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Stützpfeiler der Gewaltherrschaft in der Provinz

Die acht Kreisleiter von Überlingen 1930-1945

1216
2019
978-3-7398-0189-6
978-3-8676-4863-9
UVK Verlag 
Walter Hutter

Als territoriale Statthalter Hitlers waren die NS-Kreisleiter auf der mittleren Führungsebene zwischen Gauleitern und Ortsgruppenleitern mit weitreichenden Eingriffsrechten ausgestattet, sodass sie über die Möglichkeit verfügten, ein totalitäres Regime auf Bezirksebene zu entfalten. Ob und wie sie davon im Altkreis Überlingen Gebrauch machten, ist Gegenstand des vorliegenden Buches. Anhand von acht Kreisleiter-Biographien zeigt Walter Hutter, wie NS-Kreisleitung, NS-Ortsgruppen und städtische Verwaltung in den Jahren 1930 bis 1945 zusammenwirkten. Neben den Herrschaftspraktiken der Kreisleiter rücken auch ihre Sozialisierung und Radikalisierung sowie ihre Tätigkeiten nach dem Zusammenbruch des Regimes in den Fokus. Insgesamt zeichnet sich das Bild vom unnachgiebigen »kleinen Diktator« ab, das nur selten Risse bekommt, beispielsweise wenn ein Kreisleiter potentielle Opfer vor der NS-Gewalt schützte. Damit leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus in der Stadt und im Bodenseekreis.

<?page no="0"?> Walter Hutter Die acht NS-Kreisleiter von Überlingen 1930-1945 Stützpfeiler der Gewaltherrschaft in der Provinz <?page no="1"?> Südseite Kultur und Geschichte des Bodenseekreises · Band 4 Hg. von Stefan Feucht Herausgegeben vom Kulturamt des Bodenseekreises greift die Reihe relevante Themen zur kulturellen und geschichtlichen Entwicklung der Region in und um den heutigen Bodenseekreis auf. Sie ist ein Forum für das Selbstverständnis und die Identität dieser Region. Der Schwerpunkt liegt auf der Publikation bedeutsamer Zeugnisse und entsprechender Forschungsergebnisse oder der Dokumentation wissenschaftlicher Tagungen. Walter Hutter, Studiendirektor a.D., unterrichtete Geschichte und Englisch an den Gymnasien Saulgau, Leutkirch und Markdorf. Er veröffentlichte mehrere Publikationen zur Lokal-und Regionalgeschichte und betreut seit 2014 das Stadtarchiv Markdorf. <?page no="2"?> Walter Hutter Stützpfeiler der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der Provinz Die acht NS-Kreisleiter von Überlingen 1930-1945 UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz <?page no="3"?> Mit freundlicher Förderung der Bodenseekreis Kunst- und Kulturstiftung und der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-86764-863-9 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2020 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Printed in Germany UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 www.uvk.de <?page no="4"?> 5 Inhalt Vorwort des Herausgebers der Reihe Südseite . . . . . . . . 9 Vorwort des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Die NS-Kreisleiter in Baden - Aufgaben und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Gustav Robert Oexle - Kreisleiter in Überlingen vom 30 September 1930 bis 6 März 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Kindheit und frühe Jugend 23 · Dienstzeit in der kaiserlichen Marine und in der Reichsmarine (1909-1920) 24 · Das Kriegsende und die Freikorps - Oexles Weg in die Weimarer Republik 29 · Radikalisierung und beruflicher Neubeginn in Nußdorf 31 · Die Etablierung der NSDAP im Bezirk Überlingen und Oexles Aufstieg in der Partei 36 · „Machtergreifung“ und Gleichschaltung in Überlingen-44 · Einzug in den Kreistag und in den Badischen Landtag in Karlsruhe 54 · Aufstieg zum Gebietsinspekteur der NSDAP 54 · Die Gebietsinspekteure werden „Beauftragte der Parteileitung“ im Stab Hess 56 · G.-R.-Oexle wird Reichstagsabgeordneter 57 · Vom „Beauftragten der Parteileitung“ zum „Sonderbeauftragten im Stab des Stellverteters des Führers“ (Parteikanzlei) 59 · Tätigkeiten im alten und im neuen Amt 60 · Prozess gegen Leo Katzenberger in Nürnberg am 13./ 14. März 1942 65 · Oexle und das parteiinterne Netzwerk-68 · „Bodenseediplomatie“ 70 · Die „Blütenfahrt“ am Bodensee 72 · Oexle und sein geliebter „Führer“ 76 · Oexle und die Parteigenossen in der Stadt und im Bezirk Überlingen 79 · Oexles Verhältnis zum Überlinger NS-Bürgermeister Dr. Albert Spreng 81 · Sprengs Versuche mit Oexles Hilfe Überlingen zur Garnisonsstadt zu machen-84 · Sprengs Versuch, Nußdorf nach Überlingen einzugemeinden 91 · Oexle und Nußdorf 92 · Gustav und Gretel - Pflegebruder und -Schwester 95 · Der Tod von Margarete Lang 101 · Das Ende 105 · Entnazifizierung eines toten Nationalsozialisten 108 · Frohe Botschaft aus Walhall 111 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn Alfons Hafen - Stellvertretender und kommissarischer Kreisleiter (6 . März 1934 bis 6 April 1936) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Ein jugendlicher „Agitator“ und Provokateur 141 · Aufstieg in die lokale NS-Elite-142 · Stellvertretender und kommissarischer Kreisleiter 147 · Beauftragter der Partei für die Stadt und den Kreis Überlingen 156 · Übernahme der Leitung der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KDF) und Ausscheiden aus dem Amt als <?page no="5"?> 6 Inhalt Kreisleiter 159 · Gauwart der KDF 161 · Die Entnazifizierung 165 · Rückkehr in den alten Beruf 165 Vom strammen Antidemokraten in der Weimarer Republik zum überzeugten Nationalsozialisten Richard Burk - Kreisleiter in Überlingen von April bis Dezember 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Aufstieg in der Partei 174 · Kreisleiter in Überlingen - Die Reform der NS-Kreise und der Amtsbezirke 174 · Kreisleiter von Lahr 1937 - 1945 und kommissarischer Kreisleiter von Schlettstadt vom Sommer bis Ende 1940 179 · Das Entnazifizierungsverfahren 181 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ Wilhelm Mensch - Kreisleiter in Überlingen vom 1 Januar 1937 bis 16 November 1940 . . . . . . . . . . . . . . . 185 Menschs Aufstieg in der lokalen Politik 186 · Ortsgruppenleiter Mensch und die Absetzung des Bürgermeisters Dr. Emerich und seines Stellvertreters Hug 188 · Bürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenleiter in Markdorf 190 · Kreisleiter von Überlingen 198 · Der Kreisparteitag von 1939 206 · Tod und inszeniertes Heldenbegräbnis 215 · Die Familie 220 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Kreisleiter Ernst Bäckert - Kommissarischer Kreisleiter in Überlingen vom 1 2 1940 bis 1 6 1942, Kreisleiter vom 1 6 1942 bis 13 1 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Bürgermeister in Stetten am kalten Markt 231 · Bürgermeister von Meßkirch-234 · Kreisleiter des neu geschaffenen NS-Kreises Stockach 239 · Kommissarischer Leiter des Kreises Überlingen und Kreisleiter in Stockach 252 · Bäckert wird Kreisleiter in Überlingen und Albert Zimmermann Kommissarischer Kreisleiter in Stockach 256 · Suspendierung und Einsatz als Inspekteur des Volkssturms in Südbaden 269 · Das Ende - weitere Prozesse gegen Ernst Bäckert 273 · Ernst Bäckert verlässt Überlingen 281 Kreisleiter für 14 Tage Karl Hans Schmidtborn (30 1 1945 bis 14 2 1945) . . . . . . . . . . 291 „Ein überzeugter Nazi, der sich über alles hinweggesetzt hat“ Arnold Haller - Kreisleiter von Überlingen für etwa vier Wochen (1 März bis Ende März 1945) . . . . . . . . . 295 Kreisleiter von Villingen vom 1. August 1938 bis Ende Februar 1945 296 · Haller wird Kreisleiter in Überlingen 298 · Vom Kreisleiter zum Volkssturmmann 299 <?page no="6"?> 7 Inhalt „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ Dr Hermann Schmidt - letzter Kreisleiter von Überlingen (18 . bis 29 April 1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Schmidts Rolle während der Machtergreifung und Gleichschaltung in Wertheim-308 · Die Partei und ihr Widersacher, der katholische Stadtpfarrer Karl Bär-311 · Kreisleiter Schmidt und die jüdische Bevölkerung von Wertheim 315 · Kriegsende in Wertheim und Flucht 321 · Kreisleiter in Überlingen 322 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Charakterisierung der einzelnen Kreisleiter 330 · Das Leben vor der NSDAP - Herkunft, Ausbildung und Radikalisierung der späteren Kreisleiter-335 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 <?page no="8"?> 9 Vorwort des Herausgebers der Reihe Südseite Nachdem vielerorts bereits in den 1980er Jahren historische Untersuchungen zu einzelnen Gemeinden und Städten während des Nationalsozialismus Pionierarbeit geleistet haben, erfuhren in den letzten Jahren Forschungen zu den regionalen und lokalen Akteuren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erneut einen erfreulichen Aufschwung. Dies gilt auch für die Bodenseeregion. Die von Wolfgang Proske herausgegebene Reihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ stellt hier einen Meilenstein dar. Walter Hutter legt nun eine detaillierte und ausgezeichnet recherchierte Darstellung der NSDAP-Kreisleiter für den Bezirk Überlingen vor. Für den NS-Staat charakteristisch war die Doppelstruktur von bestehenden staatlichen und neuen parteiamtlichen Stellen, die beide mit der Verwaltung und politischen Lenkung befasst waren. Entscheidend war allerdings, was die Partei vorgab. Zwischen den Gauleitern in den Ländern und den Ortsgruppenleitern in den Kommunen stehend, kam den Kreisleitern auf regionaler Ebene eine besondere Rolle zu. Sie waren die „kleinen Könige“ in der Provinz. Ihnen oblag es, den NS-Staat in den Regionen zu etablieren und dessen Ideologie in den Alltag vor Ort zu tragen. Im Altkreis Überlingen herrschten zwischen 1930 und 1945 acht Kreisleiter, von denen allerdings die vier Funktionäre Burk, Schmidtborn, Haller und Schmidt nur kurze Zeit im Amt waren. Die schillerndste Figur war sicherlich Gustav Robert Oexle. Ehemaliger Kriegsheld im Ersten Weltkrieg, baute Oexle den NS- Parteiapparat in der Region auf und wurde erster Kreisleiter von Überlingen. Er machte nach 1933 rasch Karriere, war zunächst Gebietsinspektor der NSDAP, dann Landtags- und Reichstagsabgeordneter und später Sonderbeauftragter im Stab des Stellvertreters des Führers Rudolf Hess. Oexle, der sich bei Kriegsende das Leben nahm, stand auf einer Liste von „Key Nazis“ der Amerikaner. Auch sein Nachfolger Alfons Hafen, der sich als Provokateur und Agitator in Überlingen einen Namen gemacht hatte, machte schließlich ebenfalls Karriere als Funktionär in der Organisation „Kraft durch Freude“. Wilhelm Mensch, der von 1936 bis zu seinem überraschenden Herztod 1940 den Überlinger Kreis leitete, zeigte gelegentlich humane Züge. Ansonsten war er ein ebenso überzeugter Nationalsozialist wie sein Nachfolger Ernst Bäckert, <?page no="9"?> 10 Vorwort des Herausgebers der Reihe Südseite der für seine Härte und Unerbittlichkeit im Umgang mit politischen Gegnern berüchtigt war. Wer Walter Hutters Biographien der Kreisleiter liest, erhält nicht nur ein plastisches Bild der führenden Persönlichkeiten, ihrer Karrieren und deren entsprechenden persönlichen Hintergründe, sondern bekommt darüber hinaus auch einen Einblick in das Alltagsleben im Altkreis Überlingen. Der Leser erfährt, wie die nationalsozialistische Ideologie immer weitere Lebensbereiche umfasste, wie Gegner und Andersdenkende aus Ämtern und Stellungen gedrängt und bis zur letzten Konsequenz verfolgt wurden. Walter Hutter verfolgt die Lebensgeschichten der Kreisleiter auch über die Zäsur des Kriegsendes hinaus und bringt außerdem das problematische Kapitel der Entnazifizierung zur Sprache. Dem Autor Walter Hutter, der mit dieser Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Nationalsozialismus in der Region geleistet hat, danke ich herzlich für die gute Zusammenarbeit. Die Kunst- und Kulturstiftung des Bodenseekreises und die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) haben diese Publikation finanziell gefördert - besten Dank hierfür. Als Herausgeber der Reihe Südseite bedanke mich außerdem beim UVK-Verlag und besonders bei Frau Uta Preimesser für die kompetente und intensive redaktionelle Betreuung. Stefan Feucht Vorwort des Autors Die Erforschung der nationalsozialistischen Herrschaft in der Provinz ist in den letzten Jahren wieder mehr in den Fokus der Historiker gerückt. Dennoch gibt es immer noch genügend blinde Flecken. Solches gilt auch für die Erforschung der NS-Bewegung am Überlinger See und in der Stadt Überlingen selbst. Dies mag umso mehr überraschen, als mit den herausragenden Arbeiten von Oswald Burger über den „Stollen in Goldbach“, der im 2. Weltkrieg von Häftlingen eines Außenlagers des KZ Dachau in den Sandsteinfels getrieben wurde, um die Friedrichshafener Rüstungsindustrie vor Luftangriffen zu schützen, die besonders brutale Seite des NS-Regimes dokumentiert wurde. Er war es auch, der Einzelschicksale von Verfolgten des NS-Regimes aufarbeitete, wie etwa des langjährigen jüdischen Landrates des Bezirks Überlingen, Hermann Levinger, <?page no="10"?> 11 Vorwort des Autors und seiner Tochter oder die Schicksale jüdischer Landwirte am Bodensee. Auch die Lebensgeschichte von Adam Puntschart und dessen Erlebnisse im Spanischen Bürgerkrieg, im KZ und auf der Flucht, die Burger herausgab, gehört in diese Reihe. 1 Schon 1984 regte er an, Materialien über den Nationalsozialismus in Überlingen und Umgebung von Lehrern für Lehrer für den Geschichtsunterricht zusammenzustellen. Eine sich damals formierende Arbeitsgruppe Regionalgeschichte, der ich selbst angehörte, förderte einiges Material aus dem Überlinger Stadtarchiv und den dort lagernden NS-Zeitungen ans Tageslicht. Die Arbeitsgruppe beschränkte sich damals darauf, diese Materialien den Schulen zur Verfügung zu stellen. Sie war sich bewusst, dass ihre Darstellungsform keine den wissenschaftlichen Ansprüchen genügende quellenkritische Präsentation anstrebte, weil dies für den Schulgebrauch weitgehend vernachlässigbar war. 2 Leider ist seit dieser Zeit weder eine Arbeit zur Entstehung der NS-Bewegung am Überlinger See oder in der Stadt Überlingen selbst erschienen, noch über den Alltag im NS-Staat in der Stadt. Dies kann auch die vorliegende Arbeit über die NS-Kreisleiter nicht leisten. Sie kann dennoch dazu beitragen anhand der Geschichte der Überlinger Kreisleiter etwas Licht in die Herrschaftspraktiken der Nationalsozialisten vor Ort zu bringen und die Interaktion zwischen Ortsgruppe und Kreisleitung bzw. städtischer Verwaltung genauer zu betrachten. Die Wege zwischen der im Gebäude der Löwenzunft untergebrachten Kreisleitung und der Ortsgruppe bzw. der Stadtverwaltung im Rathaus waren sehr kurz, was eine Kontrolle der Vorgänge und ein notwendiges Einschreiten der Kreisleitung sehr erleichterte. Freilich liegt der Schwerpunkt der Untersuchung in der Rolle der Kreisleiter. Dazu gehören auch Fragen der Herkunft und Rekrutierung des Personals der Partei auf dieser Herrschaftsebene. Aus welchen Gesellschaftsschichten stammten die Kreisleiter, wie interpretierten sie die Ausübung von Herrschaft im Rahmen ihrer Möglichkeiten, wann schlossen sie sich der Partei an, und gab es bereits zuvor eine Radikalisierung in der Weimarer Republik? Da die Partei zwischen 1930 und 1945 insgesamt acht verschiedene Kreisleiter im Bezirk / Kreis Überlingen einsetzte, ergibt sich eine durchschnittliche Verweildauer von 22 ½ Monaten im Amt. Selbstverständlich muss auch dieser ständige Wechsel hinterfragt werden. Daraus resultiert noch ein weiteres Problem: Um die Kreisleiter entsprechend zu <?page no="11"?> 12 Danksagung charakterisieren und ein möglichst geschlossenes Bild zu erhalten, ist es unbedingt notwendig sowohl ihre Vorgeschichte als auch ihre Tätigkeiten nach dem Wegzug aus Überlingen zu untersuchen. Dies habe ich, sofern das archivalische Material oder sonstige Arbeiten über die Kreisleiter es zuließen, auch getan. Danksagung Um diese Arbeit über die Überlinger NS-Kreisleiter fertigstellen zu können, waren zahlreiche Besuche in verschiedenen Archiven notwendig. Ganz besonders möchte ich mich für die sehr gute Betreuung im Überlinger Stadtarchiv durch Herrn Stadtarchivar Walter Liehner und Frau Nicolette Waibel bedanken, die keine Mühe scheuten, mir alles vorzulegen, was mir weiterhelfen konnte. Mein Dank gilt auch dem Kreisarchiv des Bodenseekreises, dem Staatsarchiv in Freiburg und dem Bundesarchiv in Berlin. Wo immer ich auch hinkam, wurde mir vorbildlich geholfen. Nicht zuletzt möchte ich mich auch bei Frau Uta Preimesser vom UVK Verlag in Konstanz bedanken, die sich meine Texte vornahm, das Material strukturierte und wo nötig Korrekturen anfügte und mir mit zahlreichen Tipps weiter half. Dass diese Arbeit über die Überlinger Kreisleiter überhaupt veröffentlicht werden kann, verdanke ich dem Interesse des Kreiskulturamtsleiters des Bodenseekreises, Herrn Dr. Stefan Feucht, der sowohl die Finanzierung als auch den Druck durch den UVK Verlag in Konstanz in die Wege leitete. Walter Hutter 1 Der Stollen. Verein Dokumentationsstätte Goldbacher Stollen und KZ Aufkirch in Überlingen 1996; 12. Auflage: Isele, Eggingen 2017¸ Die Levingers. Eine Familie in Überlingen (mit Hansjörg Straub). Isele, Eggingen 2002; Adam Puntschart: Die Heimat ist weit, Erlebnisse im Spanischen Bürgerkrieg, im KZ, auf der Flucht. Hrsg. von Oswald Burger, Weingarten 1983; „Es war noch einmal ein Traum von einem Leben“. Schicksale jüdischer Landwirte am Bodensee 1930-1960 (zusammen mit Manfred Bosch) UVK Konstanz 2015. 2 Arbeitsgruppe Regionalgeschichte. Nationalsozialismus in Überlingen und Umgebung. Materialien zusammengestellt von Oswald Burger, Werner Bux, Walter Hutter, Hans Kley und Günther Zipf, in: Geschichte am See, Bd. 22, Friedrichshafen 1984. <?page no="12"?> 13 Die NS-Kreisleiter in Baden - Aufgaben und Funktionen Gemäß einer Zählung aus dem Jahre 1935 gab es im Deutschen Reich insgesamt 33 Gauleiter und 827 Kreisleiter. Neben der Reichsführung kann man also von etwa 1000 Führern des „Tausendjährigen Reiches“ ausgehen. 1 Lange Zeit beschäftigte sich die NS-Forschung kaum mit den unteren NSDAP-Funktionären in der Provinz, also auch nicht mit den NS- Kreisleitern. Erst seit den 1990er Jahren und in den frühen 2000-er Jahren kamen die Ortsgruppenleiter und Kreisleiter in den Fokus der Forschung. Hier sind etwa die Arbeiten von Christine Müller-Bötsch, die sich mit den Biographien und dem politischen Handeln der unteren NSDAP-Funktionäre befasste und vor allem auch deren Vorgeschichte im 1. Weltkrieg und in der Weimarer Republik in ihren Forschungsansatz mit einbezog. Daneben gibt vor allem die systematische Studie von Claudia Roth über die Kreisleiter in Bayern einen guten Überblick. Viele ihrer Erkenntnisse für Bayern lassen sich auch auf Baden übertragen. Auch die Arbeit von Christine Arbogast und Bettina Hall über Aufgaben und Funktionen der Gauinspekteure, der Kreisleitungen und die Kriegsgerichtbarkeit gibt einige Einblicke über die Situation in Württemberg. Mit dem Band „Die Führer der Provinz“, herausgegeben von Michael Kißener und Joachim Scholtyseck entstand eine umfangreiche und konzise Sammlung biographischer Porträts führender Nationalsozialisten in Baden und Württemberg. Das Werk enthält auch vier Biographien von Kreisleitern. In jüngster Zeit widmet sich die von Wolfgang Proske herausgegebene Reihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ in zehn Bänden NS-Belasteten aus ganz Baden und Württemberg, darunter auch einige NS-Kreisleiter. Für die Entwicklung der NSDAP in Baden finden sich wichtige Informationen in den schon in den siebziger und achtziger Jahren erschienenen Arbeiten von Johnpeter Horst Grill, nämlich die zweibändige Dissertation von 1975 mit dem Titel „The Nazi Party in Baden“ und die darauf aufbauende Studie von 1983 „The Nazi Movement in Baden 1920-1945“, in der sich wichtige Hinweise über später führende Nationalsozialisten in Baden in der Weimarer Republik <?page no="13"?> 14 Die NS-Kreisleiter in Baden - Aufgaben und Funktionen sowie zur Herausbildung der Parteistruktur in den 20er Jahren finden lassen. Auch die Arbeit von Carl-Wilhelm Reibel über die NSDAP-Ortsgruppen enthält sehr viele Informationen über das Zusammenspiel von Ortsgruppenleitern und Kreisleitern. 2 Als im Jahre 1937 im Organisationshandbuch der NSDAP die Rolle der NS-Kreisleiter klar festgelegt wurde, hatte das Amt des Kreisleiters bereits seine eigene Geschichte hinter sich. Bei vielen der lokalen und regionalen Nationalsozialisten hatte sich schon vor der Verortung bei der extremen Rechten eine Mitgliedschaft in ebenfalls extremen völkischen Organisationen in ihrem Lebenslauf niedergeschlagen. Dies gilt auch für die späteren Kreisleiter des NS- Kreises Überlingen, Gustav Robert Oexle und Richard Burk, die beide der in Baden sehr rührigen „Organisation Damm“ angehört hatten. Andere spätere NS-Führer der badischen Provinz wie die Kreisleiter Konrad Knab (Emmendingen) und Franz Kerber (Freiburg) gehörten dem paramilitärischen „Bund Oberland“ an, der aus dem „Freikorps Oberland“ hervorgegangen war und mit Hitler 1923 im so genannten „Kampfbund“ kollaborierten. Weitere badische Nationalsozialisten erfuhren ihre politische Sozialisation im „Schutz-und Trutzbund“. 3 Die Einrichtung von Kreisleiterstellen in den Gauen war von der Reichsleitung der Partei ursprünglich nicht vorgesehen. Dies hängt mit der Entwicklung der Partei in den 1920er Jahren zusammen. In Baden gelang es der Partei, sich zunächst in ländlichen Gebieten und in kleineren Städten im nordöstlichen Baden (Wertheim) festzusetzen, dann in ländlichen Bezirken um Karlsruhe, Heidelberg und Weinheim (Liedolsheim und Eberbach). Dort verstärkte die Partei ihren propagandistischen Einsatz nach 1926, ebenso wie in Mittelbaden. Im vorwiegend katholischen Südbaden und speziell am Nordufer des Bodensees zeitigte diese Kampagne zunächst keinen Erfolg. Die von Konstanz aus betriebene Gründung einer Ortsgruppe in Überlingen 1927 schlug fehl. 4 Mit dem langsamen Wachsen der Partei schien es Gauleiter Wagner wichtig, eine neue Instanz zwischen sich und den Ortsgruppen zu schaffen, um besser über die Vorgänge in den einzelnen Regionen informiert zu sein. So entstanden die von Wagner eingesetzten Bezirksleiter, deren Wirkungskreis sich im Regelfall den politischen Bezirken in Baden anpasste. In Südbaden wurden gelegentlich Kreisleiter über mehrere Bezirke hinweg eingesetzt. <?page no="14"?> 15 Die NS-Kreisleiter in Baden - Aufgaben und Funktionen Die ersten Bezirksleiter tauchten um 1925 auf, so in Mannheim, als eine Bezirkskonferenz der Partei den Bezirksleiter wählte. In Karlsruhe griff sich Albert Roth aus Liedolsheim, ein alter Kampfgenosse Wagners, vermutlich mit dessen Zustimmung das Amt eines Bezirksleiters. 1927 wurde er von Willi Worch ersetzt, der bis zum Kriegsende Kreisleiter von Karlsruhe bleiben sollte. Bis etwa 1928 gab es die meisten Bezirksleiter in Nordbaden, Nordostbaden und Mittelbaden. 1928 wurde der Gau in 23 Parteikreise eingeteilt. Acht neue Parteikreise kamen um 1930 im südlichen Baden dazu. Dort entstanden beispielweise Bezirksleitungen in Meßkirch, Stockach, Pfullendorf und Überlingen. Als die Partei 1933 schließlich an die Macht kam, wurde der Gau Baden in 30 Parteikreise eingeteilt. Diese Zahl erweiterte sich bis 1934 auf 40 Bezirke, die genau an die badischen Amtsbezirke angepasst waren. Mit der Zusammenfassung kleinerer Amtsbezirke zu neuen Kreisen im Jahre 1936 passten sich die NS-Kreise den neuen Kreisgebilden an, so dass von ursprünglich 40 Bezirksleitern nur noch 27 Kreisleiter übrig blieben. 5 Die zunächst von Gauleiter Wagner eingesetzten Kreisleiter sollten ein Verbindungsglied zwischen den NS-Ortsgruppen in den Bezirken und dem Gauleiter darstellen. Häufig waren diese vor allem in den größeren Städten auch gleichzeitig Ortsgruppenleiter. Mit der Schaffung ständig neuer Ortsgruppen wuchs auch die Zahl der Kreisleiter. In dieses Amt wurden zunächst vor allem alte Kämpfer eingesetzt, die nicht leicht zu kontrollieren waren. Aus diesem Grunde achtete Wagner darauf, dass diese nicht zu lange an einem Ort verweilten, um eine regionale Machtballung in den Händen eines Kreisleiters zu vermeiden. Tatsächlich lässt sich feststellen, dass es eine hohe Fluktuation bei den Kreisleitern, den Kreisamtsleitern und den Kreispropagandaleitern gab. Diese hängt auch damit zusammen, dass der Posten eines Kreisleiters bis 1936/ 37 ein „Ehrenamt“ war. Allenfalls gab es eine kleine Aufwandsentschädigung für Fahrten und Auftritte als Kreis- oder Gaupropagandaredner, die aber aus der Gauparteikasse zu begleichen war. Einige der alten Kämpfer waren mit den zunehmenden Verwaltungsarbeiten überfordert, andere erwiesen sich als brutal und charakterlich wenig geeignet wie etwa der erste Kreisleiter von Karlsruhe, der Land- und Gastwirt Albert Roth aus Liedolsheim, gegen den 1927/ 28 ein Parteigerichtsverfahren eingeleitet wurde, was Gauleiter Wagner <?page no="15"?> 16 Die NS-Kreisleiter in Baden - Aufgaben und Funktionen gerade noch verhindern konnte, oder der als „Feldmarschall vom Bodensee“ gefürchtete Kreisleiter von Konstanz, Eugen Friedrich Speer, der von 1934 bis 1935 auch noch das Bürgermeisteramt in Radolfzell bekleidete und 1935 durch Beschluss des Gaugerichts Karlsruhe aus der NSDAP ausgeschlossen wurde. 6 Mit der „Machtergreifung“ und Gleichschaltung entstanden plötzlich neue Möglichkeiten für die bisher ehrenamtlichen Ortsgruppen- und Kreisleiter durch die Annahme bezahlter kommunaler Ämter wie etwa der Bürgermeisterämter. Dies und der seit etwa 1930 anhaltende Mitgliederzuwachs auf regionaler Ebene führten dazu, dass sich auch das Kreisleiterkorps veränderte. Von zehn neuen Kreisleitern, die zwischen 1930 und 1932 in Baden eingesetzt wurden, waren sechs erst 1930 der Partei beigetreten. Damit erfolgte auch eine Verjüngung unter den Kreisleitern, da keiner dieser neuen Kreisleiter mehr im 1. Weltkrieg gedient hatte. Außerdem lässt sich eine Verschiebung bei deren sozialen Herkunft erkennen. Sie kamen fast alle aus dem gehobenen Mittelstand. 7 1934 bemerkte der Kreisleiter von Karlsruhe, Willi Worch, „wenn die öffentlichen Verwaltungen in dem Maße, wie es von der NSDAP erwartet worden sei […] die ,Schwarzen‘ und ,Roten‘ ausgeschieden hätten, wären heute keine alten Kämpfer […] mehr arbeitslos. […] Hinter dieser Äußerung steht der Anspruch der Partei, sämtliche Beamten der Verwaltung mit alten Kämpfern zu besetzen. Tatsächlich hatte Gauleiter Wagner bis 1936 geglaubt, die gesamte Verwaltung mit Nationalsozialisten besetzen zu können. Sein eigener Innenminister Pflaumer und die Reichsparteileitung hatten hingegen frühzeitig erkannt, dass kaum jemand in der Partei fähig gewesen wäre, die von Volljuristen bekleideten Ämter der höheren Verwaltung, wie etwa die Landratsämter zu übernehmen. So war es besser, die Landratsämter weiterhin in den Händen der bisherigen Amtsinhaber zu belassen, sofern sie sich dem Staat gegenüber loyal verhielten, was im Regelfall keine Probleme bereitete. Dabei spielte auch der finanzielle Aspekt eine große Rolle. Der einzige alte Kämpfer, der ohne Hochschulabschluss die Posten des Landrates und des Kreisleiters in Personalunion in Konstanz (Kreisleiter seit 1934, Landrat seit 1935) übernahm, war Carl Engelhardt, der dem persönlichen Umkreis Wagners aus der frühen „Kampfzeit“ entstammte. Als Wagner erkannte, dass sein Versuch, die Personalunion von Kreisleiter und Landrat wie im Fall Engelhardt apodiktisch <?page no="16"?> 17 Die NS-Kreisleiter in Baden - Aufgaben und Funktionen von oben gegen den eigenen Herrschaftsapparat und gegen den Willen der Reichsleitung durchzusetzen, ruderte er 1937 zurück, und Engelhardt wurde zunächst kommissarischer (1937) und später (1940) planmäßiger Polizeipräsident in Karlsruhe. 1940 folgte er seinem politischen Mentor Wagner als Polizeipräsident und Leiter der Polizeiverwaltung nach Straßburg in die neue Gauhauptstadt des Gaus Baden-Elsaß. 8 Mit dem Organisationsbuch der NSDAP von 1937 legte die Reichsorganisationsleitung der Partei die genauen Aufgaben, die Gebietsabgrenzungen, die an die Kreisleitung angeschlossenen Parteiämter sowie das Verhältnis zwischen den Landräten und den Kreisleitern fest. Vorausgegangen waren dieser Präzisierung die Kommunalreform im Reich von 1935 und die in Baden 1936 durchgeführte Zusammenfassung von bisherigen Amtsbezirken zu Kreisen. Die Kreisleitungen der Partei wurden den staatlichen Verwaltungsbezirken angepasst, und der Sitz der Kreisleitung musste sich jeweils in der Kreisstadt befinden. Im Regelfall sollten alle Gliederungen und Ämter der Kreisleitung ihre Diensträume am Sitz des Kreisleiters haben, einschließlich SA, SS, NSKK, HJ. Der Kreisleiter unterstand direkt dem Gauleiter und den Gauamtsleitern, sofern diese fachliche Weisungen erteilten. Dem Kreisleiter seinerseits unterstanden disziplinarisch sämtliche politischen Leiter seines Stabes, der Ortsgruppen und der Stützpunkte. Der Kreisleiter wurde auf Vorschlag des Gauleiters vom Führer ernannt. Ortsgruppenleiter und Stützpunktleiter wurden vom Gauleiter ernannt und vom Kreisleiter in ihre Ämter eingeführt. Der Kreisleiter hatte die Befugnis in schwerwiegenden Fällen bei Veranstaltungen und Handlungen, die den Interessen der Partei zuwiderliefen, die Geheime Staatspolizei einzuschalten. Neben diesen formalen Anweisungen im Organisationsbuch der Partei von 1937 kamen den Kreisleitern weitere Befugnisse zu, die sich aus dem Gesetz zur Gemeindeordnung vom 30.- Januar 1935 ergaben. In diesem Sinne wirkte der Kreisleiter als Beauftragter der Partei und ohne seine Zustimmung konnte kein Bürgermeister, kein Gemeinderat, kein Gemeindebeamter und kein Feuerwehrkommandant eingesetzt werden. Faktisch war damit die Kreisleitung eine dem Landrat nebengeordnete Überwachungs- und Kontrollinstanz der staatlichen Behörden auf Kreis- und kommunaler Ebene. Des Weiteren erstellte die Kreisleitung „politische Beurteilungen“ für Bewerber auf staatliche Stellen, <?page no="17"?> 18 Die NS-Kreisleiter in Baden - Aufgaben und Funktionen was ein wichtiges politisches Instrument der Herrschaftsausübung der Partei darstellte. Selbst private Arbeitgeber begannen ihre Stellenbesetzungen von den Gutachten der Kreisleitung abhängig zu machen, um Konflikte mit der Partei zu vermeiden. Der Kreisleiter arbeitete auch eng mit dem SD (Sicherheitsdienst) zusammen, zum Beispiel, wenn jemand Auslandsreisen beantragte. Der SD fragte dann bei der Kreisleitung nach, Erkundigungen über diese Person einzuziehen und sie, sofern „zuverlässig“, dazu zu veranlassen nach ihrer Rückkehr einen Bericht über die politischen Verhältnisse im Reiseland zu verfassen. 9 Trotz der Stabilisierung und genauen Definition der Aufgaben und Rechte des Kreisleiteramtes und der Bezahlung der Kreisleiter als Vollzeit-Parteiangestellte gab es immer noch eine hohe Fluktuation bei der Besetzung dieses Parteiamtes. So erhielten in Baden zwischen 1937 und 1944 über die Hälfte der Kreisleitungen neue Leiter. Die Gründe dafür waren die Übernahme anderer attraktiver Posten in den Gauämtern, im Reichsnährstand oder vor allem in den Bürgermeisterämtern größerer Städte. Gauleiter Wagner bestand auch weiterhin darauf, dass Kreisleiter nach einer bestimmten Zeit ihre Dienstorte wechseln mussten, um eine zu starke Machtposition in ihren angestammten Kreisen zu verhindern. Während des Krieges schienen Wagner kompetente Kreisleiter mehr und mehr zu fehlen, so dass es zur Übernahme von mehreren Kreisleitungen durch eine Person kam, was zu einer Vielzahl organisatorischer Probleme führte, und manche, wie etwa Ernst Bäckert, Kreisleiter von Stockach und provisorischer Kreisleiter von Überlingen, dazu brachte, mit besonderer Härte und Rigorosität aufzutreten. Durch den Krieg nahm der Einfluss der Kreisleiter auf Partei- und staatliche Angelegenheiten enorm zu. Sie waren zuständig für die öffentliche Agitation zur Erhöhung der Kriegsbegeisterung in der Bevölkerung und mit zunehmender Dauer des Krieges zur Steigerung des Durchhaltewillens. Darüber hinaus griffen sie immer häufiger und anmaßender in staatliche Angelegenheiten ein, wie etwa in die Überwachung der Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen, die Evakuierung der Bevölkerung in gefährdeten Gebieten oder sogar in die kriegswirtschaftliche Produktion, was zu enormen Reibungen mit den offiziell zuständigen Stellen führte. Mit der Aufstellung des Volkssturms im Herbst 1944 wurde den Kreisleitern die regionale Organisation und Aufstellung der Volkssturmeinheiten <?page no="18"?> 19 Die NS-Kreisleiter in Baden - Aufgaben und Funktionen übertragen. Mit der zunehmenden Verschlechterung der Situation an den Fronten spielten sich schließlich viele Kreisleiter als Garanten für den Endsieg auf. 10 Anmerkungen 1 Zitiert nach Jan KOPPMANN: Carl Rudorf - Kreisleiter des Kreises Ravensburg, in: Ravensburg im Dritten Reich. Beiträge zur Geschichte der Stadt, hg. von Peter Eitel, Ravensburg 1998, S. 65. 2 Christine MÜLLER-BÖTSCH: Biografieanalysen unterer NSDAP- Funktionäre. Ein Fallbeispiel; in: Helgard Kramer (Hg.): NS-Täter aus interdisziplinärer Perspektive, München 2006, S. 327 ff.; dieselbe: Den richtigen Mann an die richtige Stelle. Biographien und politisches Handeln von unteren NS-Funktionären, Frankfurt/ New York 2009; Claudia ROTH: Parteikreis und Kreisleiter der NSDAP unter besonderer Berücksichtigung Bayerns, München 1997; Christine ARBOGAST/ Bettina GALL: Aufgaben und Funktionen des Gauinspekteurs, der Kreisleitung und der Kreisgerichtsbarkeit in Württemberg. In: Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie in Baden und Württemberg 1930-1932, hg. von Cornelia Rauh-Kühne und Michael Ruck, München 1993. Michael KISSENER/ Joachim SCHOLTYSECK (Hgg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg. Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 2, Konstanz 1999. Die Reihe „Täter, Helfer Trittbrettfahrer“ wird herausgegeben von Wolfgang Proske aus Gerstetten im Kugelberg-Verlag. Der erste Band erschien 2010 mit „Helfern, Tätern, Trittbrettfahrern“ auf der Ostalb. Proske hat mit jeweils verschiedenen Autoren aus allen Regionen Baden-Württembergs in insgesamt zehn Bänden die Verstrickungen von verschiedensten NS-Belasteten erfasst. Die Reihe ist inzwischen abgeschlossen. Johnpeter Horst GRILL: The Nazi Party in Baden, 1924-1945, Vol. I, Diss. Phil. an der University of Michigan, Ann Arbor, Michigan 1975; ders.: The Nazi Movement in Baden 1920-1945, Chapel Hill, North Carolina 1983. Carl-Wilhelm REIBEL: Das Fundament der Diktatur: Die NSDAP-Ortsgruppen, Paderborn, München, Wien Zürich 2009. 3 GRILL, The Nazi Party, Vol. I, p. 43 ff. 4 GRILL, The Nazi Party. p. 181 ff. 5 GRILL, The Nazi Movement, p. 120 f und 181 ff; 6 GRILL, The Nazi Movement, p. 120 f. Zu Albert Roth vgl. den Artikel in Wikipedia: https: / / de.wikipedia.0rg/ wiki/ Albert_Roth. Zu Eugen Speer: Jürgen KLÖCKLER in: Badische Biographien. Neue Folge 6, S.382-384. Im Netz: https: / / leo-bw.de/ web/ guest/ detail/ -/ Detail/ details/ Person/ ... 7 GRILL, The Nazi Party Vol. 1, p. 214 ff. <?page no="19"?> 20 Die NS-Kreisleiter in Baden - Aufgaben und Funktionen 8 Das Zitat von Willi Worch findet sich bei Manfred Koch: Willi Worch, S.- 817. Zu den Vorgängen um Carl Engelhardt siehe: Michael RUCK: Administrative Eliten in Demokratie und Diktatur. Beamtenkarrieren in Baden und Württemberg von den zwanziger Jahren bis in die Nachkriegszeit, in: Regionale Eliten zwischen Demokratie und Diktatur. Baden und Württemberg. Hg. von Cornelia Rauh-Kühne und Michael Ruck, München 1993, S.- 44; ders.: Engelhardt, Carl, aus: Baden-Württembergische Biographien 3, S.- 62-65. Im Netz: https: / / www.leo-bw.de/ web/ guest/ detail/ -Detail/ details/ Person/ ... 9 Organisationsbuch der NSDAP, Hrsg. Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP, 3. Auflage München 1937, S. 130 ff.; Arbogast/ Gall, S. 152 ff. 10 GRILL, The Nazi Movement, p. 437 und 441 ff. <?page no="21"?> 22 Gustav Robert Oexle, Abgeordneter des Badischen Landtags 1933 <?page no="22"?> 23 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Gustav Robert Oexle - Kreisleiter in Überlingen vom 30. September 1930 bis 6. März 1934 Kindheit und frühe Jugend Gustav Robert Oexle wurde am 2. Oktober 1889 in Sipplingen am Bodensee, Bezirksamt Überlingen, als Sohn des Tagelöhners Bernhard Oexle und dessen Ehefrau Josefine Oexle, geb. Widenhorn, geboren. Oexle wuchs in armen Verhältnissen auf und musste sich schon in seiner Volksschulzeit zwischen 1896 und 1904 bei reicheren Bauern als „Dienstbube“ verdingen. 1 Nach dem Abschluss der Volksschule zog G. R. Oexle, der zu diesem Zeitpunkt bereits Vollwaise war, nach Volkertshausen im Hegau und arbeitete dort von 1904 bis 1909 als Industriearbeiter, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. In Volkertshausen war er offensichtlich gut in die Dorfgemeinschaft integriert und in mehreren Vereinen, unter anderem auch dem Turnverein, aktiv. Letzteren konnte er nicht genug lobend erwähnen: „Schon als junger Kerl fühlte ich, dass eben, um einen schwächlichen Körper vor den Einwirkungen der Natur zu schützen, die Entwicklung des einseitig zur Arbeit in Anspruch genommenen Körpers zu fördern, nur das einzige altbewährte Jahnideal, das Turnen sein kann.“ Gleichzeitig legte er allen jungen Menschen ans Herz, sich dem Turnverein anzuschließen, ganz besonders wenn sie später einmal in den Dienst des Vaterlandes eintreten müssen. Dieser Zeitpunkt kam für Oexle 1909 und er hatte ihn sich offensichtlich herbei gesehnt: „Mein frühester Wunsch war immer gewesen, auch mal dem Kaiser dienen zu dürfen.“ Freudig verkündete Oexle seinen Kollegen, die mit ihm nach mehreren durchzechten Nächten „[…] in einem mit Blumen und Kränzen reichlich geschmückten Wagen […]“ zur Musterung nach Stockach gefahren waren, nach seiner Rückkehr aus dem Musterungssaal, dass er für „tauglich zur Infanterie“ befunden wurde. Bei der Generalmusterung wurde er auf seine Einwilligung hin zur Marine ausgehoben. 2 <?page no="23"?> 24 Gustav Robert Oexle Dienstzeit in der kaiserlichen Marine und in der Reichsmarine (1909-1920) Nach einer Abschiedsfeier von seinen Freunden in Volkertshausen und in den örtlichen Vereinen, begab sich Oexle am 4. Oktober 1909 zu seinem Gestellungsort Heidelberg, von wo aus er in einem Transport mit weiteren Rekruten per Bahn in die Marinekaserne Wilhelmshaven gebracht wurde. Oexle wurde der „Nassau“-Kompanie zugeordnet, wo sie ein alter, erfahrener Leutnant unter anderem mit den Worten begrüßte: „Ich hoffe, dass ihr alle Kerls seid, so stolz und schneidig wie unser Schiff, auf das ihr nun die Ehre gehabt habt zu kommen. Haltet euch tapfer, dann werden wir sicher gut zusammen fahren.“ 3 Einer strammen sechswöchigen infanteristischen Grundausbildung folgte eine achtwöchige seemännische Ausbildung. Insgesamt diente Oexle 3 Jahre auf der S.M.S. „Nassau“ und der S.M.S. „Augsburg“, und weil es ihm dort so gut gefallen hatte, entschloss er sich, in der kaiserlichen Marine weiterzudienen. Vom Oktober 1912 bis zum Februar 1913 absolvierte er einen Kurs auf der Schiffsartillerieschule Sonderburg. Die Ostasienreise auf dem Reichspostdampfer S M S . „Scharnhorst“ Nach dem Besuch des Artilleriekurses wurde Oexle für zwei Jahre auf den Kreuzer S.M.S. „Leipzig“ nach Ostasien abkommandiert. Dort hatte die Marine 13 Kriegsschiffe stationiert, deren Besatzung im Zweijahresrhythmus abgelöst wurde, wobei immer die Hälfte nach einem Jahr heimgeschickt wurde. Oexle reflektierte darüber während der ersten Tage seiner Ostasienreise, dass den Bewohnern des Binnenlandes kaum klar sei „[…] wie notwendig es ist, daß deutsches Eisen, deutscher Stahl und deutsche Kraft diese Verkehrsmittel schützt (gemeint sind die Schiffe der Zivilschifffahrt), durch eben unsere Blaujacken, davon wir nun viele 100 hinausziehen auf zwei Jahre zum Schutze deutscher Interessen und deutschen Eigentums.“ 4 Er unternahm diese Reise nach Ostasien in einem Nebentransport in der Stärke von 170 Mann einschließlich Offizieren und Unteroffizieren auf dem Reichspostdampfer S.M.S. „Scharnhorst“. Der Haupttransport in einer Stärke von 1600 Mann fuhr auf dem <?page no="24"?> 25 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Transportdampfer „Königin Luise“. Auf der „Scharnhorst“ hatte Oexle die Aufgabe übertragen bekommen, die Postverwaltung zu übernehmen. Dies bedeutete, Briefe von Deutschland, die über das Marinepostbüro Berlin an die verschiedenen Postämter oder deutschen Konsulate in all die Häfen weitergeleitet wurden, in denen deutsche Schiffe vor Anker gingen, dort abzuholen und an die Mannschaft zu verteilen sowie die an die Angehörigen zuhause adressierten Briefe dort abzugeben. Damit hatte Oexle insgesamt mehr Landgang als die übrigen Matrosen, was er auch durchaus nutzte. 5 Das von ihm verfasste Reisetagebuch zeigt den 24-jährigen Oexle als einen vielseitigen und aufgeschlossenen jungen Mann, der sich sehr für die Kunst und Kultur der Orte am Reisewege interessierte und die vielen neuen Eindrücke in sich aufnahm und zu verarbeiten versuchte. Wo immer es der zeitlich knapp bemessene Landgang zuließ, besuchte er Museen, Kunstgalerien, Kirchen, Tempel, botanische und zoologische Gärten oder sonstige Naturschönheiten, informierte sich über die Hintergründe, über Maler und Baukünstler und ließ diese Erkenntnisse in sein Tagebuch einfließen. Auch von der Lebensweise und den Sitten der verschiedenen Völker versuchte er möglichst viel zu erfahren, wenngleich ihm hier seine Vorurteile gelegentlich den objektiven Blick verstellten. So neigte er zu rassistischen Stereotypen, indem er „den Schwarzen“, für den er auch den abwertenden Begriff „Kanacker“ verwendete, als faul und „den Chinesen“ als schmutzig, gleichgültig und feige, aber keineswegs faul darstellte, wobei er gleichzeitig die filigranen Kunstwerke der Chinesen bewunderte. Die rituellen Waschungen der Hindus empfand er als dreckig und unhygienisch. 6 Die Zigaretten- und Kartenverkäufer im Hafen von Gibraltar betrachtete er als lästige Faulenzer. 7 Durch das Tagebuch zieht sich auch die Überzeugung, dass die Technik, Verwaltung, Kultur und Kunst der imperialistischen Kolonialherren denen der kolonialisierten Völker weit überlegen seien. In Algier kam es nach dem Ablegen der „Scharnhorst“ zu einer kleinen vaterländischen Provokation: Als das Schiff an einem französischen Kreuzer vorbeifuhr, tönte dem ‚Erbfeind‘ aus den „mächtig“ singenden Matrosenkehlen „Deutschland, Deutschland über alles“ entgegen. 8 Die Engländer bewunderte Oexle und er machte sich die Aussagen der kaiserlichen Flottenpropaganda der Jahrhundertwende zu eigen, als er in Singapur darüber nachdachte, wie effektiv die Engländer die Seewege kontrollierten und was hätte <?page no="25"?> 26 Gustav Robert Oexle sein können, wenn die Deutschen früher Kolonien gehabt hätten: „Es ist geradezu staunenerregend, überall, wo eine enge, wichtige Fahrstraße, ein auf See wichtiger strategischer Punkt ist, hat ‚John Bull‘ seine Kanonen stehen. Das ist eben der Beweis seiner frühen Kolonialisierung! Hätten wir Deutsche über 20 Jahre früher eine Flotte gehabt, so könnten wir die Herren der Welt sein.“ 9 Insgesamt gesehen bewegten sich Oexles nationalistische und sozialdarwinistische Positionen durchaus im damals üblichen Rahmen des imperialistischen Denkens im Kaiserreich. Das Tagebuch verdeutlicht auch noch eine andere Seite Gustav Robert Oexles. Die zahlreichen Besuche von christlichen Kirchen, die regelmäßige Teilnahme an den Gottesdiensten auf der „Scharnhorst“ und seine Überlegungen bei der Durchfahrt des Roten Meeres über den Auszug der Israeliten aus Ägypten zeigen einen tief im süddeutschen Katholizismus verwurzelten Menschen und es ist schwer vorstellbar, wie dieser junge Mann später zum glühenden, fanatischen Nationalsozialisten werden konnte. Die Ostasienreise auf der „Scharnhorst“ begann am 15. April 1913 in Bremerhaven. Von dort ging es über Rotterdam, Antwerpen und Southampton durch die Biskaya nach Gibraltar und Algier. Dann steuerte die „Scharnhorst“ Genua an und fuhr weiter über Neapel durch die Straße von Messina und das östliche Mittelmeer nach Port Said in Ägypten. Die Reise wurde durch den Suezkanal fortgesetzt. Von dort ging es durch das Rote Meer und den Golf von Aden quer durch den Indischen Ozean vorbei an der Südspitze von Indien nach Colombo auf Ceylon (heute Sri Lanka). Die nächsten Stationen waren Penang (Georgetown) auf Malaysia, Singapur, Hongkong, Schanghai und am 5. Juni 1913 erreichte die „Scharnhorst“ Tsingtau. Dort wechselte die Mannschaft sofort auf die S.M.S. „Leipzig“. Am Bestimmungsort nannte Oexle noch einmal die Aufgaben der Marine in Fernost: „Lieber Leser! Nun sind wir da, wohin das Ziel gesetzt war, als wir den Befehl erhielten, 2-Jahre im Auslande im fernen Osten Deutschlands Größe und Macht zu repräsentieren.“ Ganz am Ende seiner Ausführungen ist erkennbar, dass Oexle bewusst war, dass kriegerische Auseinandersetzungen in der Luft lagen: „Sollten aber kriegerische Ereignisse in dieser Zeit zu den Waffen uns befehlen, so bin ich überzeugt, daß ein jeder seinen Mann stellt und seine Pflicht tut bis zum letzten Atemzuge zur Ehre Deutschlands <?page no="26"?> 27 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist und seines Jubelkaisers Wilhelm II., dessen Jubiläum wir in Schanghai in 12 Tagen feiern werden“. 10 (Hervorhebung des Verfassers) (Gemeint ist das 25-jährige Thronjubiläum-Kaiser Wilhelms II., der im so genannten „Dreikaiserjahr“ 1888 deutscher Kaiser wurde.) Dienst auf dem kleinen Kreuzer S M S „Leipzig“ und die Seeschlacht bei den Falklandinseln In der Folgezeit verrichtete G.- R.-Oexle seinen Dienst als Rollenschreiber und Geschützführer auf dem kleinen Kreuzer S.M.S. „Leipzig“. Der Kriegsausbruch brachte die deutschen Schiffe in Ostasien in Bedrängnis, weil es durch die englische Kontrolle der Seewege immer schwieriger wurde, Kohle und Lebensmittelvorräte, aber vor allem Munition nachzuliefern. Im Dezember 1914 plante das „Kreuzergeschwader Graf Spee“ mit den großen Kreuzern S.M.S. „Scharnhorst“ und „Gneisenau“, sowie den kleinen Kreuzern S.M.S. „Dresden“, S.M.S. „Leipzig“ und S.M.S. „Nürnberg“ und den Hilfsschiffen „Baden“ und „Santa Isabel“ den Durchbruch über den Atlantik in die Heimat. Der Vizeadmiral Graf Spee umschiffte die Südspitze Südamerikas und beschloss am 8. Dezember die Falklandinseln im Handstreich zu nehmen. Die Briten waren aber bereits am Vortage dort mit den Schlachtkreuzern H.M.S. „Invincible“ und H.M.S. „Inflexible“ eingetroffen. Diese waren den deutschen Schiffen an Geschwindigkeit, Geschützreichweite und Gefechtskraft derart überlegen, dass die ganze Operation in einem Fiasko endete. Graf Spees Plan war es, mit den beiden großen Kreuzern S.M.S. „Scharnhorst“ und S.M.S. „Gneisenau“ die Briten möglichst lange aufzuhalten, um so den kleinen Kreuzern und den Hilfsschiffen die Möglichkeit zu geben, den britischen Schiffen zu entkommen. Da aber die großen Kreuzer von den Briten sehr schnell versenkt wurden, konnten die britischen Schiffe H.M.S. „Glasgow“, „Cornwall“ und „Kent“ den kleinen deutschen Kreuzern folgen. Nach viereinhalbstündigem Gefecht hatte um 19.10 Uhr die S.M.S. „Leipzig“ mit dem Geschützführer G.-R.-Oexle die letzte Granate abgefeuert. Da sich das deutsche Schiff aber nicht ergeben, und die Flagge nicht streichen wollte, feuerte die H.M.S. „Glasgow“ auf die an Deck wehrlos liegenden und stehenden Matrosen, die grup- <?page no="27"?> 28 Gustav Robert Oexle penweise zerschmettert wurden. Einige wenige konnten noch ins Wasser springen. Erst als die S.M.S. „Leipzig“ um 20.00 Uhr kurz vor dem Kentern war, wurden die letzten Überlebenden, insgesamt 18 Mann, aus dem Wasser gefischt, unter ihnen auch Gustav Robert Oexle. Als einziges Schiff gelang es der S.M.S. „Dresden“ im Schutz einer Sturmboe den Verfolgern zu entkommen. Auch die Hilfsschiffe wurden versenkt. Auf der „Scharnhorst“ waren 860, auf der „Gneisenau“ 598, auf der „Nürnberg“ 327 und auf der „Leipzig“ 315 Tote zu beklagen. Die genaue Zahl der Todesopfer auf den Hilfsschiffen ist nicht bekannt. Trotz der Zahl von mehr als 2100 Toten binnen weniger Stunden wurden der Mut und die Tapferkeit der deutschen Matrosen in Kriegspostkarten von der deutschen Kriegspropaganda verherrlicht. Die Überlebenden wurden zu Kriegshelden und erhielten mannigfache Kriegsauszeichnungen. 11 Oexle geriet nun von Dezember 1914 bis 1916 in englische Gefangenschaft, wurde anschließend bis 1917 in der Schweiz interniert, wo er als deutscher Internierungsortsleiter fungierte. 12 Im selben Jahr kehrte er wieder nach Deutschland zurück und wurde im Personalbüro der 2. Matrosendivision in Wilhelmshaven angestellt. Schlacht bei den Falklandinseln 1914: Die sinkende Scharnhorst, dahinter die Gneisenau, Gemälde von William Lionel Wyllie 1918 <?page no="28"?> 29 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Das Kriegsende und die Freikorps - Oexles Weg in die Weimarer Republik Ab November 1918 bis zum 1. März 1920 war Oexle Vorstand der Hauptregistratur des Seemännischen Personalamts der Marinestation Nordsee in Wilhelmshaven. Am Ende des Krieges war er zudem ein vielfach ausgezeichneter Kriegsheld: Er erhielt das Eiserne Kreuz beider Klassen, den Fürstlich Hohenzollerischen Hausorden mit zwei Schwertern, das preußische Verdienstkreuz für Kriegshilfe und das Verwundetenabzeichen in Schwarz, letzteres, weil er bei der Seeschlacht bei den Falklandinseln schwer verwundet wurde und später als zu 50-% Kriegsbehinderter eine kleine Behindertenrente bezog. 13 Angesichts des „zunehmenden politischen Zerfalls“ wurde der Oberbootsmannsmaat (entspricht dem Rang eines Feldwebels) Gustav Robert Oexle als einer der wenigen Überlebenden des Kreuzergeschwaders Graf Spee zu „vaterländischen“ Vorträgen abkommandiert. Die in Nußdorf am Bodensee lebende Margarete Lang und ihre Mutter Eugenie erfuhren davon und luden Oexle im Oktober 1918 zu einem solchen Vortrag ein. Oexle hielt mehrere Vorträge im Bezirk Überlingen und die Langs waren so begeistert, dass sie den Kontakt mit ihm aufrechterhielten. Die Familie Lang war 1913 aus Esslingen an den Bodensee nach Nußdorf gekommen und hatte dort ein größeres, alleinstehendes Anwesen erworben, das sie nach der Pensionierung des Vaters, Oberfinanzrat Max Lang, im Mai 1914 bezogen und später zur Pension ausbauten. Max Lang starb 1916, Margarete Langs Bruder, Dr. Hans Lang, fiel bereits im September 1914 bei den Kämpfen in den Vogesen. So betrieben in der Folgezeit Magarete Lang und ihre Mutter Eugenie zusammen mit der Hausgehilfin Marie Rauscher, die seit 1912 im Dienste der Familie stand, die Pension. Als Gustav Robert Oexle nach seiner Vortragreise wieder nach Wilhelmshaven zurückkehrte, wurde er vom Stationssoldatenrat als „Kriegsverlängerer“ vorübergehend festgesetzt. Im März 1919 kam es in Wilhelmshaven zu Versuchen, die öffentliche Ordnung durch das „Revolutionäre Komitee“ zu übernehmen. Die „Rote Garde“ besetzte die ehemaligen Kasernenanlagen der Marineinfanterie. Aufgrund einer Initiative „demokratisch“ gesinnter Bürger Wilhelmshavens erging ein Aufruf zur Gründung <?page no="29"?> 30 Gustav Robert Oexle eines Freikorps an Oberstleutnant Paul Schneider. Nach der Legitimierung durch die Reichswehrführung in Berlin entstand so das Freikorps „Schwarze Jäger“. Daneben operierten als Freikorps in Wilhelmshaven das „Küstenschutzregiment Wilhelmshaven“ und vor allem die „Brigade Erhardt“, die ebenso wie das Freikorps „Schwarze Jäger“ an der Erstürmung der durch die „Rote Garde“ besetzten „1000-Mann-Kaserne“ beteiligt waren. In welchem Freikorps Oexle diente, ist unklar, dass er aber an den Kämpfen teilnahm ist erwiesen. Nach Angaben von Margarete Lang kämpfte er im Juni 1919 „[…] in führender Stellung im Verein mit den Berufssoldaten gegen die Spartakisten.“ Es spricht vieles für eine Teilnahme beim Freikorps „Schwarze Jäger“, da die „Brigade Ehrhardt“ vorwiegend aus ehemaligen Offizieren bestand. 14 Während seiner Dienstzeit als Vorstand der Hauptregistratur des Seemännischen Personalamtes der Marinestation Nordsee (Wilhelmshaven) zwischen November 1918 und dem 1. März 1920 besuchte Oexle noch die Militäranwärterschule und legte 1920 die Prüfung für den mittleren Zoll-, Eisenbahn- und Verwaltungsdienst ab. 15 Oexle ist zweifellos durch den Ersten Weltkrieg und seinen Dienst in der Marine sozialisiert worden. Die brutale Härte des Krieges erlebte er gleich zu Beginn in der Seeschlacht bei den Falklandinseln. Das Kriegserlebnis und die unmittelbare Lebensgefahr formten eine Männergemeinschaft, die sich später in den Freikorps widerspiegelte. Für viele dieser Frontkämpfer bedeutete die Niederlage eine völlig neue Orientierung in einer schon vom Ansatz her abgelehnten und verhassten Republik. Auch Oexle spürte diese Orientierungslosigkeit und sagte später: „Ich weinte im November 1918 beim Zusammenbruch.“ Viele dieser jungen Männer fanden sich deswegen später in den Freikorps wieder, die von den Offizieren angeführt wurden, von denen sie bereits vorher gewohnt waren, ihre Befehle zu empfangen. Dass Oexle sich ebenfalls auf diese Seite schlug, zeigt sein Einsatz bei den Freikorpskämpfen in Wilhelmshaven und sein späteres Engagement im Freikorps „Erich Damm“. Die Dolchstoßlegende lieferte den Vorwand für diese Kämpfer, gegen alle die vorzugehen, die in der Heimat vermeintlich die Truppen an der Front verraten hatten: die Spartakisten, die Sozialdemokraten, die Arbeiter- und Soldatenräte und später als „Hauptdrahtzieher“ die Juden. Vergleicht man den Gustav Robert Oexle <?page no="30"?> 31 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist von 1913 in seinem Tagebuch mit der Person der Nachkriegszeit, so ist deutlich der Bruch zu erkennen. Aus dem vergleichsweise weltoffenen, tief im Christentum verwurzelten jungen Mann war jetzt ein aktiver Antidemokrat geworden. 16 Radikalisierung und beruflicher Neubeginn in Nußdorf Als Gustav Robert Oexle am 1. März 1920 aus dem Marinedienst ausschied, was sicher bedingt war durch die erlittene Kriegsverletzung, aber auch durch die Beschlüsse des Versailler Vertrages bezüglich der Größe der Reichsmarine, schien seine Zukunft ungewiss. Nach dem Löhnungsbuch standen ihm ab dem 1. April 1919 21 M Dienstalterszulage und 15 M Seefahrtzulage zu. 17 Neben einer kleinen Kriegsbehindertenrente waren dies seine ganzen Einkünfte. Zuflucht fand Oexle bei der Familie Lang in Nußdorf, die schon 1918 von seinen „vaterländischen“ Vorträgen sehr angetan war. Sie war es auch, die Oexle eine Anstellung als Verwaltungsassistent beim Bezirksamt Überlingen verschaffte. 18 Allerdings währte diese Anstellung nicht sehr lange und Oexle wurde wegen seiner rechtsextremistischen Tätigkeiten 1922 aus dem Staatsdienst entlassen. Ursächlich dafür dürfte seine Zugehörigkeit zur „Organisation Damm“ seit 1921 gewesen sein. In den später von ihm autorisierten Biographien im Reichstagshandbuch und dem Handbuch des badischen Landtags fehlte diese unehrenhafte Entlassung. Seinen späteren politischen Gegnern von der Zentrumspartei war sie indes nicht verborgen geblieben und so bemerkte der örtliche Redakteur der „Deutschen Bodenseezeitung“ in einem Artikel vom 12. September 1930 genüsslich: „Man kennt diese Vögel an ihren Federn. Es handelt sich um denselben Oexle, der letzthin in Liggeringen sprach, und der uns bis heute die Frage nicht beantwortete, warum er in Überlingen aus dem Staatsdienst entlassen worden ist.“ 19 Oexle und die „Organisation Damm“ („Freikorps Damm“) Auf Druck der Ententemächte wurde 1920/ 21 ein Großteil der in der Nachkriegszeit eingesetzten Freikorps durch die Reichsregierung gegen deren massiven Widerstand aufgelöst. Eine der heftigs- <?page no="31"?> 32 Gustav Robert Oexle ten Reaktionen darauf waren der Kapp-Putsch und der Marsch der Brigade Ehrhardt nach Berlin. Die Auflösung dieser Organisationen war aber nicht gleichbedeutend mit ihrem Verschwinden. Einige von ihnen, wie die „Organisation Kanzler“ oder die „Organisation Consul“ gingen in den Untergrund und waren maßgeblich beteiligt an den politischen Morden an Matthias Erzberger und Walther Rathenau sowie an den so genannten „Fememorden“. Wieder andere, wie die „Organisation Escherich“ (Orgesch), arbeiteten unter dem Deckmantel einer unbewaffneten Aufbauorganisation, waren aber gleichwohl an Waffenschiebereien beteiligt. Ihr Ziel war es, meist in engem Kontakt mit der Reichswehr, geheime Waffendepots unter anderem für die so genannte „Schwarze Reichswehr“ anzulegen und diese vor der Erfassung durch die Interalliierte Militär- Kontrollkommission (IMKK) zu retten und der Vernichtung zu entziehen. Nach der Besetzung des Rheinlandes durch französische und belgische Truppen wurden solche Waffendepots gezielt entlang der entmilitarisierten Zone angelegt. Auch in Baden wurden 1921 in Osterburken und in Adelsheim Waffen in erheblichem Umfang gefunden, so etwa 386 Gewehre und 12-000 Schuss Munition auf dem Bahnhof Osterburken in dort abgestellten Waggons, in der dortigen Kilianskapelle weitere 996 neue Infanteriegewehre, und auf dem Hof Selgental bei Adelsheim 1244 Infanteriegewehre, 516 Infanterieseitengewehre und 17 Maschinengewehre. Für die Transporte wurden Robert und Albert Kessler sowie der Leutnant a.D. Erich Damm verhaftet. Durch Dokumentenfunde in der „Orgesch“-Zentrale Heidelberg wurde die Mitgliedschaft der drei Verhafteten in der „Orgesch“ bewiesen. Konsequenterweise wurde die „Orgesch“ am 5. Mai 1921 innerhalb des Deutschen Reiches für aufgelöst erklärt. 20 Erich Damm arbeitete in Baden jedoch mit seiner Organisation weiter unter verschiedensten Deckorganisationen. Der Reichsregierung war dies durchaus bewusst. So heißt es in Akten der Reichskanzlei von 1926: „In Süd- und Westdeutschland arbeitet die ‚Organisation Damm‘ unter dem Hauptmann a.D. Erich Damm aus Nagold in Württemberg, jetzt angeblich in Kassel. Damm hatte zunächst in Baden die (aus) der ‚Orgesch‘ hervorgegangene Organisation ‚Südwestdeutscher Zeitungsdienst‘ geleitet. Nach Auflösung des ‚Südwestdeutschen Zeitungsdienstes‘ im Juli 1923 auf Grund des § 1 des Gesetzes vom 22. März 1921 ging Damm dazu über, eine große <?page no="32"?> 33 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Anzahl von Kleinkaliberschützenvereinen ins Leben zu rufen. Bald darauf gründete er den ‚Bund für Freiheit und Recht‘, der nach Auffassung des Badischen Landespolizeiamtes eine Fortsetzung des verbotenen ‚Südwestdeutschen Zeitungsdienstes‘ darstellte. Jetzt ist Damm, der mit seiner Vereinigung noch in diesem Jahr eine Reihe von militärischen Geländeübungen abgehalten hat, für die Reichswehr tätig. In einem Strafverfahren wegen Veranstaltungen militärischer Übungen gegen Mitglieder des ‚Bundes für Freiheit und Recht‘ hat deren Schutzbehauptung, sie ständen in Beziehungen zur Reichswehr, Erfolg gehabt und zur Einstellung des Strafverfahrens geführt.“ 21 Die „Organisation Damm“ war also keineswegs eine harmlose Organisation. Ihre Struktur war paramilitärisch. Es gab dort Führungsoffiziere, wie etwa den späteren Nachfolger Oexles im Amt des Kreisleiters in Überlingen, Richard Burk, der das Amt eines Kompanieführers bekleidete oder den Hauptmann Koch, der Oexles Gruppenführer war. Oexle selbst war seit 1921 Feldjäger im oberbadischen Freikorpsgebiet. Namhafte Nationalsozialisten wie etwa der spätere Landesbauernführer von Baden und Gauamtsleiter für Agrarpolitik, Fritz Engler-Füßlin, der außerdem SS-Sturmbannführer und Standartenführer im Rasse- und Siedlungshauptamt sowie seit März 1936 Reichstagsabgeordneter in Berlin war, oder der aus Waldkirch stammende SS-Standartenführer Karl Jäger, der später in Litauen zwischen 135 000 und 138 000 Juden ermorden ließ, gehörten dieser Organisation an. Und auch Gustav Robert Oexle saß nicht tatenlos im Haus der Familie Lang herum, sondern machte es zu einer Zentrale der „Organisation Damm“ im oberbadischen Gebiet. Zeitweise wohnten hier deren Leiter, Erich Damm, sowie Oexles Gruppenführer Hauptmann Koch. Im Hause wurden auch Teile der Waffen des Freikorps und die entsprechende Munition versteckt und die Pension Lang diente zudem als Ort der „[…] Sicherstellung der geheimen Nachrichten- und Postübermittlung“ innerhalb des Freikorps. Diese konspirative Tätigkeit stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl so sehr, dass Eugenie Lang beschloss, Gustav Oexle „[…] testamentarisch als ihren anerkannten Pflegesohn zum Nacherben“ zu bestimmen. 22 <?page no="33"?> 34 Gustav Robert Oexle Ratsschreiber in Nußdorf Nachdem Oexle 1922 aus dem Dienst des Badischen Bezirksamtes entlassen worden war, bot sich eine neue Chance, als im Dezember 1922 der Posten des Ratsschreibers in der Gemeinde Nußdorf durch die Wahl des bisherigen Amtsinhabers Josef Beck zum Bürgermeister frei wurde. Die Stelle wurde am 21. Oktober 1922 von der Gemeinde Nußdorf ausgeschrieben. Gesucht wurde ein Bewerber mit gutem Leumund und schöner Handschrift. In der Gemeinderatssitzung vom 29. Oktober 1922 beschloss der Gemeinderat auf die Bewerbung Oexles hin, mit diesem noch einmal Rücksprache zu nehmen. Am 12. Dezember 1922 wurde der frühere Verwaltungsassistent Oexle vor der Gemeinde mit Handgelübde vorschriftsmäßig durch Landrat Levinger vom Bezirksamt Überlingen als Verwaltungsratsschreiber verpflichtet. Das erste von ihm unterzeichnete Ratsprotokoll stammt vom 16. Dezember 1922. Die Verpflichtung Oexles durch den Landrat erscheint zumindest erstaunlich, nachdem Oexle ja gerade erst aus dem Staatsdienst entlassen worden war. Allerdings gab es offensichtlich keine andere Bewerbung und da die Gemeinde einen Ratsschreiber brauchte und von Seiten der Gemeinde keine Einwände bekannt waren, stimmte der Landrat zu. Dabei dürfte auch Oexles Kriegsverletzung aus dem 1. Weltkrieg eine gewisse Rolle gespielt haben. 23 Die Führung der Ratsprotokolle durch Oexle ist sauber, sachlich und, soweit das von heute aus zu beurteilen ist, korrekt. Falls Oexle verhindert oder krank war, übernahm der Bürgermeister die Protokollführung selbst. Oexle übte diese Tätigkeit bis ins Jahr 1933 durchgängig aus, fehlte ab dann wegen seines parteipolitischen Engagements fast ständig und wurde zunächst auf ein Jahr beurlaubt. Am 14. April 1934 wurde er für ein weiteres Jahr beurlaubt und der Bürgermeister übernahm die Protokollführung und erhielt die Gehaltsbezüge Oexles. Im Protokoll des Gemeinderats wurde Oexle für seine Arbeit als Ratsschreiber gelobt und ihm bescheinigt, „seine Aufgaben in glänzender Weise“ erfüllt zu haben. Oexle war offiziell nicht außer Dienst gestellt, sondern hielt sich hier ein Hintertürchen offen, denn als Kreisleiter und Ortsgruppenleiter der NSDAP erhielt er zu diesem Zeitpunkt noch keine Gehaltsbezüge, da diese Ämter ehrenhalber besetzt wurden. 24 <?page no="34"?> 35 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Dass Oexle auch während seiner Anstellung als Ratsschreiber am Rande der Legalität oder jenseits derselben zu agieren gewillt war, zeigt ein anderer Vorfall, der zugleich seine ersten Sympathien für die Hitlerbewegung beweist. Als nach dem Marsch Hitlers auf die Feldherrnhalle 1923 zahlreiche Anhänger Hitlers und auch er selbst verhaftet wurden, gab es auch solche, die sich der Verhaftung entziehen konnten und sich auf der Flucht befanden. Oexle meinte nun, diese Flüchtlinge unterstützen zu müssen, indem er ihnen 80-RM Staatsgelder zur Verfügung stellte, die nur aus der Ortskasse der Gemeinde Nußdorf stammen konnten. Oexle wurde dafür zu 2 Monaten und 10 Tagen Gefängnis verurteilt, die aber auf dem Gnadenwege erlassen wurden. Die Angelegenheit wurde offensichtlich in aller Stille geregelt, denn in den Ratsprotokollen lässt sich kein Hinweis finden, dass im Rat darüber gesprochen wurde. Die Affäre kostete ihn auch nicht sein Amt als Ratsschreiber, das er ungehindert weiterführte. 25 Annäherung an die NSDAP Mit der Auflösung der „Organisation Damm“ im Jahre 1929 und der Abgabe ihrer Waffen an die Reichswehr begann Oexle schon vor seinem offiziellen Eintritt in die Partei offen und getarnt Film- und Lichtbildervorträge in ganz Südwestdeutschland für die NSDAP zu halten, teilweise auch in der entmilitarisierten Zone. Dabei benutzte Oexle seine Erlebnisse als einer der letzten Überlebenden der Schlacht bei den Falklandinseln und hielt Vorträge, die er schon direkt nach dem 1. Weltkrieg im Auftrag der Reichsmarine gehalten hatte. Diese schienen nach außen unpolitisch und es drohte nicht von vornherein ein Verbot solcher Versammlungen, die gleichsam wunderbar eingebettet werden konnten in weitere Aktionen. So agierte Oexle noch 1931 bei einem „Deutschen Tag“ in Markdorf, als sein Lichtbildervortrag über die Seeschlachten von Coronel und bei den Falklandinseln Teil eines weiter gefächerten Programms mit Sonnwendfeier auf dem Gehrenberg, einem Marsch der Braunhemden durch die Stadt und einem Vortrag des badischen HJ-Führers Pg.Friedhelm Kemper aus Karlsruhe darstellte. 26 Die Pension Lang, die bisher als Unterschlupf für die „Damm“- Leute gedient hatte, wurde nun zur Anlaufstelle für „verfolgte“ Par- <?page no="35"?> 36 Gustav Robert Oexle teigenossen, arbeitslose SA-Männer und sonstige Parteigenossen aus dem ganzen Reich, aber seit 1930 auch zur Geschäftsstelle des von Oexle als Bezirksbzw. Kreisleiters geführten Kreises Überlingen und des von Margarete Lang 1931 ins Leben gerufenen Frauenordens der NSDAP, der späteren NS-Frauenschaft. Dies blieb den Behörden nicht verborgen und führte zu mehreren polizeilichen Hausdurchsuchungen und Nußdorf erhielt bald den zweifelhaften Namen „Nazidorf“. 27 Bis 1930 galt das ländliche Südbaden als Hochburg der Zentrumspartei. Dies traf besonders für das nördliche Bodenseeufer im Bereich des Bezirksamtes Überlingen zu. Die NSDAP konnte dort kaum Fuß fassen und ihre frühen Versuche, im Jahre 1926 von Konstanz aus in Meersburg und Überlingen Ortsgruppen ins Leben zu rufen, scheiterten. Mit dem Jahre 1930 änderte sich dies, was auch an den Ergebnissen der Reichstagswahlen von 1928 und 1930 abzulesen ist. Während 1928 im Bezirk gerade einmal 65 Stimmen auf die NSDAP entfielen, waren es 1930 bereits 1347 Stimmen. So wurde jetzt auch dieser Teil Badens für die NSDAP interessant, die bisher nur in Mittel- und Nordbaden einige Hochburgen ausgebildet hatte. 28 Die Etablierung der NSDAP im Bezirk Überlingen und Oexles Aufstieg in der Partei In der Rückschau der Nationalsozialisten des Kreises Überlingen bei den Feiern des fünf- und zehnjährigen Bestehens der verschiedenen Ortsgruppen und der Bezirksleitung galt der 1. Mai 1930 als der Geburtstag und Nußdorf als Geburtsort der Bewegung im Bezirk Überlingen. An diesem Tag trat Gustav Robert Oexle offiziell in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 245740) und im Café Achenbach in Nußdorf wurde die erste Ortsgruppe der NSDAP im Bezirk Überlingen gegründet. Zu den ersten Mitgliedern der Ortsgruppe zählten selbstverständlich Margarete Lang, Oexle selbst, Heinrich Achenbach, der 1912 in Nußdorf ein Anwesen erworben und darin das Café Achenbach eingerichtet hatte, sowie Johann Hund, der das Café im Jahre 1930 betrieb. 29 <?page no="36"?> 37 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Nußdorf - „Geburtsort“ der NS-Bewegung im Bezirk Überlingen Dass die erste NSDAP-Ortsgruppe des Überlinger Kreises in Nußdorf gegründet wurde, ist kein Zufall, wenn man sich die Ergebnisse der Reichstagswahlen von 1930, 1932 und 1933 sowie die beiden Wahlgänge zur Reichspräsidentenwahl in Nußdorf genauer ansieht. Schon bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 erhielt die NSDAP bei 179 Wahlberechtigten 51 Stimmen, dazu kamen noch 21 Stimmen für die DNVP, die Zentrumspartei landete bei gerade einmal 21 Stimmen und lag noch hinter der DVP, die 33 Stimmen für sich verbuchen konnte. Im ersten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl am 14. März 1932 erhielt Adolf Hitler 66,1-% der Stimmen, für Hindenburg votierten 30,4%, im zweiten Wahlgang am 10. April stieg der Anteil Hitlers auf 71,4-% an, Hindenburg hingegen erreichte nur noch 27,4-%. Vergleicht man nun das Reichstagswahlergebnis vom 31. Juli 1932 mit dem vom 14. September 1930, so sieht man, dass die Nationalsozialisten ihr Ergebnis von 1930 mehr als verdoppeln konnten. Sie erhielten jetzt 132 Stimmen gegenüber 51 im Jahre 1930. In der Reichstagswahl vom 6. November 1932 ging der Anteil wie überall im Reich zurück, dennoch erhielten die Nationalsozialisten immer noch 89 Stimmen gegenüber gerade einmal 24 Stimmen für die Zentrumspartei. Bei der Wahl vom 5. März 1933 verbuchte die NSDAP 140 von 179 abgegebenen Stimmen für sich, das Zentrum erhielt gerade einmal 17 Stimmen. Nußdorf war nun vollständig in die Hände der Nationalsozialisten übergegangen. Sicher spielte für diese Wahlergebnisse von Nußdorf die erfolgreiche Werbearbeit von G.-R.-Oexle und Margarete Lang eine wesentliche Rolle, es dürfte aber auch strukturelle Gründe dafür gegeben haben. Nußdorf war zu diesem Zeitpunkt noch eine stark agrarisch orientierte Gemeinde. Daneben gab es ein paar Fischer, während der Fremdenverkehr noch eine völlig untergeordnete Rolle spielte. Die Krise der Landwirtschaft in der späten Weimarer Republik hatte mit Sicherheit auch diesen Ort erfasst und zu einem geeigneten Objekt für die politische Strategie der NSDAP werden lassen. 30 <?page no="37"?> 38 Gustav Robert Oexle Die Gründung weiterer Ortsgruppen - Erste Erfolge der NSDAP in der Stadt Überlingen und im Amtsbezirk Der Gründung der ersten Ortsgruppe im Bezirksamt Überlingen in Nußdorf folgten Ortsgruppen in Markdorf, dann am 30. September 1930 in Überlingen, im Oktober und November in Mühlhofen, Oberuhldingen, Meersburg und Mimmenhausen. Im Jahre 1931 kamen Ortsgruppen in Kluftern, Deggenhausen, Immenstaad und Hagnau dazu. An der Gründung der verschiedenen Ortsgruppen hatte G. R.- Oexle großen Anteil, indem er selbst dabei anwesend war oder Hilfestellung leistete. 31 Bevor am 30.9.1930 die Ortsgruppe Überlingen entstand, war Oexle der einzige nationalsozialistische Redner des Bezirks, darüber hinaus bearbeitete er zusammen mit den von der Gauleitung zugeteilten Parteigenossen Bezirksleiter Panther aus Konstanz und Konrad Glas (dem späteren Kreisleiter von Emmendingen) auch die Bezirke Konstanz, Stockach und Pfullendorf. Angesichts seiner angeschlagenen Gesundheit war ihm dieses Arbeitspensum im Herbst 1930 zu viel geworden und so berichtete der „Seebote“ am 1. Oktober 1930, dass sich Oexle zur Wiederherstellung seiner Gesundheit zur Kur in Bad Mergentheim befinde. Zuvor war Oexle so umtriebig gewesen, dass langsam auch seine politischen Gegner aus der Zentrumspartei auf ihn aufmerksam wurden. In einem Bericht vom 12. September 1930 über zwei NS-Kundgebungen in Heiligenberg ließ das Zentrumsblatt „Deutsche Bodenseezeitung“ kein gutes Haar an ihm und titelte, man habe die „Nazisozileuchte Oexle gründlich ausgeblasen“ und seine „Wahllügen enttarnt“. Das Blatt bezeichnete ihn des Weiteren als „politische Lügnerfirma aus Nußdorf“, bezichtigte ihn der „Volksverhetzung“ und der Verspottung der Arbeiter- und Soldatenräte, was angesichts Oexles eigener Geschichte als Freikorpskämpfer kaum überraschen konnte. Im Übrigen prophezeite die Zeitung den „[…] Hakenkreuzlern stets ein jämmerliches Fiasko“ mit „[…] Figuren wie einem Oexle- Nußdorf .“ 32 Im Laufe des Sommers 1930 war es G. R.-Oexle gelungen, neue „Kämpfer“ für die Partei sowohl im Bezirk, wie auch in der Stadt Überlingen zu rekrutieren, gerade noch rechtzeitig, um für die Gemeindeverordneten- Bezirksrats-und Kreisratswahlen im November 1930 antreten zu können. Im Bezirk schlossen sich der <?page no="38"?> 39 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Diplomlandwirt Fritz Gater vom Mariahof in Mühlhofen und der Verwalter des Mariahofes Vinzenz Keil an, die begannen, die SA aufzubauen, in Meersburg der Chemiker Dr. Albert Spreng, der die dortige Ortsgruppe gründete, im Deggenhauser Tal der Parteigenosse Frank, und in Kluftern der Pg. Karl Müller. Letzterer warb vor allem um die Bauernschaft des Kreises. In Überlingen traten einige jüngere Bürgersöhne wie der Kaufmann Alfons Hafen, der Goldschmied Egon Kohler jun. und der Mechanikermeister Hans Schefold neben einigen weiteren Handwerkern, Kaufleuten und Händlern wie der Weinhändler Karl Reichert, der Kaufmann Karl Mayer, der Kaufmann Willi Mensch, der Gärtner und Landwirt Karl Kramer aus Goldbach, der Schlosser Karl Hecker und der Kellner Karl Rieger in die Partei ein. Des Weiteren schlossen sich der Rechtsanwalt Johann Schmid, der Ingenieur Paul Seiler, der an der Schlossschule Salem entlassene Deutschlehrer Dr. Karl Neuscheler und der Oberzollsekretär Leopold Mauch der neuen Ortsgruppe an. Oexle war jetzt kein Einzelkämpfer mehr, sondern wurde von lokalen Rednern wie Alfons Hafen, Dr. Karl Neuscheler, Johann Schmid, Willi Mensch, Dr. Albert Spreng und Karl Müller in seiner Werbearbeit unterstützt. Die Gründung der neuen Ortsgruppe Überlingen am 30. September 1930 und die Aufbauarbeit im Bezirk lohnten sich für die NSDAP. Auf Anhieb brachte sie mit Karl Reichert, Willi Mensch, Karl Mayer, Karl Kramer, Karl Hecker, Egon Kohler jun. und Karl Rieger acht Nationalsozialisten in den neu gewählten Bürgerausschuss, wobei Egon Kohler jun. mit 27 Jahren das jüngste Mitglied des gesamten Bürgerausschusses war. Nach den abgegebenen Stimmen waren die Nationalsozialisten zweitstärkste Kraft in der Stadt geworden und es standen der Partei sogar 13 Sitze zu, aber es hatten sich nicht mehr als acht Bewerber gefunden, was auf die doch noch recht schmale Basis der Partei in der Stadt hinweist. In den Bezirksrat zog der Pg. Fritz Gater ein und Dr. Albert Spreng wurde Kreisabgeordneter, einziger NS-Gemeinderat wurde Paul Seiler. 33 Auch die Parteiarbeit wurde nun neu strukturiert. G.-R.-Oexle war zunächst Ortsgruppenleiter und Kreisleiter in einer Person, gab aber schon zu Beginn des Jahres 1931 die Ortsgruppe an Alfons Hafen ab. Organisationsleiter oder Kreisadjutant wurde Leopold Mauch. Karl Neuscheler war schon 1931 Standartenführer der SA-Standarte 113 - Sturmbann III/ 113, die im Sommer 1932 zur <?page no="39"?> 40 Gustav Robert Oexle Standarte 114 erhoben wurde, und deren Führung wiederum Karl Neuscheler übernahm. Im Mai 1931 kam es zu einem ersten Aufmarsch von etwa 500 SA-Leuten „durch das schwarze Überlingen.“ Am 14. Juni 1931 veranstaltete die SA einen weiteren öffentlichen Aufmarsch der Standarte 113 in Überlingen. Die Genehmigung dazu wurde von Ortsgruppenleiter Hafen, Kreisleiter Oexle und Standartenführer Neuscheler beim Bezirksamt beantragt. Der Zeitpunkt war klug gewählt, denn am gleichen Tag fand der Landesparteitag der Badischen Staatspartei in Überlingen statt und als Redner trat Reichsfinanzminister Dietrich von der Staatspartei auf. Am 14. Juni 1931 strömten die SA-Leute aus Ludwigshafen, Sipplingen, Pfullendorf, Friedrichshafen sowie Immenstaad und selbstverständlich die Kameraden aus Überlingen teilweise mit LKWs, teilweise zu Fuß auf der Festwiese in Überlingen zusammen. Die SA, insgesamt wieder mehrere hundert Mann, hatte die Auflage erhalten, weder eine Parade noch Reden unter freiem Himmel abzuhalten. Um 14.00 Uhr wurden die ‚Braunhemden‘ auf der Festwiese aufgestellt und um 14.30 Uhr begann der Aufmarsch die Seestraße entlang zum Strandhotel, dann durch die Helltorstraße stadteinwärts zur Gradebergstraße, anschließend zum Münsterplatz und durch die Krummebergstraße zur Wiestorstraße, von dort zur Aufkircherstraße, zurück zur Franziskanerstraße, dann durch die Christophstraße zum Badhotel, weiter durch die obere Seestraße bis zum Mantelhafen und schließlich durch die Heldenstraße, die Kanzleistraße und die Franziskanerstraße bis zum Gasthof Traube, wo die SA zu einer internen Begrüßung einrücken sollte. Die ursprünglich auf 16.00 Uhr im „Rabensaal“ geplante Versammlung mit den Rednern Gottfried Feder, Mitglied des Reichstags, und Walter Köhler, Mitglied des badischen Landtags und späterer Finanzminister in Baden, wurde auf den Abend verlegt, um Kollisionen mit den Mitgliedern der ebenfalls im „Rabensaal“ tagenden badischen Staatspartei zu vermeiden. Außerdem sollten die SA- Stürme bis zum Abend größtenteils wieder den Rückmarsch angetreten haben. Das Bezirksamt und die Stadt Überlingen zogen etwa zehn zur Verfügung stehende Wachtmeister zur Verkehrsregelung, zur Beobachtung und zur Bereitschaft im „Rabensaal“ zusammen. Der liberale „Seebote“ lobte die Disziplin der SA bei ihrem Aufmarsch mit Marschmusik und Gleichschritt durch die Stadt, zeigte <?page no="40"?> 41 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist sich aber über die beiden NS-Redner äußerst verärgert, die außer „[…] geschmacklosen und gehässigen Angriffen auf die Regierungsparteien in billigen, abgedroschenen Wortwitzen“ und „[…] unerfüllbaren Versprechungen“ nichts zu bieten gehabt hätten. 34 Die Nationalsozialisten erhöhten nun die Frequenz der NS-Versammlungen und Aufmärsche. Trotz gelegentlicher Verbote ihrer Versammlungen traten im Jahre 1931 verschiedene mehr oder weniger prominente NS-Größen aus dem Reichstag und dem badischen Landtag oder aus der Parteispitze auf, wie etwa die bereits genannten Gottfried Feder und Walter Köhler, außerdem Professor Fritz Schwitzgebel aus Kaiserslautern, SA-Führer und stellvertretender Gauleiter der Pfalz, der badische Landtagsabgeordnete Albert Roth aus Liedolsheim sowie der Pg.Oskar Van Raay, der im Gau Baden für die Kommunalpolitik zuständig war. Neben diesen auswärtigen Rednern waren auch die Überlinger Genossen nicht untätig. Sie fielen vor allem durch Störungen und Provokationen bei Zentrumsveranstaltungen auf. Auch Gustav Robert Oexle wurde wieder aktiv. Er trat jedoch nicht nur im Bodenseegebiet auf, sondern auch an anderen Stellen im Gau Baden und er wurde sogar von der badischen Gauleitung an die württembergischen Parteigenossen als Wahlkämpfer ausgeliehen. Aus einem Schreiben des badischen Gauorganisationsleiters vom 20. November 1931 an den Unterbezirksleiter im württembergischen Waiblingen geht hervor, dass Oexle vom 28. bis 30. November in Stetten, Korb, Endersbach und Grossheppach zu den Themen „Deutsche Schicksalswende“ oder „Katholiken her zu Hitler“ sprechen sollte. Dem Redner standen 8-RM Rednergebühr, die Fahrtkosten sowie Unterkunft und Verpflegung zu. 35 Das „Superwahljahr“ 1932 und die Entwicklung der Partei in Stadt und Bezirk - Die Auseinandersetzungen mit der Zentrumspartei Im Wahljahr 1932 mit zwei Reichstagswahlen und den zwei Wahlgängen zur Reichspräsidentenwahl fanden in Überlingen zahlreiche politische Versammlungen aller Parteien statt. Die eifrigsten Wahlkämpfer waren neben den Vertretern der Zentrumspartei die Nationalsozialisten. Zu den prominenteren Rednern der NSDAP <?page no="41"?> 42 Gustav Robert Oexle gehörten der badische Gauleiter Robert Wagner, der zweimal im „Rabensaal“ auftrat (am 31. März 1932 und am 12. Oktober 1932), die Reichstagsabgeordneten Gregor Strasser und Fritz Kiehn (6. September 1932), der badische Landtagsabgeordnete Roth aus Liedolsheim (27. Januar 1932) sowie die Gaufrauenschaftsleiterin für Baden und Hessen und spätere Reichsfrauenschaftsführerin Gertrud Scholtz-Klink (1. März 1932) zum Thema „Frau und Volk“. Flankiert wurden diese Reden von den örtlichen Parteirednern Dr. Karl Neuscheler, Rechtsanwalt Johann Schmid und dem Diplomlandwirt Walter Kirn aus Deisendorf. 36 Während des Wahlkampfjahres 1932 wurde die Stimmung vor allem zwischen der Zentrumspartei und den Nationalsozialisten immer gereizter. Hatte die Zentrumspartei die NSDAP noch 1930 als einen eher zu vernachlässigenden Haufen von vereinzelten Spinnern betrachtet, so musste der zunehmende Erfolg der Nationalsozialisten die Zentrumspartei langsam beunruhigen. Größtes Defizit der NSDAP war, dass sie bis zum Oktober 1932 keine eigene lokale Presse hatte. Und so polemisierten die Überlinger Nationalsozialisten gegen die „Deutsche Bodenseezeitung“, die von ihnen nur als „Tante Schwarz“ bezeichnet wurde. Eine andere Methode war, durch einen Berichterstatter aus Überlingen, der sich das Pseudonym „Bresche“ zulegte, und hinter dem vermutlich Dr. Karl Neuscheler steckte, in dem in Nord- und Mittelbaden erscheinenden NS-Organ „Führer“ Artikel über Überlingen zu lancieren. Das Problem war aber, dass der „Führer“ im Bodenseegebiet gar nicht verbreitet wurde. Dies versuchten die Nationalsozialisten dadurch zu umgehen, dass sie in Überlingen einzelne Artikel am Haus des Ortsgruppenleiters Alfons Hafen in einem Schaukasten anschlugen oder Ausgaben des „Führers“, wie im Juli 1932 in Bergheim bei Markdorf geschehen, kostenlos von Haus zu Haus trugen. Letzteres erregte den Zorn der Zentrumspartei und sie warnte die NS- DAP davor, dies nicht noch ein zweites Mal zu versuchen: „Wenn nun aber so ein brauner Junge, der kaum seine Hosen vertragen kann, glaubt, Drohungen aussprechen zu müssen, wenn treue Zentrumsmänner es ablehnen, ihre Hände durch Annahme eines solchen Hetzblattes zu beschmutzen, so geben wir den guten Rat, das ein zweitesmal nicht mehr zu probieren. Unsere schwarzen Husaren, treue Wächter der uneinnehmbaren schwarzen Hochburg im oberen Linzgau, lassen nicht mit sich spassen.“ 37 <?page no="42"?> 43 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist In einem Bericht der DBZ zum ersten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl in Überlingen versuchten die Redakteure des Zentrumsblatts die Erfolge der NS-Versammlungen kleinzureden: „Übrigens, ihre Versammlungen, die sie alle Woche und zuletzt zweimal pro Woche hielten, hätten Säle mit gähnender Leere gefunden, wenn man nicht die ahnungslosen Burschen vom Land hereinkommandiert hätte.“ 38 Die Nationalsozialisten ihrerseits klebten in der Nacht vom 12. zum 13. März vor dem ersten Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl an städtischen und privaten Gebäuden ohne Erlaubnis Plakate und malten mit weißer Leimfarbe Hakenkreuze auf mehrere Straßen und schrieben dazu „Wählt Hitler, Liste 3“. Der stellvertretende Bürgermeister Hug von der Zentrumspartei stellte einen Strafantrag gegen unbekannt, die Täter konnten aber nicht ermittelt werden, so dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen musste. 39 Wie aufgeladen die Stimmung war, zeigen mehrere Berichte der Zentrumspresse über Störungen von Zentrumsveranstaltungen durch die Nationalsozialisten. Am 9. April 1932, kurz vor dem zweiten Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl, versuchte die DBZ ihre Leser von der Aggressivität der Nationalsozialisten zu überzeugen, indem sie berichtete, ein führender Nationalsozialist im Bezirk Überlingen habe wörtlich gesagt: „Wenn wir in Überlingen einmarschieren, dann soll sich uns einmal jemand entgegenstellen. Die zehn Wachtmeister haben wir schnell über den Haufen geschossen.“ Als dann die NSDAP ab dem 1. Oktober 1932 mit der in Konstanz erscheinenden „Bodensee-Rundschau“ ihr eigenes Presseorgan hatte, und der in Überlingen sattsam bekannte Dr. Karl Neuscheler dort die Hauptschriftleitung übernahm, war auch die Zentrumspartei langsam alarmiert über die Möglichkeiten der Nationalsozialisten, jetzt erst recht gegen die Zentrumspartei zu polemisieren. Und diese Chance ließen sich die Nationalsozialisten nicht entgehen. So wurde nach Angaben der DBZ der örtliche Redakteur Peter Löhmann der „Bodenseezeitung“, der gleichzeitig der Bezirksvorsitzende der Zentrumspartei war, ungeheuer beleidigt, weil die „Bodensee-Rundschau“ schrieb, dass „[…] diese abgenutzte Zentrumsgröße im Überlinger Bezirk keinerlei Sympathien mehr zu verscherzen hat.“ Die DBZ kündigte daraufhin eine Beleidigungsklage an und im Dezember berichtete sie, Kreisleiter Oexle <?page no="43"?> 44 Gustav Robert Oexle von der NSDAP habe dem Schriftleiter der DBZ in später Abendstunde auf dem Heimweg aufgelauert und ihn durch Beleidigungen und Belästigungen zu provozieren versucht. Für die DBZ war die „Bodensee-Rundschau“ genau das, was die Nationalsozialisten der Zentrumspresse immer wieder vorgeworfen hatten, solange sie noch kein eigenes Organ hatten, „[…] eine Hetz-Lügenpresse von Giftspritzen und Giftdüsen.“ 40 Nachdem die Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl, in deren Vorfeld auch Oexle wieder sehr aktiv geworden war, am 31. Juli 1932 in der Stadt Überlingen ihren Stimmenanteil im Vergleich zur Reichstagswahl vom 14. September 1930 von 8,7-% auf 31,1-% gesteigert hatten und dem Zentrum mit 38,2-% gefährlich nahe gekommen waren, war die Wahl am 6. November 1932 ein gewaltiger Dämpfer, weil die NSDAP nur noch auf 25,4-% kam, während sich das Zentrum wieder auf 42,9- % steigern konnte. Beim Zentrum wähnte man die nationalsozialistische Gefahr damit ein für alle Mal gebannt und die Zentrumspartei sprach von einer „furchtbaren Niederlage“ für die NSDAP in der Amtsstadt Überlingen. 41 „Machtergreifung“ und Gleichschaltung in Überlingen Als Reichspräsident Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler als Kanzler damit beauftragte, eine neue Regierung zu bilden, hatte Hitler sich ausbedungen, dass bald neu gewählt werden solle, und so wurde als neuer Wahltermin der 5. März 1933 festgelegt. Die Nationalsozialisten hatten die Machtübertragung sofort propagandistisch in eine „Machtergreifung“ durch die Partei umgedeutet und ihren Machtanspruch durch Fackelumzüge und Aufmärsche im ganzen Reich unterstrichen. Auch die Parteigenossen in Stadt und Bezirk Überlingen witterten nun Morgenluft und nutzten den sehr kurzen Zeitraum bis zur Reichstagswahl vor allem in der zweiten Februarhälfte und in den ersten Märztagen für eine Flut von Versammlungen im ganzen Bezirk. In insgesamt 25 Versammlungen zwischen dem 22. Februar und dem 4. März 1933 traten vor allem die Nationalsozialisten aus dem ganzen Bezirk auf, unter anderem auch der inzwischen als Gauredner im ganzen Gau Baden eingesetzte Gustav Robert Oexle. Dazu kam am 3. März noch eine <?page no="44"?> 45 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist öffentliche Versammlung im „Raben“ mit dem bereits früher aufgetretenen Pg. Fritz Kiehn, dem Besitzer der Efka-Zigarettenwerke in Trossingen und Mitglied des Reichstags. Den Abschluss bildete eine öffentliche Kundgebung auf der Hofstatt mit Oexle als Redner. 42 Obwohl man durch die Möglichkeiten der „Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes“ vom 4. Februar bereits die Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit einschränken konnte und durch die so genannte „Reichstagsbrandverordnung“ („Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“) vom 28. Februar sogar noch alle Grundrechte außer Kraft setzen und damit den Terror gegen die politischen Gegner legitimieren konnte, gelang es der NSDAP dennoch nicht, die absolute Mehrheit im Reichstag zu erreichen und sie musste wiederum eine Koalitionsregierung mit der DNVP eingehen. Von einem freien Wahlkampf im Februar 1933 und einer freien Wahl am 5. März 1933 konnte also nicht mehr die Rede sein. Welche Möglichkeiten die Notverordnungen boten, zeigt das Verbot der „Deutschen Bodenseezeitung“ am 18. Februar 1933, mitten im Wahlkampf für eine Woche, weil in einem Leserbrief Kritik an Hitler geübt wurde. In der Stadt Überlingen hatten die Nationalsozialisten in der Märzwahl von 1933 erstmals mit 40,1-% Stimmenanteil die Zentrumspartei mit nur noch 35,1-% überholt. Die Zentrumshochburg war dadurch noch nicht vollständig erschüttert, aber doch ziemlich „geschleift“. Noch besser sah es aus Sicht der Nationalsozialisten im Bezirk aus, wo die NSDAP auf 49,4-% der Stimmen gegenüber nur noch 37,6-% der Zentrumspartei kam. Trotz dieser Erfolge gab es immer noch einige Zentrumshochburgen im Bezirk, wie etwa Markdorf, wo die Partei 52,09-% der Stimmen für sich verbuchen konnte. 43 Bereits am Tag nach der Märzwahl, am 6. März 1933, hatten die Nationalsozialisten überall im Land begonnen, öffentliche Gebäude mit der Hakenkreuzfahne zu beflaggen. In Überlingen gestattete der für den im Urlaub weilenden Bürgermeister Dr. Heinrich Emerich amtierende Stellvertreter Franz Hug der NS-Abordnung das Hissen der Fahne nach vorheriger Absprache mit dem Bezirksamt. Am 9. März 1933 ließ sich Kreisleiter Oexle in Nußdorf extra von der am gleichen Tag stattfindenden Gemeinderatssitzung, in der er als Ratsschreiber das Protokoll hätte führen müssen, beur- <?page no="45"?> 46 Gustav Robert Oexle lauben, um bei der Beflaggung des Bezirksamts zugegen sein zu können. Den ganzen Nachmittag schon waren Nationalsozialisten durch die Stadt gezogen und hatten angekündigt gegen 17.00 Uhr die staatlichen und städtischen Gebäude zu beflaggen. Nachdem das Bezirksamt durch einen Funkspruch des von Hitler am 8. März 1933 zum Reichskommissar in Baden eingesetzten Gauleiters Robert Wagner dazu autorisiert wurde, gab der Landrat dem Antrag der Nationalsozialisten statt und die Beflaggungsaktion konnte beginnen. Obwohl die Hakenkreuzflagge eine Parteifahne war und nicht die offizielle deutsche Flagge, zeigt der Vorgang, dass inzwischen kaum noch jemand wagte, sich den Nationalsozialisten entgegen zu stellen. 44 Im Nußdorfer Gemeinderat machten die Parteigenossen am gleichen Tag (9. März 1933) ebenfalls von sich reden, indem sie Adolf Hitler „[…] als Gründer, Künder und Sieger der Nationalen Revolution“ sowie Gauleiter Wagner „in Dankbarkeit um die Erhaltung der gemeindlichen Selbstständigkeit Nußdorfs gegen den Zugriff des schwarz-roten Stadtoberhauptes der Stadt Überlingen, Dr. Emerich“ einstimmig zu „Ehrenbürgern“ der Gemeinde Nußdorf ernannten. Nußdorf dürfte somit eine der ersten Gemeinden im Reich gewesen sein, die den NS-Führern die Ehrenbürgerschaft antrugen. Am 7. April ging das Dankschreiben Hitlers für die ihm zuteilgewordene Ehre bei der Gemeinde Nußdorf ein, das von Gauleiter Wagner am 13. Mai 1933. 45 Die Absetzung von Bürgermeister und Stellvertretendem Bürgermeister in Überlingen Bereits am 16. März 1933 sandte das badische Innenministerium im Auftrag von Reichskommissar Wagner Anweisungen an die Bezirksämter, wie mit „unerwünschten“ Bürgermeistern angesichts der veränderten politischen Verhältnisse zu verfahren sei. Das Innenministerium empfahl, den genannten Personen nahezulegen, Urlaub zu nehmen oder mithilfe der Reichstagsbrandverordnung eine Zwangsbeurlaubung zu erwirken und ein geeignetes Gemeinderatsmitglied mit der Stellvertretung zu benennen oder dem Innenministerium mitzuteilen, ob ein kommissarischer Verwalter einzusetzen sei und hierfür Personalvorschläge zu unterbreiten. <?page no="46"?> 47 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Genau dieser Weg wurde auch in Überlingen beschritten. Da sich Dr. Emerich zu dieser Zeit im Urlaub befand, wurde bereits am 17. März telefonisch der Pg. Rechtsanwalt Johann Schmid zum Kommissar eingesetzt. Als Dr. Emerich Ende März wieder aus seinem Urlaub zurückkehrte, beantragte die örtliche Parteileitung der NSDAP beim Bezirksamt, Emerich zu seinem eigenen Schutz in „Schutzhaft“ zu nehmen, ihm seinen Waffenschein abzunehmen und seine Wohnung auf Aktenstücke, Urkunden und Schriftwechsel aus seiner früheren Tätigkeit als Bürgermeister und bei der Sparkasse zu untersuchen. So wurde gegen Dr. Emerich ein Strafverfahren eingeleitet. Den Strafprozess erlebte Dr. Emerich nicht mehr, da er am 31. Mai 1933 verstarb. In gleicher Weise gingen die Nationalsozialisten gegen den Bürgermeisterstellvertreter Franz Hug vor. Der banale Anlass dieses Mal war, dass Franz Hug am Geburtstag des Führers am 20. April 1933 sein Haus nicht beflaggt hatte. Wieder stellte die NSDAP zwei Tage darauf beim Bezirksamt den Antrag auf Schutzhaft wegen der von ihm begangenen Provokation. Des Weiteren wurde ihm unterstellt, im Jahre 1932 offen die Entlassung nationalsozialistischer Beamte beim Finanzamt gefordert zu haben. Bereits am 27. April meldete die „Bodensee- Rundschau“ die Amtsentlassung Franz Hugs. Die Anträge zur Entlassung Dr. Emerichs und Franz Hugs gingen formell jeweils von der Ortsgruppe der NSDAP Überlingen aus. Kreisleiter Oexle war aber jederzeit in das Verfahren eingebunden, wie die Unterschrift seines Adjutanten Leopold Mauch auf dem ersten Schreiben und seine eigene auf dem zweiten beweisen. 46 Gleichschaltung des Stadtrates, Neuwahl des NS-Bürgermeisters und Selbstauflösung der Parteien Durch das Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933 wurde angeordnet, die Länder- und Kommunalparlamente nach den Ergebnissen der Reichstagswahl zu besetzen. In Überlingen wurde diese Anordnung am 28. April umgesetzt. Sie bescherte den Nationalsozialisten eine Mehrheit im Gemeinderat. Gewählt wurden nach den Wahlvorschlagslisten der Parteien fünf Nationalsozialisten: Willi Mensch, der Ortsgruppenleiter der Partei, Ingenieur Paul Seiler, der neue Bürgermeisterstell- <?page no="47"?> 48 Gustav Robert Oexle vertreter, der Rechtsanwalt Johann Schmid, der zuvor als Verwaltungskommissar eingesetzt war und der Mechanikermeister Emil Dreher, späterer Ortsgruppenleiter der Partei und Beigeordneter des späteren NS-Bürgermeisters Dr. Spreng. Vom Zentrum wurden eingesetzt: Glasermeister Johann Hueber, Landwirt Julius Kitt und der Buchdruckermeister Fritz Feyel. Im Bürgerausschuss saßen nun acht Nationalsozialisten, ein Deutschnationaler, sechs Zentrumsleute und mit Maurerpolier Karl Frank der letzte Parlamentarier der SPD in einem städtischen Gremium. 47 Der Neuwahl eines NS-Bürgermeisters stand nun nichts mehr im Wege und bei der Suche nach geeigneten Kandidaten fiel die Wahl am 20. Mai 1933 auf Dr. Albert Spreng aus Meersburg. Spreng zählte zu den alten Kämpfern im Bezirk, hatte die NS- Gruppe Meersburg 1930 gegründet und saß seit 1930 in der Kreisversammlung und im Meersburger Bürgerausschuss. Außerdem war er kommissarischer Syndikus der Handwerkskammer Konstanz und Kommissar für den freiwilligen Arbeitsdienst des Arbeitsamtsbezirks Konstanz. Mit den beschriebenen Maßnahmen war der Gleichschaltungsvorgang auch in Überlingen formell abgeschlossen. 48 Parallel zum Vorgang der Gleichschaltung lief der Prozess der Selbstauflösung der Parteien in Überlingen. Bereits am 8. März 1933 löste sich die DVP auf, mit der Empfehlung sich der DNVP zur „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ anzuschließen“, am 30. März folgte die Deutsche Staatspartei, deren Gemeinderäte und Gemeindeverordnete ihre Mandate niederlegten, am 8. Mai löste sich der SPD-Ortsverein auf: Johann Häusler legte den Vorsitz nieder, Karl Frank schied aus dem Bürgerausschuss aus. Beide traten gleichzeitig aus der Partei aus. Nach der Selbstauflösung des Zentrums auf Reichsebene am 5. Juli 1933 legten drei Tage später auch sämtliche Zentrumsgemeinderäte und Bürgerausschussmitglieder in Überlingen ihre Mandate nieder. In allen Gremien saßen jetzt nur noch Nationalsozialisten. Den formalen Schlusspunkt setzte das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933, das die NS- DAP zur einzigen politischen Partei erklärte. 49 <?page no="48"?> 49 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Die Gleichschaltung der Verwaltungen Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 erhielten die Nationalsozialisten ein Instrument, gegen ihre Feinde in den kommunalen Bürokratien vorzugehen. Vor allem der § 4 des Gesetzes, dass „Beamten, die aufgrund ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“, aus dem Dienst entlassen werden können, bot nach Ansicht der Nationalsozialisten einen willkommenen Anlass, diese Beamten nun loszuwerden. Als Vertrauensmänner zum Vollzug des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums bei Körperschaftsbeamten in Überlingen und im Bezirk wurden gemäß Erlass vom 15. Mai 1933 Nr. 50456 von Innenminister Pflaumer Fritz Chevalier, Obersteuersekretär und Leopold Mauch, Oberzollsekretär eingesetzt, als deren Stellvertreter Kreisleiter Gustav Robert Oexle, M.d.L. und Ortsgruppenleiter Alfons Hafen. Am 2. Juni 1933 legte die NS-Kreisleitung dem Bezirksamt mehrere Listen mit missliebigen Beamten im Bezirk und vor allem in der Stadt Überlingen vor. Für diesen Fall hatte die Kreisleitung, wie das Anschreiben zeigt, Unterlagen gegen diese Personen gesammelt, und bot dem Bezirksamt weitere, noch zurückbehaltene Informationen an. Dabei unterliefen der Kreisleitung aber Fehler. Bei einigen der genannten Personen war das Gesetz gar nicht anwendbar, da sie Angestellte und keine Beamten waren, bei anderen war die Faktenlage so dünn, dass der bearbeitende Beamte im Bezirksamt häufig den Vermerk „keine Tatsachen“ am Rande anfügte. In der Tat waren die Charakterisierungen der Nationalsozialisten inhaltlich wenig weiterführend, um juristisch etwas Verwertbares zu bieten. Sie erschöpften sich meistens in Äußerungen wie „ein gehässiger Gegner Hitlers“, „ein Nazifresser“, ein „Pazifist“, ein „Zentrumsfunktionär“, „ein SPD-Mann aus reinstem Wasser“ oder „politisch ganz unzuverlässig“. Nur in einem Fall hatte die Partei einen direkten Erfolg zu verzeichnen. Gegen einen Betriebsmonteur und ehemaligen Sozialdemokraten bei der Zweigstelle des Badenwerks in Weildorf leitete das Badische Innenministerium ein Verfahren ein. Eine andere Methode, die städtischen Beamten unter die Kontrolle der Partei zu bringen erwies sich als weitaus effizienter: Ende <?page no="49"?> 50 Gustav Robert Oexle Mai 1933 wurde im „Rabensaal“ eine Versammlung anberaumt, bei der sämtliche Beamte der Stadt und der Spitalverwaltung erscheinen mussten. Den Beamten wurde von Stadtrechner Heneka und Steuerinspektor Chevalier klar gemacht, dass sie ihre Stellen verlieren würden, wenn sie nicht der SA-Reserve beitreten würden, um dann nach Bewährung später in die Partei aufgenommen zu werden. Die meisten Beamten beugten sich diesem Druck, traten in die SA-Reserve ein und wurden dann zum 1. Mai 1937 offiziell in die Partei aufgenommen. 50 Der Umgang mit den „Störenfrieden“ Wer sich jetzt noch negativ über die Partei oder den Reichskanzler äußerte, bekam die Folgen durch die Verhängung von Schutzhaft zu spüren. Besonders traf dies den „alten Feind“ vom Zentrum, den Redakteur der DBZ und Bezirksvorsitzenden der Zentrumspartei, Peter Löhmann. Er wurde erstmals am 24. März 1933 verhaftet und am 9. Juni 1933 „[…] wegen hetzerischen Reden gegen die Regierung“ wieder in Schutzhaft genommen. Der spätere erste Nachkriegsbürgermeister von Überlingen, Karl Löhle, war Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft und wurde am 18. Mai 1933 für acht Tage in Schutzhaft genommen, weil er, „[…] als pazifistischer Fanatiker bekannt […]“, in einem öffentlichen Lokal in Überlingen „[…] üble Aussagen gegen den Herrn Reichskanzler anlässlich der Übertragung der Kanzlerrede […]“ gemacht habe. Löhle hatte die Friedensabsichten Hitlers bestritten und bekam zusätzlich vom Sondergericht Mannheim eine größere Geldstrafe auferlegt. 51 Trotz ihrer großen Erfolge bei der Eroberung der Macht auch in der Provinz schienen sich die Nationalsozialisten im Sommer 1933 immer noch nicht gänzlich sicher zu fühlen. Anlässlich einer Versammlung der Ortsgruppe der NSDAP Markdorf soll sich Kreisleiter Oexle laut der „Bodensee-Rundschau“ folgendermaßen geäußert haben: „Jede Aktion der Regierung […] wäre Staatsakt, und wer sich dagegen sträubt und auflehnt, ist ein Verräter an Staat und Volk. […] Eine ernste Mahnung richtete er an diejenigen, welche die Ruhe ferner stören werden.“ Vielleicht ist auf diesem Hintergrund auch die Verhaftung von acht KPD-Funktionären und zehn weiteren Mitgliedern der KPD <?page no="50"?> 51 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist im Bezirk Überlingen vorwiegend in den Gemeinden Salem, Neufrach, Mimmenhausen und Mühlhofen zu sehen. Voller Stolz berichtete die „Bodensee-Rundschau“ am 17. November 1933, dass es dem Nachrichtendienst der Kreisleitung Überlingen nach wochenlanger Überwachung gelungen sei, „[…] dem kommunistischen Wühlherd auf die Spur zu kommen.“ Der „illegale Apparat“ der KPD im Bezirk Überlingen wurde als „ausgehoben“ betrachtet. Selbstverständlich vergaß die „Bodensee-Rundschau“ auch nicht zu erwähnen, dass die „[…] Bevölkerung der einzelnen Orte, insbesondere von Neufrach, durch die SA nur mühsam von einer drohenden Lynchjustiz […]“ zurückgehalten werden konnte. Natürlich sollte diese Aktion auch als Exempel für weitere „Störenfriede“ dienen. 52 Eine neue NSDAP-Kreisleitung in der „Löwenzunft“ - Aufbau eines „Kreisapparates“ Ungeachtet ihrer Erfolge zwischen 1930 und 1933 hatte die NS- DAP im Bezirk Überlingen noch immer keine eigene Unterkunft für die Geschäftsstelle der Kreisleitung. Noch bis zur „Machtergreifung“ war die Pension Lang die Geschäftsstelle der Kreisleitung der NSDAP Überlingen ebenso wie die der durch Margarete Lang gegründeten NS-Frauenschaft im Bezirk. Am Tag der „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 verstarb Eugenie Lang, die Mutter von Margarete Lang und Pflegemutter von G.-R.-Oexle. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Oexle sowie Eugenie und Margarete Lang ihr ganzes Vermögen in den Aufbau der Partei im Bezirk Überlingen gesteckt, insgesamt eine Summe von „weit über 5000 RM“. Nach der „Machtergreifung“ bezogen die Nationalsozialisten Quartier in der traditionsreichen „Löwenzunft“, in der zuvor die Sparkasse residierte, und errichteten dort ihre NSDAP-Kreisleitung. Dies war schon allein aus organisatorischen Gründen notwendig geworden, denn mit der „Machtergreifung“ war zwischen dem Jahresbeginn 1933 bis zum Mai 1934 die Zahl der Mitglieder in Überlingen von 80 auf 200 Parteigenossen angestiegen und ähnlich verhielt es sich im ganzen Bezirk. Im Februar 1934 umfasste die Partei im Bezirk rund 1800 Parteigenossen. Damit hatte die Partei nun endlich das ihr angesichts ihrer Bedeutung „zustehende“ Quartier. Anlässlich einer NS-„Amtswaltertagung“ in Überlingen machte Kreisleiter <?page no="51"?> 52 Gustav Robert Oexle Oexle am 19. Februar 1934 den Vorschlag, das alte Zunftgebäude „Haus der NS-Kameradschaft“ zu nennen. 53 Auch innerhalb der Partei waren Veränderungen notwendig geworden. Mit dem Jahresbeginn 1933 wurde Wilhelm Mensch neu- Die ehemalige Löwenzunft, Sitz der Kreissparkasse und seit 1933 Sitz der Kreisleitung der NSDAP gegenüber dem beflaggten Rathaus <?page no="52"?> 53 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist er Ortsgruppenleiter. Auch der Weggang von Dr. Karl Neuscheler, der als Redner und SA-Führer viel für die Partei getan hatte, zu der seit Oktober 1932 in Konstanz gedruckten NS-Zeitung „Bodensee- Rundschau“, bei der er die Stelle des Hauptschriftleiters übernahm, war für die Ortsgruppe ein Verlust. 54 Im Juli 1933 schließlich meldete der Oberzollsekretär, NS-Gemeinderat und Kreisadjutant Leopold Mauch, der vertretungsweise auch mit den Dienstgeschäften eines Bezirkszollkommissars betraut war, dem Bürgermeisteramt Überlingen seine Abberufung durch seine vorgesetzte Behörde zum Personalamt beim Landesfinanzamt Karlsruhe. G. R.-Oexle machte daraufhin den früheren Ortsgruppenleiter Pg. Alfons Hafen zu seinem neuen Kreisadjutanten. Sowohl Dr. Karl Neuscheler als auch Leopold Mauch machten später noch erstaunliche Karrieren im NS-Staat. 55 Bis zum Februar 1934 war es Oexle gelungen, in der „Löwenzunft“ einen NS-Kreisapparat mit mehreren Dienststellen aufzubauen. Der Kreisleitung unterstanden 1800 Parteigenossen in 16 Ortsgruppen und 18 Stützpunkten. An der Spitze stand Oexle als Kreisleiter, sein Stellvertreter war der Überlinger Bürgermeister Dr. Spreng. Dem Kreisleiter waren 21 Hauptabteilungen unterstellt: Personalamt, Organisationsamt, Ständischer Aufbau und NS- Hago (Handel- und Gewerbeorganisation) waren Alfons Hafen anvertraut, der gleichzeitig als Kreisadjutant von Oexle fungierte. Pg. Eduard Hollerbach arbeitete als Kreisgeschäftsführer der NS- Hago und als Kreiskassier. Das Kreisschulungsamt war mit dem Direktor der örtlichen Realoberschule Pg. Heinrich Adolf Müller besetzt, das Schatzmeisteramt hatte Pg. Wilhelm Bucher unter sich, das Presseamt Pg. Dr. Albert Spreng. Vorsitzender des Kreisparteigerichts war Pg. Levetzow, der Leiter des NS-Lehrerbundes der Pg. Schäfer. Für die Kommunalpolitik war der Pg. Ziegelmüller und für die Rechtspflege waren die Pgs. Pfilling und Dr. Rolf Swoboda zuständig. Dazu kamen noch die NS-Betriebszellenorganisation unter Pg. Julius Birkhofer, die NS-Bauernschaft unter Pg. Karl Müller aus Kluftern und die NS-Frauenschaft unter der Leitung von Margarete Lang, die immerhin schon 16 Ortsgruppen mit 466 Mitgliedern umfasste. Die NS-Beamtenschaft war dem Pg. Eugen Wiedenmaier unterstellt und für die NSKOV (Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung) war der Pg. Arthur Gisy zuständig. Kreispropagandaleiter war der Pg. Hollerbach. Ihm unterstanden <?page no="53"?> 54 Gustav Robert Oexle noch verschiedene Unterabteilungen wie Rundfunk, Film, Theater, Kulturpolitik und Bilddienst. Im Aufbau begriffen war die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) mit Margarete Lang als Leiterin. Der Kreisleitung formell unterstellt waren SA, SA-Reserve, HJ, BDM und Jungvolk. 56 Einzug in den Kreistag und in den Badischen Landtag in Karlsruhe Mit der Gleichschaltung der Parlamente durch das „Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 31. März 1933 kam Oexle in den Kreistag in Konstanz, wo er in den Rechnungsprüfungsausschuss berufen wurde. Bis 1937 war Oexle Stellvertreter des Kreisvorsitzenden im Kreis Konstanz. In dieser Funktion löste ihn der Überlinger Bürgermeister Dr. Spreng ab. Im April 1933 zog Oexle als Landtagsabgeordneter in den Badischen Landtag ein, wo er bis zu dessen Auflösung im Oktober als Schriftführer der 2. Kammer fungierte. Mit den Diäten des Landtags konnte der finanziell klamme Oexle zum ersten Mal wieder Einkünfte verzeichnen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er von seinem Gehalt als Ratsschreiber in Nußdorf, von seiner geringen Behindertenrente und von den Einkünften durch Sommergäste in der Pension Lang in Nußdorf gelebt. Zusammen mit Oexle zog übrigens noch ein weiterer alter Mitkämpfer aus dem Bezirk in den badischen Landtag ein, der Gutsinspektor Vinzenz Keil, der am frühen Aufbau der SA im Bezirk maßgeblichen Anteil hatte. 57 Aufstieg zum Gebietsinspekteur der NSDAP Im Sommer 1933 besuchte G. R.- Oexle den ersten der vom Pg. Karl Krämer an der Gauamtswalterschule in Baden abgehaltenen „Führerkurse“ in Karlsruhe (10. bis 30. Juli 1933). Diese Kurse wurden später verpflichtend für alle höheren Parteiführer. Noch während des laufenden Kurses wurde Oexle am 18. Juli zur Organisation des ersten Reichsparteitages nach Nürnberg abberufen. Dort traf er verspätet ein, weil die Benz-Werke dem Stabsleiter der Gauleitung in Baden, dem stellvertretenden Gauleiter Hermann <?page no="54"?> 55 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Röhn, erst zum 18. Juli einen Wagen für den von der Gauleitung zur Organisation des Reichsparteitages vorgeschlagenen Oexle zur Verfügung stellen konnten. Voller Stolz berichtete die „Bodensee- Rundschau“ am 25. Juli, dass „ihr Kreisleiter“ zu einem „Kursus“ und zur Vorbereitung des Reichsparteitages in die Reichsleitung berufen worden sei und gratulierte ihm „zu dieser Ehrung“. Als Oexle von dort Anfang September wieder zurückkehrte, wurde „[…] unser allseits beliebter und bewährter Kreisleiter Oexle […]“ von der „Bodensee-Rundschau“ aufs herzlichste begrüßt, und die Zeitung drückte aus, dass es „[…] dem Kreis eine besondere Ehre (ist), durch die Reichsleitung die Anerkennung über die Verdienste unseres beliebten Kreisleiters öffentlich erfahren zu können.“ 58 Der seit dem Dezember 1932 nach dem Rücktritt Gregor Strassers zum Reichsorganisationsleiter der NSDAP aufgestiegene Robert Ley war neben der Organisation der Eliteschulen (Ordensburgen) auch mit der Gestaltung der Nürnberger Parteitage beauftragt. Im September oder Oktober installierte Ley sechs Reichsgebietsinspekteure, unter ihnen auch Oexle. Dieser hatte offensichtlich bei der Gestaltung des 1. Reichsparteitages in Nürnberg eine gute Figur gemacht und das Vertrauen Leys gewonnen. Seit dem 15. Oktober 1933 befand sich Oexle neben seiner Tätigkeit als Kreisleiter nun in den Diensten der Reichsleitung der NSDAP. In der „Bodensee-Rundschau“ tauchte der Titel „Gebietsinspekteur“ erstmals am 26. Oktober 1933 auf. Als Gebietsinspekteur war Oexle 1933/ 34 zuständig für das Gebiet I (Bayern, Württemberg und Baden). Damit waren ihm formal auch die Gauinspekteure, wie etwa der badische Gauinspekteur Eugen Speer (Kreisleiter von Konstanz) oder der württembergische Gauinspekteur Eugen Maier (Kreisleiter von Ulm) unterstellt. Die Gauinspekteure waren ursprünglich Beauftragte der Gauleitungen, die nach Einschätzung von Christine Arbogast und Bettina Gall als „Vertuscher, Sorgen- Onkel und Richter“ in einem auftraten und vor allem innerparteiliche Streitigkeiten schlichten und Beschwerden sowie Gesuche bearbeiten sollten. Die Gebietsinspekteure waren von der Parteileitung beauftragt, vor allem für eine Vereinheitlichung der Politik in den Gauen zu sorgen und als Kontrollorgane der Allmacht der Gauleiter etwas Einhalt zu gebieten. Letzteres schlug gründlich fehl, da die Gauleiter als alte Kämpfer um ihre Privilegien wussten und gegebenenfalls beim „Führer“ direkt intervenieren konnten. 59 <?page no="55"?> 56 Gustav Robert Oexle Die Gebietsinspekteure werden „Beauftragte der Parteileitung“ im Stab Hess Seit Hitler am 21. April 1933 Heß zu seinem offiziellen Stellvertreter gemacht und ihm die Vollmacht erteilt hatte, „in allen Fragen der Parteileitung“ in seinem Namen zu entscheiden, entbrannte ein Machtkampf um den innerparteilichen Führungsanspruch zwischen Heß und Ley, der dank der umsichtigen Hilfe seines Stabsleiters Bormann zugunsten von Heß ausfiel. So gelang es Heß im Frühjahr 1934 die sechs Gebietsinspekteure, die Ley im Herbst eingesetzt hatte, in seinen Stab zu integrieren. Sie nannten sich von nun an „Beauftragte der Parteileitung“. Ihre Aufgaben blieben dieselben. G.- R.-Oexle wurde 1935/ 36 wieder das Gebiet I (Bayern, Württemberg, Baden) zugesprochen. Aber wie schon zuvor musste Bormann den mächtigen Gauleitern gegenüber in einem Schreiben vom 9. Juli 1935 versichern, die Beauftragten der Parteileitung seien selbstverständlich nicht „Organe zur Kontrolle der Gauleiter.“ 60 Am 1. Januar 1934 erwähnte Oexle anlässlich eines Kameradschaftsabends der Partei im „Löwen“ in Deisendorf, „[…] dass er in den nächsten Tagen einer Einladung des Führers nach dem Obersalzberg Folge leisten werde.“ Diese Ankündigung und die häufige Abwesenheit Oexles als Kreisleiter in der 2. Hälfte des Jahres 1933 und zu Beginn des Jahres 1934 ließ manche schon ahnen, dass die Karriere Oexles in Überlingen bald zu Ende gehen sollte. Und so formulierte die „Bodensee-Rundschau“ am 6. März 1934, dass die Abgabe des Kreisleiteramtes zu erwarten gewesen war. Sein Nachfolger, Alfons Hafen, dessen Ernennung durch den Gauleiter am 6. März 1934 bekannt gegeben wurde, war, so die „Bodensee- Rundschau“, der Wunschkandidat des Kreises, und von Oexle wohl Gauleiter Wagner empfohlen worden. Oexle hatte den jungen Alfons Hafen schon frühzeitig gefördert und ihm 1931 die Ortsgruppenleitung in Überlingen übertragen. Hafen wurde allerdings von Beginn an nur „mit der Leitung des Kreises beauftragt“ und in den etwa zwei Jahren Amtszeit nie als Kreisleiter fest installiert. Ob dahinter eine Absprache zwischen Oexle und der Gauleitung stand, die eine möglich Rückkehr Oexles in dieses Amt ermöglicht hätte, ist nicht nachweisbar, aber denkbar. 61 Der Reichsleitung der Partei hatte sich Oexle im Jahre 1933 nicht nur durch die Beteiligung an der Organisation des Reichs- <?page no="56"?> 57 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist parteitages im September, sondern auch durch das gute Ergebnis bei der manipulierten „Reichstagswahl“ vom 12. November 1933, die mit einer Volksabstimmung zum Austritt aus dem Völkerbund gekoppelt war, in seinem Bezirk empfohlen. Im Bezirk Überlingen wurde eine überdurchschnittliche Wahlbeteiligung von 97,3-% für die Volksabstimmung und 97,1- %für die Reichstagswahl erreicht (Reich: 95,2- %). Der Partei war es also gelungen, die Menschen zu mobilisieren. Die Zustimmungsrate bei der Volksabstimmung lag bei 92,6- % und damit niedriger als im Reichsdurchschnitt (95,1-%), bei der Einheitsliste lag Überlingen mit 91,7-% ebenfalls etwas niedriger als der Reichsdurchschnitt (92,1-%). Für einen Bezirk, der noch vor einem Jahr in der Reichstagswahl vom November 1932 fest in den Händen der Zentrumspartei gelegen hatte, war dies dennoch ein starkes Ergebnis. Noch am Wahltag hatte Oexle eine Tour mit dem Wagen durch den Bezirk unternommen, zusammen mit einer Reporterin der „Bodensee-Rundschau“, die daraus eine rührselige Heldenverehrungsgeschichte über den „großen und beliebten“ Kreisleiter zusammenzimmerte: „Wie überall, schauen auch hier [in Bermatingen] strahlende Gesichter auf den Kreisleiter; scharen sich die alten Parteigenossen um den schlanken Mann mit den warmen blauen Augen, der so oft in harter und trüber Zeit der Verfolgung [sic! ] ihre Stütze war und der ihnen allen Freund und Berater bleiben wird. Viele feste Händedrücke, Heilrufe und fort trägt uns der Wagen ins leuchtende Land hinaus, auf dem die Sonne liegt.“ Und selbstverständlich überkam den alten Kämpfer Rührung, als in seinem Geburtsort Sipplingen die Bürgermiliz auftrat: „Unvergeßlich das Bild: das badische Hellblau neben der schlichten braunen Uniform! Ein fester Händedruck, Aug blickt in Aug - Rührung ist im schmalen Gesicht unseres Kreisleiters, die blauen Augen leuchten auf: es ist heimatlicher Boden, auf dem er steht, und wohlbekannte und vertraute Menschen sind es, die ihn grüßen. Langsam fährt der Wagen wieder den Berg hinab, zurück nach Überlingen.“ 62 G.-R.-Oexle wird Reichstagsabgeordneter Für die Reichstagswahl am 12. November 1933 war auch Oexle auf der Vorschlagsliste für den Wahlkreis 32, Baden. Da aber weit mehr Anwärter auf der Einheitsliste waren, als tatsächlich in den 661 Sit- <?page no="57"?> 58 Gustav Robert Oexle ze zählenden Reichstag einziehen konnten, war dieses Unterfangen zunächst erfolgslos. Im September 1934 sollte es hingegen klappen. Am 4. September rückte Oexle für den verstorbenen Stuttgarter Abgeordneten Otto Maier für den Wahlkreis 31, Württemberg, in den Reichstag nach und gehörte diesem bis zu seinem Tod am 25. April 1945 an. 63 Obwohl im Reichstag zwischen 1933 und 1945 nur noch 19 Reichstagssitzungen stattfanden und insgesamt nur sieben Gesetze beschlossen wurden, wurde er als Akklamationsorgan benutzt, um den seltenen Regierungserklärungen Hitlers einen feierlichen Rahmen zu verleihen und dem Ausland gegenüber Einstimmigkeit und eine quasi-demokratische Legitimation zu demonstrieren. Auch die Diätenregelung der Weimarer Republik wurde entgegen der Beteuerungen in der „Kampfzeit“ durch die Nationalsozialisten übernommen. Nach Einschätzung von Hermann Butzer erhielten die Reichstagsabgeordneten eine Aufwandsentschädigung von 600- RM monatlich. Davon wurden 60-RM als Fraktionsbeitrag abgezogen, so dass noch 540-RM real zur Auszahlung kamen. In den Wintermonaten reduzierte sich dies noch einmal, da die Abgeordneten einen Abzug zugunsten des Winterhilfswerks durch die Kasse des Reichstags hinnehmen mussten. Angesichts der Tatsache, dass der Reichstag nur einmal im Jahr zusammenkam, wundert es nicht, dass im Flüsterwitz des 3. Reiches der Reichstag als „teuerster Männergesangsverein der Welt“ tituliert wurde, weil die Abgeordneten nur einmal jährlich zusammen auftraten, die Nationalhymne absangen, 600-RM kassierten und dann wieder auseinandergingen. Dennoch war es für einen Nationalsozialisten eine mit hohem Prestige versehene Auszeichnung, Reichstagsabgeordneter zu sein und sich damit von der Masse der Parteigenossen abzuheben. Der Direktor der Bibliothek des deutschen Reichstages, Eugen Fischer-Baling, berechnete im Herbst 1945 die an die Abgeordneten im 3. Reich ausbezahlten Diäten auf etwa 65 520 000- RM, die aus Steuergeldern finanziert wurden. In vielen Fällen wurde bei hauptamtlichen Parteiangestellten die Diätenzahlung auf das Gehalt angerechnet und nur noch der Differenzbetrag ausbezahlt, so dass man von einer indirekten Finanzierung der Partei mit Steuergeldern sprechen konnte. Im Falle von Oexle war dies zumindest seit dem 1. Januar 1942 nicht so. In einem Schreiben vom 28. April 1942 versicherte <?page no="58"?> 59 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Reichsschatzmeister Franz Xaver Schwarz dem Pg. Oexle, dass er auf Vorschlag der Parteikanzlei sein Gehalt nach Besoldungsgruppe 5a auf 1500-RM monatlich rückwirkend zum 1. Januar 1942 festgesetzt habe und die Diäten als Reichstagsmitglied zu seiner freien Verfügung stünden. Zusätzlich zu seinem Gehalt von 1500- RM erhielt Oexle mit Wirkung vom 1. Juli 1943 noch eine Aufwandsentschädigung von 400-RM, die an seine Besoldungsplanstelle als „Sonderbeauftragter der Parteikanzlei“ gebunden war. Auch darauf fanden seine Bezüge als Mitglied des Reichstags keine Anrechnung. Zuvor hatte Oexle eine monatliche Aufwandsentschädigung erhalten, die etwa bei 300-RM lag. Dazu kam wie bei allen Abgeordneten eine Freifahrtsberechtigung I. Klasse auf allen Eisenbahnstrecken des Reiches. Mit den Diäten des Reichstages, seiner Aufwandsentschädigung durch die Partei und dem geldwerten Vorteil des Freifahrscheins, der natürlich auch zu allen Fahrten im Rahmen der Parteitätigkeit benutzt wurde, hatte Oexle finanziell ausgesorgt. 64 Vom „Beauftragten der Parteileitung“ zum „Sonderbeauftragten im Stab des Stellverteters des Führers“ (Parteikanzlei) Im Frühjahr 1936 erlosch der Auftrag der „Beauftragten der Parteileitung“. Von den sechs Gebietsinspektoren Richard Manderbach, Robert Bauer, Martin Seidel, Fritz Tittmann, Ralf Brockhausen und Gustav Robert Oexle wurde nur Oexle als „Sonderbeauftragter“ der Dienststelle übernommen. Schon im April 1935 waren gegen alle „Beauftragten der Parteileitung“ Vorwürfe laut geworden. Martin Seidel wurde zur Last gelegt, das EK I unberechtigt getragen zu haben. Gegen Fritz Tittmann gab es „schwerste moralische Vorwürfe“. Was gegen Richard Manderbach spreche, sei Bormann bekannt. Insgesamt, so heißt in dem Schreiben des Führeradjutanten, seien diese Zustände nicht zu halten. Der seit dem 1. Januar 1935 als Führeradjutant eingesetzte Fritz Wiedemann, der zuvor seit dem 1. April 1934 Adjutant bei Heß gewesen war und im 1. Weltkrieg in derselben Kompanie wie Hitler gedient hatte, sprach sich gegen eine Weiterbeschäftigung Oexles aus. Wiedemann brachte erneut die gegen Oexle ausgesprochene Gefängnisstrafe von 1923 wegen <?page no="59"?> 60 Gustav Robert Oexle der Entwendung von 80- RM aus der Ortskasse in Nußdorf zur Sprache, die er nicht als „Zwangsanleihe“ gelten lassen wollte. Bormann hingegen sprach sich für eine Weiterverwendung Oexles aus. Im Frühjahr 1936 weilte Oexle auf der Ordensburg Crössinsee, wo er offensichtlich auch Hitler und Heß traf. So schrieb die BR am 28. April 1936: „Noch selbst unter dem Eindruck persönlichen Erlebens, erzählte Oexle vom Führer, von seinem Stellvertreter.“ Im Sommer 1936 fiel schließlich die Entscheidung, die Dienststelle des „Beauftragten der Parteileitung Oexle“ in der bisherigen Form weiterbestehen zu lassen. Amtsleiter Paul Wegener, der persönliche Adjutant Bormanns, bat telefonisch den Stabsleiter im Reichsschatzamt, das Personal dieser Dienststelle weiterhin als Angehörige der Reichsleitung zu führen und zu besolden. 65 Tätigkeiten im alten und im neuen Amt Seit seiner Übernahme als „Beauftragter der Parteileitung“ in den Stab Heß, den Bormann konsequent zur Parteikanzlei ausbaute, und seit seiner endgültigen Übernahme als „Sonderbeauftragter“, lassen sich Art und Umfang von Oexles Tätigkeit am besten aus den Akten der Parteikanzlei rekonstruieren. Diese decken einen Zeitraum von 1934 bis 1945 ab. Interessant ist die Arbeitsweise Oexles. Er war nicht ständig vor Ort im „Braunen Haus“, der Zentrale der Parteikanzlei in München, tätig, sondern arbeitete vorwiegend von Nußdorf aus. Als seine Dienstadresse findet sich deswegen in den vom Reichsleiter und Chef der Kanzlei des Führers in Berlin, Philipp Bouhler, herausgegebenen Nationalsozialistischen Jahrbüchern immer „Nußdorf am Bodensee“. Oexle besaß einen eigenen Briefkopf der Partei mit der Adresse in Nußdorf, die quasi „eine Art Außenstelle der Parteikanzlei“ war. Natürlich musste Oexle immer wieder zu Besprechungen nach München oder gelegentlich in seiner Funktion als Reichstagsabgeordneter nach Berlin. Darüber hinaus hatte Oexle einen eigenen Adjutanten - von 1935 bis 1937 Walter Kirn aus Deisendorf - und auch ein Dienstfahrzeug der Partei. Die häufige Präsenz am Bodensee erlaubte es ihm als eine Art „graue Eminenz“ auch wichtige politische Entscheidungen vor Ort zu kommentieren, zu begleiten und auch zu beeinflussen. 66 <?page no="60"?> 61 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Ein Beispiel für die Verwendung Oexles als „Beauftragter der Parteileitung“ zeigt der Fall der Vertrauensratswahlen im April 1935 in deutschen Industriebetrieben: Nach dem Gesetz „zur Ordnung der nationalen Arbeit“ vom 20. Januar 1934 sollte in den Betrieben ein Vertrauensrat gewählt werden. Mitglieder des Vertrauensrates mussten Mitglieder der DAF (Deutsche Arbeitsfront) sein. Da aber in den Betrieben auch das Führerprinzip galt, wurden die Listen für die Vertrauensratswahlen vom Betriebsführer und der NS-Betriebszellenorganisation zusammengestellt. Es konnte also nur über die ganze Liste abgestimmt werden. Man konnte sie in geheimer Abstimmung also annehmen oder ablehnen oder der Wahl fernbleiben. Am 12./ 13. April 1935 fanden die ersten Vertrauensratswahlen statt. In einem Aufsatz im „Völkischen Beobachter“ vom 25. April nahm Robert Ley in seiner Funktion als Leiter der DAF dazu Stellung, sprach von den „freiesten und wahrhaftigsten“ Wahlen der Welt und stellte triumphierend fest, dass „[…] weit über 80% der Industriearbeiterschaft Deutschlands sich für den Gedanken der Gemeinschaft bekennen“, und wertete dies als „unerhörtes Zeugnis“ für den Erfolg der Arbeit der DAF.. Ley hatte jedoch den Prozentsatz der Jastimmen im Verhältnis zu den Neinstimmen errechnet, ohne die zahlreichen Stimmenthaltungen und ungültigen Stimmen zu berücksichtigen. Dies erregte das Misstrauen von Bormann, der nun die „Beauftragten der Parteileitung“ Seidel und Oexle aufforderte, diesem anfechtbaren Berechnungsverfahren auf den Grund zu gehen. Dabei dürfte Bormann die offenkundige Wahlfälschung als solche wahrscheinlich gar nicht so sehr gestört haben. Dahinter stand wohl eher die Angst, dass diese Täuschungen auffliegen und die Stellung der NS- DAP bei der Arbeiterschaft massiv beeinträchtigen könnten. In der Tat waren die beiden Berichte der „Beauftragten der Parteileitung“ vernichtend. So berichtete Seidel von mehreren Betrieben in Norddeutschland, in denen nicht einmal 50-% der Betriebsangehörigen ihre Stimme abgegeben hatten. Oexle kam zu dem Schluss, dass die Betriebsratswahlen gezeigt haben, „[…] daß das Vertrauen der Belegschaft zur Betriebsführung vollständig zerrüttet ist.“ Die Methode Leys kommentierte er insofern treffend, als diese „[…] das wahre Bild der Abstimmung verfälscht“ habe. Das ganze Verfahren wirke in der Arbeiterschaft als geradezu „lächerlich“. Bormann ließ diese Dokumente nun dem Führeradjutanten Fritz Wiedemann zukom- <?page no="61"?> 62 Gustav Robert Oexle men mit der deutlichen Warnung, der Führer möge davon Abstand nehmen, das von Ley propagierte Ergebnis von über 80-% Zustimmung in eine seiner nächsten Führerreden aufzunehmen. Der Vorgang zeigt neben der Methodik der Wahlfälschungen im 3. Reich auch das innerparteiliche Gerangel um den Führungsanspruch zwischen Ley und Heß. Dabei boten die Vertrauensratswahlen der Parteikanzlei um Bormann und Heß auch eine willkommene Gelegenheit, Ley in dieser Auseinandersetzung einen neuen Schlag zu versetzen. Deutlich werden aber auch die Ängste der Partei, in der Industriearbeiterschaft jegliches Vertrauen zu verspielen. 67 Insgesamt war Oexles Tätigkeit in der Parteikanzlei geprägt von der Bearbeitung von Beschwerden gegen Parteiangehörige, gelegentlich, wie im Fall von Richard Drauz (1933/ 34), dem Kreisleiter von Heilbronn, einem höchst eigenwilligen und brutalen Lokalpotentaten, wohl durchaus berechtigt und Drauz erhielt einen Verweis. In anderen Fällen konnte es aber auch passieren, dass gegen die Beschwerdeführer Anklage erhoben wurde oder mit Schutzhaft und Einweisung in ein Konzentrationslager gedroht wurde. In wieder anderen Fällen kam es auch zum Parteiausschluss der „Stänkerer“. Hin und wieder gingen auch Beschwerden ein, weil sich, wie in Schleswig-Holstein 1936, Parteiorganisationen wie die NS-Betriebszellenorganisation und die NS-Hago stritten. Darüber hinaus hatte Oexle auch zu bewerten, ob Parteigenossen in bestimmten Ämtern verwendet werden konnten, oder ob ihnen dazu die Eignung fehlte. Dazu kamen auch Sonderaufträge des Führers, wenn dieser einen Parteigenossen „beschleunigt“ unterzubringen wünschte, wie 1937 im Fall des Pg. Josef Schuster aus München, der auf Anraten Oexles als Abteilungsvorstand der Geld- und Vermögensverwaltung bei der Landesbauernschaft Württemberg in einer beamteten Position untergebracht wurde. Manchmal hatte sich Oexle auch mit sehr heiklen Personalentscheidungen zu befassen, so 1939 bei der Personalie des Maximilian Walecek, der „renitente asoziale“ Patienten angeblich auf Anordnung der Krankenhausleitung in Mannheim in Isolierzellen verbrachte und dort mit Gummiknüppeln malträtierte. Nachdem auch die Gauleitung Baden Walecek negativ beurteilt hatte, wurde er wegen eines „wenn auch nicht hundertprozentig“ nachweisbaren Diebstahlverdachts entlassen und auf einer anderen Dienstelle untergebracht. <?page no="62"?> 63 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Aus Ludwigsburg traf 1934 eine Beschwerde anonym bleibender Schreiner ein über die „Luxuseinrichtung“ der NSDAP-Kreisgeschäftsstelle. Diese hatte nicht das örtliche Handwerk beauftragt, als das Kreisleiterzimmer ausgestattet wurde, sondern die Möbel bei der Landesstrafanstalt Ludwigsburg fertigen lassen, da diese ein „vorteilhaftes“ Angebot gemacht hatte, was die Gauleitung Württemberg durchaus rechtens fand. 68 Zwei Auseinandersetzungen, mit denen Oexle ebenfalls befasst war, sind insofern besonders interessant, als sie das Verhältnis zwischen Parteikanzlei und Gauleitern betreffen: In Schleswig-Holstein versuchte 1937 der Gauinspekteur Emil Paulsen sein Aufgabengebiet zu erweitern, indem er durchsetzen wollte, Kreisleiter zu beaufsichtigen, sich mit Wehrmachtdienststellen in Verbindung zu setzen und den Gauleiter bei Kreistagungen zu vertreten. Paulsen bezog sich dabei auf Äußerungen Oexles über die Aufgaben von Gauinspekteuren. Paulsens Versuch brachte Gauleiter Hinrich Lohse auf den Plan, der sich darauf berief, dass das Arbeitsgebiet der Gauinspekteure seitens des Stellvertreters des Führers noch gar nicht genau umrissen sei und Gauinspekteure keine Hoheitsträger seien, was im Übrigen auch nicht zweckmäßig sei, da überhaupt kein Bedürfnis vorhanden sei. Dies berührte Oexle umso mehr, als er im Auftrage der Parteileitung zum Beispiel im März 1937 für die Gauinspekteure im Gau Schlesien in Berlin eine Gauinspekteur- Tagung durchgeführt hatte. Im zweiten Fall kam es 1938 zu einer Auseinandersetzung um den Landesbauernführer Wilhelm Habbes aus Westfalen. Oexle forderte eine Bereinigung der Personalverhältnisse in der Landesbauernschaft. Landwirtschaftsminister Walther Darré bat nun Heß um seine Stellungnahme, da Oexles Standpunkt nur bei einer Bestätigung durch Heß verbindlich werden könne. Zwar halte er, Darré, den Landesbauernführer auch für ungeeignet, aber die Gauleitung Westfalen-Süd sei anderer Ansicht als die Gauleitung Westfalen-Nord und so könnte es zu Differenzen zwischen beiden Gauleitungen im Falle einer Absetzung Habbes kommen. Dieser wurde tatsächlich dann im August 1938 durch Martin Matthiessen, der vorher in Schleswig-Holstein Landesobmann gewesen war, ersetzt. Die Situation in der Bauernschaft in Westfalen war, wie das Beispiel zeigt, noch überlagert durch einen Konflikt zwischen den Gauen Westfalen-Süd und Westfalen-Nord, der auch mit der kon- <?page no="63"?> 64 Gustav Robert Oexle fessionellen Zugehörigkeit der südwestfälischen Protestanten und der nordwestfälischen Katholiken zusammenhing. Beide Fälle zeigen jedoch, dass immer dann, wenn die Parteikanzlei in irgendeiner Weise versuchte in die Kompetenzen von Gauleitern einzugreifen, diese sich wie Gauleiter Lohse vehement wehrten, wenn irgendeine Kontrolle durch die Parteileitung mithilfe von Gauinspekteuren drohte. Selbst Landwirtschaftsminister Darré verhielt sich sehr zögernd, weil er nicht in einen Streit zwischen zwei Gauleitungen hineingezogen werden wollte und versuchte sich deswegen extra beim Stellvertreter des Führers rückzuversichern. Zusammenfassend beschreibt der Historiker Dietrich Orlow die Rolle Oexles als „Sonderbeauftragter in der Parteikanzlei“ zutreffend mit den Worten: „Er war dazu ermächtigt, alle Klagen, die von jedem Gau im Reich ausgingen zu untersuchen und auch reichsweit Gauinspekteurstagungen einzuberufen. In Wirklichkeit wurden die Gauinspekteure ihm damit unterstellt.“ Wie stark seine Position innerhalb der Partei zu diesem Zeitpunkt bereits war, zeigt auch die Verleihung des „Goldenen Parteiabzeichens“ an Oexle am 30. Januar 1939, am Jahrestag der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten. In den Akten der Parteikanzlei werden aber auch die Grenzen von Öxles Macht sichtbar, wenn Hoheitsträger wie Gauleiter Entscheidungen erst anerkennen wollten, wenn diese auch ausdrücklich durch Heß und später Bormann autorisiert wurden. 69 Als Heß am 10. Mai 1941 nach seinem ominösen Flug nach Großbritannien in Schottland gelandet war, um dort seine Friedensmission mit dem Herzog von Hamilton zu besprechen, ließ Hitler spontan nach Bormann rufen, als ihm von dem Flug gemeldet wurde. Zwei Tage später, am 12. Mai 1941 wurde Bormann zum Leiter der Parteikanzlei ernannt, im April 1943 erbte er auch den Titel „Sekretär des Führers“, den Heß seit der Frühzeit der Partei getragen hatte. Mit Martin Bormann, der faktisch schon zuvor die Parteikanzlei geleitet und 1935 Oexle vor seiner Entlassung bewahrt hatte, hatte Oexle auf den richtigen Mann gesetzt. Oexle war jetzt „Sonderbeauftragter der Parteikanzlei“ und seit dem 1. Januar 1942 mit fester Besoldung angestellt. 70 <?page no="64"?> 65 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Prozess gegen Leo Katzenberger in Nürnberg am 13./ 14. März 1942 Am 3. und 4. Dezember 1947 verkündete der Militärgerichtshof Nr. III im Fall 3 des so genannten „Juristenprozesses“ in Nürnberg die Urteile gegen 12 angeklagte Richter, darunter auch Oswald Rothaug, den Vorsitzenden des Sondergerichts Nürnberg von 1937 bis 1942. Als Vorsitzender dieses „Sondergerichts für den Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg bei dem Landgerichte Nürnberg- Fürth“ befand ihn der Militärgerichtshof für schuldig „das Gericht zu einem Instrument des Terrors“ gemacht zu haben. Er wurde zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt, kam aber 1956 wieder frei und lebte bis zu seinem Tod 1967 unbehelligt von der deutschen Justiz. In dieses Urteil floss auch sein Verhalten beim Prozess gegen Lehmann Israel (genannt Leo) Katzenberger und Irene Seiler am 13./ 14. März 1942 ein, bei dem er den jüdischen Katzenberger wegen Rassenschande und Verstoßes gegen die Volksschädlingsverordnung zum Tode und Irene Seiler, geb. Scheffler, wegen Meineides zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilte. Der Verlauf des Prozesses und die Hintergründe Dem Urteil vorausgegangen war ein Haftbefehl im ersten Halbjahr 1941 gegen Katzenberger aufgrund von Denunziationen vermutlich von Mitbewohnern im Haus Spitteltorgraben 19 in Nürnberg. Leo Katzenberger hatte im hinteren Teil des Gebäudes einen Schuhgroßhandel, im vorderen Teil befanden sich Wohnungen. Dort untergebracht war seit 1928 auch die photographische Werkstätte von Hertha Scheffler. 1932 kam die Angeklagte Irene Scheffler im Alter von 22 Jahren nach Nürnberg. Ihr Vater hatte seinen Geschäftsfreund Leo Katzenberger gebeten, sich um das junge Mädchen zu kümmern. Als Hertha Scheffler 1938 Nürnberg verließ, übernahm ihre Schwester Irene das Geschäft zum 1. Januar 1938 und legte am 24. Februar 1938 die Meisterprüfung ab. Im Juli 1939 heiratete sie den Handelsvertreter Johann Seiler. Nachdem der Untersuchungsrichter Hans Groben die Vorwürfe, Leo Katzenberger habe intime Beziehungen zu Irene Seiler gehabt, untersucht hatte und sich aufgrund der polizeilichen Ermittlungen <?page no="65"?> 66 Gustav Robert Oexle tatsächlicher Geschlechtsverkehr nicht beweisen ließ und sowohl Katzenberger wie auch Seiler unter Eid aussagten, ihre Beziehung sei eine „freundliche und väterliche“ gewesen, signalisierte Groben dem Anwalt von Katzenberger, Dr. Herz, gegen den Strafbefehl vorzugehen. Als Richter Oswald Rothaug davon hörte, ordnete er an, den Fall vom Strafgericht zum Sondergericht zu überweisen. Nun wurde eine neue Anklageschrift durch Staatsanwalt Hermann Markl für das Sondergericht verfasst. Dabei hatte Rothaug Staatsanwalt Markl unter Druck gesetzt durch seine Freundschaft mit dem 1. Staatsanwalt Dr. Schröder, der Markls Vorgesetzter war. Die neue Anklageschrift beinhaltete jetzt nicht nur eine Anklage wegen Rassenschande (Blutschutzgesetz), sondern es wurde auch noch die Volksschädlingsverordnung vom 5. September 1939 hinzugezogen, welche letztendlich die Todesstrafe statthaft machte. Die Verkopplung der Beschuldigung gegen Frau Seiler mit der gegen den Angeklagten Katzenberger bewirkte eine Ausschaltung als Zeugin für den Angeklagten. Das Gericht erwog nicht einmal für einen Moment, dass die Aussagen der beiden Angeklagten der Wahrheit entsprochen haben könnten. Was nun folgte hatte den Charakter eines Schauprozesses, der von Rothaug offensichtlich von vornherein geplant war. Als der Richter vor Prozessbeginn den medizinischen Sachverständigen im Fall Katzenberger, Dr. Armin Baur, besuchte, erklärte er ihm, er wolle ein Todesurteil gegen Katzenberger aussprechen und die medizinische Untersuchung sei bloß eine Formsache. Baur erwiderte, Katzenberger sei doch ein alter Mann - er war zu diesem Zeitpunkt schon über 68 Jahre alt - und es sei problematisch, gegen ihn den Vorwurf der Rassenschande zu erheben. Diese Einwände ließ Rothaug nicht gelten und äußerte: „Für mich reicht es aus, daß dieses Schwein gesagt hat, ein deutsches Mädchen hätte ihm auf dem Schoß gesessen! “ Aus den Zeugenaussagen, die wenig spezifiziert waren, und aus den Aussagen von Katzenberger und Seiler konstruierte das Gericht nun fortwährende Rassenschande und einen Verstoß gegen die Volksschädlingsverordnung, weil sich Katzenberger angeblich in die Wohnung von Irene Seiler, deren Mann an der Front war, geschlichen habe. Die zugegebenen gelegentlichen Küsse und die Tatsache, dass sich Frau Seiler einige Male auf Katzenbergers Schoß gesetzt hatte, wurden als eine jahrelange sexuelle Beziehung und damit als Rassenschande ausgelegt. Dem Gericht kam dabei zugu- <?page no="66"?> 67 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist te, dass Katzenberger Irene Seiler hin und wieder finanziell unterstützt hatte, was sofort in eine Abhängigkeit umgedeutet wurde, die der Ankläger zu nutzen wusste. Der Katzenberger-Prozess als Schauprozess und die Rolle Gustav Robert Oexles und der Partei Ein bezeichnendes Licht auf das Verfahren wirft die eidesstattliche Aussage des Beisitzers des Verfahrens, Dr. Karl Ferber, vor dem Militärgericht 1947: Er warf Rothaug vor, von vornherein geplant zu haben, das Verfahren im Sitzungssaal 600, dem größten Saal des Sondergerichts, stattfinden zu lassen. Im Vorfeld habe Rothaug ständig Kontakt zu SD (Sicherheitsdienst des Reichsführers SS), Gauleitung und Parteikanzlei gehabt. Zu Prozessbeginn, so die Darstellung Ferbers, wurden Karten ausgegeben und es war Rothaug gelungen, die „politischen Stellen in bedeutender Aufmachung“ zur Sitzung zu bewegen und „auch die Anwesenheit des Reichsinspekteurs Oexle zu erreichen.“ Für die Partei hatte Rothaug einen Bestand von „reservierten Karten“ zur Verfügung stellen lassen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme hatte es eine kleine Pause gegeben, in der der Vorsitzende Richter gegenüber Staatsanwalt Markl einige Andeutungen machte, mit welchen wesentlichen Hinweisen er seine Ausführungen ausstatten sollte mit „Rücksicht auf die im Sitzungssaal anwesende Parteiführerschaft.“ Abschließend führte Ferber aus, er glaube, dass Rothaug über den Parteiapparat tätig geworden sei und darauf Einfluss genommen habe, dass das Justizministerium Katzenberger nicht zu begnadigen wagte, sondern das Todesurteil gegen den Angeklagten auch tatsächlich vollstreckt wurde. Dies geschah im Juni 1942. In den Ausführungen der Urteilsbegründung des Militärgerichts von 1947 gegen Rothaug heißt es unter anderem: „Viele Zeugen haben ausgesagt, daß der Prozeß den Charakter einer politischen Kundgebung hatte. Hohe Würdenträger der Partei waren anwesend, darunter Reichsinspekteur Oexle. Ein Teil der Parteifunktionäre erschien uniformiert.“ Leider gibt es nur noch den Hinweis, dass Rothaug während des ganzen Verfahrens mit dem SD-Mann Fritz Elkar in ständigem Kontakt gewesen sei, so dass die Partei bestens informiert war, was genau der Richter plante. Nach Einschätzung des Militärge- <?page no="67"?> 68 Gustav Robert Oexle richtshofs im Jahr 1947 zeigte aber der ganze Vorgang, dass die Partei bereit war, das Gericht durch die Anwesenheit höherer Parteifunktionäre „zu einem Instrument des Terrors“ zu machen und dass dieser Prozess „bar der Grundbestandteile der Rechtlichkeit“ war. Sowohl der Richter Oswald Rothaug wie auch die ihn durch ihre Anwesenheit unterstützenden Parteifunktionäre wurden damit ein „wissendes und williges Werkzeug“ im Verfolgungs- und Ausrottungsprogramm des NS-Staates. Dass Oexle dabei als einziger auch noch namentlich erwähnt wird, macht deutlich, dass er ein überzeugter und fanatischer Nationalsozialist war. Es muss ihm bewusst gewesen sein, für welches Unterfangen er sich hier zur Verfügung stellte, unabhängig davon, ob Bormann oder ein anderer Abteilungsleiter der Parteikanzlei ihn dazu abkommandiert hatte oder ob er freiwillig teilnahm. 71 Oexle und das parteiinterne Netzwerk Gustav Robert Oexle verstand frühzeitig, dass in einer hierarchisch organisierten, autoritären Partei wie der NSDAP der persönliche Kontakt zu Führungsfiguren von Vorteil sein konnte. Die Voraussetzungen am nördlichen badischen Bodenseeufer schnell aufzusteigen waren insofern günstig, als Oexle der erste Parteiredner überhaupt war. Als man in der badischen Gauleitung auf seinen Eifer und seine rednerische Begabung aufmerksam wurde, stieg er schnell zum Gauredner auf. Dabei lernte er selbstverständlich die führenden Köpfe der NSDAP in Baden wie Gauleiter Wagner, die Landtagsabgeordneten Albert Roth, Walter Köhler, Karl Lenz und Karl Pflaumer kennen, die ihrerseits Kontakte zu NS-Reichstagsabgeordneten verschafften. Somit bestand auch die Möglichkeit, diese Personen nach Überlingen zu NS-Wahlkampfversammlungen einzuladen und damit die Kontakte zu intensivieren. Gauleiter Wagner sollte bereits am 5. September 1931 in Überlingen sprechen. Diese Versammlung wurde aber vom badischen Bezirksamt verboten. Im Wahljahr 1932 trat Wagner zweimal in Überlingen auf und zwar am 31. März 1932 vor dem 2.Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl und am 12. Oktober 1932. Der erste NS-Redner aus der badischen Führungsclique, der überhaupt in Überlingen auftrat, war der vom Dienst suspendierte Lehrer Karl Lenz, der 1929 in <?page no="68"?> 69 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist den badischen Landtag einzog. Er hielt am 27. September 1929 im „Rabensaal“ einen Vortrag zum Thema „Was will Adolf Hitler? “ Es ist allerdings fraglich, ob Oexle hier schon seine Finger im Spiel hatte, denn zu diesem Zeitpunkt existierte weder eine Ortsgruppe noch eine Kreisleitung in Überlingen und der Antrag zur Genehmigung dieser Versammlung ging von der Ortsgruppe Konstanz aus. Am 8. Juni 1931 kam der Landtagsabgeordnete Walter Köhler, der später badischer Finanzminister werden sollte, zusammen mit dem Reichstagsabgeordneten Gottfried Feder, einem Wirtschaftsexperten der Partei, in den „Rabensaal“ nach Überlingen. Umrahmt wurde dieser Auftritt von dem nachmittäglichen Aufmarsch der SA-Standarte III, die dabei den Führer der badischen SA, Hanns Ludin begrüßte. Der Abgeordnete Roth, ein alter Kämpfer aus Liedolsheim in Nordbaden, folgte am 8. August 1931 und ein zweites Mal am 27. Januar 1932. Er sollte später ebenso wie Oexle in den Reichstag einziehen. 72 Über Fritz Kiehn, seit 1932 Reichstagsabgeordneter und Besitzer der Efka Zigarettenfabrik im württembergischen Trossingen, der ein Haus in Nußdorf besaß, lernte Oexle Gregor Strasser, den damaligen Reichsorganisationsleiter und nach Hitler den zweitmächtigsten Mann der NSDAP kennen, der vom 21. bis 28. August 1932 zu Besuch im Hause Kiehn in Nußdorf weilte. Am 23.-August kaufte Strasser von Bürgermeister Beck ein Baugrundstück am See. Den Eintrag im Protokollbuch zu der Gemeinderatsitzung vom 1.-September 1932, in der unter TOP 2 dieser Grundstücksverkauf behandelt wurde, verfasste Oexle in seiner Funktion als Ratsschreiber. Somit ist es sicherlich kein Zufall, dass am 6. September 1932 im „Rabensaal“ eine öffentliche Versammlung der NSDAP mit den Rednern Strasser und Kiehn angekündigt war. Die Versammlung fand aus unbestimmten Gründen dann aber doch nicht statt, wie einem Vermerk des Bezirksamts zu entnehmen ist. Fritz Kiehn trat schließlich am 3. März 1933, wenige Tage vor der Reichstagswahl, im „Rabensaal“ auf. Gregor Strasser, der nach einem Zerwürfnis mit dem Führer sein Parteiamt als Reichorganisationsleiter im Dezember 1932 zur Verfügung stellte, wäre jetzt aus Sicht Oexles nicht mehr opportun gewesen. Die Bekanntschaft mit Kiehn, der seit 1938 als Wirtschaftsführer auch dem elitären „Freundeskreis Reichsführer SS“ um Himmler und später als Obersturmbannführer dem Stab Heinrich Himmlers angehörte, ermöglichte Oexle hingegen eine indirekte Vernetzung bis in höchste NS-Kreise. 73 <?page no="69"?> 70 Gustav Robert Oexle Oexle hatte ein Gespür dafür, welche Personen seinem eigenen Aufstieg in der Partei nützlich sein konnten und wenn sich, wie im Fall Gregor Strasser ein solcher Aufstiegsweg als unmöglich erwies, war er flexibel genug, schnell auf andere Hoffnungsträger zu setzen. Nachdem Oexle im April 1933 in den badischen Landtag eingezogen war, nahm er im Juli am 1. Führungslehrgang der badischen Gauamtswalterschule in Karlsruhe teil. Noch während des Lehrgangs wurde er von der badischen Gauleitung freigestellt, um bei der Organisation des Reichsparteitages in Nürnberg behilflich zu sein. Hier kam er selbstverständlich in Kontakt mit dem Nachfolger Gregor Strassers im Amt des Reichsorganisationsleiters, Robert Ley, dem auch die Deutsche Arbeitsfront (DAF) unterstand und dem darüber hinaus die Gestaltung der Reichsparteitage übertragen worden war. In Leys Gefolge befand sich auch der zur Reichsorganisationsleitung zählende Reichsinspekteur Rudolf Schmeer, der die praktische Abwicklung der Reichsparteitage in einer extra dafür geschaffenen Stelle koordinierte. „Bodenseediplomatie“ Kaum vom Reichsparteitag zurückgekehrt, kündigte Oexle an, dass „Reichsorganisationsleiter Rudolf Schmeer“ demnächst an den Bodensee kommen wolle und übermittelte die Grüße Schmeers. Die „Bodensee-Rundschau“ war hier wohl etwas verwirrt, denn Schmeer war nicht der Reichsorganisationsleiter der Partei, sondern Reichsinspekteur. Das hier gezeigte Muster, bedeutende Genossen an den schönen Bodensee einzuladen, um dann in lockerer Atmosphäre, sozusagen unter Kameraden, herumzureisen und zu feiern, wurde von Oexle mehrfach angewandt und schien Wirkung zu erzielen. Nach Oexles Besuch der Gauamtswalterschule im Juli 1933 waren auf dessen Einladung hin am 20. September der Leiter der Gauamtswalterschule Pg. August Kramer und der Schulungsleiter Alfred Gartner sowie der Gauinspekteur Speer aus Konstanz nach Überlingen gekommen. Beim Empfang der Gäste im Parteilokal „Anker“ richtete Oexle seine Dankesworte an den Leiter der Gauamtswalterschule, der gleichzeitig Chef des Gaupersonalamtes in Baden war und rühmte die Gauamtswalterschule und ihren Leiter <?page no="70"?> 71 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist in höchsten Tönen: „Die Gauamtswalterschule besuchen zu dürfen, ist für jeden Pg. eine Auszeichnung, ist sie doch die politische Universität. Der Leiter der Schule, Pg. Kramer gibt uns die Gewähr, daß die, welche die Schule besuchen, ganze Menschen und Kämpfer geworden sind.“ Der Chef des Gaupersonalamtes seinerseits bedankte sich für Oexles „[…] in Nürnberg anerkannte ersprießliche Tätigkeit in der Organisation des Reichsparteitages“. 74 Der Besuch von Rudolf Schmeer und Reichsorganisationsleiter Ley hingegen sollte im Frühjahr 1934 stattfinden. Zu dem „zwangslosen Treffen“ erschienen vom Organisationsamt des Reichsparteitages 1933 die Parteigenossen Pape aus Oldenburg, Fritz Schmidt aus Westfalen und Gustav Krupp von Bohlen und Halbach aus Essen sowie der Organisationsleiter für Baden, Pg. Neumann aus Karlsruhe. Die Kreisleitung hatte die Aufgabe erhalten, den Gästen Überlingen und den Bodensee zu zeigen: „In Auto- und Bootsfahrten wurde die nähere Umgebung des Linzgaues längs des Sees besucht. Der Eindruck war denkbar günstig, wie man erfreulicherweise der begeisterten Anerkennung für das Gesehene entnehmen durfte.“ Auch der Bürgermeister lud die Gäste zu einem Umtrunk „eigenen Gewächses“ ein und warb für seine Stadt. Die Gäste blieben nur über die Pfingstfeiertage, und der Pg. Schmeer, der eigentlich seinen vierzehntägigen Urlaub in Überlingen verbringen wollte, wurde telegraphisch abberufen. Ley hatte erst gar nicht kommen können, weil er an einer Beerdigung von Volksgenossen teilnahm, die bei der Eisenbahnkatastrophe in Pforzheim verunglückt waren. Es ist leider nirgends vermerkt, wo Schmeer Quartier nehmen wollte, aber da Oexle ihn eingeladen hatte, wäre die „Pension Lang“ in Nußdorf durchaus denkbar und sicher günstig obendrein gewesen. Dass diese Art des Urlaubs in der „Pension Lang “ auch üblich war, beweist ein Besuch des badischen Innenministers Pflaumer vom August 1933. 75 Oexle, inzwischen von Robert Ley zum Reichsgebietsinspekteur ernannt und seit dem 15. Oktober 1933 in Diensten der Reichsleitung, hatte im Jahre 1934 Gelegenheit mit dem Leiter der DAF, Robert Ley, eine Besichtigungstour durch deutsche Betriebe zu machen. Darüber berichtete er anlässlich einer Tagung der politischen Leiter in Überlingen im Juli 1934: „Wo sie (Ley und Oexle) auch hinkamen, in allen Betrieben, bei jedem Arbeiter Glauben und Vertrauen zum Führer, das durch nichts mehr erschüttert werden kann. Es gibt in Deutschland nur noch Deutsche.“ <?page no="71"?> 72 Gustav Robert Oexle Ganz anders lautete Oexles Einschätzung der Situation in den Betrieben, als er, seit Mai 1934 als „Beauftragter der Parteileitung“ dem Stab des Stellvertreters des Führers unterstellt, im April 1935 in Bormanns Auftrag Stellung nehmen sollte zu den ersten Vertrauensratswahlen vom 12./ 13. April 1935 und die von Ley angewandten Wahlfälschungsmethoden mit den Worten geißelte, sie hätten „das wahre Bild der Abstimmung gefälscht“ und seien von der Arbeiterschaft als „lächerlich“ empfunden worden. Außerdem sei das „Vertrauen der Belegschaft zur Betriebsführung völlig zerrüttet.“ Bormann und Heß ließen unter anderem auch Oexles Stellungnahme dem Führeradjutanten Wiedemann zukommen und den Führer warnen, diese Zahlen nicht in eine seiner Reden aufzunehmen. Gleichzeitig landeten sie damit einen Punktsieg über Robert Ley im innerparteilichen Streit um die Führung der Partei. Oexle seinerseits hatte die Seiten gewechselt und seine Loyalität gegenüber Bormann und Heß bewiesen. 76 Schon am 8. April 1935 war eine Weiterbeschäftigung Oexles in seiner Stellung als „Beauftragter der Parteileitung“ vom Führeradjutanten Wiedemann abgelehnt, von Bormann aber befürwortet worden. Jetzt hatte sich Oexle bewährt. Dennoch glaubte er sich noch immer auf dünnem Eise zu befinden, da ja das Mandat der „Beauftragten der Parteileitung“ im Jahre 1936 auslaufen sollte und eine weitere Beschäftigungsgarantie von der Gunst Bormanns und Heß‘ abhing. Aus diesem Grunde lud Oexle den ganzen Stab des Stellvertreters des Führers zu einer „Blütenfahrt“ im Mai 1935 an den Bodensee ein. Die „Blütenfahrt“ am Bodensee Der Ablauf und die Organisation dieser Zweitagesfahrt wurden von Oexle geradezu generalstabsmäßig geplant. Da man den etwa 60 Gästen aus dem Stabe des Stellvertreters des Führers möglichst viel zeigen wollte, musste der Zeitplan exakt eingehalten werden - wie genau, zeigt ein Schreiben von Oexle an den Meersburger Bürgermeister Dr. Karl Moll vom 30. April 1935, in dem Oexle dem Stadtoberhaupt exakte Anweisungen über den Aufenthalt der Gäste, die Bewachung der Fahrzeuge, die genauen Ankunftszeiten, das Besichtigungsprogramm und den „Abtrunk“ im „Wilden Mann“ <?page no="72"?> 73 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist mitteilte. Auch die Kreisleitung in Überlingen unter Alfons Hafen und die städtische Verwaltung waren in die Organisation integriert. Sie sollten vor allem den Kameradschaftsabend im Kurhotel „St. Leonhard“ am 4. Mai 1935 und das Programm in Überlingen am 5. Mai organisieren. Nach diesen Unterlagen und dem langen Bericht der „Bodensee-Rundschau“ ergibt sich folgender Ablauf der „Blütenfahrt“: • Die Zweitagesfahrt fand im Anschluss an die Münchner Reichspressetagung vom 3. Mai 1935 statt. • Nach sechsstündiger Fahrt kam die Fahrzeugkolonne aus München am 4. Mai in Lindau/ Bad Schachen an. Nach einer kurzen Kaffeepause Weiterfahrt nach Friedrichshafen. Dort am Spätnachmittag Besichtigung des neuen Luftschiffes unter Führung des Erbauers, Oberingenieur Ludwig Dürr. • Bei Einbruch der Dunkelheit Ankunft im Kurhotel „St. Leonhard“. Dort Kameradschaftsabend. Begrüßung durch Kreisleiter Hafen und Bürgermeister Dr. Spreng sowie den Karlsruher Handelskammerpräsidenten Dr. Klemens August Kentrup, dessen Genossenschaft das „St. Leonhard“ gehörte. Dann Der Aufbruch zur Blütenfahrt am 5.5.1935 beim Überlinger Rathaus. Vorne links im Anzug Gustav Robert Oexle, mit der Motorradkappe Martin Bormann, rechts neben ihm Fritz Todt <?page no="73"?> 74 Gustav Robert Oexle kurze Dankesworte Bormanns, der die Delegation anführte. Heß, der ursprünglich auch angekündigt war, konnte an der Fahrt nicht teilnehmen. Einführung in das Programm des Abends durch den Organisator der „Blütenfahrt“, Pg. Oexle. Anschließend ein historischer Vortrag über die Geschichte des Bodensees durch den Rektor der Realoberschule, Pg. Heinrich Müller. Dann gemütliches Beisammensein mit musikalischer Begleitung des Überlinger Sextetts. • Am 5. Mai Frühstück um 6.30 Uhr. Danach Besuch der städtischen Sammlungen im Meldegg’schen Haus. Im Hof Auftritt von Überlinger Frauen in ihren Trachten und Vorführungen der Schwertletänzer sowie Auftritt eines Überlinger Hänsele. Anschließend Besuch des Münsters unter Führung des Geistlichen Rates Adolf Schwarz. Danach Fahrt über Spetzgart zu den Heidenhöhlen. Besichtigung der Höhlen und der Goldbacher Kapelle. Rückfahrt nach Überlingen und Besichtigung des Rathaussaales mit seinen Schnitzereien, begleitet von Erklärungen des Bürgermeister Spreng. • Gegen 9.00 Uhr Ankunft in Meersburg. Von dort Abfahrt des Motorschiffes „Hegau“ zu einer Rundfahrt auf dem Überlinger See. Halt in Unteruhldingen. Besichtigung der Pfahlbauten unter Führung von Altbürgermeister Georg Sulger, der den Grundstein zu den Sammlungen gelegt hatte. Danach setzte das Schiff auf die andere Seite des Sees über und legte am Steg der Insel Mainau an. • Begrüßung der Gäste am Landesteg der Mainau durch Kreisleiter Karl Engelhardt und Oberbürgermeister Albert Herrmann aus Konstanz. Rundgang auf der Insel. Weiterfahrt nach Konstanz. Mittagessen im Hotel Krone. Dort gesellten sich Reichsstatthalter Robert Wagner und der württembergische Reichsstatthalter Wilhelm Murr zu den Gästen. Anschließend Besichtigung des Konstanzer Rathauses, kurze Autofahrt über den Obermarkt, vorbei am Münster zum Inselhotel. Besuch des Inselhotels, des Stadtgartens und des Konzils. Dann Rückfahrt mit dem Schiff nach Meersburg. Verabschiedung der Stabsmitglieder durch Gauleiter Wagner, Gauleiter Murr, Kreisleiter Engelhardt und die beiden Bürgermeister aus Konstanz. Gegen 15.30 Uhr Ankunft des Motorschiffes „Hegau“ im Meersburger Hafen. Dann Besichtigung <?page no="74"?> 75 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist des alten Schlosses und der Domänen-Kellerei unter Führung des Bürgermeisters Dr. Karl Moll. Nach den Besichtigungen „Abtrunk“ im „Wilden Mann“ und Verabschiedung der Gäste. Rückfahrt des Stabes des Stellvertreters des Führers gegen 18.30 Uhr. Die NS-„Bodensee-Rundschau“ kam zu folgendem Fazit der „Blütenfahrt“: „Wenn die Parteigenossen, die während dieser zwei Tage Gäste unseres Gaues waren, betonten, noch nie eine solch herrliche Stabsfahrt gemacht zu haben, so dürfen wir auch die Gewißheit haben, daß damit unserem Grenzland wieder neue Freunde gewonnen wurden, die seine Nöte und Sorgen verstehen lernten.“ 77 Und auch Pg. Oexle dürfte angesichts der hervorragenden Organisation der „Blütenfahrt“ im Stab des Stellvertreters des Führers weiter an Anerkennung gewonnen haben. Wie wichtig ihm diese war, zeigt auch sein Schreiben an Bürgermeister Dr. Moll in Meersburg, das als „Streng Vertraulich! “ eingestuft war. Alles sollte perfekt ablaufen, keinerlei unvorhersehbare Ereignisse durften die von Oexle aufgebaute Kulisse stören. Und dabei hatte er auch noch Glück, dass das Wetter an diesen beiden Tagen am Bodensee außergewöhnlich schön war. Es wäre sicher verwegen zu behaupten, Oexle hätte seine Position im Stabe des Stellvertreters des Führers und später in der Parteikanzlei nur deswegen behalten, weil die „Blütenfahrt“ so große Wirkung auf Bormann und andere führende Nationalsozialisten ausgeübt hätte. Oexle war sich aber durchaus bewusst, dass diese Gesten ihn dabei unterstützen konnten, seine Position zu stärken. Deswegen wandte er das Mittel der „Bodenseediplomatie“ immer wieder an, das „zwangslose“ Zusammentreffen im Kreise der „Kameraden“, wo man sich von Mensch zu Mensch begegnete und auf ein innerparteiliches Netzwerk zählen konnte, das einem, wenn nötig, Unterstützung gewährte. So kamen einige der Kameraden vom Stab des Führers nochmals im Jahre 1938 nach Überlingen, diesmal, um beim Narrentreffen die Schwäbisch-Alemannische Fasnacht zu erleben. Daneben verpasste es Oexle so gut wie nie, seinen Gauleiter Wagner zu begleiten, wenn er an den See kam oder auch andere NS-Größen, und häufig genug organisierte er deren Reisen selbst. Oexle vergaß auch nie, dem Gauleiter oder Heß sowie dem Führer Geburtstagstelegramme zu schicken, um <?page no="75"?> 76 Gustav Robert Oexle seine eigene Verbundenheit und die der Parteigenossen am See mit den NS-Führern zu bekunden. Bereits die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Hitler und Gauleiter Wagner in seinem Wohnort Nußdorf am 9. März 1933 dürfte ebenfalls auf Oexles Initiative hin erfolgt sein. Nußdorf war damit die einzige Gemeinde im Bezirk, deren Ehrenbürger Adolf Hitler war. Und notfalls konnte Oexle auch poetisch werden und liebedienerische Gedichte verfassen wie jenes 1944 auf Oberbefehlsleiter Helmut Friedrichs, anlässlich seiner zehnjährigen Dienstzeit in der Parteikanzlei. Seinen direkten Vorgesetzten Friedrichs huldigte Oexle darin als „den treuesten Kameraden im Kampfe auf Leben und Tod“ 78 . Oexle und sein geliebter „Führer“ Von keinem anderen Überlinger Kreisleiter existieren so devote Hommagen an den Führer wie von Gustav Robert Oexle. Seine Äußerungen haben einen pseudo-religiösen Charakter. Der „Führer“ wird wie ein neuer, von Gott dem deutschen Volke gesandter Messias dargestellt, als Wunder, wie es nur einmal alle tausend Jahre vorkommt. Dahinter steckte auch der Versuch Oexles, seinen früher gelebten Katholizismus mit der neuen Ideologie in Übereinstimmung zu bringen. Dies kann man daran erkennen, dass er sich mit dieser Thematik auch in Wahlreden beschäftigte, wie etwa 1931, als er im württembergischen Bezirk Waiblingen zum Thema „Katholiken her zu Hitler“ referierte. Sein für einen führenden Nationalsozialisten relativ später Austritt aus der katholischen Kirche im Jahre 1938 ist ein weiteres Indiz dafür, dass Oexle offensichtlich innerlich auch mit sich selbst rang, um Nationalsozialismus und persönlichen Glauben in Einklang zu bringen. Je weniger dies gelang, desto mehr steigerte sich der Glaube an den „Führer“ als eine Art Ersatzgott oder aber zumindest als dessen Abgesandter. 79 Wurde zunächst in Oexles Äußerungen über den „Führer“ das Kämpferische, Heldenhafte und Vorbildhafte in den Vordergrund gerückt, so nahm das pseudo-religiöse, verklärende Moment immer mehr zu. Zunächst als Reichseiniger, Soldat und Kämpfer gefeiert, entrückte der „Führer“ zunehmend in gottgleiche Sphären. So hieß es im Dezember 1933 in einer Rede Oexles vor der Gauinspektion VII in Singen noch: „Unserem Führer Adolf Hitler ist es gelungen, <?page no="76"?> 77 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist die in der deutschen Volksseele schlummernden hohen sittlichen Werte zu neuem Leben und neuer Entfaltung zu bringen. Glaube und Treue stehen über allem, was wir denken und tun, und so erreichen wir am Ende das von uns allen ersehnte Ziel: ein einiges Volk, ein herrliches, freies deutsches Vaterland.“ 80 Anlässlich der alljährlichen Feiern zum Heldengedenktag legte Oexle im Februar 1934 noch einmal nach und verlangte in einem Aufruf an seine Amtsleiter und Amtsleiterinnen in Überlingen dem Führer „fanatisch-gläubig“ zu folgen: „[…] Viele, die schicksalsbegnadigt schon vor Jahren Adolf Hitler hören durften undweil mit ihm wesensverwandtin Wort und Schrift ihn verstanden, m u ß t e n, einem unergründlichen Zwang folgend, Prediger und Soldaten des Nationalsozialismus werden! Geist und Blut der Gefallenen begann zu leben“ Und so entstand, aus allen Berufs- und Standesschichten kommend, eine geist- und blutgebundene, fanatisch-gläubige F ü h r e r s c-h-a-f-t, die Geist und Seele, Gefühl und Verstand eines ganzen Volkes zu disziplinieren und revolutionieren vermochte. Um nun Staat und Wirtschaft, Volk und Nation allumfassend und zukunftsorientiert n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h zu gestalten und zu sichern, bedarf der Oberste Führer einer dogmatisch-gläubigen, ordensverschworenen F ü h r e r g a r d e bis in den kleinsten Stützpunkt hinein! Amtsleiter und Amtsleiterinnen! D i e s e F ü h r e r g a r d e f ü r d e n K r e i s U e b e r l i n g e n s e i d I h r ! “ (Hervorhebungen im Original) Der Aufruf endete mit der Aufforderung, Treue, Kameradschaft und Pflicht zu schwören, „bis Herz und Aug‘ im Tode bricht! “ Wie die Jünger Christus gefolgt waren, so sollten jetzt die Amtsleiter ihrem neuen Propheten fanatisch folgen und das neue Dogma als Prediger bis in den kleinsten Stützpunkt hineintragen. 81 Im März 1934 widmete der scheidende Kreisleiter Oexle zum Jahrestag der ersten Flaggenhissung auf allen Dienstgebäuden in Überlingen (9. März 1933) der Kreisgeschäftsstelle einen Wandschmuck mit diesem Wortlaut: <?page no="77"?> 78 Gustav Robert Oexle „Herrgott du hast uns einen Mann gesandt Mit starkem Herzen und mit fester Hand Du schenktest ihm den reinen Flammengeist Der uns aus Todesnacht zum Lichte reißt Du sandtest ihn, Herrgott, in letzter Stund, Wir bitten dich aus tiefstem Herzensgrund, Schütz ihn vor Rache und vor Hinterlist, Erhalt ihn, weil er doch dein Werkzeug ist.“ Jetzt erschien Hitler als Gottes Werkzeug, im letzten Moment vom Schöpfer gesandt, wie einst sein Sohn als Retter der Welt. 82 So wurde dieser neue Retter einmal vom Schicksal oder wahlweise von Gott gesandt als „Führer“, der „[…] Gemeinnutz vor Eigennutz stellend, in Reinheit und Größe nur in J a h r t a u s e n d e n e i n m a l vom Schicksal e i n e m V o l k geschenkt wird.“ 83 Dass Gott oder das Schicksal diesen Führer dem deutschen Volke geschenkt hatte, ließ Oexle 1935 „[…] in rückschauender Betrachtung“ als „[…] das große Wunder erkennen, das sich vollzog, indem Deutschland nicht nur vor dem Zerfall gerettet, sondern in knapp zwei Jahren innen- und außenpolitisch einen Aufstieg erreichte, der die Welt in Atem hält.“ 84 Folglich konnte es nur „Gottes Fügung“ gewesen sein, „[…] daß der Nationalsozialismus an die Macht kam! “ Anlässlich der Feiern zum zehnjährigen Bestehen der Ortsgruppe Überlingen und anlässlich des Triumphs über den Erzfeind Frankreich im Sommer 1940 schrieb Oexle den ehemaligen Gegnern ins Stammbuch, sie hätten sich am „Führer“ versündigt: „Es ist heute also nicht mehr als recht und billig, wenn unsere politischen Gegner der Systemzeit durch besonderen Eifer das einigermaßen wieder gutzumachen versuchen, was sie in langen Jahren an unserem herrlichen Führer gesündigt haben. Sie können es bedenkenlos tun, denn heute ist aus dem ehemaligen Gelegenheitsarbeiter der größte Baumeister der Welt geworden. Heute ist aus dem einstigen Malergesellen der größte Landkartenmaler aller Zeiten entstanden. Heute ist aus dem einstigen politischen Trommler, Maulhelden und Hasardeur schlechthin der erfolgreichste Weltpolitiker geworden und ein Feldherr und Schlachtenlenker erstanden, wie ihn die Geschichtsforschung bisher nicht kannte noch kennt.“ 85 <?page no="78"?> 79 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Rhetorisch geschickt hat Oexle in diese Rede den Vorwurf an die „Kleingläubigen“ eingeflochten, den „Propheten“ im eigenen Land nicht erkannt und sogar verleumdet zu haben. Aber die Größe des neuen Führers als „Weltpolitiker, Baumeister, Feldherr und Schlachtenlenker“ hatte es nach Auffassung Oexles den Kleinmütigen gezeigt und es war Zeit, dass sie für ihre Sünden büßten. Während der Christ seinen Gott erst im Jenseits „schauen“ kann, hatte der gläubige Nationalsozialist täglich die Möglichkeit seinen „Führer“ und seine Großtaten zu bewundern. Oexle hatte nach eigenen Angaben mehrere Male mit dem „Führer“ selbst sprechen können, so 1934, als er auf den Obersalzberg eingeladen war und 1936 als er Heß und den „Führer“ auf der Ordensburg Crössinsee traf. Darüber hinaus dürfte er bei seinen Fahrten ins „Braune Haus“, die Parteizentrale in München, Hitler, Heß und auch verschiedene Gauleiter sowie andere höhere Parteiführer getroffen haben. Und da geteilte Freude doppelte Freude ist, nahm er auch die Frauenschaftsleiterin Margarete Lang mit, sodass auch sie Hitler „mehrmals in die Augen“ schauen durfte. 86 Oexle und die Parteigenossen in der Stadt und im Bezirk Überlingen G R Oexle - Der populäre Nazionalsozialist vom Bodensee Bei einem von ihm selbst organisierten Kameradschaftsabend der deutschen Studentenschaft Ende Dezember 1933 im „Wilden Mann“ in Meersburg ermahnte Oexle „[…] die zukünftigen Führer zur Volksgemeinschaft und Volksverbundenheit. Er wies darauf hin, daß Wissenschaft allein nichts sei, wenn der Instinkt und das Gefühl für die Volksgemeinschaft fehlen.“ 87 Diesen Instinkt hatte Oexle. Er wusste, was bei der Bevölkerung ankam, welche Gesten geschätzt wurden, und wie man sich ins Rampenlicht stellte. Da er selbst aus einfachsten Verhältnissen stammte, spürte er, wie wichtig es war, sich möglichst volksnah und volksverbunden zu präsentieren. Die örtliche „Bodensee- Rundschau“, das Presseorgan der Nationalsozialisten, tat ihrerseits ihr Möglichstes, um die Popularität des Parteigenossen Oexle zu steigern. Schon frühzeitig baute sie ihn zum „Musternationalsozia- <?page no="79"?> 80 Gustav Robert Oexle listen“ auf, dessen Beliebtheit in der Partei und in der Bevölkerung sie nimmermüde propagierte. Als Oexle im September 1933 vom Reichsparteitag in Nürnberg, zu dessen Organisation er von der badischen Gauleitung abgeordnet worden war, zurückkehrte, begrüßte ihn die „Bodensee-Rundschau“ aufs herzlichste: „Es ist dem Kreis eine besondere Ehre durch die Reichsleitung die Anerkennung über die Verdienste unseres beliebten Kreisleiters öffentlich erfahren zu können.“ 88 (Hervorhebung durch den Verfasser) Mit dem Aufstieg Oexles verbunden war der zunehmende Respekt der Parteigenossen am See, die sich in seinem Glanze sonnten. Er war es, der als bedeutender Nazifunktionär vom See dafür sorgte, dass noch berühmtere Nationalsozialisten an den See kamen, er hatte die Verbindungen, die man auch für die eigenen Zwecke zu nutzen gedachte. Nach Darstellung der BR empfingen die Parteigenossen ihn schon fast ehrerbietig, als er 1934 nach einer 700 km langen Reise noch zur „Amtswaltertagung“ in Überlingen kam, um seine Verbundenheit mit dem Kreis zu bekunden. 89 Und so war es selbstverständlich, dass er bei den Feierlichkeiten zum fünf- und zehnjährigen Bestehen der Ortsgruppe Überlingen die Festrede halten durfte. Oexle seinerseits ließ keine Gelegenheit aus, zu demonstrieren, wie sehr er seiner Heimat verbunden war. Dabei gab er sich leutselig, hob immer wieder hervor, wie wichtig ihm die Kameradschaft mit den alten Kämpfern vom See war und schickte Telegramme, wenn er bei irgendwelchen Veranstaltungen verhindert war. Außerdem erschien er bei allen möglichen Anlässen, bei der Volksweihnacht, im Rundfunk, bei Kameradschaftsabenden, bei der Fasnacht, am 1. Mai, bei der Hochzeit eines Kameraden, bei der Frauenschaft, er saß im Ehrenausschuss bei den Zeltlagern von HJ und Jungvolk, nahm am Kleinkaliberschießen in Nußdorf teil und gewann natürlich den ersten Preis. Anlässlich eines Kameradschaftsabends des SA-Sturmbannes III/ 114 in Überlingen übergab er vier SA-Mäntel an bedürftige Genossen, nicht ohne zu erwähnen, dass er wohl wisse, was Armut bedeutet. Auch bei traurigen Anlässen wie dem Eisenbahnunglück 1939 in Markdorf zeigte Oexle seine Verbundenheit mit den trauernden Volksgenossen. In der Tat scheint Oexle die Kameradschaft mit den alten Parteigenossen viel bedeutet zu haben. Die Partei war für ihn die große Familie, in der er sich wohl fühlte, ein Ersatz für die Familie, die der junge Oexle als Vollwaise so sehr vermisste. Dieses Verlangen <?page no="80"?> 81 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist nach Anschluss und Kameradschaft zieht sich wie ein roter Faden durch Oexles Leben, vom Turnverein in Volkertshausen über die Kriegskameradschaft in der Marine, die verschworenen Gemeinschaften im „Freikorps Damm“ und im Hause Lang bis hin zur Partei, in der er nun etwas bedeutete und bewundert wurde, wenn er nach Hause, nach Überlingen kam und von der „hohen Warte der Parteileitung“ aus den staunenden Genossen berichtete. Dabei kam ihm seine Tätigkeit als „Sonderbeauftragter der Parteikanzlei“, die er größtenteils von Nußdorf aus erledigen konnte, entgegen, so dass er immer wieder Gelegenheit fand, sich den Seinen als einer von ihnen zu präsentieren. Am besten zeigt sich dies bei einem Kameradschaftsabend der NSDAP in Überlingen kurz vor Weihnachten 1938: „Zur besonderen Überraschung und großen Freude aller traf in vorgerückter Stunde noch Reichshauptamtsleiter Oexle in den Kreis froher Männer und Frauen ein. Er kam gerade von München zurück. Jeder weiß es zu schätzen, daß Pg. Oexle als Sonderbeauftragter im Stabe des Stellvertreters des Führers d e r K a m e r a d blieb wie in den Jahren des Kampfes, wie als Bezirksleiter bzw. erster Kreisleiter der NSDAP in Überlingen. Wir wissen ebenso, daß es für ihn nichts Schöneres gibt, als seine wenigen Freistunden im Kreise der Kameraden der Heimat zu verbringen. Auch diesmal verlieh er durch seine Worte dem Beisammensein einen besonderen Wert und gab jedem neuen Auftrieb für die Arbeit, die in immer neuen und größeren Aufgaben unseres Einsatzes harrt.“ (Hervorhebung im Original) Da Oexle unprätentiös und ohne Allüren auftrat, sich seinen Aufstieg in der Partei zäh erkämpft hatte und trotzdem „einfacher Kamerad“ geblieben war, diente er auch als Vorbild für manchen Nationalsozialisten in der badischen Provinz. 90 Oexles Verhältnis zum Überlinger NS-Bürgermeister Dr. Albert Spreng Wie G.-R.-Oexle selbst zählte auch Dr. Albert Spreng zu den „alten Kämpfern“, war Mitglied der Partei seit November 1930 (Parteinummer: 336 660) und gründete zusammen mit Kreisleiter Oexle im Herbst 1930 die Ortsgruppe Meersburg, deren Vorsitzender er von 1931 bis 1932 war. Der am 15. Mai 1881 in Freiburg gebo- <?page no="81"?> 82 Gustav Robert Oexle rene Spreng kam aus großbürgerlichen Verhältnissen. Der Sohn eines Gaswerkbesitzers machte sein Abitur in Freiburg, studierte dann dort und in München Chemie und promovierte 1906 zum Dr. phil. Anschließend legte er 1907 an der Technischen Hochschule Karlsruhe die Prüfung zum Diplomingenieur ab. Sein Militärjahr verbrachte er 1900 beim Feldartillerieregiment 76 in Freiburg. 1904 wurde er zum Leutnant der Reserve ernannt, 1914 zum Oberleutnant der Landwehr II und 1916 zum Hauptmann befördert. Im Ersten Weltkrieg diente er zunächst als Batteriechef bei der Feldartillerie, von 1915 bis 1917 bei der leichten und schweren 8,8- cm K.Flak in derselben Funktion, 1918 wurde er schließlich Flakgruppenkommandeur in einer etatmäßigen Majorsstelle. Ausgezeichnet wurde er während des Krieges zunächst mit dem EK II, dann mit dem Ritterkreuz vom Zähringer Löwen mit Schwertern und dem EK I. Im Jahr 1908 hatte Spreng bereits Annie Diffené, eine Enkelin des verstorbenen Oberbürgermeisters Diffené aus Mannheim, geheiratet. Vor dem Krieg war er in verschiedenen Funktionen im Bereich Chemie tätig gewesen, zunächst als Hochschulassistent, dann als Betriebsassistent in einer chemischen Fabrik in Sachsen-Anhalt und als Chemiker bei den städtischen Gaswerken in Danzig. Zwei Jahre nach dem Krieg arbeitete er wieder in der chemischen Industrie, diesmal in der Firma Weitmar G.m.b.H. Teerdestillation in Bochum, wo er die Besatzung der Franzosen am Rhein miterlebte. Während der Inflation 1923 verlor er fast sein gesamtes erhebliches Privatvermögen. Ab 1926 kam er wieder nach Süddeutschland und arbeitete in einer Firma für pharmazeutische Produkte in Konstanz, die auch ein Ölschieferwerk im Karwendelgebirge betrieb und dem angesehenen Konstanzer Bankhaus Max Mann gehörte. Die Bank ging kurz nach Sprengs Dienstantritt in Konstanz bankrott, weil der Inhaber Depots unterschlagen und seine Unternehmungen mit riesigen Schulden belastet hatte. Spreng verlor dadurch nochmals sein Vermögen, das er nach 1923 wieder aufgebaut hatte. Anschließend betrieb er ein eigenes kleines Pharmaunternehmen, stellte pharmazeutische Produkte her und übernahm außerdem die Vertretung einiger Pharmafirmen. Zunächst eher unpolitisch, in seiner Gesinnung aber deutschnational, wandte sich Spreng, dem der Parlamentarismus der Weimarer Republik zutiefst verhasst war, gegen Ende der Republik der <?page no="82"?> 83 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist NSDAP, die verschiedenste völkische Gruppen in sich vereinigte, zu und trat ihr schließlich im November 1930 bei. Dort ging es für ihn schnell aufwärts. Er zog 1930 als erster Nationalsozialist in den Kreisrat ein, war als Parteiredner und Wahlkämpfer im Bezirk tätig, saß im Meersburger Bürgerausschuss, war kommissarischer Syndikus bei der Handwerkskammer Konstanz und kommissarischer Leiter des freiwilligen Arbeitsdienstes im Kreis Konstanz. Am 20. Mai 1933 wählte ihn der gleichgeschaltete Überlinger Gemeinderat zum Bürgermeister der Stadt Überlingen. Dieses Amt bekleidete Spreng bis 1945. 91 Dessen Wahl war sicherlich mit Kreisleiter Oexle besprochen und hätte ohne seine Zustimmung nie stattgefunden. Sie war außerdem ein kluger Schachzug, da Spreng, der dem großbürgerlichen Milieu entstammte, über Lebenserfahrung verfügte und auch ein hoch dekorierter Offizier des 1. Weltkrieges war. So passte er gut in die lange Zeit konservativ regierte Stadt, war auch ein Angebot für die großbürgerlichen Kräfte und signalisierte außerdem, dass die NSDAP alle Volksschichten repräsentierte. Das Verhältnis zwischen Oexle und Spreng war von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt, nicht zuletzt basierend auf der „Kampfzeit“ zwischen 1930 und 1933. Als Margarete Lang, Oexles Pflegeschwester, am 4. Mai 1944 beerdigt wurde, sprach der Bürgermeister für die Partei und erinnerte an die gemeinsamen Zeiten, in denen das Haus Lang die Zentrale für alle „alten Kämpfer“ gewesen war. Oexle seinerseits vertraute Spreng und machte ihn 1934 zu seinem Stellvertreter. Auch nachdem Oexle die Kreisleitung im März 1934 abgab, blieb Dr. Spreng stellvertretender Kreisleiter unter Alfons Hafen bis zum April 1936, als dann der neue Kreisleiter Richard Burk den Kreisbauernführer Fischer aus dem Amtsbezirk Pfullendorf aus Gründen der Kompensation für die Auflösung der Kreisleitung Pfullendorf zum neuen stellvertretenden Kreisleiter einsetzte. Diese Zeit als stellvertretender Kreisleiter verschwieg Spreng später im Fragebogen des Gouvernement Militaire en Allemagne bei der Entnazifizierung, während er im Fragebogen der NSDAP über seine arische Abstammung noch stolz als Dienstgrad „Stellvertretender Kreisleiter“ angegeben hatte. 92 Als Oexle durch seinen innerparteilichen Aufstieg immer bedeutender wurde, war auch Spreng daran gelegen, das gute Verhältnis durch Aufmerksamkeiten seitens der Stadt aufrechtzuerhalten. So <?page no="83"?> 84 Gustav Robert Oexle wurde Oexle grundsätzlich zu allen offiziellen Anlässen der Stadt wie zum Beispiel dem jährlich stattfindenden Dreikönigstrunk oder zu sonstigen Empfängen eingeladen. Bei der Einweihung des neuen Yachthafens im Jahre 1935 überbrachte Pg. Oexle die Grüße der Reichsleitung und wünschte als alter Seemann dem Klub fernerhin „goden Wind und glückhafte Fahrt“ und im Anschluss an Oexle sprach der Bürgermeister. Anlässlich Oexles 50. Geburtstag am 2. Oktober 1939 gab es bereits am Vorabend eine von der Stadt ausgerichtete Vorfeier und am Geburtstag selbst gratulierte der Bürgermeister dem Jubilar im Namen der Stadt und überreichte einen Blumenstrauß und zwei kleine Radierungen. 93 Auch die Kommunikation zwischen Oexle und Spreng funktionierte ganz gut. Am 9. November 1939 schickte der Bürgermeister in einem Brief an seinen 1. Beigeordneten, Oberrealschuldirektor Müller, den Kriegsmonatsbericht Nr. 2, und informierte ihn darüber, dass die vom Finanzamt angeordnete Steuerpflicht für das städtische Spital „wie eine Bombe“ eingeschlagen habe, weil dadurch die Einkünfte der Spitalverwaltung erheblich geschmälert wurden. Spreng schaltete daraufhin Oexle ein, um etwas dagegen zu unternehmen. Dieser meldete sich infolgedessen telefonisch, allerdings ohne Abhilfe versprechen zu können. Der Brief an Müller enthielt auch Angaben über den fertiggestellten Kriegshaushaltsplan der Stadt Überlingen mit einem ungedeckten Kostenaufwand von 188-000-RM. Woher das Geld für die Deckung kommen sollte, war Bürgermeister Spreng völlig unklar. Der interessanteste Teil des Briefes befasste sich aber mit dem am Vortage auf den „Führer“ verübten Attentatsversuch von Georg Elser. Davon erfuhr Spreng am frühen Morgen des 9. November durch Margarete Lang, die ihrerseits von Oexle benachrichtigt worden war, der während des Attentats im Bürgerbräukeller anwesend war, aber den Saal unverletzt verlassen konnte. 94 Sprengs Versuche mit Oexles Hilfe Überlingen zur Garnisonsstadt zu machen In einem Schreiben vom 11. Januar 1939 wandte sich der Bürgermeister direkt an einen seiner früheren Ausbilder bei der Flakartillerie, General Günther Rüdel im Berliner Luftfahrtministerium, <?page no="84"?> 85 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist mit der Bitte, seine Bemühungen, Überlingen zur Garnisonsstadt zu machen und dort eine Flak-Garnison anzusiedeln, zu unterstützen. Spreng begründete sein Vorhaben damit, dass es wegen der geographischen Lage kaum gelänge, Industrie in Überlingen anzusiedeln und dass es nicht vereinbar wäre, einerseits Kurstadt und andererseits Industriestandort zu sein. Er pries die Lage Überlingens als idealen Standort für eine Flak-Batterie aufgrund der Nähe des Industriestandortes Friedrichshafen. Er hob außerdem hervor, dass wegen der geringen Nebelbildung in der Überlinger Bucht keinerlei Probleme bestünden. Platz sei genügend vorhanden, einzig für Flugzeuge sei der Standort nicht geeignet. 95 Nachdem dieser erste Vorstoß ins Leere ging, versuchte Spreng durch die Vermittlung von Oexle und dessen Beziehungen zur Marine, eine Marinegarnison nach Überlingen zu bringen. Zunächst hatte Spreng Kapitänleutnant Manhardt Edler von Mannstein, der seit 1938 in Langenargen die „Marine-Nachrichtenstelle Süd“ leitete, angeschrieben und ihn zu sich nach Überlingen eingeladen. Spreng schwebte eine Marinegarnison von etwa 800 Mann mit 25 Offizieren und 25 verheirateten Unteroffizieren vor. Er versprach sich dadurch große Vorteile für die Stadt, sah aber auch die Probleme, Exerzierplatz mit Kasernen und Bootshafen nahe genug zusammenzubringen, da der Stadt kein geeignetes Gelände am See zur Verfügung stehe und das Turbogelände insgesamt zu klein sei. Nachdem von Mannstein Spreng benachrichtigt hatte, dass die Marineleitung davon Abstand genommen habe, eine Garnison in Überlingen einzurichten, wandte sich der Bürgermeister hilfesuchend an Oexle. Er bat ihn darum, möglichst an hoher Stelle in der Partei zu intervenieren, um seinen Traum von einer Marinegarnison am See doch noch wahr werden zu lassen. Tatsächlich verwendete sich Oexle für seinen „alten Kampfgenossen“ Spreng beim Pg. Dr. Richard Donnevert, der damals als Verbindungsmann zwischen dem Stab des Stellvertreters des Führers und dem Kriegsministerium fungierte, und bat ihn zu sondieren, ob es nicht doch möglich sein könnte, seine Heimatstadt Überlingen zur Garnison zu machen. Ähnliche Vorstöße unternahm Oexle während einer Gauinspekteur- Tagung bei General Hermann Reinecke, dem Chef der „Amtsgruppe Allgemeine Wehrmachtsangelegenheiten“ bzw. dessen Adjutanten Kapitänleutnant Kurt Zoepffel. Auch wenn es für Spreng und Oexle als „alter Mariner“ ein Herzenswunsch gewe- <?page no="85"?> 86 Gustav Robert Oexle sen sein mag, eine Marinegarnison an den See zu bringen, sprach doch einiges dagegen, zumal fast alle übrigen Garnisonsstandorte der Marine an Ost- und Nordsee angesiedelt waren. Das sah die Marineleitung wohl ähnlich, und so wurde auch aus diesem Versuch, Überlingen zur Garnisonsstadt zu machen, nichts. 96 Sprengs Versuche, Industrie auf dem ehemaligen Turbogelände anzusiedeln Nach dem Scheitern des Versuches im Sommer 1939, Überlingen zur Garnisonsstadt zu machen, hatte der Bürgermeister im August und September alle Hände voll zu tun, die Mobilmachungsphase in Zusammenarbeit mit der NS-Kreisleitung zu organisieren. Angesichts der im Kriegshaushaltsplan festgestellten Schuldenlast der Stadt von 188-000-RM und der nicht mehr so reichlich sprudelnden Einkommensquellen der Spitalverwaltung wegen deren Besteuerung durch die Finanzbehörden, versuchte Spreng nun doch im Gegensatz zu seiner früheren Einstellung, Kurort und Industriestandort in Einklang zu bringen und die „Turbo“ entweder direkt an einen Interessenten zu veräußern oder das Gelände pachtweise zu vergeben. Zur Geschichte des Turbogeländes Das nach der ab 1919 dort produzierenden Firma Turbo AG benannte Gelände befindet sich nördlich der direkt am See entlangführenden Eisenbahn am östlichen Gemarkungsrand der Stadt Überlingen an der Grenze zur damals noch selbständigen Gemeinde Nußdorf. Dort wurde erstmals 1912 von der Firma Seubert & Karg, einer Gießerei und Maschinenfabrik, ein Backstein- und Eisenbau errichtet, der aber wegen mangelnden Grundkapitals, Streit der beiden Kommanditisten und fehlender Hypotheken nie in Betrieb kam. Gegen die Firma wurde am 21. Januar 1913 das Konkursverfahren eröffnet, im August 1916 kam es zur Zwangsversteigerung und am 11. September 1916 (Eintragung ins Grundbuch) erwarb die Firma Schiele & Bruchsaler aus Hornberg das Werk. Der aus Überlingen stammende Bankkaufmann Franz <?page no="86"?> 87 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Schiele hatte diese Firma 1912 als „Schwarzwälder Lauf- und Zählerwerke Fabrik“ gegründet. Er kannte selbstverständlich das leerstehende Fabrikgebäude und so produzierte die Firma dort im 1. Weltkrieg für die Kriegswirtschaft. 1919 gingen die Fabrik und das Firmengelände in den Besitz der Turbo Maschinenbaugesellschaft Niederehe, Schlesinger & Co. über, die 1921 in die Turbo-Maschinenbau-Aktiengesellschaft Niederehe & Co. umgewandelt wurde. Die Turbo AG stellte Maschinen für die Landwirtschaft, vor allem aber hand- und motorgetriebene Separatoren und Sturzbuttermaschinen für Landwirte und Molkereien her. Nach der Inflation von 1923, in der die Firma noch eigene Gutscheine als Notgeld wegen des Mangels an gesetzlichem Bargeld ausgegeben hatte, geriet die Turbo AG in wirtschaftliche Schwierigkeiten und wurde 1925 stillgelegt. Ab 1928 versuchte Zentrumsbürgermeister Dr. Emerich über Werbeanzeigen in den Organen der Industrie- und Handelskammern sowie in verschiedenen Industrievereinigungen Interessenten auf das Turbogelände zu locken, aber ohne Erfolg. So erwarb die Stadt Überlingen aus der noch übriggebliebenen Konkursmasse in der Zwangsversteigerung am 17. Mai 1933 das Gelände und die Gebäude der Turbo AG für 18 000-RM. Die leerstehende Industriehalle wurde im Jahre 1938 dann nochmals verwendet: Während des großen Narrentreffens der Schwäbisch-Alemannischen Narrenzünfte im Februar 1938 wurde die große Turbohalle zum „Narrenheim“. Und zwei Monate später sprach Gauleiter Wagner vor der Volksabstimmung zur Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich und der damit verbundenen Neubesetzung des Großdeut- Die Turbo Maschinenbau Aktiengesellschaft Niederehe und Co. auf einem Werbeprospekt der Firma aus den 1920er Jahren <?page no="87"?> 88 Gustav Robert Oexle schen Reichstags vor über 1500 Volksgenossen in der Turbohalle. Zu diesem Zeitpunkt gab es auch Überlegungen, das Gebäude zur Turn- oder Festhalle auszubauen, was aber dann nicht weiterverfolgt wurde. 97 Die verschiedenen Versuche, das Turbogelände zu veräußern Eine erste „leise“ Anfrage über einen Mittelsmann richtete der 1. Beigeordnete der Stadt, Direktor Müller, im Juni 1938 an die Daimler-Benz-Werke, ob Interesse bestünde für das Turbogelände. Der Mittelsmann signalisierte, dass man bei Daimler gegebenenfalls die Einrichtung einer Großreparaturstelle für Kraftwagen in Erwägung gezogen habe. Anfang Juli hakte Dr. Spreng bei Oberingenieur, Direktor Friedrich Kissel nach. Am 7. Juli 38 besichtigten zwei Bevollmächtigte der Firma Daimler-Benz mit dem Bürgermeister das Turbogelände und wünschten im Anschluss eine Preisforderung der Stadt. Spreng ermächtigte den 1. Beigeordneten Müller auf der Basis von 85 000-RM mit der Firma zu verhandeln. 98 Mit dem Kriegsbeginn veränderte sich die Lage, da jetzt badische Betriebe, die wegen der Frontnähe gefährdet waren, ins Hinterland verlegt werden sollten. So sprachen am 22. September 1939 zwei Herren von der Fa. J.-B.-Rombach aus Karlsruhe, die Gaszähler produzierte, vor und besichtigten das Turbogelände. Der Bürgermeister verständigte daraufhin sofort Direktor Friedrich Kissel von der Fa. Daimler-Benz, der ja ursprünglich das Interesse geäußert hatte, das Turbogelände käuflich zu erwerben. Eine Einmietung auf dem Gelände wäre für die Stadt nicht so günstig gewesen wie ein Verkauf, was die Stadt der Fa. Rombach auch mitteilte. Nachdem diese sich an das badische Landesgewerbeamt gewandt hatte, verhandelte dessen Direktor, Dr. Vogel, nochmals mit der Fa. Daimler-Benz, die nun mitteilte, sie hätte erwogen, das Gelände vor dem Krieg zu erwerben, sei nun aber davon abgekommen und habe dennoch Interesse daran, dieses Industriegelände nach dem Kriege zu kaufen. Dr. Vogel schlug deswegen vor, die Fa. Rombach für die Dauer des Krieges in die Anlagen der „Turbo“ als Mieter aufzunehmen. Dieses Vorhaben wurde aber durch das plötzliche Interesse der Zeppelinwerke im Oktober 1939 an der „Turbo“ verhindert. Direktor Ludwig Dürr kündigte an, dort eine Zweigabteilung der Zeppe- <?page no="88"?> 89 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist linwerke einrichten zu wollen und das Gelände notfalls über das Wehrwirtschaftsamt für seine Zwecke beschlagnahmen zu lassen. Nach telefonischer Rücksprache teilte das Wirtschaftsministerium mit, dass weder die Fa. Rombach noch die Zeppelinwerke sich auf dem Turbogelände niederlassen können, da die Reichsgetreidestelle die von ihr angemieteten Räume nicht freigebe. Aufgrund einer Anordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan aus dem Jahre 1938 waren Räumlichkeiten in der Turbohalle für 1500 Tonnen Getreide in Anspruch genommen worden. Die Einlagerung des Getreides übernahm im Auftrag der Reichsgetreidestelle die Fa. Bommer aus Nußdorf. Am 23. November teilte die Wehrwirtschaftsstelle der Stadt mit, die „Turbo“ sei durch die Reichsgetreidestelle zu räumen. Deswegen verhandelte die Stadt seit dem 20. Dezember wieder mit Direktor Dürr von den Zeppelinwerken. Doch nun ergaben sich neue Schwierigkeiten, weil Zeppelin auf dem Turbogelände eine Zusatzgießerei errichten wollte. Da es sich um Aluminiumguss handelte, bei dem starke Schwefelsäuredämpfe auftreten, versagte das Reichsluftfahrtministerium seine Zustimmung. Die Zeppelinwerke waren damit aus dem Rennen. Im Dezember 1939 hatte sich mit der Fa. Hummel & Söhne, ein weiterer Interessent am Turbogelände aus der gefährdeten Zone am Oberrhein bei der Stadt gemeldet. Die Firma Hummel aus Heitersheim, die Jauchepumpen und landwirtschaftliche Maschinen herstellte, wurde aber hingehalten, weil noch mit Zeppelin verhandelt wurde. Nachdem sich im Januar 1940 abzeichnete, dass die Zeppelinwerke die notwendigen Genehmigungen für ihre Gießerei nicht erhalten werden, tauchte mit der Fa. Dornier ein neuer Interessent für die „Turbo“ auf. Dornier machte von Anfang an klar, dass ein Kauf nicht in Frage komme. Daraufhin einigte man sich auf eine Pachtsumme von 700-RM und eine versuchsweise Überlassung des Turbogeländes auf 8 Tage an die Fa. Dornier. Als diese sich danach unentschlossen zeigte, bot die Stadt im Februar 1940 die „Turbo“ der Fa. Karl Martin aus Offenburg, einer Werkzeugmaschinen- und Geschirrspülmaschinenfabrik, zur Pacht mit einem Vorkaufsrecht an, falls Mercedes-Benz das Firmengelände nach dem Kriege nicht erwerben möchte. Im März teilte die Fa. Dornier offiziell der Stadt mit, dass sie sich gegen die „Turbo“ entschieden habe. 99 <?page no="89"?> 90 Gustav Robert Oexle Die Verkaufsverhandlungen kommen ins Stocken Nun blieb als „echter“ Interessent nur noch die Firma Martin übrig. Die Verhandlungen schleppten sich dahin, so dass der den Bürgermeister vertretende Beigeordnete Emil Dreher im Mai 1940 frustriert äußerte: „Die Turboangelegenheit will nicht weiter gehen.“ Da Dr. Spreng seit Mai 1940 zur Flak-Ersatzabteilung 25/ 1 nach Mährisch-Ostrau eingezogen war, übernahm der Beigeordnete Dreher die Amtsgeschäfte, versuchte sich aber immer schriftlich vorher mit dem Bürgermeister abzusprechen. Dies verkomplizierte die Verhandlungen. Als dann im Sommer 1940 Frankreich besiegt war, bestand für die zuvor gefährdeten Betriebe am Oberrhein kein Interesse mehr an einer Verlagerung der Produktion ins Hinterland. Konsequenterweise informierte die Fa. Martin aus Offenburg das Bürgermeisteramt in Überlingen, dass „[…] durch den Gang der Ereignisse“ die „[…] ganze Sache ja nun glücklicherweise überholt“ sei. Spreng schien bezüglich der „Turbo“ schon alle Hoffnung aufgegeben zu haben, zumal im Oktober 1940 die Fa. Daimler- Benz, offensichtlich von den vorher besprochenen Vereinbarungen abweichend, nur noch den Preis für den Platz, nicht aber für die Fabrikanlagen bezahlen wollte. 100 Der endgültige Verkauf der „Turbo“ Nun wandte sich Bürgermeister Spreng an die Maschinenfabrik für Kleinschlepper und Motormäher, Gebrüder Kramer in Gutmadingen, Kreis Donaueschingen, die Interesse für das Turbogelände und die Fabrikhalle bekundet hatte und am 28. Dezember 1940 kam es zum Vertragsabschluss mit der Fa. Kramer. Der Vertrag ist in den Unterlagen des Stadtarchivs nicht enthalten. Eine beigefügte Tabelle des bisherigen Kostenaufwands der Stadt für die „Turbo“ seit der Ersteigerung des Geländes lässt aber die Schlussfolgerung zu, dass der Kaufpreis in etwa dem entsprach, was auch Daimler-Benz genannt wurde, nämlich 85-000-RM. Die Stadt konnte damit ihre bisherigen Ausgaben gerade decken, aber durch den Verkauf keine Gewinne erzielen. Eine für den Sommer 1941 geplante Aufnahme der Produktion durch die Fa. Kramer unterblieb, so dass auch keine neuen Arbeitsplätze für die Stadt geschaffen werden konnten. <?page no="90"?> 91 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Damit war die Stadt zwar die lästige Angelegenheit mit dem Turbogelände los, aber sonst keinen Schritt weiter gekommen. Mit dem Verkauf der „Turbo“ endet die erste Phase der Industriegeschichte von Überlingen. Die Fa. Kramer griff erst im Jahre 1952 auf das von ihr gekaufte Turbogelände zurück und fertigte zunächst Traktoren, später Allradmaschinen. 101 Sprengs Versuch, Nußdorf nach Überlingen einzugemeinden Schon der Zentrumsbürgermeister Dr. Emerich hatte Anfang der 1930er-Jahre den Versuch unternommen, die Gemeinde Nußdorf einzugemeinden und war auf den Widerstand der gesamten Gemeindeverwaltung gestoßen. Auch G.-R.-Oexle hatte sich in einer Rede im „Rabensaal“ in der Debatte um die Eingemeindung „vehement dagegen gewehrt“. Im September 1931 war er auf einer NS-Versammlung sogar mit der Drohung aufgetreten, Emerichs Gehalt als Bürgermeister so zu kürzen, dass ihm die Lust am Bürgermeisteramt vergehen würde. Dies war auch die offizielle Parteilinie der NSDAP im Gau Baden, die vor allem taktisch bedingt war, um Wähler in den kleinen, ländlichen Gemeinden zu gewinnen. Der kommunalpolitische Experte der Partei in Baden, Van Raay, hatte in mehreren Artikeln im Mitteilungsblatt der Nationalsozialisten in den Parlamenten und Gemeindlichen Vertretungskörpern gegen die Versuche des Überlinger Bürgermeisters Emerich polemisiert, die benachbarten kleinen Dörfer einzugemeinden. Auf diesem Hintergrund ist es auch verständlich, dass der Nußdorfer Gemeinderat am 9. März 1933 geschlossen nicht nur Hitler die Ehrenbürgerwürde verlieh, sondern auch Gauleiter Wagner „[…] in Dankbarkeit um die Erhaltung der gemeindlichen Selbstständigkeit Nußdorfs gegen den Zugriff des schwarz-roten Stadtoberhauptes der Stadt Überlingen, Dr.- Emerich.“ Und so war es schon verwunderlich, dass jetzt ein Überlinger NS-Bürgermeister erneut den Versuch unternahm, Nußdorf einzugemeinden. Dr. Spreng war sich im Klaren darüber, dass dies ohne die Zustimmung des Nußdorfer Bürgers Oexle kaum funktionieren konnte. Und so suchte er Anfang 1940 das Gespräch mit ihm. Geschickt versuchte der Bürgermeister dabei seine Bemühungen um eine Industrieansied- <?page no="91"?> 92 Gustav Robert Oexle lung auf dem Überlinger Turbogelände mit der Eingemeindung zu verbinden, indem er Oexle verdeutlichte, dass es für die Nußdorfer Bürger von großem Vorteil wäre, wenn sie Arbeit in direkter Nähe auf dem Turbogelände finden könnten, anstatt nach Friedrichshafen pendeln zu müssen. Außerdem erhoffte sich der Bürgermeister Synergieeffekte für den dann gemeinsam durchgeführten Kurbetrieb. Spreng bat Oexle zu veranlassen, dass der bisherige Bürgermeister Beck noch möglichst lange im Amt bleiben solle, da es sicher einfacher wäre, wenn mit seinem Abgang dann die Eingemeindung erfolgen könne. Oexle wies Spreng darauf hin, dass ein erheblicher Widerstand der Nußdorfer Bürger zu erwarten sei, da diese andere Interessen hätten und nicht gewillt seien eine höhere Steuerbelastung hinzunehmen. Mit Sicherheit wusste Oexle um die Überlinger Finanzprobleme. Zwar sprach er nicht davon, dass auch er selbst sich einer Eingemeindung widersetzen würde, aber Spreng begriff schnell, dass dieser Vorstoß nicht so einfach sein würde. So beschloss der Bürgermeister das politische Gewicht der Stadt auf Nußdorfer Gemarkung durch den Erwerb von Salemer Wald zu erhöhen. So gut sich Oexle und Spreng sonst auch verstanden und so sehr Oexle den Bürgermeister bei seinen sonstigen Bemühungen aus alter Freundschaft auch unterstützte, an diesem Punkte machte er Spreng höflich, aber unmissverständlich klar, dass er seine Unterstützung bei diesem Vorhaben nicht erwarten konnte. Mit der Einberufung Sprengs zur Wehrmacht im Mai 1940 und der Fortdauer des Krieges trat dieses Problem in den Hintergrund und die Nußdorfer brauchten sich nicht weiter um Überlinger Zugriffsversuche zu sorgen. 102 Oexle und Nußdorf Der seit 1920 bei der Familie Lang wohnende und seit 1922 offiziell als wahlberechtigter Nußdorfer Bürger registrierte Gustav Robert Oexle entwickelte im Laufe der Jahre ein besonderes Verhältnis zu seiner neuen Heimat. Schon früh integrierte er sich in die Dorfgemeinschaft. Er war Mitglied im Kriegerverein, zu dessen Neuorientierung er nach der Gleichschaltung wohl wesentlich beitrug. Außerdem war er ein aktiver Sänger der ersten Stunde im Gesangverein und dichtete 1921 auf die Melodie „In fünfzig Jahren ist alles vorbei“ den Beitrag: <?page no="92"?> 93 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist „Wenn Deutschland entehrt in Ketten liegt Der Franzmann mit Kaffern uns kultiviert, Der Pole uns gar malträtiert S’ist nichts von Dauer, wir zahlens mal! Seid einig und treu, wir machen uns frei; In fünfzig Jahren ist alles vorbei! “ Diese Zeilen zeigen schon früh Oexles revanchistische und rassistische Einstellungen. Nach seiner Entlassung aus dem Staatsdienst beim Bezirksamt in Überlingen war er der Gemeinde und insbesondere Bürgermeister Beck sehr dankbar, dass sie ihn 1922 als Ratsschreiber anstellten und ihn auch nach seinem Griff in die Gemeindekasse sowie dem anschließenden Gerichtsverfahren weiterhin in dieser Funktion beschäftigten. Dabei dürfte auch die Familie Lang, die ihre schützende Hand über den familienlosen Oexle ausbreitete, und seine 50-prozentige Kriegsbehinderung eine Rolle gespielt haben. Oexle übte seine Funktion als Ratsschreiber durchgängig bis 1933 aus, um dann zunächst beurlaubt zu werden, da er wegen seines parteipolitischen Engagements kaum mehr Zeit fand, den Gemeinderatssitzungen beizuwohnen. 103 Mit der Auflösung der „Organisation Damm“ im Jahre 1929 verlagerten sich Oexles Aktivitäten nun auf den Nahbereich in Nußdorf und Umgebung und er warb im ganzen Linzgau als erster Redner um Stimmen für die NSDAP. Und so wie die Pension Lang bisher Unterschlupf für die „Organisation Damm“ gewesen war, wurde sie nun zum neuen Zentrum für Oexles Parteigenossen aus dem ganzen Reich. Mit der Gründung der ersten Ortsgruppe der NSDAP im Linzgau am 1. Mai 1930 wurde Nußdorf zum Geburtsort der NS-Bewegung am nördlichen badischen Bodenseeufer. Die Pension Lang wurde nun auch die erste Parteizentrale im Bezirk Überlingen und die Behörden wurden auf Nußdorf und die Vorgänge im Ort aufmerksam, führten mehrere Hausdurchsuchungen durch und bald galt der Ort nur noch als „Nazidorf“. Die Aktivitäten von Margarete Lang und G.- R.- Oexle trugen langsam Früchte und frühzeitig, ab 1930, lieferte Nußdorf für die NSDAP herausragende Wahlergebnisse im Amtsbezirk Überlingen. Denjenigen, die mit Oexle am 1. Mai 1930 im Café Achenbach die Ortsgruppe Nußdorf gegründet hatten, blieb er für immer verbunden. Als Johann Hund, der damalige Besitzer des Café <?page no="93"?> 94 Gustav Robert Oexle Achenbach im April 1941 im Alter von 75 Jahren verstarb, legte der Ortsgruppenleiter Blepp auch im Auftrage von Reichshauptamtsleiter Oexle einen Kranz nieder. Und ebenso erkenntlich erwies er sich gegenüber seinem ehemaligen Dienstherrn, Bürgermeister Josef Beck. Als dieser im Juli 1941 sein 40-jähriges Dienstjubiläum feierte, ließ es sich Oexle nicht nehmen, sich bei ihm zu bedanken und er „[…] erinnerte in seiner Beglückwünschung an die Jahre gemeinsamer Arbeit für die Gemeinde und für die Bewegung und ehrte diesen treuen Mitarbeiter durch Überreichung eines Werkes über den Führer.“ Und die „Bodensee-Rundschau“ wurde ebenfalls nicht müde Becks Verdienste für die Bewegung hervorzuheben: „Wenn Nußdorf zum Ausgangspunkt der Bewegung wurde, so hatte auch Beck seine Verdienste daran, denn er stellte durch vermehrten Einsatz in die Gemeindearbeit seinen Ratsschreiber Pg. Oexle frei, der über die Gemeindeaufgaben hinauswachsend, zum Künder der Gedanken des Führers im Kreisgebiet wurde.“ Als Bürgermeister Beck schließlich im Juni 1943 nach 42 Dienstjahren im Alter von 72 Jahren aus dem Gemeindedienst verabschiedet wurde, war Oexle wiederum anwesend und erinnerte erneut an die Möglichkeiten zum Aufbau der Partei, die Beck ihm gegeben hatte, lobte dessen Bekenntnistreue und hob besonders hervor, dass „[…] Nußdorf die einzige Gemeinde des Bezirkes ist, die den Führer als ihren Ehrenbürger bezeichnen kann.“ 104 Dass Oexle sich in Nußdorf immer heimischer fühlte, zeigt auch die Tatsache, dass er ab 1932 günstiges Seevorland ankaufte, übrigens zum selben Preis wie auch Winifred Wagner das schon vor ihm getan hatte. Auf diesem Streuwiesengrundstück errichtete Oexle nun eine Badehütte, die von Margarete Lang als „Wochenendhaus“ bezeichnet wurde. An diesen Ort zog er sich gerne zurück und auch Margarete Lang machte sein „Badeplatz am See […] ebenso viel Freude wie ihr Garten.“ Das Grundstück Oexles am See in der Größenordnung von 727 qm wurde bereits 1934 wegen der Wertzuwachssteuer auf den Verkehrswert von 1000-RM geschätzt. Bei seinen Nachbarn machte er sich ebenfalls Freunde, als er der Familie Speck einen Grundstückstreifen zur Erweiterung des Seeweges und des Güterweges unentgeltlich zur Verfügung stellte. 105 So wird auch verständlich, dass Oexle als „echter Nußdorfer“ sich sowohl 1932 gegen Dr. Emerichs Eingemeindungsversuche nach Überlingen stemmte, wie auch 1940 gegen die seines Par- <?page no="94"?> 95 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist teifreundes Dr. Spreng. Oexle versäumte es auch nicht, den Nußdorfer Parteigenossen und Bürgern seine Wertschätzung zu zeigen, indem er bei Parteiveranstaltungen, Volksweihnachtsfeiern und ähnlichen Gelegenheiten zu ihnen stieß, auch zu einem Zeitpunkt, wo er schon große Karriere in der Partei gemacht hatte und nun neben Winifred Wagner, Fritz Kiehn sowie Bodo und Verena Lafferentz zu den prominenten Nußdorfer Mitbürgern zählte. 106 Selbst in seinem 1944 verfassten Testament bedachte Gustav Robert Oexle seine Heimatgemeinde: „Den kleinen Platz am See erhält die Gemeinde Nussdorf zur Errichtung eines Ruheplatzes mit Bank, der den Namen ‚Gustav Oexle Platz‘ erhalten soll.“ Außerdem sollte der Rest seines vererbten Geldes zur Instandhaltung dieses öffentlichen Platzes am See verwendet werden. Da das Testament aber erst am 2. Januar 1946 eröffnet wurde und das Großdeutsche Reich in Schutt und Asche gefallen war, hatte auch in Nußdorf wohl keiner mehr die Absicht, einen „Gustav Oexle Platz“ zu errichten. 107 Gustav und Gretel - Pflegebruder und -Schwester Als Gustav Robert Oexle Ende Februar 1920 im Hause Lang einzog, war er etwas über dreißig, seine zukünftige Schwester Margarete 42 Jahre (geb. am 31. Dezember 1877) und seine spätere Pflegemutter Eugenie 67 Jahre alt (geb. am 22. Februar 1853). Die Familie Lang war auf Oexle aufmerksam geworden durch seine von der Marineleitung angeordneten „vaterländischen“ Vorträge, die er nach dem Kriegsende auch am Bodensee in Nußdorf auf Initiative der Langs hielt. Offensichtlich blieb die Familie mit Oexle in Verbindung aufgrund der „Persönlichkeit und der politischen Gesinnung des Mannes“ und als Oexle zum 1. März 1920 offiziell aus dem Marinedienst entlassen wurde, nahm sie ihn auf: „Die außergewöhnliche Begabung und die Charaktereigenschaften des jungen Mannes ließen in meiner Mutter den Plan entstehen, ihm mit Hilfe unseres damals noch vorhandenen Vermögens eine seinen Fähigkeiten entsprechende Ausbildung geben zu lassen und veranlasste sie, ihn in unser Haus aufzunehmen“, berichtete Margarete Lang in der Rückschau im Jahre 1943. Welche weiteren Motive dahinterstanden, ist nicht ganz klar. Der frühzeitige Tod des einzigen Sohnes Hans Lang in den Vogesenkämpfen im Herbst 1914 und der Tod des Vaters im <?page no="95"?> 96 Gustav Robert Oexle Jahre 1916 hinterließen ein Haus ohne „Mann“.. Mutter und Tochter sowie die Hausangestellte Marie Rauscher führten die Pension alleine. Auf jeden Fall gelang es Eugenie und Margarete Lang, Oexle im Bezirksamt Überlingen als Kanzleiassistenten unterzubringen. Seine politischen Aktivitäten für das „Freikorps Damm“ kosteten ihn aber 1922 diese Stellung und er kam, vermutlich wieder durch Zutun der Familie Lang, bei der Gemeinde Nußdorf als Ratsschreiber unter. Eine bessere Ausbildung des hoffnungsvoll erscheinenden Oexle wurde allerdings durch die Inflation zunichte gemacht, weil das gesamte in Kriegsanleihen angelegte Vermögen der Familie Lang wertlos geworden war. Offensichtlich brachte die gemeinsame Not die Hausgemeinschaft in der Pension Lang noch viel enger zusammen: „[…] die gegenseitige Achtung und absolute Übereinstimmung in politischer wie weltanschaulicher Hinsicht ließen aus der Hausgemeinschaft bald eine feste Familiengemeinschaft entstehen, zu der auch unsere treue Hausgehilfin Marie Rauscher gehörte.“ Diese Haus- und Familiengemeinschaft, die sich in ihrer politischen und weltanschaulichen Sicht der Dinge sowie in ihrer Ablehnung und in ihrem Hass auf die demokratische Weimarer Republik einig war, wurde deswegen zur verschworenen Gemeinschaft, die das „Freikorps Damm“ unterstützte und ihr Haus als Unterschlupf für diese Kämpfer und als Waffen- und Munitionsdepot sowie als geheime Postanlaufstelle zur Verfügung stellte. Nach dieser „vaterländischen Bewährung“ beschloss Eugenie Lang, Gustav Oexle Margarete Lang <?page no="96"?> 97 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist „[…] testamentarisch als ihren anerkannten Pflegesohn zum Nacherben“ zu bestimmen. Allerdings nahm sie ihm auch das Versprechen ab, für seine „Schwester“, wie auch für die Hausgehilfin Marie Rauscher, „[…] in gesunden und kranken Tagen lebenslang zu sorgen“. Margarete Lang bestätigte ihrem Pflegebruder 1943, dieses Versprechen „treulichst gehalten“ zu haben. 108 Das als Pension ausgestattete, geräumige Gebäude erlaubte es G.-R.-Oexle und Margarete Lang, das Haus auch nach der Auflösung des „Freikorps Damm“ in den späten 1920er-Jahren zu einer Operationsbasis für die NS-Bewegung zu machen, der sich Oexle und Lang immer mehr annäherten. So wurde die Pension einerseits zur zentralen Sammelstelle der Nationalsozialisten im Überlinger Bezirk, aber auch Unterkunft für polizeilich gesuchte Parteigenossen und arbeitslose SA-Männer. Von hier aus operierte Oexle zunächst verdeckt, später immer offener als Parteiredner im ganzen Gau Baden und begann zusammen mit Margarete Lang beharrlich Organisationsstrukturen für die NSDAP im Kreis aufzubauen. So ist es auch wenig erstaunlich, dass hier am 1. Mai 1930 die erste Ortsgruppe der NSDAP im ganzen Bezirk Überlingen entstand. Dabei gab es von Anfang an eine klare Aufgabenverteilung: Während Oexle sich in zäher Kleinarbeit bemühte, die männlichen Genossen im Kreis zusammenzuführen, baute Margarete Lang in zahllosen Einzelgesprächen mit Frauen aus dem Kreisgebiet ein Netz für den so genannten „Frauenorden“ Gustav Robert Oexle <?page no="97"?> 98 Gustav Robert Oexle auf, den sie im Januar 1931 als Vorstufe für die spätere NS-Frauenschaft gründete. Oexle würdigte diese Arbeit seiner „Schwester“ nach ihrem Tode 1944 mit folgenden Worten: „[…] (Sie) blieb was sie immer war: Die edle gütige Frau, die alte treue Kämpferin für den Führer, die glaubensstarke Nationalsozialistin, die Seele des Kreises Überlingen, den sie mit mir aufbauen und führen half von 1929-1944 (als) der Tod sie im Wagen des Kreisleiters Bäckert jä(h) ereilte.“ 109 Oexles eigene Aussagen bestätigen den Eindruck, dass Margarete Lang von Anfang an relativ selbständig operierte, sozusagen auf Augenhöhe mit ihrem Pflegebruder, und auch nachdem er als Kreisleiter ihr direkter Vorgesetzter war, baute sie selbständig die NS-Frauenschaft auf und danach das Kreisamt für die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, das sie neben der Frauenschaft bis 1938 leitete. Auch unter den Nachfolgern Oexles als Kreisleiter erhielt sie sich diese eigenständige Machtposition in der NS-Kreisleitung. Als Mitbegründerin der NS-Bewegung im Kreis Überlingen war sie fast unantastbar und als ihr Pflegebruder in der Parteihierarchie immer weiter aufstieg und sie auf seinen zahlreichen Reisen nach München oder Berlin mitnahm und der NS-Prominenz um Heß, Bormann und zahlreichen Gauleitern vorstellte, die sie nach Oexles eigenen Worten „sehr hoch schätzten“, galt dies erst recht. 110 Auch aus der familiären Konstellation heraus erklärt sich diese starke Position von Margarete Lang. Der Familie, die den fast mittellosen Oexle 1920 aufgenommen hatte, blieb dieser zum Dank verpflichtet, da sie ihn ständig unterstützt und gefördert hatte, und für den in seiner Kindheit früh zum Vollwaisen gewordenen Oexle war das Erlebnis von Solidarität in einem engeren Familienkreis eine neue und sehr positive Erfahrung. Mit Gustav und Gretel, wie sich die beiden gegenseitig ansprachen, hatten in jedem Falle zwei zueinander gefunden, deren politische Ansichten und deren unermüdlicher Einsatz und Fanatismus für die NS-Bewegung fast deckungsgleich waren. Wie Oexle verehrte auch Margarete Lang den Führer und Glücksgefühle überkamen sie, als sie dem Führer „mehrmals in die Augen“ schauen durfte, als Oexle sie mit nach München nahm. Für sie wie auch für ihren Pflegebruder war der Führer von Gott gesandt und Ende 1938 ließ sie ihre Mitarbeiterinnen in der Frauenschaft wissen: „Das Geburtsjahr des Großdeutschen Reiches geht zu Ende. Dankbar wollen wir a l l e dafür sein, daß wir so Großes erleben und daran mit- <?page no="98"?> 99 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist arbeiten durften. Wir wollen versuchen, uns der Größe unseres F-ü-hr-e-r-s und dieser Zeit dadurch würdig zu erweisen, daß wir uns auch im kommenden Jahr mit allen unseren Kräften der Aufgabe widmen, die uns zugewiesen ist! Wir wollen dem Herrgott danken, daß er uns durch den Führer den Frieden erhielt, wollen aber weniger um den F r i e d e n bitten, als vielmehr stets an den S i e g glauben! An der Jahreswende aber soll der herzlichste Gedanke allen Frauen unseres Kreises sein: ‚Gott erhalte uns den Führer‘.“ (Hervorhebungen im Original) Und für Oexle wurde Lang nach ihrem Unfalltod im Frühjahr 1944 gar zum nachahmenswerten Vorbild: „[…] aber sie wird mir in guten wie bösen Tagen‚ als Beispiel vorschweben als: zielfest, beständig, hart und gerecht! “ 111 Vor allem in den ersten Jahren nach der Machtergreifung sah man Oexle und Frl. Margarete Lang - auf die Anrede Fräulein als unverheiratete Frau legte sie großen Wert - gemeinsam auftreten, was teilweise natürlich dadurch bedingt war, dass sie beim Aufbau der Kreisleitung zusammenarbeiteten. Deswegen waren gemeinsame Auftritte bei so genannten „Amtswaltertagungen“ auch nicht außergewöhnlich. Ihre „Zusammengehörigkeit“ zeigten sie aber auch bei offiziellen Anlässen wie etwa der Wahl und Volksabstimmung im November 1933, wo sie die „Bodensee-Rundschau“ im Wahllokal in Nußdorf natürlich „rein zufällig“ beim Wahlgang beobachtete: „Wir trafen beide im Wahllokal, einem schlichten Bauernhaus, das fleißige, geschickte Hände mit Fahnen und Symbolen des dritten Reiches geschmückt hatten.“ Im vorausgehenden „Wahlkampf“ hatten die beiden ebenfalls gemeinsam agiert und es traf sich außerdem hervorragend, dass Lang vor dieser Wahl auch noch mit dem Ehrenzeichen 2. Klasse des Roten Kreuzes für ihre „hervorragende Tätigkeit im Dienste der Nächstenliebe“ ausgezeichnet worden war und Oexle die Gelegenheit gegeben wurde, das Wort zu ergreifen, um die Ehrung geschickt für den Wahlkampf zu nutzen: „Gebietsinspekteur Oexle ergriff ebenfalls das Wort zu einer herzlichen Würdigung der Opferbereitschaft von Fräulein Lang, zu einem Überblick über die frühere und die heutige Zeit, über die Hilfe, deren unser Vaterland heute bedarf und das Werk unseres Volkskanzlers; er schloß mit dem Appell: am 12. November das Werk unseres Kanzlers mit einem einstimmigen ‚Ja‘ zu beantworten.“ (Hervorhebung im Original) 112 <?page no="99"?> 100 Gustav Robert Oexle Und auch bei anderen Gelegenheiten wie etwa der Volksweihnacht in Nußdorf im Jahre 1934 demonstrierten die beiden durch ihre Anwesenheit die Verbundenheit mit den Nußdorfern, aber auch ihre eigene enge Verbindung. Auch später, als Oexle aufgrund seiner Tätigkeit in der Parteikanzlei öfters abwesend war, zeigte er seine Solidarität mit der Pflegeschwester häufig bei Veranstaltungen der Frauenschaft, so etwa 1936, als sich alle Kreisamtsleiterinnen der Frauenschaften des Gaues Baden im Kurhaus „St. Leonhard“ trafen und Oexle mit seinem Redebeitrag den Frauen schmeichelte: „Wenn heute Frauen aus allen Berufen und Ständen zu einer Arbeitstagung hier zusammengekommen sind, dann ist dies nur möglich geworden, weil das beste deutsche Volk die besten deutschen Menschen herausgestellt hat.“ 113 Oexle war ohnehin davon überzeugt, dass sein Aufstieg in der Partei „[…] auch ihr zugute kam und sie in ihrer Arbeit weit über alle anderen Frauenschaftsleiterinnen hinaushob.“ Dies, so Oexle, rief in der Partei auch Neid hervor, aber Margarete Lang habe über solche „Schwachheiten“ nur gelächelt. 114 Oexle jedenfalls zeigte in vielen Situationen, dass seine „Schwester“ die „Frau an seiner Seite“ war, mit der er sich voller Stolz in der Öffentlichkeit präsentierte. Auch die Hausgemeinschaft in der Pension Lang hatte sich seit 1933 verändert: Am 30. Januar 1933, am Tage der „Machtergreifung“ des Führers, starb Eugenie Lang im Alter von 80 Jahren und so verblieben mit Margarete Lang, Gustav Robert Oexle und der Haushaltsgehilfin Marie Rauscher nur noch 3 Personen in der Hausgemeinschaft. Am 5. Mai 1943 entschloss sich Margarete Lang, zusammen mit ihrem Pflegebruder und der Haushaltsgehilfin einen Gesellschafts- und Erbvertrag zu errichten. Die Gründe dafür waren „[…] der stark angegriffene Gesundheitszustand meines 50% kriegsbeschädigten Pflegebruders“ und die 32 Jahre lang anhaltende Treue von Marie Rauscher, die in Notzeiten oft genug auf Bezahlung und Entgelt verzichtet habe. In den Gesellschafts- und Erbvertrag wurden die Pension mit Garten, gemeinsam erworbene Grundstücke und das Seegrundstück Oexles mit Wochenendhaus einbezogen. Gleichzeitig gab es auch einen Erbvertrag zugunsten der Partei, weil sowohl Rauscher wie auch Lang und Oexle „leider“ keine leiblichen Erben hatten. Aus Gustav Robert Oexles späterem Testament von 1944 geht hervor, dass die Pension als „Parteiheim“ der NSDAP erhalten bleiben sollte. 115 <?page no="100"?> 101 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Der Tod von Margarete Lang Am 28. April 1944 waren der Überlinger Kreisleiter Bäckert, Kreisobmann Pg. Sylvester Biehle, der Kreiskulturstellenleiter Pg. Dr.- Kurt Krauth und die Kreisfrauenschaftsleiterin Pgs. Margarete Lang gegen Abend im Auto auf dem Weg nach Immenstaad, das wie auch Ittendorf bei dem Nachtangriff vom 27. auf den 28. April getroffen worden war. Am Nachmittag des 28. April war im Rathaussaal in Meersburg vom Konstanzer Arbeitsamt eine Arbeitseinsatzbesprechung auf 14.30 Uhr angesetzt worden, die bis in den Spätnachmittag dauerte, und bei der Bäckert unter anderem berichtete, was er in der Nacht in Immenstaad und am frühen Morgen in Ittendorf gesehen hatte. An dieser Besprechung nahmen auch der Kreisleiter von Stockach, Pg. Albert Zimmermann, die Kreisfrauenschaftsleiterin von Stockach, Frau Achenbach, und der Kreisobmann der DAF, Dreis, der Leiter des Konstanzer Arbeitsamtes Oberregierungsrat Huggle, die Kreisfrauenschaftsleiterin von Konstanz, Fräulein Abderhalden, der Kreisgeschäftsführer der DAF, Schnitzler ,aus Konstanz sowie der Dienstellenbeauftragte des Wehrkreisbeauftragten in Konstanz, Ingenieur Kötteritzsch, teil. Bei dieser Besprechung wurde vor allem nach dem Ende des geschäftlichen Teils ordentlich dem Meersburger Wein zugesprochen und Zeugen berichteten, dass die getrunkene Menge im Durchschnitt schätzungsweise bei 0,75 bis 1 Liter Wein pro Teilnehmer lag. Am späten Nachmittag kamen die Teilnehmer dann auf die Idee, sich vor Ort in Immenstaad noch einmal die Schäden der letzten Nacht anzusehen. Kreisleiter Bäckert hatte keine Einwendungen, drängte aber gegen 18.30 Uhr zum Aufbruch, weil er am nächsten Morgen zu einer Kreisleiterbesprechung nach Straßburg fahren sollte. In drei Wagen, gesteuert von Kreisleiter Bäckert, Kreisleiter Zimmermann und Ingenieur Kötteritzsch, bewegte sich der Konvoi mit den zwölf Personen, die an der Dienstbesprechung teilgenommen hatten, in Richtung Immenstaad. Kreisleiter Bäckert legte großen Wert darauf, mit seinem Dienstwagen, einem Mercedes Benz 170, den er grundsätzlich selbst steuerte, vorneweg zu fahren. Auf der Strecke zwischen Kirchberg und Immenstaad soll Bäckert zunächst auf der linken Fahrbahnseite gefahren sein. In einer Kurve, die er links angeschnitten hatte, wollte er einem entgegenkommenden Kraftwagen und entgegenkommenden Radfahrern ausweichen. In- <?page no="101"?> 102 Gustav Robert Oexle folge zu hoher Geschwindigkeit - der Sachverständige errechnete später eine Geschwindigkeit zwischen 81 und 88 km/ h - wurde der Wagen aus der Kurve getragen, überschlug sich mehrfach und blieb nach mehr als vierzig Metern in einem Acker liegen. Der Kreisleiter Bäckert, Pg. Biehle und Pg. Krauth wurden in die Krankenhäuser Überlingen und Meersburg eingeliefert, für Margarete Lang kam jede Hilfe zu spät: Sie starb gegen 19 Uhr vor Ort an einer erlittenen Kopfverletzung. Bei der Beweisaufnahme ergab sich schnell der Verdacht auf Alkoholeinwirkung beim Fahrer und damit der Tatbestand einer fahrlässigen Tötung. Das Ergebnis der Blutprobe von 0,88 Promille war aber nur bedingt verwertbar, da zu wenig Blut eingeliefert wurde. 116 Die „Bodensee-Rundschau“ sprach indes von einem „tragischen Geschick“. Von dieser Linie ging die Zeitung nie mehr ab, auch als sie wissen musste, dass am 30. November 1944 in Immenstaad eine Gerichtsverhandlung wegen fahrlässiger Tötung gegen Kreisleiter Bäckert angesetzt war. 117 Margarete Lang wurde zum Abschied von der Dorfbevölkerung in Nußdorf am 2. Mai 1944 vormittags im Garten der Pension Lang unter blühenden Apfelbäumen aufgebahrt, anschließend fand die offizielle Trauerfeier der Partei in Überlingen statt, wo ihr Leichnam in der Nische des alten Rathauses aufgebahrt wurde. Im Auftrage des Gauleiters erschienen der Gauamtsleiter für Beamte, Pg. Leopold Mauch, ein alter Kämpfer, dessen Karriere in Überlingen begann, sowie die Gaufrauenschaftsleiterin Pgn. Dr. Hildegard Erley und für den verletzt im Krankenhaus weilenden Kreisleiter Bäckert sprach der Überlinger Bürgermeister Dr. Spreng. Nach den Kranzniederlegungen, Ansprachen, Vorspruch, Fahnenspruch, Gedichten und Liedern der BDM Gruppe Spetzgart erfolgte die Überführung ins Krematorium Konstanz. In der dortigen Trauerfeier sprach Kreisleiter Pg. Konrad Glas aus Colmar, ein früher Kampfgenosse Gustav Robert Oexles, die Abschiedsworte. 118 Am 9. Mai 1944 kam die Urne mit Margarete Langs Asche zurück und Oexle bettete sie zwischen ihre Eltern in die Zementgruft im Garten. Oexles ausdrücklicher Wunsch war es, dass später seine Asche mit der von Margarete Lang vermengt werde, „[…] um mit Gretel Lang gemeinsame Wache zu halten für Deutschland, dem unser gemeinsames Denken und Handeln lebenslang gegolten hat.“ Aus den von Oexle am 8. und 9. Mai 1944 angefertigten handschriftlichen <?page no="102"?> 103 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Notizen geht hervor, dass ihn der Tod der „Schwester“ zutiefst geschockt hatte. Dies würde auch erklären, dass in dem Bericht der „Bodensee- Rundschau“ von der Trauerfeier Oexle mit keinem Wort erwähnt wurde. In seinen Notizen schrieb er, was ihm Margarete Lang zu Lebzeiten bedeutet hatte: „Gretel Lang war mir 24 Jahre lang Lebenskamerad und ‚als Mensch‘ für mich alles auf der Welt.“ In den Notizen betonte er ihre Jugendlichkeit, ihre heitere Fröhlichkeit und Weisheit sowie dass sie kerngesund und noch ohne graue Haare gewesen sei, und er verabschiedet sich von ihr mit den Worten: „Gott segne dich, liebe gute Gretel für alles was du mir warst - balde komme auch ich - heißen Gruß und Kuss. Dein Gustav.“ (Hervorhebungen im Original) Aus diesen im aufgewühlten Seelenzustand geschriebenen Notizen Oexles könnte man eventuell auch herauslesen, dass Lang für ihn trotz des Altersunterschiedes von zwölf Jahren noch mehr als nur eine Pflegeschwester gewesen sein könnte. 119 Der von Kreisleiter Bäckert mitverschuldete Unfalltod von Margarete Lang hatte indes noch ein Nachspiel: Zu der am 30. November 1944 angesetzten Gerichtsverhandlung in Immenstaad erschien Kreisleiter Bäckert nicht. Der Immenstaader Bürgermeister sagte aus, Gauleiter Wagner habe Bäckert dies untersagt und Der aufgebahrte Sarg von Kreisfrauenschaftsleiterin Margarete Lang im Garten des Hauses Lang am 2. 5.1944 <?page no="103"?> 104 Gustav Robert Oexle befohlen, dass die Gerichtsverhandlung abgesagt werden solle. Bereits im Vorfeld hatten Bäckerts Mitarbeiter in der Kreisleitung einen Brief an das zuständige Landgericht Konstanz geschickt, um, wie Reichsinnenminister Himmler später monierte, das Gericht zu beeinflussen oder unter Druck zu setzen. Wegen der wahrscheinlichen Alkoholbeeinflussung Bäckerts müsse auch das Verbot eines Gauleiters in Zukunft ausgeschlossen sein, denn sonst müsste man konsequenterweise die parteilichen Hoheitsträger einer Sondergerichtsbarkeit unterstellen. Himmler bezweifelte jedoch, dass dies beim einfachen Bürger, der durch das Strafgesetzbuch jederzeit mit polizeilicher und gerichtlicher Verfolgung rechnen müsse, besonders gut ankommen würde. Erst auf Druck der Parteikanzlei Bormanns gab Gauleiter Wagner schließlich nach und Kreisleiter Bäckert schied am 31. Januar 1945 „[…] aus seinem Ueberlinger Amt zufolge anderweitiger Berufung“, wie die „Bodensee-Rundschau“ in dürren Worten berichtete. 120 Der Oberlandesgerichtspräsident in Karlsruhe brachte in einem Bericht an den Reichsjustizminister mit Bezug auf den Fall Bäckert die gesetzeswidrigen Machenschaften auf den Punkt: „Praktisch steht aber ein Kreisleiter weitgehend extra leges und es finden sich in Verfahren gegen einen solchen nur schwer Anzeiger und Zeugen, die unbefangen und frei zu reden wagen. Dies wissen die Kreisleiter auch, halten es anscheinend für natürlich und benehmen sich entsprechend.“ 121 Und man möchte ergänzen, erst recht, wenn sie wissen, dass auch noch der Gauleiter hinter ihnen steht. Gauleiter Wagner wollte Bäckert vor allem deswegen im Amt halten, weil ihm durch den Krieg einigermaßen fähige Kreisleiter fehlten. Auch Gustav Robert Oexle, der als „Sonderbeauftragter der Parteikanzlei“ natürlich über diese Machenschaften informiert war, zog daraus seine Konsequenzen: Er, der sonst immer gern zu Versammlungen der Überlinger Parteigenossen erschienen war, trat nach Margarete Langs Tod bis zum Kriegsende nie mehr auf derartigen Veranstaltungen auf. Ernst Bäckert entging der Bestrafung letztlich doch nicht. Nachdem er aus seinem Kreisleiteramt ausgeschieden war, wurde er durch das Landgericht Konstanz am 27. März 1945 wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und wegen einer Verkehrsübertretung zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt. Da das Urteil erst im Dezember 1945 rechtswirksam wurde, <?page no="104"?> 105 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist verbüßte Bäckert, bedingt durch seine vorherige Internierung, erst von August 1948 bis Januar 1949 seine Gefängnisstrafe in der Badischen Landesstrafanstalt Freiburg. 122 Das Ende Gleich nach Margarete Langs Tod regelte Gustav Robert Oexle in einem neu angelegten Testament seinen Nachlass. Der am 9.- Juni 1943 zwischen Oexle, Margarete Lang und Marie Rauscher geschlossene Gesellschafts- und Erbvertrag sollte weiterhin seine Gültigkeit haben. Da nun nur noch Oexle und Rauscher im Hause Lang wohnten, setzte er sie als Universalerbin seiner gesamten „lebenden und toten Habe“ ein und vermachte ihr zusätzlich 25 000-RM zur freien Verfügung, weitere 20 000-RM gingen an Verwandte seitens seiner Mutter in Sipplingen und Bärental. Mit dem Rest seines Geldes beabsichtigte Oexle die Instandhaltung der Pension Lang/ Oexle, die als Parteiheim weiter bestehen sollte, zu finanzieren, ebenso wie die Anlage des von ihm an die Gemeinde vermachten Geländes am See, auf dem ein „Gustav Oexle Platz“ entstehen sollte. Seine Schriftsachen sollten von einer berufenen Parteipersönlichkeit gesichtet werden und in ein Parteiarchiv verbracht werden. Wahrscheinlich wurden sie am Kriegsende vernichtet, zumindest sind sie in keinem der zuständigen Archive zu finden. 123 Nach dem Tode von Margarete Lang trat Oexle in der Öffentlichkeit kaum noch auf. Der Verlust seiner engsten Bezugsperson hatte ihn sehr getroffen und um seine eigene Gesundheit stand es auch nicht zum Besten. Da dürften ihn auch die ritualisierten Trauerkundgebungen der Partei für seine Pflegeschwester kaum getröstet haben, vor allem dann nicht mehr, als er zwangsläufig erfahren musste, was bei dem Unfall am 28. April 1944 tatsächlich passiert war, und erst recht nicht mehr, als er mitbekam, dass sich Kreisleiter Bäckert, von den übrigen Angestellten der Kreisleitung und von Gauleiter Wagner unterstützt, seiner Verantwortung entziehen wollte. Da Oexle bis zum Kriegsende in der Parteikanzlei arbeitete, konnten ihm diese Vorgänge kaum verborgen bleiben und weil dort auch die Berichte der Kreis- und Gauleitungen über die Situation im Reich eingingen, wusste er auch Bescheid darüber, wie es an den Fronten aussah, und dass die militärische Niederlage nur <?page no="105"?> 106 Gustav Robert Oexle noch eine Frage der Zeit war. Ob er trotzdem als überzeugter Nationalsozialist noch immer an den Endsieg glaubte, wissen wir nicht, da keine Äußerungen seinerseits überliefert sind. 124 Auch in Überlingen merkte man ab dem 20. April 1945, dass die Front von Westen her immer näher an die Stadt heranrückte. Größere Soldatenkolonnen zogen durch die Stadt, vermutlich auf dem Weg zur so genannten „Alpenfestung“, eine von der NS-Propaganda aufgebaute Chimäre, die der Bevölkerung und dem Feind den Widerstandswillen der Deutschen vorgaukeln sollte. Dann trafen immer mehr Nachrichten - oft auch Gerüchte - über das Vorrücken der Franzosen ein. Erste französische Verbände erreichten nach Zeitzeugenaussagen am Abend des 24. April 1945 Owingen. Die Mitarbeiter der Kreisleitung, die vorher noch gedroht hatten, jeden zu erschießen, der nicht Widerstand leisten wollte, flohen sukzessive am 23. und 24. April nach Vernichtung der Parteiakten aus der Stadt, um sich in die hintersten Winkel Vorarlbergs zu verstecken. Der letzte von ihnen verließ die Stadt am Mittwochmorgen. Die meisten Mitarbeiter verabschiedeten sich noch vom NS-Bürgermeister Dr. Spreng, der als Leiter des örtlichen Volkssturms längst entschlossen war, die Stadt möglichst unversehrt den französischen Truppen zu übergeben. Nur Gustav Robert Oexle befand sich am Morgen des 25. April 1945 noch in der Stadt. Nach Aussagen der Sekretärin Balbina Kramer diktierte er ihr angeblich noch in 2 Sätzen sein Testament. Der Stadtinspektor Julius Kitt berichtete, Oexle habe sich am Morgen des 25. April bei Spreng verabschiedet und dann erklärt: „[…] ich gehe nach Friedrichshafen zu Kreisleiter Sedelmayer, der kämpft.“ Dann musste Oexle sich das Ganze aber wieder anders überlegt haben, denn er ging nach Nußdorf zurück, wo er sich am späten Nachmittag am Grabe von Margarete Lang vermutlich mit seiner Dienstwaffe erschoss. Nach der Eintragung im Sterbebuch der Gemeinde Nußdorf vom 30. April 1945 trat der Tod am 25. April um 19 Uhr in seiner Wohnung ein, ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, als die Stadt Überlingen den Franzosen übergeben wurde. Angezeigt hatte den Todesfall die Hausangestellte Marie Rauscher. Als Todesursache vermerkte der Standesbeamte, der NS-Bürgermeister Mayer: „Plötzlicher Herztod“. Dieser Eintrag wirft einige Fragen auf, weil der Sterbeort in die Wohnung verlagert wurde und weil nicht von Suizid die Rede ist, sondern von einem plötzlichen Herztod, der im Regelfall durch <?page no="106"?> 107 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist einen Infarkt hervorgerufen wird. Möglicherweise stand dahinter die Absicht, Scherereien und eventuelle Untersuchungen zu vermeiden, um Oexle möglichst schnell begraben zu können, denn immerhin blieb noch etwas Zeit, da Nußdorf erst am 29. April 1945 von den französischen Truppen eingenommen wurde. Dass Oexle durch Selbsttötung starb, war aber offensichtlich in der ganzen Stadt bekannt, denn ein Jahr später meldete der „Südkurier“ in einem Artikel über die letzten Kriegstage in Überlingen: „Vor dem Rathaus erfolgte dann die Übergabe der Stadt, während sich im nahen Nußdorf beim Erscheinen des Feindes ein ‚Sonderbeauftragter des Führers‘, Oberbereichsleiter Oexle, durch eine Kugel der Verantwortung entzog.“ 125 Oexle wurde zunächst wunschgemäß in der Gruft der Familie Lang im Garten beigesetzt, musste aber später wegen der Friedhofsordnung in den örtlichen Friedhof überführt werden, wo sein Leichnam wegen der langen Liegezeiten in Nußdorf noch 35 Jahre lang in der Erde lag. Wenn jemand Selbstmord begeht, sind die Ursachen dafür immer schwer zu ergründen, vor allem wenn der Selbstmörder nichts hinterlässt, was Hinweise darauf erlaubt, wie es zur Tat kam. Im Falle von Oexle dürften verschiedene Motive eine Rolle gespielt haben. Der Tod seiner „Schwester“ und „Lebenskameradin“ Margarete Lang hatte ihn tief erschüttert. Dies wird ganz deutlich, wenn man die von ihm selbst angefertigten Notizen nach ihrem Tode sorgfältig studiert. Einige Bemerkungen darin deuten darauf hin, dass ihn zumindest nach ihrem Tod und in dem ersten Schmerz darüber so etwas wie eine Todessehnsucht erfasst hatte, etwa wenn er formulierte: „Gretel durfte im Dienst fallen, ich aber muss weiter ringen.“ An anderer Stelle wünscht er, dass seine Asche mit ihrer vermengt werde, um mit ihr „[…] gemeinsame Wache zu halten für Deutschland, dem unser ganzes Denken und Handeln gegolten hat.“ Am Ende der Notizen verabschiedet er sich mit den Worten: „Gott segne dich, liebe gute Gretel für alles was du mir warst - balde komme auch ich - Heißen Gruß und Kuss. Dein Gustav.“ Auch wenn man dies nicht überinterpretieren darf, so fällt doch auf, dass Oexle sich nach dem Tod der Pflegeschwester sehr zurückzog. Er betonte, dass Margarete Lang für ihn als „[…] Lebenskamerad und Mensch alles auf der Welt […]“ gewesen war (Hervorhebungen im Original). Ganz offensichtlich hatte es sich bei ihr um die wichtigste Stütze in <?page no="107"?> 108 Gustav Robert Oexle seinem Leben gehandelt. Und als jetzt auch noch die zweite Stütze, die Partei und das nationalsozialistische System, für die er so sehr gekämpft hatte, und der er seinen Aufstieg vom Vollwaisen zum „Sonderbeauftragten der Parteikanzlei“ und Reichstagsabgeordneten verdankte, zusammenbrach, musste ihn dies zutiefst in seiner Existenz treffen. Ein Leben ohne den Nationalsozialismus und ohne seine geliebte Gretel konnte er sich wohl kaum vorstellen. Und wenn er noch am Morgen des 25. April 1945 kämpfen wollte, so dürfte mit dem Einmarsch französischer Truppen in Überlingen am Spätnachmittag auch für ihn klar gewesen sein, dass dies ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen wäre. Möglicherweise spielten auch noch krude Vorstellungen von Soldatenehre eine Rolle, sich nicht in die Hände des Feindes zu begeben, sondern „ehrenvoll“ zu sterben, im Bewusstsein, für die richtige Sache bis zuletzt gekämpft zu haben. Ob er sich bewusst der Verantwortung entziehen wollte, wie der „Südkurier“ später feststellte, ist als Motiv ebenfalls nicht auszuschließen. Grund genug dafür hätte er gehabt, denn die Amerikaner hatten ihn schon im Visier. Auf einer für Präsident Franklin Delano Roosevelts Büro angefertigten Liste von so genannten „Key Nazis“ (also Nazis in Schlüsselpositionen) befand sich auch Gustav Robert Oexle. Seinem geliebten „Führer“, der übrigens im selben Jahr wie Oexle (1889) geboren wurde, war er jedenfalls im Tode vorausgegangen. 126 Entnazifizierung eines toten Nationalsozialisten Muss man einen toten Nationalsozialisten überhaupt entnazifizieren? Auf den ersten Blick scheint dies keinen rechten Sinn zu ergeben, denn es können ihm für seine Taten keine Sühnemaßnahmen auferlegt werden. Aber im Falle Gustav Robert Oexles erscheint dies zweckmäßig, weil er ein rechtsgültiges Testament hinterlassen hatte, das am 2. Januar 1946 vom Überlinger Nachlassgericht eröffnet wurde und sich auf einen gemeinsam zwischen Margarete Lang, Oexle und Maria Rauscher abgeschlossenen Gesellschafts- und Erbvertrag vom 9. Juni 1943 berief. Da Oexle nach dem Tode von Margarete Lang am 8. April 1944 Marie Rauscher als Haupterbin eingesetzt hatte, war es in ihrem Interesse, wie auch im Interesse der weiteren Erben auf Seiten von Oexles Mutter, denen er erhebliche <?page no="108"?> 109 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Geldsummen hinterließ, dass sie an das Erbe auch herankamen. Diese Fakten waren den französischen Besatzungsbehörden mit Sicherheit auch bekannt. Im Falle einer Einordnung Oexles nach der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 und den Ausführungsbestimmungen der Badischen Landesverordnung vom 20. März 1947 zur Entnazifizierung in der französischen Zone in die Kategorie I (Hauptschuldige) oder II (Belastete) hätten die Behörden auf Oexles Vermögen zugreifen können. Und genau dies geschah auch nach der Testamentseröffnung. So wurde beispielsweise in Oexles Bade- und Wochenendhaus zeitweise ein Arzt untergebracht und auch in der Pension Lang gab es Einquartierungen. Für den Bedarf des Herrn „Zonenkommandanten“, der sich im 1. Stock der Sparkasse Überlingen niedergelassen hatte, wurden zur Wohnungseinrichtung auf Befehl des Gouvernement Militaire Überlingen vom 16. April 1946 aus dem Nachlassbesitz Oexle-/ -Lang 6 Stühle, 1 großer Zimmerteppich, 1 Ruhebett, 1-Wandgemälde, 1 Staubsauger, 1 Tischläufer und 1 Satz Kopfkissenbezüge beschlagnahmt. Außerdem machte das Badische Landesamt für das Kontrollierte Vermögen gegenüber Marie Rauscher klar, dass Kopie des Säuberungsbescheids von Gustav Robert Oexle vom 28.10.1949 <?page no="109"?> 110 Gustav Robert Oexle sie nach dem Gesetz Nr. 52 allenfalls über den Anteil des Erbes, der von Margarete Lang stammte, verfügen könne, nicht aber über die Teile, die gemeinsam erworben wurden oder die eindeutig von G. R.-Oexle in den Gesellschafts- und Erbvertrag eingebracht wurden. Solange sich das Verfahren der Spruchkammer gegen Oexle in die Länge zog, kam Marie Rauscher, die 1948 in die Kategorie „Mitläufer“ eingestuft worden war, nicht an das ganze Vermögen heran. Sie beauftragte deshalb einen Rechtsanwalt, ihre Interessen zu vertreten. Alles hing nun davon ab, in welche Kategorie Oexle eingestuft wurde. Am 6. August 1949 machte der Untersuchungsausschuss für die politische Säuberung in Konstanz den Vorschlag, Oexle in die Gruppe der „Minderbelasteten“ einzureihen. Die Begründung dafür ist sehr interessant: Zwar wurde Oexle als „[…] ausgesprochener Nazi-Aktivist“ eingeschätzt, aber gleichzeitig äußerte der Ausschuss, seine „[…] Stellungen innerhalb der Partei, nach Rang und Daten, können im Einzelnen nicht mehr festgestellt werden.“ Aus der Begründung kann man eher die Unlust verspüren, genau diesen „Stellungen“ Oexles in der Partei nachzugehen. Da traf es sich gut, dass auch noch eine Bescheinigung des Bürgermeisteramtes Nußdorf vom 22. Juni 1949 eintraf mit der Bestätigung, dass in der Bevölkerung keine Klagen gegen Oexle laut geworden waren, so dass er „[…] unter Zubilligung mildernder Umstände […]“ als „Minderbelasteter“ vorgeschlagen werden konnte. Diese Einschätzung des Ausschusses wurde durch die Veröffentlichung des Entnazifizierungsbescheides am 28. Oktober 1949 im Amtsblatt bestätigt. Der Bescheid reiht sich damit ein in eine ganze Serie sehr milder Urteile, die in der Spätphase der Entnazifizierung ausgesprochen wurden, auch weil sich in der Zwischenzeit die politischen Prioritäten verschoben hatten und die Entnazifizierung nur noch als eine lästige Pflichtübung empfunden wurde. Sühnemaßnahmen wurden keine angeordnet, da Oexle ja verstorben war. Der Ausschuss sah auch keine Veranlassung, irgendwelche Maßnahmen gegen den Nachlass Oexles einzuleiten. Damit gab sich aber das Badische Landesamt für das Kontrollierte Vermögen nicht zufrieden. Die endgültige Entscheidung fällte die 1. Spruchkammer - Abteilung des Landes Baden am 26. Mai 1950. Dabei kam es zu folgendem Kompromiss: Der Badische Staat übernahm den Gesellschaftsanteil Oexles mit der Maßgabe, dass Marie Rauscher das lebenslange Nutznießungs- und Wohn- <?page no="110"?> 111 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist recht an den Grundstücken eingeräumt wurde. Der Löwenanteil, der aus dem alten Vermögen der Familie Lang bestand, stand Marie Rauscher ohnehin zu. 127 Frohe Botschaft aus Walhall In der nordischen Mythologie ist Walhall das Ziel aller gefallenen Krieger, die sich als tapfer erwiesen und in der Schlacht ihr Leben gelassen hatten. Vom Göttervater Odin selbst auserwählt, fanden diese mutigen Männer ihre letzte Ruhestätte in Asgard, dem von Odin errichteten Schloss. 128 In einem Artikel, der am 27. August 1947 in der Offenburger kommunistischen Zeitung „Unser Tag“ erschien, sprach der ehemalige „Sonderbeauftragte des Stellvertreters des Führers“, Gustav Robert Oexle aus seiner „Walhall“ zu seinen ehemaligen „alten lieben Pg’s“ in der Stadt und im Kreis Überlingen. Er bewunderte seine ehemaligen Parteigenossen für ihre Taktik, sich als „[…] brave, fromme christliche Bürger getarnt […]“ der Entnazifizierung zu entziehen, ihre alten Positionen zu erhalten und der alten Idee treu geblieben zu sein. In dieser Politsatire amüsierte sich Oexle zusammen mit seinem Führer und dem Propagandaminister Goebbels köstlich über die Entnazifizierung und die Ausdrücke „Mitläufer“ und „Muß-Pg’s“, da er sich nicht daran erinnern konnte, dass Leute in die Partei gezwungen worden waren. Goebbels habe sogar eingeräumt, dass unter den gegebenen Bedingungen auch er in „[…] eine Mitläuferklasse eingereiht und bestimmt in der derzeitigen antisowjetischen Propaganda eingereiht worden wäre.“ In einem Rundumschlag bedankte sich Oexle ironisch bei den Stadtverwaltungen Überlingen, Meersburg, Markdorf, dem Landratsbzw. Wirtschaftsamt und allen anderen Behörden, „[…] die es Euch ermöglicht haben, weiterhin im nationalsozialistischen Sinne zu wirken.“ Ein Seitenhieb erfolgte auch auf das Antinazi-Comité in Überlingen, dessen Beurteilungen für die Überlinger ‚Kameraden‘ entscheidend waren. Sicherlich traf die Kritik dieses Artikels insofern zu, als die politische Säuberung zu einer „Mitläuferfabrik“ (Lutz Niethammer) zu werden drohte. Was die Arbeit des Antinazi-Comités in Überlingen angeht, so muss diesem Gremium bescheinigt werden, dass es sich redlich bemühte, die Fakten zusammenzutragen und zu einer <?page no="111"?> 112 Gustav Robert Oexle gerechten Einschätzung der Verstrickungen ihrer Mitbürger zu gelangen. 129 Chefredakteur und Lizenzträger der Zeitung „Unser Tag“, die zweimal wöchentlich erschien, war der Kommunist Karl Bittel, Mitglied des Sekretariats der KPD-Landesleitung in Südbaden und Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Er war 1933 von Berlin nach Ludwigshafen am Bodensee übergesiedelt, um sich dem Zugriff der Gestapo zu entziehen, wurde aber bereits im Juli 1933 verhaftet und ins Konzentrationslager Stetten am Kalten Markt verbracht und dort inhaftiert. Anschließend wurde er in das Konzentrationslager Kuhberg in Ulm gebracht und dort bis zum 29. März 1934 festgehalten. Nach seiner Freilassung aus gesundheitlichen Gründen musste er sich regelmäßig (täglich) beim Gendarmerieposten Ludwigshafen melden. Er blieb bis 1945 unter ständiger Polizeiaufsicht, konnte aber wissenschaftlich arbeiten. In dieser Zeit erschienen Publikationen über Franz Anton Mesmer und Paracelsus und eine „Sernatinger Chronik“, eine Heimatgeschichte von Ludwigshafen am See. Bis 1935 wohnte Karl Bittel mit seiner Frau Mia und den Kindern in Ludwigshafen, dann bis 1947 in Hödingen und danach in Überlingen. Karl Bittel kannte also die Überlinger Verhältnisse aus eigener Anschauung und war zu Beginn (September 1945) Vorsitzender des Überlinger Antinazi-Comités, dem auch seine Frau Mia zeitweise angehörte. Der Artikel dürfte also von Karl Bittel selbst stammen und war sicher ein Ärgernis für die darin attackierten Kommunalverwaltungen sowie das Landratsamt, das Finanzamt und weitere Kreisbehörden. In der Überlinger Stadtverwaltung wurde er jedenfalls ernst genommen, abgelegt und archiviert. 130 <?page no="112"?> 113 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Anmerkungen 1 Von Gustav Robert Oexle existieren mehrere Biographien. Zu den vermutlich von ihm autorisierten Biographien gehören die offiziell im Landtagshandbuch von Baden und im Reichstagshandbuch veröffentlichten Lebensdaten: Handbuch für den Badischen Landtag, IV. Landtagsperiode 1929-1933, GROSS, Karl (Hg.), Karlsruhe, o.J., S. 142. Der deutsche Reichstag, Wahlperiode nach dem 30. Januar 1933, Bd. 1938; Berlin 1938, S. 14. Daneben existieren weitere Biographien, die aber alle auf diesen Informationen beruhen: Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstags 1933-1945. Ein biographisches Handbuch. Unter Einbeziehung der völkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten ab Mai 1924. Bearbeitet von Joachim LILLA. Unter Mitarbeit von Martin DÖRING und Andreas SCHULZ, Düsseldorf 2004, Eintrag Oexle, S. 446. Im Internet: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Gustav_Robert-Oexle abgerufen am 20.12.2018 ; des Weiteren die Darstellung von Andreas SCHULZ, einem der Mitautoren von Statisten in Uniform, bei: http: / / forum.axishistory.com/ viewtopic.php? f=45&t=41070, abgerufen am 8.8.2011 sowie: https: / / www.deutsche-biographie.de/ pnd130529060. html.Reichstagabgeordnetenbank abgerufen am 20.12.2018. Daneben gibt es noch einige biographische Skizzen bei: GRILL, Johnpeter Horst: The Nazi Party in Baden, 1920-1945; Diss.phil. University of Michigan 1975, S. 43f. Von ihm stammt auch der Hinweis, dass sich Oexle schon als Schuljunge bei anderen Bauern verdingen musste. 2 Reisetagebuch von Gustav Robert Oexle, verfasst zwischen dem 15.4.1913 und dem 5.6.1913. Das Tagebuch beschreibt die auf dem Reichspostdampfer „Scharnhorst“ unternommene Ostasienreise zwischen dem 15.4.1913 und dem 5.6.1913, als das Schiff die deutsche Kolonie Tsingtau in China erreichte. Es enthält aber auch einige Information über seine Zeit in Volkertshausen, die Musterung und seine ersten 3-½ Jahre bei der Marine zwischen 1909 und 1913. Bei den Zitaten hielt ich mich an die Originalpaginierung durch G.-R.-Oexle. Die Zitate sind von Seite 2. Das Original dieses Tagebuchs befindet sich in Händen von Herrn Michael Nagel, dem heute das Haus gehört, in dem G.-R.-Oexle in Nußdorf von 1920 bis 1945 wohnte. Dankenswerterweise zeigte er mir das Original und ließ mich eine Kopie davon anfertigen. Die Authentizität des Tagebuchs ist eindeutig, was auch durch einen Schriftvergleich mit den späteren Eintragungen Oexles in den Ratsprotokollen in Nußdorf bewiesen werden kann. Oexle dürfte in Volkertshausen bei der Textilfabrik Ten-Brink gearbeitet haben, dem damals größten Betrieb des Hegaus mit 900 Beschäftigten. Vgl. dazu: http: / / www.volkertshausen.de/ gemeinde/ gemeinde/ volkertshausen.html, Artikel des „Südkurier“ vom 30.6.2012 - Bei Ten-Brink reißt der Faden. Außerdem: Artikel des Südkurier vom 17.9.2015 - Als Arlen das Manchester des Hegau war. <?page no="113"?> 114 Gustav Robert Oexle 3 Reisetagebuch Oexle, S. 1 und S. 4. 4 Reisetagebuch Oexle, S. 9. 5 Reisetagebuch Oexle, S. 11f. 6 Oexle benutzt den Ausdruck „Schwarze“ und „Neger“ wahllos für Afrikaner wie auch für dunkelhäutige Malaien und Inder. Daneben verwendet er auch den Ausdruck „Kanacker“, der auch schon im Kaiserreich abwertend war (S.11). Im zweiten Teil seiner Ausführungen „Von Aden nach Colombo“ (neue Seitenzählung) S. 6 schreibt er, dass die „Neger“ sehr faul seien, so dass man sie auf den Plantagen ständig mit der Peitsche antreiben müsse. Über den Schmutz, die Gleichgültigkeit und Feigheit der Chinesen lässt er sich auf den Seiten 62, 63 und 67f. aus. Schanghai bezeichnet er als „Stinkloch“, die Chinesen oft nur als „Zopfköpfe“. Die rituellen Waschungen der Hindus beschreibt er auf Seite 8 (Teil II des Tagebuchs). 7 Reisetagebuch Oexle S. 21. 8 Reisetagebuch Oexle, S. 32. 9 Reisetagebuch Oexle, S. 50. 10 Reisetagebuch Oexle, Teil III, S. 48; die Unterstreichung im Zitat habe ich vorgenommen, erinnert sie doch sehr an die spätere Diktion der Nationalsozialisten im 2. Weltkrieg. 11 Zu Oexles Dienst auf der S.M.S. „Leipzig“, vgl. LILLA, Statisten in Uniform, S. 446; Die Seeschlacht auf den Falklandinseln ist gut geschildert im Internet unter „Seeschlacht bei den Falklandinseln - Der letzte Mann“, http: / / www.deutsche-schutzgebiete.de/ seeschlacht_bei: den_falklandinseln.htm. Abgerufen am 30.10.2012. Oexle schilderte später den Vorgang in einem Artikel der BR vom 4.11.1936. Dort auch die Zahl von 18 Überlebenden. 12 Zur Internierungspraxis der Schweiz: Im 1.Weltkrieg nahm die Schweiz ab Anfang 1916 vorwiegend Kriegsgefangene verschiedener Nationen auf, die in verschiedenen Lagern (meist in den Luftkurorten) ihre Verletzungen auskurierten. Vgl. dazu: de WECK, Hervé: Artikel „Internierungen“ im Historischen Lexikon der Schweiz, http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D8704.php. Abgerufen am 29.10.2012. 13 Zu den weiteren Informationen über Oexles Tätigkeiten vgl. LILLA: Statisten in Uniform, S. 446 und Andreas SCHULZ bei Axis History Forum wie Anm. 1. Abgerufen am 8.8.2011. Zu den Orden und Ehrenzeichen des 1.Weltkriegs; https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Kategorie Orden_und_ Ehrenzeichen_(Erster_Weltkrieg). Abgerufen am 20.12.2018 Zu Oexles Verwundung und der Kriegsbehindertenrente vgl. Brief von Margarete Lang an das Notariat Überlingen vom 5. Mai 1943 anlässlich der Errichtung eines Gesellschafts- und Erbvertrages. Quelle: Privat. Herr Michael Nagel, der heute im Hause Lang in Nußdorf wohnt, stellte mir diesen Brief dankenswerterweise zur Verfügung. Im Folgenden zitiert als: Brief Margarete Lang 1943, S. 2 ff. <?page no="114"?> 115 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist 14 Zum Freikorps „Schwarze Jäger“ der Marineinfanterie vgl. http: / / www. marine-infanterie.de/ html/ 3_12.html. Abgerufen am 3.11.2012. Zur „Brigade Erhardt“ vgl. http: / / de.wikipedia.org/ w/ index.php? title=Marine- Brigade_Erhardt&printabel=yes. Abgerufen am 3.11.2012. Zum Küstenschutzregiment Wilhelmshaven vgl. den Artikel „Conrad Engelhardt“ (später Konteradmiral im 2.Weltkrieg), http: / / de.wikipedia.org/ w/ index. php? title=Conrad_Engelhardt&printable=yes. Abgerufen am 3.11.2012. Zur Beteiligung Oexles an den Kämpfen: LILLA: Statisten in Uniform, S.-446 und Reichstagshandbuch, S. 14. Außerdem GRILL: The Nazi Party in Baden, S. 41ff. Die Angaben zu Oexles Vortragreisen, zu seiner Festsetzung in Wilhelmshaven, zur Familie Lang und zu seiner Beteiligung an den Freikorpskämpfen, wie auch die Zitate: Brief Margarete Lang 1943, S. 1 f. Zur Herkunft der Familie Lang: Württ. Standesamt Eßlingen, Auszug aus dem Familienregister Band 44, Bl. 58, vom 25. Nov.1933. Das Original befindet sich im Besitze von Herrn Michael Nagel, der mir eine Kopie zur Verfügung stellte. Weitere Angaben zur Familie in dem am 6. Juni 1943 errichteten Gesellschafts-und Erbvertrag zwischen Margarete Lang, G.- R.- Oexle und Marie Rauscher- StAF- Best. D 180/ 2-Nr. 225.445 15 LILLA, Statisten in Uniform, S. 446. 16 Der Historiker Bernhard Sauer hat diese Zusammenhänge an Beispielen aus mehreren Freikorps und der Schwarzen Reichswehr untersucht. Vgl. dazu: SAUER, Bernhard: Freikorps und Antisemitismus, S. 1ursprünglich erschienen in ZfG 56, Jg. 2008, Heft 1, als PDF im Netz: https: / / www.bernhard-sauer-historiker.de_heft1-2008.pdf Abgerufen am 3.11.2012 und SAUER, Bernhard: Die Schwarze Reichswehr und der Marsch auf Berlin, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 2008. Als PDF im Netz: https: / / www. bernhard-sauer-historiker.de/ sauer-marsch-auf_berlin.pdf Abgerufen am 3.11.2012 - Die Aussage Oexles findet sich in Notizen, die er 1944 nach dem Tode von Margarete Lang auf Briefbogen der Parteikanzlei erstellte. Das Original befindet sich im Privatbesitz von Herrn Michael Nagel, der es mir freundlicherweise zur Verfügung stellte, S.-4. 17 Löhnungsbuch Gustav Robert Oexles bei der II. Marinedivision, S.- 9. Das Löhnungsbuch enthält sämtliche Dienstzeiten Oexles. Es befindet sich im Privatbesitz von Herrn Michael Nagel, der es mir freundlicherweise zur Verfügung stellte. 18 Brief von Margarete Lang vom 5.5.1943, S. 2. 19 Zu Oexles Tätigkeit im Bezirksamt Überlingen vgl. LILLA: Statisten in Uniform S. 446 und GRILL: The Nazi Party in Baden, S. 49 ff. Grill benennt den genauen Zeitpunkt der Entlassung nicht. Außerdem behauptet er, dass Oexle auch noch beim Bezirksamt Stockach angestellt war. Nach Lilla war Oexle seit 1921 als Feldjäger Mitglied im „Freikorps Damm“. Gleiches findet sich im Internet beim Axis History Forum unter „Oberdienstleiter der NSDAP Gustav Robert Oexle“: http: / / forum.axishistory. <?page no="115"?> 116 Gustav Robert Oexle com/ viewtopic.php? f=45&t=68180 , abgerufen am 15.06.2011. Zu den Vorwürfen der Zentrumspartei an Oexle, seine Entlassung verschwiegen zu haben vgl. DBZ vom 12.9.1930. 20 Zur „Organisation Escherich“: HÜBNER, Christoph: Organisation Escherich (Orgesch), 1920/ 21, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http: / / www.historisches-lexikon-bayerns.de/ artikel/ artikel_44558 (28.02.2011), abgerufen am 13.11.2012. STERZENBACH, Christoph: Die Organisation Escherich. Paramilitärs unter dem Deckmantel einer unbewaffneten Aufbauorganisation, in: Newsletter Jg. 15 (2010), No.-1, herausgegeben vom Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. S. 10 ff. Von Sterzenbach stammen auch die Angaben über die Waffenschiebereien der „Orgesch“ und über die Waffenfunde in Baden. 21 Zur „Organisation Damm“: https: / / www.bundesarchiv.de/ aktenreichskanzlei/ 1919-1933/ 0011/ ma3/ ma31/ kap1_2/ kap2_163/ para3_2.html Abgerufen am 20.12.2018 22 Zur Rolle Richard Burks vgl. Artikel„ Burk“; Zu Hauptmann Koch als Gruppenführer Oexles vgl. Brief von Margarete Lang vom 5.5.1943; zu Oexles Rolle als Feldjäger im „Freikorps Damm“: Reichstagshandbuch 1936 - digital: https: / / www.reichstag-abgeordnetenbank.de/ select. html? pnd-130529060 Abgerufen am 20.12.2018. Zu Fritz Engler-Füßlin und dessen Tätigkeiten: „Fritz Engler-Füßlin“ auf Wikipedia, https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Fritz_Engler-Füßlin, Abgerufen am 13.11.2012. Die Tätigkeit Karl Jägers untersuchte der Militärhistoriker Wolfram Wette. Im Deutschlandfunk wurde dazu eine Radiosendung ausgestrahlt, deren Zusammenfassung sich im Internet befindet: LANGELS, Otto: Vom bürgerlichen Zögling zum fanatischen Kriegsanhänger. Wolfram Wette: Karl Jäger - Mörder der litauischen Juden, http: / / www.dradio.de/ dlf/ sendungen/ andruck/ 1518723/ , abgerufen am 13.11.2012. Zur Aktivität im Hause Lang und zur Annahme Oexles als Pflegesohn vgl. Brief von Margarete Lang vom 5.5.1943, S. 2. Dort auch die Zitate. Auch im Gesellschaftsvertrag vom 6. Juni 1943 ist ausdrücklich vermerkt, dass Eugenie Lang mündlich und schriftlich den Wunsch ausgesprochen habe, dass Oexle in das gemeinsame Erbe aufgenommen werden solle, StAF-Best. D180/ 2-Nr. 225.445. 23 SAÜ-Gemeindearchiv Nußdorf IV.2/ 6, Schreiben des Bezirksamts an das Bürgermeisteramt Nußdorf den Ratsschreiberdienst betreffend vom 17.10.1922; Ausschreibung der Stelle durch die Gemeinde am 21.10.1922; Verpflichtung Oexles am 12. Dezember 1922. Zur Gemeinderatssitzung vom 29.10.1922 vgl.: SAÜ-Gemeindearchiv Nußdorf C.VIII.1/ 5 Sitzungsprotokolle 1913-1929; dort auch der erste von Oexle unterzeichnete Eintrag vom 16.12.1922. 24 Zu den Beurlaubungen Oexles vgl. SAÜ-Gemeindearchiv Nußdorf C.VIII.1/ 7, Sitzungsprotokollbuch 1930-1935, Eintragung vom 14.4.1934. Zum Lob für seine Tätigkeit: Nußdorf im 925. Jahr, hg. vom Förderverein Nußdorf e.V., Überlingen 2017, S. 436. <?page no="116"?> 117 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist 25 Zu Oexles Verurteilung und Strafmaß; BAB-VBS1/ 1080083994, Karteikarte der Gauamtswalterschule der NSDAP Baden, Führerkurs Nr. 1 vom 10.7.1933 bis 30.7.1933. 26 Zu Oexles Vortragstätigkeiten vgl. Brief von Margarete Lang vom 5.5.1943, S. 3. Zu dem von Oexle gehaltenen Lichtbildervortrag im Rahmen des „Deutschen Tages“ in Markdorf vgl. Staatsarchiv Freiburg (StAF) W113 Nr. 0182, Bild 1- Plakatsammlung Karl Fritz. Die Seeschlacht bei Coronel, einer Stadt an der Westküste Chiles, fand am Abend des 1.-November statt. Das deutsche Kreuzergeschwader Ostasien, auch Kreuzergeschwader Graf Spee, nach dessen Kommandant benannt, versenkte die britischen Kreuzer „Good Hope“ und „Monmuth“ und beschädigte einen kleinen Kreuzer der Briten und einen Hilfskreuzer. Von den 1700 Mann Besatzung der „Good Hope“ und der „Monmouth“ überlebte niemand. Im Netz: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Seegefecht_bei_Coronel Abgerufen am 20.12.2018 Zur Seeschlacht bei den Falklandinseln vgl. Anm. 11. 27 Brief von Margarete Lang vom 5.5.1943. Margarete Lang betrachtete den Namen „Nazidorf“ eher als Ehre und Aufmunterung zu neuen Taten. Zur Gründung der NS-Frauenschaft vgl. BR vom 30.3.1935. 28 Zu den Zahlen bei der Reichstagswahl vgl. BR vom 30.3.1935. Zu den Gründungsversuchen von Ortsgruppen von Konstanz aus vgl. GRILL, The Nazi Party in Baden, S. 119, Anm. 41. 29 Zu Oexles Parteieintritt und seiner Mitgliedsnummer vgl. BAB- VBS1/ 1080083994; zur Gründung der Ortsgruppe Nußdorf vgl. BR vom 30.3.1935; zu Heinrich Achenbach: BR vom 18.6.1942; zu Johann Hund vgl. BR vom 9.4.1941. 30 Zu den Wahlergebnissen von 1930: „Seebote“ vom 15.9.1930; zu den beiden Wahlgängen der Reichspräsidentenwahl: Extraausgaben des „Seeboten“ vom 14.3. und vom 10.4.1932; zur Reichstagswahl vom 31.7.1932 vgl. DBZ vom 1.8.1932, zur Reichstagswahl vom 6.11.1932 vgl. DBZ vom 7.11.1932 und zur Reichstagswahl vom 5.3.1933 vgl. DBZ vom 6.3.1933. 31 Zur Gründung der verschiedenen Ortsgruppen vgl. BR vom 30.3.1935. 32 Zur Rednertätigkeit Oexles vgl. BR vom 30.3.1935 und vom 5.10.1940. Zu seinem Kuraufenthalt in Mergentheim siehe „Seebote“ vom 1.10.1930, zu den NS-Kundgebungen in Heiligenberg vgl. DBZ vom 12.9.1930. Aus diesem Artikel stammen auch die Zitate. 33 Zur Geschichte der Partei im Kreis Überlingen vgl. BR vom 30.3.1935 sowie vom 8.10.1940. Zu den Gemeindeverordneten- Bezirksrats- und Kreisratswahlen vgl. die Artikel im „Seeboten“ vom 3.11.1930, vom 6.11.1930, vom 18.11.1930, vom 20.11.1930, vom 21.11.1930 und vom 22.11.1930. Außerdem DBZ vom 22.11.1930. Die beglaubigten Listen zu den Gemeindeverordnetenwahlen von 1930 befinden sich im Stadtarchiv Überlingen: SAÜ-D3-0399. Zu den genannten Personen vgl. eine Liste mit Leumundszeugnissen : SAÜ-D3-407 vom 19.4.1933: <?page no="117"?> 118 Gustav Robert Oexle Mensch, Willi, Kaufmann geb. am 19.2.1889 in Assmanshard; Paul Seiler, Ingenieur, geb. am 2.7.1883 in Mannheim; Johann Schmid, Rechtsanwalt, geb. am 10.11.1889 in Seelfingen; Leopold Mauch, Oberzollsekretär, geb. am 20.7.1895 in Gosheim; Karl Reichert, Kaufmann, geb. am 2.12.1895 in Überlingen; Karl Hecker, Arbeiter, geb. am 21.4.1890 in Neudorf bei Kempten; Karl Mayer, Kaufmann, geb. am 5.12.1896 in Überlingen; Hans Schefold, Mechanikermeister, geb. am 23.9.1903 in Reicholdsried. Zu Alfons Hafen und Willi Mensch vgl. die Artikel im vorliegenden Band. Zur Wahl Paul Seilers durch die Gemeindeverordneten in den Gemeinderat: vgl. „Seebote“ vom 29.12.1930. Die NSDAP hatte mit der DNVP eine Einheitsliste gebildet und für die DNVP zog Emil Strobel in den Gemeinderat ein. 34 Der Antrag zu diesem SA-Treffen mit anschließender öffentlicher Versammlung im „Rabensaal“ ging am 8.6.1931 ein. Der Aufmarschplan für die SA stammt vom 11.6.1931. Die Nachrichten, dass SA-Leute aus Friedrichshafen, Ludwigshafen, Sipplingen und Pfullendorf nach Überlingen in LKWs und zu Fuß unterwegs seien, wurden vom Bezirksamt an die betreffenden Gemeinden am 12. 6. weitergeleitet: SAÜ-D3-2234. Der Bericht über den Aufmarsch der SA und die beiden NS-Redner stammt aus dem „Seeboten“ vom 16.6.1931. Schon im Mai 1931 waren anlässlich der Entlassung des badischen SA-Führers Ludin aus der Festungshaft 500 SA-Leute in Überlingen, darunter auch Konstanzer SA- Männer. Dies belegt eine Festschrift der SA-Standarte 114, die anlässlich des Aufmarsches der gesamten Standarte am 15. und 16.9.1934 in Konstanz herausgegeben wurde. Das Original befindet sich in der Hegaubibliothek Singen (Signatur: Bg 6805, 06.33) 35 Sämtliche Anträge für die Aufmärsche und die Versammlungen im Jahre 1931 finden sich im Überlinger Stadtarchiv: SAÜ-D3-2234. Die aufgeführten NS-Redner sind die prominenteren Nationalsozialisten aus Baden und anderen Teilen des Reiches. Zu Gottfried Feder: geb. am 27.1.1883 in Würzburg, gest. am 24.1941 in Murnau. Er galt als Wirtschaftstheoretiker der Partei und zählte zu den ersten Mitgliedern der DAP (Gründung am 5.1.1919), weitere Details: http: / / wikipedia.org/ wiki/ Gottfried_Feder , abgerufen am 17.12.2012. Zu Oexles Auftritten im Gau Württemberg vgl. BAB-VBS1/ 1080083994. 36 Zu den Terminen vgl. SAÜ-D3-2234. Zu Gregor Strasser, damals noch Reichsorganisationsleiter der NSDAP: geb. 31.5.1892 in Geisenfeld, im Rahmen des sog. „Röhmputsches“ wahrscheinlich auf Weisung von Göring und Goebbels am 30.6.1934 in Berlin ermordet. Rücktritt von allen politischen Ämtern außer dem Reichstagsmandat am 8.12.1932 nach Zerwürfnis mit Hitler über den politischen Kurs der NSDAP: vgl. http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Gregor_Strasser. Abgerufen am 17.12.2012. Zu Gertrud Scholtz-Klink, geb. 9.2.1902 in Adelsheim (Baden), gest. am 24.3.1999 in Bebenhausen: KRAMER, Nicole: „Scholtz-Klink, Gertrud, geborene Treusch“, in: Neue Deutsche Biographie 23(2007), S. 449-451. <?page no="118"?> 119 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Onlinefassung: http: / / www.deutsche-biographie.de/ pnd119288192. html, abgerufen am 17.12.2012. Zu Fritz Kiehn: geb. am 15.10.1885 in Burgsteinfurt, gest. am 1.9.1980 in Schwenningen, Zigarettenfabrikant (Efka-Werke) in Trossingen, Ortsgruppenleiter und Kreisleiter in Trossingen, Reichstagsabgeordneter. Über Kiehn gibt es eine Biographie von BERGHOFF, Hartmut / RAU-KÜHNE, Cornelia: Fritz K. Ein deutsches Leben im 20. Jahrhundert, DVA Stuttgart/ München 2000. Weitere Informationen: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Fritz_Kiehn#Karriere_im_ Nationalsozialismus. Abgerufen am 17.12.2012. Zu Walter Kirn: geb. 12.6.1891 in Mühlen am Neckar, Studium der Landwirtschaft in Hohenheim, Stuttgart und Jena, Kriegsteilnehmer in WK I, Leutnant der Reserve, Träger von EK I und II sowie des Friedrichsordens mit Schwertern und der Dienstauszeichnung der NSDAP in Bronze, 1919 in griechischer Gefangenschaft, dann Diplomlandwirt in einem landwirtschaftlichen Büro, seit 1926 Diplomlandwirt auf dem Königshof in Deisendorf, Landkreis Überlingen. Seit 1930 in der NSDAP, Ortsgruppenleiter in Deisendorf bei Überlingen und Bürgermeister von Salem, seit 1933 im Bezirksrat Überlingen, seit 1935 persönlicher Adjutant des Stellvertreters des Führers, Reichshauptamtsleiter Gustav Robert Oexle. Ab 1937 Kreisleiter in Donaueschingen, seit 1941 Kreisleiter im elsässischen Rappoltsweiler. BR vom 6.1.1941 und BR vom 14.11.1936. 37 Zur Bezeichnung „Tante Schwarz“ vgl. DBZ vom 30.9.1932. Die DBZ bezieht sich hier auf einen Artikel im „Führer“. Zum Pseudonym „Bresche“ vgl. DBZ vom 14.5.1932. Es ist naheliegend, dass hinter „Bresche“ der spätere Hauptschriftleiter der BR, Dr. Karl Neuscheler, steckte, der aufgrund seines Studiums der Germanistik und Journalistik dazu am ehesten fähig war. Zu den Anschlägen des „Führers“ am Hause von Alfons Hafen vgl. das Kapitel „Alfons Hafen“. Der Bericht über die kostenlos verteilten Ausgaben des „Führers“ in Bergheim stammt aus der DBZ vom 25.7.1932, dort auch das Zitat. 38 Das Zitat zu den Versammlungen der Nationalsozialisten ist nachzulesen in einem Artikel der DBZ vom 15.3.1932. 39 Zu den Plakatklebeaktionen und dem Beschmieren der Straßen vgl. den Polizeibericht des Wachtmeisters Weber vom 16.3.1932. Zum Strafantrag Hugs vgl. ein Schreiben Hugs an die Gendarmerie vom 15.3.1932. Zur Einstellung des Verfahrens vgl. Aktenvermerk vom 4.5.1932. Alle drei Schreiben in: SAÜ-D3-2234. 40 Zur Störung von Zentrumsveranstaltungen durch die Nationalsozialisten vgl. DBZ vom 12.1.1932, vom 20.7.1932 und vom 27.7.1932. Zur Aggressivität der Nationalsozialisten vgl. DBZ vom 9.4.1932, dort auch das Zitat. Zu den Beleidigungen des Zentrumsredakteurs durch die Nationalsozialisten vgl. DBZ vom 19.11.1932. Zur Provokation Löhmanns durch Kreisleiter Oexle und zur Einschätzung der NS-Presse durch die DBZ vgl. die Ausgabe vom 17.12.1932 mit dem entsprechenden Zitat. <?page no="119"?> 120 Gustav Robert Oexle 41 Zu Oexles Aktivitäten im Vorfeld der Reichstagswahl vom 31.7.1932 zählten u. a. drei Wahlkampfreden in 2 Tagen in Mühlhofen, Hohenbodman und Deggenhausertal zum Thema „ Schluss mit dem Verrat der Schwarz-roten Parteien“, KAB, Best. 005.2-129 a, Verfassungsfeindliche Organisationen. Zu den Wahlergebnissen: Nationalsozialismus in Überlingen und Umgebung. Materialien zusammengestellt von Oswald BURGER, Werner BUX, Walter HUTTER, Hans KLEY und Günther ZIPF, in: Geschichte am See 22, hg. vom Kreisarchiv des Bodenseekreises, Friedrichshafen 1984, S. 6 ff. Dort auch die Landtagswahlergebnisse und Wahlergebnisse im Amtsbezirk Überlingen. Zur Niederlage der NSDAP aus Sicht des Zentrums vgl. DBZ vom 7.11.1932. 42 Zu den NS-Versammlungen im ganzen Bezirk vgl. eine Liste der Redner und der Orte in SAÜ-D3-2234. 43 Zum Verbot der DBZ vgl. BURGER (et al.): Nationalsozialismus in Überlingen, S. 26. Zu den Wahlergebnissen in der Stadt Überlingen und im Bezirk vgl. ebenda S. 8; zu Markdorf: DBZ vom 6.3.1933. 44 Zur Beflaggung des Ratshauses am 6.3.1933 vgl. „Seebote“ und DBZ vom 7.3.1933. Während der „Seebote“ den Vorgang völlig in Ordnung fand, sprach die DBZ von „Überrumpelung“. Zur Beurlaubung Oexles siehe SAÜ-Gemeindearchiv Nußdorf C.VIII.1/ 7, Sitzungsprotokollbuch 1930-1935, Sitzung vom 9.3.1933. Zur Beflaggungsaktion am 9.3.1933 vgl. DBZ vom 10.3.1933. Bilder des Fotostudios Lauterwasser Überlingen von der Beflaggungsaktion vom 6.3.1933 und vom 9.3.1933 in: BURGER (et al.): Nationalsozialismus in Überlingen, S. 23 und S. 35. 45 Zur Ernennung Hitlers und Wagners zu Ehrenbürgern: SAÜ-Gemeindearchiv Nußdorf C.VIII.1/ 7, Sitzungsprotokollbuch 1930-1935, Sitzung vom 9.3.1933. Die Zitate sind dem Protokollbuch entnommen. Ein Bericht dazu erschien am 10.3.1933 auch in der DBZ. Was die Erhaltung der gemeindlichen Selbständigkeit betrifft, ging diese Auseinandersetzung auch unter dem späteren NS-Bürgermeister Dr. Spreng weiter, der ebenfalls vorhatte, Nußdorf einzugemeinden, dem dies aber auch nicht gelang, vor allem weil sich G.-R.-Oexle massiv dagegen aussprach. Erst 1975 im Rahmen der Gemeindereform wurde Nußdorf in die Stadt Überlingen eingemeindet. Tatsächlich hatte die NSDAP vor 1933 die Unabhängigkeit kleiner Gemeinden gegen den Zugriff größerer Städte verteidigt und sich zu Rettern der kleinen Gemeinden hochstilisiert und 1931 sogar eine Vorlage dazu in den badischen Landtag eingebracht. Der Kommunalexperte der badischen Nationalsozialisten Van Raay schrieb sogar 1932 Artikel gegen die Versuche des Überlinger Bürgermeisters, die umliegenden kleinen Gemeinden in die Stadt Überlingen einzugliedern. Vgl. dazu: GRILL: The Nazi Party in Baden, Vol.1, S. 371 sowie Anm. 210 und 211. Auf diesem Hintergrund ist die Verleihung des Ehrenbürgerrechts an Gauleiter Wagner auch zu verstehen. 46 Zum Vorschlag des badischen Innenministeriums siehe Schreiben vom 16.3.1933 in: BURGER (et al.): Nationalsozialismus in Überlingen <?page no="120"?> 121 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist S. 37- f. Zur Notiz des Landrats über die telefonische Anweisung, den Rechtsanwalt Johann Schmid zum Verwaltungskommissar einzusetzen vgl. ebenda S. 40. Das Schreiben der NSDAP Ortsgruppe an das Bezirksamt datiert vom 27.3.1933: ebenda S. 43. Zum Strafverfahren gegen Dr. Emerich und zu seinem Tod, ebenda S. 42. Zum Schreiben der Ortsgruppe der NSDAP im Fall von Franz Hug, Schreiben der NSDAP- Ortsgruppe vom 22.4.1933, ebenda S. 45. Zur Amtsentlassung Hugs vgl. Artikel der BR vom 28.4.1933. 47 Zur Umsetzung des Gleichschaltungsgesetzes in Überlingen vgl. die Vorschlagslisten der Parteien und die offiziellen Ergebnislisten: SAÜ-D3-407. Außerdem Artikel des „Seeboten“ vom 29.4.1933 mit den offiziellen Ergebnissen. 48 Zur Neuwahl des Bürgermeisters vgl. DBZ vom 20.5.1933. 49 Zur Selbstauflösung der Parteien: DVP 8.3.1933, BURGER (et al.): Nationalsozialismus in Überlingen, S. 26; Staatspartei 30.3.1933, ebenda S. 27 und Artikel der BR vom 3.4.1933; SPD 8.5.1933, 130 Jahre Sozialdemokraten in Überlingen. Zur Geschichte 1878-2008. BURGER, Oswald, HOFFMANN, Dietram, HESS, Margot und KÖNIG, Karl Heinz (Hg.), Überlingen 2008, S. 39. Als PDF im Netz: https: / / www.yumpu. com/ de/ document/ view/ 8589947/ zur-geschichte-1878-2008-spd-ortsverein-überlingen . Abgerufen am 21.12.2018. Artikel des „Seeboten“ vom 11.5.1933: „Die SPD verschwindet“. Zum Zentrum: Schreiben der Zentrumspartei Überlingen an das Bürgermeisteramt vom 8.7.1933, unterzeichnet von Glasermeister Hueber. Alle Zentrumsgemeinderäte und Bürgerausschussmitglieder legen durch Unterschrift ihre Mandate nieder: SAÜ-D3-407. 50 Die Ernennung zu Vertrauensmännern erfolgte am 2.6.1933, KAB Best. 000.02 ÜB-A-21. Sowohl Chevalier wie Mauch waren Mitglieder im NS- Beamtenbund. Mauch war außerdem Adjutant von Kreisleiter Oexle. Die aus dem Kreisarchiv des Bodenseekreises stammenden Listen (Originale im KAB, Best. 000.02 ÜB-A-21, Gesetz zur Wiederherstellung des Beamtentums) sind abgedruckt in: BURGER (et al.): Nationalsozialismus in Überlingen, S. 54 ff. Dort ebenfalls das Schreiben des Badischen Innenministeriums vom 21.6.1933 zum Fall des Betriebsmonteurs in der Zweigstelle des Badenwerks in Weildorf. S.- 58. Zu der Veranstaltung im Mai 1933 im „Raben“ vgl. die übereinstimmenden Aussagen des Finanzobersekretärs Wilhelm Stärk vom 20.10.1945, des Betriebsleiters Otto Bührle vom 19.11.1945 und des Stadtoberinspektors Knörzer vom 19.11.1945; alle in: SAÜ, Nachlass Karl Löhle. 51 Zu den Verhaftungen Peter Löhmanns vgl. BURGER (et al.): Nationalsozialismus in Überlingen, S. 27 (erste Verhaftung) und BR vom 10.6.1933 (zweite Verhaftung) mit dem entsprechenden Zitat. Zur Verhaftung Karl Löhles: BR vom 19.5.1933 und DBZ vom 19.5.1933. Die zitierten Stellen stammen aus dem Artikel der BR. Zur Länge der Schutzhaft und der <?page no="121"?> 122 Gustav Robert Oexle Geldstrafe vgl. die Aussagen Karl Löhles im Entnazifizierungsfragebogen des Gouvernement Militaire: SAÜ, Nachlass Karl Löhle. 52 Zur Versammlung der Ortsgruppe der NSDAP Markdorf vgl. BR vom 10.7.1933. Das Zitat stammt aus diesem Bericht. Zur Aktion gegen die KPD vgl. BR vom 17.11.1933 mit den entsprechenden Zitaten. Die KPD wurde von der NSDAP als Hauptfeind betrachtet. Immerhin war die Partei noch im Januar 1933 mit 70 Anhängern in Mimmenhausen zu einer Großdemonstration zusammengekommen. „Bote vom Salemer Tal“, Nr. 10 vom 12. 1.1933. 53 Zur Pension Lang als Geschäftsstelle und zu dem in die Partei investierten Vermögen vgl. Brief von Margarete Lang vom 5.5.1943, S. 3; zum Umzug in die „Löwenzunft“: „Südkurier“ vom 2.5.2008. Die Wanderlegende zur „Löwenzunft“. Zu den Mitgliederzahlen in der Stadt Überlingen vgl. BR vom 12. und 14.5.1934. Zur Mitgliederzahl im Bezirk: BR vom 20.2.1934. Dort auch die Organisationsstruktur des NS-Kreises Überlingen. 54 Zur Karriere von Dr. Karl Neuscheler: geb. 1897 in Pfullingen (Württ.), 1915 Notreifeprüfung, dann Fahnenjunker-Kriegsfreiwilliger an der Westfront, seit 1916 Offizier, nach Kriegsende philologische Studien in Tübingen und München. 1923 Promotion in Germanistik in einer literaturhistorischen Arbeit über Gerhart Hauptmann und Leo Tolstoi. Dann im Verlagsbuchhandel tätig, sowie mehrere Jahre an der Schlossschule Salem, wo er wegen seiner nationalsozialistischen Tätigkeit entlassen wurde. 1929 Beitritt zur NSDAP in Heidelberg, 1930 Eintritt in die SA in Überlingen, seit 1932 Führer der SA-Standarte, Sturmbann III/ 113. Seit Oktober 1932 Hauptschriftleiter der NS-„Bodensee-Rundschau“ und SA- Standartenführer, SA-Standarte III/ 114. Übergabe derselben an den neuen SA-Standartenführer, Pg. von Haldenwang in Konstanz (29.6.1933). Dann Übertragung der Hauptschriftleitung des „Führers“, des offiziellen Gauorgans, in Karlsruhe an Neuscheler durch Gauleiter Wagner. Parallel dazu ab 1935 Lehrauftrag für praktische Zeitungskunde an der Universität Heidelberg. Von 1937 bis 1939 Korrespondent des „Völkischen Beobachters“ und des „Angriffs“ in Moskau. Seit 1939 stellvertretender Hauptschriftleiter des „Völkischen Beobachters“ in Wien. Lehrtätigkeit an der Universität Wien, Leiter der Hauptabteilung II zur Erforschung und Förderung des internationalen Zeitungswesens. 1941: Veröffentlichung einer Propagandabroschüre zusammen mit KLUG, Kajetan: „Die größte Sklaverei der Weltgeschichte. Tatsachenbericht aus den Strafgebieten der GPU, Berlin 1941.“ Seit dem 9.11.1942 SA-Brigadeführer; 30.1.1943: Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens an Dr. Karl Neuscheler durch den Führer. Seit 15.4.1944 Kreisleiter in Freiburg, seit dem 5.12.1944 kommissarischer Kreisleiter in Mannheim. Biografische Angaben zusammengestellt aus Artikeln der DBZ vom 11.2.1932, der BR vom 13.5.1933, vom 29.6.1937, vom 15.4.1944 und vom 15.1.1945. Weitere Informationen: KNIEFA- CZ, Katharina: Wiener „Schule“ der Zeitungswissenschaft, in: Universität <?page no="122"?> 123 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist und Disziplin. Angehörige der Universität Wien und der Nationalsozialismus, Münster 2011, S. 90 f.; DUCHKOWITSCH, Wolfgang, HAUS- JELL, Fritz, SEMRAD, Bernhard (Hg.): Die Spirale des Schweigens. Zum Umgang mit der nationalsozialistischen Zeitungswissenschaft, Wien 2004 (2.Aufl.); PETER, Roland: Rüstungspolitik in Baden. Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz in einer Grenzregion im 2.Weltkrieg, Schriftenreihe des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Bd. 44, München 1995, S. 403. Im Netz: Liste der SA- Brigadeführer, http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Liste_der_SA-Brigadeführer. Abgerufen am 7.12.2012. 55 Zur Karriere von Leopold Mauch: geb. am 20.7.1895 in Gosheim (Württ.), 1920 Eintritt in die badische Zollverwaltung, 1930 Zollinspektor, 1933 Oberzollinspektor in Karlsruhe, seit 1940 Zollamtmann und seit 1941 Zollrat, also in den höheren Dienst befördert. Seit dem 1. 9.1934 aber als Beamter auf Dauer beurlaubt. Leistete keinen aktiven Verwaltungsdienst mehr. Schon seit 1930 für die Partei tätig. Offizieller Parteieintritt: 1.12.1931. Seit diesem Zeitpunkt Mitarbeit in der Kreisleitung Überlingen als Kreisadjutant. Seit dem 29.4.1933 NS-Gemeinderat in Überlingen. Mitglied im Verkehrsausschuss und in der Schulkommission. Offiziell zum 1.8.1933 zum Personalamt beim Landesfinanzamt in Karlsruhe versetzt. Danach Geschäftsführer im Gauamt für Beamte und seit dem 11.5.1934 Leiter desselben. 1936 Eröffnung der Gauschule Hornberg der NSDAP-Stätte der weltanschaulichen und politischen Schulung für die Beamten der Südwestmark durch ihren Gründer Leopold Mauch. 1940 kommissarischer Kreisleiter in Emmendingen und 1944 in Waldshut. Seit 1943 Gauinspekteur. Biografische Angaben zusammengestellt aus Archivalien des Stadtarchivs Überlingen: SAÜ- D3-407, hier seine Tätigkeit als Gemeinderat seit dem 29.4.1933, sein Abschiedsschreiben an das Bürgermeisteramt vom 24.7.1933; zur Gründung der Gauschule für Beamten vgl. SAÜ-D3-1141. Artikel aus dem „Seeboten“ vom 29.4.1933 sein Gemeinderatsmandat betreffend und vom 26.7.1933 seinen Abschied aus Überlingen betreffend. Des Weiteren: Artikel der BR vom 2.6.1933 (Mitglied in der Schulkommission) und vom 10.7.1933 (Mitglied des Verkehrsausschusses). Als Kreisadjutant war Pg. Mauch außerdem in den Vorgang der Machtergreifung und Gleichschaltung involviert. Zu weiteren Informationen: ROSER, Hubert / SPEAR, Peter: „Der Beamte gehört dem Staat und der Partei“. Die Gauämter für Beamte und für Kommunalpolitik in Baden und Württemberg im polykratischen Herrschaftsgefüge des NS-Regimes, in: Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie. Baden und Württemberg 1930- 1952, hrsg. von Cornelia Rauh-Kühne und Michael Ruck, München 1993, S. 78 f. 56 Das Schema des Aufbaus der Kreisleitung ist abgedruckt in BR vom 20.2.1934. 57 Zu Oexles Einzug in den Kreistag und den Rechtspflegeausschuss vgl. BR vom 20.6.1933. Oexle war stellvertretender Kreisvorsitzender zumindest <?page no="123"?> 124 Gustav Robert Oexle ab 1934. Kreisvorsitzender war ab 1934 der Kreisleiter von Konstanz und Bürgermeister von Radolfzell, Speer-SAÜ-D3-2371. Oexle wurde durch Erlass des Bad. Innenministeriums vom 5.8.1937 von Dr. Spreng abgelöst: SAÜ-D3-2372. Zu Oexles Einzug in den badischen Landtag siehe Artikel der BR. vom 13.4.1933. Der NSDAP standen 30 Sitze zu. Oexle nahm Platz 14 der von der NSDAP eingereichten Liste ein, Vinzenz Keil Platz 29. SAÜ-D3-2354, Karlsruher Zeitung Nr. 89 vom 15.4.1933. Zu seiner Tätigkeit als Schriftführer der 2. Kammer vgl. http: / / ltpbw.blbkarlsruhe.de#http: / / digital.blb-karlsuhe.de, abgerufen am 10.12.2012. 58 Zum Besuch der Gauamtswalterschule: BAB-VBS1/ 1080083994. Zum Wagen der Benz-Werke und dem verspäteten Eintreffen Oexles in Nürnberg vgl. Brief des badischen Stabsleiters Röhn an die Reichsorganisationsleitung in München vom 18.7.1933: BAB-NS/ 022/ 000254. Zum Weiteren: Artikel der BR vom 25.7.1933 und vom 2.9.1933. Daraus auch die entsprechenden Zitate. 59 Zu Robert Ley vgl. http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Robert_Ley, abgerufen am 3.01.2013. Zur offiziellen Aufnahme Oexles in den Dienst der Reichsleitung am 15.10.1933 vgl.: Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP. Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes. Regesten Bd. 2. Bearbeitet von Helmut HEIBER, Institut für Zeitgeschichte (Hg.), Teil I, München/ Wien 1983, S. 820, Regest Nr. 26423. Oexle wurde nicht durch die Parteikanzlei besoldet, sondern durch Schatzmeister Schwarz von der Reichsleitung der Partei. Vgl. dazu auch BAB-VBS1/ 1080083994. Brief vom 26.5.1943 an die Barmer Ersatzkasse in Konstanz, in dem ebenfalls festgestellt wurde, dass Oberdienstleiter Oexle seit dem 15. Oktober 1933 in Diensten der Reichsleitung stand. Zur erstmaligen Nennung als Gebietsinspekteur: BR vom 26.10.1933; Zur Gebietszuständigkeit: LILLA: Statisten in Uniform, S. 446, Artikel „Oexle“. Zum Verhältnis Gauinspekteure - Reichsgebietsinspekteur vgl.: ARBOGAST, Christine / GALL, Bettina: Aufgaben und Funktionen des Gauinspekteurs, der Kreisleitung und der Kreisgerichtsbarkeit in Württemberg, in: Rau-Kühne, Cornelia/ Ruck, Michael (Hg.): Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie. Baden und Württemberg 1930-1952, München 1993, S. 152 f. Dort auch die zitierte Stelle über die Gauinspekteure. Oexle kannte sowohl den badischen Gauinspekteur Speer wie auch den Kreisleiter Maier von Ulm persönlich. Mit Speer war Oexle z.-B. am 3.12.1933 bei einem Appell der Gauinspektion VII Baden in Singen aufgetreten (BR vom 3.12.1933). Mit dem Ulmer Kreisleiter Maier trat er bei einer NS-Kundgebung in Markdorf auf, vgl. DBZ vom 7.7.1933. 60 Zum Machtkampf zwischen Ley und Heß/ Bormann vgl. Anm. 59, den Wikipedia-Artikel „Robert Ley“. Außerdem: LONGERICH, Peter: Hitlers Stellvertreter. Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparates durch den Stab Heß und die Partei-Kanzlei Bormann. Eine Publikation des Instituts für Zeitgeschichte, München 1992, S.14 f. Dort auch die Übernahme der Gebietsinspekteure als „Beauftragte der Parteileitung“ <?page no="124"?> 125 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist und das Zitat aus dem Brief Bormanns an die Gauleiter. Zur Gebietseinteilung 1935/ 1936: LILLA: Statisten in Uniform, S. 446. 61 Abgabe des Kreisleiteramtes an Alfons Hafen vgl. BR vom 6.3.1934, außerdem Artikel „Alfons Hafen“. 62 Zu den Ergebnissen der „Reichstagswahl “ und der Volksabstimmung auf Reichsebene: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Reichstagswahl_November_1933, abgerufen am 4.1.2013. Zu den Ergebnissen im Bezirk Überlingen vgl. BR vom 13.11.1933. Zu Oexles Rundfahrt durch den Bezirk am Wahltag vgl. BR vom 16.11.1933. Dort die Zitate. 63 Zu Oexles geplantem Besuch auf dem Obersalzberg vgl. BR. vom 2.1.1934. Zum erfolglosen Vorschlag Oexles auf der Liste vom 12.11.1933 vgl. http: / / forum.axishistory.com/ viewtopic.php? f=45&t=68180, abgerufen am 8.8.2011. Dort auch der Einzug Oexles anstelle von Otto Maier; außerdem: Reichstagshandbuch, Bd. 1933, IX. Wahlperiode 1933, Berlin 1933, S. 14. 64 Zur Diätenfrage und zur Rolle des Reichstags im 3. Reich: BUTZER, Hermann: Diäten und Freifahrt im Deutschen Reichstag. Der Weg zum Entschädigungsgesetz von 1906 und die Nachwirkungen dieser Regelungen bis in die Zeit des Grundgesetzes. Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, (Hg.), Bd. 116, Düsseldorf 1999, S. 405 ff. Zu Oexles Gehaltszahlung seit dem 1.1.1942 vgl. BAB-VBS1/ 1080083994, Brief des Reichsschatzmeisters Schwarz an Gustav Robert Oexle vom 28. April 1942. Zu einer weiteren Aufwandsentschädigung von 400-RM ab dem 1.7.1943: Brief vom 29.6.1943 des Reichsschatzmeisters Schwarz an Gustav Robert Oexle. Zu den vorherigen Aufwandsentschädigungen: Nach einem Schreiben des Reichsschatzmeisters vom 6.4.1943 waren für Oexle bisher 300- RM Aufwandsentschädigung gezahlt worden. Aus einem weiteren Schreiben vom 26. Mai 1943 geht hervor, dass seit dem 1.9.1939 bis zum 31.12.1941 ebenfalls schon eine monatliche Aufwandsentschädigung bezahlt wurde. Für die Zeit davor konnte ich in den Akten keinen Nachweis finden. Es ist aber anzunehmen, dass Oexle auch schon davor eine Aufwandsentschädigung erhielt; alle Nachweise: BAB-VBS1/ 1080083994. Seit dem 1.7.1943 verdiente Oexle - Diäten, Besoldung durch die Partei und Aufwandsentschädigung zusammengerechnet - etwa 2440-RM, für die damalige Zeit eine stattliche Summe. 65 Zum Erlöschen des Auftrags der „Beauftragten der Parteileitung“, vgl. LONGERICH: Hitlers Stellvertreter, S. 38. Dort auch namentlich genannt die übrigen 5 Beauftragten. Zu den Vorwürfen gegen Oexle und die anderen Beauftragten: siehe Akten der Parteikanzlei, Bd. 1, Regest Nr.- 10775, Stellungnahme des Führeradjutanten Wiedemann vom 8.4.1935. Zu Fritz Wiedemann: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Fritz_Wiedemann_(Offizier), abgerufen am 7.1.2013. Zu Oexles Aufenthalt auf der Ordensburg Crössinsee vgl. BR vom 28.4.1936. Dort auch das Zitat. Zum <?page no="125"?> 126 Gustav Robert Oexle Weiterbestehen von Oexles Dienststelle vgl. BAB-VBS1/ 1080083994 und Akten der Parteikanzlei, Bd. 2, Regest Nr. -21818, S. 241, Telefonische Bitte Wegeners vom 30.6.1936. Zur Person von Paul Wegener siehe: SPITTA, Theodor: Neuanfang auf Trümmern. Die Tagebücher des Bremer Bürgermeisters Theodor Spitta 1945-1947, hrsg. von Ursula Büttner und Angelika Voß-Louis, München 1992, S. 56, Anm. 92. Dort in geraffter Form Wegeners Lebenslauf und Karriere im NS-Staat. 66 Zu Philipp Bouhler vgl. http: / / verwaltungshandbuch.bayerische-landesbibliothek-online.de/ bouhler-philipp, abgerufen am 5.01.2013. Das Nationalsozialistische Jahrbuch erschien durchgängig jedes Jahr und verzeichnete die wichtigsten Amts- und Funktionsträger der Partei. Zum Adjutanten Oexles, Walter Kirn, vgl. Anm. 36. Dass Oexle zumindest seit 1942 ein Dienstfahrzeug hatte, geht aus einem Pachterneuerungsvertrag vom 31.1.1943 des Reichsschatzmeisters in Berlin, vertreten durch Pg. Oexle, mit der Gemeinde Nußdorf wegen Erstellung einer Autogarage im Gewann Wiegel für die Dauer von 6 Jahren ab 1. Mai 1942 bis 1948 hervor. Für das von der Gemeinde zur Verfügung gestellte Gelände zahlte der Reichsschatzmeister der Gemeinde eine jährliche Pacht von 5-RM: SAÜ- Gemeindearchiv Nußdorf C.VIII.1/ 8, Sitzungsprotokolle des Gemeinderats. Aus einem Schreiben des Reichsschatzmeisters vom 21.7.1944 geht hervor, dass Oexle zu diesem Zeitpunkt den PKW II A-57670 stilllegen ließ: BAB-VBS1/ 1080083994. 67 Dieser Vorgang wurde rekonstruiert aus Originalakten, die 1945 in den Trümmern der Reichskanzlei gefunden wurden und sich im Besitz des Instituts für Zeitgeschichte in München befinden. Sie wurden erstmals als Dokumentation in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte, 3. Jg. 1955, Heft 3, S. 311 veröffentlicht unter dem Titel „Streiflichter zur Geschichte der Wahlen im Dritten Reich.“ Die Zitate von Robert Ley stammen aus dem ebenfalls abgedruckten Auszug des Artikels aus dem „Völkischen Beobachter“, die von Seidel und Oexle aus den mitabgedruckten Berichten der beiden „Beauftragten der Parteileitung.“ 68 Eine erste Beschwerde gegen Drauz ging schon im Dezember 1933 durch den Stadtrat Trölle ein wegen Ausschreitungen und andauernder Willkürakte: Akten der Parteikanzlei Bd. 2, Regest Nr. 20309, S.-37. Zu Richard Drauz: SCHLÖSSER, Susanne: Was sich in den Weg stellt, mit Vernichtung schlagen. Richard Drauz, NSDAP-Kreisleiter von Heilbronn. In: Michael KISSENER, Joachim SCHOLTYSEK: Die Führer der Provinz: NS-Biographien aus Baden und Württemberg, 2. Auflage, Konstanz 1997, S.-143-159. Zur Klageerhebung kam es in folgenden Fällen: Akten der Parteikanzlei, Bd. 1, Regest Nr.-11364, S. 160 und Regest Nr.-11375, S.- 11374: Beschwerdeführer Dietrich 1936 wegen Beleidigung von Kreisleiter und Bürgermeister Sedelmayer in Donaueschingen zu vier Wochen Gefängnis, Ausschluss etlicher „Stänkerer“ aus der Partei und Dienstenthebung des Beschwerdeführers; Akten der Parteikanzlei, Regest Nr. 13226, S.-375: Entlassung des Postinspekteurs Konrad Näpflein aus <?page no="126"?> 127 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Lindau 1939 unter Bedingung absoluter Zurückhaltung, ansonsten Einweisung in ein Konzentrationslager. Die Beschwerde ging ursprünglich aus von einem Fritz Strauß, einem Kriegskameraden Hitlers, weil Näpflein beleidigende Äußerungen über den ehemaligen Kreisleiter Wagner verbreitet habe. Zum Streit von NSBO und NS-Hago 1936 vgl. Akten der Parteikanzlei, Bd. 2, Regest Nr. 21919, S. 253; Zur Unterbringung des Pg. Schuster 1937 auf Wunsch des Führers vgl. Akten der Parteikanzlei, Bd. 1, Regest Nr. 11742, S. 204; Zur Personalie Walecek 1939 vgl. Akten der Parteikanzlei, Bd. 1, Regest Nr. 13177, S. 369. Zum Protest der Ludwigsburger Schreiner 1934 vgl. Akten der Parteikanzlei, Bd. 2, Regest Nr. 20658, S.-36f. 69 Zum Fall Gauinspekteur Paulsen und Gauleiter Lohse vgl. Akten der Parteikanzlei, Bd. 1, Regest Nr. 11903, S. 222; zur Gauinspekteurstagung der schlesischen Gauinspekteure unter Pg. Oexle in Berlin im März 1937 vgl. Schreiben vom 9. März 1937: BAB-VBS1/ 1080083994.; zum Fall Habbes in Westfalen: Akten der Parteikanzlei, Bd. 1., Regest Nr. 12631, S. 307. Zu den Hintergründen dieser Streitigkeiten: ALBERS, Helene: Die stille Revolution auf dem Lande. Landwirtschaft und Landwirtschaftskammer in Westfalen-Lippe 1899-1999. Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe (Hg.), Münster 1999, S. 32 ff. Die Einschätzung Oexles durch Dietrich Orlow in: ORLOW, Dietrich: The Nazi Party 1919-1945, New York 2010, S. 333. Die Übersetzung des Zitates wurde von mir selbst vorgenommen. Im Original lautet die Stelle: „He was empowered to investigate all complaints emanating from any Gau in the Reich and also to call national meetings of the Gau inspectors. In effect, the Gau inspectors became his subordinates.” Zur Auszeichnung mit dem Goldenen Parteiabzeichen vgl. BR vom 2.2.1939 und PATZWALL, Klaus D.: Das Goldene Parteiabzeichen und seine Verleihungen ehrenhalber. Studien zur Geschichte der Auszeichnungen, Bd. 4, Norderstedt 2004, S. 80.: Oexle, Gustav, Nußdorf am Bodensee, Parteinummer 245740 am 30.1.1939, Verleihung des goldenen Parteiabzeichens ehrenhalber. 70 Zum Englandflug von Heß am 10. Mai 1941: Artikel des „Spiegels“ S.-43/ 1963: „Befehl von Wotan“, S.-78 ff. Zu Bormann: Die Braune Elite I - 22 biographische Skizzen. Roland SMELSER und Rainer ZITEL- MANN (Hg.), 3. Auflage, Darmstadt 1994, S. 1 ff. Zur Besoldung Oexles vgl. Anm. 64. 71 Die Prozessakte, von der es nur eine Kopie gibt, ist abgedruckt bei: PO- LIAKOV, Leo / WULF, Josef: Das Dritte Reich und seine Diener, Berlin 1975, S.-255-270. Dort befindet sich ebenfalls die eidesstattliche Erklärung des Beisitzers Dr. Ferber, aus der die entsprechenden Zitate stammen. Im Netz: NS-Archiv: Dokumente zum Nationalsozialismus: Die Affäre Katzenberger, http: / / www.ns-archiv.de/ system/ justiz/ katzenberger.php, abgerufen am 5.12.2011. Zum Nürnberger Juristenurteil vgl. https: / / werlrewi.hu-berlin.de/ admin/ uploads/ Juristenurteil.Auszueg.pdf. Abgerufen am 20.12.2018. Daraus auch die entsprechenden Zitate. Eine weitere Zu- <?page no="127"?> 128 Gustav Robert Oexle sammenfassung dieses Urteils findet sich im Netz unter https: / / www.justiz.bayern.de/ .../ NuernbergerProzess/ Kastner_dolch_des_mörders.pdf. Abgerufen am 20.12.2018. Eine Wertung des Prozesses von 1942 in: „Ein Justizkollegium weit schlimmer wie eine Diebesbande“, Die Vernichtung von Leo Katzenberger durch das Sondergericht Nürnberg. Rechtsgeschichtlicher Beitrag zu einem Sondergerichtsprozess aus dem Jahre 1942 (einem der Anklagepunkte des Nürnberger Juristenprozesses 1947) von Hartmut FROMMER und Kathrin WESTNER, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Nürnbergs 85 (1988), S.- 315 ff. Im Netz: https: / / www.justiz.bayern.de/ media/ images/ behoerden-und-gerichte/ Oberlandesgerichte/ NuernbergerProzeß. Abgerufen am 20.12.2018. Außerdem: PESCHEL-GUTZEIT, Lore Maria (Hg.): Das Nürnberger Juristenurteil von 1947. Historischer Zusammenhang und aktuelle Bezüge. Baden-Baden 1996. Im Jahre 1997 veröffentlichte die Journalistin Christiane Kohl einen Roman mit Bezug zum Katzenberger Prozess: KOHL, Christiane: Der Jude und das Mädchen. Eine verbotene Freundschaft in Nazideutschland, Hamburg 1997. In gekürzter Version als Hörbuch und MC Kassette mit Mario Adorf. 1961 entstand der Hollywoodfilm über den Juristenprozeß: „Das Urteil von Nürnberg“, in dem Judy Garland das Mädchen Irene spielt. Am 18. April 2002 lief in den deutschen Kinos der Film „Leo und Claire“ (Odeon) an, in dem die Katzenberger- Affäre filmisch aufgearbeitet ist. Eine Besprechung mit Bildern unter: Holcaust-Referenz: Die Affäre Katzenberger(Leo und Claire). Im- Netz: https: / / www.h-ref.de/ verfolgung/ justiz/ affaere-Katzenberger.php. Abgerufen am 14.01.2013. 72 Zu den Auftritten der badischen Parteigrößen in Überlingen und den Terminen: SAÜ-D3-2234. Zu Karl Lenz und dessen Karriere: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Karl_Lenz_(Politiker). Abgerufen am 21.1.2013. Zu Gottfried Feder siehe Anm. 35. 73 Zu Strasser und Kiehn vgl. Anm. 36. Zum Auftritt Kiehns am 3. März 1933: SAÜ-D3-2234. Der Kauf des Grundstücks am See durch Gregor Strasser und sein Besuch bei Fritz Kiehn in Nußdorf ist im Protokollbuch vermerkt: SAÜ-Gemeindearchiv Nußdorf C.VIII.1/ 7, Sitzungsprotokollbuch 1930, hier: Protokoll vom 1.9.1932 TOP 2. 74 Oexle kündigte den Besuch Rudolf Schmeers am 14.9.1933 an, am 16.9. berichtete die BR davon. Die BR hatte hier offensichtlich etwas falsch verstanden, denn Schmeer war zwar mit der Organisation des Reichsparteitages betraut, war aber Reichsinspekteur und nicht Reichsorganisationsleiter. Das war Robert Ley. Zu Rudolf Schmeer: http: / / de.wikipedia. org/ wiki/ Rudolf_Schmeer, abgerufen am 5.1.2013. Der Besuch der Gauamtswalterschule und ihres Leiters erfolgte am 20.9.1933: Bericht der BR vom 21.9.1933. Dort auch die Zitate. 75 Zum Besuch Rudolf Schmeers und mehrerer Pg. aus dem Organisationsamt des Reichsparteitages: Bericht der BR vom 22.5.1934. Dort auch die entsprechenden Zitate. Der badische Innenminister Pflaumer hatte mit <?page no="128"?> 129 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist seiner Familie für einige Tage Quartier bei Frl. Lang in Nußdorf genommen: BR vom 24.8.1933. 76 Zur Besichtigungstour von Ley und Oexle: BR vom 30.7.1934. Das Zitat ist aus diesem Artikel. Zu den Vorgängen bei den Vertrauensratswahlen am 12./ 13.4.1935 vgl. Anm. 67. Dort auch die Belegstellen für die Zitate aus dem Bericht Oexles. 77 Der Brief Oexles an Bürgermeister Dr. Moll vom 30.4.1935 ist abgedruckt in: Meersburg unter dem Hakenkreuz 1933-1945, Museumsverein MEERSBURG (Hg.), Meersburg 2011, S. 152; Die Beteiligung von Stadtverwaltung und Kreisleitung Überlingen ergibt sich aus den Akten in: SAÜ-D3-2305. Darin auch ein Schreiben von Bürgermeister Dr. Spreng vom 26.6.1933 an Bormann, verbunden mit dem Wunsch, ihn bald wieder am See begrüßen zu dürfen. Als kleines Geschenk wurde Stabsleiter Bormann ein Linolschnitt der Stadt mitgeschickt. Zu den Gästen des Stabes zählten unter anderem auch der Generalinspektor des Straßenwesens Dr. Todt (später „Organisation Todt“) sowie der Auslandspressechef Dr. Hanfstaengl, ein enger Vertrauter und alter Weggenosse Hitlers. Bei dieser „Blütenfahrt“ wurden unzählige Fotos vom Studio Lauterwasser in Überlingen gemacht. Einige davon sind im Buch „Meersburg unterm Hakenkreuz“, S. 152 ff. veröffentlicht. Andere, von den Amerikanern wahrscheinlich aus dem Aktenbestand der Parteikanzlei beschlagnahmt, sind heute in der „Library of Congress“ abrufbar: http: / / www.loc.gov/ index.html, abgerufen am 20.1.2013. Die BR berichtete in einem mehrseitigen Artikel von der „Blütenfahrt“: BR vom 7.5.1935. Dort auch das verwendete Zitat. 78 Dass Oexle mehrere solcher Reisen organisierte, erwähnen auch die Autoren von „Meersburg unter dem Hakenkreuz“, S. 148, u.a. auch einen Kameradschaftsabend des Reichsführers der deutschen Studentenschaft, Dr. Stäbel im „Wilden Mann“ Ende 1933, wo Oexle zu den Studenten sprach und sie zur „Volksgemeinschaft und Volksverbundenheit“ ermahnte; ebenda S. 148 f. Der Besuch der Herren vom Stab Heß zum Narrentreffen 1938 ist erwähnt in einem Artikel der BR vom 21.2.1939. Anlässlich der Verabschiedung von Bürgermeister Beck aus Nußdorf erwähnt Oexle in seiner Dankrede, dass Nußdorf die einzige Gemeinde im Bezirk sei, die Hitler zum Ehrenbürger habe: BR vom 2.6.1943. Zu dem Gedicht auf Helmuth Friedrichs vgl. Akten der Parteikanzlei, Bd. 2, Regest Nr.-27894 vom 15.3.1944. Zu Helmuth Friedrichs: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Helmuth_Friedrichs, abgerufen am 22.1.2013 und LONGERICH, Peter: Hitlers Stellvertreter, S. 13. 79 Zu Oexles Wahlreden im Unterbezirk Waiblingen: BAB- VBS1/ 1080083994, Schreiben des badischen Organisationsleiter an Unterbezirksleiter Weissbarth in Waiblingen vom 20. November 1931. Zu Oexles Austritt aus der katholischen Kirche: http: / / forum.axishistory. com/ viewtopic.php? f=45&t=41070, abgerufen am 8.8.2011. 80 BR vom 1.12.1933; hier das Zitat als Auszug aus Oexles Redebeitrag. <?page no="129"?> 130 Gustav Robert Oexle 81 BR vom 29.2.1934. Die hier zitierten Stellen stammen aus einem Aufruf an die Amtswalter und Amtswalterinnen. 82 BR vom 13.3.1934. 83 BR vom 30.1.1934 anlässlich des 1. Jahrestages der sogenannten „Machtergreifung“ 84 BR vom 12.6.1935. 85 Zitat aus der BR vom 8.10.1940. Dass der Nationalsozialismus „Gottes Fügung“ gewesen sei, findet sich in einer Rede Oexles bei einem Schulungskurs der politischen Leiter in Überlingen, BR vom 8.1.1935. 86 Zur Einladung Oexles auf den Obersalzberg vgl. BR vom 2.1.1934; das Treffen mit Heß und Hitler auf der Ordensburg Crössinsee ist erwähnt in: BR vom 28.4.1936. Die Angaben, dass er den Führer mehrmals sprechen konnte und dass auch Margarete Lang ihm „mehrmals in die Augen“ schauen durfte, finden sich in den Notizen von Gustav Robert Oexle vom 8.5.1944, S. 4. 87 Museumsverein MEERSBURG (Hg.): Meersburg unterm Hakenkreuz, S. 148 f. Dort auch das Zitat aus der Ansprache Oexles an die Studenten. 88 BR vom 12.9.1933. 89 BR vom 19.2.1934. 90 Die Rede zum 10-jährigen Bestehen der Ortsgruppe ist abgedruckt in: BR vom 8.10.1940. Dort auch der Gedanke, dass Oexle von „hoher Warte“ aus geredet habe; das Programm zur 10-Jahresfeier in: SAÜ-D3-2323; die Geschichte der NSDAP anlässlich des 5-jährigen Bestehens in: BR vom 30.3.1935; Oexles Auftritt bei der Volksweihnacht 1936 in Nußdorf: BR vom 24.12.1936. Oexle im Rundfunk anlässlich des Gedenkens an die Seeschlacht bei den Falklandinseln: BR vom 4.11.1936. Oexle beim 1. Kameradschaftsabend des SA-Bannes III/ 114, dort auch Übergabe von vier SA-Mänteln an bedürftige alte SA-Kameraden: BR vom 4.1.1934. Oexles Auftritt bei der Fasnacht 1939 zusammen mit Kreisleiter Mensch in: BR vom 21.2.1939. Oexle am 1. Mai: BR vom 2.5.1938. Oexle bei einer Kreistagung der Frauenschaft: BR vom 30.3.1938. Oexle bei der Hochzeit eines Kameraden: BR vom 6.1.1938, „Hochzeit des Ortsgruppenleiters Schechter in Owingen“. Oexle im Ehrenausschuss beim Pimpfenlager in Ludwigshafen: BR vom 12.7.1938 und beim Jungbannlager in Gutenstein an der Donau: BR vom 8.7.1938. Kleinkaliberschießen in Nußdorf mit dem 1. Preis für Oexle: BR vom 24.3.1939. Oexle bei der Trauerfeier der Toten des Eisenbahnunglücks in Markdorf: BR vom 27.12.1939. Das Zitat stammt aus einem Bericht der BR zu einem Kameradschaftsabend in Überlingen vom 21.12.1938. 91 Lebenslauf Dr. Spreng: SAÜ-D3-450. Dort auch verschiedenste Bescheinigungen der Firmen, für die er gearbeitet hat, sowie der NS-Fragebogen über seine arische Abstammung mit Ahnenreihe und Parteimitgliedsnummer. Die 8,8 cm K.Flak war eine von Krupp und Rheinmetall entwickelte Flugabwehrkanone. Das K steht für Kraftwagen. Sie konnte somit mobil in der Flugabwehr eingesetzt werden, aber auch auf Kanonenboote <?page no="130"?> 131 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist montiert werden. Die Gründung der Meersburger Ortsgruppe erfolgte nach den Septemberwahlen, bei denen die NSDAP schon 108 Stimmen verbuchen konnte. Im November zog mit dem Pg. Karl Maier der erste NS-Gemeinderat in das Meersburger Rathaus ein. Der Termin für die Gründung dürfte Anfang November 1930 gewesen sein. Im Nebenzimmer des Gasthofes „Schützen“ schlossen sich unter der Führung von Kreisleiter Oexle und Dr. Spreng 23 Parteigenossen zur neuen Ortsgruppe zusammen: BR vom 3.2.1937. 92 Fragebogen des Gouvernement Militaire für Dr. Spreng: SAÜ, Nachlass Karl Löhle. 93 Beispiele für Einladungen an Oexle seitens der Stadt: Einladung zum Besuch des badischen Gauarbeitsführers Helff in Überlingen am 5.7.1935 und zu einem kleinen Empfang im Spitalkeller: SAÜ-D3-2305. Einladung zum Dreikönigstrunk: BR vom 8.1.1940. Vorfeier zu Oexles Geburtstag am 1.10.1939 und Gratulation sowie Übergabe der Geschenke am 2.10.1939: Kriegschronik, Kriegsmonatsberichte der Dienststellen, August 1939-1942, SAÜ-D3-1644. Zur Einweihung des Yachthafens: BR vom 17.6.1935. 94 Brief des Bürgermeisters an seinen 1. Beigeordneten vom 9.11.1939: SAÜ-D3-1645. Zum Attentatsversuch Georg Elsers immer noch grundlegend: HOCH, Anton/ GRUCHMANN, Lothar: Georg Elser. Der Attentäter aus dem Volke. Der Anschlag auf Hitler im Münchner Bürgerbräu, Frankfurt 1980. Im Netz die sehr gute Zusammenstellung zum Leben Elsers und zum Ablauf des Attentatsversuches: http: / / www.georgelser.de/ Steinbach_Tuchel_Elser_Politische_Koepfe.pdf, abgerufen am 16.2.2013 95 Brief Dr. Sprengs an den General der Flakartillerie im Luftfahrtministerium in Berlin vom 11.1.1939: SAÜ-D3-450. Zu Generaloberst Günther (von) Rüdel: Lexikon der Wehrmacht. Im Netz: http: / / www. lexikon-der-wehrmacht.de/ Personenregister/ R / RuedelGuenther-R. htm, abgerufen am 17.2.2013. 96 Brief von Bürgermeister Dr. Spreng an Oexle vom 15. Juni 1939, in dem Spreng Oexle über seine Vorstöße bei Kapitänleutnant Manhardt Edler von Mannstein berichtet: SAÜ-D3-1640. Brief Gustav Robert Oexles an den Pg. Dr. Richard Donnevert vom 24. Juli 1939: SAÜ-D3-1640. Zur Marine-Nachrichtenstelle Süd in Langenargen vgl.: Langenargen 1900- 1999. Eine kommunale Chronologie des 20. Jahrhunderts, Gemeinde LANGENARGEN (Hg.): Zum Jahrtausendwechsel 1999-2000, Veröffentlichung des Gemeindearchivs Nr. 2, Tettnang 1999, S. 13. Zu General Hermann Reinecke: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Hermann_Reinecke, abgerufen am 17.2.2013. Zu Richard Donnevert: LILLA: Statisten in Uniform, S. 107-108. 97 Die Geschichte der Turbohalle und des Turbogeländes ist gut zusammengefasst in einem Artikel der BR vom 7.1.1941: „Das Schicksal der Turbo“. Zum Konkursverfahren der Fa. Seubert & Karg und zur Zwangsverstei- <?page no="131"?> 132 Gustav Robert Oexle gerung 1916 vgl. SAÜ-D3-884. Zur heute noch unter anderem Namen existierenden Firma Schiele & Berlacher: Artikel des „Schwarzwälder Boten“ vom 7.12.2012 mit dem Titel: „Von Laufwerksfabrik zum Technologiepark“ mit Abbildung der „Schiele Industriewerke“ im Jahre 1951. Im Jahre 1923 gab die Turbo Maschinenbau AG Gutscheine als Notgeld aus. Von verschiedenen Antiquitätenhandlungen werden diese noch angeboten z.-B. ein Gutschein über 2 Millionen Mark. Im Netz: https: www. ebay.com/ itm/ UEBERLINGEN-1923-XX-RARE-ERROR-Turbo-Maschinenbau-2- Million-Mark-Notgeld. Abgerufen am 22.12.2018. Über die Betriebsstillegung der Fa. Turbo Maschinenbau AG Niederehe & Co. gibt es ein Aktenfaszikel im Staatsarchiv Freiburg (StAF): Best. A96/ 1 Nr.-7038, Laufzeit 1923-1927. Auf einem Werbeprospekt der Fa. Turbo Maschinenbau AG ist das Werksgelände abgebildet. Quelle: Privatbesitz. Zu Dr. Emerichs Versuchen, Industriebetriebe nach Überlingen zu bekommen vgl. SAÜ-D3-885. Zum Erwerb der „Turbo“ durch die Stadt am 17.5.1933 vgl. SAÜ-D3-892. Zum Auftritt von Gauleiter Wagner in der Turbohalle: Artikel der BR vom 4.4.1938. 98 Zu den ersten Versuchen mit Daimler-Benz in Kontakt zu kommen: Gesprächsnotiz des Beigeordneten Müller vom 27.6.1938: SAÜ-D3-888; Kontaktaufnahme mit Direktor Kissel: Schreiben von Bürgermeister Dr. Spreng vom 1.7.1938: SAÜ-D3-888; Aktennotiz von Dr. Spreng über den Besuch zweier Bevollmächtigter der Fa. Benz vom 7.7.1938: SAÜ- D3-888. 99 Zum Besuch der Vertreter der Fa. Rombach in Überlingen am 22.9.1938: SAÜ-D3-888 und Kriegschronik, Monatsberichte der Dienststellen, Eintrag vom 22.7.1938: SAÜ-D3-1644. Zur darauf folgenden Kontaktaufnahme des Bürgermeisters mit Direktor Kissel: SAÜ-D3-888, Schreiben vom 23.9.1939. Der Brief des Direktors des Badischen Landesgewerbeamts ist datiert vom 5.10.1939: SAÜ-D3-888. Zum Interesse der Zeppelinwerke an dem Gelände: Schreiben von Dr. Spreng an die Fa. Rombach vom 23.10.1939. Darin berichtet der Bürgermeister auch, dass zwei Vertreter der Firma Zeppelin das Turbogelände besichtigt haben und dass die Zeppelinwerke vorhätten, das Wehrwirtschaftsamt einzuschalten: SAÜ-D3-890. Zu den Einsprüchen der Reichsgetreidestelle: SAÜ-D3-1644, Kriegschronik, Monatsberichte der Dienststellen, Eintragung vom 28.10.1939. Zur Nutzung der Turbogebäude durch die Reichsgetreidestelle vgl. Brief der Reichsstelle für Getreide an die Stadt vom 22.9.1938: SAÜ-D3-889. Zum Eingreifen der Wehrwirtschaftsstelle: SAÜ-D3-1644, Kriegschronik, Monatsberichte der Dienstellen, Eintrag vom 23.11.1939. Zur Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Zeppelin: Brief des Bürgermeisters an Direktor Dürr vom 20.12.1939: SAÜ-D3-892. Die Schwierigkeiten mit der Aufnahme einer Aluminiumgießerei werden erstmals erwähnt am 5.1.1939, Kriegschronik, Monatsberichte der Dienststellen: SAÜ-D3-1644. Die endgültige Meldung, dass das Reichsluftfahrtministerium die Einwilligung zum Betrieb einer <?page no="132"?> 133 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist Aluminiumgießerei versage, erfolgte am 20.1.1940, Brief der Fa. Zeppelin an den Bürgermeister: SAÜ-D3-892. Die Fa. Hummel & Söhne aus Heitersheim bekundete ihr Interesse an der „Turbo“ am 30.12.1939, Notiz des Bürgermeisters: SAÜ-D3-893. Zum Interesse der Fa. Dornier vgl. SAÜ-D3-1644, Kriegschronik, Monatsberichte der Dienststellen, Eintragung vom 5.1.1940. Zu den Verhandlungen mit Dornier, ebenda, Eintragung vom 27.1.1940. Die Verhandlungen mit der Fa. Karl Martin, Offenburg, begannen am 20.2.1940: SAÜ-D3-895. Die endgültige Entscheidung der Fa. Dornier, die „Turbo“ nicht erwerben zu wollen, fiel am 8.3.1940, Schreiben der Fa. Dornier an den Bürgermeister: SAÜ- D3-899. 100 Im Mai 1940 äußerte Beigeordneter Dreher, dass die Turboangelegenheit nicht vorankomme: SAÜ-D3-1644, Kriegschronik, Monatsberichte der Dienstellen, Mai 1940. Am 28.6.1940 informierte die Fa. K. Martin aus Offenburg die Stadt offiziell, dass sich die Angelegenheit erledigt habe. Das Zitat stammt aus diesem Brief: SAÜ-D3-895. Zur veränderten Haltung der Fa. Daimler-Benz vgl. Brief des Bürgermeisters an den Beigeordneten Dreher vom 13.10.1940: SAÜ-D3-888. In diesem Brief berichtet er auch, mit der Fa. Kramer Verhandlungen aufgenommen zu haben. 101 Aktennotiz zum Verkauf der „Turbo“ vom 30.12.1940: SAÜ-D3-888. Der Vertrag wurde am 28.12.1940 unterzeichnet: SAÜ-D3-1644, Kriegschronik, Monatsberichte der Dienststellen. Die Tabelle mit dem Kostenaufwand der Stadt für die „Turbo“ in SAÜ-D3-892 ist datiert vom 22.12.1939. Zieht man die dort genannten Summen zusammen ergeben sich Kosten von etwa 84-000-RM. Zur Geschichte der Fa. Kramer: Wacker Neuson-Kramer Historie. Im Netz: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Kramer_(Unternehmen) 102 Zu Oexles Widerstand gegen die Eingemeindung 1932: DBZ vom 4.11.1932, dort auch das Zitat. Zu seinen Drohungen gegen Dr. Emerich im September 1931: Förderverein Nußdorf e.V.: Nußdorf im 925. Jahr, S. 428 f. Zu Van Raays Artikel gegen Dr. Emerich: GRILL: The Nazi Party in Baden, S. 371. Zur Ehrenbürgerwürde für Gauleiter Wagner: SAÜ-Gemeindearchiv Nußdorf C.VIII.1/ 7, Sitzungsprotokollbuch 1930-1935, Sitzung vom 9.3.1933. Das Zitat ist dem Protokollbuch entnommen. Zu Dr. Sprengs Gespräch mit G.-R.-Oexle- Gesprächsnotizen des Bürgermeisters vom 7.2.1940: SAÜ D3-1644 und SAÜ-Kriegsmonatsberichte des Bürgermeisters, Eintrag vom Februar 1940. Zu diesem Zeitpunkt verhandelte Dr. Spreng noch mit der Fa. Dornier und der Firma Winter aus Offenburg über eine Industrieansiedlung auf dem Turbogelände. 103 Zu Oexles Engagement im Kriegerverein und im Gesangsverein vgl. Förderverein Nußdorf e.V.: Nußdorf im 925. Jahr, S. 191 und S.-200f. Dort auch der von Oexle gedichtete Liedtext. Oexle bezieht sich hier auf das Lied „Denk stets, wenn etwas dir nicht gefällt …“ von Otto Reuter, Sänger und Kabarettist im Berlin der 1920er Jahre. Oexle ist 1922 in der Lis- <?page no="133"?> 134 Gustav Robert Oexle te der wahlberechtigten Bürger geführt. Dazu musste er einen mindestens zweijährigen Hausstand nachweisen und seit zwei Jahren eine ordentliche Staatssteuer bezahlt haben und die badische Staatsangehörigkeit nachweisen. SAÜ-Gemeindearchiv Nußdorf, Wahlberechtigte Einwohner C.II.2/ 1. 104 Zur Gründung der Partei in Nußdorf vgl. Anm. 29. Zum Tod von Johann Hund: BR vom 9.4.1941 und vom 10.4.1941. Zu Becks Dienstjubiläum: BR vom 2.7.1941, dort auch die zitierten Stellen. Zu Becks Verabschiedung: BR vom 2.6.1943 mit dem entsprechenden Zitat. 105 Seelandvorankaufsgesuch Oexles vom 12.4.1932, TOP 4 mit Zustimmung des Gemeinderats, ihm dieses Grundstück zum selben Preise wie Frau Wagner zu überlassen. 29.9.1932, TOP2: Die Gemeinde bestätigt, dass es keine Bausperre für das von Oexle erworbene Grundstück gibt. 10.11.1932: Der Gemeinderat stimmt Oexles Planskizzen für eine Badehütte zu. 18.10.1934: Schätzung des Grundstücks Oexles auf den Verkehrswert von 1000-RM. 20.10.1934: Unentgeltliche Überlassung eines Grundstückstreifens von Generalinspekteur Oexle. Nachweise: SAÜ-Gemeindearchiv Nußdorf C.VIII.1/ 7, Sitzungsprotokollbuch 1930-1935. Lang und Oexle über Badehaus und -platz: Brief von Margarete Lang vom 5.5.1943. Handschriftliche Notizen von G. R. Oexle vom 8.5.1944. 106 Oexle trat wiederholt auf Veranstaltungen in Nußdorf auf. Beispiele: BR 24.9.1939- Kleinkaliberschießen mit Oexle als Sieger. BR 24.12.1936: Volksweihnacht in Nußdorf. BR vom 19.3.35: Veranstaltung der KDF im „Löwen“ in Nußdorf. BR 28.12.1934: Weihnachtsfeier mit Kinderbescherung. BR 4.1.1934: Zusammenkunft der Stützpunkt- und Ortsgruppenleiter in Nußdorf. BR 30.10.1934: Versammlung des NSDAP-Stützpunktes Nußdorf im „Löwen“. Zu Winifred Wagner, die am 5. März 1980 im Überlinger Krankenhaus verstarb: Ehefrau von Siegfried Wagner, des Sohns von Richard Wagner, seit 1915, frühzeitig eine glühende Verehrerin des Führers (seit 1923), nach Siegfrieds Tod 1930 Leiterin der Bayreuther Festspiele. Im Netz: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Winifred_ Wagner. Abgerufen am 6.1.2013. Zu Bodo Lafferentz: geb. 27.7.1897, gest. 17.1.1975; in 2. Ehe mit Verena Wagner, Tochter von Siegfried und Winifred Wagner, seit dem 26.12.1943 verheiratet, im 2. Weltkrieg Organisator der Bayreuther Festspiele, seit 1938 einer der Hauptgeschäftsführer der „Volkswagenwerk GmbH“. Mitglied der SS. Lebte nach der Entnazifizierung mit seiner Familie ab 1949 in Nußdorf am Bodensee. Weiteres im Netz: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Bodo_Lafferentz. Abgerufen am 6.1.2013. Verena Lafferentz lebt heute noch hochbetagt in Nußdorf. 107 Testament von G.- R.- Oexle vom 8. Mai 1944. Eröffnet am 2.1.1946 durch das Notariat Überlingen als Nachlassgericht: Abschrift, die mir von Herrn Michael Nagel, Nußdorf, dankenswerterweise überlassen wurde. 108 Alle Zitate aus einem Brief Margarete Langs an das Notariat Überlingen vom 5. Mai 1943 zur Errichtung eines Gesellschafts- und Erbvertrags. <?page no="134"?> 135 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist 109 Zur Gründung des Frauenordens durch Margarete Lang 1931: BR vom 30.3.1935. Das Zitat ist den handschriftlichen Notizen Oexles vom 8./ 9.5.1944 entnommen. 110 Margarete Lang gab das Kreisamt für die NS-Volkswohlfahrt am 30.11.1938 an den Pg. Heinrich Gießer ab: BR vom 30.11.1938. Zur Einschätzung Margarete Langs durch die höheren Parteifunktionäre: Handschriftliche Notizen Oexles vom 8./ 9.5.1944. 111 Margarete Langs Glücksgefühle beim Blick in die Augen des Führers: Handschriftliche Notizen Oexles vom 8./ 9.5.1944. Langs Äußerungen über den Führer: BR vom 31.12.1938. Dass Margarete Lang ihm ein Vorbild war, bekundete Oexle in seinen handschriftlichen Notizen vom 8./ 9.5.1944. Dort das wörtliche Zitat. 112 Bericht vom Wahlgang in Nußdorf von G.-R.-Oexle und Margarete Lang am 12.11.1933: BR vom 16.11.1933. Zur gemeinsamen Agitation beider im Wahlkampf davor: Auftritt Oexles und Langs in Mimmenhausen: BR vom 8.11.1933. Zur Ehrung von Margarete Lang durch das Rote Kreuz: BR vom 8.11.1933, dort auch das Zitat. 113 Zur Volksweihnacht in Nußdorf und dem dortigen gemeinsamen Auftritt: BR vom 28.12.1934. Zu Oexles Erscheinen bei der Gaufrauenschaftstagung im „St. Leonhard“: BR vom 20.5.1936. Dort auch das Zitat. 114 Zur Einschätzung Oexles über den Stellenwert Margarete Langs als Frauenschaftsleiterin: Handschriftliche Notizen Oexles vom 8./ 9.5.1944. Dort das Zitat. 115 Alle Informationen zur Errichtung eines Gesellschafts- und Erbvertrages sowie über den Tod von Eugenie Lang im Brief Margarete Langs an das Notariat Überlingen vom 5.5.1943. Der Gesellschafts- und Erbvertrag wurde von Justizrat Otto Rehm als Notar am 9. Juni 1943 ausgefertigt: StAF-Best. D 180/ 2-Nr.225.445. Die Absicht, die Pension Lang als Parteiheim bestehen zu lassen, findet sich im Testament Gustav Robert Oexles vom 8.5.1944. Oexle hatte dies auch gegenüber der BR am 11.5.1944 verlauten lassen. 116 Vor diesem Zeitpunkt hatte es am 16.3., am 18.3. und am 24.4. 1944 drei durch die U.S. Airforce durchgeführte Tagesangriffe auf Friedrichshafen gegeben. In der Nacht vom 27. auf den 28.4.1944 erfolgte ein schwerer Angriff der Royal Airforce. Die Angriffe führten zur Evakuierung vieler Einwohner in die ländliche Umgebung bis nach Vorarlberg. Betrug die Einwohnerzahl am 24.4.1944 noch 24- 954 Personen, so waren es nach dem Nachtangriff vom 27./ 28.4.1944 nur noch 8850 Personen. Vgl. dazu: KESSLER, Josef. B.: Das Werk von elf Luftangriffen. Wie Friedrichshafen zerstört wurde. In: Leben am See. Heimatjahrbuch des Bodenseekreises Bd. III, hg. vom Bodenseekreis, Friedrichshafen 1985, S. 136 ff. Zur Rekonstruktion des Unfallgeschehens: BR vom 2.5.1944 und vom 4.5.1944. Außerdem: HEIBER, Helmut (Hg.): Der ganz normale Wahnsinn unterm Hakenkreuz. Triviales und Absonderliches aus den Akten des <?page no="135"?> 136 Gustav Robert Oexle Dritten Reiches, München 1996, S. 115 f. Brief Himmlers an Bormann vom 11.1.1945. GRILL: The Nazi Movement in Baden, S. 442 f. Die ganzen Details stammen aus der Prozessakte des Landgerichts Konstanz vom 27.3.1945: StAF-Best. G 701/ 2, Nr. 5103. Zum Todeszeitpunkt Margarete Langs: Sterbefallanzeige der Gemeinde Überlingen, Zweitschrift für G.- R.- Oexle vom 29.4.1944. Diese Sterbefallanzeige wurde mir von Herrn Michael Nagel zur Verfügung gestellt. Gleiches gilt für die offizielle Sterbeurkunde der Gemeinde Immenstaad vom 23.5.1944. 117 BR vom 4.5.1944. Die BR sprach von einem „tragischen Geschick“ und wusste zu diesem Zeitpunkt möglicherweise noch nichts von einer Fahrt unter Alkoholeinwirkung. Spätestens zum Zeitpunkt der Ansetzung des Gerichtsverfahrens am 30.11.1944 (Heiber: Der ganz normale Wahnsinn, S.-115), dürfte auch bei der „Bodensee-Rundschau“ durchgesickert sein, was am 28.4.1944 genau passiert war. Das Verschulden des Kreisleiters sollte in jedem Fall nicht an die Öffentlichkeit dringen. 118 Zum Bericht über die Trauerfeiern in Nußdorf und Überlingen: BR vom 4.5.1944. 119 Die Beisetzung der Urne in einer bereits bestehenden Gruft erwähnt G.- R.- Oexle in seinen Notizen vom 8./ 9.5.1944. Dort auch alle Zitate über seine Trauer um den Verlust von Margarete Lang. 120 Diese Informationen sind aus dem Brief Himmlers an Bormann vom 11.1.1945: Heiber, Der ganz normale Wahnsinn , S. 115 f. Der Brief an Bormann wurde nicht abgeschickt, „da die Angelegenheit bereits anderweitig geregelt worden“ sei. Folglich kann die Entlassung Bäckerts nur auf Druck von Bormann evtl. zusammen mit Himmler auf den Gauleiter geschehen sein. Der bei Himmler erwähnte Brief der Parteigenossen der Kreisleitung in Überlingen an das Landgericht Konstanz ist nicht in der Akte, diente aber nach Himmlers Einschätzung der Beeinflussung oder Unterdrucksetzung des Gerichts. Zur Abberufung des Kreisleiters: BR vom 31.1.1945. 121 Aktenauszug: Bericht des Oberlandgerichtspräsidenten in Karlsruhe (z.- Zt. Sinsheim) an den Reichsjustizminister vom 2.1.1945 (GLA 309/ 1218), zitiert nach: Der deutsche Südwesten zur Stunde Null. Generallandesarchiv Karlsruhe in Verbindung mit der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein (Hg.). Bearbeitet von Hansmartin SCHWARZMEIER, Karlsruhe 1975, S. 12. 122 Zur endgültigen Bestrafung Bäckerts: SAÜ, Einwohnermeldekartei. Dort ist das Urteil vermerkt. Zum genauen Strafmaß, der Begründung und dem Prozessverlauf: StAF-Best. G 701/ 2 Nr. 5103. Zur Verbüßung der Haftstrafe: Aufnahmeprotokoll der Bad. Landesstrafanstalt Freiburg: StAF-Best. G 701/ 2, Nr. 5103. 123 Testament Gustav Robert Oexles vom 8.5.1944, Abschrift. Die Testamentseröffnung erfolgte am 2.1.1946 beim Nachlassgericht Überlingen. Die von Oexle angesprochenen „Schriftsachen“ sind verschwunden. Wahrscheinlich wurden sie bei Kriegsende vernichtet. <?page no="136"?> 137 Ein ehrgeiziger, aufwärts strebender und überzeugter Nationalsozialist 124 Wann Oexle genau erfuhr, was sich tatsächlich ereignet hatte und dass Kreisleiter Bäckert alkoholisiert am Steuer gesessen hatte, ist nicht bekannt. Sollte dies bereits vor dem 30.8.1944 gewesen sein, so dürfte es ihn gewaltig gestört haben, dass ausgerechnet Kreisleiter Bäckert anlässlich einer Arbeitstagung der NS-Frauenschaften des Kreises eine Ehrung der verstorbenen Kreisfrauenschaftsleiterin Margarete Lang vornahm. : BR vom 30.8.1944. 125 Zeitzeugenberichte von Stadtinspektor Julius Kitt, mehrere Fassungen. Der 1. Bericht wurde am 8.1.1955 verfasst. Zeitzeugenbericht des Polizeiwachtmeisters Graf: Eingang am 21.1.1955 und Zeitzeugenbericht der Sekretärin Balbina Kramer vom 15.3.1955. Diese Berichte wurden zehn Jahre nach den Ereignissen vor, während und nach der Besetzung der Stadt 1945 auf Veranlassung des damaligen Bürgermeisters Schelle verfasst: SAÜ, Vorläufige Registratur 1417. Die Zeitzeugenberichte geben ganz gut die Stimmung vor dem Einmarsch der Franzosen wieder, sind aber in Bezug auf Detailinformationen nicht unproblematisch, da nur schwer zu entscheiden ist, welche Informationen bereits im April 1945 vorhanden waren und welche nachträglich dazu kamen. So ist höchst zweifelhaft, dass die Sekretärin Balbina Kramer bereits damals exakt gewusst haben kann, an welcher Stelle im Garten in Nußdorf sich Oexle tatsächlich erschossen hat. Dies sickerte wahrscheinlich erst nachher durch. Zweifelhaft ist auch ihre Angabe, dass Oexle ihr in zwei Sätzen ein Testament diktiert habe, zumal ein gültiges ja vorhanden war. Falls dies so sein sollte, könnte es sich allenfalls um ein politisches Testament gehandelt haben. Auch die Tatsache, dass Julius Kitt mehrere Fassungen nachlegte, zeigt, dass er seinen eigenen Erinnerungen nicht mehr ganz traute. Der Eintrag im Sterbebuch gaukelt einen natürlichen Tod Oexles vor: SAÜ-Sterbebuch Nußdorf, Eintrag Nr. 2/ 1945 vom 30.4.1945. Artikel des „Südkurier“ vom 24.4.1946: Dort das entsprechende Zitat. Auch der Untersuchungsausschuss für die politische Säuberung in Konstanz bestätigte, dass Oexle durch Selbstmord aus dem Leben schied: StAF-Best. D 180/ 2, Nr. 225.445. 126 Alle Zitate aus den handschriftlichen Notizen Oexles vom 8. und 9.5.1944. Zu den Listen der Amerikaner: LEUCHTENBERG, William E.: PRESIDENT FRANKLIN D. ROOSEVELT’S OFFICE FILES, 1933-1945. Part 5: THE JOHN FRANKLIN CARTER FILES ON GERMAN NAZI PARTY MEMBERS. Project coordinator-Robert E. Lester. Guide Compiled by Blair D.Hydrick: A microfilm project of UNIVERSITY PUBLICATIONS OF AMERICA. An Imprint of CIS- 4520 East-West Highway-Bethesda, MD 20814-3389; 1994- Reel 17- List of Key Nazis-p. 70- Frame No. 0644-Oexle, Gustav Robert. 127 Zur Entnazifizierungspraxis der Franzosen: MÖHLER, Rainer: Politische Säuberung im Südwesten unter französischer Besatzung, in: Düwell, Kurt und Matheus, Michael (Hg.): Kriegsende und Neubeginn: Westdeutschland und Luxemburg zwischen 1944 und 1947, Stuttgart 1947 <?page no="137"?> 138 Gustav Robert Oexle (Geschichtliche Landeskunde, 46) S. 175-192. Im Netz: https: / / www. regionalgeschichte.net/ bibliothek/ texte/ aufsaetze/ moehler-säuberung. html .Abgerufen am 7.4.2013 Außerdem: KLÖCKLER, Jürgen: Entnazifizierung im französisch besetzten Südwestdeutschland. Das Verfahren der „auto-épuration“ in Baden und Württemberg-Hohenzollern, in: Schuster, Walter und Weber, Wolfgang (Hg.): Entnazifizierung im regionalen Vergleich, Archiv der Stadt Linz, Linz 2004, S. 511-528. Zum Entnazifizierungsverfahren Oexles: StAF-Best. D180/ 2, Nr. 225.445. Dort auch die Entnazifizierungsbescheinigung von Marie Rauscher. Die Entnazifizierungsbescheinigung für G.- R.- Oexle vom 7.11.1949 wurde mir dankenswerterweise von Herrn Michael Nagel überlassen. 128 Zu Walhall, Valhall oder Walhalla und der nordischen Mythologie: http: / / www.wikingerzeit.net/ kultur-der-wikinger/ glaube-der-wikinger/ walhalla.html, abgerufen am 7.4.2013. 129 „Unser Tag“ vom 27.8.1947, Nr. 66: SAÜ-D3-0472. Informations du Gouvernement Militaire d’Überlingen. Mitteilungen der Militärregierung für Stadt und Landkreis Überlingen Nr. 3 vom 12.9.1945: SAÜ, Nachlass Karl Löhle. Dem später aus dem Comité ausgeschiedenen Karl Bittel waren die Beurteilungen von Oexle offenbar zu freundlich. Der Begriff „Mitläuferfabrik“ stammt von dem Historiker Lutz Niethammer, der vor allem die amerikanische Entnazifizierungspraxis untersuchte. Die so genannte „Einzelfallprüfung“ bezeichnete er auch als „Rehabilitationsmaschinerie“. NIETHAMMER, Lutz: Schule der Anpassung. Die Entnazifizierung in den vier Besatzungszonen, in : Spiegel Special 4/ 1995. 130 Zu Karl Bittel siehe BURGER (et al.): Nationalsozialismus in Überlingen, S. 95 ff. Außerdem: Bundestiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Biographische Datenbanken. Im Netz: http: / / www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/ wer-war-wer-in-der-ddr-#63; -l424.html? ID=303, abgerufen am 28.02.2013, biographische Daten zu Karl Bittel und auch Informationen zur Zeitung „Unser Tag“. <?page no="138"?> 139 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn Alfons Hafen - Stellvertretender und kommissarischer Kreisleiter (6. März 1934 bis 6. April 1936) Alfons Hafen entstammte einer angesehenen Überlinger Bürgerfamilie. Sein Großvater Johann Hafen erwarb das „Gasthaus zur Sonne“, damals eine der bedeutenderen Gaststätten in Überlingen. Sein ältester Sohn Wilhelm übernahm die „Sonne“, während dessen Bruder Guido in Metz (Lothringen) ein Hotel betrieb. Dort arbeitete Ferdinand Hafen (geb. am 23. November 1869 in Überlingen), der Vater von Alfons Hafen, mehrere Jahre. 1905 heiratete Ferdinand Hafen Frieda Sinner, die Tochter des Überlinger Schlossermeisters Sinner (geb. am 24. Juni 1872). 1906 wurde Alfons Hafens Schwester Johanna Maria in Metz geboren (16. Mai 1906). Im gleichen Jahr erwarb Ferdinand Hafen das Frey’sche Kolonialwarengeschäft (später Eberle und Mors), das er zu einem der führenden Geschäfte in Überlingen ausbaute. Aus einem Brief Ferdinand Hafens vom 20. August 1916 an das Großherzogliche Bezirksamt wird deutlich, dass es sich bei diesem Geschäft um ein Einzelhandels- und Großhandelsgeschäft handelte. So hob der Verfasser hervor, dass er von bedeutenden Firmen wie H. Frank & Söhne sowie Kathreiners Malzkaffeefabriken den Auf- Kreisleiter Alfons Hafen - Ausschnitt aus einem Foto von 1935 <?page no="139"?> 140 Alfons Hafen trag habe, seine Kleinhändler weiter zu bedienen. Der Firmenbriefkopf zeigt, dass Ferdinand Hafens Geschäft sich in der Franziskanerstraße 2 befand und ein ausgelagertes zweites Geschäft für Kinderwagen in der Franziskanerstraße 20. Er handelte mit Kolonialwaren en gros und en détail: Sämereien, Koch- und Streusalz, Flaschenweinen, später noch mit Most, außerdem mit Branntweinen und Likören, Zigarren, Zigaretten, Pfeifen, Spazierstöcken, Kinderwagen sowie Korb- und Bürstenwaren aller Art. Am 3. Juli 1908 wurde Alfons Hafen als zweites Kind der Eheleute Ferdinand und Frieda Hafen in Überlingen geboren. 1918 gab Ferdinand Hafen die Geschäfte in der Franziskanerstraße auf und kaufte wegen Krankheit seiner Frau drei Anwesen bei der evangelischen Kirche und gestaltete sie für sein Feinkostgeschäft um. Die Hafens waren gut in die städtische Gemeinschaft integriert, wie auch die Mitgliedschaft von Ferdinand Hafen in der Überlinger Narrenzunft beweist. 1921 war er Narrenvater neben Egon Kohler, dem späteren städtischen Feuerwehrkommandanten, der die Rolle der Narrenmutter einnahm. Der Sohn Alfons Hafen besuchte zunächst die Volksschule, dann die Oberrealschule sowie die Höhere Handelsschule und machte eine Ausbildung zum Kaufmann, zu der auch ein 2 ½-jähriges Volontariat bei der Firma Kathreiner (u.a. Malzkaffee) in München gehörte. Bei dieser Lebensmittelgroßhandlung erfuhr Alfons Hafen eine gediegene Ausbildung und durchlief sämtliche Abteilungen wie die Obst-, Marmeladen- und Werbung des Ladengeschäfts von Ferdinand Hafen <?page no="140"?> 141 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn Gemüsekonservenfabrik und alle anderen Zweige des Lebensmittelhandels. Am 10. April 1927 kam er wieder von München nach Überlingen zurück. Dort arbeitete er zunächst im väterlichen Geschäft und engagierte sich im Kur- und Verkehrsverein, wo er auch einen Vorstandsposten bekleidete. Am 1. Oktober 1930 trat er im Alter von gerade einmal 22 Jahren in die kurz zuvor gegründete Ortsgruppe der NSDAP ein (Mitgliedsnummer 336501). Am 6. Dezember 1935 heiratete Alfons Hafen die aus Salem stammende Eva Christhilde Ehrenmann (geb. am 14. Juni 1910) mit der er zwei Kinder hatte, die Tochter Jutta, geboren am 7. Dezember 1936 in Karlsruhe und den Sohn Eckart, ebenfalls dort geboren am 25. Januar 1938. 1 Mit Leuten wie Alfons Hafen näherte sich eine neue Klientel aus dem Mittelstand der Partei, die nicht wie viele ältere Parteimitglieder am 1. Weltkrieg teilgenommen und sich in der Weimarer Republik den verschiedensten völkischen, antidemokratischen Vereinigungen angeschlossen hatten. Ein jugendlicher „Agitator“ und Provokateur Alfons Hafen war ein jugendlicher Aktivist und ein Heißsporn, dem es größtes Vergnügen bereitete, seine politischen Gegner aus der Zentrumspartei und der Staatspartei zu provozieren. So ließ er an einem der Geschäftshäuser seines Vaters nahe der evangelischen Kirche ein Hakenkreuz anbringen und den „Völkischen Beobachter“ anschlagen. Mit dem Aufwind aus den Gemeinderats-, Kreistags-, Bezirksrats- und Gemeindeverordnetenwahlen sowie aus der Reichstagswahl im Herbst 1930 verstärkte die Partei ihre Aktivitäten ab dem Jahre 1931 und ihre öffentlichen Auftritte in der Stadt und im Bezirk Überlingen durch öffentliche Versammlungen und Aufmärsche der SA. So berichtete das Zentrumsblatt „Deutsche Bodenseezeitung“ (DBZ) am 11. Februar 1931 von einer NS- Versammlung im Bräuhaus Stengele in Owingen, wo die anfangs sachliche Veranstaltung „[…] durch das Auftreten des nationalsozialistischen Agitators Hafen jung, Überlingen, in eine Hetzveranstaltung ausartete, wie man sie nicht schlimmer hätte erwarten können.“ In dieser Versammlung provozierte Hafen auch die Redakteure der DBZ , die sich aber nicht auf eine Diskussion mit einem Mann <?page no="141"?> 142 Alfons Hafen einlassen wollten, der schon vorher einen Vortrag des Paters Friedrich Muckermann gestört hatte und auch gegenüber dem Geistlichen Rat Adolf Schwarz aus Überlingen jeden Respekt vermissen ließ, als er den örtlichen Katholikentag störte. Doch wenig später forderte Alfons Hafen in einem Brief den örtlichen Redakteur und Bezirksvorsitzenden der Zentrumspartei Peter Löhmann auf, „[…] in unserer morgen Sonntag, 15. März 1931, abends 8.15 Uhr, im Rabensaal zu Überlingen stattfindenden Versammlung persönlich zu erscheinen und sich uns im offenen Redekampf zu stellen, da dies für uns die einzige Möglichkeit ist, auf die feigen und verleumderischen Angriffe ihrer Zeitung zu antworten.“ Der Brief ist von Alfons Hafen unterzeichnet und trägt ein Siegel mit Hakenkreuz. Hier wird Alfons Hafen zum ersten Mal als Ortsgruppenführer bezeichnet. Die DBZ kommentierte den Brief als „Größenwahn“. 2 Aufstieg in die lokale NS-Elite Ortsgruppenleiter Alfons Hafen Offensichtlich hatte der erste Ortsgruppenleiter und Kreisleiter Gustav Robert Oexle das Amt des Ortsgruppenleiters 1931 an Alfons Hafen abgegeben. Oexle, der zu dieser Zeit schon häufig abwesend war und als Gauredner eingesetzt war, förderte den jungen Hafen und dessen Parteikarriere. Fast alle Anträge an die Stadt und an das Bezirksamt, nationalsozialistische Versammlungen und Aufmärsche in Überlingen und Umgebung genehmigen zu lassen, sind von Alfons Hafen eingereicht und unterschrieben worden. Falls die Stadt oder das Bezirksamt eine Veranstaltung verboten, legte er Widerspruch ein und forderte Rechtsbelehrung. Auch gegenüber seinen politischen Gegnern scheint die Beförderung zum Ortsgruppenleiter seine Kampfeslust noch weiter gesteigert zu haben. So provozierte er, wie schon 1930, in einem Flugblatt die städtischen Beamten, als er Anfang des Jahres 1932 deren Gehälter an seinem Haus anschlagen ließ. Die städtischen Beamten empfanden dieses Vorgehen als ungerecht und wiesen darauf hin, dass durch vier Notverordnungen ihr Gehalt seit 1927 bereits um 27% gekürzt worden sei. Schon im Dezember 1931 beschäftigte sich der Gemeinderat mit einem an einer Anschlagtafel am Haus <?page no="142"?> 143 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn Hafen angebrachten, rot umrandeten Artikel aus der NS-Zeitung „Der Führer“. Im Tagesordnungspunkt Nr. 32 distanzierte sich der Gemeinderat von diesem „[…] mit unwahren Angaben und gröbsten Verleumdungen arbeitende(n) Artikel “ und bezeichnete ihn als „Machwerk niederster Sorte“. Der Gemeinderat missbilligte den Artikel nahezu einhellig mit einer Gegenstimme. Hintergrund dieses Artikels aus dem „Führer“ war ein Ereignis im August 1931, als die Deutsche Friedensgesellschaft nach einer Tagung in Konstanz auch Überlingen besuchte. Als der Dampfer Überlingen wieder verließ, hisste der junge Egon Kohler auf einem Paddelboot eine NS-Fahne zum Abschied der Delegation der Friedensgesellschaft. Als er wieder an Land ging, wurde er nach Darstellung der NS-Zeitung als Feigling beschimpft. Der SA-Führer Kohler beantwortete dies mit „einer schallenden Ohrfeige“, nach Meinung der NS-Presse, „[…] die ebenso überraschende, wie richtige und wirksame Antwort.“ Der „Seebote“ sprach in diesem Zusammenhang von der „Taktlosigkeit“ eines „politischen Hanswursts.“ Für diese Taktlosigkeit und den „groben Unfug“ erhielt Egon Kohler eine Strafverfügung von 30 RM durch das Ordnungsamt. Diese wurde nun am Hause eines Parteigenossen (Alfons Hafen) aufgehängt zusammen mit dem Kommentar aus dem „Führer“. Nach Angaben der NS-Presse war der Artikel 3 Tage lang andauernd „belagert“ und die Nachfrage nach dieser „Führernummer“ habe noch lange angehalten. Von diesem Zeitpunkt an schoss sich die NS-Presse auf Bürgermeister Dr. Heinrich Emerich und die städtischen Beamten ein. 3 Auch die Provokationen gegenüber der Zentrumspartei hörten nicht auf. Als im Juli 1932 der Reichstagsabgeordnete des Zentrums, Carl Diez aus Radolfzell, in Owingen sprach, störten Alfons Hafen sowie der Rechtsanwalt Johann Schmid auch diese Versammlung nachhaltig: „Benahmen sich die Nationalsozialisten während der Rede des Herrn Diez anständig, so glich ihr Auftreten während der Diskussion nicht mehr dem Verhalten von Männern, sondern von ‚Buben‘, wie Herr Bürgermeister Mayer konstatieren mußte. Rechtsanwalt Schmid mußte das Wort entzogen werden, weil der ‚gebildete Mann‘ sich nicht mehr bewußt zu sein schien, daß er in keiner Nazi-Versammlung war; auch Hafen mußte auf das Hausrecht aufmerksam gemacht werden.“ Der Redakteur der DBZ empfahl, den beiden Herren zukünftig auf Zentrumsversammlungen nicht mehr das Wort zu erteilen. 4 <?page no="143"?> 144 Alfons Hafen Auch der „Seebote“ als Organ der liberalen Staatspartei, die anfänglich eine eher gemäßigte Linie gegenüber den Nationalsozialisten vertrat, fühlte sich, als am gleichen Tag, dem 14. Juni 1931, an dem der liberale Reichsfinanzminister Hermann Dietrich in Überlingen sprach, auch ein Aufmarsch der SA und eine anschließende Versammlung im Rabensaal vom Bezirksamt genehmigt wurden, angewidert über Angriffe der Nationalsozialisten auf den Reichsfinanzminister: „Man muß erschüttert sein über das Maß von Verantwortungslosigkeit, mit dem die über die schwierigsten nationalen Probleme bramarbasierenden Redner der Nationalsozialisten sprachen, und angewidert von dem zumeist rüpelhaften Ton, mit dem Menschen bedacht wurden, die, auf schwerstem und undankbarstem Posten, kein anderes Ziel im Auge haben, als der großen Not des Vaterlands mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu steuern.“ Darüber hinaus bescheinigte der „Seebote“ den nationalsozialistischen Rednern Niveaulosigkeit und Verwilderung der Sitten: „Das ist kein Niveau, wenn man unter dem Beifall seiner Anhänger jeden Andersdenkenden beschimpfen, mit Mord und Totschlag drohen , und alle, die nicht im eigenen politischen Lager stehen, als politische ‚Schmierfinken‘ bezeichnen oder als moralisch unsauber verdächtigen darf! Das ist ein Tiefstand, eine Verwilderung der politischen Sitten […].“ Gegenüber der Stadt und dem Bezirksamt, denen Alfons Hafen immer wieder bei seinen Anträgen für die verschiedensten Versammlungen versicherte, alles dafür zu tun, dass die Versammlungen friedlich von statten gehen, verhielt er sich ebenfalls unbotmäßig und respektierte den Inhalt einer Notverordnung vom Frühjahr 1932 nicht, in der die SA zeitweilig verboten war, außerdem gab es ein Uniform- und Demonstrationsverbot und das Verbot des Verteilens von Flugblättern. Dies brachte Alfons Hafen drei Strafbefehle ein, die zwei Gefängnisstrafen von einer Woche und drei Monaten sowie eine Geldstrafe in Höhe von etwa 120 RM vorsahen. Die Gefängnisstrafe, die normalerweise ins Strafregister eingetragen wurde, ist später im Dritten Reich amnestiert worden, so dass er nicht als vorbestraft galt. Die Zentrumszeitung, die von den Strafen aus der NS-Zeitung „Der Führer“ erfahren hatte, triumphierte und spendete dem Ortsgruppenleiter Hafen hämisch Trost: „Moscht it brieke, Alfon, des goht au rum“ <?page no="144"?> 145 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn Auf eine Anzeige der Nationalsozialisten hin musste aber auch der Redakteur der Zentrumszeitung, Löhmann, wegen unerlaubten Flugblattverteilens eine Geldstrafe bezahlen. 5 Im NS-Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand und in der NS-Hago Im Jahre 1933 gab Alfons Hafen die Leitung der Ortsgruppe der NSDAP an den Pg. Wilhelm Mensch ab, er selber wurde Kreispropagandaleiter und ab Herbst Kreisadjutant des Kreisleiters Oexle. Außerdem schloss er sich in diesem Jahr auch dem Nationalsozialistischen Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand an, dessen Kreisleiter er wurde. In der Stadt und im Kreis Überlingen trat Hafen als Kreiskampfbundleiter auf und informierte die Mittelständler über dessen Bedeutung, daneben war er auch noch Mitglied des Überlinger Gewerbevereins, in dessen Verwaltungsrat er nach der Gleichschaltung vertreten war. In Überlingen organisierte er die so genannten „Kaufdankveranstaltungen“. Die Bürger sollten dazu gebracht werden, bei den einheimischen Geschäften einzukaufen. Sie mussten dann die Quittungen bei den Kaufleuten abgeben, die sie ihrerseits an den Kampfbundleiter Alfons Hafen weitergaben. Dieser wertete die gesammelten Quittungen aus und als Dank gab es kleine Geschenke und Vergünstigungen für die Kunden. Der Kampfbund sollte den gewerblichen Mittelstand an die NSDAP binden und agierte aggressiv, indem er Warenhäuser und Ladenketten sowie Konsumvereine und Kapitalgesellschaften bekämpfte, insbesondere, wenn sie in jüdischem Besitz waren. In Baden demonstrierte der Kampfbund in Karlsruhe und anderen größeren Städten im Juni 1933 gegen Reichswirtschaftsminister Hugenberg, dem man eine besondere Nähe zur Industrie und den Großunternehmen unterstellte. Die Demonstrationen und Boykottaktionen waren jedoch kontraproduktiv, weil dadurch die Arbeitslosigkeit der Angestellten der großen Warenhäuser anstieg. Die geforderte Auflösung der Konsumvereine störte außerdem Reichsorganisationsleiter Ley, den Führer der Deutschen Arbeitsfront (DAF), da er die Konsumvereine und die Unternehmen der Arbeitervereine in die DAF übernehmen wollte. So gab Hitler im August 1933 an Ley den Befehl, den Kampfbund aufzulösen und durch eine neue <?page no="145"?> 146 Alfons Hafen Organisation zu ersetzen, die NS-Hago: die Nationalsozialistische Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisation zur Erfassung, weltanschaulichen „Ausrichtung“ und wirtschaftlichen Schulung des Mittelstandes im nationalsozialistischen Sinn. Die NS-Hago ging dann 1935 in der Reichsbetriebsgemeinschaft Handwerk und Handel der DAF auf. Auf die Auflösung des Kampfbundes reagierte Alfons Hafen flexibel: Am 7. Dezember1933 berichtet die „Bodensee-Rundschau“ über eine Versammlung der NS-Hago-Ortsgruppe Überlingen, bei der auch der Kreisleiter der NS-Hago Alfons Hafen sprach. Dabei ging er auch auf „[…] die teilweise untragbare Handlungsweise des Kampfbundes, die auch zu seiner Auflösung führte, […] ein“. Wahrscheinlich war er durch Kreisleiter Oexle, den Sonderbeauftragten des Stellvertreters des Führers in der Parteikanzlei, frühzeitig über die Liquidierungspläne des Kampfbundes informiert und konnte so schnell das Fähnchen wechseln und zum neuen Leiter der von der Partei ins Leben gerufenen NS-Hago werden. Intensiv trieb er in den folgenden Wochen die Gründung neuer NS-Hago-Ortsgruppen voran. 6 Gemeinderat und Kreisadjutant Im Juli 1933 rückte Alfons Hafen nach dem Rückzug der Zentrumsgemeinderäte neben den Pg. Karl Reichert und Pg. Hans Schefold in den städtischen Gemeinderat nach. Aus dem ‚Enfant terrible‘ der Kampfzeit war ein ‚ehrenwerter Bürger‘ geworden. 7 Im August 1933 nahm er an dem von der Gauamtswalterschule der NSDAP, Gau Baden, angebotenen „Führerkurs“ teil. Es war also offensichtlich geplant, Alfons Hafen für höhere Aufgaben in der Partei ausbilden zu lassen. Seit dem Oktober 1933 arbeitete er als Kreisadjutant, als die rechte Hand des Kreisleiters, vertrat diesen während seiner Abwesenheit, gab Anweisungen der Kreisleitung an die Ortsgruppen und die übrigen Parteiorganisationen und trat ab der so genannten „Novemberwahl“ (12.11.1933) zunehmend auch als Redner der Partei im Kreis auf. 8 Diese Auftritte häuften sich im Jahr 1934 zunächst bei zwei Kreisschulungskursen der Partei in Überlingen und Markdorf im Januar, als er jeweils über den ständischen Aufbau der Partei sprach und dann am 28. Februar 1934 beim Stützpunkt Riedheim über das Arbeitsbeschaf- <?page no="146"?> 147 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn fungsprogramm referierte. Welche Rolle er als Nachrichtendienstleiter spielte ist nicht ganz klar. Ob er tatsächlich Nachrichten an den Sicherheitsdienst weiterleitete und, wie das Anti-Nazi-Comité Überlingen 1945 mutmaßte, Spitzeldienste verrichtete, lässt sich angesichts der Aktenlage nicht konkret beweisen. 9 Stellvertretender und kommissarischer Kreisleiter Am 6. März 1934 verkündete die „Bodensee-Rundschau“, dass der Pg. Alfons Hafen, der bisherige Kreisadjutant, von der Gauleitung als Nachfolger des Gebietsinspekteurs Oexle mit der Leitung des Kreises Überlingen beauftragt wurde. Des Weiteren ist in dieser Ankündigung zu lesen, dass damit ein Wunsch erfüllt wurde, „[…] der mit der zu erwartenden Abgabe des Kreisleiteramtes immer verbunden war.“ Zwei Tage später bedankte sich Alfons Hafen artig für die Ernennung, nicht ohne die bisherige Arbeit der Kreisleitung „[…] und damit das Werk meines Pg. Gebietsinspekteurs Oexle“ zu loben. Er unterzeichnete seine Dankadresse mit „gez. Alfons Hafen m.d.L.b.“ Dieses Kürzel bedeutet „mit der Leitung beauftragt“, das heißt, Alfons Hafen war als Kreisleiter kommissarisch eingesetzt. Bei seinem „freiwilligen Rücktritt“ im Jahre 1936 heißt es aber, er sei stellvertretender und kommissarischer Kreisleiter gewesen. Möglicherweise wurden diese Begriffe als Synonyme verwendet, da er ja nicht gleichzeitig sein eigener Stellvertreter gewesen sein kann. In den Unterlagen des Bundesarchivs wird er als kommissarischer Kreisleiter bezeichnet. Wurde ein Kreisleiter kommissarisch eingesetzt, so bedeutete dies, dass er Dienststellenleiter auf Probe war und später nach Bewährung und einem Kurs an der Landesführerschule von Hitler endgültig bestätigt und zum ordentlichen Kreisleiter ernannt wurde. War eine endgültige Amtsübertragung nicht vorgesehen, so führte der Betreffende Zusätze wie „mit der Führung“ oder „der Leitung beauftragt“. Dies ist der Fall bei Alfons Hafen. Eine endgültige Amtsübertragung war nicht oder zunächst nicht vorgesehen und Alfons Hafen füllte die Dienststellung des Kreisleiters scheinbar nur in der Funktion eines „Platzhalters“ aus. Hier lohnt es sich, noch einmal genauer die Überlinger Verhältnisse anzusehen: Im September 1933 war Gustav Robert Oexle vom Reichsorganisationsleiter der Partei, Robert Ley, neben fünf ande- <?page no="147"?> 148 Alfons Hafen ren zum Gebietsinspekteur befördert worden. Seit November 1933 war Oexle Beauftragter der Parteileitung im Stabe des Stellvertreters des Führers. Es war Heß gelungen, seinem Konkurrenten im Ringen um die Parteileitung diese Gebietsinspekteure abspenstig zu machen und sie als „Beauftragte der Parteileitung“ seinem Stab zu unterstellen. Damit verbunden war der Versuch, Unzulänglichkeiten und Beschwerden in den Gauleitungen nachzugehen. Eine komplette Kontrolle der Gauleiter war aber nicht möglich, da diese als ‚alte Kämpfer‘ sich außer dem Führer niemand unterstellten und eine Fremdkontrolle in ihren Gauen vehement bekämpften. Im Frühjahr 1936 erlosch der Auftrag der Beauftragten der Parteileitung. Von den sechs Beauftragten blieb nur Gustav Robert Oexle als „Sonderbeauftragter der Dienststelle“. Das bedeutet, dass Gustav Robert Oexle erst im Frühjahr 1936 sicher sein konnte, sein Parteiamt als Sonderbeauftragter auf Dauer besetzen zu können. Vor diesem Hintergrund macht die Einsetzung Alfons Hafens durchaus Sinn: Wäre Oexle vorzeitig aus dem Amt geschieden, so hätte er vom Gauleiter jederzeit wieder auf sein altes Kreisleiteramt zurückversetzt werden können, da Alfons Hafen nur mit der Leitung beauftragt war und so bequem wieder abgesetzt werden konnte. Mit der sicheren Übernahme Oexles im Frühjahr 1936 als „Sonderbeauftragter der Dienstelle“ war es auch nicht nötig, Alfons Hafen weiterhin als „Platzhalter“ für Oexle zu beschäftigen, so dass er jetzt auch als kommissarischer Kreisleiter durch einen anderen Kreisleiter ersetzt werden konnte, was dann im April 1936 tatsächlich auch geschah. 10 Kreisleiter Hafen, die Staatsfeinde und die Gefahr des „Untergangs Deutschlands“ Nach seiner Einsetzung zum kommissarischen Kreisleiter widmete sich Hafen neben den üblichen Tätigkeiten, wie dem Auftritt beim 1. Mai oder der Lösung der Bürgermeisterfrage in Markdorf, vor allem dem „Kampf gegen das Miesmachertum“ oder, wie es auch genannt wurde, dem Kampf gegen „Miesmachertum und Reaktion“, gegen „Miesmacher, Nörgler, Stänkerer und Kritikaster“ oder dem Kampf gegen die „Feinde des Nationalsozialismus“. In diesem Sinne trat Alfons Hafen im Frühling 1934 innerhalb weniger <?page no="148"?> 149 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn Tage sechs Mal auf: Am 26. Mai im „Jäger“ in Mittelstenweiler, am 27. Mai nachmittags in Hagnau im „Adler“, am 27. Mai abends in Salem im „Schwanen“, am 28. Mai in Neufrach als Ersatz für den verhinderten Parteiredner Albert Roth, am 2. Juni in Beuren im „Adler“ und am 3. Juni in Lippertsreute in der Brauerei „Keller“. Schon im Artikel über den Beginn des Kampfes gegen das „Miesmachertum“ in der „Bodensee-Rundschau“ wurden die Volksgenossen darauf aufmerksam gemacht, sich nicht außerhalb der Volksgemeinschaft zu stellen: „Jeder Volksgenosse, der sich nicht selbst zum Stänkerer und Miesmacher stempeln will, wohnt diesen Versammlungen bei.“ Dieser massive Einsatz deutet an, dass es offensichtlich immer noch gewisse Formen von Resistenz und Renitenz gegenüber der Partei und ihrem Führungsanspruch gab. Und es lag natürlich im Interesse der Nationalsozialisten, den Volksgenossen vorzuführen, was passieren konnte, wenn man sich abfällig über den Führer und die Partei äußerte: So wurde am 7. Mai 1934 eine junge Händlerin aus Singen vor dem badischen Sondergericht zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie die Zeitung „Der Kämpfer“ aus Zürich über die Grenze geschmuggelt hatte. Ebenfalls Anfang Mai wurden in Ludwigshafen am Bodensee durch die Gestapo Haussuchungen durch die Geheime Staatspolizei durchgeführt und verschiedene KPD-Angehörige festgenommen. In Überlingen wurde nach dem so genannten „Röhm-Putsch“ (30. Juni 1934) der frühere stellvertretende Bürgermeister, Bäckermeister Franz Hug angezeigt, weil er in einer Wirtschaft geäußert hatte: „Röhm und seine Genossen sind nur erschossen worden, damit sie nicht mehr sagen können, was alles läuft. Mit dem Geld ist noch der gleiche Schwindel wie früher. Hitler hat zwei Millionen nach England verschoben und eine Million nach dem übrigen Ausland.“ Im Juli wurde in Goldbach ein 39-jähriger Mann verhaftet, der sich auf dem Badeplatz in „[…] abfälliger Weise über den Führer und Reichsminister Dr. Goebbels geäußert hatte“. Im selben Monat wurde in Markdorf ein 57-jähriger Knecht wegen „[…] ungerechtfertigter Angriffe gegen die Regierung“ im Auftrage des Sondergerichts in Gewahrsam genommen. Als im Herbst 1934 der Diplomlandwirtschaftslehrer Hans Lutz aus Heidelberg an die Kreislandwirtschaftsschule Salem versetzt wurde und Kreisleiter Hafen davon erfuhr, griff er ein und erkundigte sich über dessen Vorgeschichte. Lutz habe, so Hafen, in den Jahren 1931 als kommunistischer Agitator in der Gegend von <?page no="149"?> 150 Alfons Hafen Heidelberg kommunistische Bauernversammlungen abgehalten und sei deshalb auch vom Kreisrat in Heidelberg für die Kreislandwirtschaftsschule Wiesloch abgelehnt worden. In einem Brief vom 12. Dezember 1934 wandte sich Hafen an die Landesbauernführung Baden in Karlsruhe und an den Kreisrat in Konstanz und bat dringend, diese Versetzung rückgängig zu machen, auch weil die Partei in den Jahren vor 1933 im Raum Salem große Kämpfe mit der kommunistischen Front zu bestehen gehabt habe und somit ein solcher Lehrer gerade dort nicht toleriert werden könne. Hafens Eingreifen hatte Erfolg: Mit Schreiben vom 19. Dezember 1934 wurde Hans Lutz vom Badischen Finanz- und Wirtschaftsministerium der Stellung eines Kreislandwirtschaftslehrers enthoben mit der Maßgabe an den Kreisrat, ihm noch das ausstehende Gehalt nachzubezahlen. Weil die „Miesmacher und Kritikaster“ auch im Jahre 1935 keine Ruhe geben wollten, musste der Kampf gegen die Staatsfeinde selbstverständlich fortgeführt werden. So galten allein 15 Auftritte des Kreisleiters im Jahr 1935 den Feinden des Nationalsozialismus. In bewährter Manier wurden auch jetzt wieder den Volksgenossen solche Feinde vorgezeigt, um zu signalisieren, dass man rigoros durchgreift. Am 25. April 1935 berichtete die „Bodensee-Rundschau“, dass zwei Bauern aus Mittelstenweiler durch Gehässigkeiten, Anrempelungen und Verleumdungen gegen den Führer, die Minister, gegen führende Persönlichkeiten im Bezirk und gegen Regierungsmaßnahmen generell auffällig geworden waren und deswegen von den staatlichen Behörden in Schutzhaft genommen werden mussten. Als wie gefährlich diese zwei Bauern eingeschätzt wurden oder als wie gefährlich sie der Bevölkerung vorgeführt werden sollten, zeigt der Kommentar der „Bodensee- Rundschau“: „Bei beiden handelt es sich um Menschen, die sich von Anschauungen, die den klaren Untergang Deutschlands bedeuten, nicht freimachen konnten.“ Noch viel gravierender war aus Sicht der Kreisleitung der Fall eines Angestellten am Überlinger Amtsgericht, der trotz Warnungen und trotz des Angebots, ihn mittels des Lesens des „Stürmers“ über die „Judenfrage“ aufzuklären, in diesem Punkte nie zu einer klaren Haltung gekommen sei und es gewagt habe, einen Tag vor seinem Urlaub, von seiner Dienststelle aus ein „Judengeschäft“ anzurufen, um sich eine Auswahlsendung zu sich nach Hause schicken zu lassen. Obwohl der Beschuldigte dies bestritt, wurde ihm vorgeworfen, sogar ein zweites Mal bei dem <?page no="150"?> 151 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn besagten Geschäft bestellt zu haben, weil ihm die erste Sendung nicht gefiel. Als er dann auch noch nach der Rückkehr aus seinem Urlaub „Greuelmärchen“ über einen angeblichen Freund herumerzählte, der angeblich in Schutzhaft gewesen sei, war das Maß voll, und die Kreisleitung sah sich veranlasst, bei Bekanntwerden dieses Verhaltens einzuschreiten und seine sofortige Beurlaubung aus dem Reichsdienst bis zur endgültigen Dienstentlassung zu verfügen. 11 Anlässlich einer Zusammenkunft der Politischen Leiter des Kreises Überlingen Ende Juli reagierte der Kreisleiter auch auf den so genannten „Röhm- Putsch“ vom 30. Juni 1934. Die Ermordung Röhms und anderer SA-Führer im Münchner Gefängnis Stadelheim bewertete Alfons Hafen als „[…] gewaltigen, befreienden Umschwung“, aus dem es die Konsequenzen zu ziehen gelte und so folgerte Hafen für sich und seine Parteigenossen: „Wir haben im Geist der Einmütigkeit des Zieles unbedingt dafür zu sorgen, daß alle die Elemente ausgemerzt werden, die Kritik am falschen Ort üben. Wer sich noch dazu versteifen sollte, Kritik selbst am Führer zu üben, muß die ganze Härte der NSDAP fühlen.“ 12 Kein ganz so „einzigartiges Treuebekenntnis zum Führer“ - Die Volksabstimmung am 19 August 1934 Am 1. August 1934 hatte Hitler im Reichstag noch das Gesetz zur Vereinigung des Amtes des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers durchgesetzt. Als Hindenburg am 2. August 1934 starb, nahm Hitler den Titel „Führer und Reichskanzler“ an und ließ die Reichswehr nicht mehr auf den Staat vereidigen, sondern auf sich persönlich. In einer Volksabstimmung, gekoppelt mit einer Reichstagswahl, sollten die Maßnahmen vom 2. August gebilligt werden. Das Ergebnis reichsweit lag bei einer Quote von 89 % Ja-Stimmen. Um für die Zustimmung zu werben, gab es auch in Überlingen am 16. August eine Großkundgebung mit dem Gebietsführer der HJ im Gau Baden, Pg. Friedhelm Kemper, zu dem Thema „Der 19.-August 1934 und der Lebenskampf des deutschen Volkes“. Dabei sollten sämtliche Formationen und Nebenorganisationen der Partei aufmarschieren. Schon am Tag zuvor erschien ein Aufruf des Kreisleiters, der diese Volksabstimmung zu einer Dankespflicht gegenüber dem Führer für seine hervorragenden Leistungen und <?page no="151"?> 152 Alfons Hafen als „[…] einzigartiges Treuebekenntnis zu Adolf Hitler und zu seiner deutschen Nation“ hochstilisierte und darüber hinaus forderte: „Stimmt mit einem freudig geschlossenen ‚Ja‘ für Adolf Hitler und damit für die Zukunft unserer herrlichen, lieben Jugend.“ 13 Die Ergebnisse der Volksabstimmung in Überlingen fielen annähernd so aus wie im Reich. Gab es dort im Schnitt 89 % Zustimmung, so lag sie mit 87,8- % im Amtsbezirk Überlingen leicht darunter, was auch daran lag, dass viele Bürger vermutlich bewusst ungültige Stimmscheine abgaben. Gleichzeitig war auch im Amtsbezirk wie reichsweit die Tendenz erkennbar, dass die Zustimmungsrate in den größeren Städten etwas geringer war als auf dem flachen Land. In der Stadt Überlingen mit Andelshofen lag die Zustimmungsrate nur bei 84,8-%, die Zahl der Neinstimmen immerhin bei 12,2-%, die der ungültigen Stimmen bei 3%, hingegen brachten Orte wie Oberstenweiler 98,5- % Ja-Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 96- % und der Ort Nußdorf 96 % Ja-Stimmen bei 100- % Wahlbeteiligung. In den Bewertungen der Presse wurden diese kleinen Orte selbstverständlich bewusst herausgehoben, während das Ergebnis in der Stadt Überlingen etwas schöngeredet wurde, indem man darauf abhob, dass diese Ergebnisse ja nicht so exakt bewertet werden können, da ja auch Ortsfremde mit Stimmscheinen an diesem Tag ihre Stimme in Überlingen abgeben konnten. Ganz offensichtlich waren die Nationalsozialisten mit dem Ergebnis nicht so ganz zufrieden, wie auch der Kommentar im „Seeboten“ verrät: „Was wollen die rund 14- % Neinsager, was wollen dabei die wenigen Stimmberechtigten besagen, die sich durch ihr verräterisches Votum von selbst außerhalb der Gemeinschaft stellen. Daß sich solche unter uns befinden, war anzunehmen, - es kann ja auch nicht anders sein, der Nationalsozialismus vermag nicht schon in 1 oder 2 Jahren weltanschaulicher Besitz aller derer zu werden, die während Generationen einem Weltbild gehuldigt haben, in dem für die Begriffe wahrer Gemeinschaft und völkischen Interesses noch niemals Platz gewesen ist. So war ein entsprechender Prozentsatz irregeleiteter oder staatsfeindlich gesinnter Wähler wohl zu erwarten.“ Auch wenn dieses Wahlergebnis im Trend lag, so waren die Überlinger Nationalsozialisten und mithin auch ihr Kreisleiter doch leicht verärgert, dass die Zustimmungsquote nicht höher war und sich noch immer so viele „außerhalb der Volksgemeinschaft stellten.“ Gleichwohl <?page no="152"?> 153 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn wurde das Gesamtergebnis natürlich als „überwältigendes Treuebekenntnis zum Führer“ gewertet. 14 Kampf um die Steuerbefreiung für einen Pkw der Kreisleitung Überlingen Am 14. April 1934 wurde auf Vermittlung des Beauftragten der Reichsparteileitung, Pg. Oexle, für die Kreisleitung ein zwei Jahre alter PKW, ein gebrauchtes Cabriolet der Marke Wanderer (Viersitzer mit einem Hubraum von 2523 ccm) für 2000 RM erworben. Kreisleiter Hafen richtete sich nun mit Schreiben vom 28. Juli 1934 an den Präsidenten des Landesfinanzamtes, mit der Bitte von der KFZ-Steuer befreit zu werden, da das Fahrzeug ausschließlich für parteipolitische Zwecke benutzt werde und neben der Kreisleitung auch allen Untergliederungen der Partei zur Verfügung stehe. Hafen bezog sich dabei auf einen Erlass des Reichsfinanzministers, der eine Befreiung für Fahrzeuge der SA und der SS vorsah. Der Kreisleiter argumentierte, dass dieser Erlass mindestens genauso für die ebenso wichtige Parteiorganisation gelten müsse. Mit Schreiben vom selben Tage schaltete Hafen auch die Gauleitung ein, mit der Bitte, sein Gesuch zu unterstützen. Am 4. August 1934 erläuterte der Präsident des Landesfinanzamtes, dass Fahrzeuge mit weniger als 8 Sitzplätzen nur dann von der Steuer befreit seien, wenn sie für die Organe der SS und SA zugelassen seien. Mit dieser Antwort gab sich Alfons Hafen jedoch nicht zufrieden und richtete sein Gesuch nun (22. August 1934) an den Reichsfinanzminister und betonte, dass mit Rücksicht auf die erhöhte Bedeutung der politischen Stellung des Kreisleiters doch angenommen werden könne, dass die Steuerbefreiung auch auf diese Stelle ausgedehnt werden müsse. Mit Schreiben vom gleichen Tag forderte er auch die Gauleitung auf, seinen Antrag an den Reichsminister „nachdrücklichst“ zu unterstützen. Nachdem Hafen bis zum 3. Oktober in dieser Angelegenheit nichts vom Reichsfinanzministerium gehört hatte, wandte er sich wieder an die Gauleitung mit der Bitte, eine Entscheidung beim Herrn Reichsfinanzminister herbeiführen zu wollen. Nachdem auch die Gauleitung keine Nachrichten aus Berlin erhalten hatte, setzte sie sich mit dem Reichschatzmeister der Partei, Pg. Franz Xaver Schwarz, in Verbindung, der mitteilte, dass <?page no="153"?> 154 Alfons Hafen die Steuerbefreiung vor allem deswegen erlassen worden sei, um den Zuschuss des Reiches an die SA nicht erhöhen zu müssen. Der Reichsfinanzminister sehe sich deshalb außer Stande, die Befreiung der KFZ-Steuer auf andere Parteifahrzeuge auszudehnen, da sonst der Steuerausfall zu groß sei. Nach diesem Schreiben informierte Kreisleiter Hafen den Pg. Oexle, der seinerseits Hafens Vorgehen unterstützte und die ihm überlassenen Unterlagen aus Überlingen am 12. November an den Reichsorganisationsleiter der Partei, Robert Ley, nach München sandte. In diesen Unterlagen begründete Alfons Hafen noch einmal seinen Antrag, verwies auf die schlechte Verkehrsinfrastruktur des Kreises Überlingen und fügte zum besseren Verständnis auch noch eine Karte des Kreises Überlingen mit allen Ortsgruppen und Stützpunkten der Partei bei, um nachzuweisen, dass es praktisch unmöglich sei, diese Orte ohne PKW zu erreichen. Am 14. November kam dann vom Reichsfinanzminister das endgültige Aus für Hafens Antrag, im Übrigen mit derselben Begründung, die schon der Präsident des Landesfinanzamtes vorgebracht hatte. Der hier geschilderte Vorgang zeigt dieselbe Hartnäckigkeit, die Hafen schon in den Jahren der Kampfzeit gegenüber den Behörden gezeigt hatte, eine zähe, verbissene, fast trotzige Haltung, mit der er seine Ziele durchsetzen wollte. 15 Das Reden nimmt kein Ende - Alfons Hafens politische Botschaften an die Volksgenossen Alfons Hafen liebte es, oft und lange zu reden. So dauerte etwa eine Rede über „Das Werden der NS-Weltanschauung“ am 20. April 1935 in Markdorf zweieinhalb Stunden, eine andere über „Das Werden des nationalsozialistischen Staates“ am 27. November 1935 zwei Stunden. Oftmals steht in der NS-Presse nur: „In längeren Ausführungen“ erläuterte „unser“ Kreisleiter den Partei- und Volksgenossen die NS-Ideologie in allen Facetten. Dabei ging es immer um das „große Ganze“. Eine thematische Zusammenstellung einiger Reden (nicht aller), die er zwischen April 1934 und März 1936 hielt, soll aufzeigen, womit er sich beschäftigte und welche Botschaften er den Partei- und Volksgenossen vermitteln wollte. <?page no="154"?> 155 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn THEMENBEREICH ZEITPUNKT QUELLE NS-Weltanschauung 6.10.1934 Bodensee-Rundschau Das Werden der NS- Weltanschauung 20.4.1935 und 16.7.1935 Jeweils Bodensee- Rundschau Kampf gegen die Feinde des Nationalsozialismus Kampf gegen Miesmacher und Kritikaster 14.5.1935 24.5.1934 29.5.1934 4.6.1935 28.6.1935 Bodensee-Rundschau Bodensee-Rundschau Bodensee-Rundschau Seebote Seebote Der nationalsozialistische Staatsgedanke Das Werden des nationalsozialistischen Staates Winterfeldzug: „Der Führer ist die Partei - Die Partei ist Deutschland! “ Staat und Partei 27.5.1935 27.11.1935 20.10.1935; insgesamt 8 Termine für Kreisleiter Hafen vom 20.10.1935 bis 24.11.1935 5.11.1935 Bodensee-Rundschau Bodensee-Rundschau Seebote Bodensee-Rundschau Entstehung des Nationalsozialismus 23.5.1935 Bodensee-Rundschau Stellung und Pflichten des Hoheitsträgers Pflichten der Amtsträger Die Führerberufung im deutschen Staat 30.7.1934 26.2.1935 7.1.1936 Bodensee-Rundschau Bodensee-Rundschau Bodenseerundschau Die Aufgaben der deutschen Frau und Mutter 9.1.1936 7.2.1936 Bodensee-Rundschau Bodensee-Rundschau Das Deutschland unserer Tage 15.2.1936 Bodensee-Rundschau Die deutsche Geschichte und die Erkenntnis für die Gegenwart 5.1.1935; Schulungskurs der politischen Leiter Bodensee-Rundschau „Der Kampf um die deutsche Seele“ 7.3.1936 Bodensee-Rundschau Maifeier Erntedankfest 2.5.1934 5.10.1935 Bodensee-Rundschau Bodensee-Rundschau Wie man leicht erkennen kann, hatte Kreisleiter Hafen einige Lieblingsthemen. Auf den Kampf gegen die „Miesmacher und Kritikaster“ wurde bereits eingegangen. Aber auch die Vermittlung der <?page no="155"?> 156 Alfons Hafen NS-Weltanschauung schien von besonderer Bedeutung. Hier bot Alfons Hafen seinen Zuhörern eine Art holzschnittartigen Schnellkurs in nationalsozialistischer Ideologie an mit Feststellungen wie zum Beispiel: „Der Mensch ist nicht das Produkt seiner Umgebung, sondern seines Blutes“ oder Deutschland sei „ein Volk ohne Raum“ oder „Viele Beispiele auf allen Gebieten beweisen so die Überlegenheit der nordischen Rasse.“ Von besonderer Logik ist die Feststellung: „Nationalsozialismus kann nicht gelehrt und nicht anerzogen werden, als Nationalsozialist muß man geboren sein.“ Da bleibt dann nur die Frage, warum die Nationalsozialisten und mithin auch Hafen genau dies immer wieder versucht haben. 16 Beauftragter der Partei für die Stadt und den Kreis Überlingen Mit der Reform der Deutschen Gemeindeordnung (am 1. April 1935 in Kraft getreten) führte die Partei durch § 118 „Beauftragte der Partei“ ein, die dann vom jeweiligen Gauleiter ernannt wurden. Als Beauftragte der Partei in den Kreisgemeinden fungierten die Kreisleiter. So wurde der kommissarische Kreisleiter Überlingens, Alfons Hafen, im Frühjahr 1935 von Gauleiter Robert Wagner zum Beauftragten für die Stadt Überlingen und die Kreisgemeinden Kreisleiter Alfons Hafen als Redner am 1.5.1935 in Überlingen <?page no="156"?> 157 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn berufen. Mit einer Erläuterung des Geschäftsführers der Landesstelle Baden des Deutschen Gemeindetages, Pg. Eduard Jäkle, wurde bei einer gemeindepolitischen Tagung des Kreises Überlingen die neue Gemeindeordnung vorgestellt. Sie umfasste die Einführung des Führerprinzips auch auf Gemeindeebene. Der Bürgermeister sollte künftig nicht mehr vom Gemeinderat gewählt, sondern in Abstimmung mit dem Bezirksamt (Landrat) durch den Beauftragten der Partei bestimmt und eingesetzt werden. Gleiches galt für die Beigeordneten als Stellvertreter des Bürgermeisters. Auch sie mussten nicht wie bisher aus dem Gemeinderat entnommen werden, sondern wurden vom Beauftragten ausgewählt. Der Gemeinderat hatte nicht mehr beschließende, sondern nur noch beratende Funktion und die Mitglieder wurden ebenfalls vom Beauftragten der Partei berufen. Dieser wirkte auch bei der Abfassung der Hauptsatzung einer Gemeinde mit sowie bei der Verleihung des Ehrenbürgerrechts und eventuell bei der Abberufung eines Bürgermeisters während seiner einjährigen Probezeit. Die übliche Praxis in den Gemeinden zeigt, dass dieses Berufungsrecht auch für Feuerwehrkommandanten galt. In Überlingen wurde außerdem dem vor Ort ansässigen Kreisleiter immer ein Platz in den Gemeinderatssitzungen reserviert. 17 Erkennbar verfügte die Partei nun über ein Instrument, um die gesamte Gemeindepolitik zu kontrollieren und schon bei der Auswahl der Personen in den Gemeinden im Regelfall hundertprozentige Parteigenossen in Position zu bringen. Die Kreisleiter wurden Kreisleiter Alfons Hafen (Mitte), Gauleiter Robert Wagner (links), Bürgermeister Dr.-Albert Spreng (rechts), Juli 1935 <?page no="157"?> 158 Alfons Hafen mit einer Machtfülle ausgestattet, die es ihnen ermöglichte, alle politischen Vorgänge vor Ort zu steuern. Die Neuregelung führte auch dazu, dass im Überlinger Kreisgebiet eine ganze Reihe Bürgermeisterstellen im Sommer 1935 neu besetzt wurden oder bisherige Stelleninhaber neu auf die Dauer von 6 Jahren berufen wurden: In Ahausen wurde der Pg. Josef Diebold wieder berufen, in Hohenbodman der örtliche Stützpunktleiter Pg. Otto Reichle, in Baitenhausen Fridolin Restle, in Mimmenhausen der Ortsgruppenleiter Pg. Josef Häring, in Unteruhldingen Pg. Hermann Winterhalder, in Stetten bei Meersburg der Pg. Josef Kumm, in Riedheim Pg. Josef Knobel und in Raderach Pg. Johann Baptist Arnold. Neu berufen wurden: in Deisendorf der bisherige Bürgermeisterstellvertreter Pg. Xaver Stierle, in Wittenhofen der Pg. Raimund Hügle für den altershalber zurückgetretenen bisherigen Bürgermeister; gleiches erfolgte in Lipperstreute mit dem neu eingesetzten Pg. Stefan Lorenz. In Daisendorf wurde der bisherige Bürgermeister Pg. Emil Hanß nach Einberufung zum Reichsarbeitsdienst durch Friedrich Ritsche ersetzt. In Buggensegel gab Altbürgermeister Felder sein Amt altershalber ab und Karl Müller wurde neu berufen. Alle diese Neuernennungen und Wiederbestätigungen erfolgten ausdrücklich im Einvernehmen mit dem Beauftragten der Partei, Kreisleiter Hafen. Auch die Berufung von Gemeinderäten und Beigeordneten lässt sich nachweisen, wie ein Beispiel aus Markdorf zeigt, wo im Besuch von Gauleiter Wagner am 20.7.1935 auf dem Haldenhof. Von links: Alfons Hafen, Robert Wagner und Dr. Albert Spreng <?page no="158"?> 159 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn Oktober die Beigeordneten in Absprache mit dem Kreisleiter neu einberufen wurden und der Gemeinderat neu zusammengesetzt wurde. Gleiches passierte in Überlingen selbst, wo Hafen im September 1935 sechs neue Ratsherren ernannte. 18 Übernahme der Leitung der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KDF) und Ausscheiden aus dem Amt als Kreisleiter Als Alfons Hafens Vater, Ferdinand Hafen, am 14. März 1936 starb, war das Geschäft der Familie bereits seit 1934 an Leonhard Müller verpachtet, zumal Hafen in diesem Jahr das kommissarische Kreisleiteramt übernommen und keinerlei Interesse an einer Übernahme des elterlichen Geschäftes gezeigt hatte. Außerdem war Ferdinand Hafen gesundheitlich angeschlagen. Seine Ehefrau Frieda war schon längere Zeit an den Rollstuhl gefesselt (sie starb am 28. September 1938) und Ferdinand Hafen erlitt in den zwei Jahren nach Verpachtung des Geschäftes mehrere Schlaganfälle, von denen er sich nicht mehr erholte. Dies könnte auch in Alfons Hafen den Wunsch nach einer Umorientierung ausgelöst haben. Da er seit dem 7. Dezember 1935 verheiratet war und er zumindest zu Beginn des Monats April 1936 von der Schwangerschaft seiner Frau wissen musste, könnte der Wechsel in ein bezahltes Parteiamt als Gauwart der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KDF) durchaus eine verlockende Perspektive gewesen sein, denn das Kreisleiteramt war bis zu diesem Zeitpunkt in Baden noch immer ein Ehrenamt und brachte finanziell nichts ein. Möglicherweise waren auch die Pachteinnahmen durch das Geschäft für die nun gewachsene Familie nicht ausreichend. Vielleicht sah Alfons Hafen auch ein, dass eine reguläre Ernennung zum Kreisleiter auf Dauer für ihn nicht in Frage kam. Als am 6. April 1936 das Schreiben von Gauleiter Wagner (datiert vom 5. April) an Hafen schließlich in der „Bodensee-Rundschau“ veröffentlicht wurde, betonte der Gauleiter darin, dass die Übernahme der Leitung der KDF Baden auf ausdrücklichen Wunsch Hafens zustande gekommen sei und dass er darin die Anerkennung der Partei für seine bisherigen Leistungen sehen könne. Aus einem weiteren Artikel der BR vom 11. April 1936 geht hervor, dass Alfons Hafen das Amt zum 20. April 1936 nach Beendigung <?page no="159"?> 160 Alfons Hafen seines Urlaubs übernehmen sollte. Er selbst äußerte später, dass er das Amt im Mai 1936 übernommen habe, was durchaus glaubhaft erscheint, da er sich am 6. Mai 1936 offiziell aus Überlingen nach Karlsruhe abmeldete. Am 22. April 1936 wurde er vom stellvertretenden Kreisleiter, Überlingens Bürgermeister Dr. Spreng, verabschiedet und ihm für seine „vorzügliche Arbeit im Dienste des Führers“ gedankt. Sollte es tatsächlich so gewesen sein, dass dieser Wechsel Hafens in die Leitung der KDF Baden auf seinen ausdrücklichen Wunsch geschah, so konnte dies der Parteileitung nur entgegen kommen, denn die Zusammenführung der NS-Kreise Überlingen und Pfullendorf war Teil einer schon länger geplanten Zusammenlegung der NS-Kreise im Vorgriff auf die ebenfalls geplante Konzentrierung einiger Amtsbezirke in Baden. Es ist durchaus möglich, dass die Gauleitung diese schwierige Aufgabe, die ja auch personelle Konsequenzen durch die Abschaffung der Kreisleitung Pfullendorf nach sich zog, einem älteren und erfahreneren Kollegen eher zutraute als dem 28-jährigen Alfons Hafen. Jedenfalls ist es sehr überraschend, wie schnell der Wechsel von Hafen auf den neuen Kreisleiter Richard Burk von statten ging. Anlässlich einer Tagung der politischen Leiter des neuen NS-Kreises Überlingen-Pfullendorf Ende Das KDF-Schiff „Überlingen“ an der Schiffslände in Überlingen 1935 <?page no="160"?> 161 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn April 1936 wurde immer wieder betont, wie sehr der bisherige Kreisleiter und sein Kreispropagandaleiter Pg. Eduard Hollerbach, der ebenso wie Hafen zur KDF wechselte, sich auf die treue Kameradschaft der Überlinger Genossen verlassen können und dass ihre Namen „[…] mit an führender Stelle der Geschichte des Kreises […]“ stehen und dass „[…] der Erfolg ihrer Arbeit ein mustergültig aufgebauter Kreis sei.“ Beide seien „[…] treue Verwalter und Mehrer des von Pg. Oexle begonnen Werkes […]“ gewesen. Da seit 1936 auch sicher war, dass Gustav Robert Oexle nicht mehr nach Überlingen zurückkehren würde, weil er als „Sonderbeauftragter des Stellvertreters des Führers“ endgültig etabliert war, konnte jetzt auch ein neuer Kreisleiter anstelle des kommissarisch amtierenden Alfons Hafens eingesetzt werden. Für Hafen blieb auf diese Weise ein ehrenvoller Abgang aus Überlingen mit einer formellen Beförderung und finanziellen Vorteilen. Ob ihn die Partei dazu drängte, oder ob es tatsächlich sein eigener Wille war, lässt sich angesichts fehlender weiterer Unterlagen nicht genau bestimmen. 19 Gauwart der KDF Die Organisation „Kraft durch Freude“ war im November 1933 gegründet worden. Trägerin der KDF war die Deutsche Arbeitsfront (DAF), deren Reichsleiter Robert Ley an der Planung dieser Freizeitorganisation maßgeblich beteiligt war. Vorbild war die vom italienischen Diktator Mussolini 1925 ins Leben gerufene Organisation „Opera Nazionale Dopolavoro“, wörtlich ein Feierabendwerk zur Gestaltung der Freizeit „nach der Arbeit“. Die Begründer der KDF wollten jedoch mehr, wie der propagandistisch gut nutzbare Der Bodensee. Sonderheft der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ <?page no="161"?> 162 Alfons Hafen Name „Kraft durch Freude“ zum Ausdruck bringt. Ziele waren die Steigerung der Leistungskraft durch mehr Freizeitangebote und vor allem durch die von Nationalsozialisten organisierte Freizeit, die Schaffung der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft und die „Vervollkommnung und Veredelung des deutschen Menschen“. Dass die KDF im Gegensatz zum italienischen Dopolavoro-Werk mehr war als nur eine Organisation für Arbeitnehmer, zeigt der Anspruch, eine „klassenlose Volksgemeinschaft aller Deutschen“ zu begründen. Freizeit war also kein Selbstzweck, sondern stand im Dienste des Staates und der Idee, einen neuen deutschen Menschen mit einer neuen deutschen Gesellschaftsordnung zu schaffen. Die Erholung durch die KDF sollte also gezielt dazu dienen, die Kräfte der arbeitenden Bevölkerung wiederherzustellen. Gleichzeitig sollten die Aktivitäten der KDF wie Theaterbesuche, Urlaube, und Rundfahrten zu günstigen Preisen den NS-Staat zur „Wohlfühldiktatur“ machen, wie es der Historiker Götz Aly trefflich formulierte. Zu den kulturellen Zielen zählte die Stärkung des Heimatgefühls, des Nationalstolzes und des Gemeinschaftsgefühls. Die KDF-Organisation war wie alle NS-Organisationen hierarchisch von oben nach unten gegliedert und folgte der politischen Gliederung in Gaue, Kreise und Ortsgruppen. Intern war die KDF in mehrere Ämter unterteilt: Das Amt für Urlaub, Reisen und Wandern; das Amt für Schönheit und Würde der Arbeit; das Amt für körperliche Ertüchtigung und Sport; das Amt für geistige Aus- und Fortbildung; das Amt für Kultur; das Amt für Volksbrauchtum sowie das Jugendamt. Dabei riefen die Nationalsozialisten auch Dorfverschönerungsaktionen ins Leben wie den „Wettbewerb um das schönste und vorbildlichste Dorf“. Es war Alfons Hafens Auftrag mit dem Gauapparat in Baden die Aufgaben des KDF zu organisieren und zu koordinieren. Dabei konnte er im kulturellen Bereich auf Theater zurückgreifen, die dem KDF gehörten. Ansonsten galt es Verträge mit Varieté- Gruppen, einzelnen Künstlern, Orchestern und Musikgruppen abzuschließen sowie Reisen, Wanderungen, bunte Abende, Konzerte, Nähkurse, Schwimmlehrgänge, Sportveranstaltungen und Heimatabende zu planen und entsprechendes Prospektmaterial zu entwerfen. Bei der Bezahlung der durch die KDF entworfenen Prospekte griff die NS-Gemeinschaft auf die beteiligten Gemeinden zurück, die die Kosten dafür aufzubringen hatten. 20 <?page no="162"?> 163 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn Alfons Hafen trat seinen Dienst als Gauwart der KDF im Gau Baden in Karlsruhe im Mai 1936 an. Er wohnte in der Graf Rehnastraße 12. Nach den Angaben in der Einwohnermeldekartei wohnte seine Frau Eva mit den Kindern nicht permanent in Karlsruhe, sondern war zumindest auch zwischendurch im Überlinger Haus der Familie Hafen in der Bahnhofstraße 23 gemeldet. 1937 ließ Gauwart Hafen erstmals seine Kontakte zur alten Heimat spielen, indem er sechs junge Überlinger Trachtenträgerinnen zu einem Freizeitkongress in Hamburg einlud. Am 22. Juni 1937 berichtete die „Bodensee-Rundschau“ stolz, wie die Hamburger Zeitungen eine Großaufnahme mit dem Titel „6 lustige Mädel vom Bodensee“ abdruckten. Die Mädchen waren eingeladen worden als „Repräsentanten der Vielgestalt deutschen Volkstums und deutschen Brauchtums.“ Die „Bodensee-Rundschau“ berichtete minutiös von dem Programm, das den Mädchen geboten wurde. Verstärkt durch die Gauwaltung in Karlsruhe, an der Spitze „unser Pg Hafen“, fuhren die Mädchen mit dem Nachtzug nach Hamburg und wurden am Bahnhof von einem Vertreter von Robert Ley und einer Musikkapelle empfangen. Nach Frühstück und Mittagessen folgte eine Hafenrundfahrt und eine Begegnung mit dem Dirigenten des Reichssymphonieorchesters, Adam. Danach wurde Hagenbecks Tierpark besichtigt. Am nächsten Tag ging es nach Volksdorf: „[…] Der ganze Gau Baden war beisammen; es wurde im Freien getanzt und gesungen“. Im November des gleichen Jahres kam Alfons Hafen in dienstlicher Mission an den Bodensee zum 1. Gau-Appell der NSG (Nationalsozialistische Gemeinschaft) „Kraft durch Freude“ für die Kreise Überlingen und Stockach in Sipplingen. Dort fasste er in seinem Schlusswort die Aufgaben der KDF-Organisation zusammen: „Wir formen ein neues Volk und das stellt der NS-Gemeinschaft die Aufgabe, die Freizeit des deutschen Menschen zu gestalten. Wir müssen dem deutschen Menschen das geben, auf was er nach seiner Arbeit und seinem Einsatz Anspruch hat.“ (Hervorhebung im Original) 21 Noch mindestens zweimal kehrte Hafen in die alte Heimat zurück, diesmal allerdings als von der Gauleitung vermittelter Redner, so im Februar 1937, als er für die DAF im Gasthof Walser in Markdorf sprach und dann nochmals am 1. April 1939, als er im Rahmen der Massenkundgebungen (insgesamt 48 im Kreis Über- <?page no="163"?> 164 Alfons Hafen lingen am gleichen Tag) zum Thema „Deutschlands Lebenskampf“ in Heiligenberg referierte. 22 Am 6. Oktober 1939 berichtete die BR in einem großen Artikel über den Einsatz der Organisation „Kraft durch Freude“ im Gau Baden. Gauwart Hafen sprach von der Veränderung, die sich durch den „uns aufgezwungenen“ Krieg bezüglich der Richtlinien der Arbeit der KDF ergeben habe. Die Hauptarbeit habe nun die Abteilung „Feierabend“ zu leisten, weil sie nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Truppe zu betreuen habe. Hierfür verpflichtete die Organisation eine Reihe von Varietébühnen. Außerdem standen die Badische Bühne und die im Gau immer wieder gern gesehenen Münchner Heimatspiele sowie Ivo Pubonnos Marionetten zur Verfügung. Die KDF sollte auch in den Lazaretten zu Gast sein, um den „Verwundeten durch kurzweilige Darbietungen ihr Los zu erleichtern.“ Um dies zu gewährleisten erfuhr das Amt „Reisen- Wandern-Urlaub“ eine gewisse Einschränkung. 23 Mit dem Sieg über Frankreich im Sommer 1940 wurde die Gauleitung von Karlsruhe nach Straßburg verlegt und der Gau Baden zum Reichsgau Baden-Elsaß umbenannt und damit erfolgte auch der Umzug Alfons Hafens nach Straßburg in die Lessingstraße 17. 24 Aus einem weiteren Artikel der BR vom 1. August 1940 geht hervor, wie sehr sich durch den Krieg die Arbeit der KDF veränderte. So richtete die KDF in den ersten zehn Kriegsmonaten allein 6097 Veranstaltungen im Gau Baden in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht aus. Ein Fünftel davon waren Theatervorstellungen, dazu kamen 313 Konzerte und 374 Vorträge sowie 220 bunte Abende und 1513 Filmveranstaltungen. Ausdrücklich gelobt wurde Gauwart Hafen, der am Westwall Konzerte des Baden-Badener Symphonie- und Kurorchesters, des Karlsruher Kammerorchesters, des RAD-Reichsmusikzuges, einer deutsch-italienischen Sängergruppe sowie der Kammersänger Bockelmann und Wittrich und der Sängerin Erna Sack, genannt „die deutsche Nachtigall“, ermöglichte. Besondere Aufmerksamkeit galt den Verwundeten, die durch die KDF-Spielscharen, die HJ- und BDM-Spielgemeinschaften, durch Laien-Spielscharen und Musikkapellen betreut wurden. Die Sportlehrer der KDF trieben mit den Genesenden Gymnastik, das Volksbildungswerk bot Vorträge und Kurse an und die DAF führte Betriebs- und Stadtbesichtigungen durch. Mit dem fortschreitenden Krieg und immer mehr Verwundeten rückte diese Art der Be- <?page no="164"?> 165 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn treuung immer stärker in den Mittelpunkt der Aufgaben der KDF. Die so beliebten Urlaubsfahrten und Schiffsreisen der Vorkriegszeit hingegen konnten kaum noch durchgeführt werden. 25 Alfons Hafen blieb in Straßburg bis Ende 1944, als französische Truppen in das Elsaß einmarschierten. Am 30. November 1944 meldete er sich in Überlingen zurück. 26 Die Entnazifizierung Nach längeren Aufenthalten im Überlinger Bezirksgefängnis, im Lager Goldbach sowie in den französischen Internierungslagern Lahr-Dinglingen und Freiburg kam Alfons Hafen im Oktober 1948 wieder nach Überlingen zurück. Schon im Oktober 1947 hatte die Stadt Überlingen dem Kommandanten des Internierungslagers Lahr-Dinglingen signalisiert, dass seitens der Stadt und im Interesse seiner Familie einer Rückkehr in die Heimat nichts im Wege stehe. 27 Nach den Unterlagen in der Einwohnermeldekartei wurde Alfons Hafen am 22. Oktober 1948 aus dem Internierungslager Freiburg entlassen. Sein endgültiger Entnazifizierungsbescheid wurde in der Beilage Nr. 21 des Amtsblattes am 28. Mai 1949 auf Seite 231 veröffentlicht. Hafen galt als Minderbelasteter mit einer Bewährungsfrist von 3 Jahren und hatte eine Geldbuße von 100 DM zu entrichten. 28 Rückkehr in den alten Beruf Seit Mai 1949 bemühte sich Alfons Hafen um eine Wiederzulassung zum Obstgroßhandel im Geschäft seiner Eltern, das zu diesem Zeitpunkt aber noch von Leonhard Müller gepachtet war. In einem Brief an das Ernährungsamt bestätigte das Landratsamt, dass es gegen einen Verkauf von Obst, Gemüse und Kartoffeln keine Einwände erhebe. Alfons Hafen bemühte sich nun bei der Stadt um eine Wiederbestätigung der alten Rechte seines Vaters und hier vor allem um die Obstverwertung und den Handel mit Trinkbranntweinen. Der Stadtrat erhob dagegen keine Bedenken, das Landratsamt hingegen bat ihn um eine Zurückstellung der Obstverwertung und bat um eine Vorlage des Säuberungsbescheides mit <?page no="165"?> 166 Alfons Hafen der genauen Veröffentlichung im Amtsblatt. Im Juni berichtete Hafen dem Landratsamt, er wolle das Geschäft seines Vaters übernehmen, auf dem die Rechte auf Obsthandel und Obstverwertung ruhen würden, nur habe sie der bisherige Pächter Leonhard Müller nicht wahrgenommen. Immer wieder drängte Alfons Hafen, da er die Obsternte im Herbst schon verwerten wollte, auch wenn er das Lebensmittelgeschäft erst im Oktober nach Auslaufen der Pacht übernehmen konnte. Das Landratsamt verlangte nun einen Strafregisterauszug, einen Berufsnachweis und eine Stellungnahme der Industrie-und Handelskammer bezüglich des Rechtes auf den Kleinhandel mit Branntweinen. In der Zwischenzeit zog Alfons Hafen seinen Antrag auf die Herstellung von Trinkbranntweinen zurück und die IHK erhob keine Einwände gegen die Zulassung zum Obstgroßhandel. Nun wollte das Landwirtschaftsamt wissen, was für ein größeres Unternehmen Hafen seit 1934 geleitet habe und ob der elterliche Betrieb tatsächlich als Großhandelsunternehmen zugelassen gewesen sei. Hafen antwortete dem Landratsamt pflichtgemäß, er habe die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ im Gau Baden geleitet und er wolle zum 1. Oktober 1949 das elterliche Geschäft nun endgültig übernehmen. Von der Obstverwertung für das Das Ladengeschäft von Alfons Hafen in der Grabenstraße in Überlingen im Jahre 1951 <?page no="166"?> 167 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn Jahr 1949 galt es zunächst einmal Abschied zu nehmen. Da die Fa. Hafen als Feinkostgeschäft auch mit Wild und Geflügel handelte, mischte sich nun der Einzelhandelsverband ein und sprach Hafen die fachliche Eignung zum Handel mit Wild ab und empfahl eine Überprüfung der gesundheitspolizeilichen Vorschriften. Im Januar 1950 wurde der Betrieb durch die Gewerbepolizei überprüft und in einwandfreiem Zustand vorgefunden. Nachdem Hafen im März 1950 auf die Zulassung zum Obsthandel verzichtete, erhielt er im Mai 1950 den Wiedereintrag ins Handelsregister als Lebensmittel- und Feinkostgeschäft. Die offizielle Erlaubnis des Landratsamts erfolgte am 22. Juli 1950. Nach fast eineinhalb Jahre andauernden Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Ämtern und Handelsorganisationen konnte Hafen das elterliche Geschäft wieder übernehmen. Er betrieb den Lebensmittel- und Feinkosthandel fast genau 10 Jahre lang bis ins Jahr 1960 und verpachtete dann das Geschäft an eine Fa. Kaspar aus Singen am Hohentwiel. 29 Alfons Hafen starb am 3. September 1979 im Alter von 71 Jahren in seiner Wohnung in der Bahnhofstraße 23. 30 <?page no="167"?> 168 Alfons Hafen Anmerkungen 1 Zur Geschichte der Familie Hafen vgl. BR vom 16.3.1936. Zu den weiteren Daten: SAÜ- Einwohnermeldekartei, Karteikarten von Ferdinand Hafen, Johanna Maria Hafen, Frieda Hafen und Alfons Hafen. Zu Ferdinand Hafens Geschäften in der Franziskanerstraße siehe SAÜ-Ordnungsamt, Gewerbean-und -abmeldungen 1945-1960: Hier zwei Briefe an das Bezirksamt vom 20. Aug. 1916 und vom 10. Nov. 1920. Zum Engagement Ferdinand Hafens als Narrenvater siehe Chronologie der Überlinger Narreneltern. Im Netz unter http: / / www.narrenzunft-ueberlingen.de; Zur Parteikarriere Alfons Hafens vgl. BAB-PK D 0300/ 1387. Zu seiner Ausbildung bei der Firma Kathreiner vgl. einen Brief Hafens vom 24.6.1949, in dem er seine Ausbildungszeit schildert: SAÜ-Ordnungsamt, Gewerbean- und -abmeldungen 1945-1960, Überlingen VII. Handel und Gewerbe. Zu seiner Hochzeit und der Geburt der Kinder vgl. SAÜ- Einwohnermeldekartei, Karteikarten von Alfons Hafen, Eva Hafen, Jutta und Eckart Hafen. 2 Das Anbringen des Hakenkreuzes und des „Völkischen Beobachters“ in der Christophstraße ist vermerkt in dem Artikel der BR vom 16.3.1936. Die NS-Versammlung in Owingen ist dokumentiert in DBZ vom 11.2.1931. Sein Brief an die DBZ ist abgedruckt in DBZ vom 18.3.1931. 3 Im Überlinger Stadtarchiv sind alle diese Anträge auf politische Vorträge, Versammlungen und Aufmärsche gesammelt unter SAÜ-Best. D3-2234. Zum Anschlag der Gehälter an seinem Haus vgl. DBZ vom 3.2.1932. Zu dem Artikel aus dem „Führer“ vgl. Bericht des „Seeboten“ vom 12.12.1931 über die Gemeinderatssitzungen der Stadt vom 3.12. und 10.12.1931. Die Nein-Stimme dürfte die des NS-Gemeinderats Seiler gewesen sein. Der Artikel mit der Strafverfügung gegen Egon Kohler stammt aus dem „Führer“ vom 21.8.1931. In einem zweiten Artikel vom 3.9.1931 schildert die NS-Presse die Reaktion auf den Artikel aus ihrer Sicht. SAÜ- Nachlass Karl Löhle: Dort befinden sich einige Ausgaben der NS-Zeitung „Der Führer“. 4 Der Bericht über die Versammlung mit dem Reichstagsabgeordneten Diez ist abgedruckt in DBZ vom 20.7.1932. 5 Zu den Strafen für Alfons Hafen und den Zentrumsredakteur vgl. DBZ vom 14.5.1932. Die DBZ bezieht sich hier auf einen Artikel in der NS- Zeitung „Der Führer“, die in Mittel- und Nordbaden erschien, aber nicht am See. Später wurde daraus das offizielle Verkündigungsblatt der Partei im Gau Baden. Am Bodensee erschien erstmals im Oktober 1932 die NS- Zeitung „Bodensee-Rundschau“. Dass die Gefängnisstrafe später amnestiert wurde, lässt sich in den Unterlagen des Bundesarchivs über Alfons Hafen nachweisen: BAB-PK D 0300/ 1387. Für alle Nichtdialektsprecher: Der Spruch heißt ins Hochdeutsche übersetzt: „Du musst nicht weinen, Alfons, das geht auch vorbei.“ Die Zitate aus dem „Seeboten“ sind der Ausgabe vom 16.6.1931 entnommen. <?page no="168"?> 169 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn 6 Zum Nationalsozialistischen Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand und zur NS-Hago vgl. http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Nationalsozialistischer_Kampfbund_für_den_gewerblichen_Mittelstand; Zum Vorgehen des Kampfbundes in Baden: GRILL, Johnpeter Horst: The Nazi Movement in Baden 1920-1945, Chapel Hill, North Carolina, 1983, S. 297. Zu Hafen als Kreiskampfbundleiter vgl. Artikel der BR vom 16.6.1933, vom 22.6.1933 und der DBZ vom 21.7.1933. Zu den Kaufdankveranstaltungen vgl. Artikel der BR vom 27.7.1933. Zu Hafens Mitgliedschaft im Gewerbeverein vgl. BR vom 15.5.1933: Das Zitat des neuen NS-Hago Leiters Alfons Hafen ist einem Artikel der BR vom 7.12.1933 entnommen mit dem Titel „Der Mittelstand auf dem Weg ins Dritte Reich“. Zur Gründung neuer NS-Hago-Ortsgruppen in Immenstaad und Bermatingen vgl. BR vom 12.12.1933. 7 BR vom 15.7.1933. Die offizielle Aufnahme in den Rat erfolgte am 13.7.1933. SAÜ-Best. D3-407. 8 BAB PK D 0300/ 1387. Als Kreisadjutant erstmals erwähnt am 4.10.1933 in der BR zusammen mit Kreisleiter Oexle. Als Redner erwähnt im Wahlkampf für die Novemberwahl in BR vom 26.10.1933 (längere Ausführungen über die außenpolitische Lage) und in BR vom 8.11.1933 anlässlich einer Kampagne der Partei für „einen Frieden der Ehre und Gleichberechtigung“ in Kippenhausen. Die „Wahl“ im November war verknüpft mit einem Plebiszit für den Austritt aus dem Völkerbund und aus der Abrüstungskonferenz. 9 Der 1. Kreisschulungskurs in Überlingen fand statt von Freitag den 5. bis Sonntag, den 7. Januar. Vgl. dazu das genaue Programm in SAÜ-Best. D3-2234. Der zweite Kreisschulungskurs wurde am 20. und 21. Januar in Markdorf abgehalten: Vgl. dazu „Seebote“ vom 17.1.1934 - Ankündigung des Programms und der Redner. Der Vortrag in Riedheim fand am 28.2.1934 statt: Vgl. Bericht im „Seeboten“ mit Ankündigung des Referenten vom selben Tage. Zu seiner Rolle als Nachrichtendienstleiter: Hafen gab dies anlässlich seines Besuches der Gauamtswalterschule vom 6.8.1933 bis 27.8.33 selbst an: BAB PK D 0300/ 1387. Zu den Mutmaßungen des Anti-Nazi-Comités vgl. SAÜ-Nachlass Viktor Mezger. 10 Im Bericht der BR vom 6.3.1934 heißt es ausdrücklich, dass Alfons Hafen mit der Leitung des Kreises durch den Gauleiter beauftragt wurde. Die Dankadresse für die Ernennung durch Hafen wurde in der BR vom 8.3.1934 abgedruckt. Die Formulierung in der BR vom 6.4.1936 bei Hafens Rücktritt lautet, dass er (Hafen) auf eigenen Wunsch aus seiner bisherigen Stellung „als stellvertretender und kommissarischer Kreisleiter“ ausscheidet. In den Unterlagen des Bundesarchivs wird er als „kommissarischer Kreisleiter“ bezeichnet: BAB, PK D 0300/ 1387. Zu den üblichen Gebräuchen bei der Einsetzung von Kreisleitern vgl. http: / / de.wikipedia. org/ wiki/ Struktur_der_NSDAP hier: Artikel „Kreisleiter“. Zur Ernennung von Gebietsinspekteuren durch Robert Ley wie auch zu den Auseinandersetzungen zwischen Heß und Ley sowie zur Ernennung von <?page no="169"?> 170 Alfons Hafen Beauftragten der Parteileitung durch Heß siehe: LONGERICH, Peter: Hitlers Stellvertreter. Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparats durch den Stab Heß und die Partei-Kanzlei Bormann. Eine Publikation des Instituts für Zeitgeschichte, München 1992, S. 14 und S. 38; dort auch verzeichnet die übrigen 5 Gebietsinspekteure, S. 38, Anm. 172. Oexle war seit November 1933 „Beauftragter der Parteileitung im Stab des Stellvertreters des Führers“. Vgl. dazu: Reichstagshandbuch Bd. 1933: IX Wahlperiode 1933, Berlin 1933, S. 15. 11 Zum Beginn des Kampfes gegen das „Miesmachertum“ vgl. zwei Artikel aus BR vom 24.5.1934 und vom 29.5.1934. Dort auch abgedruckt der Ort und der Zeitpunkt der Auftritte von Alfons Hafen. Das Zitat als Warnung an die Volksgenossen stammt aus dem Artikel in der BR vom 24.5.1934. Zu den Verhaftungen: DBZ vom 8.5.1934 Verhaftung einer 25-jährigen Händlerin aus Singen. Zur Verhaftung von Kommunisten in Ludwigshafen: Verfolgung und Widerstand unter dem Nationalsozialismus in Baden. Die Lageberichte der Gestapo und des Generalstaatsanwalts Karlsruhe 1933-1940. Bearbeitet von Jörg SCHADT, Stadtarchiv Mannheim (Hg.), Stuttgart 1976, S. 97. Zur Anzeige gegen Franz Hug, ebenda S. 111. DBZ vom 4.7.1934: Verhaftung eines 39jährigen Mannes aus Goldbach. BR vom 26.7.1934: Verhaftung eines 57jährigen Knechtes aus Markdorf. Zu dem Vorfall mit dem Diplomlandwirtschaftslehrer Hans Lutz: KAB Best. 241.11 ÜB-A-43a- Briefe vom 12. Dezember 1934 und vom 19. Dezember 1934. Zu den Auftritten und den Reden zu diesem Komplex vgl. die Liste der Reden Hafens in diesem Artikel. Zur Verhaftung der beiden Bauern aus Mittelstenweiler vgl. BR vom 25.4.1935. Zu dem Angestellten des Überlinger Amtsgerichts vgl. BR vom 29.8.1935. 12 BR vom 30.7.1934 13 Zur Großkundgebung anlässlich des Plebiszites vom 19.8.1934 vgl. zwei Artikel in der BR vom 15.8.1934, darin auch der Aufruf des Kreisleiters. 14 Die Wahlergebnisse wurden errechnet aufgrund der im „Seeboten“ vom 20.8.1934 veröffentlichten absoluten Zahlen. Zu den Ergebnissen in den kleineren Orten wie Nußdorf und Oberstenweiler vgl. auch BR vom 21.8.1934; Die Zitate stammen aus einem Artikel des „Seeboten“ vom 20.8.1934 mit dem Titel „Abstimmungssonntag in Überlingen.“ 15 Dieser ganze Schriftverkehr ist zusammengefasst in einem Aktenfaszikel des BAB- NS 022/ 000254. 16 Die Zitate stammen aus der Rede vom 6.10.1934 (BR). Diese Zusammenstellung enthält nicht die Reden bei Schulungsabenden, vor Ortsgruppen oder bei anderen Parteiunterorganisationen mit Ausnahme der Rede vom 8.1.1935 (BR). 17 Die Einberufung Hafens zum Beauftragten der Partei wurde amtlich verkündet in: Die GEMEINDE. Amtliches Organ des Deutschen Gemeindetages, Landesdienstelle Baden, Karlsruhe, Nr. 5, 37.Jg, Mai 1935, S. 87. Zur gemeindepolitischen Tagung in Überlingen: BR vom 9.4.1935 18 Zur Neubesetzung bzw. Wiederbesetzung der Bürgermeisterstellen vgl. <?page no="170"?> 171 Ein junger, hartnäckiger Aktivist und Heißsporn BR vom 26.7.1935. Zur Neuberufung der Beigeordneten in Markdorf vgl. „Seebote“ vom 4.10.1935, zur neuen Zusammensetzung des Gemeinderats siehe BR vom 8.10.1935. Zur Besetzung der Ratsstellen in Überlingen: SAÜ-Best. D3-421: Schreiben des Kreisleiters Hafen an die Gemeinde vom 20.9.1935. 19 Zum Tode Ferdinand Hafens vgl. BR. vom 16.3.1936. Zu den persönlichen Daten der Familie Hafen vgl. SAÜ-Einwohnermeldekartei, Karteikarten Ferdinand Hafen, Alfons Hafen. Darin auch die Information seiner Abmeldung aus Überlingen nach Karlsruhe am 6.5.1936. Alfons Hafen äußerte sich später zum Beginn seiner Arbeit bei der KDF im Mai in einem Schreiben vom 4. August 1949 an das Landwirtschaftsamt Überlingen: SAÜ-Ordnungsamt, Gewerbean- und -abmeldungen 1945-1960, Überlingen VII. Handel und Gewerbe. Dort auch die Information, dass das Geschäft seit 1934 verpachtet sei. Der Name des Pächters, Leonhard Müller, findet sich im Bezirksadreßbuch Überlingen am Bodensee von 1937, S. 91. Die Tatsache, dass Hafens Frau zu diesem Zeitpunkt schon schwanger gewesen sein muss, ergibt sich aus dem Geburtsdatum der Tochter Jutta am 7.12.1936 in Karlsruhe. Schreiben des Gauleiters an Alfons Hafen veröffentlicht in: BR vom 6.4.1936. Zur Übernahme des Amtes zum 20.4.1936 vgl. BR vom 11.4.1936. Zur Verabschiedung durch Dr. Spreng vgl. BR vom 22.4.1936. Zur Tagung der politischen Leiter vgl. BR vom 27.4.1936. 20 Zur Organisation KDF vgl. den sehr guten Artikel bei Wikipedia: http: / / de.wikipedia.org/ windex.php? oldid=107165764; dort auch die Zitate sowie weitere Links und Literaturangaben zum Thema KDF. Zur Bezahlung des von der KDF gestalteten Prospektmaterials: Die Gemeinde Überlingen entrichtete für das Prospektmaterial 1935 einen Betrag von 150 RM: SAÜ-Best. D3-407-Gemeinderatsbeschluss vom 15.2.1935. 21 Zum Umzug Hafens nach Karlsruhe sowie zu den übrigen Daten der Familie Hafen vgl. SAÜ-Einwohnermeldekartei, Karteikarten von Alfons, Eva, Jutta und Eckart Hafen. Der Bericht über die sechs Überlinger Trachtenträgerinnen und ihr Programm ist abgedruckt in BR vom 22.6.1937. Der Gau-Appell für die Kreise Überlingen und Stockach fand im Januar 1937 statt. Bericht darüber in der BR vom 11.1.1937.. 22 Der Redner Alfons Hafen ist im Rahmen einer Reihe von Veranstaltungen der DAF für den 1.2.1937 angekündigt in: „Seebote“ vom 24.1.1937. Im Rahmen der Massenkundgebungen vom 1. April 1939 sollte Hafen in Heiligenberg sprechen. Vgl. dazu BR vom 31.3.1939. 23 Artikel der BR vom 6.10.1939. 24 Zum Umzug Hafens vgl. SAÜ-Einwohnermeldekartei, Karteikarte Alfons Hafen. 25 BR vom 1.8.1940. 26 SAÜ-Einwohnermeldekartei. Karte von Alfons Hafen. 27 Nach den Unterlagen der Einwohnermeldekartei war Hafen vom 2.5.1945- 12.9.1945 im Lager Goldbach, vom 19.10.-19.11.1945 im Gefängnis und <?page no="171"?> 172 Alfons Hafen im Lager Goldbach, vom 13.4.1946 bis 2.5.1946 im Gefängnis Überlingen, vom 3.5.1946 bis 23.5.1948 im Internierungslager Lahr-Dinglingen und vom 24.5.1948 bis zum 22.10.1948 im Internierungslager Freiburg: SAÜ-Einwohnermeldekartei, Karte Alfons Hafen. Die Entnazifizierungsakte von Hafen ist fast leer. Es ist ihr nur zu entnehmen, dass er interniert war und wahrscheinlich zweimal durch die französischen Offiziere Gautier und Vallé verhört wurde: StAF-D 180/ 2 Nr. 204962. Brief von Bürgermeister Hug an den Kommandanten des Lagers Lahr-Dinglingen vom 24.10.1947: SAÜ-Best. D3-2224. 28 Der Entnazifizierungsbescheid in Form einer beglaubigten Kopie des Staatskommissariats für politische Säuberung vom 8.7.1949 befindet sich in einem Briefwechsel Hafens mit dem Landratsamt und dem Landwirtschaftsamt anlässlich der Wiedereröffnung seines Lebensmittel- und Feinkostgeschäftes: SAÜ- Ordnungsamt, Gewerbean- und Gewerbeabmeldungen. 29 Der ganze Briefwechsel, der hier nur in Auszügen wiedergegeben ist, in: SAÜ-Ordnungsamt, Gewerbean- und Gewerbeabmeldungen. Nach der Gewerbekartei wurde der Betrieb am 1.7.1960 geschlossen und am 15.8.1960 verpachtet. SAÜ-Ordungsamt, Gewerbekartei. 30 SAÜ-Sterbebuch 1979, Eintrag Nr. 212 <?page no="172"?> 173 Vom strammen Antidemokraten in der Weimarer Republik zum überzeugten Nationalsozialisten Richard Burk - Kreisleiter in Überlingen von April bis Dezember 1936 Richard Burk wurde am 8. November 1892 in Gyrsberg im Kanton Zürich als Sohn des Konstanzer Zigarrenfabrikanten Hermann Burk und dessen Ehefrau Helene geboren. Der evangelisch getaufte Richard Burk ging zunächst in Konstanz zur Schule. Später legte er sein Abitur in Schwäbisch Hall ab. Danach folgte eine kaufmännische Ausbildung. Im 1.Weltkrieg diente er in einem Artillerieregiment und seit 1915 als Kompanieführer in verschiedenen Einheiten. Nach dem Kriegsende erfolgte die Rückkehr in seine Heimatstadt Konstanz, wo er bis 1922 einen stadteigenen Gutshof verwaltete. Anschließend wurde er Pächter eines Hofes in Grasbeuren. Nach der Heirat mit seiner Ehefrau Tilly Besenfelder aus Bruchsal wurde Richard Burk am 19. Mai 1923 Vater seiner ersten Tochter Barbara, die in Grasbeuren geboren wurde. Nach dem Verkauf des Hofes zog die Familie Burk nach Radolfzell. Richard Burk eröffnete dort einen Buchhandel. Seine zweite Tochter Liselotte wurde am 2. Februar 1927 in Radolfzell geboren. Nach einem teuren Hausbau in einer vornehmen Wohngegend und großen Verlusten in seinem Geschäft geriet die Familie in wirtschaftliche Schwierigkeiten. An diesen Schulden hatte Richard Burk noch lange zu tragen, wie ein Briefwechsel Burks mit dem Reichsschatzmeister von 1941/ 1942 zeigt, wo es um die Weitergewährung der Kreisleiter Richard Burk <?page no="173"?> 174 Richard Burk Kinderzulage für seine Tochter Barbara geht. Er hatte sein Haus mit einem Verlust von über 20- 000 RM verkaufen müssen und Abzahlung sowie Verzinsung drückten ihn immer noch. Allerdings verdiente er als Kreisleiter zumindest so gut, dass er beides wohl leisten konnte. Da Lahr ein großer Kreis war, erhielt er im Jahre 1944 pro Monat 840 RM brutto sowie eine Aufwandsentschädigung von 150 RM, was bei einem im Reich üblichen Durchschnittslohn von 150 RM für einen Arbeiter doch ein sehr gutes Einkommen war. 1 Aufstieg in der Partei Seine politische Heimat fand Burk nach dem 1. Weltkrieg auf Seiten der nationalistischen Rechten im „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund“, einer extrem rassistischen und antisemitischen Organisation, deren Ortsgruppe in Konstanz er seit 1920 leitete. Darüber hinaus war er Mitglied in mehreren paramilitärischen Verbänden, zuerst in der Organisation „Escherich“ 2 , dann von 1922 bis 1929 in deren Nachfolgeorganisation „Freischar Damm“, in der er als Kompanieführer diente. 3 Sein Eintritt in die NSDAP erfolgte am 1. März 1930. In der kurz darauf gegründeten Radolfzeller Ortsgruppe der NSDAP übernahm Burk den Posten des stellvertretenden Ortsgruppenleiters und des Ortspropagandaleiters. Seit 1931 bekleidete er das Amt des Kreispropagandaleiters im Kreis Konstanz. Ab 1932 war er dort auch als Kreisredner tätig. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der Gleichschaltung aller Organisationen erhielt Burk einen Sitz im Radolfzeller Gemeinderat. Im April 1934 wurde er vom badischen Innenministerium als Bürgermeister der Gemeinde Reichenau eingesetzt und zog mit seiner Familie auf die Insel. Diesen Posten versah er zunächst ehrenamtlich, seit dem Mai 1936 hauptamtlich. Kreisleiter in Überlingen - Die Reform der NS-Kreise und der Amtsbezirke In die Zeit als Bürgermeister auf der Reichenau fällt auch Burks Beförderung zum Kreisleiter in Überlingen. Erstmals am 6. April 1936 konnten die Bürger Überlingens in der „Bodensee-Rundschau“ er- <?page no="174"?> 175 Vom strammen Antidemokraten … zum überzeugten Nationalsozialisten fahren, dass ihr bisheriger Kreisleiter, Alfons Hafen, Überlingen verlässt und von Gauleiter Wagner auf Hafens eigenen Wunsch als Leiter der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ des Gaues Baden in Karlsruhe eingesetzt wird. Hafen sollte seinen Dienst dort zum 20. April 1936 antreten. Am 11. April 1936 meldet das NS-Organ „Bodensee-Rundschau“, dass Richard Burk vom Gauleiter mit den Geschäften der Kreisleitung betraut wurde. Seine Wohnung in Überlingen bezog Burk aber erst am 24. Juli 1936, das heißt er betrieb zunächst die Kreisleitungsgeschäfte von der Reichenau aus. Zu diesem Zwecke richtete er in Pfullendorf und Überlingen einmal wöchentlich Sprechstunden ein. Im Oktober 1936 erfolgte demonstrativ der Austritt des Ehepaars Burk aus der Kirche. 4 In Burks Amtszeit fiel auch die Ausweitung der Überlinger Kreisleitung um den bisherigen NS-Kreis Pfullendorf. Die Partei passte damit ihre Struktur der NS-Kreise bereits im Vorgriff auf die für den 1. Oktober 1936 geplante Vereinigung der staatlichen Amtsbezirke an. Sitz des neuen Bezirksamts wurde am 1. Oktober 1936 Überlingen. Die Vorgänge in Überlingen und Pfullendorf waren Teil einer Strategie der Parteileitung im Gau Baden. So wie die Partei durch die Gemeindereform im Jahre 1935 bereits politischen Zugriff auf die Kommunen erhalten hatte, war sie bereits im Frühjahr 1936 auf die neue Struktur der Amtsbezirke vorbereitet. Die Landräte konnten politische Entscheidungen nur noch nach Absprache mit dem vor Ort ansässigen Kreisleiter treffen. Die „Bodensee-Rundschau“ ließ daran auch keinen Zweifel aufkommen. Sie kommentierte die Anpassung der neuen NS-Kreise mit den Worten: „Die Kreise sind die Repräsentanten der Partei und müssen als solche eine der Bedeutung der NSDAP angepaßte Macht darstellen.“ 5 In Zahlen ausgedrückt bedeutete der Zusammenschluss der beiden NS-Kreise eine Ausweitung um fünf Ortsgruppen und drei Stützpunkte. Ursprünglich hatte die Kreisleitung Überlingen aus 16 Ortsgruppen und 18 Stützpunkten bestanden. Dem Kreisleiter stand ein Kreisstab von 21 Hauptabteilungen zur Verfügung. Die Kreisleitung hatte nun etwa „50 000 Volksgenossen“ zu betreuen. 6 Richard Burks Aufgabe war es, diesen Zusammenschluss möglichst reibungslos zu vollziehen. Dabei war sowohl ihm wie dem Gauleiter bewusst, dass es hierbei auch Unzufriedene geben musste. Deswegen richtete sich Burk am 9. Mai 1936 in einem öffentlichen Aufruf an die ausscheidenden Mitarbeiter der Kreisleitung <?page no="175"?> 176 Richard Burk Pfullendorf, dankte ihnen für die geleistete Arbeit und ermahnte sie, sich der Partei auch weiterhin im selben Geiste wie bisher zur Verfügung zu stellen. Deutlicher wurde er am 30. Juni 1936 anlässlich einer Zusammenkunft der „Amtswalter“ der Ortsgruppe Pfullendorf. Offensichtlich gab es immer noch Kritik am Vorgehen der Partei. Burk warnte die Parteigenossen mit den Worten: „Das ewige Meckern und Kritisieren muß endlich einmal aufhören, - produktive bejahende Mitarbeit ist wichtiger! “ Des Weiteren führte er aus, Pfullendorf könne sich nicht beklagen, denn immerhin habe es mit der Zuweisung der vereinigten Kreisbauernschaft Linzgau mehr als einen hundertprozentigen Ausgleich erhalten. 7 In der Tat bemühte sich Burk auf Empfindlichkeiten der Pfullendorfer Genossen Rücksicht zu nehmen. Mit der Übergabe der beiden Kreise am 28. April 1936 an den neuen Kreisleiter durch den Gebietsinspekteur und Sonderbeauftragten des Stellvertreters des Führers, Pg. Oexle, war auch festgelegt worden, dass der Pfullendorfer Kreisbauernführer, Pg. Fischer stellvertretender Kreisleiter und Kreisbauernführer der vereinigten Kreisbauernschaft Linzgau werden sollte. Aus diesem Grunde sprach Burk auch zuerst am 9. Mai 1936 zu den Kreisamtsleitern der Pfullendorfer NSDAP. Am 29. Mai 1936 wurden nun alle Kreisamts-, Ortsgruppen- und Stützpunktleiter des neuen Kreises Überlingen-Pfullendorf zu einer Zusammenkunft in Salem eingeladen, wo Burk sich und seine neue Mannschaft vorstellte. 8 In der Zwischenzeit versuchte er seinen neuen Kreis kennenzulernen und sich bei den einzelnen Parteiformationen und in den Dörfern und Städten vorzustellen. Dies gestaltete sich umso schwieriger, da er ja noch immer sein Amt als Bürgermeister auf der Reichenau zu versehen hatte. Erst am 1. August 1936 wurde Burk von seinem Posten auf der Reichenau entbunden. Nun konnte sich Burk voll und ganz seiner neuen Aufgabe als Kreisleiter widmen. Am 3. August 1936 kam es erstmals zu einem Aufmarsch aller NS-Verbände des Kreises Überlingen seit der Zusammenlegung der beiden früher getrennten Parteibezirke in Pfullendorf. Dieser Aufmarsch war gekoppelt an eine Kundgebung des Reichsnährstandes mit Pg. Karl Kaiser von der Landesbauernschaft Baden und dem Kreisbauernführer Fischer. Beim anschließenden Kreisappell marschierten 451 Amtsträger vor dem Gauausbilder Pg. Peter auf dem Pfullendorfer Sportplatz auf. Dem schloss sich die Haupttagung <?page no="176"?> 177 Vom strammen Antidemokraten … zum überzeugten Nationalsozialisten mit dem neuen Kreisleiter und dem Gauorganisationsleiter Pg. August Kramer an. Zum Abschluss marschierten nochmals alle Parteigliederungen mit erhobenen Fahnen (insgesamt 60) am Gauorganisationsleiter vorbei. In einer Kreistagung der Bürgermeister am 19. August 1936 gab Burk die Richtlinien der Zusammenarbeit zwischen den Bürgermeistern und den Hoheitsträgern der Partei vor. So forderte er die Bürgermeister auf, bei der Einstellung von Gemeindebeamten in erster Linie „alte Kämpfer“ und SA-Männer zu berücksichtigen. Im September besuchte die gesamte Kreisleitung den Reichsparteitag in Nürnberg und Anfang Oktober verkündete der Kreisleiter den Auftakt zur Winterarbeit im Kreis Überlingen. In den Mittelpunkt der Arbeit der Kreisamtsleiter stellte er die Siedlungspläne in einigen Orten des Kreises. Mit verschiedenen Kampagnen und Feiern sollte das Winterhilfswerk eröffnet werden. Des Weiteren kündigte Burk an, das Augenmerk sei besonders auf die Schulung der verschiedenen Parteigliederungen zu richten. Dazu gesellte sich eine „Versammlungsoffensive gegen den Weltfeind Nr. 1 - den Bolschewismus.“ 9 Nach all diesen Aktivitäten wirkt die im Überlinger „Seeboten“ am 30. Dezember 1936 verkündete Versetzung Burks auf den Kreisleiterposten in Lahr etwas überstürzt. Pflichtgemäß bescheinigte ihm die gleichgeschaltete Zeitung „[…] unermüdlichen Einsatz seiner Kraft und Person“. Darüber hinaus wurde Burks rednerische Begabung, sein Einfühlungsvermögen in die Nöte der Volksgenossen, seine kommunalpolitische Erfahrung und seine Offenheit gepriesen. Die Versetzung, so der „Seebote“, „[…] löste allgemeines Bedauern aus.“ Ganz so nachhaltig dürfte das Wirken Burks allerdings nicht gewesen sein: Als nach dem Krieg die französische Militärverwaltung die Überlinger Stadtverwaltung aufforderte, eine Liste der Kreisleiter und Ortsgruppenleiter zusammenzustellen, erinnerte man sich dort nicht mal mehr an seinen richtigen Namen. Aus Richard Burk war Anton Burk geworden und auch seine Amtszeit wurde falsch wiedergegeben. Für den ehrgeizigen Burk war die Berufung zum politischen Führer eines fast doppelt so großen Kreisgebietes eine weitere Stufe auf der innerparteilichen Karriereleiter. 10 Burk verließ den Kreis Überlingen allerdings nicht sofort, sondern erst Ende Januar 1937. Offensichtlich sollte er seinen Nachfolger, Kreisleiter Wilhelm Mensch, noch etwas auf die neue Aufgabe vorbereiten. Darauf weist ein gemeinsamer Auftritt der beiden <?page no="177"?> 178 Richard Burk Anfang Januar 1937 bei der Einsetzung des Kreisbauernführers Otto Fischer zum neuen Bürgermeister von Zell-Schwäblishausen hin, wo dezidiert vom zukünftigen Kreisleiter Mensch gesprochen wurde. 11 Die offizielle Übergabe des Kreises durch Burk an seinen Nachfolger erfolgte am 12. Januar 1937. Dem scheidenden Kreisleiter wurde dafür gedankt, dass er bei der Zusammenlegung der beiden Kreise Pfullendorf und Überlingen großes Geschick bewiesen habe. Von seinen Pfullendorfer Mitarbeitern verabschiedete sich Burk noch einmal gesondert in einer kleinen Abschiedsfeier der Ortsgruppe Pfullendorf am 25. Januar 1937. 12 Nach seiner Zeit als Kreisleiter in Überlingen kam Burk noch zweimal an den See. Das erste Mal war dies Ende Mai 1938, als er mit seinem gesamten Kreisstab sowie den Ortsgruppen- und Stützpunktleitern des Kreises Lahr (insgesamt 51 Personen) einen Ausflug zu den alten Kameraden nach Überlingen unternahm. Dieser Ausflug sollte ein Dank des Kreisleiters für den Einsatz seiner Mitarbeiter in der Kampagne für die „Reichstagswahl“ am 10. April 1938 sein. Mit den Überlinger Kameraden traf man sich in Unteruhldingen zu einem gemeinsamen Essen und einem fröhlichen Beisammensein. Dies war der NS-„Bodensee-Rundschau“ einen großen Artikel wert und der Reporter schwelgte: „Bei dieser Gelegenheit erwies es sich wieder einmal so recht, daß Parteigenossen, wo immer sie arbeiten und zufällig sich treffen, eben K a m e r a d e n sind.“ Im Gefolge Burks kamen zwei seiner ehemaligen Mitarbeiter in der Überlinger Kreisleitung mit an den See, Kreisorganisationsleiter Fritz Braunwarth, den Burk schon im April 1936 aus Konstanz nach Überlingen mitgebracht hatte und der ihm dann 1937 nach Lahr folgte sowie der frühere Kreisausbilder im Überlinger Kreisstab, Pg. Eduard Seitz, der zum 1. April 1938 zum Bürgermeister der Gemeinde Ettenheim im Kreis Lahr berufen wurde, eben jener Stadt, in der im November 1938 unter wesentlicher Beteiligung von Kreisleiter Burk die Zerstörung der Synagoge stattfinden sollte. 13 Ein zweites Mal kam Richard Burk in offizieller Mission an den See als von der Gauleitung bestellter Gauredner für die große Frühjahrskampagne „Deutschlands Lebenskampf“ am 1. April 1939. Geplant waren 48 Massenkampagnen im Kreis Überlingen und Burk hatte den Auftrag in Deggenhausen zu sprechen. 14 <?page no="178"?> 179 Vom strammen Antidemokraten … zum überzeugten Nationalsozialisten Kreisleiter von Lahr 1937 - 1945 und kommissarischer Kreisleiter von Schlettstadt vom Sommer bis Ende 1940 Von Ende Januar 1937 bis zum bitteren Ende am Tag des Einmarsches französischer Truppen in Lahr war Burk der höchste NS- Funktionär im Landkreis Lahr. Er residierte im alten Rathaus und war mit seinem siebenköpfigen Kreisleitungsstab der Gebieter von fast vierzig Ortsgruppen und etwa 4000 Parteigenossen. Das Novemberpogrom 1938 Seinen ersten „großen Auftritt“ hatte Burk anlässlich des Novemberpogroms von 1938. In Zusammenarbeit mit dem Lahrer SS- Sturmbann III/ 86 und der Lahrer HJ-Gebietsführerschule wurden so genannte „spontane Aktionen“ gegen die Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Rust, Ettenheim, Altdorf, Kippenheim und Schmieheim durchgeführt. Um diese „spontanen Aktionen“ noch zu unterstützen, hatte Kreisleiter Burk die Schulen des Landkreises aufgefordert, schulfrei zu geben, damit auch die Jugend bei den Ausschreitungen teilnehmen konnte. In Rust schlugen einige Schüler, von ihren Lehrern aufgestachelt, die Fensterscheiben der Synagoge ein und zerstörten die Inneneinrichtung. Überall wurden die jüdischen Mitbürger aus ihren Häusern vertrieben und misshandelt, ihr Eigentum zerstört und weggeschleppt. Die Synagogen in Kippenheim und Ettenheim fielen der Zerstörung anheim. Nachdem man die jüdische Bevölkerung in Kippenheim zusammengetrieben hatte, wurde sie von dort aus in Zügen ins Konzentrationslager Dachau verfrachtet. Aus der Kippenheimer Synagoge ließ Burk eine Thora, einen Gebetsstuhl, verschiedene kleinere Kultgegenstände und Bücher zunächst ins Rathaus, dann auf das seit 1937 als NS-Kreisschule genutzte Hofgut „Tretenhof“ in Seelbach bringen. Der Kreisleiter kehrte später noch einmal zu der zerstörten Synagoge zurück und ließ die beiden Gesetzestafeln vom Giebel des Gebetshauses stürzen, möglicherweise weil er dahinter ein Versteck von Dokumenten der jüdischen Gemeinde vermutete. Auch die nachfolgende Arisierung der jüdischen Geschäfte fiel in Burks Aufgabengebiet. 15 Eine hervorragende Gelegenheit, sich und die Partei in Szene zu setzen, bot der Kreisparteitag der NSDAP in Lahr 1939. Dabei <?page no="179"?> 180 Richard Burk entstand Filmmaterial, das sich noch heute im Lahrer Stadtarchiv befindet. 16 Kommissarischer Kreisleiter im elsässischen Schlettstadt (Sélestat) Kurz nach der Kapitulation Frankreichs am 22. Juni 1940 und dem Anschluss des Elsass an den Gau Baden entsandte Gauleiter Wagner bewährte Kreisleiter aus dem ehemaligen Grenzgebiet entlang des Rheins, um in kommissarischer Funktion neue Kreisleitungen,im Elsass aufzubauen. Insgesamt wurden 13 neue Kreisleitungen etabliert. Burks Auftrag bestand darin, den Kreis Schlettstadt (Sélestat) nach dem Vorbild des Altreiches aufzubauen. Diese Arbeit war Ende 1940 so weit gediehen, dass Burk wieder die Leitung seines Heimatkreises Lahr übernehmen konnte. 17 Konflikt mit dem Bürgermeister von Lahr Im Jahre 1941 geriet Burk mit dem Lahrer Bürgermeister, Dr. Heinrich Friedrich, aneinander. In einem Brief vom 5. März 1941 an Gauleiter Wagner forderte Burk den Parteiausschluss Friedrichs, weil dieser sich am 1. März 1941 heimlich kirchlich hatte trauen lassen. Burk berichtete, wie er selbst zusammen mit dem auch als Kreisamtsleiter tätigen Friedrich zahlreiche NS-Trauungen durchgeführt habe, die der Kirche den größten Abbruch getätigt hätten. Der Kreisleiter fühlte sich von Friedrich verraten und sprach von einer „[…] bodenlosen Charakterlosigkeit“, die einer Diffamierung der Partei gleichkomme. Den Bürgermeister nannte er einen „Charakterlumpen“. Die Gauleitung entschied zunächst auf einen Verlust der Parteiämter, schloss Friedrich aber nicht aus der Partei aus. Kurz darauf widerrief sie diese Entscheidung und kündigte eine endgültige Entscheidung nach Kriegsende an. 18 Als gegen Ende des Krieges französische Truppen in den Kreis Lahr vorrückten, verkündete Burk, wie viele andere Kreisleiter, menschenverachtende Durchhalteparolen. Noch am Tage des Einmarsches der französischen Truppen in Lahr, am 18. April 1945, drohte er in einem Rundschreiben kapitulationswilligen Soldaten und Volkssturmmännern mit der Todesstrafe. Damit war er auch mitverantwortlich für die Beschießung und teilweise Zerstörung der Stadt. <?page no="180"?> 181 Vom strammen Antidemokraten … zum überzeugten Nationalsozialisten Das Entnazifizierungsverfahren Am 21. April 1945 wurde Burk von den Franzosen verhaftet und im Internierungslager Freiburg- Betzenhausen und zeitweilig im Lager Lahr-Dinglingen unter Arrest gestellt. Dort wurde er mindestens zweimal wegen der Ereignisse während des Novemberpogroms verhört. Seine Verteidigungsstrategie war von Anfang an darauf ausgerichtet, sich als nicht unmittelbar am Geschehen vor Ort beteiligt darzustellen. Durch seinen Einsatz habe er sogar die Ausplünderung jüdischer Geschäfte verhindert und die Ordnung aufrechterhalten. In seinem Entnazifizierungsverfahren wurde er in die Kategorie „schuldig“ eingestuft. Im Oktober 1948 wurde Burk im „Ettenheimer Synagogenprozess“ in Offenburg wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit angeklagt. Dies konnte ihm allerdings nicht lückenlos nachgewiesen werden und so wurde Burk nur wegen „gemeinschädlicher Sachbeschädigung“ zu einer einmonatigen Haftstrafe aufgrund der Zerstörung der Kippenheimer Gesetzestafeln verurteilt. Obwohl damit der ursprüngliche Haftbefehl gegen ihn aufgehoben war, wurde er noch sechs Wochen im Offenburger Gerichtsgefängnis festgehalten. Nach heftigen Protesten seitens Burks wurde er wieder ins Freiburger Internierungslager zurückverlegt, wo er noch weitere 3 Monate Haft verbüßte. Im März 1949 kehrte Burk wieder an den Bodensee zurück und ließ sich in Moos auf der Höri nieder. Er lebte dort in einfachsten Verhältnissen. Am 12. Juni 1949 stellte er ein Gnadengesuch an die Staatsanwaltschaft Offenburg, ihm die noch zu verbüßenden vier Wochen Haft aus dem Synagogenprozess zu erlassen. Die Staatsanwaltschaft zeigte sich dazu bereit, aber das badische Justizministerium intervenierte dagegen. Als er zum Strafantritt aufgefordert wurde, kam ihm schließlich das zum Jahresende erlassene „Straffreiheitsgesetz“ zugute. Im Februar 1950 wurden ihm seine letzten 11 Tage Haft und die Verfahrenskosten erlassen. In seinen letzten Lebensjahren auf der Höri arbeitete Burk als Handelsreisender einer Münchner Firma und bestritt davon für sich und seine Familie den Lebensunterhalt. Aus dem „kleinen König von Lahr“ war ein politisch und gesellschaftlich bedeutungsloser kleiner Handelsreisender geworden. Burk, der sich selbst als „nervenleidend“ bezeichnete, starb am 18. Februar 1956 im Alter von 64 Jahren. <?page no="181"?> 182 Richard Burk Anmerkungen 1 Burks Karriere als Kreisleiter wurde von Uwe Schellinger erstmals untersucht. Ich halte mich im Folgenden an seine gut recherchierten Ausführungen. SCHELLINGER, Uwe: Ein Sachbeschädiger: NSDAP-Kreisleiter Richard Burk (1892-1956), in: Gedächtnis aus Stein. Die Synagoge in Kippenheim 1852-2002. Herausgegeben im Auftrage des Fördervereins Ehemalige Synagoge in Kippenheim e.V. von Uwe Schellinger, Heidelberg 2002, S. 186-188. Zu den persönlichen Angaben: Bundesarchiv Berlin (BAB): PK B156/ 1349 sowie SAÜ-Einwohnermeldekartei, Wahlkarte Richard und Tilly Burk. 2 Zur Organisation „Escherich“: STERZENBACH, Christopher: Die Organisation Escherich. Paramilitärs unter dem Deckmantel einer unbewaffneten Aufbauorganisation, in: Arbeitskreis Militärgeschichte e.V., hg. vom Arbeitskreis Militärgeschichte e.V., Newsletter, Jg. 15 (2010), Nr. 1, S.-10- 15. 3 Zur „Freischar Damm“: Artikel der Badischen Zeitung im Netz: http: / / bz-ticket.de/ burk-richard—63495241 abgerufen am 12.11.2018 sowie STERZENBACH (wie Anm. 2), S. 10-15. 4 Zum Weggang von Kreisleiter Hafen vgl. „Bodensee-Rundschau“ (BR) vom 6.4.1936. Zur Berufung von Richard Burk zum neuen Kreisleiter und Hafens Dienstantritt in Karlsruhe vgl. BR vom 11.4.1936. Zu Burks Tätigkeit als Kreisredner: BAB: PK B156/ 1349. Zum Bezug einer neuen Wohnung in Überlingen vgl. BR vom 17.7.1936 und SAÜ-Einwohnermeldekartei, Wahlkarte Richard und Tilly Burk. Zuzug am 24.7.1936 von Reichenau. . Zum Kirchenaustritt am 21. und 22.10.1936 durch Burk und seine Ehefrau: SAÜ-Einwohnermeldekartei, Wahlkarte Richard und Tilly Burk. Burks Sprechstunden sind in der BR vom 30.5.1936 angekündigt. Zur Vereinigung der politischen Amtsbezirke Pfullendorf und Überlingen vgl. BR vom 29.9.1936. Zitat aus der BR vom 9.5.1936. Die Zahlenangaben für die Zeit vor dem Zusammenschluss sind nachzulesen in BR vom 20.2.1934, für danach in BR vom 9.5.1936. 5 Burks Aufruf findet sich abgedruckt in der BR vom 9.5.1936. Die Rede vor den Amtswaltern ist abgedruckt in der BR vom 30.6.1935. 6 Zur Übergabe des neuen Kreises durch Pg. Oexle vgl. BR vom 28.4.1936. Zu Burks Rede vor den Kreisamtsleitern des alten Kreises Pfullendorf vgl. BR vom 9.5.1936. Zur Zusammenkunft aller Amtsträger in Salem vgl. BR vom 29.5.1936 und BR vom 30.5.1936. Eine Liste aller neuen Amtsträger ist in der Ausgabe vom 30.5.1936 abgedruckt. 7 Zur Einsetzung eines neuen Bürgermeisters auf der Reichenau und der Verabschiedung Burks vgl. BR vom 2.8.1936. Zum Aufmarsch der NS- Organisationen vgl. BR vom 3.8.1936. Zur Kreistagung der Bürgermeister: BR vom 20.8.1936. Zum Besuch des Reichsparteitages durch die Kreisleitung vgl. BR vom 9.9.1936. Zum Auftakt der Winterarbeit der <?page no="182"?> 183 Vom strammen Antidemokraten … zum überzeugten Nationalsozialisten Partei und der Eröffnung des WHW vgl. BR vom 1.10.1936. Die Kampagne gegen den Bolschewismus startete im Oktober 1936 mit verschiedenen Vorträgen der NS-Funktionäre im Kreisgebiet: BR vom 22.10.1936 und vom 28.10.1936. 8 SAÜ-Best. D3/ 2335 - Liste vom 11. Dezember 1945. 9 BR vom 4.1.1937. 10 BR vom 12.1.1937 und vom 26.1.1937. 11 Bericht über den Besuch des Kreisstabes Lahr in: BR vom 30.5.1938. Die Verabschiedung von Pg. Seitz erfolgte Ende März: BR vom 24.3.1938. Zum Bürgermeister in Ettenheim wurde er am 1.4.1938 berufen. 12 BR vom 31.3.1939. 13 Von den Vorgängen in Kippenheim, Ettenheim, Altdorf, Schmieheim, Rust und Orschweier gibt es eine Reihe erschütternder Berichte in: Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim, Altdorf, Kippenheim, Schmieheim, Rust, Orschweier. Ein Gedenkbuch, 2. unveränderte Auflage mit 32 Seiten Ergänzungen und Berichtigungen im Anhang, hg. von Bernd UTTENWEILER, Ettenheim 1997. Außerdem: SCHELLINGER, Uwe: Gedächtnis aus Stein. Die Synagoge in Kippenheim 1852-2002, Heidelberg 2002. Dass Burk auch die Schuljugend in seine Pläne mit einbezog, um den „Volkszorn“ zu schüren, belegt ein auf Zeitzeugenaussagen basierender, neuerer Artikel der „Badischen Zeitung“ vom 8.11.2013: „Mitbürger in Thorarollen eingewickelt und bespuckt.“ 14 „Badische Zeitung“ vom 4.10.2011: „Lahrer Stadtgeschichte in 45 Minuten“. 15 BR vom 6.1.1941. 16 „Badische Zeitung“ vom 24.6.2011. Lahr Lexikon von A-Z. Artikel: Friedrich, Heinrich Philipp Wilhelm. Der Brief an den badischen Gauleiter ist abgedruckt bei: HEIBER, Helmut (Hg.): Der ganz normale Wahnsinn unterm Hakenkreuz. Triviales und Absonderliches aus den Akten des Dritten Reichs, München 1996, S. 97 f. <?page no="184"?> 185 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ Wilhelm Mensch - Kreisleiter in Überlingen vom 1. Januar 1937 bis 16.-November 1940 Wilhelm (Willi) Mensch wurde am 19. Februar 1889 in Assmannshardt im württembergischen Oberamt Laupheim geboren. 1 Als Sohn von Mathias Mensch und seiner Ehefrau Sophie, geborene Geisinger, wuchs er in Söflingen bei Ulm auf. Im 1. Weltkrieg war er durchgehend bei der kämpfenden Truppe im Westen beim MG-Zug des Landwehr-Infanteriebataillons 122 eingesetzt. Für seine militärischen Verdienste vor allem in der Schlacht bei Arras am 23. April 1917 wurden Wilhelm Mensch das Eiserne Kreuz I. Klasse und die goldene württembergische Verdienstmedaille verliehen. Das Eiserne Kreuz II. Klasse hatte er bereits am 30. Juni 1916 erhalten. Er wurde offiziell am 9. April 1919 als Unteroffizier aus der Armee entlassen. 2 Am 6. Juli 1918 heiratete er in Ulm-Söflingen die aus Weißenhorn, Kreis Neu-Ulm, stammende Frieda Winkler (geb. am 23. Dezember 1886). Mit ihr hatte er zwei Kinder, den Sohn Lothar, geboren am 26. März 1920 in Ulm an der Donau und die Tochter Lieselotte, ebenfalls dort geboren am 11. April 1922. In den Nachkriegsjahren musste der gelernte Kaufmann sich eine neue Existenz aufbauen und arbeitete neun Jahre lang als Handlungsreisender für eine Weingroßhandlung in Langenargen. Im März 1930 zog er mit seiner Familie von Singen nach Überlingen. In Singen hatte er sich vor allem im Fußballklub als dessen Ausschussmitglied enga- Kreisleiter Wilhelm Mensch 1937 <?page no="185"?> 186 Wilhelm Mensch giert. Am 1. November 1930 trat er der kurz vorher gegründeten Ortsgruppe der NSDAP Überlingen bei und übernahm die Führung des Sturmbanns. Er zählte damit zu den so genannten „alten Kämpfern“ in Überlingen und Umgebung. 3 Menschs Aufstieg in der lokalen Politik Sofort nach Parteieintritt wurde Wilhelm Mensch für die am 16. November 1930 stattfindenden Wahlen der Gemeindeverordneten auf die Wahlvorschlagsliste der Überlinger NSDAP gesetzt und auch tatsächlich gewählt. Die Wahl wirft ein Schlaglicht auf die geringe Basis der Partei, denn nach dem Wahlergebnis standen der NSDAP tatsächlich 14 Sitze zu, aber die Partei hatte nur 8 Kandidaten auf die Wahlvorschlagsliste gebracht. Deswegen bemühten sich die Nationalsozialisten im Überlinger „Seeboten“ - eine eigene NS-Presse gab es zu diesem Zeitpunkt am Bodensee noch nicht - um eine Erklärung, wonach es der jungen Partei leider nicht möglich gewesen sei, mehr Kandidaten auf die Liste zu bringen, die Bürger aber darauf vertrauen könnten, dass die gewählten acht sich voll einbringen würden. Sowohl die Ergebnisse der Reichstagswahl vom 14. September 1930 wie auch die Ergebnisse der Gemeindeverordnetenwahlen (Bürgerausschuss), der Bezirksratswahlen und der Kreistagswahlen im November hatten die Partei mutig gemacht. Als im April 1931 in der Bürgerausschusssitzung die Wahl des Gemeindeverordnetenvorstandes und des Obmanns sowie seines Stellvertreters anstand, schlugen die Nationalsozialisten und die Deutschnationalen als Stellvertreter den Gemeindeverordneten Wilhelm Mensch vor. In geheimer Abstimmung unterlag dieser dem SPD-Vertreter Häusler mit 10 gegen 40 Stimmen. Die so genannten „Systemparteien“ hatten also zusammengehalten und den NS-Kandidaten Mensch auflaufen lassen. 4 Mensch als Gemeindeverordneter In der Gemeindeverordnetenversammlung fiel Wilhelm Mensch nicht besonders auf. Allerdings äußerte er sich Ende November 1930 zu einigen zentralen Punkten, nämlich dem Bau des neuen <?page no="186"?> 187 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ Postgebäudes und zum Thema Bürgersteuer. Den Ort des neuen Postgebäudes hielt er für verfehlt, die Fundamentierung desselben und die Kabelverlegung für zu teuer. Die Erhebung einer im Rahmen der Notverordnungen geplanten neuen Bürgersteuer lehnten die Nationalsozialisten wie alle neuen Steuern aus Prinzip ab. Darüber hinaus äußerte sich Mensch zu einem Flugblatt der NSDAP vor der Wahl, das für erheblichen Wirbel in der Stadt gesorgt hatte. Die Nationalsozialisten hatten mit Namen versehen die Gehälter des Bürgermeisters und der städtischen Angestellten auf diesem Flugblatt abgedruckt. Mensch verteidigte vehement dieses Vorgehen und forderte eine Angleichung der Gehälter der städtischen Beamten an die der übrigen Staatsbeamten. Im Übrigen, so fügte er süffisant hinzu, tue der Bürgermeister nur seine Pflicht, wenn er sich mit einer Gehaltskürzung einverstanden erkläre. 5 In den Jahren 1931 bis 1933 entfachte die Überlinger Ortsgruppe der NSDAP eine umfangreiche Kampagne von Versammlungen mit mehr oder weniger prominenten Rednern, die von der Gauleitung vermittelt wurden. Dazu kamen Aufmärsche der Parteiverbände und Flugblattaktionen. Parallel dazu traten die Überlinger Nationalsozialisten häufig als Provokateure bei den Versammlungen der liberalen Staatspartei und vor allem der Zentrumspartei auf. Jede geplante Versammlung musste von der Stadt und dem badischen Bezirksamt genehmigt werden. Dazu sollte ein Versammlungsleiter benannt werden, der verpflichtet war, dafür zu sorgen, dass es nicht zu Ausschreitungen komme. Im Regelfall entsandte die Stadt einen Polizeibeamten, der im Anschluss der Stadt und dem Bezirksamt Bericht erstattete. Wilhelm Mensch stellte sich für seine Partei ebenfalls als Versammlungsleiter zur Verfügung. Am 20. Januar 1931 hielten die Nationalsozialisten in Billafingen eine Versammlung ab, bei der als Hauptredner der junge Gastwirt Zimmermann aus Liedolsheim auftrat. Die „Deutsche Bodenseezeitung“ (DBZ), das Organ der Zentrumspartei am Bodensee, berichtete in ihrer Ausgabe vom 22. Januar 1931: „Der junge Gastwirt Zimmermann aus Liedolsheim begann die fünfviertelstündige Kanonade, welche der Vorsitzende, ein in die Rolle des Unbekannten sich hüllender Fremder (nachträglich als der in Überlingen wohnende Reisende Mensch erkannt) fortsetzte.“ Voller Häme fuhr der Reporter der DBZ fort, dass die Nationalsozialisten nach Tumulten „[…] mit abgesägten Hosen […]“ von dannen ziehen mussten. 6 <?page no="187"?> 188 Wilhelm Mensch Ortsgruppenleiter Mensch und die Absetzung des Bürgermeisters Dr. Emerich und seines Stellvertreters Hug Im Jahre 1933 wurde Wilhelm Mensch neuer Ortsgruppenleiter, damals noch Ortsgruppenführer genannt, als Nachfolger des Pg. Alfons Hafen, der zum Kreisadjutanten unter Kreisleiter Gustav Robert Oexle aufstieg. Im Rahmen der Gleichschaltung wurden aufgrund der Ergebnisse der Reichstagswahl vom 5. März 1933 am 28. April 1933 der Gemeinderat und das Gemeindeverordnetengremium neu besetzt und Mensch zog als neuer Gemeinderat in dieses städtische Gremium ein. Er war Mitglied in den Ausschüssen für Verkehr, für Gebühren sowie für die Bäder und die städtischen Sammlungen 7 In seiner Funktion als Ortsgruppenleiter war Wilhelm Mensch maßgeblich an der Absetzung des Zentrumsbürgermeisters Dr. Heinrich Emerich und dessen Stellvertreters Franz Hug (ebenfalls Zentrumspartei) beteiligt. Schon am 16. März 1933 erging eine Anleitung des Reichskommissars und badischen Gauleiters Robert Wagner an die badischen Bezirksämter, wie man unerwünschte Bürgermeister am besten loswerden könnte. So wurde empfohlen, den bisherigen Amtsinhabern einen Urlaub nahezulegen oder diesen notfalls zu erzwingen. In der Zwischenzeit sollte vor Ort die Stellvertretung „[…] in der Weise geregelt werden, die den gegenwärtigen politischen Verhältnissen Rechnung trägt.“ In der Praxis bedeutete dies, dass ein geeignetes Gemeinderatsmitglied die Stellvertretung übernahm, oder einem Kommissar die Verwaltung übertragen wurde. Der bisherige Bürgermeister Dr. Emerich verstand diese Signale sofort. Am 16. März 1933 hatte er aus seinem Urlaubsort Bozen einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit gestellt und um Bewilligung eines Krankheitsurlaubs bis zum Ende des Verfahrens gebeten. Dies nahm ihm auch die Zentrumspartei übel, weil sie ihm unterstellte, nun die ganze Verantwortung dem stellvertretenden Bürgermeister Hug aufzubürden. Die Stadt Überlingen wollte diesem Antrag aber nur nach Einholung eines amtsärztlichen Zeugnisses zustimmen. Bereits am 17. März 1933 verfügte das badische Innenministerium die Einsetzung des Pg. Rechtsanwalt Johann Schmid als Kommissar für die Stadtverwaltung Überlingen mit der Berechtigung, sämtliche Beschlüsse des Gemeinderats, des Bürgermeisters oder <?page no="188"?> 189 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ anderer städtischer Verwaltungsorgane aus Gründen der Wahrung der öffentliche Sicherheit und Ordnung zu untersagen. Nachdem Dr. Emerich von seinem Urlaub in Bozen wieder nach Überlingen zurückgekehrt war, erhob die Ortsgruppe der NSDAP schwere Vorwürfe gegen ihn. In dem vom Ortsgruppenleiter Mensch unterzeichneten und an das Bezirksamt gerichteten Schreiben vom 27. März 1933 behauptete die NS-Ortsgruppe, die Sicherheit des sich frei in Überlingen bewegenden Emerich nicht mehr gewährleisten zu können, da sich in der Bevölkerung und speziell in der NSDAP eine solche Erbitterung gegen ihn angestaut habe, dass damit zu rechnen sei, dass er niedergeschlagen werde. Deswegen beantragte die NSDAP, ihn in Schutzhaft zu nehmen. Sie unterstellte ihm des Weiteren, dass er wichtige Akten, Urkunden und Schriftstücke aus seiner früheren Tätigkeit in seiner Privatwohnung aufbewahre und forderte die Durchsuchung seiner Privatwohnung. Außerdem verlangte die Ortsgruppe vom Bezirksamt, Dr. Emerich seinen Waffenschein abzunehmen, da von ihm eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung Überlingens ausgehe. Diese Denunziationen zeigten schließlich Wirkung. Gegen Dr. Emerich wurde ein polizeiliches und gerichtliches Untersuchungsverfahren eingeleitet. Am 31. Mai 1933 starb Emerich, einen Tag bevor das Strafverfahren gegen ihn eröffnet werden sollte. Der NS-„Bodensee-Rundschau“ war sein Tod gerade einmal zwei Zeilen wert. Der Nachsatz „Möge er in Frieden ruhen“ wirkt nach dieser Hetzkampagne geradezu zynisch. Am 22. April 1933 richtete Ortsgruppenführer Mensch ein neuerliches Schreiben an das Bezirksamt. Diesmal ging es um die Abberufung des Bürgermeisterstellvertreters Franz Hug von der Zentrumspartei. Die Vorgehensweise gleicht der bei Bürgermeister Dr. Emerich. Wieder behauptete die Partei, die Sicherheit von Herrn Hug nicht mehr gewährleisten zu können, weil die Empörung der Bevölkerung und vor allem der SA so zunehme, dass man sogar erwägen müsste, Herrn Hug in Schutzhaft zu nehmen. Da Hug es abgelehnt hatte, am Geburtstag Adolf Hitlers sein Haus zu beflaggen, hatte er der Partei nun den Vorwand geliefert, seine Abberufung zu fordern. Hug erklärte dies damit, dass er zwar eine Fahne bestellt habe, diese aber noch nicht geliefert worden sei. Darüber hinaus unterstellte ihm die NSDAP, er habe im Jahre 1932 vom Leiter des Finanzamtes Überlingen die Entlassung nationalsozialistischer Beamten gefordert. Die Ortsgruppe der Partei forderte die <?page no="189"?> 190 Wilhelm Mensch unverzügliche Entlassung Hugs und machte klar, dass sie auch dessen Aufstellung für den Bezirks- oder Kreisrat nicht dulden wolle. Darüber hinaus sprach sie Hug jegliche Eignung für derartige Ämter „in der heutigen Zeit“ ab. Der Vorstoß hatte Erfolg. Bereits am 25. April 1933 wurde der stellvertretende Bürgermeister seines Amtes enthoben. Sein Nachfolger wurde der Parteigenosse Paul Sailer. Jetzt war der Weg frei für die am 21. Mai 1933 stattfindende Wahl eines NS-Bürgermeisters. Nach der inzwischen erfolgten Gleichschaltung des Gemeinderates wurde Dr. Albert Spreng aus Meersburg, der die dortige NS-Ortsgruppe gegründet hatte und als Vertreter der Partei seit 1930 im Kreistag saß, zum neuen Bürgermeister gewählt. Als Bürgermeisterstellvertreter löste Ortsgruppenleiter Wilhelm Mensch gemäß Gemeinderatsbeschluss vom 14. Juni 1933 den Parteigenossen Sailer ab, der dafür keine Zeit mehr hatte, weil er zum Leiter einer Abteilung des Arbeitsdienstes befördert worden war. 8 Als Ortsgruppenleiter von Überlingen vertrat Wilhelm Mensch bei offiziellen Anlässen gelegentlich auch den häufig abwesenden Kreisleiter Gustav Robert Oexle. 9 Bürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenleiter in Markdorf Mit Beginn des Jahres 1934 widmete sich die Kreisleitung in Überlingen der Lösung der Bürgermeisterfrage in Markdorf. Schon 1933 hatte die örtliche NSDAP im Zusammenspiel mit der Kreisleitung versucht, den in Markdorf beliebten Zentrumsbürgermeister Nikolaus Frank loszuwerden. Die Vorgehensweise war die in solchen Fällen übliche. Bereits im Sommer 1933 befand sich Nikolaus Frank auf einer Liste der politisch nicht zuverlässigen Bürgermeister der NSDAP-Kreisleitung. Nach der Reichstagswahl im März 1933 war es für die Nationalsozialisten in Markdorf schwierig, Frank aus dem Amt zu drängen, weil das Zentrum immer noch über einen Stimmenanteil von 52-% verfügte gegenüber gerade einmal 35,5-% für die NSDAP. Der erste Versuch startete mit der Auswechslung des Bürgermeisterstellvertreters Wilhelm Kahles durch den NS- Gemeinderat Georg Knoblauch. Dieser war nach Angaben der „Bodensee-Rundschau“ durch Anweisung des badischen Innenministeriums zum kommissarischen Bürgermeister bestimmt worden <?page no="190"?> 191 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ für den sich im Erholungsurlaub befindlichen Nikolaus Frank. Als dieser am 28. April 1933 seinen Erholungsurlaub vorzeitig abbrach, konnte er seinen Dienst nicht antreten, weil er mit sofortiger Wirkung durch das Bezirksamt des Dienstes enthoben wurde. Die gegen Frank vorgebrachten Vorwürfe scheinen aber nicht ausreichend gewesen zu sein, denn am 29. Mai 1933 setzte das Bezirksamt Nikolaus Frank wieder in sein Amt ein. Doch die NSDAP ließ in dieser Angelegenheit nicht nach und schob neue Vorwürfe gegen Frank und den bisherigen Gemeinderat nach. Am 6. Juni 1933 wurde beim Bezirksrat ein dienstpolizeiliches Verfahren gegen Frank und vier Gemeinderatsmitglieder - unter ihnen auch das NS- Gemeinderatsmitglied Georg Knoblauch - angestrengt. Ihnen wurde vorgeworfen, günstige Hypotheken bei der Sparkasse Überlingen und bei der Bezirkssparkasse Überlingen erhalten zu haben. Von den der Stadt Markdorf zugesprochenen Baugeldern in Höhe von 30-000 RM seien nur 22-000 RM tatsächlich verwendet worden, der Rest sei in den städtischen Haushalt geflossen. Darüber hinaus seien die Kredite außerdem ohne Genehmigung der badischen Staatsregierung aufgenommen worden, teilweise ohne formellen Gemeinderatsbeschluss, und nicht im Gemeindekassenbuch vermerkt worden. Frank wurde zu einer Strafe von 180 RM verurteilt, hatte zwei Drittel der Gerichtskosten zu tragen und erhielt einen strengen Verweis. Ein Drittel der Kosten mussten die vier Gemeinderäte bezahlen. Die ganze Angelegenheit war von der NS-Presse aufgebauscht worden, denn am 19. August verkündete das badische Innenministerium, dass es gegen Frank keinen hinreichenden Grund zu einem Einschreiten gemäß des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums gebe. 10 Frank verhielt sich in der Folgezeit sehr geschickt und begegnete dem Druck durch angepasstes Verhalten. Gegen Ende 1933 oder Anfang 1934 trat er der NSDAP bei, tat sich aber nicht als radikaler Nazi in der Öffentlichkeit hervor, wie ihm der Landrat des Kreises Überlingen, Franz Illner, in einem Brief vom 10. Dezember 1945 bescheinigte. 11 Durch seine Mitgliedschaft in zahlreichen Vereinen und seine Beliebtheit in der Bevölkerung schien er zunächst fast unangreifbar. 12 Eine neue Möglichkeit, Frank aus dem Amt zu drängen, ergab sich erst im Frühjahr 1934. Die Kreisleitung misstraute ihm nach wie vor und war der Ansicht, dass ein hundertprozentiger National- <?page no="191"?> 192 Wilhelm Mensch sozialist von auswärts eingesetzt werden müsse und empfahl, Frank anderweitig unterzubringen. 13 Nach dem Rücktritt der Zentrumsmitglieder im Markdorfer Gemeinderat am 24. Juli 1933 war der bisherige Spitalverwalter Otto Rettich (ebenfalls Mitglied der Zentrumspartei) ohne Rückhalt und nicht mehr im Amt zu halten. 14 Am 20. März 1934 wurde Otto Rettich durch den Gemeinderat offiziell gekündigt und sein Dienstverhältnis zum 1. Juli 1934 aufgelöst. Die Möglichkeit, Otto Rettich zu entlassen, ergab sich aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums § 4, indem ihm unterstellt wurde, sich nicht jederzeit rückhaltlos für den neuen nationalen Staat eingesetzt zu haben. Am gleichen Tage wurde der bisherige Bürgermeister Frank durch Gemeinderatsbeschluss zum neuen Spitalverwalter ernannt, sein Rücktritt als Bürgermeister wurde zum 1. April 1934 verfügt. Die endgültige Übernahme der Dienstgeschäfte als Spitalverwalter sollte zum 1.-Juli erfolgen. 15 Dieses Agieren gab der Kündigung Otto Rettichs den pseudolegalen Anstrich, die gesetzliche Kündigungsfrist einzuhalten. Gleichzeitig konnte der nun zum Markdorfer Bürgermeister ernannte Wilhelm Mensch seinen Umzug von Überlingen nach Markdorf bewerkstelligen und durch Nikolaus Frank auf seinen neuen Posten vorbereitet werden. Das Vorgehen in dieser Angelegenheit war eng mit der Kreisleitung der NSDAP in Überlingen und dem offiziell zuständigen Bezirksamt abgesprochen. Bereits einen Tag nach der offiziellen Kündigung Rettichs schlug die Kreisleitung Mensch vor. Am 23. März 1934 berichtete der „Seebote“ von der Vereinbarung. Offiziell wurde Mensch zum 1. April 1934 als neuer Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der NSDAP eingesetzt. Am 14. Mai 1934 löste er Nikolaus Frank tatsächlich als Bürgermeister ab. 16 Genau zu diesem Zeitpunkt verabschiedete die Überlinger Ortsgruppe Mensch als ihren Ortsgruppenleiter. Dieser hatte die Ortsgruppe 1933 mit 80 Mitgliedern übernommen, 1934 waren daraus 200 Mitglieder geworden. Dies war freilich nicht nur das persönliche Verdienst von Wilhelm Mensch, denn mit dem Machtwechsel waren viele in die Partei eingetreten, die persönliche Nachteile befürchteten, wenn sie sich nicht der Partei anschlossen (so genannte „Märzgefallene“). Zum Dank für seine Arbeit beim Aufbau der Ortsgruppe in den letzten 3 ½ Jahren seit ihrem Bestehen erhielt Mensch ein Zigarettenetui mit der eingravierten Widmung: <?page no="192"?> 193 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ „Unserem Ogruf und lieben Kameraden zum Gedenken, Ortsgruppe Überlingen, Mai 1934“. Sein Nachfolger im Gemeinderat wurde der Direktor der Oberrealschule, Pg. Heinrich Müller, neuer Bürgermeisterstellvertreter wurde der Pg. Adam Heist, die Ortsgruppe übernahm Pg. Hauptlehrer Otto Taufenbach. 17 Zu Beginn seiner Bürgermeistertätigkeit pendelte Mensch zwischen Überlingen und Markdorf. Erst im Dezember 1934 siedelte er mit seiner Familie nach Markdorf um und bezog eine Wohnung im städtischen Gebäude an der Straße nach Bermatingen (ehemaliges Vereinsbankgebäude). Obwohl der neue Bürgermeister jegliche Feierlichkeiten abgelehnt hatte, war das Gebäude festlich bekränzt, und der Gemeinderat und die „Amtswalter“ der Partei vor Ort sowie die Musikkapelle brachten ihre Ovationen dar. 18 Am 15. August 1935 wurde Mensch schließlich auf Vorschlag des Bezirksamts zum Bürgermeister auf die Dauer von 12 Jahren gemäß § 44 der Deutschen Gemeindeordnung ernannt. Darüber hinaus gehörte er auch dem 1936 neu geschaffenen Bezirksrat an, der sich nun aus Mitgliedern der ehemaligen Amtsbezirke Pfullendorf und Überlingen zusammensetzte. 19 Für Mensch und seine Familie war die Übernahme des Bürgermeisteramts in Markdorf auch finanziell ein Gewinn. Während die Tätigkeit als Ortsgruppenleiter der Partei in Überlingen ein Parteiehrenamt war und nicht vergütet wurde, war das Bürgermeisteramt in die Gehaltsstufe 3b eingestuft, was einem Jahresgehalt von 4450 RM entsprach. 20 Der Fall Leo Bürkle Kaum im Amt, wurde der neue NS-Bürgermeister mit einer heiklen Personalie konfrontiert, dem Fall Leo Bürkle. Dieser wurde am 6. Februar 1897 in Bohlsbach bei Offenburg geboren. Er war Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg und diente als Frontkämpfer. Offiziell wurde er am 31. Januar 1920 aus der Armee entlassen und begann seine Ausbildung beim Finanzamt Offenburg und bei der Stadtkasse Offenburg. Nach seiner Ausbildung bewarb sich Bürkle bei der Stadt Markdorf und wurde zum 1. Oktober 1922 als Kanzleiassistent eingestellt und arbeitete gleichzeitig als Hilfsbeamter im Grundbuchamt sowie als Ratsschreiberstellvertreter. Am 14. März <?page no="193"?> 194 Wilhelm Mensch 1924 wurde er zum Ratsschreiber ernannt und verbeamtet. Anfang 1923 übernahm er die Dirigentenstelle der Stadtkapelle, um die er sich verdient machte, indem er sie personell stark erweiterte und offensichtlich auch ihre Qualität steigerte. Seine Eigenkompositionen wurden im Rundfunk übertragen und fanden bei Musikfesten und Heimatfesten großen Anklang. Dafür wurde ihm vom Stadtrat 1932 der Ehrentitel „Städtischer Musikdirektor“ verliehen. Leo Bürkle war mit einer Jüdin aus Offenburg verheiratet. Nach seinen eigenen Angaben wurden er und seine Frau aus Neid und wegen seiner Mischehe seit 1932 von örtlichen Nationalsozialisten belästigt, die sich 1933 offensichtlich auch an die Kreisleitung in Überlingen wandten, denn in einem Brief vom 2. Juni 1933 an die Stadt kam Kreisleiter Oexle zu dem Schluss: „Eine Amtsperson, wie ein Nationales Deutschland es verlangen muß, ist und wird Bürkle nicht werden.“ Bürgermeister Frank stellte sich schützend vor seinen Ratsschreiber und betonte dessen Qualifikation nachdrücklich. Bürkle überstand den Gleichschaltungsprozess und seine städtische Musikkapelle wurde auch zu allen Veranstaltungen der Nationalsozialisten hinzugezogen. Die Angriffe der örtlichen Nationalsozialisten hörten jedoch nicht auf, obwohl die NS-Kreisleitung unter Alfons Hafen 1935 entschieden hatte, nicht gegen Leo Bürkle vorgehen zu wollen. Als dann am 8. Juni 1936 wieder ein Mitglied der örtlichen NSDAP bei der Kreisleitung (Burk) vorstellig wurde, erging an den Beschwerdeführer sogar die Warnung, dass er mit einem Verfahren wegen Disziplinlosigkeit zu rechnen habe, wenn er und andere Bürkle weiterhin daran hindern wollten, örtliche Versammlungen der Partei zu besuchen. Bürkle wurde darüber hinaus bescheinigt ein „[…] tüchtiger und pflichttreuer Beamter“ zu sein. 1936 eskalierte die Situation und Bürkle legte seinen Posten als Städtischer Musikdirektor nieder. Daraufhin solidarisierten sich die Musiker und trugen ihre Instrumente auf das Rathaus. Bürgermeister Mensch verhandelte mit der Kapelle und versprach, den Dirigenten vor weiteren Angriffen in Schutz zu nehmen, worauf Bürkle die Leitung der Stadtkapelle wieder übernahm. Wilhelm Mensch, der gleichzeitig Vorsitzender der Musikkapelle war, stellte sich hinter Leo Bürkle und versuchte, ihn aus der Schusslinie der örtlichen Nationalsozialisten zu nehmen. Dies gelang zunächst. Mensch wollte nun Bürkle und seine jüdische Frau überreden, ihre „deutsch-jüdische Mischehe“ durch eine Scheidung aufzulö- <?page no="194"?> 195 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ sen, womit sich die Eheleute jedoch nicht einverstanden erklärten. Bürkles Position wurde nun kritisch, einmal weil der inzwischen (1937) zum Kreisleiter ernannte Mensch ihn wegen seiner Weigerung, sich scheiden zu lassen, nicht mehr halten konnte, zum anderen, weil mit den Nürnberger Gesetzen die Erfassung von Juden und „Mischlingen“ systematisiert wurde, Eheschließungen zwischen Deutschen und Juden untersagt waren und Juden von allen Darbietungen „deutscher Kultur“ ausgeschlossen wurden. Dies musste die Familie am eigenen Leib erfahren, als Frau Bürkle in ihrer Linzgauer Tracht bei einer öffentlichen Veranstaltung erschien und eben von jenem örtlichen Nationalsozialisten, der sich schon früher bei der Kreisleitung beschwert hatte, weggeekelt wurde. Am 27. September 1937 wurde Leo Bürkle vom Reichsstatthalter in Baden, Gauleiter Robert Wagner, nach § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums im Alter von 40 Jahren zum 1. Januar 1938 in den Ruhestand versetzt. Seine Amtsfunktionen als Grundbuchshilfsbeamter, Ratsschreiber und stellvertretender Standesbeamter übernahm der frühere Bürgermeister und Spitalverwalter Nikolaus Frank. Zunächst führte Bürkle die Generalagentur der Allianzversicherung in Markdorf, doch der Druck auf ihn und seine Familie wurde so groß, dass er und seine Frau sich Anfang Mai 1939 entschlossen, nach Ravensburg-Weingarten zu ziehen, wo Bürkle Arbeit beim Güternahverkehr der Reichsbahn erhielt. Doch verschiedene Anzeigen bei der Gestapo, der Kreisleitung und der Kriminalpolizei führten dazu, dass ihm zum 1. März 1941 gekündigt wurde. Im Mai 1941 verzog die Familie nach Stuttgart, wo sie aber ebenfalls nicht zur Ruhe kam, weil Anzeigen aus Markdorf und Ravensburg auch nach Stuttgart weitergeleitet wurden. Dies führte zu einer ständigen Überwachung durch die Gestapo, die auch mehrfach Hausdurchsuchungen durchführte. Im Juli und September 1944 wurden Bürkle und seine Frau zweimal ausgebombt und verloren dabei ihre ganze Habe. Am 21. November 1944 wurde Bürkle aufgrund der rassischen Zugehörigkeit seiner Frau in das Zwangsarbeitslager „für Mischlinge und Versippte“ in Wolfenbüttel bei Braunschweig eingeliefert und zur Zwangsarbeit im Tiefbau herangezogen. Auch seine Frau wurde in Stuttgart zur Zwangsarbeit verpflichtet, entging aber nach Bürkles Aussagen einer geplanten Einlieferung ins KZ Theresienstadt am 12. Februar 1945 nur durch eine schwere Lungenentzündung, <?page no="195"?> 196 Wilhelm Mensch die einen Transport unmöglich machte. Im April 1945 konnte Leo Bürkle aus Wolfenbüttel während eines Luftangriffes entfliehen und kehrte nach Stuttgart zurück. Am 1. Juli 1945 übernahm er wieder seine alte Stelle als Ratsschreiber in Markdorf, am 1. Oktober 1945 setzten ihn die Franzosen als kommissarischen Bürgermeister in Markdorf ein, am 1. Oktober 1946 wurde er auf weitere zwei Jahre in dieses Amt gewählt und am 1. Oktober 1948 mit großer Mehrheit für weitere neun Jahre. Es ist schwierig zu beurteilen, ob Wilhelm Mensch in seiner Funktion als Überlinger Kreisleiter Bürkle noch hätte beschützen können, oder ob er dies überhaupt noch wollte. Tatsache ist, dass während seiner Amtszeit als Bürgermeister in Markdorf Leo Bürkle „unbehelligt“ blieb. 21 Die Gemeindepolitik in Markdorf Als Bürgermeister hielt sich Wilhelm Mensch an eine Vorgabe der Partei, die er auch später als Kreisleiter massiv unterstützte, das Kriterium der Parteizugehörigkeit bei Personalentscheidungen in den Vordergrund zu stellen. So wurde im Dezember 1934 ein NSDAP- Mitglied und Versorgungsanwärter aus Mannheim als Schutzmann in Markdorf eingestellt. Am 14. August 1935 beriet der Gemeinderat wieder über die Besetzung der örtlichen Schutzmannstelle und entschied sich für ein auswärtiges SA-Mitglied. Und als die Schulhausmeisterstelle 1936 neu zu besetzen war, fiel die Entscheidung für einen aus Nürnberg stammenden Parteigenossen. Dass auch dahinter eine politisch motivierte Intention steckte, ist naheliegend, denn alle Personalentscheidungen mussten sowohl vom Bezirksamt wie auch von der Kreisleitung bestätigt werden. Auch bei der Vergabe von Aufträgen in der Stadt waren Bürgermeister und Gemeinderat nicht zimperlich, die eigenen Parteikameraden zu bevorzugen. So beschloss der Gemeinderat noch unter Bürgermeister Frank am 28. Februar 1934, dass zukünftig für die Belieferung des Krankenhauses der ehemalige Ortsgruppenleiter, Kaufmann Anton Warolli, zuständig sein sollte. Am 16. März 1934 ernannte der Gemeinderat das Gemeinderatsmitglied Hans Ströhle (NS-Gemeinderat und SA-Sturmführer) zum neuen Vorstand des Eichamtes. Am 1. August beschloss das Gremium, die Instandsetzungsarbeiten am Rathausbrunnen dem Parteigenossen Mattes zu überlassen. Und <?page no="196"?> 197 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ am 16. Oktober 1935 kündigte der Gemeinderat an, in Zukunft nur noch Aufträge an Mitglieder der DAF (Deutsche Arbeitsfront) zu vergeben. Auf Initiative von Bürgermeister Mensch trat die Gemeinde am 18. Juli 1934 dem „Volksbund für das Deutschtum im Ausland“ bei, am 31. Oktober 1934 dem „Reichsluftschutzbund“. Auch die Aufforderung des Bürgermeisters an die Markdorfer Bürger, dem „Reichsluftschutzbund“ beizutreten, verhallte nicht ungehört. Innerhalb weniger Tage konnten 120 Mitglieder geworben werden. Neben seinen Tätigkeiten in der Verwaltung war Mensch auch als Ortsgruppenleiter ständig gefordert und musste bei allen traditionellen Anlässen und Feiern anwesend sein. Dazu kamen die neuen NS-Feiertage, wie der Tag der Machtergreifung (30. Januar), die Parteigründungsfeier (24. Februar), der Heldengedenktag (Mitte März), Hitlers Geburtstag (20. April), der Tag der nationalen Arbeit (1. Mai), die Sommersonnwendfeier (Ende Juni), das Erntedankfest (im Oktober), der 9. November als „Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung“ (Marsch auf die Feldherrnhalle und Hitlerputsch) sowie die „Volksweihnacht“ am 24. Dezember. Schließlich galt es Ehrungen, Einweihungsfeiern und Empfänge sowie die zahlreichen Parteiveranstaltungen in Gestalt von Vorträgen, Werbeabenden, Pflichtversammlungen, Morgenfeiern, KdF- und DAF-Kundgebungen, Parteieingliederungsfeiern (Neuaufnahmen von Parteimitgliedern) und Dienstappellen vorzunehmen. Darüber hinaus war Wilhelm Mensch auch in das Vereinsleben der Stadt gut integriert als Vorsitzender der Musikkapelle, der Sanitätskolonne und ab September 1938 auch des Sportvereins. Für private Interessen und Familie blieb wenig Zeit übrig. 22 Mensch scheint in der Stadt durchaus beliebt gewesen zu sein, wie Zeitzeugen bestätigen. 23 Als dann die Gauleitung durch das relativ schnelle Ausscheiden von Kreisleiter Burk in Zugzwang geriet und einen Nachfolger als Kreisleiter präsentieren musste und die Wahl auf Bürgermeister Mensch in Markdorf fiel, war die Überraschung groß, zumal der Markdorfer Bürgermeister in den Jahren 1934 bis 1937 offensichtlich gute Arbeit geleistet hatte. Es ist deshalb durchaus glaubhaft, dass sein Weggang als schmerzlich empfunden wurde. So war es Mensch gelungen, die Steuereinnahmen zu steigern, die Finanzkraft durch Rückführung der Schuldenlast zu verbessern und einige Strukturmaßnahmen in Angriff zu nehmen, wie die Verbesserung <?page no="197"?> 198 Wilhelm Mensch einiger Straßen, die Erweiterung des Wasserleitungs- und des Kanalisationsnetzes, den Umbau des Rathauses und den Bau von neuen Wohnungen in der Stadt, zumal seit der letzten Volkszählung im Jahre 1933 die Zahl der Einwohner Markdorfs um 500 Personen auf 2719 zugenommen hatte. 24 Kreisleiter von Überlingen Obwohl Mensch zum Kreisleiter bestimmt war und sich seinen neuen Aufgaben zu widmen hatte, musste er gleichzeitig seine Tätigkeit als Bürgermeister weiter ausüben, was in der Praxis ein ständiges Pendeln zwischen Markdorf und der Kreisstadt bedeutete. Am 6. Februar 1937 teilte er der Gemeinde Markdorf offiziell mit, dass er zum 1. April 1937 vom Amt des Bürgermeisters zurücktrete. In der Zwischenzeit trat Mensch schon zusammen mit dem bisherigen Kreisleiter Richard Burk öffentlich auf und am 12. Januar 1937 erfolgte die offizielle Übergabe des Kreises im Beisein des Sonderbeauftragten des Stellvertreter des Führers, Pg. Oexle, und des Beamtenführers in Baden, Pg. Mauch, der wie auch Oexle zu den Kameraden von Mensch aus der „Kampfzeit“ zählte. Bereits am 6. Februar 1937 ernannte Gauleiter Wagner Mensch zum Gebietsbeauftragten für die Stadt Überlingen und die Gemeinden des Kreises in Bezug auf den Vollzug der Gemeindeordnung, was konkret bedeutete, dass eine kommunale Stelle nur mit Zustimmung des Kreisleiters in Abstimmung mit dem Bezirksamt besetzt werden konnte. Am 10. April 1937 wurde Mensch in einer großen Feier der Stadt Markdorf und der Ortsgruppe im „Walsersaal“ verabschiedet. Die „Bodensee-Rundschau“ titelte: „Ein alter Kämpfer nimmt Abschied“. Der „Walsersaal“ war bis zum letzten Platz gefüllt und Mensch wurde unter den Klängen des Badenweiler Marsches „stürmisch begrüßt“. Sodann wurde er von der Stadt reichlich beschenkt mit einem Ölgemälde von Alt-Markdorf und von seiner Ortsgruppe mit einer Büste des Führers. Selbstverständlich war auch sein alter Kampfgenosse, Pg. Oexle, erschienen, um ihm den Dank des Gauleiters zu übermitteln. Am Ende der Feier wollte auch der Narrenverein der Stadt nicht zurückstehen und ernannte Pg. Mensch zum Ehrenmitglied „der privilegierten Narrenstadt“ Markdorf. 25 <?page no="198"?> 199 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ In der Zwischenzeit war es der Partei gelungen, einen Nachfolger für Mensch zu finden. Doch auch dies gestaltete sich nicht ganz so einfach: Die Wahl war auf Eugen Grieshaber gefallen, der zu diesem Zeitpunkt aber noch Bürgermeister von Emmingen ab Egg war. Am 21. Mai 1937 kam es zu einer geheimen Gemeinderatssitzung in Markdorf unter Vorsitz des Gebietsbeauftragten Mensch, in der unter der Vereinbarung von Geheimhaltung beschlossen wurde, Grieshaber zum neuen Bürgermeister vorzuschlagen. Am 9. Juni 1937 bat Mensch das Bezirksamt Überlingen um das Einverständnis, Grieshaber zum neuen Bürgermeister einzusetzen. Am 28. Juni 1937 setzte die Stadt diese Verfügung um und ernannte ihn zum Bürgermeister auf die Zeit von sechs Jahren. Die Anstellungsurkunde wurde zum 30. Juni 1937 datiert, die offizielle Einsetzung Grieshabers durch Landrat Dr. Maier und Kreisleiter Mensch erfolgte am 1. Juli. Gleichzeitig wurde Eugen Grieshaber auch neuer Ortsgruppenleiter der Stadt Markdorf. Er blieb Bürgermeister in Markdorf und übergab am 29. April 1945 die Stadt den einmarschierenden französischen Truppen. 26 Abschiedsfeier für Bürgermeister Mensch in Markdorf am 10.4.1937 <?page no="199"?> 200 Wilhelm Mensch Das ideologische Rüstzeug eines Kreisleiters Nachdem die Nachfolge nun geklärt war, konnte sich Wilhelm Mensch aus Markdorf verabschieden und auf seine neue Aufgabe als Kreisleiter konzentrieren. Am 3. Mai 1937 meldete er sich offiziell mit seiner Familie wieder in Überlingen an und bezog Quartier in der Ulrichstraße 39. 27 Ganz unvorbereitet schickte ihn die Partei jedoch nicht in sein neues Amt. Schon im Sommer 1934, noch als Markdorfer Bürgermeister, hatte er an einem Gauschulungskurs für Kreisausbilder der Partei in Karlsruhe teilgenommen. Jetzt im April 1937 nahm er mit großer Wahrscheinlichkeit an einer Kreisleitertagung auf der NS-Ordensburg Vogelsang in der Eifel vom 22. bis 29. April 1937 teil, von der im Bundesarchiv ein Bilddokument existiert, auf dem Adolf Hitler zusammen mit Reichsorganisationsleiter Robert Ley die Front der angetretenen Kreisleiter abschreitet. Auf die Teilnahme Menschs weist eine Bemerkung in der „Bodensee-Rundschau“ vom 26. Mai 1937 hin anlässlich des Berichts über eine Rede des neuen Kreisleiters: „[…] Nach einigen außenpolitischen Streiflichtern ließ Pg. Mensch - den frischen Wind der Burg Vogelsang fühlten die Zuhörer um die Nase wehen - sein weitausholendes Referat ausklingen […].“ Darüber hinaus Kreisleiter Mensch beim Aufmarsch auf der Hofstatt am 1.-Mai 1937 <?page no="200"?> 201 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ wurden die Kreisleiter offensichtlich regelmäßig zu Tagungen auf der Ordensburg Sonthofen eingeladen, um ihnen für die tägliche Praxis das nötige ideologische Rüstzeug zu vermitteln. Dies belegt ein Artikel in der BR vom 8. April 1939: „Immer nach der großen Kreisleitertagung auf der Ordensburg Sonthofen, bei der sämtliche Kreisleiter des Reichsgebiets auf die Dauer von über einer Woche durch die oberen Führer der Partei, des Staates und der Wehrmacht ihre Informationen entgegennehmen, treffen sich die Kreisamtsleiter und die Ortsgruppenleiter des Kreises zu einer Tagung, um von ihrem Kreisleiter die Richtlinien aufgezeigt zu erhalten für die Weiterarbeit an der politischen Ausrichtung.“ Und am 4. April 1939 hieß es in der BR: „Einen interessanten Bericht gab der Kreisleiter auch über die letzte Tagung in der Ordensburg Sonthofen.“ Diesen Bericht erstattete er bei einem Appell der Zellen- und Ortsgruppenleiter im Lesesaal der Kreisleitung in der „Löwenzunft“. 28 Eine Schwemme neuer Bürgermeister im Amtsbezirk Überlingen In den beiden ersten Amtsjahren von Kreisleiter Mensch kam es im Kreis Überlingen zu einer auffällig großen Zahl von Neueinsetzungen von Bürgermeistern, die sonst bei keinem Kreisleiter so massiv ins Auge stechen. Als Gebietsbeauftragter der Partei musste er sich in Abstimmung mit dem Landrat und den Gemeinden jeweils auf einen neuen Kandidaten einigen und bei den Amtseinsetzungen zugegen sein. In einer Liste der neu besetzten Kommunen kann gezeigt werden, dass dies allein schon für den noch neuen und amtsunerfahrenen Kreisleiter ein Mammutprogramm gewesen sein muss. Ort Grund der Neubesetzung Name des neuen Bürgermeisters Zeitpunkt Quelle Zell-Schwäblishausen Rücktritt des Vaters des neuen Bürgermeisters Pg. Kreisbauernführer Otto Fischer, stellvertretender Kreisleiter 4.1.1937 BR Meersburg Tod von Dr. Moll Pg. Dr. Fritz Vogt 5.4.1937 BR Bonndorf --- Stützpunktleiter Pg. Müller 8.6.1937 BR <?page no="201"?> 202 Wilhelm Mensch Markdorf Beförderung von Wilhelm Mensch zum Kreisleiter Pg. Eugen Grieshaber, vormaliger Bürgermeister von Emmingen ab Egg 1.7.1937 BR und „Bote vom Salemer Tal“ Frickingen Rücktritt von Altbürgermeister Bosch aus familiären Gründen Pg. Walk 6.8.1937 BR Billafingen Rücktritt von Altbürgermeister Veit altershalber Pg. Roth, Ortsbauernführer 6.8.1937 BR Immenstaad Rücktritt von Altbürgermeister König altershalber Pg. Kast, Ortsgruppenleiter 6.8.1937 BR Oberuhldingen Rücktritt von Bürgermeister Thadäus Hofmann nach 18-jähriger Tätigkeit Franz Wollmann, der Sohn des Gemeinderechners 20.8.1937 BR Tüfingen Krankheit des bisherigen Amtsinhabers Konrad Braunigger Stützpunktsleiter Pg. Georg Raible 21.9.1937 BR Salem Berufung des bisherigen Amtsinhabers Pg. Walter Kirn zum Kreisleiter von Donaueschingen auf den 1.10.1937 Neubesetzung der Stelle zum 17.1.1938 mit Kreishandwerksmeister Haas 28.9.1937 17.1.1938 BR Denkingen --- Pg. Johann Fetscher 6.10.1937 BR Roggenbeuren Wittenhofen Illlwangen Ablauf der Amtszeit Sammelartikel, Namen nicht genannt 15.10.1937 BR Wintersulgen --- Pg. Fritz 4.3.1938 BR Grasbeuren --- Josef Herter 18.5.1938 BR Ruschweiler --- Pg. Gebhard Möhrle 27.5.1938 BR Hagnau --- Pg. Arthur Lehmann, Ortsgruppenleiter 3.3.1939 BR Darüber hinaus musste der Kreisleiter ebenso die Berufung jedes neu nachrückenden Gemeinderats, die Bestellung eines Beigeordneten nach der Gemeindeordnung oder etwa die Berufung eines <?page no="202"?> 203 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ Feuerwehrkommandanten in Absprache mit dem Landrat genehmigen und möglichst auch noch bei der Einsetzung anwesend sein. 29 Zu den Ortsgruppen war ständiger Kontakt zu halten und Konflikte in den Ortsgruppen mussten beigelegt werden. Dazu kam der gewöhnliche Alltag mit Anfragen an den Kreisleiter für politische Beurteilungen, die fest verankerten Termine wie die NS- Feiertage, die Freizeiten für HJ, Jungvolk und BDM, die Kreisbauerntage, die Bürgermeisterversammlungen, die Dienstappelle, der Einsatz als Gauredner während der Versammlungskampagnen, die ständig veranstalteten Sammlungen oder auch der Besuch des Reichsparteitages in Nürnberg. 30 Prominente Nationalsozialisten am See Am Bodensee kam noch eine weitere Aufgabe hinzu: Jährlich zog es zahlreiche NS- Prominente an den See, die erwarteten von der Ortsgruppe und der Kreisleitung entsprechend hofiert zu werden, zumal sie ihren Besuch natürlich immer in halb offizieller Mission begannen. Als Beispiele dafür mögen einige Besuche aus den Jahren 1937/ 38 dienen, die auffälliger Weise fast immer in die Frühlings- und Sommermonate fallen, wo es am See am schönsten ist: 15. Mai 1937: Gauleiter Wagner besucht Überlingen. 19. August 1937: Reichsinnenminister Frick besucht Heiligenberg und die Pfahlbauten in Unteruhldingen. 15. Oktober 1937: Reichsleiter Pg. Rosenberg wird in Überlingen in der „Krone“ empfangen, besucht dann das alte Schloss in Meersburg und die Pfahlbauten. 8.- März 1938: Der badische Ministerpräsident Köhler spricht vor über 1000 Volksgenossen im „Raben“. 4. April 1938: Gauleiter Wagner bei einer Kundgebung vor über 1500 Volksgenossen. 5. April 1938: Reichsleiter Pg. Rosenberg besucht Meersburg und Konstanz. 22.- Juli 1938: Der Adjutant des Führers, SA Obergruppenführer Brückner, zu Besuch beim Lager des Jungvolks in Ludwigshafen. 31 Propaganda und Wirklichkeit Obgleich die NS-Propaganda nie müde wurde, das harmonische Verhältnis zwischen Partei und staatlichen Amtsträgern wie Bür- <?page no="203"?> 204 Wilhelm Mensch germeistern und Landräten und anderen offiziellen Stellen zu loben, gab es in der Praxis häufig genug Zusammenstöße innerhalb der Partei oder zwischen den Interessen der Gemeinden und der Partei. Schon 1935 führte ein Boykottaufruf der Meersburger Nationalsozialisten gegen Juden zu einem Eingreifen des Meersburger Verkehrsamtes, das „gelbe Hinweiszettel“ mit dem Aufdruck „Juden sind in Meersburg erwünscht“ sämtlichen Werbeprospekten beilegen ließ. Der damalige Kreisleiter Hafen verfügte, dass Hotels mit internationalem Verkehr wie in Meersburg nicht gezwungen werden könnten, jüdische Gäste abzulehnen und dass „antijüdische Propaganda“ auch weitere ausländische Kreise davon abhalten könnte, Meersburg aufzusuchen. In den Jahren 1937 und 1938 tauchte dieses Problem in Meersburg wieder auf, allerdings in veränderter Form. Seit am 1. Oktober 1937 in Meersburg eine Reichsfinanzschule eingerichtet worden war, gab es offensichtlich einige jüngere Finanzschüler, die sich in den Gasthäusern der Stadt als besonders gute und linientreue Nationalsozialisten hervortun wollten. So provozierten sie beispielweise am 15. April 1938 im Hotel „Wilder Mann“ mit Pöbeleien den Wirt und die im Saal anwesenden Gäste, beschimpften das Lokal als „[…] internationale(n) Judenladen und Sauladen“, versuchten den Zutritt zum Lokal zu verwehren und riefen „[…] hier riechts nach Knoblauch und pfui hier werden Juden geduldet.“ Am folgenden Sonntag setzten sie die Rüpeleien fort und brüllten „Juden raus“ mit dem Effekt, dass zwei Schweizer Ehepaare das Lokal verließen. Bürgermeister Dr. Vogt wandte sich nun an die Kreisleitung und obwohl diese bereits eingegriffen hatte, griffen die Pöbeleien auch auf andere Lokale über. Erst durch ein zweites Eingreifen mit mehreren Gesprächen zwischen Kreisleitung und der Leitung der Reichsfinanzschule konnte dieser Angelegenheit die Brisanz genommen werden. 32 In diesen Zusammenhang gehört auch die Bitte des Kreisleiters an die Stadt Überlingen vom 4. November 1937 für die kommende Badesaison an beiden Badeanstalten der Stadt ein Schild mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ anbringen zu lassen. Allerdings setzte er hier nur den Erlass des Reichsinnenministeriums vom 24. Juli 1937 um. Für die Touristenstadt Überlingen mit internationalen Gästen konnte dies auch kontraproduktiv wirken. 33 <?page no="204"?> 205 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ Wilhelm Mensch und die Außenpolitik des Reiches I Das herausragende außenpolitische Ereignis des Jahres 1938 war für Kreisleiter Mensch selbstverständlich der Anschluss Österreichs und die damit verbundene Volksabstimmung am 10. April 1938. An deren Ergebnis sollte auch die Zustimmung der Bevölkerung zu Hitlers Außenpolitik gemessen werden und je höher die Zustimmungsraten ausfielen, desto ideologisch gefestigter schienen die Volksgenossen. Deshalb wurde alles unternommen, die Menschen an die Urnen zu bringen und deswegen erschien eine Woche vorher auch noch einmal der Gauleiter und Reichsstatthalter von Baden in Überlingen, um die Parteigenossen einzuschwören. Bei einer Wahlbeteiligung von 99,8-% stimmten 98,7-% „für den Führer“, nur sieben wahlberechtigte Einwohner Überlingens waren nicht zur Wahl gegangen. Dieses Ergebnis trieb nach Abschluss der Wahl die Parteigenossen in den „Rabensaal“, wo sie „[…] das überwältigende Bekenntnis zum Führer […]“ in großer Fröhlichkeit feierten. Auch für Wilhelm Mensch war dies Bestätigung seines politischen Handelns und in einer Dankadresse in der „Bodensee- Rundschau“ schwelgte auch er: „Unser Glaube: Adolf Hitler! Unser Kampf: Deutschland, nichts als Deutschland! “ 34 Der Führungsstil von Wilhelm Mensch Das neue Jahr 1939 begann für Mensch mit der Feier seines 50. Geburtstages am 19. Februar 1939. Eine öffentliche Feier stand nicht auf dem Programm, stattdessen zeigte er sich beim Frühschoppen der Narrenzunft am 20. Februar 1939 im „Ochsen“ in Überlingen, wo er mit einem Geburtstagsständchen begrüßt wurde. Anschließend nahm er Stellung zu der Frage: „Derf mr no ebbes sagge! ? “ und antwortete aus der Butte heraus, dass „[…] mr no ebbes und zwar recht viel sagen darf “ und dass die Überlinger Fasnacht bleiben müsse, wie sie war. Und am Abend des gleichen Tages bemerkte man ihn, den Obernarren der Zunft, unter den Ehrengästen bei den Aufführungen der Markdorfer Narrenzunft. Dies passt gut zu seinem Charakter. Er war gern unter Menschen, persönlich eher bescheiden und für Ehrungen bedankte er sich meist dadurch, dass er feststellte, dass dies seine Pflicht als Nationalsozialist gewesen sei. <?page no="205"?> 206 Wilhelm Mensch Von Beginn seiner Kreisleitertätigkeit an legte er Wert darauf, dass die Menschen ob „arm oder reich“ jederzeit zu ihm in die Sprechstunde kommen sollten, „[…] um mit ihm alle Fragen des täglichen Lebens frei und offen zu bereden.“ Und es spricht vieles dafür, dass ihm dies ernst war. Er glaubte felsenfest daran, dass dieses neue Deutschland mit seiner Partei allen Volksgenossen zum Vorteil gereichen werde, wenn nur alle intensiv ihre Pflicht erfüllen und, dass er mit seiner Arbeit „Gutes“ für alle bewirken könne. Dies zeigt ihn im besten Sinne als Idealisten, aber auch als Aktivisten, dessen Bereitschaft von der Partei auch missbraucht werden konnte. Dass ihn diese Offenheit aber auch an die Grenze seiner Kräfte brachte, beweist ein Aufruf in der BR vom 18. Dezember 1937, dass die Volksgenossen aus allen Schichten den Kreisleiter regelrecht überlaufen haben und dies zu einer Störung des Dienstbetriebs geführt habe und deswegen nur noch die regulären Sprechstunden zur Verfügung stehen können außer in ganz dringenden Fällen. Seine nationalsozialistischen Kampfgenossen schwor er auf das Jahr 1938 mit den Worten von General Moltke ein: „Mehr sein als scheinen - Viel leisten - Wenig hervortreten.“ 35 Der Kreisparteitag von 1939 Ganz nach dem Geschmack des Parteiaktivisten Wilhelm Mensch dürfte der vom 2. bis 5. Juni 1939 in Überlingen durchgeführte Kreistag der NSDAP gewesen sein. Diese Kreisparteitage wurden von der Partei eingeführt, um die „Geschlossenheit in der politischen Ausrichtung der gesamten Bevölkerung des Kreisgebietes und den allen Volksgenossen gemeinsamen Willen zur Mitarbeit am Aufbau des Dritten Reiches (zu) bekunden.“ Ziel sollte sein, die Kreisbevölkerung geschlossen hinter die Partei und den Führer zu bringen. Deswegen ist es auch kein Zufall, dass mehrere solcher Kreisparteitage zeitgleich stattfanden, da sie Teil einer größer angelegten Kampagne waren. 36 Schon im Vorfeld war der organisatorische Aufwand gewaltig. Aus einer Rechnung der Stadt an die Kreisleitung der NSDAP vom 24. August 1939 wird ersichtlich, dass allein für die Bereitstellung von Fahnenmaterial, Fahnenstangen, Podium, Karabinerhaken, 15 kg. Böllerpulver sowie von Hilfskräften und eigenen Löhnen 5913,00 RM veranschlagt wurden. Von dieser Gesamtsumme mussten die <?page no="206"?> 207 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ beteiligten Gemeinden 1200 RM an die Stadtkasse abführen, der Rest wurde der Partei in Rechnung gestellt. 37 Begleitet wurde der Kreisparteitag durch eine Artikelserie der „Bodensee-Rundschau“ über die Geschichte der Partei im Kreis Überlingen und in den benachbarten Kreisen am Bodensee. Auch Wilhelm Mensch selbst kam in einem großen Artikel zu Wort. Der Kreisparteitag begann mit der feierlichen Einholung aller Hoheitsfahnen der Partei im Kreis und des SA Banns III/ 114 beim Ostbahnhof durch die Reichsarbeitsdienstkapelle, einen Ehrensturm der SA, den NSKK- Sturm 3/ M 156, eine Bereitschaft der politischen Leitung, eine Ehrenabteilung der Hitlerjugend und den SS-Zug Überlingen am Abend des 2. Juni 1939. Am Samstag, den 3. Juni, erfolgte die feierliche Flaggenhissung auf dem Adolf-Hitler-Platz durch dieselben Formationen, die schon die Flaggen eingeholt hatten. Am Abend gab es ein großes Militärkonzert im „Rabensaal“ durch das Musikkorps des II. Infanterieregiments 14 aus Ravensburg-Weingarten. Die Hauptereignisse des Kreisparteitages sollten am Sonntag, den 4. Juni stattfinden. Nach der Beendigung von Sondertagungen diverser Parteiorganisationen mussten sich gegen 9 Uhr sämtliche uniformierten „Politischen Leiter“ zum Appell auf dem Adolf-Hitler-Platz begeben. Gegen 9.30 Uhr nahm dann der stellvertretende Gauleiter Pg. Röhn den Appell ab und schritt die Front der „Politischen Leiter“ ab. Parallel dazu gab es auch eine Morgenfeier der HJ gegen 10 Uhr auf der Freilichtbühne im Stadtgarten mit einer Ansprache des Obergebietsführers Friedhelm Kemper. Nachmittags gegen 13.30 Uhr erfolgten der Vorbeimarsch der „Politischen Leiter“ auf der Hofstatt, den Kreisleiter Mensch abnahm, und die Großkundgebung mit dem SA-Obergruppenführer des Gausturms Baden, Hanns Ludin. Neben diesen Großereignissen liefen wehrsportliche Wettkämpfe mit einem Staffellauf „Quer durch Überlingen“. Am Nachmittag gegen 15.30- Uhr wurde dazu noch ein großes Volksfest am Sportplatz am See eröffnet, bei dem es zu Schauvorführungen diverser Sportler aber auch der Schwertletänzer und verschiedener Trachtengruppen kam. Den Abschluss dieser größten politischen Kundgebung des Bezirks bildete ein Feuerwerk im Yachthafen. Flankiert wurde dieses Geschehen noch durch eine Ausstellung der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt in der städtischen Turnhalle, an der auch der Gauamtsleiter der NSV, Pg. Philipp Dinkel, aus Karlsruhe teilnahm. Kreisleiter Mensch liebte <?page no="207"?> 208 Wilhelm Mensch solche militärischen Aufmärsche und das Abschreiten der Fronten seiner politischen Leiter und Amtswarte oder der Formationen von HJ und Jungvolk. Selbst Uniformappelle gehörten für den ehemaligen Unteroffizier zu diesem Repertoire. Und sicherlich erfüllte es ihn mit Stolz, dass er im Jahre 1939 mit dem Titel des Leutnants der Reserve der Landwehr geehrt wurde. 38 Mobilmachungsphase 1939 und Zusammenarbeit von Kreisleitung und Stadt Überlingen Über die mit dem August 1939 beginnende Mobilmachungsphase und den Kriegsbeginn in Überlingen sind wir sehr gut durch die im Stadtarchiv gelagerten Monatsberichte der Dienststellen informiert. Am 25. August berichtete der erste Beigeordnete über die Aufstellung mobilisierter Einheiten und deren Unterbringung. Zwei Tage später kam es zu einer ersten Besprechung zwischen Stadt und Kreisleitung mit dem Ergebnis, Lebensmittelscheine zur Unterbindung der Hamsterei auszugeben. Kurz danach wurde das Krankenhaus als Reservelazarett beschlagnahmt und festgelegt, wohin die Abteilungen des Krankenhauses ausgelagert werden sollten. Bereits am 31. August wurde der Zuzug von Familien aus gefährdeten Gebieten nach Überlingen angekündigt. Am 3. September meldete die Kreisleitung die Ankunft von 1000 Flüchtlingen aus dem Raum Breisach, für die der „Rabensaal“ zur Belegung hergerichtet wurde. Tatsächlich kamen aber am 4. September 1939 1200 Personen an und die Stadt bat die Kreisleitung, möglichst für einen baldigen Abzug zu sorgen, da sonst eine Verstopfung der Krankenhausabteilungen drohe, denn es waren viele alte Menschen und Frauen mit Kleinkindern unter den Evakuierten. Am 14. September kam es zu einem ersten Zerwürfnis zwischen Stadtverwaltung und Kreisleiter, weil letzterer es ablehnte, zur Lockerung der Belegung auch andere Orte in der Umgebung Überlingens heranzuziehen. Der Bürgermeister seinerseits gab zu verstehen, dass er es ablehnen müsse, die Einquartierung eventuell später ankommender Züge zu übernehmen, falls mehr Menschen als die gemeldeten ankämen. Am 19. September gab die Kreisleitung nach und sämtliche Einquartierungsangelegenheiten wurden in die Verantwortung der Stadt zurückverlegt. Bürgermeister Spreng bezog aber <?page no="208"?> 209 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ in geschickter Weise die NSV in die Auflockerung der Pläne mit ein und es kam später tatsächlich zu einer Entspannung durch eine Verlegung von Flüchtlingen nach Meersburg, Owingen, Unteruhldingen und Lippertsreute. Mitten in dieser Mobilmachungsphase wollte die NSV auch noch den Versuch starten, die Umstellung der Kinderschule auf so genannte „Braune Schwestern“ zu bewirken. Bürgermeister Spreng gelang es in dieser Situation den Kreisleiter davon zu überzeugen, dass es aus politischen Gründen nicht klug wäre, dies in einem Moment durchzuführen, in dem die ohnehin starke Beanspruchung keine Umstellung vertragen könne, zumal noch nicht einmal klar sei, ob die nötigen Kräfte überhaupt zur Verfügung stünden. Am 4. Oktober 1939 teilte die Stadt der Kreisleitung mit, dass die Stanniolsammlungen nur einmal von der HJ durchgeführt worden seien und dass die Partei das gesammelte Papier und Eisen nicht wie versprochen abgeführt habe. Als Kompromiss bot die Stadt an, die Stanniolsammlung selbst durchzuführen, die Kreisleitung versprach den Abtransport von Papier und Eisen zu bewerkstelligen. Am 17. Oktober 1939 brachte Kreisleiter Mensch die Idee vor, die Blockleiter bei der Verteilung der Bezugsscheine für Textilwaren und Schuhe einzusetzen. Bürgermeister Spreng brachte ihn davon ab, mit dem Hinweis darauf, dass hier Feindschaften entstehen könnten, falls sich jemand benachteiligt fühlen würde, und dass dies letztendlich auch zu einer Schädigung des Ansehens der Partei führen könnte. Diese Argumentation leuchtete letztendlich auch dem Kreisleiter ein und am 26. Oktober willigte er ein, dass das Bürgermeisteramt diese Bezugsscheine auszustellen und zu begutachten habe. An diesen Beispielen kann aufgezeigt werden, dass der Versuch der Partei, sich in alle Angelegenheiten einzuschalten, vor allem dann problematisch werden konnte, wenn die Parteiorganisation nicht die entsprechenden Mittel und Kräfte zur Verfügung hatte. Es spricht aber auch für den Kreisleiter, dass er pragmatisch und klug genug war, anzuerkennen, dass die Stadt mit ihrem eingespielten Behördenapparat unter Umständen effektiver arbeiten konnte als der schwer zu kontrollierende Parteiapparat. Da sich Bürgermeister und Kreisleiter persönlich seit der „Kampfzeit“ kannten und da die Kommunikationswege vom Rathaus zur „Löwenzunft“ kurz waren, führten die Auseinandersetzungen in der Sache wohl kaum zu persönlichen Verstimmungen. Dies zeigt sich auch an anderer Stelle: Als 1938 im Stadtrat zwei Ratsherren zu er- <?page no="209"?> 210 Wilhelm Mensch setzen waren, fanden beide einen Kompromiss. Jeder brachte einen seiner Kandidaten in das Gremium ein. 39 Das Markdorfer Zugunglück vom 22 Dezember 1939 Ein fürchterliches Zugunglück zwischen Markdorf und Kluftern- Lipbach am 22. Dezember 1939 überschattete auch die Amtszeit von Wilhelm Mensch als Kreisleiter. Verursacht durch Kommunikationsfehler und menschliches Versagen, raste ein mit Kohlen beladener Güterzug, der in Markdorf fälschlicherweise das Signal zur Durchfahrt erhalten hatte, gegen 22.19 Uhr in einen mit ca. 700 Rückkehrern aus Weil am Rhein und Umgebung besetzten Sonderzug, der von Oberstdorf und dem kleinen Walsertal aus die Passagiere zu Weihnachten nach Hause bringen sollte. Diese Menschen stammten aus der so genannten „roten Grenzzone“ am Oberrhein, die im September evakuiert worden war. Da die Grenze aber ruhig war und die Luftangriffe ausblieben, musste die Partei nachgeben und die Evakuierten zu Weihnachten wieder zurückführen. Ursprünglich war die Begegnung der beiden Züge auf dem zweispurigen Gleisstück in Markdorf vorgesehen. Da aber auch der Bahnbeamte in Kluftern die Strecke freigab, kam es zu dem folgenschweren Zusammenstoß. Den Helfern, die von überall her alarmiert wurden, bot sich ein Bild des Grauens. Wie so oft im Dezember war es entlang der Strecke kalt und neblig, so dass die Helfer größte Probleme bei ihren Rettungsaktionen hatten. Die beiden Lokomotiven und die ersten Wagen waren so ineinander verkeilt, dass bis auf ein Baby niemand darin überlebte. Zunächst zählte man 99 Tote, die am 25. Dezember 1939 auf dem Markdorfer Marktplatz aufgebahrt wurden. Die vielen Verletzten wurden in die nahe gelegenen Krankenhäuser gebracht. Am Ende gab es insgesamt 106 Tote. Zur Trauerfeier am 25. Dezember 1939 auf dem Markdorfer Marktplatz erschienen die Würdenträger der Partei, Gauleiter Robert Wagner und sein Stellvertreter Röhn, Vertreter des Staates, der Wehrmacht und der Reichsbahn. Aus dem Kreisgebiet waren Reichshauptamtsleiter Oexle, Kreisleiter Mensch, Landrat Dr. Maier, Bürgermeister Grieshaber mit den Beigeordneten und Ratsherren der Stadt Markdorf anwesend. Gauleiter Wagner hielt die Trauerrede und versuchte dieses tragische Unglück in <?page no="210"?> 211 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ „[…] ein(en) Ausschnitt aus dem Lebenskampf unseres Volkes um seine Zukunft“ umzudeuten. Selbst in dieser Situation, in der zahlreiche Menschen aufgrund eines durch menschliches Versagen verursachten Unglücks ihre Familien verloren, musste ihr Tod noch der NS- Ideologie dienstbar gemacht werden. Am 26. Dezember wurden die Toten schließlich in ihre Heimatorte überführt. Erst im Jahre 1989, zum 50. Jahrestag des Eisenbahnunglücks bei Markdorf, wurde an der Strecke eine Gedenkstätte für die Männer, Frauen und Kinder aus Binzen, Egringen, Fischingen, Haltlingen und Weil am Rhein errichtet, die bei diesem Unglück ums Leben kamen. Das Markdorfer Eisenbahnunglück zählt zu den größten der deutschen Eisenbahngeschichte. 40 Kreisleiter und Landrat Im Januar 1940 erschien im „Reichsgesetzblatt“ eine Anordnung über die Verwaltungsführung in den Landkreisen, die in der „Bodensee-Rundschau“ zum 19. Januar 1940 veröffentlicht wurde. Dabei ging es jeweils um die Rolle von Landrat und Kreisleiter. Dem Kreisleiter wird darin die Aufgabe der „Menschenführung“ zugesprochen, d.h. die „Stärkung der seelischen Kräfte“ der Volksgenossen zur Verteidigung des Reiches. So sollte der Kreisleiter den Volksgenossen auch die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der im Abwehrkampf zu treffenden und getroffenen Maßnahmen erläutern und dem Landrat Anregungen zu behördlichen Vorhaben und Maßnahmen vom Standpunkt der Menschenführung aus geben. Außerdem sollte der Kreisleiter den Landrat ständig über die Stimmung der Bevölkerung im Kreise unterrichten. Der Landrat seinerseits war zuständig für die Erfüllung aller Aufgaben der staatlichen Verwaltung und der Kreisleiter hatte sich jeglichen Eingriffs in die laufende Verwaltungsführung zu enthalten. Allerdings wertete die „Bodensee-Rundschau“ die zuerst erwähnte politische „Menschenführung“ so, dass „[…] ihr ohne weiteres, das Schwergewicht der politischen Führung zukommt.“ Dies entsprach auch der Praxis, denn kein Bürgermeister und kein Gemeinderat, kein Kreisrat und kein Feuerwehrkommandant konnte ohne die Zustimmung des Kreisleiters als Gebietsbeauftragter des Gauleiters eingesetzt werden. Dies lässt sich auch am Beispiel der Besetzung <?page no="211"?> 212 Wilhelm Mensch des Kreisrates zeigen: Kreisleiter Mensch berief mit Schreiben vom 11. März 1940 die acht Mitglieder des Kreisrates neu und teilte dies anschließend dem Landrat mit. Die Vereidigung fand am 29. März 1940 statt und die Ernennung der neuen Kreisräte sollte für 6 Jahre gelten. Über die Aufgabenverteilung von Partei und Bezirksamt waren sich Kreisleiter und Landrat schon 1937 klar, als Landrat Dr. Maier dieses Verhältnis so definierte: „In seiner Berichterstattung über die Tagung der Landräte in Karlsruhe erwähnte der Landrat die Klarstellung des Verhältnisses von Partei und Staat; die Partei gibt die Marschrichtung an, nach der sich jeder zu richten hat, und die Regierung setzt den Willen der Partei in die Tat um.“ Und dies schien dem Landrat auch als Mitglied der Partei nicht schwer zu fallen. Über Zerwürfnisse des Landrats mit Kreisleiter Mensch ist in den Akten zumindest nichts zu finden. 41 Wilhelm Mensch und die Außenpolitik des Reiches II Ein besonderes Ereignis im Jahre 1940 war selbstverständlich der Sieg über Frankreich und die symbolische Erniedrigung der Franzosen, die ausgerechnet in jenem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne bei Paris kapitulieren mussten, in dem 1918 den Deutschen die Kapitulationsbedingungen diktiert worden waren. Deswegen sprach Wilhelm Mensch, selbst Frontkämpfer im 1. Weltkrieg, mehrfach vor seinen Parteigenossen zum Thema „Compiègne 1918 - Compiègne 1940“ und zeichnete „[…] ein Bild deutscher Geschichte und deutschen Kampfes, tiefster deutscher Schmach und höchsten Aufstieges […]“, und auch der Konstanzer Kreisleiter Woll holte zum großen historischen Rundschlag in Überlingen vor HJ-Führern der Gebietsführerschule in der Jugendherberge aus, indem er über den „1000-jährigen Kampf zwischen Frankreich und Deutschland“ referierte. 42 Die Feiern zum zehnjährigen Bestehen der NS-Ortsgruppen im Amtsbezirk Überlingen Im Herbst 1940 begannen überall im Kreis die Feiern des zehnjährigen Bestehens der Ortsgruppen der NSDAP. Den Anfang <?page no="212"?> 213 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ machte Pfullendorf. Die dortige Ortsgruppe war am 20. September 1930 gegründet worden. Am Ende der Feierstunde lobte Kreisleiter Mensch die Pfullendorfer Ortsgruppe und sprach ihr „[…] das schöne Zeugnis aus, daß sie zu einer der besten des Kreises geworden ist.“ 43 Dann folgte die Überlinger Ortsgruppe selbst, die am 30. September 1930 vom jetzigen Sonderbeauftragten des Stellvertreters des Führers, Reichshauptamtsleiter Gustav Robert Oexle, ins Leben gerufen worden war. Oexle war es auch, der als Hauptredner am 5. Oktober 1940 im „Rabensaal“ die Feierlichkeiten gestaltete und den Parteifreunden die Grüße des Stellvertreters des Führers übermittelte. Umrahmt wurde die Feier durch die Stadtkapelle, den Frauenchor der Frauenschaft Überlingen, den Fanfarenzug der HJ Überlingen sowie durch einen Vorspruch eines HJ-Führers der HJ-Führerschule Überlingen. Neben Oexle trat als zweiter Redner Kreisleiter Mensch auf, der kurz nach der Gründung im November 1930 zur Partei gestoßen war. Selbstverständlich ließen beide Redner diese „Kampfzeit“ vor den Augen der Volksgenossen wieder aufleben, um anschließend den großen Siegeszug der nationalsozialistischen Idee zu feiern. Den begonnenen Krieg erklärte Oexle kurzerhand für gewonnen, allein schon deswegen, weil der Führer „feierlichst“ erklärt hat: „[…] den Krieg kann nur einer gewinnen und das sind wir.“ Und so schlussfolgerte Oexle: „Der Krieg ist schon gewonnen! Unsere Truppen stehen vom Nordkap bis zur spanischen Grenze.“ 44 Ein Kreisleiter gerät in Rage - Mensch und die polnischen Zivilgefangenen von Markdorf Im Oktober 1940 erregte ein Schreiben des Markdorfer NS-Bürgermeisters Eugen Grieshaber den Zorn des Überlinger Kreisleiters. Mit Schreiben vom 16. Oktober 1940 hatte Pg. Grieshaber ihm mitgeteilt, dass polnische Kriegsgefangene, die sich später als Zivilgefangene zur Arbeit verpflichteten, dem Arbeitsamt Konstanz gegenüber äußerten, sie würden lieber, wie zuvor, bei Bauern arbeiten, anstatt bei der Stadt Markdorf Erdarbeiten zu verrichten. Einer nannte sogar seinen früheren Arbeitgeber in der Landwirtschaft. Wilhelm Mensch empfahl dem Bürgermeister und der Stadt in jedem Fall hart zu bleiben und diesen Wünschen auf keinen Fall <?page no="213"?> 214 Wilhelm Mensch nachzugeben. Außerdem berichtete er dem Bürgermeister, er habe die Gestapo eingeschaltet. Seine tiefe Verachtung und den Hass den polnischen Zivilgefangenen gegenüber brachte er wörtlich zum Ausdruck: „Pack ist Pack und muss als solches behandelt werden. Es ist traurig, dass diese Polen immer Bezug auf die bessere Behandlung bei den Bauern nehmen können. Dies ist ein Zeichen dafür, dass diese Herren nicht verstanden haben, wer diese Polen sind und dass sie scheinbar nicht begreifen oder es nicht wissen wollen, dass durch diese Polen 58- 000 Volksdeutsche viehisch ermordet wurden und vielleicht sind gerade diese Polen, die bei den Bauern beschäftigt sind, dabei gewesen.“ Möglicherweise bezog sich Mensch bei den ermordeten Volksdeutschen auf den so genannten „Bromberger Blutsonntag“, einem Pogrom als Folge vermeintlicher deutscher Angriffe auf polnische Truppen am 3. September 1939. Dabei ermordeten polnische Soldaten und Zivilisten gemeinsam Tausende Angehörige der deutschen Minderheit. Was Mensch allerdings vergaß zu erwähnen, war die Tatsache, dass die deutsche Minderheit in Polen schon vorher instrumentalisiert wurde, „[…] um durch inszenierte Grenzzwischenfälle und Sabotageaktionen eine günstige Stimmung für einen deutschen Einmarsch zu schaffen.“ Die von Wilhelm Mensch genannte Zahl von 58-000 ermordeten Volksdeutschen ist die Folge einer besonders dreisten Propagandalüge: Eine vom Auswärtigen Amt im Februar 1940 herausgegebene Publikation nannte die Zahl der im September ermordeten Volksdeutschen nahezu korrekt mit 5400 Toten. Hitler ließ diese Publikation zurückziehen und einstampfen und ließ den Innenminister in einem Telegramm an die Oberpräsidenten der annektierten Gebiete verkünden, dass eine demnächst erscheinende Dokumentensammlung des Auswärtigen Amtes „authentisch“ belege, dass es sich um 58-000 vermisste und ermordete Volksdeutsche handle. Man hatte die vorliegende Zahl des Auswärtigen Amtes schlicht um das mehr als Zehnfache erhöht. Den Ausgang dieser Angelegenheit um die polnischen Zivilgefangenen erfuhr der Kreisleiter nicht mehr selbst. Den Betroffenen wurde am 27. November 1940 mitgeteilt, dass sie ihren Arbeitsplatz nicht auf eigenen Wunsch wechseln dürfen. 45 <?page no="214"?> 215 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ Tod und inszeniertes Heldenbegräbnis Am 18. November 1940 titelte die „Bodensee-Rundschau“ in fetten Lettern: „Ein treuer Gefolgsmann des Führers gestorben .“ Wilhelm Mensch, der im Laufe der Woche an Herzkrämpfen gelitten hatte, erlag am 16. November 1940 in seinem 52. Lebensjahr auf dem Weg in ein Konstanzer Sanatorium während der Überfahrt auf der Fähre einem neuerlichen Herzanfall. Am 18. November informierte die Kreisleitung die Stadt, dass die Trauerfeier auf den 20. November, 14 Uhr angesetzt sei. Am 19. November erschienen die offiziellen Todesanzeigen der Familie, der Stadt, des Kreisstabes und der Ortsgruppe der Partei sowie der Kyffhäuserkameradschaft in der „Bodensee-Rundschau“. Am 20. November schließlich druckte die „Bodensee-Rundschau“ den geplanten Ablauf der Trauerfeier ab. Nachdem am Dienstag, den 19. November, der Sarg in den historischen Saal der Kreisleitung in der „Löwenzunft“ gebracht worden war, wurde am Fuß des Sarges ein Ordenskissen mit den zahlreichen Auszeichnungen der Partei und des 1. Weltkriegs angebracht. Die politischen Leiter aller Gliederungen und Ange- Todesanzeige der Familie Mensch für Kreisleiter Wilhelm Mensch vom 19.11.1940 <?page no="215"?> 216 Wilhelm Mensch hörige aller Formationen einschließlich der Hitlerjugend standen Ehrenwache bis zum Zeitpunkt des Beginns der Totenfeier. Der Sarg wurde nun in den Vorhof des Rathauses gebracht. Aus sechs Pylonen loderten die Flammen zum Himmel. Am Rathaus war ein Hoheitszeichen angebracht, zu beiden Seiten des Sarges befanden Trauerfeier für Wilhelm Mensch mit dem aufgebahrten Leichnam des Kreisleiters und den Fahnenabordnungen der Partei vor dem Überlinger Rathaus am 20.11.1940 <?page no="216"?> 217 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ sich Zierbäume und die Fahnen der Parteiverbände. Hinter den Stuhlreihen der Angehörigen und der Ehrengäste waren die Parteigenossen des ganzen Kreisgebietes in ihren Gliederungen und Formationen aufgebaut. Zu den um 14.00 Uhr beginnenden Feierlichkeiten am 20. November waren der Gauleiter, seine Gauamtsleiter sowie verschiedene Kreisleiter erschienen. Mit dem Trauermarsch aus der III. Sinfonie Beethovens, der „Eroica“, gespielt von der SA- Standartenkapelle Konstanz, begannen die Trauerfeierlichkeiten. Dem schloss sich ein HJ-Chor mit dem Lied „Heilig Vaterland“ an. Sodann erfolgte die Ansprache von Gauleiter Robert Wagner, der Wilhelm Mensch als tapferen Soldaten, als Mitkämpfer und Mitstreiter des Führers würdigte. Dann folgten die Kranzniederlegungen durch den Gauleiter, durch den Sonderbeauftragten des Stellvertreters des Führers, Reichshauptamtsleiter Pg. Oexle, durch die Vertreter der Wehrmacht, Admiral Fischer und Major Rehse, durch seinen späteren Nachfolger, Kreisleiter Bäckert, durch Beauftragte der Kreisleiter der umliegenden Kreise, der Parteiformationen, des Landrats Dr. Maier sowie des 1. Beigeordneten der Stadt, Pg. Dreher. Während dieser Kranzniederlegungen wurde das Lied vom „guten Kameraden“ gespielt. Dann sprach der Einzelsprecher die Worte: „Empor die Fahnen“ und sechs ausgewählte Ortsgruppenleiter trugen den Sarg zum Leichenwagen. Unter Intonation der Nationallieder und mit dem deutschen Gruß wurde der Kreisleiter verabschiedet. Der Leichenwagen wurde nun zum Konstanzer Krematorium gefahren, wo die nächsten Angehörigen sowie geladene Freunde von Wilhelm Mensch Abschied nahmen. Diese Feier wurde vom Konstanzer Kreisamtsleiter organisiert und musikalisch umrahmt vom Orchester des Grenzlandtheaters Konstanz. Nach persönlichen Trostworten an die Angehörigen durch Reichshauptamtsleiter Oexle und einem „letzten Abschied“ von seinem toten Kameraden versank der Sarg unter den Klängen der Nationalhymne in den Flammen des Krematoriums. 46 Mythisierung, Heldenverehrung und ein fast gescheitertes Ehrengrabmal Am 19. November 1940 lud die Stadt Überlingen alle Beigeordneten und Ratsherren zu einer Sondersitzung auf den 21. November <?page no="217"?> 218 Wilhelm Mensch morgens um 11 Uhr zum Gedenken an den verstorbenen Kreisleiter und Beauftragten der NSDAP, Wilhelm Mensch. Die Einladung, an dieser Sitzung teilzunehmen, erging auch an die Witwe Frieda Mensch oder ein Familienmitglied, an den Landrat sowie an sämtliche spitälischen und städtischen Dienststellen und die Mitglieder der Kreisleitung der NSDAP. Im offiziellen Bericht von dieser Sitzung ist zu lesen: „Der würdig ausgestattete Ratssaal macht tatsächlich einen durchaus feierlichen Eindruck. Der Platz, den sonst der Kreisleiter in seiner Eigenschaft als Beauftragter der NSDAP einnahm, war mit einem Blumengebinde geschmückt.“ Nach einer Einleitung der Feier durch das Orchester der Oberschule und einem Jugendchor mit dem Lied „Zum Lob und Preis der Stadt Überlingen“ erfolgte eine Rede des 1. Beigeordneten Direktor Heinrich Müller, der noch einmal die Persönlichkeit des „Heimgegangenen“ mit „all ihren Vorzügen und glücklichen Anlagen“ würdigte. Danach wurde offiziell beschlossen, dass die Stadt Überlingen dem verstorbenen Kreisleiter einen Ehrengrabplatz auf dem städtischen Friedhof zur Verfügung stelle. Dies wurde der Witwe Frieda Mensch mitgeteilt mit der Bitte, sich wegen der Auswahl des Platzes mit dem städtischen Tiefbaumeister Zimmermann in Verbindung zu setzen. Damit begann ein Possenspiel um ein Ehrengrabmal für den verstorbenen Kreisleiter. 47 Parallel dazu begann die Partei sofort nach Menschs Tod damit, ihn zu einem Vorbild der Partei zu machen und einen Heldenmythos aufzubauen. Den Auftakt machte am 20. November 1940, vier Tage nach seinem Tode, ein Artikel in der „Bodensee-Rundschau“ mit dem Titel: „Unser Kreisleiter Willi Mensch. Bekenntnis und Abschied“. Der Artikel schilderte den verstorbenen Kreisleiter als einen Menschen, von dem „warme Herzlichkeit der Freude“ ausstrahlte, den man lieben musste, weil man zu ihm aufsehen konnte. Daraus folgerte der Schreiber des Artikels, der sich als Mitarbeiter von Mensch zu erkennen gab: „Alle mußten zu ihm aufsehen: das war ein Nationalsozialist, so sollte man auch sein - oder werden.“ Neben seiner Funktion als Kreisleiter wurde nun auch noch seine Rolle als Kämpfer im 1. Weltkrieg verklärt: „Da waren 4 ½ Jahre Weltkrieg und vor allem jener 23. April 1917 bei Arras. Die Engländer griffen in dicken Trauben an. Die amerikanische Munition hatte fürchterlich vorgearbeitet. Die deutsche Front war aufgerissen und weithin eingedrückt, nur in wenigen Granattrichtern war noch Leben. Warum warf <?page no="218"?> 219 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ er sich nicht dem angreifenden Feind entgegen? Die Maschinengewehre des MG-Scharfschützentrupps waren zerschlagen. Gegenwehr schien sinnlos. Schon sind die Tommies auf fast 20 Meter an die vorderste Schützengruppe gekommen, da peitscht doch noch ein MG auf und mäht wild und fanatisch in die hundertfache Übermacht des Feindes. Der MG-Führer wirft sich mit drei Kameraden dem englischen Bataillon entgegen. Das Unglaubliche gelingt: der feindliche Angriff wird in Blut erstickt. Als die Munition verschossen ist, stürzt der tollkühne Unteroffizier mit seinen Kameraden vor und sie nehmen die zerschlagenen Reste der Angreifer gefangen: 30 Tommies, 3 Maschinengewehre und andere Beutestücke werden eingebracht.“ Und selbstverständlich hieß der tollkühne Unteroffizier, der dieses Husarenstück vollbracht hatte, Wilhelm Mensch. Unabhängig von seiner tatsächlichen Tapferkeit, diente dieser Bericht der Mythisierung und Heldenverehrung. Da man sich ja bereits wieder in einem Weltkrieg befand, brauchte es Vorbilder für die neuen Helden, die fürs Vaterland zu sterben bereit waren. 48 In der Zwischenzeit geriet die Geschichte um ein Ehrenmal für Wilhelm Mensch immer mehr zur Posse. Zu einem ersten Missverständnis mit der Witwe Frieda Mensch kam es im März 1941, als die Stadt die Kränze vom „Ehrengrab“ von Wilhelm Mensch entfernen ließ und zum Heldengedenktag dort ein Blumengebinde anbrachte. Die Stadt begründete dies damit, dass die nun verwelkten Kränze keine Zierde mehr gewesen seien und informierten die Witwe, dass die Stadt zwar ein Ehrengrab zur Verfügung gestellt habe, damit aber nicht die Schmückung und Pflege des Grabes verbunden sei. Im September 1941 berichtet der 1. Beigeordnete der Stadt, Pg. Dreher, dem im Felde befindlichen Bürgermeister Dr. Spreng, die Partei beabsichtige für „Pg. Mensch ein großes und künstlerisch gestaltetes Grabmal zu errichten.“ Der Befehl zur Errichtung eines würdigen Denkmals war offensichtlich vom Gauleiter ausgegangen. Dazu sei die Grabstätte an eine andere Stelle des Friedhofes zu verlegen, weil der künftige Platz das Ausmaß von drei Grabstätten umfasse und man müsse sogar das Mauerwerk an dieser Stelle entfernen und eine neue Wasserleitung verlegen. Im Übrigen sei auch die Frage, wer die Kosten zu übernehmen habe, noch nicht geklärt. Dem Brief an Dr. Spreng war eine Planskizze mit dem bisherigen und dem neu geplanten Grab beigelegt. Am 7. Oktober 1941 nahm Bürgermeister Spreng dazu Stellung und <?page no="219"?> 220 Wilhelm Mensch vertrat die Meinung, dass die Grabstätte nicht verlegt werden soll, zumal es ja neben der Grabstätte von Wilhelm Mensch noch zwei freie Plätze gebe. Er schlug vor, einen neuen Entwurf zu machen, um ein Ehrenmal an der jetzigen Grabstätte errichten zu können. Diesem Vorschlag schloss sich der neue Kreisleiter Ernst Bäckert am 23. Oktober 1941 an. Aus dem ursprünglich geplanten „Superehrenmal“ war nun eine „Lightversion“ geworden, die schließlich im Herbst 1942 fertiggestellt war, und zwei Jahre nach dem Tod von Wilhelm Mensch am Totensonntag in Anwesenheit der Kreisamtsleiter, der Ortsgruppenleiter und weiterer Parteigliederungen enthüllt und der Öffentlichkeit von Kreisleiter Bäckert vorgestellt wurde. Auf dem Bild des Überlinger Fotografen Lauterwasser ist ein stelenartiges Denkmal zu erkennen, in das Motive wie der Reichsadler und andere Hoheitszeichen gehauen sind. Anschließend wurden durch den Kreisleiter, die Ortsgruppe der NSDAP und die Stadt Kränze am neu enthüllten Denkmal niedergelegt. In der Tat rückte das Ehrenmal des verstorbenen Kreisleiters immer dann in den Vordergrund, wenn an den typischen NS-Gedenktagen, dem Heldengedenktag im März oder dem Gedenktag für die Opfer der Bewegung, oder am Totensonntag die üblichen Rituale abliefen. Dann wurde meist auch ein Kranz am Grab von Wilhelm Mensch niedergelegt. 49 Die Familie Als Wilhelm Mensch am 16. November 1940 verstarb, hinterließ er seine 54-jährige Ehefrau Frieda sowie den 20-jährigen Sohn Lothar und die 18-jährige Tochter Lieselotte. Sein Sohn Lothar besuchte nach dem Reichsarbeitsdienst im Jahre 1938 seit dem 10. Januar 1940 die Flugzeugführerschule beim Fliegerregiment 32, 1. Kompanie, in Wichsstadel im Adlergebirge im Sudetengebiet, die Tochter befand sich zum Zeitpunkt des Todes von Wilhelm Mensch in der Ausbildung zur Reichsarbeitsdienstführerin im RAD Lager 13/ 85 in Nedlitz. Aufgrund der Tätigkeit von Kreisleiter Mensch als politischer Leiter standen der Witwe Versorgungsbezüge von 279,90 RM pro Monat zu, so dass ein einigermaßen gesichertes Auskommen möglich war. Ihr Sohn Lothar heiratete am 24. April 1944 die aus England 1937 zugezogene sechs Jahre ältere Charlotte <?page no="220"?> 221 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ Jaedicke (geb. 23. Februar 1914 in Mexiko-City). Dieser Ehe entstammte der Sohn Jörg Wilhelm, der Enkel von Wilhelm Mensch, der am 24. November 1944 geboren wurde. Kurze Zeit danach am 12. Januar 1945 erlitt Lothar Mensch als Fahnenjunker-Feldwebel in einem Kampfgeschwader und Träger des EK I und EK II sowie der goldenen Fliegerspange den Fliegertod in Frankreich. Frieda Mensch hatte neben dem Ehemann nun auch den einzigen Sohn verloren. Wie viele andere Familien musste sie nach dem Kriege die Einquartierung einer Familie durch das Gouvernement Militaire in ihrem Haus in der Christophstraße 39 hinnehmen. Ihre Tochter Lieselotte diente nach ihrer Ausbildung beim RAD im Markdorfer Krankenhaus, dann im Reservelazarett in Tübingen und beim Deutschen Roten Kreuz in Russland. Charlotte Mensch, geb. Jaedicke, war während des 3. Reichs politisch nicht besonders hervorgetreten. Sie war Mitglied in der NS-Frauenschaft, ebenso wie ihre Schwiegermutter Frieda Mensch. Dass letztere nicht durch eigene politische Tätigkeit belastet war, sah auch der politische Ortsausschuss der Stadt Überlingen im Jahre 1948 so. Charlotte Mensch heiratete später noch einmal. Ihr Sohn Jörg Wilhelm heiratete 1971 und nahm 1972 den Namen der Mutter (Jaedicke) als Nachnamen an. Frieda Mensch starb 1962 im Alter von 76 Jahren in Überlingen. 50 Anmerkungen 1 KAB Generalia 062.59, Spezialia Markdorf 062.59. DBZ vom 18.11.1940. SAÜ D3-2333. SAÜ-Einwohnermeldekartei Wilhelm Mensch. 2 SAÜ D3-2333. DBZ vom 18.11.1940. BR vom 20.11.1940. SAÜ-Einwohnermeldekartei Wilhelm Mensch. 3 SAÜ D3-2333. DBZ vom 18.11.1940. SAÜ- Einwohnermeldekartei Wilhelm Mensch. 4 Wahlvorschlagsliste für die Wahl der Gemeindeverordneten in: „Seebote“ vom 6.11. 1930. Ergebnisse der Wahl: „Seebote“ vom 18.11.1930. Erklärung der NSDAP im „Seeboten“ vom 22.11.1930. Zur Wahl des Stellvertreters des Obmanns siehe DBZ vom 25.4.1931. Den Nationalsozialisten war es mit Fritz Gater aus Mühlhofen gelungen, einen Kandidaten in den Bezirksrat zu entsenden und mit Dr. Albert Spreng, dem nachmaligen Bürgermeister von Überlingen, einen Kandidaten in den Kreistag des Seekreises. Nachweise: „Seebote“ vom 20.11.1930 <?page no="221"?> 222 Wilhelm Mensch 5 „Seebote“ vom 28.11.1930. Das Originalplakat ist erhalten: SAÜ-D3 Best. 399 6 DBZ vom 22.1.1931: Neben Zimmermann stammte auch der in Überlingen bei Versammlungen auftretende Pg. Roth, Mitglied des Landtags, aus Liedolsheim. Das nordbadische Liedolsheim war schon Mitte der 20er Jahre ein Zentrum der NSDAP in Baden. 7 Zur Neubesetzung des Gemeinderats vgl. BR vom 5.5.1933. Der Vorgang der Gleichschaltung ist bestens dokumentiert in: SAÜ-Best. D3-407. Zur Mitarbeit in den Aussschüssen: GÖRLITZER, Artur (Hg.) : Adreßbuch der Nationalsozialistischen Volksvertreter, Berlin, Verlag „Die Deutsche Tat“, 1933, S. 607. 8 Aufforderung Wagners an die badischen Bezirksämter, Schreiben vom 16.3.1933, abgedruckt in: Nationalsozialismus in Überlingen und Umgebung. Materialien. Zusammengestellt von Oswald BURGER, Werner BUX, Walter HUTTER, Hans KLEY und Günther ZIPF, in: Geschichte am See 22, hg. vom Kreisarchiv des Bodenseekreises, Friedrichshafen 1984, S. 37. Zur Reaktion des Zentrums: Vgl. DBZ vom 17.3.1933. Schreiben der Stadt Überlingen an das Bad. Bezirksamt vom 17.3.1933 mit der Nachricht von Dr. Emerichs Antrag auf Versetzung in den Ruhestand, abgedruckt in: Nationalsozialismus in Überlingen, S. 39. Notiz des Landrats von der Einsetzung eines Kommissars für die Stadtverwaltung vom 17.3.1933 in: ebenda S. 40. Offizielle Bestätigung des Innenministeriums vom 20.3.1933, ebenda, S. 41. Schreiben der NS- Ortsgruppe vom 27.3.1933, ebenda S. 43. Zum weiteren Vorgehen gegen Dr. Emerich, ebenda S. 42. Zum Tode Dr. Emerichs: BR vom 1.6.1933. Schreiben der Ortsgruppe der NSDAP mit der Forderung des Rücktritts von Franz Hug vom 22.4.1933, abgedruckt in Nationalsozialismus in Überlingen, S. 45. Absetzung von Franz Hug: BR vom 26.4.1933 und vom 28.4.1933. Zur Wahl des stellvertretenden Bürgermeisters Sailer: Schreiben an das Bezirksamt vom 22.5.1933, abgedruckt in Nationalsozialismus in Überlingen S. 48 und DBZ vom 20.5.1933. Wilhelm Mensch wird als Bürgermeisterstellvertreter durch Gemeinderatsbeschluss vom 14.6.1933 eingesetzt: SAÜ-Best. D3-334. 9 Zum Beispiel am 31.8.1933 bei einer Amtswaltertagung in Bermatingen: BR vom 31.8.1933 sowie bei einer Schlussprobe der Freiwilligen Feuerwehr Überlingen im Oktober 1933: BR vom 31.10.1933. 10 Zur Person Nikolaus Frank: Geb. 29.11.1888 in Leipferdingen, Amt Engen. Kriegsteilnehmer in WK I. Nach dem Krieg Heirat einer Markdorfer Kleinbürgertochter. 1921 Wahl zum Bürgermeister. 1930 Wiederwahl in das Amt des Bürgermeisters: KAB Generalia 052.53. Liste der politisch unzuverlässigen Personen: KAB Generalia 052.53. Auswechselung des Bürgermeisterstellvertreters: DBZ vom 21.3.1933 und BR vom 21.3.1933. Zur Rückkehr Franks: KAB Spezialia Markdorf 062.59. Zur Wiedereinsetzung Franks: DBZ vom 30.5.1933. Zum dienstpolizeilichen <?page no="222"?> 223 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ Verfahren gegen Frank: BR vom 6.6.1933. Zur endgültigen Wiedereinsetzung Franks: DBZ vom 19.8.1933. 11 KAB Spezialia Markdorf 062.59. 12 Zur Mitgliedschaft in insgesamt 27 Vereinen: Rechtfertigungsschrift von Nikolaus Frank anlässlich seiner Wiederwahl 1930. Quelle: Privat. 13 KAB Generalia 052.53. 14 DBZ vom 25.7.1933. 15 „Seebote“ vom 23.3.1934. KAB Spezialia Markdorf 062.59. Zur Person Otto Rettich: Geb. am 1.7.1876 in Markdorf, Kaufmann, Mitglied des Gemeinderats für die Zentrumspartei seit 1922 und Mitglied der Spitalkommission. 1928 Vorsitzender des Verkehrsvereins. 1930 zum Spitalverwalter aus 25 Bewerbern ausgewählt, unter den Bewerbern auch der spätere NS- Gemeinderat und 1. Ortsgruppenleiter der NSDAP Anton Warolli. Die Nationalsozialisten hatten hier also noch eine alte Rechnung zu begleichen. 16 „Seebote“ vom 23.3.1934. 17 KAB Spezialia Markdorf 062.59. DBZ vom 16.5.1934. Abschiedsschreiben an Bürgermeister und Gemeinderat vom 11.5.1934: SAÜ-Best. D3- 334. Verabschiedung von Willi Mensch: BR vom 12. und vom 14.5.1934. Zur Nachfolge im Gemeinderat: BR vom 29.5.1934. Zur Nachfolge als Bürgermeisterstellvertreter: BR vom 23.5.1934. Der neue Bürgermeisterstellvertreter, Gemeinderat Heist, wurde bereits am 11.5.1934 durch Gemeinderatsbeschluss bestimmt: SAÜ-Best. D3-334. Zur neuen Ortsgruppenleitung: SAÜ-Best. D3-2335. 18 „Seebote“ vom 14.12.1934. 19 KAB Generalia 062.59; zur Mitgliedschaft im neu zusammengesetzten Bezirksrat: BR vom 14.11.1936. 20 KAB Spezialia Markdorf 062.59. Dies war jedenfalls das Gehalt, das sein Amtsvorgänger Frank bis 1934 bezog. 21 Zum Werdegang Bürkles: KAB Generalia 052.53. Zum Schriftverkehr Kreisleitung und Bürgermeisteramt Markdorf : KAB Spezialia Markdorf 062.59. Zum weiteren Schicksal Bürkles: KAB Spezialia Markdorf 062.59 und Denkschrift von Bürgermeister Leo Bürkle, Markdorf, über seine Amtstätigkeit bei der Stadtverwaltung Markdorf vom 1.10.1922 bis Ende 1956, von ihm selbst in Druck gegeben. Quelle: Privat, S. 2 f. 22 Vgl. zu diesem Teil der Ausführungen die sehr gute Darstellung bei BOTT, Elke: Alltagserfahrungen 1932-1940 am Beispiel der Stadt Markdorf, in: Markdorf 1932-1940, Geschichte am See 27, hg. vom Kreisarchiv des Bodenseekreises, Friedrichshafen 1986, S. 79 ff. 23 Diese Einschätzung haben Zeitzeugen mir gegenüber schon vor 30 Jahren mehrfach bestätigt. 24 Gehrenberg-Chronik und badische Nachrichten vom 21. Februar 1937 und BR vom 10.4.1937. 25 KAB Generalia 062.59: Brief von Wilhelm Mensch vom 6.2.1937. Vgl. die Darstellung im Artikel „Burk“. Zur Einsetzung als Kreisleiter: BR <?page no="223"?> 224 Wilhelm Mensch vom 12.1.1937. Die Einsetzung zum Gebietsbeauftragten erfolgte am 6.2.1937, BR vom selben Tage. Zur Verabschiedung: 2 Artikel - Offizielle Einladung und Bericht in der BR vom 10.4.1937. 26 Zur geheimen Gemeinderatssitzung: KAB Generalia 062.59. Darin sind ebenso der Brief des Kreisleiters vom 9.6.1937 und der Gemeinde vom 21.6.1937 sowie die Ausstellungsurkunde vom 30.6.1937 enthalten. Bericht von der offiziellen Einsetzung: Bote vom Salemer Tal, Nr. 148 vom 1.7.1937. Zur Person Eugen Grieshaber: Geb. am 23.2.1886 in Stuttgart. Alter 42. Besuch der Real- und Handelsschule Stuttgart, kaufmännische Lehre in einer Großhandelsfirma. Kriegsfreiwilliger in WK I im württembergischen Infanterieregiment 126, dann bei einem württembergischen Gebirgsbataillon. In der Weimarer Republik selbständiger Unternehmer. Seit 1930 Pg. Kreisgeschäftsführer der Partei in Engen, seit 1934 Bürgermeister in Emmingen ab Egg. 27 SAÜ-Einwohnermeldekartei Wilhelm Mensch. 28 Zur Ordensburg Vogelsang: ARNTZ, Hans-Dieter: Ordensburg Vogelsang 1934-1945, in: Jahrbuch des Geschichtsvereins des Monschauer Landes 1989, S. 63-66. Der Aufsatz findet sich auch im Internet unter: http: / / www.hans-dieter-arntz.de/ ordensburg_vogelsang_35-45.html. Abgerufen am 23.7.2012. Das Bild von der Tagung aus dem Bundesarchiv Koblenz trägt die Bildnummer: 146-1985-108-27 A, Ordensburg Vogelsang, Besuch Adolf Hitler, jpg. Im Internet https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ NS- Ordensburg_Vogelsang#/ media/ File: Bundesarchiv_Bild146-1985-108- 27A Abgerufen am 10.11.2018. Zur Fortbildung in Karlsruhe: BR vom 7.6.1934. Die Bemerkung zur Burg Vogelsang in: BR vom 26.5.1937. Zu den Kreisleitertreffen auf der Ordensburg Sonthofen: BR vom 8.4.1939. Der Bericht von Kreisleiter Mensch erschien in der BR vom 4.4.1939. Zur Ordensburg Sonthofen: HAPPEL, Hartmut: NS Ordensburg Sonthofen. Bedeutung für Sonthofen einst und jetzt, Immenstadt 2012. Die ältere Ausgabe von 2006 ist vergriffen. 29 Als Beispiele seien genannt: KAB Generalia 062.59, Schreiben vom 19.3.1938: Mensch empfiehlt als 2. Beigeordneten für Markdorf Werner Blezinger. BR vom 12.7.1938: Berufung zweier Gemeinderäte in Markdorf und BR vom 8.9.1938: Berufung eines Gemeinderats in Meersburg. KAB Spezialia Markdorf 711.23: Schreiben von Kreisleiter Mensch vom 16.12.1937. Mensch bestätigt die Berufung des Albert Gutknecht zum Wehrführer der Markdorfer Feuerwehr. 30 Wilhelm Mensch tritt als Gauredner auf in der Kampagne von 1937 im Dezember und zwar am 3.12.1937 in Homberg, am 4.12.1937 in Billafingen und am 6.12.1937 in Wittenhofen, in der Kampagne 1938 am 8.12. in Nesselwangen. Alle Nachweise: BR vom 30.11.1937 und BR vom 8.12.1938. Zum Besuch der Kreisleitung beim Reichsparteitag in Nürnberg zwei Artikel der BR: vom 16.8.1938 „Für Nürnberg startbereit“ und vom 10.9.1938 „Unsere Seehasen erleben Nürnberg.“ 31 Alle Nachweise in der BR zu den genannten Daten. <?page no="224"?> 225 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ 32 Die Vorgänge sind gut dokumentiert in: Meersburg unter dem Hakenkreuz 1933-1945, hg. vom Museumsverein Meersburg, Meersburg 2011, S. 110 f und S. 236. 33 Der Brief ist abgedruckt in: Nationalsozialismus in Überlingen, S. 137. 34 Zum Auftritt Wagners in Überlingen vgl. BR vom 4.4.1938. Zum Wahlergebnis und zu Wilhelm Menschs Dankadresse: BR vom 12.4.1938. 35 Geburtstagswünsche der BR vom 18.2.1939. Zu den beiden Fastnachtsveranstaltungen: BR vom 21.2.1939: Zwei Artikel, einer zu Überlingen, einer zu Markdorf. Zur Einladung in seine Sprechstunde: BR vom 5.2.1937. Die Einhaltung der Sprechstundenzeiten wird gefordert in einem Artikel der BR vom 18.12.1937. Das Zitat Moltkes steht in einem Aufruf von Wilhelm Mensch an die Überlinger Nationalsozialisten in der BR vom 31.12.1937. 36 Das Zitat stammt wörtlich aus dem von Wilhelm Mensch verfassten Artikel in der BR vom 3.6.1939. Parallel zu Überlingen fand auch in Stockach ein Kreisparteitag statt: Artikel aus der BR vom 5.6.1939, der bei RATH- KE, Hartmut: Stockach im Zeitalter der Weltkriege, Bd. 123 der Hegau- Bibliothek, Konstanz 2004, S. 216 abgedruckt ist. 37 Zur Rechnung der Stadt an die Partei: SAÜ-Best. D3-2316. 38 Der Ablauf des Kreisparteitages wurde rekonstruiert nach Artikeln der BR vom 31.5.1939, vom 1.6.1939, vom 2.6.1939, vom 3.6.1939 vom 5.6.1939, vom 6.6.1939 und vom 7.6.1939. Dass Wilhelm Mensch das Abschreiten der Front liebte, zeigt ein Artikel über die Schulung der politischen Leiter in Pfullendorf in BR vom 28.2.1939, wo er auch einen kurzen Uniformappell abhielt. Seine Beförderung zum Leutnant der Landwehr ist erwähnt in einem Artikel der DBZ vom 18.11.1940 und einem Artikel der BR vom gleichen Tage. 39 SAÜ-Best. D3-1644: Stadt Überlingen-Kriegschronik-Monatsberichte der Dienststellen, August 1939 bis 1942. Spreng hatte als Kandidaten den Arbeiter Karl Bingler und den Architekten Emil Lorenz vorgeschlagen, Mensch schlug Richard Schraube und den Kreisobmann der DAF, Rudolf Weiss, vor. Eingesetzt wurden schließlich Emil Lorenz und Rudolf Weiss: SAÜ-Best. D3-421. 40 Das Eisenbahnunglück von Markdorf ist sehr gut dokumentiert. Das historische Bildmaterial und auch eine Aufnahme des neu erstellten Denkmals sind im Internet zu finden unter Zugunglück-Bürgerwiki Bodensee- http: / / int.bodensee.de.buergerwiki.net/ index.php? title=Zugunglück. Eine gute Zusammenfassung der Ereignisse von RUF, Franz: in: Mitteilungsblatt Kluftern, Nummer 50 vom 14. Dezember 1989, wo auch die Gedenkfeier auf den 22.12.1989 angekündigt ist. Erstmals berichtete die „Bodensee-Rundschau“ am 27.12.1939. Später erschienen im Zehn-Jahresabstand Artikel im „Südkurier“ und in der „Schwäbischen Zeitung“, verstärkt natürlich zum 50. Jahrestag der Ereignisse im Jahre 1989, so am 22.12.1989 in der „Schwäbischen Zeitung“ und am 23.12.1989 im „Südkurier“. Darüber hinaus gibt es einen Sonderdruck: Die Gedenkstätte des <?page no="225"?> 226 Wilhelm Mensch Eisenbahnunglücks bei Markdorf, zum 50. Jahrestag 22.12.1989, hg. von der Stadt Weil am Rhein. Des Weiteren: CAESAR, Bernd: 100 Jahre Eisenbahn und Gasthof am Bahnhof in Kluftern, in: Klufterner Hefte Nr. 4 des Arbeitskreises Heimatgeschichte Kluftern e.V. von 2001. Das Zitat aus Wagners Trauerrede stammt aus: BR vom 27.12.1939. Die gerichtliche Aufarbeitung und die Bestrafung der beiden Bahnbeamten wird in der BR vom 5.7.1940 geschildert. 41 Der Artikel „Kreisleiter und Landrat“ ist abgedruckt in: BR vom 19.1.1940. Die Zitate stammen aus diesem Artikel. Das Zitat des Landrats stammt aus einem Artikel der BR über eine Bezirkstagung der Bürgermeister vom 17.2.1937. Zur Ernennung der Mitglieder des Kreisrates: KAB, Best. 013.01-8d- Berufung der Kreisräte. Zur Person von Landrat Dr. Maier: Geb. am 11.5.1886 in Löffingen, gest. 19.06.1962 in Tuttlingen. Jurist. Studium in Freiburg, Mitglied in der Burschenschaft Alemannia. 1. Jurist. Staatsprüfung 1910, 2. 1917. Promotion 1913. Eintritt in die bad. Innenverwaltung 1917. 1920 Amtmann im BA Lörrach, 1922 in Offenburg. 1923 beteiligt am passiven Widerstand gegen die Ruhrbesetzung. Verurteilt durch ein franz. Militärgericht. Gefängnishaft im Strafgefängnis Mainz vom 15.2.1923 bis 24.1.1924. Seit 9.5.1924 Regierungsrat am Bezirksamt Überlingen. 1932 Landrat in Pfullendorf, seit 1934 Landrat in Überlingen. Eintritt in die NSDAP 1933. 1940 zeitweise Landeskommissar in Mühlhausen/ Elsaß. Im Frühjahr 1945 von den Besatzungsbehörden suspendiert, am 15.6.1945 entlassen. Endgültiger Ruhestand 1949. Siehe auch: Die Amtsvorsteher der Oberämter, Bezirksämter und Landratsämter in Baden-Württemberg 1810 bis 1972, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft der Kreisarchive beim Landkreistag Baden- Württemberg, Stuttgart 1996, S. 396. 42 Wilhelm Mensch trug sein Referat anlässlich einer Feierstunde von NS- Frauenschaft, Deutschem Frauenwerk, DAF und Deutschem Roten Kreuz vor: Bericht in der BR vom 6.7.1940. Darin auch die Zitate. Das zweite Mal hielt er diesen Vortrag vor den HJ-Führern der Gebietsführerschule des Gaues Baden in der Jugendherberge Überlingen. Dort trug auch Kreisleiter Woll vor. Über beide berichtete die BR am 11.7.1940. 43 Zu den Feierlichkeiten in Pfullendorf: Artikelserie in der BR vom 20.9.1940, vom 21.9.1940 und vom 30.9.1940. Das Zitat von Wilhelm Mensch stammt aus dem Artikel vom 30.9.1940. 44 Von den Feierlichkeiten am 5.10.1940 in Überlingen existiert ein Programm: Schreiben der NSDAP-Ortsgruppe an die Stadt Überlingen vom 2.10.1940: SAÜ-Best. D3/ 2323. Die „Bodensee-Rundschau“ berichtete erstmals am 5.9.1940, wo auf das 10-jährige Bestehen hingewiesen wurde, sodann am 3.10.1940, wo das Programm für die Feier angekündigt wird. Am 4.10.1940 erfolgte ein Hintergrundbericht, am 5.10.1940 nochmals die Ankündigung der Feierlichkeiten und am 7.10.1940 und vor allem am 8.10.1940 erfolgte der Bericht über die Großkundgebung im „Rabensaal“ <?page no="226"?> 227 Ein Nationalsozialist der „alten Garde“ mit den Redeauszügen. Die Zitate aus der Rede Oexles sind aus dem Bericht vom 8.10.1940. 45 Der Vorgang ist dokumentiert bei BOTT: Alltagserfahrungen, S. 102. Das Schreiben des Kreisleiters vom 17.10.1940 stammt aus dem Stadtarchiv Markdorf: SAM-9/ 1/ 56 und ist vollständig abgedruckt bei BOTT, S. 141 f. Zum „Bromberger Blutsonntag“: CONZE, Eckart / FREI, Norbert / HAYES, Peter / ZIMMERMANN, Moshe: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010, S. 223. Das Zitat S. 223. Schon 1938 hatte die Botschaft vergeblich davor gewarnt, durch die Instrumentalisierung der deutschen Minderheit in Polen, Verhaftungen zu provozieren. Zum Zustandekommen der Zahl von 58000 ermordeten Volksdeutschen, S. 225. 46 Über den Tod des Kreisleiters liegen folgende Unterlagen vor: SAÜ- Best. D3-2333. SAÜ-Best. D3-1644- Kriegschronik-Monatsberichte der Dienststellen: Eintrag vom 16.10.1940 sowie SAÜ- Kriegsmonatsberichte des Bürgermeisters vom 25.08.1939 bis 30.6.1945: Eintrag vom November 1940. An Presseartikeln zum Tode von Wilhelm Mensch liegen vor: BR vom 18.11.1940, DBZ vom 18.11.1940, BR vom 19.11.1940 mit den Todesanzeigen und den Anordnungen der Kreisleitung zum Ablauf der Trauerfeierlichkeiten, BR vom 20.11.1940 mit einem Porträt des Kreisleiters. Großer bebilderter Artikel in der BR vom 21.11.1940 mit dem Bericht über die Trauerfeierlichkeiten und BR vom 22.11.1940 mit einem Bericht von der Sondersitzung des Stadtrats vom 21.11.1940. 47 SAÜ- Best. D3-2333 und BR vom 22.11.1940. 48 Alle Zitate aus dem Artikel in der BR vom 20.11.1940: „Unser Kreisleiter Willi Mensch - Bekenntnis und Abschied.“ 49 SAÜ-Best. D3-2333. Darin sind alle genannten Details enthalten. Der Bericht von der Enthüllung des Ehrenmals mit Fotografie des Studios Lauterwasser ist abgedruckt in: BR vom 24.11.1942. Dort ist auch vermerkt, dass die Errichtung eines würdigen Grabmals auf einen Befehl des Gauleiters zurückging. Einen Vorbericht gab es bereits am 23.11.1942. Der BR vom 9.11.1943 ist zu entnehmen, dass auch am Grabmal von Kreisleiter Mensch ein Kranz niedergelegt wurde. Gleiches erfolgte am 31. Januar 1943 anlässlich der Feiern zur zehnjährigen Wiederkehr der Machtübernahme: BR vom 1.2.1943. Schon am 9.11.1941 wurden am Grab von Seiten der Stadt und der Kreisleitung Kränze niedergelegt: BR vom 6.11.1941, wo dies angekündigt wird. 50 Zu den persönlichen Daten: SAÜ-Einwohnermeldekartei, Karten von Wilhelm, Frieda, Lothar, Lieselotte, Charlotte und Jörg Wilhelm Mensch. Die Versorgungsbezüge für Frieda Mensch wurden aus dem Einkommen von Kreisleiter Wilhelm Mensch berechnet: Ihm standen 530 RM monatlich an Einkünften zu: BAB- PK I 38 367, Schreiben vom 26. Mai 1941. Zum Tode von Lothar Mensch: SAÜ- Kriegsmonatsberichte des Bürgermeisters: Eintragung vom 5.3.1945. Außerdem Artikel der BR vom 5.3.1945. Zur Einquartierung der Familie Hardenberg im Hause <?page no="227"?> 228 Wilhelm Mensch von Frieda Mensch: SAÜ Best. D3-2049- Freigabe von Wohnungen seit 1. Nov. 1947. Hinter dem Namen Charlotte Luise Mensch, geb. 1914 in Mexico-City, verbirgt sich eine interessante Personalie: Ihre Familie war am 15.9.1937 von England kommend nach Überlingen zugezogen. Ihr Vater Hans Jaedicke, geb. am 16.8.1864, war Vertreter der A.G. für Anilinfabrikation in Berlin in Mexico City: Adressbuch der Deutschen im Ausland; 1. Band Südamerika, Berlin 1934, Eintrag Johann Jaedicke. Hans Jaedicke war außerdem Ehrensenator der Technischen Hochschule Berlin: TUB_VV_1943_1944.pdf. Abgerufen am 10.11.2018: Liste der Ehrensenatoren: Jaedicke, Hans, Kaufmann, Überlingen am Bodensee. Er war außerdem im Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Studienjahr 1937-1938 verzeichnet als Jaedicke Hans, Kaufmann, Überlingen am Bodensee. Vgl. dazu: http: / / ubsrvgoobi2.ub.tu-berlin.de/ viewer/ resolver? .urn-urn: nbn: de: kobv: 83-goobi-24925 Abgerufen am 11.10.2018. Zu seinem 80. Geburtstag am 16.8.1944 erschien ein Artikel in der BR vom 16.8.1944. Zur politischen Einschätzung von Frieda Mensch durch den Ortsausschuss Überlingen: SAÜ-Best. D3-2224, Protokoll vom 23.7.1948. <?page no="228"?> 229 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Kreisleiter Ernst Bäckert - Kommissarischer Kreisleiter in Überlingen vom 1.2.1940 bis 1.6.1942, Kreisleiter vom 1.6.1942 bis 13.1.1945 Ernst Bäckert wurde am 26. Januar 1899 in Wiechs (heute Stadtteil von Schopfheim) im badischen Bezirk Lörrach als Sohn des gleichnamigen Ernst Bäckert (1872-1955) und dessen Ehefrau Lina, geb. Jost (1876- 1951), geboren. Die Eltern heirateten 1898 in Schopfheim. Sie hatten fünf Söhne, einer von ihnen starb drei Wochen nach der Geburt. Ernst Bäckert, der älteste Sohn, besuchte die Volksschule und anschließend für vier weitere Jahre die Mittelschule und begann nach der Schulentlassung 1913 eine Ausbildung als Wäscherei-Lehrling. Im selben Jahr verzog Ernst Bäckert sen., der bisher als Gastwirt und Metzger in Wiechs tätig war, nach Stetten am kalten Markt, wo er als Magazinverwalter auf dem Truppenübungsplatz Heuberg angestellt war. 1920 ließen sich Ernst Bäcker sen. und seine Ehefrau scheiden. Während die jüngeren Brüder bei der Mutter blieben, folgte Ernst 1915 seinem Vater auf den Heuberg. Dort wurde er während des 1. Weltkriegs 1915 zum Proviantamtslager auf dem Heuberg hilfsdienstverpflichtet. Im Alter von 18 Jahren wurde Ernst Bäckert im Juni 1917 noch als Soldat eingezogen und im Frühjahr 1919 wieder aus der Wehrmacht entlassen. Danach besuchte er die höhere Handelsschule in Calw, allerdings ohne die Abschlussprüfung dort abzulegen. Nach seiner Rückkehr nach Stetten nahm er 1921 die Stelle des Verwalters des Kindererholungsheims auf dem Heuberg an, wo er bis 1933 tätig war. Wie sein Vater war Ernst Bäckert sehr musikalisch und leitete von 1924 bis 1934 die Feuerwehrmusikapelle Stetten am kalten Kreisleiter Ernst Bäckert am 3.6.1939 <?page no="229"?> 230 Ernst Bäckert Markt, die vorher sein Vater seit 1913 betreut hatte. Auch nach seinem Ausscheiden förderte er die Kapelle und wurde zum Ehrendirigenten ernannt. Von seinem Vater übernahm Ernst Bäckert 1931 auch das Amt des Feuerwehrkommandanten der Gemeinde Stetten. In dieser Zeit (1925 oder 1926) heiratete Ernst Bäckert die aus Wangen auf der Höri im Landkreis Konstanz stammende Romana Hangarter (geb. am 16. März 1900). Ihr erster Sohn, Kurt Bäckert, wurde am 3. September 1926 in Stetten geboren, der zweite Sohn Horst am 19. Juni 1932 ebenfalls und die Tochter Irmtraud am 13. Juli 1934 in Meßkirch. 1 Im Jahre 1930 trat Ernst Bäckert der NSDAP bei, nach Angaben der „Bodensee-Rundschau“ im Monat Juli (Mitglied Nr. 359 223), was durchaus Sinn macht, denn am 14. September 1930 wurde in Stetten eine Ortsgruppe der NSDAP mit elf Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen, darunter auch Ernst Bäckert, der zum ersten Ortsgruppenleiter ernannt wurde. Am 22. September 1940 feierte die Ortsgruppe ihr zehnjähriges Bestehen. Dazu kam seit dem April 1932 auch ein zehnköpfiger SA-Trupp in Stetten. Nach den Angaben von Helmut Weißhaupt, der die Entwicklung der NSDAP in Meßkirch bis 1934 untersuchte, wurde dort am 4. Oktober 1930 in der Bahnhofswirtschaft eine Ortsgruppe der NSDAP gegründet. Als Mitbegründer, sozusagen als Hilfe von auswärts, traten ein Pg. Fuchs aus Singen und der Kreisleiter von Konstanz und spätere Gauinspekteur Speer aus Güttingen bei Radolfzell auf. Nach Weißhaupts Unterlagen wurde der Ortsgruppenleiter Ernst Bäckert aus Stetten an diesem Tag zum Kreis-/ Bezirksleiter des Bezirks Meßkirch eingesetzt, während Alfred Ramsperger die Leitung der Ortsgruppe übernahm. Die Bodensee-Rundschau nannte am 13. Juni 1942 in einem Artikel als Zeitpunkt der offiziellen Ernennung Bäckerts zum Bezirksleiter durch den badischen Gauleiter Robert Wagner den 1. November 1930. Als Kreisleiter trat Bäckert auch bei den im November 1930 stattfindenden Bezirks- und Kreiswahlen zusammen mit zwei anderen Stettener Nationalsozialisten für die NSDAP an, die Partei konnte jedoch keinen Sitz erringen. Als fanatischer Kämpfer für die Partei bewährte sich Bäckert in zahlreichen Versammlungen in seinem neuen Bezirk und auch außerhalb, so beispielsweise bei einer Saalschlacht mit der „Kommune“ im württembergischen Ebingen. 2 <?page no="230"?> 231 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Bürgermeister in Stetten am kalten Markt Am 16. November 1930 trat Bäckert bei den Gemeinderatswahlen in Stetten für die Wählergruppe „Für sparsame Verwaltung“ an, obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon Parteimitglied der NS- DAP war. Deswegen kritisierte Albert Zimmermann, der verantwortliche Redakteur des Meßkircher Zentrumsblattes „Heuberger Volksblatt“, Bäckert und seine Wählergruppe wagten es nicht „mit der richtigen Firma“ in den Wahlkampf zu ziehen. Diese Kritik Zimmermanns und sein hartnäckiger Kampf gegen Bäckert und die Nationalsozialisten im Bezirk, führten dazu, dass er kurz nach der Machtergreifung in Schutzhaft genommen wurde und später ins neu geschaffene KZ Heuberg eingeliefert wurde. Bäckert wurde für seine Wählergruppe in den Gemeinderat gewählt. Die strukturschwache Gemeinde Stetten war immer stark von dem auf dem Heuberg schon zu Kaisers Zeiten betriebenen Truppenübungsplatz abhängig. Dort gab es Arbeitsplätze in der Standortverwaltung, Zulieferungsmöglichkeiten für das örtliche Gewerbe und Aufträge für das heimische Handwerk. Gerade in den 1920er Jahren zeigte sich dies deutlich, als das Lager durch ein Kindererholungsheim bis 1932 gepachtet war und es erst nach langwierigen Verhandlungen gelungen war, das Kinderheim dazu zu bewegen im Winter 1925/ 26, einen Teil der Baracken wieder zur Belegung mit Truppen freizugeben. Als sich im März 1933 die Hinweise immer mehr verdichteten, dass in Stetten ein Konzentrationslager errichtet werden sollte, fand dies begeisterte Zustimmung unter den Einheimischen. Der Stettener Kaplan Neuhäuser kommentierte am 31. März 1933 die Haltung vieler Stettener Bürger: „Es sieht so aus, als ob die Einrichtung des Konzentrationslagers nicht nur vorübergehender Art sein wird, wie man anfangs sagte. In Stetten ist man zur Zeit begeistert, man verspricht sich einen Aufschwung vor allem des Handwerkerstandes und der Betriebe.“ 3 Das Lager wurde am 15. März 1933 eröffnet und unterstand dem württembergischen Innenministerium, speziell dem Stuttgarter Polizeipräsidenten, der bei der Eröffnung ebenso anwesend war wie der erste Kommandant des Lagers, Major a.D. Max Kaufmann. 4 Noch im März forderte das Bürgermeisteramt Stetten einheimische Geschäftsleute auf, der Gemeinde mitzuteilen, ob Interesse bestehe, Lebensmittel an das „Zentralhaftlager“ zu liefern. <?page no="231"?> 232 Ernst Bäckert In diesem Zusammenhang muss auch die Neubesetzung des Bürgermeisteramtes in Stetten gesehen werden. Für Ende März 1933 war durch das Badische Bezirksamt Meßkirch eine Bürgermeisterwahl in Stetten angesetzt worden, die aber nicht mehr durchgeführt wurde, weil dies das Badische Innenministerium untersagte. Der bisherige Amtsinhaber Fidel Graf wollte nicht mehr zur Wahl antreten. Schon im Vorfeld des Wahlkampfs hatte sich Ernst Bäckert, der seit 1930 auch im Gemeinderat saß, um die Nachfolge Grafs eindeutig als Vertreter eines nationalen Kurses positioniert und darauf hingewiesen, dass er das Vertrauen des Reichsstatthalters und Gauleiters von Baden, Robert Wagner, besitze. Unterstützt wurde er dabei vom örtlichen Gewerbeverein, weil man Bäckert im Zusammenhang mit den Gerüchten um die Neuverwendung des Truppenübungsplatzes am ehesten zutraute, die wirtschaftlichen Interessen der Gemeinde deutlich zu vertreten. Das Kindererholungsheim, in dem sich immer weniger Kinder befanden, störte jedoch die Pläne Bäckerts und des Gewerbevereins, dafür zu sorgen, dass der Truppenübungsplatz wieder mit Truppeneinheiten belegt wurde. Deswegen begannen Bäckert und seine Anhänger, seinen bisherigen Arbeitgeber seit 1921, öffentlich zu diffamieren und titulierten das Kindererholungsheim als „marxistischen Kindererholungsfürsorgeverein“. Da die Amtszeit des bisherigen Bürgermeisters Graf ohnehin zum 1. Mai auslief, übergab dieser am 25. April die Dienstgeschäfte an Ernst Bäckert, der am 1. Mai kommissarisch mit dem Amt betraut wurde. Am 31. Mai 1933 verkündete die „Karlsruher Zeitung“, die gleichzeitig als badischer Staatsanzeiger fungierte, dass Ernst Bäckert mit 354 Stimmen zum Bürgermeister gewählt wurde und seine beiden Gegenkandidaten zusammen 316 Stimmen erhielten. Die im März 1933 noch vom Badischen Innenministerium untersagte Wahl war jetzt im Mai 1933 also doch noch durchgeführt worden, nachdem man sicher sein konnte, dass der nationalsozialistische Kandidat Ernst Bäckert eine Mehrheit erringen würde. Im Rahmen der Gleichschaltung zog Bäckert zu diesem Zeitpunkt auch in den Rat des Kreises Konstanz ein, der die Bezirke Meßkirch, Stockach, Engen, Konstanz, Pfullendorf und Überlingen umfasste. 5 Trotz Bäckerts intensiver Bemühungen mithilfe des badischen Gauleiters Wagner wieder Truppen auf das Stettener Übungs- <?page no="232"?> 233 „Ein allseits gefürchteter Mann“ gelände zu bringen, scheiterte dieser Plan. Stattdessen wurde am 15.3.1933 das Konzentrationslager Heuberg eröffnet. Obwohl im April 1933 das Schutzhaftlager Stetten schon zehn Bauten des ehemaligen Truppengeländes belegt hatte und sich dort etwa 1900 Häftlinge vor allem aus Württemberg befanden, die von 500 als Hilfspolizisten eingesetzten SA-Leuten und 60 Ulmer Polizisten bewacht wurden, erfüllten sich die Hoffnungen der Stettener Gewerbetreibenden nicht, da für die Lebensmittelversorgung im Lager fast ausschließlich württembergische Lieferanten bevorzugt wurden. Besser stand es um den anderen Teil des Truppengeländes, wo ein SA-Schulungslager eingerichtet wurde, und Bürgermeister Bäckert stolz verkünden konnte, dass der SA-Gruppenführer Südwest, Ludin, die Anweisung erteilt hatte, in erster Linie die ansässige Geschäftswelt beim Einkauf zu berücksichtigen. Ende Mai 1933 erhielt das Stettener Bürgermeisteramt durch das Bezirksamt Meßkirch die Mitteilung, dass künftig auch etwa 150 Schutzhäftlinge aus Baden ins Schutzhaftlager Stetten verlegt werden sollten und gemäß einer Vereinbarung des badischen Innenministeriums mit den württembergischen Behörden die Lagerkommandantur verpflichtet wurde, entsprechend dem badischen Anteil an Schutzhäftlingen und Wachmannschaften auch Lebensmittel aus Stetten zu beziehen. Doch trotz dieser Regelungen verbesserte sich die Situation für die Stettener so gut wie gar nicht, was Bäckert dazu veranlasste, sich mehrmals an die Lagerleitung zu wenden - allerdings ohne Erfolg. Deshalb setzte er sich im Juli 1933 auch mit Gauleiter Wagner in Verbindung. Eine Verbesserung trat im November 1933 ein, als das Wehrkreisverwaltungsamt V in Stuttgart eine Bitte des badischen Gauleiters aufgriff, badische Unternehmen bei der Arbeitsvergabe auf dem Truppenübungsplatz zu berücksichtigen. In einer Hinsicht profitierte vor allem das Hoch- und Tiefbauunternehmen Bertazzon & Kurz aus Stetten vom Schutzhaftlager, weil diesem 500 Schutzhäftlinge zum Straßenbau zur Verfügung gestellt wurden. Mit der Auflösung des Schutzhaftlagers am 23. Dezember 1933 kamen die badischen Gefangenen nach Ankenbuck bei Bad Dürrheim und die württembergischen auf den Oberen Kuhberg bei Ulm. Die SA-Ausbildungsschule blieb zunächst bestehen und im Frühjahr 1934 stand die Belegung des Truppenübungsplatzes <?page no="233"?> 234 Ernst Bäckert mit Reichswehrverbänden an. Die Gemeinde feierte dies mit einem Volksfest in der Hoffnung, dass jetzt endlich der gewünschte wirtschaftliche Aufschwung kommen möge. Ernst Bäckert hatte zu diesem Zeitpunkt Stetten bereits verlassen und sein Bürgermeisteramt mit dem des Meßkircher Bürgermeisters Adolf Wendling zum 1. April 1934 getauscht. Für Bäckert wurde es dadurch um einiges leichter, sein Amt als Kreisleiter mit dem des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Meßkirch zu verbinden, da sich die Geschäftsstelle der Kreisleitung ebenso wie das Bezirksamt ohnehin in Meßkirch befanden. Adolf Wendling amtierte in Stetten bis zum August 1938 und wurde danach zum Bürgermeister in Stockach ernannt. Wozu Ernst Bäckert im Umgang mit seinen politischen Gegnern fähig war, sollten diese bald erfahren: Neben seinem Erzfeind, dem Redakteur des „Heuberger Volksblattes“, Albert Zimmermann, brachte er den Stettener Hilfsarbeiter Ernst Dreher, der die neuen Machthaber in betrunkenem Zustand als „Kappennazis“ beschimpft haben soll, ins nahegelegene, neu errichtete Konzentrationslager Heuberg. Zwei weitere Stettener Bürger, die Kommunisten Philipp Mogg und Johann Riester, waren dort schon zuvor inhaftiert worden. Anderen missliebigen Mitbürgern drohte er Schutzhaft und Einlieferung ins nahegelegene KZ an. 6 Bürgermeister von Meßkirch Der Tausch der Bürgermeisterstellen zwischen Wendling und Bäckert hatte eine Vorgeschichte in der Wahl des Kaufmanns Wendling zum Bürgermeister in Meßkirch. Nach dem Rücktritt des langjährigen Bürgermeisters Johann Weißhaupt am 31. August 1930 war eine Neuwahl nötig geworden. Da in Baden die Bürgermeister von den Gemeinderäten und den Gemeindeverordneten gewählt wurden, schlossen sich die Meßkircher Liberalen, Demokraten und Sozialdemokraten zu einem „Großblock“ zusammen, um den Kandidaten der DDP, Adolf Wendling, zu unterstützen. Damit zeichnete sich ab, dass bei der Gemeinderatswahl im November 1930 eine Mehrheit für Wendling zusammenkommen würde, was schließlich auch durch das Bürgervotum bestätigt wurde. Wendling wurde gewählt und trat zum 31. Januar 1931 seinen <?page no="234"?> 235 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Dienst an. Auch die Nationalsozialisten hatten ihre Wähler aufgerufen, für den Großblock zu stimmen, da sie zu schwach besetzt waren, um mit einer eigenen Liste antreten zu können. Damit wurde eine Wahl des Zentrumskandidaten Neudecker aus Pforzheim verhindert, was den Redakteur der Meßkircher Zentrumszeitung „Heuberger Volksblatt“ zu wütenden Reaktionen veranlasste: Liberale und Sozialdemokraten waren für ihn gleichzusetzen mit Kommunisten und als auch die NSDAP zur Unterstützung Wendlings aufrief, war dies für ihn ein „Bündnis von Nationalsozialisten und Kommunisten“. Zimmermann hatte sich vor allem darüber aufgeregt, dass im katholischen Meßkirch erneut ein protestantischer Bürgermeister gewählt wurde. 7 Wie zerstritten die NS-Bewegung im Bezirk und in der Stadt Meßkirch selbst war, zeigen zwei Vorfälle, in deren Mittelpunkt auch Kreisleiter Bäckert stand. Gegen Ende des Jahres 1933 wagten einige Meßkircher Parteigenossen den Aufstand gegen den herrisch auftretenden Bäckert. Zu den Verschwörern zählten der NS-Gemeinderat Karl Gommeringer, der Zahnarzt Rockus Itta, selbst Parteimitglied seit 1930, der Krumbacher Ortsgruppenleiter Arthur Müller und einige weitere Parteimitglieder. Als Bäckert von der Geschichte Wind bekam, ließ er seine Kontrahenten sofort verhaften und im Stockacher Gefängnis in Schutzhaft nehmen und konnte somit die Revolte im Keim ersticken und seine Macht sichern. Möglicherweise war auch dies ein Grund, im März 1934 die Bürgermeisterstelle in Meßkirch anzunehmen, um seine Stellung vor Ort abzusichern. In einem zweiten Fall legte sich das Gründungsmitglied der Meßkircher NS-Ortsgruppe, Reinhold Kern, mit Kreisleiter Bäckert und Ortsgruppenleiter Adolf Ramsperger an. Kern hatte 1928 die Schuhfabrik Löffler & Wolf in der Igelswieser Straße erworben und darin eine Zeit lang eine Wäschefabrik betrieben. Dabei verschuldete er sich, zahlte keine Steuern mehr und schließlich wurde eine Zwangsversteigerung angesetzt. Die Stadt hoffte, die ehemalige Fabrik für weitere Firmenansiedlungen günstig erwerben zu können. Kreisleiter Bäckert und die örtliche NSDAP unterstützten das Ansinnen der Stadt, was zu wütenden Angriffen Kerns gegen Bäckert und Ortsgruppenleiter Ramsperger führte. Außerdem prozessierte Kern gegen die Stadt. In seiner Wut schickte er Beschwerdebriefe über Bäckert und Ramsperger an Gauleiter Wagner in Karlsruhe <?page no="235"?> 236 Ernst Bäckert und im August 1933 auch an Adolf Hitler. Als darauf keine Antwort erfolgte, versuchte er gar über Hitlers Halbschwester Angela (Geli) Rauball an den Führer heranzukommen. Aber auch dieser Versuch blieb erfolglos. Ernst Bäckert reagierte auch in diesem Fall ziemlich brutal. Er zitierte Kern aufs Meßkircher Rathaus und drohte dem Parteifreund an, ihn ins Konzentrationslager Heuberg zu bringen. In einem Brief an die Gauleitung in Karlsruhe brachte nun Bäckert seinerseits seine Wut zum Ausdruck und sprach „[…] von Elementen in Meßkirch, die unbedingt ausgerottet werden […]“ müssten. Letztendlich wurde Kern aus der Meßkircher Ortsgruppe ausgeschlossen und die Firma zwangsversteigert. Beide Vorfälle zeigen, dass Ernst Bäckert zur Sicherung seiner Macht bereit war, bis zum Äußersten zu gehen. Die Methode, Gegnern mit Schutzhaft oder Konzentrationslager zu drohen, sollte er in seiner weiteren Karriere noch diverse Male anwenden. Auch sein herrisches Auftreten legte er an seinen weiteren Stationen als Kreisleiter nicht ab. Darüber hinaus war er ein glühender Antisemit. Seinen Judenhass, der später auch in seiner Zeit als Kreisleiter von Stockach eine gewisse Rolle spielen sollte, äußerte er schon im Juli 1935 anlässlich einer Kreistagung der NSDAP beim Gasthaus Neumühle im Donautal: „Kreisleiter Bäckert kam dann auf die Judenfrage zu sprechen. Auch hier hat die Partei ihre klare Haltung: ‚Der Jude ist unser Unglück‘ - aus dieser Erkenntnis sind von jedem die entsprechenden Folgerungen zu ziehen. Es ist unverständlich, wenn es Parteigenossen geben sollte, die mit Juden Geschäfte tätigen. Ferner müssen wir von allen Beamten unbedingt verlangen, daß sie Judengeschäfte meiden. Die Rassenfrage ist ein Bestandteil der nationalsozialistischen Weltanschauung.“ Helmut Weißhaupt bezeichnet ihn zu Recht als „Scharfmacher“, nach dessen Wegzug aus Meßkirch ab 1936 eine gewisse Ruhe einkehrte. 8 Als Ernst Bäckert zum 1. April 1934 seinen Dienst in Meßkirch antrat, war dort wie überall im Reich der Vorgang der Gleichschaltung der Verwaltungen und der Vereine bereits abgeschlossen. Letztere fügten sich im Regelfall und erklärten sich bereit, dem nationalen Aufbau treu zu dienen. Eine kleine Ausnahme gab es bei der Meßkircher Feuerwehr, die im Juli 1933 noch von dem Zentrumsgemeinderat Reinauer als Kommandanten angeführt wurde. Beim Kreisdelegiertentag der Freiwilligen Feuerwehren in Stockach scherte die Meßkircher Feuerwehr aus dem Umzug ins <?page no="236"?> 237 „Ein allseits gefürchteter Mann“ nächste Gasthaus aus, ohne an der obligatorischen Gefallenenehrung teilzunehmen. Von der NS-Presse wurde dies als mangelnde Unterstützung der NS-Regierung gewertet und wenige Tage später wurde Reinauer seines Amtes enthoben und von der Kreisleitung der NSDAP durch seinen Gemeinderatskollegen Kempf ersetzt. Aber auch Adolf Kempf, der ebenfalls der Zentrumspartei angehörte, blieb nicht lange im Amt und trat im März 1934 zurück. Ohne lange nach einem neuen Kommandanten zu suchen, übernahm Ernst Bäckert dieses Amt. Er war nun also Kreisleiter der NSDAP, Bürgermeister und Feuerwehrkommandant in einem. Zum stellvertretenden Kommandanten bestimmte er den NS-Gemeinderat und Ortsbauernführer Anton Weißhaupt, der nach Bäckerts Wechsel in die Kreisleitung Stockach 1936 das Amt des Feuerwehrkommandanten übernahm. 9 Obwohl der Meßkircher Bürgermeister Adolf Wendling 1930 als Kandidat der DDP ins Amt gekommen war, hatte er den Vorgang der Machtergreifung und Gleichschaltung zunächst schadlos überstanden. Allerdings waren auch gegen ihn von verschiedener Seite Vorwürfe laut geworden. Er galt als politisch nicht zuverlässig, zumal er bis Januar 1934 noch nicht vollwertiges NSDAP Mitglied war. Die vorgebrachten Anschuldigungen wurden aber vom Landeskommissär in Konstanz sowie von Gauinspekteur Speer und Kreisleiter Bäckert „[…] als persönliche Gehässigkeiten und egoistische Absichten […]“ der Beschwerdeführer gewertet und noch am 31. Januar 1934 bestätigte das badische Innenministerium, „[…] dass im Übrigen keine Gründe vorliegen, den Bürgermeister zu entfernen.“ 10 Dass Wendling dann zum 1. April 1934 plötzlich doch sein Amt mit Kreisleiter Bäckert tauschen musste, dürfte in erster Linie mit Bäckerts persönlicher Situation zu tun haben. Seine Frau Romana war zu diesem Zeitpunkt mit dem dritten Kind schwanger. Die Bürgermeisterstelle in der Stadtgemeinde Meßkirch war besser dotiert (mit 470 RM Monatsgehalt fast doppelt so hoch wie in Stetten) und außerdem bot der Wechsel auch weitere Vorteile: Bäckert konnte seine Tätigkeit als Kreisleiter mit der des Bürgermeisters in idealer Weise verbinden und seine Macht vor Ort sichern. Außerdem ersparte er sich die lästigen Fahrten von Stetten zur Kreisleiterdienststelle in Meßkirch. Weder Bäckert noch Wendling wurden in ihr neues Amt gewählt, sondern auf Anordnung des badischen Innenministerium ernannt, und zwar in beiden Fällen mit dersel- <?page no="237"?> 238 Ernst Bäckert ben Begründung, dass, „[…] die Vornahme einer Wahlhandlung eine Störung der öffentlichen Ordnung oder eine sonstige Schädigung der öffentlichen Interessen befürchten läßt.“ Ernst Bäckert wurde das Bürgermeisteramt zunächst kommissarisch übertragen, im Juli 1935 wählte ihn der Gemeinderat einstimmig und die zuständige Staatsaufsichtsbehörde bestätigte seine Wahl als Bürgermeister von Meßkirch für die Dauer von zwölf Jahren. 11 Das 4. Gesetz zur Durchführung der Gleichschaltung im Land Baden vom Februar 1934 führte zur Auflösung der bisherigen Gemeinderäte und erlaubte dem neuen Bürgermeister in seiner Funktion als Kreisleiter, die ihm genehmen Gemeinderäte gleich mit zu ernennen. In Bäckerts neuem Gemeinderat saßen nun ausschließlich NS-Funktionäre: Der Ortsgruppenleiter und kurzfristig als stellvertretender Kreisleiter eingesetzte Alfred Ramsperger, der auch noch als zweiter Bürgermeisterstellvertreter fungierte, der stellvertretende Ortsgruppenleiter und Kreiswalter der DAF, Otto Dieringer, der zum Bürgermeisterstellvertreter ernannt wurde, der Ortsbauernführer und SA-Rottenführer Otto Weißhaupt, der gleichzeitig stellvertretender Kommandant der Feuerwehr war und nach Bäckerts Abgang 1936 zum neuen Feuerwehrkommandanten aufstieg, der Kreisgeschäftsführer der Partei und Bezirksjugendführer Rudolf Ehrenschneider, der Bäckerts persönlicher Adjutant wurde, sowie der Fabrikant Ernst Hiller, ein Block- und Zellenleiter, der dem Gewerbeverein vorstand und das einfache Parteimitglied Ernst Nabenhauer. Wie schon im Vorjahr als Bürgermeister von Stetten saß Ernst Bäckert jetzt als Bürgermeister von Meßkirch im Konstanzer Kreisrat und vertrat dort außerdem im Ausschuss für die Kreislandwirtschaftsschulen die Schule in Meßkirch. Vor seinem Weggang in Meßkirch wollte Bäckert noch seine Nachfolge als Bürgermeister regeln und setzte den „Alten Kämpfer“ Friedrich Siegel aus Schwetzingen (1900-1945) durch. Als Siegel sich als inkompetent auf dem Bürgermeisterposten herausstellte, wollte Bäckert ihn durch einen Stockacher Parteifreund ersetzen, der wegen Alkoholmissbrauchs und eines „akuten psychogenen Verwirrungszustandes“ schon längere Zeit in einer Anstalt verbracht hatte. 12 <?page no="238"?> 239 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Kreisleiter des neu geschaffenen NS-Kreises Stockach Mit der Gemeindereform aus dem Jahre 1935 wurde im „Dritten Reich“ in allen Kommunen das Führerprinzip eingeführt. Gemeinderäte wurden nicht mehr gewählt, sondern in Absprache mit dem Bürgermeister vom NS-Kreisleiter bestimmt. Für Oktober 1936 war in Baden eine Reform der politischen Bezirke geplant. Dies bedeutete, dass kleinere Bezirke zu einem größeren Amtsbezirk zusammengeschlossen wurden. Bereits im Frühjahr 1936 reagierte die NSDAP auf diese Entwicklung und passte ihre NS-Kreise, die nicht immer identisch mit den Bezirken waren, der politischen Struktur der Amtsbezirke an. So entstand beispielsweise aus den NS-Kreisen Meßkirch und Stockach der neue NS-Kreis Stockach mit Sitz der Kreisleitung in Stockach. Faktisch bedeutete dies aber auch, dass eine Kreisleitung mit dem bisherigen Kreisstab überflüssig wurde. Die Entscheidung, wer Kreisleiter des neu geschaffenen NS-Kreises werden sollte, traf der Gauleiter. Am 11. April 1936 konnten die Bürger von Meßkirch und Stockach in der Bodensee-Rundschau erfahren, dass die beiden Kreise Meßkirch und Stockach zusammengelegt würden und dass Ernst Bäckert zum Kreisleiter des neuen Kreises Stockach mit Sitz in Stockach bestimmt wurde. Der bisherige Kreisleiter Amann von Stockach schied aus dem Amt. Seinen ersten größeren öffentlichen Auftritt hatte der neue Kreisleiter Bäckert in Stockach am 1. Mai 1936 als er die Rede zum Tag der Arbeit hielt, im Beisein von allen örtlichen NS-Formationen. Der Grund, weshalb Bäckert neuer Kreisleiter wurde, war nach Auskunft der Bodensee-Rundschau, dass er der Dienstältere von beiden war. Als im Oktober Stockach auch der Dienstort des Landrats des neuen Bezirkes Stockach-Meßkirch wurde, hatte sich der NS-Kreisleiter bereits in Stockach eingerichtet. Politische Entscheidungen konnten die Landräte jetzt nur noch mit dem vor Ort ansässigen Kreisleiter treffen. Wie wichtig aus Sicht der Partei die Anpassung der neuen NS-Kreise war, zeigt ein Kommentar der Bodensee-Rundschau: „Die Kreise sind die Repräsentanten der Partei und müssen als solche eine der Bedeutung der NSDAP angepaßte Macht darstellen.“ 13 Eine Statistik des Hauptorganisationsamtes der Reichsparteileitung in München zeigt das Ausmaß des neu geschaffenen NS-Kreises Stockach: Ernst Bäckert und sein Kreisleitungsstab hatten nun <?page no="239"?> 240 Ernst Bäckert 34.181 Volksgenossen in insgesamt 59 Gemeinden zu betreuen. Der Kreis reichte von Stetten am kalten Markt auf der Hochfläche der Alb bis nach Bodman und Ludwigshafen am Bodensee und im Westen bis in den Hegau. Sitz der Kreisleitung war das „Haus der NSDAP“, von den Bürgern Stockachs auch als „Braunes Haus“ bezeichnet, ein altes Kaufhaus aus dem Jahre 1737, das zuvor als Kornhaus, Soldatenquartier, Schulgebäude und seit 1930 als Stadtmuseum gedient hatte. Ernst Bäckert und seine Familie wohnten zunächst in der Pfarrgasse, anschließend in der Hauptstraße 11. 14 Eine ziemlich zerstrittene Ortsgruppe und eine unfähige Gemeindeverwaltung In Stockach traf Kreisleiter Bäckert auf eine NS-Ortsgruppe, um deren inneren Zusammenhalt es offensichtlich nicht zum Besten stand. Schon 1934 hatte Ortsgruppenleiter Oskar Schneider beklagt, dass nicht alle PGs die Schulungs-und Sprechabende regelmäßig besuchten und angekündigt, „[…] dass dreimaliges unentschuldigtes Fehlen bei solchen festgelegten Abenden künftig unweigerlich den Parteiausschluß nach sich […]“ ziehe. 15 Selbst 1938 zeigte sich der neue Ortsgruppenleiter Reinhold Baier noch immer ziemlich unzufrieden mit dem Zustand der Ortsgruppe und kritisierte in seinem Bericht an Kreisleiter Bäckert: „Ein volles Vertrauensverhältnis zwischen Partei und Bevölkerung besteht in Stockach m.E. bis jetzt noch nicht. Auch innerhalb der Ortsgruppe selbst sind die Verhältnisse noch nicht ganz ausgeglichen. Die Parteigenossen lassen oft das erforderliche Pflichtgefühl gegenüber den Anordnungen der Partei vermissen, ein Beweis dafür, daß diese Pg. die Grundsätze des Nat.-Soz. noch nicht begriffen haben, vielleicht auch nicht begreifen wollen. Auch mit den Pg., die zuletzt in die Partei aufgenommen worden sind, wurden keine guten Erfahrungen gemacht.“ 16 Diese internen Urteile lassen nach Hartmut Rathke : „Stockach im Zeitalter der Weltkriege“ die Einschätzung zu, dass viele Stockacher Nazis keine Fanatiker waren, sondern Opportunisten, die sich möglicherweise von einem Parteieintritt persönliche Vorteile versprachen. Neben diesen innerparteilichen Problemen gab es auch ernsthafte Schwierigkeiten mit der Gemeindeverwaltung und dem NS- <?page no="240"?> 241 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Bürgermeister August Hermann, dessen Amtszeit nicht sehr erfolgreich war, weil, wie der Landeskommissär in Konstanz am 17. Juni 1938 feststellte, viele Aufgaben, „[…] die in den Zeiten des Aufschwungs hätten erledigt werden müssen, vor allem die bauliche Entwicklung und die Planung […]“ nicht bewältigt wurden. Obwohl in einem Bericht der Kreisleiter vom vierten Jahr der „nationalsozialistischen Revolution“ vom Februar 1937 die Situation in Stockach durch die Vermehrung der Behörden in der neuen Kreisstadt und die Verbesserung der Wirtschaftslage durch die Verstärkung des Fremdenverkehrs und eine Betriebserweiterung der Stockacher Maschinenfabrik als geradezu rosig geschildert wurde, gelang es der Gemeindeverwaltung unter Bürgermeister Hermann nicht, den durch einen verstärkten Zuzug nach Stockach ausgelösten Wohnungsmangel durch eine entsprechende Bauplanung zu lösen. 17 So reifte offensichtlich im Laufe des Jahres 1937 der Entschluss bei der Partei und den vorgesetzten Behörden, Bürgermeister Hermann los zu werden. Eine „mit besonderer Sorgfalt“ im Dezember 1937 durchgeführte Kassen- und Dienstprüfung habe ergeben, dass Hermann „[…] keineswegs die geeignete Führerpersönlichkeit für die Gemeinde Stockach gewesen ist.“ Deswegen bereitete die Partei Ende 1937 die Bürger Stockachs vorsorglich auf Bürgermeister Hermanns Abgang vor. Man ließ die Stockacher wissen, dass der Bürgermeister „[…] mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand […]“ in den Ruhestand trete. Heuchlerisch dankten die beiden Beigeordneten Meßmer und Adam sowie der Gemeinderat Christ für Hermanns „[…] hingebungsvolle und aufopfernde Tätigkeit und für die von ihm im Interesse der Stadt geleisteten Dienste.“ Auch Kreisleiter Bäckert sprach von der „[…] harmonischen Zusammenarbeit zwischen Kreisleitung und dem scheidenden Bürgermeister“ und war voll des Lobes über Hermanns „[…] unermüdliche Fürsorge und sein rastloses Wirken […]“. Intern wurde gegen August Hermann am 24. Januar 1938 ein förmliches Dienststrafverfahren eingeleitet, um ihn seines Amtes zu entheben. Der Vorwurf lautete, Hermann habe ungedeckte Schecks über einen Betrag von 760 RM der Staatskasse übergeben und sich dieses Geld dann ausbezahlen lassen und damit keine klare Abgrenzung zwischen öffentlichen und privaten Interessen gezogen. Zwar wurde er vom Vorwurf der Untreue freigesprochen und der Vorfall wurde als „eine gewisse Schlamperei“ gewertet, in den Dienst durf- <?page no="241"?> 242 Ernst Bäckert te er allerdings nicht mehr zurückkehren. Hermann musste den Dienst nicht quittieren, weil er ein schlechter Nationalsozialist war, sondern weil er offensichtlich nicht so tüchtig, durchsetzungsfähig und verwaltungserfahren war, wie die Partei es erhofft hatte. Stockach erhält einen neuen Bürgermeister Offensichtlich war der Bürgermeister an den Zuständen in der Gemeindeverwaltung nicht alleine schuld. So stellte das Badische Bezirksamt Stockach fest: „Wesentlich zu diesen ganzen Verhältnissen trägt die zwischen dem I. und II. Beigeordneten bestehende persönliche Spannung bei. […] Um aber in personeller und organisatorischer Hinsicht bei der Gemeinde Stockach Ordnung zu schaffen, erscheint es doppelt notwendig, daß gerade eine aufrechte und energische Persönlichkeit wegweisend durchgreift. […] Die Verhältnisse hier in der Gemeindeverwaltung bleiben schon jetzt der Bevölkerung nicht unbekannt. Die daraus sich politisch und in sonstiger Hinsicht ergebenden Rückwirkungen lassen sich in keiner Weise übersehen.“ 18 Somit dürfte auch die Mehrzahl der aufmerksameren Bürger den von der Partei vorgeführten Bluff beim Rücktritt des Bürgermeisters wohl durchschaut haben. Jedenfalls griff der Landeskommissär in Konstanz den Vorschlag von Kreisleiter Bäckert gerne auf, den bisherigen Bürgermeister Adolf Wendling aus Stetten am kalten Markt zum August 1938 zum Bürgermeister in Stockach zu ernennen. Bäckert griff hier auf einen Schachzug von 1934 zurück, der sich schon einmal bewährt hatte, als er damals sein Amt als Bürgermeister von Stetten gegen das Amt Wendlings in Meßkirch eingetauscht hatte. Da traf es sich gut, dass Wendling persönliche Beziehungen nach Stockach hatte: Sein Vater war dort mehrere Jahre evangelischer Pfarrer gewesen und seine Frau war eine gebürtige Stockacherin. Außerdem war das Amt besser dotiert und Wendling hatte sowohl in Meßkirch wie in Stetten am kalten Markt bewiesen, dass er eine Gemeindeverwaltung kompetent und durchsetzungsfähig führen konnte. Allerdings war Bäckert auch bekannt, dass Wendling zwar in der Partei, aber kein fanatischer Parteigänger war und so ließ er den Bürgermeister ständig beobachten, wie Wendling nach 1945 zu Protokoll gab: „Als Bürgermeister der Stadt Stockach <?page no="242"?> 243 „Ein allseits gefürchteter Mann“ hatte ich einen sehr schweren Stand, da sowohl der Kreisleiter als auch der Landrat mich dauernd scharf überwachten.“ 19 Diese Darstellung Wendlings ist absolut glaubhaft, denn es entspricht nach allen Erkenntnissen über Ernst Bäckert seinem Wesenszug, möglichst alles und jeden zu kontrollieren. Die Probleme zwischen den ersten und zweiten Beigeordneten entschärften sich etwas, weil der erste Beigeordnete Meßmer wegen eines entfernteren Verwandtschaftsverhältnisses zum neuen Bürgermeister Wendling aus dem Rat ausschied. Der größere Störenfried war aber offensichtlich der zweite Beigeordnete Adam, der sich schon 1934 mit zwei weiteren Kollegen im Rat überworfen hatte und gegen sie Dienststrafverfahren beantragt hatte. 1938 warnte Landrat Hefft vor einer weiteren Verwendung Adams für den Gemeinderats- und Beigeordnetendienst, wie offensichtlich von Kreisleiter Bäckert vorgesehen war. Hefft ließ wissen, dass der zweite Beigeordnete als Trinker bekannt sei und deswegen auch schon in Anstaltsbehandlung gewesen sei. Kreisleiter Bäckert hatte dem badischen Innenminister zugesichert, Adam nicht noch einmal vorzuschlagen, dennoch blieb dieser im Amt und wurde sogar noch im September 1940 zum Ortsgruppenleiter der NSDAP in Stockach befördert, bis er schließlich im April 1942 ins Generalgouvernement verzog. Was Kreisleiter Bäckert veranlasst hatte, an Adam festzuhalten, ist nicht ganz klar, auch nicht ob es darüber Rücksprachen mit dem Gauleiter gab. Vermutlich trifft die Einschätzung Rathkes zu, dass mangels überzeugender Persönlichkeiten in der zerstrittenen NS-Ortsgruppe man an Adam festhielt, weil man keinen besseren hatte und ein fanatischer Nationalsozialist war er ja immerhin. Auf diese innere Zerstrittenheit weist auch die Tatsache hin, dass die Ortsgruppe innerhalb der zwölfjährigen NS-Herrschaft insgesamt acht Ortgruppenleiter verschliss. 20 Ernst Bäckert wurde 1938 erstmals auf die „Liste des Führers zur Wahl des Großdeutschen Reichstages am 10.4.1938“ gesetzt, hatte allerdings aufgrund der großen Anzahl der auf dieser Liste vermerkten Kandidaten keinerlei Chance in den Reichstag einzuziehen. Das mochte zwar die Reputation des Kreisleiters in NS-Kreisen verbessern, die Einschätzung der Bürger ihrer NS-Ortsgruppe dürfte dies wohl kaum verändert haben. 21 Um das etwas ramponierte Bild der zerstrittenen Ortsgruppe wieder etwas aufzupolieren, kam der erste Kreisparteitag der NSDAP den Stockacher Nationalsozialisten sehr <?page no="243"?> 244 Ernst Bäckert entgegen. Diese Kreisparteitage wurden 1939 erstmals in Baden eingeführt und liefen meist zeitgleich in mehreren Kreisen ab. Zum gleichen Zeitpunkt wie in Stockach wurde auch in Überlingen und Konstanz ein Kreisparteitag abgehalten und allen lag ein von der Gauleitung vorgegebenes Muster zugrunde. „Festliche Tage des Kreises Stockach“ Dies war die Überschrift der Stockacher Ausgabe der „Bodensee- Rundschau“ am 5. Juni 1939. Der Kreisparteitag begann am Abend des 2. Juni. um 19.00 Uhr mit einem Aufmarsch der Ehrenabordnungen aller politischen Leiter, der Parteigliederungen, des Feuerlöschzuges und des Deutschen Roten Kreuzes vor dem Parteiheim zur feierlichen Flaggenhissung. Bei der anschließenden Eröffnung des Kreisparteitages durch Kreisleiter Bäckert auf dem Platz vor der Turnhalle erläuterte dieser Sinn und Zweck des Kreisparteitages: „Der Kreisleiter wies bei dieser Gelegenheit darauf hin, daß der Kreistag keinesfalls eine ausschließliche Sache der Partei sein kann, sondern, wie die Arbeit der Partei ja stets dem ganzen Volke dient, auch alle Volksgenossen durch ihre Beteiligung ihr Bekenntnis zum Führer und seiner Bewegung zum Ausdruck bringen sollen. So bekunden sie nach außen die nationalsozialistische Gemeinschaft im Kreis Stockach.“ Um das Ziel, die Kreisbevölkerung geschlossen hinter die Partei und den Führer zu bringen, zu erreichen, wurde schon im Vorfeld ein riesiger Aufwand betrieben. Die Stadt begrüßte ihre Gäste am Bahnhof mit einer Art Triumphbogen aus Tannenreisig, versehen mit den Symbolen der Partei und den NS-Fahnen, an der Straßenkreuzung der heutigen Goethestraße/ Stadtwall wartete ein weiterer bekränzter Durchgang mit der Aufschrift „ Ein Volk - Ein Reich - Ein Führer“ auf der einen Seite und der Parole „Heil unserem Führer“ auf der anderen Seite. Außerdem waren die Häuser in den Straßen bekränzt und mit NS-Fähnchen geschmückt. Zu den weiteren Feierlichkeiten zählte selbstverständlich ein Fackelzug unter den Klängen des NS-Kreismusikzuges mit der feierlichen Einholung der Fahnen in die Fahnen- und Ehrenhalle des Parteiheimes. Die nächsten Tage waren geprägt durch Arbeitstagungen der verschiedenen Kreisämter und Parteiformationen, eine Schau des Reichsnährstandes und einen Appell des von der Gauleitung <?page no="244"?> 245 „Ein allseits gefürchteter Mann“ abgestellten Pg. Krämer, des Leiters der „Gauamtswalterschule“ für die Führungskräfte der Partei in Baden. Rathke bezeichnete diesen Kreisparteitag zu Recht als „inszenierte Heerschau“ mit dem Zweck „ein Bild von Kampfkraft und Entschlossenheit“ der Partei zu demonstrieren. Auch für den Kreisleiter war der Kreisparteitag die willkommene Gelegenheit, sein Organisationstalent und seine Führungskraft der Bevölkerung seines Kreises zu offenbaren. 22 Der „Blitzkrieg“ und die Möglichkeit, sich zu profilieren Die schnellen Anfangserfolge der Wehrmacht führten zu einer grenzenlosen Euphorie. Auch für den Kreisleiter und die Partei war dies eine Möglichkeit, allen zu zeigen, dass der Führer und die Partei alles richtig gemacht hatten. Als schließlich nach dem siegreichen Polenfeldzug im Juni 1940 auch der „Erbfeind“ Frankreich niedergerungen war, wurde dieser Sieg als Auslöschung der Schmach von Compiègne ganz besonders gefeiert. Anlässlich der Unterzeichnung des Waffenstillstandes in der Nacht vom 24. zum 25. Juni 1940 wurde auch in Stockach die Erniedrigung des Gegners besonders genossen. Selbstverständlich war dies auch ein Moment für den Kreisleiter, das Wort zu ergreifen: „Auch er hebt ab auf die Größe des von den deutschen Truppen errungenen Sieges und auf den Siegeszug der nationalsozialistischen Weltanschauung, die ein neues besseres Europa zu schaffen sich anschickt. In Dankbarkeit gedenkt er derer, die diesen Sieg durch Hingabe ihres Lebens mit erkämpft haben. Das Kollegium erhebt sich zu schweigendem Gedenken in Dankbarkeit vor der Größe des Opfers dieser deutschen Helden.“ Auch in der Folgezeit bot der Kriegsverlauf viele Gelegenheiten, die deutsche Aggression als Schicksalskampf um eine bessere europäische Ordnung zu stilisieren. Selbstverständlich war es, wie Bäckert formulierte, die Schuld der niederträchtigen „plutokratischen Clique in England“, dass der Krieg weiter ging und dies bot wiederum die Möglichkeit, auch die „Heimatfront“ hinter der Partei zu vereinen: „In der Durchführung der letzten Aufgaben der außenpolitischen Auseinandersetzung darf keinerlei Gefühlsduselei in dem von England gewollten Kampf bei uns aufkommen. Kreisleiter Pg. Bäckert forderte die Parteigenossen auf, auch im letzten Abschnitt die- <?page no="245"?> 246 Ernst Bäckert ses Kampfes vorbildliche Disziplin zu bewahren und in der bewährten Führung der Heimatfront keine Lockerung aufkommen zu lassen.“ Und nach dem Überfall auf die Sowjetunion stellte Bäckert diesen als notwendige Reaktion auf das „Ränkespiel der bolschewistischen Verräter“ dar und der Krieg wurde nun zu einem Freiheitskrieg Europas unter der Führung Deutschlands gegen den Bolschewismus. Die Kriegsereignisse gaben den nationalsozialistischen Führern vor allem dann die Möglichkeit, die Volksgenossen hinter sich zu bringen, wenn diese mit Erfolgen verbunden waren. Nach Stalingrad musste sich die Propaganda schon gewaltig verbiegen, die Niederlagen noch in grandiose Siege umzudeuten. In Stockach, wie auch anderswo, verschwanden auf Anweisung des neuen Kreisleiters Zimmermann im März 1943 nach der Niederlage in Stalingrad jedenfalls die in allen Diensträumen üblichen Landkarten, auf denen der Frontverlauf abgesteckt wurde. 23 Der Alltag des Kreisleiters Zu Ernst Bäckerts üblichen Tätigkeiten als Kreisleiter gehörte unter anderem die Kontrolle der Ortsgruppen und Stützpunkte in seinem Kreis sowie die Schlichtung eventueller Konflikte innerhalb der Ortsgruppen, die Auswahl und Bestätigung von Funktionsträgern der Partei, die politische Beurteilung potentieller Kandidaten für Partei- und Staatsämter, die Einsetzung der Gemeinderäte, Bürgermeister und Beigeordneten in seiner Funktion als Gebietsbeauftragter und in Zusammenarbeit mit dem Landrat. Dazu kamen im Regelfall die Dienstappelle und Parteiversammlungen im ganzen Kreisgebiet und selbstverständlich auch die Kontrolle aller in der Kreisleitung zusammengeschlossenen Ämter. Immer wieder kam es auch zu kleineren Vorfällen, wie im Jahre 1936 in Nenzingen, als am Fastnachtsdienstag die Musikkapelle aufspielte und die Maskenträger die Gelegenheit zum Tanze nutzten. Wegen unerlaubten Tanzmusikspielens wurde die Kapelle angezeigt, die Gendarmerie ermittelte und die Musikkapelle sollte 39 Mark Strafe bezahlen. Dies wollten die Musiker nicht einsehen, weil ihrer Meinung nach man für einen privaten Unterhaltungsabend doch nicht bestraft werden könne. Die meisten Musiker traten aus dem Verein aus und lieferten ihre Instrumente und ihre <?page no="246"?> 247 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Röcke ab. Auch Dirigent Bayer kündigte seine Stelle. Erst nachdem Bäckert vermittelte und die Strafe erließ, stellten sich die Musiker wieder zur Verfügung und auch der Dirigent nahm sein Amt wieder an. 24 Zusammenarbeit mit dem NS-Kreis Überlingen Da nach offizieller Parteidoktrin der Jugend die Zukunft gehörte und der Jugenderziehung im Sinne der Schaffung einer zukünftigen Funktionselite größter Wert beigemessen wurde, ließ es sich kein Kreisleiter nehmen, bei den jährlichen HJ-, BDM- und „Pimpfen“lagern (Jungvolk) anwesend zu sein und die Staatsjugend zu inspizieren. In den NS-Kreisen Überlingen und Stockach entwickelte sich hier eine Zusammenarbeit der Kreisleiter, die zu einer wechselseitigen Entlastung führte, indem die Jugendorganisationen beider Kreise ihre Lager gemeinsam durchführten oder hintereinander in dasselbe Lager einzogen, so dass die Organisation, die Durchführung sowie der Auf- und Abbau des Lagers jeweils nur einmal zu leisten war. Gelegentlich eröffnete der eine Kreisleiter das Lager und der andere hielt die Abschlussrede oder beide Kreisleiter saßen im jeweiligen „Ehrenausschuss“ des Lagers. So führten beide Kreise im Pfullendorfer Waldbad am 3. und 4. Juli 1937 sportliche Wettkämpfe des Bannes und des Jungbannes 408 durch. Kreisleiter Mensch aus Überlingen eröffnete und leitete die Wettkämpfe in Anwesenheit der Parteidelegationen aus Stockach und Überlingen und vertrat auch Kreisleiter Bäckert, der durch eine kommunalpolitische Tagung verhindert war. Beim kurz darauf stattfindenden, gemeinsamen Jungbannlager in Gutenstein an der Donau trat Kreisleiter Bäckert als Schirmherr auf, Kreisleiter Mensch war Mitglied im Ehrenausschuss. Vom 9. bis 15. Juli 1938 führte Kreisleiter Bäckert als Schirmherr das 1. Lager für die Pimpfe des Kreises Stockach/ Meßkirch in Ludwigshafen an, vom 15. Juli bis zum 22. Juli rückten die Überlinger Pimpfe unter Kreisleiter Mensch in das Lager ein. Genau nach demselben Prinzip wurde Ende Juni 1939 das 1. Jungbannlager beim Pfullendorfer Waldbad durch Kreisleiter Bäckert eröffnet und zunächst von den Stockacher Pimpfen belegt und Anfang Juli eröffnete Kreisleiter Mensch das 2. Lager an gleicher Stelle für die Überlinger Pimpfe .25 Eine <?page no="247"?> 248 Ernst Bäckert weitere Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den beiden NS-Kreisen Überlingen und Stockach ergab sich aus der ebenfalls 1936 veränderten Struktur der Landesbauernschaft in Baden. Aus ursprünglich 40 Kreisbauernschaften wurden insgesamt 15 neue mit einem wesentlich größeren Arbeitsbereich geschaffen. In der vereinigten Kreisbauernschaft Linzgau wurden die zuvor selbständigen Kreisbauernschaften von Überlingen, Pfullendorf und Meßkirch zusammengeführt und neuer Kreisbauernführer dieses Gebildes wurde der bisherige Kreisbauernführer Otto Fischer aus Pfullendorf, der zudem stellvertretender Kreisleiter des ebenfalls 1936 neu geschaffenen NS-Kreises Überlingen wurde, in dem der NS-Kreis Pfullendorf aufgegangen war. Im Januar 1937 übernahm Otto Fischer noch zusätzlich das Bürgermeisteramt seiner Heimatgemeinde Zell-Schwäblishausen. Die neu geschaffene Kreisbauernschaft stand im Gau Baden hinsichtlich der Zahl der Erbhöfe (1430) und in der Rinderviehzucht an erster Stelle. 26 Da sich die vereinigte Kreisbauernschaft Linzgau in dem Teil, der ursprünglich zur Kreisbauernschaft Meßkirch gehörte, auch in den Kreis Stockach erstreckte, ergab sich daraus natürlicherweise eine Zusammenarbeit der NS-Kreise Stockach und Überlingen. Deswegen waren anlässlich der Programmgestaltung für den am 17. und 18. Februar 1937 geplanten Kreisbauerntag in Pfullendorf im Vorfeld neben dem Kreisbauernführer auch die beiden Kreisleiter Bäckert (Stockach) und Mensch (Überlingen) zu einer Vorbesprechung zusammengekommen. Geplant waren Einzeltagungen der Ortsbauernführer, der Landjugend, der Landfrauen sowie der Gefolgschaften und der Genossenschaften, sodann sollte eine Großkundgebung, eröffnet durch Kreisleiter Mensch, im Adlersaal mit einem Redebeitrag des Landesbauernführer Engler-Füßlin erfolgen. Ein Heimatabend mit bäuerlichen Leibesübungen, mit der Darstellung der Bauerngeschichte in Bildern, der „Huldigung an die Mutter als ewigen Blutsquell“ und einem am Ende des Kreisbauerntags „wuchtig“ vorgetragenen Sprechchor: „Das Jahr über dem Pflug“ sollte den Ausklang bilden. Als Teilnehmer dieses Heimatabends wirkten die Bauernschule Ittendorf, die Landwirtschaftsschule Pfullendorf, die Landjugend von Ilmensee, die HJ von Pfullendorf, der BDM von Pfullendorf und Aach-Linz und das städtische Orchester Pfullendorf mit. Damit auch möglichst viele Teilnehmer aus allen Ecken der vereinigten Kreisbauernschaft Linz- <?page no="248"?> 249 „Ein allseits gefürchteter Mann“ gau bei dieser „Blut-und Boden“-Veranstaltung nach Pfullendorf kommen konnten, wurden für beide Tage Buslinien eingerichtet. Ziel dieses Bauerntages sollte die Demonstration der „[…] unlösbaren Zusammengehörigkeit von Partei und Reichsnährstand […]“ sein neben einem „[…] freudigen Bekenntnis der gesamten Bauernschaft des ganzen Gebietes der Kreisbauernschaft zu der ihr gestellten Aufgabe […].“ 27 Da Kreisleiter Bäckert auch als Gauredner eingesetzt wurde, ergaben sich auch hier Möglichkeiten im Nachbarkreis eingesetzt zu werden. So trat Ernst Bäckert zu Beginn des Jahres 1938 zwei Mal als Gauredner in Kreis Überlingen auf. Im Januar 1938 sprach er zu Beginn der neuen Versammlungswelle in Mimmenhausen über die Erfüllung des neuen Vierjahresplanes und im März 1938 wurde die Kampagne „SA marschiert“ durch Versammlungen im ganzen Kreisgebiet unterstützt, wobei Gauredner Ernst Bäckert am 28. März 1938 in Bonndorf auftrat. Ein weiteres Mal sprach er als Gauredner am 1. April 1939 in Owingen anlässlich der 48 Massenkundgebungen zum Thema „Deutschlands Lebenskampf“ im Kreis Überlingen. 28 Im Sommer 1939 kam es mit einer Personalamtsleitertagung in Überlingen zu einer weiteren gemeinsamen Aktion der Kreise Überlingen und Stockach. Über 100 Personalamtsleiter beider Kreise trafen sich im Überlinger Rathaussaal, wo sie von Bürgermeister Dr. Spreng und Kreisleiter Mensch begrüßt wurden. Auf der anschließenden Tagung sprachen Gauhauptstellenleiter Pg. Schätzle, Gauhauptstellenleiter Pg. Kull und Kreisleiter Bäckert. Nach einem gemeinschaftlichen Abendessen im „Christophskeller“ nahmen die Teilnehmer an einer Mondscheinfahrt auf dem Überlinger See teil, um sich anschließend zu einem kameradschaftlichen Treffen im „Seegarten“ zu versammeln. Am darauf folgenden Sonntag um 8 Uhr morgens traten die Teilnehmer auf der Hofstatt vor der Kreisleitung an, um sich anschließend zu einer Morgenfeier mit dem Thema „Friedrich der Große“ im Museumsgarten zu treffen, wo Kreiskulturstellenleiter Dr. Krauth einen Vortrag hielt, umrahmt von musikalischen Darbietungen aus der Zeit des Preußenkönigs. In der anschließenden Arbeitstagung sprach Gauhauptstellenleiter Behr über den Ahnennachweis und Gauhauptstellenleiter Pg. Kiefer referierte über die praktische Arbeit der Personalamtsleiter. Die abschließende Rede der Tagung hielt Kreisleiter Mensch aus Über- <?page no="249"?> 250 Ernst Bäckert lingen, der vor allem über die weltanschauliche Erziehung und Ausrichtung und die damit verbundenen Pflichten sprach. Eine gemeinsame Fahrt nach Bodman beendete die Tagung. 29 Durch diese ständigen Begegnungen mit den Verantwortlichen des Kreises Überlingen war Ernst Bäckert bestens mit den Verhältnissen im Kreis Überlingen vertraut, eine Grundvoraussetzung dafür, warum ihm der Gauleiter im Dezember 1940, nachdem der dortige Kreisleiter Wilhelm Mensch an Herzversagen gestorben war, neben dem Kreis Stockach, den er weiter behielt, auch noch den Kreis Überlingen kommissarisch zur Leitung übertrug. Drei gravierende Vorfälle im NS-Kreis Stockach Als nach dem Krieg gegen Ernst Bäckert ermittelt wurde, kam auch ein Ereignis zur Sprache, das sich in seinem Dienstbezirk ausgerechnet in Stetten am kalten Markt abspielte, an dem Ort, wo Bäckerts Karriere in der Partei begann. Dort wurde die in Stetten geborene Franziska Schumann am 19. Oktober 1941 von der Gestapo wegen Geschlechtsverkehrs mit einem Polen verhaftet. Auf einem öffentlichen Platz wurden ihr die Haare abgeschnitten, dann wurde sie durch die Stadt geführt mit einem Schild um den Hals: „Eine Polendirne.“ Ihr Ehemann, ein Beamter und NSDAP- Mitglied, ließ sich von ihr scheiden und nahm ihr auch noch die zwei gemeinsamen Kinder weg. Franziska Schumann saß zunächst in Gestapohaft in Konstanz und kam danach bis zum 20. Februar 1945 ins Konzentrationslager Ravensbrück. Als Ernst Bäckert im Juni 1947 im Internierungslager Lahr-Dinglingen von der Kriminalpolizeistelle dazu verhört wurde, gab er zwar zu, von dem Vorfall durch die Gestapo erfahren zu haben, er habe jedoch zu keiner Zeit diese Frau bei der Gestapo gemeldet, noch sei er an dem Vorgang beteiligt gewesen. Ernst Bäckert konnte auch nichts nachgewiesen werden und der Vorfall spielte in dem anschließend gegen ihn geführten Prozess keine Rolle mehr, wurde aber in einem gesonderten Prozess beim Amtsgericht Meßkirch 1949 aufgegriffen. 30 Gleiches hatte sich im Juni 1941 auch in Stockach selbst ereignet. Auch dort wurde eine am 31. Oktober 1904 in Kreenheinstetten geborene Frau durch die Stadt getrieben mit dem Schild um den Hals: „Ich bin eine Polendirne“. Sodann wurden ihr in <?page no="250"?> 251 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Anwesenheit einer größeren Zahl von Zuschauern die Haare vom Kopf geschoren und sie wurde an den Pranger gestellt. Ihr wurde vorgeworfen, sie hätte sich mit zwei Polen „vergangen“. Gehässig kommentierte die Bodensee-Rundschau: „Sie wird nun im Gefängnis Zeit finden, sich über das Verwerfliche ihrer Handlungsweise eigene Gedanken zu machen. Die Volksgemeinschaft jedoch schließt Frauen, die ihre Ehre Menschen preisgeben, die Zehntausende von Volksdeutschen in der bestialischsten Weise hingemordet haben, aus ihren Reihen aus und übergibt derartige Subjekte dem strafenden Arm einer gerechten Justiz.“ Es ist nur schwer vorstellbar, dass Ernst Bäckert nicht wusste, was in seiner Stadt vorging. Ob er jedoch selbst Hand anlegte oder ob er dies seine Handlanger tun ließ, bleibt offen. 31 In einem anderen Fall, der sich im Herbst 1941 im Kreis Stockach abspielte, aber nirgendwo in den Gerichtsakten auftauchte, brachte Kreisleiter Bäckert einen Schlossermeister, der sich von seiner jüdischen Frau nicht trennen wollte, in erhebliche Bedrängnis. Der Schlossermeister hatte beim Arbeitsamt Konstanz den Antrag gestellt, zwei neue Lehrlinge einstellen zu dürfen. Als Bäckert dies erfuhr, wandte er sich an die Handwerkskammer in Karlsruhe: „[…] Meister G., Sohn der Inhaberin des Geschäfts, ist mit einer Volljüdin verheiratet, und ich bin der Auffassung, daß ein jüdisch versippter Meister heute kein Recht mehr hat, deutsche Jungen als Handwerker auszubilden, solange er mit einer Jüdin verheiratet ist. Früher schon auf die Unmöglichkeit dieses Zustands aufmerksam gemacht, erklärte G., daß er gar nicht daran denke, sich von der Jüdin scheiden zu lassen, im Gegenteil, jedes Jahr kommt ein weiterer Halbjude zur Welt […]“. In Absprache mit der Handwerkskammer in Karlsruhe und dem Arbeitsamt Konstanz wurde dem Schlossermeister untersagt, in Zukunft Lehrlinge auszubilden und das Arbeitsamt versprach, die drei Lehrlinge (zwei im dritten Lehrjahr und einer im zweiten), die zu diesem Zeitpunkt noch bei ihm arbeiteten, abzuziehen, sobald das Ehrengerichtsverfahren gegen den Schlossermeister abgeschlossen sei. Auch dieser Fall zeigt Bäckerts offenen Rassismus und seine Unnachgiebigkeit: Wenn er den Schlossermeister schon nicht dazu bringen konnte, sich von seiner Frau zu trennen, so wollte er ihm wenigstens geschäftlichen Schaden zufügen. 32 <?page no="251"?> 252 Ernst Bäckert Kommissarischer Leiter des Kreises Überlingen und Kreisleiter in Stockach Als der Überlinger Kreisleiter Wilhelm Mensch am 16. November 1940 an einem Herzinfarkt verstorben war, brachte dies die Gauleitung in erhebliche Schwierigkeiten. Ziemlich schnell wurde klar, dass ein geeigneter Nachfolger für den Kreisleiter im Kreis Überlingen nicht in Sicht war. Dies wirft ein Schlaglicht auf die schmale Personaldecke der NSDAP, der offensichtlich befähigte Funktionäre für dieses Amt fehlten. Dass dies nicht nur im Gau Baden der Fall war, sondern auch in anderen Gauen, belegt die Kreisleiterstudie von Claudia Roth für Bayern. Nur so ist zu erklären, dass Gauleiter Wagner auf die Idee kam, Ernst Bäckert auch noch den Kreis Überlingen kommissarisch zu übertragen. Selbstverständlich wusste der Gauleiter, dass Bäckert durch die vorherige enge Zusammenarbeit mit Kreisleiter Mensch die Verhältnisse vor Ort bestens kannte und so bürdete er ihm zusätzlich zu seinem Kreisleiteramt in Stockach kommissarisch auch noch das Kreisleiteramt in Überlingen auf. 33 Damit mutete er ihm allerdings sehr viel zu, denn zusätzlich zu den etwa 34.200 „Volksgenossen“ im Kreis Stockach kamen im dichter besiedelten Kreis Überlingen weitere 55000 „Volksgenossen“ hinzu, die von der Partei und ihren Gliederungen zu betreuen waren. Dass somit fast 90.000 Menschen einem Kreisleiter in Doppelfunktion unterstellt waren, lässt ahnen, welche Organisationsprobleme damit verbunden sein konnten. 34 Anfang Dezember 1940 erfuhr Bäckert von der Gauleitung, dass er vorläufig mit der Führung des Kreises beauftragt werde. Zunächst beschränkte sich seine Anwesenheit im Kreis auf die Durchführung von Sprechstunden in der Kreisleitung jeweils am Dienstag von 10- 12 und von 15-16 Uhr. Seinen Wohnort in Stockach behielt der Kreisleiter bei. Bäckert rief sofort eine politische Arbeitstagung der Kreisamtsleiter und Ortsgruppenleiter des Kreisgebietes in Salem ein, gab bekannt, dass er vorläufig die Geschäfte des Kreises mitzuführen habe, und vor allem wie er dies zu tun gedenke: „Wo dem Nationalsozialismus im Kreise Widerstand entgegengesetzt werde, wird er gebrochen werden. Nicht was dem Einzelnen frommt und nützlich erscheint, bewege ihn in seiner Arbeit, sondern nur was der Gesamtheit der Volksgemeinschaft dienlich sei. Wer an der Gemeinschaft seine <?page no="252"?> 253 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Pflicht nicht erfüllt, dem gegenüber haben auch wir keine Verpflichtung mehr.“ Und weiter sprach er die Warnung aus: „Wer den nationalsozialistischen Staat ablehnt, der hat von diesem Staat auch keine Hilfe zu erwarten.“ Bäckert trat hier wieder in der Rolle des „Scharfmachers“ auf, die ihm Weißhaupt für seine Zeit als Kreisleiter in Meßkirch schon bescheinigt hatte. Dahinter dürfte auch die Überzeugung Bäckerts gestanden haben, dass die Führung zweier so großer Kreise nur mit Härte und Disziplin zu bewältigen sei. Am 7. Dezember 1940 erfolgte die amtliche Bestätigung der Übertragung des Kreises Überlingen bis auf Weiteres an Bäckert. Gleichzeitig begann die neue Versammlungswelle in Stadt und Kreis Überlingen mit einer Großversammlung in der Stadt mit Rednern aus dem Kreis und dem Elsaß, um die „herzliche und aufrichtige Freude“ ausdrücken zu können, „[…] dass unsere Volksgenossen mit ihrer schönen Heimat den Weg zum Großdeutschen Reich heimfinden durften.“ 35 In der noch im Jahre 1940 verbleibenden Zeit versuchte sich der Kreisleiter mit seinem neuen Kreis vertraut zu machen, trat bei einzelnen Ortsgruppen auf oder zeichnete besonders „treue“ Volksgenossen mit Verdienstmedaillen aus. 36 Und im selben Stil setzte Bäckert seine Arbeit fort. Bereits am 9. Januar 1941 sprach er auf der Mitgliederversammlung der Überlinger Ortsgruppe und gab an, warum es ihm so wichtig war, dass ständig Appelle und Versammlungen durchzuführen seien: „Nach der Begrüßung durch Ortsgruppenleiter Dreher nahm Kreisleiter Bäckert sofort das Wort und gab in über einstündigen Ausführungen den Überlinger Parteigenossen wegweisende Richtlinien in Arbeit und Pflichten. Er begründete die Notwendigkeit der steten Versammlungsdurchführung. Parteigenossen haben in Haltung und in Bereitschaft stets ihre Pflichtauffassung zu bekunden.“ Und am Ende seiner Rede appellierte der Kreisleiter noch einmal „[…] an das Gewissen und die Herzen der Parteimitglieder […]“ und führte ihnen den Führer als stets anzustrebendes Vorbild als Kämpfer, Soldaten und Retter des Volkes vor Augen. Für Bäckert war es offensichtlich von großer Bedeutung, allen Parteimitgliedern in allen Parteigliederungen zu zeigen, dass er als Kreisleiter seinen Führungsanspruch in jedem Falle durchsetzen wollte, auch wenn er aufgrund seiner sonst eher seltenen Anwesenheit das Tagesgeschäft der Kreisleitung häufig an die vor Ort anwesenden Kreisamtsleiter übertragen musste. Deswegen berief er <?page no="253"?> 254 Ernst Bäckert schon einen halben Monat später wieder alle Kreisamtsleiter, Ortsgruppenleiter und Gauamtswalter der NSV zu einer politischen Arbeitstagung nach Salem ein. Am 1. März 1941 schließlich ging es um die „Ausrichtung der Ortsbauernführer und Bürgermeister“ im Raum Pfullendorf, am 8. März sprach er in der Ortsgruppe Owingen über die „besonderen Aufgaben und Pflichten der Parteigenossen“. Bis zum Ende des Jahres 1941 zogen sich diese Versammlungen und Parteiappelle wie ein roter Faden durch Bäckerts Arbeit als neuer kommissarischer Kreisleiter Überlingens. Und da sich im Laufe des Jahres 1941 auch abzeichnete, dass seine kommissarische Tätigkeit länger andauern würde, wurde in der Parteikanzlei am 1. August 1941 seine Besoldung neu geregelt. In diesem Jahr wurde Ernst Bäckert auch am Geburtstag des Führers (20.April.) parteiintern zum „Oberbereichsleiter“ befördert und erhielt das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse verliehen. 37 Im Laufe des Jahres 1942 wurden Ernst Bäckerts Forderungen an seine Parteigenossen immer drängender, noch mehr zu geben und er „[…] verlangte eine klare und kompromißlose Haltung von jedem tätigen Nationalsozialisten.“ Immer mehr Artikel finden sich in der Bodensee-Rundschau, in denen er die Partei zur „Betreuerin der Heimatfront“ ausrief, um das große „[…] weltanschauliche Ringen um die Entscheidung ob die Zukunft Europas nationalsozialistisch oder bolschewistisch sein wird […]“ für Großdeutschland zu entscheiden. Und immer häufiger tauchen in seinen Reden irgendwelche „Gerüchtemacher“ auf, denen verstärkt der Kampf anzusagen sei, weil sie mit ihrer gefährlichen Haltung die Volksgemeinschaft zersetzten. Folglich forderte er immer wieder Opfer, die die Heimatfront zu bringen habe, die in ihrem Ausmaß aber geradezu nichts seien im Verhältnis zu den Opfern der Soldaten an der Front. Offensichtlich störten ihn auch die Urlauber am See, die aber andererseits nicht unwichtig waren für das Auskommen der Überlinger Gastronomiebetriebe und des Überlinger Einzelhandels: „Nicht Erholung am Bodensee ist jetzt die Hauptsache, sondern auch die letzten in der Heimat zur Arbeit für die Gesamtheit zu bringen. Die Partei ist die Gewähr dafür, dass keine Wiederholung von 1917 und 1918 erfolgt, das soll der deutsche Soldat draußen wissen.“ Deswegen wies er auch seine Ortsgruppenleiter an, den Fremdenverkehr zu überwachen und auf die Einhaltung des Dreiwochenaufenthaltes zu drängen. Schon im Sommer 1941 hatte er sich in einem Appell <?page no="254"?> 255 „Ein allseits gefürchteter Mann“ an die Gäste gewandt, ihre Kauflust zu zügeln und diese angeprangert, weil dadurch die heimische Bevölkerung bei den Einkäufen benachteiligt würde. Auch der Landrat hatte an die Einzelhändler die Weisung erteilt, dass die einheimische Bevölkerung bei den Einkäufen den Vorrang haben müsse, und Bäckert ermunterte die Geschäftswelt gegen übertriebene Kaufansprüche der Touristen „hart und unnachgiebig“ vorzugehen. Durch das Fortschreiten der Kriegsereignisse war die Versorgungslage der Bevölkerung am See zwar noch nicht ernsthaft gefährdet, aber immerhin sah man sich gezwungen regulierend einzugreifen und auch so genannte „Brachlandaktionen“ einzuleiten, sprich, bisher ungenutztes Brachland in bewirtschaftete Flächen wie Kleingärten umzuwandeln. Auch die Bauernschaft wurde ständig angetrieben, die Wichtigkeit der „Ernährungssicherung“ für den Sieg zu erkennen und noch mehr zu leisten als bisher. Reißerisch war ein Artikel der Bodensee-Rundschau vom 14. März 1942 aufgemacht mit dem Titel „Im Vordergrund stehen jetzt das Schwert und der Pflug.“ 38 Auch in der Stadt Überlingen war es der Partei gelungen, stärker in den Alltag der Bürger einzudringen. Pünktlich zu Führers Geburtstag (20. April.) übernahm die Partei den bisher von katholischen Schwestern geführten Kindergarten, die nun durch eine Kindergärtnerin und Helferinnen der NS-Volkswohlfahrt (NSV) ersetzt wurden. Einen ähnlichen Vorstoß des damaligen Kreisleiters Mensch konnte Bürgermeister Dr. Spreng 1939 noch abwehren, jetzt wurde die Übergabe des Kindergartens an die NSV groß gefeiert und selbstverständlich wurde die Stadt verpflichtet, dem Kindergarten zu helfen und ihn zu fördern, was der stellvertretende Bürgermeister Dreher auch zusicherte. Kreisleiter Bäckert machte auch gleich klar, wie sich die Erziehungsprinzipien im neuen, von der NSV betriebenen Kindergarten nun ändern würden: „In diesem Kindergarten werden künftig Kinder erzogen, heranwachsen und gestählt im Glauben an den Führer und an Deutschlands große Zukunft. Ueber alle Meckerei und Kritik hinweg wird unverrückbar das Ziel sein und bleiben, das zu tun, was der Führung durch Adolf Hitler entspricht. Der Nationalsozialismus erzieht die Jugend nach anderen Prinzipien, als sie bisher hier üblich waren in der Ueberzeugung, dass sie für Deutschlands Bestand wichtig sind. […] Auch im Ueberlinger Kindergarten muß der nationalsozialistische Geist, verkörpert in Adolf Hitler, seinen Einzug halten. […]“ <?page no="255"?> 256 Ernst Bäckert Die Flaggenhissung bestätigte nach außen symbolisch, dass die Partei auch in der Stadt Überlingen einen weiteren Teil ihres absoluten Führungsanspruchs verwirklicht hatte. 39 Bäckert wird Kreisleiter in Überlingen und Albert Zimmermann Kommissarischer Kreisleiter in Stockach Mitten in diese Aktionen platzte die Nachricht des Gaupersonalamtes, dass Ernst Bäckert mit Wirkung vom 1. Juni 1942 vom Gauleiter mit der Leitung des Kreises Überlingen beauftragt und Albert Zimmermann mit der kommissarischen Leitung des Kreises Stockach betraut wurde. Der neue Leiter des Kreises Stockach, Albert Zimmermann, wurde 1906 in Gruben im Kreis Karlsruhe geboren. Nach dem Besuch der Volksschule und der landwirtschaftlichen Kreiswinterschule arbeitete Zimmermann zunächst auf dem elterlichen Hof. Im Rahmen der Machtergreifung wurde er zum Bürgermeister von Gruben berufen. Der NSDAP und dem Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK) schloss er sich 1931 an. Seit März 1933 war er auch Ortsgruppenleiter der Partei in Gruben. Ab 1939 diente er in der Wehrmacht und nahm auch mit der 35. Infanteriedivision am Ostfeldzug teil. Dort wurde er als Leutnant verwundet und kehrte im Februar 1942 in die Heimat zurück. Als Träger der Kriegsauszeichnungen EK I und EK II sowie des Infanteriesturmabzeichens und der zehnjährigen Dienstauszeichnung der Partei hatte ihn der Gauleiter, wie Zimmermann es selbst formulierte, „in die politische Front der Heimat eingereiht“. Am 15. Juni 1942 erfolgte die offizielle Übergabe des Kreises Stockach durch Kreisleiter Bäckert an den neuen Kreisleiter Albert Zimmermann mit der Aushändigung der Kreisfahne an seinen Nachfolger. In seiner Verabschiedung bekannte Bäckert, dass es ihm schwergefallen sei, den „Kampfkreis Stockach“ abzugeben, den er in fast 13-jähriger Arbeit geformt habe. 40 Anlässlich einer offiziellen Begrüßungsfeier in den Kammerlichtspielen in Überlingen Ende Juli 1942 ließ er die Kreisamtsleiter, Kreishauptstellenleiter, Ortsgruppenleiter und die restlichen Parteigenossen wie auch die Bevölkerung des Kreises Überlingen wissen: „Verantwortung trage ich allein gegenüber dem Führer, ich bin und bleibe die revolutionäre Persönlichkeit, die ich immer gewesen und <?page no="256"?> 257 „Ein allseits gefürchteter Mann“ denke nicht daran, mich in Zukunft zu ändern. Auch der Kreis Überlingen muß seine klare weltanschauliche Ausrichtung erfahren. Wer lax beiseite steht, wird zu einer Stellungnahme für oder gegen den Nationalsozialismus gezwungen werden.“ Da war wieder diese kompromisslose, sture und fanatische Haltung, die ihm schon in einem Artikel der BR vom 13. Juni 1942 bescheinigt wurde, in dem Bäckert als „[…] kompromißloser und fanatischer Gefolgsmann des Führers“ bezeichnet wurde. Was damals als Kompliment gelten sollte, war eine ausgezeichnete Charakterisierung Bäckerts: Überlingen hatte sich nun auf einen Kreisleiter einzustellen, der überall Feinde witterte und der jedem, der sich abseits der Bewegung stellen wollte, mit Konsequenzen drohte. 41 Der Umzug Bäckerts mit seiner Familie erfolgte am 31. Juli 1942. Zunächst wohnte der neue Kreisleiter in der Mühlenstraße 11, danach in der Franziskanerstraße 22 und schließlich in der Münsterstraße 4 bei Diem, einen Katzensprung von der Kreisleitung der Partei entfernt. 42 Als im November 1942 das neu geschaffene Wöchnerinnenheim der Stadt Überlingen im ehemaligen Gagg’schen Anwesen, das die Stadt 1929 erworben hatte, in der Nähe des Krankenhauses eröffnet wurde, heftete sich die Partei das Verdienst an ihr Revers und speziell an das des Kreisleiters, der „Hemmungen und Erschwerungen“ auf dem Wege dahin beseitigt habe. Und die Bodensee- Rundschau nutzte die Gelegenheit, den Frauen ihre Rolle im Nationalsozialismus in Erinnerung zu bringen: „Mit dem heutigen Tage wird das Wöchnerinnenheim seiner Bestimmung übergeben. Mögen die erziehenden Mütter im Reichtum gesunder Kinder immer die höchste Vollendung und Erfüllung ihres fraulichen Lebens zum Segen von Volk und Vaterland erkennen.“ 43 Und Ernst Bäckert wäre nicht er selbst gewesen, wenn er nicht wieder die „Gerüchtemacher“ und die lauen Zeitgenossen im Kreisgebiet angeprangert hätte, die noch immer nicht die Größe der NS-Bewegung begriffen hätten. So wetterte er anlässlich einer Kreisabschnittstagung der NS-Frauenschaften in Pfullendorf im November 1942: „Pg. Bäckert geißelte dann die Gerüchtemacher. Sie werden diesmal nicht zu ihrem Ziel kommen! Armselig sind auch die Zeitgenossen zu nennen, die die Größe unserer Zeit nicht erfassen und nicht verstehen wollen, daß die Vorsehung in die dunkelste Zeit des Vaterlandes als Retter den Frontsoldaten des letzten Krieges, unseren Füh- <?page no="257"?> 258 Ernst Bäckert rer Adolf Hitler, sandte.“ Und in einer Rede vor den Beamten und Behördenangestellten in Überlingen einen Monat später nahm er sich wieder die Gerüchtemacher und die Kleinmütigen vor: „Kreisleiter Pg. Bäckert rechnete alsdann mit den Gerüchtemachern ab, brandmarkte das Verbrechen der Abhörung fremder Sender und stellte den Kleinmütigen die Leistung des deutschen Soldaten gegenüber, der Europa vor der Gefahr des Bolschewismus gerettet habe.“ 44 Ernst Bäckert sah sich offensichtlich noch immer nicht am Ziel, alle Volksgenossen in seinem Kreis auf die Parteilinie „ausgerichtet“ zu haben. Deswegen brauchte er die ominösen „Gerüchtemacher“, um die treuen Parteigenossen gegen diesen inneren Feind um sich zu scharen. Der Krieg und die „Heimatfront“ Das Jahr 1943 begann für die Nationalsozialisten nicht so, wie sie es gewünscht hatten. Noch im September 1942 hatte Goebbels Propagandamaschinerie verlauten lassen, dass sich das Ringen um Stalingrad seinem erfolgreichen Ende nähere, obwohl das OKW vor dieser vorschnellen Einschätzung gewarnt hatte. Am 8. Januar 1943 hatten die Russen die 6. Armee unter General Paulus bereits eingekreist und am 2. Februar waren die Kämpfe um Stalingrad beendet. 240.000 Soldaten waren tot und 130.000 gerieten in Kriegsgefangenschaft. Noch im Januar hatte Hitler bereits die totale Mobilisierung sämtlicher personeller und materieller Ressourcen im Reich und in den besetzten Gebieten für den Endsieg angeordnet. Nach der verheerenden Niederlage in Stalingrad konnte jetzt nur noch eine geballte Ladung an Propaganda weiterhelfen, die dann in der Berliner Sportpalastrede durch Propagandaminister Goebbels am 18. Februar 1943 mit der Ausrufung des „Totalen Krieges“ gipfelte. Aber es sollte für die deutsche Wehrmacht noch viel schlimmer kommen in diesem Jahr 1943. Nach dem Willen der deutschen Wehrmachtsführung sollte die im Frühjahr entstandene „Festung Europa“ unbedingt gehalten werden, aber bereits im Juli wurde sie an ihrer verwundbarsten Flanke aufgebrochen. Am 10. Juli landeten die Alliierten unter dem Schutz ihrer starken Flotte auf Sizilien, am 19. Juli wurde Rom erstmals von 500 Flugzeugen angegriffen und am 25. Juli wurde Mussolini abgesetzt. Der ita- <?page no="258"?> 259 „Ein allseits gefürchteter Mann“ lienische Faschismus war wie ein Kartenhaus in sich zusammengebrochen. Um das Überlaufen der Italiener unter Marschall Badoglio, der bereits Geheimverhandlungen mit General Eisenhower über eine Kapitulation begonnen hatte, zu verhindern, musste die deutsche Wehrmacht alle Kräfte aufbieten, um die italienische Armee zu entwaffnen („Fall Achse“ September 1943), um so die Front noch einmal zu stabilisieren. Im Südosten war es der Roten Armee gelungen, die deutschen Kräfte auf der Krim abzuschneiden und das ganze Donezgebiet zu befreien, im Mittelabschnitt wurde die Heeresgruppe Mitte nach Norden abgedrängt. Der Roten Armee war es gelungen, einen Frontdurchbruch auf 1000 km Frontbreite und 300 km Fronttiefe zu erreichen. In den gleichgeschalteten deutschen Medien wurden diese Entwicklungen als taktische Zurücknahme der Ostfront verkauft, die Entwicklung in Italien als schnöder Verrat der unzuverlässigen Italiener gegeißelt. 45 Angesichts dieser Entwicklung an den Fronten galt es nun erst recht, die „Heimatfront“ zu stabilisieren, um jeglichen Eindruck zu vermeiden, das System habe auch mit inneren Schwierigkeiten zu kämpfen. Kreisleiter Bäckert referierte bereits am 14. Januar 1943 über „Pflichten der Heimat“ und gab dabei zu, dass „[…] wir im vierten Kriegsjahr vor Problemen stehen, an die wir früher nicht dachten.“ Den von den Nazis begonnenen Weltkrieg schilderte er nun als „Ringen um Leben und Tod unseres Volkes“ und folgerte daraus: „Die Heimat kann keine Schwächlinge oder Weichlinge ertragen, wir alle, die in Pflichten stehen, müssen uns als Soldaten der Heimat fühlen. Wir haben dem Führer genauso zu folgen, wie der Soldat an der Front.“ Seine Reden durchziehen immer wieder die Begriffe Härte, Treue, Glauben, Opfer, Pflicht, Zuversicht und Vertrauen auf den „Führer“. Die Ausrufung des „totalen Krieges“ bedinge auch von jedem Einzelnen den „totalen Einsatz“. Und anlässlich des Heldengedenktages am 23. März 1943 forderte Bäckert von der Heimat: „Es ist die Pflicht der Heimat alles zu tun, damit dieser Wille [i.e zum Sieg] der Front bestehen kann. Auch von der Heimat muß dieser fanatische Wille an die Front hinausklingen, müssen alle Kräfte dem Siege gehören.“ Und selbstverständlich forderte er am 20. April 1943, am Geburtstag Hitlers, ein Bekenntnis aller zum Führer und malte in schönen Worten das zukünftige NS-Paradies nach dem Endsieg aus: „Mit dem Führer schaffen wir den Weg frei <?page no="259"?> 260 Ernst Bäckert für die Zukunft und für die kommenden Geschlechter. Vor uns steht die Erreichung des Friedens mit dem Ziel der Schaffung des großen Reiches und geschlossenen Volkes, hinter uns liegen Not, Elend, Zwietracht und Haß.“ 46 Bäckert und die „Fremdvölkischen“ Mit der Militarisierung der Sprache an der Heimatfront einher ging auch eine wachsende Intoleranz gegenüber den „Fremdvölkischen“ (ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen), und auch der Ton gegenüber den „Gerüchtemachern“ wurde zusehends schärfer: „In seinen Schlußausführungen griff Kreisleiter Bäckert eine Reihe der aufgeworfenen Fragen auf, so u.a. das Problem der Fremdvölkischen und die Gefährlichkeit und Niedertracht der Gerüchtemacherei. Es waren handfeste Maßnahmen, die der Kreisleiter gegenüber diesen Saboteuren an der seelischen Haltung der Heimatfront ankündigte und erläuterte.“ 47 Wie sehr Bäckert die vorwiegend polnischen „Zivilarbeiter“ hasste, zeigen zwei ihm gemachte Vorhaltungen anlässlich des Verhörs durch die Kriminalpolizeistelle Lahr im Jahre 1947. Demnach habe Bäckert die Bauern angewiesen, dass sie sich auf keinen Fall mit den Polen „einlassen“ sollten. In der Praxis hieß dies, sie keinesfalls ins eigene Haus zu lassen oder gemeinsam mit ihnen am Tisch zu speisen oder auf dem Feld oder auch sonst irgendwie mit ihnen in Verbindung zu treten, was im bäuerlichen Alltag praktisch unmöglich war. Bei aufmüpfigem Verhalten soll er angeraten haben, die „Zivilarbeiter“ zu züchtigen. Bäckert verteidigte sich damit, das Wort „züchtigen“ nie gebraucht zu haben, außerdem habe er zahllose Briefe von Frauen erhalten, die sich über das „freche“ Verhalten und Auftreten der Polen beschwert hätten. An die Erhängung von Polen in seinem Dienstbezirk im Jahre 1941 konnte er sich zwar erinnern, aber das Ganze sei Sache der Gestapo gewesen und er habe rein gar nichts damit zu tun gehabt. Ein weiterer Fall, der in den Akten gar nicht erwähnt ist, spielte sich ebenfalls im Kreisgebiet zwischen Owingen und Hohenbodman ab. Dort wurde ein Pole, der eine Beziehung zu einer deutschen Frau hatte, am 13. Februar 1942 am Waldesrand aufgehängt. Alle polnischen Gefangenen des Lagers in Billafingen mussten dem Schauspiel beiwohnen. Die <?page no="260"?> 261 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Frau, die ein Kind von dem Mann erwartete, kam ins Konzentrationslager Ravensbrück. Die von Bäckert eingeschlagene Strategie des Leugnens und Herunterspielens findet sich in vielen Prozess- und Entnazifizierungsakten der Nachkriegszeit und wird ergänzt durch auffällige Erinnerungslücken. So wollte sich Bäckert partout nicht daran erinnern, anlässlich einer Schießübung in Nußdorf im Oktober 1944 geäußert zu haben, […] „daß man im Falle eines Aufstandes der „Ausländer“ bzw. wenn diese rebellieren sollten, lieber 10 Mann zu viel als einen zu wenig erschießen sollte.“ Genau dies wurde aber durch den bei dem Vorfall anwesenden Zeugen Johann Häusler (ehemaliges SPD-Mitglied, Stadtrat in Überlingen, nach 1945 Mitglied im örtlichen Antinazi-Comité) bestätigt. 48 Dieses Verhalten Bäckerts zeigt, dass er ein intoleranter, fanatischer Rassist war, der keinerlei Verständnis für Andersdenkende aufbringen konnte oder wollte. Ein Bericht des Gendarmeriepostens Pfullendorf vom 2. Februar 1947 kommt zu folgender Einschätzung des ehemaligen Kreisleiters: „Nach den im hiesigen Postenbereich durchgeführten Feststellungen ist Bäckert als einer der größten Hetzer der NSDAP gegen alle Andersdenkende unrühmlichst bekannt gewesen. Er soll in Versammlungen hauptsächlich vor Frauen, in der gemeinsten und unflätigsten Weise gegen alle, welche nicht mit der NSDAP übereinstimmten und gegen die Kirche gehetzt und gescholten haben. […] Seine Parolen sollen nur so vom Erschießen und Erhängen gestrotzt haben.“ 49 Bäckert und die Kirche Offensichtlich sah Bäckert auch in der Kirche immer noch Widerstandspotential gegen die Partei, das es seinerseits sofort zu unterdrücken galt. Auch hier zeigen zwei Fälle in seinem Amtsbereich, wie rachsüchtig und brutal der Kreisleiter vorging. Im Oktober 1942 wagte der Kirchenchor in Bermatingen beim Begräbnis eines gefallenen Kameraden an der von der Kirche anberaumten Feier teilzunehmen, woraufhin Kreisleiter Bäckert dem Bermatinger Ortsgruppenleiter Maier erlaubte, den örtlichen Kirchenchor aufzulösen. <?page no="261"?> 262 Ernst Bäckert Als noch viel gravierender empfand es Bäckert, wenn gar ein Parteimitglied und ein politischer Leiter es wagte, in seiner Freizeit in der katholischen Kirche in Owingen die Orgel zu spielen. Der Forstwart und Gemeinderechner Wilhelm Pfeifer aus Owingen hatte dies getan und so wurde er 1942 vor die Kreisleitung in Überlingen zitiert, wo ihm Bäckert eröffnete, dass er sämtlichen Lehrern im Kreisgebiet verboten habe, in den katholischen Kirchen die Orgel zu spielen und auch bei ihm keine Ausnahme zu machen gedenke. Da Pfeifer sich nicht fügen wollte, nahm er Stellung gegen Pfeifer wo immer er konnte. Als er vermutlich auch dafür gesorgt hatte, dass der aus dem 1. Weltkrieg kriegsbeschädigte Pfeifer im September 1944 von der Wehrmacht zum Schanzen ins Elsaß abgeordnet wurde, jedoch wegen seines Gesundheitszustandes bald wieder entlassen wurde, sagte Bäckert gegenüber dem Forstrat Dorner aus Konstanz, der ihn gefragt hatte, warum Pfeifer eingezogen wurde, dass Pfeifer „der größte Lump des Kreises Überlingen“ sei. In seiner Vernehmung bei der Kriminalpolizeistelle Lahr leugnete er, dies je gesagt zu haben, aber auch hier bestätigte der Oberforstwart Höfler aus Billafingen, der bei dem Gespräch zugegen war, dass Bäckert wörtlich sagte, dass Pfeifer das Schanzen nicht schaden würde und dass er „der größte Lump im Kreis Überlingen“ sei. Eine Überprüfung der Diensttätigkeit Pfeifers ergab, dass gegen ihn nichts vorlag und seine Kollegen schilderten ihn als pflichttreuen und anständigen Beamten. Pfeifer sah nach dem Kriege von einer Anzeige gegen Bäckert wegen Beleidigung ab, da er mit ihm nichts mehr zu tun haben wollte. 50 Durchhalteparolen Anlässlich eines Besuches im Rhein- und Ruhrgebiet im Sommer 1943 konnte Bäckert sich selbst ein Bild machen, wie anfällig die deutsche Luftabwehr geworden war und wie häufig es feindlichen Flugverbänden immer wieder gelang, ins Reichsgebiet einzudringen und strategisch und kriegswirtschaftlich wichtige Städte im Rhein- Ruhrgebiet zu bombardieren. Bei einer Tagung der Hoheitsträger der Partei des Kreises im Schwanensaal in Salem berichtete er seinen Parteigenossen von diesen Fliegerangriffen, den angerichteten Schäden und dem Elend der dortigen Bevölkerung, <?page no="262"?> 263 „Ein allseits gefürchteter Mann“ um deren Durchhaltewillen aber sofort wieder propagandistisch zu nutzen und ihn als Vorbild und Maßstab für alle „[…] Leistungen […], die wir aus der Verbundenheit in der Volksgemeinschaft auf uns zu nehmen haben“, auch für das Heimatgebiet zu reklamieren. Von nun an waren alle seine Reden durchsetzt von Durchhalteparolen. Bei der Heldengedenkfeier im November verstieg sich der Kreisleiter gar dazu, die Vorsehung zu bemühen und ließ sein Publikum wissen „[…], daß es niemals der Wille der Vorsehung sein kann, daß unser tüchtiges und tapferes Volk zugrunde gehen soll. Unser Volk hat Helden hervorgebracht, die zu leben und sterben wußten, wir sind stolz auf unsere und von tiefstem Dank für sie erfüllt.“ Und im weiteren Verlauf seiner Rede machte er sich die Untergangsrhetorik seines obersten Führers zu eigen, als er verkündete: „Entweder ist der Sieg unser oder wir werden alle nicht mehr sein. Unsere Arbeit und unser Kampf gilt allein dem Ziel, auf daß Deutschland ewig bestehen kann.“ 51 Der Krieg erreicht die Heimat Auch für die Bürger der Städte und Dörfer am Bodensee war im Jahr 1943 der Krieg in der Heimat endgültig angekommen. Sichtbare Zeichen dafür waren die ständig steigende Anzahl von gefallenen und vermissten Soldaten und das damit verbundene Leid für die Familien, die zunehmenden Einquartierungen von Ausgebombten aus den durch Luftangriffe der Alliierten zerstörten wichtigen Industriezentren und die ersten Luftangriffe auf Friedrichshafen im Juni und August 1943. Parallel dazu nahmen auch die Warnungen vor einer ständigen Luftgefährdung durch „Terrorflieger“ in den Zeitungen zu. Um die Ausgebombten überhaupt noch unterbringen zu können, unternahm die Partei Anstrengungen, Wohnungen möglichst schnell und kostengünstig zu errichten. So wurde am 13. November 1943 in Markdorf der erste Spatenstich durchgeführt für Wohnungen des Wohnungshilfswerks im Gau Baden, in denen die Ausgebombten im Kreisgebiet untergebracht werden sollten. Kostenträgerin war die Stadt Markdorf, die Bauleitung und die Ausführung oblag der Ortsgruppe der NSDAP. Jeder Block der Partei, der DAF und der NSV sowie die SA, und die HJ gemeinsam mit der SS sollten ehrenamtlich je ein Haus aufbauen, bei Einzel- <?page no="263"?> 264 Ernst Bäckert aufgaben wurden Fachkräfte einbezogen, als Hilfskräfte wurden die übrigen Parteimitglieder mobilisiert. Alle Arbeiten erfolgten ehrenamtlich und ohne Entlohnung. Der Bau dieser Wohnungen sollte der Bevölkerung auch zeigen „[…], daß es kein unmöglich für die Partei gibt, wenn nur immer Männer von Tatkraft und Wollen die Führung in Händen haben.“ 52 Im Frühjahr 1944 nahm die alliierte Luftwaffe wieder das Bombardement Friedrichshafens auf, in dem sie zu Recht kriegswichtige Unternehmen (Zeppelin, Zahnradfabrik, Dornier, MTU) vermutete. Auch über die Tests der Antriebsaggregate der „Wunderwaffe“ V2 (technischer Name: A4) im Raderacher Wald waren die Alliierten bestens informiert und am 16. August 1944 trafen sie das Lager. Einer der schwersten Angriffe auf Friedrichshafen erfolgte durch die Royal Airforce in der Nacht vom 27. auf den 28. April 1944. 311 Bomber griffen die Stadt an und warfen 1120 Tonnen Bomben ab. Dabei gab es 136 Tote und 375 Verletzte. Auch in Immenstaad wurden einige Häuser getroffen und in Ittendorf richteten die dort abgeworfenen Sprengbomben und Luftminen erhebliche Schäden im Schloss, an der Kirche, am Pfarrhaus und in einigen um das Schloss gelegenen Gebäuden an. Die Frau des Pächters des Schlossgutshofes wurde getötet und die Köchin verlor ein Auge. Der Ittendorfer Pfarrer führte die Bombardierung auf eine Verwechslung mit Raderach zurück. Als Kreisleiter Bäckert von dem Nachtangriff gehört hatte, fuhr er noch in der Nacht gegen zwei Uhr dreißig mit seinem Dienstkraftwagen nach Immenstaad und beteiligte sich an der Koordinierung der Rettungsarbeiten bis gegen sechs Uhr morgens. Dann fuhr er nach Überlingen zurück, frühstückte, begab sich auf die Kreisleitung, um dort einige Anweisungen zu erteilen, und fuhr dann zunächst nach Ittendorf und wieder nach Immenstaad und gab Anordnungen, wie die Bombengeschädigten unterzubringen seien. Auf dem Rückweg fuhr er über Markdorf noch einmal nach Ittendorf und kam gegen zwölf Uhr mittags wieder in Überlingen an. Danach ruhte er sich etwa zwei Stunden aus und fuhr dann zusammen mit dem Kreisobmann der DAF, Sylvester Biehle, und der Kreisfrauenschaftsleiterin, Frl. Margarete Lang, nach Meersburg, wo auf 14.30 Uhr eine vom Arbeitsamt Konstanz ins Meersburger Rathaus einberufene Arbeitseinsatzbesprechung angesetzt war. 53 <?page no="264"?> 265 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Eine Arbeitseinsatzbesprechung und ihre Folgen An dieser Besprechung nahmen außerdem teil: der Leiter des Arbeitsamts Konstanz, Oberregierungsrat Dr. Huggle, die Kreisfrauenschaftsleiterin des Kreises Konstanz, Frl. Abderhalden, der Kreisgeschäftsführer der DAF des Kreises Konstanz, Pg. Schnitzler, der Dienststellenleiter des Wehrkreisbeauftragten in Konstanz, Kötteritsch, der Kreisleiter des Kreises Stockach, Pg. Zimmermann, die Kreisfrauenschaftsleiterin des Kreises Stockach, Frau Achenbach, und der Kreisobman der DAF des Kreises Stockach, Dreis. Später, nach Beendigung des geschäftlichen Teils, gesellte sich zu diesem Kreis auch noch der Kreiskulturstellenleiter der Partei und stellvertretende Bürgermeister von Meersburg, Oberstudiendirektor Dr. Krauth. Nach Zeugenaussagen wurde nach der offiziellen Besprechung Wein ausgeschenkt und die Teilnehmer tranken nach 16.30 Uhr etwa durchschnittlich ¾ Liter bis ein Liter Wein pro Kopf, wobei die Frauen weniger konsumierten als die Männer. Dazu wurde Brot gereicht. Während der Gespräche berichtete Kreisleiter Bäckert, was er in der Nacht und in den frühen Morgenstunden in Immenstaad und Ittendorf gesehen hatte. Irgendwann am späten Nachmittag kam dann die Idee auf, sich vor Ort noch einmal die Schäden in Immenstaad anzusehen. Bäckert hatte keine Einwendungen, drängte aber gegen sechs Uhr dreißig zum Aufbruch, da er am nächsten Tag am frühen Vormittag zu einer vom Gauleiter angesetzten Kreisleiterbesprechung nach Straßburg fahren wollte. Drei Wagen mit zwölf Insassen - nämlich Bäckert mit den Überlinger, Kreisleiter Zimmermann mit den Stockacher und Ingenieur Kötteritsch mit den Konstanzer Teilnehmern der Besprechung - fuhren unter Bäckerts Kommando von Meerburg aus in Richtung Immenstaad. Da zunächst Kötteritsch den Konvoi anführte, überholte Kreisleiter Bäckert gleich hinter Meersburg Kötteritschs Wagen mit hoher Geschwindigkeit, weil er es nicht dulden wollte, dass in seinem Kreis jemand anders als er vorausfuhr. Auch Kreisleiter Zimmermann überholte Kötteritsch ebenfalls mit hoher Geschwindigkeit, so dass die Gefahr bestand, die Wagen würden mit den Kotflügeln zusammenstoßen. Nach diesen gewagten Überholmanövern fuhr Bäckert bis Hagnau wieder mit mittlerer Geschwindigkeit, beschleunigte nach Hagnau aber erneut. Auf der Strecke zwischen Kirchberg und Immenstaad schnitt Kreislei- <?page no="265"?> 266 Ernst Bäckert ter Bäckert mit seinem Mercedes Benz 170 eine als sehr gefährlich geltende Kurve links an, musste aber einem entgegenkommenden Fahrzeug und entgegenkommenden Radfahrern ausweichen. Infolge zu hoher Geschwindigkeit - der Sachverständige errechnete zwischen 81 und 88 km/ h - brach der Wagen hinten aus, geriet aus der Fahrbahn, überschlug sich zum ersten Mal, rutschte dann 6 Meter auf dem Ackerfeld dahin, richtete sich wieder auf, schleuderte weiter, überschlug sich nochmals und blieb danach quer zur Fahrbahn im Gelände rechts der Straße 49,20 Meter entfernt vom Beginn der Schleuderspur liegen. Kreisleiter Bäckert und der Pg. Biehle wurden in das Krankenhaus Überlingen eingeliefert, Dr. Krauth mit leichteren Verletzungen ins Krankenhaus Meersburg. Für die Kreisfrauenschaftsleiterin Margarete Lang kam jede Hilfe zu spät. Ihre Schädeldecke war zertrümmert worden und sie starb noch am Unfallort gegen 19 Uhr. Bei der Beweisaufnahme ergab sich schnell der Verdacht auf Alkoholeinwirkung bei Ernst Bäckert und damit der Tatbestand einer fahrlässigen Tötung. Das Ergebnis der Blutprobe von 0,88 Promille war aber nur bedingt verwertbar, da zu wenig Blut eingeliefert worden war. 54 Die „Bodensee-Rundschau“ berichtete von dem Unfall am 2.-und 4. Mai 1944 und sprach von einem „tragischen Geschick“. Von dieser Linie ging die Zeitung nicht mehr ab, auch zu einem Zeitpunkt, als sie schon lange wissen musste, dass Alkohol im Spiel war und, dass Ernst Bäckert mit überhöhter Geschwindigkeit in diese gefährliche Kurve gerast war. Für den Kreisleiter sollte jetzt plötzlich nicht mehr gelten, was durch einen Erlass des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, am 18. Mai 1937 verkündet wurde, dass nämlich Trunkenheit am Steuer als Verbrechen zu behandeln sei und die Schuldigen sofort in Haft zu nehmen seien. Durch einen Runderlass im Juli 1937 erweiterte Himmler den Erlass vom 18. Mai 1937 und wies die Polizeidienststellen an, der Tagespresse Anschrift und vollen Vor-und Zunamen von Fahrzeugführern preiszugeben, die sich einer Fahrt durch Alkohol am Steuer schuldig gemacht hatten. Der Fahrer, der unter Alkoholgenuss einen Verkehrsunfall verursachte, sollte wie der „gemeine Verbrecher“ als „Verbrecher im Verkehr“ an den Pranger gestellt werden. Ausgenommen von diesen Richtlinien sollten Fälle bleiben, „[…] bei denen ganz besonders gelagerte Umstände eine Ausnahme möglich machen.“ Sollten diese Umstände vorliegen, <?page no="266"?> 267 „Ein allseits gefürchteter Mann“ wenn ein Kreisleiter der Partei sich über die für alle Volksgenossen geltenden Gesetze hinwegsetzt? 55 Am 2. Mai 1944 fand die offizielle Trauerfeier für Margarete Lang statt, anschließend wurde ihr Leichnam ins Krematorium nach Konstanz überführt und am 9. Mai ihre Asche im Garten der Pension Lang in Nussdorf in einer Zementgruft beigesetzt, in der sich schon die Holzsärge ihrer Eltern befanden. 56 Ernst Bäckert tauchte nach fast dreimonatigem Aufenthalt im Krankenhaus am 29. Juli 1944 erstmals wieder in der Öffentlichkeit auf und am 2. August hielt er eine Rede anlässlich einer Arbeitstagung der Partei des Kreises Überlingen. Darin ging er auf die Ereignisse des 20. Juli ein und deutete diese als Wink des Schicksals und als Anfang der großen Wende in der Kriegslage. Seine Rede mündete in den üblichen Durchhalteparolen: „Je größer die Gefahren werden, je stärker uns das Schicksal anfaßt, umso treuer müssen wir zu unseren Pflichten stehen. In eindringlichen Worten forderte der Kreisleiter das Bekenntnis durch den Deutschen Gruß, forderte Gläubigkeit und Einsatz, auf daß wir uns des Heldentums und der Todesverachtung unserer Soldaten würdig erweisen.“ 57 Während den Lesern der Bodensee-Rundschau mit der Aufstellung des Volkssturms im Kreisgebiet, die den Kreisleitern übertragen wurde, Anfang November Normalität vorgegaukelt wurde, erwähnte die Zeitung mit keinem Wort den für den 30. November Der Aufruf zum Volkssturm durch den Kreisleiter im November 1944 <?page no="267"?> 268 Ernst Bäckert angesetzten Gerichtstermin durch das Landgericht Konstanz in Immenstaad. Zu diesem Termin erschien Kreisleiter Bäckert nicht. Der Immenstaader Bürgermeister sagte aus, Gauleiter Wagner habe Bäckert dies untersagt und in seiner Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar befohlen, dass die Gerichtsverhandlung abgesagt werden solle. Bereits im Vorfeld hatten Bäckerts Mitarbeiter in der Kreisleitung im November einen Brief an das zuständige Landgericht Konstanz geschickt, um, wie Reichsinnenminister Himmler später monierte, das Gericht zu beeinflussen oder unter Druck zu setzen. Wegen der wahrscheinlichen Alkoholbeeinflussung Bäckerts müsse auch das Verbot eines Gauleiters in Zukunft ausgeschlossen sein, denn sonst müsste man konsequenterweise die parteilichen Hoheitsträger einer Sondergerichtsbarkeit unterstellen. Himmler bezweifelte jedoch, dass dies beim einfachen Bürger, der durch das Strafgesetzbuch jederzeit mit polizeilicher und gerichtlicher Verfolgung rechnen müsse, besonders gut ankommen würde. Erst auf Druck aus der Parteikanzlei Bormanns gab Gauleiter Wagner schließlich nach, aber es dauerte noch bis zum 13. Januar 1945 bis Kreisleiter Bäckert aus seinem Amt ausschied. Sein Gehalt wurde auf 895 RM pro Monat heruntergesetzt. In dürren Worten berichtete die Bodensee-Rundschau erst am 31. Januar 1945, dass Bäckert „[…] aus seinem Ueberlinger Amt zufolge anderer Berufung […]“ ausschied, von dem laufenden Verfahren erfuhr der Leser mit keinem Wort. Der Oberlandesgerichtspräsident in Karlsruhe brachte in einem Bericht an den Reichsjustizminister mit Bezug auf den Fall Bäckert die gesetzeswidrigen Machenschaften auf den Punkt: „ Praktisch steht aber ein Kreisleiter weitgehend extra leges und es finden sich in Verfahren gegen einen solchen nur schwer Anzeiger und Zeugen, die unbefangen und frei zu reden wagen. Dies wissen die Kreisleiter auch, halten es anscheinend für natürlich und benehmen sich entsprechend.“ 58 Und auch Kreisleiter Bäckert wusste dies, zumal er damit rechnen konnte, dass Gauleiter Wagner hinter ihm stand, denn dieser wollte ihn partout im Amt halten, weil ihm durch den Krieg kaum geeignete Kreisleiter zur Verfügung standen. Ein weiterer interessanter Aspekt dieses Falles dürfte darin liegen, dass die verstorbene Kreisfrauenschaftsleiterin Margarete Lang und der in der Parteikanzlei als Sonderbeauftragter fungierende Reichstagsabgeordnete G.R. Oexle - ein Vorgänger Bäckerts im Amt des Kreisleiters -als Pflegebruder und Schwester im Hause Lang in <?page no="268"?> 269 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Nussdorf wohnten. Es ist also durchaus denkbar, dass die Informationen der Parteikanzlei über diesen Vorgang von Oexle stammten, denn der Leiter der Parteikanzlei, Bormann, war Oexles Vorgesetzter, und wahrscheinlich war Oexle seinerseits über die Parteikanzlei jederzeit über den Verlauf der Ermittlungen informiert. Darüber hinaus zeigt dieses Beispiel, wie schwer es für die Parteikanzlei war, Entscheidungen eines Gauleiters zu beeinflussen, geschweige denn die Gauleiter über die Parteikanzlei zu kontrollieren. Es bedurfte immerhin des Einsatzes des Reichsinnenministers und seines Bruders, Ministerialrat Gebhard Ludwig Himmler (Ministerialrat im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung), um Gauleiter Wagner dazu zu bringen, Kreisleiter Bäckert vom Dienst zu suspendieren. Auch das Rechtsverständnis der Kreisleiter, die für sich in Anspruch nahmen, außerhalb der Gültigkeit der Rechtsnormen zu stehen, und sogar, wie im Fall Bäckert, zu versuchen, Druck auf ein Gericht auszuüben und zu einem angesetzten Gerichtstermin nicht zu erscheinen, zeigt, wie selbstherrlich sich diese Parteifunktionäre vielfach benehmen konnten, und wie sie versuchten, jeden, der gegen sie aufzutreten wagte, mit Drohungen einzuschüchtern. Da aufgrund des Krieges den Kreisleitern mehr Befugnisse zugesprochen wurden, wie die Beschaffung von Quartieren für Ausgebombte und die Aufstellung des Volkssturms, oder diese sich auch Befugnisse anmaßten, wie etwa Eingriffe in die kriegswirtschaftliche Produktion, dürfte dies das teilweise aggressive und anmaßende Verhalten einiger Kreisleiter zusätzlich gefördert haben, so dass sie sich wie wahrhaftige Potentaten aufführten. Beispiele für dieses eigenmächtige Verhalten sind etwa der Kreisleiter von Heilbronn, Richard Drauz, ein höchst eigenwilliger und brutaler Lokalpotentat, der Kreisleiter von Ulm, Eugen Maier, der Kreisleiter von Ravensburg, Carl Rudorf, der nach Einschätzung der Bevölkerung ebenfalls wie ein kleiner König regierte, und letztendlich Ernst Bäckert selbst. 59 Suspendierung und Einsatz als Inspekteur des Volkssturms in Südbaden Auch was sein Ausscheiden aus dem Amt betraf, stimmen die Angaben Bäckerts nicht mit denen überein, die sich aus den Unterlagen <?page no="269"?> 270 Ernst Bäckert des Bundesarchivs in Berlin und der Bodensee-Rundschau ergeben. Er sagte bei seiner Vernehmung durch die Kriminalpolizeistelle Lahr im Juni 1947 aus, er sei bereits im Dezember 1944 im Amt abgelöst worden und eigentlich sei er bis dahin nicht dienstfähig gewesen, habe aber seit dem Juli die Dienstgeschäfte noch versehen, allerdings nicht in dem Umfang wie vorher. Bäckert suggeriert in dem Verhör, dass seine Abberufung aus dem Amt aus gesundheitlichen Gründen erfolgt sei, erwähnt aber mit keiner Silbe, dass der Gauleiter durch die Parteikanzlei im Verbund mit Reichsinnenminister Himmler dazu gezwungen wurde, auf Bäckert zu verzichten. Die anderweitige Berufung Bäckerts, die die Bodensee-Rundschau verkündete, bestand darin, dass er von Gauleiter Wagner zum „Inspekteur des Volkssturms für Südbaden“ eingesetzt wurde und sich um militärische Angelegenheiten und Versorgungsangelegenheiten zu kümmern hatte. Dazu musste er mit Sicherheit viel zu den Verbänden vor Ort reisen, was sich so gar nicht in Übereinstimmung mit seinem eingeschränkten Gesundheitszustand bringen lässt. Auch seine Ablösung als Kreisleiter macht einen überstürzten Eindruck. So berichtet Kreispropagandaleiter Greck, „daß der Weggang von Kreisleiter Bäckert schmerzliche Überraschung hervorgerufen habe. Niemand wollte an die Möglichkeit glauben, auf diesen Mann verzichten zu müssen “. Und obwohl bei Bäckerts Verabschiedung sein offizieller Nachfolger, Karl Schmidtborn, vorgestellt wurde, war sich offensichtlich nicht einmal die Bodensee-Rundschau sicher, ob Bäckert nun tatsächlich abgelöst war oder nicht, denn bis einschließlich 14. Februar 1945 erscheinen Artikel in der Zeitung, die von Auftritten von „Kreisleiter Bäckert“ sprechen. Falsch ist hingegen die Annahme von Elmar Wedeking, Bäckert sei noch bis 14 Tage vor der französischen Besatzung Kreisleiter von Überlingen gewesen und habe sich mit seinem „Stab“ bei Nacht und Nebel mit Sack und Pack auf einem Lastauto in die Berge abgesetzt. Wedekings Annahme stützt sich auf die 1955 von der Sekretärin Balbina Kramer gemachte Aussage über die Vorgänge vor, während und nach der Besetzung der Stadt durch die französische Armee. Als Sekretärin im Rathaus hätte sie über die Vorgänge besser informiert sein müssen. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass eine zehn Jahre nach dem tatsächlichen Geschehen gemachte Aussage nicht frei von Irrtümern und Erinnerungslücken ist. Da Bäckert zwar noch in der Stadt wohnte, aber seit Ende Januar vom Posten <?page no="270"?> 271 „Ein allseits gefürchteter Mann“ des Kreisleiters abgezogen worden war, kann er auch nicht mehr über einen ihm unterstellten „Stab“ verfügt haben. 60 Vorwürfe gegen Ernst Bäckert wegen Missbrauchs der Amtsgewalt Als Kreisleiter war Bäckert im November 1944 für die Aufstellung der Volkssturmverbände im Kreis Überlingen zuständig. Alle Stellungsbefehle für den Volkssturm gingen über seinen Schreibtisch und mussten von ihm unterzeichnet werden. Dies bot auch die Möglichkeit, Leute, die ihm ein Dorn im Auge waren, in den Volkssturm zu berufen und sie zu Schanzaktionen, zum Aufbau von Verteidigungsstellungen und von Panzersperren zu verpflichten. Auf diese Weise rächte sich der Gauleiter auch an Wilhelm Pfeifer aus Owingen, dem er schon 1942 verboten hatte, in seinem Dorf als Parteimitglied in der katholischen Kirche die Orgel zu spielen. Allerdings wurde Pfeifer im September 1944 zur Wehrmacht eingezogen, trotz einer Kriegsbeschädigung aus dem 1. Weltkrieg. Zwar war der Kreisleiter nicht zuständig für die Einziehung von Wehrmachtssoldaten, aber ein entsprechender Wink beim Wehrmeldeamt in Überlingen dürfte genügt haben, um auf Pfeifer aufmerksam zu machen. Aufgrund seiner Kriegsbeschädigung wurde Pfeifer bald wieder von der Schanzaktion im Elsass nach Hause geschickt und überstand den Einsatz schadlos. Auch die Frau des stellvertretenden Ortsgruppenleiters Otto Vetter aus Uhldingen-Mühlhofen warf Bäckert nach dem Kriege vor, er sei dafür verantwortlich gewesen, dass ihr Mann zur Wehrmacht eingezogen wurde, weil er es gewagt hatte, Bäckert darum zu bitten, von seinem Posten als stellvertretender Ortsgruppenleiter zurückzutreten. Bäckert hielt ihm daraufhin vor, dies käme einer Fahnenflucht gleich. Bäckert bestritt jedoch vehement, mit der Sache etwas zu tun zu haben, noch jemals mit dem Wehrmeldeamt in Kontakt getreten zu sein. Heinrich Klotz, Ratsschreiber bei der Stadt Überlingen, selbst Parteimitglied und bis 1943 Leiter der Außenstelle des Reichsbundes Deutscher Beamter in Überlingen, mutmaßte ebenfalls, dass Bäckert seine Hände im Spiel hatte, als er im August 1944 zur Wehrmacht einberufen wurde. So soll Bäckert, nach Aussage von <?page no="271"?> 272 Ernst Bäckert Heinrich Klotz, noch am Tage seiner Einberufung oder spätestens einen Tag darauf im Geschäft seiner Schwiegereltern „freudestrahlend“ verkündet haben, „[…] dass der Klotz vom Rathaus nun endlich eingezogen sei und noch ‚Einer‘ folgen würde.“ Auch der Stadtinspektor Julius Kitt warf Bäckert nach dem Krieg vor, ihn mit anderen Kameraden zum Volkssturmeinsatz nach Offenburg geschickt zu haben. Nur seine Kriegsbeschädigung bewahrte ihn vor diesem Einsatz, bei dem nach Kitts Darstellung mehrere Kameraden „ ins Gras beißen mussten.“ Überhaupt schien Bäckert es auf die Überlinger Stadtverwaltung abgesehen zu haben. So beklagte sich Bürgermeister Dr. Spreng, dass von zehn Überlinger Volkssturmmännern, die nach Offenburg befohlen wurden, allein vier aus der Stadtverwaltung waren, und dass hier doch sehr einseitig auf die Stadtverwaltung zugegriffen wurde. 61 Es ist schwierig, nachträglich herauszufinden, ob Bäckert in allen genannten Fällen tatsächlich seine Finger im Spiel hatte. Auch die Staatsanwaltschaft hatte nach dem Krieg damit ihre Probleme und in dem gegen Bäckert 1949 geführten zweiten Prozess spielten diese Vorgänge keine Rolle mehr, zumal es noch einige gravierendere Vorwürfe des Amtsmissbrauchs gegen ihn gab. Prozess wegen fahrlässiger Tötung Nachdem Ernst Bäckert aus seinem Kreisleiteramt ausgeschieden war und die vorherigen Versuche, ein Verfahren gegen ihn zu verzögern oder zu unterbinden, fehlgeschlagen waren, fand der Prozess gegen ihn noch im März 1945 statt. Am 27. März 1945 wurde er wegen „fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit zweifacher gefährlicher Körperverletzung und Außerachtlassung der Straßenverkehrsordnung“ zu einer Gefängnisstrafe von fünf Monaten verurteilt. Noch während des Verfahrens versuchte Bäckerts Anwalt, den Unfall auf einen Bruch des Spurstangenzapfens am Fahrzeug zurückzuführen, um seinen Mandanten damit zu entlasten. Das technische Gutachten wies jedoch anhand der Bremsspuren nach, dass der Bruch des Spurstangenzapfens ein „Gewaltbruch“ verursacht durch die zu hohe Geschwindigkeit und das mehrfache Überschlagen des Wagens war . In der Urteilsbegründung kam auch der Alkoholgenuss Bäckerts zur Sprache. Das Gericht warf ihm vor, <?page no="272"?> 273 „Ein allseits gefürchteter Mann“ dass nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen schon bei 0,5 Promille, eine wesentliche Leistungsminderung bei Kraftfahrern auftrete, und dass er zusätzlich fahrlässig gehandelt habe, weil im Zustand der Übermüdung seine Fahrtüchtigkeit ebenfalls wesentlich herabgemindert gewesen sei. Das Gericht wies Bäckerts Einwand, er habe nicht mehr getrunken, als er vertragen könne, und er habe keinerlei Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit erkennen können, als nicht stichhaltig zurück. Da das Urteil erst im Dezember 1945 rechtskräftig wurde, verbüßte Ernst Bäckert seine Haftstrafe, bedingt durch seine vorherige Internierung, erst ab dem 23. August 1948 bis 23. Januar 1949 in der Landesstrafanstalt Freiburg. 62 Das Ende - weitere Prozesse gegen Ernst Bäckert Ähnlich wie viele NS-Funktionäre machte sich Ernst Bäckert wenige Tage vor dem Einmarsch der Franzosen in Überlingen aus dem Staub und floh in Richtung Vorarlberg. Zuvor hatte er als Beauftragter des Volkssturms in Südbaden noch den Auftrag erhalten, zusammen mit dem aus Pforzheim geflohenen Kreisleiter Hans Knab den Widerstand gegen die vorrückenden französischen Truppen zu organisieren. In dieser Eigenschaft erschienen Bäckert und Knab wenige Tage vor Kriegsende auch in Markdorf, wo Bürgermeister Grieshaber in einer geheimen Konferenz mit den Gemeinderäten beschlossen hatte, die Stadt nicht zu verteidigen. Davon hatte Bäckert Wind bekommen und wies Grieshaber auf den Verteidigungsbefehl hin. Nach zwei Tagen erschienen Bäckert und Knab wieder. Es gelang Grieshaber jedoch die beiden zu überzeugen, die Gegend zu verlassen, indem er ihnen neue Dokumente ausstellte. Bäckert floh mit seiner Familie in Richtung Vorarlberg, wo er am 9. Mai 1945 in St. Gallenkirchen aufgegriffen und festgenommen wurde. Er kam sofort in Internierungshaft und war bis Februar 1949, also insgesamt 45 Monate lang interniert. Dazwischen verbüßte er die Haft aus dem ersten Prozess wegen fahrlässiger Tötung in der Landesstrafanstalt Freiburg. Im März 1949 begann der zweite Prozess wegen versuchter Nötigung und zwei rechtlich selbständigen Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung, in dem Ernst Bäckert zu weiteren fünf Monaten Gefängnis verurteilt wurde. 63 <?page no="273"?> 274 Ernst Bäckert Die genauen Internierungsorte Bäckerts lassen sich aus den Gerichtsakten und weiteren Akten im Stadtarchiv Überlingen einigermaßen rekonstruieren, da aber die Spruchkammerakte für Ernst Bäckert im Staatsarchiv Freiburg zwar vorhanden ist, aber nur aus einem leeren Aktendeckel besteht, darf angenommen werden, dass die französische Besatzungsbehörde diese Akten mit nach Frankreich genommen hat. Die polizeiliche Meldebehörde in Überlingen vermerkte in der Einwohnerkartei, dass sich Bäckert von 1945 bis zum 1. Februar 1949 in den Internierungslagern Freiburg-Kyburg und Lahr-Dinglingen befunden habe. Dies deckt sich mit Bäckerts eigenen Angaben. Allerdings war er nicht ständig in den Internierungslagern, sondern zwischendurch auch im Bezirksgefängnis in Stockach und in Überlingen. So wurde Bäckert anfangs des Jahres 1947 wohl vom Bezirksgefängnis Stockach ins Bezirksgefängnis Überlingen überführt. Im Februar 1947 beauftragte das Gouvernement Militaire in Überlingen die Gendarmerie des Kreises, bei den einzelnen Gendarmerieposten Erkundigungen einzuziehen, ob Erkenntnisse vorliegen, dass sich Bäckert wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hat, oder ob sonstige zu verfolgende strafbare Handlungen bekannt geworden sind. Diese Erkenntnisse sollten nun an die Staatsanwaltschaft in Konstanz weitergeleitet werden. 64 Während der Inhaftierung im Bezirksgefängnis Überlingen erkrankte Bäckert schwer. Am 29. Januar 1947 wurde durch den Gefängnisarzt Dr. Freudenberg auch der Facharzt für Innere Krankheiten, Dr. Kleeberg, hinzugezogen, um Bäckerts Krankheitszustand zu bewerten. Gemeinsam gelangten sie zu der Diagnose, dass Ernst Bäckert an Gelenkrheumatismus im Bereich des linken Knie- und Hüftgelenkes erkrankt sei. Dazu kam eine schwere Hunger-Ernährungsstörung mit Wasseransammlungen im Gesicht und in den Beinen und eine schwere Vitaminmangelerkrankung (Skorbut) mit Schwellungen des Zahnfleisches und Zahnausfall. Beide Ärzte verlangten eine sofortige Überweisung Bäckerts in das Krankenhaus. Dr. Freudenberg und Dr. Kleeberg kamen übereinstimmend zu der Ansicht, dass für seine Erkrankung vor allem die völlig unzureichende Ernährung verantwortlich sei, da weder Frischgemüse noch Obst gereicht werde, und auch die Brot- und Fettrationen nicht den Vorschriften entsprächen. Dies meldeten die beiden Ärz- <?page no="274"?> 275 „Ein allseits gefürchteter Mann“ te sowohl dem Bürgermeisteramt, dem Gesundheitsamt und dem Gouvernement Militaire. Sowohl das Gesundheitsamt wie auch das Bürgermeisteramt reagierten umgehend auf den Brief der beiden Ärzte. Der Leiter des Gesundheitsamtes, Dr. von Marenholtz, bestätigte die Diagnose seiner beiden Kollegen und wandte sich direkt an Kommissar Mayoli vom Gouvernement Militaire und bat darum, eine sofortige Überweisung Bäckerts ins Krankenhaus zu veranlassen. Bürgermeister Hug führte einen Gemeinderatsbeschluss herbei, in dem betont wurde, dass „[…] politische Gefangene nicht neuerdings eine unmenschliche Behandlung erfahren […]“ dürfen, auch wenn „[…] Bäckert im 3. Reich ein ungemein gehässiges und verabscheuungswürdiges Verhalten an den Tag legte.“ Des Weiteren wurde das Gesundheitsamt beauftragt, die in der Küche Braunwarth zubereitete Gefangenenkost wiederholt daraufhin zu überprüfen, ob die Leute auch wirklich das bekommen, was ihnen zusteht. Am 17. Februar meldete sich Dr. von Marenholtz wieder beim Bürgermeisteramt mit der Feststellung, dass tatsächlich nicht die zuständigen Rationen an die Gefangenen ausgeteilt wurden. Der Grund lag aber vorwiegend in der mangelnden Zuteilung von Vorräten an das Überlinger Gefängnis. Vor allem fehlte es an Kartoffeln und Gemüse. Durch die Intervention von Dr. von Marenholtz erhielt Ernst Bäckert Lebensmittelzulagen, so dass es ihm Mitte Februar etwas besser ging, eine Überweisung ins Krankenhaus Überlingen erfolgte aber trotz der mündlichen Zusage des französischen Kommissars nicht. Grund dafür dürfte die Diagnose des französischen Militärarztes gewesen sein, der der Meinung war, Bäckerts Schwellung in den Beinen sei durch Krampfadern bedingt. Die Schwellungen im Gesicht und die ausfallenden Zähne waren damit aber kaum zu erklären, aber trotz der übereinstimmenden Diagnose der drei deutschen Ärzte war der französische Kommissar nicht bereit, Bäckert ins Krankenhaus überweisen zu lassen. Stattdessen wurde er Ende Februar 1947 wieder ins Bezirksgefängnis Stockach „verschubt“. Anschließend kam er ins Internierungslager Lahr-Dinglingen, wo er am 14. Juni 1947 von der Kriminalpolizei Lahr verhört wurde. In seinem Schlussbericht vermerkte der ihn verhörende Kriminalassistent: „Bäckert wurde auftragsgemäss vernommen. Er machte während der Vernehmung einen etwas geistig abwesenden Eindruck und konnte sich auch an vieles nicht mehr erinnern. Bäckert ist krank (Wasser in den Beinen) und dürfte sein phlegmatisches Benehmen ein <?page no="275"?> 276 Ernst Bäckert Grund der langen Inhaftierung sein. Ob seinen gemachten Angaben Glauben geschenkt werden kann, dürfte deshalb angezweifelt werden.“ Selbst im Sommer 1947 war Ernst Bäckert gesundheitlich immer noch sehr angeschlagen. Ob er sich aber nicht mehr an alles erinnern konnte oder auch an manches nicht erinnern wollte, mag dahingestellt bleiben. 65 Die von der französischen Militärregierung angestoßenen Ermittlungen durch deutsche Behörden begannen im Februar 1947, indem zunächst von den Gendarmerieposten des Kreises Überlingen Berichte darüber angefordert wurden, ob Erkenntnisse gegen Bäckert wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder sonstige strafwürdige Vergehen vorliegen. Dabei lassen sich in der Beurteilung der Person Bäckerts einige Charaktereigenschaften des ehemaligen Kreisleiters erkennen, die sich wie ein roter Faden durch die Berichte der Gendarmerieposten ziehen: Kritisiert wird allenthalben sein selbstherrliches, fanatisches, rücksichtsloses, brutales und einschüchterndes Auftreten. Wenn sich ihm Widerstand entgegenstellte, drohte er mit der Gestapo und dem Konzentrationslager. Darüber hinaus galt er als „[…] einer der größten Hetzer der NSDAP gegen alle Andersdenkenden.“ Bäckert selbst kommentierte sein Verhalten als Kreisleiter während des gegen ihn beim Schöffengericht Konstanz durchgeführten zweiten Prozesses im März 1949 folgendermaßen: „Ich bestreite nicht, dass ich oft massiv war und meine Anordnungen auch scharf durchführte. Ich gebe auch zu, dass ich ab und zu über das Ziel geschossen habe.“ 66 Dieses Bild aus den Polizeiberichten wird ergänzt durch die ersten Einschätzungen durch das am 12. September 1945 in Überlingen gegründete Antinazi-Comité, das sich als „überparteiliche Organisation der nazifeindlich eingestellten Bürgerschaft“ verstand. Der erste Vorsitzende des zunächst 15 Personen umfassenden Antinazi-Comités war Karl Löhle, ein Sozialdemokrat, der unter den Nationalsozialisten gelitten hatte, und von den Franzosen als erster Nachkriegsbürgermeister eingesetzt wurde. Dem Comité gehörten tatsächlich Personen aus allen ehemaligen parteipolitischen Lagern an, von den Kommunisten mit Karl Bittel an der Spitze bis zu den Sozialdemokraten, den Liberalen und den ehemaligen Zentrumsvertretern. Auch das Antinazi-Comité kam zu dem vernichtenden Urteil, Bäckert sei ein „übler Nazi“ und „Terrorist“ gewesen. Selbst der als besonnen geltende und um Ausgleich bemühte Karl Löhle wieder- <?page no="276"?> 277 „Ein allseits gefürchteter Mann“ holte diese Einschätzung anlässlich einer politischen Beurteilung von Bäckerts Frau Romana 1946: „Bäckert zählte zu den größten Aktivisten und Terroristen.“ Gleichzeitig unterstützte er Romana Bäckert und erlaubte ihr im Oktober 1945, ihre Nähmaschine bei Schneidermeister Wörz abzuholen, um sie für sich und ihre zwei Kinder verwenden zu können. Der älteste Sohn Kurt war seit den Kämpfen in Stromberg an der Nahe im Frühjahr 1945 verschollen und als gefallen gemeldet. Romana Bäckert glaubte lange nicht an den Tod ihres Ältesten. Erst als nach dem Tode ihre Ehemannes 1962 der Leichnam ihres Sohnes vom Soldatenfriedhof Stromberg im Bleisarg nach Lindau überführt (dem neuen Wohnort Romana Bäckerts bei ihrem zweiten Sohn Horst) und nach einer Obduktion anhand der Zähne erwiesen war, dass ihr Sohn Kurt im Sarg lag, konnte Romana Bäckert überzeugt werden, dass ihr Sohn tatsächlich gefallen war. 67 Als die Stadt Überlingen am 18. November 1948 vom Untersuchungsausschuss des Internierungslagers Freiburg-Kyburg einen Vordruck zugeschickt bekam, in dem angefragt wurde, ob es politische Bedenken gegen eine mögliche Rückkehr von Ernst Bäckert nach Überlingen gäbe und ob die Gefahr einer unzulässigen Beeinflussung von Bevölkerungsteilen bestehen könnte, reagierte die Stadt ablehnend. Es wurde am 25. November sogar ein Gemeinderatsbeschluss herbeigeführt, in dem die Frage der möglichen politischen Beeinflussung offen gelassen wurde, die Frage nach der besonderen Belastung durch Bäckert aber klar bejaht wurde, indem besonders hervorgehoben wurde, dass er „manche Personen ins Konzentrationslager gebracht“ und viele „Drohungen ausgesprochen“ habe. In der offiziellen Antwort auf den Fragebogen des Badischen Staatskommissariats für die politische Säuberung in Freiburg-Kyburg ließ die Stadt am 2. Dezember 1948 wissen, dass sie eine Rückkehr Ernst Bäckerts in seine bisherige Wohngemeinde Überlingen nicht wünsche, weil er eine erhebliche politische Belastung aufweise. Insgesamt gelangten Stadtrat und Stadtverwaltung zu folgender Beurteilung: „Bäckert hatte alle Eigenschaften des typischen Nazi in sich vereinigt, war fanatisch und rücksichtslos in der Durchführung seiner Befehle und Anordnungen, ließ selten menschliche Gefühle aufkommen und schreckte vor keinen terroristischen Drohungen und Massnahmen gegen In- und Ausländer zurück. Zugute kann ihm vielleicht gehalten werden, daß er Denunzierungen, wel- <?page no="277"?> 278 Ernst Bäckert che auf der Kreisleitung versucht wurden, nicht ohne weiteres Gehör schenkte und dieselben mindestens überprüfte oder überprüfen ließ, bevor ein Urteil gefällt wurde.“ 68 Der Vorwurf, Bäckert habe „manche Personen ins Konzentrationslager gebracht“ ist insofern problematisch, als er kaum zu beweisen war. Vermutlich bezieht sich dieser Vorwurf auf die Inhaftierung von Maurerpolier Karl Frank vom 23. August 1944 bis 1. Oktober 1944 im Konzentrationslager Natzweiler im Elsaß. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurden im August aufgrund eines Befehls von SS-Führer und Reichsinnenminister Himmler zahlreiche politische Gegner teilweise willkürlich verhaftet. Im Oktober wurde der Vernichtungsbefehl für einen Teil der im August Verhafteten wieder zurückgenommen und auf diese Weise kam der ehemalige Sozialdemokrat Karl Frank wieder frei. Ob der Fuhrunternehmer Xaver Straßer, ebenfalls ein ehemaliger Sozialdemokrat, auch zu den Inhaftierten in Natzweiler gehörte, wird aus der Aktenlage nicht ganz klar. Er wird dort als „Leidensgenosse“ von Karl Frank bezeichnet. Da solche Verhaftungen im Regelfall durch die Gestapo durchgeführt wurden, könnte Bäckerts Beteiligung allenfalls darin bestanden haben, dieser die Namen politischer Gegner genannt zu haben. Einen Beweis dafür konnte ich in den Akten nicht finden. Auch in dem später gegen Bäckert angestrengten Prozess spielten diese Vorwürfe keine Rolle. 69 Am 9. November 1948 erhob die Staatsanwaltschaft Konstanz Klage gegen Ernst Bäckert beim Amtsgericht/ Schöffengericht Konstanz. Von den vielen gegen Bäckert gerichteten Vorwürfen blieben zwei Straftatbestände übrig, die vor Gericht gegen den ehemaligen Kreisleiter geltend gemacht wurden. Der Prozess fand am 10. März 1949 vor dem Schöffengericht in Konstanz statt. Bäckert wurde versuchte Nötigung in einem Falle und vorsätzliche Körperverletzung in zwei rechtlich selbständigen Fällen vorgeworfen. Im Frühjahr 1942 hatte der Wagnermeister Adolf Fischer aus Mühlhofen ein Räumungsurteil gegen einen bei ihm eingemieteten nahen Verwandten des Ortsgruppenleiters Winterhalter beim Amtsgericht Überlingen erwirkt. Der Ortsgruppenleiter verständigte daraufhin Kreisleiter Bäckert, der Fischer auf die Kreisleitung nach Überlingen bestellte und von ihm verlangte, in den Kriegsjahren auf die Vollstreckung des Urteils zu verzichten, da man zur Zeit Wichtigeres zu tun habe, als Leute aus ihrer Wohnung zu setzen. <?page no="278"?> 279 „Ein allseits gefürchteter Mann“ Nach einem etwa halbstündigen Vortrag wandte sich der Kreisleiter an Adolf Fischer mit den Worten: „Jetzt lasse ich Ihnen 5 Minuten Zeit, ich lese Ihnen ein Schriftstück vor, wenn Sie es nicht unterschreiben, telefoniere ich der Gestapo und dann kommen Sie ins KZ.“ Adolf Fischer blieb jedoch standhaft und weigerte sich das Schriftstück zu unterzeichnen, das eine Verzichtserklärung auf die Vollstreckung aus dem Räumungsurteil des Amtsgerichts Überlingen enthielt. Danach konnte er die Kreisleitung verlassen und Bäckert unterließ es, in politischer Hinsicht etwas gegen ihn zu unternehmen. Fischer gelang es bald darauf, seinen Mieter aus der Wohnung zu bekommen. Dies war auch der Grund, warum die Staatsanwaltschaft nur auf versuchte Nötigung plädierte. Während des Kriegs wurden die 16 bis18-Jährigen allgemein zum örtlichen Feuerwehrhilfsdienst eingezogen. Im April 1944 entstand während der Dienstübungen unter den Jungen ein Gerede, dass man die Hitlerjungen unter Zwang in die Partei übernehme. Tatsächlich wurden damals die 18-jährigen Hitlerjungen der Ortsgruppe Unteruhldingen in die Partei überführt. Auch der am 2. April 1926 geborene Karl Metz erhielt wie seine Alterskameraden vom damaligen Bürgermeister eine vorgedruckte Erklärung, die den Aufnahmeantrag der HJ-Jungen in die Partei enthielt. Seine Mutter Josefine Metz war aber nicht damit einverstanden, dass ihr Sohn in die Partei eintreten sollte. Sie wurde jedoch von Bürgermeister Winterhalter dahingehend belehrt, dass ihr Sohn den Antrag zu unterschreiben und auf dem Bürgermeisteramt abzugeben habe, was dieser schließlich auch tat. Die Jungen machten sich über diesen „freiwilligen Zwang“ lustig. Dies wurde Kreisleiter Bäckert gemeldet, und Karl Metz und Oskar Helmlinger (geb. am 21. Juli 1927) wurden auf das Rathaus in Unteruhldingen einbestellt. Bäckert erschien in Begleitung eines Bannführers der HJ und wies die beiden Jungen zurecht. Laut seiner Aussage hätten ihm die beiden Jungen freche Antworten gegeben. Er gab zu, ihnen Ohrfeigen verpasst zu haben. Ganz anders nimmt sich dies in der Zeugenaussage von Josefine Metz, aus, die berichtete, dass ihr Sohn mit Blutspuren und blutunterlaufenen Stellen im Gesicht und zerzausten Haaren nach Hause kam und ihr schließlich gestand, Bäckert habe die Tür hinter sich geschlossen, den Rock ausgezogen, die Ärmel hochgekrempelt und dann seien sie geschlagen worden. Dabei seien sie zu Boden geschleudert, geohrfeigt und sogar mit Füßen getreten <?page no="279"?> 280 Ernst Bäckert worden. Außerdem habe der Kreisleiter ihnen gesagt, dass sie nichts erzählen dürften. Josefine Metz sagte weiterhin aus, dass sie sich überlegt habe, etwas gegen den Kreisleiter zu unternehmen, ihr aber von allen Bekannten davon abgeraten worden sei. Schließlich sei sie zu ihrer Tochter nach Konstanz gegangen, um sich mit ihr zu besprechen. Von dort aus habe sie Kreisleiter Bäckert angerufen und ihm vorgehalten , dass er ihren Sohn geschlagen habe, weil er nicht freiwillig in die Partei wollte. Daraufhin habe Bäckert zur Antwort gegeben: „Was, das sagen Sie mir, ich könnte Sie samt Ihrem Sohn ins KZ. bringen.“ In beiden Fällen lässt sich das bei Bäckert übliche Drohmuster mit KZ und Gestapo wieder erkennen. Das Gericht hielt jedenfalls die Zeugenaussage von Josefine Metz für absolut glaubwürdig und nahm Bäckert nicht ab, den beiden Jungen nur eine Ohrfeige gegeben zu haben, sondern hielt es für erwiesen, dass der Angeklagte diese erheblich schwerer misshandelte hätte, als er zugeben wollte. Die Staatsanwaltschaft beantragte eine Gesamtgefängnisstrafe von sechs Monaten. Ernst Bäckert, der das letzte Wort hatte, bat um eine milde Strafe und zu berücksichtigen, dass er völlig mittellos sei, eine Internierungshaft von 45 Monaten hinter sich habe und gesundheitlich vollständig ruiniert sei. Das Gericht verurteilte ihn schließlich zu einer Gesamtgefängnisstrafe von fünf Monaten. Außerdem hatte er die Kosten des Verfahrens zu tragen. 70 Der Redakteur des „Südkurier“, der beim Prozess im Schöffengericht anwesend war, kam zu einer ziemlich treffenden Einschätzung: „Vor Jahren ein allseits gefürchteter Mann, der, wie er selbst zugab, sein Amt mit Nachdruck ausübte, einer jener Männer, denen Macht vor Recht ging. Die in dieser Verhandlung aufgeklärten Taten mögen, so verwerflich sie empfunden werden, wohl nur einzelne Kostproben vom Wirken des Kreisleiters Bäckert sein, eines der führenden nationalsozialistischen Männer im Bodenseegebiet. - Heute tritt ein hinkender Mann in den Gerichtssaal, körperlich und seelisch gebrochen. 45 Monate Internierung haben ihn sein brutales und selbstherrliches Auftreten ablegen lassen.“ In einem weiteren Prozess, der beim Amtsgericht Meßkirch durchgeführt wurde, wurde Ernst Bäckert am 25. März 1949 zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er im Jahre 1941 als Kreisleiter den Befehl erteilt hatte, einer Frau aus Stetten a.k.M., die <?page no="280"?> 281 „Ein allseits gefürchteter Mann“ eine Beziehung zu einem polnischen Kriegsgefangenen unterhalten hatte, vor dem Rathaus die Haare zu scheren. 71 Ernst Bäckert verlässt Überlingen Die Stadt Überlingen konnte sich mit ihrer Entscheidung, Bäckert nicht mehr in der Stadt haben zu wollen, tatsächlich durchsetzen. Seine Abmeldung aus Überlingen erfolgte am 8. Juli 1949. Am selben Tag bestätigt die Einwohnerkartei der Gemeinde Laufen/ Eyach im Zollernalbkreis den Zuzug Ernst Bäckerts. Seine Ehefrau Romana blieb noch bis 1954 in der Münsterstraße 4 in Überlingen. Am 4. Oktober 1954 erfolgte ihre Abmeldung aus Überlingen nach Laufen in die Dobelstraße 133, wo sie sich offiziell am 12. Oktober 1954 anmeldete. Ernst Bäckert arbeitete nach den offiziellen Angaben im Melderegister von Laufen als Versandleiter 13 Jahre bei der Firma Fritz & Co., Pappen und Kartonagefabrik. In Laufen wohnte auch sein Bruder Hermann, und sein Vater sowie sein Bruder Walter wohnten nach wie vor in Stetten, gerade einmal 25 Kilometer von Laufen entfernt. Von Juli 1955 bis zu seinem Tode 1962 war er Dirigent der Musikkapelle Laufen, erhielt die Goldene Dirigentennadel verliehen und erreichte mit seiner Kapelle beim Kreismusikfest 1962 einen ersten Rang. Schon schwer krebskrank wurde er von der Musikkapelle, deren Vorsitzender sein Bruder war, zum Ehrendirigenten ernannt, Er starb am 11. November 1962 im Alter von 63 Jahren im Balinger Krankenhaus. Seine Ehefrau blieb noch bis zum 6. März 1964 in Laufen, dann zog sie zu ihrem Sohn Horst nach Lindau in die Steigstraße 47. 72 Anmerkungen 1 Zu den biographischen Daten Bäckerts und seiner Familie: StAF-Best. F 178/ 2 Nr. 170 und Best. G 701/ 2 Nr. 5103. Außerdem WEISSHAUPT, Helmut: Ernst Bäckert: „Die sind ja närrisch, ICH führe die Kolonne“, in: Täter, Helfer Trittbrettfahrer (THT), Bd. 6. NS-Belastete aus Südbaden, S. 32 ff. und SAÜ-Einwohnermeldekartei sowie BR vom 13.6.1942. Zu Bäckerts Engagement in der Feuerwehrkapelle: http: / / www.fwk-stetten. de/ orchester/ dirigenten/ index.php abgerufen am 29.11.2011. <?page no="281"?> 282 Ernst Bäckert 2 Zu Bäckerts Parteieintritt: Nach der BR vom 13.6.1942 erfolgte der Parteieintritt im Juli 1930. Nach den Unterlagen im StAF-Best. G 701/ 2 Nr. 5103 am 1.11.1930. Möglicherweise wurde dies verwechselt mit der offiziellen Einsetzung als Kreisleiter. Dort auch die Mitgliedsnummer Bäckerts. Zur Gründung der Ortsgruppe Stetten: BR vom 24.12.1935 und BR vom 13.6.1942. Zu den Hintergründen der Gründung der Ortsgruppe und zu dem in Stetten seit 1932 bestehenden SA-Trupp: 1200 Jahre Stetten am kalten Markt. 799-1999, (Hg.) JEUCK, Erika und SCHAFFER, Wolfgang, Ulm 1999, S. 195. Im Folgenden zitiert: 1200 Jahre Stetten. Zur Gründung der Ortsgruppe Meßkirch: WEISSHAUPT, Helmut: Die Entwicklung der NSDAP in Meßkirch bis 1934, in: Meßkircher Heimathefte, Bd. 5, Jg.1999, (S.57-80), hg. von der Museumsgesellschaft Meßkirch e.V., S. 59. Im Folgenden zitiert: Weißhaupt, S. Zu den Bezirks-und Kreisratswahlen im Bezirk Meßkirch: Weißhaupt, S. 61. Zur Saalschlacht in Ebingen: BR vom 13.6.1942. 3 Zu Bäckerts Wahl in den Gemeinderat und die Kontroverse mit Albert Zimmermann: Weißhaupt, THT 6, S. 34. Zu den Hintergründen der Einrichtung des Schutzhaftlagers: 1200 Jahre Stetten, S. 181 f. Das Zitat ebenda, S. 181. 4 Zur Eröffnung des Lagers: 1200 Jahre Stetten, S. 181, dort auch die verniedlichenden Presseberichte, die das Lager fast als Erholungsort darstellten. Dass sich das Lager vor allem unter württembergischer Kontrolle befand, liegt an der besonderen Situation vor Ort. Die Grenze zwischen Baden, Württemberg und Hohenzollern verläuft quer durch den Truppenübungsplatz. Große Teile befinden sich auf württembergischem Territorium. 5 Zur Einsetzung Bäckerts als kommissarischer Bürgermeister: 1200 Jahre Stetten, S.187. Zur Wahl Bäckerts zum Bürgermeister Ende Mai: Karlsruher Zeitung, Bad. Staatsanzeiger, vom 31.5.1933. Zu den Vorgängen um die Versorgung des Lagers und dessen Auflösung sowie die Neubelegung mit Reichswehrtruppen: 1200 Jahre Stetten, S. 181 ff. Zu Bäckerts Einzug in den Kreisrat: SAÜ- Best. D3-2371. Ein weiteres düsteres Kapitel des Truppenübungsplatzes ist die spätere Belegung mit dem Strafbataillon 999, das aus sogenannten Wehrunwürdigen zusammengesetzt wurde und zu „Himmelfahrtkommandos“ wie Minenräumung u.ä. eingesetzt wurde. Zu Bäckerts Umgang mit dem Kindererholungsheim: Weißhaupt, THT 6, S. 35 6 Zum Tausch der Bürgermeisterämter: Weißhaupt, S. 76, und 1200 Jahre Stetten, S. 187. Hier liegt in der Stettener Publikation ein Fehler vor: Aus dem Text ergibt sich klar, dass Bürgermeister Wendling im August 1938 (statt August 1939) nach Stockach versetzt wurde. Vgl. hierzu die Stockacher Unterlagen bei: RATHKE, Hartmut: Stockach im Zeitalter der Weltkriege, Bd. 123 der Hegaubibliothek, Konstanz 2004, S. 212 f. Zum Umgang Bäckerts mit seinen politischen Gegnern: Weißhaupt, THT 6, S. 36 f. 7 Weißhaupt, S. 61. Dort auch weitere Hintergründe, z. B., dass der ehemalige Bürgermeister Weißhaupt während des Wahlkampfs durch Zim- <?page no="282"?> 283 „Ein allseits gefürchteter Mann“ mermann verhöhnt wurde und bei einer Wahlkundgebung vor Aufregung einer Herzattacke erlag, was den Wahlkampf nachhaltig vergiftete. 8 WEISSHAUPT, Helmut: Die NSDAP in Meßkirch, in: Stadt Meßkirch (Hg.) 750 Jahre Stadt Meßkirch, Beiträge zur Stadtgeschichte, Meßkirch 2011, S. 109-133. Die beiden beschriebenen Vorfälle sind bei Weißhaupt auf S. 110 ff. geschildert. Seine Einschätzung, dass Bäckert ein „Scharfmacher“ gewesen sei, befindet sich auf S. 128. Diese neuere Studie Weißhaupts über die Meßkircher NSDAP in der 2011 erschienenen Stadtgeschichte brachte weitere wichtige Erkenntnisse auch über Ernst Bäckert, die sehr gut in das Gesamtbild seiner Persönlichkeit passen. Zu Bäckerts Antisemitismus: BR vom 9.7.1935. Dort das entsprechende Zitat. 9 Weißhaupt, S. 74 f. 10 Beide Zitate bei Weißhaupt, S. 76. Nach Rathke, Stockach, S. 213 kam Wendling über seine Mitgliedschaft im „Stahlhelm“ durch die Übernahme dieser Organisation später in die NSDAP. 11 Zitat nach 1200 Jahre Stetten, S. 187. Fast gleichlautend das Zitat bei Weißhaupt, S. 77. Zur endgültigen Wahl Bäckerts zum Bürgermeister auf 12 Jahre: BR vom 6.8.1935. 12 Diese Hintergrundinformationen zum neuen Gemeinderat finden sich bei Weißhaupt, S. 77. Zu Bäckerts Funktion im Kreisrat: SAÜ-Best.- D3- 2371. Zur Nachfolgeregelung im Amt des Bürgermeisters in Meßkirch vgl. Weißhaupt, THT 6., S.-38. 13 Zur Vereinigung der beiden Kreise Meßkirch und Stockach: BR vom 11.4.1936. Zu Bäckerts erstem größeren Auftritt am 1.5.1936: BR vom 4.5.1936 mit Bild der angetretenen NS-Formationen und Bäckert vor dem Mikrofon. Zum Rücktritt des bisherigen Kreisleiters Amann: BR vom 20.4.1936. Dort auch die Information, dass Bäckert der Dienstältere der beiden war. Zur Bedeutung der NS-Kreise: Zitat aus BR vom 9.5.1936. 14 Die Zahlen stammen aus einer Statistik des Hauptorganisationsamtes der NSDAP vom 10.7.1936: BAB- NS 26-2260. Dort auch die Angabe zu Bäckerts erstem Wohnsitz in der Pfarrgasse. Zum späteren Wohnsitz Bäckerts: SAÜ-Einwohnermeldekartei: Aus der Hauptstraße 11 verzogen Bäckert und seine Familie am 21.7.1942 nach Überlingen. Zum „Braunen Haus“, das 1972 abgerissen wurde, vgl. Südkurier-Artikel vom 5.5.2011: „Nur rostige Schlüssel blieben.“ 15 Zitiert nach Rathke, Stockach, S. 217. 16 Zitiert nach Rathke, Stockach, S. 217. 17 Bericht der Kreisleiter vom 4. Jahr der nationalsozialistischen Revolution: BR vom 5.2.1937. 18 Rathke bezieht sich hier auf Akten des StAF-Landeskommissär KN 6.584 VI, 2, die ich auch selbst eingesehen habe. Weitere Erkenntnisse zu Bäckerts Dienstführung als Kreisleiter sind diesen Akten nicht zu entnehmen. Die Zitate über Hermanns Rücktritt aus Gesundheitsgründen entstammen der regionalen Presse vom Ende Dezember 1937: Rathke, <?page no="283"?> 284 Ernst Bäckert Stockach, S. 214. Die übrigen Zitate sind aus der Akte des StAF; Bei Rathke, S. 212 f. 19 Dargestellt nach Rathke, Stockach, S. 213. Dort auch das entsprechende Zitat. Zur offiziellen Amtseinführung von Bürgermeister Wendling in Stockach: BR vom 8.8.1938. 20 Dargestellt nach Rathke, Stockach, S. 214. 21 Vgl. dazu: STOCKHURST, Erich: Fünftausend Köpfe. Wer war was im Dritten Reich, Bruchsal 1967, S. 39. 22 BR vom 5.6.1939 mit der entsprechenden Bebilderung. Dort auch das Zitat des Kreisleiters. Zur Einschätzung des Kreisparteitages als „Heerschau“: Rathke, Stockach, S. 217. 23 Zur Feier des Sieges gegen Frankreich: Gemeinderatsprotokoll vom 24./ 25.6.1940. Abgedruckt bei Rathke, Stockach, S. 255 f. Dort auch das Zitat zu Ernst Bäckert. Zu Bäckerts Ausführungen zu England: BR vom 26.7.1940, abgedruckt auch bei Rathke, Stockach, S. 256. Zu Bäckerts Äußerungen zum Angriff auf die SU: BR vom 30.6.1941. Zu Zimmermanns Aktion, die Landkarten einzuziehen, siehe Rathke, Stockach, S.-257. 24 Vgl. dazu: http: / / senger.gmxhome.de/ historisches/ geschichtebuch.htm. Abgerufen am 27.9.2011. 25 Zu den Wettkämpfen des Bannes und Jungbannes 408 beim Pfullendorfer Waldbad: BR vom 3. und vom 6.7.1937. Zum nachfolgenden Jungbannlager in Gutenstein: BR vom 8.7.1937. Zum Pimpfenlager 1938 in Ludwigshafen: BR vom 29.6.1938 mit den entsprechenden Daten. Zum Pimpfenlager im Pfullendorfer Waldbad im Juni/ Juli 1939: BR vom 26.6.1939 und vom 3.7.1939. 26 Zur Schaffung neuer Kreisbauernschaften in Baden: BR vom 15.2.1937. Zur Einsetzung Otto Fischers als stellvertretender Kreisleiter des Kreises Überlingen: BR vom 28.1.1936. Seine Einsetzung als Bürgermeister von Zell-Schwäblishausen erfolgte zu Beginn des Jahres 1937: BR vom 4.1.1937. 27 Zur Planung und Durchführung des Bauerntages: Artikel der BR vom 11.1.1937 und vom 15.2.1937. Die Zitate stammen aus dem Artikel vom 15.2.1937. 28 Zum ersten Auftritt Bäckerts: BR vom 19.1.1938. Der zweite Auftritt in Bonndorf fand am 19.1.1938 statt: BR vom 19.1.1938. Der dritte Auftritt erfolgte am 1.4.1939. Ankündigung in der BR vom 31.3.1939. 29 BR vom 7.7.1939 und vom 17.7.1939. 30 Zum Vorgang selbst: 1200 Jahre Stetten, S. 196. Die Ermittlungen gegen Bäckert wurden am 14. Juni 1947 von der Kriminalpolizeistelle Lahr geführt: StAF-Best. F 178/ 2 Nr. 170. 31 BR vom 26.6.1941. Der Fall ist ebenfalls dokumentiert bei RATHKE, Hartmut: Stockach im Zweiten Weltkrieg, in: Hegau 51/ 52, 1994/ 95, S.-276 32 Der Vorfall ist erwähnt bei: GRILL, Johnpeter Horst: The Nazi Movement in Baden 1920-1945, Chapel Hill 1983, S. 481. Die dazugehörigen Doku- <?page no="284"?> 285 „Ein allseits gefürchteter Mann“ mente sind abgedruckt in: Dokumente über die Verfolgung der jüdischen Bürger in Baden-Württemberg durch das nationalsozialistische Regime 1933-1945, II. Teil. Im Auftrag der Archivdirektion Stuttgart bearbeitet von Paul SAUER, Stuttgart 1966, Nr. 542, S. 375 f. Das Zitat stammt aus dem Schreiben des Kreisleiters an die Handwerkskammer in Karlsruhe vom 29.10.1941. Die Unterstreichung im Zitat habe ich vorgenommen, um Bäckerts offenen Rassismus hervorzuheben. In einem zweiten Brief vom 25. November 1941 teilt das Arbeitsamt Bäckert mit, es werde dem Betrieb keine weiteren Lehrlinge mehr zuteilen und die beiden anderen aus dem Betrieb abziehen, sobald Meister G. die Ausbildungsbefugnis entzogen sei. 33 Dass es im Gau Baden ständig solche Konstruktionen gab, dass ein Kreisleiter kommissarisch auch noch einen weiteren Kreis zu betreuen hatte, zeigt, dass es zu wenige geeignete Parteifunktionäre gab. Als Beispiel dafür: BR vom 22.1.1941. So musste der Pg. Erley neben seinem Kreis Waldshut auch den Kreis Säckingen kommissarisch mitbetreuen, der Pg. Arnold Haller neben seinem Kreis Villingen den benachbarten Kreis Donaueschingen. Das Problem hängt auch damit zusammen, dass durch den Anschluss des Elsaß dort neue NS-Kreise aufgemacht wurden, die mit Kreisleitern aus dem bisherigen Gau Baden versehen wurden. Zur Situation in Bayern: ROTH, Claudia: Parteikreis und Kreisleiter der NSDAP unter besonderer Berücksichtigung Bayerns, München 1997, S. 206. 34 Die Zahl von etwa 55.000 zu betreuenden Volksgenossen für den Kreis Überlingen wurde nach der Zusammenlegung der Kreise Pfullendorf und Überlingen am 9.5.1936 in der BR erwähnt. Die Zahlen für den Kreis Stockach ergeben sich aus der Statistik des Hauptorganisationsamtes der Partei vom 10.7.1936: BAB-NS 26-2600. 35 Zu Bäckerts Benachrichtigung durch die Gauleitung: BR vom 2.12.1940. Dort auch die Ankündigung seiner Sprechstunden. Zur Tagung der politischen Leiter in Salem: BR vom 3.12.1940. Dort auch die Zitate. Zur Versammlungswelle: BR vom 6.12.1940 mit dem entsprechenden Zitat. Zur offiziellen Bekanntgabe der kommissarischen Leitung des Kreises: BR vom 7.12.1940. 36 So besuchte er beispielsweise den Dienstappell der Ortsgruppe Herdwangen: BR vom 10.12.1940. Zahlreiche Auszeichnungen mit Verdienstmedaillen für die deutsche Volkspflege übergab Bäckert im Überlinger Ratssaal: BR vom 13.12.1940. 37 BR vom 9.1.1941. Bäckert spricht vor der Ortsgruppe Überlingen. Dort auch die verwendeten Zitate. Arbeitstagung der Partei in Salem: BR vom 28.1.1941. Ausrichtung der Ortsbauernführer und der Bürgermeister in Pfullendorf: BR vom 1.3.1941. Dienstappell der Ortsgruppe Owingen: BR vom 8.3.1941. Weitere Veranstaltungen im Jahresablauf: Kreistagung des NS-Frauenwerks in Überlingen: BR vom 13.3.1941. Großkundgebung der Ortsgruppe Überlingen: BR vom 12.5.1941. Kreisappell der politischen Leiter: BR vom 13.5.1941. Der Kreisleiter spricht zur Ju- <?page no="285"?> 286 Ernst Bäckert gend: BR vom 4.6.1941. Arbeitstagungen der Hoheitsträger der Partei und der NS-Frauenschaft in Salem: BR vom 1.7.1941. Großkundgebung der Überlinger Frauen: BR vom 5.7.1941. Kreisleiter Bäckert spricht in Pfullendorf: BR vom 19.7.1941. Kreisleiter Bäckert spricht zu den Frauen in Markdorf: BR vom 29.7.1941. Arbeitstagung der Hauptstellen-und Ortsgruppenleiter in Überlingen: BR vom 9.9.1941. Dienstappell der Ortsgruppe Pfullendorf: BR vom 13.9.1941. Arbeitstagung in Salem: BR vom 28.10.1941. Tagung der NS-Frauenschaft: BR vom 15.11.1941. Amtseinsetzung von Bürgermeister Duttlinger in Pfullendorf: BR vom 20.11.1941. Zur Besoldungsfestsetzung von Ernst Bäckert: HEUBER, Helmut (Hg.): Akten der Parteikanzlei, Teil 1. Bd. 2 München 1983; S.- 27, Regest Nr. 25710. Besoldungszeitraum: 1.8.1941 bis 29.9.1942. Bäckert wird erstmals in der BR vom 29.7.1941 als Oberbereichsleiter angesprochen. Die Beförderung erfolgte am 20.4.1941: BR vom 13.6.1942. 38 Zu Ernst Bäckerts Forderungen an die Parteigenossen: BR vom 24.2.1942 und vom 10.3.1942. Dort auch die verwendeten Zitate. Im Artikel vom 10.3.1942 tauchen auch die „Gerüchtemacher“ und ihr „verwerfliches Tun“ erstmals auf. Zu den Urlaubern am See: BR vom 14.3.1942. Dort auch das Zitat, dass Erholung jetzt nicht das Wichtigste sei. Dass die Ortsgruppenleiter den Fremdenverkehr zu überwachen haben, ist erstmals in einem Artikel vom 12.5.1942 in der BR zu erfahren. Auch dort tauchen die „Gerüchtemacher“ wieder auf. Zu den bereits 1941 an die Touristen gerichteten Appellen: BR vom 9.7.1941. Die Brachlandaktionen wurden erstmals in der BR am 24.2.1942 erwähnt. 39 Bericht der BR vom 22.4.1942. Dort auch das Zitat aus Bäckerts Ansprache. 40 Die Mitteilung des Gaupersonalamtes über den Kreisleiterwechsel erfolgte in der BR vom 12.6.1942. In diesem Artikel finden sich auch die persönlichen Daten zu Albert Zimmermann. Außerdem wandte er sich in einem „Frontbrief“ an die neuen Kameraden des Kreises Stockach. Darin weitere Informationen über seinen Werdegang. Der Brief ist abgedruckt bei Rathke, Stockach, S. 258. Dort auch das Zitat. Berichte von der offiziellen Übergabe des Kreises: Zwei Artikel der BR vom 15.6.1942. Ein weiterer Bericht von der Verabschiedung Bäckerts in Stockach in der BR vom 16.6.1942. 41 Zur offiziellen Begrüßungsfeier: BR vom 29.7.1942. Dort das längere Zitat. Zur Charakterisierung Bäckerts: BR vom 13.6.1942. Dort das kurze Zitat. 42 SAÜ-Einwohnermeldekartei: Ernst, Romana, Kurt, Horst und Irmtraud Bäckert. 43 Bericht der BR vom 10.11.1942. Dort auch das Zitat über die Rolle der Frauen. 44 Artikel der BR vom 9.11.1942 und vom 15.12.1942. Dort auch die Zitate. 45 Zum Kriegsverlauf vgl. das Standardwerk über den Zweiten Weltkrieg: Der Zweite Weltkrieg in Bildern und Dokumenten, (Hg.) JACOBSEN, Hans Adolf und DOLLINGER, Hans, Bd. 2: Der Weltkrieg 1941-1943, <?page no="286"?> 287 „Ein allseits gefürchteter Mann“ München/ Wien/ Basel 1963. Zum „Verrat“ Italiens: Artikel der BR vom 28.9.1943 anlässlich einer Großversammlung der Partei in Markdorf. 46 Zu Bäckerts Rede über die „Pflichten der Heimat“: BR vom 14.1.1943: Dort die entsprechenden Zitate. Zu Bäckerts Feststellung, dass der „totale Krieg“ auch den „totalen Einsatz“ jedes Einzelnen erfordere: BR vom 20.3.1943. Zu Bäckerts Rede am Heldengedenktag: BR vom 23.3.1943. Dort das ausgewählte Zitat. Zu seiner Rede am Geburtstag des Führers: BR vom 20.4.1943 mit dem Zitat über Deutschlands herrliche Zukunft. 47 Diese Rede hielt Bäckert anlässlich einer politischen Arbeitstagung der Partei in Salem: BR vom 4.5.1943. 48 Vernehmung Bäckerts durch die Kriminalpolizeistelle Lahr am 14.6.1947, StAF-Best. F 178/ 2 Nr.170. Der Vorfall in Owingen/ Hohenbodman wurde im Südkurier vom 14. November 1987, Ausgabe Überlingen Nr. 264, geschildert. An den Ort des Geschehens erinnert heute ein Kreuz. Zu Bäckerts Aussagen anlässlich der Schießübung im Oktober 1944 in Nußdorf: Bericht des Gendarmeriepostens Überlingen an das Gouvernement Militaire Überlingen vom 4.2.1947. Darin die Aussage Johann Häuslers. Das Zitat ist wörtlich aus dem Bericht des Gendarmeriepostens: StAF-Best. F 178/ 2 Nr.170. 49 Bericht des Gendarmeriepostens Pfullendorf vom 2.2.1947-StAF-Best. F 178/ 2 Nr. 170. 50 Zu dem Vorfall in Bermatingen: GRILL, Johnpeter Horst: The Nazi Party in Baden 1920-1945, Michigan 1975, Bd. 1, S. 454. In dieser Angelegenheit richtete sich der Ortsgruppenleiter in einem Brief auch an Gauleiter Wagner. Zum Fall Pfeifer in Owingen: Zeugenaussage des Forstwarts und Gemeinderechners Pfeifer vor dem Gendarmerieposten Owingen vom 6. Mai 1948 und Zeugenaussage des Oberforstwarts Wilhelm Höfler aus Owingen vom selben Tage: StAF-Best. F 178/ 2 Nr. 170. 51 Zu Bäckerts Besuch im Rhein-Ruhrgebiet: BR vom 3.8.1943. Dort das verwendete Zitat. Zu Bäckerts Rede bei der Heldengedenkfeier mit den verwendeten Zitaten: BR vom 9.11.1943. 52 Die ersten Luftangriffe auf Friedrichshafen erfolgten in der Nacht vom 20.-21.6.1943: Nachtangriff der Royal Airforce mit 44 Toten und 155 Verwundeten und einem Nachtangriff der RAF in der Nacht vom 7.- 8.10.1943 mit 14 Toten und 35 Verwundeten. Vgl. dazu: KESSLER, Josef B.: Das Werk von elf Luftangriffen. Wie Friedrichshafen zerstört wurde, in: Leben am See, Heimatjahrbuch des Bodenseekreises 1985, hg. vom Bodenseekreis, Bd. 3, Friedrichshafen 1985, S. 136 ff. Ein Beispiel für Warnungen vor Luftangriffen liefert ein Artikel der BR vom 1.7.1943, in dem Bauern vor „Terrorfliegern“ gewarnt werden. Zum Bau von Wohnungen für die Ausgebombten in Markdorf: Artikel der BR vom 20.11.1943. Dort das entsprechende Zitat. 53 Im Frühjahr 1944 gab es vor dem Nachtangriff vom 27.-28.4. insgesamt drei Angriffe am Tage, und zwar am 16.3. am 18.3. und am 24.4.1944. Vgl. dazu Josef B. Kessler: Das Werk von 11 Luftangriffen, S. 136 ff. Die <?page no="287"?> 288 Ernst Bäckert Zahlen zu dem Nachtangriff vom 27.-28.4.1944, ebenda, S. 136 ff. Zu den Schäden in Ittendorf bei diesem Angriff: Bericht des Ittendorfer Pfarrers Josef Stocker vom 19.1.1947: Erzbischöfliches Archiv Freiburg. Zu Bäckerts Aktivitäten an diesem Tag: StAF-Best. G 701/ 2 Nr. 5103. 54 Zur Rekonstruktion des Unfallgeschehens: BR vom 2.5 und vom 4.5.1944. Außerdem: HEIBER, Helmut (Hg.): Der ganz normale Wahnsinn unter dem Hakenkreuz. Triviales und Absonderliches aus den Akten des Dritten Reiches, München 1996, S. 115 f. - Brief Himmlers an Bormann vom 11.1.1945. GRILL, Johnpeter Horst: The Nazi Movement in Baden 1920-1945, Chapel Hill, North Carolina 1983, S. 442 f. Die Details stammen aus der Prozessakte des Landgerichts Konstanz vom 27.3.1945: StAF-Best. G 701/ 2, Nr. 5103. Zum Todeszeitpunkt von Margarete Lang: Sterbefallanzeige der Gemeinde Überlingen. Zweitschrift für Gustav Robert Oexle vom 29.4.1944 und Sterbeurkunde der Gemeinde Immenstaad vom 23.5.1944. Beide Dokumente wurden mir von Herrn Michael Nagel zur Verfügung gestellt. 55 Zu den Erlassen Himmlers und den sich daraus ergebenden Konsequenzen: BR vom 14.7.1937. Dort auch das Zitat. 56 Berichte von den Trauerfeiern von Margarete Lang in Nussdorf und Überlingen in: BR vom 4.5.1944. Zur Beisetzung der Urne im Garten der Familie Lang: Handschriftliche Notizen von G.R. Oexle vom 8./ 9.5. 1944. Auch diese Notizen wurden mir von Herrn Michael Nagel zur Verfügung gestellt. 57 Berichte der BR vom 27.7.1944 und vom 2.8.1944. Das Zitat aus der Rede Bäckerts stammt vom Bericht am 2.8.1944. 58 Zur Aufstellung des Volkssturms im Kreis Überlingen: BR vom 15.11.1944. Zu den Vorgängen in Immenstaad: Brief von Reichsinnenminister Himmler an Bormann, Heiber, S. 115 f. Der Brief ist in den Akten der Parteikanzlei erhalten, ging aber nicht ab mit dem Vermerk „da die Angelegenheit bereits anderweitig geregelt worden“ sei. Folglich dürfte der Druck von Bormann und Himmler auf Gauleiter Wagner gereicht haben, Ernst Bäckert aus dem Amt zu nehmen. Der Brief der 49 Angestellten der Kreisleitung an das Landgericht Konstanz ist nicht in der Akte, diente aber nach Einschätzung Himmlers der Beeinflussung oder Unterdrucksetzung des Gerichts. Vgl dazu auch: BAB R-9361 II/ 32832 und BAB R 3001/ 23370. Zur Abberufung des Kreisleiters: BAB R9361 II/ 32832 und BR vom 31.1.1945. Zur Aussage des Oberlandesgerichtspräsidenten in Karlsruhe (z. Zt. Sinsheim) in seinem Bericht an den Reichsjustizminister: Aktenauszug vom 2.1.1945 (GLA 309/ 1218) zitiert nach: Der deutsche Südwesten zur Stunde Null; hg. vom Generallandesarchiv Karlsruhe in Verbindung mit der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein. Bearbeitet von Hansmartin SCHWARZMEIER, Karlsruhe 1975, S. 12. 59 Zu Kreisleiter Drauz: SCHLÖSSER, Susanne: Was sich in den Weg stellt mit Vernichtung schlagen. Richard Drauz, NSDAP-Kreisleiter von Heil- <?page no="288"?> 289 „Ein allseits gefürchteter Mann“ bronn, in: (Hg.) Michel KISSENER/ Joachim SCHOLTYSEK: Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg, Konstanz 1997, S. 143-159. Zu Eugen Maier: SCHMIDT, Sabine: Eugen Maier, NSDAP-Kreisleiter von Ulm, in: Kißener/ Scholtysek, S. 385 ff. Zu Carl Rudorf, Kreisleiter von Ravensburg: KOPPMANN, Jan: Carl Rudorf- Kreisleiter des Kreises Ravensburg, in: Ravensburg im Dritten Reich, hg. von Peter Eitel, Ravensburg 1998, S. 65-86. 60 Zu Bäckerts offizieller Abberufung: BR vom 31.1.1945. Dort auch das Zitat des Kreispropagandaleiters. Zu seinen eigenen Angaben zu seiner Abberufung: Verhör Bäckerts durch die Kriminalpolizeidienstelle Lahr vom 14.6.1947- StAF-Best. F 178/ 2 Nr. 170. Darin auch die Angabe Bäckerts, er sei zum Inspekteur des Volkssturms für Südbaden eingesetzt worden. WIEDEKING, Elmar: Das Ende. Eine Spurensuche im Hegau, am Bodensee, in Vorarlberg, Sipplingen 2013, S. 275. SAÜ: Balbina Kramer: Bericht über die Vorgänge während und nach der Besetzung der Stadt durch die französische Armee vom 15.3. 1955. 61 Zum Fall Pfeifer: Rapport des Gendarmerie-Postens Owingen vom 4.2.1947 und Aussage des Wilhelm Pfeifer vor dem Gendarmerie-Posten Owingen vom 6.5.1948: StAF-Best. F 178/ 2 Nr. 170. Zum Fall Otto Vetter: Zeugenaussage der Lina Vetter vor dem Gendarmerieposten Uhldingen vom 4.2.1947 und zur Aussage Bäckerts vor der Kriminalpolizeidienststelle Lahr am 14.6.1947: StAF-Best. F 178/ 2 Nr. 170. Zu Heinrich Klotz: Abschrift eines Briefes von Heinrich Klotz an Bürgermeister Karl Löhle vom 18.8.1945: SAÜ Nachlass Karl Löhle. Zu Julius Kitt: Brief von Julius Kitt an Bürgermeister Karl Löhle vom 30.12.1945: SAÜ Nachlass Karl Löhle. Zum Protest von Bürgermeister Dr. Spreng gegen den einseitigen Rückgriff auf die Stadtverwaltung: SAÜ-D3-1666: Brief von Dr. Spreng an Kreisleiter Bäckert vom 29.11.1944. 62 Zum Strafmaß, dem Urteil und der Urteilsbegründung: StAF-Best. G 701/ 2 Nr. 5103. Zur Verbüßung der Haftstrafe: Aufnahmeprotokoll der Bad. Landesstrafanstalt Freiburg: StAF-Best. G 701/ 2 Nr. 5103. 63 Zu Bäckerts Entnazifizierungsakte: StAF D 180/ 2 Nr. 226797. Zu Bäckerts Flucht nach Vorarlberg: Bericht der Sekretärin Balbina Kramer vom 15.3.1955: SAÜ Vorläufige Registratur 1417. Zu Bäckerts Angabe in Bezug auf seine Gefangennahme und seine Internierungshaft: Prozess gegen Ernst Bäckert vor dem Schöffengericht Konstanz. Sitzungsprotokoll vom 10.3.1949 StAF 178/ 2 Nr.170. Zu Bäckerts letzten Versuchen, Widerstand zu leisten und der Aushändigung neuer Papiere durch den Markdorfer Bürgermeister Grieshaber vgl. Weißhaupt,THT 6, S. 44 f. 64 Zu den Angaben über Bäckert in der Überlinger Einwohnermeldekartei: SAÜ Einwohnermeldekartei: Ernst Bäckert. Dass Ernst Bäckert vom Bezirksgefängnis Stockach nach Überlingen verbracht wurde, ergibt sich aus einem Schreiben des Gendarmeriepostens Überlingen vom 24. Februar 1947. Diesem Schreiben ist auch zu entnehmen, dass das Gouvernement Militaire die Gendarmerie beauftragte, nachzuforschen, ob sich Bäckert <?page no="289"?> 290 Ernst Bäckert der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hatte: StAF 178/ 2 Nr. 170. 65 Zu den Vorgängen im Überlinger Bezirksgefängnis: SAÜ-Best. D 3-2054. Zu Bäckerts neuerlicher Überweisung ins Bezirksgefängnis in Stockach: Brief des Gendarmeriepostens Überlingen vom 24.2.1947, StAF F 178/ 2 Nr.170. Dass er spätestens im Sommer 1947 in Lahr Dinglingen war, ergibt sich aus der Tatsache, dass er dort am 14.7.1947 verhört wurde. StAF-Best. F 178/ 2Nr. 170. Dort auch das Zitat des vernehmenden Kriminalassistenten. 66 Berichte der Gendarmerieposten Überlingen vom 4.2.1947, Pfullendorf vom 2.2.1947(darin das Zitat), Owingen vom 4.2.1947 und Owingen vom 6.5.1948: StAF-Best. F 178/ 2 Nr. 170. Zu Bäckerts Selbsteinschätzung: Verhör Bäckerts im Prozess am 10.3.1949: StAF F 178/ 2 Nr. 170. Zum Tod von Kurt Bäckert: Eintrag im Sterberegister Überlingen 77/ 1950. Kurt ist im Jahre 1945 (Tag und Stunde unbekannt) im Raum Stromberg an der Nahe gefallen; außerdem: Weishaupt, THT 6; S. 44 67 Zum Überlinger Antinazi-Comité: Südkurier-Artikel vom 12.9.1945. Dort das Zitat. Zu der Einschätzung Bäckerts durch das Antinazi-Comité: SAÜ Nachlass Viktor Metzger. Metzger war selbst Mitglied im Anti-Nazi- Comité. Die in seinem Nachlass befindliche Liste gibt einen ersten Eindruck der Beurteilung verschiedener Parteigenossen durch das Comité. Sie wurde deswegen auch zunächst mit dem Vermerk „Streng Vertraulich“ versehen. Zur Einschätzung Bäckerts durch Karl Löhle: SAÜ-Best. D3- 2333. Bescheinigung für Romana Bäckert vom 23.3.1946. Die Erlaubnis, ihre Nähmaschine abzuholen, erteilte Löhle Frau Bäckert am 12.10.1945: SAÜ-Best. D3-2048. 68 Zur Stellungnahme der Stadt auf den Fragebogen des Staatskommissariats für politische Säuberung und dem Stadtratsbeschluss: SAÜ-Best. D3- 2227 69 Zur Inhaftierung von Karl Frank im KZ Natzweiler: SAÜ-Best.D3-2223 70 Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Konstanz vom 9. November 1948. Zeugenaussage des Adolf Fischer während des Prozesses am 10.3.1949. Dort das wörtliche Zitat. Zeugenaussage der Josefine Metz beim Gendarmerieposten Unteruhldingen vom 4.2.1947. Zeugenaussage der Josefine Metz während des Prozesses am 10. März 1949. Dort das wörtliche Zitat. Aussage Ernst Bäckerts während des Prozesses am 10.3.1949. Urteil und Urteilsbegründung vom 10.3.1949 StAF-Best. F 178/ 2 Nr. 170. 71 Das Zitat findet sich im Südkurier vom 12./ 13. März 1949. Zu dem Meßkircher Prozess: Südkurier vom 29.3.1949. 72 SAÜ-Einwohnermeldekartei, Karten von Ernst und Romana Bäckert. Außerdem: Alte Einwohnerkartei von Laufen und Melderegister der Gemeinde. Zu Bäckerts Engagement als Dirigent: Freundliche Auskunft des Ortsamts Laufen vom 28.1.2014. Vgl. auch Weißhaupt, THT 6, S. 46. <?page no="290"?> 291 Kreisleiter für 14 Tage Karl Hans Schmidtborn (30.1.1945 bis 14.2.1945) Karl Hans Schmidtborn wurde am 8. Oktober 1913 in Lahr geboren. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder. Seit dem 1. Mai 1936 stand er ununterbrochen und hauptberuflich im Dienste der NSDAP. 1 Er war ab diesem Zeitpunkt Kreisgeschäftsführer der Partei in Emmendingen unter Kreisleiter Konrad Glas. Nach dem Sieg über Frankreich und der Annexion des Elsass fing die Partei im Sommer 1940 an, Kreisleitungen nach dem Muster der badischen Kreisleitungen aufzubauen. Zunächst wurden Kreisleiter aus Baden für den Aufbau von insgesamt 12 neuen Kreisleitungen rekrutiert. Sechs davon wurden später von Elsässern besetzt, die anderen sechs von Parteikadern aus Baden. Mit der Übernahme der neuen Kreisleitung in Colmar (dt. Schreibweise Kolmar) durch Konrad Glas folgte ihm auch sein bisheriger Kreisgeschäftsführer Karl Hans Schmidtborn. In der neuen Kreisleitung übernahm Schmidtborn die Funktion eines Kreispersonalleiters. Er wohnte mit seiner Familie am Peterwall 8 in Colmar. 2 1943 wurde Schmidtborn zum Militärdienst eingezogen. 3 Im Januar 1945 schied er als Oberleutnant aus der Wehrmacht wieder aus und stand der Partei wieder zur Verfügung. Nun wurde er von Gauleiter Wagner als Nachfolger von Kreisleiter Ernst Bäckert in Überlingen ins Spiel gebracht. Bei einer Arbeitstagung des Führerkorps der NSDAP des Kreises Überlingen am 30. Januar 1945 unter Führung des Kreisgeschäftsführers Leo Mauch wurde bekanntgegeben, dass Schmidtborn die Leitung des Kreises Überlingen übernehmen wird und dass Kreisleiter Bäckert „infolge anderweitiger Berufung“ aus dem Amt scheidet. 4 Bei dieser Arbeitstagung richtete Pg. Schmidtborn erstmals das Wort an seine zukünftigen Mitarbeiter und Parteigenossen. Seine Rede war gespickt mit Durchhalteparolen über den „Kampf auf Leben und Tod“ und der Aufforderung, „[…] dem Führer die Gewißheit zu schenken, daß er sich in allen Stunden auf seine Nationalsozialisten und das ganze deutsche Volk verlassen kann.“ 5 Eine ähnliche Rede hielt er wenige Tage später auch vor den Parteigenossen in Stockach, denn Gauleiter Wagner hatte beschlos- <?page no="291"?> 292 Karl Hans Schmidtborn sen, den bisherigen Kreisleiter Pg. Alfred Zimmermann für „einen besonderen Auftrag“ einzusetzen und somit wurde Schmidtborn nicht nur der Kreis Überlingen, sondern auch der Kreis Stockach übertragen. 6 Wie chaotisch es zu diesem Zeitpunkt in der Gauleitung bereits zuging, zeigt der Abgang des neuen Kreisleiters. Am 8. Februar 1945 hatte sich Schmidtborn beim Einwohnermeldeamt Überlingen registrieren lassen. Er wohnte im Hotel Hecht in der Hindenburgstraße 48. Am 14. Februar 1945 meldete er sich schon wieder ab. Jetzt war dem Gauleiter eingefallen, dass er ihn wohl nötiger in Emmendingen, „einem mittelbadischen Frontkreis“ brauchen konnte. Für Schmidtborn war dies die Rückkehr in einen Kreis, in dem er früher schon als Kreisgeschäftsführer tätig war. Sein Nachfolger in Überlingen wurde der Pg. Arnold Haller, der bisherige Kreisleiter von Villingen. 7 Dass Karl Schmidtborn selbst nicht mehr an den Endsieg glaubte, zeigt ein Ereignis, das sich nach seiner Übersiedlung in Weisweil, Kreis Emmendingen im März 1945 zutrug. Schmidtborn, der nicht in Kreisleiteruniform, sondern in Wehrmachtsuniform den Hof der Familie Göpper in Weisweil aufsuchte, traf dort den Sohn Siegfried Göpper an und fragte ihn nach seinem Vater. Dann erzählte er ihm, dass er 1939 als Soldat bei einem Ernteeinsatz in Weisweil gewesen war und auch ein paar Tage bei den Göppers auf dem Hof gearbeitete hatte. Unter dem strengsten Siegel der Verschwiegenheit vertraute er Siegfried Göpper an: „Ich muss dir sagen: Der Krieg ist verloren. Da hilft nichts mehr, auch keine Wunderwaffen. Und wir haben in sechs Jahren so viele Menschen von unserem Volk verloren. Wir können es uns nicht erlauben, dass junge Kerle wie Du jetzt auch noch vor die Hunde gehen. Wie alt bist Du? “ - ‚Ich werde sechzehn Jahre alt‘ - „Ich muss Dir sagen: Wenn Du jemanden etwas erzählst, hängen sie mich auf. Ich bin der neue Kreisleiter, der Herr Senft ist ja stiften gegangen, als die Ramie in Emmendingen bombardiert wurde. Der hat ja mehr Angst als Vaterlandsliebe. Jetzt hat man mich von der Ostfront hierher geholt. Ich werde diese Uniform nicht mehr ausziehen. Ich gehe als Soldat entweder unter oder in Gefangenschaft. Und dich möchte ich bitten, dass Du deinen Kopf nicht hinhältst, wie alle anderen es tun mussten, die nichts anders wussten. Du weißt jetzt, dass wir den Krieg nicht mehr gewinnen können.“ Diese Begebenheit zeigt eindeutig, dass Schmidtborn klar war, dass es keine Chance mehr gab, den Krieg zu gewinnen. Dass er <?page no="292"?> 293 Kreisleiter für 14 Tage sich weigerte, die Kreisleiteruniform anzuziehen, lässt darauf schließen, dass er es vorzog, als Soldat in Gefangenschaft zu geraten, um nicht als politischer Leiter interniert zu werden. Außerdem hatte er Angst, noch selbst ins Visier übereifriger Parteigenossen zu geraten, die ihn als Defätist und Vaterlandsverräter liebend gerne aufgeknöpft hätten. Sein Gespräch mit dem jungen Siegfried Göpper hatte positive Folgen: Siegfried Göpper brachte, nachdem er mit einigen weiteren Kameraden im Januar zum Volkssturm einberufen und einer Infanterieeinheit zugeteilt worden war, den Mut auf, sich irgendwo in Bayern von der Infanterieeinheit abzusetzen. In Freiburg wurden er und zwei weitere Jungen aus Weisweil von der Militärpolizei aufgegriffen. Sie konnten sich mit einer Lüge retten und behaupteten, auf einem Wehrertüchtigungslager der HJ gewesen zu sein. Diesen Stellungsbefehl hatten sie noch, während sie den anderen für die Ostfront verschwinden ließen. Das rettete ihnen das Leben. Am 20. April kamen sie unversehrt in ihrer Heimat an. Siegfried Göpper betonte später, dass sie nicht geflohen wären, wenn nicht das Gespräch mit Karl Schmidtborn stattgefunden hätte. 8 Anmerkungen 1 Zu den persönlichen Daten: SAÜ-Einwohnermeldekartei und BAB-PK Q 55 1517. 2 Zu Schmidtborns Einsatz als Kreisgeschäftsführer in Emmendingen: http: / / www.geocities.com/ ~orion47/ NSDAP/ GauBaden.html.BAB- PK Q 55 1517. Die Kreisleiter im Elsass sind verzeichnet unter: http: / / fr.wikipedia.org/ wiki/ Kreisleiter_en_Alsace. 3 Auf den Einzug zum Militärdienst weist eine Berechnung des Besoldungsdienstalters vom 21.10.1943 hin, in der ein Abzug der Haushaltszulage vermerkt ist, wegen des Einzugs zum Militärdienst. BAB- PK Q 55 1517 4 Dass Karl Schmidtborn im Januar 1945 aus der Wehrmacht ausschied, ist einem Artikel der BR vom 30.1.1945 zu entnehmen. Über die politische Tagung des Führerkorps der Überlinger NSDAP berichtete die BR am 2.2.1945. Die Besprechung ist auch vermerkt in den Kriegsmonatsberichten von Bürgermeister Spreng-SAÜ. Im Artikel vom 2.2.1945 wurde auch berichtet, wie die Nachfolgefrage in der Kreisleitung geregelt werden sollte. 5 Das wörtliche Zitat aus Schmidtborns Rede stammt aus dem Bericht der BR vom 2.2.1945. <?page no="293"?> 294 Karl Hans Schmidtborn 6 Zu der Rede Schmidtborns in Stockach und der Absicht des Gauleiters, Schmidtborn auch im Kreis Stockach einzusetzen: BR vom 5.2.1945. 7 Zu den Meldedaten Karl Schmidtborns: SAÜ-Einwohnermeldekartei. Bürgermeister Spreng vermerkte am 15.2.1945 in seinem Kriegsmonatsbericht, dass Schmidtborn in einen „mittelbadischen Frontkreis“ versetzt wurde und nun durch den ehemaligen Kreisleiter von Villingen, Arnold Haller, ersetzt wird. 8 Die „Badische Zeitung“ sammelte in einer Aktion Zeitzeugenberichte zum Kriegsende. Diese sind im Netz einzusehen. Der Bericht von Siegfried Göpper findet sich unter: http: / / www.media.badische-zeitung.de/ pdf/ kriegsende/ goepper_siegfried.pdf. Er trägt die Nummer I.99. Das Zitat stammt aus diesem Bericht. Der dort auch erwähnte Kreisleiter Senft verließ die Stadt offensichtlich nach dem Angriff auf die „Spinnerei und Zwirnerei Ramie AG“ in Emmendingen am 28.2.1945. Vgl. dazu einen Artikel in der „Badischen Zeitung“ vom 25. Mai 2012. Bei dem Angriff starben 234 Menschen. <?page no="294"?> 295 „Ein überzeugter Nazi, der sich über alles hinweggesetzt hat“ Arnold Haller - Kreisleiter von Überlingen für etwa vier Wochen (1. März bis Ende März 1945) Arnold Haller wurde am 4. Februar 1894 in Konstanz geboren. Er war verheiratet, hatte zwei Kinder und trat am 1. Dezember 1931 in die Partei ein. Im Meldebogen, den er aufgrund des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 auszufüllen hatte, gab er als Parteinummer 865 000 an, versah dies aber gleich wieder mit einem Fragezeichen. Das Bürgermeisteramt Villingen hingegen nannte nach seinen Unterlagen die Nummer 839 152. Sollte Arnold Haller die Parteinummer, die in sämtlichen parteiinternen Geschäftsvorgängen stets zu benennen war, tatsächlich entfallen sein? Nach seinen eigenen Angaben arbeitete er 1932 für die Partei im Kreis Konstanz als Kreissachbearbeiter für Gemeindepolitik und als Kreissachbearbeiter für den freiwilligen Arbeitsdienst. Seit 1933 wohnte er in Radolfzell in der Friedrichstraße 4. Nach der Machtübernahme zog er sich von jeder politischen Tätigkeit zurück, weil er mit dem damaligen Kreisleiter und Bürgermeister von Radolfzell, Eugen Speer, nicht zurechtkam. Dies klingt durchaus glaubhaft, denn Speer, allgemein als „Feldmarschall vom Bodensee“ bekannt und gefürchtet, war nach Einschätzung des Historikers Jürgen Klöckler „ein machthungriger Choleriker.“ Nach Speers Ablösung als Kreisleiter im Sommer 1934 und seiner Entlassung als Radolfzeller Bürgermeister zum 30. Juni 1935 und dem darauf folgenden Parteiausschluss wandte sich Haller wieder der Politik zu. 1 1937 wurde er als Beisitzer in das Kreisgericht II der Partei in Konstanz berufen und im Sommer 1937 zum Ortsgruppenleiter von Radolfzell ernannt. Der zunächst als selbständiger Vermessungsingenieur (Diplomingenieur) und vereidigter Geometer tätige Arnold Haller gab an, dass 1934 drei Beschäftigte für ihn arbeiteten. Zum 1. Januar 1938 wurde er als Vermessungsrat vom badischen Finanzministerium in den Staatsdienst übernommen und zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. Da er am 1. August 1938 vom Gauleiter zum Kreisleiter in Villingen <?page no="295"?> 296 Arnold Haller befördert wurde, wurde er immer von Jahr zu Jahr aus dem Staatsdienst beurlaubt. 2 Kreisleiter von Villingen vom 1. August 1938 bis Ende Februar 1945 Nach Darstellung des Bürgermeisteramtes Villingen trat Haller seinen Dienst in Villingen am 17. September 1938 an. Er wohnte in der Saarlandstraße 18. Als Kreisleiter verdiente er etwa 915 RM im Monat. Er war außerdem Vorsitzender des Kreisgerichts der Partei im Kreis Villingen. Zunächst schien er dort recht beliebt gewesen zu sein. Dann, so der Bericht des Kriminalinspektors Hermann Reinhardt, habe er einen Kreis von Angehörigen des Kreisstabes um sich geschart, die es sich vor allem während des Krieges besonders gut gehen ließen. Während des Krieges wurde der Kreisamtsleiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF), Karl Lehmann, in Villingen eingesperrt, mit einer hohen Strafe belegt und auch von der Partei ausgeschlossen. Ihm wurde vorgeworfen, sich über den Bürgermeister von Niedereschach, Kreis Villingen, zusätzliche Lebensmittelkarten verschafft zu haben. Da Karl Lehmann, in Villingen nur als „Vesperkarle“ bekannt, auch zum Freundeskreis Hallers gehörte, wurde gemunkelt, auch Haller habe von den zu Unrecht erhaltenen Lebensmittelkarten profitiert. Im Prozess gegen Lehmann kam dies allerdings nicht zur Sprache. Nach den recht zahlreichen Parteiveranstaltungen soll Haller in Gemeinschaft seiner Vertrauten anschließend immer weiter gefeiert haben. Besonders häufig hätten diese Trinkgelage im Gasthaus zum Lindenhof stattgefunden, wo Haller im Anschluss an eine „solche Sauferei“ mit seinem Wagen rückwärts in die Brigach gefahren sei, und der Wagen dann mit einer Zugmaschine aus dem Flüsschen herausgezogen werden musste. Am 18. September 1944 schließlich fuhr Haller die ledige Emma Bandle aus Villingen in betrunkenem Zustand von hinten an, wobei diese schwer verletzt wurde. Nach dem Unfall fuhr er weiter, steuerte seinen Wagen auf Umwegen in seine Garage und behauptete später, er habe von dem Unfall nichts bemerkt. Die Schutzpolizei kam ihm dennoch auf die Schliche und stellte am Fahrzeug erhebliche Beulen fest. Aufgrund des Berichtes von Kriminalinspektor Reinhardt wurde die Angelegenheit nach- <?page no="296"?> 297 „Ein überzeugter Nazi, der sich über alles hinweggesetzt hat“ träglich von einigen Herren des Obersten Parteigerichts aus Berlin untersucht. Dazu kamen weitere Klagen aus der Bevölkerung wegen seines „unsauberen Lebenswandels“. So soll er auch ständig seine Geliebte im Dienstwagen der Kreisleitung herumgefahren haben. Später gab er im Spruchkammerverfahren an, er habe Frau Bandle, die sich mit ihrer Schwester mit einem kleinen Leiterwägelchen in stockfinsterer Nacht auf der Straße befand, nicht erkennen können, da er wegen der Verdunkelung mit abgeblendetem Licht habe fahren müssen. Wie er später erfahren habe, habe er nur den Leiterwagen hinten links angefahren, wobei die an der Deichsel befindliche Frau Bandle zu Fall gekommen sei und ihre Verletzungen erlitten habe. Was die politische Bewertung Arnold Hallers angeht, bleibt der Polizeibericht, der vom Bürgermeisteramt Villingen an den Öffentlichen Kläger der Zentralspruch- und Berufungskammer Württemberg-Baden nach Karlsruhe weitergeleitet wurde, recht vage und unspezifisch: „Haller war ein überzeugter Nazi, der sich über alles weggesetzt hat. Während er zu Beginn des Krieges einigermaßen zu ertragen war, wurde er später mit Zunahme der Macht, die er hatte, brutal und rücksichtslos.“ Gleichzeitig wurde aber eingeräumt: „Im Einzelnen sind keine Fälle bekannt geworden, bei denen Haller selbst eine Maßregelung persönlich durchgeführt hat.“ 3 Die Einschätzung, dass Haller ein überzeugter Nazi gewesen sei, lässt sich durch eine Anordnung belegen, die er während des Krieges bezüglich der Unterbringung von Patienten im Villinger Krankenhaus traf. Ihm war zu Ohren gekommen, dass eine kranke Polin zu deutschen Frauen ins Zimmer gelegt worden war. Er hielt diesen Zustand für unhaltbar, weil seiner Auffassung nach dadurch viele Deutsche nicht ins Krankenhaus aufgenommen werden konnten. Die Ärzte hatten bisher nach dem Grundsatz gehandelt, jeden Menschen, ob Franzose, Pole oder Deutscher medizinisch gleich zu versorgen. Haller war nun der Ansicht, man hätte die Polin abweisen sollen, oder zumindest dafür sorgen sollen, sie gesondert unterzubringen. Die Stadt ordnete daraufhin umgehend an, dass Zusammenlegungen künftig zu unterbleiben hätten, und dass „[…] für die Unterbringung auch die primitivst eingerichteten Räume als geeignet bezeichnet werden [könnten)].“ Die rassistische Ideologie, dass deutsche Herrenmenschen und polnische Untermenschen <?page no="297"?> 298 Arnold Haller nicht zusammengelegt werden können, ist in dieser Anordnung klar erkennbar. 4 Auffällig ist dennoch, dass die gegen Haller vorgebrachten Klagen vor allem seinen Lebenswandel betrafen und ihn moralisch belasteten. Für die Partei waren offensichtlich diese Klagen und die ständig einlaufenden Beschwerden bei den höheren Dienststellen Grund genug, ihn zunächst nach Überlingen zu versetzen. 5 Haller wird Kreisleiter in Überlingen Wann genau Arnold Haller als Kreisleiter in Überlingen tätig wurde, ist nicht exakt zu bestimmen, da er im Spruchkammerverfahren seine kurze Tätigkeit als Kreisleiter von Überlingen verschwieg. Jedenfalls wusste der Überlinger Bürgermeister Dr. Albert Spreng bereits am 15. Februar 1945, dass Haller als Nachfolger für den von Überlingen nach Emmendingen versetzten Kreisleiter Karl Schmidtborn vorgesehen war. 6 Am 27. Februar 1945 berichtete die „Bodensee-Rundschau“, dass anlässlich von Tagungen des Führerkorps der NSDAP in Überlingen, Salem, Markdorf und Pfullendorf am 25. und 26. Februar 1945 Kreisleiter Haller „erstmals“ zu den Amtsträgern der Partei sprach. Dabei legte er seine Vorstellungen der Zusammenarbeit zwischen Kreisleiter und Amtsträgern der Partei dar. Neben den üblichen Worthülsen wie Disziplin, Kameradschaft, Zuversicht, Glaube an den Sieg und an den Führer, die in seiner Rede enthalten waren, legte Arnold Haller besonderen Wert auf die politische Aufklärungsarbeit: „In der politischen Aufklärungsarbeit müsse volle Klarheit über den Ernst der Lage gegeben werden, verbunden mit der Aufklärung über den Sinn diese Krieges, der ein Vernichtungskrieg auf Leben und Tod ist. Die Terrorangriffe sind von uns allen mit fanatischem Haß zu beantworten.“ 7 Sein Auftritt in Überlingen Ende Februar wird dadurch bestätigt, dass auch in dem an die Spruchkammer Karlsruhe übersandten Bericht des Bürgermeisteramts Villingen vom 24. April 1951 davon die Rede ist, dass Haller zum 1. März 1945 von Villingen nach Überlingen versetzt wurde. Zwischen dem 10. März und dem 23. März sind zahlreiche Auftritte des neuen Kreisleiters in der „Bodensee-Rundschau“ vermerkt. Meist hielt er Vorträge zur NS-Weltanschauung, Schulungsabende oder die Gedenkrede zur Gefallenenehrung am <?page no="298"?> 299 „Ein überzeugter Nazi, der sich über alles hinweggesetzt hat“ 10. März 1945 oder besuchte eine Versammlung der Ortsgruppe Markdorf. Offiziell meldete sich Arnold Haller in Überlingen erst am 21. März 1945 an. Er nahm, wie schon sein Vorgänger, Quartier im Hotel Hecht in der Hindenburgstraße 48. 8 Am Ende des Monats März befand er sich noch im Kreis Überlingen, als er in Meersburg einen Streit zwischen der badischen Kultusverwaltung und dem Armeeoberkommando (AOK) 24 zusammen mit dem Landrat zugunsten der Kultusverwaltung entschied, weil die Räume in der Pension Weisshaar schon Ende 1944 dem Badischen Ministerium für Kultus und Unterricht versprochen worden waren. 9 Danach verlieren sich die Spuren Arnold Hallers im Kreis Überlingen. Entgegen seiner eigenen Aussage, bereits am 15. März 1945 dem Volkssturmbataillon Kaiser zugewiesen worden zu sein, befand sich Haller Ende März 1945 noch immer im Kreis Überlingen. Er dürfte also frühestens Anfang April zum Volkssturm eingezogen worden sein. Warum er seinen Einsatz als Kreisleiter in Überlingen im Spruchkammerverfahren nicht angab, bleibt rätselhaft, passt aber gut in das Bild der chaotischen Ablösung der Kreisleiter in den letzten Kriegswochen. 10 Vom Kreisleiter zum Volkssturmmann Das Volkssturmbataillon Kaiser, dem Haller zugewiesen worden war, wurde am Isteiner Klotz, der Teil der Anlagen am Westwall war, eingesetzt. Die in den Berg eingelassene Festungsanlage bei Efringen-Kirchen im Breisgau war zunächst mit regulären Truppeneinheiten belegt, die die Festung in der Nacht vom 22. auf den 23. April verließen, als sich die französischen Truppen, die am 30. März den Rhein bei Karlsruhe überschritten hatten, näherten. Die danach dort eingesetzte Volkssturmeinheit löste sich kurz vor dem Eintreffen der Franzosen auf und der Isteiner Klotz wurde am 24. April von den Franzosen kampflos besetzt. Teile der Volkssturmeinheit wurden eingeschlossen und kamen in französische Gefangenschaft. Darunter auch Arnold Haller. Er war offensichtlich von einem Truppenteil der Fremdenlegion gefangen gesetzt worden und wurde zunächst nach Aubagne in der Nähe von Marseille, dem Hauptsitz der Fremdenlegion, gebracht und von dort nach Korsika überführt, wo er bis Pfingsten 1946 in Gefangenschaft blieb. An <?page no="299"?> 300 Arnold Haller Pfingsten 1946 wurde er als „voll arbeitsunfähig“ entlassen. Anstatt sich wieder in seine südbadische Heimat in die französische Besatzungszone zu begeben, wo ihm eine weitere Internierung drohte und möglicherweise auch eine strafrechtliche Verfolgung durch die deutschen Behörden wegen des 1944 an Emma Bandle verursachten Unfalls mit Körperverletzung, setzte sich Arnold Haller unter falschem Namen ins Ruhrgebiet ab. 11 Aus Arnold Haller wird Albert Helbing Wie Arnold Haller an falsche Papiere geraten war, wurde im Spruchkammerverfahren nicht aufgedeckt. Jedenfalls gab er sich als Albert Helbing, geboren am 2. April 1897 in Kattowitz, aus und erhielt zunächst Arbeit als Hilfsarbeiter bei der Zeche Mont-Cenis in Herne in Westfalen. Dort wohnte er auch vom 1. Juli 1946 bis zum 31. Mai 1950 im Oelbachtal 18. Er begann eine Lehre als Maurer und schloss diese mit der Gesellenprüfung im September 1948 ab. Haller arbeitete bis Mai 1950 weiter in Herne als Maurer. Aufgrund der Weihnachtsamnestie (Straffreiheitsgesetz vom 31. Dezember 1949) meldete er sich bei der Polizeibehörde in Herne. Seine Selbstanzeige vom 2. Februar 1950 wurde am 19. April vom Oberstaatsanwalt beim Landgericht Bochum bearbeitet, der das Verfahren gegen Arnold Haller wegen Personenstandsfälschung einstellte. Daraufhin begab sich Arnold Haller nach Heidelberg und wohnte seit dem 1. Juni 1950 bei seiner Familie in Heidelberg in der Märzgasse 5. Um aber in seinem Beruf in Baden wieder tätig sein zu können, benötigte Haller einen Spruchkammerbescheid. 12 Die Spruchkammerverfahren in Karlsruhe und Freiburg Da Heidelberg zur amerikanischen Zone Württemberg-Baden gehörte, war zunächst die Zentralspruchkammer Württemberg- Baden, Aussenkammer Karlsruhe, für das Verfahren zuständig. Arnold Haller ließ sich durch eine Anwaltskanzlei aus Heidelberg vertreten. In einem Brief an die Spruchkammer in Karlsruhe vom 22. September 1950 legten Hallers Anwälte der Spruchkammer dar, dass aus ihrer Sicht das Verfahren gegen ihren Mandanten ge- <?page no="300"?> 301 „Ein überzeugter Nazi, der sich über alles hinweggesetzt hat“ mäß dem Entnazifizierungsschlussgesetz eingestellt werden könne, da Haller nur formal belastet sei, und dass sein bisheriges Leben seit der Gefangensetzung durch die Franzosen „reichlich Sühne“ für sein Verhalten im Dritten Reich beinhaltet habe. Der Kläger im Spruchkammerverfahren kam am 23. Juli 1951 aber zu einer völlig anderen Bewertung und forderte eine Einreihung Hallers in die Gruppe II der Belasteten, weil dieser sich „[…] als überzeugter, rücksichtsloser und überheblicher Anhänger und Parteifunktionär des NS-Regimes gezeigt“ habe. 13 Nach Inkrafttreten des zweiten Vereinfachungsgesetzes zur Gestaltung der politischen Säuberung wurde das Verfahren nun vom Badischen Staatskommissariat für politische Säuberung übernommen und an die Spruchkammer in Freiburg übertragen. Dies war auch dadurch begründet, dass Haller ja in Südbaden als Ortsgruppenleiter und Kreisleiter eingesetzt war. Die Spruchkammer in Freiburg kam zu einer völlig anderen Bewertung als der Kläger der Zentralspruchkammer Württemberg-Baden. Am 14. Dezember 1951 stellte sie das Verfahren gegen Arnold Haller gemäß § 9 des ersten Vereinfachungsgesetzes ein. Die Entscheidung wurde hauptsächlich dadurch begründet, dass Haller zwar moralisch, aber nicht politisch im Sinne des Säuberungsgesetzes belastet sei, da ihm nicht nachgewiesen werden konnte, dass er sich an Ausschreitungen gegen die Juden beteiligt habe, irgendjemand ins KZ gebracht habe oder Geistliche belästigt habe. Darüber hinaus konnte er genügend Entlastungszeugen beibringen, die ihm bestätigten ein Mensch gewesen zu sein „[…], der frei von Fanatismus, gerecht, zuvorkommend und hilfebereit gegen jedermann ohne Ansehen der Person war, niemanden aus politischen Gründen drückte, im Gegenteil sogar politisch Verfolgte(n) nach Kräften seinen Beistand lieh.“ 14 Auch bezüglich der Straftaten in Villingen hatte er Glück, da er nicht rechtzeitig erwischt wurde und so unter die Amnestie fiel. Hallers Untertauchen hatte sich also in mehrfacher Hinsicht gelohnt. Er ersparte sich die Internierung durch die Franzosen, für seine Straftaten wurde er nicht zur Rechenschaft gezogen und aus dem Spruchkammerverfahren kam er unbelastet heraus. <?page no="301"?> 302 Arnold Haller Anmerkungen 1 Die persönlichen Daten Arnold Hallers ergeben sich aus den Akten des Spruchkammerverfahrens: STAF D 180/ 2 Nr. 229.633. Die Angaben zu Eugen Speer stammen aus einem Artikel des Südkurier vom 20.11.2008: KLÖCKLER, Jürgen: „Ein machthungriger Choleriker“. In dem Artikel wird auch die Bezeichnung „Feldmarschall vom Bodensee“ für Eugen Speer verwendet. 2 Zu den weiteren Daten: Meldebogen Arnold Hallers bei der Stadt Heidelberg anlässlich seines Zuzugs am 1.6.1950. Abschrift der eigenen Darstellung Arnold Hallers über seine politische Tätigkeit, die einem Brief seiner Anwälte an die Zentralspruchkammer in Karlsruhe vom 22.9.1950 beigelegt war: STAF D 180/ 2 Nr. 229.633. 3 Schreiben des Bürgermeisteramtes Villingen an den Öffentlichen Kläger der Zentralspruch- und Berufungskammer Württemberg -Baden, Aussenkammer Karlsruhe vom 24.4.1951 und Schreiben der Staatlichen Kriminalpolizeistelle Waldshut an die Zentralspruchkammer Württemberg- Baden, Aussenkammer Karlsruhe, vom 15.6.1951 unterzeichnet von Kriminalinspektor Reinhardt. Das Schreiben des Bürgermeisters enthält einen zusammengefassten Polizeibericht der Polizeidienststelle. Dort auch die Einschätzung Hallers mit dem verwendeten Zitat. Beide Schreiben in: STAF D 180/ 2 Nr. 229.633. 4 Zu Hallers Verhalten und seinen Anordnungen für das Villinger Krankenhaus: ASSFALG, Stefan Alexander: Fremdarbeiter in Villingen während des Zweiten Weltkriegs, in: Villingen und Schwenningen. Geschichte und Kultur, hg. von der Stadt Villingen-Schwenningen aus Anlass des Jubiläums „1000 Jahre Münz-, Markt-, Zollrecht Villingen“ im Jahre 1999. Veröffentlichungen des Stadtarchivs und der Städtischen Museen, Bd. 15, Villingen-Schwenningen 1998, S.476. Dort auch das verwendete Zitat. 5 Diese Einschätzung ergibt sich aus dem Brief des Bürgermeisteramtes Villingen vom 24.4.1951 (wie Anm. 3), wonach die Versetzung Hallers nach Überlingen eindeutig aufgrund seines Verhaltens erfolgte.-STAF D 180/ 2 Nr. 229.633 6 SAÜ-Kriegsmonatsberichte des Bürgermeisters, Eintrag vom 15.2.1945. 7 BR vom 27.2.1945. Dort das Zitat. 8 SAÜ- Einwohnermeldekartei, Haller, Arnold Hermann. BR 14.3.1945: Bericht von der Gedenkfeier und Gefallenenehrung. BR 15.3.1945: Schulungsabend im Gasthaus Traube in Überlingen. BR 19.3.1945, 17.3.1945, 20.3.1945, 21.3.1945, 22.3.1945 - Vorträge zur NS-Weltanschauung in Überlingen, Meersburg, Salem, Heiligenberg und Nußdorf. BR vom 17./ 18.3.1945: Ortsgruppenversammlung in Markdorf. 9 Schreiben des Badischen Ministeriums für Kultus und Sport vom 29.3.1945. Die Reaktion Hallers darauf ist beschrieben in: MEERSBURG <?page no="302"?> 303 „Ein überzeugter Nazi, der sich über alles hinweggesetzt hat“ unterm Hakenkreuz 1933-1945, hg. vom Museumsverein Meersburg, Meersburg 2011, S. 366. 10 Die Behauptung Hallers, bereits zum 15.3.1945 zum Volkssturmbataillon Kaiser eingezogen worden zu sein, ist enthalten in seinem Bericht über seine politische Tätigkeit vom 22.9.1950: wie Anm. 2. 11 Zu den Vorgängen am Isteiner Klotz: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Istein. Dass Haller dort gefangengesetzt wurde, ergibt sich aus dem Bericht über seine politische Tätigkeit vom 22.9.1950 (wie Anm. 2) und dem Meldebogen (wie Anm. 2), wo als Wohnort auch Aubagne angegeben wird. Aubagne war und ist die Zentrale der Französischen Fremdenlegion. Dazu: http: / / www.lalegion.de/ joomla/ index.php/ regimenter/ 1er-re 12 Arnold Haller war laut Meldebogen seit dem 1. Juli 1946 bis 31.5.1950 in Herne gemeldet. (wie Anm. 2). Dass er bei der Zeche arbeitete, ergibt sich aus dem Bericht über die politische Tätigkeit (wie Anm. 2). Der von ihm angenommene Name Albert Helbing taucht in der Klageschrift des öffentlichen Klägers im Spruchkammerverfahren der Zentral-Spruchkammer Württemberg-Baden vom 23.7.1951 auf: STAF D 180/ 2 Nr. 229.633. Zum Selbstanzeigeverfahren nach der Weihnachtsamnestie und zur Einstellung des Verfahrens: Schreiben des Oberstaatsanwalts beim Landgericht Bochum vom 19.4.1950: STAF D 180/ 2 Nr. 229.633. 13 Brief der Anwälte Arnold Hallers an die Zentralspruchkammer Karlsruhe vom 22.9.1950 (wie Anm. 2). Dort auch die Einschätzung, Haller habe reichlich gesühnt. Die Einschätzung Hallers durch den öffentlichen Kläger im Spruchkammerverfahren wurde wörtlich als Zitat aus der Klageschrift übernommen (Angaben wie Anm. 12). 14 Entscheidung im politischen Säuberungsverfahren gegen Arnold Haller durch die Spruchkammer Freiburg des Badischen Staatskommissariats für politische Säuberung vom 14. Dezember 1951. Dort auch das Zitat sowie die Begründung für die Einstellung des Verfahrens: STAF D 180/ 2 Nr. 229.633. <?page no="304"?> 305 „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ Dr. Hermann Schmidt - letzter Kreisleiter von Überlingen (18. bis 29. April 1945) Als Dr. Hermann Schmidt am 18. April 1945 offiziell von Gauleiter Wagner zum Kreisleiter des Kreises Überlingen eingesetzt wurde, hatte er schon eine fast 15 Jahre dauernde Karriere als Kreisleiter von Wertheim im äußersten Zipfel im Nordosten des badischen Frankenlands hinter sich. 1 Schmidt stammte aus Hasloch, einem Nachbarort Wertheims auf der bayerischen Mainseite. Er war der Sohn des in der Stadt Wertheim hoch angesehenen Pulverfabrikanten und Kommerzienrates Otto Schmidt, der seine Pulverfabrik in der ehemaligen Beutelsmühle betrieb. Hermann Schmidt war dort Betriebsleiter. 2 Die Pulverfabrik Hasloch zählte zu den bedeutenderen pyrotechnischen Betrieben in Bayern und hatte seit 1901 ein Patent zur Herstellung eines rauchschwachen Schießpulvers, das auch in Jagdpatronen verwendet wurde. 3 Da in pyrotechnischen Fabriken mit Schwarzpulver und anderen gefährlichen Sprengstoffen hantiert wurde, kam es auch immer wieder zu Unglücksfällen. In Kreisleiter Dr. Hermann Schmidt 1933 Pulverfabrik Hasloch am Main: Rauchlose Jagdpatrone-Kolonialwerbung von 1908 <?page no="305"?> 306 Dr. Hermann Schmidt Hasloch explodierte 1914 das Schwarzpulverpolierwerk. Allerdings wurde dabei niemand verletzt. 4 In seiner Sitzung vom 20. Mai 1926 erfuhr der bayerische Landtag durch ein Telegramm, dass es in der Pulverfabrik Hasloch bei einem schweren Explosionsunglück zu mindestens sechs Toten und 15 bis 20 Schwerverwundeten gekommen war. Die genaueren Zahlen des Unglücks wurden in der Sitzung des bayerischen Landtags vom 10. Juni 1926 bekanntgegeben. Bei dem Unglück starben neun Personen, vier von ihnen direkt am Unglücksort, fünf weitere im Krankenhaus in Wertheim. Vier der toten Männer waren verheiratet und hinterließen je eine Ehefrau mit drei, einem, zwei und drei Kindern. Drei weibliche und zwei männliche Todesopfer waren ledig. Dreizehn Personen wurden schwer verletzt. Zehn von ihnen wurden im Krankenhaus Wertheim, eine im Luitpoldkrankenhaus in Würzburg und zwei bei ihren Familien untergebracht. Zwölf der Schwerverletzten waren nach einem Bericht des Bezirksamtes Marktheidenfeld außer Lebensgefahr. 5 Dr. Hermann Schmidt gesellte sich frühzeitig zu dem seit 1928 im Bezirk Wertheim lose organisierten NS-Verband. Zunehmende Bedeutung erlangte er, seit er ab 1930 als Bezirksleiter diesen Verband anführte. Nach Ellen Scheurich war er zwar eine wichtige Führungsfigur, aber beileibe nicht die einzige, „die seit 1930 die Spitze der NS Bewegung“ in Wertheim bildete. Vielmehr war er Teil einer Führungsclique, die in Wertheim einen erheblichen Einfluss ausübte. Dazu zählten der Leiter des Wertheimer Krankenhauses, ein Geometer, der Leiter des Amtsgerichts Wertheim, ein Schneidermeister, ein Apotheker, ein Kaufmann und ein Zollsekretär. Durch ihre Zugehörigkeit zum so genannten „Mittelstand“ und aufgrund ihrer Berufe waren sie in der Stadt sehr angesehen und hatten als städtische Honoratioren ein hohes politische Gewicht. 6 Schon vor 1930 war die Mehrheit der Bevölkerung Wertheims konservativ und vor allem die überwiegend protestantische Bevölkerung stark nationalistisch eingestellt. Von 1924-1928 war die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) die stärkste Partei bei Reichstags-und Landtagswahlen und politische Heimat einiger einflussreicher Bürger und städtischer Honoratioren, von denen sich einige später in der NS-Führungsclique von Wertheim hervortaten. So gesehen überrascht es auch nicht, dass bereits bei der Landtagswahl vom 27. Oktober 1929, die NSDAP in Wertheim 19,24% <?page no="306"?> 307 „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ der Stimmen erreichte, wobei der Landesdurchschnitt der Partei bei 7% lag. Die Stimmengewinne gingen vor allem zu Lasten der DNVP, der Deutschen Volkspartei (DVP) und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). 7 Offensichtlich war Dr. Hermann Schmidt auch gut in die städtische Gemeinschaft in Wertheim integriert. So war er beispielsweise Schriftführer der Museumsgesellschaft Wertheim. 1933 regte er allerdings die Auflösung der Museumsgesellschaft wegen zu geringer Mitgliederzahlen an. 8 Auch in der Partei genoss Schmidt insofern eine Sonderstellung, als er sich als einziger in der Phase ab 1930 als politischer Redner der lokalen Parteiprominenz profilieren konnte. Ansonsten traten in den Wahlkämpfen vor allem Redner der badischen Parteiprominenz wie Robert Wagner, Walter Köhler, Herbert Kraft und Friedhelm Kemper auf. 9 Auch seine politischen Gegner von der Sozialdemokratie wurden auf Schmidt aufmerksam. Sie sahen in ihm ein Paradebeispiel der Zusammenarbeit des unverantwortlichen, profitorientierten Kapitalisten mit den Nationalsozialisten, einen Mann der seine wirtschaftlichen Interessen rücksichtslos wahrnimmt und als Pulverfabrikant hofft, diese weiter ausbauen zu können, wenn es wieder zu einem Krieg kommen sollte und er sozusagen ein „Bombengeschäft“ machen könnte. So titelte der Sozialdemokratische Pressedienst am 25. Oktober 1931: „Der richtige Mann am richtigen Platz“ „Der Führer der Nationalsozialisten im badischen Bezirk Wertheim ist ein gewisser Dr. Schmitt. Dieser Herr ist der Besitzer der Pulverfabrik Hasloch bei Wertheim, die der weiteren Öffentlichkeit dadurch bekannt ist, dass in ihr wiederholt schwere Explosionen stattgefunden haben, bei denen viele Proleten das Leben lassen mussten. Die Arbeiterschaft hat bei diesen Gelegenheiten Herrn Schmitt lautstark angeklagt, dass seine Profitwut und das Fehlen von Sicherheitseinrichtungen Anlass zu Katastrophen gegeben haben. Die Schuld des Herrn Schmitt ist aber immer vertuscht worden. Dieser Mann ist als Führer der Nationalsozialisten am richtigen Platze. Er nimmt seine Interessen kräftig wahr. Je stärker die Nationalsozialisten sind, umso mehr wird in Deutschland geschossen, umso besser geht also das Pulvergeschäft. Und nun gar erst wenn das Dritte Reich zur Wirklichkeit werden sollte. Dann winkt ein frisch=fröhlicher Krieg am Horizont und Herr Schmidt weiss noch aus dem Weltkrieg, welches Bombengeschäft ein frisch=fröhlicher Krieg für die Pulverfabrikanten <?page no="307"?> 308 Dr. Hermann Schmidt bedeutet. - In dieser Personalunion zwischen dem nationalsozialistischen Führer und dem Pulverfabrikanten tritt die Wesensart und das Ziel des deutschen Faschismus trefflich zutage.“ 10 Ziel dieses Artikels des Sozialdemokratischen Pressedienstes war es mithin aufzudecken, dass die NSDAP im Gegensatz zu ihrem Namen keine sozialistische Arbeiterpartei ist, sondern in Wirklichkeit mit den Kapitalisten kungelt, was in der Personalunion eines wirtschaftlichen Führers mit seiner politischen Funktion als nationalsozialistischer Bezirksleiter geradezu idealtypisch verkörpert wird. Schmidts Rolle während der Machtergreifung und Gleichschaltung in Wertheim Zwar waren die Nationalsozialisten in Wertheim wie anderswo durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler überrascht worden, aber sie verstanden sofort, dass dies auch eine Zunahme der lokalpolitischen Machtposition der Partei bedeutete. Noch am Abend des 30. Januar 1933 organisierte die Partei einen Fackelzug mit anschließender Kundgebung auf dem Marktplatz. Am 5.- Februar folgte eine Siegesfeier „zu Ehren der Reichsregierung“ mit ihrem neuen Kanzler in Form eines Demonstrationsmarsches der gesamten Hitlerbewegung im Bezirk Wertheim durch die Stadt mit anschließender Kundgebung auf dem Marktplatz. Dabei verkündete Kreisleiter Schmidt im vollen Bewusstsein der neuen Machtfülle: „Wir verbieten es jedermann - und sei es auch ein hoher Beamter in Wertheim -, über unsere Sache sich abfällig zu äußern oder sich gar lustig zu machen. Es gilt jetzt endgültig die Konsequenzen zu ziehen.“ 11 Mit dem hohen Beamten in Wertheim hat Schmidt vermutlich den langjährigen Bürgermeister Hans Bardon gemeint, mit dem sich die NS-Fraktion im Rathaus schon 1931 angelegt und der wahrscheinlich deswegen einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, was schließlich dazu führte, dass er auch später mehrmals seinen Dienst unterbrechen musste. Kurz vor der Märzwahl am 5. März 1933 kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung Bardons mit den Vertretern der NSDAP, die von ihm verlangten „an exponierter Stelle die Hakenkreuzfahne zu hissen.“ Nachdem der Gemeinderat den Antrag der NSDAP zwei Tage vor der Wahl mit <?page no="308"?> 309 „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ sieben gegen fünf Stimmen abgelehnt hatte, forderten die Nationalsozialisten eine Beflaggung des Rathauses auch gegen den Gemeinderatsbeschluss vorzunehmen, da dies im „Interesse von Ruhe und Ordnung“ sei. Falls er sich weigern sollte, drohten sie mit „unerfreulichen Demonstrationen“, die dann aber ausblieben. Im Rahmen der Gleichschaltung drängten die Nationalsozialisten Hans Bardon am 20. März dazu, seine Versetzung in den Ruhestand zu beantragen. Als Anlass diente ein amtsärztliches Gutachten, das seine Dienstunfähigkeit bescheinigte. Drei vorausgegangene Versuche der NSDAP, durch Eröffnung eines Dienststrafverfahrens Hans Bardon zum Rücktritt zu zwingen, waren fehlgeschlagen. 12 Auch gegen die Kommunisten und Sozialisten galt es nun „Konsequenzen zu ziehen.“ Angesichts der Ereignisse beim Reichstagsbrand in Berlin nutzten die Nationalsozialisten vor Ort die Situation und inszenierten am 28. Februar 1933 eine Protestkundgebung. Kreisleiter Schmidt forderte eine „Ausrottung [gemeint: der Kommunisten] bis zum letzten Mann“. Aufgrund einer durch Eilfunk des Reichskommissars für Baden, Robert Wagner, am 10. März 1933 verbreiteten Verfügung, die die Verhaftung der KPD- Funktionäre und der führenden Sozialdemokraten anordnete, wurden in Wertheim am 11. März einige KPD-Mitglieder sowie der SPD- Vorsitzende Karl Roth in „Schutzhaft“ genommen. Auffällig dabei ist das Zusammenspiel zwischen dem Bezirksamt und der NS-Kreisleitung. Letztere meldete dem Bezirksamt, wer zu verhaften sei. Die Verhaftungen wurden dann formell durch die Gendarmerie vorgenommen, allerdings waren bei einigen Verhaftungen auch Mitglieder der SA und SS mit von der Partie, die quasi als Hilfspolizei agierten. Die Schutzhaft als Repressionsinstrument richtete sich zunächst nur gegen die Linksparteien, später aber auch gegen unliebsame Einzelpersonen, die eine unvorsichtige Äußerung oder eine unbedachte Handlung vorgenommen hatten. Diese Einschüchterung tat ihre Wirkung und die oft nach wenigen Tagen wieder aufgehobene Schutzhaft sowie die Durchsuchung der Häuser von Kommunisten und Sozialdemokraten am 20. März 1933 führten dazu, dass beide Parteien im Frühsommer 1933 als zerschlagen gelten konnten. 13 Bei der Gleichschaltung des Bezirksamtes half eine Anordnung des Reichskommissars für Baden, „dass die badischen Bezirksämter alle Entscheidungen in politischen Angelegenheiten im Benehmen <?page no="309"?> 310 Dr. Hermann Schmidt mit den Kreisleitern der NSDAP zu treffen“ haben. Dies machte die „Wertheimer Zeitung“ am 30. März 1933 bekannt. Ein möglicher politischer Widerstand aus den Bezirksämtern war damit ausgeschlossen. Prompt setzte Kreisleiter Dr. Schmidt als Kontaktmann zum Bezirksamt den Parteigenossen Amtsgerichtsrat Karl Schüßler ein. Der Landrat blieb in erster Linie Verwaltungsfachmann, die Politik aber bestimmte die Kreisleitung. Gelegentlich missfielen Entscheidungen des Landrats dem Kreisleiter und der ließ in einem Schreiben vom 5. September 1933 den Landrat wissen, dass „die Buchstaben- und Paragraphenreiterei“ nun endgültig vorbei sei. Im Klartext hieß dies, dass nun die Nationalsozialisten bestimmten, was Recht war. Daraus folgte, dass das Bezirksamt im weiteren Verlauf der Machtergreifung und Gleichschaltung fast nur noch ein ausführendes Organ der Kreisleitung darstellte. Dies zeigte sich am deutlichsten bei der Verhängung der Schutzhaft: Die Kreisleitung ordnete die Verhängung der Schutzhaft an, bestimmte ihre Dauer und die Entlassung aus der Schutzhaft, die formell dann vom Bezirksamt vorgenommen wurde. Der Landrat widersetzte sich nicht und entwickelte ein überaus loyales Verhältnis zu den neuen nationalsozialistischen Machthabern. 14 Auch bei der im Frühsommer 1933 stattfindenden Gleichschaltung der Vereine gab es kaum nennenswerten Widerstand. Nach der Neubesetzung des Verwaltungsrates der Stadtsparkasse erfolgte im Juni 1933 die Gleichschaltung der Feuerwehr. Der Bürgermeister bat den Kreisleiter und den Vorstand der örtlichen NSDAP um Vorschläge für die Neubesetzung der Kommandantenstelle. Nach einer kurzen Zeit der „Sondierung“ wurde dem bisherigen Feuerwehrkommandanten auf „Anraten“ unterrichteter NS-Kreise der Rücktritt nahegelegt, so dass ihm wohl keine andere Wahl blieb, als sein Amt aufzugeben und bereits am 10. Juli 1933 wurde sein Nachfolger im Rahmen einer außerordentlichen Generalversammlung durch Kreisleiter Schmidt als neuer „Führer“ der freiwilligen Feuerwehr Wertheim eingesetzt. 15 Bei der Gleichschaltung der bürgerlichen Sportvereine erfolgte zunächst eine formelle Überprüfung der Mitglieder durch das Bezirksamt auf Geheiß der Kreisleitung. Schmidt übernahm das Amt des „kommissarischen Beauftragten für das gesamte Turn- und Sportwesen für den Amtsbezirk Wertheim“ und verlangte die Einreichung der Mitgliederlisten an die Kreisleitung. Jeder Verein <?page no="310"?> 311 „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ musste einen Parteigenossen als Vertrauensmann benennen, um damit die innere Ausrichtung auf den Nationalsozialismus zu garantieren. 16 Sollte sich vereinzelt dann doch noch Kritik an den Maßnahmen im Rahmen der Gleichschaltung regen, griffen die Nationalsozialisten zum Mittel der Strafandrohung und Einschüchterung. Ein in der Gesellschaft „Wolfsschlucht“ engagierter Oberpostinspektor hatte gewagt, die Eingriffe der Partei in interne Vereinsangelegenheiten zu kritisieren und erhielt im April 1934 prompt eine Zurechtweisung durch ein Schreiben der Kreisleitung. In einem anderen, ähnlichen Fall forderte der Kreisleiteradjutant die Zurücknahme kritischer Äußerungen in der „Wertheimer Zeitung“ und warnte den Verursacher vor den Konsequenzen: „Es wird ihnen wohl bekannt sein, daß die Amtswalter der NSDAP lt. neuester Verfügung unter staatlichem Schutze stehen, nachdem diese indirekt den Staat verkörpern. Sie haben sich mit dieser Äußerung somit gegen den Staat vergangen und werde ich nur dann von Weiterungen absehen, wenn sie innerhalb von 3 Tagen durch Veröffentlichung in der Wertheimer Zeitung diese Beleidigungen zurücknehmen. Sollte dies nicht geschehen, so werde ich unverzüglich das Nötige veranlassen.“ 17 Die Partei und ihr Widersacher, der katholische Stadtpfarrer Karl Bär Mit dem katholischen Stadtpfarrer der Kirche St. Venantius in Wertheim trafen die Nationalsozialisten auf einen erbitterten Gegner, der schon vor der Machtergreifung heftige Auseinandersetzungen mit der NSDAP hatte. Der 1880 in Freiburg geborene Karl Bär kam 1913 als Pfarrverweser nach Wertheim und wurde 1915 an der katholischen Stadtkirche eingesetzt. Neben seiner seelsorgerischen Tätigkeit und zahlreichen sozialen Aufgaben engagierte er sich auch politisch. Er gründete neben dem Krankenverein die Gruppe „Neudeutschland“ und 1924 den katholischen Gesellenverein Wertheim. Seit 1905 war er Mitglied der Zentrumspartei und wurde 1914 Vorsitzender der Wertheimer Ortsgruppe der Partei. Seit 1916 war er Flüchtlingskommissar für den Amtsbezirk Wertheim. 18 <?page no="311"?> 312 Dr. Hermann Schmidt Obwohl er sich kurz nach dem Regierungsantritt Hitlers zunächst zurückhielt, stemmte er sich gegen die Judenboykottmaßnahmen Anfang April 1933 und forderte in seinen Predigten zum Einkauf in den boykottierten jüdischen Geschäften auf. Immer wieder hob er von der Kanzel aus auch hervor, wie sehr der Nationalsozialismus das Christentum bedrohe. Im Herbst 1933 eskalierte die Situation als ein Schüler der Gewerbeschule, in der Pfarrer Bär Religionsunterricht erteilte, ihn am 11. September mit dem damals noch nicht vorgeschriebenen Hitlergruß provozierte. Es folgte eine heftige verbale Auseinandersetzung. Daraufhin starteten die Nationalsozialisten eine Pressekampagne gegen den Stadtpfarrer. Sowohl die in Tauberbischofsheim erscheinende Zeitung „Der Franke“ wie auch die Heidelberger NS-Zeitung „Die Volksgemeinschaft“ berichteten am 12. Oktober zeitgleich über den Vorfall. In der Zeitung „Der Franke“ wurde der Vorfall als „Sabotageakt“ bezeichnet. Pfarrer Bär reagierte am darauffolgenden Sonntag in seiner Predigt auf die verleumderischen Artikel. Dabei soll auch das Bibelzitat „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ gefallen sein. Wenige Tage danach wandten sich sowohl das Bezirksamt wie die NS-Kreisleitung an das Kultusministerium, um dieses dazu zu bewegen, für eine Versetzung Bärs zu sorgen. Von der Antwort des Ministeriums dürften die Wertheimer Nationalsozialisten ziemlich enttäuscht gewesen sein, denn dieses wies die Beschwerden gegen Bär als unzureichend zurück und betonte darüber hinaus, dass Pfarrer Bär lange Zeit in der Stadt vor allem im sozialen Bereich verdienstvoll gewirkt habe. Auch eine weitere Eingabe des Wertheimer Landrats an den Innen- Karikatur des katholischen Stadtpfarrers Karl Bär im Gespräch mit dem jüdischen Mitbürger Max Held vom 8.7.1935 <?page no="312"?> 313 „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ minister zeitigte keinen Erfolg. Als schließlich das Erzbischöfliche Ordinariat in einem Schreiben vom 12. Juli 1934 an Pfarrer Bär herantrat, um ihn zu einer Versetzung zu bewegen, kommentierte er dies mit der Randnotiz auf dem Schreiben: „Nein! Soll ich Feigling sein! “ In einem zweiten Schreiben vom 3. Dezember 1934 gab das Erzbischöfliche Ordinariat an den Minister für Kultus, Unterricht und Justiz bekannt, keine Veranlassung mehr zu haben, eine Versetzung des Pfarrers in die Wege zu leiten. Dem Schreiben beigefügt war eine Stellungnahme des katholischen Stiftungsrats Wertheim, der Pfarrer Bär sein vollstes Vertrauen aussprach und dessen Loyalität gegenüber der Regierung bezeugte. Auch eine am 24. Juli 1934 von der Landeskriminalstelle „Geheime Staatspolizei“ in Mosbach durchgeführte Durchsuchung seiner Wohnung nach politischen Schriften blieb erfolglos, was sich Pfarrer Bär schließlich durch die Gestapo bescheinigen ließ. Anfang 1935 schienen sich die Wogen wieder geglättet zu haben und Landrat Binz berichtete dem Innenministerium: „Seit einem dreiviertel Jahr liegen über Pfarrer Bär keine Beschwerden mehr vor. Auch hat er sich seither jeder politischen Anspielung oder Andeutung in seinen Predigten enthalten.“ 19 Zum nächsten Zusammenstoß zwischen Pfarrer Bär und den Nationalsozialisten kam es im Juli 1935. Wieder lag der Ausgangspunkt bei Schülern der Gewerbeschule Wertheim. Diese hatten beobachtet, wie Pfarrer Bär nach einem Gespräch mit einem Juden diesem die Hand zum Gruße reichte. Von einem Schulfenster aus riefen die Gewerbeschüler „Pfui! Pfui! “ Pfarrer Bär stellte anschließend die Schüler zur Rede. Daraufhin erschien am 8. Juli 1935 im „Brennspiegel“ der „Volksjugend“, einer im Führerverlag Karlsruhe erscheinenden Jugendzeitung, ein in stark antijüdischem Tonfall aufgemachter Artikel mit der Überschrift „Pfarrer Bär und seine Juden“. Darin heißt es unter anderem: „Herr Pfarrer Bär kann diese jüdischen Zeiten heute noch nicht vergessen. Man sieht ihn allzuhäufig bei den armen Wertheimer Obergaunern jüdischer Rasse stehen. So traf es sich auch am 8. Juli 1935 während der Schulpause, daß vor der Gewerbeschule Herr Pfarrer Bär auf dem Weg zum Religionsunterricht noch eine kleine Sonderpause machte. Er hatte nämlich Max Held, den jüdischen Kaufhauskrämer von Wertheim, getroffen, und nun unterhielt sich Pfarrer Bär mit dem Makkabäer Max Held vor dem Schulhaus aufs freundlichste. Held mauschelte und Pfarrer Bär lächelte! “ <?page no="313"?> 314 Dr. Hermann Schmidt Am Ende des Artikels bescheinigt die Redaktion der „Volksjugend“ den Wertheimer Gewerbeschülern, alles richtig gemacht zu haben: „Herr Pfarrer Bär ist kein jüdischer Rabbiner, sondern ein christlicher Seelsorger und er lehrt nicht in Palästina, sondern im arischen Deutschland. Der Wertheimer Jugend aber sagen wir: ‚Ihr habt recht, wenn Ihr Euch gegen solche verjudeten Seelsorger wehrt‘.“ 20 In einem Brief vom 19. Juli 1935 nimmt schließlich Kreisleiter Dr. Schmidt Stellung zu einem Schreiben Pfarrer Bärs, in dem dieser den Vorfall aus seiner Sicht geschildert hatte. Kreisleiter Schmidt geht darin auch ausführlich auf das allgemeine Verhalten des Pfarrers ein und erteilt diesem Ratschläge nicht nur als Kreisleiter, sondern auch als „Privatmann“. In einem weiteren Schreiben vom 12. August 1935 an das Erzbischöfliche Ordinariat in Freiburg sah sich die Hitlerjugend Karlsruhe dazu aufgerufen, das Ordinariat zu bitten, diesen „Fall rassischer Unsauberkeit“ zu überprüfen und derartige Dinge in Zukunft abzustellen. In dem Antwortschreiben des Ordinariats vom 16. Oktober an die HJ in Karlsruhe ist auch die Stellungnahme Pfarrer Bärs zu dem Vorfall am 8. Juli enthalten. 21 Trotz dieses Vorfalls kam es nicht zu einer Versetzung Pfarrer Bärs. Die Nationalsozialisten vor Ort waren offensichtlich klug genug, diesen unbequemen Kritiker nicht gegen den Willen der katholischen Bevölkerung aus Wertheim zu vertreiben, da sein Rückhalt dort nach wie vor recht groß war, was sich in immer noch stark besuchten Gottesdiensten und Prozessionen ausdrückte. Die Personalie des katholischen Stadtpfarrers von Wertheim zeigt, dass es auch Grenzen des nationalsozialistischen Totalitätsanspruchs gab, wenn jemand mutig und mit einem gewissen Rückhalt in der Bevölkerung gegen die Partei aufzustehen wagte. 22 Im April 1940 wurde Stadtpfarrer Bär bezichtigt, er habe durch den Einkauf einer übergroßen Menge Heringe gegen die Volksgemeinschaft verstoßen. In einem Brief vom 17. April 1940 nimmt der Pfarrer gegenüber Kreisleiter Schmidt dazu Stellung. In dem langen, aufreibenden Kampf gegen die Nationalsozialisten gab der Stadtpfarrer schließlich nach und ließ sich jetzt im Alter von 60 Jahren pensionieren. Das bedeutete aber noch nicht, dass er seine seelsorgerische Tätigkeit sofort aufgab, denn er hielt vertretungsweise Gottesdienste in zahlreichen Orten ab. 1942 sah sich der Pfarrer wieder genötigt, Begebenheiten, die gegen seine Person nach Frei- <?page no="314"?> 315 „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ burg berichtet wurden, dem Erzbischöflichen Ordinariat gegenüber klarzustellen. Pfarrer Bär hatte an einem Festgottesdienst am 11. Juli 1942 teilgenommen, zu dem er lediglich als einfacher Gast, nicht jedoch als Mitzelebrant eingeladen war. In diesem Schreiben beklagte sich Pfarrer Bär bitter über den geringen Rückhalt, den er aus Freiburg erfuhr. 23 Und in noch einem Punkt blieb sich Pfarrer Bär treu. Als im Rahmen der Bürckel-Wagner Aktion am 21./ 22. Oktober 1940 die letzten 19 damals in Wertheim verbliebenen jüdischen Bürger ausgerechnet am Laubhüttenfest, einem hohen Feiertag der Juden, zum Bahnhof Wertheim getrieben wurden, gewährte ihnen Pfarrer Bär ein letztes Zeichen noch verbliebener Mitmenschlichkeit. Unmittelbar vor der Deportation in das Lager Gurs in den französischen Pyrenäen lud er sie zum Verweilen in seiner Kirche ein und riskierte dabei selbst Kopf und Kragen. 24 Nach dem Krieg betreute er ab 1946 die Heimatvertriebenen auf dem Reinhardshof und hielt für die Katholiken dort Gottesdienste ab. Im Jahre 1955 konnte er sein goldenes Priesterjubiläum feiern und am 30. Dezember 1960, an seinem 80. Geburtstag, wurde ihm die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wertheim für seine „seelsorgerischen, staatsbürgerlichen und menschlichen Verdienste“ verliehen. Pfarrer Bär starb am 22. August 1968. 25 Kreisleiter Schmidt und die jüdische Bevölkerung von Wertheim Noch um 1900 zählte die jüdische Gemeinde in Wertheim über 200 Personen und stellte damit etwa 5,5% der Gesamtbevölkerung der Stadt. Hintergrund dafür waren die freiheitlichen Emanzipationsgesetze in Baden ab 1809 und die völlige rechtliche Gleichstellung 1863. Diese erlaubten der jüdischen Bevölkerung sich frei zu bewegen. Durch die aufkommende Industrialisierung boten sich außerdem bessere Entfaltungsmöglichkeiten in größeren Städten. Eine größere Judenfeindlichkeit gab es auch während der Weimarer Republik in der Stadt Wertheim nicht, außer den üblichen, mehrmaligen Anträgen der Nationalsozialisten in der Endphase der Weimarer Republik im Gemeinderat, das Schächten der Tiere zu verbieten. Ansonsten hielten sich auch vor 1933 die National- <?page no="315"?> 316 Dr. Hermann Schmidt sozialisten mit judenfeindlichen Aktionen zurück. Zwar existierten bestimmte Vorurteile und vereinzelt Abneigung gegen die Juden in der Stadt, aber insgesamt waren die Juden in das wirtschaftliche und soziale Leben der Stadt integriert. Die Juden waren Mitglieder in den Wertheimer Sport- und Gesangsvereinen wie auch im Historischen Verein Alt-Wertheim. Aus dem wirtschaftlichen Leben der Stadt waren jüdische Handelsgeschäfte und Handwerksbetriebe nicht wegzudenken. 26 Gleichwohl hatte sich bereits bis zum 1. Januar 1933 die Anzahl der jüdischen Gemeindemitglieder in Wertheim auf 101 Personen reduziert. Die Situation änderte sich jedoch schlagartig mit dem Regierungsantritt der Nationalsozialisten. Was zunächst einem „Austoben terroristischer Instinkte“ gegen die Juden glich, sollte sich mit der Zeit zu einer systematischen Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung auswachsen, um dann in der gezielten Vernichtung der jüdischen Bevölkerung zu enden. Schon in einer der ersten Nächte nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 zog eine Horde Nationalsozialisten durch die Stadt und skandierte „Juda verrecke! “ Am 5. Februar 1933 drohte Kreisleiter Schmidt anlässlich einer Rede auf dem Wertheimer Marktplatz den Juden: „Wir werden auch dem jüdischen Gift, das gegen das erwachende Deutschland gespien wurde, bald kurzen Prozeß machen.“ Dahinter steckte die nationalsozialistische Propagandalüge einer angeblichen „jüdischen Greuelpropaganda“ gegen das Reich, die alle Aktionen gegen die Juden rechtfertigen sollte. Dabei gab es einige national-konservativ denkende Juden, die die Bildung einer nationalen Regierung unter der Führung Hitlers begrüßten. So folgte etwa der jüdische Mitbürger Menko Held einer Aufforderung der Beflaggung durch die NSDAP mit der schwarz-weiß-roten Fahne, um seine Treue zum Reich zu bekunden. Dass dann die SA aufmarschierte und die Fahne wieder einholte, konnte Menko Held nicht verstehen. So ging es vielen Juden im Land, die später beim Boykott ihrer Geschäfte als stillen Protest die Orden und Ehrenzeichen des 1. Weltkrieges in die Schaufenster legten. Auch was den Boykott jüdischer Geschäfte anging, eilten die Wertheimer Nationalsozialisten der systematischen Boykottaktion zum 1. April 1933 voraus. Für zwei Stunden erzwang am 13. März die SA die Schließung aller jüdischen Geschäfte in Wertheim. Die Boykottaktion musste aber abgebrochen werden, da das Reichsinnenministerium Einzelakti- <?page no="316"?> 317 „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ onen vor dem reichseinheitlichen Boykott am 1. April 1933 untersagte. Während der Verhaftungswelle im März 1933 wurden auch die jüdischen Mitbürger Leo Hammel und Sally Sichel in Schutzhaft genommen und am 20. März wurden nicht nur Wohnungen von Kommunisten und Sozialdemokraten, sondern auch von Juden durchsucht. Angesichts der Praxis bei der Verhängung und Beendigung der Schutzhaft hatte hier die Kreisleitung der NS- DAP Wertheim ein gewichtiges Wort mitzureden. Mit der Gleichschaltung des Gemeinderats am 23. März 1933 erfolgte das Verbot des rituellen Schächtens, auch hier wieder vor dem allgemeinen Reichsverbot des Schächtens im April 1933. Außerdem beschloss der Gemeinderat, sämtliche Zuwendungen an die israelitische Kultusgemeinde zu streichen. Am 30. März 1933, zwei Tage vor der reichsweiten Boykottaktion gegen jüdische Geschäfte, ließ ein von der NS-Kreisleitung ins Leben gerufenes „Aktionskomittee zum Boykotte der Juden“ eine Anzeige in der „Wertheimer Zeitung“ erscheinen, in der es unter anderem hieß: „Deutsche, kauft nicht bei Juden! Deutsche, treibt keinen Handel mit Juden! Wer die Juden unterstützt, sabotiert die nationale Erhebung. Merkt Euch diejenigen, die mit Juden paktieren, auf der Straße mit ihnen zusammenstehen oder gehen. Merkt Euch die deutschen Mädchen, die mit Juden umgehen. Boykottiert auch deutsche Geschäfte, deren Inhaber sich schützend vor Juden stellen […].“ Am 31. März gab es auf dem Marktplatz „vor dicht gedrängtem Publikum“ eine Juden-Boykott-Kundgebung, auf der Kreisleiter Schmidt die vorgesehenen Aktionen mit der angeblichen „Greuelhetze des internationalen Judentums“ rechtfertigte. In Wirklichkeit war dieser Tag für die Nationalsozialisten ein Testlauf, um zu sehen, wie weit man die jüdische Bevölkerung isolieren konnte und ob es zu einer Solidarisierung der Deutschen mit den Juden kam. Daher auch die unverhohlenen Drohungen im Aufruf des Aktionskomitees gegen die ‚deutsche‘ Bevölkerung im Falle einer Solidarisierung mit der jüdischen Bevölkerung. Der Boykott der Geschäfte dauerte in Wertheim bis zum 4. April. Ob es, abgesehen von Stadtpfarrer Bär, offene Proteste gab, ist nicht überliefert. Jedenfalls konnte die „Wertheimer Zeitung“ am 3. April 1933 fast beiläufig vermelden: „Ruhig und in aller Ordnung verlief die Boykott-Aktion der NSDAP gegen die jüdischen Geschäfte.“ 27 <?page no="317"?> 318 Dr. Hermann Schmidt Eine weitere Maßnahme des Wertheimer Gemeinderats sollte die Juden ebenfalls wirtschaftlich schwächen, um sie mehr und mehr aus dem Wirtschaftsgeschehen der Stadt auszuschalten. Am 14. Juni 1933 erfolgte der Beschluss, dass in Zukunft alle jüdischen Händler und Geschäfte, an den Juden beteiligt waren, von der Teilnahme an Wertheimer Messen und ähnlichen Veranstaltungen ausgeschlossen wurden. Eine soziale Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung erfolgte im Rahmen der Gleichschaltung der Vereine und Verbände im Frühsommer 1933 und deren Neustrukturierung nach dem Führerprinzip. Auf diese Weise konnten sämtliche jüdischen Personen aus den Vereinen ausgeschlossen werden oder zum „Austritt“ aufgefordert werden. So wurden aus dem Historischen Verein Alt-Wertheim allein elf betroffene jüdische Wertheimer zum „Austritt“ veranlasst. Im Herbst 1933 mussten die Juden am eigenen Leibe erfahren, dass Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung rechtlich ungeahndet blieben und dass sie nun wirtschaftlich geschwächt, sozial ausgegrenzt und völlig schutzlos waren. Am 14. Oktober 1933 wurde Leo Hammel, der schon im März 1933 in Schutzhaft genommen wurde, bezichtigt, sich während des Anhörens einer Hitlerrede provozierend verhalten zu haben. Noch am gleichen Abend wurde Leo Hammel von zwei SS-Angehörigen unter Fußtritten zum Rathaus gebracht, wobei Schaulustige am Rande der Straße ebenfalls auf ihn einschlugen. Obwohl Hammel keinerlei provozierendes Verhalten nachgewiesen werden konnte, blieb er 4 Tage lang inhaftiert. Am Abend des gleichen Tages wurde der 29-jährige Kaufmann Gustav Schwarzschild auf offener Straße von SA-Leuten überfallen und brutal zusammengeschlagen. Wenngleich das Bezirksamt zur Weiterverfolgung des Falles verpflichtet gewesen wäre, geschah nichts. Allerdings heißt es im Lagebericht der Gendarmerie Wertheim vom 17. Oktober 1933, dass die antisemitischen Ausschreitungen in der Bevölkerung „große Mißstimmung“ hervorgerufen habe. Ein offener Protest der Bevölkerung erfolgte jedoch nicht. Insgesamt ging das Vorgehen der Wertheimer Nationalsozialisten gegen die Juden über das von den Regierungsstellen vorgegebene und beabsichtigte Maß hinaus. Dies bestätigte sich ein weiteres Mal, als vor der Michaelismesse im Oktober 1934 von der Stadtverwaltung an den Ortseingängen und auf den Werbetransparenten Plakate mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ angebracht wurden. <?page no="318"?> 319 „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ Diese wurden aber Anfang November 1934 auf Druck des Innenministeriums in Karlsruhe wieder entfernt, da dieses keine Einzelaktionen der Gemeinden wünschte. Im August 1935 riefen „die verantwortlichen Stellen der Stadt“ alle Geschäftsleute und Gaststättenbesitzer der Stadt dazu auf, an ihren Betrieben, deutlich sichtbar anzubringen, dass „Juden unerwünscht“ sind. Zwischen 1933 und 1938 wurde für alle jüdischen Firmen ein Gewerbe-und Berufsverbot durchgesetzt. Die Folge davon war, dass bis 1939 mehr als die Hälfte der jüdischen Bürger Wertheims zwangsweise die Stadt verließen, davon einige das Land für immer, andere verzogen in meist größere Städte. Die Erfassung der Binnenwanderung der Juden in Deutschland war ein Hauptanliegen der NS-Verwaltung, vor allem die ehemaliger Schutzhäftlinge, deren Wohnungswechsel der Gestapo und der jeweils neuen Ortsbehörde gemeldet werden musste. Am 7. Oktober 1938 wurden in ganz Deutschland alle Reisepässe von Juden ungültig und nur noch die für das Ausland ausgestellten mit einem eingestempelten „J“ versehenen Pässe wurden wieder ausgegeben. Innerhalb des Reichsgebietes konnten Juden jetzt ihren Wohnsitz nicht mehr verlassen. Mit dem Kriegseintritt 1939, als die NS-Politik die weitere Emigration der Juden verhindern wollte, wurden auch diese markierten Pässe eingezogen. Wer vor diesem Zeitpunkt einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses bzw. auf Ausreise stellen wollte, musste dies beim Bürgermeisteramt tun. Der Bürgermeister oder sein Stellvertreter musste dazu Stellung beziehen, dann wurden die Unterlagen an die Kreisleitung weitergegeben. Nachdem auch diese ihr Votum abgegeben hatte und sich mit dem Bürgermeisteramt abgestimmt hatte, kam der Antrag an das Badische Bezirksamt Wertheim, das für die Ausstellung des Passes zuständig war. Wer ausreisen wollte, musste den Nachweis erbringen, dass er im Zielland versorgt ist, sei es durch die Unterbringung bei Verwandten oder durch die Liquidation des hiesigen immobilen Vermögens. Waren diese Bedingungen gegeben und war nachgewiesen, dass der Antragsteller weder Steuerschulden hatte noch Devisen ins Ausland schaffen wollte, dann wurden die Ausreiseanträge zumindest bis September 1939 allesamt genehmigt. Das zurückgelassene Vermögen erweckte Begehrlichkeiten: Aus diesem Grunde wurde vielen Emigranten die Reichszugehörigkeit nach ihrer Ausreise aberkannt, <?page no="319"?> 320 Dr. Hermann Schmidt so dass deren Vermögen vom Staat beschlagnahmt und veräußert werden konnte. 28 Als Vorbote zur kommenden Reichsprogromnacht am 9. November 1938 kann die Umbenennung der Judengasse in Gerbergasse und der Nebenjudengasse in Wehrgasse im Oktober 1938 gesehen werden. In der Pogromnacht wurden die noch verbliebenen jüdischen Geschäfte in Wertheim geplündert und teilweise verwüstet. Als ein zur Zerstörung der Synagoge abgeordneter Trupp in der Synagoge einen Brand legen wollte, konnte dies in letzter Minute durch den herbeieilenden Protokollanten der Stadt verhindert werden, der darauf hinwies, dass es sich bei der Synagoge um städtisches Eigentum handelte. Tatsächlich hatte die Stadt die Synagoge vom letzten Vorsitzenden Sigmund Cahn am 23. September 1938 für 3000 RM erworben. Dennoch wurde die Inneneinrichtung zerstört. Allerdings konnten durch das beherzte Eingreifen des städtischen Archivars Otto Langguth die Thorarollen und einige weitere Kultgegenstände auf das Rathaus gebracht werden, wo sie bis nach Kriegsende verwahrt wurden. Einige jüdische Personen aus Wertheim wurden nach der Pogromnacht in Konzentrationslager verschleppt. Außerdem wurden sog. „Judenhäuser“ errichtet, um das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden in einem Wohngebäude zu beenden. Die Synagoge wurde ab 1942 zur Unterbringung sowjetrussischer Zwangsarbeiter verwendet. 29 Im benachbarten Külsheim blieb die Synagoge in der Pogromnacht zunächst unzerstört. Eine Thorarolle wurde entwendet und nach Tauberbischofsheim gebracht und mit den Thorarollen der dortigen israelitischen Gemeinde auf dem Marktplatz verbrannt. Entweder direkt nach den Ereignissen vom 9.11.1938 oder ein Jahr später wurde die Synagoge vollständig geplündert. Diese Aktion soll auf Befehl der Kreisleitung Wertheim durchgeführt worden sein. Nach der Plünderung war ein Korb mit Sachen aus der Synagoge auf das Rathaus gebracht worden, wo es von der Kreisleitung Wertheim abgeholt werden sollte, was aber nie geschah. Das wertvolle Thorasilber und die alten Messing-Hängeleuchter waren von der in Auflösung befindlichen israelitischen Gemeinde schon im Sommer verkauft worden. 30 In Wertheim wurde in den nächsten zwei Jahren die Bewegungsfreiheit der jüdischen Bevölkerung durch die Behörden weiter eingeschränkt. Am 18. Juli 1940 beschwerte sich eine namentlich be- <?page no="320"?> 321 „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ kannte Bürgerin bei der Stadt, dass die Juden seit dem Frühjahr „manchmal täglich zweimal mit Beil und Säge bewaffnet in die Birken“, einen am Schlossberg gelegenen Wald, gehen. Dies störte offensichtlich die Wertheimer Volksgenossen, die dort spazieren gingen und so bat die Kreisleitung Wertheim den Bürgermeister, den Juden einen anderen Sammelplatz für Holz zuzuweisen. Der Bürgermeister indes verbot per Mitteilung an Sigmund Cahn, den damaligen Vorsteher der jüdischen Gemeinde, den Juden generell das Sammeln von Holz und Beeren in den städtischen Waldungen, mit der Begründung, dass es beim Zusammentreffen von Juden und deutschen Volksgenossen zu „Unzuträglichkeiten“ kommen könne und erinnerte die Juden außerdem daran, dass ihnen zum Spazierengehen bestimmte Straßen zugewiesen seien. In diesem Falle ging der Bürgermeister also noch weiter, als die NS-Kreisleitung vorgesehen hatte. 31 Kriegsende in Wertheim und Flucht Das badische Frankenland galt als sicheres Aufnahmegebiet für die durch die amerikanischen Fliegerangriffe in den Großstädten am Rhein im Laufe des Jahres 1944 ausgebombte Zivilbevölkerung. So wurden viele Menschen aus Dortmund in den Bezirk Tauberbischofsheim zwangsevakuiert. Ebenso wurden kriegswichtige Betriebe und Zweige verschiedener Ministerien ins badische Frankenland verlegt. So kam etwa die Reparatur-Eisenbahnwerkstätte von Saarbrücken mit 400 Arbeitern nach Königsheim. Wertvolle Archive aus Köln wurden ins Kloster Bronnbach verbracht, Paramente und wertvolle Bücher aus den Pfarreien der fliegergefährdeten Großstädte am Rhein wurden in den Pfarreien der Dörfer des badischen Frankenlandes hinterlegt. Durch den raschen Vormarsch der Amerikaner und die ihnen nicht verborgen gebliebene Verlegung von kriegswichtigen Betrieben geriet im März 1945 auch das badische Frankenland in den Fokus der feindlichen Luftverbände. Wiederholt wurden die Bahnhöfe von Lauda und Tauberbischofsheim bombardiert, wobei es auch mehrmals Tote und Verletzte gab. 32 In Wertheim tauchten am Palmsonntag (25. März 1945) erstmals amerikanische Tiefflieger auf, die eine Veranstaltung der Hit- <?page no="321"?> 322 Dr. Hermann Schmidt lerjugend in der Stadt unter Leitung von Kreisleiter Dr. Hermann Schmidt störten. Dadurch sah dieser sich veranlasst, die Menschen vorsichtshalber aufzufordern, in die Gassen zurückzutreten. Auch am folgenden Tag setzte sich der Überflug feindlicher Flugzeuge fort. 33 Am Ostersonntag (1. April 1945) näherten sich die amerikanischen Truppen. Nachdem sie Widerstandsnester in Nassig gebrochen hatten, zogen die Amerikaner über Reicholzheim in Richtung Wertheim und beschossen die Stadt mit Panzern vom Wartberg aus. Dabei starben vier deutsche Soldaten und einer wurde schwer verletzt. Sie gehörten zu den wenigen, die noch mit Maschinengewehren und Panzerfäusten ausgerüstet waren und die Verteidigung Wertheims gegen eine Übermacht feindlicher Truppen übernehmen sollten. Auch eine Sprengung der Straßenbrücke über die Tauber missglückte, da nur ein zwei Meter großes Loch in die Brücke gerissen wurde, der Verkehr aber weiterhin passieren konnte. Am Nachmittag des Ostersonntags gelang es den Bürgern Anton Dinkel und Heinrich Herz schließlich, den Bürgermeister dazu zu bewegen, gegen 16.25 Uhr die weiße Fahne auf dem Bergfried der Wertheimer Burg zu hissen, woraufhin die Amerikaner den Beschuss Wertheims einstellten. Der Kreisleiter flüchtete. Auf seinen Kopf setzten die Amerikaner eine Belohnung aus. 34 Kreisleiter in Überlingen Wann genau Dr. Hermann Schmidt in Überlingen auftauchte, lässt sich aus den Akten nicht mehr eindeutig erschließen. Nach Aussage des ehemaligen Stadtinspektors Julius Kitt war dies nach seiner Erinnerung etwa 14 Tage vor dem „Zusammenbruch“. Da dieser in Überlingen am 25. April mit dem Einmarsch der Franzosen erfolgte, dürfte sich Schmidt etwa seit dem 11. April in Überlingen aufgehalten haben. Seine offizielle Ernennung erfolgte am 18. April 1945 durch den badischen Gauleiter Wagner. Verbunden mit seiner Vorstellung beim Führerkorps der Partei in Überlingen durch den Kreisgeschäftsführer Pg. Mauch vollzog Kreisleiter Schmidt die Übernahme und enthob den bisherigen Ortsgruppenleiter Probst wohl auf dessen eigenen Wunsch seines Amtes und ersetzte ihn durch den Pg. Paul Schwach, den er zum neuen Ortsgruppenleiter <?page no="322"?> 323 „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ ernannte. Schmidt war mit der Absicht nach Überlingen gekommen, zu kämpfen und die Stadt zu halten, und falls ihm dies nicht gelingen sollte, wieder nach Wertheim zurückzukehren, um dort den „unterirdischen Kampf“ gegen die Amerikaner zu organisieren. 35 Schmidt war offensichtlich gut informiert über die Absichten von Bürgermeister Dr. Albert Spreng, der den örtlichen Volkssturm leitete, aber eine Verteidigung Überlingens zu verhindern gedachte. Aus diesem Grunde schloss er Dr. Spreng am 18. April 1945 wegen Partei schädigenden Verhaltens aus der NSDAP aus. Nach Angaben Sprengs war geplant, ihn dazu zu zwingen, sein Amt als Bürgermeister aufzugeben, und ihn vor ein Standgericht zu stellen, was aber durch das Eingreifen des Landrats verhindert werden konnte. So verweilte er Tag und Nacht im Rathaus und gab vor die Anweisungen von Partei, Kampfkommandant Oberstleutnant Wellenkamp und SS zu erfüllen. Mit den Kompanieführern des Volkssturms hatte er vereinbart, die Panzersperren im Alarmfall zu schließen, aber im Ernstfall nicht von der Waffe und den zahlreichen Panzerfäusten Gebrauch zu machen. Zu seiner eigenen Sicherheit war er mit einer Dienstpistole ausgerüstet, da die SS gedroht hatte, dass, wenn nicht bis zum Äußersten verteidigt würde, die Stadt angezündet und der Bürgermeister aufgehängt würden. Tatsächlich war es Spreng gelungen, den Kampfkommandanten, dem etwa 60 bis 100 Mann Infanterie, aber ohne artilleristische Unterstützung zur Verfügung standen, dazu zu bewegen, sich in Richtung Sipplingen zu bewegen, um sich dort den Franzosen entgegenzustellen. Nachdem die Franzosen diese Verteidigungslinie durchstoßen hatten, kam es letztlich nur zu einem Schusswechsel zwischen Oberstleutnant Wellenkamp, der sich im Wehrmeldeamt befand, und der französischen Vorhut, bei der der Kampfkommandant und sein Adjutant verwundet wurden. Gegen Abend des 25. April 1945 konnte Dr. Spreng die Stadt ohne weiteres Blutvergießen an die französischen Streitkräfte übergeben. Die bis zum letzten Kampf entschlossenen Vertreter der Partei mit ihrem Kreisleiter waren indes schon am 23. und 24. April spurlos aus der Stadt verschwunden. 36 <?page no="323"?> 324 Dr. Hermann Schmidt Anmerkungen 1 BR vom 18.4.1945 2 SCHEURICH, Ellen: Aufstieg und Machtergreifung des Nationalsozialismus in Wertheim am Main. Ein lokalgeschichtlicher Beitrag zu den Anfängen des Dritten Reiches, in: Veröffentlichungen des Historischen Vereins Wertheim, Band 4, Wertheim 1983, S. 32. Im Folgen zitiert: Scheurich. 3 http: / / onlinelibrary.wiley.com/ doi/ 10.1002/ ange.19020151808/ abstract : Wirtschaftlich gewerblicher Theil, 2006, Angewandte Chemie, Wiley Online Library. 4 www.bdfwt.de/ files/ heft_o1_2010pdf 5 Sitzung des bayerischen Landtags vom 20. Mai 1926: http: / / geschichte. digitale-sammlungen.de/ landtag1919/ seite/ bsb00008690_00535, S. 515 und Sitzung des bayerischen Landtags vom 10. Juni 19126: http: / / geschichte.digitale-sammlungen.de/ landtag1919/ seite/ bsb00008690_00680, S. 660. 6 Scheurich, S. 32 f. 7 Scheurich, S. 19. 8 Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Wertheim-Baden: https: / / www.landesarchiv-bw.de/ web/ 42624 . 9 Scheurich, S. 38. 10 Sozialdemokratischer Pressedienst vom 25. Oktober 1931. Selbstverlag der SPD Berlin. Herausgeber und Chefredakteur Erich Alfringhaus, Berlin. 2 Seiten Maschinenschrift. 11 Zitiert nach Scheurich, S. 54. Dort auch die Darstellung der Geschehnisse in Wertheim. 12 Der Rücktritt von Bürgermeister Hans Bardon ist geschildert bei: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wertheim. 13 Scheurich, S. 72 f. und S. 90 f. Das Zitat über die Ausrottung der Kommunisten findet sich bei Scheurich, S. 55. 14 Dargestellt nach Scheurich, S. 68 ff. und S. 90. Die verwendeten Zitate finden sich auf S. 68 und S. 69. 15 Vgl. dazu Scheurich, S. 70 16 Dargestellt nach Scheurich, S. 78 17 Abschrift eines Schreibens des Kreisleiteradjutanten der NSDAP Wertheim vom 16. Dezember 1933. Zitiert nach Scheurich, S. 92. Dort ist auch der Fall des Oberpostinspektors geschildert. 18 Die Lebensgeschichte von Pfarrer Bär ist zusammengefasst in einer Vorbemerkung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Wertheim, zum Bestand S-N20: Stadtarchiv Wertheim; im Netz: https: / / www2.landesarchiv-bw.de/ ofs21/ olf/ einfieh.php? bestand=16724. 19 Zu den Vorgängen um Pfarrer Bär bis 1935 vgl. Scheurich, S. 117 ff. Scheurich berichtet über die Vorgänge bis zum Frühjahr 1935. Das Landesarchiv <?page no="324"?> 325 „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ Baden-Württemberg hat für Schüler eine Unterrichtseinheit zum Thema Widerstand im Nationalsozialismus - Der Wertheimer Stadtpfarrer Karl Bär (1880-1968) - zusammengestellt. Dort werden die wichtigsten Dokumente aus dem Nachlass des katholischen Stadtpfarrers zusammengefasst. Im Netz: http: / / www.landesarchiv-bw.de/ web/ 42625? layout=druck . Das Zitat des Landrats findet sich bei Scheurich, S. 120. 20 Der Zeitungsartikel aus der „Volksjugend“ ist abgedruckt bei Scheurich, S. 118 f. Die Zitate aus der Zeitung finden sich auch in dem Artikel von Wikipedia über Wertheim: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wertheim. Die einzelnen genannten Schreiben bei: http: / / www.landesarchiv-bw.de/ web/ 42625? layout=druck. 21 Zu den einzelnen Schreiben: http: / / www.landesarchiv-bw.de/ web/ 42625? layout=druck. 22 Ich teile die Ansicht von Ellen Scheurich, S. 120, dass die Nationalsozialisten in ihrem Totalitätsanspruch bei Pfarrer Karl Bär an ihre Grenzen stießen. Scheurich berichtet auch, dass sowohl die Gottesdienste wie auch die Prozessionen nach wie vor gut besucht waren. Der Rückhalt für Pfarrer Bär war vor Ort wohl besser als im Erzbischöflichen Ordinariat. 23 Zu den Vorgängen im Jahr 1940 und 1942 vgl. http: / / www.landesarchivbw.de/ web/ 42625? layout=druck. 24 Projekt Stolpersteine Wertheim-Einführung-Projekt Stolpersteine Wertheim. Im Nationalsozialismus aus rassischen Motiven ermordete Wertheimer-Juden sowie Sinti/ Roma und deren überlebende Angehörige. Das Projekt Stolpersteine in Wertheim. Stand: 18.03.2012 von Dieter Fauth/ Klaus Schwitt. Als Pdf im Netz, S. 11. Im Folgenden zitiert: Projekt Stolpersteine. 25 Zur Vita Karl Bär: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Wertheim-Bestand S-N20: Stadtarchiv Wertheim. Im Netz: http: / / www2. landesarchiv-bw.de/ ofs21/ olf/ einfueh.php? bestand=16724. 26 Zur Entwicklung der jüdischen Gemeinde: Projekt Stolpersteine, S. 5 f. Zur Situation in der Weimarer Republik: Scheurich, S. 121. 27 Zur weiteren Entwicklung nach der Machtergreifung bis zum Sommer 1933 siehe Scheurich, S. 121ff. Zur Schutzhaft gegen Leo Hammel und Sally Sichel siehe auch Aktion Stolpersteine, S. 6. Die Zitate stammen alle aus der Arbeit von Ellen Scheurich: Rede von Kreisleiter Schmidt am 5. Februar 1933, S. 121; Boykottaufruf in der Wertheimer Zeitung vom 30.3.1933, S. 122 und Bericht der Wertheimer Zeitung vom 3.4.1933, S.-125. 28 Zu den Ereignissen bis 1934: Scheurich, S. 125 ff.- Die Anzeige aus der Zeitschrift Israelit, Jg. 1934, Oktober 5 ist im Netz unter http: / / www. alemannia-judaica.de/ wertheim zu finden. Die weiteren Maßnahmen gegen die Juden sind geschildert in Aktion Stolpersteine, S. 7 ff. 29 Aktion Stolpersteine, S. 8 <?page no="325"?> 326 Dr. Hermann Schmidt 30 Zu den Ereignissen in Külsheim- Die Synagoge in Külsheim (Main-Tauber-Kreis.) Im Netz: http: / / www.alemannia-judaica.de/ kuelshiem_synagoge. Abgerufen am 14.07.2014. 31 Aktion Stolpersteine, S. 8 ff. 32 Nach Kriegsende forderte das Erzbischöfliche Ordinariat in Freiburg die Dekanate auf, bei den einzelnen Pfarrämtern Erhebungen über etwaige Kriegsschäden an kirchlichen Gebäuden, Anstalten und die sonstigen Kriegseinwirkungen zu machen. So entstand auch der Bericht des Geistlichen Rates und Dekans Rothermel über die „Kriegsereignisse beim Einzug der Amerikaner ins Badische Frankenland, 1945.“ Dieser ist als pdf. im Netz. Zu den Hintergründen vor der Besetzung durch die Amerikaner: Rothermel, Kriegsereignisse S. 1 f. 33 Zu den Ereignissen am 25.3.1945: Amerikanische Tiefflieger über der Stadt vgl. http: / / www.kreisgebiet.de/ kreis-main-tauber/ wertheim_iframe. htm. 34 Zum Einmarsch der Amerikaner in Wertheim: Rothermel, Kriegsereignisse, S. 9 f. sowie http: / / www.kreisgebiet.de/ kreis-main-tauber/ wertheim_iframe.htm. 35 Zur offiziellen Einsetzung von Kreisleiter Schmidt: BR vom 18.4.1945. Dort auch die Neubesetzung des Amtes des Ortsgruppenleiters. Zu den Erinnerungen des Stadtinspektors Julius vgl.: SAÜ-Vorläufige Registratur 1417 - Bericht des Stadtinspektors Julius Kitt. Eingang: 8. Januar 1955. 36 Zum Parteiausschluss von Dr. Spreng: Handschriftliche Kopie des Parteiausschlusses. Diese war dem Entnazifizierungsbogen von Dr. Spreng beigeheftet, SAÜ-Nachlass Karl Löhle. Außerdem war dem Entnazifizierungsbogen eine vierseitige „Darstellung meiner Einstellung zur NSDAP und meines Verhaltens beim Einmarsch der französischen Truppen“ beigelegt, in der Dr. Spreng seine Sicht der Ereignisse dokumentiert. Diese wird größtenteils auch durch andere Zeitzeugenberichte belegt. Die Angst Dr. Sprengs wirkt ebenfalls glaubhaft, da Gauleiter Wagner in einem Erlass an die NSDAP Kreisleiter vom 21. März 1945 unmissverständlich all denen mit Standgerichten drohte, die gegen seine Anordnungen und die der Kreisleiter verstoßen sollten. Der Erlass ist abgedruckt in: Südbaden unter Hakenkreuz und Trikolore, hg. von BERND SEGER, KARIN-ANNE BÖTTCHER und GERD R. ÜBERSCHÄR, Freiburg 2006, S. 439. In einem Artikel vom 24.01.2006 über Dr. Spreng berichtete der „Südkurier“ ebenfalls von dessen Parteiausschluss am 18.4.1945. Zum Abzug der Parteileute: SAÜ-Vorläufige Registratur 1417 - Bericht des Stadtinspektors Julius Kitt. Eingang: 8. Januar 1955. <?page no="326"?> 327 Fazit Die Biographien der im Bezirk Überlingen tätigen Kreisleiter belegen in vielem, was auch in anderen Studien bereits festgestellt wurde. Claudia Roth zitiert in ihrer Arbeit zu den bayerischen Kreisleitern aus einem Spruchkammerbescheid des Kreises Altötting: „Die Kreisleitungen waren die entscheidenden Stützpunkte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und fast durchweg entsprach der maßgebenden Verantwortlichkeit der Kreisleiter auch eine brutale, gegen die Gesetze der Menschlichkeit verstoßende Gesamthaltung.“ 1 Auch wenn diese Einschätzung über die Rolle der Kreisleiter innerhalb des nationalsozialistischen Parteiapparates etwas überzogen erscheint, erfasst die Aussage im Kern für Überlingen einen gewissen Wahrheitsgehalt. Als territoriale Statthalter Hitlers oblag den Kreisleitern auf dieser mittleren Führungsebene zwischen den Gauleitern auf der einen Seite und den Ortsgruppenleitern auf der anderen die Kontrolle einer Region, die überschaubar war und engen Kontakt zur Bevölkerung ermöglichte. Durch wichtige Eingriffsrechte wie etwa der Kontrolle der Kommunen als Beauftragte der Partei, durch das Recht, die Geheime Staatspolizei zur Untersuchung non-konformen Verhaltens hinzuzuziehen und durch die politische Bewertung von Kandidaten für den Aufstieg in Partei- und Staatsämter, aber auch in Vereinsämter, konnten die Kreisleiter in ihrem umgrenzten Bereich je nach Charakter und persönlicher Veranlagung ein totalitäres System entfalten. Nicht umsonst wurden sie von der betroffenen Bevölkerung als „kleine Hitler“ oder als „kleine Könige“ und ähnliches bezeichnet. Auch die schwammige Formulierung im Organisationshandbuch der Partei von 1936, die Kreisleitern eine Richtlinienkompetenz und Gesamtverantwortung in ihren Kreisen für „die gesamte politische, kulturelle und wirtschaftliche Gestaltung aller Lebensäußerungen“ zuwies, ließ viele Gestaltungsmöglichkeiten der persönlichen Herrschaft im Kreisgebiet offen. 2 Aus dieser vage formulierten Anleitung konnten einzelne Kreisleiter sehr wohl ein Eingreifen in die verschiedensten öffentlichen und privaten Belange ableiten. Auch der häufig im Zusammenhang <?page no="327"?> 328 Fazit mit den Kreisleitern verwendete Terminus der „Menschenführung“ blieb gleichsam unbestimmt und konnte alles Mögliche bedeuten. Die Form der Herrschaftsausübung der Kreisleiter unterschied sich in der Aufbauphase der Partei stark von der Zeit nach der Konsolidierung der Partei und der Anpassung der Parteikreise an die Landkreise nach 1936/ 37 (Kommunalreform 1935 und Kreisreform 1936). Mit der Aufwertung des Kreisleiteramtes zu einem bezahlten Parteiamt, dessen Besoldung an die des öffentlichen Dienstes angelehnt war, wurde dieses Amt attraktiver als zuvor. So war der erste Überlinger Kreisleiter Gustav Robert Oexle (1930-1934) vor allem mit dem Aufbau der Parteistruktur in der Stadt und im Bezirk Überlingen beschäftigt, fortwährend bei der Gründung neuer Ortsgruppen zugegen und er initiierte oder unterstützte diese im ganzen Kreisgebiet. Er baute auch eine Kreisleitung auf, die in den Anfängen noch in Nußdorf im Hause der Kreisfrauenschaftsleiterin Margarete Lang, deren Mutter Oexle als ihren Ziehsohn in die Familiengemeinschaft aufgenommen hatte, zusammenkam und später in die traditionelle „Löwenzunft“ (seit 1933) umzog. Zu dieser Zeit war das Kreisleiteramt noch ein Ehrenamt und es bedurfte schon einer starken Überzeugung von der Zukunft der Partei. Für Oexle und Margarete Lang bedeutete dies, dass sie von 1930-1933 etwa 5000 RM in den Aufbau der Partei gesteckt hatten. Allerdings zahlte sich der Einsatz für Oexle aus, dem ein beispielloser Aufstieg in der Partei gelang. Der ihm nachfolgende Kreisleiter Alfons Hafen (1934-1936) war ebenso wie Oexle mit dem Aufbau und der Machtkonsolidierung der Partei beschäftigt. Die ständigen Appelle an die Bevölkerung, die Warnungen an die „Miesmacher“ und „Kritikaster“ durch Hafen und die reichsweit durchgeführten Propagandareden zeigen, dass die Partei noch mit einem gewissen Widerstand in der Bevölkerung rechnete. Kreisweite Kampagnen gegen die nicht gerade zahlreichen lokalen Kommunisten zeigen, dass der Machtanspruch der Partei auch im Kreisgebiet ein totaler war. Wie im Fall seines Vorgängers lohnte sich auch der Einsatz Hafens: Er stieg in die Leitung der Organisation „Kraft durch Freude“ in Baden auf. Der als NS-Bürgermeister auf der Insel Reichenau fungierende Richard Burk, der im Sommer 1936 als Überlinger Kreisleiter eingesetzt wurde, hatte in erster Linie die Aufgabe, den mit der Kreisreform aufgelösten Bezirk Pfullendorf in den neuen Parteikreis <?page no="328"?> 329 Fazit Überlingen und in die Parteileitung einzugliedern. Enttäuschte bisherige Funktionsträger der Partei mussten zufrieden gestellt werden und eine gewisse Kompensation für verloren gegangene Ämter und Pöstchen erfolgen. Dass auch dies nicht einfach war, zeigen die mehrfachen Forderungen Burks, nicht ständig nach hinten, sondern in die Zukunft zu schauen. Burk kam den Pfullendorfer Parteigenossen weit entgegen. Bereits zum Ende des Jahres verließ er Überlingen und übernahm den weitaus größeren Parteikreis Lahr, wo er bis 1945 im Amt blieb. In Überlingen war er bei Kriegsende schon fast vergessen. Als eine Liste der Kreisleiter für die französische Besatzungsmacht aufgestellt werden musste, erinnerte man sich kaum mehr an ihn und verwechselte sogar seinen Vornamen. Auf die schnelle Abberufung von Kreisleiter Burk nach Lahr rückte mit Wilhelm Mensch ein Nationalsozialist der „alten Garde“ aus Überlingen nach. Im Anschluss an eine Phase als Ortsgruppenleiter in Überlingen war Mensch 1934 als Bürgermeister in Markdorf eingesetzt und wurde nun 1937 zum neuen Kreisleiter befördert. Unter ihm stabilisierte sich die NS-Herrschaft im Kreis Überlingen. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehörte die Vorbereitung auf den Krieg in der Mobilmachungsphase 1939. Sein überraschender Tod durch Herzinfarkt im Jahre 1940 brachte Gauleiter Wagner in eine schwierige Lage und offenbarte ein Problem der Gauleitung: Es gab ganz offensichtlich zu wenige für das Amt befähigte Nationalsozialisten im Gau Baden und so musste Wagner zu einer Notlösung greifen. Der Leiter des Kreises Stockach, Ernst Bäckert, musste neben dem Kreis Stockach den Kreis Überlingen kommissarisch übernehmen, bis 1942 ein Nachfolger für den Kreis Stockach gefunden wurde und Bäckert den Kreis Überlingen ganz übernehmen konnte. Da solche Hilfskonstruktionen auch in anderen NS-Kreisen in Baden genutzt wurden, lässt sich hier ein strukturelles Problem bei der Besetzung von Kreisleiterposten erkennen. Ernst Bäckert, zunächst als kommissarischer und dann als ständiger Leiter des Überlinger Kreises von 1942 bis 1945, war der Kreisleiter mit der längsten Amtszeit. Die Aufgabe, zwei Kreise gleichzeitig zu leiten, schien Bäckert zeitweise zu überfordern. Vielleicht erklärt dies auch seinen ruppigen und teilweise brutalen Führungsstil. <?page no="329"?> 330 Fazit Die letzten drei Kreisleiter (Karl Schmidtborn, Arnold Haller und Dr . Hermann Schmidt), deren Amtszeit meist zwei Wochen nicht überschritt, waren beispielhaft für den Zerfall des NS-Systems in den letzten Kriegswochen. Eine Gestaltung des Amtes war ihnen nicht mehr möglich, so dass außer von Durchhalteparolen nicht viel von ihnen aus der Überlinger Amtszeit zu berichten ist. Charakterisierung der einzelnen Kreisleiter Gustav Robert Oexle Gustav Robert Oexle war ein ehrgeiziger, aufwärts strebender, überzeugter Nationalsozialist. Er war geprägt durch die Sozialisation in der nationalkonservativen, kaiserlichen Marine und durch die Kämpfe bei der Seeschlacht vor den Falklandinseln. Oexle, der aus einfachsten Verhältnissen stammte, gab sich volksnah und war ein begabter Redner. Er hatte ein gutes Gespür für Macht, war sehr flexibel und durchaus bereit, schnell die Seiten zu wechseln, wenn ihm dies opportun erschien. Er arbeitete an der ständigen Vernetzung innerhalb der Partei, was sicher auch zu seinem raschen Aufstieg beitrug. Der frühe Verlust der eigenen Familie führte dazu, dass er Anschluss bei den Kameraden in der Marine, in der Partei und vor allem in seiner Ersatzfamilie, der Familie Lang, die ihn in den 1920er-Jahren als Adoptivsohn aufgenommen hatte, suchte. Schwer erschüttert wurde Oexle 1944 durch den Tod der Pflegeschwester, Kreisfrauenschaftsleiterin Margarete Lang, und durch den Verrat der ehemaligen Kameraden, die sich hinter Kreisleiter Bäckert stellten, der das Auto gesteuert hatte, in dem Margarete Lang zu Tode gekommen war. Alfons Hafen Alfons Hafen war 1934, als er Kreisleiter wurde, erst 26 Jahre alt und hatte sich schon zuvor als „junger Wilder“ ausgetobt. 1932 wegen Verstößen gegen das Uniform- und Demonstrationsverbot zu einer Gefängnisstrafe und einer Geldstrafe verurteilt, kam er als ein neuer Typus in das Kreisleiteramt, dem die Kriegserfahrung aus <?page no="330"?> 331 Fazit dem 1. Weltkrieg fehlte. Seit 1930 in der Partei, trat er vor allem als Agitator und Provokateur gegenüber den anderen Parteien in der Weimarer Republik auf. Innerparteilich war er in den NS-Berufsorganisationen vertreten, dem Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand und in der NS-Hago (Handels- und Gewerbeorganisation). Als Kreisadjutant von Kreisleiter Oexle wurde er von diesem gefördert. Gegenüber den Behörden der späten Weimarer Republik konnte er durchaus zäh, hartnäckig und lästig auftreten. Nach seinem Ausscheiden aus dem Kreisleiteramt 1936 kam er durch seinen Eintritt in die Leitung der Organisation „Kraft durch Freude“ in ruhigeres Fahrwasser und hatte vor allem organisatorische Aufgaben. Von den Überlingern wurde er offensichtlich nicht als Gefahr gesehen, denn sie hatten 1947 gegen seine Rückkehr aus dem Lager Lahr-Dinglingen nichts einzuwenden. 3 Richard Burk Um Richard Burks Charakter zu beurteilen, ist die etwa halbjährige Episode 1936 als Kreisleiter in Überlingen zu kurz. Mehr Aufschluss gibt seine spätere Dienststelle in Lahr, wo er bis 1945 im Amt blieb. Dort wurde er vor allem wegen der Durchführung so genannter „spontaner Aktionen“ im Rahmen der Reichspogromnacht 1938 und danach bekannt. Er schürte den „Volkszorn“ und sorgte dafür, dass Schüler unterrichtsfrei bekamen, um sich an den Aktionen gegen die Juden in Lahr und den Dörfern der Umgebung zu beteiligen. Burk war an der Vertreibung der jüdischen Mitbürger und der Arisierung der jüdischen Geschäfte beteiligt. Gegen Ende des Dritten Reiches machte er sich durch menschenverachtende Durchhalteparolen mitschuldig an der Beschießung und teilweisen Zerstörung der Stadt Lahr. Wilhelm Mensch Wilhelm Mensch war ein überzeugter Nationalsozialist, der unverbrüchlich an die Verbesserung der Wirtschaft und der sozialen Situation in Deutschland durch die Nationalsozialisten glaubte. Im Umgang mit dem Markdorfer Stadtschreiber und Musikdirektor <?page no="331"?> 332 Fazit Bürkle, der mit einer Jüdin verheiratet war, zeigte er zumindest zwischen 1934 und 1937 eine gewisse Menschlichkeit, vielleicht auch, weil er diesen als Musikdirektor für öffentliche Anlässe und Parteiauftritte benötigte. Wilhelm Mensch war gerne unter Leuten und auch ein Vereinsmensch: So war er Vorsitzender der Musikkapelle in Markdorf, Vorsitzender der Sanitätskolonne und Mitglied im Sportverein. Später wurde er sogar zum Ehrenmitglied des Narrenvereins ernannt. Persönlich war er eher bescheiden, als Parteiaktivist äußerst umtriebig. Er zeigte auch eine bestimmte Kompromissfähigkeit, wie zum Beispiel bei den Mobilmachungsmaßnahmen 1939, als er einsah, dass die städtische Verwaltung in Überlingen effektiver arbeitete als der Parteiapparat der Kreisleitung. Ein völlig anderes Gesicht zeigte Wilhelm Mensch 1940, als einige polnische Zivilgefangene in Markdorf wieder von der Anstellung bei der Stadt zu den Bauern zurückkehren wollten, bei denen sie vorher dienten. Die Reaktion darauf und die Drohung mit dem Einsatz der Gestapo zeigen eine tiefe Verachtung und einen großen Hass gegenüber den polnischen Gefangenen. Die Stilisierung von Wilhelm Mensch nach seinem überraschenden Tod durch Herzinfarkt 1940 zu einem mustergültigen Nazi und die von der Gauleitung anvisierte Aufstellung eines großen Ehrenmals wurden allerdings durch die Kriegsereignisse relativiert. Am Ende musste eine einfache Stele anstelle des angestrebten Ehrenmals ausreichen. Ernst Bäckert Das Auftreten Ernst Bäckerts war an allen drei Orten, an denen er als Bezirksleiter bzw. als Kreisleiter eingesetzt wurde, in Meßkirch, in Stockach und in Überlingen gekennzeichnet durch eine harte und unerbittliche Gangart. Politischen Gegnern oder Menschen, die sich ihm nicht sogleich unterordneten, drohte er mit Gestapo und Einlieferung ins KZ Heuberg vor allem am Beginn seiner politischen Karriere, und bei einigen blieb es nicht bei der Drohung. Seinen langjährigen Arbeitgeber, das Kindererholungsheim in Stetten am kalten Markt, bei dem er von 1921 bis 1933 gearbeitet hatte, verspottete er später als „marxistischen Kindererholungsfürsorgeverein“ 4 . Auch nach der Zusammenlegung der Kreise Meßkirch und Stockach zum neuen Kreis Stockach änderte sich sein <?page no="332"?> 333 Fazit Verhalten wenig. Dies gilt auch für seine Zeit als kommissarischer Kreisleiter von Überlingen von 1940-1942 und als Kreisleiter von Überlingen. Er legte sich sowohl mit der Kirche als auch mit einem jüdischen Handwerker in Stockach an. Bäckert neigte sprachlich wie auch körperlich zur Gewalt und wurde nach dem Krieg in einem Prozess wegen Nötigung und Körperverletzung zweier Hitlerjungen in Uhldingen-Mühlhofen angeklagt. In Überlingen häuften sich nach dem Krieg die Vorwürfe gegen Bäckert, er habe Menschen ins KZ gebracht, und Leute, die ihm nicht genehm waren, zum Volkssturm. Als Bäckert 1948 vom Lager Lahr-Dinglingen zurück nach Überlingen gebracht werden sollte, lehnten Stadtrat und Stadtverwaltung dies offen ab und brachten folgende Einschätzung von Bäckert zu Papier: „Bäckert hatte alle Eigenschaften des typischen Nazis in sich vereinigt, war fanatisch und rücksichtslos in der Durchführung seiner Befehle und Anordnungen, ließ selten menschliche Gefühle aufkommen und schreckte vor keinen terroristischen Drohungen und Maßnahmen gegen In- und Ausländer zurück.“ 5 Karl Schmidtborn Über ihn ist wenig bekannt. Seit 1936 war er bei der Partei angestellt. In den Jahren 1943 bis 1945 diente er als Oberleutnant an der Ostfront und wurde vom 30. Januar bis 14. Februar 1945 als Kreisleiter in Überlingen eingesetzt und dann sofort wieder als Kreisleiter nach Emmendingen versetzt. Von seinem Einsatz an der Ostfront kam er ernüchtert und klarsichtig zurück und glaubte nicht mehr an den Endsieg. Mit seiner Warnung an drei Hitlerjungen, sich nicht mehr für den Volkssturm aufstellen zu lassen, rettete er vermutlich deren Leben. Arnold Haller Als Kreisleiter in Villingen war er zunächst beliebt, wurde dann aber durch sein Verhalten immer problematischer. In den Akten ist von „unsauberem Lebenswandel“ die Rede, was sich wohl auch darauf bezog, dass er öffentlich mit seiner Geliebten im Dienstwagen durch die Stadt fuhr. Nach einem Unfall in betrunkenem Zustand, <?page no="333"?> 334 Fazit bei dem er eine Frau verletzte, beging er Fahrerflucht. Des Weiteren wird von Saufereien und Gelagen berichtet, die es im Anschluss an Parteisitzungen gegeben haben soll. Mit der Zunahme seiner Macht sei er außerdem brutal und rücksichtslos geworden. Wegen ständiger Beschwerden wurde er im Februar 1945 nach Überlingen als Kreisleiter versetzt, am Ende aber zum Volkssturm eingezogen. Nach der Entlassung aus französischer Gefangenschaft 1946 nahm er eine falsche Identität an und tauchte bis 1950 in Herne in Westfalen unter und entzog sich so der Internierung durch die Franzosen sowie der Verfolgung seiner Straftaten in Villingen. Erst nachdem er nichts mehr zu befürchten hatte, kehrte er wieder nach Baden zurück. Dr Hermann Schmidt Dr. Hermann Schmidt, der sich seit 1928 der NSDAP Wertheim angeschlossen hatte, ging von Beginn an mit größtem Eifer gegen seine politischen Gegner vor. Nach der Machtergreifung sprach er von der „Ausrottung der Kommunisten bis zum letzten Mann“ und ließ sofort einige von ihnen in Schutzhaft nehmen. Auch mit den Juden der großen jüdischen Gemeinde in Wertheim wollte er „bald kurzen Prozess“ machen. Mit dem katholischen Stadtpfarrer Bär hatte er eine lange andauernde Auseinandersetzung und wollte ihm schaden, wo er nur konnte. Dem offiziellen Boykott der jüdischen Geschäfte ging ein Boykott in Wertheim in vorauseilendem Gehorsam voraus. Auch Übergriffe auf einzelne jüdische Bürger durch SA-Schläger wurden vom Kreisleiter geduldet. Die Zerstörung jüdischer Geschäfte und deren Plünderung sowie weitere Schikanen der wenigen noch in der Stadt verbliebenen Juden nach 1938 ließ er ebenfalls zu. Nach dem Einmarsch der Amerikaner in Wertheim floh Schmidt und wurde etwa am 11. April 1945 Kreisleiter in Überlingen. Hier legte er sich sofort mit Bürgermeister Dr. Spreng, dem örtlichen Leiter des Volkssturms an, der im Gegensatz zum Kreisleiter eine Verteidigung der Stadt gegen die französischen Truppen verhindern wollte. Sofort betrieb Schmidt den Ausschluss von Spreng aus der Partei. <?page no="334"?> 335 Fazit Das Leben vor der NSDAP - Herkunft, Ausbildung und Radikalisierung der späteren Kreisleiter Mit Ausnahme von Kreisleiter Oexle, der aus einer Tagelöhnerfamilie stammte, gehörten die übrigen Kreisleiter kleinbürgerlichen und großbürgerlichen Familien an. Zwei von ihnen, Richard Burk und Dr. Herrmann Schmidt, waren Söhne von Fabrikanten. Dementsprechend fällt auch die schulische und berufliche Ausbildung aus. Vier der acht Kreisleiter hatten Abitur (Dr. Hermann Schmidt, Richard Burk, Karl Schmidtborn und Arnold Haller). Zwei Kreisleiter hatten eine mittlere Schulausbildung genossen, wie Alfons Hafen mit dem Besuch der Volksschule, der Oberrealschule und der höheren Handelsschule und Ernst Bäckert mit dem Abschluss der Volksschule und der Mittelschule sowie dem Besuch der höheren Handelsschule, die er aber nicht abschloss. Gustav Robert Oexle und Wilhelm Mensch hatten einen Volksschulabschluss. Von den acht Kreisleitern hatten drei eine kaufmännische Ausbildung durchlaufen, Alfons Hafen, Wilhelm Mensch und Richard Burk. Allerdings arbeitete nur Alfons Hafen in seinem Beruf im elterlichen Geschäft in Überlingen. Richard Burk war nach dem Krieg bis 1922 Verwalter eines städtischen Hofes in Konstanz, dann Pächter eines Hofes in Grasbeuren, danach eröffnete er einen Buchhandel in Radolfzell, in dem er allerdings wenig erfolgreich war und verschuldete sich zusätzlich durch einen Hausbau in Radolfzell. Auch Wilhelm Mensch konnte seinen Beruf in der Weimarer Republik nicht ausüben. Er war über neun Jahre lang Handlungsreisender für eine Weinhandlung. Einen gesonderten Weg ging Gustav Robert Oexle. Er nutzte seine Zeit in der Marine, eine Ausbildung für den mittleren Zoll-, Eisenbahn- und Verwaltungsdienst zu absolvieren und 1920 abzuschließen. Er erhielt zunächst eine Anstellung beim Bezirksamt in Überlingen, wurde jedoch 1922 wegen seiner rechtsextremistischen Aktivitäten entlassen, im selben Jahr aber von der Gemeinde Nußdorf als Ratsschreiber angestellt. Diese Arbeit verrichtete er dann bis 1933. Zwei der Kreisleiter waren Akademiker. Dr. Herrmann Schmidt war promovierter Chemiker und arbeitete als Betriebsleiter in der Pulver- und Munitionsfabrik seines Vaters, Arnold Haller war Diplomingenieur für das Vermessungswesen. <?page no="335"?> 336 Fazit Vier der Kreisleiter verfügten über Kriegserfahrung im 1. Weltkrieg. Gustav Robert Oexle wurde im Marinedienst in den Kämpfen mit der britischen Marine bei den Falklandinseln 1914 verletzt, geriet in Kriegsgefangenschaft und wurde nach seiner Freilassung im Innendienst bei der Marine weiterbeschäftigt. Wilhelm Mensch war von 1914-1918 durchgängig bei der kämpfenden Truppe im Maschinengewehrzug des Landwehr Infanteriebataillons 122 im Westen eingesetzt und erhielt das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse. Ernst Bäckert wurde 1917, im Alter von 18 Jahren, als Soldat eingezogen. Richard Burk trat zunächst in den Dienst eines Artillerieregiments und war dann Kompanieführer verschiedener Einheiten. Zwei Kreisleiter schlossen sich am Ende des 1. Weltkrieges völkischen, rassistischen und antidemokratischen Organisationen an. Gustav Robert Oexle war am Kriegsende bereits in die Freikorpskämpfe in Wilhelmshaven verwickelt. Später schloss er sich dem „Freikorps Damm“ (auch „Freischar Damm“ oder „Organisation Damm“) an, für das er als Feldjäger im oberbadischen Gebiet operierte. Das Haus der Familie Lang in Nußdorf, in der Oexle als Adoptivsohn aufgenommen wurde, diente als Unterschlupf und geheime Poststelle für die Aktivitäten der Organisation. Richard Burk trat nach dem Krieg in den „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund “ ein, eine extrem rassistische und antisemitistische Vereinigung, deren Konstanzer Ortsgruppe er leitete. Seit 1920 gehörte er auch der „Organisation Escherich“ an und diente nach deren Verbot in der „Freischar Damm“ als Kompanieführer. Ob sich Oexle und Burk dort begegneten, ist nicht belegt, aber wahrscheinlich. Die meisten Kreisleiter gehörten zum bürgerlichen Mittelstand. Fast alle verfügten über eine gewisse berufliche Ausbildung. Es waren also keineswegs „Verlierer“, die sich aus Frust und Hoffnungslosigkeit der NSDAP anschlossen. Sieht man einmal von der Radikalisierung von Richard Burk und Gustav Robert Oexle in den Freikorps ab, auch weil sie die demokratische Republik als solche verachteten so müssen bei den anderen sechs Kreisleitern die Motive für ihre Hinwendung zur NSDAP woanders gesucht werden, sei es im persönlichen Bereich oder in einer generellen Radikalisierung und Diffamierung der demokratischen Parteien sowie der politisch Verantwortlichen in der späten Weimarer Republik. Sicher wirkten <?page no="336"?> 337 Fazit auch die demagogischen Hetzkampagnen der Rechten in einer Situation der wirtschaftlichen und politischen Instabilität. Anmerkungen 1 Zitiert nach: Roth, Claudia: Parteikreis und Kreisleiter der NSDAP unter besonderer Berücksichtigung Bayerns. Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, hrsg. von der bayerischen Kommission für Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1997, S.-1. 2 Organisationsbuch der NSDAP, hrsg. vom Reichsorganisationsleiter der NSDAP, München 1936, S. 140. 3 SAÜ-D3-2224. 4 Zitiert nach: Weisshaupt, Helmut: Ernst Bäckert: „Die sind ja närrisch, ICH führe die Kolonne“, in THT 7, Gerstetten 2017, S. 35. 5 SAÜ-D3-2227. <?page no="338"?> 339 Abkürzungsverzeichnis AG . . . . . . . Aktiengesellschaft AOK . . . . . . Armeeoberkommando BA. . . . . . . . Bezirksamt BAB . . . . . . Bundesarchiv Berlin BDM/ BdM . Bund deutscher Mädel BR. . . . . . . . Bodensee-Rundschau DAF . . . . . . Deutsche Arbeitsfront DAP . . . . . . Deutsche Arbeiterpartei DBZ . . . . . . Deutsche Bodenseezeitung DDP . . . . . . Deutsche Demokratische Partei DNVP . . . . Deutschnationale Volkspartei DRK . . . . . . Deutsches Rotes Kreuz DSP . . . . . . Deutsche Staatspartei DVP . . . . . . Deutsche Volkspartei EK I . . . . . . Eisernes Kreuz I. Klasse EK II. . . . . . Eisernes Kreuz II. Klasse Fa. . . . . . . . . Firma Flak . . . . . . . Flugabwehr Kanone Gestapo . . . . Geheime Staatspolizei GLA . . . . . . Generallandesarchiv Karlsruhe HJ . . . . . . . . Hitlerjugend H.M.S. . . . . His/ Her Majesty’s Ship IHK . . . . . . Industrie- und Handelskammer IMKK . . . . . Interalliierte Militär-Kontrollkommission KAB . . . . . . Kreisarchiv des Bodenseekreises KDF/ KdF . . „Kraft durch Freude“ KPD . . . . . . Kommunistische Partei Deutschlands KZ . . . . . . . Konzentrationslager M.d.L.. . . . . Mitglied des Landtags MTU . . . . . Motoren- und Turbinen Union NSBO. . . . . Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation NSDAP. . . . Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NS . . . . . . . Nationalsozialismus, nationalsozialistisch NS Hago . . . Nationalsozialistische HandelsHandwerks- und Gewerbeorganisation NSKK . . . . . Nationalsozialistisches Kraftfahrer-Korps <?page no="339"?> 340 Abkürzungsverzeichnis NSKOV . . . Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung NSV . . . . . . Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Ogruf . . . . . Ortsgruppenführer später Ortsgruppenleiter Orgesch. . . . „Organisation Escherich“ OKW . . . . . Oberkommando der Wehrmacht Pg. / Pgn. . . . Parteigenosse, Parteigenossin RAD . . . . . . Reichsarbeitsdienst RM . . . . . . . Reichsmark SA . . . . . . . . „Sturmabteilung“ SAM . . . . . . Stadtarchiv Markdorf SAÜ . . . . . . Stadtarchiv Überlingen SD . . . . . . . Sicherheitsdienst der SS S.M.S. . . . . . Seiner Majestät Schiff SPD . . . . . . Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS . . . . . . . . „Schutzstaffel“ StAF/ STAF . Staatsarchiv Freiburg TOP . . . . . . Tagesordnungspunkt V 2 . . . . . . . Vergeltungswaffe 2 (technisch A4 - Aggregat 4) VVN . . . . . . Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes WHW. . . . . Winterhilfswerk WK 1 . . . . . 1. Weltkrieg Zentrum . . . Deutsche Zentrumspartei - Partei der Katholiken in der Weimarer Republik Zfg . . . . . . . Zeitschrift für Geschichtswissenschaft <?page no="340"?> 341 Bildnachweis 22: . . . . . . . Generallandesarchiv Karlsruhe 231, Nr. 2937 (1029) 28: . . . . . . . https: / / wikipedia.org/ wiki/ Seegefecht_bei_denfalklandinseln 52: . . . . . . . Fotografie Lauterwasser, Überlingen (Aufnahme vom 4.5.1935) 73: . . . . . . . Fotografie Lauterwasser, Überlingen (Aufnahme vom 5.5.1935) 87: . . . . . . . Privat 96: . . . . . . . Privat 97: . . . . . . . Privat 103: . . . . . . Privat 109: . . . . . . Privat 139: . . . . . . Fotografie Lauterwasser, Überlingen 140: . . . . . . Seebote vom 17.2.1935 156: . . . . . . Fotografie Lauterwasser, Überlingen 157: . . . . . . Fotografie Lauterwasser, Überlingen 158: . . . . . . Fotografie Lauterwasser, Überlingen 160: . . . . . . Fotografie Lauterwasser, Überlingen 161: . . . . . . Die Deutsche Arbeitsfront. Der Bodensee. Sonderheft der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, o.J.- Allgäuer Online Antiquariat, Memmingen 166: . . . . . . Stadtarchiv Überlingen 173: . . . . . . Bodensee-Rundschau vom 2.8.1936 185: . . . . . . Bodensee-Rundschau vom 8.6.1937 199: . . . . . . Bodensee-Rundschau vom 10.4.1937 200: . . . . . . Stadtarchiv Überlingen 216: . . . . . . Fotografie Lauterwasser, Überlingen 229: . . . . . . Bodensee-Rundschau vom 3.6.1939 267: . . . . . . Stadtarchiv Überlingen -D3-1666 305 oben: . . aus: Braune Sonnwendfeier und Kaffelstein-Mahnwahlweihe, Wertheim und Kreuzwertheim, 24. und 25.6.1933. Programmschrift der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei 305 unten: . Antiquariat Gabriele Pohl, Niederkassel-Rheidt 312: . . . . . . NS-Zeitung „Volksjugend“. Das Kampfblatt der badischen Hitlerjugend vom 8.7.1935 <?page no="341"?> : Weiterlesen Band 1 Stefan Feucht (Hg.) 1810 - Die vergessene Zäsur Neue Grenzen in der Region Bodensee-Oberschwaben 2013, 172 Seiten, fester Einband ISBN 978-3-86764-357-3 1810 fand die territoriale Neuordnung Süddeutschlands während der napoleonischen Ära ihr Ende. Die damals getroffene Grenzziehung wirkt bis heute nach. Die Beiträge [...] beschäftigen sich mit den Grenzveränderungen und deren Wahrnehmung durch die Bevölkerung in Oberschwaben und am nördlichen Bodensee. Band 2 Kurt Badt »Mir bleibt die Stelle lieb, wo ich gelebt« Erinnerungen an den Bodensee herausgegeben von Manfred Bosch 2012, 342 Seiten, fester Einband ISBN 978-3-86764-358-0 »Die Bodenseeliteratur ist - dank Manfred Bosch - um ein sehr gewichtiges Kapitel bereichert worden.« Südkurier Band 3 Manfred Bosch, Oswald Burger »Es war noch einmal ein Traum von einem Leben« Schicksale jüdischer Landwirte am Bodensee 1930-1960 2015, 240 Seiten, fester Einband ISBN 978-3-86764-630-7 »Ein spannender Blick auf ein bislang noch unbekanntes Kapitel unserer Regionalgeschichte.« stadt land see. Südseite - Kultur und Geschichte des Bodenseekreises Herausgegeben vom Kulturamt des Bodenseekreises www.uvk.de Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. <?page no="342"?> Die Buchreihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer" will in zehn regional gestaffelten Bänden das Wissen über den Nationalsozialismus auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg neu hinterfragen. Mit biografischem Ansatz wollen 127 Autorinnen und Autoren in 209 Artikeln die NS-Täterforschung im Land quellengestützt und faktenbasiert voranbringen. Der Herausgeber ist Dr. phil. Wolfgang Proske, Diplom-Sozialwissenschaftler und ehemaliger Geschichtslehrer. • Band 1: Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete von der Ostalb, Gerstetten 2016 (2. Aufl.), 306 S., ISBN 978-3-945893-05-0, 19,99 € • Band 2: Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus der Region Ulm/ Neu- Ulm, Münster/ Ulm 2013, 207 S., ISBN 978-3-86281-062-8, 17,80 € • Band 3: Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus dem östlichen Württemberg, Reutlingen 2014 (2. Aufl.), 257 S., ISBN 978-3-945893-02-9, 17,80 € • Band 4: Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus Oberschwaben, Gerstetten 2015 (4. Aufl.), 317 S., ISBN 978-3-945893-00-5, 19,99 € • Band 5: Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus dem Bodenseeraum, Gerstetten 2016 (2. Aufl.), 334 S., ISBN 978-3-945893-04-3, 19,99 € • Band 6: Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus Südbaden, Gerstetten 2017 (2. Aufl.), 422 S., ISBN 978-3-945893-06-7, 19,99 € • Band 7: Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus Nordbaden + Nordschwarzwald, Gerstetten 2017, ISBN 978-3-945893-08-1, 19,99 € • Band 8: Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus dem Norden des heutigen Baden-Württemberg, Gerstetten 2018, ISBN 978-3-945893-09-8, 19,99 € • Band 9: Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus dem Süden des heutigen Baden-Württemberg, Gerstetten 2018, ISBN 978-3-945893-10-4, 19,99 € • Band 10: Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus der Region Stuttgart, Gerstetten 2019, ISBN 978-3-945893-11-1, 23,99 € • Gesamtverzeichnis für die Bände 1-10, Gerstetten 2019, ISBN 978-3-45893-13-5, 5,00 € Besuchen Sie für aktuelle Informationen unsere Webseiten www.ns-belastete.de www.kugelbergverlag.de Hier können Sie auch Ihre Bestellungen aufgeben, für Endkunden in Deutschland portofrei! <?page no="344"?> Als territoriale Statthalter Hitlers waren die NS-Kreisleiter auf der mittleren Führungsebene zwischen Gauleitern und Ortsgruppenleitern mit weitreichenden Eingriffsrechten ausgestattet, sodass sie über die Möglichkeit verfügten, ein totalitäres Regime auf Bezirksebene zu entfalten. Ob und wie sie davon im Altkreis Überlingen Gebrauch machten, ist Gegenstand des vorliegenden Buches. Anhand von acht Kreisleiter-Biographien zeigt Walter Hutter, wie NS- Kreisleitung, NS-Ortsgruppen und städtische Verwaltung in den Jahren 1930 bis 1945 zusammenwirkten. Neben den Herrschaftspraktiken der Kreisleiter rücken auch ihre Sozialisierung und Radikalisierung sowie ihre Tätigkeiten nach dem Zusammenbruch des Regimes in den Fokus. Insgesamt zeichnet sich das Bild vom unnachgiebigen »kleinen Diktator« ab, das nur selten Risse bekommt, beispielsweise wenn ein Kreisleiter potentielle Opfer vor der NS-Gewalt schützte. Damit leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus in der Stadt und im Bodenseekreis. Südseite Kultur und Geschichte des Bodenseekreises 4 www.uvk.de ISBN 978-3-86764-863-9