Gruppeninterviews zu unterscheiden. Die herkömmliche Form der Befragung ist das Einzelinterview, bei welchem jeweils nur eine Person befragt wird. In Gruppeninterviews hingegen wird versucht, eine Interaktivität zwischen den beteiligten Personen zu stimulieren, um auf diese Weise Hemmungen abzubauen und kreative Prozesse zu fördern (vgl. Berndt 1996, S. 181). Gerade für Aufgabenstellungen, welche in besonderem Maße auf Kreativität angewiesen sind (z.B. Produktneu- und -weiterentwicklungen), sind Gruppeninterviews geeignet. Gemäß der Art der Fragestellung kann zwischen direkter und indirekter Befragung unterschieden werden (vgl. Meffert 1992, S. 204 ff.). Bei der direkten Befragung werden Sachverhalte ohne Umschweife befragt (z.B. „Halten Sie den derzeitigen Benzinpreis für zu hoch? “). Probleme treten bei der direkten Fragestellung auf, wenn vermutet werden kann, dass das Antwortverhalten des Befragten verzerrt ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Befragte das Befragungsziel durchschaut hat und im Sinne des Fragenden antwortet, oder tabuisierte sowie durch Prestige- und Statusdenken beeinflusste Problemkreise analysiert werden (z.B. „Wann haben Sie zum letzten Mal Ihre Zähne geputzt? “; „Wie hoch ist Ihr Einkommen? “). In diesen Fällen ist auf eine indirekte Befragung auszuweichen. Hier wird durch eine entsprechende Formulierung der Fragen versucht, (unverzerrte) Antworten zu erhalten, welche man bei direkter Befragung nicht bekommen hätte. Dies kann durch eine psychotaktisch-zweckmäßige Befragung erfolgen (z.B. im Hinblick auf die Frage des Zähneputzens kann folgende Fragestellung gewählt werden: „Wie Sie sicherlich wissen, existieren verschiedene Methoden der Mundpflege wie Zahnpasta, Zahnpulver, Zahnseide, Mundwasser und andere Mittel. Haben Sie vielleicht im Laufe des gestrigen Tages Zahnpasta benutzt - oder haben Sie es gestern anders gehalten? “). Weitere psychologische Tests, welche auf indirektem Wege versuchen, Antworten zu erhalten, bestehen in dem Foto- oder Personenzuordnungstest, dem Satzergänzungstest, dem Wortassoziationstest sowie dem Thematischen Apperzeptions-Test (vgl. hierzu i.E. Hammann/ Erichson 2000, S. 103 ff.; Hüttner/ Schwarting 2002, S. 93 ff.). Bei der Art der verwendeten Fragen ist die Unterscheidung in offene und geschlossene Fragen wesentlich. Werden Antwortkategorien vorgegeben, liegen geschlossene Fragen vor. Die normalerweise gegebene Frageform ist dabei die Alternativfrage in Form von Ja-Nein-Antwortkategorien oder in Form von vorgegebenen Antwortmöglichkeiten, von denen die befragte Person je nach Fragestellung eine oder mehrere Alternativen auszuwählen hat. Besteht die Möglichkeit der Auswahl mehrerer alternativer Antworten, so kann die Anzahl nach oben und/ oder unten begrenzt sein (z.B. „Nennen Sie von den angegebenen Produkten mindestens zwei, welche für Sie als Kaufalternative in Frage kommen.“; „Kreuzen Sie diejenigen von den angegebenen Fernsehsendern an, welche Sie häufig nutzen. Maximal 4 Nennungen sind möglich.“). Häufig werden zudem Skalafragen verwendet, welche die Stärke oder Ausprägung von Meinungen oder Einschätzungen der Befragten zum Ausdruck bringen sollen (vgl. auch Abschnitt 3.1.3.1.1 in diesem Teil). Offene Fragen schließlich sehen keine vorgegebenen Antwortkategorien vor. Dies hat den Vorteil, dass eine freie Meinungsäußerung zu der gestellten Frage möglich ist und der Befragte nicht in enge (möglicherweise unpassende oder unvollständige) Antwortkategorien gezwängt wird, andererseits führen offene Fragen zu einem deutlich erhöhten Auswertungsaufwand. <?page no="187"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 165 Grundsätzlich ist bei der Befragung als Datenerhebungsinstrument auf einen adäquaten Aufbau des Fragebogens zu achten. Diesbezüglich wichtige Kriterien betreffen die Länge des Fragebogens, die Verständlichkeit der Fragen sowie den logischen und konsistenten Aufbau des Fragebogens. Im Hinblick auf den Aufbau des Fragebogens ist zwischen (vgl. Berndt 1996, S. 186) Einleitungs-, Kontakt- und Eisbrecherfragen, Sachfragen, Kontroll- und Plausibilitätsfragen sowie Fragen zur Person zu differenzieren. Während Einleitungs-, Kontakt- und Eisbrecherfragen eine Motivation und Aufgeschlossenheit des Befragten für die ihm bevorstehende Befragung erzeugen soll, beziehen sich Sachfragen auf den eigentlich interessierenden Gegenstand. Kontroll- und Plausibilitätsfragen dienen zur Überprüfung der Auskünfte des Befragten hinsichtlich ihrer Konsistenz. Fragen zur Person schließen die Befragung ab. Mit ihrer Hilfe können die Ergebnisse der Befragung personenspezifisch präzisiert werden (z.B. hinsichtlich demographischer Kriterien wie Alter, Geschlecht, Familienstand, Ausbildung usw.). Generell sollte versucht werden, den Fragebogen so zu gestalten, dass die Aussagewilligkeit des Befragten während des gesamten Befragungsprozesses auf hohem Niveau beibehalten bzw. im Zeitablauf während der Befragung gesteigert werden kann. Über die grundsätzliche Eignung eines Fragebogens bzw. über Ansatzpunkte zu seiner Verbesserung kann ein Pretest (Probedurchlauf) des Fragebogens Auskunft geben (zur Fragebogengestaltung vgl. ausführlich Fantapié Altobelli 2017, S. 67 ff.). 3.1.3.3.2.2 Beobachtung Generell kann unter der Beobachtung als Instrument der Datenerhebung die zielgerichtete Erfassung von sinnlich wahrnehmbaren Sachverhalten im Augenblick ihres Auftretens verstanden werden (vgl. Berndt 1996, S. 187). Dabei kann zwischen verschiedenen Beobachtungsformen unterschieden werden (vgl. Fantapié Altobelli 2017, S. 115 ff.; Meffert 1992, S. 198 f.): Fremd- und Selbstbeobachtung, persönliche und apparative Beobachtung, teilnehmende und nicht-teilnehmende Beobachtung, alternative Bewusstseinsgrade der Beobachtung sowie Feld- und Laborbeobachtung. Bei einer Fremdbeobachtung werden Sachverhalte und Prozesse perzipiert, welche außerhalb der Person des Beobachters liegen. Eine Selbstbeobachtung hingegen liegt vor, wenn eine Person eigene Wahrnehmungen, Verhaltensnormen oder psychische Vorgänge registriert (vgl. hierzu auch den Entscheidungsnetz-Ansatz von Bettmann in Abschnitt 2.1.2.4.2.2.2 in diesem Teil). Von persönlicher Beobachtung wird gesprochen, wenn die Beobachtung durch den Beobachter selbst vorgenommen wird. Erfolgt die Beobachtung durch den Einsatz technischer Hilfsmittel (z.B. Kundenzählung per Lichtschranke, Ermittlung von Kundenlaufstudien per Videoaufzeichnung), so liegt eine apparative Beobachtung vor. Bei einer teilnehmenden Beobachtung wird der Beobachter in das Geschehen integriert. Er bringt sich damit auf die Ebene der Beobachteten, wobei zur Vermeidung verzerrten Verhaltens der Beobachteten in der Regel angestrebt wird, dass die Beobachtung von ihnen nicht bemerkt wird (z.B. bei Hotel- und Gaststättentests im Rahmen <?page no="188"?> 166 Marktinformationen der Überprüfung der Übernachtungsqualität bzw. der Qualität des Essens). Im Rahmen einer nicht-teilnehmenden Beobachtung beschränkt sich der Beobachter auf die Registrierung der Aktionen der beobachteten Personen. Weiter lässt sich differenzieren im Hinblick auf verschiedene Beobachtungssituationen und den mit ihnen verbundenen Bewusstseinsgraden aus Sicht der Probanden bzw. beobachteten Personen. Konkret existieren die offene und durchschaubare Situation, die nicht durchschaubare Situation, die quasi-biotische Situation sowie die biotische Situation. Abb. 2.88 charakterisiert die einzelnen Situationen und zeigt Beispiele auf. Eine wichtige Unterscheidung liegt zudem zwischen der Feld- und der Laborbeobachtung vor. Während bei einer Feldbeobachtung eine Untersuchung des interessierenden Sachverhalts unter realen Bedingungen erfolgt, ist bei einer Laborbeobachtung stets eine künstliche Situation gegeben. Durch die künstliche Situation (z.B. Einkauf in einem Test-Supermarkt in einem Marktforschungsinstitut; Blickregistrierung zur Überprüfung der Anzeigenqualität) wird einerseits ein in gewissem Ausmaß von der Realität abweichendes Verhalten der Probanden hervorgerufen, andererseits können alle das Testergebnis beeinflussenden Faktoren kontrolliert bzw. Störfaktoren eliminiert werden. Felduntersuchungen hingegen zeigen das reale Verhalten der beobachteten Person auf, die Ergebnisse werden jedoch häufig durch Störfaktoren (Wetter, Konkurrenzeinflüsse usw.) beeinflusst. Ein wesentlicher Vorteil der Beobachtung als Datenerhebungsinstrument ist darin zu sehen, dass sie unabhängig von der Auskunftsfähigkeit und -willigkeit der Versuchspersonen ist. Andererseits existieren Sachverhalte (z.B. Einstellungen, Meinungen), welche sich mit diesem Datenerhebungsinstrument nicht erfassen lassen. Zudem ist mit der Beobachtung die häufig schwierige Aufgabe der Interpretation des beobachteten Sachverhalts gegeben (z.B. bei der Hautwiderstandsmessung; vgl. auch Abschnitt 3.1.3.1.2 in diesem Teil). Auch kann in Abhängigkeit der Beobachtungssituation bzw. des Bewusstseinsgrades aus Sicht des Probanden ein „Beobachtungs- Effekt“ eintreten, indem der Beobachtete unter dem Einfluss der Beobachtung sein Verhalten ändert (ähnlich dem sog. Panel-Effekt; vgl. hierzu Abschnitt 3.1.3.3.2.4 in diesem Teil). 3.1.3.3.2.3 Experiment Unter einem Experiment wird die Überprüfung eines vermuteten Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs zwischen einem oder mehreren unabhängigen Faktoren und der jeweils untersuchten abhängigen Variablen unter kontrollierten Bedingungen verstanden. Begrifflich liegt ein Experiment auf einer anderen Ebene als die Befragung oder Beobachtung als Datenerhebungsinstrument, da das Experiment ein bestimmtes Untersuchungsdesign bei der Datengewinnung festlegt. Ein Experiment kann demnach sowohl die Befragung als auch die Beobachtung miteinschließen. Typische Fragestellungen, welche man im Rahmen von Experimenten untersuchen kann, sind folgende: Welchen Einfluss hat die Höhe des Preises eines Produktes auf die Absatzmenge dieses Produktes? Wie wirken sich unterschiedliche Regalplatzierungen eines Produkts auf dessen Absatz aus? Welchen Einfluss haben werbliche Maßnahmen auf die Produktpräferenz? <?page no="189"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 167 (1) Offene Situation (2) Nicht durchschaubare Situation (3) Quasi-biotische Situation (4) Biotische Situation Der Beobachtete weiß von der Beobachtung er kennt deren Zweck und deren eigentliche Aufgabe Beispiel: Beobachtung der Handhabung von Produkten in einer häuslichen Situation Der Beobachtete weiß von der Beobachtung er kennt deren Zweck, nicht aber deren eigentliche Aufgabe Beispiel: Beobachtung des Markenwahlverhaltens im Rahmen eines Store- Tests, wenn der Beobachtete nicht weiß, um welche Produktkategorie es sich handelt Der Beobachtete weiß von der Beobachtung er kennt weder deren Zweck, noch deren eigentliche Aufgabe Beispiel: Blickregistrierungsverfahren beim Werbemitteltest Der Beobachtete weiß nicht von der Beobachtung er kennt weder deren Zweck, noch deren eigentliche Aufgabe Beispiel: Wartezimmertest Beobachtungssituationen Quelle: Fantapié Altobelli 1998, S. 320 Abb. 2.88: Alternative Beobachtungssituationen Generell umfasst ein Experiment verschiedene Elemente bzw. Variablen (vgl. Fantapié Altobelli/ Hoffmann 2011, S. 87 f.): Testelemente sind diejenigen Objekte, an denen Experimente ausgeführt werden wie z.B. Produkte, Personen oder Geschäfte. Unabhängige Variablen sind diejenigen Faktoren, deren Einfluss gemessen werden soll (z.B. Marketing-Instrumente wie Preise, Produktdesign, kommunikative Maßnahmen usw.). Abhängige Variablen sind diejenigen Faktoren, an denen die Wirkung der unabhängigen Variablen gemessen wird (z.B. Absatzmenge, Produktpräferenz usw.). Störvariablen stellen die nicht kontrollierbaren Variablen (wie z.B. Konkurrenzmaßnahmen, Witterungsbedingungen usw.) dar, welche Einfluss auf die abhängige Variable nehmen. <?page no="190"?> 168 Marktinformationen Kontrollierbare Variablen stellen Variablen dar, deren Einfluss auf die abhängige Variable ausgeschaltet werden soll. Diese Variablen unterliegen nicht der Untersuchung. Ihr Einfluss soll durch Konstanthaltung ihrer jeweiligen Ausprägung eliminiert werden. Ist beispielsweise der Preis die interessierende (unabhängige) Variable und die Absatzmenge die abhängige Variable, so sind alle die Absatzmenge beeinflussenden kontrollierbaren Variablen wie Werbeniveau, Regalplatzierung usw. konstant zu halten. Es kann zwischen verschiedenen Arten von Experimenten unterschieden werden: klassische und erweiterte Experimente: bei klassischen Experimenten wird nur eine Größe variiert, bei erweiterten Experimenten hingegen mehrere unabhängige Variablen. Klassische Experimente werden auch informale Experimente genannt, erweiterte Experimente, deren Auswertung deutlich aufwendiger ist, werden auch als formale Experimente bezeichnet. Befragungs- und Beobachtungsexperimente: Die Messung der Wirkung eines experimentellen Faktors (unabhängige Variable) kann in Form einer Befragung (z.B. Präferenzmessung bei den Probanden nach Durchführung werblicher Maßnahmen) oder einer Beobachtung (z.B. Messung des Umsatzes eines Produktes in verschiedenen Handelsgeschäften in Abhängigkeit unterschiedlicher Preishöhen) erfolgen. Feld- und Laborexperimente: Während Feldexperimente unter natürlichen Bedingungen (z.B. in realen Handelsgeschäften) durchgeführt werden, erfolgen Laborexperimente unter künstlichen, kontrollierbaren Bedingungen (z.B. künstliche Einkaufsstätte in einem Marktforschungsinstitut). Längs- und Querschnittsexperimente: Während Längsschnittexperimente die Wirkung der unabhängigen Variablen im Zeitablauf messen (z.B. Messung der Absatzmenge eines Produktes in einem Handelsgeschäft über einen bestimmten Zeitraum bei systematischer z.B. wöchentlicher Variation der Preishöhe), stellen Querschnittsexperimente auf eine zeitpunktbezogene Messung ab (z.B. Messung des Absatzes eines Produktes in verschiedenen Handelsgeschäften zu einem bestimmten Zeitpunkt, wobei in den Handelsgeschäften jeweils ein unterschiedlicher (aber konstanter) Preis gefordert wird). echte und Quasi-Experimente: Echte Experimente unterscheiden sich von Quasi-Experimenten in einer engen Fassung dadurch, dass die Randomisierung (Zufallsauswahl) der Testobjekte (z.B. Personen) bei den Quasi-Experimenten fehlt und somit die Repräsentativität der Testergebnisse eingeschränkt ist. In einer weiten Fassung gehört das Fehlen einer Kontrollgruppe überhaupt dazu. Klassische (informale) Experimente stellen sehr einfache Versuchsanordnungen dar. Hier wird lediglich die Auswirkung einer Größe bei Konstanthaltung aller anderen Größen untersucht. Die Feststellung der Wirkung des experimentellen Faktors wird dann einfach durch Differenzenbildung vorgenommen. In diesem Zusammenhang sind eine Vielzahl verschiedener Versuchsanordnungen denkbar (vgl. z.B. Brockhoff 1999, S. 223 ff.; Hammann/ Erichson 2000, S. 188 ff.). Diese unterscheiden sich durch den Einbezug bzw. Nichteinbezug einer Kontrollgruppe, die Durchführung bzw. Nichtdurchführung einer Vorher-(Ausgangs-)Messung, die Anzahl der vor und nach dem Experiment durchgeführten Messungen. <?page no="191"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 169 Quelle: Meffert 1992, S. 211 Abb. 2.89: Grundtypen informaler Experimente Typ Beschreibung Beispiel Faktorwirkung Beurteilung EBA EB-CA Messung der Werte der abhängigen Variablen zeitlich vor und nach Einsatz der unabhängigen Variablen in einer Testgruppe Messung und Vergleich der Umsätze für ein bestimmtes Produkt in ausgewählten Einzelhandelsgeschäften vor und nach einer Preissenkung für das betreffende Produkt: Paneluntersuchungen. Store- Tests X 1 - X 0 Differenz in Experimentiergruppe zwischen 2 Zeitpunkten 1 und 0 Vernachlässigung von Störvariablen, ohne Kontrollgruppe, zeitliche Entwicklungseffekte nicht messbar Messung der Werte der abhängigen Variablen zeitlich vor Einsatz der unabhängigen Variablen in einer Testgruppe und zeitlich nach dem Einsatz einer anderen Testgruppe (bei zwei repräsentativen Querschnitten) Tendenzumfrage, d.h. die Befragung eines unterschiedlichen repräsentativen Querschnitts der Bundesbürger mit gleichem Fragewortlaut: z.B. die Frage der Parteienpräferenz vor und nach einer Fernsehdiskussion führender Politiker aller Partein Y 1 - X 0 Differenz zwischen Kontrollgruppe im Zeitpunkt 1 und Experimentiergruppe im Zeitpunkt 0 Vernachlässigung von Störvariablen, zeitliche Entwicklungseffekte nicht messbar; keine echte Kontrollgruppe <?page no="192"?> 170 Marktinformationen Abb. 2.89: (Forts.) Typ Beschreibung Beispiel Faktorwirkung Beurteilung EA-CA EBA- CBA Messung der Werte der abhängigen Variablen in Test- und Kontrollgruppe nur nach Einsatz der unabhängigen Variablen Probe-Aktion in ausgewählten Testgeschäften und Vergleich der Umsatzzahlen mit Geschäften, die nicht in die Aktion einbezogen waren X 1 - Y 1 Differenz zwischen Experimentier- und Kontrollgruppe im Zeitpunkt 1 Vernachlässigung von Störvariablen, Unterstellung gleicher Ausgangslage Messung der Werte der abhängigen Variablen vor und nach Einsatz der unabhängigen Variablen in der Testgruppe und Vor- und Nachhermessung in der Kontrollgruppe, die nicht dem Einfluss der unabhängigen Variablen ausgesetzt wird Wie beim EBA- Typ, jedoch wird zusätzlich eine weitere Gruppe von Geschäften ausgewählt, in der keine Preisaktion erfolgt (X 1 -X 0 ) - (Y 1 -Y 0 ) Differenz zwischen den gemeinsamen Unterschieden in Experimentier- und Kontrollgruppe Wirkung der unabhängigen Variablen in der Experimentiergruppe wird bereinigt um Entwicklungseffekte, die sich in der Kontrollgruppe zeigen, keine Erfassung von Störvariablen Unterstellt man folgende Symbolik E = Versuchs-/ Experimentiergruppe (experimental group) C = Kontrollgruppe (control group) B = Messung vor (before) Einsatz des unabhängigen Faktors A = Messung nach (after) Einsatz des unabhängigen Faktors <?page no="193"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 171 X = Messwert in der Testgruppe Y = Messwert in der Kontrollgruppe, so können die in Abb. 2.89 dargelegten Grundtypen klassischer Experimente identifiziert werden. Erweiterte (formale) Experimente erlauben es, unterschiedliche Ausprägungsstufen des experimentellen Faktors sowie mehrere experimentelle Faktoren simultan in die Analyse einzubeziehen (z.B. die Untersuchung des Einflusses unterschiedlicher Preishöhen bei gleichzeitiger Variation der Regalplatzierung eines Produkts auf dessen Absatzmenge). Hier ist keine einfache Differenzenbildung zur Messung des experimentellen Faktors bzw. der experimentellen Faktoren möglich. Vielmehr muss auf eine komplexe Streuungsanalyse ausgewichen werden, mit deren Hilfe die Wirkung der experimentellen Faktoren sowie auch von Störvariablen bestimmt werden kann. Dies erfolgt mittels einer Varianzanalyse als typisches Datenanalyseinstrument zur Auswertung von aufwendigen Versuchsanordnungen (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.4 in diesem Teil). Abb. 2.90 zeigt Typen formaler Experimente auf. Beim vollständigen Zufallsplan wird lediglich ein experimenteller Faktor (z.B. Preis) in verschiedenen Ausprägungen („Treatments“ oder „Faktorstufen“, z.B. Preishöhen) analysiert. Durch die wiederholte Messung („Replikationen“) an unterschiedlichen Testelementen (z.B. Geschäften, Zeitpunkten) wird der Störfaktor indirekt berücksichtigt. Die Zuordnung der Messung zu den Testobjekten erfolgt dabei zufällig. Beim zufälligen Blockplan wird zusätzlich ein Störfaktor explizit berücksichtigt (z.B. Geschlecht der Testpersonen, Größe des Handelsbetriebs, geographische Lage eines Geschäfts). Dies erfolgt dann, wenn davon ausgegangen werden kann, dass dieser Faktor einen signifikanten Einfluss auf das Messergebnis hat. Der Störfaktor wird dabei in unterschiedliche „Blöcke“ (Ausprägungen) eingeteilt. In jedem Block werden dann für alle Treatments Messungen vorgenommen (z.B. Messung des Absatzes eines Produkts für unterschiedliche Regalplatzierungen („Treatments“) in unterschiedlichen Geschäftstypen („Blöcke“, z.B. Kaufhaus, Fachhandel, Discounter)). Beim lateinischen Quadrat erfolgt eine explizite Berücksichtigung zweier Störfaktoren. Die Versuchsanordnung wird dabei so gewählt, dass die Treatments (A, B bzw. C, s. Abb. 2.90) in jeder Zeile und jeder Spalte nur einmal vorkommen (z.B. Messung von Absatzmengen eines Produkts in unterschiedlichen Geschäften zu unterschiedlichen Zeiten bei Variation der Regalhöhe A, B und C). Mehrfaktorielle Pläne schließlich erlauben die Analyse von zwei oder mehr Testfaktoren sowie die Interaktionen zwischen ihnen. Hierfür besteht die Notwendigkeit wiederholter Messungen (Replikationen) für jede Treatmentkombination (z.B. alternative Preishöhen und Verpackungen). 3.1.3.3.2.4 Panel als Spezialform der Datenerhebung Ein Panel liegt vor, wenn dieselben Untersuchungseinheiten (Personen, Unternehmen, Handelsbetriebe) mehrfach in gewissen zeitlichen Abständen zu ein und demselben Themenkreis befragt werden. Abb. 2.91 zeigt verschiedene Arten von Panels auf. Im Hinblick auf die praktische Relevanz dominieren bei den Händler-Panels die Einzelhandels-Panels, welche fachhandelsübergreifend (allgemein) ausgestaltet sein können oder aber nur Handelsbetriebe bestimmter Fachhandelsrichtungen berücksichtigen. Gemessen wird dabei u.a. der Abverkauf von Produkten gemäß der Formel Endverbraucherabsatz = Anfangsbestand + Zugänge (Einkäufe) - Endbestand. Bei den Verbraucher-Panels spielen insbesondere Endverbraucher-Panels auf Haushaltsebene eine Rolle. Diese können sich je nach Untersuchungszweck auf Verbrauchsgüter und/ oder Gebrauchsgüter beziehen. Weit verbreitet sind dabei insbesondere Verbrauchsgüter-Panels, bei denen Haushalte darlegen, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen (z.B. zu welchem <?page no="194"?> 172 Marktinformationen Geschäfte Perioden 1 A B C 2 B C A 3 C A B 1 2 3 Lateinisches Quadrat (Beispiel) Spaltenmittel m j 1 pm pj p1 im ij i1 1m 1j 11 x x x x .. x .. x p . . . . x .. x .. x i . . . . x .. x .. x 1 Replikationen Treatments m .. j .. 1 Vollständiger Zufallsplan Spaltenmittel m j 1 nm nj n1 km kj k1 1m 1j 11 x x x x .. x .. x n . . . . x .. x .. x k . . . . x .. x .. x 1 Blöcke Treatments Zeilenmittel x x x x x n k .. 1 . . m .. j .. 1 Zufälliger Blockplan Quelle: Hüttner/ Schwarting 2002, S. 176 ff. Abb. 2.90: Grundtypen formaler Experimente npm npj np nim nij ni m n j n n kpm kpj kp kim kij ki m k j k k pm pj p im ij i m j x x x p x x x i x x x x x x p x x x i x x x x x x p x x x i x x x 1 1 1 1 11 1 1 1 1 11 1 1 1 1 1 1 1 1 11 11 111 1 1 1 1 j m 1. Faktor Treatments Replikationen 2. Faktor Treatments 1 k n Vollständiger bifaktorieller Zufallsplan .. .. .. .. <?page no="195"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 173 Preis) welche Verbrauchsgüter (z.B. Lebensmittel) gekauft wurden. Neben dem periodischen (z.B. wöchentlichen) Einsenden von sog. Einkaufsberichten, welche in Tabellenform darlegen, welches Produkt in welcher Menge wo zu welchem Preis eingekauft wurde, an die auswertenden Marktforschungsinstitute hat sich insbesondere die Scanning-Technologie in diesem Zusammenhang als nützlich erwiesen. Durch das Vorzeigen und Einlesen einer Haushalts-Identifikationskarte an der Scanner-Kasse des jeweiligen Geschäfts kann sofort online festgestellt werden, wer was wo zu welchen Bedingungen in welchen Mengen gekauft hat. Eine alternative Form ist das Inhome- Scanning-Panel, bei welchem Verbraucher mit einem Handscanner ausgestattet werden. Die durch dieses Gerät erfassten Daten können dann per Modem an das Marktforschungsinstitut weitergeleitet werden. Hauptprobleme von Panels bestehen in dem Panel-Effekt sowie der Panel-Sterblichkeit. Der Panel-Effekt beschreibt die Tatsache, dass sich infolge der Beobachtung des Konsumverhaltens das Einkaufsverhalten der Panel-Teilnehmer ändert (z.B. verstärktes Preisinteresse) bzw. eine falsche Berichterstattung erfolgt (z.B. bei sozial unerwünschten Produkten wie Alkohol und Zigaretten). Die Panel-Sterblichkeit hingegen ist gegeben durch das Ausscheiden von Panelmitgliedern im Zeitablauf (z.B. aufgrund eines zu hohen Aufwands der Berichterstattung, zu geringer Anreize zur weiteren Teilnahme). Damit die Repräsentativität des Panels weiter aufrechterhalten bleibt, ist eine Ersatzperson bzw. ein Ersatzhaushalt zu finden, welcher dieselben untersuchungsrelevanten Kriterien (z.B. Haushaltsgröße, Haushaltseinkommen usw.) aufweist. 33.1.4 Die Auswertung von Marktinformationen 3.1.4.1 Überblick über die Verfahren der Datenanalyse Sind Marktdaten im Rahmen der Gewinnung von Marktinformationen erhoben worden, so gilt es nun, diese Daten auszuwerten. Zur Datenauswertung steht eine Reihe von Verfahren zur Verfügung, welche in Abhängigkeit der Anzahl der untersuchten Variablen in univariate (eine untersuchte Variable), bivariate (zwei untersuchte Variablen) sowie multivariate (mehr als zwei untersuchte Variablen) Datenanalyseverfahren eingeteilt werden können. Die einfachste Form der Datenaufbereitung und -analyse ist die univariate Datenanalyse. Typische Maßzahlen, welche im Rahmen einer univariaten Datenanalyse errechnet werden, sind Lokalisations- und Streuungsmaße. Bei bi- und multivariaten Datenanalyseverfahren hingegen kann zwischen Verfahren der Dependenz- und Interdependenzanalyse unterschieden werden. Bei der Dependenzanalyse geht es um die Abhängigkeit einer oder mehrerer anderer Größen, bei der Interdependenzanalyse steht die Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen den Variablen im Vordergrund der Betrachtung. Abb. 2.92 zeigt die einzelnen Datenanalyseverfahren im Überblick auf. Im Folgenden werden die einzelnen Verfahren näher dargestellt. Ziel der Ausführungen ist es darzulegen, für welche Aufgabe die einzelnen Verfahren eingesetzt werden können sowie die generelle Vorgehensweise im Rahmen der einzelnen Verfahren vorzustellen. Für detaillierte Ausführungen muss auf die Spezialliteratur verwiesen werden (vgl. z.B. Backhaus et al. 2021; Hammann/ Erichson 2000; Hüttner/ Schwarting 2002). <?page no="196"?> 174 Marktinformationen Quelle: In Anlehnung an Hüttner/ Schwarting 2002, S. 184 Abb. 2.91: Arten von Panels Panel Verbraucher-Panel Spezial-Panel (z.B. Produkttest, Höreru. Seher-Forschung) Händler-Panel Großhandels- Panel Einzelhandels- Panel Haushalts-Panel (allgemein) Endverbraucher- Panel Vorverbraucher- Panel (z.B. Handwerksbetriebe, Baufirmen) Großverbraucher- Panel (z.B. Kantinen, Anstalten) speziell (z.B. Autobesitzer, Hausbesitzer) Verbrauchsgüter- Panel Gebrauchsgüter- Panel Einzelpersonen- Panel allgemein allgemein speziell (z.B. Drogerien, Apotheken) <?page no="197"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 175 Datenanalyseverfahren bi- und multivariate Verfahren univariate Verfahren Berechnung von Lokalisations- (z.B. arithmetisches Mittel) und Streugrößen (z.B. Varianz) Verfahren der Dependenzanalyse Verfahren der Interdependenzanalyse Regressionsanalyse Conjointmeasurement Varianzanalyse Diskriminanzanalyse Kausalanalyse Kontingenzanalyse Faktorenanalyse Clusteranalyse Multidimensionale Skalierung Korrelationsanalyse Abb. 2.92: Überblick über Datenanalyseverfahren <?page no="198"?> 176 Marktinformationen 33.1.4.2 Univariate Datenanalyse Gegenstand der univariaten Datenanalyse sind die Ausprägungen x i einer einzigen Variablen x(i = 1, ..., n). Hierfür lassen sich zunächst absolute und relative Häufigkeiten sowie kumulierte relative Häufigkeiten dieser Ausprägungen berechnen. Abb. 2.93 zeigt ein Beispiel. Zur weiteren Datenaufbereitung und -verdichtung können Lokalisations- und Streuungsmaße errechnet werden (vgl. z.B. Berndt 1996, S. 195 f.). Zu den Lokalisationsmaßen zählen u.a.: das arithmetische Mittel, der Modus sowie der Median. Das arithmetische Mittel ist definiert als 1 1 n i i x x n . Zur Berechnung des arithmetischen Mittels muss die Variable mindestens intervallskaliert sein (vgl. zur Skalierung von Variablen auch Abschnitt 3.1.3.1.1 in diesem Teil). Der Modus gibt diejenige Ausprägung an, welche am häufigsten vorkommt. Hierfür reicht bereits eine Nominalskala aus. Der Median schließlich teilt die der Größe nach gereihten Elemente einer Variablen in der Mitte, d.h. rechts und links des Medians liegen gleich viele Werte. Für die Berechnung des Medians ist eine Ordinalskala ausreichend. Am Beispiel der Abb. 2.93 ergeben sich für das arithmetische Mittel ein Wert von 3,26 (unter der Annahme der Intervallskalierung der Variablen), für den Modus der Wert 5 sowie für den Median der Wert 4. Häufig verwendete Streuungsmaße sind die Varianz, die Standardabweichung, die Spannweite sowie der Variationskoeffizient. Für die Berechnung dieser Maße ist mindestens eine Intervallskalierung notwendig. Die Varianz einer Variable ist definiert als 2 2 1 1 n i i x x n . Für die Standardabweichung gilt: 2 2 1 1 n i i s x x n . <?page no="199"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 177 Die Spannweite ergibt sich als Differenz zwischen der größten und der kleinsten Ausprägung der Variable: Max Min e x x . Der Variationskoeffizient schließlich wird wie folgt berechnet: s v x . Für das Beispiel der Abb. 2.93 ergibt sich (wiederum unter der Annahme der Intervallskalierung der Variablen) eine Varianz 2 = 2,25 eine Standardabweichung s = 1,50 eine Spannweite e = 4 sowie ein Variationskoeffizient v = 0,46 3 3.1.4.3 Bi- und Multivariate Datenanalyse 3.1.4.3.1 Kontingenzanalyse 3.1.4.3.1.1 Aufgabe einer Kontingenzanalyse Mit Hilfe einer Kontingenzanalyse kann untersucht werden, ob zwei nominal skalierte Variablen als abhängig oder unabhängig voneinander anzusehen sind. So lässt sich beispielsweise untersuchen, ob die Wahl bestimmter Marken abhängig ist vom Geschlecht. Ausgangspunkt für die Kontingenzanalyse ist dabei ein Tableau, in welches die absoluten Häufigkeiten für die jeweiligen Ausprägungen beider Variablen eingetragen werden. Abb. 2.94 zeigt ein derartiges Tableau in allgemeiner Form auf. Dabei gilt: r : Ausprägungen der Variablen 1 (i = 1, ..., r) s : Ausprägungen der Variablen 2 (j = 1, ..., s) : absolute Häufigkeit des Auftretens der Ausprägungskombination (i, j) i ij j n n j ij i n n ij i j n n ij n <?page no="200"?> 178 Marktinformationen Abb. 2.93: Beispielhaftes Ergebnis für eine Skalafrage im Rahmen einer Befragung Antwortkategorie Codierung Absolute Häufigkeiten Relative Häufigkeiten Kumulierte relative Häufigkeiten Stimme voll zu Stimme weitgehend zu Ist mir gleichgültig Lehne ich eher ab Lehne ich völlig ab 5 4 3 2 1 23 17 5 19 12 76 0,30 0,22 0,07 0,25 0,16 0,30 0,52 0,59 0,84 1,00 Summe <?page no="201"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 179 .s .j .1 rs rj r1 is ij i1 1s 1j 11 n n n n n n n n n n n n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . n n n n r. i. 1. . . . . . . r i 1 . . . . . . s j 1 . . . . . . Variable 1 Variable 2 Abb. 2.94: Tableau für eine Kontingenzanalyse Marke Geschlecht Abb. 2.95: Beispiel für eine Kontingenzanalyse Eigene Marke Konkurrenzmarke männlich weiblich 4 12 7 7 01 , 2 2 emp 1 ) 1 2 ( ) 1 2 ( Vorgegebene Irrtumswahrscheinlichkeit 05 , 0 = 84 , 3 2 ) 95 , 0 ( theo <?page no="202"?> 180 Marktinformationen 3.1.4.3.1.2 Vorgehensweise im Rahmen einer Kontingenzanalyse Ist das Ausgangstableau für die Kontingenzanalyse aufgestellt worden, so gilt es zu testen, ob die beiden Variablen unabhängig oder abhängig voneinander sind. Hierfür wird die H o -Hypothese aufgestellt, dass die beiden Variablen unabhängig voneinander sind. Um diese Hypothese zu testen müssen zwei 2 -Werte errechnet werden, der empirische 2 -Wert sowie der theoretische 2 - Wert. Der empirische 2 -Wert ergibt sich als 2 2 n n i j ij n e m p i j i j n n n n Der theoretische 2 -Wert 2 th e o ist aus der Tabelle der 2 -Verteilung abzulesen. Hierzu ist die entsprechende Irrtumswahrscheinlichkeit (z.B. = 0,01 oder = 0,05) vorzugeben sowie die Zahl der Freiheitsgrade zu bestimmen. Die Zahl der Freiheitsgrade ergibt sich als = (r - 1)(s - 1). Beide 2 -Werte werden dann miteinander verglichen. Gilt 2 2 2 2 emp theo emp theo , so ist bei gegebener Irrtumswahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass beide Variablen voneinander abhängig (unabhängig) sind. Abb. 2.95 zeigt ein einfaches Beispiel für eine Kontingenzanalyse. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass das Geschlecht keinen Einfluss auf die Markenwahl hat, die H o -Hypothese ist also anzunehmen. 3.1.4.3.2 Korrelationsanalyse 3.1.4.3.2.1 Aufgabe einer Korrelationsanalyse Im Rahmen einer Korrelationsanalyse wird die Stärke des Zusammenhanges zwischen zwei Variablen gemessen. Je nach Skalierung der Variablen können verschiedene Korrelationskoeffizienten errechnet werden (vgl. z.B. Bortz/ Schuster 2010). Hier soll ausschließlich auf den Fall zumindest intervallskalierter Variablen eingegangen werden. Für diesen Fall kann der Produkt- Moment-Korrelationskoeffizient bestimmt werden, um beispielsweise den Zusammenhang zwischen Preis und Absatzmenge eines Produktes zu messen. Der Koeffizient ist normiert auf den Wertebereich zwischen -1 und +1. Ein Wert von +1 (-1) besagt, dass ein sehr starker positiver (negativer) Zusammenhang zwischen den betrachteten zwei Variablen vorherrscht, im Falle eines Wertes von 0 ist kein Zusammenhang zwischen den beiden Variablen feststellbar. Das Vorzeichen des Korrelationskoeffizienten bestimmt also die Richtung des Zusammenhangs, der absolute Wert des Koeffizienten die Stärke des Zusammenhangs. Abb. 2.96 zeigt beispielhafte Datenkonstellationen im zweidimensionalen Raum. Eine perfekte Korrelation (+1 bzw. -1) ist gegeben, wenn alle Punktwerte auf einer (gedachten) Geraden liegen. Eine Interpretation dahingehend, welches die abhängige Variable ist und welche Variable die unabhängige Variable darstellt, vermag die Korrelationsanalyse nicht zu leisten. Diese Interpretation muss aus dem sachlogischen Zusammenhang heraus erfolgen. <?page no="203"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 181 Quelle: Überla 1972, S. 15 Abb. 2.96: Beispiele für Korrelationsdiagramme x y b r xy =+1 x y a r xy =0 x y c r xy =-1 x y d r xy =+0,5 x y e r xy =-0,30 x y f r xy =0 <?page no="204"?> 182 Marktinformationen 3.1.4.3.2.2 Vorgehensweise im Rahmen einer Korrelationsanalyse Der Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient ist definiert als 1 2 2 1 1 n i i i xy n n i i i i x y r x y mit: i i x X X i i y Y Y 1 1 n i i X X n 1 1 n i i Y Y n In Abb. 2.97 findet sich ein Beispiel für die Berechnung des Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten. In diesem Fall besteht offensichtlich nur ein sehr schwacher positiver Zusammenhang zwischen den beiden Variablen. Abb. 2.97: Rechenbeispiel zur Ermittlung des Produkt-Moment- Korrelationskoeffizienten 1 2 3 4 5 6 7 8 9 i i X i Y X - X i )² X - (X i Y - Y i ) Y - (Y ) X - (X i i 3 4 7 12 4 1 9 13 8 3 5 10 14 17 9 9 4 11 -3,8 -2,8 0,2 5,2 -2,8 -5,8 2,2 6,2 1,2 14,27 7,72 0,05 27,27 7,72 33,38 4,94 38,72 1,49 -6,1 -4,1 0,9 4,9 7,9 -0,1 -0,1 -5,1 1,9 23,09 11,42 0,20 25,53 -21,91 0,64 -0,25 -31,80 2,31 )² Y - (Y i 37,35 16,9 0,79 23,9 62,23 0,01 0,01 26,12 3,57 = 6,8 = 135,56 = 170,89 = 9,22 = 9,1 <?page no="205"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 183 3.1.4.3.3 Regressionsanalyse 3.1.4.3.3.1 Aufgabe einer Regressionsanalyse Die Regressionsanalyse ist eines der bedeutendsten Datenanalyseverfahren. Mittels einer Regressionsanalyse wird die Art des Zusammenhanges zwischen zwei (bivariate Regressionsanalyse) oder mehr als zwei (multiple Regressionsanalyse) Variablen ermittelt. In dem im Folgenden darzustellenden Grundmodell der Regressionsanalyse wird dabei von einem linearen Zusammenhang zwischen mindestens intervallskalierten Variablen ausgegangen (für den Fall nicht-linearer Zusammenhänge im Rahmen der Regressionsanalyse vgl. Backhaus et al. 2021, S. 103 ff.). Im Gegensatz zur Korrelationsanalyse muss eine Vorstellung darüber existieren, welche Variable die abhängige ist und welche Variable(n) die unabhängige(n) Variable(n) ist (sind). Typische Beispiele für die Anwendung der Regressionsanalyse sind in der Ermittlung von Preisabsatzfunktionen (vgl. auch Abschnitt 2.2.2.2.3.2.1 im 3. Teil) im bivariaten Fall oder in der Schätzung der Abhängigkeit der Absatzmenge eines Produktes von dem Produktpreis, den Werbeausgaben sowie dem Distributionsaufwand für dieses Produkt (multivariater Fall) gegeben. 3.1.4.3.3.2 Vorgehensweise im Rahmen einer Regressionsanalyse Für den bivariaten Fall lautet die allgemeine Regressionsfunktion: ˆ ˆ ˆ y ( ) f x x mit ˆ y = abhängige Variable x = unabhängige Variable ˆ ˆ , = (zu schätzende) Regressionskoeffizienten Anhand von Abb. 2.98 kann die Vorgehensweise zur Ermittlung der jeweiligen Regressionsfunktion dargestellt werden. Gegeben ist eine Punktwolke, welche durch die x- und zugehörigen y- Koordinatenwerte der einzelnen Punkte aufgespannt wird. Gesucht ist nun die Regressionsgerade ˆ ˆ ˆ y x , welche die Punktwolke „möglichst gut“ repräsentiert. Hierzu ist die Berechnung der (unbekannten) Parameter ˆ und ˆ notwendig. Diese erfolgt nach der Methode der kleinsten Quadrate. Konkret ist die Regressionsgerade so durch die Punktwolke zu legen, dass die Summe der quadrierten Abweichungen der tatsächlichen Werte i y von den geschätzten Werten ˆ i y minimal wird. Es gilt folgende Zielfunktion: 2 2 2 1 1 1 ˆ ˆ ˆ min! n n n i i i i i i i i e y y y x Durch partielles Ableiten nach den gesuchten Parametern ˆ und ˆ und Umformung der gleich Null gesetzten Ableitungen erhält man für die unbekannten Parameter ˆ ˆ y x <?page no="206"?> 184 Marktinformationen mit: 1 1 n i i y y n 1 1 n i i x x n sowie 1 2 1 ˆ n i i i n i i x x y y x x Durch Einsetzen alternativer Werte von x i in die auf diese Weise ermittelte Regressionsfunktion können dann die zugehörigen ˆ i y -Werte geschätzt werden. Abb. 2.99 zeigt ein Beispiel zur Ermittlung einer konkreten Regressionsfunktion, in diesem Falle einer Preisabsatzfunktion. Werden zwei oder mehr unabhängige Variablen berücksichtigt, so liegt eine multiple Regressionsanalyse vor (vgl. auch Backhaus et al. 2021, S. 81 ff.). Die allgemeine Regressionsfunktion lautet für diesen Fall Quelle: Johnston 1963, S. 10 Abb. 2.98: Ausgangssituation der einfachen linearen Regressionsanalyse i yˆ i y y y x x P i e R x ˆ ˆ S T <?page no="207"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 185 Abb. 2.99: Beispiel für die Ermittlung einer Regressionsfunktion e Absatzmeng Y i Preis X i 30,92 16,75 1,07 13 ˆ 1,07 214,25 230 - - ˆ Es resultiert: Damit lautet die Preisabsatzfunktion: 1,07X 30,92 Y - 20,22. 10 1,07 30,92 Y - Ein Preis von z.B. X=10 führt zu einer geschätzten Absatzmenge von 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 i i X i Y X - X i )² X - (X i Y - Y i ) Y - (Y ) X - (X i i 10 11 12 14 15 16 18 19 20 21 22 23 20 19 18 16 15 14 12 11 10 8 7 6 -6,75 -5,75 -4,75 -2,75 -1,75 -0,75 1,25 2,25 3,25 4,25 5,25 6,25 45,5625 33,0625 22,5625 7,5625 3,0625 0,5625 1,5625 5,0625 10,5625 18,0625 27,5625 39,0625 7 6 5 3 2 1 -1 -2 -3 -5 -6 -7 -47,25 -34,5 -23,75 -8,25 -3,5 -0,75 -1,25 -4,5 -9,75 -21,25 -31,5 -43,75 25 , 214 13 Y 75 , 16 X 230 <?page no="208"?> 186 Marktinformationen 1 1 1 ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ , ... , ... ... ... i i i k k k y f x x x x x x Wiederum werden die Regressionskoeffizienten 1 ˆ ˆ ˆ , ... , ... i k nach der Methode der kleinsten Quadrate geschätzt. Die Zielfunktion lautet damit Partielles Ableiten dieser Zielfunktion nach 1 ˆ ˆ ˆ ˆ , , ... , ... i k führt zu einem System von Normalgleichungen, welches per Computerprogramm gelöst wird. Für den Fall von nur zwei unabhängigen Variablen ergibt sich (vgl. Hüttner/ Schwarting 2002, S. 243 ff.) 1 1 2 2 ˆ ˆ ˆ y x x sowie Die Vorgehensweise soll auch für diesen Fall anhand eines Beispiels demonstriert werden. In Abb. 2.100 wird untersucht, welchen Einfluss der Preis und der Werbeaufwand als unabhängige Variablen auf die Absatzmenge des betrachteten Produkts als abhängige Variable haben. Ausgangspunkt sind dabei 10 verschiedene Regionen, in denen das Produkt verkauft wird. Auch lässt sich die Bedeutung der unabhängigen Variablen hinsichtlich ihres Einflusses auf die abhängige Variable bestimmen. Da die unabhängigen Variablen jedoch möglicherweise unterschiedliche Messdimensionen aufweisen, lässt sich die Bedeutung der Variablen nicht unmittelbar an den ermittelten Regressionskoeffizienten ablesen; diese sind daher wie folgt zu standardisieren: mit: standardisierter Regressionskoeffizient. Im Beispiel von Abb. 2.100 ergibt sich <?page no="209"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 187 Abb. 2.100: Beispiel für eine Regressionsanalyse mit zwei unabhängigen Variablen 783,32 1100 0,50 12 134,58 1848,28 Y Es resultiert als Regressionsfunktion: Y = 1848,28 - 134,58X 1 + 0,50X 2 Ein Preis von z.B. X 1 = 12 und ein Werbeaufwand von X 2 = 1100 führt zu einer geschätzten Absatzmenge von: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Summen Mittelwerte 100 110,25 121 144 100 100 121 121 144 144 1205,25 120,525 10000 9975 9900 10200 9000 9500 11000 9900 10200 8400 98075 9807,5 1000000 1000000 1210000 1210000 640000 810000 1440000 1210000 1690000 1000000 11210000 1121000 1000000 950000 990000 935000 720000 855000 1200000 990000 1105000 700000 9445000 944500 10000 10500 12100 13200 8000 9000 13200 12100 15600 12000 115700 11570 Region 2 1i X i 1i Y • X i 2i Y • X 2 2i X 2i 1i X • X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Mittelwerte 1000 950 900 850 900 950 1000 900 850 700 900 10 10,5 11 12 10 10 11 11 12 12 10,95 1000 1000 1100 1100 800 900 1200 1100 1300 1000 1050 Region Menge Preis Werbeaufwand r Y X 1 X 2 Ausgangssituation: Arbeitstabelle: <?page no="210"?> 188 Marktinformationen * 1 0, 79 ˆ 134, 58 1, 27 83, 66 * 2 136, 01 ˆ 0, 50 0, 81 83, 66 Abb. 2.101: Computer-Ausdruck des Statistik-Programms SPSS für das Beispiel von Abb. 2.100 Aufgenommene/ Entfernte Variablen b Modellzusammenfassung Aufgenommene Variablen Entfernte Variablen Modell Methode 1 Werbeaufwand Preis Eingeben a. Alle gewünschten Variablen wurden aufgenommen. b. Abhängige Variable : Menge Korrigiertes R-Quadrat Standardfehler des Schätzens Modell R R-Quadrat 1 0,937 a 0,878 0,843 34,9985 a. Einflussvariablen: (Konstante ), Werbeaufwand, Preis ANOVA b Mittel der Quadrate Modell Quadratsumme df F Signifikanz 1 Regression 61.425,719 2 30.712,859 25,074 0,001 a Residuen 8.547,281 7 1.224,897 Gesamt 70.000,000 9 a. Einflussvariablen: (Konstante ), Werbeaufwand, Preis b. Abhängige Variable : Menge Koeffizienten a Standardisierte Koeffizienten Modell B Standardfehler Beta T Signifikanz 1 (Konstante ) 1.848,283 155,994 11,848 0,000 Preis -134,585 19,026 -1,269 -7,074 0,000 Werbeaufwand 0,500 0,110 0,813 4,534 0,003 a. Abhängige Variable : Menge Nicht standardisierte Koeffizienten <?page no="211"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 189 Der Preis hat damit hinsichtlich der Absatzmenge eine größere Bedeutung als der Werbeaufwand (die Vorzeichen sind dabei belanglos). Ist im Rahmen einer bivariaten oder multiplen Regressionsanalyse eine Regressionsfunktion geschätzt worden, so gilt es, deren Güte zu überprüfen (vgl. i.E. Backhaus et al. 2021, S. 85 ff.). Dabei kann im ersten Schritt die Regressionsfunktion als ganze überprüft werden; im zweiten Schritt können die einzelnen Variablen des Regressionsmodells hinsichtlich ihres Beitrages zur Erklärung der abhängigen Variablen überprüft werden. Hinsichtlich der Beurteilung der Regressionsfunktion als ganze kann zunächst das Bestimmtheitsmaß r 2 errechnet werden: 2 2 1 2 1 ˆ erklärte Abweichungsquadratsumme zu erklärende Abweichungsquadratsumme n i i n i i y y r y y mit: 2 0 1 r Dieses Maß misst die Güte der Anpassung der Regressionsfunktion an die empirischen Daten. Im Falle von r 2 = 1 wird die gesamte Abweichungsquadratsumme erklärt, d.h. sämtliche Beobachtungswerte liegen auf der Regressionsgeraden. Im Falle von r 2 = 0 ist hingegen überhaupt keine Erklärung der Abweichungsquadratsumme gegeben. Darüber hinaus kann mittels eines F-Testes überprüft werden, ob die aus den empirischen Daten ermittelte Regressionsgerade auch auf die Grundgesamtheit übertragbar ist; hier spielt der Umfang des verwendeten Datenmaterials (Stichprobengröße) eine Rolle. Zur Durchführung des F- Tests ist zunächst der empirische Wert F emp zu bestimmen (vgl. z.B. Hüttner/ Schwarting 2002, S. 246 f.). Dieser Wert wird dann mit dem Tabellenwert der F-Verteilung F theo für eine bestimmte, vorgegebene Irrtumswahrscheinlichkeit (z.B. = 0,05 oder = 0,01) verglichen. Gilt F emp > F theo (F emp < F theo ), so hat die ermittelte Regressionsfunktion (keine) Gültigkeit für die Grundgesamtheit. Die H o -Hypothese, welche besagt, dass kein Zusammenhang zwischen der abhängigen und den unabhängigen Variablen besteht, kann also (nicht) verworfen werden. Zur Überprüfung der einzelnen Regressionskoeffizienten schließlich kann der t-Test durchgeführt werden. Er verläuft völlig analog zum F-Test, bezieht sich jedoch nicht auf die Regressionsfunktion als ganze, sondern nur auf die einzelnen Regressionskoeffizienten. Ermittelt werden zunächst die empirischen Werte t emp für die einzelnen Regressionskoeffizienten. Diese werden mit dem Tabellenwert t theo der t-Verteilung bei vorgegebener Irrtumswahrscheinlichkeit verglichen. Gilt t emp > t theo (t emp < t theo ) für den jeweiligen Regressionskoeffizienten, so kann die Nullhypothese, dass die betrachtete Variable keinen Einfluss auf die abhängige Variable hat (d.h. der Regressionskoeffizient dieser Variable gleich Null ist), (nicht) verworfen werden. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass Konfidenzintervalle für die einzelnen Regressionskoeffizienten bestimmt werden können. Diese Intervalle geben an, innerhalb welchen Wertebereichs sich der „wahre“ Wert des betrachteten Regressionskoeffizienten mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit in der Grundgesamtheit bewegt. Abb. 2.101 zeigt einen Computerausdruck des Statistik-Programms SPSS für das Beispiel von Abb. 2.100. Das Bestimmtheitsmaß beträgt 87,8 % und fällt damit sehr hoch aus. Der empirische F-Wert hat einen Wert von 25,07; die gesamte Regressionsfunktion ist damit auf dem 99 %-Niveau (Irrtumswahrscheinlichkeit = 0,01) signifikant. Die empirischen t- <?page no="212"?> 190 Marktinformationen Werte der beiden unabhängigen Variablen „Preis“ und „Werbeaufwand“ belaufen sich auf -7,07 bzw. 4,53; beide Variablen sind damit ebenfalls auf dem 99 %-Niveau (Irrtumswahrscheinlichkeit = 0,01) signifikant. 3.1.4.3.4 Varianzanalyse 3.1.4.3.4.1 Aufgabe einer Varianzanalyse Die Varianzanalyse ist das wichtigste Datenanalyseverfahren zur Auswertung von Experimenten (vgl. auch Abschnitt 3.1.3.3.2.3 in diesem Teil). Untersucht wird die Wirkung einer (oder mehrerer) unabhängiger Variablen auf eine (oder mehrere) abhängige Variable, wobei die abhängige(n) Variable(n) metrisch skaliert sein müssen, die unabhängigen Variablen jedoch nur nominalskaliert sein dürfen. Ein Anwendungsbeispiel für die Varianzanalyse ist die Analyse unterschiedlicher Verpackungsgestaltungen und Regalplatzierungen eines Produkts im Supermarkt (unabhängige Variablen) auf die Absatzmenge dieses Produktes (abhängige Variable). Wird nur eine abhängige Variable betrachtet, so spricht man bei einer (zwei, drei, ...) unabhängigen Variablen von einer einfaktoriellen (zweifaktoriellen, dreifaktoriellen, ...) Varianzanalyse, bei mehr als einer abhängigen Variablen liegt (unabhängig von der Zahl der unabhängigen Variablen) eine mehrdimensionale Varianzanalyse vor. Die unabhängigen Variablen werden dabei als Faktoren (z.B. die Verpackung) bezeichnet, deren Ausprägungen (verschiedene Verpackungsgestaltungen) als Faktorstufen. Offensichtlich ist, dass man bei der Varianzanalyse (wie bei der Regressionsanalyse) eine Vorabvermutung darüber besitzen muss, welche Variable(n) die abhängige(n) Variable(n) und welche die unabhängige(n) Variable(n) ist (sind). 3.1.4.3.4.2 Vorgehensweise im Rahmen einer Varianzanalyse Ausgangspunkt einer einfaktoriellen Varianzanalyse ist das Tableau in Abb. 2.102. Die Faktorstufen können beispielsweise unterschiedlich gestaltete Anzeigen sein, deren Einfluss auf die Einstellung der umworbenen Personen gegenüber dem beworbenen Produkt gemessen wird. Für die Einstellungsmessung kann dabei eine Ratingskala verwendet werden (z.B. von 0-25 Punkten mit 0 (25) sehr schlechte (sehr positive) Einstellung gegenüber dem Produkt). Geprüft wird nun, ob sich die Gruppenmittelwerte k y signifikant unterscheiden. Dabei gilt, dass sich die Summe der quadrierten Abweichungen vom Gesamtmittelwert SQ t additiv aus der Summe der quadrierten Abweichungen zwischen den Faktorstufen SQ b (erklärte Abweichung) und der Summe der quadrierten Abweichungen innerhalb der Faktorstufen SQ w (nicht erklärte Abweichung) zusammensetzt: b e tw e e n t o tal w ithin SQ SQ SQ mit: 2 1 1 n s t i k i k SQ y y 2 1 s b k k SQ n y y <?page no="213"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 191 2 1 1 n s w i k k i k SQ y y Während die Streuung innerhalb einer Faktorstufe SQ w aus zufälligen Schwankungen herrührt, ist die Streuung zwischen den Faktorstufen SQ b auf den experimentellen Faktor (unterschiedliche Anzeigengestaltung) zurückzuführen. Im nächsten Schritt sind nun die Varianzen innerhalb der Faktorstufen, zwischen den Faktorstufen sowie die Gesamtvarianz zu berechnen. Hierzu werden die Quadratsummen durch die Anzahl der Freiheitsgrade dividiert (vgl. Bortz/ Schuster 2010, S. 209 ff.): / 1 t t MQ SQ n s Gesamtvarianz / 1 b b MQ SQ s Varianz zwischen den Faktorstufen / w w MQ SQ n s s Varianz innerhalb der Faktorstufen Faktor- 1 ... k ... s Beobachstufen k tungen i 1 y 11 y 1k y 1s 2 . . . i y i1 y ik y is . . . n y n1 y nk y ns Gruppenmittelwerte y k y 1 y k y s Gesamtmittelwert y Quelle: Berndt 1996, S. 216 Abb. 2.102: Ausgangstableau einer einfaktoriellen Varianzanalyse <?page no="214"?> 192 Marktinformationen Abb. 2.103: Ausgangssituation zur Anwendung einer Varianzanalyse Eine Werbeagentur ist daran interessiert, die relative Wirksamkeit zweier verschiedener Werbeanzeigen zu untersuchen, welche eine positive Einstellung beim Konsumenten gegenüber dem neuen Produkt "Super Clean" Zahnpasta bewirken sollen. Zu diesem Zwecke wurde ein Laborexperiment entwickelt, von dem man sich Hinweise auf die Wirksamkeit der beiden Anzeigen erhoffte. Eine Gruppe von 24 Konsumenten wurde zufällig in Orlando/ Florida ausgewählt, um an diesem Experiment teilzunehmen. Es wurden 3 Gruppen gebildet, wobei die Aufteilung der Versuchspersonen auf die verschiedenen Gruppen ebenfalls zufällig erfolgte . Die ersten beiden Gruppen wurden jeweils Anzeige 1 bzw. Anzeige 2 ausgesetzt, die dritte Gruppe fungierte als Kontrollgruppe. Nach Durchführung des Experiments wurden die Versuchspersonen gebeten, ihre Einstellung gegenüber der "Super Clean" Zahnpasta als eine Punktzahl anzugeben. Dabei wurde eine Rating-Skala mit Punktwerten von 0 - 25 verwendet, wobei 0 eine negative Einstellung, 25 dagegen eine sehr positive Einstellung gegenüber dem Produkt zu bedeuten hatte . Das Experiment lieferte folgende Testergebnisse: Anzeige 1 Anzeige 2 Kontrolle 8 12 13 10 19 12 16 18 23 16 20 19 18 12 13 14 3 8 7 5 6 10 12 4 Unterscheiden sich die Wirkungen der Anzeigen signifikant ( = 0,05) voneinander? <?page no="215"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 193 Abb. 2.104: Arbeits- und Ergebnistabellen für das Beispiel von Abb. 2.103 Arbeitstabellen: 8 12 13 10 19 12 16 18 108 13,5 12,416 23 16 20 19 18 12 13 14 135 16,875 3 8 7 5 6 10 12 4 55 6,875 30,25 2,25 0,25 12,25 30,25 2,25 6,25 20,25 104 37,52 0,77 9,77 4,52 1,27 23,77 15,02 8,27 100,875 15,02 1,27 0,02 3,52 0,77 9,77 26,27 8,27 64,875 SQ w =269,75 K 1 2 2 1 1 i Y Y 2 2 2 i Y Y 2 3 3 i Y Y Gruppen k (k=1,...,3) Y k Y Ergebnistabelle: Werte (i=1,...,8) ik Y 19,51 0,17 0,34 5,84 43,34 0,17 12,84 31,17 112,01 12,84 57,51 43,34 31,17 0,17 0,34 2,51 88,67 19,51 29,34 55,01 41,17 5,84 0,17 70,84 83 , 683 SQ t 2 ik Y Y SQ t SQ w SQ b SQ 683,83 269,75 414,08 FG 23 21 2 MQ t MQ w MQ b F emp 16,12 F theo 3,47 MQ 29,73 12,85 207,04 <?page no="216"?> 194 Marktinformationen Auf diese Weise erhält man aussagefähigere Größen, da die Abweichungsquadratsummen SQ t , SQ b und SQ w umso größer werden, je mehr Beobachtungswerte vorliegen. Es gilt nun folgende Überlegung: Je größer die Varianz zwischen den Faktorstufen MQ b im Vergleich zur Varianz innerhalb der Faktorstufen MQ w ist, desto größer ist der Einfluss des experimentellen Faktors im Vergleich zum Zufallseinfluss. Zur statistischen Absicherung dieser Überlegung wird der empirische F-Wert F emp verglichen mit dem theoretischen Wert der F-Verteilung F theo bei s - 1 Freiheitsgraden im Zähler, (n s - s ) Freiheitsgraden im Nenner und vorgegebener Irrtumswahrscheinlichkeit . Gilt F emp > F theo (F emp < F theo ), so hat der experimentelle Faktor einen (keinen) signifikanten Einfluss auf die Gruppenmittelwerte k y . In Abb. 2.103 findet sich ein typisches Anwendungsbeispiel für eine Varianzanalyse. Abb. 2.104 zeigt die Arbeits- und Ergebnistabellen für das Beispiel in Abb. 2.103. Offensichtlich liegt in diesem Fall ein signifikanter Einfluss ( = 0,05) der Anzeigengestaltung auf die Einstellung der Umworbenen vor, da F emp (= 16,12) > F theo (= 3,47). Wie bei der einfaktoriellen Varianzanalyse wird auch bei der mehrfaktoriellen Varianzanalyse vom Prinzip der Streuungszerlegung ausgegangen. Neben der Streuung zwischen den Faktorstufen lassen sich dabei auch Wechselwirkungen zwischen den experimentellen Faktoren berücksichtigen. Die Vorgehensweise erfolgt dabei völlig analog zur einfaktoriellen Varianzanalyse (vgl. Backhaus et al. 2021, S. 189 ff.). 3.1.4.3.5 Clusteranalyse 3.1.4.3.5.1 Aufgabe einer Clusteranalyse Die Aufgabe einer Clusteranalyse besteht darin, Objekte (z.B. Produkte, Personen, Unternehmen, Länder) entsprechend ihrer Ähnlichkeit zu gruppieren. Objekte sollen derart zu Gruppen zusammengefasst werden, dass sich im Hinblick auf die gemessenen Eigenschaften möglichst ähnliche Objekte jeweils in einer Gruppe befinden. Gleichzeitig sollen sich die Gruppen untereinander möglichst deutlich unterscheiden. Abb. 2.105 verdeutlicht die Vorgehensweise an einem einfachen Beispiel im zweidimensionalen Raum. Insgesamt 13 Objekte (A, ..., M) sind anhand von zwei Eigenschaften in der oberen Graphik in Abb. 2.105 eindeutig positioniert worden. Aufgabe der Clusteranalyse ist es nun, ähnliche Objekte zusammenzufassen. Die untere Graphik zeigt das Ergebnis der Clusteranalyse. Es werden insgesamt 5 Gruppen gebildet. Gruppe 1 enthält die meisten Objekte, gefolgt von den Gruppen 2 und 3 mit jeweils 3 Objekten. Die Gruppen 4 und 5 zeigen Extrempositionierungen an und enthalten nur jeweils 1 Objekt. Typisches Einsatzgebiet für die Clusteranalyse ist die Zielgruppenbildung (vgl. auch Abschnitt 3.2 in diesem Teil). Eine Gesamtheit von Personen wird dabei anhand von untersuchungsrelevanten Merkmalen (z.B. kaufrelevante Kriterien wie Einkommen, Alter usw.) so gruppiert, dass einzelne Marktsegmente (Zielgruppen) entstehen. Anschließend kann anhand der Attraktivität der Zielgruppe (z.B. Anzahl der Mitglieder, Kaufkraft, Ausmaß der bereits vorhandenen Konkurrenz) überlegt werden, ob diese Zielgruppe durch einen adäquaten Einsatz der Marketing-Instrumente bearbeitet werden soll. Da im Regelfall deutlich mehr als zwei unterscheidungsrelevante Merkmale herangezogen werden, w b emp MQ MQ F <?page no="217"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 195 kann die Clusterbildung nicht einfach auf graphischem Wege wie in Abb. 2.105 erfolgen; vielmehr sind spezielle Clusterprogramme heranzuziehen, welche eine Gruppenbildung im n-dimensionalen Raum (n > 2) ermöglichen. Ausgangssituation: Eigenschaft II Eigenschaft I Clusterung: Eigenschaft II Eigenschaft I x x Gruppe 4 Abb. 2.105: Beispiel einer Clusterung im zweidimensionalen Raum x x x x x x x x x x x A M I B C D E F G H J K L x x x x x x x x x x x x x A B C D E F G H I J K L M Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 5 <?page no="218"?> 196 Marktinformationen 3.1.4.3.5.2 Vorgehensweise im Rahmen einer Clusteranalyse Die Vorgehensweise im Rahmen einer Clusteranalyse umfasst 5 Schritte (vgl. auch Berndt 1996, S. 310): 1. Schritt: Festlegung der untersuchungsrelevanten Kriterien (z.B. Produkt- oder Personenmerkmale) 2. Schritt: Ermittlung der jeweiligen Ausprägung jedes Objektes hinsichtlich der einzelnen Kriterien 3. Schritt: Messung der Verschiedenheit bzw. Ähnlichkeit der Objekte 4. Schritt: Durchführung der Gruppenbildung (Clusterung) 5. Schritt: Beschreibung der gebildeten Cluster. Die Festlegung der untersuchungsrelevanten Kriterien ist aus den Zielen der Untersuchung abzuleiten. Die Untersuchungsziele können dabei sehr vielfältig sein. Beispielsweise kann das Ziel der Untersuchung in der Auswahl von Testmärkten, der Klassifikation von Unternehmen oder dem Auffinden von Persönlichkeitstypen liegen. Es ist demnach in diesen Fällen zu überlegen, welche Kriterien bei der Testmarktwahl (z.B. Anzahl der Haushalte, Einwohnerzahl, Art und Anzahl von Geschäften), der Unternehmensklassifikation (z.B. Rechtsform, Produktivität, Größe, Absatzmenge, Diversifikationsgrad) oder der Strukturierung von Persönlichkeiten (z.B. Ausmaß der Zustimmung bzw. Ablehnung von Itembatterien wie „Ich gehe gerne Freizeitaktivitäten nach“, „Ich halte verstärkte Subventionen für den sozialen Wohnungsbau für nötig“, „Ich unterstütze verstärkte Kontrollen in der Ausbildung von Schulen“) sinnvoll sind. Eine diesbezügliche Entscheidung kann nur im jeweiligen Einzelfall getroffen werden. Sind die Ausprägungen der Objekte hinsichtlich der herangezogenen Kriterien ermittelt worden (z.B. durch Befragungen, sekundärstatistische Analysen), so gilt es, die Ähnlichkeit bzw. Verschiedenheit der Objekte untereinander festzustellen. Hierfür existieren verschiedene Proximitätsmaße, welche in Ähnlichkeits- und Distanzmaße eingeteilt werden können. Werden Ähnlichkeitsmaße (Distanzmaße) herangezogen, so sind sich zwei Objekte umso ähnlicher, je größer (kleiner) der Wert des Proximitätsmaßes ist. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Skalenniveau, welches die Art des zu wählenden Proximitätsmaßes determiniert. Sind die im Rahmen der Untersuchung verwendeten Merkmale mindestens intervallskaliert, so kann die Minkowski-Metrik angewandt werden. Bezeichnet x ik (x jk ) die Ausprägung des Merkmals k bei Objekt i(j), so lautet die Minkowski- Metrik 1 1 K r r ij ik jk k d x x r stellt dabei die Minkowski-Konstante dar (r 1). Für r = 1 erhält man die City-Block-Metrik (L 1 -Norm). Sie lautet 1 K ij ik jk k d x x <?page no="219"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 197 Offensichtlich ergibt sich die Distanz zwischen zwei Objekten in diesem Fall als Summe der absoluten Differenzen der Merkmalsausprägungen. Für r = 2 ergibt sich die Euklidische Distanz (L 2 -Norm). Sie lautet 2 1 K ij ik jk k d x x Statt absoluter Differenzwerte werden hier die Differenzen der Ausprägungen zweier Objekte quadriert und über alle Merkmale summiert. Anschließend wird die Quadratwurzel gezogen. Sowohl für die L 1 -Norm als auch für die L 2 -Norm gilt, dass sich zwei Objekte umso ähnlicher (unähnlicher) sind, je kleiner (größer) der Wert von d ij ausfällt. Abb. 2.106 gibt ein Beispiel für die Anwendung der L 1 -Norm und der L 2 -Norm. Nach der L 1 -Norm sind sich der Audi A6 und die Mercedes E-Klasse sowie der Audi A6 und die BMW 5er-Reihe am ähnlichsten, der Peugeot 607 und die Mercedes E-Klasse sowie der Peugeot 607 und die BMW 5er-Reihe am unähnlichsten. Bei der L 2 -Norm hingegen gibt es ein eindeutiges Ergebnis: Audi A6 und BMW 5er-Reihe sind sich am ähnlichsten, der Peugeot 607 und Mercedes E-Klasse am unähnlichsten. Die Wahl des Distanzmaßes kann also durchaus die Reihenfolge der Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit von Objektpaaren beeinflussen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei der Euklidischen Distanz größere Differenzwerte aufgrund der Quadrierung stärker gewichtet werden, geringeren Differenzwerten hingegen kommt ein kleineres Gewicht zu. Bei der City-Block-Metrik werden alle Differenzwerte gleich gewichtet. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass die einzelnen Merkmale auf vergleichbaren Skalen gemessen werden (wie in Abb. 2.106 z.B. auf einer 7-stufigen Skala). Erfolgt eine Messung auf unterschiedlichem Skalenniveau, so findet eine implizite Gewichtung der Merkmale statt (vgl. Backhaus et al. 2021, S. 24 und 496). Wird ein Merkmal auf einer sehr breiten, fein gestuften Skala gemessen, kommt es zu einer Vergrößerung der Differenzen (u.u.). Eine Standardisierung der Form ik k ik k x x z mit: k x = Mittelwert von Merkmal k k = Standardabweichung von Merkmal k führt dazu, dass alle Merkmale einen Mittelwert von Null und eine Varianz von Eins besitzen. Sind die Merkmale hingegen nominal skaliert, so sind andere Proximitätsmaße zu verwenden. Bei nominal skalierten Merkmalen ist von Bedeutung, ob ein Merkmal bei einem Objekt vorhanden ist oder nicht. Beim Vergleich zweier Objekte ergeben sich damit die in Abb. 2.107 dargestellten Möglichkeiten. Aufbauend auf Abb. 2.107 lassen sich verschiedene Ähnlichkeitsmaße konstruieren (vgl. Hüttner/ Schwarting 2002, S. 324 f.). Hierzu gehört der Tanimoto-Koeffizient. Er ist definiert als 1 s <?page no="220"?> 198 Marktinformationen Abb. 2.106: Beispielhafte Anwendung der L 1 -Norm und der L 2 -Norm als Proximitätsmaße und bildet somit den Anteil an gemeinsamen Merkmalen an der Gesamtzahl der Merkmale, die beide Objekte oder eins von beiden aufweisen. Ein weiterer Koeffizient ist der Simple-Matching-Koeffizient. Er wird definiert als 2 s Als Ähnlichkeit wird hier demnach auch der Zustand definiert, dass beide Objekte gemeinsam ein Merkmal nicht aufweisen. Bei beiden Koeffizienten gilt, dass die Ähnlichkeit von Objekten umso größer (kleiner) ist, je größer (kleiner) der Koeffizient ausfällt. Abb. 2.108 gibt ein Beispiel für die Anwendung des Tanimoto- und des Simple-Matching-Koeffizienten. Liegen gemischt skalierte Merkmale vor, also mit unterschiedlichem Skalenniveau, so können folgende Vorgehensweisen eingeschlagen werden: Folgende Tabelle zeigt die durchschnittlichen Ergebnisse einer Befragung von 200 Personen auf einer 7-stufigen Skala (1 =sehr geringe Ausprägung; 7=sehr hohe Ausprägung) Eigenschaft Marke Sportlichkeit Qualität Preiswürdigkeit Mercedes E-Klasse 3 7 2 BMW 5er-Reihe 5 6 3 Audi A6 4 7 4 Peugeot 607 3 5 7 Distanzmatrix nach L 1 -Norm (City-Block-Metrik) Mercedes E-Klasse BMW 5er-Reihe Audi A6 Peugeot 607 Mercedes E-Klasse 0 BMW 5er-Reihe 4 0 Audi A6 3 3 0 Peugeot 607 7 7 6 0 Distanzmatrix nach L 2 -Norm (Euklidische Distanz) Mercedes E-Klasse BMW 5er-Reihe Audi A6 Peugeot 607 Mercedes E-Klasse 0 BMW 5er-Reihe 2,45 0 Audi A6 2,23 1,73 0 Peugeot 607 5,38 4,58 3,74 0 <?page no="221"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 199 Für die unterschiedlichen Arten von Merkmalen werden jeweils getrennt die adäquaten Proximitätsmaße berechnet und anschließend zu einem „gewogenen Mittelwert“ zusammengefasst. Das Gewicht kann dabei durch den Anteil der jeweils in bestimmter Weise skalierten Merkmale an der Gesamtzahl der verwendeten Merkmale bestimmt werden. Damit die Koeffizienten für nominal und metrisch skalierte Variablen in dieselbe Richtung laufen (je ähnlicher, desto kleiner u.u.), sind die ermittelten Ähnlichkeitswerte bei nominal skalierten Variablen von dem Wert Eins abzuziehen. Man bringt alle Variablen auf dasselbe Skalenniveau. In der Regel müssen höher skalierte Merkmale (z.B. intervallskaliert) auf niedriger skalierte Werte transformiert werden (z.B. nominalskaliert). Durch diese Transformation auf niedrigeres Skalenniveau ergibt sich allerdings ein Informationsverlust. Im vierten Schritt erfolgt die eigentliche Clusterung durch Anwendung von speziellen Algorithmen. Abb. 2.109 gibt einen Überblick über ausgewählte Cluster-Algorithmen. Hierarchische Verfahren arbeiten agglomerativ oder divisiv. Bei agglomerativen Verfahren stellt zunächst jedes Objekt einen Cluster dar. Zu diesem Objekt wird im nächsten Schritt dasjenige Objekt hinzugefügt, welches die größte Ähnlichkeit bzw. die geringste Distanz zum betrachteten Objekt aufweist. Im darauffolgenden Schritt wird ein drittes Objekt zu diesem bestehenden Cluster hinzugefügt oder aber ein neues Cluster, bestehend aus dann zwei Objekten gebildet. Abb. 2.110 zeigt anhand eines Beispiels die Vorgehensweise auf. Bei den divisiven Verfahren wird von der Gesamtmenge der Objekte ausgegangen und dieses Großcluster in weitere Untermengen unterteilt. Als Kriterium wird dabei im Regelfall die durchschnittliche Entfernung der Elemente innerhalb eines Clusters herangezogen. Der Cluster mit der höheren durchschnittlichen Entfernung wird als nächstes unterteilt. Offensichtlich ist, dass sowohl bei agglomerativen als auch divisiven Verfahren ein Stop-Kriterium (z.B. Zahl der Cluster) entwickelt werden muss, da sonst alle Objekte zu einem Cluster zusammengefasst werden (agglomeratives Verfahren) bzw. jedes Objekt einen Cluster darstellt (divisives Verfahren). Häufig wird hier auf Objekt 2 Objekt 1 Abb. 2.107: Kombinationsmöglichkeiten nominal skalierter Variablen Eigenschaft vorhanden Eigenschaft nicht vorhanden Eigenschaft vorhanden Eigenschaft nicht vorhanden <?page no="222"?> 200 Marktinformationen Abb. 2.108: Beispielhafte Anwendung des Tanimoto-Koeffizienten und des Simple-Matching-Koeffizienten als Proximitätsmaße die Fehlerquadratsumme abgestellt, welche als Summe der quadratischen Abstände zwischen den Ausprägungen der Objekte und dem jeweiligen Gruppenmittelwert über alle Merkmale, Objekte und Cluster definiert ist (vgl. Hüttner/ Schwarting 2002, S. 328). Durch die Verschmelzung zweier Cluster entsteht ein Homogenitätsverlust mit der Folge des Ansteigens der Fehlerquadratsumme. Gibt man also die maximale Fehlerquadratsumme vor, welche akzeptabel erscheint, so steht damit auch die Anzahl der Cluster fest. Bei den nicht-hierarchischen Verfahren sind Distanzschwellen- und Teilungsverfahren zu unterscheiden (vgl. Abb. 2.109 sowie Berndt 1996, S. 315 f.). Beim sequentiellen Distanzschwellenverfahren wird ein Cluster-Zentrum ausgewählt und alle Objekte diesem Cluster zugeordnet, welche eine vorzugebende Distanzschwelle nicht überschreiten. Als erstes Cluster-Zentrum kann der Eigenschaft Marke Inländische Fahrzeugmarke Rußpartikelfilter bei Dieselmotoren Auch als Kombi lieferbar Kurze Lieferzeit Marke beteiligt sich an Formel1- Sport Zugehörigkeit zum Premiumsegment Mercedes E-Klasse 1 0 1 0 1 1 BMW 5er-Reihe 1 0 1 0 1 1 Audi A6 1 0 1 1 0 1 Peugeot 607 0 1 0 1 0 1 Tanimoto-Koeffizienten Mercedes E-Klasse BMW 5er-Reihe Audi A6 Peugeot 607 Mercedes E-Klasse 1 BMW 5er-Reihe 1 1 Audi A6 0,6 0,6 1 Peugeot 607 0,16 0,16 0,4 1 Simple-Matching-Koeffizienten Mercedes E-Klasse BMW 5er-Reihe Audi A6 Peugeot 607 Mercedes E-Klasse 1 BMW 5er-Reihe 1 1 Audi A6 0,67 0,67 1 Peugeot 607 0,16 0,16 0,5 1 <?page no="223"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 201 Schwerpunkt (Zentroid) jener beiden Elemente mit der geringsten Distanz gewählt werden, wobei sich der Schwerpunkt eines Clusters aus den durchschnittlichen Ausprägungen der berücksichtigten Merkmale über alle Objekte ergibt, welche sich in dem Cluster befinden. Entsprechend wird ein zweites Cluster-Zentrum gebildet bis alle Objekte zugeordnet sind. Im Gegensatz zu dieser Vorgehensweise werden bei dem parallelen Distanzschwellenverfahren von vornherein mehrere Cluster-Zentren vorgegeben und Objekte gemäß ihrer Entfernung zugeordnet. Wird eine optimale Teilung vorgenommen, so können im Gegensatz zu den anderen nicht-hierarchischen Verfahren Objekte, welche bereits einem Cluster zugeordnet worden sind, erneut verteilt werden. Hierdurch kann sich eine Verbesserung hinsichtlich des verwendeten Gütemaßes (z.B. Fehlerquadratsumme) ergeben. Ausgangspunkt der parallelen Teilung schließlich sind die vorzugebenden Cluster-Zentren, wobei die Objekte diesen Zentren nach Maßgabe der geringsten Distanz zugeordnet werden. Im fünften Schritt der Clusteranalyse gilt es, die entwickelten Cluster zu beschreiben. Zweckmäßigerweise kann hierfür der Schwerpunkt des jeweiligen Clusters herangezogen werden oder dasjenige Objekt als „Repräsentant“ für die anderen im Cluster befindlichen Objekte, welches dem Schwerpunkt am nächsten liegt. Bei nominalskalierten Merkmalen kann auf die Modalwerte aller Merkmale ausgewichen werden. Clustering-Programme hierarchische nicht-hierarchische agglomerativ ("von unten nach oben") divisiv ("von oben nach unten") Distanzschwellenverfahren Teilungsverfahren Sequentielles Distanzschwellenverfahren Paralleles Distanzschwellenverfahren Parallele Teilung Optimale Teilung Quelle: Berndt 1996, S. 314 Abb. 2.109: Überblick über ausgewählte Cluster-Algorithmen <?page no="224"?> 202 Marktinformationen 1 2 3 4 5 1 0 4 12 20 18 2 4 0 10 18 16 3 12 10 0 8 15 4 20 18 8 0 6 5 18 16 15 6 0 Fünf Objekte (1, 2, 3, 4, 5) sollen klassifiziert werden. Folgende symmetrische Matrix ihrer euklidischen Distanzen D = {d ij } sei gegeben (sie ließe sich auf eine obere bzw. untere Dreiecksmatrix reduzieren, da sie symmetrisch ist, worauf verzichtet wird): Quelle: Hammann/ Erichson 2000, S. 273 ff. Abb. 2.110: Beispiel für die Anwendung eines hierarchischen (agglomerativen) Clustering-Verfahrens (Single-Linkage-Verfahren) 12 3 4 5 12 0 10 18 16 3 10 0 8 15 4 18 8 0 6 5 16 15 6 0 ij j , i * ij d n mi d Suche . 4 d d d Hier ist 21 12 * ij welche für j, und i Objekten den aus Gruppe erste eine Bilde . 2 , 1 G d.h. ist, d n mi d 1 ij j , i * ij 5) 4, 3, [12], j' i' mit ( ] d [ D rix Distanzmat e reduziert die Bilde j' i' 1 1. Schritt: 2. Schritt: 3. Schritt: 4. Schritt: Berechne die Abstände von zu den nicht gruppierten Objekten . Es ergibt sich: <?page no="225"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 203 12 3 45 12 0 10 16 3 10 0 8 45 16 8 0 5 , 4 , 3 G , 2 , 1 G : Gruppen 2 folgende somit man hat Ergebnis Als n. aufgenomme G in 3 Objekt wird , 8 d d min d Da 2 1 2 45 , 3 ' ' j 3 ' ' j * ' 3j' Quelle: Hammann/ Erichson 2000, S. 273 ff. Abb. 2.110: (Fortsetzung) 5. Schritt: Rückkehr zu Schritt 1, d.h suche Man bildet nun eine 2. Gruppe und berechnet die Abstände dieser Gruppe zur ersten Gruppe bzw . zum noch nicht klassifizierten Objekt 3. Es ergibt sich: Damit ergibt sich eine nochmals reduzierte Distanzmatrix Nun ist zu prüfen, ob Objekt 3 der ersten oder zweiten Gruppe zuzuordnen ist. Als Ergebnis hat man somit folgende 2 Gruppen: <?page no="226"?> 204 Marktinformationen 3.1.4.3.6 Conjoint Measurement 3.1.4.3.6.1 Aufgabe des Conjoint Measurement Das Conjoint Measurement (synonym: Conjoint Analyse) ist ein Analyseinstrument im Rahmen der Präferenzforschung. Konkret wird versucht, aus Gesamtnutzenurteilen bezüglich alternativer Objekte (z.B. Produkte) auf die Bedeutung der einzelnen Objekteigenschaften und deren Ausprägungen zu schließen. Ein typisches Anwendungsbeispiel für das Conjoint Measurement ist in der Neuproduktplanung gegeben. Probanden werden hier alternative Neuproduktentwürfe vorgestellt, welche in eine Präferenzfolge gebracht werden müssen. Aus der Präferenzrangfolge für die einzelnen Produktalternativen kann dann auf die Teilnutzenwerte für die jeweiligen Merkmalsausprägungen der Produkteigenschaften geschlossen werden (z.B. unterschiedliche Preishöhen bei der Eigenschaft „Preis“ oder unterschiedliche Verpackungsalternativen bei der Eigenschaft „Verpackung“). Auch kann die Bedeutung der jeweiligen Produkteigenschaften insgesamt (z.B. „Preis“, „Verpackung“) bestimmt werden. Aus den Ergebnissen lassen sich schließlich Prognosemodelle für das zukünftige Kaufverhalten ableiten. 3.1.4.3.6.2 Vorgehensweise im Rahmen des Conjoint Measurement Im Rahmen des Conjoint Measurement sind folgende Schritte zu durchlaufen: 1. Schritt: Bestimmung der relevanten Eigenschaften bzw. Merkmale sowie deren Ausprägungen 2. Schritt: Wahl des Erhebungsdesigns 3. Schritt: Bestimmung des Präferenzmodells und Datenauswertung (Schätzung der Nutzenwerte) 4. Schritt: Aggregation der Ergebnisse Hinsichtlich der Bestimmung der relevanten Merkmale sowie deren Ausprägungen sind einige Gesichtspunkte zu beachten (vgl. Backhaus et al. 2021, S. 582 ff.). Die Merkmale bzw. deren Ausprägungen sollen relevant im Hinblick auf die Gesamtnutzenbewertung sowie von Bedeutung bei der Kaufentscheidung, voneinander unabhängig, in einer kompensatorischen Beziehung sowie ohne Ausschlusskriterien (K.O.-Kriterien), durch den Hersteller beeinflussbar, realisierbar sowie von begrenztem Umfang sein. Die letzte Forderung ist deswegen wichtig, weil selbst bei nur wenigen Eigenschaften und deren Ausprägungen die Zahl der zu bewertenden Alternativen schnell explodiert. Bei fünf Eigenschaften mit jeweils vier Ausprägungen entstehen bereits 1024 (=4 5 ) Alternativen, welche von den Probanden zu bewerten sind. Abb. 2.111 zeigt Merkmale und Merkmalsausprägungen auf, welche für einen Hersteller von Kondensmilch relevant sein könnten. Im nächsten Schritt ist über das Erhebungsdesign zu befinden. Generelle Datenerhebungsverfahren sind die Profilmethode sowie die Trade-off-Methode (vgl. Green/ Tull 1982, S. 448 ff.). Bei der Profilmethode werden jeweils eine Ausprägung aller betrachteten Merkmale zu einem zu be- <?page no="227"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 205 wertenden Objekt kombiniert. Im Beispiel von Abb. 2.111 ergeben sich damit insgesamt 8 Objekte bzw. Produktalternativen, welche in Abb. 2.112 wiedergegeben sind. Diese sind von den Probanden in eine Präferenzrangfolge zu bringen. Bei der Trade-off-Methode hingegen werden nur jeweils die Ausprägungen zweier Merkmale kombiniert, welche von Probanden zu bewerten sind. Abb. 2.113 zeigt die alternativen Produktentwürfe gemäß der Trade-off-Methode, welche wiederum in eine Präferenzrangfolge zu überführen sind. Statt 8 zu bewertenden Produktalternativen ergeben sich nun 12. Zwar umfassen diese Alternativen nur jeweils 2 Eigenschaften, wodurch die Bewertungsaufgabe für die Probanden vereinfacht wird, allerdings deutet die Heranziehung von jeweils zwei isolierten Eigenschaften statt vollständiger Produkte auf einen geringeren Realitätsbezug der Bewertungsaufgabe hin. Daher wird der Profilmethode häufig der Vorzug gegeben. Neuere Erhebungsverfahren sind mit der hybriden Conjoint Analyse sowie der adaptiven Conjoint Analyse gegeben (vgl. Gustafsson/ Herrmann/ Huber 2003, S. 15). Bei der hybriden Conjoint Analyse wird die indirekte Befragung wie bei der herkömmlichen Conjoint Analyse über Gesamtpräferenzrangfolgen vermischt mit direkten Fragen nach der Bedeutung einzelner Eigenschaften bzw. deren Ausprägungen. Bei der adaptiven Conjoint Analyse, welche stets per Computer erfolgt, wird der Befragungsprozess durch bereits auf vorherige Fragen gegebene Antworten gesteuert. Haben die Probanden ihre Produktbeurteilungen abgegeben, so ist das Präferenzmodell festzulegen sowie die Datenauswertung in Form der Schätzung der Nutzenwerte für die einzelnen Merkmalsausprägungen vorzunehmen. Als Präferenzmodell wird im Regelfall das additive Teilnutzenwertmodell herangezogen. Der Gesamtpräferenzwert bezüglich eines Objekts ergibt sich hier als Summe der Teilnutzen für die einzelnen Merkmalsausprägungen: k k ij ij i j U X mit: k U = Gesamtnutzenwert des Objektes k ij = Teilnutzenwert für die Merkmalsausprägung i der Eigenschaft j Ausprägungen i Merkmal j Abb. 2.111: Relevante Merkmale und Merkmalsausprägungen beim Produkt "Kondensmilch" 1 2 Verpackung Fettgehalt Öffnungssystem Dose Tetra-Pak 7,5% 10% wiederverschließbar nicht wiederverschließbar <?page no="228"?> 206 Marktinformationen k ij X = 0/ 1-Variable, welche angibt, ob Merkmalsausprägung i der Eigenschaft j bei Objekt k vorhanden ist (1) oder nicht (0) Dieses Präferenzmodell impliziert aufgrund seiner additiven Verknüpfung Unabhängigkeit der Eigenschaften untereinander. Zudem gilt die Kompensationsprämisse, nach welcher geringere Teilnutzenwerte bei einer Eigenschaft durch höhere Teilnutzenwerte bei einer anderen Eigenschaft ausgeglichen werden können. Diese Kompensationsprämisse bedeutet zudem, dass keine Ausschlusskriterien (K.O.-Kriterien) vorliegen dürfen, da anderenfalls eine Kompensation nicht möglich ist. Ein Ausschlusskriterium liegt dann vor, wenn bestimmte Eigenschaftsausprägungen aus Sicht eines Probanden auf jeden Fall gegeben sein müssen. Zur konkreten Berechnung der Teilnutzenwerte ij wird üblicherweise die monotone Varianzanalyse (MONANOVA) herangezogen (vgl. i.E. Backhaus et al. 2016, S. 532 ff.). Diese soll gewährleisten, dass die resultierenden Gesamtnutzenwerte möglichst den erhobenen Präferenzrangwerten des bzw. der Probanden entsprechen; besonders positiv eingeschätzte Produktalternativen sollen also entsprechend hohe Nutzenwerte erhalten (u.u.). Das Prinzip der monotonen Varianzanalyse lässt sich wie folgt veranschaulichen: f k k k k M ij ij i j p z U X Produktalternative k Verpackung Fettgehalt Öffnungssystem 1 2 3 4 5 6 7 8 Dose Dose Dose Dose Tetra-Pak Tetra-Pak Tetra-Pak Tetra-Pak 7,5 % 7,5 % 10 % 10 % 7,5 % 7,5 % 10 % 10 % wiederverschließbar nicht wiederverschließbar wiederverschließbar nicht wiederverschließbar wiederverschließbar nicht wiederverschließbar wiederverschließbar nicht wiederverschließbar Abb. 2.112: Produktalternativen nach der Profilmethode <?page no="229"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 207 mit: k p = empirische Präferenzrangwerte für Objekt 1, ..., k k n k z = monoton angepasste Rangwerte M f = monotone Transformation zur Anpassung der z-Werte an die U-Werte = möglichst gute Anpassung gemäß Kleinst-Quadrate-Kriterium Im einfachsten Fall geschieht die geforderte monotone Transformation der p k -Werte an die z k - Werte, in der bei insgesamt n Objekten bzw. Produktalternativen die am meisten präferierte Alternative (Rang 1) den Wert n erhält und die am wenigsten präferierte Alternative den Wert 1 (Rang n). Das Zielkriterium der monotonen Varianzanalyse lautet (Stress-Maß): 2 2 min! k k k k k z U L U U mit: U = arithmetisches Mittel der Gesamtnutzenwerte aller Objekte bzw. Produktalternativen Da die monotone Varianzanalyse ein iteratives Verfahren darstellt, kann zunächst von einer beliebigen Ausgangssituation für die ij -Werte ausgegangen werden. Im Rahmen weiterer Iterationen werden die ij -Werte schließlich so angepasst, dass das Stress-Maß immer kleiner wird. Bei perfekter Anpassung gilt L=0. Im Rahmen des Beispiels von Abb. 2.111 sollen sich für einen beliebigen Probanden die Teilnutzenwerte ij der Abb. 2.114 ergeben haben. Aus diesen Teilnutzenwerten lassen sich nun durch Addition gemäß dem additiven Teilnutzenwertmodell die Gesamtnutzenwerte für die Produktalternativen ermitteln. Gemäß der Reihenfolge der Produktalternativen in Abb. 2.112 ergeben sich damit folgende Gesamtnutzenwerte: U 1 = 0,8 + 0,8 + 1,5 = 3,1 U 2 = 0,8 + 0,8 + (-0,4) = 1,2 U 3 = 0,8 + 1,0 + 1,5 = 3,3 U 4 = 0,8 + 1,0 + (-0,4) = 1,4 U 5 = 2,1 + 0,8 + 1,5 = 4,4 U 6 = 2,1 + 0,8 + (-0,4) = 2,5 U 7 = 2,1 + 1,0 + 1,5 = 4,6 U 8 = 2,1 + 1,0 + (-0,4) = 2,7 <?page no="230"?> 208 Marktinformationen Fettgehalt Verpackung 7,5 % 10 % Dose Tetra-Pak 1 2 3 4 Verpackung wiederverschließbar nicht wiederverschließbar Dose Tetra-Pak 5 6 7 8 Fettgehalt wiederverschließbar nicht wiederverschließbar 7,5 % 10 % 9 10 11 12 Abb. 2.113: Produktalternativen nach der Trade-off-Methode Öffnungssystem Öffnungssystem Die am meisten präferierte Alternative ist damit der Produktentwurf 7 (Tetra-Pak, 10 % Fettgehalt, wiederverschließbar), die am wenigsten präferierte Alternative ist der Produktentwurf 2 (Dose, 7,5 % Fettgehalt, nicht wiederverschließbar). Auch lassen sich die Wichtigkeiten der einzelnen Eigenschaften bestimmen gemäß <?page no="231"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 209 max min max min ij ij i i j ij ij i i j w Für die Eigenschaft „Verpackung“ ergibt sich damit 2,1 0, 8 1, 3 0, 38 2,1 0, 8 1, 0 0, 8 1, 5 0, 4 3, 4 Ve r pac ku n g w . Für die Eigenschaft „Fettgehalt“ („Öffnungssystem“) ergibt sich entsprechend ein Wert von w Fettgehalt = 0,06 (w Öffnungssystem = 0,56). Damit hat die Produkteigenschaft „Öffnungssystem“ die größte Bedeutung aus Sicht des betrachteten Probanden, die Eigenschaft „Fettgehalt“ die geringste Bedeutung. Im letzten Schritt der Conjoint Analyse hat eine Aggregation der Ergebnisse zu erfolgen. Die bisherigen Ausführungen waren auf nur einen Probanden bezogen, von Interesse sind jedoch im Regelfall Ergebnisse bei Personenmehrheiten. Hier kann auf zweierlei Weise vorgegangen werden: Für jeden einzelnen Probanden wird eine Conjoint Analyse wie dargelegt durchgeführt. Die Aggregation der Ergebnisse kann dann durch einfache Mittelwertbildung über alle Probanden erfolgen. Alternativ kann eine gemeinsame Conjoint Analyse erfolgen, indem die Berechnung der Teilnutzenwerte - und darauf aufbauend die Wichtigkeit der einzelnen Eigenschaften - erst erfolgt, nachdem die Präferenzwerte für alle Testpersonen eingegeben wurden. Die Probanden werden demnach als Replikationen des Testdesigns aufgefasst. Auf die Berechnung personenindividueller Teilnutzenwerte wird dann verzichtet. Dies geht mit einem Informationsverlust einher, da z.B. eine Segmentbildung hinsichtlich der Teilnutzenwerte mit Hilfe der Clusteranalyse (vgl. den Abschnitt 3.1.4.3.5 in diesem Teil) nicht möglich ist. Werden Kaufverhaltensregeln, welche sich an dem mit den Produktalternativen verbundenen Nutzen orientieren, berücksichtigt, so kann die Conjoint Analyse auch zur Prognose des Kaufverhaltens herangezogen werden. Darauf aufbauend lassen sich Modelle entwickeln, welche in der Lage sind, Gewinn- oder Marktanteilsprognosen für die betrachteten Produktalternativen abzuleiten (vgl. Bauer/ Herrmann/ Mengen 1994). 3.1.4.3.7 Weitere multivariate Datenanalyse-Verfahren Zu den weiteren multivariaten Datenanalyse-Verfahren zählen die Diskriminanzanalyse, die Faktorenanalyse, die Multidimensionale Skalierung sowie die Kausalanalyse. Diese Verfahren werden im Folgenden kurz skizziert, indem ihre Aufgabestellungen bzw. Einsatzmöglichkeiten dargestellt werden sowie die grundsätzliche Vorgehensweise innerhalb der Verfahren umrissen wird (zur ausführlichen Darlegung dieser Analyseverfahren vgl. z.B. Backhaus et al. 2016; Hüttner/ Schwarting 2002; Hammann/ Erichson 2000; Berndt 1996; Fantapié Altobelli 2017). <?page no="232"?> 210 Marktinformationen Merkmal j Ausprägung i Verpackung Fettgehalt Öffnungssystem Dose Tetra-Pak 7,5 % 10 % wiederverschließbar nicht wiederverschließbar 0,8 2,1 0,8 1,0 1,5 -0,4 Teilnutzenwert Abb. 2.114: Geschätzte Teilnutzenwerte für einen Probanden ij ij 3.1.4.3.7.1 Diskriminanzanalyse Bei der Diskriminanzanalyse handelt es sich um ein Verfahren zur Aufdeckung und Analyse von Unterschieden zwischen Gruppen von Objekten, welche durch die unabhängigen Variablen erklärt werden sollen (vgl. Berndt 1996, S. 222). Kennzeichnend für die Diskriminanzanalyse ist dabei die Tatsache, dass die abhängige Variable nominalskaliert ist, die unabhängigen Variablen hingegen metrisch skaliert sind. Typische Fragestellungen einer Diskriminanzanalyse sind beispielsweise: Anhand welcher Merkmale können Käufer und Nichtkäufer eines Produktes bzw. einer Marke am besten unterschieden werden? Welche Kriterien sind geeignet für die Einteilung von Außendienstmitarbeitern in erfolgreiche und weniger erfolgreiche Personen? Anhand welcher Kriterien kann unterschieden werden, welche Partei (CDU, SPD, FDP, Grüne usw.) eine Person wählt? Im letzteren Fall besteht die abhängige Variable aus mehr als 2 Gruppen; man spricht dann auch von einer multiplen Diskriminanzanalyse (vgl. Hüttner/ Schwarting 2002, S. 272). Näher betrachtet werden soll im Folgenden der 2-Gruppen-2-Variablen-Fall, d.h. anhand von zwei unabhängigen Variablen soll erklärt werden, ob ein Objekt bzw. eine Person zu der einen oder der anderen Gruppe gehört. Die Diskriminanzanalyse sucht nach einer Diskriminanzfunktion, welche beide Gruppen möglichst vollständig trennt. Abb. 2.115 zeigt die Situation graphisch für den Fall auf, dass zwischen den Käufern der Marke A und der Marke B differenziert werden soll, wobei als unabhängige Variable das Einkommen (x 1 ) und das Alter (x 2 ) fungieren. Werden beide Variablen linear kombiniert, so ergibt sich als Diskriminanzfunktion für eine Person i 1 1 2 2 i i i y b x b x <?page no="233"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 211 Diese Diskriminanzfunktion lautet für das Beispiel von Abb. 2.115 1 2 0, 76 0, 65 i i i y x x (Zur Bestimmung der Diskriminanzkoeffizienten b 1 bzw. b 2 vgl. z.B. Berndt 1996, S. 222 ff.). Geometrisch stellt sie eine Gerade durch den Nullpunkt des Koordinatensystems dar. Man erhält sie, indem man für einen beliebigen Wert k den Punkt (b 1 k; b 2 k) in das Streudiagramm einzeichnet und mit dem Nullpunkt verbindet. Für k = 10 ergibt sich beispielsweise 1 0, 76 10 7, 6 x x 2 = Alter 50 40 30 20 10 10 20 30 40 x 1 = Einkommen -10 0 10 20 D = 3,5 Diskriminanzachse : Käufer von Marke A : Käufer von Marke B Quelle: Hammann/ Erichson 2000, S. 307 Abb. 2.115: Streuwerte und Diskriminanzachse im 2-Gruppen-2-Variablen-Fall <?page no="234"?> 212 Marktinformationen 2 0, 65 10 6, 5 x Dieser Punkt ist in Abb. 2.116 zur Konstruktion der Diskriminanzanalyse eingezeichnet. Auf der Diskriminanzachse ergibt sich hierfür ein Wert von 1,1. Setzt man für k = 0 ein, so resultiert im Nullpunkt ein Wert für die Diskriminanzfunktion von Null. Die Skalierung der Diskriminanzfunktion ist damit eindeutig festgelegt. Gesucht ist darüber hinaus der kritische Distanzwert, welcher eine Zuordnung zur einen bzw. anderen Gruppe je nach Ausprägung unabhängiger Variablen ermöglicht. Personen mit einem Diskriminanzwert unter dem kritischen Diskriminanzwert werden der einen Gruppe zugeordnet, entsprechend werden Personen mit einem Diskriminanzwert oberhalb des kritischen Distanzwerts der anderen Gruppe zugeordnet. In Abb. 2.115 ist der kritische Diskriminanzwert mit D = 3,5 angegeben (zur Berechnung des kritischen Diskriminanzwerts vgl. Hammann/ Erichson 2000, S. 317). Aufgrund von Überlegungen bei den Häufigkeitsverteilungen der beiden Gruppen gelingt die Trennung durch diesen kritischen Wert jedoch nur graduell. Im Beispiel werden fünf Käufer der Marke A und vier Käufer der Marke B der falschen Gruppe zugeordnet. Anhand des kritischen Diskriminanzwerts und der Diskriminanzfunktion kann auch problemlos für neue Käufer prognostiziert werden, ob sie Marke A oder Marke B wählen werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Ausprägungen für die Merkmale „Alter“ und „Einkommen“ vorliegen. Im vorliegenden Beispiel würde für Personen mit einem Diskriminanzwert unter (über) 3,5 der Kauf der Marke A (B) prognostiziert werden. b 2. 10 = -6,5 -8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 2 4 6 8 7,6 - 6,5 1,1 b 1. 10 = 7,6 x 2 =Alter Abb. 2.116: Konstruktion der Diskriminanzachse i 2 2 i 1 1 i x b x b y x 1 =Einkommen <?page no="235"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 213 3.1.4.3.7.2 Faktorenanalyse Die Faktorenanalyse ist eine wichtige Methode der Datenreduktion. Mit Hilfe der Faktorenanalyse lässt sich eine Vielzahl von Variablen, welche mehr oder weniger voneinander abhängig sind, auf wenige voneinander unabhängige Variablen, sog. Faktoren, verdichten. Wie Abb. 2.117 zeigt, lassen sich in diesem Fall am Beispiel des Automobilmarktes eine Vielzahl von Einzelkriterien auf die beiden Faktoren „Komfort“ und „Wirtschaftlichkeit“ reduzieren. Eine derartige Kenntnis der Faktoren kann beispielsweise im Rahmen der Kommunikationspolitik eines Automobilherstellers herangezogen werden, um mit der Bewerbung weniger Faktoren möglichst viele für die potenziellen Käufer wichtige Eigenschaften zu erfassen. Anhand eines Beispiels soll die Faktorenanalyse erklärt werden (vgl. Hammann/ Erichson 2000, S. 256 ff.). Ausgangspunkt ist die Datenmatrix in Abb. 2.118. Es soll nun versucht werden, die aufgeführten 10 Einzelkriterien zu hinter diesen Kriterien stehenden Faktoren zu verdichten. Hierzu sind vier Schritte notwendig: Einzelkriterien Faktoren Komfort Wirtschaftlichkeit Abb. 2.117: Grundgedanke der Faktorenanalyse an einem Beispiel Preis Kraftstoffverbrauch Wiederverkaufswert Innengeräuschniveau Federung/ Dämpfung Innenraumklimatisierung Sitzqualität Innenraumgröße Kofferraumgröße <?page no="236"?> 214 Marktinformationen Objekte i j Variablen 1 Audi 80 10 Simca 1308S 9 Renault 7 Opel Record 8 Peugeot 6 Mercedes 200 5 Ford Taunus 4 Fiat 131CL 3 Citroen GSX 2 BMW 320 11 VW Passat 12 Volvo 244L 1 Preis (DM) 2 Länge (mm) 6 PS 5 Gewicht (kg) 4 Höhe (mm) 3 Breite (mm) 10 Verbrauch (l pro 100 km) 9 Beschleunigung (Sek. für 0-100 km/ h) 8 Geschw. (km/ h) 7 Hubraum (ccm) 12.655 18.670 13.224 14.925 17.990 14.995 14.685 20.261 11.930 12.590 14.490 19.300 4.383 4.898 4.290 4.245 4.520 4.490 4.593 4.725 4.340 4.264 4.120 4.355 1.682 1.610 1.615 1.680 1.726 1.690 1.726 1.786 1.700 1.651 1.608 1.707 1.365 1.435 1.360 1.390 1.435 1.460 1.420 1.438 1.362 1.381 1.349 1.380 910 1.115 1.280 885 1.075 1.260 1.160 1.100 1.340 1.020 1.015 935 55 1.273 122 1.986 1.588 1.442 1.994 1.796 1.875 1.988 1.285 1.585 1.130 1.990 90 75 75 109 79 75 94 55 75 55 145 181 164 154 173 154 155 160 137 160 145 155 17,5 10,7 13,0 13,9 12,7 15,8 8,8 9,7 15,0 11,5 10,2 10,5 10,2 16,0 15,2 20,3 11,1 9,5 9,2 8,4 12,8 10,8 9,5 8,9 Quelle: In Anlehnung an Hammann/ Erichson 2000, S. 257 Abb. 2.118: Datenmatrix für 12 PKW-Modelle <?page no="237"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 215 1. Schritt: Bildung der Korrelationsmatrix, 2. Schritt: Extraktion der Faktoren, 3. Schritt: Rotation der Faktoren sowie 4. Schritt: Bestimmung der Faktorwerte. Um dimensionslose Größen zu erhalten, bietet sich die Standardisierung der Daten in Abb. 2.118 gemäß ij j ij j x x z mit: ij x = Ausprägung des Merkmals j bei Objekt i j x = arithmetisches Mittel des Merkmals j j = Standardabweichung des Merkmals j an. Dies ist immer sinnvoll, wenn die Merkmale in unterschiedlichen Maßeinheiten (Liter, km/ h, cm, usw.) gemessen werden. Abb. 2.119 zeigt die auf der Basis standardisierter Datenwerte ermittelte Korrelationsmatrix. Auf Basis dieser Korrelationsmatrix lassen sich bereits erste Hinweise ableiten, welche Merkmale miteinander zusammenhängen und möglicherweise zu Faktoren zusammengefasst werden können. Im nächsten Schritt gilt es, die Faktoren zu extrahieren. Konkret wird versucht, die Werte ij z als Linearkombination von unabhängigen Variablen, den Faktoren, zu beschreiben: -0,288 Preis Länge Breite Höhe Gewicht PS Hubraum Geschwindigkeit Beschleunigung Verbrauch 1,000 0,595 0,313 0,545 0,761 0,850 0,810 0,700 -0,481 1,000 0,731 1,000 0,773 0,698 1,000 0,800 0,726 0,857 0,489 0,128 0,495 0,663 1,000 0,741 0,442 0,775 0,808 0,866 1,000 0,144 -0,126 0,277 0,368 0,917 0,731 1,000 -0,159 0,084 -0,304 -0,797 -0,677 -0,902 1,000 1,000 Quelle: Hammann/ Erichson 2000, S. 262 Abb. 2.119: Korrelationsmatrix 0,593 0,922 0,763 0,888 0,921 0,480 0,767 0,175 -0,219 1,000 Preis Länge Breite Höhe Gewicht PS Hubraum Geschwindigkeit Beschleunigung Verbrauch <?page no="238"?> 216 Marktinformationen 1 1 2 2 ... ij j i j i r j ri z b p b p b p mit: r j b = Faktorladung des Faktors r für Variable j r i p = Wert des Faktors r bei Objekt i Hierfür wird häufig auf die sog. Hauptkomponentenmethode zurückgegriffen. Bei dieser Methode wird unterstellt, dass sich die gesamte Varianz in den Merkmalen - bis auf einen zufälligen Rest - auf eine Menge gemeinsamer Faktoren zurückführen lässt. Dabei sind die Faktoren so zu extrahieren, dass sie unabhängig (orthogonal) sind. Diese Aufgabe lässt sich als Eigenwertproblem darstellen. Die Eigenwerte werden berechnet als Summe der quadrierten Faktorladungen eines Faktors über alle Variablen. Sie sind ein Maßstab für die durch den jeweiligen Faktor erklärte Varianz der Datenwerte und kennzeichnen damit die Wichtigkeit der Faktoren. Abb. 2.120 zeigt die Eigenwerte und die relativen Varianzanteile der Faktoren auf. Wie ersichtlich ist, lassen sich mit den ersten drei Faktoren bereits 93,3 % der Varianz der Beobachtungswerte erklären. Hierdurch wird auch ersichtlich, wieviele Faktoren überhaupt extrahiert werden sollen. Nach dem Kaiser-Kriterium sind nur diejenigen Faktoren mit einem Eigenwert größer als 1 zu berücksichtigen. In unserem Beispiel sind dieses die Faktoren 1 und 2 (vgl. Abb. 2.120). Beim alternativ anzuwendenden Scree-Test werden die Eigenwerte in einem Koordinatensystem nach abnehmender Größe geordnet. Die sich ergebenden Punkte, welche sich asymptotisch der Abszisse nähern, werden mit einer Geraden verbunden. Der letzte Punkt links auf dieser Geraden, der eine „Knickstelle“ beschreibt, d.h. die nachfolgenden Eigenwerte nehmen kaum noch ab, bestimmt dann die Zahl der zu extrahierenden Faktoren. In unserem Beispiel sind dies die ersten drei Faktoren (vgl. Abb. 2.121). Abb. 2.122 zeigt die Matrix der Faktorladungen für diese drei Faktoren. Die Werte in der rechten Spalte geben dabei die Kommunalitäten der Variablen an. Beispielsweise werden 98 % der Variable 1 (Preis) durch die drei extrahierten Faktoren erklärt. Die spaltenweisen Summationen führen wiederum zu den Eigenwerten der Faktoren. Zwecks besserer Interpretation der Faktoren ist es üblich, die Faktorenstruktur zu rotieren. Hierbei werden die Faktoren gedanklich im Nullpunkt, ohne ihre orthogonale Stellung zueinander zu verändern, bei unveränderter Position der Objektpunkte gedreht. Nach Rotation lädt im (fiktiven) Beispiel von Abb. 2.123 der Faktor 2 sehr gut bei dem oberen Variablenbündel, der Faktor 1 sehr gut bei dem unteren Variablenbündel. Abb. 2.124 zeigt schließlich die Matrix der Faktorladungen nach durchgeführter Rotation. Auf welchen Variablen die Faktoren besonders hoch laden, zeigen die umrandeten Werte. Faktor 1 lässt sich damit allgemein als „Größe“ des Fahrzeugs interpretieren, Faktor 2 bildet hingegen eher die „Leistung“ ab. Faktor 3 lädt lediglich beim Kriterium „Preis“ hoch und bedarf daher keiner weiteren Interpretation (vgl. Hammann/ Erichson 2000, S. 270). <?page no="239"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 217 Quelle: Hammann/ Erichson 2000, S. 263 Abb. 2.120: Eigenwerte und prozentuale Varianzanteile der Faktoren Faktor Eigenwert Varianzanteil Kumulierter in % Varianzanteil 1 6,376 63,8 63,8 2 2,501 25,0 88,8 3 0,450 4,5 93,3 4 0,263 2,6 95,9 5 0,219 2,2 98,1 6 0,113 1,1 99,2 7 0,052 0,5 99,7 8 0,016 0,2 99,9 9 0,010 0,1 100,0 10 0,001 0,0 100,0 0 2 4 6 8 1 2 3 4 5 Eigenwerte Faktornummer Abb. 2.121: Scree-Test für das vorliegende Beispiel 6,376 2,501 0,450 0,263 0,219 <?page no="240"?> 218 Marktinformationen Faktor r Variable j 1 2 3 0,462 -0,231 0,447 0,027 0,377 -0,065 -0,099 -0,224 0,112 0,105 -0,075 -0,018 -0,167 -0,775 0,706 0,441 0,335 0,785 -0,528 0,258 0,450 2,501 9,327 0,980 0,936 0,972 0,960 0,985 0,966 0,955 0,881 0,831 0,860 88,8 93,3 r 2 b Quelle: Hammann/ Erichson 2000, S. 264 Abb. 2.122: Matrix der Faktorladungen 0,845 0,812 0,870 -0,571 0,621 0,962 0,825 0,926 0,848 0,594 6,376 63,8 1 2 3 4 7 6 5 10 9 8 Kumulierter Varianzanteil (in %) j ² b F 2 (Ausgangssituation) F 2 (rotiert) F 1 (Ausgangssituation) F 1 (rotiert) Quelle: Backhaus et al. 2016, S. 419 Abb. 2.123: Rotierte Faktorladungen <?page no="241"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 219 Faktor r Variable j 1 Preis 2 Länge 3 Breite 4 Höhe 5 Gewicht 6 PS 7 Hubraum 8 Geschwindigkeit 9 Beschleunigung 10 Verbrauch 1 2 3 r ² b 0,399 0,887 0,897 0,892 0,836 0,267 0,634 -0,017 -0,060 0,944 0,489 0,098 -0,162 0,287 0,277 0,825 0,684 0,941 -0,980 0,165 0,763 0,254 0,025 0,052 0,400 0,469 0,301 0,317 0,042 0,191 0,980 0,860 0,831 0,881 0,936 0,972 0,960 0,985 0,966 0,955 j ² b 4,612 3,456 1,258 9,327 Kumulierter Varianzanteil (in %) 46,1 80,7 93,3 Quelle: Hammann/ Erichson 2000, S. 265 Abb. 2.124: Matrix der Faktorladungen nach Varimax-Rotation 3.1.4.3.7.3 Multidimensionale Skalierung Aufgabe der Multidimensionalen Skalierung ist es, die subjektive Wahrnehmung von Objekten (z.B. Marken eines bestimmten Produktmarktes) durch Personen in einen Wahrnehmungsraum wiederzugeben, wobei die Position der Objekte in diesem Raum (die sog. Konfiguration) von den wahrgenommenen Relationen zwischen den Objekten bestimmt wird. Diese Relationen können sich auf Ähnlichkeiten sowie auf Präferenzen beziehen. Wird auf die Ähnlichkeit von Objekten abgestellt, so kann beispielsweise der Frage nachgegangen werden, wie ähnlich oder unähnlich Konsumenten verschiedene Marken derselben Produktart einschätzen. Wird auf Präferenzen abgestellt, so kann beispielsweise untersucht werden, wie stark sich verschiedene Produktmarken von einer als ideal empfundenen Marke unterscheiden. Die jeweils empfundene Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit oder Präferenz soll sich im (zu konstruierenden) Wahrnehmungsraum derart niederschlagen, dass ähnliche (unähnliche) Objekte näher (weiter entfernt) zueinander liegen bzw. stärker (weniger stark) präferierte Objekte näher (weiter entfernt) hinsichtlich der Idealmarke positioniert sind. Zunächst soll die Ähnlichkeitsskalierung als grundlegende Form der multidimensionalen Skalierung dargestellt werden. Sie läuft in folgenden Schritten ab (vgl. Backhaus et al. 2016, S. 612 ff.; Berndt 1996, S. 233 ff.): 1. Schritt: Messung von Ähnlichkeiten, 2. Schritt: Wahl des Distanzmodells, <?page no="242"?> 220 Marktinformationen 3. Schritt: Festlegung der Dimensionen, 4. Schritt: Ermittlung der Konfiguration, 5. Schritt: Aggregation der Ergebnisse. Zur Messung der Ähnlichkeit von Objekten werden paarweise Vergleiche durchgeführt. Gemäß der klassischen Methode der Rangreihung werden Objektpaare nach ihrer empfundenen Ähnlichkeit geordnet (zu weiteren Methoden vgl. Backhaus et al. 2021, S. 613 ff.). Bei N Objekten sind insgesamt N(N - 1)/ 2 Paarvergleiche durchzuführen. Zunächst können dabei 2 Gruppen gebildet werden: „ähnliche Paare“ und „unähnliche Paare“. Diese Gruppen werden dann weiter unterteilt in „ähnlichere Paare“ und „weniger ähnliche Paare“ bis schließlich eine vollständige Rangordnung vorliegt. Im nächsten Schritt erfolgt die Auswahl des Distanzmodells. Ein häufig herangezogenes Maß ist die Euklidische Distanz (vgl. auch Abschnitt 3.1.4.3.5 in diesem Teil). Sie ist definiert als 2 1 M kl km lm m d G G mit: kl d = Distanz der Objekte k, l G km , G lm = Koordinaten der Objekte , k l auf der m -ten Dimension Je größer der Wert von d kl ist, desto weiter sind die Objekte k und l im Wahrnehmungsraum entfernt und desto unähnlicher sind sie damit. Der dritte Schritt besteht in der Festlegung der Dimensionen des Wahrnehmungsraumes. Üblicherweise beschränkt man sich hier auf zwei bis drei Dimensionen, damit eine anschauliche graphische Darstellung des Wahrnehmungsraumes gewährleistet ist. Im Rahmen der Ermittlung der Konfiguration als nächstem Schritt sind die Ähnlichkeitswerte derartig in Distanzen zu transformieren, dass die Rangfolge der Distanzen möglichst gut die Rangfolge der Ähnlichkeiten wiedergibt. Hierzu wird iterativ vorgegangen, indem mit einer Ausgangskonfiguration gestartet wird und diese schrittweise verbessert wird. Anhand eines Beispiels soll die Vorgehensweise verdeutlicht werden. Zu skalieren seien die Zahnpastamarken Odol, Signal, Dentagard und Blend-a-med anhand der Dimensionen „Frische“ und „prophylaktische Wirkung“. Vorab sind die wahrgenommenen Ähnlichkeiten zwischen den Marken festzustellen. Abb. 2.125 zeigt die Rangfolge der wahrgenommenen Ähnlichkeiten. Am ähnlichsten wird das Markenpaar „Odol-Blend-a-med“ wahrgenommen, am unähnlichsten das Markenpaar „Odol- Dentagard“. Anschließend werden die Marken gemäß den beiden vorgegebenen Dimensionen „Frische“ und „prophylaktische Wirkung“ auf einer Ratingskala von 1 bis 10 (10: sehr frisch bzw. hohe prophylaktische Wirkung, 1: wenig frisch bzw. geringe prophylaktische Wirkung) eingestuft. Abb. 2.126 zeigt die Einstufung der Marken auf diesen beiden Dimensionen, Abb. 2.127 die zugehörige Ausgangskonfiguration. Auf Basis der Ausgangskonfiguration werden die Distanzen d kl zwischen den Markenpaaren errechnet (vgl. Abb. 2.128). Gleichzeitig ist in der rechten Spalte von Abb. 2.128 nochmals die Rangfolge der Ähnlichkeiten der Markenpaare wiedergegeben. Es gilt nun zu überprüfen, in welchem Ausmaß die Distanzen in der Ausgangskonfiguration mit den wahrgenommenen Ähnlichkeiten übereinstimmen. Graphisch kann dies anhand eines sog. Shepard-Diagramms erfolgen (vgl. <?page no="243"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 221 1 2 3 4 Odol Signal Dentagard Blend-a-med 1 Odol - 2 Signal 3 - 3 Dentagard 6 2 - 4 Blend-a-med 1 4 5 - Abb. 2.125: Rangfolge der Ähnlichkeiten verschiedener Markenpaare Frische prophylaktische Wirkung 1 Odol 9 8 2 Signal 4 4 3 Dentagard 3 5 4 Blend-a-med 8 6 Abb. 2.126: Beurteilung der Produktmarken anhand von zwei vorgegebenen Dimensionen Abb. 2.129). Bei diesem Diagramm werden die Ähnlichkeiten auf der Abszisse und die Distanzen auf der Ordinate abgetragen: Eine zutreffende Abbildung der Ähnlichkeiten durch die Distanzen ist dann gewährleistet, wenn sich ein monoton steigender Verlauf durch die Verbindung der Punkte in dem Diagramm ergibt. Offensichtlich ist dies im vorliegenden Beispiel nicht der Fall. Als Monotoniekriterium kann der Kruskall’sche Stresswert vermerkt werden, welcher wie folgt definiert ist (vgl. Hüttner/ Schwarting 2002, S. 313 ff.): 2 2 ˆ kl kl k l kl k l d d S d d mit ˆ kl d = Disparitäten (hypothetische Distanzwerte, welche eine perfekte Repräsentation der Objekte zur Folge hätten. Ihre Ermittlung kann durch Mittelwertbildung zwischen den Distanzen der nichtmonotonen Objektpaare erfolgen.) <?page no="244"?> 222 Marktinformationen kl d = tatsächliche Distanz (aus der Ausgangskonfiguration oder dem vorausgegangenen Iterationsschritt) d = arithmetisches Mittel der Distanzen. Je kleiner der Wert von S ist, desto besser ist die Anpassung der Distanzen an die Ähnlichkeiten. Ein Wert von S = 0,4 weist dabei auf eine geringe Anpassungsgüte hin, ein Wert von 0,1 kann als gute Anpassung gelten. Die perfekte Anpassung ist bei einem Wert von S = 0 gegeben. Da das Shepard-Diagramm (Abb. 2.129) einen nicht streng monotonen Verlauf aufzeigt, muss die Ausgangskonfiguration (Abb. 2.127) der die Monotonie verletzenden Markenpaare verschoben werden. Auf iterativem Wege wird dann versucht, das Stressmaß S zu minimieren. Abb. 2.130 zeigt die zugehörige Ergebniskonfiguration. Im letzten Schritt müssen die Ergebnisse schließlich über alle Probanden aggregiert werden. Hierzu kann vorab eine Mittelwertbildung über die Ähnlichkeitsdaten durchgeführt werden und dann die eigentliche Multidimensionale Skalierung erfolgen. Alternativ kann für jeden Probanden eine Multidimensionale Skalierung vorgenommen werden mit anschließender Aggregation der Ergebnisse. Letztere Vorgehensweise ist jedoch sehr aufwendig. prophylaktische Wirkung 9 8 Odol 7 Blend-a-med 6 Dentagard 5 4 Signal 3 2 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Frische Abb. 2.127: Ausgangskonfiguration der Zahnpastamarken <?page no="245"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 223 Markenpaare (G k,1 -G l,1 ) (G k,2 -G l,2 ) (G k,m -G l,m ) 2 d k,l R k,l k,l m 1,2 5 4 25+16=41 (5) 6,4 3 1,3 6 3 36+ 9=45 (6) 6,7 6 1,4 1 2 1 + 4= 5 (2) 2,2 1 2,3 1 1 1 + 1= 2 (1) 1,4 2 2,4 4 2 16+ 4=20 (3) 4,5 4 3,4 5 1 25+ 1=26 (4) 5,1 5 Abb. 2.128: Berechnung der Distanzen zwischen den Markenpaaren 0 1 2 3 4 5 6 7 8 0 1 2 3 4 5 6 7 (2,3) (1,4) (2,4) (3,4) (1,2) (1,3) R k,l d k,l Abb. 2.129: Shepard-Diagramm für das Zahnpastamarken-Beispiel <?page no="246"?> 224 Marktinformationen prophylaktische Wirkung Odol Blend-a-med Signal Dentagard Frische Abb. 2.130: Ergebniskonfiguration Schließlich ist die Integration von Präferenzdaten in die Multidimensionale Skalierung möglich. In diesem Fall spricht man von einer Joint-Space-Analyse. Hierfür können verschiedene Präferenzmodelle herangezogen werden. Beim Idealpunktmodell ist ein Idealobjekt im Wahrnehmungsbzw. Präferenzraum gegeben. Je näher Objekte an dieser Idealposition liegen, desto stärker werden sie präferiert. 3.1.4.3.7.4 Kausalanalyse Aufgabe der Kausalanalyse ist es zu prüfen, in welchem Ausmaß theoretisch aufgestellte Beziehungen mit empirisch gemessenen Zusammenhängen übereinstimmen (vgl. Meffert 1992, S. 306 ff.). Konkret bedeutet dies, dass Hypothesenformulierungen bereits vorliegen müssen, welche auf sachlogischen Überlegungen aufbauen. Vor Anwendung statistischer Verfahren ist also zu überlegen, welche Variablen wie zusammenhängen (könnten). Eine besondere Rolle im Rahmen der Kausalanalyse spielen dabei latente, d.h. nicht direkt beobachtbare Variablen (hypothetische Konstrukte). Beispielsweise könnte überlegt werden, wie die latente Variable „Einstellung“ das Kaufverhalten von Personen beeinflusst. Weitere latente Variablen, welche in ökonomischen Messmodellen häufig eine Rolle spielen, sich aber einer direkten Beobachtung entziehen, sind „Image“, „Motivation“, „Selbstverwirklichung“ usw. Die Beziehung derartiger Variablen untereinander, aber auch zu direkt messbaren Variablen (z.B. Absatzmenge) ist Gegenstand einer Kausalanalyse. Basis einer Kausalanalyse mit LISREL (Linear Structural Relationship) ist dabei ein als lineares Gleichungssystem formuliertes Kausalmodell, welches sowohl aus einem Strukturmodell als auch aus einem Messmodell besteht. Abb. 2.131 zeigt ein vollständiges LISREL-Modell auf. Gegenstand des Strukturmodells sind die latente endogene Variable „Umweltorientiertes Kaufverhalten“ und die latente exogene Variable „Umweltbewusstsein“. Hier stehen die Beziehungen zwischen den hypothetischen Konstrukten im Vordergrund der Betrachtung. Eine Operationalisierung der latenten Variablen erfolgt durch entsprechende Messmodelle. Wie Abb. 2.131 zeigt, werden für endogene und exogene Variablen getrennte Messmodelle verwendet. Die in diesen <?page no="247"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 225 Messmodellen verwendeten Variablen heißen Indikatorvariablen. Diese sollen die nicht beobachtbaren Variablen möglichst gut abbilden. Liegen Daten für die Indikatorvariablen vor, so können Kovarianzen oder Korrelationen zwischen diesen Variablen errechnet werden. Diese wiederum dienen dazu, Beziehungen zwischen den hypothetischen Konstrukten zu errechnen. Man spricht daher auch von einer Kovarianzstrukturanalyse. 1 , 2 sowie 1 sind dabei Parameter, in welchen Residualgrößen und Messfehler der Indikatorvariablen x 1 , x 2 sowie 1 aufgefangen werden. Insgesamt ist der LISREL-Ansatz der Kausalanalyse geeignet, ein vorliegendes Hypothesensystem in seiner Gesamtheit zu überprüfen. Verfahrenstechnisch spielen dabei insbesondere die Regressionsanalyse (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.3 in diesem Teil) sowie die Faktorenanalyse (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.7.2 in diesem Teil) eine Rolle (zur detaillierten Darstellung der Kausalanalyse vgl. z.B. Hildebrandt/ Homburg 1998). Messmodell I x 1 Zahl der Käufe umweltgerechter Produkte 1 Messmodell II x 2 Umweltbewusstsein Umweltorientiertes Kaufverhalten 1 1 1 1 2 0,19 0,64 Messmodell der latenten exogenen Variablen Strukturmodell Messmodell der latenten endogenen Variablen Quelle: Meffert 1992, S. 307 Abb. 2.131: Aufbau eines LISREL-Modells der Kausalanalyse 3.1.5 Marketing-Informationssysteme 3.1.5.1 Ziele und Strukturen von Marketing-Informationssystemen Informationen spielen für Marketing-Entscheidungen eine wesentliche Rolle. Sie beinhalten u.a. Aussagen über Märkte (Marktgröße, Marktanteile, Art der gehandelten Produkte usw.), dienen der Beurteilung von Handlungsalternativen im Rahmen von Planungs- und Entscheidungsprozessen, geben Auskunft über das Verhalten von Konkurrenten und Nachfragern und verschaffen einen Überblick über die Wirkungen eigener Maßnahmen im Rahmen der Kontrolle. Dabei ist die heutige Situation gekennzeichnet von einer Informationsflut. Gerade durch die Neuen Medien (z.B. Internet) steigt die potenziell nutzbare Informationsmenge nochmals dramatisch an. Diese enorme Informationsmenge führt aber nicht unmittelbar zu einer Verbesserung der Entscheidungsqualität; vielmehr besteht die Gefahr, dass infolge der Datenmenge Wichtiges nicht mehr von Unwichtigem und Dringendes nicht mehr von weniger Dringendem getrennt werden kann. Zudem birgt die Informationsflut das Problem in sich, dass Informationen verzerrt sein können oder keinen klaren Gültigkeitsbereich aufweisen, d.h. die Informationsqualität ist z.T. unzureichend. <?page no="248"?> 226 Marktinformationen Zur Abhilfe dieser Probleme kann ein Marketing-Informationssystem (MAIS) in einem Unternehmen implementiert werden. Unter einem Marketing-Informationssystem kann eine planvoll entwickelte und geordnete Gesamtheit von organisatorischen Regelungen bezüglich der Träger informatorischer Aufgaben, der Informationswege zwischen ihnen, der Informationsrechte und -pflichten sowie der Methoden und Verfahren der Informationsbearbeitung in diesem Gefüge, mit dessen Hilfe der Informationsbedarf des am Marketingprozess beteiligten Managements befriedigt werden soll, verstanden werden (vgl. Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen 2002, S. 1237 f.). Das übergeordnete Ziel eines MAIS besteht damit darin, die gewünschte Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen. Dies erfordert eine Filterung und Verdichtung der eingehenden Informationen sowie deren Speicherung und Weitergabe in einer geeigneten Form. Ein wesentliches Teilziel eines MAIS besteht damit in der schnellen und rationellen Datenverarbeitung und der Möglichkeit der adäquaten Kanalisation von Informationen. Darüber hinaus müssen die Entscheidungsträger im Unternehmen eindeutige Informationsrechte und -pflichten hinsichtlich des Zugangs, der Verarbeitung sowie der Abgabe von Informationen besitzen. Dieser Aspekt ist von besonderer Bedeutung hinsichtlich der Strukturierung des MAIS in organisatorischer Hinsicht, d.h. wer darf bzw. muss welche Informationen aufnehmen, verarbeiten und abgeben im Unternehmen. Wesentliche Elemente eines MAIS bestehen in der Datenbank, der Methodenbank sowie der Modellbank (vgl. auch Scheuch 2007, S. 127). Die Datenbank dient der Sammlung von inner- und außerbetrieblichen Informationen. Sie sollte ausreichend dimensioniert hinsichtlich der aufzunehmenden Informationsmenge sowie benutzerfreundlich in dem Sinne sein, dass gewünschte Informationen schnell gefunden werden können. Die Methodenbank umfasst verschiedene mathematisch-statistische Verfahren zur weiteren Verarbeitung der Daten. Hierzu zählen alle dargestellten Datenanalyseverfahren (vgl. Abschnitt 3.1.4 in diesem Teil). Die Modellbank beinhaltet Marketing- Modelle, mittels derer Markt- und Unternehmenszusammenhänge in mathematisch-quantitativer Form abgebildet werden (z.B. Prognosemodelle, Marktreaktionsmodelle wie Preisabsatz- oder Werbewirkungsfunktionen, Simulationsmodelle des Käuferverhaltens). Verknüpft werden die Daten-, Methoden- und Modellbank mit entsprechenden Managementsystemen, um die Pflege und Wartung des MAIS für den Systemadministrator zu vereinfachen und gleichzeitig eine benutzerfreundliche Oberfläche für den Anwender zu schaffen. Abb. 2.132 zeigt die Elemente und Struktur eines MAIS im Überblick auf. 33.1.5.2 Grundtypen von Marketing-Informationssystemen Hinsichtlich der Aufgaben von Marketing-Informationssystemen lassen sich drei Grundtypen erkennen (vgl. auch Scheuch 2007, S. 127): Dokumentationssysteme, Planungssysteme sowie Kontrollsysteme. Die Aufgabe von Dokumentationssystemen liegt in der Speicherung und Ordnung eigener Dateien und Dokumente. Darüber hinaus kann die Nutzung überbetrieblicher Datennetze erfolgen, <?page no="249"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 227 wodurch ein Zugriff auf externe Datenbanken möglich wird. Da die Informationen im Regelfall in textlicher Form vorliegen und damit qualitativer Natur sind, besteht ein Problem darin, die gesuchten Daten schnell und kostengünstig aufzufinden. Von Vorteil ist hier ein leistungsfähiges Deskriptionssystem, welches insbesondere dann gut funktioniert, wenn ein Sachverhalt unter mehreren verschiedenen Deskriptionen (Schlüsselwörtern) zu finden ist. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass ständig aktualisierte Informationen vorliegen. Die unternehmenseigenen Datenbestände sind daher hinsichtlich ihrer Aktualität ständig zu pflegen, für die Pflege der betriebsexternen Datenbanken sind die entsprechenden Institutionen (z.B. wissenschaftliche Institute, Verbände, Internationale Organisationen) zuständig. Gegenstand von Planungssystemen ist die Entscheidungsunterstützung durch eine flexible, interaktive Mensch-Maschine-Kommunikation. Leistungsfähige Planungssysteme zeichnen sich dabei durch umfangreiche Verknüpfungsmöglichkeiten von Daten-, Methoden- und Modellbank aus. Typische Fragen bzw. Problemstellungen in diesem Zusammenhang betreffen z.B. die Bewertung Benutzer Methodenbank- Managementsystem Modellbank- Managementsystem Datenbank- Managementsystem Extern entwickelte Methoden Extern entwickelte Modelle Externe/ interne Informationsquellen Kommunikationssystem Methodenbank Modellbank Datenbank (1) (2) (6) (5) (4) (3) (7) (9) (8) (10) (11) (12) (13) (14) Quelle: Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen 2002, S. 1240 Abb. 2.132: Elemente und Struktur eines Marketing-Informationssystems <?page no="250"?> 228 Marktinformationen alternativer Streupläne im Rahmen der Mediaselektion (vgl. auch Abschnitt 2.3.5.3.2.5 im 3. Teil), die Werbebudgetplanung (vgl. Abschnitt 2.3.5.3.2.3 im 3. Teil) oder die Preisfestlegung (vgl. Abschnitt 2.2.2.2.3 im 3. Teil). Darüber hinaus existieren komplexe Marketing-Mix-Simulationsmodelle, welche die Auswirkungen alternativer Marketing-Mixes auf Zielgrößen wie Absatz, Umsatz oder Grenzen aufzeigen (vgl. Berndt 1995a, S. 532 ff.). Im Rahmen derartiger Modelle lässt sich auf interaktivem Wege auch simulieren, wie sich unterschiedliche Modellparameterkonstellationen (z.B. unterschiedliche Preisempfindlichkeit der Konsumenten, alternative Konjunkturentwicklungen) auf die Modellergebnisse auswirken. Kontrollsysteme dienen der Berichterstattung über relevante Informationen für den jeweiligen Entscheidungsträger. Derartige Informationen können Größen wie Marktanteil, Lagerbestand, Deckungsbeiträge, Absatzzahlen, Produktmengen usw. umfassen. Zusätzlich können in dieses System Melde- und Warnsysteme integriert werden, wenn bestimmte kritische Werte einzelner Variablen überbzw. unterschritten werden. Neben der automatischen Berichterstattung durch das System zu bestimmten Zeitpunkten (z.B. täglich, wöchentlich, monatlich, quartalsweise) bzw. den Melde- und Warninformationen ist dabei auch die Ausgestaltung des Systems als Auskunftssystem möglich. Bei dieser Variante werden Informationen aktiv vom Anwender aus abgerufen. Generell gilt, dass Kontrollsysteme umso leistungsfähiger sind, je aktueller die verwendeten Daten sind. Fehlentwicklungen können auf diese Weise schnell erkannt und korrigierende Maßnahmen unverzüglich eingeleitet werden. Derartige Kontrollsysteme bieten daher auch Ansatzpunkte für weiterführende Frühwarnsysteme. 33.1.6 Organisation der betrieblichen Marktforschung Grundsätzlich ist darüber zu befinden, ob die Marktforschungsaktivitäten von einem spezialisierten externen Institut durchgeführt werden sollen oder ob unternehmensinterne Marktforschungsabteilungen bzw. -stellen mit der Marktforschungsaufgabe betraut werden sollen. Werden die Marktforschungsaktivitäten unternehmensintern abgewickelt, so ergeben sich mehrere Möglichkeiten der organisatorischen Gestaltung (vgl. auch Meffert 1992, S. 373). Die erste Möglichkeit besteht in der Errichtung einer Stabstelle, welche je nach Bedeutung und Aufgabenschwerpunkt der Unternehmensleitung oder der Marketing-Leitung anzugliedern ist. Abb. 2.133 zeigt zwei mögliche Organigramme auf. Eine zweite Möglichkeit besteht in der Einrichtung weitgehend selbstständiger dezentraler Abteilungen im Marketingbereich. Gegenüber der Stabstellenlösung ist hier eine höhere Autonomie und größere Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Marktforschungsaktivitäten gegeben. Abb. 2.134 zeigt eine denkbare organisatorische Eingliederung auf. Die dritte Möglichkeit sieht die Einrichtung eines zentralen Service-Cost-Center vor, welches von allen Unternehmensbereichen in Anspruch genommen werden kann. Diese Möglichkeit empfiehlt sich insbesondere in Spartenorganisationen. Auch der Marktforschungsbereich wird in diesem organisatorischen Modell als Profit-Center geführt. Die einzelnen Sparten (z.B. Geschäftsbereiche, Produktgruppen) können dann Leistungen der Marktforschungsabteilung anfordern, müssen diese allerdings bezahlen. Zum Tragen kommen dabei interne Verrechnungspreise. Dieses organisatorische Modell ist insofern effizient, als dass von den Sparten nur dann Aufträge an die Marktforschungsabteilung vergeben werden, wenn die Informationen tatsächlich benötigt werden und der Informationsnutzen höher bewertet wird als die der Sparte entstehenden Kosten für <?page no="251"?> Gewinnung und Verarbeitung von Marktinformationen im Rahmen der Marktforschung 229 Abb. 2.133: Marktforschung durch Stabsstellen bei unterschiedlich hierarchischer Ansiedlung a) Marktforschung Beschaffung Produktion Absatz/ Vertrieb Verwaltung Produktgruppe 1 . . . . . . Produktgruppe 10 Gebiet A . . . . . . Gebiet N Unternehmensleitung Unternehmensleitung Produktgruppe A Produktgruppe D Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Marktforschung Beschaffung Produktion Marketing Unternehmensleitung Beschaffung Produktion Absatz Marktforschung Verwaltung Gebiet A Gebiet N Abb. 2.134: Dezentrale Marktforschungsabteilung <?page no="252"?> 230 Marktinformationen die Beauftragung der Marktforschungsabteilung. Abb. 2.135 zeigt eine organisatorische Eingliederungsmöglichkeit der Marktforschungsabteilung als Service-Cost-Center in einer divisionalen bzw. Spartenorganisation. In welcher Form die Marktforschungsaktivitäten in das Unternehmen integriert werden, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Von besonderer Relevanz sind in diesem Zusammenhang die Bedeutung, welche der Marktforschung im Unternehmen zukommen soll, die grundlegende Organisationsstruktur des Unternehmens als Ganzes (z.B. funktional oder divisional) sowie Art und Umfang der an die Marktforschungsabteilung gestellten Aufgaben. Eine Entscheidung über die Art der Eingliederung der Marktforschungsabteilung kann daher nur im Einzelfall erfolgen. Abschließend werden die Vor- und Nachteile der Eigenforschung gegenüber der Fremdforschung durch unabhängige Marktforschungsinstitute in Abb. 2.136 dargestellt. Die Ausführungen gelten spiegelbildlich für die Vorbzw. Nachteile der Fremdforschung gegenüber der Eigenforschung. 33.2 Marktsegmentierung 3.2.1 Ziele und Aufgaben der Marktsegmentierung Märkte (insbesondere Konsumgütermärkte) bestehen aus einer Vielzahl von Personen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Die Aufgabe der Marktsegmentierung besteht darin, einen Gesamtmarkt in in sich homogene Teilmärkte (Marktsegmente) aufzuspalten. Die auf diese Weise entstehenden Marktsegmente umfassen jeweils Personen bzw. Konsumenten, welche hinsichtlich der herangezogenen Segmentierungskriterien (vgl. Abschnitt 3.2.2.1.1 in diesem Teil) homogen sind, sich gleichzeitig aber deutlich von den anderen Marktsegmenten unterscheiden. Auf diese Weise können einerseits Marktsegmente zunächst identifiziert werden, andererseits können daraufhin gezielt Marktsegmente ausgewählt und bearbeitet werden. Damit wird ein effizientes Marketing in dem Sinne ermöglicht, dass Marketinginstrumente gezielt auf die Ansprüche der einzelnen Segmente ausgerichtet werden (z.B. in Form spezifischer Produktvarianten). Hauptziel der Marktsegmentierung ist damit die Schaffung eines hohen Übereinstimmungsgrades zwischen angebotener Marktleistung und den Bedürfnissen der Zielgruppen (vgl. Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2019, S. 215). Gleichzeitig ergibt sich eine zieladäquate (effiziente) Allokation des Marketingbudgets. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit des Auffindens von Marktlücken i.S. von noch nicht bearbeiteten Marktsegmenten. 3.2.2 Vorgehensweise im Rahmen der Marktsegmentierung Im ersten Schritt der Marktsegmentierung gilt es, die relevanten Segmentierungskriterien herauszufinden. Gesucht wird nach Merkmalen, welche das Kaufverhalten determinieren. Ansatzpunkte für derartige Kriterien bieten die Erklärungsmodelle des Käuferverhaltens (vgl. Abschnitt 2.1 in diesem Teil). Sind die relevanten Segmentierungskriterien identifiziert worden, werden im nächsten Schritt die entsprechenden Daten erhoben und mittels Einsatz multivariater Datenanalysemethoden ausgewertet. Als Ergebnis erhält man einen in Teilmärkte aufgespalteten Gesamtmarkt. <?page no="253"?> Marktsegmentierung 231 Abb. 2.135: Marktforschung als Service-Cost-Center in einer Spartenorganisation Unternehmensleitung Sparte A Sparte G Marktforschung als Service-Cost-Center Verwaltung Absatz/ Vertrieb Beschaffung Produktion Absatz/ Vertrieb <?page no="254"?> 232 Marktinformationen Vorteile der Eigenforschung Nachteile der Eigenforschung größere Vertrautheit mit dem Problem stärkere Kontrolle und Koordination der Marktforschungsaktivitäten Nutzung subjektiver Informationen der Entscheidungsträger des Unternehmens vergleichsweise geringe Methodenkenntnis in der Regel wenig Erfahrung in der Anwendung unterschiedlicher Methoden "Betriebsblindheit" mit der Folge unzureichender Informationserfassung und -auswertung geringere Objektivität (z.T. bewusste Ergebnisverzerrung) hohe Fixkosten Abb. 2.136: Vor- und Nachteile eigener Marktforschungsaktivitäten gegenüber der Fremdforschung durch unabhängige Institute Auffinden relevanter Segmentierungskriterien Datengewinnung und -verarbeitung Auswahl von Marktsegmenten Segmentspezifischer Einsatz der Marketinginstrumente Marktidentifikation (Marktsegmentierung im engeren Sinne) Marktbearbeitung Marktsegmentierung Abb. 2.137: Marktidentifikation und Marktbearbeitung als Teilphasen der Marktsegmentierung <?page no="255"?> Marktsegmentierung 233 Beide Schritte (Auffinden der Kriterien; Datengewinnung und -verarbeitung) dienen der Marktidentifikation und werden auch als Marktsegmentierung im engeren Sinne bezeichnet. Der nächste Schritt besteht in der Auswahl von Marktsegmenten, welche besonders attraktiv erscheinen. Aus finanziellen Gründen können im Regelfall nicht alle Marktsegmente berücksichtigt werden. Im letzten Schritt gilt es, einen segmentspezifischen Marketing-Mix zu kreieren, welcher die Bedürfnisse des jeweiligen Segments bestmöglich erfüllt (vgl. hierzu Kap. 2 im 3. Teil). Die letzten beiden Schritte (Marktsegmentauswahl und segmentspezifischer Marketing-Mix-Einsatz) dienen der Marktbearbeitung. Abb. 2.137 fasst die Schritte der Marktsegmentierung im Überblick zusammen. 3.2.2.1 Segmentierungskriterien Konsumenten lassen sich durch eine Vielzahl von Kriterien beschreiben. Hierzu zählen soziodemographische Kriterien, psychologische Kriterien, Kauf-, Verhaltens- und Kommunikationsmerkmale sowie das Medianutzungsverhalten (vgl. Freter 1983, S. 43 ff.; Berndt 1996, S. 310 f.). Abb. 2.138 zeigt wesentliche Unterkriterien für die einzelnen Kriteriengruppen im Überblick auf. Die Kriterien müssen dabei gewissen Anforderungen genügen (vgl. Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2019, S. 221 f.): Kaufverhaltensrelevanz (Kriterien müssen als Indikatoren für das zu erwartende Kaufverhalten gelten), Operationalität (Kriterien müssen eindeutig messbar und erfassbar sein), Wirtschaftlichkeit (Kriterien sind so zu erheben, dass der sich aus der Segmentierung ergebende Nutzen größer als die anfallenden Kosten ist), zeitliche Stabilität (Kriterien sollen Informationen vermitteln, welche über den Zeitraum der Durchführung und Wirkung der segmentspezifischen Marktbearbeitungsaktivitäten Gültigkeit besitzen), Erreichbarkeit (Segmentierungskriterien müssen die gezielte Ansprache der gebildeten Segmente ermöglichen), Handlungsfähigkeit (Die Kriterien müssen geeignet sein, konkrete Anhaltspunkte für den Einsatz des Marketing-Instrumentariums zu geben). Unter der Bedingung gemeinhin verfolgter ökonomischer Ziele wie Gewinn-, Absatz-, Umsatz- oder Marktanteilmaximierung bzw. -steigerung ist dabei die Kaufverhaltensrelevanz der herangezogenen Kriterien von besonderer Bedeutung. Diese ist bei sog. Life-Style-Typologien (vgl. Abschnitt 3.2.3 in diesem Teil) häufig deutlich höher als z.B. bei einer Segmentbildung nach demographischen, soziographischen oder geographischen Kriterien (sog. „klassische“ Marktsegmentierung). Letztere sind allerdings leichter zu erheben und werden häufig zur Segmentbildung oder zumindest zur Segmentbeschreibung bei mittels anderer Kriterien gebildeten Segmenten herangezogen. <?page no="256"?> 234 Marktinformationen 3.2.2.2 Segmentierungsverfahren Das bedeutendste Verfahren zur Segmentbildung ist die Clusteranalyse (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.5 in diesem Teil). Die Clusteranalyse ist in der Lage, einen heterogenen Gesamtmarkt in in sich homogene Marktsegmente, welche sich untereinander deutlich unterscheiden, aufzuspalten. Zu beachten ist dabei, dass die in Abb. 2.138 dargestellten Segmentierungskriterien unterschiedliche Messniveaus aufweisen. Dies stellt jedoch im Rahmen einer Clusteranalyse kein spezifisches Problem dar; es kann auf verschiedene Art und Weise umgangen werden (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.5.2 in diesem Teil). Darüber hinaus kann in diesem Zusammenhang auch die Faktorenanalyse (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.7.2 in diesem Teil) angewendet werden. So lassen sich mit Hilfe der Faktorenanalyse die Vielzahl von Segmentierungsvariablen zu wenigen Faktoren verdichten. Dies kann sehr hilfreich sein zur Beschreibung der im Rahmen einer Clusteranalyse identifizierten Cluster bzw. Marktsegmente. Konsumentenmerkmale Soziodemographische Merkmale Medianutzungsverhalten Kauf-, Verhaltens- und Kommunikationsmerkmale Psychologische Merkmale psychologische Persönlichkeitsmerkmale Intelligenz Selbständigkeit Innovationsfreudigkeit Freiheitsinteressen Wertvorstellungen Lebensstil Führungsverhalten Motive produktbezogene psychologische Merkmale Produktinteresse Einstellung gegenüber Produkt Meinungen Bekanntheit Wissen Markenpräferenz Besitz- und Konsummerkmale Kommunikationsmerkmale Funktionen im Entscheidungsprozess (Berater/ Entscheider/ Akteur) Beeinflusser im Kommunikationsprozess (Meinungsführer/ Multiplikator/ Leitbild/ Spezialist) Fernsehgewohnheiten bevorzugte Printmedien Mediennutzungshäufigkeit Interessen an Werbung demographische Merkmale Alter Geschlecht Familienstand Phase im Familienlebenszyklus Haushaltsgröße soziographische Merkmale Einkommen Beruf Bildung soziale Schicht Haushaltseinkomm en Branche geographische Merkmale Wohnort Wohngebiet Kaufkraftbezirk Kaufzone Stadt/ Land Größe Wohnort allgemeine Merkmale Käufer bzw. Nichtkäufer Verwender bzw. Nichtverwender Verwendungshäufigkeit Preis- und Markenbewusstsein Erstbzw. Wiederholungskäufer kurzlebige Konsumgüter Kauffrequenz geg. Produktklasse Markentreue Besitz bestimmter langlebiger Konsumgüter langlebige Konsumgüter Besitz eines Gutes derselben Produktklasse Dauer des Besitzes eines Gutes derselben Produktklasse Quelle: In Anlehnung an Berndt/ Fantapié Altobelli/ Sander 2020, S. 148 Abb. 2.138: Kriterien zur Marktsegmentierung <?page no="257"?> Marktsegmentierung 235 Aufschluss über vorhandene Marktsegmente lässt sich auch durch den Einsatz der Multidimensionalen Skalierung gewinnen (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.7.3 in diesem Teil). So können möglicherweise Personengruppen identifiziert werden, welche Produkte in ähnlicher Weise wahrnehmen, d.h. über eine gleiche Konfiguration der Objekte bzw. Produkte im Wahrnehmungsraum verfügen. Gleiches gilt, wenn statt Ähnlichkeitsurteilen Präferenzurteile verwendet werden zur Konstruktion eines Joint Space (vgl. i.E. Abschnitt 3.1.4.3.7.3 in diesem Teil). Auf diese Weise lassen sich Personengruppen mit gleichen bzw. ähnlichen Präferenzen identifizieren. Derartige Aussagen lassen sich auch durch Anwendung des Conjoint Measurement (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.6 in diesem Teil) ableiten. Konkret können hier Personenbzw. Konsumentengruppen identifiziert werden, welche gegenüber den untersuchten Produkten und deren Produkteigenschaften gleiche bzw. zumindest ähnliche Nutzenvorstellungen besitzen. Gleiches gilt für die Bedeutung der einzelnen untersuchten Produkteigenschaften aus Sicht der Konsumenten. Hier lassen sich u.U. Personengruppen auffinden, welche bestimmten Produkteigenschaften (z.B. Preis) besonderes Gewicht zukommen lassen, andere Eigenschaften hingegen als weniger wichtig empfinden. 33.2.3 Life-Style-Typologien Klassische Marktsegmentierungen basieren u.a. auf demographischen, soziographischen und geographischen Merkmalen. Life-Style-Typologien stellen demgegenüber eine Weiterentwicklung dar, da sie am Lebensstil der Konsumenten ansetzen, welcher im Regelfall eine größere Kaufverhaltensrelevanz aufweist als die Segmentierungskriterien bei klassischen Marktsegmentierungen. Konsumenten werden bei der Erstellung von Life-Style-Typologien nach deren Interessen, Meinungen, Werten, Ansichten und Einstellungen bzgl. allgemeiner und produktspezifischer Sachverhalte befragt. Häufig werden hierfür Statements herangezogen (z.B. „Häufige Restaurant-, Kino- und Theaterbesuche sind Ausdruck der Kultur und für mich wichtig“), welche auf einer bipolaren Skala (z.B. 1: lehne voll ab; 10: stimme voll zu) beantwortet werden müssen. Gegenstand der Befragungen sind dabei Lebensstilbereiche wie „Freizeit“, „Konsum“, „Politik“, „Familie und soziales Leben“, „Arbeit“, „Generelle Grundwerte“, „Interessen“ und „Kleidung“. Durch Anwendung der dargestellten mathematisch-statistischen Datenanalyseverfahren (insbesondere der Clusteranalyse) werden anschließend Gruppen gebildet, mit in sich weitgehend homogenen Ansichten und Einstellungen der Personen in der jeweiligen Gruppe, zwischen den Gruppen jedoch sind deutliche Unterschiede hinsichtlich der erhobenen Daten, welche den Lebensstil von Konsumenten determinieren, erkennbar. Die entstehenden Gruppen bzw. Cluster werden dann anhand der Mittelwertdifferenzen bezüglich der verwendeten Segmentierungskriterien beschrieben; häufig werden sie zudem personifiziert, indem ihnen Namen und Bilder zugeordnet werden. Abb. 2.139 zeigt zwei ausgewählte Cluster einer Life-Style-Typologie. Weitere wichtige Anhaltspunkte für Marketingaktivitäten lassen sich auffinden, wenn zusätzlich neben der vergleichsweise abstrakten Clusterbildung erhoben wird, in welchem Ausmaß die Personen in den einzelnen Clustern bestimmte Produkte und Dienstleistungen verwenden, langlebige Konsumgüter besitzen und wie deren Medienverhalten aussieht (vgl. Berndt 1996, S. 322 ff.). <?page no="258"?> 236 Marktinformationen I. Johanna, die altmodische Pflichtbewusste: Sie ist eine pflichtbewusste, fleißig arbeitende Hausfrau mit einer konservativen Einstellung zu ihrer Rolle als Frau, zu Haushaltsführung, Moral, Erziehung und Gesellschaft. Sie legt Wert auf Ordnung, Planung und Qualität. Gegen Fremdes (Ausländer) und Neues ist sie misstrauisch. Sie bevorzugt ein einfaches, unkompliziertes Leben, das nicht zuviel Rücksichtnahme auf andere erfordert. An Mode und Vergnügungen außer Haus ist sie wenig interessiert. Sie besitzt keine intellektuellen, kulturellen oder politischen Neigungen oder Fähigkeiten. Sie hängt an der guten alten Zeit, kommt nicht mehr ganz mit und erwartet von der Zukunft eigentlich nichts Gutes. Sie macht sich Sorgen um ihre Gesundheit. Sie verwendet kaum moderne Produkte und besitzt nur wenig technische Geräte . VI. Kristin, die positiv Emanzipierte: Sie ist jung, ausgeglichen, denkt modern, hat Sinn für neue Dinge, Ungewohntes und Fremdes. Sie strebt danach, neue Erfahrungen zu machen. Sie ist im positiven Sinne, d.h. ohne "intellektuelle Aggressionen" gegen die Männer oder die ältere Generation, emanzipiert. Über Erziehung, Moral, Gesellschaft und Politik hat sie moderne, liberale Ansichten. Sie ist sportlich, optimistisch und vital, geht gerne aus, tanzt und liebt moderne Musik. Sie glaubt an den Fortschritt und ist aktiv und selbstbewusst. Entsprechend ihrer besseren Ausbildung geht sie einem besseren Beruf nach und strebt hier nach Erfolg und Leistung. Obwohl sie auf gutes, besonderes Essen und Trinken großen Wert legt, kocht sie selbst nicht gerne, denn sie hat kein Interesse für ein Dasein als Hausfrau und Mutter. Sie ist gesellig und fühlt sich auch für ihre Mitmenschen verantwortlich, ihre Freunde sucht sie sehr sorgfältig aus . Ihre sachliche und realistische Weltanschauung hindert sie nicht daran, ihre Gefühle zu zeigen und wichtig zu nehmen. Sie kann es sich leisten, moderne und qualitativ hochwertige Produkte zu verwenden. Quelle: In Anlehnung an Steinhausen/ Steinhausen 1977, S. 24 ff. Abb. 2.139: Zwei beispielhafte personifizierte Cluster einer Life-Style-Typologie <?page no="259"?> Marktsegmentierung 237 33.2.4 Marktsegment-Management Sind die Marktsegmente identifiziert worden, stellen sich folgende Fragen: Welche Marktsegmente sollen überhaupt bearbeitet werden (Marktsegmentauswahl)? Wie sind die Marketinginstrumente für die ausgewählten Marktsegmente einzusetzen (Marktsegmentbearbeitung)? Beide Fragen sind zu beantworten im Rahmen des Marktsegment-Managements bzw. der Marktbearbeitung. 3.2.4.1 Auswahl der Marktsegmente Im Regelfall ist es nicht möglich (z.B. aus finanziellen oder kapazitativen Gründen), alle identifizierten Marktsegmente zu bearbeiten. Es muss daher eine Auswahl erfolgen, welche sich an den verfolgten Unternehmensbzw. Geschäftsbereichszielen zu orientieren hat. Die einzelnen Marktsegmente werden also hinsichtlich ihres Beitrags zur Erfüllung der verfolgten Ziele bewertet. Wird mehr als ein Ziel verfolgt, so kann hierfür ein Scoring-Modell herangezogen werden (vgl. zur Vorgehensweise im Rahmen eines Scoring-Modells und dessen Beurteilung i.E. Berndt/ Fantapié Altobelli/ Sander 2020, S. 141 ff. sowie Abschnitt 2.1.3.1.4 im 3. Teil). Hierfür werden aus den verfolgten Zielen zunächst Kriterien abgeleitet, welche gemäß ihrer Bedeutung gewichtet werden. Die einzelnen Marktsegmente werden anschließend im Hinblick auf ihre jeweilige Kriterienerfüllung bewertet; dies geschieht unter Verwendung einheitlicher Skalen durch Vergabe eines Punktwerts pro Marktsegment und Kriterium. Die Gesamtbewertung eines Marktsegmentes erfolgt mit Hilfe der gewichteten Gesamtpunktzahl 1 J i j ji j GGPZ g w mit: GGPZ i = gewichtete Gesamtpunktzahl für das Marktsegment i j g = Gewicht des Kriteriums j ji w = Punktwert des Marktsegments i hinsichtlich Kriterium j Abb. 2.140 zeigt ein einfaches Beispiel zur Bewertung zweier Marktsegmente. Für die Kriterien wurde dabei eine Skala von 1 (ungünstigste Ausprägung) bis 10 (günstigste Ausprägung) herangezogen. Offensichtlich ist im Beispiel der Abb. 2.140 das Marktsegment 2 gegenüber dem Marktsegment 1 vorzuziehen. Eine Erweiterung erfährt das Scoring-Modell durch den Einbezug von K.O.-Kriterien. Wenn diese Kriterien nicht erfüllt sind, scheidet das Marktsegment - auch bei gutem Abschneiden bei anderen Kriterien - aus der weiteren Betrachtung aus. Beispielsweise kommt die Bearbeitung eines Niedrigqualität-Marktsegments für einen Premiumanbieter - bei Verwendung derselben Marke - aus Imagegründen nicht in Betracht, auch wenn sich (zumindest kurzfristig) erhebliche Gewinne erzielen lassen würden. Langfristig würde hierdurch die Marke des Premiumanbieters Schaden erleiden. Derartige K.O.-Kriterien können auch im Vorfeld vor Anwendung eines Scoring-Modells herangezogen werden. Auf diese Weise können unattraktive Marktsegmente von vornherein aus der weiteren Betrachtung ausgeschlossen werden. <?page no="260"?> 238 Marktinformationen Die konkrete Anzahl der zu bearbeitenden Marktsegmente ergibt sich aus der Betrachtung von unternehmensinternen und unternehmensexternen Begrenzungsfaktoren (vgl. Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2019, S. 335 f.). Unternehmensinterne Begrenzungsfaktoren bestehen in erster Linie aus Restriktionen hinsichtlich der Produktions- und Managementkapazität und -qualität sowie finanziellen und organisatorischen Gegebenheiten. Unternehmensexterne Begrenzungsfaktoren können in rechtlichen und technologischen Beschränkungen (z.B. existierende Patente) sowie bereits von Konkurrenzunternehmen besetzten Distributionskanälen bestehen. 3 3.2.4.2 Bearbeitung von Marktsegmenten In unmittelbarem Zusammenhang mit der Auswahl von Marktsegmenten steht die Entscheidung hinsichtlich der Art der Bearbeitung der Segmente. Von besonderer Bedeutung ist dabei, wie die Ausprägungen der relevanten Segmentierungskriterien (vgl. Abschnitt 3.2.2.1.1 in diesem Teil) angeordnet sind. Im einfachen zweidimensionalen Fall ergeben sich die in Abb. 2.141 dargestellten Möglichkeiten. Im Falle eines diffusen Marktes sind die Ausprägungen der Segmentierungskriterien mehr oder weniger gleichmäßig über das gesamte Spektrum verteilt. Hier bietet sich als Marktbearbeitungsstrategie ein undifferenziertes Marketing an, d.h. ein einziges Produkt wird mit nur einem einzigen Marketingprogramm für den Gesamtmarkt angeboten. Mehrere spezielle Produktvarianten, welche mit verschiedenen Marketingprogrammen vermarktet werden, lohnen sich wegen nicht vorhandener, ausreichend großer und voneinander getrennter Marktsegmente nicht. Auch im Falle eines homogenen Marktes bietet sich ein undifferenziertes Marketing an. Hier besteht lediglich ein einziges Marktsegment, welches mit nur einem auf dieses Segment zugeschnittenen Produkt hinreichend bearbeitet werden kann. Kriterien g j Umsatzpotenzial Gewinnpotenzial Konkurrenzsituation Stabilität Komplexität Ansprechbarkeit/ Erreichbarkeit 0,2 0,25 0,2 0,15 0,1 0,1 6 6 5 6 3 4 7 6 3 4 7 9 GGPZ i 5,3 5,7 Abb. 2.140: Ein Scoring-Modell zur Beurteilung von Marktsegmenten Marktsegment 2 w j2 Marktsegment 1 w j1 <?page no="261"?> Marktsegmentierung 239 Ist schließlich ein gruppierter Markt gegeben, so liegen mehrere voneinander getrennte Marktsegmente vor. Hier ist zusätzlich zu entscheiden, wie viele Marktsegmente bearbeitet werden sollen. Wird nur ein Marktsegment (oder sehr wenige Marktsegmente aus einer Vielzahl identifizierbarer Marktsegmente) bearbeitet, so liegt ein konzentriertes Marketing vor (Marktnischenstrategie). Ein differenziertes Marketing ist gegeben, wenn (nahezu) alle Marktsegmente mit unterschiedlichen Marketingprogrammen angesprochen werden. Ob ein differenziertes oder ein konzentriertes Marketing bei einem gruppierten Markt vorteilhaft ist, hängt unter der Zielsetzung der Gewinnerzielung bzw. -maximierung von den jeweiligen Marktbearbeitungskosten (für unterschiedliche Produktvarianten und Marketingprogramme) ab. Abb. 2.142 zeigt zusammenfassend die wesentlichen Vor- und Nachteile eines undifferenzierten, konzentrierten und differenzierten Marketing auf. Segmentierungskriterium 1 diffuser Markt Segmentierungskriterium 2 Segmentierungskriterium 1 gruppierter Markt Segmentierungskriterium 2 Segmentierungskriterium 1 homogener Markt Segmentierungskriterium 2 Quelle: Berndt 1995a, S. 341 Abb. 2.141: Homogene, gruppierte und diffuse Märkte <?page no="262"?> 240 Marktinformationen Abb. 2.142: Vor- und Nachteile alternativer Marktbearbeitungsstrategien Undifferenziertes Marketing Konzentriertes Marketing Differenziertes Marketing Vorteile Nachteile Standardisierung und Massenproduktion führen zu niedrigen Stückkosten Hohe Wettbewerbsintensität, wenn mehrere Konkurrenten mit ebenfalls undifferenzierter Marketingstrategie vorhanden Optimale Ausrichtung auf die Bedürfnisse des jeweiligen Segments führt im Regelfall zu hohen Gewinnen Detaillierte Kenntnis des Unternehmens über das jeweils bearbeitete Segment Beschränkter Ressourceneinsatz aufgrund überschaubarer Segmentgröße Keine bzw. nur geringe Risikostreuung bei Beschränkung auf ein bzw. wenige Segmente Unzureichende Ausschöpfung des Gesamtmarktpotenzials Weitgehende Ausschöpfung des Marktpotenzials führt zu hohen Umsätzen Breite Risikostreuung durch Vielzahl bearbeiteter Segmente Hoher Ressourceneinsatz zur differenzierten Bearbeitung der Segmente nötig Kannibalisierung einzelner Segmente bei zu ausgeprägter Substitutionsmöglichkeit Stückkostennachteile im Vergleich zu undifferenziertem und konzentriertem Marketing <?page no="263"?> Marktprognosen 241 33.3 Marktprognosen 3.3.1 Grundlagen 3.3.1.1 Begriff der Prognose Unter einer Prognose versteht man eine auf Informationen gestützte Aussage über zukünftige Ereignisse bzw. Entwicklungen. Diese Informationen können in Form von Vergangenheitsdaten, Erfahrungen und/ oder subjektiven Urteilen bestehen (vgl. Berndt 1996, S. 247). Aufgrund der Zukunftsbezogenheit sind Prognosen stets mit Unsicherheit behaftet. Prognostizierte Ereignisse und Entwicklungen können daher mehr oder weniger von den tatsächlich eintretenden Entwicklungen bzw. Ereignissen abweichen. Welches der grundsätzlich zur Verfügung stehenden Prognoseverfahren (vgl. die folgenden Abschnitte 3.3.2 und 3.3.3 in diesem Teil) für die jeweils vorliegende Problemstellung geeignet ist, kann daher nur im Einzelfall entschieden werden. Dabei gilt, dass komplexe Prognoseverfahren nicht unbedingt eine höhere Prognosegüte erzielen als einfache Prognosemethoden. Im Rahmen der betrieblichen Praxis kann jedoch keinesfalls auf Prognosen verzichtet werden, da sie wesentlicher Bestandteil der betrieblichen Planung sind. Prognosen finden beispielsweise Anwendung im Rahmen der Absatz-, Finanz-, Beschaffungs- und Produktionsplanung. So gibt die Absatzplanung die Zahl der (voraussichtlich) im Prognosezeitraum abzusetzenden Produkte an, welche im Rahmen der Produktionsplanung hergestellt werden müssen. Die Produktionsplanung ist wiederum maßgeblich für die Beschaffungsplanung, im Rahmen derer die Anzahl der zu beschaffenden Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe bzw. Produktionsfaktoren festgelegt werden muss. Die Finanzplanung schließlich stellt Vorhersagen über den Finanzmittelzu- und -abfluss zur Verfügung und deckt damit finanzielle Überschüsse bzw. Unterdeckungen auf. Andere Vorhersagen über die Zukunft wie Hellseherei, Prophetie oder Vermutungen werden nicht als Prognosen im hier verstandenen Sinne gewertet, da sie nicht informationsbasiert sind. Eine Abgrenzung zur Prognose kann jedoch im Einzelfall schwierig sein. 3.3.1.2 Formen von Prognosen Prognosen können in Abhängigkeit vom konkreten Prognoseproblem vielfältige Formen annehmen. Als Kriterien zur Einteilung von Prognosen können die Form der Messung, die Art der unabhängigen Variablen, die Anzahl der unabhängigen Variablen, die Art der abhängigen Variablen, der Bezugszeitraum der Prognose, die Ebene der Prognose, das Bezugsobjekt sowie die Art der Einflussgrößen herangezogen werden (vgl. Bruhn 2022b, S. 109 f.; Berndt 1996, S. 247 ff.). Hinsichtlich der Form der Messung ist zwischen qualitativen und quantitativen Prognosen zu unterscheiden. Während quantitative Prognosen auf mathematisch-statistischen Verfahren beruhen, basieren <?page no="264"?> 242 Marktinformationen qualitative Prognosen nicht auf formalen Lösungsalgorithmen, sondern auf subjektiven Einschätzungen bzw. heuristischen Verfahren. Die Art der unabhängigen Variablen entscheidet darüber, ob Entwicklungs- oder Wirkungsprognosen vorliegen. Ist die unabhängige Variable die Zeit, so liegt eine Entwicklungsprognose vor. Ist hingegen eine ökonomische Instrumentalvariable (z.B. Preis, Werbeaufwand) die unabhängige Variable, so ist eine Wirkungsprognose gegeben. Gemäß der Anzahl der unabhängigen Variablen kann zwischen univariaten und multivariaten Prognosen unterschieden werden. Liegt nur eine unabhängige Variable (z.B. die Zeit) vor, so ist eine univariate Prognose gegeben, bei mehreren Erklärungsvariablen (z.B. Preis, Werbe- und Distributionsbudget) liegt entsprechend eine multivariate Prognose vor. Die Art der abhängigen Variablen entscheidet über die eigentlich zu prognostizierende Größe. Typische Prognosegrößen im Marketing sind Absatz-, Umsatz-, Marktanteils- oder Gewinnprognosen. Hinsichtlich des Prognosezeitraumes kann zwischen kurz-, mittelbis langfristigen Prognosen unterschieden werden. Auch wenn die Einordnung von dem jeweiligen Prognoseproblem abhängt, so kann im Allgemeinen von einer kurzfristigen (mittelfristigen bzw. langfristigen) Prognose gesprochen werden, wenn der Prognosezeitraum bei unter 3 Monaten (bei 3 Monaten bis zu 2 Jahren bzw. über 2 Jahren) liegt. Die Ebene der Prognose entscheidet darüber, ob sich die Prognose auf das Unternehmen bzw. einen Teilbereich des Unternehmens, auf Teilmärkte oder auf den Gesamtmarkt bezieht. Hinsichtlich des Kriteriums „Bezugsobjekt“ wird hinterfragt, auf wen sich die Prognose richtet. Diesbezüglich kann zwischen Konsumenten-, Konkurrenz-, Absatzmittlersowie Umfeldprognosen differenziert werden. Schließlich erklärt die Art der Einflussgrößen darüber, ob eine Saisonprognose, eine Konjunkturprognose oder eine Wachstumsprognose vorliegt. Abb. 2.143 fasst die Formen von Prognosen im Überblick zusammen. Die weiteren Ausführungen orientieren sich an der Einteilung in quantitative und qualitative Prognosemethoden. 33.3.2 Quantitative Prognosemethoden Quantitative Prognosemethoden verwenden formale Lösungsalgorithmen. Sie können eingeteilt werden in einfache und komplexe Prognosemethoden. 3.3.2.1 Einfache Prognosemethoden Zu den einfachen Prognosemethoden zählen das arithmetische Mittel, die (gewogenen) gleitenden Durchschnitte, die exponentielle Glättung sowie die (einfache) Trendextrapolation. Mit Hilfe dieser Methoden ist es möglich, Entwicklungsprognosen abzuleiten. Die Basis hierfür bieten bereits vorliegende Daten aus der Vergangenheit (z.B. Umsatz- oder Absatzdaten) 1 2 , , ..., T T T n y y y . Gesucht ist jeweils der Prognosewert für die Periode . Das arithmetische Mittel, die (gewogenen) gleitenden Durchschnitte sowie die exponentielle Glättung können bei konstantem Verlauf der zu prognostizierenden Variablen (also nur Zufallsschwankungen um einen konstanten Wert) herangezogen werden, die Trendextrapolation ist ein geeignetes Prognoseverfahren bei trendmäßigem Verlauf der zu prognostizierenden Größe. <?page no="265"?> Marktprognosen 243 3.3.2.1.1 Arithmetische Mittel und gleitende Durchschnitte Eine Prognose auf Basis des arithmetischen Mittels ergibt sich gemäß 1 * 1 T T t t T n y y n Hier werden - im Gegensatz zum Verfahren der (gewogenen) gleitenden Durchschnitte - alle vorhandenen Daten aus der Vergangenheit berücksichtigt. Sie gehen jeweils mit demselben Gewicht 1 n in die Prognose ein. Ältere Daten finden damit für die Prognose im gleichen Ausmaß Formen der Marktprognose Ebene der Prognose Bezugszeitraum der Prognose Art der abhängigen Variablen Art der unabhängigen Variablen Anzahl der unabhängigen Variablen Art der Einflussgrößen Bezugsobjekt Form der Messung Gesamtmarktbezogene Prognosen Teilmarktbezogene Prognosen Gesamtunternehmensbezogene Prognosen Teilunternehmensbezogene Prognosen (z.B. Geschäftsbereichsprogno sen) Absatzprognosen Umsatzprognosen Marktanteilspro gnosen Gewinnprognosen Entwicklungspro gnosen Wirkungsprogno sen univariate Prognosen multivariate Prognosen Kurzfristige Prognosen Mittelfristige Progno sen Langfristige Prognosen Saisonprognosen Konjunkturprognosen Wach stumsprognosen Konsumentenprognosen Konkurrenzprognosen Absatzmittlerprognosen Umfeldprognosen Quantitative Prognosen Qualitative Prognosen Quelle: In Anlehnung an Bruhn 2022b, S. 110 Abb. 2.143: Formen von Prognosen <?page no="266"?> 244 Marktinformationen Berücksichtigung wie jüngere Daten. Die prognostische Relevanz der Daten wird damit als unabhängig von ihrem Alter angesehen. Beim Verfahren der gleitenden Durchschnitte hingegen wird immer eine konstante Anzahl von Vergangenheitswerten für die Prognose herangezogen. Damit wird einer Veralterung der in die Prognose eingehenden Daten vorgebeugt. Der älteste in die Prognose eingehende Wert ist m Perioden von dem zu prognostizierenden Wert entfernt. Der Prognosewert ergibt sich damit als 1 * 1 T T t t T m y y m Abb. 2.144: Prognose auf Basis des arithmetischen Mittels, der gleitenden Durchschnitte und der gewogenen gleitenden Durchschnitte Ausgangssituation: Prognose: Prognosewerte T Absatzmenge Arithmetisches Gleitende Gewogene gleitende (in 1.000 Stück) Mittel Durchschnitte Durchschnitte ( m=3) (m=3; g T-1 =0,5; g T-2 =0,3; g T-3 =0,2) 1 234 2 236 3 229 4 232 5 240 6 235 7* *Prognosewert - 234 235 233 232,75 234,20 234,33 - - - 233 232,33 233,67 235,67 - - - 232,1 231,9 235,4 235,9 T Absatzmenge (in 1.000 Stück) 1 234 2 236 3 229 4 232 5 240 6 235 <?page no="267"?> Marktprognosen 245 Hier geht jeder Vergangenheitswert mit dem Gewicht 1 m ein. Möchte man eine unterschiedliche prognostische Relevanz einzelner Vergangenheitswerte (z.B. je jünger, desto wichtiger für die Prognose) berücksichtigen, so ist dies durch eine entsprechende Gewichtung 1, ..., t g t T T m möglich. Formal lautet die Prognose auf Basis der gewogenen gleitenden Durchschnitte 1 * T T t t t T m y g y Abb. 2.144 zeigt anhand eines Beispiels, wie der Prognosewert für die Absatzmenge eines Produktes für die Periode T * = 7 auf Basis des arithmetischen Mittels, der gleitenden Durchschnitte und der gewogenen gleitenden Durchschnitte errechnet wird. Zusätzlich sind rückwirkend die jeweiligen Prognosewerte für die Perioden T = 2 bis 6, soweit möglich, angegeben. 3.3.2.1.2 Exponentielle Glättung Charakteristisch für die exponentielle Glättung ist die Tatsache, dass die Vergangenheitswerte nicht mit gleichem Gewicht in die Prognose eingehen, sondern mit umso geringerem (höherem) Gewicht, je älter (jünger) die Daten aus der Vergangenheit sind. Der Prognosewert für die Periode T ergibt sich bei der exponentiellen Glättung (1. Ordnung) als * * * 1 1 1 T T T T y y a y y , d.h. es wird der Prognosewert der Vorperiode herangezogen und der mit dem Glättungsfaktor a gewichtete Prognosefehler der Vorperiode hinzuaddiert. Beachtet man, dass auch * * * 1 2 2 2 T T T T y y a y y * * * 2 3 3 3 T T T T y y a y y usw. gilt, erhält man durch rekursives Einsetzen in die Formel für * T y folgenden Ausdruck: 2 * 1 2 3 1 0 1 1 ... 1 T T T T t T t t y a y a a y a a y a a y <?page no="268"?> 246 Marktinformationen Abb. 2.145: Die Größe des Gewichtungsfaktors a(1-a) t für alternative Parameter im Rahmen der exponentiellen Glättung a t 0 1 2 3 4 0,1 0,09 0,081 0,0729 0,06561 0,2 0,16 0,128 0,1024 0,08192 0,3 0,21 0,147 0,1029 0,07203 0,4 0,24 0,144 0,0864 0,05184 0,5 0,25 0,125 0,0625 0,03125 0,6 0,24 0,096 0,0384 0,01536 0,7 0,21 0,063 0,0189 0,00567 0,8 0,16 0,032 0,0064 0,00128 0,9 0,09 0,009 0,0009 0,00009 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 T Absatzmenge (in 1.000 Stück) Prognose per exponentieller Glättung (a=0,2) 1 234 - 2 236 234 3 229 234,4 4 232 233,32 5 240 233,06 6 235 234,45 7* 234,56 Abb. 2.146: Prognose mittels der exponentiellen Glättung * Prognosewert Da der Glättungsfaktor lediglich Werte zwischen 0 und 1 annehmen kann, nimmt das Gewicht weiter zurückliegender Werte infolge der Potenzierung exponentiell ab. Dies zeigt Abb. 2.145. Dabei gilt, dass die Prognose umso sensitiver auf jüngste Entwicklungen bzw. Daten reagiert, je größer der Glättungsfaktor a ist (und umgekehrt). Zwar nimmt die Bedeutung bzw. das Gewicht der Vergangenheitswerte unabhängig von der Größe des Glättungsfaktors a stets ab, je weiter sie zurückliegen, bei kleinem (großem) Wert von a ist das Gewicht älterer Daten jedoch vergleichsweise groß (klein). Die konkrete Festlegung der Ausprägung des Glättungsfaktors a kann z.B. per Expertenschätzung erfolgen. Abb. 2.146 zeigt für das Beispiel in Abb. 2.144 die Prognosewerte (auch zurückliegend) auf Basis der exponentiellen Glättung für den Fall eines Glättungsfaktors von a = 0,2 auf. <?page no="269"?> Marktprognosen 247 3.3.2.1.3 Trendextrapolation Liegt kein konstanter, nur von Zufallsschwankungen beeinflusster Verlauf der Datenreihe aus der Vergangenheit vor, sondern weist das Datenmaterial einen trendförmigen Verlauf auf, so kann auf die Trendextrapolation als Prognoseverfahren zurückgegriffen werden. Basis der einfachen linearen Trendextrapolation ist die Methode der kleinsten Quadrate (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.3 in diesem Teil). Bildlich gesprochen soll eine lineare Funktion der Form * ˆ ˆ T y t durch eine Punktwolke bzw. das vorliegende Datenmaterial derart gelegt werden, dass diese Gerade das Datenmaterial bestmöglich repräsentiert. Hierzu wird gemäß der Methode der kleinsten Quadrate die Summe der quadrierten Abweichungen zwischen dem tatsächlichen Vergangenheitswert und den per - zu ermittelnder - Trendgerade geschätzten Wert minimiert: (1) 2 2 * 2 1 1 1 ˆ ˆ min! n n n t t T t t t t e y y y t Ausprägung der Variablen t ˆ + ˆ = y * T X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X t e t y * T y X X X X X X X X X X X Periode t Abb. 2.147: Grafische Darstellung der Trendextrapolation . (z.B. Absatzmenge) * T y t y t <?page no="270"?> 248 Marktinformationen Abb. 2.147 verdeutlicht den Sachverhalt an einem Beispiel. Die gesuchten Parameter ˆ und ˆ erhält man durch Ableiten von Gleichung (1) nach ˆ und ˆ und Nullsetzen der Ableitungen. Durch Umformungen ergibt sich dann ˆ ˆ y t und 1 2 2 1 1 ˆ 1 n t t n t t y y t n t t n mit 1 1 n t t y y n 1 1 n t t t n Periode t Umsätze U(t) t 2 (in Mio. Euro) 1 10 10 1 2 10,5 21 4 3 10,8 32,4 9 4 11,5 46 16 5 12,3 61,5 25 6 13,5 81 36 7 14 98 49 8 14,3 114,4 64 9 14,8 133,2 81 10 15,5 155 100 = 55 = 127,2 = 752,5 = 385 t = 5,5 U = 12,72 Abb. 2.148: Beispiel für die Ermittlung einer Trendgeraden 2 5 , 5 385 10 1 / 5 , 5 72 , 12 5 , 752 10 1 - - 641212121 , 0 193333333 , 9 t 641 , 0 193 , 9 ) t ( U ^ ^ ^ t U(t) <?page no="271"?> Marktprognosen 249 Abb. 2.148 enthält ein Zahlenbeispiel zur Ermittlung einer Geraden auf Basis einer Trendextrapolation. Prognosewerte für zukünftige Perioden werden ermittelt, indem die entsprechenden Periodenwerte in die unabhängige Variable t der Trendgeraden eingesetzt werden. Für die Periode t = 11 (t = 12) ergibt sich somit ein Prognosewert von 16,244 Mio. € (16,885 Mio. €). 33.3.2.2 Komplexe Prognosemethoden Zu den komplexen Prognosemethoden zählen Indikatorprognosen, Trendextrapolationen mit Saisoneffekten oder nicht-linearen Spezifikationen, Prognosen auf Basis von Strukturmodellen, Prognosen auf Basis von Wachstumsfunktionen sowie Prognosen auf Basis von Marktreaktionsfunktionen. Im Gegensatz zu den dargestellten einfachen Prognosemethoden ist die Bestimmung von zukünftigen Ausprägungen der Prognosevariablen auf Basis dieser Methoden deutlich aufwendiger. 3.3.2.2.1 Indikatorprognosen Im Rahmen von Indikatorprognosen wird versucht, eine oder mehrere Variablen (Indikatoren) zu finden, welche in einem statistisch signifikanten Zusammenhang zur Prognosevariablen stehen. Gleichzeitig müssen diese Indikatoren der Prognosevariablen zeitlich vorauslaufen. Anhand einer Graphik lässt sich dies wie folgt veranschaulichen (vgl. Abb. 2.149): Gegeben ist die Zeitreihe der Prognosevariablen. Gesucht ist ein möglichst perfekter Indikator (oder mehrere Indikatoren) in dem Sinne, dass dessen Zeitreihe den weitestgehend gleichen, nur zeitlich versetzten Verlauf aufweist. Liegt ein derartiger Indikator vor und sind dessen Ausprägungen bekannt, so kann von der Ausprägung des Indikators auf die (zukünftige) Ausprägung der Prognosevariablen geschlossen werden. Die Güte des Indikators hinsichtlich seiner Prognosequalität kann dabei mittels sog. Lag-Korrelationskoeffizienten gemessen werden, welche die Stärke des Zusammenhanges zwischen Indikator und Prognosevariable messen (vgl. z.B. Hilber 1981, S. 226). Je näher der Betrag des Lag-Korrelationskoeffizienten am Wert 1 liegt, desto besser ist die Prognosequalität des Indikators (zum Korrelationskoeffizienten vgl. auch Abschnitt 3.1.4.3.2 in diesem Teil). Ab einem Wert von 0,8 spricht man i.A. von einem sehr guten Indikator. Liegen mehrere geeignete Indikatoren als erklärende Variablen für die Entwicklung der Prognosevariablen vor, so kann auf das Instrument der multiplen Regressionsanalyse (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.3 in diesem Teil) zurückgegriffen werden. Eine besonders wichtige Aufgabe besteht in diesem Zusammenhang darin, die geeignete Lag-Struktur herauszufinden, d.h. welches der adäquate Vorlaufzeitraum der jeweiligen Variable gegenüber der Prognosevariablen ist. Die Beurteilung der aufgefundenen Regressionsfunktion kann dann mittels der herkömmlichen statistischen Maße (z.B. Bestimmtheitsmaß) bzw. mittels Signifikanztests (F-Test bzw. t-Test) erfolgen (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.3 in diesem Teil). Die Indikatoren selbst können sehr vielfältig sein. Typische Indikatoren sind makroökonomische Indikatoren, Indikatoren auf Basis institutioneller oder technischer Relationen sowie sozio-demographische und sozio-ökonomische Indikatoren <?page no="272"?> 250 Marktinformationen (vgl. Meffert 1992, S. 351 ff.). Häufig verwendete makroökonomische Indikatoren sind z.B. der Geschäftsklimaindex, der Index der industriellen Nettoproduktion, der Auftragsbestand sowie das verfügbare Einkommen. Indikatoren auf Basis institutioneller oder technischer Relationen weisen häufig einen besonders engen Zusammenhang zur Prognosevariablen auf. So kann der Absatz eines Produktes häufig als Indikator für den (zeitlich versetzten) Kauf eines Komplementärgutes (z.B. Absatz von DVD-Playern und Absatz von DVDs) herangezogen werden. Auch weist das durchschnittliche Alter bestimmter Gebrauchsgüter (z.B. Autos, Geräte der Unterhaltungselektronik) in den Haushalten auf einen Ersatzbedarf in gewisser Höhe in der Zukunft hin. Mittelbis langfristige Prognosen lassen sich insbesondere unter Verwendung sozio-demographischer und sozio-ökonomischer Indikatoren ableiten. Geeignete Indikatoren in diesem Bereich sind u.a. die Altersstruktur der Bevölkerung, die zahlenmäßige Gesamtbevölkerungsentwicklung, die Haushaltsstruktur sowie generelle Wertetrends. 3.3.2.2.2 Trendextrapolationen mit Saisoneffekten oder nicht-linearen Spezifikationen Häufig werden ökonomische Sachverhalte (z.B. Absatzmengenentwicklungen) von Saisoneffekten beeinflusst. Einfache Trendextrapolationen (vgl. Abschnitt 3.3.2.1.3 in diesem Teil) können derartige Effekte nicht abbilden. Als Folge hiervon ergibt sich eine schlechte Prognosequalität mittels einer einfachen Trendgeraden, welche mit hohen Werten der Residuen e verbunden ist (vgl. auch Abb. 2.147). Sind periodische Schwankungen bei der Prognosevariablen erkennbar, so können diese durch den Einbezug von 0/ 1-Variablen berücksichtigt werden. Das entsprechend modifizierte Modell mit Saisoneffekten lautet dann im Falle von k Perioden bzw. Saisoneffekten Ausprägungen von Indikator und Prognosevariable Zeit Indikator Prognosevariable lag Prognostizierte Entwicklung der Prognosevariable auf Basis der Ausprägungen des Indikators Prognosezeitpunkt Abb. 2.149: Grundschema von Indikatorprognosen <?page no="273"?> Marktprognosen 251 * 1 1 2 2 1 ˆ ˆ ˆ ... , T k k k y x x x t wobei 1, ..., j x j k 0/ 1-Variablen darstellen. Bei Berücksichtigung von quartalsweisen Saisoneffekten gilt damit * 1 1 2 2 3 3 4 4 5 ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ T y x x x x t mit 1 im Quartal 1, ..., 4, 0 sonst j j x Das Absolutglied ist dabei jeweils im Koeffizienten enthalten, eine Trennung ist nicht möglich (vgl. auch Hammann/ Erichson 2000, S. 431). Abb. 2.150 zeigt ein Beispiel für eine Trendextrapolation unter Berücksichtigung von Saisoneffekten. Neben dem Einbezug von Saisoneffekten können auch nicht-lineare Spezifikationen von Trendextrapolationen Verwendung finden. Häufig ist nämlich die Annahme der Linearität des Verlaufs der Prognosevariablen - wie bei der einfachen Trendextrapolation unterstellt (vgl. Abschnitt 3.3.2.1.3 in diesem Teil) - verletzt. Angewandt werden können dann halblogarithmische Transformationen wie Jahr 1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal 4. Quartal 1 2 3 4 5 6 7 8 48,06 54,89 57,37 66,15 66,51 72,82 81,64 76,46 70,43 83,87 85,84 86,74 89,37 106,47 99,72 104,82 77,26 92,03 92,04 95,14 104,93 106,18 106,30 - 70,13 80,40 89,40 85,33 91,10 90,72 100,41 - Es ergibt sich folgende Funktion: Die Prognosewerte für die Quartale 31 und 32 lauten damit: t x x x x y T 11 , 1 0 , 69 6 , 79 1 , 73 8 , 48 4 3 2 1 * 114 31 11 , 1 6 , 79 * 31 y 105 32 11 , 1 0 , 69 * 32 y Quelle: Hammann/ Erichson 2000, S. 431 ff. Abb. 2.150: Ein Beispiel für eine Trendextrapolation mit Saisoneffekten <?page no="274"?> 252 Marktinformationen * ˆ ˆ log T y t oder * ˆ ˆ T t y x mit log t x t Die logarithmische Transformation der Prognosevariablen * T y berücksichtigt zunehmende absolute Zuwächse (z.B. bei konstanten Wachstumsraten = progressiver Verlauf), die logarithmische- Transformation von t hingegen führt zu abnehmenden Zuwächsen der Prognosevariablen (degressiver Verlauf). Wird ein Polynom vom Grade J gebildet, * 1 ˆ ˆ J T j jt j y x mit j jt x t so lassen sich parabelförmige (J = 2) und s-förmige (J = 3) Wachstumsverläufe nachzeichnen. 3.3.2.2.3 Prognosen auf Basis von Strukturmodellen Im Gegensatz zur Trendextrapolation wird in Strukturmodellen nicht die Zeit als unabhängige Variable verwendet, sondern es werden weitere erklärende Variablen (Prädiktorvariablen) herangezogen. Kennzeichnend für Strukturmodelle ist daher, dass mindestens zwei Zeitreihen (für die Prognosevariable sowie für mindestens eine Prädikatorvariable) gegeben sein müssen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Ein-Gleichungsmodellen und Mehr-Gleichungsmodellen. Ausgangspunkt von Ein-Gleichungsmodellen ist das allgemeine lineare Modell * 1 J T j jt t j y x mit: * T y = Prognosevariable = Absolutglied j = Regressionskoeffizient (j = 1, ..., J) x jt = Prädikatorvariable (j = 1, ..., J) t = Störterm Prädiktorvariablen können von Unternehmen beeinflussbar oder nicht beeinflussbar sein. Typische beeinflussbare Variablen sind die einzelnen Marketing-Instrumente, typische nicht beeinflussbare Variablen sind z.B. die Konkurrenzreaktionen oder bestimmte Umweltentwicklungen (z.B. Wechselkursverläufe, konjunkturelle Einflüsse). Letzteres weist bereits darauf hin, dass auch Indikatorvariablen (vgl. Abschnitt 3.3.2.2.1 in diesem Teil) als Prädiktorvariablen in ein Strukturmodell eingehen können. Diese sind - wie dargelegt - im Regelfall zeitverzögert zu modellieren. Darüber hinaus können in einem Strukturmodell auch Trend- und Saisonkomponenten (vgl. den vorangegangenen Abschnitt 3.3.2.2.2 in diesem Teil) integriert werden. Als Beispiel für die Prognose des Absatzes aus Sicht eines Anbieters von DVDs könnte folgende Modellspezifikation herangezogen werden: <?page no="275"?> Marktprognosen 253 mit: * T y = Absatzmenge in Periode T T W = Werbebudget in Periode T T p = Preis in Periode T T G = Anzahl von Geschäften in Periode T, welche das Produkt führen 1 T B = Bestand an DVD-Playern in der Vorperiode T 1 T = Störterm Welche Variablen in ein Strukturmodell einbezogen werden sollen, ist vorab aufgrund theoretischer bzw. sachlogischer Überlegungen zu klären. Der Einbezug vieler erklärender Variablen ist aufgrund der heutzutage vorliegenden leistungsfähigen Software kein Problem mehr. Allerdings erhöht sich hierdurch nicht unbedingt die Prognosegenauigkeit, da sich die Wahrscheinlichkeit von Messfehlern erhöht und verstärkt das Problem der Multikollinearität (Abhängigkeiten der unabhängigen Variablen untereinander) auftritt. Im Gegensatz zu Ein-Gleichungsmodellen bestehen Mehr-Gleichungsmodelle aus mehreren miteinander verbundenen (interdependenten) Gleichungen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen rekursiven und simultanen Gleichungssystemen (vgl. Hammann/ Erichson 2000, S. 460). Ein rekursives System ist z.B. 1 t t x y t t t y x z , ein simultanes Gleichungssystem hingegen t t x y t t t y x z In beiden Systemen liegt eine Wechselwirkung zwischen x und y vor, im rekursiven System eine zeitverzögerte Wirkung von y auf x, im simultanen System hingegen wirkt x auf y und y auf x in derselben Periode. Aufgrund schätztechnischer Probleme beim simultanen Gleichungssystem ist die Modellierung eines rekursiven Systems anzustreben. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Festlegung der Periodenlänge. Bei der Formulierung kurzer Periodenlängen kann ein simultanes Gleichungssystem häufig in ein rekursives Gleichungssystem überführt werden. 3.3.2.2.4 Prognosen auf Basis von Wachstumsfunktionen Zur Darstellung mittelbis langfristiger Entwicklungsprognosen kann auf sog. Wachstumsfunktionen (bzw. -modelle) zurückgegriffen werden. Hier wird die Entwicklung einer ökonomischen Größe in Abhängigkeit von der Zeit t dargestellt, wobei die Funktionsverläufe nicht-linearer Natur sind. Charakteristisch für Wachstumsfunktionen ist die Tatsache, dass ein oberer Grenzwert (Wachstumsgrenze, Sättigungswert) existiert, gegen den die Funktion konvergiert. Verwendung finden Wachstumsfunktionen insbesondere in Diffusionsmodellen, welche als so- <?page no="276"?> 254 Marktinformationen ziologische Modelle des Konsumentenverhaltens die Ausbreitung einer Innovation in einem sozialen System darstellen (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.4.2.1.2 in diesem Teil). Abb. 2.151 zeigt vier in diesem Zusammenhang besonders häufig herangezogene Wachstumsmodelle. Dabei gibt N die Wachstumsgrenze (z.B. Marktpotenzial), N(t) den Bestand in Periode t und ( ) d N t d t den Bestandszuwachs in der Periode t, bezogen auf die jeweilige Innovation (z.B. neues Produkt), an. Abb. 2.152 zeigt die Funktionsverläufe für den Bestand und den Bestandszuwachs bei den in Abb. 2.151 dargestellten Modellen für eine jeweils gegebene Parametersituation an. Wie deutlich wird, weist das exponentielle Modell einen konkaven Funktionsverlauf auf. Das logistische Modell, das Gompertz-Modell sowie das verallgemeinerte Modell, welches sich additiv aus dem exponentiellen und dem logistischen Modell zusammensetzt, bilden hingegen s-förmige Entwicklungen ab. Das logistische Modell und das Gompertz-Modell können dabei dahingehend unterschieden werden, dass der Funktionsverlauf beim Gompertz-Modell - im Gegensatz zum logistischen Modell - nicht symmetrisch zum Wendepunkt ist; der Wendepunkt wird bei einem geringeren Funktionswert erreicht. Welches Modell für das jeweils vorliegende Prognoseproblem das adäquate Modell ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Zur konkreten Parameterbestimmung ist auf Daten aus der Vergangenheit oder Expertenschätzungen zurückzugreifen. Sofern möglich, kann auch versucht werden, Parameterschätzungen aus ähnlich gelagerten Fällen (z.B. Rückgriff auf Wachstumsfunktionen bei verwandten Produkten) abzuleiten. Werden Vergangenheitsdaten verwendet, so können die Parameter mittels einer nicht-linearen Regressionsanalyse ermittelt werden. Für diese aufwendige, iterative Vorgehensweise müssen allerdings (grobe) Vorabschätzungen für die Parameterausprägungen bereits vorliegen. Wird die Parameterschätzung per Expertenbefragung vorgenommen, so werden die Experten im Regelfall nicht direkt nach den Parameterausprägungen befragt (vgl. hierzu auch Abschnitt 3.3.3.1.1 in diesem Teil). Vielmehr werden verschiedene Funktionsverläufe am Computer simuliert und dann versucht, für den adäquaten Funktionsverlauf die Parameter zu schätzen. Die Prognosegüte kann jeweils mittels des Bestimmtheitsmaßes ermittelt werden (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.3 in diesem Teil). Erweitert werden können die in Abb. 2.151 dargestellten Modelle dahingehend, dass die Wirkung einzelner Marketing-Instrumente explizit modelliert wird. Statt konstanter Koeffizienten a und b bei der Funktion für den Bestandszuwachs im verallgemeinerten Modell (vgl. Abb. 2.151) kann z.B. die Preispolitik wie folgt in das Modell integriert werden (vgl. Robinson/ Lakhani 1975): k pt t a a p a e und k pt t b b p b e mit k : Konstante. Unterschiedliche Preisstrategien (d.h. unterschiedliche Ausprägungen von p t im Zeitablauf) führen dann zu unterschiedlichen Verläufen für die Bestandsbzw. Bestandszuwachsfunktionen. Unter Berücksichtigung von Kostendaten lässt sich auf diese Weise die kapitalwertmaximale Preisstrategie ermitteln. Analog lässt sich die Werbepolitik berücksichtigen. Horsky/ Simon (1983) erweiterten das verallgemeinerte Modell, indem sie folgenden Zusammenhang berücksichtigten (vgl. auch Berndt 1996, S. 266): <?page no="277"?> Marktprognosen 255 1 2 ln t t a a W a a W mit: t W = Werbebudget in Periode t 1 2 , a a = Parameter (konstant) Auf diese Weise lässt sich wiederum unter Berücksichtigung von Kosteninformationen die kapitalwertmaximale Werbestrategie ermitteln. Schließlich besteht die Möglichkeit, von der Annahme eines konstanten oberen Grenzwerts N (Marktpotenzial, s. Abb. 2.151) abzugehen. Vielmehr kann dieser Grenzwert in Abhängigkeit von der Zeit als N t dynamisch formuliert werden, wobei N t im Zeitablauf steigen oder auch fallen kann. Die hinter der Variablen t jeweils stehenden Faktoren (z.B. Substituierbarkeit der betrachteten Innovation im Zeitablauf, Erhältlichkeit der Innovation, notwendige Komplementärprodukte zur Nutzung der Innovation usw.) müssen dabei im Einzelnen eruiert werden (vgl. hierzu Fantapié Altobelli 1991, S. 78 ff.). 3.3.2.2.5 Prognosen auf Basis von Marktreaktionsfunktionen Als Marktreaktionsfunktionen werden funktionale Zusammenhänge bezeichnet, bei denen eine ökonomische Variable (z.B. Absatzmenge, Umsatz) oder eine außerökonomische Variable (z.B. Bekanntheitsgrad, Einstellungen, Präferenzen) in Abhängigkeit von einer oder mehreren Marketing-Instrumentalvariablen (z.B. Preis, Werbebudget, Distributionsbudget, Produktqualität, Serviceniveau) gestellt wird (vgl. auch Steffenhagen 1978). Liegt eine derartige Marktreaktionsfunktion vor, so lassen sich Auswirkungen auf die abhängige Variable infolge einer Veränderung der Marketing-Instrumentalvariablen (z.B. Preisänderung) prognostizieren. Zu unterscheiden ist dabei zwischen monoinstrumentalen und polyinstrumentalen Marktreaktionsfunktionen. Bei monoinstrumentalen Marktreaktionsfunktionen wird explizit nur ein einziges Marketing-Instrument als unabhängige Variable in die Funktion aufgenommen. Bekannte und häufig verwendete monoinstrumentale Marktreaktionsfunktionen sind Preisabsatzfunktionen (vgl. Abschnitt 2.2.2.2.3.2.1 im 3. Teil) oder Werbewirkungsfunktionen (vgl. Abschnitt 2.3.5.3.2.3 im 3. Teil). Polyinstrumentale Marktreaktionsfunktionen hingegen umfassen explizit mehr als eine Marketing-Instrumentalvariable. Derartige Marktreaktionsfunktionen sind geeignet, einen optimalen Marketing-Mix zu bestimmen (vgl. Abschnitt 2.5.2.1 im 3. Teil). Abb. 2.153 zeigt ausgewählte monoinstrumentale und polyinstrumentale Marktreaktionsfunktionen in allgemeiner Formulierung auf. Unterstellt wird bei diesen Funktionen jeweils, dass alle nicht explizit als unabhängige Variable berücksichtigten Faktoren keinen Einfluss auf die abhängige Variable besitzen bzw. über den untersuchungsrelevanten Zeitraum konstant gehalten werden können. Möchte ein Unternehmen beispielsweise den Einfluss des Preises auf die Absatzmenge eines Produkts ermitteln, so müssen alle anderen Marketing-Instrumente (z.B. Werbung) ein konstantes Intensitätsniveau aufweisen. Diese ceteris-paribus-Bedingung ist immer dann unproblematisch, wenn die Einflussgrößen bzw. Marketing-Instrumente vom betrachteten Unternehmen kontrolliert werden können. Nicht vom Unternehmen kontrollierbare Einflussfaktoren (z.B. das Konkurrenzverhalten) müssen explizit in die Marktreaktionsfunktion aufgenommen werden, wenn davon auszugehen ist, dass sie einen Einfluss auf die interessierende abhängige Variable haben und gleichzeitig im untersuchungsrelevanten Zeitraum eine Variation in ihrem Intensitätsniveau (z.B. Konkurrenzpreisänderung) erfahren. <?page no="278"?> 256 Marktinformationen Quelle: Fantapié Altobelli 1991, S. 37 ff. Abb. 2.151: Bestandsentwicklung und Neuübernahmen einer Innovation in verschiedenen Wachstumsmodellen Exponentielles Modell: mit a: zu schätzender Koeffizient Logistisches Modell: mit b: zu schätzender Koeffizient Gompertz-Modell: mit b: zu schätzender Koeffizient Verallgemeinertes Modell: mit a, b: zu schätzende Koeffizienten <?page no="279"?> Marktprognosen 257 Quelle: Fantapié Altobelli 1991, S. 38 ff. Abb. 2.152: Beispielhafte Funktionsverläufe für den Bestand und den Bestandszuwachs bei verschiedenen Wachstumsmodellen 9 0 N(t) dN(t) dt , (Tausender) 3 6 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 10 20 30 40 50 60 80 70 90 0 dt ) t ( dN Periode N(t) 100 Exponentielles Modell ) 1 , 0 a ; 000 . 100 N ( _ 9 0 N(t) dN(t) dt , (Tausender) 100 3 6 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 10 20 30 40 50 60 80 70 90 0 dt ) t ( dN Periode N(t) . dt ) t ( dN * N( t * ) t * . Logistisches Modell ) 000004 , 0 b ; 000 . 100 N ( _ <?page no="280"?> 258 Marktinformationen Quelle: Fantapié Altobelli 1991, S. 38 ff. Abb. 2.152: (Forts.) 9 0 N(t) dN(t) dt , (Tausender) 100 3 6 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 10 20 30 40 50 60 80 70 90 dt ) t ( dN Periode N(t) . dt ) t ( dN * N( t * ) t * . 0 Verallgemeinertes Grundmodell ) 000002 , 0 = b ; 01 , 0 = a ; 000 . 100 = N ( _ 9 0 N(t) dN(t) dt , (Tausender) 3 6 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 10 20 30 40 50 60 80 70 90 dt ) t ( dN Periode N(t) 100 dt ) t ( dN * N(t * ) . . t * Gompertz-Modell ) 2 , 0 = b ; 000 . 100 = N ( _ 0 <?page no="281"?> Marktprognosen 259 Neben den einfachen in Abb. 2.153 gezeigten statischen Marktreaktionsfunktionen können zudem dynamische Marktreaktionsfunktionen formuliert werden. Im Gegensatz zu statischen Marktreaktionsfunktionen werden bei dynamischen Marktreaktionsfunktionen periodenübergreifende Effekte (sog. Carry-over-Effekte) oder Wirkungsverzögerungen (sog. Time-lag-Effekte) berücksichtigt. Konkret bedeutet dies, dass ein Marketing-Instrument (z.B. Werbung) nicht nur in der Periode seines Einsatzes, sondern auch noch in späteren Perioden nachwirkt (Carry-over- Effekt) bzw. noch nicht in der Periode seines Einsatzes, sondern erst in nachfolgenden Perioden Wirkungen entfaltet (Time-lag-Effekt). Derartige Effekte sind beispielsweise bei der Bestimmung optimaler Preisstrategien (vgl. Abschnitt 2.2.2.2.4.3 im 3. Teil) sowie optimaler Werbestrategien (vgl. Abschnitt 2.3.5.3.2.3.2 im 3. Teil) zu berücksichtigen. Abb. 2.154 zeigt ausgewählte dynamische Marktreaktionsfunktionen. Welche konkrete Funktionsform sich für eine Marktreaktionsfunktion eignet, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Für Preisabsatzfunktionen wird häufig eine linear fallende Funktion vom Typ x a b p mit: a, b = Parameter (konstant) oder eine multiplikative Funktion vom Typ d x c p mit: c, d = Parameter (konstant) Monoinstrumentale Marktreaktionsfunktionen x t = x t (p t ) Preisabsatzfunktion oder x t = x t (W t ) Werbewirkungsfunktion mit: x t = Absatzmenge in der Periode t p t = Preis der Periode t W t = Werbebudget in der Periode t Polyinstrumentale Marktreaktionsfunktionen x t = (p t ,W t ) x t = (p t ,W t ,V t ) mit: V t = Verkaufs- und Vertriebsbudget in der Periode t Abb. 2.153: Beispielhafte monoinstrumentale und polyinstrumentale Marktreaktionsfunktionen (statischer Fall) <?page no="282"?> 260 Marktinformationen verwendet (vgl. i.E. Abschnitt 2.2.2.2.3.2.1 im 3. Teil). Werbewirkungsfunktionen hingegen werden vielfach linear formuliert wie z.B. x e f W mit: e, f = Parameter (konstant) oder konkav wie z.B. x g h W mit: g, h = Parameter (konstant). In empirischen Untersuchungen konnten darüber hinaus auch s-förmige Werbewirkungsfunktionen mit zunächst überproportionalem und ab dem Wendepunkt unterproportionalem Anstieg der Funktionen festgestellt werden (vgl. i.E. Abschnitt 2.3.5.3.2.3.2 im 3. Teil). Hinsichtlich der konkreten Ermittlung von Marktreaktionsfunktionen kann auf mehrere Möglichkeiten verwiesen werden. Zunächst kann auf Basis von Daten aus der Vergangenheit versucht werden, einen funktionalen Zusammenhang zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen (z.B. per Regressionsanalyse, vgl. Abschnitt 3.1.4.3.3 in diesem Teil) aufzustellen. Liegen keine Vergangenheitsdaten vor, so kann die Ermittlung einer Marktreaktionsfunktion auch auf Basis von Experten- oder Konsumentenbefragungen erfolgen (vgl. den nachfolgenden Abschnitt 3.3.3 in diesem Teil). Schließlich ist eine Ermittlung von Marktreaktionsfunktionen auf experimentellem Wege möglich, indem die Marketing-Instrumentalvariablen unter kontrollierten Bedingungen systematisch variiert (z.B. Preishöhe) und die zugehörigen Ausprägungen der abhängigen Variablen (z.B. Absatzmenge) gemessen werden (vgl. auch Abschnitt 3.1.3.3.2.3 in diesem Teil). Die Auswertung dieser Daten kann dann wiederum per Regressionsanalyse erfolgen. 3.3.3 Qualitative Prognosemethoden Qualitative Prognosemethoden verzichten (weitgehend) auf formale Lösungsalgorithmen, sie greifen vielmehr auf Erfahrung, Intuition, subjektive Meinungen und Heuristiken zurück. Derartige Prognosen werden auf dem Wege der Befragung gewonnen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Expertenbefragungen und Konsumentenbefragungen. 3.3.3.1 Expertenbefragung Als Experten werden Personen bezeichnet, welche hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes (z.B. ein bestimmter Markt oder ausgewählte Marktsegmente, bestimmte Produkte) über ein fundiertes Fachwissen (Expertise) verfügen. Experten in diesem Sinne können sowohl die Geschäftsführung (bzw. allgemein das „Management“ oder Product Manager), der Außendienst als auch der Handel oder Absatzmittler sein. Auf eine Befragung derartiger Personen wird insbesondere dann zurückgegriffen, wenn kurzfristige Prognosen für neue Produkte, für welche noch keine bzw. kaum Informationen (z.B. Zeitreihendaten) vorliegen, erstellt werden sollen. Ein anderes Anwendungsfeld von Prognosen auf Basis von Expertenbefragungen besteht in der Durchführung von Langfristprognosen (z.B. über Marktund/ oder Nachfrageentwicklungen unter Berücksichtigung von Konkurrenzaktivitäten und technologischen Innovationen), welche aufgrund ihrer <?page no="283"?> Marktprognosen 261 Komplexität nicht modellhaft abbildbar sind. Abb. 2.155 zeigt auf, welche generellen Vor- und Nachteile mit Expertenbefragungen verbunden sind. 3.3.3.1.1 Kurzfristige Expertenprognose Kurzfristige Expertenprognosen können u.a. zur Schätzung von Marktreaktionsfunktionen (vgl. auch Abschnitt 3.3.2.2.5 in diesem Teil) herangezogen werden. Hier soll der Fall betrachtet werden, dass Experten eine Werbewirkungsfunktion schätzen sollen (vgl. Lilien/ Kotler 1983, S. 129 f.; Little 1970). Konkret soll die funktionale Abhängigkeit des ermittelten Marktanteils von den Werbeausgaben für ein bestimmtes Produkt ermittelt werden. Unterstellt wird dabei ein sförmiger Verlauf der Funktion. Hierfür gilt z.B. folgendes allgemeines Modell: 1 t t t t W , Q E E mit: E t = Einstellung gegenüber einem Produkt in Periode t Q t = Produktqualität in Periode t Werbewirkungsfunktion mit einperiodigem Time-lag-Effekt Monoinstrumentale Marktreaktionsfunktionen t t t t t t t t t t t t t t t t t t t t t t t t t t W W x x bzw W W x x bzw W W x x W W x x bzw W W x x W x x bzw W x x , . , . , , . , . 1 2 2 1 1 1 2 1 1 1 1 1 1 1 1 Polyinstrumentale Marktreaktionsfunktion Werbewirkungsfunktion mit einperiodigem Carry-over- Effekt Werbewirkungsfunktion mit einperiodigem Time-lag- und Carry-over-Effekt Abb. 2.154: Beispielhafte monoinstrumentale und polyinstrumentale Marktreaktionsfunktionen (dynamischer Fall) <?page no="284"?> 262 Marktinformationen x x W m a b a q W mit: m = Marktanteil W = Werbeausgaben für das Produkt a, b, x, q: Parameter der Funktion (von den Experten zu bestimmen). Zur Bestimmung der (noch unbekannten) Parameter werden folgende vier Fragen an den Experten gerichtet (vgl. hierzu Berndt 1996, S. 279 ff.): Frage 1: Welcher Marktanteil ergibt sich, wenn keine Werbung für das Produkt mehr betrieben würde? Frage 2: Welcher Marktanteil ergibt sich bei einem finanziell unbeschränkten Werbebudget? Frage 3: Welcher Werbeaufwand ist notwendig, um den derzeitigen Marktanteil des Produkts aufrechtzuerhalten? Frage 4: Welcher Marktanteil ergibt sich, wenn das Werbebudget gegenüber dem Aufrechterhaltungs-Werbebudget (aus Frage 3) um 50 % aufgestockt wird? Abb. 2.156 lässt erkennen, in welchem Zusammenhang die 4 Fragen mit dem s-förmigen Verlauf der Werbewirkungsfunktion stehen. Aufbauend auf den Ergebnissen der Befragung lässt sich nunmehr die konkrete Werbewirkungsfunktion bestimmen. Hierzu ist wie folgt vorzugehen: Auswertung von Frage 1: Gemäß Aussage des Experten resultiert im Falle keiner Werbung (W = 0) ein Marktanteil von m 0 . Wird dieses Wertepaar in die Werbewirkungsfunktion eingesetzt, so resultiert 0 0 m a b a a q Somit steht die konkrete Ausprägung des Parameters a fest. Auswertung von Frage 2: Wird ein unendlich großer Werbeaufwand betrieben (W ), so ergibt sich gemäß Schätzung des Experten ein Marktanteil von m . Wird auch dieses Wertepaar in die Werbewirkungsfunktion eingesetzt, so erhält man als Ergebnis einer Grenzwertbetrachtung lim 1 x x W W m a b a a b a b q W Damit ist auch die Ausprägung des Parameters b gegeben. Werden nun beide gefundenen Parameter in die Werbewirkungsfunktion eingesetzt, so resultiert 0 0 x x W m m m m q W <?page no="285"?> Marktprognosen 263 Qualitative Prognosen durch Befragung von Geschäftsführung, Management, Product Manager Außendienst Handel Vorteile: Schnelligkeit Einfachheit Expertenwissen Urteilsvermögen geringe Kosten Nachteile: Verzerrungen durch Ressortdenken Fehlendes Hintergrundwissen bei Fachfremden Vorteile: Schnelligkeit Einfachheit Marktkenntnisse geringe Kosten Fehlerausgleich bei großer Außendienstmitarbeiterzahl Nachteil: Verzerrungen durch die Gefahr der Verwendung von Prognosen für die zukünftigen Verkaufsziele Mangelnde Übersicht des einzelnen Außendienstmitarbeiters über Marketing-Strategie des Unternehmens Akzeptanzprobleme ständiger Befragungen Vorteile: unmittelbarer Kundenkontakt Nachteile: Verzerrungen durch massive Eigeninteressen möglich nur lückenhafte, zufällige Beobachtungen Quelle: In Anlehnung an Meffert 1992, S. 366 Abb. 2.155: Vor- und Nachteile von Expertenbefragungen <?page no="286"?> 264 Marktinformationen Zu ermitteln sind lediglich noch die Parameter q und x. Diese erhält man durch simultanes Lösen eines Gleichungssystems aus zwei Gleichungen. Die beiden benötigten Gleichungen ergeben sich aus den Fragen 3 und 4. Auswertung von Frage 3: Als Ergebnis von Frage 3 erhält man eine Schätzung über die Höhe des Werbeaufwands W, welche erforderlich ist, um den derzeitigen Marktanteil m zu halten. Die erste der beiden Gleichungen des Gleichungssystems lautet daher: 0 0 x x W m m m m q W Auswertung von Frage 4: Hier schätzt der Experte, welcher Marktanteil 1, 5 W m sich ergibt bei Aufstockung der Aufrechterhaltungswerbung W (aus Frage 3) um 50 %, also auf 1,5 W . Damit ist die zweite Gleichung des Gleichungssystems gegeben als Marktanteil Werbeaufwand Maximaler Marktanteil Marktanteil bei + 50 % Werbung Ausgangsmarktanteil Minimaler Marktanteil Aufrechterhaltungswerbung + 50 % Werbung Quelle: Berndt 1996, S. 280 Abb. 2.156: Ausgangssituation der Expertenschätzung einer Werbewirkungsfunktion <?page no="287"?> Marktprognosen 265 Die Firma Insolvenzia.com möchte auf Basis einer Expertenschätzung den funktionalen Zusammenhang zwischen dem eingesetzten Werbebudget sowie dem damit erreichbaren Marktanteil ermitteln. Dabei gehen die Verantwortlichen von folgendem s-förmigen Verlauf aus: mit: m = Marktanteil W = Werbebudget a, b, x, q = Parameter Die Befragung eines Experten ergab folgende Schätzungen: 1) Würde man das Werbebudget auf Null reduzieren, ergäbe sich ein Marktanteil von 0,3. 2) Bei einem unendlich hohen Werbebudget hingegen wäre ein Marktanteil von 0,7 realisierbar. 3) Um den derzeitigen Marktanteil von 0,5 zu halten, ist ein Werbebudget in Höhe von 2.000.000 nötig. 4) Würde dieses Werbebudget nochmals um 50 % auf dann 3.000.000 aufgestockt werden, ist mit einem Marktanteil von 0,6 zu rechnen. Ermittlung der Werbewirkungsfunktion: aus 1): W=0 => m 0 =a=0,3 aus 2): W= => m =b=0,7 Es resultiert: aus 3): Auflösen nach q: q = 2.000.000 x (I) aus 4): Auflösen nach q: x x W q W ) a b ( a m x x W q W 4 , 0 3 , 0 m x x 000 . 000 . 2 q 000 . 000 . 2 4 , 0 3 , 0 5 , 0 x x q 000 . 000 . 3 000 . 000 . 3 4 , 0 3 , 0 6 , 0 x 000 . 000 . 3 3 1 q (II) Abb. 2.157: Beispiel zur Ermittlung einer Werbewirkungsfunktion auf Basis einer Expertenschätzung q <?page no="288"?> 266 Marktinformationen x x 000 . 000 . 3 3 1 000 . 000 . 2 x x 000 . 000 . 3 000 . 000 . 2 3 000 . 000 . 3 ln x 000 . 000 . 2 ln x 3 ln 7095 , 2 000 . 000 . 2 ln 000 . 000 . 3 ln 3 ln x 17 7095 , 2 10 182 , 1 000 . 000 . 2 q 7095 , 2 17 7095 , 2 W 10 182 , 1 W 4 , 0 3 , 0 m Gleichsetzen von (I) und (II): Logarithmieren: Auflösen nach x: Einsetzen in (I) (oder in (II)): Resultierende Werbewirkungsfunktion: Abb. 2.157: (Forts.) 0 0 1,5 1, 5 1, 5 x W x W m m m m q W Durch simultanes Lösen der sich aus den Fragen 3 und 4 ergebenden Werbewirkungsfunktionen resultieren die gesuchten Parameter q und x. Damit liegt die vollständige Werbewirkungsfunktion vor, mittels derer für alternative Werbebudgethöhen zugehörige Marktanteilswerte geschätzt bzw. prognostiziert werden können. Abb. 2.157 zeigt ein konkretes Beispiel zur Ermittlung einer Werbewirkungsfunktion gemäß der dargestellten Vorgehensweise auf. In Abb. 2.158 wird der konkrete Verlauf der ermittelten Funktion für alternative Werbebudgets deutlich. 3.3.3.1.2 Mittelbzw. langfristige Expertenprognose Eine Form der Expertenbefragung, welche insbesondere für mittelbis langfristige Prognosen eine besondere Bedeutung erlangt hat, ist die Delphi-Methode (vgl. z.B. Schütz 1975; Gisholt 1976). Herangezogen wird die Delphi-Prognose vielfach für technologisch orientierte Entwicklungsprognosen mit der Fragestellung: „Bis zu welchem Jahr erwarten Sie das Eintreten des Ereignisses ...? “. Kennzeichnend für die Delphi-Methode ist, dass mehrere Personen (Experten) unter Verwendung eines formalen Fragebogens wiederholt zum selben Befragungsgegenstand befragt werden. Die Befragung erfolgt anonym, um eine gegenseitige Beeinflussung der Experten auszuschalten. Nach jeder Befragungsrunde werden die Befragungsergebnisse ausgewertet und den Befragungsteilnehmern zugesandt. Hierdurch soll erreicht werden, dass die Experten ihre Schätzungen überprüfen. Insbesondere Personen mit stark von der Gruppenantwort abweichenden Ergebnissen sind zum Überdenken ihrer Antworten aufgefordert und haben die Gelegenheit, ihre Antworten zu <?page no="289"?> Marktprognosen 267 revidieren. Im Falle einer Revision wird häufig um eine kurze Begründung der Antworten gebeten. Generell soll durch die Mehrstufigkeit des Verfahrens eine Konvergenz der Antworten erreicht werden. Abb. 2.159 zeigt den Ablauf einer Delphi-Befragung auf. Wieviele Runden durchlaufen werden sollen, ist dabei im Einzelfall festzulegen. Im Regelfall wird die Befragung nach der zweiten oder dritten Befragungsrunde abgebrochen. Ausschlaggebend für die konkrete Rundenzahl sind u.a. die Konvergenzgeschwindigkeit der Antworten sowie der Befragungsumfang. Um das Ausmaß der Übereinstimmung der Experten sichtbar zu machen, werden bei Delphi- Prognosen neben herkömmlichen Mittelwertbildungen häufig auch Streuungsmaße (z.B. Varianzen, Standardabweichungen) oder Lageparameter (Quantile, Median) berechnet und den Experten übermittelt (vgl. zu den Streuungsmaßen und Lageparametern auch Abschnitt 3.1.4.2 in diesem Teil). Durch Verwendung entsprechender Graphiken lässt sich eine Vielzahl diesbezüglicher Informationen auf optischem Wege verdichten. Abb. 2.160 zeigt ein (fiktives) Beispiel unter Verwendung von Lageparametern. Beispielsweise erwarten 25 % der Befragten, dass die Werbeausgaben im Internet die Ausgaben für Direktwerbung vor dem Jahr 2018 überholen; insgesamt 50 % der Befragten erwarten dies bis zum Jahr 2021 und 25 % erwarten dies erst nach dem Jahr 2030. Gleichzeitig wird deutlich, dass sich die Experten aufgrund der größeren Spannweite bezüglich dieser Frage uneiniger sind als hinsichtlich der Frage, wann Produkte im m(obile)-commerce vertrieben werden (vgl. Abb. 2.160). Ergebnisse einer realen Delphi-Prognose zeigt Abb. 2.161. Gefragt wurde hier nach den Megatrends der Zukunft. Dabei war eine Zustimmung oder Ablehnung der thesenartig aufbereiteten Megatrends möglich. Für den Fall der Zustimmung ist zudem das Zeitfenster angegeben, wann die jeweilige Entwicklung eintreffen könnte (ohne jedoch Quartile und Mediane anzugeben). 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0 600000 1200000 1800000 2400000 3000000 3600000 4200000 4800000 5400000 6000000 W m Abb. 2.158: Verlauf der ermittelten Werbewirkungsfunktion für alternative Werbebudgets <?page no="290"?> 268 Marktinformationen 3. Auswertung Start 3. Befragungsdurchgang 2. Auswertung Start 2. Befragungsdurchgang Interpretation 1. Auswertung Start 1. Befragungsdurchgang Beginn der Delphi-Umfrage Delphi- Befragungsinstanz Delphi- Prognose Anwendung Fachexperten Fachexperten Fachexperten Fachexperten Umwelt Prognoseproblem 1. Fragebogen 2. Antworten 3. Antworten 1. Antworten 3. Fragebogen 2. Fragebogen Anfrage zur Teilnahme Ausfallquoten Quelle: Gisholt 1976, S. 152 Abb. 2.159: Ablaufschema einer Delphi-Befragung <?page no="291"?> Marktprognosen 269 Frage: Wann erwarten Sie einen Vertrieb von Produkten im m-commerce? 2015 2020 2025 2030 Wann werden die Werbeausgaben im Internet die Ausgaben für Direktwerbung überholen? Median unteres Quartil oberes Quartil Abb. 2.160: Beispiel für eine Auswertungsmöglichkeit im Rahmen einer Delphi- Befragung unteres Quartil Median oberes Quartil Neben derartigen Entwicklungsprognosen eignet sich die Delphi-Methode auch für Wirkungsprognosen. Abb. 2.162 zeigt die prognostizierte Marktanteilsentwicklung in Abhängigkeit von alternativen Marketingbudgethöhen aus Sicht eines Unternehmens. Wiederum wurden unteres und oberes Quartil sowie der Median explizit dargestellt, um die (Un-) Einheitlichkeit der Expertenschätzung zu verdeutlichen. Ebenfalls geeignet für mittelbis langfristige Prognosen auf Basis von Experteneinschätzungen ist die Szenario-Analyse (vgl. z.B. Oberkampf 1976; Geschka 1999). Die Schritte im Rahmen einer Szenario-Analyse umfassen dabei [1] die Problemanalyse (Definition und Abgrenzung des Prognoseproblems bzw. des Untersuchungsgegenstandes) [2] die Umfeldanalyse (Analyse der relevanten Einflussbereiche hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes) [3] die Projektionen (Ermittlung sog. Deskriptoren, welche die relevanten Einflussbereiche beschreiben) [4] die Annahmenbündelung (Aufstellung denkbarer, konsistenter Deskriptorenbündel aus den einzelnen Einflussbereichen) <?page no="292"?> 270 Marktinformationen Geringe Geburtenziffern und die ständige Erhöhung der Lebenserwartung führen in den Industrieländern zu einem Anteil von mehr al s einem Drittel der über 60jährigen an der Gesamtbevölkerung. Die Bevölkerung der Erde wird die 10-Milliarden-Grenze überschreiten. Frauen werden mindestens ein Drittel aller Führungspositionen in der Wirtschaft besetzen. Die weltweite Verknappung an fossilen Brennstoffen erzwingt eine Rationierung des Energieverbrauchs der privaten Haushalte. Wachsende Umweltprobleme beeinträchtigen die Gesundheit der meisten Menschen. Die Europäische Union entwickelt eine Europaregierung, die die nationalstaatlichen Souveränitäten überwindet . In Deutschland werden mehr als die Hälfte aller Kirchen aus Mangel an Bedarf geschlossen. Die Globalisierung der Wirtschaft führt zum fast völli gen Bedeutungsverlust nationalstaatlicher Wirtschaftspolitik. Die Klimaentwicklung führt zu einer Entvölkerung großer Gebi ete . Die technische Entwicklung ermöglicht zwei Drittel aller Arbeitnehm er , zu Hause zu arbeiten. Es kommt zu heftigen kriegerischen Konflikten zwischen armen und reichen Ländern. China wird im Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt die Europäi sche Union übertreffen. Mit dem Islam entwickelt sich politisch der stärkste Staatenblock der gesamten Welt. Eine Weltregierung sorgt für die wirksam e Eindämmung kriegerischer Konflikte. Die meisten Menschen in Deutschland gründen keine Familien mehr. 7 32 41 42 42 40 51 48 62 56 56 67 76 MEGA TRENDS Quelle: Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung 1998 Abb. 2.161: Beispiel für eine Delphi-Prognose Zustim -mung Zeitfenster keine Zustim -mung 89 2008 bis 2019 2010 bis 2025 2008 bis 2020 201 1 bis 2025 2003 bis 2015 201 0 bis 2024 200 8 bis 2019 200 5 bis 2015 201 2 bis 2025 201 0 bis 2024 200 7 bis 2019 201 0 bis 2025 200 7 bis 2019 201 7 bis 2025 2006 bis 2017 72 19 57 54 53 52 42 42 37 31 30 28 17 16 16 71 <?page no="293"?> Marktprognosen 271 Marktanteil Marketingbudget (MB) MB 1 MB 2 MB 3 MB 4 MB 5 Abb. 2.162: Wirkungsprognose auf Basis einer Delphi-Befragung oberes Quartil unteres Quartil Median [5] die Szenariointerpretation (Charakterisierung bzw. Verbalisierung der in Schritt 4 eruierten Deskriptorenbündel, u.U. unter Ergänzung sog. unkritischer Deskriptoren, welche eine eindeutige Entwicklung aufweisen) [6] die Störfallanalyse (Analyse der Auswirkungen wahrscheinlicher Störereignisse auf die Szenarien) [7] Auswirkungsanalyse (Darstellung der konkreten Auswirkungen der entwickelten Szenarien auf den eigentlichen Untersuchungsgegenstand) [8] Maßnahmenplanung (Ableitung von geeigneten Maßnahmen für die einzelnen Szenarien) Im Rahmen der Szenario-Analyse wird dabei häufig (mindestens) ein optimistisches und ein pessimistisches Szenario entwickelt. Auf diese Weise kann die Spannweite möglicher Entwicklungen aufgezeigt und Entscheidungsträger können hinsichtlich zukünftiger Trends sensibilisiert werden. In der Grundform enthält die Szenario-Analyse keinerlei Aussagen über die Wahrscheinlichkeit von Entwicklungen bzw. das Eintreten bestimmter Szenarien. Eine Erweiterung erfährt die Szenario-Analyse durch die Berücksichtigung von Eintrittswahrscheinlichkeiten für einzelne Ereignisse, welche in Form von Ereigniskombinationen zu Szenarien verdichtet werden. Ein geeignetes Instrument ist in diesem Zusammenhang die Cross-Impact-Analyse (vgl. z.B. Götze 1991, S. 142 ff.; Berndt 1995b, S. 46 ff.). <?page no="294"?> 272 Marktinformationen 33.3.3.2 Konsumentenbefragung Konsumentenbefragungen werden häufig durchgeführt, um Absatzprognosen im Konsumgüterbereich zu erstellen. Eine besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang Wirkungsprognosen. Man möchte in Erfahrung bringen, wie Konsumenten auf den Einsatz bestimmter Marketing-Instrumente reagieren und welche Bedeutung sie für den Absatz haben. So kann z.B. die Produktqualität i.e.S. (Funktion, Haltbarkeit, Handhabung, Materialanmutung usw.) getestet werden. Darüber hinaus können die Wirkungen alternativer Preishöhen, Verpackungen und Produktnamensgestaltungen in entsprechenden Preis-, Verpackungs- und Namenstests überprüft werden (vgl. auch Abschnitt 2.1.3.1.8 im 3. Teil). Unabhängig davon, welche Marketing-Instrumente hinsichtlich ihrer Wirkungen überprüft werden sollen, sind mit Konsumentenbefragungen spezifische Vorteile, aber auch Probleme verbunden, welche in Abb. 2.163 zusammengefasst sind. Qualitative Prognosen durch Befragung von Konsumenten Vorteile: Unmittelbare Marktinformation Weitere Anregungen von Konsumenten zur Verbesserung der Produktleistung möglich Aufgreifen von Marktstimmungen und Trends möglich Nachteile: hoher Zeit- und Kostenaufwand geringe Validität (direkte Befragung) Repräsentativität häufig eingeschränkt (Stichprobenbildung notwendig) Auskunftsbereitschaft und -vermögen häufig gering Abb. 2.163: Vor- und Nachteile von Konsumentenbefragungen <?page no="295"?> Marktprognosen 273 3.3.3.2.1 Direkte Konsumentenbefragung Bei direkten Befragungen wird unmittelbar nach dem interessierenden Untersuchungsgegenstand gefragt. Im Rahmen von Produkttests i.e.S. kann beispielsweise eine unmittelbare Befragung nach der Produktleistung erfolgen. Abb. 2.164 zeigt ein Beispiel für einen Produkttest i.e.S. Auch die Ermittlung von Zahlungsbereitschaften kann mittels direkter Befragung erfolgen (vgl. Gabor 1977). Den Konsumenten sind zwei Fragen zu stellen: Wenn Sie den Artikel XYZ kaufen wollen, welches ist der höchste Preis, den Sie zu zahlen bereit sind? Welches ist der niedrigste Preis, bei dem Sie keine Qualitätszweifel haben und das Produkt noch kaufen würden? Eine Stichprobe von Hausfrauen wurde gebeten, 2 Proben eines Putzmittels zu testen. Es handelt sich um einen parallelen Vergleichstest als Blindtest , durch welchen alle beeinflussenden anderweitigen Produkteigenschaften (Marke, Verpackung, ...) anonymisiert wurden. Die Produktproben wurden lediglich mit Ziffern versehen. Testergebnisse: Von allen Test-Hausfrauen bevorzugten Probe 386 gegenüber 648: 26% Probe 648 gegenüber 386: 43% keine der beiden Proben: 31% 100% Von allen Test-Hausfrauen waren mit dem Erfolg von Probe 386 648 sehr zufrieden 18% 39% zufrieden 52% 36% nicht ganz zufrieden 18% 16% nicht zufrieden 12% 9% 100% 100% Resultat: Die Probe 648 hat damit nicht nur die relativ größten Chancen. Sie stellt auch die Wünsche von mehr als ein Drittel der Verbraucher sehr zufrieden. Quelle: In Anlehnung an Hüttner/ Schwarting 2002, S. 387 f. Abb. 2.164: Direkte Konsumentenbefragung in einem Produkttest <?page no="296"?> 274 Marktinformationen Abb. 2.165 zeigt ein mögliches Ergebnis eines derartigen Zahlungsbereitschaftstests. Aus den Angaben der Konsumenten lässt sich dann jeweils der Anteil der potenziellen Käufer errechnen und damit die Absatzmenge prognostizieren. Hierzu ist jeweils die Differenz zwischen dem Anteil jener Käufer, die zu diesem oder einem höheren Preis zu kaufen bereit sind, und dem Anteil jener Käufer, für die der geforderte Preis zu hoch ist, zu bilden. Bei einem Preis von 9,49 € beträgt der Anteil der potenziellen Käufer 82 % (= 99 %-17 %). Lediglich 1 % der Konsumenten hat selbst bei diesem Preis noch Qualitätszweifel. Allerdings stellt der nächst niedrigere Preis von 8,99 € schon für 17 % den höchsten noch annehmbaren Preis dar. Die Ergebnisqualität direkter Konsumentenbefragungen ist häufig umstritten. Aufgrund der einseitigen Konzentration auf den interessierenden Sachverhalt (z.B. Preishöhe, Produktleistung) wird das reale Kaufverhalten nur unzureichend abgebildet. Vielmehr erfolgt in der Realität ein Abwägen zwischen den einzelnen Produkteigenschaften (z.B. zwischen dem Produktpreis und der gebotenen Produktleistung). Dieses Abwägen von Produkteigenschaften bzw. zwischen deren Ausprägungen erfolgt in einer Conjoint Analyse im Rahmen einer indirekten Konsumentenbefragung (vgl. den nachfolgenden Abschnitt 3.3.3.2.2 in diesem Teil). Zudem kann das Antwortverhalten der Probanden bewusst verzerrt sein (z.B. Angabe, ein Produkt zu einem recht hohen Preis auch zu kaufen, um finanzielle Potenz zu demonstrieren, obwohl das Produkt in der Realität zu einem derartigen Preis nicht gekauft würde). Die Prognosequalität direkter Konsumentenbefragungen muss daher zumindest kritisch hinterfragt werden. Quelle: In Anlehnung an Berndt 1996, S. 300 Abb. 2.165: Ergebnisse einer direkten Befragung zur Ermittlung der Zahlungsbereitschaft von Konsumenten Preis Euro 7,49 7,99 8,49 8,99 9,49 9,99 10,49 Personen, für die der Preis von Euro ... den höchsten noch annehmbaren Preis darstellt Personen, für die der Preis von Euro ... den niedrigsten noch annehmbaren Preis darstellt Anteil der potentiellen Käufer 0 0 2 15 46 34 3 0 0 2 17 63 97 100 5 27 48 13 6 1 0 5 32 80 93 99 100 100 5 32 80 91 82 37 3 % % kumuliert % % kumuliert % <?page no="297"?> Marktprognosen 275 3 2 1 Teilnutzenwert 3 2 1 Teilnutzenwert Preis (in Euro) 4 2 3 ja nein Lösemittelfreiheit 3 2 1 Teilnutzenwert 3 2 1 Teilnutzenwert Verpackung Becher Tube Klebestift A C Marke B 3 2 1 Teilnutzenwert 3 2 1 Teilnutzenwert Klebekraft hoch gering mittel universell für bestimmte Verbundstoffe Verwendbarkeit 2,8 0,5 1,8 2,4 1,3 1,3 2,3 0,7 2,2 1,1 2,9 3,3 2,6 1,0 1,3 2,0 Abb. 2.166: Ergebnis einer Conjoint Analyse am Beispiel von Klebstoffen <?page no="298"?> 276 Marktinformationen 3.3.3.2.2 Indirekte Konsumentenbefragung Eine indirekte Konsumentenbefragung kann mittels des Conjoint Measurement (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.6 in diesem Teil) erfolgen. Hier wird nicht unmittelbar nach der Präferenz für einzelne Produkteigenschaften bzw. deren Ausprägungen aus Sicht der Konsumenten gefragt. Vielmehr wird von den Konsumenten bzw. Probanden gefordert, die untersuchungsrelevanten Produkte in ihrer Gesamtheit zu bewerten und in eine Reihenfolge zu bringen, also gemäß ihrer Globalpräferenz. Aus der Rangfolge der Produkte können dann die Teilnutzenwerte für einzelne Produkteigenschaftsausprägungen errechnet werden (vgl. i.E. Abschnitt 3.1.4.3.6 in diesem Teil). Auf diese Weise wird deutlich, welche Ausprägungen der Produkteigenschaften wie stark präferiert werden, ohne dass direkt danach gefragt werden muss. Die Globalbewertung entspricht dabei dem realen Kaufverhalten, da die Produkte in ihrer Gesamtheit betrachtet werden; die Vor- und Nachteile jeder Produktalternative werden abgewogen und mit den Vor- und Nachteilen der anderen Produktalternativen verglichen, bevor eine Kaufentscheidung erfolgt. Einer zu starken Ausrichtung auf einzelne Produkteigenschaften (z.B. auf den Preis bei Preisbzw. Zahlungsbereitschaftstest; vgl. den vorangegangenen Abschnitt 3.3.3.2.1), welche nicht dem tatsächlichen Kauf- und Entscheidungsverhalten von Konsumenten entspricht, wird damit entgegengewirkt. Damit weist das Conjoint Measurement eine im Vergleich zur direkten Konsumentenbefragung besonders hohe Validität und verhaltenswissenschaftliche Fundierung auf. Ein beispielhaftes Ergebnis einer Conjoint Analyse aus dem Produktbereich „Klebstoffe“ zeigt Abb. 2.166. Als relevante Produkteigenschaften wurden herangezogen die Klebekraft, die Verwendbarkeit, die Art der Verpackung, die Marke, der Preis sowie die Lösemittelfreiheit. Als Idealprodukt, welches gemäß des additiven Teilwertmodells (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.6 in diesem Teil) zum höchsten Gesamtnutzen führt, stellt sich ein Klebstoff mit (vgl. Abb. 2.167) hoher Klebekraft, universeller Verwendbarkeit, Klebestiftverpackung, Marke C, einem Preis von 2 Euro sowie Lösemittelfreiheit heraus. Ob mittels eines derartigen Idealprodukts auch ein Gewinn erzielt werden kann, lässt sich erst beantworten, wenn die mit diesem Produkt verbundenen Kosten und Erlöse geschätzt werden. Unterstellt man, dass die in Abb. 2.167 dargestellten Realprodukte auf dem Klebstoffmarkt bereits existieren, so lassen sich aus der Conjoint Analyse wertvolle Hinweise zur Produktverbesserung ableiten. Gemäß der Hypothese, dass das Produkt mit dem höchsten Gesamtnutzen präferiert und gekauft wird (sog. First-Choice-Regel), würde Produkt 1 den Vorzug gegenüber Produkt 2 und Produkt 3 erhalten. Der Hersteller von z.B. Produkt 3 kann nun versuchen, sein Produkt aus Sicht der Konsumenten attraktiver zu machen bzw. konkret einen Gesamtnutzenwert zu erreichen, welcher über den Wert des Produkts 1 (Gesamtwert 12,6) hinausgeht. Dies <?page no="299"?> Marktprognosen 277 erreicht er, indem beispielsweise die Klebekraft von gering auf hoch gesteigert wird (Gesamtnutzenwert des Produkts 3 dann 13,4) oder der Preis von 4 € auf 3 € gesenkt wird (Gesamtnutzenwert von Produkt 3 dann 12,7). Hinsichtlich der Gewinnwirkung sind die mit diesen Maßnahmen verbundenen Kosten- und Erlöswirkungen zu berücksichtigen. Idealprodukt (Teilnutzenwerte in Klammern) hohe Klebekraft (2,8) universelle Verwendbarkeit (2,4) Klebestift (2,3) Marke C (2,9) Preis 2 Euro (3,3) lösemittelfrei (2,0) Gesamtnutzenwert: 15,7 Realprodukte (Teilnutzen in Klammern) Gesamtnutzenwert Produkt 1 hohe Klebekraft (2,8) universelle Verwendbarkeit (2,4) Tube (1,3) Marke A (2,2) Preis 3 Euro (2,6) nicht lösemittelfrei (1,3) Produkt 1 12,6 Produkt 2 mittlere Klebekraft (1,8) für bestimmte Verbundstoffe (1,3) Becherverpackung (0,7) Marke B (1,1) Preis 2 Euro (3,3) nicht lösemittelfrei (1,3) Produkt 2 9,5 Produkt 3 geringe Klebekraft (0,5) universelle Verwendbarkeit (2,4) Klebestift (2,3) Marke C (2,9) Preis 4 Euro (1,0) lösemittelfrei (2,0) Produkt 3 11,1 Abb. 2.167: Ideal- und Realprodukte im Rahmen einer Conjoint Analyse 3.3.4 Messung der Prognosegüte Prognoseverfahren können vor (ex ante) und nach (ex post) ihrem Einsatz hinsichtlich ihrer Prognosegüte beurteilt werden. Ex ante sind Überlegungen anzustellen hinsichtlich der generellen Eignung des Prognoseverfahrens (z.B. hinsichtlich des Prognosezeitraums), der Güte des Prognosemodells (sind z.B. alle beeinflussenden Variablen berücksichtigt worden) sowie der Qualität der in das Prognosemodell eingehenden Daten. Ex post lässt sich die Güte von Prognoseverfahren durch einen Vergleich zwischen der tatsächlich eingetretenen Entwicklung und der prognostizierten Entwicklung einschätzen. Hierzu existiert eine Vielzahl von Fehlermaßen, welche auf folgende Metrik zurückzuführen sind (vgl. Brockhoff 2001, S. 725): <?page no="300"?> 278 Marktinformationen 1 1 ˆ T m m t t t t F S y y mit: T = Prognosezeitraum der Vergangenheit, für den prognostizierte und tatsächliche Werte vorliegen , t S m = Parameter (s. Abb. 2.168) ˆ t y = Prognosewert für Periode t t y = tatsächlicher Wert für Periode t 1 m 2 m m T 1 S t t t y 1 S Abweichung absolute mittlere (1) y yˆ T 1 F T 1 t t t 1 Abweichung absolute Relative (2) y y yˆ F T 1 t t t t 2 Error" Square Root Mean " (3) y yˆ T 1 F T 1 t 2 t t 3 t Koeffizien - U (4) y y yˆ F T 1 t 2 t T 1 t 2 t t 4 Abweichung relative Maximale (6) y y yˆ max F t t t t 6 hlich) (ungebräuc (5) Quelle : Brockhoff 2001, S. 725 Abb. 2.168: Fehlermaße zur Beurteilung der Prognosegüte <?page no="301"?> Marktprognosen 279 Abbildung 2.168 zeigt einige gebräuchliche Fehlermaße, welche auf diese Metrik zurückzuführen sind. Anwendung finden die Fehlermaße F 3 und F 4 auch in quadrierter Form statt als Wurzelfunktion. F 3 heißt dann mittlere quadratische Abweichung, F 4 entsprechend relative quadratische Abweichung. 33.3.5 Verknüpfungen von Prognosemethoden Die Vielzahl der dargestellten Prognosemethoden sollte nicht zu der Annahme führen, dass das jeweils vorliegende Prognoseproblem nur mit einem bestimmten Prognoseverfahren behandelt werden sollte. Vielmehr besteht die Möglichkeit, Prognosemethoden miteinander zu verknüpfen. Beispielsweise können qualitative Prognosen auf Prognosen, welche mit quantitativen Verfahren erstellt wurden, aufbauen. Andererseits können quantitative Prognosemethoden durch qualitative Prognosemethoden modifiziert bzw. korrigiert werden, wenn die formalen, quantitativen Methoden bestimmte Sachverhalte nicht berücksichtigen (können), diese für die Prognose aber durchaus von Bedeutung sind. Vorstellbar ist in diesem Zusammenhang die Zusammenführung von Ergebnissen einzelner Prognoseverfahren in ein übergeordnetes Prognosemodell („Meta-Prognose“), wobei die Ergebnisse je nach angewendeten Verfahren unterschiedlich gewichtet werden. Eine sinnvolle Lösung besteht darin, die Gewichtung umgekehrt proportional zum Prognosefehler von Ex-Post-Prognosen der einbezogenen Verfahren festzulegen (vgl. Weber 1990, S. 520 ff.). Auf einer anderen Ebene der Verknüpfung von Prognosemethoden steht die Integration von Wirkungs- und Entwicklungsprognosen. So stellen Prognosen auf Basis von Wachstumsfunktionen in ihrer Grundform Entwicklungsprognosen dar. Werden jedoch explizit Marketing- Instrumente (z.B. Preis, Werbung) in die Prognose auf Basis von Wachstumsfunktionen einbezogen, entsteht eine verknüpfte Prognose, welche sowohl Wirkungsals auch Entwicklungsbzw. Zeitaspekte berücksichtigt (vgl. i.E. Abschnitt 3.3.2.2.4 in diesem Teil). Wiederholungsfragen und -aufgaben zu „Marktinformationen“: [1] Was versteht man unter Marktforschung und welche Formen der Marktforschung existieren? [2] Erläutern Sie den Ablaufprozess der Marktforschung. Unterscheiden Sie dabei zwischen Primär- und Sekundärforschung. [3] Welche alternativen Skalenniveaus existieren? Geben Sie je ein Beispiel. [4] Erläutern Sie die Begriffe Validität, Reliabilität und Objektivität als wichtige Gütemaße im Rahmen der Marktforschung. [5] Welche Auswahlverfahren existieren im Rahmen der primärstatistischen Datengewinnung? Erläutern Sie deren Funktionsweise. [6] Erläutern Sie die Vor- und Nachteile der schriftlichen, telefonischen, mündlichen und Online-Befragung. [7] Erläutern Sie verschiedene Formen der Beobachtung als Datenerhebungsinstrument. [8] Was versteht man unter einem Experiment im Rahmen der Datenerhebung? Erläutern Sie verschiedene Arten von Experimenten und stellen Sie Grundtypen klassischer bzw. informaler Experimente dar. <?page no="302"?> 280 Marktinformationen [9] Definieren Sie den Begriff „Panel“. Welche Arten von Panels gibt es und welche speziellen Panelprobleme können auftauchen? [10] Geben Sie einen Überblick über die existierenden Verfahren der Datenanalyse. Unterscheiden Sie dabei zwischen univariaten sowie bibzw. multivariaten Verfahren und zwischen Verfahren der Dependenzanalyse und der Interdependenzanalyse. [11] Nennen Sie typische Lokalisations- und Streuungsmaße im Rahmen der univariaten Datenanalyse. [12] Was ist die Aufgabe einer Kontingenzanalyse? [13] Was ist die Aufgabe einer Korrelationsanalyse? [14] Erläutern Sie die Vorgehensweise im Rahmen einer Regressionsanalyse. Gehen Sie dabei insbesondere auf die Methode der kleinsten Quadrate ein. [15] Erläutern Sie die Aufgabenstellung sowie die Vorgehensweise im Rahmen einer Varianzanalyse. [16] Erläutern Sie die Vorgehensweise im Rahmen einer Clusteranalyse. Gehen Sie dabei insbesondere auf verschiedene Skalenniveaus des Datenmaterials sowie ihrer Handhabung im Rahmen der Clusteranalyse ein. [17] Stellen Sie die Aufgabe einer Conjoint Analyse dar und erläutern Sie die Vorgehensweise im Rahmen dieses Datenauswertungsinstrumentes. [18] Erörtern Sie verschiedene Organisationsformen der betrieblichen Marktforschung. Welche Vor- und Nachteile der Eigenforschung existieren im Vergleich zur Fremdforschung durch unabhängige Institute? [19] Erläutern Sie Ziele, Aufgaben und Vorgehensweise im Rahmen der Marktsegmentierung. Was versteht man in diesem Zusammenhang unter „Life-Style-Typologien“? [20] Spezifizieren Sie die Begriffe „undifferenziertes Marketing“, „konzentriertes Marketing“ sowie „differenziertes Marketing“. [21] Was versteht man unter einer Prognose? Welche Formen von Prognosen existieren? [22] Erläutern Sie die Vorgehensweise im Rahmen der Verfahren „(gewogene) gleitende Durchschnitte“ sowie „exponentielle Glättung“ zur Erstellung von Prognosen. [23] Wie funktioniert eine Trendextrapolation? [24] Stellen Sie die grundsätzliche Vorgehensweise im Rahmen von Indikatorprognosen dar. [25] Wie funktionieren generell Prognosen auf Basis von Strukturmodellen, Wachstumsfunktionen sowie Marktreaktionsfunktionen? [26] Erläutern Sie die Delphi-Methode zur Erstellung von Prognosen auf Basis von Expertenbefragungen. [27] Stellen Sie dar, wie auf Basis von direkten und indirekten Konsumentenbefragungen Prognosen erstellt werden können. <?page no="303"?> Marktprognosen 281 [28] Wie kann eine Messung der Prognosegüte alternativer Prognoseverfahren vorgenommen werden? Einführende Literaturempfehlungen zu „Marktinformationen“: Backhaus, K.; Erichson, B.; Gensler, S.; Weiber, R.; Weiber, T. (2021): Multivariate Analysemethoden. Eine anwendungsorientierte Einführung, 16. Aufl., Berlin u.a. 2021. Berekoven, L.; Eckert, W.; Ellenrieder, P. (2009): Marktforschung. Methodische Grundlagen und praktische Anwendung, 12. Aufl., Wiesbaden 2009. Berndt, R. (1996): Marketing 1. Käuferverhalten, Marktforschung und Marketing-Prognosen, 3. Aufl., Berlin u.a. 1996. Brockhoff, K. (2001): Prognosen, in: Bea, F.X.; Dichtl, E.; Schweitzer, M. (Hrsg.), Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd. 2: Führung, 8. Aufl., Stuttgart 2001, S. 715-752. Fantapié Altobelli, C. (2017): Marktforschung. Methoden, Anwendungen, Praxisbeispiele, 3. Aufl., Konstanz, München 2017. Hammann, P.; Erichson, B. (2000): Marktforschung, 4. Aufl., Stuttgart 2000. Hüttner, M.; Schwarting, U. (2002): Grundzüge der Marktforschung, 7. Aufl., München, Wien 2002. Schütz, W. (1975): Methoden der mittel- und langfristigen Prognose, München 1975. <?page no="305"?> 33. Teil: Marktbearbeitung <?page no="307"?> Die M arktbearbeitung erfolgt im Rahmen des M arketing-M anagement. Die diesbezüglich wichtigen Teilfunktionen des M arketing-Management umfassen die strategische M arketing-Planung, die Planung des M arketing-Instrumente-Einsatzes (M arketing-Politik), die M arketing-Implementierung, das M arketing-Controlling, die M arketing-Organisation sowie das Human Resource M anagement im M arketing. Sämtliche Teilfunktionen des M arketing-M anagement sind dabei derart zu verzahnen und untereinander abzustimmen, dass die übergeordneten Unternehmensziele bestmöglich erreicht werden. Abb. 3.1 zeigt im Überblick die Teilfunktionen bzw. Aufgabenbereiche des M arketing-Management nebst zugehörigen Bestandteilen auf. 11 Strategische M arketing-Planung Lernziele im Kapitel „Strategische Marketing -Planung“: In diesem Kapitel erfahren Sie wie eine Situationsanalyse und -prognose für ein Unternehmen durchgeführt werden kann, wie auf gesamtunternehmerischer Ebene eine strategische Pla nung erfolgt und wie die strategische Gesamtunternehmensplanung im Rahmen einer marktorientierten Geschäftsfeldplanung umgesetzt wird. Nach Bearbeitung des Kapitels sind Sie in der Lage eine Umweltanalyse und -prognose sowie eine Unternehmensanalyse (Stärken-Schwächen-Analyse) durchzuführen, strategische Unternehmensziele und die M ission des Unternehmens abzuleiten, Strategische Geschäftsfelder zu bilden, diverse strategische Analyseinstrumente (Portfolioanalyse, Lebenszyklusanalyse usw.) einzusetzen, Strategische Geschäftsfeldziele herauszuarbeiten, M arketing-Strategien auf Geschäftsfeldebene gegenüber verschiedenen M arktpartnern (Kunden, Konkurrenten, Absatzmittler usw.) abzuleiten sowie eine Auswahl unter alternativen Strategien vorzunehmen. <?page no="308"?> 286 Strategische Marketing-Planung Umsetzung von Marketing-Strategie und Marketing-Politik Kontrolle von Marketing-Strategie und Marketing-Politik sowie Marketing-Audits Abb. 3.1: Überblick über die Aufgabenbereiche des Marketing-Management Situationsanalyse und -prognose Umweltanalyse und -prognose Globale Umwelt Branche und Wettbewerb Prognose zukünftiger Entwicklungen Unternehmensanalyse Marketing - Organisation und Human Resource Management Strategische Marketing- Planung Marktorientierte Unternehmensplanung Strategische Unternehmensziele und Mission Bildung strategischer Geschäftsfelder Strategische Stoßrichtungen und Ressourcenallokation Einsatz strategischer Analyseinstrumente Timing- Aspekte des Marktein- und -austritts Marktorientierte Geschäftsfeldplanung Strategische Geschäftsfeldziele Alternative Marketing-Strategien Strategiebewertung und -auswahl Strategische Budgetierung Kommunikationspolitik Produktpolitik Kontrahierungspolitik Distributionspolitik Marketing - Mix Planung des Marketing- Instrumente- Einsatzes (Marketing- Politik) Marketing- Implementierung Marketing- Controlling Strategisches Geschäftsfeld A Kommunikationspolitik Produktpolitik Kontrahierungspolitik Distributionspolitik Marketing - Mix Strategisches Geschäftsfeld Z <?page no="309"?> Situationsanalyse und -prognose 287 11.1 Situationsanalyse und -prognose Ausgangspunkt des M arketing-M anagement ist die Situationsanalyse und -prognose. Einzuteilen ist die Situationsanalyse und -prognose in die Umweltanalyse und -prognose einerseits sowie die Unternehmensanalyse andererseits. Die Umwelt eines Unternehmens kann dabei näher in die globale Umwelt (M akrowelt) sowie die aufgabenspezifische Umwelt (M ikrowelt) eingeteilt werden. Während von der globalen Umwelt mehr oder weniger sämtliche Unternehmen betroffen sind, bezieht sich die aufgabenspezifische Umwelt auf branchenspezifische Faktoren. Im M ittelpunkt stehen hier die Absatz- und Beschaffungsmärkte eines Unternehmens, welche regelmäßig eine hohe Branchenspezifität aufweisen. Abb. 3.2 zeigt das Umfeld von Unternehmen sowie die jeweiligen Bestandteile im Überblick auf. Globale Umwelt (Makroumwelt) Politisch-rechtliche Umwelt Technologische Umwelt Natürliche Umwelt Soziokulturelle Umwelt Aufgabenspezifische Umwelt (Mikroumwelt) Absatzmärkte Beschaffungsmärkte - Wettbewerber Unternehmen Leistungspotentiale Führungspotentiale - Distributionsorgane und unterstützende Dienstleister - Kunden - Kapital - Arbeit - Betriebsmittel und Materialien Quelle: Sander 1998, S. 43 Abb. 3.2: Das Umfeld von Unternehmen Makroökonomische Umwelt <?page no="310"?> 288 Strategische Marketing-Planung 11.1.1 Umweltanalyse und -prognose 1.1.1.1 An a lyse der globalen Umwelt Die Analyse der globalen Umwelt sollte möglichst breit angelegt sein, damit potenziell relevante Entwicklungen bzw. Trends erkannt und seitens des Unternehmens in den eigenen Aktionen berücksichtigt werden können. Gleichwohl muss der Anspruch auf Vollständigkeit der Analysefelder aufgegeben werden; eine Selektion der Analysefelder ist unvermeidlich. Hinreichend lässt sich die globale Unternehmensumwelt durch folgende fünf Hauptsektoren abbilden (vgl. Steinmann/ Schreyögg/ Koch 2013, S. 168): die makroökonomische Umwelt, die sozio-kulturelle Umwelt, die politisch-rechtliche Umwelt, die technologische Umwelt sowie die natürliche Umwelt. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Umweltsektoren nicht unabhängig voneinander sind; so reagiert beispielsweise die Gesetzgebung als Bestandteil der politisch-rechtlichen Umwelt auf bestimmte ökonomische Entwicklungen (z.B. Arbeitslosigkeit). Innovationen in Form von Produkt- oder Prozessneubzw. -weiterentwicklungen als Bestandteile der technologischen Umwelt beeinflussen wiederum die allgemeine ökonomische Situation. Gleichzeitig ist zu beachten, dass aus Sicht eines Unternehmens neben der gegenwärtigen Situation insbesondere die zukünftige Lage in den einzelnen Umweltsektoren von Bedeutung ist. Besondere Relevanz erhalten daher Prognosen über die Entwicklungen in den einzelnen Sektoren (vgl. auch Abschnitt 1.1.1.3 in diesem Teil). Abb. 3.3 zeigt wesentliche Bestandteile der fünf Umweltsektoren im Überblick auf. 1.1.1.2 An a lyse von Branche und Wettbewerb Unternehmen sind unmittelbar in ihre aufgabenspezifische Umwelt (M ikroumwelt) eingebunden, welche durch die Beschaffungsmärkte auf der einen Seite und den Absa tzmärkten auf der anderen Seite aufgespannt wird. Auf der Seite der Beschaffungsmärkte sind dabei die Kapitalgeber, die Arbeitskräfte sowie die Lieferanten von besonderer Relevanz. Zur Sicherstellung des Fortbestandes bzw. des Wachstums eines Unternehmens ist ein bestimmter Bedarf an finanziellen Mitteln gegeben. Häufig kann dieser Bedarf nicht durch das Unternehmen selbst (Innenfinanzierung) gedeckt werden. Finanzielle M ittel werden daher oft auf dem Wege der Außenfinanzierung durch Banken (Bankkredite) mit der Folge der Erhöhung des Fremdkapitals oder durch Erhöhung des Eigenkapitals (z.B. durch Aktienneuemissionen) eingeworben. Hierdurch werden die Entscheidungsspielräume der Unternehmensleitung beschränkt, da sowohl Banken als auch Aktionäre in gewissem Ausmaß versuchen, auf die Entscheidungen im Topmanagement Einfluss zu nehmen. <?page no="311"?> Situationsanalyse und -prognose 289 Umweltsektor Inhaltliche Bestandteile Makroökonomische Umwelt Bruttosozialprodukt bzw. Bruttoinlandsprodukt Inflationsraten sowie Rohstoff- und Energiepreise Wechselkurse Zahlungsbilanz Investitionen Auslandsverschuldung Zinsniveau Arbeitslosenquoten Sozio-kulturelle Umwelt gesellschaftliche Struktur (z.B. Grad der Homogenität bzw. der Heterogenität, Stärke der sozialen Schichten) demographische Gegebenheiten (z.B. Aufbau der Bevölkerungspyramide) Bildungssystem Werte und Normen (z.B. hinsichtlich Arbeit, Freizeit, Konsum, Religion, Familie, Gesundheit, Umwelt) Politisch-rechtliche Umwelt Gesetze (z.B. Steuerrecht, Wettbewerbsrecht) staatliche Kontrollen und Interventionen (z.B. Zölle, Subventionen, direkte Reglementierungen) Interessengruppen (z.B. Verbraucherverbände, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Sozialverbände) politisches System (z.B. Parteien, Staatsform) Technologische Umwelt Produktinnovationen Prozessinnovationen Patente und Lizenzen technologische Dynamik Natürliche Umwelt natürliche Rohstoffe als Inputfaktoren Emissionsstandards bzw. -reglementierungen Internationale Übereinkünfte über die Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen Abb. 3.3: Wesentliche Bestandteile makroökonomischer Umweltsektoren Jedes Unternehmen ist darüber hinaus zur Leistungserstellung auf eine bestimmte Quantität von Arbeitskräften angewiesen. Neben der Quantität spielt darüber hinaus die Qualität der Arbeit im Sinne der an die Arbeitskräfte gestellten Anforderungen eine Rolle. Je nach Spezifität der Qualitätsanforderungen ist es durchaus möglich, dass Unternehmen trotz hoher M assenarbeitslosigk eit in einem Land Arbeitskräfte aus dem Ausland akquirieren müssen, da im Inland nicht ausreichend Personen mit entsprechender Qualifikation zur Verfügung stehen; es entsteht also eine Übernachfrage nach Arbeitskräften trotz einer allgemein hohen Arbeitslosenquote. <?page no="312"?> 290 Strategische Marketing-Planung Wesentliche Determinanten zur Beurteilung der Beschaffungssituation von Betriebsmitteln und M aterialien aus Sicht eines Unternehmens bestehen in der Störanfälligkeit gegenüber Lieferungen, der Verhandlungsstärke der Lieferanten sowie der Entwicklung der Faktorpreise (vgl. Bea/ Haas 2019, S. 115). Die Verhandlungsstärke der Lieferanten stellt dabei eine zentrale Größe dar, da sie die Störanfälligkeit des Unternehmens gegenüber Lieferungen sowie die Faktorpreisentwicklung unmittelbar tangiert. So ist die Verhandlungsstärke von Lieferanten umso größer, je geringer die Substitutionsmöglichkeit in Form von Ersatzinputs ist; von geringer Substitutionsmöglichkeit ist auszugehen, wenn entweder keine anderen Bezugsmöglichkeiten bestehen oder aber die Kosten des Lieferantenwechsels - z.B. aufgrund einer ausgeprägten Produktdifferenzierung mit hohen Switching Costs als Folgekosten - sehr hoch sind. In dieser Situation ist eine hohe Störanfälligkeit des Unternehmens gegenüber Lieferungen gegeben, da im Falle des Lieferausfalls - zumindest kurzfristig bzw. unter vertretbaren Kosten - kein Lieferantenwechsel stattfinden kann. Gleiches gilt, wenn auf der Beschaffungsseite eine hohe Konzentration vorliegt; stehen vielen relativ kleinen Abnehmern nur ein Lieferant bzw. wenige große Lieferanten gegenüber, so ist von einer M achtkonzentration auf der Lieferantenseite auszugehen. Der Einfluss der Verhandlungsstärke der Lieferanten auf die Preise der Inputfaktoren liegt auf der Hand. Lassen sich Faktorpreiserhöhungen seitens des produzierenden Unternehmens nicht an die eigenen Abnehmer weitergeben, so reduziert sich die Gewinnmarge des Unternehmens entsprechend. Wichtige Elemente auf der Absatzseite von Unternehmen sind die M itbewerber, Distributionspartner und absatzfördernde Dienstleister (z.B. Werbeagenturen, M arktforschungsinstitute) sowie die Kunden. Der Wechsel von Verkäuferzu Käufermärkten, verbunden mit häufig nur noch geringen Wachstumsraten auf einzelnen M ärkten, hat zu einer sich verschärfenden Wettbewerbssituation geführt. Dieser Verdrängungswettbewerb hat in vielen Branchen einen Konzentrationsprozess eingeleitet mit der Folge, dass statt atomistischen M arktstrukturen nunmehr oligopolistische M ärkte vorliegen. Das Überleben kleiner Anbieter auf diesen M ärkten ist nur dann gesichert, wenn lukrative Nischenmärkte erfolgreich bearbeitet werden, welche von den größeren Anbietern nicht bedient werden. Einen weiteren wichtigen Parameter für den Wettbewerb stellen die Marktzutrittsschranken auf den jeweiligen M ärkten dar. M arktzutrittsschranken können als Kräfte definiert werden, die außerhalb des Feldes stehenden Unternehmen davon abhalten, sich in ein Geschäftsfeld zu begeben (vgl. Porter 2013, S. 41 ff.). Während Quellen struktureller Eintrittsbarrieren in Betriebsgrößenvorteilen (Economies of Scale), absoluten Kostenvorteilen des stärksten Anbieters (z.B. durch Erfahrung, benutzte Technologie, Economies of Scope bzw. Synergieeffekte) sowie im Ausmaß des erforderlichen Kapitals für den M arkteintritt zu sehen sind, bestehen strategische M arktzutrittshindernisse in Umstellungskosten der Nachfrager, Käuferloyalität sowie den Zugangsmöglichkeiten zu den Vertriebskanälen; politisch-motivierte M arktzutrittsschranken ergeben sich <?page no="313"?> Situationsanalyse und -prognose 291 schließlich aus dem Verhalten der politischen Parteien bzw. der Gesetzgebung (z.B. Versorgungsmonopole wie Postdienste und Wasserversorgung, Niederlassungsvorschriften für Ärzte und Apotheker usw.). Distributionspartner wie der Groß- und Einzelhandel ermöglichen, dass Produkte eines Herstellers einer größeren Käuferschaft zugänglich gemacht werden. In Analogie zu den Ausführungen auf der Beschaffungsseite reduziert eine große Verhandlungsmacht des Handels die Rentabilität des Herstellers und damit gleichzeitig die M arktattraktivität. Eine hohe Konzentration im Handel, verbunden mit einer großen Abnahmemenge einzelner Abnehmer, ist charakteristisch für eine derartige Situation; in dieselbe Richtung wirken hohe Produktstandardisierungen, sodass ein Bezugswechsel durch den Handel schnell und problemlos erfolgen kann. Nachteilig für die Verhandlungssituation aus Sicht des Herstellers kann ebenfalls eine gute Informationslage des Handels über die Kosten bzw. Gewinnsituation einzelner Hersteller sein. Als besonders erfolgreich hat sich erwiesen, statt einer - häufig nur kurzfristig wirksamen - Push- Strategie, durch welche Produkte durch Händlerrabatte, günstige Bezugskondition, Händlerschulungen, unterstützende Verkaufsförderungsmaßnahmen usw. in die Absatzkanäle gedrückt werden, eine Pull-Strategie einzuschlagen; hier wird versucht, eine starke Position bei den Endnachfragern aufzubauen (z.B. mittels intensiver Kommunikationspolitik), sodass eine entsprechend starke Nachfrage die Produkte aus den Absatzkanälen herauszieht (vgl. F eige 1996, S. 111 ff.). Unterstützung im Absatzbereich erfahren Unternehmen durch die Inanspruchnahme von Dienstleistern wie Werbeagenturen und M arktforschungsinstituten. Durch eine genaue Analyse des Käuferverhaltens sowie des Konkurrenzumfeldes durch externe M arktforschungsinstitute lassen sich adäquate M arketingstrategien entwickeln und die M arketinginstrumente zielgerecht einsetzen. Ein wesentliches Instrument stellt dabei die Kommunikationspolitik dar (vgl. auch Abschnitt 2.3 in diesem Teil). Aufgaben wie Werbemittelentwurf und -produktion sowie M ediaplanung und -buchung werden dabei im Regelfall von externen Dienstleistern (Werbeagenturen) übernommen. Die derzeitige Situation, gekennzeichnet durch Information-Overload, zunehmende Marktsättigung sowie Austauschbarkeit von Produkten, erschwert die Arbeit der Werbeagenturen nicht unerheblich. Lässt sich keine auf den Produktattributen bzw. dem Produktnutzen basierende Unique-Selling- Proposition (USP) aufbauen, so besteht die Aufgabe der Werbeagenturen häufig darin, eine Unique-Communications-Proposition (UCP) zu kreieren, um auf diese Weise eine Heterogenisierung des Produktangebots mit dem Ziel der Präferenzsteigerung für diese Produkte zu erreichen. Je nach Branchenzugehörigkeit bestehen die Kunden eines Unternehmens aus Konsumenten, welche direkt oder über den Handel versorgt werden, oder Institutionen wie industriellen Betrieben oder öffentlichen Nachfragern. Diese Unterscheidung impliziert ein grundsätzlich unterschiedliches Kaufverhalten; organisationalen Beschaffungsbzw. Kaufentscheidungen bei privaten Betrieben oder öffentlichen Nachfragern wird regelmäßig ein höherer Organisationsgrad, eine größere Formalisierung sowie häufig - je nach Beschaffungsentscheidungstyp - M ultipersonalität konstatiert (vgl. auch die Abschnitte 2.1.3, 2.1.4 und 2.1.5 im 2. Teil). Zudem ist davon auszugehen, dass infolge des erhöhten Wettbewerbsdrucks die Beschaffungsprozesse zunehmend informationsgestützter gestaltet werden, um Fehlentscheidungen im Beschaffungswesen möglichst auszuschließen. Derartige Fehlentscheidungen können zu Kostennachteilen und somit auch zu Nachteilen im Hinblick auf die Wettbewerbsposition des Unternehmens als Ganzes führen. Neuartige Kommunikations- und Informationstechnologien wie das Internet können dabei nützliche Dienste erbringen, da sie umfassende, aktuelle und detaillierte beschaffungsrelevante Informationen (Preise, Produktqualitäten, Service, Garantien usw.) in kurzer Zeit zu geringen Kosten zur <?page no="314"?> 292 Strategische Marketing-Planung Verfügung stellen. Auch für Konsumenten stellt das Internet - z.B. für Gebrauchsgüter - eine wertvolle Informationsquelle dar; insofern ist auch bei Konsumenten von einem höheren Kenntnisstand auszugehen mit der Folge, dass Käufe zumindest im Bereich länger genutzter Gebrauchsgüter kritischer erfolgen (zu den Einsatzpotenzialen des Internet im M arketing vgl. Fantapié Altobelli/ Sander 2001). 11.1.1.3 Pr ognose zukünftiger Umweltentwicklungen Für die strategische M arketing-Planung ist nicht nur die Bestandsaufnahme in der globalen und aufgabenspezifischen Umwelt eines Unternehmens wichtig, sondern auch die Vorhersage darüber, wie sich die einzelnen aufgezeigten Elemente in diesen beiden Umwelten entwickeln werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass die Elemente beider Umwelten vernetzt bzw. auf komplexe Weise voneinander abhängig sind. Unter diesen Bedingungen bieten sich insbesondere Expertenbefragungen als Prognosemethode an. Konkret ergeben sich hier Einsatzpotenziale für mittelbis langfristige Expertenprognosen, welche insbesondere mittels der Delphi-M ethode oder der Szenario-Technik durchgeführt werden können (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.3.1.2 im 2. Teil). Auf diese Weise können zukünftige Umweltentwicklungen frühzeitig antizipiert und in die strategische M arketing-Planung (z.B. in Form von Gegenmaßnahmen bzw. umweltadäquatem Reaktionsverhalten) integriert werden. Führungspotentiale Leistungspotentiale Information Organisation Unternehmenskultur Strategische Planung Strategische Kontrolle Personal Kapital Technologie Beschaffung Produktion Absatz Leistungsprozess Quelle: In Anlehnung an Bea/ Haas 2019, S. 136 Abb. 3.4: Die strategischen Erfolgsfaktoren <?page no="315"?> Situationsanalyse und -prognose 293 11.1.2 Unternehmensanalyse Neben der globalen und der aufgabenspezifischen Umwelt als externes Umfeld von Unternehmen hat eine interne Analyse des Unternehmens selbst zu erfolgen. Ziel der Analyse ist die Abstimmung der Potenziale eines Unternehmens im Hinblick auf die Unternehmensumwelt im Sinne eines „System-Umwelt-Fit“. Zusammengeführt werden können die interne und die externe Analyse in der Portfolio-Analyse, welche die aus der Umweltanalyse sich abzeichnenden Chancen und Risiken und die aus der Unternehmensanalyse resultierenden Stärken und Schwächen zusammenführt (vgl. Abschnitt 1.2.4.1 in diesem Teil). Die sich aus der internen Analyse ergebenden strategischen Erfolgsfaktoren von Unternehmen können dabei in Leistungspotenziale und Führungspotenziale aufgespalten werden. Die einzelnen Erfolgsfaktoren sowie ihre Zugehörigkeit zu Leistungsbzw. Führungspotenzialen eines Unternehmens zeigt Abb. 3.4. Leistungspotenziale eines Unternehmens basieren auf den betrieblichen Funktionen Beschaffung, Produktion, Absatz sowie auf personellen, finanziellen und technologischen Inputgrößen (vgl. Abb. 3.4). Aufzuspalten sind diese Potenziale in einzelne Erfolgsfaktoren; ein - je nach unternehmensspezifischer Situation erweiterbarer - Katalog dieser Erfolgsfaktoren besteht aus folgenden Einzelfaktoren (vgl. Bea/ Haas 2019, S. 137 f.): (a) Beschaffung Relative Preise der Faktoren, Qualität der Vorprodukte, Abstimmung mit Lieferanten (z.B. Verwirklichung des Just-in-Time-Prinzips), Grad der Abhängigkeit von Lieferanten (Höhe der Switching Costs). (b) Produktion Kapazität der Fertigungsanlagen, Leistungsstand der Fertigungsanlagen, Flexibilität der Fertigungsanlagen, Fertigungstiefe, Kostenstruktur. (c) Absatz Zusammensetzung des Produktionsprogramms, Produktqualität, Laufzeit von Schutzrechten, Altersaufbau der Produkte, Qualität des Distributionssystems, Qualität der After-Sales-Services (Betreuung, Schulung), Preisspielraum, Lieferfähigkeit, M arktanteil, Kundentreue. <?page no="316"?> 294 Strategische Marketing-Planung (d) Personal Qualifikation, M otivation, Alter und Ausbildung, Lernfähigkeit, Identifikation mit dem Unternehmen, Unternehmerisches Handeln. (e) Kapital Zugang zum Kapitalmarkt, Verschuldungsgrad, eigene finanzielle Ressourcen, finanzielle Ressourcen verbundener Unternehmen. (f) Technologie (Forschung und Entwicklung) Forschungs- und Entwicklungsaufwand, Forschungseffizienz, Patente, Lizenzen. In Abhängigkeit von der Bedeutung der einzelnen dargestellten Faktoren für den strategischen Unternehmenserfolg empfiehlt sich eine Gewichtung dieser Faktoren, da davon auszugehen ist, dass die einzelnen Faktoren einen unterschiedlichen Beitrag zum Erfolg eines Unternehmens leisten. Dabei ist zu beachten, dass die einzelnen aufgeführten Faktoren im Hinblick auf ihre Operationalisierung unterschiedliche Anforderungen stellen; während beispielsweise Faktorpreise, Fertigungskapazitäten und der Altersaufbau von Produkten problemlos messbar sind, ist die Quantifizierung von Größen wie Produktqualität, M otivation der M itarbeiter und Forschungseffizienz ungleich schwieriger. Häufig sind es jedoch gerade diese Faktoren, welche den Erfolg eines Unternehmens ausmachen. Führungspotenziale eines Unternehmens rekrutieren sich aus den Bereichen Information mit den zugehörigen Teilbereichen der strategischen Planung und Kontrolle sowie der Organisation und der Unternehmenskultur (vgl. Abb. 3.4). Wesentliche Einzelfaktoren des unternehmerischen Erfolgs können folgendem Katalog entnommen werden (in Anlehnung an Bea/ Haas 2019, S. 138): <?page no="317"?> Situationsanalyse und -prognose 295 (a) Information Strategische Planung: Zielbildung, Umwelt- und Unternehmensanalyse, Strategiewahl und -implementierung. Strategische Kontrolle: Kontrollkonzeptionen, Kontrollsysteme und deren Implementierung. Strategisch orientierte Unternehmensrechnung (z.B. Prozesskostenrechnung, Target Costing): Früherkennungssysteme, Computergestützte Informationssysteme. (b) Organisation Zahl der Hierarchieebenen, Grad der Dezentralisation, Flexibilität der Organisation, Lernfähigkeit der Organisation, Kooperationsfähigkeit mit anderen Unternehmen. (c) Unternehmenskultur Stärke der Unternehmenskultur, Grad der Außenorientierung, Innovationsfähigkeit. Wie bei den Leistungspotenzialen ist auch bei den Führungspotenzialen von einer unterschiedlichen Bedeutung der Einzelfaktoren im Hinblick auf den strategischen Erfolg auszugehen; auch hier ist also ein Gewichtungsschema einzuführen, welches diesen Bedeutungsunter schieden Rechnung trägt. Um eine verwertbare Aussage treffen zu können, sind die Ausprägungen der strategischen Erfolgsfaktoren aus den Bereichen der Führungs- und Leistungspotenziale eines Unternehmens im Hinblick auf die Konkurrenz bzw. den wichtigsten Wettbewerber zu relativieren. Auf diese Weise können Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens offengelegt werden, welche es aufrechtzuerhalten bzw. auszubauen gilt (Stärken) oder welche eliminiert werden müssen (Schwächen). Ist eine Elimination der Schwächen nicht oder zumindest nicht unter vertretbarem zeitlichen und/ oder finanziellen Aufwand möglich, so hat eine Konzentration auf die Stärken zu erfolgen. Zur Visualisierung von Stärken und Schwächen im Führungs- und Leistungsbereich empfiehlt sich ein Polaritätsprofil wie in Abb. 3.5 dargestellt. Keine Bedeutung bei dieser Darstellung er- <?page no="318"?> 296 Strategische Marketing-Planung halten allerdings die Gewichtungsfaktoren für die einzelnen Erfolgsfaktoren. Sie können im Rahmen eines Scoring-M odells verwendet werden, welches infolge der Aggregation zu einer gewichteten Gesamtpunktzahl - also eines einzigen numerischen Wertes für die gesamten Erfolgsfaktoren - allerdings einen erheblichen Informationsverlust impliziert (zu Scoring-M odellen vgl. auch Abschnitt 2.1.3.1.4 in diesem Teil). In empirischen Studien wurde versucht festzustellen, welcher Zusammenhang zwischen einzelnen Erfolgsfaktoren und ausgewählten Zielgrößen besteht. Besondere Bedeutung hat dabei das PIMS-Programm (Profit Impact of M arket Strategy) erlangt, welches in den sechziger Jahren auf Anregung des amerikanischen Unternehmens General Electric entwickelt wurde (vgl. Kreikebaum 1993, S. 99 ff.). Inzwischen sind fast 500 Unternehmen mit mehr als 3000 strategischen Geschäftseinheiten an diesem Programm beteiligt und stellen Daten zur Verfügung. Hintergrund dieses Programms ist der Gedanke, dass bestimmte „Gesetzmäßigkeiten“ des M arktes den Erfolg von Unternehmen determinieren. Als Zielgrößen wurden dabei der Return-on-Investment (RoI) Bewertung Strategische Erfolgsfaktoren schlecht mittel gut 1 2 3 4 5 6 7 8 9 1. Beschaffung 2. Produktion 3. Absatz 4. Kapital 5. Personal 6. Technologie 7. Information 8. Organisation 9. Unternehmenskultur Eigene Unternehmung = Wesentlicher Wettbewerber = Quelle: In Anlehnung an Hinterhuber 2015, S. 141 Abb. 3.5: Stärken-Schwächen-Profil <?page no="319"?> Situationsanalyse und -prognose 297 sowie der Cash-Flow herangezogen. Abb. 3.6 zeigt die fünf wichtigsten Bestimmungsfaktoren am Beispiel des RoI auf. Insgesamt wurden 37 voneinander unabhängige Erfolgsfaktoren erfasst; diese erklären ca. 80 Prozent der Varianz des Return-on-Investment (vgl. Schreyögg/ Koch 2020, S. 215). Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass hier nicht von deterministischen Zusammenhängen zwischen den Erfolgsfaktoren und der jeweiligen Zielgröße ausgegangen werden kann; Gesetzmäßigkeiten im engeren Sinne, welche die Zusammenstellung von Erfolgsrezepten erlauben, existieren nicht. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Datenbank des PIMS-Programms naturgemäß Vergangenheitsdaten enthält. Ob eine Gültigkeit der Zusammenhänge auch für die Zukunft erwartet werden kann, hängt von der Stabilität des Systems ab. Zudem sind die Ergebnisse dahingehend zu überprüfen, ob sie auch für das eigene Unternehmen Gültigkeit haben bzw. in welchem Ausmaß bestimmte Sachverhalte auf die Situation des eigenen Unternehmens übertragen werden können oder modifiziert werden müssen. Quelle: Bea/ Haas 2019, S. 144 Abb. 3.6: Die wichtigsten Bestimmungsfaktoren für den RoI nach PIMS 1. Marktattraktivität - Marktwachstum (kurzu. langfristig) - Position im Produktlebenszyklus 5. Veränderung von Schlüsselfaktoren - Marktanteilsänderung - Produktqualitätsänderung 4. Kosten - Marketingaufwand/ Umsatz - F&E-Aufwand/ Umsatz 3. Investition - Kapitalintensität - Wertschöpfungstiefe - Arbeitsproduktivität - Kapazitätsausnutzungsgrad 2. Relative Wettbewerbsposition - Marktanteil relativer Marktanteil (i.Vgl zu den drei größten Wettbewerbern) relative Produktqualität relative Kosten RoI <?page no="320"?> 298 Strategische Marketing-Planung 11.2 Ma rktorientierte Unternehmensplanung Bestandteile der marktorientierten Unternehmensplanung sind (vgl. auch Abb. 3.1) die Festlegung der strategischen Unternehmensziele und der M ission des Unternehmens, die Bildung Strategischer Geschäftsfelder, die Bestimmung strategischer Stoßrichtungen und die Allokation von Ressourcen, der Einsatz strategischer Analyseinstrumente sowie die Berücksichtigung von Timing-Aspekten hinsichtlich des M arkteinbzw. -austritts. Ergebnis der marktorientierten Unternehmensplanung sind Entscheidungen über die verschiedenen Strategischen Geschäftsfelder nebst jeweils einzuschlagenden strategischen Grundausrichtungen sowie über zeitliche Aspekte des M arkteinbzw. -austritts. Im M ittelpunkt der strategischen Planungen steht also die Gesamtheit der Strategischen Geschäftsfelder eines Unternehmens. Im Rahmen der marktorientierten Geschäftsfeldplanung hingegen stehen die Planungsaktivitäten innerhalb einzelner Strategischer Geschäftsfelder im Vordergrund der Betrachtung (vgl. Abschnitt 1.3 in diesem Teil). 1.2.1 S trategische Unternehmensziele und Mission Ausgangspunkt der marktorientierten Unternehmensplanung stellt die Formulierung strategischer Unternehmensziele sowie die Festlegung der M ission des Unternehmens dar. Bei der Mission handelt es sich um die dezidiert festgelegten Unternehmensgrundsätze i.S. eines Wert- und Normengefüges eines Unternehmens, an welchen sich die Handlungen aller M itarbeiter des Unternehmens zu orientieren haben (vgl. auch Abschnitt 2.3.5.2 in diesem Teil). Derartige Unternehmensgrundsätze können geprägt werden durch Einflüsse von Unternehmenseignern und Beschäftigten, Traditionen und Historie des Unternehmens, den vorliegenden Ressourcen und dem im Unternehmen verankerten Know-how sowie durch die unterschiedlichen ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Abb. 3.7 stellt beispielhaft die Unternehmensgrundsätze zweier Unternehmen dar. Auf Basis der M ission des Unternehmens sind schließlich die strategischen Unternehmensziele zu formulieren. Typische diesbezügliche Ziele, welche in empirischen Studien erfragt wurden, sind (vgl. Becker 20 19, S. 15 ff.): Gewinn, Rentabilität, M arktanteil/ M arktposition, Umsatz, Wachstum, <?page no="321"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 299 a) Fünf Grundsätze des Unternehmens Mars Inc. b) Zehn Unternehmensleitsätze des Unternehmens Schöller Qualität. Der Verbraucher ist König. Qualität und Value for Money sind unsere Zielsetzung. Verantwortung. Als einzelne verlangen wir die volle Eigenverantwortung, als Mitarbeiter unterstützen wir die Verantwortung der anderen. Gegenseitigkeit. Ein gegenseitiger Nutzen ist gemeinsamer Nutzen; ein gemeinsamer Nutzen hat Dauer. Effizienz. Wir schöpfen alle Möglichkeiten voll aus, verschwenden nichts und beschränken uns auf unsere Stärken. Freiheit. Wir brauchen Freiheit, um unsere Zukunft selbst gestalten zu können; wir brauchen Gewinne um unsere Freiheit zu bewahren. Ob Kunde, Kollege oder Mitarbeiter, der Mensch steht für uns im Mittelpunkt aller unserer Überlegungen und unseres gesamten Handelns. Nur mit der Bereitschaft zur Veränderung bewältigen wir die Zukunft. Nur gemeinsam können wir unsere Ziele erreichen. Führen heißt Vorbild sein und Verantwortung übernehmen. Niemand von uns ist unfehlbar, Fehler geben wir zu und verschleiern sie nicht. Wir lösen Probleme, statt Schuldige zu suchen. Wir müssen in jeder Beziehung kompetent und verlässlich sein. Bei Qualität kennen wir keine Kompromisse. Wir verkaufen nicht nur Produkte, sondern bieten Problemlösungen an. Fair, fortschrittlich, fröhlich und freundlich das sind wir! Quelle: Becker 2019, S. 38 Abb. 3.7: Unternehmensgrundsätze zweier Unternehmen Unabhängigkeit, Sicherheit, Soziale Verantwortung, Kundenpflege, Prestige. Im Regelfall werden mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt, wobei die Ziele jedoch einen unterschiedlichen Stellenwert besitzen. Dabei haben sich in vielen empirischen Untersuchungen Gewinnbzw. Rentabilitätsziele sowie M arktanteilsziele als Ziele mit besonderer Dominanz erwiesen. <?page no="322"?> 300 Strategische Marketing-Planung Zielgewichtung Kurzfristige Gewinnerzielung Langfristige Gewinnerzielung Umsatz Marktanteil Erschliessung neuer Märkte Kosteneinsparung Produktivitätssteigerungen Umweltschutz Erhaltung von Arbeitsplätzen Unternehmens-/ Produktimage Mitarbeitermotivation Kooperation mit dem Handel Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit Rang 13 2 12 10 7 4 3 8 9 6 5 11 1 Sehr Überhaupt viel Wert kein Wert 1 2 3 4 5 6 Wert 3,09 1,42 2,50 2,15 1,70 1,52 1,48 1,88 1,93 1,57 1,56 2,28 1,19 Quelle: Meffert/ Kirchgeorg 1989, S. 14 Abb. 3.8: Prioritäten im Zielsystem der Unternehmen Abb. 3.8 stellt beispielhaft das Ergebnis einer derartigen Studie dar. Wichtigste Ziele in dieser Studie sind die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit sowie die langfristige Gewinnerzielung. <?page no="323"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 301 11.2.2 Bildung Strategischer Geschäftsfelder Strategische Geschäftsfelder entstehen, indem das gesamte unternehmerische Tätigkeitsfeld in einzelne Aktionsbereiche zerlegt wird. Die Strategischen Geschäftsfelder sollen dabei eindeutig voneinander unterscheidbar und abgrenzbar sein. Zur Abgrenzung Strategischer Geschäftsfelder können mehrere Dimensionen herangezogen werden (vgl. Bea/ Haas 2019, S. 163 f.): die Technologie: Hier wird auf die Produktion sowie der ihr vorgelagerten Forschung und Entwicklung abgestellt. Beispiel: Strategische Geschäftsfelder für Standard-PC, Profi-PC und spezielle PC bzw. Computertechnologien (z.B. Server). das Produkt: Ausgangspunkt der Geschäftsfeldbildung ist das Produkt selbst. Beispiel: Strategische Geschäftsfelder „Personal Computer“ sowie „Peripherie-Geräte“ (z.B. Drucker, Scanner) bei einer Computerfirma. die Problemlösung: Im Gegensatz zur Produktorientierung wird hier a uf die Bedürfnisbefriedigung abgestellt. Beispiel: Eine Computerfirma bietet spezielle Problemlösungen für die Preis bzw. Absatzkalkulation, die Lohnbuchhaltung oder die Kostenrechnung an. Die Problemlösungen bilden die einzelnen Geschäftsfelder. die Wettbewerber: Bei stark konkurrenzorientierter Verhaltensweise kann die Geschäftsfeldabgrenzung anhand der Wettbewerber erfolgen. Beispiel: Die Computerfirma bildet ein Strategisches Geschäftsfeld für Europa (polypolistische M arktstruktur) und für Asien (oligopolistische M arktstruktur). Die unterschiedlichen M arktstrukturen erfordern jeweils unterschiedliche M arktbearbeitungsstrategien. die Nachfrager: Hier werden Geschäftsfelder für unterschiedliche M arktsegmente definiert. Beispiel: Die Computerfirma entwickelt Strategische Geschäftsfelder für den Privatkundenbereich, für Geschäftskunden sowie für Großkunden. Die dargelegten fünf Dimensionen ergänzen einander, sind aber gleichzeitig nicht überschneidungsfrei. Die konkrete Formulierung der Geschäftsfelder hat im jeweiligen Einzelfall zu erfolgen. Eine enge Geschäftsfeldabgrenzung ermöglicht dabei dezidierte Strategieempfehlungen und eine zielgenaue M arktbearbeitung, weite Geschäftsfeldabgrenzungen erhöhen den Spielraum der M arktbearbeitung und verbessern die Überschaubarkeit für die Unternehmensleitung, da weite Geschäftsfeldabgrenzungen die Anzahl der Geschäftsfelder in einem Unternehmen sinken lassen. Die konkrete Entwicklung und Durchführung spezifischer Strategien wird von der Unternehmensleitung an strategische Geschäftseinheiten delegiert (vgl. Hinterhuber 2004, S. 120 ff.). Eine Strategische Geschäftseinheit kann dabei für ein oder auch für mehrere Strategische Geschäftsfelder verantwortlich zeichnen. Sie müssen folgende Bedingungen erfüllen (vgl. Hinterhuber 2004, S. 121 f.): Betätigung auf einem externen M arkt: Für interne M ärkte (z.B. innerhalb des Unternehmens transferierte Zwischenprodukte) werden keine Strategischen Geschäftseinheiten gebildet. Eigenständigkeit der marktbezogenen Aufgaben: Die Strategischen Geschäftseinheiten sollen möglichst überschneidungsfrei definiert werden. Jede Geschäftseinheit muss für die von ihr bearbeiteten M ärkte eigenständige M arketing-Strategien, welche unabhängig von den M arketing-Strategien anderer Strategischer Geschäftseinheiten sind, entwickeln können. <?page no="324"?> 302 Strategische Marketing-Planung Identifizierbarkeit der Konkurrenten: Die Bildung Strategischer Geschäftseinheiten hat so zu erfolgen, dass die Wettbewerber eindeutig festgestellt und einer Strategischen Geschäftseinheit zugeordnet werden können. Unabhängigkeit der Entscheidungen: Entscheidungen in den einzelnen Strategischen Geschäftseinheiten sollten sich möglichst wenig gegenseitig bedingen und beeinflussen. Führungseffizienz: Die Verantwortung für die Entscheidungen innerhalb einer Strategischen Geschäftseinheit sowie die Kontrolle über die einzusetzenden Ressourcen liegt bei den Fürungskräften der jeweiligen Strategischen Geschäftseinheit. Offensichtlich geht mit der Bildung Strategischer Geschäftseinheiten eine Binnenorientierung einher, während mit der Bildung bzw. Definition von Strategischen Geschäftsfeldern eine Umweltorientierung verbunden ist. Strategische Geschäftseinheiten stellen damit die unternehm ensinterne, organisatorische Verankerung der nach marktorientierten, unternehmensexternen Gesichtspunkten gebildeten Strategischen Geschäftsfelder dar. 11.2.3 S trategische Stoßrichtungen und Ressourcenallokation Nach Festlegung der Strategischen Geschäftsfelder und ihrer Zuordnung zu Strategischen Geschäftseinheiten ist zu überprüfen, ob mit der bisherigen Unternehmensstrategie die verfolgten Unternehmens- und M arketingziele erreicht werden können. Treten (negative) Abweichungen von den Zielen (sog. Ziellücken) auf, so sind für die einzelnen Strategischen Geschäftsfelder grundsätzliche strategische Stoßrichtungen zu formulieren, um Wachstumsquellen zu erschließen bzw. eine Zielerreichung sicherstellen zu können. Weiten Eingang in die einschlägige Literatur hat in diesem Zusammenhang die Produkt-M arkt-Matrix von Ansoff (1966) gefunden (vgl. Abb. 3.9). Die Strategie der Marktdurchdringung geht einher mit dem Versuch der Ausschöpfung des M arktpotenzials mit bestehenden Produkten auf bestehenden Märkten (Intensivierungsstrategie). Denkbare Ansatzpunkte für diese Strategie sind die Gewinnung von bisherigen Nichtanwendern (z.B. durch Warenprobenverteilung), Abwerben neuer Kunden von der Konkurrenz (z.B. durch Gegenwärtig Neu Marktdurchdringung Marktentwicklung Produktentwicklung Diversifikation Gegenwärtig Neu Märkte Produkte Abb. 3.9: Produkt-Markt-Matrix nach Ansoff <?page no="325"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 303 günstige Preise) oder die Intensivierung des Konsums bei bestehenden Kunden (z.B. durch vorzeitige Veralterung des Produkts (geplante Obsoleszenz), Erschließung neuer Anwendungsgebiete). Die Strategie der Marktentwicklung stellt auf das Anbieten bereits bestehender Produkte auf neuen, bisher nicht bearbeiteten M ärkten ab. Konkret kann dies durch eine regionale Ausdehnung der M arketing-Aktivitäten erfolgen (z.B. Erschließung von Auslandsmärkten) oder durch Bearbeitung bisher nicht bedienter M arktsegmente (z.B. durch Erschließung neuer Vertriebskanäle, zielgruppenspezifische Produktadaptionen). Die Strategie der Produktentwicklung basiert auf der Idee, neue Produkte auf bereits bearbeiteten Märkten anzubieten. Von essentieller Bedeutung ist hierbei der Innovationsgrad der Produkte. Das Spektrum reicht hier von der Schaffung neuer Produktvarianten (z.B. Billig- oder Premiumvarianten eines Ausgangsprodukts) im Rahmen einer Sortimentserweiterung bis hin zu echten M arktbzw. Weltneuheiten (z.B. Ablösung der herkömmlichen Schallplattentechnologie durch die CD-Technologie). Die Diversifikationsstrategie schließlich umfasst das Eindringen auf neuen M ärkten mit neuen Produkten. Zu unterscheiden ist in diesem Zusammenhang die horizontale, vertikale und laterale Diversifikation (vgl. z.B. Aaker 2014). Bei der horizontalen Diversifikation bestehen sachliche oder technologische Zusammenhänge zu dem bereits angebotenen Produktprogramm auf derselben Verarbeitungsstufe (z.B. dringt ein Bierhersteller in den M arkt der Erfrischungsgetränke ein). Die vertikale Diversifikation beinhaltet die Ausweitung der Unternehmensaktivitäten auf vor- (Rückwärtsintegration) oder nachgelagerten Stufen (Vorwärtsintegration) (z.B. Aufkauf eines Zulieferbetriebes durch einen Automobilhersteller). Laterale Diversifikationen schließlich sind dadurch gekennzeichnet, dass in völlig neue Produkt- und M arktgebiete vorgestoßen wird, welche in keinem sachlichen Zusammenhang zu den bisherigen Unternehmensaktivitäten stehen (z.B. Einstieg eines Telekommunikationsunternehmens in den Lebensmittelbereich). Welche strategische Stoßrichtung jeweils eingeschlagen werden soll, kann u.a. hinsichtlich der Kriterien „Erfolg“ und „Risiko“ erörtert werden. So hat sich gezeigt, dass im Rahmen einer Diversifikationsstrategie das unternehmerische Risiko durch Ausweitung der geschäftliche n Basis durchaus abgesenkt werden kann, häufig aber auf Kosten des Erfolges bzw. der Rentabilität des eingesetzten Kapitals. Grund hierfür dürften u.a. die nur geringen Synergieeffekte sein, welche sich insbesondere bei lateralen Diversifikationen ergeben. Die höchsten Synergieeffekte sind bei der Strategie der M arktdurchdringung zu vermuten, allerdings hat diese Strategie keine (positive) Auswirkung auf das Unternehmensrisiko im Sinne einer Verbreiterung der Geschäftsbasis. Verbunden mit der Auswahl der grundsätzlichen strategischen Stoßrichtung für die einzelnen Strategischen Geschäftsfelder ist auch die Ressourcenallokation, d.h. die Ressourcenzuweisung zu den einzelnen Strategischen Geschäftseinheiten. In der Tendenz ist davon auszugehen, dass mit den Strategien der M arktdurchdringung und der M arktentwicklung geringere Ressourcen benötigt werden als bei den Strategien der Produktentwicklung und der Diversifikation, da auf das bereits bestehende Produktprogramm zurückgegriffen werden kann. Insbesondere die Diversifikationsstrategie ist häufig mit einem enormen Ressourcenbedarf (z.B. infolge eines Unternehmensaufkaufs) verbunden. Genaue diesbezügliche Aussagen lassen sich jedoch nur im Einzelfall ableiten. Insgesamt ist darauf zu achten, dass auf Gesamtunternehmensebene ein adäquater M ix aus liquiditätsbindenden und liquiditätsfreisetzenden Geschäftseinheiten vorliegt (vgl. M effert 2000, S. 248). Hierzu bedarf es des Einsatzes strategischer Analyseinstrumente (vgl. den nachfolgenden Abschnitt 1.2.4). Kritisch hinsichtlich des Konzepts der Produkt-M arkt-Matrix als Instrument zur Schließung von Ziellücken ist anzumerken, dass einseitig von Wachstumszielen des betrachteten Unternehmens <?page no="326"?> 304 Strategische Marketing-Planung ausgegangen wird. Desinvestitions- und Rückzugsstrategien auf stagnierenden und schrumpfenden M ärkten werden nicht abgebildet. Zudem fehlt eine übergeordnete, integrierende Perspektive, welche die Gesamtheit der Strategischen Geschäftsfelder in die Betrachtung mit einbezieht. Koordinative Aspekte (z.B. hinsichtlich Risiko- und Ertragsgesichtspunkten auf Gesamtunternehmensebene) werden explizit nicht berücksichtigt. 11.2.4 Ei nsatz strategischer Analyseinstrumente Um genauere Einsichten in die Risiko- und Ertragssituation auf Gesamtunternehmensebene zu erhalten, bedarf es des Einsatzes von strategischen Analyseinstrumenten. Im Folgenden werden ausgewählte strategische Analyseinstrumente vorgestellt: die Portfolioanalyse, die Lebenszyklusanalyse, die Positionierungsanalyse, die Erfahrungskurvenanalyse sowie die Wertkettenanalyse. Bei entsprechender Adaption können diese Analyseinstrumente auch auf Geschäftsfeldebene angewendet werden (vgl. Abschnitt 1.3 in diesem Teil). 1.2.4.1 Por tfolioanalyse M ittels der Portfolioanalyse können die Strategischen Geschäftsfelder in einer zweidimensionalen M atrix positioniert werden. Die beiden Dimensionen entsprechen dabei der Umweltsituation einerseits sowie der Unternehmenssituation andererseits (vgl. auch Abschnitt 1.1 in diesem Teil). Es lassen sich zwei Gruppen von Portfolios unterscheiden (vgl. Bea/ Haas 2019, S. 168 ff.): absatzorientierte Portfolios sowie ressourcenorientierte Portfolios. Abb. 3.10 zeigt im Überblick auf, welche spezifische Umwelt- und Unternehmensdimension mit den einzelnen Konzepten verbunden ist. Stellvertretend soll an dieser Stelle die McKinsey-Matrix als Portfolio-Konzept vorgestellt werden (vgl. z.B. Berndt 1995b, S. 71 ff.). Die Umweltdimension wird dabei durch die M arktattraktivität wiedergegeben, die Unternehmensdimension durch den relativen Wettbewerbsvorteil. Insgesamt ergeben sich in der M cKinsey-M atrix 9 Felder. Abb. 3.11 zeigt beispielhaft eine Portfolio- M atrix nach M cKinsey mit bereits als Kreise eingetragenen Strategischen Geschäftsfeldern, wobei die Größe der Kreise üblicherweise die Umsätze, Deckungsbeiträge oder den Return on Investment (RoI) der Strategischen Geschäftsfelder repräsentieren. Die M arktattraktivität sowie der relative Wettbewerbsvorteil werden durch eine Vielzahl von Unterkriterien beschrieben. Zur Positionierung eines Strategischen Geschäftsfeldes wird dieses Strategische Geschäftsfeld hinsichtlich dieser Unterkriterien bewertet, wobei die Unterkriterien selbst - je nach Bedeutung - unterschiedlich gewichtet werden können. Formal gilt damit (vgl. Berndt 1995b, S. 75): <?page no="327"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 305 Unternehm en Umwelt Strategisches Geschäftsfeld Absatzmarktorientierte Portfolios 1. Marktwachstum - Marktanteil-Portfolio (BCG-Matrix) Relatives Marktanteil von Produkten Marktwachstum Produkt-Markt-Kombination 2. Marktattraktivität- Wettbewerbsvorteil- Portfolio (McKinsey-Matrix) Relativer Wettbewerbsvorteil Marktattraktivität Produkt-Markt-Kombination 3. Wettbewerbsposition- Marktlebenszyklus- Portfolio (A.D.Little) Wettbewerbsposition Lebenszyklusphase Produkt-Markt-Kombination Ressourcenorientierte Portfolios 1. Geschäftsfeld-Ressourcen-Portfolio (Albach) Verfügbarkeit von Ressourcen Kostenentwicklung Marktattraktivität von Produkten Produktlebenszyklus Produkt-Ressourcen- Kombinationem 2. Technologie-Portfolio (Pf eiffer u.a.) Technologiestärke Technologieattraktivität Produkttechnologie, Verfahrenstechnologie Quelle: Bea/ Haas 2019, S. 168 Abb. 3.10: Portfoliokonzepte 1 n MA i k ik i P g e sowie 1 m WP j k jk j P g e mit: MA k P = Position des Strategischen Geschäftsfelds k bzgl. der Dimension „M arktattraktivität“ i g = Gewicht des Unterkriteriums i für die Dimension „M arktattraktivität“ ik e = Bewertung des Strategischen Geschäftsfelds k bzgl. Unterkriterium i n = Anzahl der Unterkriterien zur Beschreibung der Dimension „M arktattraktivität“ <?page no="328"?> 306 Strategische Marketing-Planung WP k P = Position des Strategischen Geschäftsfelds k bzgl. der Dimension „relativer Wettbewerbsvorteil“ j g = Gewicht des Unterkriteriums j für die Dimension „relativer Wettbewerbsvorteil“ jk e = Bewertung des Strategischen Geschäftsfelds k bzgl. Unterkriterium j m = Anzahl der Unterkriterien zur Beschreibung der Dimension „relativer Wettbewerbsvorteil“ Abb. 3.11: Portfolio-Matrix nach McKinsey 0 niedrig 3,33 mittel 6,67 hoch 10 Relativer Wettbewerbsvorteil D A F C E B Marktattraktivität niedrig 3,33 mittel 6,67 hoch 10 <?page no="329"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 307 Die Vorgehensweise entspricht damit derjenigen in einem Scoring-M odell (vgl. auch Abschnitt 2.1.3.1.4 in diesem Teil). Ein Beispiel für die Ermittlung von MA k P und WP k P für drei Strategische Geschäftsfelder nebst zugehörigen Unterkriterien für die Beschreibung der Dimensionen „M arktattraktivität“ bzw. „relativer Wettbewerbsvorteil“ findet sich in Abb. 3.12 (vgl. zu den Unterkriterien auch die Ausführungen in den Abschnitten 1.1.1.2 und 1.1.2 in diesem Teil). In Abb. 3.13 ist das zugehörige Portfolio dargestellt (wobei von gleichbedeutenden Strategischen Geschäftsfeldern ausgegangen wurde). Ebenfalls aus Abb. 3.13 sind die aus der Position der jeweiligen Strategischen Geschäftsfelder abzuleitenden Normstrategien ersichtlich. Während in die in den Feldern 2, 3 und 6 positionierten Strategischen Geschäftsfelder investiert werden soll, da sie langfristig das Erfolgspotenzial des Unternehmens darstellen, stellen in den Feldern 4, 7 und 8 positionierte Strategische Geschäftsfelder keine langfristigen Erfolgschancen sicher. Bei Strategischen Geschäftsfeldern mit zumindest mittlerer M arktattraktivität bzw. Wettbewerbsposition kann das Unternehmen bei noch positiven Deckungsbeiträgen versuchen, ohne weiteren Ressourceneinsatz die Cash-Flows dieser Strategischen Geschäftsfelder zu maximieren, um wachsende Strategische Geschäftsfelder zu finanzieren (Abschöpfungsstrategie). Fällt kein signifikant positiver Cash-Flow mehr an, so ist das Strategische Geschäftsfeld abzustoßen (Desinvestitionsstrategie) (vgl. Hinterhuber 2015, S. 197 ff.). Selektive Strategien schließlich sind für Geschäftsfelder einzuschlagen, welche sich auf der Diagonalen der Portfolio-M atrix befinden. Hier ist zwischen Offensivstrategie, Defensivstrategie und Übergangsstrategie zu unterscheiden. Offensivstrategien bieten sich für Strategische Geschäftsfelder an, welche sich durch eine hohe M arktattraktivität, aber schwache Wettbewerbsposition auszeichnen (Feld 1). Im Rahmen einer derartigen Strategie muss versucht werden, einen Wettbewerbsvorteil zu erringen, d.h. das Strategische Geschäftsfeld in die Felder 2 oder 3 zu bewegen. Erscheint dies nicht möglich, so ist das Strategische Geschäftsfeld aufzugeben. Defensivstrategien hingegen eignen sich für in Feld 9 positionierte Strategische Geschäftsfelder. Hier wird versucht, durch Halten der Wettbewerbsposition trotz eines schwachen bzw. schrumpfenden M arktes einen ausreichenden RoI zu erwirtschaften. Für in Feld 5 positionierte Strategische Geschäftsfelder schließlich ist eine Übergangsstrategie einzuschlagen, je nachdem wie sich die M arktattraktivität entwickelt und die Erfolgsaussichten des Geschäftsfelds eingeschätzt werden. So kann zunächst versucht werden, die relativen Wettbewerbsvorteile auszubauen. Bei zunehmender M arktattraktivität kann dann das Geschäftsfeld durch weitere Investitionen zu einer Position in Feld 3 ausgebaut oder im Rahmen einer Desinvestitionsstrategie bei sinkender M arktattraktivität abgeschöpft werden (Feld 7). Abb. 3.14 fasst die Normstrategien und deren Ausgestaltung im Überblick zusammen. Gleichzeitig wird deutlich, dass hinter den Normstrategien gewisse Vorstellungen existieren, wohin sich die einzelnen Strategischen Geschäftsfelder entwickeln sollen. Es empfiehlt sich daher, ein explizites Zielportfolio (bzw. Sollportfolio) aufzustellen, in dem die in Zukunft zu erreichenden Sollpositionen der einzelnen Strategischen Geschäftsfelder eingetragen sind. Hierfür ist ebenfalls ein konkreter Zeithorizont zu formulieren, wann die Sollpositionen erreicht sein sollen. Das Zielportfolio sollte dabei in dem Sinne ausgeglichen sein, dass liquiditätsbindenden Geschäftsfeldern ausreichend liquiditätsabgebende Geschäftsfelder gegenüberstehen. Portfolio-Ungleichgewichte <?page no="330"?> 308 Strategische Marketing-Planung Quelle: Bea/ Haas 2019, S. 171 f. Abb. 3.12: Beispiel zur Ermittlung der Marktattraktivität und des relativen Wettbewerbsvorteils für 3 strategische Geschäftsfelder gering hoch Bewertung 8 9 10 4 5 6 7 1 2 3 Relativer Wettbewerbsvorteil Gewichtung gewichtete Werte A B C 1. Beschaffung 2. Produktion 3. Absatz 4. Kapital 5. Personal 6. Technologie 7. Planung 8. Kontrolle 9. Information 10. Organisation 11. Unternehmenskultur SGF A = SGF B = SGF C = 1,0 8,325 5,825 2,85 WP k P 0,075 0,1 0,075 0,15 0,1 0,075 0,125 0,1 0,1 0,05 0,05 0,6 0,7 0,45 1,2 0,8 0,6 1,125 0,9 1,0 0,5 0,45 0,225 0,4 0,3 1,05 0,8 0,45 0,75 0,6 0,5 0,35 0,4 0,375 0,4 0,45 0,45 0,3 0,225 0,25 0,2 0,1 0,05 0,05 gering hoch Bewertung 8 9 10 4 5 6 7 1 2 3 Marktattraktivität Gewichtung gewichtete Werte A B C 1. Marktpotential 2. Marktstruktur 3. Beschaffenheit des Gutes Marktgröße Marktwachstum Wettbewerber Lieferanten Abnehmer - Zahl der Wettbewerber - Größe der Wettbewerber - Marktzutritts schranken - Verhandlungsstärke - Störanfälligkeit - Entw. d. Faktorpreise - Verhandlungsstärke - Produktbindung - Preissensitivität SGF A = SGF B = SGF C = 0,15 0,2 0,2 0,15 0,15 0,15 1,2 1,8 1,4 1,05 1,05 1,35 0,6 1,4 1,6 0,9 0,45 1,05 0,75 0,2 0,4 0,45 0,75 0,45 1,0 7,85 6,00 3,00 <?page no="331"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 309 Quelle: Bea/ Haas 2019, S. 170 Abb. 3.13: Positionierung der drei strategischen Geschäftsfelder aus Abb. 3.12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 C B A Nachteil Vorteil 0 3,33 6,67 10 relativer Wettbewerbsvorteil 0 3,33 6,67 10 gering mittel hoch Marktattraktivität 4,7,8 Abschöpfungsbzw. Desinvestitionsstrategie 1,5,9 Selektionsstrategie (Offensiv-, Defensiv- und Übergangsstrategie) 2,3,6 Wachstumsbzw. Investitionsstrategie <?page no="332"?> 310 Strategische Marketing-Planung Quelle: Berndt 1995b, S. 84 Abb. 3.14: Überblick über Normstrategien und deren Ausgestaltung Investitions- und Wachstumsstrategien Selektive Strategien Abschöpfungs- und Desinvestitionsstrategien Ziel: Halten bzw. Ausbau der Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz Maßnahmen: Die technischen und marketingpolitischen Anstrengungen müssen darauf gerichtet sein, Schwachstellen zu beseitigen, die solide Wettbewerbsposition zu konsolidieren bzw. weiter auszubauen und Konkurrenzunternehmungen abzuhalten, in diese Marktsegmente einzudringen. Cash-Flow: Kurzfristig negativ, mittel- und langfristig positiv Bedeutung: Die Strategischen Geschäftsfelder tragen zum zukünftigen Gewinn und Wachstum der Unternehmung bei und erfordern hohe Investitionen Ziel: Wachstum oder Gewinn A. Offensiv- Die Unternehmung muss Wettbewerbsvorteile gegen strategien: über den wichtigsten Konkurrenzunternehmungen aufbauen (z.B. Erhöhung des relativen Marktanteil, Senkung der Stückkosten, stärkere Differenzierung usw.) Maßnahmen: Die Strategischen Geschäftsfelder erfordern hohe Aufbauinvestitionen mit unsicheren ökonomischen Perspektiven und können zum zukünftigen Wachstum der Unternehmung beitragen Cash-Flow: Kurzbis mittelfristig negativ, langfristig positiv Bedeutung: Aus diesen Strategischen Geschäftsfeldern muss die Unternehmung die zukünftigen Gewinnpotentiale auswählen B. Übergangs- Konsolidierung einer Investitions-/ Wachstumsstrategie strategien: oder einer Abschöpfungs- oder Desinvestitionsstrategie mit dem Ziel, den Cash-Flow ohne großen Ressourceneinsatz, jedoch durch Rationalisierungsmaßnahmen zu maximieren C. Defensiv- Die Unternehmung muss ihre relativen Wettbewerbsstrategien: vorteile halten und Konkurrenzunternehmungen abhalten, in dieses Marktsegment einzudringen Maßnahmen: Kostensenkungsprogramme, Produktdifferenzierung, Verbesserung des Kundendienstes, Preispolitik usw. Cash-Flow: Kurzbis mittelfristig positiv Bedeutung: Die Strategischen Geschäftsfelder tragen zum gegenwärtigen Gewinn der Unternehmung bei und erfordern geringe Investitionen zur Erhaltung der relativen Wettbewerbsvorteile Ziel: Cash-Flow-Maximierung, Verlustminimierung Maßnahmen: Ausnutzung aller Rationalisierungsreserven und Synergieeffekte in Produktion und Vertrieb Cash-Flow: Kurzfristig positiv, mittel- und langfristig negativ Bedeutung: Die Strategischen Geschäftsfelder können zum gegenwärtigen Gewinn beitragen und erfordern keine wesentlichen zusätzlichen Investitionen, sind aber im allgemeinen desinvestitionsverdächtig <?page no="333"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 311 mit zu vielen Investitionsbzw. Wachstums-Geschäftsfeldern bzw. zu vielen Desinvestitions- und Abschöpfungsgeschäftsfeldern sind daher zu vermeiden. Bei einer kritischen Würdigung der Portfolio-Analyse als strategisches Analyseinstrument ist darauf hinzuweisen, dass mittels dieses Instruments auf Basis eines Scoring-M odells eine eindeutige Positionierung von Strategischen Geschäftsfeldern hinsichtlich Umwelt- und Unternehmensdimension möglich ist. Darauf aufbauend lassen sich die dargelegten Normstrategien für einzelne Strategische Geschäftsfelder ableiten. Nachteilig ist die Tatsache, dass die Normstrategien im Regelfall zu grob sind; hier lassen sich nur erste Anhaltspunkte für strategische M aßnahmen finden, welche weiter ausdifferenziert werden müssen. Außerdem kommen sämtliche Nachteile zum Tragen, welche Scoring-M odellen generell anhaften (z.B. Subjektivität, Verzerrungen bei Gewichtungen und Bewertungen, Kriterienüberschneidungen usw.; vgl. auch Abschnitt 2.1.3.1.4 in diesem Teil). 1 1.2.4.2 Leb enszyklusanalyse Lebenszyklusanalysen versuchen, die Entwicklung von Produkten, M arken, Branchen oder M ärkten im Zeitablauf nachzuzeichnen, um daraus Schlussfolgerunge n für die M arktbearbeitung zu ziehen. Je nachdem, was konkret Gegenstand der Betrachtung ist, spricht man von Produktlebenszyklen, M arkenlebenszyklen, Branchenlebenszyklen oder M arktlebenszyklen. Verdeutlicht wird die Entwicklung im Zeitablauf anhand ökonomischer Größen wie Umsatz, Absatz oder Gewinn. Abb. 3.15 zeigt den Lebenszyklus für ein Produkt mit zugehörigen Phasen auf. Zu beachten ist, dass der in Abb. 3.15 dargestellte Produktlebenszyklus eine idealtypische Gestalt besitzt. Es lassen sich allerdings empirische Produktlebenszyklen beobachten, welche ebenfalls diese oder eine ähnliche Gestalt haben. Dabei kann die Gesamtlänge des Produktlebenszyklus - je nach Produkt - von wenigen Wochen (z.B. aktuelle Chart-Hits auf CD) bis zu mehreren Jahren reichen (z.B. bestimmtes Automodell). M arkenlebenszyklen können sich sogar auf mehrere Jahrzehnte erstrecken (z.B. Persil). Abb. 3.16 zeigt einige ausgewählte Beispiele empirisch beobachteter Verläufe von Produktlebenszyklen auf. Drei Ursachen lassen sich für den Verlauf des Produktlebenszyklus ermitteln: das Verhalten der Käufer, das Verhalten der Anbieter, umweltbedingte Restriktionen. Ein neues Produkt verbreitet sich nach bestimmten M ustern in einem sozialen System. Die Darstellung und Erklärung dieses Sachverhalts ist Aufgabe der Diffusionsforschung (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.4.2.1.2 im 2. Teil). Durch das Verhalten der Konkurrenz wird der Verlauf des Produktlebenszyklus ebenfalls beeinflusst. So folgt auf die (Produkt-)Innovation eines Anbieters bei entsprechendem Erfolg dieser Innovation die Imitation durch andere Anbieter. Dies wirkt sich auf die M arktperformance (z.B. Umsatz, Gewinn) des betrachteten Produkts aus. Dabei ist auf vielen M ärkten aufgrund der beschleunigten Innovationsdynamik im Verbund mit einer reduzierten Reaktionsbzw. Imitationszeit der Konkurrenten von einer Verkürzung von Produktlebenszyklen auszugehen. Schließlich können umweltbedingte Restriktionen wie z.B. die Gesetzgebung oder der Konjunkturverlauf den Lebenszyklus von Produkten beeinflussen. <?page no="334"?> 312 Strategische Marketing-Planung Umsatz Gewinn Zeit Verlust Einführungs phase Wachstumsphase Reifephase Sättigungs phase Degenerationsphase Umsatz Gewinn Abb. 3.15: Produktlebenszyklus Aus Sicht eines Anbieters kann der Produktlebenszyklus insbesondere für zwei Zwecke herangezogen werden: Prognose sowie Formulierung einer M arketing-Strategie. Kann von einer validen Fundierung des Produktlebenszykluskonzeptes ausgegangen werden, so lassen sich auf seiner Basis Aussagen über die zukünftige Entwicklung eines Produktes am M arkt ableiten. Allerdings ist zu beachten, dass der Lebenszyklus per se keine Gesetzmäßigke it darstellt, sondern - wie dargestellt - von Käuferverhalten, Anbieterverhalten und umweltbedingten Restriktionen determiniert wird. Dies ist bei der Ableitung von Prognosen auf Basis des Produktlebenszykluskonzepts zu beachten, d.h. diese Determinanten sind explizit in die Prognose mit einzubeziehen. Schließlich kann aufgrund der einzelnen Phasen des Produktlebenszyklus versucht werden, phasenspezifisch angemessene M arketing-Strategien zu entwickeln und einzusetzen. Dies ist deswegen wichtig, weil sich das Käufer- und das Anbieterverhalten von Phase zu Phase ändert. Abb. 3.17 zeigt auf, welche M arketing-Strategien in welchen Phasen des Produktlebenszyklus adäquat erscheinen. <?page no="335"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 313 VW 1500/ 1600 0 100 200 300 400 1960 65 70 1975 Jahr Diolen-Baumwoll-Hemden 0 10 20 30 40 0 1965 67 69 71 73 1975 Jahr Mio. Stück Antibiotika 0 100 200 300 400 500 600 700 0 5 10 15 20 25 30 Quartal Absatz Marke C Feinseife Jahr Neue Telefonanschlüsse 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1950 60 70 1980 Jahr x 1000 Quelle: Post gleitende Dreierdurchschnitte Quelle: Simon 1992, S. 188 Abb. 3.16: Beispiele empirisch beobachteter Verläufe von Produktlebenszyklen Schallplatten 0 10 20 30 40 50 LP Monate Single Wochen LP 0 10 20 30 Single Single: Tragedy Gruppe: Bee Gees LP: Hotel California Gruppe: Eagles Insgesamt Insgesamt Marke Schwarze Rose a b c d f e <?page no="336"?> 314 Strategische Marketing-Planung Einführungsphase: Ein Produkt wird ohne Varianten in einer Grundform angeboten; das Kundendienstnetz ist im Aufbau; die Neueinführung macht erhebliche Werbeanstrengungen (Existenz- und Verwendungsinformationen) notwendig; die Distributionsorgane sträuben sich gegen die Aufnahme neuer Produkte, so dass kein dichtes Vertriebsnetz gegeben ist; die Preispolitik kann entweder als Hochpreispolitik mit dem Ziel der Realisierung von Pioniergewinnen oder als Niedrigpreispolitik zur raschen Marktdurchdringung konzipiert werden. Das Schwergewicht der absatzpolitischen Bemühungen liegt bei der Produkt- und Werbepolitik. Wachstumsphase: Das Produkt wird von der Konkurrenz imitiert; das Produkt wird verbessert, aber noch nicht in Varianten angeboten; der Kundendienst gewinnt an Bedeutung; die Absatzmittler nehmen das Produkt in starkem Maße in ihr Sortiment auf; es bestehen Lieferschwierigkeiten; es kommt zu Preissenkungen; die Werbeausgaben sinken relativ zum Umsatz. Der Schwerpunkt der Absatzbemühungen liegt bei der Mengenpolitik und zum Teil bei der Vertriebspolitik (physical distribution); die Preispolitik gewinnt an Bedeutung. Reife und Sättigung: Der Wettbewerb verstärkt sich erheblich; es entsteht ein Kampf um Marktanteile; das Produkt wird in differenzierter Form angeboten; Beginn der Diversifikation; die Konditionenpolitik wird für den Absatz bedeutsam; die Preise werden differenziert und beginnen zu sinken. Charakteristisch für diese Phase ist die Heterogenisierung des Marktes mit einer zielgruppenspezifischen Absatzpolitik; die Produktdifferenzierung sowie der Kampf um Marktanteile dominieren. Degenerationsphase: Keine Produktänderungen; Reduzierung des Werbeetats; die Preise tendieren eher zum Anstieg, da die verringerte Zahl von Anbietern bei beharrlichen Nachfragern eine relativ geringe Preiselastizität unterstellt; Sortimentskürzungen führen zum allmählichen Ausscheiden des Produkts. Quelle: Busse von Colbe/ Hammann/ Laßmann 1990, S. 150 Abb. 3.17: Phasenspezifisch angemessene Marketing-Strategien innerhalb eines Produktlebenszyklus <?page no="337"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 315 11.2.4.3 Positionierungsanalyse Im Rahmen von Positionierungsanalysen werden Produkte oder M arken eines bestimmten Produktmarktes in einer mehrdimensionalen Darstellung räumlich angeordnet. Die Anordnung erfolgt dabei aus der Perspektive der Konsumenten. Räumlich sehr eng beieinander ange ordnete Produkte bzw. M arken werden dabei als sehr ähnlich angesehen, weit voneinander entfernt angeordnete Produkte oder M arken werden als sehr unterschiedlich beurteilt. Das klassische Positionierungsmodell weist dabei vier Kernelemente auf (vgl. Tomczak/ Kuß/ Reinecke 2014, S. 158 f.): die Eigenschaften: M ittels der aus Sicht der Konsumenten relevanten Eigenschaften wird der Wahrnehmungsraum aufgespannt. Für Flugpassagiere sind bspw. die Eigenschaften „Service“, „Flugatmosphäre“ sowie „Zuverlässigkeit/ Vertrauen“ von besonderer Bedeutung für die Kaufentscheidung. die Positionierung der eigenen Produkte/ M arken sowie der Konkurrenzprodukte in diesem Raum: Die Position des eigenen Angebots sowie des Konkurrenzangebots entspricht den wahrgenommenen Ausprägungen hinsichtlich der untersuchten Eigenschaften. Am Beispiel der Flugpassagiere sind die einzelnen Airlines (z.B. Pan America, Air France, British Airways) in dem Wahrnehmungsraum entsprechend der Wahrnehmung der Konsumenten zu positionieren. die Idealposition aus Kundensicht: Jeder Kunde hat bestimmte Vorstellungen über die idealen Ausprägungen hinsichtlich der einzelnen in die Analyse aufgenommenen Eigenschaften. Auch diese ist in dem Wahrnehmungsraum abzubilden. die Distanzen zwischen den Idealeinstellungen der Kunden sowie den real existierenden M arken bzw. Produkten. Diesbezüglich existieren zwei grundlegende Hypothesen: Je geringer die Real-Ideal-Distanz, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Konsument ein bestimmtes Produkt bzw. die entsprechende M arke kauft. Es wird das Produkt mit der geringsten Real-Ideal-Distanz präferiert. Die Kaufwahrscheinlichkeit für dieses Produkt bzw. diese M arke ist 1, für die restlichen Produkte beträgt die Kaufwahrscheinlichkeit 0. Abb. 3.18 zeigt beispielhaft ein dreidimensionales Positionierungsmodell auf. Derartige Wahrnehmungsräume können auch höher dimensioniert sein. Zur Konstruktion derartiger Wahrnehmungsräume ist auf multivariate statistische Analyseverfahren wie der M ultidimensionalen Skalierung oder der Faktorenanalyse (zur Auffindung der Dimensionen des Wahrnehmungsraumes) zurückzugreifen (vgl. auch die Abschnitte 3.1.4.3.7.2 und 3.1.4.3.7.3 im 2. Teil). Dabei ist zu beachten, dass zu marketingstrategischen Zwecken lediglich die Aggregation der Wahrnehmungen einer Personenmehrheit bzw. einer Vielzahl von Probanden relevant ist. Die in Abb. 3.18 dargestellten Positionierungen entsprechen damit der durchschnittlichen Wahrnehmung von mehreren Personen; dies gilt sowohl für die Realals auch für die Idealposition. M öglicherweise existieren weitere Konsumentengruppen, welche die Produkte bzw. M arken eines M arktes anders einschätzen. Für diese Segmente sind dann ebenfalls derartige Wahrnehmungsräume zu konstruieren. In diesem Fall existieren in sich homogene Wahrnehmungen, welche sich aber von den Wahrnehmungen anderer Konsumentengruppen unterscheiden. <?page no="338"?> 316 Strategische Marketing-Planung negativ negativ negativ positiv Service Flugatmosphäre Zuverlässigkeit/ Vertrauen Ideal EB AF BA PA EB: Euro Berlin PA: Pan American BA: British Airways AF: Air France Ideal: Idealposition Quelle: Trommsdorff 1992, S. 330 Abb. 3.18: Dreidimensionales Positionierungsmodell am Beispiel von Fluggesellschaften Hinsichtlich marketingstrategischer Entscheidungen kann das Positionierungsmodell in zweierlei Hinsicht angewandt werden (vgl. Esch 1992, S. 10 f.): Anpassung der gebotenen Leistungen an die Nutzenerwartungen der Konsumenten: Hier wird das Ziel verfolgt, ein Angebot auf den M arkt zu bringen, welches den Idealvorstellungen der Konsumenten möglichst weitgehend entspricht bzw. bereits existierende Produkte derartig zu verändern, dass die Distanz zwischen der Idealposition und der Realposition minimiert wird. <?page no="339"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 317 Anpassung der Nutzenerwartungen der Konsumenten an die angebotenen Leistungen: Hier wird der Versuch unternommen, die Idealvorstellungen der Konsumenten so zu verändern, dass sie sich den Realprodukten annähern. Dies kann u.a. durch eine entsprechend ausgerichtete Kommunikationspolitik, in welcher adäquate Argumente zur „Verschiebung“ der Idealposition verwendet werden, geschehen. Außerdem ermöglicht das M odell, möglicherweise existierende Positionierungslücken aufzuspüren, welche u.U. erfolgreich besetzt werden können. Als Nachteil hingegen ist die Vergangenheitsorientierung des Ansatzes anzusehen; durch Präferenzverschiebungen ändert sich die Anordnung der Produkte oder M arken im Wahrnehmungsraum (sog. Konfiguration) schnell. In diesem Fall bietet das Positionierungsmodell keine geeignete Basis für wichtige strategische Entscheidungen zur (Um-)Positionierung des eigenen Angebots. 11.2.4.4 E r fahrungskurvenanalyse Erfahrungskurvenanalysen basieren auf einem Zusammenhang zwischen der kumulierten Ausbringungsmenge und den Stückkosten. Konkret besagt das Erfahrungskurven-Konzept, dass die realen Stückkosten eines Produktes bei Verdoppelung der kumulierten Ausbringungsmenge durchschnittlich um einen (relativ) konstanten Betrag von ca. 10-30 % zurückgehen (vgl. Henderson 1974, S. 19; 2004, S. 34 f.). Die kumulierte Produktionsmenge drückt dabei die „Erfahrung“ aus, welche ein Unternehmen während der Produktion des Produktes erworben hat. Ursachen für Erfahrungseffekte sind (vgl. Berndt 1995b, S. 55): Lerneffekte in Produktion, Verwaltung, Vertrieb, Verbesserungen in Arbeitsteilung und Spezialisierung sowie Verbesserungen in der Produktionstechnik, Rationalisierungen. Die Kostensenkung stellt sich damit nicht quasi automatisch ein, sondern nur wenn die genannten M aßnahmen tatsächlich geschaffen und umgesetzt werden. Formal kann der Erfahrungskurveneffekt wie folgt ausgedrückt werden (vgl. Lambin 1987, S. 190): o o X t k X t k X t mit: k X t : Stückkosten in Periode t o k : Stückkosten zu Beginn des Betrachtungszeitraums X t : kumulierte Ausbringungsmenge in Periode t o X t : kumulierte Ausbringungsmenge bis zum Beginn des Betrachtungszeitraums : Kostenelastizität <?page no="340"?> 318 Strategische Marketing-Planung Abb. 3.19 zeigt den Verlauf der Erfahrungskurve bei linear und logarithmisch eingeteilten Ordinaten. Welche Rolle Erfahrungskurveneffekte in der Praxis tatsächlich spielen, zeigt Abb. 3.20 anhand ausgewählter Beispiele. Die Kenntnis von Erfahrungskurveneffekten hat für die strategische M arketing- und Unternehmensplanung eine große Bedeutung, denn sie ermöglicht (vgl. Becker 20 19, S. 423): die langfristige Prognose der Kostenentwicklung, die langfristige Prognose der Preisentwicklung, sofern zumindest längerfristig sich die Preise parallel zu den Kosten entwickeln, damit auch die langfristige Prognose von Gewinnpotenzialen, die Prognose der Kosten- und Gewinnauswirkungen aufgrund der Veränderungen des eigenen M arktanteils, die Ermittlung der Kostensituation - und damit des preispolitischen Spielraumes - der Konkurrenten, wenn deren Produktionsmenge bzw. M arktanteile bekannt sind. Gemäß dem Erfahrungskurven-Konzept ist der M arktanteil ein zentraler Erfolgsfaktor, da das Kostensenkungspotenzial umso größer ist, je größer der M arktanteil ist. Ein hoher M arktanteil - gerade im Verbund mit einem großen M arktwachstum - ermöglicht daher eine starke Reduktion der Stückkosten. Wie auch die PIM S (Profit-Impact-of-M arket-Strategy)-Studie belegt, sind Rentabilität und M arktanteil positiv korreliert (zur PIM S-Studie vgl. z.B. Bea/ Haas 2019, S. 143 ff.). 2 Kosten/ Stück linear eingeteilte Ordinaten kumulierte Menge 0 1 4 6 8 10 12 14 16 18 2 4 6 8 10 bei 20% Rückgang bei 30% Rückgang 2 Kosten/ Stück logarithmisch eingeteilte Ordinaten kumulierte Menge 1 4 8 16 2 4 6 8 10 bei 20% Rückgang bei 30% Rückgang Quelle: Kreilkamp 1987, S. 336 Abb. 3.19: Die Erfahrungskurve bei linear und logarithmisch eingeteilten Ordinaten <?page no="341"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 319 Stückkosten (inflationsbereinigt) $ 10 $ 100 $ 300 100 10 1000 Elektronische Bauteile - USA Kumulatives Absatzvolumen (Tausend Einheiten) Preis pro lb in pence (inflationsbereinigt) 3 2 1000 2 3 4 Viscose Rayon Co. - Großbritannien Kumulatives Absatzvolumen (Millionen lb) 4 6 8 10p 3 4 5 6 7 8 9 Variable Kosten pro Megawatt (inflationsbereinigt) $ 260 $ 340 15 5 50 Dampfmaschinengeneratoren Unternehmensspezifisch kumulierte Absatzmenge (in Megawatt) 1 1000 Integrierte Schaltkreise Branchenweit kumuliertes Absatzvolumen (Millionen Einheiten) $ 30.00 10 100 Westinghouse General Electric Allis-Chalmers Stückpreis (inflationsbereinigt) $ 10.00 $ 1.00 $ 0.50 16 40 Elektrorasierer Kumuliertes Absatzvolumen (Millionen Stücke) $ 10.00 20 30 Stückkosten (inflationsbereinigt) $ 6.00 $ 5.14 $ 4.00 $ 4.17 Komfortgerät Basisgerät Quelle: Kerin/ Mahajan/ Varadarajan 1990, S. 118 Abb. 3.20: Beispiele realer Erfahrungskurven <?page no="342"?> 320 Strategische Marketing-Planung 11.2.4.5 Wer tkettenanalyse Wertkettenanalysen (Value Chain Analysis) dienen der Identifikation von Wettbewerbsvorteilen. Der nach Wertzellen (Funktionen) gegliederte unternehmerische Leistungsprozess dient dabei als Ausgangspunkt, Kostenund/ oder Ertragsvorteile gegenüber Wettbewerbern zu realisieren. Die auf Arbeiten von Porter (1980) zurückzuführende Wertkette fordert damit eine ganzheitliche kompetitive Analyse, welche sämtliche Aktivitäten des Unternehmens erfasst. Abb. 3.21 zeigt das M odell einer Wertkette auf. Unterschieden wird dabei zwischen primären und sekundären Aktivitäten. Während primäre Aktivitäten mit der Herstellung und dem Vertrieb eines Produkts verbunden sind, stellen sekundäre Aktivitäten unterstützende M aßnahmen im Sinne von Versor gungs- und Steuerungsleistungen für die primären Aktivitäten dar. Zu beachten ist, dass die Wertaktivitäten nicht deckungsgleich sind mit der organisatorischen Struktur des Unternehmens. Beispielsweise umfassen Wertaktivitäten der Beschaffung sämtliche M aßnahmen der Beschaffung im Unternehmen, unabhängig davon, ob sie von der Beschaffungsabteilung durchgeführt werden oder nicht (vgl. Porter 1992, S. 59 ff.). Das von Porter vorgeschlagene Grundmodell der Wertkette stellt einen übergeordneten Orientierungsrahmen dar, welcher auf die jeweilige M arkt- und Unternehmensverhältnisse zugeschnitten werden kann. Im M ittelpunkt der Analyse sind dabei insbesondere solche Wertaktivitäten eines Unternehmens zu stellen, welche ein hohes Differenzierungspotenzial gegenüber den Konkurrenten umfassen oder aber mit einem hohen bzw. steigenden Kostenanteil verbunden sind. Die Wertkette dient damit sowohl zur Identifizierung von Wertaktivitäten zur Erhöhung Quelle: Porter 1992, S. 62 Abb. 3.21: Modell einer Wertkette Unternehmensinfrastruktur Beschaffung Forschung und Entwicklung Personalwirtschaft Eingangslogistik Ausgangslogistik Marketing & Vertrieb Operationen Kundendienst GEWINN- SPANNE Primäre Aktivitäten Unterstützende Aktivitäten <?page no="343"?> Marktorienti erte Unter nehmensplanung 321 des Abnehmernutzens als auch zur Analyse der Kostenentstehung (vgl. M effert 1994, S. 52). Auf übergeordneter Ebene können zudem Wertketten verschiedener Unternehmen und deren Verknüpfungen (z.B. Zulieferbetrieb - Hersteller - Handel) analysiert und auf wertsteigernde Aktivitäten bzw. Kosteneinsparungspotenziale untersucht werden. Auf diese Weise können nicht nur unternehmensinterne Schnittstellen bzw. Interdependenzen zwischen den Wertaktivitäten eines Unternehmens auf Synergieeffekte untersucht werden, sondern auch Einsparbzw. Differenzierungspotenziale zwischen einzelnen Unternehmen lassen sich so lokalisieren. Problematisch erscheint allerdings - unabhängig davon, ob die Wertkette als unternehmensinternes oder unternehmensübergreifendes Instrument eingesetzt wird - die konkrete Operationalisierung der Wertkette im Sinne von quantitativen M esseinheiten. 11.2.5 Timing-Aspekte des Markteintritts Timing-Aspekte des M arkteintritts betreffen Überlegungen, welcher Zeitpunkt des Markteintritts aus Sicht eines Unternehmens günstig erscheint. M it der Strategie eines frühen M arkteintritts (Pionierstrategie) bzw. eines späteren M arkteintritts (Folgerstrategie) sind dabei spezifische Vor - und Nachteile verbunden. Allerdings lässt sich die Frage der generellen Vorteilhaftigkeit einer Pionier - oder Folgerstrategie nicht eindeutig beantworten. Die Pionierstrategie ermöglicht die Ausnutzung der Vorteile eines zeitlich befristeten M onopols, insbesondere die Abschöpfung von Zahlungsbereitschaften und damit die Erschließung von - z.T. erheblichen - Gewinnpotenzialen. Demgegenüber stehen häufig hohe F&E-Kosten sowie ein hohes Risiko hinsichtlich der M arktpotenzialabschätzung. Existieren Erfahrungskurveneffekte, so besteht die M öglichkeit, bei rasch anwachsender Stückzahl die Stückdeckungsbeiträge schnell zu erhöhen. Hierzu kann es durchaus sinnvoll sein, dass der Pionier den Einführungspreis des Produktes unter den Stückkosten ansetzt, um ein rasches Absatzwachstum realisieren zu können. Derartig hohe Stückdeckungsbeiträge als Ergebnis eines schnellen „Herunte rfahrens“ auf der Erfahrungskurve locken regelmäßig Konkurrenten (Folger) an mit der Folge eines Preiseinbruchs. Aufgrund der höheren kumulierten Absatzmengen des Pioniers besteht allerdings trotzdem ein Kostenvorteil gegenüber den Folgern, so dass zuminde st der Pionier nach wie vor Gewinne erwirtschaftet. Abb. 3.22 verdeutlicht die Zusammenhänge. Weitere Vorteile einer Pionierstrategie sind in der M öglichkeit des Aufbaus von Wechselkosten für die Abnehmer zu später eintretenden Anbietern (z.B. durch eine hohe M arkenbindung, technische Systeminkompatibilitäten) sowie in der M öglichkeit der Beherrschung bzw. weitergehenden Besetzung der Absatzkanäle zu sehen. Handelt es sich um einen ganz neu entstehenden M arkt, so ist es zudem der Pionier, der die M aßstäbe, Standards und „Spielregeln“ auf diesem M arkt diktiert, an welchen sich später eintretende Konkurrenten orientieren müssen (vgl. Carpenter/ Nakamoto 1989). Für die Folgerstrategie spricht, dass bereits auf erste Produkt- und Anwendungserfahrungen seitens der Nachfrager zurückgegriffen werden kann. Eventuelle „Kinderkrankheiten“ bzw. funktionale M ängel des Pionierprodukts lassen sich so vermeiden. Hierdurch ergeben sich auch Vorteile im Hinblick auf die Entwicklungskosten für das Produkt. Zudem ist das M arktrisiko hinsichtlich der Abschätzung von Absatz- und Gewinnpotenzialen für Folger naturgemäß geringer. Unter diesen Gesichtspunkten ist nicht verwunderlich, dass insbesondere frühe Folger hohe Gewinne erzielen können, die denen des Pioniers nicht nachstehen bzw. sie sogar übertreffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Produkt des frühen Folgers einen deutlichen und aus Sicht der Nachfrager relevanten Preis- oder Leistungsvorteil aufweist. Für einen möglichst frühen Eintritt in neue, <?page no="344"?> 322 Strategische Marketing-Planung schnell wachsende M ärkte sprechen auch folgende Argumente (vgl. Tomczak/ Kuß/ Reinecke 2014, S. 88): M arktanteilsgewinne fallen leichter: Bei starkem M arktwachstum können Konkurrenten ihren Umsatz halten oder gar steigern, obwohl sie M arktanteile verlieren. Ihr Widerstand gegen M arktanteilsverluste ist daher eher weniger heftig als in stagnierenden M ärkten. M arktanteilsgewinne sind „mehr wert“: Gelingt es, in frühen Phasen der M arktentwicklung gewonnene M arktanteile zu verteidigen, so profitiert das betreffende Unternehmen in besonderem M aße von M arktwachstum. Geringerer Preisdruck: In neuen M ärkten mit expansiver Nachfrage erfolgt der Wettbewerb weniger über den Preis als über die Produktentwicklung bzw. -differenzierung und die Absatzkanalerweiterung. Sicherung des Zugangs zu neuen Technologien: Bei frühem M arkteintritt bleibt das Unternehmen auf dem neuesten technischen Stand und gewinnt eine günstige Ausgangsposition für weitere technische Entwicklungsschritte. Früher aggressiver M arkteintritt schreckt andere Unternehmen ab: Ein starkes Engagement eines Unternehmens in einem neuen M arkt, welches zum Ziel hat, eine herausragende M arktposition zu erringen und unter allen Umständen zu verteidigen, kann potenzielle Folger von einem M arkteintritt abhalten. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Einführungsphase Preisschirmphase Preiseinbruch Stabilitätsphase Preisentwicklung 20-Prozent- Erfahrungskurve I II III IV kumulierte Ausbringungsmenge X Stückkosten Preis Quelle: Bea/ Beutel 1984, S. 331 Abb. 3.22: Typische Preis-und Kostenentwicklung bei der Pionierstrategie <?page no="345"?> Marktorienti erte Geschäftsfeldplanung 323 Zusammenfassend finden sich wesentliche Vor- und Nachteile einer Pionierstrategie sowie der Strategie des frühen bzw. späten Folgers in Abb. 3.23. Inwiefern die in Abb. 3.23 aufgeführten Vor- und Nachteile tatsächlich zum Tragen kommen, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Vorteil Nachteil Pionier - Quasimonopolstellung zu Beginn - Chance zur Etablierung eines Standards frühe Kundenkontakte - Markteintrittsbarrieren aufbauen großes Risiko und Ungew issheit hohe Markterschließungskosten hohe F&E- Aufw endungen Frühe Folger geringeres Risiko - Vorarbeit des Pioniers kann mitgenutzt w erden - Lebenszyklus steht noch am Anfang - Flopgefahr w ird verringert - Strategieausrichtung am Pionier schnelles Reagieren notw endig - Eintrittsbarrieren des Pioniers Späte Folger Imitationsstrategie niedrige F&E- Aufw endungen geringe Unsicherheit über Marktentw icklung bereits etablierte Konkurrenten - Kunden müssen von anderen „w eggelockt“ w erden w enig eigenes Know -How Nischenstrategie - Chancen selbst in hart umkämpften Märkten - Spielräume bei Preisgestaltung viel Überzeugungsaufw and nötig - Eintrittsbarrieren - Gefahr Großanbieter anzulocken Abb. 3.23: Vor- und Nachteile alternativer Timing-Strategien 11.3 Ma rktorientierte Geschäftsfeldplanung Der marktorientierten Unternehmensplanung schließt sich die marktorientierte Geschäftsfeldplanung an. Im Rahmen der marktorientierten Geschäftsfeldplanung ist innerhalb der einzelnen Geschäftsfelder zu befinden über die strategischen Geschäftsfeldziele, die zu verfolgenden Geschäftsfeldstrategien, die Strategie-Bewertung und -Auswahl sowie die strategische Budgetierung. Die marktorientierte Geschäftsfeldplanung stellt das Bindeglied zwischen der marktorientierten Unternehmensplanung und der Planung der einzelnen M arketing-Instrumente bzw. des Marketing- <?page no="346"?> 324 Strategische Marketing-Planung M ix dar (vgl. Kuß/ Kleinaltenkamp 2020, S. 157 sowie die Ausführungen im Kapitel 2 in diesem Teil). Im Gegensatz zur marktorientierten Unternehmensplanung, in welcher u.a. festgelegt wird, welche Geschäftsfelder sich in welcher Weise entwickeln sollen, bezieht sich die Geschäftsfeldplanung auf die Planung der Aktivitäten innerhalb einzelner Geschäftsfelder. Konkret wird also auf Unternehmensebene bestimmt, in welchen Geschäftsfeldern man tätig sein möchte und wie die grundsätzlichen Strategien bzw. Stoßrichtungen für die einzelnen Geschäftsfelder aussehen (vgl. Abschnitt 1.2.3 in diesem Teil), während auf Geschäftsfeldebene festgelegt werden muss, welche Strategien gegenüber den einzelnen M arktteilnehmern eingeschlagen werden sollen. 11.3.1 S trategische Geschäftsfeldziele Für jedes einzelne Strategische Geschäftsfeld sind spezifische strategische Geschäftsfeldziele zu formulieren. Die Geschäftsfeldziele sind dabei mit den strategischen Unternehmenszielen abzustimmen bzw. in eine Ziel-M ittel-Relation zu stellen, d.h. die Ziele der Strategischen Geschäftsfelder sind gleichzeitig M ittel zur Erreichung der übergeordneten Unternehmensziele (vgl. hierzu auch Abschnitt 1.2.1 in diesem Teil). Aufgabe der strategischen Geschäftsfeldziele ist es, eine klare Orientierung zu vermitteln, an welcher sich alle Aktivitäten innerhalb eines Strategischen Geschäftsfeldes, insbesondere die einzuschlagenden Geschäftsfeldstrategien (vgl. den nachfolgenden Abschnitt 1.3.2), auszurichten haben. Im Vergleich zu den strategischen Unternehmenszielen sind die strategischen Ziele für die einzelnen Geschäftsfelder konkreter. Sie sind eindeutig zu operationalisieren hinsichtlich (vgl. z.B. Becker 2019, S. 23 ff.) Zielinhalt (Was soll erreicht werden? ), Zielausmaß (Wieviel soll erreicht werden? ), Zeitbezug (Wann soll es erreicht werden? ). Zielinhalte auf Geschäftsfeldebene können ökonomischer (z.B. M arktanteil, Umsatz, Gewinn) oder außerökonomischer (z.B. Image, Bekanntheitsgrad, Kaufabsicht, Präferenz) Natur sein. Dabei ist auf konfliktäre Ziele innerhalb und zwischen verschiedenen Strategischen Geschäftsfeldern zu achten. Hier sind eindeutige Zielprioritäten festzulegen. Das Zielausmaß gibt das Anspruchsniveau der Zielerreichung an. Hier lässt sich zwischen Fixierungs- (z.B. genau X % M arktanteil), Satisfizierungs- (z.B. mindestens X % M arktanteil), Approximierungs- (z.B. möglichst nahe bei X % M arktanteil) und Extremierungsformulierungen (z.B. größtmöglicher M arktanteil) unterscheiden. In der Realität wird häufig auf Fixierungs- oder Satisfizierungsformulierungen zurückgegriffen. Der Zeitbezug als dritte Operationalisierungsdimension schließlich verdeutlicht wann die konkrete Zielerreichung abgeschlossen sein soll. Der typische Zeithorizont im Rahmen der strategischen Geschäftsfeldplanung beträgt dabei etwa 3-5 Jahre. Ein über alle drei Dimensionen (Inhalt, Ausmaß, Zeitbezug) operationalisiertes strategisches Geschäftsfeldziel für eine Strategische Geschäftseinheit „M obile Telekommunikation“ innerhalb eines Unternehmens der Telekommunikationsbranche könnte damit lauten: <?page no="347"?> Marktorienti erte Geschäftsfeldplanung 325 Die |Endgeräte der mobilen Telekommunikation (Handys) unserer M arke sollen in Deutschland einen M arktanteil| von |50 %| |innerhalb der nächsten 3 Jahre| erreichen Zielinhalt Zielausmaß Zeitbezug 11.3.2 Marketing-Strategien auf Geschäftsfeldebene Im Rahmen der Formulierung von M arketing-Strategien auf Geschäftsfeldebene wird der Frage nachgegangen, wie der M arktauftritt und die M arktbearbeitung gegenüber den M arktteilnehmern erfolgen soll. Konkret ist zu entscheiden, wie sich das Unternehmen gegenüber Kunden, Konkurrenten, Absatzmittlern und Stakeholdern verhalten soll, um die gesetzten Ziele bestmöglich erreichen zu können. Umgesetzt werden diese Strategien durch den zieladäquaten Einsatz der jeweiligen M arketing-Instrumente (vgl. Kapitel 2 in diesem Teil). Abb. 3.24 verdeutlicht die Zusammenhänge. Zielebene Strategieebene Instrumentalebene Strategische Geschäftsfeldziele Kundengerichtete Strategien Konkurrenzgerichtete Strategien Stakeholdergerichtete Strategien Absatzmittlergerichtete Strategien Umsetzung der Marketing-Strategien durch Einsatz der Marketing-Instrumente bzw. Gestaltung eines adäquaten Marketing-Mix Abb. 3.24: Marktteilnehmergerichtete Marketing-Strategien auf Geschäftsfeldebene 1.3.2.1 K u ndengerichtete Strategien Grundsätzlich existieren nach Porter (2013) drei mögliche Strategien, um Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz aufbauen zu können: die Kostenführerstrategie, die Differenzierungsstrategie sowie die Nischenstrategie. Abb. 3.25 zeigt diese drei Strategien im Überblick auf. <?page no="348"?> 326 Strategische Marketing-Planung Im Rahmen der Kostenführerschaft wird versucht, durch ein besonders niedriges Kostenniveau eine aggressive Preisstrategie anzustreben. Hierzu sind Kostensenkungspotenziale bei allen Wertschöpfungsaktivitäten sowie bei den wichtigsten Kostentreibern konsequent auszuschöpfen, um einen nachhaltigen Kostenvorsprung im Vergleich zur Konkurrenz erreichen zu können. Die Kernkompetenz des Anbieters liegt in diesem Fall darin, Produkte mit „bewährter“ Qualität zu besonders günstigen Preisen anbieten zu können. Trotz niedriger Stückgewinne können bei dieser Strategie hohe Gesamtgewinne anfallen, da über den niedrigen Preis breite Absatzschichten angesprochen werden sollen. Die Differenzierungsstrategie hingegen stellt in erster Linie auf die Produktqualität ab; es wird versucht, über den Einsatz nicht-preislicher M aßnahmen bei den Abnehmern Präferenzen zu schaffen (z.B. hohe funktionale Qualität, hohe Designqualität, bekannte M arke, hohe Servicequalität). In der Psyche der Abnehmer soll also eine Vorzugsstellung bzw. Alleinstellung aufgebaut werden, welche das eigene Produktangebot vom Produktangebot der Konkurrenz differenziert. Hierdurch wird die Austauschbarkeit der Produkte verschiedener Anbieter gesenkt und die Wechselneigung der Abnehmer verringert bzw. die M arkentreue erhöht. Diese Strategie der Qualitätsführerschaft geht einher mit höheren Produktpreisen, aber auch höheren Stückkosten im Vergleich zur Strategie der Kostenführerschaft. Der höhere Produktpreis verringert zwar die Absatzmenge, infolge höherer Stückgewinne lassen sich jedoch durchaus hohe Gesamtgewinne mit dieser Strategie erzielen. Die Nischenstrategie schließlich stellt die Ausrichtung auf ein ganz bestimmtes, eng abgegrenztes M arktsegment in den Vordergrund der Überlegungen. Hier wird ein spezieller Teilmarkt bedient, bei welchem die Kunden über eine spezifisch ausgeprägte Bedürfnisstruktur verfügen ( z.B. Strategischer Vorteil Strategisches Zielobjekt Branchenweit Beschränkung auf ein Marktsegment Singularität aus Sicht des Käufers Kostenvorsprung Differenzierung Kostenführerschaft Konzentration auf Schwerpunkte/ Marktnischen Quelle: Bea/ Haas 2019, S. 205 Abb. 3.25: Geschäftsfeldstrategien nach Porter <?page no="349"?> Marktorienti erte Geschäftsfeldplanung 327 Edel-HiFi-Komponenten, sehr teure Füllfederhalter). Die auf vielen Produktmärkten beobachtbare Produktdifferenzierungstendenz kommt der Nischenstrategie dabei entgegen. Für Großunternehmen lohnt sich die Bearbeitung von Nischen häufig nicht, da Skaleneffekte wie z.B. economies of scale in der Regel nicht realisiert werden können. Zwar sind die Absatzmengen, die Nischenmärkte generieren können, regelmäßig begrenzt, die Stückgewinne können jedoch enorm hoch sein, so dass die Nischenstrategie insgesamt sehr profitabel sein kann. Besonders vorteilhaft sind Nischenmärkte, wenn ihre M arktzutrittsschranken sehr hoch sind und daher auch mittelbis langfristig nicht mit weiteren Anbietern bzw. verstärkter Konkurrenz zu rechnen ist. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn eine sehr hohe M arkentreue aufgebaut werden konnte, spezielles und von anderen Unternehmen schwer zu entwickelndes Know-how (z.B. bestimmtes Produktions- Know-how) existiert oder die Absatzkanäle vollständig kontrolliert werden können. Generell können die beiden Strategietypen „Differenzierung“ bzw. „Kostenführerschaft“ mit einer Nischenstrategie verbunden werden (vgl. Bea/ Haas 2019, S. 208). So existieren bspw. in dem (Nischen-)M arktsegment „Computer-Zeitschriften“ im deutschen Zeitschriftenmarkt sowohl hochpreisige Special-Interest-Titel als auch niedrigpreisige Publikationen. In Erweiterung dieser grundlegenden, von Porter vorgeschlagenen Strategiealternativen werden in jüngster Zeit verstärkt sog. Outpacing-Strategien diskutiert (vgl. z.B. Jenner 2000; Gilbert/ Strebel 1987). Outpacing-Strategien stellen hybride Wettbewerbsstrategien dar, welche Differenzierungs- und Kostenvorteile vereinigen. Eine derartige Strategie verspricht überdurchschnittlichen Erfolg, da bei hoher Qualitätskompetenz ein hoher Preis bei gleichzeitig niedrigen Kosten erzielt werden kann. Diese Strategie scheint allerdings nur in bestimmten Ausnahmesituationen gangbar (vgl. Porter 1989, S. 40): Wenn die Wettbewerber in der Branche mindestens eine der beiden Strategien nicht konsequent verfolgen. Wenn die Kosten weitgehend von M arktanteilen oder Verflechtungen beeinflusst werden. Wenn Innovationen das Unternehmen in die Lage versetzen, die Kosten zu senken und den Grad der Differenzierung zu steigern. Die letzt genannte Situation ist für viele Unternehmen durch die Verbreitung neuer M edien - insbesondere das Internet - gegeben. M ittels dieses M ediums konnte auf vielen Produktmärkten ein sog. Mass Customization verwirklicht werden, d.h. maßgeschneiderte, individualisierte Angebote auf M assenmärkten (vgl. Fantapié Altobelli/ Sander 2001, S. 67). So agiert z.B. der Computerhersteller Dell, bei welchem PC’s per Internet individuell zusammengestellt werden können, sehr gut mit dieser Strategie. <?page no="350"?> 328 Strategische Marketing-Planung 11.3.2.2 K on kurrenzgerichtete Strategien Neben Überlegungen, wie gegenüber den Kunden eine vorteilhafte Wettbewerbsstrategie etabliert werden kann, sind auch Gedanken hinsichtlich des eigenen Verhaltens gegenüber der Konkurrenz anzustrengen. Insgesamt können dabei die in Abb. 3.26 dargestellten Verhaltensmuster identifiziert werden. Ein passives Verhalten liegt vor, wenn Konkurrenzaktivitäten weder explizit noch implizit Eingang in eigene Unternehmensentscheidungen finden. Entweder ist dem betreffenden Unternehmen die Bedeutung der Konkurrenz-orientierung nicht bewusst (wettbewerbsignorantes Verhalten) oder das Unternehmen kann aufgrund seiner dominierenden M arktstellung auf die explizite Berücksichtigung der Konkurrenz bei seinen eigenen Entscheidungen verzichten (wettbewerbsautonomes Verhalten). Werden hingegen Konkurrenzentscheidungen bzw. das Verhalten der Konkurrenz in eigene Unternehmensentscheidungen einbezogen, so liegt ein aktives Verhalten vor. Anhand der Dimensionen wettbewerbsvermeidend versus wettbewerbsstellend sowie innovativ versus imitativ lässt sich das Verhalten näher charakterisieren (vgl. M effert 2000, S. 282 ff.). Wettbewerbsvermeidendes Verhalten liegt vor, wenn die eigenen unternehmerischen Entscheidungen an die Entscheidungen der Konkurrenz angepasst werden bzw. erst dann getroffen werden, wenn eine Bedrohung Konkurrenzgerichtete Strategien aktives Verhalten passives Verhalten wettbewerbsignorant wettbewerbsautonom wettbewerbsvermeidend wettbewerbsstellend innovativ (Ausweichstrategie) imitativ (Anpassungsstrategie) innovativ (Konfliktstrategie) imitativ (Kooperations -strategie) Abb. 3.26: Alternative konkurrenzgerichtete Strategien <?page no="351"?> Marktorienti erte Geschäftsfeldplanung 329 durch die Konkurrenz eingetreten ist. Wettbewerbsstellendes Verhalten hingegen ist gegeben, wenn versucht wird, mögliche M arktentwicklungen (z.B. Änderung von Konsumentenbedürfnissen) und Konkurrenzaktivitäten proaktiv zu antizipieren und in die eigenen Planungen frühzeitig zu integrieren. Unterscheidungskriterium ist daher der Zeitpunkt eingeleiteter M aßnahmen. Hinsichtlich der zweiten Dimension zeichnet sich ein innovatives Verhalten durch die permanente Suche nach neuen und gegenüber bestehenden Produkten besseren Lösungen aus. Neben Produktinnovationen sind hier auch Prozessinnovationen zu nennen, welche zu kostengünstigeren Produktionsprozessen führen. Imitatives Verhalten hingegen liegt vor, wenn diese - von anderen Unternehmen erfundenen - Produkt- oder Prozessinnovationen nach einer bestimmten Zeit übernommen werden. Durch Kombination der Dimensionen „wettbewerbsvermeidend“ bzw. „wettbewerbsstellend“ sowie „innovativ“ bzw. „imitativ“ ergeben sich insgesamt vier konkurrenzgerichtete Strategien, welche in Abb. 3.27 näher charakterisiert werden. Hinsichtlich der adäquaten konkurrenzgerichteten Strategie ist zu berücksichtigen, dass sich dieselben Unternehmen u.U. auf verschiedenen M ärkten, auf welchen jeweils unterschiedliche M arktsituationen vorherrschen, begegnen können (vgl. Sander 1997a, S. 39 f.). Beispielsweise besteht die M öglichkeit, dass ein Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Wettbewerbsverhältnisse im Land A die Position des M arktführers innehat, im Land B jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielt. Gilt für den Hauptkonkurrenten dieses Unternehmens genau die umgekehrte Konstellation, also eine starke Position in Land B und eine schwache M arktposition in Land A, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auf Aktionen eines Unternehmens Reaktionen des anderen Unternehmens erfolgen, jedoch in erster Linie in dem jeweils anderen Land; konkret wird also im vorliegenden Fall eine Aktion des M arktführers in Land A u.U. eine Reaktion des Konkurrenten in Land B, welcher als dortiger M arktführer über eine entsprechende Marktmacht verfügt, hervorrufen. Von einer derartigen internationalen Reaktionsverbundenheit ist insbesondere dann auszugehen, wenn oligopolistische M arktstrukturen vorliegen; derartige M arktstrukturen sind bei internationaler Geschäftstätigkeit häufig anzutreffen (vgl. Kulhavy 1989, S. 205). Ein illustratives Beispiel für den vorliegenden Sachverhalt zeigen Hamel/ Prahalad (1985, S. 140) auf. Der amerikanische Reifenhersteller Goodyear reagierte auf einen M arkteintritt von M ichelin in Nordamerika nicht mit verlustreichen Aktivitäten auf dem Heimatmarkt, sondern auf dem für M ichelin wichtigen europäischen M arkt. Die auf diesem M arkt vorgenommenen Preisreduktionen und Werbeanstrengungen erwiesen sich dabei als Gegenmaßnahme wirksamer, als bei einer Reaktion auf dem amerikanischen M arkt zu erwarten gewesen wäre. Auf diese Weise konnte einer Preis- und Werbeschlacht auf dem amerikanischen M arkt ausgewichen werden. 1 1.3.2.3 Ab satzmittlergerichtete Strategien Absatzmittlergerichtete Strategien sind aus Herstellersicht zu entwickeln, um der immer größer werdenden Bedeutung des Handels bei der Vermarktung von Produkten gerecht zu werden. Konzentrationsprozesse verbunden mit aktiv betriebenen Internationalisierungsbemühungen und unterstützt durch ein zunehmend eigenständiges Handelsmarketing haben zu einer großen M acht auf Seiten des Handels geführt. Häufig stehen nur wenige große Handelsunternehmen einer Vielzahl von Herstellern gegenüber. Gleichzeitig sorgt eine ausgeprägte Produktinflationierung infolge einer starken Ausdifferenzierung der M ärkte für ein Gerangel um die knappe Regalfläche. Vor diesem Hintergrund bedarf es einer adäquaten Strategiewahl gegenüber dem Handel, um die <?page no="352"?> 330 Strategische Marketing-Planung Strategietypus Ausweichstrategie Anpassungsstrategie Konfliktstrategie Kooperationsstrategie Typologisierungsdimension Charakterisierung Beispiele innovativ; wettbewerbsvermeidend imitativ; wettbewerbsvermeidend innovativ; wettbewerbsstellend imitativ; wettbewerbsstellend Versuch, dem Wettbewerbsdruck auszuweichen durch Anbieten besonders innovativer, schwer imitierbarer Leistungen. Aufbau von isolierten Marktsegmenten mit hohen Markteintrittsbarrieren (Marktnischen) Abstimmung des eigenen Verhaltens auf das Verhalten der Wettbewerber. Es wird versucht, als Marktmitläufer auf wirtschaftsfriedlichen Märkten zu agieren bzw. am allgemeinen Marktwachstum zu partizipieren Aggressives, z.T. von geltenden Normen losgelöstes, Marktverhalten (z.B. niedrige Preise, intensive z.T. vergleichende - Werbung) mit dem Ziel, Marktführer zu werden (Marktherausforderer) bzw. zu bleiben Zusammenarbeit (z.B. per Joint Venture, strategische Allianzen) mit einem oder mehreren Wettbewerbern aufgrund mangelnder Ressourcen (finanzielle Mittel, Know-How) zur Übernahme einer dominanten Position im Markt. Vermeidung konfliktärer Wettbewerbssituationen und Erlangung von Synergieeffekten als Ziele Hilti, Schott-Glaswerke IKEA, Swatch, Migros kleine Möbelmärkte mit regionaler Bedeutung in guten Lagen Zusammenarbeit von Lancia (Phedra), Fiat (Ulysse), Peugeot (807) und Citroen (C8) im PKW-Van-Segment Abb. 3.27: Typen konkurrenzgerichteter Strategien <?page no="353"?> Marktorienti erte Geschäftsfeldplanung 331 eigenen betrieblichen Ziele, welche durchaus in konfliktärer Beziehung zu den vom Handel verfolgten Zielen stehen können, erreichen zu können. Eine klassische Systematisierung absatzmittlergerichteter Strategien ist die Differenzierung zwischen Push- und Pullstrategie (vgl. z.B. Bruhn 2022b, S. 70). Bei der Push-Strategie wird die Strategietypen Anpassungsstrategie Kooperationsstrategie Konfliktstrategie Umgehungsstrategie Typologisierungsdimension Charakterisierung Beispiele Abb. 3.28: Typen absatzmittlergerichteter Strategien Passives Marketing des Herstellers in der Gestaltung der Absatzwege; passives Marketing des Herstellers in der Reaktion auf Marketing-Aktivitäten des Handels Akzeptanz der Machtposition des Handels; Vermeidung der Auslistung der Produkte durch den Handel als Ziel; Forderungen des Handels (z.B. Listungsgelder) werden akzeptiert Anbieter schwacher Herstellermarken (z.B. Sprengel) Passives Marketing des Herstellers in der Gestaltung der Absatzwege; aktives Marketing des Herstellers in der Reaktion auf Marketing- Aktivitäten des Handels Aktives Marketing des Herstellers in der Gestaltung der Absatzwege; passives Marketing des Herstellers in der Reaktion auf Marketing- Aktivitäten des Handels Aktives Marketing des Herstellers in der Gestaltung der Absatzwege; aktives Marketing des Herstellers in der Reaktion auf Marketing- Aktivitäten des Handels Intensive Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Handel mit dem Ziel der bestmöglichen Marktausschöpfung zu beiderseitigem Vorteil Hersteller- und Handelsmarken mit institutionalisiertem Category Management und Efficient Consumer Response Hersteller versucht Handel zu einer Anpassung an die Anforderungendes Herstellers zu zwingen; keine Akzeptanz der Handelsmacht Verzicht auf Zusammenarbeit mit dem Handel bei gleichzeitigem Versuch, die Handelsfunktionen selbst zu übernehmen Anbieter starker Herstellermarken (klassische "Markenartikler") (z.B. Henkel, Ferrero) Anbieter mit Direktvertriebsformen (Factory Outlets, Online-Vertrieb per Internet, Telefonverkauf, usw.) (z.B. Amazon) <?page no="354"?> 332 Strategische Marketing-Planung Ware durch ein aktiv betriebenes M arketing der Hersteller gegenüber dem Handel in die Vertriebskanäle gedrückt. Typische diesbezügliche Instrumente sind die Kommunikationspolitik gegenüber dem Handel oder Sonderaktionen wie Preisnachlässe bzw. Vergabe von Funktionsrabatten. Auf diese Weise wird erreicht, dass der Handel dem jeweiligen Produkt eine optimale Unterstützung (z.B. hinsichtlich der Regalplatzierung, Bewerbung des Produktes durch den Handel, ausreichende Bevorratung mit dem Produkt) gewährt. Im Ra hmen der Pull-Strategie hingegen steht der Endnachfrager im Zentrum der M arketing-Aktivitäten des Herstellers. Durch Instrumente wie Product Sampling oder endverbrauchergerichtete Kommunikationspolitik (z.B. Werbung) sollen die Konsumenten die Produkte im Handel nachfragen und so einen Nachfragesog im Absatzkanal produzieren. In der Realität herrscht eine Kombination von Push- und Pullstrategie im Regelfall vor, wobei das Schwergewicht der Strategie determiniert wird von der jeweiligen M achtposition des Handels. Darüber hinaus können vier weitere absatzmittlergerichtete Strategien identifiziert werden, welche sich analog zu den konkurrenzgerichteten Strategien einteilen lassen (vgl. M effert 2000, S. 290 ff.) die Kooperationsstrategie, die Umgehungsstrategie, die Konfliktstrategie sowie die Anpassungsstrategie. Abb. 3.28 charakterisiert diese Strategien näher. 11.3.2.4 Sta keholdergerichtete Strategien Als Stakeholder werden gesellschaftliche Anspruchsgruppen eines Unternehmens bezeichnet. Diese Anspruchsgruppen umfassen sowohl unternehmensinterne Gruppen (M itarbeiter, Aktionäre bzw. Eigenkapitalgeber) als auch unternehmensexterne Gruppen (Kunden, Lieferanten, Interessenten, Kooperationspartner, Fremdkapitalgeber, Dienstleister (z.B. M arktforschungsunternehmen, Werbeagenturen), Staat, „breite“ Gesellschaft). Wie sich konkret gegenüber diesen Gruppen verhalten werden soll, ist explizit in stakeholdergerichteten Strategien zu manifestieren. Dabei kann sich das Verhalten gegenüber diesen Gruppen durchaus auf den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens auswirken. Insofern kann stakeholdergerichteten Strategien der Stellenwert eines strategischen Erfolgsfaktors zukommen (vgl. M effert 2000, S. 296). Im Einzelnen können folgende Strategien erkannt werden (vgl. z.B. Dyllick 1989, Stitzel 1976): die Innovationsstrategie, die Anpassungsstrategie, die Widerstandsstrategie, die Ausweichstrategie sowie die Passivitätsstrategie. Die Innovationsstrategie basiert auf einer aktiven Gestaltung der Beziehung zwischen Unternehmen und Anspruchsgruppen. Hier wird durch eine proaktive Haltung versucht, gesellschaftlichen Ansprüchen frühzeitig mit innovativen Ideen zu begegnen. Auf diese Weise wird breite Akzeptanz bei den Anspruchsgruppen geschaffen. Ein nachhaltiger Wettbewerbs- oder Imagevorteil kann jedoch nur dann herausgearbeitet werden, wenn die Innovationen bzw. neuartigen Ideen nicht schnell und ohne größeren Ressourceneinsatz imitiert werden können. Ein Beispiel <?page no="355"?> Marktorienti erte Geschäftsfeldplanung 333 für diese Strategie kann in der Präsentation des ersten Rußpartikelfilters der Welt für Diesel-Pkw- Fahrzeuge durch Peugeot gesehen werden. Die Anpassungsstrategie hingegen entspricht einem reaktiven Verhaltensmuster. Hier reagiert das Unternehmen erst, wenn sich die Ansprüche konkretisiert haben. Die Reaktion beschränkt sich dabei häufig auf das zwingend Notwendige, die Kommunikation des Unternehmens mit den Anspruchsgruppen ist vergleichsweise schwach ausgeprägt. Ein Beispiel für diese Strategie ist die Anpassung der Fahrwerksauslegung des Audi TT nach einer Folge spek takulärer Unfälle, welche die Öffentlichkeit beunruhigte. Gleiches gilt für die Ausrüstung der M ercedes-A-Klasse mit ESP (Electronic Stability Program) nach einem gefährlichen Aufschaukeln des Fahrzeugs bei Ausweichmanövern, welches bis zum Umfallen des Fahrzeugs führte. Die Widerstandsstrategie stellt auf das Beharren auf dem gegenwärtigen Zustand ab. Dies kann sich proaktiv in der M anifestierung von Ansprüchen oder reaktiv in dem Festhalten des Status Quo trotz gegenteiliger Forderungen von Anspruchsgruppen ausdrücken. Letzterer Fall war u.a. bei der geplanten Versenkung der Ölplattform Brent Spa durch Shell gegeben, welche durch massiven Druck aus der Öffentlichkeit dann doch aufgegeben werden musste. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Widerstandsstrategien zu erheblichen Image- und Akzeptanzeinbußen seitens des betroffenen Unternehmens führen können. M öchte ein Unternehmen sich den Forderungen seiner Anspruchsgruppen entziehen, so bietet sich die Ausweichstrategie an. Unterschieden werden kann hier zwischen einer Problemverlagerung und dem Rückzug. Eine Problemverlagerung liegt vor, wenn das Unternehmen versucht, eine kritische Situation dadurch zu lösen, dass das eigentliche Problem aus dem Blickfeld der Anspruchsgruppen gerückt wird. So haben viele Unternehmen der deutschen Lebensmittelindustrie ihre Genforschung ins Ausland verlagert, da in Deutschland in der Öffentlichkeit z.T. massive Vorbehalte gegenüber gentechnisch manipulierten Lebensmitteln existieren. Ein Rückzug hingegen bedeutet die Aufgabe von Aktivitäten seitens des Unternehmens in dem Arbeitsfeld, welches im M ittelpunkt der Diskussion steht. Beispielsweise werden Technologiekonzerne von Aktionärsgruppen regelmäßig aufgefordert, sich aus der Produktion von Kriegs- oder kriegsnahen Produkten zurückzuziehen. Allerdings ist zu beachten, dass ein tatsächlich vollzogener Rückzug häufig neuen M itbewerbern die M öglichkeit des M arkteintritts gibt. Die Passivitätsstrategie schließlich negiert Ansprüche gesellschaftlicher Gruppen gegenüber dem Unternehmen. Das Unternehmen reagiert gegenüber den Anspruchsgruppen im Rahmen dieser Strategie mit Ignoranz. Aus Sicht des Unternehmens ist die Legitimation der Anspruchsgruppen damit in Frage gestellt. Die Passivitätsstrategie empfiehlt sich allerdings nur bei Anspruchsgruppen von geringer Größe bzw. wenig ausgeprägtem Einfluss oder bei (vermeintlicher) Irrelevanz der Problematik aus Sicht des Unternehmens für die Öffentlichkeit. 11.3.3 S trategiebewertung und auswahl 1.3.3.1 V or gehensweise und Ansätze zur Strategiebewertung und -auswahl Eine besondere Bedeutung im Rahmen der marktorientierten Geschäftsfeldplanung kommt der Strategiebewertung und -auswahl zu. Konkret werden Strategiealternativen überprüft hinsichtlich (vgl. Florin 1988, S. 24 ff.) ihrer Konsistenz, der Beanspruchung von Kompetenz sowie <?page no="356"?> 334 Strategische Marketing-Planung ihrer Funktionserfüllung. Im Rahmen von Konsistenztests wird überprüft, ob die innerhalb der Strategischen Geschäftsfelder eingeschlagenen Strategien gegenüber Abnehmer, Konkurrenz, Absatzmittler und Stakeholder zueinander passen und damit einen „Strategischen Fit“ bilden, d.h. in sich widerspruchsfrei sind. Außerdem wird überprüft, ob sich ein „Strategischer Fit“ auch hinsichtlich der Strategien zwischen den einzelnen Geschäftsfeldern ergibt. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn die Strategischen Geschäftsfelder inhaltlich nicht völlig voneinander unabhängig sind (z.B. Verwendung einer gemeinsamen M arke). Schließlich wird der Frage nachgegangen, ob die Strategien grundsätzlich geeignet sind, die verfolgten strategischen Geschäftsfeldziele zu erreichen bzw. ob sie in die beabsichtigte Zielrichtung wirken. Kompetenztests sind notwendig zur Überprüfung, ob innerhalb des Unternehmens überhaupt die Ressourcenausstattung gegeben ist, um die beabsichtigten Strategien verfolgen zu können. Zentrale Prüfkriterien sind hier die finanzielle Ausstattung des Unternehmens bzw. der einzelnen Strategischen Geschäftsfelder (vgl. auch Abschnitt 1.3.4 in diesem Teil) sowie das Ausmaß vorhandenen Know-hows zur Entwicklung und Umsetzung der Strategien. Funktionstests schließlich überprüfen, welchen Zielerreichungsgrad die Strategien erreichen werden bzw. wie sie auf die verfolgte(n) Zielgröße(n) wirken. Grundlage dieser Funktionstests sind Wirkungsprognosen, welche die Wirkung geplanter Strategien auf die Zielgröße(n) darlegen (vgl. auch Abschnitt 3.3 im 2. Teil). Zur Beantwortung dieser zentralen Frage können zahlreiche Bewertungsmodelle herangezogen werden, welche in analytische M odelle einerseits und heuristische Ansätze andererseits eingeteilt werden können. Während analytische M odelle optimale Lösungen durch einen Lösungsalgorithmus zu gewinnen versuchen und daher auch Optimierungsmodelle genannt werden, sind heuristische M odelle i.d.R. lediglich in der La ge, Näherungslösungen im Sinne von befriedigenden Lösungen zur Verfügung zu stellen. Während die Optimierungsmodelle auf vergleichsweise einfache und überschaubare Probleme beschränkt sind, können heuristische M odelle auch für komplexe Problemstellungen eingesetzt werden. Abb. 3.29 stellt die wichtigsten M odelle zur Bewertung von Strategiealternativen im Überblick dar. Ein besonders häufig eingesetztes analytisches M odell ist die Kapitalwertmethode. Entscheidungskriterium hier ist der Barwert von Zahlungsströmen, welche sich für alternative Strategien ergeben. Problematisch ist allerdings die einwertige Schätzung dieser Zahlungsströme, weswegen häufig auf Simulationen zurückgegriffen wird (vgl. den nachfolgenden Abschnitt 1.3.3.2). Weniger häufig wird die interne Zinsfußmethode herangezogen, welche die effektive Verzinsung einer Strategiealternative zu bestimmen versucht. Gründe hierfür sind die Aufwendigkeit der Berechnung sowie die M öglichkeit eines nicht eindeutigen internen Zinsfußes (zur Kapitalwertmethode und zur M ethode des internen Zinsfußes vgl. i.E. Franke/ Hax 2009, S. 169 ff.). Nutzwertanalysen basieren methodisch auf Scoring-M odellen und werden bei Bewertungs- und Entscheidungsproblemen bei mehrfacher Zielsetzung eingesetzt (vgl. auch Abschnitt 2.1.3.1.4 in diesem Teil). Neben quantitativen Kriterien können dabei auch qualitative Zielgrößen berücksichtigt werden. M ittels Marginalanalysen lassen sich schließlich optimale Strategien für überschaubare Problemstellungen ableiten. Beispielsweise können mit ihrer Hilfe optimale Preis- oder Werbestrategien bestimmt werden (vgl. auch die Abschnitte 2.2.2.2.4.3 sowie 2.3.5.3.2.3.2 in diesem Teil). Voraussetzung hierfür ist das Vorhandensein von M arktreaktionsfunktionen, welche den Zusammenhang zwischen den Strategieparametern (z.B. Preis, Werbung) und der beeinflussten Größe (z.B. Absatzmenge) wiedergeben (vgl. auch Abschnitt 2.2.2.2.3.2.1 in diesem Teil). Allerdings liegt der <?page no="357"?> Marktorienti erte Geschäftsfeldplanung 335 Schwerpunkt von M arginalanalysen eher auf der Strategieentwicklung als auf der Strategiebewertung. Heuristische Regeln stellen Verhaltensregeln dar, welche bei ähnlichen Entscheidungsproblemen zu befriedigenden Ergebnissen geführt haben. Derartige Regeln können beispielsweise aus der PIM S-Studie abgeleitet werden (vgl. Abschnitt 1.1.2 in diesem Teil). Hier kann festgestellt werden, welcher Return on Investment mit einer bestimmten Strategie im Durchschnitt erzielt wurde. Dialogmodelle existieren in Form von Führungsinformationssystemen und Expertensystemen. Führungsinformationssysteme bestehen aus einer mit empirischen Daten angereicherten Datenbank einerseits und einer mit Bewertungsmethoden ausgestatteten M ethodenbank andererseits. Im Rahmen von „What-if-Fragen“ lassen sich durch den Einsatz beider M odule Fragen über die Zielwirksamkeit alternativer Strategien beantworten. Expertensysteme beinhalten darüber hinaus Expertenwissen, welches aus den Erfahrungen mit dem Einsatz alternativer S trategien aus der Vergangenheit gewonnen werden konnte (vgl. Zahn 2001). Simulationen schließlich erlauben das Aufstellen komplexer M odelle, innerhalb derer verschiedene Strategiealternativen durchgespielt werden können. Das Abwägen von Vor- und Nachteilen einzelner Strategiealternativen entspricht dabei besonders dem menschlichen Problemlösungsverhalten. Gleichzeitig kann explizit die Unsicherheit im Rahmen der Strategiebewertung berücksichtigt werden, da Strategien ja zukünftiges Handeln beschreiben, dessen tatsächliche Auswirkungen in der Zukunft unsicher sind. Aufgrund der hohen Relevanz in diesem Zusammenhang wird die M onte-Carlo-Simulation als Variante im Rahmen von Risikoanalysen im folgenden Abschnitt gesondert behandelt. Modelle zur Bewertung von Strategiealternativen Analytische Modelle Heuristische Modelle Investitionstheoretische Ansätze - Kapitalwertmethode - Interne Zinsfussmethode Nutzwertanalysen Marginalanalysen Simulationen Dialogmodelle - Führungsinformationssysteme - Expertensysteme Heuristische Regeln Abb. 3.29: Modelle zur Bewertung von Strategien <?page no="358"?> 336 Strategische Marketing-Planung 11.3.3.2 Die Monte-Carlo-Simulation zur Bewertung und Auswahl von Strategiealternativen Die M onte-Carlo-Simulation ist auf Hertz (1964) zurückzuführen und läuft in folgenden Schritten ab (vgl. auch Berndt 1995a, S. 81 ff.): Konstruktion eines Erklärungsmodells, welches den Zusammenhang zwischen den (z.T. zufallsabhängigen) Einflussgrößen und der Zielgröße aufzeigt und Ermittlung der Wahrscheinlichkeitsverteilungen der zufallsabhängigen Inputgrößen; Bestimmung der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Zielgröße unter Berücksichtigung der zufallsabhängigen Inputgrößen; Darstellung und Interpretation der Ergebnisse. Ziel der M onte-Carlo-Simulation ist es, eine Verteilungsfunktion für die Zielgröße zu ermitteln, aus welcher ein sog. Chancenprofil abgeleitet werden kann. Das Chancenprofil gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Wert der Zielgröße überschritten wird. Dichtefunktionen: f ( . ) f ( . ) f ( . ) Zugehörige Verteilungsfunktionen : F ( . ) F ( . ) F ( . ) 1 1 1 Quelle: Berndt 1995a, S. 83 Abb. 3.30: Beispielhafte Dichtefunktionen und zugehörige Verteilungsfunktionen <?page no="359"?> Marktorienti erte Geschäftsfeldplanung 337 Schritt 1: Konstruktion eines Erklärungsmodells und Ermittlung der Wahrscheinlichkeitsverteilungen der stochastischen Inputgrößen Das Erklärungsmodell gibt den Zusammenhang zwischen der Zielgröße und den sie bestimmenden Variablen an. Als Erklärungsmodell kann z.B. folgendes Kapitalwertmodell herangezogen werden: , , , , , , , 1 1 T t F E F MA o j o j t j v t j t j t j t j t C K p k x K K i mit: , o j C = Kapitalwert für die Strategie j , F E o j K = Forschungs- und Entwicklungskosten für die Strategie j T = Planungshorizont , t j p = Produktpreis in Periode t im Rahmen der Strategie j , v t j k = variable Stückkosten in Periode t im Rahmen der Strategie j , t j x = Absatzmenge in Periode t bei Verfolgung der Strategie j , F t j K = Fixkosten in Periode t bei Verfolgung der Strategie j , MA t j K = M arketingkosten (z.B. für Werbung, Distribution) in Periode t bei Strategie j i = Kalkulationszinsfuß Zu unterscheiden ist dabei zwischen deterministischen Inputgrößen, stochastischen Inputgrößen (Zufallsvariablen) sowie Strategieparametern. Deterministische Inputgrößen sind mit Sicherheit gegeben. Hierzu können z.B. der Kalkulationszinsfuß, der Planungszeitraum sowie die mit der jeweiligen Strategie verbundenen F&E-Kosten zählen. Stochastische Größen sind zufallsabhängig und daher mehrwertig; hierzu können z.B. die variablen Stückkosten und die Fixkosten in den einzelnen Perioden sowie die periodenspezifischen Absatzmengen zählen. Für jede dieser Zufallsvariablen ist für jede Periode eine Wahrscheinlichkeitsverteilung (z.B. mittels Expertenschätzung) zu schätzen. Abb. 3.30 zeigt beispielhafte Dichtefunktionen und zugehörige Verteilungsfunktionen. Strategieparameter schließlich stellen die M arketing-Instrumentvariablen dar und zeigen auf, welche Ausprägungen die M arketing-Instrumente im Zeitablauf im Rahmen einer bestimmten Strategie annehmen sollen. Hierzu gehört z.B. der in der jeweiligen Periode anzusetzende Preis (Preisstrategie) sowie die periodenspezifischen M arketingkosten (Werbestrategie, Distributionsstrategie). <?page no="360"?> 338 Strategische Marketing-Planung Diskreter Fall Mögliche Werte einer stochastischen Inputgröße (z.B. periodenspezifische Absatzmenge) Zugehörige (geschätzte) Eintrittswahrscheinlichkeit Kumulierte Eintrittswahrscheinlichkeit Zufallszahlenintervall 10.000 15.000 20.000 30.000 50.000 0,1 0,25 0,4 0,2 0,05 0,1 0,35 0,75 0,95 1,0 1 - 10 11 - 35 36 - 75 76 - 95 96 - 100 Beispiel: Zufallszahl = 77 => zugehöriger Wert der Inputgröße = 30.000 Stetiger Fall F(.) 1 Zufallszahl zugehöriger Wert der Inputgröße Inputgröße (z.B. periodenspezifische Absatzmenge) 0 Abb. 3.31: Zuordnung eines bestimmten Wertes einer stochastischen Inputgröße zu einer gezogenen Zufallszahl im diskreten und im stetigen Fall <?page no="361"?> Marktorienti erte Geschäftsfeldplanung 339 Schritt 2: Bestimmung der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Zielgröße In diesem Schritt wird die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Zielgröße - hier des Kapitalwertes - unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeitsverteilungen der stochastischen Inputgrößen ermittelt. Hierzu werden aus den Verteilungen der stochastischen Inputgrößen jeweils Stichproben gezogen. Den gezogenen Zufallszahlen wird dann ein bestimmter numerischer Wert zugeordnet. Dabei kann zwischen dem diskreten und dem stetigen Fall unterschieden werden (vgl. Abb. 3.31). Während im diskreten Fall nur einige bestimmte Ausprägungen einer stochastischen Inputgröße existieren, liegt im stetigen Fall eine konkrete Funktion vor. Im diskreten Fall werden Zufallszahlenintervalle gebildet gemäß den Eintrittswahrscheinlichkeiten für die jeweiligen Ausprägungen der stochastischen Inputgröße. Je nachdem, in welches Intervall die gezogene Zufallszahl fällt, liegt die konkrete Ausprägung der stochastischen Inputgröße fest (s. Abb. 3.31). Im stetigen Fall hingegen ist die Zufallszahl in die Funktion einzusetzen und bestimmt so die konkrete Ausprägung der stochastischen Inputgröße. Die auf diese Weise ermittelten periodenspezifischen Ausprägungen für alle stochastischen Inputvariablen werden zusammen mit den übrigen Variablen (deterministische Inputgrößen, Strategieparameter) in die Kapitalwertformel eingesetzt und ergeben damit einen bestimmten numerischen Wert des Kapitalwertes im Rahmen der gegebenen Strategiealternative. Diese Vorgehensweise wird nun häufig wiederholt, so dass sich eine Vielzahl von Kapitalwerten für die untersuchte Strategie ergibt. Die absoluten Häufigkeiten der verschiedenen numer ischen Werte des Kapitalwerts werden nun durch die Gesamtzahl der Durchläufe dividiert. Hierdurch ergibt sich die relative Häufigkeit für die Kapitalwerte, welche graphisch in Form einer Häufigkeitsverteilung bzw. einer Dichtefunktion j o f C dargestellt werden kann. Diese Dichtefunktion gibt die Eintrittswahrscheinlichkeiten für alternative Werte des Kapitalwerts an. Hierauf aufbauend lässt sich durch Kumulation der Eintrittswahrscheinlichkeiten die zugehörige Verteilungsfunktion j o F C ableiten. Sie gibt die Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Kapitalwert kleiner/ gleich einem bestimmten Wert an. Aus dieser Funktion lässt sich schließlich die Komplementärfunktion 1 j o F C bestimmen, welche die Wahrscheinlichkeit für einen Kapitalwert größer einem bestimmten Wert angibt. Diese Funktion wird auch als Chancenprofil bezeichnet, während die Verteilungsfunktion ein Risikoprofil darstellt. Abb. 3.32 erläutert die Zusammenhänge. Schritt 3: Darstellung und Interpretation der Ergebnisse Für jeweils unterschiedliche Strategien (z.B. Preis-, Werbe-, Distributionsstrategien) können nun jeweils zugehörige Chancenprofile im Rahmen der M onte-Carlo-Simulation bestimmt werden. Abb. 3.33 zeigt Chancenprofile für zwei alternative Strategien auf. Dabei ist zu unterscheiden, ob sich die Chancenprofile überschneiden (Fall 2) oder nicht (Fall 1). Während im Fall 1 die Aussage getroffen werden kann, dass Strategiealternative 2 im Vergleich zu Strategiealternative 1 eindeutig besser ist, da das Chancenprofil von Strategie 2 über den gesamten Wertebereich des Kapitalwerts oberhalb bzw. rechts vom Chancenprofil der Strategiealternative 1 liegt, ist dies in Fall 2 nicht möglich. In Fall 2 müssen daher weitere Entscheidungsregeln für Risikosituationen bzw. zusätzliche Kriterien (z.B. Streuung, Spannweite) für eine Entscheidungsfindung herangezogen werden. <?page no="362"?> 340 Strategische Marketing-Planung Dichtefunktion des Kapitalwertes C 0 für eine bestimmte Strategie j Zugehörige Verteilungsfunktion des Kapitalwertes C 0 für eine bestimmte Strategie j (Risikoprofil) Zugehörige Komplementärfunktion des Kapitalwertes C 0 für eine bestimmte Strategie j (Chancenprofil) Abb. 3.32: Dichtefunktion, Verteilungsfunktion und Komplementärfunktion des Kapitalwertes j 0 C f j 0 C 1 j 0 C j 0 C F 1 j 0 C j 0 C F 1 <?page no="363"?> Marktorienti erte Geschäftsfeldplanung 341 11. 3.4 S trategische Budgetierung Nach der Fixierung der Aktivitäten für den Planungszeitraum bzw. nach der Entscheidung für eine einzuschlagende Strategie sind den beteiligten organisatorischen Einheiten entsprechend e strategische Budgets zur Umsetzung der Strategie zur Verfügung zu stellen. Ein Budget kann dabei als schriftliche Zusammenfassung der in Geldeinheiten bewerteten Soll-Ergebnisse geplanter Aktivitäten bestimmter Organisationseinheiten für einen bestimmten Zeitraum gekennzeichnet werden (vgl. Wild 1982). Abb. 3.34 zeigt den Budgetierungsprozess im Überblick auf. Die Höhe des Budgets hängt dabei grundsätzlich nicht unerheblich von der gewählten strategischen Stoßrichtung ab (vgl. Abschnitt 1.2.3 in diesem Teil). Dabei ist zu beachten, dass Budgets Fall 1: j 0 C F 1 Fall 2: j 0 C F 1 2 0 C F 1 1 0 C F 1 Strategie 2 besser als Strategie 1 Strategie 1 besser als Strategie 2 Quelle: In Anlehnung an Berndt 1995a, S. 87 Abb. 3.33: Chancenprofile für zwei Strategiealternativen 1 0 C F 1 2 0 C F 1 j 0 C <?page no="364"?> 342 Strategische Marketing-Planung unterschiedlichen Zwecken dienen können. Neben Planungs- und Kontrollzwecken sind in diesem Zusammenhang auch Koordinations-, M otivations- und Entlohnungszwecke zu nennen. Liegen die strategischen Budgets für die einzelnen Geschäftsfelder fest und sind sie den zuständigen Teileinheiten zugewiesen worden, so sind im Rahmen der operativen Budgetierung die Budgets für die Umsetzung der M arketing-Politik zu konkretisieren (vgl. das nachfolgende Kapitel 2). Hier erfolgt die dezidierte Bestimmung des Aktivitäts- und Leistungsniveaus der aus der M arketing-Strategie abzuleitenden M arketing-M aßnahmen auf der Ebene der einzelnen M arketing-Instrumente. Strategische Geschäftsfeldplanung Planung der künftigen Marktbeziehungen Entwicklung strategischer Geschäftsfeldziele Ableitung adäquater Marketing-Strategien Schätzung der erforderlichen Investitionen Erlösmöglichkeiten pro Periode Kosten pro Periode benötigten Finanzmittel Budgetvorgabe für organisatorische Teileinheiten Quelle: In Anlehnung an Köhler 1992, S. 315 Abb. 3.34: Budgetierung im Rahmen der strategischen Geschäftsfeldplanung <?page no="365"?> Marktorienti erte Geschäftsfeldplanung 343 Wiederholungsfragen und -aufgaben zur „Strategischen Marketing-Planung“: [1] Was versteht man unter einer Situationsanalyse und -prognose im Rahmen der strategischen M arketing-Planung? [2] Welche Informationsbereiche gehören zur globalen Umwelt (M akroumwelt) und zur aufgabenspezifischen Umwelt (M ikroumwelt) von Unternehmen? [3] Erläutern Sie, welche Erfolgsfaktoren im Rahmen von Leistungs- und Führungspotenzialen innerhalb eines Unternehmens eine Rolle spielen können. [4] Was versteht man unter „Strategischen Geschäftsfeldern“? [5] Erläutern Sie alternative strategische Stoßrichtungen auf Basis der Produkt-M arkt- M atrix nach Ansoff. [6] Erläutern Sie die Portfolioanalyse als strategisches Analyseinstrument. [7] Erläutern Sie die Lebenszyklusanalyse als strategisches Analyseinstrument. [8] Erläutern Sie die Positionierungsanalyse als strategisches Analyseinstrument. [9] Erläutern Sie die Erfahrungskurvenanalyse als strategisches Analyseinstrument. [10] Erläutern Sie die Wertkettenanalyse als strategisches Analyseinstrument. [11] Stellen Sie die Vor- und Nachteile einer Pionierstrategie im Rahmen der Timing-Strategie des M arkteintritts dar. [12] Nennen und erläutern Sie denkbare kundengerichtete Strategien eines Anbieters. [13] Nennen und erläutern Sie denkbare konkurrenzgerichtete Strategien eines Anbieters. [14] Nennen und erläutern Sie denkbare absatzmittlergerichtete Strategien eines Anbieters. [15] Nennen und erläutern Sie denkbare stakeholdergerichtete Strategien eines Anbieters. [16] Wie können alternative Strategien bewertet und ausgewählt werden? Erläutern Sie in diesem Zusammenhang insbesondere die M onte-Carlo-Simulation als Instrument zur Bewertung von Strategien unter Unsicherheit. [17] Was versteht man unter einem Budget und welchen Zwecken können Budgets dienen? Einführende Literaturempfehlungen zur „Strategischen Marketing -Planung“: Aaker, D.A. (2014): Strategic M arket Management, 10. Aufl., Hoboken 2014. Bea, F.X.; Haas, J. (2019): Strategisches M anagement, 10. Aufl., M ünchen u.a. 2019. Becker, J. (2019): M arketing-Konzeption. Grundlagen des ziel-strategischen und operativen M arketing-M anagements, 11. Aufl., M ünchen 2019. Berndt, R. (1995b): M arketing 3. M arketing-M anagement, 2. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York 1995. Hinterhuber, H.H. (2015): Strategische Unternehmensführung. Das Gesamtmodell für nachhaltige Wertsteigerung, 9. Aufl., Berlin, New York 2015. Hinterhuber, H.H. (2004): Strategische Unternehmensführung, Teil II: Strategisches Handeln, 7. Aufl., Berlin, New York 2004. Hungenberg, H. (2014): Strategisches M anagement in Unternehmen, Ziele - Prozesse - Verfahren, 8. Aufl., Wiesbaden 2014. <?page no="366"?> 344 Strategische Marketing-Planung Köhler, R. (1993a): Beiträge zum M arketing-M anagement - Planung, Organisation, Controlling, 3. Aufl. Stuttgart 1993. Porter, M .E. (2013): Wettbewerbsstrategie. M ethoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten, 12. Aufl., Frankfurt/ M ain 2013. Tomczak, T.; Kuß, A.; Reinecke, S. (2014): M arketingplanung. Einführung in die marktorientierte Unternehmens- und Geschäftsfeldplanung, 7. Aufl., Wiesbaden 2014. Welge, M .K.; Al-Laham A.; Eulerich, M . (2017): Strategisches M anagement, Grundlagen - Prozess - Implementierung, 7. Aufl., Wiesbaden 2017. <?page no="367"?> 22 Planung des M arketing-Instrumente-Einsatzes Lernziele im Kapitel „Planung des Marketing -Instrumente-Einsatzes“: In diesem Kapitel erfahren Sie wie die einzelnen M arketing-Instrumente (Produktpolitik, Kontrahierungspolitik, Kommunikationspolitik und Distributionspolitik) zielgerecht auszugestalten sind und wie diese vier M arketing-Instrumente in einem adäquaten M arketing-M ix zusammengefasst werden können. Nach Bearbeitung des Kapitels sind Sie in der Lage, eine strategische und operative Produktprogrammanalyse durchzuführen, zielgerichtete Produktinnovationen, Produktdifferenzierungen, Produktvariationen und Produkteliminationen vorzunehmen, weitere produktpolitische Entscheidungstatbestände wie die M arken-, Verpackungs-, Service- und Programmpolitik zu handhaben, preispsychologische Wirkungen aus Sicht des Konsumenten zu beurteilen, den Preismanagement-Prozess abzubilden, zielgerichtet Preise für Produkte aus Anbietersicht festzulegen, Einzelprobleme der Preispolitik (Preisdifferenzierungen, Preisbündelungen, Preisstrategien usw.) zu bewältigen, Konditionen (Rabatte, Liefer- und Zahlungsbedingungen, Kredite) marktgerecht festzulegen, verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Kommunikationspolitik zu beurteilen, diverse Instrumente der Kommunikationspolitik (Werbung, Sponsoring, Public Relations, Direct Communications usw.) zielgerichtet zu gestalten, eine Integrierte Kommunikation abzuleiten, alternative Absatzwege für den Vertrieb von Produkten aufzuzeigen und eine zielgerichtete Auswahl zu treffen, ein Beziehungsmanagement im Vertriebssystem zu gestalten, diverse Aufgaben im Rahmen der Verkaufspolitik (Bestimmung des Außendienstumfanges, Selektion und Schulung der Außendienstmitarbeiter, Steuerung des Verkaufspersonals usw.) erfolgreich zu erledigen, ein Customer Relationship M anagement durchzuführen, Entscheidungen im Rahmen der M arketing-Logistik (Lagergestaltung und Lagerhaltung, Transportmittel- und -wegewahl usw.) zielgerichtet zu treffen sowie einen M arketing-M ix als adäquate Zusammenführung aller M arketing-Instrumente vorzunehmen. <?page no="368"?> 346 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Gegenstand der M arketing-Politik ist die Planung des Einsatzes der einzelnen M arketing-Instrumente. Konkret sind dies die Produktpolitik, die Kontrahierungspolitik, die Kommunikationspolitik sowie die Distributionspolitik. Diese vier Instrumentalbereiche werden schließlich im sog. M arketing-M ix zusammengefasst, welcher eine optimale Zusammenstellung der M arketing-Instrumente im Hinblick auf die verfolgten Ziele darstellt. Abb. 3.35 stellt die einzelnen M arketing-Instrumente im Überblick dar. 2.1 P roduktpolitik 2.1.1 G rundlagen der Produktpolitik 2.1.1.1 Ar ten von Produkten Ein Produkt kann allgemein als eine M enge von Eigenschaften charakterisiert werden, welche kombiniert werden und in der Lage sind, eines oder mehrere Bedürfnisse von Nachfrage rn zu befriedigen und gleichzeitig erlauben, betriebliche Ziele zu erreichen. Es existieren verschiedene Produkttypologien. So kann unterschieden werden in Gebrauchsgüter, Verbrauchsgüter und Dienstleistungen. Gebrauchsgüter sind materielle Produkte, welche Nutzeneinheiten über einen längeren Zeitraum abgeben wie z.B. Haushaltsgeräte, Fotokameras, Produkte der Unterhaltungselektronik, Kleidung. Verbrauchsgüter hingegen sind materielle Produkte, welche im Laufe einer oder weniger Verwendungseinsätze konsumiert werden wie z.B. Lebensmittel, Zigaretten, Körperpflegemittel. Dienstleistungen schließlich stellen immaterielle Produkte dar, welche in einem engen Verbund zwischen Leistungserbringer und Leistungsnehmer erbracht werden wie z.B. Haarschnitte, ärztliche Leistungen, Beratungen, Reparaturen. Im Gegensatz zu Ge - und Verbrauchsgütern können Dienstleistungen nicht auf Vorrat produziert werden bzw. sind nicht lagerfähig. Dabei ist zu beachten, dass Ge- und Verbrauchsgüter durchaus auch Dienstleistungsbestandteile aufweisen können (z.B. Garantien, Hot-Lines, Vor-Ort-Reparaturservice) und umgekehrt Dienstleistungen z.T. im Verbund mit Ge- und Verbrauchsgütern genutzt werden. Zur eindeutigen Klassifizierung ist daher auf den Dienstleistungsanteil in einem Produkt abzustellen. Gemäß dem generischen Produktbegriff wird der gesamte, den Konsumenten von Unternehmen angebotene Nutzen als Produkt bezeichnet. Dieser generische Produktbegriff schließt damit den substantiellen Produktbegriff mit ein, welcher sich auf ein abgrenzbares, physisches Kaufobjekt bzw. auf die Dienstleistungen im eigentlichen Sinne bezieht. In diesem Zusammenhang ist zwischen dem Grundnutzen und dem Zusatznutzen, welches ein Produkt vermittelt, zu unterscheiden (vgl. Vershofen 1950, S. 274). Abb. 3.36 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Grund- und Zusatznutzen und zeigt gleichzeitig auf, dass sich Grund- und Zusatznutzenkompo- <?page no="369"?> Produktpolitik 347 Marketing-Instrumente Produktpolitik Kontrahierungspolitik Kommunikationspolitik Distributionspolitik - Produktpolitik i.e.S. (Produktinnovation, -variation, -differenzierung, -eliminierung) weitere produktpolitische Entscheidungstatbestände - Markenpolitik - Verpackungspolitik - Servicepolitik - Produktpolitik im Internet - Programmpolitik - Preispolitik - Konditionenpolitik - Coporate Identity Policy - Werbung - Sales Promotions - Public Relations - Direct Communications - Sponsoring - Product Placements - Online-Werbung - Social Media Marketing - Mobile Marketing - Weitere kommunikationspolitische Instrumente (z.B. Influencer- Marketing, Event Marketing, Messen und Ausstellungen usw.) - Vertriebspolitik - Verkaufspolitik - Marketinglogistik Marketing-Mix Abb. 3.35: Überblick über die Marketing-Instrumente <?page no="370"?> 348 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes nenten sowohl bei materiellen Produkten als auch bei Dienstleistungen wiederfinden lassen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass auf vielen Produktmärkten Zusatznutzenkomponenten immer wichtiger werden, weil sich der Grundnutzen bzw. das Ausmaß der Erfüllung des Grundnutzens durch die einzelnen angebotenen Produkte immer mehr angleicht. Eine Differenzierung vom Angebot der Konkurrenz muss in diesen Fällen über die Zusatznutzenkomponente erfolgen. Produkte lassen sich darüber hinaus in Produkthierarchien einteilen (vgl. Kotler/ Keller/ Opresnik 2017, S. 473f.). Abb. 3.37 zeigt eine Produkthierarchie für das Beispiel „Lebensversicherung“. 2.1.1.2 Ziele und Restriktionen d er Produktpolitik Produktpolitische Ziele sind mit den übergeordneten M arketing-Zielen, welche wiederum aus den Unternehmenszielen abzuleiten sind, abzustimmen. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass das Verfolgen der produktpolitischen Ziele auch der Erreichung der M arketingbzw. Unternehmensziele dient. Generell kann dabei zwischen ökonomischen und außerökonomischen (psychologischen) Zielen unterschieden werden. Typische ökonomische Ziele sind bspw.: Gewinn- und Rentabilitätsziele Erreichung eines bestimmten Deckungsbeitrags Erreichung eines bestimmten Return on Investment (RoI) Wachstumsziele Absatzwachstum Umsatzwachstum Gewinnwachstum Rationalisierungsziele Nutzung von Synergieeffekten in der Produktion Degressionseffekte Kapazitätsauslastungsziele Produktionskapazität M arketingkapazität Sicherheitsziele Risikostreuung Ausgleich von Absatzschwankungen innerhalb des Programms (Beschäftigungsglättung) Ansprache weiterer Kundensegmente langfristige Überlebenssicherung M arktstellungsziele M arktanteilssteigerung Qualitätsverbesserung/ -führerschaft „Vollsortimenter“ (Programmbreite) Angebot ökologiegerechter Produkte. <?page no="371"?> Produktpolitik 349 Die aus den physikalischfunktionellen Eigenschaften eines Produkts bzw. aus der eigentlichen Dienstleistung resultierende Bedürfnisbefriedigung Definition Beispiel Über den Grundnutzen hinausgehende Bedürfnisbefriedigung Aus den sozialen Eigenschaften eines Produkts resultierende Bedürfnisbefriedigung Die aus allen Eigenschaften eines Produkts resultierende Bedürfnisbefriedigung Physisches Produkt (z.B. Auto) Dienstleistung (z.B. Haarschnitt) Bequemer und sicherer Transport von A nach B Gepflegtes Erscheinungsbild Alle über den reinen Transportnutzen hinausgehenden Nutzenkomponenten eines Autos Alle zusätzlich zum Auto angebotenen Leistungen (z.B. Garantie, Finanzierung) Über das eigentliche Produkt bzw. die eigentlich angebotene Dienstleistung hinaus angebotenen Produktbestandteile Befriedigung des Schönheitsempfindens bei der Betrachtung von Form und Farbe (Styling) des Fahrzeugs Soziale Anerkennung oder Aufwertung durch den Kauf einer Luxus-Marke (z.B. Mercedes-Benz, Jaguar) Summe aller Nutzenkomponenten eines Automobils Alle über den reinen Pflegecharakter hinausgehenden Nutzenkomponenten eines Haarschnitts Alle zusätzlich zum Haarschnitt angebotenen Leistungen (z.B. Getränke, Zeitschriften während des Wartens bzw. des Haareschneidens) Befriedigung des Schönheitsempfindens durch ein schöneres Aussehen der eigenen Person Soziale Anerkennung oder Aufwertung durch Aufsuchen eines bekannten Coiffeurs bzw. Haarstylisten Summe aller Nutzenkomponenten eines Haarschnitts Aus den ästhetischen Eigenschaften eines Produkts resultierende Bedürfnisbefriedigung Grundnutzen Zusatznutzen Produkterweiterungsnutzen Erbauungsnutzen Geltungsnutzen Produktnutzen Quelle: In Anlehnung an Meffert 2000, S. 333 Abb. 3.36: Komponenten des Produktnutzens + = <?page no="372"?> 350 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Abb. 3.37: Eine Produkthierarchie für das Beispiel Lebensversicherungen Dynamische Risikolebensversicherung ohne weitere medizinische Überprüfung mit einer Laufzeit bis zum 60. Lebensjahr Produkttyp Produktlinie Produktklasse Produktfamilie Bedürfnisfamilie Artikel Risikolebensversicherung Lebensversicherungen Der Sicherheit dienende Finanzierungsinstrumente Sicheres Einkommen und Rücklagen bildende Produkte Finanzielle Sicherheit Relevante außerökonomische bzw. psychologische Ziele, welche im Rahmen der Produktpolitik häufig verfolgt werden, sind Bekanntheitsgradziele Imageziele (Produktbzw. M arkenimage) Einstellungsbzw. Präferenzziele (Produktbzw. M arkenpräferenz) sowie Kaufabsichtsziele. Beschränkt werden produktpolitische Entscheidungen insbesondere durch folgende drei Restriktionen (vgl. auch Berndt 1995a, S. 41 ff.): den M arkt, betriebsinterne Daten sowie Rechtsnormen und -vorschriften. Von Bedeutung ist naturgemäß der Markt und seine Charakteristika. Hierzu zählen u.a. die Anzahl von Nachfragern und Anbietern und deren Verhalten (vgl. auch Abschnitt 1.1.1.2 in diesem Teil). Darauf aufbauend lassen sich M engen-, Umsatz- und Gewinnpotenzialschätzungen ableiten. Zu den betriebsinternen Daten gehören u.a. die finanzielle Situation, die Kostensituation, das Know-how der M itarbeiter sowie die kapazitative Sachlage (vgl. auch Abschnitt 1.1.2 in diesem Teil). Rechtsvorschriften, welche im Bereich der Produktpolitik von Bedeutung sind, können einerseits handlungseinschränkenden Charakter besitzen, andererseits auch Schutzrechtscharakter haben. Zu den Schutzrechten zählen das Patentrecht, das Gebrauchsmusterrecht sowie das Geschmacksmusterrecht. Patente können für Leistung aus dem Gebiet der Technik (Produkte und Verfahren bzw. Prozesse) erworben werden, welche auf erfinderischer Tätigkeit beruhen und <?page no="373"?> Produktpolitik 351 gewerblich anwendbar sind. Unter Gebrauchsmuster hingegen sind Arbeitsgerätschaften, Gebrauchsgegenstände oder Teile davon zu verstehen, welche dem Arbeits- oder Gebrauchszweck durch eine neue Gestaltung, Anordnung oder Vorrichtung dienen sollen (§1 GebrM G). Die Anforderungen an Neuheitsgrad und technischem Fortschritt sind dabei nicht so hoch wie beim Patent, weshalb umgangssprachlich häufig auch vom „kleinen Patent“ gesprochen wird. Im Gegensatz zum Patent beträgt die maximale Schutzzeit lediglich 6 Jahre gegenüber 20 Jahren beim Patent. Geschmacksmusterrechte stellen Urheberrechte an ästhetisch wirkenden, gewerblichen M ustern und M odellen dar. Gegenstand des Schutzes ist hier der ästhetische Gehalt eines Erzeugnisses, welcher bis maximal 15 Jahre gewährt wird. Handlungseinschränkenden Charakter haben rechtliche Regelungen, welche sich auf die Produktgestaltung, die Verpackungsgestaltung sowie die M arkierung beziehen. Wesentliches Ziel dieser rechtlichen Regelungen ist der Verbraucherschutz. Hinsichtlich der Produktgestaltung finden sich Regeln im Lebensmittel- und Gaststättengesetz (z.B. hinsichtlich der Verwendung bestimmter Ingredienzien wie Farb- oder Konservierungsstoffen). Auch soll der Verbraucher durch die Bestimmungen der Handels klassenverordnung, welche die Einteilung von Lebensmitteln in Größe und Qualität (z.B. Eier) regelt, geschützt werden. Im Bereich der Verpackungsgestaltung ist auf die Kennzeichnungsvorschriften (z.B. hinsichtlich inhaltlicher Bestandteile eines Produkts) sowie auf das Verbot von „M ogelpackungen“ hinzuweisen. M ogelpackungen liegen vor, wenn der Verbraucher aufgrund der Verpackung einen falschen Eindruck über den wahren Inhalt des Produkts (z.B. hinsichtlich der Produktmenge) erhält. Hinsichtlich der M arkierung schließlich regelt das M arkengesetz (MarkenG) die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Verwendung bestimmter Zeichen, Symbole, Wörter und Buchstaben. Einerseits schränkt das M arkengesetz damit den Handlungsspielraum ein, andererseits stellt es für den M arkeninhaber ein Schutzrecht dar, welches die unzulässige Verwendung geschützter Elemente durch Dritte verhindert (zu rechtlichen Regelungen im M arketing vgl. insbesondere Ahlert/ Schröder 1996). 22.1.2 Analyse des bestehenden Produktprogramms In regelmäßigen zeitlichen Abständen bedarf das bestehende Produktprogramm eines Anbieters einer Analyse, um Defizite bzw. Fehlentwicklungen rechtzeitig aufdecken und gegensteuernde M aßnahmen ergreifen zu können. Zu unterscheiden ist dabei zwischen der strategischen und der operativen Produktprogrammanalyse. Während die strategische Produktprogrammanalyse Informationen über notwendige Produktinnovationen, -differenzierungen, -variationen und -eliminierungen (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.1.3 in diesem Teil) bereitstellen möchte, dient die operative Produktprogrammanalyse der Planung kurzfristiger Programmänderungen. 2.1.2.1 Str a tegische Produktprogrammanalyse Ein wichtiges Instrument der strategischen Produktprogrammanalyse ist die Altersstrukturanalyse des bestehenden Produktprogramms. Auf Basis des Produktlebenszykluskonzepts (vgl. Abschnitt 1.2.4.2 in diesem Teil) wird hier festgestellt, wie viele Artikel mit welcher Umsatz- oder Gewinnbedeutung sich in welcher Phase des Produktlebenszyklus befinden. Diese Informationen geben Aufschluss über Produktinnovationsnotwendigkeiten sowie über Wachstumspotenziale für das Unternehmen als Ganzes. So bedeuten viele alte Produkte im Programm eines Unternehmens in der Regel ein hohes Risiko, während eine Vielzahl neuer Produkte im Programm das Wachstum des Unternehmens sowie seine nachhaltige Existenz am M arkt sichert. Abb. 3.38 zeigt <?page no="374"?> 352 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes 1 2 3 4 5 6 7 a) Altersstruktur Programm 1 Lebenserwartung in Jahren Umsatzbeitrag Bruttoerfolgsbeitrag Verfall Reife Sättigung Wachstum Einführung 8 + 1 2 3 4 5 6 7 b) Altersstruktur Programm 2 Verfall Reife Sättigung Wachstum Einführung 8 + Zahl der Erzeugnisse (Artikel) Umsatzbeitrag in Umsatzeinheiten, Bruttoerfolgsbeitrag Zahl der Erzeugnisse (Artikel) Umsatzbeitrag in Umsatzeinheiten, Bruttoerfolgsbeitrag Elimination Quelle: In Anlehnung an Grosche 1967, S. 149 f. Abb. 3.38: Altersstrukturanalyse zweier Produktprogramme <?page no="375"?> Produktpolitik 353 Umsatzanteil Anteil am Produktprogramm 100 % 100 % 60 % 20 % 80 % 0 % 45°- Linie Programm II Programm I Abb. 3.39: Umsatzkonzentrationskurven zwei beispielhafte Altersstrukturanalysen. Während das Programm 1 (Abb. 3.38a) bereits „Überalterungserscheinungen“ aufweist, da viele Produkte sich in der Reifephase des Produktlebenszyklus befinden und in absehbarer Zeit eliminiert werden müssen, stellt das Programm 2 (Abb. 3.38b) ein recht junges Programm mit vielen Produkten in der Einführungs- und Wachstumsphase dar. Programm 2 hat damit einen günstigen Altersaufbau mit nur wenigen demnächst zu eliminierenden Produkten, welche zudem im Vergleich zu ihrem Umsatzbeitrag einen ansehnlichen Bruttoerfolgsbeitrag leisten. Neben Altersstrukturanalysen stellen Umsatzstrukturanalysen ein weiteres wichtiges Instrument der strategischen Produktprogrammanalyse dar. Hier werden Konzentrationskurven ermittelt, welche angeben, welche Anteile des Produktprogramms wie viele Umsatzanteile erwirtschaften. Wird eine Rangordnung hinsichtlich des Umsatzes einzelner Produkte aufgestellt, beginnend mit dem umsatzschwächsten Produkt, so lassen sich Konzentrationskurven wie in Abb. 3.39 gewinnen. Während in Programm I von 80 % der Produkte nur 20 % des Umsatzes erwirtschaftet <?page no="376"?> 354 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes werden, liegt dieser Wert bei Programm II bei 60 %. Das Programm I besteht also aus einer Vielzahl von Produkten, welche nur relativ wenig zum Gesamtumsatz beitragen. Dies bedeutet unter Risikogesichtspunkten eine hohe (Umsatz-) Abhängigkeit von nur wenigen besonders erfolgreichen Produkten im Programm. Gleichzeitig ist dies ein Hinweis auf eliminationsverdächtige Produkte, welche nur wenig Umsatz erwirtschaften, möglicherweise aber Produktions- und M anagementkapazitäten in unverhältnismäßig hohem M aße beanspruchen (vgl. auch Abschnitt 2.1.3.4 in diesem Teil). Programm II hingegen befindet sich näher an der 45 ° -Linie und stellt damit in umsatzmäßiger Hinsicht das ausgeglichenere Programm dar. Eine Variante der Umsatzstrukturanalyse ist gegeben, wenn auf der Abszisse in Abb. 3.39 statt der Anteile am Produktprogramm abgetragen wird, wie viel Umsatz mit einzelnen Käufern bzw. Abnehmern getätigt wird. Eine Konzentrationskurve, welche deutlich von der 45 ° -Linie entfernt liegt, deutet dann darauf hin, dass mit nur wenigen Kunden hohe Umsatzanteile erwirtschaftet werden. Dies bedeutet eine hohe Abhängigkeit des Unternehmens von einzelnen Abnehmern. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass weitere strategische Analyseinstrumente, welche häufig auf Unternehmensbzw. Geschäftsebene eingesetzt werden wie Portfolioanalysen, Positionierungsanalysen oder Erfahrungskurvenanalysen, im Rahmen von Produktprogrammanalysen Anwendung finden können (vgl. Abschnitt 1.2.4 in diesem Teil). Sie sind dann inhaltlich statt auf das Unternehmen bzw. Geschäftsfelder auf einzelne Produkte zu beziehen. 2.1.2.2 Op erative Produktprogrammanalyse Ein typisches Instrument der operativen Produktprogrammanalyse ist die Deckungsbeitragsrechnung. Der Stückdeckungsbeitrag eines Produktes i ist definiert als i i v i d b p k mit: i d b = Stückdeckungsbeitrag des Produkts i i p = Preis des Produkts i v i k = variable Stückkosten des Produkts i Entsprechend lautet der Deckungsbeitrag eines Produkts i i i i v i i DB d b x p k x mit: i x = vom Produkt i abgesetzte M enge Der (Stück-)Deckungsbeitrag eines Produktes gibt Aufschluss darüber, in welchem Ausmaß ein Produkt in der Lage ist, die anfallenden Fixkosten bzw. sonstige anfallenden Kosten mit abzudecken. Die Produktprogrammpolitik muss darauf ausgerichtet sein, möglichst hohe Deckungsbeiträge zu erzielen. Produkte mit einem (Stück-)Deckungsbeitrag von null oder einem negativen (Stück-)Deckungsbeitrag sind daher aus dem Produktprogramm zu eliminieren. Dies gilt allerdings nur, wenn von einem nachhaltigen (Stück-)Deckungsbeitrag von null bzw. weniger als null auch <?page no="377"?> Produktpolitik 355 Produktgruppen Produktmarken Bruttoerlöse direkt zurechenbare Rabatte, Skonti, sonst. Erlösschmälerungen Nettoerlöse variable Produktionskosten DB I der Produktmarken Fixkosten der Produktmarken DB II der Produktmarken Fixkosten der Produktgruppen DB der Produktgruppen Fixkosten des Unternehmens Gewinn des Unternehmens 1 2 3 11 12 13 11 12 13 11 12 13 11 B 12 B 13 B 21 B 22 B 23 B 31 B 32 B 33 B ./ . ./ . ./ . ./ . ./ . = = = = = 11 R 12 R 13 R 21 R 22 R 23 R 31 R 32 R 33 R 11 N 12 N 13 N 21 N 22 N 23 N 31 N 32 N 33 N 11 K 12 K 13 K 21 K 22 K 23 K 31 K 32 K 33 K I 11 D I 12 D I 13 D I 21 D I 22 D I 23 D I 31 D I 32 D I 33 D 11 F 12 F 13 F 21 F 22 F 23 F 31 F 32 F 33 F II 11 D II 12 D II 13 D II 21 D II 22 D II 23 D II 31 D II 32 D II 33 D 1 F 2 F 3 F 1 D 2 D 3 D F G Quelle: Berndt 1995b, S. 134 Abb. 3.40: Mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung für Produktmarken und Produktgruppen <?page no="378"?> 356 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes in kommenden Perioden zu rechnen ist. Außerdem können Verbundeffekte im Programm (z.B. aufgrund technischer Komplementarität) eine Elimination verhindern, wenn die Komplementärprodukte hohe Deckungsbeiträge aufweisen und deren Deckungsbeiträge die anfallenden Verluste überkompensieren. Abb. 3.40 zeigt beispielhaft eine mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung nach Produktmarken und -gruppen auf. Zieht man von den Bruttoerlösen der einzelnen Produktmarken zunächst Rabatte, Skonti und sonstige Erlösschmälerungen ab, gelangt man zum Nettoerlös. Deckungsbeitrag DB I erhält man durch Abzug der variablen Produktionskosten der einzelnen M arken von den Nettoerlösen. Lassen sich produktmarken- und produktgruppenspezifische Fixkosten ermitteln und den Produktmarken bzw. Produktgruppen zuordnen, so können darüber hinaus die Deckungsbeiträge DB II der Produktmarken sowie Deckungsbeiträge der Produktgruppen bestimmt werden. Schließlich lässt sich der Unternehmensgewinn durch Abzug der verbleibenden Fixkosten des Unternehmens errechnen. Neben Deckungsbeitragsanalysen können Kennzahlenanalysen in der operativen Produktprogrammplanung eingesetzt werden. Sie können zur Produktprogrammgestaltung herangezogen werden, indem ein Vergleich von Soll- und Ist-Werten durchgeführt wird. Auf diese Weise kann eine permanente Kontrolle des bestehenden Produktprogramms hinsichtlich wichtiger Kennzahlen erfolgen. Abb. 3.41 stellt ausgewählte Kennziffern im Überblick dar. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass sich bei Anwendung verschiedener Kennzahlen häufig unterschiedliche Rangfolgen für die zu beurteilenden Produkte ergeben. Ein über alle Kennzahlen dominierendes Produkt existiert in der Regel nicht. 2.1.3 Veränderung des Produktprogramms Eine Veränderung des bestehenden Produktprogramms kann durch folgende grundlegende Handlungsalternativen erfolgen: Produktinnovation, Produktvariation, Produktdifferenzierung, Produkteliminierung. Während die Produktinnovation und die Produktdifferenzierung zu einer Erweiterung des Produktprogramms führen, ist mit der Produkteliminierung eine Einschränkung des Produktangebots verbunden. Eine Produktvariation hingegen bedeutet eine Änderung des Produktprogramms in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht. 2.1.3.1 Pr oduktinnovation 2.1.3.1.1 Begriff und Bedeutung der Produktinnovation Unter Produktinnovation versteht man den Prozess der Gewinnung und Auswahl von Neuproduktideen, welcher nach Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Neuproduktideen in die Entwicklung eines Produktes, in die Durchführung von Produkt- und M arkttests sowie in die M arkteinführung des neuen Produktes mündet. Die Bedeutung von Produktinnovationen wird offensichtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass jedes Produkt gemäß dem Produktlebenszykluskonzept (vgl. Abschnitt 1.2.4.2 in diesem Teil) nur für eine begrenzte Zeit erfolgreich am M arkt verkauft werden kann. Zur nachhaltigen Sicherung des Unternehmens am M arkt bzw. zur <?page no="379"?> Produktpolitik 357 Kennzahlen zur operativen Produktprogrammanalyse Rentabilitätsbezogene Kennziffern Deckungsbeitragsbezogene Kennziffern Sonstige Kennziffern - Deckungsbeitrag pro Fertigungszeiteinheit - Umsatzrentabilität = relativer Marktanteil = Gewinn Umsatz Marktanteil des Produkts Marktanteil des Hauptkonkurrenten - Deckungsbeitrag je 1 € variabler Kosten - Kapitalumschlag = - Flächenproduktivität = Umsatz eingesetztes Kapital Umsatz Verkaufsfläche in m² - Deckungsbeitrag je m² Verkaufsfläche im Handel - Lagerumschlag = monatlicher Lagerabgang durchschnittlicher Lagerbestand - Materialkostenanteil = Materialkosten Umsatz Abb. 3.41: Kennzahlen zur operativen Produktprogrammanalyse - Deckungsbeitrag in % vom Nettoerlös - Return on Investment = - Entwicklungskostenanteil = Gewinn Umsatz Umsatz eingesetztes Kapital x Kosten für F&E Umsatz Generierung von Unternehmenswachstum sind zwangsläufig Produktinnovationen durchzuführen. Anderenfalls verschwindet das Unternehmen nach geraumer Zeit bzw. am Ende des Produktlebenszyklus des (der) Produktes (Produkte) vom M arkt. Weitere Gründe von Produktinnovationen sind die Risikostreuung, die Auslastung vorhandener Produktionskapazitäten sowie die Senkung der Produktionskosten (vgl. Berndt 1995a, S. 43). Allerdings sind die Flopquoten, d.h. der Anteil der am M arkt gescheiterten Produkte, in einigen Produktmärkten enorm hoch. So sind 40 Prozent aller Güter des täglichen Bedarfs, die neu in den Regalen von Supermärkten, Discountern oder Drogerien stehen, nach drei M onaten wieder verschwunden. Wie eine GfK-Studie zeigt, kommt im Schnitt nur ein Drittel der Produkte bei den Kunden so gut an, dass es die ersten beiden Jahre am M arkt übersteht. (vgl. Schu ster 2015). Abb. 3.42 zeigt auf, dass erfolgreiche Innovationen stark von der jeweiligen Produktkategorie abhängen. Grundlage dieser Ergebnisse war eine repräsentative Befragung von Entscheidern im <?page no="380"?> 358 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Lebensmitteleinzel- und -großhandel. Aufschluss über (generelle) Flopursachen in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie gibt Abb. 3.43. Im Rahmen von empirischen Untersuchungen konnte ermittelt werden, dass 60 % aller Flops auf einen schwachen Innovationsgrad, einem schlechten Preis-Leistungsverhältnis, einer unklaren Zielgruppenstruktur sowie einer unstimmigen M arkenpolitik zurückzuführen sind, 40 % kranken an der schlechten Umsetzung einer an sich guten Idee (vgl. Boßhammer 2008, S. 28; Lebensmittelpraxis 2010, S. 7). Quelle: Lebensmittelpraxis 2017, S. 53 Abb. 3.42: Die erfolgreichsten Innovationen nach Warengruppen (in %) 3,2 3,6 4,1 4,6 5,6 5,7 6,5 7,7 7,7 8,6 8,9 8,9 8,9 9,1 9,3 9,6 12,6 13,4 14,1 14,2 14,2 14,6 17,2 18,2 18,2 18,6 19,7 21,2 25,9 30,3 32 49 53,4 Baby- und Kindernahrung Hygienepapiere Fisch und Fischerzeugnisse Mundhygiene Tabakwaren/ Zigaretten Bad- und Duschpflege Fleisch und Wurst Margarine/ Fette/ Butter/ Öle Gewürze Nährmittel Kuchen- und Backmischungen Kosmetik Nahrungsergänzungsmittel Obst und Gemüse Gesichtspflege Tiernahrung Putz- und Pflegemittel Chilled Food Spirituosen Kaffee/ Tee/ Kakao Frühstücksprodukte Körperpflege Zuckerwaren Eiscreme Waschmittel Knabberartikel Wein/ Sekt/ Champagner Süßgebäck/ Schokolade Bier Tiefkühlkost Molkereiprodukte Alkoholfreie Getränke Vegetarische Fleischprodukte <?page no="381"?> Produktpolitik 359 Fehlende Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb Irreführende Marktforschung Falsche/ unklare Positionierung Nicht erfülltes Produktversprechen Falsche/ unklare marketingstrategische Ausrichtung Mangelhafte Einbindung der Konsumenten Schlechtes Preis-/ Leistungsverhältnis Fehlende Unterstützung anderer Funktionsbereiche Zu kurzer Payback-Zeitraum Zu lange Innovationszeiten Quelle: Lebensmittelpraxis 2010, S. 8 Abb. 3.43: Die 10 wichtigsten Gründe für Produktflops in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie Entwicklungsphase Anzahl der Produktideen Ausscheidungsquote Kosten pro Produktidee Gesamtkosten 1. Ideenvorauswahl 2. Konzepterprobung 3. Produktentwicklung 4. Markterprobung 5. Landesweite Markteinführung 64 16 8 4 2 1: 4 1: 2 1: 2 1: 2 1: 2 € 1.000 € 20.000 € 200.000 € 500.000 € 5.000.000 € 64.000 € 320.000 € 1.600.000 € 2.000.000 € 10.000.000 € 5.721.000 € 13.984.000 Quelle: Kotler/ Keller/ Opresnik 2017, S. 538 Abb. 3.44: Kosten für ein Neuproduktentwicklungsprogramm eines Konsumgüterherstellers <?page no="382"?> 360 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Berücksichtigt man schließlich die Tatsache, dass Neuproduktentwicklungen und deren M arkteinführung Investitionen in Höhe von M illionen- oder sogar bis zu einstelligen M illiarden €-Beträgen (z.B. im Automobilbau) bedeuten, so wird auch das hohe finanzielle Risiko, welches mit Produktinnovationen verbunden ist, deutlich. Abb. 3.44 zeigt die Kosten eines Neuproduktentwicklungsprogramms eines typischen Konsumgüterunternehmens auf. Von ursprünglich 64 Ideen bleiben nach der Ideenauswahl nur 16 übrig. Die Kosten pro Produktidee belaufen sich auf 1000 €. Die Hälfte der 16 Ideen übersteht die Konzepterprobungsphase, welche pro Idee 20.000 € kostet. Wiederum die Hälfte, also 4 Ideen, überstehen auch die Produktentwicklungsphase, welche Kosten in Höhe von 200.000 € pro Idee verursacht. 2 der 4 Ideen, welche die M arkterprobung überstehen, die Kosten von 500.000 € pro Idee verursacht, werden schließlich landesweit eingeführt. Nur eine dieser beiden Ideen erweist sich dabei als richtig erfolgreich. Aus Abb. 3.44 wird deutlich, dass diese einzige erfolgreiche Produktidee Kosten in Höhe von 5.721.000 € verursacht. Insgesamt belaufen sich die Gesamtkosten des Produktinnovationsprozesses auf 13.984.000 €. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Tatsache, dass der Neuheitsbzw. Innovationsgrad eines neuen Produktes gradueller Natur ist bzw. auf einem Kontinuum gemessen werden kann. Zu unterscheiden ist dabei zwischen dem Grad der Neuheit für den M arkt sowie dem Grad der Neuheit für das Unternehmen. Wie Abb. 3.45 entnommen werden kann, kann aufbauend auf diesen beiden Dimensionen zwischen insgesamt sechs Neuproduktkategorien unterschieden werden: Weltneuheiten, Ergänzungen existierender Produktlinien, Neupositionierungen, Verbesserungen existierender Produkte, neue Produktlinien sowie kostengünstigere Produkte. Die Prozentwerte in Abb. 3.45 geben dabei den geschätzten Anteil der jeweiligen Neuproduktkategorie an den gesamten Produktinnovationen an. 2.1.3.1.2 Planungsprozess der Produktinnovation Der Produktinnovationsprozess umfasst mehrere Teilphasen und stellt insgesamt einen komplexen Planungsprozess dar. Abb. 3.46 stellt diesen Prozess im Überblick dar. Er umfasst die Teilphasen Gewinnung von Produktideen, Grobauswahl von Produktideen, Konzept- und Strategieentwicklung, Wirtschaftlichkeitsanalyse, Produktentwicklung, Produkt- und M arkttest sowie M arkteinführung. <?page no="383"?> Produktpolitik 361 20% 3 11% 4 26% 2 10% 5 26% 1 7% 6 Neue Produktlinien Welt-Neuheiten Ergänzungen existierender Produktlinien Kostenreduktionen Neue Positionierung Verbesserungen existierender Produkte Hoch Grad der Neuheit für das Unternehmen Niedrig Hoch Grad der Neuheit für den Markt Quelle: Kotler 1984, S. 311 Abb. 3.45: Arten neuer Produkte Niedrig Dieser Prozess kann auf jeder Stufe abgebrochen werden, wenn die jeweilige Planungsstufe nicht erfolgreich überwunden werden kann. Dabei ist zu beachten, dass der insgesamt investierte Zeit- und Kostenaufwand mit jeder Stufe zunimmt. Es ist daher nach M öglichkeit zu vermeiden, dass der Produktinnovationsprozess gestoppt werden muss, weil keine einzige Produktidee die nächste Stufe erreicht. In diesem Fall wäre der Produktinnovationsprozess insgesamt gescheitert und die investierte Zeit und das investierte Geld unwiederbringlich verloren. Dies ist insbesondere dann mit hohen Verlusten verbunden, wenn der Innovationsprozess erst in sehr späten Phasen gestoppt werden muss. Ziel muss es daher sein, aus einer großen Anzahl von Neuproduktideen in möglichst frühen Phasen des Innovationsprozesses die (voraussichtlichen) erfolgreichen von den (voraussichtlichen) nicht erfolgreichen Produktideen zu selektieren, um schlussendlich eine (oder zwei) Produktidee(n) mit Erfolg am M arkt einführen zu können. <?page no="384"?> 362 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes 2.1.3.1.3 Ideengewinnung für neue Produkte Hinsichtlich der Gewinnung von Neuproduktideen ist zunächst auf eine Vielzahl von Ideenquellen hinzuweisen, welche in unternehmensinterne und unternehmensexterne Ideenquellen differenziert werden können. Zu den unternehmensexternen Quellen zählen Konsumenten/ Kunden sowie die von ihnen (u.a. im Internet bzw. in den sozialen M edien wie Facebook, Twitter usw.) vorgebrachten Wünsche oder Beschwerden, Lieferanten, Konkurrenzunternehmen und deren Produkte, Forschungsinstitute und Universitäten, Groß- und Einzelhandel, M arktneuheiten auf anderen Märkten bzw. Produkte anderer Branchen, Erfinder, die Patente bzw. Lizenzen anbieten, sowie M arktforschungsinstitute, Werbeagenturen und andere Absatzhelfer. Unternehmensinterne Ideenquellen sind gegeben durch die F & E-Abteilung, die M arketing-Abteilung, die Produktionsabteilung, die Geschäftsführung, das betriebliche Vorschlagswesen, die Patentabteilung sowie betriebsinterne Ideengewinnungsgruppen. Betriebsinterne Ideengewinnungsgruppen bestehen aus Personenmehrheiten, welche durch Anwendung spezifischer Techniken zur Ideengewinnung versuchen, Neuproduktideen zu entwickeln. Diese Techniken zur Ideengewinnung können eingeteilt werden in intuitiv-kreative Techniken sowie systematisch-logische Techniken. Zu den intuitiv-kreativen Techniken gehören u.a. das Brainstorming, das Brainwriting sowie die Synektik. Die Idee des Brainstorming von Osborn (1963) besteht darin, alle denkbaren Lösungen eines Problems auf Basis spontaner Äußerungen in einer Arbeitsgruppe zu eruieren. Für eine erfolgreiche Brainstorming-Sitzung ist auf folgende Regeln zu achten: Die Quantität der Lösungen ist wichtiger als die Qualität. Eine Bewertung der Ideen erfolgt erst nach Abschluss der Sitzung. Kritik an geäußerten Vorschlägen hat zu unterbleiben, um den Kreativitätsprozess nicht zu hemmen. <?page no="385"?> Produktpolitik 363 Gewinnung von Produktideen Grobauswahl von Produktideen Konzept- und Strategieentwicklung Wirtschaftlichkeitsanalyse Produktentwicklung Ideengewinnung erfolgreich? Kann ein adäquates Produktkonzept mit zugehöriger Marketing-Strategie entwickelt werden? Können die Gewinnziele erreicht werden? Produkt- und Markttests Entsprechen die Testergebnisse (Umsätze, Beurteilungen des Produkts durch Konsumenten) unseren Erwartungen? Konnte ein den Erwartungen der Zielgruppe entsprechendes, einwandfreies Produkt reali siert werden? Markteinführung Entsprechen die tatsächlichen Marktdaten (Umsätze, Marktanteile, Gewi nn, usw.) unseren Erwartungen? Erfolgreiche B eendigung des Produktinnovationsprozesses ja ja ja ja ja ja ja Beendigung des Produktinnovationsprozesses bzw. Abbruch des Projektes Kann das Produkt durch Nachentwicklung verbessert werden? Kann das Produkt durch Änderung der Marketing-Strategie erfolgreicher verkauft werden? Erfolgversprechende Ideen identifiziert? nein nein nein nein nein nein nein nein nein ja Abb. 3.46: Der Produktinnovationsprozess ja <?page no="386"?> 364 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Ausdrücklich erwünscht ist das Aufgreifen bereits geäußerter Ideen, so dass Ideen weiterentwickelt und Assoziationsketten gebildet werden können. Jede - auf Anhieb auch noch so abwegig erscheinende - Idee soll geäußert werden. Zur organisatorischen Umsetzung einer Brainstorming-Sitzung ist auf folgende Punkte zu achten: Es sollten etwa 6 bis maximal 12 Personen an einer Brainstorming-Sitzung teilnehmen, welche unterschiedlichen Abteilungen, aber derselben Hierarchieebene angehören. Auf diese Weise wird das Problem aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert, gleichzeitig wird die kreative Entfaltung nicht durch Hemmungen gegenüber Vorgesetzten beeinflusst. Die Dauer der Sitzung sollte ca. 15 bis maximal 60 M inuten betragen. Das konkrete Ende der Sitzung kann im Einzelfall festgelegt werden, wenn der Ideenfluss abebbt. Während der Brainstorming-Sitzung werden die geäußerten Ideen lediglich protokolliert. Eine Auswertung erfolgt erst nach Abschluss der Sitzung, wozu auch andere Unternehmensmitglieder herangezogen werden können bzw. sollen. Eine Variante des Brainstorming besteht in dem Brainwriting, welches insbesondere durch die M ethode 6.3.5 bekannt geworden ist (vgl. Rohrbach 1971). Sechs M itgliedern einer Gruppe wird zunächst das Problem erläutert. Sie werden daraufhin gebeten, auf einem Blatt Papier 3 Lösungsvorschläge innerhalb von 5 M inuten zu entwickeln. Daraufhin wird das Blatt Papier an den Nachbarn weitergereicht, welcher seinerseits die ihm vorgelegten Ideen weiterentwickelt oder weitere völlige Neuvorschläge macht. Die Sitzung ist beendet, wenn jedes Blatt Papier von jedem Teilnehmer bearbeitet wurde. Auf diese Weise kommen insgesamt maximal 108 Vorschläge (6 x 3 x 6) zustande. Ein vergleichsweise aufwendiges Verfahren ist die Synektik (vgl. Gordon 1961). Basis dieses Verfahrens ist eine schrittweise Verfremdung eines Ausgangsproblems durch Analogienbildung zu anderen Lebensbereichen. Nach mehreren Stufen erfolgt dann eine Rückbesinnung auf das Ausgangsproblem. Zur Durchführung einer Synektik-Sitzung bedarf es eines erfahrenen M oderators, welcher ein Team von ca. 5 bis 7 Teilnehmern durch die Synektik -Sitzung, welche mehrere Stunden dauern kann, führt. Abb. 3.47 zeigt den generellen Ablauf einer Synektik -Sitzung, in Abb. 3.48 findet sich ein konkretes Anwendungsbeispiel. Im Gegensatz zu dem intuitiv-kreativen Verfahren basieren die systematisch-logischen Verfahren zur Ideenfindung auf logisch-kombinatorischen Denkprozessen. Zu den systematisch-logischen Verfahren gehören u.a. die M orphologische M ethode sowie der Problemlösungsbaum. Die von Zwicky (1966) entwickelte Morphologische Methode umfasst fünf Schritte: 1. Schritt: Das Problem wird allgemein umrissen und zweckmäßig verallgemeinert, ohne dass dabei bestimmte Lösungen bereits präjudiziert werden. 2. Schritt: Das Problem wird in Komponenten zerlegt, welche dessen Lösung beeinflussen (intensionale M erkmale oder Parameter). <?page no="387"?> Produktpolitik 365 1. Problemstellung 2. Problemdefinition 3. Spontane Einfälle brauchbar? 4. Erneute Problemdefinition 5. Erste direkte Analogien (Natur) brauchbar? 6. Persönliche Analogien 8. Zweite direkte Analogien(Technik) 9. Analyse/ Force-fit 10. Problemlösung brauchbar? ENDE Quelle : Berndt 1995a, S. 64 Abb. 3.47: Ablauf einer Synektik -Sitzung ja ja ja nein nein nein Konkretisierung bzw. Internalisierung des Problems/ Abreagieren von Problemlösungsmustern Abstraktion vom bzw. Verfremdung des ursprünglichen Problems Übertragung und Konkretisierung auf das ursprüngliche Problem 7. Paradoxe symbolische Analogien <?page no="388"?> 366 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Abb. 3.48: Beispiel für den Ablauf einer konkreten Synektik-Sitzung 1.Problem Leiter: Dies ist unser Problem: Wie kann v erhindert werden, dass Autoscheinwerfer während der Fahrt verschmutzen? 2.Problem-Definition (das Problem wird diskutiert und näher definiert) Leiter: Das Probl em besteht darin, ständig volle Lichtdurchlässigkeit der Autoscheinwerfer, d.h. die für den Autofahrer nöti ge Lichtqualität, zu garantieren. 3. Spontane Einfälle Leiter: Gibt es zu dem definierten Problem eine spontane Idee? B: Man könnte Spritzdrüsen um den Scheinwerfer anordnen . D: Oder Scheibenwischer. 4. Erneute Problemdefinition Leiter: Denken Sie noch einmal an unser Problem. Worum geht es da? Wir brauchen eine Definition, zu der sich leicht Analogien bilden lassen. A.: Es geht um eine kontinuierliche B elagentfernung von Flächen. 5. Erste direkte Analogien (bei technischen Problem en aus dem B ereich der Natur) Leiter: Wo in der Natur finden Sie Beispiele für die kontinuierliche Belagentfernung von Flächen ? A: Ein Hund, der sich leckt. B: Ein Augenlid. C: Regen. D: Wind. E: Verdampfung. 6. Persönliche Analogien Leiter: Versuchen wir es mit Wind. Dazu brauchen wir jetzt persönliche Analogien. Stellen Sie sich vor, Sie sind der Wind. Wie fühlen Sie sich al s Wind ? C: Ich bin sehr launisch. Manchmal Sturm, dann wieder mildes, sanftes Lüftchen. Ich schmiege mich an die Erdoberfläche und halte alles sanft umschlungen. D: Die Landschaft spielt mit mir. Hinderni sse bereiten mir schneidenden Schmerz . A: Ich brause über die Erde und reisse alles mit. Zerstören m acht mir Spass. Ich bin der Grösste. 7. Paradoxe symbolische Analogien Leiter: Aus den persönlichen Analogien ergibt sich eine R eihe von Stichworten : Stärke, Macht, Spiel, Schmerz, launisch, umschlingen, sanft, mild. Wählen wir das Wort "umschlingen". Suchen Sie nach einer paradox en Umschreibung. D: Begrenzte Freiheit. A: Erlösende Fessel. C: Sanfter Zwang. E: Haltlose Festigkeit. 8. Zweite direkte Analogien (aus dem Bereich der T echnik) Leiter: Gehen wir von dem Begriff "sanfter Zwang" aus und suchen wiederum nach einer direkten Analogi e, diesmal aus dem Bereich der T echnik. Welche Beispiele gibt es für "sanften Zwang" in der Welt der Technik? B: Bremse. E: Rasierklinge D: Fallschirm A: Segelflugzeug C: Windmühle 9. Analyse Leiter: Entscheiden Sie sich für eine der zweiten direkten Analogien und beschreiben Si e diese. (Die Gruppe entscheidet sich für "Fallschirm") D: Der Fallschirm ist wie der Flügel eines Vogels : Er hält den Menschen, der an ihm hängt, in der Luft und verhindert, dass er rasch zu Boden fällt. E: Das Tuch spannt sich wie eine Halbkugel und setzt der Luft Widerstand entgegen. A: Ein Fallschirm spannt sich plötzlich auf. 10. Problem-Lösungen Leiter: Denken Sie jetzt wieder an das definierte Problem. Was könnte das mit einem Fallschirm zu tun haben ? B: Wie wäre es, durch rund um den Scheinwerfer angeordnete Druckdrüsen ein Luftpolster , ähnlich eines Fallschirm, zu erzeugen, das den Schm utz gar nicht erst auf das Glas kommen lässt. D: Gerade umgekehrt wie beim Fallschirm könnten Autoscheinwerfer so konstruiert werden , dass sie der von vorne komm enden Luft (und mitfliegenden Schmutzteilchen) möglichst wenig Widerstand entgegensetzen . Sie müssten kegelförmig geformt sein oder überhaupt nur aus einer kleinen Glaskugel bestehen, durch die der Lichtaustritt erfolgt. A: Der Fallschirm spannt plötzlich auf. Durch ein Zusammenziehen und plötzliches Spannen der Scheinwerferscheibe könnte der anhaftende Schmutz abgesprengt werden. Zu diesem Zweck müsste die Scheibe aus elastischem Material sein . Leiter: Damit haben wir einige Ansatzpunkte für die Lösung des Problems. Alles weitere liegt bei den Technikern . <?page no="389"?> Produktpolitik 367 3. Schritt: Für jedes intensionale M erkmal bzw. für jeden Parameter werden nun extensionale M erkmale (Ausprägungen) gesucht und beide in einer M atrix, dem sog. M orphologischen Kasten (vgl. Abb. 3.49) abgebildet. 4. Schritt: Durch Kombination je einer Ausprägung über alle intensionalen M erkmale bzw. Parameter erhält man eine kreative Problemlösung. 5. Schritt: Bewertung der gefundenen Problemlösungsalternativen anhand der jeweils verfolgten Ziele. Abb. 3.49 zeigt einen M orphologischen Kasten für das Beispiel einer Kaffeemaschine, wobei eine existierende Problemlösung sowie eine neue interessante Alternative abgetragen sind. Ein wesentliches Problem der M orphologischen M ethode besteht in der Vielzahl der möglichen Kombinationen der extensionalen M erkmale. Insgesamt existieren für das Beispiel von Abb. 3.49 129.600 Parameter Ausprägungen 1 2 3 4 5 6 7 8 Wasserspeicher Behälter integriert fremd Durchlauf Energiequelle Elektrizität Netz Akku Mikrowelle Induktion Gas Öl, Benzin (Holz-) kohle chemische Energie Heißwassertransport Steigrohr Schwerkraft Pumpe von Hand kein Extraktion Filter Patrone Beutel offenes Gemisch Trennung keine Absetzen Filter zentrifugal elektromagnet. Speicherg. Fertig- Kaffee keine Behälter integriert fremd Warmhaltung Wärmeplatte el. Flamme Kerze Gas Benzin keine Behälterisolation Entnahme von Hand Auslaufhahn Schöpfprinzip derzeit verbreitete Lösung interessante Alternative Quelle: Schlicksupp 1983, S. 50 Abb. 3.49: Morphologischer Kasten für Kaffeemaschinen <?page no="390"?> 368 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Maßnahmen zur Gewinnsteigerung Produktverbesserung Kostensenkung Veränderung der Preise/ Kondit. . . . Neue Abnehmer suchen Werbung . . . Materialeinkauf Fertigung Produktveränderung (Wertanalyse) Vertrieb Eigene Fertigung Fremd- Fertigung Verfahrensänderung Lohnanteil reduzieren Arbeitsproduktivität erhöhen Lohnniveau senken Automatisieren Herstellung in Billig- Lohnländer Quelle: Berndt 1995a, S. 61 Abb. 3.50: Problemlösungsbaum über Maßnahmen zur Gewinnsteigerung Problemlösungsalternativen, welche z.T. technisch in der jeweiligen Kombination gar nicht realisierbar sind oder zumindest nicht attraktiv im Hinblick auf die verfolgten Ziele erscheinen. M ittels eines Problemlösungsbaums wird versucht, ein Problem hierarchisch zu strukturieren (vgl. Schlicksupp 1983, S. 58 ff.). Ausgehend von übergeordneten Kriterien, die die Lösung des Problems beeinflussen, werden immer differenziertere Lösungsalternativen entwickelt. Auf diese Weise wird ein Problemlösungsbaum erstellt, welcher inhaltlich eng verwandt ist mit einer Ziel- M ittel-Hierarchie. Abb. 3.50 stellt beispielhaft einen Problemlösungsbaum für das Problem „Gewinnsteigerung“ dar. <?page no="391"?> Produktpolitik 369 2.1.3.1.4 Grobauswahl von Produktideen Sind eine Reihe von Neuproduktideen generiert worden, so werden diese Ideen im nächs ten Schritt einer Grobbewertung unterzogen. Ziel dieser Grobbewertung ist die Selektion erfolgversprechender Produktideen, wobei der Bewertungsaufwand begrenzt sein soll. Ein typisches Verfahren zur Grobbewertung stellen dabei Punktbewertungsmodelle (Scoring-M odelle) dar. Scoring-M odelle dienen der Entscheidungsfindung bei multikriteriellen Entscheidungsproblemen, d.h. bei mehrfacher Zielsetzung. Der Ablauf von Scoring-Modellen erfolgt dabei in sechs Schritten (vgl. auch Berndt1995a, S. 71 ff.): 1. Schritt: Vorgabe der Kriterien zur Ideenbewertung. Diese Kriterien sind aus den jeweils verfolgten Zielen abzuleiten. Abb. 3.51 stellt beispielhaft einen derartigen Kriterienkatalog dar. 2. Schritt: Gewichtung der Kriterien zur Ideenbewertung. Da die Kriterien zur Bewertung der Neuproduktideen in der Regel von unterschiedlicher Bedeutung sind, sind die Kriterien entsprechend ihrer Relevanz zu gewichten (zu Verfahren zur Gewichtung von Kriterien bei multikriteriellen Entscheidungsproblemen vgl. Sander 1994b). 3. Schritt: Operationalisierung der Kriterien. In diesem Schritt gilt es, verbale Ausprägungen für jedes Kriterium zu finden und in eine für alle Kriterien einheitliche Skala zu überführen. Abb. 3.51 stellt die verbalen Ausprägungen der verwendeten Kriterien (von „sehr gut“ bis „sehr schlecht“) dar und zeigt gleichzeitig, dass die Ausprägungen in eine Skala von 2 Punkten (sehr schlecht) bis 10 Punkten (sehr gut) überführt werden. 4. Schritt: Ermittlung der Ausprägungen, welche die Produktideen bei den jeweiligen Kriterien erreichen. Hier wird für jede Produktidee abgeschätzt, wie sie hinsichtlich der einzelnen Bewertungskriterien abschneidet. 5. Schritt: Bestimmung der gewichteten Gesamtpunktzahl für die einzelnen Produktideen. Die gewichtete Gesamtpunktzahl einer Produktidee i ergibt sich gemäß 1 J i j ij j GG PZ g e für alle 1, ..., . i I mit: j g = Gewichtungsfaktor für das Kriterium j ij e = Ausprägung der Produktidee i hinsichtlich Kriterium j Abb. 3.52 zeigt ein Beispiel zur Ermittlung der gewichteten Gesamtpunktzahlen für drei Neuproduktideen A, B und C unter Verwendung des Kriterienkatalogs von Abb. 3.51. <?page no="392"?> 370 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Q u e lle : O 'Me ar a 1961, S. 84 ff. Abb. 3.51: Mögliche Kriterien in einem Punktbewertungsmodell zur Neuproduktideenbewertung sehr gut (10) gut (8) durchschnittlich (6) schlecht (4) sehr schlecht (2) I. Markttragfähigkeit A. Erforderliche Absatzwege ausschließlich gegenwärtige überwiegend gegenwärtige zur Hälfte gegenwärtige überwiegend neue ausschließlich neue B. Beziehung zur bestehenden Produktgruppe Vervollständigung der zu schmalen Produktgruppe Abrundung der Produktgruppe einfügbar in die Produktgruppe stofflich mit der Produktgruppe verträglich unverträglich mit der Produktgruppe C. Preis-Qualitäts- Verhältnis Preis liegt unter dem ähnlicher Produkte Preis liegt z. T. unter dem ähnlicher Produkte Preis entspricht dem ähnlicher Produkte Preis liegt z. T. über dem ähnlicher Produkte Preis liegt meist über dem ähnlicher Produkte D. Konkurrenzfähigkeit Produkteigenschaften werblich verwertbar und Konkurrenzprodukten überlegen mehrere werblich bedeutsame Produkteigenschaften sind Konkurrenzprodukten überlegen einige überlegene Produkteigenschaften keine überlegenen Produkteigenschaften werblich bedeutsame Produkteigenschaften entsprechen den Konkurrenzprodukten steigert Umsatz der alten Produkte unterstützt Umsatz der alten Produkte kein Einfluß behindert Umsatz der alten Produkte verringert Umsatz der alten Produkte II. Lebensdauer A. Haltbarkeit groß überdurchschnittlich durchschnittlich relativ gering schnelle Veralterung zu erwarten B. Marktbreite Inland und Export breiter Inlandsmarkt breiter Regionalmarkt enger Regionalmarkt C. Saisoneinflüsse keine kaum geringe etliche starke enger Spezialmarkt D. Exklusivität Patentschutz z. T. Patentschutz Nachahmung schwierig Nachahmung teuer Nachahmung leicht und billig III. Produktmöglichkeiten A. Benötigte Produktionsmittel Produktion mit stilliegenden Anlagen Produktion mit vorhandenen Anlagen vorhandene Anlagen können z. T. verwendet werden teilweise neue Anlagen notwendig völlig neue Anlagen erforderlich B. Benötigtes Personal und technisches Wissen vorhanden im wesentlichen vorhanden teilweise erst zu beschaffen gänzlich neu zu beschaffen in erheblichem Umfang zu beschaffen C. Benötigte Rohstoffe bei Exklusivlieferanten erhältlich bei bisherigen Lieferanten erhältlich von einem Neulieferanten zu beziehen von mehreren Neulieferanten zu beziehen von vielen Neulieferanten zu beziehen IV. Wachstumspotential Befriedigung neuer Bedürfnisse A. Marktstellung erhebliche Produktverbesserung gewisse Produktverbesserung geringe Produktverbesserung keine Produktverbesserung sehr hoher Investitionsbedarf B. Markteintritt hoher Investitionsbedarf durchschnittlicher Investitionsbedarf geringer Investitionsbedarf kein Investitionsbedarf C. Erwartete Zahl an Endverbrauchern starke Zunahme geringe Zunahme Konstanz geringe Abnahme erhebliche Abnahme E. Einfluß auf Umsatz der alten Produkte <?page no="393"?> Produktpolitik 371 Bewertung Produktidee A Produktidee B Produktidee C Gewichtsfaktor sehr gut (10) gut (8) durchschnittlich (6) schlecht (4) sehr schlecht (2) Ausprägung Kriterien I. Markttragfähigkeit Erforderliche Absatzwege Beziehung zu bestehender Produktgruppe Preis-Qualitätsverhältnis Konkurrenzfähigkeit Einfluß auf Umsatz der alten Produkte II. Lebensdauer Haltbarkeit Marktbreite Saisoneinflüsse Exklusivität III. Produktmöglichkeiten Benötigte Produktionsmittel Beteiligtes Personal und technisches Wissen Benötigte Rohstoffe IV. Wachstumspotential Marktstellung Markteintritt Erwartete Zahl an Endverbrauchern 0,05 0,05 0,1 0,1 0,01 0,03 0,05 0,01 0,05 0,05 0,1 0,05 0,05 0,1 0,2 = 1 A B B B A C C A, C C A, B B C A C B C B, C C A, B B A A A B C C A A A, B B, C B A C A B C B, C A 0,5 0,3 0,8 0,6 0,02 0,4 0,4 1,0 0,6 0,06 0,2 0,3 0,6 0,8 0,08 0,12 0,3 0,04 0,1 0,24 0,3 0,1 0,3 0,24 0,5 0,08 0,5 0,3 0,6 0,4 0,5 0,6 0,2 0,4 0,8 0,2 0,4 1,0 0,8 0,5 0,6 1,6 0,3 0,6 2,0 = 6,28 7,40 7,60 Abb. 3.52: Tableau zur Grobauswahl von Produktideen <?page no="394"?> 372 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes 6. Schritt: Bildung einer Rangfolge der Produktideen und Auswahl der besten Produktidee(n). Sind im 5. Schritt die gewichteten Gesamtpunktzahlen ermittelt worden, so kann eine Rangfolge der Produktideen aufgestellt werden. Je nach Skalierung der Kriterienausprägungen erhält dabei die Produktidee mit dem größten oder kleinsten Gesamtpunktwert den Rang 1. In der Regel erfolgt die Skalierung in der Art, dass bessere Ausprägungen mit einem höheren Punktwert belegt werden (s. Abb. 3.52). Die beste Produktidee ist dann diejenige, welche die höchste gewichtete Gesamtpunktzahl aufweist. Bei Verwendung einer Schulnotenskala (1 = sehr gut, 2 = gut, 3 = befriedigend usw.) hingegen erweist sich die Produktidee mit der kleinsten gewichteten Gesamtpunktzahl als beste Alternative. Im Beispiel von Abb. 3.52 ist offensichtlich Produktidee C die beste Alternative. Sie erreicht eine gewichtete Gesamtpunktzahl von C = 7,60. Hinsichtlich einer kritischen Würdigung der Grobauswahl von Produktideen mittels eines Scoring-M odells ist auf folgende Punkte hinzuweisen: Die verwendeten Kriterien müssen so weit wie möglich unkorreliert sein. Andernfalls wird ein und derselbe Sachverhalt mehrfach gewichtet. Die explizite Gewichtung durch die Gewichtungsfaktoren wird dann verzerrt. Es empfiehlt sich in diesem Zusammenhang der Einsatz einer Faktorenanalyse (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.7.2 im 2. Teil). Außerdem ist eine willkürliche Zusammenstellung von Kriterien zu vermeiden. Nur Kriterien, welche tatsächlich verfolgte Ziele repräsentieren, sind in die Analyse mit einzubeziehen. Zur Vermeidung der Tatsache, dass die beste Produktidee aus nur schlechten Produktideen ausgewählt wird, kann eine M indestgesamtpunktzahl GGPZ mind eingeführt werden. Produktideen, welche diese Punktzahl nicht erreichen, scheiden aus der weiteren Betrachtung aus. Die additive Amalgamation zur Bestimmung der gewichteten Gesamtpunktzahl GGPZ i einer Produktidee i impliziert, dass schlechte Ausprägungen bei einem (mehreren) Kriterium (Kriterien) durch gute Ausprägungen bei einem (mehreren) anderen Kriterium (Kriterien) kompensiert werden können. Diese Kompensationsmöglichkeit kann durch Vergabe von M indestpunktwerten mind ij e , die eine Produktidee i bei einem Kriterium j erreichen muss, eingeschränkt werden. Produktideen, die diese M indestpunktzahl bei dem (den) Kriterium (Kriterien) nicht erreichen, scheiden aus der weiteren Betrachtung aus. Subjektiv bedingte Verzerrungen bei der Vergabe der Gewichtungsfaktoren g j und der Einschätzung der Produktideen hinsichtlich ihrer Ausprägungen bei den einzelnen Kriterien e ij werden sich nicht gänzlich vermeiden lassen. Durch Anwendung adäquater Techniken lassen sich Verzerrungen bei den Gewichtungsfaktoren jedoch minimieren (vgl. Sander 1994b). Die Einschätzungen der Produktideen bei den einzelnen Kriterien sollten auf Basis einer intensiven Diskussion mit dem Ziel eines Konsenses erfolgen, sofern Personenmehrheiten die Grobauswahl der Produktideen vornehmen. Trotz der erwähnten Einschränkungen stellen Scoring-M odelle eine adäquate Vorgehensweise dar, um optimale Alternativen bei multikriteriellen Entscheidungsproblemen herauszufiltern. Derartige Entscheidungsprobleme können auf diese Weise strukturiert werde n und sind für Dritte transparent und nachvollziehbar. <?page no="395"?> Produktpolitik 373 2.1.3.1.5 Konzept- und Strategieentwicklung Ist die Grobauswahl von Produktideen abgeschlossen, so sind aus den verbliebenen Ideen Produktkonzepte zu entwickeln. Produktkonzepte sind dabei als Umsetzung der Produktidee in eine für Konsumenten verständliche Form zu verstehen. Hierbei interessieren u.a. folgende Fragen (vgl. Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen 2002, S. 703): Wie verständlich und glaubwürdig erscheint die Produktidee? Welche Verwendergruppen sind erkennbar? Welche mit der Problemlösung verbundenen Vor- und Nachteile erkennen die Bedarfsträger? Welche Produkte sind die stärksten potenziellen Konkurrenten für die Neuentwicklung? Welche Eigenschaften des Produktkonzepts sind für das Konsumentenverhalten letztlich von Bedeutung? Lassen sich einzelne Konsumentensegmente identifizieren (z.B. hinsichtlich demo-, sozio- oder psychographischer Kriterien oder hinsichtlich des Konsumentenverhaltens)? Kannibalisiert das neue Produkt bereits eingeführte Produkte in unserem Sortiment? Zur Beantwortung dieser Fragen werden die Produktideen gegenüber den Probanden in verbaler Form kommuniziert bzw. in Form von konkreten Objekten visualisiert. Anschließend wird in Gruppendiskussionen unter Leitung eines M oderators über die einzelnen Konzepte - häufig unter Einbezug existierender Konkurrenzprodukte - diskutiert. Weitere schriftliche oder mündliche Befragungen der Probanden sowie Verhaltensbzw. Kaufabsichtstests schließen sich an. Abb. 3.53 enthält typische Fragestellungen, welche im Rahmen derartiger Konzepttests Anwendung finden. Eine spezifische Variante von Konzepttests verwendet die Automobilindustrie. In sog. Car Clinics werden ausgewählten Probanden unter strenger Abschirmung von der Öffe ntlichkeit neue M odelle - je nach Entwicklungsstand auf Bildern, in Form von Ton- oder Holzmodellen oder als Prototypen - im Umfeld von Konkurrenzprodukten gezeigt. Hinterfragt werden dabei u.a. Bedeutungen neuer konstruktiver Lösungen, das Gefallen des Produktdesigns, Erweiterungen hinsichtlich des Gebrauchsnutzens usw. Die neuen M odelle selbst sind dabei häufig anonymisiert, d.h. ohne M arkenzeichen versehen. Einerseits dient dies der Geheimhaltung, andererseits kann hinterfragt werden, ob die M arkenidentität z.B. über das Styling erkannt wird. Stehen die Produktkonzepte fest, so ist eine vorläufige Marketingstrategie für jedes Konzept zu entwickeln. Konkret werden hier Absatz-, Gewinn- und M arktanteilsziele für die einzelnen Konzepte festgelegt, die Positionierung der Produkte definiert sowie die grundsätzliche Ausgestaltung des M arketing-M ix (Preis, Distributions- und Kommunikationsstrategie) bestimmt. Diese Daten gehen in die nachfolgende Feinauswahl der Produktkonzepte, die Wirtschaftlichkeitsanalyse, ein. <?page no="396"?> 374 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Frage Dimensionen der Konzepterprobung 1. Sehen Sie einen klaren und glaubwürdigen Nutzen darin? Vermittelbarkeit und Glaubwürdigkeit des Konzepts. Fallen die Antworten negativ aus, muß das Konzept weiter verfeinert oder umgestaltet werden. 2. Würde dieses Produkt für Sie ein Problem lösen oder ein Bedürfnis erfüllen? Wie groß ist dieses Problem/ Bedürfnis? Bedürfnisstärke. Je stärker das Bedürfnis, desto größer das voraussichtliche Verbraucherinteresse am Produkt. 3. Wie sehr erfüllen derzeit andere Produkte dieses Bedürfnis? Wie sehr sind Sie mit diesen Produkten zufrieden? Bedürfnislücke und die Zufriedenstellungslücke. Je größer diese Lücke ist, desto größer das voraussichtliche Verbraucherinteresse am neuen Konzept. Wahrgenommener Nutzen. Je höher der wahrgenommene Nutzen, desto größer das voraussichtliche Verbraucherinteresse . 4. Steht der Preis in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen? Welcher Preis wäre am ehesten angebracht? 5. Würden Sie das Produkt (bestimmt/ wahrscheinlich/ wahrscheinlich nicht/ bestimmt nicht) kaufen? 6. Wer würde das Produkt verwenden, wann und wie oft würde es verwendet werden? Mögliche Verwender, Kaufanlaß und die Kaufhäufigkeit werden ermittelt. Kaufabsicht. Diese dürfte bei all jenen Verbrauchern stark ausgeprägt sein, deren vorherige Antworten positiv waren. Quelle: In Anlehnung an Kotler/ Keller/ Opresnik 2017, S. 554f. Abb. 3.53: Inhalt eines Konzepttestes 2.1.3.1.6 Wirtschaftlichkeitsanalyse Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsanalyse erfolgt eine Feinbewertung der einzelnen Produktideen bzw. -konzepte. Konkret wird überprüft, in welchem Ausmaß sich ein finanzieller Erfolg bei den einzelnen Konzepten einstellen wird bzw. ob die angestrebten ökonomischen Ziele erreicht werden können. Das Spektrum von M odellen für Wirtschaftlichkeitsanalysen ist sehr breit. Von besonderer Bedeutung sind dabei statische M odelle wie Gewinnvergleichsrechnungen und Break-Even-Analysen, investitionstheoretische (dynamische) Ansätze wie Kapitalwertmodelle oder Amortisationsdauern sowie Risikoanalysen z.B. in Form der M onte-Carlo-Simulation. Im Rahmen von Gewinnvergleichsrechnungen werden die mit den einzelnen Produktkonzepten (voraussichtlich) erwirtschaftbaren Gewinne unter Berücksichtigung der jeweils angepeilten M arketing-Strategie bestimmt und einander gegenübergestellt. Abb. 3.54 stellt eine derartige Gewinnvergleichsrechnung dar. Offensichtlich führt Produktkonzept 2 zum höchsten erwarteten Gewinn. Würde ein M indestgewinn in Höhe von 60.000 vorgegeben werden, so würden die Produktkonzepte 2 und 3 weiterverfolgt werden. <?page no="397"?> Produktpolitik 375 Preis Erwartete Absatzmengen Umsatz Variable Stückkosten der Produktion Fixkosten Marketingbudget für Distribution und Kommunikation Erwarteter Gewinn Produktkonzept 1 10 10.000 100.000 3 12.000 8.000 50.000 Produktkonzept 2 15 8.000 120.000 4 12.000 10.000 66.000 Produktkonzept 3 15 9.000 135.000 5 12.000 14.000 64.000 Produktkonzept 4 20 6.000 120.000 9 12.000 20.000 34.000 Abb. 3.54: Gewinnvergleichsrechnung für alternative Produktkonzepte Ein häufig angewendetes Instrument stellt die Break-Even-Analyse dar. Im Rahmen der Break- Even-Analyse wird die Break-Even-M enge bestimmt, d.h. diejenige M enge, bei welcher sich Kosten und Erlöse gleichen (Gewinnschwelle). Abb. 3.55 stellt den Sachverhalt graphisch unter Verwendung einer einfachen linearen Kostenfunktion dar. Formal gilt ! U K bzw. ! * * F v p x k x K Daraus folgt: * F v K x p k Rechts von der Break-Even-M enge x * in Abb. 3.55 werden Gewinne erwirtschaftet, links davon entsprechend Verluste. Weitere Kosten (z.B. F&E-Kosten, M arketingkosten) können dabei ohne Weiteres in die Analyse mit einbezogen werden. Formal sind sie additiv im Zähler in der Formel zur Bestimmung der Break-Even-M enge x * zu berücksichtigen. Graphisch ergibt sich eine Parallelverschiebung der Kostenfunktion nach oben. Die Break-Even-M enge x * steigt hierdurch. Die Entscheidungsregel lautet daher: Erwartete Absatzmenge > x * Produkteinführung bzw. Weiterverfolgung des Projekts Erwartete Absatzmenge < x * Produktablehnung bzw. Abbruch des Projekts <?page no="398"?> 376 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes U K K F x K F Break-Even-Menge x* Verlust Gewinn Abb. 3.55: Break-Even-Analyse x p U F v K x k K Gewinnvergleichsrechnungen und Break-Even-Analysen als statische Analysemethoden sind nicht in der Lage, M arketing-Strategien mit sich im Zeitablauf ändernden M arketing-Variablen (z.B. Produktpreise, M arketing-Budgets für Distribution und Kommunikation) sowie Kosten- oder Absatzänderungen in einzelnen Perioden abzubilden. Lediglich bei Konstanz dieser Variablen oder wenn mit Durchschnittswerten gerechnet werden kann, erscheint diese Art von Wirtschaftlichkeitsanalysen angebracht. Geeignetere Vorgehensweisen zur Wirtschaftlichkeitsanalyse von Neuproduktideen sind in der Regel investitionstheoretische Verfahren. Hier wird explizit der zeitliche Anfall von Ein- und Auszahlungen unter Verwendung eines Zinssatzes berücksichtigt. Denkbare Ansätze sind hier durch das Kapitalwertmodell sowie die Amortisationsdauer gegeben. Der Kapitalwert ist definiert als 1 1 T t F E F MA o o t v t t t t t C K p k x K K i mit: F E o K = Forschungs- und Entwicklungskosten im Ausgangszeitpunkt 0 t p = Preis in Periode t t x = Absatzmenge in Periode t v t k = variable Stückkosten in Periode t <?page no="399"?> Produktpolitik 377 F t K = Fixkosten in Periode t MA t K = M arketingkosten (z.B. für Distribution, Kommunikation) in Periode t i =Kalkulationszinsfuß T =Planungshorizont Ein positiver (negativer) Kapitalwert bedeutet dabei, dass das Neuprodukt eine Verzinsung erreicht, welche über (unter) dem angesetzten Kalkulationszinsfuß i liegt. Bei einem Kapitalwert von null wird genau der Kalkulationszinsfuß erwirtschaftet. Im Beispiel von Abb. 3.56 erwirtschaftet das Produktkonzept 1 den höchsten Kapitalwert. Produktkonzept 3 erreicht keinen positiven Kapitalwert und wird daher nicht weiterverfolgt. Sind mit den einzelnen Produktkonzepten unterschiedliche Risiken verbunden (z.B. hinsichtlich der erwarteten Absatzmengen), so kann dies durch Risikozuschläge auf den Kalkulationszins berücksichtigt werden. Es gilt dann: 1 1 T t R F E F MA o o t v t t t t t C K p k x K K i r mit: r = Risikozuschlag Die Berechnung erfolgt analog zur Abb. 3.56. Durch Berücksichtigung unterschiedlicher Risikozuschläge bei den einzelnen Produktkonzepten kann sich die Reihenfolge der Konzepte hinsichtlich des Kapitalwertkriteriums ändern. Die Amortisationsdauer gibt diejenige Periode an, in welcher erstmals ein positiver Kapitalwert erwirtschaftet wird. Präferiert wird dabei eine kurze Amortisationsdauer. Damit ist die Amortisationsdauer ein Risikomaß. In Abb. 3.57 sind die Amortisationsdauern für die drei Produktkonzepte der Abb. 3.56 wiedergegeben. Auch nach diesem Kriterium ist Produktkonzept 1 die vorteilhafteste Alternative. Produktkonzept 3 amortisiert sich während des Planungszeitraums nicht. Zu beachten ist, dass die Amortisationsdauer als Wirtschaftlichkeitskriterium die wirtschaftliche Entwicklung des Neuprodukts nach dem Amortisationszeitpunkt nicht beachtet, also keine vollständige Informationsauswertung vorliegt. So kann nach diesem Kriterium u.U. eine Produktalternative präferiert werden, welche sich schnell amortisiert, obwohl eine andere Alternative, welche sich nur wenig später amortisiert, insgesamt zu einem deutlich höheren Kapitalwert führt. Sollen schließlich noch Unsicherheitsaspekte berücksichtigt werden, so bietet sich eine Risikoanalyse mittels einer M onte-Carlo-Simulation an. Für jedes Neuproduktkonzept kann auf diese Weise ein Risiko- und ein Chancenprofil erstellt werden, welche zwischen den einzelnen Produktkonzepten verglichen werden können. Überschneiden sich die Profile nicht, liegt ein eindeutig dominantes Produktkonzept vor (vgl. i.E. Abschnitt 1.3.3.2 in diesem Teil. Die alternativen Strategien sind dann als alternative Produktkonzepte zu interpretieren). 2.1.3.1.7 Produktentwicklung Wird die Phase der Wirtschaftlichkeitsanalyse erfolgreich überwunden, so gilt es, das physische Produkt so weit zu entwickeln, dass ein (oder mehrere) Prototyp(en) bzw. ein erstes gebrauchsfähiges Produkt entsteht. Von besonderer Bedeutung ist dabei das sog. Lastenheft, in welchem <?page no="400"?> 378 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Produktkonzept 1: Periode t 0 1 2 3 4 5 6 t v k t p t x - - - 8 4 300.000 7 4 350.000 7 3,5 400.000 6 3,5 450.000 5 3 600.000 4,5 2 750.000 F t K - 350.000 350.000 350.000 350.000 350.000 350.000 E F t K 450.000 - - - - - - Ma t K - 575.000 450.000 450.000 400.000 300.000 275.000 t G -450.000 275.000 250.000 600.000 375.000 550.000 1.250.000 t q bei i = 5% 0,9524 0,9070 0,8638 0,8227 0,7835 0,7462 = - 450.000 + 261.910 + 226.750 + 518.280 + 308.512,5 + 430.925 + 932.750 = 2.229.127,5 0 C Produktkonzept 2: Periode t 0 1 2 3 4 5 6 t v k t p t x - - - 7 5,5 500.000 6,5 5 550.000 5,5 4 750.000 5 3,5 850.000 4,5 3,5 1.000.000 4 3 1.250.000 F t K - 150.000 150.000 150.000 150.000 150.000 150.000 E F t K 750.000 - - - - - - Ma t K - 500.000 500.000 650.000 650.000 700.000 850.000 t G -750.000 100.000 175.000 325.000 475.000 150.000 250.000 = - 750.000 + 95.240 + 158.725 + 280.735 + 390.782,5 + 117.525 + 186.550 = 479.557,5 0 C Produktkonzept 3: Periode t 0 1 2 3 4 5 6 t v k t p t x - - - 75 45 30.000 68 43 35.500 66 40,5 39.000 55 40 40.000 50 37 41.000 45 35 45.000 F t K - 450.000 450.000 450.000 450.000 450.000 450.000 E F t K 1.500.000 - - - - - - Ma t K - 5600.000 400.000 400.000 350.000 475.000 550.000 t G -1.500.000 -110.000 37.500 144.500 -200.000 -392.000 -550.000 = - 1.500.000 + (-104.764) + 34.012,5 + 124.819,1 + (-164.540) + (-307.132) + (-410.410) = -2.328.014,4 0 C Abb. 3.56: Kapitalwerte verschiedener Produktkonzepte <?page no="401"?> Produktpolitik 379 Produktkonzept Periode 1 2 3 4 5 6 1 -188.090 38.660 556.940 865.452,5 1.296.377,5 2.229.127,5 2 -654.760 -496.035 -215.300 175.482,5 293.007,5 479.557,5 3 -1.604.764 -1.570.751,5 -1.445.932,4 -1.610.472,4 -1.917.604,4 -2.328.014,4 Abb. 3.57: Amortisationsdauer dreier Produktkonzepte funktionale Eigenschaften (Welche Funktionen soll ein Produkt erfüllen können und in welcher Intensität bzw. Ausprägung (z.B. Beschleunigung))? strukturelle M erkmale (Größe des Produkts, Art der verwendeten Werkstoffe usw.) sowie ästhetische Eigenschaften (Produktdesign, Styling) festgelegt werden. Hierfür stehen die in Abb. 3.58 gezeigten Gestaltungsmittel zur Verfügung. Aufgabe der F & E-Abteilung ist es dann, gemäß dem Lastenheft ein Produkt zu entwickeln, welches diejenigen Leistungsmerkmale enthält, die das generierte Produktkonzept vorsieht, einwandfrei, zuverlässig und dauerhaft funktioniert und die projektierten Forschungs- und Entwicklungskosten nicht übersteigt. In vielen Branchen ist man heute aufgrund der hohen Konkurrenzintensität bemüht, die Entwicklungszeiten für neue Produkte - also die Zeitspanne zwischen der Produktidee und der M arkteinführung - so gering wie möglich zu halten. Kurze Entwicklungszeiten bedeuten einen frühen M arkteintritt bzw. eine Pionierrolle, welche erlaubt, hohe Gewinnpotenziale abzuschöpfen (vgl. auch Abschnitt 1.2.5 in diesem Teil). Innerhalb des Unternehmens werden daher vielfach Aufgaben von M arketing, Produktentwicklung und Produktionsvorbereitung überlappend ausgeführt (Simultaneous Engineering). Während das Produktkonzept noch definiert und getestet wird, werden bereits erste Entwicklungsaufgaben vorgenommen; noch bevor die Produktentwicklung völlig abgeschlossen ist, werden Teilaufgaben der Fertigungsvorbereitung ausgeführt und die M arkteinführung des Produkts vorbereitet (vgl. Kuß/ Kleinaltenkamp 2020, S. 189). Neben dem eigentlichen (Kern-) Produkt sind häufig weitere produktspezifische Aspekte von Bedeutung, welche eine erhebliche akquisitorische Wirkung ausüben können. Hierzu zählt die M arkierung, die Verpackung sowie die mit dem Produkt verbundenen Serviceleistungen (vgl. die Abschnitte 2.1.4.1, 2.1.4.2 und 2.1.4.3 in diesem Teil). Diese über das eigentliche Produkt hinausgehenden Leistungen werden auf vielen M ärkten zunehmend wichtiger, da sich die objektiven Produktleistungen bzw. -eigenschaften vielfach immer weiter annähern und die Produkte dadurch austauschbar werden. <?page no="402"?> 380 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Mittel der Produktgestaltung elementare Gestaltungsmittel komplexe Gestaltungsmittel originäre Mittel derivate Mittel prinzipielle Mittelkombination konkrete Mittelkombination Stoff/ Material Form Farbe Zeichen Oberfläche Funktionsprinzipien Konstruktionsprinzipien historische Lösungsprinzipien Produktteile Quelle: Koppelmann 2001, S. 340 Abb. 3.58: Mittel der Produktgestaltung 2.1.3.1.8 Test neuer Produkte Während der Entwicklung neuer Produkte und nach ihrem Abschluss ist zu Prüf - und Analysezwecken eine Vielzahl von Tests durchzuführen. Zu unterscheiden ist hier zwischen Produkttests und M arkttests. Abb. 3.59 zeigt zunächst einen Überblick über mögliche Produkttests. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der rechte Ast in Abb. 3.59, da der linke Ast nur für bereits auf dem M arkt befindliche Produkte relevant ist. Die dargestellten Konzepttests mit Produktkonzepten (z.B. Bildern, M odellen, Computeranimationen) wurden bereits vor der eigentlichen Produktentwicklung durchgeführt (vgl. Abschnitt 2.1.3.1.5 in diesem Teil). Die nach der Produktentwicklung vorliegenden realen Produkte (Prototypen, Geschmacksmuster o.ä.) können nun hinsichtlich aller (Volltest) oder ausgewählter (Partialtest) Eigenschaften getestet werden. Beim Partialtest können einzelne Eigenschaften variiert werden (z.B. Süßigkeitsgrad eines Lebensmittelprodukts) oder anonymisiert werden. Beim Eliminationsverfahren wird häufig der M arkenname anonymisiert; werden alle Eigenschaften anonymisiert bis auf die Produktsubstanz, so spricht man von einem Blindtest (z.B. Geschmackserprobung zwischen verschiedenen Getränken einer Produktart (z.B. Cola)). <?page no="403"?> Produktpolitik 381 Generell kann zwischen monadischen und nicht-monadischen Tests differenziert werden (vgl. Bauer 1981). Bei einem monadischen Test wird ein einziges Produkt getestet, während beim nicht-monadischen Test das zu testende Produkt im Konkurrenzumfeld bewertet wird. Auf diese Weise können Vergleiche zwischen den einzelnen Produktalternativen gezogen werden. Darüber hinaus lassen sich Diskriminanztests, Präferenztests, Deskriptionstests, Evaluationstests sowie Akzeptanztests unterscheiden (vgl. auch Berndt 1995a, S. 107 f.). Während beim Diskriminanztest Probanden über Unterschiede (Art und Ausmaß) zwischen dem Testprodukt und dem von ihnen üblicher- Produkttests durch Dritte, vom Hersteller Unabhängige durch Hersteller aus Konkurrenzgründen (zur Beurteilung der objektiven Qualität, zur Überprüfung von Werbeaussagen, als Entwicklungsanregung usw.) zum Nutzen von Verbrauchern (Warentests) mit Produktkonzepten (Konzepttests) mit realen Produkten hinsichtlich aller Produkteigenschaften (Volltest) hinsichtlich einiger Produkteigenschaften (Partialtest) durch Austausch einzelner Eigenschaften (Substitutionsverfahren) durch Anonymisierung von Eigenschaften wenige Eigenschaften (Eliminationsverfahren) alle Eigenschaften, mit Ausnahme der Produktsubstanz (Blindtest) Quelle: Brockhoff 1999, S. 214 Abb. 3.59: Arten von Produkttests <?page no="404"?> 382 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes weise verwendeten Produkt befragt werden, versuchen Präferenztests eine eventuelle Bevorzugung des zu testenden Produkts gegenüber den von den befragten Personen üblicherweise verwendeten Produkten bzw. gegenüber den Konkurrenzprodukten festzustellen. Aufgabe von Deskriptionstests ist es, die Wahrnehmung von Produkten durch die Probanden (z.B. hinsichtlich bestimmter Produktmerkmale) zu eruieren. Gegenstand von Evaluationstests ist der Vergleich des zu testenden Produkts mit einem Idealprodukt aus Sicht der Testpersonen (qualitätsbezogener Evaluationstest). Auch kann nach dem voraussichtlichen Preis des Produkts nach M einung der Probanden gefragt werden oder aber ein Preis vorgegeben werden, welchen die Probanden als zu hoch, zu niedrig oder als angemessen einstufen können (preisbezogener Evaluationstest). M it Hilfe von Akzeptanztests schließlich wird analysiert, ob bei den Probanden eine aktuelle oder potenzielle Kauf-, Ge- oder Verbrauchsabsicht hinsichtlich des zu testenden Produkts besteht. Alle Tests können dabei als Kurzzeit- oder Langzeittests ausgeführt werden. Während bei Kurzzeittests erste Anmutungswirkungen oder offensichtliche Handhabungsprobleme überprüft werden, haben Probanden bei Langzeittests die Gelegenheit, das Produkt Tage oder Wochen zu Hause probeweise zu verwenden (In-Home-Test). Markttests stellen die letzte Stufe vor der M arkteinführung eines neuen Produkts dar. Dabei lassen sich grundsätzlich Store-Tests, Labor-M arkttests, M ini-Testmärkte sowie regionale M arkttests unterscheiden. Unter einem Store-Test versteht man den probeweisen Verkauf von Produkten unter kontrollierten Bedingungen in einer Reihe ausgewählter Handelsgeschäfte (vgl. B erekoven/ Eckert/ Ellenrieder 2009, S. 157 f.). Ziel derartiger Store-Tests ist es, das Konsumentenverhalten am Point-of-Sale (PoS) unter realen Bedingungen zu testen. Derartige Store-Tests sind insbesondere für experimentelle Anordnungen geeignet; so können in unterschiedlichen Handelsgeschäften z.B. jeweils unterschiedliche Preispositionierungen und ihre Wirkungen auf den Absatz des Produkts überprüft werden. Wesentliche Vorteile derartiger Store -Tests liegen in ihrem geringen Zeitbedarf bzw. ihrer schnellen Durchführbarkeit sowie in ihren geringen Kosten. Da die Anzahl der herangezogenen Testgeschäfte jedoch beschränkt ist, sind häufig Einschränkungen hinsichtlich der Repräsentativität der Testergebnisse hinzunehmen. Labor-Markttests stellen eine Testmarkt-Simulation dar, welche häufig folgendes Testdesign aufweisen (vgl. Brockhoff 1999, S. 234 ff.): Eine Anzahl von Personen wird in ein Studio (Labor) eingeladen, wo in einem ersten Schritt mittels eines Interviews Informationen über soziodemographische M erkmale, Markenkenntnis und -präferenzen im interessierenden Produktmarkt, Einkaufsgewohnheiten sowie Kaufabsichten erhoben werden. Anschließend werden die Testpersonen mit Werbemitteln (z.B. Fernsehspots, Anzeigenwerbung in Illustrierten) für das zu testende Produkt und für Konkurrenzprodukte konfrontiert. Danach wird ein Geldbetrag ausgehändigt mit der Aufgabe, in einem künstlichen (simulierten) Supermarkt, in welchem sich ausschließlich Produkte der interessierenden Produktkategorie befinden, einzukaufen (teilweise wird auch auf reale Handelsgeschäfte bzw. Supermärkte zurückgegriffen). An der Kasse wird dann überprüft, ob ein Produkt von einer Versuchsperson gekauft wurde und wenn ja, welches. Nichtkäufern des zu testenden Produkts wird das Produkt geschenkt. Entsprechend der normalen Ge - oder Verbrauchsdauer des zu testenden Produkts im häuslichen Umfeld wird dann ein telefonisches Interview über Erfahrungen mit dem zu testenden Produkt, M arkenpräferenzen und -kenntnis im betreffenden Produktmarkt usw. geführt. Gleichzeitig wird die Gelegenheit zum (erstmaligen <?page no="405"?> Produktpolitik 383 oder wiederholten) Kauf des zu testenden Produktes (per Postversand) gegeben. Auf diese Weise wird versucht, Prognosen hinsichtlich des zu erwartenden M arktanteils bzw. der zu erwartenden Absatzmenge für das Testprodukt zu erstellen. Wesentliche Vorteile derartiger Labor -M arkttests bestehen in der M öglichkeit der Geheimhaltung des Tests bzw. des zu testenden Produkts vor der Konkurrenz sowie in den intensiven Befragungsmöglichkeiten gegenüber den Probanden. Ein Nachteil besteht in der Künstlichkeit der Situation, welche das Verhalten der Probanden in gewissem Ausmaß verzerrt. Mini-Testmärkte sind dadurch gekennzeichnet, dass das Einkaufsverhalten eines Haushalts-Panels in Supermärkten, welche über die Scanner-Technologie verfügen, aufgezeichnet wird (vgl. Stoffels 1989). Die Haushalte können dabei gezielt mit präparierten Medien (TV, Tageszeitungen usw.), in welchen das zu testende Produkt enthalten ist, umworben werden. M ittels der Scanner - Technik und den auf den Produkten angebrachten Strichcodes wird dann ermittelt, welche Produkte ein Haushalt wann, zu welchem Preis, in welcher M enge zusammen mit welchen anderen Produkten eingekauft hat. Die Haushalte müssen sich dabei mit einer Identifikationskarte ausweisen, damit die eingekauften Waren einem bestimmten Haushalt zugeordnet werden könne n. In Deutschland hat die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK Nürnberg) einen derartigen M ini- Testmarkt bis zum Jahre 2021 angeboten. In Abb. 3.60 wird dieser M ini-Testmarkt näher charakterisiert. Auf experimentellem Wege können so z.B. die Wirkungen verschiedener Elemente des M arketing-M ix wie neue oder veränderte Produkte, verschiedene Packungsgrößen, unterschiedliche Preise oder verschiedene Werbestrategien auf ökonomische Zielgrößen wie Absatz oder Gewinn des zu testenden Produkts ermittelt werden. Vorteilhaft sind dabei die Repräsentativität sowie die hohe Realitätsnähe des Versuchaufbaus, nachteilig sind die - je nach konkreter Versuchsanordnung - z.T. nicht unerheblichen Testkosten sowie die Zeitdauer, um auch Wiederholungskäufe abbilden zu können. Derzeit bieten die M arktforschungsinstitute Bonsai in Bremen sowie go2market in Köln ähnliche Testmärkte in Deutschland an. Ein regionaler Markttest liegt vor, wenn das zu testende Produkt unter kontrollierten Bedingungen in einem räumlich abgegrenzten Testmarktgebiet verkauft wird (vgl. Berekoven/ Eckert/ Ellenrieder 2009, S. 159 f.). Wesentlicher Unterschied zur Gesamtmarkteinführung ist die Beschränkung auf ein bestimmtes Absatzbzw. Testgebiet. Getestet wird hier nicht nur das Konsumentenverhalten, sondern sämtliche Vermarktungsprozesse (Einsatz real existierender M edien im Rahmen der Kommunikationspolitik, Logistik-Prozesse, Verhalten der Außendienstmitarbeiter usw.) werden auf ihre Funktionsfähigkeit überprüft. Im Gegensatz zum Store -Test erfolgt also keine Beschränkung auf nur wenige Handelsgeschäfte. Wichtig ist dabei die Repräsentativität des M arkttestes, da anderenfalls Gesamtmarktprognosen im Falle einer landesweiten M arkteinführung des neuen Produktes verzerrt würden. Ein derartiger regionaler M ark ttest spiegelt die realen Verhältnisse sehr gut wieder, problematisch ist jedoch eine mögliche Verzerrung der Testergebnisse durch Störaktionen der Konkurrenz (z.B. durch bewusstes untypisches Preisund/ oder Werbeverhalten). Außerdem sind die Testzeiten soweit auszudehnen, dass auch Wiederholungskäufe durchgeführt werden können, um valide Absatzprognosen erstellen zu können. Schließlich ist auf die recht hohen Kosten eines derartigen regionalen M arkttestes hinzuweisen. Abb. 3.61 zeigt abschließend, wie mittels Projektionsverfahren die Testmarktergebnisse auf den Gesamtmarkt hochgerechnet werden können. <?page no="406"?> 384 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Testmarkt Haßloch in der Pfalz -100% aller Haushalte kabelfähig Anzahl der Testhaushalte 2.500 Haushalte mit GfK-Box, 1.000 Haushalte ohne GfK-Box Markterfassungsgrad im Lebensmitteleinzelhandel je nach Warengruppe bis zu 95% einsetzbare Medien alle reichweitenstarken TV-Sender (Überblendungsmöglichkeit per GfK-Box) Printmedien (z.B. Tageszeitungen, TV-Zeitschriften) Verkaufsförderung (z.B. Mailing, Couponing) TV-Testspot individuelle Ansteuerung einzelner Haushalte (z.B. der Zielgruppe) über alle Kanäle per GfK-Box Kontrollverfahren individuell Abb. 3.60: Kurzdarstellung eines Mini-Testmarktes Merkmale GfK Behavior Scan (bis 2021) 2.1.3.1.9 Markteinführung neuer Produkte Wurde die Testphase erfolgreich abgeschlossen, so wird das neue Produkt auf dem M arkt eingeführt. Hier werden die bereits in der Konzept- und Strategieentwicklungsphase (vgl. Abschnitt 2.1.3.1.5 in diesem Teil) angedachten und in der Testphase (vgl. den vorangegangenen Abschnitt 2.1.3.1.8) u.U. verbesserten bzw. korrigierten M arketing-Strategien umgesetzt. Die M arketing-Strategie muss dabei eine Antwort auf <?page no="407"?> Produktpolitik 385 das Timing, die geographische Strategie, die anzusprechende Zielgruppe sowie den konkreten Handlungsablauf von M arketing-M aßnahmen (z.B. Einführungswerbung, Händlerschulungen) geben. Hinsichtlich des Timing sind die Vor- und Nachteile einer Pionierbzw. Imitatorstrategie zu beachten und gegeneinander abzuwägen (vgl. Abschnitt 1.2.5 in diesem Teil). Weitere Aspekte, welche in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen können, ist eine bewusste Verzögerung der M arkteinführung des neuen Produkts, weil das Vorgängerprodukt sich noch sehr gut verkauft oder noch abzuverkaufende Lagerbestände dieses Produktes vorliegen. Im Rahmen der geographischen Strategie ist der konkrete regionale Marktabdeckungsgrad zu fixieren. Es ist zu untersuchen, ob das Produkt lokal, regional, überregional, national oder sogar international angeboten werden soll. M öglicherweise wird die geographische Strategie mit der Timing-Strategie verknüpft, so dass bestimmte Regionen früher beliefert und bearbeitet werden als andere Absatzgebiete. In internationaler Hinsicht liegt in diesem Fall eine sog. Wasserfall-Strategie vor (vgl. Berndt/ Fantapié Altobelli/ Sander 2020, S. 284 f.). Umsatz auf dem Gesamtmarkt Umsatz im Testgebiet Hochrechnungsfaktor Korrekturfaktor = x x Einfache Bevölkerungsprojektion Bevölkerung Testmarkt Bevölkerung nationale Umsatzverhältnismethode Umsatz des Vergleichsprodukts im Gesamtmarkt Marktanteilsmethode Umsatz der Produktgruppe im Gesamtmarkt Kaufkraftindexmethode Absatz auf dem Gesamtmarkt Anzahl der Wiederkäufer im Testmarkt Anzahl der Einwohner im Testmarkt Anzahl gekaufter Einheiten pro Wiederkäufer pro Jahr Anzahl der Einwohner im Gesamtmarkt = x x Quelle: In Anlehnung an Meffert/ Burmann/ Kirchgeorg 2019, S. 443 Abb. 3.61: Projektionsverfahren für Testmarktdaten Umsatz des Vergleichsprodukts im Teilmarkt nationales Einkommen Einkommen im Testgebiet Umsatz der Produktgruppe im Testmarkt <?page no="408"?> 386 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Die mit dem Produkt anzusprechenden Zielgruppen sind bereits in der Testphase (vgl. den vorangegangenen Abschnitt 2.1.3.1.8) ermittelt worden. Hier stehen zunächst die Kernzielgruppen für das Produkt im Vordergrund der Vermarktung. Typische Kernzielgruppen sind Intensivverwender, M einungsführer sowie sog. Innovatoren, welche Neuerungen gegenüber besonders aufgeschlossen sind. Gelingt es, viele Innovatoren mit dem Produkt zu erreichen, so wird der Diffusionsprozess des neuen Produkts besonders schnell in Gang gesetzt werden können (vgl. zur Diffusionstheorie auch den Abschnitt 2.1.2.4.2.1.2 im 2. Teil). Zur Festlegung des konkreten Handlungsablaufes von Marketing-Maßnahmen ist zu beachten, dass die M aßnahmen sich inhaltlich und/ oder zeitlich bedingen können, d.h. voneinander abhängen. Eine unabgestimmte M arkteinführung könnte bspw. dazu führen, dass das neue Produkt intensiv beworben wird, obwohl es im Handel noch gar nicht flächendeckend verfügbar ist oder dass umgekehrt der Abverkauf im Handel stockt, weil die Werbung zu spät geschaltet wurde. Ein vergleichsweise neues Instrument ist in diesem Zusammenhang mit dem Prämarketing gegeben (vgl. Preukschat 1992). Hier werden Produkte bewusst beworben, bevor sie überhaupt erhältlich sind. Auf diese Weise können frühzeitig Präferenzen aufgebaut werden mit der Folge, dass doch nicht auf das - bereits erhältliche - Konkurrenzprodukt zurückgegriffen wird, sondern auf das vorangekündigte Produkt gewartet wird. Allerdings sind mit dem Prämarketing schwierige Entscheidungen hinsichtlich der Intensität der Vorab-Kommunikation, dem Detaillierungsgrad der gemachten Aussagen, der Auswahl des angemessenen Zeitpunkts bzw. des Beginns von Prämarketing-M aßnahmen sowie der Wahl der zu belegenden M edien gegebenen. Abb. 3.62 stellt einige Nutzen- und Kostenfaktoren, welche mit dem Prämarketing verbunden sind und in empirischen Erhebungen festgestellt werden konnten, vor. Ein hilfreiches Instrument zur Planung einzelner M arketing-M aßnahmen stellt in diesem Zusammenhang die Netzplantechnik dar. M ittels eines Netzplanes können alle Vorgänge, welche zur Durchführung eines Projektes bzw. zur Einführung eines neuen Produktes erforderlich sind, in ihren inhaltlichen und zeitlichen Abhängigkeiten in übersichtlicher Form dargestellt werden (vgl. z.B. Zimmermann 1971, S. 13 ff.). Auf diese Weise wird gewährleistet, dass kein Vorgang „vergessen“ wird. Gleichzeitig kann der kritische Pfad ermittelt werden; auf diesem Pfad befinden sich diejenigen Aktivitäten, welche das Gesamtprojekt bzw. die Neueinführung des Produktes verzögern, wenn sich eine der Aktivitäten verzögert. Sie sind daher besonders zu beachten und zeitlich einzuhalten. 2.1.3.2 Pr oduktvariation Unter einer Produktvariation versteht man die Änderung von ausgewählten Eigenschaften bzw. deren Ausprägungen im Eigenschaftsbündel eines bereits auf dem M arkt befindlichen Produktes. Häufig wird eine Produktvariation auch mit dem Begriff „Relaunch“ oder (im Automobilbau) „Face-Lift“ belegt. Gründe für die Durchführung einer Produktvariation können im Konsumentenverhalten, im Konkurrenzverhalten sowie im technischen Fortschritt liegen. <?page no="409"?> Produktpolitik 387 Faktor Art USA BRD Image-Verbesserung des Anbieters Distributionsvorteil Nachfrage-Anregung Verminderung des Wettbewerbsdrucks Beschleunigung der Diffusion Gewinnung von Marketingforschungsinformation Kannibalisierung Nachteilige Wettbewerbs-Reaktionen Unmöglichkeit, die Vorankündigung einzuhalten Gefahr der Auslösung wettbewerbsrechtlicher Schritte (Antitrust) N N N N N N K K K K x x x x x - * x x x * x x x x x - Quelle: Brockhoff 1999, S. 270 Abb. 3.62: Nutzen- und Kostenfaktoren des Prämarketing N=Nutzenfaktor; K=Kostenfaktor; *nicht signifikant diskriminierender Faktor; x signifikant diskriminierender Faktor; nicht untersuchter Faktor. Eine Produktvariation erscheint notwendig, wenn sich das Konsumentenverhalten aufgrund eines Wechsels in der Bedürfnisstruktur ändert (z.B. verstärkte Nachfrage nach ökologieorientierten Produkten). Bietet hingegen die Konkurrenz ein neues oder verändertes Produkt an, so kann die Notwendigkeit bestehen, das eigene Produkt zu ändern, um mit dem Konkurrenzprodukt „mitziehen“ zu können. Schließlich können Produktvariationen durch den allgemeinen technischen Fortschritt bedingt sein, welcher sich während der Zeit, in der sich das Produkt auf dem M arkt befindet, ergeben hat (z.B. Einbau neuer sicherheitstechnischer Ausstattungsdetails wie Airbags und Fahrdynamikregelungsprogramme in ein bestehendes Automodell im Rahmen eines Face- Lifts). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die drei genannten Gründe für Produktvariationen (Konsument, Konkurrenz, technischer Fortschritt) nicht unabhängig voneinander sind. Im Rahmen einer Produktvariation ergeben sich drei zentrale Entscheidungsdimensionen, welche Abb. 3.63 aufzeigt. Ansatzpunkte dahingehend, welche Eigenschaften im Rahmen einer Produktvariation geändert werden sollen, lassen sich durch Tests (z.B. Konsumentenbefragungen) gewinnen (vgl. auch Abschnitt 2.1.3.1.8 in diesem Teil). Darüber hinaus kann durch eine Konkurrenzbeobachtung bzw. eine Analyse des Produktangebots der Konkurrenz Aufschluss über zu ändernde Produkteigenschaften gewonnen werden. Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit ist zu fordern, dass die durch die Produktvariation generierten Zusatzerlöse die durch die Produktvariation entstehenden Kosten überkompensieren. Hierzu kann folgender einfacher M essansatz gewählt werden (vgl. auch Brockhoff 1999, S. 298): Es gelte folgendes Regressionsmodell: (1) 0 1 L it it li lit l MA a a z e <?page no="410"?> 388 PPlanung des Marketing-Instrumente-Einsatzes mit: it MA = Marktanteil des Produkts i in Periode t 0 a = Konstante lit z = marktanteilbeeinflussende Variable l (l = 1, ..., L) für Produkt i in Periode t (z.B. Werbung für das Produkt i in Periode t) li a = Regressionsparameter der Variable l (l = 1, ..., L) für Produkt i it e = Störvariable (Zufallseinflüsse) Man führt nun die Hilfsvariable (dummy) (2) 0, für ' 1, für ' it t t Z t t ein, wobei t’ der Variationszeitpunkt ist, in welchem die Produktvariation durchgeführt wird. Entscheidungsdimensionen einer Produktvariation Eigenschaften Wirtschaftlichkeit Zeitpunkt Welche Eigenschaften bzw. deren Ausprägungen sollen verändert werden? Übersteigen die durch die Produktvariation erwirtschafteten Zusatzerlöse die Kosten der Produktvariation? Wann soll die Produktvariation durchgeführt werden? Abb. 3.63: Entscheidungsdimensionen einer Produktvariation Es ergibt sich folgende neue Regressionsfunktion: (3) 0 1, 1 L it L i it it li lit l MA a a z a Z e Eine erfolgreiche Produktvariation wäre dann daran zu erkennen, dass sich die Parameter a 0 und a li (l = 1, ..., L) in (1) und (3) nicht signifikant unterscheiden und a L+1,i einen positiven Wert aufweist. a L+1,i ist dann als der auf die Produktvariation zurückzuführende Marktanteil pro Periode für das Produkt i zu interpretieren. Abb. 3.64 zeigt ein diesbezügliches empirisches Beispiel aus einem Konsumgütermarkt auf. Hier wurde im Oktober 1979 eine Produktvariation vorgenommen. Die schwarz schraffierte Fläche stellt den „Produktvariationserfolg“ dar. Um eine Aussage <?page no="411"?> Produktpolitik 389 über die Gewinnwirkung der Produktvariation zu erhalten, sind die hinter den M arktanteilsveränderungen stehenden Absatzmengenänderungen mit dem Preis des Produkts zu multiplizieren und hiervon die Produktvariationskosten abzuziehen. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Produktvariation gilt, dass im optimalen Variationszeitpunkt der Grenzdeckungsbeitrag der alten Variante bezüglich der Zeit der Annuität bzw. dem durchschnittlichen Periodengewinn des Folgeprodukts entsprechen sollte. Aufgrund von Schätzproblemen wird dieser optimale Zeitpunkt empirisch kaum exakt bestimmbar sein. In der Praxis behilft man sich daher häufig mit Entscheidungsheuristiken. So erfolgt bspw. im Automobilbau ein Face-Lift etwa in der M itte des Produktlebenszyklus eines Automobils. 22.1.3.3 Pr oduktdifferenzierung Unter einer Produktdifferenzierung versteht man - ausgehend von einer Basisvariante bzw. einem Grundmodell - das Anbieten weiterer Produktvarianten, welche sich an bestimmte Zielgruppen richten. Im Gegensatz zur Produktvariation ist eine Produktdifferenzierung immer mit einer Ausweitung des eigenen Sortiments verbunden. Die Produktdifferenzierung folgt damit dem Gedanken der M arktsegmentierung (vgl. Abschnitt 3.2 im 2. Teil). Der Extremfall der Produktdifferenzierung ist durch die Individuallösung gegeben, d.h. dem Anfertigen maßgeschneiderter Produkte. Beispiele hierfür finden sich um Luxussegment (z.B. teure individuell angefertigte Herrenkonfektion) oder im Investitionsgütergeschäft (z.B. Fertigung einer Produktionsmaschine nach den genauen Vorgaben des Nachfragers). Auch das Internet bietet Ansatzpunkte für Individuallösungen trotz großer abgesetzter Stückzahlen (M ass Customization). So lassen sich bspw. PC’s des Hersteller Dell im Internet online konfigurieren (Prozessor, Festplatte usw.) und damit auf die individuellen Bedürfnisse zuschneiden (vgl. Abschnitt 2.1.4.4 in diesem Teil). Der Regelfall der Produktdifferenzierung besteht jedoch darin, Produktvarianten zu entwickeln, welche sich an M arktsegmente mit mehreren bzw. vielen Nachfragern richten. Ein aktuelles Beispiel bietet diesbezüglich die Automobilindustrie. Viele Hersteller bieten den Nachfragern die M öglichkeit, ein Auto mit verschiedenen „Lines“ auszustatten. Beispielsweise existieren bei M ercedes-Benz für viele Automodelle neben der Basisausführung die Lines „Avantgarde“ und „AMG Line“. Diese Lines unterscheiden sich im Hinblick auf die optische und z.T. auch technische Ausstattung eines Autos einer bestimmten Produktlinie. Abb. 3.65 zeigt beispielhaft die Ausstattungsunterschiede der Lines am Beispiel der M ercedes C-Klasse auf. Häufig ist mit einer Produktdifferenzierung auch eine (simultane) Preisdifferenzierung verbunden, d.h. für die unterschiedlichen Produktvarianten werden unterschiedliche Preise verlangt (vgl. auch Abschnitt 2.2.2.2.4.1 in diesem Teil). Auf diese Art und Weise wird versucht, die Zahlungsbereitschaften der einzelnen Käuferschichten abzuschöpfen; die unterschiedlichen Preise resultieren daher nicht bzw. nicht vollständig aus Kostenunterschieden. Abb. 3.66 zeigt die unterschiedlichen Preise am Beispiel der M ercedes C-Klasse auf. Zudem wird sichtbar, dass neben den Ausstattungslines „Avantgarde“ und „AM G Line“ die M otorisierung als weiteres wesentliches Produkt- (und Preis-)differenzierungselement eingesetzt wird. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass neben der bisher dargestellten nachfrageinduzierten Produktdifferenzierung häufig auch eine gesetzlich bzw. rechtlich sowie technisch induzierte Produktdifferenzierung existiert. Dies gilt insbesondere bei internationalem Vertrieb der Produkte (vgl. Berndt/ Fantapié Altobelli/ Sander 1997, S. 67 ff.). So müssen bestimmte Produkte an die jeweiligen Landesverhältnisse angepasst werden (z.B. unterschiedliche Volt-Spannungen oder Stecker in verschiedenen Ländern; Rechts- und Linkssteuerung im Automobilbereich wegen Rechts- und Linksverkehr usw.). <?page no="412"?> 390 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Q u e lle : Br o c kho ff 1999, S. 299 Abb. 3.64: Marktanteil und Ex-Post-Prognose durch multiple Regression mit Produktvariationseffekt 18.0 12.0 9.0 10.0 11.0 8.0 6.0 7.0 5.0 Sep77 Dez77 Dez78 Sep78 Jun78 Mär78 Mär81 Dez80 Sep80 Jun79 Mär79 Jun80 Mär80 Dez79 Sep79 Sep81 Jun81 <?page no="413"?> Produktpolitik 391 <?page no="414"?> 392 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes In wirtschaftlicher Hinsicht ist zu hinterfragen, ob sich die Produktdifferenzierung lohnt. Im Hinblick auf das eigene Sortiment sind dabei sog. Kannibalisierungseffekte von Bedeutung, d.h. durch das Einführen einer neuen Produktvariante sinkt der Absatz einer (mehrerer) anderen (anderer) Produktvariante(n). Der Teil der Nachfrage für die neue Variante, welcher nicht vom eigenen Sortiment abgezogen wird, sondern von der Konkurrenz bzw. aus einem noch nicht ausgeschöpften M arktpotenzial stammt, wird als Partizipationseffekt bezeichnet. Abb. 3.67 verdeutlicht die Effekte graphisch. Unter der Annahme, dass sowohl die Entwicklungskosten als auch die fixen Kosten durch Aufnahme einer neuen Produktvariante konstant bleiben, lässt sich folgende Vorteilhaftigkeitsbedingung aufstellen (vgl. auch M effert 2000, S. 449): ! 0 n n n n a n DB x d b x d b d b mit: n DB = zusätzlicher Deckungsbeitrag durch die neue Produktvariante n n x = neugewonnene Absatzmenge der neuen Produktvariante n (Partizipationseffekt) n d b = Stückdeckungsbeitrag der neuen Produktvariante n n x = Nachfragemenge, die von einer bestehenden Produktvariante a der Unternehmung zu der neuen Produktvariante n übergewechselt ist (Kannibalisierungseffekt) a d b = Stückdeckungsbeitrag der bestehenden Produktvariante a Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass eine Produktdifferenzierung auch über das Anbieten zusätzlicher Serviceleistungen erfolgen kann (vgl. Abschnitt 2.1.4.3 in diesem Teil). In diesem Fall spricht man von Value-Added-Services, welche ein Produkt aus Sicht des Kunden attraktiver machen können (z.B. Verlängerung der Garantiezeit). Hier können verschiedene Dienstleistungen zu Servicepaketen geschnürt werden, für welche unterschiedliche Preise verlangt werden können. Die optimale Preisfindung ist dabei eine Aufgabe der sog. Preisbündelung (vgl. Abschnitt 2.2.2.2.4.2 in diesem Teil). 2.1.3.4 Pr oduktelimination Unter einer Produktelimination versteht man die endgültige Herausnahme eines Produktes aus dem M arkt. Hiervon zu unterscheiden ist das vorübergehende Nichtanbieten von Produkten, welches aus anderen Gründen erfolgt (z.B. ein Verkaufsstop von Pralinen oder feinen Schokoladen während der Sommermonate aus klimatischen Gründen). Generell sind Produkte zu eliminieren, wenn ihr Verkauf nicht mehr den verfolgten Unternehmensbzw. M arketingzielen dient. In erster Linie sind daher Produkte aus dem Sortiment zu entfernen, welche keinen ausreichenden Gewinn (mehr) bzw. Verluste erwirtschaften. Hierbei kann es sich um Produkte handeln, welche sich in Spätphasen des Produktlebenszyklus befinden (vgl. auch Abschnitt 1.2.4.2 in diesem Teil) oder welche sich nach ihrer M arkteinführung als Flop erwiesen haben. Auch können gesetzliche Gründe zu einer Produktelimination führen (z.B. Verbot bestimmter M edikamente). Zu beachten sind bei einer Produktelimination eventuelle Abhängigkeiten im Sortimentsverbund. So ist eine Herausnahme des Produktes aus dem Markt unproblematisch, wenn keine bzw. <?page no="415"?> Produktpolitik 393 <?page no="416"?> 394 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes neutrale oder substitutive Abhängigkeiten der Produkte im Sortiment bestehen. Die Herausnahme des Produktes tangiert den Absatz der übrigen Produkte dann nicht (neutraler Sortimentsverbund) bzw. beeinflusst ihn sogar positiv (substitutiver Sortimentsverbund). Existiere n komplementäre Abhängigkeiten, so führt die Herausnahme eines Produktes allerdings auch zum Minderabsatz eines oder mehrerer anderer Produkte (z.B. kann die Herausnahme eines Tintenstrahldruckers aus dem Angebot zu einem Absatzrückgang bei den zugehörigen Tintenkartuschen aufgrund technischer Komplementarität führen). In ökonomischer Hinsicht ist in diesem Fall zu überprüfen, ob die Herausnahme des Produktes aus dem M arkt mit der Folge von Absatzrückgängen auch bei anderen Produkten insgesamt nicht zu eine m geringeren Gewinn führt im Vergleich zur Beibehaltung des eliminationsverdächtigen Produkts im Angebotsprogramm. Entscheidend hierfür sind die mit dem zu eliminierenden Produkt verbundenen Verluste sowie die bei den Komplementärprodukten anfallenden Gewinne. Hohe Gewinne bzw. Deckungsbeiträge bei Komplementärprodukten können also dazu führen, dass ein Produkt weiterhin angeboten wird, obwohl es Verluste erwirtschaftet. Darüber hinaus können Imageeffekte eine Rolle bei Produkteliminationsentscheidungen spielen. Besitzt ein Produkt eine dominante Imageposition bzw. ein herausragendes Image, welches u.U. auf das übrige Sortiment abstrahlt (Image-Spillover), so kann eine Produktelimination unterlassen werden, obwohl das betreffende Produkt keinen Gewinn erzielt bzw. Verluste erwirtschaftet. Dies ist häufig bei älteren Produkten der Fall, welche das Ausgangsprodukt für das aktuelle Sortiment darstellen (Ursprungs bzw. Stammprodukt). Hinsichtlich der anzuwendenden Methoden zur Identifikation eliminationsverdächtiger Produkte können insbesondere Umsatzstrukturbzw. Konzentrationsanalysen herangezogen werden (vgl. Abschnitt 2.1.2.1 in diesem Teil). Darüber hinaus können Deckungsbeitragsrechnungen wertvolle Informationen hinsichtlich potenziell zu entfernender Produkte liefern (vgl. Abschnitt 2.1.2.2 in diesem Teil). Negative Deckungsbeiträge führen in diesem Fall zur Produktelimination, allerdings nur dann, wenn von nachhaltig negativen Deckungsbeiträgen aus- Absatz Zeitpunkt der Differenzierung Partizipationseffekt Kannibalisierungseffekt Tatsächliche Absatzentwicklung Grundmodell Absatzprognose für Grundmodell Zeit Quelle: In Anlehung an Brockhoff 1999, S. 316 Abb. 3.67: Schema der Produktdifferenzierungswirkungen Gesamtabsatz (Grundmodell und neue Produktvariante) <?page no="417"?> Produktpolitik 395 gegangen werden kann (z.B. über mehrere Jahre) und keine der genannten Sortimentsverbundeffekte vorliegen. Schließlich können auch Scoring-M odelle für Produkteliminationsentscheidungen herangezogen werden (zur Funktionsweise von Scoring-M odellen vgl. Abschnitt 2.1.3.1.4 in diesem Teil). Ein beispielhafter Kriterienkatalog nebst zugehöriger Gewichtung und Skalierung der Kriterien findet sich in Abb. 3.68. Erreicht das eliminationsverdächtige Produkt eine vorgegebene gewichtete Gesamtpunktzahl oder M indestausprägungen bei einzelnen Kriterien nicht, so ist es endgültig aus dem M arkt herauszunehmen. Hinsichtlich der konkreten Durchführung der Produktelimination können zudem verschiedene Eliminationsstrategien unterschieden werden (vgl. auch Wemhoff 1998, S. 57 ff.) Neben der kurzfristigen Eliminationsstrategie, welche eine zügige Einstellung von Produktion und Absatz des betreffenden Produkts vorsieht, kann auch eine sukzessive Elimination vorgenommen werden, bei welcher das Produkt bei zurückgehenden Absatzmengen noch über einen gewissen Zeitraum bewusst im Sortiment belassen wird. Schließlich kann auch ein Verkauf des von der Produktelimination betroffenen Unternehmensteils vorgenommen werden. 22.1.4 Weitere produktpolitische Entscheidungstatbestände Zu den weiteren produktpolitischen Entscheidungstatbeständen, welche im Folgenden erörtert werden, zählen die M arkenpolitik, die Verpackungspolitik, die Servicepolitik, die Produktpolitik im Internet sowie die Sortimentsbzw. Programmpolitik. 2.1.4.1 Ma rkenpolitik 2.1.4.1.1 Begriff der Marke und des Markenartikels Durch Kennzeichnung eines Produkts mit einer Marke wird ein anonymes Produkt zu einem markierten Produkt, nicht jedoch bereits zu einem M arkenartikel. Der Vorgang der Kennzeichnung im prozessualen Sinne sowie das Ergebnis dieses Prozesses ist die M arkierung; die Begriffe „M arkierung“ im Sinne eines Kennzeichens und „M arke“ sind insofern als Synonyme anzusehen (vgl. v. M att 1988, S. 5). Die Entwicklungsgeschichte der M arke lässt sich weit zurückverfolgen. Als Vorläufer des modernen M arkenbegriffs lassen sich Personalzeichen, Eigentumszeichen, Herkunftsbzw. Ursprungszeichen sowie Zunftzeichen als Gütezeichen mit kollektivem Charakter identifizieren. Hauptzweck der M arke ist dabei die Entanonymisierung von Produkten. Entsprechend kann eine M arke damit gemäß der American M arketing Association (1960) definiert werden: „A name, term, sign, symbol or design, or a combination of them which is intended to identify the goods or services of one seller or group of sellers and to differentiate them from those of competitors.“ (vgl. v. M att 1988, S. 7 f.) Zweckmäßig bei der Analyse der M arke als formales Zeichen ist die Unterscheidung in M arke i.e.S. und M arke i.w.S. Zu den Marken i.e.S. zählen Wortmarken, Bildmarken und Kombinationen von beiden. Wortmarken sind M arkennamen, d.h. das Element einer M arke, welches verbal wiedergegeben werden kann. Wortmarken können aus Worten (z.B. Persil), Buchstaben (z.B. <?page no="418"?> 396 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes sehr gut gut befriedigend schlecht sehr schlecht Kriterium Gewicht 4 3 2 1 0 Produkterfolg (Deckungsbeitrag) 20 sehr hoch hoch mittel gering sehr gering oder negativ Marktvolumen Restdauer des Markterfolgs Beschaffungsverbunde Kompatibilität mit Vertriebsnetz Umsatzanteil Entwicklung des Marktanteils Substitionsgefahr (SG) Absatzveränderung anderer Produkte im Falle einer Elimination Investitionsbedarf Produktimage Produktbedeutung für Beschäftigung Marktaustrittsbarrieren Summe 5 5 5 5 10 5 5 10 10 5 5 10 100 stark steigend steigend über 5-10 Jahre über 10 Jahre schrumpfend stagnierend bis 1 Jahr über 1-3 Jahre über 3-5 Jahre gering sehr gering sehr hohe SG hohe SG mittlere SG geringe SG ohne erkennbare SG durchschnittlich steigend stark steigend stagnierend schrumpfend stark schrumpfend stark schrumpfend dominierend wesentlich völlig kompatibel stark kompatibel eigenes Vertriebsnetz kaum kompatibel etwas kompatibel hoch mittel gering sehr gering sehr hoch sehr hoch sehr hoch sehr hoch hoch hoch hoch mittel mittel mittel gering gering gering sehr gering sehr gering sehr gering sehr hoher Bedarf hoher Bedarf mässiger Bedarf geringer Bedarf kein Bedarf starker Absatzrückgang leichter Absatzrückgang keine Veränderung leichte Absatzsteigerung starke Absatzsteigerung Quelle: Wemhoff 1998, S. 115 Abb. 3.68: Ein Kriterienkatalog zur Identifikation eliminationsverdächtiger Produkte <?page no="419"?> Produktpolitik 397 BM W), Zahlen (z.B. 4711) oder Kombinationen von ihnen (z.B. R6, Audi A4) bestehen, wobei auch weitere Zeichen verwendet werden können (z.B. 8x4, M & M’s). Gerade beim Markenaufbau ist die Wahl einer adäquaten Wortmarke bzw. eines adäquaten M arkennamens wichtig. Erfolgreiche M arkennamen zeichnen sich durch rechtliche Schutzfähigkeit, Unverwechselbarkeit, hohe M arktfähigkeit bzw. Einzigartigkeit, Neuigkeit i.S. einer hohen Aufmerksamkeitswirkung sowie positive Assoziationen, welche durch kommunikationspolitische M aßnahmen häufig erst aufgebaut werden müssen aus (vgl. Fantapié Altobelli/ Sander 2001, S. 21). Bildmarken hingegen können im Gegensatz zu Wortmarken nicht verbalisiert werden. Marke als formales Zeichen Marke i. e. S. Marke i. w. S. optische Markenzeichen - Wörter - Zahlen - Buchstaben sonstige Zeichen - Bilder optische Markenzeichen (Ausstattung), z.B. Form, Farbe, Gestalt des Produkts oder der Verpackung akustische Markenzeichen (Hörzeichen), z.B. Werbemelodien, Jingles olfaktorische Markenzeichen (Geruchszeichen), z.B. bestimmte Duftstoffe taktile Markenzeichen (Tastzeichen), z.B. Oberfläche, Material gustatorische Markenzeichen (Geschmackszeichen), z.B. bestimmte Geschmacksvarianten Wortmarken Bildmarken Quelle: Sander 1994a, S. 7 Abb. 3.69: Systematisierung der Marke als formales Zeichen, Marken i.w.S. schließlich sind akustischer, olfaktorischer, taktiler oder gustatorischer Natur, ebenso wie die Form oder Aufmachung der Ware oder der Verpackung. Abb. 3.69 zeigt die unterschiedlichen Arten der M arke als formales Zeichen auf. Neben der ursprünglichen Bedeutung der M arke als formalem Zeichen findet der Begriff „M arke“ auch Anwendung auf konkrete Produkte. In diesem Sinne ist „M arke“ zu verstehen als Synonym zur M arkenware bzw. zum Markenprodukt. Höchste Ausprägung eines derartigen Markenprodukts <?page no="420"?> 398 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes ist der Markenartikel. Weiten Eingang in die einschlägige Literatur hat die Definition des M arkenartikels von M ellerowicz (1963, S. 39) gefunden: „M arkenartikel sind für den privaten Bedarf geschaffene Fertigwaren, die in einem größeren Absatzraum unter einem besonderen, die Herkunft kennzeichnenden M erkmal (M arke) in einheitlicher Aufmachung, gleicher M enge sowie in gleichbleibender oder verbesserter Güte erhältlich sind und sich dadurch sowie durch die für sie betriebene Werbung die Anerkennung der beteiligten Wirtschaftskreise (Verbraucher, Händler, Hersteller) erworben haben (Verkehrsgeltung).“ Da diese Definition die „typischen“ M arkenartikel umschreibt, jedoch nicht zwingend alle Erscheinungsformen von M arkenartikeln umfasst, ist heute der wirkungsbezogene Ansatz der M arkenartikeldefinition weit verbreitet. Danach ist alles das, was die Konsumenten als M arkenartikel betrachten bzw. empfinden, als M arkenartikel anzusehen (vgl. Sander 1994a, S. 38 ff.). Damit wird der Erfolg zum ausschlaggebenden, wesensbestimmenden M erkmal eines Markenartikels, da nach diesem Ansatz nur dasjenige Produkt ein Markenartikel sein kann, welches eine entsprechend hohe Wertschätzung beim Verbraucher genießt. Nach dieser Definition können nicht nur - wie nach herkömmlicher Auffassung - Herstellermarken Markenartikel sein, sondern durchaus auch (starke) Handelsmarken. Zu beachten ist, dass neben Konsumgütern auch Investitionsgüter und Dienstleistungen eine M arkenartikelqualität aufweisen können. Analog zum M arkenartikel im Konsumgüterbereich muss dann aber auch für sie eine entsprechend hohe Wertschätzung bei den Zielgruppen dieser M arken vorliegen. Ist diese nicht gegeben, so liegt lediglich eine markierte Leistung (markiertes Konsumgut, markiertes Investitionsgut oder markierte Dienstleistung) vor. Sprachlich ist dabei der Begriff „M arkenartikel“ auf Konsumgüter beschränkt, bei Investitionsgütern bzw. Dienstleistungen spricht man dann von einer Investitionsgüterbzw. Dienstleistungsmarke (in M arkenartikelqualität). Abb. 3.70 fasst die unterschiedlichen M arkenbegriffe nach Produktart und Ausmaß der Wertschätzung in der Zielgruppe zusammen. Abb. 3.70: Terminologie von Markenbegriffen Hohe Wertschätzung in der Zielgruppe Geringe Wertschätzung in der Zielgruppe Markenartikel Investitionsgütermarke Dienstleistungsmarke markiertes Konsumgut markiertes Investitionsgut markierte Dienstleistung Konsumgut Investitionsgut Dienstleistung Ausmaß der Wertschätzung in der Zielgruppe Produktart <?page no="421"?> Produktpolitik 399 2.1.4.1.2 Wert der Marke In der zunehmend unüberschaubaren Warenflut bei gleichzeitiger Angleichung der wahrgenommenen Qualität von Produkten auf vielen M ärkten spielen M arken (Brands) eine immer wichtigere Rolle. Es ist daher nicht verwunderlich, dass zunehmende Bemühungen auf dem Gebiet der M arkenforschung zu beobachten sind. Zentraler Gegenstand der Forschungsaktivitäten ist dabei insbesondere der Markenwert (Brand Equity). Eine Vielzahl von Publikationen befasst sich inzwischen mit der Problematik der Bestimmung und Steuerung von Brand Equity bzw. des M arkenwerts. Dabei besteht keine einheitliche Auffassung darüber, was überhaupt unter Brand Equity zu verstehen ist (vgl. z.B. Sander 1994a, S. 43 ff.; Bekmeier-Feuerhahn 1998, S. 30 ff.). Unstrittig ist allerdings, dass Brand Equity in den Köpfen der Konsumenten entsteht. Die Wahrnehmung einer M arke und die markenspezifischen Wissensstrukturen, welche Konsumenten über eine M arke besitzen, determinieren die M arkenpräferenz und können daher als Wert einer Marke für den bzw. die Konsumenten verstanden werden. Diese Sichtweise entspricht der konsumentenorientierten Perspektive des Brand Equity. In der einschlägigen Literatur gelten als wesentliche Determinanten eines solchermaßen definierten M arkenwerts (vgl. Aaker/ Moorman 2017, S. 162 ff.) die Bekanntheit der M arke, die wahrgenommene Qualität, die letztendlich als Image einer M arke aufzufassen ist, die Assoziationen, die man mit der M arke verbindet, die M arkentreue sowie weitere M arkenvorzüge wie z.B. Patente und M arkenrechte. Aus der Perspektive des Anbieters hingegen ist eher eine finanzorientierte Sichtweise angebracht, welche investitionstheoretisch begründet werden kann. In diesem Sinne kann der Wert einer M arke als Summe der auf den gegenwärtigen Zeitpunkt abdiskontierten Zusatzgewinne, welche auf die M arke zurückzuführen sind, bezeichnet werden (vgl. Kaas 1990, S. 48; Farquhar 1989, S. 24 f.). Ob eher eine konsumentenorientierte Perspektive oder eine anbieter bzw. finanzorientierte Sichtweise einzuschlagen ist, hängt insbesondere vom Zweck der M arkenbewertung ab. Typische Zwecke zur Bestimmung von Markenwerten sind die Bewertung von M arken im Rahmen von Unternehmenstransaktionen (Käufe bzw. Verkäufe von markenführenden Unternehmen), die Bewertung von M arken als Instrument zur M arkenführung und -kontrolle, die M arkenwertbestimmung zur Bilanzierung von M arken, die Bewertung von M arken zur Schadensmessung im Falle ihrer missbräuchlichen Nutzung (M arkenpiraterie) sowie die M arkenbewertung zur Feststellung der Höhe von Lizenzgebühren (zu den Zwecken der M arkenbewertung vgl. i.E. Sander 1994a, S. 48 ff.). Zur Darlegung der Bedeutung des Brand Equity kann ein Blick darauf geworfen werden, welchen Anteil der Wert von M arken am gesamten Unternehmenswert erreichen kann. Wie Abb. 3.71 zeigt, repräsentieren M arken im Durchschnitt über die Hälfte des Unternehmensvermögens. Besonders ausgeprägt ist der M arkenwert bei Unternehmen der Konsumgüterbranche - insbesondere bei den Anbietern von kurzlebigen Konsumgütern als „klassische“ M arkenartikelhersteller. Bei Unternehmen der Investitionsbzw. Industriegüterbranche hingegen spielt der M arkenwert eine geringere Rolle. Ausgedrückt in konkreten Zahlen können sich hinter dem Begriff „Brand <?page no="422"?> 400 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Equity“ M illionen- oder sogar M illiardenwerte verbergen. Abb. 3.72 zeigt, dass die erfolgreichsten M arken zweibis dreistellige M rd. US-$-Werte erzielen können. M ittlerweile existiert eine Vielzahl von M ethoden zur Ermittlung des Brand Equity (vgl. z.B. den Überblick bei Salinas 2009). Diese M odelle können in Praktikerverfahren einerseits sowie theoriegeleitete M odelle andererseits eingeteilt werden. Weiten Eingang in die M arkenwertdiskussion hat bei den Praktikerverfahren insbesondere das Interbrand-Modell gefunden, welches bereits 1988 vorgestellt wurde und inzwischen in einer neueren Version vorliegt (vgl. Interbrand Zintzmeyer & Lux 2005). Der M arkenwert wird dabei definiert als der gegenwärtige Wert (Net Present Value) der zukünftigen Erträge, die der Eigentümer allein aus der M arke erwirtschaftet. Insgesamt umfasst das M odell fünf Analyseschritte: die Segmentierung, die Finanzanalyse, die Nachfrageanalyse, die M arkenstärkeanalyse und die Berechnung des M arkenwertes. Abb. 3.73 zeigt das M odell im Überblick auf. Quelle: Wagner 2002, S. 33 Abb. 3.71: Bedeutung des Brand Equity als Anteil am Unternehmenswert Anteil des Markenwertes am Unternehmenswert in % 62 % 0 10 50 40 30 20 60 Durchschnitt 56 % Dienstleistungen Langlebige Konsumgüter Kurzlebige Konsumgüter 53 % 43 % 18 % 40 % Industriegüter Sonstige Im Rahmen der Segmentierung wird die Bedeutung der M arke in unterschiedlichen Kundensegmenten und geographischen Gebieten ermittelt. Im B2B -Bereich kann eine M arke beispielsweise recht unbedeutend sein, während sie im Privatkundengeschäft (B2C) z.B. wegen einer hohen emotionalen Aufladung oder eines hohen Vertrauens der Konsumenten in eine M arke sehr bedeutend sein kann. Gleiches gilt für die Bedeutung einer M arke in unterschiedlichen Ländern z.B. aufgrund eines unterschiedlich hohen Bekanntheitsgrades oder eines variierenden Wettbewerbsumfeldes. Der Gesamtwert der M arke ergibt sich aus der Summe der Werte, die die M arke <?page no="423"?> Produktpolitik 401 2022 Rang Marke 2022 Wert (Mrd. US-$) Änderung zu 2021 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Apple Microsoft Amazon Google Samsung Toyota Coca Cola Mercedes-Benz Disney Nike McDonald’s Tesla BMW Louis Vuitton Cisco Instagram Facebook IBM Intel SAP 482,215 278,288 274,819 251,751 87,689 59,757 57,535 56,103 50,325 50,289 48,647 48,002 46,331 44,508 41,298 36,516 34,538 34,242 32,916 31,497 +18% +32% +10% +28% +17% +10% 0% +10% +14% +18% +6% +32% +11% +21% +14% +14% -5% +3% -8% +5% Quelle: Interbrand 2022 Abb. 3.72: M arkenwerte der erfolgreichsten Marken 2022 (nach Interbrand) in den einzelnen Segmenten erreicht. Für die genaue Wertermittlung einer M arke ist diese segmentspezifische Betrachtung unerlässlich. Bei der Finanzanalyse wird der Economic Value Added (EVA) ermittelt. Hier erfolgt eine ausschließlich zukunftsorientierte Betrachtung. Für die kommenden fünf Jahre werden dabei die M arkenerträge für jedes im ersten Schritt ermittelte Segment errechnet. Konkret werden hier zunächst diejenigen Umsätze aus der Gewinn- und Verlustrechnung herausgerechnet, die nicht auf den Verkauf der mit der M arke versehenen Produkte zurückzuführen sind. Anschließend werden die operativen Kosten abgezogen und das Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Earnings Before Interest and Taxes - EBIT) bestimmt. Im letzten Schritt werden schließlich die Steuern sowie die Kapitalkosten in Abzug gebracht. Als Ergebnis resultiert der unter der M arke erwirtschaftete ökonomische Gewinn (EVA). Im Rahmen der Nachfrageanalyse (Role of Brand - RBI) wird analysiert, in welchem Ausmaß das Nachfrageverhalten der Kunden auf die M arke zurückgeführt werden kann, da auch andere Bestandteile den EVA beeinflussen (Rechte, Lizenzen, Know-how usw.). Hierzu werden erstens Nachfragefaktoren und -motivatoren der Kunden ermittelt, zweitens nach ihrer Bedeutung im Nachfrageverhalten gewichtet, und drittens wird der Einfluss der M arke auf jeden einzelnen <?page no="424"?> 402 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Nachfragefaktor bestimmt. Abschließend wird der Gesamteinfluss der M arke an der Nachfrageentscheidung aggregiert und als Prozentsatz ausgedrückt (Role of Brand Index - RBI). Dieser Prozentsatz wird mit dem EVA multipliziert und ergibt so die (zukünftigen) M arkenerträge. Gegenstand der Markenstärkeanalyse ist die Ermittlung des Brand Strength Score (BSS). Auf insgesamt sieben Faktoren, welche in Abb. 3.74 wiedergegeben sind, wird die Stärke der M arke bestimmt. Dieser BSS stellt einen Wert dar, welcher angibt, in welchem Umfang eine M arke in der Lage ist, auch zukünftig M arkenerträge zu generieren. Er bildet somit das Ertragsrisiko einer M arke ab. Der BSS wird anschließend in einen Wert für das M arkenrisiko überführt. Je stärker eine M arke, desto geringer ist ihr M arkenrisiko. Hier legt Interbrand eine s-förmige Funktion zugrunde (vgl. Abb. 3.75). Eine durchschnittliche M arke mit einem BSS von 50 erhält somit den (durchschnittlichen) Industriebzw. Branchenzinssatz. Finanzanalyse Economic Value Added (EVA) zukünftige Markenerträge Segmentierung der Marke Quelle: Interbrand Zintzmeyer & Lux 2005, S. 5 Abb. 3.73: Das Interbrand-Modell im Überblick Nachfrageanalyse Role of Brand (RBI) Markenstärkeanalyse Brand Strength Score (BSS) Gegenwartswert der zukünftigen Marken(segment)erträge Markenrisiko (Diskontrate) Im letzten Schritt erfolgt schließlich die konkrete Berechnung des Markenwertes. Unter Heranziehung der vorangegangenen Schritte wird hier der finanzielle Wert der M arke für jedes Segment errechnet. Zur besseren Einschätzung werden hierfür auch die vergangenen zwei Jahre abgebildet, obwohl diese die M arkenbewertung nicht beeinflussen. Abb. 3.76 zeigt ein Beispiel für die Berechnung des konkreten Segmentwertes einer M arke. Dieser ergibt sich aus der Summe der diskontierten Barwerte der nächsten fünf (Prognose)-Jahre sowie dem Residualwert der M arke, welcher sich aus der Überlegung ableitet, dass die M arke auch über den Prognosezeitraum hinaus weiterhin existiert. Die Wachstumsrate des Residualwertes entspricht dabei dem prognostizierten <?page no="425"?> Produktpolitik 403 Quelle: Interbrand Zintzmeyer & Lux 2005, S. 10 Abb. 3.74: Die Attribute der Markenstärke und ihre Gewichtung Attribute Markenstärke Sub-Attribute Markenstärke Einfluss = 2,5% Markt Markenstabilität Markenführerschaft Markentrend Markenunterstützung Markendiversifikation Markendiversifikation Marktwachstum (Menge/ Wert) Kundenbindung Marktanteil (Menge) Prognose Marktanteile (Menge) Differenzierung des Markenbildes Geografische Diversifikation Interne Überwachung (Registrierung) Volatilität und Entwicklungsstadium Kaufbereitschaft Marktanteil (Wert) Prognose Marktanteile (Wert) Kontinuität und Homogenität der Erlebniskette Angebotsspez. Diversifikation Externe Überwachung (Erweiterung) Eintrittsbarrieren und spez. Risiken Historische Marktanteilsstabilität Bekanntheit (gestützt) Einfluss strategischer Maßnahmen Aktualität und Klarheit des Markenbildes Vertriebsspez. Diversifikation Marktgröße Historische Preisstabilität Bekanntheit (ungestützt) Prognose Marketing- Maßnahmen Share of Voice (ATL & BTL) Potenzial der Internationalisierung Befürworter Zufriedenheit Potenzial der Markenspreizung Supply-Chain- Risiko Vertriebsführerschaft Potenzial der Vertriebsausweitung Innovationsführerschaft Grenzüberschreitende Bekanntheit Imageführerschaft/ Sympathie Demografische/ einkommenspez. Diversifizierung Qualitätsfühererschaft Mitbesitzer und Nutzer Preispremium/ Preisführerschaft Bindung mit Beziehungsgruppen max. 10% max. 15% max. 25% max. 10% max. 10% max. 25% max. 100% max. 5% Ergebnis Markenstärke Markenstärke total <?page no="426"?> 404 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Quelle: In Anlehnung an Interbrand Zintzmeyer & Lux 2005, S. 11 Abb. 3.75: Der Zusammenhang zwischen Markenstärke und Markenrisiko Risikoloser Zins Markenrisiko Diskontrate (Zinssatz) Industrie-/ Branchenzinssatz Markenstärke (BBS) 60 0 20 40 80 100 Market Market Quelle: In Anlehnung an Interbrand Zintzmeyer & Lux 2005, S. 12 Abb. 3.76: Vereinfachtes Beispiel für die Berechnung des Markenwertes Jahr 2016 2017 2018* 2019* 2020* 2021* 2022* Markenumsatz 440 480 500 520 550 580 620 Abzüge betriebsnotwendiger Kosten (374) (408) (425) (442) (468) (493) (527) EBIT 66 72 75 78 82 87 93 Steuerabzüge 33% (222) (24) (25) (26) (27) (29) (31) NOPAT (Net Opverative Profit After Tax) 44 48 50 52 55 58 62 Operatives Vermögen 220 240 250 260 275 290 310 Abzüge Kapitalkosten 5% (11) (12) (13) (13) (14) (15) (16) Economic Value Added (EVA) 33 36 37 39 41 43 46 Role of Brand Index 40% (Markenträge) 13 14 15 16 16 17 18 Diskontierrate 8% Diskontierfaktor 1,0 1,08 1,17 1,28 1,4 1,55 Diskontierte Markenerträge 14 14 13 12 12 Barwerte bis zum Jahr 2022 65 Residualwert (Wachstum = 2%) 204 Gegenwartswert des Markensegmentes 269,0 * : Prognosewert <?page no="427"?> Produktpolitik 405 M arktwachstum. Der Gesamtwert der M arke ergibt sich schließlich aus der Aggregation sämtlicher Segmentwerte der M arke. Bei einer kritischen Würdigung des Interbrand-Ansatzes ist positiv darauf hinzuweisen, dass eine M arke umfassend abgebildet und analysiert wird. Diese ganzheitliche Analyse macht die Stärken und Schwächen einer M arke transparent. Allerdings sind mit diesem Ansatz sämtliche Schwächen eines Scoring-M odells verbunden, auf welchem die Ermittlung des BSS basiert (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.1.3.1.4 in diesem Teil). Zudem ist auf die Problematik der Unsicherheit bzw. Fehleinschätzungen hinzuweisen, die mit dieser Bewertungsmethode einhergeht, da sie wesentlich auf Prognosen abstellt. Zu den theoriegeleiteten M odellen der M arkenbewertung gehört u.a. das Modell von Sander (1994a). Dieses M odell basiert auf der sog. hedonischen Theorie. Grundgedanke der hedonischen Theorie ist es, Produktpreise durch Produkteigenschaften bzw. deren Ausprägungen zu erklären (zur hedonischen Theorie vgl. Rosen 1974). Die Produktpreise werden also in einen funktionalen Zusammenhang mit den Produkteigenschaften bzw. deren Ausprägungen gebracht. M ittels dieser sog. hedonischen Preisfunktionen, welche durch multivariate statistische Datenanalyseverfahren - in der Regel mittels multipler Regressionsanalysen - bestimmt werden, ist es möglich, den Wert einzelner Produkteigenschaften zu errechnen. Damit kann auch der Wert der Produkteigenschaft „M arke“ bestimmt und vom Wert der übrigen Produkteigenschaften eine s Produktes separiert werden; durch einen einfache Differenzbetrachtung wird einmal der Preis des Produkts mit der M arke und einmal ohne die M arke geschätzt (vgl. Abb. 3.77). Der sich ergebende Differenzwert Geldeinheiten Wert der Marke Wert der übrigen Produkteigenschaften Preis des Markenprodukts (pro Stück) Abb. 3.77: Der Wert der Marke als Teil des Produktpreises im hedonischen Modell von Sander <?page no="428"?> 406 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes entspricht dem M arkenwert - zunächst pro Produkteinheit. M ultipliziert man diesen Wert mit der Zahl der mit der M arke versehenen und abgesetzten Produkteinheiten, so ergibt sich der markenspezifische Erlös bzw. Umsatz. Subtrahiert man hiervon die markenspezifischen Kosten (z.B. für M arkenschutz, Werbung, Etikettierung bzw. M arkenzeichenproduktion, M arkenzeichen- und M arkennamensentwicklung), so erhält man den markenspezifischen Gewinn, welcher auf den immateriellen Vermögensgegenstand „M arke“ zurückzuführen ist. Dieser Wert stellt den M arkenwert dar. Je nach Bewertungszweck sind zusätzlich mehrperiodige Vergangenheitsbetrachtungen (z.B. bei der M arkenwertermittlung zur Bemessung des Schadenersatzes bei Markenpiraterie) oder Zukunftsbetrachtungen (z.B. bei der M arkenwertermittlung im Rahmen von Unternehmenskäufen bzw. -verkäufen) anzustellen. Hierzu werden im Rahmen von Kapitalwertmodellen entsprechende Aufbzw. Abzinsungen der periodenspezifischen M arkengewinne auf den Ausgangszeitpunkt vorgenommen (vgl. i.E. Sander 1994a, S. 120 ff.). Das M odell von Sander kann daher für sämtliche Zwecke der M a rkenbewertung herangezogen werden. Hervorzuheben ist bei diesem Ansatz die theoretisch fundierte Vorgehensweise, die nahezu jede subjektive Beeinflussungsmöglichkeiten ausschließt. Allerdings ist die Berechnung der hedonischen Preisfunktionen im Regelfall nicht unaufwendig. Zudem müssen für die M arkenwertermittlung sämtliche Produktpreise und relevante Produkteigenschaften bzw. deren Ausprägungen für den betreffenden Produktmarkt, auf welchem die zu bewertende Produktmarke agiert, vorliegen bzw. erhoben werden. 2.1.4.1.3 Markierungsstrategien Hinsichtlich der M arkierungstrategien kann zwischen statischen und dynamischen Strategien unterschieden werden. Während statische Strategien die bestehenden Beziehungen zwischen M arken und den unter ihnen angebotenen Leistungen charakterisieren, stellen dynamische Strategien auf die Veränderung der Beziehung zwischen M arke und Leistung ab. Bei den statischen Strategien ist zwischen der Einzelmarkenstrategie, M ehrmarkenstrategie, M arkenfamilienstrategie sowie Dachmarkenstrategie zu unterscheiden (vgl. Sander 1994a, S. 27 ff.). Bei der Einzelmarke (synonym: Individualmarke, Produktmarke, M onomarke) wird unter einer M arke nur ein einzelnes Produkt angeboten. Mehrmarken (synonym: M ultimarke) liegen vor, wenn ein Anbieter mehrere M arken in demselben Produktbereich führt. Die M arken sind dabei im Regelfall aufgrund eines unterschiedlichen Preises, differenzierter Produkteigenschaften und eines eigenständigen kommunikativen Auftrittes unterschiedlich positioniert. Werden hingegen mehrere Produkte eines Anbieters unter einer M arke zusammengefasst, so liegt eine Markenfamilie (synonym: Produktgruppenmarke, Rangemarke) vor. Eine M ehrzahl von Produkten, welche gleiche Bedürfnisse befriedigen oder die gleiche Substanz aufweisen, werden hier mit einem einheitlichen (Familien) Namen gekennzeichnet. Dachmarken (synonym: Company-M arken, Unternehmensmarken) schließlich fassen sämtliche Produkte eines Unternehmens unter einer M arke zusammen. Damit kann ein Anbieter zwar mehrere M arkenfamilien parallel führen, jedoch ex definitione nur eine Dachmarke besitzen. Abb. 3.78 fasst die mit den einzelnen M arkenstrategien verbundenen Chancen und Risiken zusammen und zeigt zugehörige Beispiele auf. <?page no="429"?> Produktpolitik 407 Einzelmarkenstrategie Strategietyp Aspekt Mehrmarkenstrategie Markenfamilienstrategie Dachmarkenstrategie Merkmal Führung eines jeden Produktes unter einer Marke In jedem Produktbereich parallele Führung von mindestens zwei auf den Gesamtmarkt ausgerichteten Marken Führung mehrerer Produkte unter einer Marke, unter Umständen mehrerer Markenfamilien parallel untereinander Führung aller Produkte des Unternehmens unter einer Marke Chancen Gezielte Ansprache einzelner Kundensegmente Spezifische Markendifferenzierung durch optimale Abstimmung von Bedürfnisprofilen und Problemlösungsprofilen Aufbau eines unverwechselbaren Produktimages Kaum Gefahr negativer Ausstrahlungseffekte auf andere Marken Geringerer Koordinationsbedarf bei den unterschiedlichen Marken Realisation von Marktanteils- und Kostendegressionseffekten Bessere Marktausschöpfung Halten von potentiellen Markenwechslern durch Produktdifferenzierung Erhöhte Markteintrittsbarrieren für Konkurrenzmarken dank breiterer Regalflächenabdeckung Schutz der übrigen Produkte vor Preiskampf durch Einführung von "Kampfmarken" Ansprache neuer Zielgruppen durch Markterweiterung Verringerung des Floprisikos Schnellere Akzeptanz im Handel und bei den Konsumenten Übertragung des "Goodwill" auf Folgeprodukte Verjüngung des Images der Muttermarke Gegenseitige Stärkung der Marken und bessere Positionsabsicherung Relativ geringe Kosten der Markenbildung bei Nutzung von Synergien Ansprache neuer Zielgruppen durch Marktausweitung Verringerung des Floprisikos Schnellere Akzeptanz im Handel und bei den Konsumenten Aktualisierung des Firmenimage Gemeinsame Übernahme des Profilierungsaufwands Risiken Zurechnung der Markenkosten allein auf ein Produkt Ungenügende Amortisation der aufgewendeten Kosten bei kurzer Lebensdauer der Einzelmarke Trend des Markennamens zur Bezeichnung der Produktgattung und Verlust der differenzierenden Markenpersönlichkeit Fehlende Stützung der Produktmarke durch angrenzende Marken Suboptimale Verwendung der finanziellen und personellen Unternehmensressourcen Gefahr der Übersegmentierung Kannibalisierung der eigenen Monomarke durch gegenseitige Substitution der Marktanteile Negative Ausstrahlungseffekte unter den Produkten der Markenfamilie bei unterschiedlichen Marketing-Mix- Strategien, Qualitätsniveaus, Images und fehlender Affinität Höherer Abstimmungsbedarf zwischen den Einzelmarken der Markenfamilie Gefahr von Substitutionsbeziehungen Deprofilierung der Dachmarke durch ungenügende Markenkompetenz Negative Ausstrahlungseffekte unter den Produkten der Dachmarke bei unterschiedlichen Marketing-Mix- Strategien, Qualitätsniveaus, Images und fehlender Affinität Höherer Koordinationsbedarf innerhalb der Dachmarke Gefahr von Substitutionsbeziehungen Zentrale Anforderungen Möglichkeit des Aufbaus einer eigenständigen Markenpersönlichkeit Existenz von Finanzkraft und Management-Know-how in ausreichendem Maße. Glaubwürdige Markendifferenzierung Sicherstellung von ähnlichen Marketing-Mix-Strategien, konstanter Qualität und Affinität der Produkte Einhaltung des Kompetenzanspruches für alle Produkte der Dachmarke Beispiele Nutella, Ariel, Duplo Volkswagen: VW, Seat, Skoda im Kompaktwagenbereich Unilever: Rama, Flora Soft, SB, Sanella, Du darfst, Becel Bild: Bild, Bild am Sonntag, Bild der Frau, Auto Bild, Computer Bild Porsche, IBM, Siemens, Allianz Quelle: In Anlehnung an Meffert 2000, S. 860 u. 866 Abb. 3.78: Markierungsstrategien im Vergleich <?page no="430"?> 408 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Bei den dynamischen Strategien kann zwischen dem M arkentransfer, der M arkenrestrukturierung, der Neumarke, der M arkenportfoliobereinigung sowie dem M arkenwechsel differenziert werden. Unter einem Markentransfer kann generell die Nutzung einer existierenden M arke für ein neues Produkt bzw. Leistungsbereich verstanden werden (vgl. zum M arkentransfer insbes. Hätty 1989). M arkentransferstrategien finden sich insbesondere auf stagnierenden M ärkten mit einem hohen Floprisiko für neue M arken. Ziel des M arkentransfers ist es, positive Imagekomponenten der Stammmarke auf das neue Transferprodukt zu übertragen. Der Markentransfer kann dabei im Rahmen der Lizenzierung der M arke erfolgen, d.h. ein weiteres Unternehmen kümmert sich um die Produktion (und Vermarktung) der in Lizenz hergestellten Produkte. Das lizenzgebende Unternehmen (M arkeninhaber) erhält in diesem Fall eine Lizenzgebühr vom lizenznehmenden Unternehmen für das Recht, die M arke benutzen zu dürfen. Bekannte Beispiele für M arkentransfers sind u.a. M ars (Schokoriegel Eiscreme), M övenpick (Catering, Hotels Kaffee (Darboven), Eis (Schöller), Konfitüre (Schwartau)), Davidoff (Zigarren After Shave, Zigaretten), Camel (Zigaretten Outdoor-Kleidung, Schuhe (Salamander), Uhren), Adidas (Sportartikel Parfüm, Duschgel), Joop (Kleidung Parfüm), Boss (Kleidung After Shave, Brillen, Schuhe). Wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen M arkentransfer ist ein hoher „Fit“ zwischen Stammmarke und dem Transferprodukt. Dieser „Fit“ kann sich ergeben aus (vgl. auch Baumgarth 2014, S. 243) gemeinsamen Produkteigenschaften, einem gemeinsamen bzw. sehr ähnlichen Image, übereinstimmenden Nutzungssituationen, ähnlichen Nutzern, identischen bzw. sehr ähnlichen Erlebniswelten und Lebensstilen. Abb. 3.79 zeigt zusammenfassend wesentliche Vor- und Nachteile einer M arkentransferstrategie auf. Wird eine M arke in zu viele Produktbereiche transferiert, so besteht die Gefahr, dass die Stammmarke an Konturen verliert und ihr M arkenimage verwässert wird. In diesem Fall bietet sich eine Markenrestrukturierung an, indem (neue) Einzelmarken oder M arkenfamilien gebildet werden und die Stammmarke wieder auf ihren ursprünglichen Produktbereich reduziert wird. Ein diesbezügliches Beispiel bietet die M arke Melitta, welche im Rahmen eines Transfers auf immer mehr Leistungen wie Kaffee, Kaffeefilter und -automaten, Staubsauger- und M üllbeutel, Lebensmittelfolien <?page no="431"?> Produktpolitik 409 und Backpapier usw. ausgedehnt wurde, welche z.T. inkompatibel sind (z.B. M üllbeutel und Kaffee). Das Ergebnis der Restrukturierung und die dabei entstandenen neuen Einzelmarken und M arkenfamilien zeigt Abb. 3.80. Eine weitere dynamische Strategie, welche zu einer Veränderung der von einem Unternehmen angebotenen Leistungen und zugehörigen M arken führt, ist die Einführung von Neumarken. Die Einführung von Neumarken stellt dabei eine Alternative zum M arkentransfer da r. Statt einer etablierten (Stamm-)M arke wird hier also auf eine völlig neu entwickelte M arke zurückgegriffen. Wesentlicher Vorteil dieser Strategie ist die M öglichkeit der absolut eigenständigen Positionierung dieser neuen M arke. Diesem Vorteil steht allerdings der Nachteil eines deutlich höheren Zeit- und Kostenaufwands zur Etablierung der Neumarke gegenüber; die Vor - und Nachteile zur M arkentransferstrategie drehen sich dementsprechend um (vgl. Abb. 3.79). Im Rahmen von Markenportfoliobereinigungen wird die Anzahl der unter einer M arke geführten Produkte oder die Anzahl der M arken im Markenportfolio des Anbieters selbst reduziert. Die Reduktion der Anzahl der unter einer M arke geführten Produkte ist dann sinnvoll, wenn die Produkte keinen Beitrag zur Erfüllung der M arketing- oder Unternehmensziele leisten; sie sind dann zu eliminieren (vgl. Abschnitt 2.1.3.4 in diesem Teil). U.U. ging der Eliminierung ein (misslungener) M arkentransfer voraus. Komplette M arken hingegen werden häufig als Folge von Unternehmensaufkäufen eliminiert. Überschneiden sich die M arken des übernommenen Unternehmens mit den eigenen M arken zu stark und erscheint keine M ehrmarkenstrategie opportun, so werden die Produkte unter nur einer M arke (statt zwei) zusammengefasst (z.B. Elimination des Namens Nixdorf (Computer) nach der Übernahme durch Siemens). Hierbei kann es auch zu Sortimentskürzungen kommen, indem auch einzelne Produkte des übernommenen Unternehmens eliminiert bzw. nicht mehr angeboten werden. Vorteile Nachteile Leistungsinnovation ist sofort Marke, Reduzierung der Markenbildungskosten, Senkung der Markteintrittsbarrieren ("Regalplatz im Handel"), Gewinnung neuer Zielgruppen, etablierte Marke ermutigt Abnehmer zum Erstkauf, Reduzierung des Floprisikos, Vertrauen der Abnehmer, positive Rückwirkungen auf die Muttermarke. Verwässerung des Markenimages, Kannibalisierungseffekte, geringer Handlungsspielraum, negative Badwilleffekte (z.B. negative Erfahrungen mit der Leistungsinnovation, Markenerpressung), häufig spätere Einführung der Leistungsinnovation im Vergleich zur Neumarkenpolitik. Quelle: Baumgarth 2014, S. 243 Abb. 3.79: Vor- und Nachteile der Markentransferstrategie <?page no="432"?> 410 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Schließlich ergeben sich Änderungen im M arkenportfolio eines Anbieters durch einen Markenwechsel. Konkret werden hier bestehende Produkte mit einem neuen Markennamen (und häufig auch M arkenzeichen) versehen. Gründe für einen M arkenwechsel liegen in rechtlichen Zwängen, internationalen Standardisierungsbemühungen, M arkenportfoliobereinigungen, Umpositionierungen und Unternehmensaufkäufen. Beispiele für M arkenwechsel sind u.a. (vgl. Baumgarth 2014, S. 257 f.) Texaco DEA (rechtliche Gründe), Raider Twix (internationale Standardisierung), Frosti Dr. Oetker Tiefkühl (mangelnder Erfolg von Frosti), Premiere Sky (Umpositionierung und internationale Standardisierung). Der M arkenwechsel selbst kann dabei schlagartig oder schrittweise erfolgen (vgl. Abb. 3.81). Erklärungsbedürftig ist dabei die schrittweise Überführung. Bei der Überblendtechnik erscheint die neue M arke zusammen mit der alten Marke, wobei die Dominanz zunächst (noch) auf der alten Marke liegt. Im Zeitablauf erfolgt eine Vergrößerung der neuen M arke bei gleichzeitiger Verkleinerung der alten M arke. Diese Strategie wählte z.B. Raider, wobei der M arkenwechsel gleichzeitig von einer adäquaten Kommunikationspolitik begleitet wurde („Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix.“). Das Zwei-Ebenen-M odell setzt eine M arkenhierarchie voraus (z.B. Familienmarke und Einzelmarke). Verändert wird beim M arkenwechsel nur eine Ebene. Diese Vorgehensweise wurde z.B. beim Wechsel der M arke „Kukident 2-Phasen“ auf „Blend-A-Dent 2-Phasen“ eingeschlagen. Offensichtlich ist, dass bei der schrittweisen Überführung M arkenbestandteile (z.B. M arkenimage, M arkenpositionierung) von der alten auf die neue M arke übertragen werden können. Ist dies nicht Aufspaltung der Melitta-Aktivitäten in strategische Geschäfts - und Markenfelder Kaffee, Filterpapier, Kaffeeautomaten, Kaffeefilter Lebensmittelfolien zum Frischhalten, Einfrieren, Backen und Braten Staubsaugerbeutel, Müllbeutel, Dunstfilter Luftreiniger, Luftbefeuchter Teefilter, Teefilter- System MELITTA TOPPITS SWIRL ACLIMAT CILIA Kaffee- Genuß Frische u. Geschmack Praktische Sauberkeit Bessere Wohnumwelt Tee- Genuß Quelle: Körfer-Schün 1988, S. 164 Abb. 3.80: Restrukturierung der Marke Melitta <?page no="433"?> Produktpolitik 411 erwünscht, empfiehlt sich der schlagartige Austausch der M arke, welcher im Regelfall auch mit weniger Aufwand verbunden ist, da der M arkenwechsel sich auf einen Zeitpunkt (und nicht einen Zeitraum wie bei der schrittweisen Überführung) konzentriert. Betrachtet man die M arkierungsstrategien statt wie bisher im horizontalen Wettbewerb nun im vertikalen Wettbewerb, so konkurrieren nicht nur Herstellermarken um die Gunst des Kunden, sondern auch die Handelsmarken. Handelsmarken sind Eigentum von Handelsunternehmen; somit entscheidet der Handel über sämtliche M arketing-Strategien und M arketing-M aßnahmen gegenüber diesen M arken. Grundsätzlich kann dabei zwischen Gattungsmarken (No Names), klassischen Handelsmarken und Premium-Handelsmarken unterschieden werden. Während Gattungsmarken im untersten Preissegment angesiedelt sind und sich durch eine schlichte Aufmachung auszeichnen, versuchen Premium-Handelsmarken qualitativ mit Herstellermarken bzw. M arkenartikeln gleichzuziehen oder sie sogar zu übertreffen. Dazwischen liegen die klassischen Handelsmarken, welche insbesondere bei breiten, häufig gekauften Warenkategorien anzutreffen sind. Abb. 3.82 charakterisiert die Gattungsmarken, klassischen Handelsmarken und Premium-Handelsmarken näher und grenzt sie gleichzeitig von Herstellermarken ab. Wechsel des Markennamens schlagartiger Austausch schrittweise Überführung abrupter Wechsel ohne Erklärung abrupter Wechsel mit Erklärung Überblendtechnik Zwei-Ebenen- Modell Quelle: Liedtke 1994, S. 805 Abb. 3.81: Realisierungsalternativen des Markenwechsels <?page no="434"?> 412 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Hersteller- Markenartikel Klassische Handelsmarke Gattungsmarke (No Names) Premium Handelsmarke Markierung Vom Hersteller Vom Handel Vom Handel Vom Handel Qualtitätsniveau In der jeweiligen Preiskategorie optimale Qualität Mittleres Anspruchsniveau Bewußt reduziertes Anspruchsniveau Hohes Anspruchsniveau Produktnutzen Grund- und Zusatznutzen Grundnutzen und eingeschränkter Zusatznutzen Nur Grundnutzen Grund- und Zusatznutzen Qualitätsgarantie für den Endverbraucher Vom Hersteller Vom Handel Vom Handel Vom Handel Preis Der Leistung angemessen, zumeist höher Mittel Niedrig Auf Markenartikelniveau Werbung Produktwerbung Preiswerbung Preiswerbung Produktwerbung Marktfunktion Innovation und Bedarfsweckung, Aufbau von Märkten, Abdeckung differenzierter Verbraucherwünsche Me-too ohne Investition in Forschung und Marktaufbau, begrenztes Produktangebot Me-too, stark eingeschränktes Produktangebot, Low-Interest- Produkte, reife Märkte Innovation und Bedarfsweckung, Abdeckung differenzierter Verbraucherwünsche, Alternative zum Hersteller-Markenartikel Distribution Breit distribuiert Nur in einzelnen Handelsunternehmen/ -gruppen Nur in einzelnen Handelsunternehmen/ -gruppen Nur in einzelnen Handelsunternehmen/ -gruppen Verkehrsgeltung/ Durchsetzung im Markt Breit Begrenzt Stark begrenzt (austauschbar) Begrenzt Beispiele Iglo (Unilever), Pampers (Procter & Gamble) REWE (Rewe) Hanseatenkaffee (Edeka) A&P (Tengelmann), Die Sparsamen (Spar), Ja (Rewe) Feine Welt (Rewe), Freihofer Gourmet (Aldi) Quelle: In Anlehnung an Meffert 2000, S. 875 Abb. 3.82: Vergleich der Markentypen im vertikalen Wettbewerb <?page no="435"?> Produktpolitik 413 22.1.4.2 V erpackungspolitik 2.1.4.2.1 Begriff und Funktionen der Verpackung Unter einer Verpackung kann die meist vollständige, nach dem Verpackungsprozess feste, relativ leicht zu beseitigende Umhüllung des Packgutes zur Erzielung verschiedener Funktionen verstanden werden (vgl. Koppelmann 2001, S. 505). Als Packgut wird dabei der Verpackungsinhalt (Füllgut oder Stückgut) bezeichnet. Eine Verpackung hat eine Vielzahl von Funktionen zu erfüllen. Hierzu gehören (vgl. Koppelmann 2001, S. 507 f.; Baumgarth 2014, S. 271): Produktionstauglichkeit, Transportier- und Lagerbarkeit, Einzelhandel-Rationalisierung und Selbstverkäuflichkeit, Gebrauchs- und Anmutungseignung, M arkierbarkeit und Wiedererkennung bzw. Differenzierung, Weiter- und Wiederverwendungseignung oder Abfallverwertung sowie Schutz. Die Produktionstauglichkeit bedingt, dass die gewünschte Form aus dem gewünschten M aterial innerhalb eines vorgegebenen Kostenrahmens hergestellt werden kann. Wichtige logistische Funktionen stellen die Transportierbarkeit und Lagerfähigkeit dar. So ist auf eine paletten- und transportmittelgerechte (z.B. für Lkw-Standardmaße) Gestaltung der Verpackung zu achten. Relevante Aspekte der Lagerfähigkeit stellen die Stapelfähigkeit und Klimafestigkeit der Verpackung dar. Selbstverkäuflichkeit und Rationalisierung sind wichtige Ansprüche des Handels an die Verpackung. Einerseits soll die Verpackung optisch ansprechend gestaltet sein und den Verkaufsprozess unterstützen, andererseits soll eine effiziente Unterbringung der verpackten Produkte im Regalsystem des Handels möglich sein, so dass hohe Umsätze pro Flächeneinheit der Regalfläche erwirtschaftet werden können. Gebrauchs- und Anmutungseignung hingegen sind wichtige Funktionen aus Sicht des Konsumenten. So soll einerseits eine einfache Bedienbarkeit (Gebrauchseignung) gegeben sein, andererseits müssen auch ästhetische Empfindungsansprüche der Verbraucher befriedigt werden (Anmutungseignung). Eine wichtige Voraussetzung aus Sicht des Herstellers ist die M arkierbarkeit der Verpackung mit seiner M arke. Gleichzeitig können die Konsumenten „ihre“ M arke aus der Flut der angebotenen Produkte wiedererkennen. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang eine auffällige und prägnante Verpackungsgestaltung (z.B. M aggi-, Odol- oder Coca-Cola-Flasche, quadratische Ritter-Sport-Schokolade) zur Differenzierung gegenüber dem Konkurrenzangebot. Nach Verbrauch des Produktes kann die Verpackung u.U. einer Weiterverwendung im Haushalt zugeführt werden (z.B. als Aufbewahrungsbehälter) oder im Rahmen eines Rücknahmebzw. Pfandsystems einer Wiederverwertung zugeführt werden. Hiervon zu unterscheiden ist die Abfallverwertung (z.B. der „grüne Punkt“ des Dualen Systems Deutschland DSD), bei welcher nicht dieselbe Verpackung nochmals verwendet wird, sondern aus den eingesammelten Abfällen neue Verpackungen im Rahmen eines Recycling-Prozesses hergestellt werden. Schließlich ist die Schutzfunktion von Bedeutung, welche das Packgut bzw. den Verpackungsinhalt vor Umwelteinflüssen (Feuchtigkeit, Stöße usw.) schützt. <?page no="436"?> 414 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Hersteller/ Abfüller Handel Verbraucher hohe Abfüllgeschwindigkeit Eignung zur Profilierung Eignung als Informationsträger kostengünstig Vermittlung intendierter Preis- und Qualitätsvorstellungen Optimale Nutzung von Regalplatz scanningfähig selbstbedienungsgerecht optimales Handling Eignung für Verkaufsförderung anspechendes Design, hohe Anmutungsqualität Sichtbarkeit des Inhalts leicht zu öffnen/ verschließen Verbrauchswirtschaftlichkeit Möglichkeit der Zweitverwendung ökologische Qualität stapelfähig palettierungsfähig raumsparend Sicherheit vor mißbräuchlicher Öffnung verbrauchergerechte Größe gewichtsgünstig bruchsicher Haltbarkeit des Inhalts Schutz des Inhalts Quelle: Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen 2002, S. 672 Abb. 3.83: Anforderungen an die Verpackung aus Sicht von Hersteller, Handel und Verbraucher Offensichtlich ist, dass eine Verpackung vielfältige Funktionen zu erfüllen hat, wobei die Anforderungen aus Sicht von Hersteller, Handel und Verbraucher z.T. unterschiedlich gelagert sind. Die konkrete Verpackungsgestaltung (vgl. auch den nachfolgenden Abschnitt 2.1.4.2.2.) ist daher eine schwierige Aufgabe. Abb. 3.83 fasst die Anforderungen von Hersteller, Handel und Konsument im Überblick zusammen. 2.1.4.2.2 Verpackungsgestaltung Im Rahmen der Verpackungsgestaltung wird versucht, die unterschiedlichen Verpackungsfunktionen bestmöglich zu erfüllen. Da im Regelfall nicht alle Verpackungsfunktionen gleichermaßen gut erfüllt werden können, sind häufig Kompromisslösungen anzustreben, welche die Ansprüche von Hersteller, Handel und Verbraucher befriedigen sollen. Konkrete Gestaltungsmittel für Verpackungen zeigt Abb. 3.84 auf. Aus dem M arketinggedanken heraus sollte dabei die adäquate Verpackungsgestaltung aus Sicht des Verbrauchers eine besondere Rolle spielen. Ein sehr geeignetes Instrument zur optimalen <?page no="437"?> Produktpolitik 415 Verpackungsgestaltung ist dabei die Conjoint Analyse (vgl. i.E. Abschnitt 3.1.4.3.6 im 2. Teil). Analog zur optimalen Produktgestaltung lässt sie sich zur Gestaltung von Verpackungen einsetzen. Dabei sind die aus Sicht der Konsumenten relevanten Verpackungsfunktionen bzw. -eigenschaften nebst zugehörigen Ausprägungen zu formulieren. Abb. 3.85 zeigt mögliche Verpackungseigenschaften und zugehörige Ausprägungen für Kondensmilch und Kaffeesahne als Ausgangspunkt für das Auffinden einer optimalen Verpackungsgestaltung mittels einer Conjoint Analyse auf. Die aufgefundene optimale Verpackungsgestaltung ist dann mit den Ansprüchen von Herstellern und Händlern abzugleichen und evtl. zu modifizieren. Zu beachten sind in jedem Falle bestimmte Rahmenbedingungen, welche sowohl rechtlicher Natur sein können (z.B. Gesetz über das M aß- und Eichwesen, Fertigverpackungsverordnung, Verordnung über die Vermeidung Gestaltungsmittel für Verpackungen einfach komplex Stoff Zeichen Farbe Form Konstruktionsprinzipien Verpackungsteile Art Konsistenz Tranzparenz Temperatur Klang Geruch u. Geschmack Konstanz Dimension Proportion Kontur Struktur Ton Helligkeit Glanz Plazierung Form Kontrast Wortzeichen Bildzeichen Öffnungssysteme Entnahmesysteme Dosierungssysteme Verschlusssysteme Verschlüsse Halterungen Polsterungen Etiketten Anhänger Gebrauchsanweisungen Gestaltungsmittel-Mix Quelle: Medeyros 1982, S. 35 Abb. 3.84: Gestaltungsmittel für Verpackungen <?page no="438"?> 416 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes von Verpackungsabfällen, Gesetz über die Kennzeichnungspflicht für Inhaltsstoffe von Lebensmitteln) als auch durch andere Bezugsgruppen (z.B. scannertaugliche EAN (Europäische Artikel Nummerierung)-Codes durch den Handel) faktisch erzwungen werden. 2.1.4.3 Ser vicepolitik 2.1.4.3.1 Begriff und Arten von Serviceleistungen Unter Servicepolitik versteht man die Gesamtheit der von einem Unternehmen angebotenen Leistungen, welche nicht Hauptleistungen (angebotene Produkte von Industrieunternehmen oder - im Falle von Dienstleistungsunternehmen - die angebotenen Dienstleistungen), sondern Nebenleistungen darstellen und den primären Zweck der Absatzförderung der Hauptleistung erfüllen (vgl. Berndt 1995a, S. 154). Derartige Serviceleistungen haben hinsichtlich ihrer Bedeutung als akquisitorisches Instrument in der Vergangenheit stark an Bedeutung gewonnen. Ursächlich hierfür ist u.a. die gestiegene Serviceorientierung der Nachfrager, der wachsende Wettbewerbsdruck auf vielen M ärkten, die zunehmende technische Komplexität von Produkten sowie Verpackungseigenschaften Bruchsicherheit der Verpackung Verpackungsgröße Möglichkeit der Zweitverwendung Transparenz der Verpackung bzw. Sichtbarkeit des Inhalts Verwertbarkeit Wiederverschließbarkeit Aufpreis der Verpackung auf den eigentlichen Produktpreis Ausprägungen ja nein 100 ml 250 ml 500 ml ja nein ja nein Recycling Wiederverwendung (Pfandsystem) keine Wiederverwendung nein ja 0,05 € 0,15 € 0,25 € Abb. 3.85: Verpackungseigenschaften und -ausprägungen für die Verpackung von Kondensmilch und Kaffeesahne <?page no="439"?> Produktpolitik 417 die M öglichkeit der Anbieter zur Differenzierung ihres Angebots gegenüber den Wettbewerbern. Verschiedene Arten von Serviceleistungen können unterschieden werden, wobei eine weitere Differenzierung danach vorgenommen werden kann, ob die Serviceleistung vor oder nach dem Kauf der Hauptleistung in Anspruch genommen wird. Abb. 3.86 zeigt Beispiele für derartig klassifizierte Serviceleistungen auf. Auf einer anderen Betrachtungsebene liegt die Einteilung in M uss-, Soll- und Kann-Serviceleistungen. Während Muss-Leistungen zwingend von Anbietern zu erbringen sind (z.B. gesetzliche Garantievereinbarungen), sind Soll-Leistungen nicht zwingend vorgeschrieben, werden vom Nachfrager gleichwohl erwartet (z.B. Lieferservice, Installation, Reparatur bzw. Wartung). Kann- Leistungen hingegen gehen über den „durchschnittlichen“ Erwartungshorizont der Nachfrager hinaus und dienen insbesondere der Profilierung des Anbieters gegenüber der Konkurrenz. Hierzu gehören z.B. Ersatzwagen von Autohändlern, während das eigene Fahrzeug gewartet wird, eine 24-Stunden-365-Tage-Hotline im Falle von Problemen mit dem Hauptprodukt, eine 30 -jährige Durchrostungsgarantie bei Autos unter der Bedingung regelmäßiger Wartung usw. Dabei ist allerdings eine allgemeingültige Abgrenzung zwischen M uss-, Soll- und Kann-Leistungen nicht Vor dem Kauf Nach dem Kauf, Kundendienst im engeren Sinne Technische Beratung Projektausarbeitung Lieferung zur Probe Montage Ersatzteilversorgung Wartung Reparaturdienst Kinderhort Bestelldienst Beratung und Information Problemdefinition Problemanalyse Problemausschreibung Umtauschrecht Lieferung Installation Schulungskurse Anlagenverwaltung (z.B. Gebäudemanagement durch eine Baufirma) Kundenunterstützung Zeitpunkt Art Technisch (Hardware) Kaufmännisch (Software) Problemlösungsbezogen (Solutionware) Quelle: Meffert 2000, S. 944 Abb. 3.86: Arten von Serviceleistungen 1 6 5 4 2 3 <?page no="440"?> 418 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes einfach; vielmehr ist diese Abgrenzung produktmarktspezifisch vorzunehmen. Auch kann eine eindeutige Kategorisierung einer bestimmen Serviceleistung als M uss-, Soll- oder Kann-Leistung schwierig sein. Generell gilt dabei, dass M uss-Leistungen aus Sicht der Nachfrager kostenlos sein sollen bzw. im Preis für die Hauptleistung mit einkalkuliert sind. Für Soll- und insbesondere für Kann-Leistungen ist im Regelfall ein Entgelt zu entrichten. K F Erlöse E Kosten K K(S) E(S) S u S + S o Serviceniveau S G max mit: S u , S o = Gewinnschwellen K(S) = Servicekosten in Abhängigkeit vom Serviceniveau E(S) = Serviceerlöse in Abhängigkeit vom Serviceniveau K F = Fixkosten der Serviceleistungen Quelle: In Anlehnung an Hammann 1982, S. 166 Abb. 3.87: Marginalanalytische Optimierung des Serviceniveaus <?page no="441"?> Produktpolitik 419 2.1.4.3.2 Optimierung des Serviceniveaus Das Anbieten von Serviceleistungen verursacht Kosten für den Anbieter. Werden diese Serviceleistungen den Kunden in Rechnung gestellt, so entstehen zusätzliche Erlöse. Damit stellt die Bestimmung eines angemessenen Serviceniveaus ein Optimierungsproblem dar. Abb. 3.87 zeigt diesen Sachverhalt auf. Das optimale Serviceniveau S + ergibt sich an der Stelle, an welcher der Abstand zwischen Erlös- und Kostenfunktion maximal ist bzw. Grenzerlös und Grenzkosten beim jeweiligen Serviceniveau übereinstimmen. Die Analyse ist zu modifizieren, sofern zusätzliche Absatzeffekte von der Serviceleistung für das Hauptprodukt ausgehen, d.h. der Absatz des Hauptprodukts durch die Serviceleistung(en) gefördert wird. In welchem Ausmaß die Hauptleistung durch die Serviceleistung tatsächlich gefördert wird, wird jedoch nur schwierig bestimmt werden können. Zudem wird in Abb. 3.87 eine hoch aggregierte Betrachtung angeführt. Im Rahmen eines Service-M ix ist zu bestimmen, wie das Serviceniveau genau definiert werden soll (welche Serviceleistungen sollen zu welchem Preis wie angeboten werden). Dabei ist dieser Service-M ix mit dem übergeordneten M arketing-Mix für die Hauptleistung abzustimmen (vgl. Abschnitt 2.5 in diesem Teil sowie Hammann 1974 und Theisen 1974). 2 2.1.4.4 Pr oduktpolitik im Internet 2.1.4.4.1 Eignung von Produkten für das Internet Generell kann das Internet für Produkte eine Kommunikationsals auch eine Vertriebsfunktion ausüben (vgl. auch die Abschnitte 2.3.5.9 sowie 2.4.4.1.3 in diesem Teil). Sollen Produkte über das Internet nicht nur beworben, sondern auch vertrieben werden, so ist die Eignung von Produkten für den Internet-Vertrieb zu überprüfen. Generell gilt, dass insbesondere Produkte mit hohem Selbstbedienungscharakter und hoher Digitalisierbarkeit für das Internet geeignet Software Online- Banking Flugtickets CDs Bücher Zeitungen Unternehmensberatung Industrieversicherung Haarschnitt Häuser Autos Industrieanlagen Hardware Nahrungsmittel Kleidung hoch Digitalisierbarkeit niedrig niedrig hoch Selbstbedienungscharakter Quelle: In Anlehnung an Fritz 2004, S. 127 Abb. 3.88: Die Eignung von Produkten für den E-Commerce <?page no="442"?> 420 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes sind (vgl. Abb. 3.88). Die Eignung von Produkten für den Internet-Vertrieb spiegelt sich dabei auch in den tatsächlichen Nutzerzahlen wider. Am meisten per Internet gekaufte Produkte sind Bücher, Software, M usik-CDs, Eintrittskarten und Geschenkartikel, gefolgt von Computer Hardware, Kleidung, Wertpapieren, Bahntickets und Hotelbuchungen (vgl. Fantapié Altobelli/ Sander 2001, S. 112 f.). Entscheidend im Hinblick auf den Erfolg des Internet als Vertriebskanal ist dabei der Mehrwert, den das Internet gegenüber klassischen Outlets bietet bzw. bieten muss. Nebe n Zusatzinformationen über die Produkte können M ehrwerte geschaffen werden beispielsweise über günstigere Preise (z.B. bei Hotelbuchungen via Internet), einem gegenüber dem stationären Handel größeren Sortiment im Internet oder der M öglichkeit der Zustellung der Produkte ins Haus oder zu den immer weiter verbreiteten Sammelstellen für per Internet bestellte Produkte (z.B. Tankstellen, Sonnenstudios, allgemein Outlets mit großzügigeren Öffnungszeiten bzw. sog. Pickpoints) mit der Folge einer häufig nicht unerheblichen Zeitersparnis. Eignen sich die Produkte nicht für den Vertrieb per Internet, so können durchaus M erchandising-Produkte, die die M arke bzw. das Unternehmenslogo transportieren, per Internet verkauft werden. In diesen Fällen fungiert das Internet nicht als Vertriebskanal für das eigentliche Kernsortiment, sondern hat eher werbliche Funktion. Darüber hinaus ist zu beachten, dass durch das Internet selbst neue Produkte entstanden sind und per Internet angeboten werden. Das Internet ist somit auch Ursache für Neuprodukte, die als M arktneuheiten bezeichnet werden können, da sie keine unmittelbaren Vorgänger haben. Hierzu gehören beispielsweise Hard- und Software für Content Provider (z.B. Server, Software zur Erstellung von Web-Sites), Infrastrukturprodukte (z.B. Routers und Gateways), Hard- und Software für Endnutzer (z.B. Browser Software, M odems) sowie unterschiedliche Dienstleistungen (z.B. Suchmaschinen, Internet-Agenturen, Informationsmakler). 2.1.4.4.2 Ausgewählte Aspekte der Produktpolitik im Internet In produktpolitischer Hinsicht von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass durch den unmittelbaren Informationsaustausch zwischen Anbieter und Nachfrager ein echtes One-to-one- Marketing bei überschaubaren Kosten möglich ist. M assenproduktion lässt sich damit erstmalig mit dem Eingehen auf individuelle Wünsche vereinigen (M ass Customization). Beispielsweise bietet Dell die M öglichkeit, Computer-Hardware individuell online zusammenzustellen mit dem Ergebnis eines individuell konfigurierten PC’s. Auch lassen sich Kleidungsstücke (z.B. Levi’s Jeans) online auf die individuellen Bedürfnisse bzw. M aße zuschneiden. Die Interaktivität kann dabei soweit gehen, dass Nutzer aktiv in die Produktpolitik eines Unternehmens eingebunden werden. Dies kann z.B. durch die Online-Beurteilung bestehender Produkte oder durch Online-Anregungen für neue Ideen geschehen (vgl. Fantapié Altobelli/ Sander 2001, S. 120). Einen besonders wichtigen produktpolitischen Aspekt im Internet stellt die Gestaltung des Domain-Namens dar. Grundsätzlich sind an den Domain-Namen die Anforderungen zu stellen, die auch für M arkennamen im Offline-Bereich von Bedeutung sind wie Unterscheidbarkeit, rechtliche Schützbarkeit usw. (vgl. i.E. Abschnitt 2.1.4.1 in diesem Teil). Für ein Unternehmen, welches bereits über einen bekannten M arkennamen verfügt, liegt es auf der Hand, diesen auch für die Internet-Adresse zu verwenden. Hierdurch wird den Internet-Nutzern das Auffinden der Website erheblich erleichtert. Dies ist insbesondere deswegen wichtig, weil M arken gegenüber Verbrau- <?page no="443"?> Produktpolitik 421 chern grundsätzlich eine Orientierungsfunktion ausüben. Bei derzeit über 2 M illiarden Internetseiten bietet die Koppelung von M arkenname und Internet-Domain-Name nicht unerhebliche Vorteile. Neben der Strategie, bekannte M arkennamen - insbesondere bei Unternehmens- oder Dachmarken - als Domain-Namen zu verwenden, um Bekanntheit und Image dieser M arke weiter zu steigern, kann im Rahmen einer Produktdifferenzierungsstrategie bewusst auch ein leicht abgeänderter Name verwendet werden. Beispielsweise verwendet die Zeitschrift Wired für ihre Online-Version den Namen HotWired, um dieser M arke ein noch moderneres Image zu verleihen und gegenüber der Offline-Version die M öglichkeit einer andersartigen Positionierung zu haben (vgl. Strauss/ Frost 1999, S. 135 f.). Grundsätzlich gilt, dass ein und dieselbe M arke online und offline benutzt werden kann bzw. sollte, je ähnlicher die Zielgruppen und die Geschäftsmodelle im Online - und im Offline-Bereich sind (vgl. The Boston Consulting Group/ Gruner & Jahr AG 2000, S. 26). Bei starker Heterogenität von Zielgruppe und Geschäftsmodell im Online- und Offline-Bereich empfiehlt sich hingegen eine neue M arke für den Web-Auftritt des Unternehmens, mittlere Heterogenität lässt sich über einen M arkenzusatz für die Offline-M arke im Online-Bereich berücksichtigen. Abb. 3.89 zeigt die grundsätzlichen M öglichkeiten der Domain-Namensgestaltung im Online-Bereich sowie die jeweiligen Vor- und Nachteile der einzelnen Strategien auf. Bedeutung erlangt das Internet auch hinsichtlich des Angebots von Serviceleistungen (vgl. auch den Abschnitt 2.1.4.3 in diesem Teil). Typische internetbasierte Serviceleistungen bestehen in der Information und Beratung per E-M ail, der Bereitstellung von FAQ- (Frequently Asked Questions) -Listen sowie interaktiven Support-Systemen, innerhalb derer kundenindividuelle Probleme gelöst werden. Zudem besteht die M öglichkeit einer Serviceleistungsdifferenzierung im Vergleich zu über den herkömmlichen Handel vertriebenen Produkte, um das Internet als Vertrie bskanal attraktiver zu machen. Transaktionskostenersparnisse durch Ausschaltung des Handels können so an die Kunden in Form besserer Serviceleistungen (wie z.B. einer längeren Garantiezeit für per Internet bezogene Produkte) weitergegeben werden. Zu beachten ist zudem, dass das Angebot von Produkten im Internet keinen räumlichen und zeitlichen Restriktionen unterliegt. Knappe Regalplätze oder beschränkte Katalogumfänge existieren im Internet nicht. Dies ist insbesondere deswegen von Bedeutung, weil die Sortimentstiefe und -breite, die von einem Unternehmen im Internet angeboten wird, als wichtiger Erfolgsfaktor gilt (zur Sortimentsgestaltung vgl. auch den nachfolgenden Abschnitt 2.1.4.5). Auf diese Weise wird die M öglichkeit eines echten One-stop-shopping eröffnet. Allerdings erfordert die Zusammenstellung von geeigneten und qualitativ guten Sortimenten eine genaue Kenntnis und Analyse des Kundenprofils. Abb. 3.90 zeigt, dass erfolgreiche Unternehmen im Internet über breitere und tiefere Sortimente verfügen. <?page no="444"?> 422 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Quelle: The Boston Consulting Group/ Gruner&Jahr AG 2000, S. 27 Abb. 3.89: Alternativen der Domain-Namengestaltung (1) auch Dachmarke VOR- UND NACHTEILE Neue Marke + Neue, extremere und netzaffine Positionierung o Keine Rückkopplung zur bestehenden Brand - Höhere Marketingkosten Markenzusatz + Niedrigere Marketingkosten durch Bekanntheit der Offline-Brand o Rückkopplungen zur Offline-Brand möglich o Spielraum in der Markenführung - Irritationen von Vertrieb oder Konsumenten möglich Bestehende Marke + Kosten- und Zeitersparnis durch Bekanntheit der Offline-Brand + Marketingausgaben kommen Online- und Offline- Präsenz zugute o Marke wird einheitlich wahrgenommen, negative und positive Rückkopplungen möglich - Eingeschränkter Handlungsrahmen der Online-Brand - Konflikte mit Vertriebs- und Zielgruppen möglich Hoch Hoch Unterschied zum bestehenden Geschäftsmodell Gering Gering Unterschied zur existierenden Zielgruppe Bestehende Marke Markenzusatz (1) Neue Marke <?page no="445"?> Produktpolitik 423 22.1.4.5 Pr ogrammpolitik 2.1.4.5.1 Grundlagen der Programmplanung Im Rahmen der Programmplanung sind Entscheidungen zu treffen, welche Produkte von einem Unternehmen angeboten werden sollen. Bei Industrieunternehmen spricht man in diesem Zusammenhang von Absatz-, Angebots- oder Produktprogramm. Dieses besteht einerseits aus den selbst hergestellten Produkten - dem Produktionsprogramm -, sowie zugekauften Fertigprodukten, welche in das eigene Angebot mit aufgenommen werden. Der analoge Begriff zum Produktprogramm beim Handel ist das Sortiment. Abb. 3.91 verdeutlicht die Zusammenhänge. Innerhalb eines Produktprogramms bzw. Sortiments können verschiedene Verbundeffekte auftreten. Konkret kann hier zwischen einem Bedarfsverbund, Nachfrageverbund, 0 10 20 30 40 50 60 1 bis 5 6 bis 10 11 bis 50 > 50 Anzahl Warengruppen Weniger erfolgreiche E-Commerce Anbieter Erfolgreiche E-Commerce Anbieter in Prozent 0 10 20 30 40 50 60 1 bis 25 26 bis 99 100 bis 299 > 300 Produkte pro Warengruppe Weniger erfolgreiche E-Commerce Anbieter Erfolgreiche E-Commerce Anbieter in Prozent Quelle: Meffert/ Böing 2000, S. 14 f. Abb. 3.90: Sortimentsbreite und -tiefe als Erfolgsfaktoren in der Produktpolitik <?page no="446"?> 424 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Kaufverbund sowie Informationsverbund unterschieden werden (vgl. Böcker 1978; Simon 1985). Beim Bedarfsverbund liegen komplementäre Teilleistungen vor, welche jeweils gemeinsam ge bzw. verbraucht werden (z.B. Füllfederhalter und Tinte; Briefpapier und Briefumschläge). Der Nachfrageverbund ist gekennzeichnet durch das gemeinsame Einkaufen von Produkten. Dies erfolgt beispielsweise im Rahmen eines One-stop-shopping zur Reduktion der Transaktionskosten, da in diesem Fall nicht mehrere Geschäfte aufgesucht werden müssen. Der Bedarfsverbund kann dabei Bestandteil des Nachfrageverbunds sein. Aufgrund der heute weit verbreiteten Scanner-Technologien lassen sich Nachfrageverbundeffekte einfach ermitteln, allerdings nur hinsichtlich der tatsächlich gekauften Produkte. In diesem Fall liegt auch ein Kaufverbund vor. Hingegen ist ein (nicht kaufwirksamer) Nachfrageverbund gegeben, wenn zwar bestimmte Produkte nachgefragt werden, wegen fehlender Erhältlichkeit in einer Einkaufsstätte tatsächlich jedoch nicht gekauft werden (können). Insofern kann ein Einkaufszettel bzw. eine Einkaufsliste als Indikator für den Nachfrageverbund herangezogen werden, der Kaufverbund wird durch die tatsächlich gekauften Produkte offensichtlich. Ein Informationsverbund schließlich liegt vor, wenn Informationen über ein bestimmtes Produkt (z.B. hinsichtlich der Produktqualität) von Konsumenten auch auf andere Produkte desselben Herstellers übertragen werden („Goodwill-Transfer“). Insbesondere ist dies der Fall, wenn die Produkte dieselbe M arkierung bzw. M arke tragen. Von einem Unternehmen angebotene Produkte Handelsunternehmen Industrieunternehmen Sortiment Absatz-, Angebots- oder Produktprogramm selbst erstellte Produkte (Produktionsprogramm) zugekaufte Fertigprodukte Abb. 3.91: Begriffliche Abgrenzungen der Programmpolitik <?page no="447"?> Produktpolitik 425 2.1.4.5.2 Gestaltung des Produktprogramms 2.1.4.5.2.1 Strategische Programmgestaltung Gegenstand der strategischen Programmplanung ist die Festlegung der Breite und der Tiefe des Produktprogramms. Damit geht es um die Gestaltung der Art des Produktangebots. Die Breite des Produktprogramms wird dabei bestimmt durch die Anzahl der Produktlinien, welche ein Unternehmen anbietet. Eine Produktlinie ist gekennzeichnet durch eine M ehrzahl von Produkten, welche eine bestimmte (z.B. optische oder produktionstechnische) Zusammengehörigkeit auf weisen (z.B. verschiedene Design-Linien im Angebotsprogramm eines Porzellanherstellers). Die Tiefe des Produktprogramms hingegen wird durch die Anzahl von Produkten pro Produktlinie determiniert. Abb. 3.92 verdeutlicht die Zusammenhänge am Beispiel eines Automobilherstellers. Die strategische Programmplanung weist einen engen Bezug zu den strategischen Stoßrichtungen eines Unternehmens auf (vgl. Abschnitt 1.2.3 in diesem Teil). Im Rahmen der strategischen Stoßrichtungen wird ebenfalls über Art und Struktur des angebotenen Produktprogramms entschieden. Durch Produktinnovation und Diversifikation als strategische Stoßrichtungen eines Unternehmens sind unmittelbar Auswirkungen hinsichtlich des angebotenen Produktprogramms gegeben. 2.1.4.5.2.2 Operative Programmgestaltung Im Rahmen der operativen Programmgestaltung wird nicht wie bei der strategischen Programmgestaltung über die Art des angebotenen Produktprogramms entschieden, sondern über die Menge der jeweils anzubietenden Einheiten. Konkret ist zu entscheiden, wie viele Einheiten eines Produkts in der Planperiode produziert (bzw. aus Sicht des Handels: eingekauft) und abgesetzt werden sollen. Unter der Zielsetzung der Gewinnmaximierung sind dabei folgende Daten von Bedeutung (vgl. auch Berndt 1995a, S. 142 ff.): die Preise der einzelnen Produkte , 1, ..., , i p i n die bei diesen Preisen maximal absetzbaren M engen , 1, ..., , i x i n die variablen Kosten pro Stück , 1, ..., , v i k i n die Fixkosten F K . Im Rahmen der optimalen Produktprogrammbzw. Sortimentsgestaltung sind dabei drei Situationen zu unterscheiden: Fall 1: Es existiert kein Engpass (z.B. in der Produktion oder hinsichtlich der Regalfläche). Fall 2: Es existiert genau ein Engpass. Fall 3: Es existieren mehrere Engpässe. <?page no="448"?> 426 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes <?page no="449"?> Produktpolitik 427 Abb. 3.93: Optimale Produktprogrammgestaltung im Falle keines Engpasses Produkt Preis variable Stückkosten Stückdeckungsbeitrag maximal absetzbare Menge A B C D E F 4 6 10 7 12 8 2 3 5 8 14 6 100 200 60 150 80 60 2 3 5 -1 -2 2 Optimales Produktionsprogramm: x A =100 x C =60 x E =0 x B =200 x D =0 x F =60 Zugehöriger Gewinn: 820 400 60 2 60 5 200 3 100 2 G Fall 1: Für den Fall, dass kein Engpass existiert, wird unter der Zielsetzung der Gewinnmaximierung jedes Produkt produziert bzw. angeboten, welches einen positiven Stückdeckungsbeitrag aufweist: ! 0 i i v i d b p k für alle 1, ..., i n mit: i d b = Stückdeckungsbeitrag von Produkt i. Das Angebot erfolgt dabei in der zu den (vorgegebenen) Produktpreisen zugehörigen maximalen Absatzmenge x i (i = 1, ..., n). Hinter dieser Vorgehensweise steckt die Idee der Fixkostendeckung durch die anfallenden positiven Deckungsbeiträge. Existieren Verbundeffekte (z.B. bei komplementären Produkten), so kann es jedoch auch sinnvoll sein, Produkte mit negativen Stückdeckungsbeiträgen im Angebot beizubehalten (vgl. auch Abschnitt 2.1.3.4 in diesem Teil). Abb. 3.93 zeigt ein Beispiel für die optimale Sortimentsgestaltung im Falle keines Engpasses. Dabei wird von Fixkosten in Höhe von 400 Geldeinheiten ausgegangen. Fall 2: Ist genau ein Engpass gegeben (z.B. eine bestimmte M aschine im Produktionsprozess), d.h. es können aufgrund eines kapazitativen Engpasses nicht alle Produkte in der geplanten M enge produziert <?page no="450"?> 428 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes kein Angebot von Produkt D und Produkt E wegen negativer Stückdeckungsbeiträge Maschinen Produkte maximale Kapazität A B C D E F I II 2 3 1 1 3 2 3 2 4 2 1 2 1000 910 Engpassüberprüfung: Maschine I: 1000 980 2 60 1 60 3 200 2 100 kein Engpass Maschine II: 910 1060 2 60 4 60 2 200 3 100 Engpass Relative Stückdeckungsbeiträge und Rangfolge Produkt relativer Stückdeckungsbeitrag Rangfolge A B C F 0,67 1,5 1,25 1 4. 1. 2. 3. Optimales Produktionsprogramm: Rang Produkt Menge Kapazitätsbedarf kumulierter Kapazitätsbedarf 1. 2. 3. 4. B C F A 200 60 60 50* 400 2 200 240 4 60 120 2 60 150 3 50 400 640 760 910 Erzielbarer Gewinn: 720 400 2 50 2 60 5 60 3 200 G 50 3 760 910 Abb. 3.94: Optimale Produktprogrammgestaltung im Falle eines Engpasses Produkt Preis maximal absetzbare Menge Stückdeckungsbeitrag A B C D F E 4 6 10 7 8 12 100 200 60 150 60 80 2 3 5 -1 2 -2 <?page no="451"?> Produktpolitik 429 und abgesetzt werden, so ist der relative Stückdeckungsbeitrag für die einzelnen Produkte zu bestimmen. Der relative Stückdeckungsbeitrag eines Produkts ergibt sich, indem der absolute Stückdeckungsbeitrag dieses Produkts dividiert wird durch die Anzahl der Kapazitätseinheiten, welche dieses Produkt pro Einheit an der Engpassmaschine beansprucht: r e l i i v i i ij ij d b p k d b c c für alle 1, ..., i n mit: r e l i d b = relativer Stückdeckungsbeitrag ij c = Anzahl der von Produkt i pro Einheit beanspruchten Kapazitäten an der Engpassmaschine j Der relative Stückdeckungsbeitrag ist damit als Gewinn pro Einheit der knappen Kapazität für ein Produkt zu interpretieren. Zur Erstellung des gewinnoptimalen Produktprogramms werden alle Produkte mit positivem relativen Stückdeckungsbeitrag, beginnend mit dem Produkt mit dem höchsten relativen Stückdeckungsbeitrag, dann mit dem zweithöchsten relativen Stückdeckungsbeitrag usw. in den zugehörigen maximalen Absatzmengen produziert, bis die Kapazität an der Engpassmaschine erschöpft ist. Abb. 3.94 zeigt ein Beispiel zur optimalen Produktprogrammplanung für den Fall genau eines Engpasses. Dabei wird von den Daten der Abbildung 3.93 ausgegangen. Offensichtlich sinkt der erzielbare Gewinn durch den Engpass um 100 Geldeinheiten gegenüber der Situation keines Engpasses. Fall 3: Existieren mehrere Engpässe, so kann eine graphische Lösung zur optimalen Produktprogrammgestaltung herangezogen werden, sofern nicht mehr als zwei Produkte gegeben sind. Au ch diese Vorgehensweise soll anhand eines Beispiels erläutert werden. Die beiden Produkte 1 und 2 weisen Stückdeckungsbeiträge von 8 bzw. 4 Geldeinheiten auf. Es existieren Fixkosten in Höhe von 4000 Geldeinheiten. Beide Produkte werden auf zwei M aschinen I und II gefertigt, wobei M aschine I (II) eine Kapazität von 30.000 (74.000) aufweist. Produkt 1 (2) benötigt auf M aschine I 2 (3) Kapazitätseinheiten pro Stück, auf M aschine II sind 4 (8) Kapazitätseinheiten pro Stück erforderlich. Insgesamt können von Produkt 1 (2) maximal 8000 (9000) Einheiten abgesetzt werden. Der zu diesem Problem zugehörige Ansatz der linearen Programmierung (LP -Ansatz) lautet: Zielfunktion: 1 2 8 4 4000 G x x Kapazitätsrestriktionen: 1 2 1 2 2 3 30.000 4 8 74.000 x x x x <?page no="452"?> 430 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Absatzrestriktionen: 1 2 8000 9000 x x Nichtnegativitätsbedingungen: 1 2 0 0 x x Zunächst werden die Kapazitäts- und die Absatzrestriktionen in ein x 1 -x 2 -Koordinatenschema eingezeichnet (vgl. Abb. 3.95). Die Schnittpunkte der Kapazitätsrestriktionen mit der x 1 -Achse (x 2 - Achse) ergeben sich durch Nullsetzen von x 2 (x 1 ) in der Kapazitätsrestriktion und Auflösen nach x 1 (x 2 ). Es resultiert dann der in Abb. 3.95 schraffierte Lösungsraum, welcher alle zulässigen x 1 -x 2 - Kombinationen enthält. Anschließend wird die Gewinnfunktion für einen beliebigen Gewinnwert (in der Abb. 3.95 für G = 12.000) eingezeichnet. Diese Gewinnfunktion wird nun soweit nach außen verschoben, bis sie den zulässigen Lösungsraum tangiert, da der zugehörige Gewinnwert umso größer ist, je weiter die Gewinnfunktion vom Koordinatenursprung entfernt liegt. Im vorliegenden Beispiel resultiert eine gewinnmaximale M enge von x 1 (x 2 ) in Höhe von 8000 (4666,6), der zugehörige Gewinn beträgt G = 8000 · 8 + 4666,6 · 4 - 4000 = 78666,4 Geldeinheiten. Sind mehr als 2 Produkte gegeben, so ist eine graphische Lösung zur optimalen Produktprogrammgestaltung nicht mehr möglich. In diesen Situationen ist auf einen Ansatz der linearen 10.000 9.000 8.000 x 2 x 1 Kapazitätsrestriktion I Kapazitätsrestriktion II Absatzbedingung Produkt 1 Absatzbedingung Produkt 2 x 2 opt Gewinnfunktion x 1 opt Gewinnfunktion 000 . 12 G mit Abb. 3.95: Graphische Bestimmung des optimalen Sortiments <?page no="453"?> Kontr ahier ungspolitik 431 Programmierung (LP-Ansatz) zurückzugreifen, welcher mittels des Simplex-Algorithmus gelöst wird (vgl. z.B. M üller-M erbach 1992, S. 91 ff.). Abb. 3.96 zeigt die Formulierung eines LP- Ansatzes in allgemeiner Form auf. Die optimalen Werte der Variablen x i (i = 1, ..., n) werden dabei so bestimmt, dass die Zielfunktion (1) unter Berücksichtigung der Nebenbedingungen (2) - (4) maximiert wird. 22.2 Kontrahierungspolitik 2.2.1 Begriff und Aufgaben der Kontrahierungspolitik Die Kontrahierungspolitik ist ein Oberbegriff für sämtliche Entscheidungstatbestände, welche beim Abschluss eines Kontraktes zwischen Käufer und Verkäufer von Bedeutung sind. Die Kontrahierungspolitik kann in zwei bedeutende Teilbereiche untergliedert werden: die Preispolitik und die Konditionenpolitik. Gegenstand der Preispolitik ist der Preis als solcher, wobei als Preis die Anzahl an Geldeinheiten verstanden werden kann, welche zum Erwerb einer Einheit des betrachteten Produkts (oder Dienstleistung) vom Käufer entrichtet werden muss. Wesentliche Aufgabe der Preispolitik ist die Bestimmung der Preishöhe (vgl. Abschnitt 2.2.2.2.3 in diesem Teil). Weitere Aufgabenbereiche bestehen in (vgl. i.E. Abschnitt 2.2.2.2.4 in diesem Teil) der Preisdifferenzierung, der Preisbündelung und Preislinienpolitik, der Festlegung von Preisstrategien innerhalb des dynamischen Preismanagements, dem vertikalen Preismanagement gegenüber dem Handel, der Preispolitik in Risiko- und Ungewissheitssituationen, der Preispolitik im Internet, n i x n i x x m j C x c Max K x k p G i i i j n i i ij F i n i vi i ,..., 1 0 ) 4 ( : n Bedingunge ts Negativitä Nicht ,..., 1 ) 3 ( : ngungen Absatzbedi ,..., 1 ) 2 ( : n bedingunge Kapazitäts ! ) 1 ( : on Zielfunkti 1 1 Quelle: Berndt 1995a, S. 151 Abb. 3.96: Ein allgemeiner Ansatz der linearen Programmierung zur optimalen Produktprogrammgestaltung Nicht-Negativitäts-Bedingungen: Absatzbedingungen: Kapazitätsbedingungen: <?page no="454"?> 432 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes dem Yield-M anagement sowie dem Pay-What-You-Want (PWYW) als innovativem Preissetzungsmechanismus. Gegenstand der Konditionenpolitik sind alle über den Preis hinausgehenden vertraglichen Bestandteile beim Kauf eines Produktes. Hierzu zählen (vgl. i.E. Abschnitt 2.2.3 in diesem Teil) gewährte Rabatte, die Lieferungs- und Zahlungsbedingungen sowie die M öglichkeit der Kreditierung des Kaufpreises. Zusammengefasst werden derartige Konditionen häufig in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eines Anbieters. 2.2.2 Preispolitik 2.2.2.1 Pr eispsychologische Wirkungen aus Sicht des Nachfragers Von Preisen können nicht unerhebliche psychologische Wirkungen beim Nachfrager bzw. Konsumenten hervorgerufen werden. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Preiswahrnehmung und Preisbeurteilung durch den Nachfrager. Darüber hinaus spielt der Preis als Qualitätsindikator häufig eine Rolle. Schließlich existieren weitere psychologisch relevante Phänomene (wie z.B. Preiserlebnisse und Preisinteresse), welche das Verhalten von Konsumenten steuern. 2.2.2.1.1 Preiswahrnehmung und Preisbeurteilung Unter Preiswahrnehmung wird die sensorische Aufnahme und kognitive Verarbeitung von Preisstimuli (Preisinformationen) im Bewusstsein des Konsumenten verstanden. Konkret werden objektive Preise in subjektive Preiseindrücke umgewandelt. Das Ergebnis der Umwandlung kann als Preisempfinden bezeichnet werden. Praktische Bedeutung besitzt die Theorie der Preiswahrnehmung in erster Linie für die Preisauszeichnung und für die Preiswerbung. Die theoretische Basis für die Preiswahrnehmung ist durch verschiedene psychologische Theorien gegeben (vgl. Diller et al. 2021, S. 117 ff.). Hierzu gehört u.a. die Psychophysik. Gegenstand der Psychophysik ist die subjektive Transformation von physikalischen Reizen (Gewic hten, Licht, Töne usw.) in subjektive Empfindungsstärken. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das sog. Weber- Fechnersche Gesetz (vgl. Pechtl 2014, S. 254; Diller et al. 2021, S. 117; Schmalen 1995, S. 12 f.). Nach dem Weber-Fechnerschen Gesetz entspricht jeder relativ gleichen Preisänderung eine gleiche absolute Wahrnehmungsänderung: d p d R k p mit: dR = absolute Wahrnehmungsänderung k = Proportionalitätskonstante d p p = relative Preisänderung Durch Integration ergibt sich: ln R k p K <?page no="455"?> Kontr ahier ungspolitik 433 mit: K = Integrationskonstante Preise werden also logarithmisch transformiert wahrgenommen mit der Folge, dass ein steigender Preis nur eine unterproportionale Wahrnehmungsverstärkung nach sich zieht (vgl. Abb. 3.97). Aus dem Weber-Fechnerschen-Gesetz ergibt sich damit die Erkenntnis, dass die Einstufung eines Preisunterschiedes vom Ausgangsniveau abhängt, die Preiswahrnehmung durch den Konsumenten ist also relativ. Eine Preiserhöhung von 10 € bei einem Ausgangspreis von 100 € würde demnach genauso wahrgenommen werden wie eine Preiserhöhung von 100 € bei einem Ausgangspreis von 1000 €. Umgekehrt lässt sich formulieren, dass mit zunehmender absoluter Preishöhe das subjektive Empfinden für gleich große absolute Preisdifferenzen nur unterproportional wächst. Das Weber-Fechnersche Gesetz wird daher auch als das „Gesetz von der abnehmenden Grenzwahrnehmung des Preises“ bezeichnet. Darüber hinaus lässt dieses Gesetz auch noch folgende Interpretation zu: Damit eine absolute Preisänderung dp überhaupt zu einer „merklichen“ Wahrnehmungsänderung führt, muss sie im Verhältnis zum Ausgangsniveau einen bestimmten Wert überschreiten. Die absolute Preisänderung muss also umso höher sein, je höher das Ausgangspreisniveau ist, damit sie „gefühlt“ wird. Liegt dieser Schwellenwert bspw. bei 5 %, so würde die Preiserhöhung für ein Auto von 15.000 € auf 15.500 € als solche nicht wahrgenommen werden. Erst eine Preiserhöhung um über 750 € würde als solche empfunden werden. Neben Preisänderungen können diese Erkenntnisse auch auf Preisunterschiede übertragen werden. Preisunterschiede bei Produkten innerhalb einer Produktgruppe, welche einen bestimmten Schwellenwert nicht überschreiten, werden als preisgleich angesehen. Relevanz im Zusammenhang mit der Preiswahrnehmung besitzt auch das Preisschwellenkonzept (vgl. z.B. Pechtl 2014, S. 54 f.). Verbraucher vereinfachen häufig die Wahrnehmung, indem sie Preiskategorien bilden (z.B. sehr billig, billig, normal, teuer, sehr teuer). An den Grenzen dieser Bereiche entstehen Preisschwellen. Das Preisschwellenkonzept impliziert damit nicht nur die Preiswahrnehmung, sondern auch eine Preisbeurteilung (zur Preisbeurteilung vgl. auch die nachfolgenden Ausführungen in diesem Abschnitt). Wird also der Preis z.B. an der Obergrenze der 5 15 10 20 25 30 35 40 5 10 15 p (Preis) k=5 k=10 k=20 R (Wahrnehmung) Quelle: Schmalen 1995, S.12 Abb. 3.97: Das Weber-Fechnersche Gesetz (K=0) <?page no="456"?> 434 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Preiskategorie „normal“ ein klein wenig übersprungen, so gilt das Produkt nicht mehr als normalpreisig, sondern als teuer. Damit verbunden ist häufig eine abnehmende Kaufbereitschaft, wenn eine Preisschwelle (nach oben) übersprungen wird. Preisschwellen stellen also Wahrnehmungs - und im Regelfall auch Reaktionsschwellen dar. Typische Preisschwellen sind runde Preise (z.B. 1 €, 10 €, 100 €), aber auch mittlere gebrochene Preise können Preisschwellen sein (z.B. 0,5 €). Wird also der Preis beispielsweise von 0,99 € auf 1,05 € erhöht, so geht der Absatz stark zurück, sofern tatsächlich eine Preisschwelle bei 1 € im jeweiligen Produktbereich existiert. Abb. 3.98 verdeutlicht die Zusammenhänge. Allerdings konnte die Schwellenwirkung von Preisen wie 1 €, 5 € usw. nicht durchgängig empirisch bestätigt werden (vgl. z.B. Kaas/ Hay 1984; Diller/ Brielmaier 1996 sowie Gedenk/ Sattler 1999). Ob also tatsächlich eine Preisschwelle bei bestimmten Preisen existiert, kann nur im jeweiligen Einzelfall nachgewiesen werden. In der Praxis führen (vermutete) Preisschwellen dazu, dass Preise häufig auf der Ziffer „9“ enden (z.B. 0,79 €; 0,99 €; 9,99 €). Insbesondere im Lebensmittelbereich kann dieses Preisverhalten beobachtet werden, aber auch bei vielen anderen Produkten des täglichen Bedarfs werden derartige gebrochene Preise statt runder Preise verwendet. Zudem zeigt Abb. 3.98, dass neben relativen Preisschwellen innerhalb des relevanten Preisbereichs auch absolute Preisschwellen existieren. Bei der oberen absoluten Preisschwelle wird die Zahlungsbereitschaft des jeweiligen Konsumenten überschritten (Einkommensrestriktion), er kau ft das Produkt wegen des zu hohen Preises nicht. Bei der unteren absoluten Preisschwelle hingegen kauft er auch nicht, weil er bei einem derartig niedrigen Preis Qualitätsmängel beim Produkt fürchtet (vgl. hierzu auch den folgenden Abschnitt 2.2.2.1.2). Quelle: In Anlehnung an Diller 2000, S. 137 Abb. 3.98: Das Preisschwellenkonzept Preisbeurteilung Preis Als "normal" empfundener Preis sehr billig billig normal teuer sehr teuer 0,99 € 1 € 1,05 € <?page no="457"?> Kontr ahier ungspolitik 435 In engem Zusammenhang mit der Preiswahrnehmung steht offensichtlich die Preisbeurteilung. Die Preisbeurteilung impliziert einen bewusst ablaufenden kognitiven Preisbeurteilungsprozess, an dessen Ende ein Preisurteil des Konsumenten steht. Dabei können verschiedene Preisurteilstechniken unterschieden werden (vgl. Abb. 3.99): Eindimensionale Preisurteilstechniken können in Form von indikatorgeleiteten Preisurteilen oder Preisgünstigkeitsurteilen vorliegen. Indikatorgeleitete Preisurteile zeichnen sich dadurch aus, dass sich der Konsument ausschließlich an leicht identifizierbaren M erkmalen des Urteilsobjektes (M arke, Packungsgröße, Sonderangebot usw.) orientiert. Preisgünstigkeitsurteile stellen ausschließlich auf den absoluten Preis eines Produkts im Vergleich zu anderen Produkten ab, ohne die Qualität der Produkte mit einzubeziehen (z.B. weil die Produkte qualitativ vergleichbar sind). Mehrdimensionale Preisurteilstechniken hingegen beziehen die Qualität der Produkte in das Preisurteil mit ein. Hier kann eine sukzessive Preis- und Qualitätsschwellenprüfung vorliegen, indem jede relevante M erkmalsausprägung des Urteilsobjektes auf jeweils eigenen und sukzessiv herangezogenen Urteilsskalen beurteilt wird. Allerdings erfolgt noch keine Verknüpfung von Preis- und Qualitätsurteil. Bei den Preiswürdigkeitsurteilen werden Preis und Qualität des Urteilsobjekts gegeneinande r abgewogen. Dies kann entweder unbeschränkt erfolgen, indem alle urteilsrelevanten M erkmale simultan betrachtet und in einem kompensatorischen M odell zu einem Preiswürdigkeitsurteil verknüpft werden, oder indem vorab überprüft wird, ob die relevanten Qualitätsmerkmale und der Preis bestimmte Schwellenwerte überbzw. unterschreiten (nicht-kompensatorisch). Ist dies nicht der Fall, wird im zweiten Schritt ein Preiswürdigkeitsurteil gebildet. Die Kenntnis der Preisbeurteilungsstrukturen ist für das Preismana gement eines Unternehmens von großer Bedeutung. Dabei ist insbesondere die Unterscheidung in Preisgünstigkeits- und Preiswürdigkeitsurteil relevant, da einerseits die Qualität der Produkte keine Rolle (Preisgünstigkeit) oder eben doch (Preiswürdigkeit) bei der Preisbeurteilung spielt. Preisgünstigkeitsurteile können als Differenzfunktion (vgl. Diller et al. 2021, S. 132 ff.) PGU = f(MPE - p) mit: PGU = Preisgünstigkeitsurteil MPE = mittleres Preisempfinden p = Produktpreis modelliert werden. Das mittlere Preisempfinden M PE bezeichnet dabei einen „mittleren“ Preis für Produkte einer bestimmten Produktart, welche weder als besonders hoch noch als besonders niedrig empfunden wird. Übersteigt der Preis das mittlere Preisempfinden (MPE - p) < 0, so wird ein Preis als „ungünstig“ bzw. „teuer“ empfunden, im umgekehrten Falle (MPE - p) > 0 wird der Preis als „günstig“ bzw. „billig“ angesehen. Abb. 3.100 zeigt beispielhaft einen möglichen Funktionsverlauf für das Preisgünstigkeitsurteil auf. Bei dieser Funktion wird unterstellt, dass das Preisgünstigkeitsurteil im Bereich von MPE nur wenig sensitiv ist; erst stärkere Abweichungen von MPE führen zu einem als besonders günstig bzw. ungünstig empfundenen Preis. Die Funktion kann dabei problemlos auf den Wertebereich (0; 1) normiert werden. Ebenso kann es sich dabei um eine disaggregierte Funktion (für einen einzigen Probanden) handeln, oder aber auch um eine aggregierte Funktion (für eine M ehrzahl von Probanden). Im letzteren Fall wird <?page no="458"?> 436 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Preisurteile eindimensional mehrdimensional kompensatorisch nichtkompensatorisch Indikatorgeleitete Preisurteile Preisgünstigkeitsurteile Sukzessive Preis- und Qualitätsschwellenprüfung Preiswürdigkeitsurteile innerhalb begrenzeter Preis- und Qualitätszonen Unbeschränkte Preiswürdigkeitsurteile Urteilskomplexität sehr hoch sehr niedrig Quelle: Diller et al., 2021, S. 131 Abb. 3.99: Typologie von Preisurteilstechniken die Funktion dann durch M ittelwertbildung über alle Probanden bestimmt. M öchte sich ein Unternehmen mit seinem Produkt bei Gültigkeit der Funktion in Abb. 3.100 als besonders günstig positionieren, so muss der Produktpreis deutlich unter MPE liegen. Dabei ist davon auszugehen, dass MPE insbesondere von der Höhe der Konkurrenzpreise in einem bestimmten Produktmarkt determiniert wird. Andererseits kann das Unternehmen davon ausgehen, dass sein Produkt nicht als besonders ungünstig bzw. teuer angesehen wird, wenn der Preis für sein Produkt lediglich etwas über MPE (und damit über den Konkurrenzpreisen) liegt. Komplexer gestaltet sich der Sachverhalt bei Preiswürdigkeitsurteilen. Hier wird explizit die Qualität des Produktes mit einbezogen. Sowohl bei Preis als auch Qualität handelt es sich dabei um subjektiv wahrgenommene (und nicht objektive) Größen. Preiswürdigkeitsurteile können u.a. mittels der Conjoint Analyse bestimmt werden (vgl. zur Conjoint Analyse Abschnitt 3.1.4.3.6 im 2. Teil). Gemäß dem additiven Teilwertmodell gilt: <?page no="459"?> Kontr ahier ungspolitik 437 ˆ ij ij i j PWU U a x für alle mit: PWU = Preiswürdigkeitsurteil U = wahrgenommener Produktnutzen ij a = Teilnutzen für Produkteigenschaft i in Ausprägung j ij x = 1, wenn Eigenschaft in Ausprägung vorliegt 0 sonst i j Wird der Preis als Produkteigenschaft explizit in die Analyse mit einbezogen, so können im Rahmen der Conjoint Analyse (negative) Teilnutzenwerte a Preis j für unterschiedliche Preishöhen j errechnet werden. Je höher der Preis, desto größere Nutzenabschläge bzw. negative Teilnutzenwerte werden im Regelfall resultieren. Je größer U bzw. PWU, desto besser ist damit das Preis- Leistungsverhältnis eines Produktes (genau genommen ist es kein Preis-Leistungsverhältnis, da die Teilnutzenwerte des Preises subtrahiert werden). Diese Analyse kann wiederum für einzelne PGU p 0 1 insensitiver Bereich MPE Quelle: In Anlehnung an Diller 2008, S. 147 Abb. 3.100: Möglicher Verlauf einer Funktion für ein Preisgünstigkeitsurteil <?page no="460"?> 438 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Probanden (disaggregiert) oder für mehrere Probanden (aggregiert) erfolgen, wobei bei der aggregierten Vorgehensweise wiederum eine M ittelwertbildung erfolgen muss. Eine andere Vorgehensweise zur Ermittlung von Preiswürdigkeitsurteilen zeigt Diller (2008, S. 148 f.) auf. Er unterstellt, dass die Qualität eines Produktes i auf Basis von globalen Qualitätsurteilen seitens der Probanden in verschiedene Kategorien eingeteilt werden kann (z.B. von „sehr gut“ bis „mangelhaft“). Kann gleichzeitig die Preisgünstigkeit eines Produktes i in Preisgünstigkeitskategorien eingeordnet werden (z.B. von „sehr teuer“ bis „sehr billig“), so kann das Preiswürdigkeitsurteil für Produkt i wie folgt errechnet werden: i i i PWU k q mit: i PWU = Preiswürdigkeitsurteil für Produkt i i k = Skalenwert für die Preiskategorie, in die Produkt i fällt i q = Skalenwert für die Qualitätskategorie, in die Produkt i fällt Wird dabei z.B. folgende Skalierung vorgenommen i k i q 1 = sehr teuer 1 = mangelhaft 2 = teuer 2 = ausreichend 3 = normal 3 = normal 4 = billig 4 = gut 5 = sehr billig 5 = sehr gut so würde ein M aximalwert (M inimalwert) von PWU i von 10 (2) resultieren (10 = sehr billig und sehr gut; 2 = sehr teuer und mangelhaft). Der jeweils resultierende Wert von PWU i ist dabei als ein (nicht-metrischer) Rangwert zu interpretieren, da k i und q i jeweils ordinal skalierte Kategorialwerte und damit ebenfalls Rangwerte darstellen. Zu beachten ist zudem aufgrund der additiven Konstruktion von PWU i aus dem Preis- und Qualitätsurteil, dass sich Preis und Qualität kompensieren können. Ein sehr teures und sehr gutes Produkt kommt somit auf den gleichen Wert von PWU i wie ein normalpreisiges Produkt mit normaler Qualität (für beide gilt PWU i = 6). Soll dies ausgeschlossen werden, können M indestanforderungen an den Preis und/ oder die Qualität gestellt werden. Gilt z.B. 4 und 3 i i k q , so ergibt sich: i i i i i k q für k 4 und q 3 PWU 0 sonst Eine grafische Darstellung dieser Vorgehensweise zeigt Abb. 3.101. In einem ersten Schritt werden objektive Preise und Qualitäten verschiedener Produkte in subjektive, kategorial gestufte Empfindungswerte transformiert. Im nächsten Schritt werden diese miteinander verknüpft, wobei die Steigung der Verbindungslinien die Preiswürdigkeit zum Ausdruck bringt. Im Beispiel von Abb. 3.101 gilt die Preiswürdigkeitsrangfolge: B >D >C. Die Produkte A und E werden als inakzeptabel betrachtet, da sie zu teuer (Produkt A) bzw. qualitativ mangelhaft (Produkt E) sind. <?page no="461"?> Kontr ahier ungspolitik 439 2.2.2.1.2 Der Preis als Qualitätsindikator Häufig wird von den Konsumenten der Preis herangezogen, um auf die (vermutete) Qualität eines Produkts zu schließen. Es gilt dann in vereinfachter Form: je höher der Preis, desto besser die Qualität eines Produktes. Experimente haben gezeigt, dass ein dera rtiger Preis-Qualitätszusammenhang von den Konsumenten insbesondere dann unterstellt wird, wenn keine weiteren Produktinformationen vorliegen (vgl. Rao/ M onroe 1989). Werden hingegen weitere Details wie M arkenname, Verbreitung oder Tradition geboten, verliert der Preis schnell seine Indikatorfunktion. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass der Preis umso weniger als Qualitätsindikator fungiert (vgl. Diller et al. 2021, S. 141), je größer das Produktwissen und/ oder die Produkterfahrung der Konsumenten sind, je geringer die Variationsbreite der Qualität und der Preise in der jeweiligen Warenkategorie ausfällt, je preisinteressierter die Verbraucher sind und je mehr M öglichkeiten zur Entdeckung von Qualitätsunterschieden den Verbrauchern zur Verfügung stehen. Trotzdem kann die Qualitätsindikatorfunktion des Preises nicht gänzlich vernachlässigt werden (vgl. Simon/ Fassnacht 2016, S. 165 f.). So zeigt die Erfahrung, dass hohe Preise mit größerer Wahrscheinlichkeit eine gute Qualität garantieren als niedrigere Preise. Akzeptiert man allerdings die Qualitätsmessungen der Stiftung Warentest, so zeigen sich regelmäßig nur geringe Korrelationen zwischen dem Preis und der gemäß den Testkriterien der Stiftung Warentest gemessenen „objektiven“ bzw. „objektivierten“ Qualität. Beispielsweise ermittelt Diller (1977 und 1988) für den Zeitraum 1972-1976 einen durchschnittlichen Korrelationskoeffizienten von nur 0,19 und für den Zeitraum 1983-1986 einen leicht gestiegenen Korrelationskoeffizienten von 0,22 statt eines Wertes von 1 bei einem perfekten Preis-Qualitätszusammenhang (d.h. höherpreisige Produkte sind immer mit einer besseren Qualität verbunden als niedrigpreisige Produkte). Allerdings schwankt die Stärke des Preis-Qualitätszusammenhanges zwischen einzelnen Warengruppen sehr stark; bei einigen Warengruppen (z.B. M öbel, Reinigungsmittel) ist eher von einem tatsächlichen Preis-Qualitätszusammenhang auszugehen als bei anderen (z.B. Kosmetika). Offensichtlich spielt dabei auch das Preisniveau der jeweiligen Warengruppe eine Rolle. Tellis/ Wernerfelt (1987) zeigen auf, dass der Korrelationskoeffizient für den Preis-Qualitätszusammenhang bei hochpreisigen Gebrauchsgütern deutlich höher ist als im Durchschnitt aller untersuchten Warengruppen. Diese Tatsache erklären sie damit, dass Konsumenten sich vor dem Kauf höherpreisiger Produkte wegen des damit verbundenen höheren Kaufrisikos besser informieren, weshalb Hersteller gut daran tun, bei höheren Preisen tatsächlich eine bessere Qualität zu bieten. Dass Konsumenten eine preisabhängige Qualitätsbeurteilung als vereinfachte Kaufentscheidungsregel heranziehen, liegt u.a. auch an der weit verbreiteten M einung: „Was nichts kostet, ist nichts wert“ oder auch „Qualität hat ihren Preis“. Sofern der Preis tatsächlich e in hinreichend verlässlicher Qualitätsindikator ist, kann die Orientierung am Preis bei der Kaufentscheidung auch in ökonomischer Sicht durchaus sinnvoll sein; auf diese Weise erspart man sich die Kosten für die Suche nach „objektiver“ Qualitätsinformation (Fachliteratur, Telefonate usw.) sowie die damit verbundenen Zeitverluste (Opportunitätskosten). Die Summe aus diesen Kosten und dem Produktpreis kann dann insgesamt sogar niedriger sein, wenn man gleich zu einem höherpreisigen Produkt greift (vgl. Simon/ Fassnacht 2016, S. 166). <?page no="462"?> 440 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Quelle: Diller 2000, S. 162 Abb. 3.101: Schematische Darstellung von teilkompensatorischen kategorialen Preiswürdigkeitsurteilen Preisempfinden Qualitätsempfinden objektive Qualität Produkt Produkt A B C D E A B C D E } } } "zu teuer" (inakzeptabel) "sehr teuer" "teuer" "sehr billig" "billig" } } } { { { } } "exquisit" "gut" "mangelhaft" (inakzeptabel) "schlecht" "sehr gut" B "normal" C "befriedigend" } D (1) (3) (5) (4) (2) objektiver Preis Die preisabhängige Qualitätsbeurteilung ist schließlich auch Basis für das Konzept der Buyresponse-Kurven (vgl. z.B. Gabor/ Granger 1966, Kaas 1977, S. 28 ff.). Danach existiert für den Konsumenten eine Zone akzeptabler Preise: Preise oberhalb dieses Preisbereichs erscheinen dem jeweiligen Konsumenten für die jeweils vorgegebene Warengruppe - angesichts seines gegebenen finanziellen Budgets - als zu hoch. Preise unterhalb dieses Preisbereichs hingegen sind für ihn auch nicht akzeptabel, da er eine mangelhafte Qualität befürchtet. Existieren derartige Zonen akzeptabler Preise, so würde eine Befragung von Probanden zu zwei Funktionsverläufen führen <?page no="463"?> Kontr ahier ungspolitik 441 (vgl. Abb. 3.102): Die Kurve minimaler Preise U(p) gibt die kumulierten Anteile derjenigen befragten Probanden an, die die einzelnen Preise als gerade noch ausreichend ansehen, ohne Qualitätszweifel haben zu müssen. Die Kurve maximaler Preise O(p) hingegen gibt die kumulierten Anteile der Käufer an, die den jeweiligen Preis als zu hoch erachten. Die Zahl der Käufer, welche bei einem bestimmten Preis p dann tatsächlich kaufen würden, ergibt sich dann als B p U p O p Bei einem Preis von p + (vgl. Abb. 3.102) beträgt der Anteil der Käufer B, für den Anteil A ist der Preis (immer noch) zu niedrig, für den Anteil C hingegen ist der Preis p + zu hoch. Auf diese Weise lässt sich offensichtlich auch der Preis bestimmen, bei dem die Zahl der Käufer maximiert wird; dies ist bei dem Preis der Fall, welcher zum M aximum bei der unteren Graphik in Abb. 3.102 führt. Offensichtlich hat die Funktion eine andere Gestalt als die in herkömmlichen Analysen herangezogene Preisabsatzfunktion mit einer über den gesamten Wertebereich negativen Steigung (vgl. Abschnitt 2.2.2.2.3.2.1 in diesem Teil). In der Tat konnten derartige Preisabsatzfunktionsverläufe wie in der unteren Graphik von Abb. 3.102 dargestellt empirisch nachgewiesen werden. Abb. 3.103 zeigt dies für den Brillenmarkt. Die dort eingezeichnete Preisabsatzfunktion wurde analog zum Buy-response-Kurven-Konzept mittels folgender beider Fragen ermittelt: 100% U(p) O(p) A B C Käufer p min p max p + p min p max p p B(p) in % Quelle: Sabel 1973, S. 423 Abb. 3.102: Das Buy-response-Konzept <?page no="464"?> 442 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes [1] Wieviel würden Sie maximal für eine Brille ausgeben? [2] Gibt es auch eine Preisuntergrenze, bei der Ihnen eine Brille nicht mehr gut genug wäre? Abb. 3.103 zeigt z.B., dass nur ca. 40 % der Befragten eine Brille unter 35 DM akzeptieren würden. Den „klassischen“ Verlauf einer Preisabsatzfunktion mit abnehmenden M engen bei steigenden Preisen findet man erst ab Preisen über 100 DM . Abgetragen sind darüber hinaus die tatsächlich gezahlten Preise für eine Brille. Auch hier liegt ein zunächst steigender Verlauf der Funktion vor. 2.2.2.1.3 Weitere preispsychologische Effekte aus Nachfragersicht Neben den bereits dargestellten preispsychologischen Effekten aus Sicht des Nachfragers existieren weitere preispsychologische Konstrukte, welche das Kaufverhalten von Konsumenten beeinflussen können. Hierzu zählen Preiserlebnisse, Preisinteresse, Preislernen und Preiskenntnisse sowie Preisintentionen (vgl. hierzu i.E. insbesondere Diller et al. 2021, S. 91 ff.). Diese preispsychologischen Konstrukte werden z.T. von affektiven Prozessen dominant beeinflusst, z.T. sind aber auch kognitive oder konative Prozesse vorherrschend. In Abb. 3.104 werden die genannten preispsychologischen Konstrukte den sie dominierenden Prozessen zugeordnet sowie näher erläutert. Ob und - wenn ja - in welchem Ausmaß die jeweiligen Konstrukte bei Kaufentscheidungen eine Rolle spielen, hängt von der jeweiligen Entscheidungssituation sowie vom Konsumenten selbst 20 40 60 80 50 0 100 150 200 250 300 350 Anteil (%) Preis (DM) Tatsächlich gezahlte Preise Preisabsatzfunktion Quelle: Simon 1992, S. 607 Abb. 3.103: Durch Befragung ermittelte Preisabsatzfunktion und tatsächlich gezahlte Preise für Brillen <?page no="465"?> Kontr ahier ungspolitik 443 ab. Neben motivationalen Faktoren (z.B. Sparsamkeitsdenken, Qualitätsstre ben, Entlastungsstreben) und kognitiven Faktoren (z.B. Kauf- und Produkterfahrung, Vertrauen zum Anbieter, Selbstvertrauen) besitzen daher auch situative Faktoren (z.B. Zeitdruck, Komplexität der Einkaufsaufgabe, Verwendungszweck des Produkts) eine entsprechende Bedeutung. Als angenehm oder unangenehm empfundene, mehr oder weniger bewusste und nicht regelmäßig wiederkehrende Empfindungen über Preise, wobei nicht nur vom Preis selbst, sondern auch von anderen Preisbestandteilen wie Rabatten, Serviceentgelten usw. Preiserlebnisse ausgehen können. Preispsychologisches Konstrukt Inhalte Dominante Prozesse Preiserlebnisse affektiv Bedürfnis eines Nachfragers, nach Preisinformation zu suchen und diese bei der Kaufentscheidung zu berücksichtigen. Je stärker das Preisinteresse ausfällt, umso geringer ist die Bereitschaft für ein Produkt einer bestimmten Qualitätskategorie einen höheren Preis zu bezahlen bzw. bei Überschreitung einer Preisobergrenze das Produkt überhaupt zu kaufen. Preisinteresse kognitiv Durch Preisbeobachtung und Preiserfahrungen gespeister Erwerb von Preiswissen im Langzeitgedächtnis. Preislernen und Preiskenntnisse kognitiv Zustände gelernter und relativ dauerhafter Bereitschaft, in einer entsprechenden Entscheidungssituation ein bestimmtes Preis verhalten zu zeigen. Preisintentionen konativ Abb. 3.104: Preispsychologische Konstrukte aus Sicht des Konsumenten <?page no="466"?> 444 PPlanung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Preispolitische Ziele ökonomische preispolitische Ziele außerökonomische preispolitische Ziele Preisimageziele Preispositionierungsziele Preisstellungsziele marktgerichtet betriebsintern Beschäftigungsziele Kostenziele Absatzziele Umsatzziele Marktanteilsziele Gewinnbzw. Renditeziele Gewinnung und Bindung neuer Kunden Abb. 3.105: Ziele der Preispolitik Art der Marktabgrenzung Beispiel produktbezogen (bzw. sachlich) nachfragerbezogen bedürfnisbezogen preisklassenbezogen regional zeitlich Zeitschriftenmarkt Endnachfrager, Großhandel, Einzelhandel Fitness- und Wellnessmarkt Europa, Deutschland, Schleswig-Holstein Vorsaison, Zwischensaison, Hauptsaison, Nachsaison hochpreisig, normalpreisig, billig Abb. 3.106: Abgrenzungsmöglichkeiten von Märkten <?page no="467"?> Kontrahierungspolitik 445 22.2.2.2 Preispolitik aus Sicht des Anbieters 2.2.2.2.1 Ziele und Restriktionen der Preispolitik Charakteristisch für die Preispolitik eines Anbieters ist die Tatsache, dass in erster Linie ökonomische Ziele verfolgt werden. Darüber hinaus können jedoch auch außerökonomische Ziele im Rahmen der Preispolitik verfolgt werden. Abb. 3.105 zeigt typische preispolitische Ziele im Überblick auf. Empirische Umfragen haben dabei gezeigt, dass insbesondere Gewinnziele eine herausragende Rolle im Rahmen der Preispolitik spielen (vgl. z.B. Wied-Nebbelig 1975 und 1985; Tull/ Köhler/ Silver 1986). Gleichzeitig wird in diesen Umfragen aber auch deutlich, dass nicht nur ein einziges preispolitisches Ziel verfolgt wird, sondern in der Regel eine Kombination von Zielen, wobei die Ziele selbst eine unterschiedliche Bedeutung besitzen. Auch wird häufig kein Extremierungsverhalten (z.B. Gewinnmaximierung) angestrebt, sondern ein Satisfizierungsverhalten (z.B. angemessener oder branchenüblicher Gewinn) an den Tag gelegt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die verfolgten preispolitischen Ziele häufig nicht unabhängig voneinander sind. Sie können komplementär (z.B. Gewinnsteigerungs- und Kostensenkungsziele) oder auch konfliktär (z.B. Preisimage- und Absatzziele) sein. Liegt diese Komplementarität bzw. Konfliktheit nur innerhalb eines bestimmten Ausprägungsbereichs der jeweiligen Ziele vor, so ist eine partielle (nicht absolute) Komplementarität bzw. Konfliktheit gegeben, wobei Komplementarität und Konfliktheit abwechseln können (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.2.2.2.3.2.2.1 in diesem Teil). Es empfiehlt sich daher, die verfolgten Ziele zu strukturieren (z.B. in Form von Ziel-Mittel-Hierarchien, Ober-, Zwischen- und Unterzielen, Haupt- und Nebenzielen usw.) und auf ihre wechselseitigen Abhängigkeiten zu überprüfen. Restriktionen der Preispolitik sind in vielfältiger Form gegeben und können in unternehmensinterne und unternehmensexterne Restriktionen eingeteilt werden. Zu den unternehmensinternen Restriktionen der Preispolitik gehören die eingesetzten Produktionsverfahren und daraus resultierend die Kostensituation des Unternehmens, die Finanzlage des Unternehmens, die kapazitative Situation des Unternehmens sowie übergeordnete Strukturgegebenheiten wie Standort und Betriebsgröße des Unternehmens. Die Kostensituation schlägt sich mittelbar oder unmittelbar in den zu fordernden Preisen nieder (vgl. hierzu Abschnitt 2.2.2.2.3.1 in diesem Teil) und spielt damit eine zentrale Rolle hinsichtlich der Preisgestaltung. Die Finanzlage des Unternehmens ist insofern von Bedeutung für die Preispolitik, als dass bei angespannter (entspannter) Finanzlage häufig kundenfreundlichere (kundenunfreundlichere) Preise (und Konditionen) gewährt werden. Ähnliches gilt für die kapazitative Situation. Ist die kapazitative Situation angespannt, d.h. die Kapazitäten sind voll ausgenutzt, so besteht wenig Interesse an niedrigeren Preisen und kundenfreundlicheren Konditionen, da zusätzliche Absatzmengen - zumindest im Moment - ohnehin nicht erzeugt werden könnten (u.u.). Strukturgegebenheiten wie der Standort eines Unternehmens bestimmen u.a. die Transportwege, Möglichkeiten der Akquisition von Personal mit der gewünschten Qualifikation, Versorgung mit Rohstoffen usw. und determinieren somit wiederum die Kostensituation des Unternehmens. Gleiches gilt für die Betriebsgröße, da größere Betriebe häufig über economies of scale (z.B. durch Rabatte infolge großer Einkaufsvolumina) verfügen. <?page no="468"?> 446 PPlanung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Zu den unternehmensexternen Restriktionen der Preispolitik zählen im Wesentlichen der Markt (Abgrenzung, Struktur, Form, Organisation) sowie rechtliche Gegebenheiten. So ist zunächst der relevante Markt abzugrenzen, wobei mehrere Abgrenzungsmöglichkeiten gegeben sind (vgl. i.E. Abschnitt 1.4 im 2. Teil). Abb. 3.106 zeigt die Abgrenzungsmöglichkeiten im Einzelnen auf. In der Regel werden diese Abgrenzungskriterien kombinativ angewendet, um einen Markt zu definieren. Aus theoretischer Sicht ist dabei eine nachfragerorientierte Sichtweise einzuschlagen. Produkte sind damit zu einem Markt zugehörig, wenn sie eine gewisse Substituierbarkeit aus Sicht der Nachfrager aufweisen. Hinsichtlich des Kriteriums „Marktstruktur“ sind einstufige und mehrstufige Märkte zu unterscheiden. Während bei einstufigen Märkten der Anbieter direkt an den Endnachfrager verkauft, sind bei mehrstufigen Märkten betriebsfremde Organe in die Absatzkette (z.B. Großund/ oder Einzelhandel) eingeschaltet (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.2.2.2.4.4 in diesem Teil). Die Marktform ist gegeben durch die Anzahl von Anbietern und Nachfragern auf einem Markt. Sie führt zu Marktformen wie z.B. Monopol, Oligopol oder Polypol. Die Marktform determiniert dabei in erheblichem Ausmaß das Verhalten der Anbieter und Nachfrager auf dem jeweiligen Markt (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.2.2.2.3.2.2. in diesem Teil). Möglichkeiten alternativer Marktorganisationen bestehen z.B. in Messen, Börsen, Aus- und Einschreibungen, herkömmlichen Marktplätzen sowie Auktionen. Gerade durch das Internet haben dabei Auktionen in der jüngeren Vergangenheit erheblich an Bedeutung gewonnen (vgl. auch Abschnitt 2.2.2.2.4.6 in diesem Teil). Die Art der Marktorganisation determiniert dabei nicht unerheblich den für ein Produkt zu erzielenden Preis. Rechtliche Restriktionen der Preispolitik ergeben sich u.a. durch (vgl. Ahlert/ Schröder 1996, S. 229 ff.; Diller et al. 2021, S. 74 ff.): das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB, umgangssprachlich Kartellgesetz), das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), die Verdingungsverordnung zur Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen (VPÖA) sowie den Amtlichen Gebührenverordnungen. Besondere Bedeutung haben dabei das GWB sowie das UWG. Während das GWB in erster Linie marktweite Gefährdungstatbestände bekämpft, regelt das UWG individuelle Verstöße einzelner Anbieter. Wesentliche Regelungen des GWB betreffen das Kartellverbot bzw. Vereinbarungen zwischen Unternehmen zur Behinderung des Wettbewerbs (§1 GWB), den Preismissbrauch im <?page no="469"?> Kontr ahier ungspolitik 447 Sinne des Forderns überhöhter Preise aufgrund einer marktbeherrschenden Stellung ( § 19 GWB) sowie das Preiserhöhungsverbot und das Verbot der unbilligen Behinderung z.B. durch das Fordern von Untereinstandspreisen zur Verdrängung kleinerer M arktanbieter (§ 20 GWB). Das UWG regelt u.a. die Unlauterbarkeit einer Wettbewerbshandlung gemäß § 3 UWG, das Verbot der Irreführung (z.B. Schutz vor Lockvogelangeboten gemäß § 5 UWG) sowie die unlautere vergleichende Werbung gemäß § 6 UWG. Verboten gemäß § 138 BGB sind darüber hinaus Wucherpreise, d.h. Preise, die in einem besonders groben M issverhältnis zur Gegenleistung stehen oder die durch Ausnutzung einer Notlage Festlegung der preispolitischen Ziele Identifikation der für die Preissetzung relevanten unternehmensinternen und -externen Restriktionen Vorgabe einer adäquaten Preisstrategie Durchsetzung der Preise Kontrolle der Wirkungen der Preise Analyse und Prognose der Veränderungen der preispolitischen Restriktionen im Zeitablauf Bestimmung der zu fordernden Preise MAIS Weitere unternehmensinterne und -externe Daten und Informationen Planungsphase Durchsetzungs- und Kontrollphase Analyse- und Prognosephase Anpassungsmaßnahmen Informationsbeziehungen Abb. 3.107: Der Preismanagementprozess <?page no="470"?> 448 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes oder Unerfahrenheit des Vertragspartners zustande kommen. Spezie lle Rechtsnormen wie die VPÖA regeln dagegen die Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen (vgl. Berndt 1988), bestimmte Berufsgruppen schließlich (wie z.B. Ärzte, Rechtsanwälte, Notare, technische Überwachungsvereine) müssen sich an berufsspezifische amtliche Gebührenverordnungen bei ihrer Preisgestaltung halten. 2.2.2.2.2 Der Preismanagement-Prozess Im Rahmen von Preisentscheidungen ist eine Sequenz von mehreren Entscheidungsstufen zu durchlaufen, welche die Planung, Durchsetzung und Kontrolle der Wirkung von Preisentscheidungen zum Inhalt haben. Darüber hinaus ist für die Preissetzung eine kontinuier liche Analyse und Prognose der Veränderung der Restriktionen bzw. Determinanten der Preisentscheidungen durchzuführen. Die in der Kontroll-, Analyse- und Prognosephase gewonnenen Daten gehen dabei zur Unterstützung zukünftiger Entscheidungen in ein M arketing-Informationssystem (M AIS) ein (vgl. hierzu auch Abschnitt 3.1.5 im 2. Teil). M ittels dieses M arketing-Informationssystems werden die für die Preisentscheidungen (und auch für andere M arketing-Entscheidungen) relevanten Daten in gewünschter Weise aufbereitet und verdichtet, so dass sie als Planungs- und Entscheidungsgrundlage herangezogen werden können. Abb. 3.107 zeigt den Preismanagement- Prozess im Überblick auf. Ausgangspunkt des Preismanagement-Prozesses sind die verfolgten preispolitischen Ziele sowie die jeweils relevanten preispolitischen Restriktionen (vgl. hierzu den vorangegangenen Abschnitt 2.2.2.2.1). Anschließend ist über die geeignete Preisstrategie zu entscheiden. Im M ittel- Preis Zeit I IV III II V Quelle: Berndt 1995a, S. 118 Abb. 3.108: Alternative Preisstrategien <?page no="471"?> Kontr ahier ungspolitik 449 Art der Preisstrategie Charakterisierung der Preisstrategie Vorteile Nachteile Beispiele Typ I : Dauerhafte Hochpreisstrategie Typ II : Skimmingstrategie Typ III : Dauerhafte Normalpreisstrategie Typ IV : Penetrationsstrategie Typ V : Niedrigpreisstrategie hohe Stückdeckungsbeiträge grundsätzliche Möglichkeit späterer Preissenkungen - Vermittlung eines exklusiven Images Eingangs hoher Preis wird dauerhaft aufrechterhalten Eingangs hoher Preis wird sukzessive gesenkt Mittlerer Preis wird auf Dauer beibehalten Niedriger Einführungspreis wird sukzessive angehoben Eingangs niedriger Preis wird dauerhaft beibehalten - Abschöpfung von Zahlungsbereitschaft möglich risikoarme Preisstrategie, da später Preissenkungen möglich und auch vorgesehen sind - Angebot einer "bewährten" Qualität gegenüber dem Abnehmer - Erzielung durchschnittlicher ( aber u.U. instabiler ) Gewinne möglich schnelle Erzielung von Kostenvorteilen durch rasches Absatzwachstum ( Erfahrungskurveneffekte, economies of scale ) hohe Gewinne möglich, insbesondere wenn Kunden trotz späteren Preissteigerungen an der Marke festhalten eindeutige Preispositionierung hohe Gewinne trotz niedriger Stückdeckungsbeiträge möglich, wenn Absatzzahlen entsprechend hoch sind geringe Stückdeckungsbeiträge u.U. schlechte Qualitätsvermutungen aus Sicht der Konsumenten wegen sehr niedrigen Preisen Aldi No-Name- Produkte ( Die Weißen, A & P, Ja! , usw. ) niedrige Absatzzahlen - Kostennachteile bei sehr raschem Absenken des Preises Verärgerung von Kunden, die sehr früh gekauft haben - Absatzsteigerung tritt erst allmählich ein - Kostensenkung erst später bei erhöhten Absatzmengen - Problem einer fehlenden eindeutigen Preis- (und Qualitäts-) positionierung leicht angreifbare Wettbewerbsposition Rolex, Rolls-Royce, Bang & Olufsen, Dom Perignon CD-Player, Digitalkameras, Autonavigationssysteme Handelsmarken im Lebensmittelbereich, nichtexklusive Markenartikel Japanische Autos auf dem deutschen Automobilmarkt Abb. 3.109: Charakterisierung alternativer Preisstrategien keine weiteren Preissenkungen möglich bei ( nicht erwarteten ) geringen Absatzmengen in der Anfangsphase risikoreiche Strategie u.U. keine Vermittlung einer guten Produktqualität wegen anfänglicher Niedrigpreispositionierung <?page no="472"?> 450 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes punkt steht hier die Entscheidung über die festzulegende Preishöhe im Zeitablauf. Die grundsätzlich möglichen Preisstrategien zeigt Abb. 3.108 in schematisierter Form auf. In Abb. 3.109 werden die einzelnen Preisstrategien näher charakterisiert sowie mögliche Vor- und Nachteile hervorgehoben. Die Aufgabe der Festlegung der jeweils geeigneten Preisstrategie obliegt dabei dem dynamischen Preismanagement (vgl. Abschnitt 2.2.2.2.4.3 in diesem Teil). Im M ittelpunkt des Preismanagement-Prozesses steht die Festlegung konkreter Preise für einzelne Produkte. Hierfür existiert eine Vielzahl von Verfahren, welche grundsätzlich in kostenorientierte, nachfrageorientierte, konkurrenzorientierte und nutzenorientierte Verfahren eingeteilt werden können (vgl. den folgenden Abschnitt 2.2.2.2.3). Werden Preise mittels dieser Verfahren bestimmt, so sind nach ihrer Durchsetzung (z.B. gegenüber dem Handel; vgl. hierzu auch Abschnitt 2.2.2.2.4.4 in diesem Teil) die Wirkungen (z.B. Absatzmenge- oder Gewinnwirkungen) dieser Preise zu kontrollieren. Stellen sich unerwünschte Wirkungen ein bzw. werden die anvisierten preispolitischen Ziele nicht erreicht, so können Anpassungsmaßnahmen auf jeder Stufe des Preismanagement-Prozesses vorgenommen werden (vgl. Abb. 3.107). Zudem ist permanent zu überprüfen, ob durch Änderung der preispolitischen Restriktionen auch Preisänderungen erfolgen müssen. 2.2.2.2.3 Ansätze zur Preisbestimmung 2.2.2.2.3.1 Kostenorientierte Preispolitik Die Anwendung kostenorientierter Kalkulationsschemata zur Bestimmung von zu fordernden Preisen hat einen besonderen Stellenwert. Wesentliche Gründe für die häufige Anwendung einer kostenbasierten Preisfindung sind in folgenden Punkten zu sehen: Bei einer kostenbasierten Preisbestimmung sind keine differenzierten Informationen über die Nachfrageverhältnisse notwendig. Intensive und entsprechend teure M arktforschungsarbeiten zur Analyse der Nachfrageverhältnisse können somit unterbleiben; es ist daher wenig verwunderlich, dass insbesondere kleine bzw. mittelständische Unternehmen oder erst kürzlich gegründete Unternehmen aufgrund beschränkter finanzieller M ittel häufig auf eine kostenorientierte Preisbestimmung ausweichen. In bestimmten Situationen werden kostenbasierte Preise explizit gefordert; beispielsweise wird in Deutschland eine Kosten-plus-Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen verlangt, für die keine M arktpreise existieren. Die Kalkulationsgrundlagen sind in diesem Fall durch die Leitsätze für die Preisermittlung auf Basis von Selbstkosten (LSP) festgelegt (vgl. z.B. Berndt 1988, S. 36 ff.). Kostenbasierte Preise lassen sich unternehmensintern gegenüber der Geschäftsführung oder dem Finanzwesen vergleichsweise einfach durchsetzen, da kostendeckende Preise ein Sicherheitsstreben implizieren, welches dem Verhalten der Entscheidungsträger im Unternehmen zumeist entgegenkommt. Liegt eine kundenorientierte Auftragsfertigung vor, so werden Spezialanfertigungen für den Kunden hergestellt, für die es keine vergleichbaren Produkte im M arkt gibt (z.B. im Anlagenbau). Auch in diesem Fall muss mangels eines M arktpreises auf Kostenpreise übergegangen werden. Die konkrete Bestimmung von Preisen auf Basis von Kosten ist im Vergleich mit marktbzw. nachfrageorientierten Preisen einfach und wenig zeitaufwendig, da auf feststehende Kalkulationsschemata zurückgegriffen werden kann. <?page no="473"?> Kontr ahier ungspolitik 451 Abb. 3.110 zeigt ein beispielhaftes Kalkulationsschema zur Ermittlung der Stückkosten. Dabei sind Einzelkosten jene Kosten, welche einem Produkt direkt zurechenbar sind; Gemeinkosten hingegen sind nicht direkt zurechenbar und müssen daher auf die Produkte aufgeschlüsselt werden (z.B. M ietkosten für eine Halle, in der verschiedene Produkte gefertigt werden). Die Stückkosten stellen die Basis der kostenorientierten Preisbestimmung dar, bei welcher im Falle der Vollkostenkalkulation wie folgt vorgegangen wird: (1) 1 p g k mit: p = Preis g = Aufschlagsatz k = Stückkosten Werden lediglich die Einzelkosten berücksichtigt, so liegt eine Teilkostenkalkulation vor, wobei gilt: (2) 1 ' p g e mit: g’ = Aufschlagsatz bei Teilkostenkalkulation (g’ > g) e = Einzelkosten pro Stück Zur Ermittlung von Einzelkosten pro Stück e werden einfach sämtliche Gemeinkosten in Abb. 3.110 vernachlässigt und die resultierenden Einzelkosten durch die vorgegebene M enge dividiert. Offensichtlich muss dann der Aufschlagsatz bei der Teilkostenkalkulation g’ größer als der Aufschlagsatz bei Vollkostenkalkulation sein, da die Gemeinkosten ja mit abgedeckt sein müssen. Eine Teilkostenkalkulation auf Einzelkostenbasis kann immer dann herangezogen werden, wenn man das Problem der (mehr oder weniger willkürlichen) Gemeinkostenschlüsselung umgehen möchte. Darüber hinaus existieren weitere grundsätzliche Kalkulationsarten: Je nachdem, ob eine progressive, retrograde oder differentielle Kalkulation vorliegt, ist die rechte oder die linke Seite von (1) bzw. (2) gegeben (vgl. z.B. Kehr 2020, S. 207 f.). Im Falle einer herkömmlichen progressiven Kalkulation werden zunächst die Stückkosten ermittelt und anschließend mittels Anwendung des Aufschlagfaktors der Preis bestimmt; der Preis ist demnach eine Residualgröße. Diese Vorgehensweise korrespondiert mit dem Begriff der Kosten-plus-Preisbildung. Bei der retrograden Kalkulation wird von einem gegebenen Preis - z.B. dem durchschnittlichen M arktpreis auf einem Produktmarkt - ausgegangen und ermittelt, ob dieser Preis kostendeckend ist; Residualgrößen sind in diesem Fall offensichtlich der Aufschlagsatz und die Stückkosten. Bei der differentiellen Kalkulation wird sowohl von einem gegebenen Preis als auch von vorgegebenen Stückkosten ausgegangen und die Höhe des Aufschlagsatzes berechnet; Residualgröße ist in diesem Fall daher lediglich der Aufschlagsatz. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass die Grenzen zwischen einer nachfrage - und einer kostenorientierten Betrachtungsweise fließend sind, da sowohl die retrograde als auch die differentielle Kalkulation die Nachfrageseite - zumindest ansatzweise - ins Kalkül ziehen; zudem wird auch die progressive Kalkulation vielfach nicht strikt angewandt, sondern es wird vielmehr in einer Art „Umgebungsprüfung“ untersucht, ob sich nicht mittels etwas höherer oder niedrigerer Preise ein noch höherer Gewinn erzielen lässt. <?page no="474"?> 452 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Bei einer Beurteilung der kostenorientierten Preisfindung ist auf folgende Punkte hinzuweisen: Bei der progressiven Kalkulation entsteht ein Zirkelschluss, da der Preis von den Stückkosten determiniert wird und gleichzeitig die Höhe der Stückkosten vom Preis abhängt. Die Abhängigkeit der Stückkosten vom Preis ist darauf zurückzuführen, dass bei einer Vollkostenkalkulation die Höhe der anteiligen Fixkosten pro Stück von der abgesetzten M enge abhängt, welche wiederum vom Preis determiniert wird. Bei strikter Anwendung der progressiven Kalkulation kann dies zu irrationaler Preissetzung führen. Wird eine Teilkostenrechnung zugrunde gelegt, so ergeben sich dieselben Effekte, sofern eine nicht-lineare Kostenfunktion vorliegt; auch in diesem Fall hängt der Preis von den - jetzt ausschließlich aus variablen Kostenbestandteilen bestehenden - Stückkosten und die Stückkosten gleichzeitig vom Preis ab. M ittels einer Kosten-plus-Preisbildung wird nur zufällig der tatsächlich gewinn-optimale Preis gefunden. Lediglich im Spezialfall iso-elastischer Preisabsatzfunktionen sowie konstanter Grenzbzw. Stückkosten kann der optimale Kosten-plus-Preis unmittelbar bestimmt werden (vgl. Abschnitt 2.2.2.2.3.2.2.1 in diesem Teil). Die Höhe des Aufschlagfaktors g bzw. g’ ist willkürlich und entbehrt jeder theoretischen Fundierung. Für eine bestimmte Menge x ist zu ermitteln: Materialeinzelkosten Materialgemeinkosten Materialkosten Lohneinzelkosten Lohngemeinkosten Herstellkosten Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten Sondereinzelkosten des Vertriebs Selbstkosten s + + + + + Die Stückkosten ergeben sich dann als : x Menge s en Selbstkost k Abb. 3.110: Ein allgemeines Kalkulationsschema zur Ermittlung von Selbstkosten und Stückkosten <?page no="475"?> Kontr ahier ungspolitik 453 Die auf Basis von kostenorientierten Kalkulationsschemata kalkulierten Preise sind oft nicht am M arkt durchsetzbar. Es erfolgt (bei strikter kostenorientierter Preiskalkulation) keinerlei Ausrichtung auf marktliche Gegebenheiten bzw. auf die Preise der Konkurrenz. Bei Vollkostenkalkulation verbleibt die Problematik der Gemeinkostenschlüsselung, welc he mehr oder weniger willkürlich erfolgt. 2.2.2.2.3.2 Nachfrageorientierte Preispolitik 2.2.2.2.3.2.1 Bestimmung von Preisabsatzfunktionen Ausgangspunkt einer nachfrageorientierten Preispolitik ist die Bestimmung einer Preisabsatzfunktion. Eine Preisabsatzfunktion gibt an, wie viele M engeneinheiten von einem Produkt bei alternativen Preisen abgesetzt werden können. Abb. 3.111 zeigt einige typische Preisabsatzfunktionen auf. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Preisabsatzfunktionen einige nicht unerhebliche Prämissen implizieren (vgl. Diller et al. 2021, S. 208 ff.): Prämisse des gegebenen M arktes: Die Preisabsatzfunktion bezieht sich stets a uf einen genau umrissenen Produktmarkt für Produkte bestimmter Qualität. Neudefinitionen des Produktmarktes (z.B. in geographischer Hinsicht bzw. hinsichtlich des Absatzgebietes) führen genauso wie Veränderungen der Qualität des betrachteten Produktes zu Verschiebungen der Preisabsatzfunktion (z.B. führt eine Qualitätsverbesserung i.d.R. zu einer Verschiebung der Preisabsatzfunktion nach rechts). Ceteris-paribus-Bedingung: Preisabsatzfunktionen stellen lediglich die Wirkung des Preises bzw. von alternativen Preishöhen auf die Absatzmenge dar. Alle anderen marketingpolitischen Instrumente (z.B. Werbung, Vertriebspolitik) bleiben hinsichtlich des Niveaus ihres Einsatzes konstant. Statische Betrachtung: Die Zeit spielt bei der M odellierung von Preisabsatzfunktionen keine Rolle. Sogenannte time-lag- oder carry-over-Effekte werden nicht berücksichtigt (vgl. hierzu Abschnitt 2.2.2.2.4.3 in diesem Teil). Eine Preisabsatzfunktion bezieht sich daher immer auf eine genau umrissene Periode t (z.B. das laufende Geschäftsjahr). Einstufige M arktbetrachtung: Die dargestellten Preisabsatzfunktionen unterstellen einstufige M arktmodelle ohne Zwischenschaltung betriebsfremder Organe (z.B. Handel). Wegen fehlender M öglichkeiten der Preisbindung des Handels durch den Hersteller ist diese Prämisse häufig nicht gegeben (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.2.2.2.4.4 in diesem Teil). Lediglich beim Direktabsatz liegen tatsächlich einstufige M arktmodelle vor. Vorgegebene M arktbedingungen: Sämtliche M arktbedingungen wie insbesondere das Nachfrage- und Konkurrenzverhalten werden als gegeben und konstant angesehen. Änderungen wichtiger Einflussfaktoren (z.B. Einkommen der Haushalte bzw. Konsumenten oder Preisänderungen der Konkurrenz) führen zur Veränderung der Form und/ oder Lage der Preisabsatzfunktion. Zur konkreten Ermittlung von Preisabsatzfunktionen kann auf verschiedene Weise vorgegangen werden. Preisabsatzfunktionen können ermittelt werden (vgl. auch Berndt 1995a, S. 184 ff.) auf Basis empirischer Daten der Vergangenheit, mittels Expertenschätzungen, auf experimentellem Wege sowie durch Konsumentenbefragungen. <?page no="476"?> 454 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Quelle: In Anlehnung an Diller et al. 2021, S. 204 Abb. 3.111: Charakterisierung von vier Grundtypen von Preisabsatzfunktionen Modelltyp Kennwerte linear, ohne Konkurrenzeinfluss (1a) linear, mit Konkurrenzeinfluss (1b) multiplikativ, ohne Konkurrenzeinfluss (2a) multiplikativ, mit Konkurrenzeinfluss (2b) doppelt gekrümmte Funktion (3) logistische Funktion (4) Sättigungsabsatz Höchstpreis (x=0) Funktionsspezifikation i i p x ) 0 , 0 ( p p x j i i j p nicht allgemein bestimmbar / / p j Grenzabsatz 1 i p j 1 i p p i j 2 2 1 p p cosh - - Preiselastizität i i p p j i i p p p Kreuzpreiselastizität i j 2 i j 2 1 p p cosh x / p graphische Darstellung des Funktionsverlaufs i x i p i p i x i p i x i p i x i p i x i p i x i i i j 2 2 1 x p p p cosh 0 , 0 i i p x i i dx dp i i i i dx p dp x j i ij i j p dx x d p j i j p p p x i i j p p ( 0) 1 2 sinh[ ( )] i i i j x p p p i j x ( 0) i p i j i i i j j j p x p (1 ) / i i i i x x p (1 ) i i x <?page no="477"?> Kontr ahier ungspolitik 455 Liegen Vergangenheitsdaten in Form von in der Vergangenheit geforderten Preisen und deren zugehörigen Absatzmengen vor, so lassen sich diese in einem Preis-M engen-Diagramm abtragen. Es ergibt sich eine Punktwolke, durch die mittels der Regressionsanalyse eine Preisabsatzfunktion derart gelegt wird, dass die Summe der quadrierten Abstände zwischen den einzelnen Punkten der Punktwolke (tatsächliche Preis-M engen-Kombina-tionen) und der pro Preisabsatzfunktion geschätzten Preis-M engen-Kombinationen minimiert wird (vgl. zur Regressionsanalyse i.E. Abschnitt 3.1.4.3.3 im 2. Teil). Abb. 3.112 zeigt eine derartige Preisabsatzfunktion. Dabei ist darauf zu achten, das für eine valide Schätzung der Preisabsatzfunktion die geforderten Preise in der Vergangenheit recht stark gestreut haben müssen. Anderenfalls sind die beobachteten Variationen der M engen nicht auf Preisänderungen zurückzuführen, sondern durch andere Einflüsse bedingt. Auch sind Preis-M engen-Schätzungen mittels der berechneten Preisabsatzfunktion in Bereichen mit Vorsicht zu betrachten, für welche kaum bzw. keine Daten aus der Vergangenheit vorliegen (in Abb. 3.112 z.B. für Preise unter 5 Geldeinheiten). x 3000 1500 20 10 p Abb. 3.112: Eine Preisabsatzfunktion auf Basis von empirischen Daten der Vergangenheit Ebenfalls lassen sich Preisabsatzfunktionen mittels einfacher oder wiederholter Befragung von Experten ermitteln (vgl. auch Abschnitt 3.3.3.1 im 2. Teil). Abb. 3.113 zeigt ein Beispiel für eine durch Expertenbefragung gewonnene Preisabsatzfunktion. Auch mittels Preisexperimenten lassen sich Preisabsatzfunktionen schätzen. Bei Längsschnittanalysen werden die Preise im Zeitablauf z.B. in einem Supermarkt systematisch variiert und die zugehörigen Absatzmengen erfasst. Querschnittsanalysen hingegen sind zeitpunktbezogen; hier wird in verschiedenen Supermärkten ein jeweils unterschiedlicher Preis angesetzt und die zugehörige Verkaufsmenge erfasst. In beiden Fällen resultiert wiederum eine Punktwolke in <?page no="478"?> 456 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes einem Preis-M engen-Diagramm (vgl. Abb. 3.112), welche regressions-analytisch ausgewertet werden kann. Konsumentenbefragungen zur Ermittlung von Preisabsatzfunktionen können direkt oder indirekt erfolgen. Bei einer direkten Befragung werden Konsumenten unmittelbar nach ihrer Zahlungsbereitschaft für ein bestimmtes Produkt gefragt. Die Obergrenze der Zahlungsbereitschaft ergibt sich dabei durch die Einkommensbzw. Budgetrestriktion der Konsumenten, die Untergrenze aufgrund vermuteter Qualitätsmängel. Eine derartige Analyse mündet in dem Buy - Response-Konzept zur Ermittlung von Preisabsatzfunktionen (vgl. Abschnitt 2.2.2.1.2 in diesem Teil). Validere Schätzungen lassen sich in der Regel durch indirekte Konsumentenbefragungen ableiten, bei denen nicht direkt nach dem Preis bzw. Zahlungsbereitschaften gefragt wird, sondern die Probanden Preis und Produkt bzw. dessen Eigenschaften gege neinander abwägen müssen. Diese Vorgehensweise zeichnet das reale Kaufverhalten besser nach. Ein in diesem Zusammenhang geeignetes Instrument ist die Conjoint Analyse (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.6 im 2. Teil sowie Berndt 1995a, S. 186 ff.). 2.2.2.2.3.2.2 Nachfrageorientierte Preispolitik bei unterschiedlichen Marktformen Für drei typische M arktformen soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie im Rahmen einer nachfrageorientierten Preispolitik optimale Preise bestimmt werden können. Konkret wird auf die M arktformen des M onopols, des Oligopols sowie des Polypols (vollkommen und unvollkommen) näher eingegangen. 123 92 75 44 84 100 121 149 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 70 80 90 100 110 120 Preis (Index) ohne Konkurrenzeintritt mit Konkurrenzeintritt Absatz (Index) 95 62 Quelle: Simon/ Kucher 1988, S. 177 Abb. 3.113: Preisabsatzfunktionen auf Basis einer Expertenschätzung Absatz <?page no="479"?> Kontr ahier ungspolitik 457 2.2.2.2.3.2.2.1 Preisfindung im Monopol Die M arktform des M onopols ist dadurch charakterisiert, dass lediglich ein Anbieter sich einer Vielzahl von Nachfragern gegenüber sieht. Gemäß der Symmetrieannahme unterscheiden sich die M arktteilnehmer auf der Nachfragerseite nicht oder nur unwesentlich in ihrer Größe, so dass ein einzelner Nachfrager keine M arktmacht ausüben kann (viele „kleine“ Nachfrager; vgl. hierzu auch Ott 1989, S. 38 f.). Es wird dabei im Grundmodell von folgenden Annahmen ausgegangen: Einproduktunternehmen, Ziel: Gewinnmaximierung, statischer Fall, gemäß M arktform keine Konkurrenz. Für den allgemeinen Fall mit nicht näher spezifizierten Preisabsatz- und Kostenfunktionen lautet die Zielfunktion: (1) ( ) G p x x K x mit: G = Gewinn p = Preis x = M enge K = (Produktions-)Kosten Durch Ableiten nach der unabhängigen Variable x und Nullsetzen der Ableitung ergibt sich: (2) ! 0 d p d G d K x p d x d x d x bzw. (2a) ! d p d K x p d x d x |_______||___| Grenzerlös Grenzkosten Im Optimum müssen also Grenzerlöse und Grenzkosten übereinstimmen. Unter Berücksichtigung der direkten Preiselastizität d x x d p p p d x d p x lässt sich (2a) umformen zu (3) 1 1 d K p d x Die direkte Preiselastizität gibt dabei an, um wieviel Prozent sich die Nachfrage bei einprozentiger Preisänderung ändert. Sie ist im Regelfall negativ. (3) wird auch als Amoroso-Robinson- Relation bezeichnet. Durch Umformung von (3) erhält man (3a) 1 d K p dx <?page no="480"?> 458 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Im M onopol ergibt sich daher der gewinnmaximale Preis als elastizitätsabhängiger Aufschlag auf die Grenzkosten. Je größer dabei die (absolute) Preiselastizität ist, desto niedriger ist der Preis: (4) 2 1 0 1 d p d K d d x Bei Grenzkosten in Höhe von einer Geldeinheit beträgt der gewinnmaximale Preis bei einer Preiselastizität von -2 (-4) beispielsweise 2 (1,33), d.h. der Aufschlag auf die Grenzkosten beläuft sich auf 100 % (33,3 %). Sofern also eine Preisabsatzfunktion eine konstante Preiselastizität aufweist (wie z.B. eine multiplikative Preisabsatzfunktion vom Typ b x a p , vgl. Abb. 3.111) und die Grenzkosten konstant sind (z.B. bei einer linearen Kostenfunktion), kann der optimale M onopolpreis gemäß (3a) unmittelbar bestimmt werden. Liegen konkrete Funktionsformen für die Preisabsatz- und die Kostenfunktion vor, so gestaltet sich die Preisoptimierung für den Fall linearer Funktionen wie folgt: Preisabsatzfunktion: , 0 p a b x a b Kostenfunktion: F v K k x K mit: v k = variable Stückkosten F K = Fixkosten Als Zielfunktion ergibt sich: (5) 2 F v F v G p x x K x a b x x k x K ax bx k x K Ableiten von (5) nach der M enge x und Nullsetzen ergibt: (6) ! 2 0 v d G a bx k d x Es resultiert: (7) 2 v a k x b Durch Einsetzen in die Preisabsatzfunktion erhält man: (8) 1 2 2 v v a k p a b a k b Der gewinnmaximale Preis ergibt sich damit als arithmetisches M ittel aus dem Höchstpreis a (für x = 0) und den variablen Stückkosten k v . Dasselbe Ergebnis ergibt sich naturgemäß für den Fall, dass die Preisabsatzfunktion nicht in Abhängigkeit von x, sondern von p modelliert wird. Es gilt dann: <?page no="481"?> Kontr ahier ungspolitik 459 Preisabsatzfunktion: x c d p Kostenfunktion: F F v v K k x K k c d p K Die Zielfunktion lautet: (9) 2 ( ) F v F v v G p x p K x p p c d p k c d p K c p d p c k k d p K Ableiten von (9) nach p und Nullsetzen führt zu (10) ! 2 0 v d G c d p k d d p Auflösen von (10) nach p ergibt (11) 1 2 v c p k d Auch (11) zeigt, dass sich der optimale Preis aus dem arithmetischen M ittel von Höchstpreis c d (für x = 0) und variablen Stückkosten ergibt. Die zugehörige graphische Analyse zeigt Abb. 3.114. Im oberen Schaubild von Abb. 3.114 wird eine Totalanalyse durch Verwendung einer Preisabsatzfunktion p x a b x , der zugehörigen Erlösfunktion 2 ( ) ( ) E x p x x a x b x sowie der Kostenfunktion ( ) F v K x k x K angestellt. Das Gewinnmaximum ist dort gegeben, wo der Abstand zwischen Erlös- und Kostenfunktion maximal ist. In diesem Punkt gilt die Optimalitätsbedingung „Grenzerlös = Grenzkosten“ (vgl. Gleichung (2a)), d.h. die Steigung von Erlös- und Kostenfunktion stimmen überein. Durch Fällen eines Lotes vom Tangentialpunkt der Kostenfunktion an die Erlösfunktion ergibt sich dann die gewinnmaximale Absatzmenge, der zugehörige gewinnmaximale Preis wird über die Preisabsatzfunktion an der Ordinate abgelesen. Das untere Schaubild in Abb. 3.114 zeigt die zugehörige Grenzanalyse. Statt mit Erlös- und Kostenfunktionen wird hier mit Grenzerlös- und Grenzkostenfunktionen gearbeitet. Die Grenzerlösfunktion hat dabei die doppelte Steigung wie die Preisabsatzfunktion und schneidet den durch den Koordinatenursprung und die Preisabsatzfunktion gegebene Strecke auf der Abszisse genau in der M itte, da gilt: (12) 2 ( ) ( ) E p x x a b x x ax bx Die Grenzerlösfunktion lautet somit: (13) ' 2 dE E a bx d x Die Grenzkostenfunktion ist bei einer linearen (Gesamt-)Kostenfunktion gegeben durch eine Parallele zur Abszisse in Höhe von k v . <?page no="482"?> 460 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Das Optimum ist wiederum durch die Optimalitätsbedingung „Grenzerlös = Grenzkosten“, d.h. im Schnittpunkt von Grenzerlös- und Grenzkostenfunktion gegeben. Die zugehörigen gewinnmaximalen Preise und M engen zeigt die untere Graphik in Abb. 3.114 auf. Neben dem Ziel der Gewinnmaximierung lassen sich weitere Ziele und zugehörige Preise abbilden (vgl. Abb. 3.115). So führt das Ziel der Erlösmaximierung offensichtlich zu einem Preis p 1 E(x) p(x) K F E p K x p* x* K(x) = k v . x + K F Totalanalyse Abb. 3.114: Total- und Grenzanalyse zur Bestimmung des gewinnmaximalen Monopolpreises für den Fall linearer Preisabsatz- und Kostenfunktionen Grenzanalyse p* x* E'(x) E' p K' k v p(x) K'(x) x <?page no="483"?> Kontr ahier ungspolitik 461 p x x 1 x 2 x 3 x 4 x 5 x 6 p 1 p 2 p 3 p 4 p 5 K(x)+ K(x)+ K(x) 2 G 1 G p(x) E(x) E'(x) Ziel Zugehöriger Preis Erlösmaximierung Absatzmengenmaximierung Absatzmengenmaximierung unter der Nebenbedingung eines bestimmten Mindestgewinns Erlösmaximierung unter der Nebenbedingung eines bestimmten Mindestgewinns Absatzmaximierung unter der Nebenbedingung der Kostendeckung 1 G 2 G p 1 p 2 (=0) p 3 p 4 p 5 Abb. 3.115: Optimale Preise bei alternativen Zielen im Monopol <?page no="484"?> 462 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes (mit zugehöriger M enge x 1 ). Im Erlösmaximum ist der Grenzerlös = 0 (und damit auch die Steigung der Erlösfunktion), die Grenzerlösfunktion schneidet daher die Abszisse in diesem Punkt. Wird das Ziel der Absatzmaximierung verfolgt, so resultiert als optimaler Preis p 2 = 0, es wird die Absatzmenge x 2 erwirtschaftet. Offensichtlich fallen dann allerdings Verluste in Höhe von 2 F v k x K an. Sollen daher die Kosten gedeckt werden bei gleichzeitiger Absatzmengenmaximierung, so erweist sich p 5 (und x 5 ) als optimal. Wird ein M indestgewinn in Höhe 1 G gefordert beim Ziel der Absatzmaximierung, so ist p 3 zu wählen. Für das Ziel der Erlösmaximierung bei gleichzeitiger Forderung nach einem M indestgewinn in Höhe von 2 G erweist sich p 4 (und x 4 ) als optimal. Läge allerdings der zweite Schnittpunkt der Funktion 2 ( ) K x G mit der Erlösfunktion rechts vom Erlösmaximum, so wäre wieder p 1 (und x 1 ) optimal. Lautet das verfolgte Ziel einfach „Kostendeckung“, so liegt kein eindeutiger Preis fest. Alle M engen zwischen x 5 und x 6 mit zugehörigen Preisen erfüllen dieses Ziel. Anhand von Abb. 3.115 lässt sich zudem zeigen, dass Ziele je nach Ausprägung komplementär als auch konkurrierend sein können. So sind beispielsweise die Ziele „Erlösmaximierung“ und „Absatzmaximierung“ bis zur M enge x 1 komplementär, bei größeren M engen als x 1 jedoch konkurrierend bzw. konfliktär. 2.2.2.2.3.2.2.2 Preisfindung im Oligopol Ein Oligopol ist dadurch gekennzeichnet, dass wenige Anbieter sich einer Vielzahl von (jeweils kleinen) Nachfragern gegenüber sehen. Charakteristisch für ein Oligopol ist dabei die Tatsache, dass eine gewisse Reaktionsverbundenheit der Anbieter vorliegt, d.h. auf eigene (preispolitische) Aktionen erfolgen (preispolitische) Reaktionen der anderen Anbieter. Der Oligopolist muss bei seiner Preissetzung daher nicht nur das Verhalten der Nachfrager beachten, sondern auch das Konkurrenzverhalten mit berücksichtigen. Formal ist daher eine Reaktionsfunktion für alle Anbieter i einzuführen (vgl. hierzu und im Folgenden Simon/ Fassnacht 2016, S. 214 ff.). (1) 1 1 1 , ..., , , ..., i i i i n p r p p p p für 1, ..., i n (1) beschreibt, wie ein Anbieter i preislich auf Preismaßnahmen des bzw. der Konkurrenten reagiert. Vereinfacht man (1), indem die Preisreaktionsfunktionen aller Anbieter aggregiert werden, so gilt aus Sicht des Oligopolisten j (1a) j j p r p Als zu erklärende Variable aus Sicht des Oligopolisten j fungiert dann der Durchschnittspreis der Konkurrenten j p , welcher wiederum von der eigenen Preisstellung p j abhängt. Durch Einsetzen von (1a) in die Preisabsatzfunktion des Anbieters j ergibt sich dann (2) , ( ) j j j j j x x p p p Die allgemeine Gewinnfunktion für einen Anbieter j lautet dann (3) , ( ) , ( ) max! j j j j j j j j j j j G p x p p p K x p p p Ableiten von (3) nach p führt nach einigen Erweiterungen (vgl. Simon/ Fassnacht 2016, S. 214 f. ) zum Optimalpreis im Oligopol <?page no="485"?> Kontr ahier ungspolitik 463 (4) * ' 1 j j ji j j j j ji p K mit: j = direkte Preiselastizität des Anbieters j j j j x p j p x j = Reaktionselastizität aus Sicht des Anbieters j j j j p p j p p ji = Kreuzpreiselastizität aus Sicht des Anbieters j j j j x p j p x ' K j = Grenzkosten des Anbieters j Strukturell zeigt (4) eine enge Verwandtschaft zum Optimalpreis im M onopol (vgl. den vorangegangenen Abschnitt 2.2.2.2.3.2.2.1). Gilt nämlich j = 0 bzw. ji = 0 wie im M onopol, so ergibt sich wieder der optimale M onopolpreis ' 1 p K . Offensichtlich bestimmt jedoch statt der direkten Preiselastizität j eine um die Wirkung der Konkurrenzreaktion bereinigte bzw. erweiterte Preiselastizität j j ji den Aufschlag auf die Grenzkosten ' K j , wobei diese erweiterte Preiselastizität als Preiselastizität nach erfolgter Konkurrenzreaktion verstanden werden kann. Gegenüber dem M onopol sind also weitere Informationen über die Kreuzpreiselastizität und die Reaktionselastizität notwendig, um den gewinnmaximalen Preis festlegen zu können. Typischerweise wird die Kreuzpreiselastizität zwischen konkurrierenden Anbietern positive Werte annehmen. Die Reaktionselastizität wird im Normalfall ebenfalls positive Werte aufweisen, d.h. Preisänderungen bei einem Anbieter führen zu gleichgerichteten Preisänderungen auch bei den anderen Anbietern. Im Spezialfall von j = 1 führt eine Preisänderung bei einem Anbieter zu gleich starken Preisänderungen bei den anderen Anbietern (sog. Chamberlin-Hypothese). Gilt j = 0, so wird der bei dem gegebenen Konkurrenzpreis optimale Preis gewählt (sog. Cournot-Hypothese); mit einer Preisänderung der anderen Anbieter wird nicht gerechnet. Offensichtlich besteht in empirischer Hinsicht das Problem, geeignete Reaktionshypothesen für den jeweiligen M arkt unterstellen zu können. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die Reaktionen der Konkurrenten im Zeitablauf durchaus ändern können, die Reaktionshypothesen also zeitlich nicht stabil sind. Hinzu tritt das Problem, dass die Konkurrenten auf eigene preisliche Aktionen (z.B. Preissenkungen) auch mit nicht-preislichen Reaktionen (z.B. verstärkte Werbung) reagieren können. Insgesamt gehört die Analyse der oligopolistischen Reaktionsinterdependenz zu den komplexesten Problemen der Preistheorie. In den bisherigen Ausführungen wurde der optimale Oligopolpreis hergeleitet ohne spezifische Funktionsformen zu unterstellen. Im Folgenden soll beispielhaft aufgezeigt werden, welcher optimale Oligopolpreis resultiert, wenn spezifische Funktionsformen angenommen werden. Konkret werden lineare Preisabsatz-, Reaktions- und Kostenfunktionen unterstellt. Wird zur Vereinfachung der Darstellung als Spezialfall des Oligopols ein Dyopol (zwei Anbieter) angenommen, so gilt aus Sicht von Anbieter 1 (vgl. auch Pechtl 2014, S. 186 ff.): <?page no="486"?> 464 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes (5) 1 1 1 1 2 1 1 , , 0 x a b p c p a b c Als Reaktionsfunktion kann z.B. eine parallele Preisreaktion der Form (6) 2 1 0 p q p q unterstellt werden. Einsetzen von (6) in (5) führt zu (7) 1 1 1 1 1 1 1 1 x a b p c q p a b c q p Als Zielfunktion ergibt sich für Anbieter 1 (8) 2 1 1 1 1 1 1 1 F v G a p b c q p k x K Ableiten von (8) nach p 1 und Nullsetzen führt zu (9) ! 1 1 1 1 1 1 1 1 2 0 v d G x a b c q p k d p p mit: 1 1 1 x b c q p Auflösen von (9) nach p 1 führt zum optimalen Oligopol-(bzw. Dyopol-)Preis von Anbieter 1 (10) 1 1 * 1 1 1 1 1 1 1 2 2 v v a k b c q a p k b c q b c q Gemäß (10) liegt der gewinnmaximale Preis des Anbieters 1 umso höher, je stärker (q) die (gleichgerichtete) Preisreaktion des Anbieters 2 ausfällt. Ist von keiner Preisreaktion (q = 0) auszugehen, so geht (10) wiederum in den M onopolpreis über (vgl. den vorangegangenen Abschnitt 2.2.2.2.3.2.2.1). (Zu weiteren Reaktionshypothesen und unterschiedlichen Formen von Preisabsatz- und Reaktionsfunktionen bei der Bestimmung von Oligopolpreisen vgl. auch Ott 1989, S. 209 ff.; Simon/ Fassnacht 2016, S. 220 ff.). 2.2.2.2.3.2.2.3 Preisfindung im Polypol Bei einem Polypol sehen sich viele (kleine) Anbieter vielen (kleinen) Nachfragern gegenüber. Von besonderer Bedeutung hinsichtlich des in einem Polypol zu fordernden Preises aus Sicht eines Anbieters ist die Unterscheidung zwischen einem vollkommenen Polypol (sog. atomistische Konkurrenz) und einem unvollkommenen Polypol (sog. monopolistische Konkurrenz). Ein vollkommenes Polypol liegt vor, wenn folgende Situation gegeben ist (vgl. Schmalen 1995, S. 51): Alle M arktteilnehmer handeln nach dem M aximumprinzip, d.h. die Nachfrager (Anbieter) streben nach maximalem Nutzen (Gewinn). Die Reaktionsgeschwindigkeit aller marktlichen Anpassungsprozesse ist unendlich groß. Es herrscht vollkommene M arkttransparenz. Es gibt weder auf Nachfragernoch auf der Anbieterseite Präferenzen irgendwelcher Art. Dies bedeutet insbesondere, dass die gehandelten Produkte als völlig substituierbar angesehen werden (Homogenitätsbedingung). <?page no="487"?> Kontr ahier ungspolitik 465 E i K i E i = p . x i G max K i (x i ) A B A B x i* x i** G i x i x i Abb. 3.116: Erlös-, Kosten- und Gewinnfunktionen im vollkommenen Polypol bei s-förmiger Kostenfunktion Als logische Konsequenz bei einer derartigen Konstellation stellt sich nur ein einziger M arktpreis <?page no="488"?> 466 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes ein, Preisunterschiede können unter diesen Bedingungen nicht existieren. Würde ein Anbieter seinen Preis nur minimal erhöhen, würde er infolge der vollkommenen M arkttransparenz und der Nutzenmaximierung der Nachfrager sofort sämtliche Nachfrager verlieren, da die gehandelten Produkte als völlig homogen angesehen werden. Geringfügige Preissenkungen hingegen würden schlagartig sämtliche Nachfrager von den anderen Anbietern abziehen mit der Folge, dass der preissenkende (kleine) Anbieter gar nicht in der Lage ist, diese Nachfrage zu befriedigen. Aus Sicht eines einzelnen Anbieters ist der Preis ein Datum; er wird vielmehr über M engenvariationen versuchen, seinen Gewinn zu beeinflussen (wobei durch eine M engenvariation der M arktpreis nicht spürbar beeinflusst wird, da er annahmegemäß ein „kleiner“ Anbieter ist). Damit gilt für einen Anbieter im vollkommenen Polypol (1) i i i i G p x K x Da die M enge nun der Aktionsparameter des Anbieters i ist (und nicht der Preis), maximiert er seinen Gewinn durch (2) ! 0 i i i i d G d K p d x d x bzw. (2a) ! i i d K p d x Der Polypolist auf dem vollkommenen M arkt maximiert damit seinen Gewinn, indem er diejenige M enge anbietet, bei welcher Preis und Grenzkosten übereinstimmen. Abb. 3.116 zeigt die Zusammenhänge unter Verwendung einer s-förmigen (ertragsgesetzlichen) Kostenfunktion. Bei gegebenem Preis ist die Erlösfunktion eines Anbieters i eine Ursprungsgerade mit der Steigung p . Bei der M enge * i x ist der Gewinn am größten, hier gilt , i i d K p d x d.h. Erlös- und Kostenfunktionen besitzen dieselbe Steigung. Der Punkt A(B) markiert die Gewinnschwelle (Gewinngrenze). Bei der M enge ** i x liegt das Verlustmaximum vor. Auch hier gilt i i d K p d x , die hinreichende Bedingung 2 2 0 i i d G d x ist jedoch verletzt. Liegt statt einer s-förmigen Kostenfunktion eine lineare Kostenfunktion der Form F i v i i K k x K vor, so resultiert (3) F i i v i i i G p x k x K Ableiten von (3) nach i x und Nullsetzen führt zu der (notwendigen) Bedingung (4) ! v i p k <?page no="489"?> Kontr ahier ungspolitik 467 K Fi A E i = p . x i K i = k v . x i + K Fi A G i G i x i x i x iKap x iKap Abb. 3.117: Erlös-, Kosten - und Gewinnfunktionen im vollkommenen Polypol bei linearer Kostenfunktion E i K i wobei die Übereinstimmung von (gegebenem) Preis mit den variablen Stückkosten sehr zufällig wäre, die hinreichende Bedingung für ein M aximum (und nicht M inimum) (5) 2 ! 2 0 0 0 i i d G d x <?page no="490"?> 468 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes kann sogar gar nicht erfüllt werden. Die Bedeutung dieser Situation zeigt Abb. 3.117. Punkt A stellt dabei die Gewinnschwelle dar. In dieser Situation ist es offensichtlich optimal, soviel wie möglich - also bis zur Kapazitätsgrenze K ap i x anzubieten, um den Gewinn zu maximieren.Es liegt auf der Hand, dass die M arktform des vollkommenen Polypols sehr unrealistisch ist. Ganz im Gegenteil hierzu besitzt das unvollkommene Polypol besondere Relevanz, da auf einer Vielzahl von Produktmärkten diese M arktform zu beobachten ist. Konkret unterscheidet sich das unvollkommene („heterogene“) Polypol vom vollkommenen („homogenen“) Polypol da durch, dass die Annahme der Präferenzlosigkeit („Homogenitätsannahme“) aufgelöst wird - jeder Anbieter verfügt also über eine eigene Produktvariante auf dem betrachteten Produktmarkt, wobei sich die angebotenen Produktvarianten aus Sicht der Nachfrager unterscheiden. Die Produkte sind daher nicht völlig substituierbar, vielmehr herrschen Präferenzen für einzelne Produktvarianten seitens der Nachfrager vor. Dies führt zum Konzept der doppelt geknickten Preisabsatzfunktion nach Gutenberg, welche in Abb. 3.118 wiedergegeben ist (vgl. Gutenberg 1984, S. 246 ff.). Die Gestalt dieser Preisabsatzfunktion lässt sich wie folgt erklären: Fordert der Anbieter einen Preis im sog. monopolistischen Bereich zwischen 1 i p und 2 i p , so führen Preisänderungen innerhalb dieses Bereichs nicht zu starken Absatzänderungen. Preissteigerungen (Preissenkungen) führen hier zu - leichten - Nachfrageeinschränkungen (Nachfragesteigerungen) bei der Kundschaft dieses Anbieters, zu Käuferfluktuationen zur Konkurrenz kommt es hingegen nicht, da ausreichend starke Präferenzen für das Angebot des betrachteten Anbieters bestehen. Wird hingegen der Preis über Abb. 3.118: Die doppelt geknickte Preisabsatzfunktion nach Gutenberg A B 1 i x 2 i x 2 i p 1 i p p i x i Unterer polypolistischer Bereich Monopolistischer Bereich Oberer polypolistischer Bereich <?page no="491"?> Kontr ahier ungspolitik 469 (unter) 1 2 i i p p angehoben (abgesenkt), so kommt es zu Käuferfluktuationen weg vom (hin zum) betrachteten Anbieter. Bei Preisen über 1 i p reicht das sog. akquisitorische Potenzial des Anbieters nicht aus; der Preis ist im Vergleich mit dem Konkurrenzangebot so hoch, dass einige Nachfrager zur Konkurrenz wechseln. Die Nachfragemenge beim betrachteten Anbieter sinkt recht stark (oberer polypolistischer Bereich). Da sich die abgewanderte Nachfrage auf viele andere Anbieter verteilt, ist der Nachfragezustrom für den Einzelnen jedoch unwesentlich, weshalb preispolitische Reaktionen ausbleiben.Senkt der betrachtete Anbieter seinen Preis hingegen unter 2 i p ab, so steigt die Nachfrage bei den eigenen (Stamm-)Kunden und aufgrund des im Vergleich zum Konkurrenzangebot sehr niedrigen Preises wird zudem Kundschaft von der Konkurrenz abgeworben. Die nachgefragte M enge steigt also recht stark (unterer polypolistischer Bereich). Dabei wird umso mehr (weniger) Kundschaft von den anderen Anbietern abgeworben, je schwächer (stärker) deren eigene akquisitorischen Potenziale sind. Akquisitorische Potenziale lassen sich dabei z.B. durch eine imagestarke M arke, intensive Werbung, hohe Produktqualität, besonderen Kundenservice usw. aufbauen. Aus der Argumentation wird deutlich, dass ein Anbieter im (theoretischen) Extremfall unter diesen Bedingungen zum M onopolisten mutiert, wenn er ein enormes akquisitorisches Potenzial besitzt, welches Kundenabwanderungen verhindert. Gilt dies für alle Anbieter auf dem beobachteten M arkt, so dehnt sich der monopolistische Bereich der doppelt geknickten Preisabsatzfunktion für alle Anbieter aus; jeder Anbieter verfügt dann über eine monopolistische Preisabsatzfunktion zwischen den Punkten A und B (vgl. Abb. 3.118). Aus dem unvollkommenen (heterogenen) Polypol werden zahlreiche kleine M onopole. In dieselbe Richtung wirkt eine abnehmende M arkttransparenz; auch sie führt zu einer Ausweitung des monopolistischen Bereichs bei den Anbietern. Es stellt sich nun die Frage, wie unter diesen Bedingungen der gewinnmaximale Preis für einen Anbieter ermittelt werden kann. Zu diesem Zweck kann völlig analog zur bereits dargestellten Vorgehensweise im M onopol (vgl. Abb. 3.114) vorgegangen werden. Sowohl eine Totalals auch eine Grenzanalyse können vorgenommen werden (vgl. Abb. 3.119). Die obere Graphik in Abb. 3.119 zeigt die mittels Erlös- und Kostenfunktionen durchgeführte Totalanalyse; die Erlösfunktion ergibt sich dabei auf Basis der ebenfalls abgetragenen Preisabsatzfunktion. Im Gewinnmaximum gilt wieder die übliche Optimierungsbedingung „Grenzerlös = Grenzkosten“, d.h. die Steigung von Erlös- und Kostenfunktionen müssen übereinstimmen. Das ist sowohl bei der M enge 3 x als auch bei der M enge 4 x der Fall. Da der Abstand zwischen Erlös- und Kostenfunktion (und damit der Gewinn) bei 4 x größer ist als bei 3 x , stellt sich bei 4 x das absolute Gewinnmaximum ein. Es liegt im unteren polypolistischen Abschnitt. Dies zeigt auch die Grenzanalyse auf Basis von Grenzerlös- und Grenzkostenfunktionen (s. untere Graphik in Abb. 3.119). Zu beachten ist dabei, dass die auf Basis der eingezeichneten Preisabsatzfunktion ermittelten Grenzerlösfunktion an den „Knicken“ der Preisabsatzfunktion - also bei 1 x und 2 x - Unstetigkeitsstellen („Sprünge“) aufweist. Im Rahmen der Grenzanalyse kann folgende Interpretation vorgenommen werden: Ausgehend von einer M enge x = 0 steigt der Gewinn bei steigender M enge x zunächst an, da der Grenzerlös über den Grenzkosten liegt, d.h. jede zusätzlich abgesetzte Einheit erwirtschaftet einen höheren Erlös als sie Kosten verursacht; dies gilt bis zur M enge 3 x , den Schnittpunkt von Grenzerlös- und Grenzkostenfunktion. Bei weiterer Erhöhung der M enge sinken die Grenzerlöse unter die Grenzkosten; es entstehen Grenzverluste („negative Grenzgewinne“), d.h. der erwirtschaftete Gewinn nimmt ab. <?page no="492"?> 470 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Quelle: Schmalen 1995, S. 98 ff. Abb. 3.119: Total- und Grenzanalyse im unvollkommenen Polypol 3 p 4 p 4 p 3 p p p G G 0 x 1 x 3 x 2 x 4 x x K x E x K x E x 1 x 3 x 2 x 4 x 0 F 1 F 2 Totalanalyse Grenzanalyse F 2 F 1 <?page no="493"?> Kontr ahier ungspolitik 471 Dies gilt bis zur M enge 2 x . Ab der M enge 2 x liegen die Grenzerlöse wieder über den Grenzkosten, der Gewinn steigt also wieder an; bei der M enge 2 x stellt sich also ein relatives Gewinnminimum ein. Ab der M enge 4 x hingegen liegt der Grenzerlös wieder unter den Grenzkosten, der Gewinn nimmt ab. Wo nun das absolute Gewinnmaximum liegt, hängt offensichtlich von den Flächen F 1 und F 2 ab. Gilt - wie in Abb. 3.119 der Fall -, dass F 1 < F 2 , so sind die entstehenden zusätzlichen Gewinne bei Ausdehnung der M enge bis 4 x größer als die Grenzverluste im Bereich zwischen 2 x und 3 x . Die gewinnmaximale Preis-M engen-Kombination ist damit 4 4 , p x im unteren polypolistischen Abschnitt. Wäre hingegen F 1 > F 2 , so würde die gewinnmaximale Preis-M engen-Kombination 3 3 , p x lauten; sie liegt im monopolistischen Abschnitt der Preisabsatzfunktion. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang offensichtlich die Lage der Grenzkostenfunktion (vgl. Abb. 3.120). Bei Grenzkosten in Höhe von 1 v k ist C 1 die optimale Preis-M engen-Kombination. Bei Grenzkosten in Höhe von 2 v k ergibt sich als optimale Preis-M engen-Kombination C 2 , da F 1 > F 2 . Bei Grenzkosten in Höhe von 3 v k hingegen ist F 2 > F 1 , somit ist C 3 die optimale Preis-M engen-Kombination. Eine „Politik des niedrigen Preises“ im unvollkommenen Polypol erscheint daher insbesondere bei niedrigen Grenzkosten erfolgversprechend. In dieselbe Richtung wirkt eine besonders starke Krümmung der Preisabsatzfunktion im Sinne ausgeprägter „Knickstellen“, da in diesem Fall die Grenzerlöse im unteren Bereich der Preisabsatzfunktion wieder stark ansteigen (im Grenzfall des M onopols mit einer Preisabsatzfunktion ohne „Knickstellen“ erfolgt kein Wiederanstieg der Grenzerlösfunktion; vgl. hierzu Abb. 3.114). 2.2.2.2.3.3 Konkurrenzorientierte Preispolitik Charakteristisch für eine konkurrenzorientierte Preispolitik ist die Tatsache, dass ein Anbieter auf eine autonome Preissetzung verzichtet. Dabei ergeben sich die in Abb. 3.121 aufgezeigten M öglichkeiten. Eine Vorgehensweise besteht darin, sich am „durchschnittlichen“ Marktpreis zu orientieren. Der Anbieter übernimmt damit für seine Produkte den Preis anderer vergleichbarer Produkte, welche derzeit auf dem M arkt angeboten werden. Die Vergleichbarkeit bezieht sich dabei insbesondere auf die Qualität und Ausstattung der Produkte. Existiert hingegen ein Preisführer auf dem M arkt, so kann es sinnvoll sein, sich diesem Preisführer anzuschließen. Ein Preisführer kann dabei definiert werden als anbietendes Unternehmen, welches den Preis vorgibt, den die anderen Unternehmen - mit mehr oder weniger großen Auf- oder Abschlägen - übernehmen. Zu unterscheiden ist in diesem Zusammenhang zwischen der dominierenden und der barometrischen Preisführerschaft. Eine dominierende Preisführerschaft liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen mit einem großen M arktanteil existiert und die restlichen M arktanteile sich auf eine Vielzahl kleinerer Anbieter verteilt. Die Übernahme des vom dominanten Preisführer vorgegebenen Preises empfiehlt sich in dem Fall, um einen ruinösen Preiskampf bzw. Sanktionen seitens des dominanten Anbieters zu verhindern. Im Gegensatz zur dominierenden Preisführerschaft besteht bei der barometrischen Preisführerschaft die M öglichkeit des Wechsels des Preisführers. Hier ist ein Anbieter Preisführer, wenn er z.B. über eine besonders gute M arktübersicht verfügt. Die übrigen Unternehmen übernehmen dann den Preis des Preisführers in der Annahme, dass dieser Preis auch ein für sie selbst angemessener Preis sei. Dies gilt insbesondere, wenn die Kostenstrukturen in der betrachteten Branche vergleichbar sind. Als typisches Beispiel wird in diesem Zusammenhang häufig der <?page no="494"?> 472 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes M ineralölbzw. Tankstellenmarkt angeführt. Preisänderungen eines Anbieters werden begleitet von Preisänderungen der anderen Anbieter, wobei das initiierende Unternehmen wechselt. Die Kostenstrukturen können dabei als zumindest ähnlich in der Branche angesehen werden, da eine wesentliche Kostenkomponente - der Rohölpreis am jeweiligen Spotmarkt - für alle M ineralölunternehmen identisch ist. C 1 C 2 C 3 1 v k dx dK 2 v k dx dK 3 v k dx dK E'(x) Für dK/ dx = k v1 ist F 1 >0, F 2 = 0: Die gewinnmaximale Preis-Mengen- Kombination ist C 1 . Für dK/ dx = k v2 ist F 1 >F 2 : Die gewinnmaximale Preis-Mengen- Kombination ist C 2 . Für dK/ dx = k v3 ist F 1 <F 2 : Die gewinnmaximale Preis-Mengen- Kombination ist C 3 . Quelle: In Anlehnung an Schmalen 1995, S. 102 Abb. 3.120: Optimale Preis-Mengen-Kombinationen bei alternativen Grenzkosten im unvollkommenen Polypol Monopolistischer Abschnitt <?page no="495"?> Kontr ahier ungspolitik 473 Konkurrenzorientierte Preispolitik Orientierung am durchschnittlichen Marktpreis Anlehnung an einen Preisführer Konzept der barometrischen Preisführerschaft Konzept der dominierenden Preisführerschaft Abb. 3.121: Möglichkeiten einer konkurrenzorientierten Preispolitik 2.2.2.2.3.4 Nutzenorientierte Preispolitik Bei der nutzenorientierten Preispolitik steht die Forderung eines Preises im Verhältnis zum angebotenen Nutzen des Produktes bzw. zur gebotenen Produktleistung im Vordergrund der Betrachtung (vgl. z.B. Simon 1992, S. 542 ff.). Dabei kann zwischen zwei Vorgehensweisen unterschieden werden: die nutzenorientierte Preisbestimmung auf Basis von Leistungsmerkmalen sowie die nutzenorientierte Preisbestimmung auf Ba sis von Wirtschaftlichkeitsrechnungen. Bei der nutzenorientierten Preisbestimmung auf Basis von Leistungsmerkmalen werden Preis-Leistungsverhältnisse gebildet. Im Falle einer einzigen Leistungsgröße ergibt sich das Preis- Leistungsverhältnis PLV i eines Produktes i als (vgl. auch Berndt 1995a, S. 179): i i ij p PLV l mit: i p = Preis des Produktes i i j l = Ausprägung von Leistungsmerkmal j bei Produkt i Gebräuchliche Preis-Leistungsverhältnisse dieser Art sind z.B. €/ m 2 bei Vermietung oder Verkauf von Immobilien (z.B. Häuser, Grundstücke) oder €/ kW bei Motoren. Es liegt auf der Hand, dass auf diese Weise nur eine grobe Einschätzung eines Produktes hinsichtlich seiner Preiswürdigkeit möglich ist. Es besteht daher die M öglichkeit, statt nur eines Leistungsmerkmals mehrere Leistungsgrößen, welche aufgrund einer unterschiedlichen Bedeutung auch entsprechend gewichtet werden können, zu verwenden und so einen Leistungsindex zu bilden. Diese Vorgehensweise entspricht der Anwendung eines Scoring-M odells (vgl. auch Abschnitt 2.1.3.1.4 in diesem Teil). Generell gilt (vgl. Berndt 1995a, S. 180): <?page no="496"?> 474 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes 1 J i j ij j L g l mit: i L = Leistungsindex von Produkt i i j l = Ausprägung des Leistungsmerkmals j bei Produkt i j g = Gewichtungsfaktor des Leistungsmerkmals j Abb. 3.122 verdeutlicht die Funktionsweise des M odells anhand der Beschaffungsentscheidung eines Sportwagens. Aus Sicht des Nachfragers seien die M erkmale „Anzahl der Zylinder“, „Leistung“, „Höchstgeschwindigkeit“, „Beschleunigung“, „Kraftstoffverbrauch“ sowie „Kofferraumvolumen“ von Bedeutung, wobei die Gewichtungsfaktoren die Bedeutungsunterschiede darlegen. Bewertet werden die einzelnen Leistungsmerkmale auf einer Skala mit den Ausprägungen von 1 bis Leistungsmerkmal l j 1 g j j Alternative Produkte BMW Z8 Roadster Ferrari 360 Modena Jaguar XK 8 Porsche 911 Carrera 0,15 0,2 0,15 0,25 0,15 0,1 ij j j i l g L 2,8 3,3 2,25 2,55 p i (in Euro) 125.360 125.000 72.140 74.365 p i / L i 44.771,4 37.878,8 32.062,2 29.162,7 8 400 250 4,7 14,5 203 3 4 2 3 2 2 0,45 0,8 0,3 0,75 0,3 0,2 3 4 4 4 1 3 0,45 0,4 0,3 0,25 0,45 0,4 0,45 0,8 0,6 1,0 0,15 0,3 3 2 2 1 3 4 8 298 250 6,4 11,4 327 2 3 3 2 4 1 0,3 0,6 0,45 0,5 0,6 0,1 6 320 285 5,0 11,0 130 8 400 296 4,5 17,9 220 Abb. 3.122: Preis-Leistungsverhältnisse von vier alternativen Sportwagen Anzahl der Zylinder Leistung (PS) Höchstgeschwindigkeit (km/ h) Beschleunigung von 0-100 km/ h (s) Kraftstoffverbrauch (l/ 100km) Kofferraumvolumen (l) Gewichtungsfaktor gj <?page no="497"?> Kontr ahier ungspolitik 475 4 (1: sehr schlechte Ausprägung, 4: sehr gute Ausprägung). Bei Orientierung am Preis-Leistungsverhältnis würde sich der Nachfrager im Beispiel von Abb. 3.122 für den Porsche 911 Carrera entscheiden, da dieser das günstigste Preis-Leistungsverhältnis p i / L i aufweist. Aus Sicht des Anbieters ist es zudem möglich, den Preis des Porsche 911 Carrera auf einen Wert von 81.758,6 € anzuheben; würde dieser Preis verlangt werden, so ergibt sich dasselbe Preis-Leistungsverhältnis wie beim nächstgünstigen Sportwagen (Jaguar XK8). Aus Sicht des Nachfragers wären dann beide Angebote gleichwertig. Gelänge es Jaguar hingegen (z.B. durch entsprechende Ausrichtung der Kommunikationspolitik), das Gewichtungsschema des Nachfragers so zu verändern, dass das Kofferraumvolumen mit einem Gewichtungsfaktor von 0,2 und der Kraftstoffverbrauch mit einem Gewichtungsfaktor von 0,05 in die Bewertung eingeht, so ergibt sich ein Preis-Leistungsverhältnis p i / L i beim Jaguar XK8 von 30.697,87 € im Gegensatz zu 33.051,11 € beim Porsche 911 Carrera. In diesem Fall wäre der Jaguar die beste Alternative. Offensichtlich ist im Rahmen der nutzenorientierten Preisgestaltung die Kenntnis der Bewertung von Produktleistungen durch die Nachfrager von besonderer Bedeutung. Da die Bewertung individuell erfolgt, aus Sicht des Nachfragers jedoch nur Personenmehrheiten von Bedeutung sind, ist darüber hinaus eine Aggregation vorzunehmen. Eine Aggregation kann durch einfache Durchschnittsbildung der Einschätzung von Produkten über alle Nachfrager erfolgen. Variieren die Einschätzungen jedoch stark, empfiehlt sich eine Segmentbildung (z.B. mittels Clusteranalyse, vgl. hierzu Abschnitt 3.1.4.3.5 im 2. Teil). Werden Preis und Leistung alternativer Produkte eines bestimmten Produktmarktes in einem zweidimensionalen Koordinatensystem abgetragen, so lassen sich Preis-Leistungskurven ermitteln. Hierzu ist - je nach Struktur der sich ergebenden Punktwolke - auf das Instrument der linearen oder nicht-linearen Regressionsanalyse zurückzugreifen (vgl. Abschnitt 3.1.4.3.3 im 2. Teil). Auch auf diese Weise können Handlungsempfehlungen im Ra hmen einer nutzenorientierten Preispolitik abgeleitet werden. In Abb. 3.123 sind zwei alternative Produktmärkte abgebildet. Auf dem Produktmarkt 1 liegt offensichtlich eine degressiv verlaufende Preis-Leistungskurve vor, d.h. dass bei Qualitätsverbesserungen nur unterproportionale Preissteigerungen möglich sind bzw. bei Qualitätsverminderungen starke Preisabschläge vorgenommen werden müssen. Auf Produktmarkt 2 ist dieser Zusammenhang linear, d.h. Qualitätsminderungen führen unabhängig vom Qualitätsniveau zu gleichbleibenden Preisveränderungen. Darüber hinaus ist folgende Interpretation möglich: Produkte, welche oberhalb der Preis-Leistungskurve angesiedelt sind, sind im Vergleich zur gebotenen Qualität zu teuer; Produkte hingegen, welche sich unterhalb der P reis-Leistungskurve befinden, besitzen bei gegebenem Preis Qualitätsvorteile. Hieraus lassen sich entsprechende preispolitische Empfehlungen ableiten: Ist das eigene Produkt oberhalb der Preis - Leistungskurve angesiedelt, so ist zu überprüfen, ob nicht eine Preissenkung durchgeführt werden soll. Das Ausmaß der Preissenkung kann unmittelbar an der Ordinate des Koordinatensystems abgelesen werden; eine Orientierung kann dabei an der Preis-Leistungskurve oder am unmittelbaren Konkurrenzprodukt erfolgen. So ist beispielsweise in der in Abb. 3.123 dargestellten Situation zu überprüfen, ob der Preis des Produkts A auf dem Produktmarkt 1 nicht auf das Niveau p 0 oder sogar auf das Niveau p 1 des Produkts C gesenkt werden soll. Da das Produkt C gegenüber dem Produkt A - leichte - Qualitätsvorteile besitzt, ist u.U. eine weitere Preissenkung unter p 1 notwendig, um einen Wechsel der Abnehmer von Produkt C zu Produkt A zu veranlassen. Ist ein Produkt unterhalb der Preis-Leistungskurve angesiedelt, so ist zu überprüfen, ob nicht mittels <?page no="498"?> 476 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes Preisanhebungen ein aufgrund des überdurchschnittlichen Preis-Leistungsverhältnisses offensichtlich bestehender Preisspielraum - in Abb. 3.123 z.B. bei Produkt G auf dem Produktmarkt 2 - ausgenutzt werden kann. Auch in diesem Fall kann eine Orientierung an der Preis-Leistungskurve oder am Konkurrenzprodukt mit der ähnlichsten Positionierung erfolgen, um das konkrete Ausmaß der Preisanhebung festzulegen. Neben einer nutzenorientierten Preisbestimmung auf Basis von Leistungsmerkmalen kann schließlich auch eine nutzenorientierte Preisbestimmung auf Basis von Wirtschaftlichkeitsrechnungen erfolgen. Diese Vorgehensweise ist insbesondere für Investitionsgüter geeignet, deren Nutzen sich in den mit ihnen erwirtschafteten Erlösen widerspiegelt. Der Preisspielraum eines Anbieters ergibt sich dabei aus den mit dem Investitionsgut erwirtschafteten Erlösen abzüglich den relevanten Kosten, die mit dem Einsatz des Investitionsguts verbunden sind. Zur konkreten Ermittlung des Preisspielraums können statische und dynamische Verfahren herangezogen werden. Im Falle von Investitionsgütern, welche über mehrere Perioden eingesetzt werden können, haben sich insbesondere Kapitalwertrechnungen als dynamische Verfahren von Investitionsrechnungen bewährt. Allgemein kann der Kapitalwert definiert werden als 1 1 T t o o t t Z C A i mit: o C = Kapitalwert o A = Anschaffungsausgaben x A B C D E F H G I x x x x x x x x A B C G J L x x x x x x x K Preis Preis p i p i p 1 p 0 Leistungsindex L i Leistungsindex L i Produktmarkt 1 Produktmarkt 2 A, B, C, ... : Produkte Abb. 3.123: Beispielhafte Preis-Leistungsverhältnisse und Preis-Leistungskurven auf zwei Produktmärkten <?page no="499"?> Kontr ahier ungspolitik 477 t Z = Zahlungsüberschüsse der Periode 1,..., t t T i = Kalkulationszinssatz T = Planungszeitraum Generell gilt, dass ein Investitionsobjekt umso vorteilhafter ist, je größer der zugehörige Kapitalwert ist. Bei Orientierung an dem Kriterium „Kapitalwert“ hat ein Anbieter seinen Preis für das Investitionsgut daher so zu setzen, dass der resultierende Kapitalwert höher ist als bei einem Konkurrenzprodukt. Zur Verdeutlichung wird folgendes Beispiel herangezogen: M ittels eines Konkurrenzprodukts ist es möglich, pro Periode 50.000 Produkteinheiten mit einem Stückdeckungsbeitrag von 4 Geldeinheiten zu fertigen (Fixkosten werden vernachlässigt). Die Zahlungsüberschüsse pro Periode betragen damit 50.000 • 4 = 200.000 Geldeinheiten. Wird von einem Planungszeitraum von 4 Jahren und einem Kalkulationszins von i = 10 % ausgegangen, so ergibt sich der Kapitalwert des Konkurrenzproduktes bei einem Anschaffungspreis in Höhe von 500.000 Geldeinheiten (der Restwert des Produktes nach t = 4 betrage 0) in Höhe von 4 1 200.000 500.000 133.973, 08 1 0,1 o t t C . Ist die Arbeitsgeschwindigkeit des eigenen Produktes 10 % höher als bei dem Konkurrenzprodukt mit der Folge von 10 % höheren Einzahlungsüberschüssen pro Periode, so ergeben sich diskontierte Einzahlungsüberschüsse über alle vier Perioden in Höhe von 697.370,40 Geldeinheiten. Dies bedeutet, dass das eigene Produkt bis zu 63.397,32 Geldeinheiten teurer sein kann als das Konkurrenzprodukt, da bei einem Preis von 563.397,32 Geldeinheiten für das eigene Produkt die Kapitalwerte des eigenen Produkts und des Konkurrenzprodukts übereinstimmen. 2.2.2.2.4 Einzelprobleme der Preispolitik Nachfolgend soll auf spezifische Einzelprobleme der Preispolitik eingegangen werden, welche von besonderer Relevanz sind. Konkret werden die Preisdifferenzierung, die Preisbündelung und die Preislinienpolitik, das dynamische Preismanagement, das vertikale Preismanagement, die Preispolitik in Risiko- und Ungewissheitssituationen, die Preispolitik im Internet, das Yield-M anagement sowie das innovative Bezahlsystem Pay-What-You-Want (PWYW) näher analysiert. <?page no="500"?> 478 PPl anung des Marketing-Instrumente-Einsatzes 2.2.2.2.4.1 Preisdifferenzierung Unter Preisdifferenzierung versteht man allgemein den Verkauf der gleichen Ware an verschiedene Käufer- oder Absatzschichten zu verschiedenen Preisen, strenggenommen zum gleichen Zeitpunkt und am gleichen Ort (vgl. Ott 1989, S. 189). Nach dieser engen Definition liegt Preisdifferenzierung also nur dann vor, wenn die angebotene Leistung in jeder Hinsicht homogen ist; insbesondere die Forderungen nach dem gleichen Zeitpunkt und dem gleichen Ort sind in der betrieblichen Praxis jedoch nur selten erfüllt. Im angelsächsischen Raum ist eine weite Definition der Preisdifferenzierung („price dis crimination“) gebräuchlich. Danach umfasst die Preisdifferenzierung auch den Fall, dass die zu unterschiedlichen Preisen angebotenen Leistungen zwar nicht völlig homogen sind, die Preisunterschiede jedoch nicht in v