Unternehmensführung und Moral
0116
2017
978-3-7398-0215-2
978-3-8676-4753-3
UVK Verlag
Elisabeth Göbel
Die Forderung nach mehr Moral in der Unternehmensführung ist populär. Aber warum brauchen wir Moral in der Unternehmensführung? Kann der Markt als Ersatz für Moral herhalten? Elisabeth Göbel beschreibt in ihrem Buch nicht nur, warum der Marktmechanismus und auch eine Verschärfung der Gesetze nicht ausreichen, sondern beleuchtet fundiert u.a. die Stakeholderanliegen aus ethischer Perspektive, sowie die Rolle inner- und überbetrieblicher Institutionen.
<?page no="2"?> Elisabeth Göbel Unternehmensführung und Moral <?page no="4"?> Elisabeth Göbel UNTERNEHMENSFÜHRUNG UND MORAL 2., bearbeitete Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH Konstanz und München <?page no="5"?> PPrrooff.. DDr r.. EElliissaabbeetthh GGööbbeell lehrt an der Universität Trier und forscht zu den Themen Organisation, Neue Institutionenökonomik, Strategisches Management und Wirtschaftsethik. Sie studierte an der RWTH Aachen und an der Universität Tübingen. Dort war sie danach Assistentin am Lehrstuhl für Planung und Organisation bei Prof. Dr. F. X. Bea. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN 978-3-86764-753-3 (Print) ISBN 978-3-7398-0214-5 (E-PUB) ISBN 978-3-7398-0215-2 (EPDF) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2017 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="6"?> IInnhhaalltt 1 Warum wir Moral in der Unternehmensführung brauchen................................................... 9 1.1 Die Forderung nach mehr Moral in der Unternehmensführung ist populär....................... 10 1.2 Der Markt als Ersatz für Moral? ........................... 11 1.3 Warum der Marktmechanismus nicht reicht ...... 13 1.4 Warum auch eine Verschärfung der Gesetze nicht ausreicht.......................................................... 21 2 Grundlagen der Ethik ......................................... 25 2.1 Zentrale Begriffe: Moral, Ethos, Ethik, angewandte Ethik.................................................... 26 2.2 Das Verhältnis von Moral, Ethos und Recht..... 29 2.3 Verantwortung als zentraler ethischer Begriff ... 33 3 Gibt es eine Verantwortung des Unternehmens? ....................................................................... 37 3.1 Das Unternehmen als moralischer Akteur? ........ 38 3.2 Bedingungen für die Moralfähigkeit von Unternehmen ..................................................................... 40 3.3 Unternehmen sind moralfähig .............................. 41 3.4 Individualverantwortung im Unternehmen........ 45 <?page no="7"?> 4 Die Stakeholder als Adressaten der Unternehmensverantwortung ...........................47 4.1 Unterschiedliche Definitionen des Stakeholders48 4.2 Stakeholder wahrnehmen.......................................50 4.3 Analyse der Stakeholderanliegen...........................55 4.4 Prognose der Stakeholderanliegen........................56 4.5 Stakeholderanliegen bewerten ............................... 56 5 Ethische Grundlagen für die Bewertung von Stakeholderanliegen .................................... 59 5.1 Menschenwürde als ethisches Prinzip für die Bewertung ................................................................. 60 5.2 Gemeinwohl als ethisches Prinzip für die Bewertung ................................................................. 62 5.3 Nachhaltigkeit als ethisches Prinzip für die Bewertung ................................................................. 65 5.4 Tierschutz als ethisches Prinzip für die Bewertung 66 5.5 Gerechtigkeit als ethisches Prinzip für die Bewertung ................................................................. 67 5.6 Die mögliche Kollision legitimer Stakeholderanliegen................................................. 70 5.7 Die Abwägung konfligierender Ansprüche.........71 5.8 Die Rolle des Gewinns bei der Abwägung konfligierender Ansprüche.....................................72 <?page no="8"?> Inhalt 7 6 Die strategische Option einer Konfliktentschärfung .......................................................... 77 6.1 Unternehmensstrategien zur Förderung der Nachhaltigkeit.......................................................... 79 6.2 Geschäftsbereichsstrategien zur Förderung der Nachhaltigkeit.......................................................... 80 6.3 Funktionsbereichsstrategien zur Förderung der Nachhaltigkeit.......................................................... 81 6.4 Ordnungspolitische Strategien.............................. 84 6.5 Marktaustrittsstrategie ............................................ 87 7 Die innerbetrieblichen Institutionen ............. 89 7.1 Die Bedeutung strukturell-systemischer Führung ........................................................................... 90 7.2 Die institutionelle Unterstützung des Sollens .... 92 7.2.1 Formale Werte und Normen: Das Unternehmensleitbild .............................................................. 92 7.2.2 Informale Werte und Normen: Die Unternehmenskultur................................................................ 97 7.3 Die institutionelle Unterstützung des Wollens 104 7.3.1 Personalauswahl .................................................... 104 7.3.2 Personalbeurteilung und -honorierung ............. 108 7.3.3 Kontrollsysteme .................................................... 114 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens ................................................................. 120 7.4.1 Personalentwicklung............................................. 120 <?page no="9"?> 7.4.2 Organisationsstruktur ...........................................128 7.4.3 Informationssysteme und Controlling ...............137 8 Überbetriebliche Institutionen....................... 145 8.1 Gesetze und Kodizes ............................................147 8.2 Kontrollen und Anreize .......................................149 8.3 Wirtschaftsethische Ausbildung und Verbraucherbildung ..............................................152 9 Fazit ........................................................................ 155 Literaturverzeichnis........................................................ 159 Stichwortverzeichnis ...................................................... 163 <?page no="10"?> 11 WWaarruumm wwiirr MMoorraall iinn ddeerr UUnntteerrnneehhmmeennss-ffüühhrruunngg bbrraauucchheenn <?page no="11"?> 10 1 Warum wir Moral in der Unternehmensführung brauchen 11..11 Die Forderung nach mehr Moral in der Unternehmensführung ist populär Im Oktober 2010 hat der Deutsche Bundestag einen „Aktionsplan CSR“ verabschiedet, welcher zu mehr „Corporate Social Responsibility“ (CSR), also sozialer Verantwortung der Unternehmen führen soll. Ende 2011 beschloss die EU eine „neue Strategie“ zur forcierten Umsetzung von CSR in den Unternehmen der Europäischen Union. Ende 2012 wurde vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden eine „Ermutigung für Führungskräfte in der Wirtschaft“ veröffentlicht (Turkson/ Toso [Unternehmer]). Sie fordert die Führungskräfte auf, die Unternehmensführung stärker entsprechend den moralischen Prinzipien der Würde der Person und des Gemeinwohls zu gestalten und sich als Führungskraft vom Ethos einer „dienenden Führung“ leiten zu lassen. Nun mag man Kirchenvertreter und Politiker noch zu den „üblichen Verdächtigen“ rechnen, welche in wohlfeilen Sonntagsreden leicht mehr Moral einfordern können, ohne dieser Forderung im harten Unternehmensalltag nachkommen zu müssen. Längst ist die Forderung nach mehr Moral aber auch bei den wirtschaftsnahen Institutionen und in der Wirtschaft selbst angekommen. Das Handelsblatt titelt im Mai 2012 mit einem wirtschaftskritischen Interview des Kardinals Reinhard Marx, welcher die Konzentration auf die Kapitalrendite eine „Verirrung“ nennt. Die FAZ weist in ihrer Beilage „Beruf und Chance“ vom August 2012 darauf hin, dass Unternehmen händeringend nach Absolventen suchen, die über Kompetenzen im Bereich CSR verfügen. Befragungen von Studierenden der Wirtschaftswissenschaften haben ergeben, dass zwei Drittel von ihnen Wirtschafts- und Unternehmensethik als Pflichtfach in ihrer Ausbildung begrüßen <?page no="12"?> 1.2 Die Forderung ist populär 11 würden. Noch erstaunlicher: Nach einer Unternehmensbefragung der IW Consult von 2011 fordern Unternehmensvertreter ein solches Pflichtfach sogar zu 90%! Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat darauf reagiert und im November 2012 eine „Akademie für integres Wirtschaften“ (IW Akademie) gegründet. An den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten wird es zum Normalfall, dass auch Veranstaltungen zur Unternehmens- und Wirtschaftsethik angeboten werden. Große Unternehmensberatungen haben CSR als neuen Markt entdeckt und preisen CSR-Beratungen und Zertifikate an, welche den Unternehmen moralische Integrität attestieren sollen. In seltener Einmütigkeit fordern Politiker aller Couleur, Kirchenvertreter wie Gewerkschaftler, Medien, die verschiedensten Institutionen der Zivilgesellschaft, Studierende und Wirtschaftsvertreter: Wir brauchen mehr Moral und Ethos in der Unternehmensführung sowie eine Verankerung der Wirtschaftsethik in der Ausbildung künftiger Führungskräfte. Man kann sich natürlich fragen, warum gerade heute die Forderung nach mehr Moral (und Ethos) in der Wirtschaft so populär geworden ist und Bücher, Seminare und ganze Studiengänge zur Wirtschafts- und Unternehmensethik angeboten werden, während man früher belacht oder sogar angefeindet wurde, wenn man sich als Ökonom mit Wirtschaftsethik beschäftigt hat. Wie ist das zu erklären? 11..22 Der Markt als Ersatz für Moral? Lange Zeit waren sich die Vertreter der Wirtschaft und der Wirtschaftswissenschaften einig, dass man sich über Moral in den Unternehmen keine Gedanken machen <?page no="13"?> 12 1 Warum wir Moral in der Unternehmensführung brauchen muss. Nicht, weil man Moral im Allgemeinen für überflüssig gehalten hätte, sondern weil für die Wirtschaft der Marktmechanismus ein vollwertiger Ersatz für moralische Bedenken zu sein schien. Die Überzeugung war: Im Rahmen einer Marktwirtschaft ist die Verfolgung des Eigeninteresses das einzige Gebot. Adam Smith gab 1776 mit seiner berühmten These von der „unsichtbaren Hand“ des Marktes dafür die Vorlage: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil.“ (Smith [Wohlstand]17). 1970 wurde diese These noch einmal durch den Nobelpreisträger Milton Friedman populär, der postulierte, es gäbe nur eine soziale Verantwortung der Unternehmen, nämlich die, ihre Gewinne zu steigern. Der Markt, so der feste Glaube, würde ganz von selbst für eine effiziente Nutzung knapper Ressourcen, eine bestmögliche Versorgung mit Gütern und gerechte Preise und Löhne sorgen und so das Gemeinwohl steigern. Eine moralische Haltung der Wirtschaftsakteure, insbesondere der Unternehmer, schien dagegen überflüssig, im Grunde sogar schädlich. Und lange Zeit schien das ja auch zu klappen. Vor allem im Vergleich mit den zentralen Verwaltungswirtschaften (bspw. in der ehemaligen DDR) waren die Vorteile der Marktwirtschaft offensichtlich. Erste Zweifel an der wohltätigen Wirkung des Marktes wurden seit den 1970er <?page no="14"?> 1.3 Warum der Marktmechanismus nicht reicht 13 Jahren vor allem von Seiten der Umweltschützer geäußert, die auf die schädlichen externen Effekte unserer Wirtschaftsweise und die Grenzen des Wachstums hinwiesen. Mit dem Brundtland-Bericht von 1987 wurde die Forderung populär, die Wirtschaft solle sich stärker dem Gedanken der ökologischen Nachhaltigkeit verpflichten. Von sog. Dritte-Welt-Gruppen wurde auch schon früh an Kinderarbeit, schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen in den Entwicklungs- und Schwellenländern Kritik geübt. Aber erst seit durch die Finanz- und Wirtschaftskrise der allgemeine Wohlstand nicht mehr wächst, viele Menschen ihre Ersparnisse durch Spekulanten verloren haben, Millionen Arbeitnehmer in prekären Arbeitsverhältnissen stehen, Banken mit enormen Summen an Steuergeldern gerettet werden müssen, die Jugendarbeitslosigkeit in der EU Rekordzahlen erreicht, vielen Ländern der finanzielle Kollaps droht und die Kluft zwischen Armen und Reichen immer größer wird, ist der Glaube an die heilsamen Marktkräfte in breiten Kreisen der Bevölkerung erschüttert. Nach einer Allensbach-Umfrage von 2010 halten nur noch 38% der deutschen Bevölkerung die Marktwirtschaft für ein gutes Wirtschaftssystem, wobei vor allem die soziale Ungerechtigkeit angeprangert wird. Nur 21% der Menschen empfinden die wirtschaftlichen Verhältnisse als gerecht. Dass allein aus den Gewinnmaximierungsinteressen der Unternehmer von selbst das größte Gemeinwohl erwächst, wird immer mehr angezweifelt. 11..33 Warum der Marktmechanismus nicht reicht In jüngster Zeit ist Kritik an der Marktwirtschaft populär geworden. Dabei war eigentlich schon immer klar, dass der reale Markt gegenüber den Idealmodellen der Ökono- <?page no="15"?> 14 1 Warum wir Moral in der Unternehmensführung brauchen men Defizite aufweist. Die ausschließlich wohltätige Wirkung des Marktes funktioniert nämlich nur in einer fiktiven Idealwelt. Zu den Funktionsbedingungen des idealen Marktes gehören die vollkommene Transparenz, der vollkommene Wettbewerb und das Fehlen von Marktbenutzungskosten, auch Transaktionskosten genannt. Weil jeder Marktteilnehmer über alle Bedingungen des Tausches vollständig und richtig informiert ist und jederzeit und kostenlos auf andere Anbieter bzw. Nachfrager ausweichen kann, funktioniert die sog. Marktkontrolle vollkommen. Betrug oder Ausnutzung von Macht können nicht vorkommen. Externe Effekte sind ausgeschlossen, weil alles im wohldefinierten Privateigentum von irgendjemand ist und auf Märkten gehandelt werden kann. Will ein Unternehmer bspw. bei der Produktion Lärm oder Dreck erzeugen, muss er die Rechte dazu von den Betroffenen, bspw. den Anwohnern, kaufen. Sämtliche Auswirkungen der Produktion gehen so in seine Kalkulation ein und spiegeln sich im Preis wieder. Der Preis ist ein zuverlässiges Signal für die Knappheit einer Ressource. Knappe und somit teure Ressourcen werden sparsam eingesetzt. Zugleich werden die dringlichsten Bedürfnisse zuerst befriedigt, denn auch die Dringlichkeit eines Bedürfnisses zeigt sich im Preis. Der reale Markt ist von dieser Idealwelt jedoch weit entfernt. Der Markt hat Probleme im Umgang mit sog. öffentlichen Gütern, die quasi allen Menschen gehören, weil niemand unter vertretbaren Kosten vom Konsum ausgeschlossen werden kann. Weite Teile der natürlichen Umwelt zählen dazu (bspw. Luft, Flüsse, Meere, Atmosphäre), aber auch immaterielle Güter wie die innere und äußere Sicherheit eines Staates. Der individuelle Nutzenmaximierer wird kein Interesse haben, in öffentliche Güter zu investieren, denn der Nutzen daraus <?page no="16"?> 1.3 Warum der Marktmechanismus nicht reicht 15 fällt auch anderen zu, die Kosten aber trägt er privat. Außerdem wird er das öffentliche Gut hemmungslos nutzen, denn der Nutzen fällt privat an, die Kosten aber werden sozialisiert. Es entstehen externe Effekte, weil eben nicht alles privatisiert und gehandelt werden kann. Die Übernutzung von bzw. die Unterinvestition in öffentliche Güter ist in der Regel zu erwarten, was sich ja auch eindrücklich in der enormen Umweltverschmutzung zeigt. Beispiel: In China werden in manchen Großstädten die Menschen schon davor gewarnt, ihre Wohnungen zu verlassen und die mit Feinstaub verschmutzte Luft draußen einzuatmen. Gleichzeitig verweist man mit Stolz auf die ständig wachsenden Zulassungszahlen bei den privaten PKWs. Vom Markt werden Güter bereitgestellt, die unerwünscht sind. Rationale Nutzenmaximierer bedienen auch die Nachfrage nach Drogen, Kinderpornografie, nach Waffen für Kriminelle, nach Staatsgeheimnissen etc. Der Markt hat keinen Maßstab für Güter, die wirklich „gut“ sind oder für Dienstleistungen, die wirklich „dienen“. Er kennt nur den Maßstab der kaufkräftigen Nachfrage. Überlegungen, dass bestimmte Waren nicht bedenkenlos dem freien Markt überantwortet werden können, müssen aus anderen Quellen kommen. Beispiele: Der Verkauf von Drogen ist bei uns verboten, der Verkauf von Waffen streng reglementiert. Anders als im Modell des idealen Marktes vorgesehen gibt es in der Realität keine völlige Markttransparenz. Es herrscht oft eine Informationsasymmetrie zwischen den Beteiligten, was von der neueren Ökonomik, <?page no="17"?> 16 1 Warum wir Moral in der Unternehmensführung brauchen vor allem vom sog. Principal-Agent-Ansatz, ausdrücklich zugestanden wird. Der Konsument weiß bspw. nicht, ob das Fleisch, das er beim Metzger kauft, tatsächlich aus Biohaltung stammt. Der eigennutzmaximierende Metzger könnte ohne weiteres Fleisch aus Massentierhaltung billig kaufen und es als teures Biofleisch verkaufen. Aus der Informationsasymmetrie entsteht ein „moral hazard“, also ein moralisches Risiko. Beispiel: Die Käufer von „sauberen“ Dieselautos wurden vorsätzlich darüber getäuscht, wie hoch der Schadstoffausstoß ihres PKW tatsächlich ist. Zu beachten sind auch die Machtasymmetrien zwischen den Beteiligten. Wie Adam Smith selbst schon problematisiert hat, herrscht ein solches Machtungleichgewicht oft auf dem Arbeitsmarkt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Rein nach Marktlogik müsste ein Überangebot an Arbeitskräften die Löhne auf ein Niveau drücken, auf dem die Menschen eben noch vegetieren könnten, ja manche wären ganz einfach zum Verhungern verurteilt. Es wären also Marktergebnisse zu erwarten, die „mit unseren Vorstellungen über Humanität“ nicht zu billigen wären (vgl. Smith [Wohlstand] 62f.). Machtasymmetrien mit den entsprechenden moralischen Risiken (vor allem der Nötigung des schwächeren Partners zu vertraglichen Zugeständnissen) ergeben sich im Grunde immer, wenn eine Vertragspartei stärker auf den Austausch angewiesen ist als die andere. Auch dieses Problem wird durch die Neue Institutionenökonomik, insbesondere durch den Transaktionskostenansatz, anerkannt. Bei asymmetrischen Machtverhältnissen kann von der Tatsache eines freiwilligen Vertragsschlusses nicht mehr ohne weiteres <?page no="18"?> 1.3 Warum der Marktmechanismus nicht reicht 17 auf die Gerechtigkeit des Tausches geschlossen werden. Ein Arbeitnehmer oder Lieferant kann auch „zähneknirschend“ einem ungerechten Tauschvertrag zustimmen. Beispiel: Die wachsende Zahl von prekären Arbeitsverhältnissen legt Zeugnis ab von den asymmetrischen Machtverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt. Der Markt kann nicht für Bedürfnisgerechtigkeit sorgen. Wer Güter bekommt, entscheidet die Kaufkraft, nicht das Bedürfnis. Und zwischen der Dringlichkeit eines Bedürfnisses und der Kaufkraft kann eine große Diskrepanz bestehen. Der eigennutzmaximierende Bäcker hat keinen Grund, einem Bettler seine Brötchen zu schenken. Ohne das Wohlwollen der Mitmenschen und eine gewisse Solidarität würden alle, die im Markt nicht mithalten können, auf der Strecke bleiben. Die Unternehmer haben nicht das vorrangige Interesse, Menschen mit dem zu versorgen, was sie brauchen, sondern wollen in erster Linie Geld verdienen. Wie schon einer der Gründerväter der BWL, Wilhelm Rieger, klar erkannt hat, ist die Versorgung der Menschen durch die privatwirtschaftlichen Unternehmen nur ein Nebeneffekt bei der Verfolgung des eigentlichen Zieles, der möglichst hohen Rendite (vgl. [Einführung] 41). Beispiel: Apotheker und Krankenhäuser klagen über immer größere Versorgungslücken bei gut wirksamen Medikamenten, die von den Pharmafirmen nicht mehr bereitgestellt werden, weil sie nicht mehr rentabel genug erscheinen, bzw. für die es Lieferprobleme gibt, weil sie aus Kostengründen nur noch in einem Werk hergestellt werden. <?page no="19"?> 18 1 Warum wir Moral in der Unternehmensführung brauchen Der Markt verhindert nicht die Verschwendung knapper Ressourcen. Obwohl die Sparsamkeit im Umgang mit knappen Ressourcen oft zum Hauptvorteil der Marktwirtschaft erklärt wird, garantiert der Markt keineswegs eine solche Sparsamkeit. Denn erstens muss die Knappheit einer Ressource im Preis zum Ausdruck kommen, wenn der Markt sie erkennen soll. Wie das Beispiel der Wahrnehmung von Natur und Umwelt als „freies“, d.h. „kostenloses“ Gut zeigt, können reale Knappheit und Preis weit auseinander liegen. Zweitens werden auch knappe und teure Ressourcen verschwendet, solange der Kunde nur bereit ist, dies über den Preis zu honorieren. Beispiel: In Deutschland werden immer mehr schwere Geländewagen verkauft, obwohl sie mit ihrem sehr hohen Spritverbrauch sicherlich zur Verschwendung knapper Ressourcen beitragen. Die Marktakteure sind schließlich häufig nicht an einem fairen Wettbewerb interessiert, sondern versuchen im Gegenteil den Wettbewerb durch Absprachen und Zusammenschlüsse zu verhindern. Die ideale Marktkonstellation aus Sicht eines Unternehmens ist das Angebotsmonopol, bei welchem die Nachfrager keine Ausweichmöglichkeit haben und der Anbieter die Preise praktisch diktieren kann. Von einem eigennutzmaximierenden Unternehmer kann man Bestrebungen zum Aufbau von Marktmacht erwarten. Beispiel: Wegen illegaler Preisabsprachen mussten vier Lastwagenhersteller 2016 fast drei Milliarden Euro Strafe zahlen. Die oben genannten Beispiele für Probleme der Marktwirtschaft sollten ausreichen, um zu zeigen, dass die For- <?page no="20"?> 1.3 Warum der Marktmechanismus nicht reicht 19 mel: „Eigennutz der Wirtschaftsakteure + Marktwirtschaft = Gemeinwohl“ so ganz nicht aufgeht. Jenseits der alltagsfernen Modellwelten der Ökonomen werden alle diese Probleme ja auch schon lange akzeptiert und schlagen sich in einem ausgefeilten Regelsystem nieder, in welches die Marktwirtschaft eingebettet ist. Die „freien“ Marktwirtschaften sind tatsächlich hochgradig reguliert, um die Marktdefizite aufzufangen. Beispiele: Umweltschutzgesetze sollen die Ausbeutung öffentlicher Güter unterbinden. Der Verkauf von Waffen ist an strenge Auflagen gebunden. Zahlreiche Gesetze verpflichten die Anbieter von Waren und Dienstleistungen zur Offenlegung von Informationen. Arbeitsschutzgesetze verhindern inhumane Arbeitsbedingungen, die Gegenmachtbildung der Arbeitnehmer in Gewerkschaften wird vom Staat unterstützt. Jedem wird über die Sozialhilfe ein Mindestlebensstandard garantiert. Wo der Markt als Versorger ausfällt, springt der Staat mit eigenen Angeboten ein. Knappe Ressourcen werden durch zusätzliche Steuern teurer gemacht, damit der Markt die Knappheit erkennt. Eine Kartellbehörde versucht, die Marktmacht der Unternehmen unter Kontrolle zu behalten und Absprachen zur Einschränkung des Wettbewerbs zu unterbinden. Ist durch eine solche staatlich regulierte Marktwirtschaft die gemeinwohlfördernde Wirkung unternehmerischer Tätigkeit gesichert? Diese These vertritt zumindest die „Moralökonomik“. Ihre Vertreter sehen den systematischen Ort für Korrekturen unerwünschter Marktergebnisse in der gesetzlichen Rahmenordnung. Denn - so ihr Hauptargument - einzelne Unternehmen könnten es sich in einer Marktwirtschaft bei Strafe des Ruins nicht leisten, freiwillig höheren moralischen Standards zu folgen als die <?page no="21"?> 20 1 Warum wir Moral in der Unternehmensführung brauchen Wettbewerber. Die weniger bedenklichen Konkurrenten würden ein solches Verhalten sofort zu ihren Gunsten ausnutzen. Es sei also nur mit der Markwirtschaft kompatibel, den für alle verbindlichen gesetzlichen Rahmen zu verschärfen. Appelle an die individuelle Moral der Wirtschaftsakteure, vor allem der Unternehmer, seien verfehlt und altmodisch. In einer gesetzlich regulierten Marktwirtschaft wird das „geradezu unbändige Streben nach individuellen Vorteilen“ zum „sittlichen Imperativ“ (Homann [Ethik] 18), die Gewinnmaximierung für Unternehmen zur moralischen Pflicht (vgl. Homann/ Blome-Drees [Unternehmensethik] 24). Durch die Einbettung des Marktes in eine ausgefeilte Rahmenordnung scheint seine gemeinwohlfördernde Wirkung gesichert, während man auf die Individualmoral der Wirtschaftsakteure weiterhin getrost verzichten kann und das Verfolgen der eigenen Interessen zur (einzigen) Pflicht macht. Die neue Zauberformel lautet also „Eigennutz der Wirtschaftsakteure + Marktwirtschaft + staatliche Rahmenordnung = Gemeinwohl“. „Zauberformel“ deshalb, weil es geradezu magisch erscheint, wie lauter ausschließlich und „unbändig“ auf ihren eigenen Vorteil bedachte Wirtschaftsakteure gemeinsam das Gemeinwohl fördern und zum Vorteil der ganzen Gesellschaft beitragen sollen. Doch gelingt diese magische Transformation von Eigennutz in Gemeinwohl wirklich? <?page no="22"?> 1.4 Warum auch eine Verschärfung der Gesetze nicht ausreicht 21 11..44 Warum auch eine Verschärfung der Gesetze nicht ausreicht Wie verhalten sich unbändig eigennützige Wirtschaftsakteure gegenüber der Rahmenordnung? Wenn man dieser Frage nachgeht, wird schnell klar, warum auch die Rahmenordnung Moral und Ethos nicht ersetzen kann. Gesetze werden in vielen Bereichen der Wirtschaft schlicht ignoriert. Unbändig eigennützige Wirtschaftsakteure machen die Einhaltung von Gesetzen von einem ökonomischen Kalkül abhängig: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, bei einem Gesetzesverstoß überhaupt erwischt zu werden? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, aufgrund dieses Gesetzesverstoßes angeklagt zu werden? Wie wahrscheinlich ist eine Verurteilung? Wie hoch ist im schlechtesten Fall die Strafe? Nach einem solchen Kalkül rechnet sich der Gesetzesverstoß häufig. Beispiel: Nach seriösen Schätzungen halten sich ca. 90% der LKW-Fahrer nicht an die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten, weil dadurch Geld gespart werden kann und kaum Kontrollen stattfinden. Sie fühlen sich häufig durch ihre Arbeitgeber dazu genötigt, die wiederum den Wettbewerbsdruck als Argument ins Feld führen. Gesetze enthalten Grauzonen und Interpretationsspielräume. Viele Gesetze und Verordnungen enthalten unklare Rechtsbegriffe wie „nach Treu und Glauben“, „nach den guten Sitten“, „mit der gebotenen Sorgfalt“, „Wahrheit und Klarheit“. Solche Formulierungen lassen einen erheblichen Spielraum, den unbändig eigennützige Wirtschaftsakteure zu ihren Gunsten ausnutzen werden. <?page no="23"?> 22 1 Warum wir Moral in der Unternehmensführung brauchen Beispiel: Das 2009 beschlossene Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung fordert, dass die Vergütung in einem „angemessenen Verhältnis zu Aufgaben und Leistungen der Vorstandsmitglieder stehen“ und eine „nachhaltige“ Unternehmensentwicklung fördern sollte. Geht es in diesem Gesetz vor allem darum, deutlich überhöhte Gehälter zu verhindern, so schreibt das BGB in §138 vor, dass Entlohnungen auch nicht „sittenwidrig“ niedrig ausfallen dürfen. Welche Entlohnung zu hoch oder zu niedrig ist und welche Entlohnungsstruktur geeignet erscheint, Nachhaltigkeit zu fördern, steht damit in keiner Weise fest. Die Gesetzgebung ist lückenhaft. Trotz der schier unübersehbaren Fülle gesetzlicher Regelungen kann die Rahmenordnung zu keinem Zeitpunkt jegliche Möglichkeit von Fehlverhalten erfassen und verbieten. Das ist schon alleine aufgrund des technischen Fortschrittes und der Dauer der Gesetzgebungsverfahren undenkbar. Unbändig eigennützige Wirtschaftsakteure werden solche Lücken erkennen und nutzen. Beispiel: Anbieter im Internet konnten arglose Nutzer jahrelang in „Abo-Fallen“ locken. Ohne es zu merken, schlossen die Internetnutzer kostenpflichtige Abonnements ab und mussten dann unter Umständen jahrelang für eine Dienstleistung zahlen, die sie gar nicht wollten. Erst im März 2012 wurde das durch eine neue Fassung des § 312g des BGB deutlich schwerer gemacht. In einer globalen Wirtschaft kann man Gesetzen ausweichen. Vor allem große Unternehmen sind heute in der Regel sog. Global Player. Sie verkaufen global, produzieren global und kaufen weltweit ein. <?page no="24"?> 1.4 Warum auch eine Verschärfung der Gesetze nicht ausreicht 23 Dadurch ist es leichter geworden, der Gesetzgebung eines Landes auszuweichen. Nach der Argumentation der Moralökonomik ist es geradezu zwingend für die Unternehmen so zu handeln, wenn die Wettbewerber es tun, weil sie sonst von den weniger bedenklichen Konkurrenten ausgebootet werden. Beispiel: Sind bei uns die Arbeitnehmer durch Tarifverträge, Arbeitsrecht und Sozialversicherungen abgesichert, dann lässt man eben in Bangladesch produzieren, wo 14-Stunden-Tage, unbezahlte Überstunden, extreme Niedriglöhne, gefährliche Arbeitsbedingungen und fehlende soziale Sicherung Standard sind. Die Wirtschaft wirkt an der Rahmenordnung mit. Idealerweise wird die Rahmenordnung von unabhängigen Politikern gestaltet, die uneigennützig nach den besten Regeln im Interesse der Allgemeinheit suchen. Tatsächlich versuchen die Vertreter der Wirtschaft über massive Lobbyarbeit auf die Politiker und die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. Beispiel: Die Lebensmittelbranche hat sich den Kampf gegen die deutlichere Kennzeichnung ihrer Produkte mit Hilfe der „Ampel“ (rot steht für zu viel Zucker, Fett oder Salz) über eine Milliarde Euro kosten lassen und hat so den Vorstoß der Verbraucherschützer für mehr Transparenz abgeschmettert. Nur eine völlig eindeutige, lückenlose, gemeinwohlorientierte und global einheitliche Rahmenordnung, die durch ausgefeilte und lückenlose Kontrollen und angemessene Sanktionen auch 100%ig durchgesetzt werden kann, wäre in der Lage, die „unbändig eigennützigen“ Wirtschaftsakteure zur Verfolgung des Gemeinwohls quasi zu zwingen. Ein solcher Zustand ist nicht nur kontrafaktisch, sondern <?page no="25"?> 24 1 Warum wir Moral in der Unternehmensführung brauchen gerade mit der viel gepriesenen unternehmerischen Freiheit in der Marktwirtschaft überhaupt nicht vereinbar. Schon jetzt beklagen viele Unternehmer - zu Recht - eine häufig überbordende Bürokratie. Die Marktakteure von jeder Individualverantwortung frei zu sprechen und sich stattdessen ganz auf die Rahmenordnung zu verlassen, macht eine umfassende Einschränkung jener Freiheit nötig, die als eine der größten Vorteile der Marktwirtschaft gilt. Soll diese Freiheit erhalten bleiben und die Wirtschaft zugleich dem Gemeinwohl dienen, kommt man nicht umhin, von den Wirtschaftsakteuren zu fordern, dass sie sich aktiv Gedanken machen über die Folgen ihres Handelns. Die einseitige und unbändige Verfolgung ihrer eigenen Interessen reicht nicht aus, um das Gemeinwohl zu fördern, auch nicht im Rahmen einer regulierten Marktwirtschaft. Wie schon einer der Gründerväter der sozialen Marktwirtschaft, Wilhelm Röpke, konstatiert hat, sind „Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairneß, Ritterlichkeit, Maßhalten, Gemeinsinn, Achtung vor der Menschenwürde des anderen, feste sittliche Normen“ Haltungen, die die Menschen mitbringen müssen, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb messen. Nur dadurch kann der Markt vor „Entartung“ bewahrt werden. Auch die „nüchterne Welt des reinen Geschäftslebens“ schöpft aus sittlichen Reserven, mit denen sie steht und fällt (Röpke [Angebot] 185f.). Die Forderungen nach mehr Moral und Ethos in der Unternehmensführung sowie Ethik in der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung sind also berechtigt. Um genauer zu ergründen, was sich hinter diesen Forderungen verbirgt, müssen zunächst einmal einige grundlegende Begriffe und Zusammenhänge geklärt werden. <?page no="26"?> 22 GGrruunnddllaaggeenn ddeerr EEtthhiikk <?page no="27"?> 26 2 Grundlagen der Ethik 22..11 Zentrale Begriffe: Moral, Ethos, Ethik, angewandte Ethik Die Moral stellt den normativen Grundrahmen für das Verhalten des Menschen dar. Sie gibt Antwort auf die Fragen: Wie soll ich handeln? Wie soll ich sein? Was soll sein? Bestimmte Handlungen, innere Haltungen und Zustände werden als „gut“ bzw. „richtig“ und „erwünscht“ angesehen und sollen verwirklicht werden, andere werden als „böse“ bzw. „falsch“ und „unerwünscht“ abgelehnt und verboten. Was zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft im Allgemeinen als Handlung, Zustand oder Haltung für gut und wünschenswert bzw. für böse und verboten gehalten wird, bezeichnet man zusammenfassend als die jeweils herrschende Moral. Die Moral findet ihren Ausdruck in Handlungsnormen wie bspw. „du sollst nicht lügen“ oder „du sollst nicht stehlen“, in Tugenden wie Ehrlichkeit und Tapferkeit und in Werten wie Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit. Als geschichtlich gewordene konkrete Lebensform ist die jeweils herrschende Moral immer nur mehr oder weniger angemessen und muss offen bleiben für Kritik und Wandel. Der Begriff „Ethos“ wird teilweise als Synonym für den Begriff „Moral“ verwendet oder als Bezeichnung für eine Regelsammlung für bestimmte Berufsgruppen, bspw. als „Ethos des Mediziners“. Meistens steht der Begriff Ethos aber für die innere moralische Haltung, die Moralität eines Menschen. <?page no="28"?> 2.1 Zentrale Begriffe: Moral, Ethos, Ethik, angewandte Ethik 27 Anerkennt ein Subjekt eine bestimmte Moral als verpflichtend für sein Handeln und ist das Handeln dauerhaft durch die Anerkennung geprägt, so spricht man von Ethos. Durch sein Ethos fühlt sich ein Subjekt an bestimmte Handlungsweisen gebunden, die es als gut und wünschenswert erkannt hat (bspw. Gesetzestreue, Mildtätigkeit, Ehrlichkeit). Zur Selbstverpflichtung kommt die Selbstkontrolle durch das Gewissen. Das Ethos bildet sich zum Teil durch die Verinnerlichung der herrschenden Moral im Rahmen der Sozialisation in Familie und Gesellschaft, wird also durch Erziehung, Übung und Vorbilder erlernt. Zur moralischen Entwicklung gehört aber auch, sich ein eigenes Urteil zu bilden und die herrschende Moral zu hinterfragen. Moral und Ethos sind in einer Art Zirkel miteinander verbunden. Die herrschende Moral beeinflusst die Ausbildung eines Ethos, das sittliche Subjekt bringt mit seinem Ethos diese Moral zur Geltung, kann sie aber auch abändern und ergänzen. Die Ethik ist Teil der praktischen Philosophie und hat das Ziel, die Praxis des Menschen, sein Handeln in der Welt, zu orientieren und zu verbessern. Ihrem eigenen Anspruch nach ist sie Wissenschaft, ihr Gegenstand sind Moral und Ethos. Zur praktischen Philosophie gehören nach Aristoteles außerdem Politik und Ökonomik. Die Ethik kann ganz allgemein gekennzeichnet werden als die Lehre oder auch die Wissenschaft von Moral und Ethos, also vom menschlichen Handeln, welches sich von der Differenz zwischen gut/ sittlich richtig und böse/ sittlich falsch leiten lässt. <?page no="29"?> 28 2 Grundlagen der Ethik Den Kern der Ethik bildet die normative Ethik, welche begründete und verbindliche Aussagen dazu machen will, wie der Mensch handeln soll (Normen, Pflichten), was er anstreben soll (Werte, Güter) und wie er sein soll (Haltung, Tugend). Dabei sucht die Ethik nach obersten Grundsätzen, sog. Prinzipien, welche als oberstes Kriterium und letzter Maßstab für die Ableitung und Begründung untergeordneter Normen fungieren. Daneben gibt es auch noch die deskriptive Ethik, welche beschreibt, wie es um Moral und Ethos bestellt ist bei bestimmten Menschen oder Gruppen, und die Methodenlehre, welche darüber nachsinnt, wie man die Moral praktisch zur Geltung bringen kann. Von angewandter Ethik spricht man, wenn allgemeine ethische Prinzipien auf bestimmte Handlungs- und Lebensbereiche angewendet und für diese Bereiche konkretisiert werden. Medizinische Ethik, politische Ethik, Medienethik und Wirtschafts- und Unternehmensethik sind Beispiele für solche „Bereichsethiken“. Angewandte Ethik heißt weder, dass auf die Unteilbarkeit ethischer Prinzipien verzichtet wird, noch dass man einen Satz fertiger ethischer Lösungen den unterschiedlichen Disziplinen autoritär überstülpt. Vielmehr wird im Dialog mit den jeweiligen Fachvertretern zu ergründen versucht, wie abstrakte ethische Prinzipien für einen ganz bestimmten Lebens- und Handlungsbereich konkretisiert und zur Anwendung gebracht werden können. Solche „speziellen“ Ethiken haben sich herausgebildet, weil es angesichts der ungeheuren Komplexität der Wirklichkeit einer anwendungsbezogenen Erläuterung und Konkretisierung der Grundüberlegungen bedarf, wenn es um die Lösung praktisch-sittlicher Probleme in einem konkreten Lebenszusammenhang geht. In der Auseinan- <?page no="30"?> 2.2 Das Verhältnis von Moral, Ethos und Recht 29 dersetzung mit den Besonderheiten des Anwendungsbereiches kann man u. A. feststellen, welche typischen sittlichen Fragen sich dort stellen, wo und warum es zu moralischen Dilemmata kommt, wie man damit umgehen kann, welche Hindernisse es für eine sittliche Praxis gibt und wie man diese eventuell beseitigen kann. Diese konkreten Fragen und Probleme sind bspw. im Bereich der Wirtschaft ganz andere als im Bereich der Medizin. 22..22 Das Verhältnis von Moral, Ethos und Recht Welches Handeln richtig oder falsch, geboten oder verboten ist, wird in modernen Gesellschaften zum größten Teil nicht alleine durch die herrschende Moral bestimmt, sondern durch das geltende Recht festgeschrieben. Den Kern der Rechtsordnung bilden die Gesetze. Viele Gesetze bringen Moral zum Ausdruck, indem sie Handlungen formal als geboten oder verboten kennzeichnen, die gleichzeitig auch als sittlich gut bzw. sittlich schlecht angesehen werden. Diebstahl ist bspw. unmoralisch und gesetzeswidrig. In den Bereichen, die für das Miteinander der Menschen, für ihr Verhältnis zu sich und zur Natur als sehr wichtig gelten, wird das Handeln besonders genau, planvoll und verbindlich vorgeschrieben, kontrolliert und sanktioniert. Es gibt eine große Schnittmenge von moralischen Normen und Gesetzen. Aber Moral und Recht sind nicht deckungsgleich. Zum einen gibt es zahlreiche moralische Sollvorstellungen, die sich einer gesetzlichen Reglementierung entziehen. Hilfsbereit zu sein, aufrichtig im Umgang miteinander, dankbar für erwiesene Wohltaten, versöhnlich, tolerant, gerecht und barmherzig, das sind bspw. moralisch erwünschte Haltungen bzw. Verhaltensweisen, die sich nur begrenzt in Gesetze fassen lassen. <?page no="31"?> 30 2 Grundlagen der Ethik Zum anderen ist die Art der Verpflichtung eine andere. Dem Gesetz kann man rein äußerlich Folge leisten, ohne innere Überzeugung, nur aus Angst vor Strafe, während zum moralischen Handeln die innere Triebfeder gehört, gut handeln zu wollen. Dieses persönliche Ethos, die innere Verpflichtung zum Guten, bestimmt auch den Umgang mit dem Recht. Eine prinzipielle Gesetzestreue ist eine moralische Haltung. Wenn unmoralisches Verhalten in der Wirtschaft angeprangert wird, bzw. wenn mehr Moral eingefordert wird, dann geht es häufig darum, dass die Unternehmen bzw. Unternehmer und Manager gegen Gesetze verstoßen. Sie treffen wettbewerbswidrige Preisabsprachen, zahlen Schmiergelder oder lassen sich bestechen, beschäftigen Schwarzarbeiter, verstoßen gegen Umweltgesetze usw. Diese Wirtschaftskriminalität ist aber nur die Spitze des Eisberges. Was viele Menschen fast noch mehr aufbringt ist der Eindruck, dass die Spielräume innerhalb der Rahmenordnung immer wieder zum Schaden anderer ausgereizt werden. Es wird alles gemacht, was gerade noch legal ist. Seit es keine vorgeschriebenen Packungsgrößen mehr gibt, werden von der Industrie gerne kleinere Mengen als bisher abgepackt und zum alten Preis verkauft. Rein äußerlich ist die geringere Menge häufig kaum zu erkennen, so dass dem Verbraucher die versteckte Preiserhöhung von bis zu 100% nicht auffällt. Verbraucherschützer sprechen von „Mogelpackungen“, aber diese Vorgehensweise ist völlig legal. Seit die Konsumenten vor allem bei Lebensmitteln Wert auf eine regionale Herkunft legen, werden viele Lebensmittel als regionale Produkte beworben, obwohl sie nicht aus der Region stammen. Das ist legal, solange es bei allgemeinen Aussagen bleibt wie „aus der Heimat“, „unser Land“ oder „unser Norden“. Und selbst <?page no="32"?> 2.2 Das Verhältnis von Moral, Ethos und Recht 31 bei genaueren regionalen Bezeichnungen müssen die Lebensmittel keineswegs aus der Region stammen, sondern sie können auch nur dort verarbeitet oder abgepackt sein. Dass der Käufer von einer Herkunft aus der Region ausgeht, wird gerne akzeptiert. Sehr vieles ist legal, was die Verbraucher als Täuschung empfinden: In der Putensalami darf auch Rind- und Schweinefleisch sein, der natürliche Aromastoff im Erdbeerjoghurt darf aus Holz oder Schimmelsporen gewonnen werden, die Weidemilch stammt von Kühen, die in ihrem Leben auf keiner Weide gestanden haben, der Kirschjoghurt „ohne künstliche Farbstoffe“ ist mit dem Saft von roter Bete gefärbt usw. Der Versuch, solche Missstände per Gesetz zu verhindern, gleicht dem Wettlauf von Hase und Igel, denn der Erfindungsreichtum von Handel und Industrie ist immens, wenn es darum geht, gesetzliche Regelungen zu umgehen bzw. nicht sinngemäß umzusetzen. Letztlich kann man eine fehlende moralische Gesinnung der Wirtschaftsakteure niemals durch die Rahmenordnung ersetzen. Als moralisches Minimum für die Wirtschaftsakteure wird daher gefordert, sich prinzipiell regeltreu zu verhalten, weil man sich dazu verpflichtet fühlt und nicht, weil man die Regeltreue nach einem Nutzenkalkül für die momentan nützlichere Option hält. Das gleiche gilt für eine prinzipielle Vertragstreue, die von Ökonomen gerne als selbstverständlich vorausgesetzt wird. <?page no="33"?> 32 2 Grundlagen der Ethik Weitergehend ist zu fordern: Wo es in der Rahmenordnung und/ oder den Verträgen Lücken gibt, dürfen Informations- und Machtasymmetrien nicht ausgenutzt werden, um den eigenen Nutzen auf Kosten anderer zu mehren. Interpretationsbedürftige Regeln sind „sinngemäß richtig“ auszulegen. An den politischen Prozessen zur Gestaltung der Rahmenordnung sollten die Unternehmen gemeinwohlorientiert mitwirken und nicht als ausschließlich auf das Eigeninteresse fixierte Lobbyisten. Die Globalisierung sollten sie nicht dazu nutzen, anerkannte Standards beim Umweltschutz und/ oder der Arbeitssicherheit, der gerechten Entlohnung, der Produktsicherheit, der offenen Informationspolitik, dem Tierschutz zu umgehen. Wünschenswert ist vielmehr, dass gerade die Global Player zu einer weltweiten Anhebung der Standards beitragen. Schließlich sollten sie ihre unternehmerische Freiheit und Innovationskraft ausnutzen, um proaktiv „bessere“, bspw. umweltschonendere Produkte und Produktionsverfahren zu erfinden. Was von den Unternehmen bzw. den Führungskräften allgemein eingefordert wird, ist ein größeres Verantwortungsgefühl gegenüber den von ihren Aktivitäten Betroffenen. In dem mittlerweile in der wirtschaftsethischen Diskussion am häufigsten verwendeten Terminus, „Corporate Social Responsibility“, kurz CSR oder manchmal <?page no="34"?> 2.3 Verantwortung als zentraler ethischer Begriff 33 auch nur CR, ist „Responsibility“ - also Verantwortung - der zentrale ethische Begriff. Was bedeutet „Verantwortung“? 22..33 Verantwortung als zentraler ethischer Begriff Einer der bekanntesten Verfechter der „Verantwortungsethik“ ist Max Weber (vgl. [Politik] 551ff.). Gerade für die Entscheidungsträger in Wirtschaft und Gesellschaft kommt es seiner Meinung nach darauf an, so zu handeln, dass die voraussehbaren Folgen für die Betroffenen gut sind. Er unterscheidet die Verantwortungsethik sowohl von einer reinen Gesinnungsethik als auch von einer deontologischen Handlungsethik. Diese Unterscheidung verweist darauf, dass die moralische Bewertung einer Person oder Handlung als gut oder böse auf ganz unterschiedlichen Grundlagen beruhen kann. Nach der Gesinnungsethik kommt es auf die innere Haltung des Handelnden entscheidend an. Moralisch ist, das Gute zu wollen. Wenn jemand mit einem guten Willen und gutem Gewissen handelt, dann ist er moralisch gerechtfertigt, egal wie er handelt und wie die Folgen aussehen. Hauptproblem dieser Argumentation ist, dass man damit auch einen „Gesinnungstäter“, bspw. einen islamistischen Selbstmordattentäter, moralisch gut heißen müsste, auch wenn seine Tat und die Folgen für die Betroffenen schrecklich sind. Was fehlt, ist eine „objektive“ Richtschnur für das richtige Handeln und die Bewertung der Folgen. Eine deontologische Handlungsethik setzt ganz auf verbindliche Normen, die bestimmte Handlungen zur Pflicht machen (griech.: to déon = das Erforderliche, die Pflicht). Moralisch ist, pflichtgemäß zu handeln. Ei- <?page no="35"?> 34 2 Grundlagen der Ethik nen solchen Normenkatalog stellen bspw. die zehn Gebote der Bibel dar. Damit gewinnt man zwar einen festen „objektiven“ Maßstab für richtige Handlungen, dafür handelt man sich andere Probleme ein. Die Einhaltung der Normen kann in speziellen Fällen nämlich zu Folgen führen, die unerwünscht und schlecht sind. Man sollte sicherlich im Allgemeinen nicht stehlen, aber ehe man verhungert, ist es besser Lebensmittel zu stehlen. Oder man sollte nicht lügen, aber ein Politiker, der aus Wahrheitspflicht Staatsgeheimnisse verrät, kann großen Schaden anrichten. Fraglich ist auch, wie man solche Normenkataloge korrigiert und ergänzt, wenn sie einer veränderten Realität nicht mehr gerecht werden. Dann ist man doch wieder auf das Subjekt mit seinem persönlichen moralischen Urteil angewiesen. Max Weber will aufgrund dieser Kritik weder die „Flamme der reinen Gesinnung“ noch die „absolute Ethik“ deontologischer Handlungsnormen als Grundlage einer moralischen Bewertung gelten lassen, und verweist stattdessen auf die Folgen einer Handlung (oder Unterlassung) als Bewertungsgrundlage. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer teleologischen Ethik (griech.: télos = Ziel, Zweck). Moralisch ist, das Gute zu erreichen. Doch auch mit einer rein teleologischen Ethik bekommt man Probleme. Die Folgen einer Handlung sind nicht immer vorauszusehen und können im Guten wie im Schlechten weit von den Erwartungen abweichen. Kann man es wirklich einem Menschen als moralische Schuld anlasten, wenn durch das Wirken des Zufalls eine an sich gut gemeinte und richtige Tat zu schlechten Folgen führt? Kann man im umgekehrten Fall mit den guten Folgen auch eine an sich schlechte Handlung rechtfertigen nach dem Motto „der Zweck heiligt die Mittel“? <?page no="36"?> 2.3 Verantwortung als zentraler ethischer Begriff 35 Lässt man die Gesinnung außen vor, dann wird man der Irrtumsanfälligkeit und Endlichkeit menschlicher Voraussicht nicht gerecht und rechnet dem Einzelnen als Schuld oder Verdienst an, was möglicherweise nur auf Zufälligkeiten zurückzuführen ist. Und ohne eine konkrete „objektive“ Vorstellung von dem, was in sich gut und wünschenswert ist, lässt sich nicht abwägen, was gute und was schlechte Folgen sind und wann durch den guten Zweck auch eine Abweichung von einer an sich gültigen Norm zu rechtfertigen ist. Verantwortungsethik ist so eigentlich kein Gegenmodell zu Gesinnungs- und deontologischer Ethik, sondern integriert die verschiedenen Ansatzpunkte. Zu einem verantwortungsbewussten Handeln gehören der gute Wille, das Wissen um die Folgen der eigenen Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen sowie Maßstäbe für das, was gut und wünschenswert bzw. übel und unerwünscht ist. Mit der Forderung nach „Corporate (Social) Responsibility“ wird ein solches verantwortungsbewusstes Handeln auch von den Unternehmen gefordert. Man muss also klären, wer in welcher Weise vom Handeln der Unternehmung betroffen ist und welche Maßstäbe bei der Bewertung dieser Folgen anzulegen sind. Zunächst aber steht noch eine andere Frage im Raum: Kann ein Unternehmen überhaupt Verantwortung übernehmen? Wo ist denn im Unternehmen so etwas wie „guter Wille“ oder ein „Gewissen“ zu lokalisieren? <?page no="38"?> 33 GGiibbtt eess eeiinnee VVeerraannttwwoorrttuunngg ddeess UUnntteerrnneehhmmeennss? ? <?page no="39"?> 38 3 Gibt es eine Verantwortung des Unternehmens? 33..11 Das Unternehmen als moralischer Akteur? Die Sichtweise, nach welcher das Unternehmen selbst ein moralischer Akteur ist, erscheint zunächst recht problematisch. Können Unternehmen denn einen „guten Willen“ haben? Können sie „Schuld“ auf sich laden oder „Verantwortung übernehmen“? Man neigt zu einer Verneinung dieser Fragen, denn Erscheinungen wie freier Wille, Gewissen, Schuld, Verantwortungsgefühl und überhaupt „Moralfähigkeit“ werden doch ganz allgemein auf menschliche Subjekte, auf Personen, bezogen. Das heißt, die Moralfähigkeit wird vom Personenstatus abhängig gemacht (vgl. Fetzer [Verantwortung] 124). Und Unternehmen sind doch keine Personen, oder? Allerdings gibt es - auch außerhalb der Wirtschaftsethik - durchaus zahlreiche „Personifizierungen“ des Unternehmens. Eine Unternehmung ist rechtlich gesehen eine juristische Person mit einem Eigennamen (der Firma). Sie kann wie eine Person Verträge schließen, Aufträge erteilen, Einkommen erzielen und Steuern zahlen. Eine Unternehmung hat ein eigenes Image und eine eigene Reputation, die nicht identisch sind mit dem Image bzw. der Reputation einzelner Unternehmensmitglieder. Es gibt also stabile Verhaltenserwartungen gegenüber dem Unternehmen als Ganzes. <?page no="40"?> 3.1 Das Unternehmen als moralischer Akteur? 39 Unternehmen müssen Rechenschaft ablegen für ihr Tun. Strafrechtlich geht man in Deutschland bisher davon aus, dass nur Personen schuldhaft handeln können, nicht aber Unternehmen als solche. Eine korporative Verantwortung der Unternehmung wird insofern juristisch abgelehnt. Allerdings können bei Ordnungswidrigkeiten, etwa Verstößen gegen das Kartellrecht, auch bei uns Geldbußen gegen das Unternehmen verhängt werden. In der Verhängung solcher Geldbußen erkennen manche Juristen ein „Quasi-Strafrecht“ gegen Unternehmen. In anderen Ländern, bspw. den USA, gibt es ein Unternehmensstrafrecht. Unternehmen wenden sich mit Verlautbarungen an die Öffentlichkeit und erscheinen insofern „sprachfähig“. Auch der allgemeine Sprachgebrauch personifiziert die Unternehmen häufig. Es heißt bspw. Hewlett-Packard entlässt massenhaft Mitarbeiter, Tchibo erhält einen Preis für Unternehmensethik, die Deutsche Bank spekuliert mit Nahrungsmitteln und trägt so zum Hunger in der Welt bei usw. Das Unternehmen selbst wird in diesen Aussagen als Handlungsträger angesehen. Ganz offensichtlich erschöpft sich das Unternehmen nicht in der Menge der gerade dort arbeitenden Individuen, sondern beansprucht einen eigenen Status neben den Unternehmensmitgliedern. Das Unternehmen existiert weiter, auch wenn die ganze Belegschaft ausgetauscht wird. <?page no="41"?> 40 3 Gibt es eine Verantwortung des Unternehmens? 33..22 Bedingungen für die Moralfähigkeit von Unternehmen Es ist aber auch gar nicht notwendig, Unternehmen im vollen Wortsinne zu „Personen“ zu deklarieren, um sie für „moralfähig“ zu halten. Für eine sinnvolle Verantwortungszuschreibung reichen folgende Bedingungen aus (vgl. Fetzer [Verantwortung] 142ff.): Das Unternehmen muss als Subjekt identifizierbar sein, also eine gewisse stabile Identität gegenüber sich selbst und gegenüber anderen aufweisen. Das Unternehmen muss als Subjekt die Macht haben, Wirkungen in Bezug auf „Objekte“ hervorzurufen (Kausalbeziehung zwischen Subjekt und Objekt). Das Unternehmen darf bei seinen Entscheidungen nicht vollständig extern determiniert sein. Das heißt, die Ursache der Unternehmenshandlungen darf nicht nur außerhalb der Unternehmung liegen. Vielmehr muss das Unternehmen eine innere Struktur aufweisen, welche seine Handlungen mitbestimmt (Wille, Intentionalität). Diese innere Struktur muss prinzipiell unter Mitwirkung des Subjekts selbst veränderbar sein. Parallelen zur Person wären hier die Selbstbestimmung des Willens, Einsichts- und Lernfähigkeit, Selbst- oder reflexives Bewusstsein, Gewissen. Das Unternehmen muss eine gewisse Sozialität aufweisen, d.h. mit anderen in Kontakt treten können. Es muss fähig sein, Beziehungen zu Adressaten der Verantwortung aufzubauen (Relationalität) und deren Anliegen wahrzunehmen, zu verarbeiten sowie darauf zu antworten (Kommunikationsfähigkeit). <?page no="42"?> 3.3 Unternehmen sind moralfähig 41 33..33 Unternehmen sind moralfähig Alle diese Bedingungen können als erfüllt gelten. Unternehmen haben eine stabile Identität. Wie sogenannte Corporate Identity-Maßnahmen zeigen, legen Unternehmen sogar besonderen Wert auf eine von anderen Unternehmen unterscheidbare „prägnante Unternehmenspersönlichkeit“ (vgl. Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen [Marketing] 609). Das Unternehmen hat ohne Zweifel auch die Macht, Objektwirkungen hervorzubringen, die andere betreffen. Unternehmenshandeln hat bspw. Wirkungen auf die Güterversorgung, die Beschäftigungssituation, die Gesundheit, die natürliche Umwelt, die Staatsfinanzen usw. und damit auch wieder auf die Lebensbedingungen zahlloser Menschen. Weiterhin sind Unternehmensentscheidungen nicht extern determiniert. Es gehen zwar zahlreiche Einflüsse von außen, von den Absatz-, Finanz- oder Arbeitsmärkten, der Rechtsprechung, der Politik etc. in die Unternehmensentscheidungen ein. Trotzdem kann das Unternehmen die Fragen „Was wollen wir machen? “ und „Wie wollen wir es machen? “ weitgehend selbst entscheiden. Angefangen von der Rechtsform- und Standortwahl, über die Wahl von Produkt-Markt-Strategien, Wettbewerbsstrategien, Strukturmodellen und Produktionsverfahren, die Lieferanten- und Mitarbeiterselektion, bis hin zu der Fülle von Entscheidungen über operative Maßnahmen reicht die Palette von Unternehmensentscheidungen. Rein material gesehen werden diese Entscheidungen zwar von Individuen im Unternehmen getroffen. Man kann vor allem bei den Entscheidungen im laufenden Geschäft dennoch zu Recht auch von Unternehmensentscheidungen sprechen, weil aus der Sicht des Individuums - bspw. <?page no="43"?> 42 3 Gibt es eine Verantwortung des Unternehmens? der Führungskraft - die „innere Struktur“ des Unternehmens die Entscheidungen wesentlich mitbestimmt. Diese „innere Struktur“ beschränkt sich nicht auf die Organisationsstruktur. Es gibt vielmehr eine umfassende, die Entscheidung mitbestimmende Organisationsrealität, welche sozusagen das Sediment früherer Entscheidungen darstellt. Zu dieser inneren Struktur gehören strategische Pfade, die eingeschlagen wurden, vorhandene Maschinen, Gebäude, Mitarbeiter, Techniken, Informations- und Kommunikationssysteme, Stellen, Verfahrensweisen, Anreizsysteme, vertragliche Verpflichtungen, gewachsene kulturelle Normen usw. Wie das Unternehmen in den Rahmen der Wirtschaftsordnung eingebettet ist und durch diese Einbettung eine Kanalisierung und Restriktion erfährt, so ist auch der einzelne Entscheidungsträger im Unternehmen durch die „innere Struktur“ in seinen Entscheidungen beeinflusst. Deshalb kann man auch zu Recht davon sprechen, dass ein Unternehmen „intentional“ handelt und bspw. Mitarbeiter entlässt oder einstellt, sich in Märkte begibt oder daraus zurückzieht, die Umwelt verschmutzt oder schont usw. Der einzelne Mitarbeiter kann sich genötigt fühlen, im Namen der Unternehmung Entscheidungen zu treffen, die er als „Privatmensch“ bedauert. Die vorhandene innere Struktur ist aber selbst wiederum intentional veränderbar. Genau dieser Vorgang ist gemeint, wenn man vom „organisationalen Lernen“ spricht, insbesondere in der Form des sog. „double-loop learning“ (Argyris [Learning] 8f.). Sind Entscheidungen <?page no="44"?> 3.3 Unternehmen sind moralfähig 43 und Aktionen des Unternehmens aus irgendeinem Grund unbefriedigend, sei es nun ökonomisch oder moralisch, dann fragt man sich beim double-loop learning, welche Rahmenbedingungen diese Entscheidungen bzw. Handlungen vermutlich hervorgerufen haben. Man setzt mit der Korrektur also nicht direkt bei den einzelnen Entscheidungen und Handlungen an (das wäre single-loop learning), sondern bei den „governing variables“ bzw. bei der inneren Struktur, welche gerade diese Aktionen begünstigt hat. Erst bei einer Änderung der inneren Struktur liegt ein organisationales Lernen vor. In diesem Sinne kann offenbar die Unternehmung selbst unterschiedlich einsichts- und lernfähig sein. Schließlich kann den Unternehmen auch die Fähigkeit zur Relationalität und zur Kommunikation zugesprochen werden. Vielfach gibt es sogar spezielle Stellen oder Abteilungen für die Beziehungspflege bspw. mit der Öffentlichkeit (Public Relations), den Kunden (Customer relations) oder den Investoren (Investor relations). Das Unternehmen kann auch offenbar nach innen, gegenüber den eigenen Mitarbeitern, und mit der Außenwelt kommunizieren. Es informiert die Kunden, wendet sich mit Erklärungen an die Mitarbeiter, verhandelt mit Lieferanten, verteidigt sich gegen Anschuldigungen der Presse, nimmt Stellung zur öffentlichen Meinung, spricht sich für oder gegen eine bestimmte Politik aus usw. Natürlich müssen Menschen die eigentlichen Sprechakte übernehmen, aber sie sind oft nicht mehr als das Sprachrohr des Unternehmens. Wie sehr ein Unternehmen in der Lage ist, Anliegen aus der Innen- oder Außenwelt wahrzunehmen, zu verarbeiten und zufriedenstellende Antworten darauf zu geben, ist wieder eine Frage der inneren Struktur. Es sind demnach alle Bedingungen für die Zuschreibung von Verantwortungsfähigkeit an die Unternehmen erfüllt. <?page no="45"?> 44 3 Gibt es eine Verantwortung des Unternehmens? Unternehmen rufen als intentional handelnde Subjekte Wirkungen hervor, die andere betreffen, mit denen sie darüber kommunizieren können. Da die innere Struktur die Beziehungs-, Kommunikations-, Einsichts- und Lernfähigkeit der Unternehmung prägt und das Entscheiden und Handeln der Individuen in der Unternehmung maßgeblich beeinflusst, ist sie im übertragenen Sinne das „Gewissen“ der Unternehmung (vgl. Goodpaster/ Matthews [Unternehmen]). Wenn in der CSR-Norm ISO 26000 als oberstes Prinzip formuliert wird: „Eine Organisation sollte Verantwortung übernehmen für die Folgen ihres Entscheidens und Handelns auf die Gesellschaft und die Umwelt“, dann ist damit genau diese institutionelle Verantwortung gemeint. Die innere Struktur des Unternehmens prägt und steuert die Entscheidungen und Handlungen der Individuen in der Unternehmung. Es kann nicht allein der Moralität und dem Gewissen des Einzelnen in der Unternehmung überlassen bleiben, dafür zu sorgen, dass die Unternehmung verantwortungsbewusst handelt. Damit wäre er überfordert, denn er ist in gewisser Weise nur Agent des Unternehmenshandelns und bewegt sich in vorgezeichneten Gleisen. Aber natürlich sind die Menschen in der Unternehmung damit nicht von jeder Verantwortung frei zu sprechen. Schließlich sind es letztlich doch wieder Menschen, welche die innere Struktur schaffen und ändern. Sowenig wie das Unternehmen durch die Rahmenordnung determiniert ist, sowenig sind auch die Individuen in einer Organisation durch deren innere Struktur determiniert. <?page no="46"?> 3.4 Individualverantwortung im Unternehmen 45 33..44 Individualverantwortung im Unternehmen Der einzelne Wirtschaftsakteur im Unternehmen kann die vorhandene innere Struktur sowie die daraus hervorgehenden Entscheidungen und Handlungen hinterfragen, unter Umständen ein Fehlverhalten als „Whistleblower“ öffentlich machen, an einer guten inneren Struktur mitwirken, guten Regeln prinzipiell (und nicht nach ökonomischem Kalkül) Folge leisten, Lücken und Mehrdeutigkeiten in den Rahmenbedingungen überbrücken und als „Innovator“ selbst Beispiel geben für Entscheidungen und Handlungen, die höheren ethischen Standards genügen. Insofern sind Unternehmensverantwortung als Ganzes und die Mitverantwortung von Individuen zwei sinnvolle Ansatzpunkte, die zusammenwirken müssen. Sowohl die Unternehmen als auch die Menschen in der Unternehmung, insbesondere die Führungskräfte, sollen also Verantwortung übernehmen für die Folgen ihrer Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen. Dazu ist es nötig, sich Wissen zu verschaffen über diese Folgen, was eine sehr komplexe Aufgabe darstellt. Ein Instrument zur Strukturierung dieser Aufgabe ist die Stakeholderanalyse. Sie soll als nächstes vorgestellt werden. <?page no="48"?> 44 DDiiee SSttaakkeehhoollddeerr aallss AAddrreessssaatteenn ddeerr UUnntteerrnneehhmmeennssvveerraannttwwoorrttuunngg <?page no="49"?> 48 4 Die Stakeholder als Adressaten der Verantwortung Der Begriff „stakeholder“ wurde vermutlich zum ersten Mal 1963 in einem internen Papier des Stanford Research Institute verwendet (vgl. Freeman [Management] 31). Die Ähnlichkeit mit dem Begriff des „stockholders“ oder „shareholders“, also des Aktionärs, war beabsichtigt. Man wollte damit zum Ausdruck bringen, dass es neben den Aktionären oder - allgemeiner gesprochen - den Kapitaleignern einer Unternehmung noch weitere Personengruppen gibt, für die im Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit etwas auf dem Spiel steht und die deshalb als Adressaten der Unternehmensverantwortung in Frage kommen. In vergleichbarer (nicht immer genau gleicher) Bedeutung ist auch von Bezugs-, Anspruchs- oder Interessengruppen die Rede. 44..11 Unterschiedliche Definitionen des Stakeholders Wer zu den Verantwortungsadressaten einer Unternehmung zu rechnen ist, kann sehr unterschiedlich abgegrenzt werden. Nimmt man den Begriff wörtlich, dann sind nur diejenigen Stakeholder, die im Unternehmen einen „Einsatz halten“ (to have a stake in something = ein Interesse oder einen Anteil an etwas haben), also in irgendeiner Weise etwas in das Unternehmen investiert haben und deshalb ein persönliches Verlustrisiko eingegangen sind (to be at stake = etwas steht auf dem Spiel). Neben den Eigenkapitalgebern sind das bspw. die Fremdkapitalgeber (also etwa Banken, die Kredit geben oder Lieferanten, die Zahlungsfristen einräumen) und die Mitarbeiter, wenn sie spezifisches Humankapital in das Unternehmen einbringen, welches bei einer Entlassung entwertet würde. <?page no="50"?> 4.1 Unterschiedliche Definitionen des Stakeholders 49 Erweitert wird das Spektrum der Stakeholder, wenn man alle diejenigen dazurechnet, auf deren Unterstützung das Unternehmen angewiesen ist. Vor allem die Kunden kommen nach dieser Abgrenzung als weitere Stakeholder neben den bereits genannten in den Blick, denn von ihren Kaufakten hängt das Unternehmen existenziell ab. Nach der weitesten Interpretation gehört jeder zu den Stakeholdern, der sich von der Unternehmenstätigkeit in irgendeiner Weise direkt oder indirekt betroffen fühlt und/ oder der Einfluss auf das Unternehmen nehmen kann. Die Medien, Gewerkschaften, Verbraucherverbände, Anwohner, Politiker, Umweltschutz-, Menschenrechts- und Tierschutzgruppen und andere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bzw. Civil Society Groups werden nach dieser Definition u.a. in den Kreis aufgenommen. Ein Problem dieser sehr weiten Abgrenzung besteht darin, dass damit auch Personen als Stakeholder anerkannt werden, deren Interessen und Mittel in keiner Weise legitim erscheinen, also bspw. Erpresser, welche zweifellos das Unternehmen beeinflussen können. Auf solche Individuen oder Gruppen kann eine moralische Verantwortung der Unternehmung aber sicher nicht ausgedehnt werden. Von Ulrich (vgl. [Unternehmen] 13) wird daher vorgeschlagen, nur solchen Personen den Status eines Stakeholders zuzugestehen, die ihrerseits bereit sind, ihre Ansprüche argumentativ zu begründen. Außerdem muss die Legitimität (Berechtigung) ihrer Anliegen zumindest ansatzweise erkennbar sein. Stakeholder im ethischen Sinne sind alle, die gegenüber dem Unternehmen legitime Ansprüche haben. <?page no="51"?> 50 4 Die Stakeholder als Adressaten der Verantwortung Aus den oben genannten verschiedenen Definitionen lassen sich auch unterschiedliche Auffassungen von den Funktionen einer Stakeholderanalyse herauslesen. Zählt man nur diejenigen zu den Stakeholdern, auf deren Unterstützung das Unternehmen (existenziell) angewiesen ist, dann rücken die Interessen der fokalen Unternehmung respektive ihrer Anteilseigner in den Vordergrund. Die Beschäftigung mit den Interessengruppen wird zum Instrument strategischer Unternehmensführung und ist ein Gebot ökonomischer Klugheit. Aus ethischer Sicht verdient dagegen zunächst einmal jeder die Anerkennung als Stakeholder, der gegenüber dem Unternehmen Ansprüche vertritt, die sich (möglicherweise) als legitim erweisen, ganz unabhängig davon, ob sie/ er dem Unternehmen nutzen oder schaden kann. Im Prinzip kann jedermann Stakeholder einer Unternehmung sein, sogar wenn er selbst nicht unmittelbar betroffen ist, sondern sich nur für ein legitimes Anliegen stark macht. Natur- und Tierschutz sind typische Fälle von Stakeholderanliegen, bei denen nicht die direkt „Betroffenen“ (also bspw. die Hühner in der Legebatterie) das Anliegen vertreten können, sondern sich Menschen durch Unrecht, welches andere trifft (bspw. auch spätere Generationen), betroffen fühlen und sich solidarisieren. Wer Stakeholder der Unternehmung ist, lässt sich nicht einfach in Form eines abschließenden Kataloges dekretieren. Vielmehr ist es gerade die Aufgabe einer systematischen Stakeholderanalyse, eben dies festzustellen. 44..22 Stakeholder wahrnehmen Die Stakeholderanalyse läuft idealtypisch nach einem Drei-Phasen-Schema ab. <?page no="52"?> 4.2 Stakeholder wahrnehmen 51 Abb. 1: Ablauf der Stakeholderanalyse Abb. 2: Typische Stakeholder einer Unternehmung Wenn Unternehmen gegenüber den von ihrem Tun und Lassen Betroffenen Verantwortung übernehmen wollen, müssen in einem ersten Schritt diese Betroffenen identifiziert werden. Es wird nach den Adressaten der Unternehmensverantwortung gesucht, also nach den Subjekten, denen gegenüber die Unternehmung eine Verantwortung erklärt oder welche ein Unternehmen auf seine Verantwortung ansprechen. In vielen Veröffentlichungen zum Stakeholdermanagement finden sich mehr oder we- Xy AG Investoren Mitarbeiter NGOs Gewerkschaften Kommunen Staat Kunden Lieferanten <?page no="53"?> 52 4 Die Stakeholder als Adressaten der Verantwortung niger umfangreiche „stakeholder maps“, in denen typische Stakeholdergruppen einer Unternehmung zusammengestellt sind. Ein Beispiel zeigt Abbildung 2. Stakeholder sind zunächst die Shareholder oder allgemeiner die Eigenkapitalgeber (auch Investors oder Owners genannt), welche ihr Kapital in das Unternehmen investieren und erwarten, dass als Kompensation des Risikos dieses Kapital vermehrt, zumindest aber erhalten wird. Dass die „Eigentümer“ des Unternehmens als externe Adressaten der Unternehmensverantwortung angesehen werden, mag auf den ersten Blick verwundern, leuchtet aber vor allem im Hinblick auf Aktiengesellschaften sofort ein, weil die Aktionäre mit der Führung des Unternehmens in der Regel nichts zu tun haben. Sie investieren lediglich Geld und erwarten vom Unternehmen eine angemessene Verzinsung ihrer Investition. Sind die Eigentümer selbst in der Unternehmensführung tätig, dann gehören sie in dieser Rolle zur Gruppe der Führungskräfte und damit zu den internen Stakeholdern. Problemlos als Stakeholder zu erkennen sind daneben alle diejenigen, zu denen das Unternehmen vertragliche Beziehungen unterhält. Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Fremdkapitalgeber (letztere sind in Abbildung 2 unter „Investoren“ subsumiert) sind die wichtigsten. Mitarbeiter haben Interesse an einem humanen und sicheren Arbeitsplatz sowie gerechter Entlohnung, Kunden wollen qualitativ hochwertige, sichere und preiswerte Güter und ehrliche Produktinformationen, Lieferanten liegt oft an langfristigen Lieferbeziehungen sowie an pünktlicher und <?page no="54"?> 4.2 Stakeholder wahrnehmen 53 gerechter Bezahlung, Fremdkapitalgebern stehen Zinsen und Tilgung zu, Händler wollen gute Lieferkonditionen. Die genannten Gruppen nehmen ihre Interessen teilweise nicht selbst wahr, sondern delegieren die Interessenwahrnehmung an andere Personen oder Institutionen. Ihre Ansprüche werden dann stellvertretend bspw. von Banken, Fondsmanagern oder speziellen Verbänden (für die Shareholder), von Betriebsräten und Gewerkschaften (für die Mitarbeiter), Testinstituten und Verbraucherberatungen (für die Kunden) gestellt. Zu den Stakeholdern gezählt wird oft auch der Staat, vor allem in seiner Rolle als Fiskus mit dem Anrecht auf Steuerzahlungen. Über die Zahlung von Steuern, aber auch die Bereitstellung von Arbeitsplätzen sind die Unternehmen darüber hinaus mit ihren Standortgemeinden verbunden. Schließlich nehmen sie durch verschiedene externe Effekte wie Schmutz und Lärm oft direkt Einfluss auf die Anwohner, die allerdings selten explizit benannt werden. Manchmal wird neben diesen Personengruppen auch noch die „allgemeine Öffentlichkeit“ als Stakeholder und Vertreter der sog. „öffentlichen Interessen“ genannt. Die Beachtung des öffentlichen Interesses bzw. der „social-political environment“ gilt teilweise sogar als das eigentliche Kernelement des Stakeholdermanagements (vgl. Post/ Preston/ Sachs [Redefining] 255). Dass man sich um die Anliegen der Öffentlichkeit, respektive „der Gesellschaft“, kümmern muss, ist vor allem für die großen Aktiengesellschaften mit ihrem Status quasi-öffentlicher Einrichtungen nichts Neues. Doch was sind öffentliche Interessen und wer vertritt sie? Als öffentliche im Gegensatz zu privaten Interessen gelten verallgemeinerungsfähige Anliegen, die prinzipiell jedermann vertritt, weil sie dem Wohl der Allgemeinheit <?page no="55"?> 54 4 Die Stakeholder als Adressaten der Verantwortung dienen. Beispielhaft für öffentliche Interessen seien genannt: Friedliche Kooperation, innere und äußere Sicherheit, soziale Gerechtigkeit, Wohlstand, Bildung, Rechtsstaatlichkeit, Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität, Umweltschutz, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Bekämpfung der Korruption. Konkret an die Unternehmung herangetragen werden solche Ansprüche der Gesellschaft oft von staatlichen oder privaten, nationalen oder internationalen Organisationen. Eine zentrale Rolle als Vertreter öffentlicher Interessen spielen vor allem die sog. Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Organizations, NGOs) oder Civil Society Groups. Das sind private Zusammenschlüsse, die nicht vom Willen einer Regierung abhängen und sich zur Aufgabe gemacht haben, Unternehmen (und auch Staaten) zu überwachen, Missstände öffentlich anzuprangern und die von ihnen vertretenen Interessen in (politischen) Entscheidungsprozessen zur Geltung zu bringen. Aber auch von den „ökonomischen“ Stakeholdern wie den Kunden, Investoren und Mitarbeitern werden neben ihren privaten öffentliche Anliegen mit vertreten. Sie sind ja auch selbst immer Teil der Öffentlichkeit. Zum Beispiel interessieren sich die Konsumenten heute nicht nur für den Preis und die Qualität von Eiern, sondern auch für die artgerechte Haltung von Legehennen. Oder sie geben mehr Geld aus für Lebensmittel, deren Erzeuger in den Entwicklungsländern fair entlohnt wurden, weil sie fairen Handel wollen. Einen legitimen Anspruch gegenüber der Unternehmung können also auch Personen oder Gruppen stellen, die nicht (nur) für sich selbst, sondern (auch) für andere sprechen. Sie leihen sozusagen den eigentlich Betroffenen aus Solidarität ihre Stimme. Diese <?page no="56"?> 4.3 Analyse der Stakeholderanliegen 55 Solidarität erstreckt sich nicht nur auf die eigenen Landsleute, sondern auch bspw. auf die Menschen in anderen Ländern, auf spätere Generationen, auf die Natur und auf Tiere. 44..33 Analyse der Stakeholderanliegen In der zweiten Phase geht es darum, gezielt und strukturiert möglichst viele Informationen über die relevant erscheinenden Stakeholder und ihre Ansprüche zu sammeln (monitoring). Eine solche Analyse könnte von Fragen geleitet werden wie: Welche Anliegen vertreten die Stakeholder genau? Was werfen sie der Unternehmung vor bzw. was fordern sie? Welche Risiken/ Schäden befürchten sie für sich oder andere? Welche Nah- und Fernziele verfolgen sie? Wie sollen Risiken reduziert, Schäden verhindert oder kompensiert werden? Welche Motive stecken hinter diesen Zielen? Welche Mittel setzen die Stakeholder ein? Wie verhalten sich unterschiedliche Stakeholdergruppen zueinander? Zwischen welchen Gruppen ergeben sich Interessenkonflikte? Wo gibt es Interessenharmonien? Sind sich die Stakeholder der Konflikte bzw. Harmonien bewusst? Worauf basiert ein möglicher Einfluss der Stakeholder auf das Unternehmen? Haben sie verbriefte Mitentscheidungsrechte, wirtschaftlichen Einfluss über den Markt, politischen Einfluss über die Gesetzgebung, Einfluss auf die öffentliche Meinung? <?page no="57"?> 56 4 Die Stakeholder als Adressaten der Verantwortung Wie fundiert sind die Vorwürfe/ Befürchtungen? Auf welche ethischen Werte und Güter berufen sich die Stakeholder? Wie gravierend sind negative Folgen des Unternehmenshandelns? Wie lange dauern sie an? Wie viele Menschen sind davon betroffen? 44..44 Prognose der Stakeholderanliegen An diese Analyse schließt sich als dritte Phase die Prognose (forecasting) an. Man versucht, Richtung und Geschwindigkeit der Weiterentwicklung der Stakeholderanliegen vorherzusagen. Quantitativ exakte und theoriegestützte Prognosen sind in der Regel nicht möglich, wohl aber auf Plausibilitätsüberlegungen beruhende Projektionen. So erscheint die rasche Weiterentwicklung eines Anliegens umso wahrscheinlicher, je gravierendere negative Folgen die Betroffenen für sich oder andere befürchten, je größer die Macht der Stakeholder ist, je konkreter und berechtigter das Anliegen ist, je weniger die Anliegen anderer Gruppen konkurrieren, je schwächer die Legitimation der Unternehmung erscheint, je deutlicher zentrale gesellschaftliche Werte verletzt werden. 44..55 Stakeholderanliegen bewerten Nachdem möglichst viele Informationen über die Stakeholder und ihre Anliegen zusammengetragen und die vor- <?page no="58"?> 4.5 Stakeholderanliegen bewerten 57 aussichtliche Entwicklung prognostiziert wurde, steht als letzte Phase die Bewertung an. Erst in dieser Phase kann sich die ethische Ausrichtung des Konzeptes eindeutig zeigen, denn auch eine Stakeholderanalyse in rein ökonomisch-strategischer Absicht würde in den ersten drei Phasen kaum anders verlaufen. Die Bewertung der Informationen aber richtet sich - je nach Intention - nach unterschiedlichen Kriterien. In einem rein strategischen Anspruchsgruppenmanagement ist das ökonomische Kalkül ausschlaggebend. Kann es dem Unternehmen nutzen, auf die Interessen der Stakeholder einzugehen bzw. was kann es das Unternehmen kosten, die Anliegen zu ignorieren? Letztlich werden also die Interessen der Stakeholder instrumentalisiert, um des ökonomischen Erfolges willen. Die Stakeholder sind nur die „Werttreiber“ für den Shareholder Value. Oder sie sind „Störenfriede“, die den ökonomischen Erfolg gefährden, bspw. indem sie mit Klagen drohen, das Image beschädigen, Kunden abspenstig machen usw. Stakeholdermanagement aus Verantwortung stellt dagegen nicht die Interessen einer Gruppe, nämlich die der Shareholder, a priori über die der anderen, sondern strebt einen gerechten Ausgleich verschiedener legitimer, möglicherweise aber konkurrierender Forderungen an. <?page no="59"?> 58 4 Die Stakeholder als Adressaten der Verantwortung Es geht um mehr als „Akzeptanzmanagement“. Dazu ist eine zweifache ethische Bewertung nötig: Als Erstes ist die Legitimität der Ansprüche zu bewerten, zweitens muss bei konfligierenden legitimen Ansprüchen entschieden werden, wessen Anspruch Vorrang haben soll bzw. wie ein Kompromiss aussehen könnte. Hier kommen die ethischen Maßstäbe ins Spiel, die nun vorgestellt werden sollen. <?page no="60"?> 55 EEtthhiisscchhee GGrruunnddllaaggeenn ffüürr ddiiee BBeewweerrttuunngg vvoonn SSttaakkeehhoollddeerraannlliieeggeenn <?page no="61"?> 60 5 Ethische Grundlagen für die Bewertung 55..11 Menschenwürde als ethisches Prinzip für die wertung Ein weithin akzeptiertes ethisches Bezugssystem bilden die Menschenrechte. Das sind individuelle Rechte, die nicht speziellen Menschen zukommen, sondern universal den Menschen schlechthin, unmittelbar erfließend aus der menschlichen Natur. Ihre philosophische Begründung finden die Menschenrechte bei Immanuel Kant 1785 in der Selbstzwecklichkeit und Würde des Menschen (bzw. der Menschheit) als Vernunftwesen. Diese besondere Würde kommt dem Menschen zu, weil er über den Willen und das Vermögen verfügt, sich selbst sittliche Gesetze zu geben. Seine Moralität macht ihn zum Gegenstand besonderer Achtung, zur Person, welche niemals nur als Mittel im Dienste anderer Zwecke angesehen werden darf. Wie Kant es mit seinem praktischen Imperativ ausdrückt ([Grundlegung] BA 66f.): „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ Es hat seit diesen Anfängen viele Versuche gegeben, Kataloge von Menschenrechten zu formulieren. Am bekanntesten ist heute wohl die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948, die sich in der Präambel ausdrücklich auf das Prinzip der Menschenwürde beruft. Laut UN-Menschenrechtsdeklaration sind Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit und gute Lebensbedingungen für alle Menschen die höchsten Werte oder Güter, die als Ideal von allen Menschen anzustreben sind. <?page no="62"?> 5.1 Menschenwürde als ethisches Prinzip für die Bewertung 61 Als Freiheitsrechte werden konkreter benannt: Recht auf eine persönliche Freiheitssphäre, Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes und Auswanderungsfreiheit, Freiheit der Eheschließung und Familiengründung, Gewissens- und Religionsfreiheit, Meinungs- und Informationsfreiheit, Versammlungs- und Vereinsfreiheit, Koalitionsfreiheit, freie Bildungs- und Berufswahl, Freiheit des Kulturlebens. Freiheitsrechte begründen auch das Verbot von Sklaverei und Leibeigenschaft sowie das Verbot willkürlicher Inhaftierung. Der Gerechtigkeit dienen insbesondere das allgemeine Verbot der Diskriminierung, das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz, der Anspruch auf Rechtsschutz, rechtliches Gehör und ein gerechtes Gerichtsverfahren, das allgemeine und gleiche Wahlrecht, das gleiche Recht von Männern und Frauen bei der Eheschließung, in der Ehe und bei deren Auflösung, das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, gleicher Zugang zu den Bildungsmöglichkeiten nur nach Maßgabe von Fähigkeiten und Leistungen. Wegen ihrer besonderen Bedeutung im Rahmen der Wirtschaft wird die Gerechtigkeit später noch eigens besprochen. Zu den guten Lebensbedingungen gehört zunächst einmal fundamental das Recht auf Leben und Sicherheit, das Verbot der Folter, dann das Recht auf Eigentum (auch geistiges), auf soziale Sicherheit, auf Arbeit bei angemessenen und befriedigenden Arbeitsbedingungen sowie angemessener und befriedigender Entlohnung, die dem Arbeitenden und seiner Familie eine menschenwürdige Existenz sichert. Zu einer menschenwürdigen Lebenshaltung <?page no="63"?> 62 5 Ethische Grundlagen für die Bewertung gehören Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Betreuung sowie soziale Fürsorge bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter. Auch der Schutz vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe gehört zu einem menschenwürdigen Dasein. Weitere Rechte sind der Anspruch auf Erholung und Freizeit, eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit, periodischen bezahlten Urlaub. Schließlich gehört auch das Recht auf Bildung und Teilnahme am kulturellen Leben zu einem guten Leben. Die UN-Deklaration war zunächst nicht mehr als eben eine Deklaration, also eine rechtlich unverbindliche Erklärung, hat aber über den Umweg von staatlichen Gesetzen und Verfassungen (bspw. das deutsche Grundgesetz von 1949) sowie internationalen Abkommen zumindest in Teilen inzwischen eine größere Verbindlichkeit erreicht. Bei rechtlich-institutionell verbürgten Menschenrechten spricht man auch von Grundrechten. Wenn Stakeholder gegenüber den Unternehmen die Einhaltung solcher (institutionalisierter) Menschenrechte anmahnen, kann die Legitimität des Anspruchs kaum bezweifelt werden. 55..22 Gemeinwohl als ethisches Prinzip für die Bewertung Durch die Deklaration von Menschenrechten werden die Rechte des Einzelnen betont. Die institutionell verankerten Grundrechte werden häufig im Sinne von Abwehr- oder Schutzrechten verstanden, vor allem gegenüber dem Staat, aber auch gegenüber den Mitmenschen. Die Person <?page no="64"?> 5.2 Gemeinwohl als ethisches Prinzip für die Bewertung 63 mit ihrer Würde darf nicht ohne weiteres aus Gründen der Staatsräson oder weil es vielen anderen nutzt in ihren Grundrechten beschnitten werden. Auf der anderen Seite kennen wir durchaus legitime Einschränkungen der Grundrechte. Beispiele: Ein Verbrecher wird seiner Freiheit beraubt und eingesperrt. Das Privateigentum eines Grundstückbesitzers wird vom Staat enteignet, um eine Straße bauen zu können. Trotz Berufsfreiheit darf nur ein approbierter Apotheker eine Apotheke eröffnen. Die Legitimation solcher Eingriffe in die Grundrechte ergibt sich aus dem Ziel des Gemeinwohls. Gemeinwohl ist ein Begriff, der überaus häufig gebraucht, aber nur selten eindeutig definiert wird. Man behilft sich zur näheren Kennzeichnung mit Synonymen, wie „Wohl der gesamten Gesellschaft“, „Wohl der Allgemeinheit“, „Wohl des Ganzen“. Es werden in ähnlicher Bedeutung auch die Begriffe „öffentliches Interesse“, „res publica“ oder „bonum commune“ verwendet. Der Freiheitsentzug bei Verbrechern dient dem „allgemeinen Sicherheitsinteresse der Gesellschaft“. Nach § 87 Baugesetzbuch ist eine Enteignung zulässig, „wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert“. Die Einschränkung der Berufsfreiheit der Apotheker dient dem Ziel, „im öffentlichen Interesse“ eine ordnungsgemäße Versorgung mit Arzneimitteln sicher zu stellen. Das Gemeinwohl oder öffentliche Interesse kann mit dem Einzelwohl bzw. Einzelinteresse in Konflikt geraten. Das Gemeinwohl ist oft nur möglich als vernünftig legitimierter Ausgleich zwischen verschiedenen Rechten und Interessen, wobei u. U. auch auf Rechte verzichtet werden muss. <?page no="65"?> 64 5 Ethische Grundlagen für die Bewertung Das sittliche Ziel des Gemeinwohls erfordert von den Menschen die Tugend des Gemeinsinns. Gemeinsinn heißt jene Einstellung, die sich im Gegensatz zum bloßen Selbstinteresse auch für das Gemeinwohl einsetzt und auch zu Einschränkungen bereit ist (vgl. Höffe [Gemeinsinn] 89). In gleicher Bedeutung werden auch die Begriffe Bürgersinn oder Bürgertugend verwendet. Auch die in Artikel 1 der UN-Menschenrechtserklärung geforderte „Brüderlichkeit“ (Solidarität) weist auf die mit den Rechten verbundene Pflicht hin, auch für das allgemeine Wohl zu sorgen. Die Würde des Menschen und das Gemeinwohl gelten als grundlegende (wirtschafts-)ethische Prinzipien (vgl. Turkson/ Toso [Unternehmer] 12). Sie sind allerdings noch sehr abstrakt und werden bspw. in der Weise konkretisiert, dass die Unternehmen Güter und Dienstleistungen anbieten sollen, die zum Gemeinwohl beitragen, und sich wieder stärker auf das Leitziel der Versorgung besinnen sollen. Das beinhaltet auch ein gewisses Maß an Solidarität mit den Armen, welche aufgrund ihrer mangelnden Kaufkraft durch den Markt nicht ausreichend versorgt werden; die Würde ihrer Mitarbeiter achten und gute Arbeitsplätze schaffen sollen, welche den Arbeitnehmern auch eine gewisse Eigenverantwortung zubilligen; nachhaltig wirtschaften und die natürlichen Ressourcen sparsam einsetzen sollen; Gerechtigkeit anstreben sollen, vor allem bei der Verteilung des erarbeiteten Wohlstandes. Diese konkreteren Empfehlungen werden „praktische Prinzipien“ genannt (vgl. ebenda, 17). Die praktischen <?page no="66"?> 5.3 Nachhaltigkeit als ethisches Prinzip für die Bewertung 65 Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Gerechtigkeit werden nachfolgend noch detaillierter erörtert. Eigens hervorgehoben wird zusätzlich das Prinzip des Tierschutzes, weil die Tiere als lebendige Kreaturen unter den natürlichen Ressourcen eine Sonderstellung einnehmen. 55..33 Nachhaltigkeit als ethisches Prinzip für die wertung Speziell im Hinblick auf den Umweltschutz hat die Forderung der „Nachhaltigkeit“ mittlerweile eine ähnlich breite Anerkennung gefunden wie die Menschenrechte. Nachhaltiges Wirtschaften sorgt dafür, dass bei erneuerbaren Ressourcen die Verbrauchsraten deren Erneuerungsraten nicht überschreiten. Es wird bspw. nicht mehr Wald abgeholzt, als wieder nachwächst. Bei den nicht-erneuerbaren Ressourcen müssen rechtzeitig Ersatzressourcen erschlossen werden, welche am besten erneuerbar sind (vgl. Pufé [Nachhaltigkeit] 34). Bis dahin muss man vor allem mit den nicht-erneuerbaren Ressourcen äußerst sparsam umgehen. Die Schutzwürdigkeit der Natur ist mittlerweile sogar in den Rang eines Grundgesetzes aufgestiegen (Art. 20a GG). Weil der Mensch letztlich Voraussetzung und Schutzziel nachhaltiger Entwicklung ist, kann diese Forderung im Grunde auf die Menschenrechte zurückgeführt werden. Manchmal spricht man auch von einer neuen Generation von Menschenrechten, die sich weniger an den Rechten der Einzelnen als vielmehr an den Rechten von Völkern bzw. der gesamten Menschheit orientieren. Zu diesen Rechten der Völker bzw. der Menschheit gehört das Recht auf eine intakte Umwelt, weil Leben, Gesundheit <?page no="67"?> 66 5 Ethische Grundlagen für die Bewertung und Wohlbefinden von den natürlichen Lebensbedingungen abhängen. Umweltinteressen werden nicht gegen humane Interessen ausgespielt. Vielmehr stellen Umwelt- und Naturschutz einen notwendigen und grundlegenden Bestandteil der Verteidigung personaler Entfaltungsmöglichkeiten für die heute lebenden Menschen, aber auch für zukünftige Generationen dar. Die Erhaltung einer intakten Umwelt ist insofern auch ein typisches öffentliches Interesse und Teil des Gemeinwohls. Die Weltmeere, der Weltraum, die Atmosphäre, das Großklima, das Trinkwasser, die Artenvielfalt, die Atemluft gehören zum gemeinsamen Erbe der gesamten Menschheit, und keiner hat das Recht, das Leben anderer Menschen durch Zerstörung und unwiderruflichen Verbrauch dieser Ressourcen deutlich zu verschlechtern oder sogar unmöglich zu machen. Der Wunsch nach einer stärkeren Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsprinzips durch die Wirtschaft stellt zweifellos ein legitimes Anliegen dar. 55..44 Tierschutz als ethisches Prinzip für die Bewertung Die moralische Verpflichtung zum Tierschutz ist teilweise durch das Nachhaltigkeitsprinzip mit abgedeckt. Auch Tiere gehören zu den natürlichen Ressourcen, welche im Interesse zukünftiger Generationen zu schützen sind. Die Erhaltung der „Biodiversität“ soll Optionen offen halten für spätere landwirtschaftliche, pharmazeutische oder technische Nutzung von Tieren. Selbst die bloße Freude an der Beobachtung von Tieren kann als Nutzen gelten, welcher auch unseren Nachkommen noch <?page no="68"?> 5.5 Gerechtigkeit als ethisches Prinzip für die Bewertung 67 möglich sein sollte. Es erscheint demnach legitim zu fordern, dass bestimmte Tierarten durch wirtschaftliche Tätigkeit nicht ausgerottet werden sollen. Neben solchen Nützlichkeitserwägungen wird den Tieren aber auch ein Wert an sich zugestanden. Als lebendigen und leidensfähigen Mitgeschöpfen kommt ihnen eine „Würde der Kreatur“ (vgl. Teutsch [Würde]) zu, die eine völlig beliebige Instrumentalisierung verbietet. Tiere ohne Qual zu töten, bspw. weil man ihr Fleisch als Lebensmittel benötigt, oder Tiere im Arbeitsprozess einzusetzen, gehört dagegen zu den Befugnissen des Menschen. Darüber, dass Leben und Wohlbefinden von Tieren grundsätzlich schützenswert sind und ihnen ohne einen vernünftigen Grund kein Leid zugefügt werden darf, besteht ein weitgehender Konsens, der mittlerweile auch zu einer Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz geführt hat (Art. 20a GG). Wenn Stakeholder den Kreaturen ihre Stimme leihen, um von den Unternehmen mehr Rücksicht auf die kreatürliche Würde zu fordern, dann vertreten sie ein legitimes Anliegen. 55..55 Gerechtigkeit als ethisches Prinzip für die wertung Seit der Antike gilt die Gerechtigkeit sowohl als zentrales ethisches Handlungsprinzip als auch als fundamentale Tugend. In der Marktwirtschaft ist vor allem die Idee der Tauschgerechtigkeit virulent. Leistung und Gegenleistung sollen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Die bloße vertragliche Übereinkunft ist - anders <?page no="69"?> 68 5 Ethische Grundlagen für die Bewertung als viele Ökonomen behaupten - noch keine Garantie für Tauschgerechtigkeit. Konkret werden häufig die Preisgerechtigkeit und die Lohngerechtigkeit diskutiert. Dass Preise und Löhne teilweise sehr unterschiedlich sind, wird mit der Leistungsgerechtigkeit begründet. Nach dem Grundsatz „Jedem das Seine“ wird eine bessere Qualität bzw. bessere Leistung auch höher honoriert. Während man dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit prinzipiell zustimmen kann, bleibt natürlich ein zentrales Problem festzulegen, welche Art von Leistung für wen Maßstab der Leistungsmessung sein soll. Dies wird vor allem im Hinblick auf die Lohngerechtigkeit diskutiert. Die New Economics Foundation hat in einem Aufsehen erregenden Beitrag den „Social Return on Investment“ verschiedener Berufe verglichen und herausgefunden, dass bspw. Müllmänner und Putzfrauen für die Gesellschaft ein Vielfaches ihres Lohnes an Leistung erbringen, dass dagegen Banker und Steuerberater sehr viel mehr an Lohn bekommen, als ihnen aufgrund ihrer Leistung für die Gesellschaft zustehen würde. Vor allem in Zusammenhang mit den exorbitanten Managervergütungen und Abfindungen, die nicht selten im zweistelligen Millionenbereich liegen, ist die Debatte um die Leistungsgerechtigkeit in jüngerer Zeit wieder sehr aktuell. Gleichzeitig wird auch die Bedürfnisgerechtigkeit wieder zum Thema, wenn immer mehr Arbeitnehmer trotz einer Vollzeitstelle in die Armut abrutschen. Bereits 1892 wurde von Papst Leo XIII. in der bekannten Sozialenzyklika „Rerum novarum“ moniert, der vereinbarte Lohn könne nicht mehr als gerecht angesehen werden, wenn er einem rechtschaffenen Arbeiter den Lebensunterhalt nicht abwirft. In späteren kirchlichen Verlautbarungen wird sogar gefordert, der Arbeiter müsse sich „und die Seinigen“ von seinem Lohn angemessen erhalten können. <?page no="70"?> 5.5 Gerechtigkeit als ethisches Prinzip für die Bewertung 69 Und auch der Gleichheitsgrundsatz ist in der Wirtschaft immer noch nicht erfüllt, wenn bspw. Löhne, Einstellungs- und Aufstiegschancen für Frauen nach wie vor schlechter sind als für Männer, auch bei gleichen Leistungen und Qualifikationen. Oft kann nicht genau gesagt werden, welches Ergebnis bspw. eines Verteilungsprozesses gerecht ist. Dann kann trotzdem über die Verfahrensgerechtigkeit nachgedacht werden, also über die Gestaltung des Prozesses, der zu dem Ergebnis führt. Als genuines „Verfahren“ zur Bewertung der Marktergebnisse gilt in der Marktwirtschaft der faire Wettbewerb. Fairer Wettbewerb wird behindert durch Monopole und Kartelle, durch Korruption und exzessives Lobbying bis hin zum „Kaufen“ von politischen Entscheidungen. Als unlauterer Wettbewerb gelten auch alle Handlungen, welche die Interessen der Marktteilnehmer spürbar beeinträchtigen: Gegenüber den Kunden bspw. das Ausüben von Druck, das Ausnutzen von Unerfahrenheit oder einer Zwangslage, die unzumutbare Belästigung mit Werbung, die Irreführung über Merkmale der Produkte oder Geschäftsbedingungen; gegenüber den Konkurrenten ist bspw. verboten, sie vor Dritten herabzusetzen oder sie gezielt in ihrer Geschäftstätigkeit zu behindern (vgl. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG). Die Forderung nach mehr Verfahrens- und Ergebnisgerechtigkeit in der Wirtschaft ist zweifellos legitim. <?page no="71"?> 70 5 Ethische Grundlagen für die Bewertung 55..66 Die mögliche Kollision legitimer Stakeholder liegen Am Ende einer solchen Legitimitätsprüfung werden in der Regel eine ganze Reihe unterschiedlicher Anliegen als legitim anerkannt sein, deren gleichzeitige Verwirklichung gleichwohl auch ethisch gesonnenen Entscheidungsträgern im Unternehmen aufgrund von Zielkonflikten nicht immer möglich ist. Vor allem wenn moralisches Handeln zu Gewinneinbußen führt, also im sog. ökonomischen Konfliktfall, kommt es in der Folge zu erheblichen Interessenkollisionen zwischen den Stakeholdern. Beispiele: Die Einstellung der Produktion umstrittener, weil gesundheitsschädlicher Produkte, höhere Investitionen in Umweltschutz und artgemäßere Tierhaltung, gerechtere Preise für die Lieferanten aus den armen Ländern, mehr Arbeitssicherheit, mehr Beschäftigung, höhere Löhne und vieles andere, was den Interessen von bestimmten Stakeholdern entgegenkommt, senkt möglicherweise den Umsatz bzw. lässt die Kosten steigen und schmälert so den Gewinn. Solche Gewinneinbußen betreffen nicht nur die Shareholder negativ, denn aus dem Gewinn kommen wiederum die Mittel zur Befriedigung zahlreicher anderer legitimer Stakeholderinteressen. Geht es dem Unternehmen wirtschaftlich schlecht, müssen evtl. freiwillige Zusatzleistungen für die Mitarbeiter oder sogar Arbeitsplätze abgebaut werden, Lieferanten können nicht mehr bezahlt, Kredite nicht mehr getilgt und Kunden nicht mehr beliefert werden, und es kommt zu Steuerausfällen. Treten solche Konflikte zwischen legitimen Interessen auf, steht eine zweite, besonders schwierige Bewertung <?page no="72"?> 5.7 Die Abwägung konfligierender Ansprüche 71 an, nämlich die Abwägung konfligierender Ansprüche (bspw. Umweltschutz versus Arbeitsplätze) und die Suche nach einem interpersonalen Kompromiss. Einzel-, Gruppen- und öffentliches Interesse müssen müssen gemeinwohlorientiert vermittelt werden. 55..77 Die Abwägung konfligierender Ansprüche Ziel der Abwägung ist es, den Zustand zu verwirklichen, der unter größtmöglicher Wahrung des Wohls des Einzelnen Gemeinwohl mit Gerechtigkeit verbindet. In vielen Fällen wird man allerdings kaum Besseres erreichen können als die Wahl des kleineren Übels (bspw. Umweltverschmutzung oder Arbeitsplatzverlust, Kinderarbeit oder noch weniger Einkommen für Familien in armen Ländern, Produktion von umstrittenen Produkten oder Steuerausfälle). Die Ethik versucht, den Menschen „Verfahrensregeln“ (vgl. Laubach [Entscheidungen] 268ff.) und „Vorzugsregeln“ (vgl. Korff [Moraltheologie] 68ff) als Hilfsmittel bei der Güter- und Übelabwägung an die Hand zu geben. Als Verfahrensschritte werden empfohlen: Die Problem- und Sachanalyse mit den Einzelschritten Problemeingrenzung und Erwerben von Sachkompetenz im Dialog mit den zuständigen Einzelwissenschaften. Die Analyse geltender Regelungen und Meinungen der Öffentlichkeit, des Rechts und der herrschenden Moral. <?page no="73"?> 72 5 Ethische Grundlagen für die Bewertung Die kritische Auseinandersetzung mit Argumenten sowie den dahinter stehenden Werten und Prinzipien. Die Abwägung von Prioritäten und die Entwicklung von Handlungsalternativen. Die Vorzugsregeln lauten: Fundamentalere (dringlichere) Güter sind weniger dringlichen vorzuziehen. Vordringlicher als die Vermehrung des Guten ist die Begrenzung von Übeln. Eine Handlung mit nur wahrscheinlich üblen Folgen ist einer Handlung vorzuziehen, die das Übel mit Sicherheit verursacht. Bei unvermeidlichen Übeln ist das kürzer dauernde dem länger dauernden vorzuziehen. Im Konfliktfall ist unter sonst gleichen Umständen zugunsten der vielen und nicht der wenigen zu entscheiden. Reversible Folgen sind irreversiblen vorzuziehen. Verfahrens- und Vorzugsregeln können Handlungsunsicherheiten und moralische Zweifel nicht ausräumen, aber sie liefern doch Anhaltspunkte für die Abwägung von Folgen. Im Rahmen der Wirtschaftsethik gilt ein besonderes Augenmerk möglichen Konflikten zwischen den Forderungen von Stakeholdern und dem Gewinn. 55..88 Die Rolle des Gewinns bei der Abwägung konfligierender Ansprüche Die meisten Spannungen zwischen legitimen Stakeholderinteressen entstehen im ökonomischen Konfliktfall, also immer dann, wenn moralisches Handeln dem Unterneh- <?page no="74"?> 5.8 Die Rolle des Gewinns bei der Abwägung der Ansprüche 73 men wirtschaftlich schadet. Der Gewinn, oder allgemeiner formuliert die finanzwirtschaftliche Gesundheit des Unternehmens (gemessen in Liquidität, Cash flow, Rendite, Shareholder Value oder wie auch immer), erscheint deshalb als Anspruch in besonderer Weise berücksichtigungswert, weil in einer Marktwirtschaft die Existenz des Unternehmens davon abhängt. Die Eigenkapitalgeber erwarten von ihrer Investition ein Einkommen. Dieses Einkommen besteht in dem Residuum, welches nach Zahlung der vertraglichen Verpflichtungen (bspw. Löhne, Fremdkapitalzinsen, Lieferantenrechnungen) und der staatlichen Zwangsabgaben (Steuern) noch übrig bleibt. Kann das Unternehmen seinen vertraglichen Zahlungsverpflichtungen dauerhaft nicht nachkommen, geht es zwangsläufig in Konkurs. Bleibt der Gewinn aus oder fällt er zu niedrig aus im Vergleich zu anderen Investitionsmöglichkeiten, ziehen sich die Eigenkapitalgeber vermutlich aus dem Unternehmen zurück, was ebenfalls dessen Ruin bedeutet. Kann im Unternehmen nicht genügend Geld erwirtschaftet werden, dann schadet das letztlich nicht nur den Investoren, sondern auch vielen anderen Stakeholdern. Weist die Statistik eines Landes eine hohe Anzahl von Konkursen auf, dann wird das von der Öffentlichkeit mit großer Sorge registriert. Weil viele Stakeholder mit ihren Ansprüchen von der Existenz der Unternehmen abhängen und diese Existenz von der ausreichenden Erwirtschaftung finanzieller Mittel abhängt, scheint manchen Wirtschaftsethikern Gewinnerzielung, ja sogar die Gewinnmaximierung, geradezu als moralische Pflicht. Nun kann es aber aus moralischer Sicht nicht gleichgültig sein, wie dieser Gewinn erzielt wird und wer oder was darunter möglicherweise zu leiden hat. Das Gewinnstreben <?page no="75"?> 74 5 Ethische Grundlagen für die Bewertung ist von einem „Legitimitätsvorbehalt“ (Ulrich [Integrative] 415) abhängig zu machen, denn möglicherweise werden durch das Gewinnstreben vorrangige Güter und Werte verletzt. Beispiele: Ein Arzneimittelhersteller verschweigt bewusst schwerwiegende, ja tödliche Gesundheitsschäden durch seine Medikamente, um den Umsatz nicht zu gefährden, wie es im Falle des Rheumamittels Vioxx geschehen ist. Für öffentliche Empörung hat vor Jahren die aggressive Vermarktung von Muttermilchsubstituten in Entwicklungsländern durch die Firma Nestlé gesorgt, weil offenbar um des Gewinnes willen der Tod von Säuglingen durch verschmutzte Flaschennahrung in Kauf genommen wurde. Gewinnerzielung kann offenbar nicht zum moralischen Handlungsprinzip erhoben werden, sondern ist nur - wie auch Arbeitsplatzerhaltung oder Umweltschutz - ein legitimes Interesse unter anderen und damit Gegenstand der Güterabwägung. Unter Umständen ist nach sorgfältiger Abwägung der Folgen eine Gewinneinbuße als das kleinere Übel hinzunehmen. In Einzelfällen kann moralisches Handeln sogar ruinös sein. Das ist vor allem dann zu erwarten, wenn weniger bedenkliche Konkurrenten das ethisch richtige, ökonomisch aber nachteilige Verhalten der moralischen Unternehmen ausnutzen und es ihnen so gelingt, die Käufer für sich zu gewinnen. Vor allem in solchen extremen Dilemmasituationen kann nur noch eine Änderung der Rahmenordnung Abhilfe schaffen. Ansonsten müsste man in Kauf nehmen, dass gerade die verantwortungsbewussten Unternehmen vom Markt selektiert werden. Die Verantwortung ver- <?page no="76"?> 5.8 Die Rolle des Gewinns bei der Abwägung der Ansprüche 75 schiebt sich von den Managern zu den Politikern, die aufgefordert sind dafür zu sorgen, dass moralisch richtiges Handeln nicht länger „bestraft“ wird. Konkret kann das heißen, allen Unternehmen das richtige Handeln gesetzlich vorzuschreiben sowie Gesetzesverstöße konsequent zu verfolgen und zu bestrafen, und zwar nach Möglichkeit auf internationaler Ebene, damit es zwischen den Ländern nicht zu einem „Ethikdumping“ kommt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Konsumenten staatlicherseits finanzielle Anreize zu geben, damit sie bspw. teure, aber umweltschonende oder fair gehandelte Produkte kaufen. Vielleicht reicht es auch schon, durch staatlich unterstützte Verbraucherberatung oder eine Ausweitung der Informationsrechte der Verbraucher für mehr Markttransparenz zu sorgen und so die Verantwortungsfähigkeit des Konsumenten zu verbessern. <?page no="78"?> 66 DDiiee ssttrraatteeggiisscchhee OOppttiioonn eeiinneerr KKoonnfflliikktteennttsscchhäärrffuunngg <?page no="79"?> 78 6 Die strategische Option einer Konfliktentschärfung Im Zusammenhang mit der Inkaufnahme von negativen Nebenwirkungen sittlichen Handelns ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass solche nachteiligen Folgen durch geeignete Maßnahmen abgeschwächt oder sogar verhindert werden können. Die eleganteste Lösung von Stakeholderkonflikten ist die Reduktion von möglichen schädlichen Folgen durch entsprechende Maßnahmen zur Harmonisierung von Moral und ökonomischen Interessen. Im positiven Kompatibilitätsfall schadet moralisches Handeln dem Unternehmen nicht oder zahlt sich sogar aus. Dieser Zustand kann durch entsprechende Strategien angestrebt werden. Strategie kann definiert werden als „fundamental pattern of present and planned resource deployments and environmental interactions that indicates how the organization will achieve its objectives“ (Hofer/ Schendel [Strategy] 25). In dieser Definition stecken die zwei wesentlichen strategischen Entscheidungen, nämlich die Festlegung der „domaine“ der Unternehmung, d.h. auf welchen Gebieten sie überhaupt tätig sein will (fundamental pattern of environmental interactions) sowie die planvolle Verteilung der Ressourcen (resource deployments), um in bestimmten Bereichen besondere Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Strategische Entscheidungen sind im Gegensatz zu operativen Entscheidungen betont langfristig orientiert und dienen insbesondere der Abstimmung zwischen Unternehmung und Umwelt. Diese Abstimmung ist nicht im Sinne einer einseitigen Anpassung des Unternehmens an eine ex ante gegebene Umwelt zu verstehen. Mit der Strategie wählt vielmehr das Unternehmen ein Stück weit die <?page no="80"?> 6.1 Unternehmensstrategien 79 Umwelt aus, mit der es interagieren will. Was nach der strategischen Wahl als von der Umwelt ausgehender „Sachzwang“ empfunden wird, steht vor der Wahl zur Disposition. Insofern wählt das Unternehmen auch die eigenen Begrenzungen oder Sachzwänge immer mit aus, denen es sich später gegenüber sieht. Weil die Strategien als fundamentale Weichenstellungen den Handlungsrahmen für die Akteure im Unternehmen wesentlich vorgeben, ist ihre Gestaltung besonders wichtig zur Erreichung des Ziels einer legitimen Gewinnerzielung. 66..11 Unternehmensstrategien zur Förderung der Nachhaltigkeit Verfolgt bspw. ein Unternehmen das Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit, dann kann auf der Ebene der Unternehmensstrategie ein umweltfreundliches Geschäftsbereichsportfolio entwickelt werden, indem besonders umweltgefährdende Geschäftseinheiten aufgegeben bzw. umweltfreundliche Produkte und Verfahren neu entwickelt werden. Durch verbundene horizontale Diversifikation kann ein Unternehmen anstreben, ein umfassendes Programm ökologisch unbedenklicher Produkte anzubieten. Alle Produktinnovationen, -variationen und -eliminierungen erfolgen nach ökologischen Kriterien, bspw. mit Hilfe von Checklisten für umweltfreundliche Produkte. Wegweisend ist dabei der Gedanke der Problemlösung, d.h. man versucht, den Funktionsnutzen für den Verbraucher zu erhalten und gleichzeitig umweltschädliche Auswirkungen zu vermindern. Die Sicherstellung einer umweltfreundlichen Herstellung von Inputfaktoren bzw. einer ökologisch optimierten Distribution kann das Ziel einer <?page no="81"?> 80 6 Die strategische Option einer Konfliktentschärfung vertikalen Rückwärtsbzw. Vorwärtsintegration sein. Aber auch Zulieferer-Abnehmer-Kooperationen können speziell dem Ziel dienen, die Wertschöpfungskette gemeinsam umweltverträglicher zu gestalten. Die Standortwahl sollte ebenso wie die Planung der Industrieanlagen auch nach ökologischen Kriterien erfolgen. Bei globaler Tätigkeit nutzt man die unter Umständen niedrigeren Umweltstandards im Ausland nicht aus, sondern versucht eher, diese Länder beim Umweltschutz zu unterstützen. 66..22 Geschäftsbereichsstrategien zur Förderung der Nachhaltigkeit Auf der Geschäftsbereichsebene bietet sich vor allem die Differenzierungsstrategie als Wettbewerbsstrategie an, d.h. die Unternehmung versucht, ein von den Wettbewerbern deutlich abgesetztes, einzigartiges Profil gerade durch ihr besonders umweltbewusstes Verhalten zu erlangen. Dazu sollte der Geschäftsbereich in ein ökologisch vertretbares Gesamtportfolio eingebettet sein. Die Differenzierung erfolgt heute noch häufig im Rahmen einer Nischenstrategie, d.h. man spricht bewusst das Marktsegment der ökologisch bewussten Verbraucher an, die auch bereit sind, die Bemühungen des Unternehmens als Zusatznutzen zu honorieren. Gibt es für die Konsumenten weder Funktionsnoch (größere) Kostennachteile, dann kann aber grundsätzlich auch mit branchenweiten Absatzmöglichkeiten für bewusst umweltgerechte Produkte gerechnet werden. Der zunehmende Verkauf von Bioprodukten über Lebensmitteldiscounter spricht dafür, dass biologisch erzeugte Nahrungsmittel schon heute kein reines Nischenprodukt mehr sind. <?page no="82"?> 6.3 Geschäftsbereichsstrategien 81 Die Kostenführerstrategie scheint zunächst weniger gut zum Gedanken des Umweltschutzes zu passen, weil man davon ausgeht, dass Umweltschutz etwas kostet. Tatsächlich stimmt das oft. In der ökologischen Landwirtschaft hat man bspw. geringere Erträge durch den Verzicht auf Kunstdünger, man muss mehr kostenintensive Handarbeit verrichten, der Verzicht auf Pestizide kann zu Ernteausfällen führen, Schweine brauchen ohne künstliche Mastmittel länger bis zur Erreichung des Schlachtgewichtes usw. Biolebensmittel können sicher nicht über den Preis mit den industriell erzeugten Lebensmitteln konkurrieren, sondern nur über die bessere Qualität. Umweltschutz muss aber keineswegs immer Zusatzkosten verursachen. Der Verzicht auf eine aufwändige Verpackung oder auf überflüssige Zusatzstoffe, energie- und wassersparende Produktionsverfahren, Recycling von Abfallstoffen, das sind nur Beispiele für Maßnahmen, die zugleich die Umwelt schonen und Kosten sparen. Was den sparsamen Einsatz von Ressourcen betrifft, gehen Ökologie und Ökonomie oft Hand in Hand. 66..33 Funktionsbereichsstrategien zur Förderung der Nachhaltigkeit Die Geschäftsbereichsstrategien müssen in den Funktionsbereichen umgesetzt werden: Da jede ökologisch orientierte Produkt- und Verfahrensänderung vorbereitender Forschung und Entwicklung (F&E) bedarf, gehört zu einem offensiven Umweltschutzmanagement sicherlich die Ausrichtung der F&E am Gedanken des Umweltschutzes. Insbesondere die Entwicklung von neuen Produkten und Techniken sollte nach der Maxime größtmöglicher Umweltschonung erfol- <?page no="83"?> 82 6 Die strategische Option einer Konfliktentschärfung gen. Schon mit dem Design wird weitgehend festgelegt, ob ein Produkt schadstoffarm, langlebig, reparaturfreundlich und entsorgungsgerecht ist. Bei der Produktion entstehen Lärm, Staub, Abwärme, Abwässer, Abgase, Abfälle, und es werden Ressourcen verbraucht. Die Art und Weise der Produktion ist also entscheidend bei den standortbezogenen Umweltschutzaktivitäten der Unternehmung. Wie die Praxis zeigt, sind umweltschonende Verfahrensänderungen im Bereich der Produktion nicht selten mit Kosteneinsparungen (z.B. aufgrund von Energieeinsparungen) verbunden. Eigene Blockheizkraftwerke können die Energie effizienter erzeugen. Die verstärkte Verwendung nachwachsender natürlicher Ressourcen in der Produktion (bspw. Kokosfasern) kann neben der Schonung erschöpfbarer Ressourcen eine Entwicklungshilfe für arme Länder bedeuten und Kosten reduzieren. Beim offensiven Umweltschutzmanagement ändert sich auch die Richtung der Abfallwirtschaft. Abfallvermeidung hat Priorität gegenüber der Abfallbeseitigung, und zwar nicht nur im Unternehmen, sondern auch beim Kunden. Angesichts der steigenden Kosten der Abfallbeseitigung ist die ökologisch sinnvollere Abfallvermeidung zugleich häufig die billigere Alternative. Wo Abfälle unvermeidlich sind, sollten sie nach Möglichkeit wiederverwertet werden. Ist das innerbetrieblich nicht möglich, kann eine branchenweite oder -übergreifende Recyclingstrategie helfen. Die Abfallbeseitigung sollte als letzte Option so umweltschonend wie möglich erfolgen. Billige Lösungen sind oft nur kurzfristig billig, wie die enormen Kosten für die sog. Altlastensanierung immer wieder belegen. Auch für die Beseitigung bieten sich überbetriebliche Strategien an, z.B. gemeinsame Verbrennungsanlagen <?page no="84"?> 6.3 Funktionsbereichsstrategien 83 für Sondermüll, welche durch viele Benutzer intensiver und gleichmäßiger ausgelastet werden können. Im Beschaffungsbereich kann der gesamte Einkauf nach ökologischen Beschaffungsrichtlinien abgewickelt werden. Dazu sind allerdings im Vorfeld oft erhebliche Anstrengungen nötig. Man braucht sowohl Umweltverträglichkeitskriterien zur Beurteilung der Einsatzstoffe als auch detaillierte Stofflisten, wobei man häufig auf die Mithilfe der Lieferanten angewiesen ist. Sind Umstellungen bei den eingesetzten Stoffen nötig, so zieht das unter Umständen Produkt- und Verfahrensänderungen nach sich. Da die Unternehmen immer größere Teile der Wertschöpfung auf die Lieferanten verlagern, steigt die Bedeutung der ökologisch gesteuerten Beschaffung. Bei der Erzeugung der Rohstoffe und Vorprodukte lassen sich oft die größten Umweltentlastungen bewirken, weil in den meist armen Erzeugerländern der Umweltschutz häufig noch sehr nachlässig gehandhabt wird. Deshalb ist dort der Grenznutzen einer eingesetzten Geldeinheit deutlich höher als bei uns. Für Handelsunternehmen ist die Marktmacht im Einkauf der entscheidende Ansatzpunkt zur Durchsetzung von Umweltschutz. Schließlich bietet auch der gesamte Absatzbereich zahlreiche Möglichkeiten für ökologisch orientiertes Management. So können überdimensionierte Verpackungen vermieden, Mehrwegsysteme und Recycling gefördert sowie problemlos zu entsorgende Materialien bevorzugt werden. Der Kundendienst kann spezielle Service- und Beratungsleistungen anbieten, wie z.B. Umweltberater, welche die Kunden über die richtige, umweltschonende Produktverwendung aufklären oder die Umweltfachseminare für den Handel durchführen. <?page no="85"?> 84 6 Die strategische Option einer Konfliktentschärfung Mit der Preispolitik kann die Unternehmung ökologisch verträgliche Produkte bewusst fördern. Kosteneinsparungen durch Umweltschutz sollten selbstverständlich an den Kunden weitergegeben werden. Bei höheren Kosten für die Öko-Produkte kann eine Mischkalkulation die Preise an die der gängigen Produkte angleichen. Sind höhere Preise aufgrund höherer Kosten unvermeidlich, hat die Werbung die Aufgabe, die Umweltverträglichkeit als Zusatznutzen herauszustellen. Besonders glaubwürdig kann mit den Ergebnissen unabhängiger Testinstitute geworben werden, die insbesondere eine ökologische Bewertung von Produkten vornehmen. Auch die Distribution bietet Möglichkeiten für eine ökologische Profilierung des Unternehmens. Die Gewährleistung des Rückflusses von verbrauchten Produkten durch den Absatzkanal - die sog. Retrodistribution - ist eine der denkbaren Maßnahmen. Ziel ist entweder die Wiederverwendung oder die fachgerechte Entsorgung. Die Retrodistribution ist häufig nur als branchenübergreifende Strategie möglich, bspw. in Zusammenarbeit mit dem Handel und abfallverwertenden Unternehmen. Weitere Maßnahmen sind z.B. die Umstellung der Distribution von der Straße auf die Schiene oder die Erhöhung der Sicherheitsstandards beim Transport umweltgefährdender Stoffe. 66..44 Ordnungspolitische Strategien Gelingt den Unternehmen die Lösung des ökonomischen Konflikts nicht aus eigener Kraft, dann können sie trotzdem im Rahmen einer ordnungspolitischen Strategie an der Lösung der Stakeholderkonflikte mitwirken und das ihre dazutun, damit die Lebensdienlichkeit der Wirtschaft verbessert wird. <?page no="86"?> 6.4 Ordnungspolitische Strategien 85 Die ordnungspolitischen Strategien setzen an den überbetrieblichen Rahmenbedingungen an. Sie zielen auch darauf ab, die ökonomische Nachteiligkeit eines nachhaltigen Handelns zu mindern oder zu beseitigen, aber auf einer der Unternehmung übergeordneten Ebene (Branche, Wirtschaftsordnung eines Landes, Weltwirtschaftsordnung). Die ordnungspolitischen Strategien der Unternehmen bestehen zum Ersten darin, die Bemühungen anderer Akteure (Politiker, staatliche Institutionen und NGOs) um eine bessere Rahmenordnung zu unterstützen. Zum Zweiten können sie auch aus eigener Initiative ergänzende Maßnahmen ergreifen. Im ersten Fall ist die ordnungspolitische Mitverantwortung gefordert. Die Unternehmen sollen in „republikanischem Engagement“ (Ulrich [Integrative] 434) durch politische Teilnahme an der humanen Verbesserung der Rahmenordnung mitwirken. In der Vergangenheit waren die politischen Strategien der Unternehmen und ihrer Verbände allerdings oft als reines Lobbying angelegt, d.h. man hat seine ganze Macht gegen gemeinwohlorientierte ordnungspolitische Maßnahmen eingesetzt, um sein (kurzfristiges) Eigeninteresse zu wahren. Immer wieder mussten Arbeitnehmerschutz-, Verbraucherschutz- oder Umwelt- und Tierschutzinteressen gegen den erbitterten Widerstand der Industrie durchgesetzt werden, der es als Sieg erschien, wenn sie die Verbesserung der Rahmenordnung möglichst lange verzögern, verwässern oder ganz verhindern konnte. Nur im Rahmen eines Staates, der bspw. das Eigentum schützt, die Einhaltung von Verträgen überwacht, Infra- <?page no="87"?> 86 6 Die strategische Option einer Konfliktentschärfung struktur bereitstellt, Kartelle und grobe Machtasymmetrien verhindert und für mehr Markttransparenz sorgt, kann ein Markt überhaupt funktionieren. Und soll die Marktwirtschaft lebensdienlich sein, muss das Problem der Zumutbarkeit auch auf der Ebene der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen angepackt werden. Nicht wenige Unternehmen verkennen diese Funktion der Rahmenordnung und halten jede Einmischung des Staates in das „freie“ Unternehmertum für ein Übel. Bei Unternehmen, die verantwortlich handeln wollen, zielt dagegen die ordnungspolitische Strategie auf eine gemeinwohlorientierte Zusammenarbeit mit den Politikern. Stellen sie ihre Fachkompetenz in den Dienst der Politik und wirken mit z.B. an der Entwicklung und Gestaltung ökologisch effizienter Gesetze oder Besteuerung, so können die Ergebnisse für beide Seiten praktikabler und befriedigender ausfallen. Basis für eine solche ordnungspolitische Strategie ist die grundsätzliche Anerkennung staatlicher Ordnungspolitik als Garant einer lebensdienlichen Marktwirtschaft. Zweitens können die Unternehmen aber auch selbst die Initiative ergreifen und staatliches Handeln ersetzen oder ergänzen. Bei den Konkurrenten setzt das Bemühen an, das moralische Handeln freiwillig zum verbindlichen Branchenstandard zu machen. Solche verbandspolitischen Selbstregelungen sind besonders im internationalen Kontext wichtig, weil es an international gültigen gesetzlichen Standards fehlt. Sie können aber auch parallel zu bestehenden Gesetzen notwendig sein, weil offenbar viele Wettbewerber auch vor Rechtsbrüchen nicht zurückschrecken, um sich Vorteile zu verschaffen. Daran zeigt sich auch wieder, dass selbst Gesetze nur wenig bewirken, wenn es an der nötigen moralischen Selbstverpflichtung zur Gesetzestreue mangelt. <?page no="88"?> 6.5 Marktaustrittsstrategie 87 Die ordnungspolitischen Strategien von Unternehmen können auch zum Ziel haben, die Verantwortungsfähigkeit des Kunden zu stärken. Ob Kunden bereit sind, für umwelt- und sozialverträglich hergestellte Produkte mehr Geld auszugeben, hängt stark von der Glaubwürdigkeit der Unternehmen ab: Bei der Umwelt- und Sozialverträglichkeit von Produkten handelt es sich um typische Vertrauenseigenschaften, die der Kunden nicht durch Inspektion und Erfahrung verifizieren kann. Verantwortungsbewussten Unternehmen muss also sehr daran gelegen sein, dass sie den Kunden ihre Verantwortungsbereitschaft glaubwürdig signalisieren können. Zu diesem Zweck werden auch von Unternehmensgruppen und/ oder Verbänden ethische Warenzeichen entwickelt, die es dem Kunden leichter machen sollen, verantwortungsbewusst einzukaufen. 66..55 Marktaustrittsstrategie Kann weder auf der Ebene des einzelnen Unternehmens noch auf der Ebene der überbetrieblichen Institutionen eine Harmonisierung von ethischen und ökonomischen Zielen erreicht werden, und sind nach einer Güterabwägung die Folgen des weiteren Betriebs im Hinblick auf legitime Ansprüche von Stakeholdern nicht zumutbar, dann bleibt nur noch die Marktaustrittsstrategie als letzte Möglichkeit. Als problematisch gilt der teilweise oder komplette Marktaustritt aus ethischen Gründen wegen der oft negativen Folgen für zahlreiche Stakeholder. Die Shareholder müssen bspw. auf Gewinn verzichten, Arbeitsplätze gehen <?page no="89"?> 88 6 Die strategische Option einer Konfliktentschärfung verloren, dem Staat fehlen die Steuern, die Kunden werden schlechter versorgt, den Lieferanten des Unternehmens kommt ein Kunde abhanden, Gläubiger bleiben unter Umständen auf ihren Schulden sitzen usw. Die Folgen werden besonders hart, wenn das Unternehmen komplett untergeht. Aber auch der Untergang eines Unternehmens ist als ultima ratio hinzunehmen, wenn die weitere Tätigkeit zu noch schlechteren Folgen führen würde. Besonders deutlich wird dies am Beispiel stark gesundheitsgefährdender Produkte. So scheint es kaum zu rechtfertigen, wegen des Erhalts von Arbeitsplätzen in der europäischen Chemieindustrie den Arbeitern und Arbeiterinnen in Südamerikas Blumenindustrie weiterhin den Einsatz hochgiftiger Pestizide zuzumuten, die bei uns längst verboten sind. Die Erhaltung der Asbestindustrie über lange Jahre, trotz der bekannten enormen Gesundheitsschäden für Arbeitnehmer, Weiterverarbeiter und Endkunden, gilt heute als Paradebeispiel für eine höchst unmoralische Strategie. <?page no="90"?> 77 DDiiee iinnnneerrbbeettrriieebblliicchheenn IInnssttiittuuttiioonneenn <?page no="91"?> 90 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Im ersten Kapitel wurde begründet, warum weder der Markt noch das Recht die individuelle Moral der Wirtschaftsakteure, insbesondere der Führungskräfte in der Wirtschaft, ersetzen können. Sollen die Marktergebnisse menschendienlich sein, braucht man auch den guten Willen der Akteure. Sie sollen sich um die Folgen des Entscheidens und Handelns für die Betroffenen Gedanken machen und sie auf dem Fundament ethischer Prinzipien abwägen. Zugleich wurde aber auch die Verantwortungsfähigkeit des Unternehmens als Ganzes bejaht. Die einzelnen Individuen im Unternehmen werden in ihrem Handeln durch die innerbetrieblichen Institutionen maßgeblich beeinflusst. Diese Institutionen sind daher so zu gestalten, dass die Individuen dabei unterstützt werden, verantwortungsvoll zu handeln. Eine verantwortungsvolle Handlung des Einzelnen setzt voraus, dass der Betreffende weiß, wie er handeln soll, er auch entsprechend handeln will und er die entsprechenden Kompetenzen, Fähigkeiten und Informationen besitzt, um richtig handeln zu können. Moralisches Handeln der Menschen in der Unternehmung kann und soll institutionell unterstützt werden. 77..11 Die Bedeutung strukturell-systemischer Führung Wenn unmoralische Praktiken in der Wirtschaft bekannt werden, fragt man sich meist spontan, was das wohl für Menschen sind, die „so etwas“ tun, also bspw. gefährliche Nebenwirkungen von Medikamenten bewusst verschweigen, Anleger vorsätzlich falsch beraten, verdorbene Lebensmittel falsch etikettiert in den Verkehr bringen, gif- <?page no="92"?> 7.1 Die Bedeutung strukturell-systemischer Führung 91 tige Abwässer in Flüsse leiten, Bilanzen fälschen, Bestechungsgelder zahlen oder annehmen usw. Diese Frage nach der (fehlenden) Individualmoral ist berechtigt. Zur Unternehmensethik gehört aber noch eine weitere Frage, nämlich „was sind das für Unternehmen, in denen Menschen so etwas tun? “ (vgl. Waters [Corporate] 283f.). Nicht nur Individuen in der Unternehmung sind moralfähig und zur Verantwortung verpflichtet. Die Unternehmung als Ganzes ist es auch, weil sie eine „innere Struktur“ aufweist, welche die Entscheidungen und Handlungen der Unternehmensmitglieder maßgeblich beeinflusst. Diese innere Struktur ist im übertragenen Sinne das „Gewissen“ der Unternehmung. Grundlegend ist die Vorstellung, dass das Handeln der Menschen durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen gezielt beeinflusst werden kann. Die Führungslehre spricht von indirekter, strukturell-systemischer Führung durch Kontextgestaltung (vgl. Wunderer [Führung] 5). Diese ergänzt zum einen die direkte personal-interaktive Führung durch Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Zum anderen bildet sie zugleich deren Grundlage. Die strukturellsystemische Führung bezieht sich nicht nur auf die untergeordneten Mitarbeiter, sondern beeinflusst auch die Führungskräfte selbst, indem sie deren Handlungen kanalisiert. In dieser handlungsleitenden Wirkung - auch auf die Entscheidungsträger - kann ihre besondere Bedeutung gesehen werden. Damit die Unternehmensmitglieder tatsächlich in der gewünschten Art und Weise handeln, muss die Führung drei Funktionen erfüllen: Sie muss vorgeben, was getan werden soll und dafür sorgen, dass die Unternehmensmitglieder in der gewünschten Art und Weise handeln wollen und können. <?page no="93"?> 92 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Im Folgenden werden die strukturell-systemischen Maßnahmen zur Unterstützung der Unternehmensethik näher erläutert. Abb. 3: Überblick über die strukturell-systemischen Maßnahmen zur Unterstützung der Unternehmensethik 77..22 Die institutionelle Unterstützung des Sollens In diesem Abschnitt werden die Maßnahmen zur Unterstützung des „Sollens“ vorgestellt. Dabei geht es sowohl um die formalen Werte und Normen, die vor allem in der Vision und dem Unternehmensleitbild eines Unternehmens zum Ausdruck kommen, als auch um die informalen Werte und Normen, die tatsächlich gelebt werden und in der Unternehmenskultur verankert sind. 7.2.1 Formale Werte und Normen: D as Unternehmensleitbild Die Erstellung eines Unternehmensleitbildes (in gleicher oder ähnlicher Bedeutung wird auch von Unternehmensgrundsätzen, Verhaltensrichtlinien, Corporate Code of Con- <?page no="94"?> 7.2 Die institutionelle Unterstützung des Sollens 93 duct oder Code of Ethics gesprochen) gehört zu den Maßnahmen zur Unterstützung der Unternehmensethik, die in der Theorie am häufigsten empfohlen werden. Im Unternehmensleitbild verpflichtet sich das Unternehmen freiwillig auf bestimmte moralische Werte und Verhaltensweisen, die zum einen die strikte Einhaltung von Gesetzen betreffen, zugleich aber über die bloße Einhaltung der Gesetze hinausgehen. Das Leitbild macht Aussagen über das Verhalten des Unternehmens gegenüber den Stakeholdern auf der Grundlage ethischer Prinzipien. Als unabdingbare Voraussetzung zur Erhöhung der Verantwortungsfähigkeit der Unternehmung gilt, den Willen zur Verantwortungsübernahme explizit in das Zielsystem zu integrieren und das Unternehmen bzw. seine Mitglieder auf die Einhaltung ethischer Standards zu verpflichten. Eine dem Leitbild vorgeordnete „Vision“ soll ganz allgemein die Einstellung der Unternehmung zu ihrer Rolle und ihrem Verhalten in der Gesellschaft klären. Beispiele: „Wir tragen gesellschaftliche Verantwortung und engagieren uns für eine bessere Welt“ (Siemens Corporate Responsibility Report 2003). „Wir verpflichten uns freiwillig zur Einhaltung und Förderung international anerkannter Prinzipien in den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung“ (BASF Bericht 2008). Während die Vision ganz grundsätzlich den Willen zur Verantwortung ausdrückt, werden die Grundsätze, welche gemeinsam das Leitbild formen, konkreter. Man könnte auch sagen, die Vision beinhaltet eher die Werte der Unternehmung, also die fundamentalen Auffassungen <?page no="95"?> 94 7 Die innerbetrieblichen Institutionen von wünschenswerten Zuständen und Haltungen, wie bspw. Einhaltung der Menschenrechte und Erhaltung der Umwelt oder Ehrbarkeit und Vertrauenswürdigkeit. In den Grundsätzen werden dagegen eher konkrete Verhaltensnormen formuliert. Sie beziehen sich auf bestimmte Stakeholdergruppen und/ oder auf bestimmte Problembereiche (bspw. Umweltverschmutzung, Korruption, Armut in der Dritten Welt). Einige typische Leitbildaussagen In Bezug auf die Mitarbeiter: Achtung der Würde jedes Mitarbeiters, diskriminierungsfreie Einstellung und Beförderung der Mitarbeiter, Schaffung sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen, Verzicht auf jede Form von Zwangs- und Kinderarbeit, Entfaltung und Entwicklung der Mitarbeiterfähigkeiten, Recht auf die Bildung einer Mitarbeitervertretung, offene Information der Mitarbeiter, Vertrauen und Respekt zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, Zahlung einer angemessenen Entlohnung. In Bezug auf die Kunden: Hohe Produktqualität, ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis und hohe Produktsicherheit, offene, ehrliche und sachliche Informationen (auch in der Werbung), ständige Suche nach verbesserten Produkten, eingehende Beratung, guter Service, Aufgeschlossenheit für Beschwerden. In Bezug auf Eigentümer/ Aktionäre: Steigerung des Unternehmenswertes und angemessene Verzinsung des Eigenkapitals, Unternehmensführung nach bestem Wissen und Gewissen, offene, ehrliche und frühzeitige Information der Eigentümer über alle relevanten Entwicklungen im Unternehmen. In Bezug auf die Öffentlichkeit: Einhaltung der Gesetze, Schutz der natürlichen Umwelt, Entwicklung <?page no="96"?> 7.2 Die institutionelle Unterstützung des Sollens 95 von innovativen, gesellschaftlich verträglichen Problemlösungen, Unterstützung der Standortkommune, Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Work- Life-Balance). Gegenüber den Konkurrenten gibt es vor allem die Verpflichtung, den freien Wettbewerb nicht durch Absprachen zu behindern. Neben den Grundsätzen, die sich auf bestimmte Stakeholdergruppen beziehen, finden sich auch thematisch geordnete Grundsätze vor allem zu den Bereichen Umweltschutz bzw. Nachhaltigkeit, Bekämpfung der Korruption, Sicherheit, Gesundheit, Umgang mit Minderheiten, Spenden und Sponsoring, Corporate Citizenship. Idealerweise sind die Grundsätze realistisch, in sich stimmig und nach innen und außen konsensfähig. Die Verpflichtung zur Einhaltung der Grundsätze wird im Leitbild selbst ausdrücklich unterstrichen, etwa indem auf formale Kontrollmaßnahmen hingewiesen wird und die Mitarbeiter ermutigt werden, jeden Verstoß gegen die Grundsätze gegenüber den Führungskräften oder gegenüber den Kontrollinstanzen bekannt zu machen. Da es zu Zielkonflikten zwischen den ökonomischen Zielen und den propagierten ethischen Werten und Normen kommen kann, scheint es ebenfalls sehr wichtig, die Priorität des moralischen Handelns im Konfliktfall zu betonen. Ziele und Richtlinien Die Grundsätze im Unternehmensleitbild sind noch wenig operational, d.h. der Zielinhalt ist nicht sehr präzise, Zielausmaß und Zeitbezug sind oft gar nicht genannt und zuständig ist „das Unternehmen“. Das ist auch sinnvoll, weil das Leitbild knapp und prägnant das Wesentliche nach in- <?page no="97"?> 96 7 Die innerbetrieblichen Institutionen nen und außen kommunizieren soll. Damit die Grundsätze in das Alltagsgeschäft tatsächlich Eingang finden, müssen sie sich allerdings auch in den stärker operationalisierten Zielen und Verhaltensrichtlinien wiederfinden. Beispiele für Ziele: Im BASF-Unternehmensbericht von 2008 finden sich folgende, zum Grundsatz des Umweltschutzes gehörige Ziele: Reduktion der Treibhausgase je Tonne Verkaufsprodukt um 25%, 70% weniger luftfremde Stoffe sollen in die Luft emittiert werden. Darüber hinaus sollen 80% weniger organische Stoffe, 80% weniger Stickstoff und 60% weniger Schwermetalle in das Wasser abgegeben werden. Basisjahr für die Berechnung der Reduktion ist 2002, Zieljahr 2020. Nicht alle Grundsätze eignen sich so gut für eine exakte Quantifizierung. Dennoch muss man sich, auch im Hinblick auf eine Kontrolle der Einhaltung der Grundsätze, Gedanken darüber machen, was man konkret wie und in welcher Zeit erreichen will, also Ziele und Ausführungsrichtlinien formulieren. Präzisere Ausführungsrichtlinien können auch für bestimmte Funktionsbereiche oder bestimmte Problembereiche erarbeitet werden. Beispiel für Richtlinien: Der Grundsatz, Korruption weder aktiv noch passiv zuzulassen, wird bei Motorola durch Richtlinien ergänzt, bis zu welchen Grenzen Geschenke, Einladungen oder sonstige Vorteile erlaubt sind. Weil in bestimmten Kulturen (bspw. Japan) das Austauschen von Geschenken zur Pflege der Geschäftsbeziehung üblich ist, empfehlen die Richtlinien für solche Länder statt der Geschenke an das Unternehmen bzw. seine Mitarbeiter eine Spende an eine gemeinnützige Organisation. <?page no="98"?> 7.2 Die institutionelle Unterstützung des Sollens 97 Bei aller gebotenen Konkretheit der ethischen Verhaltensrichtlinien kann natürlich niemals jedes ethische Problem vorab prognostiziert und sozusagen eine Musterlösung dafür entwickelt und vorgeschrieben werden. Es bleiben Grauzonen, Unsicherheiten und Zweifel, die nur durch das moralische Urteilsvermögen der Individuen aufgehellt werden können. Sehr umfassende und präzise Vorschriften können sogar kontraproduktiv wirken, weil sich die Unternehmensmitglieder dann als selbstverantwortliche, moralische Individuen entmündigt fühlen. Es gilt, die Mitte zu finden zwischen sehr allgemeinen und dann leicht leerformelhaften Grundsätzen und einem umfassenden Katalog von hoch standardisierten, bürokratischen Vorschriften, welche die Individualverantwortung nicht ermutigen, sondern ersetzen sollen. Intendiert ist nicht, jeden Schritt für die Mitarbeiter vorzuschreiben, sondern ihnen die Richtung zu weisen. 7.2.2 Informale Werte und Normen: Die Unternehmenskultur Im Leitbild wird formal festgelegt und öffentlich dokumentiert, wofür die Unternehmung steht und wie sie sich gegenüber den Stakeholdern verhalten will. Allerdings kann die Unternehmenspraxis von diesem Leitbild erheblich abweichen. Es gibt zwei Arten von Verhaltensvorgaben im Unternehmen: Die, für die man offiziell eintritt und daneben die tatsächlich geltenden Vorgaben. Die in einem Unternehmen tatsächlich gelebten und geteilten Werte und Normen sind Kernbestandteil der sog. Unternehmenskultur. Die Unternehmenskultur kann definiert werden als „tiefenstrukturelle Werte, Normen und Grundannahmen, die sich an der beobachtbaren Oberflä- <?page no="99"?> 98 7 Die innerbetrieblichen Institutionen che als Artefakte sowie als sprachliche und interaktionelle Muster manifestieren“ (Mayrhofer/ Meyer [Organisationskultur] 1026). In dieser Definition wird Bezug genommen auf das Drei- Ebenen-Konzept der Unternehmenskultur nach Schein (vgl. [Culture] 263). Nach diesem Konzept bilden Werte und Normen den Kernbereich der Unternehmenskultur. Sie stehen auf der mittleren Ebene. Ihr aufgesetzt werden als oberste Ebene die äußerlich sichtbaren Verhaltensweisen und Artefakte der Unternehmung, die als wahrnehmbare Manifestationen einer bestimmten Kultur gelten können. Dazu gehören bspw. Umgangsformen, Rituale, Sprachregelungen, Gebäude, Symbole. Als Basis für die Werte und Normen und unterste Ebene der Unternehmenskultur gelten die größtenteils unbewussten Grundannahmen der Menschen, vor allem ihr Bild von der Natur des Menschen und der Beschaffenheit menschlicher Beziehungen. Die Unternehmenskultur ist das soziale Produkt der Unternehmensmitglieder. Sie entsteht durch Interaktion. Obwohl also der Einzelne an der Kultur mitwirkt, erlebt er sie zugleich als etwas Äußeres und Vorgegebenes, als etwas, was die Unternehmung hat und was gerade für diese Unternehmung „typisch“ ist. Die Kultur tritt ihm als handlungsleitende Institution gegenüber. Das Individuum soll und will sich normalerweise auch „enkulturieren“, d.h. an die vorhandene Kultur anpassen. Diese Enkulturation ist ein vielschichtiger Vorgang, der als teils bewusstes, teils unbewusstes Nachahmen, Einüben, Internalisieren, Interpretieren, Einfühlen von Seiten der zu enkulturierenden Person und als teils bewusstes, teils unbewusstes Lehren, Einweisen, Vorschreiben <?page no="100"?> 7.2 Die institutionelle Unterstützung des Sollens 99 von Seiten der enkulturierenden Institution angesehen werden kann. Die Beziehung zwischen Unternehmenskultur und Ethik kann auf zwei Arten geknüpft werden: - Man kann sich fragen, ob eine bestimmte Unternehmenskultur die Unternehmensethik fördert oder behindert. - Es kann problematisiert werden, ob man eine Unternehmenskultur überhaupt gestalten darf. (a) Kann die Unternehmenskultur die Unternehmensethik fördern? Es liegt auf der Hand, dass die informellen Werte und Normen der Unternehmenskultur mit den formalen Werten und Normen in Konflikt geraten können. Dabei entwickeln die kulturellen Vorgaben, die ja erst dadurch entstehen, dass sie „gemeinsam getragen“ und „gelebt“ werden, offenbar eine ganz besondere Art von Verbindlichkeit. Besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen den formalen Vorgaben im Leitbild und der „gelebten“ Kultur, dann wird das Leitbild zur Makulatur, irrelevant für die Praxis, denn die Mitarbeiter erleben oft einen erheblichen sozialen Druck, sich in die Kultur einzufügen. Die Mitarbeiter beobachten bspw., was den Führungskräften wichtig oder unwichtig ist, wer aufgrund welcher Kriterien Karriere macht, was belohnt oder bestraft wird, wie sich Kollegen in bestimmten Situationen verhalten, nach welchen Kriterien Ressourcen zugeteilt werden, welche Umgangsformen üblich sind usw., und sie ziehen ihre Schlüsse daraus. Gelebte Kultur und formal geforderte Verhaltensweisen unterscheiden sich möglicherweise stark. <?page no="101"?> 100 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Beispiele: Offiziell wird Umweltschutz propagiert, befördert wird aber derjenige, der die größten Kosteneinsparungen vorzuweisen hat, auch wenn sie auf Kosten des Umweltschutzes gehen. Oder das formale Gebot, keine Bestechungsgelder zur Erlangung von Aufträgen zu zahlen, wird informal untergraben durch den Grundsatz, dass im Wettbewerb letztlich alles erlaubt ist, was Erfolg bringt. Den Unternehmensmitgliedern werden also widersprüchliche Signale über das erwünschte Verhalten und die Rangfolge der Werte gesendet. Da die offiziellen Werte und Normen nicht gegen die gelebte Kultur durchsetzbar sind, muss demnach versucht werden, die Kultur ebenfalls „ethikorientiert“ zu gestalten. Damit wird aber zugleich die zweite Beziehung zwischen Unternehmenskultur und Ethik zum Thema: Ist es überhaupt ethisch vertretbar und möglich, die Unternehmenskultur gezielt ändern zu wollen? (b) Ansatzpunkte für ein „Kulturmanagement“ Mit der Unternehmensethik vereinbar erscheint ein kulturbewusstes Management, welches zum Ersten inhaltlich darauf abzielt, die Kultur ethikorientierter zu machen und das zum Zweiten offen und partizipativ abläuft und keinen „Wertedrill“ darstellt. Der Prozess der „Kurskorrektur“ beginnt mit der Beschreibung und Bewusstmachung der bestehenden Kultur. Auch wenn eine Kultur aufgrund ihres größtenteils nicht direkt wahrnehmbaren Charakters nicht vollkommen und vollständig rekonstruiert werden kann, so können doch offenbar - was zahlreiche Beispiele belegen - wesentliche Inhalte beschrieben und große Unterschiede in bestehenden Kulturen festgestellt werden. Die Offen- <?page no="102"?> 7.2 Die institutionelle Unterstützung des Sollens 101 legung kultureller Muster ist ethisch gesehen wünschenswert, weil sie bisher möglicherweise verborgene Verhaltenseinflüsse sichtbar und kritisierbar macht. Bringt diese Beschreibung an den Tag, dass heimliche Spielregeln gelten, welche unmoralische Praktiken nahe legen, dann folgt im nächsten Schritt der Versuch einer Umorientierung. Wie die Anführungszeichen um den Begriff „Kulturmanagement“ schon andeuten sollen, ist die Kultur nicht ohne weiteres zielgerichtet zu gestalten und zu entwickeln, eben zu „managen“. Als Gründe für die schwierige Veränderbarkeit der Kultur werden genannt (vgl. Schreyögg [Unternehmenskulturen]): - Kulturen sind sehr tief verankert in den oft unbewussten und unhinterfragten Basisannahmen der Unternehmensmitglieder. - Die Unternehmensmitglieder geben eine einmal erlernte Kultur nur ungern auf, weil die gewohnten Orientierungsmuster ihnen helfen, sich in der Unternehmung zurechtzufinden. - Ein Kulturwandel kann auch die Position bestimmter Unternehmensmitglieder bedrohen. Bspw. verlieren die Vorgesetzten an Macht, wenn eine „partizipative“ Kultur eine „autoritäre“ Kultur ablösen soll. - Der komplexe Enkulturationsprozess enthält auch zahlreiche unplanbare, spontane Abläufe. - Die Unternehmenskultur ist oft in sich uneinheitlich und besteht aus verschiedenen Subkulturen. <?page no="103"?> 102 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Trotz dieser Probleme gelten auch Unternehmenskulturen als willentlichem Wandel zugänglich. Naheliegend ist, an den sichtbaren Zeichen der Unternehmenskultur anzusetzen. Man versucht quasi, durch die Änderung der Oberflächenphänomene der Kultur auch einen Wandel in den tiefer liegenden Schichten anzustoßen. Probst (vgl. [Selbst-Organisation] 97ff.) spricht in diesem Zusammenhang vom symbolischen Organisieren und unterscheidet: die symbolische Gestaltung von Sprache, die symbolische Gestaltung von Artefakten und die symbolische Gestaltung von Handlungen. Sprache Der Versuch, über Sprachänderungen auch Bewusstseinsänderungen herbeizuführen, begegnet uns alltäglich in den Bemühungen, bei der Wortwahl männliche und weibliche Formen zu benutzen. Viele früher ohne weiteres benutzte diskriminierende Ausdrücke („Neger“, „Krüppel“) sind mittlerweile aus dem Sprachgebrauch fast verschwunden. Artefakte Auch die Gestaltung der Artefakte (Einrichtungen, Ausstattungen, Gebäude, Technologien, Hilfsmittel, Produkte etc.) repräsentiert eine bestimmte Unternehmenskultur. So werden Machtunterschiede oft schon durch die Größe und Lage von Büros sowie deren Ausstattung augenfällig symbolisiert. Ist in den Führungsgrundsätzen ein partnerschaftlicher und offener Umgang zwischen Vorgesetzten und Untergebenen gefordert, dann müssen auch die Artefakte entsprechend gestaltet werden. Eine symbolische Betonung der Statusüberlegenheit und räumliche Ab- <?page no="104"?> 7.2 Die institutionelle Unterstützung des Sollens 103 schottung der Führungskraft wird die offene Kommunikation sicherlich behindern. Wie ernst bestimmte Stellen im Unternehmen genommen werden, zeigt sich auch an den Artefakten. Wird bspw. ein Umweltbeauftragter in das kleinste und schäbigste Büro verbannt und erhält so gut wie keine Hilfsmittel, dann signalisiert das deutlich an die Mitarbeiter, dass seine Aufgabe als unwichtig eingestuft wird. Handlungen Schließlich senden auch alle Handlungen Signale an die Unternehmensmitglieder aus. Mitarbeiter beobachten vor allem die Handlungen der Vorgesetzten und schließen daraus, was wirklich in der Unternehmung wichtig genommen wird und erwünscht ist. Bewusste symbolische Handlungen sind vor allem Riten und Zeremonien, also bspw. die offizielle Ehrung des Mitarbeiters des Monats oder das tägliche gemeinsame Frühstück in der Abteilung. Letztlich senden aber alle Handlungen Signale aus. Verstoßen insbesondere die Führungskräfte in ihren Handlungen sichtbar gegen die ethischen Leitlinien, dann werden sich bald auch die anderen Mitarbeiter nicht mehr daran gebunden fühlen. In der Diskussion um die ausufernden Managervergütungen wurde auch auf die fatale Signalwirkung hingewiesen, wenn die obersten Führungskräfte Gier und Selbstbedienungsmentalität zeigen. Nachdem die Maßnahmen zur Unterstützung des „Sollens“ diskutiert wurden, geht es nun um die Förderung der inneren Bereitschaft, verantwortungsvoll zu handeln. <?page no="105"?> 104 7 Die innerbetrieblichen Institutionen 77..33 Die institutionelle Unterstützung des Wollens In Abbildung 3 wurden als Maßnahmen zur Unterstützung des Wollens des Einzelnen aufgeführt: Personalauswahl, Personalbeurteilung und -honorierung, Kontrollsysteme. Im Folgenden werden wir uns jeweils mit den einzelnen Maßnahmen und mit den Zusammenhängen zwischen der Maßnahme und der Unternehmensethik beschäftigen. 7.3.1 Personalauswahl Die Auswahl von Mitarbeitern und insbesondere von Führungskräften gilt als eine der bedeutendsten und zugleich komplexesten Aufgaben im Unternehmen. Das Auswahlverfahren gilt als relativ fehleranfällig. Oft ist schon das Anforderungsprofil nicht ausreichend konkretisiert oder nicht stellenangemessen formuliert. Bewerberseitig kann es zu taktischen Verstellungen und „geschönten“ Informationen kommen. Auf der Seite des Beurteilers spielen subjektive Wahrnehmungsfilter und Fehlinterpretationen sowie fehlende Sachkunde eine negative Rolle. Auch sind die eingesetzten Testverfahren oft sehr umstritten, was ihre Gültigkeit und Zuverlässigkeit betrifft. Personalauswahl und Unternehmensethik Mit der Unternehmensethik kann die Personalauswahl auf zwei Arten in Verbindung gebracht werden: - Das Auswahlverfahren muss erstens selbst bestimmten moralischen Ansprüchen genügen und <?page no="106"?> 7.3 Die institutionelle Unterstützung des Wollens 105 - zweitens soll es zur Rekrutierung von moralischen Mitarbeitern beitragen. (a) Anforderungen an das Auswahlverfahren Zunächst sind an das Auswahlverfahren selbst moralische Anforderungen zu stellen. Es soll bspw. diskriminierungsfrei verlaufen, so dass die Bewerber nur nach ihrer sachlichen Eignung und nicht bspw. aufgrund von Geschlecht oder Rasse ausgewählt oder ausgeschieden werden. Konkrete Zielvorgaben, wie die, den Frauenanteil in den Führungsetagen auf mindestens 5% zu erhöhen, können hilfreich sein. Unter dem Begriff „Diversity“ haben sich heute schon viele Unternehmen auf die Fahnen geschrieben, ganz bewusst die Vielfalt der Belegschaft zu erhöhen und bspw. Junge und Alte, Frauen und Männer, Behinderte und Nichtbehinderte, Inländer und Ausländer zu beschäftigen. Selbstverständlich besteht - auf beiden Seiten - die Pflicht zur Ehrlichkeit. Unternehmensseitig soll der Bewerber bspw. offen über die Anforderungen des Arbeitsplatzes, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und seine Entwicklungsmöglichkeiten aufgeklärt werden. Weiterhin erscheint es empfehlenswert, den zukünftigen Kollegen bzw. Untergebenen als Betroffenen ein Mitspracherecht einzuräumen. Und schließlich ist auch zu überlegen, wie man mit ausgeschiedenen Bewerbern umgeht. Feedback-Gespräche, in denen die Gründe für das Scheitern der Bewerbung erläutert werden, können dem Bewerber helfen, mit seiner Enttäuschung fertig zu werden und ihm auch Hilfestellung leisten für künftige Bewerbungen. Viele dieser Anforderungen sind mittlerweile auch gesetzlich festgeschrieben. <?page no="107"?> 106 7 Die innerbetrieblichen Institutionen (b) Die Auswahl moralisch gesonnener Mitarbeiter Die z weite A rt d er Bez ie h un g zw isch en P ers on a la us wa hl und Unternehmensethik besteht darin, dass man zur Unterstützung der Unternehmensethik versuchen sollte, Personen mit einer gewissen Moralität als Mitarbeiter auszuwählen, welche den ethischen Unternehmensleitlinien aus eigenem Antrieb folgen wollen. Die Bemühungen, die ethische Qualität unternehmerischen Handelns mit Hilfe von Leitlinien und Kulturmanagement zu erhöhen, scheitern in der Praxis, wenn die Mitarbeiter, besonders in Führungspositionen, große individualethische Defizite aufweisen. Die Moralität der Mitarbeiter muss daher schon bei der Personalauswahl beachtet werden. „Mit einer anspruchsvollen Personalselektion, besonders für hohe Positionen, ... kann ein Unternehmen Einfluss darauf nehmen, dass diejenigen, die es nach innen und außen repräsentieren, bestimmte qualitative Wesensaspekte (Tugenden) haben .... Das wären Führungskräfte, die sich ihrer vollen Verantwortung für alles, was sie tun oder unterlassen, bewusst und darüber hinaus sittlich orientiert sind. „Sittlich orientiert“ ist eine Persönlichkeit, die ihre handlungsleitenden Werte ethisch verantwortet übernimmt und ernsthaft versucht, ihr Leben danach zu richten.“ (Leisinger [Unternehmensethik] 143). Doch wie kann man solche Personen gezielt suchen und finden? Der erste Kontakt zwischen Unternehmen und Bewerbern wird gewöhnlich durch eine Stellenanzeige hergestellt. Schon bei dieser ersten Kontaktaufnahme versucht das Unternehmen, möglichst gezielt die Bewerber anzusprechen, die für die ausgeschriebene Stelle geeignet sind. Durch die Selbstselektion der Bewerber findet eine erste Vorauswahl statt. <?page no="108"?> 7.3 Die institutionelle Unterstützung des Wollens 107 In der Regel stellt sich das Unternehmen kurz selbst vor. Sind die Stellenanzeigen über Personalberatungen geschaltet und anonymisiert, dann werden allerdings oft nur die Branche und die Größe des Unternehmens genannt. Nur wenige Unternehmen nutzen bei dieser Selbstdarstellung die Chance, auf ihre ethischen Leitlinien hinzuweisen und damit ein erstes Signal an die Bewerber auszusenden. Am ehesten wird noch auf die Grundsätze hingewiesen, umweltverträglich und ressourcenschonend zu wirtschaften, den Mitarbeitern gute Arbeitsbedingungen zu bieten sowie das Wohl des Kunden zu fördern. Am Beginn des Auswahlverfahrens steht die Formulierung des Anforderungsprofils. Sollen die ethischen Leitlinien Eingang in das Auswahlverfahren finden, dann ist ein Abgleich zwischen den Unternehmensgrundsätzen und den Muss- und Sollerwartungen an die Kandidaten notwendig. Das Vorstellungs- oder Einstellungsgespräch, welches ohnehin als wichtigstes und am weitesten verbreitetes Selektionsinstrument gilt, ist sicherlich auch eine gute Quelle zur Erkundung der Wertvorstellungen des Bewerbers. Aber auch mit anderen Auswahltechniken, wie Fragebogen, Bearbeitung von Fallstudien, Beobachtung von Gruppendiskussionen und Planspielen lassen sich vermutlich Werthaltungen erkunden. In der Vergangenheit spielten die in den Unternehmensbzw. Führungsgrundsätzen aufgestellten moralischen Anforderungen an die Persönlichkeit der Führungskräfte bei deren Auswahl kaum eine Rolle oder es wurde sogar im Auswahlverfahren ein ganz anderer Typ Mensch gefordert und gefördert. Das Idealbild des Managers ist immer noch viel stärker <?page no="109"?> 108 7 Die innerbetrieblichen Institutionen von Eigenschaften geprägt wie Durchsetzungsfähigkeit, Dominanz, Selbstsicherheit und Risikofreude als von Eigenschaften wie Kooperationsvermögen, Fähigkeit zur Vermittlung sowie moralische und soziale Orientierung. Angesichts des hohen Wirkungspotenzials der Führungskräfte, sowohl durch ihre direkte Entscheidungsmacht als auch durch ihre Vorbildfunktion, ist es sicher bedenklich, wenn die Selektionsmechanismen bisher tatsächlich einen opportunistischen Menschentyp bevorzugen. Eine Auswahl von Mitarbeitern und ganz besonders von Führungspersonen, welche mehr auf die sittliche Orientierung achtet, ist für die Umsetzung der Unternehmensethik, aber „bei weitem nicht nur in unternehmensethischer Hinsicht wichtig“ (Leisinger [Unternehmensethik] 144). Opportunistische, geldgierige, machtversessene Führungskräfte sind mit Sicherheit auch ökonomisch schädlich für die Unternehmen. 7.3.2 Personalbeurteilung und -honorierung Die Motivation der Unternehmensmitglieder, in einer bestimmten Art und Weise zu handeln, hängt immer auch von den innerbetrieblichen Anreizen ab. Es gehört zu den zentralen Vorstellungen der Personalführungstheorie, dass man die Mitarbeiter in ihrem Verhalten gezielt beeinflussen kann, indem man bestimmte Verhaltensweisen honoriert. „Honorierung“ meint in erster Linie Entgelt (Lohn, Prämien, Gewinnbeteiligungen, Aktienoptionen etc.), kann aber auch in immateriellen Dingen wie Lob, Anerkennung, Status, Macht, interessanten Aufgaben usw. bestehen. Die Honorierung basiert auf der Beurteilung von Leistungsergebnissen und Verhaltensweisen in einem bestimm- <?page no="110"?> 7.3 Die institutionelle Unterstützung des Wollens 109 ten Zeitraum. Ergebnisse und Verhaltensweisen lassen sich nur zum Teil exakt messen (z.B. eine produzierte Stückzahl). Zum großen Teil hängt die Beurteilung von der persönlichen Einschätzung des Vorgesetzten ab. Man ist weit davon entfernt, einfache Reiz-Reaktions-Mechanismen zu kennen, mit denen das Mitarbeiterverhalten zuverlässig gesteuert werden könnte. Das ändert allerdings nichts an der Plausibilität der grundsätzlichen Verhaltenshypothese, dass ein belohntes Verhalten mit größerer Wahrscheinlichkeit auftritt. Die Personalbeurteilung und -honorierung kann in zweifacher Weise mit der Unternehmensethik verbunden werden. - Zunächst gehört es zu den moralischen Pflichten der Unternehmung, das Anreizsystem möglichst gerecht zu gestalten. - Weiterhin ist darauf zu achten, dass Moralität belohnt, zumindest aber nicht bestraft wird. (a) Prinzipien einer gerechten Personalbeurteilung und -honorierung Die Ausführungen zur Gestaltung eines möglichst gerechten Anreizsystems müssen an dieser Stelle notgedrungen kursorisch bleiben, da die Diskussion der Lohngerechtigkeit leicht ein eigenes Buch füllen würde. Die Einschränkung „möglichst gerecht“ deutet bereits an, wie schwierig diese Aufgabe ist. So kann nach unterschiedlichen Gerechtigkeitsprinzipien durchaus Unterschiedliches als gerecht angesehen werden. In Abbildung 4 wird als Beispiel die Definition von Kößler verdeutlicht: Er unterschei- <?page no="111"?> 110 7 Die innerbetrieblichen Institutionen det drei Kernprinzipien (fett gedruckt) und fünf Randprinzipien der Lohngerechtigkeit (vgl. [Lohn] 133). Abb. 4: Kern- und Randprinzipien der Lohngerechtigkeit Viele Unternehmen verwenden gleichzeitig verschiedene Prinzipien. Das Grundgehalt richtet sich nach den Anforderungen der Stelle, hinzukommen häufig flexible, leistungsbezogene Entgelte und Erfolgsbeteiligungen. Qualifikationsgerechtigkeit spielt eine Rolle bei der Zuordnung von Bewerbern zu Stellen. In der Regel wird man versuchen, Personen mit einer Qualifikation zu finden, welche dem Anforderungsprofil der Stelle entspricht und so das Potenzial des Stelleninhabers auch auszuschöpfen. Die Sozial- und Bedarfsgerechtigkeit zu verbessern, wird eher als Aufgabe des Staates angesehen (bspw. durch steuerliche Kinderfreibeträge oder Transfereinkommen). Angesichts der Vielzahl der teilweise auch noch widersprüchlichen Prinzipien scheint es illusionär, einen allgemein als absolut gerecht akzeptierten Maßstab der Lohndifferenzierung zu finden. Dennoch sollten Unternehmen versuchen, ein relativ gerechtes Vergütungssystem zu etablieren. Da eine empfundene Ungerechtigkeit auf die <?page no="112"?> 7.3 Die institutionelle Unterstützung des Wollens 111 Mitarbeiter stark demotivierend wirkt und das Image der Unternehmen in der Öffentlichkeit beschädigt, koinzidieren ethische Pflicht und ökonomisches Interesse zumindest teilweise. Relative Lohnungerechtigkeiten werden heute vor allem in zwei Bereichen festgestellt: Bei der Entlohnung von Frauen im Vergleich zu Männern und bei der Vergütung für Führungskräfte im Vergleich zu anderen Mitarbeitern. Gängige Arbeitsbewertungsverfahren tendieren bspw. dazu, Merkmale, die für sog. Männerberufe typisch sind (etwa dynamische Muskelarbeit) weit höher zu gewichten als solche Merkmale, die viele Frauenarbeitsplätze kennzeichnen (etwa psycho-sozialer Stress). Hinter der scheinbar anforderungsgerechten Bezahlung versteckt sich eine subtile Diskriminierung, die dazu führt, dass Frauen immer noch regelmäßig schlechter entlohnt werden als Männer. Die Prinzipien der Leistungs- und Erfolgsgerechtigkeit sind vor allem in jüngerer Zeit durch die exorbitanten Managergehälter ins Gerede gekommen. Vordergründig mag es gerecht erscheinen, wenn die Manager am Erfolg des von ihnen geführten Unternehmens, gemessen am Aktienkurs, durch Aktienoptionen beteiligt werden. Allerdings sind verschiedene Probleme nicht ausreichend beachtet worden: Die Vergütung mit Aktienoptionen hat zu einer absoluten Höhe der Gehälter geführt, die in keiner Weise mehr mit einer persönlichen Leistung erklärt werden kann. <?page no="113"?> 112 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Beispiele: Der Ölkonzern Exxon verabschiedete den Vorstandsvorsitzenden Lee Raymond mit einer Gratifikation von 305 Millionen Euro in den Ruhestand. VW- Chef Martin Winterkorn erhielt für 2014 ein Gehalt von 15,9 Millionen Euro. Auch die relative Höhe der Managergehälter im Vergleich zum Durchschnittsverdienst eines Arbeitnehmers (Lohnspreizung) gibt Anlass zu Kritik. Die Manager sind gegen die Risiken von Fehlentscheidungen weitgehend abgesichert. Während Erfolge zu großen Gehaltszuwächsen führen, gibt es keinen Malus bei Missmanagement. In der Kritik stehen auch die Determinanten der Vergütung. Insbesondere die Aktienoptionsprogramme führen dazu, dass die Führungskräfte oft schon dann sehr hohe Prämien kassieren, wenn der Aktienkurs im Rahmen eines generellen wirtschaftlichen Aufschwungs steigt, selbst wenn die Leistung des Unternehmens hinter der der Konkurrenz zurückbleibt (windfall profits). Vielfach belegt ist auch die Förderung der Kurzfristorientierung durch diese Art der Vergütung, da für die Manager einzig der Aktienkurs zum Zeitpunkt der Ausübung der Option zählt. So kann die Ankündigung von Kosteneinsparungen durch Entlassungen kurzfristig den Kurs pushen, auch wenn die langfristige Performance dadurch möglicherweise eher leidet. Dass oft schon eine gezielte Signalsetzung die Aktienkurse beeinflusst, lädt zu Manipulationen ein. Einige Unternehmen, vor allem aus der Finanzbranche, signalisierten in letzter Zeit bereits Einsicht und kündigten Änderungen ihrer Managerentlohnungssysteme an. Es soll längere Haltefristen für Aktienoptionen geben, andere Determinanten der Erfolgsmessung wie bspw. Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit sollen eine Rolle <?page no="114"?> 7.3 Die institutionelle Unterstützung des Wollens 113 spielen und die Haftung für Missmanagement soll verschärft werden. Bei der Deutschen Bank wird im Rahmen eines angestrebten „Kulturwandels“ auch die Deckelung von Boni diskutiert. (b) Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein Als erste Verbindung zwischen Unternehmensethik und Anreizsystem wurde die gerechte Gestaltung der Entlohnungssysteme besprochen. Die zweite Verbindung ist im Unterstützungspotenzial des Anreizsystems für die Implementierung der Unternehmensethik zu sehen. Es hieße, die Moralität des Einzelnen stark auf die Probe zu stellen, wenn - wie der Volksmund formuliert - der Ehrliche bzw. Verantwortungsbewusste immer der Dumme wäre. Was nutzt das Bekenntnis zum Verzicht auf Korruption, wenn derjenige befördert wird, der mit Hilfe von Bestechung den größten Auftrag an Land zieht? Oder wenn der Manager, der im Einklang mit den öffentlichen Bekenntnissen zur Nachhaltigkeit Umweltschutzinvestitionen vornimmt, wegen der Kosten gerügt wird? Beispiel: Wie sehr die Belohnungen das Verhalten bestimmen, zeigt sich eindrücklich bei der immer noch weit verbreiteten Falschberatung von Kunden, die Kapital anlegen wollen. Die Mitarbeiter der Banken verkaufen in erster Linie Produkte, die der Bank bzw. ihnen selbst Provisionen und Boni bescheren, statt das Kundeninteresse in den Vordergrund zu stellen. Überlegt wird daher auch, ob man nicht deutlicher den Finanzvermittler, der auf Provisionsbasis arbeitet, vom neutralen Finanzberater, der ein festes Honorar bekommt, unterscheiden muss. Ein Finanzberater dürfte dann, um seine Neutralität zu wahren, keinerlei Provisionen von bestimmten Anlageanbietern bekommen. <?page no="115"?> 114 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Was honoriert wird, wird auch gemacht. Darum müssen ethische Gesichtspunkte auch konsequent in die Leistungsbeurteilungs- und Honorierungssysteme internalisiert werden. „Es gilt die Anreizstrukturen durchgängig so zu gestalten, dass ethisch verantwortungsvolles Handeln belohnt und rücksichtsloses, allein an persönlichen Bereicherungs- oder Karrierezielen orientiertes Verhalten demotiviert wird statt umgekehrt“ (Ulrich [Integrative] 457). Im Rahmen von Ansätzen zu einem umfassenden Qualitätsmanagement werden seit einiger Zeit auch Beurteilungen durch die wichtigsten Stakeholdergruppen (Mitarbeiter, Kunden, Anleger, gesellschaftliche Institutionen) vorgesehen. Für Bankmitarbeiter ist bspw. ein Beschwerderegister eingerichtet worden. Bei wiederholten Kundenbeschwerden droht dem Berater eine Verwarnung bis hin zu einem befristeten Beschäftigungsverbot. Vorteile für unmoralisches Handeln nicht aufkommen zu lassen, ist auch Aufgabe der Kontrollsysteme, die nun besprochen werden. 7.3.3 Kontrollsysteme Unter Kontrolle versteht man im Allgemeinen den Vergleich eines bereits eingetretenen „Ist“ oder eines prognostizierten „Wird“ mit einem vorgegebenen „Soll“ (Plan- oder Normwert). Sie kann sich auf Ereignisse, Handlungen oder Handlungsergebnisse beziehen. Obwohl die Kontrolle typischerweise rückwärtsgerichtet ist, also feststellt, was bereits eingetreten ist oder sich zumindest schon deutlich abzeichnet, zielt sie doch im <?page no="116"?> 7.3 Die institutionelle Unterstützung des Wollens 115 Grunde auf die Beeinflussung zukünftiger Ergebnisse oder zukünftigen Verhaltens ab. Auch in Zukunft sollen Norm- und Istwerte übereinstimmen, bzw. bei bisherigen Abweichungen sollen sie zukünftig besser zur Deckung gebracht werden. In der Regel wird man dabei versuchen, das Ist dem Soll anzunähern. Möglich ist aber auch eine Korrektur des Sollwertes (bspw. Absenkung einer unrealistischen Leistungsnorm). Die Kontrolle kann als institutionelle Unterstützung des Wollens verstanden werden, weil sie verhaltenskanalisierende Wirkung hat. Die Kontrolle übt Anreize aus: Das Kontrollergebnis kann eine direkte Verhaltenswirkung haben, welche sich auch bei einer reinen Selbstkontrolle ergibt. Als positives Ergebnis löst es bspw. Zufriedenheit durch die Bestätigung einer Leistung aus und stimuliert so weitere Leistung. Auch ein negatives Ergebnis kann stimulierend wirken, wenn dadurch der Ehrgeiz geweckt wird, es in Zukunft besser zu machen. Kontrollen entfalten außerdem ihre Verhaltenswirkung im Rahmen der schon beschriebenen Beurteilungs- und Honorierungssysteme. Jede Personalbeurteilung muss sich in irgendeiner Weise auf Kontrollen stützen, wenn sie nicht willkürlich sein soll. Die Verhaltenswirkung ergibt sich dann durch die Konsequenzen, die auf das Kontrollergebnis folgen, also bspw. die Prämie für eine gute Leistung oder die Maßregelung wegen Fehlverhaltens. Schon die bloße Erwartung einer möglichen Kontrolle wirkt sich auf das Verhalten aus. Ist das Kontrollergebnis nicht eindeutig festzustellen, können allerdings von Seiten der Mitarbeiter auch Aktivitäten der Kontrollbeeinflussung erwartet werden, konkret bspw. Bemühungen, Fehlverhalten zu verheimlichen. <?page no="117"?> 116 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Das Fehlen insbesondere von Handlungskontrollen kann schließlich das sog. „Schwarzfahrer-Verhalten“ ermutigen, d.h. dass Einzelne zu ihrem persönlichen Vorteil von den vorgeschriebenen Handlungsweisen abweichen und sich dabei auf die Normeinhaltung der meisten anderen verlassen. Die Beobachtung einer sanktionsfreien und vorteilhaften Abweichung von vorgeschriebenen Normen demotiviert die Normeinhaltung auch bei den anderen. Neben der Funktion der Verhaltensbeeinflussung hat die Kontrolle auch noch die Aufgaben der Analyse und Beurteilung der Lage und der bisherigen Planung sowie der Dokumentation von Handlungen und Ergebnissen nach innen und außen. Sie ist somit Teil des Informationssystems. Die Kontrolle als Bestandteil des Informationssystems wird später unter dem Begriff des Controlling noch näher erläutert. (a) Die Bedeutung der Kontrolle in Complianceprogrammen Im Umgang mit zunehmenden Forderungen an die Verantwortung der Unternehmen und forcierter Unternehmenshaftung haben sich nach Beobachtungen von Paine (vgl. [Managing]) in den USA zwei unterschiedliche Implementationsstrategien bzw. -programme entwickelt, nämlich das Compliance- und das Integritätsprogramm (vgl. Abb. 5). Kontrolle wird vor allem mit dem Compliance-Programm verbunden. Begrifflich leitet sich Compliance von „to comply“, d.h. „sich fügen“, „Folge leisten“ ab und meint konkret vor allem, dass dem geltenden Recht Folge geleistet wird. <?page no="118"?> 7.3 Die institutionelle Unterstützung des Wollens 117 Compliance- Programm Integritätsprogramm Zielsetzung Konformität mit externen Verhaltensstandards, speziell mit Gesetzen herstellen Moralische „Selbststeuerung“ des Mitarbeiters erreichen Steuerungsphilosophie Begrenzung diskretionärer Handlungsspielräume, um kriminelles Handeln zu verhindern Ermöglichung moralischen Handelns Verhaltensannahme, Menschenbild Vom materiellen Eigeninteresse geprägtes Wesen; muss extrinsisch motiviert werden Soziales Wesen, welches von Eigeninteresse, aber auch von Idealen, Werten und Vorbildern beeinflusst wird Maßnahmen Schulungen, Einschränkung von Handlungsspielräumen, Überwachung und Kontrolle, Strafen Schulungen, Vorbild der Führungskräfte, Freiräume für persönliche Verantwortung, Maßnahmen bei der Organisation und bei den Entscheidungsprozessen, Überwachung und Kontrolle, Strafen Abb. 5: Gegenüberstellung von Compliance- und Integritätsprogramm; in Anlehnung an Paine [Managing] 113 und Noll [Unternehmensethik] <?page no="119"?> 118 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Typisch für das Compliance-Programm ist die „Verhinderungslogik“ (Steinmann/ Kustermann [Unternehmensethik] 212). Abweichungen von vorgegebenen Verhaltensstandards sollen verhindert werden, wobei neben der Einschränkung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen vor allem die Fremdkontrolle und die Bestrafung von Verstößen die Maßnahmen bilden. Zu den Compliance- Maßnahmen im Bankensektor gehören bspw. Verbote bestimmter Aktivitäten (z.B. Intraday-Trading, Vorbzw. Parallelgeschäfte bei Kenntnis der Orderlage, innerbetriebliche Weitergabe von vertraulichen kursrelevanten Informationen), die Einrichtung eigener Compliance- Stellen, die verstärkte Dokumentation und Kontrolle von Eigengeschäften der Mitarbeiter, Führen einer „Beobachtungsliste“ für Wertpapiere, die für Insidergeschäfte prädestiniert erscheinen, zeitweises Verbot von Eigenhandel mit bestimmten Werten. Vor allem bei den großen Unternehmen ist die Anzahl der Mitarbeiter im Bereich Compliance in den letzten Jahren massiv gestiegen. Das Compliance-Programm und die damit verbundene Betonung der Fremdkontrolle werden teils recht kritisch gesehen. Überwachung, Fremdkontrolle und Sanktionsmaßnahmen werden als Ausdruck einer „Misstrauenskultur“ gewertet. Eingedenk der schon verschiedentlich beschriebenen Wechselwirkungen zwischen individueller Moralität und institutionellen Rahmenbedingungen ist diese Kritik nur teilweise berechtigt, nämlich dann, wenn man meint, die individuelle Moralität vollständig durch ausgefeilte Regelwerke und umfassende Kontrollen ersetzen zu können. Das ist auf der Ebene des einzelnen Unternehmens genauso wenig möglich wie auf staatlicher Ebene. <?page no="120"?> 7.3 Die institutionelle Unterstützung des Wollens 119 Der Unterschied zwischen Compliance- und Integritätsprogrammen liegt nicht so sehr in der Anwendung von bzw. dem Verzicht auf Kontrollmaßnahmen, sondern in den dahinter stehenden Ziel-Mittel- Vorstellungen. Compliance-Programme verfolgen häufig nur das moralische Minimalziel, kriminelles Verhalten zu verhindern (deshalb wird auch der Begriff „Anti-Fraud-Management“ verwendet; fraud (engl.) = Betrug). Typisch ist auch die Besetzung entsprechender Stellen mit Juristen. Es fehlt an Reflexion darüber, ob alles, was legal ist, auch moralisch genannt werden kann. Außerdem ergreift das Unternehmen keine eigene Initiative zur Lösung von Problemen. Bei den Implementierungsmaßnahmen setzt man sehr stark auf detaillierte Vorschriften als Richtschnur und die Angst vor Strafe als Motivationsfaktor. „Keep us out of trouble“ steht als Leitmotiv hinter den Maßnahmen, weshalb Compliance häufig auch als Teil des Risikomanagements angesehen wird. (b) Die Bedeutung der Kontrolle in Integritätsprogrammen Integritätsprogramme wollen dagegen weitergehende Wertvorstellungen der Unternehmung definieren. „Make our business better“ ist das Leitmotiv. Entsprechende Rahmenbedingungen sollen die Mitarbeiter zu eigenverantwortlichem moralischem Handeln im Unternehmen ermutigen. Zu dieser „Ermutigung“ gehören auch die formelle Konkretisierung ethischer Erwartungen bspw. in Zielen, Grundsätzen und Richtlinien und die Überprüfung von deren Einhaltung. <?page no="121"?> 120 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Außerdem kann durch Kontrollen vermieden werden, dass die intrinsisch zu ethischem Verhalten motivierten Mitarbeiter durch die ständige Beobachtung erfolgreichen Fehlverhaltens anderer demotiviert werden. Schließlich können nur (glaubwürdige) Kontrollinformationen gegenüber den Stakeholdern belegen, wie ernst es einer Unternehmung mit der Einhaltung ihrer Verhaltensstandards ist. Mit der Gestaltung der Kontrollsysteme enden die Erläuterungen der Maßnahmen zur Förderung des „Wollens“ des einzelnen Mitarbeiters. Nun folgen die Maßnahmen zur Unterstützung des „Könnens“. 77..44 Die institutionelle Unterstützung des Könnens Damit ein Mitarbeiter verantwortungsvoll handeln kann, muss er die entsprechenden Fähigkeiten, Kompetenzen und Informationen für seine Entscheidung und seine Handlung haben. In Abbildung 3 wurden drei Ansatzpunkte zur Unterstützung des Könnens aufgeführt: Personalentwicklung, Organisationsstruktur, Informationssysteme. 7.4.1 Personalentwicklung Personalentwicklung zielt auf die Erweiterung bzw. Vertiefung bereits bestehender und/ oder die Vermittlung neuer Qualifikationen. Eine solche Qualifikationsvermittlung findet statt im Rahmen der Ausbildung (erste berufsvorbereitende Bildung), der Fortbildung (berufsbegleitende Bildung zur Anpassung der Qualifikation an neue <?page no="122"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 121 Erfordernisse des bisherigen Arbeitsplatzes), der Weiterbildung (berufsbegleitender Erwerb zusätzlicher neuer Qualifikationen für höherrangige Tätigkeiten) und der Umschulung (Erlernen eines neuen Berufes). Nach diesem - im Folgenden vorausgesetzten - engen Verständnis bildet die Personalentwicklung eher eine Ergänzung zur Personalselektion. Man versucht, das bereits vorhandene Personal gezielt weiterzuentwickeln. Was die Inhalte der Personalentwicklung betrifft, können diese in der Vermittlung von fachlichem Wissen (bspw. über ethische Investmentfonds), von berufsbezogenen Fertigkeiten (bspw. Bedienen einer neuen Maschine) und generellen Fähigkeiten bestehen. Zu diesen generellen Fähigkeiten zählen bspw. Lern-, Team-, Kommunikations-, Führungs- und Konfliktfähigkeit. Andere nennen neben der Fach- und Methodenkompetenz noch die soziale Kompetenz, die interkulturelle Kompetenz und ethische Kompetenz als zentrale Qualifikationserfordernisse insbesondere für Manager (vgl. Thommen [Management- Kompetenz] 18). Mit der Unternehmensethik kann die Personalentwicklung also auf zwei Arten verbunden werden: - Die Personalentwicklung ist Teil eines verantwortlichen Personalmanagements - und soll inhaltlich die moralische Kompetenz der Mitarbeiter verbessern. (a) Personalentwicklung als Teil verantwortlichen Personalmanagements Mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Grundgesetz Art. 2) und dem Recht auf Bildung (UN- <?page no="123"?> 122 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Menschenrechtserklärung Art. 26) kann begründet werden, warum es geradezu als Pflicht der Unternehmen angesehen werden kann, Mitarbeiter aus- und fortzubilden. Wer die Chance zur Selbstentfaltung der Menschen erhöhen will, muss auch wollen, dass ihnen Bildung und Ausbildung offen stehen. So wurde in den letzten Jahren immer wieder von den Unternehmen eingefordert, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen und mehr Jugendlichen Ausbildungsplätze bereit zu stellen. Die Erhöhung der Qualifikation der Mitarbeiter gilt zudem als wichtiger Bestandteil der Humanisierung der Arbeit. Von den Unternehmen wird gefordert, den Mitarbeiter nicht einseitig als Produktionsfaktor zu begreifen, der passiv an die Bedürfnisse des Unternehmens anzupassen ist, sondern als entwicklungsfähiges und -williges Subjekt mit persönlichem Interesse an Bildung und Entfaltung der eigenen Fähigkeiten. Der Mitarbeiter wird als Adressat der Unternehmensverantwortung verstanden, als ein Stakeholder mit legitimen Interessen. Die Erwartungen und Wünsche der Mitarbeiter hinsichtlich der Bildungsmöglichkeiten sollten deshalb in der Personalentwicklung Berücksichtigung finden. Entwicklungsmaßnahmen sind diskriminierungsfrei zu gestalten, sollten bspw. auch älteren Mitarbeitern noch offen stehen. (b) Personalentwicklung zur Unterstützung der Unternehmensethik Während die Mitarbeiter oben als Stakeholder der Unternehmung angesehen wurden, werden sie nun in der Rolle als Unternehmensmitglieder gesehen, welche sich gegenüber den anderen Stakeholdern moralisch verhalten sollen. Die Ethik wird zum Inhalt der Personalentwicklung. Eine ethische Aus- und Weiterbildung des Personals <?page no="124"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 123 gehört zu den sehr häufig genannten Maßnahmen zur Umsetzung der Unternehmensethik in die Praxis. Entwicklungsziel: Moralische Kompetenz Als Ziel der Personalentwicklung gilt in diesem Zusammenhang die Verbesserung der moralischen (manchmal auch sittlichen oder ethischen) Kompetenz. Dahinter verbergen sich wiederum verschiedene Teilkompetenzen, was die inhaltliche Bestimmung des Begriffs erschwert. Abbildung 6 versucht, den Begriff der moralischen Kompetenz über die Beschreibung der zugehörigen Teilkompetenzen zu konkretisieren (in Anlehnung an Staffelbach [Management-Ethik] 421ff.). moralische Sensibilität Kompetenz zur (adäquaten) Wahrnehmung moralischer Probleme moralische Urteilskraft Damit ist die Kompetenz gemeint, sich in einer konkreten Situation ein Urteil darüber zu bilden, was das sittlich Gute ist moralische Motivation Gründe für die Bereitschaft zum sittlichen Handeln in der Praxis Verständigungskompetenz (bestehend aus Kommunikations-, Kooperations- und Konfliktfähigkeit) Bildet die Voraussetzung dafür, dass moralische Konflikte im multipersonalen Kontext diskursiv gelöst werden können Abb. 6: Teilbereiche der moralischen Kompetenz <?page no="125"?> 124 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Verbesserung der moralischen Sensibilität Inne rhal b der Te ilkom pet e nzen lasse n si ch we ite rhin noch eher kognitive und eher affektive Aspekte unterscheiden, also Aspekte des Wissens/ der Fertigkeit und solche der inneren Einstellung. Betrachtet man zunächst die moralische Sensibilität, so besteht die kognitive Komponente in dem Wissen um die Folgen des eigenen Handelns für andere und in der Kenntnis von Werten und Normen. Es muss klar sein, dass die eigenen Entscheidungen und Handlungen auf jeden Fall auch eine moralische Dimension haben, dass man immer neben der ökonomischen Effektivität auch die moralische Zulässigkeit einer Entscheidung oder Handlung in Frage stellen kann. Erforderlich sind Weitsicht und Voraussicht, d.h. die Fähigkeit, die räumlich sowie zeitlich nahen und fernen Folgen abzuschätzen. Um den Mitarbeitern die Normativität und Werthaftigkeit ihres Handelns vor Augen zu führen, ist bspw. eine Auseinandersetzung mit dem Unternehmensleitbild sinnvoll. Da die Einhaltung der Gesetze oft als moralisches Minimum gilt, ist es sicher auch sinnvoll, die Mitarbeiter mit den Gesetzen bekannt zu machen, die für ihren Arbeitsbereich einschlägig sind. Die aktuelle Finanzanlagenvermittlungsverordnung (FinVermV) fordert in §1 als erstes die Sachkunde des Mitarbeiters, vor allem auch Kenntnisse der einschlägigen Gesetze. Außerdem ist zu vermitteln, dass die Einhaltung der Gesetze tatsächlich vom Unternehmen erwartet wird. Mit Hilfe des Stakeholderkonzeptes kann weiterhin sehr gut visualisiert werden, dass die Auswirkungen eigener Entscheidungen und Handlungen viele Menschen (negativ) betreffen können. Die affektive Komponente besteht in der inneren Bereitschaft, die Rechte und Interessen anderer als grund- <?page no="126"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 125 sätzlich gleichwertig anzuerkennen, in der Fähigkeit, sich in andere einzufühlen und auf sie Rücksicht zu nehmen. Gefördert werden kann diese Dimension der moralischen Sensibilität vor allem durch die Diskussion von Fällen, in denen sich verschiedene berechtigte Ansprüche gegenüberstehen (Dilemmata). Mit Rollenspielen kann das Einfühlungsvermögen entwickelt werden, weil man sich ja in den anderen hineinversetzen muss, um seine Rolle zu spielen. Verbesserung der moralischen Urteilskraft und Motivation Moralische Urteilskraft wird hier so verstanden, dass eine Person in der Lage ist, beim Handeln den moralischen Standpunkt einzunehmen und zu urteilen, welche Handlungsalternative die sittlich richtige ist. Als moralische Motivation werden die Gründe bezeichnet, die jemand für sein richtiges Handeln hat. Untersuchungen zur moralischen Entwicklung von Kindern haben gezeigt, dass dabei bestimmte typische Stufen durchschritten werden bis hin zu einer im Hinblick auf Urteilskraft und Motivation voll ausgebildeten Moralität. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang besonders das Stufenschema von Lawrence Kohlberg (vgl. [Is]). Es wird in Abbildung 7 skizziert. Kohlberg unterscheidet drei moralische Entwicklungsniveaus (mit jeweils zwei hier nicht im Einzelnen dargestellten Stufen). <?page no="127"?> 126 7 Die innerbetrieblichen Institutionen a) Präkonventioneller Level Man hat im Grunde keine moralischen Überzeugungen von richtig und falsch, sondern orientiert sich im Handeln am eigenen Vorteil. Wenn man Regeln folgt, dann weil sie von Autoritätspersonen befohlen werden und man bei einer Übertretung bestraft wird oder weil man sich von ihrer Einhaltung Vorteile erhofft. Handeln und Entscheidungen sind mehr von den äußeren Bedingungen als von inneren Überzeugungen geprägt. Rücksicht auf die Interessen anderer ist von Zufälligkeiten abhängig, wenn es gerade vorteilhaft erscheint. Gerechtigkeitsempfinden spielt keine Rolle. b) Konventioneller Level Auch auf dieser Stufe orientiert man sich an der Einhaltung von extern vorgegebenen Regeln, aber nicht aus Angst vor Strafe, sondern aus Respekt für das Regelsystem und die dahinter stehenden Autoritäten. Man hält es aus Überzeugung für richtig, die bestehende soziale Ordnung aufrecht zu erhalten, Gesetzen zu gehorchen und (staatliche) Autoritäten zu respektieren, unabhängig von den unmittelbaren Folgen für einen selbst. Die Interessen anderer werden anerkannt, man will vor allem den Menschen, die man kennt, gefallen und helfen. Das moralische Urteil ist sehr stark geprägt davon, was normalerweise als richtig gilt bzw. was von der Bezugsgruppe/ Gesellschaft, in der man lebt, erwartet wird. c) Postkonventioneller Level Das Individuum sucht nach Werten und Prinzipien, die gültig erscheinen, unabhängig davon, ob bestimmte Autoritätspersonen oder Gruppen sie vertreten. Man ist in der Lage, bestehende Regelsysteme und Autoritäten in Frage zu stellen und sich selbst ein Urteil zu bilden. Das <?page no="128"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 127 Urteil erfolgt vor dem Hintergrund der Anerkennung von universellen Prinzipien (bspw. dem kategorischen Imperativ) und Werten (wie Würde der Person, Gleichheit, Gerechtigkeit). Werden bestehende Regelsysteme anerkannt, dann weil sie einer individuellen Überprüfung nach diesen Prinzipien und Werten standgehalten haben. Die Motivation zum moralischen Handeln kommt aus der innersten Überzeugung von dessen Richtigkeit und Notwendigkeit. Die Rechte aller Menschen werden respektiert. Abb. 7: Stufen der moralischen Entwicklung nach Kohlberg Was die Urteilskraft betrifft, wird eine Höherentwicklung also darin gesehen, sich von der Fremdvorgabe von Normen zu lösen und zu einem eigenen Urteil zu kommen (von der Heteronomie zur Autonomie). Zudem weitet sich der Blick aus vom Ich, über den konkreten anderen bis hin zum abstrakten anderen. Bei der Motivation liegt die Entwicklung in der Verlagerung der Gründe für moralisches Handeln von den externen Anreizen (Bestrafung, Belohnung) zur inneren Bindung an die Moral (moralische Gesinnung). Es wird i. A. als Ziel der ethischen Personalentwicklung angesehen, einen höheren bzw. den höchsten Level der moralischen Entwicklung zu erreichen. Ziel ist nicht die Indoktrination bestimmter Werte und Normen, sondern die Verbesserung der Struktur moralischen Urteilens. Adressaten der Entwicklung Auf die moralische Kompetenz einzuwirken ist sicher leichter in jüngeren Jahren, wenn sich die eigenen Denkweisen und Überzeugungen noch nicht so verfestigt ha- <?page no="129"?> 128 7 Die innerbetrieblichen Institutionen ben. Das spricht für eine Konzentration der ethischen Personalentwicklung auf die Auszubildenden. Beispiel: Bei BMW durchlaufen alle Auszubildenden die Schulung „Nachhaltigkeit von Anfang an“, durch welche sie mit dem Konzept der Nachhaltigkeit im Allgemeinen und den Nachhaltigkeitsstrategien von BMW im Besonderen bekannt gemacht werden. Neben den Unternehmen sind in diesem Bereich auch die Schulen und Universitäten gefordert. Die besondere Verantwortung und die Vorbildfunktion prädestinieren auch die Führungskräfte als Adressaten für Entwicklungsmaßnahmen im Bereich Unternehmensethik. Sie bilden die Hauptklientel extern durchgeführter Ethik-Seminare. Schließlich sind alle Mitarbeiter zumindest insoweit Adressaten von ethischen Personalentwicklungsmaßnahmen, als ihnen die ethischen Standards des Unternehmens, die bspw. in einem Unternehmensleitbild formuliert sind, bekannt gemacht werden müssen. Positiv auf die Moralentwicklung wirken sich auch organisatorische Maßnahmen aus. Das spricht für eine parallel Personal- und Organisationsentwicklung. 7.4.2 Organisationsstruktur Organisation kann verschieden definiert werden (vgl. Bea/ Göbel [Organisation] 2ff.). Im betriebswirtschaftlichen Kontext versteht man darunter zumeist das System genereller und relativ stabiler Normen zur Arbeitsteilung und Koordination in einem Unternehmen. Diese Aufbauorganisation legt fest, wer wel- <?page no="130"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 129 che Aufgaben zu erfüllen hat, wer wem Weisungen erteilen darf, wer sich mit wem über was abstimmen muss, wer wen über was informieren muss usw. Die Unternehmung hat in diesem Sinne eine Organisation, die sich formal bspw. in einem Organigramm, in Stellenbeschreibungen, Arbeitsrichtlinien usw. niederschlägt. Daneben kann man auch die ordnende Tätigkeit, die zum systematischen Vollzug der Unternehmensaufgabe führt, als Organisation bezeichnen. Schließlich wird auch die Unternehmung als Ganzes eine Organisation genannt, weil sie im Unterschied zu anderen Institutionen, die das Leben der Menschen ordnen, die Merkmale der bewussten Gründung, der Zielgerichtetheit und der expliziten Mitgliedschaft aufweist. Im Folgenden geht es um die Organisation im erstgenannten Sinne, also um die stabile Struktur, die ein Unternehmen hat. Diese kann in zweierlei Weise mit der Unternehmensethik verbunden werden: - Erstens werden an die Gestaltung der Organisationsstruktur selbst moralische Anforderungen gestellt. Im Hinblick auf die Mitarbeiter wird gefordert, dass deren Eigenwert und Subjektgeltung auch in der Organisationsstruktur berücksichtigt wird. Sie sollen in ihrer Arbeit nicht nur als Mittel zum Zweck, als Rädchen im Getriebe, sondern als Person mit Würde angesehen werden. Entsprechende Forderungen zur Humanisierung der Arbeit werden schon seit Jahrzehnten diskutiert. In Bezug auf die Organisationsstruktur gilt als menschengerecht: Schaffung von Entscheidungs- <?page no="131"?> 130 7 Die innerbetrieblichen Institutionen und Gestaltungsspielräumen, mehr Mitbestimmung und Eigenverantwortung, Abwechslung bei der Arbeit, Möglichkeiten zu sozialen Kontakten, stärkere Integration von Kopf- und Handarbeit, von Entscheidung und Ausführung, Abbau ausgeprägter Arbeitsteilung und strikter Hierarchie, Möglichkeiten zum Lernen. - Zweitens ist auch bei der Organisationsstruktur zu fragen, ob und wie sie die Individualmoral der Unternehmensmitglieder institutionell fördert oder auch behindert. Diese Perspektive steht im Folgenden im Vordergrund. Dabei können wiederum zwei Ansatzpunkte unterschieden werden. Zum einen geht es darum, organisationale Barrieren abzubauen, die häufig die Umsetzung von Verantwortung behindern. Zum anderen sollen zusätzliche organisationale Möglichkeiten zur Unterstützung der Unternehmensethik geschaffen werden. (a) Abbau von organisationalen Verantwortungsbarrieren Als strukturelle Barrieren gelten (vgl. Oppenrieder [Implementationsprobleme] 25ff.): division of work (Spezialisierung), separation of decision (Trennung von Entscheidung und Ausführung) und strict line of command (Prinzip von Befehl und Gehorsam). <?page no="132"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 131 Horizontale Arbeitsteilung Die erste Barriere (division of work) bezieht sich auf die horizontale Teilung der Arbeit in der Form der Spezialisierung. Eine solche Spezialisierung kann auf verschiedene Art und Weise zu moralisch unerwünschten Ergebnissen beitragen: Es kann durch die mangelhafte Koordination von arbeitsteiligen Handlungen leichter zu Missverständnissen und Fehlern kommen, die keiner gewollt hat, die aber zu fatalen Folgen führen. Zum Beispiel könnte unklar sein, bei wem die Zuständigkeit für die Kontrolle eines Teils liegt: beim Wareneingang, bei der Produktion oder beim Warenausgang. Weil jede Abteilung denkt, dass die anderen zuständig sind, wird schließlich gar nicht kontrolliert und es kommt zur Gefährdung von Kunden. Verantwortung lässt sich vortrefflich abschieben, wenn jeder nur einen kleinen Teilschritt in einem Gesamtprozess übernimmt. Eine starke Arbeitsteilung begünstigt eine Erscheinung, die als „déformation professionelle“ bezeichnet wird. Die Experten entwickeln häufig eine extreme Selektivität des Blickwinkels, d.h. sie sehen nur noch einen kleinen Ausschnitt aus der Welt und verdrängen alle anderen Aspekte, einschließlich der möglicherweise negativen Folgen ihres Handelns für andere. Überdies schotten sie sich gegen Kritik mit einer eigenen Sprache ab und neigen dazu, Gefahren, mit denen sie täglich umgehen, zu verniedlichen. Besonders problematisch wird dies bei einer Arbeitsteilung zwischen Stab und Linie, wenn die Experten zwar die Entscheidung vorbereiten, selbst aber nicht die letzte Entscheidungsverantwortung tragen. Der Experte kann sich moralisch entlasten, indem er darauf hinweist, dass er ja nur beraten, nicht aber entschieden hat. Der Linien- <?page no="133"?> 132 7 Die innerbetrieblichen Institutionen manager wiederum wird darauf verweisen, dass er sich auf die Sachkompetenz des Experten verlassen hat. Vertikale Arbeitsteilung Mit der zweiten und dritten Barriere (separation of decision, strict line of command) wird die vertikale Arbeitsteilung in Vorgesetzte und Untergebene, also die Hierarchie angesprochen. Die Untergebenen können ihre Verantwortung auf den Vorgesetzten abschieben, weil sie ja schließlich tun müssen, was ihnen befohlen wird. Der Druck auf die Mitarbeiter wird durch die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten der Vorgesetzten erhöht. Die Vorgesetzten können sich zu ihrer persönlichen Entlastung einerseits auf Befehle von noch höherer Stelle berufen und sich andererseits auf den Standpunkt zurückziehen, dass sie ja nur (quantitative) Ziele vorgeben, die Mittelwahl aber den Mitarbeitern überlassen. Man gibt bspw. hohe Verkaufsquoten für Finanzprodukte vor und sagt nicht, der Berater solle dem Kunden auch für ihn ungünstige Finanzprodukte aufschwatzen, obwohl das nahezu zwangsläufig die Folge der überhöhten Quoten ist. Ein weiteres Problem liegt in der Filterwirkung der Hierarchie. Gerade die vertikale Kommunikation ist häufig gestört. Untergebene hüten sich, negative Informationen und Kritik nach oben zu kommunizieren, Vorgesetzte ignorieren oder beschönigen problematische Informationen. Hinweise auf unmoralische Praktiken werden so von beiden Seiten geflissentlich übersehen. Ist die Hierarchie sehr steil, verstärken sich die Schwierigkeiten, weil die Kommunikationswege länger werden und die eigene Verantwortung immer marginaler erscheint. <?page no="134"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 133 Re-Integration getrennter Bereiche Die Barrierewirkung lässt sich auf die zahlreichen Trennungen zurückführen, die für die Organisationsstruktur im Unternehmen typisch sind: Die einen kaufen ein, die anderen produzieren, wieder andere verkaufen, den einen obliegt die Planung, den anderen die Ausführung einer Handlung, manche bereiten eine Entscheidung vor, andere treffen die Entscheidung, die einen arbeiten mit dem Kopf, die anderen mit den Händen usw. Wie bereits erläutert wurde, beinhaltet der Begriff „Verantwortung“ aber gerade eine integrative Perspektive. Es kommt auf die Absicht (Gesinnung), die Handlung und die Folgen an. Diese Integration wird aber durch die Struktur behindert. Die einen handeln nur auf Befehl von oben und schalten ihren Willen aus. Die anderen geben nur Ziele und Absichten vor, setzen sie aber nicht selbst in die Tat um. Die funktionale Arbeitsteilung bestärkt die Tendenz, die Folgen des Handelns nur partiell zu erwägen. Empfehlungen zum Abbau der Organisationsbarrieren basieren dementsprechend auch hauptsächlich auf der Idee der Re-Integration. In ganzheitlichen Arbeitsprozessen sollen Teilfunktionen wieder zusammengeführt werden, so dass auch ein Verantwortlicher für das Endergebnis benannt werden kann. Entscheiden, Ausführen und Kontrollieren, Denken und Handeln sollen wieder stärker integriert, die Hierarchie abgebaut werden. Die Selbstabstimmung von Teilaufgaben in der Gruppe soll die Verantwortung für die Koordination an die Ausführenden delegieren. Mit Job Rotation wird der Blick über den eigenen Zuständigkeitsbereich hinaus geweitet. Eine flache Hierarchie verbunden mit partnerschaftlicher Führung baut Informationsfilter ab. Durch mehr Autonomie <?page no="135"?> 134 7 Die innerbetrieblichen Institutionen wird Vertrauen in die Selbstverantwortung der Organisationsmitglieder signalisiert und deren moralische Kompetenz gestärkt. Möglichkeiten zur sozialen Interaktion legen den Grundstein für die interpersonale Verständigung. (b) Aufbau von organisationalen Unterstützungspotenzialen Der Abbau organisationaler Hemmnisse für verantwortliches Handeln reicht oft alleine noch nicht aus, um die Unternehmensethik zu stützen. Als weitere Maßnahme wird der Aufbau spezieller Strukturen mit ethischem Auftrag empfohlen. Einen Überblick über die möglichen Einrichtungen gibt die Abbildung 8. Vor- und Nachteile spezieller Stellen und Gremien für Unternehmensethik Die Einrichtung spezieller Stellen, Kommissionen oder Abteilungen für Unternehmensethik ist in Europa nicht so verbreitet wie in den USA, nimmt aber in der letzten Zeit deutlich zu. Tatsächlich kann man die Einrichtung solcher Organisationseinheiten auch problematisieren. Die Gründe dafür liegen zum einen darin, dass man in der Praxis vielfach der Meinung ist, die entsprechenden Aufgaben könnten und sollten von den Führungskräften selbst übernommen werden. Als erste Anlaufstelle für ethische Konflikte im Arbeitsbereich gilt bspw. der eigene Vorgesetzte. Zum anderen kann sogar eine Gefahr in der Einrichtung von speziellen internen Strukturen für die Unternehmensethik gesehen werden. Ein Ethikbeauftragter im Unternehmen könnte den Eindruck erwecken, als gäbe es einen Spezialisten, der für Ethik zuständig sei, und alle anderen brauchten sich nicht darum zu kümmern. <?page no="136"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 135 Einrichtungen für spezielle Stakeholder bzw. Anliegen Einrichtungen für den gesamten Bereich der Unternehmensethik Einzelpersonen Ombudsperson bspw. für Streitfälle mit Kunden Beschwerdestelle für Kunden Beauftragte (bspw. für Umweltschutz, für Gleichstellung, Verbraucherschutz) Public Interest Director … Ombudsstelle für Ethik Ethikbeauftragter CSR-Beauftragte Ethics officer Compliance officer … Gremien Arbeitsbewertungskommission Runder Tisch Nachhaltigkeit Antikorruptionsabteilung … Ethik-Kommission Abteilung für Umwelt- und Gesellschaftspolitik Compliance- Abteilung … Abb. 8: Spezielle interne Strukturen zur Unterstützung der Unternehmensethik <?page no="137"?> 136 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Der gesetzliche Zwang zur Etablierung bestimmter Beauftragter oder zur Einrichtung von Ethik-Kommissionen in bestimmten Bereichen ist aber ein Indiz dafür, dass man sich im Allgemeinen sehr wohl eine positive Wirkung davon verspricht, wenn bestimmte Personen oder Gremien explizit für ethische Belange zuständig sind. So ist es für Mitarbeiter sicher leichter, sich mit Bedenken wegen irgendwelcher Geschäftspraktiken an eine neutrale Ombudsperson zu wenden als an den eigenen Vorgesetzten. Auch für Stakeholder erleichtert es den Kontakt mit dem Unternehmen, wenn es spezielle Anlaufstellen gibt. Weiterhin fehlt es den Managern oft an dem nötigen Wissen, um die Folgen ihrer Handlungen abzuschätzen. Sie brauchen schon deshalb die Expertise von Spezialisten und institutionalisierte Möglichkeiten für den Austausch mit Kollegen und Betroffenen. Vor dem Hintergrund der Diskursethik ist die Einrichtung eines Forums für dialogische Verständigung mit den Betroffenen in Form einer Ethik-Kommission oder eines „Runden Tisches“ sogar eine der wichtigsten Maßnahmen der Unternehmensethik. Um es ein weiteres Mal zu sagen: Institutionen können kein Ersatz sein für die Individualmoral. Die Moralität kann nicht an eine spezielle Person oder ein Gremium delegiert werden. Aber die Verankerung der Unternehmensethik in der Struktur kann sehr wohl mithelfen, dass die Führungskräfte und Mitarbeiter, die sittlich richtig handeln wollen, dies auch können. Als letztes Thema im Zusammenhang mit der Unterstützung des „Könnens“ steht noch die Gestaltung der Informationssysteme aus, denn die Mitarbeiter benötigen auch <?page no="138"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 137 entsprechende Informationen, um verantwortungsvoll handeln zu können. 7.4.3 Informationssysteme und Controlling „Controlling“ ist sicher einer der schillerndsten Begriffe der Betriebswirtschaftslehre. Die Vielzahl an unterschiedlichen Controlling-Begriffen und -Konzeptionen kann hier nicht vorgestellt werden. In der Praxis wird Controlling in der Regel als eine Führungsunterstützungsfunktion verstanden, wobei der Schwerpunkt auf der Informationsversorgung der Führungskräfte liegt. Dazu zählt die Gestaltung von Informationssystemen ebenso wie die problemspezifische Informationsbereitstellung, also Sammlung, Verarbeitung und Übermittlung von Informationen. Was Umfang und Art der durch das Controlling zu beschaffenden Informationen angeht, bestehen unterschiedliche Auffassungen. Verbreitet ist die Ansicht, das Controlling solle die Unternehmensführung vor allem hinsichtlich der Erreichung der wirtschaftlichen Ziele Gewinn, Rentabilität und Liquidität unterstützen. Die entsprechenden Informationen kommen dann vor allem aus dem Rechnungswesen und dem Finanzbereich. Typische Instrumente sind erfolgsorientierte Kennzahlensysteme. Nach einer anderen Auffassung unterstützt das Controlling die Führung dagegen bei der Erreichung sämtlicher Unternehmensziele. Dementsprechend weiter gefasst wird auch die Informationsaufgabe. Das Controlling müsste dann bspw. auch Informationen zur Qualität der <?page no="139"?> 138 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Produkte, zur Kunden- oder Mitarbeiterzufriedenheit bereitstellen. Ebenfalls strittig ist das hierarchische Verhältnis von Unternehmensführung und Controlling: Soll das Controlling die Unternehmensführung mit Informationen „versorgen“, dann spricht das für eine organisatorische Unterordnung, eine Stabsfunktion des Controllingbereiches. Auf der anderen Seite wird dem Controlling aber auch die Aufgabe zugeordnet, die Rationalität der Führung zu sichern und Engpässe der Führungsrationalität auszugleichen sowie Führungshandlungen zu kontrollieren, kritisch zu reflektieren und zu verbessern. Damit gewinnt das Controlling eine übergeordnete Stellung gegenüber der Unternehmensführung. Es wird zur „Metaführung“ (vgl. Hahn [Controlling] 27). Die verschiedenen Controllingkonzeptionen führen auch zu unterschiedlichen Beziehungen zwischen Controlling und Unternehmensethik. Ethisches Controlling kann zum Ersten als Metaführungssystem verstanden werden, zum Zweiten als Führungsunterstützungssystem mit besonderen Informationsaufgaben. Übernimmt man die Perspektive, dass Controlling „Metaführung“ ist, dann hat ein ethisches Controlling Kontroll- und Verbesserungsaufgaben hinsichtlich einer verantwortungsbewussten Unternehmensführung wahrzunehmen (vgl. Weibler/ Lucht [Controlling] 881ff.). Ein solches Controlling würde die Unternehmenspolitik von Grund auf kritisch reflektieren. Ethisches Controlling würde damit praktisch deckungsgleich mit Unternehmensethik bzw. ethischem Management. <?page no="140"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 139 Wählt man die engere Perspektive des Controllings im Sinne eines Führungsunterstützungssystems mit der Aufgabe der Informationsversorgung, dann lassen sich wiederum zwei Bezüge zur Unternehmensethik herstellen: - Zum einen kann man - ähnlich wie bei der Organisationsstruktur - fragen, ob durch das herkömmliche Controlling Verantwortung behindert wird. - Zum anderen ist nach den Möglichkeiten zu fragen, durch Controlling die Unternehmensethik aktiv zu unterstützen. (a) Barrierewirkung des herkömmlichen Controlling Eine Barrierewirkung des Controlling kann dann bejaht werden, wenn es sehr stark mit erfolgsorientierten Kennzahlen arbeitet und das Informationssystem ganz auf die Erreichung des Gewinnbzw. Rentabilitätszieles in einzelnen Unternehmensbereichen ausgerichtet ist. Die controllingbasierte Ausrichtung der Führung auf die Verbesserung monetärer Zielvorgaben wird kritisiert, weil sie Handlungen fördert, die kurzfristig quantitativ messbare Ergebnisse bringen. Risiken werden ebenso ausgeblendet wie langfristige Folgen, schwerer messbare Folgen und Folgen, die in anderen Unternehmensbereichen anfallen (vgl. Friedl [Controlling] 288). Das ist für die Umsetzung der Unternehmensethik immer dann fatal, wenn die verantwortungsvolleren Handlungsmöglichkeiten nach den Maßstäben des Controlling schlechter abschneiden. Reputationseffekte fallen bspw. eher langfristig an, können nicht gut in Zahlen ausgedrückt werden und strahlen auch auf andere Bereiche aus. <?page no="141"?> 140 7 Die innerbetrieblichen Institutionen Ähnliches gilt für Humanisierungsprojekte in der Arbeitsgestaltung. Warum sollte ein Bereichsleiter dann eine Alternative wählen, die kurzfristig weniger Gewinn verspricht dafür aber auf Dauer (vielleicht) eine bessere Reputation oder Motivation der Mitarbeiter? Um diese Barrieren abzubauen, müsste sich das Controlling von der einseitigen Orientierung an monetären Erfolgsgrößen lösen und zu einer langfristigeren, qualitative und indirekte Folgen einbeziehenden Bewertung von Handlungsoptionen beitragen, wie es im Grunde auch schon seit Jahren für das sog. strategische Controlling gefordert wird. (b) Unterstützung der Unternehmensethik durch Informationsbereitstellung Da das Informationssystem auf das Zielsystem des Unternehmens ausgerichtet sein soll, erfordern veränderte Unternehmensziele auch Anpassungen beim Controlling. Durch die Unternehmensethik entstehen ganz neue Informationserfordernisse. Wenn sich das Unternehmen bspw. in seinem Leitbild zu einer nachhaltigen und sozialverantwortlichen Unternehmensführung verpflichtet und zur Bezahlung der Manager auch nach ihren „sozialen Erfolgen“, dann entsteht ein Informationsbedarf, der mit den üblichen betrieblichen Kennzahlen nicht befriedigt werden kann. Controlling als Führungsunterstützungssystem hat diese neuen Informationen bereitzustellen. Die von verantwortungsbewussten Führungskräften geforderte Weitsicht und Voraussicht, was die Folgen ihrer Entscheidungen betrifft, ist nicht nur eine Frage des Wollens, sondern auch des Könnens. Will ein Unternehmen bspw. die Einhaltung bestimmter Sozialstandards garantieren, dann müssen entsprechende „SozialAudits“ bei <?page no="142"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 141 den Lieferanten und Sublieferanten durchgeführt werden, um überhaupt zu wissen, welche Standards bei diesen gelten. Sollen die verkauften Produkte ökologisch unbedenklich sein, dann braucht man Informationen über ihre Umweltverträglichkeit. Will man Abfälle bei der Produktion reduzieren, sind zunächst einmal Informationen darüber zu erheben, welche Abfälle in welchen Mengen bei welchen Produktionsschritten anfallen. Die Informationen schlagen sich zunächst nieder in internen Berichten, welche zum einen die Entscheidungsgrundlage für künftige Aktivitäten bilden und zum anderen als rückblickende Kontrollinformation wirken. Sie bilden aber auch den Input für eine erweiterte externe Berichterstattung gegenüber der Öffentlichkeit, bspw. für CR-Reports. Viele Unternehmen fassen inzwischen ihre umwelt- und gesellschaftsbezogenen Aktivitäten in speziellen Nachhaltigkeitsberichten, CSR-Berichten bzw. CR-Reports und Gemeinwohlbilanzen zusammen. Darin geht es dann um Themen wie Work-Life-Balance und Diversity in Bezug auf die Mitarbeiter, um weniger Schadstoffausstoß, geringeren Energieverbrauch und verbesserte Recyclingquoten in Bezug auf die Umwelt, um gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne bei den Zulieferern aus Entwicklungsländern, um sinnvolle Produkte für die Kunden usw. Nach einer Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers gaben 2011 schon 26 der DAX-30-Unternehmen solche Berichte heraus. Beispiel: Beim Autohersteller BMW sind gut sechzig Mitarbeiter neben ihrem normalen Job beinahe ein Jahr lang damit beschäftigt, den alle zwei Jahre erscheinenden Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Unterstützt werden sie dabei von externen Partnern wie Wirt- <?page no="143"?> 142 7 Die innerbetrieblichen Institutionen schaftsprüfern, Redakteuren, Übersetzern und Lektoren. (c) Corporate Social Performance als Information für den Kapitalmarkt Wie g ut e in Unte rnehme n di e gefo rd ert e Ve rantwort un g insgesamt, also im sozialen, ökologischen und ökonomischen Bereich, wahrnimmt, versucht man mit der Messung der Corporate Social Performance (CSP) zu quantifizieren. Eine solche Maßzahl dient vor allem den Analysten und Investoren als Entscheidungshilfe, die ein ethisches Investment bevorzugen. Die Messung der CSP ist besonders für Unternehmensexterne allerdings mit vielen Problemen verbunden (vgl. Bassen/ Senkl [Leistungsindikatoren]). Es muss entschieden werden, welche Indikatoren zur Bewertung herangezogen werden. Die Messung der Höhe von Spendenleistungen bspw. ist sicherlich zu eindimensional. Die gesuchten Informationen sind häufig schwer zu finden, weil es keine standardisierte Offenlegung gibt. Sie liegen oft in narrativer, qualitativer Form vor („wir bemühen uns um den Umweltschutz“) und sind dann kaum zu quantifizieren. Ein Vergleich zwischen den Unternehmen fällt schwer, weil die Informationen zu unterschiedlich sind. Es ist nicht klar, wie zuverlässig die Informationen sind, wenn bspw. die Unternehmen selbst entsprechende Fragebögen ausfüllen. Wünschenswert wäre aus Sicht des Kapitalmarktes eine standardisierte, qualitätsvolle externe Berichterstattung, welche alle relevanten Informationen nachvollziehbar <?page no="144"?> 7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens 143 und am besten nachprüfbar liefert. Die Standardisierung kann die Kosten für die Informationssuche und Verarbeitung verringern und erhöht die Vergleichbarkeit der Informationen im Zeitablauf und zwischen den Unternehmen. Ob die Unternehmen bereit sind, solche CSP-Indikatoren zu messen und zu veröffentlichen, hängt auch von der Umwelt ab, in der sie agieren. Gibt es bspw. Organisationen, die sich Gedanken über die Messmöglichkeiten machen, setzt sich die Politik für eine solche externe Berichterstattung ein, machen Ratingagenturen und Investoren von den Informationen Gebrauch, um das ethische Investment zu fördern, dann wird es für das einzelne Unternehmen leichter, die „social performance“ zum Unternehmensziel zu machen. Wie überbetriebliche Institutionen die Unternehmensethik unterstützen können, wird nun zum Thema. <?page no="146"?> 88 ÜÜbbeerrbbeettrriieebblliicchhee IInnssttiittuuttiioonneenn <?page no="147"?> 146 8 Überbetriebliche Institutionen So wie der einzelne Mitarbeiter in die betrieblichen Institutionen eingebettet ist und in seinem Handeln von ihnen beeinflusst wird, so ist das Unternehmen als Ganzes wiederum in eine überbetriebliche Rahmenordnung integriert, welche einzelne Handlungen verbietet oder gebietet, unterstützt, nahelegt, belohnt oder bestraft. Zwar liegt die Hauptverantwortung für die Gestaltung der überbetrieblichen Institutionen zum großen Teil nicht mehr direkt bei den Unternehmen selbst, sondern bspw. beim Gesetzgeber, bei Verbänden, internationalen Organisationen und Civil Society Groups. Das enthebt die Unternehmen aber nicht einer wesentlichen Mitverantwortung. Im Kapitel 6 wurde diese Mitverantwortung unter dem Begriff der „ordnungspolitische Strategien“ bereits angesprochen. Die überbetrieblichen Institutionen übernehmen ebenfalls eine systemische Führungsfunktion, indem sie klar machen, was die Menschen tun sollen, sie motivieren, entsprechend zu handeln und ihnen bei der Umsetzung helfen. Abbildung 9 gibt einen Überblick über die jeweiligen Maßnahmen zur Unterstützung der Unternehmensethik. Abb. 9: Überblick über die überbetrieblichen Maßnahmen zur Unterstützung der Unternehmensethik <?page no="148"?> 8.1 Gesetze und Kodizes 147 88..11 Gesetze und Kodizes Wie bereits im ersten Kapitel erläutert, werden viele Erwartungen an die Unternehmen durch Gesetze verdeutlicht. Es gibt eine starke Tendenz, ursprünglich „nur“ moralische Erwartungen zu verrechtlichen. Das hat den Vorteil, dass die Regeln für alle gelten. Dadurch verringert sich die Gefahr, dass Unternehmen, die freiwillig den höheren moralischen Standards folgen, von weniger bedenklichen Wettbewerbern ausgebeutet werden. Auf der anderen Seite können sich die Unternehmen aber dann auch nicht mehr durch die Freiwilligkeit der Leistung profilieren. Und die ständig wachsende Menge von Gesetzen trägt zu einer enormen Bürokratisierung bei. Da trotz der Fülle der Gesetze längst nicht alles im Detail reguliert werden kann, gibt es neben den Gesetzen noch zahlreiche ergänzende ethische Kodizes und Konventionen. Sie haben folgende Funktionen: - Sie ergänzen das Recht dadurch, dass sie das Fehlen von Gesetzen in bestimmten Bereichen oder Ländern ausgleichen. - Sie sollen helfen, die Graubereiche der Gesetzgebung sinnvoll zu interpretieren. - Sie verpflichten die Unternehmen nochmals explizit auf die Einhaltung der Gesetze. - Sie vereinheitlichen die Standards für gute Unternehmensführung. - Sie können ethisch gesonnenen Mitarbeitern eine Hilfestellung für die Praxis geben. <?page no="149"?> 148 8 Überbetriebliche Institutionen Abb. 10: Die Prinzipien des Global Compact <?page no="150"?> 8.2 Kontrollen und Anreize 149 Die Verbindlichkeit ist unterschiedlich, die Einhaltung aber grundsätzlich rechtlich nicht erzwingbar. Es kann sich um eine rein appellative Empfehlung einer Privatperson oder Organisation handeln oder auch um eine innerorganisatorisch verbindliche Verpflichtung bspw. für alle freiwilligen Mitglieder eines Verbandes oder Vereins, verbunden mit der Androhung von Sanktionen gegen Verstöße. Solche Kodizes gibt es in Bezug auf bestimmte Produkte, Branchen, Berufe oder Problembereiche. Öffentlich bekannt sind vor allem Kodizes, die sich ganz allgemein an Unternehmen wenden, wie bspw. der in Abb. 10 dargestellte „Global Compact“. Die Prinzipien wurden abgeleitet aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, den Konventionen der International Labour Organization zu den Rechten der Arbeiter, der Rio-Erklärung zu Umweltschutze und Entwicklung und der UN-Konvention gegen Korruption. 88..22 Kontrollen und Anreize Viele Unternehmen bekennen sich mittlerweile zu den oben angeführten Verhaltensrichtlinien und haben sie explizit in einem Unternehmensleitbild verankert. Doch wie kann man sicher sein, dass die selbst auferlegten Regeln im Unternehmensalltag auch umgesetzt werden? Die Glaubwürdigkeit der Selbstverpflichtung steigt durch überbetriebliche Kontrollen deutlich an. Verschiedene Kontrollinstanzen sind denkbar: - staatliche Kontrollen, - Kontrollen durch die Öffentlichkeit, <?page no="151"?> 150 8 Überbetriebliche Institutionen - Kontrollen durch wirtschaftsnahe Organisationen, - Kontrollen durch gemeinnützige Organisationen, - kommerzielle Kontrollanbieter. Hinsichtlich der Einhaltung von Gesetzen gilt der Staat als Kontrollinstanz schlechthin. Der Global Compact setzt stark auf Kontrollen durch die Öffentlichkeit. Wirtschaftsnahe Organisationen wie Berufs- und Branchenverbände und Kammern kontrollieren die Einhaltung der von ihnen erlassenen Regeln. Als besonders glaubwürdig gelten gemeinnützige Kontrollinstanzen, weil sie unabhängig von den kontrollierten Unternehmen sind. Das ist besonders wichtig, wenn den Unternehmen durch Zertifikate und Gütesiegel verantwortliches Handeln bescheinigt werden soll. Mittlerweile hat sich das Kontrollieren und Zertifizieren von Unternehmen nach ethischen Kriterien auch zu einem neuen Markt für kommerzielle Anbieter entwickelt. Speziell um die Kontrolle sog. Ethischer Fonds kümmern sich spezialisierte Rating-Agenturen. Auch Unternehmensberatungen bieten CSR-Beratungen und Zertifikate an. Insbesondere bei wirtschaftsnahen und kommerziellen Kontrollanbietern stellt sich die Frage nach einer Kontrolle der Kontrolleure. Für die Durchsetzung von Verhaltensnormen im Bereich der Wirtschaft wird immer wieder als entscheidend angesehen, dass ihre Einhaltung nicht mit den ökonomischen Zielen kollidiert. Zwar ist die Ethik der Gewinnerzielung systematisch vorgeordnet, aber die geringsten Stakeholderkonflikte sind bei einer Harmonisierung von ökonomischen und ethischen Zielen im Unternehmen zu erwarten. Auf überbetrieblicher Ebene kann eine ganze Menge dafür getan werden, dass sich richtiges Handeln für <?page no="152"?> 8.2 Kontrollen und Anreize 151 Unternehmen auch auszahlt, zumindest aber keine untragbaren zusätzlichen Belastungen entstehen und Fehlverhalten sich nicht lohnt. Als unterstützende Anreize wirken: - die Bestrafung von Fehlverhalten, - die Kompensation von Zusatzkosten, - die Beseitigung von Fehlanreizen und - die Generierung von Zusatznutzen. Unmoralisches und sogar ungesetzliches Handeln von Unternehmen zahlt sich noch viel zu oft aus. Eine deutliche Sanktionierung von Fehlverhalten wäre hilfreich, auch als Signal an die anderen. Neben Geldstrafen wäre bspw. ein Ausschluss von öffentlichen Aufträgen möglich. Entstehen einem Unternehmen durch verantwortliches Handeln Zusatzkosten, könnten diese durch staatliche Transferzahlungen ausgeglichen oder mit günstigen Krediten oder Steuererleichterungen gefördert werden. Gleichzeitig müssen systematische Fehlanreize beseitigt werden. Überbetriebliche Institutionen können schließlich den Unternehmen auch helfen, aus ihrem verantwortlichen Handeln einen Zusatznutzen zu generieren. Glaubwürdige ethische Warenzeichen können bspw. den Unternehmen helfen, für Produkte aus sozial-ökologischer Produktion und fairem Handel höhere Preise zu erzielen. <?page no="153"?> 152 8 Überbetriebliche Institutionen 88..33 Wirtschaftsethische Ausbildung und Verbraucherbildung Bei der Förderung der ethischen Kompetenzen der Marktteilnehmer durch überbetriebliche Institutionen spielen insbesondere die Integration der Unternehmensethik in der Ausbildung sowie die Verbraucheraufklärung und -bildung eine entscheidende Rolle. Die ethische Personalentwicklung in den Unternehmen soll die moralische Kompetenz der Mitarbeiter und Führungskräfte verbessern. Das fällt umso leichter, je breiter die vorhandene Basis ist, die in früheren Sozialisierungsphasen bereits gelegt wurde. Der Staat erkennt seinen Auftrag zur Bildung der moralischen Kompetenz durchaus an, denn kein Staat kann auf die Dauer existieren, wenn nicht die große Mehrheit seiner Bürger die allgemeinen sittlichen Regeln des Miteinanders beachtet. Speziell in der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung wurde allerdings lange Zeit suggeriert, als Wirtschaftsakteur befände man sich in einer Art moralfreiem Raum und habe quasi die Pflicht, sich eigennutzmaximierend zu verhalten. Erst in den letzten Jahren wurde das Angebot an wirtschaftsethischer Ausbildung an den Schulen und Hochschulen deutlich erweitert. Als eine wichtige Ursache für die Zunahme des Lehrangebots gilt die wachsende Nachfrage seitens der Studierenden. Dies kann wiederum mit dem wachsenden Wunsch nach einer sinnvollen und gesellschaftlich nützlichen Arbeit begründet werden, aber auch mit dem wachsenden Interesse der Unternehmen an Absolventen mit einer gewissen Kompetenz in Sachen Wirtschaftsethik. Erstaunliche 90% der befragten Unternehmen waren nach einer Umfrage der IW Consult von 2011 für ein Pflichtfach Wirtschafts- und Unternehmensethik an den Hochschulen. <?page no="154"?> 8.3 Wirtschaftsethische Ausbildung und Verbraucherbildung 153 Ein weiterer Ansatzpunkt zur Harmonisierung von ökonomischen und ethischen Zielen in der Unternehmung liegt in der Aufklärung und Bildung der Verbraucher. Nach neoklassischer Theorie tragen sie die alleinige Verantwortung für die Marktergebnisse, weil sie schließlich mit ihrer Nachfrage das Angebot steuern würden. Wenn es also bspw. kritikwürdige Produkte gibt, dann sind die Konsumenten schuld, weil sie diese Produkte kaufen. Gegen eine solche umfassende Abschiebung der Verantwortung von den Produzenten auf die Konsumenten können vielerlei Einwände erhoben werden: Die Industrie erfindet ständig neue Produkte und Dienstleistungen und weckt den Bedarf danach durch massive Werbeaufwendungen. Das Angebot ist für die Verbraucher bei weitem nicht so transparent, wie es das Modell des idealen Marktes vorsieht. Die Verbraucher müssen auch Budgetrestriktionen beachten und können sich nicht immer das kaufen, was sie eigentlich bevorzugen würden (bspw. Bio-Lebensmittel). Ein Wechsel zu einem anderen Anbieter ist teilweise schwierig und mit hohen Kosten verbunden. Die Industrie bietet nicht immer an, was man gerne hätte (bspw. Produkte mit sehr hoher Lebensdauer). Trotz dieser Einwände kann ihnen natürlich eine gewisse Mitverantwortung nicht abgesprochen werden. Sie können mit ihrer Marktmacht Einfluss auf das Angebot nehmen. Unterstützung erfahren sie dabei durch Institutionen, die die Markttransparenz verbessern und bspw. mit glaubwürdigen Labeln und Siegeln besonders verantwor- <?page no="155"?> 154 8 Überbetriebliche Institutionen tungsbewusste Unternehmen für den Konsumenten erkennbar machen. Ziel der Verbraucherbildung ist ein reflektierter, kritisch-abwägender Konsum. <?page no="156"?> 99 FFaazziitt <?page no="157"?> 156 9 Fazit In den letzten Jahren ist immer klarer geworden, dass auch in einer Marktwirtschaft auf Moral und Ethos in der Unternehmensführung nicht verzichtet werden kann. Weder der Marktmechanismus noch die gesetzliche Rahmenordnung können legitimieren, dass unbändiger Eigennutz zum Vorrecht, ja zur Pflicht der Wirtschaftsakteure wird. Vielmehr ist auch von den Wirtschaftsakteuren zu fordern, Verantwortung zu übernehmen und sich über die Folgen des eigenen Entscheidens, Handelns und Unterlassens im Lichte ethischer Prinzipien Gedanken zu machen. Das gilt vorrangig für die Entscheidungsträger in den Unternehmen, die Unternehmer und Manager, weil von ihrem Handeln viele Menschen betroffen sind. Auch die Mitarbeiter in den Unternehmen tragen eine Mitverantwortung. Mitverantwortung tragen schließlich auch Konsumenten und Investoren. Diese können vor allem dazu beitragen, dass verantwortungsbewusstes Handeln der Unternehmen nicht zu Gewinneinbußen führt, sondern sich im Gegenteil lohnt. Als Konsumenten können sie bspw. biologisch erzeugten und/ oder fair gehandelten Lebensmitteln den Vorzug geben. Investoren können ihr Kapital bewusst solchen Unternehmen geben, die sich zur CSR verpflichtet haben. Damit wird ein potentieller Konflikt zwischen Gewinn und Moral entschärft. Dass von einer Verantwortung der Unternehmen bzw. Corporate (Social) Responsibility gesprochen wird, verweist auf eine weitere Ebene der Wirtschaftsethik. Die handlungsleitenden Strukturen und Systeme im Unternehmen sind so zu gestalten, dass die Individuen in ihrer Fähigkeit und ihrem Willen zur Verantwortung unterstützt werden. Die Individualverantwortung wird durch institutionelle Maßnahmen ergänzt, bspw. durch ein Unternehmensleitbild, Anreiz-, Kontroll- und Informationssysteme. <?page no="158"?> 9 Fazit 157 Weil auch die Unternehmen wiederum in handlungsleitende Strukturen und Systeme eingebettet sind, welche eine verantwortungsvolle Unternehmensführung mehr der weniger unterstützen, ist schließlich auch eine entsprechende Gestaltung der Rahmenordnung notwendig. Auf der Ebene des Staates können bspw. die wirtschaftsethische Ausbildung künftiger Führungskräfte sowie die Aufklärung und Bildung der Konsumenten gefördert werden. <?page no="160"?> LLiitteerraattuurrvveerrzzeeiicchhnniiss Argyris, Chris: On Organizational [Learning], Cambridge Mass., Oxford 1994. Bassen, Alexander, Senkl, Daniela: Ermittlung von [Leistungsindikatoren] nachhaltiger Unternehmensführung aus Kapitalmarktperspektive, in: Controlling, Themenheft 4/ 5 2010. Bea, Franz Xaver, Göbel, Elisabeth: [Organisation], 4. A., Stuttgart 2010. 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Klöster häuften früher durch geschicktes Handeln ein gewaltiges Vermögen an. Heute finden religiöse Werte durch den Corporate-Governance-Kodex Eingang in die Geschäftswelt und christliche Parteien prägen die Wirtschaftspolitik. Auf das Spannungsfeld zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gehen Päpste durch Sozialenzykliken seit dem 19. Jahrhundert ein: Leo XIII. forderte 1891 Lohngerechtigkeit sowie Arbeitnehmerrechte und gab damit der Sozialpolitik in Europa Aufwind. Weitere Sozialenzykliken folgten, wenn das freie Spiel der Marktkräfte zu sozialen Problemen führte. 2009 verwies Benedikt XVI. nach der Finanzkrise darauf, dass Globalisierung von einer »Kultur der Liebe« beseelt sein müsse. Damit brachte er die Globalisierung mit Verteilungsgerechtigkeit und Gemeinwohl in Zusammenhang. Auf die Sozialenzykliken der Päpste gehen die Autoren im Detail ein: Sie beleuchten den geschichtlichen Kontext ebenso wie deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Politik. So skizzieren sie einen dritten Weg der Päpste - ein alternatives Wirtschaftskonzept zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Hans Frambach, Daniel Eissrich Der dritte Weg der Päpste Die Wirtschaftsideen des Vatikans 2015, 283 Seiten, Flexcover ISBN 978-3-86764-600-0 19,99 €