Auf Bewährung
Die Straffälligenhilfe im Raum Basel im 19. Jahrhundert
1014
2019
978-3-7398-0255-8
978-3-8676-4892-9
UVK Verlag
Eva Keller
Im Fokus der Studie steht die Resozialisierung von Sträflingen im Laufe des 19. Jahrhunderts. In Zusammenarbeit mit staatlichen und kirchlichen Akteuren etablierten Philanthropen und Philanthropinnen in Basel eine Vielzahl von Maßnahmen inner- und außerhalb der Strafanstalten: Durch Schulunterricht, Arbeitsdisziplinierung, religiöser Unterweisung und Schutzaufsicht nach der Entlassung sollten verurteilte Straftäter und -täterinnen zu «produktiven» Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden.
Die so entstehende Straffälligenhilfe war in mehrfacher Hinsicht ambivalent: Ihre Praktiken bewegten sich stets auf einem schmalen Grat zwischen Disziplinierung und Fürsorge, zwischen Repression und Unterstützung, wobei es den Straffälligen wiederholt gelang, eigene Handlungsspielräume zu eröffnen. Das philanthropische Angebot war zugleich eingebettet in Dynamiken der Aushandlung und Anpassung gegenüber staatlichen sowie geistlichen Zuständigkeiten.
Die Basler Straffälligenhilfe dient damit auch als Linse auf die langwierigen Ausscheidungsprozesse zwischen privater, staatlicher und kirchlicher Wohlfahrtspolitik. Das grenzübergreifende Agieren aller Beteiligten ermöglicht zudem eine erweiterte transnationale Perspektive.
<?page no="0"?> Eva Keller Die Straffälligenhilfe im Raum Basel im 19. Jahrhundert Auf Bewährung <?page no="1"?> Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven Herausgegeben von Martin Dinges · Joachim Eibach · Mark Häberlein Gabriele Lingelbach · Ulinka Rublack · Dirk Schumann · Gerd Schwerhoff Band 35 Wissenschaftlicher Beirat: Richard Evans · Norbert Finzsch · Iris Gareis Silke Göttsch · Wilfried Nippel · Gabriela Signori · Reinhard Wendt Zur Autorin: Dr. Eva Keller ist Oberassistentin an der Abteilung für Schweizer Geschichte des Historischen Instituts der Universität Bern. Sie wurde 2017 mit vorliegender Arbeit an der Universität Bern promoviert. <?page no="2"?> Eva Keller Auf Bewährung Die Straffälligenhilfe im Raum Basel im 19. Jahrhundert UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz <?page no="3"?> Die vorliegende Studie wurde im Herbstsemester 2017 von der Philosophischhistorischen Fakultät der Universität Bern auf Antrag von Prof. Dr. Brigitte Studer als Dissertation angenommen. Gedruckt mit freundlicher Förderung der Dr. H. A. Vögelin Bienz-Stiftung für das Staatsarchiv Basel-Stadt. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1437-6083 ISBN 978-3-86764-892-9 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2019 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Einbandmotiv: «Basler Schellenwerker in den 1840er Jahren, Skizze von Ludwig Säuberlin nach dem Original aus den Lebenserinnerungen von Samuel Baur-Lippe» © Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD 17,54 Printed in Germany UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 www.uvk.de <?page no="4"?> 5 Inhalt Dank...........................................................................................................9 1 Einleitung.........................................................................................11 1.1 Die Straffälligenhilfe am Schnittpunkt verschiedener Forschungsfelder ........................................................................ 15 1.2 Die Gefängnisreformbewegung und ihr Weg in die Schweiz.......... 22 1.3 Das Beispiel Basel-Stadt .............................................................. 30 1.4 Quellenlage und Vorgehen.......................................................... 35 2 Chancen und Schwierigkeiten im frühen Freiheitsstrafvollzug: 1806-1820 .......................................................................................39 2.1 Die Stadt und ihre Gefängnisse ................................................... 39 Der Weg zum Kriminalgesetzbuch von 1821 .................................. 40 Kerker und Gefängnisse................................................................. 42 2.2 Disziplin in der Zuchtanstalt....................................................... 46 Hausordnung und Aufsicht............................................................ 46 Der Fall Brändlin .......................................................................... 48 Tanzende Insassinnen und ein Ausbruch zuviel ............................... 51 2.3 Religion und Arbeit in der Zuchtanstalt ....................................... 54 Geistliche im Strafvollzug .............................................................. 55 Reglementierung der geistlichen Tätigkeiten ................................... 57 Arbeit in der Zuchtanstalt.............................................................. 62 2.4 Zwischenfazit: Der Basler Strafvollzug auf dem Weg ins neue Jahrhundert................................................................................ 66 3 Philanthropisches Engagement und Ausbau der Arbeitsdisziplinierung: 1821-1833 ..................................................69 3.1 Der Beginn des Engagements der Gemeinnützigen Gesellschaft..... 69 Anhaltende Disziplinarprobleme in der Zuchtanstalt ....................... 70 Druck von außen .......................................................................... 72 Die Gründung der Zuchtanstaltskommission.................................. 74 3.2 Das Mehrverdienstreglement....................................................... 77 Die Einführung des Mehrverdiensts ............................................... 78 Das Reglement von 1827............................................................... 83 3.3 Anfänge der Entlassenenfürsorge und der geschlechtsspezifischenBetreuung................................................. 85 Anfänge der Entlassenenfürsorge .................................................... 86 Klassifikation der Häftlinge............................................................ 89 <?page no="5"?> 6 Der Frauenverein für weibliche Sträflinge ....................................... 91 3.4 Geistliche und weltliche Unterweisung ........................................ 95 Schulunterricht ............................................................................. 95 Reformierte Pfarrer und Theologiestudenten................................... 98 Katholisches Engagement ............................................................ 100 3.5 Zwischenfazit: Pragmatismus und Rentabilität............................ 102 4 Konsolidierung und Neuordnung der Straffälligenhilfe: 1833-1848 .....................................................................................107 4.1 Schulterschluss zwischen Philanthropen und Behörden ............... 107 Strafvollzug und Justiz nach 1833 ................................................ 108 Die Strafanstaltskommission ........................................................ 110 Umstrukturierung der Zuchtanstaltskommission........................... 113 4.2 Die Zuchtanstaltskommission wird Opfer ihres eigenen Erfolgs ... 116 Revision der Aufsicht in der Anstalt.............................................. 117 Lob und Kritik............................................................................ 121 Eine neue Aufgabe ...................................................................... 125 Mutterschaft in der Strafanstalt und der Frauenverein.................... 128 Der Frauenverein erhält einen Vorsteher....................................... 130 4.3 Weitere Schritte zu einer «Besserungsanstalt».............................. 133 Neue Hausordnung der Strafanstalt.............................................. 133 Eine Pfarrstelle in der Strafanstalt................................................. 135 Praxis der Straffälligenhilfe unter neuen Vorzeichen....................... 139 4.4 «Wenig Erhebliches zu berichten.» Schwierige Anfänge der Patronage................................................................................. 142 Guter Rat ist teuer....................................................................... 142 Zwischen Fürsorge und Aufsicht .................................................. 147 Umgang mit Kantonsfremden und dem Grenzraum...................... 149 4.5 Zwischenfazit: Monopolisierung und ein neues Betätigungsfeld... 152 5 Anstaltsneubau und das Zwischenspiel Zwangsarbeit: 1848-1874 .....................................................................................155 5.1 Neubau und Anstaltsrevision..................................................... 156 Die Sträflingspetition von 1848 ................................................... 156 Das Schällemätteli....................................................................... 158 Steigerung des Arbeitsertrags........................................................ 164 5.2 Erfolge und Misserfolge der privaten Bestrebungen..................... 167 Strategien und Strukturen............................................................ 167 Vernetzungsbestrebungen und Basler Zögern ................................ 176 Erfolgreiche Philanthropinnen ..................................................... 180 <?page no="6"?> 7 5.3 Die Patronagekommission sucht nach einer Daseinsberechtigung 187 Selbsterhaltung und Verpflichtung ............................................... 187 Die Straffälligenhilfe als letztes Auffangnetz .................................. 192 Zwangsarbeit als Lösung? ............................................................. 196 5.4 Zwischenfazit: Die Suche nach lokalen Lösungen ....................... 204 6 Rückschritte, Krisen und Professionalisierung: 1874-1911 ...........207 6.1 Die Strafanstalt gerät in Schwierigkeiten .................................... 208 Ein Ausbruchsversuch und seine Folgen........................................ 209 Die Strafanstaltsarbeit stößt auf Kritik .......................................... 211 Überbelegung und der Umgang mit den Sträflingen...................... 217 Die Krise von 1899 ..................................................................... 221 Entlassenenfürsorge und Frauenverein .......................................... 225 6.2 Von Nachzüglern zu Vorreitern - die Patronagekommission vernetzt sich ............................................................................. 235 Die Skepsis schwindet langsam..................................................... 236 Wachsendes Engagement............................................................. 240 Institutionalisierung und Professionalisierung der Basler Patronage. 244 6.3 Zwischenfazit: Durch Pragmatismus zur Avantgarde ................... 249 7 Fazit................................................................................................253 8 Abkürzungs- und Institutionenverzeichnis .....................................265 9 Quellen- und Literaturverzeichnis ..................................................267 9.1 Ungedruckte Quellen ............................................................... 267 9.2 Gedruckte Quellen ................................................................... 268 9.3 Literatur .................................................................................. 273 Anhang ...................................................................................................283 Anhang 1: Mitglieder der Zuchtanstaltskommission 1821-1833 und der Patronagekommission 1833-1911...................... 283 Anhang 2: Mitglieder der Zuchtanstaltsinspektion 1812-1833 und der STK 1833-1874 ............................................... 292 Anhang 3: Finanzen der Zuchtanstaltskommission 1824-1835 und der Patronagekommission 1840-1910...................... 298 Anhang 4: Finanzen der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910 .................... 300 Anhang 5: Insassen, Insassinnen und Entlassene der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910 .................................................. 301 Anhang 6: Strafanstaltsdirektoren 1835-1923.................................. 302 Anhang 7: Strafanstaltspfarrer 1827-1923....................................... 302 <?page no="8"?> 9 Dank Der Abschluss der vorliegenden Studie wäre nicht möglich gewesen ohne eine Vielzahl von Menschen, die mich während des Entstehungsprozesses maßgeblich unterstützt haben. Ihnen allen möchte ich hiermit herzlich danken. Zunächst ist dabei meine Doktormutter Brigitte Studer zu nennen: Sie ließ mir bei der Erarbeitung der Studie alle erdenklichen Freiheiten und verstand es immer wieder, durch hilfreiche Kommentare und Anmerkungen meinen Blick auf die wesentlichen Aspekte des Themas zu lenken. Regula Ludi danke ich für die bereitwillige Übernahme des Zweitgutachtens und ihre sehr nützlichen Hinweise für die Überarbeitung des Manuskripts. Für gegengelesene Kapitel, Methodendiskussionen und Vorschläge zum Aufbau sowie eine Vielzahl inhaltlicher Hinweise danke ich den Leitenden und Teilnehmenden der Graduate School Gender Studies des IZFG in Bern, insbesondere Ismael Albertin, Anina Eigenmann, Tanja Rietmann, Edith Siegenthaler und Brigitte Schnegg. Die ehemaligen und aktuellen Mitarbeitenden der Abteilung für Schweizer und Neueste Allgemeine Geschichte des Historischen Instituts der Universität Bern, Denise Bärtschi, Lisia Bürgi, Leo Grob und Matthias Ruoss haben mich stets moralisch und praktisch unterstützt. Während meiner Recherchearbeit konnte ich auf die Mitarbeitenden des Staatsarchivs Basel-Stadt und der Schweizerischen Nationalbibliothek zählen, die mir bei der Suche nach verschollenen Jahresberichten und obskuren Reglementen behilflich waren. Der Schweizerische Nationalfonds und das Centre d’histoire de Sciences Po in Paris ermöglichten mir während eines Jahres in der cité des lumières mit Forschenden aus der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Deren Inputs trugen dazu bei, meine Herangehensweise und meine Argumentation zu schärfen. Joachim Eibach unterstützte die Publikation meiner Dissertation als Mitherausgeber der Reihe «Konflikte und Kultur» und durch sehr hilfreiche Kommentare, die entscheidend zum jetzigen Gesicht der Studie beitrugen. Uta C. Preimesser vom Konstanzer Universitätsverlag begleitete den Publikationsprozess stets freundlich und geduldig. Für das sorgfältige Lektorat der Studie danke ich Daniel Rost. Für ihre Inputs aus anderen Disziplinen und Epochen und so manchen Denkanstoß, der in der einen oder anderen Form in die Studie einfloss, sei all jenen gedankt, die stets ein offenes Ohr für meine «lustigen Geschichten aus der Basler Strafanstalt» hatten und gleichzeitig dafür sorgten, dass die Straffälligenhilfe in meinem Leben nicht überhand nahm: Christoph Hertner, Elena Magli, Nathalie Pasche, Sarah Rindlisbacher, Christoph Schmid und Jennifer Schumann. Ein besonderer Dank geht auch an meine Familie: Anne-Catherine Im Hof, Markus Keller, Sarah Keller, Lukas Gerber und Regina Lerch haben mich sowohl während meines Studiums als auch in der Promotionsphase in unterschiedlichster Weise unterstützt und motiviert. <?page no="9"?> 10 Für sein nie nachlassendes Interesse an meiner Forschung, seine Bereitschaft, mit mir immer wieder Themen zu diskutieren, die in mehrfacher Hinsicht weit von der Karibik während der Revolutionskriege entfernt liegen und vor allem für seinen steten Rückhalt geht mein größter Dank an Flavio Eichmann. Seine gründliche Korrektur meines Manuskripts und seine kritische Perspektive waren für den Abschluss der vorliegenden Studie unverzichtbar. Franca Manon schließlich, danke ich fürs Warten. <?page no="10"?> 11 1 Einleitung Am 22. Juni 1821 stellte die Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen in der Stadt Basel (GGG) einen Antrag an den Kleinen Rat des Kantons Basel. Sie bat darum, sich mit einer eigens gegründeten «Kommission zur Mitwirkung bey löblicher Zuchtanstalt» an einer Verbesserung der Haftbedingungen in den städtischen Gefängnissen beteiligen zu dürfen. Das zuständige Gremium, die Zuchtanstaltsinspektion, wie auch der Kleine Rat Basels begrüßten dieses Ansinnen einhellig und gestatteten den Mitgliedern der Kommission nicht nur freien Zutritt zu den einzelnen Anstalten, sondern sicherten ihnen auch weitgehende Möglichkeiten der Einflussnahme auf Belange des Strafvollzugs zu. 1 Damit erhielt eine Gruppe von Basler Bürgern - Juristen, Kaufmänner und Geistliche - Zugang zum Symbol des obrigkeitlichen Gewaltmonopols schlechthin: dem Strafvollzug. Mit wohlwollender Billigung der Basler Behörden begannen die Kommissionsmitglieder, sich im größten Basler Gefängnis, der Zuchtanstalt im ehemaligen Predigerkloster, zu engagieren. Sie verschafften den Insassen und Insassinnen die Möglichkeit mit ihrer Arbeit einen kleinen Verdienst zu erzielen und etablierten nach und nach Schul- und Religionsunterricht für die Häftlinge. Zu dem Zweck arbeiteten sie eng mit den Geistlichen der Stadt zusammen, welche bereits seit Jahrzehnten als Seelsorger und Prediger in den Gefängnissen präsent waren. 1824 gründete sich zudem ein Frauenverein zur Betreuung weiblicher Sträflinge, der die Tätigkeit der Kommission ergänzte. So erarbeiteten private, staatliche und geistliche Akteure und Akteurinnen gemeinsam die Eckpfeiler einer Straffälligenhilfe, die durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch bestehen bleiben sollte. Die Heterogenität ihrer Träger und Trägerinnen brachte es mit sich, dass die Straffälligenhilfe immer wieder Schauplatz von Aushandlungsprozessen und Konflikten war. Stets mussten Kompetenzbereiche verhandelt, Pflichten verteilt und Machtverhältnisse unter den Akteursgruppen geklärt werden. Eine Analyse dieser Dynamiken erlaubt nicht nur Einblick in die Entstehung und Etablierung der Straffälligenhilfe in Basel, sondern auch in die Logiken der Zusammenarbeit zwischen Staat, Kirchen und Privaten in einem Bereich früher sozialer Sicherungsmaßnahmen. Die Straffälligenhilfe schrieb sich nämlich ein in ein stetig wachsendes vielfältiges Bündel von Unterstützungs- und Fürsorgemaßnahmen, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert angestoßen wurden. Aus den Aufklärungsgesellschaften hervorgegangene Vereine wandten sich in weiten Teilen Westeuropas dem wachsenden Problem des Pauperismus zu. So entwickelten sich philanthropische Gesellschaften, welche während des ganzen 19. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle in der Produktion sozialer Sicherheit übernehmen sollten. Den Ausführungen von Rainer Liedtke und Klaus Weber folgend, wird in der 1 StABS PA 146a Archiv der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und des Gemeinnützigen in Basel (1771-1977), U 3 Mitwirkung an der Zucht- und Arbeitsanstalt 1821-1832, Vorstand der GGG an die Zuchtanstaltsinspektion des Kleinen Rats Basel (KR BS), 22.6.1821; StABS PA 146a, U 3, Rathserkanntnis wodurch das Anerbieten der Gesellschaft zur Mitwirkung bei Verbesserung der Zuchtanstalt genehmigt wird, 4.7.1821. <?page no="11"?> 12 vorliegenden Studie unter dem Begriff der Philanthropie «das Engagement von Vertretern der reicheren Gesellschaftsschichten zugunsten von sozial deutlich schwächeren Gruppen» zusammengefasst. 2 Diese breite Definition unterstreicht nicht nur den grundlegend hierarchischen Charakter philanthropischer Praktiken. Sie öffnet zudem den Blick darauf, dass die Analyse philanthropischer Tätigkeit stets auch als Linse dienen kann, durch welche die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten des 19. Jahrhunderts betrachtet werden können. Die Philanthropen und Philanthropinnen schlossen die Lücken des kirchlichen und - noch kaum vorhandenen - staatlichen Engagements in der Bekämpfung der Massenarmut und im Umgang mit der aufkommenden «Sozialen Frage». Damit schufen sie sich Handlungsfelder an den Schnittstellen staatlicher, kirchlicher und privater Sphären, die dementsprechend von Kooperation und Konkurrenz geprägt waren. 3 In Basel war es die 1777 unter der Ägide des Aufklärers Isaak Iselin gegründete GGG, welche sich dieser Aufgabe annahm. Nachdem sie sich zunächst dem Schulunterricht und der sogenannten «Armenerziehung» gewidmet hatte, baute sie ihr Portfolio rasch aus und gründete bis 1820 mehr als zehn verschiedene Kommissionen, die sich der Bildung und Versorgung bedürftiger Bevölkerungsschichten verschrieben. 4 Dabei arbeiteten die Kommissionsmitglieder immer wieder auch mit staatlichen Behörden zusammen. 5 Trotz dieser bereits vorhandenen Erfahrungen gestaltete sich die Situation in der Straffälligenhilfe anders: Hier drang die GGG in ein existierendes System staatlicher Machtausübung vor und versuchte, ihre Ansichten und Ideen einzubringen. Dies stellte nicht nur neue Anforderungen an die Zusammenarbeit zwischen den Akteursgruppen, sondern prägte auch den Umgang mit den Straffälligen bzw. die Ausgestaltung der Straffälligenhilfe: Zwar sollten den Insassen und Insassinnen Instrumente für deren «Besserung» - sprich eine Anpassung an bürgerliche Normen - in die Hand gegeben werden, gleichzeitig galt es aber, den Abschreckungszweck des Strafvollzugs nicht zu verwässern. 6 Ergebnis war eine 2 Rainer L IEDTKE ; Klaus W EBER , Einleitung. Zivilgesellschaften im Spannungsfeld von Religion, Staat und Philanthropie, in: Rainer L IEDTKE ; Klaus W EBER (Hg.), Religion und Philanthropie in den europäischen Zivilgesellschaften. Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 2009, S. 9-18, hier: S. 10f. (Zitat S. 11). Zur Vielschichtigkeit des Begriffs vgl. auch Thomas D AVID et al., Einleitung. Philanthropie und Macht, 19. und 20. Jahrhundert, in: Traverse. Zeitschrift für Geschichte 13/ 1 (2006), S. 7-17; Sonja M ATTER ; Matthias R UOSS ; Brigitte S TUDER , editorial: philanthropie und sozialstaat, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 26/ 3 (2015), S. 5-14. 3 Bernard D EGEN , Zwischen Staat, Wirtschaft und Privatsphäre. Organisierte Gemeinnützigkeit als Teil des Non-Profit-Sektors, in: Beatrice S CHUMACHER (Hg.), Freiwillig verpflichtet. Gemeinnütziges Denken und Handeln in der Schweiz seit 1800, Zürich 2010, S. 123-146, hier: S. 125-138; M ATTER ; R UOSS ; S TUDER , editorial, S. 5-9; Beatrice S CHUMACHER , Einleitung, in: Beatrice S CHUMACHER (Hg.), Freiwillig verpflichtet. Gemeinnütziges Denken und Handeln in der Schweiz seit 1800, Zürich 2010, S. 10-26, hier: S. 10-17. 4 Sara J ANNER , GGG 1777-1914. Basler Stadtgeschichte im Spiegel der «Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige». Mit einem Beitrag von Hans Ulrich Fiechter, Basel 2015/ 2016, S. 213- 260, 427-429. Zur Gründung der GGG vgl. J ANNER , GGG 1777-1914, S. 108-112. 5 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 231-252. 6 Zum Begriff der Besserung im Kontext der Gefängnisreform vgl. Thomas N UTZ , Strafanstalt als Besserungsmaschine. Reformdiskurs und Gefängniswissenschaft 1775-1848, München 2001, S. 76-82. <?page no="12"?> 13 stetige Gratwanderung zwischen Fürsorge und Disziplinierung, zwischen Repression und Unterstützung. Dies ist im Grundsatz für die Philanthropie des 19. Jahrhunderts charakteristisch. Philanthropische Angebote waren stets an bestimmte Verhaltensanforderungen geknüpft und von hierarchischen Strukturen geprägt. Bei der Straffälligenhilfe musste diese Seite der Unterstützungsleistungen umso stärker hervortreten, war sie doch in ein grundsätzlich repressives System eingegliedert. Entsprechend deutlich manifestierte sich daher ihre grundlegende Ambivalenz. Eine weitere Komponente erhält die Ambivalenz der Straffälligenhilfe durch den Einbezug der Heterogenität der Träger und später auch Trägerinnen der Straffälligenhilfe. Private, staatliche und geistliche Akteure und Akteurinnen erarbeiteten die Strukturen gemeinsam und steckten sukzessive ihre Handlungsfelder und Kompetenzbereiche ab. Insbesondere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren dabei immer wieder einzelne Personen mehreren Gruppen zugehörig und übernahmen Funktionen in unterschiedlichen Sphären gleichzeitig. Trotzdem blieben die Pflichten und Kompetenzen der verschiedenen Akteure und Akteurinnen der Straffälligenhilfe durch das ganze 19. Jahrhundert hinweg Gegenstand von Aushandlungsprozessen und kleineren sowie größeren Konflikten. Dies ist, kurz umrissen, das Spannungsfeld in welchem sich die vorliegende Studie bewegt. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Organisation der Basler Straffälligenhilfe und ihrer Entwicklung im Laufe des 19. Jahrhunderts. Die detaillierte Analyse der Zusammenarbeit der drei Akteursgruppen erlaubt es, Prozesse und Zäsuren offenzulegen, welche die Entwicklung der Straffälligenhilfe prägten und zur Ausdifferenzierung verschiedener Kompetenzbereiche führten. Diese Fokussierung zieht eine Anzahl weiterer Themenfelder nach sich, die im Interesse einer möglichst umfassenden Analyse untersucht werden. Dazu gehören beispielsweise Fragen nach den Handlungsmöglichkeiten und -grenzen der Akteure und Akteurinnen sowie nach den spezifischen Praktiken der Straffälligenhilfe. Ihre Analyse trägt zur Klärung der Frage bei, wo sich die Straffälligenhilfe innerhalb entstehender Netze sozialer Sicherung verorten lässt und wie sich ihre Beziehung zum Staat, zur privaten Philanthropie und zu den Kirchen gestaltete - kurz: wie sich ihre Position im Rahmen des sich ausbildenden «Wohlfahrtspluralismus» des 19. Jahrhunderts charakterisieren lässt. 7 Die spezifische Situation Basels erlaubt es zudem, eine weitere Perspektive einzubringen, die bisher in der meist nationalstaatlich orientierten Historiographie 7 Zum Begriff vgl. Adalbert E VERS ; Thomas O LK , Wohlfahrtspluralismus - Analytische und normativ-politische Dimensionen eines Leitbegriffs, in: Adalbert E VERS ; Thomas O LK (Hg.), Wohlfahrtspluralismus. Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft, Opladen 1996, S. 9- 60. <?page no="13"?> 14 philanthropischer Vereine wenig beachtet wurde: 8 Es ist dies die Frage nach der grenzübergreifenden Zusammenarbeit zwischen Akteuren und Akteurinnen der Straffälligenhilfe in deutschen, schweizerischen und französischen Gebieten. Die Basler Straffälligenhelfer und -helferinnen standen nämlich von Beginn weg in Kontakt mit ihren Pendants in anderen Regionen. Als Grenzstadt beherbergte Basel in seinen Gefängnissen stets einen hohen Prozentsatz - im Laufe des 19. Jahrhunderts jeweils zwischen 30 und 50 Prozent - von Ausländern und Ausländerinnen, die nach Verbüßung ihrer Haft des Kantons verwiesen wurden. Dasselbe Schicksal blühte den kantonsfremden Verurteilten, die ca. ein Drittel aller Häftlinge stellten. Dies verlangte aus der Perspektive der Straffälligenhilfe nach einer Zusammenarbeit mit angrenzenden Gebieten, um zunächst die Heimführung Entlassener, später aber auch deren fortgesetzte Betreuung und Beaufsichtigung sicherstellen zu können. Hinzu kommt das relativ kleine Territorium des Halbkantons Basel-Stadt, das es erforderte, Entlassene auch außerhalb des Kantons unterzubringen. So entstand ein grenzübergreifendes Netzwerk der Straffälligenhilfe, welches in der Studie offengelegt und im Hinblick auf Organisationsweise, gegenseitige Abhängigkeiten und Normen analysiert werden soll. So wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass sich marginalisierte Personen im 19. Jahrhundert durch eine hohe Mobilität auszeichneten und sich oft in Grenzräumen bewegten, um sich so dem obrigkeitlichen Zugriff zu entziehen. Die teilweise Öffnung des Untersuchungsraumes über nationalstaatliche Grenzziehungen hinweg ermöglicht also in verschiedener Hinsicht neue Erkenntnisse. Gleichzeitig gilt es, die zentralen Entwicklungen der Gefängnisreformbewegung im Auge zu behalten und nach deren Einfluss auf die lokalen Entwicklungen in Basel und umgekehrt zu fragen. Mittels Publikationen, Referaten und später auch an Kongressen tauschten sich Gefängnisreformer und -reformerinnen aus europäischen und US-amerikanischen Gebieten miteinander aus und verbreiteten ihre Ideen für eine Verbesserung des Freiheitsstrafvollzugs. Die entsprechenden Schriften wurden auch in den Reihen der GGG rezipiert und verschiedene Vorschläge fanden Eingang in die Konzeption der Basler Straffälligenhilfe. So nahmen die Basler Akteure und in geringerem Maße wohl auch die Akteurinnen teil an den transnationalen Diskursen zur Gefängnisreformbewegung, welche die Entwicklungen in vielen europäischen Staaten beeinflussten. Patricia Clavin folgend, werden im Rahmen der vorliegenden Studie unter dem Begriff «transnational» sämtliche Beziehungen und Austauschprozesse zwischen nichtstaatlichen Akteuren, Akteurinnen und Institutionen verschiedener Staaten verstanden - also auch 8 Als Ausnahme hiervon zu nennen ist Thomas D AVID ; Ludovic T OURNÈS (Hg.), Monde(s). Histoire espace relations 6 (2014): Philanthropies transnationales, 2015. Zudem existiert eine Anzahl von Studien zu philanthropischer Tätigkeit im kolonialen Kontext, die aber hier nicht von Interesse sind. Vgl. exemplarisch Harald F ISCHER -T INÉ , Reclaiming Savages in «Darkest England» and «Darkest India»: The Salvation Army as Transnational Agent of the Civilizing Mission, in: Carey A. W ATT ; Michael M ANN (Hg.), Civilizing Missions in Colonial and Postcolonial South Asia. From Improvement to Development, New York 2011, S. 125-164. <?page no="14"?> 15 die Zusammenarbeit der Basler Philanthropen und Philanthropinnen mit Straffälligenhelfern und -helferinnen in anderen Staaten. 9 Durch den Einbezug der transnationalen Diskurse zur Gefängnisreform können diskursive Einflüsse auf die Basler Straffälligenhilfe nachgewiesen und der Stellenwert transnationaler Debatten im lokalen Kontext aufgezeigt werden, was es erlaubt, die mikrohistorische Analyse um eine Ebene zu erweitern. So entsteht ein Zusammenspiel zweier Untersuchungsebenen, in den Worten Jacques Revels ein «jeu d’échelle» 10 . Sein Konzept einer Verknüpfung unterschiedlicher Analyseebenen verspricht neue Erkenntnisse für die Zusammenhänge zwischen Praktiken und Diskursen. Der Rückgriff auf diskursive Verschiebungen trägt damit dazu bei, Veränderungen der Straffälligenhilfe und die ihnen zugrunde liegenden Dynamiken zu verstehen und zu deuten. 1.1 Die Straffälligenhilfe am Schnittpunkt verschiedener Forschungsfelder Die mehrfache Ambivalenz der Straffälligenhilfe bringt es mit sich, dass sie aus unterschiedlichen historiographischen Perspektiven betrachtet werden kann und für verschiedene Forschungsfelder Erkenntnisse bietet. Dennoch stand sie bisher kaum im Fokus historischer Forschung. Dies gilt insbesondere für die sozialpolitische Dimension der Straffälligenhilfe und damit auch für die Details der Zusammenarbeit zwischen Akteursgruppen und deren Umgang mit Reformideen und -bedürfnissen. Für die vorliegende Studie von Bedeutung ist primär die Dissertation von Désirée Schauz, Strafen als moralische Besserung. 11 Schauz befasst sich darin mit der Geschichte der Straffälligenhilfe in Deutschland zwischen 1777 und 1933 und deren diskursivem Hintergrund. Insbesondere analysiert sie dabei den religiös geprägten Besserungsgedanken, der den geistlichen und weltlichen Akteuren und Akteurinnen als Handlungsanleitung diente. Weiter ist auf die Studie Beyond the Prison Gates. Punishment and Welfare in Germany, 1850-1933 von Warren Rosenblum hinzuweisen. 12 Er analysiert verschiedene Praktiken der Straffälligenhilfe 9 Patricia C LAVIN , Defining Transnationalism, in: Contemporary European History 14/ 4 (2005), S. 421-439. Vgl. dazu auch Gunilla B UDDE ; Sebastian C ONRAD ; Oliver J ANZ , Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Jürgen Kocka zum 65. Geburtstag, Göttingen 2006; Kiran Klaus P ATEL , Überlegungen zu einer transnationalen Geschichte, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004), S. 626-645; Pierre-Yves S AUNIER , Transnational History. Theory and History, Basingstoke 2013, insbes. S. 1-12. Für die Anwendung des Begriffs auf das frühe 19. Jahrhundert vgl. S AUNIER , Transnational History, S. 5-7. Zur Gefängnisreformbewegung vgl. unten S. 22. 10 Jacques R EVEL (Hg.), Jeux d’échelles. La micro-analyse à l’expérience, Paris 1996. 11 Désirée S CHAUZ , Strafen als moralische Besserung. Eine Geschichte der Straffälligenfürsorge 1777-1933, München 2008. 12 Warren A. R OSENBLUM , Beyond the Prison Gates. Punishment and Welfare in Germany, 1850- 1933, Chapel Hill 2008. <?page no="15"?> 16 in Preußen und plädiert dafür, diese als Teil der Sozialpolitik zu verstehen. Seiner Studie fehlt jedoch die ausführliche Analyse lokaler Aushandlungsprozesse, die detaillierte Erkenntnisse zur Entstehung sozialer Sicherungsmaßnahmen im Umfeld des Strafvollzugs bieten könnten. Neben diesen beiden Werken ist noch Petra Recklies-Dahlmanns Studie Religion und Bildung, Arbeit und Fürsorge über die Rheinisch-Westfälische Gefängnisgesellschaft zu nennen, die jedoch stark einer Innenansicht des Vereins verhaftet ist und daher wenig Anknüpfungspunkte für die vorliegende Studie bietet. 13 Zur Gefängnisreformbewegung und den damit verbundenen Veränderungen des Strafvollzugs, des Strafrechts und der Kriminalpolitik existiert hingegen umfangreiche Literatur, in welcher die Straffälligenhilfe oft am Rand gestreift wird. Speziell hervorzuheben ist darunter die umfassende Studie von Thomas Nutz Strafanstalt als Besserungsmaschine, in welcher er den Gefängnisreformdiskurs zwischen 1775 und 1848 einer detaillierten Analyse unterzieht und sich auch dessen praktischer Implementierung in Preußen widmet. 14 Trotz des transnationalen Charakters des Gefängnisreformdiskurses, den Nutz nicht nur in dieser Studie herausarbeitet 15 , bleiben insbesondere die Ausführungen zur Praxis stark auf deutsche Gebiete fokussiert. Umso wertvoller für die vorliegende Studie sind daher die Arbeiten von Regula Ludi und Urs Germann, welche die Schweizer Verhältnisse fokussieren. Ludi befasst sich in Die Fabrikation des Verbrechens mit der kriminalpolitischen Entwicklung in verschiedenen Schweizer Kantonen zwischen 1750 und 1850. 16 Darin zeichnet sie detailliert nach, wie sich die Wahrnehmung bestimmter Verhaltensweisen als «kriminell» entwickelte, auf welche Weise die Obrigkeit ihre Kriminalpolitik als Kontrollinstrument einsetzte und welche Rolle Fürsorge- und Schutzaufsichtsvereine dabei spielten. Letzteres wird dabei wenig ausführlich behandelt, bietet aber trotzdem wertvolle Anknüpfungspunkte für die vorliegende Studie, indem Ludi den Blick für die Zusammenhänge zwischen obrigkeitlicher Kriminalpolitik und freiwilliger Straffälligenhilfe öffnet und insbesondere darauf hinweist, wie sich philanthropische Vereine mittels Kriminalisierungsstrategien ihre eigene Klientel schufen. Auch Germann nimmt in mehreren Studien die Folgen veränderter Strafrechtsparadigmen für bestimmte gesellschaftliche Gruppen in den Blick. So widmet er sich der forensischen Psychiatrie 17 , dem Jugendstraf- 13 Petra R ECKLIES -D AHLMANN , Religion und Bildung, Arbeit und Fürsorge. Die Rheinisch- Westfälische Gefängnisgesellschaft 1826-1850, Essen 2001. 14 N UTZ , Besserungsmaschine. 15 Thomas N UTZ , Global Networks and Local Prison Reforms: Monarchs, Bureaucrats and Penological Experts in Early Nineteenth-Century Prussia, in: German History 23/ 4 (2005), S. 431-459. 16 Regula L UDI , Die Fabrikation des Verbrechens. Zur Geschichte der modernen Kriminalpolitik 1750-1850, Bern 1999. 17 Urs G ERMANN , Psychiatrie und Strafjustiz. Entstehung, Praxis und Ausdifferenzierung der forensischen Psychiatrie in der deutschsprachigen Schweiz 1850-1950, Zürich 2004. <?page no="16"?> 17 recht 18 und allgemein den exkludierenden Elementen bestimmter kriminalpolitischer Revisionen. 19 Zuletzt befasste er sich in Kampf dem Verbrechen mit der schweizerischen Strafrechtsreform seit 1880 und der langwierigen Entstehung des Strafgesetzbuches von 1938/ 1942. 20 Darin zeichnet Germann nicht nur die Zusammenhänge zwischen dem transnationalen Strafrechts- und Gefängnisreformdiskurs und den schweizerischen Entwicklungen nach, sondern legt auch die führende Rolle von Schweizer Experten bei der Etablierung der Verwahrungs- oder Sicherungsstrafe gegen Ende des 19. Jahrhunderts dar. Die Studien von Germann und Ludi machen auch deutlich, dass die Zuschreibung «kriminell» keineswegs nur auf materialistische Gegebenheiten oder Fakten zurückzuführen war. Im Gegenteil waren Definition und Wahrnehmung strafbaren Verhaltens stets Ergebnis komplexer sozialer Prozesse, in welchen Institutionen, Individuen und soziale Hierarchien zusammenspielten. Entsprechend veränderte sich die Definition dessen, was als kriminell gedeutet wurde, im Laufe des 19. Jahrhunderts immer wieder. Fragen nach dieser Kriminalisierung, ihrer Entwicklung, ihren Gründen und ihren Objekten wurden denn auch in den letzten Jahrzehnten zu einem beliebten Forschungsfeld für Historiker und Historikerinnen. 21 Für die vorliegende Studie ist diese Forschung insofern von Bedeutung, als die Definitionen von Kriminalität stets auch Strafrecht und -vollzug beeinflussten. Besonders prägend waren dabei die jeweils vorherrschenden paradigmatischen Bilder des Straftäters oder der Straftäterin. Sie erwuchsen der Erforschung von Kriminalität und ihren Ursprüngen, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert eine stetig wachsende Anzahl von Personen beschäftigte. Peter Becker, der den so entstehenden Diskurs in seinem Werk Verderbnis und Entartung detailliert untersucht hat, stellt dabei eine grundlegende Verschiebung im Laufe des 19. Jahrhunderts sowohl in Bezug auf die Diskursträger als auch in Bezug auf die dominanten Verbrecherbilder fest. 22 So seien es zunächst im Strafvollzug tätige Männer, beispielsweise Polizeibeamte oder Untersuchungsrichter, gewesen, die, flankiert von Strafrechtsexperten, Moralreformern und Medizinern, den Diskurs prägten - Becker bezeichnet sie als «Praktiker» oder «Kriminalisten». 18 Urs G ERMANN , Bessernde Humanität statt strafender Strenge. Organisierte Gemeinnützigkeit und die Entwicklung der Jugendstrafrechtspflege im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Beatrice S CHUMACHER (Hg.), Freiwillig verpflichtet. Gemeinnütziges Denken und Handeln in der Schweiz seit 1800, Zürich 2010, S. 213-244. 19 Urs G ERMANN , Regulation statt Repression? Überlegungen zur Geschichte der schweizerischen Kriminalpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, in: Claudia O PITZ ; Brigitte S TUDER ; Jakob T ANNER (Hg.), Kriminalisieren - Entkriminalisieren - Normalisieren. Criminaliser - décriminaliser - normaliser, Zürich 2006, S. 195-209; Urs G ERMANN , Die schweizerische Strafrechtsreform zwischen (nationaler) Integration und (individuellem) Ausschluss, in: Studien und Quellen. Zeitschrift des Schweizerischen Bundesarchivs 29 (2003), S. 265-289. 20 Urs G ERMANN , Kampf dem Verbrechen. Kriminalpolitik und Strafrechtsreform in der Schweiz 1870-1950, Zürich 2015. 21 Für einen ausführlichen historiographischen Überblick zum 19. und 20. Jahrhundert vgl. Xavier R OUSSEAUX , Entre politique, économie, société et culture. Réflexions historiographiques sur deux siècles d’histoire du crime et de la criminalisation, in: Claudia O PITZ ; Brigitte S TUDER ; Jakob T ANNER (Hg.), Kriminalisieren - Entkriminalisieren - Normalisieren. Criminaliser - décriminaliser - normaliser, Zürich 2006, S. 17-54. 22 Peter B ECKER , Verderbnis und Entartung. Eine Geschichte der Kriminologie des 19. Jahrhunderts als Diskurs und Praxis, Göttingen 2002. <?page no="17"?> 18 Sie zeichneten das Bild des «Gauners», des meist männlichen Eigentumsverbrechers, der sich durch seinen Lebenswandel grundsätzlich von der bürgerlichen Gesellschaft unterschied. Als paradigmatisches Verbrecherbild wurde die Figur des Gauners zur Projektionsfläche all dessen, was nicht zum bürgerlichen Lebenswandel des frühen 19. Jahrhunderts passte, so beispielsweise in Bezug auf Arbeitsethik, Sexualverhalten, Sesshaftigkeit oder den Konsum von Alkohol. 23 Dieses sozial-moralische Bild von Kriminalität sei, wie Becker weiter ausführt, im Laufe des 19. Jahrhunderts von der Idee der Verbrecher und Verbrecherinnen als «kranke» oder «degenerierte» Menschen abgelöst worden. Als treibende Kraft hinter diesem Wandel nennt er die fortschreitende Verwissenschaftlichung der Kriminologie, die nun vermehrt von Psychiatern, Medizinern oder Anthropologen getragen wurde. An die Stelle von Alltagserfahrungen der Diskursträger oder frühen statistischen Erhebungen rückten entsprechend theoretische Konzepte und medizinische Untersuchungen. 24 Insbesondere Urs Germann und Désirée Schauz haben in der Folge darauf hingewiesen, dass diese von Becker postulierte Diskontinuität des vorherrschenden Verbrecherbildes nicht haltbar ist. So rückten zwar biologistische oder essentialistische Erklärungsversuche für kriminelles Verhalten gegen Ende des Jahrhunderts durchaus in den Fokus einer Vielzahl von Kriminologen - sie vermochten aber nie, das Bild der sittlich verwahrlosten Verbrecher und Verbrecherinnen komplett abzulösen. 25 Für die vorliegende Studie gilt es dennoch, die Verwissenschaftlichung kriminologischer Herangehensweisen und insbesondere die Frage nach den Verbrecherbildern, die Praktiken und Maßnahmen der Basler Straffälligenhelfer und -helferinnen prägten, mitzudenken. Dies umso mehr, als sich die historische Forschung weitgehend darin einig ist, dass die Medikalisierung des kriminologischen Diskurses zu einem Ausbau der präventiven, stärker an Sicherung oder Verwahrung von Straftätern und -täterinnen orientierten Maßnahmen beitrug. Eine Vielzahl von historischen und juristischen Abhandlungen zum Strafrecht und Strafvollzug im 19. Jahrhundert entstand bereits im frühen 20. Jahrhundert. 26 Obwohl diese frühe Literatur den Ansprüchen einer modernen wissenschaftlichen Abhandlung nicht standhalten kann, ist sie von einem 23 B ECKER , Verderbnis und Entartung, S. 20-25, 35-254. Zur Dominanz dieses Verbrecherbildes vgl. auch Dirk B LASIUS , Bürgerliche Gesellschaft und Kriminalität. Zur Sozialgeschichte Preußens im Vormärz, Göttingen 1976; S CHAUZ , Strafen, S. 78-104. 24 B ECKER , Verderbnis und Entartung, S. 20-27, 255-371. 25 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 104-119; S CHAUZ , Strafen, S. 248-268. 26 So u. a.: Léon B ARTHÈS , Du Rôle de l’État dans les industries pénitentiaires. Concession et réglementation du travail, 1791-1901, Paris 1903; Herbert D ANNENBERG , Liberalismus und Strafrecht im 19. Jahrhundert unter Zugrundelegung der Lehren Karl Georg von Waechters, Berlin 1925; Karl H AFNER ; Emil Z ÜRCHER , Schweizerische Gefängniskunde, Bern 1925; Karl H AFNER , Geschichte der Gefängnisreformen in der Schweiz, Bern 1901; Heinrich H ERM , Grundriss der schweizerischen Rechtsgeschichte, Zürich 1935; Robert von H IPPEL , Die Entstehung der modernen Freiheitsstrafe und des Erziehungs-Strafvollzugs, Jena 1931; W. S AMELI , Die Gefängnisstrafe nach schweizerischem Recht, Zürich 1929; Paul P OLLTZ , Strafe und Verbrechen. Geschichte und Organisation des Gefängniswesens, Leipzig 1910; Johann G. S CHAFFROTH , Geschichte des bernischen Gefängniswesens, Bern 1896; Ulrich S TUTZ , Die Schweiz in der deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1920; Rudolf Q UANTER , Deutsches Zuchthaus- und Gefängniswesen von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leipzig 1905. <?page no="18"?> 19 ereignisgeschichtlichen Standpunkt her von einigem Nutzen. Dasselbe gilt für die ebenfalls zahlreichen frühen Werke zur Entlassenenfürsorge und Schutzaufsicht 27 sowie zur bedingten Verurteilung und Entlassung 28 . Die frühe Forschung in diesen Bereichen war stark durch zeitgenössische Debatten über das Strafrecht und seine Kodifizierung beeinflusst. Dementsprechend konstruierten die Autoren und Autorinnen ein Fortschrittsnarrativ, in welchem sie die Etablierung des Freiheitsentzugs als Triumph der Aufklärung und im Zuge dessen als Durchsetzung humanistischen Gedankenguts deuteten. Auch die ausführlichste Studie zum Basler Strafvollzug, eine Abhandlung über die Geschichte der Strafanstalt von deren ehemaligem Direktor, Eduard Borel, aus dem Jahr 1954 29 , ist diesem Paradigma zuzurechnen. In Frage gestellt wurde diese Sichtweise erstmals in den 1970er Jahren durch den französischen Philosophen und Soziologen Michel Foucault. In surveiller et punir 30 stellte er die Entstehung der Strafanstalten in den Kontext der Ausdehnung der Disziplinarmacht des Staates und interpretierte die vermeintliche Humanisierung des Strafvollzugs als Maßnahme für eine gesteigerte Effizienz des Strafens. Foucault dehnte diesen Ansatz auch auf Schutzaufsichts-, Patronage- und andere Fürsorgevereine - auch religiöser Prägung - aus, die er als Teil eines die Gesellschaft durchziehenden «Kerkersystems» betrachtet. 31 Nach anfänglicher Skepsis übernahmen verschiedene Historiker und Historikerinnen Foucaults Thesen und interpretierten die Geschichte des Freiheitsstrafvollzugs als Geschichte der sich stetig steigernden Überwachung und Disziplinierung. 32 Für die 27 Josef V. H ÜRBIN , Die Schutzaufsicht für entlassene Strafgefangene in der Schweiz. Referat für die interkantonale Versammlung der Delegierten der schweizerischen Schutzaufsichtsvereine im Herbst 1901 in Zürich, Aarau 1901; Gustav R OHDEN , Probleme der Gefangenenseelsorge und Entlassenenfürsorge, Giessen 1908; Emil Z ÜRCHER , Die Schutzaufsicht nach dem Vorentwurf eines schweizerischen Strafgesetzbuches. Vortrag von Prof. E. Zürcher im zürcherischen Verein für Schutzaufsicht, gehalten am 9. Oktober 1912, Zürich 1912; Philipp T HORMANN , Ideen über den Ausbau der Schutzaufsicht, Aarau 1918; Ernst D ELAQUIS , Grundlagen, Grenzen und praktische Durchführung der Entlassenenfürsorge. Vorträge gehalten an der interkantonalen Konferenz für Entlassenenfürsorge in Bern am 26. Januar 1925, Bern 1925; Fritz M ÜLLER , Die Schutzaufsicht im schweizerischen Strafrecht, Stäfa 1930; Josef V. H ÜRBIN , Die Schutzaufsicht in der Schweiz, wie sie ist und wie sie sein sollte, hauptsächlich bezüglich der bedingt Entlassenen und der bedingt Verurteilten, in: Verhandlungen SVSG 22 (1901), S. 56-70. 28 H. A. M ANTEL , Die Ergebnisse des bedingten Straferlasses in Deutschland, Belgien, Frankreich und der Schweiz, Zürich 1912; Tell P ERRIN , De la remise conditionelle des peines, Genf 1904; Nelly M OUSSON , Die bedingte Entlassung im schweizerischen Recht. Eine rechtsvergleichende Studie, Heidelberg 1922; Hans F. P FENNINGER , Bedingte Verurteilung oder bedingter Strafvollzug im schweizerischen Strafrecht, in: Schweizerischer Juristentag 1928, 9.-11. September in Zürich. Festgabe der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, Zürich 1928, S. 137-171. 29 Eduard B OREL , Die Kantonale Strafanstalt Basel-Stadt. Vorgeschichte und gegenwärtiger Zustand, in: Der Strafvollzug in der Schweiz 5 (1954), S. 1-39. 30 Michel F OUCAULT , Surveiller et punir. Naissance de la prison, Paris 1975. 31 Michel F OUCAULT , Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a. M. 1977, S. 379-396. 32 So u. a. B LASIUS , Bürgerliche Gesellschaft; Alain B ATTEGAY , Les sociétés de patronage, in: Philippe F RITSCH ; Joseph I SAAC (Hg.), Disciplines à domicile. L’édification de la famille, Fontenay-sous-Bois 1977, S. 313-333; John C. F REEMAN , Prisons Past and Future, London 1978; David G ARLAND , Punishment and Welfare. A History of Penal Strategies, Aldershot 1985; Michael I GNATIEFF , A Just Measure of Pain. The Penitentiary in the Industrial Revolution, 1750-1850, London 1978; Michelle P ERROT (Hg.), L’impossible prison. Recherches sur le système pénitentiaire au XIXe siècle, Paris 1980. <?page no="19"?> 20 Schweiz ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Studie von Robert Roth zum Genfer Strafvollzug im 19. Jahrhundert 33 hervorzuheben, worin er auch die privaten Bestrebungen der Straffälligenhilfe beleuchtet. Kritik am Disziplinierungsansatz nach Foucault regte sich in den letzten Jahren vor allem dadurch, dass vermehrt nach der Handlungsmacht (agency) der Straffälligen gefragt wird und so die tatsächlichen Durchsetzungsmöglichkeiten der Disziplinarmacht in Frage gestellt werden. 34 Dieser Ansatz geht also von einer mindestens teilweisen Verhandelbarkeit obrigkeitlicher und philanthropischer Maßnahmen und Praktiken aus und nimmt die Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Sträflinge in den Fokus. Eine solche Perspektive ist für die vorliegende Studie von großem Wert, erlaubt sie es doch, die Detailanalyse der Dynamiken der Straffälligenhilfe um eine Ebene zu erweitern. Trotzdem sollen die Überlegungen Foucaults nicht komplett beiseite gewischt werden: Gerade die Interpretation von Fürsorgevereinen als Teil einer Disziplinarmacht muss bei der vorliegenden Analyse mitgedacht werden. Dies öffnet auch den Blick für das ebenfalls von Foucault begründete Konzept der Gouvernementalität. 35 Der Ansatz geht von einem feinmaschigen Netz der Machtausübung und Regulierung aus, in welchem verschiedenste Akteure und Akteurinnen Herrschaft über andere ausüben - seien dies beispielsweise Ärztinnen, Lehrer oder auch Philanthropen und Philanthropinnen. So können verschiedenartige Machtverhältnisse in den Blick genommen und analysiert werden, was wiederum ein umfassenderes Verständnis der Intentionen und Auswirkungen der Straffälligenhilfe des 19. Jahrhunderts ermöglicht. Dem inhärent ist die Frage nach dem Zusammenspiel staatlicher, privater und kirchlicher Kräfte in der Produktion von Wohlfahrt. Wie verteilen sich Zuständigkeiten und Kompetenzen, auch und besonders im finanziellen Bereich? Welchen Zielsetzungen fühlen sich welche Gruppierungen verpflichtet, wie ergänzen sich und konkurrieren diese untereinander? Diesen und ähnlichen Fragen widmen sich in den letzten Jahren vermehrt Historiker und Historikerinnen, welche die Philanthropie und frühe Sozialpolitik in den Blick nehmen. Zu nennen sind einerseits Studien, die sich mit einzelnen Vereinen oder Gesellschaften, für die Schweiz namentlich der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), auseinandersetzen. 36 Andererseits wendet sich die historische Forschung in wachsendem Maße grundlegenden Fragen zur Philanthropie, ihrem Verhältnis zum 33 Robert R OTH , Pratiques pénitentiaires et théorie sociale. L’exemple de la prison de Genève (1825-1862), Genf 1981. 34 So insbesondere bei Falk B RETSCHNEIDER , Gefangene Gesellschaft. Eine Geschichte der Einsperrung in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert, Konstanz 2008. Vgl. dazu auch S CHAUZ , Strafen, S. 14-16. 35 Michel F OUCAULT , Geschichte der Gouvernementalität. Vorlesung am Collège de France 1977-1978, 1978-1979, hg. von Michel Sennelart, 2 Bde., Frankfurt a. M. 2004. Vgl. dazu auch Patricia P URTSCHERT ; Katrin M EYER ; Yves W INTER , Einleitung, in: Patricia P URTSCHERT ; Katrin M EYER ; Yves W INTER (Hg.), Gouvernementalität und Sicherheit. Zeitdiagnostische Beiträge im Anschluss an Foucault, Bielefeld 2008, S. 7-18. 36 Beatrice S CHUMACHER (Hg.), Freiwillig verpflichtet. Gemeinnütziges Denken und Handeln in der Schweiz seit 1800, Zürich 2010; Bettina G RUBENMANN , Nächstenliebe und Sozialpädagogik im 19. Jahrhundert. Eine Diskursanalyse, Bern 2007. <?page no="20"?> 21 Staat und dem Umgang mit ihrer Klientel zu. 37 Zunehmend findet dabei auch das sozialwissenschaftliche Konzept der «mixed economy of welfare» Anklang und Anwendung. 38 Darin stehen die vielfältigen staatlichen und nichtstaatlichen Produzenten von Wohlfahrt und damit die Frage nach den Leistungen und Beiträgen einzelner Akteursgruppen - wie beispielsweise philanthropische und kirchliche Organisationen oder Familien - im Fokus. Dass die Analyse eines solchen pluralistischen Gefüges für die Geschichtswissenschaft lohnenswerte Ansätze mit sich bringt, hat sich in den letzten Jahren verschiedentlich gezeigt. 39 Dabei gilt es stets auch die Frage nach Machtverhältnissen innerhalb dieses Gefüges zu stellen. In besonderem Maß betrifft dies das Verhältnis von Wohlfahrtsproduzenten und -produzentinnen zu ihren Klienten und Klientinnen, wobei gerade die Philanthropie des 19. Jahrhunderts eine spezielle Rolle innehatte. Wie verschiedene Studien der letzten Jahre und Jahrzehnte gezeigt haben, sind philanthropische Unterstützungsangebote stets in zutiefst hierarchisch geprägten Verhältnissen anzusiedeln. Die Philanthropen und Philanthropinnen der bürgerlichen Oberschicht zementierten und reproduzierten mittels ihrer Fürsorge gesellschaftliche Machtverhältnisse. Sie verfolgten dabei bestimmte Vorstellungen und Normen, welchen sich die Empfänger und Empfängerinnen der Fürsorge zu unterwerfen hatten. 40 Während die entsprechenden Studien stets auch die Frage 37 Thomas A DAM , Buying Respectability. Philanthropy and Cultural Dominance in 19th Century Boston, in: Traverse. Zeitschrift für Geschichte 13/ 1 (2006), S. 29-46; Thomas D AVID ; Janick Marina S CHAUFELBUEHL , Protestantische Wohltätigkeit und der Wohlfahrtsstaat in der Schweiz, 1850-1914, in: Rainer L IEDTKE ; Klaus W EBER (Hg.), Religion und Philanthropie in den europäischen Zivilgesellschaften. Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 2009, S. 38-54; D AVID et al., Philanthropie und Macht; Ruedi E PPLE ; Eva S CHÄR , Stifter, Städte, Staaten. Zur Geschichte der Armut, Selbsthilfe und Unterstützung in der Schweiz 1200- 1900, Zürich 2010; Matthias R UOSS , Die private Stiftung «Für das Alter» und der entstehende Schweizer Sozialstaat, 1920er bis 1950er Jahre, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 26/ 3 (2015), S. 127-148; Simon W ENGER , Armut und Fürsorge in Basel. Armutspolitik vom 13. Jahrhundert bis heute, Basel 2011. Vgl. dazu auch das laufende SNF-Projekt an der Universität Bern zu Philanthropie und sozialer Vulnerabilität unter der Leitung von Prof. Dr. B. Studer und Dr. S. Matter, online unter: http: / / www.hist.unibe.ch/ forschung/ forschungsprojekte/ philanthropie_und_soziale_vulnerabilitaet/ index_ger.html [26.9.2016]. 38 E VERS ; O LK , Wohlfahrtspluralismus; Bernard H ARRIS ; Paul B RIDGEN , Introduction: The «Mixed Economy of Welfare» and the Historiography of Welfare Provision, in: Bernard H ARRIS ; Paul B RIDGEN (Hg.), Charity and Mutual Aid in Europe and North America Since 1800, New York 2007, S. 1-18; Michael B. K ATZ ; Christoph S ACHSSE (Hg.), The Mixed Economy of Social Welfare. Public/ Private Relations in England, Germany, and the United States. The 1870’s to the 1930’s, Baden-Baden 1996. 39 Sonja M ATTER , Strategien der Existenzsicherung. Die Philanthropie in einer mixed economy of welfare im frühen 20. Jahrhundert, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 26/ 3 (2015), S. 57-79; Brigitte S TUDER , Ökonomien der Sozialen Sicherheit, in: Patrick H ALBEISEN ; Margrit M ÜLLER ; Béatrice V EYRASSAT (Hg.), Wirtschaftsgeschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, Basel 2012, S. 923-976. 40 Robert C ASTEL , Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit, Konstanz 2000, S. 204-235; D AVID et al., Philanthropie und Macht; E PPLE ; S CHÄR , Stifter, Städte, Staaten, S. 184-193; S CHUMACHER , Einleitung, S. 12f.; Bernd W EISBROD , «Visiting» und «Social Control». Statistische Gesellschaften und Stadtmissionen im Viktorianische England, in: Christoph S ACHSSE ; Florian T ENNSTEDT (Hg.), Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung, Frankfurt a. M. 1986, S. 181-208; Bernd W EISBROD , Wohltätigkeit und «symbolische Gewalt» in der Frühindustrialisierung. Städtische Armut und Armenpolitik in Wuppertal, in: Hans M OMMSEN ; Winfried S CHULZE (Hg.), Vom Elend der Handarbeit. Probleme historischer Unterschichtenforschung, Stuttgart 1981, S. 334-357. <?page no="21"?> 22 nach den Trägern philanthropischer Vereine und Gesellschaften beinhalten, hat sich die Untersuchung der Trägerinnen, d. h. die Forschung zu Philanthropinnen und der Konstruktion spezifisch weiblicher Felder der Philanthropie, zu einem eigenen Forschungsfeld entwickelt. 41 Die vorliegende Studie ist hauptsächlich an den Schnittstellen der damit kurz umrissenen Forschung zur Straffälligenhilfe und den sie tangierenden Gebieten anzusiedeln. Durch eine Kombination von Ansätzen der Philanthropie- und der Gefängnisforschung soll die bisher ausstehende Analyse der Straffälligenhilfe in ihrer sozialpolitischen Dimension geleistet werden. Bevor jedoch dargelegt wird, wie dies genau vonstattengehen soll, ist es unabdinglich, sich kursorisch mit der Gefängnisreformbewegung des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts auseinanderzusetzen. Bereits bei ihrer Gründung 1821 bezog sich die Zuchtanstaltskommission der GGG auf den transnationalen Diskurs zur Gefängnisreform, konkret auf das Werk Notes recueillies en visitant les prisons de la Suisse, et Remarques sur les moyens de les améliorer des Engländers Francis Cunningham. 42 Das Buch ist Teil einer kaum überschaubaren Anzahl von Berichten, Pamphleten und Referaten, die seit den 1770er Jahren die Zustände in Gefängnissen und Kerkern öffentlich machten und deren Verbesserung forderten. Diese Gefängnisreformbewegung soll im Folgenden kurz skizziert werden, wobei der Fokus auf ihrem Weg in die Schweiz liegt. Ziel der Ausführungen ist es, aufzuzeigen, in welchem Rahmen sich die Basler Straffälligenhilfe formierte und etablierte. 1.2 Die Gefängnisreformbewegung und ihr Weg in die Schweiz Die Gefängnisreformbewegung formierte sich in den 1770er Jahren in England und verfolgte eine Verbesserung der hygienischen, disziplinarischen und moralischen Bedingungen des Freiheitsstrafvollzugs. Es war zunächst der englische 41 Elinor A CCAMPO ; Rachel G. F UCHS ; Mary L. S TEWART (Hg.), Gender and the Politics of Social Reform in France, 1870-1914, Baltimore, London 1995; Lori D. G INZBERG , Women and the Work of Benevolence. Morality, Politics, and Class in the Nineteenth-Century United States, New Haven 1990; Maria L UDDY , Women and Philanthropy in Nineteenth-Century Ireland, Cambridge 1995; Kathleen D. M C C ARTHY , Women, Philanthropy, and Civil Society, Bloomington 2001; Frank K. P ROCHASKA , Women and Philanthropy in 19th Century England, Oxford 1980; Dorice W ILLIAMS E LLIOTT , The Angel Out of the House. Philanthropy and Gender in Nineteenth-Century England, Charlottesville 2002. Für die Schweiz sind hierzu zu nennen: Sara J ANNER , Mögen sie Vereine bilden… Frauen und Frauenvereine in Basel im 19. Jahrhundert, Basel 1995; Elisabeth J ORIS ; Heidi W ITZIG , Die Pflege des Beziehungsnetzes als frauenspezifische Form von «Sociabilité», in: Hans Ulrich J OST ; Albert T ANNER (Hg.), Geselligkeit, Sozietäten und Vereine, Zürich 1991, S. 139-158; Beatrix M ESMER , Ausgeklammert - eingeklammert. Frauen und Frauenorganisationen in der Schweiz des 19. Jahrhunderts, Basel 1988. 42 JB GGG 45 (1821), S. 31f. Beim genannten Buch handelt es sich um Francis C UNNINGHAM , Notes recueillies en visitant les prisons de la Suisse, et Remarques sur les moyens de les améliorer, avec quelques détails sur les prisons de Chambéry et de Turin, Genf 1820. <?page no="22"?> 23 Philanthrop John Howard, der dieser Bewegung ein Gesicht und eine Stimme gab. Er bereiste die Kerker und Gefängnisse Großbritanniens und anderer Staaten und veröffentlichte seine Beobachtungen in verschiedenen Schriften, worunter insbesondere das 1777 publizierte Werk The State of the Prisons in England and Wales 43 breit rezipiert wurde. Der Besuch eines Gefängnisses galt unter den Zeitgenossen Howards - wohl nicht ganz zu Unrecht - als tödliches Risiko und die Tatsache, dass Howard dies ohne Rücksicht auf seine Gesundheit auf sich nahm, mehrte seinen Ruf zusätzlich. Als er im Jahr 1790 wahrscheinlich an der Pest starb, war sein Status als Märtyrer für die gute Sache definitiv gesichert und Howard wurde zum Bezugspunkt einer sich rasch ausbreitenden Bewegung, deren Exponenten und Exponentinnen sich der Verbesserung von Einsperrungsbedingungen verschrieben. 44 Seinem Vorbild folgend, besuchten sie die Einsperrungsorte verschiedener Staaten und dokumentierten die vorgefundenen Zustände, oft in Form von Reportagen, teils bereits in Form quantitativer Analysen, welche sie in verschiedenen Werken veröffentlichten. 45 Damit betrieben die Gefängnisreformer und -reformerinnen eine frühe Form dessen, was der Historiker Lutz Raphael die Verwissenschaftlichung des Sozialen genannt hat. 46 Sie beschrieben den Zustand und die Schwierigkeiten herrschender Einsperrungsbedingungen und schufen sich so erst die Instrumente und Begrifflichkeiten, um die als problematisch wahrgenommenen Gegebenheiten zu verändern. Rasch kristallisierte sich dabei eine dreifache Zielsetzung heraus: Erstens sollte die Sicherheit der Anstalten, d. h. die Verwahrung der Inhaftierten, sichergestellt werden. Zweitens sollten die gesundheitlichen Schädigungen durch die Haft minimiert werden. Drittens schließlich 43 John H OWARD , The State of the Prisons in England and Wales. With Preliminary Observations, and an Account of Some Foreign Prisons, Warrington 1777. Auf seinen Reisen besuchte Howard auch Schweizer Gefängnisse, darunter Bern und Basel. Seine Eindrücke schilderte er in H OWARD , State of the Prisons, S. 97-105. 44 I GNATIEFF , Measure of Pain, S. 47-71; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 347; N UTZ , Besserungsmaschine, S. 50-62; S CHAUZ , Strafen, S. 37-47. 45 Für diese frühe Phase der Gefängnisreformbewegung sind beispielsweise zu nennen: Albrecht Heinrich v. A RNIM , Bruchstücke über Verbrechen und Strafen, oder Gedanken über die in den Preussischen Staaten bemerkte Vermehrung der Verbrecher gegen die Sicherheit des Eigenthums; nebst Vorschlägen, wie derselben durch zweckmässige Einrichtung der Gefangenenanstalten zu steuern seyn dürfte. Zum Gebrauch der höheren Behörden, 3 Bde., Berlin 1801; Gustave de B EAUMONT ; Alexis de T OCQUEVILLE , Du système pénitentiaire aux Etats-Unis et de son application en France suivis d’un appendice sur les colonies pénales et des notes statistiques, Paris 1833; C UNNINGHAM , Notes recueillies; Elizabeth F RY , Observations on the Visiting, Superintendence, and Government of Female Prisoners, London 1827; Justus G RUNER , Versuch über die recht- und zweckmässigste Einrichtung öffentlicher Sicherungsinstitute deren jetzigen Mängel und Verbesserungen. Nebst einer Darstellung der Gefangenen-, Zucht- und Besserungshäuser Westphalens, Frankfurt a. M. 1802; Nikolaus Heinrich J ULIUS , Vorlesungen über Gefängnis-Kunde, oder über die Besserung der Gefängnisse und sittliche Besserung der Gefangenen, entlassenen Sträflinge usw., Berlin 1828; Gottl. Ludolf Wilhelm K ÖSTER (Hg.), Über Gefängnisse und Zuchthäuser. Ein Auszug aus dem Englischen des William Howard, Mitglied’s der Königlichen Societät der Wissenschaften in London. Mit Zusätzen und Anmerkungen und Kupfern, von Gottl. Ludolf Wilhelm Köster, Leipzig 1780; Heinrich Balthasar W AGNITZ , Ueber die moralische Verbesserung der Zuchthausgefangenen, Halle 1787; Heinrich Balthasar W AGNITZ , Ideen und Pläne zur Verbesserung der Policey- und Criminalanstalten. Dem neunzehnten Jahrhundert zur Vollendung übergeben, Halle 1803. 46 Lutz R APHAEL , Die Verwissenschaftlichung des Sozialen als methodische und konzeptionelle Herausforderung für eine Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft 22/ 2 (1996), S. 165-193, hier insbes. S. 171-176. <?page no="23"?> 24 strebten die Reformer und Reformerinnen die Resozialisierung von Sträflingen oder zeitgenössisch deren «Besserung» an. Diese beinhaltete stets die drei hauptsächlichen Aspekte der religiösen Bildung und Erziehung, der Disziplin sowie der Arbeitstätigkeit, welche sowohl als Zielsetzung als auch als Mittel zu deren Erreichung dienten. Ebenso erachteten die Gefängnisreformer und -reformerinnen eine Klassifikation der Sträflinge je nach Verbrechen sowie eine Trennung der «Gewohnheitsverbrecher», d. h. der rückfällig gewordenen, von Ersttätern und -täterinnen, von Jugendlichen und Erwachsenen sowie von Frauen und Männern als unabdingbar, um diese Besserung zu erreichen. Sämtliche Maßnahmen hatten letztlich zum Ziel, verurteilte Sträflinge wieder für die Gesellschaft nutzbar zu machen. 47 So legten die Akteure und Akteurinnen den Grundstein für die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierende Gefängniskunde als Wissenschaft - und machten sich ganz nebenbei zu Experten und Expertinnen derselben. Anhänger und Anhängerinnen rekrutierte diese Gefängnisreformbewegung aus verschiedenen Kreisen: Juristen, die auf rechtliche Aspekte fokussierten, standen neben Architekten, die neue Ideen für Gefängnisbauten entwickelten und Medizinern oder anderen Naturwissenschaftlern, die insbesondere die empirisch-statistische Unterfütterung der Gefängniskunde vorantrieben. Während letztere fraglos die Verwissenschaftlichung der neuen Disziplin am stärksten prägten und für deren Ausbreitung und Vernetzung besorgt waren, sind für die Straffälligenhilfe und damit für die vorliegende Studie zwei weitere Gruppen bedeutsamer. Zum einen sind dies diejenigen Personen, die Thomas Nutz in seiner Analyse des Gefängnisreformdiskurses als «Praktiker» bezeichnet: die Anstaltsgeistlichen und -direktoren, welche ihre Erfahrungen in den Diskurs einbrachten und gleichzeitig neue Ansätze erprobten. Zum anderen spielten, wie in Basel, Philanthropen und Philanthropinnen eine zentrale Rolle, welchen sich mit den Straffälligen ein neues Wirkungsfeld eröffnete. 48 Die Gründe, warum sich die Gefängnisreformbewegung gerade um die Wende zum 19. Jahrhundert zu formieren begann, sind vielfältig und wurden in der geschichtswissenschaftlichen Forschung verschiedentlich diskutiert. Lange Zeit gingen Historiker und Historikerinnen dabei von einem deutlichen Bruch um 1800 aus, als Körper- und Ehrenstrafen durch den Freiheitsentzug ersetzt und der Siegeszug der Besserungsstrafe eingeläutet wurden. 49 Diese Interpretation wurde unterdessen verschiedentlich widerlegt, wobei die Forschung insbesondere auf bestehende Kontinuitäten zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert verwies. 50 So 47 N UTZ , Besserungsmaschine, S. 76-89; S CHAUZ , Strafen, S. 43-49. 48 N UTZ , Besserungsmaschine, S. 238-262; S CHAUZ , Strafen, S. 45-47. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Entstehung der Gefängniskunde als Wissenschaft sei insbesondere auf N UTZ , Besserungsmaschine verwiesen. 49 So beispielsweise G ARLAND , Punishment and Welfare; I GNATIEFF , Measure of Pain. 50 So bei B RETSCHNEIDER , Gefangene Gesellschaft; Joachim E IBACH , Frankfurter Verhöre. Städtische Lebenswelten und Kriminalität im 18. Jahrhundert, Paderborn 2003, insbes. S. 375- 425. Vgl. dazu auch Sandra L EUKEL , Strafanstalt und Geschlecht. Geschichte des Frauenstrafvollzugs im 19. Jahrhundert (Baden und Preußen), Leipzig 2010, S. 30-33. <?page no="24"?> 25 existierten bereits vor 1800 Freiheitsstrafen, die keineswegs nur als Einsperrung bis zur eigentlichen Verbannungs- oder Körperstrafe dienten, wie dies in der älteren Forschung oft postuliert wurde. Im vorliegenden Zusammenhang von besonderem Interesse ist dabei die Feststellung, dass bereits die frühneuzeitlichen Zuchthäuser zumindest teilweise für den Strafvollzug verwendet wurden. 51 Damit fand bereits im 18. Jahrhundert eine gewisse Verschränkung wohlfahrtspolitischer und strafrechtlicher Zielsetzungen statt, spielte doch die Resozialisierung von Insassen und Insassinnen bereits in den Zuchthäusern eine wichtige Rolle. 52 Entsprechend sahen denn auch verschiedene deutsche Gefängnisreformer die Strafanstalt des 19. Jahrhunderts als Fortsetzung des frühneuzeitlichen Zuchthauses. 53 Foucaults «Geburt des Gefängnisses» im frühen 19. Jahrhundert ist also mit mehr als nur einem Fragezeichen zu versehen. Ebenso lässt sich das traditionelle Forschungsnarrativ einer Humanisierung des Strafvollzugs dank der Aufklärung nicht halten. Trotzdem ist festzuhalten, dass sich der Freiheitsentzug nach der Jahrhundertwende sukzessive als dominante Strafnorm durchsetzte. Damit einher ging die Suche nach der effizientesten Umsetzung seiner drei Hauptzwecke: Sicherung, Abschreckung und Besserung. 54 Diese Entwicklungen trafen sich im ausgehenden 18. Jahrhundert mit Fortschritten im Bereich der Hygiene und der Medizin und verdichteten sich mit ihnen zu der bereits skizzierten Anstalts- und Gefängniskritik im Geiste Howards. Entsprechend trugen die Reformvorschläge stets auch die Forderung nach einem effizienteren Strafen, nach einer technischrationalen Lösung für das Problem der Kriminalität in sich. 55 Institutionellen Niederschlag fand die Bewegung zunächst in den USA, wo seit den 1780er Jahren neue Strafanstalten errichtet wurden, welche den Ansprüchen der Gefängnisreformbewegung zumindest in Ansätzen entsprachen: Eine neue Anstaltsarchitektur sollte Gesundheit und Disziplin der Häftlinge sicherstellen, während gleichzeitig auf unterschiedliche Weise pädagogisch-moralisch auf die Insassen und Insassinnen eingewirkt wurde. 56 Zur Chiffre für diese Entwicklung wurde das Panopticon nach den Plänen Jeremy Benthams, in welchem die Überwachung der Sträflinge durch eine 51 B RETSCHNEIDER , Gefangene Gesellschaft, S. 525; L EUKEL , Strafanstalt und Geschlecht, S. 32f. 52 B RETSCHNEIDER , Gefangene Gesellschaft, S. 234-240; I GNATIEFF , Measure of Pain, S. 29-32; L EUKEL , Strafanstalt und Geschlecht, S. 32f.; Bernhard S TIER , Fürsorge und Disziplinierung im Zeitalter des Absolutismus. Das Pforzheimer Zucht- und Waisenhaus und die badische Sozialpolitik im 18. Jahrhundert, Sigmaringen 1988, S. 69-139. 53 So beispielsweise Conrad Melchior H IRZEL , Ueber Zuchthäuser und ihre Verwandlung in Besserungshäuser, Zürich 1826; Carl Eberhard W ÄCHTER , Ueber Zuchthäuser und Zuchthausstrafen, wie jene zweckmäßig einzurichten, und diese solcher Einrichtung gemäs zu bestimmen und anzuwenden seyen? , Stuttgart 1786; W AGNITZ , Ideen und Pläne; W AGNITZ , Moralische Verbesserung. 54 L EUKEL , Strafanstalt und Geschlecht, S. 32f.; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 68-89; N UTZ , Besserungsmaschine, S. 50-62; S CHAUZ , Strafen, S. 37-45. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Durchsetzung der Freiheitsstrafe als Norm vgl. N UTZ , Besserungsmaschine, insbes. S. 49-68; S CHAUZ , Strafen, S. 37-59. 55 I GNATIEFF , Measure of Pain, S. 179-187; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 267-275, 317- 321; N UTZ , Besserungsmaschine, S. 49-97, 117-139; S CHAUZ , Strafen, S. 40-43. 56 Zum Einfluss der Pädagogik auf die Gefängnisreformbewegung vgl. N UTZ , Besserungsmaschine, S. 69-97. <?page no="25"?> 26 strahlenförmige Anordnung der Zelltrakte mit einem zentralen Beobachtungsturm sichergestellt wurde. Während der oder die Wärter im Turm stets Einsicht in alle Zellen hatten, sahen die Insassen und Insassinnen nicht, ob der Wachtposten besetzt war oder nicht. Dadurch sollte sich ein Gefühl der stetig möglichen Überwachung etablieren, welches letztlich deren Internalisierung zur Folge hatte. 57 Nach diesem Prinzip wurden im frühen 19. Jahrhundert Musteranstalten errichtet, die das panoptische Konzept um Maßnahmen zur Isolation und Klassifikation der Gefangenen erweiterten und u. a. als Experimentierfeld der Gefängnisreformbewegung dienten. Flaggschiff war zunächst das 1829 eröffnete Eastern Penitentiary bei Philadelphia, welches die komplette Isolation der Gefangenen erlaubte und ihnen in den Anfangsjahren nicht einmal Arbeitstätigkeit zugestand. Dieses sehr rigide Regime war als «Pennsylvania System» bekannt und ging auf die 1787 gegründete Pennsylvania Prison Society zurück, die weltweit erste Gefängnisgesellschaft. In bewusster Abgrenzung davon entstand im 1816 eröffneten New Yorker Auburn State Prison ein konsequenterweise «Auburn System» genanntes leicht weniger striktes Regime: Auch hier waren die Häftlinge nachts in Einzelzellen untergebracht, tagsüber arbeiteten sie aber in gemeinsamen Arbeitsräumen - unter Einhaltung eines absoluten Schweigegebots. Zudem brachte das Auburn System eine strikte Klassifikation der Häftlinge nach dem Schweregrad ihrer Tat bzw. ihrer Verurteilung. Auch das Auburn System hatte, wie das Pennsylvania System, eine Vielzahl von psychischen Krankheiten bis hin zu Suiziden unter den Sträflingen zur Folge. Dennoch wurden sie zu den dominanten Vorbildern der Gefängnisse Westeuropas, wobei meistens abgeschwächte Regimes etabliert wurden. 58 Variationen, sowohl der Systeme als auch der panoptischen Architektur des Eastern State Penitentiary, fanden in der Folge in verschiedenen europäischen Staaten, darunter auch in deutschen und Schweizer Gebieten Nachahmung. In architektonischer Hinsicht war sogar ein Schweizer Kanton Vorreiter: Das 1825 in Genf eröffnete Gefängnis zeigte mit einer zentralisierten Überwachung der Arbeitsräume eindeutig panoptische Züge. Da die Zellen aber nicht vom zentralen Kontrollturm aus eingesehen werden konnten und zudem in einem Halbkreis statt einem ganzen angeordnet waren, bezeichnet Robert Roth diese erste 57 Jeremy B ENTHAM , Panopticon; or, the Inspection-House: Containing the Idea of a New Principle of Construction in Which Persons of Any Description Are to Be Kept Under Inspection. And in Particular to Penitentiary Houses, Prisons, Houses of Industry, Work- Houses, Poor-Houses, Manufactories, Mad-Houses, Hospitals and Schools. With a Plan of Management Adapted to the Principle. In a Series of Letters Written in the Year 1787, from Crecheff in White Russia to a Friend in England. By Jeremy Bentham, of Lincoln Inn, Esquire., 3 Bde., London 1791. 58 N UTZ , Besserungsmaschine, S. 155-207; R OTH , Pratiques pénitentiaires, S. 33-35; David J. R OTHMAN , Perfecting the Prison: United States 1789-1865, in: Norval M ORRIS ; David J. R OTHMAN (Hg.), The Oxford History of the Prison. The Practice of Punishment in Western Society, New York 1998, S. 100-116; David J. R OTHMAN , The Discovery of the Asylum. Social Order and Disorder in the New Republic, Boston 1971, S. 79-108. Im Gebäude des Eastern State Penitentiary befindet sich heute ein Museum, welches sich sowohl in historischer als auch in zeitgenössischer Perspektive mit Fragen des Strafvollzugs und der Resozialisierung auseinandersetzt: http: / / www.easternstate.org/ home [21.10.2016]. Das Auburn State Prison ist hingegen immer noch in Betrieb. <?page no="26"?> 27 Schweizer Musteranstalt als «semi-panoptique». 59 Die Anstalt folgte dem Auburn System und unterteilte die Häftlinge in Kriminelle, d. h. Verurteilte mit Strafen von über einem Jahr, Korrektionelle, d. h. Verurteilte mit Strafen von weniger als einem Jahr, und außergerichtlich Eingewiesene. Eine vierte Kategorie bildeten die Frauen. Sowohl in Bezug auf die Architektur als auch auf das Regime nahm die Genfer Strafanstalt damit nicht nur innerhalb der Schweiz eine Pionierrolle ein. Zurückzuführen ist dies hauptsächlich auf englischen Einfluss, wobei der Jurist und Schüler Benthams Etienne Dumont eine Schlüsselrolle einnahm. Er erhielt 1814 Einsitz in die Genfer Regierung und trieb dort Reformen des Strafvollzugs und den Neubau des Gefängnisses voran. Auch von englischem Einfluss geprägt war das 1826 eröffnete, ebenfalls panoptisch gestaltete, Gefängnis von Lausanne. Beiden Neubauten war zudem gemein, dass die jeweiligen Regierungen ursprünglich weit umfassendere Reformideen hätten umsetzen wollen, die Konzeption der Gefängnisse aber schließlich aus pragmatischen - hauptsächlich finanziellen - Überlegungen angepasst wurde. 60 Dass sich beide Westschweizer Kantone an der englischen Gefängnisreformbewegung und nicht etwa an der französischen orientierten, illustriert deren Vorreiterrolle in Westeuropa. In der Nachfolge Howards engagierte sich eine Vielzahl von Männern und Frauen publizistisch aber auch konkret vor Ort in der Reform von Anstalten und Zuchthäusern. Seit der Jahrhundertwende mehrten sich auch die Anstaltsneubauten - am bekanntesten wohl das 1816 eröffnete Millbank Prison bei London -, von welchen aber zunächst keiner die Strahlkraft eines Eastern State Penitentiary oder Auburn State Prison entfaltete. Dies änderte sich aber mit dem Bau des Pentonville Prison in Islington, London, das 1842 eröffnet wurde. Es war ebenfalls panoptisch konstruiert, weit bedeutender war aber das herrschende Regime: In einer Abwandlung des Pennsylvania Systems wurde ein Progressivsystem eingeführt, in welchem den Häftlingen bei gutem Betragen die Haftbedingungen sukzessive erleichtert wurden. Die erste Stufe war auch hier die Einzel- und Isolationshaft, die letzte die vorzeitige, bedingte Entlassung nach Verbüßung von mindestens drei Vierteln der Haftdauer. Das System wurde in den 1850er Jahren in Irland weiter ausdifferenziert und ist daher als «Irish System» bekannt. 61 Fraglos an der Spitze europäischer Entwicklungen waren die Briten und Britinnen auch im Bereich der gefängnisnahen Philanthropie. Aus den ursprünglich auf Fragen der Architektur und Hygiene fokussierten Gefängnisvereinen entwickelten sich während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts Hilfsvereine, die stärker auf eine Besserung oder Resozialisierung Gefangener hinarbeiteten. Dies taten sie mittels Besuchen in den Anstalten, der Etablierung von Schulunterricht 59 R OTH , Pratiques pénitentiaires, S. 164. 60 Henri A NSELMIER , Les prisons vaudoises (1798-1871), Lausanne 1983; H AFNER , Gefängnisreformen, S. 55f.; R OTH , Pratiques pénitentiaires, S. 35-38, 50-53, 159-180, 272f. 61 Randall M C G OWEN , The Well-Ordered Prison. England 1780-1865, in: Norval M ORRIS ; David J. R OTHMAN (Hg.), The Oxford History of the Prison. The Practice of Punishment in Western Society, New York 1998, S. 71-99; R OTH , Pratiques pénitentiaires, S. 35-38. Zum Pentonville Prison vgl. ausführlich N UTZ , Besserungsmaschine, S. 195-207. <?page no="27"?> 28 und - wo noch nicht vorhanden - religiöser Unterweisung sowie dem Ausbau der Arbeitstätigkeit der Häftlinge. Zur Vorreiterin und Symbolfigur dieser meist stark religiös geprägten Vereine wurde die Quäkerin Elizabeth Fry mit ihrer 1817 gegründeten «Ladies’ Association for the Reformation of the Female Prisoners in Newgate». Die Frauen besuchten die Insassinnen des Newgate Prison in London und unterrichteten sie in Religion und Handarbeiten. Fry unternahm in den darauf folgenden Jahren eine Vielzahl von eigentlichen Missionsreisen zunächst innerhalb Großbritanniens, später auch im restlichen Europa. 1838 und 1839 besuchte sie dabei auch die Schweiz, wo sie u. a. in Bern und Zürich Reden hielt. 62 Ziel der Reisen wie auch der vielen Publikationen Frys 63 war es, Frauen und Männer in anderen Gebieten zu Vereinsgründungen nach ihrem Vorbild zu motivieren, was ihr auch in Bern gelang: Kurz nach ihrem Besuch gründete sich dort 1839 der «Schutzaufsichtsverein über entlassene Züchtlinge». 64 Während sich in Bern und Genf also relativ direkte Einflüsse aufzeigen lassen, die zu Veränderungen im Strafvollzug oder der Gründung des Schutzaufsichtsvereins führten, war dies längst nicht überall so. Dennoch fanden Frys Vereinsgründungen rasch Nachahmungen. 65 Genf war mit der Gründung eines «comité moral» 1818, aus welchem sich 1825 ein «comité de patronage des détenus libérés» bildete, wiederum unter den Vorreitern. 66 Während religiöse Gruppierungen im Allgemeinen und das Quäkertum im Besonderen fraglos einen wichtigen Einfluss dieser frühen Vereinsgründungen darstellten, lassen sie sich keineswegs nur diesem Gesichtspunkt zuordnen. Vielmehr unterschieden sich die Beweggründe der neuen Vereine je nach Ort deutlich. 67 So ist insbesondere die französische Situation zu erwähnen: 1819 wurde dort die «société royale pour l’amélioration des prisons» gegründet, wie der Name deutlich macht auf obrigkeitliche Initiative. Es war dies die logische Folge eines die ganze französische Gefängnisreform prägenden Zentralismus, der statt auf lokale Veränderungen auf von oben durchgesetzte Reformen setzte. Exemplarisch dafür stehen die «maisons centrales», welche ab 1810 unter der Ägide des Innenministeriums in den einzelnen 62 L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 366; S CHAUZ , Strafen, S. 60-63. Zu Fry vgl. Robert Alan C OOPER , The English Quakers and Prison Reform, 1809-23, in: Quaker History 68/ 1 (1979), S. 3-19; Robert Alan C OOPER , Jeremy Bentham, Elizabeth Fry, and English Prison Reform, in: Journal of the History of Ideas 42/ 4 (1981), S. 675-690; Annemieke van D RENTH , The Rise of Caring Power. Elizabeth Fry and Josephine Butler in Britain and the Netherlands, Amsterdam 1999. Die Rede Frys im Berner Zuchthaus wurde auf deutsch übersetzt und publiziert: Elizabeth F RY , Elisabeth Fry an alle armen Gefangenen in der Christenheit. Nach den Worten, die sie den 5. August 1839, im Zuchthause von Bern an die gefangenen Frauen daselbst richtete, Bern 1840. 63 So u. a. Elizabeth F RY , Report Addressed to the Marquess Wellesley, Lord Lieutenant of Ireland, London 1828; F RY , Observations. Eine deutsche Übersetzung von Auszügen der Schriften fand sich bei Nikolaus Heinrich J ULIUS , Die weibliche Fürsorge für Gefangene und Kranke ihres Geschlechts; aus den Schriften von Frau Elisabeth Fry und Anderer zusammengestellt, Berlin 1827. 64 Eva K ELLER , Die Entlassenenfürsorge und der Bernische Schutzaufsichtsverein 1839-1886, in: Brigitte S TUDER ; Sonja M ATTER (Hg.), Zwischen Aufsicht und Fürsorge. Die Geschichte der Bewährungshilfe im Kanton Bern, Bern 2011, S. 23-30; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 366. 65 S CHAUZ , Strafen, S. 62. 66 R OTH , Pratiques pénitentiaires, S. 201-216. 67 S CHAUZ , Strafen, S. 62f. <?page no="28"?> 29 Regionen Frankreichs errichtet wurden. Sie sollten als eine Art Hochsicherheitsgefängnis die «maisons d’arrêt», «maisons de justice» und «maisons de correction» für kleinere Vergehen ergänzen und dabei den Anforderungen der Gefängnisreformbewegung gerecht werden. Da sie jedoch meist in umgenutzten Klöstern, Abteien o. Ä. errichtet wurden, gelang dies nur in Ansätzen. Im Bereich des Strafrechts dagegen hatte Frankreich eine Vorbildposition inne: Der «code pénal» von 1791 brachte die flächendeckende Einführung der Freiheitsstrafe und wurde zum Bezugspunkt weiterer Entwicklungen in ganz Europa 68 - so natürlich auch in der Schweiz bzw. der Helvetischen Republik, wo 1799 das «Peinliche Gesetzbuch der Helvetischen Republik» in Kraft trat. Es blieb in vielen Kantonen auch nach der Mediation von 1803 maßgebliche Rechtsquelle und prägte das Strafrecht der Schweiz im 19. Jahrhundert erheblich. 69 In deutschen Gebieten wiederum glichen die Entwicklungen der Gefängnisreformbewegung denjenigen in England: Einzelne Exponenten scharten Gleichgesinnte um sich und gründeten kommunale oder regionale Organisationen. Die 1826 in Düsseldorf gegründete Rheinisch-Westfälische Gefängnisgesellschaft avancierte dabei rasch zum Vorbild für Vereinsgründungen in anderen deutschen Staaten. Sie fungierte als eine Art Dachverband und gründete Tochtergesellschaften in verschiedenen Regionen und Gefängnissen, die sich, ähnlich wie ihre englischen Vorbilder, der Bildung und Arbeitstätigkeit von Sträflingen widmeten. Anstöße zur Reform, zum Neubau oder zur Neuorganisation bestehender Anstalten kamen dementsprechend von lokalen Behörden oder Einzelakteuren. 70 Dies war auch in den Schweizer Kantonen und in Basel nicht anders. Wie in Genf und Lausanne muss dabei insbesondere der englische Einfluss hervorgehoben werden, der von der GGG mit dem Verweis auf Francis Cunningham auch explizit gemacht wurde. Die Basler Regierung hatte aber schon 1806, noch bevor die GGG sich einschaltete, damit begonnen ihre Gefängnisse sukzessive zu reformieren. 71 Daraus resultierten zwar keine grundlegenden Umwälzungen oder gar Neubauten, dennoch war Basel damit unter den frühesten Kantonen, in welchen sich Einflüsse der Gefängnisreformbewegung nachweisen lassen. 72 Dies ist mit ein Grund dafür, dass sich Basel für die vorliegende Studie als Untersuchungsobjekt anbietet. 68 Catherine D UPRAT , Punir et guérir. En 1819, la prison des philanthropes, in: Michelle P ERROT (Hg.), L’impossible prison. Recherches sur le système pénitentiaire au XIXe siècle, Paris 1980, S. 64-122; Patricia O’B RIEN , The Promise of Punishment. Prisons in Nineteenth-Century France, Princeton 1982, S. 20-51; Jacques-Guy P ETIT , Ces peines obscures. La prison pénale en France 1780-1875, Paris 1990, S. 17-189. Zur Geschichte französischer Gefängnisse sei auch auf die vom Centre pour les humanités numériques et l’histoire de la justice (CLAMOR) getragene Plattform criminocorpus hingewiesen, welche vielfältiges Quellen- und Bildmaterial aufbereitet und online zugänglich macht: Musée d’histoire de la justice, des crimes et des peines, online unter: https: / / criminocorpus.org/ fr/ [24.10.2016]. 69 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 33-48; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 349-360. 70 S CHAUZ , Strafen, S. 63-78; N UTZ , Besserungsmaschine, S. 263-270. 71 B OREL , Strafanstalt, S. 1-21; Martin C LERC , Die Strafanstalt Basel-Stadt, Aarau 1977, S. 16-19. 72 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 48-65. <?page no="29"?> 30 1.3 Das Beispiel Basel-Stadt Wie bereits deutlich wurde, war Basel nach Genf und Lausanne unter den ersten Schweizer Städten, in welchen sich eine private Initiative für Reformen des Strafvollzugs bzw. eine vereinfachte Resozialisierung Straffälliger formierte. Die Gründe dafür sind sowohl in der geographischen und wirtschaftlichen Lage der Stadt als auch in ihrem starken, philanthropisch engagierten Bürgertum zu suchen. Beide Aspekte sollen daher im Folgenden kurz ausgeführt werden. Im Februar 1803 erhielt der Kanton Basel im Rahmen der Mediationsakte eine neue Verfassung. 73 Sie unterteilte den Kanton in drei Bezirke, Stadt Basel, Liestal und Wallburg, und diese wiederum in je 15 Zünfte. Dabei stellte sie die alten, nach Berufsgruppen gegliederten Zünfte der Stadt Basel wieder her, die 1798 abgeschafft worden waren. Anders als im Ancien Régime, waren die Landbürger nicht mehr komplett von den Regierungsgeschäften ausgeschlossen, dennoch stellten die Stadtbürger weiterhin die Mehrheit der Basler Regierung. 74 Voraussetzungen für eine aktive oder passive Teilhabe am politischen System waren das Bürgerrecht sowie die Zunftzugehörigkeit, ebenso herrschten ein Alterssowie ein stattlicher Vermögenszensus. Letzterer betrug 1803 10’000 alte Franken; 1814 wurde er auf 5’000 alte Franken gesenkt. 75 Auch das Bürgerrecht stellte zumindest 73 Zu Basel während der vorangegangenen Phase der Helvetik vgl. Matthias M ANZ , Die Basler Landschaft in der Helvetik (1798-1803). Über die materiellen Ursachen von Revolution und Konterrevolution, Liestal 1991; Claudia O PITZ , Von der Aufklärung bis zur Kantonstrennung, in: Georg K REIS ; Beat von W ARTBURG (Hg.), Basel - Geschichte einer städtischen Gesellschaft, Basel 2000, S. 150-185; Beat von W ARTBURG , Die Erfindung des Fortschritts: Ancien Régime, Helvetik und Restauration, in: Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel (Hg.), Basel 1501 2001 Basel, Basel 2000, S. 75-93 und zur Helvetik im Allgemeinen vgl. Holger B ÖNING , Der Traum von Freiheit und Gleichheit. Helvetische Revolution und Republik (1798-1803) die Schweiz auf dem Weg zur bürgerlichen Demokratie, Zürich 1998. Zur Mediationsakte und ihrer Entstehung vgl. B ÖNING , Traum von Freiheit und Gleichheit, S. 275-304. 74 Bernard D EGEN , Die Stadt und ihre Landschaft, in: Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel (Hg.), Basel 1501 2001 Basel, Basel 2001, S. 95-116, hier: S. 104-108; O PITZ , Aufklärung, S. 171; Verfassung des Kantons Basel, 4.3.1814, in: Sammlung der Gesetze und Beschlüsse wie auch der Polizeiverordnungen, welche für den Kanton Basel-Stadt erlassen worden sind (1803-1978), 52 Bde., Basel 1805-1980 (Gesetzessammlung BS), Bd. 4: 1814- 1817, S. 1-9. Zum Ancien Régime in Basel vgl. René T EUTEBERG , Basler Geschichte, Basel 1986, S. 235-272; Susanna B URGHARTZ , Das «Ancien Régime», in: Georg K REIS ; Beat von W ARTBURG (Hg.), Basel - Geschichte einer städtischen Gesellschaft, Basel 2000, S. 116-147; W ARTBURG , Erfindung des Fortschritts. 75 Verfassung des Kantons Basel 1803, Art. XVII, S. 8; Verfassung des Kantons Basel 1814, Art. 10, S. 6. Eine Deflationierung auf das Jahr 2009 ergibt für 10’000 alte Franken den Wert von 1’168’796 CHF. Die Deflationierung erfolgte mittels Christian P FISTER ; Roman S TUDER , Swistoval. The Swiss Historical Monetary Value Converter. Historisches Institut der Universität Bern, online unter: http: / / swistoval.hist-web.unibe.ch [27.4.2017] auf Basis des Historischen Lohnindexes, dem die Lohnentwicklung der Durchschnittsbevölkerung zugrunde liegt. Nach 1803 lag die Münzhoheit in der Eidgenossenschaft wieder bei den einzelnen Kantonen, so dass rasch wieder verschiedenste Währungen nebeneinander existierten. Tendenziell setzte sich in den östlichen Kantonen ein auf dem süddeutschen Gulden und in den westlichen ein auf dem französischen Franken basierendes System durch. Dieser chaotischen Situation setzte erst die Gründung des Bundesstaates bzw. das Bundesgesetz über das eidg. Münzwesen 1850 ein Ende. Basel setzte in dieser Zeit großmehrheitlich auf den alten Franken, wobei stets auch ausländische Münzen kursierten. Vgl. Leodegar C ORAGGIONI , Münzgeschichte der Schweiz, Genf 1896, S. 83-88; Bernard D EGEN , 19. und 20. Jahrhundert, in: Artikel «Geld» (2014), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D47970.php [6.7.2016]; Erich W EISSKOPF , Das schweizerische Münzwesen von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, Bern 1947, S. 53-65. <?page no="30"?> 31 in der Stadt eine nicht zu unterschätzende Hürde dar: Während von den ungefähr 28’000 Landbewohnern und -bewohnerinnen um 1815 beinahe alle über das Kantonsbürgerrecht verfügten, besaßen von den gut 16’000 Menschen in der Stadt nur etwa die Hälfte das Stadtbürgerrecht. 76 Grund dafür war die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts sehr restriktiv gehandhabte Vergabe des Stadtbürgerrechts, die dazu geführt hatte, dass die alteingesessenen Bürgerfamilien praktisch unter sich blieben. 77 Dabei handelte es sich um eine kleine Gruppe von reichen Handwerkerfamilien, die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts das politische und das gesellschaftliche Schwergewicht der Stadt auf sich vereinigten. Ihre Machtposition konstituierte sich im Nachgang von drei miteinander zusammenhängenden Ereignissen: Die Abschaffung patrizischer Privilegien 1515, das Zunftregiment von 1521 und die Reformation, die sich in Basel 1529 durchgesetzt hatte. 78 Infolge dieser Ereignisse verloren die katholisch gebliebenen Adelsfamilien und Achtburger 79 , die bis dahin die Regierung Basels bildeten, ihre Privilegien und verließen größtenteils den Kanton. Das dadurch entstandene Machtvakuum füllten rasch die Handwerkszünfte der Stadt, die sich mit der Gewerbereform von 1521-1526 ein Verkaufsmonopol für ihre eigenen Erzeugnisse sicherten und so den Grundstein für die oligarchische Herrschaft durch das Zunftregime legten. Die Regierungsgeschäfte Basels lagen daraufhin während beinahe 300 Jahren in den Händen der Vorsitzenden der Basler Zünfte und Gesellschaften und damit einer kleinen Zahl von Familien. Die Gründe für diese Konzentration sind einerseits in den Wahlverfahren des Basler Großen und Kleinen Rates sowie der Zünfte zu suchen, die es Außenstehenden faktisch verunmöglichten, ein Amt zu erhalten. Andererseits erhielten die Ratsherren keine Vergütung für ihr Amt, weswegen es nur einer dünnen finanzstarken Oberschicht überhaupt möglich war, ein solches Amt auszuüben. 80 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind darunter insbesondere die Familien de Bary, Battier, Burckhardt, Forcart, Hagenbach, Heusler, Hoffmann, Iselin, Merian, Passavant, Sarasin und Socin zu nennen. Es waren protestantische Handwerker-, Kaufmanns-, Bankiers- und Bandfabrikantenfamilien, die nicht 76 Martin A LIOTH , Geschichte des politischen Systems bis 1833, in: Lukas B URCKHARDT et al. (Hg.), Das politische System Basel-Stadt, Basel 1984, S. 17-36, hier: S. 33-35; S TATISTISCHES A MT DES K ANTONS B ASEL -S TADT , Tabelle «Wohnbevölkerung und bewohnte Gebäude nach Gemeinde seit 1774» (2014), online unter: http: / / www.statistik.bs.ch/ zahlen/ tabellen/ 1bevoelkerung/ bestand-struktur.html [9.7.2015]. 77 W ARTBURG , Erfindung des Fortschritts, S. 79f. 78 Zu diesen Umwälzungen vgl. Martin A LIOTH ; Ulrich B ARTH ; Dorothee H UBER , Basler Stadtgeschichte, 2 Bde., Basel 1981, Bd. 2: Vom Brückenschlag 1225 bis zur Gegenwart, Basel 1981, S. 56-62; Hans B ERNER , «Die gute correspondenz». Die Politik der Stadt Basel gegenüber dem Fürstbistum Basel in den Jahren 1525-1585 Basel 1989; Hans Rudolf G UGGISBERG , Basel in the Sixteenth Century. Aspects of the City Republic Before, During, and After the Reformation, St. Louis 1982. Zur Reformation in der Eidgenossenschaft vgl. Bruce G ORDON , The Swiss Reformation, Manchester 2002. 79 Als «Achtburger» wurde eine Gruppe nichtadliger Patrizier der Stadt Basel bezeichnet, die von 1212 bis 1521 acht Vertreter des Großen Rates in Basel stellte. Vgl. dazu A LIOTH ; B ARTH ; H UBER , Basler Stadtgeschichte, S. 33f. 80 Genaueres zu Wahlverfahren und Zusammensetzung der Basler Regierung in der Frühen Neuzeit findet sich bei T EUTEBERG , Basler Geschichte, S. 235-241. Vgl. auch A LIOTH et al., Basler Stadtgeschichte, S. 56-59. <?page no="31"?> 32 nur die gesellschaftliche Elite bildeten, sondern - seit der Verfassungsreform von 1814 wieder de jure - auch die politische Macht im Kanton innehatten. 81 Bei diesen Familien handelte es sich aber keineswegs um eine homogene Gruppe, der als Ganzes bestimmte Handlungsweisen und Überzeugungen zugeschrieben werden könnten. Vielmehr wies die städtische Oberschicht in ihrer inneren Zusammensetzung teils große sozioökonomische Unterschiede auf. So stand auf der einen Seite ein eigentliches Großbürgertum, dessen wirtschaftliche und soziale Machtbasis weit über die Stadtmauern Basels hinausging. Ebenfalls an der Regierung beteiligt waren auf der anderen Seite die regimentsfähigen Handwerker, deren Position auf dem Zunftsystem innerhalb der Stadt beruhte. 82 Trotz der teils massiven sozialen und wirtschaftlichen Differenzen bildeten sie aufgrund ihrer durch das restriktive Wahlrecht gesicherten Position dennoch eine gewisse Einheit, die auch von den Zeitgenossen so wahrgenommen wurde. 83 Anders als in anderen Kantonen, wie beispielsweise in Zürich und Bern 84 , konnte die Basler Elite sich seit dem Ancien Régime an der Macht halten. Sie verlor zwar im Laufe des 19. Jahrhunderts sukzessive ihre politische und rechtliche Vormachtstellung, es gelang ihr aber ihre gesellschaftliche und ökonomische Position beizubehalten. 85 Aus dieser Oberschicht rekrutierten sich die leitenden Mitglieder der GGG, woraus eine starke Durchmischung philanthropischer Akteure und politischer Entscheidungsträger resultierte. Während des gesamten 19. Jahrhunderts dominierten dabei die alteingesessenen Basler Familien, während Neubürger außen vor blieben. 86 In wirtschaftlicher Hinsicht waren die Stadt Basel wie auch weite Teile der Landschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der florierenden Seidenbandfabrikation geprägt. Diese hatte sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts entwickelt, wobei Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, Italien und den Niederlanden eine führende Rolle eingenommen hatten. Sie ließen sich in der Stadt nieder, wobei ihnen das Bürgerrecht jedoch verwehrt blieb. Die Bandfabrikation fand daher größtenteils auf der Landschaft statt, wodurch die eingewanderten Großkaufleute und Fabrikanten das Zunftmonopol unterlaufen konnten. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts investierten städtische Kaufleute ihr Kapital vermehrt in 81 Hans B ERNER ; Niklaus R ÖTHLIN , Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur von der Reformation bis zur Kantonstrennung, in: Artikel «Basel(-Stadt)» (2015), in: HLS, online unter: http: / / www.hlsdhs-dss.ch/ textes/ d/ D7478.php [26.4.2017]. 82 Philipp S ARASIN , Stadt der Bürger. Bürgerliche Macht und städtische Gesellschaft, Göttingen 1997, S. 12 macht in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen dem «stadtsässigen Bürgertum» und dem «Stadtbürgertum». 83 S ARASIN , Stadt der Bürger, S. 11-13. Bei seiner Charakterisierung des Basler Stadtbürgertums grenzt sich Sarasin explizit von Albert Tanner ab, der in seiner Analyse des Berner und Zürcher Bürgertums von einer «politischen ‹Orientierungs- und Handlungsgemeinschaft›» ausgeht: Albert T ANNER , Arbeitsame Patrioten - wohlanständige Damen. Bürgertum und Bürgerlichkeit in der Schweiz 1830-1914, Zürich 1995, S. 30f. 84 Zum Machtverlust des Berner und Zürcher Patriziats vgl. T ANNER , Patrioten, insbesondere S. 514-681. 85 S ARASIN , Stadt der Bürger, S. 13. 86 Sara Janner, GGG 1777-1914. Basler Stadtgeschichte im Spiegel der «Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige», Basel 2015 (Neujahrsblatt der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel Bd. 193/ 194), S. 129-138. <?page no="32"?> 33 Finanzgeschäfte und betätigten sich so als Bankiers. Ebenfalls zur wirtschaftlich sehr erfolgreichen Position Basels trug der Großhandel mit Kolonialwaren, Eisen, Baumwolle und anderem bei, wodurch die finanzstarken Stadtbürger am internationalen Kolonial- und Sklavenhandel teilhatten. 87 Der prosperierenden Oberschicht gegenüber stand eine stetig wachsende arme Bevölkerung, vor allem in der Stadt, die unter Teuerungs- und Hungerkrisen, aber auch unter dem Durchmarsch österreichischer Truppen 1813 und dessen Folgen gelitten hatte und litt. Sie fiel größtenteils der privaten Armenfürsorge, insbesondere durch die GGG, anheim, da die Stadt Basel ihre Fürsorgeangebote auf Stadtbürger beschränkte. Ein wenig positiver gestaltete sich die Situation für die unteren Gesellschaftsschichten auf der Landschaft, die aufgrund der Heimarbeit über relativ stabile Einkommensquellen verfügten. 88 Insbesondere aufgrund dieser Heimarbeit waren Stadt und Landschaft Basel eng miteinander verflochten, was sich durch die einsetzende Industrialisierung noch verstärkte. Ebenso verfügte Basel über enge wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen mit den angrenzenden Regionen des Elsasses und des Großherzogtums Baden. Basel war für sein Umland nicht nur als potente Wirtschaftsmacht interessant - so gründeten mehrere Textilunternehmen Tochtergesellschaften im Elsass -, sondern auch beispielsweise als Zufluchtsort für politische Flüchtlinge aus französischen und deutschen Gebieten während des gesamten 19. Jahrhunderts. 89 Trotz der nach wie vor existierenden Stadtmauer Basels scheint sich so ein relativ offener Grenzraum im Dreiländereck entwickelt zu haben, der eine hohe Mobilität ermöglichte, die auch von Kriminellen und anderen als deviant eingestuften Personen genutzt wurde. Davon zeugen verschiedene Abkommen, welche die Handhabung des Grenzraumes regulierten. Im frühen 19. Jahrhundert waren dies insbesondere Vereinbarungen bezüglich des Umgangs mit «Landstreichern», «Vaganten» und «Betteljuden». 90 Dabei handelte es sich primär um Abmachungen, dass die betreffenden Personen in ihre jeweilige Heimatgemeinde 87 B ERNER ; R ÖTHLIN , Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur [26.4.2017]; O PITZ , Aufklärung; W ARTBURG , Erfindung des Fortschritts, S. 77-79. Zur Seidenbandindustrie vgl. Irene A MSTUTZ ; Sabine S TREBEL , Seidenbande. Die Familie De Bary und die Basler Seidenbandproduktion von 1600 bis 2000, Baden 2002; Paul F INK , Geschichte der Basler Bandindustrie 1550-1800, Basel 1983. 88 A LIOTH , Geschichte des politischen Systems, S. 33-35; Hans B ERNER , Vom 16. Jahrhundert bis zur Kantonstrennung, in: Artikel «Basel (Kanton)», in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D7387.php [27.5.2015]; O PITZ , Aufklärung, S. 174f.; W ARTBURG , Erfindung des Fortschritts, S. 77-79, 92f. 89 Die Literatur zu Basels grenzübergreifenden Beziehungen präsentiert sich sehr übersichtlich - Hinweise finden sich bei Jean-Luc E ICHENLAUB , Artikel «Elsass» (2005), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D7022.php [14.7.2015]; Josef I NAUEN , Brennpunkt Schweiz. Die süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern und die Eidgenossenschaft 1815-1840, Fribourg 2008, insbes. S. 73-79, 207-209; Paul L EUILLIOT , Esquisse d’une histoire des rapports de l’Alsace et de la Suisse au début du XIXe siècle, in: S OCIÉTÉ SAVANTE D ’A LSACE ET DES RÉGIONS DE L ’ EST (Hg.), L’Alsace et la Suisse à travers les siècles, Strasbourg 1951, S. 327-348. Zum kulturellen Austausch, vor allem in der frühen Neuzeit, vgl. Alfred B ERCHTOLD , Bâle et l’Europe. Une histoire culturelle, 2 Bde., Lausanne 1990. 90 Eine Zusammenstellung der «Landstreicher-Abkommen» 1807-1811 findet sich in StABS AHA Straf und Polizei, E 5 Verhandlungen und Verträge mit Kantonen und mit auswärtigen Staaten 1807-1881. Weitere Verträge, insbesondere bezüglich der Auslieferung von Kriminellen erwähnt I NAUEN , Brennpunkt Schweiz, S. 207f. <?page no="33"?> 34 zurückgeführt werden und dass sich die Vertragspartner gegenseitig keine «Heimatlosen» zuschicken sollten. Nach 1815 kamen Vereinbarungen bezüglich des Umgangs mit Deserteuren hinzu, die von Basel aus über badische Gebiete in ihre jeweiligen Heimatgebiete zurückgewiesen wurden. Im Winter 1816/ 17 verschärfte die herrschende Hungerkrise die Situation, was im Sommer 1817 zu einer gewissen Institutionalisierung der existierenden Vereinbarungen führte. 91 Waren es zuvor primär kurzfristige Abmachungen, oft zwischen den Polizeiorganen verschiedener Gebiete, gewesen, schlossen zunächst Bayern, Baden und Württemberg untereinander ein Abkommen über den Umgang mit fremden Bettlern. Sie sahen den Beitritt der eidgenössischen Grenzkantone als unerlässlich für den Erfolg dieser Vereinbarung an und traten daher mit diesem Wunsch an die Tagsatzung heran, welche die Kantone zum Beitritt ermutigte - dies obwohl die diplomatischen Beziehungen insbesondere zwischen Baden und der Eidgenossenschaft nicht gerade freundschaftlich waren. 92 Der Basler Kleine Rat folgte dieser Empfehlung und beschloss am 2. Juli 1817 den Beitritt. 93 Solche oder ähnliche Abkommen waren courant normal im Umgang mit devianten Personen, welche die Existenz eines Grenzraums nutzten, um sich der Rechtsprechung oder den Bettelordnungen eines Gebietes zu entziehen. Dementsprechend verfügte Basel auch über ähnliche Vereinbarungen mit seinen eidgenössischen Nachbarkantonen. 94 Im Rahmen der vorliegenden Studie ist es daher unabdingbar, die Region um Basel analytisch als Raum zu fassen, der nicht zwingend durch nationale oder kantonale Grenzziehungen definiert wird. Basel präsentierte sich im frühen 19. Jahrhundert also als weltoffene, eng mit dem aus- und inländischen Umland vernetzte Handelsstadt, mit einem politisch und wirtschaftlich mächtigen Bürgertum. Dies dürfte denn auch der Grund für die vergleichsweise frühe Einführung der Straffälligenhilfe in Basel gewesen sein, wobei selbstverständlich die Rolle der GGG als finanziell und sozial starker Dachverband philanthropischen Engagements nicht außer Acht gelassen werden darf. Gleichzeitig wies das alteingesessene Stadtbürgertum aber auch deutlich exkludierende Züge auf, was sich beispielsweise im Umgang mit Neuzugezogenen oder Landbürgern zeigte. Ebendies führte u. a. dazu, dass sich das Stadtbürgertum bis 91 StABS AHA Straf und Polizei, E 5, Polizeileutnant BS an den KR BS, 17.12.1816; Grossherzogliches Badisches Bezirksamt Säckingen an den KR BS, 18.12.1816; Grossherzogliches Badisches Direktorium des Dreysam-Kreises Freyburg an den KR BS, 10.3.1817. Zur Hungerkrise von 1816/ 17 siehe Daniel K RÄMER , «Menschen grasten nun mit dem Vieh». Die letzte grosse Hungerkrise der Schweiz 1816/ 17. Mit einer theoretischen und methodischen Einführung in die historische Hungerforschung, Basel 2015. 92 StABS AHA Straf und Polizei, E 5, Gesandter des Grossherzogtums Baden an Schultheiss und Rat Bern, Vorort der Tagsatzung, 15.6.1817; Kreisschreiben der Tagsatzung an sämtliche eidgenössische Stände, 24.6.1817. Zu den diplomatischen Beziehungen der Eidgenossenschaft mit den süddeutschen Staaten 1815-1830 vgl. I NAUEN , Brennpunkt Schweiz, S. 71-92. 93 StABS AHA Protokolle Kleiner Rat (ab 1875 Regierungsrat) Protokolle Kleiner Rat (1587- 1874) (Protokolle KR BS), 2.7.1817, S. 285. Dem Abkommen war jedoch aus verschiedenen Gründen keine lange Lebensdauer beschert und es wurde ca. 1822 wieder fallengelassen. I NAUEN , Brennpunkt Schweiz, S. 207. 94 StABS AHA Straf und Polizei, E 5, Übereinkunft zwischen den Polizeidirektionen Aargau, Basel, Bern und Solothurn die Fortschaffung der expulsirten Vagabunden, Heimathlosen, Commisierten und Verbrecher betreffend, o. D. <?page no="34"?> 35 in die 1870er Jahre an der Macht halten konnte. Basel bietet damit für die Schweiz einmalige Bedingungen für eine Untersuchung der Zusammenarbeit zwischen philanthropischem und staatlichem Engagement in der Straffälligenhilfe, da diese sich über mehr als fünfzig Jahre hinweg unter vergleichbaren Umständen entwickeln konnte. 1.4 Quellenlage und Vorgehen Die Diversität der Akteure und Akteurinnen der Basler Straffälligenhilfe spiegelt sich in der Quellenbasis der vorliegenden Studie wider. Sie stützt sich auf verschiedene Archivbestände, welche im Staatsarchiv Basel-Stadt zu finden sind. Die staatliche Seite der Straffälligenhilfe wird dabei mittels der Protokolle der Strafanstaltsinspektion bzw. -kommission erschlossen, die bis 1875 relativ detaillierte Ausführungen enthalten. 95 Hinzu kommen die Protokolle des Großen und Kleinen Rates von Basel-Stadt 96 , Gesetzes- und Verordnungstexte 97 sowie die Verwaltungsberichte der einzelnen Kommissionen bzw. Departemente an den Großen Rat 98 . Insbesondere letztere erlauben es, die Situation des Basler Strafvollzugs und den Zustand der Strafanstalten im Laufe des 19. Jahrhunderts nachzuzeichnen und auch quantitative Aussagen zu Gefangenenzahlen u. Ä. zu machen. Die staatlichen Organe Basel-Stadts führten eine im Laufe des 19. Jahrhunderts stetig wachsende Korrespondenz mit ihren Pendants in umliegenden und anderen Regionen sowie ab 1848 mit Vertretern des Bundesstaates. Sie findet sich ebenfalls im Stadtbasler Staatsarchiv 99 und ermöglicht es den Vernetzungen der staatlichen Seite der Basler Straffälligenhilfe nachzugehen. Gleiches gilt für offizielle Verträge unter den Behörden verschiedener Regionen. 100 Die privaten Bestrebungen der Straffälligenhilfe gingen wie oben dargelegt primär von der GGG aus, deren umfangreiches Vereinsarchiv ebenfalls im Staatsarchiv Basel-Stadt zugänglich ist. 101 Darin findet sich der Bestand der Zuchtanstaltskommission bzw. ihrer Nachfolgekommission, der sich aus Korrespondenzen, 95 StABS AHA Protokolle E 16 Zucht- und Arbeitsanstalt, Strafanstalten (1806-1899) (Protokolle STK). 96 Protokolle KR BS; StABS AHA Protokolle Kleiner Rat (ab 1875 Regierungsrat) Protokolle Regierungsrat (1875-1988) (Protokolle RR BS); StABS AHA Protokolle Grosser Rat Protokolle Grosser Rat (1690-1993) (Protokolle GR BS). Die Protokollbände sind auch online unter http: / / www.staatsarchiv.bs.ch/ archivgut/ digitalisiertes-archivgut/ akten-online.html [28.10.2016] zugänglich. 97 Gesetzessammlung BS. 98 Verwaltungs-Bericht an den Grossen Rath des Kantons Basel-Stadttheil 1834-1989, Basel 1835- 1990 (Verwaltungsbericht BS). 99 Entsprechende Bestände finden sich hauptsächlich in StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 Strafanstalt, Allgemeines und Einzelnes (1833-1936). 100 StABS AHA Straf und Polizei, E 5. 101 StABS PA 146a, Archiv der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und des Gemeinnützigen in Basel (1771-1977). <?page no="35"?> 36 Jahresberichten, Rechnungen u.ä. zusammensetzt. 102 Von spezieller Bedeutung sind auch hier wieder die Protokollbände 103 , da sie es erlauben, die alltäglichen Strukturen der Straffälligenhilfe ebenso zu beleuchten, wie spezielle Ereignisse oder Zäsuren. Leider verzichtete die Kommission nach 1875 darauf, die ausführliche Protokollierung ihrer Tätigkeit weiterzuführen, was eine empfindliche Lücke im Quellenbestand hinterlässt. Beim kirchlichen Engagement für die Straffälligenhilfe stehen schließlich die Strafanstaltspfarrer im Zentrum des Interesses. Deshalb stellen deren Korrespondenzen, Notizen und Pflichtenhefte 104 sowie ihre Jahresberichte 105 den wichtigsten Quellenbestand dar. Letztere beschränken sich dabei nicht auf Aspekte der Seelsorge und des Gottesdienstes, sondern geben einen breiten Einblick in die alltäglichen Dynamiken und Machtverhältnisse innerhalb der Basler Strafanstalt. Zudem sind sie eine der wenigen Quellen, welche Zugang zum Frauenverein zur Betreuung weiblicher Sträflinge gestatten. Ergänzt werden die Basler Quellen durch zeitgenössische Publikationen aus der Schweiz, Deutschland, Großbritannien und Frankreich, die sowohl Einblicke in gefängnisreformerische Diskurse als auch in Entwicklungen verschiedener Gebiete bieten. 106 Für die nationale Vernetzung der Basler Straffälligenhilfe ist zudem auf den Schweizerischen Verein für Straf-, Gefängniswesen und Schutzaufsicht (SVSG) hinzuweisen, da dessen Versammlungen und Jahresberichte seit den 1870er Jahren als Plattformen des gegenseitigen Austauschs dienten. 107 Schließlich ist die Web-Plattform stroux.org zu erwähnen, auf welcher die Stammbäume einflussreicher Basler Familien einseh- und durchsuchbar sind, was in vielen 102 StABS PA 146a, Archiv der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und des Gemeinnützigen in Basel (1771-1977), U Rechtsschutz und Gefangenenschutz. Die hier zu findenden Berichte und Rechnungen sind teils identisch mit den publizierten Jahresberichten der GGG (JB GGG), welche ebenfalls eine wichtige Quelle darstellen. 103 StABS AHA Protokolle, E 21.1 Kommission zu Mitwirkung an der Zuchtanstalt 1821-1837 Kommission zur Beratung und Versorgung ausgetretener Züchtlinge 1837-1846 (Protokolle Zuchtanstaltskommission 1821-1846); StABS AHA Protokolle, E 21.2 Kommission zur Beratung und Versorgung ausgetretener Züchtlinge (1846-1873) (Protokolle Patronagekommission 1846-1873); StABS AHA Protokolle, E 21.3 Patronage-Kommission (1874-1891) (Protokolle Patronagekommission 1874-1891) . 104 Diese finden sich größtenteils in StABS AHA, Kirchen, G 14 Pfarrer an der Zuchtanstalt und an der Strafanstalt 1799-1936. 105 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28 Jahresberichte des Geistlichen 1838-1909. 106 U. a. C UNNINGHAM , Notes recueillies; Etienne D UMONT , Rapport sur le projet de loi relatif à une prison pénitentiaire, prononcé en Conseil représentatif le 1er mars 1822, Genf 1825; Louis Gabriel C RAMER -A UDÉOUD , Documens sur le système pénitentiaire et la prison de Genève. Supplément aux documens sur le système pénitentiaire et la prison de Genève, Genf 1835; Franz von H OLTZENDORFF , Das Irische Gefängnissystem insbesondere die Zwischenanstalten vor der Entlassung der Sträflinge, Leipzig 1859; Carl Joseph Anton M ITTERMAIER , Der gegenwärtige Zustand der Gefängnissfrage. Mit Rücksicht auf die neuesten Leistungen der Gesetzgebung und Erfahrungen über Gefängnisseinrichtung mit besonderer Beziehung auf Einzelnhaft, Erlangen 1860. 107 Verhandlungen SVSG; Verhandlungen SVSGS. <?page no="36"?> 37 Fällen die Eruierung von Berufen oder Verwandtschaftsbeziehungen einzelner Akteure und Akteurinnen ermöglicht. 108 Die zur Verfügung stehenden Quellen entstammen bis auf ganz wenige Ausnahmen einer obrigkeitlichen Perspektive. Um trotzdem die Sichtweise und die Handlungsmacht der Betreuten sichtbar zu machen, ist es notwendig, die vorhandenen Quellen gegen den Strich zu lesen. Dies bedeutet, erkennbar zu machen, was nicht explizit gesagt wird. So können trotz der durch die Quellen gesetzten Limite, Fragen nach der Perspektive und der agency der Straffälligen beantwortet werden. Ein weiteres Problem der Quellen besteht in einer gewissen Oberflächlichkeit bzw. einer teils fehlenden Detailtiefe. Dies verunmöglicht es in einigen Fällen, die Hintergründe von Entscheiden oder Prozessen nachzuvollziehen. Nicht nur die verschiedenen Akteursgruppen auch die skizzierten Fragestellungen und Erkenntnisinteressen machen deutlich, dass die Studie nach einem multiperspektivischen Zugang verlangt. Dem soll mittels eines chronologischen Aufbaus, in welchem je nach Phase unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden, Rechnung getragen werden. Das zweite Kapitel, im Anschluss an die Einleitung, widmet sich dem Basler Strafvollzug vor dem eigentlichen Beginn der Straffälligenhilfe und behandelt die Zeit zwischen 1806, dem Jahr der Eröffnung der Stadtbasler Strafanstalt, und 1820. Im Fokus stehen der Alltag innerhalb der Strafanstalt, die Gestaltungsmöglichkeiten der Insassen und Insassinnen sowie die bestehenden Probleme in den Bereichen Sicherheit und Arbeitstätigkeit. Damit liefert das Kapitel einerseits die Grundlage für die darauf folgenden Ausführungen zur Straffälligenhilfe. Andererseits können hier bestehende Machtverhältnisse offengelegt werden, was es auch erlaubt, der Frage nach Handlungsspielräumen der Gefangenen nachzugehen. Im dritten Kapitel steht zunächst die Kommission der GGG im Zentrum, die 1821 ihre Tätigkeit aufnahm. Sie etablierte im Laufe von wenigen Jahren einen Großteil der Praktiken, welche die Straffälligenhilfe während des ganzen 19. Jahrhunderts prägen sollten, so beispielsweise den Schulunterricht oder erste Versuche einer Entlassenenfürsorge. Insbesondere aber widmete sie sich in diesen ersten Jahren der Arbeitstätigkeit der Sträflinge und damit deren Verdienstmöglichkeiten sowie der ökonomischen Situation der Strafanstalt. Auf diesem Themenkomplex liegt denn auch das Hauptaugenmerk dieses Kapitels, gestattet dessen Untersuchung doch u. a. Rückschlüsse auf Motivation und Zielsetzungen der Straffälligenhelfer und -helferinnen. Selbstverständlich wird in diesem dritten Kapitel auch die Zusammenarbeit zwischen den drei Akteursgruppen zur Sprache kommen, die sich in den 1820er Jahren formierte. Diese Kooperation erfuhr nach 1833 bzw. nach der Basler Kantonstrennung verschiedene tiefgreifende Veränderungen, die im vierten Kapitel thematisiert werden. So übernahmen die Behörden den größten Teil der Tätigkeiten der 108 Genealogie der Basler Patrizierfamilien, Zusammenstellung von Ulrich Stroux, online unter: http: / / www.stroux.org [27.4.2017]. Die Website basiert größtenteils auf den Beständen des Basler Staatsarchivs. Zufällig ausgewählte Überprüfungen der Online-Angaben mittels vorhandener Literatur ergaben keine Abweichungen. <?page no="37"?> 38 Zuchtanstaltskommission, woraufhin sich letztere neu orientieren musste. Dementsprechend fokussiert dieses Kapitel auf die Zusammenarbeit zwischen Privaten, Behörden und Geistlichen sowie auf die Neuorientierung der Kommission der GGG. Letzteres erlaubt es dabei, die selbsterhaltenden Strategien einer philanthropischen Vereinigung, die sich u. a. in der Schaffung neuer Klientel äußerte, offenzulegen. Nach den ersten dreißig bewegten Jahren der Basler Straffälligenhilfe folgte eine beinahe ebenso lange dauernde Zeit relativer Ruhe zwischen den 1840er Jahren und dem Basler Verfassungs- und Regierungswechsel 1874. Ihr widmet sich das fünfte Kapitel. Es war eine Phase, in welcher der Frauenverein eine prominentere Rolle einnahm und auch einige Spuren hinterließ. Daher können im fünften Kapitel sowohl seine Tätigkeiten als auch sein Verhältnis zu den anderen Akteursgruppen stärker beleuchtet werden. Weiter steht in diesem Kapitel die Entwicklung der Patronagekommission, der ehemaligen Zuchtanstaltskommission, im Zentrum, die in dieser Phase mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. In staatlicher Perspektive schließlich brachten die 1860er Jahre den Bau einer neuen Strafanstalt, was ebenfalls Thema dieses Kapitels ist. Die Frage nach der schweizerischen und der transnationalen Vernetzung, sowohl in institutionalisierter als auch in autonom organisierter Weise, zieht sich durch sämtliche Kapitel hindurch. Sie gewann gegen Ende des 19. Jahrhunderts massiv an Bedeutung und rückt deswegen im sechsten Kapitel verstärkt in den Fokus. Der Umgang der Basler Straffälligenhelfer mit dem SVSG sowie die Organisation der Beziehungen zu deutschen Vereinen sind hier von besonderem Interesse. Die schweizerische Vernetzung war es denn auch, welche die Professionalisierung der Schutzaufsicht vorantrieb und damit eine grundlegende Veränderung im Gefüge der Straffälligenhilfe in Basel-Stadt verursachte. Die Darlegung und Analyse dieses Prozesses bilden den Schlusspunkt des sechsten Kapitels und damit auch der vorliegenden Studie. <?page no="38"?> 39 2 Chancen und Schwierigkeiten im frühen Freiheitsstrafvollzug: 1806-1820 Die Ideen der Gefängnisreform und damit die Veränderungen von Einsperrungsbedingungen gingen den Anfängen einer koordinierten Straffälligenhilfe in ganz Westeuropa voraus. Bevor die Entwicklung der Straffälligenhilfe ins Auge gefasst werden kann, gilt es daher, sich mit dem Freiheitsstrafvollzug im frühen 19. Jahrhundert in Basel auseinanderzusetzen. So soll in diesem Kapitel dargelegt werden, wie sich der Basler Strafvollzug nach dem Ende der Helvetik gestaltete. Der Fokus liegt dabei auf der Gestaltung des Alltags in der Zuchtanstalt, dem hauptsächlichen Gefängnis der Stadt Basel. Damit geraten die drei klassischen Pfeiler der Erziehung oder «Besserung» von Sträflingen ins Blickfeld: Disziplin, Religion und Arbeit. Durch die Analyse dieser drei Normkomplexe und ihrer Implementierung in den frühen Basler Zuchtanstaltsalltag soll zum einen die Basis für die späteren Ausführungen über die schrittweise Etablierung einer koordinierten Straffälligenhilfe gelegt werden. Zum anderen erlaubt es die detaillierte Auseinandersetzung mit dem Gefängnisalltag auch, Fragen nach dem Handlungsspielraum von Insassen und Insassinnen, der Zusammenarbeit zwischen kirchlichen und staatlichen Akteuren sowie den entsprechenden Aushandlungsprozessen zu stellen. Bevor jedoch diese detaillierte Untersuchung geleistet werden kann, ist es unerlässlich, sich zunächst mit der Entwicklung der Basler Einsperrungsorte sowie den juristischen Voraussetzungen auseinanderzusetzen. Diese Grundlagen werden im Folgenden in einem ersten Schritt geschaffen. Darauf folgen Analysen der Disziplin, der religiösen Unterweisung und der Arbeitstätigkeit in der Anstalt. Dies soll Einblick in die Logiken gestatten, welche den Basler Freiheitsstrafvollzug des frühen 19. Jahrhunderts prägten, um so letztlich den Rahmen darzulegen, in welchem sich die frühe Basler Straffälligenhilfe abspielte. Gleichzeitig können hier bereits Problemstellungen bezeichnet werden, die sich durch die ganze vorliegende Studie hindurchziehen werden. 2.1 Die Stadt und ihre Gefängnisse Nach dem Ende der Helvetischen Republik und der Einführung der Mediationsakte 1803 lag die Strafjustiz wieder in der Kompetenz der Kantone. Während einige Kantone die Helvetische Gesetzgebung mit Modifikationen beibehielten, kehrte der größere Teil der Eidgenossenschaft zunächst zur Rechtsprechung des <?page no="39"?> 40 Ancien Régime zurück. 1 Auch Basel wählte eine am 18. Jahrhundert orientierte Rechtsprechung, die teils auf der Carolina basierte. Die daraus entstehende analoge Rechtsanwendung bot kaum Rechtssicherheit. 2 Hauptsächliches Problem war die fehlende Gewaltenteilung: Für die Rechtsprechung waren verschiedene Instanzen, darunter auch der Kleine Rat, zuständig, deren Kompetenzen keineswegs systematisch geregelt waren. Die verantwortlichen Organe in den einzelnen Gemeinden konnten zudem je nach Schwere des Delikts die Urteilssprechung an die Gemeinderäte oder an das städtische Kriminalgericht delegieren. Letzteres war allein zuständig für Kapitalverbrechen, d. h. Mord, Totschlag, qualifizierter Diebstahl, Bigamie, Notzucht und Staatsverbrechen, aber befugt, in sämtlichen Kriminalfällen zu urteilen. Der Entscheid über die Zuständigkeit des Kriminalgerichts lag beim Kleinen Rat. Oberste Instanz war das Appellationsgericht. Letzteres bestand aus dreizehn Großräten und wurde im Falle eines möglichen Todesurteils um vier Kleinräte erweitert. 3 Explizit kodifiziert wurden einzig die Strafmöglichkeiten des Kriminalgerichts. Sie reichten vom Freiheitsentzug über Brandmarkungen, Bürgerrechtsentzug und Landesverweisungen bis hin zur Todesstrafe, wobei es den Richtern überlassen blieb, diese Strafarten nach Bedarf zu kombinieren. Die Körper- und Ehrenstrafen gewannen damit erneut an Bedeutung, der Freiheitsentzug blieb aber eine Alternative. Längere Haftstrafen waren in Basel seit dem 17. Jahrhundert durchaus Usus, wobei sie primär der Unschädlichmachung von Straftätern und -täterinnen dienten. 4 Der Weg zum Kriminalgesetzbuch von 1821 Es war insbesondere die fehlende Garantie der Rechtssicherheit und weniger die ebenfalls eklatanten Rückschritte in der Gewaltentrennung nach 1803, welche die 1 Zum Helvetischen Peinlichen Gesetzbuch und seiner Anwendung in Basel vgl. Christoph E YMANN , Das Criminalgesetzbuch für den Canton Basel von 1821, Diss. Universität Basel 1980, S. 42-49; Silvio R ACITI , Das Recht der Bürger? Justiz und Kriminalität in der Stadt: Basel 1750-1850, Diss. Universität Bern 2013, S. 112-127 und für die anderen Kantone H AFNER , Gefängnisreformen, S. 37-41; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 239-290; Heinrich P FENNINGER , Das Strafrecht in der Schweiz, Berlin 1890, S. 163-174. Die Helvetische Gesetzgebung behielten Luzern bis 1827, Thurgau bis 1841, Waadt bis 1843, Solothurn bis 1855 und Bern bis 1867. Vgl. dazu H AFNER , Gefängnisreformen, S. 37; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 291-346; P FENNINGER , Strafrecht, S. 207-210, 251-292, 424-432, 459-487. 2 E YMANN , Criminalgesetzbuch, S. 50f. 3 Ernst B RENNER , Rückblick auf die Entwicklung des Gefängniss- und Strafwesens in Basel. Vortrag von Dr. Ernst Brenner an der Versammlung des Schweiz. Vereins für Straf- und Gefängnisswesen in Basel am 13. Oktober 1891, Basel 1892, S. 17f.; E YMANN , Criminalgesetzbuch, S. 7-10, 50f.; Gesetz über die Einrichtung der richterlichen Behörden, 12.7.1803, in: Gesetzessammlung BS Bd. 1: 1803-1805, S. 91-96; R ACITI , Recht der Bürger, S. 127f. 4 B OREL , Strafanstalt, S. 2f.; B RENNER , Rückblick, S. 29-31. Mit der Reaktivierung von Körperstrafen, wie auch hinsichtlich der Rückschritte im Bereich der Rechtssicherheit hielt Basel mit einem Großteil der anderen eidgenössischen Kantone Schritt. Vgl. dazu L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 307-317; Thomas M ETTLER , Konrad Meyer (1780-1813) und die st. gallischen Strafgesetze der Mediation, St. Gallen 1979. <?page no="40"?> 41 Basler Kantonsbehörden schließlich dazu bewegte, sich mit der Schaffung einer neuen Strafrechtskodifikation zu befassen. Explizit wünschte der Große Rat dabei, sich an den Kodifikationen anderer Regionen zu orientieren. 1804 erteilte der Große Rat dem Justiz- und Polizeikollegium erstmals den Auftrag, einen entsprechenden Entwurf auszuarbeiten. Dieses reichte 1807 einen Vorschlag ein, den jedoch der Große Rat ebenso ablehnte wie einen zweiten aus der Feder von Peter Ochs 1811. 5 In der Folge verschwand das Projekt einer Strafrechtskodifizierung zunächst in der Versenkung, was wohl insbesondere dem Ende der Napoleonischen Kriege und den Entscheiden des Wiener Kongresses bzw. der Restauration geschuldet war. 1817 schließlich betraute der Große Rat erneut eine Kommission mit der Ausarbeitung eines neuen Gesetzbuches, welches 1821 vorlag. Es orientierte sich an den existierenden Kodifikationen der Kantone Aargau und St. Gallen sowie der Königreiche Bayern und Preußen. 6 Das am 1. August 1821 verabschiedete Kriminalgesetzbuch listete sieben verschiedene Strafarten auf: «Die verschiedenen Strafarten sind: 1. Todesstrafe 2. Kettenstrafe 3. Zuchthausstrafe 4. Pranger 5. Staupbesen 6. Brandmarkung, und 7. Landesverweisung.» 7 Neben den Körper- und Ehrenstrafen sah das Kriminalgesetzbuch also zwei Formen des Freiheitsentzugs vor. Die Kettenstrafe für schwerere Vergehen beinhaltete im schärfsten Grad nicht nur das dauernde Tragen von Ketten und Halseisen, sondern auch das Ausüben «strenger Arbeit», entweder öffentlich oder im Inneren der Gefängnisse. Hinzu kam Einzelhaft, eine Beschränkung der Ernährung auf Wasser, Brot und Suppe sowie das regelmäßige Anbinden an den Pranger. Der zweite oder mildere Grad der Kettenstrafe unterschied sich davon durch gemeinsame Einsperrung, leichtere Ketten und den weitgehenden Verzicht auf den Pranger. Beide Grade konnten auch für Frauen ausgesprochen werden, wobei jedoch leichtere Ketten vorgesehen waren. Die Zuchthausstrafe zeichnete sich im Vergleich dazu besonders durch den Verzicht auf Ketten, bessere Nahrung sowie eine Beschränkung auf Arbeiten innerhalb der Gefängnisse aus. Weiter zog jegliche Verurteilung den «Verlust der bekleideten Würden und Aemter; Ausschließung von den Gemeindsversammlungen; Unfähigkeit zu allen öffentlichen Stellen, zu Zeugnissen im Rechten, zur Vormundschaft und zum Waffendienst» nach sich. 8 5 E YMANN , Criminalgesetzbuch, S. 50-66. 6 Bei E YMANN , Criminalgesetzbuch, S. 67-106, 129-144 findet sich eine ausführliche Darlegung der Vorbilder und der jeweils übernommenen Elemente. 7 Criminalgesezbuch für den Canton Basel, 3.4.1821, Basel 1821 § 19, S. 14. Zur Todesstrafe ist anzumerken, dass diese in Basel letztmals 1819 vollzogen wurde: B OREL , Strafanstalt, S. 2. Beim Staupbesen handelte es sich um eine Form des Auspeitschens. 8 Criminalgesezbuch 1821, § 21-30, S. 14-19 (Zitat § 30, S. 19). <?page no="41"?> 42 Insgesamt präsentierte sich das Gesetzbuch als Ergebnis einer Kombination konservativer und liberaler Ansätze im Bereich der Strafjustiz. Beispiel für Letzteres war insbesondere die Abschaffung der Ratsgerichtsbarkeit. Zudem versuchten die Autoren general- und spezialpräventive Überlegungen zu vereinen, so dass klar abschreckende Strafen mit resozialisierenden Ansätzen koexistierten. 9 Zeitgenössische Beobachter aus dem Umfeld der Gefängnisreform lobten die Schaffung einer relativ weitgehenden Rechtssicherheit, die teilweise Regulierung des Freiheitsstrafvollzugs sowie den weitgehenden Verzicht auf die Prügelstrafe. So äußerte sich denn auch der liberale Jurist und Vorkämpfer der Gefängnisreform Carl J. A. Mittermaier positiv darüber: «Unverkennbar entspricht dieses Gesetzbuch durch Einfachheit, Klarheit, durch zweckmäßige Wahl der Strafarten und in den meisten Fällen durch eine würdige Milde mehreren Forderungen, die an ein Strafgesetzbuch gestellt werden dürfen.» 10 Kerker und Gefängnisse Der Vollzug der Strafen war in Basel Sache des Justiz- und Polizeikollegiums des Kleinen Rats und der Kantonspolizei. Ersteres wurde 1803 zusammen mit sechs weiteren Kollegien ins Leben gerufen und bestand aus drei Mitgliedern des Kleinen und zwei Mitgliedern des Großen Rates unter dem Vorsitz des nicht amtierenden Amtsbürgermeisters. 11 Die Verantwortung über die im selben Jahr gegründete Basler Kantonspolizei übertrug der Große Rat dem Statthalter des Bezirks Basel, der damit auch das Amt des Polizeidirektors übernahm. Seine Aufgaben umfassten neben vielen anderen auch die «Aufsicht über die Vollziehung aller Polizey-Maßregeln, so wie über die Execution der peinlichen Straf-Urtheile». 12 Für die Oberaufsicht über den Freiheitsentzug im Allgemeinen und die Zuchtanstalt im Besonderen bestellte der Große Rat fünf Klein- und Großräte, welche die Inspektion zur Zucht- und Arbeitsanstalt bildeten. 13 Dieser Zuchtanstalts- 9 R ACITI , Recht der Bürger, S. 128-141. 10 Carl J. A. Mittermaier zit. nach E YMANN , Criminalgesetzbuch, S. 178. Für eine ausführlichere Betrachtung des Kriminalgesetzbuches von 1821 sowie seine zeitgenössische Einschätzung vgl. E YMANN , Criminalgesetzbuch, S. 177-181; P FENNINGER , Strafrecht, S. 203-206; R ACITI , Recht der Bürger, S. 135-144. 11 Einrichtung der Kantons-Behörden, oder der sieben Haupt- oder Raths-Kollegien, 27.6.1803, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 1: 1803-1805, S. 82-87; Gesetz wegen Besetzung der Raths-Collegien, 3.4.1816, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 4: 1814-1817, S. 119. Vgl. zu den Kollegien auch E YMANN , Criminalgesetzbuch, S. 4-6; Eduard H IS , Basler Staatsmänner des 19. Jahrhunderts, Basel 1930. 12 Gesetz wegen Einrichtung einer Kantons-Polizey, 21.6.1816, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 4: 1814-1817, S. 216-218, hier S. 217. 13 Ab 1810 wurden die Mitglieder der Inspektion in unregelmäßigen Abständen im Basler Kantonsblatt publiziert. Vgl. Kantonsblatt Basel 1810, Basel 1810, 3. Abt., S. 85. Für die Mitglieder ab 1812 vgl. Anhang 2: Mitglieder der Zuchtanstaltsinspektion 1812-1833 und der STK 1833- 1874, S. 292. <?page no="42"?> 43 inspektion oblagen die Anstaltsleitung und -aufsicht, wobei Entscheide im Bereich der Finanzen und der Hausordnung die Zustimmung des Kleinen Rates benötigten. Der Strafvollzug fand, im Falle einer Freiheitsstrafe, im Basel des 18. Jahrhunderts in verschiedensten Einsperrungsorten statt. Für die Unterbringung von Untersuchungshäftlingen und wegen kleinerer Vergehen Verurteilter hatten seit dem Mittelalter in der Stadt Basel vor allem drei Türme der Stadtmauer gedient: der Spalenturm, der Eselsturm und der St. Albanschwibbogen, der im Alltag «Bärenhaut» genannt wurde. Hinzu kamen das Zuchthaus und das Schellenhaus für gröbere Vergehen. Das Zuchthaus war ursprünglich als Korrektionsanstalt für deviante Kinder und Jugendliche konzipiert worden, weswegen es seit seiner Gründung 1667 einen Teil des Waisenhauses bildete. Die gemeinsame Einsperrung von Waisen und Sträflingen wurde 1754 aufgehoben, gleichzeitig wurden die eingesperrten Frauen und Männer voneinander getrennt. Sowohl die Gefangenen als auch die Waisen blieben aber im Gebäude des ehemaligen Kartäuserklosters untergebracht. Dieser Zustand wurde erst 1806 endgültig beendet, als die Gefangenen in das Schellenhaus überführt wurden. Den ursprünglichen Anstoß dafür hatte der helvetische Justiz- und Polizeiminister Franz Bernhard Meier von Schauensee gegeben, der während der Helvetik eine definitive Trennung von Sträflingen und Waisenkindern gefordert hatte. Die Inspektion zur Zucht- und Arbeitsanstalt griff diese Forderung drei Jahre nach Ende der Helvetik auf und am 1. März desselben Jahres siedelten alle Gefangenen ins Schellenhaus im ehemaligen Predigerkloster um. 14 Die Sorge um die Entwicklung der Waisenkinder spielte bei diesem Entscheid jedoch eine untergeordnete Rolle. Vielmehr waren es, wie folgende Auflistung des Kleinen Rates zeigt, finanzielle Überlegungen sowie die Sorge um eine allenfalls zu laxe Behandlung der Häftlinge, die den Ausschlag gaben: «2.) Weil die Gefangenen im Waisenhaus nicht zur Arbeit angehalten werden. 3.) Weil die Züchtlinge unter der Oberaufsicht des Staats bleiben sollen und 4.) Weil im Schellenhaus die Unkosten beträchtlich vermindert werden können.» 15 Das Schellenhaus seinerseits diente in Basel seit dem frühen 17. Jahrhundert als Gefängnis und Arbeitsanstalt für vagabundierende Bettler und Bettlerinnen und 14 Walter A SAL , Bürgerliches Waisenhaus Basel in der Kartause. 1669-1969, mit historischem Anhang und kunsthistorischer Beilage, Basel 1971, S. 17-27; B OREL , Strafanstalt, S. 2-4; B RENNER , Rückblick, S. 46-50. Zur Geschichte des Basler Waisenhauses vgl. auch D. A. F ECHTER ; J. J. S CHÄUBLIN , Das Waisenhaus in Basel. Seine Gründung, seine Entwicklung und sein gegenwärtiger Bestand. Eine Denkschrift aus Anlass des zweihundertjährigen Bestehens der Anstalt, Basel 1871; Miriam H ÄSLER , In fremden Händen. Die Lebensumstände von Kost- und Pflegekindern in Basel vom Mittelalter bis heute, Basel 2008. 15 Protokolle KR BS, 18.1.1806, S. 16. Das Waisenhaus stand seit 1803 unter der Aufsicht der Stadt, während die Gefangenen rechtlich dem Kanton unterstehen mussten. B RENNER , Rückblick, S. 50. <?page no="43"?> 44 andere deviante Menschen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts kamen gerichtlich Verurteilte, meist aufgrund von Sittlichkeitsdelikten, hinzu. Diese sogenannten «Schellenwerker» wurden vom städtischen Bauamt für verschiedene Arbeiten sowie zur Straßenreinigung eingesetzt. Dies scheint sich für die Stadt gelohnt zu haben, konnte doch das Bauamt 1770 feststellen, «dass dieses Schellenwerk nicht nur zur Bestrafung und Abschreckung der Strolchen und anderer schädlicher Leute, sondern auch zu einem wirklichen Nutzen gereichet.» Die Gründung des Basler Schellenhauses wird auf die Zeit zwischen 1615 und 1617 datiert. Zunächst war es der Elendenherberge angegliedert, 1768 wurde es in das ehemalige Predigerkloster verlegt. Über die Zahl seiner Insassen ist wenig bekannt, Brenner nennt für 1795 20 und für 1798 elf Schellenwerker. 16 1806 folgte die Zusammenlegung mit dem Zuchthaus und damit die Gründung der Basler Zuchtanstalt im Predigerkloster, dem ehemaligen Schellenhaus. Trotz der Zusammenlegung behielt juristisch die Unterscheidung zwischen Schellen- und Zuchthaus bis weit in die 1830er Jahre hinein ihre Gültigkeit. Dies brachte eine räumliche Trennung der «Schellenwerker» von den «Züchtlingen», d. h. den zu einer Zuchthausstrafe Verurteilten, mit sich. Weiterhin arbeiteten die Schellenwerker zudem öffentlich, während die Züchtlinge ihre Arbeit innerhalb der Mauern der Zuchtanstalt verrichteten. Zusätzlich bestand eine weitgehende Trennung zwischen Kettensträflingen ersten und zweiten Grades und den restlichen Inhaftierten sowie zwischen Frauen und Männern. 17 Die Zahl der im Predigerkloster Inhaftierten stieg mit der Zusammenlegung naturgemäß an. So saßen 1806 im Jahresdurchschnitt 29 Männer und 16 Frauen ein. Die Zahl der Häftlinge stieg in der Folge mehr oder weniger kontinuierlich an und erreichte 1817 - infolge des Hungerwinters - ein vorläufiges Rekordhoch von 70 Männern und 49 Frauen. 18 Trotzdem blieben die baulichen Einrichtungen zunächst dieselben, ebenso wie das Anstaltspersonal. Erstere boten denn auch in den folgenden Jahrzehnten Anlass zu stetigen Klagen und Änderungsvorschlägen. 19 Die Aufhebung der gemeinsamen Einsperrung bzw. Versorgung von Sträflingen, Waisen und anderen Bedürftigen war eine zentrale Forderung der frühen Gefängnisreformbewegung, deren Exponenten insbesondere mit der Sorge um die moralische Entwicklung der Waisenkinder argumentierten. 20 Entsprechend fand 16 B RENNER , Rückblick, S. 41-45 (Zitat S. 45); Georg F UMASOLI , Ursprünge und Anfänge der Schellenwerke. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des Zuchthauswesens, Zürich 1981, S. 15-172; H AFNER , Gefängnisreformen, S. 17f. Zur Elendenherberge vgl. Susanna T SCHUI , «Ellende Lüte» und «halsstarrige Bettler». Armut und Armenfürsorge im 18. Jahrhundert am Beispiel der Basler Elendenherberge, Saarbrücken 2008. 17 B OREL , Strafanstalt, S. 2-4; B RENNER , Rückblick, S. 51-55. 18 Die Gefangenenstatistik für die Jahre 1806-1831 basiert auf StABS AHA Straf und Polizei, Y 10 Kassabuch (Oekonomie) 1806-1831. Vgl. dazu auch Anhang 5: Insassen, Insassinnen und Entlassene der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910, S. 301. 19 B RENNER , Rückblick, S. 55f. 20 Vgl. Heinrich Balthasar W AGNITZ , Historische Nachrichten und Bemerkungen über die merkwürdigsten Zuchthäuser in Deutschland. Nebst einem Anhange über die zweckmässigste Einrichtung der Gefängnisse und Irrenanstalten, 2 Bde., Halle 1791-1794, Bd. 1, Halle 1791, S. 36-39. <?page no="44"?> 45 um die Jahrhundertwende in verschiedenen europäischen Gebieten eine Ausdifferenzierung der Einsperrungs- und Versorgungsorte statt. Im Hinblick auf den genauen Zeitpunkt, den Grad der Ausdifferenzierung und die ausschlaggebenden Gründe bestanden dabei teils große regionale Unterschiede. Ähnlich wie in Basel waren die entsprechenden Entwicklungen aber stets von einer Kombination aus ökonomischen, moralischen und generalpräventiven Überlegungen geprägt. 21 Neben den grundlegenden Veränderungen des Zucht- und Schellenhauses fokussierte die Basler Regierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch auf die weiteren Einsperrungsorte der Stadt, namentlich die Turmgefängnisse. Sie dienten der Einsperrung während Voruntersuchungen oder Verurteilter mit kürzeren Strafen, meist waren pro Turm zwischen drei und fünf Menschen inhaftiert. 22 Der Zustand der Turmgefängnisse im ausgehenden 18. Jahrhundert wird von Eduard Borel als desaströs geschildert, was auch die damals in der Bevölkerung kursierenden Spitznamen illustrieren: «Bärenloch, Schweinestall, Hurenkämmerlein». 23 Nennenswerte Verbesserungsmaßnahmen bestanden in der Einführung einer Hausordnung 1807 sowie der Anstellung von je einem vollamtlichen Aufseher pro Turm im selben Jahr. Dennoch konnten die Gefängnisse die sich wandelnden Ansprüche an Sicherheit und Hygiene nicht erfüllen und sie wurden zwischen 1820 (Eselsturm) und 1837 (Spalenturm) definitiv geschlossen. 24 Zum Ausgleich schufen die Basler Behörden im Lohnhof, einem ehemaligen Chorherrenstift am Kohlenberg, ein neues Gefängnis mit zunächst vierzehn Zellen. Ab Sommer 1821 übernahm das neue Gefängnis die bisher in den Türmen Inhaftierten. Prostituierte, «Vaganten» und Bettler wurden noch bis 1837 im Spalenturm untergebracht. 25 Die Zuchtanstalt im ehemaligen Predigerkloster blieb aber bis 1864 das größte Gefängnis der Stadt und beherbergte den Hauptteil der gerichtlich verurteilten Sträflinge. Entsprechend war sie bzw. waren ihre Insassen und Insassinnen auch das hauptsächliche Objekt der einsetzenden Straffälligenhilfe. 21 B RETSCHNEIDER , Gefangene Gesellschaft, S. 271-288; N UTZ , Besserungsmaschine, S. 49-69. 22 B RENNER , Rückblick, S. 31-39. 23 B OREL , Strafanstalt, S. 3f. 24 B RENNER , Rückblick, S. 31-39. 25 B OREL , Strafanstalt, S. 4; B RENNER , Rückblick, S. 39-41. <?page no="45"?> 46 2.2 Disziplin in der Zuchtanstalt Gefängnisse, Zuchthäuser und Strafanstalten sind untrennbar mit dem Begriff der Disziplin verbunden. Nicht nur mussten der Anstaltsalltag reguliert, Fluchten aus und Streitigkeiten innerhalb der Anstalt verhindert werden - die Disziplin galt auch als zentraler Bestandteil der frühen Besserungskonzepte für die Insassen und Insassinnen. Nicht ohne Grund arbeitete sich die historische Forschung zur Gefängnisreform und zum Freiheitsstrafvollzug lange Zeit hauptsächlich an Fragen der Disziplinierung ab. 26 Die Strukturierung des Alltags in der Basler Zuchtanstalt, die Kompetenzen einzelner Akteure und die Straf- oder Repressionsmaßnahmen geben aber auch Aufschluss über intendierte und umgesetzte Ziele der Zuchtanstalt, über die Besserungskonzeptionen der Entscheidungsträger sowie über die Handlungsmöglichkeiten von Insassen und Insassinnen. Hausordnung und Aufsicht Nach der Zusammenlegung von Zucht- und Schellenhaus galt zunächst die Hausordnung des Schellenhauses für die neue Zuchtanstalt. Diese war zwar wenig detailliert, regulierte jedoch Zahl und Pflichten der Aufseher, die Grundlagen der Arbeitstätigkeit und die religiöse Betreuung der Insassen und Insassinnen. Die Aufsicht in der Anstalt setzte sich zusammen aus einem Oberaufseher und dessen Frau, die in der Anstalt wohnten, und einem oder zwei weiteren Aufsehern. In der Anfangszeit der Zuchtanstalt handelte es sich dabei um Profosen, also um Militärangehörige, die für Strafvollzug und -vollstreckung zuständig waren. 27 Der Oberaufseher und seine Frau hatten freie Kost und Logis in der Anstalt und er verdiente zusätzlich drei alte Franken in der Woche, sie die Hälfte. 28 Heiner Ritzmann-Blickenstorfer schätzt den Tagesverdienst von Spinnern und Webern in der Seidenstoffindustrie vor 1820 auf 155 Rappen - hieraus wird deutlich, dass die Stelle eines Zuchtanstaltsaufsehers finanziell wenig attraktiv war. 29 Das Aufseherpaar leitete sämtliche Bereiche der Anstalt, wobei die Frau für Küche, Wäsche u. Ä. und der Mann für die Arbeitstätigkeit, die Aufrechterhaltung der Disziplin sowie die finanziellen Aspekte zuständig war. Im Normalfall war nur ein weiterer Aufseher angestellt, in Zeiten hoher Belegung konnte die Inspektion vorübergehend einen dritten Profosen anstellen. 30 Der zusätzliche Aufseher erhielt ebenfalls 26 Vgl. dazu oben, S. 17. 27 Zudem bezeichnete der Begriff des Profosen seit dem Spätmittelalter eine Art Polizist oder Wachtmeister von niedrigem sozialem Status, der oft spezifisch für die Kontrolle und Wegweisung von Bettelnden zuständig war. Vgl. dazu Lemma «Profos», in: Schweizerisches Idiotikon Digital, online unter: http: / / www.idiotikon.ch/ Register/ [3.6.2015]. 28 StABS AHA Straf und Polizei, Y 10. 29 Textilarbeiterlöhne nach Branchen, ca. 1815-1875, in: Heiner R ITZMANN -B LICKENSTORFER (Hg.), Historische Statistik der Schweiz. Unter der Leitung von Hansjörg Siegenthaler, Zürich 1996, S. 446. 30 So geschehen 1804: StABS AHA Straf und Polizei, Y 3 Aktuar, Aufseher, Profosen (1804-1832), Zuchtanstaltsinspektion an den KR BS, 21.11.1804. <?page no="46"?> 47 drei alte Franken in der Woche, jedoch keine Kost und Logis. Sein Aufgabengebiet bestand vor allem in der Beaufsichtigung der Gefangenen während der Arbeit inner- und außerhalb der Anstalt. 31 Aufgrund der wenig detaillierten Hausordnung wurde die Regulierung des Alltags und der Aufsicht in der Zuchtanstalt rasch zu einem Flickenteppich von Verordnungen, die je nach Bedarf angepasst oder neu geschaffen wurden. Um dies zu illustrieren und um die Lernprozesse der Inspektion aufzuzeigen, soll im Folgenden den rapportierten Schwierigkeiten in der Durchsetzung von Ordnung und Disziplin nachgegangen werden: In diesen Momenten wurden Handlungsmöglichkeiten und -grenzen der einzelnen Akteure und Akteurinnen ebenso ersichtlich wie die Entwicklung der Anstaltsordnung im Laufe des ersten Jahrzehnts ihres Bestehens. Berichte über Disziplinarprobleme erreichten die Inspektion teils aus der Anstalt selbst, sei es von Aufsehern oder Gefangenen, teils aber auch von Außenstehenden. So behandelte die Inspektion 1809 eine Klage von Nachbarn der Zuchtanstalt, wonach sich die weiblichen Sträflinge «sehr unanständig» aufführten. Die Lösungsvorschläge der Inspektion reichten dabei von der Installierung von Fensterläden bis hin zur Einrichtung von Separatgefängnissen für besonders auffällige Insassinnen - umgesetzt wurde vorerst keiner davon. 32 Im Jahr darauf folgte ein Vorfall, der deutlich gravierender war: Eine Gruppe weiblicher Sträflinge meldete dem Aufseher den Fund eines Briefchens mit Schießpulver im Wäschehaus. Die Spur führte zu der zu einer Schellenwerkstrafe verurteilten Margreth Hasler, welche leugnete, damit zu tun zu haben. Laut Aussagen des Aufsehers, habe Hasler aber wenige Tage zuvor «vor mehreren Züchtlingen sich geäußert, es werde etwas passieren, und zwar nächstens, das Aufsehen erregen werde». Dies reichte für die Inspektion aus, die Schuld von Margreth Hasler als erwiesen anzusehen und sie zur Strafe in das Turmgefängnis einzusperren. 33 Ob es sich hierbei um eine falsche Anschuldigung, um einen geplanten Anschlag oder gar um eine Intrige anderer Insassen oder Insassinnen handelte, lässt sich nicht klären. Festzuhalten ist aber, welche Möglichkeiten sich den Häftlingen aus der teils mangelnden Aufsicht ergaben. So war es ihnen augenscheinlich möglich, Schießpulver in die Zuchtanstalt hineinzuschmuggeln, was hätte massive Folgen nach sich ziehen können. Zudem macht der Vorfall aber auch deutlich, dass die Insassen und Insassinnen über Möglichkeiten verfügten, Beschwerden oder Hinweise an die Leitung der Zuchtanstalt zu deponieren, was zeigt, dass sie in ihrem Alltag über gewisse Handlungsoptionen verfügten. Letzteres galt auch bei Übergriffen seitens der Aufseher in der Zuchtanstalt. So behandelte die Inspektion 1811 den Fall einer Schellenwerkerin, die über das übliche Strafmaß hinaus von einem Aufseher misshandelt worden war. Die Inspektion erteilte dem Aufseher einen «harten Verweis» und entzog ihm bis auf 31 F UMASOLI , Schellenwerke, S. 166f.; StABS AHA Straf und Polizei, Y 10. 32 StABS AHA Protokolle, E 16.1 1. Zucht- und Arbeitsanstalt, Strafanstalten (1806-1820) (Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820), 2.10.1809. 33 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 20.2.1810. <?page no="47"?> 48 Weiteres die Strafbefugnis. 34 Überhaupt begegnete die Inspektion den Aufsehern der Zuchtanstalt mit Misstrauen, was sich nicht nur am genannten Beispiel zeigt. Besonders augenfällig ist, dass die Inspektion bei einem erfolgreichen Ausbruch rasch von einer Nachlässigkeit der Aufseher ausging - so geschehen bei der Flucht einer Insassin 1811 sowie bei einem Massenausbruch von fünf Frauen 1812. Beide Vorfälle lastete die Inspektion den Aufsehern an, ohne Beweise dafür zu haben. 35 Bei der Position des Zuchtanstaltsaufsehers handelte es sich, wie bereits bei den Zuchthäusern des 17. und 18. Jahrhunderts, weder um eine finanziell attraktive noch prestigeträchtige, sondern im Gegenteil um eine potenziell ehrschädigende Position. Dementsprechend waren die Aufseher tendenziell Männer, die kaum über andere Möglichkeiten verfügten, sei es aus Altersgründen oder aufgrund ihrer eigenen, nicht über alle Zweifel erhabenen Vergangenheit. Oft fanden sich unter den Aufsehern auch ehemalige Soldaten, die für den Militärdienst nicht mehr tauglich waren. Wie Falk Bretschneider für das Waldheimer Zuchthaus nachgewiesen hat, begünstigte eine solche Situation das Aufkommen von Disziplinarproblemen, sei dies aufgrund einer Verbrüderung von Personal und Inhaftierten, wegen der Korruptionsanfälligkeit der Aufseher oder wegen deren schlichten Desinteresses, die Disziplin aufrechtzuerhalten. Bretschneider bezeichnet das Anstaltspersonal daher prägnant als «‹Achillesferse› des Anstaltsvollzugs». 36 Dass dies in Basel wohl kaum anders war, lässt sich nicht nur am geringen Lohn der Aufseher in der Zuchtanstalt ablesen. So finden sich Beispiele, wie dasjenige Gottlieb Hofs, der nach 18 Jahren Garnisonsdienst im Alter von fünfzig Jahren und in schlechter körperlicher Verfassung als Aufseher in der Zuchtanstalt angestellt wurde. 37 Ein gerade wegen seiner Außergewöhnlichkeit instruktives Beispiel für die Schwierigkeiten, die einer solchen Situation erwachsen konnten, bietet die Geschichte des Aufsehers Buser und des Insassen Christian Brändlin in den Jahren 1811-1813. Der Fall Brändlin Die Geschichte Busers und Brändlins erlaubt nicht nur Einblick in das Verhalten eines Zuchtanstaltsaufsehers des frühen 19. Jahrhunderts, sondern sie dient hier auch als Beispiel für die agency von Insassen. Christian Brändlin war ein Basler Bürger, Notar und Hypothekenbuchhalter, der im November 1810 «wegen vielen und groben Betrügereien» zu einer sechzehnjährigen Kettenstrafe in der 34 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 2.8.1811. 35 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 24.10.1811; 1.12.1812. 36 B RETSCHNEIDER , Gefangene Gesellschaft, S. 147-167, 345-357 (Zitat S. 151); S TIER , Fürsorge und Disziplinierung, S. 121f., 142-158. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Basler Sicherheitspersonal und dessen sozialer Verortung zwischen 1750 und 1850 - jedoch ohne systematischen Einbezug der Aufseher in den Einsperrungsorten - findet sich bei R ACITI , Recht der Bürger, S. 145-202. 37 StABS AHA Straf und Polizei, Y 3, Zuchtanstaltsinspektion an den KR BS, 27.10.1814. <?page no="48"?> 49 Zuchtanstalt verurteilt wurde. 38 Bereits im Januar 1811 stellte die Zuchtanstaltsinspektion fest, dass Brändlin «mit Visiten überloffen» werde, wovon er «allerhand Victualien» erhalte und dass er sich zudem - entgegen dem Urteil des Kriminalgerichts - ohne Ketten im Hof der Zuchtanstalt aufhalte. Die Inspektion nahm dies zum Anlass, Besuchszeiten für die Zuchtanstalt festzulegen und diese im Kantonsblatt zu publizieren. Sie beschränkten sich fortan auf zwei Tage in der Woche und jeweils eine Stunde pro Tag. Weiter verfügte die Inspektion, dass Brändlin ab sofort wieder in Ketten geschlossen werden solle. Gleichzeitig erlaubte sie Brändlin, sich gegen Bezahlung am Tisch des Oberaufsehers Buser zu verpflegen. 39 Bereits im August desselben Jahres erhielt die Inspektion erneut Kenntnis davon, dass Brändlin sich ohne Ketten in der Anstalt bewege. Dieser zweite Verstoß gegen das Urteil des Kriminalgerichts zog eine Befragung Busers nach sich, der zugab, für die unerlaubte Hafterleichterung Brändlins verantwortlich zu sein. Daraufhin «wird Buser für ein- und allemal untersagt nichts ohne bestimmten Befehl vorzunehmen», des Weiteren verfügte die Inspektion, Brändlin unverzüglich wieder in Ketten zu legen. 40 Auch diese deutliche Ermahnung Busers fruchtete wenig - bereits im April 1812 beschäftigte sich die Zuchtanstaltsinspektion erneut mit Brändlin, wiederum wegen fehlender Ketten. Nun beschränkte sich die Inspektion nicht mehr auf eine reine Ermahnung Busers, sondern widmete sich ausführlicher dem Fall Brändlin und seiner Beziehung zum Oberaufseher. Dabei stellte sie fest, dass sich Brändlin zwar - wie 1811 erlaubt - am Tisch Busers verpflege, sein Essen aber trotzdem in der Hauskostenabrechnung erscheine. Damit konfrontiert, erläuterte Buser, dass er zwar von Brändlins Familie das vereinbarte Kostgeld von drei Batzen erhalte, aufgrund des «sehr guten Appetits» Brändlins, sei dies aber zu wenig. Daher nutze Buser auch den pro Insassen vorgesehenen Betrag von zwei Batzen für die Bezahlung von Brändlins Essen. 41 Bis hierhin gilt es mehrere Aspekte der Geschichte Brändlins und Busers festzuhalten, die dem Verständnis des Zuchtanstaltsalltags in Basel dienen. Es ist dies erstens die Tatsache, dass der Oberaufseher in seiner Interpretation von Urteilen oder Repressionsmaßnahmen über weitgehende Freiheiten verfügte. Die Tatsache, dass er trotz zweimaliger Ermahnung weiterhin darauf verzichtete, Brändlin die ihm eigentlich zukommende Behandlung zu erteilen, zeigt, dass sich Buser der Zuchtanstaltsinspektion gegenüber in einer sicheren Position fühlte. Zweitens verfügte Buser durch die Verpflegung Brändlins an seinem eigenen Tisch über die Möglichkeit eines Zusatzverdienstes, den er augenscheinlich auch nutzen wollte. Mit der doppelten Verrechnung des Kostgelds für Brändlin ging Buser dabei mindestens bis an die Grenzen des Legalen, was im Hinblick auf seine Loyalität gegenüber der Zuchtanstaltsinspektion Fragen aufwirft. Drittens ist festzustellen, dass ein gewisser finanzieller Spielraum Brändlin eine um einiges angenehmere Gestaltung der Inhaftierung ermöglichte. Es ist davon auszugehen, dass Brändlin 38 Kantonsblatt Basel 1810, Basel 1810, 3. Abt., S. 251-255 (Zitat S. 251). 39 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 15.1.1811. 40 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 2.8.1811. 41 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 10.4.1812. <?page no="49"?> 50 als Notar 42 und Stadtbürger nicht nur über ausreichende finanzielle Ressourcen, sondern auch über verwandtschaftliche Beziehungen mit anderen einflussreichen und finanzstarken Bürgern verfügte. Die herrschende Klassengesellschaft machte also auch vor den Gefängnismauern nicht Halt und führte hier zu einer Umkehrung des eigentlich vorgegebenen Machtgefüges innerhalb der Anstalt. Schließlich gilt es sich auch vor Augen zu führen, dass in der Basler Zuchtanstalt in dieser Zeit zwei bis drei Aufseher für durchschnittlich 70 Insassen und Insassinnen verantwortlich waren - von einer strikt aufrecht erhaltenen Disziplin kann also sicher nicht ausgegangen werden. Aufgrund seines Berufs erhielt Brändlin weitere Privilegien: Er arbeitete nicht mit den anderen Insassen zusammen für die Zuchtanstalt, sondern erledigte Schreibarbeiten für verschiedene Notare, wofür ihm diese einen kleinen Lohn zahlten. Im Rahmen dieser Tätigkeit erledigte er auch einzelne Schreibarbeiten für die Basler Regierung, dies bis 1812 anscheinend unentgeltlich. Als die Inspektion im April 1812 die Frage seines Kostgeldes aufbrachte, erklärte sich Brändlin bereit, dieses selbst zu bezahlen, wenn er im Gegenzug von der Regierung für seine Arbeit bezahlt werde. Die Zuchtanstaltsinspektion akzeptierte diese Regelung 43 , was erneut die erstaunlich großen Handlungsspielräume von Insassen illustriert - sofern sie denn über Geld, Verwandtschaftsbeziehungen oder ein spezifisches Wissen verfügten. Im Sommer 1812 zog der Umgang mit Brändlin schließlich die Aufmerksamkeit des Kleinen Rats auf sich. Dieser beschloss am 18. Juli 1812 folgendes: «Soll Brändlin in allen Theilen pünktlich dem Urtheil L[öblichen] Criminal-Gerichts gemäß, in der Zuchtanstalt behandelt, der Ertrag seiner Arbeit der Zucht-Anstalt verrechnet, und derselbe auf gefangenen Kost gelassen werden.» 44 Nach diesem Beschluss fragte der Kleine Rat im November 1812 bei der Zuchtanstaltsinspektion nach, wie sich die Behandlung Brändlins nun gestaltete - und erhielt eine überraschende Antwort: Brändlin bewohne nach wie vor ein eigenes Zimmer, verpflege sich am Tisch des Oberaufsehers und verrichte Schreibarbeiten. Ob letztere nun zu Gunsten der Zuchtanstalt verrechnet wurden, geht aus dem entsprechenden Protokoll nicht hervor. Ebenso findet sich im Protokoll kein Entscheid der Inspektion, wie sie im Fall Brändlin nun weiter vorzugehen gedachte. Sie beschränkte sich vielmehr darauf, den Ratsbeschluss vom 18. Juli zu zitieren. 45 Dagegen widmete sich die Inspektion in derselben Sitzung einer Anfrage Brändlins. Dieser wünschte, in seiner Freizeit «einigen Knaben» Schreibunterricht zu erteilen und bat daher darum, sein Einzelzimmer behalten zu dürfen. 42 Zur gesellschaftlichen Stellung von Notaren in Basel vgl. Eduard H IS , Zur Geschichte des Basler Notariats, in: Basler Zeitschrift fu ̈ r Geschichte und Altertumskunde 20 (1922), S. 1-58, insbes. S. 33-42. 43 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 10.4.1812. 44 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 12.11.1812. 45 Ebenda. <?page no="50"?> 51 Die Zuchtanstaltsinspektion gestattete dies, wohlgemerkt in derselben Sitzung, in der sie ermahnt worden war, Brändlin strikt nach dem Urteil des Kriminalgerichts zu behandeln. 46 Die teils fehlende Bereitschaft, Vorgaben von Seiten der Justiz oder der Regierung durchzusetzen, zeigte sich also nicht nur bei den Aufsehern der Zuchtanstalt, sondern sogar bei der Zuchtanstaltsinspektion. Dabei gilt es, sich zu vergegenwärtigen, dass in der Inspektion auch Mitglieder des Kleinen Rates Einsitz hatten. Über die Gründe für deren Verhalten kann daher hier nur spekuliert werden. Naheliegend ist die Annahme persönlicher oder geschäftlicher Beziehungen von Inspektionsmitgliedern zur Familie Brändlin oder der Einsatz sozialen Kapitals von einem Verwandten Brändlins zu seinen Gunsten. Weiter ist aber auch denkbar, dass die Inspektion ohne persönliche Interessen handelte und eine bessere Behandlung Brändlins aufgrund dessen sozialen Status schlicht als gerecht betrachtete. Tanzende Insassinnen und ein Ausbruch zuviel Mit obigem Entscheid der Zuchtanstaltsinspektion war die Geschichte Busers und Brändlins keineswegs abgeschlossen. Vielmehr beschäftigte sich die Inspektion bereits eine Woche später mit der folgenden Beschwerde Brändlins: «Buser und Frau seyen Sonntags beyde abwesend gewesen und hätten die Schlüssel zu den Gefangenen Stuben dem Züchtling Friedy anvertraut, welcher ihn [Brändlin] dahin schicanirt, dass er, während der Lections Stunde, die ihm zu geben erlaubt worden; seine Schüler zu ihm ins Zimmer eingesperrt, und ohngeacht aller Vorstellungen, er möchte die Zimmerthüre off lassen […]; sich dessen geweigert sagend, H[err] Buser habe es verwahrt. Dies habe ihn [Brändlin] erbittert, dass er im Affect, den Aufseher Buser Bauernbub gescholten, worauf als dann der Lärm mit dessen Frau, welche an der Thüre gehorcht, angegangen; und er Brändlin seither kein gut Wort mehr höre. Gleichen Sonntag; hätte Friedy in Abwesenheit Busers die Schlüssel in einer der Weiberstuben stecken lassen, welche hinaus seyen, die anderen auch heraus gelassen, und im Gang getanzt hätten.» 47 Die Inspektion befragte daraufhin die Aufseher der Zuchtanstalt zu diesen Vorwürfen. Buser und seine Frau stritten ab, gemeinsam das Haus verlassen zu haben, geschweige denn einem Insassen den Schlüssel anvertraut zu haben. Der andere Aufseher, Burckhardt, war am betreffenden Sonntag nicht anwesend und konnte daher keine Auskunft geben. Der Zuchtanstaltsinspektion blieb daher nichts anderes übrig, als die Aussagen Busers und Brändlins gegeneinander abzuwägen. Sie verzichtete dabei darauf, eine Schuldzuweisung vorzunehmen, sondern verab- 46 Ebenda. 47 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 19.11.1812, Hervorhebung im Original. <?page no="51"?> 52 schiedete eine Reihe von Regelungen, welche weitere ähnliche Vorkommnisse verhindern sollten. So schrieb sie fest, dass Brändlins Zimmertür während des Unterrichts offenbleiben solle, dass Aufseher Burckhardt von nun an auch am Sonntagabend anwesend sein müsse und dass um neun Uhr abends das Licht in den Gefangenenstuben gelöscht werden solle. Weiter untersagte die Inspektion dem Ehepaar Buser gemeinsam die Zuchtanstalt zu verlassen, schrieb aber auch den Insassen vor, sich gegenüber den Aufsehern höflich zu verhalten. 48 Das bereits festgestellte Misstrauen der Inspektion gegenüber ihrem Oberaufseher gewinnt hier eine neue Dimension. Mit den verabschiedeten Maßnahmen signalisierte die Inspektion, dass sie der Klage Brändlins letztlich mehr Glauben schenkte als den Erklärungen Busers, womit sie auch die Position des Oberaufsehers in der Anstalt unterminierte. Selbstverständlich war Brändlin aufgrund seines sozialen Status ein Spezialfall, er war aber immer noch ein verurteilter Betrüger - daher bleibt eine solche Gewichtung seitens der Inspektion bemerkenswert. Weiter illustriert diese Gegebenheit erneut, wie die Zuchtanstaltsinspektion im frühen 19. Jahrhundert die Regulierung des Zuchtanstaltsalltags anging: Sie verabschiedete Maßnahmen als Reaktion auf einzelne Vorkommnisse, was die Hausordnung der Zuchtanstalt zu einem eklektisch anmutenden Bündel verschiedener Regelungen machte. Daran änderten auch die bis hierhin geschilderten Schwierigkeiten mit der Anstaltsdisziplin oder die festgestellte Skepsis der Zuchtanstaltsinspektion gegenüber ihren Aufsehern zunächst nichts. Zum Handeln gezwungen fühlte sich die Inspektion erst im Juli 1813, nach dem Ausbruch von sechs Insassen. Die zu Schellenwerk verurteilten Männer hatten am 3. Juli die Mauer ihrer Zelle durchbrochen und waren geflohen. Die daraufhin eingeleiteten Befragungen und Beratungen führten die Inspektion am 15. Juli zu folgendem Schluss: «[…] dass die Famille Buser ohnmöglich länger als Aufseher im Schellenhaus behalten werden könne, dass die Immoralität derselben, und ihre öfteren häuslichen Zwiste, vieles zu dem unbändigen und störrischen Betragen der Gefangenen, und den häufig vorfallenden Unordnungen im Schellenhaus beitragen, dass daher die Inspection […] dahin trachten werde, sobald möglich eine rehtliche Famille aufzufinden, deren die ökonomische und häusliche Besorgung des Schellenhauses übergeben werden könnte.» 49 Über die konkreten Umstände des Ausbruchs hüllt sich die Inspektion in Schweigen. Es kann daher nicht geklärt werden, ob Buser tatsächlich für die Flucht der sechs Insassen verantwortlich oder zumindest daran mitschuldig war. Die Argumentation seitens der Inspektion spricht aber eher dafür, dass der Massenausbruch Anfang Juli 1813 der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte. So brauchte es zwar seine Zeit, bis die Zuchtanstaltsinspektion auf die Vorfälle rund 48 Ebenda. 49 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 15.7.1813. <?page no="52"?> 53 um Oberaufseher Buser reagierte. Als sie aber dann handelte, tat sie dies umfassend: Sie entließ nicht nur den Oberaufseher inklusive Ehefrau, sondern ging nun auch das Projekt einer neuen Hausordnung an. 50 Das weitere Schicksal Christian Brändlins dagegen lässt sich leider nicht eruieren. Die daraufhin 1813 erlassene neue Hausordnung fokussierte primär auf Fragen der Disziplin innerhalb der Anstalt. So vermehrte die Inspektion zunächst die Anzahl der Profosen in der Zuchtanstalt - neu wurden derer vier angestellt, wovon einer als Oberaufseher fungierte. Drei davon mussten in der Anstalt wohnen, was im Fall des Oberaufsehers auch weiterhin für dessen Ehefrau und Familie galt. Beiden Ehepartnern wurde dabei untersagt, die Anstalt «ohne Noth» zu verlassen. Dem Mann oblag die Oberaufsicht über die Insassen und Insassinnen und die Arbeitsstuben, der Frau diejenige über Küche und Wäsche. Weiter beinhalteten die Aufgaben des Ehepaars die Verpflegung der Inhaftierten. Den entsprechenden Betrag erhielt der Oberaufseher monatlich von der Inspektion zurückerstattet. 51 Die Anforderungen an alle vier Profosen sowie die Ehefrau des Oberaufsehers lauteten dabei folgendermaßen: «[Sie] sollen ehrbare, unbescholtene, vernünftige und gewissenhafte Leuthe seyn, welche Entschlossenheit ohne Brutalität und Überlegung, Selbstgefühl und Menschlichkeit ohne Schwäche verbinden. Ihr eigenes Betragen muss, - weitentfernt den Gefangenen selbst Ärgerniß und Anstoß zu geben, so beschaffen seyn, dass die Züchtlinge Achtung und Respeckt für sie haben können.» 52 Neben dem zu erwartenden Anspruch, keine Vorstrafen zu haben, formulierte die Inspektion also ein ganzes Bündel von moralischen Forderungen an das Verhalten der Zuchtanstaltsaufseher und versuchte so, den festgestellten Schwierigkeiten entgegenzuarbeiten. Während dies offenkundig als Reaktion auf die Vorfälle rund um das Ehepaar Buser zu lesen ist, schwingt auch eine spezifische Wahrnehmung von Straftätern und -täterinnen mit: Die ausgedrückte Besorgnis um den Einfluss auf die Gefangenen verweist auf das Bild von Sträflingen als leicht beeindruckbare, zu erziehende Menschen, die von negativen Vorbildern geschützt werden müssen. Der Topos des Gefängnisses als «Schule des Verbrechens» scheint um 1813 also auch in Basel Fuß gefasst zu haben. Dass die Inspektion versuchte, ihre Schwierigkeiten mit den Aufsehern in den Griff zu kriegen, schlug sich auch in einer Lohnerhöhung nieder, die aber zugegebenermaßen beschränkt blieb: Sämtliche männlichen Aufseher erhielten neu 16 alte Franken und die Frau des Oberaufsehers sechs alte Franken monatlich. Von den drei Aufsehern hatten zwei neu ebenfalls freie Wohnung in der Zuchtanstalt, alle drei erhielten zudem weiterhin eine gewisse Menge Naturalien, konkret Brot und Holz. 53 Die Versorgung mit 50 Ebenda. 51 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 27.10.1813, Haus- und Policey-Ordnung des Schellenhauses, S. 1f. 52 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 27.10.1813, Hausordnung Schellenhaus, S. 1. 53 Ebenda, S. 6. <?page no="53"?> 54 Naturalien war vor dem Hintergrund der anhaltenden Truppenbewegungen und Kriege im angrenzenden Europa sicher nicht zu unterschätzen. Dennoch genügten die veränderten Bedingungen auch in den folgenden Jahren bei weitem nicht, um die Loyalität der Aufseher zu sichern - dazu jedoch später mehr. 2.3 Religion und Arbeit in der Zuchtanstalt Als Hauptpfeiler der Erziehungs- und Besserungsmaßnahmen im Strafvollzug galten auch nach 1806 weiterhin die Bereiche Religion und Arbeit. Beide Aspekte hatten sowohl das Schellenals auch das Zuchthaus bereits lange vor ihrer Zusammenlegung geprägt. So war seit den 1660er Jahren ein Kandidat der Theologie 54 im Waisen- und Zuchthaus als Seelsorger und Prediger tätig. Die Schellenwerker dagegen hatten zunächst den Gottesdienst außer Haus besucht, bis dies 1789 aufgrund von Fehlverhalten untersagt wurde. Daraufhin übernahm ebenfalls ein Kandidat der Theologie die religiöse Betreuung im Schellenhaus. Dabei handelte es sich aber weder um eine Vollzeitanstellung noch um eine eigentliche Pfarrstelle. Die Gefängnisseelsorge stellte vielmehr ein Übungsfeld für angehende Pfarrer dar, bevor sie eine Pfarrei übernahmen. 55 Nach 1806 stieg die Arbeitsbelastung des Schellenhausgeistlichen durch die Zusammenlegung mit dem Zuchthaus deutlich an, weswegen die Zuchtanstaltsinspektion bei der Basler Regierung eine Lohnerhöhung von 60 auf 90 alte Franken jährlich für den Anstaltsgeistlichen verlangte, die sie mit konkreteren Vorgaben für seine Tätigkeit verband. So forderte sie, dass der Seelsorger «außert dem gewöhnlichen Sonn- und festtäglichen Gottesdienst wöchentlich einmahl Hausbesuch zu halten und den Gefangenen die nöthigen Ermahnungen und Lehren zu ertheilen» 56 habe. Der Kleine Rat ging auf diesen Vorschlag ein und erhöhte die jährliche Entschädigung sogar auf 100 alte Franken. 57 In der Praxis bürgerte sich daraufhin ein, dass sich ein Pfarrer und ein Kandidat der Theologie die Tätigkeit in der Zuchtanstalt teilten. 58 Gleichzeitig begann eine sukzessive Veränderung der Position des Anstaltsgeistlichen. 54 «Cand.[idati] theol.[ogie]», d. h. Geistliche mit abgeschlossenem Theologiestudium, die noch über keine eigene Pfarrpfründe verfügten. Vgl. dazu Gilbert M ARION , Artikel «Pfarrer (reformiert)» (2014), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D11522.php [3.2.2015]. 55 Anina E IGENMANN , Das Basler Zuchthaus im 18. Jahrhundert. Hintergründe und Alltagsrealität einer frühneuzeitlichen Institution, Masterarbeit Universität Basel 2012, S. 51f.; F UMASOLI , Schellenwerke, S. 166f.; StABS NA Waisenhausarchiv, A 2 Hieronymus Falkeisen, Geschichte und Einrichtung des löbl. Waisenhauses zu Basel, Manuskript, S. 252-260. 56 StABS AHA Kirchen, G 14, Zuchtanstaltsinspektion an den KR BS, 8.7.1806, S. 2. 57 Protokolle KR BS, 12.7.1806, S. 210. 58 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 29.1.1807; 21.6.1809; 3.8.1809. <?page no="54"?> 55 Geistliche im Strafvollzug Pfarrer oder andere Geistliche begleiteten den Strafvollzug während der gesamten Frühen Neuzeit. So spielten sie einerseits eine wichtige Rolle bei der Begleitung von zum Tode Verurteilten, wo sie im Rahmen der öffentlichen Hinrichtungen auch eine moralpädagogische Funktion im Hinblick auf das Publikum wahrnahmen. Andererseits waren sie seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert als Seelsorger, Prediger sowie teils als Lehrer in den Zuchthäusern tätig. Es war insbesondere diese Funktion, welche mit dem zunehmenden Fokus auf die Freiheitsstrafe ausgebaut wurde. Anknüpfend an die bereits länger praktizierte Rolle der Pfarrer als «Volkserzieher» und moralische Kontrollinstanz übernahmen die Anstaltspfarrer sukzessive mehr Aufgaben im Rahmen des Freiheitsstrafvollzugs. Während Gottesdienst und Gebetsstunden zwar auch ausgebaut wurden, entfiel der Hauptharst der neuen Aufgaben auf die moralisch-seelsorgerische Betreuung der Insassen und Insassinnen. Die seelsorgerischen Einzelgespräche galten dabei in der Gefängnisreformbewegung als zentraler Bestandteil der Bestrebungen für eine Besserung der Sträflinge. So wollten die Pfarrer bei den Inhaftierten ein Gefühl der Reue wecken, welches sie für die Erziehungs- und Besserungsmaßnahmen in den Gefängnissen empfänglich machen sollte. Dies ging mit einer veränderten Bedeutung der Position der Anstaltsgeistlichen einher, die nach und nach zu einem unverzichtbaren Rädchen innerhalb des Strafvollzugssystems wurden. 59 In Basel nahm ab Sommer 1807 einer der Anstaltsgeistlichen, der Pfarrer La Roche, an den Sitzungen der Zuchtanstaltsinspektion teil. Zunächst diente dies dem Zweck, ihm einen Einblick in die Verhandlungen des Gremiums zu geben und ihm so zu erlauben, seine Aufgaben besser zu erfüllen. 60 Es zeigte sich aber, dass der Geistliche seinerseits über großes Wissen über die Insassen und ihren Alltag verfügte. So führten die Geistlichen seit spätestens 1817 ausführlich Buch über die Insassen und Insassinnen. Sie hielten nicht nur Eintrittsjahr, Herkunft, Straftat usw. fest, sondern gaben zu sämtlichen Gefangenen eine kurze oder längere Beurteilung ihres Charakters und ihrer Besserungsfähigkeiten ab. Das Spektrum reichte dabei von kurzen Vermerken wie «scheint ziemliche Frechheit zu besitzen» 61 oder «ein mir sehr verdächtiger Mensch» 62 bis hin zu ganzseitigen Ausführungen über die Lebensgeschichte und Zukunftspläne der Sträflinge. Rasch 59 Désirée S CHAUZ , Seelsorge hinter Gittern. Rollenkonflikte von Gefängnisgeistlichen im langen 19. Jahrhundert, in: Falk B RETSCHNEIDER ; Martin S CHEUTZ ; Alfred Stefan W EISS (Hg.), Personal und Insassen von «Totalen Institutionen» - zwischen Konfrontation und Verflechtung, Leipzig 2011, S. 245-270; S CHAUZ , Strafen, S. 72-77, 113-117; S TIER , Fürsorge und Disziplinierung, S. 127-129. 60 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 3.7.1807. 61 StABS AHA Straf und Polizei, Y 19 Verzeichnis der in löblicher Zuchtanstalt in Basel sich befindenden Sträflinge beyderley Geschlechts nebst Bemerkungen über den Charakter und die Aufführung derselben in Beziehung auf ihr ewiges Heil. Geführt von den Seelsorgern der Anstalt, 1817-1830, S. 10. 62 StABS AHA Straf und Polizei, Y 19, S. 11. <?page no="55"?> 56 übernahm der Geistliche daher eine unverzichtbare Funktion in der Inspektion, welche offenkundig das so erzeugte Wissen für ihre Arbeit nutzen wollte. 63 Dies ging zunächst nicht mit einer Änderung der Pflichten und Rechte der Anstaltsgeistlichen einher. Erst im April 1819 brachte die Inspektion den Vorschlag auf, die Amtspflichten der Geistlichen anzupassen und insbesondere regelmäßige Gefangenenbesuche einzuführen. Dabei bezog sie sich vor allem auf diejenigen Häftlinge, die vor ihrer Strafe keinen oder nur lückenhaften Religionsunterricht erhalten hatten. Bei diesen Insassen und Insassinnen reiche der einmal wöchentlich stattfindende Gottesdienst nicht aus, um eine Besserung zu erreichen, vielmehr sei es nötig, dass sich die Geistlichen persönlich um die einzelnen Häftlinge kümmerten, d. h. diese mindestens zweimal die Woche für ein seelsorgerisches Gespräch aufsuchten. Zudem sei die Einführung eines Katechismusunterrichts sowie der Konfirmationsvorbereitung für nicht konfirmierte Insassen und Insassinnen notwendig. 64 Letzteres hatte in der Praxis zumindest in Einzelfällen bereits stattgefunden, sollte aber nun institutionalisiert werden. 65 Mit der Anpassung der religiösen Maßnahmen in der Zuchtanstalt strebte die Inspektion also eine Art Korrektur früherer Versäumnisse in der Erziehung der Straftäter und -täterinnen an. Daraus wird ein Bild Krimineller ersichtlich, das auf deren Erziehung oder soziale Herkunft fokussierte. Die Inspektion gelangte mit diesen Vorschlägen an den Kleinen Rat Basel, wobei sie auf eine bemerkenswerte Art und Weise argumentierte: «Es wäre […] nicht nur ein pecuniairer Gewinn für die Anstalt, sondern auch ein moralischer für die menschliche Gesellschaft, wenn von den unserer Sorge anvertrauten Unglücklichen welche meistens durch Müßiggang, auf den Weg zu ihrer jetzigen Lage gebracht wurden, auch nur wenige von einer gezwungenen, zu einer freywilligen Arbeitsamkeit geleitet werden könnten […].» 66 Die Inspektion scheint nicht darauf vertraut zu haben, dass die «moralische Besserung» allein Argument genug für den Kleinen Rat darstellte. Vielmehr schien es ihr angezeigt, die positiven Auswirkungen seelsorgerischer Besuche auf die finanzielle Situation der Zuchtanstalt zu betonen. So versuchte sie einen Anreiz für die Erweiterung der religiösen Maßnahmen, die mit einer Lohnerhöhung für die Geistlichen einhergehen würde, zu schaffen. Hinzu kam die Propagierung der Arbeitstätigkeit als hauptsächlicher Weg zur Besserung der Straftäter und -täterinnen. 63 Dies zeigen die weiteren Protokolle der Zuchtanstaltsinspektion, in welchen der Pfarrer immer wieder in einer Expertenrolle für Details zum Zuchtanstaltsalltag auftritt. So beispielsweise in: Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 14.2.1809. 64 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 20.4.1819. 65 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 2.10.1809; 1.6.1819. Zur Bedeutung der Konfirmation vgl. Christine B URCKHARDT -S EEBASS , Konfirmation in Stadt und Landschaft Basel. Volkskundliche Studie zur Geschichte eines kirchlichen Festes, Basel 1975; Lukas V ISCHER , Die Geschichte der Konfirmation. Ein Beitrag zur Diskussion über das Konfirmationsproblem, Zollikon 1958. 66 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 20.4.1819. <?page no="56"?> 57 Zur Umsetzung der Veränderungen schlug die Inspektion vor, dass die Zuchtanstalt den Rang einer Filialkirche erhalten sollte oder die Stelle mit einer existierenden Filialkirche zusammengeschlossen werden sollte. Dies hätte zur Folge, dass ein einzelner Pfarrer für alle religiösen Belange der Zuchtanstalt zuständig wäre. 67 Dafür, wie auch für die restlichen Vorschläge, erhielt sie in der Folge Sukkurs von Seiten des Kirchenrates, der ebenfalls für eine Aufwertung der Position des Anstaltsgeistlichen votierte. Auch der Antistes, der Pfarrer am Basler Münster und damit Vorsteher der reformierten Kirchen der Stadt sowie Bindeglied zwischen Geistlichen und Stadtregierung, Hieronymus Falkeisen, äußerte sich positiv. Er betonte insbesondere das höhere Ansehen der Stelle, das mit einer solchen Aufwertung einhergehen würde sowie den verbesserten Lohn: Durch die Schaffung einer Filialstelle wäre der Lohn für den oder die Anstaltsgeistlichen auf jährlich 400 alte Franken angestiegen. 68 1818 hatte der Pfarrer Johann Meyer 120 alte Franken für seine Dienste in der Zuchtanstalt erhalten. 69 Der Kleine Rat weigerte sich jedoch, den Vorschlägen der Inspektion und des Kirchenrates zu folgen und eine Filialstelle in der Zuchtanstalt einzurichten: Er vertrat vielmehr die Ansicht, dass die neuen Amtspflichten zunächst auf Probe eingeführt werden sollten und die Zuchtanstalt nach einigen Jahren darüber Bericht erstatten solle. Erst dann könne entschieden werden, ob die Stelle als Filialstelle von einem einzelnen Pfarrer verrichtet werden solle. Bis dahin sei die bisherige Einrichtung, bei der sich mehrere Geistliche die Pflichten teilten, ausreichend. Keine Einwände äußerte der Staatsrat, die zuständige Kommission des Kleinen Rates, dagegen in Bezug auf das geforderte Gehalt - er bestätigte die 400 alten Franken, die aber auf die einzelnen Geistlichen verteilt werden sollten. 70 Damit verhinderte der Staatsrat die Akkumulierung von Wissen und Einfluss bei einer einzelnen Person und stützte die bisherige Verteilung von Rechten und Pflichten auf mehrere Geistliche. Reglementierung der geistlichen Tätigkeiten Am 18. Dezember 1819 verabschiedeten Bürgermeister und Rat schließlich das neue Reglement, welches die Anstaltsgeistlichen zur Abhaltung eines Sonntagsgottesdienstes sowie zur Durchführung von Katechismusunterricht für die Insassen und Insassinnen der Zuchtanstalt verpflichtete. Zudem sollten die Geistlichen zweimal wöchentlich alle Sträflinge für ein seelsorgerisches Einzelgespräch 67 Ebenda. 68 StABS AHA Kirchen, G 14, Falkeisen, Antistes, an den KR BS, 1.6.1819. Der Kirchenrat unter dem Vorsitz des Antistes war das zentrale Organ der Basler Kirche, dem u. a. auch vier Kleinräte, die Deputaten, angehörten. Vgl. B ERNER ; R ÖTHLIN , Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur [26.4.2017]; Kurt J ENNY , 1848-1875: Die Schweiz wird ein Bundesstaat - der Kanton Basel- Stadt ein modernes Staatswesen, in: Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel (Hg.), Basel 1501 2001 Basel, Basel 2000, S. 117-139, hier: S. 132f. 69 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 10.2.1818. 70 StABS AHA Kirchen, G 14, Gutachten des Staatsrates Basel betreffend die Seelsorge in der Zuchtanstalt, 14.12.1819. <?page no="57"?> 58 aufsuchen «und ihn [den Sträfling] liebreich und herzlich zur Sinnesänderung und Lebensbesserung auffordern». 71 Dafür wurde den Geistlichen freier Einblick in sämtliche Akten der einzelnen Häftlinge gewährt - eine bemerkenswerte Missachtung sämtlicher auf Datenschutz oder Privatsphäre der Gefangenen bezogenen Vorbehalte. 72 Faktisch änderte sich dadurch zwar wenig, hatte die Inspektion doch den Pfarrern bereits zuvor alle als wichtig erachteten Aspekte aus den Akten mitgeteilt. In reglementarischer Hinsicht handelte es sich aber dennoch um einen bedeutenden Schritt, der die Statusänderung der Anstaltspfarrer illustriert. Weiter erteilte das Reglement von 1819 den Geistlichen den Auftrag, den Umgang der Sträflinge untereinander zu überwachen, d. h. insbesondere negative Einflüsse von den als «besserungswillig» taxierten Insassen fernzuhalten. Neben diesen naheliegenden Aufgaben sollten die Geistlichen aber auch prüfen, ob die neu eingeführten Abend- und Morgengebete in der Zuchtanstalt korrekt durchgeführt und ob die neu angeschafften Erbauungsbücher auch gelesen wurden. 73 Dies ist insofern bemerkenswert, als damit erstmals eine Form von Kontrolle der Zustände in der Zuchtanstalt etabliert wurde. Mit der Fokussierung auf religiöse Aspekte blieb diese zwar punktuell, dennoch wurde damit ein Präzedenzfall geschaffen: Mit der Formulierung dieser Aufgabe räumten Bürgermeister und Rat den Anstaltsgeistlichen das Recht ein, gewisse Zustände und Praktiken innerhalb der Zuchtanstalt zu beobachten und zu kritisieren. In der Praxis übte nach 1819 ein Pfarrer der Kirchgemeinde von St. Jakob das Amt des Zuchtanstaltspfarrers im Nebenamt aus, was 1821 institutionalisiert wurde. Er wurde in seiner Tätigkeit jeweils von einem oder mehreren angehenden Pfarrern oder Missionsschülern unterstützt. 74 Von finanziellen Anreizen für die Nachwuchsgeistlichen war dabei keine Rede - diese übten ihre Tätigkeit gratis aus, um praktische Erfahrung zu sammeln. Gerade bei den jungen, behütet aufgewachsenen Missionsschülern ist zudem davon auszugehen, dass diese von einer gewissen Faszination für das Verruchte, Verbotene in Person der Sträflinge getrieben waren. Dafür spricht auch, dass im März 1820 Vorfälle ans Licht gerieten, wonach einige der in der Seelsorge tätigen Missionsschüler den Inhaftierten Geld geschenkt hatten. Die Inspektion wertete dies als massive Unterwanderung ihrer Autorität und verlangte eine klare Regelung diesbezüglich sowie eine bessere Beaufsichtigung der Geistlichen in der Zuchtanstalt. 75 Sie arbeitete daraufhin eine neue Amtsordnung aus, die Ende April 1820 vom Kleinen Rat abgesegnet wurde. Neben der näheren Beaufsichtigung der Geistlichen legte sie fest, dass jeden Sonn- und Festtag zwei Gottesdienste in der Zuchtanstalt stattfinden sollten, wobei alle 71 StABS AHA Kirchen, G 14, Amtspflichten eines Predigers in der Zuchtanstalt, 18.12.1819, § 3, S. 1. 72 StABS NA Waisenhausarchiv, A 2, S. 273. 73 StABS AHA Kirchen, G 14, Amtspflichten eines Predigers in der Zuchtanstalt, 18.12.1819, § 3, S. 1f. 74 StABS AHA Kirchen, G 14, Amtspflichten eines Predigers bey St. Jakob, dem zugleich die Seelsorge in der Zuchtanstalt anvertraut ist, 2.6.1821. 75 StABS AHA Kirchen, G 14, Zuchtanstaltsinspektion an den KR BS, 13.3.1820. <?page no="58"?> 59 Insassen und Insassinnen an beiden teilzunehmen hatten. 76 Wie bereits in der Hausordnung von 1813 galt dabei der Trennung von weiblichen und männlichen sowie von Zuchthaus- und Schellenhaushäftlingen besondere Aufmerksamkeit, wobei nun ein detailliertes Vorgehen festgehalten wurde: «Die Weiber sitzen […] gegen den Geistlichen, und werden von einem Profosen zuerst hinein gebracht. Nachher kommen die Züchtlinge und einzel eingesperrten welche von einem zweyten Profosen eingeführt werden, und hinter den Weiberen Platz nehmen sollen. Endlich die Schellenwerker welche der dritte Profos einführt nehmen hinter den Züchtlingen Platz.» 77 Nach beendetem Gottesdienst fand dieses Prozedere in umgekehrter Weise statt, um die Häftlinge zurück in ihre Stuben zu führen. Weiter legte die Amtsordnung fest, dass jeden Morgen ein gemeinsames Gebet stattfinden sollte, welches jeweils von einem der Profosen geleitet wurde. Auch hier war wieder die strikte Trennung nach Geschlechtern vorgesehen, indem jeweils ein Gebet in der Männer- und in der Frauenarbeitsstube stattfand. 78 Auch die seelsorgerischen Gespräche mit den Insassen und Insassinnen unterlagen neu strikten Auflagen: Sie sollten nur noch im Verhörraum stattfinden, zudem hatte stets ein Aufseher anwesend zu sein. 79 Im Unterschied zu den Amtspflichten von 1819 fokussierte die neue Ordnung also primär darauf, die Geistlichen zu kontrollieren. Sie stellte damit einen eigentlichen Rückschritt dar, nachdem ein Jahr zuvor den Geistlichen relativ weitgehende Rechte eingeräumt worden waren. Dennoch schien die striktere Beaufsichtigung der Geistlichen das Misstrauen der Inspektion nicht endgültig aus dem Weg zu räumen. Bereits im Oktober 1820 wandte sich diese erneut mit einer Beschwerde an Obersthelfer 80 Jakob Burckhardt. Die Inspektion verdächtigte einen Missionsschüler, die erfolgreiche Flucht eines Insassen des Schellenhauses unabsichtlich unterstützt zu haben: «Aus Anlass [der] Entweichung des sich krank gestellten Schellenwerkers Joseph Naegelin aus dem Blockhaus, worin er gefangen lag, haben wir vernommen, dass einer der H. Missionarien, welcher ihn den Tag vorher in der Gefangenschaft besuchte, aus Mitleiden gegen den vermeintlichen Patienten sich in seiner Gegenwart über die Härte der Gefangenschaft beklagte, und auf Erleichterung der Fesseln, der über 76 StABS AHA Kirchen, G 14, Ordnung für den im Schellenhaus zu haltenden Gottesdienst, 28.4.1820. 77 Ebenda, Art. I, S. 1f. 78 Ebenda, Art. II, S. 3f. 79 Ebenda, Art. III, S. 4f. 80 Beim Obersthelfer handelte es sich um ein Basel-spezifisches Kirchenamt. Der Obersthelfer war der Stellvertreter des Antistes und damit als Vize-Oberhaupt der reformierten Kirchen Basels für deren weltliche Beziehungen verantwortlich. Vgl. Alfred R. W EBER -O ERI , Antistes Hieronymus Falkeisen (1758-1838) und die Falkeisen-Sammlung, in: Basler Zeitschrift fu ̈ r Geschichte und Altertumskunde 56 (1957), S. 119-136, hier: S. 129. <?page no="59"?> 60 Schmerzen klagenden, antrug, welches er als Pflicht der Menschlichkeit ansehe.» 81 Beim Vorwurf der Inspektion ging es dabei weniger um die Frage, ob die Fesseln des Gefangenen tatsächlich gelockert worden waren, sondern vielmehr darum, dass «den Gefangenen nicht von ihren Seelsorgern selbst die Idee unmenschlich behandelt zu werden, in Kopf gesetzt werde.» 82 Die Inspektion versuchte also einen Teil der Schuld am Ausbruch Naegelins auf die Geistlichen abzuwälzen - dies in einer Situation, in der die Schuldfrage eigentlich relativ eindeutig gewesen wäre. Die Aufseher der Zuchtanstalt ließen sich von Naegelins Krankheitssimulation täuschen, die eventuell stattgefundene Lockerung der Fesseln ging ebenfalls auf das Konto der Aufseher. Obersthelfer Burckhardt setzte sich denn auch mit deutlichen Worten gegen jegliche Anschuldigungen zur Wehr. So warnte er insbesondere davor, dass eine solche haltlose Kritik «geeignet wäre den freiwillig sich dem Dienste des Herrn in dieser Anstalt widmenden jungen Männern die Lust u[nd] den Muth zu nehmen». 83 Nachdem die Inspektion daraufhin auch noch den betreffenden Missionar, Herrn Ludwig, einer näheren Befragung unterzog, beließ sie es schließlich bei einer scharfen Ermahnung an die Geistlichen in der Zuchtanstalt. 84 Dieser Vorfall und der anschließende Briefwechsel unterstreichen das Misstrauen der Regierung bzw. der Inspektion gegenüber den Geistlichen in der Zuchtanstalt und die Befürchtung, dass sich diese zu stark in disziplinarische Abläufe einmischen konnten. Die schwer haltbare Anschuldigung gegenüber den Missionaren in der Zuchtanstalt wurde von der Inspektion zum Anlass genommen, die Geistlichen auf ihren Platz zu verweisen und ihnen die Machtverhältnisse in der Zuchtanstalt in Erinnerung zu rufen. Weiter eröffnet die Gegebenheit aber auch Einblicke in das Selbstbild der Geistlichen innerhalb der Zuchtanstalt: Obersthelfer Burckhardt zögerte nicht, die Stellung der Missionsschüler und angehenden Pfarrer in der Anstalt zu verteidigen und sogar indirekt mit deren Abzug zu drohen. Dies spricht dafür, dass er von einem sehr großen Interesse der Inspektion an der Zuchtanstaltsseelsorge ausgehen konnte. Bereits 1820 wird damit sichtbar, wie die Zuchtanstalt zum Schauplatz von Aushandlungsprozessen zwischen staatlichen und geistlichen Organen wurde. Die bis hierhin geschilderten Regelungen und Bemühungen betrafen nur reformierte Geistliche. Dies erstaunt wenig, war doch die Kantonsbevölkerung Basels - mit Ausnahme des Bezirks Birseck - bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts beinahe ausschließlich reformierter Konfession. Einen entsprechend schweren Stand hatten katholische Gläubige: Erst seit 1798 verfügten sie mit der 81 StABS AHA Kirchen, G 14, Zuchtanstaltsinspektion an Burckhardt, Obersthelfer, 21.10.1820. 82 Ebenda. 83 StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt, Obersthelfer, an die Zuchtanstaltsinspektion, 11.11.1820, S. 6. 84 StABS AHA Kirchen, G 14, Zuchtanstaltsinspektion an Burckhardt, Obersthelfer, 14.11.1820; Burckhardt, Obersthelfer, an die Zuchtanstaltsinspektion, 11.12.1820. <?page no="60"?> 61 Clarakirche überhaupt über ein Gotteshaus, bis 1848 blieb ihnen der Zugang zum Bürgerrecht verwehrt. 85 In der Zuchtanstalt betrug das Verhältnis von Häftlingen reformierten und katholischen Glaubens ungefähr fünf zu eins. 86 Entsprechend fokussierte auch der Einbezug von Geistlichen in den Strafvollzug klar auf reformierte Würdenträger. Bereits während der entsprechenden Verhandlungen im Jahr 1819 trat aber der katholische Basler Pfarrer Jean-Baptiste Cuttat 87 mit dem Wunsch an die Inspektion heran, den katholischen Insassen der Zuchtanstalt den Besuch katholischer Messen in der Clarakirche zu ermöglichen. Die Inspektion lehnte dieses Ansinnen aus naheliegenden Sicherheitsgründen ab, äußerte sich aber grundsätzlich positiv über ein Engagement des katholischen Pfarrers im Strafvollzug. 88 Sie verfasste in der Folge folgenden Vorschlag, den sie im Dezember 1819 dem Kleinen Rat vorlegte: «Dem Herrn Pfarrer Cuttat und seinem Vicarius zu gestatten, nicht nur die Catholischen, die sich in der Anstalt befinden, von Zeit zu Zeit zu besuchen, sondern auch jedoch höchstens einmal wöchentlich daselbst eine Messe abzuhalten, dass sie sich aber dabei allem denjenigen zu unterziehen haben sollen, was Löbl. Zuchtanstalt zu verfügen gutfinden werde, um weder die eingeführte Haus-Ordnung noch die Arbeiten unterbrechen oder stören zu lassen.» 89 Der Kleine Rat genehmigte den Vorschlag im Grundsatz, hielt aber fest, dass die Messe höchstens alle zwei Wochen durchgeführt werden solle. 90 Die Ungleichbehandlung katholischer und reformierter Geistlicher und Häftlinge wird damit augenfällig: Nicht nur fand die katholische Messe deutlich seltener statt als der reformierte Gottesdienst, es wurden auch keinerlei Kompetenzen oder auch nur Rahmenbedingungen für die katholische Seelsorge festgeschrieben. Noch deutlicher akzentuierte sich dies in der Gottesdienstordnung von 1820. Den katholischen Geistlichen blieben zwar Besuche erlaubt, den Profosen wurde aber «besonders anbefohlen», sie während der Gespräche «nicht aus den Augen zu lassen». 91 Die katholische Messe wurde weiterhin nur alle zwei Wochen gestattet, sie fand zudem am Mittwochmorgen um fünf Uhr im Verhörraum statt. Darüber hinaus 85 Alfred B ERCHTOLD , Bâle et l’Europe. Une histoire culturelle, 2 Bde., Lausanne 1990, Bd. 2, Lausanne 1990, S. 470-472; Bernard D EGEN ; Philipp S ARASIN , Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert, in: Artikel «Basel(-Stadt)» (2015), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D7478.php [14.7.2015]. 86 StABS AHA Straf und Polizei, Y 19, S. 1. 87 Der 1776 in Delémont geborene Cuttat war von 1811-1820 in der Basler Clarakirche tätig. Er machte sich in den 1830er Jahren einen Namen als Kritiker der liberalen Berner Regierung und der Verweltlichung des Schulwesens. Nachdem er 1836 wegen Anstiftung zur Aufruhr in Bern angeklagt wurde, floh er ins Elsass, wo er 1838 starb. Vgl. Benoît G IRARD , Artikel «Cuttat, Jean- Baptiste Bernard» (2004), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D42655.php [5.2.2014]. 88 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 20.7.1819. 89 StABS AHA Kirchen, G 14, Auszug aus dem Protokoll des KR BS, 18.12.1819, Hervorhebung im Original. 90 Ebenda. 91 StABS AHA Kirchen, G 14, Ordnung für den im Schellenhaus zu haltenden Gottesdienst, 28.4.1820, Art. III, S. 4f. <?page no="61"?> 62 mussten die katholischen Insassen und Insassinnen auch am reformierten Gottesdienst teilnehmen. 92 Arbeit in der Zuchtanstalt Neben der religiösen Erziehung und Seelsorge fokussierte die angestrebte Resozialisierung Inhaftierter vor allem auf ihre Arbeitstätigkeit. Auch in diesem Bereich veränderte sich nach 1806 und der Neukonstituierung der Basler Zuchtanstalt zunächst wenig. Wie bereits seit der Gründung des Zuchthauses wurden die Insassen und Insassinnen mit Spinnen, Küfern, Holzverarbeitung und Weben beschäftigt. Hauptzwecke der Zuchthausarbeit waren dabei die weitgehende finanzielle Eigenständigkeit der Anstalt sowie die Gewöhnung der Insassen an eine Arbeitstätigkeit. 93 Zusätzlich existierte die Möglichkeit, eine einfache Ausbildung, meist in der Textilverarbeitung, zu absolvieren, um später einen eigenen Verdienst erzielen zu können. Wie das frühe Zuchthaus entsprach auch das Schellenhaus seinen europäischen Vorbildern, indem zu den genannten Gründen noch das entwürdigende Element öffentlicher Arbeit hinzukam. Hier wurden die männlichen Insassen zum Straßenputzen, zum Reinigen des Stadtgrabens oder für öffentliche Bauarbeiten eingesetzt. 94 Der Erlös der Arbeitstätigkeit ihrer Insassen und Insassinnen kam in Basel in vollem Umfang der Zuchtanstalt zugute, finanzielle Anreize für die Inhaftierten waren grundsätzlich bis 1821 nicht vorhanden. Es gab jedoch Ausnahmen: So erlaubte die Zuchtanstaltsinspektion im Januar 1808 zwei Schneidern, die in der Anstalt inhaftiert waren, einzelne Kleidungsstücke für die Anstalt auf Rechnung herzustellen. Die beiden Insassen waren zu dem Zweck mit einer Anfrage an die Zuchtanstaltsinspektion gelangt, wobei die Kommunikation über den Anstaltspfarrer lief. 95 Dies unterstreicht zum einen die zentrale Rolle des Geistlichen für den Informationsaustausch zwischen Gefangenen und Inspektion. Zum anderen illustriert diese Gegebenheit erneut, dass die Insassen und Insassinnen der Zuchtanstalt zumindest teilweise über Möglichkeiten und über das Wissen verfügten, ihren Gefängnisalltag zu beeinflussen. Die Inspektion knüpfte ihre Erlaubnis dabei an rigide Forderungen bezüglich des Verhaltens der beiden Insassen, ebenso behielt sie sich vor, die Abmachung jederzeit zu beenden. Dennoch bleibt festzuhalten, dass sich die beiden Schneider eine Möglichkeit geschaffen hatten, während ihrer Zeit in der Zuchtanstalt einen eigenen Verdienst zu erzielen. Dem Vorbild der beiden Schneider folgte ein gutes Jahr später eine Gruppe Insassinnen, die in ihrer Freizeit zusätzliche Arbeit leisteten und dafür die 92 Ebenda, Art. IV, S. 5f. 93 Zur Funktion der Arbeit im Zuchthaus als Erziehung und Ökonomie vgl. B RETSCHNEIDER , Gefangene Gesellschaft, S. 138-146. 94 A SAL , Bürgerliches Waisenhaus, S. 11-18; E IGENMANN , Zuchthaus, S. 46-48. Zu den Schellenhäusern im Allgemeinen vgl. F UMASOLI , Schellenwerke. 95 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 12.1.1808. <?page no="62"?> 63 Inspektion um eine finanzielle Vergütung baten. Konkret handelte es sich dabei um Strümpfe, die sie während ihrer Freizeit hergestellt hatten - beim Strumpfstricken handelte es sich, ähnlich wie bei den Schneiderarbeiten, um eine spezialisierte Tätigkeit. Die Inspektion erklärte sich bereit, den Frauen pro Paar sechs Batzen zukommen zu lassen, wollte dies jedoch «zu[r] Aufmunterung ihrer Thätigkeit» und nicht als eigentliche Entlohnung verstanden wissen. Zudem erhielten sie das Geld nur zu einem Drittel direkt ausbezahlt, den Rest behielt die Inspektion bis zu ihrer Entlassung zurück. 96 Damit schlug die Inspektion einen anderen Weg ein als noch ein Jahr zuvor: Die finanzielle Vergütung wurde nicht mehr als eigentlicher Preis der gelieferten Ware deklariert, sondern vielmehr als Anreiz, um die Arbeitstätigkeit der Insassinnen zu steigern. Die Gründe dafür sind hauptsächlich in der angestrebten finanziellen Eigenständigkeit der Zuchtanstalt zu suchen: Eine erhöhte Arbeitstätigkeit von Insassen und Insassinnen bedeutete mehr Einnahmen für die Zuchtanstalt. Hieraus wird deutlich, wie fundamental sich diese Regelung vom vorher praktizierten Kauf der von den inhaftierten Schneidern hergestellten Kleidungsstücke unterschied. Die neue Praxis trug den Kerngedanken in sich, dass Zwang alleine nicht ausreichte, um die Arbeitstätigkeit der Häftlinge zu steigern. Auch die Einbehaltung von zwei Dritteln der finanziellen Vergütung bis zur Entlassung stellte eine Neuerung dar. Dieses Vorgehen sollte sicherstellen, dass die Inhaftierten nach ihrer Entlassung über einen kleinen Geldbetrag verfügten, der ihnen bei der Resozialisierung helfen sollte. Gleichzeitig schuf sich die Inspektion damit aber auch ein Instrument, um Fluchtgedanken der Häftlinge entgegenzuwirken. Da sich die Insassen und Insassinnen der Zuchtanstalt mit Geld verschiedene Hafterleichterungen verschaffen und u. a. auch Alkohol kaufen konnten, ist zudem davon auszugehen, dass die Zuchtanstaltsinspektion verhindern wollte, dass die Sträflinge über zu viel Kapital verfügten. Bemerkenswert ist aber insbesondere, dass dieses System von den Häftlingen selbst, also «von unten» initiiert worden war. Die 1809 eingeführte Regelung hatte daraufhin stolze drei Jahre Bestand. In dieser Zeit wurde sie auf weitere Insassinnen ausgedehnt, die jeweils in den Freistunden und am Sonntag zusätzliche Arbeiten verrichten konnten. Im April 1812 stellte die Zuchtanstaltsinspektion aber fest, dass aufgrund dieses Systems «viel Unfug vorgehe, selbiges auch leicht zu Betrügereien, und Veruntreuungen Anlass geben könne». 97 Auf eine genauere Spezifizierung der festgestellten Probleme oder der Urheber oder Urheberinnen der «Betrügereien» verzichtete die Inspektion dabei. Sie nahm dies aber zum Anlass, jegliche Form von zusätzlicher Arbeit zu verbieten und zudem ein Reglement über den Verkauf der in der Zuchtanstalt hergestellten Waren zu verabschieden. Auf Initiative des Mitglieds Emanuel Burckhardt regulierte die Inspektion die Kontoführung, die Art und Weise des Verkaufs sowie den Umgang mit überschüssigen Waren. 98 Daraus lässt sich schließen, dass die festgestellten Probleme 96 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 29.8.1809. 97 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 10.4.1812. 98 Ebenda. <?page no="63"?> 64 zu einem großen Teil im Bereich des Warenverkaufs und der Kontoführung, nicht aber im Zusammenhang mit den Inhaftierten aufgetreten waren. Dennoch betrachtete die Inspektion das Experiment anscheinend als gescheitert und erlaubte den Insassen und Insassinnen nicht mehr, mit zusätzlicher Arbeit Geld zu verdienen. In der Folge nahm die Arbeit in der Zuchtanstalt ein paar Jahre lang ihren gewohnten Gang bis die Inspektion im Januar 1817 einen Rückgang des mit der Gefangenenarbeit erzielten Verdienstes feststellte. 99 Dem begegnete sie in einem ersten Schritt mit einer Kürzung der Nahrungsrationen - sie versuchte also die Bilanz auf Kosten der Häftlinge zu verbessern. 100 Diese Maßnahme zog jedoch nicht den gewünschten Erfolg nach sich, so dass die Arbeitstätigkeit selbst in den Fokus rückte. Nach einer längeren Beratung möglicher Schritte, stellte die Inspektion im Oktober 1817 den Antrag an den Kleinen Rat, ihre Mitgliederzahl mit «zwey die Fabrication verstehende[n]» Großräten zu ergänzen. Dadurch «würde die Leitung der Arbeiten erleichtert, und unstreitig der Nutzen des Hauses befördert». 101 Die Inspektion, die sich bisher ausschließlich aus Vertretern der Geistlichkeit und der Justiz zusammengesetzt hatte, setzte also auf das Wissen einzelner Personen und versuchte dies durch die Integration von Fabrikanten in die Leitung der Zuchtanstalt nutzbar zu machen. Ohne dass dies explizit gemacht wurde, ist davon auszugehen, dass sich die Inspektion zudem erhoffte, durch diesen Schritt den Absatz ihrer Waren zu verbessern, indem sie von bestehenden Netzwerken der Fabrikanten profitieren könnte. Nachdem der Kleine Rat zunächst nicht auf diesen Antrag einging, wiederholte ihn die Inspektion mit Verweis auf die sehr hohe Zahl an Insassen und Insassinnen - 4’000 mehr als im letzten Jahr -, die es nötig mache, dass die Zuchtanstalt einen höheren Verdienst erziele. 102 Mit der Zahl 4’000 bezog sich die Inspektion auf die Anzahl Kosttage und nicht der Häftlinge - deren durchschnittliche Anzahl stieg zwischen 1815 und 1817 von 82 auf 119. 103 Der Grund dafür ist primär in der großen Hungerkrise von 1816/ 17 zu suchen, welche die Kriminalität in die Höhe trieb. Die Inspektion stellte dies im Dezember 1817 auch explizit fest, beurteilte die Integration von Fabrikanten und Wirtschaftsexponenten dennoch weiterhin als notwendig. 104 Der Kleine Rat stimmte dem Antrag der Inspektion eine Woche später zu und überließ die Wahl von drei neuen Mitgliedern der Inspektion selbst. Mit dem 99 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 27.1.1817. 100 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 30.4.1817. 101 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 6.10.1817. 102 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 24.10.1817. 103 Darunter 1815 28 und 1817 49 Frauen. Die Zahlen basieren auf StABS AHA Straf und Polizei, Y 10. 104 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 5.12.1817. Zur steigenden Kriminalität während der Hungerkrise vgl. K RÄMER , Hungerkrise, S. 337-341. <?page no="64"?> 65 Kaufmann Christoph Huber-Iselin, dem Rotgerber Martin Wenk-Raillard 105 sowie Johannes Bischoff-de Bary, Schwiegersohn des politisch und wirtschaftlich einflussreichen Seidenbandfabrikanten Johannes de Bary 106 , ergänzte sich die Inspektion um teils gewichtige Vertreter des Basler Wirtschaftsbürgertums. 107 Insbesondere die Wahl Wenks und de Barys versprach dabei die Beschaffung passender Arbeit für die Insassen und Insassinnen der Zuchtanstalt. Im Jahr darauf folgte mit dem Tuchhändler Matthias Bernoulli-Preiswerk ein weiteres neues Mitglied aus dem Wirtschaftsbürgertum. 108 Inwiefern sich die Strategie der Zuchtanstalt auszahlte, lässt sich nicht gesichert sagen, da Informationen zu den Einnahmen der Anstalt aus der Arbeitstätigkeit der Häftlinge erst ab 1821 greifbar sind. Veränderungen in der Praxis, die auf den Einfluss der neuen Inspektionsmitglieder zurückzuführen wären, gab es jedenfalls keine. Die Abwesenheit von weiteren Klagen indiziert zwar eine Verbesserung der Situation, diese war jedoch wohl hauptsächlich der abflauenden Hungerkrise und dem dadurch sinkenden Brotpreis zu verdanken. So hatten die Kosten für die Ernährung der Inhaftierten im Dezember 1816 und Januar 1817 je 1’700 alte Franken betragen; ab Juni 1817 pendelten sie sich wieder um 620 alte Franken ein. 109 Die Finanzierung der Anstalt lief nahezu ausschließlich über den Staat. Die Arbeitstätigkeit der Häftlinge wurde augenscheinlich separat abgerechnet und die Einnahmen daraus erst gegen Ende der 1820er Jahre für den Erhalt der Anstalt eingesetzt. So beschränkten sich die Einnahmen der Zuchtanstalt zunächst auf Kostgelder und die Löhne der Schellenwerker und -werkerinnen. Dabei handelte es sich aber um vernachlässigbare Beträge: Im Jahr 1818 waren es durchschnittlich 60 alte Franken pro Monat, während sich die Ausgaben der Zuchtanstalt im selben Jahr im Schnitt auf 1’152 alte Franken pro Monat beliefen. 110 105 Die Rot- oder Lohgerberei ist eine spezielle Form des Ledergerbens, welches insbesondere der Herstellung von Schuhsohlen, Stiefeln und Sätteln dient. Vgl. dazu sowie zur sozial gehobenen Stellung von Gerbern Anne-Marie D UBLER , Artikel «Gerberei» (2012), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D13972.php [3.3.2015]; zudem zur Geschichte der Familie Wenk und ihrer Rotgerberei Michael R AITH , Vier Jahrhunderte Riehener Kulturgeschichte dargestellt an der Familie Wenk, Riehen 1983. 106 Mario S ABATINO , Artikel «Bary, Johannes de» (2002), in: HLS, online unter: http: / / www.hlsdhs-dss.ch/ textes/ d/ D19173.php [3.3.2015]. Zur Familie de Bary vgl. auch A MSTUTZ ; S TREBEL , Seidenbande. 107 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 30.10.1817; 21.11.1817; 5.12.1817. Zu den Mitgliedern der Inspektion vgl. Anhang 2: Mitglieder der Zuchtanstaltsinspektion 1812-1833 und der STK 1833-1874, S. 292. 108 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 7.5.1818. 109 StABS AHA Straf und Polizei, Y 10. Zu den Finanzen der Anstalt vgl. auch Anhang 4: Finanzen der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910, S. 300. 110 StABS AHA Straf und Polizei, Y 10. <?page no="65"?> 66 2.4 Zwischenfazit: Der Basler Strafvollzug auf dem Weg ins neue Jahrhundert Die ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts brachten dem Basler Strafvollzug also vor allem eine große Veränderung: die Zusammenlegung von Zucht- und Schellenhaus und damit die Schaffung der Basler Zuchtanstalt. Die Basler Exekutive begründete diesen Schritt - der zugleich die gemeinsame Unterbringung von Waisen und Gefangenen beendete - hauptsächlich mit finanziellen und straftheoretischen Überlegungen, während die Angst vor einem schlechten Einfluss der Straftäter und -täterinnen auf die Waisen kaum Erwähnung fand. Obwohl davon auszugehen ist, dass die entsprechenden Reformschriften auch in Basel rezipiert wurden und so ihren Teil zu den angestrebten Verbesserungen des Strafvollzugs beitrugen, gilt es also festzuhalten, dass der Kleine Rat es vorzog, praktische Gründe in den Vordergrund zu stellen. Dies ist insofern bemerkenswert, als in deutschen und französischen Gebieten vergleichbare Reformen explizit mit der Angst vor einer negativen Beeinflussung von Waisenkindern oder anderen Anstaltsversorgten begründet wurden. 111 Entsprechend waren denn auch die folgenden Jahre nicht von einem stärkeren Fokus auf das Wohlergehen der Sträflinge gekennzeichnet. Vielmehr hielten sich die Strukturen des 18. Jahrhunderts, auch und besonders im Falle der Aufsicht in der Anstalt. Wie deutlich wurde, waren die Aufseher nach wie vor unterbezahlt, zu wenig an der Zahl und entstammten meist selbst prekären Verhältnissen. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Aufrechterhaltung der Disziplin in der Anstalt. Zwar machte sich die Inspektion 1813 daran, dies mit einer neuen Hausordnung zumindest teilweise zu ändern, von einem umfassenden Eingreifen kann dabei aber nicht gesprochen werden: Nach wie vor waren es zu wenige Aufseher für die Anzahl Sträflinge, ebenso kann nicht von einer ernsthaften Statusänderung der Aufseher ausgegangen werden. Damit ähnelten die Basler Verhältnisse denjenigen anderer europäischer Regionen: Langsam entstand ein Bewusstsein für die Zustände im Strafvollzug, entsprechende Verbesserungsmaßnahmen scheiterten aber an finanziellen oder auch straftheoretischen Überlegungen. So waren in deutschen Gebieten, namentlich in Sachsen und in Preußen, geplante Neubau- und Ausdifferenzierungsprojekte immer wieder Objekt von langwierigen Diskussionen über eine zu milde Behandlung von Straftätern und -täterinnen, welche den Strafzweck verwässere. Die frühen deutschen Reformen waren denn auch, ähnlich wie in Basel, von lokalen Initiativen getragen und erlitten entsprechend immer wieder Rückschläge. 112 Aber auch in Frankreich, wo 1810 eine zentralstaatliche Offensive zur Neugestaltung des landesweiten Strafvollzugs lanciert wurde, blieben die Reformen lückenhaft. 113 111 B RETSCHNEIDER , Gefangene Gesellschaft, S. 271-288; D UPRAT , Punir et guèrir, S. 65-73; N UTZ , Besserungsmaschine, S. 98-116; O’B RIEN , Promise of Punishment, S. 20-23. 112 B RETSCHNEIDER , Gefangene Gesellschaft, S. 271-288; S CHAUZ , Strafen, S. 43-54. 113 O’B RIEN , Promise of Punishment, S. 20-23. <?page no="66"?> 67 In Basel ermöglichte diese Situation jedoch den Insassen und Insassinnen der Anstalt, ihr Schicksal ein Stück weit in die eigenen Hände zu nehmen. Während das Beispiel von Christian Brändlin zweifellos eine gewisse Singularität aufweist, ist es dennoch gerade in seiner Außergewöhnlichkeit aufschlussreich. Der Fall Brändlin macht deutlich, wie die Strukturen der Zuchtanstalt ein hohes Maß an Eigeninitiative der Häftlinge erlaubten. Dies konnte augenscheinlich soweit gehen, dass die Machtverhältnisse in der Anstalt grundlegend in Frage gestellt wurden. Somit bestätigen die Verhältnisse in der Basler Zuchtanstalt neuere Forschungsergebnisse von Falk Bretschneider und anderen, wonach die Beziehung zwischen Aufsehern und Häftlingen eines der Haupthindernisse für die Durchsetzung von Disziplin innerhalb geschlossener Anstalten darstellte. In eine andere Kategorie von Eigeninitiative fielen die Bestrebungen von Gefangenen, sich mittels Mehrarbeit einen kleinen Verdienst zu verschaffen. Auch ohne finanzielles oder soziales Kapital verfügten die Insassen und Insassinnen der Anstalt also über gewisse Handlungsspielräume. Zudem zeigen diese Beispiele, dass Kommunikationskanäle zwischen Inhaftierten und der Zuchtanstaltsinspektion existierten und funktionierten. Dabei war es oft einer der Anstaltsgeistlichen, der als Bindeglied fungierte. Dies ist ein Aspekt der deutlich macht, dass die Geistlichen in der Zuchtanstalt nach deren Gründung rasch an Bedeutung gewannen. Sie nahmen an den Sitzungen der Inspektion teil und hatten eine gewisse Überwachungsfunktion innerhalb der Anstalt inne. Zum Engagement der Anstaltsgeistlichen gehörte auch die Akkumulierung von Wissen über die Insassen und Insassinnen, womit sich die Pfarrer sukzessive zu einem unverzichtbaren Pfeiler der Anstaltsdisziplin machten. Hier wird also bereits eine frühe Form der Verwissenschaftlichung der Straffälligenhilfe sichtbar, wobei sich die Auswirkungen der gesammelten Erkenntnisse kaum eruieren lassen. Der stetig wachsende Aufgabenbereich der Geistlichen im Strafvollzug macht aber deutlich, dass die Inspektion das Potenzial geistlich-seelsorgerischen Engagements bereits früh erkannte und nutzen wollte. Gleichzeitig ist aber eine gewisse Skepsis gegenüber den Anstaltsgeistlichen nicht von der Hand zu weisen: So weigerte sich der Kleine Rat, die Pfarrstelle in der Zuchtanstalt zu einer vollen Stelle zu erheben und so die Position des Geistlichen zu stärken. Zudem zeigte sich die Inspektion stets auch gerne bereit, im Zweifelsfall von Verfehlungen der Anstaltspfarrer auszugehen und diese stärker zu kontrollieren. Trotz einzelner Reformansätze blieb der Basler Strafvollzug also auch nach der Gründung der Zuchtanstalt dem 18. Jahrhundert verhaftet. Entsprechend lassen sich kaum Ansätze für eine einfachere Resozialisierung der Verurteilten ausmachen. Das fehlende Engagement schuf im Gegenzug Handlungsmöglichkeiten für die Insassen und Insassinnen, welche diese auch fleißig nutzten. Während bisher die Versuche seitens der Behörden, auf Eigeninitiativen der Sträflinge aufzubauen, scheiterten, sollte sich dies im Laufe des folgenden Jahrzehnts ändern - auch durch die Gründung der Zuchtanstaltskommission der Gemeinnützigen Gesellschaft. <?page no="68"?> 69 3 Philanthropisches Engagement und Ausbau der Arbeitsdisziplinierung: 1821-1833 Die Gründung der Zuchtanstaltskommission der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen Basel (GGG) im Jahr 1821 markiert den Eintritt philanthropischer Akteure und später auch Akteurinnen in die Basler Straffälligenhilfe. Sie sollten den Strafvollzug wie auch den Umgang mit den Entlassenen während des gesamten 19. Jahrhunderts entscheidend mitprägen - auch und besonders aufgrund ihrer engen Zusammenarbeit mit Behörden und Geistlichen. In der ersten Zeit des privaten Engagements galt es daher Rahmenbedingungen und Zuständigkeiten unter den einzelnen Akteursgruppen auszuhandeln und festzulegen. Diese Prozesse sind das hauptsächliche Thema des vorliegenden Kapitels, welches so auch eine Grundlage liefert, um die Entwicklung der privaten, staatlichen und geistlichen Straffälligenhilfe während des restlichen Jahrhunderts weiter zu untersuchen. In einem ersten Schritt sollen daher die Vorgeschichte und die Details der Gründung der Zuchtanstaltskommission dargelegt werden, um daraufhin näher auf einzelne Praktiken und Maßnahmen einzugehen. Insbesondere soll dabei die Neuorganisation der Arbeit in der Zuchtanstalt untersucht werden, welche eines der Hauptanliegen der GGG darstellte. Im Anschluss daran kommen weitere Felder des philanthropischen Engagements in der Zuchtanstalt zur Sprache, darunter die spezifisch auf weibliche Sträflinge fokussierten Praktiken des 1824 gegründeten Frauenvereins. Das Eingreifen der GGG fungierte auch als Katalysator für den Ausbau von Schulunterricht und religiöser Betreuung - Bereiche, die von den Anstaltsgeistlichen getragen wurden. Ihr Engagement und ihre Zusammenarbeit mit der GGG stehen im Fokus des letzten Teils dieses Kapitels. Insgesamt soll deutlich gemacht werden, wie sich die Kommission der GGG in die bereits bestehenden Strukturen des frühen Freiheitsstrafvollzugs einfügte und wie sie ihre Zusammenarbeit mit den staatlichen und geistlichen Kräften gestaltete. 3.1 Der Beginn des Engagements der Gemeinnützigen Gesellschaft Die GGG begann ihr Engagement in der Basler Zuchtanstalt 1821 mit der Gründung einer Zuchtanstaltskommission, die sich zunächst unspezifisch der «Mitarbeit bei löblicher Zuchtanstalt» verschrieb. 1 Ihre Gründung war unter anderem eine Reaktion auf die anhaltenden Disziplinarprobleme in der Anstalt, die im Folgenden kurz dargelegt werden sollen. 1 JB GGG 45 (1821), S. 31. <?page no="69"?> 70 Anhaltende Disziplinarprobleme in der Zuchtanstalt Zwischen 1813 und 1820 wurde deutlich, dass die neue Hausordnung der Zuchtanstalt und mit ihr das verstärkte Engagement seitens der Regierung und der Geistlichen nicht das gewünschte Ergebnis erzielten. Zunächst schienen die neuen Regulierungen zwar durchaus erfolgreich: Zwischen 1813 und 1817 wurden gerademal drei Ausbrüche 2 sowie ein Fall von Diebstählen durch Insassinnen 3 registriert - dies im Vergleich zu zwölf Ausbrüchen in den zwei Jahren vor der Einführung der neuen Hausordnung. 4 Im Herbst 1817 sah sich aber die Zuchtanstaltsinspektion wiederum mit Problemen hinsichtlich ihrer Aufseher konfrontiert: Die Insassin Susanna Hediger, die seit über drei Jahren in der Zuchtanstalt inhaftiert war, war schwanger. Als Vater gab sie den kurz zuvor wegen hohen Alters entlassenen, 70-jährigen Arbeitsaufseher Johannes Burckhardt an. Dieser habe sie «theils durch Zwang und Entziehung der Nahrung und theils durch Versprechungen, zu seinem Willen gebracht.» 5 Die Inspektion zitierte daraufhin besagten Burckhardt herbei, dieser zog es aber vor, die Stadt zu verlassen und unterzutauchen - was für die Inspektion einem Schuldeingeständnis gleichkam. Sie schrieb Burckhardt zur Verhaftung aus und ordnete an, Susanna Hediger zu überwachen, da diese wegen Kindsmord im Gefängnis saß. Weiter entschied die Zuchtanstaltsinspektion, dass «die weiblichen Gefangenen in Zukunft Nahrung, Verpflegung und Arbeit durch Weibspersonen erhalten und dass die Ordnung im Haus strenger gehandhabt werde.» 6 Die Inspektion reagierte also rasch und relativ umfassend auf den Vorwurf von Susanna Hediger. Gleichzeitig findet sich auch hier wieder das bereits bekannte Handlungsmuster der Inspektion: schnelle, direkte Maßnahmen als Reaktion auf bestimmte Vorfälle. Die Frage, ob weibliche Inhaftierte auch von Frauen beaufsichtigt werden sollten, war zuvor in Basel nie thematisiert worden. Damit konfrontiert, reagierte die Inspektion zügig und pragmatisch und leitete so mehr nebenbei eine grundlegende Veränderung im Aufsichtssystem der Anstalt ein. Dabei ging sie jedoch noch nicht soweit, Aufseherinnen einzustellen. Vielmehr sollten die männlichen Aufseher von nun an «eine Dienstmagd mit sich nehmen, welche ihnen das Erforderliche zutragen oder verrichten» sollte. 7 Nach diesem ersten Höhepunkt folgten die Disziplinarprobleme in der Zuchtanstalt Schlag auf Schlag. Ab 1818 häuften sich die Berichte über Fluchtversuche 8 , Alkoholmissbrauch durch Insassen 9 und mangelnde Hygiene in der Anstalt 10 . Weitere Ereignisse waren die Schwangerschaft einer Insassin von einem 2 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 25.4.1816; 24.10.1817. 3 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 8.3.1817. 4 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 24.10.1811; 1.12.1812; 15.7.1813. 5 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 24.10.1817. 6 Ebenda. 7 Ebenda. 8 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 11.3.1818; 16.6.1818. 9 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 11.4.1818; 21.7.1818; 21.12.1819. 10 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 6.10.1818; 17.11.1818. <?page no="70"?> 71 Insassen 11 , der Angriff eines Krankenwärters auf einen Gefängnisaufseher 12 sowie die Selbstverletzung eines Insassen durch ein «Sackmesser» 13 . Durch diese Vorfälle rückten die beiden Aufseher Jeremias Stupanus und Samuel Senn immer öfter in den Fokus der Inspektion. 1821 schließlich ging ein anonymer Brief bei einem Inspektionsmitglied ein, in welchem von systematischen Verstößen Stupanus’ die Rede war. Die anschließend von der Inspektion eingeleitete Untersuchung förderte zutage, «dass sich der Aufseher Stupanus mehrere unerlaubte Sachen zu Schulden kommen lassen und dass ärgerliche und strafbare Unordnungen im Schellenhaus statt hätten; dass Herren bei der Castigation von Mädchen Zuschauer gewesen, dass gefangene Mädchen von Mannspersonen besucht worden und anderes mehr». 14 Der Fall wurde an das Kriminalgericht überwiesen, welches die Vorwürfe bestätigte: Stupanus hatte sich über Monate hinweg durch die sexuelle Ausbeutung von drei oder vier jungen Insassinnen finanziell bereichert. Auch er selbst sowie der Arbeitsaufseher Senn hatten sich in derselben Zeitspanne mehrfach sexuelle Übergriffe auf weitere Insassinnen zuschulden kommen lassen. Darüber hinaus brachte die Untersuchung verschiedene finanzielle Unterschlagungen sowie häufige Alkoholexzesse beider Aufseher, teils gemeinsam mit den Insassen und Insassinnen, ans Licht. Senn und Stupanus wurden in der Folge zu längeren Zuchthausstrafen verurteilt. 15 Dieser Vorfall stellte zwar in seinem Ausmaß und seiner Brutalität eine Ausnahme dar, dennoch kann er nicht als Einzelfall abgetan werden. Im Gegenteil wird erneut deutlich, wie das existierende System derartige Auswüchse nicht nur erlaubte, sondern geradezu beförderte. Von zu wenig Aufsichtspersonal über deren schlechte Bezahlung und oft zweifelhafte Biographie bis hin zu einer kaum existenten Kontrolle durch die Obrigkeit waren sämtliche Komponenten vorhanden um die Basler Zuchtanstalt um 1820 zu einer Anstalt zu machen, die ihren eigenen Logiken gehorchte und wenig zur Resozialisierung der Inhaftierten beitrug. Obwohl die Inspektion auf einzelne Vorfälle jeweils relativ rasch reagierte, scheint sie wenig bestrebt gewesen zu sein, an den Zuständen grundsätzlich etwas zu ändern. Ebenso verzichtete sie darauf, die Durchsetzung reglementarischer Vorschriften zu forcieren. So reagierte sie denn auch auf die Vorfälle um Stupanus einzig mit einer geringfügigen Anpassung der Profosenordnung, wobei insbesondere detailliertere Regelungen aufgestellt wurden, wo sich die Profosen zu welcher Zeit aufzuhalten hatten. 16 11 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 11.5.1819; 1.6.1819. 12 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 2.2.1819. 13 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 15.2.1820. 14 Protokolle KR BS, 7.3.1821, S. 62. 15 B OREL , Strafanstalt, S. 5; Protokolle KR BS, 7.3.1821, S. 62; Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 8.3.1821; 13.3.1821; 10.4.1821; 17.4.1821; 8.5.1821; StABS AHA Straf und Polizei, Y 3, Zuchtanstaltsinspektion an den KR BS, 19.9.1816. 16 StABS AHA Straf und Polizei, Y 3, Supplement zur Profosenordnung, 12.2.1823. <?page no="71"?> 72 Druck von außen Die geschilderten Missstände nahm ein anonymer Briefschreiber im Mai 1821 zum Anlass, sich im Zusammenhang mit der Zuchtanstalt an die GGG zu wenden. 17 Gegründet von Isaak Iselin 18 im Jahr 1777 hatte sich die Gesellschaft zunächst vor allem im Bereich der Schul- und Berufsbildung sowie in der Armen- und Krankenpflege engagiert. Ab 1787 organisierte sie sich in einzelnen Kommissionen, die jeweils unterschiedliche Zwecke fokussierten. Ihre Mitglieder rekrutierten sich seit der Gründung aus Vertretern der regierenden Basler Familien, wobei stets auch Politiker dazugehörten. 19 Die GGG war dank ihrer verschiedenen philanthropischen Tätigkeiten im frühen 19. Jahrhundert neben den Basler Stadtbehörden die wichtigste sozialpolitische Kraft. Sie verfolgte einen kompensatorischen Ansatz, der von einem liberalen Verständnis der Sozial- oder Wohlfahrtspolitik geprägt war. Die damit einhergehende Idee einer staatlichen Zurückhaltung teilte die GGG mit den Stadtbehörden, deren Mitglieder zahlreich in der GGG vertreten waren. Dementsprechend verfügte die GGG über einige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen, aber auch mit der reformierten Kirche und ihren Organen. 20 Um 1820 verfügte die Gesellschaft über 474 Mitglieder und neun Kommissionen, die sich größtenteils der Armenunterstützung und der Volksbildung widmeten. 21 Den Anstoß für eine Ausdehnung ihres Engagements auf die Zuchtanstalt erhielt die Gemeinnützige Gesellschaft durch die erwähnte anonyme Zuschrift vom 1. Mai 1821. Der Verfasser des Briefes nahm zunächst Bezug auf die aktuellen Bestrebungen in anderen Städten, sowohl innerals auch außerhalb der Schweiz, den Strafvollzug zu verbessern. Dabei wies er insbesondere auf das Engagement von Wohltätigkeitsvereinen hin, das in Basel bisher fehle. 22 Der Verfasser verzichtete darauf, konkrete Beispiele oder Vorbilder zu nennen - diese waren zu dem Zeitpunkt auch noch eher rar: Auf schweizerischem Gebiet stand das 1818 gegründete Genfer comité moral alleine da. International ist vor allem auf die 17 StABS PA 146a, U 3, Anonymer Antrag zu Verbesserung der hiesigen Verwahrungs und Zucht Anstalten u. namentlich des Schellenhauses, 1.5.1821. 18 Zu Isaak Iselin vgl. Ulrich I M H OF , Isaak Iselin und die Spätaufklärung, Bern 1967. 19 Emil E RNE , Die schweizerischen Sozietäten. Lexikalische Darstellung der Reformgesellschaften des 18. Jahrhunderts in der Schweiz, Zürich 1988, S. 258-264; J ANNER , GGG 1777-1914, S. 123-138, 213-270. Zur Geschichte der Gemeinnützigen Gesellschaft Basel vgl. auch Walter S TAEHELIN , GGG - der Zeit voraus - dem Staat voraus. Zur Zweihundertjahrfeier der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel, Basel 1977; G ESELLSCHAFT FÜR DAS G UTE UND G EMEINNÜTZIGE B ASEL (Hg.), Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige. Gut für Menschen, gut für Ideen, gut für Basel, Basel 2010. 20 Urs H OFMANN , «Nur das Evangelium vermag die soziale Frage zu lösen». Die reformierte Kirche und die Armenpolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Josef M OOSER ; Simon W ENGER (Hg.), Armut und Fürsorge in Basel. Armutspolitik vom 13. Jahrhundert bis heute, Basel 2011, S. 133-142, hier: S. 133-136; J ANNER , GGG 1777-1914, S. 213-270; Martin L ENGWILER , Wissenschaft und Sozialpolitik. Der Einfluss von Gelehrtengesellschaften und Experten auf die Sozialpolitik im 19. Jahrhundert, in: Josef M OOSER ; Simon W ENGER (Hg.), Armut und Fürsorge in Basel. Armutspolitk vom 13. Jahrhundert bis heute, Basel 2011, S. 111-122, hier: S. 113f.; O PITZ , Aufklärung, S. 156. 21 JB GGG 44 (1820), S. 36-39, 107-120. 22 StABS PA 146a, U 3, Anonymer Antrag, 1.5.1821, S. 1. <?page no="72"?> 73 englischen und US-amerikanischen Vereine hinzuweisen, hinzu kamen 1819 der Petersburger Gefängnisverein und die französische société royale pour l’amélioration des prisons. Letztere entstanden beide auf staatliche Initiative. 23 Das Fehlen solcher Wohltätigkeitsvereine sei mit ein Grund für den desolaten Zustand der Basler Zuchtanstalt, der durch die kürzlich stattgehabten Vorfälle offenkundig werde. Diese Vorfälle, konkret die Probleme mit den Aufsehern Burckhardt, Senn und Stupanus, führte der Verfasser daraufhin genauer aus. Ebendiese Missstände seien aber auch eine Chance, weckten sie doch das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit am Strafvollzug. Nicht nur deswegen sei jetzt ein idealer Zeitpunkt für ein Engagement seitens der GGG, sondern auch aufgrund des erfolgten Ausbaus der religiösen Betreuung in der Anstalt. Dies biete der GGG die Gelegenheit, bereits bestehende Praktiken in ihr zukünftiges Engagement zu integrieren. 24 Diese Ausführungen zu den herrschenden Zuständen in der Zuchtanstalt, die eine bemerkenswerte Kenntnis des Basler Strafvollzugs offenbaren, stützte der Verfasser schließlich noch mit einer Bezugnahme auf den transnationalen Diskurs zur Gefängnisreform. So erwähnte er Francis Cunninghams 1820 erschienenes Buch über die Schweizer Gefängnisse, welches sowohl bei der GGG als auch bei der Regierung und in der bürgerlichen Öffentlichkeit auf «wohlwollendes Interesse» gestoßen sei. 25 So illustriert der Brief die Nutzung aktueller Diskurse zur Gefängnisreform durch einen Akteur vor Ort: Der Bezug zu Cunninghams Notes recueillies en visitant les prisons de la Suisse stand keineswegs an erster Stelle, auch zielte die Argumentation des Verfassers nicht primär darauf ab, sich ausländischen Gefängnissen anzupassen. Vielmehr griff der Autor die existierenden lokalen Probleme auf und nutzte die Bezugnahme auf Cunningham sowie auf das Ausland, um seine Argumentation zu untermauern. Daraus wird deutlich, dass es dem Verfasser primär um eine pragmatische Reaktion auf die herrschende Problematik vor Ort ging und weniger um ideologische Hintergründe. Der Brief endete schließlich mit folgendem Antrag: «1. Dass eine Anzahl Mitglieder der Gesellschaft bereit sey die Gefangenen im Schellenhause und vorzüglich deren sittliche Verbesserung zum Gegenstande ihrer sorgfältigen Aufmerksamkeit zu machen, Vorschläge zu zweckmäßigen Einrichtungen und Ordnungen der Genehmigung jener Löbl. Behörde vorzuschlagen; für deren Handhabung durch häufigen Besuch und durch Übernahme gewisser neu entstehender Besorgungen thätig zu seyn; und überhaupt die fernere Vervollkommnung jener Einrichtungen unausgesetzt im Auge zu haben. 23 S CHAUZ , Strafen, S. 62. 24 StABS PA 146a, U 3, Anonymer Antrag, 1.5.1821, S. 1f. 25 Ebenda, S. 3. Beim erwähnten Werk handelt es sich um C UNNINGHAM , Notes recueillies. Das Buch wurde bereits 1821 ins Deutsche übersetzt, was für das breite Interesse daran spricht: Francis C UNNINGHAM , Notizen über die Gefängnisse in der Schweiz, auf einem Besuche derselben gesammelt, und Bemerkungen über die Mittel zu deren Verbesserung; sammt einer kurzen Beschreibung der Gefängnisse von Chambery und Turin, Luzern 1821. <?page no="73"?> 74 2. Dass die Gesellschaft des Guten und Gemeinnützigen bereit sey, nöthigenfalls und für die erste Einrichtung eine Summe Geldes für die; durch die vorzunehmenden Veränderungen entstehenden Ausgaben aufzuopfern.» 26 Über die Person des Verfassers lassen sich keine gesicherten Angaben machen. Es ist aber festzuhalten, dass es sich um einen Mann handelte - er bezeichnete sich selbst als «Verfasser» -, der über einige Kenntnisse der Basler Zuchtanstalt, Gefängnisse in anderen Gebieten sowie aktueller Publikationen und Entwicklungen der Gefängnisreform verfügte. Daraus lässt sich schließen, dass der anonyme Autor beruflich mit der Basler Zuchtanstalt zu tun hatte und zudem über ein hohes Maß an Bildung verfügte. Vor dem Hintergrund, dass der Antrag an die GGG zu einem für die Zuchtanstaltsinspektion idealen Zeitpunkt gestellt wurde, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei dem Verfasser um ein Mitglied der Inspektion oder um einen Anstaltsgeistlichen handelte. Die Gründung der Zuchtanstaltskommission Bei der Gemeinnützigen Gesellschaft stieß der anonyme Antrag auf offene Ohren. Sie rief nach Erhalt des Briefes eine provisorische Kommission zur Beratung desselben ins Leben. Die Kommission unter der Leitung des Juristen Daniel Bernoulli setzte sich als Erstes mit der Zuchtanstaltsinspektion des Kleinen Rates in Verbindung, um abzuklären, ob ein privates Engagement im Strafvollzug möglich wäre. Über die Antwort der Inspektion erstattete Bernoulli folgenden Bericht an die GGG: «[Wir haben] vernommen, dass zwar diese [die Inspektion] die eigentliche Leitung der Anstalt sich allein vorbehalte; dass hingegen dieselbe die Anerbietung von Hülfe eines Ausschusses der Gesellschaft gerne annehmen würde, und zu Vermeidung von leicht entstehenden Hindernissen bey zwei nebeneinander bestehenden Commissionen eine Verbindung mit dem Ausschuss dadurch einzuleiten geneigt seyn dürfte, indem die obrigkeitl. Commission Ein od. Zwei Mitglieder derselben an den betreffenden Berathungen teilnehmen lassen würden.» 27 Unter diesen Umständen sei es zu empfehlen, dass der Vorstand der GGG eine entsprechende Anfrage an die Zuchtanstaltsinspektion richte und dieser bereits die Zusammensetzung der geplanten Kommission mitteile. Der Vorsteher der GGG, Balthasar Thurneysen-Burckhardt, stellte daraufhin einen entsprechenden 26 StABS PA 146a, U 3, Anonymer Antrag, 1.5.1821, S. 4. 27 StABS PA 146a, U 3, Bericht der provisorischen Commission zu Berathung des anonymen Antrages zu Mitwirkung bei Verbesserung der hiesigen Zuchtanstalten an die GGG, 19.6.1821, S. 2. <?page no="74"?> 75 Antrag an die Zuchtanstaltsinspektion. 28 Er legte zunächst dar, dass er sich der heiklen Natur seiner Anfrage bewusst sei: Die GGG habe zwar in der Vergangenheit, insbesondere bei Gründung und Betrieb der Allgemeinen Armenanstalt, bereits erfolgreich mit den Regierungsbehörden zusammengearbeitet. 29 Beim Strafvollzug sei die Situation aber grundsätzlich anders gelagert, da mit der Zuchtanstaltsinspektion bereits ein Gremium aus mehreren Personen für die Sache zuständig sei. Dennoch erscheine es ihm angebracht, die Dienste der GGG anzubieten, um die Inspektion im zeit- und personalaufwändigen Bereich des Strafvollzugs zu unterstützen. Nach diesen Vorüberlegungen folgte schließlich der eigentliche Antrag: «Wir wünschen es möchte einer Anzahl Mitglieder unserer Gesellschaft gestattet werden, die Gefangenen im hiesigen Schellenhause zum Gegenstand ihrer sorgfältigen Aufmerksamkeit zu machen. Dieselben würden zu dem Ende die Anstalt fleißig besuchen, über die Befolgung der von der Behörde aufgestellten Disciplinar- und Arbeitsordnung ein wachsames Auge haben, und namentlich solche Besorgungen übernehmen, welche aus neuen Einrichtungen entstehen könnten. Sie würden die, freilich schwere Aufgabe sich wenigsten angelegen seyn lassen, Arbeitszweige aufzufinden, welche neben einem nicht ganz unbedeutenden Ertrag noch eine kleine Belohnung für den Arbeiter zulassen, und demselben auch im nachherigen Leben als Erwerbszweig dienen könnte. Wir erlauben uns dagegen auch den Wunsch auszudrücken, dass ein Weg bestimmt werden möchte, auf welchem unsere für diese Unternehmung thätigen Mitglieder ihre gemachten Beobachtungen u. die daraus hervorgehenden Wünsche Hochdenselben jeweilen vortragen dürften.» 30 Wie von der provisorischen Kommission empfohlen, verzichtete die GGG vorerst darauf, eine finanzielle Beteiligung in Aussicht zu stellen. 31 Die Zuchtanstaltsinspektion leitete den Antrag an den Kleinen Rat weiter, der ihn am 4. Juli 1821 genehmigte. 32 Damit stand der Gründung der Zuchtanstaltskommission der GGG nichts mehr im Wege. Am 20. Juli 1821 teilte die GGG schließlich in einem Schreiben an die Zuchtanstaltsinspektion die Gründung ihrer Zuchtanstaltskommission mit und erbat sich für deren zehn Mitglieder Zutritt zu der Anstalt. Zudem bezeichnete die GGG zwei dieser zehn Mitglieder, den Kriminalrichter Carl Burckhardt und den 28 StABS PA 146a, U 3, Vorstand der GGG an die Zuchtanstaltsinspektion, 22.6.1821. 29 Zur 1804 gegründeten Allgemeinen Armenanstalt Basel vgl. Karl B URCKHARDT , Geschichte der Baslerischen Gesellschaft zu Beförderung des Guten und Gemeinnützigen während der ersten fünfzig Jahre ihres Bestehens, Basel 1827, S. 13-72; H OFMANN , Reformierte Kirche und Armenpolitik, S. 133-136; J ANNER , GGG 1777-1914, S. 243-251. 30 StABS PA 146a, U 3, Vorstand der GGG an die Zuchtanstaltsinspektion, 22.6.1821, S. 3f. 31 Ebenda, S. 1f. 32 StABS PA 146a, U 3, Zuchtanstaltsinspektion an den KR BS, 3.7.1821; StABS PA 146a, U 3, Rathserkanntnis wodurch das Anerbieten der Gesellschaft zur Mitwirkung bei Verbesserung der Zuchtanstalt genehmigt wird, 4.7.1821. <?page no="75"?> 76 Juristen Peter Bischoff-Buxtorf, als Delegierte, die an den Sitzungen der Inspektion teilnehmen sollten. Das Präsidium der Kommission übernahm, wenig überraschend, Daniel Bernoulli, der das Amt 16 Jahre lang behalten sollte. 33 Die Finanzierung lief über einen Kredit bei der GGG, der bei Bedarf erneuert wurde. 34 Die Kommission setzte sich zusammen aus fünf Juristen, darunter zwei Kriminalrichter, zwei Textilwirtschaftsmagnaten, einem Bankier, einem Professor der Naturwissenschaften sowie dem Obersthelfer Burckhardt - allesamt Vertreter der vermögenden und gut vernetzten Basler Oberschicht. Vier der Mitglieder waren politisch aktiv, darunter findet sich mit Hieronymus Bischoff-Respinger der Präsident des Stadtrats. 35 Hinzu kamen im ersten Jahr drei in der Zuchtanstalt tätige Geistliche. Die überdurchschnittliche Vertretung der Juristen wie auch die Anwesenheit der Geistlichen vermögen kaum zu erstaunen. Gerade die Juristen verfügten nicht nur über das notwendige Wissen um den Basler Strafvollzug, sondern auch über persönliche Beziehungen zu den Mitgliedern der Inspektion, was der eng angelegten Zusammenarbeit zwischen den beiden Gremien nur förderlich sein konnte. Weiter ist festzuhalten, dass sich mit dem Obersthelfer einer der wichtigsten Vertreter der reformierten Basler Geistlichkeit in der neuen Kommission engagierte. Mit dem Baumwollfabrikanten Felix Sarasin dem Jüngeren 36 und dem Tuchhändler Andreas Bischoff-Keller verfügte die Kommission zudem über zwei Mitglieder aus der Textilwirtschaft, deren Expertise für die Arbeitstätigkeit in der Zuchtanstalt von großem Interesse war. Sieben der zehn Kommissionsmitglieder waren im Jahr 1821 außerdem noch in mindestens einer anderen Funktion in der GGG engagiert - so beispielsweise Andreas Bischoff-Keller als Säckelmeister der GGG und als Mitglied der Kommission für die Suppenanstalten oder Obersthelfer Burckhardt als Mitglied der Kommission für die Nähschulen sowie der Schulkommission. Besonders hervor sticht aber Peter Bischoff-Buxtorf, der insgesamt fünf Ämter innerhalb der GGG innehatte: Neben der Mitgliedschaft in der Zuchtanstaltskommission war er Statthalter der Gesellschaft, Beisitzer der vorberatenden Kommission für das Jahr 1822, Säckelmeister der Kommission für die Suppenanstalten und Mitglied der Direktion der Leseanstalt für die Jugend. 37 Wie Sara Janner herausgearbeitet hat, ist diese Konstellation durchaus typisch für die GGG vor 1830: Das sichtbare Engagement, d. h. die Mitgliedschaft in oder 33 StABS PA 146a, U 3, GGG an die Zuchtanstaltsinspektion, 20.7.1821, S. 1f.; Protokolle Zuchtanstaltskommission 1821-1846, 21.7.1821. 34 JB GGG 46 (1822), S. 53; Protokolle Zuchtanstaltskommission 1821-1846, 21.7.1821. Zu den Finanzen der Zuchtanstaltskommission vgl. Anhang 3: Finanzen der Zuchtanstaltskommission 1824-1835 und der Patronagekommission 1840-1910, S. 298. Zur Finanzierung der GGG und ihrer Kommissionen vgl. J ANNER , GGG 1777-1914, S. 169-186. 35 StABS PA 146a, U 3, GGG an die Zuchtanstaltsinspektion, 20.7.1821, S. 1. Vgl. dazu Anhang 1: Mitglieder der Zuchtanstaltskommission 1821-1833 und der Patronagekommission 1833- 1911, S. 283. 36 Zu Felix Sarasin und der Sarasin’schen Baumwollfabrik vgl. Rudolf W ACKERNAGEL et al., Geschichte der Familie Sarasin in Basel, 2 Bde., Basel 1914, Bd. 2, Basel 1914 insbes. 23-127; Hermann W ICHERS , Artikel «Sarasin, Felix (No. 6)» (2011), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D7180.php [5.3.2015]. 37 JB GGG 45 (1821), S. 41-49. Zu den genannten Kommissionen und Ämtern vgl. J ANNER , GGG 1777-1914, S. 228-260. <?page no="76"?> 77 Leitung von Kommissionen sowie das Engagement im Vorstand der Gesellschaft, beschränkte sich auf einen eher kleinen Kreis von Personen, die entsprechend mehrere Funktionen gleichzeitig innehatten. 38 Wie bereits deutlich wurde, gehörten die Basler Philanthropen mit der Gründung der Zuchtanstaltskommission 1821 zur Avantgarde. Dies bedeutet keineswegs, dass die Gefängnisreform und Straffälligenhilfe bei anderen philanthropischen Vereinigungen der Schweiz kein Thema gewesen wäre. So widmete die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) 1827 ihre Jahresversammlung - die notabene in Basel stattfand - dem Gefängniswesen. Während bei der Basler GGG aber wie gezeigt eine pragmatische Herangehensweise dominierte, konzentrierten sich die Debatten unter dem Dach der SGG auf theoretische Diskussionen. Dies lag auch darin begründet, dass sie sich in den 1820er Jahren primär als Austauschplattform der kantonalen Gesellschaften verstand. 39 So bestand denn die Versammlung des Jahres 1827 hauptsächlich in Diskussionen von Berichten aus den einzelnen Kantonen über deren Strafvollzug und Straffälligenhilfe. Dabei waren sich die Delegierten weitgehend einig, dass die Aufgabe der Nachbetreuung, d. h. die Entlassenenfürsorge in die Pflicht gemeinnütziger Vereine falle. Darüber hinaus könnten sie auch eine gewisse Aufsichtsfunktion wahrnehmen, während die eigentlichen gesetzlichen und baulichen Anpassungen Sache des Staates seien. Als Vorbild wurde insbesondere das Genfer comité genannt, während die Basler Zuchtanstaltskommission nicht zur Sprache kam. 40 Dies mag auch darin begründet gewesen sein, dass die Basler Kommission der SGG zwar den verlangten Bericht ablieferte, sich darüber hinaus aber nicht durch ein gesteigertes Interesse für die Jahresversammlung der SGG auszeichnete. 41 3.2 Das Mehrverdienstreglement Die neu konstituierte «Kommission zur Mitwirkung bey löblicher Zuchtanstalt» nahm am 21. Juli 1821 ihre Tätigkeit auf, welche sie in ihrer ersten Sitzung wie folgt umriss: «Beförderung alles dessen, was in ökonomischer, religiöser, sittlicher, ja in jeder Hinsicht zum Wohl der Anstalt beitragen mag.» 42 In dieser sehr allgemein gehaltenen Zweckbestimmung fällt die prominente Stellung der ökonomischen Beförderung der Anstalt auf. Die Verbesserung der Finanzen der Zuchtanstalt scheint also für die Mitglieder der Kommission von mindestens gleichwertiger Bedeutung wie die vereinfachte Resozialisierung der 38 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 131f. 39 Beatrice S CHUMACHER , Braucht es uns? Selbstbilder, Arbeitsweisen und organisatorische Strukturen der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, 1810-1970, in: Beatrice S CHUMACHER (Hg.), Freiwillig verpflichtet. Gemeinnütziges Denken und Handeln in der Schweiz seit 1800, Zürich 2010, S. 37-69, hier: S. 42-46. 40 G RUBENMANN , Nächstenliebe und Sozialpädagogik, S. 147-151. 41 JB GGG 51 (1827), S. 62. 42 Protokolle Zuchtanstaltskommission 1821-1846, 21.7.1821. <?page no="77"?> 78 Inhaftierten gewesen zu sein. Ein wenig anders und deutlich blumiger klang die Beschreibung ihrer Tätigkeit sechs Monate später im Jahresbericht der GGG, welcher im Unterschied zum oben zitierten Protokoll einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich war: «Ihre Bemühungen, durch zweckmäßigere innere Einrichtungen unterstützt, beabsichtigen vor allem, Besserung des Züchtlings. Mit Liebe und Theilnahme nähern Sie sich ihm, um Zutrauen einzuflößen, suchen den Trieb zur Arbeit als vorzügliches Mittel zu Verscheuchung böser Gedanken, und wichtigen Schritt zur sittlichen Umwendung anzufachen, verschaffen ihm Gelegenheit nicht nur sein pflichtmäßiges Tagewerk, sondern noch ein mehreres zu vollbringen, und sichern ihm auf letzterm, mit Genehmigung löbl. Inspektion, einen Lohnantheil zur Bildung eines Sparpfennings zu.» 43 Festzuhalten sind hier vor allem das Ziel der «Besserung» der Sträflinge und die Arbeit als Mittel dazu. Dies zeigt, dass sich die Zuchtanstaltskommission der GGG innerhalb der zeitgenössischen Diskurse bewegte: die Straftäter und -täterinnen als erziehungsbedürftige Individuen und die Arbeitsdisziplinierung als Königsweg zur Resozialisierung. Im deutschsprachigen und im englischen Gefängnisreformdiskurs der 1820er Jahre nahm die Sträflingsarbeit eine prominente Stellung ein, vereinte sie doch drei hauptsächliche Anforderungen an den Strafvollzug: Sie fungierte als Erziehungsmittel, verfügte im Falle schwerer Arbeit auch über einen deutlich strafenden Charakter und trug nicht zuletzt zur Rentabilität einer Anstalt bei. 44 Die Einführung des Mehrverdiensts Der zitierte Auszug aus dem Jahresbericht beinhaltet bereits das von der Zuchtanstaltskommission projektierte Mittel, dieses Ziel zu erreichen: das sogenannte «Mehrverdienstreglement». Es sollte den Sträflingen, die Strafen von mindestens drei Monaten verbüßten, ermöglichen, ein eigenes Einkommen zu erzielen, wenn sie das Tagessoll der Produktion überschritten. Der zusätzliche Betrag wurde den Insassen und Insassinnen jedoch nicht in bar ausbezahlt: Mindestens die Hälfte wurde in einem «Sparhafen» für die Zeit nach der Entlassung gesammelt, die andere Hälfte konnten die Sträflinge ebenfalls ihrem Sparguthaben hinzufügen oder aber sich in Naturalien auszahlen lassen. 45 Ohne dies explizit zu machen, griff die Zuchtanstaltskommission damit eine Idee auf, die gut zehn Jahre vorher von den Insassen und Insassinnen selbst aufgebracht worden war. 43 JB GGG 45 (1821), S. 33. 44 N UTZ , Besserungsmaschine, S. 140-155. 45 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 Strafanstalt, Allgemeines und Einzelnes 1833-1839, Entwurf, wie die Züchtlinge durch Vergütungen aufgemuntert werden könnten, 1821. <?page no="78"?> 79 Die Inspektion, die wenige Jahre zuvor mit einem ähnlichen Versuch gescheitert war, zeigte sich gerne bereit, das Mehrverdienstreglement der Zuchtanstaltskommission zunächst auf ein Jahr zur Probe einzuführen. So berichtete der Kommissionssekretär Bernoulli ein Jahr nach der Gründung, «dass uns vergönnt worden, auf eine Probe hin, die Sträflinge dadurch zur Arbeit aufzumuntern, dass ihnen für dasjenige, was sie über das ihnen mäßig angesetzte Tagwerk etwas vergutet [sic! ] wird; in der Hoffnung durch diese Aufmunterung diesen meist verwahrlosten und arbeitsscheuen Menschen Liebe zur Arbeitsamkeit einzupflanzen, und auf diese Weise mittelbar ihre moralische Besserung zu bewirken.» 46 Aufgrund der erst probeweisen Einführung des Reglements orientierte sich die Praxis zunächst an einem Entwurf, «wie die Züchtlinge durch Vergütungen aufgemuntert werden könnten». 47 1827 erhob der Kleine Rat diesen Entwurf auf Antrag der Zuchtanstaltskommission mit geringfügigen Änderungen zum offiziellen Reglement. 48 Es lohnt sich daher, diesen Entwurf einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Er sah drei verschiedene Kategorien von Arbeiten vor, mit denen die Häftlinge beschäftigt werden konnten: «Hausdienste», «gewöhnliche Arbeiten» und «besondere Arbeiten». Bei ersteren handelte es sich um alltägliche Verrichtungen wie Putzen oder Holzspalten. Sie sollten von allen Insassen und Insassinnen im Turnus ausgeführt werden und enthielten keine Möglichkeit für die Erlangung eines Mehrverdiensts. 49 Die Arbeiten der zweiten Kategorie umfassten Tätigkeiten für diejenigen Sträflinge, «welche keine Arbeiten zu verrichten wissen, die als vorteilhafter erachtet werden und mit der Einrichtung des Hauses verträglich sind.» Es handelte sich dabei um einfache Arbeiten mit monotonem Charakter, wie das Kämmen, Spinnen oder Spulen von Wolle, Flachs oder Hanf. 50 Die besonderen Arbeiten schließlich waren alle anderen finanziell attraktiven Tätigkeiten, d. h. insbesondere die von den Sträflingen bereits vor ihrer Verurteilung ausgeübten Berufe, soweit sie in der Anstalt ausgeübt werden konnten. 51 Bei den besonderen und den gewöhnlichen Arbeiten sah das Reglement ein minimales Tagessoll vor, das die Insassen und Insassinnen ohne eine Form von Vergütung zu erfüllen hatten. Für darüber hinaus geleistete Arbeit erhielten sie dagegen einen kleinen Mehrverdienst, der als Anreiz dienen sollte. Als 46 JB GGG 46 (1822), S. 48. 47 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Entwurf 1821. 48 Protokolle KR BS, 14.4.1827, S. 120; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Reglement über die Einrichtung des Mehrverdiensts und die Verwendung desselben, 27.11.1827. 49 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Mehrverdienstreglement 1827, § 2, S. 1. 50 «Gewöhnliche Arbeiten sind: Zupfen, Schlumpen, Körblinmachen, Spinnen und Spulen von Wolle, Risten und Kuden und d. Rosshaarzupfen.» StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833- 1839, Mehrverdienstreglement 1827, § 3, S. 1. Beim Zupfen, Schlumpen, Risten und Kuden handelte es sich um Verarbeitungsweisen von Hanf, Wolle oder Flachs. Vgl. dazu die entsprechenden Lemmata in Schweizerisches Idiotikon [15.3.2013]. 51 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Entwurf 1821, § 4, S. 1. <?page no="79"?> 80 Berechnungsgrundlage des Tagessolls dienten Erfahrungswerte der in den verschiedenen ausgeübten Arbeiten produzierten Güter, wobei nach Jahreszeiten sowie bei einigen Arbeiten nach Geschlecht der Häftlinge unterschieden wurde. Die Zuchtanstaltskommission der GGG legte die Zahlen fest und ließ sie von der Inspektion absegnen. Das Produzierte wurde daraufhin gemäß aktuellem Marktpreis in einen Geldbetrag umgerechnet, auf dessen Grundlage dann wiederum der Mehrverdienst einzelner Insassen und Insassinnen berechnet wurde. Diejenigen, die mehr als das Tagessoll arbeiteten, erhielten bei den gewöhnlichen Arbeiten die Hälfte des berechneten Marktwerts ihrer Mehrarbeit gutgeschrieben, die andere Hälfte ging in den Besitz der Zuchtanstalt. Bei den besonderen Arbeiten, die für die Zuchtanstalt finanziell lukrativer waren, wurden zwei Drittel des Mehrverdienstes gutgeschrieben. 52 Über die eine Hälfte dieses gutgeschriebenen Mehrverdiensts konnten die Sträflinge direkt verfügen, wobei aber eine Auszahlung in bar explizit verboten wurde. Vielmehr konnten die Insassen und Insassinnen sich den Gegenwert in Fleisch, Milch, Käse, Brot, Kaffee, Obst sowie Bier, Wein und Tabak austeilen lassen. Weitere Gegenstände unterlagen der Bewilligungspflicht durch die Inspektion. Die Naturalien wurden mehrmals wöchentlich an festgelegten Tagen von den Anstaltsgeistlichen und Kommissionsmitgliedern verteilt, wobei letztere Buch über die Bezüge der einzelnen Häftlinge führten. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, mit dem gutgeschriebenen Betrag die Familie außerhalb der Anstalt zu unterstützen. 53 Für die zweite Hälfte des Mehrverdiensts der Sträflinge galt dagegen folgende Regelung: «Von der einem [Züchtling] zufallenden Vergütung wird d. eine 1/ 2te auf d. [Zeitpunkt] seines Austritts aufgespart, u. alsdann auf die, von d. Ausschuss [der GGG, E.K.] [gutbefundene] Weise, zu [Erleichterung] s. Fortkommens verwendet, bey einem Todesfall fällt alles Guth. d. Anstalt zu ausgenommen für Frau, [Kinder], Eltern, wenn sie [bedürftig] sind.» 54 Die Zuchtanstaltskommission der GGG gab sich also mit dem provisorischen Reglement von 1821 das Recht, einen Teil des den Sträflingen gutgeschriebenen Mehrverdiensts zu verwalten. So schuf sie sich eine Möglichkeit, auch nach der Entlassung der Insassen eine gewisse Kontrolle über deren weiteres Verhalten auszuüben - aufgrund des Fehlens detaillierter Vorgaben zum Einsatz dieses Geldes war es der Zuchtanstaltskommission möglich, dies nach Belieben einzusetzen. Konkret bedeutete dies, dass die Entlassenen die Wahl ihres weiteren Lebensweges von einer Einwilligung der Kommission abhängig machen mussten, wenn sie nicht auf ihren angesparten Mehrverdienst verzichten wollten. Die Maßnahme traf daher die aus prekären Verhältnissen stammenden Sträflinge - welche den 52 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Entwurf 1821, § 5-7, S. 1-3. 53 Ebenda, § 8, S. 4. 54 Ebenda, § 8, S. 3. <?page no="80"?> 81 Großteil der Inhaftierten stellten - deutlich härter als diejenigen, welche über eine gewisse finanzielle Absicherung verfügten. 55 Das Mehrverdienstreglement von 1821 ist also nicht nur im Kontext einer einträglichen Beschäftigung der Insassen der Zuchtanstalt zu verstehen, sondern primär als Instrument der Disziplinierung. Darüber hinaus ist aber die ganz pragmatische wirtschaftliche Motivation nicht von der Hand zu weisen. Die Nutzung der Sträflinge als Arbeitskräfte diente auch der teilweisen Finanzierung der Zuchtanstalt, was in den 1820er Jahren vor allem in der Bevorzugung der finanziell lukrativeren, den sogenannten «besonderen» Arbeiten deutlich wird. 1826 hielt die Kommission zudem explizit fest, «dass überhaupt der ökonomische Vortheil der Anstalt selbst grösser ist als zuvor.» 56 Über die Einnahmen der Anstalt aus der Arbeitstätigkeit der Sträflinge finden sich für die 1820er Jahren keine Aufzeichnungen. Als Indiz mag aber die Höhe der Staatsbeiträge an die Anstalt dienen. Das Dreieramt, der Vorläufer der Staatsverwaltungskasse, zahlte der Anstalt zwischen 1818 und 1831 alle ein oder zwei Monate 1’000 alte Franken sowie jährlich einen höheren Betrag, je nach Bedarf. Die Beiträge dienten v. a. der Deckung von Nahrungs- und Unterhaltskosten und variierten dementsprechend nach Anzahl der Sträflinge sowie nach der allgemeinen ökonomischen Lage. Die Höhe des Staatsbeitrags pro Sträfling lässt daher Rückschlüsse auf den Grad der Eigenfinanzierung der Basler Strafanstalt zu. Abb. 1: Jährlicher Staatsbeitrag pro Sträfling in der Basler Strafanstalt, 1818-1831 57 55 Zur sozialen Verortung der Basler Sträflinge vgl. R ACITI , Recht der Bürger, S. 279-372. 56 JB GGG 50 (1826), S. 78. 57 Die Daten basieren auf den Angaben in StABS AHA Straf und Polizei, Y 10. Vgl. dazu auch Anhang 4: Finanzen der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910, S. 300. <?page no="81"?> 82 Selbstverständlich lassen sich aus obiger Grafik einzig Tendenzen herauslesen. Sie macht aber deutlich, dass die jährlichen Staatsausgaben pro Häftling 1826 mit ca. 200 alten Franken zwar nicht ein Allzeittief, aber dennoch einen vergleichsweise niedrigen Stand erreichten. Zudem sanken sie in der Folge weiter ab und unterlagen nicht mehr denselben Schwankungen wie in den Jahren zuvor. Dies spricht dafür, dass die Etablierung des Mehrverdienstreglements nicht nur zu höheren, sondern auch zu stabileren Einkünften aus der Arbeitstätigkeit in der Strafanstalt führte. Die Einschätzung der Zuchtanstaltskommission scheint also gerechtfertigt gewesen zu sein. Weiter gilt es festzuhalten, dass die Ausgaben pro Kopf mit einer höheren Anzahl Häftlinge insgesamt sanken und umgekehrt. Die größte Schwierigkeit bei der Einführung des Mehrverdienstreglements bestand zunächst in der Beschaffung von Arbeit für die Sträflinge. Die GGG rief zu diesem Zweck erstmals 1821 ihre Mitglieder dazu auf, in ihren Betrieben anfallende Arbeiten bei der Zuchtanstalt in Auftrag zu geben. 58 Sie wiederholte diese Aufforderung in den Jahresberichten der folgenden Jahre 59 und scheint dabei rasch auf Resonanz gestoßen zu sein. Zu Beginn des Jahres 1824 versuchte die Kommission zudem, dem chronischen Arbeitsmangel durch die Gründung einer Baumwollspinnerei innerhalb der Anstalt entgegenzuwirken. Sie trat in entsprechende Verhandlungen mit dem Baumwollfabrikanten Emanuel Linder und mit der Zuchtanstaltsinspektion. Letztere ging so weit, in den Bau spezieller Blockhäuser für die Fabrikation und den freien Zugang für die Angestellten Linders einzuwilligen, dennoch scheiterte das Projekt schließlich. Als Begründung für seinen Rückzug nannte Linder hauptsächlich die zu hohen Zollgebühren für den Import von Webstühlen. 60 Eine solche Verpachtung der Arbeitskraft von Sträflingen war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus üblich: Sowohl in Frankreich als auch in verschiedenen deutschen Staaten transformierten private Unternehmer Gefängnisse zu eigentlichen Manufakturen, in denen sie - mit dem Segen des Staates - für die Organisation der Sträflingsarbeit wie auch für den Betrieb und Unterhalt der Strafanstalten alleinverantwortlich waren. 61 Obwohl dieser extreme Schritt in Basel scheiterte, konnte die Zuchtanstaltskommission 1824 in ihrem Jahresbericht vermerken, dass «hinreichender Arbeitsstoff» für die Häftlinge vorhanden sei. Dabei handelte es sich wie zuvor primär um monotone Fleißarbeiten, die keine oder kaum spezifische Qualifikationen verlangten: Zur Verarbeitung von Flachs oder Wolle war diejenige von Seide hinzugekommen, zudem das Sesselflechten und das Farbholzraspeln. 62 58 JB GGG 45 (1821), S. 34-36. 59 JB GGG 46 (1822), S. 50-52; JB GGG 47 (1823), S. 30. 60 StABS AHA Protokolle, E 16.2 2. Zucht- und Arbeitsanstalt, Strafanstalten (1821-1826) (Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1821-1826), 6.1.1824, S. 210-212; 10.2.1824, S. 214f.; 13.4.1824, S. 228f.; 13.7.1824, S. 242; Protokolle Zuchtanstaltskommission 1821-1846, 2.1.1824, S. 58; 13.2.1824, S. 60; 19.3.1824, S. 62f.; 3.6.1824, S. 65-67. 61 N UTZ , Besserungsmaschine, S. 146; O’B RIEN , Promise of Punishment, S. 156-159; P ETIT , Peines obscures, S. 325-335. 62 JB GGG 48 (1824), S. 55f. (Zitat S. 55). <?page no="82"?> 83 Die Verlagerung von Teilen der Produktion war dabei für die Fabrikanten lukrativ: Die Zuchtanstalt konnte diese Arbeiten vergleichsweise günstig anbieten, war doch der ausbezahlte Mehrverdienst nicht mit einem Arbeitslohn außerhalb der Anstalt vergleichbar. So wird beispielsweise der Lohn eines Hilfsarbeiters in einer Baumwollspinnerei zwischen 1820 und 1835 auf 1.05 alte Franken pro Tag geschätzt. 63 Die Sträflinge dagegen erhielten um 1825 für vergleichbare Tätigkeiten durchschnittlich zweieinhalb Batzen, d. h. 0.25 alte Franken, Mehrverdienst pro Woche. 64 Mit Felix Sarasin dem Jüngeren verfügte die Kommission über einen gewichtigen Vertreter der Textilwirtschaft in ihren eigenen Reihen, ein Umstand, den sie auch gerne betonte. So hielt die Kommission 1822 fest, dass für die «pünktliche, gute und billige Ausführung» von in Auftrag gegebener Arbeit «die bekannte Thätigkeit des gegenwärtigen Aktuars [Sarasin, E.K.] Bürge ist». 65 Das Reglement von 1827 Fünf Jahre nach der Einführung des Mehrverdienstreglements zog die Zuchtanstaltskommission in ihrem Jahresbericht eine positive Bilanz über dessen bisherige Entwicklung. Das zu diesem Anlass gedruckte Plädoyer für das Reglement seitens des Kommissionvorstehers Daniel Bernoulli erlaubt Einsicht in die normativen Vorstellungen der Zuchtanstaltskommission: «Schon der Theorie nach, muss anzunehmen seyn, dass ein Arbeiter wenig Lust und Trieb zur Arbeit haben kann, wenn er von den Früchten seines Fleißes und seiner Anstrengung keine selbst genießen kann, sondern Alle nur Andern zu gut kommen sieht, um so mehr bei Menschen, die von Pflichtgefühl wenig wissen, die gerade durch ihre Leidenschaften, durch zu große Sinnenlust und Hintansetzung von Pflicht in diese Lage gekommen sind; dass also ein unmittelbarer Vortheil ihres Fleißes - die Ueberlassung eines Theils ihres Verdienstes von der Arbeit - denselben besonders und am Besten anspornen wird. Und eben so muss wohl der Theorie nach anzunehmen seyn, dass wenn selbst so mancher gebildete und bessere Mensch sich von der Aussicht zeitlicher und gleich erhältlicher Vortheile verleiten lässt, seine Pflicht, und das zwar entferntere, aber ohne Vergleich schätzbarere ewige Wohl zu versäumen, bei dem ungebildeten sinnlichen Sträflinge um so nöthiger ist, ihn durch kleine augenblickliche Genüsse zur Arbeit anzuspornen, […].» 66 63 Textilarbeiterlöhne nach Branchen, ca. 1815-1875, in: R ITZMANN -B LICKENSTORFER , Historische Statistik, S. 446. 64 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Notiz zum Sparhafen der Züchtlinge, o. D. [1825]. Für die Jahre 1821-1833 finden sich kaum Angaben über die Höhe des Mehrverdiensts, so dass eine statistische Analyse nicht möglich ist. 65 JB GGG 46 (1822), S. 52. 66 JB GGG 50 (1826), S. 76f. <?page no="83"?> 84 Wiederum findet sich das bereits bekannte Element der Gewöhnung an Arbeit als Königsweg zur Resozialisierung, hier ergänzt durch das Versprechen eines «ewigen Wohls». Bemerkenswert ist aber auch die Charakterisierung der Sträflinge: Ihnen wird die Fähigkeit abgesprochen, sich an einem weiter entfernten Ziel zu orientieren, sie seien im Gegenteil auf sofortige Belohnungen angewiesen. Hier tritt deutlich die Idee des disziplinierenden Erziehungsstrafvollzuges hervor, in welcher die Straffälligen, wie überhaupt weite Teile der Unterschichten, als undisziplinierte, ihren Leidenschaften unterworfene Menschen gezeichnet wurden. Die anhaltend positiven Erfahrungen mit dem Mehrverdienstreglement veranlassten die Zuchtanstaltsinspektion 1826, beim Kleinen Rat eine offizielle Regulierung des Systems zu beantragen. Der Kleine Rat begrüßte diesen Antrag, hielt es jedoch für angezeigt, die Ausschenkung von Wein und Hochprozentigem ab sofort zu verbieten. 67 M. Mengis-Brand, Mitglied der Zuchtanstaltsinspektion, Karl Burckhardt, Zivilgerichtspräsident und ehemaliges Mitglied der Zuchtanstaltskommission sowie Daniel Bernoulli, Vorsteher der Zuchtanstaltskommission arbeiteten daraufhin gemeinsam ein neues Reglement aus - ein weiteres Beispiel für die enge Zusammenarbeit zwischen der GGG und der Zuchtanstaltsleitung. 68 Der Kleine Rat genehmigte die Grundzüge des Mehrverdienstreglements im April 1827 und im November desselben Jahres verabschiedete die Zuchtanstaltskommission das neue Reglement. 69 Während sich bezüglich der Aufteilung der Arbeiten und des Verdienstanteils für die Insassinnen und Insassen nichts veränderte, enthielt das neue Reglement deutlich schärfere Formulierungen bezüglich der Ansprüche an die Disziplin der Sträflinge. So hielt der erste Artikel Folgendes fest: «Nur denjenigen wird dieser Anteil zugesichert, welche in allen Teilen sich fleißig und folgsam betragen; daher zieht ordnungswidrige Aufführung, Streit und nachlässige Arbeit, nebst der Bestrafung des Fehlbaren, den Verlust des Mehrverdienstes nach sich.» 70 Im Unterschied zum vorherigen probeweisen Reglement war die Möglichkeit zur Disziplinierung der Sträflinge also nicht mehr willkommener Nebeneffekt, sondern zentraler Bestandteil des Reglements. Ebenso hielt es die Inspektion für angezeigt, festzuhalten, dass «der Mehrverdienst von den Sträflingen als eine Wohltat und nicht als ein ihnen zukommendes Recht anzusehen» sei. 71 Weitere Regulierungen waren bereits in den Jahren zuvor von der Zuchtanstaltskommission eingeführt worden: Sie betrafen insbesondere Höchstgrenzen für die Austeilung von Bier und Wein sowie den Entzug oder die Reduktion des 67 Protokolle KR BS, 20.12.1826, S. 342. 68 StABS AHA Protokolle, E 16.3 3. Zucht- und Arbeitsanstalt, Strafanstalten (1826-1833) (Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833), 2.1.1827, S. 27. 69 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Mehrverdienstreglement 1827; Protokolle KR BS, 14.4.1827, S. 120. 70 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Mehrverdienstreglement 1827, Art. 1, S. 1. 71 Ebenda, Art. 6, S. 2. <?page no="84"?> 85 Mehrverdienstes bei Fehlverhalten von Sträflingen. 72 Die schrittweise Regulierung des Mehrverdienstsystems stellte primär eine Verschärfung seiner disziplinierenden Aspekte dar. Dies ist keineswegs nur dem Einfluss der Zuchtanstaltsinspektion zuzuschreiben, sondern resultierte vielmehr aus der Zusammenarbeit zwischen Kommission und Inspektion. Die verstärkte Disziplinierung ist daher vor allem als Ergebnis von Lernprozessen der beteiligten Akteure zu beurteilen. Die Erfahrungen der Kommission machten rasch deutlich, wie erfolgreich sich das Mehrverdienstsystem zur Durchsetzung der Anstaltsdisziplin nutzen ließ. Entsprechend lag hier fortan der Hauptfokus der Kommission. Die eingeführte Regulierung bewährte sich, wovon die regelmäßige Austeilung des Mehrverdienstes sowie das stete Vorhandensein von Arbeit zeugen. 73 3.3 Anfänge der Entlassenenfürsorge und der geschlechtsspezifischen Betreuung Dem Mehrverdienstreglement galt zwar die hauptsächliche, nicht aber ausschließliche Aufmerksamkeit der Zuchtanstaltskommission. Kaum hatte sie den Mehrverdienst weitgehend etabliert, wandte sie sich 1825 einer weiteren Neuerung zu, nämlich der Frage einer fortgesetzten Betreuung entlassener Sträflinge. Bis zu dem Zeitpunkt bestand die einzige Art einer Entlassenenfürsorge darin, dass seit 1791 bei der Entlassung von Jugendlichen aus dem Zuchthaus der Pfarrer der jeweiligen Heimatgemeinde über die Entlassung informiert wurde. 74 Im schweizerischen Vergleich war Basel damit einer der ersten Kantone, in welchem die Frage einer Schutzaufsicht für Entlassene thematisiert wurde. Einzig in Genf und in der Waadt existierten zu dem Zeitpunkt vergleichbare Initiativen. 75 In deutschen Gebieten rückten die Entlassenen ebenfalls Ende der 1820er Jahre in den Fokus der Gefängnisvereine. Wie Désirée Schauz aufzeigt, scheint sich jedoch bereits früher ein Bewusstsein für die Schwierigkeiten entlassener Sträflinge entwickelt zu haben - so verfügten verschiedene deutsche Staaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts über Regelungen zur Unterstützung Entlassener mit kleinen Geldbeträgen bzw. zur Erstattung von Fahrtkosten. Zumindest in Preußen verfolgten die Behörden zudem auch sehr repressive Strategien, indem Sträflinge nur entlassen wurden, wenn sie 72 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Auszug d. Beschlüsse, welche auf die Mehrverdiensts-Einrichtung Bezug haben, o. D. [1826]. 73 JB GGG 51 (1827), S. 59f.; JB GGG 52 (1828), S. 56; JB GGG 53 (1829), S. 78; JB GGG 54 (1830), S. 5f. 74 StABS NA Waisenhausarchiv, A 2, S. 351. 75 Eva K ELLER , Zwischen Strafvollzug und Fu ̈ rsorge. Die sankt-gallische Schutzaufsicht im 19. Jahrhundert, in: Traverse. Zeitschrift für Geschichte 1 (2014), S. 88-97, hier: S. 88-90; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 349-360; Notice sur le comité de patronage des libérés de Genève, Genf 1837, S. 1-5; R OTH , Pratiques pénitentiaires, S. 206-216. <?page no="85"?> 86 eine Arbeitsstelle in Aussicht oder in der Strafanstalt ihre «Besserungsfähigkeit» unter Beweis gestellt hatten. 76 Anfänge der Entlassenenfürsorge Die konkreten Gründe dafür, dass sich die Zuchtanstaltskommission der GGG 1825 dem Thema der Entlassenenfürsorge zuwandte, lassen sich nicht rekonstruieren. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich auch hier wieder um eine Kombination lokaler Erfahrungen und diskursiver Einflüsse handelte. Die Kommission war zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre in der Zuchtanstalt engagiert und eifrig dabei, verschiedene Rezepte für die einfachere Reintegration von Straffälligen auszuprobieren. So bildete sie 1825 einen Ausschuss, dessen Auftrag sie wie folgt formulierte: «[…] darauf zu denken, ob auch für das weitere Fortkommen der aus der Anstalt tretenden Individuen irgend etwas gethan werden könne, nicht allein durch zweckmäßige Verwendung ihres kleinen durch Mehrverdienst gesammelten Spaarhafens, und durch zu ertheilenden guten Rath oder Zuspruch, sondern hauptsächlich durch Empfehlung bei Ortsvorständen, Verwandten, Herrschaften etc., in dem Maaße, als ihre Aufführung in der Anstalt eine solche Empfehlung rechtfertigen mag.» 77 Bereits in diesem kurzen Abschnitt wird deutlich, wie zutiefst ambivalent die Betreuung der Entlassenen konzipiert war. Auf der einen Seite standen die Beratung der Entlassenen und die Nutzung von sozialem Kapital zu ihren Gunsten, auf der anderen Seite die Entscheidung über die Verwendung des angesparten Mehrverdiensts sowie die fortgesetzte Überwachung, die mit der Empfehlung der Entlassenen einherging. Darüber hinaus sollte das Verhalten während der Haftdauer nun auch für die weitergehende Unterstützung ausschlaggebend sein. Ein Jahr später folgte der erste Bericht über die Tätigkeit des neu gegründeten Ausschusses, der jedoch wenig Erfolgreiches zu vermelden wusste. So habe der Ausschuss wenig Gelegenheit gehabt, überhaupt tätig zu werden, «da die Fremden meist schon ihr Unterkommen in der Entfernung wissen, oder zu wissen angeben, die Einheimischen aber gewöhnlich zu ihrem vorherigen Berufe und Familie zurückkehren können.» Einzig einem jungen Basler, der zuvor einige Zeit aus dem Kanton verwiesen worden war, habe der Ausschuss ein «Unterkommen» verschafft, wobei über die Art desselben nichts festgehalten wurde. 78 Nach zwei weiteren wenig erfolgreichen Jahren, fasste die Zuchtanstaltskommission die Problematik der Entlassenenfürsorge wie folgt zusammen: 76 S CHAUZ , Strafen, S. 133-138. 77 JB GGG 49 (1825), S. 78. 78 JB GGG 50 (1826), S. 75. <?page no="86"?> 87 «Die allermeisten der austretenden Sträflinge haben nur den Wunsch nach einer pekuniären Unterstützung, und scheinen zu glauben, dass es dem Ausschuss bloß um eine Spende zu thun sey, was aber gerade nur in außerordentlichen Fällen zweckmäßig wäre, da ja gerade der Sparhafen des Mehrverdiensts diesem Bedürfniss abhelfen soll, und darum solche Gaben dem Endzweck der Mehrverdiensts-Einrichtung zuwider laufen. Den Wenigen aber, die andere und höhere Bedürfnisse auf ihren Austritt hin fühlen, ist äußerst schwer zu helfen; sey es in Verschaffung von Papieren aus der Heimat, oder - was öfter der Fall ist - in Verschaffung eines Dienstes, wobei immer sorgfältiger wir möchten sagen ängstlicher, zu verfahren ist, damit wir etwann durch Empfehlung eines Individuums, das sich in der Strafanstalt tadellos aufgeführt hat, eine wohldenkende Herrschaft nicht dennoch schlecht versehen.» 79 Finanzielle Unterstützung sollte also, wenn irgend möglich, verhindert werden, um die disziplinierende Funktion des Mehrverdienstsystems nicht zu schmälern. Dies ließ aber, wie auch hier wieder festgestellt wurde, eine sehr kleine Gruppe von Entlassenen übrig, welche andere Unterstützung wünschte. Um diesem Umstand entgegenzuwirken, entschloss sich der Kommissionsausschuss 1827, «seine Thätigkeit dadurch zu erweitern, dass er sich mit sämmtlichen Herren Landgeistlichen in Verbindung setzen will, um über das spätere Betragen der gewesenen Sträflinge Erkundigungen einzuziehen […].» 80 In Ermangelung von geeigneten Objekten ihrer geplanten Fürsorge hielt es die Kommission also für angezeigt, sich aktiv auf die Suche nach Entlassenen zu machen, die ihrer bedurften. Zu dem Zweck appellierte sie an die dörfliche Sozialkontrolle in Person der Landgeistlichen. Diese Suche nach Bedürftigen ist auch im Kontext eines stetigen Selbstlegitimationsbedürfnisses philanthropischer Vereine zu verstehen, die sich stets von neuem ihrer Daseinsberechtigung versichern wollten. Oft äußerte sich dies in der Schaffung neuer Tätigkeitsbereiche und damit einer neuen Klientel. 81 Im November 1827 verschickte die Kommission ein entsprechendes Kreisschreiben an die Geistlichen des Kantons. Darin fragten sie zunächst nach den Namen der Entlassenen in der jeweiligen Gemeinde und nach deren beruflichen Fortkommen. 82 Nach diesen naheliegenden Fragen folgten fünf weitere, die deutlich machen, wie umfassend der Wissensdurst der Zuchtanstaltskommission war: «3.) Wie sind [die Entlassenen] bei ihrer Rückkehr und seither von ihren Mitgemeindebewohnern angesehen und behandelt worden? 79 JB GGG 52 (1828), S. 57. 80 JB GGG 51 (1827), S. 61. 81 S CHUMACHER , Braucht es uns? , S. 41-48. 82 StABS PA 146a, U 3, Zuchtanstaltskommission an sämtliche Gemeindepfarrer Basels, 29.11.1827, S. 1. <?page no="87"?> 88 4.) Wie war ihr sittliches Verhalten seit der Strafe? Begingen sie neue Vergehungen, oder fällt ihnen sonst tadelnswürdige Aufführung zur Last? 5.) Haben diese Personen etwa über die ausgestandene Strafe und die Wirkung, welche dieselbe auf sie gehabt, über das was sie in der Straf- Anstalt erduldet, empfunden, nachgedacht, sich angewöhnt, gelernt haben, über die Verwendung ihres etwa mit herausgebrachten Spaarpfennings u.s.w. sich geäußert? Und wie? 6.) Ist sonst irgend etwas wissenswürdiges über die Geschichte dieser zurückgekehrten Sträflinge bekannt? 7.) Die hievorstehenden Fragen würden wir gerne auch in Bezug auf solche Personen beantwortet sehen, welche beym Austritt aus der Zucht-Anstalt oder seither sich auswärts begeben haben, in sofern den Herren Geistlichen auch von diesen etwas bekannt ist.» 83 Die Kommission versuchte also auch in Erfahrung zu bringen, wie das Umfeld auf die Entlassenen reagierte und wie sich die ehemaligen Häftlinge über ihre Haftzeit äußerten. So sollte es gelingen, die Effizienz der Anstalt zu verbessern und die Aufgaben einer erfolgreichen Entlassenenfürsorge abzuklären. Der verschickte Fragenkatalog lässt sich daher in den Kontext der frühen Sozialenqueten des 19. Jahrhunderts einordnen, die dazu dienten, Bedürfnisse der ärmeren Bevölkerung in Erfahrung zu bringen. Durch das so gesammelte Wissen schwangen sich die philanthropischen Akteure gleichzeitig zu Experten eines bestimmten Feldes auf, im vorliegenden Fall im Bereich von Strafvollzug und Entlassenenfürsorge. Hier lagen denn auch die Anfänge der Gefängniskunde als Wissenschaft sowie der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts massiv steigenden Bedeutung des Expertentums im Bereich der sozialen Sicherheit. 84 Im Fragenkatalog finden sich aber auch Hinweise auf die Gestaltung der projektierten Entlassenenfürsorge. Insbesondere die Frage nach dem «sittlichen Verhalten» der Entlassenen zeigt, dass die Intentionen der Kommission nicht nur auf die Verhinderung von weiteren Verbrechen zielten, sondern auch auf die vielzitierte moralische Besserung der Entlassenen in einem umfassenderen Sinn. In diesem Zusammenhang sind insbesondere auch die Fragen nach anderer «tadelnswürdiger Aufführung» sowie nach «sonst irgend etwas wissenswürdigem» zu betonen. Insbesondere letztere Formulierung eröffnete zudem den Pfarrern einen großen Spielraum, jegliches tatsächliche oder angebliche Fehlverhalten ehemaliger Sträflinge zu melden. So ist die Initiative der Zuchtanstaltskommission als Versuch zu deuten, ein möglichst umfassendes System sozialer Kontrolle über die Entlassenen zu etablieren. 83 Ebenda, S. 1f. 84 N UTZ , Besserungsmaschine, S. 209-282; R APHAEL , Verwissenschaftlichung, S. 165-171. Zu den Schweizer Sozialenqueten des 19. Jahrhunderts vgl. Thomas B USSET , Artikel «Sozialenqueten» (2013), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D16605.php [25.3.2015]. <?page no="88"?> 89 Die angeschriebenen Geistlichen kamen der Aufforderung der Zuchtanstaltskommission augenscheinlich eifrig nach und lieferten ihre Berichte im Laufe der nächsten Monate ab. Zum Resultat der Berichte hielt die Kommission 1828 Folgendes fest: «Betrachten wir nun diese Berichte als die getreuen Zeugnisse über das seitherige Betragen der gewesenen Sträflinge, und schließen wir aus disem Betragen wieder auf den Erfolg der vielseitigen Bemühungen und Hinwirkung auf die Besserung der Sträflinge in der Anstalt, so scheint derselbe nicht besonders günstig zu seyn, da das Resultat ohngefähr dahin geht, dass der Charakter der mehrsten dieser Menschen nach dem Austritt aus der Anstalt als derselbe sich wieder zeigt, wie er vor dem Eintritt in dieselbe war. Bedenken wir aber, dass in frühern Zeiten und an so vielen Orten auch jetzt noch, Zucht- oder Schellenhäuser als wahre Pflanzschulen des Lasters angesehen werden konnten, so dürfen wir schon mit dem Erfolge unserer Bemühungen einigermaßen zufrieden seyn, indem die Bessern (welche am ehesten unter den in rechtlicher Bedeutung größern Verbrechern zu suchen sind), nicht verdorbener die Anstalt verlassen, wenn auch die Verdorbenen (gewöhnlich leichtere Verbrecher oder korrektionell bestrafte Personen) nicht gebessert aus derselben treten.» 85 Weiter formulierte die Kommission den Wunsch, die Zusammenarbeit mit den Landgeistlichen weiterzuführen und auszubauen, um so weitere Informationen zu gewinnen, welche die Wiedereingliederung Entlassener vereinfachen sollten. 86 In den darauf folgenden Jahren scheint dies jedoch nicht gelungen zu sein und das Thema verschwand für einige Zeit aus dem Fokus der Kommission und damit auch aus ihren Jahresberichten. Die Gründe dafür sind nicht nur im ausbleibenden Erfolg der Entlassenenfürsorge zu suchen, sondern insbesondere in den politischen Ereignissen, die 1833 in der Kantonstrennung gipfelten und welche die regierende Oberschicht über Jahre hinweg lähmten. Klassifikation der Häftlinge Obiger Auszug aus dem Jahresbericht 1828 spricht jedoch nicht nur die fehlenden Erfolge der Entlassenenfürsorge an, sondern auch die Unterteilung der ehemaligen Straftäter und -täterinnen in «Bessere» und «Verdorbene». Diese Klassifikation war ein zentrales Anliegen der Zuchtanstaltskommission, welche ihre Rolle bei weitem nicht nur im praktischen Bereich verortete. Vielmehr stellte sie seit ihrer Gründung immer wieder Überlegungen für Veränderungen innerhalb des Strafvollzugs an, die letztlich zu einer erfolgreicheren Straffälligenhilfe führen 85 JB GGG 52 (1828), S. 58. 86 JB GGG 52 (1828), S. 58. <?page no="89"?> 90 sollten. Dabei stützte sie sich sowohl auf konkrete Erfahrungen als auch auf die Inhalte von international kursierenden Schriften zur Gefängnisreform. Ihre Vorschläge und Reflexionen veröffentlichte sie primär in ihrem Jahresbericht, so beispielsweise 1822: «Freilich bleiben auch dann noch Wünsche übrig; namentlich eine passendere Classifikation der Verbrecher nicht allein nach ihrem Geschlecht und den gesetzlichen Strafbestimmungen, sondern auch mit Berücksichtigung ihres Charakters, und ihrer mehrern oder mindern Moralität, d.h. eine weitere Absönderung der besser Gesinnten unter ihnen von den schlecht Gesinnten; eine noch beständigere Aufsicht über alle, besonders aber über letztere; eine sorgfältigere Behandlung der einzelnen Individuen in freierer Benützung der verschiedenen Wirkungsmittel, insbesondere des Einzeln Einsperrens oder des gesellschaftlichen Lebens, je nach Umstände und Charakter. Wünsche, die schon Cunningham und andere Sachverständige durch viele Beobachtungen geleitet, ausgesprochen haben […].» 87 Die Forderungen der Zuchtanstaltskommission blieben aber trotz des Bezugs auf Cunningham reichlich unkonkret. 88 Sie verlangte eine Trennung der Häftlinge nach «Charakter», formulierte aber keine fassbaren Kriterien, wie beispielsweise Alter oder Art der Straftat. Dennoch wurde der Wunsch nach einer Unterteilung in den 1820er Jahren zu einem ceterum censeo in den Jahresberichten der Zuchtanstaltskommission, der Erfolg blieb aber bescheiden. 1826 konnte die Kommission immerhin feststellen, dass die Inspektion «mit den neuern Grundsätzen einer wohleingerichteten Strafanstalt, namentlich der Wünschbarkeit einer steten Aufsicht aller Sträflinge des Tags, und Absönderung derselben in einzelne Zellen des Nachts […] einverstanden ist.» 89 Wohl aufgrund der hohen Kosten, die für die Intensivierung der Aufsicht und die Schaffung von Einzelzellen angefallen wären, blieb es jedoch bei dieser Einverständniserklärung und eine Umsetzung dieses Vorschlags fand nicht statt. Das einzige Indiz dafür, nach welchen Kriterien die Kommission eine Unterteilung der Häftlinge vornehmen wollte, ist die oben zitierte Ansicht, dass «größere Verbrecher» einfacher zu resozialisieren seien als «leichtere Verbrecher». Diese Auffassung, dass wegen leichterer Vergehen Verurteilte oft Gewohnheitstäter und -täterinnen und daher kaum zu resozialisieren seien, war ein verbreiteter Topos der Gefängnisreform. Wie Désirée Schauz ausführt, lag dem ein sozialmoralisches Verbrecherbild zugrunde, in welchem sogenannt «unsittliches» Verhalten - Verhalten also, welches in sexueller oder anderer Hinsicht nicht den bürgerlichen Normen entsprach - als Ursache von Kriminalität gedeutet wurde. Verschiedene deutsche und englische Gefängnisreformer versuchten diese Annahme 87 JB GGG 46 (1822), S. 53. 88 Ausführungen zur Klassifikation der Sträflinge finden sich in: C UNNINGHAM , Notes recueillies, S. XXIIIf. 89 JB GGG 50 (1826), S. 79. <?page no="90"?> 91 in den 1820er Jahren mittels statistischer Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Kriminalität und Moral zu stützen und trugen so das ihrige zur Stigmatisierung der Betroffenen bei. 90 In Basel bot das Kriminalgesetzbuch eine Möglichkeit, diese Unterscheidung zwischen als besserungsfähig eingeschätzten und anderen Straftätern und -täterinnen bereits an der Verurteilung festzumachen: Die Unterscheidung zwischen der korrektionellen und der kriminellen Verurteilung. Der 1824 eingeführten korrektionellen Gerichtsbarkeit unterlagen kleinere Vergehen, die ausgesprochenen Strafen überschritten selten ein Jahr und betrugen teils nur einige Tage; die Urteile des Kriminalgerichts lagen hingegen bei einem Jahr Zuchthaus im absoluten Minimum und bei 24 Jahren im Maximum. 91 Die kurze Haftdauer in Kombination mit einer angenommenen «Verdorbenheit» bewogen die Zuchtanstaltskommission dazu, sich zunächst nur mit den vom Kriminalgericht Verurteilten zu befassen. So blieb den korrektionell Verurteilten insbesondere die Möglichkeit, im Rahmen des Mehrverdienstsystems ein wenig Geld zu verdienen, verwehrt. 92 Der Umgang der Zuchtanstaltskommission mit den korrektionell Verurteilten macht zwei Dinge deutlich, die es hier festzuhalten gilt: Erstens schätzte die Zuchtanstaltskommission Sträflinge mit längeren Strafen eher als «besserungsfähig» ein. Wenn die Verurteilten einige Zeit dem Regime der Zuchtanstalt unterworfen blieben und so auch aus ihrem vertrauten Umfeld entfernt waren, bestanden im Urteil der Kommission bessere Chancen für eine Resozialisierung. Dies schlug sich nicht nur im anfänglichen Verzicht auf die Betreuung von korrektionell Verurteilten nieder, sondern auch darin, dass für den Erhalt eines Mehrverdiensts eine Mindeststrafe von drei Monaten nötig war. Zweitens zeichnet sich hier ab, dass die Zuchtanstaltskommission stark auf messbare Erfolge fokussiert war: Als Teil der GGG hing ihr Weiterbestehen stets davon ab, ob ihre Tätigkeit von Vorstand und Mitgliedern der GGG als sinnvoll beurteilt wurde. Durch die geforderte Klassifikation erhoffte sich die Kommission wohl eine Vorselektion, die es erlauben würde, sich primär den als besserungsfähig eingestuften Sträflingen zu widmen, deren Resozialisierung eher erfolgreich verlaufen würde. Der Frauenverein für weibliche Sträflinge Als noch zentraler als die Klassifikation nach Straftat erachteten die Gefängnisreformer und -reformerinnen diejenige nach Geschlecht: Das Vermeiden jeglicher Kontakte zwischen den Geschlechtern galt als eigentliche Voraussetzung des Besserungsstrafvollzugs. 93 In der Basler Straffälligenhilfe fand dieses Bedürfnis in der Gründung des Frauenvereins zur Betreuung weiblicher Sträflinge im Jahr 1824 90 S CHAUZ , Strafen, S. 87-91. 91 Criminalgesezbuch 1821, § 38-160, S. 25-67; Gesetz über die korrektionelle Gerichtsbarkeit für den Kanton Basel, 6.10.1824, Basel 1824, § 11-57, S. 8-25. 92 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Mehrverdienstreglement 1827, Präambel, S. 1. 93 L EUKEL , Strafanstalt und Geschlecht, S. 38-40. <?page no="91"?> 92 Ausdruck. Im Jahresbericht der Zuchtanstaltskommission, der denn auch die einzige Quelle für dieses Ereignis darstellt, liest sich dies wie folgt: «Wir sind aber einen bedeutenden Schritt weiter gekommen, indem wir die erfreuliche Aussicht haben, dass ein Verein von mehreren edlen Frauenzimmern zum Wohl der weiblichen Züchtlinge unsere Bemühungen unterstützt. Von diesem Verein besuchen nämlich wöchentlich zweimal je zwei Frauenzimmer sämmtliche weibliche Züchtlinge, unterhalten sich mit denselben über ihre individuelle Lage, und lesen ihnen jeweilen aus einer zweckmäßigen Erbauungsschrift etwas vor, dass zugleich Anlass giebt, sie auf eine liebreiche und verständige Art zur Sittlichkeit aufzumuntern. Auch wird sich dieser Verein bestreben den austretenden weiblichen Züchtlingen bestmöglich zu einem weitern und ehrlichen Fortkommen zu verhelfen.» 94 In einzelnen Kantonen, so beispielsweise in Bern und Zürich, waren die Frauen als Pionierinnen der Straffälligenhilfe aufgetreten und hatten vor den Männern den Strafvollzug als Betätigungsfeld entdeckt. Taten sie dies in Bern unter der Leitung des Strafanstaltspfarrers, organisierten sich die Zürcher Frauen selbst. Beide Vereine hatten hauptsächlich die Schutzaufsicht und nicht die Strafanstalten selbst im Fokus und konzentrierten sich auf die weiblichen Entlassenen. 95 Das Berner Modell entsprach dabei einem häufigen Muster weiblicher Philanthropie, wonach Frauen von engagierten Männern - mit welchen sie meist in Verwandtschaftsbeziehungen standen - für ein Thema gewonnen oder in den Worten Beatrix Mesmers «in Dienst genommen» wurden. 96 Dagegen scheinen sich die Zürcher Frauen losgelöst von männlichem Engagement den Straffälligen angenommen zu haben. Diese für die Fürsorgevereine der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seltene Konstellation macht deutlich, dass die Absenz männlicher Philanthropie auch eine Nische für Frauen schaffen konnte, in welcher sie sich auf eigene Faust engagieren konnten. Dass sich diese Nische gerade in der strafvollzugsnahen Philanthropie ergab, dürfte dabei kaum Zufall sein, versprach doch die Betreuung von Straftäter und täterinnen wenig Prestige für die Philanthropen und Philanthropinnen. Es handelte sich bei den Empfängern und Empfängerinnen der Straffälligenhilfe schließlich nicht um unschuldig in Not geratene oder sogenannte «würdige Arme», sondern um Kriminelle - seien dies etwa Kindsmörderinnen, Diebe oder Prostituierte. Gerade diese Ausgangslage erlaubte den Philanthropinnen eine relative 94 JB GGG 48 (1824), S. 57f. 95 Claudia C URTI , Die Strafanstalt des Kantons Zürich im 19. Jahrhundert, Zürich 1988, S. 66- 68; Rosalie E RNST -E SCHER , Die schweizerischen Frauenvereine im Gebiete der Schutzaufsicht entlassener Gefangener. Referat für die interkantonale Versammlung der Delegierten der schweizerischen Schutzaufsichtsvereine im Herbst 1901 in Zürich, Zürich 1901, S. 4-10; K ELLER , Der Bernische Schutzaufsichtsverein, S. 24f.; S CHAFFROTH , Gefängniswesen, S. 237f.; Karl S TÜCKELBERGER , Geschichtlicher Überblick zum fünfzigjährigen Jubiläum des Schweizerischen Vereins für Straf-, Gefängniswesen und Schutzaufsicht, 1867-1917, Lausanne 1917, S. 32. 96 M ESMER , Ausgeklammert - eingeklammert, S. 62. <?page no="92"?> 93 Freiheit in der Gestaltung ihres Engagements, bewegten sie sich dabei doch in einem wenig vordefinierten Rahmen. Die Schaffung von Handlungs- und Gestaltungsspielräumen, die ihnen sonst verwehrt blieben, war überhaupt ein wichtiger Grund für das Engagement von Frauen in der Philanthropie des 19. Jahrhunderts. 97 Auch bei der GGG führte dies zu einem starken weiblichen Engagement, lange bevor die Gesellschaft Frauen offiziell als Mitglieder aufnahm - was bis 1916 auf sich warten ließ. Angesichts der Vielzahl von Frauen, welche auch ohne offiziellen Auftrag oder Anerkennung in den Kommissionen der GGG tätig waren, schreibt Sara Janner von den Frauen als «unsichtbare Basis der GGG». Oft handelte es sich dabei auch in Basel um die Ehefrauen, Schwestern oder anderweitig Verwandten von bereits engagierten Männern. 98 Inwiefern solche Verwandtschaftsbeziehungen auch beim Frauenverein zur Betreuung weiblicher Sträflinge eine Rolle spielten, lässt sich nicht feststellen. Ebenso ist nicht zu eruieren, ob der Verein auf Anstoß des Obersthelfers oder eines der Anstaltsgeistlichen gegründet worden war, wie dies auf andere Frauenvereine häufig zutraf. In Basel waren wie überall die weiblichen Sträflinge in den 1810er und 1820er Jahren gegenüber den männlichen meist deutlich in der Unterzahl, wobei sich das Verhältnis durchschnittlich zwischen 1: 2 und 1: 3 bewegte. 99 Die Frauen und Männer in der Anstalt hatten nicht nur separate Schlafstuben und Arbeitsräume, auch während der Gebetszeiten, des Gottesdienstes und des Schulunterrichts blieben die Geschlechter soweit möglich voneinander getrennt. Aufgrund der architektonischen Gegebenheiten gelang dies jedoch nicht immer, ebenso ist von teilweise sehr laxer Aufsicht auszugehen. Indiz für Letzteres ist beispielsweise die rapportierte Schwangerschaft einer Insassin von einem Insassen im Jahr 1819. 100 Weiter galten unterschiedliche Arbeitsanforderungen für Frauen und Männer sowie teils andere Verhaltensanforderungen. So bestand eine der ersten Konkretisierungen des Mehrverdienstreglements im Dezember 1821 darin, weiblichen Häftlingen den Kauf von Wein zu verbieten. 101 Seit 1817 schlug sich die angestrebte Geschlechtertrennung zudem auch im Hinblick auf die Aufseher nieder, indem die - ausschließlich männlichen - Aufseher nur noch in weiblicher Begleitung mit den Insassinnen interagieren durften. Auslöser dafür war die Schwangerschaft der Insassin Hediger von Oberaufseher Burckhardt gewesen. 102 Die jeweils zwischen vier und fünf Mitglieder des Frauenvereins besuchten ab April 1824 die Insassinnen zweimal wöchentlich und erteilten ihnen religiöse Unterweisung sowie Handarbeitsunterricht. Gleichzeitig erhielten die Insassinnen 97 D AVID et al., Philanthropie und Macht, S. 11; M ATTER ; R UOSS ; S TUDER , Editorial, S. 9; M ESMER , Ausgeklammert - eingeklammert, S. 4-66. 98 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 148-158 (Zitat S. 148). Zur weiblichen Philanthropie in Basel vgl. auch J ANNER , Frauen und Frauenvereine. 99 Dies geht aus den Angaben in StABS AHA Straf und Polizei, Y 10 hervor. Vgl. dazu auch Anhang 5: Insassen, Insassinnen und Entlassene der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910, S. 301. 100 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 11.5.1819; 1.6.1819. 101 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Beschlüsse Mehrverdienst [1826], S. 1. 102 Vgl. oben S. 70. <?page no="93"?> 94 auch weiterhin regelmäßigen Besuch der Anstaltsgeistlichen. 103 Die Auswirkungen dieser Besuche lassen sich kaum fassbar machen: Noch 1824 hielt die Zuchtanstaltskommission aber fest, dass seit Beginn der Besuche «unter den weiblichen Gefangenen mehr Friedfertigkeit und weniger unnützes schlechtes Geschwätze» herrsche; zudem rege sich «das verlorene Ehrgefühl» wieder. 104 Weder das «schlechte Geschwätze» noch die Frage nach der «Friedfertigkeit» bzw. dem Umgang der Gefangenen untereinander findet sich in den Jahresberichten der Kommission im Hinblick auf die männlichen Insassen. Während dies bereits deutlich macht, dass der Umgang mit weiblichen Gefangenen von anderen Stereotypen geprägt war als derjenige mit den männlichen, ist hier insbesondere der Begriff des «Ehrgefühls» hervorzuheben. Die Mitglieder der Zuchtanstaltskommission und des Frauenvereins schienen um 1824 bei den weiblichen Gefangenen eher von einem grundsätzlich positiven Menschenbild auszugehen. Folgende Passage aus dem Jahresbericht von 1825 macht deutlich, dass die Kommission im Hinblick auf die weiblichen Sträflinge von einer Art schlummerndem «Ehrgefühl» ausging, welches nur geweckt zu werden brauchte: «Wenn auch [die Mitglieder des Frauenvereins] selbst gestehen, die Absicht ihrer Besuche nicht so wie sie es wünschten, zu erreichen, so gewähren ihre Bemühungen, […] wenigstens gewiss den wesentlichen Vortheil, dass die weniger verdorbenen unter den Sträflingen an den besuchenden Frauen einen Haltpunkt und ein Mittel finden, nicht tiefer ins Laster zu versinken, und dass selbst auch die Rohern zurückgehalten werden; aus Furcht in den Augen des Frauenvereins verächtlich zu erscheinen.» 105 Die Anwesenheit gutsituierter Frauen in der Anstalt sollte also dazu beitragen, an ein Schamgefühl zu appellieren, welches die weiblichen Sträflinge qua Geschlecht mitbrächten. Diese und die anderen festgestellten spezifischen Charakterisierungen weiblicher Sträflinge lassen sich zur grundsätzlichen Annahme des Frauenvereins zusammenfassen, dass Frauen leichter zu resozialisieren seien als Männer. Diese Grundannahme änderte sich aber bereits 1826, nachdem der Frauenverein seine Bemühungen auf die korrektionell verurteilten Frauen ausgedehnt hatte. Seit diesem Schritt beklagte der Verein Jahr für Jahr «den moralischen Zustand der korrektionellen, der zwar Minderschlechten in rechtlicher Hinsicht, aber Verdorbenern in moralischer Hinsicht». 106 Entsprechend forderte nun auch der 103 JB GGG 51 (1827), S. 61; JB GGG 52 (1828), S. 56; StABS AHA Kirchen, G 14, Amtspflichten eines Predigers bey St. Jakob, dem zugleich die Seelsorge in der Zuchtanstalt anvertraut ist, 2.6.1821. 104 JB GGG 48 (1824), S. 58. 105 JB GGG 49 (1825), S. 77. 106 JB GGG 50 (1826), S. 74. Ähnlich in JB GGG 51 (1827), S. 61; JB GGG 52 (1828), S. 56; JB GGG 53 (1829), S. 79f. <?page no="94"?> 95 Frauenverein eine bessere Klassifikation aller Insassinnen, womit er aber auf ebenso wenig Gehör stieß wie die Zuchtanstaltskommission. 107 3.4 Geistliche und weltliche Unterweisung Neben der Einführung und Etablierung von Neuerungen wie insbesondere dem Mehrverdienstreglement beschäftigte sich die Zuchtanstaltskommission auch mit bereits bestehenden Praktiken der Straffälligenhilfe und deren Ausbau. Konkret bedeutete dies vor allem eine enge Zusammenarbeit mit den Anstaltsgeistlichen und den Ausbau von deren Tätigkeiten im Bereich des Religionsunterrichts und der Seelsorge. So versuchte die Kommission bestehende Strukturen zu nutzen und gegebenenfalls anzupassen, um Veränderungen im Bereich der Straffälligenhilfe herbeizuführen. Schulunterricht Ein erster Schritt war dabei der Ausbau der Sonntagsschule, in welcher ab 1822 auch Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet wurde: «[Die Schule] verkürzt nicht nur die den Gefangenen gefährlichste Zeit der Muße, sondern verschafft auch den meisten die durch die Verwahrlosung ihrer Erziehung ihnen fehlenden ersten Kenntnisse, und leitet sie, da christlicher Unterricht und religiöser Gesang damit verbunden wird, zu bessern Gesinnungen.» 108 Unter der Leitung des Anstaltsgeistlichen Grunauer waren es Theologiestudenten und Schüler der Basler Mission, die sich unentgeltlich in dieser Schule engagierten. Die Zuchtanstaltskommission ihrerseits beschränkte sich auf die Organisation des Unterrichts und auf die Finanzierung von benötigtem Material, d. h. insbesondere von Büchern. 109 Dies war überhaupt die Rolle, in der sich die Zuchtanstaltskommission in ihren ersten Jahren am besten gefiel: Sie organisierte und verwaltete, während die konkrete Arbeit mit den Häftlingen von den Anstaltsgeistlichen oder von Theologiestudenten ausgeführt wurde. Bereits 1825 stellte die Zuchtanstaltskommission fest, dass die ehrenamtlich agierenden Lehrpersonen im der Zuchtanstalt über zu wenig Zeit verfügten, um den Unterricht weiter auszubauen. 110 Da sie dies aber als wünschenswert betrachtete, dachte sie laut über die Anstellung eines bezahlten Lehrers nach. Dessen 107 JB GGG 50 (1826), S. 74; JB GGG 51 (1827), S. 61; JB GGG 52 (1828), S. 56; JB GGG 53 (1829), S. 80. 108 JB GGG 47 (1823), S. 30. 109 JB GGG 46 (1822), S. 48f.; JB GGG 47 (1823), S. 29-31. 110 JB GGG 49 (1825), S. 76f. <?page no="95"?> 96 Lohn sollte die GGG übernehmen, was diese jedoch ablehnte. Daher griff die Kommission 1826 auf ein bewährtes Mittel zurück: Sie bezahlte einem Insassen der Anstalt einen Batzen pro Stunde, damit er die «Schwächeren» im Lesen und Schreiben unterrichtete. Dabei wurde festgehalten, dass die Bezahlung auch hier als «Aufmunterung» zu verstehen sei, zudem werde die Regelung «auf Wohlverhalten hin» eingeführt. 111 Der entsprechende Sträfling, J. Landerer, schien seine Aufgabe im Sinne der Kommission, wie auch der Zuchtanstaltsinspektion, zu bewältigen. Die Berichte über seinen Unterricht waren durchwegs positiv, was 1827 auch im Rahmen eines Examens unter Anwesenheit von Inspektionsmitgliedern bestätigt wurde. 112 Ende 1829 wurde er begnadigt, wobei seine Tätigkeit als Lehrer wohlwollend erwähnt wurde. Auf seine eigene Initiative hin, führte er den Unterricht in der Zuchtanstalt auch nach seiner Entlassung weiter, erhielt dafür aber einen deutlich höheren Lohn - während der Haft war es ein Batzen pro Stunde gewesen, nun waren es deren fünf pro Doppelstunde. 113 Die Kosten übernahm zur Hälfte die Zuchtanstaltsinspektion und zur Hälfte die GGG, welche nach erfolgreicher Etablierung des Unterrichts ihre Skepsis abgelegt hatte. 114 Hier zeigt sich also ein ähnliches Muster wie bei der Einführung des Mehrverdienstsystems: Die Kommission initiierte mit der Hilfe der Geistlichen Veränderungen im Zuchtanstaltsregime und wenn sich diese bewährten, übernahm die Inspektion ebenfalls einen Teil der Verantwortung. Zudem wird hier erneut deutlich, wie die Häftlinge Nischen im System zu ihren eigenen Gunsten zu nutzen verstanden. Mit der festen Anstellung Landerers als Lehrer in der Zuchtanstalt ging ein Ausbau des Unterrichts einher. Nicht nur fand der Unterricht neu täglich statt, auch die korrektionell bestraften Häftlinge erhielten nun Lektionen im Lesen, Schreiben und Rechnen. Letzteren Schritt begründete die Zuchtanstaltskommission wie folgt: «Der von Korrektionellen öfters ausgesprochene Wunsch oder Begierde nach diesem Unterrichte, forderte uns dazu auf, und in den uns bekannten Gesinnungen der Gesellschaft, so oft es um Unterricht der untern Volksklasse zu thun ist, hatten wir schon zum Voraus Ihre Genehmigung zu dieser Ausgabe.» 115 Die Ausdehnung des Schulunterrichts wird hier in den Kontext der Alphabetisierung sozial Schwächerer im Allgemeinen gestellt. Diese war in den 1820er und - 30er Jahren zentrales Thema philanthropischer Kräfte wie auch staatlicher 111 JB GGG 50 (1826), S. 74. 112 JB GGG 51 (1827), S. 60; StABS AHA Kirchen, G 14, Zuchtanstaltsinspektion an Burckhardt, Obersthelfer, 22.2.1827. 113 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 30.6.1829, S. 105; 18.8.1829, S. 115f. 114 JB GGG 53 (1829), S. 78f. 115 JB GGG 53 (1829), S. 79. <?page no="96"?> 97 Bestrebungen. 116 Gerade die GGG war dabei mit der Gründung von Schulen sehr engagiert. Diese Tendenz spiegelte sich in der Zuchtanstalt auch darin, dass seit 1826 «ein jeder Züchtling am Unterrichte Theil zu nehmen gezwungen sey, welcher dessen noch bedürftig empfunden würde […].» 117 Neben der sogenannten «Wochenschule», in welcher Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet wurde, fand weiterhin die Sonntagsschule zur religiösen Bildung der Häftlinge statt. Zusammen mit der Seelsorge bildete sie den hauptsächlichen Aufgabenkreis der Anstaltsgeistlichen. Letztere behielten daher ihre wichtige Scharnierfunktion bei und agierten weiterhin als Vermittler zwischen den Insassen und Insassinnen einerseits und der Zuchtanstaltsinspektion und -kommission andererseits. Ebenso blieb es dabei, dass das Amt eines Anstaltsgeistlichen nicht als volle Pfarrstelle galt und dementsprechend von mindestens zwei Geistlichen gleichzeitig ausgeübt wurde. 1821 regulierte die Zuchtanstaltsinspektion dieses System in einer neuen Amtsordnung, in welcher auch die bereits bestehende Praxis festgeschrieben wurde, dass der Pfarrer von St. Jakob sich in der Zuchtanstalt zu engagieren hatte. Der Pfarrer von St. Jakob teilte sich den doppelt geführten sonntäglichen Gottesdienst mit einem Kandidaten der Theologie, gleiches galt für die Seelsorge. Die Geistlichen suchten weiterhin mindestens zweimal wöchentlich alle Häftlinge einzeln auf und erhielten Akteneinblick, um sich über die Vorgeschichte der einzelnen Insassen und Insassinnen informieren zu können. 118 Trotz der Regulierung von 1821 teilten sich phasenweise drei verschiedene Geistliche die Aufgaben von Gottesdienst und Seelsorge und wurden im Bereich der Sonntagsschule noch von Studenten unterstützt. 119 Die Anstellungssituation führte denn auch zu einer starken Fluktuation, da die Stelle als Prediger im Zuchthaus oft dem Sammeln von Erfahrungen diente, bevor die Kandidaten ein festes Pfarramt übernehmen konnten. So wurde in den 1820er Jahren dreimal nach einem neuen Geistlichen für die Anstalt gesucht - jeweils wegen einer Berufung des Vorgängers auf ein Pfarramt. 120 116 In Basel schlug sich dies u. a. in den Unterrichtsgesetzen von 1817 und 1818 sowie in der Einführung der allgemeinen Schulpflicht 1837 nieder. Vgl. dazu B ERNER ; R ÖTHLIN , Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur [26.4.2017]; J ANNER , GGG 1777-1914, S. 299-303. 117 JB GGG 50 (1826), S. 74. 118 StABS AHA Kirchen, G 14, Amtspflichten Prediger 1821. 119 Davon zeugt beispielsweise ein Schreiben bezüglich einer Stellvertretung für Pfarrer Stähelin, in welchem folgende Aufgabenteilung festgehalten wurde: «Herr Cand. Burckhardt [übernimmt] den Gottesdienst bey den Criminellen, Herr Cand. Bram denjenigen bei den Correctionellen und Herr Pfarrer Passavant die Seelsorge […]». StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt, Obersthelfer, an die Zuchtanstaltsinspektion, 21.1.1829, S. 1. 120 StABS AHA Kirchen, G 14, Auszüge aus dem Protokoll des KR BS, 9.3.1822; 28.2.1824; 24.3. 1827. <?page no="97"?> 98 Reformierte Pfarrer und Theologiestudenten Trotz dieser Bedingungen verzeichnete die Inspektion keinerlei Schwierigkeiten, Geistliche für die Tätigkeit in der Anstalt zu finden. Im Gegenteil schienen insbesondere die Theologiestudenten daran interessiert, sich stärker für die Straffälligen zu engagieren. So stellte Obersthelfer Burckhardt im September 1820 einen Antrag an die Inspektion, den Studenten zu erlauben, die männlichen Insassen persönlich zu besuchen und mit ihnen zu sprechen. Burckhardt hielt dazu Folgendes fest: «Es scheint mir für die Besuchenden wie für die Besuchten dieser Vorschlag gleich vortheilhaft; jene sammeln Menschenkenntnis, lernen Menschenbehandlung und treten hier in die praktische Schule für ihren künftigen wichtigen Beruf, diese werden auf bessere Gedanken geführt, zu guten Vorsätzen ermuntert und zum Umgang mit Gutdenkenden angeleitet.» 121 Burckhardt formulierte hier explizit die Funktion der Zuchtanstalt als Ausbildungsstätte für junge Geistliche. Inwiefern diese hehren Überlegungen wirklich am Ursprung des Anliegens der Theologiestudenten standen, lässt sich nicht sagen. Ähnlich wie bei den Missionarsschülern ist aber davon auszugehen, dass die Kriminellen in der Anstalt einen großen Reiz auf die gutbehüteten Burgersöhne ausübten und deren Faszination weckten. Die Inspektion nahm den Antrag Burckhardts erfreut zur Kenntnis und gestattete den Studenten die Besuche. 122 Grundlegende Kritik an der Anstellungssituation der Anstaltsgeistlichen regte sich erst 1831. Antistes Hieronymus Falkeisen nahm den Tod eines Anstaltsgeistlichen und die Frage nach seinem Nachfolger zum Anlass, der Zuchtanstaltsinspektion die «Einrichtung eines Locals» vorzuschlagen, in welchem alle Insassen und Insassinnen der Zuchtanstalt gleichzeitig dem Gottesdienst beiwohnen könnten, «ohne deswegen mit einander in nähere Berührung zu kommen.» 123 Dies hätte den Vorteil, dass der Gottesdienst in der Zuchtanstalt von einem einzelnen Pfarrer gehalten werden könnte. Falkeisen betonte, dass ähnliche Einrichtungen bereits in anderen Straf- oder Zuchtanstalten existierten, nannte aber keine konkreten Beispiele. 124 Tatsächlich wurde das Thema zwar im Zusammenhang mit Neubauten und Anstaltsreformen regelmäßig diskutiert, es existierten aber im In- und nahen Ausland noch keine Anstalten, wo ein solcher Bau konsequent umgesetzt worden wäre. 125 Die Anstalten von Genf und Zürich verfügten seit 1825 121 StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt, Obersthelfer, an die Zuchtanstaltsinspektion, 18.9.1820, S. 3. 122 StABS AHA Kirchen, G 14, Zuchtanstaltsinspektion an Burckhardt, Obersthelfer, 26.9.1820, S. 1. 123 StABS AHA Kirchen, G 14, Falkeisen, Antistes, an die Zuchtanstaltsinspektion, 4.11.1831, S. 1. Vgl. dazu auch Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 15.11.1831, S. 213. 124 StABS AHA Kirchen, G 14, Falkeisen, Antistes, an die Zuchtanstaltsinspektion, 4.11.1831, S. 1f. 125 S CHAUZ , Strafen, S. 101f. <?page no="98"?> 99 bzw. 1826 zumindest über eigens dafür eingerichtete Betsäle, in welchen Frauen und Männer voneinander getrennt werden konnten. 126 Die Zuchtanstaltsinspektion lehnte den Vorschlag Falkeisens und insbesondere die Anstellung eines einzelnen Pfarrers jedoch ab. Als Grund dafür nannte sie vor allem, dass mit dem amtierenden Pfarrer von St. Jakob, Theophil Passavant, eine Vereinbarung über dessen Tätigkeit in der Anstalt bestehe, die nicht ohne Schwierigkeiten aufgelöst werden könne. Die Inspektion beschloss daher, die Nachfolge des verstorbenen Geistlichen provisorisch auszuschreiben, um bei einem nächsten Personalwechsel die Frage erneut behandeln zu können. 127 Den Rahmenbedingungen zum Trotz engagierten sich einige der Geistlichen in den 1820er Jahren stark für Verbesserungen in der Zuchtanstalt. So verteilte der Obersthelfer mithilfe der Anstaltsgeistlichen 1821 auf eigene Faust Prämien an Entlassene, «welche sich während ihres Aufenthaltes in der Zuchtanstalt wohl gehalten und sichere Anzeigen der Besserung gegeben haben.» Das Geld dafür entstammte einer Remuneration, welche Burckhardt von der Inspektion erhalten hatte, aber als nicht angebracht beurteilte. 128 Speziell hervorzuheben ist zudem das Beispiel des angehenden Geistlichen Peter Stähelin. Er war Kandidat der Theologie und übernahm seit Ende 1820 verschiedene geistliche Funktionen in der Zuchtanstalt. 1821 ersuchte er aufgrund einer Krankheit bei der Zuchtanstaltsinspektion um Beurlaubung zwecks eines Kuraufenthaltes in deutschen Gebieten. Weiter wolle er sich während dieser Reise weiterbilden, um seine Tätigkeit in der Zuchtanstalt besser wahrnehmen zu können: «Durch das […] was ich im verflossenen halben Jahr für das moralische Wohl der Zuchthaus-Gefangenen zu thun Gelegenheit hatte, ist in mir das Verlangen rege geworden, auch in dieser Hinsicht auf meiner vorhabenden Reise mehrere Erfahrungen und Kenntnisse zu sammeln, zu diesem Zwecke würde ich wohl am besten gelangen, wenn ich in verschiedenen Städten Deutschlands und vielleicht auch der angrenzenden Länder die Anstalten dieser Art besuchte und durch nähere Erkundigung und Anschauung der Behandlungsart und dem religiös-moralischen Zustande der Gefangenen bessere Begriffe zu erhalten, zu Erreichung unseres letztern Zwecks […] wenn [Sie] die Güte haben würden, mir durch ein allgemeines Empfehlungsschreiben an die betreffenden Personen den Zutritt in solche Anstalten zu erleichtern.» 129 126 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 146. 127 StABS AHA Kirchen, G 14, Zuchtanstaltsinspektion an den Kirchenrat BS, 14.2.1832; Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 27.12.1831, S. 220; 14.2.1832, S. 228f. 128 StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt, Obersthelfer, an die Zuchtanstaltsinspektion, 26.3.1821, S. 1. 129 StABS AHA Kirchen, G 14, Stähelin, Anstaltsgeistlicher, an die Zuchtanstaltsinspektion, 26.3.1821, S. 1f. <?page no="99"?> 100 Die Inspektion genehmigte die Reise Stähelins und stattete ihn mit dem gewünschten Empfehlungsschreiben aus. 130 Sie verlangte im Gegenzug einen Bericht über die Reise, der jedoch leider nicht überliefert ist. Entsprechend lässt sich auch nicht feststellen, inwiefern die Reise Stähelins den Basler Zuchtanstaltsalltag beeinflusste. Dennoch wird an diesem Beispiel eine wichtige Form des grenzübergreifenden Austauschs ersichtlich: Eine Einzelperson reiste auf eigene Faust und auf eigene Kosten in benachbarte Gebiete und informierte sich vor Ort über Einrichtungen und Praktiken. Gerade vor der Institutionalisierung der Gefängnisreformdiskurse in Form von Kongressen, war diese Form des Austausches - zwischen einzelnen Individuen und nicht zwischen Institutionen - unverzichtbar, um die Praxis anderer Gefängnisse kennenzulernen. Thomas Nutz bezeichnet den Gefängnisreformdiskurs in dieser Phase als offenes Netzwerk, in welchem sich noch kaum Regeln der Interaktion herausgebildet hatten. 131 Dementsprechend war es für Individuen wie Stähelin möglich, aber auch notwendig, sich auf diese wenig institutionalisierte Art weiterzubilden. Gleichzeitig unterstreicht dies auch die wachsende Bedeutung von Pfarrern im Strafvollzug und in der Gefängnisreform, die sich offenkundig auch auf die Generierung von Wissen sowie auf die Vernetzung mit Akteuren anderer Gebiete bezog. Insbesondere deutsche Pfarrer wurden denn auch bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu zentralen Diskursträgern der Gefängnisreformbewegung. 132 Katholisches Engagement Die katholischen Seelsorger dagegen scheinen sich im Laufe der 1820er Jahre wieder aus der Zuchtanstalt zurückgezogen zu haben - so finden sich jedenfalls in den einschlägigen Quellen keine Hinweise auf katholisches Engagement. Im Frühling 1830 wandte sich die Zuchtanstaltsinspektion jedoch von sich aus an den Pfarrer der katholischen Clarakirche, Sebastian von Büren. 133 Sie bat ihn darum, einem vierzehnjährigen Insassen katholischer Konfession Religionsunterricht zu erteilen, da dieser die Erstkommunion noch nicht empfangen habe. 134 Analog zur Konfirmation für Reformierte scheint die Inspektion den Empfang der Erstkommunion für katholische Insassen und Insassinnen als zwingend notwendig erachtet zu haben - so bedeutend, dass sie bereit war, von sich aus mit den eher ungeliebten katholischen Glaubensvertretern in Kontakt zu treten. Von Büren seinerseits sah in dieser Anfrage die Gelegenheit, dem Katholizismus eine zentralere Position innerhalb des Basler Strafvollzugs zu verschaffen und nebenbei die 130 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1821-1826, 27.3.1821, S. 15. 131 N UTZ , Global Networks, S. 44f. 132 N UTZ , Global Networks, S. 445f.; N UTZ , Besserungsmaschine, S. 246-249. 133 Zu Sebastian von Büren vgl. Roger L IGGENSTORFER , Artikel «Büren, Sebastian von» (2003), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D9743.php [19.3.2015]. 134 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 11.5.1830, S. 147. <?page no="100"?> 101 finanzielle Situation der Clarakirche zu verbessern. In seiner Antwort an die Inspektion legte er dar: «Es war schon lange mein herzlichster Wunsch zur Besserung der unglücklichen Sträflinge im Zuchthaus mein Möglichstes beyzutragen; besonders aber durch Religionsunterricht auf ihr Herz einzuwirken; aber mit allen angestrengten Kräften […] war es mir bisher nicht ganz möglich, nur mit einem Vicar diesen Wunsch zu realisieren […].» 135 Daher bat von Büren die Inspektion, ihm einen Gehilfen zur Betreuung der katholischen Häftlinge in der Zuchtanstalt zu finanzieren. Der so angestellte «Aushilfspriester» sollte neu einen wöchentlichen Religionsunterricht in der Anstalt abhalten und zudem regelmäßig seelsorgerische Gespräche mit den Inhaftierten führen. 136 Die Inspektion hielt es für angezeigt, diesen Antrag Obersthelfer Burckhardt zur Begutachtung vorzulegen, welcher in seiner Antwort Folgendes festhielt: «Was nun zunächst die Nothwendigkeit der Einführung des kath. Gottesdiensts in der Zuchtanstalt betrifft, so ist zwar dieselbe nicht als absolut anzusehen, indem die sämtlichen katholischen Züchtlinge bisher ohne Widerstreben den Gottesdiensten unserer Confession beygewohnt und sogar hie und da ihre Freude darüber geäußert hatten […]. Da es jedoch überall eine der größten Vollkommenheiten der bürgerlichen Gesellschaft ist, wenn jeder seiner Überzeugung gemäß erbaut werden kann, so dürfte es nicht nur den katholischen Züchtlingen sehr angenehm seyn, sondern auch unserer durch religiöse Duldung sich auszeichnender Regierung zur Ehre gereichen, wenn auch der katholische Gottesdienst in der Zuchtanstalt gestattet wird.» 137 Während Burckhardt hier einerseits um die Rolle Basels in den Anfängen des Kulturkampfs besorgt scheint, wird andererseits deutlich, dass er die Einwirkung reformierten Gedankenguts auf die katholischen Häftlinge als durchaus sinnvoll und erstrebenswert betrachtete. Dies wird auch im weiteren Verlauf seines Briefes deutlich, in welchem Burckhardt festhält, dass die Katholiken und Katholikinnen auch nach Einführung eines katholischen Gottesdienstes weiterhin am reformierten Religionsunterricht und Gottesdienst teilnehmen sollten. 138 In den darauffolgenden Beratungen zwischen der Zuchtanstaltsinspektion und dem Kleinen Rat war denn auch der Aspekt, dass die reformierten Religionspraktiken in der Anstalt nicht gestört werden sollten, das hauptsächliche Thema. 139 Im Oktober 1830 135 StABS AHA Kirchen, G 14, von Büren an die Zuchtanstaltsinspektion, 29.4.1830, S. 1. 136 Ebenda. 137 StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt, Obersthelfer, an die Zuchtanstaltsinspektion, 27.5.1830, S. 1f. 138 StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt, Obersthelfer, an die Zuchtanstaltsinspektion, 27.5.1830, S. 2f. 139 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 17.6.1830, S. 151f.; 7.9.1830, S. 160; 12.10.1830, S. 168; StABS AHA Kirchen, G 14, Zuchtanstaltsinspektion an den KR BS, 24.6.1830; Wieland, Statthalter BS, an die Zuchtanstaltsinspektion, 26.6.1830; Zuchtanstaltsinspektion an den KR BS, 24.8.1830. <?page no="101"?> 102 wurde schließlich ein Reglement über den katholischen Gottesdienst in der Anstalt verabschiedet, welches vorerst auf zwei Jahre Bestand haben sollte. Es sah wöchentlich eine Stunde Religionsunterricht vor, die abwechselnd von den katholischen Männern und Frauen besucht werden sollte. Weiter sollten Minderjährige, die noch keine religiöse Unterweisung erhalten hatten, mehrmals wöchentlich unterrichtet werden; daneben waren Krankenbesuche inklusive Erteilung der Sakramente durch die katholischen Geistlichen vorgesehen. Messe und Kommunion sollten nur an hohen Feiertagen stattfinden, dagegen hatten die katholischen Insassen und Insassinnen auch weiterhin am reformierten Morgen- und Abendgebet, am Gottesdienst sowie am Religionsunterricht teilzunehmen. Für seine Tätigkeit in der Anstalt erhielt der katholische Pfarrer eine Entschädigung, die mit 160 alten Franken tiefer angesetzt war als diejenige der reformierten Geistlichen. 140 Sebastian von Büren hatte also sein Ziel erreicht und erhielt nicht nur die Möglichkeit regelmäßigen katholischen Unterricht durchzuführen, sondern auch die angestrebte finanzielle Unterstützung. Damit zeigte sich die Basler Regierung im eidgenössischen Vergleich relativ offen bezüglich der Konfessionsfreiheit in ihrer Zuchtanstalt. Vergleichbar war in den 1830er Jahren einzig die Zucht- und Besserungsanstalt Tobel im Thurgau, welche einen katholischen und einen reformierten Seelsorger finanziell entschädigte. 141 3.5 Zwischenfazit: Pragmatismus und Rentabilität Die 1820er Jahre waren eine bewegte Zeit für die Basler Straffälligenhilfe. Mit der Zuchtanstaltskommission der Gemeinnützigen Gesellschaft trat eine zentrale Akteurin in Erscheinung, welche die Geschicke des Strafvollzugs und der Straffälligenhilfe in den darauf folgenden Jahrzehnten entscheidend mitprägen sollte. Wie im vorliegenden Kapitel gezeigt, war die Kommission seit ihrer Gründung eng mit staatlichen und geistlichen Kräften im Umfeld des Strafvollzugs vernetzt, wenn nicht gar ihre Konstituierung selbst auf die Initiative eines Anstaltsgeistlichen oder eines Inspektionsmitglieds zurückgeht. Ohne die Identität des anonymen Briefautors, der am Anfang des Engagements der GGG in der Zuchtanstalt stand, klären zu können, ist dessen detaillierte Kenntnis des Basler Strafvollzugs zu betonen. So wusste er sowohl von den Schwierigkeiten mit verschiedenen Aufsehern als auch von den ersten Reformversuchen, die in die Wege geleitet worden waren. Entsprechend begründete er die Notwendigkeit eines Engagements der GGG hauptsächlich mit lokalen Bedürfnissen. Erst in einem zweiten, quasi 140 StABS AHA Kirchen, G 14, Reglement für den Catholischen-Römischen Gottesdienst, 12.10.1830. 141 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 146. <?page no="102"?> 103 nachgeordneten, Schritt argumentierte er mit einer Bezugnahme auf Cunningham, also mit internationalen Entwicklungen im Bereich der Gefängnisreform. Die Bezugnahme nutzte wiederum die GGG selbst, um ihre Argumentation für ihr Engagement in der Zuchtanstalt zu untermauern: «Die, mit der Oberaufsicht über unsere obrigkeitlichen Straf- und Zuchtanstalten beauftragte Inspection, unzufrieden mit dem mangelhaften Zustande derselben und fest entschlossen die erforderlichen Verbesserungen eintreten zu lassen, war eben damit beschäftigt, als ein würdiger Nachfolger und Landsmann Howards seine menschenfreundliche Stimme erhob und gleich diesem bemüht das Schicksal der Gefangenen und Züchtlinge zu lindern und vorzüglich die Strafhäuser auf ihren eigentlichen Zweck zurückzuführen, über diese Angelegenheit in Bezug auf unser Vaterland, in einem besondren Werkchen mit Sachkenntniss, Umsicht und schonender Freymüthigkeit die vortrefflichen Winke ertheilte. Was er so gemüthlich und wahr ausgesprochen, musste von einer Gesellschaft zu Beförderung alles Guten und Gemeinnützigen nicht minder warm empfunden werden, und die lebhafte Theilnahme, die ein diesfallsiger anonymer Vorschlag zur Verbesserung unserer Zuchtanstalten durch Mitwirkung unserer Gesellschaft, in derselben Sitzung erregte, zeugte hinreichend von der zu verhoffenden Bereitwilligkeit.» 142 Nicht nur hier wird deutlich, dass die Publikationen der Gefängnisreformbewegung in Basels philanthropischen Kreisen bekannt waren. Teils mit expliziter Bezugnahme auf andere Gebiete, teils aber auch ohne, bespielte die Zuchtanstaltskommission das Repertoire der Gefängnisreform, so mit dem Fokus auf die Arbeitstätigkeit, der Forderung nach einer Klassifikation der Häftlinge oder nach der Schaffung einer eigenen Kirche in der Zuchtanstalt. Durchgehend standen dabei aber die lokalen Verhältnisse im Vordergrund, indem Forderungen der Gefängnisreformbewegung gezielt ausgewählt und auf Basler Gegebenheiten angepasst wurden. Die Zusammenarbeit zwischen Inspektion und Kommission war von Beginn weg sehr eng angelegt, wobei es auch und insbesondere auf die persönlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern, die beinahe ausschließlich dem städtischen Großbürgertum zuzurechnen sind, zu verweisen gilt. Die Angehörigen der Regierung sowie der Strafvollzugsbehörden und die Mitglieder der GGG waren in weiten Teilen identisch, so dass hier von einer bewussten Aufteilung der Verantwortungsbereiche im bürgerlich-liberalen Staatsverständnis ausgegangen werden kann: Die GGG übernahm im Sinne eines kompensatorischen Ansatzes diejenigen Bereiche, welche nicht in die Zuständigkeit des Staates fielen - wobei 142 JB GGG 45 (1821), S. 31f. <?page no="103"?> 104 die entsprechende Ausscheidung selbstredend Gegenstand von Aushandlungsprozessen blieb. Trotz der engen Verflechtung wurde der Amtsweg insofern gewahrt, als die Inspektion jegliche Neuerungen der Kommission zunächst absegnen musste. Sie tat dies meist in provisorischer Form, was beiden Seiten erlaubte, die Tauglichkeit einzelner Praktiken zunächst zu erproben, bevor sie definitiv eingeführt wurden. Dabei zeigte sich beim Mehrverdienstreglement und beim Schulunterricht dasselbe Muster: Die Zuchtanstaltskommission führte als Avantgarde eine Neuerung ein und trug zu Beginn das finanzielle Risiko. Beim Mehrverdienstreglement ist zudem festzuhalten, dass die Kommission hier Bestrebungen «von unten» aufgriff, welche die Sträflinge selbst in den 1810er Jahren verfolgt hatten. Dies illustriert nicht nur die vielfältigen Wurzeln von Reformideen, sondern auch die Einflussmöglichkeiten der Häftlinge. Nachdem sich die Praktiken bewährt hatten, regulierte sie die Inspektion und übernahm im Fall des Schulunterrichts auch einen Teil der Finanzierung. Dabei veränderten sich nicht nur die Grenzen dessen, was als staatlicher Verantwortungsbereich wahrgenommen wurde. Die Veränderungen sind auch Zeugnis der Lernprozesse innerhalb beider Gremien, die sich in der letztlichen Regulierung niederschlugen. Ähnlich wie in den 1810er Jahren ist kaum von einer vorausschauenden Planung durch die Inspektion auszugehen - vielmehr reagierte sie, wie auch die Kommission der GGG, auf konkrete Schwierigkeiten und passte entsprechend ihre Praktiken an. Bestes Beispiel hierfür ist das Mehrverdienstsystem, welches zwischen 1821 und 1827 stetig verschärft wurde. Gleichzeitig kannte die Bereitschaft der Inspektion, Änderungen auf Wunsch der Kommission einzuführen, aber auch ihre Grenzen - insbesondere in finanzieller Hinsicht. So war dem Vorschlag einer besseren Klassifikation der Häftlinge genauso wenig Erfolg beschieden wie der Idee einer eigenen Zuchtanstaltskirche. Die Inspektion war anscheinend genau so lange bereit, die Einmischung von Geistlichen und Philanthropen willkommen zu heißen, als ihr dies keine finanziellen Lasten bescherte. Trotz des Engagements der Zuchtanstaltskommission blieben es zunächst die Geistlichen, die den Löwenanteil der eigentlichen Arbeit in der Zuchtanstalt übernahmen. Dies änderte sich teilweise mit der Anstellung eines Sträflings als Lehrer sowie durch die Gründung des Frauenvereins. Bei letzterem waren es die bürgerlichen Frauen selbst, welche die weiblichen Häftlinge besuchten - dies auch in der Hoffnung, durch ihre Anwesenheit das Verhalten der Insassinnen positiv zu beeinflussen. Damit illustriert dieses Vorgehen auch die unterschiedliche Einschätzung der Besserungschancen einzelner Häftlinge. War es hier das Geschlecht, das als Differenzierungsmerkmal fungierte, verschob sich der Fokus im Laufe der 1820er Jahre auf die Art der Straftat. Die Ansicht, dass wegen leichterer Vergehen Verurteilte schlechtere Resozialisierungschancen hätten, setzte sich sukzessive durch. Hier zeichnet sich eine Schwerpunktlegung auf ein sozial-moralisches Bild von Verbrecherinnen und insbesondere Verbrechern - Peter Beckers «Gauner» - <?page no="104"?> 105 ab, in welchem sozial deviantes Verhalten als Ursache von Kriminalität gedeutet wird. 143 Diese Haltung der Zuchtanstaltskommission basierte auf ihren Erfahrungen in den ersten Jahren ihrer Tätigkeit: Obwohl von konsequenter Datenerhebung noch nicht die Rede sein konnte, wurde bereits früh das Bedürfnis offenkundig, Kategorisierungen vorzunehmen und Wissen über die Straftäter und -täterinnen zu akkumulieren. Dieses Wissen diente nicht nur dem Zweck, Erfolge messbar zu machen und so die Entlassenenfürsorge in Basel zu legitimieren. Vielmehr erhoffte sich die Zuchtanstaltskommission auch die Entwicklung griffiger Instrumente im Umgang mit den Sträflingen und damit letztlich eine Effizienzsteigerung ihrer Praktiken - so sind diese frühen Informationserhebungen als weitere Schritte hin zu einer Verwissenschaftlichung der Straffälligenhilfe zu interpretieren. 144 Nach wie vor nahmen dabei die Pfarrer eine Hauptrolle ein. Zusätzlich zu den Anstaltsgeistlichen, deren zentrale Rolle sich weiter akzentuierte, versuchte die Zuchtanstaltskommission auch außerhalb der Anstalt tätige Pfarrer einzubeziehen und zur Ausdehnung ihrer Kontrollsphäre einzusetzen. In der Praxis lag der Hauptfokus der frühen Straffälligenhilfe auf der Arbeitstätigkeit der Insassen und Insassinnen, wobei zunächst die Rentabilität oder zumindest finanzielle Autonomie der Zuchtanstalt im Vordergrund stand. So entwickelte sie sich im Laufe der 1820er Jahre zu einer billigen Produktionsstätte für einzelne Textilfabrikanten. Dabei gingen die Verantwortlichen in Basel zwar weniger weit als in einigen deutschen und französischen Gefängnissen, die Stoßrichtung bleibt aber dieselbe. Dank des Mehrverdienstsystems vereinfachte die ausgebaute Arbeitstätigkeit zudem die Disziplinierung der Insassen und Insassinnen und verhinderte zumindest teilweise die komplette Mittellosigkeit Entlassener. Gleichzeitig galt die Arbeit aber auch als effizientester Weg, die Straftäter und -täterinnen an die Resozialisierung heranzuführen und sie an ein Leben nach bürgerlichen Normen zu gewöhnen. So verfolgte die Zuchtanstaltskommission in Bezug auf die Sträflinge «ihre Besserung, so wie ihren möglichen Gewinn für den Staat». 145 Die zu dem Zweck eingeführten Veränderungen versuchte sie im Laufe der darauf folgenden Jahre zu konsolidieren, was das Thema des folgenden Kapitels ist. 143 B ECKER , Verderbnis und Entartung, S. 35-254. 144 Vgl. R APHAEL , Verwissenschaftlichung, S. 171f. 145 JB GGG 46 (1822), S. 21. <?page no="106"?> 107 4 Konsolidierung und Neuordnung der Straffälligenhilfe: 1833-1848 Die Zuchtanstaltskommission der GGG konnte zehn Jahre nach ihrer Gründung auf einige Erfolge zurückblicken. Sie hatte das Mehrverdienstreglement eingeführt, den Schulunterricht und die religiöse Unterweisung in der Anstalt vorangetrieben und ausgebaut und sich ihre Nische innerhalb des Basler Strafvollzugs geschaffen. Sowohl die Zusammenarbeit mit den Behörden, insbesondere der Zuchtanstaltsinspektion, als auch diejenige mit den Anstaltsgeistlichen verlief zwar nicht immer reibungslos, hatte sich aber im Großen und Ganzen eingeschliffen. Viel Zeit, sich in dieser einigermaßen komfortablen Situation auszuruhen, blieb der Kommission jedoch nicht: Nach den Wirrungen der Kantonstrennung wurde 1833 auch das Leitungsgremium der Zuchtanstalt einer Revision unterzogen, im Zuge derer die Behörden vermehrt Tätigkeiten der Zuchtanstaltskommission übernahmen. Dadurch sahen sich die Straffälligenhelfer der GGG gezwungen, sich mit der Entlassenenfürsorge ein neues Betätigungsfeld zu schaffen. Diese Entwicklung ist das zentrale Thema des vorliegenden Kapitels, wobei zunächst auf die staatliche und im Anschluss daran auf die private Seite eingegangen wird. Die damit eingeläutete sukzessive Monopolisierung des Raumes Strafanstalt zeigte auch in weiteren Bereichen Wirkung, konkret in Bezug auf die Anstaltsgeistlichen und auf den Frauenverein. Diese Veränderungen stehen im Folgenden ebenfalls im Fokus. Den Abschluss des vorliegenden Kapitels bildet eine vertiefte Auseinandersetzung mit der neu entdeckten Tätigkeit der Entlassenenfürsorge. Dabei spielen die unterschiedliche Herkunft und die Mobilität der ehemaligen Sträflinge eine wichtige Rolle, die es erlauben, zu untersuchen, wie sich die Basler Philanthropen im deutsch-französisch-schweizerischen Grenzraum bewegten. 4.1 Schulterschluss zwischen Philanthropen und Behörden Nach den politischen und teils militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und der Landschaft Basel beschloss die Tagsatzung der Eidgenossenschaft im August 1833 die Trennung der beiden Halbkantone Basel-Stadt und Basel- Land. Am 3. Oktober 1833 nahmen die Stadtbürger die erste Verfassung des neuen Kantons an, der neben der Stadt die drei Gemeinden Riehen, Bettingen und Kleinhüningen umfasste. Die Verfassung beruhte größtenteils auf der letzten gültigen Verfassung des Kantons Basel von 1831, die von den Stadt- und Landbürgern angenommen worden war, die Kantonstrennung jedoch nicht hatte <?page no="107"?> 108 verhindern können. 1 Der Große Rat von Basel-Stadt bestand neu aus 119 Mitgliedern, fünfzehn davon bildeten den Kleinen Rat. Das restriktive Wahlsystem der Verfassung von 1814 wurde dabei beibehalten, ebenso stellten weiterhin vor allem Großräte das Appellationsgericht. Neu war es jedoch nicht mehr einer der Bürgermeister, welcher das Präsidium des Gerichts innehatte - dennoch kann nach wie vor nicht von einer echten Gewaltentrennung gesprochen werden. Vielmehr verharrten die Stadtbasler in althergebrachten Strukturen, die sie bis 1875 aufrechterhalten sollten. Dies schlug sich auch im Fortbestehen der Verwaltungsorganisation in Kommissionen und Kollegien sowie einer personellen Kontinuität nach 1833 nieder. Parallel zur kantonalen Regierung existierte nach wie vor die Stadtgemeinde mit Großem und Kleinem Stadtrat, wobei die Kompetenzbereiche von Stadt und Kanton weiterhin nicht komplett getrennt waren. 2 Strafvollzug und Justiz nach 1833 Im Bereich des Strafvollzugs sorgte insbesondere die Frage nach der Teilung der Insassen und Insassinnen in der Basler Zuchtanstalt für Spannungen. War zunächst vorgesehen, dass die Sträflinge der Landschaft in ein Gefängnis in Liestal verlegt werden sollten, zog dies teils Proteste nach sich: Am deutlichsten äußerte sich Kriminalgerichtspräsident Niklaus Bernoulli-Werthemann in einem Schreiben an den städtischen Kleinen Rat vom 8. Juli 1834: «[…] so war es nicht gemeint, als wir miteinander die Strafzeit der Verbrecher abwogen, dass sie einen Teil davon an einem andern Ort als in unserer Zuchtanstalt aushalten sollten. Und an welchem Orte? Zwar höre ich […] es sei für die Sträflinge in Liestal gerade so gesorgt, wie in Basel; allein zurückstoßender oder freier vorgetragen, wird der Trug in keinem Falle zur Wahrheit […]. Hier in der Stadt, wo man nur das glatte Fell dieser Leute zu sehen, nicht aber ihre Klauen zu fühlen bekommt, ist man gar nicht geneigt, zu vergessen, was es sei, in diese zu geraten und vor lauter Leidenschaftslosigkeit verliert das Ungereimteste seine Gereimtheit, dass nämlich die Sträflinge, welche 1 Zur Kantonstrennung, ihren Gründen und ihren Folgen vgl. D EGEN , Die Stadt und ihre Landschaft; Martin L EUENBERGER , 1830 bis 1833: Der neue Kanton, in: R EGIERUNGSRAT DES K ANTONS B ASEL -L ANDSCHAFT (Hg.), Nah dran, weit weg. Geschichte des Kantons Basel- Landschaft, 6 Bde., Liestal 2001, Bd. 5: Armut und Reichtum, 19. und 20. Jahrhundert, Liestal 2001, S. 171-183; O PITZ , Aufklärung, S. 176-183. 2 Bernard D EGEN ; Philipp S ARASIN , Verfassungsgeschichte und Staatstätigkeit seit der Kantonstrennung, in: Artikel «Basel(-Stadt)» (2015), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D7478.php [14.4.2015]; Martin S CHAFFNER , Geschichte des politischen Systems von 1833-1905, in: Lukas B URCKHARDT et al. (Hg.), Das politische System Basel- Stadt, Basel 1984, S. 37-53, hier: S. 38-44. Die Verfassung vom 3.10.1833 findet sich in Gesetzessammlung BS, Bd. 8, S. 49-62. <?page no="108"?> 109 rechtskräftigen Urtheilen unterlagen, sollen ausgeliefert werden an solche, welche der Strafe entsprungen sind.» 3 Neben der Feindseligkeit gegenüber den Bürgern von Basel-Land führt dieser Brief auch vor Augen, dass Bernoulli-Werthemann die Stadtbasler Zuchtanstalt positiv beurteilte. So erachtete er anscheinend eine angemessene Betreuung und Beaufsichtigung der Insassen und Insassinnen nur in der Stadt als möglich. Angesichts der Situation der Liestaler Anstalt vermag dies auch wenig zu erstaunen: Sie war erst 1832 gegründet worden, wobei weniger Wert auf gefängnisreformerische Grundsätze als auf finanzielle und praktische Überlegungen gelegt wurde. 4 Dabei erscheint es wahrscheinlich, dass auch die Frage des finanziellen Nutzens von Häftlingen für die Zuchtanstalt sowie die Hoffnung auf allfällige Vergütungen durch Basel-Land eine Rolle spielten. Wie bei so vielen Entscheiden im Umfeld der Basler Kantonstrennung war auch in dieser Frage letztlich ein Schiedsspruch der eidgenössischen Tagsatzung vonnöten. Ihr Schiedsgericht entschied im August 1834, dass sämtliche vor dem 15. März 1832 verurteilten Häftlinge in der städtischen Zuchtanstalt verbleiben sollten, wobei die Kosten jedoch geteilt werden sollten. Sämtliche nach diesem Stichtag Verurteilten sollten in demjenigen Halbkanton festgesetzt werden, in welchem sie ihre Straftat begangen hatten. Im Dezember 1834 waren es schließlich vier Sträflinge, welche nach Basel-Land überführt wurden. 5 1835 wurde zudem der erste Teil des Kriminalgesetzbuches von 1821 revidiert. Es war dies ein bereits länger anstehendes Projekt, welches der Kriminalgerichtspräsident Peter Burckhardt-Geylinger, ehemals Mitglied der Zuchtanstaltskommission der GGG, 1827 angestoßen hatte. Er kritisierte die Version von 1821 «besonders wegen allzu enger Beschränkung der richterlichen Befugniss bei Abmessung der Strafe[…]». 6 Wegen den Wirren der Kantonstrennung hatte sich das Projekt verzögert und wurde schließlich im Mai 1835 verabschiedet. Im Hinblick auf den Strafvollzug bestand die gewichtigste Änderung darin, dass zu einer Kettenstrafe Verurteilte nicht mehr zwingend öffentliche Arbeiten ausführen 3 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Bernoulli-Werthemann, Kriminalgerichtspräsident, an den KR BS, 8.7.1834, S. 2. Die Tirade gegen die Bewohner von Basel-Land wird auch darauf zurückzuführen sein, dass Bernoulli-Werthemann 1831 nach einem Versuch, die stadttreuen Gemeinden der Landschaft zu unterstützen, acht Tage lang in Liestal gefangen gehalten und mit dem Tod bedroht wurde. Vgl. René B ERNOULLI -S UTTER , Die Familie Bernoulli, Basel 1972, S. 118f. 4 Informationen über die frühe Liestaler Gefängnissituation sind dünn gesät, es scheint aber, dass die Baselbieter Behörden 1832 sehr kurzfristig ein behelfsmäßiges Gefängnis einrichteten, welches wohl kaum den Anforderungen der Gefängnisreformbewegung gerecht wurde. Erst 1878 errichteten sie schließlich die neue Strafanstalt Liestal, welche bis 1970 Bestand haben sollte. Vgl. H AFNER , Gefängnisreformen, S. 70; Gerhard M ANN , Das Gefängniswesen im Kanton Basel-Landschaft 1970 bis heute (mit kleinem Exkurs über die alte Strafanstalt Liestal), in: K OMMISSION FÜR DAS B ASELBIETER H EIMATBUCH (Hg.), Recht und Unrecht im Kanton Basel-Landschaft, Liestal 2005, S. 317-330, hier: S. 317-320. Zu den rechtlichen Institutionen im neuen Halbkanton vgl. Peter M EIER , Entwicklungen des Rechts und seiner Institutionen im Baselbiet, in: K OMMISSION FÜR DAS B ASELBIETER H EIMATBUCH (Hg.), Recht und Unrecht im Kanton Basel-Landschaft, Liestal 2005, S. 195-215, hier: S. 197-201. 5 B OREL , Strafanstalt, S. 5f. 6 Protokolle GR BS, 5.2.1827, S. 2. <?page no="109"?> 110 mussten. Mit diesem Schritt läuteten die Basler die sukzessive Abschaffung der Schellenhausstrafe ein. 7 Weiter wurde die Möglichkeit eines Mehrverdiensts für Zuchthaussträflinge neu gesetzlich verankert. 8 Die restlichen Strafarten, inklusive der Todesstrafe und Körperstrafen wie Brandmarkung und Staupbesen, blieben unverändert. 9 Weiterhin büßten Verurteilte außerdem sämtliche öffentlichen Ämter, das aktive und passive Wahlrecht sowie die Fähigkeit zur Vormundschaft und zum Militärdienst ein. Während der Haftdauer blieb es ihnen verboten, Verträge abzuschließen oder ein Testament zu verfassen. 10 Im Hinblick auf die Zumessung der Strafdauer oder -art erhielten einerseits die Richter einen etwas größeren Ermessensspielraum. Andererseits spezifizierten der Große und der Kleine Rat Basels auch die Milderungs- und Verschärfungsgründe eines Urteils. Neu wurde explizit ein «untadelhafter» oder aber «übelberüchtigter Lebenswandel» vor der Tat als Milderungsbzw. Verschärfungsgrund angeführt. In dieselbe Kerbe hieben die Basler Gesetzgeber mit der detaillierten Festschreibung verschiedener Formen eines Rückfalls und deren Folgen für die Erhöhung des Urteils. 11 Damit erhielt das Kriminalgesetzbuch eine sozial-moralische Komponente, wie sie Philanthropen gefordert hatten. So verlangte beispielsweise Johann Caspar Zellweger 1840 in den Verhandlungen der SGG eine Strafrechtsgesetzgebung, die vermehrt auf die «innere Verdorbenheit» der Straftäter und -täterinnen fokussiere. 12 Die Strafanstaltskommission Die Neukonstituierung der Kantonsregierung brachte auch eine Neubildung der Kommissionen und Kollegien des Kleinen Rates mit sich. Diese fand bereits nach Annahme der Verfassung von 1831, im Frühling 1832, statt. 13 Der Zuchtanstaltsinspektion brachte diese Reorganisation kaum inhaltliche Veränderungen, aber eine Namensänderung: Neu war sie unter dem Namen «Strafanstaltskommission» (STK) bekannt. Die Namensänderung der Kommission spiegelt eine sukzessive Verschiebung in der Bezeichnung der Basler Zuchtanstalt wider, welche nach 1830 vermehrt Strafanstalt genannt wurde. Diese veränderte Begrifflichkeit lässt sich auch bei internationalen Experten der Gefängnisreformbewegung beo- 7 Criminalgesetzbuch für den Kanton Basel-Stadttheil, 18.5.1835, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 8, S. 426-503, § 19, S. 434f. 8 Ebenda, § 21, S. 435f. 9 Ebenda, § 17-28, S. 434-437. 10 Ebenda § 32, S. 439. 11 Ebenda § 33-41, S. 440-446 (Zitate § 36, S. 443 und § 37, S. 444). 12 Zit. nach G ERMANN , Humanität, S. 217. Zum Positionsbezug der SGG bezüglich der Strafrechtsgesetzgebung vgl. G ERMANN , Humanität, insbes. S. 216-222; G RUBENMANN , Nächstenliebe und Sozialpädagogik, S. 145-173; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 362- 364. Zum einflussreichen Philanthropen Zellweger vgl. Thomas F UCHS , Artikel «Zellweger, Johann Caspar» (2014), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D15100.php [23.6.2016]. 13 Protokolle GR BS, 6.2.1832, S. 202-227. <?page no="110"?> 111 bachten, die seit den 1820er Jahren vermehrt von Strafanstelle von Zuchtanstalten oder -häusern schrieben. 14 Die Aufgabe der STK bestand weiterhin in der Oberaufsicht über die verschiedenen Gefängnisse der Stadt und deren Verwaltung sowie über die Beschäftigung der Sträflinge und die Disziplin innerhalb der Anstalt. 15 Sie setzte sich aus einem Mitglied des Kleinen Rates und sechs Bürgern zusammen, wobei das Ratsreglement vorsah, Kollegien und Kommissionen mit Experten der jeweiligen Bereiche zu besetzen. 16 Der Kleine Rat griff bei der Neubesetzung der STK auf die naheliegendste Lösung zurück: Vier Mitglieder der Zuchtanstaltskommission der GGG wechselten in die Inspektion. Mit den zwei Appellationsräten Daniel Bernoulli und Peter Bischoff-Buxtorf, Isaac Iselin-Burckhardt und Heinrich Siber-Bischoff wechselten vier Mitglieder in die staatliche Behörde, die seit mindestens zehn Jahren der Kommission der GGG angehört hatten. 17 Daniel Bernoulli war seit ihrer Gründung Vorsteher der Kommission und behielt dieses Amt auch nach seiner Berufung in die STK bei. Die restlichen neuen Mitglieder der STK verließen dagegen die Zuchtanstaltskommission der GGG. 18 Auch der neue Vorsitzende der STK, Kleinrat und Kriminalrichter Peter Burckhardt-Im Hof war ein Veteran der Zuchtanstaltskommission der GGG. 19 Damit fand ein Schulterschluss zwischen staatlichem und privatem Engagement in der Basler Straffälligenhilfe statt, der bereits im Juni 1832 Folgen zeitigte: «Da sich die Mehrverdiensteinrichtung als nützlich und zweckmäßig erwiesen hat, sowohl als Aufmunterungsmittel zum Fleiße, als als Strafanwendung durch die Entziehung der Vergütung, für die Trägen und Störrischen, da die Erfahrung zeigt, dass der Arbeitsertrag für die Anstalt durch diese Einrichtung gesteigert wurde, so erachten wir dass dieselbe fortbestehen sollte. […] Die Besorgung sollte indes nicht mehr wie bisher durch den von der gemeinnützigen Gesellschaft ausgehenden Verein, sondern zum größeren Teil wenigstens durch Mitglieder der Inspektion geschehen.» 20 Nach über zehn Jahren positiver Erfahrungen entschied sich die STK also, die Verwaltung des Mehrverdienstsystems in ihre eigenen Hände zu nehmen. Damit entzog sie nicht nur der Zuchtanstaltskommission der GGG ihre hauptsächliche Tätigkeit, sondern sie signalisierte ein unmittelbareres Engagement ihrerseits 14 N UTZ , Besserungsmaschine, S. 49-69. 15 Reglement für den Kleinen Rath, für dessen Kollegien, Kommissionen und Kammern und für die Kanzlei, 6.12.1833, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 8, S. 82-117, hier § 80, S. 115. 16 So wurde beispielsweise beim Sanitätskollegium festgelegt, dass mindestens zwei der fünf darin engagierten Bürger Ärzte sein sollten: Reglement für den Kleinen Rath 1833, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 8, S. 82-117, hier: § 74, S. 112. 17 JB GGG 56 (1832), S. 8-10. Die Berufe von Iselin-Burckhardt und Siber-Bischoff sind nicht zu eruieren. 18 JB GGG 56 (1832), S. 42; 65. 19 JB GGG 45 (1821), S. 47. 20 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 5.6.1832, S. 258. <?page no="111"?> 112 innerhalb der Anstalt. Neu waren es Mitglieder der STK, welche die Abrechnungen des Mehrverdiensts, aber auch dessen Austeilung sowie die Befragung der Häftlinge über die gewünschte Verwendung ihres Verdiensts übernahmen. 21 Dieser direkte Kontakt von Mitgliedern der STK mit Insassen und Insassinnen der Anstalt war zumindest in seiner Regelmäßigkeit ein Novum. In der Sache änderte sich dabei aber wenig, übernahmen doch mit Daniel Bernoulli und Heinrich Siber-Bischoff zwei der ehemaligen Mitglieder der Zuchtanstaltskommission die Austeilung und Befragung der Häftlinge. 22 Die STK verfasste zudem ein neues Mehrverdienstreglement, welches sie am 19. Februar 1833 verabschiedete. Die bedeutendste Änderung war eine schärfere Regulierung der Austeilung von Genussmitteln: Nachdem Wein und Schnaps bereits 1827 verboten worden waren, wurde Bier nun auf ein Maß pro Woche beschränkt. Tabak war nur noch mit besonderer Bewilligung der STK erhältlich und dies auch nur «unter Verantwortlichkeit aller Stubengenossen für allfälligen Missbrauch». 23 Grund dafür war wohl ein Vorfall aus dem Jahr 1822, als einige Gefangene beim Tabakrauchen Feuer in ihrer Zelle entfacht hatten - ob absichtlich oder nicht, ist nicht klar. 24 Noch stärker als im Reglement von 1827 betonte die STK zudem, dass der Mehrverdienst keinen Rechtsanspruch darstelle und hielt gar fest, dass «solche übergangen werden können, welche den Mehrverdienst als ein Recht ansprechen oder sich sonst ungebührlich betragen.» 25 Gleichzeitig brachte das neue Reglement den Sträflingen aber auch die Möglichkeit, sich Prämien zu verdienen: «Die Inspection wird sich a)Halbjährlich einen Vorschlag zu einer besondern Vergütung oder Prämie eingeben lassen, für solche Crim[inell] beurtheilte Sträflinge, die sich ohne Rücksicht auf Verdienst durch eine exemplarisch gute Aufführung ausgezeichnet haben u. die ihnen ins Disponible oder in Sparhafen gutgeschrieben wird. Ebenso wird sie sich b)Vierteljährlich einen Vorschlag zu Ertheilung von Prämien an solche corr[ektionell] Beurteilte eingeben lassen, die sich durch besondern Fleiß und gute Aufführung ausgezeichnet haben, und die ihnen bei ihrem Austritt zugestellt werden soll.» 26 Erneut fand also eine Verstärkung der disziplinierenden Funktion des Mehrverdienstsystems statt, die jedoch neu zweigleisig verlief und auch mit Anreizen für korrektes Verhalten arbeitete. Die Ausdehnung der Prämienregelung auf 21 JB GGG 56 (1832), S. 8-10; Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 5.6.1832, S. 259f. 22 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 5.6.1832, S. 259. 23 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 15.1.1833, S. 307; 19.2.1833, S. 314; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Reglement über die Einrichtung des Mehrverdiensts und der Verwendung desselben, behandelt in den Sitzungen vom 15.1. und 19.2.1833, § 16, S. 2f. (Zitat). 24 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1821-1826, 26.3.1822, S. 97. 25 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Mehrverdienstreglement 1833, § 15, S. 2. 26 Ebenda, § 14, S. 2. <?page no="112"?> 113 korrektionell Verurteilte, die nach wie vor nicht am eigentlichen Mehrverdienstsystem teilnehmen konnten, zeigt zudem, dass sich die STK von diesem Instrument eine erhebliche Wirksamkeit für die Aufrechterhaltung der Anstaltsdisziplin erhoffte. Damit unterstreicht dieser Schritt die hohe Bedeutung, welche dem Mehrverdienstsystem als Disziplinarinstrument zukam. Für die Auswahl der Prämienberechtigten war mit Peter Bischoff-Buxtorf ein ehemaliges Mitglied der Zuchtanstaltskommission verantwortlich - auch hier setzte die STK also auf die Erfahrung der Philanthropen. 27 Finanziert wurden die Prämien einerseits durch die Reservekasse des Mehrverdiensts, d. h. den einbehaltenen Verdienst anderer Sträflinge, und andererseits durch die Zuchtanstaltskommission der GGG. 28 Umstrukturierung der Zuchtanstaltskommission Die Kommission der GGG begrüßte das verstärkte Engagement der Inspektion bzw. der STK. Sie hatte bereits im Vorfeld der behördlichen Reorganisation ihrer Hoffnung auf eine Umgestaltung der Zuchtanstalt und ihrer Leitung im Zuge der allgemeinen Veränderungen Ausdruck gegeben, wobei sie insbesondere auch «zweckmäßige Verbesserungen» des Mehrverdienstsystems gewünscht hatte. 29 Mit der Übernahme der Mehrverdienstverwaltung erfüllte die STK der Kommission der GGG ihren Wunsch, beraubte sie aber gleichzeitig ihrer hauptsächlichen Tätigkeit. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die STK auf die Dienste der Philanthropen verzichten wollte, wie sie aus Anlass der Übernahme des Mehrverdienstreglements festhielt: «Da inzwischen die fortgesetzte Verbindung mit der gemeinnützigen Gesellschaft ferner im Interesse unserer Anstalt erscheint, sowohl wegen der von ihr zu mehreren Zwecken geleisteten Geldbeiträge als weil ihre Beratung und Unterstützung bei künftigen Anlässen noch von Nutzen seyn dürfte, und es zugleich auch wünschbar ist, dass den Mitgliedern der Inspektion für ihre regelmäßigen Besuche in der Anstalt sowie für die Führung der Mehrverdiensteinrichtung einige Supleanten zugegeben werden möchten, so glauben wir, dass zu obigem 27 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 5.6.1832, S. 260. 28 JB GGG 57 (1833), S. 65; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Mehrverdienstreglement 1833, § 23f., S. 3f. 29 JB GGG 55 (1831), S. 25f. (Zitat S. 26). <?page no="113"?> 114 Zwecke die gemeinnützige Gesellschaft um einen Ausschuss von einigen wenigen Mitgliedern angegangen werden sollte.» 30 Die GGG bzw. ihre Zuchtanstaltskommission kam diesem Wunsch gerne nach. Die bestehende «Kommission zu Mitwirkung an der Zucht- und Arbeitsanstalt» löste sich im Oktober 1832 auf, um sich Anfang 1833 unter demselben Namen neu zu konstituieren. 31 Neu zählte sie nur noch fünf Mitglieder. Ihre Aufgabe verortete die Kommission fortan primär in den Visitationen der Anstalt. Wöchentlich besuchten mehrere Kommissionsmitglieder, teils gemeinsam mit Mitgliedern der STK, die Anstalt. Dabei ging es nicht nur darum, sich von der Disziplin der Insassen und Insassinnen zu überzeugen, sondern auch darum, deren Gesundheitszustand, die Qualität der Nahrung sowie das Verhalten der Aufseher zu überwachen. 32 Ziel war es, eine «möglichst ununterbrochene Aufsicht» in der Zuchtanstalt zu etablieren, was der STK und ihren Beamten nach Ansicht der Kommission der GGG bis dahin nicht gelungen war. 33 So hatte die Kommission denn auch bereits 1829 mit Visitationen in der Anstalt begonnen, indem einmal wöchentlich je ein Mitglied von Kommission und Inspektion die Zuchtanstalt besucht hatten. 34 Anstaltsvisitationen waren unter den Gefängnisreformvereinen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine weitverbreitete Tätigkeit. Insbesondere in England und in den USA waren gegen Ende des 18. Jahrhunderts Vereine entstanden, die hauptsächlich eine Aufsichtsfunktion gegenüber den Gefängnisverwaltungen wahrnahmen: Sie überwachten die Zustände innerhalb der Anstalten, versuchten Missstände aufzudecken und prüften die Umsetzung von Reformen zur Erreichung der Besserung der Verurteilten. So übernahmen sie nicht nur eine Kontrollfunktion gegenüber den einzelnen Anstalten, sondern in einem weiteren Sinn auch im Hinblick auf die Art und Weise der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols. So knüpften die Gefängnisvereine an die Strafrechtskritik der Aufklärung an, welche eine transparente und überprüfbare Justiz gefordert hatte. Vorbild war dabei die 1787 gegründete «Philadelphia Society for Alleviating the Miseries of Public Prisons», mit der die Geschichte der Gefängnisreformvereine ihren Anfang genommen hatte. Auch John Howard und Elizabeth Fry hatten die regelmäßigen Besuche und die Dokumentation der herrschenden Zustände in den Gefängnissen als zentral angesehen. Entsprechend waren Anstaltsvisitationen auch 30 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 5.6.1832, S. 259. Ähnlich auch StABS PA 146a Archiv der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und des Gemeinnützigen in Basel (1771- 1977), U 4.1 Allgemeines und Einzelnes 1832-1953, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an die GGG, 9.6.1832: «[…] um uns in den Geschäften der Mehrverdienstseinrichtung, in Fällen von […] Krankheit oder überhäuften Geschäften, als auch in Besuchung der Anstalt […] zu unterstützen, namentlich aber um die Aufsicht und Leitung des Schulunterrichts in der Anstalt zu übernehmen, wovon Sie bis dahin den grössten Theil der Kosten gütigst beitrugen und ferner beizutragen ersucht werden, sowie wir in vorkommenden wichtigen Fällen gerne auch Ihren Rath und Ansichten einzuhohlen hoffen.» 31 JB GGG 56 (1832), S. 65-67; JB GGG 57 (1833), S. 61. 32 JB GGG 57 (1833), S. 61f. 33 JB GGG 58 (1834), S. 33. 34 JB GGG 53 (1829), S. 80. <?page no="114"?> 115 für die deutschen und französischen Gefängnisvereine fester Bestandteil ihrer Tätigkeit. 35 Auch die beiden bereits existierenden Schweizer Gefängnisvereine, in Lausanne und in Genf, führten regelmäßig solche Besuche durch. 36 Es ist also umso erstaunlicher, dass die Basler Zuchtanstaltskommission erst acht Jahre nach ihrer Gründung damit begann. Grund dafür ist wohl die Tatsache, dass die Philanthropen dank der engen Zusammenarbeit mit der Anstaltsleitung zunächst keine Notwendigkeit dafür sahen. Durch die Organisation und Leitung des Mehrverdienstreglements und die Beaufsichtigung des Schulunterrichts waren zudem genügend Möglichkeiten vorhanden, den Anstaltsalltag auch ohne regelmäßige Visitationen zu überwachen. Schließlich dürfte auch das Fehlen einer klaren Dichotomie zwischen staatlichen und privaten Akteuren sowie Aufgaben eine Rolle gespielt haben. Dies würde auch erklären, weshalb die Zuchtanstaltskommission erst 1829 mit Visitationen begann: Im Zuge der beginnenden Übernahme von Praktiken der Kommission durch die Behörden sahen sich die Kommissionsmitglieder gezwungen, ihre Position in der Anstalt neu zu definieren und damit zu festigen. Dass die STK selbst eine Fortsetzung der Visitationen wünschte, entsprang wohl hauptsächlich dem Wunsch, vorhandenes Erfahrungswissen beizubehalten. Daneben ist aber auch ein gewisses Bedürfnis nach Absicherung denkbar - durch die Institutionalisierung der Besuche signalisierte die STK ihre Bereitschaft, Transparenz walten zu lassen und sich externer Kontrolle zu unterziehen. Auch im Bereich der Finanzierung des Schulunterrichts entsprach die Kommission den Wünschen der STK. Sie zeigte sich ohne Weiteres bereit, ihren bisherigen Beitrag von 102 alten Franken jährlich an den Schulunterricht zu leisten. 37 Zusätzlich beteiligte sie sich an den Kosten für die Austeilung des Mehrverdiensts sowie an den Prämien für Sträflinge, welche durch besonders gute Führung auffielen. Die Kosten dafür trug die Gemeinnützige Gesellschaft, die ihrer Kommission dafür einen jährlichen Kredit von 150 alten Franken garantierte. 38 Trotz der im Vergleich mit der Tätigkeit anderer Kommissionen der GGG geringen Sichtbarkeit der Arbeit der Zuchtanstaltskommission, stellte die GGG deren Finanzierung übrigens nicht in Frage. 1834 unterzog sie, konfrontiert mit einer negativen Jahresbilanz, sämtliche Ausgaben und Tätigkeiten ihrer einzelnen Kommissionen einer genaueren Betrachtung. Dabei vermerkte sie zur Zuchtanstaltskommission lapidar, dass der Betrag von 150 alten Franken «dem Gange dieser Anstalten, wie er in den folgenden Jahren zu erwarten steht, angemessen» scheine. 39 Vor dem Hintergrund der Gesamteinnahmen der GGG im Jahr 1834 35 D UPRAT , Punir et guèrir; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 68-75; N UTZ , Besserungsmaschine, S. 53-59; S CHAUZ , Strafen, S. 59-71. 36 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 101-189; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 347-366; R OTH , Pratiques pénitentiaires, S. 209-221. 37 JB GGG 57 (1833), S. 63-65. 38 JB GGG 57 (1833), S. 65; JB GGG 58 (1834), S. 33; JB GGG 59 (1835), S. 24. 39 JB GGG 60 (1834), S. 56. <?page no="115"?> 116 von 12’286 alten Franken und einem Gesamtvermögen von ca. 12’800 alten Franken erscheint der Betrag denn auch vernachlässigbar. 40 So passte sich die Zuchtanstaltskommission rasch der veränderten Organisation der Basler Zuchtanstalt an. Mit Visitationen und finanzieller Unterstützung füllte sie bestehende Lücken im System und machte damit erneut deutlich, wie eng ihre Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden war. Dies bedeutet aber keineswegs, dass die Kommission sich einzig als Hilfsgesellschaft verstand, die der STK bei Bedarf zuarbeitete. Nachdem sowohl von ihr eingeführte Praktiken als auch vier ihrer Mitglieder von der STK übernommen worden waren, sah sie sich im Gegenteil darin bestätigt, dass ihre Änderungsvorschläge auf fruchtbaren Boden fallen würden - dies umso mehr, als eine deutliche Trennung zwischen STK und Zuchtanstaltskommission weniger denn je möglich war; nicht nur aufgrund der engen personellen Verflechtung, für welche Daniel Bernoulli als Mitglied der STK und Vorsteher der Zuchtanstaltskommission symptomatisch steht. Vielmehr teilten sich staatliche und philanthropische Akteure neu auch die konkrete Tätigkeit in der Anstalt, wobei sie sich jedoch bemühten, die herrschende Hierarchie wie auch die Amtswege zu wahren: Nach der Neukonstituierung der Zuchtanstaltskommission bat Daniel Bernoulli in einem Brief die STK um Erlaubnis für eine Weiterführung der Visitationen in der Anstalt. 41 Im Wissen um seine Doppelrolle und um die weitere Verflechtung der beiden Kommissionen erscheint dies doch einigermaßen formalistisch. 4.2 Die Zuchtanstaltskommission wird Opfer ihres eigenen Erfolgs Nach der erneuten Verfassungsänderung im Oktober 1833 wurde die Strafanstaltskommission, wie die anderen Kommissionen und Kollegien, am 13. Dezember 1833 formal neu konstituiert. Für die STK änderte sich dabei nichts, sowohl ihre personelle Zusammensetzung als auch ihr Aufgabengebiet blieben sich gleich. 42 Eine Woche später erhielten sämtliche Ratskommissionen den Auftrag, sich mit der Frage nach Verbesserungen innerhalb ihrer Verwaltung, insbesondere im Hinblick auf die Beamten, auseinanderzusetzen. Dies war vor allem eine Reaktion auf die teils deutlich kleineren Aufgabengebiete infolge der Kantonstrennung. 43 40 JB GGG 60 (1834), S. 48-52. Zu den Finanzen der GGG vgl. J ANNER , GGG 1777-1914, S. 169-211. 41 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Bernoulli, Vorsteher Zuchtanstaltskommission, an die STK, 9.3.1833. 42 Protokolle KR BS, 13.12.1833, S. 543f.; Reglement für den Kleinen Rath 1833, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 8, S. 82-117, hier: § 80, S. 115. 43 Protokolle KR BS, 21.12.1833, S. 555 . <?page no="116"?> 117 Revision der Aufsicht in der Anstalt Die STK nutzte jedoch die Gelegenheit, sich Gedanken über grundsätzliche Revisionen in der Verwaltung der Zuchtanstalt zu machen. Bereits im März 1834 präsentierte sie dem Kleinen Rat einen ersten Vorschlag, welcher eine grundlegende Änderung in der Organisation der Zuchtanstalt verlangte: «[Wir glauben] dass es zum Nutzen und Frommen der Anstalt, besonders aber zum moralischen Vorteil der Züchtlinge gereichen würde, wenn die hauptsächlichste und wichtigste Beaufsichtigung nicht einem untergeordneten Aufseher, sondern einem Manne anvertraut würde, der durch erhaltene Bildung im Stande wäre, eine planmäßige und das Wohl jedes Einzelnen fördernde Oberleitung und humane Aufsicht zu führen. […] Nach unserer durch die Erfahrung begründeten Überzeugung ist es nicht hinlänglich, das sich die Beaufsichtigung in der Regel bloß auf das äußerliche Betragen der Sträflinge erstrecke; man sollte in allen Anordnungen die Leitung eines gebildeten Mannes erblicken können.» 44 Konkret forderte die STK also die Anstellung eines Direktors, dem die gesamte Verwaltung der Zuchtanstalt obliegen würde. Auffallend ist dabei die Betonung der Bildung, welche ein solcher Direktor mitbringen sollte. Damit reagierte die STK augenscheinlich auf die Erfahrungen der 1810er und -20er Jahre, in welchen die Oberaufseher der Anstalt sich oft als wenig verlässlich erwiesen hatten. Sie versuchte dem mit der Einstellung eines sozial höher gestellten Direktors entgegenzuwirken, wobei die Bildung als Distinktionsmerkmal fungieren sollte. Dafür spricht auch, dass die STK für den Neubau einer Direktorenwohnung in der Anstalt 5’000 alte Franken veranschlagte - offenkundig genügten die bereits existierenden Wohnungen in der Anstalt nicht, um dem gewünschten Direktor eine standesgemäße Unterbringung zu ermöglichen. 45 Weiter fällt ins Auge, dass der Direktor auch einen «moralischen Vorteil» für die Sträflinge bringen und nicht nur deren «äußerliches Betragen» überwachen sollte. Daran lassen sich auch wieder die Erfahrungen mit den Aufsehern Burckhardt, Buser und anderen ablesen, insbesondere aber auch der Einfluss der ehemaligen Mitglieder der Zuchtanstaltskommission in der STK. Bereits mit ihrem ersten Änderungsvorschlag machte die STK deutlich, dass sie die Zuchtanstalt stärker als zuvor auf eine moralische Besserung ihrer Insassen und Insassinnen ausrichten wollte. Mit dem Vorschlag, eine Direktorenstelle zu schaffen, berief sich die STK auf Beispiele aus anderen Kantonen - ohne diese explizit zu nennen -, welche damit positive Erfahrungen gemacht hätten. Es ist davon auszugehen, dass sie damit insbesondere das Genfer Modell meinte, galt doch das 1825 eröffnete Genfer 44 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 4.3.1834, S. 1f., Hervorhebung im Original. 45 Ebenda, S. 3. <?page no="117"?> 118 Zuchthaus als eigentliches Modellgefängnis und als Vorbild. Die Anstalt beschäftigte seit ihrer Gründung einen Direktor, der gemeinsam mit einer Kommission aus Regierungsmitgliedern die Geschicke der Anstalt leitete. Er wurde rasch zur zentralen Figur innerhalb des Genfer Strafvollzuges und schuf sich eine Machtfülle und einen Einflussbereich, die zunächst nicht zwingend vorgesehen gewesen waren. Dies hing untrennbar mit der Person Christophe Aubanels zusammen, der zwischen 1825 und 1842 als Direktor fungierte. Als ehemaliger Polizeikommissar und oberster Wärter des alten Gefängnisses verfügte er über einen großen Erfahrungsschatz, den er nicht nur im Rahmen seines beruflichen Engagements weitergeben wollte. So verfasste er 1838 eine Abhandlung über den Zustand des Pönitentiarsystems in Genf und anderswo. 46 Aubanel war zudem Mitglied im comité de patronage des détenus libérés, dem privat getragenen Komitee für Entlassenenfürsorge. Mit diesem vielfältigen Portfolio war Aubanel der eigentliche Prototyp der Gefängnisdirektoren des 19. Jahrhunderts: Ein Experte des Strafvollzugs, der sich zur zentralen Schaltstelle der Belange seiner Anstalt aufschwang - seien diese privat, staatlich oder kirchlich getragen. Das Genfer comité bezeichnete ihn 1846 rückblickend schlicht als «l’homme essentiel». 47 Basel nahm sich nun dieses System zum Vorbild und schuf eine vergleichbare Position. Nachdem der Kleine Rat grundsätzlich positiv auf den Vorschlag der STK reagiert hatte, legte diese im Februar 1835 einen detaillierten Gesetzesvorschlag vor. 48 Diesen übernahm der Kleine Rat beinahe wortwörtlich und empfahl ihn Anfang April 1835 dem Großen Rat zur Annahme. 49 Am 20. Mai schließlich verabschiedete der Große Rat das neue Gesetz. 50 Das Gehalt des neuen Strafanstaltsdirektors wurde dabei auf 1’600 alte Franken festgelegt, was um 1835 dem Gehalt eines Basler Universitätsprofessors entsprach. 51 Zum Vergleich: Aubanel verdiente um 1825 ca. 3’600 alte Franken, also deutlich mehr. 52 Bis zur Fertigstellung der projektierten Direktorenwohnung waren im Basler Lohn noch 400 alte Franken für die Miete einer nahe der Anstalt gelegenen Wohnung inbegriffen, dennoch war der Betrag im oberen Lohnsegment anzusiedeln, was der Kleine Rat wie folgt kommentiert hatte: 46 Christophe A UBANEL , Mémoire sur le système pénitentiaire, Genf 1837. 47 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 52-55; R OTH , Pratiques pénitentiaires, S. 181-191, 206-221 (Zitat S. 188). Die Strafanstalt von Lausanne wurde dagegen ebenfalls von einer Kommission geleitet. Vgl. A NSELMIER , Prisons vaudoises, S. 141-151. 48 Protokolle KR BS, 25.10.1834, S. 501; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 17.2.1835. 49 Protokolle GR BS, 6.4.1835, S. 53-59. 50 Gesetz betreffend die Organisation der Beamtungen der Strafanstalt, 20.5.1835, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 8, S. 511-517. 51 Der Wert entstammt der Liste «Beispiele Einzelwerte» auf Swistoval, online unter: http: / / swistoval.hist-web.unibe.ch/ content/ beispiele-einzelwerte.de.html#professor [27.4.2015]. 52 Dabei gilt es zu bedenken, dass der Kanton Genf bis 1839 über eine eigene Währung (12 Sol = 1 Florin) verfügte und sich die Vergleichbarkeit daher schwierig gestaltet. Aubanel verdiente 6’000 Florin jährlich, was 3’600 alten Franken entspricht. Die Umrechnung basiert auf P FISTER ; S TUDER , Swistoval [14.1.2019]. Vgl. C ORAGGIONI , Münzgeschichte, S. 141-148; W EISSKOPF , Münzwesen, S. 51-65. <?page no="118"?> 119 «Sollte aber auch die ganze Besoldung von zusammen Frn. 1’600.als zu hoch angesehen werden wollen, so müssten wir dieser Ansicht widersprechen, indem bey den mannigfachen Obliegenheiten, welche dem Director zukommen, und welche ihn sehr an die immerwährende Anwesenheit im Hause binden, eine Besoldung von 100 Louis d’ors nicht zu hoch genannt werden darf, besonders wenn dann noch in Erwägung gezogen wird, dass nicht nur Treue und Gewissenhaftigkeit, sondern auch ein gewisser Grad von Bildung verlangt wird, wodurch sowohl eine humane und konsequente Behandlung der Sträflinge erwartet werden darf, als auch dem Direktor Fähigkeit gegeben ist, als Secretär und Cassaführer zu funktionieren.» 53 Damit folgte der Kleine Rat den Vorschlägen der STK und betonte ebenfalls die zentrale Funktion des Direktors in der Betreuung der Sträflinge sowie die Notwendigkeit einer höheren Bildung für diesen Posten. Zu diesen Anforderungen hinzu kam die Forderung nach einer Kaution von 4’000 alten Franken für die Kassenführung, was die gewünschte soziale Stellung des anzustellenden Direktors weiter spezifizierte. 54 Der Direktor erhielt weitreichende Befugnisse innerhalb der Anstalt: Die im Juni 1835 verabschiedete Amtsordnung machte ihn zum Hauptverantwortlichen des Anstaltsalltags, inklusive der Aufsicht über die Arbeitstätigkeit der Sträflinge und über das restliche Anstaltspersonal. So erhielt der Direktor das Recht, die Aufseher der Anstalt bei Fehlverhalten «sogleich ein Jahr einsperren zu lassen […].» Er selbst unterstand einzig der STK. 55 Zum ersten Direktor wählte die STK im Herbst 1835 Leonhard Hess. 56 Hess war Großhändler, so dass die finanziellen Anforderungen kein Problem dargestellt haben dürften. Er besaß zwar das prestigeträchtige Haus zum Hasen neben dem Basler Rathaus, scheint aber um 1835 nicht Basler Bürger gewesen zu sein. 57 Er war jedoch ein alter Bekannter in der STK: Zwischen 1821 und 1835 hatte er - mit einigen Unterbrüchen - 12 Jahre lang als ihr Aktuar fungiert. Bei dieser Stelle handelte es sich keineswegs um ein reines Sekretariat. Vielmehr war der Aktuar seit der Zusammenlegung seiner Stelle mit derjenigen des Arbeitsaufsehers 1822 eine Art Direktor avant la lettre. Er war u. a. für die Finanzen der Anstalt verantwortlich - wofür bereits eine Kaution nötig war - und hatte die Aufsicht über die Aufseher in der Anstalt inne. 58 Einziger Gegenkandidat Hess’ war mit Daniel 53 Protokolle GR BS, 6.4.1835, S. 54f. 54 Gesetz Beamtungen Strafanstalt 1835, § 5, S. 512; Protokolle GR BS, 6.4.1835, S. 55. 55 StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.2, Die Geschichte der Strafanstalt Basel-Stadt, Teil 2 (1946), 1. Amtsordnung der Direktoren der Basler Strafanstalt (1835) (Zitat § 2, S. 1). 56 StABS AHA Protokolle, E 16.4 4. Zucht- und Arbeitsanstalt, Strafanstalten (1833-1841) (Protokolle STK 1833-1841), 13.7.1835, S. 42. 57 Es gab zwar eine in Basel verbürgerte Familie Hess, diese existierte jedoch um 1835 nicht mehr. Vgl. Heinrich M. W EISS , Neuestes Baseler Bürgerbuch, enthaltend die seit ältesten Zeiten bis zum Jahre 1836 ausgestorbenen und noch vorhandenen Bürger-Geschlechter in Basel, Basel 1836, S. 56. Entsprechend sind Nachweise zu Leonhard Hess schwierig zu finden. Eine Erwähnung findet sich in Eugen A. M EIER , Aus dem alten Basel. Ein Bildband mit Geschichten aus der Anekdotensammlung von Johann Jakob Uebelin, Basel 1970, S. 43. 58 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1821-1826, 25.6.1822, S. 107-111. <?page no="119"?> 120 Meyer-Hoffmann denn auch ein weiterer ehemaliger Aktuar der STK. Er hatte das Amt während einer kurzen Phase zwischen Juni 1829 und April 1830 versehen, in welcher Hess aufgrund von Betrugsvorwürfen selber in der Strafanstalt eingesessen hatte. Die Vorwürfe hatten sich aber rasch als haltlos erwiesen und scheinen 1835 auch keine Rolle mehr gespielt zu haben - Hess wurde einstimmig gewählt. 59 In der Schaffung einer Direktorenstelle und ihrer Besetzung werden die Lernprozesse der vorangegangenen Jahre offenkundig. Dagegen änderte sich in Bezug auf den Oberaufseher, welcher neu Hausmeister genannt wurde, und seine Ehefrau wenig: Weiterhin wurde ein Ehepaar mit einwandfreiem Leumund gesucht, das in der Zuchtanstalt wohnen und die Aufsicht über Verhalten und Ernährung der Sträflinge sowie die hygienischen Zustände in der Anstalt innehaben sollte. Neu war jedoch die Frau nicht mehr nur für Küche und Wäsche zuständig, sondern fungierte als Aufseherin der weiblichen Sträflinge. 60 Damit setzte der Kleine Rat endlich den bereits 1817 von der Zuchtanstaltsinspektion festgehaltenen Grundsatz um, dass weibliche Inhaftierte auch von Frauen beaufsichtigt und betreut werden sollten. 61 Damit ging aber keine eigentliche Änderung des Status der Frau des Hausmeisters einher, d. h. sie wurde nicht als Aufseherin oder Wärterin betitelt. So hielt die STK 1838 fest, «dass das Beamtenpersonal nur durch den Tod der Frau des Hausmeisters, welche als einzige weibliche Hülfe gewissermaßen dazu gehörte, eine Veränderung erlitten» habe. 62 Der Lohn für das Hausmeisterpaar wurde im Vergleich zu vorher beinahe halbiert und betrug neu 800 alte Franken jährlich und freie Wohnung in der Anstalt. 63 Bereits diesen Betrag hatte der Kleine Rat ursprünglich als zu hoch taxiert und ihn erst auf Insistieren der STK akzeptiert. 64 Augenscheinlich beschränkte sich der Wille des Kleinen Rates, Männer aus sozial höheren Schichten für die Arbeit in der Zuchtanstalt zu gewinnen, auf die Stelle des Strafanstaltsdirektors. Weitere Regelungen des neuen Gesetzes betrafen die Profosen, neu Unteraufseher, derer zwischen drei und fünf, gegenüber vorher drei, angestellt wurden. Da infolge der Kantonsteilung mit weniger Häftlingen gerechnet wurde, stellte dies in den Augen der STK und des Kleinen Rats eine Vermehrung des Aufsichtspersonals dar. 65 Der Hausarzt wurde wie zuvor zu wöchentlichen Besuchen in der Anstalt verpflichtet; die Position erhielt aber insofern eine Aufwertung, als der 59 Protokolle STK 1833-1841, 13.7.1835, S. 42. Zu den Vorwürfen gegen Hess vgl. Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 10.3.1829, S. 95; 30.6.1829, S. 105; 28.7.1829, S. 114; 12.1.1830, S. 128; 16.2.1830, S. 133; 22.5.1830, S. 142. 60 Gesetz Beamtungen Strafanstalt 1835, § 7-13, S. 513-515. 61 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1806-1820, 24.10.1817. Vgl. dazu oben, S. 68. 62 StABS AHA Straf und Polizei, Z 11 Jahresberichte 1834-1862, Jahresbericht 1838, S. 2. Das Problem löste die STK kurzerhand dadurch, dass sie die Geschäfte der Hausmeistersfrau der Frau eines Unteraufsehers übertrug. 63 Gesetz Beamtungen Strafanstalt 1835, § 10, S. 513; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833- 1839, Ratschlag betreffend die Organisation der Beamtungen der Strafanstalt, 31.3.1835, S. 56. 64 Protokolle KR BS, 4.3.1835, S. 80; 21.3.1835, S. 90f.; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833- 1839, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 10.3.1835. 65 Gesetz Beamtungen Strafanstalt 1835, § 13f., S. 514f.; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833- 1839, Ratschlag Beamtungen Strafanstalt 1835, S. 56. <?page no="120"?> 121 Arzt nicht mehr zusätzlich als Barbier fungierte. 66 Mit der Organisation von Schulunterricht, Gottesdienst und Seelsorge beauftragte das neue Gesetz die STK, welche sich in den darauf folgenden Jahren der Ausarbeitung einer neuen Hausordnung für die Anstalt widmen sollte. 67 Insgesamt brachte die Reorganisation von 1835 mit der detaillierteren Regulierung des Aufsichtspersonals und der Einführung eines Direktors eine deutlich stärkere administrative Durchdringung des Raumes der Strafanstalt. Dies sah auch der Kleine Rat ähnlich, der für eine stark hierarchische Ordnung des Strafvollzugs und seiner Beamten plädierte: «Überhaupt müssen wir hier die Bemerkung machen, dass uns die Einrichtung einer Strafanstalt mehr Ähnlichkeit mit militärischen Einrichtungen als mit rein administrativen zu haben scheint, und dass zur Handhabung einer geregelten und unverbrüchlichen steten Ordnung weit strengere Maßnahmen und vielleicht auch etwas ungewöhnlichere Mittel vonnöten sind. Es muss für den Dienst im Hause eine strenge Unterordnung der verschiedenen Beamtungen bestehen; der Direktor muss gleichsam als Chef das Ganze leiten, ihm zunächst nach der Kommission müssen die Untergebenen gehorchen; hinwieder soll auch er einer strengen Kontrolle durch die leitende Behörde unterworfen sein […].» 68 Lob und Kritik Unübersehbar prägte die Handschrift der Zuchtanstaltskommission der GGG bzw. ihrer ehemaligen Mitglieder, welche in die STK gewechselt hatten, die Reorganisation des Aufsichtspersonals. Bereits seit einigen Jahren hatte die Kommission mit immer deutlicheren Worten Veränderungen in der Zuchtanstalt und insbesondere einen stärkeren Einsatz der staatlichen Behörden gefordert. So hielt der Vorsteher der GGG für das Jahr 1830, Kriminalgerichtspräsident Niklaus Bernoulli-Werthemüller, nach der Lektüre des Jahresberichts der Zuchtanstaltskommission fest: «Wohlthätig ist […] die jetzt in vielen Staaten überaus rege gewordene Aufmerksamkeit auf die Strafanstalten […]. In unserm Staate hat man sich nicht beeilt, es hierin andern gleich im Großen nachzuthun; es wird hie und da etwas in den bestehenden Lokalien verwendet und zugleich zugestanden, mit allem, was man daran wende, lasse sich nichts recht befriedigendes daraus machen. Unsere Gesellschaft hat die günstigen oder ungünstigen Verhältnisse, die sie auf Seite des 66 Gesetz Beamtungen Strafanstalt 1835, § 16-18, S. 515f.; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Ratschlag Beamtungen Strafanstalt 1835, S. 57f. 67 Gesetz Beamtungen Strafanstalt 1835, §15, S. 515. 68 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Ratschlag Beamtungen Strafanstalt 1835, S. 55. <?page no="121"?> 122 Staates antrifft als etwas gegebenes aufzunehmen, und sich zu bescheiden, dass um der Verbrecher willen kein unverhältnismäßiger Aufwand denen zugemuthet werden könne, die es nicht sind […].» 69 Die hier aufscheinende Frustration Bernoulli-Werthemüllers aufgrund der schleppenden Entwicklung der Basler Zuchtanstalt wäre nicht nötig gewesen: Um 1830 stand die Basler Anstalt im Vergleich mit anderen mindestens durchschnittlich da. In der Schweiz hatten zwar Genf und Lausanne neue Strafanstalten errichtet, die bekanntlich in vielen Aspekten den Anforderungen der Gefängnisreformbewegung entsprachen: Sie ermöglichten nicht nur die systematische Klassifizierung ihrer Insassen und Insassinnen, sondern waren auch in panoptischer Weise gebaut. Die restlichen Schweizer Kantone begnügten sich zunächst, ähnlich wie Basel, mit einzelnen Verbesserungen bestehender Gefängnisse. 70 Gleiches gilt für die deutschen Gebiete, wo die ersten Modell- oder Musterbauten sogar erst gegen Ende der 1830er Jahre entstanden. 71 Frankreich verfügte mit den «maisons centrales» zwar über Gefängnisse, welche in Bezug auf die Hausordnung der Gefängnisreformbewegung entgegenkamen, so beispielsweise in der religiösen Betreuung, der Beaufsichtigung und dem Schulunterricht. Aber auch sie krankten, wie die Basler Vollzugsorte, an baulichen Mängeln, waren sie doch zum Großteil in ehemaligen Klöstern oder Konventen eingerichtet worden. Dementsprechend waren eine Klassifizierung der Insassen und Insassinnen sowie Einzelhaft nur schwer möglich. 72 Während eine grundlegende architektonische Anpassung der Basler Strafanstalt in den 1830er Jahren kein Thema war, war in anderen Bereichen ein verstärktes Engagement seitens des Staates, d. h. der STK, zu beobachten. Nachdem sie zunächst die Verwaltung des Mehrverdiensts übernommen hatte, zog sie sukzessive weitere Praktiken der Straffälligenhilfe an sich. So engagierte sie sich ab 1833 in der Überwachung des Schulunterrichts, ohne dabei zunächst auf dessen finanzielle Unterstützung durch die Zuchtanstaltskommission zu verzichten. 73 Auch mit der Reorganisation des Aufsichtspersonals machte die STK einen Schritt hin zu einer stärkeren Ausrichtung auf die Resozialisierung der Sträflinge. Mit der Schaffung der Direktorenstelle übertrug die STK einer einzelnen Person die Verantwortung für den «moralischen Vorteil» der Insassen und Insassinnen, womit sie die Stellung der Zuchtanstaltskommission in der Anstalt weiter obsolet machte. Auch der Ausbau der Aufsicht und die deutlich detailliertere Regulierung 69 JB GGG 54 (1830), S. 5. 70 A NSELMIER , Prisons vaudoises, S. 133-204; H AFNER , Gefängnisreformen, S. 51-65; R OTH , Pratiques pénitentiaires, S. 153-157, 223-236. 71 N UTZ , Besserungsmaschine, S. 335-337; S CHAUZ , Strafen, S. 47-50. 72 Christian C ARLIER ; Marc R ENNEVILLE , Histoire des prisons en France - de l’Ancien Régime à la Restauration, in: criminocorpus (2007), online unter: https: / / criminocorpus.org/ fr/ ref/ 25/ 16933/ [17.6.2016]; P ETIT , Peines obscures, S. 183-260. 73 StABS PA 146a Archiv der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und des Gemeinnützigen in Basel (1771-1977), U 4.3 Jahresberichte und Rechnungen 1833-1949, Jahresbericht der Zuchtanstaltskommission 1836, S. 2. <?page no="122"?> 123 von Pflichten und Kompetenzen des Personals zeigen eindeutig die Tendenz eines verstärkten Engagements der STK. Entsprechend sah sich die Zuchtanstaltskommission mit einer steten Verringerung ihres Aufgabengebiets konfrontiert. Christoph Burckhardt-Hess, Professor der Jurisprudenz, ehemaliges Mitglied der Zuchtanstaltskommission und Vorsteher der GGG für das Jahr 1835, kommentierte diese Entwicklung wie folgt: «[...] wenn [die Tätigkeit der Zuchtanstaltskommission] sich in verschiedener Beziehung vereinfachen konnte, und zu wenigen besondern Berathungen Anlass darbot, so liegt die Ursache davon einerseits in der vorgenommenen neuen Organisation der Anstalt selbst, und in der daraus hervorgehenden Anstellung neuer Beamteter und Einführung neuer Beamtenordnungen, wodurch manchem frühern Uebelstande an sich schon abgeholfen wurde; andrerseits aber in dem eben hiedurch erhöhten Einflusse der obrigkeitlichen Inspektion selbst, deren Mehrzahl aus ehemaligen Mitgliedern unsrer Kommission besteht. Gleich weit entfernt von dem rigoristischen Systeme einer ältern Zeit, das nur vom Grundsatze der Bestrafung ausgieng, ohne sich um das künftige Loos der Züchtlinge zu bekümmern, wie von der auch in unserm Vaterlande hin und wieder Anklang findenden süßlichen Philanthropie, die aus Anstalten dieser Art alles Gefühl verdienter Strafe zu verwischen strebt, und in den Züchtlingen nur Unglückliche sieht, deren trauriger Zustand erleichtert werden müsse, wird es sich unsre Kommission immer zur Aufgabe machen, die Strafzeit dadurch in eine Besserungszeit umzuwandeln, dass sie den Züchtlingen die Mittel an die Hand giebt, sich an nützliche Thätigkeit zu gewöhnen […].» 74 Trotz der grundsätzlich positiven Bewertung des verstärkten Engagements von Seiten der STK hielt es Burckhardt-Hess anscheinend für angezeigt, vor der Gefahr einer «süßlichen Philanthropie» zu warnen, welche sich der Strafanstalten in der Eidgenossenschaft und anderswo zu ermächtigen drohe. Ob er damit auf vorhandene Kritik reagierte oder aber potenziellen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen wollte, muss dahingestellt bleiben. Fest steht, dass sich die Ansicht, verurteilten Straftätern und -täterinnen gehe es in der Anstalt besser als den Bedürftigen außerhalb, während des 19. Jahrhunderts hartnäckig hielt. 75 So stellte die STK einige Jahre später auch fest, dass die korrektionelle Strafe von einzelnen Personen im Winter als «Wohlthat» wahrgenommen und aktiv gesucht werde. 76 Offenkundig hatte diese Debatte also auch ihren Weg nach Basel und in die Reihen der GGG gefunden. So hatte Niklaus Bernoulli-Werthemüller bereits 1830 die Ansicht vertreten, dass 74 JB GGG 59 (1835), S. 25, Hervorhebung im Original. 75 So beispielsweise in Genf in den 1820er und -30er Jahren. Vgl. L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 353-358. 76 Verwaltungsbericht BS 1847, S. 58. <?page no="123"?> 124 «wenn in Erbauung von Pönitentiargefängnissen ein Aufwand vorkommt, welcher fast an Luxus gränzt, und hin und wieder zur Ehren- und Modensache wird, so sollen auch diese Uebertreibungen nicht so ganz unwillkommen seyn, da sie wenigstens die sichere Anzeige sind, man sey im Suchen nach gründlicher Verbesserung begriffen.» 77 Es stellt sich nun die Frage, wie diese Reflexionen bzw. die Diskussionen, deren Zeugnis die Jahresberichte der GGG darstellen, zu erklären sind. Keiner der beiden Autoren sah für die Basler Zuchtanstalt die Gefahr, sich zu stark dem «Luxus» hinzugeben - im Gegenteil prägten nach wie vor Platzmangel, Hygiene- und Disziplinarprobleme den Gefängnisalltag. 78 Ebenso herrschte innerhalb der GGG augenscheinlich Konsens über die Bedeutung der Straffälligenhilfe, was sich beispielsweise daran zeigt, dass deren finanzielle Unterstützung stets diskussionslos durchgewinkt wurde. So ist davon auszugehen, dass die Überlegungen Bernoulli- Werthemüllers und Burckhardt-Hess’ vor allem im Kontext der unsicheren Stellung der Zuchtanstaltskommission zu verstehen sind. Aufgrund des Engagements der STK, welches sie zwar begrüßte, sah sich die Zuchtanstaltskommission mit der Notwendigkeit konfrontiert, ihre Rolle neu zu definieren oder aber sich aufzulösen. Diskussionen um die grundsätzliche Natur einer erstrebenswerten Straffälligenhilfe hatten daher wohl primär Symptomcharakter. Es ist davon auszugehen, dass in dieser Zeit auch die Frage ihrer Positionierung gegenüber der STK die Zuchtanstaltskommission umtrieb. Nachweis dafür findet sich jedoch nur ein einziger, in Form eines nicht publizierten Jahresberichts der Zuchtanstaltskommission aus dem Jahre 1835. Ihr Vorsteher war nach wie vor Daniel Bernoulli, gleichzeitig Mitglied der STK. Er eröffnete seinen Jahresbericht mit dem Hinweis, es hätten im Berichtsjahr keine Besprechungen zwischen den beiden Kommissionen stattgefunden: «Dies obwohl in der […] obrigkeitlichen Strafanstalts-Commission selbst im verflossenen Jahr vieles wichtiges vorgefallen war, namentl. eine neue Organisation und in Folge dieser, neue Beamte und neue Beamten-Ordnungen, allein die Erfahrung hat gezeigt, dass eine dergestalte Berathung desselben Gegenstandes (nämlich auch in der Commission d. G. Gesellschaft) entweder unnütz, oder aber schädlich ist, indem sie einen Konflikt mit der obrigkeitlichen Commission veranlasst.» 79 77 JB GGG 54 (1830), S. 5. 78 JB GGG 54 (1830), S. 4-6; JB GGG 59 (1835), S. 24f. Auch die STK beklagte in StABS AHA Straf und Polizei, Z 11 1834-1862, Jahresbericht 1833, S. 3f. die teils massiven Disziplinar- und Platzprobleme in der Anstalt. Instruktiv ist in diesem Zusammenhang beispielsweise der Fall von Rudolf Vest, dem es 1833 gelang, Insassen der Strafanstalt durch ein Fenster Spielkarten zukommen zu lassen. Vest büßte dies mit einer korrektionellen Verurteilung. Vgl. StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den Statthalter BS, o. D.; Statthalter BS an Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, 17.4.1833. 79 StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Zuchtanstaltskommission 1835, S. 1f. <?page no="124"?> 125 Dass diese Worte der Feder Bernoullis, dem Prototypen der Verflechtung zwischen der privaten und der staatlichen Kommission, entstammen, verleiht ihnen zusätzliches Gewicht: Augenscheinlich musste die bei der Umstrukturierung von STK und Zuchtanstaltskommission angestrebte enge Zusammenarbeit Ende 1835 für gescheitert erklärt werden. Die Zuchtanstaltskommission hatte der STK nicht nur die Leitung der von ihr eingeführten Praktiken der Straffälligenhilfe größtenteils abgegeben, sondern mit ihren Mitgliedern auch ihre Erfahrung und das dadurch erworbene Wissen. Entsprechend stellte sich für die Zuchtanstaltskommission nun akut die Frage nach ihrer weiteren Legitimation. So hielt Bernoulli ein Jahr später im wiederum nicht publizierten Jahresbericht explizit fest, dass «in der That für Ihre Commission sozusagen, kein Wirkungskreis mehr übrig bleibt». 80 Eine neue Aufgabe An der letzten Sitzung der GGG für das Jahr 1836, an welcher traditionell die verschiedenen Kommissionsberichte verlesen wurden, informierte Bernoulli die Anwesenden über die Situation der Zuchtanstaltskommission. In der Überlieferung dessen im Jahresbericht der GGG wurde dabei insbesondere betont, wie erfreut die Zuchtanstaltskommission über das Engagement der STK sei. Nach der Schilderung des beinahe vollständigen Verlust ihres Tätigkeitsgebiets erhielten Bernoulli und die Zuchtanstaltskommission von den Anwesenden den Auftrag, «ein Gutachten darüber einzureichen: ‹ob nicht jetzt, […] sie etwas für die austretenden Züchtlinge und deren Fortkommen thun, oder der Gesellschaft Vorschläge darüber einreichen könnte? ›» 81 Die Zuchtanstaltskommission kam dem nach und im April 1837 präsentierte Daniel Bernoulli der GGG die Ergebnisse ihrer Beratungen. Er hielt zunächst fest, wie schwierig die Etablierung einer Entlassenenfürsorge sei, insbesondere da stets die Gefahr bestehe, dass «die gereichte Unterstützung an nur verschwendet, an Unwürdige gereicht wird.» 82 Dennoch wolle die Kommission den Versuch wagen, Entlassene bei ihrer Reintegration zu unterstützen. Dabei gelte es jedoch von Anfang an eine Auswahl unter den Entlassenen zu treffen, damit die Entlassenenfürsorge möglichst erfolgreich gestaltet werden könne. So solle der Hauptfokus auf die Heimatberechtigten der Stadt Basel liegen, die eine längere Strafe verbüßt hatten. 83 Damit griff die Kommission Erfahrungen auf, welche sie in den 1820er Jahren während ihrer ersten Versuche der Entlassenenfürsorge gesammelt hatte: Durch die Befragung von Gemeindepfarrern war sie dabei zum Schluss 80 StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Zuchtanstaltskommission 1836, S. 2. Ähnliche Feststellungen finden sich bereits seit 1832 in den publizierten Jahresberichten: JB GGG 56 (1832), S. 9-11; JB GGG 57 (1833), S. 25f.; JB GGG 58 (1834), S. 32f.; JB GGG 59 (1835), S. 24f. 81 JB GGG 60 (1836), S. 21. 82 StABS PA 146a, U 4.1, Bernoulli, Vorsteher Zuchtanstaltskommission, an die GGG, 18.4.1837, S. 1. 83 Ebenda, S. 1f. <?page no="125"?> 126 gekommen, dass Entlassene nach längeren Strafen grundsätzlich eine höhere Chance zur Resozialisierung hätten. In kleinerem Rahmen würden aber auch andere Entlassene unterstützt, dies jedoch vor allem in Form von Kleiderspenden, Finanzierung der Heimreise oder der Anschaffung von Arbeitsmaterialien. Die finanzielle Unterstützung solle dabei aber stets ausnahmsweisen Charakter besitzen, denn: «Unsere Hülfe würde sich vorzüglich auf Ertheilung guten Raths, Verwendung um Arbeit und Empfehlung der Sträflinge bei Fabrikherren oder anderen Herrschaften, insofern ihre Aufführung in der Anstalt dazu berechtigen würde, beschränken müssen.» 84 Ziel war also der Einsatz des eigenen sozialen Kapitals, um den Entlassenen eine Arbeitsstelle zu verschaffen. 85 Dabei spielte nicht nur die Überzeugung, dass Arbeitstätigkeit der ideale Weg zur Resozialisierung sei, eine Rolle. Vielmehr ging es auch um eine Wiedernutzbarmachung der Arbeitskraft der Sträflinge sowie um deren finanzielle Eigenständigkeit. Insbesondere die explizite Erwähnung der Fabrikanten macht deutlich, dass die Bedürfnisse der Stadtbasler Wirtschaft Bernoulli und der Zuchtanstaltskommission nicht unbekannt waren. Um die neue Aufgabe der Entlassenenfürsorge ausüben zu können, wünschte die Zuchtanstaltskommission eine Aufstockung ihrer Mitgliederzahl auf sechs Personen, darunter die beiden Anstaltsgeistlichen sowie ein Mitglied der STK. So sollte die Zusammenarbeit mit der Zuchtanstalt sichergestellt werden. Der Vorsitz der Kommission sollte jedoch zwingend von einem Mitglied der GGG übernommen werden, «damit diese Commission - als eine Wohlthätigkeitsanstalt - ja nicht als einen Zweig der obrigkeitlichen Inspection von den Züchtlingen angesehen würde.» 86 Trotz der unabdingbaren engen Zusammenarbeit mit den Strafvollzugsbehörden, wollte die neue Kommission also klar als Teil der GGG, d. h. als Wohltätigkeitsverein und nicht als Bestandteil des Strafvollzugs wahrgenommen werden. Während Bernoulli gegenüber der GGG mit dem Eindruck auf die Sträflinge argumentierte, lässt sich vermuten, dass so auch einer erneuten Übernahme durch die STK von Beginn weg ein Riegel vorgeschoben werden sollte. Die GGG begrüßte die Vorschläge der Zuchtanstaltskommission und kurz darauf wurde die Kommission unter dem Namen «Kommission zur Berathung und Versorgung ausgetretener Züchtlinge» neu konstituiert. 87 Rasch setzte sich sowohl in der Fremdals auch in der Eigenbezeichnung der Begriff der Patronagekommission durch. Der Name verweist auf die geplante Tätigkeit der Kommission, die als klassische Patronage-Beziehung und damit als zutiefst ungleiches 84 Ebenda, S. 2. 85 Zum Konzept des sozialen Kapitals vgl. Pierre B OURDIEU , Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Reinhard K RECKEL (Hg.), Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183-198. 86 StABS PA 146a, U 4.1, Bernoulli, Vorsteher Zuchtanstaltskommission, an die GGG, 18.4.1837, S. 2f. 87 JB GGG 61 (1837), S. 18f. <?page no="126"?> 127 Verhältnis konzipiert war. 88 Wie von Bernoulli gewünscht, waren die beiden Anstaltsgeistlichen, Theophil Passavant und Johann Christoph Stähelin-Bischoff, neu feste Mitglieder der Kommission, hinzu kam mit dem Präsidenten des Appellationsgerichts August La Roche-Burckhardt ein Mitglied der STK. Mit August Burckhardt trat zudem der Hausarzt der Anstalt in die Kommission ein. Die geballten Erfahrungswerte und Beziehungsnetze im Bereich des Strafvollzugs wurden mittels Eugen Thurneysen-Ryhiner, Kaufmann und Mitglied einer einflussreichen Bandfabrikanten-Familie, um ebensolche in der Wirtschaft ergänzt. 89 Den Vorsitz schließlich übernahm mit Pfarrer Peter Stähelin ein alter Bekannter und ein Prototyp der frühen Strafvollzugsexperten: Es war eben dieser Stähelin, der in den frühen 1820er Jahren seine ersten Erfahrungen als Kandidat der Theologie in der Basler Zuchtanstalt gesammelt und daraufhin auf einer Deutschlandreise die Anstalten anderer Gebiete besucht hatte. 90 Er übernahm den Vorsitz von Daniel Bernoulli, der das Amt 16 Jahre lang ausgeübt hatte. Stähelin sollte die Patronagekommission daraufhin sogar für 24 Jahre als Vorsteher leiten. Er war, wie alle Mitglieder der Patronagekommission mit Ausnahme von Thurneysen-Ryhiner und Burckhardt, zuvor bereits Mitglied der Zuchtanstaltskommission gewesen - die personelle Konstanz zwischen den beiden Kommissionen ist also nicht von der Hand zu weisen. Auch im Hinblick auf die vertretenen Berufsgruppen sind kaum Änderungen festzustellen. Mit Ausnahme des Anstaltsarztes, der von Amtes wegen der Patronagekommission beitrat, finden sich drei Pfarrer und je ein Jurist sowie ein Vertreter der Textilwirtschaft - also diejenigen Berufsgruppen, die bereits bisher den Löwenanteil der Kommissionsmitglieder gestellt hatten und die Kommission auch in den folgenden Jahrzehnten dominieren sollten. Im Vergleich mit den Gründungsmitgliedern von 1821 fällt denn auch einzig eine geringere Vertretung der Juristen auf. Diese hatte sich aber bereits in den 1820er Jahren abgezeichnet und dürfte primär dadurch zu erklären sein, dass die GGG in den ersten Jahren der Straffälligenhilfe gezielt auf Juristen gesetzt hatte, um die Zuchtanstaltskommission zu etablieren und die Zusammenarbeit mit dem Strafvollzug zu vereinfachen. 91 Sara Janner stellt fest, dass nach 1830 innerhalb der GGG ein gewisser Professionalisierungsprozess eingesetzt habe, indem immer mehr Mitglieder sich längerfristig für eine einzige Kommission oder zumindest einen einzelnen Tätigkeitsbereich engagierten, wobei oft Bereiche ausgewählt wurden, die der beruflichen Karriere der Akteure nahestanden. 92 Im Hinblick auf die Patronagekommission des Jahres 1837 und ihre Entwicklung in den darauffolgenden Jahrzehnten kann dieser Befund zumindest teilweise gestützt werden. So blieben sowohl Peter Stähelin als auch August La Roche-Burckhardt über 25 Jahre lang Mitglied der 88 Zum Begriff der Patronage und seiner Einordnung vgl. C ASTEL , Metamorphosen, S. 216-235. 89 Zur Familie Thurneysen vgl. Samuel S CHÜPBACH -G UGGENBÜHL , Artikel «Thurneysen» (2012), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D20995.php [5.5.2015]. 90 JB GGG 61 (1837), S. 40. 91 Vgl. dazu Anhang 1: Mitglieder der Zuchtanstaltskommission 1821-1833 und der Patronagekommission 1833-1911, S. 283. 92 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 132f. <?page no="127"?> 128 Zuchtanstaltsbzw. Patronagekommission. Wie Stichproben aus den Jahren 1841, 1851 und 1861 zeigen, waren sie jeweils maximal in einer anderen Funktion innerhalb der GGG tätig: Stähelin war 1841 Vorsteher der Kommission für die Nähschulen und 1861 Delegierter zu den Sonntagssälen für Mädchen, La Roche-Burckhardt hatte 1841 das Amt als Vorsteher der GGG inne, war 1851 Delegierter für die Schaffung einer Zwangsarbeitsanstalt und übernahm 1857 den Vorsitz der Kommission für die Zwangsarbeitsanstalt Klosterfiechten. 93 Insbesondere bei August La Roche-Burckhardt, der nicht nur Präsident des Appellationsgerichts, sondern auch Mitglied der STK war, wird also die angesprochene Spezialisierung offensichtlich. Mit der Besetzung der Patronagekommission signalisierte die GGG schließlich auch ihren Willen, die Erfahrungen der vorangegangenen fünfzehn Jahre nutzbar zu machen. So wird aus der Mitgliedschaft der Anstaltsgeistlichen, La Roches und Burckhardts das Streben nach einem stärker institutionalisierten Austausch mit den geistlichen und staatlichen Akteuren ersichtlich. Die Wahl Thurneysen-Ryhiners zeugt weiter vom Wissen um die Bedeutung von Verbindungen zu Wirtschaftsvertretern, um Arbeitsorte für die Entlassenen zu finden. Mit einer Mischung aus alten und neuen Rezepten suchte sich die Kommission der GGG also ihren Platz innerhalb des umstrukturierten Umfelds in der Basler Straffälligenhilfe. Mutterschaft in der Strafanstalt und der Frauenverein Nachdem sich die Kommission der GGG damit größtenteils aus der Strafanstalt zurückgezogen hatte, verblieb der Frauenverein als letzte Bastion privater Straffälligenhilfe innerhalb der Anstaltsmauern. Seine Tätigkeit veränderte sich nach der Reorganisation von 1832/ 33 kaum: Weiterhin besuchten die Frauen die weiblichen Häftlinge, führten Gespräche mit ihnen, lasen ihnen aus Büchern vor und unterstützten sie zeitweise beim Erlernen von Handarbeiten. Die Zuchtanstaltsbzw. Patronagekommission der GGG nahm auch während der 1830er Jahre das Engagement dieser Frauen wohlwollend zur Kenntnis, hielt es aber anscheinend nicht für angezeigt, das Zusammenspiel untereinander weiter zu institutionalisieren oder zu regulieren. Ebenso wenig figurierte der Frauenverein während der 1830er Jahre auf dem Radar der STK. 94 Dementsprechend schwierig ist es, die Geschichte des Frauenvereins zu rekonstruieren, finden sich doch in den Quellen kaum Nachweise seiner Tätigkeit, geschweige denn Informationen über seine Mitglieder. 93 JB GGG 65 (1841), S. 54-59; JB GGG 75 (1851), S. 34-40; JB GGG 85 (1861), S. 56-62. Zur Zwangsarbeitsanstalt Klosterfiechten vgl. unten, S. 198. 94 JB GGG 54 (1830), S. 6; JB GGG 56 (1832), S. 64; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Zuchtanstaltskommission 1834, S. 2f. In den Jahresberichten der STK bzw. den Verwaltungsberichten von Basel-Stadt findet sich in den 1830er Jahren nur 1837 eine Erwähnung des Frauenvereins: StABS AHA Straf und Polizei, Z 11 1834-1862, Jahresbericht 1837, S. 3; Verwaltungsbericht BS 1837, S. 54. <?page no="128"?> 129 Eine Ausnahme bildet folgender Fall aus dem Jahr 1839, als der Frauenverein mit einem spezifischen Anliegen an die STK herantrat. Im September schrieb Susanna von Speyr-Bernoulli, seit mehr als fünf Jahren Mitglied des Frauenvereins, einen Brief an die STK. Sie schilderte den Fall einer Christine Lay, die wegen Diebstahl eine einjährige Haftstrafe verbüßte und während dieser Zeit ein Kind zur Welt brachte. Nachdem die im Spital stattgefundene Entbindung gut verlaufen sei, sei der Säugling im Alter von zwei Wochen an Mundfäule erkrankt. Daraufhin sei es der Mutter entgegen der Gepflogenheiten gestattet worden, ihr Kind zu stillen, wodurch sich die Krankheit gebessert habe. Sobald das Kind aber wieder abgestillt worden sei, habe es «Durchlauf, der später zu einer sogenannten Wasserrührlein wurde» entwickelt. Dabei handelt es sich um eine Form von Diabetes, wogegen im 19. Jahrhundert die Muttermilch als einziges Heilmittel bekannt war. Dennoch musste die Mutter sich wie vorgeschrieben von ihrem Kind trennen und wurde wieder in die Strafanstalt überführt. Acht Tage später sei das Kind an der Wasserruhr gestorben. 95 Daher bat von Speyr-Bernoulli darum, den Müttern in der Strafanstalt zu erlauben, ihre während der Haftdauer geborenen Kinder in die Anstalt mitzunehmen und selbst zu versorgen. Um ihren Vorschlag weiter zu stützen, rekapitulierte sie zunächst die Fälle weiterer vier Insassinnen in den vorangegangenen Jahren, deren Kinder kurz nach der Geburt verstorben waren, um dann fortzufahren: «Dagegen muss bemerkt werden, dass das Kind von Dorothes Gampers, welches eine Zeitlang vor dieser, und zwar, als zu frühzeitige Geburt und wie bekannt unter den ungünstigsten geboren wurde, sodass ohne Muttermilch sein Leben fast unmöglich zu fristen schien, was auch einige Wohltäter bewog, dasselbe zu einer Saugamme zu verkostgelden, bis nach seinem dritten Jahre beim Leben erhalten wurde.» 96 Weiter bot von Speyr-Bernoulli an, bei Bedarf den Müttern in der Anstalt mit «Kinderzeug und Bettchen» auszuhelfen, falls dies nötig würde. 97 Die STK erteilte dem Frauenverein jedoch eine Absage und verwies auf eine 1826 verfasste Ordnung über Geburten in der Zuchtanstalt. 98 Selbige schrieb fest, dass Kinder nicht länger als bis zum erfolgten Abstillen in der Anstalt bleiben dürften. Auch wurde es Müttern mit kurzen Strafen explizit verboten, ihre Kinder in die Anstalt mitzunehmen. 99 Trotz des negativen Bescheids macht der Antrag des Frauenvereins deutlich, dass sich die engagierten Bürgerinnen nicht auf eine moralische Unterstützung inhaftierter Frauen beschränken wollten, sondern sich auch als Lobbyistinnen spezifisch weiblicher Anliegen verstanden. Die Kombination aus einer Forderung 95 StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.2, von Speyr-Bernoulli an die STK, 30.9.1839, S. 1. 96 Ebenda. 97 Ebenda, S. 2. 98 Protokolle STK 1833-1841, 29.10.1839, S. 129; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an von Speyr-Bernoulli, 29.10.1839. 99 Protokolle Zuchtanstaltsinspektion 1826-1833, 14.11.1826, S. 20f. <?page no="129"?> 130 nach strukturellen Veränderungen und dem Angebot von Sachspenden zeigt weiter ihre Beweglichkeit und den Versuch, sich dem jeweils Möglichen oder Verlangten anzupassen. So versuchte der Frauenverein auf unterschiedliche Weise, die Lücken zu schließen, welche sich für weibliche Sträflinge im Geflecht staatlicher, privater und kirchlicher Maßnahmen ergaben. Ihre Tätigkeit daher auf ein reines Zuarbeiten der anderen Akteure der Straffälligenhilfe zu reduzieren, würde aber gerade im Hinblick auf das vorliegende Beispiel zu kurz greifen: Der Frauenverein folgte augenscheinlich einer eigenen Handlungslogik, die sich zwar in den vorhandenen Nischen des Systems ansiedelte, sich aber nicht zwingend von ihnen beschränken ließ. Das Aufgreifen des Themas Mutterschaft bzw. Säuglingssterblichkeit in der Anstalt entsprang sicher zu einem Großteil einer ehrlichen Erschütterung über die Situation der betroffenen Frauen. Gleichzeitig bot das Thema aber auch strategisches Potenzial: Es appellierte an Erfahrungen, die von Frauen aller sozialen Schichten geteilt werden konnten und schuf so eine gewisse Verbindung untereinander. Mutterschaft war zudem eine Domäne außerhalb des männlichen Herrschaftsbereichs, in welchem die Männer den Frauen ihre Autorität nicht oder nur schwer streitig machen konnten. 100 Darüber hinaus erlaubte das Thema auch, die weiblichen Sträflinge ein Stück weit zu entdämonisieren, indem ihre normativweiblichen Attribute in den Vordergrund gestellt wurden. Für diese Interpretation spricht, dass für die 1830er Jahre keine Fälle zu eruieren sind, in welchen sich die Kommission der GGG in vergleichbarer Weise für einzelne männliche Insassen eingesetzt hätte. Die bereits festgestellte unterschiedliche Einschätzung weiblicher und männlicher Sträflinge zog sich also weiter. Der Frauenverein erhält einen Vorsteher Wie gezeigt, schlug sich diese Ungleichbehandlung aber auch auf der Ebene der Betreuenden nieder: Während sich die STK sukzessive die Praktiken der Kommission der GGG einverleibt hatte, war der Frauenverein auch im Laufe dieser Umstrukturierung außerhalb des behördlichen Fokus geblieben und hatte größtenteils nach Belieben gewaltet. Aufgrund der Petition von 1839 erinnerte sich die STK aber des Frauenvereins und hielt es für angezeigt, die Philanthropinnen stärker in ihre Strukturen einzubinden. Konkret brachte die STK 1842 die Idee einer engeren Zusammenarbeit zwischen Frauenverein und Anstaltspfarrer auf. Ihr Präsident Peter Burckhardt-Im Hof wandte sich daraufhin an den Anstaltspfarrer Stückelberger, um dessen Meinung dazu einzuholen. Letzterer hatte jedoch Schwierigkeiten, überhaupt etwas über den Frauenverein in Erfahrung zu bringen: Weder die Erkundigungen bei seinem Vorgänger Passavant noch 100 Zur Überhöhung der Mutterrolle im bürgerlichen Kontext vgl. M ESMER , Ausgeklammert - eingeklammert, S. 41-43. Zum Stillen im 19. Jahrhundert vgl. Sabine S EICHTER , Erziehung an der Mutterbrust. Eine kritische Kulturgeschichte des Stillens, Weinheim 2014, S. 68-87. <?page no="130"?> 131 diejenigen bei Antistes Jakob Burckhardt führten zu einem Ergebnis. Erst danach sprach Stückelberger die Frauen des Vereins direkt an. Von zwei langjährigen Mitgliedern erhielt er die Information, dass seine Vorgänger im Amt des Anstaltspfarrers sich zwar ab und zu mit dem Frauenverein getroffen hätten, dies aber sehr selten. 101 Seine eigene Einschätzung formulierte Stückelberger wie folgt: «Ich stehe nun wirklich an, was ich darüber sagen soll, sehe indes wohl ein, dass eine nähere Verbindung des Pfarrers mit demselben nicht unnöthig wäre, um nach einem gewissen Plan zu handeln, doch entgehen mir auch die Schwierigkeiten nicht, die für ihn damit verbunden sind. So wohlthätig ein solcher Verein auf die weiblichen Gefangenen wirken mag, so ist doch durchaus nöthig, dass es im rechten Geist geschehe und in einem rechten Einverständnis der Frauen unter sich, die ihn bilden. Sie sollten gewisser Massen des Pfarrers Gehilfen sein in der Seelenpflege der weiblichen Sträflinge u. mit theilnehmender Liebe u. evangelischem Ernst zu ihrer sittlichen Besserung mitzuwirken suchen, darum kommt auch sehr viel drauf an, aus was für Elementen ein solcher Verein zusammengesetzt ist. Sollten Wohldieselben in dieser Hinsicht, etwas in Bezug auf mich zu verfügen für gut finden, so will ich Ihnen gern zu Diensten stehen, weil aber der Verein bisher für sich bestanden hat, ohne den Pfarrer, so scheint mir, es wäre, wenn [Sie] etwas verfügen würden, nothwendig, dass von Ihnen selbst aus, dem Verein Notiz davon gegeben würde.» 102 Stückelberger sah also eine Zusammenarbeit mit dem Frauenverein als durchaus erstrebenswert an, verlangte aber nach einer Klärung der Rollen durch die STK. Nicht nur sollten die Frauen als Gehilfinnen des Pfarrers fungieren, mit der Erwähnung der Zusammensetzung des Vereins machte Stückelberger auch deutlich, dass er hier ein Mitspracherecht anstrebte. Nach den Verhandlungen erteilte die STK Stückelberger im März 1843 den Auftrag, gemeinsam mit dem Frauenverein Richtlinien für eine Zusammenarbeit zwischen Pfarrer und Philanthropinnen auszuarbeiten, «damit künftig im gegenseitigen Einverständnis gehandelt werde.» 103 Stückelberger arbeitete daraufhin Statuten für den Frauenverein aus, welche sowohl dessen Tätigkeit als auch dessen Stellung gegenüber Pfarrer und STK klärten. An einem gemeinsamen Treffen erklärten sich die Frauen mit den Statuten, wie auch mit der Übernahme des Vorsitzes durch Pfarrer Stückelberger, einverstanden. Zudem erbaten sie sich ein 101 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1842, S. 7f. Die Identität der beiden Frauen kann aufgrund fehlender Angaben nicht gesichert festgestellt werden. 102 Ebenda, S. 8. 103 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 Strafanstalt, Allgemeines und Einzelnes 1840-1866, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an Stückelberger, Strafanstaltspfarrer BS, 22.3.1843, S. 1. Ein Zirkularschreiben gleichen Inhalts erging am selben Datum an die Mitglieder des Frauenvereins und findet sich in StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866. <?page no="131"?> 132 Exemplar der Hausordnung, was sie bis anhin nicht besessen hatten. 104 Dies macht deutlich, wie stark sich der Frauenverein bis 1842/ 43 außerhalb der herrschenden Anstaltsordnung und der Aufmerksamkeit der Behörden bewegt hatte. Inwiefern die Neustrukturierung des Frauenvereins Änderungen in der Praxis nach sich zog, ist schwierig festzustellen, auch weil die abgefassten Statuten nicht auffindbar sind. Anscheinend besuchten die Frauen weiterhin weibliche Sträflinge in der Anstalt und unterstützten sie in Einzelfällen nach deren Entlassung. Neu sollten die Besuche zudem in einem festen Rhythmus stattfinden. Die Umsetzung dieses Systems gelang aber anscheinend nur begrenzt: Bereits 1844 beklagte Anstaltspfarrer Stückelberger, dass «einige Mitglieder immer Abhaltungen haben» und daher die Besuche nicht regelmäßig stattfänden. 105 Grund dafür war ein rapider Mitgliederschwund des Frauenvereins nach 1843. Hatte Stückelberger bei der Übernahme des Vereinsvorsitzes noch sieben Mitglieder genannt, schrieb er 1846 noch von drei. 106 Gründe für den Austritt von vier Frauen nennt er nicht, mit der Ausnahme von Frau Pfarrer David, welche «wegen ihres vorgerückten Alters nicht zu jeder Zeit die Gefangenen besuchen könne». David wollte es sich aber nicht nehmen lassen, die Gefangenen dennoch «von Zeit zu Zeit» zu besuchen. 107 Die stärkere Regulierung in Kombination mit ihrem hohen Alter führte also zum Rückzug von David. Es ist davon auszugehen, dass diese Konstellation auch für weitere Rücktritte verantwortlich zeichnete, waren doch einige der Frauen des Vereins in den 1840er Jahren nicht mehr die jüngsten. Die Auflistung der sieben Mitglieder des Frauenvereins von 1843 durch Stückelberger ist eine der wenigen Aufzeichnungen, in welchen die Namen der Philanthropinnen genannt werden. 108 Von den genannten sieben Frauen lassen sich fünf zweifelsfrei als Verwandte - Ehefrauen, Schwestern, Schwägerinnen - von Mitgliedern der Zuchtanstaltskommission oder -inspektion identifizieren. 109 Sie entsprachen damit dem typischen Muster weiblicher Philanthropie, wonach Frauen ihren männlichen Verwandten in deren Tätigkeitsbereiche nachfolgten. 110 104 StABS AHA Protokolle, E 16.5 5. Zucht- und Arbeitsanstalt, Strafanstalten (1842-1854) (Protokolle STK 1842-1854), 4.7.1843, S. 96; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Stückelberger, Strafanstaltspfarrer BS, an Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, 5.6.1843. 105 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1844, S. 3. 106 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Stückelberger, Strafanstaltspfarrer BS, an Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, 5.6.1843; StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1846, S. 3. 107 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Stückelberger, Strafanstaltspfarrer BS, an Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, 5.6.1843, S. 3. 108 Ebenda. 109 Vgl. dazu die Stammbäume unter http: / / www.stroux.org/ patriz_f/ stQV_f/ SrR_f.pdf (Susanna von Speyr-Bernoulli); http: / / www.stroux.org/ patriz_f/ stSn_f/ Sn064_r.pdf (Anna Maria Stähelin-Preiswerk); http: / / www.stroux.org/ patriz_f/ stVi_f/ ViB_u.pdf (Anna Maria Vischer-le Grand); http: / / www.stroux.org/ patriz_f/ stQV_f/ BiJ_f.pdf (Susanna Bischoff-Bischoff) [17.6.2016]; Anhang 1: Mitglieder der Zuchtanstaltskommission 1821-1833 und der Pat-ronagekommission 1833-1911, S. 283; Anhang 2: Mitglieder der Zuchtanstaltsinspektion 1812-1833 und der STK 1833-1874, S. 292. 110 M ESMER , Ausgeklammert - eingeklammert, S. 50-57. <?page no="132"?> 133 4.3 Weitere Schritte zu einer «Besserungsanstalt» Die Regulierung von Seelsorge, Gottesdienst und Schulunterricht delegierte das Gesetz von 1835 an die STK, welche sich daraufhin der Ausarbeitung einer neuen Hausordnung für die Zuchtanstalt zuwandte. 111 Sie beauftragte damit Daniel Bernoulli, der aufgrund seiner Doppelfunktion und als Appellationsrichter geradezu prädestiniert dafür erschien. Bernoulli arbeitete zwischen 1835 und 1840 eine umfangreiche neue Hausordnung aus, welche sämtliche Bereiche des Zuchtanstaltsalltags regulierte, mit Ausnahme einer Gottesdienst- oder Pfarrordnung. Mit dieser sollte abgewartet werden, bis ein einzelner Geistlicher als fester Anstaltspfarrer angestellt und sämtliche diesbezügliche Funktionen wahrnehmen würde. 112 Neue Hausordnung der Strafanstalt Bernoulli setzte dabei nicht nur auf seine eigene Erfahrung, sondern holte Informationen aus verschiedenen Strafanstalten der Eidgenossenschaft ein. Auf seine Anregung bat der neue Strafanstaltsdirektor Leonhard Hess die Strafanstaltsdirektoren mehrerer Städte - welcher genau lässt sich nicht mit Sicherheit sagen - um Zusendung ihrer Hausordnung. Die Direktoren der Anstalten von Bern, St. Gallen, Zürich und Lausanne kamen der Aufforderung nach und schickten 1838 ihre jeweiligen Regulierungen nach Basel. 113 Dieses Einholen von Informationen war gängige Praxis im Bereich des Strafvollzugs. So fragte beispielsweise das St. Galler Justizdepartement im Zuge einer tief greifenden Restrukturierung ihres Strafvollzugssystems 1839 die Basler STK nach ihren Erfahrungen, insbesondere im Bereich der Entlassenenfürsorge und Schutzaufsicht. Die STK antwortete darauf mit einem ausführlichen Brief, der jedoch hauptsächlich in langatmigen Reflexionen über das Besserungspotenzial von Sträflingen sowie in Ausführungen über die Basler Strafanstalt und die Schwierigkeiten eines Neubaus bestand. 114 Auch mit den Strafvollzugsbehörden von Basel-Land, Aargau und Schaffhausen fanden in den 1840er Jahren ähnliche Austauschprozesse statt. 115 111 Gesetz Beamtungen Strafanstalt 1835, § 15, S. 515. 112 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 4.7.1840, S. 1. 113 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Direktor Strafanstalt Zürich an Hess, Strafanstaltsdirektor BS, 21.1.1838; Direktor Zuchtanstalten Bern an Hess, Strafanstaltsdirektor BS, 9.4.1838; Direktor maison pénitentiaire Lausanne an Hess, Strafanstaltsdirektor BS, 10.2.1838; Polizeidepartement St. Gallen an Hess, Strafanstaltsdirektor BS, 5.2.1838. 114 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, St. Galler Justizdepartement an die STK, 18.1.1839; Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an das St. Galler Justizdepartement, o. D. 115 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Justiz- und Polizeidepartement Basel-Land an die Polizeidirektion BS, 22.9.1841; Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an das Justiz- und Polizeidepartement Basel-Land, 11.10.1841; Landammann und Kleiner Rat Aargau an den KR BS, 1.3.1842; Vorsteher der Strafanstalt Schaffhausen an Nörbel, Strafanstaltsdirektor BS, 29.10.1846. <?page no="133"?> 134 Bernoulli verfasste daraufhin den Entwurf einer umfassenden Hausordnung, welchen die STK im Jahr 1840 dem Kleinen Rat vorlegte. Der Entwurf fällt zunächst v. a. durch seine Präambel auf, worin der Zweck der Strafanstalt definiert wurde: «Die Strafanstalt, wo die zur Ketten, Zuchthaus und Einsperrungsstrafe Verurteilten aufbewahrt werden, hat den Zweck, die Verurteilten während der Dauer ihrer Strafzeit für die bürgerliche Gesellschaft unschädlich zu machen, sie womöglich zu aufrichtiger Reue über ihre Vergehungen zu bringen, und an Zucht, Ordnung, Arbeitsamkeit und Verträglichkeit zu gewöhnen, damit sie als gebesserte und nützliche Menschen nach ausgestandener Strafe der ihnen zu Teil werdenden Freiheit sich würdig zu zeigen vermögen.» 116 Nicht nur wurde also der Zweck der Besserung von Beginn weg festgeschrieben, es wurde auch gleich deutlich gemacht, was Bernoulli bzw. die STK darunter verstand - die Straffälligen zu «nützlichen Menschen» zu machen. Wie bereits aus den bisherigen Ausführungen deutlich wurde, galt der Fokus der STK dabei insbesondere der Arbeitstätigkeit der Gefangenen. Trotzdem beschränkte sich die Hausordnung von 1840 auf relativ wenige Vorgaben im Bereich der Beschäftigung der Gefangenen. Hauptsächlich wurde festgeschrieben, dass die Sträflinge grundsätzlich täglich zehn bis zwölf Stunden zu arbeiten hatten und Feier- und Sonntage nur im Ausnahmefall arbeitsfrei waren. Für alles andere wurde auf die Verantwortlichkeit des Direktors verwiesen, der u. a. die Arbeiten verteilen und die täglichen Mindestpensen festlegen sollte. 117 Während der Direktor also in diesem Bereich erwartungsgemäß über weitgehende Kompetenzen verfügte, galt dies nicht für Haftverschärfungen und ähnliche Disziplinarmaßnahmen: Die STK behielt sich die alleinige Strafbefugnis vor. 118 Weitere Punkte der Hausordnung regulierten den Schulunterricht, die religiöse Unterweisung und den Gottesdienst, was alles in die Kompetenz der Anstaltsgeistlichen fiel, wobei diese dem Direktor Rechenschaft schuldig waren. 119 Täglich sollten zwei Stunden Unterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen für die männlichen Insassen stattfinden; der Anstaltspfarrer ernannte diejenigen Sträflinge, welche daran teilnehmen durften. Die weiblichen Sträflinge erhielten dagegen keinen Schulunterricht, sondern nur die religiöse Unterweisung durch den Pfarrer. Letztere fand alle zwei Wochen sonntags statt, hinzu kam bei Bedarf spezieller Konfirmationsunterricht. 120 So wurden all jene Aspekte festgeschrieben, welche sich in den letzten Jahrzehnten in Zusammenarbeit zwischen privaten, staatlichen und geistlichen Akteuren etabliert hatten. 116 StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.2, Hausordnung der Strafanstalt, 4.7.1840, Präambel, S. 1. 117 Ebenda, Kap. 19, S. 16f. 118 Ebenda, Kap. 23, S. 19f. 119 Ebenda, Kap. 3, S. 24-26. 120 Ebenda, Kap. 14f., S. 11f. <?page no="134"?> 135 Im Bereich der Aufsicht veränderte sich dagegen kaum etwas. Nach wie vor gab es einen Hausmeister, dessen Frau als Hauptaufseherin für die weiblichen Gefangenen fungierte, wobei diese Aufgabe nun offiziell festgeschrieben wurde. Hinzu kamen vier bis fünf Unteraufseher und eine Aufseherin, von denen jeweils drei bis vier gleichzeitig anwesend waren. 121 Mit jeweils fünf bis sechs Aufsichtspersonen auf durchschnittlich 63 Gefangene im Jahr 1840 verfügte die Anstalt also nach wie vor über eine eher knapp berechnete Aufsicht. 122 Der Kleine Rat nahm nur geringfügige Änderungen am Entwurf vor und verabschiedete die neue Hausordnung am 4. Juli 1840. 123 Insgesamt handelte es sich bei der neuen Ordnung vor allem um eine Anpassung der rechtlichen Vorgaben an die herrschende Praxis. Dass sie damit keine großen Reformschritte einleitete war denn auch der STK selbst klar, welche im Begleitschreiben zum Entwurf der Ordnung Folgendes festhielt: «Vergleichen wir unsere Hausordnung […] mit den Reglementen ähnlicher Anstalten in Genf, Lausanne, Bern, St. Gallen, so müssen wir freilich gestehen dass die Unsrige gar Manches, ja das Meiste entbehrt was ein Strafhaus zur Besserungsanstalt machen kann. Allein dieses aufzunehmen stand nicht in unserer Macht. Denn uns stehen nicht die Mittel zu Gebote, welche dort zu diesem Zwecke verwendet werden; und überall tritt uns hemmend entgegen: die gänzliche Unbrauchbarkeit des jetzigen Lokals zu seinem Zwecke. Möchte es einmal der obersten Landesbehörde gefallen, diesem Teile des Staatshaushaltes seine Aufmerksamkeit zu widmen.» 124 Eine Pfarrstelle in der Strafanstalt Während die Hausordnung von 1840 auch sämtliche Belange des restlichen Anstaltspersonals regelte, wartete die STK im Hinblick auf die Anstaltsgeistlichen ab. Der Grund dafür lag wie in den 1820er Jahren primär in der Person des Anstaltsgeistlichen Theophil Passavant. Dieser war - mit Unterbrüchen - seit 1821 in der Zuchtanstalt engagiert und seit 1830 als Pfarrer bei St. Jakob und damit auch in der Anstalt angestellt. Passavant verfügte für seine Anstellung in der Zuchtanstalt über einen unbefristeten Vertrag, welcher aufgrund seiner parallelen Pfarrstelle bei St. Jakob aber keine Vollzeittätigkeit in der Anstalt zuließ. Dies war jedenfalls die Ablehnungsbegründung der Zuchtanstaltsinspektion, als der Kirchenrat 1831 für die Schaffung einer einzelnen vollen Pfarrstelle in der Anstalt plädiert hatte. 125 Als 121 Ebenda, Kap. 5f., S. 28-33. 122 Vgl. zu den Gefangenenzahlen Anhang 5: Insassen, Insassinnen und Entlassene der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910, S. 301. 123 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Beschluss des KR BS, 4.7.1840. 124 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 4.7.1840, S. 2. 125 StABS AHA Kirchen, G 14, Zuchtanstaltsinspektion an den Kirchenrat BS, 14.2.1832. <?page no="135"?> 136 dieselbe Frage 1839, aus Anlass des Rücktritts des Anstaltsgeistlichen Johann Christoph Stähelin, wieder diskutiert wurde, lautete die Argumentation der STK deutlich weniger formalistisch: «Herr Pfarrer Passavant nähmlich bekleidet bekanntlich seit 1830 das Amt eines Predigers bei St. Jacob zugleich mit demjenigen eines Seelsorgers in der Strafanstalt; Er versieht seine beiden Stellen mit gleicher Treue und Liebe, und wie er […] mit besonderem Eifer anstrebt, aus unserer Strafanstalt eine Besserungs-Anstalt zu machen, so wirkt er zu St. Jacob mit gleichem Segen, im Kreise einer zwar kleinen, aber ihm sehr threuen Gemeinde. Obschon nun die Rücksicht für diese, uns nicht so nahe liegt, als die Pflicht für die andere, so glauben wir doch es liege nicht in Hochdero Ansicht jenen Pfarrer Passavant, dem einen oder anderen Wirkungs-Kreise entzogen zu sehen, sondern, das besondere Interesse der Strafanstalt müsse billig höheren Rücksichten auf das Allgemeine Beste nachstehen.» 126 Im selben Jahr betonte die STK in ihrem Jahresbericht die besonders guten Beziehungen, welche mit Passavant bestünden. 127 Aufgrund derer sah die STK offenkundig keinen Grund für einen Systemwechsel und machte damit ein weiteres Mal deutlich, wie stark sie sich in ihrer Organisation von einzelnen Personen oder Situationen leiten ließ. Entsprechend verzichtete die STK denn auch zunächst auf die Ausarbeitung einer neuen Pfarrordnung im Rahmen der Hausordnung von 1840. 128 Tatsächlich handelte es sich bei Passavant um eine bemerkenswerte Figur: Während seiner Tätigkeit bei St. Jakob baute er die sogenannten «Sonntagssäle» als sozialpädagogisches Freizeitangebot für Fabrikarbeiter und Handwerkergesellen auf und war gleichzeitig im Rahmen der Basler Mission in der Unterstützung von Auswanderern tätig. 129 Es ist ohne Zweifel davon auszugehen, dass dieses starke christlich-soziale Engagement auch in der Basler Zuchtanstalt zutage trat. So dauerte es denn bis zum Rücktritt Passavants 1841, bis sich die STK erneut den Anstaltsgeistlichen zuwandte. Sie hatte jedoch 1839 den Kleinen Rat vorsorglich gebeten, den Nachfolger Stähelins nur provisorisch anzustellen und sah sich daher in der Lage, ohne vertragliche Bindungen die Schaffung einer einzelnen Pfarrstelle in der Anstalt anzustreben. 130 Ihr diesbezügliches Gutachten an den Kleinen Rat liest sich als flammendes Plädoyer für die zentrale Bedeutung des Geistlichen in der Strafanstalt: 126 StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 24.4.1839, S. 2f. 127 StABS AHA Straf und Polizei, Z 11 1834-1862, Jahresbericht 1839, S. 10. 128 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 4.7.1840, S. 2. 129 Thomas K. K UHN , Artikel «Passavant, Theophil» (2009), in: HLS, online unter: http: / / www.hlsdhs-dss.ch/ textes/ d/ D10780.php [7.3.2013]. Für eine zeitgenössische Einschätzung von Passavants Engagement in der Zuchtanstalt vgl. Adolf S ARASIN , Theophil Passavant. Abriss seines Lebens. Aus dem Volksboten zusammengestellt und erweitert, Basel 1865, S. 40. 130 StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 24.4.1839, S. 3. <?page no="136"?> 137 «Wenn auch die Strafanstalt eine nur kleine Gemeinde ist, so ist deren Besorgung doch gewiss im Verhältnis schwierig. Ihre Behandlung erfordert genaue Bekanntschaft mit jedem einzelnen Gefangenen, welche nur durch lange Beobachtung erworben wird. Der Prediger an der Strafanstalt ist zugleich Seelsorger, Religionslehrer, Schulaufseher. Will er sein Amt mit Treue und Liebe verwalten, so ist seiner Thätigkeit ein weites Feld eröffnet.» 131 Daher brauche es einen Pfarrer, der seine gesamte Aufmerksamkeit der Strafanstalt widme, und nicht wie bisher parallel dazu die Pfarrstelle bei St. Jakob versehe. Zudem müsse die Stelle angemessen vergütet werden, wofür die STK einen Lohn von 1’200 alten Franken jährlich vorschlug. Bisher hatten die beiden Geistlichen zusammen 1’213 alte Franken jährlich erhalten, worin auch die Tätigkeit bei St. Jakob enthalten war - die STK verlangte also eine deutliche Aufstockung der Ausgaben für die Pfarrstellen bei St. Jakob und in der Strafanstalt. 132 Die daraufhin sich entspinnende Diskussion, an welcher sich neben der STK und dem Kleinen Rat auch der Kirchenrat, das Kirchen- und Schulkollegium des Kleinen Rats sowie der unterdessen zum Antistes aufgestiegene Jakob Burckhardt beteiligten, drehte sich denn auch vorrangig um die Höhe des Salärs. Während der Kleine Rat und seine Gremien zu einer Aufhebung der Pfarrstelle von St. Jakob tendierten, versuchten Burckhardt und der Kirchenrat dies zu verhindern - keiner der Akteure stellte jedoch die Pfarrstelle in der Strafanstalt und deren Entlohnung grundsätzlich in Frage. 133 Mindestens im Fall des Kirchen- und Schulkollegiums vermag dies kaum zu erstaunen, war dessen Präsident doch ein gewisser Peter Burckhardt-Im Hof - seines Zeichens Präsident der STK; ein weiteres Beispiel also für die enorme Bedeutung einzelner Personen sowie ihrer Beziehungen und Abmachungen untereinander in der Stadtbasler Verwaltung. Im Juni 1842 verabschiedete der Große Rat schließlich das neue Gesetz über die Pfarrstelle in der Zuchtanstalt, welches in allen Punkten den Vorschlägen der STK entsprach: Die Stelle wurde in den Rang einer Filialstelle erhoben und mit 1’200 alten Franken jährlich dotiert. Der Anstaltspfarrer unterstand daher in kirchlichen Fragen dem Münsterkapitel, in allen anderen Aspekten der STK. Diese wurde denn auch mit der Ausarbeitung der Amtsordnung betraut. 134 Auch Kirchenrat und Antistes erhielten ihren Willen, indem die Pfarrstelle bei St. Jakob beibehalten wurde. 135 131 StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 4.3.1842, S. 3, Hervorhebung im Original. 132 StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 4.3.1842, S. 3f. 133 StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt, Antistes, an den KR BS, 19.3.1842; Kirchen- und Schulkollegium des KR BS an den KR BS, 17.3.1842; Burckhardt, Antistes, an den KR BS, 28.3.1842. 134 Gesetz über die Pfarrstelle für die Strafanstalten, 13.6.1842, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 10, S. 286f. 135 Gesetz betreffend die Stelle eines Pfarrers zu St. Jakob, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 10, S. 287f. <?page no="137"?> 138 Die Gründe für die Forderung der STK nach einer Filialisierung der Strafanstaltspfarrstelle sind vielschichtiger Natur. So ist sicher vom Wunsch der STK nach einer grundlegenden Statusänderung des Anstaltsgeistlichen auszugehen. Durch den höheren Lohn sowie den Rang der Stelle als vollwertige Filiale konnte die STK hoffen, auch erfahrenere Pfarrer für den Posten zu gewinnen, die nicht nach jeweils wenigen Jahren zurücktreten würden. Ein einzelner Pfarrer, der seine volle Aufmerksamkeit der Strafanstalt widmete, versprach zudem eine deutliche Vereinfachung der Zusammenarbeit unter den verschiedenen Akteuren. Wie Burckhardt-Im Hof festhielt, habe zwar das bisherige System mit zwei Anstaltsgeistlichen der «Strafanstalt gewiss nur zum Segen gereicht», es könne aber «unter andern Umständen auch hemmend wirken.» 136 Mit der Anstellung eines einzelnen Pfarrers machte sich die STK zwar stärker von einer Einzelperson abhängig, gleichzeitig schuf sie sich damit aber auch eine verlässliche Ansprechperson, die über die Vorgänge in der Strafanstalt bestens informiert war. Wie aus den Besuchsnotizen der Anstaltsgeistlichen hervorgeht, verfügten sie dank den Einzelgesprächen im Rahmen der Seelsorge und der Einsicht in die Akten der Inhaftierten über umfassendes Wissen über die einzelnen Sträflinge. In diesen Notizen finden sich zudem private Briefe von Insassen und Insassinnen an ihre Angehörigen, was darauf hindeutet, dass die Pfarrer zumindest informell auch für die Briefkontrolle zuständig waren. 137 Da scheint es nur folgerichtig, dass die STK in der neuen Amtsordnung für den Strafanstaltspfarrer, die im Juli 1842 vom Kleinen Rat angenommen wurde, dem Informationsaustausch zwischen Pfarrer, Direktor und STK vermehrte Aufmerksamkeit widmete. Verschiedene Paragraphen regulierten Art und Frequenz der gegenseitigen Information. Im Hinblick auf sein Aufgabengebiet änderte sich wenig, neu hatte der Pfarrer aber die Oberaufsicht über die Strafanstaltschule sowie über die Bibliothek inne. 138 Dies änderte in der Sache zwar kaum etwas, da die Geistlichen bereits zuvor für die Überwachung des Schulunterrichts wie auch der Erbauungsbücher zuständig gewesen waren - mit der Institutionalisierung dessen konsolidierte die STK aber die Verdrängung der GGG bzw. ihrer Kommission aus dem Inneren der Strafanstalt. Nach der Annahme der neuen Pfarrordnung ging die Wahl des neuen Pfarrers rasch vonstatten und am 31. August 1842 wurde Karl-Ulrich Stückelberger als neuer Anstaltspfarrer bestätigt. 139 Stückelberger war seit 1837 der Schwiegervater von Peter Stähelin, Vorsteher der Patronagekommission - womit die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und dem Anstaltspfarrer unter idealen Vorzeichen stand. 140 136 StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 4.3.1842, S. 2. 137 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Besuchsübersicht Anstaltspfarrer 1840-42. Zur zentralen Funktion der Anstaltsgeistlichen in der Generierung von Wissen über Sträflinge vgl. auch S CHAUZ , Seelsorge, S. 249-256. 138 StABS AHA Kirchen, G 14, Ordnung eines Pfarrers an der Strafanstalt, 9.7.1842, § 1-9, S. 1-3. 139 StABS AHA Kirchen, G 14, Beschluss des KR BS, 31.8.1842. 140 Vgl. den Stammbaum unter http: / / www.stroux.org/ patriz_f/ stQV_f/ SuL_f.pdf [29.4.2017]. <?page no="138"?> 139 Während so die Stelle des protestantischen Anstaltspfarrers aufgewertet wurde, fristeten die katholischen Geistlichen an der Strafanstalt nach wie vor ein bescheidenes Dasein. Infolge der Kantonstrennung hatte sich die Anzahl katholischer Sträflinge reduziert, was die STK bereits 1835 veranlasst hatte, eine Reduktion der Entschädigung für den katholischen Geistlichen von 160 auf 60 alte Franken zu fordern. 141 Der Kleine Rat hatte dies ein wenig abgeschwächt, die Gratifikation aber dennoch auf 100 alte Franken reduziert. 142 Auch 1842 war denn eine Aufwertung der katholischen Seelsorge in der Anstalt kein Thema. Immerhin rangen sich die STK und der Kleine Rat durch, folgenden Passus in die neue Pfarrordnung für den protestantischen Geistlichen aufzunehmen: «Da [dem] Gottesdienste alle Gefangenen jeder Religion und Konfession beiwohnen, so wird er, Busse und Glauben verkündigend, und die heilige Schrift seinen Betrachtungen zu Grund legend, alle unnötige Polemik vermeiden.» 143 Diese explizite Rücksichtnahme auf Häftlinge anderer Konfession oder Religion hatte Jakob Burckhardt, damals noch Obersthelfer, bereits 1821 vorgeschlagen, dies war jedoch vom Kleinen Rat kommentarlos ignoriert worden. 144 Praxis der Straffälligenhilfe unter neuen Vorzeichen Mit dem Rückzug der GGG aus dem Inneren der Strafanstalt und der Reorganisation der Personal- und Hausordnung hatten sich zwar die Zuständigkeiten im Bereich des Mehrverdienstsystems gewandelt, in der Praxis änderte sich jedoch wenig. Als Tätigkeiten boten sich nach wie vor v. a. verschiedene Formen der Textilverarbeitung an, so 1834 das «Seiden winden und zwirnen, Sessel und Stroh flechten, Wollen rupfen, spinnen etc.» sowie die Fabrikation des Halbleinens für die Sträflingskleidung. 145 Anders als im Jahrzehnt zuvor finden sich nach 1833 keine regelmäßigen Aufrufe bezüglich einer Arbeitsknappheit in der Anstalt - es ist aber unklar, ob diese nicht mehr bestand oder ob die STK andere Wege beschritt, um eine solche zu beheben. Die Übernahme der Verantwortung für Arbeitstätigkeit und Mehrverdienst durch die STK brachte eine deutlich detailliertere Abrechnung des Arbeitsertrags mit sich, als dies in den Jahren zuvor der Fall gewesen war. Bezeichnenderweise wurde nun Jahr für Jahr berechnet, wie viel ein einzelner Sträfling pro Tag kostete und wie viel er davon durch seinen Arbeitsertrag selbst einbrachte. Dies 141 StABS AHA Straf und Polizei, Z 11 1834-1862, Jahresbericht 1835, S. 2; StABS AHA Kirchen, G 14, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 4.9.1835. 142 StABS AHA Kirchen, G 14, Beschluss des KR BS, 5.9.1835. 143 StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.2, Ordnung für den Strafanstaltspfarrer o. D. 1842, §6, S. 27. 144 StABS AHA Kirchen, G 14, Instruktion für die Prediger an der Zuchtanstalt, Vorschlag von Burckhardt, Obersthelfer, o. D. 1820, S. 1f. 145 Verwaltungsbericht BS 1834, S. 49. <?page no="139"?> 140 verdeutlicht, dass die wirtschaftliche Situation der Anstalt einen mindestens ebenso wichtigen Grund für die forcierte Arbeitstätigkeit der Gefangenen darstellte, wie deren Disziplinierung und Resozialisierung. Auf eine Analyse der entsprechenden Zahlen wird für den hier behandelten Zeitraum zunächst verzichtet, dies wird im folgenden Kapitel nachgeholt. 146 Auch der Mehrverdienst der Sträflinge wurde nach 1834 genauer beziffert. In den Verwaltungsberichten der Strafanstalt finden sich aber jeweils nur Angaben über die Höhe des gesamten ausbezahlten Betrags sowie über den heruntergerechneten Betrag pro Kopf und pro Tag. Bei letzterem handelte es sich aber um eine eigentlich fiktive Zahl, da nicht alle Sträflinge denselben Verdienstanteil erhielten und zudem nicht alle überhaupt am Mehrverdienstsystem teilnehmen konnten - sei es wegen entsprechenden Disziplinarstrafen oder wegen zu kurzer Haftdauer. Dennoch erlauben die Zahlen einen gewissen Einblick in die Höhe des Mehrverdiensts: So zeigen die vorhandenen Angaben, dass zwischen 1839 und 1850 der Verdienstanteil pro Sträfling jährlich im Schnitt 22 alte Franken betrug, dies bei einer bezifferten Arbeitsleistung von durchschnittlich 89 alten Franken. Ritzmann-Blickenstorfer gibt für denselben Zeitraum einen Lohn von 1.15 bis 1.20 alten Franken täglich für einen Hilfsarbeiter in der Textilwirtschaft an - die Entschädigungen in der Strafanstalt lagen also massiv unter den üblichen Marktlöhnen. 147 Auch der Schulunterricht ging zunächst seinen gewohnten Gang, indem ein externer Schullehrer gegen eine finanzielle Entschädigung täglich zwei Stunden Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen erteilte. 1836 stellte die STK jedoch fest, dass nur noch ein kleiner Teil der Sträflinge diesen Unterricht besuche, da diejenigen, welche «in lesen, schreiben und rechnen genügsam unterrichtet sind, sowie diejenigen welche wegen vorgerücktem Alter keine Lust dazu bezeugen, davon dispensiert sind.» 148 Genaue Zahlen dazu lassen sich nicht eruieren, der Rückgang war aber anscheinend groß genug, dass die STK entschied, für den Moment auf die Dienste des Lehrers zu verzichten. Stattdessen sollte, wie bereits während der 1820er Jahre, ein Insasse, Johannes Walder, unter Aufsicht der Anstaltsgeistlichen den Unterricht erteilen. In welcher Weise Walder dafür entschädigt wurde, ist unklar, es war jedoch nicht in Form einer offiziellen Entlohnung. 149 Im nächsten Jahr wechselten sich je nach Anzahl Sträflinge, die am Unterricht teilnahmen, Walder und der externe Lehrer in der Erteilung des täglichen Unterrichts ab. 146 Vgl. unten, S. 163. 147 Textilarbeiterlöhne nach Branchen, ca. 1815-1875, in: R ITZMANN -B LICKENSTORFER , Historische Statistik, S. 446. Die Berechnungen zum Mehrverdienst basieren auf den Angaben in Verwaltungsbericht BS 1839, S. 61-63, Beilage C; Verwaltungsbericht BS 1840, S. 60f.; Beilage C; Verwaltungsbericht BS 1841, S. 41f., Beilage C; Verwaltungsbericht BS 1842, S. 52-55, Beilage D; Verwaltungsbericht BS 1843, S. 53f., Beilage E; Verwaltungsbericht BS 1844, 49f., Beilage C; Verwaltungsbericht BS 1845, S. 47f., Beilage E; Verwaltungsbericht BS 1846, S. 56f., Beilage E; Verwaltungsbericht BS 1847, S. 58-60, Beilage E; Verwaltungsbericht BS 1848, S. 54-56, Beilage E; Verwaltungsbericht BS 1849, S. 75-77, Beilage E; Verwaltungsbericht BS 1850, S. 70, Beilage E. 148 StABS AHA Straf und Polizei, Z 11 1834-1862, Jahresbericht 1836, S. 3. 149 StABS AHA Straf und Polizei, Z 11 1834-1862 , Jahresbericht 1836, S. 3f. <?page no="140"?> 141 Mitte 1837 stand jedoch Walders Entlassung an, so dass sich die STK gezwungen sah, eine längerfristige Lösung anzustreben. Sie stellte daher auf Ende 1837 einen externen Lehrer fest für zwei Stunden täglich an, der für diese Tätigkeit eine Entschädigung von vier alten Franken die Woche erhielt. 150 Diesen Betrag übernahmen vollumfänglich die Behörden, so dass damit nicht nur eine Stabilisierung des Schulunterrichts stattfand, sondern auch der Rückzug der GGG aus dem Inneren der Strafanstalt endgültig besiegelt wurde. Diese hatte bis zu dem Zeitpunkt noch die Hälfte des Schulunterrichts finanziert. Es blieb jedoch dabei, dass in gewissen Fällen weiterhin Insassen die Erteilung von Unterricht übernahmen. So hielt die STK 1839 fest, dass neu auch Französisch unterrichtet werde und zwar durch einen Sträfling «von besserer Erziehung». 151 Zur selben Zeit widmete sich die STK dem Aufbau einer kleinen Bibliothek für die Strafanstalt. So forderte sie zunächst die Anstaltsgeistlichen auf, geeignete Bücher zu bezeichnen, welche den Sträflingen zur Lektüre abgegeben werden könnten. Auf Basis dieser Liste und mithilfe von Spenden schaffte sie Ende 1838 «eine kleine Sammlung von nützlichen Unterhaltungsbüchern» im Umfang von 46 Werken an, die den Insassen und Insassinnen zur Verfügung stehen sollten. 152 Dabei schrieb sie fest, dass die Sträflinge keine anderen Bücher als diejenigen aus dieser Bibliothek erhalten bzw. lesen dürften. Ebenso dürften nur diejenigen Sträflinge Bücher ausleihen, die sich «des Vertrauens würdig» erwiesen hatten. 153 Auch hier tritt der Wille der STK, den Alltag in der Strafanstalt strikter zu regulieren und vor allem externe Einflüsse zu minimieren, deutlich hervor. Dass es ihr mit der Kontrolle der vorhandenen Literatur ernst war, bekam 1843 der katholische Pfarrer Sebastian von Büren zu spüren. Von Büren, der als katholischer Geistlicher in der Strafanstalt agierte, erhielt im März 1843 von der STK die Mitteilung, dass sämtliche Literatur, die den Sträflingen abgegeben würde, zuerst von zwei protestantischen Theologen geprüft werden müsse. 154 Im Wissen darum, dass der protestantische Anstaltsgeistliche dieser Bestimmung nicht unterlag, empfand von Büren dies - zu Recht - als Affront: «[…] wie sollen protestantische Professoren sich zu Censoren katholischer Bücher aufwerfen? Auf solche Weise kann jedes katholische Buch, das man den Züchtlingen katholischer Religion zu lesen geben möchte, aus dem Zuchthaus verbannt werden. Was würde man mir antworten, wenn ich verlangte, man möchte mir die Bücher und Traktate, die man protestantischer Seits den katholischen Zücht- 150 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an den KR BS, 30.9.1837. 151 StABS AHA Straf und Polizei, Z 11 1834-1862, Jahresbericht 1839, S. 6. 152 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Anstaltsgeistliche an die STK, 8.1.1838; StABS AHA Straf und Polizei, Z 11 1834-1862, Jahresbericht 1838, S. 9 (Zitat). 153 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1833-1839, Entwurf von Bestimmungen über die Anlegung der Büchersammlung, o. D. (Zitat S. 2). Eine Zusammenstellung der in der Strafanstalt vorhandenen Bücher zwischen 1840 und 1945 findet sich in StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.2 unter dem Registerstichwort «Bibliothek». 154 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Burckhardt-Im Hof, Präsident STK, an von Büren, 22.3.1843. <?page no="141"?> 142 lingen in die Hände gibt, zur Ansicht geben, des mündlichen Unterrichts, den sie von Frauen und andern anhören müssen, nicht zu gedenken? - Bezüglich kann ich als nur geduldeter katholischer Pfarrer gegen ein solches Verfahren keine Protestation einlegen, sondern nur an Wohlderselben Rechtsgefühl appellieren.» 155 Mit seiner Einschätzung sollte von Büren Recht behalten - die STK nahm das Schreiben kommentarlos zur Kenntnis und behielt die fragliche Bestimmung bei. Bemerkenswert ist jedoch die scharfe Formulierung von Bürens. Wie bereits mehrfach gezeigt, war der katholische Geistliche gegenüber seinen protestantischen Amtskollegen zwar tatsächlich deutlich schlechter gestellt. Dieser Brief von Bürens ist aber der erste und einzige Beleg für dessen Frustration über diese Tatsache. 4.4 «Wenig Erhebliches zu berichten.» 156 Schwierige Anfänge der Patronage Nach ihrem Rückzug aus der Strafanstalt und ihrer Neukonstituierung als Patronagekommission begann die Kommission der GGG noch 1837 mit ihrer neuen Tätigkeit. Wie die Protokolle zeigen, ging sie dabei wenig planvoll vor. Weder existierte ein festgelegter Ablauf bei der Entlassung von Sträflingen noch verfügte die Kommission über Kriterien, unter welchen über die Gabe oder Verweigerung von Unterstützungsgeldern entschieden wurde. Vielmehr scheint die Kommission zumindest anfangs einfach auf Anfragen von Sträflingen reagiert zu haben. 157 Ähnlich wie beim Mehrverdienstreglement versuchte sie also, Bedürfnissen entgegenzukommen, die «von unten» an sie herangetragen wurden, womit sie den Verurteilten einen gewissen Handlungsspielraum eröffnete. Bezeichnenderweise verzichtete die Patronagekommission aber darauf, im Vorfeld abzuklären, ob diese Bedürfnisse überhaupt vorhanden waren. Guter Rat ist teuer Die Patronagekommission nahm ihre Tätigkeit 1837 mit einer gesunden Portion Naivität auf. Rasch sah sie sich jedoch mit einer grundlegenden Problematik konfrontiert, die durchaus absehbar gewesen wäre: 155 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, von Büren an die STK, 28.3.1843, S. 1f., Hervorhebung im Original. 156 JB GGG 62 (1838), S. 102. 157 Protokolle Zuchtanstaltskommission 1821-1846, 27.6.1837; 27.11.1837; 23.11.1838. <?page no="142"?> 143 «Es bot sich ihr beinahe keine Gelegenheit dar, sich mit ihrem Hauptzweck zu beschäftigen, nämlich austretenden Sträflingen zu ihrem fernern Fortkommen oder Unterbringen behülflich zu seyn, aus dem einfachen Grunde, weil die allermeisten derselben Fremde waren, die nach ausgestandener Strafzeit sogleich über die Grenze geführt wurden […].» 158 Diese fehlenden Gelegenheiten äußerten sich u. a. darin, dass die Patronagekommission in den ersten zwei Jahren ihrer Existenz gerademal vier Sitzungen abhielt. 159 Wie viele Sträflinge um 1838 anderen Staaten oder Kantonen entstammten, lässt sich nicht eruieren, da die STK erst in den 1850er Jahren damit begann, über die Herkunft der Sträflinge Buch zu führen. In dieser Zeit bewegte sich der Anteil Kantonsangehöriger jeweils zwischen 20 und 30 Prozent. Etwa dieselbe Menge Sträflinge entstammte anderen Schweizer Kantonen, der Rest dem Ausland. 160 Laut geltendem Recht wurden diese im Normalfall nach Absitzen der Strafe des Landes verwiesen. Ebenso wurden Bürger anderer Kantone in bestimmten Fällen aus dem Kanton gewiesen. 161 Diesen Entlassenen konnte die Patronagekommission nur in finanzieller Hinsicht Beistand leisten, da sie meist weder über das Geld für ihre Heimreise noch über einigermaßen intakte Kleidung verfügten. 162 Damit handelte die Kommission entgegen ihrer eigenen Prinzipien, hatte sie doch bei ihrer Gründung festgehalten, sie wolle sich vor allem auf die «Ertheilung guten Raths, Verwendung um Arbeit und Empfehlung der Sträflinge bei Fabrikherren oder anderen Herrschaften» konzentrieren. 163 Nachdem sie aber festgestellt hatte, dass dieser Grundsatz den realen Bedürfnissen der Entlassenen nicht Stand hielt, passte sie sich rasch den Gegebenheiten an: Sie übernahm in den ersten beiden Jahren ihres Bestehens die Reisekosten für vier Entlassene und stattete neun mit neuer Kleidung aus. Während sich diese Unterstützung vor allem auf Kantonsfremde fokussierte, versuchte die Kommission die aus der Anstalt entlassenen Basler intensiver zu betreuen. Auch hier war die Bilanz der ersten beiden Jahre jedoch ernüchternd: In einem Fall bezahlte sie die Auslösung von Schuhmacherwerkzeug, das bei der Verurteilung seines Besitzers zur Zahlung der Haftkosten verpfändet worden war; nur einem Entlassenen war sie bei der Stellensuche behilflich, indem sie als dessen Referenz fungierte 164 - dies bei doch 158 JB GGG 62 (1838), S. 102. 159 Protokolle Zuchtanstaltskommission 1821-1846, 27.6.1837; 27.11.1837, 23.11.1838, 9.9.1839. 160 Verwaltungsbericht BS 1855, Beilage F; Verwaltungsbericht BS 1860, Beilage D. 161 Criminalgesetzbuch BS 1835, § 29f., S. 438. 162 JB GGG 62 (1838), S. 102. 163 StABS PA 146a, U 4.1, Bernoulli, Vorsteher Zuchtanstaltskommission, an die GGG, 18.4.1837, S. 2. 164 JB GGG 62 (1838), S. 102f.; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1839, S. 1. <?page no="143"?> 144 durchschnittlich 83 Entlassenen jährlich. 165 Vor diesem Hintergrund mutet folgende Feststellung aus dem Jahresbericht der GGG von 1838 beinahe trotzig an: «Ueberhaupt wird dieselbe [die Patronagekommission, E.K.] nur in den seltensten Fällen Geldunterstützungen eintreten lassen, sondern hauptsächlich darauf ausgehen, durch Verwendung und guten Rath den Austretenden eine bleibende Besserung zu erleichtern.» 166 Wie die folgende Tabelle der Ausgaben für Kleidungs- und Reisekosten zeigt, blieb dieses Vorhaben auch in den nächsten Jahren wenig erfolgreich: 167 Jahr Kleidung Reisegeld Gesamt Unterstützte Kosten (alte Franken) Unterstützte Kosten (alte Franken) Unterstützte Kosten (alte Franken) 1838 5 11.- 2 3.20 7 14.20 1839 4 28.70 2 2.70 6 31.40 1840 15 65.70 21 45.55 36 111.25 1841 7 17.- 15 26.30 22 43.30 1842 7 46.90 8 12.50 15 59.40 1843 5 23.10 9 9.30 14 32.40 1844 9 85.05 15 15.35 24 100.40 Während hier zwar nicht von einer konstanten Steigerung gesprochen werden kann, wird dennoch deutlich, dass sich die Patronage keineswegs nur auf die «Ertheilung guten Raths» beschränkte. Die teils deutlichen Schwankungen in den Beträgen sind v. a. auf eine seit 1838 in unregelmäßigen Abständen durchgeführte Altkleidersammlung unter den Mitgliedern der GGG zurückzuführen, welche die Ausgaben der Patronagekommission verringerte. 168 Parallel zur Finanzierung akuter Bedürfnisse einer teils größeren Anzahl Entlassener gelang es der Kommission dennoch, in einigen Fällen stärker dem ursprünglich geplanten Vorgehen nachzukommen. Insbesondere verschaffte sie verschiedenen männlichen Entlassenen Stellen bei Handwerkern, hauptsächlich Schuhmachern und Posamentern. Entlassenen Frauen wurde dagegen meist einfach die Heimreise zu ihren Verwandten bezahlt. Von fünf besonders betreuten 165 Zu den Entlassenenzahlen vgl. Anhang 5: Insassen, Insassinnen und Entlassene der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910, S. 301. 166 JB GGG 62 (1838), S. 25. 167 Die Tabelle basiert auf den Jahresrechnungen der Patronagekommission in JB GGG 62 (1838), S. 106; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1839, Beilage; JB GGG 64 (1840), S. 103; JB GGG 65 (1841), S. 112; JB GGG 66 (1842), S. 111; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1843, Beilage; JB GGG 68 (1844), S. 118. 168 JB GGG 62 (1838), S. 25. <?page no="144"?> 145 weiblichen Entlassenen zwischen 1838 und 1844 wurde nur einer Frau eine Stelle als Magd vermittelt. Bei drei anderen brüstete sich die Kommission zumindest damit, sie «habe ihre Verwandten bewegen» können, diese wieder aufzunehmen. 169 Immer wieder beklagte die Kommission aber, dass ihre Bemühungen kaum Wirkung zeigten: «Was nun die eigenen Kantonsangehörigen, die entlassen worden, betrifft, so muss auch hier unsere Kommission bedauern, ohne sich jedoch entmuthigen zu lassen, dass das Wenige, was ihr zu leisten gelingt, oft durch die betreffenden Sträflinge selbst vereitelt wird. Ein hiesiger verdienstloser Bürger nämlich, dem wir hintereinander zwei Plätze verschafft hatten, verlor beide in sehr kurzer Zeit durch sein unstelliges Betragen, so dass wir nunmehr glaubten, ihn seine eigenen Wege gehen lassen zu müssen.» 170 Obwohl sich die entsprechenden Jahresberichte über die Gründe dieses und ähnlicher Fehlschläge ausschweigen, braucht es wenig Fantasie, sich diese zusammenzureimen. Ein frisch entlassener Straftäter, der nur auf Vermittlung einflussreicher Basler Bürger überhaupt eine Stelle erhielt, konnte wohl kaum von einer wohlwollenden Aufnahme an seinem neuen Arbeitsort ausgehen, sondern wurde vielmehr bei der kleinsten Verfehlung scharf abgemahnt oder direkt wieder entlassen. Ebenso waren wohl viele Entlassene aufgrund ihres Lebenswandels vor der Verurteilung nicht an eine regelmäßige Arbeitstätigkeit gewohnt und hatten dementsprechend Schwierigkeiten, sich darin zurechtzufinden - erst recht, da ihnen oft nur Handlangerpositionen verschafft wurden. Es ist offenkundig, dass die Kombination dieser beiden Aspekte alles andere als ideale Voraussetzungen für eine (Wieder-)Eingliederung ins Arbeitsleben darstellten. Ein wenig positiver schätzte die Patronagekommission die Erfahrungen mit jungen Entlassenen ein - wobei nicht näher spezifiziert wurde, was als jung galt - , welchen sie Lehrstellen vermittelte. In den ersten sechs Jahren ihres Bestehens brachte die Kommission neun junge Männer in verschiedenen Handwerksbetrieben als Lehrlinge unter, wobei sie das Kost- und Lehrgeld übernahm. Diese Ausgaben lösten denn auch rasch die Kleidungs- und Reisekosten als höchsten Posten ab und zeichneten hauptverantwortlich für die Verdreifachung des Budgets der Patronagekommission auf 300 alte Franken zwischen 1838 und 1844. Tendenziell blieben diese jüngeren Entlassenen zwar ein wenig länger auf ihren zugewiesenen Arbeitsstellen, auch sie schienen sich aber nicht auf Dauer dort einrichten zu wollen: Von den neun Lehrlingen verließen acht ihre Stellen vor Ablauf der Lehrzeit, nur ein einziger schloss seine Schneiderlehre erfolgreich ab. Von den acht 169 JB GGG 62 (1838), S. 102f.; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1839, S. 1f.; JB GGG 64 (1840), S. 100f. (Zitat S. 101); JB GGG 65 (1841), S. 109f.; JB GGG 66 (1842), S. 107-109; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1843, S. 1f.; JB GGG 68 (1844), S. 115f. 170 JB GGG 64 (1840), S. 101. <?page no="145"?> 146 anderen wurden zwei erneut straffällig. 171 Dennoch nahm die Kommission diese Bestrebungen als erfolgreicher wahr und deklarierte 1844: «[Wir] sehen […] die Erfahrung immer mehr hervortreten, dass bei den hiesigen Verhältnissen unsere Wirksamkeit sich beinahe ausschließlich auf die jungen Sträflinge beschränken muss. Denn was die Erwachsenen anbetrifft, so sind die große Mehrzahl Fremde und von hier Verwiesene, bei welchen es in der Regel außer unserer Macht liegt, etwas anderes für sie zu thun, als sie nöthigenfalls mit Kleidern oder etwas Reisegeld zu versehen; und bei hiesigen Angehörigen, welche etwa unserer Hülfe bedürften, bildet häufig ihre Persönlichkeit oder die Art ihrer Vergehen, wie solche gegen das Eigenthum, ein fast unübersteigliches Hinderniss, ihnen wieder im hiesigen Kantonstheil ein Unterkommen zu verschaffen, - Nicht so verhält es sich mit jungen Leuten, bei denen auch Untreue mit mehr Nachsicht beurtheilt und gern als jugendlicher Leichtsinn angesehen wird. Besserung ist eher zu hoffen und gegen Bezahlung eines Lehrgeldes findet sich noch mancher wohlmeinende Meister, der sich eines solchen Lehrlings annehmen will.» 172 Hier wird der Topos der «unverbesserlichen» Straftäter und -täterinnen ersichtlich: Eine Gruppe von meist älteren Straffälligen, die aufgrund ihrer sittlich-moralischen Verwahrlosung nicht mehr für Besserungsmaßnahmen des Strafvollzugs empfänglich seien. Exponenten des Gefängnisreformdiskurses beschrieben diese Figur bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert und erklärten ihre Existenz mit dem bisherigen Strafvollzug, der genau diesen moralischen Zerfall bestimmter Personengruppen gefördert habe. 173 Auch die Basler Patronagekommission scheint dieses Urteil über einzelne Straffällige geteilt zu haben und wollte sich fortan vornehmlich auf Jugendliche fokussieren. Dies tat sie denn auch in den darauf folgenden Jahren, wobei sie aber weiterhin mangelnden Erfolg beklagte. So hielt sie beispielsweise 1848 fest, dass sich «die traurigen Erfahrungen früherer Jahre […] neuerdings bestätigt» hätten. 174 Obwohl ihr die Frage des Erfolgs offenkundig ein Anliegen war, formulierte die Patronagekommission keine konkreten Bedingungen, wann eine Wiedereingliederung als gelungen betrachtet werden konnte. Selbstverständlich spielte die 171 Die Angaben zu den Entlassenen basieren auf den Jahresberichten der Patronagekommission in JB GGG 62 (1838), S. 102f.; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1839, S.1f.; JB GGG 64 (1840), S. 100f.; JB GGG 65 (1841), S. 109f.; JB GGG 66 (1842), S. 107-109; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patrongekommission 1843, S. 1f.; JB GGG 68 (1844), S. 115f.; JB GGG 69 (1845), S. 101-103. Die Angaben zum Budget der Patronagekommission basieren auf JB GGG 64 (1840), S. 102; JB GGG 65 (1841), S. 110; JB GGG 68 (1844), S. 117. Zu den Finanzen der Patronagekommission vgl. auch Anhang 3: Finanzen der Zuchtanstaltskommission 1824-1835 und der Patronagekommission 1840-1910, S. 298. 172 JB GGG 68 (1844), S. 115f. 173 S CHAUZ , Strafen, S. 199f. 174 JB GGG 72 (1848), S. 81. Ähnlich in JB GGG 69 (1845), S. 101f. und JB GGG 70 (1846), S. 75. <?page no="146"?> 147 Frage der Arbeitstätigkeit eine zentrale Rolle und die Aufgabe derselben war denn auch der häufigste Grund für eine negative Beurteilung eines männlichen Entlassenen. Bei den Frauen dagegen fand in den 1840er Jahren selten eine längerfristige Beobachtung statt, was angesichts dessen, dass sie meist bei Verwandten untergebracht wurden, kaum überrascht - aus den Augen, aus dem Sinn. 175 Bei den Männern spielte es für die Kommission anscheinend keine Rolle, wohin sich die Entlassenen begaben, nachdem sie ihre vermittelte Arbeitsstelle verloren oder verlassen hatten. Sobald dieser Fall eingetreten war, beurteilte sie die Resozialisierung als gescheitert, egal ob der Betreffende erneut straffällig geworden war oder nicht. Die Kommission verfolgte offenkundig nicht nur das Ziel der Verhinderung erneuter Straftaten, sondern verlangte eine gewisse Unterordnung unter ihre normativen Anforderungen in Bezug auf die Entlassenen - dies freilich ohne über Disziplinarmittel in irgendeiner Form zu verfügen. Zwischen Fürsorge und Aufsicht 1844 unternahm die Kommission nun einen Versuch, den Mangel an Druck- oder Disziplinierungsmitteln zu beheben. Eng mit dieser Frage verbunden ist der Aspekt der Aufsicht über die Entlassenen. Die Basler Patronagekommission hatte bei ihrer Gründung kein Vorgehen festgelegt, wie das Verhalten der Entlassenen überprüft werden sollte und dementsprechend keine Bedingungen für die Fortzahlung von Unterstützungsgeldern definiert. Damit unterschied sich die Kommission deutlich von ihren Pendants in Genf, Bern und St. Gallen, die sich denn auch im deutschsprachigen Fall als Schutzaufsichtsverein bzw. -komitee bezeichneten. Diese drei Vereine hatten ihre Unterstützungsleistungen von Beginn weg explizit an Anforderungen an das Verhalten der Entlassenen geknüpft und überprüften dies auch mehr oder weniger regelmäßig. Sie verstanden ihre Tätigkeit als eine Kombination aus Unterstützung und Überwachung - eine Ambivalenz, die sich im Begriff der Schutzaufsicht niederschlägt. Mit Ausnahme von Bern griffen sie dabei von Anfang an auf das Pekulium der Entlassenen zurück, also auf ihren während der Haftdauer angesparten Verdienst: Um die Schutzaufsicht in Anspruch zu nehmen, mussten die Entlassenen ihr Erspartes der Verwaltung der Vereine oder des ihnen zugewiesenen Schutzaufsehers überlassen. Letztere verfügten damit über ein probates Druckmittel, damit sich die Entlassenen ihren Vorgaben unterwarfen. Noch einen Schritt weiter ging das sanktgallische Komitee, welches in mehrerlei Hinsicht als Spezialfall gelten muss. Hier war die Schutzaufsicht obligatorisch und wurde von einem privaten Vereinskomitee mit behördlichem Auftrag organisiert. Entsprechend verfügte dieses Komitee über weitreichende Kompetenzen, wie die Unterstellung von Entlassenen unter Polizeiaufsicht sowie die Festlegung des Wohnsitzes Entlassener und der Dauer der 175 Die Vermittlung weiblicher Entlassener wird erwähnt in JB GGG 64 (1840), S. 101; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1843, S. 1; JB GGG 70 (1846), S. 75. <?page no="147"?> 148 Schutzaufsicht. 176 Auch in deutschen Gebieten, namentlich in Preußen, verfügten die Schutzaufseher über Instrumente, um die Kooperation der Entlassenen sicherzustellen - etwa die Einbehaltung des Pekuliums oder die Anordnung von Polizeiaufsicht. 177 Die Basler Patronagekommission fiel also mit einer zunächst primär unterstützenden Tätigkeit aus dem Rahmen, verfügte aber auch nicht über die Mittel, stärker disziplinierend zu wirken. Bei der 1839 eingeleiteten Suche nach ebensolchen Mitteln stieß die Kommission aber rasch auf einen alten Bekannten: den Mehrverdienst der Sträflinge. In einem ersten Schritt beantragte sie bei der STK, den Mehrverdienst Entlassener an die Pfarrer ihrer jeweiligen Heimatorte zu senden, um so sicherzustellen, dass die Entlassenen sich dorthin begaben. 178 Der Antrag scheint sich aber im Sande verlaufen zu haben. Ein neuer Anlauf folgte 1844. Anlass gaben Diskussionen innerhalb der Patronagekommission über einen jungen Entlassenen, der über ein relativ hohes Pekulium von 20 alten Franken verfügte und sich Vermittlungsversuchen durch die Kommission widersetzte. Da er bereits einmal rückfällig geworden war, scheint er den Kommissionsmitgliedern ein besonderer Dorn im Auge gewesen zu sein. Er wurde daher zum Anlass genommen, um bei der STK zu beantragen, dass die Patronagekommission inskünftig über das Pekulium Entlassener verfügen dürfe. 179 Die STK hielt dies für angemessen und ermächtigte den Direktor, das Pekulium derjenigen Entlassenen, «welche vom L. Verein versorgt werden», den Kommissionsmitgliedern auszuhändigen. 180 Der Beschluss ließ - ob absichtlich oder nicht - offen, wem die Entscheidung darüber zukam, ob ein Entlassener nun von der Patronagekommission betreut wurde oder nicht. Dieser Unklarheit schuf aber der Vorsteher der Patronagekommission, Peter Stähelin, rasch Abhilfe. Drei Tage nach dem Entscheid der STK teilte er dem Direktor der Strafanstalt mit, dass die Patronagekommission, wenn sie «sich veranlasst sieht, sich eines zu entlassenden Züchtlings anzunehmen», das Pekulium vom Direktor in Empfang nehmen werde. 181 Die Patronagekommission riss also die Verwaltung des Pekuliums von Sträflingen an sich, Widerstand dagegen regte sich keiner. In der Praxis scheint das neue System aber kaum einen Unterschied gemacht zu haben. So finden sich keine Hinweise darauf, dass die Verwaltung des Pekuliums als Druckmittel eingesetzt wurde, um die Kooperation Entlassener sicherzustellen. Dies muss jedoch 176 Für den Berner Schutzaufsichtsverein vgl. K ELLER , Der Bernische Schutzaufsichtsverein; Johann G. S CHAFFROTH , Die Schutzaufsicht für entlassene Sträflinge im Kanton Bern. Referat vor dem Ausschuss für kirchliche Liebestätigkeit, Montag den 8. Juni 1896, Bern 1896; S CHAFFROTH , Gefängniswesen; für das Genfer comité de patronage des libérés siehe Notice patronage Genève; R OTH , Pratiques pénitentiaires, S. 206-216 und für das St. Galler Schutzaufsichtskomitee K ELLER , Strafvollzug und Fürsorge. Für die Schutzaufsicht in der Schweiz im Allgemeinen vgl. L UDI , Fabrikation des Verbrechens, insbes. S. 360-369. 177 S CHAUZ , Strafen, S. 135-139. 178 Protokolle Zuchtanstaltskommission 1821-1846, 9.9.1839. 179 Protokolle Zuchtanstaltskommission 1821-1846, 2.2.1844; 29.5.1844. 180 Protokolle STK 1842-1854, 28.5.1844, S. 152. 181 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Stähelin, Vorsteher Patronagekommission, an Nörbel, Strafanstaltsdirektor BS, 31.5.1844. <?page no="148"?> 149 keineswegs heißen, dass dem nicht so war: Weder in den Protokollen noch in den Jahresberichten der Kommission finden sich genauere Informationen über den Umgang mit dem Pekulium oder über die Herkunft der Unterstützungsleistungen für einzelne Entlassene. Hinweise in den Quellen auf disziplinarische Maßnahmen bzw. Sanktionen bei Fehlverhalten der Entlassenen sind ein sehr rares Gut. Einzig 1846 findet sich die Information, dass ein Entlassener «alle fernere Unterstützung […] verwirkt» habe, nachdem er sich unerlaubterweise von seiner Lehrstelle entfernt habe. 182 Entsprechend sind denn auch keine dem Systemwechsel zu verdankende Erfolge der Patronagekommission nachzuweisen: Zwischen 1845 und 1850 vermittelte sie neun Lehrlinge, wovon acht ihre Stellen innert zwei Jahren wieder verließen. 183 Trotz der wohl geringen praktischen Wirksamkeit ist die Tatsache, dass die Patronagekommission ohne jegliche rechtliche Grundlage das Recht an sich riss, über das Pekulium der Sträflinge zu verfügen, höchst bemerkenswert. So zeigt sie ein weiteres Mal die weitgehenden Kompetenzen, welche sich die privaten Straffälligenhelfer innerhalb des staatlichen Strafvollzugs aneignen konnten. Weiter wird daraus deutlich, dass weder von Seiten der STK noch von Seiten der Philanthropen Bedenken hinsichtlich möglicher Grenzüberschreitungen bezüglich des Umgangs mit den Entlassenen existierten. Obwohl letztere ihre Strafe abgesessen hatten, erlaubten sich die Straffälligenhelfer ohne Skrupel, weiter über Aspekte ihres Lebens zu verfügen. Umgang mit Kantonsfremden und dem Grenzraum Während sich also die Betreuung entlassener Basler schwierig genug gestaltete, sah sich die Patronagekommission zusätzlich mit dem Problem der Kantonsfremden konfrontiert. In diesen Fällen waren Versuche, eine längerfristige persönliche Aufsicht über die Entlassenen zu installieren von vornherein zum Scheitern verurteilt, da diese den Kanton in den allermeisten Fällen zu verlassen hatten. Da traf es sich eigentlich gut, dass bereits 1838 eine Anfrage des Genfer comité de patronage pour les détenus libérés die Basler Kommission erreichte. Das comité lud die Patronagekommission ein, an einem geplanten Treffen mehrerer schweizerischer Schutzaufsichtsvereine und -komitees in Lausanne teilzunehmen, wie die Basler Kommission in ihrem Jahresbericht schilderte: «[…] das Genfer Commitée […] arbeitet auch dahin, sich wo möglich mit ähnlichen Committées in andern Städten in Verbindung zu setzen, welche dann alle diejenigen Sträflinge, welche genöthigt wären einen andern Aufenthaltsort zu wählen; sich gegenseitig zuweisen und zur Beihülfe empfehlen würden. Es ist nun aber in die Augen fallend, 182 JB GGG 70 (1846), S. 76. 183 JB GGG 69 (1845), S. 101-103; JB GGG 70 (1846), S. 74-76; JB GGG 71 (1847), S. 77-79; JB GGG 72 (1848), S. 81-83; JB GGG 73 (1849), S. 82-84; JB GGG 74 (1850), S. 97f. <?page no="149"?> 150 wertheste Herren und Freunde, dass der Verwirklichung dieses letztern Vorhabens mancherlei Hindernisse im Wege stehen. Es bedürfte bei den betreffenden Committées außer vieler Hingebung und christlicher Liebe, eines sehr bedeutenden Zeitaufwands und gewiss nicht unbeträchtlicher Geldmittel, und wir sahen uns daher vor der Hand […] außer Stand darauf näher einzutreten […].» 184 Obwohl der Patronagekommission hier also ein Lösungsansatz auf dem Silbertablett serviert wurde, zierte sie sich mit dem Verweis auf finanziellen und zeitlichen Aufwand. Immerhin kam sie nach einiger Beratung zum Schluss, dass eine abgeschwächte Version eines solchen Abkommens durchaus wünschenswert wäre, indem nur die jeweiligen Kantonsangehörigen einander zugewiesen würden - dies daher, da «aus verschiedenen Gründen vorauszusehen ist, dass wenige Angehörige unsers Kantonstheils von anderswo uns zuzuweisen seyn würden […].» Weiter betonte die Kommission, dass eine solche Übereinkunft insbesondere mit Kantonen der Deutschschweiz wünschenswert wäre, da ihnen ein Großteil der Sträflinge in Basel entstammten. 185 Die Patronagekommission zeigte sich also der Zusammenarbeit mit anderen Vereinen oder Komitees nicht grundsätzlich abgeneigt - nur wenn möglich, ohne sich selbst deutlich mehr Arbeit zu verschaffen. Die Komitees von Genf und Lausanne waren bereit, auf die abgespeckte Variante des Abkommens einzugehen und diese trat 1839 in Kraft. Im darauffolgenden Jahr richtete die Patronagekommission denselben Vorschlag an die Vereine in Neuenburg, Bern und St. Gallen, wovon die beiden letzteren erst 1839 gegründet worden waren. Bern und Neuenburg gingen auf das Abkommen ein, während St. Gallen darauf verwies, sich zunächst der Organisation innerhalb des Kantons widmen zu wollen. Weitere Schutzaufsichtsvereine existierten in der Eidgenossenschaft um 1839 noch nicht, wobei die Patronagekommission insbesondere deren Fehlen in Basel-Land und im Aargau bedauerte. 186 Es gab jedoch Alternativen: «Dagegen bietet sich uns hinsichtlich der nicht schweizerischen Züchtlinge eine erfreuliche Aussicht dar, indem wir vor kurzem vernommen haben, dass im Königreich Württemberg und Großherzogtum Baden das Patronage von Seiten des Staats organisiert sey und die über ersteres Land erhaltenen Angaben zeigen uns, dass diese Sache dort ernsthaft betrieben wird. Wir werden nun suchen uns darüber noch mehr Kenntnis zu verschaffen und im Fall es sich thun lässt auch dort ähnliche Verbindungen, wie mit den oben erwähnten Comités, anzuknüpfen.» 187 184 JB GGG 62 (1838), S. 104. 185 JB GGG 62 (1838), S. 104f. (Zitat S. 105). 186 Protokolle Zuchtanstaltskommission 1821-1846, 9.9.1839; 4.10.1839; 6.12.1839; 7.2.1840; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1839, S. 1f.; JB GGG 64 (1840), S. 100f. 187 StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1839, S. 2. <?page no="150"?> 151 Auch der württembergische Verein nahm das Angebot zur Zusammenarbeit an. Weniger Glück hatte die Basler Kommission mit einem Verein in Karlsruhe und einem in Straßburg - ersterer existierte um 1840 anscheinend nicht mehr, letzterem untersagten seine Statuten den Abschluss von Abkommen mit anderen Vereinen. 188 So baute sich die Basler Patronagekommission rasch ein Netz mit benachbarten und weiter entfernten Schutzaufsichtsvereinen auf - bleibt die Frage, wie und ob dies denn auch funktionierte. Die Idee bestand darin, den jeweiligen Verein über austretende Sträflinge aus ihrem Gebiet zu informieren und den Entlassenen die Reise dorthin zu finanzieren. Im Idealfall sollte dann ein Vereinsmitglied den Entlassenen oder die Entlassene unmittelbar nach der Ankunft in Empfang nehmen und zur vermittelten Unterkunft und Arbeitsstelle geleiten. Inwiefern diese geplante engmaschige Aufsicht gelang, lässt sich für die 1840er Jahre nicht eruieren. Dies hängt auch damit zusammen, dass auch nach Abschluss der verschiedenen Abkommen die Überstellung an andere Vereine eher die Ausnahme denn die Regel darstellte. So überwies die Basler Kommission in den 1840er Jahren gerade mal einen Entlassenen an den Berner Schutzaufsichtsverein und «einige» an den württembergischen Verein. Eine Frau wurde dem Stuttgarter Verein überwiesen, mit dem kein eigentliches Abkommen bestand. 189 Der Basler Kommission wies in diesem Zeitraum kein Verein Entlassene zu. Auch ohne die Vermittlung anderer Vereine ließ sich die Patronagekommission jedoch nicht von den Stadtbasler Kantonsgrenzen aufhalten. Sie erwähnte mehrfach die Unterbringung von Entlassenen im angrenzenden Ausland. So vermittelte sie 1840 einem Elsässer eine Lehrstelle in «einem benachbarten französischen Dorfe», brachte einen elfjährigen Entlassenen in einer Armenanstalt bei Straßburg unter oder setzte sich im Falle von drei Württembergerinnen bei deren Verwandten für ihre Wiederaufnahme ein. 190 Ebenso brachte sie einzelne Entlassene auf dem Gebiet von Basel-Land unter. 191 Die Patronagekommission scheint sich also im Basler Grenzraum relativ frei bewegt zu haben, ohne stets auf die Unterstützung anderer Vereine zurückzugreifen. Oft war es dabei der Anstaltsgeistliche Stückelberger, der seine Kontakte zu nutzen wusste und Entlassenen eine Stelle und Unterkunft in anderen Gebieten vermitteln konnte. 192 Während die Kommission zwar mehr Abkommen mit eidgenössischen Schutzaufsichtsvereinen abgeschlossen hatte als mit deutschen oder französischen, waren für ihre Tätigkeit die nichteidgenössischen Regionen wichtiger. Dies erstaunt kaum, handelte es sich bei letzteren doch um Nachbargebiete Basels, während weder Aargau noch Basel-Land über einen Schutzaufsichtsverein verfügten. Dennoch gilt es hier festzuhalten, wie selbstverständlich die Basler Patronage- 188 JB GGG 64 (1840), S. 100. 189 JB GGG 64 (1840), S. 101 (Zitat); JB GGG 65 (1841), S. 110; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1843, S. 1. 190 JB GGG 64 (1840), S. 101 (Zitat); JB GGG 65 (1841), S. 109. 191 JB GGG 69 (1845), S. 101; JB GGG 70 (1846), S. 76f. 192 JB GGG 69 (1845), S. 103. <?page no="151"?> 152 kommission das angrenzende Ausland in ihre Tätigkeit einbezog und ihre Vernetzung ohne Rücksicht auf nationale Grenzziehungen pflegte. 4.5 Zwischenfazit: Monopolisierung und ein neues Betätigungsfeld Die 1830er und frühen 1840er Jahre brachten für die Basler Straffälligenhilfe eine Konsolidierung und, damit einhergehend, eine deutliche Ausdifferenzierung der Zuständigkeitsbereiche. Die STK übernahm das Mehrverdienstreglement und eine Anzahl Mitglieder von der Zuchtanstaltskommission, wodurch jahrelange Aushandlungsprozesse um staatliche und private Zuständigkeitsbereiche ein vorläufiges Ende fanden. Die Schaffung einer vollen Pfarrstelle brachte auch im Bereich des religiösen Engagements mehr Klarheit, dies insbesondere durch die neue Hausordnung für den Pfarrer und die Vereinigung aller entsprechenden Pflichten und Kompetenzen auf eine Person. Die Entwicklungen sind auch eindeutiger Ausdruck einer verstärkten administrativen Durchdringung des Basler Strafvollzugs sowie der Straffälligenhilfe. Unterstrichen wurde dies durch die Anstellung eines Direktors. Mit ihm schuf sich die STK eine einzelne Anlaufstelle für sämtliche Anliegen anstelle der bisherigen Mischung von Verantwortlichen. Mit dem alten Bekannten Leonhard Hess fand sie dafür einen Mann, der den Basler Strafvollzug und die Abläufe innerhalb der STK seit Jahren kannte. Dies macht auch deutlich, dass es bei der Reorganisation in den 1830er Jahren keineswegs um einen Bruch mit den vorherigen Strukturen ging. Vielmehr reagierten STK und Behörden auf die Erfahrungswerte des vorangegangenen Jahrzehnts, ein Vorgehen, welches wiederum durch die Rekrutierung von Mitgliedern der Zuchtanstaltskommission für die STK unterstrichen wird. Letzteres war selbstredend vor allem in der Übernahme des Mehrverdienstreglements durch die STK begründet. Nachdem sie auch hier - wie zuvor beispielsweise beim Schulunterricht - zunächst der Kommission der GGG freie Hand gelassen hatte, übernahm die STK nach erfolgreicher Bewährung des Reglements schrittweise das Zepter. Die Frage der Arbeitstätigkeit und des Verdiensts der Sträflinge ist für eine Strafanstalt des 19. Jahrhunderts eine derart grundlegende, dass das Eingreifen der STK wenig überraschend erscheint. Im Gegenteil ist es erstaunlich, dass sie das starke Engagement der Zuchtanstaltskommission in dem Bereich überhaupt zugelassen hatte. Der Grund dafür ist wohl in der engen personellen Durchmischung von STK und Zuchtanstaltskommission bzw. den nahen Beziehungen zwischen ihnen zu suchen. Daraus resultierte eine starke Durchlässigkeit zwischen staatlichen, privaten und geistlichen Gefilden. So war denn auch die Übernahme des Mehrverdiensts keine feindliche: Die Kommission der GGG scheint absolut einverstanden damit gewesen zu sein, ihre hauptsächliche Tätigkeit abzugeben und sich neuen Aufgaben zuzuwenden. Dies macht deutlich, <?page no="152"?> 153 wie sehr es sich bei der Aufteilung von Pflichten und Kompetenzen um ein stetiges Ausloten der jeweiligen Zuständigkeiten von Staat, Philanthropie und Geistlichen handelte. So bildeten die drei Gruppen letztlich gemeinsam eine gouvernementalistische Instanz, welche die unteren Gesellschaftsschichten ihren Vorstellungen gemäß zu formen und zu erziehen suchte. Weiter illustriert die Reorganisation von STK und Zuchtanstaltskommission, wie frühe Formen der Verwissenschaftlichung, wie sie im vorherigen Kapitel angesprochen wurden, ihren Eingang in behördliche Strukturen fanden. So beförderte die STK die Philanthropen der Zuchtanstaltskommission, die sich in den vorangegangenen zehn Jahren einiges an Wissen über den Strafvollzug und die Sträflinge angeeignet hatten, in eine neue Position, in welcher sich der staatliche Strafvollzug ebendieses Wissen zu Nutze machen konnte. Konkret äußerte sich dies im vorliegenden Fall in Verschärfungen und anderen Anpassungen des Mehrverdienstreglements. Dies macht ersichtlich, auf welche Weise diese frühen Formen der Akkumulierung von Wissen über bestimmte soziale Gruppen auch bei staatlichen Stellen Lernprozesse auslösen und damit die Entwicklung neuer Instrumente oder Regulierungen beeinflussen konnten. Insgesamt brachten die Entwicklungen der 1830er Jahre eine gewisse Monopolisierung des Raumes Strafanstalt mit sich. Durch die klarere Aufteilung von Kompetenzen, das stärkere Engagement der STK und den weitgehenden Rückzug der Zuchtanstaltskommission aus den Anstaltsmauern schwand die Anzahl Externer, die den Basler Anstaltsalltag prägten, deutlich. Auch der Rückzug des Obersthelfers bestätigt diese Entwicklung, die als Schritt hin zu einer Professionalisierung weiterer Aspekte des Strafvollzugs charakterisiert werden kann. Im Übrigen war die Abschließung der Strafanstalt bei weitem keine totale: Weiterhin gingen Private im Rahmen der Anstaltsvisitationen ein und aus, Missionsschüler unterrichteten die Sträflinge und auch der Frauenverein führte seine Besuche der Insassinnen weiter. Die Reaktion der GGG und ihrer Zuchtanstaltskommission auf diese teilweise Abschließung ist typisch für die Logik philanthropischer Vereine und Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Sofort begann sie damit, sich eine neue Klientel und damit letztlich eine fortgesetzte Legitimation zu schaffen. Nachdem es der Kommission gelungen war, ihre Ideen innerhalb der Anstalt umzusetzen, wandte sie sich deren Fortführung außerhalb zu. So versuchte sie die Erziehung der Sträflinge zu funktionalen Mitgliedern der Gesellschaft fortzusetzen. Der anhaltende Fokus auf die Arbeitstätigkeit der Entlassenen ist dabei augenfällig. Leicht überspitzt ließe sich dieser so beurteilen, dass sich die Zuchtanstaltskommission nach erfolgreichem Umbau der Strafanstalt in eine billige Produktionsstätte der Aufgabe zuwandte, nun auch die Entlassenen zu funktionierenden Rädchen im kapitalistischen System zu machen. Den hochgesteckten Zielen zum Trotz war die Kommission zunächst wenig erfolgreich. Ihre Bemühungen scheiterten nicht nur am fehlenden Enthusiasmus der Entlassenen, sondern auch an den nicht vorhandenen Möglichkeiten zur <?page no="153"?> 154 Disziplinierung der Betreuten. Dies versuchte die Kommission in den 1840er Jahren zu ändern, indem sie die Verwaltung des Pekuliums, d. h. der Ersparnisse der Entlassenen, übernahm. Obwohl dieser Schritt keine feststellbaren Veränderungen nach sich zog, illustriert er die weitgehenden Kompetenzen der Philanthropen in der Basler Straffälligenhilfe. Bereits in dieser frühen Phase der Entlassenenfürsorge wurde zudem ein Problem deutlich, das die Patronagekommission durch das gesamte 19. Jahrhundert begleiten sollte: Die geographische Lage der Stadt Basel brachte es mit sich, dass ein Großteil der Entlassenen als Kantonsfremde außerhalb des Stadtgebiets, im angrenzenden In- und Ausland untergebracht werden musste. Um dies zu ermöglichen, setzte die Patronagekommission auf eine Kombination aus Abkommen mit anderen Vereinen und Eigeninitiative in den entsprechenden Regionen - relativ rasch scheint sich dabei die Unterbringung Entlassener auf eigene Faust als erfolgversprechender bewährt zu haben. Beide Vorgehensweisen verdeutlichen dabei insbesondere, wie selbstverständlich sich die Basler Philanthropen im Grenzraum um die Stadt bewegten. Wie sich diese Strategien der Patronagekommission weiter entwickelten und inwiefern ihr dabei Erfolg vergönnt war, ist Thema des folgenden Kapitels. <?page no="154"?> 155 5 Anstaltsneubau und das Zwischenspiel Zwangsarbeit: 1848-1874 Nach Jahrzehnten der Klagen über die Unzulänglichkeiten des Basler Predigerklosters als Strafanstalt brachten die 1850er Jahre endlich das konkrete Projekt eines Neubaus, der Strafanstalt Schällemätteli, die 1864 eröffnet wurde. Der Weg dazu sowie die damit einhergehenden Überlegungen und Schwierigkeiten sind Thema des ersten Teils dieses Kapitels. Dabei wurden auch gewisse Anpassungen im Bereich der Hausordnung sowie des Strafrechts nötig, welche - soweit relevant - ebenfalls betrachtet werden. Während also im Bereich des Strafvollzugs einiges passierte, waren die 1850er und -60er Jahre für die private Basler Straffälligenhilfe eine relativ ereignisarme Zeit. Die in den Jahrzehnten zuvor etablierten Abläufe waren weitgehend eingespielt; Anlass für Konflikte zwischen den verschiedenen Akteursgruppen gab es kaum. Dies hing auch mit der deutlicheren Trennung zwischen privaten und staatlichen Sphären im Strafvollzug zusammen, die im vorangegangenen Kapitel geschildert wurde. Von sporadischen Visitationen in der Anstalt abgesehen, hatten sich die männlichen Philanthropen weitgehend aus der Strafanstalt zurückgezogen und fokussierten auf die Betreuung Entlassener. Nach wie vor gelang es ihnen dabei höchst selten, ihre Zielsetzung, die «entlassenen Sträflinge wieder zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft heranzubilden», zu erreichen. 1 Im zweiten Teil des vorliegenden Kapitels soll daher zunächst aufgezeigt werden, mit welchen Schwierigkeiten sich die Patronagekommission konfrontiert sah und welche Strategien sie zu deren Beilegung entwickelte. Der weitgehende Rückzug aus der Strafanstalt betraf dabei nicht den Frauenverein zur Betreuung weiblicher Sträflinge. Dessen Mitglieder bewegten sich weiterhin inner- und außerhalb der Anstalt und betreuten sowohl Insassinnen als auch entlassene Frauen. Wie in den Jahrzehnten zuvor taten sie dies zu Beginn der 1850er Jahre noch weitgehend unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der männlichen Akteure im Strafvollzug. Dies änderte sich aber bis in die 1860er Jahre und der Frauenverein wurde phasenweise zu einer Art Vorbild für die männlichen Philanthropen. Diese Entwicklung sowie die Art und Weise des weiblichen Engagements sind Thema des zweiten Teils dieses Kapitels. Im dritten Teil schließlich steht zunächst die Frage im Fokus, weswegen sich die GGG weiterhin dem wenig prestigeträchtigen Bereich der Straffälligenhilfe annahm - eine Frage, die auf das Selbstbild der GGG zielt und daher untrennbar mit ihrer Positionierung gegenüber dem Staat verbunden ist. Aus dieser Analyse ergibt sich die Entwicklung der Idee einer Zwangsarbeitsanstalt, welche Ende der 1850er Jahre verwirklicht wurde. Deren kurze Geschichte schließt den dritten Teil des Kapitels ab, worauf ein Zwischenfazit folgt. 1 JB GGG 71 (1847), S. 79. <?page no="155"?> 156 5.1 Neubau und Anstaltsrevision Dass die Bedingungen innerhalb der Basler Strafanstalt auch nach 25 Jahren Engagement der GGG nicht über alle Zweifel erhaben waren, führte den Zeitgenossen und -genossinnen ein Ausbruch von Skorbut im Sommer 1847 unmissverständlich vor Augen. Mindestens elf Häftlinge erkrankten innerhalb weniger Tage. Dank rasch ergriffener Maßnahmen durch den Hausarzt konnten diese aber geheilt und weitere Erkrankungen vermieden werden. Insbesondere verbesserte der Arzt die Versorgung der Häftlinge mit Früchten und Kartoffeln, die noch im Januar 1847 eingeschränkt worden war. 2 Grund dafür war die durch schlechtes Wetter und einen Ausbruch der Kartoffelkrankheit ausgelöste Versorgungskrise von 1846/ 47, die auch die Stadt Basel hart traf. 3 Trotz der raschen Eindämmung werfen die Erkrankungen ein deutliches Licht auf die nach wie vor herrschenden Mängel im Basler Strafvollzug sowie auf den Stellenwert der Sträflinge Ende der 1840er Jahre. Noch 1891 nannte Ernst Brenner, Regierungsrat von Basel-Stadt, in seinem Rückblick auf die Entwicklung des Basler Gefängniswesens den Ausbruch der Vitaminmangelkrankheit als Beleg für den schlechten Zustand des Basler Strafvollzugs in den 1840er Jahren. 4 Die Sträflingspetition von 1848 Auch die Sträflinge selbst griffen das Thema im Sommer 1848 wieder auf, indem sie versuchten, eine Beschwerde über die schlechte Ernährung in der Anstalt bei der Regierung zu platzieren. Da sie aber über keinerlei legale Mittel verfügten, die Regierung zu erreichen, waren sie zu einer kreativen Herangehensweise gezwungen. Ein Sträfling namens Schmid nahm zu dem Zweck Kontakt mit einer unbekannten Frau auf, die regelmäßig an der Strafanstalt vorbeikam. Einen der Briefe an diese Passantin fand ein Aufseher der Strafanstalt bei einer Zellenkontrolle: «Geehrtes Fräulein! Wie schmerzlich lange war mir die Zeit, seit ich sie nicht mehr sehen konnte und mit welcher Sehnsucht erwartete ich den Tag, an dem es mir wieder vergönnt ist solches Antlitz zu schaun. [...] Schreiben Sie mir auch gefälligst ob Sie mir einige wichtige Aufträge in der Freiheit besorgen könnten oder nicht. Seien Sie Geehrtes Fräulein jedenfalls versichert mit keinem Menschen in Briefwechsel getreten zu sein, der etwa seiner Lage wegen nunmehr verabscheuungswürdig wäre. Nein! 2 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Burckhardt, Hausarzt der Strafanstalt BS an die STK, 17.6.1847. 3 L EUENBERGER , Landwirtschaft. 4 B RENNER , Rückblick, S. 55f. <?page no="156"?> 157 Wenn ich Ihnen später einmal schreibe wie und was für Verhältnisse mich unglücklich gemacht schließen Sie anders.» 5 Was sich liest wie eine Mischung aus Liebesbrief und Bewerbungsschreiben, weckte das Misstrauen der Aufseher und führte zu genaueren Untersuchungen. So stellte sich heraus, dass die Handschrift nicht diejenige Schmids, sondern die eines anderen Sträflings namens Trüeb war. Im anschließenden Verhör gab Trüeb zu Protokoll, er sei von mehreren Gefangenen angefragt worden, eine Beschwerde zuhanden der Basler Regierung über die schlechte Ernährung und Behandlung der Sträflinge zu verfassen. Da die Sträflinge nicht über ein Petitionsrecht verfügten, hätten Trüeb und Schmid gemeinsam den Plan ausgearbeitet, mit einer Passantin anzubandeln und diese zu bewegen, die Petition einem Regierungsmitglied zukommen zu lassen. Dies erklärte Trüeb in einer Stellungnahme zuhanden der STK, worin er auch den Inhalt der Petition darlegte. So schilderte er zunächst die «nicht gehörig verabreichte Kost» sowie weitere Missstände im Bereich der Ernährung, darunter die Verteilung verdorbener Nahrungsmittel. Trüeb beschwor dabei explizit die Gefahr eines erneuten Ausbruchs von Skorbut und erwähnte die diesbezüglichen Vorgaben des Hausarztes, welche kaum eingehalten würden. 6 Auch die weiteren Vorwürfe offenbaren eine detaillierte Kenntnis der herrschenden Vorgaben und Regeln seitens der Insassen und dass sie diese für die eigenen Zwecke zu nutzen wussten. So zitierte Trüeb zunächst aus der Hausordnung der Strafanstalt, wonach «die Gefangenen mit Ernst und Milde zu behandeln» seien. Dies sei aber ganz und gar nicht gegeben, im Gegenteil begegneten die Aufseher den Häftlingen «mit Impertinenz und Bosheit! und nicht mit Milde! » 7 Schließlich griff Trüeb gar auf das Vokabular der Strafvollzugstheoretiker zurück und setzte so die Argumentation der STK gegen sie selbst ein: «Die Grundzüge ihrer Anstalt werden vermuthe ich, wie die jeder andern nämlichen Gattung, neben der Strafe, auch die moralische Besserung der Unglücklichen zur Folge haben wollen. Aber wie kann von moralischer Besserung eine Rede sein, wenn Gottesleugner, frech und ungehindert, den Samen ihrer Irrlehre, wie es der letzthin entlassene Barthelemy gethan ausstreuen dürfen.» 8 Zwar habe der Arbeitsaufseher der Anstalt, «ein in jeder Beziehung, wenn zwar altersschwacher, doch religiöser Mann» mehrfach eine Isolierung Barthelemys gefordert, die STK sei darauf aber nicht eingegangen. 9 Bei Barthelemy dürfte es sich um einen französischen Katholiken handeln, der offenbar relativ offensiv seine Konfession beworben hatte. Die Klage über dessen «Irrlehren» ist hier primär als 5 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Brief des Sträflings Schmid, o. D. [1848], S. 1- 3. 6 Ebenda, S. 1. 7 Ebenda, S. 2. 8 Ebenda. 9 Ebenda. <?page no="157"?> 158 rhetorisches Mittel zu verstehen, griff Trüeb doch damit die von Philanthropen verwendete Stereotypisierung des Sträflings als leicht beeinflussbares, charakterlich wenig gefestigtes Individuum auf. Sich selbst scheint er davon ausgenommen zu haben, was auch aus der gönnerhaften Beschreibung des Arbeitsaufsehers deutlich wird. Neben Trüeb unterschrieben acht weitere Insassen die Petition - dies bei insgesamt durchschnittlich 65 Gefangenen im Jahr 1848. 10 Deren ungelenke Unterschriften lassen den Schluss zu, dass sie im Lesen und Schreiben wenig geübt waren. Trüeb war also allem Anschein nach die treibende Kraft der Sträflingspetition. Auf diesen Standpunkt stellten sich auch die mitunterzeichnenden Sträflinge, die im Nachgang ebenfalls verhört wurden. Mit Ausnahme Schmids gaben sie alle zu Protokoll, sie seien der Meinung gewesen, es ginge um eine Beschwerde wegen einer verdorbenen Mehlsuppe, vom restlichen Inhalt der Petition wüssten sie nichts. Ebenso hätten sie keine Klagen bezüglich ihrer Behandlung durch die Aufseher. Einzig Schmid beschwerte sich über einen Aufseher, der teilweise zu hart mit den Sträflingen umgehe. Aber auch er habe den Inhalt der Petition nicht gekannt und geglaubt, es ginge nur um die Mehlsuppe. 11 Ob die Sträflinge die Wahrheit sagten oder aus Furcht vor Konsequenzen logen, lässt sich nicht eruieren. Sicher ist aber, dass Letzteres begründet gewesen wäre: Sowohl Trüeb als auch Schmid wurden im Nachgang des Vorfalls mit Einzelhaft und Entzug des Mehrverdiensts bestraft. 12 Der Vorfall zeigt damit ein weiteres Mal, wie ausreichend gebildete Häftlinge versuchten, sich für eine Verbesserung ihrer Situation einzusetzen. Anders als in früheren Jahren - am prominentesten beim Beispiel Brändlin 13 - war der Einsatz Trüebs aber nicht von Erfolg gekrönt - im Gegenteil. Dies verweist darauf, dass die STK versuchte, die Disziplin in der Anstalt zu steigern. Dabei ging sie soweit, die Sträflinge für ihre als Petition geäußerte Kritik zu bestrafen. Gleichzeitig gelang es offensichtlich nicht, die Insassen von der Außenwelt komplett abzuschließen, wie Schmids Briefwechsel deutlich gemacht hat. Weiterhin klafften also Anspruch und Wirklichkeit im disziplinarischen Bereich auseinander. Das Schällemätteli Die beschriebene Diskrepanz lag nicht zuletzt in den baulichen Mängeln der Anstalt begründet. Nach wie vor verfügte die Anstalt über zu wenige Einzelzellen, um die Insassen und Insassinnen effektiv voneinander zu trennen. Weitere Probleme waren zu wenig Aufsichtspersonal sowie mangelnde Hygiene. Insbesondere der Strafanstaltspfarrer Karl-Ulrich Stückelberger beklagte in den 1840er Jahren immer wieder die herrschenden Zustände: 10 Verwaltungsbericht BS 1848, Beilage E. 11 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Verhörprotokolle, 14.6.1848. 12 Protokolle STK 1842-1854, 20.6.1848, S. 308-310. 13 Vgl. oben, S. 48. <?page no="158"?> 159 «[…] dass es bei uns nie an Leuten fehlt, die dem Laster noch nicht anheim gefallen sind, bei welchen auch die Spuren besserer Erziehung und guten Unterrichts noch nicht verwischt sind u. die, wenn die äußeren Umgebungen günstig wären, mit leichter Mühe ins rechte Geleise gebracht werden würden, denen man sehr von Herzen wünschen möchte, sie möchten nicht mit andern Sträflingen […] auf einem Zimmer wohnen müssen, sondern nach dem Verlangen ihres Herzens, ruhig, still u. ordentl. leben können, ohne durch Andere gestört zu werden. Aber sie sollen nun mit Verbrechern zusammen wohnen, die vielleicht in vollendeter Lasterhaftigkeit Meister geworden sind, die ihren theoretischen und praktischen Unglauben […] auch Andren beibringen u. deshalb nichts scheuen, ihren Zweck zu erreichen. Das kann nun nichts anderes, als für Jene eine eigentliche Schule des Verbrechens sein […].» 14 Was Stückelberger hier blumig und mit Rückgriff auf den für die Gefängnisreform typischen Topos der «Schule des Verbrechens» schildert, umschreibt Eduard Borel in seiner Geschichte des Basler Strafvollzugs schlicht als «vom hygienischen und moralischen Standpunkt […] unhaltbar». 15 Dies erkannte auch die STK, welche bereits 1842 drei ihrer Mitglieder damit beauftragte, ein Gutachten über eine Verlegung bzw. einen Aus- oder Neubau der Strafanstalt zu erstellen. 16 Daraus entwickelten sich bis 1845 zwei konkretere Konzepte einer Verlegung der Anstalt in andere Gebäude, die aber letztlich beide scheiterten - ob primär an finanziellen oder auch an anderen Problemen lässt sich nicht eruieren. 17 Erst 1857 kam wieder Bewegung in das Projekt und zwar durch eine Schenkung des bekannten Philanthropen Christoph Merian-Burckhardt. 18 Dieser erklärte sich bereit, auf dem Gelände der existierenden Strafanstalt ein neues Spital zu bauen, was den Großen Rat veranlasste, das Land um das ehemalige Predigerkloster - d. h. die Strafanstalt - der Spitalverwaltung für 200’000 Franken zu verkaufen. 19 In der Folge wandte sich die STK der Suche nach einem geeigneten Gelände für eine neue Strafanstalt zu. 20 14 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1846, S. 6f. 15 B OREL , Strafanstalt, S. 6. 16 Protokolle STK 1842-1854, 15.3.1842, S. 18; 5.7.1842, S. 33. 17 B OREL , Strafanstalt, S. 6; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Ratschlag der Strafanstaltskommission betreffend Veräusserung oder Ankauf eines Areals, o. D. [1845]. 18 Zu Merian-Burckhardt vgl. Robert L ABHARDT , Kapital und Moral. Christoph Merian. Eine Biografie, Basel 2011. 19 1848 übernahm der Bund die Münzhoheit und mit dem Eidgenössischen Münzgesetz von 1850 wurde für die gesamte Schweiz die Währung von 1 Franken = 100 Rappen festgelegt. In den Jahren 1851 und 1852 wurde das alte Geld ausgetauscht - entsprechend ist ab 1852 der Franken auch in Basel die maßgebende Währung. Vgl. dazu D EGEN , Bernard, Artikel «Franken» (2013), in: HLS, online unter: https: / / hls-dhs-dss.ch/ de/ articles/ 013671/ 2013-07-11/ [22.7.2019]. 20 B OREL , Strafanstalt, S. 6f.; StABS AHA Protokolle, E 16.6 6. Zucht- und Arbeitsanstalt, Strafanstalten (1855-1899) (Protokolle STK 1855-1899), 13.4.1857, S. 52; 7.5.1857, S. 52-54; StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.1 Die Geschichte der Strafanstalt Basel-Stadt, Teil 1 (1946), Chronologische Zusammenstellung der geschichtlichen Daten der Rats-Sitzungen u. Beschlussfassungen betr. den Bau einer Strafanstalt und deren Baugeschichte, S. 3. <?page no="159"?> 160 Zunächst galt es jedoch zu entscheiden, nach welchem Strafsystem die neue Anstalt geführt werden sollte, leiteten sich doch daraus auch die architektonischen Anforderungen an das neue Gebäude ab. In einem entsprechenden Gutachten nannte die STK 1857 neben den bereits bekannten Pennsylvania, Auburn und Irish System auch das «System Obermaiers» und das «Ackerbausystem». 21 Letzteres bestand in landwirtschaftlicher Arbeitsdisziplinierung in sogenannten «Sträflingscolonien», was die STK aber aus Platzgründen und weil «die Mehrzahl unserer Gefangenen der industriellen Bevölkerung» angehöre, von vornherein ausschloss. Auch eine Implementierung des irischen Systems, welches in seiner klassischen Form abgestufte Strafen in unterschiedlichen Anstalten vorsah, schloss die STK aus, da dessen Anwendung in der Schweiz noch nicht erprobt sei und auch hier die Platzverhältnisse ungünstig seien - blieben also drei Systeme. 22 Erklärungsbedürftig ist unter diesen insbesondere das System Obermaier, benannt nach dem deutschen Gefängnisreformer Georg Michael Obermaier. 23 Er war in den 1840er und -50er Jahren Direktor der Strafanstalten in München und Kaiserslautern, wo er seine Ideen umsetzte. Im Gutachten der STK wurde sein System wie folgt geschildert: «Derselbe geht von dem Satze aus: Je weniger künstliche Mittel man anwende, desto mehr nähere sich das Leben im Gefängnisse dem gewöhnlichen Leben der bürgerlichen Gesellschaft und desto größere Wahrscheinlichkeit sei vorhanden, dass der Gefangene einem ordentlichen Leben wieder gewonnen werde, als Fortsetzung seines Lebens im Gefängnisse, da der Uebergang aus der Gefangenschaft in die Freiheit auf diesem Wege kein Sprung von einem Extrem zum andern sei. Mit Vermeidung aller Künsteleien und mechanischen Mittel wirkt er auf der Basis eines geselligen Zusammenseins. In Gruppen von 20 bis 30 und 40 lässt er seine Gefangenen unter gemeinschaftlicher Arbeit und möglichst unbeschränkter Redefreiheit zusammenleben, an der Ueberzeugung festhaltend, dass man den einzelnen Verbrecher nur durch vielseitige Berührung mit demselben und Seinesgleichen kennen und durchschauen lerne und nur in diesem beaufsichtigten und zweckmäßig geleiteten Verkehr, aus dem gegenseitigen Aneinanderreihen der Individualitäten sich ein Maßstab bilde für die guten und schlechten Eigenschaften des Einzelnen.» 24 Obermaier verfolgte also ziemlich genau einen gegenteiligen Ansatz im Vergleich mit den rigiden, auf Einzelhaft und weitgehende Schweigegebote basierenden 21 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Gutachten der Strafanstalten-Commission über die verschiedenen Gefängnissysteme, Sept. 1857, S. 1. 22 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Gutachten Sept. 1857, S. 2. 23 Zu Obermaier vgl. Friedrich H OEFER , Georg Michael von Obermaier - a Pioneer in Reformatory Procedures, in: Journal of Criminal Law and Criminology 28/ 1 (1937), S. 13-51. 24 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Gutachten Sept. 1857, S. 10f. <?page no="160"?> 161 Systemen von Auburn und Pennsylvania. Seine Ideen entfalteten denn auch wenig Wirkmächtigkeit: Zwar scheinen sich die deutschsprachigen Gefängnisreformer weitgehend einig gewesen zu sein, dass Obermaier Erfolge erzielte, diese wurden aber seiner Person und nicht seinem System zugeschrieben, welches oft als gar nicht existent bezeichnet wurde. 25 Dass die Basler STK ihn trotzdem in ihre Evaluation möglicher Strafsysteme aufnahm, hatte einen einfachen Grund: Zwei Jahre zuvor war der Strafanstaltsdirektor Daniel-Gottfried Hübscher nach Bruchsal und München gereist, um die dortigen Strafanstalten zu besichtigen. Ziel der Reise war es, Inspirationen für eine Verbesserung der Basler Situation zu sammeln bzw. Hinweise für einen allfälligen Neubau mitzunehmen. 26 Bruchsal war dafür eine naheliegende Destination, galt das dortige Männerzuchthaus doch als Musteranstalt. 1848 nach dem Vorbild des Pentonville Prison bei London eröffnet, vereinte die Anstalt Ansätze des Irish und des Pennsylvania System. Sie wurde rasch zu dem Bezugspunkt der deutschsprachigen Gefängniswissenschaft, Thomas Nutz bezeichnet sie als eigentlichen «Wallfahrtsort». 27 München dagegen galt zwar als erfolgreiches Gefängnis, hatte aber nicht den Rang einer eigentlichen Modellanstalt - dies bereits deshalb, weil die Strafanstalt in einem ehemaligen Kloster angesiedelt war und entsprechend stets mit architektonischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte - wie die Zuchtanstalt in Basel. 28 Hübscher stellte damit ein weiteres Mal unter Beweis, wie gezielt die Basler Gefängnisreformer Entwicklungen und Ansätze aus anderen Regionen für ihre eigenen Pläne zu nutzen wussten. Die STK unterzog die drei Systeme einer genaueren Betrachtung, um zum Schluss zu kommen, dass nicht ein einzelner Ansatz die Lösung sein könne: 29 «Das beste System ist unserer Ansicht nach somit dasjenige, welches nicht von einem einfachen Principe ausgeht und diesem alle andern Rücksichten opfert, sondern welches die mannigfachen Interessen und Rücksichten, mit denen man zu thun hat, mit einander zu vereinigen weiss. Wer sich diese Aufgabe gestellt hat, wird nichts so 25 Dazu exemplarisch Carl August D IEZ , Ueber das Obermaier’sche Besserungssystem in den Strafanstalten zu Kaiserslautern und München, in: Jahrbücher der Gefängniskunde und Besserungsanstalten 10 (1847), S. 326-355; Georg V ARRENTRAPP , Das sogenannte Strafsystem des Hrn. Obermaier, k. bayerischen Regierungsraths und Strafarbeitshauskommissärs in der Vorstadt Au bei München, in: Jahrbücher der Gefängniskunde und Besserungsanstalten 10 (1847), S. 290-325. Obermaier selbst legte seine Ansichten u. a. in Georg Michael O BERMAIER , Anleitung zur vollkommenen Besserung der Verbrecher in den Straf-Anstalten, Kaiserslautern 1835 dar. 26 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Bericht des Direktors über die Strafanstalten Bruchsal und München, Juli 1855. 27 N UTZ , Besserungsmaschine, S. 248. Zur Anstalt Bruchsal vgl. Paul F RESSLE , Die Geschichte des Männerzuchthauses Bruchsal, Diss. Universität Freiburg i. Br. 1970; L EUKEL , Strafanstalt und Geschlecht, S. 80-85 sowie die zeitgenössischen Schriften Julius F ÜESSLIN , Die Einzelhaft nach fremden und sechsjährigen eigenen Erfahrungen im neuen Männerzuchthause in Bruchsal, Heidelberg 1855; Georg V ARRENTRAPP , Das neue Ma ̈ nnerzuchthaus in Bruchsal, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 10/ 1 (1854), S. 168-174. 28 H OEFER , Georg Michael von Obermaier, S. 41. 29 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Gutachten Sept. 1857, S. 5-13. Vgl. dazu auch B OREL , Strafanstalt, S. 8-10. <?page no="161"?> 162 Einfaches und Consequentes zu Stande bringen, wie Andere, deren Gedanken alle nur um eine Idee kreisen, aber etwas Planmäßiges und Grundsätzliches kann er dennoch erzielen, und in noch höherm Sinne, denn es ist eine höhere Kunst, mehrfachen Interessen ihr Recht angedeihen zu lassen und sie mit einander in Einklang zu bringen, als irgend ein Schlagwort bis zu seinen äußersten Spitzen durchzuführen. Wie die Natur der Sache uns daher schon auf eine Combination der verschiedenen Systeme hinweist, so nöthigen uns auch unsere Localverhältnisse zu einer solchen.» 30 Nachdem sie also ihre Kenntnis der aktuell diskutierten Systeme unter Beweis gestellt hatte, wählte die STK eine pragmatische, den lokalen Verhältnissen angepasste Herangehensweise, was wohl nicht zuletzt finanziell attraktiver war, als der Bau einer eigentlichen Musteranstalt. Damit wird die Reichweite des transnationalen Diskurses zur Gefängnisreform deutlich: Die Basler Strafvollzugsexperten rezipierten und diskutierten ihn zwar, zogen aber letztlich nur jene Aspekte daraus in Betracht, welche sich auf die lokalen Umstände und Bedürfnisse am ehesten anwenden ließen. Die letztlich von der STK vorgeschlagene Kombination der untersuchten Ansätze sah zunächst eine strikte Trennung der Sträflinge nach Geschlecht sowie nach korrektioneller oder krimineller Verurteilung vor. Während ein Großteil der Häftlinge innerhalb dieser vier Gruppen tagsüber ohne Schweigegebot zusammenarbeiten sollte, war für einen kleineren Teil auch tagsüber Einzelhaft vorgesehen: bei explizitem gerichtlichem Urteil, als Disziplinarmaßnahme sowie während der ersten drei Monate der Haftdauer. Mit Letzterem griff die STK ein Element des irischen Stufensystems auf. Des Nachts sollten sämtliche Sträflinge in Einzelzellen eingesperrt werden, dies «zur Vermeidung widernatürlicher Laster und behufs der nothwendigen Erholung des Beamtenpersonals, das nach dem anstrengenden Tagesdienst nicht noch mit Nachtwachen in Schlafsälen belästigt werden darf.» 31 Die neue Strafanstalt wurde denn auch nach den Vorschlägen der STK konzipiert. Nach einer Ausschreibung 1859 begannen 1862 die Bauarbeiten auf dem Areal des ehemaligen französischen Bahnhofs, dem Schällemätteli. Der 1864 eröffnete Bau war panoptisch angelegt und enthielt u. a. 93 Einzelzellen, mehrere Werkstätten, Bade- und Arrestzellen sowie ein Schulzimmer und eine Kirche. 32 Der Neubau verlangte auch nach einer neuen Hausordnung, die von der STK vorgelegt und im Oktober 1866 vom Kleinen Rat genehmigt wurde. 33 Die neue Ordnung brachte kaum grundlegende Änderungen, sondern v. a. eine Anpassung an die neuen Verhältnisse. Hauptsächlich bemerkenswert ist der 30 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Gutachten Sept. 1857, S. 13f. 31 B OREL , Strafanstalt, S. 10f.; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Gutachten Sept. 1857, S. 14f. (Zitat S. 15). 32 B OREL , Strafanstalt, S. 11-13. Ausgewählte Akten zur Ausschreibung und zum Neubau sowie entsprechende Ratsbeschlüsse finden sich in StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.1. 33 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Hausordnung der Strafanstalt des Cantons Basel- Stadt, 6.10.1866. <?page no="162"?> 163 Machtgewinn des Direktors, welcher weitgehende Kompetenzen im Bereich der Sicherheit und der Disziplinarmaßnahmen erhielt. Einzig für die drei schärfsten Strafarten - die Ketten- und Einzelhaft sowie die Prügelstrafe - war ein Entscheid der STK notwendig. 34 Die weiteren Änderungen betrafen hauptsächlich Hygieneverordnungen sowie das Aufsichtspersonal. 35 Letzteres war mit einem Oberaufseher, zwei bis vier Arbeitsaufsehern, fünf bis acht Aufsehern und zwei bis drei Aufseherinnen laut Einschätzung des Kleinen Rates zu knapp bemessen. In seinem Kommentar zur Hausordnung hielt er daher fest, dass «die relativ geringe Anzahl desselben durch Beizug von Gefangenen zu mancherlei Hausgeschäften verstärkt wird.» 36 Belege für das Heranziehen von Sträflingen zu gewissen Aufgaben finden sich seit den 1830er Jahren zwar keine mehr - aufgrund des chronischen Mangels an Aufsichtspersonal ist dennoch stark davon auszugehen, dass hier eine gängige Praxis offiziell gemacht wurde. Ähnlich geschah dies mit dem Anstaltsgeistlichen, bei dessen Amtsänderung hauptsächlich eine klarere Festschreibung seiner Zuständigkeiten festzustellen ist. So fielen nun Schulunterricht und Bibliothek offiziell und in vollem Umfang in die Kompetenz des Pfarrers, während zuvor noch der Direktor das letzte Wort in diesen Angelegenheiten gehabt hatte. 37 Ein Artikel der neuen Amtsordnung regelte zudem die Tätigkeit des katholischen Geistlichen, der sich um die Gefangenen seiner Konfession kümmerte. Explizit wurden sowohl er als auch der reformierte Anstaltspfarrer darauf hingewiesen, «aller confessionellen Polemik und des Proselytenmachens [für die eigene Konfession missionieren, E.K.] gewissenhaft sich [zu] enthalten.» 38 Auch in juristischer Hinsicht brachte das Jahr 1864 eine einschneidende Änderung: Im Dezember 1864, wenige Wochen nach dem Bezug der neuen Anstalt, erließ der Große Rat ein Gesetz zur Abschaffung der Kettenstrafe, die als Verschärfung von Freiheitsstrafen gedient hatte. An ihre Stelle sollte die Einzelhaft treten. Die im selben Zug vorgeschlagene Abschaffung der verbleibenden Körperstrafen, nämlich des Staupbesens, der Brandmarkung und des Prangers, war zuvor vom Kleinen Rat abgelehnt worden - dies mit der interessanten Begründung, dass diese Strafen sowieso seit Jahrzehnten nicht mehr angewendet worden seien - es bestehe also keine Notwendigkeit sie abzuschaffen. 39 Die Tatsache, dass sich der Kleine Rat hier augenscheinlich noch eine potenzielle Verschärfung des Strafvollzugs in der Hinterhand behalten wollte, zeigt, wie langwierig sich die Verdrängung der Körperstrafen durch den Freiheitsentzug gestaltete. 34 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Hausordnung 1866, II. Amtsordnung des Direktors, S. 7-12. 35 B OREL , Strafanstalt, S. 17f. 36 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Prüfungsausschuss des KR BS an den KR BS, 3.10.1866, S. 3. 37 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Hausordnung 1866, IV. Amtsordnung des Hausgeistlichen, S. 16-21. 38 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Hausordnung 1866, Amtsordnung des Hausgeistlichen, § 35, S. 17, ähnlich in § 47, S. 21. 39 B OREL , Strafanstalt, S. 13f.; Gesetz betreffend Abschaffung der Kettenstrafe und Anwendung der Einzelhaft bei der Bestrafung von Verbrechen, 6.12.1864, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 16, S. 141-143. <?page no="163"?> 164 Steigerung des Arbeitsertrags Sowohl vor als auch nach dem Neubau blieb die Arbeitstätigkeit der Sträflinge der zentrale Bestandteil des Gefängnisalltags, dies sowohl aus disziplinarischen als auch aus ökonomischen Gründen. Hinsichtlich letzterer zeigte sich seit Mitte der 1830er Jahre ein deutlicher Aufwärtstrend: Der STK war es gelungen, den Anteil des Arbeitsertrags in der Anstalt an ihren Gesamtausgaben von knapp einem Drittel im Jahr 1835 auf fast zwei Drittel im Jahr 1875 zu steigern. Die genauen Zahlen müssen dabei insbesondere im Hinblick auf ihre Vergleichbarkeit mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden, da sich die Art und Weise der Abrechnung durch die STK immer wieder veränderte. Dennoch kann von einem grundsätzlich positiven Trend ausgegangen werden. Als Grund dafür ist zunächst eine konstant steigende Anzahl Insassen und Insassinnen zu nennen. Waren 1835 noch durchschnittlich 72 Gefangene pro Tag inhaftiert, stieg diese Zahl bis 1875 auf 111. 40 Die folgende Grafik zeigt deutlich die Korrelation zwischen Anzahl Inhaftierter und prozentualem Anteil des Arbeitserwerbs an den Gesamtausgaben der Anstalt: Abb. 2: Prozentualer Anteil des Arbeitserwerbs an den Gesamtausgaben der Basler Strafanstalt und Anzahl Häftlinge in der Strafanstalt 41 Mehrausgaben hinsichtlich Nahrung, Kleidung etc. für mehr Sträflinge fielen anscheinend weniger ins Gewicht als die vermehrten Einnahmen durch eine erhöhte 40 Vgl. dazu Anhang 4: Finanzen der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910, S. 300; Anhang 5: Insassen, Insassinnen und Entlassene der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910, S. 301. 41 Die Daten basieren auf den Angaben in Verwaltungsbericht BS 1835, S. 57-62; Verwaltungsbericht BS 1840, S. 57-61, Beilage D; Verwaltungsbericht BS 1845, S. 46-50, Beilage E; Verwaltungsbericht BS 1850, S. 69-72, Beilage E; Verwaltungsbericht BS 1855, S. 79-86, Beilage F; Verwaltungsbericht BS 1860, S. 65-71, Beilage D; Verwaltungsbericht BS 1865, Beilage D, D a; Verwaltungsbericht BS 1870, Beilage D1, D2; Verwaltungsbericht BS 1875, Teil III, S. 30- 47. <?page no="164"?> 165 Anzahl Sträflinge. Als weiterer Grund für die steigenden Einnahmen nannte die STK die häufigere Beschäftigung von Sträflingen in ihren angestammten Berufen. So durften Handwerker ab 1856 Auftragsarbeiten in der Strafanstalt ausführen: «Während früher der Sträfling gewisse monotone Arbeiten verrichtete, die ihm fremd oder zuwider waren und für sein weiteres Fortkommen nach der Entlassung nutzlos, wird nach der neuern Methode jeder Arbeitsfähige wo immer möglich in seinem Berufe beschäftigt […]. Dies Jahr wurden mehrere Bandaufzieher, Seidenerleser, Posamenter, ein Mechaniker, Graveur, Schreiner, Tapezierer u.s.w. jeweilen in ihrem Beruf bethätigt. Auf diesem Wege kann für die Zukunft nicht allein ökonomisch ein günstigeres Resultat erzielt werden, es werden auch die Betreffenden ihrem Beruf nicht entfremdet und erhalten jüngere Sträflinge die Gelegenheit eine für ihr späteres Fortkommen geeignete Handthierung zu erlernen.» 42 Schließlich sind verschiedene Anpassungen im Mehrverdienst- und Arbeitsreglement zu nennen, welche ebenfalls zu einer Steigerung der Einnahmen beitrugen. So änderte die STK 1850 zunächst die Bestimmungen, welche Sträflinge einen Mehrverdienst erarbeiten konnten. Bisher erhielten die Insassen und Insassinnen erst nach drei Monaten Haftdauer einen Verdienstanteil ausbezahlt, was einen Großteil der zu korrektionellen Strafen Verurteilten ausschloss. Daher entschied sich die STK 1850 diese Regelung zu ändern. Sie argumentierte dafür folgendermaßen: «Seit einer Reihe von Jahren hatte unsere Commission nun Gelegenheit zu beobachten, wie in diesem Mehrverdienst ein mächtiger, ja beinahe ausschließlicher Hebel zu einer geregelten Thätigkeit der Züchtlinge liege, indem bis auf seltene Ausnahmen, die Sträflinge vom Eintritt dieser Wohlthat an mit Eifer und Fleiss ihrer Arbeit obliegen, während sie die ersten drei Monate nur mit Widerwillen und Lässigkeit an ihr Arbeitspensum gehen und oft lieber Arrest, halbe Kost und sonstige Strafen erdulden, oder Krankheiten fingieren, um der missbeliebigen, ihr eigenes Interesse nicht berührenden Zwangsarbeit zu entgehen.» 43 Außerdem fördere die Ungleichbehandlung Konflikte unter den Sträflingen. Es sei daher sowohl aus ökonomischen als auch aus disziplinarischen Gründen sinnvoll, wenn die Häftlinge sich bereits vom ersten Tag an einen Verdienstanteil erarbeiten könnten. 44 Der Kleine Rat folgte dieser Argumentation und verfügte am 26. Februar 1850 eine entsprechende Abänderung der Hausordnung. 45 42 Verwaltungsbericht BS 1856, S. 79f. 43 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Burckhardt-Fürstenberger, Präsident STK, an den KR BS, 19.2.1850, S. 1f. 44 Ebenda, S. 2f. 45 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Beschluss des KR BS, 26.2.1850. <?page no="165"?> 166 Pikanterweise trat nur wenige Tage danach, am 1. März 1850, eine weitere Änderung im Mehrverdienstreglement in Kraft. Es war dies die Steigerung des täglichen Arbeitspensums, d. h. der Leistung, welche die Häftlinge zu erbringen hatten, von 20 auf 30 Rappen. Erst wenn diese Schwelle überschritten wurde, hatten die Sträflinge Anspruch auf einen Verdienstanteil. 46 Kurz bevor eine größere Anzahl Sträflinge Anrecht auf einen Mehrverdienst erhalten sollte, wurde die Schwelle dafür also kurzerhand heraufgesetzt. Die Folgen dieses Entscheids sind - wie immer, wenn es um den Mehrverdienst der Sträflinge geht - schwierig zu eruieren. Im Jahr 1850 zahlte die STK bei durchschnittlich 57 Häftlingen einen Mehrverdienst von 1’574.95 Franken aus, ein Jahr später waren es auf 61 Häftlinge 1’590.20 Franken. 47 Auf einen Betrag pro Kopf heruntergerechnet ergäbe dies für 1850 27.63 Franken und für 1851 26.06 Franken, also eine leichte Verminderung. Da detaillierte und vor allem konsistente Daten zum Mehrverdienst der Häftlinge aber weiterhin fehlen, ist eine weitere Betrachtung der Frage müßig. 1857 folgte eine zusätzliche Abänderung der Hausordnung im Bereich der Arbeitstätigkeit. Die STK kritisierte nämlich eine Regelung, welche die tägliche Arbeitszeit der Sträflinge im April und im September um jeweils zwei Stunden verkürzte. Sie argumentierte einerseits mit ökonomischen Gründen, mahnte aber auch, dass zu viel Freizeit nur den «Müßiggang» der Häftlinge fördere. 48 Zudem hielt sie fest: «Vergebens haben wir uns bisher nach einem Grunde dieser absonderlichen Bestimmung umgesehen, die wir uns nicht anders zu erklären wissen, als durch einen Anklang an die älteren Hausordnungen, die auf eine geregelte Beschäftigung der Gefangenen keinen Wert legten und aus Sicherheitsgründen und ökonomischen Rücksichten in der Strafanstalt gar keine Beleuchtung gestatteten - Zustände, denen bekanntlich erst in den 20ger Jahren durch das verdienstvolle Einwirken einiger Mitglieder der gemeinnützigen Gesellschaft ein Ende gemacht wurde.» 49 Die STK bat daher um eine Festlegung des Feierabends auf 20 Uhr während des ganzen Jahres, was der Kleine Rat denn auch guthieß. 50 Auch die neue Hausordnung von 1866 brachte Änderungen im Arbeitsreglement mit sich, wovon insbesondere die Erhöhung des Arbeitspensums in zwei Schritten erwähnenswert ist. So mussten die Sträflinge neu täglich 40 anstelle der vorherigen 30 Rappen als Mindestpensum erarbeiten. 51 Weit folgenreicher war aber die zweite Änderung: 46 Verwaltungsbericht BS 1850, S. 70. 47 Ebenda, S. 70f.; Verwaltungsbericht BS 1851, S. 78f. 48 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Burckhardt-Fürstenberger, Präsident STK, an den KR BS, 20.11.1857, S. 1. 49 Ebenda, S. 1f. 50 Protokolle KR BS, 21.11.1857, S. 289. 51 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Prüfungsausschuss des KR BS an den KR BS, 3.10.1866, S. 3. <?page no="166"?> 167 «Der Gefangene soll auch für die Sonntage, an denen er zwar nicht arbeitet, aber auf Staatskosten erhalten werden muss, 40 Centimes von seinem Wochenverdienst der Anstalt vergüten. Wenn die Ausgaben für Lokal und Personal der Strafanstalt im Interesse der Bewohner so bedeutend gegen früher sich steigern, so erscheint diese Compensation nur billig. Das Pensum von 40 Centimes deckt ohnehin nur die eigentl. Nahrungskosten.» 52 Diese Maßnahme zog deutliche Folgen nach sich. So sank der ausbezahlte Mehrverdienst von 10’645.05 Franken im Jahr 1865 auf 8’885.84 Franken im Jahr 1870 - dies bei beinahe gleichbleibender Anzahl Insassen und Insassinnen. 53 So schloss die STK Schritt für Schritt Lücken im System der Strafanstaltsarbeit, wobei sie stets deren ökonomische Rentabilität verfolgte. Dies tat sie immer wieder auch auf dem Rücken der Sträflinge, wodurch sie deutlich machte, wie wenig ihr faktisch an deren oft propagierter moralischer Besserung gelegen war. 5.2 Erfolge und Misserfolge der privaten Bestrebungen Nach dem harzigen Beginn der Schutzaufsicht in Basel-Stadt konzentrierte sich die Patronagekommission seit 1844 auf die Betreuung junger Entlassener - wie gezeigt ohne eine Steigerung ihres Erfolgs. Daran änderte sich auch in den 1850er Jahren nichts. Die Kommission betreute jährlich zwei bis drei Entlassene längerfristig, d. h. sie verschaffte ihnen eine Lehrstelle, bezahlte Kost- oder Lehrgeld und Kleidung oder brachte sie in Versorgungsanstalten verschiedener Art unter. Von diesen Betreuten schloss einer die vermittelte Lehre als Küfer ab, alle anderen verließen innert zwei Jahren oder weniger die vermittelte Stelle und zwei Frauen wurden wieder straffällig. 54 Strategien und Strukturen Die magere Bilanz veranlasste weder die Patronagekommission noch die GGG dazu, ihr Tun grundsätzlich zu hinterfragen. Wohl aber setzten sich die Philanthropen in ihren Jahresberichten immer wieder mit ihrer Tätigkeit, ihren Beweggründen und mit wahrgenommenen Hindernissen auseinander. So warf der Präsident der GGG beispielsweise 1847 in Bezug auf entlassene Sträflinge die Frage 52 Ebenda, S. 3f. 53 Verwaltungsbericht BS 1865, Beilage D; Verwaltungsbericht BS 1870, Beilage D2. 54 JB GGG 74 (1850), S. 97-99; StABS PA 146a, U 4.3 Jahresbericht der Kommission zur Beratung und Versorgung ausgetretener Sträflinge 1851, S. 2f.; JB GGG 76 (1852), S. 134f.; JB GGG 77 (1853), S. 138f.; JB GGG 78 (1854), S. 100f.; JB GGG 79 (1855), S. 85f.; JB GGG 80 (1856), S. 106f.; JB GGG 81 (1857), S. 73f.; JB GGG 82 (1858), S. 149f.; JB GGG 83 (1859), S. 110-112; JB GGG 84 (1860), S. 153f. <?page no="167"?> 168 auf, «ob das Handwerk, das gewöhnlich eine Lehrzeit ohne Verdienst fordert, für solche Menschen den passenden Boden darbiete». 55 Eine Änderung in der Praxis der Schutzaufsicht zog dies nicht nach sich, die Aussage illustriert aber, wo die Philanthropen die hauptsächliche Problematik ihrer Tätigkeit verorteten: darin, dass die Entlassenen die längerfristigen Vorteile einer Lehre nicht wertschätzten und stattdessen nach kurzfristigen Erfolgen verlangten. Sie seien «moralisch Kranke, deren Heilung schwierig, aber vielleicht nicht so unmöglich ist als man bis dahin glauben musste.» 56 Als Mittel dazu setzte die GGG auch weiterhin auf Bildung und Religion. Die Schutzaufsicht bzw. Patronage müsse bestrebt sein zu ergänzen, was während der Haftdauer zwar versucht wurde zu vermitteln, die Sträflinge aber nicht nachhaltig genug beeinflusst habe. 57 Einen konkreten Vorschlag für eine Änderung ihrer Praxis brachte die Patronagekommission aber erst 1859 auf: «Andererseits ist aber bei der gegenwärtigen Organisation unsrer Kommission dauernder Einfluss und Aufsicht über die entlassenen Sträflinge fast nie möglich, sondern diese treten nur in mittelbare oder vorübergehende Berührung mit uns, oder sind uns auch bloß durch die Berichte des Geistlichen oder des Hausvorstandes bekannt. Wenn man in andern Städten große und weitverzweigte Schutzaufsichtsvereine errichtet und einzelnen Mitgliedern als Patronen die Aufsicht über jeden der Schutzbefohlenen überträgt, so lässt sich dann wohl auch von größern Erfolgen berichten und für manche der Schützlinge eine neue Stellung in der Gesellschaft durch dauernde Besserung erlangen […]. Größere Betheiligung und dauernde Aufsicht können so dem Verein auch weitere Theilnahme nach außen verschaffen. Ob diese erweiterte Aufgabe, welche anderswo so vielfach besprochen, und deren Lösung zu dem heutzutage anerkannten Besserungszweck der Strafe in so enger Beziehung steht, nicht auch bei uns nähere Berücksichtigung verdiene, das, verehrteste Herren, stellen wir Ihrer weisen Erwägung anheim.» 58 Auf welche anderen Städte sich die Kommission hier bezog, ist unklar; es ist aber davon auszugehen, dass u. a. der Schutzaufsichtsverein von St. Gallen als Vorbild fungierte. Dieser 1839 gegründete Verein teilte sämtliche Entlassenen einem Vereinsmitglied oder Patron zu. Letzterer setzte sich daraufhin unter Nutzung seines sozialen und symbolischen Kapitals dafür ein, dem oder der Entlassenen Arbeit und Unterkunft zu vermitteln. So bot er eine Art Garantie für potenzielle Arbeitgeber oder Vermieter. Dies war jedoch nur die eine Seite der Medaille: Mindestens genauso wichtig war die durch ein solch nahes Betreuungsverhältnis ermöglichte Beaufsichtigung der Entlassenen. Als Patrone wählte das Schutzaufsichtskomitee 55 JB GGG 71 (1847), S. 11. 56 JB GGG 72 (1848), S. 10f. 57 Ebenda, S. 10-13. 58 JB GGG 83 (1859), S. 111. <?page no="168"?> 169 St. Gallen, das Leitungsgremium des Vereins, meist einflussreiche, gut vernetzte Persönlichkeiten aus der Heimatgemeinde der Entlassenen, so beispielsweise Pfarrer oder Politiker. Dank ihrer Beziehungen war es diesen nicht nur möglich, Entlassene auf Stellen zu vermitteln, sondern eben auch über deren Verhalten bestens informiert zu bleiben. Diese Situation gewann in St. Gallen massiv an Brisanz, da in diesem Kanton die Schutzaufsicht obligatorisch war. Entsprechend verfügten der Verein und seine Patrone über relativ weitreichende Kompetenzen, wie beispielsweise den Entzug des Pekuliums, d. h. das von den Entlassenen während der Haftdauer ersparte Geld. Dass eine solche Ausgangslage dazu führte, dass weniger Betreute die Schutzaufsicht verweigerten bzw. die vermittelten Plätze wieder verließen, scheint nur naheliegend. Dennoch klagte auch der St. Galler Verein mehrfach über eine zu geringe Erfolgsquote. 59 Ein Jahr später nutzte Eduard Thurneysen-Gemuseus, Mitglied der Patronagekommission, sein Amt als Vorsteher der GGG für das Jahr 1860 dazu, sich in deren Jahresbericht ausführlich mit Schwierigkeiten und Perspektiven der Schutzaufsicht auseinanderzusetzen. Dabei stellte er öffentlich den Zweck einer Patronage im aktuellen Zustand in Frage und hielt zusammenfassend fest, dass diese «aus dem Geleise gekommen sei». 60 Er wog daraufhin unterschiedliche Modelle einer Einzelbetreuung gegeneinander ab, wobei er sich nicht nur auf Beispiele aus Lübeck und München bezog, sondern auch auf den Basler Frauenverein - dazu jedoch später mehr. In Lübeck begleiteten, ähnlich wie in St. Gallen, einzelne Schutzaufseher die Entlassenen über eine längere Phase. In München dagegen hatte sich ein spezieller Verein von Arbeitgebern gegründet, der sich einzig auf die Arbeitsvermittlung für die Entlassenen konzentrierte. Beide Modelle hielt Thurneysen-Gemuseus für prüfenswert, wobei er zunächst dem System mit einzelnen Patronen den Vorzug geben wollte. 61 Zudem verlangte er eine nähere Anbindung der Patronagekommission an die Strafanstalt bzw. die STK: «Aber auch sie, verehrteste Herren, können zu einem gedeihlichen Resultate beitragen, indem sie uns in ein näheres Verhältnis zu den Behörden der Anstalt setzen; die Strafanstaltencommission ist gegenwärtig in unsrer Mitte gar nicht vertreten, auch der Arzt der Anstalt meistens durch Berufsgeschäfte verhindert, an unsern Sitzungen theilzunehmen, und wir bitten Sie daher unsre Kommission um ein weitres Mitglied auszudehnen. Wenn wir uns erlauben dürfen, die gewünschte Persönlichkeit näher zu bezeichnen, so möchten wir ihre Aufmerksamkeit auf den eifrigen neuen Direktor der Strafanstalt richten, in dessen Wirkungskreis unsre Aufgabe ja auch fällt […].» 62 59 Jahresberichte des Kommitte des St. Gallischen Schutzaufsichtvereins für entlassene Sträflinge (JB SG) 1 (1839)-22 (1860), St. Gallen 1840-1861; K ELLER , Strafvollzug und Fürsorge. 60 JB GGG 84 (1860), S. 25f. (Zitat S. 26). 61 Ebenda, S. 25-27. 62 Ebenda, S. 153f. <?page no="169"?> 170 In den 1850er Jahren hatten noch drei Verbindungsglieder zwischen STK und Patronagekommission existiert: Carl Beck-Bernard war 1855 in beiden Kommissionen Mitglied, der Kaufmann Andreas Bischoff-Ehinger, STK-Mitglied 1850- 1863, war 1856 und 1857 in der Patronagekommission und Zivilgerichtspräsident August La Roche-Burckhardt war zwischen 1836 und 1853 in der STK und von 1832 bis 1860 in der Patronagekommission. 63 Dabei fiel wohl insbesondere der bevorstehende Austritt des letzteren ins Gewicht, hatte doch La Roche-Burckhardt durch sein langjähriges Engagement nicht nur die personelle Verbindung zwischen beiden Kommissionen, sondern wohl auch ein gewisses institutionelles Gedächtnis garantiert. Der Bezug zur Strafanstalt wäre zwar auch weiterhin sichergestellt gewesen: Mit Emanuel Eglinger und Dr. Adolf Burckhardt waren der Pfarrer und der Hausarzt der Anstalt Mitglied der Patronagekommission - ersterer von 1861-1865 sogar deren Präsident. 64 Augenscheinlich reichte dies jedoch nicht aus, um die erhoffte Nähe zur Strafanstalt sicherzustellen. Die GGG kam dem Wunsch ihrer Patronagekommission nach und nahm den seit 1860 amtierenden Direktor Johann Jakob von Salis als Mitglied auf, im Gegenzug verließ der Hausarzt der Anstalt die Kommission. 65 Von Salis verwaltete daraufhin die Beziehungen zwischen Patronagekommission und Strafanstalt in anscheinend genügendem Maß, so dass der 1866 angestellte Nachfolger des Pfarrers Eglinger, Friedrich Oser, gar nicht mehr in die Patronagekommission eintrat. 66 Ein Indiz dafür, weswegen die Patronagekommission auf eine Mitgliedschaft des Direktors pochte, bietet die Hausordnung von 1866, worin sich folgender Passus findet: «Der Sparhafen hiesiger Angehöriger kann bei Gefahr der Verschleuderung, nach dem Ermessen des Directors der Familie des zu Entlassenden direct zugestellt werden.» 67 Durch die Aufnahme des Direktors sicherte sich die Patronagekommission also auch weiterhin zumindest indirekten Zugriff auf das Pekulium der Entlassenen. Ob diese Regelung 1861 bereits absehbar war, ist zwar nicht zu eruieren, da jedoch die Regulierungen in den Hausordnungen der Strafanstalt oft eine Festschreibung herrschender Praxis bedeuteten, erscheint es zumindest naheliegend. Auch die weiteren Vorschläge Thurneysen-Gemuseus’ stießen auf offene Ohren. Bereits im folgenden Jahr änderte die Patronagekommission ihre Praxis und wies den Entlassenen, welche in der Stadt heimatberechtigt waren, jeweils ein 63 Vgl. die Stammbäume unter http: / / www.stroux.org/ patriz_f/ stQV_f/ BiJ_f.pdf [7.12.2016] (Bischoff-Ehinger); http: / / www.stroux.org/ patriz_f/ stQV_f/ RcU_f.pdf [7.12.2016] (La Roche- Burckhardt); Anhang 1: Mitglieder der Zuchtanstaltskommission 1821-1833 und der Patronagekommission 1833-1911, S. 283; Anhang 2: Mitglieder der Zuchtanstaltsinspektion 1812- 1833 und der STK 1833-1874, S. 292. Zu Bischoff-Ehinger zudem: Gabrielle S CHMIDT -O TT , Artikel «Bischoff, Andreas (No. 4)» (2002), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D29908.php [7.12.2016]. Zu Beck-Bernard wurden keine weiteren Informationen gefunden. 64 Vgl. Anhang 1: Mitglieder der Zuchtanstaltskommission 1821-1833 und der Patronagekommission 1833-1911, S. 283. 65 JB GGG 85 (1861), S. 60. 66 JB GGG 91 (1867), S. 66; StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1867, S. 4. 67 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1840-1866, Hausordnung 1866, § 161, S. 55. <?page no="170"?> 171 Kommissionsmitglied als feste Bezugsperson zu. Tatsächlich habe dies dazu geführt, dass eher auf die Bedürfnisse einzelner Entlassenen eingegangen werden konnte, so dass die Patronagekommission den Systemwechsel zunächst verhalten positiv beurteilte. 68 Ein Blick in die Jahresberichte zeigt jedoch, dass die wichtigste Änderung darin bestand, dass auch Entlassene, die nur finanzielle Unterstützung erhielten, genauer beobachtet wurden und daher spezielle Erwähnung in den Berichten fanden. Dennoch blieb die Bilanz der Patronagekommission bescheiden, wie die folgende Grafik verdeutlicht. Sie zeigt die jährliche Anzahl der durch die Patronagekommission Betreuten und die Anzahl Entlassener, die sich der Schutzaufsicht entzogen sowie derjenigen, die wieder straffällig wurden - dies bei durchschnittlich 44 entlassenen Kantonsangehörigen pro Jahr. Die Zahlen entstammen den Jahresberichten der Patronagekommission und sind entsprechend mit einer gewissen Unschärfe belastet, unterschieden sich doch Art und Weise der Berichterstattung und der Datenerhebung in den einzelnen Jahresberichten teils massiv. Dennoch erlauben sie eine gewisse Quantifizierung der Basler Patronage: Abb. 3: Anzahl Betreute durch die Patronagekommission 69 68 JB GGG 85 (1861), S. 143. 69 Die Zahlen basieren auf den Jahresberichten der Patronagekommission in JB GGG 74 (1850), S. 97f.; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1851, S. 1-3; JB GGG 76 (1852), S. 134-136; JB GGG 77 (1853), S. 138f.; JB GGG 78 (1854), S. 100-102; JB GGG 79 (1855), S. 85-87; JB GGG 80 (1856), S. 105-107; JB GGG 81 (1857), S. 73f.; JB GGG 82 (1858), S. 149f.; JB GGG 83 (1859), S. 110-112; JB GGG 84 (1860), S. 153f.; JB GGG 85 (1861), S. 144-147; JB GGG 86 (1862), S. 144-147; JB GGG 87 (1863), S. 127-130; JB GGG 88 (1864), S. 120-122; JB GGG 89 (1865), S. 156f.; JB GGG 90 (1866), S. 130-132; JB GGG 91 (1867), S. 159-164; JB GGG 92 (1868), S. 144-150; JB GGG 93 (1869), S. 136-138; JB GGG 94 (1870), S. 137f.; JB GGG 95 (1871), S. 132-134; JB GGG 96 (1872), S. 152-154; JB GGG 97 (1873), S. 155-157; JB GGG 98 (1874), S. 144-146. <?page no="171"?> 172 Deutlich wird zunächst, dass die Patronagekommission zwischen 1860 und 1874 durchschnittlich gerade einmal fünf Entlassene betreute, also gut zehn Prozent der entlassenen Kantonsbürger. Hinzu kamen je ca. 20 Entlassene pro Jahr, welche Fahrtgeld oder Kleidung erhielten. Im Vergleich mit den 1840er Jahren scheint es der Kommission aber gelungen zu sein, die Anzahl Geflohener und die Anzahl Rückfälliger zu senken. 70 Ob dies nun mit einer sorgfältigeren Auswahl der Betreuten oder mit einer veränderten Buchführung zu erklären ist, muss dahingestellt bleiben. Denjenigen Entlassenen, die sie längerfristig betreute, vermittelte die Patronagekommission meistens Lehrstellen in Handwerksbetrieben, wobei kein Berufszweig speziell hervorstach. Dennoch beklagten 1861 sowohl die Patronagekommission als auch der Frauenverein eine Krise in der Posamenterei, welche ihre Tätigkeit erschwere. 71 Tatsächlich bemerkte die Basler Seidenbandweberei Anfang der 1860er Jahre eine sinkende Nachfrage ihrer Produkte, welche denn auch in einer verminderten Anstellung wenig oder gar nicht qualifizierter Arbeitskräfte resultierte. 72 Ein Blick in die Jahresberichte zeigt zwar, dass die Patronagekommission zwischen 1838 und 1861 gerade einmal acht Entlassene in die Textilindustrie vermittelte, den letzten 1852 - dies aber bei immerhin 26 Vermittlungen in verschiedene Handwerkszweige, so beispielsweise als Schuster, Küfer oder Schneider. 73 Für die Patronagekommission bedeutete daher die Krise der Posamenterei nicht hauptsächlich erhöhte Schwierigkeiten in der Vermittlung Entlassener, sondern dass vermehrt Entlassene überhaupt die Dienste der Kommission in Anspruch nahmen, wie aus der obigen Grafik deutlich wird. Der kurzfristige Anstieg auf mehr als zehn Betreute jährlich dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Entlassenen nicht mehr auf eigene Faust Anstellung in der Textilindustrie fanden. Die Textilindustrie war in den 1860er Jahren fraglos der wichtigste Arbeitgeber in der Stadt Basel, insbesondere für ungelernte oder wenig ausgebildete Arbeiter und Arbeiterinnen. So ergab die erste Basler Fabrikzählung von 1870, dass über 5’000 der 6’600 Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen in der Seidenindustrie beschäftigt waren. 74 70 Vgl. dazu oben, S. 149. 71 JB GGG 85 (1861), S. 143f. 72 A MSTUTZ ; S TREBEL , Seidenbande, S. 62f.; Wilfried H AEBERLI , Die Geschichte der Basler Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1914, 2 Bde., Basel 1985, Bd. I, Basel 1985, S. 21. 73 Die Zahlen basieren auf den Jahresberichten der Patronagekommission in JB GGG 62 (1838), S. 102-104; JB GGG 63 (1839), S. 104f.; JB GGG 64 (1840), S. 100-102; JB GGG 65 (1841), S. 109-111; JB GGG 66 (1842), S. 107-109; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1843, S. 1; JB GGG 68 (1844), S. 115-117; JB GGG 69 (1845), S. 100-105; JB GGG 70 (1846), S. 74-78; JB GGG 71 (1847), S. 77f.; JB GGG 72 (1848), S. 81f.; JB GGG 73 (1849), S. 82-84; JB GGG 74 (1850), S. 97f.; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1851, S. 1-3; JB GGG 76 (1852), S. 134-136; JB GGG 77 (1853), S. 138f.; JB GGG 78 (1854), S. 100-102; JB GGG 79 (1855), S. 85-87; JB GGG 80 (1856), S. 105-107; JB GGG 81 (1857), S. 73f.; JB GGG 82 (1858), S. 149f.; JB GGG 83 (1859), S. 110- 112; JB GGG 84 (1860), S. 153f.; JB GGG 85 (1861), S. 144-147. 74 Regina W ECKER , 1833 bis 1910: Die Entwicklung zur Grossstadt, in: Georg K REIS ; Beat von W ARTBURG (Hg.), Basel - Geschichte einer städtischen Gesellschaft, Basel 2000, S. 196-224, hier: S. 203. <?page no="172"?> 173 Nachdem also die Maßnahme der Einzelbetreuung nur begrenzt Verbesserungen in der Patronage gezeitigt hatte, kam 1866 eine Vergrößerung der Patronagekommission zur Sprache. Im Jahresbericht der GGG wurde Folgendes festgehalten: «Bei der Behandlung des Berichts wurde der Gedanke der Gründung eines größern Vereins für Verbeiständung entlassener Sträflinge angeregt, in der Absicht eine größere Zahl von Personen, größere Kreise für die Sache zu interessiren, damit um so eher das Geeignete für einen jeden der Clienten gefunden werden könnte.» 75 Vorsteher der GGG für das Jahr 1866 und damit Verfasser des Jahresberichts war Albert Bischoff-Sarasin, Bandfabrikant, Präsident des Strafgerichts und Mitglied der STK zwischen 1859 und 1863 - ein Mann also, der sich der Problematik von Strafvollzug und Resozialisierung aus unterschiedlichen Perspektiven angenähert hatte. 76 Einen Bezugspunkt dieses Vorschlags nannte Bischoff-Sarasin nicht. Mehrere Schweizer Vereine, wie beispielsweise diejenigen von Zürich und St. Gallen, waren aber in einem Netz von Bezirks- oder Regionalvereinen organisiert, dank welchen ihre Mitgliederzahl ungleich höher war. 77 So verfügte der Schutzaufsichtsverein St. Gallen im Jahr 1868 über 1’051 Mitglieder. 78 Die Idee dahinter war, eine möglichst große Anzahl potenzieller Arbeitgeber in den Verein zu integrieren, um so die Chancen einer Arbeitsvermittlung zu steigern. Ähnlich ging der Verein in München vor, den Thurneysen-Gemuseus bereits 1860 als mögliches Vorbild genannt hatte. 79 Auf eine Erhöhung der Anzahl Arbeitgeber fokussierte denn auch die Patronagekommission ein Jahr später in ihrer Stellungnahme. Sie lehnte den Vorschlag eines größeren Vereins ab, da die Probleme eher im kleinen Kantonsgebiet und der fehlenden Landwirtschaft in Basel-Stadt begründet lägen. An der Organisation des Vereins sei dagegen, insbesondere seit der Einführung der Einzelbetreuung, nichts auszusetzen. 80 Weiter führte die Kommission aus: «[W]enn es oft schwer wird, den Entlassenen geeignete Plätze zu verschaffen, so liegt dies theils in der Geschäftslosigkeit der Zeit, theils in dem Mangel an Theilnahme, häufig aber auch in der Person von uns Mitgliedern, welche zu wenig bekannt sind mit den Kreisen der Arbeitgeber. Diesem letztern Mangel wäre künftig durch Wahl einiger Mitglieder aus verschiedenen Berufsständen, namentlich aus dem Handwerkerstande abzuhelfen. » 81 75 JB GGG 90 (1866), S. 16. 76 Vgl. den Stammbaum unter http: / / www.stroux.org/ patriz_f/ stQV_f/ BiR_r.pdf [18.12.2016]; Anhang 2: Mitglieder der Zuchtanstaltsinspektion 1812-1833 und der STK 1833-1874, S. 292. 77 S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 32f. 78 JB SG 30 (1868), S. 44-59. 79 JB GGG 84 (1860), S. 27. 80 JB GGG 91 (1867), S. 156-158. 81 JB GGG 91 (1867), S. 157. <?page no="173"?> 174 Ähnlich wie die damalige Zuchtanstaltsinspektion in den 1810er Jahren suchte die Patronagekommission also ihr Heil im verstärkten Einbezug von Arbeitgebern. 82 Thurneysen-Gemuseus war die Sache derart ernst, dass er bereits im folgenden Jahr aus der Kommission austrat, um einem Wirtschaftsvertreter o. Ä. seinen Platz zu überlassen. 83 Ihm folgte ein gewisser Bernhard Deggeler, dessen beruflicher Hintergrund sich nicht eruieren lässt. Ein Jahr später ersetzte zudem der Bandfabrikant Fritz Hoffmann-Merian den Arzt A. Rosenburger. 84 Der Wechsel scheint insofern zu einer Verbesserung der Situation geführt zu haben, als in den darauffolgenden Jahren keine entsprechenden Klagen mehr laut wurden - quantifizieren lässt sich die Veränderung jedoch nicht. Neben der Vermittlung an eine Arbeitsstelle und der Rückführung in die Heimat Entlassener existierte auch die Möglichkeit, Entlassene bei ihrer Auswanderung, oft in die USA, zu unterstützen. Dieser Wunsch wurde meist von den Entlassenen selbst geäußert und beruhte nicht auf Initiative der Patronagekommission. So hielt die Kommission 1851 fest, dass sie Auswanderungsbegehren zwar teilweise unterstützen würde, «jedoch immer erst nachdem wir uns die Gewissheit verschafft, dass die Übersiedlung wirklich von Statten gehe und dass dadurch die Lage des Betreffenden muthmaßlicher Weise nicht etwas verschlimmert werde.» 85 Diese Politik resultierte in ca. fünfzehn unterstützten Auswanderungen zwischen 1837 und 1874, wovon etwa zwei Drittel auf dem amerikanischen Kontinent und der Rest in Russland oder in europäischen Staaten ihr Glück versuchten. Bei insgesamt etwa 180 längerfristig betreuten Entlassenen ist das eine verhältnismäßig kleine Anzahl. 86 Dennoch erteilte ab 1854 ein Geistlicher der Französischen Kirche Englischunterricht in der Strafanstalt - auch dies war jedoch eine Reaktion auf den explizit geäußerten Wunsch einiger Insassen. 87 Dass dies in anderen Kantonen wohl anders gehandhabt wurde, zeigt ein Rundschreiben des Bundesrates, welches 1867 an den Kleinen Rat Basel-Stadt gelangte. So habe die Rheinisch-Westfälische Gefängnisgesellschaft in einem Jahresbericht beklagt, «dass man in Folge europäischer besonders schweizerischer 82 Vgl. oben, S. 64. 83 JB GGG 92 (1868), S. 151. 84 JB GGG 93 (1869), S. 49; JB GGG 94 (1870), S. 51. 85 StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1851, S. 3. 86 Die Zahlen basieren auf den Jahresberichten der Patronagekommission in JB GGG 62 (1838), S. 102-104; JB GGG 63 (1839), S. 104f.; JB GGG 64 (1840), S. 100-102; JB GGG 65 (1841), S. 109-111; JB GGG 66 (1842), S. 107-109; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1843, S. 1; JB GGG 68 (1844), S. 115-117; JB GGG 69 (1845), S. 100-105; JB GGG 70 (1846), S. 74-78; JB GGG 71 (1847), S. 77f.; JB GGG 72 (1848), S. 81f.; JB GGG 73 (1849), S. 82-84; JB GGG 74 (1850), S. 97f.; StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1851, S. 1-3; JB GGG 76 (1852), S. 134-136; JB GGG 77 (1853), S. 138f.; JB GGG 78 (1854), S. 100-102; JB GGG 79 (1855), S. 85-87; JB GGG 80 (1856), S. 105-107; JB GGG 81 (1857), S. 73f.; JB GGG 82 (1858), S. 149f.; JB GGG 83 (1859), S. 110- 112; JB GGG 84 (1860), S. 153f.; JB GGG 85 (1861), S. 144-147; JB GGG 86 (1862), S. 144- 147; JB GGG 87 (1863), S. 127-130; JB GGG 88 (1864), S. 120-122; JB GGG 89 (1865), S. 156f.; JB GGG 90 (1866), S. 130-132; JB GGG 91 (1867), S. 159-164; JB GGG 92 (1868), S. 144-150; JB GGG 93 (1869), S. 136-138; JB GGG 94 (1870), S. 137f.; JB GGG 95 (1871), S. 132-134; JB GGG 96 (1872), S. 152-154; JB GGG 97 (1873), S. 155-157; JB GGG 98 (1874), S. 144-146. 87 JB GGG 78 (1854), S. 102. <?page no="174"?> 175 Praxis die Verbrecher selbst Mörder einfach nach Amerika schickte», und daher die Unterbringung Entlassener in den USA stetig erschwert werde. Der Bundesrat wünschte daher entsprechende Informationen über die Praxis in den Kantonen, worauf ihn der Kleine Rat lapidar wissen ließ, «dass solches Spedieren von Sträflingen hierorts nicht Praxis sei.» 88 Dies war denn auch wenig überraschend der Bescheid aus allen anderen Kantonen, welche 1867 über einen Schutzaufsichtsverein verfügten. 89 Die konkrete Praxis in den einzelnen Kantonen lässt sich hier nicht eruieren. Ein Vergleich der Auswanderung allgemein, also nicht nur von entlassenen Sträflingen, lokalisiert Basel-Stadt in diesem Zeitraum aber auf den hinteren Rängen. So wanderten laut Heiner Ritzmann-Blickenstorfer zwischen 1845 und 1868 jährlich im Schnitt 0,6 Promille der baselstädtischen Bevölkerung nach Übersee aus. Bereits Basel-Land kam im selben Zeitraum auf 2,9 Promille, während die Kantone Tessin und Glarus mit 4,3 bzw. 6,3 Promille die Liste anführten. 90 Beide Kantone verfügten 1867 nicht über einen Schutzaufsichtsverein, entsprechend ist es schwierig, einen Zusammenhang festzustellen. 91 Grundsätzlich stellten landwirtschaftlich ausgerichtete, wenig industrialisierte Kantone bedeutendere Quellen der Auswanderung dar als Städte wie Basel. 92 Auch ohne über konkrete Zahlen zu verfügen, ist davon auszugehen, dass diese Relationen auch für die entlassenen Sträflinge galten. Hinzu kommt, dass einige deutschsprachige Kantonsbehörden von sich aus eine sehr aktive Auswanderungspolitik betrieben, d. h. ihren Bedürftigen teilweise die Fahrt nach Übersee finanzierten. Laut Ritzmann-Blickenstorfer handelte es sich dabei aber kaum je um eigentliche «Abschiebeaktionen» - einzig zu Beginn der 1850er Jahre stellt er eine statistische Signifikanz dieser Unterstützungsmaßnahmen fest. Führend war dabei der Kanton Bern, dessen Regierung denn auch tatsächlich dazu überging, Sträflinge direkt aus der Haft in die USA zu schicken. 93 Eine ähnliche Praxis existierte auch in deutschen Gebieten, so beispielsweise in Baden, wo die Behörden einzelnen Entlassenen direkt ihre Auswanderung in die USA finanzierten - dabei ist aber nicht von einem Massenphänomen auszugehen. 94 Dies macht deutlich, dass die Tätigkeit von Schutzaufsichtsvereinen wohl wenig mit der Anzahl Auswanderungen zu tun hatte und die Praxis viel eher durch lokale Regierungen vorangetrieben wurde. Die skeptische Haltung gegenüber der Auswanderung findet sich auch in den Publikationen deutschsprachiger Gefängnisreformer wieder, die stets betonten, dass Entlassenen nur in speziellen Einzelfällen die Auswanderung ermöglicht 88 Protokolle KR BS, 12.6.1867, S. 122. 89 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 182-184. 90 Heiner R ITZMANN -B LICKENSTORFER , Alternative Neue Welt. Die Ursachen der schweizerischen Überseeauswanderung im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Zürich 1997, S. 629f. 91 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 165-179; S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 31-36. 92 Heiner R ITZMANN , Eine quantitative Interpretation der schweizerischen Übersee-Emigration im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Kurvenverlauf und regionale Konzentration als Gegenstand von Regressionsanalysen, in: Beatrix M ESMER (Hg.), Der Weg in die Fremde. Le chemin d’expatriation, Basel 1992, S. 195-250, hier: S. 214-223. 93 R ITZMANN -B LICKENSTORFER , Neue Welt, S. 122f. (Zitat S. 123). 94 S CHAUZ , Strafen, S. 141. <?page no="175"?> 176 werden sollte. 95 Anders gestaltete sich die Sache in den Kolonialmächten Frankreich und England, die mit ihren Gefangenenkolonien relativ umfassend eine Praxis des «aus den Augen aus dem Sinn» betrieben. 96 Folgerichtig entwickelte sich auch im Deutschen Kaiserreich seit der Etablierung deutscher Schutzgebiete in Afrika und im Pazifik vermehrt ein Diskurs über die Gründung von Sträflingskolonien bzw. die Entsendung Verurteilter in die Kolonien. Die entsprechenden Ideen und Projekte gelangten jedoch nicht zur Umsetzung. 97 Sowieso entsprangen die Gefangenenkolonien einem deutlich anderen Grundsatz als die Straffälligenhilfe. Entsprechend waren sie in Basel denn auch kein Thema - mit Ausnahme der Feststellung der GGG, dass das «unverdrossene und treue vorsorgliche Wirken zu Gunsten dieser Aermsten unserer Armen […] auch fernerhin ein Cayenne und ein Botany-Bay gerne entbehren» lasse. 98 Vernetzungsbestrebungen und Basler Zögern In nationaler Perspektive brachten die 1860er Jahre für den Strafvollzug vor allem eine Veränderung mit sich: Es war dies die Gründung des Schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängniswesen (SVSG) im Jahr 1867 durch die Strafanstaltsdirektoren von Lenzburg, St. Gallen und Zürich. Vorbild war die 1864 in Baden gegründete Vereinigung deutscher Strafanstaltsbeamter, an deren Gründungversammlung drei Schweizer Vertreter teilnahmen. 99 Dieses Ereignis wird in einer Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen des SVSG in mythologisierend überhöhtem Stil wie folgt geschildert: «Im Mai 1864 reisten drei wackere Eidgenossen, der Zürcher Wegmann, der Bündner und Basler von Salis, der Aargauer Müller ins Badische Land hinunter. Diesen Veteranen, damals noch rüstig und kampfeslustig, mit den Schwierigkeiten des Berufes wohl vertraut, die den Kampf gegen das Böse als ihr Lebenselement liebten, ging der Gesprächsfaden nicht aus: sie handelten von des Tages Mühen, Arbeit, Sorgen und Pflichten eines Gefängnis-Direktors. […] Sie redeten davon, wie es ihnen oft wie Geächteten zu Mute sei, da so viele an den Strafanstalten, wie an einer Art Insel der Verdammten vorüber gehen, wie sie selbst nicht wenig darunter litten, und wie man solche selbstgerechte Verhärtung und einfältige Gedankenlosigkeit energisch 95 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 183-186; S CHAUZ , Strafen, S. 141. 96 John H IRST , The Australian Experience. The Convict Colony, in: Norval M ORRIS ; David J. R OTHMAN (Hg.), The Oxford History of the Prison. The Practice of Punishment in Western Society, New York 1998, S. 235-265; Jacques-Guy P ETIT et al., Histoire des galères, bagnes et prisons. XIIIe-XXe siècles. Introduction à l’histoire pénale de la France, Toulouse 1991, S. 169- 259. 97 R OSENBLUM , Beyond the Prison Gates, S. 75-102; S CHAUZ , Strafen, S. 238. 98 JB GGG 76 (1852), S. 19. Cayenne und Botany Bay stehen für die französischen bzw. britischen Strafkolonien auf den Îles du Salut bei Französisch-Guyana und in Australien. 99 S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 4f. Zum deutschen Verein vgl. S CHAUZ , Strafen, S. 218-220. <?page no="176"?> 177 bekämpfen müsse. Sie beklagten die Unvollkommenheit des Strafvollzugs, jeder hatte seine Wünsche und Begehren; sie freuten sich des gemeinsamen Gedankenaustausches, während sonst jeder als einziger Fachmann seiner Stadt oder seines Kantons in Gefahr stehe, in der Abgeschlossenheit des Berufslebens zu verkümmern.» 100 Insbesondere fällt die Stilisierung der Gefängnisdirektoren als Einzelkämpfer gegen das Böse in der Welt auf, dem mittels einer nationalen Zusammenarbeit entgegengewirkt werden sollte. Mit Blick auf den Schutzaufsichtsverein Zürich und die Basler Patronagekommission bzw. die darin engagierten Einzelpersonen erstaunt dabei die Einschätzung als «einziger Fachmann» eines Kantons oder einer Stadt doch einigermaßen. Zumindest für Basel wurde bis hierhin sehr deutlich, dass der Strafanstaltsdirektor stets nur einer von vielen Experten des Strafvollzugs war. Aus der Perspektive des Jahres 1917 dürfte das Narrativ aber sinnvoll erschienen sein, ging es doch darum, die Anfänge einer nationalen Einigung des Strafvollzugs zu beschwören, was bereits eingangs mit der Anrufung der drei «Eidgenossen» geschah. Tatsächlich handelte es sich bei der Gründung des SVSG aber weniger um eine Nationalisierung als viel eher um eine gewisse Spezialisierung. So waren nämlich die Anliegen des Strafvollzugs bereits zuvor auf nationaler Ebene verhandelt worden, dies aber im breiten Rahmen der SGG. Seit den 1820er Jahren widmete diese sich in ihren Jahresversammlungen immer wieder Themen des Strafvollzugs. Neben der bereits erwähnten Versammlung von 1827 standen auch diejenigen von 1835, 1856 und 1863 unter dem Zeichen von Verbrechen, Strafvollzug und Gefängnisreform. Weitere Themen waren die Entlassenenfürsorge 1840, der Umgang mit straffälligen Kindern und Jugendlichen 1838, 1842, 1853 und 1859 sowie Zwangsarbeitsanstalten 1844 und 1851. 101 Im Rahmen dieser Plattform wurde die enge Verbindung von Philanthropie und Besserungsstrafvollzug offensichtlich, die sich insbesondere in einem sozial-moralischen Verbrecherbild äußerte. Die Grenze zwischen «Liederlichkeit» oder anderem unerwünschtem Verhalten und tatsächlich strafrelevanten Handlungen war für die Philanthropen der SGG fließend. Entsprechend zielten ihre Vorschläge stets auf eine umfassende Erziehung und Besserung von Straffälligen, welche sich als nützliche Glieder in die Gesellschaft einordnen sollten - wie dies ja auch für die Basler Straffälligenhelfer festgestellt wurde. 102 Damit einher ging bis in die 1860er Jahre eine zumindest diskursiv deutliche Trennung zwischen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Sphäre: Lag das Strafen in der Gewalt und Verantwortung des Staates, fiel die Wiedereingliederung der 100 S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 4. 101 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 32f. Zu den entsprechenden Debatten vgl. G RUBENMANN , Nächstenliebe und Sozialpädagogik, S. 145-173. 102 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 34f.; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 366-369. Zum Begriff der «Liederlichkeit» vgl. Tanja R IETMANN , «Liederlich» und «arbeitsscheu». Die administrative Anstaltsversorgung im Kanton Bern (1884-1981), Zürich 2013, S. 12-20. <?page no="177"?> 178 Straffälligen den philanthropischen Gesellschaften zu. 103 Dieser Grundsatz begann in den 1860er Jahren zu bröckeln, wobei eine neue Generation von Strafvollzugsexperten eine tragende Rolle spielte. So übernahmen insbesondere in den deutschsprachigen Debatten zur Gefängniswissenschaft vermehrt Juristen das Zepter. Sie beriefen sich bei ihren Reformvorschlägen entsprechend stärker auf wissenschaftliche denn auf ethisch-moralische Grundlagen als die Philanthropen und Philanthropinnen. 104 Wie Urs Germann deutlich macht, schlug sich diese Entwicklung u. a. in der Gründung von Expertenverbänden, wie beispielsweise dem SVSG nieder. 105 Bei dessen Gründung federführend waren zwei der drei nach Baden gereisten Gefängnisdirektoren: Karl Wegmann und Johann Müller. Der dritte war Josef Kühne, Direktor der Strafanstalt St. Jakob in St. Gallen. Müller leitete die 1864 eröffnete Musteranstalt Lenzburg und Wegmann die Strafanstalt Zürich - alle drei verfügten damit über langjährige Erfahrungen in der Umsetzung gefängnisreformerischer Ideen. 106 Bei der Wahl des ersten Leitungsgremiums, dem sogenannten «Komitee» wurde dieser illustre Deutschschweizer Kreis noch um seine frankophonen Pendants, Emile Payot aus Lausanne und den Neuenburger Arzt und Gefängnisdirektor Louis Guillaume ergänzt. 107 Letzterer sollte sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten Schweizer Experten des Strafvollzugs und -rechts aufschwingen. 108 An Mitgliedern vereinte der SVSG Beamte, Anstaltsgeistliche, Ärzte und Juristen - in der überwiegenden Mehrheit beruflich im Bereich des Strafvollzugs oder der Strafjustiz tätige Männer -, darunter auch der Basler Gefängnisdirektor von Salis und der Anstaltspfarrer Friedrich Oser. 109 Dabei fällt aber auf, dass von Salis, der 1864 noch zu den «Eidgenossen» gehört hatte, nicht an der Gründung des Vereins beteiligt war und auch nicht zum Komitee gehörte. Vom Profil her hätte von Salis durchaus dazu gepasst, war er doch Direktor einer der neuesten Schweizer Strafanstalten. Die Gründe für seine Abwesenheit müssen daher anderswo liegen. Auffällig ist, dass sich auch bei den privaten Basler Straffälligenhelfer eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem SVSG feststellen lässt. Dies zeigt beispielsweise ein Schreiben des St. Galler Gefängnisdirektors Kühne an den Vorstand der GGG im Jahr 1869. Er beklagte darin das fehlende Engagement von Baslern im SVSG, stellten diese doch gerade einmal zwei Mitglieder - Oser und von Salis. 110 Kühne betonte, dies stehe in einem Missverhältnis zum «rühmlichst bekannten Wohlthätigkeitssinn der Basler und zum Ansehen der Stadt überhaupt» und führte weiter aus: 103 G RUBENMANN , Nächstenliebe und Sozialpädagogik, S. 171f. 104 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 35-37; S CHAUZ , Strafen, S. 187-217. 105 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 35-37. 106 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 65-72; S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 4-6. 107 S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 6. 108 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 45-48. 109 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 37; StABS PA 146a, U 4.1, Vorstand des SVSG an dessen Mitglieder, 12.8.1869, S. 2. 110 StABS PA 146a, U 4.1, Kühne, Direktor der Strafanstalt St. Gallen, an die GGG, 14.8.1869. <?page no="178"?> 179 «In den zur Behandlung vorliegenden Referaten ist viel die Rede von Basel und seinen (frühern und jetzigen) Strafanstalten. Es dürfte Ihnen deshalb selbst daran gelegen sein, durch eine im Verhältnis stehende Vertretung mitreden zu können. […] Schon aus dem Verzeichnisse mögen Sie zwar ersehen, dass die Leiter des Vereins die Mitstimmenden lieber wiegen als zählen, ein ‹Volksverein› ist nicht beabsichtigt und kann nicht beabsichtigt sein. Umsomehr sollte sich der Verein aus den Kreisen der Intelligenz und des überzeugungsvollen Ernstes rekrutieren; namentlich aber scheint Ihre Gesellschaft berufen, ihren Namen auch in dieses Buch humaner Bestrebungen einzuzeichnen.» 111 Der SVSG betrachtete sich selbst also eindeutig als Expertenverein, erachtete aber die Mitglieder der GGG ebenfalls als solche - umso mehr anscheinend als die Basler Verhältnisse Thema von Referaten an den ersten Versammlungen des SVSG waren. Tatsächlich traten in der Folge Eduard Thurneysen-Gemuseus, Kriminalgerichtspräsident und bis 1867 Mitglied der Patronagekommission sowie der amtierende Präsident der GGG, Adolf Burckhardt, dem SVSG bei. 112 Bereits an der nächsten Generalversammlung 1871 in Olten beschränkte sich die Basler Teilnahme aber wieder auf Oser und von Salis 113 - dies obwohl der SVSG, trotz seiner grundsätzlich institutionellen Ausrichtung, von Beginn weg auch die Schutzaufsicht thematisierte: Bereits 1869 beispielsweise hielt Jakob Forrer, Präsident des St. Galler Schutzaufsichtsvereins, ein Referat zur «Geschichte und Ausbildung der Schutzaufsicht in der Schweiz». 114 Einen Erklärungsansatz für die Zurückhaltung der Basler Philanthropen bietet die Tatsache, dass es ihnen ganz gut gelang, ihre nationale wie auch ihre transnationale Vernetzung auf eigene Faust zu organisieren. Insbesondere hatte sich dies in den 1839 geschlossenen Abkommen mit Schweizer und deutschen Vereinen über die gegenseitige Übernahme von Entlassenen gezeigt. Wie es sich bereits in den 1840er Jahren abgezeichnet hatte, wurden diese Abkommen zwar kaum je genutzt. Die Patronagekommission verzeichnete aber auch weiterhin keine Schwierigkeiten, Entlassene in Eigenregie in angrenzenden Gebieten, insbesondere in deutschen unterzubringen. So vermittelte sie zwischen 1850 und 1875 immerhin sechs Entlassene in deutsche Gebiete, fünf in andere Schweizer Kantone und einen Entlassenen nach Frankreich. 115 Augenscheinlich waren die 111 Ebenda, S. 1f., Hervorhebungen im Original. 112 Verhandlungen SVSG 3 (1869), S. 108. 113 Verhandlungen SVSG 4 (1871), S. 22. 114 Jakob M. F ORRER , Beitrag zur Geschichte und Ausbildung der Schutzaufsicht in der Schweiz. Referat für die auf den 21. und 22. September 1869 festgesetzte Versammlung des schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängniswesen, Luzern 1870. 115 Die Zahlen basieren auf den Angaben in StABS PA 146a, U 4.3, Jahresbericht der Patronagekommission 1851, S. 2f.; JB GGG 76 (1852), S. 134f.; JB GGG 79 (1855), S. 80f.; JB GGG 86 (1862), S. 144-147; JB GGG 89 (1865), S. 156f.; JB GGG 90 (1866), S. 130-132; JB GGG 91 (1867), S. 159-164; JB GGG 92 (1868), S. 144-150; JB GGG 93 (1869), S. 136-138; JB GGG 95 (1871), S. 132-134. <?page no="179"?> 180 Mitglieder der GGG nicht der Ansicht, dass eine institutionalisierte nationale Vernetzung hier einen Mehrwert gebracht hätte. Ähnliches kann im Hinblick auf den diskursiven Austausch mit Experten anderer Regionen für die Mitglieder der STK und die Strafvollzugsbeamten Basels festgestellt werden. Wie zuletzt wieder im Rahmen des Neubaus im Schällemätteli deutlich geworden war, waren die Basler ohne Weiteres im Stande, sich über Entwicklungen im Gefängnis- und Strafvollzugswesen auf dem Laufenden zu halten. Nicht außer Acht zu lassen ist schließlich eine gewisse grundlegende Basler Skepsis gegenüber Nationalisierungsbestrebungen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts immer wieder aufschien. 116 Eine eigentliche Zusammenfassung ihrer Haltung gegenüber dem SVSG lieferten die Basler Straffälligenhelfer im Jahr 1874 gleich selber. Der SVSG hatte sich im Rahmen seiner Jahresversammlung 1873 über das Projekt einer interkantonalen «Rettungsanstalt für jugendliche Verbrecher» ausgetauscht und eine Kommission eingesetzt, welche sich mit konkreten Plänen dafür auseinandersetzen sollte. 117 Der Schutzaufsichtsverein von Appenzell-Innerrhoden gelangte daraufhin an die Basler Patronagekommission und bat um deren Unterstützung für das Projekt. Dabei erhofften sich die Appenzeller augenscheinlich eine Beschleunigung des Projekts durch den Sukkurs mehrerer Vereine. 118 Nach einiger Diskussion gelangte die Patronagekommission aber zu folgendem Schluss: «Auf das Circular in Betreff der Rettungsanstalten soll erwiedert werden, dass man die Sache nicht von der Hand weise, aber zunächst die Schritte der von der Direction des Schweiz. Vereins für Gefängniswesen aufgestellten Commission abwarten wolle.» 119 Die Patronagekommission stellte sich also auf die Position eines vorsichtigen Abwartens und verzichtete zunächst darauf Ressourcen, egal welcher Art, für schweizerische Vernetzungsprojekte aufzuwenden. Zumindest in diesem Fall war sie damit gut beraten, verlief sich das Projekt der Rettungsanstalt doch rasch wieder. Erfolgreiche Philanthropinnen Während die Patronagekommission also in den 1850er und -60er Jahren wenig Erfolgreiches zu berichten hatte, scheint das beim Frauenverein anders gewesen zu sein. Nach wie vor gestaltet es sich zwar schwierig, seinen Spuren zu folgen, seit er aber unter der Leitung des Anstaltspfarrers stand, finden sich in dessen Jahresberichten zumindest zeitweise Erwähnungen des Frauenvereins. So war es 116 J ENNY , 1848-1875. 117 Louis G UILLAUME , Ueber die Errichtung einer interkantonalen Rettungsanstalt für junge Verbrecher und verwahrloste Kinder, die das 13. Jahr zurückgelegt haben. Bericht an den Schweizerischen Verein für Straf- und Gefängniswesen, Bern 1875. 118 JB GGG 98 (1874), S. 146; Protokolle Patronagekommission 1874-1891, 19.11.1874, S. 6. 119 Protokolle Patronagekommission 1874-1891, 19.11.1874, S. 6. <?page no="180"?> 181 denn auch der Anstaltspfarrer Eglinger, welcher 1856 explizit die Unterschiede in der Organisation von Frauenverein und Patronagekommission festhielt: «Ein Uebelstand ist es bei diesem Vereine [der Patronagekommission], dass er fast lediglich aus Mitgliedern besteht, welche mit unserer Anstalt in keiner näheren Verbindung stehen u. daher auch die aus ihr Entlassenen weder persönlich kennen, noch sich eben deshalb sonderlich für dieselben interessieren.- Anders verhält es sich bei dem Frauenverein für die weiblichen Gefangenen. Die Mitglieder desselben besuchen nicht nur in einer gewissen Ordnung mehr oder weniger regelmäßig unsere Anstalt u. lernen also die Gefangenen persönlich kennen, sondern sie versammeln sich monatlich, um sich gegenseitig ihre Erfahrungen u. Betrachtungen mitzutheilen u. über allfällige Unterstützungsu. Versorgungsbegehren zu berathen.» 120 Nicht nur scheint sich der Frauenverein also häufiger zu Besprechungen getroffen zu haben als die Patronagekommission - welche sich im Jahr 1856 sechsmal traf -, seine Mitglieder besuchten auch weiterhin ihre Klientel bereits während der Haftdauer. Rein quantitativ gesehen dürfte dies den Frauen auch deutlich leichter gefallen sein: So saßen am 31. Dezember 1855 18 Frauen und 58 Männer in der Strafanstalt ein. Auch die Entlassenenzahlen geben dieses Verhältnis wieder mit 75 Frauen gegenüber 170 Männern im Jahr 1855. 121 Wie viele der Frauen auch wirklich vom Verein betreut wurden, geschweige denn wie vielen in dessen Augen eine Resozialisierung gelang, lässt sich nicht eruieren. Für die grundsätzlich als erfolgreicher wahrgenommene Praxis des Frauenvereins spricht aber, dass sie die Patronagekommission 1860 teilweise übernahm. Parallel zur im selben Jahr eingeführten Einzelbetreuung der Entlassenen, versuchte die Kommission nun auch, bereits vor deren Entlassung Beziehungen zu Insassen aufzubauen - wie oben geschildert mit wenig überzeugenden Ergebnissen. Wichtig ist hier aber nicht die Praxisänderung an sich, sondern die Tatsache, dass die Patronagekommission sich den Frauenverein zum Vorbild nahm. Waren die Philanthropinnen seit den 1820er Jahren stets im Schatten der Männerkommission gestanden, scheint sich dieses Gleichgewicht zu Beginn der 1860er Jahre in Teilen verschoben zu haben. So hielt die GGG 1860 denn auch fest, dass der Frauenverein «regsamer» sei, als die eigene Kommission - nicht ohne gleich nachzuschieben: «Allein nicht nur ist die Thätigkeit bei den Frauen doch leichter, weil sämmtliche weibliche Sträflinge in der Strafanstalt nähen lernen und dadurch später ihr Brot verdienen können, sondern der Bericht selbst gibt zu wenige Einzelheiten, um sich ein richtiges Bild zu machen.» 122 120 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1856, S. 6, Hervorhebung im Original. 121 Verwaltungsbericht BS 1855, Beilage F. 122 JB GGG 84 (1860), S. 26. <?page no="181"?> 182 Ob dies als Abwehrreflex einzustufen ist oder ob entlassene Frauen tatsächlich einfacher zu vermitteln waren, muss dahingestellt bleiben - nicht zuletzt deshalb, weil über die konkrete Tätigkeit des Frauenvereins und insbesondere über die Anzahl Betreuter wenig in Erfahrung zu bringen ist. Aus den wenigen Aufzeichnungen wird deutlich, dass die Mitglieder des Vereins weiterhin mittels regelmäßigen Besuchen in der Strafanstalt Beziehungen zu den Insassinnen aufzubauen versuchten und Unterricht in Religion, Näh- und Hausarbeiten erteilten. Nach der Entlassung der betreuten Frauen setzten sich die Mitglieder des Frauenvereins für deren Unterbringung als Näherinnen, Hausangestellte oder auch als Fabrikarbeiterinnen ein. Diejenigen Entlassenen, welche keine Anstellung fanden, wurden nach Möglichkeit in Versorgungs- oder Rettungsanstalten untergebracht. Dies scheint bei den Frauen deutlich häufiger der Fall gewesen zu sein als bei den Männern - ein Eindruck, der sich aber ohne belastbare Zahlen nicht erhärten lässt. 123 Während sich zwar Anstaltspfarrer und Patronagekommission im positiven Urteil über die Tätigkeit des Frauenvereins einig waren, hatte letzterer intern mit Schwierigkeiten zu kämpfen. So machte sich wie bereits in den 1840er Jahren eine gewisse Überalterung breit, die 1857/ 58 zu einer verminderten Tätigkeit des Vereins führte. 124 Nach einem entsprechenden Appell an jüngere Frauen, sich dem Verein anzuschließen, konnte Anstaltspfarrer Eglinger aber bereits 1859 berichten, dass der Verein einen «unerwartet lebhaften Aufschwung» genommen habe. 125 Weiter beschäftigte den Frauenverein die Anstellung zweier Diakonissen als Aufseherinnen in der Strafanstalt 1855. 126 Deren Arbeit wurde insbesondere vom Anstaltspfarrer in höchsten Tönen gelobt: «Wer früher durch unser Haus gegangen ist u. den wüsten wilden Lärm, das ausgelassene Gelächter u. die unaufhörlichen Zänkereien mitangehört hat, welche fast ununterbrochen aus den Zimmern der corectionellen Weiber hervordrangen, der kann nicht anders als sich verwundern u. freuen über die wohlthuende Ruhe u. Stille, welche jetzt auf dieser Abtheilung herrscht, eine Stille welche selten anders als durch den Gesang eines geistlichen Liedes unterbrochen wird. Ich kann diese erfreuliche Wendung der Dinge bei einer unserer schwierigsten Classen von Gefangenen nicht hoch genug anschlagen u. glaube sie um so eher erwähnen zu dürfen, da ich selbst am wenigsten dabei gethan habe u. meine ganze Mitwirkung höchstens darin bestand die guten Eindrücke zu pflegen, welche durch den stillen ungezwungenen Einfluss unsrer Schwestern auf diese großentheils rohen 123 JB GGG 78 (1854), S. 102; JB GGG 80 (1856), S. 108; JB GGG 84 (1860), S. 154-156; StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1867, S. 4; StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1872, S. 5. 124 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1858, S. 6f. 125 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1859, S. 7. 126 Protokolle STK 1855-1899, 20.9.1855, S. 11-16. Zu den Diakonissen in der Schweiz vgl. Urs F. A. H EIM , Leben für Andere. Die Krankenpflege der Diakonissen und Ordensschwestern in der Schweiz, Basel 1998, darin findet sich auf S. 153-157 auch eine kurze Geschichte des Diakonissenhauses Riehen. <?page no="182"?> 183 u. verwilderten Gemüther waren hervorgebracht worden. Wahrlich, wenn nichts für die Zweckmäßigkeit der Anstellung von Diaconissen in einer Strafanstalt spräche, so wäre diese nicht zu läugnende Erscheinung einer völligen Verwandlung des Geistes unter der bisher unzugänglichsten Strafclasse an sich schon hinreichend alle die Einwendungen zu entkräften, welche etwa dagegen wollten vorgebracht werden.» 127 Gleichzeitig scheint aber die Anstellung der Diakonissen die Mitglieder des Frauenvereins veranlasst zu haben, ihr Engagement zu verringern. 128 Die Diakonissen übernahmen weite Teile des Unterrichts, sowohl in Religion als auch in Handarbeiten, wie auch die sittlich-moralische Betreuung der Insassinnen, welche zuvor ebenfalls von den Frauen des Vereins geleistet worden war. Ähnlich wie Jahrzehnte zuvor beim Männerverein fand also eine gewisse Verdrängung privater Philanthropie aus der Strafanstalt statt. Da war es nur naheliegend, dass sich auch der Frauenverein in der Folge vermehrt auf die Entlassenen konzentrierte und weniger auf die Betreuung während der Haftdauer. Dabei handelte es sich aber nicht um eine komplette Neuausrichtung, wie sie der Männerverein 1837 vollzogen hatte - eher ist von einer gewissen Verschiebung in der Schwerpunktsetzung auszugehen. 129 Stets beschäftigte den Frauenverein zudem seine finanzielle Situation. Anders als die Patronagekommission verfügte er nicht über eine finanzstarke Muttergesellschaft, sondern war auf substantielle Spenden seiner wenigen Mitglieder oder von Sympathisanten und Sympathisantinnen angewiesen. Ab 1853 erhielt der Verein zudem mehr oder weniger regelmäßig einen Beitrag der Patronagekommission. Handelte es sich dabei zunächst um 50 Franken, verdreifachte sich der Beitrag bis 1860 auf 150 Franken. 130 Welchen Anteil der Beitrag der Kommission am Budget des Frauenvereins hatte, lässt sich nicht systematisch eruieren, da nur aus einzelnen Jahren Informationen zu dessen Finanzen vorliegen. Im Jahr 1859 beispielsweise nahm der Verein 613 Franken ein, die Ausgaben im selben Jahr beliefen sich auf 376 Franken. 131 Für die Patronagekommission dagegen stellte die Unterstützung des Frauenvereins 1860 den größten Ausgabenposten ihres Budgets dar. 132 Diese Feststellung in Kombination mit der schwierigen Situation der Patronagekommission, welche sich im selben Jahr den Frauenverein zum Vorbild nahm, lässt sich dahingehend zuspitzen, dass die Kommission in dieser Phase als eine Art Unterstützungsgremium des Frauenvereins fungierte. Dabei war der Frauenverein in dieser Phase schon nicht mehr auf die Spende der Patronagekommission angewiesen. Die vorhandenen Rechnungen aus den 127 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1856, S. 4. Ähnlich in StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1859, S. 5f. 128 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1858, S. 6f. 129 JB GGG 84 (1860), S. 154f.; StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1859, S. 7. 130 JB GGG 77 (1853), S. 77; JB GGG 84 (1860), S. 158. 131 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1859, S. 7 132 JB GGG 84 (1860), S. 156. <?page no="183"?> 184 Jahren 1863 bis 1876 zeigen eine konstant stabile finanzielle Situation: Die Einnahmen lagen meist bei ca. 600 Franken, während die Ausgaben selten 400 Franken überstiegen. Den größten Teil der Einnahmen machten Spenden und Beiträge der Mitglieder aus, hinzu kamen der Beitrag der Patronagekommission sowie ab und zu ein Legat o. Ä. Damit finanzierten die Frauen die nicht näher definierte Unterstützung für weibliche Entlassene, Kleidungsstücke und Reisespesen. Hinzu kam der teilweise sehr gewichtige Posten der Kostgelder für die Kinder von inhaftierten Frauen. 133 Während sich also ein Großteil der Tätigkeit ähnlich gestaltete wie bei der Männerpatronage, kam für den Frauenverein immer wieder eine spezifisch weibliche Perspektive hinzu, die sich nicht selten in einem Fokus auf die Mutterschaft äußerte. Zu den laufenden Einnahmen und Ausgaben gesellte sich ab 1863 das Legat einer Marie La Roche über 800 Franken zugunsten entlassener weiblicher Sträflinge. 134 Der Frauenverein legte dieses Geld in einem Fonds zum Zweck des Aufbaus eines «Asyls» für entlassene weibliche Sträflinge an, der zunächst unter der Verwaltung des Ehemanns eines Mitglieds des Frauenvereins, Eduard Brüstlein, und nach dessen Tod unter derjenigen des Strafanstaltspfarrers stand. 135 Der Fonds akkumulierte im Verlauf der Jahre einiges an Kapital und umfasste 1876 2’346.15 Franken. 136 Ende der 1870er Jahre entschied sich der Frauenverein, den Fonds nicht mehr weiter aufzustocken und die Zinsen stattdessen für die laufenden Geschäfte des Vereins einzusetzen. 137 Damit hatte der Verein endgültig die finanzielle Selbständigkeit erreicht und erhielt entsprechend ab 1875 keine Beiträge mehr von der Patronagekommission. 138 Mit letzterer bestand augenscheinlich sowieso kein sonderlich enges Verhältnis mehr. So schrieb der Präsident der GGG 1872 «dass sich trotz aller Enttäuschungen unter dem Vorsitze des Seelsorgers der Strafanstalt ein Frauenverein gebildet hat, der unserer Commission in verdankenswerthester Weise die Besorgung der weiblichen Gefangenen abnimmt.» 139 Wie gezeigt wurde der Frauenverein in diesem Jahr mitnichten neu gegründet, sondern befand sich im Gegenteil in einer florierenden Phase. Zu Beginn der 1860er Jahre spürte auch der Frauenverein die Krise der Textilwirtschaft, indem mehr Entlassene seine Dienste in Anspruch nahmen. Anders als die Patronagekommission suchte der Frauenverein sein Heil nicht in einer engeren Zusammenarbeit mit potenziellen Arbeitgebern: 133 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1863, S. 6; Jahresbericht 1867, S. 4; Jahresbericht 1868, S. 5; Jahresbericht 1869, S. 8; Jahresbericht 1870, S. 7; Jahresbericht 1871, S. 6; Jahresbericht 1872, S. 5; Jahresbericht 1873, S. 6; Jahresbericht 1874, S. 5; Jahresbericht 1875, S. 6; Jahresbericht 1876, S. 7. 134 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1863, S. 7. 135 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1869, S. 8; Jahresbericht 1870, S. 7; Jahresbericht 1875, S. 6. 136 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1876, S. 7 137 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1881, S. 11. 138 JB GGG 99 (1875), S. 177. 139 JB GGG 96 (1872), S. 21. <?page no="184"?> 185 «[D]er Frauenverein für weibliche Sträflinge […] vermisst namentlich ein christliches Hauswesen, wo seine Pfleglinge einstweilen könnten untergebracht und beschäftigt werden, indem die gewöhnlichen Kosthäuser natürlich weder bezüglich der Aufsicht noch auch der Auswahl der Gesellschaft irgendwelche Garantien bieten. Eine solche Einrichtung hat nun wirklich der Verein durch einen neulichen Beschluss ins Leben gerufen.» 140 Die genannte «Einrichtung» war die sogenannte «Rettungsanstalt Friedrichshöhe», welche 1860 in Tüllingen bei Lörrach gegründet wurde. Während die Patronagekommission diese 1861 und 1862 als Anstalt des Frauenvereins beschrieb, scheinen die Besitzverhältnisse anders gelagert gewesen zu sein. 141 So ist die Rettungsanstalt Friedrichshöhe in erster Linie der evangelisch-pietistischen Rettungshaus-Bewegung zuzurechnen, welche in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts u. a. in Baden und Württemberg starken Einfluss hatte. Ihren Ursprung nahm die Bewegung mit der Gründung der «Armenschullehrer- und Armenkinderanstalt» 1820 im badischen Beuggen. Maßgeblich an der Gründung beteiligt war neben dem Pädagogen Christian Heinrich Zeller der Gründer der Basler Missionsgesellschaft, Christian Friedrich Spittler. Diesem Vorbild folgte eine Vielzahl von Unterbringungs- und Bildungsanstalten für bedürftige Kinder, so auch Friedrichshöhe, an dessen Gründung Spittler ebenfalls beteiligt war. 142 Nicht nur waren die Rettungshäuser also für Kinder konzipiert - die meisten waren denn auch als Familienersatz mit Hausvater und -mutter aufgebaut - dasjenige in Tüllingen wurde auch nicht direkt vom Frauenverein gegründet. Anscheinend beteiligte sich der Verein aber mit festen jährlichen Zahlungen an der Anstalt und unterstützte so deren Gründung und Fortbestand. Im Gegenzug erhielt der Verein eine Garantie zur Unterbringung seiner Schützlinge. 143 Wie stark er diese Möglichkeit nutzte, lässt sich nicht beziffern, gesichert ist eine einzige Unterbringung im Jahr 1861, wobei es sich höchstwahrscheinlich um eine sehr junge Frau handelte, war die Anstalt doch eigentlich für Kinder angelegt. 144 Bereits 1863 beschloss der Verein, den jährlichen Mietzins nicht mehr zu entrichten «und nur wenn Pfleglinge vorübergehend untergebracht werden ein angemessenes Kostgeld zu bezahlen» - was kaum für eine rege Nutzung des Rettungshauses 140 JB GGG 85 (1861), S. 144. 141 JB GGG 86 (1862), S. 147. 142 Angelika S CHWALL -D ÜREN , Kinder- und Jugendfürsorge im Grossherzogtum Baden in der Epoche der Industrialisierung. Entwicklung und Zielsetzung der staatlichen, kommunalen und verbandlichen Fürsorge 1850-1914, Freiburg i. Br. 1980, S. 113-126; Arnold W ELLER , Sozialgeschichte Südwestdeutschlands. Unter besonderer Berücksichtigung der sozialen und karitativen Arbeit vom späten Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1979, S. 120-124. Zu Spittler vgl. Werner R AUPP , Artikel «Spittler, Christian Friedrich» (2012), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D10488.php [4.1.2017]. 143 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1861, S. 10; Jahresbericht 1863, S. 6. 144 JB GGG 85 (1861), S. 144. Auch in den Akten der Anstalt Friedrichshöhe in Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe 60 Nr. 2232, Tüllinger Rettungs- und Waisenhaus Friedrichshöhe 1861-1906 finden sich keine Hinweise auf die vom Frauenverein Untergebrachten. <?page no="185"?> 186 spricht. 145 Damit hatte die Anstalt in Friedrichshöhe für den Frauenverein wieder denselben Stellenwert wie andere Versorgungs- oder Rettungsanstalten. Trotz der kurzen Dauer des Experiments und seines eigentlichen Scheiterns ist die Episode in mehrfacher Hinsicht instruktiv. So ist allein die Existenz der Anstalt Friedrichshöhe, wie auch diejenige der Anstalt Beuggen, bemerkenswert: Mit maßgeblicher Basler Beteiligung wurden auf deutschem Boden Institutionen gegründet und betrieben. Dies führt vor Augen, wie selbstverständlich sich Basler Philanthropen im 19. Jahrhundert im Grenzraum bewegten und wie nonchalant sie mit nationalen Grenzziehungen umgingen. Auch bei den Philanthropinnen wurde Anfang der 1860er Jahre mit keinem Wort darauf eingegangen, dass sich die Rettungsanstalt nicht auf Basler oder Schweizer Boden befand. Das Vorgehen des Frauenvereins zeigt zudem dessen veränderten Status im Vergleich mit den 1840er Jahren. Er stand sowohl finanziell als auch in Bezug auf seine Mitglieder auf sicherer Basis und konnte es sich leisten, proaktiv zu handeln und einen auf längere Frist angelegten Vertrag mit einer anderen Institution einzugehen. Schließlich ist die Verbindung mit einem eng mit der Basler Mission verknüpften Rettungshaus hervorzuheben: Sie verweist - wenig überraschend - auf eine starke christliche bzw. eben pietistische Prägung des Frauenvereins. Diese widerspiegelt sich denn auch in den wenigen zu eruierenden Mitgliedern des Vereins in den 1860er und -70er Jahren. So finden sich beispielsweise 1869 sowohl eine Missionarsgattin Koch, als auch die Ehefrau des Pfarrers der französischen Kirche, Junod. 146 Von den weiteren aufgeführten Frauen fehlen meist Vor- oder Doppelnamen sowie die Berufsbezeichnung eines allfälligen Ehemanns, so dass genauere Angaben schwierig sind. Festhalten lässt sich, dass der Verein zwischen 1869 und 1875 von sieben auf neun Mitglieder anwuchs, was ein weiteres Mal dessen Prosperieren deutlich macht. Über die Jahre zuvor finden sich kaum Angaben - selbst dem Vereinspräsidenten scheint es schwergefallen zu sein, die Anzahl Mitglieder des Frauenvereins zu beziffern, schrieb er doch immer wieder leicht abschätzig von «einigen» oder «ein paar» Frauen. 147 Von diesen Frauen waren jedoch nach Einschätzung des Strafanstaltspfarrers Oser nur jeweils vier bis sechs aktiv engagiert. Die einzige Aufführung der Mitglieder mit Doppelnamen von 1876 macht deutlich, dass in dieser Zeit keine der Frauen über nachweisbare Verwandtschaftsbeziehungen mit Mitgliedern der STK oder der Patronagekommission verfügte - der Frauenverein hatte sich also seit den 1840er Jahren von seinen männlichen Pendants emanzipiert. Dies trägt auch zur Erklärung der festgestellten Entfremdung von Patronagekommission und Frauenverein bei. Spätestens ab 1869 war zudem eine der in der Anstalt tätigen Diakonissen Mitglied des Frauenvereins. Sie übernahm rasch eine tragende Rolle, indem sie gemeinsam mit dem Präsidenten des Vereins, dem Strafanstaltspfarrer, dringende 145 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1863, S. 6. 146 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1869, S. 8. 147 So z. B. in StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1858, S. 7; Jahresbericht 1863, S. 6. <?page no="186"?> 187 Geschäfte erledigte. 148 Dieser Schritt ist einerseits sicher als eine gewisse Institutionalisierung des Vereins zu beurteilen. Andererseits minderte er - ähnlich wie die Anstellung der Diakonissen in den 1850er Jahren - wohl auch die Bedeutung des Vereins, da ein Teil der Tätigkeit nun intern, d. h. durch Angestellte der Anstalt, erledigt wurde. Diese Tätigkeit zu beziffern, ist auch für die 1860er und -70er Jahre nicht möglich. Einzelne Erwähnungen des Anstaltspfarrers machen deutlich, dass jährlich zwischen zehn und zwanzig Entlassene durch den Verein betreut wurden - es sind aber keine Aussagen über deren Unterbringung geschweige denn eine Einschätzung der Erfolgsrate zu finden. 149 Dennoch wird deutlich, dass sich der Frauenverein in dieser Phase zu einer festen Größe innerhalb der Gemengelage der Basler Straffälligenhilfe entwickelte. 5.3 Die Patronagekommission sucht nach einer Daseinsberechtigung Trotz diverser Struktur- und Strategieänderungen gelang es also weder der Patronagekommission noch dem Frauenverein eine umfassende Schutzaufsicht zu etablieren. Dennoch setzten sie ihre Tätigkeit unbeirrt fort - stellt sich die Frage, weshalb? Während es beim Frauenverein nicht möglich ist, dieser Frage nachzugehen, setzten sich sowohl die Patronagekommission als auch die GGG regelmäßig mit ihrer eigenen Tätigkeit sowie mit ihrer Rolle innerhalb des Staates - auch und besonders deren Veränderung seit der Gründung des Bundesstaates - auseinander. Das dabei aufscheinende Selbstverständnis ist ein erster Hinweis auf die Gründe für die unbeirrt fortgesetzte Tätigkeit der Patronagekommission und soll daher im Folgenden betrachtet werden. Selbsterhaltung und Verpflichtung Ihre Zielsetzung und Verpflichtung bedürftige Menschen zu unterstützen, leitete die GGG unter anderem aus der Feststellung ab, dass es die Gesellschaft grundsätzlich verpasst habe, Institutionen zu schaffen, welche es den unteren Gesellschaftsschichten ermögliche, sich aus der Armut zu befreien. Dementsprechend stehe es der GGG nicht zu, nur unschuldig verarmte Personen zu unterstützen: 148 Die Angaben zu den Mitgliedern basieren auf StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1869, S. 8; Jahresbericht 1870, S. 7; Jahresbericht 1871, S. 6; Jahresbericht 1875, S. 6; Jahresbericht 1876, S. 7. 149 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1872, S. 5; Jahresbericht 1873, S. 6; Jahresbericht 1874, S. 5. <?page no="187"?> 188 «Wenn aber nur diejenige Noth durch ihren Anblick uns betrübte, welche unverschuldet ist, wenn nur das Elend unsere Hülfe in Anspruch nähme, dessen Ursache und Veranlassung allein in jener höhern Anordnung liegt, welche die Erde zu einem Sitz der Unvollkommenheit bestimmt hat, so würden das seltene Ausnahmen allgemeinen Wohlbefindens seyn und die Linderung solchen Unglücks eine leichte Aufgabe heißen. Leider ist jedoch die Masse des herrschenden Elends unläugbar ein verschuldetes, zum Theil durch die einzelnen Opfer desselben, mehr noch aber durch die mangelhaften gesellschaftlichen Einrichtungen. ‹Die Unwissenheit und der Irrthum sind die Quellen aller Laster, welche die Regierung schwer machen›, sagte Isaak Iselin schon, und die Wahrheit dieses Ausspruchs ist in unsern Tagen auf ergreifende Weise dargethan worden. Wenn üble Gewohnheiten den Wohlstand untergraben und die ökonomische Hebung der ärmern Klassen unmöglich machen, wenn Sittenverderbnis herrscht und mit derselben moralischer Zerfall um sich greift - was ist die Quelle davon als Unwissenheit? » 150 Dieser Auszug aus dem Jahresbericht von 1848 verdient es auch deshalb in dieser Länge zitiert zu werden, da hier das Selbstverständnis der GGG - wie auch ihre Meinung zu den revolutionären Bewegungen von 1848 - deutlich zutage tritt: Ihre Aufgabe bestand zumindest in Teilen darin, eine regierbare Bevölkerung heranzuziehen und die Unterschichten gegen unwillkommenen Einfluss aller Art immun zu machen. Darunter waren insbesondere Ideen oder Bewegungen zu verstehen, welche die gesellschaftlichen Machtverhältnisse in Frage stellen und die herrschende Sozialstruktur durchbrechen würden. Deutlich wird dies u. a. auch im Jahresbericht von 1851: «Ein großes Hemmnis liegt außerhalb der [Gemeinnützigen] Gesellschaft. Es sind deren viele, denen mit Rath und Tath von hier aus sollte und wollte geholfen werden: aber uns entgegen stellt sich ein Widerwille die Hilfe und Berathung anzunehmen, ein Widerwille, der aus einem irre geleiteten Sinn für Unabhängigkeit, aus Misstrauen und neidischem Hass gegen die höher stehenden und mehr begüterten entspringt.» 151 Diesen Entwicklungen sollte also die GGG entgegenarbeiten, wobei sie ihre Tätigkeiten oft in zwei hauptsächliche Stoßrichtungen unterteilte, nämlich in «vorbeugende» und «rettende» Maßnahmen. Erstere verfolgten dabei das Ziel einer Erziehung und Bildung der unteren Schichten, d. h. beispielsweise die Kleinkinderschulen, letztere die Linderung bereits vorhandener Not, so z.B. die Suppenanstalt. Die Patronage wurde dabei je nach Verfasser des Jahresberichts 150 JB GGG 72 (1848), S. 12f. 151 JB GGG 75 (1851), S. 9. <?page no="188"?> 189 unterschiedlichen Bereichen zugeordnet, was ihr unklares Profil unterstreicht - oder vielleicht auch ihre weitgehende Bedeutungslosigkeit. 152 Als weiterer Grund für fehlende Erfolgserlebnisse der GGG wurde in den 1850er Jahren auch ein sinkendes Engagement seitens ihrer Mitglieder angeführt. Zwar werde nach wie vor viel gespendet und die Gesellschaft verfüge auf dem Papier nach wie vor über eine hohe Anzahl von Mitgliedern, deren Engagement in den einzelnen Kommissionen und damit in konkreten Tätigkeiten lasse aber zu wünschen übrig. Als Gründe dafür wurden im Jahresbericht 1851 u. a. die Konkurrenz durch andere Institutionen und fehlende Erfolge genannt. 153 Schließlich trage aber auch das neue Staatssystem bzw. die junge Bundesverfassung eine Mitschuld: «Es darf behauptet werden, und der Ausspruch ist kein neuer, dass die Gesellschaft des Guten und Gemeinnützigen in ihrer ursprünglichen und altherkömmlichen Weise nicht mehr so Bedürfnis ist, wie sie ursprünglich das gewesen. Sie ist zu einer Zeit gestiftet und lange noch durch Zeiten fortgeführt worden; wo das öffentliche Leben kaum ein öffentliches war. Da nun trat sie in die gleichwohl empfundene Lücke, da war den älteren Bürgern sie der Mittelpunkt der auf das Gemeinwohl abzielenden Bestrebungen und Besprechungen, sie den jüngeren eine Vorschule für die einstige Betheiligung am Staat. Jetzt aber ist diese selbst den unreiferen Jahren nicht mehr verschlossen und überhaupt das öffentliche Leben nach allen Seiten hin weit aufgethan, durch den Fleiß der Presse und die Pressfreiheit noch weit über die Rathssäle hinaus. Nothwendiger Weise ist damit die Gemeinnützige Gesellschaft aus der Stellung verdrängt, die sie vormals eingenommen.» 154 Die GGG sah also ihre Daseinsberechtigung, aber auch ihre Attraktion nicht zuletzt darin begründet, einen parastaatlichen Raum zu bieten, welcher der Heranziehung junger Staatsbürger diente. Damit besann sich der Vorsteher der GGG 1851 einerseits auf deren Wurzeln als Aufklärungsgesellschaft. Andererseits sprach er aber auch einen der hauptsächlichen Gründe für philanthropisches Engagement im Rahmen der GGG an. Die Gesellschaft bot einen Zugang zur politischen und wirtschaftlichen Elite und damit einen Rahmen für jüngere Mitglieder der einflussreichen Familien, sich zu beweisen und ein Netzwerk aufzubauen, welches sie bei ihrem weiteren Fortkommen unterstützen würde. Gleiches galt für Neubürger oder vom Bürgerrecht ausgeschlossene sowie - in geringerem Maße - für Frauen. Diese Funktion war stark durch den bis 1847 bestehenden Alters- und Vermögenszensus in Basel bedingt, der den Jungbürgern eine gewisse Wartezeit 152 Der rettenden Gruppe zugeteilt ist sie u. a. in JB GGG 70 (1846), S. 10; JB GGG 77 (1853), S. 21, der vorbeugenden in JB GGG 73 (1849), S. 6, 18; JB GGG 74 (1850), S. 7, 36. 153 JB GGG 75 (1851), S. 11-17. 154 Ebenda, S. 17f. <?page no="189"?> 190 auferlegte. 155 Durch die Einführung des allgemeinen Männerstimm- und Wahlrechts ging der GGG daher diese Funktion weitgehend verloren. Die 1851 ausgedrückte Besorgnis war nicht ganz grundlos. Wie während des ganzen 19. Jahrhunderts stieg zwar die Mitgliederzahl der GGG auch in den 1850er Jahren an. Gemessen an der - rasant wachsenden - Bevölkerungszahl der Stadt Basel schwand jedoch die relative Anzahl Mitglieder bis Ende der 1860er Jahre auf den Stand von 1820 und betrug noch 1,9 Prozent. 1850 waren es immerhin 2,2 Prozent gewesen. Der Unterschied mag zwar gering anmuten, dennoch ist er ein Indiz für eine sinkende Attraktivität der GGG in den 1850er und -60er Jahren. Sara Janner stellt zudem einen seit den 1830er Jahren anhaltenden Trend zu einer Spezialisierung innerhalb der GGG fest: Langfristige Engagements von Mitgliedern konzentrierten sich vermehrt auf eine einzelne Kommission und beinhalteten deutlich seltener als vor 1830 die Ausübung von leitenden Funktionen in der Gesellschaft. 156 Wie bereits deutlich wurde, waren auch in der Patronagekommission Ansätze dieser Tendenz zu einer Spezialisierung oder Professionalisierung zu beobachten, die sich nach 1861 fortsetzten. So war im Jahr 1871 kein einziges Mitglied der Patronagekommission in einer anderen Kommission engagiert, 1881 waren es deren zwei: Die beiden Bandfabrikanten Fritz Hoffmann-Merian und Wilhelm Sarasin-Iselin waren auch Mitglied der Kommission zur Unterstützung von Gewerbelehrlingen respektive der Kommission zur Lucas-Stiftung. 157 Weiter fällt auf, dass die Kommission seit ihrer Gründung 1821 bis ins Jahr 1860 gerade mal zwei Vorsteher hatte. Sowohl der Jurist Daniel Bernoulli als auch der Pfarrer Peter Stähelin, hatten sich durch langjähriges Engagement für die Kommission ausgezeichnet. Ab 1861 änderte sich das Bild: Bis 1890 betrug die längste Amtsdauer eines Vorstehers noch 10 Jahre (Eduard Preiswerk-Groben, 1871-1880), alle anderen Vorsteher übten das Amt höchstens fünf Jahre aus. Über die Gründe für diese Entwicklung kann nur spekuliert werden, es scheint aber naheliegend, dass die bestenfalls stagnierenden Erfolgsquoten der Patronagekommission ein längerfristiges Engagement in der Kommission wenig attraktiv geschweige denn prestigeträchtig erscheinen ließen. Unter den Mitgliedern der Kommission finden sich aber nach wie vor langfristig engagierte Personen, die teils 20 oder mehr Jahre in der Patronagekommission engagiert waren. 158 Die angesprochenen Entwicklungen scheinen bei den Zeitgenossen den Eindruck sinkenden Engagements in den Kommissionen, aber auch in der GGG allgemein erweckt zu haben. So wiederholte sich die Klage darüber im Jahresbericht 1858 in ähnlicher Weise, wobei festgestellt wurde, das schwindende Engagement hänge mit «politischen Erlebnissen, mit der steigenden Entwicklung unserer 155 Zu den Basler Wahlrechtsvoraussetzungen vor 1847/ 48 vgl. Verfassung des Kantons Basel-Stadttheil, 3.10.1833, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 8: 1833-1835, S. 49-62, hier: § 29, S. 58f. 156 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 128-132. 157 JB GGG 95 (1871), S. 47-54; JB GGG 105 (1881), S. LXVII-LXXVI. 158 Vgl. Anhang 1: Mitglieder der Zuchtanstaltskommission 1821-1833 und der Patronagekommission 1833-1911, S. 283. <?page no="190"?> 191 Volkszahl, mit den äußerlich immer großartiger sich gestaltenden Verkehrs- und Lebensverhältnissen, mit dem materiellen Schwunge überhaupt, der die ganze Jetztzeit ergriffen hat» zusammen. 159 Dabei sei die Entwicklung insbesondere auch deswegen zu bedauern, als doch das philanthropische Engagement bzw. die private Wohltätigkeit einen der zentralen Pfeiler eines republikanischen Staates darstelle. 160 In dieselbe Kerbe hieb der Verfasser des Jahresberichts von 1865, Karl Stehlin- Merian, welcher sich ausführlich über das Verhältnis zwischen republikanischem Staat und bürgerlicher Gesellschaft ausließ. 161 Diese seien einander grundsätzlich entgegengesetzt, da ersterer auf den Prinzipien von Freiheit und Gleichheit basiere, während letztere durch «alle jene Gegensätze von Hoch und Nieder, von Besitzenden und Nichtbesitzenden, von Abhängigen und Unabhängigen, von Ständen und Classen nach den verschiedenartigsten Abstufungen und Gliederungen» geprägt sei. Solange sich jedoch der Staat zurückhalte und sich nicht zu stark in die Ordnungsprinzipien der Gesellschaft einmische - sprich deren Segregation entgegenarbeite - könne ein Mit- oder Nebeneinander dennoch funktionieren. Damit sich der Staat aber auf die größeren Zusammenhänge beschränken könne, sei es unumgänglich, dass eine andere Organisation die dabei entstehenden Lücken abdecke und die Fürsorge für diejenigen Individuen übernehme, welche durch staatliche Institutionen keine Unterstützung erhielten. 162 Auf diese Weise könne die GGG den Staat in der Erreichung seines Zwecks unterstützen, hielt Stehlin-Merian fest - um dann wie folgt fortzufahren: «Als eine der Hauptaufgaben des Staates erscheint der Schutz seiner Angehörigen gegen störende Einwirkungen einzelner Individuen, mit anderen Worten die Verhinderung und Bestrafung von Verbrechen und Vergehen. Der Staat erfüllt diese Pflicht, indem er diejenigen, welche die Ordnung durchbrechen, temporär aus der Gesellschaft entfernt und ihrer Freiheit beraubt. Mit der ausgestandenen Strafe wird die Rechts-Ordnung als wiederhergestellt betrachtet. Vom Standpunkte des Staates aus mag diese Anschauung richtig sein und es wird dem Staate auch nicht zugemuthet werden können, weiter zu gehen. Dennoch aber bleibt eine Lücke, die der Ausfüllung bedarf. Weder das einzelne Individuum, das die Rechts-Ordnung gestört hat und nach ausgestandener Strafe der Gesellschaft wieder zurückgegeben wird, noch die Gesellschaft selbst, welche das temporär entfernte Mitglied wieder zurückempfängt und in sich aufnehmen soll, können 159 JB GGG 82 (1858), S. 5. 160 Ebenda, S. 5f. 161 Zu Stehlin-Merian vgl. Stefan H ESS , Artikel «Stehlin, Karl Rudolf (No. 8)» (2011), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D4744.php [18.1.2017]; J ANNER , GGG 1777-1914, S. 132f. 162 JB GGG 89 (1865), S. 4-7 (Zitat S. 5). <?page no="191"?> 192 sich mit dem in der Theorie schönen und richtigen Satze, dass die Strafe das Verbrechen sühne, so leicht vertraut machen.» 163 Daher benötige es die GGG bzw. deren Patronagekommission, um den Übergang aus der Strafanstalt zurück in die Gesellschaft zu ermöglichen. Stehlin-Merian, der zwar Jurist, nicht aber Mitglied der Patronagekommission war, nennt hier also die Straffälligenhilfe als geradezu prototypischen Bestandteil philanthropischen Engagements: Im für die Staatsgewalt konstitutiven Bereich des Strafens erachtete er eine fürsorgerische Unterstützung als zentral, um die Ziele des Strafvollzugs zu erreichen. Die Straffälligenhilfe als letztes Auffangnetz Die obigen Ausführungen zur Funktion und Aufgabe der GGG innerhalb eines republikanischen Staates dienen in theoretischer Hinsicht durchaus als Erklärungsansatz für das Festhalten der GGG an der Straffälligenhilfe. In der Praxis kommt ein weiterer Aspekt hinzu, der so wohl kaum in der Idee der Schutzaufsicht oder Patronage angelegt war: Die nähere Betrachtung einzelner Fälle fördert nämlich zutage, dass die Patronagekommission im Laufe der Jahre zwar keine umfangreiche, aber dennoch eine nicht einfach so verzichtbare Aufgabe im Gefüge sozialer Sicherungsmaßnahmen in der Stadt Basel übernommen hatte. Entgegen anderslautender Beteuerungen aus den 1840er Jahren nahm sich die Kommission nämlich immer wieder Personen an, die mehrfach straffällig geworden waren und seit Jahren zwischen Zwangsarbeits-, Straf- und anderen Versorgungsanstalten hin und her gereicht wurden. Dies betraf beispielsweise im Jahr 1867 einen älteren Genuesen, «der lange in Genf gelebt und hier Unterschlagungen begangen hatte, welche ihn erst in den Rhein, dann ins Zuchthaus führten» und der «bei Mangel aller andern Hilfsquellen nicht im Stiche gelassen werden» konnte. Ihm finanzierte die Kommission zunächst eine Weile den Lebensunterhalt und später die Heimreise nach Genua. 164 Auffällig ist hier insbesondere der Verweis auf die fehlenden anderen Hilfsquellen: Augenscheinlich fiel es u. a. der Patronagekommission zu, sich um diejenigen Menschen zu kümmern, welche durch alle anderen Netze gefallen waren. So unterstützte sie 1868 auch einen älteren Kantonsbürger finanziell, der «in Folge seiner körperlichen und geistigen Eigenschaften kaum als erwerbsfähig betrachtet werden» konnte und auf einen Platz in einer Versorgungsanstalt wartete. 165 Zusätzlich begann sie ab 1861 damit, in Einzelfällen auch die bedürftigen Familien von Sträflingen finanziell zu unterstützen - ein deutlicher Ausdruck der steten Suche nach neuen Betätigungsfeldern. 166 163 Ebenda, S. 7f. 164 JB GGG 91 (1867), S. 160. 165 JB GGG 92 (1868), S. 149. 166 JB GGG 85 (1861), S. 146f. <?page no="192"?> 193 Am bemerkenswertesten ist aber ohne Zweifel das Beispiel eines gewissen E.T. Mit ihm befasste sich die Kommission erstmals im Jahr 1859, als sie ihm nach Entlassung aus der Zwangsarbeitsanstalt Klosterfiechten eine Lehrstelle bei einem Schneider verschaffte, obwohl sie bereits damals seinen «schwachen und reizbaren Charakter» beklagte. 167 Nach weniger als einem Jahr verließ E.T. aber die vermittelte Stelle und bestahl zuvor noch einen anderen Lehrling desselben Schneiders, woraufhin er wieder in der Strafanstalt landete. 168 Nach seiner Entlassung im Jahr darauf plante die Patronagekommission, ihn in die USA zu schicken, was aber durch den Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs verhindert wurde. Daraufhin wiederholte sich die Geschichte: E.T. erhielt eine Stelle als Schneiderlehrling, bestahl einen Mitlehrling und landete wiederum in der Strafanstalt. 169 Da ihm nach seiner eigentlichen Entlassung 1862 keine Stelle vermittelt werden konnte, blieb er bis 1865 in der Strafanstalt versorgt. In diesem Jahr vermittelte ihm die Kommission einen Platz in einer Versorgungsanstalt im deutschen Dettingen, wo er aber wiederum eine nicht näher bezeichnete Straftat beging. 170 Es folgten ein weiteres Jahr in der Strafanstalt, eine kurze Phase «als Vagabund», eine erneute Verurteilung 1866 und schließlich seine Entlassung 1868: 171 «E.T., der […] durch sein störrisches, körperlich und geistig herabgekommenes Wesen sich weder für eine Zwangsanstalt eignet, noch auch die Freiheit ertragen kann, wurde vor einigen Monaten wieder einmal aus der Versorgung entlassen und von uns mit Schuhen und Kleidern versehen. Bald darauf stellte er sich auf der Polizei und verlangte selbst von den Behörden ein dauerndes Obdach, da er außer Stande sei, sich ein solches ohne neue Verbrechen zu verschaffen; er wurde dann in die Pflegabtheilung des Spitals aufgenommen, wohin er trotz seinem noch jugendlichen Alter nach seinem ganzen Zustand gehört, und beträgt sich seitdem dort zur Zufriedenheit.» 172 Dieses Beispiel gibt auch Einblick in die Biographie eines jungen Straftäters aus höchstwahrscheinlich prekären Umständen, der sich letztlich selber in staatliche Versorgung begab, da er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten konnte. Auch die Versorgung in der Strafanstalt während der Jahre 1862-1865 hatte er selbst beantragt. Dies macht auch deutlich, dass die Basler Strafanstalt in den 1860er Jahren keineswegs eine komplett abgeschlossene Sphäre, sondern vielmehr von einer gewissen Durchlässigkeit geprägt war. Auch war es den Behörden offenbar noch nicht gelungen, die seit 1806 angestrebte strikte Trennung zwischen Strafvollzug und der Versorgung von Bedürftigen aller Art zu verwirklichen. 1863 schilderte die Patronagekommission gar den Fall eines entlassenen Schusters, der 167 JB GGG 83 (1859), S. 112. 168 JB GGG 84 (1860), S. 154. 169 JB GGG 85 (1861), S. 144f. 170 JB GGG 86 (1862), S. 145; JB GGG 89 (1865), S. 156. 171 JB GGG 90 (1866), S. 130 (Zitat); JB GGG 92 (1868), S. 146. 172 JB GGG 92 (1868), S. 146. <?page no="193"?> 194 in Ermangelung einer anderen Stelle weiterhin in der Strafanstalt arbeitete. 173 Dies unterstreicht, wie sich einzelne Hilfsangebote verselbständigen konnten und von den ehemaligen Sträflingen nach Bedarf genutzt wurden. Bei E.T. handelte es sich sicher um einen speziellen Fall, der sich in dem Ausmaß denn auch nicht wiederholte. Es finden sich jedoch andere Fälle, in welchen die Kommission Rückfällige auch nach deren zweiter oder dritter Entlassung weiterbetreute. 174 Auffällig ist dabei, dass die Kategorie der Rückfälligkeit überhaupt erst in den 1860er Jahren einigermaßen konsequent erwähnt wurde. Zwar finden sich in Berichten aus den 1840er Jahren vereinzelt Erwähnungen mehrfacher Straffälligkeit - so war ja auch ein rückfällig gewordener Entlassener der Auslöser für die versuchte Einbehaltung des Pekuliums durch die Patronagekommission gewesen 175 -, regelmäßige Auseinandersetzungen mit dem Thema oder gar statistische Erhebungen fehlen jedoch. Nachdem aber die Patronagekommission damit begonnen hatte, sich systematischer mit der Frage der Rückfälligkeit auseinanderzusetzen, ließen die Folgen nicht lange auf sich warten. Bereits 1867 kündigte die Kommission an, fortan ihre Betreuten restriktiver auszuwählen und insbesondere auf eine Unterstützung mehrfach straffällig gewordener Personen zu verzichten: «Wir betrachten uns nämlich bei solchen, die eine von ihnen gewährte Hilfe missbraucht haben, nicht für mehr als das Nothwendigste verpflichtet und überlassen sie ihrem Schicksal, bis sich der ernstliche Wille zur Arbeit zeigt. Wir haben selbst in einigen Fällen polizeiliche Hilfe gegen unabtreibbare Müßiggänger in Anspruch genommen.» 176 Ähnlich wie in den 1840er Jahren versuchte die Patronagekommission also mit einer veränderten Praxis ihre Erfolgsquote zu erhöhen. Statt der - augenscheinlich fehlgeschlagenen - Fokussierung auf jüngere Entlassene sollte nun der weitgehende Ausschluss von mehrfach Verurteilten bessere Resultate erbringen. Dieser Fokus auf die rückfälligen Straftäter und -täterinnen dürfte einerseits den Erfahrungen der Basler Patronagekommission in den vorangegangenen Jahrzehnten geschuldet sein. Andererseits wird hier der Einfluss der transnationalen Diskurse zu Gefängnisreform und Kriminologie offenkundig, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenfalls vermehrt der Rückfallquote entlassener Sträflinge widmeten. So hatte die Thematik zwar den transnationalen Gefängnisreformdiskurs seit dessen Anfängen begleitet, was sich auch im Topos der «Unverbesserlichen» äußerte. Während die Rückfälligkeit entlassener Sträflinge zunächst aber mit mangelhaften Instrumenten des Strafvollzugs erklärt wurde - und damit als Argument für die Gefängnisreform dienen konnte -, änderte sich dies in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach Jahrzehnten der Bestrebungen für Gefängnisreform 173 JB GGG 87 (1863), S. 128. 174 Beispiele finden sich u. a. in JB GGG 85 (1861), S. 145; JB GGG 86 (1862), S. 145. 175 Vgl. oben S. 148. 176 JB GGG 91 (1867), S. 162f. <?page no="194"?> 195 und Besserungsstrafvollzug stagnierte nämlich die Rückfallquote nach wie vor auf hohem Niveau. Damit konfrontiert entwickelten die Gefängnisreformer ein neues Bild unverbesserlicher Straftäter und -täterinnen, welche gar nicht die Kapazität zur Besserung mitbringen würden. Entsprechend mussten bei dieser Gruppe jegliche Maßnahmen des Strafvollzugs von Beginn weg zum Scheitern verurteilt sein. Unterstützt wurden diese Erklärungsansätze durch die stetig steigende Zahl von Kriminalstatistiken, mit deren Hilfe den Ursachen von Straftaten auf den Grund gegangen werden sollte. Diese Tendenzen entwickelten sich in den darauffolgenden Jahren stetig weiter und verdichteten sich zu einem Kriminalitätsverständnis, das die Biografie von Straftätern und -täterinnen in den Fokus stellte. Lebensentwürfe oder Verhaltensweisen, die nicht mit der gesellschaftlichen Norm vereinbar waren - so beispielsweise übermäßiger Alkoholkonsum, Promiskuität oder Nichtsesshaftigkeit - prägten in dieser Lesart den Charakter von Kriminellen derart nachhaltig, dass eine Resozialisierung von vornherein als unmöglich betrachtet wurde. 177 So stand denn die Basler Patronagekommission mit ihrem neu entdeckten Fokus auf die Rückfälligen oder «unabtreibbaren Müßiggänger» in der Schweiz nicht alleine da: Auch in St. Gallen und Bern rückten Ende der 1860er Jahre die rückfälligen Straftäter und -täterinnen vermehrt in den Fokus der Schutzaufsichtsvereine. So forderte ein Teil des Schutzaufsichtskomitees in St. Gallen 1867 den Verzicht auf eine Betreuung rückfälliger Sträflinge. Dem widersprach jedoch eine Mehrheit der Mitglieder, da nicht einfach einer Gruppe von Sträflingen jegliche Besserungsfähigkeit abgesprochen werden könne. 178 Nicht nur deswegen, sondern auch weil das Schutzaufsichtskomitee einen staatlichen Auftrag zur Betreuung Entlassener - aller Entlassener - hatte, wurde das Thema daraufhin bis Ende der 1880er Jahre ad acta gelegt. 179 In Bern dagegen, wo die Schutzaufsicht sowieso einen schweren Stand hatte, hatte der 1864 neu konstituierte Schutzaufsichtsverein zunächst darauf verzichtet, Rückfällige zu betreuen. Dies war u. a. eine Reaktion auf das Scheitern des 1841-1844 bestehenden Vorgängervereins. So wollten die Berner, um ihre Erfolgsquote zu erhöhen, nur Entlassene betreuen, «deren bisherige Laufbahn und deren Verhalten genügende Garantie darboten, damit nicht die ersten Versuche misslingen und den Verein entmuthigen möchten.» Die Maßnahme zeitigte offensichtlich aber nicht den gewünschten Erfolg, so dass sie noch im selben Jahr wieder abgeschafft wurde. 180 177 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 104-113; S CHAUZ , Strafen, S. 199f. 178 JB SG 29 (1867), S. 13-15. 179 JB SG 43 (1889), S. 27. 180 Erster Jahresbericht des Bernischen Schutzaufsichtsvereins für entlassene Sträflinge, abgelegt vom Central-Comité in der Hauptversammlung des Vereins in Bern den 6. Juni 1865, Bern 1865, S. 7. <?page no="195"?> 196 Zwangsarbeit als Lösung? Bereits bevor sich die Gefängnisreformer und -reformerinnen den «Unverbesserlichen» zuwandten, prägten Diskussionen über «Liederliche» und deren Versorgung oder Verwahrung den Diskurs über die Bekämpfung der «Sozialen Frage». Insbesondere seit den 1840er Jahren beurteilten Armenpolitiker und Philanthropen die Ursachen von Armut vermehrt unter moralischen Gesichtspunkten. Dies brachte einen speziellen Fokus auf sogenannt «arbeitsscheue» oder «lasterhafte» Bedürftige mit sich: Grundsätzlich arbeitsfähige Menschen, deren Armut nur auf ihren Lebenswandel zurückzuführen sei und denen entsprechend das Recht auf Unterstützung abgesprochen wurde. Rasch fand dabei eine Vermengung von sozialer Devianz und Straffälligkeit statt, so dass der «liederliche» Lebenswandel als Wurzel der Kriminalität betrachtet wurde. Entsprechend verlangten sowohl staatliche Stellen als auch gemeinnützige Organisationen nach Disziplinierungsmaßnahmen im Umgang mit diesen Menschen, welche aufgrund ihrer Ablehnung bürgerlicher Wert- und Ordnungsvorstellungen als Gefahr für die öffentliche Ordnung wahrgenommen wurden. Es brauchte einen Ort, in dem die «Liederlichen», die «Müßiggänger» und die «Arbeitsscheuen» verwahrt und zur Arbeit angehalten werden konnten - die Zwangsarbeitsanstalt als armenpolizeiliche Maßnahme war geboren. Nach 1840 entstanden daraufhin in mehreren Kantonen staatlich getragene Anstalten, in welchen sozial deviante Menschen interniert und zur Arbeit gezwungen wurden. 181 Zwar nahm die Debatte um Zwangsarbeitsanstalten in den 1840er Jahren, im Zuge wachsender sozialer Ungleichheiten, Fahrt auf, die Idee selbst war jedoch deutlich älter. So hatte sich die GGG bereits 1821 mit der Idee einer Zwangsarbeitsanstalt für die «frechen arbeitsscheuen Bettler […] und Taugenichtse […]» auseinandergesetzt. Nach eingehenden Debatten hatte sie aber damals beschlossen, mit diesem Projekt abzuwarten und sich zunächst der Arbeitsbeschaffung in der Zuchtanstalt zuzuwenden - was ihr ja daraufhin auch gelungen war. 182 1837 griff die GGG die Idee einer Zwangsarbeitsanstalt wieder auf. Anlass war u. a. die Reorganisation des alten Spitals, in welchem bis anhin sowohl unheilbar Kranke, Alte oder Behinderte als auch Obdachlose, Bettler und Trinker untergebracht worden waren. Während die erste Gruppe in einem neuen Spitalbau einquartiert werden sollte, fehlte für die übrigen eine entsprechende Anstalt. 183 Die GGG bildete daher eine Kommission, «um das Bedürfnis einer solchen Anstalt genau zu erwägen, und namentlich durch Besprechung mit verschiedenen 181 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 30f.; L UDI , Fabrikation des Verbrechens, S. 410-425; R IETMANN , «Liederlich», S. 41-43. Zu Zwangsarbeitsanstalten vgl. auch Sabine L IPPUNER , Bessern und Verwahren. Die Praxis der administrativen Versorgung von «Liederlichen» und «Arbeitsscheuen» in der thurgauischen Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain (19. und frühes 20. Jahrhundert), Frauenfeld 2005 182 JB GGG 44 (1820), S. 13; JB GGG 45 (1821), S. 36-38 (Zitat S. 37). Im JB GGG 81 (1857), S. 8f. werden die ersten Bestrebungen zur Schaffung einer Zwangsarbeitsanstalt durch die GGG gar auf das Jahr 1781 zurückdatiert. 183 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 279f. <?page no="196"?> 197 Behörden und Vereinen, […] sich über die Art und Zahl derjenigen Individuen möglichst genaue Auskunft zu verschaffen, welche etwa der Anstalt zuzuweisen wären.» 184 Mitglied der Kommission war u. a. Zivilgerichtspräsident August La Roche-Burckhardt, langjähriges Mitglied der STK und der Patronagekommission. 185 Sie präsentierte bereits ein Jahr später einen ausführlichen Bericht, in welchem sie zum Schluss kam, dass sehr wohl ein Bedürfnis für die Schaffung einer Zwangsarbeitsanstalt bestehe. Auch hatte sie bereits sehr genaue Vorstellungen, wer denn in eine solche Anstalt eingewiesen werden sollte: «Die um Auskunft angegangenen Behörden gaben genaue Berichte und Tabellen über eine Anzahl Leute ein, welche wegen Trunksucht, Herumstreichen, oder liederlichem Lebenswandel bisher theils im Spital, theils aber auch (ohne vor dem Richter gestanden zu haben) in der Strafanstalt versorgt werden mussten und die sich ganz besonders für ein Zwangsarbeitshaus eignen würden. Ihre Anzahl hatte sich binnen 10 Jahren auf 35 belaufen und im Anfang dieses Jahres waren 14 solcher Individuen versorgt, wovon 13 im Spital und 1 in der Strafanstalt. Löbl. Armenkollegium machte noch etliche andere Personen namhaft, die zwar im Besitz ihrer Freiheit geblieben sind, die aber ebenfalls als unabtreibbare Bettler und arbeitsscheue Menschen einem Zwangs-Arbeitshause anheim fallen sollten.» 186 Die Zwangsarbeitsanstalt war also gedacht als Auffangbecken für unerwünschte Individuen aller Art - bei Bedarf auch ohne richterliches Urteil. Diese Loslösung von einer strafrechtlichen Verurteilung war im vorherrschenden Diskurs um die Versorgung in Zwangsarbeitsanstalten üblich. So lag denn auch der Entscheid über eine Einweisung im Normalfall bei den Polizeibehörden und nicht bei einem Gericht. Diesen an sich massiven Rückschritt im Hinblick auf ein liberales Strafrecht rechtfertigten Juristen mit der Unterscheidung von Straf- und Verwaltungsrecht. In diesem Konstrukt dienten Maßnahmen des Verwaltungsrechts der Erziehung oder Heilung einzelner Individuen und trugen entsprechend sowohl zum Wohl der versorgten Menschen selbst als auch zu demjenigen der Gesellschaft bei. Diese Argumentation diente in schweizerischen und auch in deutschen Gebieten bis Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder als Legitimation für präventive bzw. außergerichtliche Zwangsmaßnahmen, wie beispielsweise die Ausweisung bestimmter Personen oder die Einweisung in Erziehungs- oder andere Anstalten. 187 Dieser Unterscheidung getreu hielt auch die Kommission der GGG in ihren Überlegungen zur Möglichkeit, eine Zwangsarbeitsanstalt an eine bestehende Institution anzuschließen, fest, dass von einem Anschluss an die Strafanstalt abzusehen sei, «aus Furcht nämlich, denen, die nicht richterlich verurtheilt wären […] 184 JB GGG 61 (1837), S. 3-8 (Zitat S. 7f.). 185 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 453. 186 JB GGG 62 (1838), S. 34f. 187 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 29-32; R IETMANN , «Liederlich», S. 49-59; R OSENBLUM , Beyond the Prison Gates, S. 17-22. <?page no="197"?> 198 ein Unrecht anzuthun und ihnen den letzten Rest von Ehre zu nehmen.» Stattdessen plädierte sie für einen Anschluss an die Armenherberge. 188 Dennoch vertrat sie die Ansicht, dass eine solche Anstalt aufgrund ihres Zwangscharakters von staatlicher Seite getragen werden müsse, zudem verfüge die GGG nicht über ausreichende finanzielle Mittel. Entsprechende Anfragen an Stadt- und Kantonsregierung stießen jedoch auf Ablehnung, so dass das Projekt wiederum versandete. 189 Es dauerte bis 1850, bis sich die GGG wieder der Idee annahm. Anders als zuvor, verfügte die GGG aber nun über finanzielle Mittel, welche explizit für die Schaffung einer Zwangsarbeitsanstalt vorgesehen waren - zwei Legate und eine Schenkung von insgesamt 22’000 Franken. Eine entsprechend einberufene Kommission kam wiederum zum Schluss, dass eine staatliche (Mit-)Trägerschaft und ein Gesetz über die administrative Versorgung für die Schaffung einer solchen Anstalt unabdingbar seien. So folgte ein erneuter Antrag an die Kantonsregierung, wobei sich die GGG aufgrund der veränderten finanziellen Situation deutlich mehr Hoffnungen auf Erfolg machte 190 Wie sich zeigen sollte, tat sie dies zu Recht: Am 7. Februar 1854 verabschiedete der Große Rat das «Gesetz über Versorgung in Arbeits- oder Besserungsanstalten», welches die administrative Einweisung von devianten Personen ermöglichte. 191 Noch im selben Jahr beschloss die GGG, die «Versorgung der Taugenichtse in Zwangsarbeitsanstalten» mit 500 Franken jährlich zu unterstützen. Das Geld sollte den Zinsen des Fonds für eine Zwangsarbeitsanstalt entnommen und der STK zur Verfügung gestellt werden, welche der GGG über die Verwendung Bericht zu erstatten hatte. 192 Erneut fungierte also die GGG als Geldgeberin einer staatlichen Institution im Bereich des Strafvollzugs. Im folgenden Jahr berichtete die STK, dass sie sechs männliche Entlassene in der Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain im Kanton Thurgau untergebracht habe. 193 Im Jahr darauf schickte die STK drei Männer und eine Frau nach Kalchrain, zwölf weitere Entlassene wurden durch den Stadtrat oder ihre Familien dort untergebracht. Dies habe, so die GGG, «wenn bei Manchen der Zweck der Besserung nicht erreicht wird, immer das Gute der Entfernung des bösen Beispiels». 194 Damit machte sie deutlich, worin das hauptsächliche Ziel der Zwangsarbeitsanstalten bestand: eben nicht mehr in einer Resozialisierung der Entlassenen, sondern in deren Verwahrung. 1857 schließlich gelang es der GGG doch noch, eine eigene Zwangsarbeitsanstalt zu errichten. Sie kaufte mit dem dafür vorgesehenen Geld das Gut Klosterfiechten im Bruderholz und erstellte dort die Infrastruktur zur Beschäftigung und Unterbringung von bis zu zwanzig Männern. Durch die landwirtschaftlichen 188 JB GGG 62 (1838), S. 36f., Zitat S. 36. 189 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 280. 190 Ebenda, S. 281, 453; JB GGG 74 (1850), S. 38-42. 191 Gesetz über Versorgung in Arbeits- oder Besserungsanstalten, 7.2.1854, in: Gesetzessammlung BS, Bd. 13, S. 424-427; J ANNER , GGG 1777-1914, S. 281. 192 JB GGG 78 (1854), S. 40f. 193 JB GGG 79 (1855), S. 85f. Zu Kalchrain vgl. L IPPUNER , Bessern und Verwahren. 194 JB GGG 80 (1856), S. 26. <?page no="198"?> 199 Erträge sollte die Anstalt größtenteils selbsttragend sein, so dass die GGG bloß zu Beginn den jährlichen Hypothekarzins von 3’000 Franken übernehmen müsste. Zur Verwaltung des Gutes setzte die GGG eine Kommission unter dem Vorsitz von August La Roche-Burckhardt ein. Mit dem Kaufmann Andreas Bischoff-Ehinger kam ein weiteres Mitglied der Patronagekommission und mit Albert Bischoff-Sarasin eines der STK hinzu. Die Nähe zum Strafvollzug und zur Patronagekommission war dem Projekt Zwangsarbeitsanstalt also nicht abzusprechen. Ergänzt wurde die Kommission durch drei weitere Mitglieder, welche bisher über keine Beziehungen zur Patronage oder zur Strafanstalt verfügten. Darunter fand sich auch der weiter oben erwähnte Karl Stehlin-Merian, der 1865 als Vorsteher der GGG fungierte und in seinem Jahresbericht eine Lanze für die Straffälligenhilfe brach. 195 Als Zweck des Gutes hielt die GGG Folgendes fest: «Dasselbe hat die schwierige Aufgabe zu erfüllen, den verschiedenen Formen der Rohheit und Verwilderung, wie sie sich in Müßiggang, Arbeitsscheu, Trunksucht, Bettelei und Prostitution dem Allgemeinen zur Last, Aergernis und Gefahr, den Betreffenden zum Verderben äußern, durch eine abermalige Zwangserziehung entgegen zu wirken, die den Faulen zur Arbeit, den Trunkenbold zur Nüchternheit, den Vaganten zur Stetigkeit und den Liederlichen zur Enthaltsamkeit zwingt und durch diese äußere Gewöhnung in eine der bisher verfolgten entgegengesetzte Richtung auch einen Wendepunkt im äußern und innern Leben zu bewirken hofft.» 196 War in den ersten beiden Betriebsjahren noch eine grundsätzlich optimistische Grundhaltung vorhanden, zeigten sich daraufhin rasch Probleme beim Betrieb der Anstalt. 197 So wurden zu wenig Personen nach Klosterfiechten überwiesen, während immer noch Basler Entlassene nach Kalchrain geschickt wurden. Für das Ziel der Subsistenz war dies verheerend, war doch das Landwirtschaftsgut auf eine ausreichende Anzahl Arbeitskräfte angewiesen. 198 Die chronische Unterbelegung hatte zur Folge, dass zusätzliche Arbeitskräfte, d. h. Knechte und Tagelöhner, angestellt werden mussten, was wiederum disziplinarische Schwierigkeiten nach sich zog. Die Arbeiter konnten im Gegensatz zu den Insassen der Zwangsarbeitsanstalt nicht den rigiden Hausregeln unterworfen werden. Insbesondere das für sie nicht geltende totale Alkoholverbot führte zu Konflikten, sei es weil Knechte die Insassen mit Alkohol versorgten oder weil sich letztere den Alkohol mit Gewalt aneignen wollten. 199 Angesichts der Schwierigkeiten hielt der Vorsteher der GGG, Thurneysen-Gemuseus, bereits 1860 fest: «Die Gesellschaft hat hier eine Aufgabe übernommen, die nicht nur über ihre Kräfte geht, sondern auch ihrer Natur als einer 195 JB GGG 81 (1857), S. 8-14, 43. Zu Stehlin-Merian vgl. oben, S. 191. 196 JB GGG 81 (1857), S. 12f. 197 JB GGG 82 (1858), S. 9-11; JB GGG 83 (1859), S. 6-8. 198 JB GGG 85 (1861), S. 29-31, 220-222; JB GGG 89 (1865), S. 14, 197. 199 JB GGG 87 (1863), S. 18; JB GGG 88 (1864), S. 177. <?page no="199"?> 200 Privatgesellschaft zuwiderläuft. Nicht so, als ob freiwillige Kräfte nicht ebensoviel und noch mehr leisten können als der Staat, aber die Verwaltung der Anstalt durch eine Privatgesellschaft, während der Eintritt der Natur der Sache nach meist zwangsweise durch die Behörde erfolgt, bleibt ein innerer Widerspruch.» 200 Er erachtete also die grundlegende Diskrepanz zwischen staatlicher Zwangsmaßnahme und privatem Betrieb der Anstalt als Hauptproblem. Dabei blieb er jedoch die Erklärung schuldig, inwiefern die spezifischen Probleme von Klosterfiechten darauf zurückzuführen seien. Auch Stehlin-Merian verortete 1865 in dieser Diskrepanz die hauptsächlichen Schwierigkeiten der Anstalt, wobei er deutlich harschere Worte wählte als Thurneysen-Gemuseus: «Der Staat macht einfach von seinem Rechte und seiner Macht Gebrauch, indem er die Detention eines arbeitsscheuen Menschen in der Arbeitsanstalt auf sechs oder mehr Monate verfügt und dazu bedarf es in der Regel bloß der Klagen der Verwandten oder der Gemeindsbehörden und einiger wenigen polizeilichen Erhebungen und Informationen. Von uns dagegen verlangt man, dass wir den Eingewiesenen nach kurzer Zeit der menschlichen Gesellschaft als gebessertes und nützliches Glied zurückgeben! Wer fühlt das Gewicht dieser Aufgabe nicht und wer nicht den Unterschied zwischen dem Theile, der dem Staate und demjenigen, der uns zugefallen ist? » 201 Auch Stehlin-Merian wurde in seinen Ausführungen nicht viel konkreter, hielt aber immerhin fest, dass ein Problem in den seiner Ansicht nach zu kurzen Zeitspannen bestand, für welche die Insassen in der Anstalt bleiben mussten. Weiter konstatierte er, dass es auch den vier anderen Zwangsarbeitsanstalten in der Schweiz, die alle staatlich betrieben wurden, nicht gelinge, ihre Insassen gebessert zu entlassen. 202 Während diese Aussage dahingestellt bleiben muss, gilt es festzuhalten, dass eine Zusammenarbeit zwischen Privaten und Behörden im Bereich einer Zwangsarbeitsanstalt durchaus erfolgreich sein konnte. So wurde im Toggenburg 1871 unter privater Ägide die Zwangsarbeitsanstalt Bitzi bei Mosnang eröffnet, deren Betrieb augenscheinlich ohne größere Probleme ablief. 203 Dabei dürfte die spezifische St. Galler Situation eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben, wo aufgrund des privaten Schutzaufsichtsvereins mit behördlichem Auftrag bereits einschlägige Erfahrungen mit dem Zusammenspiel staatlicher und privater Maßnahmen bestanden. 204 200 JB GGG 84 (1860), S. 23. 201 JB GGG 89 (1865), S. 11. 202 Ebenda, S. 12. Einen Überblick über die Zwangsarbeitsanstalten in der Schweiz bietet Josef V. H ÜRBIN , Über die Zulässigkeit und Nothwendigkeit von der Errichtung von Zwangsarbeitsanstalten, in: Verhandlungen SVSG 16 (1889), S. 126-167. 203 JB SG 31 (1869), S. 17f.; JB SG 43 (1889), S. 12-14; JB SG 46 (1892), S. 8. 204 K ELLER , Strafvollzug und Fürsorge, S. 90-93. <?page no="200"?> 201 Dennoch lassen sich die Schwierigkeiten der GGG mit Klosterfiechten nicht einfach auf mangelnde Erfahrung oder schlechte Zusammenarbeit mit dem Staat zurückführen. Vielmehr scheint die Anstalt erstaunlich wenig durchdacht gewesen zu sein. So brachte die zuständige Kommission erst 1860, also nach drei Jahren Betrieb, die Idee eines zusätzlichen Gewerbes auf, welches sich in der Anstalt erlernen ließe. Dieses sollte auch als Winter- oder Hausindustrie fungieren, d. h. die Einnahmen durch die Landwirtschaft ergänzen - für eine auf Subsistenz ausgerichtete Anstalt eine doch einigermaßen naheliegende Idee. 205 Zwei Jahre später wurde denn auch tatsächlich das Korbflechten eingeführt, wovon sich die Kommission «zwar keinen erheblichen pecuniären Nutzen» versprach, «was aber für die gehörige Beschäftigung der Zöglinge in den langen Winterabenden […] von Werth sein wird.» 206 Auch diese Maßnahme versprach also keine Besserung der finanziellen Situation, welche innerhalb der GGG zunehmend Anlass für Kritik bot. 207 Nach wie vor übernahm nämlich die GGG jährlich einen Betrag von mindestens 2’000 Franken. 208 Verschärft wurde die Situation durch eine von der Anstaltskommission beantragte und von der GGG bewilligte Senkung des Kostgelds im Jahr 1865, von welcher sich die Philanthropen eine Erhöhung der Insassenzahl erhofften. 209 Damit ging die Anstaltskommission endlich den Kern des Problems an, der allerdings weniger in der Anzahl Insassen als vielmehr in deren Herkunft bzw. deren bisherigen Lebenswandel bestand. So handelte es sich nämlich beim Löwenanteil der Zwangsarbeiter um städtische Kleinkriminelle oder Alkoholiker, welche weder über die körperliche Konstitution noch über die entsprechende Erfahrung verfügten, um ein Landwirtschaftsgut zu betreiben. 210 Für diese Klientel eine auf Landwirtschaft ausgerichtete Zwangsarbeitsanstalt einzurichten war daher eine einigermaßen absurde Idee, was die GGG Mitte der 1860er Jahre auch einzusehen begann. So stellte Stehlin-Merian 1865 fest, dass die Klientel der Anstalt wohl besser für verschiedene handwerkliche Gewerbe geeignet wäre, aber: «Auf der andern Seite ist die Landarbeit von uralten Zeiten her bis auf unsere Tage als die ‹Arbeit› par excellence betrachtet worden, deren Uebung am allermeisten zur Hebung gesunkener physischer Kräfte beiträgt und im Zusammenhange damit die Liebe zur und die Gewöhnung an Arbeit überhaupt erhöht.» 211 Erstaunlicherweise scheint die GGG, welche sich im strafvollzugsnahen Engagement bisher eher durch einen gesunden Pragmatismus ausgezeichnet hatte, hier also pädagogisch-moralische Überlegungen höher gewichtet zu haben als finanziell-pragmatische. Über die Gründe kann nur spekuliert werden, es ist jedoch 205 JB GGG 84 (1860), S. 24. 206 JB GGG 86 (1862), S. 211f. 207 JB GGG 90 (1866), S. 14f. 208 Ebenda, S. 199. 209 Ebenda, S. 197. 210 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 281f. 211 JB GGG 89 (1865), S. 13. <?page no="201"?> 202 naheliegend, dass die GGG in der Schaffung der Zwangsarbeitsanstalt eine Profilierungschance sah: Mitte der 1850er Jahren existierte keine andere private Zwangsarbeitsanstalt, so dass sich die GGG damit als Vorreiterin zeigen konnte. Dabei kam ihr entgegen, dass das Stadtbasler Gesetz zur administrativen Versorgung erst das dritte seine Art war und damit der Kanton als Ganzes voranschritt. 212 Hinzu kam wohl auch eine gewisse Überforderung oder Frustration mit den immer wieder rückfällig werdenden Entlassenen, die dank der Zwangsarbeitsanstalt zumindest eine Weile versorgt werden konnten. Schließlich entspricht das Vorgehen der GGG aber auch dem experimentellen Ansatz der Gefängnisreform, die mittels Modellanstalten neue Ideen testete. Die Anstaltskommission hielt 1866 denn auch explizit fest, dass mit der Senkung des Kostgeldes versucht werden sollte, Eingewiesene aus Basel-Land anzuziehen, die über Erfahrung in der Landarbeit verfügten - bisher jedoch ohne Erfolg. 213 Es folgte weitere Kritik aus den Reihen der GGG, insbesondere am Kosten-Nutzen-Verhältnis der Anstalt, welche die Gesellschaft nach wie vor 2’000 Franken jährlich kostete und durchschnittlich etwa sechs Insassen beherbergte. 214 1868 schließlich beurteilte der Vorsteher der GGG die Situation wie folgt: «Diese vielen traurigen Erfahrungen scheinen aber doch einige Lehren zu enthalten, die nicht unbeachtet bleiben sollten; denn wenn die bedeutenden Unkosten […] verwendet werden ohne anderes Resultat, als nur um die Befriedigung zu haben, diesen oder jenen liederlichen Menschen während eines oder zweier Jahre nicht durch unsere Straßen wanken zu sehen, so dürfte daraus erhellen, dass die Anstalt kaum den Absichten der Gründer entspricht, und es darf wohl gefragt werden, ob es nicht besser wäre, unsere Pfleglinge in anderen, weniger kostspieligen schweizerischen Anstalten gleicher Art unterzubringen.» 215 Spätestens jetzt war das Ende der Zwangsarbeitsanstalt Klosterfiechten eingeleitet. Im Mai 1870 fragte die GGG bei der Anstaltskommission an, ob entweder die finanzielle Selbständigkeit oder eine grundlegende Reorganisation der Anstalt möglich sei bzw. ob ansonsten der Betrieb liquidiert werden könne. Die Kommission hielt zunächst fest, dass eine Subsistenz in den nächsten Jahren nicht möglich sei und sich eine Reorganisation auch schwierig gestalte. Insbesondere die geplante Zusammenarbeit mit Basel-Land habe einen erneuten Rückschlag erlitten, indem dort selbst eine Zwangsarbeitsanstalt geplant sei. Eine Liquidation zum jetzigen Zeitpunkt würde mit hohen Verlusten für die GGG einhergehen, zudem 212 R IETMANN , «Liederlich», S. 43f. 213 JB GGG 90 (1866), S. 197. 214 Ebenda, S. 14f.; JB GGG 91 (1867), S. 8f. 215 JB GGG 92 (1868), S. 24. <?page no="202"?> 203 bleibe dabei die Frage offen, was mit den Insassen geschehen sollte. 216 Nach längeren Diskussionen kam die GGG 1872 zu folgendem Schluss: 217 «Die Arbeitsanstalt Klosterfiechten entspricht dem eigentlichen Zwecke einer Zwangserziehung nicht und wird demselben, auch wenn diese und jene Verbesserungen eingeführt werden, kaum je entsprechen, so lange sie nur auf dem Boden der Freiwilligkeit, der Humanität steht. Es kann zwar die Gemeinnützige Gesellschaft, es können andere freiwillige Vereine in manchen Beziehungen mit Erfolg die staatliche und gesellschaftliche Ordnung unterstützen; es giebt aber auch Fälle, wo ihre Mittel, ihre Kräfte und ihre Organisation unzulänglich sind. […] Eine solche Anstalt muss über ganz andere Mittel und ganz andere Arbeitskräfte verfügen können als wir es zu thun im Falle sind, es muss da eine strammere Disciplin, eine festere Organisation Platz greifen, als sie eine freiwillige Gesellschaft für sich in Anspruch nehmen kann und darf. Diesen starken Arm hat nur der Staat, und nur ihm stehen die nothwendigen Mittel zu Gebote.» 218 Unter diesen Mitteln verstand die GGG insbesondere umfangreichere Finanzen und härtere Disziplinarmaßnahmen. 219 Ob dies ausgereicht hätte, um die landwirtschaftliche Zwangsarbeitsanstalt mit städtischer Klientel erfolgreich zu betreiben, darf jedoch angezweifelt werden. Jedenfalls bot die GGG folgerichtig der Kantonsregierung Klosterfiechten zum Kauf an und forderte sie auf, andernfalls eine eigene Zwangsarbeitsanstalt zu errichten, was die Regierung jedoch dankend ablehnte. 220 Die Hauptversammlung der Gesellschaft beschloss daraufhin die Auflösung der Anstalt und den einstweiligen Weiterbetrieb des Gutes als reine Landwirtschaft. 221 In den folgenden Jahren erzielte das Gut stetig gute Erträge. 222 So endete das gescheiterte Experiment einer städtischen Zwangsarbeitsanstalt ohne größere Verluste für die GGG. Sie attribuierte ihr Scheitern auch weiterhin dem Eingreifen in eine eigentlich staatliche Aufgabe, welcher sie nicht gewachsen war, was nicht zuletzt in den harschen Worten August von Miakowskis in dessen 1877 veröffentlichten Festschrift zum hundertjährigen Jubiläum der GGG zum Ausdruck kam: «Einen Uebergriff in die Sphäre des Staats hat die Gemeinnützige Gesellschaft durch Errichtung der Zwangsarbeitsanstalt Klosterfiechten 216 JB GGG 94 (1870), S. 29f.; 194-198. 217 JB GGG 95 (1871), S. 6-8; 191-193. 218 JB GGG 96 (1872), S. 19f. 219 Ebenda, S. 20. 220 Ebenda, S. 21; JB GGG 97 (1873), S. 4f. 221 JB GGG 97 (1873), S. 5f.; JB GGG 98 (1874), S. 207-209. 222 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 282. <?page no="203"?> 204 gethan, der in dem Misserfolg dieses Unternehmens zu Tage getreten ist.» 223 5.4 Zwischenfazit: Die Suche nach lokalen Lösungen Die hauptsächliche Änderung für den Basler Strafvollzug in der Phase zwischen 1848 und 1874 war der Neubau des Schällemätteli. Nach Jahren des Stück- und Flickwerks kam damit endlich die Gelegenheit, Reformen des Strafvollzugs umfassender anzugehen. Die Basler Verantwortlichen blieben aber ihrem bereits festgestellten Pragmatismus treu: Sie verzichteten auf den Bau einer auf Außenwirkung fokussierten Modellanstalt sowie auf die Implementierung eines einzelnen Systems. Vielmehr suchten sie sich eine für sie passende Lösung, wobei sie Ideen von außen mit lokalen Bedürfnissen kombinierten - Ergebnis war eine relativ kleine Strafanstalt, die sich am Irischen System orientierte, diesem aber nicht in allen Facetten verpflichtet war. Konsequenterweise verzichtete die STK denn auch auf grundlegende Veränderungen in der Anstaltsorganisation, sondern konzentrierte sich auf meist kleinere Anpassungen. Diese fanden insbesondere im Bereich der Arbeitstätigkeit der Inhaftierten statt, welcher eindeutig der hauptsächliche Fokus der STK galt. Dabei gelang es ihr, die Rentabilität der Anstalt sukzessive zu erhöhen. Dies zeigt auch, dass sich die in den 1830er Jahren ausgehandelte neue Zuteilung der Pflichten und Kompetenzen eingependelt hatte und meist reibungslos funktionierte - zumindest innerhalb der Strafanstalt. Außerhalb dagegen, d. h. in der Schutzaufsicht, kämpften die Straffälligenhelfer mit ähnlichen Problemen wie in den 1840er Jahren. Trotz sehr wenigen positiven Erfahrungen oder Rückmeldungen machte die Patronagekommission aber unbeirrt weiter. Dies lag einerseits in ihrem Verständnis von staatlicher und privater Zuständigkeit begründet - einer Logik, in der die Besserung Straffälliger zwingend in der Pflicht privater Philanthropie lag. Wiederum bestätigt sich also die Beständigkeit des kompensatorischen Ansatzes im Bereich fürsorgerischer Angebote. Andererseits übernahm die Kommission im Laufe der Jahrzehnte eine Funktion innerhalb des sich formierenden Netzes sozialer Sicherungsmaßnahmen, die, obwohl nur auf eine kleine Gruppe ausgerichtet, dennoch zu einer Notwendigkeit wurde. Dies gilt nicht nur für die naheliegende finanzielle Unterstützung Entlassener, wofür sonst kaum Quellen vorhanden waren, sondern auch für die Unterstützung Einzelner, die durch alle anderen Netze gefallen waren. Phasenweise war die Wirksamkeit der Patronagekommission dennoch eine derart geringe, dass sie sich selbst als weniger erfolgreich als der Frauenverein zur 223 August von M IASKOWSKI , Die Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen in Basel während der ersten hundert Jahre ihres Bestehens, Basel 1877, S. 30. Vgl. dazu auch J ANNER , GGG 1777-1914, S. 282. <?page no="204"?> 205 Betreuung weiblicher Sträflinge einstufte und in der Folge gar dessen Praxis zu kopieren versuchte. Nach Jahrzehnten, in denen die Beziehung zum Frauenverein entweder von Nichtanerkennung oder dem Bedürfnis nach einer Regulierung von dessen Tätigkeit geprägt gewesen war, ist dies doch eine bemerkenswerte Entwicklung. Sie macht deutlich, dass sich der Frauenverein weitgehend unter dem Radar seiner männlichen Zeitgenossen - und leider auch der historischen Forschung - konsequent weiterentwickelt und erfolgreiche Strategien für seine Tätigkeit erarbeitet hatte. Dabei gibt es deutliche Hinweise für eine weitgehende Emanzipation von den männlichen Philanthropen - dies sowohl in personeller als auch in finanzieller Hinsicht. Deutlichstes Zeugnis dafür ist die Beteiligung des Frauenvereins an der Gründung einer Rettungsanstalt in Tüllingen, womit er zudem deutlich machte, dass er wenig Rücksicht auf nationale Grenzziehungen nahm. Dies wurde auch bei den männlichen Basler Straffälligenhelfern bereits deutlich und setzte sich auch im hier untersuchten Zeitraum fort. Dabei stand weniger eine institutionalisierte Vernetzung mit Straffälligenhelfern anderer Gebiete im Zentrum als vielmehr die direkt organisierte Unterbringung einzelner Entlassener in angrenzenden Regionen. Diese Selbstorganisation scheint derart gut funktioniert zu haben, dass die Patronagekommission den Anfängen nationaler Vernetzung in Gestalt des SVSG mit einer zurückhaltenden Skepsis begegnen konnte. Während sie hierbei also die bereits bekannte pragmatische, aktuellen Bedürfnissen und lokalen Logiken angepasste Herangehensweise an den Tag legte, war dies beim Projekt Zwangsarbeitsanstalt Klosterfiechten anders. Unbeeindruckt von den nicht vorhandenen Erfahrungen der Stadtbasler Sträflinge in landwirtschaftlicher Arbeit errichtete die GGG eine Zwangsarbeitsanstalt in einem Landwirtschaftsbetrieb. Zu erklären ist dies damit, dass sich die Philanthropen augenscheinlich stark an Erfahrungen anderer Gebiete orientierten. Die entsprechenden positiven Berichte in Kombination mit dem unbedingten Fokus auf die Arbeitstätigkeit Verurteilter als Königsweg zur Besserung führten augenscheinlich zur Durchführung dieses von Beginn weg zum Scheitern verurteilten Projekts. Gleichzeitig bestätigt das Projekt Zwangsarbeitsanstalt auch die vorherrschende Bedeutung eines sozial-moralischen Verbrecherbildes innerhalb der GGG: Deviantes Verhalten wurde als Ursache von Kriminalität verstanden und musste entsprechend so umfassend wie möglich bekämpft werden. Losgelöst vom fehlenden Erfolg, der nach wenigen Jahren zur Einstellung des Projekts führte, zeigt die Episode Klosterfiechten denn auch eindrücklich, wie weit die GGG bei der Disziplinierung Straffälliger auch nach deren Entlassung zu gehen bereit war. Rechtsstaatliche Bedenken scheinen dabei weder auf Seiten der Behörden noch unter den Philanthropen eine Rolle gespielt zu haben. Das Scheitern der Zwangsarbeitsanstalt wurde von der GGG selbst damit erklärt, dass sich die Gesellschaft zu stark in Belange des Staates eingemischt habe. Obwohl diese Interpretation für den fehlenden Erfolg von Klosterfiechten zu kurz greift, wird hieraus deutlich, dass die Zuständigkeitsbereiche staatlichen und philanthropischen Engagements weiterhin Objekt von Aushandlungsprozessen <?page no="205"?> 206 blieben. Wie sich diese Dynamik nach der Machtübernahme des Freisinns 1874/ 75 veränderte, soll im folgenden Kapitel betrachtet werden. <?page no="206"?> 207 6 Rückschritte, Krisen und Professionalisierung: 1874-1911 Das Jahr 1875 brachte für den Kanton Basel-Stadt weitreichende Änderungen mit sich. Im Nachgang der Totalrevision der Bundesverfassung 1874 wurde auch die Basler Kantonsverfassung einer grundlegenden Reform unterzogen. Tonangebend waren die Freisinnigen, welche damit eine zwanzigjährige Phase der Dominanz einläuteten. Die Reform brachte u. a. die Fusion von Kantons- und Stadtverwaltung, eine Erweiterung der Volksrechte sowie die öffentlich-rechtliche Anerkennung der katholischen Kirche, worauf letztere jedoch verzichtete. Für die vorliegende Studie von größerer Bedeutung sind jedoch die Veränderungen in Regierung und Verwaltung. So wurden die existierenden Kollegien und Kommissionen, darunter auch die STK, aufgelöst, an ihre Stelle traten professionelle Verwaltungen, die in sieben Departemente unterteilt waren. An deren Spitze standen sieben vollamtliche Regierungsräte, welche die Nachfolge des Kleinen Rates antraten. Anders als zuvor setzte sich diese Exekutive zudem nicht mehr aus Mitgliedern des Großen Rates zusammen. 1 Die Verfassungsrevision von 1875 widerspiegelt auch die demographischen Veränderungen innerhalb der Stadt Basel. Im Zuge eines massiven Bevölkerungswachstums seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Zahl der alteingesessenen Basler Bürger anteilsmäßig deutlich zurückgegangen, gleichzeitig hatte sich dank Industrialisierung und Zuwanderung eine neue Elite etabliert. Diese finanzstarke Gruppe bestand aus Zugewanderten sowohl aus dem Ausland als auch aus anderen Schweizer Kantonen und war u. a. in der chemischen Industrie und im Großhandel tätig. Ihr Aufstieg führte gegen Ende des 19. Jahrhunderts sukzessive zu einem zumindest teilweisen Machtverlust des alteingesessenen Stadtbürgertums im ökonomischen und politischen Bereich. Die Verfassungsrevision von 1875 kann dabei höchstens als erstes Anzeichen dieser Entwicklung beurteilt werden. Nach wie vor verfügte das städtische Bürgertum über weitreichende soziale und kulturelle Macht sowie über einen gewissen politischen und ökonomischen Einfluss. 2 Bereits vor der Verfassungsänderung waren in Basel zudem Veränderungen im Bereich der Sozialpolitik eingeläutet worden: Sieben Jahre vor dem Bundesstaat verabschiedete die Regierung 1870 ein Fabrikgesetz, welches erste Regulierungen der Arbeitsverhältnisse festschrieb. Dieser Schritt wird gemeinhin als Auftakt einer kantonalen Sozialpolitik interpretiert, mit welcher Basel in den kommenden Jahrzehnten immer wieder eine Pionierrolle einnehmen sollte. Zudem ist es ein Indiz dafür, dass eine Mehrheit der Basler Großräte die Notwendigkeit staatlichen 1 J ENNY , 1848-1875, S. 129-139; S CHAFFNER , 1833 bis 1905, S. 46-53; W ECKER , Entwicklung, S. 220-222. 2 Philipp S ARASIN , Basel auf dem Weg zur modernen Industriestadt (1833-1914), in: Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel (Hg.), Basel 1501 2001 Basel, Basel 2001, S. 141-152, hier: S. 149-152; S ARASIN , Stadt der Bürger, S. 91-119. <?page no="207"?> 208 Eingreifens in der Sozialpolitik nicht mehr grundsätzlich in Absprache stellte. In den 1880er und -90er Jahren folgten weitere staatliche Regulierungen, so insbesondere im Bereich der Armenfürsorge. 3 Mit der Abschaffung des Ratsherrenregiments und dem Wahlsieg des Freisinns veränderte sich auch die Zusammensetzung der Regierung und der Verwaltung, was auch den Strafvollzug betraf. So wurde die STK Mitte 1877 aufgelöst. Hinweise darauf, dass ihre Mitglieder danach auf andere Weise weiterhin in der Verwaltung des Basler Strafvollzugs tätig gewesen wären, finden sich keine - die Jahre 1875-1877 markieren hier also eine grundlegende personelle Zäsur. Die Leitung der Strafanstalt oblag ab 1877 dem seit 1860 amtierenden Direktor der Strafanstalt, Johann Jakob von Salis, der dem Vorsteher des Justizdepartements unterstellt war. 4 Da letzterer über eine Vielzahl anderer Aufgaben verfügte und kein Aufsichtsgremium im Stile der STK mehr vorhanden war, bedeuteten diese Veränderungen faktisch freie Hand für den Strafanstaltsdirektor. Der damit einhergehende Abbruch von Beziehungsnetzen und eingespielten Abläufen musste Folgen für den Strafanstaltsalltag nach sich ziehen. Diese sowie die Frage, wie die zuständigen Stellen darauf reagierten, stehen im ersten Teil des vorliegenden Kapitels im Fokus. Ebenso wird untersucht, wie sich die Patronagekommission und der Frauenverein mit den Veränderungen nach 1875 arrangierten. Die männlichen Philanthropen griffen dabei insbesondere zum Instrument einer verstärkten Vernetzung, was im zweiten Teil des vorliegenden Kapitels ausführlich besprochen wird. 6.1 Die Strafanstalt gerät in Schwierigkeiten Das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts bescherte dem Stadtbasler Strafvollzug eine Vielzahl von Problemen, die beinahe alle Bereiche der Strafanstaltsorganisation betrafen. So gerieten nicht nur die Arbeitstätigkeit der Sträflinge und deren Behandlung in den Fokus von teils massiver Kritik, auch die Anstaltsaufseher trugen ihren Teil zu den Schwierigkeiten bei. Den Startschuss zu den Unruhen, welche die Strafanstalt die nächsten 25 Jahre mehr oder weniger stark beschäftigen sollten, gaben aber die Sträflinge selbst. 3 Wecker, Entwicklung, S. 211-213. Vgl. auch Josef Mooser, Konflikt und Integration - Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in der «Wohlfahrtsstadt», in: Georg Kreis; Beat von Wartburg (Hg.), Basel - Geschichte einer städtischen Gesellschaft, Basel 2000, S. 226-266, hier: S. 235- 244. 4 Protokolle STK 1855-1899, 9.9.1875, S. 230; Verzeichniss der Behörden und Beamteten des Kantons Basel-Stadt sowie der Schweizerischen Bundesbehörden für das Jahr 1877, Basel 1877, S. 31-36. <?page no="208"?> 209 Ein Ausbruchsversuch und seine Folgen In der Nacht vom 19. auf den 20. Juli 1876 töteten die Sträflinge Bienz und Marciali, letzterer ein italienischer Deserteur, drei Wärter mit Messern, welche sie aus dem Arbeitsraum entwendet hatten. Trotzdem gelang es ihnen nicht, aus der Anstalt auszubrechen, woraufhin Marciali sich mit der Waffe eines Wärters erschoss. Auch Bienz versuchte, Suizid zu begehen, was ihm aber nicht gelang. 5 Im Auftrag des Regierungsrates verstärkte die STK daraufhin die Aufsicht in der Anstalt, indem sie zwei weitere Wärter anstellte, und ließ zusätzliche Gitter in der Anstalt einbauen, welche Ausbruchsversuche und insbesondere die Kommunikation unter den Insassen weiter erschweren sollten. 6 Zudem schrieb sie fest, dass sämtliche Arbeitsinstrumente nach Feierabend eingesammelt werden sollten und nicht in den Zellen aufbewahrt werden dürften. 7 Augenscheinlich hatte es die STK bis anhin nicht für besorgniserregend gehalten, verurteilten Gewalttätern und -täterinnen mehr oder weniger freien Zugang zu Werkzeug zu gestatten, welches ohne Weiteres als Waffe dienen konnte. Umso mehr erstaunt es, dass bis dahin keine Berichte über vergleichbare Gewaltanwendung bzw. ähnlich gewalttätige Ausbruchsversuche vorliegen. Neben den naheliegenden Anpassungen der Sicherheitssituation reagierte das Justizdepartement noch in einem weiteren Bereich auf den Ausbruchsversuch. So hatte nämlich Bienz zu Protokoll gegeben, Marciali und er hätten aufgrund der mangelhaften Ernährung und der schlechten Behandlung aus der Anstalt ausbrechen wollen. 8 Strafanstaltspfarrer Oser hatte wenig für diese Argumentation übrig: «Zu unumstößlicher Gewissheit ist mir geworden, dass die von E. Bienz vorgebliche Ursache der Katastrophe: schlechte Ernährung bezw. Behandlung der Gefangenen eine nachträgliche, das Gewissen beschwichtigende Ausrede war, wie sich denn überhaupt Bienz nach seiner Verurtheilung zu lebenslänglicher Gefängnisstrafe wenig zugänglich erzeigte und er, wie zu erwarten stand, keine tiefer gehende Reue über seine entsetzlich That empfand. Marciali aber hat sicher schon in beginnendem Irrsinn gehandelt und wäre darum, hätte er nicht sich selbst entleibt, vom Tit. Gericht als ganz handlungsunfähig angesehen worden.» 9 Oser wollte also die Tat als Akt einer inhärenten Bosheit bzw. «beginnenden Irrsinns» verstanden wissen. Er tat damit nicht nur sämtliche von Bienz geäußerte Kritik als gegenstandslos ab, sondern bewies auch, dass die Idee pathologischer 5 B OREL , Strafanstalt, S. 22; Protokolle RR BS, 22.7.1876, S. 188; StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1876, S. 2f.; Verwaltungsbericht BS 1876, S. 54-56. 6 Protokolle RR BS, 30.8.1876, S. 213; 2.9.1876, S. 218; 9.9.1876, S. 223f.; 16.9.1876, S. 231; Verwaltungsbericht BS 1876, S. 54-56. 7 Verwaltungsbericht BS 1876, S. 55f. 8 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1876, S. 3f. 9 Ebenda. <?page no="209"?> 210 bzw. biologischer Ursachen von Kriminalität auch in Basel ihre Anhänger hatte. Der Regierungsrat jedoch scheint dies anders gesehen zu haben. Er verlangte einen umfassenden Bericht über die Verpflegung der Gefangenen und deren Verbesserungsmöglichkeiten, welchen das Justizdepartement im Mai 1877 vorlegte. Nach Rücksprache mit Strafanstaltsdirektoren und -leitungsgremien verschiedener Kantone beantragte das Justizdepartement darin eine sowohl qualitative als auch quantitative Verbesserung des Essens für die Gefangenen, was der Regierungsrat denn auch guthieß. 10 Tatsächlich reagierte die Strafanstaltsleitung also auf Kritik durch einen für den Mord an zwei Wärtern verurteilten Sträfling. Dies ist bemerkenswert und kann als Indiz dafür dienen, dass die Leitung sich bewusst war, dass tatsächlich gewisse Mängel in Ernährung und Betreuung vorhanden waren, welche der angeordnete Bericht zutage förderte. Dass die Mängel nicht früher thematisiert worden waren, lässt die Vermutung zu, dass sich die Kommunikation zwischen Häftlingen und Strafanstaltsleitung schwierig gestaltete und weiterhin kein offizieller Kanal dafür vorhanden war. Die Episode macht zudem deutlich, dass die Strafanstaltsleitung auch weiterhin mit einzelnen Maßnahmen direkt auf konkrete Probleme reagierte und kein grundlegendes Konzept verfolgte. Sowohl in Bezug auf die Sicherheit als auch auf die Ernährung blieb es so beim bereits mehrfach beobachteten Stückwerk, wofür gerade in letzterem Bereich die Sträflinge die Folgen zu tragen hatten. Offenkundig wird dies auch in der beschlossenen Verbesserung der Ernährung: Um diese zu finanzieren, griff das Stadtbasler Justizdepartement auf den Mehrverdienst der Sträflinge zurück. Die täglich zu erbringende Arbeitsleistung von 40 Rappen pro Tag wurde neu für sämtliche Verpflegungstage berechnet und von dem erarbeiteten Verdienst abgezogen. Nachdem also 1866 bereits die Sonntage in diese Berechnung einbezogen worden waren, folgten nun sämtliche weiteren Festtage sowie Tage, an denen die Häftlinge krank waren oder Hausarbeiten verrichteten. Von dem über dieses Minimum herausgehenden Betrag erhielten die Sträflinge zudem nur noch ein Drittel als Mehrverdienst gutgeschrieben, zuvor waren es 40 Prozent gewesen. 11 Dass es sich dabei um einschneidende Maßnahmen handelte, dokumentieren folgende Zahlen: Im Jahr 1875 erhielten die durchschnittlich 111 Gefangenen einen Gesamtbetrag von 10’575 Franken ausbezahlt, fünf Jahre später erhielt die rekordhohe Anzahl von 151 Inhaftierten noch 7’150.35 Franken. Dies bedeutete eine Verringerung des - fiktiven - Mehrverdiensts pro Kopf und Tag von 44 Rappen auf 21 Rappen. 12 Der Tagesverdienst 10 Protokolle RR BS, 2.6.1877, S. 158; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 Strafanstalt, Allgemeines und Einzelnes 1867-1894, Justizdepartement BS an den RR BS, 22.5.1877. Vom Austausch mit den Anstalten in Bern, Lenzburg, Luzern, Neuenburg, Solothurn und Zürich zeugen Briefe und Reglemente in StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894. 11 Verwaltungsbericht BS 1877, Teil III, S. 54f. 12 Die Zahlen basieren auf den Angaben in Verwaltungsbericht BS 1875, Teil III, S. 39-47; Verwaltungsbericht BS 1880, Teil III, Tabelle 2. <?page no="210"?> 211 eines Hilfsarbeiters in der Textilindustrie wird für die Jahre 1870/ 75 auf 220 Rappen geschätzt. 13 Diese massive Reduktion war jedoch nicht nur der veränderten Berechnungsweise anzulasten. So sank im selben Zeitraum der prozentuale Anteil des Arbeitsertrags an den Gesamtausgaben der Strafanstalt von 63,1 Prozent im Jahr 1875 auf 46,33 Prozent 1880 14 - dies obwohl, wie weiter oben gezeigt, bisher eine höhere Anzahl Häftlinge stets auch mit einem höheren Arbeitsertrag korreliert hatte. Ein Grund dafür lag, wie bereits die STK festgestellt hatte, in der hohen Anzahl Häftlinge mit korrektionellen, d. h. kurzen Strafen. Sämtliche Sträflinge verbrachten die ersten drei Monate ihrer Einsperrung in Einzelhaft, was bei den korrektionell Verurteilten oft bereits die gesamte Dauer ihrer Gefangenschaft ausmachte. Sofern die Häftlinge aber nicht bereits ein Handwerk beherrschten, gab es kaum eine einträgliche Arbeit, welche sie ohne weitere Ausbildung und innerhalb ihrer Zellen ausüben konnten. 15 Dem versuchte das Justizdepartement mit einfach zu erlernenden Arbeiten ohne großen Platz- und Materialbedarf Gegensteuer zu geben. Bewährt hatte sich dabei insbesondere das Anfang der 1880er Jahre eingeführte Erlesen von Seidenabfällen, welches sich gar als lukrativer als einige der handwerklichen Tätigkeiten erwies. 16 Die Strafanstaltsarbeit stößt auf Kritik Ein weiterer Grund für den sinkenden Arbeitsertrag war dagegen deutlich komplexer und sollte das Justizdepartement über die nächsten Jahrzehnte immer wieder beschäftigen. Es war dies die Konkurrenz durch den freien Markt, welche zu weniger Arbeit für die Strafanstalt führte. So beklagte die Leitung der Strafanstalt 1878 erstmals seit Jahrzehnten, dass zu wenig Arbeit für die Insassen und Insassinnen vorhanden sei. 17 Ein Jahr später stellte sie Folgendes fest: «Manche Arbeit, die sonst gerne der Strafanstalt überlassen wurde, ist in den letzten Jahren von freien Arbeitern fleißig gesucht und ihnen mit Recht auch zugewendet worden.» 18 Bisher habe sich die Strafanstalt aus den möglichen Tätigkeiten jeweils die geeignetsten und lukrativsten aussuchen können, nun sei sie aber vermehrt gezwungen, auch wenig einträgliche Arbeiten anzunehmen. 19 Diese Entwicklung war eine Folge der Aufhebung des Zunftzwangs für Handwerker 1871, welche zu einer 13 Textilarbeiterlöhne nach Branchen, ca. 1815-1875, in: R ITZMANN -B LICKENSTORFER , Historische Statistik, S. 446. 14 Verwaltungsbericht BS 1875, Teil III, S. 39-47; Verwaltungsbericht BS 1880, Teil III, Tabelle 2. 15 Verwaltungsbericht BS 1874, Teil VIII, S. 18. 16 Verwaltungsbericht BS 1883, Teil III, S. 57f. 17 Verwaltungsbericht BS 1878, Teil III, S. 45f. 18 Verwaltungsbericht BS 1879, Teil III, S. 47. 19 Ebenda, S. 47f. <?page no="211"?> 212 rasch steigenden Zahl von Handwerksbetrieben führte. 20 So wiederholten sich denn die Klagen über die Konkurrenz von außen in den Jahren 1884 und 1888, wobei jedoch unklar blieb, ob diese Konkurrenz nun günstiger oder qualitativ besser produzierte. 21 Erst 1891 folgte eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Problematik anhand dreier Erwerbszweige der Anstalt: «Seitdem an verschiedenen Orten im Lande Korbflechterschulen entstanden sind, können die Arbeiten der beständig wechselnden Lehrlinge in der Strafanstalt mit denen der freien und ständigen Arbeiter nicht mehr konkurrieren. Der Sesselflechterei in der Anstalt thun beständig Abbruch frühere Gefangene, die in Basels Nähe das in der Strafanstalt Erlernte ausüben und durch ihre Frauen oder andere Angehörige in der Stadt von Haus zu Haus Nachfrage halten und dann die Sessel namentlich ins benachbarte Elsass wagenweise mitführen. Der Arbeitsverdienst bei der Schusterei nimmt ab, weil Handarbeit, aus gutem Stoffe angefertigt, nicht zu Fabrikpreisen geliefert werden kann und die meisten Leute gerne billige Schuhe kaufen, die überdies von gefälligerer Form sind als die in der Strafanstalt angefertigten.» 22 Verschiedene Faktoren kamen also zusammen, wobei sowohl qualitative als auch preisliche Aspekte eine Rolle spielten. Bemerkenswert ist aber insbesondere das Gewerbe des Sesselflechtens, in dem ehemalige Sträflinge dank ihrer in der Anstalt erhaltenen Ausbildung der Strafanstaltsarbeit Konkurrenz machten. Sessel aus Stroh zu flechten bzw. diese zu reparieren war ein lukratives Handwerk, bei dessen Einführung 1841 die STK erfreut die fehlende Konkurrenz durch ansässige Handwerker festgestellt hatte. 23 Offenkundig bestand diese Lücke auch fünfzig Jahre später noch und bot den entlassenen Sträflingen eine Verdienstmöglichkeit. Diese nutzten nicht nur die in der Anstalt mitgegebene Ausbildung - wenn auch nicht im Sinne der Strafanstaltsleitung -, sondern auch die politischen Grenzen. So handelte es sich bei den hier erwähnten Strohflechtern wohl um Straffällige mit Heimatort außerhalb der Stadt Basel, die entsprechend nach ihrer Entlassung die Stadt verlassen mussten. Kurzerhand ließen sie sich jenseits der Grenze nieder und behielten so den Zugang zur Stadt. In der Nutzung der speziellen Situation Basels als Grenzstadt standen die Verurteilten den Straffälligenhelfern und -helferinnen also in nichts nach. Zunächst schlug sich die Konkurrenz durch Handwerker außerhalb der Strafanstalt also darin nieder, dass die Anstalt weniger Aufträge erhielt und der Absatz ihrer Produkte sich verringerte. Mit steigendem Organisationsgrad der Arbeiter und Handwerker kam gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein weiterer Aspekt hinzu. Vermehrt wurde Kritik laut, dass die Strafanstalt ihrerseits dem freien Markt 20 D EGEN ; S ARASIN , Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur [8.3.2017]; W ECKER , Entwicklung, S. 203-213. 21 Verwaltungsbericht BS 1884, Teil III, S. 58; Verwaltungsbericht BS 1888, Teil III, S. 51f. 22 Verwaltungsbericht BS 1891, Teil III, S. 63, Hervorhebung im Original. 23 Verwaltungsbericht BS 1841, S. 61f. <?page no="212"?> 213 Konkurrenz mache, indem sie viel zu billig produziere und zudem von Staatsaufträgen profitiere. Letzteres war bereits in den 1880er Jahren ein Thema. Da es der Anstalt an Arbeit mangelte, stellte das Justizdepartement 1881 einen Antrag an den Regierungsrat, das Spalten und Bereitstellen von Brennholz für staatliche Gebäude übernehmen zu dürfen. 24 Ab 1883 übernahm daraufhin die Strafanstalt die Versorgung der Stadtbasler Kirchen und Schulen mit Brennholz, was offenbar sehr einträglich war. 25 Bereits drei Jahre später kritisierte das Baudepartement, dass die Strafanstalt ihr faktisches Monopol ausnutze und zu hohe Preise für das Brennholz verlange. Hinzu kam der Vorwurf, die Strafanstalt mache dem Gewerbe außerhalb der Anstalt Konkurrenz. 26 Dabei bleibt unklar, ob dieser letztere Vorwurf vom Baudepartement einzig als Mittel zum Zweck eingesetzt wurde oder ob er auf tatsächlichen Protesten von Holzlieferanten beruhte. Deutlich wird aber, dass die Strafanstalt - und damit der Staat - nach der liberalen Wende von 1874/ 75 nicht mehr einfach so als Marktteilnehmer toleriert wurde. Entsprechend versuchte Strafanstaltsdirektor von Salis sich mit einer Stellungnahme an den Vorsteher des Justizdepartements, Regierungsrat Ernst Brenner, zu rechtfertigen. Darin verteidigte er zunächst die Preise der Strafanstalt, welche bezüglich Einkaufspreis des Holzes und Entlohnung der Arbeitsaufseher auch den Preisen des freien Marktes unterliege. 27 Daraufhin wurde er grundsätzlicher: «Wie dann aber zu der Klage über zu hohen Preis des von der Strafanstalt gelieferten Holzes die später erwähnte Concurrenz stimmt, die wir zahlreichen Holzgeschäften machen sollen, ist mir unfasslich. Wenn unsere Holzhauerei (Handarbeit) auch Diesem oder Jenem nicht erwünscht ist, so ist zu erwägen, dass die Strafanstalt überhaupt keine Arbeit liefern könnte, die allen Arbeit- und Verdienst-Suchenden recht läge, ja sie dürfte nicht einmal Wolle zupfen und Strohzupfen machen, ohne irgend einem Armen damit an Arbeit Abbruch zu tun.» 28 Geflissentlich übersah von Salis hier die Monopolstellung der Strafanstalt, aufgrund derer der Vorwurf der Konkurrenz durchaus gerechtfertigt war. Anscheinend akzeptierte der Regierungsrat aber von Salis’ Sicht der Dinge, jedenfalls behielt die Strafanstalt auch weiterhin den Auftrag der Brennholzlieferung. 29 Einige Jahre später geriet ein weiterer Erwerbszweig innerhalb der Strafanstalt in die Kritik. Der Schuhmachermeisterverein der Stadt Basel verlangte 1893 in einer Eingabe an den Regierungsrat, dass in der Strafanstalt nur noch Schuhe für 24 Protokolle RR BS, 19.10.1881, S. 274; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Justizdepartement BS an den RR BS, 12.10.1881. 25 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Kreisschreiben der Kirchen- und Schulgutsverwaltung BS an die Schulen der Stadt, 15.2.1883; Verwaltungsbericht BS 1883, Teil III, S. 57f. 26 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Baudepartement BS an den RR BS, o. D. [1886]. 27 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, von Salis, Strafanstaltsdirektor BS, an Brenner, Vorsteher des Justizdepartements BS, 27.11.1886, S. 1f. 28 Ebenda, S. 2. 29 Verwaltungsbericht BS 1888, Teil III, S. 51f. <?page no="213"?> 214 Privatpersonen, nicht aber im Auftrag von Firmen hergestellt oder repariert werden dürften. Stein des Anstoßes war eine Werbeanzeige der Firma «Allgemeiner Schuhconsum», die in verschiedenen Zeitungen geschaltet worden war. 30 Sie bewarb «Kinder-, Töchter- und Knabenschuhe zu verhältnissmäßig billigem Preis» und versprach: «Sämmtliche Reparaturen, sowie auch neue Schuhe werden in der hiesigen Strafanstalt aufs solideste ausgeführt.» 31 Der Schuhmachermeisterverein vermutete nun, dass die Firma eine eigentliche Schuhfabrik in der Anstalt betreibe, wodurch den anderen Gewerben der Stadt aufgrund der staatlichen Involvierung eine «illegale Concurrenz» entstehe. 32 Wiederum nahm von Salis Stellung zur Beschwerde, wobei er zunächst auf die Beziehungen zwischen der Strafanstalt und dem Allgemeinen Schuhconsum einging. Dieser habe Anfang des Jahres 1893 der Anstalt eine Offerte über die regelmäßige Abnahme einer bestimmten Anzahl Schuhe vorgelegt. Da das Schustergewerbe in der Strafanstalt, wie dasjenige außerhalb, unter dem Preiszerfall durch die steigende Anzahl Schuhfabriken leide - was das Justizdepartement ja bereits 1891 festgestellt hatte - habe er, von Salis, diese Offerte gerne angenommen. 33 Aber: «Mit diesen neuen Zuweisungen ergab die Schusterei laut Jahresrechnung per 1893 2’155 Arbeitstage, wovon der größere Teil auf Herrn Bollag [Direktor des Allgemeinen Schuhconsums] entfällt. Es ist aber die Annahme durchaus irrig, dass er eigene Fabrik und Reparaturwerkstätte in der Anstalt besitze und diese gar unter dessen quasi persönlicher Leitung und nur für dessen alleinige Rechnung betrieben würden. Die Schusterei der Anstalt befindet sich im gleichen Arbeitssaale wie seit Jahren und darin wird unter Leitung und Aufsicht eines besonderen Werkmeisters nicht nur für Herrn Bollag, sondern wie seit vielen Jahren so auch heute noch, für jedermann gearbeitet, der der Anstalt bezügliche Arbeit zuweist und zwar unter Beobachtung des bisherigen Prinzips zu Preisen, welche am Platze üblich sind und gegen welche auch die Beschwerdeführer nichts werden einwenden können.» 34 Von einer Fabrik könne also nicht die Rede sein, dies obwohl, wie von Salis weiter ausführte, ein Arrangement mit einem einzelnen Auftraggeber für die Strafanstalt weit praktischer wäre. Weiter rechnete er vor, dass das Schustergewerbe in der Anstalt beispielsweise Anfang der 1880er Jahre in deutlich größerem Umfang 30 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Bericht des Justizdepartements BS an den RR BS, 27.1.1894, S. 1f. 31 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Anzeige Allgemeiner Schuhconsum, o. D. [1893], Hervorhebung im Original. 32 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Bericht des Justizdepartements BS an den RR BS, 27.1.1894, S. 1; Protokolle STK 1855-1899, 7.2.1894, S. 395. 33 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, von Salis, Strafanstaltsdirektor BS an Brenner, Vorsteher des Justizdepartements BS, 22.1.894, S. 1f. 34 Ebenda, S. 2. <?page no="214"?> 215 betrieben worden sei. 35 Gegen Ende seiner vierseitigen Verteidigungsrede ging von Salis dann auch noch auf die fragliche Werbeanzeige ein: «Dass Herr Bollag aber den Namen der Anstalt in der Weise braucht, dass er in seinen Geschäfts-Karten angiebt ‹Eigene Fabrik- und Reparaturwerkstätten in der Strafanstalt› zu besitzen, geschah ohne meine Zustimmung, ja ohne mein Wissen; ich habe ihn deshalb zur Rede gestellt und ihm solches für die Zukunft untersagt. […] Woher im Uebrigen Herr Bollag seine Waaren bezieht und wie er sie absetzt, geht die Anstalt nichts an.» 36 Nachdem er ausführlich dargelegt hatte, weswegen die Vorwürfe nichtig seien, hielt es von Salis anscheinend doch für angezeigt, sich von Bollag und seinen Werbepraktiken zu distanzieren. Der Regierungsrat folgte daraufhin der Argumentation von Salis’ und trat nicht auf den Antrag des Schuhmachermeistervereins ein. Er hielt aber in seinem Beschluss fest, dass das Justizdepartement einerseits dem Allgemeinen Schuhconsum die Nennung der Strafanstalt in seiner Werbung zu untersagen habe und andererseits darauf achten solle, dass «dem ansässigen Schuhmachergewerbe bei dem Betrieb der Schusterei durch die Strafanstalt wie bisher in angemessener Weise Rechnung getragen werde.» 37 Inwiefern die Vorwürfe des Schuhmachermeistervereins gerechtfertigt waren, kann und soll hier nicht eruiert werden, ist doch alleine die Tatsache, dass er eine Beschwerde für nötig hielt, bemerkenswert. Bis zu einem gewissen Grad ist dies damit zu erklären, dass sich in der Stadt Basel seit den 1880er Jahren sowohl die Handwerkerverbände als auch die Arbeiterschaft stärker organisierten und untereinander vernetzten. So entstanden sukzessive schlagkräftige Berufsverbände, die sich für die Interessen ihrer Mitglieder einsetzten. 38 Dass überhaupt ein Gremium existierte, welches Protest einlegen konnte, war also sicher ein wichtiger Grund dafür, dass der Strafanstalt nun erstmals vorgeworfen wurde, dem Gewerbe außerhalb Konkurrenz zu machen. Insbesondere aus zwei Gründen ist aber auch denkbar, dass die Strafanstaltsleitung bei der Akquirierung von Arbeit weniger Rücksicht auf das lokale Gewerbe nahm als in den Jahrzehnten zuvor. Einerseits ist der sinkende Arbeitsertrag der Strafanstalt zu nennen, der seit Mitte der 1870er Jahre regelmäßig beklagt wurde. Dieses Problem, welches das Justizdepartement u. a. auf die hohe Anzahl Sträflinge mit kurzen, korrektionellen Strafen zurückführte, verschärfte sich Ende der 1880er Jahre zusätzlich. Wegen Platzmangels im Lohnhof, der nach wie vor als Polizei- und Untersuchungsgefängnis diente, wurden rückfällig gewordene Polizeihäftlinge ab 1888 in der Strafanstalt untergebracht. 39 Bei dieser Gruppe von 35 Ebenda, S. 2f. 36 Ebenda, S. 3f. 37 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Beschluss des RR BS, 7.2.1894. 38 D EGEN ; S ARASIN , Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur [10.3.2017]; S ARASIN , Industriestadt, S. 145-152; W ECKER , Entwicklung, S. 211-213. Zur Organisation der Arbeiterschaft und der Sozialdemokratie vgl. zudem H AEBERLI , Basler Arbeiterbewegung. 39 Verwaltungsbericht BS 1888, Teil III, S. 2, 51f. <?page no="215"?> 216 Sträflingen handelte es sich um Personen, die nicht gerichtlich verurteilt wurden, sondern von der Polizei u. a. aufgrund von «Landstreicherei, Bettel, Trunkenheit, Unzucht» meist für einige Wochen in die Anstalt eingewiesen wurden. 40 Diese Gruppe von Häftlingen unterlag deshalb einer sehr hohen Fluktuationsrate, zudem verbrachte sie den größten Teil ihrer Einsperrung in Einzelhaft, mit den oben erwähnten Folgen für den Arbeitsertrag der Anstalt. Es erscheint naheliegend, dass die Strafanstaltsleitung damit konfrontiert auf Mittel wie beispielsweise eine aggressivere Preispolitik zurückgriff, um die Insassen und Insassinnen dennoch ausreichend beschäftigen bzw. den Ertrag der Anstaltsarbeit steigern zu können. Andererseits stellt sich die Frage, inwiefern die Auflösung der STK mit den aufkommenden Protesten in einem Zusammenhang stand. Mit dem Wechsel in der Leitung der Strafanstalt ging nicht nur eine Menge an Erfahrung verloren, es brachen offenkundig auch Beziehungsnetze zur Privatwirtschaft ab, die über Jahrzehnte aufgebaut worden waren. So ist es gut denkbar, dass zuvor informelle Absprachen die Balance zwischen Strafanstaltsarbeit und dem Gewerbe außerhalb sichergestellt hatten. Dafür spricht, dass in der STK seit 1850 stets mindestens ein Vertreter der Wirtschaft engagiert gewesen war, meist Bandfabrikanten und Kaufmänner. 41 Nicht zu vergessen ist dabei der bis 1871 geltende Zunftzwang für die meisten Handwerke. Er trug dazu bei, dass die Basler Oberschicht als abgeschlossene Gruppierung funktionierte, die eben auch die Mitglieder der STK stellte. Seine Aufhebung erlaubte daher nicht nur die Entstehung neuer Handwerksverbände, sondern führte auch zu einem Aufbrechen der bisherigen exklusiven Gruppierung. 42 Was denn nun auch die Gründe dafür gewesen sein mögen: Fest steht, dass die Proteste des Schuhmachermeistervereins nicht die einzigen blieben. So sah sich das Justizdepartement beispielsweise 1905 gezwungen, einzelne Aufträge abzulehnen und die Preise verschiedener Produkte zu erhöhen, da aus der Strafanstalt «prinzipiell nicht zu billigern Preisen geliefert werden soll, als das freie Handwerk es tut.» 43 Um welchen Erwerbszweig es sich dabei handelte, ist nicht klar, hauptsächlich stand aber die 1902 eröffnete Druckerei in der Anstalt in der Kritik. 44 Die Basler Sektion der Typographia, der Gewerkschaft der Buchdrucker und Typographen, ging 1908 gar so weit, einen Boykott gegen die Anstaltsdruckerei auszusprechen. Im Verwaltungsbericht der Strafanstalt wurde dies wie folgt geschildert: «Im Berichtsjahr hat unsere Buchdruckerei, über deren Geringfügigkeit jedermann erstaunt ist, wenn er sie einmal sieht, […] neuerdings von sich reden gemacht. Die ‹Typographia› hat nämlich die Anstalt boykottiert, unsern Werkmeister ausgeschlossen und ihn dadurch um 40 Verwaltungsbericht BS 1890, Teil III, S. 52. 41 Vgl. Anhang 2: Mitglieder der Zuchtanstaltsinspektion 1812-1833 und der STK 1833-1874, S. 292. 42 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 342-353; S ARASIN , Stadt der Bürger, S. 102-117. 43 Verwaltungsbericht BS 1905, Teil III, S. 86. 44 B OREL , Strafanstalt, S. 25. <?page no="216"?> 217 seine Einzahlungen im Betrage von zirka Fr. 1’000.gebracht. […] Nicht genug damit, sollen die baselstädtischen Buchdruckermeister zudem noch beschlossen haben, keinen Arbeiter mehr anzustellen, der einmal in der Strafanstalt als Werkmeister gedient hat.» 45 Grund dafür war der Vorwurf, dass die Strafanstalt sämtliche staatlichen Aufträge erhalte und zudem die Druckermeister zu schlecht entlohne, was das Justizdepartement natürlich beides weit von sich wies. 46 Letztlich musste das kantonale Einigungsamt über den Fortbestand der Druckerei entscheiden. Unter Berufung auf das Ziel eines «humanen Strafvollzugs» sprach es sich für deren Beibehaltung aus. 47 Überbelegung und der Umgang mit den Sträflingen Die sich wiederholenden Konflikte mit den Handwerksverbänden waren aber nicht die einzigen Schwierigkeiten, welche im ausgehenden 19. Jahrhundert den Basler Strafvollzug prägten. Ein stetes Problem war auch die Überbelegung der Anstalt. Bereits dreizehn Jahre nach der Eröffnung des Schällemätteli stieß der Männerflügel der Anstalt an seine Grenzen. 48 Die Einzelzellen mussten immer öfter mit mehreren Insassen belegt werden, zudem gelang es den Aufsehern nicht mehr, die Geschlechtertrennung in der Anstalt konsequent durchzusetzen. 49 Als Lösung schlug das Justizdepartement 1879 eine Vergrößerung der Strafanstalt durch den Anbau eines Arbeitshauses vor, dank dessen die Gefangenen zumindest tagsüber ausreichend getrennt und beaufsichtigt wären. Zudem sollte der ebenfalls an seine Grenzen gelangte Lohnhof erweitert werden, um Gefangene dorthin auslagern zu können. 50 Der Regierungsrat verfügte die Erweiterung des Lohnhofes, verlangte eine ausführliche Prüfung des Arbeitshauses und schlug zudem vor, eine separate Frauenabteilung im Lohnhof oder im Schällemätteli oder gar eine eigene Frauenstrafanstalt einzurichten. 51 Die so rasch angegangene Vergrößerung des Lohnhofes war aber alles andere als nachhaltig, so dass bereits ein Jahr später wieder Klagen über dessen Überbelegung laut wurden. Das Polizeidepartement, dem der Lohnhof unterstand, forderte daher 1880 die Verlegung der polizeilich Eingewiesenen mit längeren Strafen in die Strafanstalt - wofür letztere natürlich erweitert werden müsse. 52 Auch diesen Vorschlag überwies der 45 Verwaltungsbericht BS 1908, Teil III, S. 75f. 46 B OREL , Strafanstalt, S. 25; Verwaltungsbericht BS 1908, Teil III, S. 75f. 47 B OREL , Strafanstalt, S. 25. Zum Konflikt vgl. auch R. G OLDEMANN , Fünfundsiebzig Jahre Typographia Basel 1857-1932. Denkschrift über Werden und Entwicklung der Sektion Basel des Schweiz. Typographenbundes, Basel 1932, S. 68f. 48 Verwaltungsbericht BS 1877, Teil III, S. 42. 49 Verwaltungsbericht BS 1879, Teil III, S. 43. 50 Protokolle RR BS, 8.3.1879, S. 84f. 51 Protokolle RR BS, 31.5.1879, S. 175; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Justizdepartement BS an den RR BS, 29.4.1879. 52 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Polizeidepartement BS an den RR BS, 8.7.1880. <?page no="217"?> 218 Regierungsrat dem Baudepartement zur Prüfung. 53 Mehr als die Durchführung dieser Prüfungen geschah daraufhin aber nicht, das Projekt verlief - wie einige andere in den Jahrzehnten zuvor - im Sand, insbesondere weil der Regierungsrat nicht bereit war, genügend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. 54 Praktischerweise verlor das Problem aber auch an Dringlichkeit: Saßen im Jahr 1880 durchschnittlich 151 Häftlinge pro Tag in der Anstalt ein, waren es fünf Jahre später noch 119. 55 Als Grund für die Verringerung der Sträflinge nannte das Justizdepartement eine bessere Verfolgung der badischen «Vaganten» durch die deutsche Polizei. 56 Dank dieser Entwicklung gelangte denn auch die Verlegung von Polizeisträflingen in die Strafanstalt wieder aufs Tapet, die - wie oben erwähnt - 1888 gesetzlich verfügt wurde. 57 Inwiefern aus der Überbelegung Schwierigkeiten, gerade im disziplinarischen Bereich, resultierten, ist schwierig nachzuweisen, da mit der Auflösung der STK auch die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Strafanstaltsalltag in Form ihrer Protokolle wegfiel. Die Protokolle der Strafanstaltsleitung beschränkten sich ab 1877 beinahe ausschließlich auf Begnadigungsgesuche einzelner Insassen und Insassinnen. Hinweise auf Probleme in der Anstalt kamen daher - wenn überhaupt - von außen, wobei aber die Überbelegung in den 1880er Jahren kein Thema gewesen zu sein scheint. Andere, grundlegendere Kritik wurde aber 1881 laut. Der Staatsanwalt Richard Zutt warf «der Strafanstaltsdirection inhumanes Verfahren, dem Justizdepartement mangelhafte Aufsicht, dem Regierungsrath gesetzwidrige Normirung des Strafanstaltsreglementes» vor. 58 Anlass dazu war der Fall des Sträflings Jean Diener, der wegen Ehrverletzung zu einer viertägigen Gefängnisstrafe, wie die korrektionellen Strafen seit 1870 bezeichnet wurden, verurteilt worden war. Ihm wurden, wie den zu längeren Strafen verurteilten Zuchthaussträflingen, die Haare geschoren und er musste Sträflingskleidung tragen. Dies beanstandete Zutt, da eine solche Behandlung schwereren Verbrechern vorbehalten und für die Bestrafung Dieners übertrieben sei. 59 Zutt äußerte seine Bedenken zunächst in einer Großratssitzung, wobei seine Kritikpunkte mit Verweis auf ein einige Jahre zuvor erlassenes Reglement zurückgewiesen worden seien. 60 Daraufhin hielt es der Staatsanwalt für angezeigt, seinen Standpunkt in den Basler Nachrichten darzulegen - dies weil im Großrat seine «Bemerkung […] betreffend Behandlung der 53 Protokolle RR BS, 10.7.1880, S. 183. 54 Verwaltungsbericht BS 1881, Teil III, S. 36f. Details zum gescheiterten Erweiterungsprojekt finden sich in StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.1 unter dem Registerstichwort «Erweiterungsprojekt 1879-1884». 55 Verwaltungsbericht BS 1880, Teil III, Tabelle 1; Verwaltungsbericht BS 1885, Teil III, Tabelle 1. 56 Verwaltungsbericht BS 1884, Teil III, S. 51. 57 Verwaltungsbericht BS 1888, Teil III, S. 2. 58 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Justizdepartement BS an den RR BS, 15.12.1881, S. 1. 59 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Ausschnitt aus den Basler Nachrichten 296, 15.12.1881. 60 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Justizdepartement BS an den RR BS, 15.12.1881, S. 1f. <?page no="218"?> 219 Strafgefangenen in so gehässiger und übertriebener Weise missdeutet und bekämpft worden» sei. Der Fall Diener diente ihm dabei offenkundig nur als Vorwand für grundsätzlichere Bemerkungen: «Nun ist von der Regierung zugegeben worden, dass auch die zur Gefängnisstrafe Verurtheilten laut einem vor einigen Jahren erlassenen Regierungsreglement, dass mir neu ist, Sträflingskleider anziehen müssen, die sich zwar von den Zuchthauskleidern etwas unterscheiden, aber doch Sträflingkleider sind. Ein solches Reglement zu erlassen, war aber die frühere Regierung nicht berechtigt, weil Sinn und Wortlaut des Strafgesetzes deutlich dagegen sprechen. Es ist absolut unzulässig, Leute die wegen leichter Vergehen ihre Gefängnisstrafe (in Ermanglung einer besondern Gefängnisanstalt) in der Strafanstalt vulgo Zuchthaus verbüßen müssen, Sträflingskleider, auch gegen ihren Willen, anziehen zu lassen und sie auch sonst (durch Scheeren von Kopf- und Barthaar) zu behandeln wie Zuchthausgefangene. Jedermann sieht eine solche Behandlungsweise sicherlich als eine entehrende an, die mit der Qualität des begangenen Vergehens in keinem Verhältnis steht.» 61 Zutt äußerte also massive Kritik an der «früheren Regierung» - er selber sollte 1887 für den Freisinn in den Regierungsrat einziehen 62 - und am Umgang mit den Gefangenen. Der Regierungsrat verlangte daraufhin eine Stellungnahme, worin Zutt seine Kritikpunkte bekräftigte. Er betonte insbesondere, dass sich die Hausordnung der Strafanstalt nicht über das Strafgesetz hinwegsetzen dürfe, worin Kleidung und Behandlung von Zuchthaus- und Gefängnissträflingen klar geregelt seien. 63 Unterdessen hatte sich auch Diener selbst zu Wort gemeldet und in einem Brief an Zutt auf dessen Stellungnahme in der Zeitung reagiert. Auf seine weiterführenden Klagen, u. a. dass er sich wegen der zu wenig warmen Sträflingskleidung erkältet habe und ihm in der Anstalt ein Arztbesuch verweigert worden sei, ging Zutt aber nicht mehr ein. 64 Ihm ging es offensichtlich weniger um das Wohl der Inhaftierten als vielmehr um die Klärung der gesetzlich-reglementarischen Situation und seiner Position gegenüber dem Regierungsrat und dem Justizdepartement. Letzteres nahm Zutts Kritik schließlich zwar zur Kenntnis, vertagte aber eine Diskussion darüber bis nach dem Abschluss des Erweiterungsprojekts. 65 Schließlich erlitten die Reformanträge Zutts dasselbe Schicksal wie ebendieses Erweiterungsprojekt und verschwanden in der Versenkung. In der 1890 61 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Ausschnitt aus den Basler Nachrichten 296, 15.12.1881. 62 Stefan H ESS , Artikel «Zutt, Richard» (2012), in: HLS, online unter: http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D5949.php [15.3.2017]. 63 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Zutt, Staatsanwalt BS, an den RR BS, 22.12.1881, S. 1-4. 64 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Diener an Zutt, Staatsanwalt BS, 21.12.1881. 65 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Beschluss des RR BS, 28.12.1881. <?page no="219"?> 220 verabschiedeten neuen Hausordnung war keine Rede von Veränderungen in Bezug auf die Kleidung der Gefängnissträflinge. 66 Die festgestellten Missstände wurden also nicht abgestritten, das Justizdepartement stufte sie aber nicht als dringlich ein. Ebenso wenig wurde diskutiert, was für Folgen es für die Resozialisierungschancen von Sträflingen nach sich ziehen könnte, wenn Häftlinge mit Strafen von wenigen Tagen Dauer gleich behandelt wurden, wie solche mit jahrelangen Verurteilungen. Hauptsächlich bemerkenswert an diesem Fall sind denn auch weniger die inhaltliche Kritik Zutts oder die Missstände in der Strafanstalt. Vielmehr beleuchtet die Art und Weise, wie diese Kritik vorgetragen und verhandelt wurde, erneut die strukturellen Veränderungen im Basler Strafvollzug. Eine Meinungsverschiedenheit über die Auslegung der Anstaltsordnung bzw. des Strafgesetzes, die zumindest teilweise öffentlich, d. h. in der Presse, verhandelt wurde, wäre noch wenige Jahre zuvor kaum vorstellbar gewesen. Dies änderte sich nun aufgrund des bereits festgestellten teilweisen Aufbrechens eingespielter Beziehungsnetze sowie des Fehlens der STK und ihrer Wahrnehmung einer Aufsichtsfunktion. Zu Beginn der 1890er Jahre meldete sich auch das Personal der Basler Strafanstalt zu Wort. Der Oberaufseher F. Wehrli, der 1889 die Lehrerpflichten in der Anstalt übernommen hatte, wandte sich 1895 mit einem geharnischten Brief an den Regierungsrat Brenner, Vorsteher des Justizdepartements. Er beklagte sich darin zunächst, dass sein Lohn nach Übernahme des Schulunterrichts nicht erhöht worden sei. Darauf folgte eine grundsätzliche Kritik an den Anstellungsbedingungen als Oberaufseher, wo nicht nur der Lohn zu gering sei, sondern auch und besonders keine Erholungs- oder Ferienzeiten vorgesehen seien. Als Höhepunkt sei ihm nun nicht direkt kommuniziert worden, dass der Schulunterricht ab 1896 wieder vom Anstaltspfarrer übernommen werde - was Wehrli als Affront seiner Person gegenüber verstand. 67 Dies spricht nicht nur für interne Konflikte oder zumindest Meinungsverschiedenheiten beim Personal der Strafanstalt, sondern auch für ein steigendes Bewusstsein des Personals für seine eigenen Rechte - was wiederum den sich im Aufstieg befindlichen Arbeiterbewegungen und der Sozialdemokratie zuzuschreiben ist. Oberaufseher Wehrli war denn auch nicht der einzige Strafanstaltsangestellte, der seine Arbeitsbedingungen thematisierte. Im Februar 1897 erschien im vier Jahre zuvor gegründeten vorwärts, dem Parteiorgan der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, ein Beitrag über die Arbeitsbedingungen der Nachtwächter in der Anstalt. Der Artikel bemängelte insbesondere, dass diese im Normalfall zwischen 60 und 90 sowie teilweise bis zu 120 Stunden pro Woche arbeiten müssten. Da sie im Wochenlohn angestellt seien, verfügten sie zudem weder über 66 B OREL , Strafanstalt, S. 18f.; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Hausordnung der Strafanstalt Basel-Stadt, 13.2.1890. 67 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 Strafanstalt, Allgemeines und Einzelnes 1896-1900, Wehrli, Oberaufseher Strafanstalt BS, an Brenner, Vorsteher des Justizdepartements BS, 2.2.1895. <?page no="220"?> 221 Feiertagsentschädigungen, noch seien Erholungszeiten vorgesehen. 68 Das Justizdepartement hielt eine Reaktion darauf aber anscheinend nicht für nötig. Die Krise von 1899 Die sich abzeichnenden vermehrten Probleme mit dem Anstaltspersonal fanden schließlich ihren Höhepunkt im Jahr 1899. Zwei Aufseher der Anstalt wurden der Korruption und des Amtsmissbrauches überführt. 69 Im Zuge der Verhandlungen dieser zwei Fälle stieß das Strafgericht auf gravierende Missstände: «Das Gericht hat nun feststellen müssen, dass nicht nur die Bestimmungen des Reglements, die nicht auf strafgesetzlicher Vorschrift beruhen, sondern auch diejenigen, die sich nur als Ausführung […] des Strafgesetzes darstellen, in vielen Fällen nicht eingehalten worden sind, und zwar sind solche Zuwiderhandlungen nicht etwa auf untergeordnete Wärter, sondern auf Verfügung der Direction zurückzuführen. […] Aus nachfolgender Aufstellung ist zu ersehen, dass das Reglement, teilweise in seinen wichtigsten Vorschriften, wenigstens einzelnen Gefangenen gegenüber, nicht eingehalten wurde, und nur für vermögenslose Gefangene zu existieren schien, für die andern aber, je nach Willkür des Direktors außer Kraft gesetzt wurde.» 70 Es folgte eine detaillierte Auflistung über sieben Seiten, auf welche Weise gegen welche Paragraphen der Hausordnung verstoßen wurde. Die Vorwürfe reichten von kleineren Verstößen, wie einem relativ regen Briefverkehr unter den Sträflingen oder der mangelhaften Einhaltung des teilweisen Schweigegebots während der Arbeit bis hin zu grundlegenderen Versäumnissen, wie die fehlende Kontrolle von Zellen und Absprachen zwischen Aufsehern und Häftlingen. Insgesamt zeichnete das Strafgericht das Bild einer Gruppe von fünf oder sechs privilegierten Insassen, die sich aufgrund ihrer finanziellen Situation jegliche Hafterleichterungen erkaufen konnten: Ihre Zellen wurden teils nicht abgeschlossen, sie genossen Vorteile bei der Nahrung sowie bei den Besuchsregelungen und unterlagen nicht einmal dem Arbeitszwang. All dies geschah, so das Strafgericht mit aktiver Unterstützung des Direktors. Es verlangte daher eine eingehendere Untersuchung der Zustände in der Strafanstalt sowie eine Prüfung der Frage, inwiefern die Probleme mit der Überbelegung zusammenhingen bzw. ob ihnen durch eine Auslagerung der Gefängnissträflinge Abhilfe geschaffen werden könne. 71 Außerdem machte das Strafgericht einen bemerkenswerten Vorschlag: 68 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1896-1900, Ausschnitt aus vorwärts, 10.2.1897. 69 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1896-1900, Strafgericht BS an den RR BS, 21.4.1899, S. 1. 70 Ebenda, S. 2f., Hervorhebung im Original. 71 Ebenda, S. 3-11. <?page no="221"?> 222 «Der Umstand, dass derartige Uebelstände in der Strafanstalt, sich seit Jahren einbürgern konnten, legt ferner die Frage nah, ob nicht das bisherige System der Aufsicht einer Aenderung rufe, und ob nicht, auch für die Strafanstalt, wie für ähnliche bedeutend kleinere und weniger wichtige Betriebe, eine Aufsichtskommission einzuführen sei.» 72 Keine 25 Jahre nach der Auflösung der STK schien es dem Strafgericht also angezeigt, erneut eine Aufsichtskommission für die Strafanstalt zu etablieren. Tatsächlich wecken die geschilderten Vorfälle denn auch eher Erinnerungen an Brändlin und Buser oder Senn und Stupanus, d. h. die 1810er und -20er Jahre, als an spätere Geschehnisse. Spätestens seit der Zusammenlegung von Zuchtanstaltsinspektion und -kommission und damit der Gründung der STK 1833 waren entsprechende Tendenzen jeweils relativ rasch korrigiert worden. Der Regierungsrat leitete die Vorwürfe des Strafgerichts mit der Bitte um Stellungnahme an Direktor von Salis weiter, woraufhin dieser prompt seinen Rücktritt gab - aber nicht darauf verzichtete, seine Unschuld bzw. Unwissenheit darzulegen. 73 Das Justizdepartement hielt es danach für unnötig, weiter auf die Vorwürfe einzugehen, da diese «sich gegen die Art und Weise richteten, wie Herr Direktor Salis die Anstalt leitete und die Hausordnung handhabte, somit mehr persönlicher Natur waren». 74 Als teilweise Rechtfertigung für von Salis’ Vergehen nannte Departementsvorsteher Iselin dessen beinahe vierzig Jahre lange Amtszeit, zu deren Ende sich gewisse Nachlässigkeiten eingeschlichen hätten. Der neue Direktor, David Widmer, wolle aber ein viel strikteres Regime einführen, so dass die meisten Probleme behoben werden würden. Trotzdem unterstützte das Justizdepartement die Idee einer Aufsichtskommission und beantragte deren Schaffung beim Regierungsrat. 75 Letzterer arbeitete den dafür notwendigen Vorschlag für eine Änderung seiner Geschäftsordnung aus und legte diesen am 26. Oktober 1899 dem Großen Rat vor. 76 Dabei argumentierte der Regierungsrat wie folgt: «Es handelt sich bei dieser [der Strafanstalt] gleichfalls um einen Betrieb, dessen Gang auch im einzelnen unleugbar von allgemeinerem Interesse ist, und es erscheint als richtig, diesem allgemeinen Interesse entsprechend eine Behörde zu schaffen, in welcher eine Mehrzahl von Personen sich an der Beaufsichtigung der Anstalt beteiligt. Wenn auch der gute Gang der Anstalt unzweifelhaft in erster Linie immer auf der Thätigkeit des Direktors beruhen wird, so ist doch die Sache wichtig genug, um zu rechtfertigen, dass dem mit der Aufsicht über den Direktor und seine Amtsführung zunächst betrauten Departe- 72 Ebenda, S. 11f. 73 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1896-1900, Bemerkungen von Salis, Strafanstaltsdirektor BS, o. D. [1899]. 74 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1896-1900, Iselin, Vorsteher des Justizdepartements, BS an den RR BS, 21.9.1899, S. 1. 75 Ebenda, S. 2f. 76 Protokolle GR BS, 26.10.1899, S. 311. <?page no="222"?> 223 ment eine Kommission beigegeben werde, deren Mitglieder am Recht dieser Aufsicht und an der Verpflichtung dazu teilnehmen.» 77 Der Große Rat trat jedoch gar nicht erst auf den Vorschlag des Regierungsrates ein und empfahl stattdessen die Etablierung von regelmäßigen Visitationen durch das Strafgericht. 78 Der Regierungsrat prüfte diesen Vorschlag, kam aber zum Schluss, dass solche Visitationen einzig die wortgetreue Umsetzung von Gerichtsurteilen prüfen dürften und «der Große Rat einer solchen Visitationsbehörde keineswegs diejenigen Funktionen übertragen wollte; die in Bezug auf die Verwaltung und auf die Aufsicht der vorgeschlagenen Aufsichtskommission zugedacht waren». Vielmehr müsse die Verwaltung der Strafanstalt in den Händen des Direktors und des Justizdepartements verbleiben und dürfe nicht in die Verantwortung von Organen der Justiz fallen. So wäre aber wiederum das Verhältnis von Aufwand und Ertrag solcher Visitationen ein gar ungünstiges. Der Große Rat teilte diese Einschätzung, so dass letztlich auf die Etablierung jeglicher Form von Aufsicht verzichtet wurde. 79 Einem weiteren Vorschlag zur Verhinderung erneuter Missstände war dagegen größerer Erfolg beschieden. So schlug Iselin, Vorsteher des Justizdepartements, die Prüfung einer anderweitigen Unterbringung der weiblichen Sträflinge vor, um der Überbelegung der Strafanstalt entgegenzuwirken. Dies wäre zudem «für den Betrieb der Anstalt in verschiedener Beziehung sehr vorteilhaft», wie Iselin festhielt, wobei er auf genauere Ausführungen dazu verzichtete. Außerdem habe der Große Rat bereits ein Abkommen mit den Strafanstalten von Liestal und Witzwil vorbereitet, welches bei Bedarf die externe Versorgung männlicher Zuchthaussträflinge gegen Bezahlung ermöglichte. 80 Noch im selben Jahr brachte das Justizdepartement mehrere Häftlinge in diesen beiden Anstalten unter. 81 Auch die Verlegung der weiblichen Sträflinge wurde rasch in Angriff genommen und bereits im Sommer 1900 zogen sämtliche inhaftierten Frauen in den Lohnhof um. 82 Diese Lösung, obwohl naheliegend, erstaunt insofern, als der damalige Strafanstaltspfarrer Riggenbach die Zustände im Lohnhof noch 1888 als untragbar taxiert hatte, insbesondere für längere Haftstrafen. So fehlten insbesondere adäquate Einzelzellen und Arbeitsräume, zudem entsprächen die hygienischen Zustände nicht den herrschenden Standards. 83 Im Zusammenhang mit der Verlegung der Frauen spielten solche Gedanken augenscheinlich aber keine Rolle mehr. Für die religiöse Betreuung und den Schulunterricht bei den Frauen wurde dem 77 Ebenda. 78 Protokolle GR BS, 9.11.1899, S. 323. 79 Protokolle GR BS, 25.1.1900, S. 13f. (Zitat S. 14); 8.2.1900, S. 30. 80 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1896-1900, Iselin, Vorsteher des Justizdepartements, BS an den RR BS, 21.9.1899, S. 2-4 (Zitat S. 3). Zum Abkommen mit Liestal und Witzwil vgl. StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1896-1900, Iselin, Vorsteher des Justizdepartements BS, an den RR BS, 22.4.1899; Beschluss des RR BS, 17.5.1899. 81 Verwaltungsbericht BS 1899, Teil III, S. 72. 82 Verwaltungsbericht BS 1900, Teil III, S. 70f. 83 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Riggenbach, Strafanstaltspfarrer BS, an Brenner, Vorsteher des Justizdepartements BS, 20.1.1888. <?page no="223"?> 224 Strafanstaltspfarrer Stückelberger zumindest ein Gehilfe zugestanden. 84 Dennoch stießen die Zustände im Lohnhof auch auf öffentliche Kritik. So stellte 1907 die Presse Missstände in der Frauenabteilung des Lohnhofs fest, wobei sie insbesondere die mangelnde Beschäftigung der Inhaftierten bemängelte, was für deren Resozialisierung schädlich sei. Das Justizdepartement wies diese Kritik jedoch von sich, indem es festhielt, dass «die Eintönigkeit […] durch Besuche der Mitglieder des Frauenvereins, die Gottesdienste […] unterbrochen» werde. 85 Eine dritte Folge der Krise von 1899 war schließlich eine Verschärfung der Hausordnung und der Aufsicht. 86 So wurden insbesondere ein komplettes Redeverbot während der Arbeitszeiten sowie schärfere Disziplinarstrafen eingeführt und mindestens vier Landjäger als Polizeiwache inner- und außerhalb der Strafanstalt abgestellt. Weiter schrieb die neue Hausordnung aber auch bessere Kleidung und Nahrung für die Inhaftierten vor. 87 Die bisherige beschrieb der neue Strafanstaltsdirektor nach Rücksprache mit den Direktoren anderer Schweizer Strafanstalten schlicht als «ungenügend». 88 Er verknüpfte zudem die Nahrungsaufbesserung mit einer Veränderung im Mehrverdienstreglement: «Mit der Einführung einer bessern Ernährung bezwecke ich auch, die jetzt üblichen und teilweise sogar nötigen Verschreibungen von Esswaren und Genussmitteln abschaffen zu können. Die Strafanstalt soll keine Restauration sein! Der Verdienstanteil wird den Gefangenen anderswo dazu gutgeschrieben, dass sie nach dem Austritt etwas Geld in die Hand bekommen und dadurch besser ihr Fortkommen finden können. Soll Basel eine Ausnahme machen und das Geld schon während der Strafzeit für die Befriedigung allerlei Gelüste verwenden lassen? Nein; dagegen wollen wir eine Ernährungsweise einführen, die weitere Kostzulagen überflüssig macht.» 89 Die denn auch in die Hausordnung aufgenommene Bestimmung, wonach der komplette Mehrverdienst bis zur Entlassung gespart werden sollte, war offenkundig auch eine Folge der bisherigen Schwierigkeiten. Gleiches gilt für die ebenfalls neu eingeführte doppelte Buchhaltung für das gesamte Rechnungswesen der Anstalt sowie die Anstellung eines Verwalters, der den Direktor bei Bedarf vertreten, aber wohl auch ein Stück weit kontrollieren sollte. 90 Letztlich gelang es dem Justizdepartement also, die Krise von 1899 rasch und ohne größeres Aufheben beizulegen, wobei Iselin wohl auch versuchte, öffentliche Aufmerksamkeit zu verhindern. Insbesondere wurde darauf verzichtet, weiter 84 StABS AHA Kirchen, G 14, Stückelberger, Strafanstaltspfarrer BS, an Iselin, Vorsteher des Justizdepartements BS, 18.5.1900. 85 Verwaltungsbericht BS 1907, Teil III, S. 85. 86 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1896-1900, Iselin, Vorsteher des Justizdepartements BS, an den RR BS, 21.9.1899, S. 4f. 87 B OREL , Strafanstalt, S. 19; Verwaltungsbericht BS 1899, Teil III, S. 66. 88 StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.2, Widmer, Strafanstaltsdirektor BS, an Iselin, Vorsteher des Justizdepartements BS, S. 1. 89 Ebenda, Hervorhebung im Original. 90 B OREL , Strafanstalt, S. 19; Verwaltungsbericht BS 1899, Teil III, S. 72. <?page no="224"?> 225 nachzuforschen, ob andere Angestellte der Anstalt auch der Korruption anheimgefallen waren. So zog der Fall - von den direkt beteiligten Aufsehern und Sträflingen abgesehen - nur für Direktor von Salis persönliche Konsequenzen nach sich und auch er konnte sich durch seinen Rücktritt einigermaßen ehrenhaft aus der Affäre ziehen. Festzuhalten bleibt, dass es mehr als achtzig Jahre nach dem Fall Brändlin immer noch - oder vielmehr: wieder - möglich war, sich mit genügend finanziellen Mitteln unzählige Privilegien in der Basler Strafanstalt zu erkaufen. Dies spricht zunächst einmal deutlich gegen das in der geschichtswissenschaftlichen Forschung lange Zeit vertretene Fortschrittsnarrativ in Bezug auf den Freiheitsstrafvollzug. Weiter zeigt die Episode aber auch, welche Folgen die Abschaffung der STK für den Basler Anstaltsalltag nach sich zog. Offensichtlich war Direktor von Salis dadurch zum faktischen Alleinherrscher geworden, der nach Gutdünken schaltete und waltete. Damit gingen augenscheinlich Erfahrungswerte der vergangenen Jahrzehnte verloren: Ähnlich wie in der Frühphase des Basler Freiheitsstrafvollzugs entstanden Lücken in der Aufsicht, die von Häftlingen genutzt werden konnten, welche über die entsprechenden Ressourcen verfügten. Entlassenenfürsorge und Frauenverein Nicht nur die Strafanstaltsleitung musste sich nach 1875 neu orientieren. Auch für die Patronagekommission stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Abschaffung der STK Folgen nach sich zog. Zunächst ging die Entlassenenfürsorge weiterhin ihren gewohnten Gang, wobei sich auch die bekannten Schwierigkeiten weiterzogen. Eine Quantifizierung der Tätigkeit ist für diese Phase kaum möglich, da zwischen 1878 und 1910 mehrfach drastische Änderungen in der Berichterstattung vorgenommen wurden. Daher können hier bloß einige Trends zur Reichweite der Entlassenenfürsorge wiedergegeben werden. Zunächst gilt es festzuhalten, dass die Patronagekommission in ihren Berichten an die GGG ab 1878 nur noch einzelne Fälle und nicht mehr wie zuvor alle betreuten Entlassenen erwähnte. 91 Ab 1886 beschränkte sie sich noch weiter und bemerkte zu ihrer Tätigkeit beispielsweise Folgendes: «Den Bemühungen der Commission, insbesondere unseres Mitgliedes, des Anstaltsgeistlichen, Herrn Pfarrer Dr. Bernhard Riggenbach, gelang es in mehrern Fällen, den Schutzbefohlenen Anstellung und Arbeit zu verschaffen und ihnen so den Weg zu einer geordneten Existenz wieder zu eröffnen. Doch blieben uns auch hier wieder bittere Erfahrungen und Enttäuschungen nicht erspart.» 92 91 JB GGG 102 (1878), S. 177f. 92 JB GGG 110 (1886), S. 145. <?page no="225"?> 226 Für die nach wie vor oft beklagten Schwierigkeiten machte die Kommission auch weiterhin u. a. ihre Lage als Grenzstadt verantwortlich. 93 Tatsächlich beschränkte sich die Anzahl Gefangener, die über das Bürgerrecht im Kanton Basel-Stadt verfügten, zwischen 1875 und 1910 auf etwa zehn bis zwanzig Prozent. Die Zahl der Entlassenen wird sich auch in diesem Rahmen bewegt haben. Hinzu kam eine ähnliche Anzahl aus Basel-Land und etwa 30 Prozent Schweizer und Schweizerinnen aus anderen Kantonen - fast die Hälfte der Entlassenen kam also aus dem Ausland. 94 Bei ihnen beschränkte sich die Unterstützung meistens auf Kleiderspenden und die Finanzierung von Fahrten in die Heimat, während die längerfristig betreuten Entlassenen hauptsächlich dem Kanton oder zumindest der Schweiz entstammten. Dabei gab es jedoch Ausnahmen: So kümmerte sich die Kommission beispielsweise 1880 um einen französischen Deserteur, der eine Stelle im Deutschen Kaiserreich suchte - dies allerdings erfolglos. 95 Erstmals finden sich in den Berichten der Patronagekommission ab 1879 vereinzelt auch Erwähnungen von abgelehnten Unterstützungsgesuchen. Ob es sich dabei um eine Änderung in der Berichterstattung oder der Praxis handelte, lässt sich auch mit Blick auf die Protokolle nicht eruieren. Letzteres erscheint aber durchaus plausibel, hatte sich die Kommission doch Jahrzehnte lang immer wieder mit teilweise mehrfach rückfällig gewordenen Entlassenen beschäftigt und dabei Misserfolge festgestellt. Es ist daher gut vorstellbar, dass sie nun versuchte, dem mit einer strikteren Auswahl der Unterstützungsberechtigten entgegenzuwirken. Die Gründe für eine Ablehnung waren vielfältig, wie dieses Beispiel aus dem Jahr 1879 zeigt: «Der eine dieser Fälle betraf den J. G. von Therwyl, welchem wir schon vielfach geholfen hatten, ohne dass je ein dauernder Erfolg erzielt worden wäre; ein neuer Plan zur Verbesserung seiner Lage, mit dem er sich an uns wandte, schien nach diesen Antecedentien uns nicht geeignet, einen voraussichtlich wieder vergeblichen Versuch mit einer verhältnissmäßig beträchtlichen Ausgabe zu machen. J. Tsch., wegen betrügerischen Bankerottes verurtheilt gewesen, fand nach seiner Entlassung hinreichenden Verdienst auf seinem Berufe als Posamenter, und wir konnten daher in der bloßen Unzufriedenheit mit diesem Berufe keinen genügenden Grund finden, um seinem Gesuche um Unterstützung behufs Ergreifung einer anderen Beschäftigung zu entsprechen. Der dritte Gesuchsteller, den wir abwiesen, zeigte durch sein Benehmen, dass eine Hülfe bei ihm unrichtig angebracht gewesen wäre.» 96 93 So z. B. in JB GGG 102 (1878), S. 177. 94 Verwaltungsbericht BS 1875, Teil III, S. 37; Verwaltungsbericht BS 1880, Teil III, Tabelle 1; Verwaltungsbericht BS 1885, Teil III, Tabelle 1; Verwaltungsbericht BS 1890, Teil III, Tabelle 1; Verwaltungsbericht BS 1895, Teil III, Tabelle 1; Verwaltungsbericht BS 1900, Teil III, S. 64; Verwaltungsbericht BS 1905, Teil III, S. 81; Verwaltungsbericht BS 1910, Teil III, S. 18. 95 JB GGG 104 (1880), S. 244f. 96 JB GGG 103 (1879), S. 190f. <?page no="226"?> 227 Gerade das zweite Beispiel illustriert, auf welche Weise die Patronagekommission von ihrer Klientel genutzt wurde. Der Entlassene J. Tsch. hatte bereits eine Stelle gefunden, wollte nun aber die Patronagekommission zu einer Verbesserung seiner Situation bewegen, indem er seine frühere Verurteilung quasi als Zulassung zu Unterstützungsleistungen verwendete. Solchen Bestrebungen versuchte die Kommission 1889 entgegenzuwirken, indem sie festlegte, dass nur noch Entlassene betreut wurden, deren Entlassung weniger als ein Jahr zurücklag. 97 Zumindest in Einzelfällen versuchte die Patronagekommission also strenger zu agieren. Über die Gründe kann aufgrund fehlender Quellen zwar nur spekuliert werden - es scheint jedoch naheliegend, einerseits die oft ernüchternden Erfahrungen der Kommission in den vorangegangenen Jahrzehnten verantwortlich zu machen. Andererseits dürften aber auch die bereits geschilderten Entwicklungen im Bereich von Kriminologie, Strafrechts- und Gefängnisreform eine Rolle gespielt haben, die biografische Aspekte in den Fokus der Suche nach den Ursachen kriminellen Verhaltens stellten. Wie beispielsweise in der schweizerischen Gefängnisenquete von 1893 deutlich wurde, gewannen diese Erklärungsansätze, die sozial deviantes Verhalten als Wurzel der Straffälligkeit betrachteten, gegen Ende des 19. Jahrhunderts stetig an Unterstützung. Hingegen scheinen biologisch-essentialistische Erklärungsmuster, die seit Lombrosos L’uomo delinquente 1876 stetig weiterentwickelt wurden, ihre Wirkung zunächst eher im Bereich der Debatten über Strafrecht oder in der Gerichtspraxis entfaltet und wenig Einfluss auf die Praxis im Strafvollzug oder der gefängnisnahen Philanthropie ausgeübt zu haben. 98 So finden sich denn auch in den Quellen der GGG keine Hinweise darauf, dass eine Auseinandersetzung mit entsprechenden Erklärungsansätzen stattgefunden, geschweige denn diese die Praktiken der Patronagekommission geprägt hätte. Trotz den veränderten Ansprüchen an ihre Betreuten, verfügte die Patronagekommission nach wie vor nicht über die Mittel, sie zu disziplinieren. Ein eigentlicher Rückschlag stellte in diesem Bereich das 1872 verabschiedete neue Strafgesetzbuch von Basel-Stadt dar. Trotz entsprechenden Diskussionen und obwohl im Schällemätteli ein an das Irish System angelehntes Stufen- oder Progressivsystem herrschte, verzichtete die Regierung auf die Einführung der bedingten Entlassung. Durch die Einführung einer letzten Stufe im progressiven Strafvollzugssystem hätte eine solche Regelung die Schutzaufsicht gesetzlich reguliert und damit der Patronagekommission gewisse Zwangsmittel in die Hand gegeben. 99 Entsprechend bedauernd äußerte sich die GGG 1873: «Wenn nun die Commission der Ansicht ist, es sei durch das System der bedingten Entlassung vor Ablauf der ganzen Strafzeit eine Verbesserung erreichbar, so ist die Frage wichtig genug, um auch jetzt noch, wenn schon das neue Strafgesetz die bedingte Entlassung nicht eingeführt hat, berathen zu werden. Dass der Grundgedanke des Systems 97 JB GGG 112 (1888), S. 59-61. 98 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 104-119. 99 JB GGG 97 (1873), S. 24f. <?page no="227"?> 228 ein richtiger ist, darüber ist doch kein Streit: der bedingt Entlassene weiß, dass er während des Restes der Strafzeit, wenn er sich betrinkt, oder der Unordentlichkeit, dem arbeitslosen Herumziehen ergibt, wieder eingesperrt wird: er nimmt sich aus Furcht vor der Strafe zusammen, und wenn er sich eine Zeitlang recht gehalten hat, so macht sich an ihm die Macht der Gewöhnung geltend und in der Freiheit ohne Zwang weiß er sich vor dem Zurückfallen in’s alte Leben zu hüten.» 100 Die bedingte Entlassung befand sich seit Ende der 1860er Jahre sowohl in der Schweiz als auch in anderen europäischen Staaten auf dem Vormarsch. Die Avantgarde bildete der Kanton Aargau mit seiner im Progressivsystem organisierten Modellanstalt Lenzburg. Dort wurde 1868 die bedingte Entlassung als fixer Bestandteil des Stufensystems eingeführt. Rasch folgten weitere Kantone, so beispielsweise Zürich 1870 oder das Tessin 1873. Im Deutschen Kaiserreich wurde 1870 ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Dort war die bedingte Entlassung aber nicht als Teil eines Progressivsystems, welches die Sträflinge Schritt für Schritt zu durchlaufen hatten, konzipiert, sondern als eigenes Rechtsinstitut. Unabhängig vom jeweils herrschenden Strafvollzugsregime konnten Sträflinge also unter bestimmten Bedingungen frühzeitig entlassen werden. Diesen Weg wählten auch einige Schweizer Kantone, darunter Luzern 1871 und Neuenburg 1873. 101 Basel-Stadt dagegen schrieb einzig die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung nach mindestens drei Vierteln der Haftdauer fest. Voraussetzungen waren gute Führung und eine abgesessene Strafzeit von mindestens eineinhalb Jahren; Bedingungen für die Zeit nach der Entlassung gab es keine. 102 Neben der Patronagekommission kümmerte sich auch Strafanstaltspfarrer Oser, der als erster Pfarrer seit den 1820er Jahren nicht Mitglied der Kommission der GGG war, seit seinem Amtsantritt 1869 auf eigene Faust um entlassene Sträflinge. 103 Meist traten die Entlassenen - zwischen 20 und 40 pro Jahr -, die er während ihrer Haftdauer kennengelernt hatte, an Oser heran und er unterstützte sie mit Empfehlungen an Bekannte oder mit Ratschlägen sowie in Einzelfällen auch finanziell. Weswegen er nicht mit der Patronagekommission zusammenarbeitete wird leider aus den vorhandenen Quellen ebenso wenig ersichtlich wie die Herkunft der Geldmittel für die ausbezahlten Unterstützungen. 104 Die Situation scheint jedoch wenig zufriedenstellend gewesen zu sein -1882 nahm die Patronagekommission den Strafanstaltspfarrer wieder als Mitglied auf. Auch für diesen 100 Ebenda. 101 M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 21-23; Hubert S TURZENEGGER , Die bedingte Entlassung im schweizerischen Strafrecht, Diss. Universität Zürich 1954, S. 32f. 102 Strafgesetzgebung für den Kanton Basel-Stadt (Juni und September 1872), Basel 1872, § 20, S. 7. 103 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1870, S. 7. 104 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1870, S. 7; Jahresbericht 1871, S. 5; Jahresbericht 1872, S. 5; Jahresbericht 1873, S. 5f.; Jahresbericht 1874, S. 5; Jahresbericht 1875, S. 5f.; Jahresbericht 1876, S. 6; Jahresbericht 1881, S. 11. <?page no="228"?> 229 Schritt lassen sich die Gründe nicht eruieren. Mit dem ebenfalls in der Kommission verbleibenden Direktor waren damit zwei der sieben Kommissionsmitglieder beruflich in der Strafanstalt tätig. 105 Direktor von Salis hatte bereits zuvor eine zentrale Stellung für die Stadtbasler Entlassenenfürsorge innegehabt, indem er den Hauptteil der finanziellen Unterstützungen für die Entlassenen verteilte. 106 Diese naheliegende Kumulierung von Verantwortung und damit auch von Kompetenzen in der Entlassenenfürsorge beim Strafanstaltspersonal verstärkte sich nach 1882 noch und 1889 hielt die Patronagekommission Folgendes fest: «Unsere Commission hielt im Berichtsjahre 5 Sitzungen ab. Dieselbe ist nun vollständig und es werden deren laufende Geschäfte besorgt einerseits durch Herrn Strafanstaltsdirector Salis, welcher speciell für die Ausrüstung der Entlassenen besorgt ist, anderseits durch die Herren Präsident Dr. Franz La Roche und Pfarrer Dr. Riggenbach, welche zu diesem Behuf im Berichtsjahre 39 Conferenzen abhielten.» 107 Nun waren es also faktisch zwei Mitglieder sowie der Präsident der siebenköpfigen Kommission, welche sich hauptsächlich um die Belange der Kommission kümmerten. Riggenbach hatte 1885 die Nachfolge Osers als Anstaltspfarrer angetreten, womit die Entlassenenfürsorge hauptsächlich in den Händen von Angestellten der Strafanstalt lag. Diese bemerkenswerte Entwicklung, wodurch sich die Aufgabe der Patronagekommission auf die reine Finanzierung der Tätigkeit des genannten Dreiergremiums reduzierte, setzte sich fort. Der Direktor und der Kommissionsvorsteher zogen sich dabei sukzessive zurück und 1897 hielt die Patronagekommission fest, dass dem Anstaltspfarrer die «Hauptthätigkeit in der Fürsorge für die Entlassenen» zufalle. 108 Daran scheint auch die Tatsache, dass Pfarrer Theophil Iselin sich als erster Vorsteher seit 1861 wieder längerfristig engagierte und den Vorsitz der Patronagekommission von 1891 bis mindestens 1911 innehatte, nichts geändert zu haben. 109 Dies dürfte auch dadurch bedingt gewesen sein, dass Theophil Iselin nicht nur in der Straffälligenhilfe engagiert war, sondern stets auch in anderen Kommissionen der GGG. So fungierte er beispielsweise 1901 auch als Vorsteher der Kommission zum Blindenheim und war Mitglied der Kommission zu den Allgemeinen städtischen Bibliotheken. 110 Ab 1895, dem Jahr des Amtsantritts von Pfarrer Karl Stückelberger, wurden deutlich mehr Entlassene betreut als in den Jahren zuvor. So hielt die Kommission beispielsweise 1893 fest, dass es ihr nur in sechs Fällen gelungen sei, Entlassenen eine Arbeitsstelle zu vermitteln. 111 Nur zwei Jahre später sei dies in 74 Fällen 105 JB GGG 106 (1882), S. LXII, 247; StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1882, S. 9. 106 Die Beträge erschienen in den Rechnungen der Patronagekommission jeweils mit dem Vermerk «Hrn. Direct. Salis, div. Unterstützungen» o. Ä. Vgl. z. B. JB GGG 107 (1883), S. 231. 107 JB GGG 113 (1889), S. 62. 108 JB GGG 121 (1897), S. 56. 109 Vgl. dazu Anhang 1: Mitglieder der Zuchtanstaltskommission 1821-1833 und der Patronagekommission 1833-1911, S. 283. 110 JB GGG 125 (1901), S. LVIII-LXXI. 111 JB GGG 117 (1893), S. 74. <?page no="229"?> 230 geglückt. 112 Damit ging auch eine weitere Veränderung in der Berichterstattung einher, indem die Kommission nun versuchte, Angaben über sämtliche männlichen Entlassenen zu machen. Auch diese Zahlen sind wegen unklarer und teils unterschiedlicher Erhebung mit Vorsicht zu genießen, sie erlauben aber dennoch eine teilweise Quantifizierung der Entlassenenfürsorge. Die folgende Grafik zeigt, wie vielen Prozent der entlassenen Männer jährlich der Anstaltspfarrer und die Kommission eine Stelle verschaffen und wie viele sie zumindest vorübergehend in Anstalten oder Spitälern aller Art unterbringen konnten. Keinen Aufschluss geben die Grafik oder die ihr zugrundeliegenden Daten darüber, wie lange die vermittelten Entlassenen ihre Stellen behielten oder was weiter mit ihnen geschah. Abb. 4: Betreuung entlassener Männer durch die Patronagekommission, 1897-1911 113 Deutlich wird hieraus zunächst, dass die Patronagekommission trotz der deutlichen Steigerung im ausgehenden 19. Jahrhundert nie mehr als 30 Prozent der Entlassenen erreichte - was angesichts dessen, dass beinahe 50 Prozent dem Ausland entstammten jedoch gar keinen so schlechten Wert darstellt. Von dem 70 oder mehr Prozent ausmachenden großen Rest wurde denn auch ein großer Teil 112 JB GGG 119 (1895), S. 63. 113 Die Daten basieren auf den Jahresberichten der Patronagekommission in JB GGG 121 (1897), S. 56f.; JB GGG 122 (1898), S. 55f.; JB GGG 123 (1899), S. 70f.; JB GGG 124 (1900), S. 56f.; JB GGG 125 (1901), S. 54f.; JB GGG 126 (1902), S. 43f.; JB GGG 127 (1903), S. 44f.; JB GGG 128 (1904), S. 43f.; JB GGG 129 (1905), S. 44f.; JB GGG 130 (1906), S. 48f.; JB GGG 131 (1907), S. 42f.; JB GGG 132 (1908), S. 44f.; JB GGG 133 (1909), S. 50f.; JB GGG 134 (1910), S. 48f.; JB GGG 135 (1911), S. 42f. <?page no="230"?> 231 ins Ausland oder an andere Kantone ausgeliefert. Einige wenige Entlassene pro Jahr empfahl die Patronagekommission zudem an Vereine anderer Regionen - dazu aber später mehr. Weiter zeigen die Daten den anfänglichen Aufschwung, nachdem Stückelberger die Hauptverantwortung für die Patronage übernommen hatte - aber auch, dass er nur von kurzer Dauer war. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts sank die Zahl der auf Stellen vermittelten Entlassenen wieder auf unter zehn Prozent aller männlichen Entlassenen. Ebenso nahm der Anteil der in verschiedenen Anstalten untergebrachten Entlassenen wieder ab. Einen Hinweis auf die Gründe dafür bieten die Jahresberichte der Patronagekommission bzw. eine veränderte Praxis in der Betreuung Entlassener ab 1899. In diesem Jahr beantragte Stückelberger eine Aufstockung der Kommission um einige Mitglieder. Er begründete dies durch die «zunehmende Ausdehnung der Stadt und die wachsende Zahl der Insassen der Strafanstalt, wodurch die Arbeit des Geistlichen, dem so wie so die Hauptlast an der Fürsorge für die Entlassenen zufällt, nach und nach zu groß würde.» 114 Daher sollte die Betreuung der Entlassenen unter mehr Mitgliedern verteilt werden, die jeweils für einzelne Bezirke der Stadt zuständig sein sollten. Die GGG gab diesem Wunsch statt und die Patronagekommission wurde im folgenden Jahr um fünf Mitglieder aufgestockt. 115 Die Maßnahme scheint jedoch wenig Wirkung entfaltet zu haben, was sich nicht nur in den prozentual sinkenden Betreuungszahlen zeigt, sondern auch in fehlenden weiteren Erwähnungen in den Jahresberichten. Der Wunsch nach dieser Praxisänderung ist jedoch ein deutlicher Hinweis darauf, dass Strafanstaltspfarrer Stückelberger die Flut an Anfragen nur noch schwer bewältigen könnte - dies dürfte ein Grund für die sinkende Zahl der erfolgreichen Vermittlungen gewesen sein. Die Wirksamkeit der Praxisänderung nach 1899 zu überprüfen, wird zusätzlich dadurch erschwert, dass bezüglich der Neumitglieder kaum Informationen über Berufsgruppe oder politische Tätigkeit zu eruieren sind. So lässt sich nicht feststellen, ob beispielsweise gezielt Wirtschaftsvertreter angeworben wurden, um die Stellenvermittlung zu vereinfachen. Diejenigen Mitglieder, über welche Informationen vorliegen, waren, wie während des gesamten 19. Jahrhunderts nach wie vor den drei Berufsgruppen Justiz, Geistlichkeit und (Textil-)Wirtschaft zuzurechnen. 116 Zwischen 1891 und 1911 zeigt sich zudem eine Tendenz zu einem steigenden Engagement der Mitglieder der Patronagekommission in anderen Kommissionen der Gesellschaft. So war 1891 mit dem Kaufmann Georg von der Mühll, der gleichzeitig Mitglied der Kommission zur Repetierschule und der Kommission zur Frauenarbeitsschule war, ein Mitglied in drei Kommissionen gleichzeitig tätig. Hinzu kam der bereits angesprochene Vorsteher Theophil 114 JB GGG 123 (1899), S. 73. Zur Anzahl Insassen in der Strafanstalt vgl. Anhang 5: Insassen, Insassinnen und Entlassene der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel- Stadt 1865-1910, S. 301. 115 JB GGG 123 (1899), S. 73f.; JB GGG 124 (1900), S. 57f. 116 Vgl. dazu Anhang 1: Mitglieder der Zuchtanstaltskommission 1821-1833 und der Patronagekommission 1833-1911, S. 283. <?page no="231"?> 232 Iselin, der 1891 auch Mitglied der Kommission zur Bürger-, Jugend- und Arbeiterbibliothek war. 1901 waren neben Iselin auch Bandfabrikant Rudolf Heusler- Veillon und Pfarrer Gustav Stähelin mehrfach engagiert: Ersterer hatte den Vorsitz der Kommission zum Hausverdienst inne, während letzterer Mitglied der Kommission zu den Sonntagsschulen für Mädchen war. Alle drei behielten ihre Mehrfachtätigkeit bei und waren auch 1911 jeweils Mitglied einer zusätzlichen Kommission. 117 Damit bestätigte die Patronagekommission ein weiteres Mal eine Tendenz innerhalb der GGG: Wie Sara Janner festgestellt hat, sank der prozentuale Anteil derjenigen Gesellschaftsmitglieder, die sich aktiv in Kommissionen engagierten, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ab. Entsprechend verteilte sich die Kommissionstätigkeit auf tendenziell weniger Mitglieder, was insbesondere um die Jahrhundertwende zu einem Höhepunkt der Mehrfachmitglied- oder gar Mehrfachvorsteherschaften führte. 118 Neben den jeweils frisch Entlassenen meldeten sich jedes Jahr auch viele ehemalige Gefangene bei Pfarrer Stückelberger - zwischen 1897 und 1911 durchschnittlich 215 pro Jahr. Sie benötigten meist finanzielle Unterstützung, teils aber auch Referenzen oder die Vermittlung in eine Versorgungsanstalt. Entgegen dem Kommissionsbeschluss von 1889, wonach die Entlassenen nur innert eines Jahres betreut werden sollten, nahm sich Stückelberger dieser Fälle meist bereitwillig an. 119 Die Patronagekommission erhob keinen Einspruch dagegen, sondern betrachtete die Praxis augenscheinlich als Möglichkeit, über längere Zeit mit den Entlassenen in Kontakt zu bleiben: «Wir können zwar nicht, wie es anderswo, z. B. im Kanton Zürich, der Fall ist, eine eigentliche Aufsicht über die Entlassenen ausüben; dafür sucht der Pfarrer durch seelsorgerlichen Verkehr, dem Gefangenen soviel Vertrauen abzugewinnen, dass er sich jederzeit wieder an ihn wenden kann […].» 120 In den 1890er Jahren wurde der Strafanstaltspfarrer also endgültig zum Dreh- und Angelpunkt der Stadtbasler Straffälligenhilfe. Er war die Schnittstelle zwischen Strafanstaltsleitung, Sträflingen und privater Fürsorge, kannte die Häftlinge, deren Gerichtsakten und Verhalten und hatte seit 1896 auch wieder die Oberaufsicht über den Schulunterricht inne. Entsprechend baute das Justizdepartement im selben Jahr die Pfarrstelle zu einer vollen Stelle aus. 121 Zusätzlich zu seinen anderen Aufgaben präsidierte der Strafanstaltspfarrer bekanntlich auch den Frauenverein. Dieser ging im letzten Viertel des 19. 117 JB GGG 115 (1891), S. LI-LX; JB GGG 125 (1901), S. LVIII-LXXI; JB GGG 135 (1911), S. XLV-LVI. 118 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 133f. 119 JB GGG 121 (1897), S. 56f.; JB GGG 122 (1898), S. 55f.; JB GGG 123 (1899), S. 70f.; JB GGG 124 (1900), S. 56f.; JB GGG 125 (1901), S. 54f.; JB GGG 126 (1902), S. 43f.; JB GGG 127 (1903), S. 44f.; JB GGG 128 (1904), S. 43f.; JB GGG 129 (1905), S. 44f.; JB GGG 130 (1906), S. 48f.; JB GGG 131 (1907), S. 42f.; JB GGG 132 (1908), S. 44f.; JB GGG 133 (1909), S. 50f.; JB GGG 134 (1910), S. 48f.; JB GGG 135 (1911), S. 42f. 120 JB GGG 134 (1910), S. 49. 121 Verwaltungsbericht BS 1896, Teil III, S. 58. <?page no="232"?> 233 Jahrhunderts weiterhin seiner Tätigkeit nach und profilierte sich immer klarer als Akteur der Straffälligenhilfe. Seine Mitgliederzahl bewegte sich in den Jahren 1875 bis 1910 zwischen zehn und vierzehn, wobei weiterhin kaum ein Mitglied über verwandtschaftliche Beziehungen zur Patronagekommission verfügte. Der Verein hielt an seinem Betreuungssystem fest, wonach jedes Mitglied mehrere Insassinnen regelmäßig besuchte und diese auch nach deren Entlassung weiter begleitete. Dabei versuchten sie den entlassenen Frauen entweder eine Stelle zu vermitteln oder sie bei Verwandten oder in einem Heim unterzubringen. 122 Im Vergleich mit der Patronagekommission scheint der Frauenverein deutlich größeren Wert darauf gelegt zu haben, seine Schützlinge näher und längerfristig zu betreuen. So begleiteten die Mitglieder beispielsweise die Entlassenen bei ihrer Heimreise und versuchten deren Empfang durch Verwandte o. Ä. sicherzustellen. 123 Dies dürfte mit einer unterschiedlichen Beurteilung straffälliger Frauen zusammengehängt haben. Strafanstaltspfarrer Riggenbach beispielsweise stellte fest, dass «so viel mehr es braucht, bis eine Frau so tief gesunken ist, so viel grösser ist dann auch bei ihr die moralische und, damit zusammenhängend, die intellectuelle Verkommenheit». 124 Dazu passt auch, dass der Frauenverein stark auf eine Versorgung Entlassener in Heimen oder Asylen fokussierte, ja diese sogar als wichtigsten Aspekt ihrer Tätigkeit erachtete. 125 Er brachte entlassene Frauen gegen Kostgeld in Anstalten in Zürich, im Aargau oder auch in Strasbourg und Mulhouse unter und beteiligte sich finanziell am Ausbau eines Basler «Heimes für obdachlose Mädchen», damit auch dort entlassene Straftäterinnen versorgt werden konnten. 126 In den 1880er und -90er Jahren hielten die Mitglieder des Frauenvereins gerade einmal eine oder zwei Sitzungen jährlich ab, an welchen sie sich über ihre Erfolge und Misserfolge austauschten. Von einem hohen Organisationsgrad oder einer Arbeitsteilung konnte also nicht die Rede sein. Der Anstaltspfarrer regelte die administrativen Belange des Vereins und verfasste auch dessen ab 1886 gedruckt erscheinenden Jahresberichte. Zudem verwaltete er weiterhin die Finanzen, was auch rechtlich bedingt war. Finanziell stand der Frauenverein nach wie vor sehr gut da. Sein Reservefonds war bis 1882 auf 16’000 Franken angewachsen und mit dessen Zinsen finanzierte der Frauenverein einen Großteil seiner Ausgaben. Hinzu kamen Spenden und Stiftungsbeiträge. So beliefen sich die 122 Die Angaben zum Frauenverein basieren auf den Berichten des Strafanstaltspfarrers in StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1875, S. 6; Jahresbericht 1876, S. 7; Jahresbericht 1881, S. 11-13; Jahresbericht 1882, S. 9f.; Jahresbericht 1883, S. 8-10; Jahresbericht 1884, S. 9f.; Jahresbericht 1885, S. 19f.; JB Frauenverein 1886-1910. 123 JB Frauenverein 1887, S. 4. 124 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1886, S. 1. 125 JB Frauenverein 1887, S. 3. 126 JB Frauenverein 1886, S. 3f.; JB Frauenverein 1887, S. 3; JB Frauenverein 1891/ 92, S. 5. <?page no="233"?> 234 Einnahmen des Vereins zwischen 1880 und 1910 auf durchschnittlich 2’500 Franken, während die Ausgaben jährlich etwa 1’900 Franken betrugen. 127 Spätestens in den 1880er Jahren begann der Frauenverein damit, Angehörige von zumeist männlichen Sträflingen in Notlagen zu unterstützen. Zunächst handelte es sich dabei ausschließlich um finanzielle Zuschüsse, die der Verein meist auf Anfrage der Patronagekommission und in Ausnahmefällen, gewährte. 128 Im Laufe der Jahre scheint sich dieser Aspekt zu einem immer wichtigeren Teil der Tätigkeit des Frauenvereins entwickelt zu haben. So hielt der Verein 1893 fest, dass «es sich dabei um Beratung und zweckmäßige Unterstützung bedrängter Frauen und armer Kinder und mithin um eine Aufgabe handelte zu deren richtiger Anhandnahme unser Frauenverein sich besser eignete, als die Männerpatronage». 129 Bereits im Jahr 1898 nannte Strafanstaltspfarrer Stückelberger die Sorge für Angehörige von Sträflingen als einen von drei hauptsächlichen Tätigkeitsbereichen des Frauenvereins neben der Fürsorge für Gefängnisinsassinnen und Entlassene. 130 Ein Jahr später machte er deutlich, dass es ihm dabei bei weitem nicht nur um die Unterstützung in Notlagen ging: «Die dritte Aufgabe ist die Bekämpfung der wesentlichsten Ursachen des Verbrechens. Sind die beiden ersten unsere eigenste Thätigkeit, so teilen wir uns in diese mit vielen Bundesgenossen, die dieselben Wurzeln ausrotten möchten: vernachlässigte Kinderzucht, Verwahrlosung der heranwachsenden Jugend, den Niedergang guter Zucht und Sitte besonders in den Arbeits- und Verkehrsmittelpunkten, die Ueberflutung unseres Volkes mit einer vergifteten Schandliteratur, die überhandnehmende Genusssucht, die Sonntagsentheiligung, die Trunksucht, die Unzucht etc. Ist auch der Kampf ein verzweifelter, so heißt es doch immer wieder: Auf zum Kampfe! » 131 Es waren also umfassende Veränderungen, welche Stückelberger und damit der Frauenverein bei den Familien von Straffälligen anstoßen wollte. In den folgenden Jahren akzentuierte sich diese Stoßrichtung in den Jahresberichten des Frauenvereins immer stärker, indem sich in ihnen beinahe nur noch Ausführungen 127 Die Rechnungen des Frauenvereins finden sich in JB GGG 104 (1880), S. 248; StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1882, S. 11; Jahresbericht 1883, S. 12f.; Jahresbericht 1885, S. 21; JB Frauenverein 1886, S. 8; JB Frauenverein 1887, S. 8; JB Frauenverein 1888, S. 7; JB Frauenverein 1889, S. 7; JB Frauenverein 1891/ 92, S. 7f.; JB Frauenverein 1893, S. 6; JB Frauenverein 1894/ 95, S. 7f.; JB Frauenverein 1896, S. 7; JB Frauenverein 1897, S. 8; JB Frauenverein 1898, S. 7; JB Frauenverein 1899/ 1900, S. 7f.; JB Frauenverein 1901/ 02, S. 9f.; JB Frauenverein 1903/ 04, S. 7f.; JB Frauenverein 1905/ 06, S. 7f.; JB Frauenverein 1907/ 08, S. 9f.; JB Frauenverein 1909/ 10, S. 11f. 128 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1881, S. 12; JB Frauenverein 1886, S. 7; JB Frauenverein 1888, S. 5f.; JB Frauenverein 1889, S. 5. 129 JB Frauenverein 1893, S. 4. 130 Ebenda. 131 JB Frauenverein 1899/ 1900, S. 3. <?page no="234"?> 235 über religiös-moralische Prinzipien und die angestrebte «Sittlichkeit» finden. Entsprechend kurz wurde jeweils die Tätigkeit des Frauenvereins abgehandelt. 132 Zwar führte der Verein grundsätzlich die Betreuung von Straffälligen und deren Familien weiter, er orientierte sich dabei aber immer stärker am Vorbild der Sittlichkeitsvereine. Diese Vereine entstanden im Zuge der Abolitionismusbewegung, der Bekämpfung der Prostitution, seit den 1870er Jahren in ganz Europa. Sie versuchten nicht nur junge, alleinstehende Frauen aus prekären Verhältnissen vor dem Gang in die Prostitution zu bewahren, sondern propagierten auch rigoros moralische Tugendkataloge, die sich an die gesamte Bevölkerung richteten. Entsprechend wiesen die Vereine sowohl inhaltliche als auch personelle Überschneidungen mit der Abstinenzbewegung auf. 133 Der Basler Frauenverein übernahm diesen Tugendkatalog - der sich aber nicht fundamental von seinen bisherigen Ansprüchen unterschied - im frühen 20. Jahrhundert weitgehend. Zudem arbeitete er verstärkt darauf hin, den sittlich-moralischen Zustand einer breiteren Bevölkerungsschicht, also nicht nur der direkt betreuten Frauen, zu beeinflussen. Von dieser Verschiebung des Fokus zeugen auch Erwähnungen einer Zusammenarbeit mit dem «Schweizerischen Frauenbund zur Hebung der Sittlichkeit» oder dem «Verein Freundinnen junger Mädchen». 134 6.2 Von Nachzüglern zu Vorreitern - die Patronagekommission vernetzt sich Die Basler Patronagekommission war zwar hinsichtlich der Lage der Stadt an der Landesgrenze ein Spezialfall. Mit dem Problem der kantonsfremden Entlassenen hatten jedoch alle schweizerischen Schutzaufsichtsvereine zu kämpfen, wie sich bereits Ende der 1830er Jahre gezeigt hatte. 135 Nach diesen ersten Versuchen wurde es jedoch still um die Bemühungen zur schweizerischen Vernetzung im Bereich der Schutzaufsicht und Entlassenenfürsorge. Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass sämtliche bereits existierenden Schutzaufsichtsvereine und -komitees, mit Ausnahme St. Gallens, mit massiven Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Wie in Basel fehlte es an Kooperationsbereitschaft der Entlassenen, an Disziplinierungsmitteln und so letztlich an - wie auch immer quantifizierten - Erfolgen. Anders als bei der Patronagekommission stand jedoch in den meisten Kantonen kein etablierter, finanzstarker Verein vom Format einer GGG hinter den Schutzaufsichtsbestrebungen. Entsprechend traten finanzielle Schwierigkeiten und Mitgliederschwund auf, was nicht selten zur Auflösung von in den 1830er und -40er Jahren gegründeten Vereinen führte. So erging es beispielsweise 132 JB Frauenverein 1901/ 02, S. 3-5; JB Frauenverein 1903/ 04, S. 3-7; JB Frauenverein 1905/ 06, S. 3-7; JB Frauenverein 1907/ 08, S. 4-8; JB Frauenverein 1909/ 10, S. 3-9. 133 Vgl. dazu M ESMER , Ausgeklammert - eingeklammert, S. 157-168. 134 JB Frauenverein 1907/ 08, S. 7f.; JB Frauenverein 1909/ 10, S. 9. 135 Vgl. oben, S. 149. <?page no="235"?> 236 dem 1839 gegründeten Berner Schutzaufsichtsverein nach nur fünf Jahren oder den in den 1820er Jahren gegründeten Vereinen von Genf und Lausanne 1846. 136 Die Skepsis schwindet langsam In den 1850er Jahren folgte eine zweite Welle von Vereinsgründungen mit unterschiedlichem Erfolg, u. a. in Luzern, Zürich und Glarus. Das vielerorts eingeführte Progressivsystem brachte daraufhin einen weiteren Aufschwung mit sich und Ende der 1870er Jahre verfügten immerhin zwölf Schweizer Kantone über einen Schutzaufsichtsverein. Sämtliche Vereine waren privat finanziert und getragen, teilweise verfügten sie jedoch über einen staatlichen oder gesetzlichen Auftrag: so der Schutzaufsichtsverein des Kantons Aargau, wo die Schutzaufsicht im Rahmen des Progressivsystems und der bedingten Entlassung reguliert war. 137 Rasch stellte sich wieder die Frage nach einer interkantonalen Zusammenarbeit dieser Vereine, was bei der Betreuung und Beaufsichtigung Krimineller, die stets eine hohe Mobilität an den Tag legten, nur naheliegend erscheint. Befeuert wurden entsprechende Ideen natürlich hauptsächlich vom SVSG, der sich von Beginn weg auch mit Fragen der Schutzaufsicht und der Entlassenenfürsorge auseinandersetzte. So hielt Jakob Forrer an der Versammlung von 1869 ein Referat zur Geschichte der Schutzaufsicht in der Schweiz. 138 Ebenso stand das Thema an den Versammlungen von 1872 und 1876 auf der Tagesordnung, wobei die Referenten immer wieder für eine Zusammenarbeit unter zentralisierter Leitung plädierten. 139 1881 wurde schließlich auf Anregung des Schutzaufsichtskomitees St. Gallen ein konkreter Versuch unternommen, eine gemeinsame Organisation zu gründen. Delegierte aus elf Kantonen trafen sich in Zürich, um einen solchen Zusammenschluss in Angriff zu nehmen. Ergebnis der Konferenz war der lockere Verband «société suisse de patronage». Dabei verzichteten die Delegierten aber auf die Wahl eines leitenden Komitees nach dem Vorbild des SVSG, da sie ein solches nicht für nötig erachteten. Die société sollte denn auch nicht als eigentlicher Interessensverband oder Plattform für Verhandlungen agieren, sondern einzig die Zusammenarbeit zwischen den Vereinen institutionalisieren und vereinfachen. Insbesondere wollten die Delegierten ein festes Prozedere ausarbeiten, nach welchem Entlassene aus anderen Kantonen den Vereinen in ihren jeweiligen Heimatkantonen zugewiesen werden würden. Zwei Jahre später trafen sich die Delegierten im Rahmen der Versammlung des SVSG in Olten, wo sie die Beschlüsse 136 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 165-172; K ELLER , Strafvollzug und Fürsorge; K ELLER , Der Bernische Schutzaufsichtsverein; M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 34-39. 137 C URTI , Strafanstalt Zürich, S. 40-42; H AFNER , Gefängnisreformen, S. 175-179; K ELLER , Strafvollzug und Fürsorge; M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 38-40, 46-53. 138 F ORRER , Geschichte und Ausbildung. 139 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 180f.; M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 40-43; Rapport et discussion sur la question du Patronage, in: Verhandlungen SVSG 5 (1872), S. 65-78; Referat und Diskussion über ein internationales Schutzaufsichts-Concordat, in: Verhandlungen SVSG 8 (1876), S. 18-37. <?page no="236"?> 237 bekräftigten und zudem festlegten, dass für die Überweisung der Entlassenen ein entsprechendes Formular des Schutzaufsichtskomitees von St. Gallen verwendet werden solle. 140 Als Delegierter der Patronagekommission Basel hatte in Zürich Direktor von Salis teilgenommen, dessen Bericht über das Treffen wenig enthusiastisch ausfiel. Er schilderte einen Gedankenaustausch ohne konkrete Ergebnisse und zeigte entsprechend wenig Interesse, sich stärker für die Vernetzung der schweizerischen Schutzaufsichtsvereine zu engagieren. 141 Im selben Jahr hielt die Patronagekommission in ihrem Bericht an die GGG zudem Folgendes fest: «Wie manchen Schwierigkeiten in der Praxis ein Zusammenwirken der verschiedenen Vereine begegnen würde, zeigte ein Fall, in welchem von St. Gallen aus ein ausgetretener Sträfling zu uns zugesandt wurde, um ihm hier Arbeit zu verschaffen; da ihm von der Polizei die Aufenthaltsbewilligung verweigert wurde, konnten wir nichts thun, als ihm das nöthige Geld zur Rückreise zu geben.» 142 Ob an der Konferenz von 1883 in Olten ein Mitglied der Patronagekommission teilnahm ist unklar, das Urteil darüber war jedenfalls vernichtend: «Die société suisse de patronage hat eine Sitzung in Olten abgehalten, die gründlich resultatlos abgelaufen ist. Präsident Guillaume hat seine Anfrage nach dem Bestande unserer Commission wiederholt, obschon ihm schon längst Antwort ertheilt worden ist. Das uns zugesandte Formular ist zwar ganz schön, aber völlig unpraktisch.» 143 Die Skepsis gegenüber der Art und Weise der Vernetzung und insbesondere gegenüber der Bürokratisierung ist deutlich herauszuhören. Inwiefern die Patronagekommission sich dennoch am geplanten innerschweizerischen Austausch beteiligte ist unklar. So hielt zwar Karl Hafner in seiner 1901 erschienen Geschichte der Gefängnisreformen fest, an dieser Organisation «bethätigten sich wesentlich nur die Kantone Zürich, Baselstadt, St. Gallen und Thurgau.» 144 Worauf er sich dabei stützte, bleibt leider sein Geheimnis. In den Protokollen und Berichten der Patronagekommission findet sich zwischen 1881 und 1888 keine einzige Erwähnung von Entlassenen, die an einen anderen schweizerischen Verein überwiesen worden wären. Dagegen vermerkte die Kommission in ihrem Jahresbericht 1884, der Austausch mit anderen Schweizer oder auch deutschen Vereinen beschränke 140 Bericht des Central-Comités des schweiz. Vereins für Straf- und Gefängniswesen über den gegenwärtigen Stand der Schutzaufsicht für entlassene Sträflinge erstattet von Dr. Guillaume in Neuenburg, in: Verhandlungen SVSG 13 (1883), S. 97-107; H AFNER , Gefängnisreformen, S. 181f.; JB SG 37 (1882), S. 5-7; M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 43; S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 8f. Das Formular findet sich in Verhandlungen SVSG 13 (1883), S. 104f. 141 Protokolle Patronagekommission 1874-1891, 12.10.1881, S. 49. 142 JB GGG 105 (1881), S. 31. 143 Protokolle Patronagekommission 1874-1891, 13.11.1881, S. 70, Hervorhebung im Original. 144 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 182. <?page no="237"?> 238 sich «auf einige Correspondenzen und den üblichen Austausch der Jahresberichte». 145 Die société bestand jedoch zumindest auf dem Papier weiter und bei den Versammlungen des SVSG von 1885 und 1887 trafen sich jeweils zeitgleich auch die Delegierten der Schutzaufsichtsvereine. 146 Insbesondere in Fribourg 1887 beschworen die Referenten erneut die Notwendigkeit einer interkantonalen Vereinigung für die Schutzaufsicht, woraufhin der Schutzaufsichtsverein von Neuenburg einen weiteren Versuch in die Wege leitete. Unter seiner Leitung fand 1888 in Olten eine weitere Delegiertenversammlung statt, an welcher sich die société als Dachverband schweizerischer Schutzaufsichtsvereine neu konstituierte. Unterdessen waren 18 Schutzaufsichtsvereine und -komitees dabei, die sich unter einem alle zwei Jahre wechselnden Vorsitz versammelten. Weiterhin bestand ihr Ziel darin, die interkantonale Zusammenarbeit zu institutionalisieren und zu vereinfachen, wofür die Delegierten in Fribourg und in Olten verschiedene Vorschläge zusammentrugen und 1888 schließlich einen Statutenvorschlag verabschiedeten. 147 Mit der Gründung der société bzw. des Dachverbands hielten die Schweizer Schutzaufsichtsvereine Schritt mit ihren europäischen Pendants bzw. gingen teils voran. So hatte sich beispielsweise in England 1877 ein zentraler Landesverband für die Entlassenenfürsorge gegründet; das Deutsche Kaiserreich folgte nach längeren Debatten im Jahr 1892. 148 Die Basler Patronagekommission, deren Delegierte Riggenbach und La Roche an der Versammlung 1887, nicht aber an derjenigen 1888 teilgenommen hatten, erhielt kurz nach der Oltener Versammlung 1888 den Statutenvorschlag und eine Beitrittsaufforderung zugestellt. 149 Sie zeigte sich in vielerlei Hinsicht nicht einverstanden: «Wenn wir Ihren Vorschlägen hinsichtlich einer intercantonalen Organisation der Schutzaufsichtssache nicht ohne Weiteres beitreten können, so geschieht dies, abgesehen von einigen abweichenden Anschauungen, schon deshalb, weil wir uns mit einem so schwerfälligen Apparate von Statuten nicht befreunden können. Es ist in Freiburg […] betont worden, dass nur ein Minimum von Statuten wünschbar sei, und dass es sich hauptsächlich darum handle, dem Princip der Zuweisung eines entlassenen Sträflings an den Verein seines Heimathcantons allgein [! ] Anerkennung und möglichst entsprechende Durchführung zu verschaffen. […] Wir können es im Allgemeinen 145 JB GGG 108 (1884), S. 185. 146 M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 43; S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 9f. 147 M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 43-45; Statuten des interkantonalen Verbandes der schweizerischen Schutzaufsichtsvereine und Kommission, in: Association intercantonale des sociétés et commissions suisses de patronage des détenus libérés, Bulletin No. 1, Neuenburg 1888, S. 23- 25; S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 9f.; Versammlung der Abgeordneten der schweizerischen Schutzaufsichtsvereine und Kommissionen, 30.7.1888, in: Association intercantonale des sociétés et commissions suisses de patronage des détenus libérés, Bulletin No. 1, Neuenburg 1888, S. 11-22. 148 S CHAUZ , Strafen, S. 234f. 149 JB GGG 111 (1887), S. 159. <?page no="238"?> 239 nur bedauern, dass Sie sich bei Aufstellung des Statutenentwurfes nicht einfach an die durch unsere Discussion in Freiburg gegebenen Directionen gehalten haben. Es findet diess freilich seine Erklärung in dem Umstand, dass Ihr Hr. Berichterstatter, der verehrte Herr Dr. Guillaume durch die gleichzeitigen Verhandlungen des Gefängnissvereins verhindert war, jener Debatte beizuwohnen.» 150 Von der erneuten Spitze gegen Louis Guillaume abgesehen, dem in den Reihen der Basler Patronagekommission offensichtlich keine große Wertschätzung entgegengebracht wurde, war es also wiederum eine zu starke Bürokratisierung, welche die Basler störte. Weiter kritisierten sie die Idee einer Verbindung mit dem SVSG, da dieser bereits über genügend Tätigkeitsbereiche verfüge, die Funktion des Dachverbands als Plattform für den Austausch von Reformideen u. Ä. sowie den längerfristigen Plan der Anstellung eines bezahlten Sekretärs, der die interkantonale Zusammenarbeit organisieren sollte. Letzteres hielt die Patronagekommission insbesondere aus finanziellen Überlegungen für wenig sinnvoll, denn «die Gelder, welche uns anvertraut werden, sind ausschließlich zur Verbesserung der Lage entlassener Sträflinge und nicht zur Bestreitung von sehr entbehrlichen Verwaltungskosten bestimmt.» 151 Der Fokus auf das Wohl der Sträflinge zog sich durch die Kritikpunkte der Basler Patronagekommission hindurch. So zeigten sie sich nicht einverstanden mit dem Zweck der Schutzaufsicht, den der Dachverband statutarisch festschreiben wollte: «Der national-ökonomische Zweck des Schutzaufsichtswesens scheint uns […] viel zu sehr in Vordergrund gestellt, während doch die Zurechtleitung und Unterstützung des einzelnen Individuums und keineswegs die Rücksicht auf die bürgerliche Gesellschaft das erste und wichtigste Ziel unserer Vereine ist.» 152 Mit Blick auf die Geschichte der Basler Patronagekommission und die mehrfach festgestellte Schwerpunktsetzung in der Arbeitstätigkeit Entlassener, erscheint diese Selbsteinschätzung doch einigermaßen erstaunlich. Dass ihre Kritik nicht auf die interkantonale Zusammenarbeit an sich zielte, machte die Patronagekommission auch dadurch deutlich, dass sie ein eigenes Formular für die gegenseitige Zuweisung Entlassener sowie einen eigenen Statutenvorschlag ausarbeitete. Beide waren sehr einfach gehalten und beschränkten sich darauf, die Überweisung Entlassener zu regulieren. 153 Die Patronagekommission strebte also eine pragmatische Lösung an, die ihren Zweck erfüllte, ohne Mehraufwand zu generieren. Ihre Vorschläge scheinen jedoch nicht auf Zustimmung gestoßen zu sein, behielt der Dachverband doch die ursprünglichen Statuten- und 150 Patronagekommission BS an die société neuchâteloise de patronage, 8.5.1888, in: Protokolle Patronagekommission 1874-1891, S. 109-113, hier S. 109. 151 Ebenda, S. 110f. 152 Ebenda, S. 109f. 153 Ebenda, S. 112f. <?page no="239"?> 240 Formularvorschläge bei. 154 Auch die Basler Patronagekommission akzeptierte diesen schließlich, ihre Skepsis gegenüber einem zu hohen Bürokratisierungsgrad und weiteren Aspekten der Vernetzung legte sie jedoch nicht ab. So beklagte sie sich 1889 über die «förmliche ‹Schreibmanie› des C.C. [Zentralkomitee des Dachverbands schweizerischer Schutzaufsichtsvereine, E. K.] in den oft unbedeutenden Kleinigkeiten.» 155 Im selben Jahr lehnte die Patronagekommission es zudem «aus praktischen Gründen» ab, die Organisation der Generalversammlung schweizerischer Schutzaufsichtsvereine für das Jahr 1891 zu übernehmen. 156 Wachsendes Engagement Gewisse Vorbehalte gegenüber der schweizerischen Vernetzung blieben also zunächst trotz der grundsätzlichen Teilnahme daran bestehen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte dabei wohl die räumliche Distanz zu den Schweizer Vereinen. Von den angrenzenden Kantonen verfügte zwar Aargau in den 1860er und -70er Jahren über einen Schutzaufsichtsverein. Dieser scheint aber hauptsächlich im Rahmen des Progressivsystems der Strafanstalt Lenzburg agiert zu haben und verschwand zudem im Laufe der 1880er Jahre größtenteils von der Bildfläche. Eine Neukonstituierung erfolgte erst 1891, im selben Jahr als sich auch in Basel-Land ein Schutzaufsichtsverein gründete. 157 Bis dahin musste der Patronagekommission unter den angrenzenden Gebieten Baden, wo seit 1882 der staatlich getragenen Landesverband der badischen Schutzvereine für männliche Entlassene existierte, deutlich attraktiver erscheinen. 158 Badener Staatsangehörige stellten zudem in den Jahren 1875 bis 1910 zwischen 12 und 22 Prozent der Gefangenen in der Basler Strafanstalt, d. h. zeitweise mehr als Angehörige des Kantons Basel-Stadt. 159 Auch dies sprach also eindeutig für eine Zusammenarbeit mit den Badener Schutzaufsehern. Es war Bernhard Riggenbach, der 1886 die Initiative für eine solche Zusammenarbeit ergriff. Er hatte 1885 das Amt des Strafanstaltspfarrers übernommen und fiel von Beginn weg durch ein überdurchschnittliches Engagement für die Sträflinge sowohl vor als auch nach ihrer Entlassung auf. So hatte er kurz vor 154 M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 44f.; NB V Schweiz 2788, Interkantonaler Verband der Schweizerischen Schutzaufsichtsvereine und Kommissionen, Statuten des Interkantonalen Verbandes der Schweizerischen Schutzaufsichtsvereine und Kommissionen, o. D. [1893]; S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 33-35. 155 Protokolle Patronagekommission 1874-1891, 20.12.1889, S. 140. 156 Protokolle Patronagekommission 1874-1891, 23.9.1889, S. 130. 157 H AFNER , Gefängnisreformen, S. 174-179; JB GGG 115 (1891), S. 74. 158 Zum Landesverband badischer Schutzvereine für männliche Entlassene vgl. S CHAUZ , Strafen, S. 233-235; Karl-Michael W ALZ , Soziale Strafrechtspflege in Baden. Grundlagen, Entwicklung und Arbeitsweisen der badischen Straffälligenhilfe in Geschichte und Gegenwart, Freiburg i. Br. 1999, S. 261-316; Adolf W INGLER , Hundertjahrfeier der badischen Gefangenenfürsorge, Hamburg 1932, S. 34-42. 159 Verwaltungsbericht BS 1875, Teil III, S. 37; Verwaltungsbericht BS 1880, Teil III, Tabelle 1; Verwaltungsbericht BS 1885, Teil III, Tabelle 1; Verwaltungsbericht BS 1890, Teil III, Tabelle 1; Verwaltungsbericht BS 1895, Teil III, Tabelle 1; Verwaltungsbericht BS 1900, Teil III, S. 64; Verwaltungsbericht BS 1905, Teil III, S. 81; Verwaltungsbericht BS 1910, Teil III, S. 18. <?page no="240"?> 241 seinem Amtsantritt eine Reise in verschiedene Regionen des Deutschen Kaiserreichs unternommen, um sich dort mit Strafanstaltsdirektoren und -pfarrern auszutauschen und sich so auf seine neue Stelle vorzubereiten. 160 Wohl auch dadurch inspiriert, handelte er 1886 im Namen der Patronagekommission einen Vertrag mit dem Landesverband der badischen Schutzvereine für männliche Entlassene aus, wonach sich beide Vereine verpflichteten, Basler bzw. badische Entlassene aus der jeweils anderen Strafanstalt zu übernehmen und zu betreuen. 161 Wie die GGG festhielt, war eine solche Vereinbarung für die Basler besonders attraktiv, «da ungleich mehr Deutsche in schweizerischen Strafanstalten untergebracht sind, als Schweizer in deutschen Gefängnissen.» 162 Die Patronagekommission verpflichtete sich dabei u. a. «a) nur solche Strafentlassene an badische Schutzvereine zu empfehlen, welche durch ihr gutes Verhalten während des Strafvollzugs einer Schutzfürsorge sich würdig erzeigt haben und ausdrücklich um deren Gewährung nachsuchen. b) bei Aufnahme derartiger Gesuche sich des in Baden üblichen Erkundigungsbogens zu bedienen und insbesondere alle auf die Heimat und Unterstützungswohnsitzverhältnisse des Betreffenden, sowie auf seine Arbeits- und Erwerbsfähigkeit bezughabenden Fragen mit der größten Sorgfalt zu beantworten; […] d) bezüglich derjenigen bestraften Schweizer, welche sich bei ihrer Entlassung aus badischen Strafanstalten die Vereinshilfe sich erbitten und um Beförderung in ihre Heimat ersuchen, […] soweit Schutzvereine anderer Cantone der Schweiz in Betracht kommen, die Ueberweisung der betr. Gesuche oder Personen besorgen und im Allgemeinen den Beitritt der übrigen Schutzvereine der Schweiz zu dieser Uebereinkunft bei der nächsten hierzu geeigneten Gelegenheit anbahnen zu wollen.» 163 Die Absätze a) und b) galten umgekehrt ebenfalls für den badischen Landesverband bzw. seine einzelnen Mitgliedsvereine. Durch die Verwendung des jeweils anderen Fragenkatalogs bei der Überweisung von Entlassenen versuchten die Vereine ihre umfassenden Anforderungen an das Verhalten von Entlassenen auch nach der Überquerung der Landesgrenze aufrechtzuerhalten. Diese Ausdehnung der jeweiligen Kontrollsphären ist jedoch nur ein Aspekt der besonderen Bedeutung dieses Vertrags. Bemerkenswert ist weiter, dass die private Patronagekommission eine Kooperation mit einem staatlich getragenen Verband etablierte und sich so auch über institutionelle Grenzen hinwegsetzte. Zudem übernahm sie mit 160 StABS AHA Straf und Polizei, Z 28, Jahresbericht 1885, S. 1f. Zu Riggenbach vgl. auch Arnold von S ALIS , Zur Erinnerung an Prof. D. Dr. Bernhard Riggenbach-Oser, geboren den 25. Oktober 1848, gestorben den 2. März 1895, Basel 1895. 161 JB GGG 110 (1886), S. 146; Verwaltungsbericht BS 1886, Teil III, S. 55. 162 JB GGG 110 (1886), S. XV. 163 Protokolle Patronagekommission 1874-1891, Vertrag zwischen der Patronage-Commission Basel und dem Centralverbande in Carlsruhe, 9.10.1886, S. 93-95, hier Art. 2, S. 93f. <?page no="241"?> 242 dem oben zitierten Artikel 2 d) eine Vermittlerrolle zwischen schweizerischen und badischen Schutzaufsichtsvereinen. Dem darin enthaltenen Auftrag, andere Schweizer Vereine zum Vertragsbeitritt aufzufordern, kam Riggenbach an der Fribourger Tagung 1887 nach. An der Versammlung der Delegierten der Schutzaufsichtsvereine berichtete er über den Vertrag. Dabei konnte er rapportieren, dass seit Abschluss bereits 20 weitere Schutzaufsichtsvereine des Deutschen Kaiserreichs sowie neun entsprechende Schweizer Organisationen beigetreten waren. 164 Ein Jahr später in Olten, beschloss der Dachverband, sich als ganze Organisation dem Vertrag anzuschließen. 165 Sowohl im Hinblick auf die schweizerische als auch auf die grenzübergreifende Vernetzung scheint die Patronagekommission also in den 1880er Jahren ihre Skepsis gegenüber einer institutionalisierten Zusammenarbeit allmählich abgelegt zu haben. Zu einem Großteil dürfte dies in der sukzessiven Verfestigung der Vernetzungsprozesse begründet gewesen sein. Nach der Konstituierung des Dachverbands schweizerischer Schutzaufsichtsvereine und des Landesverbands badischer Schutzvereine drohte die Patronagekommission bei weiterer Zurückhaltung außen vor zu bleiben. Nicht zu unterschätzen ist schließlich die Rolle der politischen Ereignisse in Basel, d. h. der Verfassungsrevision und des Regierungswechsels. In deren Nachgang gewann die GGG für die nicht dem Freisinn angehörigen Vertreter des Stadtbürgertums noch einmal an Bedeutung, dies insbesondere als politische Plattform und als Ort der öffentlichen Diskussion von Reformideen. 166 Wie im 19. Jahrhundert oft der Fall, wurde die Philanthropie hier für eine von einer Marginalisierung bedrohten Elite zum Mittel, sich eine gewisse Machtbasis und gesellschaftlichen Einfluss zu erhalten. 167 Vor diesem Hintergrund erscheint sowohl eine Öffnung der GGG für die im nationalen Zusammenhang geführten Debatten naheliegend als auch eine Stärkung der eigenen Position durch die vertraglich abgesicherte Zusammenarbeit mit anderen Gremien. Dafür spricht auch die Tatsache, dass sich die GGG ab 1878 mit einiger Verspätung der SGG annäherte und ihr 1893 definitiv beitrat. 168 Nicht außer Acht zu lassen sind schließlich die Reformen der kantonalen und städtischen Verwaltungen, wodurch Veränderungen in den Beziehungen zwischen Philanthropen und Behörden zu erwarten waren, sowie der Verzicht auf die Einführung der bedingten Entlassung 1872, welcher eine gesetzliche Regulierung der Schutzaufsicht auf längere Zeit hin unwahrscheinlich machte. Das Zusammenfallen dieser Entwicklungen dürfte für die Patronagekommission eine vermehrte Absicherung ihrer Tätigkeit durch Verträge mit dem In- und Ausland sehr attraktiv gemacht haben. 164 Protokoll der Versammlung der Schutzaufsichtsdelegierten, 21.9.1887, in: Verhandlungen SVSG 15 (1887), S. 79-83. 165 M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 43f.; S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 10. 166 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 342-353. 167 Vgl. dazu D AVID et al., Philanthropie und Macht; M ATTER ; R UOSS ; S TUDER , ditorial, S. 9. 168 J ANNER , GGG 1777-1914, S. 353. <?page no="242"?> 243 Schließlich tritt hier erneut der bereits mehrfach festgestellte Pragmatismus der Basler Patronagekommission zutage. Möglichst einfache, lokale Lösungsansätze erschienen den Akteuren naheliegender als große, teils ideologisch überfrachtete Vernetzungsprojekte. Dabei spielte es auch eine wichtige Rolle, dass die Basler sich von einem Vertrag mit deutschen Vereinen aufgrund der städtischen Gefängnispopulation deutlich mehr Nutzen als Aufwand versprachen. Dies scheint sich denn auch bewahrheitet zu haben, auch wenn eine genaue Bezifferung der Wirksamkeit schwierig ist. Zwischen 1886 und 1911 wurden in den Berichten der Patronagekommission gut zehn Vermittlungsanfragen aus dem Deutschen Kaiserreich, der Löwenanteil aus Baden, erwähnt. Im selben Zeitraum schickte die Patronagekommission jährlich zwischen 20 und 50 Entlassene in deutsche Gebiete. Dabei bleibt zwar unklar, wie viele davon, sie an Schutzaufsichtsorganisationen vermittelte, dennoch dürfte das Verhältnis von Aufwand und Ertrag deutlich für die Basler gesprochen haben. Zudem erhielt die Patronagekommission dank des Vertrags Zugang zu Freibillets der deutschen Eisenbahngesellschaften für Entlassene auf dem Weg in ihre Heimat und konnte so ihre Ausgaben für Fahrtkosten deutlich senken. 169 Die Patronagekommission maß also zunächst der Vernetzung mit deutschen Gebieten eine gewisse Priorität zu, indem sie sich dort aktiver und bereitwilliger engagierte. In den folgenden Jahren scheinen die Basler dann aber jegliche Skepsis auch gegenüber der nationalen Vernetzung abgelegt zu haben. Insbesondere Riggenbach zeigte dabei hohen persönlichen Einsatz. So nahm er als Delegierter des Bundesrats und der Schweizer Schutzaufsichtsvereine an den internationalen Gefängniskongressen in St. Petersburg 1890 und in Paris 1895 teil. Diese Kongresse waren Plattformen für Philanthropen und Behördenvertreter aus Europa und den USA, die sich über die Belange des Strafvollzugs, der Gefängnisreformen und der Straffälligenhilfe austauschten. Ein erstes Treffen hatte bereits 1846 in Frankfurt a. M. stattgefunden, wobei auch ein Schweizer Delegierter, der damalige Genfer Strafanstaltspfarrer Ferrière, teilgenommen hatte. 170 Es folgten Treffen in Brüssel 1847 und wiederum in Frankfurt a. M. 1857, die aber weniger Außenwirkung entfalteten. Nach einem längeren Unterbruch wurde in London 1872 eine neue Serie von Kongressen eingeläutet, die in Stockholm 1878, Rom 1885, St. Petersburg 1890, Paris 1895, Brüssel 1900, Budapest 1905 und Washington 1910 ihre Fortsetzung fand. Während die Basler auch hier bis 1890 mit Zurückhaltung 169 Die Angaben entstammen den Jahresberichten der Patronagekommission in JB GGG 110 (1886), S. 144f.; JB GGG 111 (1887), S. 157f.; JB GGG 112 (1888), S. 57f.; JB GGG 113 (1889), S. 59-61; JB GGG 114 (1890), S. 63f.; JB GGG 115 (1891), S. 74-76; JB GGG 116 (1892), S. 75-77; JB GGG 117 (1893), S. 74f.; JB GGG 118 (1894), S. 74f.; JB GGG 119 (1895), S. 63-66; JB GGG 120 (1896), S. 57-59; JB GGG 121 (1897), S. 56f.; JB GGG 122 (1898), S. 55f.; JB GGG 123 (1899), S. 70f.; JB GGG 124 (1900), S. 56f.; JB GGG 125 (1901), S. 54f.; JB GGG 126 (1902), S. 43f.; JB GGG 127 (1903), S. 44f.; JB GGG 128 (1904), S. 43f.; JB GGG 129 (1905), S. 44f.; JB GGG 130 (1906), S. 48f.; JB GGG 131 (1907), S. 42f.; JB GGG 132 (1908), S. 44f.; JB GGG 133 (1909), S. 50f.; JB GGG 134 (1910), S. 48f.; JB GGG 135 (1911), S. 42f. 170 Gefängnisreform: Verhandlungen der 1. Versammlung für Gefängnisreform in Frankfurt a.M. 1846, Frankfurt a. M. 1847. <?page no="243"?> 244 glänzten, nahmen andere Schweizer Gefängnis- oder Strafrechtsexperten, darunter insbesondere Louis Guillaume, engagiert an den Treffen teil. 171 Die Teilnehmer tauschten sich an diesen Treffen in Referaten und Diskussionen über den Strafvollzug in ihren jeweiligen Staaten aus. Riggenbach brachte sich insbesondere 1890 in St. Petersburg aktiv ein, wie aus seinem Bericht über den Kongress ersichtlich wird: «Der erste Verhandlungsgegenstand war die internationale Schutzaufsicht. In der Diskussion über dieses Traktandum, d.h. über die Verbindungen, welche zu besserer Fürsorge für die Entlassenen unter den Schutzaufsichtsvereinen der einzelnen Staaten anzustreben seien, wurde den Grundsätzen die allgemeinste Billigung ertheilt, welche Herr Geheimer Finanzrat Fuchs und der Schreiber dieser Zeilen im Jahre 1886 für das erste internationale Schutzaufsichts-Konkordat zwischen der Centralleitung der badischen Schutzvereine und der Basler Patronage-Kommission vereinbart und welche wir in unsern beiden Vorarbeiten für den Kongress näher beleuchtet hatten. Der Kongress sprach in der Folge zu unserer besondern Befriedigung […] den Wunsch aus, es möchten solche internationale Vereinbarungen zur Erleichterung der Schutzaufsicht, wie sie auf Grund unseres Vorgehens in den letzten drei Jahren einerseits zwischen den schweizerischen und den deutschen, anderseits zwischen den schweizerischen und den französischen Patronage-Vereinen abgeschlossen worden, überall in Kraft treten.» 172 Der erwähnte Vertrag mit Frankreich, der die Basler Philanthropen aufgrund der veränderten Grenzziehungen nach 1870 nur sehr am Rand betraf, war 1889/ 90 unter Einbezug der Expertise Riggenbachs ausgearbeitet worden. 173 Ein von der Basler Patronagekommission aufgrund ihrer spezifischen Situation entwickelter, pragmatischer Lösungsansatz erhielt also die Anerkennung eines internationalen Expertengremiums und wurde zum Vorbild für andere. Dies zeigt, wie lokale Lösungsansätze auf den transnationalen Diskurs zur Gefängnisreform rückwirken und Praktiken in anderen Gebieten beeinflussen konnten. Institutionalisierung und Professionalisierung der Basler Patronage Die Tatsache, dass Riggenbach als Vertreter der schweizerischen Schutzaufsichtsvereine nach St. Petersburg reiste, macht deutlich, dass er sich nun auch in der 171 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 39-48; Chris L EONARDS , Visitors to the International Penitentiary Congress. A Transnational Platform Dealing with Penitentiary Care, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 26/ 3 (2015), S. 80-101. 172 Bernhard R IGGENBACH , Der internationale Gefängniskongress in Russland. Erlebnisse und Eindrücke, Basel 1891, S. 15f. 173 Protokolle Patronagekommission 1874-1891, 15.12.1888, S. 119f.; 26.9.1890, S. 151f. <?page no="244"?> 245 schweizerischen Vernetzung stark engagierte - zunächst aber ohne diese eindeutig zu priorisieren. So nahm er 1889 sowohl an der Versammlung des SVSG und des Dachverbands schweizerischer Schutzaufsichtsvereine in Altdorf teil als auch an derjenigen der badischen Schutzvereine in Freiburg. 174 Ein Jahr später erklärte sich die Patronagekommission bereit, eine Jahresversammlung des SVSG zu organisieren, woraufhin die Versammlung 1891 in Basel stattfand. 175 Im selben Jahr gründeten sich im Aargau und in Basel-Land Schutzaufsichtsvereine. Bei ersterem handelte es sich um eine eigentliche Neukonstituierung, während der Verein in Basel-Land auf Veranlassung der Patronagekommission ins Leben gerufen worden war. 176 Die Patronagekommission begrüßte beide Vereinsgründungen sehr, verfügten sie doch damit über Ansprechpartner in ihren beiden unmittelbaren Nachbarkantonen. 177 Parallel zu diesen Entwicklungen intensivierte sich auch die Kommunikation mit anderen Schweizer und deutschen Vereinen mittels des Austauschs von Jahresberichten und teils auch Strafanstaltsordnungen und -reglementen. 178 Unter den Erwähnungen in den Protokollen der Patronagekommission finden sich Vereine aus vielen Schweizer Kantonen sowie aus Görlitz, München, Westfalen etc. 179 In Einzelfällen kommunizierte die Patronagekommission auch mit weiter entfernten Partnern so 1886 mit Vertretern der mexikanischen Regierung oder 1898 mit einer Gesandtschaft aus Portugal - beides Zeichen für die weitreichende Vernetzung des transnationalen Gefängnisreformdiskurses. 180 Auf der Ebene der konkreten Zusammenarbeit stand für die Schweizer Schutzaufsichtsorganisationen in den 1880er und insbesondere in den 1890er Jahren immer noch die Frage eines interkantonalen Asyls oder einer sogenannten «Arbeiterkolonie» für entlassene Sträflinge im Vordergrund. Noch 1885 hatte die Patronagekommission einen entsprechenden Vorschlag des Schutzaufsichtskomitees St. Gallen abgelehnt, «da nach ihrer Ansicht ein solches Unternehmen nur durch die stärkere Hand der staatlichen Behörden zur Verwirklichung kann gebracht werden.» Dabei bezog sie sich auf das gescheiterte Projekt Klosterfiechten. 181 Dieses hatte in den 1880er Jahren eine Fortsetzung gefunden, indem die GGG versucht hatte, die Unterstützung anderer Kantone für die Schaffung einer Rettungsanstalt für kriminelle Jugendliche zu gewinnen. Auch der erneute Versuch war 174 JB GGG 113 (1889), S. 62; Protokolle Patronagekommission 1874-1891, 23.9.1889, S. 129f. 175 JB GGG 115 (1891), S. 74; Protokolle Patronagekommission 1874-1891, 7.3.1890, S. 145f. 176 M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 51. 177 JB GGG 115 (1891), S. 74; Protokolle Patronagekommission 1874-1891, 22.4.1891, S. 158; 6.11.1891, S. 160f. 178 JB GGG 112 (1888), S. 60; JB GGG 113 (1889), S. XIV, 62. 179 Protokolle Patronagekommission 1874-1891, 15.5.1885, S. 80; 3.9.1885, S. 81f.; 27.3.1888, S. 106; 27.4.1888, S. 113f.; 19.10.1888, S. 115; 15.12.1888, S. 119f.; 22.5.1889, S. 125f.; 7.3.1890, S. 146; 26.9.1890, S. 152; 22.4.1891, S. 158; 6.11.1891, S. 160. Zudem findet sich eine Vielzahl entsprechender Dokumente in StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1896-1900. 180 StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1867-1894, Consulat des Etats-Unis du Mexique en Suisse an den RR BS, 10.1.1886; RR BS an das Consulat des Etats-Unis du Mexique en Suisse, 18.1.1886; StABS AHA Straf und Polizei, Z 1 1896-1900, Kreisschreiben des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements an die Polizeidirektionen aller Kantone, 30.4.1898. 181 JB GGG 109 (1885), S. Xf., 165 (Zitat S. XI). <?page no="245"?> 246 jedoch gescheitert: hauptsächlich am Desinteresse der anderen Kantone und an finanziellen Schwierigkeiten, so dass die GGG das Gut 1892 dem Staat abtrat, welcher dort eine kantonale «Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder und jugendliche Bestrafte» errichtete. 182 Der nächste Anlauf folgte 1894 mit dem Projekt einer Arbeiterkolonie für die Nord- und Nordostschweiz in Herdern im Kanton Thurgau. 183 Arbeiterkolonien waren eine Form landwirtschaftlicher Arbeitsanstalten für obdachlose, suchtkranke oder eben auch aus der Haft entlassene Männer, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten sollten. Sie entstanden in den 1880er und -90er Jahren im Zuge des allgemeinen Aufschwungs der Anstaltsversorgung sowie einer zunehmenden Vermischung von strafrechtlichen, pädagogischen und therapeutischen Ansätzen. 184 Die GGG und die Patronagekommission begrüßten die Schaffung einer solchen Arbeiterkolonie ausdrücklich und erklärten sich nach anfänglichem Zögern auch bereit, sich mit einem jährlichen finanziellen Beitrag daran zu beteiligen. 185 In den folgenden Jahren überwies Strafanstaltspfarrer Stückelberger immer wieder Entlassene, die er sonst nirgendwo unterbringen konnte, nach Herdern. 186 1904 trat zudem das Komitee der neu gegründeten Arbeiterkolonie Dietisberg, im Kanton Basel-Land, mit der Bitte um finanzielle Unterstützung sowie um Mitgliedschaft in ihrem Komitee an die GGG. Auch hier erklärten sich GGG und Patronagekommission gerne zu einem Engagement bereit. In den folgenden Jahren gewann Dietisberg stets an Bedeutung, sowohl als Ort der Unterbringung von Entlassenen als auch bezüglich des finanziellen Engagements der GGG. 187 Der Rückzug der Patronagekommission aus der Praxis zugunsten der Finanzierung und Delegierung von Entlassenenfürsorge und Schutzaufsicht setzte sich also fort. Die Bestrebungen des SVSG bzw. der schweizerischen Schutzaufsichtsvereine zur Schaffung interkantonaler Lösungsansätze für gemeinsame Probleme sind im Kontext der Bemühungen für eine einheitliche Schweizer Strafrechtsgesetzgebung zu verstehen. Die Schaffung eines einzelnen Gesetzeswerkes schien in den 1890er Jahren greifbar nahe, wobei der SVSG eine wichtige Rolle als Plattform der entsprechenden Diskussionen einnahm. 188 Auch die Patronagekommission beteiligte sich rege an diesen Debatten, wobei erneut Riggenbach, der zwischen 1893 und 1895 im Vorstand des Dachverbands schweizerischer Schutzaufsichtsvereine 182 JB GGG 105 (1881), S. XXXIXf.; JB GGG 108 (1884), S. IV, XVIII, 198f.; JB GGG 111 (1887), S. XVII; JB GGG 116 (1892), S. XVIIf. (Zitat S. XVII). 183 JB GGG 118 (1894), S. 70f. Zu Herdern vgl. Fritz R IPPMANN , Die Arbeiterkolonie Herdern 1895-1945, Zürich 1945. 184 Vgl. zu diesen Entwicklungen G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 104-126; G ERMANN , Regulation statt Repression; L IPPUNER , Bessern und Verwahren, S. 30-48; R IETMANN , «Liederlich», S. 41-64. 185 JB GGG 118 (1894), S. 70; JB GGG 119 (1895), S. XXXVIII, 62f.; JB GGG 120 (1896), S. XXXIf., 57; JB GGG 121 (1897), S. 57. 186 JB GGG 121 (1897), S. 56f.; JB GGG 122 (1898), S. 55f.; JB GGG 123 (1899), S. 70f.; JB GGG 124 (1900), S. 56f.; JB GGG 125 (1901), S. 54f.; JB GGG 126 (1902), S. 43f. 187 JB GGG 128 (1904), S. 44f.; JB GGG 129 (1905), S. 46f.; JB GGG 130 (1906), S. 48f.; JB GGG 131 (1907), S. 42f.; JB GGG 132 (1908), S. 44f.; JB GGG 133 (1909), S. 50f.; JB GGG 134 (1910), S. 48f.; JB GGG 135 (1911), S. 42f. 188 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 39-102. <?page no="246"?> 247 engagiert war, eine zentrale Rolle einnahm. 189 Für die Schutzaufsichtsorganisationen bedeutete eine solche Vereinheitlichung insbesondere die Aussicht auf eine Verrechtlichung ihrer Tätigkeit durch die landesweite Einführung der bedingten Entlassung und damit auf einen deutlichen Zuwachs an Arbeit. Entsprechend prägte die Suche nach einer effizienteren Organisation der Schutzaufsicht ihre Debatten. 190 Um die Jahrhundertwende war die Schutzaufsicht mehrfach prominentes Thema der Versammlungen des SVSG, so dass sich der Verein 1904 schließlich mit dem Dachverband schweizerischer Schutzaufsichtsvereine zum Schweizerischen Verein für Straf-, Gefängniswesen und Schutzaufsicht (SVSGS) zusammenschloss. 191 Unter dem nun vereinten Dach tauschten sich die Mitglieder weiterhin intensiv über Organisation und Verbesserungsmöglichkeiten der Schutzaufsicht aus, woran sich auch die Basler, allen voran Strafanstaltspfarrer Karl Stückelberger, aktiv beteiligten. 192 Spätestens ab 1908 begann sich dabei die Idee einer Professionalisierung der Schutzaufsicht durch die Anstellung eines Zentralagenten oder Sekretärs durchzusetzen. An der Versammlung des SVSGS in Basel äußerten sich mehrere Referenten dahingehend, dass eine solche zentralisierte Organisationsform die höchste Effizienz in der Vermittlung von Arbeitsstellen verspreche - und dies sei schließlich die Hauptaufgabe der Schutzaufsicht. 193 Einige der finanzstärkeren Vereine hatten seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit einem solchen System bereits positive Erfahrungen gesammelt, darunter diejenigen von Bern, Genf und Zürich. 194 Der SVSGS schlug nun vor, sich von der Organisation her an diesen Kantonen zu orientieren, aber für die gesamte Schweiz ein zentrales Sekretariat zu bilden und die Kosten innerhalb des Dachverbandes aufzuteilen. 195 Im Jahr 1909 fand eine außerordentliche Delegiertenversammlung der Schutzaufsichtsvereine in Olten statt, an welcher das Thema weiter diskutiert wurde. 196 Dabei zeigte sich Stückelberger mit einem Referat als flammender Befürworter einer mindestens teilweisen Professionalisierung der Schutzaufsicht durch Anstellung eines Zentralagenten. Er plädierte aber dafür, mehrere Konkordate von Kantonen zu schaffen, die jeweils einen Agenten anstellen würden. Die Delegierten anderer Kantone, allen voran aus denjenigen, die bereits über einen Schutzaufsichtsbeamten verfügten, blieben jedoch skeptisch. Sowohl in der Diskussion in Olten als auch in derjenigen an der regulären Versammlung des SVSGS ein Jahr später zeichnete sich daher ab, dass es bis zu einem gemeinsamen Beschluss noch lange dauern könnte. 189 JB GGG 117 (1893), S. 73f. 190 M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 44-46; JB GGG 122 (1897), S. 58; JB GGG 129 (1904), S. 46; S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 34; Verhandlungen SVSG 20 (1879), S. 60-64; Verhandlungen SVSG 22 (1901), S. 56-70. 191 M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 44-46; S TÜCKELBERGER , Überblick, S. 12f. 192 JB GGG 123 (1899), S. 72f.; JB GGG 125 (1901), S. 56; JB GGG 128 (1904), S. 46; M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 45f. 193 Verhandlungen SVSGS 25 (1908), S. 46-67. 194 M ÜLLER , Schutzaufsicht, S. 46-53; Verhandlungen SVSGS 26 (1910), S. 41. 195 Verhandlungen SVSGS 25 (1908), S. 67. 196 JB GGG 133 (1909), 52f. <?page no="247"?> 248 Trotz grundsätzlichem Einverständnis einer Mehrheit der Delegierten, unterschieden sich die Meinungen über Finanzierung, Organisation und Zuständigkeiten eines Zentralagenten deutlich. 197 Die Basler Patronagekommission war aber offenkundig nicht bereit, eine Initiative seitens des SVSGS abzuwarten. Bereits im Frühling 1911 trat sie an die Schutzaufsichtsvereine der Kantone Aargau, Basel-Land, Luzern, Solothurn und Zug heran und schlug ihnen die Gründung eines Konkordats vor, wobei außer den Aargauern alle ihr Interesse bekundeten. Nun ging es Schlag auf Schlag: Ende Mai wurde ein Konkordatsvertrag von den Delegierten der fünf Kantone verabschiedet und im Herbst erfolgte bereits der Amtsantritt des ersten Zentralagenten, L. Baumann-Meyer aus Basel. 198 Er unterstand einem Aufsichtsgremium, das sich aus den Strafanstaltsdirektoren von Basel-Stadt und Luzern, den Anstaltsgeistlichen von Liestal und Solothurn und dem Polizeidirektor des Kantons Zug zusammensetzte. Der Lohn des Agenten wurde von den Schutzaufsichtsvereinen der Konkordatskantone anteilsmäßig finanziert, dies «unter billiger Mitberücksichtigung der finanziellen Verhältnisse der einzelnen Vereine und Kommissionen». 199 Seine Pflichten wurden wie folgt definiert: «1. […] Seine Aufgabe besteht darin, den aus den Straf- und Zwangsarbeitsanstalten sowie den Amtsgefängnissen der genannten Kantone austretenden Gefangenen bei ihrer Plazierung nach Kräften an die Hand zu gehen, soweit es von ihnen gewünscht und sie von den Anstaltsvorstehern und Gefängnisgeistlichen empfohlen werden. Nachher hat er die Plazierten so viel als möglich zu besuchen, sie zum Guten zu ermuntern, über ihr Verhalten Erkundigungen einzuziehen und den beteiligten Kommissionen davon Kenntnis zu geben. 2. Über bedingt Verurteilte und bedingt Entlassene hat er das Patronat zu übernehmen, ihr Verhalten zu kontrollieren und der Behörde sofort Anzeige zu machen, wenn die Vorschriften nicht erfüllt werden. 3. Besondere Aufmerksamkeit soll er den jugendlichen Entlassenen widmen, und wenn die Umstände es verlangen, dahin wirken, dass sie einen Beruf erlernen können. […] 6. Die Straf- und Zwangsarbeitsanstalten besucht er mindestens einmal per Monat, um die zur Entlassung kommenden und empfohlenen Gefangenen persönlich kennen zu lernen und ihre Wünsche anzuhören.» 200 Der Agent übernahm also sämtliche Tätigkeiten im Bereich der Entlassenenfürsorge und Schutzaufsicht bis hin zu den persönlichen Besuchen bei den zu 197 Verhandlungen SVSGS 26 (1910), S. 36-64. 198 JB GGG 135 (1911), S. 44; NB V BS 3055, Jahresberichte der Strafanstalt Basel-Stadt 1909- 1919, Jahresbericht der Strafanstalt 1911, S. 29f. 199 StABS PA 146a, U 4.1, Konkordat für die Anstellung eines Schutzaufsichtsagenten der Kantone Baselstadt, Baselland, Luzern, Solothurn und Zug, 31.5.1911, S. 1f. (Zitat S. 2). 200 StABS PA 146a, U 4.1, Anstellungsvertrag und Pflichtenheft des Schutzaufsichtsagenten, 6.9.1911, S. 1f. <?page no="248"?> 249 entlassenden Gefangenen. Dabei scheint er mindestens in den Anfangsjahren recht erfolgreich gewesen zu sein, wie die Patronagekommission in ihren Jahresberichten festhielt. Dennoch engagierte sich auch Anstaltspfarrer Stückelberger weiterhin in der Entlassenenfürsorge, während sich die Patronagekommission noch deutlicher auf die Finanzierung derselben und die Berichterstattung über Erfolge und Misserfolge sowie die Entwicklung des SVSGS konzentrierte. Auch weiterhin hielt sie zudem den grenzübergreifenden Kontakt mit den badischen Schutzaufsichtsvereinen aufrecht und kooperierte in verschiedenen Fällen mit ihnen. 201 So hatte also die Patronagekommission nach jahrelanger Zurückhaltung ihren Platz innerhalb der nationalen und transnationalen Vernetzung gefunden und sich teils sogar an die Spitze der Entwicklungen gesetzt. Dies gilt im Falle der Anstellung des Zentralagenten Baumann-Meyer, weniger für den Schritt zu einer Professionalisierung der Schutzaufsicht, waren hier doch bereits andere Vereine vorangegangen. Dagegen war die Bildung eines Konkordats zu diesem Zweck zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Neuheit. Die Basler Patronagekommission setzte auch hier wieder auf eigene Lösungsansätze und Selbstorganisation, statt die gesamtschweizerischen Entwicklungen unter Federführung des SVSGS abzuwarten. Dies unterstreicht ein letztes Mal ihren Pragmatismus und ihre Eigeninitiative. 6.3 Zwischenfazit: Durch Pragmatismus zur Avantgarde Die Geschichte der Basler Straffälligenhilfe nach der Verfassungs- und Verwaltungsreform von 1874/ 75 zeigt, wie rasch auch etablierte Abläufe und Strukturen wieder in Frage gestellt werden konnten. Durch verschiedene Veränderungen in der Leitung der Strafanstalt gingen Erfahrungswerte, institutionelles Wissen und über Jahre gepflegte Beziehungsnetze verloren, was nicht ohne Folgen blieb. Dies zeigen sowohl die verschiedenen disziplinarischen Krisen, die ihren Höhepunkt in den 1899 aufgedeckten Verfehlungen des Direktors fanden, als auch die wachsenden Schwierigkeiten in der Arbeitsbeschaffung für Insassen und Insassinnen. Deutlich wurde dabei auch, dass sich die Rezepte zur Behebung der auftretenden Schwierigkeiten im Laufe des 19. Jahrhunderts wenig verändert hatten: mehr Disziplin, strengere Aufsicht und eine neue Hausordnung, die nur diejenigen einzelnen Aspekte korrigierte, die zu Problemen geführt hatten. Nach wie vor erlaubte dieses System den Sträflingen und ehemaligen Sträflingen, sich innerhalb bestehender Nischen Handlungsspielräume zu schaffen. Dies gilt nicht nur für die gut situierten Sträflinge, die am Ursprung der Krise von 1899 standen, sondern auch 201 JB GGG 135 (1911), S. 42f.; JB GGG 136 (1912), S. 60f.; JB GGG 1913, S. 63f. <?page no="249"?> 250 und besonders für die entlassenen Strohflechter, die mithilfe ihrer in der Anstalt erlernten Fähigkeiten ebendieser Konkurrenz machten. Trotz der Veränderungen in der sozialpolitischen Grundhaltung des Kantons Basel-Stadt lag die Fürsorge für die Entlassenen bzw. die Unterstützung ehemaliger Sträflinge bei der Resozialisierung nach wie vor in den Händen geistlicher und philanthropischer Akteure und Akteurinnen. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass sich die tragende Rolle des Strafanstaltspfarrers weiter akzentuierte. So akkumulierte sich die praktische Tätigkeit der Patronagekommission immer mehr bei seiner Person, während sich die Kommissionsmitglieder augenscheinlich zurückzogen. Nach wie vor lieferte die Patronagekommission bzw. die GGG aber die finanzielle Unterstützung der Entlassenenfürsorge. Sie nahm damit in gewisser Weise die Professionalisierung der Schutzaufsicht voraus, welche sie 1911 im Rahmen des ersten schweizerischen Schutzaufsichtskonkordats umsetzte. Der Strafanstaltspfarrer war wie bisher Vorsteher des Frauenvereins für weibliche Sträflinge. Aufgrund der Quellenlage ist es schwierig festzustellen, wer dabei die praktische Tätigkeit übernahm. Festzuhalten ist aber, dass der Pfarrer nicht nur die Finanzen des Vereins verwaltete, sondern durch die Übernahme der administrativen Belange und insbesondere das Verfassen der Jahresberichte einen prägenden Einfluss auf die Ausrichtung des Vereins ausübte. Diese näherte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts stark den Sittlichkeitsvereinen an, indem die Philanthropinnen vermehrt auch den Lebenswandel der Angehörigen von Straftäterinnen zu beeinflussen versuchten. Inwiefern diese Änderung auf den Einfluss des Pfarrers zurückzuführen ist, lässt sich dabei nicht eruieren. Fest steht aber, dass die erfolgreiche Phase des Frauenvereins, die sich u. a. darin niederschlug, dass ihn die Patronagekommission zum Vorbild erklärte, spätestens in den 1890er Jahren ihr Ende fand. Die Philanthropinnen scheinen sich in dieser Phase vermehrt in die traditionell weiblich konnotierten Bereiche der Philanthropie zurückgezogen zu haben, indem sie auf Aspekte der Sexualmoral und der Kindererziehung fokussierten. Auch die nationale und transnationale Vernetzung und Zusammenarbeit wurde durch die Strafanstaltspfarrer, namentlich Bernhard Riggenbach und Karl Stückelberger geprägt. Ersterer trieb in den 1880er Jahren die Zusammenarbeit mit dem angrenzenden Ausland voran, woraus der 1886 abgeschlossene Vertrag mit dem Landesverband der badischen Schutzvereine resultierte. Sowohl Riggenbach als auch sein Nachfolger Stückelberger legten zudem Schritt für Schritt ihre Skepsis gegenüber der nationalen Vernetzung ab und förderten das Engagement der Patronagekommission im SVSG. Die Strategie der Pfarrer, wie auch der Patronagekommission, scheint dabei hauptsächlich vom Bedürfnis nach Absicherung und Effizienzsteigerung der Schutzaufsicht geprägt gewesen zu sein. Nachdem deutlich geworden war, dass eine gesetzliche Regulierung der Schutzaufsicht, d. h. die bedingte Entlassung, in Basel-Stadt auf sich warten lassen würde, erlaubten der Ausbau und die Festschreibung der Zusammenarbeit mit anderen Gebieten, die Schutzaufsicht auf andere Weise zu stabilisieren. <?page no="250"?> 251 Rasch wurde deutlich, dass die Basler Akteure in der nationalen und transnationalen Vernetzung ihre Erfahrungen gewinnbringend einbringen konnten und sowohl die internationalen Gefängniskongresse als auch der SVSG von ihrer Expertise profitieren konnten. So übernahm der Vertrag mit dem badischen Landesverein der Schutzvereine rasch eine Vorbildfunktion. Auch bei der Errichtung des ersten schweizerischen Schutzaufsichtskonkordats und der Anstellung eines professionellen Zentralagenten dürften die Erfahrungen der Basler Patronagekommission eine wichtige Rolle gespielt haben: Sie verfügten dank der Zusammenarbeit mit Baden über Erfahrung mit Konkordatsverträgen und hatten außerdem mit der zentralen Funktion des Strafanstaltspfarrers eine gewisse Professionalisierung der Schutzaufsicht bereits vorweggenommen. So wird deutlich, wie lokal erarbeitete Lösungsansätze überregionale Entwicklungen prägen und so auch auf den Diskurs zur Gefängnisreform rückwirken konnten. Letztlich erreichte die GGG auch im Bereich der Schutzaufsicht - ähnlich wie in anderen Bereichen der Straffälligenhilfe - ihre Ziele erst in der Auflösung bzw. durch den Rückzug der entsprechenden Kommission. Diese Feststellung verdeutlicht ein weiteres Mal, wie komplex sich die Entstehung und Entwicklung von Fürsorge- oder Unterstützungsangeboten gestaltete: Stets war eine Vielzahl von Aushandlungsprozessen, Anpassungen und Neuausrichtungen sämtlicher beteiligter Akteursgruppen vonnöten, um eine stabile Basis für die Schutzaufsicht zu schaffen und ihr Fortbestehen zu sichern. <?page no="252"?> 253 7 Fazit Die Straffälligenhilfe der Stadt Basel etablierte und entwickelte sich während jahrzehntelanger Anpassungsprozesse, die ihren Akteuren und Akteurinnen immer wieder Neupositionierungen abverlangten und teils auch im Scheitern einzelner Ansätze endeten. Sie war damit nicht Ergebnis einer direkten Implementierung von Ideen des transnationalen Diskurses zur Gefängnisreform und erst recht nicht der Endpunkt einer konstanten, zielgerichteten Entwicklung. Die Reformen des Strafvollzugs und der Straffälligenhilfe waren vielmehr Resultat eines stetigen Abwägens zwischen Reformansätzen und -ideen, die aus anderen Gebieten den Weg nach Basel fanden, und den lokalen Gegebenheiten und Bedürfnissen. Dies öffnet den Blick darauf, auf welche Weise Akteure und Akteurinnen vor Ort den transnationalen Gefängnisreformdiskurs gezielt zu nutzen wussten und zeigt, wie bei der Umsetzung von Reformen stets unterschiedliche Ebenen zusammenspielten. Deutlich wurde dies in der vorliegenden Studie bereits zu Beginn des Untersuchungszeitraumes: Die Trennung von Waisen- und Zuchthaus und damit die Gründung der Stadtbasler Zuchtanstalt im Predigerkloster im Jahr 1806 mag offiziell mit der Sorge um das moralische Wohlergehen der Waisenkinder begründet worden sein. Faktisch spielten jedoch administrative und finanzielle Erwägungen die Hauptrolle. Entsprechend folgte denn auch die Organisation des Zuchtanstaltsalltags nicht übergeordneten Prinzipien, sondern basierte quasi auf Versuch und Irrtum. Die Zuchtanstaltsinspektion reagierte auf festgestellte Missstände mit einzelnen gezielten Maßnahmen, die oft nur kurzfristig Abhilfe schafften. Deutlich wurde dies beispielsweise in der Hausordnung von 1813, mit welcher auf einen korrupten Oberaufseher reagiert wurde, ohne jedoch den grundsätzlichen strukturellen Problemen bei der Aufsicht in der Anstalt zu begegnen. Diese bestanden nicht nur darin, dass zu wenige, zu schlecht bezahlte Aufseher angestellt wurden, sondern faktisch in der Existenz einer Klassengesellschaft, die vor den Gefängnismauern nicht Halt machte. Das festgestellte Muster setzte sich während des gesamten 19. Jahrhunderts fort: Trotz immer stärkerer Regulierung der Disziplin und des Alltags in der Zucht- und später der Strafanstalt in ständig erneuerten Hausordnungen blieben die Maßnahmen oft Stückwerk. Dies zeigte sich zuletzt noch 1899, im Nachgang der Krise um Direktor von Salis, als das Justizdepartement in der neuen Hausordnung konkret die einzelnen Missstände korrigierte, aber keine grundlegenden strukturellen Veränderungen vornahm. Obwohl fraglos eine Rezeption des transnationalen Gefängnisreformdiskurses in Basel stattfand, ist also kaum ein übergeordneter Gestaltungswille festzustellen, der die Reform des Strafvollzugs vorangetrieben hätte. Dessen Fehlen schuf im Gegenzug Freiräume in der Zuchtanstalt, wovon einige Häftlinge profitierten. Extremfälle waren die gut situierten Insassen, die sich durch finanzielle Mittel Vorteile, wie beispielsweise eine bessere Ernährung oder Unterbringung, verschafften - teils sogar mit Billigung des Direktors. Darüber hinaus sind aber auch die weniger spektakulären Fälle zu erwähnen, wie diejenigen Insassen und <?page no="253"?> 254 Insassinnen, welche sich bereits um 1810 Verdienstmöglichkeiten innerhalb der Anstalt schufen, oder die Häftlinge Trüeb und Schmid: Sie versuchten in den 1840er Jahren mittels einer Petition ihre Haftbedingungen zu verbessern und nutzten dazu u. a. Argumente des Gefängnisreformdiskurses. Sie stellten damit unter Beweis, dass zumindest einzelne Häftlinge über die Ressourcen und das Wissen verfügten, um selber den aktuellen Debatten um Strafvollzug und Besserung zu folgen. Diese Beobachtungen machen deutlich über welche Handlungsspielräume die Insassen und Insassinnen der Basler Strafanstalt im 19. Jahrhundert verfügten - insbesondere, wenn entsprechende persönliche Ressourcen vorhanden waren. Das Basler Beispiel bestätigt damit den Trend der aktuellen Gefängnisforschung, die agency von Häftlingen vermehrt in den Fokus zu stellen und das Bild eines Disziplinarapparats foucaultscher Prägung kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig erlaubt der Blick auf den Basler Strafvollzug aber auch eine Kontextualisierung lokaler Bestrebungen für eine Gefängnisreform, die immer auch mit - oft finanziell motivierten - Widerständen konfrontiert waren, welche die Umsetzung von Reformideen verlangsamten oder verhinderten. Entsprechend blieb die Basler Zucht- und später Strafanstalt stets weit von den Modellgefängnissen des 19. Jahrhunderts und ihren zumindest in der Theorie durchstrukturierten Disziplinierungs- und Besserungsmaßnahmen entfernt. Diese Bedingungen schufen nicht nur Freiräume für die Sträflinge, sondern auch für die Philanthropen der Gemeinnützigen Gesellschaft, deren Eingreifen 1821 die Zuchtanstaltsinspektion nicht nur duldete, sondern explizit begrüßte. Selbst im Bewusstsein der engen persönlichen Durchmischung der Gemeinnützigen Gesellschaft und der Stadtregierung bleibt es bemerkenswert, welch weitgehende Kompetenzen die neugegründete Zuchtanstaltskommission der Basler Bürger innerhalb der Anstalt erhielt. Sie hatte mehr oder weniger freie Hand in der Organisation der Arbeitstätigkeit der Sträflinge, erhielt praktisch ungehindert Zugang zur staatlichen Hoheitssphäre der Zuchtanstalt und ihre Stimme erhielt in vielen Fällen Gehör durch die Inspektion. Während dabei auf dem Papier stets die staatlichen Organe Macht und Entscheidungsgewalt behielten, ließen sich die Zuständigkeiten in der Praxis längst nicht immer eindeutig auseinanderhalten. Hier gilt es anzusetzen, um das leitende Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie, die Frage nach den Strukturen und der Stellung der Basler Straffälligenhilfe, zu klären: Die strafvollzugsnahe Philanthropie nahm in dieser Anfangsphase offenkundig eine fluide Position zwischen privater und staatlicher Sphäre ein. Diese sehr enge Zusammenarbeit zwischen Privaten und Behörden kulminierte bei der Gründung der Strafanstaltskommission 1832 im Wechsel mehrerer Mitglieder von der Zuchtanstaltskommission auf die Seite der Behörden. Dieser Schritt ist aber nicht nur als Zugeständnis an das Engagement und die entwickelte Expertise der Philanthropen zu lesen. Er stellte auch und besonders eine stärkere Monopolisierung des Strafvollzugs und damit das Ende der geschilderten unklaren Zustände dar: Es blieben zwar dieselben Personen für bestimmte Aufgaben <?page no="254"?> 255 zuständig, sie verfügten aber neu über einen staatlichen Auftrag. Der damit einhergehende weitgehende Ausschluss von Privatpersonen aus der Anstalt verstärkte sich noch durch die Übernahme des Mehrverdienstreglements und der Organisation des Schulunterrichts durch die Strafanstaltskommission, wodurch die Zuchtanstaltskommission ihre hauptsächlichen Tätigkeiten an die Behörden verlor. Hier klingt ein Muster an, welches für die Beziehung zwischen Philanthropie und Staatlichkeit vor allem im 20. Jahrhundert typisch ist: Private - hier die Kommission der Gemeinnützigen Gesellschaft - führten Veränderungen ein und trugen die Risiken sowohl im finanziellen Bereich als auch im Hinblick auf ihr persönliches Prestige. Sobald sich eine Neuerung bewährte bzw. genügend Wirksamkeit entfaltete, übernahmen staatliche Organe die Kontrolle, hier die Inspektion und später die Strafanstaltskommission. Damit ging immer auch eine Klärung der Zuständigkeiten und Kompetenzen einher, was auch im vorliegenden Fall deutlich wurde. 1 Dass dies bei der Basler Straffälligenhilfe rascher geschah als in anderen Bereichen der Philanthropie ist primär durch ihren besonderen Charakter als Bestandteil des Strafvollzugssystems zu erklären. Trotz der grundsätzlichen Offenheit, mit welcher die Strafvollzugsbehörden dem Engagement der Gemeinnützigen Gesellschaft begegneten, übernahmen sie doch relativ rasch wieder die Hauptverantwortung. Entsprechend galt die staatliche Übernahme auch nur für die Strafanstalt selbst. Die Patronagekommission, die faktisch kaum über Zwangsmittel verfügte, stellte dagegen kein Eingreifen in einen Bereich staatlicher Kontrolle dar. Sie entsprach damit viel eher den klassischen philanthropischen Angeboten, denen im liberalen Staatsverständnis des Basler Bürgertums die Verantwortung für fürsorgerische Maßnahmen zukam. Die sukzessive Monopolisierung oder Abschließung der Strafanstalt gegen außen gilt auch für die dritte im Strafvollzug präsente Gruppe von Wohlfahrtsproduzenten, nämlich für die Pfarrer. Sie waren bereits lange vor der Gründung der Zuchtanstalt im Strafvollzug, wie auch in der Anstaltsversorgung allgemein, engagiert gewesen und entwickelten sich im 19. Jahrhundert schrittweise zur unverzichtbaren Stütze der Behörden und der philanthropischen Vereine. Waren es in Basel aber zunächst mehrere Pfarrer oder angehende Pfarrer gewesen, welche die Sträflinge im Nebenamt betreut hatten, übernahm diese Funktion ab 1841 ein einzelner Pfarrer hauptberuflich. So wurde die Durchlässigkeit zwischen den Gefängnismauern und anderen Einsatzgebieten der betreffenden Pfarrer beendet. Der Anstaltspfarrer war nicht nur verantwortlich für Schulunterricht und religiöse Betreuung, sondern fungierte auch als Bindeglied zwischen Häftlingen, Anstaltsleitung sowie Philanthropen und Philanthropinnen. Ab den 1870er Jahren engagierte er sich zudem immer stärker in der Entlassenenfürsorge und bis zum Ende des Jahrhunderts wurde er faktisch zum Alleinverantwortlichen in diesem Bereich, wodurch er deren Professionalisierung durch die Anstellung eines Schutzaufsichtsagenten 1911 vorwegnahm. Damit bestätigt das Basler Beispiel die zentrale 1 Vgl. dazu D AVID et al., Philanthropie und Macht, S. 14-16; M ATTER ; R UOSS ; S TUDER , editorial, S. 7f. <?page no="255"?> 256 Bedeutung von Strafanstaltsgeistlichen, welche Désirée Schauz für deutsche Gebiete festgestellt hat. 2 So wurde der Pfarrer also nach dem Rückzug der Zuchtanstaltskommission aus dem Anstaltsinneren zum Hauptverantwortlichen für die von den Philanthropen etablierten oder ausgebauten Maßnahmen innerhalb der Anstalt, mit Ausnahme der Sträflingsarbeit und des Mehrverdienstreglements. Diesen disziplinarisch und ökonomisch relevanten Bereich gab die Strafanstaltsleitung nicht mehr aus der Hand - weder während der Ära der Strafanstaltskommission noch danach. Nachdem sich nach 1833 die Zuständigkeiten geklärt hatten, hielten die Behörden daran fest, dass sie überwiegend alleine für disziplinarische Maßnahmen und damit letztlich für die Aufrechterhaltung des Gewaltmonopols zuständig bleiben wollten. Stets versuchten die Behörden zudem den Arbeitsertrag in der Anstalt zu steigern. Ab der Mitte des Jahrhunderts schraubten sie zu diesem Zweck auch immer wieder am Verdienstanteil der Sträflinge. Spätestens dadurch dürfte klar werden, dass die Strafanstaltsleitung den disziplinarischen und finanziellen Vorteilen des Mehrverdienstreglements deutlich mehr Bedeutung zumaß als dessen Nutzen für die Häftlinge selbst. Für die Zuchtanstaltskommission ihrerseits war der Verlust ihrer Hauptaufgaben in den 1830er Jahren kein Grund, sich aus der strafvollzugsnahen Philanthropie zurückzuziehen. Sie schuf sich mit der Betreuung Entlassener kurzerhand ein neues Betätigungsfeld. Von Beginn weg setzte sie dabei auf den Einbezug anderer Bestandteile des pluralistischen Wohlfahrtsgefüges, indem sie die Hilfe von Angehörigen, von Pfarrern und von anderen philanthropischen Institutionen in Anspruch nahm. Dies ist insbesondere mit Blick auf die eingangs festgestellten Lücken im Forschungsstand zur Wohlfahrtsproduktion des 19. Jahrhunderts von Bedeutung. So wurde deutlich, wie sich auch die in verschiedener Hinsicht spezielle Straffälligenhilfe in die bereits existierenden Gefüge früher sozialer Sicherungsmaßnahmen einpasste und ihren eigenen Beitrag dazu leistete. Trotz ausbleibenden Erfolgen blieb die Patronagekommission ihrer Tätigkeit die folgenden sieben Jahrzehnte lang treu. Dabei war sie ursprünglich mit hochgesteckten Zielen und Idealen angetreten, die sie auf verschiedene Weise zu erreichen versuchte. Zeugnis davon war etwa der Verzicht auf rein finanzielle Unterstützung oder die ausschließliche Betreuung jugendlicher Entlassener. Obwohl beiden Maßnahmen nur eine kurze Lebensdauer beschieden war, unterstreichen sie, dass die Patronagekommission, wie zuvor die Zuchtanstaltskommission, mit umfassenden Ansprüchen an das Verhalten der Verurteilten angetreten war. Sie strebte die Erziehung und Bildung der unteren Gesellschaftsschichten an und damit deren Formung nach bürgerlichen Norm- und Wertvorstellungen - Zielsetzungen, die sich die Basler Straffälligenhelfer und -helferinnen mit anderen philanthropischen Vereinigungen des 19. Jahrhunderts teilten. Entsprechend blieb die Patronagekommission denn auch während des ganzen 19. Jahrhunderts einem sozial-moralischen Verbrecherbild verhaftet. Stets verknüpfte sie deviante 2 S CHAUZ , Seelsorge; S CHAUZ , Strafen, S. 113-133. <?page no="256"?> 257 Verhaltensweisen, wie beispielsweise übermäßiger Alkoholkonsum, Promiskuität oder Nichtsesshaftigkeit, mit der Entstehung von Kriminalität. Ersichtlich wird dies beispielsweise in den Diskussionen um den Bau einer Zwangsarbeitsanstalt in den 1850er Jahren oder um die Einführung der bedingten Entlassung um 1870, aber auch in der immer wieder geäußerten Kritik am «liederlichen» Lebenswandel Entlassener. Die fehlende Rezeption biologistisch-essentialistischer Erklärungsansätze für Kriminalität, die in den Diskussionen um die Schaffung eines schweizerischen Strafgesetzbuches seit den 1890er Jahren durchaus präsent waren 3 , dürfte dabei in den Praktiken der Straffälligenhilfe selbst begründet gewesen sein: Das Repertoire von Erziehung und Disziplinierung konnte seine Wirkung nur entfalten, wenn von einer grundsätzlichen Besserungsfähigkeit seiner Objekte ausgegangen wurde. «Kranke» oder «degenerierte» Verbrecher und Verbrecherinnen entsprachen nicht dieser Kategorie und bedurften daher anderer Formen der Versorgung bzw. Verwahrung. Die weitgehende Absenz medizinischer Erklärungsansätze in der Basler Patronagekommission dürfte auch in ihrer Mitgliederzusammensetzung begründet sein. Anders als in der Trägerschaft des transnationalen Gefängnisreformdiskurses, wie sie von Thomas Nutz umrissen wurde, fanden sich nämlich in der Patronagekommission kaum Naturwissenschaftler oder Mediziner. Die Ausnahme bildete der Strafanstaltsarzt, der von Amts wegen Kommissionsmitglied war, aber darüber hinaus augenscheinlich wenig Einfluss entfaltete. Wie eingangs vermutet waren es vielmehr die «Praktiker», also Anstaltsgeistliche und -direktoren sowie die Philanthropen, welche die praktische Straffälligenhilfe prägten. 4 Dies bedeutet nicht, dass die Basler Zuchtanstalts- und Patronagekommission keinen Beitrag zur Verwissenschaftlichung der Beschäftigung mit Straffälligen leistete. Wie mehrfach deutlich wurde, beteiligen sich auch die Basler Straffälligenhelfer an der Erhebung verschiedenster Daten über Straftäter und -täterinnen, wie sie innerhalb der Gefängnisreformbewegung weit verbreitet war. Das so gesammelte Wissen floss in Basel beispielsweise bei den Entscheiden, nur noch jugendliche Straffällige zu betreuen oder auf eine Unterstützung Rückfälliger zu verzichten, in die Praktiken der Patronagekommission ein. Die Erhebung von Daten diente dabei immer auch der Akkumulierung von Wissen, was den beteiligten Akteuren ermöglichte, sich zu Experten eines Feldes aufzuschwingen, welches wissenschaftlich noch wenig erschlossen war. Während dies in einem europäischen Kontext zur Etablierung der Kriminologie als Wissenschaft führte, lässt sich in Basel der Erfolg solcher Strategien eher an konkreten Beispielen ablesen: Die Einbindung von Philanthropen in die neugegründete Strafanstaltskommission 1833 zeugt eindeutig davon, dass die Basler Regierung die Erfahrung der privaten Straffälligenhelfer wertschätzen und nutzen wollte. Aber auch an Einzelpersonen wie Peter Stähelin oder Bernhard Riggenbach, die jeweils auf die ihnen mögliche Art am transnationalen Gefängnisreformdiskurs 3 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 113-119. 4 N UTZ , Besserungsmaschine, S. 238-262. <?page no="257"?> 258 teilnahmen, zeigt sich die Wirkung einer verwissenschaftlichten Herangehensweise an die Straffälligenhilfe. Überhaupt übten einzelne Personen immer wieder großen Einfluss auf die Entwicklung des Strafvollzugs und der Straffälligenhilfe in Basel aus - seien es die Strafanstaltspfarrer, mit deren Engagement die Straffälligenhilfe stand und fiel, die langjährigen Vorsteher der Zuchtanstalts- und Patronagekommission, wie Daniel Bernoulli und Peter Stähelin, Personen wie August La Roche-Burckhardt, der durch seine berufliche und philanthropische Tätigkeit jahrzehntelang die zentrale Figur des Basler Strafvollzugs darstellte, oder Bernhard Riggenbach und Karl Stückelberger, welche die nationale und transnationale Vernetzung der Basler Straffälligenhilfe in die Hand nahmen: Immer wieder waren es einzelne Männer, die Reformen vorantrieben oder blockierten und so Entwicklungen prägten. Das Fehlen eines verbindlichen, zielgerichteten Programms für die Reform des Basler Strafvollzugs eröffnete also auch auf der Ebene der Philanthropen und Behördenmitglieder eine Vielzahl von Handlungsspielräumen. Dabei fand auch eine Expertenbildung statt, indem sich die einzelnen Akteure sukzessive Wissen und Erfahrungswerte im Bereich des Strafvollzugs aneigneten. Unterstrichen wird diese Feststellung durch die zunehmende Spezialisierung einzelner Exponenten innerhalb der GGG im Laufe des 19. Jahrhunderts, welche wiederum die schrittweise Professionalisierung der Diskurse zu Gefängnisreform und Strafvollzug spiegelte. 5 Der Anspruch der Patronagekommission, die während des Strafvollzugs begonnene Erziehung der Sträflinge nach ihren eigenen Normvorstellungen - insbesondere bezüglich Arbeitstätigkeit und Religiosität - auch nach deren Entlassung fortzuführen, lässt sich einem gouvernementalistischen Prinzip zuordnen. So versuchten die Philanthropen - wie auch die Philanthropinnen des Frauenvereins - in Zusammenarbeit mit den Behörden und den Geistlichen ein Netz der fortgesetzten Kontrolle zu etablieren, welchem die verurteilten Straftäter und -täterinnen bis weit nach ihrer Entlassung unterworfen bleiben würden. Der Lebenswandel von Menschen, die straffällig geworden waren, sollte so auf längere Sicht überwacht und reguliert werden, um ihr Verhalten an die Normen der bürgerlichen Gesellschaft anzupassen - soweit zumindest die Theorie. In der Praxis gelang dies weder innernoch außerhalb der Strafanstalt nach Wunsch. Zum einen war dies sicher den Straffälligen selbst zuzuschreiben. Sie zeigten wenig Interesse, sich auf die Ansprüche und Vorgaben der Patronagekommission einzulassen, entwickelten aber gleichzeitig bemerkenswerte Strategien, dennoch von den Praktiken der Straffälligenhilfe zu profitieren. Deutlich wurde dies insbesondere gegen Ende des Untersuchungszeitraums mit den Elsässer Strohflechtern, die nach ihrer Entlassung die Strafanstaltsarbeit konkurrierten, oder denjenigen ehemaligen Sträflingen, welche die Patronagekommission noch Jahre nach ihrer Entlassung um finanzielle Unterstützung angingen. Dies unterstreicht wiederum die Handlungsspielräume Straffälliger, die gezielt Elemente vorhandener Angebote nutzten, ohne sich gleichzeitig den Ansprüchen der philanthropischen Trägerschaft zu 5 G ERMANN , Kampf dem Verbrechen, S. 32f. <?page no="258"?> 259 beugen. Damit öffnet die Basler Straffälligenhilfe auch den Blick auf Dynamiken zwischen Gebenden und Empfangenden, die über das gemeinhin der Philanthropie zugeschriebene klar hierarchische Verhältnis hinausgehen. Zum anderen verfügte die Patronagekommission über keinerlei disziplinarische Mittel, ihre Ansprüche durchzusetzen - von der kurzen Phase in den 1840er Jahren abgesehen, in welcher sie die Ersparnisse der Entlassenen verwalten konnte. Als einzige Möglichkeit wäre ihr daher offen gestanden, Unterstützungsleistungen an bestimmte Verhaltensvorgaben zu knüpfen und bei Nichtbeachtung einzustellen. Wie verschiedene Beispiele gezeigt haben, erachtete die Kommission dies aber meist nicht als notwendig. Stattdessen beklagte sie Jahr für Jahr ihre fehlenden Erfolge und die Undankbarkeit der Entlassenen, ohne ihre Praxis grundlegend zu verändern. Letztlich blieb es so in der Basler Straffälligenhilfe bei einer Unterteilung in private Fürsorge und staatliche Disziplinierung. Ganz anders gestaltete sich die Schutzaufsicht derweil im Kanton St. Gallen, wo die privaten Schutzaufseher dank einem gesetzlichen Auftrag über deutlich weitreichendere Kompetenzen verfügten. 6 Dies illustriert das breite Spektrum von Schutzaufsicht und Entlassenenfürsorge, welches sowohl stark disziplinierende als auch primär unterstützende Maßnahmen umfasste. Beispiele aus anderen Kantonen wie Bern, Genf oder Waadt zeigen auch, dass den selbständigen Schutzaufsichtsvereinen ohne gesetzliche Legitimierung meist eine kurze Lebensdauer beschieden war, wobei finanzielle Schwierigkeiten und rapider Mitgliederschwund die Hauptprobleme waren. Über beides brauchte sich die Basler Patronagekommission dank der Unterstützung der GGG keine Sorgen zu machen. Dies erklärt zwar, weswegen die Kommission trotz ausbleibendem Erfolg weiterbestehen konnte, nicht aber, welche Beweggründe sie zu einem Weitermachen veranlassten. Dabei spielten sicher persönliche Überzeugungen der Akteure eine Rolle oder auch die Tatsache, dass die Kommission im Laufe der Jahre immer wieder Menschen fand, die keine andere Unterstützung mehr erhielten und denen sie sich annehmen konnte. Insbesondere ist das Fortbestehen der Patronagekommission aber ein Zeichen dafür, wie stark die Philanthropie des 19. Jahrhunderts zum eigentlichen Selbstzweck wurde. Philanthropisches Engagement stellte zunächst fraglos eine Reaktion auf das beobachtete Elend bedürftiger Bevölkerungsschichten dar, wie auch in der Straffälligenhilfe die festgestellten Probleme Auslöser des Engagements der GGG gewesen waren. Nachdem jedoch die dringendsten Veränderungen angegangen und von den Behörden übernommen worden waren, machte sich die Zuchtanstaltskommission auf die Suche nach einer neuen Klientel. So schuf sie sich das neue Betätigungsfeld der Entlassenenfürsorge, an welchem sie gegen sämtliche Widerstände festhielt. Ähnliche Dynamiken liegen der sukzessiven Ausdehnung ihrer Tätigkeit auf entlassene Zwangsarbeiter zugrunde oder auch der Ausweitung des Engagements des Frauenvereins auf die Familien bedürftiger Sträflinge. Stets ging es auch darum, sich durch den Fokus auf eine neue Gruppe von Menschen des eigenen 6 K ELLER , Strafvollzug und Fürsorge. <?page no="259"?> 260 Nutzens zu versichern und so das weitere Bestehen zu legitimieren. Dabei gilt es sich bewusst zu machen, dass das philanthropische Engagement für die beteiligten Gruppen in vielerlei Hinsicht attraktiv war. Vor allem anderen erlaubte es Zugang zu etablierten, mächtigen Bevölkerungsschichten, was insbesondere für von der Marginalisierung bedrohte Eliten eine zentrale Rolle spielte. Weiter ermöglichte die Philanthropie die Vermittlung und Bekräftigung eigener Wertesysteme und damit in längerfristiger Perspektive die Absicherung einer bereits vorhandenen Vormachtstellung. Die strafvollzugsnahe Philanthropie brachte dabei spezifische Vorteile für diejenigen Gruppen mit, welche im gesamten 19. Jahrhundert den Löwenanteil der Mitglieder der Zuchtanstalts- und Patronagekommission stellten. Für die Juristen bot ihr Engagement die Gelegenheit, bis zu einem gewissen Grad auf den Strafvollzug Einfluss zu nehmen, sich Expertise in einem speziellen Feld ihres Berufszweigs anzueignen und gleichzeitig mit arrivierten Richtern oder Staatsanwälten in Kontakt zu treten. Fabrikanten und Vertreter der (Textil-)Wirtschaft schufen sich einen Zugang zu billigen Arbeitskräften und in Einzelfällen sogar eine billige Produktionsstätte innerhalb der Anstalt. Den protestantischen Geistlichen schließlich bot die Straffälligenhilfe insbesondere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Möglichkeit, sich bereits früh in ihrem Berufsleben eine Einflusssphäre zu schaffen und sich Spezialwissen anzueignen. Auch bei den Mitgliedern des Frauenvereins ist nicht von rein altruistischen Motiven ihres Engagements auszugehen. Die Philanthropie ermöglichte bürgerlichen Frauen, ihre Handlungs- und Gestaltungsspielräume zu erweitern und ein Stück weit aus der ihnen im bürgerlichen Geschlechterdualismus zugewiesenen privaten Sphäre auszubrechen. Vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewegten sie sich aber auch dabei im Normalfall in von Männern dominierten Kontexten und übernahmen oft weiblich konnotierte Tätigkeiten, wie beispielsweise die Krankenpflege. 7 Auch in der Basler Straffälligenhilfe gingen die Männer voran und rekrutierten zunächst wohl ihre Frauen und Töchter für das Engagement für die weiblichen Sträflinge. Rasch begann sich aber der Frauenverein losgelöst von der Zuchtanstaltskommission zu entwickeln und bewegte sich jahrzehntelang unter dem Radar der männlichen Philanthropen und der Strafvollzugsbehörden. Er entwickelte eine eigene Organisationsform und war nicht bereit, sich ohne Weiteres der Autorität des Strafanstaltspfarrers zu unterwerfen. Dabei war der Frauenverein phasenweise erfolgreicher als die Patronagekommission und avancierte in den 1860er Jahren gar zum Vorbild der männlichen Philanthropen. Damit zeigt das Basler Beispiel, wie sich bürgerliche Frauen Nischen innerhalb des philanthropischen Engagements schaffen konnten, innerhalb derer sie relativ autonom walteten. Dass sich diese Nischen in der strafvollzugsnahen Philanthropie ergaben, dürfte dabei sowohl mit dem Einfluss von Elizabeth Fry zusammenhängen als auch mit der Tatsache, dass sich philanthropisch engagierte Männer, beispielsweise in Bern und Zürich, erst relativ spät der Straffälligenhilfe 7 M ESMER , Ausgeklammert - eingeklammert, S. 4-66. <?page no="260"?> 261 zuwandten bzw. ihr nicht dieselbe Bedeutung zumaßen wie anderen Engagements. Die Betreuung und Beaufsichtigung weiblicher Straffälliger erlaubte den bürgerlichen Frauen auch, diejenigen Themen zu bespielen, die im weiblichen Vereinsengagement gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer wichtiger wurden: Philanthropinnen schwangen sich zu den Hüterinnen der Sexualmoral auf, bekämpften die Prostitution und propagierten ihre Sittlichkeitsvorstellungen in verschiedener Weise. Der Zugriff auf kriminelle Frauen, bei denen sich insbesondere unter den korrektionell Verurteilten bzw. polizeilich Eingewiesenen viele sogenannte «Liederliche» fanden, schuf ihnen dabei eine breite Einflusssphäre. Unterstrichen wird dies beim Basler Beispiel durch die Ausrichtung des Frauenvereins, der sich im frühen 20. Jahrhundert verstärkt den Vereinen zur Hebung der Sittlichkeit annäherte. Obwohl es ihnen in der Praxis meist nicht gelang, ihre Anforderungen an das Verhalten der Verurteilten durchzusetzen, ist es bemerkenswert, wie weit die Zuchtanstalts- und später auch die Patronagekommission zu gehen bereit war, um die Straffälligen gemäß ihren Normvorstellungen zu erziehen. Neben einer kompletten Missachtung jeglicher Form von Privatsphäre und bis zu einem gewissen Grad von Selbstbestimmung der Verurteilten, ist hierbei insbesondere der Umgang mit der Arbeitstätigkeit bzw. der Zwang zur Arbeit zu nennen. Bereits die erste Maßnahme, welche die Kommission einführte, fokussierte mit dem Mehrverdienstreglement auf diesen Bereich. Während die Möglichkeit, sich einen Verdienstanteil zu erarbeiten sicher auch eine gewisse Chance für die Häftlinge darstellte, ist nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei diesem System um eine rigorose Disziplinierungsmaßnahme handelte. In der Theorie kam der willkommene Nebeneffekt hinzu, dass die Sträflinge nach ihrer Entlassung über gewisse Finanzmittel verfügen und daher nicht auf die Armenkasse oder andere Institutionen angewiesen sein würden. Dies gelang jedoch nicht, wie die immer wieder ausbezahlten Finanzhilfen für Entlassene deutlich machten. Konsequenterweise versuchten die Philanthropen also den Arbeitszwang auszudehnen, was im gescheiterten Projekt der Errichtung einer Zwangsarbeitsanstalt gipfelte. In der Praxis blieb von diesen strengen Ansprüchen wenig übrig - ein kleiner Teil der Entlassenen wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts an Zwangsarbeitsanstalten anderer Kantone vermittelt und in Einzelfällen strich die Patronagekommission die weitere Unterstützung für Personen, die sich nicht an ihre Vorgaben hielten. Dies blieben aber Ausnahmen, während der größte Teil der Entlassenen, die dies wünschten, auch weiterhin ihre Unterstützungsleistungen erhielt, ohne dafür bestimmten Regeln zu folgen. Dass es der Patronagekommission und später auch dem Anstaltspfarrer nicht gelang, eine wirkliche Kontrollsphäre aufzubauen, war aber nicht nur ihrem Vorgehen oder der fehlenden gesetzlichen Regulierung geschuldet, sondern auch der Lage Basels als Grenzstadt. Bei den aus der Strafanstalt entlassenen Ausländern und Ausländerinnen sowie Angehörigen anderer Kantone blieb der Kommission <?page no="261"?> 262 meist nichts anderes übrig, als diese mit neuer Kleidung auszustatten und mit einem Beitrag an die Fahrtkosten ihrer Wege ziehen zu lassen. Ein weiteres geographisch bedingtes Problem bestand im kleinen Stadt- und ab 1833 Kantonsgebiet, welches die Unterbringung Entlassener erschwerte. Beiden Problemen versuchte die Patronagekommission bereits Ende der 1830er Jahre durch eine Anzahl von Verträgen mit Schutzaufsichtsvereinen aus dem In- und Ausland zu begegnen, welche die Überweisung von Entlassenen aus anderen Gebieten regulierten. Wie deutlich wurde, entfalteten diese aber zunächst nur eine geringe Wirksamkeit. Dies hinderte die Patronagekommission aber nicht daran, auf eigene Faust die Unterbringung von Entlassenen im angrenzenden Ausland zu organisieren. Sie vermittelte Schweizer Staatsangehörigen Stellen oder Plätze in Versorgungsanstalten in deutschen und französischen Gebieten und überwies Ausländer und Ausländerinnen in ihre jeweilige Heimat. Obwohl diese Fälle nur einen kleinen Teil der Gesamtzahl der Betreuten ausmachten, ist die ihnen zugrunde liegende Haltung bemerkenswert: Die Patronagekommission bewegte sich völlig selbstverständlich im deutsch-französisch-schweizerischen Grenzraum, ohne sich weiter um nationale Grenzziehungen zu kümmern. Gleiches gilt für den Frauenverein, der sich in den 1860er Jahren an einer Rettungsanstalt im deutschen Tüllingen beteiligte. Mit fortschreitender Institutionalisierung und Vernetzung der Schutzaufsicht in deutschen und schweizerischen Gebieten - die französischen waren für die Basler Straffälligenhelfer aufgrund der veränderten Grenzziehungen nach 1870 nicht mehr von Interesse - wuchs auch das Bedürfnis der Patronagekommission, ihre Tätigkeit im Grenzraum vertraglich abzusichern. Dabei begegnete sie größeren Kooperationsprojekten und insbesondere der mit ihnen einhergehenden Bürokratie zunächst mit Skepsis und gewichtete die regionale Nähe deutlich höher als die nationale Zugehörigkeit. Ergebnis dieser Herangehensweise war der Vertrag zwischen der Basler Patronagekommission und dem Landesverband badischer Schutzvereine 1886, der als erstes internationales Schutzaufsichtskonkordat zur Anerkennung und Nachahmung gelangte. Sein Abschluss demonstriert den Pragmatismus der Basler Straffälligenhelfer, die immer wieder nach Lösungen suchten, welche ihren Bedürfnissen und den lokalen Verhältnissen angepasst waren, dabei aber den Blick über die Landesgrenzen nicht außer Acht ließen. So illustrieren das Schutzaufsichtskonkordat von 1886 und die auf seinem Vorbild basierenden weiteren internationalen Verträge, auf welche Weise lokale Logiken und Verhältnisse, die fraglos von internationalen Geschehnissen geprägt wurden, ihrerseits transnationale Diskurse beeinflussen konnten. Im Sinne von Revels «jeux d’echelles» erlaubt es hier die Verknüpfung der lokalen mit einer transnationalen Analyseebene, die Entstehung von Reformideen nachzuzeichnen und zu verstehen. Eine ähnlich pragmatische Haltung zieht sich auch auf der Seite der Basler Strafvollzugsbehörden durch das 19. Jahrhundert hindurch. So ließen sich die Mitglieder der Basler Regierung und der Zuchtbzw. Strafanstaltsleitung zwar fraglos vom transnationalen Diskurs der Gefängnisreform und Straffälligenhilfe <?page no="262"?> 263 oder von konkreten Beispielen aus anderen Regionen inspirieren. In der Umsetzung gewichteten sie aber stets die lokalen Bedingtheiten höher als die kursierenden Reformideen. Dies zeigte sich augenfällig beim Neubau des Schällemätteli: Nach eingehender Prüfung kombinierten die Akteure Elemente verschiedener Strafvollzugssysteme und realisierten eine Lösung, die den lokalen Verhältnissen und Möglichkeiten angepasst war. Vergleichbare Dynamiken sind beispielsweise bei der Trennung des Zucht- und Waisenhauses oder bei der Frage der Schaffung einer Zuchtanstaltskirche zu beobachten. Parallel zur nationalen und internationalen Anerkennung des Schutzaufsichtskonkordats zwischen den Basler und den Badener Straffälligenhelfern schwand sukzessive die Skepsis der Basler Philanthropen gegenüber nationalen Vernetzungsprojekten, was sowohl in der Projektierung eines gesamtschweizerischen Strafgesetzbuches als auch in einer vermehrten nationalen Anschließung der deutschen Straffälligenhilfe begründet lag. Die Basler Anstaltspfarrer Riggenbach und Stückelberger prägten die Geschichte des SVSG und später des SVSGS durch ihre Mitgliedschaft im Vorstand und durch verschiedene Referate mit. Dennoch setzte die Patronagekommission bei der Frage des Abschlusses eines interkantonalen Schutzaufsichtskonkordats erneut auf Eigeninitiative, statt den Entscheid des Dachverbandes abzuwarten. Mit diesem Konkordat und der damit verbundenen Professionalisierung der Schutzaufsicht läutete sie eine neue Phase der Stadtbasler Straffälligenhilfe ein, in welcher sie primär als Geldgeber fungierte. So erreichten die Basler Philanthropen ihr Ziel der Etablierung einer möglichst umfassenden Entlassenenfürsorge letztlich durch ihren weitgehenden Rückzug. Faktisch war dies auch ein Eingeständnis ihres Scheiterns, hatten sie doch über Jahrzehnte verschiedene Strategien ausprobiert, mit welchen sie nicht annähernd an die Erfolgsquote des Anstaltspfarrers und später des Zentralagenten herangekommen waren. Dieses Muster, dass sie ihre Ziele erst im Rückzug erreichten, hatte sich auch im Falle der Zuchtanstaltskommission und der Maßnahmen innerhalb der Anstalt gezeigt: Hier war es die Übernahme durch die Behörden gewesen, welche die definitive Etablierung des Mehrverdienstreglements und des Schulunterrichts vorangetrieben hatte. Die Basler Straffälligenhilfe dient damit auch als Linse auf die langwierigen Ausscheidungsprozesse zwischen privater, staatlicher und kirchlicher Wohlfahrtsproduktion, die im 19. Jahrhundert einsetzten und im 20. Jahrhundert Fahrt aufnahmen. Stetige Aushandlungs- und Anpassungsprozesse prägten die Praktiken und Rahmenbedingungen philanthropischer Angebote im Umfeld des Strafvollzugs, wobei die Akteure und Akteurinnen sich kontinuierlich neue Nischen innerhalb der sich wandelnden Systeme schufen. Dabei verschoben sich auch immer wieder die Grenzen staatlicher, privater und kirchlicher Einfluss- und Verantwortungsbereiche, wobei der Grundsatz, dass fürsorgerische Angebote im privaten und geistlichen Zuständigkeitsbereich angesiedelt waren, bestehen blieb. Diese Dynamiken bildeten den Rahmen, innerhalb dessen sich die Ideen des transnationalen Gefängnisreformdiskurses umsetzen ließen. Erst der Einbezug unter- <?page no="263"?> 264 schiedlicher Ebenen erlaubt es also, die Reformen und Veränderungen in der Basler Straffälligenhilfe des 19. Jahrhunderts nachzuvollziehen - ein deutlicher Hinweis darauf, lokale Verhältnisse und Bedingtheiten nicht aus den Augen zu verlieren. <?page no="264"?> 265 8 Abkürzungs- und Institutionenverzeichnis BS Basel-Stadt GGG Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen Basel HLS Historisches Lexikon der Schweiz JB Frauenverein Bericht über die Thätigkeit des Frauenvereins für weibliche Gefangene 1886-1918, Basel 1887-1919 JB GGG Geschichte der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen in Basel 1 (1776)-189 (1964), Basel 1777- 1965 JB SG Jahresberichte des Kommitte des St. Gallischen Schutzaufsichtvereins für entlassene Sträflinge 1839-1899, St. Gallen 1840- 1900 GR BS Großer Rat Basel(-Stadt) KR BS Kleiner Rat Basel(-Stadt) NB Schweizerische Nationalbibliothek Patronagekommission Kommission zur Berathung und Versorgung ausgetretener Züchtlinge Basel RR BS Regierungsrat Basel-Stadt SGG Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft StABS Staatsarchiv Basel-Stadt StABS AHA Staatsarchiv Basel-Stadt, Älteres Hauptarchiv StABS NA Staatsarchiv Basel-Stadt, Ältere Nebenarchive StABS PA Staatsarchiv Basel-Stadt, Privatarchive STK Strafanstaltskommission, Leitungs- und Aufsichtsgremium der Zuchtanstalt/ Strafanstalt Basel 1832-1877 SVSG Schweizerischer Verein für Straf- und Gefängniswesen SVSGS Schweizerischer Verein für Straf-, Gefängniswesen und Schutzaufsicht <?page no="265"?> 266 Verhandlungen SVSG Verhandlungen des Schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängniswesen 1867- 1903, Zürich 1868-1904 Verhandlungen SVSGS Verhandlungen des Schweizerischen Vereins für Straf-, Gefängniswesen und Schutzaufsicht 1904-1950, Aarau 1905-1951 Zuchtanstaltskommission Kommission zur Mitwirkung bey löblicher Zuchtanstalt Basel Zuchtanstaltsinspektion Leitungs- und Aufsichtsgremium der Zuchtanstalt Basel 1806-1832 <?page no="266"?> 267 9 Quellen- und Literaturverzeichnis 9.1 Ungedruckte Quellen Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. 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StABS AHA Straf und Polizei, Z 28 Jahresberichte des Geistlichen 1838-1909. StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.1 Die Geschichte der Strafanstalt Basel-Stadt, Teil 1 (1946). StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.2, Die Geschichte der Strafanstalt Basel-Stadt, Teil 2 (1946). StABS NA Waisenhausarchiv, A 2 Hieronymus Falkeisen, Geschichte und Einrichtung des löbl. Waisenhauses zu Basel, Manuskript. StABS PA 146a Archiv der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und des Gemeinnützigen in Basel (1771-1977), U 3 Mitwirkung an der Zucht- und Arbeitsanstalt 1821-1832. StABS PA 146a Archiv der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und des Gemeinnützigen in Basel (1771-1977), U 4.1 Allgemeines und Einzelnes 1832-1953. 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W ILLIAMS E LLIOTT , Dorice, The Angel Out of the House. Philanthropy and Gender in Nineteenth-Century England, Charlottesville 2002. <?page no="282"?> 283 Anhang Anhang 1: Mitglieder der Zuchtanstaltskommission 1821-1833 und der Patronagekommission 1833-1911 1 Name 2 Vorname Beruf/ Amt 3 Mitgliedschaft, Zeitraum Funktion 4 Quelle 5 Von Brunn Johann Jacob Pfarrer 1821 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ BrnNf.p df Burckhardt (-Geylinger; -Im Hof) 6 Peter Kriminalrichter/ Ratsherr 1821 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stBu_f/ BuS_r.pd f Merian (-Thurneysen) Peter Prof. der Geologie 1821- 1822 http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D7175.php; http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stMe_f/ MeE_f.p df 1 Basierend auf JB GGG 45 (1821)-135 (1911), teils ergänzt durch weiterführende Angaben von stroux.org oder aus dem HLS (vgl. Spalte «Quelle»). 2 Bei Wechsel des Doppelnamens im Laufe der Mitgliedschaftsdauer wird dies mit Klammern markiert. 3 Beruf und/ oder politisches Amt wie in JB GGG angegeben. 4 Funktion innerhalb der Kommission oder der Strafanstalt inkl. Zeitraum von deren Ausübung. 5 Verweis zum Stammbaum unter stroux.org oder zum HLS-Artikel soweit vorhanden. Eine Zuordnung erfolgt nur, wenn sie aufgrund von Berufsangaben, Doppelnamen und/ oder Lebensdaten zweifelsfrei möglich ist. 6 Auch Mitglied der Zuchtanstaltsinspektion bzw. der STK. Vgl. unten, Anhang 2: Mitglieder der Zuchtanstaltsinspektion 1812-1833 und der STK 1833-1874, S. 292. <?page no="283"?> 284 Burckhardt (-Paravicini) Carl Grossrat/ Zivilgerichtspräsident 1821- 1823 http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D7163.php; http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stBu_f/ Bu10_f.p df Sarasin Felix Baumwollfabrikant 1821- 1825 http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D7180.php; http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stSa_f/ SaF_f.pdf Bischoff- Buxtorf 6 Peter Appellationsrat 1821- 1831 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ BiP_f.p df Fürstenberger- De Bary Johann Georg Gerichtsherr 1821- 1831 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ FbEf.pd f Bischoff-Respinger Hieronymus Bankier/ Präsident des Stadtrats 1821- 1831 http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D29907.php; http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ BiJ_f.pd f Bischoff-Keller Andreas Major/ Tuchhändler/ Stadtrat 1821- 1831 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ BiJ_f.pd f Burckhardt Jakob Obersthelfer 1821- 1831 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stBu_f/ Bu26_f.p df <?page no="284"?> 285 Bernoulli 6 Daniel Appellationsrat/ Kriminalrichter 1821- 1836 Kommissionsvorsteher 1821-1836 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ BnK_f.p df Passavant Theophil Pfarrer 1821, 1829- 1831, 1837- 1841 Strafanstaltspfarrer 1821, 1829/ 30- 1841 http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D10780.php; http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ PsL_f.p df Stähelin (-Bischoff; -Stückelberger) Peter Pfarrer 1821, 1834- 1861 Kommissionsvorsteher 1837-1860 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stSn_f/ Sn064_r. pdf Grunauer Pfarrer 1822- 1823 Iselin-Burckhardt 6 Isaac Achilles 1822- 1831 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ Is91_f.p df Siber-Bischoff 6 Christoph Heinrich 1823- 1831 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ LdH_f. pdf Burckhardt Carl Pfarrer 1824- 1826 Ryhiner-Bischoff Samuel Kaufmann/ Präsident des Appellationsgerichts 1824- 1829 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ RhK_f. pdf <?page no="285"?> 286 Stähelin Balthasar Pfarrer 1827- 1828 Strafanstaltspfarrer 1827-1829 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stSn_f/ Sn180_u. pdf Heusler Andreas Prof. Dr. iur./ Grossrat 1830- 1833 http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D7166.php; http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ HrK_f.p df Burckhardt (-Hess) Christoph Jurist/ Ratsherr 1830- 1834 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stBu_f/ Bu13_r.p df Burckhardt- Forcart 6 Daniel Bandfabrikant/ Grossrat/ Stadtrat 1832 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stBu_f/ Bu35_f.p df La Roche (-Burckhardt) 6 August Appellationsrat/ Zivilgerichtspräsident 1832- 1860 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ RcU_f.p df Stähelin (-Bischoff) Johann Christoph Pfarrer 1833- 1840 Strafanstaltspfarrer 1832-1839 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stSn_f/ Sn064_r. pdf Thurneysen (-Ryhiner) Eugen Kaufmann 1837- 1844 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stTu_f/ TuH_f.p df Burckhardt (-Dick) August Arzt 1837- 1861 Hausarzt der Strafanstalt 1835-1861 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stBu_f/ BuY_f.p df <?page no="286"?> 287 Stückelberger Karl-Ulrich Pfarrer 1841- 1850 Strafanstaltspfarrer 1842-1850 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ SuL_f.p df Riggenbach Christoph Architekt 1842- 1851 http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D19915.php; http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ RbM_f. pdf Bischoff (-Merian) Wilhelm Bandfabrikant 1845- 1855 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ BiP_f.p df Müller (-Stähelin) Johann Architekt 1852- 1858 Eglinger Emanuel Pfarrer 1854- 1865 Kommissionsvorsteher 1861-1865; Strafanstaltspfarrer 1851-1865 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ EgE_f.p df Beck-Bernard 6 Carl 1855 Bischoff (-Ehinger) 6 Andreas Kaufmann 1856- 1857 http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D29908.php; http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ BiJ_f.pd f Burckhardt Adolf Jurist/ Präsident des Waisenamts 1858- 1870 Kommissionsvorsteher 1866-1870 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stBu_f/ Bu13_r.p df <?page no="287"?> 288 Thurneysen (-Gemuseus) Eduard Strafgerichtspräsident 1859- 1867 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stTu_f/ TuH_f.p df Von Salis (-Weitnauer) Johann Jakob Pfarrer 1860- 1898 Strafanstaltsdirektor 1860-1899 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stBu_f/ Bu20_f.p df Preiswerk (-Burckhardt; -Groben) Eduard Kaufmann/ Mitglied des Zivilgerichts/ Grossrat 1861- 1880 Kommissionsvorsteher 1871-1880 http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D29905.php; http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stPr_f/ Pr28_r.p df Scheuchzer (-Dürr) August 1861- 1895 Rosenburger Arn. Dr. med. 1862- 1868 Rieder-Frey Samuel Baumeister 1866- 1880 Deggeler Bernhard 1868- 1886 Hoffmann-Merian Fritz Bandfabrikant 1869- 1884 Kommissionsvorsteher 1881-1884 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ HfM_r. pdf Temme Richard 1871- 1882 Sarasin-Iselin Wilhelm Bandfabrikant/ Grossrat 1881 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stSa_f/ SaK_r.pd f <?page no="288"?> 289 Burckhardt Emil Advokat/ Oberstleutnant 1881- 1888 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stBu_f/ Bu71_f.p df Oser (-Hauser) Friedrich Heinrich Pfarrer 1882- 1883 Strafanstaltspfarrer 1867-1884 http: / / www.hls-dhsdss.ch/ textes/ d/ D28256.php; http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stWa_f/ WaA_r. pdf La Roche Franz 1883- 1890 Kommissionsvorsteher 1885-1890 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ RcT_f.p df Riggenbach (-Imhof; -Oser) Bernhard Pfarrer 1884- 1894 Strafanstaltspfarrer 1884-1894 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ RbM_f. pdf Von der Mühll Georg Kaufmann 1887- 1895 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ MuL_f. pdf Burckhardt- Grossmann Heinrich 1887- 1897 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stBu_f/ Bu24_r.p df Frey Hermann Pfarrer 1889- 1890 Rüsch (-Burckhardt) Ferdinand Jurist 1891- 1901 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stBu_f/ Bu04_f.p df <?page no="289"?> 290 Iselin Theophil Pfarrer 1891- 1911 7 Kommissionsvorsteher 1891-1911 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ IsR_r.p df Stückelberger (-Preiswerk) Karl Pfarrer 1894- 1911 7 Strafanstaltspfarrer 1894-1923 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ SuR_f.p df Baur-Dietz 1896- 1911 7 Heusler-Veillon Rudolf Bandfabrikant 1896- 1911 7 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stQV_f/ HrL_f.p df Hübscher Karl Zivilgerichtspräsident 1898- 1911 7 Meyer-Lieb Paul 1899- 1904 Fetscherin Rud. 1899- 1911 7 Hoch-Quinche 1899- 1911 7 Müller-Oberer 1899- 1911 7 Stähelin (-Lieb) Gustav Pfarrer 1899- 1911 7 http: / / www.stroux.or g/ patriz_f/ stSn_f/ Sn206_r. pdf 7 1911 ist das letzte Jahr, für welches für die vorliegende Tabelle Daten erhoben wurden. <?page no="290"?> 291 Widmer David Lehrer 1899- 1911 7 Strafanstaltsdirektor 1899-1923 Hasler-Jöhle Joh. 1905- 1911 7 Häberli-Meyer Emil 1905- 1911 7 Döbeli Pfarrer 1908- 1911 7 <?page no="291"?> 292 Anhang 2: Mitglieder der Zuchtanstaltsinspektion 1812-1833 und der STK 1833-1874 8 Name 9 Vorname Beruf/ Amt 10 Mitgliedschaft, Zeitraum Funktion 11 Quelle 12 Burckhardt Christof 1812 Stehelin 1812 Präsident 1812 Meyer Johannes 1812-1814 Burckhardt Em. Deputat 1812-1815 Präsident 1814 Gysendörffer Distriktsstatthalter 1812-1816 Mitz D. Notar/ Waisenvater 1814-1820 Sekretär 1814-1820 Raillard Jeremias Deputat/ Ratsherr 1814-1822 Präsident 1815-1822 Fäsch-Bauler 1815-1818 Wenk M. de K. Wilhelm Ratsherr 1816-1817 Wieland Joh. Oberstleutnant/ Statthalter 1817-1832 8 Basierend auf StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.1, Die Zusammensetzung der Strafanstaltskommissionen 1812-1943, S. 1-6, teils ergänzt durch weiterführende Angaben von stroux.org oder aus dem HLS (vgl. Spalte «Quelle»). 9 Bei Wechsel des Doppelnamens im Laufe der Mitgliedschaftsdauer wird dies mit Klammern markiert. 10 Beruf und/ oder politisches Amt wie in StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.1, Die Zusammensetzung der Strafanstaltskommissionen 1812-1943, S. 1-6 angegeben. 11 Funktion innerhalb der Zuchtanstaltsinspektion bzw. der STK. 12 Verweis zum Stammbaum unter stroux.org oder zum HLS-Artikel soweit vorhanden. Eine Zuordnung erfolgt nur, wenn sie aufgrund von Berufsangaben, Doppelnamen und/ oder Lebensdaten zweifelsfrei möglich ist. <?page no="292"?> 293 Huber-Iselin Chr. 1818-1822 Wenk-Raillard Martin 1818-1822 Bischoff-Debary Joh. 1818-1824 Gemuseus Balthasar Ratsherr 1818-1826 Präsident 1823-1827 Preiswerk- Bernoulli Matthias 1819-1825 Mengis-Brand M. 1821-1830 Aktuar 1821-1822, 1829 Burckhardt (-Geylinger; -Im Hof) 13 Peter Ratsherr 1823-1824/ 1826-1843 Präsident 1832-1843 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stBu_f/ BuS _r.pdf Hess Leonhard Strafanstaltsdirektor 1835-1840 1823-1829/ 1835-1840 Aktuar 1821, 1823-1829 und 1830- 1835 Hübscher Emanuel Ratsherr 1823-1830 Präsident 1828-1830 Richter-Linder Johann Jakob 1825-1826 Burckhardt Gerichtspräsident 1825-1830 Merian Lucas Ratsherr 1827-1830 13 Auch Mitglied der Zuchtanstaltsbzw. Patronagekommission. Vgl. oben, Anhang 1: Mitglieder der Zuchtanstaltskommission 1821-1833 und der Patronagekommission 1833-1911, S. 283. <?page no="293"?> 294 Ryhiner (-Vischer) Christof Grossrat/ Major/ Spinnereibesitzer 1827-1834 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stQV_f/ Rh W_f.pdf Isenthaler Joh. Ludwig 1829 Aktuar 1829 Meyer-Hoffmann Daniel 1829-1830 Aktuar 1829-1830 Minder Ratsherr 1830 Präsident 1830 Bischoff- Buxtorf 13 Peter Appellationsrat 1830-1841 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stQV_f/ BiP _f.pdf Bernoulli 13 Daniel Appellationsrat/ Kriminalrichter 1832-1839 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stQV_f/ Bn K_f.pdf Siber-Bischoff 13 Christoph Heinrich 1832-1850 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stQV_f/ Ld H_f.pdf Iselin-Burckhardt 13 Isaac Achilles 1833-1835 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stQV_f/ Is9 1_f.pdf Burckhardt- Forcart 13 Daniel Bandfabrikant/ Grossrat/ Stadtrat 1833-1836 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stBu_f/ Bu3 5_f.pdf Holzach E. Appellationsrat 1834 <?page no="294"?> 295 Düring Johann Aufseher in der Strafanstalt 1835 Burckhardt August Gerichtspräsident 1835-1850 La Roche (-Burckhardt) 13 August Appellationsrat/ Zivilgerichtspräsident 1836-1853 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stQV_f/ Rc U_f.pdf Hofmann Heinrich Hausmeister in der Strafanstalt 1836-1855 Müller Leonhard 1838- 1840/ 1842- 1850 Bischoff A. Oberstleutnant 1840-1850 Nörbel Josef Strafanstaltsdirektor 1840-1852 1841-1852 Schnell Johannes Zivilgerichtspräsident 1841-1859 http: / / www.hlsdhs-dss.ch/ textes/ d/ D15838.p hp Burckhardt Albrecht Ratsherr 1845-1846 Präsident 1845-1846 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stBu_f/ Bu0 7_r.pdf Burckhardt J. J. Ratsherr 1849 Präsident 1849 Buxtorf-Preiswerk Christian 1850-1854 <?page no="295"?> 296 Bischoff (-Ehinger) 13 Andreas Kaufmann 1850-1863 http: / / www.hlsdhs-dss.ch/ textes/ d/ D29908.p hp; http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stQV_f/ BiJ _f.pdf Burckhardt Emanuel Ratsherr 1850-1867 Präsident 1850-1867 Siber-Heusler 1852-1853 Vischer-Iselin Johann Jakob Strafgerichtspräsident 1852-1863 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stQV_f/ Is N_f.pdf Hübscher Daniel- Gottfried Strafanstaltsdirektor 1852-1860 1853-1860 Iselin-Bischoff Isaak Bandfabrikant 1854-1860 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stQV_f/ Is9 1_f.pdf Beck-Bernard 13 Carl 1855 Vischer-Burckhardt Peter 1855-1872 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stVi_f/ ViY _f.pdf Bischoff-Sarasin Albert Bandfabrikant/ Grossrat/ Strafgerichtspräsident 1859-1863 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stQV_f/ Bi R_r.pdf <?page no="296"?> 297 Rohweder Peter Hausmeister in der Strafanstalt 1859-1863 Thurneysen- Merian Emil Bandfabrikant 1861-1872 http: / / www.stro ux.org/ patriz_f/ stTu_f/ Tu H_f.pdf von Salis Johann Jakob Strafanstaltsdirektor 1860-1899 1861-1874 Heusler Eduard 1865-1869 Bischoff Andreas 1865-1872 Keller J. J. 1865-1872 Halter Niklaus Kaufmann/ Ratsherr 1869-1872 Präsident 1869-1872 http: / / www.hlsdhs-dss.ch/ textes/ d/ D5942.ph p Burckhardt J. J. Staatsanwalt 1870-1872 Burckhardt Gb. D. R. 1874 Präsident 1874 <?page no="297"?> 298 Anhang 3: Finanzen der Zuchtanstaltskommission 1824-1835 und der Patronagekommission 1840-1910 14 Jahr Aktiva total Beitrag der GGG Beiträge von Passivmitgliedern 15 Ausgaben total Fahrtkosten für Entlassene Kosten Kleidung für Entlassene Weitere Unterstützungen für Entlassene 16 1824 17 96.61 (11’292.-) 50.- (5’844.-) - 53.70 (6’276.-) k. A. k. A. 8.40 (982.-) 1830 150.- (17’532.-) 150.- (17’532.-) - 105.95 (12’383.-) k. A. k. A. k. A. 1835 255.54 (29’270.-) 150.- (17’181.-) - 150.30 (17’216.-) k. A. k. A. k. A. 1840 148.17 (17’143.-) 100.- (11’570.-) - 164.40 (19’021.-) 36.10 (4’177.-) 65.70 (7’601.-) 62.60 (7’243.-) 1845 466.40 (54’513.-) 300.- (35’064.-) - 404.85 (47’319.-) k. A. 57.65 (6’738.-) 347.20 (40’581.-) 1850 83.03 (9’805.-) 0.- - 87.32 (10’311.-) k. A. k. A. 66.67 (7’873.-) 1855 397.22 (42’128.-) 200.- (21’211.-) - 378.25 (40’116.-) 198.30 (21’031.-) k. A. 103.30 (10’956.-) 1860 1’153.21 (104’834.-) 0.- - 790.65 (71’875.-) 221.- (20’090.-) 154.- (14’000.-) 184.45 (16’768.-) 1865 1’406.18 (110’320.-) 0.- - 857.65 (67’286.-) 57.- (4’472.-) 272.30 (123’221.-) 142.55 (11’184.-) 1870 1’281.31 (92’304.-) 0.- - 510.10 (36’747.-) k. A. 251.75 (100’113.-) 187.40 (13’500.-) 1875 1’384.76 (72’758.-) 0.- - 882.95 (46’392.-) k. A. 190.- (53’051.-) 375.95 (19’753.-) 1880 1’222.73 (66’692.-) 0.- - 623.75 (34’022.-) k. A. 212.75 (64’929.-) 95.50 (5’209.-) 1885 1’174.03 (63’733.-) 300.- (16’286.-) - 1’038.05 (56’351.-) k. A. 502.70 (157’071.-) 353.- (19’163.-) 1890 1’777.52 (87’759.-) 700.- (34’560.-) - 1’648.47 (81’388.-) 483.75 (23’883.-) 588.15 (154’367.-) 576.57 (28’466.-) 14 Basierend auf den Rechnungen der Zuchtanstaltsbzw. Patronagekommission in JB GGG 48 (1824)-JB GGG 134 (1910). Bis 1845 sind die Geldwerte in alten Franken angegeben, danach in Franken. Um eine gewisse Vergleichbarkeit herzustellen, steht jeweils in Klammern der auf das Jahr 2009 deflationierte Geldwert in CHF. Die Deflationierung erfolgte mittels P FISTER ; S TUDER , Swistoval [15.1.2019], auf Basis des Historischen Lohnindexes. 15 Die Patronagekommission verfügte erst ab 1901 über Passivmitglieder, welche jährliche Beiträge leisteten. 16 Hauptsächlich Kost- und Lehrgelder, Auslösung von Werkzeug/ Arbeitsmaterialien und Auswanderungsunterstützung. Hier nicht aufgeführt sind die weiteren Ausgaben der Kommission, wie Beiträge an die Strafanstalt für Lehrerlöhne, Kosten für die Administration etc. 17 Für das Jahr 1825 sind keine Daten vorhanden, daher wird hier das Jahr 1824 aufgeführt. <?page no="298"?> 299 1895 1’536.05 (72’107.-) 700.- (32’860.-) - 1’258.02 (59’056.-) 114.- (5’352.-) 335.45 (77’231.-) 808.57 (37’957) 1900 2’431.62 (106’306.-) 700.- (30’603.-) - 949.30 (41’502.-) 146.55 (6’407.-) 148.80 (29’145.-) 403.95 (17’660.-) 1905 3’121.31 (126’333.-) 700.- (28’332.-) 1141.50 (46’201.-) 2’686.85 (108’748.-) 188.90 (7’646.-) 1’379.50 (244’639.-) 768.45 (31’102.-) 1910 4’102.18 (140’680.-) 700.- (24’006.-) 1221.- (41’873.-) 3’410.- (116’943.-) 276.20 (9’472.-) 927.70 (121’743.-) 616.10 (21’129.-) <?page no="299"?> 300 Anhang 4: Finanzen der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910 18 Jahr Ausgaben der Strafanstalt Arbeitsertrag der Häftlinge 19 Prozentualer Anteil des Arbeitsertrags an den Ausgaben 1810 7’694.33 (899’310.-) k. A. k. A. 1815 12’036.- (1’406’763.-) k. A. k. A. 1820 11’489.- (1’342’830.-) 4’188.- (489’492.-) 36.45 1825 19’614.- (2’292’476.-) 14’836.- (1’734’026.-) 75.64 1830 20’040.- (2’342’267.-) k. A. k. A. 1835 14’032.51 (1’607’312.-) 4’500.- (515’439.-) 32.07 1840 14’144.07 (1’636’455.-) 3’410.18 (394’554.-) 24.11 1845 18’270.4 (2’135’437.-) 4’614.66 (539’360.-) 25.26 1850 16’280.84 (1’922’515.-) 4’703.93 (555’461.-) 28.89 1855 35’785.63 (3’795’331.-) 9’791.27 (1’038’437.-) 27.36 1860 37’988.46 (3’453’392.-) 13’955.35 (1’268’630.-) 36.74 1865 47’423.88 (3’720’566.-) 19’985.50 (1’567’931.-) 42.14 1870 53’121.08 (3’826’789.-) 28’149.99 (2’027’897.-) 52.99 1875 61’005.49 (3’205’363.-) 38’494.79 (2’022’601.-) 63.10 1880 76’064.56 (4’148’851.-) 35’242.04 (1’922’235.-) 46.33 1885 74’377.08 (4’037’583.-) 32’983.79 (1’790’535.-) 44.35 1890 70’789.98 (3’495’011.-) 44’300.65 (2’187’192.-) 62.58 1895 74’427.28 (3’493’873.-) 48’247.43 (2’264’900.-) 64.82 1900 117’432.24 (5’133’940.-) 59’558.63 (2’603’803.-) 50.72 1905 107’458.7 (4’349’305.-) 80’983.11 (3’277’727.-) 75.36 1910 124’657.37 (4’275’001.-) 89’806.59 (3’079’828.-) 72.04 18 Basierend auf StABS AHA Straf und Polizei, Y 10; Verwaltungsbericht BS 1834-1910. Bis 1845 sind die Geldwerte in alten Franken angegeben, danach in Franken. Um eine gewisse Vergleichbarkeit herzustellen, steht jeweils in Klammern der auf das Jahr 2009 deflationierte Geldwert in CHF. Die Deflationierung erfolgte mittels P FISTER ; S TUDER , Swistoval [15.1.2019], auf Basis des Historischen Lohnindexes. 19 Für die Jahre 1820 und 1825 mittels der Angaben zum Staatsbeitrag für die Zuchtanstalt berechnet, wobei unklar ist, ob der den Häftlingen ausbezahlte Verdienstanteil bereits abgezogen wurde oder nicht. Ab 1835 Angabe nach Abzug des Verdienstanteils. <?page no="300"?> 301 Anhang 5: Insassen, Insassinnen und Entlassene der Zuchtanstalt Basel-Stadt 1810-1860 und der Strafanstalt Basel-Stadt 1865-1910 20 Jahr Häftlinge m Häftlinge f Total Häftlinge Ø Häftlinge/ Tag Entlassene m Entlassene f Entlassene total 1810 46 41 87 65 k. A. k. A. k. A. 1815 46 25 71 82 k. A. k. A. k. A. 1820 33 22 55 58 k. A. k. A. k. A. 1825 58 12 70 61 k. A. k. A. k. A. 1830 56 41 97 85 k. A. k. A. k. A. 1835 37 15 52 61 66 39 105 1840 46 17 63 54 53 31 84 1845 49 10 59 70 91 37 128 1850 53 15 68 57 112 41 153 1855 58 18 76 81 170 75 245 1860 57 43 100 89 128 60 188 1865 82 26 108 109 137 49 186 1870 207 56 263 111 164 46 210 1875 k. A. k. A. 116 111 k. A. k. A. 196 1880 131 32 163 151 205 55 260 1885 99 25 124 119 149 53 202 1890 92 17 109 122 271 84 355 1895 98 18 116 117 289 53 342 1900 130 13 138 140 296 64 360 1905 105 13 118 117 225 23 248 1910 k. A. k. A. 128 k. A. k. A. k. A. 257 20 Basierend auf StABS AHA Straf und Polizei, Y 10; Verwaltungsbericht BS 1835-1910. Die Anzahl Häftlinge bezieht sich jeweils auf den 31.12. des entsprechenden Jahres, diejenige der Entlassenen bezeichnet die Gesamtzahl im Laufe des Jahres. Bis 1834 sind keine Angaben zur Anzahl der Entlassenen zu eruieren. <?page no="301"?> 302 Anhang 6: Strafanstaltsdirektoren 1835-1923 21 Leonhard Hess 1835-1840 Josef Nörbel 1840-1852 Daniel-Gottfried Hübscher 1852-1860 Johann Jakob von Salis 1860-1899 David Widmer 1899-1923 Anhang 7: Strafanstaltspfarrer 1827-1923 22 Balthasar Stähelin 1827-1829 Theophil Passavant 1830-1841 Johann Stähelin-Bischoff 1832-1839 Karl-Ulrich Stückelberger 1842-1850 Emanuel Eglinger 1851-1866 Friedrich Oser 1866-1884 Bernhard Riggenbach 1885-1894 Karl Stückelberger 1894-1923 21 Basierend auf StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.1, Direktoren der Strafanstalt Baselstadt von 1835-1945. 22 Basierend auf StABS AHA Straf und Polizei, Z 37.1, Hausgeistliche der Strafanstalt Basel-Stadt von 1830-1945. <?page no="302"?> Band 16 Ulrike Ludwig Das Herz der Justitia Gestaltungspotentiale territorialer Herrschaft in der Strafrechts- und Gnadenpraxis am Beispiel Kursachsens 1548-1648 2008, 318 Seiten, 10 s/ w Abb., Broschur ISBN 978-3-86764-074-9 Band 17 Christian Hochmuth Globale Güter - lokale Aneignung Kaffee, Tee, Schokolade und Tabak im frühneuzeitlichen Dresden 2008, 272 Seiten, 6 s/ w u. 3 farb. Abb., Broschur ISBN 978-3-86764-082-4 Band 18 Mathis Leibetseder Die Hostie im Hals Eine ›schröckliche Bluttat‹ und der Dresdner Tumult des Jahres 1726 2009, 200 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-208-8 Band 19 Sarah Bornhorst Selbstversorger Jugendkriminalität während des Ersten Weltkriegs im Landgerichtsbezirk Ulm 2010, 374 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-249-1 Band 20 Mark Häberlein, Christian Kuhn, Lina Hörl (Hg.) Generationen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten (ca. 1250-1750) 2011, 220 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-254-5 Band 21 Päivi Räisänen Ketzer im Dorf Visitationsverfahren, Täuferbekämpfung und lokale Handlungsmuster im frühneuzeitlichen Württemberg 2011, 370 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-255-2 Band 22 Jan Willem Huntebrinker »Fromme Knechte« und »Garteteufel« Söldner als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert 2010, 452 Seiten, 54 s/ w Abb., Broschur ISBN 978-3-86764-274-3 Band 23 Ulrike Ludwig, Barbara Krug-Richter, Gerd Schwerhoff (Hg.) Das Duell Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne 2012, 372 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-319-1 Band 24 Alexander Kästner Tödliche Geschichte(n) Selbsttötungen in Kursachsen im Spannungsfeld von Normen und Praktiken (1547-1815) 2011, 688 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-320-7 Band 25 Albrecht Bukardt, Gerd Schwerhoff (Hg.) Tribunal der Barbaren Deutschland und die Inquisition in der Frühen Neuzeit 2012, 452 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-371-9 Konflikte und Kultur Herausgegeben von Martin Dinges, Joachim Eibach, Mark Häberlein, Gabriele Lingelbach, Ulinka Rublack, Dirk Schumann und Gerd Schwerhoff www.uvk.de : Weiterlesen <?page no="303"?> Band 26 Matthias Bähr Die Sprache der Zeugen Argumentationsstrategien bäuerlicher Gemeinden vor dem Reichskammergericht (1693-1806) 2012, 316 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-397-9 Band 27 Christina Gerstenmayer Spitzbuben und Erzbösewichter Räuberbanden in Sachsen zwischen Strafverfolgung und medialer Repräsentation 2013, 386 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-403-7 Band 28 Alexander Kästner, Gerd Schwerhoff (Hg.) Göttlicher Zorn und menschliches Maß Religiöse Abweichung in frühneuzeitlichen Stadtgemeinschaften 2013, 218 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-404-4 Band 29 Andreas Flurschütz da Cruz Zwischen Füchsen und Wölfen Konfession, Klientel und Konflikte in der fränkischen Reichsritterschaft nach dem Westfälischen Frieden 2014, 460 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-504-1 Band 30 Nina Mackert Jugenddelinquenz Die Produktivität eines Problems in den USA der späten 1940er bis 1960er Jahre 2014, 338 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-559-1 Band 31 Maurice Cottier Fatale Gewalt Ehre, Subjekt und Kriminalität am Übergang zur Moderne Das Beispiel Bern 1868-1941 2017, 248 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-719-9 Band 33 Suphot Manalapanacharoen Selbstbehauptung und Modernisierung mit Zeremoniell und symbolischer Politik Zur Rezeption europäischer Orden und zu Strategien der Ordensverleihung in Siam 2017, 288 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-809-7 Band 34 Moritz Glaser Wandel durch Tourismus Spanien als Strand Europas, 1950-1983 2018, 392 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-826-4 Klicken + Blättern Leseprobe und Inhaltsverzeichnis unter www.uvk.de Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. : Weiterlesen <?page no="304"?> Konflikte und Kultur Im Fokus der Studie steht die Resozialisierung von Sträflingen im Laufe des 19. Jahrhunderts. In Zusammenarbeit mit staatlichen und kirchlichen Akteuren etablierten Philanthropen und Philanthropinnen in Basel eine Vielzahl von Maßnahmen inner- und außerhalb der Strafanstalten: Durch Schulunterricht, Arbeitsdisziplinierung, religiöse Unterweisung und Schutzaufsicht nach der Entlassung sollten verurteilte Straftäter und -täterinnen zu «produktiven» Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden. Die so entstehende Straffälligenhilfe war in mehrfacher Hinsicht ambivalent: Ihre Praktiken bewegten sich stets auf einem schmalen Grat zwischen Disziplinierung und Fürsorge, zwischen Repression und Unterstützung, wobei es den Straffälligen wiederholt gelang, eigene Handlungsspielräume zu eröffnen. Das philanthropische Angebot war zugleich eingebettet in Dynamiken der Aushandlung und Anpassung gegenüber staatlichen sowie geistlichen Zuständigkeiten. Die Basler Straffälligenhilfe dient damit auch als Linse auf die langwierigen Ausscheidungsprozesse zwischen privater, staatlicher und kirchlicher Wohlfahrtspolitik. Das grenzübergreifende Agieren aller Beteiligten ermöglicht zudem eine erweiterte transnationale Perspektive. ISBN 978-3-86764-892-9 www.uvk.de