Was leisten die Medien – revisited
Entwicklungen in Journalismus, PR und Organisationskommunikation
0515
2017
978-3-7398-0320-3
978-3-8676-4802-8
UVK Verlag
Simone Huck-Sandhu
Swaran Sandhu
"Was leisten die Medien?"
So lautet die prägnante Leitfrage, der sich Claudia Mast in ihrer Habilitationsschrift zuwandte. 1986 im Fromm-Verlag erschienen, analysierte der Band den funktionalen Strukturwandel in den Kommunikationssystemen jener Jahre - und legte den Grundstein für drei Jahrzehnte der Forschung und Lehre am Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft, insb. Journalistik der Universität Hohenheim. Anlässlich dieses Jubiläums diskutieren die ehemaligen Doktorandinnen und Doktoranden des Fachgebiets die Kernideen ihrer Dissertationsthemen. Der Band "Was leisten die Medien - revisited" bündelt erstmals die Themen der "Hohenheimer Schule" rund um die Frage nach Leistungen der Medien und von Kommunikation.
<?page no="2"?> Simone Huck-Sandhu | Swaran Sandhu (Hg.) Was leisten die Medien - revisited <?page no="4"?> Simone Huck-Sandhu | Swaran Sandhu (Hg.) Was leisten die Medien - revisited Entwicklungen in Journalismus, PR und Organisationskommunikation Mit Beiträgen von Daniel Biedermann, Katja Fiedler, Alexander Fleischer, Claus Hoffmann, Simone Huck-Sandhu, Florian Krüger, Sabine Laukemann, Swaran Sandhu, Alexandra Simtion, Klaus Spachmann, Helena Stehle und Markus Talanow. UVK Verlagsgesellschaft mbH Konstanz · München <?page no="5"?> Jubiläumsband zum dreißigjährigen Bestehen des Fachgebiets für Kommunikationswissenschaft, insb. Journalistik der Universität Hohenheim. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN 978-3-86764-802-8 (Print) ISBN 978-3-7398-0319-7 (EPUB) ISBN 978-3-7398-0320-3 (EPDF) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2017 Lektorat: Rainer Berger, München Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Coverbild: © Universität Hohenheim, Wolfram Scheible Printed in Germany UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="6"?> VVoorrwwoorrtt „Was leisten die Medien? “ So lautet die prägnante Leitfrage, der sich Claudia Mast mit ihrer Habilitationsschrift zuwandte. 1986 im Fromm-Verlag erschienen, thematisiert der Band den funktionalen Strukturwandel in den Kommunikationssystemen jener Jahre. Er beschreibt den Einfluss technologischer Entwicklungen auf die Medien, analysiert den damit verbundenen Wandel von Medienleistungen und systematisiert die neu entstandenen Kommunikationsräume und -prozesse. Als Claudia Mast zum 1. April 1988 den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, insb. Journalistik an der Universität Hohenheim übernahm, hatte sie die Erkenntnisse dieser Analyse im Gepäck - und mit der Kernfrage nach den Leistungen der Medien auch ein Forschungsprogramm, mit dem sie den Grundstein für die Hohenheimer Schule der Journalismus- und Public Relations- Forschung legte. Werfen wir einen Blick zurück auf die späten 1980er Jahre: Deutschland war durch die Mauer geteilt. Die wichtigsten Informationsquellen waren die gedruckte Tageszeitung und die Tagesschau. Es gab drei Fernsehkanäle. Telefone hatten eine Wählscheibe und ein Kabel. BTX (Bildschirmtext) und das Faxgerät galten als „disruptive“ Innovationen. Bill Gates war mit 31 Jahren der jüngste Milliardär aller Zeiten. Microsoft Windows erreichte die Version 2.1 und Werder Bremen wurde Deutscher Meister. Im deutschen mobilen C-Netz waren ungefähr 400.000 Nutzer. Die Geräteliste wurde vom Nokia P- 30 angeführt. Es wog 790 Gramm, bot einen Speicher für 40 Telefonnummern, eine Redezeit von 15 Minuten und kostete mehr als die Hälfte eines durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommens. Die Washington Post schrieb: „Using Internet and overlapping networks, thousands of men and women in 17 countries swap recipes and woodworking tips, debate politics, religion and antique cars, form friendships and even fall in love“ (20. November 1988). Der kleine Rückblick verdeutlicht, wie schnell der funktionale Strukturwandel in den Kommunikationssystemen weiter vorangeschritten ist. Vieles hat sich seither auf medialer, wirtschaftlicher, technologischer, politischer und gesellschaftlicher Ebene verändert. Aber es gibt weiterhin Kernfragen, die nichts an Relevanz und Aktualität eingebüßt haben. Die Frage danach, was Medien leisten, gehört ohne Zweifel dazu. Die Leitfrage aus Claudia Masts Habilitationsschrift umspannt drei Jahrzehnte Forschung und Lehre am Hohenheimer Fachgebiet: Was leisten die Medien - für wen, mit welcher Zielsetzung, in welcher Form und welchem Kontext? Das „ABC des Journalismus“, bei UVK 2012 in der zwölften Auflage erschienen, Studien zur Zukunft der Tageszeitungen oder zum Wirtschaftsjournalismus belegen, wie breit die Hohenheimer Journalismusforschung aufgestellt ist. Mit Public Relations und Unternehmenskommunikation kommt ein zweites zentrales Forschungsfeld hinzu. Was leistet Kommunikation für Unternehmen, für Verbände und für Stakeholder? Seit über fünfzehn Jahren, zwischenzeitlich in der sechsten Auflage verfügbar, begleitet der rote UTB-Band „Unternehmenskommunikation“ Studierende in Bachelor- und Masterprogrammen ebenso wie Berufspraktiker. Das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft, insb. Journalistik der Universität Hohenheim geht dieses Jahr ins dreißigste Jahr seines Bestehens. Für uns, die ehemaligen <?page no="7"?> 6 Doktorandinnen und Doktoranden des Fachgebiets ein Anlass, einen ganz persönlichen Blick auf die Frage, was die Medien leisten und was Kommunikation leistet, zu werfen. Wir nehmen die Fäden unserer Dissertationsthemen auf, reichern sie um aktuelle Forschungs- und Arbeitskontexte an und nehmen Bezug zu neuen Entwicklungen im Feld. Die Idee zu diesem Band entstand im Kreis der Ehemaligen. Als zwei der dienstälteren Ehemaligen haben die Herausgeber die Koordination des Projekts gerne übernommen. Ihr Dank gilt allen Autorinnen und Autoren dieses Sammelbands, die sich spontan für das Projekt begeistert haben, die Beiträge parallel zu ihrer erfüllten beruflichen Praxis verfasst und so neue inhaltliche Impulse gesetzt haben - auch im Namen und stellvertretend für jene Doktorandinnen und Doktoranden, die aufgrund anderer Verpflichtungen absagen mussten. Ein besonderer Dank gilt Helena Stehle und Klaus Spachmann, die das Projekt konzeptionell mit begleitet haben, sowie Rainer Bluthard, der das Layout übernommen und konsequent auf die formale Qualität des Bandes geachtet hat. Rainer Berger vom UVK Verlag danken wir für die hervorragende Betreuung des Projekts und seine sehr zuverlässige und umsichtige Beratung. Unser größter Dank gilt aber - im Namen aller am Projekt Beteiligten - Claudia Mast. Sie hat uns an spannende Fragen zu Journalismus, Organisations- und Unternehmenskommunikation herangeführt, mit uns Themenideen diskutiert und justiert und unsere Arbeiten konstruktiv-kritisch begleitet. Wann ließe sich ein Dankeschön angemessener zum Ausdruck bringen als zum anstehenden Fachgebietsjubiläum - wie besser als in einem gemeinschaftlichen Band entlang jener Leitfrage, die alle unsere Dissertationen gedanklich miteinander verbindet: die Frage nach aktuellen Entwicklungen und Leistungen von Journalismus, PR und Organisationskommunikation. Im Februar 2017 Simone Huck-Sandhu & Swaran Sandhu im Namen der Doktorandinnen und Doktoranden des Fachgebiets für Kommunikationswissenschaft, insb. Journalistik der Universität Hohenheim <?page no="8"?> 7 Prof. Dr. Claudia Mast Univ.-Prof. Dr. Claudia Mast ist Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft, insb. Journalistik der Universität Hohenheim (Stuttgart). Sie ist federführend tätig für die universitäre Aus- und Weiterbildung von Journalisten, PR-Fachleuten und anderen Medienberufen. In den kommunikationswissenschaftlichen Studiengängen verantwortet sie die Themenbereiche Unternehmenskommunikation und Public Relations, Journalistik und journalistische Praxis sowie Content- und Kommunikationsmanagement. Viele Jahre lehrte Claudia Mast an den Universitäten München, Eichstätt und Zürich und habilitierte sich 1985 mit einer Analyse des Strukturwandels in den Kommunikationssystemen. Die Konsequenzen der Grenzaufhebungen - durch technische Innovationen, politische Entscheidungen oder ökonomische Entwicklungen verursacht - standen im Mittelpunkt der theoretischen Überlegungen. Claudia Mast studierte Kommunikationswissenschaft, Politische Wissenschaft und Romanische Philologie an der Universität München und absolvierte eine Berufsausbildung zur Redakteurin an der Deutschen Journalistenschule in München. Langjährige Mitarbeit bei Presse und Rundfunk folgte. Bei der Siemens AG (München) war sie verantwortlich für gesellschaftspolitische Grundsatzarbeit, Managementtraining und interne Führungskräfteinformation. Claudia Mast hat zahlreiche Fachbücher zu Journalismus, Unternehmenskommunikation und Wirtschaftsberichterstattung veröffentlicht und ist in verschiedenen Gremien tätig, u. a. im Verwaltungsrat der Deutschen Welle. Sie ist Autorin zahlreicher Aufsätze und Bücher - darunter die über viele Jahre gepflegten und aktualisierten Standardwerke „ABC des Journalismus“ (UVK) und „Unternehmenskommunikation“ (UTB). <?page no="10"?> IInnhha al lt t Vorwort ...........................................................................................................5 1 Was leisten die Medien? Revisited! Einleitung und thematische Hinführung.............................................11 Simone Huck-Sandhu & Swaran Sandhu TTeeiill 11: : JJoouurrnnaalliissmmuuss 2 Was leistet Journalismus? Funktionen und Leistungen in der Journalistik ..................................31 Klaus Spachmann 3 Was leistet Wirtschaftsjournalismus? Z wisch en Ge se lls ch af t , Wirt sc ha ft und All tag sw el t der Men sc he n ..49 Klaus Spachmann TTeeiill 22: : PPuubblliicc RReellaattiioonnss 4 Was leistet Public Relations? Kommunikationsarbeit und ihre Leistungspotenziale.......................65 Helena Stehle 5 Was leistet Stakeholder-Orientierung? Identifikation situativer Ansprachen und Stakeholder-Rollen ..........79 Alexandra Simtion 6 Was leistet Investor Relations? Leistungen vor dem Hintergrund des technischen Fortschritts ........91 Katja Fiedler 7 Was leistet Storytelling? Der narrative Kommunikationsmodus im PR-Management .......... 105 Florian Krüger 8 Was leistet internationale Public Relations? Kommunikation über nationale und kulturelle Grenzen hinweg .. 117 Simone Huck-Sandhu 9 Was leistet Unternehmenskommunikation in Geschäftsbeziehungen? Business-to-Business-Kommunikation aus funktionaler Perspektive .................................................................. 125 Helena Stehle <?page no="11"?> 10 TTeeiill 33: : IInntteerrnnee KKoommmmuunniikkaattiioonn 10 Was leistet interne Kommunikation? Funktionen und Leistungen der Mitarbeiterkommunikation ......... 143 Simone Huck-Sandhu 11 Was leistet Veränderungskommunikation? Mitarbeiter als zentrale Akteure in Wandlungsprozessen.............. 153 Sabine Laukemann 12 Was leistet das Intranet? Information, Kommunikation, Interaktion und Integration ............ 165 Claus Hoffmann T Teeiill 44: : OOrrggaanniissaattiioonnsskkoommmmuunniikkaattiioonn 13 Was leistet Organisationskommunikation? Reflexion in Kommunikationsprozessen ......................................... 173 Swaran Sandhu 14 Was leistet Reputation? Unternehmenscharakter globalisiert und digitalisiert .................... 185 Alexander Fleischer 15 Was leistet CEO-Kommunikation? Personalisierung zwecks Orientierung, Identifikation und Publizität.............................................................. 199 Markus Talanow 16 Was leistet eine institutionelle Perspektive für PR? Organisationale Felder und kommunikative Logiken ..................... 209 Swaran Sandhu 17 Was leisten Medien für die Innovation? Design Thinking und Team-Kommunikation aus Netzwerkperspektive ....................................................................... 221 Daniel Biedermann Chronik Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft, insb. Journalistik ....................................................................................... 235 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren ................................................. 237 <?page no="12"?> 11 WWa ass lleeiisst teen n MMeeddiieen n? ? RReev viissi itteedd! ! E Eiinnlleeiittuunngg uunndd tthheemmaattiisscchhee HHiinnffüühhrruunngg Simone Huck-Sandhu & Swaran Sandhu Was leisten die Medien? Als Claudia Mast diese Leitfrage zu Beginn der 1980er Jahre an den Ausgangspunkt ihrer Habilitationsschrift stellte, befand sich das Kommunikationssystem im Umbruch. Getrieben von technologischen Innovationen standen die traditionellen Massenmedien im Begriff sich von Grund auf zu verändern: „Technische Entwicklungen haben [...] mediale Einzelleistungen in Hinblick auf die Wahrnehmungsdimensionen (Text, Sprache, Bild, Daten) und Vermittlungsleistungen (Reichweiten bzw. Unabhängigkeit von Raum und Zeit) gesteigert“, konstatierte Mast (1986, S. 11). Nicht nur die Rolle der Massenmedien als Vermittlungssysteme veränderte sich. Es entstanden auch gänzlich neue Formen der sozialen Nutzung. Der technologische und gesellschaftliche Wandel führte zu einem erneuten Strukturwandel der Öffentlichkeit (Habermas 1962; Castells 2008). Die neuen Leistungsangebote, die mit der Telekommunikationstechnologie verbunden waren, erweiterten und ergänzten die bestehenden Medien. Sie unterwarfen „die mediale Bewältigung von Raum, Zeit und Aussagen einem strukturellen Wandel, der sich auch auf die Interaktionsbeziehungen der beruflichen Kommunikatoren und der Rezipienten niederschlägt“ (Mast 1986, S. 11). Die Veränderungen in den Interaktionsbeziehungen hatte Claudia Mast im Rahmen ihrer Berufstätigkeit selbst erfahren: Zunächst als Redakteurin bei Print und Rundfunk, später als Leiterin der Abteilung für gesellschaftspolitische Grundsatz- und Bildungsarbeit der Siemens AG, erlebte sie im Kontext von Journalismus und Public Relations (PR), wie strukturelle Veränderungen „die bislang getrennten Bereiche medialer Aussagenentstehung und kommunikationstechnischer Vermittlung funktionell“ verzahnten (ebd.) und damit die Tätigkeit von Kommunikatoren veränderten. Neue Leistungen der Medien, individualisierte Formen von Massenkommunikation, funktionelle Verzahnung von medialer Aussagenentstehung mit kommunikationstechnischer Vermittlung - betrachtet man die von Mast beobachteten Veränderungen, so lässt sich die Brücke vom Strukturwandel der 1980er Jahre zu heutigen Entwicklungen schlagen. Vor rund 30 Jahren sortierte und systematisierte Mast die Kategorien des Wandels, beschrieb wie sich der technisch induzierte Strukturwandel der (Massen-)Medien im Kommunikationssystem niederschlug und entwickelte ein Analyseraster. Dieses Raster kann in seinen Grundzügen auch auf den „neuen“ Strukturwandel (Castells 2008), der seit den 2000er Jahren im Kommunikationssystem stattfindet, angewendet werden. Viele der von Mast formulierten Erwartungen sind zwischenzeitlich Realität geworden. So ermöglichen heute z. B. soziale Plattformen wie Facebook oder Twitter eine mass-selfcommunication, die eine neue Dimension der individualisierten Massenkommunikation eröffnet. Instant Messaging-Dienste vernetzen Gruppen über Zeit und Raum hinweg, so dass Aussagenproduktion, -vermittlung und -rezeption fast zeitgleich stattfinden können. Und mit den Grenzverschiebungen zwischen Journalismus und PR - etwa im Bereich des Corporate Publishings, der Unternehmens-Newsrooms oder der crossmedialen Inhalteerstellung - haben sich auch die Berufsfelder weiter gewandelt. <?page no="13"?> 12 Simone Huck-Sandhu & Swaran Sandhu Ziel dieses Einführungskapitels ist es, Claudia Masts Entwurf des funktionalen Strukturwandels in den Kommunikationssystemen in seinen Grundzügen zu skizzieren und auf die heutigen Bedingungen im Kommunikationssystem zu übertragen. Im Folgenden werden die Kernbegriffe, -konstrukte und -ergebnisse ihrer Habilitationsschrift aufgenommen und im Kontext aktueller Rahmenbedingungen diskutiert. Ausgangspunkt bildet der technologisch induzierte Strukturwandel, der durch Innovationen in der Telekommunikation zu Grenzaufhebungen und neuen Leistungen der Medien führte - vor 30 Jahren und in Übertragung auf die Entwicklungen von heute. Im Kern der Übertragung stehen der Leistungsbegriff von Massenmedien und sein „Update“ zu aktuellen Veränderungen. Die Dimensionen von Medienleistungen werden in ein aktualisiertes Analyseraster überführt. Es dient als Grundlage für die vier Teile dieses Bandes: für die Analyse eines ausdifferenzierten Kommunikationssystems in Form von Journalismus (gesellschaftliche Selbstbeobachtung), PR (organisationale Legitimation und Selbstdarstellung) und interner Kommunikation (interne Orientierungssysteme) sowie im Querschnittsfeld der Organisationskommunikation (Kommunikation von und über Organisationen). Diese vier Teilbereiche prägten und prägen Claudia Masts Forschung am Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim und die bei ihr entstandenen Dissertationen. 1 1..11 DDe er r SSt tr ruukkt tu urrwwa annddeel l u unndd s se ei in nee F Fo ollgge en n: : GGr re ennzzaau uffhheebbu un nggeenn iinn ddr re eii DDi im meenns si io on ne enn „Die Angebote der Telekommunikationsmedien kündigen die Veränderungen des Kommunikationssystems an, die aus der Steigerung von Einzelleistungen (Vermittlung, Speicherung, Verarbeitung), aber v. a. aus dem Verschmelzen der Leistungsangebote und der Multifunktionalität der Kommunikationswege und -mittel zu erwarten ist. Bislang getrennte Medienleistungen werden integriert. Die gleichen Mitteilungskanäle werden für verschiedenste Kommunikationsformen benutzt“ (Mast 1986, S. 65). In den 1980er Jahren führten technische Innovationen sowohl in der Druckals auch der Telekommunikation zu einem Strukturwandel des Kommunikationssystems. Ab Mitte der 1970er Jahre hatte bereits das Offsetdruckverfahren den Bleisatz mehr und mehr abgelöst. Kosteneinsparungen und eine deutlich bessere, v. a. auch mehrfarbige Druckqualität waren die Folge. Zudem ermöglichte der Einsatz der Elektronik immaterielle Druckformen. Die „elektronische Ausrüstung“ der Nachrichtenagenturen (Mast 1986, S. 23) ab Anfang der 1980er Jahre trug dazu bei, dass sich diese neuen elektronischen Systeme im Druckgewerbe rasch verbreiteten. Das Eingeben und Bearbeiten von Texten und Bildern konnte „schneller, präziser und flexibler“ (ebd.) erfolgen. Mit dem Aufkommen „elektronische[r] Aussagenproduktionssysteme“ (ebd.) konnte der Seitenumbruch elektronisch am Bildschirm ausgeführt und per Knopfdruck in die Lichtsetzanlage übermittelt werden. Die Faksimiletechnik ermöglichte es, den zeit- und kostenintensiven Vertriebsweg von Druckerzeugnissen über den dezentralen Druck zu verkürzen (ebd., S. 24). Und nicht zuletzt führte die neue Technologie des Fotokopierens eine Vervielfältigungstechnik ein, die die preiswerte Vervielfältigung von Gedrucktem ohne fotochemisches Verfahren und Spezialpapier möglich machte. „Die Anwendungen technischer Innovationen haben das drucktechnische Kommunikationssystem verändert“, stellte Mast (1986, S. 26) fest, „indem sie die mediale Bewältigung von Kommunikationsräumen und Themen sowie Leistungen der Aktualität und Periodizität verbesserten“. <?page no="14"?> Was leisten Medien? Revisited! 13 Die Bewältigung von Kommunikationsräumen ist mit Blick auf Leistungen der Aktualität v. a. räumlich und zeitlich zu verstehen: Mit dem sogenannten Fernkopieren lag erstmals eine Vervielfältigungstechnik vor, um Gedrucktes zeitgleich über größere Strecken zu verteilen (Mast 1986, S. 31). Zudem waren seit Ende der 1970er Bildfernsprechen und Bildkonferenzen möglich. „Gruppen- und Individualkommunikation, die bisher nur in physischer Anwesenheit der Gesprächspartner ablaufen konnte, wird telekommunikativ vermittelt und erreicht eine räumliche, in vielen Fällen auch zeitliche Befreiung“ (ebd.). Im Jahr 1983 verfügte fast jeder Haushalt in der Bundesrepublik über ein Fernsehgerät. Der Übergang vom Schwarzweißzum Farbbild und verbesserte Übertragungsqualitäten führten zu mehr Komfort. Mit der Einführung neuer Technologien wie Videotext, später Bildschirm- oder Kabeltext kamen individualisierte Abrufbzw. Zugriffsmedien hinzu. Auch das inhaltliche Angebot erweiterte sich durch das Aufkommen des privaten Rundfunks. Die Folgen dieses Strukturwandels in den Kommunikationssystemen führte Mast (1986) in drei Dimensionen zusammen: Erstens beschrieb sie die Grenzaufhebung zwischen Print- und Telekommunikation. „Der Einsatz elektronischer Aussagenproduktionssysteme hat die Printkommunikationsmittel eingebunden in das System immaterieller Produktion und Distribution von Aussagen und zu Spezialisierungs- und Diversifizierungsprozessen geführt“, so Mast (1986, S. 13). Zweitens ließen sich die Folgen des Strukturwandels in Form der Grenzaufhebung zwischen Prozessen der Individual- und Massenkommunikation beobachten. Die neu entstehenden Zwischen- und Mischformen hätten den Begriff der Massenkommunikation „ausgehöhlt“ und ihn auf das Konzept der Verteilkommunikation zurückgedrängt und könnten zur „Entgrenzung des Faches Kommunikationswissenschaft“ führen (ebd., S.13). Drittens führte der Strukturwandel zur Grenzaufhebung zwischen den Bereichen medialer Aussagenentstehung und kommunikationstechnischer Vermittlung, die insbesondere die Tätigkeit von Journalisten veränderte. Der Journalismus sei zum „informationsverarbeitenden Beruf“ geworden und das journalistische Berufsfeld habe sich mit der Differenzierung der Berufsbilder entgrenzt (ebd., S. 12). Angesichts dieser drei Grenzaufhebungen sah Mast die Kommunikationswissenschaft und Medienpolitik mit theoretischen und rechtlichen Herausforderungen konfrontiert. „[N]icht nur die Grenzen traditioneller, an medientechnischen Ausprägungen orientierter Konzepte und Begriffe, sondern auch die faktische Gliederung der Medienlandschaft“ (ebd.) seien im Begriff sich fundamental zu verändern. Rund drei Jahrzehnte später lässt sich feststellen: Claudia Mast hat Recht behalten. Das „duale Mediengefüge“ aus Print und elektronischen Medien (ebd., S. 42) existiert zwar weiterhin. Aber seit 1986 hat sich das Medienangebot durch neue Formen und Formate sowie durch Online- Kommunikation und mobile Technologien noch einmal stark gewandelt. Medieninhalte sind heute weniger denn je an ein Trägermedium wie Print oder Rundfunk gebunden (Jenkins et al. 2013). <?page no="15"?> 14 Simone Huck-Sandhu & Swaran Sandhu Die Grenzaufhebung zwischen Print- und Telekommunikation ist weiter vorangeschritten: „Content“ wird in der Regel medienneutral digital produziert und in verschiedenen Containern oder Ausspielkanälen verbreitet (Engel und Breunig 2015, S. 310). Das System immaterieller Produktion und Distribution von Aussagen, das Mast in seinen Anfangsjahren beschrieb, hat mit dem Beginn der Digitalisierung in den frühen 2000er Jahren eine neue Qualität bekommen. Zwischenzeitlich ließ sich eine zweite Welle der Grenzaufhebung in den drei identifizierten Dimensionen beobachten: Der explosionsartige Zuwachs an digitalen Medien und Rezeptionsmöglichkeiten - vom klassischen PC über Tablets bis hin zum Smartphone - hat zu einer „permanently online, permantly connected“-Kultur (Vorderer 2015) geführt. Telekommunikationsanbieter („Provider“) stellen die Nabelschnur dar, über die Rezipienten mit einem nahezu unüberschaubaren Medienangebot konfrontiert sind. Gleichzeitig zeigt sich auf der Rezeptionsseite sehr deutlich der „Generationenabriss“ (Best und Engel 2016, S. 25). Die vor 1980 Geborenen nutzen tendenziell stärker klassische Massenmedien ergänzt um Internet-Plattformen. Für die nach 1980 Geborenen nimmt hingegen das Internet die zentrale Position im Medienmix ein. Das bedeutet nicht, dass die gedruckte Zeitung, das Radio oder klassisches Fernsehen verschwinden werden. Für die Mehrzahl der Nutzer sind TV und Radio noch immer die wichtigsten massenmedialen Informationsquellen. Allerdings verändern sich die Nutzungsformen und der symbolische Charakter der Medien, z. B. im Kontext von Second Screen. Die Jüngeren nutzen diese Massenmedien überwiegend im Internet (Engel 2015). Dadurch verändern sich die Nutzungsformen und der symbolische Charakter der Medien, z. B. im Form von paralleler Nutzung über Second Screen, durch Rezeption von Feeds bzw. Streams oder das Teilen von Medieninhalten über soziale Netzwerke. Die von Mast als zweite große Entwicklung identifizierte Grenzaufhebung zwischen Individual- und Massenkommunikation wurde in jüngerer Zeit v. a. von neuen Plattformen wie Facebook oder YouTube vorangetrieben. Castells (2009) spricht hier von „mass-self communication“. Potenziell hat jeder Nutzer die Möglichkeit, über Plattformen entweder ein sehr spezifisches Publikum (Freunde, Follower) oder ein disperses Publikum anzusprechen. Mit der verstärkten Professionalisierung und Ökonomisierung der digitalen Sphäre greifen zugleich typische Skaleneffekte („the winner takes it all“). Viele klassische Medienmarken konnten ihre Reichweite und Markenbekanntheit in den digitalen Raum übertragen. Sie stehen dort aber immer stärker im Wettbewerber mit neuen Anbietern wie Facebook, Amazon, Google oder Netflix. Deren Marktmacht liegt in ihren technologisch ausgereiften Plattformen begründet, die eine hohe Reichweite haben. War früher der Vertrieb z. B. der Zeitungsinhalte komplett an das Printprodukt und damit auch den Verlag selbst gekoppelt, ist digitaler Inhalt nicht mehr länger plattformgebunden. Die große Reichweite der neuen Distributionsplattformen zwingt auch Medienproduzenten, diese zu nutzen. So ist z. B. ein substanzieller Teil des Netto-Werbebudgets bereits zu den Online-Plattformen hin verlagert worden, nur in die Fernsehwerbung wird noch mehr investiert (BVDW 2015). Auch die dritte Grenzaufhebung zwischen den Bereichen medialer Aussagenentstehung und kommunikationstechnischer Vermittlung lässt sich unter den aktuellen Rahmenbedingungen neu betrachten: Einerseits schreitet die Entgrenzung des Journalismus durch die Differenzierung der Berufsbilder weiter fort (Lilienthal et al. 2015). Crossmediale Ausspielkanäle erfordern neue Fähigkeiten, die bestehende Anforderungsprofile erweitern oder gänzlich neue Berufsbilder wie Informationsvisualisierer oder Datenjournalist entstehen lassen. Andererseits entstanden neue Bereiche und Mischformen von Content-Produktion bis <?page no="16"?> Was leisten Medien? Revisited! 15 hin zum Content-Marketing. Journalistische Inhalte werden nicht mehr nur von klassischen Medienanbietern erstellt. Organisationen - vom Verein bis hin zum Weltkonzern - sind zu integrierten Medienproduzenten geworden. Das klassische (gedruckte) Kundenmagazin weicht einer crossmedialen Plattform, die die Marke auf verschiedenen Kanälen erlebbar macht. Die großen Technologie- und Plattformanbieter Google, Facebook oder auch Samsung und Apple drängen als „digitale Konglomerate“ in die Welt der Medien und Meinungen (Altmeppen 2016). Verlage und andere Produzenten von Inhalten entwickeln neue Geschäftsmodelle: Nachrichten werden zur Ware, die als „newsonomics“ (Verbindung von „news“ und „economics“) von Echtzeit-Kennzahlen dominiert werden (Doctor 2010). Was nicht geklickt wird gilt als uninteressant. Was keine Reichweite aufbaut liefert auch keinen ökonomischen Nutzen. 11..22 EEnnttsstteehhuunngg nneeuueerr MMeeddiieennllooggiikkeenn: : VVeerrmmiittttlluunnggsslleeiissttuunnggeenn ddiiggiittaalleerr MMeeddiieenn „Neue Medien sind mehr als nur zusätzliche massenmediale Angebote, [sie sind] telekommunikative Leistungsmöglichkeiten, die das Kommunikationssystem als Ganzes verändern können“ (Mast 1986, S. 41). Im Kontext der Grenzaufhebungen veränderten sich in den 1980er Jahren auch die Vermittlungsleistungen der Telekommunikation. Mast beobachtete eine Steigerung telekommunikativer Vermittlungsleistungen, die in fünf Kriterien sichtbar geworden sei: zielgenaue Vermittlung: Die „Zielung der Vermittlungsleistung“ im Sinne einer gezielteren Ansprache von Publika (Mast 1986, S. 55) erfolgt nicht mehr länger nur in der Dialogkommunikation. Sie wird auch durch neue Abruf- oder Zugriffsmedien (z. B. Fernkopiermedien, schnurloses Telefon, Teletextsysteme, Pay-TV) erbracht; schneller Transport und Zugriff auf Aussagen: Telekommunikationsmedien sind den „Speichermedien“ (z. B. bedrucktes Papier; ebd., S. 56) auch in der Geschwindigkeit des Mitteilungstransports überlegen. „Die elektronische Speicherung befreit die telekommunikativen Mitteilungsprozesse aus der zeitlichen Gebundenheit und steigert die zeitliche Disponibilität“ (ebd., S. 59); Erschließung differenzierter Reichweiten: Telekommunikationsmedien können „immaterielle Aussageninhalte mit exakt definierten personellen und regionalen Reichweiten übermitteln“ (ebd., S. 57). Das bedeutet, dass Kommunikationsräume entstehen, die von der Kommunikation zwischen zwei Personen bis hin zu globalen Versammlungsräumen reichen können. Im Rückbezug auf Wagner (1965, S. 79) versteht Mast (1986, S. 57) unter dem Begriff des Kommunikationsraums „das räumlich ausgedehnte Verbreitungsgebiet wie auch den Gesprächsraum der an der jeweiligen Kommunikation teilnehmenden Gesellschaft“; Integrierung unterschiedlicher Darstellungsformen: An Stelle der Übertragung einzelner kommunikativer Darstellungsformen halten mit der Telekommunikation zunehmend integrierte Übertragungsmöglichkeiten Einzug. Sprachliche Kommunikationsvorgänge, z. B. über Telefon und Hörfunk, wachsen mit Bildkommunikation, z. B. Faksimile oder Fernkopieren, und Datenaustausch, dem „Fernwirken“ (ebd., S. 58), zunehmend zusammen; <?page no="17"?> 16 Simone Huck-Sandhu & Swaran Sandhu gesteigerter Vermittlungskomfort: Die Telekommunikationsmedien haben zu einer Steigerung des „Vermittlungskomforts“ (ebd., S. 58) geführt, indem sie eine größere Empfangsqualität, bessere Bild- und Tonqualität durch Stereoton beim Fernsehen sowie hochauflösende Bildröhren ermöglichen (ebd., S. 58f.). Eine ähnliche Komfortsteigerung fand auch im drucktechnischen Kommunikationssystem durch neue Produktionsverfahren statt. Dort zeigte sie sich z. B. in Form einer höheren Druckqualität von Printmedien oder einer besseren Klangqualität bei CDs im Vergleich zu Schallpatten. Diese fünf kommunikativen Vermittlungsleistungen gelten heute als selbstverständliche Grundlage der medialen Kommunikation. In der von Mast beschriebenen ersten Welle der Digitalisierung wurde der traditionelle (Massen-)Medienbegriff in Frage stellt. Die zweite Welle der Digitalisierung hat ihn gänzlich gesprengt: Die zielgenaue Ansprache, schnelle Vermittlung von Inhalten in geografisch oder personell klar definierten Kommunikationsräumen einerseits sowie multidimensionale Medien mit hoher technischer Empfangsqualität andererseits bilden längst Eckpfeiler einer digitalisierten Medienlogik (v an Dijck un d Poell 201 3). Während die massenmedialen Leitmedien im Print- und audiovisuellen Bereich den Digitalbereich in vielen Fällen nach wie vor als Verlängerung der klassischen Medienlogik verstehen, sind Linearität und disperse Publika in weiten Teilen der Kommunikationslandschaft längst der asynchronen und v. a. spezifischen Mediennutzung gewichen. Wie radikal sich die Nutzung in der Zielung der Vermittlungsleistung verändert hat, lässt sich am Beispiel von Inhalteanbietern wie Netflix oder Amazon Prime verdeutlichen. Statt jede Woche auf die Ausstrahlung der nächsten Folge ihrer Lieblingsserie warten zu müssen, können Fans nun im Abonnement auf komplette Serienstaffeln zugreifen. Mit der Renaissance der TV-Serie, die zunehmend durch die Streaming-Dienste selbst erfolgreich produziert werden, verändern sich auch die Narrationsströme. Zuschauer können auf den Verlauf der Handlung einwirken und z. B. über das Ende von Serien entscheiden. Der linear ausgestrahlte wöchentliche Tatort oder die Übertragung von Fußballspielen hingegen werden zum bewussten Gegenpol, als Live-Event und Kommunikationsanlass in Fan-Communitys. Ähnlich fundamental ist der Wandel, den digitale Netzwerke wie Facebook, WhatsApp oder Twitter eingeläutet haben. Im Rahmen von „real-time-reporting and news consumption“, der potenziell weltweiten zeitgleichen Veröffentlichung und Nutzung von Inhalten, verlieren die Grenzen von Raum und Zeit weiter an Bedeutung und es entstehen neue Fragen bezüglich (journalistischer) Qualität. Auch die Schnelligkeit des Transports in Verbindung mit dem Zugriff auf Aussagen haben sich damit grundlegend verändert. Die großen Innovationen der 1980er Jahre, wie z. B. das Bildfernsprechen, erscheinen uns vor diesem Hintergrund heute fast schon anachronistisch. Mit der mobilen Nutzung solcher Dienste über Smartphone und Tablet fallen nicht nur zusehends die Grenzen von Raum und Zeit. Sondern es verändern sich auch die Kommunikationsräume. Über nahezu unbegrenzt skalierbare digitale Angebote lässt sich die Erschließung differenzierter Reichweiten heute ohne Weiteres realisieren. Facebook und andere Dienste ermöglichen eine soziodemografisch genau zugeschnittene Ansprache von Zielgruppen. Hinzu kommen lokalisierte bzw. hyperlokale Dienste, die Nutzer je nach Ort und Endgerät ansprechen. Die zielgenaue Ansprache von Publika hat in den digitalen Medien die Qualität einer Leitwährung angenommen. Klicks, Views, Likes oder auch die Verweildauer <?page no="18"?> Was leisten Medien? Revisited! 17 auf Websites geben Auskunft darüber, ob und welche Nutzer über den Inhalt erreicht werden konnten. Große Plattformen wie Apple, Facebook, Google, Instagram und Twitter verfolgen sämtliche Nutzerinteraktionen auf eigenen und verwandten Plattformen. Damit werden sie hochattraktiv für die Werbung, aber auch für weiterführende plattformeigene Dienste. Gekoppelt an die Smartphone-Nutzung werden Themenpräferenzen ebenso wie Verbindungs- und Lokalisierungsdaten erfasst. Damit gehen allerdings auch gestiegene Anforderungen an den Schutz der Privatsphäre einher. Die Integration von Darstellungsformen, die mit den technischen Innovationen der 1980er Jahren zum ersten Mal möglich wurde, setzt sich bis heute in den Medien fort. In inhaltlicher Hinsicht hat sie sich in crossmedialen Formaten niedergeschlagen (Engel 2015). Medienproduzenten arbeiten an der Verbindung von Text, Ton, Bild und Video. Zur Zeit ist das Feld noch stark von Experimenten geprägt, die in ganz unterschiedlichen Formen münden (Godulla und Wolf 2015). Es zeigt sich aber deutlich, dass reiner Text immer häufiger von Bild bzw. Grafik sowie zunehmend auch von Bewegtbild umrahmt wird (Sammer und Heppel 2015) - ein Trend, der sich durch das veränderte Rezeptionsverhalten der Nutzer ebenso wie durch die Multimediafähigkeit der Endgeräte und die Bandbreite der Datenübertragungen erklären lässt. Der Vermittlungskomfort, der sich in den Telekommunikationsmedien und dem drucktechnischen Kommunikationssystem der 1980er Jahre v. a. in Form einer besseren Druckbzw. Empfangsqualität manifestierte, zeigt sich heute in der Vielzahl unterschiedlicher Nutzungsformen und -situationen. Die klassische Zeitung wird über Apps oder direkt als responsive Website von Smartphones über Tablets bis hin zu hybriden Endgeräten oder intelligenten Fernsehern gelesen. Die Qualität der Medieninhalte wird bislang nur durch die Bandbreite des Netzes beschränkt. Die überwiegend mobile Nutzung zeigt sich auch im breiten Roll-out von Wifi-Hotspots als Alternative zur (noch) teuren LTE-Mobilfunkübertragung. 11..33 DDiiffffeerreennzziieerruunngg mmeeddiiaalleerr AAnnggeebboottee: : ddeerr LLeeiissttuunnggssbbeeggrriiffff zzwwiisscchheenn ggeesstteerrnn uunndd hheeuuttee „Technologische Entwicklungen heben mediale Grenzen auf, verschmelzen Kommunikationsräume und -prozesse und verbinden bislang Getrenntes. Die Konsequenzen für Kommunikationsforschung, -theorie und -politik sind tiefgreifend“ (Mast 1986, S. 11f.). Wie lässt sich der Strukturwandel analysieren? Mast war der Überzeugung, dass eine Analyse gesellschaftlicher Kommunikation innerhalb des sich verändernden Kommunikationssystems v. a. den Vermittlungsprozess in den Blick nehmen müsse. Nur so könne es gelingen, mediale Leistungen funktionell zu klassifizieren und eine „Differenzierung medialer Angebote in ihren vermittlungsprozessualen Funktionen“ vorzunehmen (Mast 1986, S. 250). Für die Differenzierung medialer Angebote schlug Mast analytische Dimensionen vor, die als grundlegendes Raster für medientheoretische und für forschungspraktische Arbeiten dienen können. Dieses Raster kann auch als „Merkmalskatalog [verstanden werden], der die Medien gesellschaftlicher Kommunikation nach ihren Leistungen im Vermittlungsprozeß gliedert“ (ebd., S. 250). Basis bilden identifizierte vier Variablendimensionen, innerhalb derer Medienvariablen systematisiert werden können (ebd., S. 250ff.): <?page no="19"?> 18 Simone Huck-Sandhu & Swaran Sandhu Bewältigung des Faktors Zeit im Vermittlungsprozess, der analytisch in die Bereiche Aussagenentstehung, mediale „technische“ Vermittlung und Aussagenrezeption unterschieden wird; Bewältigung medialer Aussagen im Vermittlungsprozess in Form von Text, Sprache, Bild und/ oder Daten. Über Kommunikationsstrukturen hinaus sind „jede Kommunikationsform und ihre mediale Übertragung [...] geeignet, [...] Bedingungen der medienspezifischen Vermittlung bei professionellen Kommunikatoren und Rezipienten zu diskutieren“ (ebd., S. 251); Gestaltungsfunktionen im Vermittlungsprozess, die zur Klassifikation von Vermittlungsabläufen im Prozess herangezogen werden können. Sie ermöglichen es, den „Einfluß der professionellen Kommunikatoren und der Rezipienten auf den medialen Prozeß“ zu definieren (ebd.); Konstitution von Kommunikationsräumen. Durch Medien konstituieren sich unterschiedlich definierte „Versammlungsräume“ gesellschaftlicher Kommunikation, die zur „Untersuchung medialer Konstellationen“ geeignet sind (ebd.). Entlang dieser vier Variablendimensionen spannt Mast einen Merkmalskatalog auf, dessen Kernbegriffe und -konzepte in Tab. 1 im kompakten Überblick dargestellt sind. Für jede der Variablendimensionen entwickelte sie Indikatoren bzw. Untersuchungsfragen, beschrieb die zugehörigen Variablenkomplexe und zeigte Entwicklungstendenzen sowie neue Forschungsfragen für die Kommunikationswissenschaft auf. Das viergliedrige Analyseraster kann sowohl als grundlegende Systematik als auch als forschungspragmatischer Merkmalskatalog angesehen werden. Es benennt Zeit, Inhalt und Rolle der Kommunikationspartner als die drei Kernfunktionen des Vermittlungsprozesses und bettet diese ins Konzept des Kommunikationsraums ein. Damit erfasst es den „alten“ Strukturwandel der 1980er Jahre, kann aber auch zur Beschreibung und Analyse des „neuen“ Strukturwandels, der oben im Kontext von Grenzaufhebungen und Vermittlungsleistungen bereits skizziert wurde, herangezogen werden. Wie hängen die drei Dimensionen miteinander zusammen? Und wie findet Kommunikation in unterschiedlich definierten Kommunikationsräumen statt? Was bedeutet das für die Frage danach, was die Medien leisten? Die Raum-Metapher ermöglicht es, Rahmenbedingungen von Kommunikation quer zu den oben beschriebenen drei Grenzaufhebungen zu beleuchten. Wenn Grenzen zwischen Print und Telekommunikation, zwischen Individual- und Massenkommunikation sowie zwischen den Bereichen medialer Aussagenentstehung und kommunikationstechnischer Vermittlung verschwimmen, bietet die Vorstellung von Kommunikationsräumen ein ertragreiches Denkmodell. Alle Kommunikation findet in Kommunikationsräumen statt. Zugleich werden damit zwei Vermittlungsleistungen, nämlich die Erschließung differenzierter Reichweiten und die Zielung bzw. Zielgenauigkeit von Kommunikation wieder aufgenommen. Überträgt man Masts Analyseraster der medialen Vermittlungsleistungen auf heutige Rahmenbedingungen, lässt sich zunächst die Frage stellen, was Medien für die Konstituierung von Kommunikationsräumen leisten können. Analysiert man die Kommunikation innerhalb des Raumes, in Ausrichtung am Vermittlungs- <?page no="20"?> Was leisten Medien? Revisited! 19 Dimension Indikatoren Variablenkomplex Entwicklungstendenzen <?page no="21"?> 20 Simone Huck-Sandhu & Swaran Sandhu prozess, so gewinnen Aspekte von Zeit, Inhalt und Form der Kommunikation an Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist die Kernfrage, was Medien in den unterschiedlichen Phasen des Vermittlungsprozesses leisten (können). WWaass lleeiisstteenn MMeeddiieenn ffüürr ddiiee KKoonnssttiittuuiieerruunngg vvoonn KKoommmmuunni ikkaattiioonnssrrääuummeenn? ? Für die Konstitution von Kommunikationsräumen als „das räumlich ausgedehnte Verbreitungsgebiet wie auch de[r] Gesprächsraum der an der jeweiligen Kommunikation teilnehmenden Gesellschaft“ (Wagner 1965, S. 79) spielen Aspekte der Abgrenzung, des Zugangs und Durchdringung eine Rolle. Im Aspekt der Abgrenzung wird deutlich, dass Kommunikationsräume als „konkrete Räume“ (Mast 1986, S. 258) konzipiert sind, die abhängig von der konzeptionellen Anlage mehr oder weniger klare Grenzen aufweisen. Im Spannungsfeld zwischen Zielorientiertheit und Streuung von Medieninhalten lassen sie sich nach personellen oder geografischen Kriterien bilden und von anderen Räumen abgrenzen. Dabei können sich Kommunikationsräume teilweise überlagern oder gar in ihren Zielsetzungen widersprechen. In geografischer Hinsicht können Kommunikationsinhalte räumlich skaliert und abgegrenzt werden, z. B. in Form lokaler, regionaler, überregionaler bis hin zu globaler Medienräume oder Aufenthaltsorte. Nach personellen Kriterien erfolgt die Abgrenzung über den Zugang, oft in Form von Mitgliedschaft z. B. in einer Online-Community, dem Abonnement einer Zeitung oder dem Kauf von Pay-TV-Angeboten. Unabhängig davon, nach welchem Kriterium Kommunikationsräume voneinander abgegrenzt werden, können sie ein kleines oder großes, in seiner Struktur bekanntes oder unbekanntes Publikum erreichen. Der mediale Zugang zum Kommunikationsraum erfasst die grundlegende Möglichkeit, an der Kommunikation in einem personell oder geografisch definierten Gesprächsraum teilnehmen zu können (ebd.). Im Kontext des funktionalen Strukturwandels durch technische Neuerungen rückt dabei v. a. die Kommunikation in medienvermittelten bzw. -konstituierten Räumen in den Blick. Wie im Kontext der Abgrenzung bereits angedeutet lässt sich der Zugang zu solchen Räumen nach technologischen, geografischen und sozialen bzw. soziodemografischen Kriterien differenzieren: Der technologische Zugang zu einem Kommunikationsraum war lange Zeit über die entsprechende Geräteausstattung definiert. Rein technisch gesehen können v. a. durch Satellitenfernsehen und Internet Inhalte ortsunabhängig produziert und rezipiert werden, sofern ein entsprechendes Endgerät vorhanden ist. Radio- und Fernsehgerät gelten als Minimalvoraussetzung für die Teilhabe am kulturellen Leben. 1 In den letzten Jahren holen das Internet und seine Dienste, allen voran Social Media, zügig in der Verbreitung auf. Für rund vier Fünftel der Bundesbürger ist das Internet zu einem festen Teil des Lebens geworden. Der Grad der harten Offliner, die einen Online- Zugang kategorisch ablehnen oder nicht nutzen, liegt bei ungefähr einem Fünftel (Initiative D21 2015). Im Bereich Mobiltelefonie und Smartphones ist in Deutschland bereits eine nahezu vollständige Durchdringung erreicht, auch wenn technische Geräteausstattung und Nutzungsverhalten variieren. Während in den 1980er Jahren Ra- 1 Vgl. Urteil des Bundessozialgerichts, AZ: B 14 AS 75/ 10 R vom 24.02.2011. <?page no="22"?> Was leisten Medien? Revisited! 21 dio- und Fernsehgerät den technologischen Zugang zu Kommunikationsräumen bestimmten, haben sich die Zahl und das Leistungsportfolio der Endgeräte zwischenzeitlich vervielfacht. Entscheidend ist: Heute werden Inhalte in vielen Kommunikationsräumen gerätunabhängig bzw. -übergreifend bereitgestellt. So kann der Zugang zu ein und demselben Inhalt z. B. über das Fernsehgerät, den Computer oder mobile Endgeräte erfolgen. Damit lösen sich einerseits geografische oder personelle Begrenzungen auf. Andererseits wird der technologische Zugang zu einem Kommunikationsraum und seinen Inhalten in den neuen Medien immer stärker durch Rezeptionsgewohnheiten eingeschränkt. Wenn Algorithmen beginnen, Inhalte auszuwählen und selektiv zu präsentieren, ist der Schritt zur „Filter Bubble“ (Pariser 2012) nicht mehr weit. Solche Echo-Kammern spiegeln dann nur noch jene Inhalte wieder, die ein Leser, Hörer, Zuschauer oder Nutzer gerne haben möchte. Sie werfen neue Fragen bezüglich Diskurs und gesellschaftlicher Teilhabe, die im Kontext von Medienleistungen intensiv diskutiert wird, aber auch nach definitorischen Grenzen öffentlicher Kommunikation auf. Der räumliche Zugang ist angesichts der fast vollständigen Abdeckung durch das TV-, Internet und Mobilfunknetz heute kein zentrales Argument mehr. Zwar lässt der breitbandige Ausbau v. a. im ländlichen Raum noch auf sich warten, aber ein DSL- Anschluss oder Anschluss ans Mobilfunknetz ist an fast allen Wohn- und Arbeitsorten in Deutschland gegeben. Kostenloses WLAN erobert öffentliche Räume, Fernbusse und ÖPNV fahren mit integriertem WLAN und auch die Deutsche Bahn bereitet den Roll-out in allen Fernzügen vor. Überträgt man die Idee des geografischen Zugangs zu einem Kommunikationsraum auf die (öffentliche) Nutzung wird schnell deutlich, dass die Verfügbarkeit von Kommunikationsplattformen und deren Nutzung eine neue Form der räumlichen Öffnung bzw. Trennung ermöglichen. Neben dem technologischen und räumlichen Zugang spielt auch der soziale Zugang zu Kommunikationsräumen eine Rolle. Auf der einen Seite lässt sich hier das Kriterium der personellen Segmentierung nennen, v. a. in Form soziodemografischer Merkmale. Der Zugang zu einem Kommunikationsraum kann z. B. abhängig von Geschlecht, Alter, Bildung, Sprachkenntnissen oder Milieu erfolgen. Auf der anderen Seite wird mit der Vervielfachung und zunehmenden Technologisierung der Medien die Medienkompetenz, sich in einem Kommunikationsraum (eigen-)verantwortlich bewegen zu können, immer wichtiger. Mit dem Wandel von der Pushzur Pull-Kommunikation benötigt das Publikum bzw. der Nutzer weit mehr als rein technische Kompetenz. Wichtiger werden in diesem Zusammenhang auch die ethische und die rechtliche Dimension der Nutzung von Inhalten eines Kommunikationsraums, v. a. Privatsphäre und Datenschutz, aber auch im Hinblick auf Cybermobbing. Die mediale Durchdringung von Kommunikationsräumen, die Mast in Verbindung zu intra- und transmediären Strukturveränderungen setzte, bezieht sich auf die spezifische Mediennutzung in einem Raum. Abhängig von den medialen Angeboten, die in einem konkreten Kommunikationsraum bestehen, variieren Arten und Formen der Nutzung. Inhalte auf sogenannten responsiven Websites passen sich automatisch den unterschiedlichen Endgeräten vom Smartphone bis zum Laptop an. Apps ermöglichen einen spezifischen Zuschnitt der Inhalte für Endgeräte. Damit erschließen sich komplett neue Nutzungsformen: So macht es einen Unterschied für das Leseverhalten und die Aufnahme von Informationen, ob die Tageszeitung als gedruckte Zeitung, PDF oder auf responsiven Websiten gelesen wird. Zudem kann angenommen werden, dass TV-Sendungen mit einem Tablet auf dem Schoß anders wahrgenommen werden und wirken als wenn sie <?page no="23"?> 22 Simone Huck-Sandhu & Swaran Sandhu auf dem Fernsehgerät am anderen Ende des Wohnzimmers abgespielt werden. Jene Medien, die einen Kommunikationsraum konstituieren, wirken somit auch auf den Raum und sein Publikum zurück. WWaass lleeiisstte enn ddiiee MMeed diieenn iimm VVeerrmmi ittt tl luun nggssppr ro ozzees ss s vvo on n IInnhha al ltteenn? ? Die Leistungen, die (Massen-)Medien innerhalb eines Kommunikationsraums erbringen, lassen sich entlang des Vermittlungsprozesses darstellen. Mast (1986, S. 248ff.) unterschied nach der Zeitbewältigung, der Aussagenbewältigung und den Gestaltungsfunktionen im Vermittlungsprozess. Die Zeitbewältigung im Vermittlungsprozess beschreibt die zeitliche Dimension der Kommunikation unterteilt in die drei Dimensionen Aussagenentstehung, technischer Vermittlungsprozess und Aussagenrezeption. Die Aussagenentstehung, d. h. die Produktion von Kommunikationsinhalten, erfuhr mit dem Aufkommen der Telekommunikationsmedien und neuen digitalen Drucktechnologien in den 1980er Jahren eine deutliche Beschleunigung. Im Journalismus beschleunigten sich klassische Handlungsroutinen und -praktiken, bei Recherche, Produktion und Publikation deutlich. Zugleich konnte die Arbeit in lokal verteilten, gar globalen Teams ohne nennenswerten Zeitverzug stattfinden. Mit dem Aufkommen von Internet und Social Media haben sich diese Handlungsroutinen und -praktiken noch einmal stark verändert. Das Organisationsmodell des Newsrooms versucht, dem Wandel von Produktions- und Publikationsbedingungen Rechnung zu tragen. Neben diesem eher klassischen Format kann als weiteres Beispiel das Real Time-Reporting genannt werden, das Live- Berichterstattung mit geringen Mitteln möglich macht. Informationen werden „on-thefly“ produziert, ergänzt und vernetzt - oft von einem Journalisten, der Bild und Ton einfängt, die für Radio, TV und die Querverwertung im Internet genutzt werden. Ähnliche Entwicklungen im Kontext einer schnelleren Aussagenentstehung finden sich auch „auf der anderen Seite des Schreibtischs“, bei der Produktion von Inhalten durch Organisationen. Sie produzieren im Rahmen der PR und Unternehmenskommunikation Inhalte, setzen Themen und stimmen diese mit anderen Kommunikationsbereichen ab. Auch hier zeigt sich ein Wandel der Arbeitsprozesse und -routinen mit der ersten und zweiten Welle des Strukturwandels im Mediensystem. Im Indikator des technischen Vermittlungsprozesses kommt zum Ausdruck, dass die Telekommunikation die Zeitspanne zwischen Aussagenentstehung und Rezeption deutlich verringert hat. Mast (1986, S. 253) sprach in diesem Kontext von simultanen und nichtsimultanen Kommunikationsvermittlungen. Oben wurde bereits auf Abrufmedien wie Online-Videotheken und auf Real Time-Reporting als Beispiel für simultane Kommunikationssituationen eingegangen. Mit der Digitalisierung durch Internet und Social Media hat sich die Zeitspanne zwischen Aussagenentstehung und Rezeption weiter verringert. Ob Blogeintrag, Twitter-Nachricht oder Facebook-Post - mit dem Klick auf den Sendebutton steht der Inhalt unmittelbar online und ist sofort von Kommunikationspartnern einsehbar. Die Aussagenrezeption war mit dem Aufkommen der Telekommunikation ebenfalls zeitlich heterogener geworden. Mast (1986, S. 254) schrieb, dass die zeitliche Verfügbarkeit medialer Angebote im Kontext der Aussagenbewältigung mit den neuen Technologien vielfältiger geworden sei: „Sie reicht von einer Anpassung des Rezipienten an die Vorgaben des ‚technischen‘ Vermittlungsprozesses, z. B. bei der ‚Flüchtigkeit‘ elektronischer <?page no="24"?> Was leisten Medien? Revisited! 23 Information, bis zur freien Verfügung über den Zeitpunkt der Mediennutzung durch individuelle Speicherung (z. B. durch Videorecorder) oder Materialisation (z. B. durch Ausdruck elektronischer Texte, Nutzung der Druckmedien).“ Mitteilungen könnten immer häufiger in ‚eigener‘ Zeit statt in ‚fremder‘ Zeit aufgenommen werden. Dieser Trend hat sich ohne Frage fortgesetzt. Die Aussagenrezeption bewegt sich heute zwischen zwei Extrempolen: Einerseits nehmen die „echten“ Live-Events zu, bei denen etwa Medienmarken ihre Reputation und Rezipientenbindung nutzen, um ihren Geschäftsbereich zu erweitern. Andererseits ermöglichen die neuen Medien sowie die Anreicherung klassischer Massenmedien mit individualisierten Formen der Speicherung und des Abrufs eine heterogene, individualisierte Mediennutzung, die komplett online und in eigener Zeit erfolgen kann. Unter der Dimension Aussagenbewältigung im Vermittlungsprozess systematisiert Mast (1986, S. 255) die „einzelnen Mitteilungskanäle [...] entsprechend ihren medialen Leistungen der Aussagenbewältigung“. Sie greift in dieser Dimension zwei auf: die Indikatoren Kommunikationsform (Text, Sprache, Bild und Daten) und Art des Kommunikationsprozesses (verteilt, auf Abruf bzw. Zugriff oder im Dialog). Die Kommunikationsform erfasst die Erscheinungsform der Inhalte. Während in den 1980er Jahren der Leistungsschwerpunkt z. B. der Druckkommunikation auf Text und Bild lag, bezogen sich Telekommunikationsmedien auf Text, Bild, Sprache und Daten. „Die medientechnische Entwicklung hat zu einer zunehmenden medialen Erschließung und Integration vermittelter Kommunikationsformen [...] geführt“, betonte Mast (1986, S. 255). Durch die zweite Welle der Digitalisierung sind ab den 2000er Jahren klassische Content-Container implodiert. Inhalte werden zunehmend medienunspezifisch recherchiert und produziert, erst in der letzten Stufe erfolgt die Zuordnung zu einem Kommunikationsweg und die kanalspezifische Aufbereitung. Mit modernen Endgeräten wie Smart-TV oder Computer können heute alle Kommunikationsformen bedient werden, sowohl einzeln als auch vernetzt oder gar integrativ verschmolzen, z. B. in virtuellen Welten oder für crossmediale Reportagen. Kommunikatoren stehen heute mehr denn je vor der Herausforderung, das „richtige“ Format zur Ansprache des Publikums bzw. für die Kommunikation mit Teilöffentlichkeiten zu finden. In der Flut der Angebote und der Vielfalt der Kommunikationsformen ist der Kampf um die Aufmerksamkeit der Rezipienten härter denn je. Dieser Wandel wirkt sich auch auf die Art des Kommunikationsprozesses aus, also auf die Frage, ob Kommunikation verteilt, auf Abruf bzw. Zugriff oder gar als Dialog erfolgt. Entlang der Dichotomie von Ein-Wegvs. Zwei-Weg-Kommunikation stehen am einen Extrempol klassische lineare Massenmedien, über die Inhalte verteilt werden können. Am anderen Extrempol befinden sich Dialogmedien, die dialogische oder netzwerkartige Kommunikationsprozesse ermöglichen. Sie fördern stärker die Interaktion zwischen den Kommunikationspartnern. Kommunikationsprozesse lassen sich in diesem Spannungsfeld auch nach „push“ und „pull“, instant und algorithmisch unterteilten. Klassische Push-Kommunikation ist meist linear und versucht den Rezipienten direkt zu erreichen. Pull-Kommunikation setzt einen aktiven Rezipienten voraus. Bei Instant-Kommunikation handelt es sich um synchrone und zeitgleiche Kommunikationsprozesse, die auch als Streams bezeichnet werden. Algorithmische Kommunikationsformen lassen sich immer dann finden, wenn die Inhalteselektion über algorithmusgesteuerte Feeds abläuft, etwa bei Facebook oder auch bei den Suchmaschinen wie Google. Die Art des <?page no="25"?> 24 Simone Huck-Sandhu & Swaran Sandhu Kommunikationsprozesses ist nach wie vor ein Indikator zur Charakterisierung der Medien und ihrer Leistungen. Mit der oben beschriebenen zunehmenden Integration von Text, Bild, Sprache und Daten bilden neue Medien heute oft unterschiedliche Arten von Kommunikationsprozessen integrativ ab. So kann der Nutzer einer Online-Nachrichtenseite weiterführende Informationen abrufen, einen Kommentar hinterlassen oder mit dem Autor und anderen Lesern zum Thema diskutieren. Ob er Informationen abruft oder in den Dialog mit anderen tritt, liegt an ihm. Mit Form und Art des Kommunikationsprozesses sind jene zwei Indikatoren angesprochen, die die Gestaltungsfunktionen im Vermittlungsprozess erfassen: die Kommunikator- und die Rezipientensicht. Unter Gestaltungsfunktionen versteht Mast (1986, S. 261) die „Einwirkungsmöglichkeiten professioneller Kommunikatoren auf den Vermittlungsprozess“ einerseits und die Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Rezipienten zur Verfügung stehen, andererseits. Massenmedien sind traditionellerweise die klassische „Verteilmedien“ (ebd., S. 260), die von professionellen Kommunikatoren gestaltet werden. Gestaltungsfunktionen bestanden somit v. a. aus Kommunikatorsicht, wohingegen sich Rezipienten bis zum Aufkommen der Telekommunikationstechnik nur wenige inhaltliche Einwirkungsmöglichkeiten boten. Der Strukturwandel des Kommunikationssystems in den 1980er Jahren hat dazu geführt, dass sich die Grenzen zwischen ein- und zweiseitigen Kommunikationsprozessen zunehmend aufhoben und „individual-kommunikative Strukturen in das massenmediale System vordringen konnten“ (ebd.). Aus Rezipientensicht ließen sich neu hinzugekommene Gestaltungsfunktionen beobachten, die es dem Rezipienten erlaubten, in den technischen Vermittlungsprozess teilweise einzugreifen. Sie reichen von passivem, aber individualisiertem Abruf (z. B. über Videotext) bis zu aktivem Dialog (z. B. über Bildtelefonie oder Sendungs-Call-ins). Damit lässt sich die Querverbindung zum Indikator „Art des Kommunikationsprozesses“ herstellen, der im Kontext der Aussagebewältigung zwischen Ein-Weg- und Zwei-Weg-Kommunikation unterscheidet. Im Kontext der heutigen Medienlandschaft werden Medieninhalte nach wie vor überwiegend von professionellen Kommunikatoren in Redaktionen oder Agenturen erstellt. Neu hinzugekommen sind jedoch Multiplikatoren und Influencer jenseits etablierter redaktioneller Strukturen wie z. B. Bloggen. Sie erlangen ihre Relevanz durch eine hohe Reichweite und Genauigkeit bei der Ansprache ihrer Zielgruppe. Entsprechend attraktiv sind diese Meinungsführer für klassische Meinungsmacher aus Unternehmen und Agenturen, die von der hohen Glaubwürdigkeit dieser Plattformen bei ihren Fans zu profitieren suchen. Eine gänzlich neue Vermittlungsleistung ist mit dem Kuratieren von Inhalten entstanden. Thorson und Wells (2015) unterscheiden fünf Arten des Kuratierens: Journalistisches Kuratieren schließt an die klassische Gatekeeping-Forschung an. Hier sind es noch immer Journalisten, die tagtäglich entscheiden, was relevant ist und zum Aufmacher wird. Beim strategischen Kuratieren umgehen Akteure wie Parteien oder Unternehmen die traditionellen Massenmedien und richten sich direkt an deren Zielgruppen. Persönliches und soziales Kuratieren öffnet die Auswahl und Bewertung von Inhalten durch Einzelne für Dritte. Dies sind häufig reziproke Netzwerke, die auf Vertrauen basieren nach dem Motto „was meine Freunde interessiert, könnte auch mich interessieren“. Quer zu diesen Formen liegt das algorithmische Kuratieren, das meist unabhängig vom Endnutzer stattfindet und die Auswahl der angezeigten Inhalte basierend auf vorherigen Interaktionen oder Präferenzen vorselektiert und optimiert. Damit sind neue Gestaltungsmöglichkeiten hinzugekommen, die die Rolle professioneller Kommunikation weiter verändert haben. <?page no="26"?> Was leisten Medien? Revisited! 25 Aus Rezipientensicht haben sich die Gestaltungsmöglichkeiten vervielfacht. Die früheren Rezipienten sind zu Produsern und Prosumenten geworden, die Inhalte professioneller Kommunikatoren hinterfragen und ergänzen, aber auch eigene Inhalte in einer breiten Palette von Medien veröffentlichen können. Mit Blick auf die Gestaltungsfunktionen lässt sich festhalten, dass hier der Wandel der theoretischen Konzepte von Kommunikation besonders deutlich wird: Die Unterscheidung von Kommunikator und Rezipient nimmt zwischenzeitlich in manchen Kontexten die Form einer Kommunikationspartnerschaft an. Heute erarbeiten Organisationen redaktionelle Inhalte kooperativ oder gar kollaborativ mit ihren Nutzern, z. B. bei der Recherche, bei der Auswertung von Inhalten (z. B. WikiLeaks) oder der Erstellung von Wikis. Grenzen zwischen Produktion und Rezeption, zwischen Produzent und Rezipient verschwimmen in diesen Zusammenhängen 2 - eine Entwicklung, die neue Fragen u. a. für die Qualitätssicherung aufwirft. Neben der kooperativen Produktion von Inhalten ist heute auch die Integration des Feedbacks durch die Rezipienten möglich. An die Stelle des klassischen Leserbriefs ist der Kommentar, direkt online unter einem journalistischen Beitrag, getreten. Der früher oft beklagte fehlende Rückkanal zum Journalisten besteht heute auf den Online-Seiten von Medien direkt oder über andere Plattformen indirekt. Für einige - insbesondere kleinere - Redaktionen sind bei brisanten Themen die Kommentare jedoch kaum mehr zu bewältigen, so dass die heutige Rezipientensicht unmittelbar auf die Kommunikatorsicht in Masts Typologie zurückwirkt. Betrachtet man allein die Gestaltungsfunktionen innerhalb verschiedener Medienkonstellationen und die Qualität der veröffentlichten Inhalte, ist aber auch diese Grenze zunehmend fließend. Im Gesamtblick zeigen sich in Masts Systematik zwei Hauptachsen für Medienleistungen innerhalb von Kommunikationsräumen. Die erste Achse spannt die zeitliche, inhaltliche und formale Dimension medialer Kommunikationsprozesse auf. Die zweite Achse richtet den Blick quer dazu auf die (technischen) Modalitäten eines Mediums (z. B. reines Text-Medium vs. Integration von Text, Bild, Sprache und Daten), auf den Rezipient bzw. Kommunikationspartner und seine Rolle im Prozess (z. B. passive Versorgung/ Dialog, aktiv/ passiv, synchron/ asynchron, etc.) sowie die Produzentenseite (z. B. Berufsfeld, Qualifikationsprofil, Produktionsbedingungen, Arbeitsprozesse). 2 Siehe z. B. www.crowdnewsroom.org. <?page no="27"?> 26 Simone Huck-Sandhu & Swaran Sandhu 11. .4 4 WWa as s l leeiis st teenn d di ie e M Me ed di ie enn: : R Ra ahhmme ennw we errk k ffüür r ddi ie e HHoohhe ennh he eiim meerr FFoorrsscchhu unngg „Die Entwicklung des Kommunikationssystems läuft auf eine Multifunktionalität der Vermittlungstechnik zu, deren Realisierung schrittweise die Aussagekraft spezifischer Ausprägungen der Medien als Anhaltspunkte für Einordnungen reduziert“ (Mast 1986, S. 250). Der Fokus der Habilitationsschrift, der auf Innovation in den (Massen-)Medien und die damit verbundenen Veränderungen für das Arbeitsfeld Journalismus lag, bildete den Ausgangspunkt für Claudia Masts Forschung auch in den Folgejahren. Die im Analyseraster geprägten Kernbegriffe und -konstrukte prägen ihre Arbeit bis heute - in der Journalistik ebenso wie im Feld PR und Unternehmenskommunikation: die Frage nach Leistungen der Medien in Journalismus und PR, die Idee der Kommunikationsräume und die Zielgruppenkommunikation als Kommunikation, die an den Erwartungen und Bedürfnissen der Rezipienten orientiert ist. Die Kernbegriffe und das hinter ihnen stehende Raster dienen dem vorliegenden Jubiläumsband als Fundament: Der erste Teil des Bandes widmet sich der Frage, was Journalismus leistet. Im Auftaktbeitrag entwirft Klaus Spachmann eine Skizze zum Umgang mit Funktionen und Leistungen in der Journalismusforschung. Anschließend analysiert er den aktuellen Wandel vertiefend am Beispiel des Wirtschaftsjournalismus. Der zweite Teil beleuchtet Leistungen von PR und Kommunikationsmanagement. Helena Stehle legt die Grundlage, indem sie allgemeine Leistungspotenziale der Kommunikationsarbeit im Organisationskontext systematisiert. Die nachfolgenden Beiträge vertiefen jeweils spezifische Leistungsausprägungen des Kommunikationsmanagements: Alexandra Simtion umreißt Leistungen der Stakeholder-Orientierung. Katja Fiedler zeigt die Vermittlungsleistungen der Finanzkommunikation bzw. Investor Relations. Florian Krüger beschreibt Leistungen des Storytellings. Simone Huck-Sandhu thematisiert Leistungen der internationalen PR und Helena Stehle fragt nach den Leistungen der Unternehmenskommunikation in Geschäftsbeziehungen. Zu Beginn des dritten Teils zur internen Kommunikation liefert Simone Huck-Sandhu einen Überblick über die Leistungen und Funktionen der Kommunikation in Organisationen. Sabine Laukemann stellt die Leistungen der Veränderungskommunikation dar. Claus Hoffmann widmet sich der Frage, was das Intranet als Medium der internen Kommunikation leistet. Im vierten Teil - Organisationskommunikation - diskutiert Swaran Sandhu, was Medien in der Organisationskommunikation leisten können. Alexander Fleischer arbeitet in seinem Beitrag die Leistungen der Reputation für Organisationen heraus. Markus Talanow skizziert Leistungen der CEO-Kommunikation. Swaran Sandhu illustriert Leistungen einer institutionellen Perspektive. Daniel Biedermann schließt den Band mit der Frage ab, was Medien für Innovationsprozesse aus Netzwerkperspektive leisten können. <?page no="28"?> Was leisten Medien? Revisited! 27 LLiitteerraattuurr BVDW (2015). OVK Online-Report 2015/ 02. Herausgegeben vom BVDW Bundesverband der digitalen Wirtschaft und OVK Onlinevermarkterkreis im BVDW, in Zusammenarbeit mit der AGOF. Online: http: / / www.bvdw.org/ mybvdw/ media/ download/ 01-ovk-report-2015-02final.pdf. Zugegriffen: 01. März 2016. Altmeppen, K.-D. (2016). Die Re-Institutionalisierung des Journalismus durch die digitalen Konglomorate. In O. Jarren & C. 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Ein spezieller Blick richtet sich schließlich auf die gesellschafts- und systemtheoretischen Ansätze (Kap. 2.4). Sie bieten großes Potenzial für die Leistungsanalyse. Als Fazit ergibt sich, dass der Blick auf die Leistungen von Journalismus gerade im aktuellen Medienwandel ein fruchtbarer Zugang für die Analyse ist (Kap. 2.5). Zukünftige Untersuchungen können hierfür das systemtheoretische Instrumentarium noch besser nutzen. Außerdem sollten das Publikum und deren Lebenswelt stärker berücksichtigt werden. 22..11 JJoouurrnnaalliissmmuuss iimm MMeed diieen nwwaannddeel l Wer im Jahr 2016 - 30 Jahre nachdem Claudia Mast ihre Habilitationsschrift mit dem Titel „Was leisten Medien“ veröffentlichte - auf den Journalismus und die Medien schaut, stößt auf so manche Irritation. Da gibt es nicht-journalistische Akteure, z. B. aus der Unternehmenskommunikation, die sehr aufwendig und handwerklich gut gemacht Journalismus betreiben. Sowohl die Anzahl als auch die Qualität solcher Angebote aus dem Bereich der Organisations- und Unternehmenspublikationen haben in letzter Zeit deutlich zugenommen. Gleichzeitig existieren Journalisten, die ganz offensichtlich etwas anderes als Journalismus machen: Chefredakteure, die sich in TV-Talkshows selbst inszenieren und PR betreiben; „sponsored posts“, die als bezahlte Veröffentlichungen in redaktioneller Gestalt veröffentlicht werden; Journalisten, die auf Facebook Belangloses zum Besten geben und persönliche Geschichten erzählen. Solche Phänomene haben zumindest nach klassischem Verständnis nicht mehr viel mit Journalismus zu tun. Alle diese Erscheinungen hängen mit dem Medienwandel zusammen, den Claudia Mast 1986 - damals bezogen auf die Bereiche Tele- und Printkommunikation - als „Strukturwandel in den Kommunikationssystemen“ (Mast 1986) beschrieben hat. Technologische Innovationen und Grenzaufhebungen in der Massenkommunikation, die auf unterschiedlichen Ebenen zu beobachten sind, schlagen demnach auf den Journalismus und seine Leistungen durch. Heute sind die Medien durch Digitalisierung und Online-Vernetzung vollends entfesselt. Die Dynamik des Medienwandels ist noch um ein Vielfaches größer als in den 1980er Jahren. Den Menschen bieten sich in einem stark erweiterten medialen Spektrum zwischen Privatheit und Öffentlichkeit zahlreiche neue Möglichkeiten zu kommunizieren und sich zu informieren. Der Journalismus verliert dadurch an Einfluss und bekommt Konkurrenz. Gleichzeitig entstehen für journalistische Akteure neue Möglichkeiten, Angebote zu betreiben, zu verbreiten und das Publikum zu beteiligen. <?page no="33"?> 32 Klaus Spachmann Der Blick auf Leistungen, den Claudia Mast 1986 für ihre Untersuchung der Medien und des Medienwandels eingenommen hat, bietet auch als Analysezugang für den Journalismus Vorteile. Denn damit rückt die Frage in den Mittelpunkt, was der spezielle Beitrag des Journalismus für Information, Kommunikation und Zusammenleben der Menschen ist. Für den Journalismus und seine Beobachter steht dabei viel auf dem Spiel. Verhandelt wird die Legitimation des Journalismus in der Gesellschaft (Weischenberg 1995, S. 94), der als „‚geheiligter‘ Bereich“ (McQuail 1986, S. 634) mehr ist bzw. sein will als eine kommerziell erbrachte Dienstleistung. Werden journalistische Leistungen analysiert, müssen drei Anforderungen berücksichtigt werden: Die Trennung zwischen Leistungszuweisung und Leistungserfüllung: Einerseits geht es darum, was Journalismus leisten soll bzw. kann. Welche Leistungen werden ihm von wem zugesprochen und wie wird dies begründet? Andererseits steht im Blick, welche der ihm zugeschriebenen Leistungen er zu welchem Ausmaß tatsächlich erbringt. Die Unterscheidung zwischen Längsschnitt- und Querschnittsperspektive: Die grundsätzliche, systematische Betrachtung journalistischer Leistungen ist zu unterscheiden von der Frage, wie sie sich im Zeitverlauf entwickelt haben. Dies betrifft beide Dimensionen - sowohl die Zuweisung als auch die Erfüllung können stabil bleiben oder sich eben verändern. Die Definition und Differenzierung des Subjekts: Wer oder was steht überhaupt genau im Blick, wenn von Leistungen des Journalismus die Rede ist? Es ist davon auszugehen, dass einzelne Segmente und Bereiche unterschiedliche Leistungen erbringen. Die Journalismusforschung hat keinen einheitlichen Funktions- und Leistungsbegriff. Je nach Fragestellung und Theoriezugang geht sie mit den Anforderungen unterschiedlich um. Sie beschäftigt sich aus zwei grundlegenden Perspektiven mit den journalistischen Leistungen: Zum einen kann der Blick vom Journalismus, wie er sich in Redaktionen und Medien aktuell darstellt, ausgehen. Gefragt wird dann, welche Leistungen er auf welche Weise erbringt. In diesem Fall liegt ein Verständnis von Journalismus als Profession oder Leistungssystem mit gefestigten Strukturen, die sich insbesondere in arbeitsteiligen Redaktionen, Hauptberuflichkeit und klaren Berufsrollen niederschlagen, zugrunde. Zum anderen kann die Betrachtung von den journalistischen Leistungen ausgehen. Dann rücken auch andere Prozesse und Strukturen als diejenigen eines professionellen Journalismus in den Blick. Die Forschung kann sich auf die Suche nach „funktionalen Äquivalenten“ machen (Scholl 2013, S. 167; Neuberger 2009), also nach Aktivitäten und Medieninhalten, die außerhalb des klassischen Journalismus entstehen, aber Ähnliches oder sogar Gleiches leisten. Diese beiden Perspektiven beschreiben auch grundlegende Zugänge der Journalismusforschung zu ihrem Gegenstand: Bei der Definition von Journalismus werden entweder strukturelle oder funktionale Kriterien berücksichtigt - wobei die (empirische) Forschung auch eine Kombination aus beiden verwenden kann (Scholl 1997). Einiges spricht dafür, dass der professionelle, redaktionelle Journalismus nach wie vor in der Lage ist, die klassischen journalistischen Funktionen am besten zu erfüllen - auch wenn einige Beobachter konstatieren, „das Jahrhundert des Journalismus ist vorbei“ <?page no="34"?> Was leistet Journalismus? 33 (Weischenberg 2010) oder von Journalismus als einer „Profession, die keine ist“ sprechen (Jarren 2015, S. 116). Schaut man konkreter hin, spielen sich tatsächlich zahlreiche Veränderungen ab. Journalismus erfüllt neue Funktionen und Leistungen bzw. es verschieben sich die Gewichte zwischen den einzelnen journalistischen Leistungen. Und neue Akteure, Muster und Vorgehensweisen - innerhalb und außerhalb des klassischen Journalismus - erbringen ebenfalls journalistische Leistungen. Die Diagnosen und Einschätzungen der Journalismusforscher zu Stabilität und Wandel journalistischer Leistungen sind freilich nicht einheitlich. Das liegt auch daran, dass unterschiedliche Verständnisse von Funktionen und Leistungen vorliegen, die zudem häufig nicht expliziert werden. Scholl und Weischenberg sehen beispielsweise bereits 1998 (S. 30) die Gefahr, dass er „auf Grund [sic] immer weitreichenderer Leistungszuweisungen - von der ‚reinen‘ Information bis zur ‚reinen‘ Unterhaltung, von der Erfüllung einer ‚öffentlichen Aufgabe‘ bis zur Befriedigung ausschließlicher ökonomischer Interessen - seine Identität verliert“. Dagegen beobachtet Haller (2016, S. 139), dass die Funktionszuschreibungen an den Journalismus „trotz der immer breiteren Ausfächerung der Kanäle und Medienrepertoires überraschend konsistent“ geblieben sind. 22..2 2 SSyysstte em maatti ikk: : AAn naallyys see dde er r LLeei issttu unngge en n ddeess JJoouurrnnaalliissm mu uss Kap. 2.4 führt in die Begriffe Leistung und Funktion ein und skizziert, wie damit bei der Analyse von Journalismus umgegangen werden kann. Dabei geht es zunächst um eine begriffstheoretische Betrachtung. Denn obwohl Funktion und Leistung ebenso wie verwandte Begriffe wie Aufgabe und Wirkung in Kommunikationswissenschaft und Journalistik zentral sind (Merten 1999, S, 89), ist ihre Verwendung nicht einheitlich und zum Teil diffus. Im Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft schreibt Beck (2013, S. 98) zum Begriff Funktion: „Uneinheitlich und mitunter lediglich als Synonym zur Leistung, Aufgabe, Zweck oder gar Wirkung verwendet, ohne dass damit tiefer gehende theoretische Unterscheidungen einher gehen [sic].“ Der Begriff Funktion taucht in der kommunikationswissenschaftlichen Literatur häufig auf - auch deshalb, weil er in den Sozialwissenschaften ein (meta-)theoretischer Grundlagenbegriff ist. In vielen Arbeiten wird „Funktion“ jedoch tatsächlich austauschbar und bedeutungsgleich mit dem Begriff Leistung verwendet. Eine Ausnahme sind systemtheoretische Arbeiten, die Funktion auf das Verhältnis einer Entität zu einem übergeordneten (Gesamt-)System beziehen, während Leistung den Austausch mit Systemen auf gleicher Betrachtungsebene bezeichnet (vgl. hierzu Kap. 2.4). Unabhängig von der Verwendung und theoretischen Begründung im Einzelfall, ist Funktion ein relationaler Begriff, der die Angabe eines Bezugssystems notwendig macht (Beck 2013, S. 98; Weischenberg 1995, S. 96). Es müssen also immer Funktionserbringer und Funktionsempfänger genannt werden. Werden Leistungen betrachtet, gilt grundsätzlich das Gleiche. Allerdings ist der Leistungsbegriff in seinen Bezügen offener. In Anlehnung an seine Verwendung in Technik und Wirtschaftswissenschaften kann er auch genutzt werden, um den Prozess oder das Ergebnis einer Handlung bzw. der Aktivität eines Systems (Joerges 1980, S. 215) zu beschreiben - ohne ausdrücklich den Bezug zu einem Leistungsempfänger herzustellen. <?page no="35"?> 34 Klaus Spachmann Für die Abgrenzung der Begriffe Funktion und Aufgabe schlägt Beck (2013, S. 98) wie bereits Rühl (1991) vor 25 Jahren vor, Aufgaben als normative Anforderungen zu verstehen, die von außen an einen Gegenstand herangetragen werden, während Funktionen „kontingente Problemlösungen für kontingente Probleme“ darstellen. Ähnlich reserviert Weischenberg (1995, S. 96) den Begriff Aufgaben für normative Zuweisungen und grenzt ihn vom Terminus Funktionen, die er als „allgemeinere empirisch zu bestimmende Aktivitäten“ definiert, ab. In diesen Ausführungen wird deutlich, dass sogenannte funktionale Analysen zunächst einmal als grundlegender, sozialwissenschaftlicher Zugang zur Wirklichkeit gesehen werden können. Davon ist zu unterscheiden, wie die theoretische (normative oder analytische) Setzung oder Begründung von Funktionen bzw. Leistungen erfolgt. Sie kann in einzelnen Arbeiten mehr oder weniger ausgeprägt sein - auch abhängig davon, was das Ziel der Analyse ist. Funktionale Analysen sind im Programm der Kommunikationswissenschaft und der Journalistik fest verankert. Weischenberg (1995, S. 103) spricht dann davon, „wenn nach der tatsächlichen Einlösung formulierter Aufgaben, Ziele, Zwecke in einem bestimmten Kontext gefragt wird“. Er verweist auf das bereits vor Jahrzehnten entwickelte Inventar in den Arbeiten von Charles R. Wright (1964) und Robert K. Merton (1957) und schreibt dazu (S. 103f., Hv. im Original): „Über den zentralen Begriff der Funktion wird dabei in diesem teleologischen (zweckhaften) Verständnis, das sozialwissenschaftlicher Tradition entspricht, nach den Konsequenzen von Aktivitäten gefragt, also nach feststellbaren Vorgängen und ihren relevanten Folgen. […] Dabei geht es aber um die Konsequenzen für je spezifische Bezugssysteme.“ Im Folgenden wird das begriffstheoretische Instrumentarium für eine Analyse der Leistungen von Journalismus skizziert. Wegen der bereits angesprochenen offeneren Verwendungsmöglichkeit wird dabei nicht auf den Funktions-, sondern konsequent auf den Leistungsbegriff zurückgegriffen. Unberücksichtigt bleiben Fehlleistungen oder Dysfunktionen - also Beiträge des Journalismus, die zu negativen Folgen führen. In der Darstellung wird zunächst die jeweilige Dimension vorgestellt und dann ggf. bereits auf Anforderungen eingegangen, die sich daraus für Journalismustheorie und -forschung ergeben. Journalistische Leistungen können entlang von vier Dimensionen systematisiert werden. Sie beziehen sich auf zentrale Entscheidungen, die bei der Analyse von Leistungen des Journalismus zu berücksichtigen sind (vgl. Abb. 1): Wer thematisiert Leistungen, wer ist also der Beobachter? Wer sind Leistungserbringer? Wer sind Leistungsempfänger? Aus welcher Perspektive werden Leistungen betrachtet? Beobachter kann der Journalismus selbst, die Wissenschaft, die Gesellschaft mit ihren verschiedenen Bereichen wie Politik und Wirtschaft oder das Publikum sein. Bei der Wissenschaft ist weiter zu unterscheiden zwischen der Journalistik und Kommunikationswissenschaft, die auf den Gegenstand Medien und Journalismus spezialisiert sind, einerseits und sonstigen Wissenschaftsdisziplinen andererseits. Leistungserbringer können auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sein. Zum einen ist dies der Journalismus insgesamt. Zum anderen können innerhalb des Journalismus einzelne Bereiche unterschieden werden. Diese differenzierte Betrachtung ist sinnvoll, denn es ist davon auszugehen, dass einzelne Gattungen und Angebote unterschiedliche Leistungen <?page no="36"?> Was leistet Journalismus? 35 erbringen bzw. diese die journalistischen Leistungen unterschiedlich erbringen. Schließlich kann sich die Leistungsanalyse auch übergreifend auf die (Massen-)Medien beziehen. Mit diesen ist Journalismus zwar eng verbunden. Dennoch - oder gerade deshalb - ist es wichtig, die in der Praxis aber auch zum Teil in der Kommunikationswissenschaft immer noch verbreitete Gleichsetzung von Journalismus und Medien zu überwinden (Kohring 2016, S. 170; Altmeppen et al. 2016, S. 603f.; Haas 2010, S. 63). Diese Unterscheidung der Leistungserbringer in Medien, Journalismus, Gattungen und Angebote verläuft quer zur üblichen Einteilung nach den Betrachtungsebenen Makro (Gesamtsystem), Meso (Organisation) und Mikro (Akteure). Sie strebt eine Typisierung des Journalismus an, die innerhalb des Journalismus Cluster gleicher oder ähnlicher Bereiche identifiziert (Esser 2002, S. 475). Ein Beispiel wäre der Informations- oder der Servicejournalismus. Solche und ähnliche Spezialisierungen müssen journalismustheoretisch entlang medialer, aber v. a. leistungsbezogener bzw. funktionaler und/ oder struktureller Kriterien begründet werden. Als Leistungsempfänger werden die Gesellschaft, ihre Teilbereiche wie Politik, Wirtschaft, Kultur u. a. auf der Makroebene sowie das Publikum auf der Mikroebene betrachtet. Außerdem können einzelne Gruppen wie Entscheidungsträger in den Blick kommen, die auf unterschiedliche Weise anhand gemeinsamer Merkmale definiert werden. In der Übersicht nicht aufgeführt ist die Öffentlichkeit als ein weiterer möglicher Bezugspunkt journalistischer Leistungen. Sie bleibt bei den Betrachtungen dieses Beitrags weitgehend außen vor, weil dieser sich auf journalismustheoretische Überlegungen fokussiert. Schließlich können auch Organisationen, also die Mesoebene, von journalistischen Leistungen profitieren. Zwar werden Organisationen als Rahmenbedingung und Einflussfaktor (in der Kommerzialisierungsforschung) sowie als Voraussetzung (in der Redaktionsforschung) für professionellen Journalismus behandelt. Wegen der Dominanz als z. B. für z. B. <?page no="37"?> 36 Klaus Spachmann makro- und mikrotheoretischer Ansätze in der Journalistik werden die grundsätzlichen Leistungsbeziehungen in Organisationen bislang aber eher vernachlässigt. Deshalb erfordert dieser Aspekt im Folgenden eine nähere Erläuterung. Der traditionelle Blick darauf, was Journalismus für Organisationen leistet, ist: Journalismus ist in kommerziellen Organisationen Teil der Wertschöpfung. Er stellt für Unternehmen ein attraktives und marktfähiges Produkt dar. Anforderungen an die Leistungen der Redaktion ergeben sich aus Markterfordernissen, ökonomischen Zwängen und dem damit verbundenen Umgang mit knappen Ressourcen. Dies hat Einfluss auf die Leistungen von Journalismus. Zum Teil sind die Auswirkungen sogar sehr groß wie insbesondere Ergebnisse der Kommerzialisierungsforschung zeigen. Ökonomische Zwänge und betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten engen den Spielraum für journalistisches Handeln ein, verpflichten den Journalismus in der Regel - d. h. abgesehen von Entgrenzungsphänomenen - aber nicht darauf, dritten Interessen zu dienen und einer fremden Logik zu gehorchen. In jüngerer Zeit rückt unter dem Stichwort Content-Marketing bzw. Content-Management eine andere Leistung des Journalismus für Unternehmen und Organisationen in den Fokus. Mit Journalismus können Unternehmen auch Kommunikationsziele erreichen. Er ist dann Teil der Kommunikationsfunktion - mit allen Konsequenzen für die Leistungs- und Funktionsbezüge von Journalismus, die sich dann eben nicht mehr an der Gesellschaft, sondern an der Organisation ausrichten. Einem solchen „Unternehmensjournalismus“ geht es nicht primär darum, die Gesellschaft umfassend zu beobachten, sondern dies nur insoweit zu tun, als davon Organisationinteressen berührt sind. In der traditionellen Kommunikations- und Journalismustheorie wird diese Konstellation deshalb nicht als Journalismus, sondern als dessen Simulation interpretiert (Hoffjann und Arlt 2015, S. 95). Der Journalismus ist aus dieser Sicht ein Instrument, um Kommunikationsziele zu erreichen. Es ist offen, inwieweit es sinnvoll ist, diese traditionelle Interpretation aufzugeben und das Verständnis bzw. den Sinnbezug von Journalismus auf die Ebene der Organisation oder Phänomene interessengeleiteter Kommunikation auszuweiten, wie dies einige Autoren vorschlagen (etwa Hoffmann 2007). Bei den Perspektiven auf die Leistungen werden zwei Zugänge unterschieden. Im einen Fall geht der Blick vom Journalismus aus. Seine Leistungen werden daraus abgeleitet, was er tut - und letztlich, was er ist oder genauer: als was er beobachtet wird. Diese Perspektive auf Leistungen des Journalismus soll innenbezogen genannt werden. Sie kommt dem betriebswirtschaftlichen und physikalischen Verständnis von Leistung nahe, das Leistung mit Arbeit bzw. Energie in Verbindung bringt und ins Verhältnis zu einer Zeitspanne setzt. Werden innenbezogene Leistungen betrachtet, muss im übertragenen Sinne also ausgesagt werden, was die journalistische „Arbeit“ bzw. „Energie“ ist. Im anderen Fall wird von außen auf den Journalismus geschaut. Leistungen werden daraus abgeleitet, welchen Nutzen oder Beitrag er für andere Bereiche erbringt. Diese Perspektive auf Leistungen des Journalismus soll außenbezogen genannt werden. Sie benötigt die Nennung des Bezugssystems und ein Verständnis davon, wie Journalismus das Handeln oder die Prozesse darin unterstützen kann. Die beiden Perspektiven auf journalistische Leistungen - innen- und außenbezogen - verweisen auf die Beobachtungsgrundlagen und - im Falle der Wissenschaft als Beobachter - auf die theoretische Fundierung des Journalismus sowie seines Umfelds (vgl. <?page no="38"?> Was leistet Journalismus? 37 Kap. 2.3). Bei den innenbezogenen Leistungen ist das basale Verständnis von Journalismus berührt. In der Journalismustheorie existieren hierzu zwei grundlegende Zugänge. Zum einen wird Journalismus als Kommunikationshandeln individueller (Journalisten) und kollektiver Akteure (Redaktionen) betrachtet. Zum anderen rückt Journalismus als System, das für die Gesellschaft eine Problemlösung exklusiv erbringt, in den Blick. Auch bei den außenbezogenen Leistungen sind die Zugänge der Journalismustheorie zu ihrem Gegenstand entscheidend. Denn: Sowohl im Kommunikationsmodell als auch in Systemansätzen ist das Umfeld von Journalismus bzw. dessen Kommunikationspartner mit angelegt. Im einen Fall als Publikum oder Rezipienten, die sich auf der Empfängerseite des Kommunikationsprozesses befinden; im anderen Fall als Gesellschaft, die neben dem Journalismus (oder einem übergreifenden System Öffentlichkeit) aus weiteren Funktionssystemen besteht. Darüber hinaus gibt es mit den Cultural Studies einen jüngeren Ansatz, der Journalismus konsequent vom Publikum her theoretisch definiert und er sch ließ t (Lü n enb or g 201 6; 2 00 5). Da du rch ge rat en Inf ormat ions le is tu nge n de s Journalismus in den Hintergrund. Stattdessen geht es um kulturelle Leistungen und Bedeutungsherstellung auf Seiten des Publikums. Trotz dieser Ansätze, die das Umfeld des Journalismus durchaus systematisch berücksichtigen, gilt: Nach wie vor ist die Journalismustheorie stark auf die Kommunikator- und Leistungsseite fokussiert (Lueginger und Thiele 2016, S. 565). Dementsprechend steht in Ansätzen, die auf Kommunikation abzielen, das professionelle Handeln der Journalisten als Kommunikatoren im Mittelpunkt. Das Publikum wird dann hauptsächlich als Referenz betrachtet (und fließt in Form von Erwartungen des Publikums und „Erwartungs-Erwartungen“ bzw. dem Publikumsbild der Journalisten in die Betrachtung ein). Viele systemtheoretische Ansätze definieren das Publikum sogar aus dem Journalismus heraus und behandeln es als (innere) Umwelt (kritisch dazu: Lünenborg 2005, S. 27ff.). Bei den außenbezogenen Leistungen richtet sich deshalb der Blick auch über die Journalismustheorie im engen Sinne hinaus auf andere Felder der Kommunikations- und Sozialforschung. Mikrotheoretisch liefern insbesondere die Rezeptions- und Publikumsforschung aussagekräftige Konzepte, wie die Menschen journalistische Angebote nutzen und auf welche Weise sie die erhaltenen Informationen in ihre Handlungen bzw. Entscheidungen integrieren. Diese sind für die Leistungsanalyse hilfreich. Allen voran sind Information und Orientierung entsprechende Medienleistungen, die in den verschiedenen Ansätzen hergeleitet und ausdifferenziert werden. Allerdings liegt die Herausforderung darin, dass solche Konzepte zumeist nicht oder nicht ausdrücklich mit dem Journalismus verbunden werden. Hier ist die Journalismustheorie gefragt, verstärkt integrierte Ansätze zu entwickeln. Auf der Makroebene thematisieren die Soziologie und allen voran die Politikwissenschaft die Rolle des Journalismus - etwa wenn es darum geht, für Integration zu sorgen und die politischen Prozesse zu unterstützen. Speziell die Konzepte und Aussagen der Öffentlichkeitssoziologie (etwa Gerhards und Neidhardt 1994) sind auch für den Journalismus und den Blick auf dessen Leistungen fruchtbar. Zum Teil werden sie auch direkt mit journalismustheoretischen Überlegungen verbunden - etwa wenn die veränderte Rolle des Journalismus in der Internet-Öffentlichkeit analysiert wird (Neuberger 2009, S. 33ff.). <?page no="39"?> 38 Klaus Spachmann Zusammenfassend wird mit der vorgestellten Systematisierung ein zweidimensionaler Leistungsbegriff vorgeschlagen. Er betrachtet journalistische Leistungen in Relation zu einem Bezugssystem, geht aber von zwei unterschiedlichen Ausgangspunkten aus. Aus der Binnenperspektive des Journalismus rückt in den Blick, was Journalismus macht, das Dritten nutzen kann. Aus der Außenperspektive des Umfelds wird geschaut, welchen Nutzen für Dritte Journalismus besitzt. Daran knüpfen weitere Theorieentscheidungen mit der Festlegung von Leistungserbringern und Leistungsempfängern an. 22. .33 ÜÜbbeer rbblli icckk: : LLeei isst tu unngge en n d dees s JJoou urrnnaal liissm muuss iin n P Prraax xi iss u unndd W Wi isss seennsscch haafftt Wie werden die Leistungen des Journalismus konzipiert und gesehen? Dieses Kapitel skizziert zuerst, wie die journalistische Praxis und die Journalisten selbst die Leistungen sehen. Dann wird kursorisch dargestellt, wie die Journalismuswissenschaft damit umgeht. Aus Sicht der Praxis des Berufs- und Handlungsfelds geht es um Selbstverständnis und berufliche Ziele der Journalisten. Im Blick stehen also Selbst-Wahrnehmung und Selbst- Reflexion der journalistischen Arbeit. Neben Einzelaussagen von Journalisten sind hierfür Standesvertretungen und berufspolitische Einrichtungen wie der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) eine wichtige Instanz. In der vom DJV herausgegebenen Broschüre zum Berufsfeld wird Journalisten die Aufgabe zugewiesen, „Sachverhalte oder Vorgänge öffentlich zu machen, deren Kenntnis für die Gesellschaft von allgemeiner, politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Bedeutung ist“ (DJV 2015, S. 2). Des Weiteren ist vom „öffentlichen Auftrag zur Information, Kritik und Kontrolle“ die Rede. Er besteht darin, „durch ein umfassendes Informationsangebot in allen publizistischen Medien […] die Grundlage dafür [zu schaffen], dass jede/ r die in der Gesellschaft wirkenden Kräfte erkennen und am Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung teilnehmen kann“. Dies sind „Voraussetzungen für das Funktionieren des demokratischen Staates“. Diese Berufsbild- und Aufgabenbeschreibung des DJV zeigt, wie sehr das Berufsbild normativ von der sogenannten „öffentlichen Aufgabe“ aufgeladen ist. Verstärkt wird dies durch gleiche oder ähnliche Aufgabenzuschreibungen, wie sie die Politik und Recht vornehmen. Bezugspunkte der außenbezogenen Leistungen sind die Gesellschaft und das demokratische politische System, dessen Prozesse die Arbeit der Journalisten unterstützen soll. Bemerkenswert: Die normativen Referenzpunkte, an denen sich die Journalisten dabei ausrichten, liegen v. a. in Politikwissenschaft und Demokratietheorie. Journalistik und Kommunikationswissenschaft besitzen für das Berufsfeld dagegen offensichtlich nur wenig Anziehungskraft, um als Orientierung zu dienen. Hier wirkt die journalismuswissenschaftliche Arbeit nicht oder kaum in das Berufsfeld zurück - häufig werden sie und die damit verbundene Expertise nicht einmal zur Kenntnis genommen, wie Haller (2016, S. 134f.) anhand der Berichterstattung über aktuelle berufspolitische Fragen in der DJV-Verbandszeitschrift „journalist“ deutlich macht. Er führt dies darauf zurück, dass es im Journalismus - anders als etwa im Recht und in der Medizin - kein „die Wissenschaft mit der Berufswelt verbindendes Paradigma“ (ebd., S. 137) gibt. Als innenbezogene Leistungen nennt der DJV im obenstehenden Zitat, ein Informationsangebot herzustellen sowie Themen öffentlich zu machen. Konkret beschrieben <?page no="40"?> Was leistet Journalismus? 39 wird dies entlang der einzelnen Schritte des Arbeitsprozesses, wie es in der Broschüre heißt (DJV 2015, S. 3): „Zu journalistischen Leistungen gehören vornehmlich die Erarbeitung von Wort- und Bildinformationen durch Recherchieren (Sammeln und Prüfen) sowie Auswählen und Bearbeiten der Informationsinhalte, deren eigenschöpferische medienspezifische Aufbereitung (Berichterstattung und Kommentierung), Gestaltung und Vermittlung, ferner disponierende Tätigkeiten im Bereich von Organisation, Technik und Personal.“ Innenbezogene Leistungen des Journalismus werden also - wenig überraschend - m it den ko mmunikat ivve rmitte lnden Tätig keit en der Redakt eu re in Verbindung gebracht. Die Journalismusforschung legt eigene Perspektiven an den Gegenstand an. Diese drücken sich in (journalismus-)theoretischen Ansätzen und Ergebnissen empirischer Studien aus. Ausmaß und Art der Verbindung zwischen Theorie und Empirie ebenso wie der Grad an (meta-)theoretischer Begründung und die Reflexion sind dabei je nach Theorieverständnis und methodologischer Ausrichtung unterschiedlich (für eine Übersicht: Löffelholz 2016; Scholl 2013). Das jeweilige theoretische Setting legt wichtige Punkte fest, welche die Beobachtungsperspektive bestimmen: Was wird als Journalismus in den Blick genommen wird? Wer oder was ist also der Untersuchungsgegenstand - sind es einzelne Angebote, Mediengattungen oder der Journalismus insgesamt? Als was wird Journalismus betrachtet - etwa als Profession, Handlungszusammenhang oder Funktionssystem? Wie werden das Umfeld und der Kontext von Journalismus modelliert - ist er etwa in Organisationen eingebettet, wird er als Teil der Öffentlichkeit oder der Gesellschaft modelliert? Welche Rolle hat das Publikum? Mit diesen Festlegungen hängt auch zusammen, was unter journalistischen Leistungen sowohl innenals auch außenbezogen zu verstehen ist. Grundsätzlich lassen sich die Berufsfeld-Forschung und die gesellschaftsorientierte Journalismusforschung unterscheiden, die im Folgenden im Hinblick auf ihren Umgang mit Leistungen skizziert werden. Die reflexive, journalistische (Berufsfeld-)Forschung agiert nahe an der journalistischen und medialen Praxis. Sie richtet sich direkt an den Journalisten, ihren organisatorischen Kontexten und ihrem beruflichen Handeln aus und bezieht auch zum Teil das Publikum mit seinem Nutzungsverhalten mit ein. Ihre Kategorien und Zugänge schöpft sie vorwiegend aus dem Gegenstand heraus. Daraus werden die sogenannten Theorien mittlerer Reichweite entwickelt. Anders als solchen mit universellem Geltungsanspruch („grand theories“) fehlt ihnen der Regel der Bezug zum Journalismus insgesamt. Theorien mittlerer Reichweite geht es gar nicht darum, Journalismus umfassend und vollständig zu erklären. Vielmehr fokussieren sie einzelne Ausschnitte oder Aspekte, die sich aus den (empirischen) Forschungsfragen ergeben (Scholl 2013, S. 171). Die Forschungsbereiche sind dabei so vielfältig wie der Journalismus selbst. Scholl (2013, S. 171) unterscheidet ohne Anspruch auf Vollständigkeit Nachrichtenauswahl-, Professionalisierungssowie Medieninhaltsforschung. Hier zeigt sich: Journalismus wird als professionelle, massenmediale Kommunikation betrachtet. Theorien mittlerer Reichweite beschreiben die innenbezogenen Leistungen des Journalismus dabei meist sehr konkret (als Kommunikation), auch wenn sie den Kommunikationsprozess in der Regel nicht vollständig erklären, sondern einzelne Aspekte, Arbeitsschritte oder Ergebnisse <?page no="41"?> 40 Klaus Spachmann herausgreifen bzw. sich auf einzelne Elemente beschränken - etwa die Auswahl von Nachrichten, der Umgang mit Quellen oder die Einhaltung von Qualitätsstandards. Außenbezogene Leistungen des Journalismus rücken insbesondere in der Professionalisierungsforschung als berufliche Normen in den Blick. Sie werden als Leistungsabsichten der Journalisten konzipiert und u. a. mit dem in der empirischen Forschung weit verbreiteten Konzept der Rollenselbstverständnisse über die Abfrage beruflicher Ziele und Handlungsmotive gemessen. Bezugspunkte sind auch hier das Publikum (unterhalten, informieren, orientieren, Rat geben) sowie (gesellschafts-)politische Akteure und Räume (kritisieren und kontrollieren, missionieren, artikulieren). Der Unterschied zwischen Leistungsvermögen und tatsächlich erbrachter Leistung wird dann z. B. als Differenz zwischen normativem Anspruch der Journalisten einerseits und ihrer Arbeitswirklichkeit in Redaktionen und Medienunternehmen andererseits analysiert. Die „Journalismus in Deutschland“-Studien setzen dies mit dem Konstrukt der Handlungsrelevanz empirisch um (Weischenberg et al. 2006; Scholl und Weischenberg 1998). Vereinzelt werden die Leistungen des Journalismus auch aus Publikumssicht untersucht - und zwar sowohl als Erwartungen der Rezipienten als auch als Einschätzungen, inwieweit Journalisten die Leistungen tatsächlich erbringen (Haller 2015; Donsbach et al. 2009). Auch die Qualitätsforschung kümmert sich um Leistungen. Sie leitet Anforderungen an den Journalismus („Qualitätsstandards“) in verschiedenen Dimensionen ab und überprüft empirisch - z. B. mit Inhaltsanalysen -, ob bzw. inwieweit diese erfüllt werden. Die beiden journalismusexternen Referenzpunkte hierfür sind wiederum Publikumserwartungen und Erwartungen aus der Gesellschaft - wobei für letztere stellvertretend rechtliche Kodifizierungen und Aufgabenzuweisung von Politikern und anderen Gruppen herangezogen werden. Die Qualitätsstandards werden also in aller Regel normativ, entweder aus dem Selbstverständnis der Journalisten oder eben aus den Leistungserwartungen Dritter, abgeleitet. Selbst wenn die Leistungserwartungen theoretisch begründet werden, wird dabei in der Regel nicht auf journalismus-, sondern auf politikwissenschaftliche und demokratietheoretische Arbeiten zurückgegriffen (Neuberger 2013, S. 101). Matthias Kohring (2004, S. 170) kritisiert die journalistische Qualitätsforschung deshalb zu Recht dafür, dass sie journalismustheoretisch (gemeint sind „grand theories“) wenig oder gar nicht reflektiert ist. Über die Journalismusforschung im engen Sinne hinaus existieren insbesondere im Bereich der Publikumsforschung zahlreiche Ansätze, die sich nicht auf den Journalismus beziehen, sondern mit dem allgemeinen Begriff der (Massen-)Medien arbeiten. Medienleistungen oder -funktionen werden dann meist ohne tiefer gehende theoretische Begründung in deskriptiven Katalogen gesetzt (etwa Burkart 2002) und in Publikumsbefragungen untersucht - z. B. in der Langzeitstudie Massenkommunikation (Breunig und van Eimeren 2015). Solche Vorgehensweisen sind journalismustheoretisch unterkomplex, denn es bleibt unklar, welche Rolle dem Journalismus im Vergleich zu anderen Bereichen (massen-)medialer Kommunikation wie etwa Fiktion oder Unterhaltung für das Publikum und in der Gesellschaft zukommt. Genauso wenig wird ausreichend erklärt, worin denn der spezielle journalistische Beitrag besteht, wenn das Medienpublikum informiert wird oder Orientierung bekommt. Gerade angesichts der vielen neuen medialen (Hybrid-)Formen, wie sie im und durch das Internet entstanden sind, ist eine solche Vorgehensweise wenig aussage- und v. a.: erklärungskräftig. Hier sind komplexere theoretische Zugänge gefragt. Weischenberg schreibt bereits 1995 (S. 105) in seinem Lehrbuch zur Journalistik, dass ein statisches Systemdenken im Sinne einer deskriptiven <?page no="42"?> Was leistet Journalismus? 41 „funktionalen Analyse“ von Medien nicht mehr auf der Höhe der aktuellen erkenntnis- und kommunikationstheoretischen Diskussion ist. Anders als die Theorien mittlerer Reichweite ermöglichen gesellschaftstheoretische Ansätze der Journalismusforschung eine ganzheitliche Erklärung des Journalismus. Sie ordnen ihn in einen sozialen und gesellschaftlichen Kontext ein, d. h. sie beziehen ihn auf ein mehr oder weniger komplex modelliertes Umfeld aus Gesellschaft, Öffentlichkeit, Wirtschaft, Politik und anderen gesellschaftlichen Teilbereichen. Zum Teil werden auch das Publikum und Organisationen als Kontext berücksichtigt. Entscheidend ist, dass diese Bezugspunkte in ein in sich konsistentes Theoriegebäude, das sich auf die Gesellschaft oder das Soziale bezieht, eingebunden sind. Die „grand theories“ der Journalistik nutzen hierzu übergreifende sozialwissenschaftliche Ansätze und Basistheorien, die sie auf ihren Gegenstand übertragen. Dazu zählen insbesondere die Systemtheorie in der Prägung von Niklas Luhmann, konstruktivistische Ansätze, komplexe - wie Löffelholz (2016, S. 51) schreibt: nicht akteurstheoretisch verkürzte - (interpretative) Handlungstheorien sowie System- und Akteursebene miteinander verbindende, integrative Sozialtheorien (Scholl 2013, S. 170). Jüngere Theorieinnovationen sind etwa kulturtheoretische Ansätze bzw. die Cultural Studies und Arbeiten auf Basis der Feldtheorie von Pierre Bourdieu. Aufgrund der grundlegenden, übergreifenden Theoriearchitektur gehen die gesellschaftstheoretischen Ansätze mit den Leistungen des Journalismus anders um als die Theorien mittlerer Reichweite. Ihnen geht es nicht um Einzelerscheinungen und isolierte Zusammenhänge, die empirisch untersucht werden sollen, sondern um eine sozial- und kommunikationstheoretische (Er-)Klärung des Gesamtphänomens. Dazu gehört auch, dass innen- und außenbezogene Leistungen - zumindest im Ansatz - integriert betrachtet werden. Stark vereinfacht lassen sich zwei Zugänge unterscheiden: Mikrotheoretisch orientierte Ansätze betrachten Journalismus als (professionelle) Kommunikation, fokussieren individuelle Akteure und thematisieren handlungsbzw. entscheidungsrelevante Leistungen für das Publikum. Makrotheoretisch ausgerichtete Ansätze behandeln dagegen Journalismus als (Leistungs-)System, argumentieren auf Ebene der Gesellschaft und betrachten prozessbezogene Leistungen für andere gesellschaftliche Teilsysteme. Die systemtheoretischen Ansätze nutzen Funktionen und Leistungen als zentrale Zugänge und Theorieelemente. Deren grundlegende Beobachtungsperspektive ist dabei außenbezogen: Journalismus wird von seinem (gesellschaftlichen) Umfeld her erklärt und nicht - wie bei den handlungstheoretischen Ansätzen - aus der Innensicht der Journalisten als beteiligte Akteure heraus (Bucher 2016, S. 218). Den gesellschaftstheoretischen und speziell den systemtheoretischen Ansätzen kommt bei der Betrachtung der Leistungen von Journalismus deshalb eine besondere Bedeutung zu, die in Kap. 2.4 näher erläutert wird. <?page no="43"?> 42 Klaus Spachmann 22. .44 LLe eiisst tu un ngge en n d de es s J Joou ur rnnaalli issm mu us s i in n g ge esseelll ls sc ch ha af fttsst th heeoor re ettiis sc ch he enn AAn nssäättz zeenn Funktional-strukturalistische, systemtheoretische Ansätze stellen die Funktion des Journalismus an den Ausgangspunkt der Betrachtung. Journalismus wird als Funktionssystem der Gesellschaft oder als Leistungssystem eines übergeordneten Systems Öffentlichkeit untersucht (für eine Übersicht über die verschiedenen Entwürfe etwa Pörksen und Scholl 2011, S. 35). Weil Journalismus in einem gesellschaftlichen Kontext modelliert wird, besitzt der Ansatz große Vorteile für die Analyse von Leistungen. Dabei ist die Unterscheidung zwischen Funktion und Leistung zentral. Funktion bezieht sich auf das übergeordnete Gesamtsystem - also letztlich die Gesellschaft - und fragt nach dem exklusiven Beitrag des Journalismus zur gesellschaftlichen Problemlösung. Leistung beschreibt dagegen die Beziehungen zu Systemen der gleichen Betrachtungsebene - also den anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen wie Politik oder Wirtschaft. Damit gehen auch verschiedene Betrachtungsperspektiven einher (Hoffjann und A rlt 2 015, S. 10 ): Funk tio n s tellt den F oku s auf d en Journa lis mu s , Le is tu ng le nkt d age ge n den Blick auf das Umfeld. Hinsichtlich des vorgeschlagenen zweidimensionalen Leistungsbegriffs ist die Funktion innenbezogen, während die Leistungen außenbezogen sind. Noch entscheidender ist: Die beiden Konstrukte besitzen in der systemtheoretischen Theoriearchitektur einen unterschiedlichen Status. Die Funktion wird a priori gesetzt. Sie ist letztlich ein „Fixum“ (Görke 1999, S. 273), aus dem sich wiederum der spezifische „Code“ bzw. „Sinn“, nach dem Journalismus funktioniert, ergibt. Die Festlegung von Funktion und Code ist (system-)theoretische Grundlagenarbeit. Einmal vorgenommen, bestimmt sie ein für alle Mal (zumindest bis zur Revision dieser grundlegenden Theorieentscheidung), wie der Gegenstand betrachtet wird. Dabei ist durchaus umstritten, ob es überhaupt sinnvoll ist, Journalismus auf diese Weise als Funktionssystem zu beschreiben (kritisch etwa Haller 2016, S.142; Jarren 2015, S. 119). Ebenso sind sich die systemtheoretischen Journalismusforscher uneinig, wie Funktion und insbesondere Code im Einzelnen festzulegen sind (Pörksen und Scholl 2011, S. 36). Die Leistungen des Journalismus sind hingegen variabel. Sie beschreiben den operativen Austausch des Journalismus mit anderen Systemen, der im Rahmen von strukturellen Kopplungen abläuft. Innerhalb des Journalismus ist der Leistungsaustausch auf Ebene der journalistischen Programme - also der operativen Umsetzung des Codes - angesiedelt. Sie treten in Varianten auf und sind veränderbar (Görke 2004, S. 239). Journalismus unterstützt oder - offener formuliert - irritiert auf diese Weise die Prozesse in anderen Funktionssystemen und bildet dafür spezielle Strukturen und Programme wie etwas Ressorts oder Berichterstattungsmuster aus. Damit lässt sich fruchtbar analysieren, was Journalismus leistet, aber auch wie er dies anstellt. Gerade diese Aspekte wurden in der bisherigen Theoriebildung bislang nicht besonders stark ausgearbeitet. Sie legt ihr Hauptaugenmerk auf die Grenzproblematik des Funktionssystems Journalismus/ Öffentlichkeit und damit auf die Theorieelemente Funktion und Code (Görke 2004, S. 237f.). Mit der Ressorttheorie von Meier (2002) liegt jedoch eine fruchtbare Grundlagenarbeit vor, die Intersystembeziehungen in den Vordergrund stellt. Sie erklärt thematische und strukturelle Differenzierungen im Journalismus aus <?page no="44"?> Was leistet Journalismus? 43 den jeweils spezifischen Mechanismen und Prozessen in den Systemen, die in der Umwelt des Journalismus angesiedelt sind. Für den speziellen Bereich Wirtschaftsjournalismus gibt es außerdem eine Modellierung als strukturelle Kopplung zwischen Wirtschaft und Journalismus (Spachmann 2005; vgl. nachfolgender Beitrag in diesem Band). Neuberger (2008, S. 254f.) konkretisiert, was die Leistungen des Journalismus für andere Funktionssysteme sind. Demnach bestehen sie darin, innerhalb der Systeme zwischen Leistungserbringern (etwa Parteien und Unternehmen) und Leistungsempfängern (etwa Staatsbürger und Verbraucher) zu vermitteln. Systeme wie die Politik mit Wahlen oder die Wirtschaft mit dem Markt besitzen kollektive Steuerungsprinzipien, über die die Menschen einbezogen werden. Die journalistische Berichterstattung unterstützt diese Prozesse, indem sie Transparenz über das Leistungsangebot schafft und Erwartungen der Beteiligten artikuliert. Indem Neuberger die Aktivitäten des Journalismus systematisch auf Vorgänge und Inklusionsmechanismen innerhalb der Systeme in seiner Umwelt b ezieht, liefert er eine erklär ungskräftige Bestimmung der (außenbezogenen) Leist unge n des Journalismus. Leistungsempfänger sind dabei einerseits allgemein die einzelnen Funktionssysteme. Andererseits rücken die speziellen Rollen innerhalb der Systeme in den Blick. Der Übergang zum Publikum als Leistungsempfänger fällt vielen systemtheoretischen Journalismuskonzepten dagegen schwer. Häufig bleibt das Publikum außen vor oder findet nur am Rande - etwa als innere Umwelt des Systems - Beachtung. Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Kohring (2004). Er übersetzt die abstrakte, gesellschaftstheoretisch hergeleitete Funktion von Journalismus - als Beobachtung und Thematisierung der Mehrsystemzugehörigkeit gesellschaftlicher Ereignisse - in eine Orientierungsfunktion für das Publikum (ebd., S. 161). Auf diese richten sich die Erwartungen des Publikums, die er als Vertrauen in Journalismus in vier Dimensionen modelliert und empirisch validiert. Drei Vertrauensdimensionen beziehen sich auf wichtige Schritte im journalistischen Arbeitsprozess (ebd., S. 171ff.): Die Themen-Selektivität, die Fakten-Selektivität und die explizite Bewertung von Themen. Das Publikum verlässt sich darauf, dass die Medien diejenigen Ereignisse aufgreifen, die einen hohen Orientierungswert aufweisen. Nach der Entscheidung für ein Thema erfolgt die Auswahl weiterer Informationen, Fakten und Quellen. Auch hier richtet sich das Vertrauen des Publikums auf die richtige Auswahl der Aspekte. Bei den Bewertungen geht es um Kommentare, Hinweise und Handlungsempfehlungen der Journalisten. Sie liefern direkte Anhaltspunkte für die Leser, wie Ereignisse und Informationen einzuordnen sind. Die vierte Dimension ist die faktische Richtigkeit von Beschreibungen. Mit diesem vierdimensionalen Vertrauensmodell lenkt Kohring den Blick auf die spezifischen Leistungen des Journalismus, die an das Publikum zurückgespiegelt werden: wichtige Themen und Ereignisse aus dem öffentlichen Leben angemessen auszuwählen und so für Handlungsorientierung zu sorgen. Die Klammer zwischen Journalismus und Publikum ist dabei ein vertrauenstheoretischer Ansatz, den Kohring mit der Journalismustheorie verbindet. Er konzipiert Vertrauen auf Ebene der Systemprogrammierung als Vertrauen in das richtige Funktionieren des Systems (ebd., S. 161). Systemtheoretische Journalismuskonzepte bieten v. a. für die außenbezogene Leistungsanalyse viel Potenzial. Wegen ihres speziellen Theoriezugangs besitzen sie jedoch auch Engführungen und Nachteile. Kritisiert wird, dass systemtheoretische Konzepte einen <?page no="45"?> 44 Klaus Spachmann abstrakten Kommunikationsbegriff zugrunde legen, der von Akteuren und ihrem kommunikativen Handeln abgekoppelt ist (Haller 2016, S. 134). Vor dem Hintergrund des hier vorgeschlagenen zweidimensionalen Leistungsbegriffs bedeutet dies: Die innenbezogenen Leistungen verkümmern, wenn Journalismus abstrakt-gesellschaftstheoretisch begründet wird und dem gleichen sozialen Mechanismus wie alle anderen Funktionssysteme gehorchen soll. Die Nachteile können zwar durch Hinzunahme weiterer, komplementärer theoretischer Zugänge - allgemein die Handlungstheorie oder wie im Falle von Kohrings Ansatz die Vertrauenstheorie - ausgeglichen werden. Haller (2016, S. 134) weist aber darauf hin, dass auch integrative Ansätze, die System und das Handeln von Akteuren miteinander verknüpfen, diesen Mangel nicht beseitigen können: „Alle diese Vorschläge beziehen das journalistische Handeln auf vorgegebene Strukturkontexte und lösen die Dimension des Handelns aus seinem kommunikativen Zusammenhang, in welchem den Handlungen - wenn wir im Habermas’schen Sinne an verständigungsorientierte Kommunikation denken - erst Sinn und Zweck zukommt.“ Die Alternative ist, Journalismus konsequent durch Nutzung eines handlungstheoretischen Kommunikationsbegriffs zu beschreiben. Dann kann auf Theorien mittlerer Reichweite zurückgegriffen werden - was aber bedeutet, auf eine „grand theory“ zu verzichten. Einen anderen Weg beschreiten journalismustheoretische Ansätze, die auf Habermas’ Theorie kommunikativen Handelns basieren. Sie ist gesellschaftstheoretisch anschlussfähig und denkt ausgehend vom Individuum Systemwelt und Lebenswelt zusammen. Hierzu existieren einzelne Arbeiten. Brosda (2008) konzipiert in einem diskurstheoretischen Ansatz Journalismus als verständigungsorientiertes Handeln in der Lebenswelt. Damit wird Verständigung zu der zentralen (innenbezogenen) Leistung. Aus der außenbezogenen Perspektive besitzt Journalismus die Rolle eines Vermittlers zwischen zweckrationaler Systemwelt auf der einen und kommunikativer Lebenswelt auf der anderen Seite. Dazu gehört auch, dass sein Umgang mit (Alltags-)Sprache in den Fokus rückt. Die Unterschiede zu den abstrakten systemtheoretischen Funktions- und Leistungszuschreibungen, bei denen Journalismus einer zweckrationalen Logik verhaftet bleibt und systemische (Abnehmer-)Rollen konzipiert werden, können größer kaum sein - auch wenn dem Journalismus im Ansatz von Brosda durch die Zugehörigkeit zu den Massenmedien ebenfalls systemischer Charakter zugesprochen wird. 22..5 5 FFa azziitt: : UUm mg ga anngg dde er r JJoouurrnnaalliissttiikk mmi itt LLeeiissttuunnggeenn ddeess JJoouurrnnaalliissmmu uss Gerade angesichts der großen Veränderungen im Medienumfeld und im Journalismus selbst ist es fruchtbar, bei der Analyse von Journalismus auf dessen Leistungen zu schauen. Dies gilt umso mehr, da sich Journalismus einerseits immer mehr differenziert und andererseits seine Grenzen zu anderen Kommunikationsbereichen unscharf werden. Die kursorische Übersicht, wie die Journalistik mit den verwandten, zum Teil synonym verwendeten Begriffen Funktion und Leistung umgeht, hat gezeigt, welche vielfältigen, mitunter sehr unterschiedlichen Zugänge es in der Forschung dazu gibt. Die vorgeschlagene begriffstheoretische Systematisierung und die Unterscheidung einer innen- und außenbezogenen Dimension von Leistung bietet eine Möglichkeit, das Konzept theore- <?page no="46"?> Was leistet Journalismus? 45 tisch und empirisch zu schärfen. Aufgaben und Anforderungen an die Journalismusforschung stellen sich dabei sowohl hinsichtlich der Leistungserbringer als auch der Leistungsempfänger. Bezogen auf die Leistungserbringer geht es darum, zum einen den Journalismus insgesamt zu betrachten und zu untersuchen, was die journalistischen Leistungen grundsätzlich ausmacht - auch und gerade im Vergleich zu anderen Bereichen öffentlicher und interpersonaler Kommunikation wie etwa Public Relations oder Gespräche mit Meinungsführern. Insbesondere sind die journalistischen Leistungen von denen anderer Formen (massen-)medialer Kommunikation abzugrenzen, wie sie im Internet in unterschiedlichen Varianten entstanden sind. Zum anderen stehen verschiedene Teilbereiche und Gattungen bzw. Typen des Journalismus im Blick. Hier ist zu analysieren, worin sich die Leistungen jeweils unterscheiden und was Besonderheiten, aber auch Gemeinsamkeiten sind. Auf Seite der Leistungsempfänger sind die Bezugspunkte zu klären. Die klassische Betrachtung von Gesellschaft und ihrer Systeme einerseits sowie dem Publikum andererseits sind jeweils weiter zu differenzieren. Bei den gesellschaftlichen Bereichen ist es nicht nur die Politik bzw. die politische Öffentlichkeit, die Leistungen vom Journalismus empfängt. Sie dominiert aber - auch durch den Fokus auf den Informations- und Qualitätsjournalismus - im Entdeckungs- und Verwendungsebenso wie im Begründungszusammenhang nach wie vor in weiten Teilen die journalismuswissenschaftliche Diskussion. Beim Publikum können sehr unterschiedliche Gruppen betrachtet werden, die sich in ihren Leistungserwartungen zum Teil stark unterscheiden. Sie kommen in der Journalismusforschung bislang zu kurz. Neben diesen mit der gesellschaftliche Ebene und dem Publikum klassischen Bezugspunkten können zukünftig auch journalistische Leistungen für Organisationen stärker in den Fokus rücken - etwa als Teil der Kommunikationsfunktion oder als Leistungssystem der Organisationsöffentlichkeit. Anforderungen an die Journalismustheorie ergeben sich im Hinblick darauf, wie die Leistungen des Journalismus abgeleitet und begründet werden. Anwendungsorientierte Studien und Theorien mittlerer Reichweite untersuchen einzelne Leistungsbezüge und begründen sie meist isoliert entweder aus innen-(Journalismus-)bezogener oder außen- (Publikums-)bezogener Perspektive. Grundlegende Erklärungsansätze („grand theories“) bringen dagegen innen- und außenbezogene Leistungen zusammen. Systemtheoretische Ansätze sind dabei sehr erklärungskräftig, wenn es um den Leistungsaustausch des Journalismus mit anderen Systemen geht. Der Fokus liegt dabei bislang jedoch nach wie vor eher auf dem Journalismus selbst und auf seiner Abgrenzung nach außen. Zukünftig sollten verschiedene Gattungen und Spezialisierungen innerhalb des Journalismus und ihr Leistungsaustausch mit den jeweiligen Bereichen im Umfeld stärker bearbeitet werden. Eine offene Flanke besitzen systemtheoretische Ansätze, wenn es darum geht, Leistungen für das Publikum einzubeziehen und die innenbezogene Leistung als Kommunikation(-sprozess) zu beschreiben. Hier besitzen handlungstheoretische Ansätze Vorteile. Dies gilt insbesondere für interpretative Konzepte, die gesellschaftstheoretische Bezüge aufweisen. Vielversprechend ist etwa die Arbeit von Brosda (2008). Er modelliert Journalismus als kommunikatives Handeln, verortet ihn zwischen System- und Lebenswelt und begründet Verständigung als zentrale journalistische Leistung. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um die Entfremdung zwischen Journalismus und Teilen seines Publikums ist das ein interessanter Erklärungsansatz. <?page no="47"?> 46 Klaus Spachmann LLiit te erraat tuurr Altmeppen, K.-D., Greck, R., & Kössler, T. (2016). Journalismus und Medien. In M. Löffelholz & L. Rothenberger (Hg.), Handbuch Journalismustheorien (S. 603-618). Wiesbaden: Springer VS. Beck, K. (2013). Funktion. In G. Bentele, H.-B. Brosius & O. Jarren (Hg.), Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft (S. 98-99). 2., überarb. und erw. Aufl. Wiesbaden: Springer VS. 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Stand und Perspektiven (S. 167-194). Baden-Baden: Nomos. <?page no="49"?> 48 Klaus Spachmann Spachmann, K. (2005). Wirtschaftsjournalismus in der Presse. Theorie und Empirie. Konstanz: UVK. Weischenberg, S, Malik, M., & Scholl, A. (2006). Die Souffleure der Mediengesellschaft. Report über die Journalisten in Deutschland. Konstanz: UVK. Weischenberg, S. (1995). Journalistik. Theorie und Praxis aktueller Medienkommunikation, Band 2. Medientechnik, Medienfunktionen, Medienakteure. Opladen: Westdeutscher Verlag. Weischenberg, S. (2010). Das Jahrhundert des Journalismus ist vorbei. In H. Bohrmann & G. Toepser-Ziegert (Hg.), Krise der Printmedien: Eine Krise des Journalismus? (S. 32-61). Berlin; New York: de Gruyter/ Saur. Wright, C. R. (1964). Functional Analysis and Mass Communication. In L. A. Dexter & M. White (Hg.), Peoples, Society and Mass Communication (S. 91-109). New York: The Free Press. <?page no="50"?> 33 WWa ass lleei isst te et t WWi irrtts sc chhaafftts sj joouurrnnaalliissm muuss? ? ZZwwiisscchheenn GGeesseellllsscchhaafftt" WWiirrttsscchhaaf ftt uunndd AAllllttaaggsswweelltt ddeerr MMeennsscchheenn Klaus Spachmann Der Beitrag geht zunächst auf die Kritik an den Leistungen des Wirtschaftsjournalismus ein (Kap. 3.1). Leistungserbringer (Was ist Wirtschaftsjournalismus? ) und Leistungsempfänger (Für wen werden Leistungen erbracht? ) werden diskutiert (Kap. 3.2). Dann wird ein theoretischer Ansatz vorgestellt, der Wirtschaftsjournalismus als strukturelle Kopplung zwischen Wirtschaft und Journalismus beschreibt und verschiedene Varianten unterscheidet, die jeweils spezielle Leistungsschwerpunkte aufweisen (Kap. 3.3). Schließlich werden ausgewählte Ergebnisse empirischer Studien präsentiert. Sie geben Hinweise, was Wirtschaftsjournalisten tatsächlich leisten (wollen) und was das Publikum erwartet (Kap. 3.4). Der Beitrag greift auf die Arbeiten von Spachmann (2005) und Mast (2012a) zurück, die erweitert und um öffentlichkeitstheoretische Überlegungen ergänzt werden. 33..11 WWiirrttsscchhaaffttssjjoouurrnnaalliissmmu uss iinn ddeerr KKrriittiikk Angesichts der großen, folgenreichen Ereignisse und Krisen in jüngerer Zeit, die ihren Ursprung in der Wirtschaft haben oder von denen die Ökonomie stark betroffen ist, werden die Leistungen des Wirtschaftsjournalismus wieder stark diskutiert. In Fällen wie der Finanzkrise 2008 (Arlt und Storz 2010; Meier und Winterbauer 2008) und der Staatsschulden- und Eurokrise (Otto und Köhler 2016) geht es u. a. darum, ob die Journalisten rechtzeitig über die sich entwickelnden Krisen berichtet haben und so ihrer Funktion als „Frühwarnsystem“ gerecht wurden. Viele Beobachter stellen diesbezüglich dem Wirtschaftsjournalismus ein schlechtes Zeugnis aus. So kommen Arlt und Storz (2010, S. 1) in ihrer Studie zum Schluss, der tagesaktuelle deutsche Wirtschaftsjournalismus habe „als Beobachter, Berichterstatter und Kommentator des Finanzmarktes und der Finanzmarktpolitik“ lange Zeit versagt. Nun ist diese Diagnose durchaus umstritten - denn es stellt sich schon die Frage, was von Journalisten in einer Situation, in der der Mainstream und die herrschende Meinung unter Experten und Wirtschaftswissenschaftlern keine Risiken und Gefahren sahen und es allenfalls einzelne kritische Stimmen gab, an eigenen Schlussfolgerungen tatsächlich erwartet werden kann. Dennoch knüpft die aktuelle Diskussion an eine lange Tradition der Kritik am Wirtschaftsjournalismus an. Bei Wirtschafts- und Finanzkrisen der Vergangenheit kam der Wirtschaftsjournalismus in den Augen vieler nicht gut weg. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für die USA (Loiko 2011, S. 3; Layton 2003). Auch nach dem Crash an den Weltbörsen und dem Niedergang der „New Economy“ im Jahr 2000 wurde dem Finanz- und Wirtschaftsjournalismus Versagen vorgeworfen. Es habe die Distanz zu den Wirtschaftsakteuren gefehlt, Journalisten gingen zu unkritisch mit der Euphorie der Märkte und den hoch gesteckten, aber eben von Eigeninteressen geprägten Erwartungen von Vertretern aus der Finanz- und Geschäftswelt um, so die Einschätzungen (Mast 2003, S. 78 ff.; Schuster 2001). Die „Ur-Kritik“ am Wirtschaftsjournalismus stammt aus den 1960er Jahren (Glotz und Langenbucher 1969). Sie wird auch noch Jahrzehnte später immer wieder vorgebracht. Sie zielt nicht auf die Thematisierungs- und Frühwarnfunktion, sondern setzt direkt an <?page no="51"?> 50 Klaus Spachmann den Leistungen für das Laien-Publikum an. Ihr zufolge sei Wirtschaftsberichterstattung in Tageszeitungen zu stark auf ein Fachpublikum zugeschnitten und fast ausschließlich produktionswirtschaftlich, also an der professionellen Geschäfts- und Finanzwelt der Wirtschaft, orientiert. Die Alltagswelt des Publikums und Verbraucherfragen kämen dagegen zu kurz, für die Leser sei die Berichterstattung unangemessen und häufig unverständlich. Wegen des seit Mitte der 1990er Jahre zu beobachtenden Trends zur Verbraucher- und Nutzwertberichterstattung und einer engeren, direkteren Ausrichtung am Publikum hat sich diese klassische Kritik an einem Teil des Wirtschaftsjournalismus heute ein Stück weit erledigt. Unter den Bedingungen eines entfesselten Medienwettbewerbs scheint mangende Publikumsorientierung jedenfalls weniger ein Problem zu sein. Die aktuellen Problemfelder liegen woanders. Angesichts der gestiegenen und immer noch steigenden Bedeutung der Wirtschaft in der modernen Gesellschaft stellt sich die Frage, ob der Journalismus ökonomische Themen und Sichtweisen ausreichend aufgreift. Bei der jüngsten Journalistenumfrage des Ernst-Schneider-Preises gehen fast zwei Drittel der Befragten davon aus, dass die Bedeutung der Wirtschaft für die gesellschaftliche Entwicklung in der Berichterstattung nach wie vor unterschätzt werde (IHK 2016). Außerdem geht es darum, dass Journalisten Wirtschaftsthemen angemessen bearbeiten. Häufig wird ein suboptimaler oder sogar falscher Umgang damit konstatiert. Als Gründe hierfür werden - neben dem fehlenden Bewusstsein für die Bedeutung ökonomischer Themen - zu knappe Ressourcen und geringe Personalausstattung (Mast 2012a, S. 50ff.) sowie mangelnde ökonomische Sachkompetenz in den Redaktionen gesehen (Wolff 2012). Die Diskussion um die Leistungen des Wirtschaftsjournalismus wird aus unterschiedlichen Ausgangs- und mit verschiedenen Bezugspunkten geführt. Grundsätzlich - aus innenbezogener Perspektive - geht es dabei darum, welche Position dem Wirtschaftsjournalismus an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Journalismus zugesprochen wird. Wenn etwa Heinrich und Moss (2006, S. 16; ähnlich Imhof 2009) die Gefahr sehen, dass die Wirtschaftsberichterstattung unangemessen „den tradierten Standards der journalistischen Berufsausübung“ folgt, geben sie ökonomischen Maßstäben den Vorzug. Aus außenbezogener Perspektive gilt es, die Bezugspunkte im Dreieck zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Publikum festzulegen, auf die sich der Wirtschaftsjournalismus ausrichtet. In dieser Hinsicht kommt es darauf an, wie Journalismus Nutzen für sein Publikum in ökonomischen Rollen entfaltet und wie er ökonomische und gesellschaftliche Prozesse unterstützt. 33..22 LLe eiis st tuunng gs seerrb br ri inng ge err u un nd d - -e emmppffä än ng ge err iim m W Wiir rttssc chha afft ts sjjoou urrnnaalliissm mu uss Leistungen beschreiben eine Beziehung zwischen Leistungserbringer(n) und Leistungsempfänger(n) (vgl. der vorherige Beitrag in diesem Band). Im Folgenden wird skizziert, wie diese beiden Seiten im Wirtschaftsjournalismus definiert werden können. Wie kann also der Wirtschaftsjournalismus als Leistungserbringer betrachtet werden und wer rückt als Leistungsempfänger in den Blick? <?page no="52"?> Was leistet Wirtschaftsjournalismus? 51 Beim Wirtschaftsjournalismus als Leistungserbringer existieren zwei Betrachtungsebenen: 1. Wie wird Wirtschaftsjournalismus innerhalb des Journalismus und gegenüber der Wirtschaft abgegrenzt? Hier geht es um seine Identität und darum, welche Besonderheiten es gibt, wenn Journalisten ökonomische und eben nicht z. B. politische Themen aufgreifen. Genannt werden diesbezüglich u. a. die große Komplexität der Wirtschaft, deren vielfältige Bezüge zu anderen Themen (Wirtschaft als Querschnittsthema) sowie die Eigenschaft, dass ökonomische Vorgänge sich im Zweifel nicht im öffentlichen Raum abspielen, sondern eine private Angelegenheit sind (Mast 2012a, S. 74ff.; Arlt und Storz 2010, S. 23; Heinrich und Moss 2006, S. 13ff.). 2. Welche Varianten und Spielarten gibt es innerhalb des Wirtschaftsjournalismus? Der eine Wirtschaftsjournalismus, der über allgemein gültige Standards verfügt und einheitlichen Anforderungen genügen könnte, existiert nicht. Je nach sachlicher Breite und Tiefe der Berichterstattung sowie Art des angesprochenen Publikums existieren sehr unterschiedliche Formen (Mast 2012a, S. 71; Spachmann 2005, S. 22). Klar ist, dass Wirtschaftsberichterstattung etwa in regionalen Tageszeitungen etwas anderes ist und auch andere Leistungen erbringt bzw. erbringen kann als Berichterstattung in Fachmagazinen. Hinzu kommt: auch in anderen journalistischen Gattungen, wie etwa den Boulevardmedien, werden Wirtschaftsthemen aufgegriffen. Die Grenzen zwischen Wirtschaftsjournalismus und anderen journalistischen Bereichen sind also fließend. Wenn über Leistungen des Wirtschaftsjournalismus diskutiert wird, müssen beide Perspektiven unterschieden werden (siehe Kap. 3.3). Zum einen also: Was leistet der Wirtschaftsjournalismus insgesamt? Und zum anderen: Welche Varianten können unterschieden werden - und was leisten diese Unterschiedliches? Mit Blick auf die Leistungsempfänger ist die bereits angesprochene Aufteilung in Wirtschaft und Gesellschaft auf der einen sowie dem Publikum auf der anderen Seite weit verbreitet. Bezo gen a uf Wirtschaft und Gesells chaft f in det sich h äu fig e in e öffe ntl ichkei tstheor etische Betrachtung (Spachmann 2005, S. 107; Hoffjann und Arlt 2016). Aus dieser Sicht ist Journalismus und mit ihm der Wirtschaftsjournalismus Teil des Öffentlichkeitssystems. Journalistische Leistungen beziehen sich dann nicht direkt auf die Gesellschaft und ihre Teilbereiche, sondern auf die Öffentlichkeit - und zwar auf zwei Ebenen: die Fachöffentlichkeit, in der innerhalb einzelner Funktionssysteme übergreifende Kommunikation stattfindet, sowie die gesellschaftliche Öffentlichkeit. Primär stellt Journalismus dabei gesellschaftliche Öffentlichkeit her, indem er aus Ereignissen, die er in den einzelnen Bereichen beobachtet, aktuelle, für sein Publikum möglichst relevante und attraktive Themen macht. Damit erfüllt er die Funktion, die Selbstbeobachtung der Gesellschaft zu organisieren und die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche zu synchronisieren (Blöbaum 2016, S. 155; Marcinkowski 1993, S. 118). Darüber hinaus kann er sich aber auch auf die systemspezifischen Fachöffentlichkeiten beziehen. Dies ist seine sekundäre Orientierung. Im Falle der Wirtschaft wird in diesem Zusammenhang auch von „Marktöffentlichkeit“ (Mast 2012a, S. 60f.), „Finanzmarktöffentlichkeit“ (Schranz und Eisenegger 2014, S. 227) oder „Preisöffentlichkeit“ (Langenohl 2009, S, 250f.) gesprochen. Auf diese Weise unterstützt der (Wirtschafts-) Journalismus die Vorgänge in der Ökonomie: Er vermittelt zwischen der Leistungs- und Abnehmerseite der Wirtschaft, unterstützt auf beiden Seiten etwa durch Verbreitung <?page no="53"?> 52 Klaus Spachmann von Innovationen den Informationsfluss und fungiert als Reflexionsinstanz (Mast und Spachmann 2016). Im Wirtschaftsjournalismus beschreiben Fachöffentlichkeit und gesellschaftliche Öffentlichkeit zwei wichtige Orientierungspunkte für die journalistische Arbeit. Die Zweiteilung markiert aus (system-)theoretischer Perspektive die Trennlinie zwischen gesellschaftlicher Funktion des Journalismus einerseits und seinen Leistungen für andere Funktionssysteme andererseits. Anders im politischen Journalismus: Hier ist zwischen gesellschaftlicher Öffentlichkeit und politischer (Fach-)Öffentlichkeit - bzw. zwischen Funktionen für die Gesellschaft und Leistungen für die Politik - kaum zu trennen. Im weit verbreiteten Begriff der „öffentlichen Aufgabe“ (Mast 2012b, S. 67) fließt beides zusammen. Dazu passt auch, dass die politische Berichterstattung sich ganz überwiegend an den Leistungsempfängern, der Staatsbürgerrolle, ausrichtet. Dabei ist im politischen System die Hürde, eine Rolle als Leistungserbringer einzunehmen - etwa als Kommunalpolitiker oder Parteimitglied - zumindest aus normativer Sicht grundsätzlich niedrig (Mast und Spachmann 2016). Bezogen auf das Publikum im Wirtschaftsjournalismus existieren verschiedene Systematisierungen. Sie unterscheiden Publikumsgruppen in der Regel danach, wie stark sich die Rezipienten für Wirtschaft interessieren. Implizit wird auch berücksichtigt, in welchen Rollen das Publikum von ökonomischen Themen betroffen ist. Heinrich und Moss (2006, S. 30) identifizieren auf diese Weise z. B. vier Publikumsgruppen, die sie als personale Zielgruppenorientierung bezeichnen: eine breite, allgemeine Leserschaft, interessierte Staatsbürger, von wirtschaftlichen Entscheidungen Betroffene sowie Entscheidungsträger. Letztlich orientiert sich diese Aufteilung auch an der in der Praxis weit verbreiteten Zweiteilung zwischen einem Fachpublikum einerseits sowie einem Laienpublikum mit und ohne ökonomisches Spezialinteresse andererseits. Einen Schritt weiter geht Mast (2012a, S. 112), indem sie ausdrücklich von verschiedenen Nutzungskontexten des Publikums für ökonomische Themen ausgeht. Ökonomische Situationen stehen in diesem Ansatz gesellschaftlichen, politischen und alltagsweltlichen Situationen gegenüber. Die Menschen haben als Experten, in ökonomischen Laienrollen, als berufliche Entscheider, in Alltagsrollen oder als Staatsbürger einen speziellen Informationsbedarf und fragen dementsprechende Wirtschaftsinformationen nach. Leistungen des Wirtschaftsjournalismus bestehen darin, das Publikum bei der Bewältigung der Situationen zu unterstützen. Die Berichterstattung kann dann ausdrücklich auf einzelne Nutzungs- und Handlungskontexte ausgerichtet sein oder sie ist breiter angelegt und kombiniert mehrere Rollen. Es liegt auf der Hand, dass Wirtschaftsberichterstattung für die einzelnen Publikumsgruppen auch Unterschiedliches leistet. Zur Frage, was die Leistungen für die verschiedenen Publikumsgruppen genau sind, wird häufig auf allgemeine Nutzenkataloge zurückgegriffen. Sie verorten Medienleistungen im Dreiklang zwischen Information, Orientierung und Unterhaltung. In einigen empirischen Studien werden einzelne Gratifikationen speziell für Wirtschaftsthemen angepasst. Beispielsweise ergänzen Heinrich und Moss (2006, S. 25) im Rahmen ihrer Betrachtung der funktionalen Zielorientierung im Wirtschaftsjournalismus den Nutzen, Hilfestellung für die ökonomische Lebensführung zu bekommen. Auch Mast (2012a) nimmt in ihr Nutzenkonzept spezifische ökonomische Situationen auf. Dazu gehört etwa, Geldangelegenheiten zu regeln, Altersvorsorge zu gestalten oder im Beruf zurechtzukommen. <?page no="54"?> Was leistet Wirtschaftsjournalismus? 53 Ein Ansatz, der Leistungen der Wirtschaftsberichterstattung systematisch mit verschiedenen Publikumsgruppen und Nutzungssituationen in Verbindung bringt, steht aber weitgehend noch aus. Ein solcher Ansatz müsste auch spezielle Konstellationen abdecken wie beispielsweise das Phänomen des „Fanboy-Journalismus“. Er hat sich um bestimmte Produktmarken wie Apple herum herausgebildet. Im Vordergrund steht hier nicht, neutral und objektiv oder gar kritisch über die Marke zu informieren. Vielmehr geht es darum, bestehende emotionale Bindungen und ein bestimmtes Lebensgefühl des Publikums anzusprechen. 33..33 LLeei issttuunnggeen n ddees s WWiirrttsscchhaafft tssjjoouurrnnaalliissmmuuss aauuss tthheeo orreet tiisscchheer r SSiicch ht t Einzelnen Theorien und Forschungsansätze zum Wirtschaftsjournalismus liegt jeweils eine spezielle Sicht auf Leistungserbringer und Leistungsempfänger zugrunde. Zudem legen sie fest, was in diesem Setting als Leistungen des Wirtschaftsjournalismus betrachtet wird. Grundsätzlich lassen sich bei den Forschungsansätzen und in der Theoriebildung zwei Zugänge unterscheiden. Außerdem existiert ein übergreifender systemtheoretischer Ansatz, der die beiden Sichtweisen integriert. Der erste Zugang untersucht Wirtschaftsjournalismus als Teil des Journalismus. Der Blick richtet sich hier auf den Journalismus insgesamt, Wirtschaftsjournalismus ist dann ein spezialisierter Bereich, der grundsätzlich der gleichen Funktions- und Handlungslogik folgt wie der Journalismus generell. Seine Besonderheiten sind in diesem Fall spezielle Ausprägungen der journalistischen Merkmale - etwa was das Rollenverständnis oder den Umgang mit Quellen betrifft. In der empirischen Journalismusforschung liefern insbesondere die Journalismus-in-Deutschland-Studien (Weischenberg et al. 2006; Scholl und Weischenberg 1998) einen reichhaltigen Fundus an vergleichenden Befunden zu Status und Rolle der Wirtschaft im Journalismus. In der Journalismustheorie liegt mit der Ressorttheorie von Meier (2002) ein Ansatz vor, der die Binnendifferenzierungen im Journalismus (als thematische Spezialisierung in der Arbeitsorganisation und in den Produkten) systematisch mit Entwicklungen in seiner gesellschaftlichen Umwelt in Zusammenhang bringt. Zwar ist Journalismus universell, d. h. er greift prinzipiell alle Themen auf. Um bestimmte Themen kümmert er sich aber besonders intensiv. Sie stammen hauptsächlich aus Bereichen, die von der vom Journalismus hergestellten Öffentlichkeit stark profitieren können. Meier (2002, S. 90) spricht davon, dass das Realitätsspektrum der Nachrichtenmedien überwiegend aus Themen derjenigen Sozialsysteme bestehe, die Ihre Inklusion primär über Massenpublika vollziehen. Dazu zählen die klassischen Ressorts - allen voran Politik, aber auch Kultur, (Leistungs-)Sport und eben Wirtschaft. Der Ansatz nimmt die Sicht der Funktionssysteme ein, die vom Journalismus jeweils spezifische Leistungen empfangen. Im zweiten Zugang wird der Wirtschaftsjournalismus isoliert betrachtet. Der Blick richtet sich dann häufig auf seine Position zwischen Wirtschaft und Journalismus. Wirtschaftsjournalismus wird also nicht mehr (nur) als selbstverständlicher Bestandteil des Journalismus gesehen, sondern - meist aus Journalismus-praktischer Perspektive - in erster Linie als spezielles, eigenes Handlungsfeld. Die Besonderheiten des Gegenstands Wirtschaft und Anforderungen, die sich daraus für die Wirtschaftsberichterstattung ergeben, geraten in den Mittelpunkt. <?page no="55"?> 54 Klaus Spachmann Bei den Leistungszuweisungen aus innenbezogener Perspektive dominiert dementsprechend die Rolle des Wirtschaftsjournalismus als Vermittler zwischen der Wirtschaft auf der einen und dem Publikum oder den anderen gesellschaftlichen Bereichen auf der anderen Seite. Heinrich und Moss (2006, S. 13) weisen ihm die Aufgabe zu, eine „Brücke zwischen den verschiedenen Denkweisen der Systeme zu schlagen und eine Verständigung zwischen Gruppen mit unterschiedlichen Rationalitätskriterien herbeizuführen“. Frühbrodt (2007, S. 14) verwendet das Bild des „Dolmetschers der Ökonomie“ und Viehöver (2003, S. 46) schreibt von der „Brückenfunktion“. Aus dieser Sicht, die Wirtschaftsjournalismus in einer Zwischenposition verortet, können journalistische Handlungslogik und Anforderungen der Ökonomie auch in Konflikt geraten. Heinrich und Moss (2006, S. 13) sehen beispielsweise ein „Dilemma“, das sie wie folgt beschreiben: „Auf der einen Seite besteht auch für Wirtschaftsjournalisten die Bereitschaft zur kritischen Analyse ihres Berichterstattungsfeldes, zur Artikulation der Interessen der Schwachen und zur Kontrolle der Macht der Wirtschaft. Auf der anderen Seite aber stehe die Einsicht in die Funktionslosigkeit, vielleicht sogar Kontraproduktivität der Kritik […]“. Konsequenterweise stellen die beiden Autoren der aus der Demokratienorm abgeleiteten öffentlichen Aufgabe ökonomische Normen als Orientierungsgröße im Wirtschaftsjournalismus gegenüber. Letztlich liegt hier eine Sichtweise zugrunde, die in der Wirtschaftsberichterstattung den Anforderungen der Wirtschaft Vorrang einräumt und die journalistischen Selektions- und Arbeitskriterien im Zweifel als dysfunktional für die Wirtschaft betrachtet. Auf Basis eines systemtheoretischen Ansatzes liegt eine Theorie des Wirtschaftsjournalismus vor, die beide Zugänge zusammenbringt. Wirtschaftsjournalismus wird damit als derjenige Teil im Journalismus betrachtet, der spezielle Leistungen einerseits für die Wirtschaft und andererseits für die anderen gesellschaftlichen Teilsysteme bzw. die Gesellschaft erbringt (Spachmann 2005, S. 151ff.). Um diese Leistungen erfüllen zu können, haben sich im Journalismus spezielle Strukturen - Organisationen, Rollen, Programme und Angebote - herausgebildet. Auf diese Weise richten sich Teile des Journalismus ausdrücklich auf die Wirtschaft als Ganzes oder einzelne ihrer Bereiche aus. In der Sprache der Systemtheorie formuliert: Journalismus und Wirtschaft sind strukturell gekoppelt. Die Leistungen des Wirtschaftsjournalismus betreffen verschiedene Dimensionen. Ihnen entsprechen Varianten oder Typen des Wirtschaftsjournalismus (Mast 2012a, S.79ff.; Spachmann 2005, S. 153ff.). Sie lassen sich entlang folgender Kriterien beschreiben (vgl. Abb. 1): Die Orientierung an der Wirtschaft oder der Gesellschaft als Leistungsempfänger; Die Thematisierungsleistung als Ausrichtung der Berichterstattung an Ereignisräumen (aus welchen Schauplätzen wird berichtet? ) und Thematisierungsräumen (für wen wird berichtet? ); Die Adressierung der gesellschaftlichen Öffentlichkeit oder der Marktöffentlichkeit (bzw. der ökonomischen Fachöffentlichkeit); Die Ausrichtung wirtschaftsjournalistischer Strukturen auf die Wirtschaft insgesamt, auf einzelne ökonomische Bereiche oder Rollen. Die General-Interest-Variante des Wirtschaftsjournalismus (1) erbringt Leistungen für die Gesellschaft. Sie steht damit direkt in Bezug zur generellen gesellschaftlichen Funktion von Journalismus, die in diesem Fall eben bezogen auf Wirtschaftsthemen umgesetzt <?page no="56"?> Was leistet Wirtschaftsjournalismus? 55 wird. Wirtschaftsjournalismus stellt hier für ökonomische Themen gesellschaftliche Öffentlichkeit her. Er berichtet über Wirtschaft für andere Bereiche. Im Blick steht die Wirtschaft insgesamt. Ereignisse aus allen ökonomischen Schauplätzen werden vor dem Hintergrund aufgriffen, dass sie für andere Bereiche und Kontexte relevant sein können. Die General-Interest-Variante kann auch reflexiv (1a) wirken und auf diese Weise zu Tage treten. In diesem Fall trägt Wirtschaftsjournalismus ökonomische Sichtweisen in die gesamtgesellschaftliche Öffentlichkeit und die dort diskutierten Themen hinein. Diese Leistung ist nicht unbedingt so zu verstehen, dass Wirtschaftsjournalismus als Botschafter agiert. Vielmehr werden ökonomische Perspektiven in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs ebenso wie in die Fachdiskurse der verschiedenen Bereiche eingebracht, damit im öffentlichen Forum ein möglichst vollständiges Bild entsteht und Deliberation gelingen kann. Neben den General-Interest-Varianten existieren Spielarten, die speziell auf Leistungen für die Wirtschaft ausgerichtet sind und die die Fachöffentlichkeit innerhalb der Wirtschaft adressieren. Die Special-Interest-Variante (2) greift Ereignisse und Themen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen und Schauplätzen auf, die für die Wirtschaft potenziell relevant sind. Anders als z. B. der Nachrichtenjournalismus kann der Wirtschaftsjournalismus diese Relevanz auch ausdrücklich markieren und die Berichterstattung allgemein auf die ökonomische (Geld-)Logik beziehen oder speziell auf einzelne ökonomische Segmente und Handlungsrollen ausrichten. (1) General Interest Öffentlichkeits- Bezug Leistungsempfänger Thematisierungsleistung Ausrichtung auf (1a) General Interest (reflexiv) (2) Special Interest (2a) Special Interest (reflexiv) (3) Fach journalismus <?page no="57"?> 56 Klaus Spachmann Auch bei der Special-Interest-Variante gibt es eine reflexive Ausprägung (2a). Sie trägt gesellschaftliche, etwa moralische oder politische Perspektiven in die ökonomische Fachdiskussion hinein. Auf diese Weise spiegelt sie auch (mögliche) Konsequenzen ökonomischer Entwicklungen und Ereignisse für Politik und Gesellschaft in die ökonomische Fachöffentlichkeit zurück und thematisiert mögliche Folgen für die Wirtschaft. Damit kann sie den Verantwortlichen Möglichkeiten und Chancen ebenso wie Risiken und Grenzen ihres Handelns aufzeigen und sie zum Nachdenken anregen (Mast und Spachmann 2016). Schließlich existiert eine fachjournalistische Spielart (3), die sich ausschließlich innerhalb der Wirtschaft abspielt. Wirtschaftsjournalismus leistet dann für die Wirtschaft das, was der Journalismus insgesamt für die Gesellschaft leistet: Er synchronisiert die Prozesse und Bereiche innerhalb der Ökonomie und unterstützt etwa auf den Märkten die Vermittlung zwischen Angebots- und Nachfrageseite. Die Berichterstattung orientiert sich an einzelnen Bereichen der Wirtschaft oder richtet sich an speziellen ökonomischen Handlungsrollen wie Manager, Börsenhändler oder Privatanleger aus. Vorteil des vorgestellten Ansatzes ist, dass Wirtschaftsjournalismus aus funktionaler Perspektive anhand seiner verschiedenen Leistungen definiert wird. Davon ausgehend beschreibt er in den drei Haupt-Varianten spezielle Strukturen und Vorgehensweisen, mit denen der Journalismus diese Leistungen erfüllt. Damit steht ein Analysekonzept für die wirtschaftsjournalistischen Leistungen zur Verfügung. Es unterscheidet verschiedene Bezugspunkte und Leistungsdimensionen und verbindet sie systematisch mit verschiedenen Spielarten des Wirtschaftsjournalismus. Die einzelnen Varianten tauchen in der journalistischen Wirklichkeit nicht oder nur in Ausnahmefällen in Reinform auf. Meist finden sich in einzelnen Redaktionen und Angeboten Kombinationen zweier oder mehrerer Varianten. Eine Schwäche des Ansatzes ist, dass das Publikum weitgehend ausgeblendet bleibt. Zwar können einzelne Rollen unterschieden werden - je nachdem, welchem System sie zuzuordnen sind und auf ob sie auf der Empfänger- oder Leistungsseite eines Systems angesiedelt sind. Die letztgenannte Unterscheidung ist im Wirtschaftsjournalismus sehr bedeutsam. So können sich Special-Interest-Varianten beispielsweise auf Unternehmer und Manager oder auf Privatanleger und Verbraucher ausrichten. Dennoch verbleibt die Betrachtung mit diesem Ansatz in der Welt der Systeme. Eine ganzheitliche Ansprache des Publikums, die Orientierung an der Lebenswelt der Menschen und Fragen der Vermittlungsqualität wie etwa die Verständlichkeit der Berichterstattung können damit nicht bearbeitet werden - zumindest nicht, ohne zusätzliche theoretische Perspektiven einzubeziehen. 33. .4 4 AAu us sg ge ew wä äh hl lt te e EErrgge ebbn ni isss se e eemmp piir ri isscchhe err SSttu ud di ie en n Mit den im vorstehenden Kap. 3.3 skizzierten theoretischen Arbeiten stehen Begründungen und Ableitungen von Leistungen des Wirtschaftsjournalismus zur Verfügung. Damit ist klar, was als Leistungen betrachtet werden kann und in welchem Setting dabei Leistungsempfänger und -erbringer aufscheinen können. Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, welche dieser Leistungen Wirtschaftsjournalismus nun tatsächlich erbringt bzw. erbringen will. <?page no="58"?> Was leistet Wirtschaftsjournalismus? 57 Diese Frage muss die empirische Forschung beantworten. Zum Wirtschaftsjournalismus liegen einige Journalisten- und Publikumsbefragungen vor. Sie erheben mit unterschiedlichen Fragestellungen und auf unterschiedlichen theoretischen Grundlagen einzelne, spezielle Aspekte der Leistungen des Wirtschaftsjournalismus aus der Perspektive von Machern und Rezipienten. Damit sind zumindest punktuell Aussagen darüber möglich, welche Leistungen den Wirtschaftsjournalisten selbst wichtig sind und welche das Publikum erwartet. Im Folgenden werden exemplarisch ausgewählte Ergebnisse aus der Studie zur Wirtschaftsberichterstattung in deutschen Regionalzeitungen (Spachmann 2005) sowie aus der Gemeinschaftsstudie der Universität Hohenheim und der ING-DiBa zum Wirtschaftsjournalismus (Mast 2012a) vorgestellt. Die Studie von 2005 untersucht den Wirtschaftsjournalismus in regionalen Tageszeitungen als Leistungserbringer. Hierzu wurden Wirtschaftsredakteure und -ressortleiter in den Vollredaktionen weitgehend standardisiert anhand eines schriftlichen Fragebogens befragt. Die Wirtschaftsjournalisten sind vorwiegend auf Unternehmen, Branchen und Märkte spezialisiert, berücksichtigen in ihrer Arbeit aber auch die wirtschaftlichen Alltagsrollen ihrer Leser, lauten zentrale Ergebnisse der Studie. Insgesamt folgt die Wirtschaftsberichterstattung der regionalen Tageszeitungen hauptsächlich der General-Interest-Variante (Spachmann 2005, S. 370). An welchen Leistungsempfängern orientieren sich die Redakteure bei ihrer Arbeit? In der Befragung wurden mit Lesern, der Wirtschaft bzw. der Marktöffentlichkeit und der gesellschaftlichen Öffentlichkeit die drei übergreifenden Bezugspunkte vorgegeben. Die <?page no="59"?> 58 Klaus Spachmann Ergebnisse zeigen (vgl. Abb. 2): Mit Abstand am wichtigsten ist den Wirtschaftsredakteuren die Orientierung am Publikum. 73 Prozent stimmen zu, dass es ihnen darum geht, die Leser zufrieden zu stellen. An zweiter Stelle folgt mit 31 Prozent Zustimmung die Ausrichtung an der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Den Wirtschaftsakteuren Informationen an die Hand zu geben, damit das Wirtschaftsleben funktioniert, nennen schließlich nur sehr wenige (sechs Prozent) als ausdrückliches Ziel ihrer Arbeit. Nimmt man diejenigen Redakteure hinzu, die zumindest teilweise zustimmen, beträgt der Anteil gut ein Viertel. Selbst im Wirtschaftsjournalismus regionaler Tageszeitungen, der eine breite Leserschaft anspricht und in ein universelles Nachrichtenkonzept eingebettet ist, ist die Orientierung an der Marktöffentlichkeit also durchaus präsent. Ergebnisse der Gemeinschaftsstudie (Mast 2012a) liefern einen detaillierten Einblick, welche Leistungen für Wirtschaft und Gesellschaft den Journalisten wichtig sind, wenn sie Themen für ihr Publikum bearbeiten. Im Rahmen des Forschungsprogramms wurden repräsentative Umfragen unter Wirtschafts- und Fachjournalisten sowie Entscheidungsträgern und der Bevölkerung durchgeführt. Damit lassen sich die Vorstellungen der Wirtschaftsjournalisten den Erwartungen, die das Publikum hat, gegenüberstellen. Befragt wurden Wirtschaftsjournalisten aus Nachrichtenmedien und der Wirtschaftspresse. Zusätzlich wurden zum Vergleich Journalisten aus Fachzeitschriften in die Untersuchung aufgenommen. Fachjournalisten bearbeiten kleinere Ausschnitte des Wirtschaftslebens und agieren - so die Annahme - näher an der Marktöffentlichkeit als ihre Kollegen in den Nachrichten- und Wirtschaftsmedien. Die Ergebnisse (vgl. Abb. 3) bestätigen zunächst die unterschiedlichen Profile der beiden Journalistengruppen (Mast 2012a, S. 148). Für die Wirtschaftsjournalisten sind Leistungen für die Gesellschaft sehr wichtig. Sie wollen gesellschaftliche Zukunftsthemen aufgreifen (73 Prozent) und sich für Benachteiligte in der Bevölkerung einsetzen (47 Prozent). Außerdem schätzen sie für ihre Arbeit die Kritik an Missständen in Unternehmen und der Wirtschaft als sehr bedeutsam ein (63 Prozent). Für die Fachjournalisten spielen dagegen alle diese Punkte eine weit geringere Rolle. Ihnen sind Leistungen für die Wirtschaft viel wichtiger. Allen voran geht es ihnen darum, Innovationen innerhalb er Ökonomie zu verbreiten (65 Prozent) und zum Funktionieren der Wirtschaft beizutragen (40 Prozent). Es zeigt sich aber auch, dass Fach- und Wirtschaftsjournalisten keinesfalls komplett unterschiedlichen Welten angehören. Fachjournalisten orientieren sich ebenfalls an der Gesellschaft. 61 Prozent von ihnen ist es z. B. wichtig, gesellschaftliche Zukunftsthemen zu bearbeiten. Umgekehrt haben Wirtschaftsjournalisten Leistungen für die Wirtschaft im Blick. Immerhin 22 Prozent wollen mit ihrer Arbeit zum Funktionieren der Wirtschaft beitragen. Sogar etwas mehr (29 Prozent) ist es wichtig, die Verbreitung von Innovationen zu unterstützen. Spannend ist nun der Abgleich dieser Leistungsvorstellungen der Journalisten mit den Einschätzungen des Publikums. Die breite Bevölkerung erwartet mit übergroßer Mehrheit, gesellschaftliche Perspektiven zu berücksichtigen und Wirtschaft distanziert und von außen zu betrachten (Mast 2012a, S. 146). 87 Prozent der Bevölkerung verlangen dementsprechend, dass die Berichterstattung der Wirtschaft moralische Grenzen aufzeigt. 81 Prozent ist es wichtig, dass er für die Benachteiligten in der Gesellschaft Partei ergreift und 90 Prozent fordern kritische Perspektiven. Interessant ist: Entscheidungs- <?page no="60"?> Was leistet Wirtschaftsjournalismus? 59 träger, die Wirtschaftsberichterstattung als Fachpublikum nutzen, weisen bei diesen gesellschaftlichen Leistungen ähnlich hohe Werte auf. Der Unterschied in den Erwartungen zwischen Laien- und Fachpublikum liegt v. a. darin, dass die Entscheider zusätzlich die ökonomische Binnenperspektive einfordern und ihnen Leistungen für die Wirtschaft wichtig sind. Für das Publikum sind die gesellschaftlichen Leistungen von Wirtschaftsjournalismus damit viel bedeutsamer als dies die Wirtschafts- und erst recht die Fachjournalisten selbst für ihre Arbeit einschätzen. Die Bürger wollen, dass Wirtschaftsjournalismus auf der Seite der Gesellschaft steht und eine Perspektive von außen einnimmt. Auch die Entscheider wollen nicht nur über die „Wirtschafts-Brille“ informiert werden. Sie fühlen sich zwar als Teil der Wirtschaft, wollen aber darüberhinausgehende Informationen erhalten. Insgesamt zeigen die Ergebnisse (Mast 2012a, S. 149): Die Journalisten gehen (bislang) auf diese Erwartungen ihres Publikums nur begrenzt ein - die Vertreter aus Universal- und Wirtschaftsmedien zum Teil, die Fachjournalisten fast gar nicht. <?page no="61"?> 60 Klaus Spachmann 33..55 SScchhl luus ss sf foollg ge erruunng ge enn f füürr d de enn W Wi irrttsscch ha af fttssjjo ou ur rn na al li is smmu us s Wirtschaft wird immer mehr Teil der Gesellschaft. Wenn sich im Zuge der Ökonomisierung die „Logik des Geldes“ ausbreitet, müssen sich viele gesellschaftliche Bereiche mit den Konsequenzen auseinandersetzen und sich um wirtschaftliche Fragen kümmern. Auf der anderen Seite verändert sich in diesem Prozess aber auch die Wirtschaft. Gesellschaftliche Anforderungen, moralische und soziale Kategorien werden für sie bedeutsamer. Unternehmen und andere Akteure sind mit entsprechenden Erwartungen konfrontiert und reagieren darauf. So kann man sagen, dass die Gesellschaft eben auch immer mehr Teil der Wirtschaft wird. Bei diesen Entwicklungen kommt dem Wirtschaftsjournalismus eine Schlüsselrolle zu. Er erfüllt an der Grenzstelle zwischen Wirtschaft und Gesellschaft wichtige Leistungen. Aus theoretischer Perspektive gibt es die drei vorgestellten grundlegenden wirtschaftsjournalistischen Spielarten. Sie setzen bei der Ausrichtung auf Wirtschaft und Gesellschaft jeweils spezielle Schwerpunkte. Besondere Bedeutung besitzt dabei die reflexive Berichterstattung, bei der ökonomische Perspektiven in die Gesellschaft und umgekehrt gesellschaftliche Perspektiven in die Wirtschaft eingebracht werden. Aktuelle Herausforderungen im Wirtschaftsjournalismus liegen darin, sich stärker von der Binnensicht der Wirtschaft zu lösen und übergreifende, unabhängige Perspektiven einzunehmen. Claudia Mast fordert dementsprechend eine „Ent-BWLisierung“ des Wirtschaftsjournalismus“ (Mast 2012a, S. 13). Demzufolge sollen volkswirtschaftliche Perspektiven und die Beschäftigung mit den Funktionsweisen, Voraussetzungen und Folgen ökonomischer Tätigkeit gegenüber dem Fokus auf Unternehmen, Produkten und Märkten mehr Gewicht bekommen. Hinzu kommt die Notwendigkeit, sich stärker am Publikum auszurichten und den Fokus auf die Systemwelt der Wirtschaft (ebenso wie derjenigen anderer Bereiche wie der Politik) aufzugeben oder zumindest um lebensweltliche Zugänge zu ergänzen. Enge Nutzwert-Konzepte, die Wirtschaft zwar popularisieren, aber letztlich in der zweckrationalen (System-)Sicht auf Wirtschaft verharren, greifen hier zu kurz. Für die wirtschaftsjournalistische Praxis sind die Herausforderungen freilich handfester. In vielen Redaktionen bestimmen Einsparungen sowie Ressourcen- und Personalmangel den Alltag. Bei diesen schwierigen Rahmenbedingungen kommt es darauf an, in die Wirtschaftsberichte stärker die Perspektive der Menschen einzubringen - und zwar nicht nur als Wirtschaftssubjekte oder in anderen Situationen zweckrationalen Handelns, sondern im Sinne einer ganzheitlichen Ansprache. Der Blick von außen und vielfältige Perspektiven auf Wirtschaft schließlich, den sich Fach- und Laienpublikum gleichermaßen noch viel mehr wünschen, ist nicht nur eine Frage von (fehlenden) Ressourcen und Zeit. Vielmehr kommt es auch auf die journalistische Haltung und den redaktionsinternen Austausch mit Kollegen an. In dieser Hinsicht können Wirtschaftsjournalisten aus den Ereignissen der Vergangenheit lernen, um von künftigen Wirtschafts- und Finanzkrisen nicht auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. <?page no="62"?> Was leistet Wirtschaftsjournalismus? 61 LLiitteerraattuurr Arlt, H.-J., & Storz, W. (2010). Wirtschaftsjournalismus in der Krise - zum massenmedialen Umgang mit Finanzmarktpolitik. 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Podium 4, Hamburg: Ges. für Medienentwicklung, 64-70. <?page no="64"?> Teil 2 PPuubblliicc RReellaattiioonnss <?page no="66"?> 44 WWa ass l leei isst te et t PPuubblliicc RReel laatti ioonnss? ? KKoommmmuunniikkaattiioonnssaarrbbeeiitt uunndd iihhrree LLeeiisst tuunnggssppootteennzziiaallee Helena Stehle Der vorliegende Beitrag stellt die Frage, was PR und Kommunikationsmanagement leistet bzw. leisten kann, in den Mittelpunkt. Er greift bestehende Begriffsverständnisse von Leistung auf und stellt dar, welche Leistungen der Kommunikationsarbeit in der funktionalen PR-Forschung zugeschrieben werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Denkschule des Kommunikationsmanagements als akteurs- und handlungstheoretischer Ansatz sowie systemtheoretische Ansätze. Sie verweisen vorrangig auf Leistungen der Einflussnahme und der Beobachtung, die PR als Organisationsfunktion bzw. Subsystem einer Organisation erbringen soll. Grenzaufhebungen in Organisationen sowie in deren Umfeld bieten Anstoß zur weiterführenden Betrachtung von PR-Leistungen. 44..1 1 VVeerrsst täännddnniiss uunndd DDeeffi inniitti ioonn vvo onn PPu ubblli icc RRe el laatti ioonnss uunndd KKoommmmuunniikkaattiioonnssmmaannaaggeemme enntt Forschung zu Public Relations (PR) wird mehrheitlich der sozialwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft zugeordnet, die sich mit menschlicher Kommunikation insbesondere in ihren gesellschaftlichen und organisatorischen Handlungsbzw. Systemzusammenhängen auseinandersetzt (Mast 2016a, S. 6; Jarren und Röttger 2015, S. 29; Burkart 2002, S. 422; Maletzke 1998, S. 17). Neben der gesellschaftsorientierten Ausrichtung der PR-Forschung, die sich stärker auf eine analytische Makroebene konzentriert und PR als Funktion bzw. Teilsystem der Gesellschaft betrachtet (z. B. Faulstich 2000; Ronneberger und Rühl 1992), sowie ihrer mikroorientierten Ausrichtung, die das Handeln und die Wahrnehmung einzelner Individuen, z. B. von PR-Verantwortlichen und -Experten, in den Mittelpunkt stellt (z. B. Mast 2016b; Bentele et al. 2015; Huck-Sandhu 2013; Mast 2011; Röttger 2010), lassen sich zahlreiche Ansätze der Mesoebene der Organisationen zuordnen (Jarren und Röttger 2015, S. 30; Wehmeier 2015, S. 155). Zentrale Fragen der PR-Forschung sind (Mast 2016a, S. 27; Sandhu 2012, S. 31): Was ist Kommunikationsarbeit? Worauf will sie hinaus? Was tut und leistet sie mit welcher Wirkung? Wie sieht sie aus? Wie nehmen sich Organisationen in ihren Umfeldbeziehungen wahr? Je nach Ausrichtung und Zugang der PR-Forschung werden diese Fragen unterschiedlich beantwortet. Im Mittelpunkt der organisationsbezogenen Forschung zu PR steht die Kommunikation von, in, über und zwischen Organisationen (Weder 2010, S. 11; Stehle 2015, S. 57). Sie nimmt Organisationen als zentrale Elemente eines sozialen Umfeldes wahr und stellt diese in den Fokus - als kommunizierenden Akteur, als Raum, in dem Kommunikation stattfindet, und nicht zuletzt als Thema und Gegenstand von Kommunikation und Kommunikationsarbeit (Sandhu 2012, S. 31 in Anlehnung an Donges 2008). Zentrale Annahme ist, dass Kommunikation eine große Bedeutung für den Bestand und das Wohlergehen einer Organisation hat (Stehle 2015, S. 134). In einem zweiten Schritt wird darüber hinaus oftmals angenommen, dass diese Kommunikation gestaltet werden kann und aufgrund ihrer Bedeutung auch gestaltet werden muss (ebd.). Kommunikation wird zu einer Organisationsfunktion, d. h. zu einer Funktion, die für den Bestand, den Erhalt <?page no="67"?> 66 Helena Stehle und die Entwicklung einer Organisation maßgeblich ist und deren Ziele unterstützt oder ihr Erreichen sogar zentral beeinflusst (Szyszka und Schmitz 2006, S. 61). Diese Gewichtung drückt sich auch in der Perspektive der Forschung und in dem Gegenstand aus, der betrachtet wird. So liegt der Schwerpunkt der organisationsbezogenen PR-Forschung traditionell auf der Analyse der Kommunikation von Organisationen mit ihrem Umfeld. 1 Die Perspektive des Kommunikators bildet oftmals Ausgangs- und Endpunkt der Betrachtung (Röttger et al. 2013, S. 10; Theis-Berglmair 2003, S. 565). Teilweise wird der PR-Forschung zudem ein nach wie vor eher externer Fokus zugesprochen, was sich auch im häufig synonym verwendeten Begriff der „Öffentlichkeitsarbeit“ zeigt (Sandhu 2012, S. 32; Hoffjann 2009, S. 29f.; Theis-Berglmair 2008, S. 111). Die Betrachtung konzentriert sich oftmals auf Unternehmen als speziellem Organisationstyp (Wehmeier 2015, S. 155). Jenseits dieses gemeinsamen Kerns setzt sich die organisationsbezogene PR-Forschung aus vielfältigen Ansätzen und Modellierungen zusammen. Sie kann z. B. systematisiert werden nach den sozialwissenschaftlichen Disziplinen, auf die ein Ansatz zurückgreift, nach Basistheorien wie z. B. die Systemtheorie, nach der Reichweite und Analyseebene eines Ansatzes, nach seiner jeweiligen Zielsetzung und seinem Abstraktionsgrad oder nach seiner historischen Entwicklung (Stehle 2015, S. 135). Je nach Kriterium, das zugrunde gelegt wird, ergeben sich unterschiedliche Verortungen. Anschlussfähig an andere sozialwissenschaftliche Disziplinen ist eine Systematisierung nach grundlegenden Paradigmen, die darüber hinaus eine konsistente Verortung ermöglicht (Sandhu 2012, S. 39ff.; Trujillo und Toth 1987, S. 202ff.; Putnam 1982, S. 193; Burrell und Morgan 1979). Auf Basis der beiden Dimensionen „Objektivismus versus Subjektivismus“ sowie „Stabilität versus Wandel“ (Burrell und Morgan 1979, S. 22) können Ansätze der PR-Forschung drei bzw. vier erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Paradigmen zugeordnet werden: dem funktionalen (Objektivismus, Ordnung), dem symbolisch-interpretativen (Subjektivismus, Ordnung) sowie dem kritischen Paradigma. Letzteres setzt sich aus den beiden Paradigmen zusammen, die Wandel in den Blick nehmen und daher zusammengefasst werden: dem Radikalen Humanismus (Subjektivismus, Wandel) und dem Radikalen Strukturalismus (Objektivismus, Wandel; Stehle 2015, S. 137). Im Folgenden soll das funktionale Paradigma der deutschsprachigen PR-Forschung im Mittelpunkt stehen, das bis heute dominiert und sich inhaltlich im Kern mit den Leistungen von Kommunikationsarbeit auseinandersetzt. Kommunikationsarbeit ist im Rahmen der funktionalen PR-Forschung darauf angelegt, einer Organisation zu nutzen. Sie wird als eine Organisationsfunktion bzw. ein Teilsystem unter mehreren verstanden (Jarren und Röttger 2009, S. 29). Es geht darum, Organisationsziele - insbesondere die Stabilität und den Erhalt einer Organisation - zu erreichen und im Zweifel durchzusetzen (Röttger et al. 2013, S. 11). Frühere Ansätze gingen zum Teil davon aus, dass das Umfeld einer Organisation möglichst gut kontrolliert und beeinflusst werden kann und werden muss, d. h. „Gestaltungsraum“ (Sandhu 2012, S. 2) der Kommunikationsarbeit ist. Mittlerweile wird das Umfeld als wichtige und komplexe Einflussgröße angesehen, die nicht ohne Weiteres manipuliert werden kann. Vor diesem 1 Im Gegenzug dazu konzentriert sich die Forschung zu Organisationskommunikation bislang noch stärker auf die Kommunikation in Organisationen (Wehmeier 2015, S. 158; Wehmeier et al. 2013, S. 9). <?page no="68"?> Was leistet Public Relations? 67 Hintergrund steht die Frage im Mittelpunkt, wie Kommunikationsarbeit zu den Organisationszielen beitragen und wie sie hierzu effizient und effektiv geplant und umgesetzt werden kann. Innerhalb des funktionalen Zugangs lassen sich weitere theoretische Perspektiven unterscheiden, die prägen, wie diese Frage angegangen und beantwortet wird. Strukturtheoretische Ansätze, z. B. auf Basis der Systemtheorie, stehen dabei neben akteurs- und handlungstheoretischen Ansätzen wie z. B. der Denkschule des Kommunikationsmanagements sowie integrativen Ansätzen, z. B. auf Basis der Strukturationstheorie (für einen Überblick: Stehle 2015, S. 145ff.). Sie gehen jeweils einher mit spezifischen Annahmen, welche Ziele, Aufgaben, Funktionen und Leistungen Kommunikation im organisationalen Kontext zugeschrieben werden. Der funktionale Zugang setzt sich seit jeher intensiv mit den Zielen, der Leistung sowie den Aufgaben von Kommunikation als Organisationsfunktion auseinander. Es handelt sich darüber hinaus um jenen Zugang, zu dem sich - insbesondere in seiner Ausprägung der Denkschule des Kommunikationsmanagements - zahlreiche Verbindungslinien zur PR-Forschung von Claudia Mast sowie zu den an ihrem Lehrstuhl entstandenen Dissertationen aus dem Forschungsfeld der PR und Unternehmenskommunikation ziehen lassen. Im Folgenden sollen die beiden dominierenden Perspektiven der deutschsprachigen funktionalen PR-Forschung - die Denkschule des Kommunikationsmanagements auf der einen sowie systemtheoretische Ansätze auf der anderen Seite (Sandhu 2012, S. 41) - und ihr Leistungsverständnis in den Blick genommen werden. Im Mittelpunkt stehen die Fragen: Welches Verständnis von Leistung prägt sie? Welche Leistungen schreiben sie PR jeweils zu? Zeigen sich Verbindungslinien oder sogar ein gemeinsamer Kanon an PR-Leistungen? 44..22 LLe eiisst tuunng geenn v voonn K Ko ommmmuunni ikkaattiio onns sa arrb be eiitt iim m OOr rgga an niis sa atti io on nssk ko onntteex xt t Der Begriff der Leistung ist aufgrund seiner alltagssprachlichen Verwendung sowie der zum Teil synonymen Verwendung zum Ziel- oder Aufgabenbegriff in der PR-Forschung wie z. B. bei Rademacher (2009, S. 96) nicht leicht zu fassen. In ihren funktionalen Ansätzen finden sich sowohl alltagssprachliche Verständnisse als auch Verständnisse, die von einer Disziplin - insbesondere der Organisationssoziologie sowie der Betriebswirtschaftslehre - oder von einer Basistheorie - z. B. der Systemtheorie - geprägt werden. Alltagssprachlich wird Leistung als geplantes Handeln verstanden, das in ein bestimmtes Ergebnis mündet bzw. zu einem Ziel führt. Bereits die Wortherkunft des Verbs „leisten“ (germ. laistjan) im Sinne von „nachgehen, folgen“ bis hin zu „erfüllen, befolgen“ (Köbler 1995, o. S.) deutet auf dieses Begriffsverständnis hin, das zum Teil synonym mit dem Begriff des Ziels verwendet wird. Neben dem aufgezeigten Alltagsverständnis finden sich in der funktionalen PR-Forschung des Weiteren zahlreiche Anleihen an ein organisationssoziologisches, insbesondere betriebswirtschaftlich geprägtes Verständnis, das in eine ähnliche Richtung zielt und unter Leistung die Ausbringung eines Produktionsprozesses, eine der Aufgabe angemessene Verausgabung oder den „Grad der Erreichung eines vereinbarten oder verordneten Ziels“ versteht (Minssen 2014, S. 29; auch Piekenbrock 2014, S. 348; Pieper 1992, S. 225). Im Zentrum der funktionalen PR-Forschung „steht der konkrete Leistungsbeitrag von PR <?page no="69"?> 68 Helena Stehle für die jeweils auftraggebende Organisation“, beschreiben Preusse und Röttger (2013, S. 135). Der Begriff der Aufgabe wird demgegenüber als „vorgegebene oder selbstgesetzte Zielsetzung für zweckrationale menschliche Handlungen“ (Pieper 1992, S. 27) oder - im organisationalen Kontext - als „dauerhaft wirksame Aufforderung, festgelegte Handlungen vorzunehmen“ (ebd.), verstanden, während ein Ziel als „angestrebter Sollzustand“ (ebd., S. 415) wahrgenommen wird. Insbesondere in akteurs- und handlungstheoretischen Ansätzen der funktionalen PR- Forschung findet sich ein Verständnis, das sich eng an diesen betriebswirtschaftlich orientierten Begriff der Leistung anlehnt, oftmals jedoch nicht expliziert wird. Dies gilt in besonderem Maße für die Denkschule des Kommunikationsmanagements. Sie entwickelte sich innerhalb der akteurs- und handlungstheoretischen Ansätze immer stärker eigenständig, ist Ursprung der organisationsbezogenen PR-Theorie und dominierte lange Jahre die PR-Forschung (Wehmeier 2015, S. 155; Sandhu 2012, S. 30). Leistungen von PR in akteurs- und handlungsstheoretischen Ansätzen „Public relations [...] is the management of communication between an organization and its publics“ - mit dieser Definition von PR und der „Excellence“-Studie legten Grunig und Hunt (1984, S. 8) u. a. den Grundstein der Denkschule des Kommunikationsmanagements. 2 Mit den Begrifflichkeiten des Managements, der Kommunikation, der Organisation und ihres Umfelds sind deren zentrale Pfeiler umrissen (Mast 2016a, S. 26; Sandhu 2012, S. 32f.). Insbesondere der Managementbegriff verweist auf die Anleihen aus Betriebswirtschafts- und Managementlehre, die sich im Bestreben nach einer möglichst optimalen Planung und Gestaltung der Organisationsfunktion Kommunikation sowie nach „strategischen Erfolgsfaktoren“ zeigen. Es geht um die „Optimierung von Kommunikationsprozessen“ (Bentele 2003, S. 71, o. Hv.). PR wird als strategische Kommunikationsarbeit verstanden, der sowohl eine große Bedeutung als auch zahlreiche Aufgaben, Ziele und Leistungen zugeschrieben werden. Sie soll die Kommunikation der Organisation mit ihrem Umfeld so planen und umsetzen, dass sie zu den Organisationszielen beiträgt und zugleich den Erwartungen und Bedingungen des jeweiligen Umfeldsegments Rechnung trägt (Zerfaß 2014, S. 23; Zerfaß 2010, S. 324). Diese Idee äußert sich in der Literatur in zum Teil sehr unterschiedlichen Zielen, die von Persuasion bis zu Akzeptanz seitens des Umfelds reichen - in Abhängigkeit davon, welche Annahme zur Interaktion zwischen Organisation und Umfeld getroffen wird (z. B. einfache Beeinflussung versus komplexe Interdependenz). Als weitere Ziele werden beispielsweise Wettbewerbsvorteile, (verbesserte) Reputation und Image, Beziehungsqualität, Vertrauen, Verständigung oder Legitimität genannt (Mast 2016a, S. 11; Zerfaß 2014, S. 25, 28f.). Unter Aufgaben der PR werden z. B. die Wahrnehmung des Umfelds, die Antizipation von Risiken, die klare, einheitliche Vermittlung von Informationen, z. B. zu Unternehmensleistungen und Selbstverständnis, oder die Einordnung von Unternehmenshandeln in gesellschaftspolitische Zusammenhänge gefasst (Mast 2016a, S. 16, 39; Zerfaß 2014, S. 28). Als potenzielle Leistungen im Sinne von 2 Für eine weitere Unterteilung der Denkschule des Kommunikationsmanagements in diejenigen Ansätze, die sich stärker auf den Kommunikationsbegriff konzentrieren (Kommunikationsmanagement im engen Sinne), sowie diejenigen, die den Beziehungsbegriff in den Mittelpunkt rücken (Beziehungsmanagement), vgl. Stehle (2015, S. 216ff.). <?page no="70"?> Was leistet Public Relations? 69 Wertschöpfung durch Kommunikation werden die Unterstützung der Leistungserstellung einer Organisation, der Aufbau immaterieller Erfolgspotenziale wie z. B. Bekanntheit oder Glaubwürdigkeit, institutionalisiertes „Zuhören“ nach außen und innen sowie die Sicherung von Handlungsspielräumen, z. B. durch die Pflege von Stakeholder-Beziehungen, angesehen, die nur durch die Leistungen der Integration und Koordination von Handeln und Interessen möglich werden (Zerfaß 2014, S. 29ff.; Zerfaß 2010, S. 324ff.). 3 Dass Aufgaben, Ziele und Leistungen bei den akteurs- und handlungstheoretischen Ansätzen bisweilen zusammenfließen, kann unter anderem auf die Herausforderung, „den konkreten Leistungsbeitrag von Public Relations für Unternehmen in betriebswirtschaftlichen Größen und Maßen zu beschreiben“ (Fröhlich 2015, S. 105, o. Hv.), zurückgeführt werden. Leistungspotenziale erhalten in der Denkschule teilweise mehr Aufmerksamkeit als der Grad der Zielerreichung oder die tatsächliche „Ausbringung eines Produktionsprozesses“ (Piekenbrock 2014, S. 348). Die - betriebswirtschaftlich gedachte - Herausforderung, einen konkreten Beitrag zu den Organisationszielen nachzuweisen, umgehen systemtheoretische Ansätze der funktionalen PR-Forschung, indem sie einen spezifischen, theoretisch entlehnten Leistungsbegriff verwenden. Er unterscheidet sich von jenem der „Aufgabe“ und jenem der „Funktion“ durch seine Beobachtungsperspektive (Hoffjann und Arlt 2015, S. 10). Leistungen von PR in systemtheoretischen Ansätzen Während die systemtheoretische PR-Forschung auch zentrale gesellschaftsbezogene Ansätze kennt, 4 soll im Folgenden - der organisationsbezogenen Ausrichtung des Beitrags entsprechend - ihr Pendant auf Mesoebene im Mittelpunkt stehen. Kommunikationsarbeit wird dabei als Subsystem, bisweilen genauer als Teil des Managementssystems des sozialen Systems Organisation aufgefasst. 5 Dieses ist wiederum Teil gesellschaftlicher Teilsysteme und steht in wechselseitigem Austausch mit seinem Umfeld (Szyszka 2004, S. 164f.; Wehmeier 2015, S. 159). Auch hier wird die Frage aufgeworfen - allerdings insbesondere mit beschreibender und analytischer Intention -, welche Funktionen und Leistungen PR für Organisationen erbringt bzw. erbringen kann (Preusse et al. 2013, S. 119). Als übergreifende Zielgröße wird dabei Legitimität (verstanden als „organisationales Sozialkapital“ (Wehmeier 2015, S. 162) und Voraussetzung für Hand- 3 Zerfaß (2014, 2010) bewegt sich mit seinem Ansatz an der Schnittstelle zwischen managementorientierten und strukturationstheoretischen Überlegungen und lässt sich damit auch den integrativen Ansätzen der PR-Forschung zuordnen. 4 PR wird hierbei als eigenständiges Teilsystem der Gesellschaft bzw. des „gesellschaftlichen Funktionssystems öffentliche Kommunikation (Publizistik)“ (Jarren und Röttger 2015, S. 34) wahrgenommen und soll einen „Beitrag zum Gemeinwohl“ (Wehmeier 2015, S. 161) sowie zu Vertrauen in die Öffentlichkeit leisten (Dernbach 2015, S. 146). Vertreter dieser Perspektive sind z. B. Ronneberger und Rühl (1992) oder auch Saxer (1992). Hoffjann und Arlt (2015) zielen darauf, Öffentlichkeitsarbeit neben Journalismus, Unterhaltung und Werbung als Leistungssysteme der Öffentlichkeit zu verorten. 5 Die systemtheoretischen Ansätze sind divers, daher wird im vorliegenden Beitrag die bislang in der Literatur als dominant aufscheinende Ausprägung thematisiert. Alternativ kann PR z. B. auch als „spezielle System-Umwelt-Interaktion“ (Wehmeier 2015, S. 160 in Anlehnung an den handlungsorientierten systemtheoretischen Ansatz nach Faulstich) verstanden werden. <?page no="71"?> 70 Helena Stehle lungs- und Entwicklungsspielräume (Szyszka 2004, S. 165)) und als Funktion die Legitimation der Organisation und ihrer Ziele angesehen (Preusse et al. 2013, S. 121f.; Hoffjann 2009, S. 304). Während eine Funktion die „Rolle eines Teils (hier: der PR) im Ganzen (hier: der Organisation)“ (Preusse et al. 2013, S. 122) bezeichnet, erfolgen Leistungen „im Verhältnis der Teile untereinander [...] und sowohl aus der Perspektive der Nachfrager [...] als auch der Anbieter“ (ebd.). Funktion lenkt damit den Blick auf das Gesamtsystem, Leistung auf andere (Sub-)Systeme (Hoffjann und Arlt 2015, S. 10). Als zentrale Leistungen der PR für Organisationen werden Beobachtungsleistungen an der Grenzstelle zwischen Organisation und Umfeld, Steuerungsleistungen gegenüber einem externen Umfeld sowie interne Steuerungsleistungen auf Basis von Beratungs-, Reflexions- und Übersetzungsleistungen angesehen (Gehrau et al. 2013, S. 348; Hoffjann 2009, S. 305; Kussin 2009, S. 129f.). Ein Mindestmaß an Beobachtung „von außen“, ohne Gebundenheit an die Organisation wird als Voraussetzung für bewusstes und geplantes Kommunikationshandeln wahrgenommen (Wehmeier 2015, S. 162). PR wird damit als „Beobachter zweiter Ordnung“ (Szyszka 2009, S. 145) bezeichnet. Vor allem die externe Kontextsteuerung, z. B. auf Basis von Selbstdarstellung, Thematisierung und Übersetzung, stand lange Zeit im Mittelpunkt der Analyse (Hoffjann 2009, S. 300). Es geht dabei um intentionale Einflussnahme auf Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsprozesse, indem z. B. Transparenz geschaffen wird, und um den „Leistungsanspruch, eine Organisation in kommunikativen Angelegenheiten gegenüber allen Bereichen ihrer Umwelt [...] zu vertreten“ (Szyszka und Schmitz 2006, S. 64f.; auch Szyszka 2004, S. 161). Nach innen, in die Organisation hinein sprechen systemtheoretische Ansätze von der Einspeisung der Beobachtungsergebnisse in interne Entscheidungsprozesse (Wehmeier 2015, S. 163). Dabei geht es auch darum, Beobachtungen für die interne Systemlogik zu übersetzen, dabei die Organisationsidentität zu reflektieren und das Management zu beraten (Hoffjann 2009, S. 308f.). Werden beide Perspektiven - die interne und die externe - zusammengedacht, wird von „Differenzmanagement“ (ebd., S. 305), d. h. dem Ab- und Ausgleich externer und interner Betrachtungen, gesprochen. Verbindungslinien hinsichtlich der Leistungen von PR Wenn von Leistungen der Kommunikationsarbeit gesprochen wird, zeigt sich, dass diese eng mit der Definition von Kommunikationsarbeit sowie mit den paradigmatischen Annahmen eines Ansatzes verbunden sind. Während der alltagssprachliche Begriff von Leistung zunächst auf individuelles Handeln generell bezogen ist, bezieht sich der betriebswirtschaftliche Begriff bereits auf die Organisation und deren Handeln bzw. das Handeln von Akteuren, insbesondere Organisationsmitgliedern. Die systemtheoretische Definition von Leistung ist hingegen eng an das Konzept systemischer Umfelder und Organisationen gebunden. Trotz dieser Kontextgebundenheit zeigen sich Verbindungslinien inhaltlicher Art sowie im Hinblick auf Herausforderungen bei der Herangehensweise. Drei Leistungen von PR lassen sich aus der Zusammenschau akteurs- und handlungstheoretischer sowie systemtheoretischer Ansätze der funktionalen PR-Forschung ableiten: die Einflussnahme auf das Umfeld, die Einflussnahme auf die Organisation und - quasi als Voraussetzung - die Beobachtung von Organisation und Umfeld (vgl. Abb. 1). Die Zugehörigkeit zum funktionalen Paradigma der deutschsprachigen PR-Forschung zeigt sich dabei oftmals an der Bedeutung, die umfeldbezogenen Leistungen von PR <?page no="72"?> Was leistet Public Relations? 71 zugeschrieben wird: PR soll Einfluss auf Erwartungen, Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsprozesse oder sogar Handeln im Organisationsumfeld nehmen und auf diese zu Gunsten der Organisation einwirken bzw. diese integrieren und koordinieren. Daran schließen konkretere Leistungserwartungen wie z. B. der Aufbau immaterieller Erfolgspotenziale oder die Sicherung von Handlungsspielräumen an. Sie können aus der übergreifenden Erwartung nach einer Einwirkung auf das Umfeld, das v. a. extern und damit außerhalb einer Organisation gedacht wird, abgeleitet werden. Neben der oftmals dominanten Konzentration auf das Umfeld von Organisation richtet die funktionale Forschung ihren Blick jedoch auch auf die Einflussnahme von Kommunikationsarbeit auf die Organisation selbst. Diese zielt v. a. auf Entscheidungsprozesse des Managements bzw. anderer organisationaler Subsysteme und schließt ein, dass die Organisationsleitung bzw. das Managementsystem einer Organisation beraten werden. PR wird dabei auch eine Übersetzungsleistung zugeschrieben. Beide zentralen Leistungen von PR - die Beeinflussung des Umfelds und der Organisation gleichermaßen - fußen auf der Beobachtungsleistung von PR als Grenzstelle zwischen einer Organisation und ihrem Umfeld. Diese Leistungserwartung umfasst in der funktionalen PR-Forschung bisweilen auch die Leistung der Reflexion sowie eines Perspektivenwechsels, der Beobachtung nicht nur aus Sicht der Organisation ermöglicht. Der gemeinsame funktionale Ausgangspunkt ermöglicht es, behutsame Verbindungslinien zwischen theoretisch unterschiedlichen Ansätzen der PR-Forschung zu ziehen, wenn diese Leistungen von PR beschreiben und betrachten. Während der Begriff der Leistung in systemtheoretischen Ansätzen konsistenter verwandt wird, fällt die Betrachtung in akteurs- und handlungstheoretischen Ansätzen variantenreicher und bisweilen <?page no="73"?> 72 Helena Stehle kleinteiliger aus. Leistungszuschreibungen werden zum Teil für einzelne Handlungsfelder, Zielgrößen oder Fragestellungen aus der Kommunikationspraxis spezifiziert, was einer Übersicht und analytischen Konsequenz teilweise abträglich ist. Die vorrangig auf Beschreibung und Analyse ausgelegten systemtheoretischen Betrachtungen verbleiben demgegenüber bisweilen vage und abstrakt. Diese Kritikpunkte begegnen den jeweiligen Ansätzen regelmäßig und gerne wechselseitig. Welche Herausforderungen zeigen sich für die funktionale PR-Forschung zusammenfassend mit Blick auf den Beitrag, den PR im Organisationskontext leisten soll? 44..3 3 HHe erraauussffo orrddeer ruunng geen n ffü ürr ddiiee FFo orrsscchhuunngg zzu u PPuubblliicc RReel laattiioonnss uunndd KKoommmmuunniikkaattiioonnssmmaannaaggeemme enntt Ein Verständnis der Leistungen von Kommunikationsarbeit erscheint „in der modernen Mediengesellschaft unabdingbar“ (Zerfaß 2014, S. 23). Sie erlaubt insbesondere der Kommunikationspraxis, zum Teil aber auch der PR-Forschung, ihr Handeln und ihre Entscheidungsspielräume zu legitimieren. In diesem Sinne kann die Frage danach, was eine - vorab definierte - PR konkret leistet, als zentral angesehen werden. Der Stand der funktionalen PR-Forschung weist dabei auf zwei Herausforderungen hin: Explizierung des Umfeldbezugs: Wenn Leistungen von PR betrachtet werden, ist neben dem Bezugspunkt der Organisation auch jener des Umfelds zentral. Dieser bleibt mitunter jedoch vage, wenn z. B. auf das gesellschaftspolitische Umfeld insgesamt verwiesen wird, oder er wird sogar verkürzt betrachtet, wenn - häufig implizit - Einflussnahme vorrangig auf das externe Umfeld von Organisationen beschrieben wird. Ist die Organisation selbst im Blick, wird die Betrachtung oftmals auf die Organisationsleitung bzw. das Managementsystem bezogen. Inwiefern sich die Einflussnahme auf ein externes Umfeld von jener auf ein internes Feld unterscheidet oder ob z. B. im internen Feld Interdependenzen zwischen Organisationsmitgliedern und Organisationsleitung vorkommen und wenn ja, mit welchen Auswirkungen zu rechnen ist, wird bislang noch kaum diskutiert (vgl. hierzu auch der Beitrag von Huck-Sandhu in diesem Band). Fokus auf Leistungspotenziale: Wenn die Leistung von PR thematisiert wird, handelt es sich oftmals um Leistungserwartungen oder Leistungspotenziale, die der PR zugeschrieben werden. Während sich akteurs- und handlungstheoretische Ansätze trotz ihrer Orientierung an einem betriebswirtschaftlich geprägten Begriffsverständnis mit einer konkreten (Er-)Fassung des Leistungsbegriffs schwer tun, konzentrieren sich systemtheoretische Ansätze auf ihr analytisches Begriffsverständnis. Eine Erfassung dessen, was PR für Organisationen tatsächlich in bestimmten Situationen, unter bestimmten Bedingungen, mit konkreten Umfeldern leistet, fällt nach wie vor schwer. Es bleibt bislang an vielen Stellen bei Potenzialprognosen und Absichtserklärungen. Daran schließt sich die Frage an, wer konkret festlegt, inwiefern und inwieweit eine Leistung erbracht wurde. Sowohl der Anbieter bzw. das leistende System als auch der Nachfrager einer Leistung und zum Teil auch ein freiwillig oder unfreiwillig Betroffener oder ein unbeteiligter Beobachter können hierbei eigene Wahrnehmungen äußern. <?page no="74"?> Was leistet Public Relations? 73 Diese Herausforderungen, die spezifisch für die Betrachtung von PR-Leistungen sind, zeigen die enge Kopplung des Leistungsbegriffs an das Verständnis von PR und Kommunikationsmanagement als Organisationsfunktion oder organisationales (Sub-)System. Unter dem Begriff der „Grenzaufhebung“, der Masts (1986) Habilitation als „roter Faden“ prägt, lassen sich daran anknüpfend drei Entwicklungen aufgreifen, die sich mit der Diskussion um Leistungen von PR und Kommunikationsmanagement eng verbinden lassen. Sie thematisieren das der funktionalen PR-Forschung inhärente Prinzip der Einflussnahme, den Fokus, der auf die Leistungen für eine Organisation gelegt wird, sowie mögliche Grenzaufhebungen oder -verschiebungen zwischen Organisationsfunktionen. Mit Veränderungen im Mediensystem, insbesondere im Web, und einer damit verbundenen Grenzaufhebung zwischen traditionellen Kommunikator- und Rezipientenrollen trifft das dominante funktionale Prinzip der Einflussnahme auf Bedingungen, die mit einem „sukzessiven Kontrollverlust des Kommunikators“ (Winkler 2015, S. 286, o. Hv.; auch Pleil und Zerfaß 2014, S. 731) einhergehen. Auch nicht-instrumentelle, komplexe Ideen von Steuerung begegnen damit erschwerten Bedingungen. Daran anknüpfend lässt sich beispielsweise die Frage stellen, inwiefern, z. B. unter welchen Voraussetzungen und in welchem Maße, die Leistungserwartung der Einflussnahme noch gerechtfertigt ist. Fortführend kann der Fokus auf die Leistungen für eine Organisation in den Blick genommen werden. In Ergänzung zur bereits bekannten Diskussion um die Vorzüge einer gesellschaftsversus einer organisationsbezogenen PR-Forschung kann mit Blick auf den Leistungsbeitrag von PR hinterfragt werden, inwiefern dieser für eine Organisation auf deren Umfeld erweitert werden kann oder sogar erweitert werden muss. Angesichts zahlreicher - bisweilen normativer - Forderungen nach und Hinweise auf „Win-Win-Situationen“ wie beispielsweise bei Grunig, Grunig und Dozier (2006, S. 47f.) könnte eine Orientierung am Leistungsbegriff hierbei weiterführende Erkenntnisse ermöglichen. Statt „Kommunikatorvor oder versus Stakeholder-Orientierung“ wäre stärker eine „Kommunikator- und Stakeholder-Betrachtung“ gefragt. Ob dies jedoch angesichts des - hier systemtheoretisch formuliert - starken Einflusses des Wirtschaftssystems auf PR (Hoffjann und Arlt 2015, S. 105) möglich ist, bietet Raum für weitere Diskussionen. Nicht zuletzt lassen sich Grenzaufhebungen oder -verschiebungen zwischen Organisationsfunktionen diskutieren, wenn z. B. andere Funktionen wie das Marketing oder die Marktforschung ebenfalls Beobachtungsleistungen sowie Leistungen der Einflussnahme auf das Umfeld anbieten und das Ziel der Legitimität - wenn möglicherweise auch nicht (nur) im gesellschaftspolitischen Umfeld - verfolgen. Was konkret bleiben dann die Zielgrößen, Aufgaben und insbesondere die tatsächlichen Leistungen von PR aus Sicht der Kommunikationspraxis? Was bleibt aber auch als Gegenstand der PR-Forschung? So kritisiert beispielsweise Nothhaft (2016, S. 71f.), dass sich die Forschung zu strategischer Kommunikation nach wie vor auf einen gemeinsamen Nenner in dieser Hinsicht einigen muss. <?page no="75"?> 74 Helena Stehle 44..44 FFaazziitt Die Frage nach den Leistungen von PR und Kommunikationsmanagement berührt den Kern von PR und Kommunikationsarbeit. Entsprechend interessieren sich sowohl die Kommunikationspraxis als auch die PR-Forschung dafür. Insbesondere funktionale Ansätze der PR-Forschung setzen sich mit der Frage auseinander, was PR als Organisationsfunktion leisten kann (und zum Teil auch damit, was sie leisten soll). Bestehende akteurs- und handlungstheoretische Ansätze, insbesondere die Denkschule des Kommunikationsmanagements, sowie systemtheoretische Ansätze verweisen dabei auf Leistungen der Einflussnahme auf das Umfeld sowie die Organisation selbst und auf dafür notwendige Beobachtungsleistungen. Dabei wird jedoch bisweilen das Umfeld abstrakt beschrieben oder auf externe Bezugsgruppen beschränkt. Darüber hinaus verweisen zahlreiche Ansätze auf Leistungserwartungen, -zuschreibungen und -potenziale. Die Beschreibung und Analyse von Leistungen im organisationssoziologischen, betriebswirtschaftlichen Sinne als Ergebnis eines Handlungsprozesses und Grad der Zielerreichung fällt nach wie vor schwer. Die Frage nach den Leistungen von Kommunikationsarbeit ist nicht zuletzt eng mit dem Verständnis von PR, von Organisation und ihrem Umfeld verbunden. Gegenwärtige Entwicklungen, die das Umfeld und/ oder die Organisation selbst berühren, betreffen damit auch die Leistungsbetrachtung der Kommunikationsarbeit. So steht beispielsweise die Frage der Einflussnahme auf das Umfeld im Raum, wenn Bezugsgruppen im Web selbst kommunizieren und ihrerseits Einfluss auf Organisationen nehmen. Auch Fragen nach Leistungen von PR für Organisationen und ihr Umfeld sowie nach Schnittstellen zwischen Organisationsfunktionen lassen Raum für weiterführende Betrachtungen. Abschließend soll eine Gefahr in den Blick genommen werden, die für die Kommunikationspraxis - trotz der ihr zugeschriebenen Rolle als Grenzstelle und Beobachter zweiter Ordnung - verständlich, wenn nicht sogar notwendig erscheint, für die Fortentwicklung der funktionalen PR-Forschung jedoch Einschränkungen mit sich bringen kann. Wenn der Begriff der Leistung mit einem ausschließlichen Streben einhergeht, Leistungen von PR zu beschreiben, zuzuschreiben und nachzuweisen, bleiben möglicherweise andere Betrachtungen wie z. B. die grundlegender Kommunikations- und Interaktions-, Wahrnehmungs- oder Wirkprozesse außen vor. Wenn sich PR-Forschung als Forschungsfeld der sozialwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft versteht, bieten diese Perspektiven jedoch weitere Anknüpfungspunkte, die sich mit der Leistungsbetrachtung verbinden lassen. Die folgenden Beiträge zeigen vor diesem Hintergrund, wie vielfältig der Blick auf die Leistungen von Kommunikationsarbeit erfolgen kann. <?page no="76"?> Was leistet Public Relations? 75 LLiitteerraattuurr Bentele, G. (2003). Kommunikatorforschung: Public Relations. In G. Bentele, H.-B. Brosius & O. Jarren (Hg.), Öffentliche Kommunikation: Handbuch Kommunikations- und Medienwissenschaft (S. 54-78). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Bentele, G., Seidenglanz, R., & Fechner, R. (2015). Profession Pressesprecher 2015: Vermessung eines Berufsstandes. Selbstverständnis, Strukturen, Kennzahlen des Kommunikationsmanagements. Berlin: Helios; Bundesverband deutscher Pressesprecher. Burkart, R. (2002). Kommunikationswissenschaft: Grundlagen und Problemfelder. 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Gleichzeitig lassen sich Kommunikationsräume definieren, in denen sich Stakeholder unabhängig vom Unternehmen bewegen und kommunizieren. Stakeholder-Orientierung legt zudem eine Systematisierung der Umwelt nahe. Stakeholder-Typen können so entsprechend ihrer situativen Erwartungen angesprochen werden. 55..1 1 RRiissssee iinn ddeer r UUnnt te er rnneeh hmme en nssppeer rssppeekktti ivve e Unternehmen sprechen ihre Stakeholder stets in Situationen an, in denen eine Interaktion mit ihrer Umwelt relevant wird. Die Perspektive des Kommunikationsmanagements ist deshalb die des Unternehmens: Wie sprechen Unternehmen ihre Stakeholder an? Drehen wir den Spieß doch einmal um: Wie sprechen Kunden Aussteller auf Messen an? Wie kommunizieren Mitarbeiter mit ihrem Chef in der Krise? Wie stellen Journalisten Pressesprechern auf Bilanzpressekonferenzen Fragen? Für die PR ist die Perspektive ungewohnt. Tatsächlich sind es aber genau diese Fragen, deren Antwort die strategische Kommunikation an ihr Ziel führen. Denn Wirkung entscheidet sich bekanntlich erst beim Rezipienten. Auf die PR übertragen: Es sind die Stakeholder, die ein Unternehmen erreichen möchte. Wo wenn nicht bei ihnen beginnt strategische Kommunikation? Die Stakeholder-Orientierung ist derzeit das Buzzword schlechthin in allen Kommunikationsdisziplinen. Ob Journalismus, Unternehmens- oder Organisationskommunikation: Überall soll die Perspektive gewechselt und konsequent vom Stakeholder aus gedacht werden. Die Idee ist gut - fragt sich nur, wie die Umsetzung aussieht und ob eine Disziplin, die seit Jahrzehnten alle relevanten Begriffe aus der Unternehmenssicht heraus definiert, so schnell die Richtung wechseln kann. Die Mühe wäre es wert, denn die Vorteile einer Stakeholder-Orientierung sind für Unternehmen immens. Auslöser der Idee ist ein Strukturwandel, den Mast (1986) bereits früh thematisiert hat. Sie zeigt auf, dass technische und gesellschaftliche Veränderungen die Leistungen der Massenmedien auf einer zeitlichen, inhaltlichen, prozessualen und räumlichen Dimension maßgeblich beeinflussen. Aussagenproduktion und -vermittlung verändern sich funktionell und stellen die Kommunikatoren vor neue Herausforderungen. Sie ermöglichen aber auch „[…] unterschiedliche Nutzungsprofile, deren Realisierung weniger von vermittlungstechnischen Spezifika der Mediensysteme als von rezipientenorientierten <?page no="81"?> 80 Alexandra Simtion Faktoren abhängt“ (ebd., S. 12). Die Orientierung an Zielgruppen medialer Kommunikation wird also zur notwendigen Folge des Strukturwandels. Entsprechend müssen Kommunikatoren umdenken. Zu einem wirklichen Perspektivenwechsel ist es bislang allerdings nicht gekommen. Zwar ist aus der Risikogesellschaft der 1980er Jahre die Weltrisikogesellschaft der 2000er geworden (Beck 2007, 1986). Nach wie vor reden wir aber über den Wandel und seine Auswirkungen auf die Medien- und Unternehmenswelt (z. B. Kirchgeorg und Ermer 2014, S. 691; Mayer-Johanssen 2014, S. 824; Zerfaß und Piwinger 2014). Und auch die Komplexität des Umfelds ist gestiegen. Legitimationskrisen ganzer Branchen, Machtverschiebungen in der politischen Arena, Bürgerentscheide zu Großprojekten - das alles lässt das Vertrauen der Menschen in die politische und wirtschaftliche Elite sinken. Unternehmen geraten zusehends unter einen regelrechten „Rechtfertigungszwang“ (Sandhu 2014, S. 1162). Die Situation hat sich seit 1986 noch verschärft, die Schlussfolgerung bleibt aber die gleiche: „Die Perspektive der Stakeholder gewinnt an Bedeutung“ (Mast 2016, S. 20). Als Anker der Beziehungen zwischen Unternehmen und Umwelt gelten also die Ansprüche der Stakeholder. Doch auch diese haben sich gewandelt (Mast 2016, S. 68). Ein neues Selbstverständnis macht sich bei den Menschen breit. Sie sind selbstbewusster geworden, wissen um ihre Macht und setzen sie rege ein. Buß (2008, S. 4) spricht von einem regelrechten Paradigmenwechsel, weil Menschen zunehmend andere Rollen einnehmen, für die Unternehmen entsprechende Pendants in ihrem Selbstverständnis noch finden müssen. Mitarbeiter, Kunden, Nachbarn und Partner - sie alle sind besser informiert, haben höhere Erwartungen und teilen ihre Erfahrungen im Netz. Sie informieren sich über Alternativen und ziehen Konsequenzen, sollte das Angebot nicht ihren immer höheren Ansprüchen genügen. Das macht sich bemerkbar, über alle Tätigkeitsbereiche strategischer Kommunikation hinweg. Denn „[s]tatt treuer Kunden dominieren heute zunehmend wechselbereite Kunden“ (Mast 2016, S. 301). Aus der Change Communication ist ein Exchange Management geworden (ebd., S. 6ff.), das auf Interaktivität mit Stakeholdern basiert, die sich als gleichberechtigt sehen und eine entsprechende Behandlung einfordern. Auch im interkulturellen Kontext wird die Bereitschaft immer wichtiger, sich auf unterschiedliche Ansprüche einzulassen um interkulturelle Kompetenz und Kommunikation zu ermöglichen (Broszinsky-Schwabe 2011, S. 1f.). Schließlich setzen sich neue Handlungsfelder mit den veränderten Rollenbildern auseinander: „Aus Arbeitnehmern, die händeringend eine Arbeitsstelle suchen, sind Bewerber geworden, die umworben werden möchten“ (Mast und Simtion 2016, S. 6). In diesem Umfeld kann sich nur das Unternehmen behaupten, das die Ansprüche und Merkmale seiner Stakeholder kennt (Siems et al. 2008, S. 263) und sie berücksichtigt. Ähnlich wie Mast (1986, S. 95) bereits Mitte der 1980er Jahre forderte geht es auch gegenwärtig noch darum, das Verhalten der Kommunikatoren in Bezug zum Rezipientenverhalten zu setzen und zielorientierte Vermittlungsleistungen zu steigern, denn: „Der Strukturwandel des Kommunikationssystems erfordert integrierte, rezipientenorientierte Ansätze zur Erforschung des Verhaltens in der Alltagskommunikation“ (ebd., S. 128). Übertragen auf das Kommunikationsmanagement werden „die Stärkung und die Förderung von Interaktionsprozessen sowie die Verbesserung von Kommunikationsbeziehungen“ (Mast 2016, S. 67) oberste Gebote der PR. <?page no="82"?> Was leistet Stakeholder-Orientierung? 81 55..2 2 LLe ei isst tu unngge en n eei inneerr SSttaakkeehho ol ld de err--O Orri ieenntti ie erruunngg Bislang wird Stakeholder-Orientierung häufig gefordert, allerdings nicht immer auch tatsächlich umgesetzt. Um beim Beispiel der Arbeitgeber-Kommunikation zu bleiben: Unternehmen kommunizieren verstärkt über Social Media, weil sie dort ihre Stakeholder vermuten. Inhaltlich setzen sie auf Angebote zur Weiter- und Fortbildung sowie auf Work-Life-Balance als Argumente zur Fachkräftegewinnung. Potenzielle Arbeitnehmer dagegen möchten eher Informationen zum Arbeitsklima, zum Gehalt und zum Standort des Unternehmens, vorzugsweise von eigenen Mitarbeitern des potenziellen Arbeitgebers (Mast und Simtion 2016, S. 256f.). Anspruch und Wirklichkeit gehen also auseinander. Die Folge ist eine „rückläufige Kommunikationseffizienz und -effektivität“ (Bruhn et al. 2009, S. V) für das Unternehmen. Dennoch scheint der Wandel eingeleitet. Noch vor wenigen Jahren waren sich Unternehmen dieser Diskrepanzen nicht bewusst. So geben 2012 nur knapp 17 Prozent der Top-500-Unternehmen an, eine klare Stakeholder-Orientierung sei das Erfolgsrezept für die Stakeholder-Ansprache. Dafür setzt jeder dritte Kommunikationsverantwortliche auf Themen mit hohem Nachrichtenwert (Mast 2013, S. 7). Anders 2015: Die externe Positionierung und die Reaktion auf die veränderten Ansprüche der Stakeholder sind die Top-Herausforderungen für die kommenden Jahre für die überwiegende Mehrheit der 500 umsatzstärksten deutschen Unternehmen (Mast und Simtion 2016, S. 119). Nicht nur Mast (1986) fordert bereits frühzeitig eine stärkere Rezipienten-Orientierung in der medialen Kommunikation. Auch Freeman (1986) spricht sich dafür aus, dass Unternehmen langfristige Beziehungen zu relevanten Gruppen eingehen, indem sie sich konsequent an den Ansprüchen und Erwartungen der Stakeholder orientieren. Überträgt man diese Gedanken auf die erläuterten strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen und berücksichtigt man den Wandel im Selbst- und Rollenverständnis der Menschen, ergibt sich eine dringende Notwendigkeit für Unternehmen, die Stakeholder- Brille bei der Planung und Umsetzung strategischer Kommunikation aufzusetzen. Die Vorteile, die sich eine solche Perspektive ergeben, sind vielfältig. Stakeholder-Orientierung kann v. a. dazu verhelfen: Situationen zu erkennen, in denen Stakeholder eine Ansprache durch Unternehmen erwarten, Kommunikationsräume zu definieren, in denen sich Stakeholder aufhalten, Rollen abzuleiten, die von den Stakeholdern situativ erwartet werden sowie Stakeholder nach situativen Erwartungen und persönlichen Merkmalen zu systematisieren. Zweifelsohne sind dies nicht die einzigen Leistungen einer konsequenten Stakeholder- Orientierung. Sie sind erste Schlussfolgerungen, die sich bei Unternehmen abzeichnen und bereits belegen lassen. In Anbetracht aktueller Entwicklungen stehen sie stellvertretend für alle weiteren Vorzüge, die eine umgekehrte Perspektive eröffnet. IIddeenntti iffiikkaattiioonn vvoonn SSiittu uaattiioonneenn" iinn ddeenneenn KKoommmmuunniikkaattiioonn eerrwwaarrtteett wwiirrdd Unternehmen sprechen ihre Stakeholder in Situationen an, die eine Kommunikation bzw. Handlung erforderlich machen. Bei der Eröffnung eines neuen Standorts z. B. setzt sich das Unternehmen mit den Anwohnern in Verbindung. Wird die Neuerung bekannt gegeben, werden Journalisten auf einer Pressekonferenz angesprochen. Fusioniert das <?page no="83"?> 82 Alexandra Simtion Unternehmen mit einem Konkurrenten, müssen die eigenen Mitarbeiter mit ins Boot geholt werden. Wird ein Messe-Auftritt geplant, steht die Kunden-Ansprache an erster Stelle. Das ist die bisherige Logik in der Unternehmenskommunikation. Andersherum stellt sich die Frage, wann Anwohner, Journalisten oder Kunden eine Ansprache erwarten. Mitunter unterscheiden sich die Situationen voneinander. Anwohner möchten bereits konsultiert werden, bevor das neue Werk geplant wird. Mitarbeiter wollen bei einer Fusion mitbestimmen und Kunden, die nicht auf Messen gehen, erwarten die Informationen zu anderer Gelegenheit. Zudem ergeben sich neue, relevante Anlässe, etwa die tägliche Mediennutzung oder auftretende Problemsituationen. Für Unternehmen gilt es, diese Touchpoints - also Momente, in denen Menschen mit einem Thema in Berührung kommen - zu identifizieren (Mast et al. 2014, S. 48): „Soll die Stakeholder- Orientierung Wirklichkeit werden, müssen Unternehmen die Aufmerksamkeit der Bürger mit passgenauen Themenausschnitten und -präsentationen wecken“ (ebd., S. 47). Ein weiteres Beispiel aus der Arbeitgeber-Kommunikation: Entscheidend dafür, wie ein Unternehmen als Arbeitgeber wahrgenommen wird, ist die Situation, in der sich der potenzielle Mitarbeiter befindet. Sucht er gerade nach einer neuen Beschäftigung, wird er anders auf die Ansprache reagieren als wenn er gar nicht erst wechselbereit ist oder gerade erst die Arbeitsstelle gewechselt hat (Mast und Simtion 2016, S. 71; Mast et al. 2015, S. 10f.). Auch Zerfaß (2014, S.31) sieht Situationen als entscheidend für das Beziehungsmanagement, mitunter auch, um unternehmerisches Handeln situativ zu legitimieren, indem man es an die Erwartungen der Stakeholder anpasst (Karmasin und Weder 2014, S. 82). Entsprechend ist die unternehmerische Situation „Fachkräftemangel“ weniger relevant für das Resultat einer Arbeitgeber-Kampagne und vielmehr, welchen Anlass man sich beim Stakeholder zunutze machen kann. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch, dass „[p]unktuelle Einzelmaßnahmen und sporadische Projekte in der Arbeitgeber-Kommunikation den gestiegenen Ansprüchen der Stakeholder immer weniger gerecht [werden]“ (Mast und Simtion 2016, S. 7). Stattdessen ist eine Arbeitgeber-Kommunikation als Kommunikations- und Beziehungsmanagement zwischen dem Unternehmen und seinen Stakeholdern erforderlich (ebd., S. 71). Ausgangspunkt und Anker dafür ist eine situative Stakeholder-Orientierung. DDeeffiinniitti ioonn vvoonn KKoommmmuunniikkaatti ioonnssrrääuummeenn" iinn ddeenneen n ssiicchh SSttaakkeeh hoollddeerr aauuffhhaalltteenn Das Kommunikationsmanagement experimentiert gerade mit einer Art reflexiver Wende, also damit, sich selbst aus Sicht der Stakeholder zu definieren. Dabei hilft der Blick auf benachbarte Disziplinen, die sich der Gunst des Publikums bereits verschrieben haben. Gerade im Journalismus existieren zahlreiche Anknüpfungspunkte für die PR. Redaktionen denken in Leserinteressen und definieren sogenannte Kommunikationsräume, in denen sich Menschen aufhalten, um sie passgenauer ansprechen zu können (Mast und Spachmann 2013, S. 96). Die Idee ist, konsequent aus der Perspektive der Leser zu berichten, indem sich Journalisten ihre Nahwelt zu eigen machen. Die Frage lautet dann: „Welche Kontakt- und Bezugspunkte haben die Menschen im Alltag zu einer Zeitung? Was erwarten sie? “ (ebd.). Auf Unternehmen übertragen bedeutet es, die Nahwelt der Stakeholder als „Austragungsort“ strategischer Ansprache zu definieren. Das gewohnte Beispiel aus der Arbeitgeber-Kommunikation: Menschen informieren sich am liebsten bei persönlichen Kontakten, wenn es darum geht, ein Unternehmen als <?page no="84"?> Was leistet Stakeholder-Orientierung? 83 Arbeitgeber zu bewerten (Mast und Simtion 2016, S. 158ff.). Freunde, Familie und Bekannte werden damit zu zentralen Stakeholdern für Unternehmen, weil sie zur Nahwelt der Menschen gehören. Auch der Ausbildungsbetrieb oder die Universität, an der studiert wird, gehören dazu. Verbindet man diese Einsicht mit der situativen Komponente, folgt die Frage nach den Themen, die in den jeweiligen Kommunikationsräumen und in der betreffenden Situation relevant sind. Denn von ihrem persönlichen Umfeld fordern potenzielle Arbeitnehmer v. a. Informationen über das Arbeitsklima, über den Umgang unter Kollegen und die Zusammenarbeit mit Vorgesetzten ein (ebd., S. 247ff.). Geht es um das genaue Tätigkeitsfeld, den Standort oder die Leistungen für Mitarbeiter, bedienen sie sich dagegen eher einem Blick auf die Unternehmens-Website. Kennen Unternehmen diese Zusammenhänge, können sie die Ansprache anpassen und Dissonanzen bei den Stakeholdern reduzieren. Ein solches „Zuhören und Berücksichtigen der Äußerungen und Interessen von Stakeholdern“ (Zerfaß 2014, S. 31) befähigt Unternehmen dazu, Informationen dort anzubieten, wo sie angefordert werden bzw. sich die Stakeholder aufhalten, und sich dadurch wichtige Handlungsspielräume zu sichern. AAbblleeiittuunngg vvoonn RRoolllleenn" ddiiee vvoomm UUnntteerrnneehhmme enn ssiittuuaattiivv eerrwwaarrtte ett wweer rddeenn Denkt man die Stakeholder-Orientierung konsequent weiter, ergibt sich der Bedarf einer veränderten Systematisierung von Handlungsfeldern in der PR. Bislang wurden diese nach Themenbereich, Kommunikationsziel, Stakeholder oder Anlass charakterisiert. Nachhaltigkeitskommunikation, Reputationsmanagement, Investor Relations und Change Communication sind Ausprägungen eben dieses Verständnisses. Dreht man die Perspektive um und denkt aus Stakeholder-Sicht, stellt sich die Frage nach der Rolle des Unternehmens in einer bestimmten, für die Stakeholder relevanten Situation: Als was sieht der Mensch das Unternehmen bzw. was erwartet er, wenn er z. B. eine Messe besucht, im Internet nach einer passenden Stelle recherchiert oder ein neues Produkt erwerben möchte? „Entscheidend ist das Selbstverständnis der beteiligten Akteure“ (Mast 2016, S. 477). Auch in diesem Fall hilft ein Blick auf die journalistische Nachbardisziplin. Denn Redaktionen denken bereits in Rollen. Journalisten sind mal Ratgeber, mal Informationslieferant und mal Unterhalter. Abgeleitet wird dieses Selbstverständnis - zwar nicht nur, aber maßgeblich - aus dem antizipierten Leserinteresse (Mast 2003, S. 129). Bei einem komplexen Thema wie etwa dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union sehen sich Journalisten einem orientierungslosen Laienpublikum gegenüber. Daraus leiten sie die Notwendigkeit ab, die Sachverhalte zu vereinfachen und verständlich mit Blick darauf zusammenzufassen, welche Auswirkungen diese für die Leser und ihre Nahwelt haben. Sie schlüpfen in die Rolle des Erklärers. Ähnlich verhält es sich mit Unternehmen. Nehmen wir diesmal das Beispiel Kunden: Möchten diese schnelle, aktuelle Informationen und bewegen sie sich viel online, schlüpft das Unternehmen in die Rolle des Online-Berichterstatters. Geht es Kunden dagegen eher um individuelle und persönliche Erklärung, ist dagegen der kompetente Ratgeber gefragt. Unternehmen bedienen sich ähnlicher, journalistischer Rollen bei der Messe-Kommunikation. Ihre (potenziellen) Kunden identifizieren sie als ratsuchend, neugierig, orientierungslos oder schaulustig, wie die Autorin am Beispiel designorientierter Unternehmen zeigen konnte (Simtion 2016, S. 278). Entsprechend inszenieren sie sich in der Messe-Ansprache als passgenaues Pendant: das Unternehmen als Ratgeber, Erklärer, Berater oder Erzähler (ebd.). <?page no="85"?> 84 Alexandra Simtion SSyysstteemmaattiissiieerruunngg ddeerr SStta akkeehho ollddeer r nnaacch h ssiittuuaattiivveenn EErrwwaarrttu unnggeenn Auch der Grundgedanke einer Typenbildung leitet sich aus der Stakeholder-Orientierung ab. Denn Erwartungen und persönliche Merkmale von Stakeholdern lassen sich kategorisieren und so für die Unternehmenskommunikation brauchbar machen (Renz 2016, S. 144f.). Dies gilt sowohl für anlassunabhängige Merkmale der Stakeholder wie etwa Alter, Geschlecht oder allgemeines Mediennutzungsverhalten als auch für Ansprüche oder Selbstverständnisse in bestimmten Situationen. Mast et al. (2016, S. 53) etwa schlagen in diesem Zusammenhang vor, Medienarbeit durch Stakeholder-Umfragen zu flankieren, um dadurch Stakeholder genauer ansprechen zu können. Der Nutzen von Stakeholder-Typen für Unternehmen ist unumstritten, ebenso wie die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Freeman (1984, S. 143) spricht bereits Mitte der 1980er Jahre von sogenannten generischen Strategien, die sich für verschiedene Stakeholder-Typen eignen. Er charakterisiert relevante Gruppen nach der Gefahr und dem Potenzial, das sie für Unternehmen haben, und differenziert zwischen offensiven, defensiven, latenten und variablen Stakeholdern. Ähnlich identifizieren Mitchell et al. (1997, S. 874) Einfluss, Legitimität und Dringlichkeit der Ansprüche als relevante Merkmale zur Differenzierung und leiten sechs Typen ab: dominante, gefährliche, abhängige, fordernde, definitive und diskrete Stakeholder. Ähnlich sind Karmasin und Weder (2014, S. 82) der Meinung, dass Typisierung als Basis für Priorisierung dienen kann, um Macht- und Einflusspotenziale relevanter Gruppen einschätzen und brauchbar machen zu können. Diese Art der Typisierung kann auf einzelne Situationen und Stakeholder-Gruppen angewandt werden. So charakterisieren Unternehmen ihre Kunden nach Kritikpotenzial, Aktivität und Vernetzung (Simtion 2016, S. 261ff.). Kombiniert man die Eigenschaften, ergeben sich vier Kunden-Typen, für die jeweils unterschiedliche Ansprachen relevant sind (vgl. Abb. 1). <?page no="86"?> Was leistet Stakeholder-Orientierung? 85 Multiplikatoren sind Kunden, die aktiv und vernetzt, aber dem Unternehmen gegenüber nicht kritisch eingestellt sind. Sie bieten große Potenziale als Markenbotschafter. Sie können z. B. in Social Media aktiviert und mit entsprechenden Informationen versorgt werden. Dagegen sind sogenannte Agitatoren besonders gefährlich für Unternehmen. Als kritische, aktive und vernetzte Stakeholder müssen sie in einen kontinuierlichen Dialog verwickelt werden, um möglichen Ausschreitungen gekonnt entgegenzuwirken (ebd., S. 264). Als Kommentatoren werden Kunden bezeichnet, die kritisch und aktiv, aber nicht vernetzt sind. Da es sich nicht um klassische Meinungsführer handelt, ist diese Gruppe weniger gefährlich für das Unternehmen als z. B. Agitatoren, sollte aber dennoch beobachtet werden. Auch von Passiven geht zunächst nur ein latentes Risiko aus. Gleichwohl bietet sich auch in diesem Fall ein ständiges Monitoring an, um diese kritischen und vernetzten, aber (noch) nicht aktiven Kunden zu beobachten. Das besagte Arbeitgeber-Beispiel trägt auch an dieser Stelle. Denn neuere Ansätze der Empl o yer-Ko mmuni katio n berü cksichtige n d ie Stakeho lder -Or ientier ung und g ehen von den Merkmalen der Menschen aus (vgl. Abb. 2). Das klassische „Stellenbesetzen“ der Human Relations-Perspektive gerät in den Hintergrund. Stattdessen soll ausgehend von den Stakeholder-Ansprüchen eine hohe Arbeitgeberattraktivität etabliert werden (Mast und Simtion 2016; Jäger 2015; Biraghi und Gambetti 2013; Einwiller und Will Kommunikations- und Beziehungsmanagement zwischen der Organisation als Arbeitgeber und seinen Stakeholdern Wahrnehmung der Stakeholder über das Handeln eines Unternehmens als Arbeitgeber <?page no="87"?> 86 Alexandra Simtion 2002; Cable und Turban 2001). Dazu verhilft die sogenannte Job-Persönlichkeit, also die Charakterisierung potenzieller Mitarbeiter anhand ihrer Lebens- und Berufseinstellung sowie der aktuellen Situation, in der sie sich befinden. Diese drei Elemente fungieren als wichtige Einflussfaktoren auf die Bewertung eines potenziellen Arbeitgebers (Mast und Simtion 2016, S. 263). Es ergeben sich vier Arbeitnehmertypen, die differenziert angesprochen werden müssen: Bequeme (sicherheitsorientierte Materialisten), Treue (sicherheitsorientierte Idealisten), Spieler (veränderungsorientierte Materialisten) und Abenteurer (veränderungsorientierte Idealisten). Auch bei gesellschaftlich und politisch relevanten Themen wie z. B. der Energiewende ist die Typenbildung nach Stakeholder-Merkmalen relevant. Mast und Stehle (2016, S. 72ff.) typisieren Bürger nach ihren Erwartungen an die Energiekommunikation und an Beteiligungsformen. Sie identifizieren vier Bürger-Gruppen: den anspruchsvollen Informationstyp, den aktiven Dialogtyp, den nutzenorientierten Gesprächstyp und den verschlossenen Heimatverbundenen (ebd.). Energieunternehmen könnten diese Typologie auch mit Blick auf eine passgenaue - vielleicht sogar situative - Ansprache verwenden. 55..3 3 SSttaarrttsscchhuussss ffü ürr eei innee kkoonnsseeqqu ueen nttee SSttaakkeeh hoollddeer r--PPeer rssppeekkt tiivve e Die Orientierung an situativen Erwartungen und persönlichen Merkmalen von Stakeholdern hat also wichtige Implikationen für die strategische Kommunikation. Möchten Unternehmen diese konsequent nutzen, muss die umgekehrte Perspektive in den Kommunikationsprozess integriert werden. Damit einher geht eine Aufschlüsselung des Stakeholders als noch „unbekannte[s] Wesen“ (Mast et al. 2014, S. 47), um davon ausgehend die Einbahnstraße der „Verkündungskommunikation“ (ebd.) zugunsten einer klaren Stakeholder-Orientierung aufzugeben. Anders formuliert: Der Stakeholder wird zum Ausgangspunkt seiner eigenen strategischen und situativen Ansprache. Im Grunde genommen ist dieser Gedanke bereits im Stakeholder-Ansatz verwurzelt (Freeman 1984). Den Bogen zum Kommunikationsmanagement spannen aber erst aufkommende PR- Ansätze (Grunig und Hunt 1984; Karmasin 2008), indem sie die Erwartungen der Stakeholder als Basis für strategische Kommunikation im Unternehmenskontext definieren (Karmasin und Weder 2014, S. 82). Die Logik ist denkbar einfach: Unternehmen handeln in einer Umwelt, in der sich auch andere Akteure bewegen. Wollen sie ihre Ziele durchsetzen, müssen sie auch die Interessen der anderen Teilnehmer berücksichtigen - nicht (nur) aus einer normativen, sondern aus einer pragmatischen Überlegung heraus. Denn auch diese Gruppen werden versuchen, die eigenen Ziele durchzusetzen. In einem solchen Strategiespiel ist derjenige im Vorteil, der möglichst alle Variablen kennt und damit auch die Ansprüche seines Gegenübers im Blick hat. An dieser Stelle etabliert sich die PR als diejenige Managementfunktion, die die Ansprüche der Stakeholder ins Unternehmen trägt. Davon ausgehend formuliert das Unternehmen alle Kommunikationshandlungen, die die Interaktion mit seiner Umwelt erforderlich machen. Dabei erfolgt die Ansprache nicht generisch, sondern stets kontextabhängig bzw. - um die stakeholderorientierte Formulierung zu wählen - in Abhängigkeit der Situation, die gerade für den Stakeholder relevant ist (vgl. Abb. 3). Als Orientierungsanker gelten die situativen Erwartungen der Stakeholder, wobei die Ansprache auf die Erfüllung der unternehmerischen Ziele gerichtet ist. Stakeholder-Orientierung wird also instrumentell ausgelegt und versteht sich <?page no="88"?> Was leistet Stakeholder-Orientierung? 87 als strategischer Hebel zur Zielerreichung. Eine so verstandene Stakeholder-Ansprache ist „[…] ein Element der Unternehmenskommunikation und als solches eine Form strategischer Kommunikation im Unternehmenskontext, die vom Unternehmen ausgeht und zielgerichtet eine Stakeholder-Gruppe anvisiert“ (Simtion 2016, S. 115). Spannt man die Ansprache nach dem Managementprozess auf, spiegelt sich die Stakeholder-Orientierung in der strategischen und operativen Gestaltung wider und kann entsprechend situativ angepasst werden. Die Folgen des anfangs erwähnten Strukturwandels zeigen sich auch in diesem Fall. Denn die Grenzen zwischen PR und Journalismus verschieben sich und es gilt umso mehr als benachbarte Disziplinen voneinander zu lernen. Gerade das Muster der strategischen Ansprache findet entsprechende Parallelen auch im Journalismus. Ausgehend von der Antizipation des Leserinteresses sprechen Redakteure ihre Zielgruppen an, und zwar je nachdem, in welcher Situation - der journalistischen Logik folgend: über welches Thema - sie berichten (Mast 2012, S. 90; 2003, S. 129). Die Ansprache ist dann entweder gefühlsbetont, ereignis-, handlungs- oder wissenszentriert. Übertragen auf die PR ergeben sich je nach Situation ebenfalls strategische Muster, die die Zielsetzung des Unternehmens berücksichtigen und gleichzeitig auf die Anforderungen der Stakeholder zugeschnitten sind. <?page no="89"?> 88 Alexandra Simtion Nehmen wir die bereits erwähnte Messe-Kommunikation: Unternehmen positionieren sich auf BtB-Messen als Anlass der Stakeholder-Ansprache als kompetente Berater (Simtion 2016, S. 298f.). Sie antizipieren, dass Messebesucher auf der Suche nach Rat sind und sehen sie entsprechend in einer Orientierungslosenbzw. Ratsuchenden-Rolle. Je nachdem, welche Attribute sie den Kunden darüber hinaus zusprechen, welche Ziele das Unternehmen verfolgt und auch, welche Beziehung zwischen den beiden Kommunikationspartnern besteht, ergeben sich drei situative „Ausprägungen“ für die Stakeholder-Ansprache: eine Informations-, eine Erklärungs- und eine Unterhaltungsstrategie (ebd., S. 304). Diese setzen jeweils ein bestimmtes Rollenverständnis des Kunden und des Unternehmens voraus und beinhalten spezifische Formen der Kommunikation. Gleichzeitig gelten sie aber nur situativ, weil sie sich an den Erwartungen der Stakeholder auf der Messe orientieren. Das Modell lässt sich analog auf weitere Situationen und Stakeholder übertragen. Strategische Kommunikation beginnt also beim Stakeholder. Eine konsequente Orientierung an seinen Erwartungen, Interessen und persönlichen Merkmalen eröffnet große Chancen für Unternehmen. Startpunkt strategischer Ansprache ist deshalb stets die Orientierung an den Stakeholdern. Konsequenterweise müssen Unternehmen damit die Standardfrage „Wie spreche ich meine Stakeholder an? “ umformulieren in: „Wie möchte mein Stakeholder angesprochen werden? “. Die Antwort fällt anlassbezogen aus. Denn Menschen empfinden, erwarten und handeln stets situativ, auch und v. a. im Zusammenhang mit Unternehmen. 55..44 SStta akkeeh hoollddeer r aallss SSc chhllüüsssseell zzu umm KKoommm muunniikkaatti ioonnssmma annaaggeem me en ntt Konsequent zu Ende gedacht kann sich diese Stakeholder-Orientierung für Unternehmen lohnen. Sie führt zur Identifikation relevanter Situationen, in denen bestimmte Gruppen eine Kommunikation erwarten. Damit verbunden können Rollen abgeleitet werden, die Stakeholder situativ für sich einnehmen bzw. Selbstverständnisse, die als entsprechendes Pendant erwünscht sind. Gleichzeitig lassen sich Kommunikationsräume definieren, in denen sich Stakeholder bewegen, unabhängig davon, ob sie gerade eine Ansprache erwarten oder nicht. Schließlich legen die gewonnenen Informationen eine Systematisierung der Stakeholder nahe. Situative Typen können die Ansprache erleichtern, weil sie eine passgenaue Kommunikation ermöglichen. Die Stakeholder-Ansprache wird zur situativen Kommunikation - geplant und umgesetzt vom Unternehmen, aber ausgehend vom Stakeholder. Damit ist Ansprache stets auch eine Frage der Perspektive. Und diese ist immer weniger die des Unternehmens. Langfristig wird es darum gehen, das Kommunikationsmanagement durch die Brille der Stakeholder zu definieren. Weigern sich Unternehmen, werden es die Stakeholder womöglich selbst tun. Ist dies gewollt bzw. bereiten sich Unternehmen darauf vor, kann es Vorteile mit sich bringen, weil die Stakeholder-Orientierung dann zum generischen Merkmal des Kommunikationsmanagements wird. Dem reinen Zufall sollte man es aber möglichst nicht überlassen. <?page no="90"?> Was leistet Stakeholder-Orientierung? 89 LLiitteerraattuurr Beck, U. (2007). Weltrisikogesellschaft: auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Beck, U. (1986). Risikogesellschaft: auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 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So legen börsennotierte Unternehmen die Kommunikation mit ihren Eigenkapitalgebern und die Kommunikation mit ihren Fremdkapitalgebern zunehmend zusammen, um die Beschleunigung in der Kommunikation besser für sich nutzen zu können. Gleichzeitig begegnen sie damit der - ebenfalls bedingt durch den technischen Fortschritt - steigenden Gefahr, dass es zu divergierenden Aussagen in ihrer Kommunikation kommt, die von vernetzten Rezipienten aufgedeckt werden. 66..11 IInnvvees sttoorr RReel laattiioonnss aallss KKoommm muunniikkaattiioonn mmi itt ddeer r FFiinnaanncciiaall CCoommmmu unniittyy Für Investor Relations (IR), eine Disziplin, die noch in den Kinderschuhen steckte (Schnorrenberg 2008, S. 14), als Mast 1986 ihre Habilitation vorlegte, existieren in der Literatur mittlerweile zahlreiche Definitionsmöglichkeiten (Köhler 2015, S. 15ff.). So wird IR z. B. kurz als Finanzkommunikation (Piwinger 2001, S. 5) oder Anlegerbzw. Kapitalgeberpflege (Tiemann 1997, S. 4) bezeichnet. Das US-amerikanische National Investor Relations Institute unternimmt einen ausführlichen Erklärungsversuch mit IR als einer strategischen Managementaufgabe, die unter Einbeziehung verschiedener Unternehmensbereiche eine effektive Kommunikation mit der Financial Community anstrebt, um eine faire Aktienbewertung zu erreichen (NIRI 2003). Gemeinsam ist diesen Definitionen, dass es immer um den finanzmarktbezogenen Teil der Unternehmenskommunikation geht (Mast 2016, S. 336). Die Financial Community, also die Zielgruppe der IR, setzt sich aus Kapitalgebern - bislang mit Fokus auf die Eigenkapitalseite (Heseler 2013, S. 17, 25f.) - und Multiplikatoren zusammen. Merkmal der privaten Aktionäre sind ihre verhältnismäßig kleinen Beträge, die sie aber meist aus Loyalität heraus langfristig halten. Da ein langfristiges Halten für die Aktie Stabilität bedeutet, sind Privatanleger aus Unternehmenssicht eine beliebte Investorengruppe (Frère et al. 2012, S. 8). Allerdings nimmt ihre Zahl in Deutschland trotz eines bereits niedrigen Ausgangsniveaus weiter ab (Völter 2015, P3). Durch den technischen Wandel könnte ihre gezielte Ansprache künftig dennoch wichtiger werden, wenn Fintechs suggerieren, die Leistung von Multiplikatoren durch Schwarmintelligenz zu ersetzen (Beyersdorfer und Krohn 2015, B 6). Nichtsdestotrotz stehen für die IR die institutionellen Investoren wie Investmentfonds aufgrund ihrer großen Volumina im Vordergrund. Im Vergleich zu Privataktionären verlangen sie detailliertere Informationen und fällen ihre Kaufbzw. Verkaufsentscheidungen nach rationalen Gesichtspunkten. Stößt ein Großanleger sein Aktienpaket ab, kann er u. U. Kursschwankungen auslösen (Mast 2016, S. 340). Eine Gruppe, die aus IR-Sicht <?page no="93"?> 92 Katja Fiedler besonderer Aufmerksamkeit bedarf, sind aggressive Investoren, die Analysten engagieren und tendenziöse Berichte im Sinne des Investors publizieren lassen. Denn über Leerverkäufe kann der aggressive Investor von sinkenden Aktienkursen infolge negativer Analysen profitieren (Köhler und Rezmer 2016, S. 1). Bei den Multiplikatoren gibt es neben den Analysten auch Finanzjournalisten sowie Rating-Agenturen. Sie alle sprechen Anlageempfehlungen aus und bieten damit eine Grundlage für Aktionärsentscheidungen (Mast 2016, S. 340f.). Der Verstärkereffekt ihrer Aussagen macht auch sie zu einem interessanten Gesprächspartner für die IR (Kirchhoff 2009, S. 51). Doch die aktuelle Entscheidung der Europäischen Union, nach der Kunden künftig für Aktienanalysen zahlen sollen, könnte zumindest mittlere und kleine Aktiengesellschaften vor eine Herausforderung stellen: Ist die Nachfrage nach Analystenempfehlungen zu einem Unternehmen zu gering, wird dessen Coverage eingestellt (Hahn 2016, S. 18). 66..22 FFiinna annz z-uunnd d kkoommmmuunni ikkaattiioonnssp po olli itti issc chhe e L Leeiisst tu unngge enn ddeer r IInnvve es sttoorr RReel laattiioonnss Auf die Frage, worin die Leistungen der IR liegen, finden sich in der Literatur ebenfalls zahlreiche Antworten. Grundsätzlich lassen sich finanzpolitische Leistungen anführen. Darunter fallen v. a. das Sichern eines Zugangs zu Eigenkapital (Mast 2016, S. 338), die Minimierung der Eigenkapitalkosten (Köhler 2015, S. 344; Frère et al. 2012, S. 7), das Halten des Aktienkurses auf einem angemessenen Niveau (Schnorrenberg 2008, S. 14) und die Begrenzung der Macht von Großaktionären (Tiemann 1997, S. 37). Wie groß die Macht dieser Aktionäre sein kann, zeigt sich beispielsweise, wenn aktivistische Investoren zunehmend Einfluss auf gravierende Unternehmensentscheidungen wie Vorstandswechsel oder Änderungen der Vergütung nehmen, um den Aktienkurs in die Höhe zu treiben (Roach 2016). Daneben werden aber auch kommunikationspolitische Leistungen - so die Verbesserung des Informationsstands bei Anlegern und das Aufzeigen des wahren Unternehmenswerts (Mast 2016, S. 339; Köhler 2015, S. 344; Goodman und Hirsch 2010, S. 173) - von der IR erwartet. Dazu muss die sogenannte Informationslücke zwischen Unternehmen und Financial Community reduziert werden. Mit Informationslücke ist der Informationsvorsprung, den Unternehmen natürlicherweise haben, gemeint. Eine Reduktion dieser Lücke ist notwendig, weil nur eine Financial Community, die über möglichst viele Informationen verfügt, eine realistische Unternehmensbewertung vornehmen kann (Täubert 1998, S. 29, 51). Eine weitere Leistung der IR, die insbesondere auch durch die Digitalisierung begünstigt wird, ist die Mittlerfunktion zwischen ihren Zielgruppen und dem Vorstand. Denn die neuen Kommunikationswege tragen zu einem Dialog zwischen IR und ihren Zielgruppen bei. Indem IR in weiterer Folge Informationen und Stimmungen aus dem Kapitalmarkt ins Unternehmen hineinträgt, nimmt sie immer stärker eine strategische Aufgabe wahr (Bommer und Kinzler 2016, B 2). <?page no="94"?> Was leistet Investor Relations? 93 KKoommmmuunniikkaattiioonnssppoolliittiisscchhee LLeeiisst tuunnggeenn aallss VVoorrbbeeddiinngguunngg Ein Blick in die Praxis zeigt, dass die kommunikationspolitischen Leistungen oft als Voraussetzung für die finanzpolitischen Leistungen gesehen werden. Denn nur eine gut informierte Financial Community, die ein Unternehmen richtig beurteilen kann, hat ein Interesse an einer Aktienemission, durch die ein Unternehmen günstiges Eigenkapital erhalten kann. Genauso ist eine breite Streuung der Aktie, die den möglicherweise schädlichen Einfluss einzelner Großaktionäre beschränkt, nur dann zu erreichen, wenn sich weite Teile der Financial Community ausreichend über ein Unternehmen informiert fühlen. Schließlich müssen die Marktteilnehmer auf dieser Basis das Potenzial einer Aktie einschätzen, um eine Kaufentscheidung treffen zu können. Da ein vollständiges Schließen der Informationslücke aber unmöglich ist, müssen fehlende Informationen mithilfe eines guten Images ersetzt werden (Täubert 1998, S. 30). Hierzu ist Vertrauen, das sowohl die fehlende Information als auch die Überprüfung vorhandener Informationen ersetzen kann, notwendig (Luhmann 2000, S. 31, 38, 61ff.). Der Aufbau von Vertrauen ist somit Wegbereiter für die kommunikationspolitischen Leistungen, die wiederum als Voraussetzung für die finanzpolitischen Leistungen dienen. Eine grundlegende Aufgabe der IR ist demnach der Aufbau und Erhalt von Vertrauen (Mast 2016, S. 350ff.; Piwinger 2009, S. 22; Heseler 2013, S. 27). Entsprechend sieht Kirchhoff (2009, S. 36) die vorrangige Leistung der IR in der offenen und vollständigen Kommunikation mit dem Ziel, Vertrauen zu schaffen. RRoollllee ddeess VVeerrttrraauueennss iinn ddeerr KKrriisseennkkoommmmuunniikkaattiioonn Insbesondere im Krisenfall ist Vertrauen für Unternehmen unersetzlich (Frère et al. 2012, S. 7; Schnorrenberg 2008, S. 72ff.; Kirchhoff 2009, S. 40; Heise und Lowis 2013, S. 52; Barrantes und Stärz 2013, S. 39; Köhler 2015, S. 344). Die Folgen des Vertrauensverlusts waren in der Finanzkrise gut zu beobachten. Hier verloren v. a. Banken das Vertrauen der Gesellschaft (Mast 2016, S. 335), wobei ihr Geschäftsmodell zu einem großen Teil auf Vertrauen basiert (Mast 2016, S. 350). So gaben in einer bevölkerungsrepräsentativen Studie, die 2015 vom Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim in Zusammenarbeit mit der ING-DiBa AG durchgeführt wurde, 76 Prozent an, Banken nicht mehr zu vertrauen (Mast 2016, S. 350). Vor diesem Hintergrund sehen sich Banken immer stärker mit der Frage nach der Glaubwürdigkeit konfrontiert. Dabei werden sie für nicht mehr durchschaubare Finanzprodukte und intransparente Geschäftsbeziehungen kritisiert (Mast 2016, S. 351). Folglich ist eine der größten Leistungen, die IR in Banken derzeit erbringen muss, das verlorene Vertrauen wiederherzustellen (Mast 2016, S. 352; Höbel und Hofmann 2009, S. 312) - eine schwierige und langwierige Aufgabe (Piwinger 2009, S. 25; Hubig und Siemoneit 2009, S. 65). 66..33 IIn nsst tr ru um me en nttee ddeerr IInnv ve essttoor r RRe ella attiioonnss In der IR kommt eine Vielzahl von Kommunikationsinstrumenten zur Anwendung. Zu den gesetzlich verpflichtenden Instrumenten gehören u. a. Geschäftssowie Zwischenberichte und Ad-hoc-Mitteilungen (Mast 2016, S. 342f.). Hier reagierte der Börsenrat der Frankfurter Wertpapierbörse mit einer Erleichterung für im Prime Standard notierte <?page no="95"?> 94 Katja Fiedler Unternehmen auf eine Änderung im Wertpapierhandelsgesetz: Statt umfangreicher Quartalsfinanzberichte reichen nun sogenannte Quartalsmitteilungen, die zu prägnanteren Konzepten, z. B. aus Elementen bisheriger Quartalsberichte mit dem Aufbau klassischer Analystenreports, führen können (Deter 2016, S. 20ff.). In der Folge ist mit Blick auf den technischen Wandel denkbar, dass neue Kanäle der Social Media und moderne Formate wie Videobotschaften zum Einsatz kommen (Schlienkamp und Fleing 2016, B 3). Ebenfalls zur Pflicht zählt für Aktiengesellschaften die Hauptversammlung, die - in gewissem Rahmen - einen persönlichen Kontakt erlaubt (Mast 2016, S. 342; Kirchhoff 2009, S. 58), da sie ein ungefiltertes Erleben des Vorstands ermöglicht (Mast 2016, S. 346). Ein technisch induzierter Trend, von dem insbesondere Privataktionäre und Aktiengesellschaften gleichermaßen profitieren, sind elektronische Plattformen zur Beteiligung an der Hauptversammlung. Der Aktionär kann damit unabhängig von seinem Aufenthaltsort an den Abstimmungen teilnehmen. Dazu muss er sich anmelden, sodass er identifizierbar und somit für die IR gezielter ansprechbar wird (Hoffmann 2014, B 2). Daneben bestehen freiwillige Kommunikationsinstrumente wie Pressemitteilungen zu Finanzthemen und der IR-Bereich des Internetauftritts (Mast 2016, S. 344). Das Internet stellt aufgrund der zunehmenden Digitalisierung auch auf Seiten der Kapitalmarktteilnehmer das Instrument mit dem kürzesten Weg zur Financial Community dar. Damit eignet es sich insbesondere für die gleichzeitige Information aller Marktteilnehmer (Schnorrenberg 2008, S. 77). Unter die freiwilligen Instrumente mit der Gelegenheit zu persönlichem Austausch fallen beispielsweise Analystenkonferenzen und Roadshows (Mast 2016, S. 346; Schnorrenberg 2008, S. 103f.). Kernaufgabe all dieser Instrumente ist, der Financial Community die Equity Story, also die Darstellung der zentralen Unternehmensidee mit Augenmerk auf Argumenten für eine Eigenkapitalinvestition, zu vermitteln (Piwinger 2009, S. 31; Schnorrenberg 2008, S. 77). 66..4 4 AAk kttu ueel lllee EEnnttwwi icckklluunnggeen n vvo orr ddeem m HHi inntteerrg gr ruunndd ddees s tteec chhnniisscchheen n FFoorrttsscchhrriittttss Mast untersuchte in ihrer 1986 erschienenen Habilitation, wie sich der damalige technisch induzierte Strukturwandel auf die Leistung der Medien auswirkte. Folgen der zweiten Fortschrittswelle auf diesem Gebiet seit den 2000er Jahren lassen sich auch in der IR feststellen. So macht beispielsweise die Beschleunigung der Aussagenentstehung - von Mast als erster Schritt der Zeitbewältigung im Vermittlungsprozess bezeichnet (Mast 1986, S. 248ff.) - die Einhaltung der One Voice Policy schwieriger. Die One Voice Policy zielt auf ein einheitliches Erscheinungsbild von Unternehmen in der Öffentlichkeit mittels einstimmiger widerspruchsfreier Kommunikation ab (Bruhn 2005, S. 90, 101). Strebt aber eine Abteilung an, eine Aussage, die zügig formuliert wurde, nun ebenso schnell an ihre Zielgruppe zu geben, wird die Abstimmung mit anderen Abteilungen, die für die One Voice Policy unabdingbar ist, zum Hemmnis. Verstärkt wird dies durch den Umstand, dass der technische Vermittlungsprozess, Masts zweiter Schritt bei der Zeitbewältigung (Mast 1986, S. 253), heute weniger Zeit bean- <?page no="96"?> Was leistet Investor Relations? 95 sprucht, weshalb auf Rezipientenseite eine umgehende Information erwartet wird (Beyersdorfer und Krohn 2015, B 6). Gerade in Situationen, die ein schnelles Reagieren erfordern - hierunter fallen insbesondere Krisen -, besteht die Gefahr, die Abstimmung mit den verschiedenen Abteilungen zu vernachlässigen. Da darüber hinaus der Rezipient durch den technisch induzierten Wandel neue Gestaltungsmöglichkeiten - nach Mast die Dimension Gestaltungsfunktionen im Vermittlungsprozess (Mast 1986, S. 261) - erhält, muss mit einer zunehmenden Vernetzung der Zielgruppen verschiedener Abteilu ng en in einem Un tern ehmen gerechnet werden. In der F olge kön nen W ider spr üche leichter zu Tage treten und öffentlich kritisiert werden. In der jüngeren Vergangenheit ist bei europäischen Aktiengesellschaften eine Integration der IR und der sogenannten Creditor Relations zu beobachten. Ursachen für diese Tendenz sind u. a. die Finanzkrise und der technische Fortschritt. Es werden also nicht nur in den Mediensystemen bislang getrennte Bereiche funktionell miteinander verbunden, auch Unternehmen fusionieren Abteilungen, um einerseits den Zeitgewinn bei der Aussageentstehung und im technischen Vermittlungsprozess besser nutzen zu können. Andererseits minimieren sie damit die Gefahr einer inkonsistenten Kommunikation, die ebenfalls aufgrund des technischen Fortschritts leichter ersichtlich wird als früher. 66..5 5 ZZuussaammm me en nffü ühhrruunngg vvo onn IInnvve es stto orr uunndd CCrreed diittoor r RRe el laatti ioonnss aallss TTr reenndd Bei der Integration von Creditor Relations und IR handelt es sich um eine Zusammenlegung der Kommunikation mit Fremdkapitalgebern und der Kommunikation mit Eigenkapitalgebern. Denn zunächst bzw. in der jüngeren Vergangenheit wurde unter IR nur die Kommunikation mit der Eigenkapitalseite verstanden, wohingegen Creditor oder Debt Relations als Kommunikation mit der Fremdkapitalseite erst seit Kurzem als Teildisziplin der IR gesehen wird (Heseler 2013, S. 17, 25f.; Barrantes und Stärz 2013, S. 29; Köhler 2015, S. 357). GGeemmeeiinnssaammkkeeiitteenn zzwwiisscchheenn EEiiggeenn-uunndd FFrreemmddkkaappiittaallggeebbeerrnn Während es sich bei den Eigenkapitalgebern um Aktionäre, d. h. Eigentümer eines Unternehmens (Frère et al. 2012, S. 32f.) handelt, sind Fremdkapitalgeber Gläubiger eines Unternehmens. Sie leihen ihm also gegen Zinsen Finanzmittel für eine begrenzte Zeit. Eine häufige Form sind Unternehmensanleihen, wobei hier neben klassischen festverzinslichen Anleihen variabel verzinste Anleihen, Optionsanleihen, Wandelanleihen etc. existieren. Die große Bedeutung der Fremdkapitalgeber für Unternehmen resultiert aus der Tatsache, dass ihr Ausstieg die Finanzierung des Unternehmens gefährden kann - bis hin zur Existenzbedrohung. Dagegen können die Eigenkapitalgeber ihr Kapital dem Unternehmen nicht entziehen, sondern können ihren Anteil am Unternehmen lediglich an einen anderen Investor verkaufen (Heseler 2013, S. 22f.). Daher ist der kontinuierliche Dialog zwischen dem Unternehmen als Schuldner und den Fremdkapitalgebern als Gläubigern unerlässlich (Hasler et al. 2013, S. 6). <?page no="97"?> 96 Katja Fiedler Wie auch bei der IR gibt es bei Creditor Relations private und institutionelle Investoren sowie Multiplikatoren, wobei hier die Rating-Agenturen, die Einschätzungen zur Bonität von Unternehmen veröffentlichen, im Vordergrund stehen (Mast 2009, S. 483f.; Heseler 2013, S. 18; Barrantes und Stärz 2013, S. 37). Allerdings lässt sich beobachten, dass Anleihen ohne Ratings seit den Fehleinschätzungen von Rating-Agenturen in der Finanzkrise immer beliebter werden (Cünnen 2015, S. 34). Im Hinblick auf die Leistungen bestehen ebenfalls Überschneidungen zwischen IR und Creditor Relations. Auch beim Fremdkapital werden eine Minimierung der Fremdkapitalkosten - hier in Form eines Risikoaufschlags - und die Sicherung des Zugangs zu Fremdkapital angestrebt (Mast 2009, S. 475). Im Wesentlichen greifen Creditor Relations auf dieselben Kommunikationsinstrumente wie die IR zurück - von Finanzberichten über Roadshows bis zum Internetauftritt. Dabei muss die Credit oder Bond Story, also das gläubigerorientierte Unternehmensprofil, entweder ergänzt oder in den Mittelpunkt gestellt werden. Daneben gibt es spezifische Creditor-Relations-Instrumente wie Anleiheprospekte (Mast 2009, S. 485ff.), die wesentliche Informationen über das emittierende Unternehmen sowie die Anleihebedingungen festhalten. UUnntteerrsscchhiieeddlliicchhee IInntteerreesssseenn Allerdings haben Eigen- und Fremdkapitalseite teils divergierende Interessen (Dignan 2013). So sind für Fremdkapitalgeber Wertbeständigkeit und Liquidität, also die Fähigkeit eines Unternehmens, laufende Zahlungen sowie die Rückzahlung der geschuldeten Summe zu finanzieren, wichtiger als der Wertzuwachs, der für Eigenkapitalgeber im Vordergrund steht (Mast 2009, S. 479, 488). Beispielsweise hat die knappe Verfehlung eines kommunizierten Gewinnziels, die sich negativ auf den Aktienkurs auswirkt, für die Eigenkapitalseite eine andere Bedeutung als für die Fremdkapitalseite, die noch keine Gefährdung der laufenden Zinszahlungen befürchten muss (Hasler et al. 2013, S. 8). Für die Fremdkapitalgeber steht also Sicherheit im Vordergrund, während die Eigenkapitalgeber auf Wachstum fokussieren, weil sie am Gewinn beteiligt sind (Heseler 2013, S. 26; Hasler und Hasler 2013, S. 233f., 236). Demnach können die Eigenkapitalgeber im Erfolgsfall von riskanten Investitionen profitieren. Ihre Risikoneigung ist damit höher als auf der Fremdkapitalseite, wo der Ertrag aus einem vereinbarten, vom Gewinn unabhängigen Zinssatz besteht. Schließlich könnte im schlimmsten Fall eine zu riskante Investition die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens beeinträchtigen, zunächst in Bezug auf die Zinsen, später auch die Rückzahlung des Kapitals (Heseler 2013, S. 20f.). Natürlich ist diese Kategorisierung vereinfachend, da Gläubiger von Junk Bonds, die über kein Investment Grade mehr verfügen, durchaus risikofreudig auf eine hohe Rendite setzen (Dignan 2013). GGrrüünnddee ffüürr ddiiee IInntteeggrraattiioonn ddeerr KKoommmmuunniikkaattiioonn Zum einen ist es eine Frage der Effizienz, zwei Kapitalgebergruppen, deren Interessen sich trotz unterschiedlicher Schwerpunkte zu weiten Teilen überschneiden (Frère et al. 2012, S. 40f.), nicht von zwei separaten Abteilungen betreuen zu lassen (Walchshofer 2013, S. 220f.; Frère et al. 2012, S. 74). Dies ist insbesondere der Fall, weil die Eigenka- <?page no="98"?> Was leistet Investor Relations? 97 pitalseite sich immer stärker auch für Themen der Fremdkapitalseite wie z. B. Kapitalquoten interessiert (Hasler et al. 2013, S. 13). Zum anderen erkennen Unternehmen zunehmend, dass eine Zusammenlegung der beiden Kommunikationsbereiche sinnvoll ist, um Widersprüche, die gerade in der Krisenkommunikation großen Schaden anrichten können (Schnorrenberg 2008, S. 73), zu vermeiden - unter dem Stichwort One Voice Policy wurde diese Notwendigkeit bereits oben dargestellt (Hasler et al. 2013, S. 3f., 14; Barrantes und Stärz 2013, S. 33, 38f.; Köhler 2015, S. 243). Außerdem geht es auch darum, den immer wichtiger werdenden Anleihegläubigern (Mast 2009, S. 475) zu vermitteln, dass sie als gleichberechtigte Investorengruppe gesehen werden (Walchshofer 2013, S. 220; Frère et al. 2012, S. 34). Denn obwohl Unternehmen in steigendem Ausmaß Anleihen emittieren und damit der Wettbewerb um Anleiheinvestoren steigt (Heise und Lowis 2013, S. 49f.), stand ihr Stellenwert in der Unternehmenskommunikation in der Vergangenheit häufig hinter dem der Eigenkapitalgeber zurück (Königs und Schiereck 2009, S. 216ff.). Dabei investieren Anleihegläubiger teilweise höhere Beträge in Unternehmen als Aktionäre. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Finanzkrise, die zu einem Anstieg der Refinanzierungskosten für Banken sowie zu deren steigender Regulierung führte, wodurch sich das Kreditangebot verringerte (Walchshofer 2013, S. 219f.). Zudem ging aufgrund des schwierigen Marktumfelds die Anzahl von Börsengängen und Kapitalerhöhungen zur Akquisition von Eigenkapital deutlich zurück. Um dies auszugleichen, wurden vermehrt Unternehmensanleihen emittiert (Ertinger 2013, S. 247f., 254; Frère et al. 2012, S. 1). Zentrale Aufgabe bei der Integration von IR und Creditor Relations ist die Zusammenführung von Equity und Credit Story zu einer übergreifenden Kapitalmarkt-Story, um eine konsistente Kommunikation sicherzustellen (Hasler et al. 2013, S. 6; Heise und Lowis 2013, S. 56; Mast 2009, S. 480). Das heißt, neben der auf Wachstum angelegten Equity Story gilt es, die dauerhafte Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens glaubwürdig zu vermitteln. 66. .66 PPrraaxxiis sbbeei issppiieel l: : RRaaiiffffe eiisse enn BBa annkk IInntteerrnnaattiio on naall AAGG Wie die Integration von IR und Creditor Relations in der Praxis aussehen kann, soll im Folgenden anhand des Internetauftritts der Raiffeisen Bank International (RBI) gezeigt werden. Diese in Wien ansässige Universalbank, die auch von der Finanzkrise betroffen war (Greiner 2014, S. 1), führte 2010 ihre Investor-Relations-Abteilung mit ihrem sogenannten Debt Office zusammen. Die Internetpräsenz der RBI stellt ein zentrales Instrument für die Finanzkommunikation dar. Sie ist nicht nur der schnellste Weg zur Financial Community, sondern ermöglicht auch die gleichzeitige Information von Fremd- und Eigenkapitalgebern (Schnorrenberg 2008, S. 77). Darüber hinaus erlaubt die Website eine übersichtliche Platzierung von Informationen für Fremdkapitalgeber neben denen für Eigenkapitalgeber, so dass sie für die Transparenz in der Kommunikation eine besondere Rolle spielt (Barrantes und Stärz 2013, S. 34; Heise und Lowis 2013, S. 58; Frère et al. 2012, S. 34, 70). Im Zuge der Abteilungsfusion wurde auf der IR-Homepage (vgl. Abb. 1) ein separater Bereich für Fremdkapitalgeber eingerichtet, der speziell auf deren Bedürfnisse zugeschnitten ist (Frère et al. 2012, S. 74). So finden sich nun neben dem klassischen IR- <?page no="99"?> 98 Katja Fiedler Thema „RBI-Aktie“ (vgl. Abb. 2), wo z. B. über Aktionärsstruktur, Dividenden und Empfehlungen von Aktienanalysten informiert wird, auch „Infos für Fremdkapitalgeber“ (vgl. Abb. 3). Hier können beispielsweise Anleiheprospekte der dauerhaften Rahmenprogramme zur Emission von Anleihen eingesehen werden. Außerdem finden sich unter diesem Menüpunkt die endgültigen Bedingungen, die sich auf einzelne Anleihen beziehen. Ein weiteres Beispiel ist die Bekanntgabe der tatsächlichen Emissionsvolumina bereits platzierter Anleihen. Natürlich werden auch Informationen, die für beide Kapitalgebergruppen gleichermaßen von Interesse sind, wie Finanzberichte oder Ratings der Bank, im IR-Bereich der Website angeboten. Mit einer klaren Struktur erlaubt der Internetauftritt also effizient die parallele Information von Eigen- und Fremdkapitalgebern, wodurch eine schnelle Kommunikation ohne Abstimmung zwischen verschiedenen Abteilungen ermöglicht und die Gefahr von Widersprüchen reduziert werden kann. <?page no="100"?> Was leistet Investor Relations? 99 66..7 7 ZZu uk ku unnfft t dde err IInnv veesst toorr RRe ella atti io on nss Die Zusammenführung von IR und Creditor Relations zu einer Abteilung mit gemeinsamen Kommunikationsmitteln wie einem für die gesamte Financial Community bestimmten Teil der Website zeigt, dass das Leistungsspektrum der IR - gerade auch in Banken - in den vergangenen Jahren eine Erweiterung erfahren hat. Triebfeder für diese Veränderung waren nicht zuletzt die Finanzkrise mit ihren verschiedenen Implikationen und der technische Wandel, den Mast bereits in den 1980ern thematisiert hat. Der technische Wandel, dessen aktuelle Fortschrittswelle in der Digitalisierung der Banken zum Ausdruck kommt, wird diese wohl auch in Zukunft fordern. So bringt die Digitalisierung einerseits neue Konkurrenz in Gestalt von Fintechs mit sich. Andererseits eröffnet sie den etablierten Banken aber auch innovative Möglichkeiten im Umgang mit <?page no="101"?> 100 Katja Fiedler ihren Kunden, z. B. beim Bezahlen über Mobiltelefone mittels sogenannter Near Field Communication. Die Herausforderung für die Banken liegt hierbei darin, sich angesichts der zahlreichen Handlungsoptionen, die sich derzeit auftun, nicht abhängen zu lassen. Auch in Bezug auf die IR der Banken ist mit Veränderungen infolge der Digitalisierung zu rechnen. Denn der Fortschritt führt zu neuen Kommunikationskanälen, deren Nutzung die Financial Community oftmals in anderen Lebensbereichen kennen- und schätzen gelernt hat. Es bietet sich für die IR daher beispielsweise an, durch den Einsatz von Social Media die Distanz zur Financial Community zu reduzieren. Diese Annäherung kann dabei helfen, das dringend notwendige Vertrauen zurückzugewinnen. <?page no="102"?> Was leistet Investor Relations? 101 LLiitteerraattuurr Barrantes, E., & Stärz, H. (2013). Gläubigerorientierte Finanzkommunikation in börsennotierten Unternehmen. Forschungsstand und neue empirische Befunde. In P. Hasler, M. Launer & M. Wilhelm (Hg.), Praxishandbuch Debt Relations (S. 29-47). Wiesbaden: Springer Gabler. Beyersdorfer, K., & Krohn, C. (2015). Digitalisierung weckt vollkommen neue Erwartungen. Börsen-Zeitung 101, B 6. Bommer, K., & Kinzler, H. (2016). Weg vom reinen Rudergänger hin zum Navigator. Um navigatorisches Wissen künftig gewinnbringend in strategische Überlegungen einzubringen, müssen die Voraussetzungen stimmen. Börsen-Zeitung 96, Sonderbeilage, B 2. Bruhn, M. (2005). Unternehmens- und Marketingkommunikation. 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Das Standardwerk der Finanzkommunikation (S. 35-61). Wiesbaden: Gabler. Köhler, K. (2015). Investor Relations in Deutschland. Institutionalisierung - Professionalisierung - Kapitalmarktentwicklung - Perspektiven. Wiesbaden: Springer Gabler. Köhler, P., & Rezmer, A. (2016). Die Macht der Analysten. Handelsblatt 98, 1. Königs, A., & Schiereck, D. (2009). Transparenz von Eigen- und Fremdkapitalgebern. Kommunikation und Governance bei deutschen Großunternehmen. In M. Meckel, C. Fieseler & C. Hoffmann (Hg.), Verkauft und nichts verraten. Kommunikation im Zeitalter sich wandelnder Finanzmärkte (S. 204-219). Frankfurt am Main: Frankfurter Allgemeine Buch. Luhmann, N. (2000). Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart: UTB. Mast, C. (1986). Was leisten die Medien? Funktionaler Strukturwandel in den Kommunikationssystemen. Osnabrück: Fromm. Mast, C. (2016). Unternehmenskommunikation. Konstanz und München: UVK Verlagsgesellschaft. Mast, H.-J. (2009). 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Erzählt wurde lange vor der Entstehung moderner Kommunikationssysteme und das Erzählen überdauert den Strukturwandel von Medien und Kommunikationssystemen. Der inhaltliche Schwerpunkt des Beitrags liegt auf jenen Leistungen, die Storytelling für das Public Relations-Management von Unternehmen erbringt, indem es Aufmerksamkeit herstellt, Identität vermittelt und Deutungshoheit sichert. Entlang des im einführenden Beitrag von Huck-Sandhu und Sandhu aufgespannten Analyserasters werden Leistungen des Storytellings in zeitlicher, inhaltlicher, prozessualer und räumlicher Hinsicht diskutiert. 77..11 SSttoorryytteelllliinngg aallss KKoonnssttaannttee iimm SSttrruukkt tuur rwwaan ndde el l vvo on n MMeed di ieen n Menschen erzählen einander Geschichten. Sie tun dies im persönlichen Gespräch oder medial vermittelt, in Schrift, Bild und Ton. Sie erzählen von realen wie auch fiktiven Begebenheiten, erschaffen kunstvolle Dichtung oder simple Alltagsprosa. Sie wenden sich mit ihren Erzählungen an einzelne Gegenüber oder an große Publika. Sie tun es um der Sache selbst Willen, aus ästhetischen Motiven oder mit strategischen Zielen - um zu unterhalten, zu informieren oder um andere zu beeinflussen. Und: Sie tun dies schon sehr lange. Vergleichbare narrative Muster finden sich in zahllosen Mythen und Volkssagen aus aller Welt (Campbell 1999). Das Wesen einer Geschichte, verstanden als Mitteilung über ein Geschehen mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende, beschrieb Aristoteles (2010, S. 25) bereits im vierten Jahrhundert vor Christus in seiner Poetik. Die Rekonstruktion und Wiedergabe von Geschehnissen in Form von Geschichten gehört offenbar zu den Grundkonstanten menschlicher Wahrnehmung und zur Kommunikation über die Welt und mit der Welt (László 2008, S. 7ff.). Der Kommunikationsmodus Erzählen und die daraus hervorgehende Form der Erzählung sind mithin wesentlich älter als die moderne, medial vermittelte Massenkommunikation mit ihren technischen Verbreitungsmitteln und dispersen Publika (Maletzke 1963, S. 32). So überrascht es nicht weiter, dass diese Jahrhunderte alte Kunst und Kulturtechnik den fortgesetzten Strukturwandel von Medien und Kommunikationssystemen überdauert und heute so aktuell und relevant erscheint wie an den Lagerfeuern unserer Ahnen. Betrachtet man die drei von Mast (1986, S. 137ff.) beschriebenen Dimensionen der Grenzaufhebung im Strukturwandel der Kommunikationssysteme, wird deutlich, dass sich Storytelling stets auf beiden Seiten der vormaligen Grenzziehung findet. Es ist ein wenig wie in der Fabel vom Hasen und dem Igel: Ganz gleich wie schnell der Wandel - das Erzählen ist immer schon da und bleibt auch vom stürmischsten Transformationsprozess weitgehend unberührt. Mast beschreibt Grenzaufhebungen zwischen Print- und <?page no="107"?> 106 Florian Krüger Telekommunikation, Individual- und Massenkommunikation sowie zwischen Aussagenentstehung und kommunikationstechnischer Vermittlung, die im Folgenden kursorisch auf ihre Relevanz für Storytelling hin beleuchtet werden sollen. Print- und Telekommunikation Die von Mast beschriebene Grenzaufhebung zwischen der Welt der Druckerpresse und elektronisch vermittelter Kommunikation hat sich im Zuge der Digitalisierung weiterentwickelt und Dimensionen erreicht, die Mitte der 1980er Jahre noch kaum absehbar waren. Speicherung und Verbreitung von Inhalten sowie die wechselseitige Kommunikation zu diesen Inhalten - ob gleichzeitig oder zeitversetzt - finden heute oft auf denselben digitalen Plattformen statt. Während Medien auf digitalen Plattformen konvergieren, findet zwischen Inhalten und Verbreitungswegen insofern eine Trennung statt, als viele Inhalte zunehmend medienneutral für unterschiedliche technische Verbreitungswege entwickelt werden (vgl. den einleitenden Beitrag von Huck-Sandhu und Sandhu in diesem Band). Für das Erzählen galt diese Medienneutralität im Grunde schon immer. Storytelling funktionierte in oralen Kulturen vor der Entwicklung von Schrift oder Buchdruck ebenso wie in der Gutenbergschen Welt gedruckter Bücher, Zeitungen und Zeitschriften und in der multimedialen Welt des Digitalen. Es gehört zu den konstitutiven Merkmalen des Narrativen, dass es in armen wie reichen Medien (Daft und Lengel 1986) gleichermaßen Wirkung entfaltet. Das Erzählen kann mit den Mitteln des gedruckten Romans eine Handlung ebenso glaubhaft vermitteln, Charaktere zum Leben erwecken und emotionale sowie kognitive Wirkungen beim Publikum entfalten wie dies mit den audiovisuellen Mitteln von Kino und Fernsehen oder der aus Text, Bild, Ton und Video komponierten Story eines Onlinemediums möglich ist. Digitale Medien und Verbreitungswege machen das Erzählen zwar reichhaltiger und die Rezeption komfortabler und vielfältiger, fügen dem Kommunikationsmodus jedoch auf den ersten Blick kaum substanziell Neues hinzu. Der universale Charakter des Narrativen ermöglicht der Erzählung somit einen nahtlosen Übergang aus der analogen in die digitale Welt. Individual- und Massenkommunikation Als universaler Kommunikationsmodus gehört Erzählen zu den Grundlagen individueller wie auch medial vermittelter Kommunikation für ein Massenpublikum. Menschen erzählen einander seit jeher Geschichten und auch heute noch sind Erzählungen elementarer Bestandteil der Alltagskommunikation zwischen Individuen. Menschen vermitteln einander Erlebtes in Form kurzer oder längerer Episoden durch mündliche Erzählungen (oder in schriftlichen Chats und Kurznachrichten) und tragen diese Erzählungen oft von Person zu Person weiter. Zugleich finden sich Erzählungen in allen Arten medialer Massenkommunikation, die gedruckt oder elektronisch an disperse Publika verbreitet werden: In Büchern, Comics, Filmen und den seriellen TV-Erzählungen auf populären digitalen Content-Plattformen wie Netflix oder Amazon Prime. Die Digitalisierung trägt auch hier zu fortschreitender Entgrenzung bei. So ist der Einzelne nicht nur grundsätzlich befähigt, selbst Geschichten zu erzählen. Mit digitalen Medien und sozialen Netzwerken erhält auch jeder Erzähler Zugang zu Medien und Kanälen, um seine Geschichten zu verbreiten. <?page no="108"?> Was leistet Storytelling? 107 Mediale Aussagenentstehung und kommunikationstechnische Vermittlung Mit der Verfügbarkeit digitaler Plattformen verschieben sich auch die Gewichte bei der medialen Aussagenentstehung und die Rollen von Kommunikator und Rezipient. Kommunikation ist nicht mehr zwingend an Verlage, Funkhäuser oder Studios gebunden. Geschichten werden nicht mehr ausschließlich von Journalisten in Medienorganisationen oder Kulturschaffenden in Verlagen erzählt und verbreitet. Sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen nutzen digitale Verbreitungswege und treten mit ihren Erzählungen in Konkurrenz zu den ehemaligen Monopolisten und Gatekeepern medialer Aussagenentstehung (Krüger 2015, S. 106). Gerade weil Geschichten selbst medienneutral sind, kann eine Erzählung, die zunächst nur mündlich, z. B. als Gerücht oder urbane Legende in Umlauf war, durch mediale Vermittlung auch zeitversetzt enorme Wirkmacht und Verbreitung erfahren. Zwischen Fakt und Fiktion: Storytelling in Werbung, Unterhaltung und Journalismus Auch wenn der Kommunikationsmodus Storytelling aufgrund der beschriebenen Universalität weitgehend unabhängig vom jeweiligen Medien- und Kommunikationssystem fortzubestehen scheint, haben Medien- und Kommunikationssysteme dennoch Einfluss auf Einsatz, Häufigkeit und Ausgestaltung von Erzählungen in der öffentlichen Kommunikation. Dies wird beispielsweise deutlich, wenn man den Blick darauf richtet, in welchen Teilbereichen unseres Mediensystems mehr und wo weniger erzählt wird. Während in der Unterhaltung wie auch in der Werbung narrative Formen bestens etabliert sind und regelmäßig zum Einsatz kommen, fristet das Erzählen im modernen Nachrichtenjournalismus wie auch im Public Relations-Management eher ein Nischendasein. Zwar wird vielfach formuliert, Journalisten erzählten Geschichten und seien stets auf der Suche nach der nächsten großen „Story“. Diese Verwendung der Begriffe Geschichte und Story ist allerdings eher metaphorischer Natur und meint nicht wirklich narrativ gestaltete Aussagen. Tatsächlich ist im Journalismus meist das Gegenteil der Fall. Journalisten erzählen nicht, sie berichten, sie argumentieren, sie bewerten. Die im 20. Jahrhundert v. a. in westlichen Demokratien entstandene Ausprägung von Journalismus, versteht sich v. a. als aktueller Informationsjournalismus (Weischenberg 1995, S. 112f.). Hervorgegangen aus früheren Formen des literarischen Journalismus und des Meinungsjournalismus verschreibt sich dieser Journalismus zuvorderst dem Ideal der Objektivität. Journalisten fühlen sich Relevanzkriterien wie Ausgewogenheit, Vollständigkeit, Genauigkeit, Neutralität und Richtigkeit verpflichtet (Neuberger 1996, S. 100ff.). In der Berichterstattung dominieren die Darstellungsformen Meldung und Bericht, deren hierarchische Aufbauprinzipien dem Format der Erzählung diametral entgegengesetzt sind (Sammer 2014, S. 108). Der berichtende Kommunikationsmodus verweist klar auf die Faktizität des Berichteten, während der Erzählung der Geruch des Fiktiven anhaftet. Und wenig fürchten Journalisten mehr, als den Verdacht, Fiktionen zu verbreiten, kann dieser Verdacht doch schnell in den Vorwurf der „Lügenpresse“ münden. Auch ein Public Relations-Management, das Zugang zur medialen Öffentlichkeit sucht, formatiert seine Mitteilungen so, dass diese vom Journalismus selektiert und verbreitet werden können (Hoffjann 2007, S. 152). So werden für die öffentliche Kommunikation v. a. neue, berichtenswerte Fakten und Argumente zur Verfügung gestellt, die ihrerseits klar auf Faktizität verweisen. Storytelling ist folglich trotz seiner vielfältigen kommunikativen Potenziale in der PR nicht so leicht aufzufinden (Krüger 2015, S. 100ff.; Schach 2015, S. 79ff.; Ettl-Huber 2014, S. 9.). <?page no="109"?> 108 Florian Krüger Spannend sind allerdings neuere Entwicklungen in Journalismus und PR, die eine Wiederentdeckung narrativer Formen andeuten. Seien es Reportagen mit klarem Standpunkt und narrativem Spannungsborgen in Print- und TV-Magazinen, Features und Longreads in Wochenzeitungen und Magazinen oder neue digitale Darstellungsformen, die multimediale Erzählformen nutzen, um von Geschehnissen nicht nur zu berichten, sondern sie möglichst facettenreich zu erzählen. Denkbar ist also, dass die Abwesenheit des Erzählens im Nachrichtenjournalismus eine Episode bleibt und das kurze Zeitalter der Fakten schnell von einer Renaissance des Erzählens abgelöst wird. 77..2 2 WWa ass lle ei isst te ett ddeer r nnaarrrraatti ivve e KKoom mm mu un niikka atti ioonns smmo oddu uss? ? Folgt man Mast (1986) sowie Huck-Sandhu und Sandhu (in diesem Band) lassen sich Medien- und Kommunikationsleistungen als Bewältigung von Aussagen, von Zeit und von Raum bei unterschiedlichen Gestaltungsfunktionen von Kommunikatoren und Rezipienten beschreiben. Was leistet Storytelling bei der Bewältigung dieser Dimensionen? Zeitbewältigung Erzählungen benötigen Zeit, sowohl in der Entstehung als auch in der Rezeption. Narrative Formen sind aufwendig in Recherche und Aufbereitung. Oft befassen sie sich mit zurückliegendem Geschehen, das bereits vollständig als Einheit aus Anfang, Mitte und Ende erfassbar und als Entwicklung vom Anfang zum Ende (kausal) interpretierbar ist. Damit verweigert sich das Erzählen bis zu einem gewissen Grad einer immer schnelleren und kurzatmigeren zeitlichen Aktualität. Kurze, faktenlastige Formen, wie sie der moderne, digitale Informationsjournalismus bereitstellt, leisten mehr, wenn es um die zeitliche Synchronisation von Gesellschaft, um schnelle Aussagenentstehung, -vermittlung und -rezeption, mithin um eine zunehmende Gleichzeitigkeit von Aussagenentstehung und -rezeption geht. Erzählungen vermitteln hingegen ein größeres Ausmaß an Kontext und Einordnung, zumindest in der zeitlichen Rückschau. Neben der Zeit, die für Erzählen, Verbreiten und Rezipieren von Erzählungen anfällt, ist auch jene Zeit von Interesse, die in der Geschichte verstreicht. So lassen sich beim Erzählen Erzählzeit und erzählte Zeit unterscheiden (Martínez und Scheffel 2012, S. 32ff.). Beide Zeitebenen können in jedem beliebigen Verhältnis zueinander stehen. So kann sehr viel Zeit verwendet werden, um ein sehr kurzes Geschehen zu erzählen. Ebenso können aber auch große Zeiträume, gleichsam wie im Zeitraffer, in kürzester Zeit erzählt werden. Auf jeden Fall ist eine erzählte Geschichte immer an das Verstreichen von Zeit gebunden. Nämlich jener Zeit, die vom Anfang bis zum Ende der Geschichte verstreicht und die uns signalisiert, dass Ereignisse, die zuerst stattfinden ursächlich sind für Ereignisse, die später stattfinden (Bal 2009, S. 218). Ereignisse können dabei in der tatsächlichen chronologischen Reihenfolge ihres Stattfindens, aber auch in jeder anderen Reihenfolge erzählt werden, was jeweils unterschiedliche Wirkungen auf die Wahrnehmung der Rezipienten hat (ebd., S. 79). Aussagenbewältigung Erzählen ist ein besonderer Kommunikationsmodus, der Mitteilungen in narrativer Form hervorbringt. Dabei werden Ereignisse in zeitlicher und logischer Reihenfolge geschildert und so zu einer Geschichte verbunden. Erzählen lässt sich dabei von anderen Modi <?page no="110"?> Was leistet Storytelling? 109 wie Beschreiben, Bewerten und Erklären unterscheiden (Krüger 2015, S. 73ff.). Die Geschichte bezeichnet den narrativen Inhalt, die Erzählung die fertige narrative Mitteilung. Die Narration, oder das Storytelling, benennt den „produzierenden narrativen Akt“ (Genette 2010, S. 12), der die Erzählung hervorbringt (vgl. Abb. 1). Von einer Story wird im vorliegenden Text v. a. dann gesprochen, wenn keine explizite Unterscheidung zwischen Geschichte und Erzählung intendiert ist. Wichtig für die Art der Aussagenbewältigung ist der Umstand, dass Sinnvorschläge beim Erzählen implizit in der chronologischen und kausalen Struktur der Erzählung enthalten sind und nicht notwendigerweise explizit beschrieben, bewertet oder erklärt werden. Die Erzählung ist also eine bestimmte Form einer Mitteilung, die eine Information in Gestalt einer Geschichte vermittelt. Grundlegende Elemente der Geschichte sind Akteure, Ereignisse, Ort und Zeit (Bal 2009, S. 7). Dabei sind es stets die Akteure, die in einer konkreten raumzeitlichen Situation Ereignisse entweder durch ihre Handlungen verursachen oder erleben. Durch die Zuschreibung von Charakeristika und durch ihre Anordnung werden die genannten Elemente zu funktionalen Bestandteilen der Erzählung (vgl. Abb. 2). Die Ereignisse, die zusammen die Geschichte ergeben, folgen einer Dramaturgie, durch die in der Regel zunächst Ungewissheit erzeugt und dann wieder aufgelöst wird. Die Gesamtheit der Ereignisse lassen sich als implizites Deutungsmuster oder narrativer Frame interpretieren, der die zugrunde liegende Aussage transportiert. Gestaltungsfunktionen An der Gestaltung medialer Inhalte sind in zunehmendem Maße nicht nur Kommunikatoren, sondern auch Rezipienten aktiv beteiligt. Während dieser Umstand im Zuge des (digitalen) Strukturwandels von Kommunikationssystemen v. a. auf das Aufkommen digitaler Rückkanäle und Netzwerke zurückzuführen ist, sorgen Erzählungen seit jeher für eine besondere Einbeziehung der Rezipienten in die Aussagengestaltung. Erzählungen sind interpretationsbedürftig. Anders als bei Erklärungen und Argumenten werden Sinnvorschläge in Erzählungen oft nur implizit unterbreitet. Erzählt wird, was geschehen ist. Wie die Geschehnisse einzuordnen und zu bewerten sind, was also die Moral von der Geschichte“ ist, bleibt in weit stärkerem Maße dem Rezipienten überlassen. Aus der Geschichte erfährt er von Akteuren und Ereignissen in zeitlichem und logischem Kontext. Akteurskonstellationen, -rollen und -charakaterisierungen lassen ihn Partei ergreifen und Helden von Gegenspielern unterscheiden. Die Interpretation des Gesamtzusammenhangs muss der Rezipient selbst vornehmen. Doch bevor es dazu kommt, blei- <?page no="111"?> 110 Florian Krüger ben auch für die Kommunikatorseite zahlreiche Gestaltungsaufgaben. Speziell wenn Geschichten nicht spontan im Alltag oder unter künstlerischen Gesichtspunkten und primär aus ästhetischen Gründen erzählt werden, sondern gezielt im Rahmen von Unternehmenskommunikation eingesetzt werden sollen, sind zahlreiche (strategische) Entscheidungen zu treffen (vgl. Abb. 3). Gestaltungsfunktionen auf Kommunikatorseite Story-Identifikation: Im ersten Schritt gilt es, geeignete Geschichten zu identifizieren. Da Erzählen ein etablierter Kommunikationsmodus ist, der prinzipiell allen Menschen zur Verfügung steht, verfügt jede Gesellschaft und jede Organisation über einen eigenen und einzigartigen Vorrat an Storys. Diese Storys sind Teil des kollektiven Gedächtnisses und können aktiviert und nutzbar gemacht werde. Story-Selektion: Im zweiten Schritt sind diejenigen Storys auszuwählen, die sich dazu eignen, zu einem bestimmten Anlass die Ziele des jeweiligen Kommunikators zu unterstützen . Welch e Stor ys pa ssen zum a ktuellen A nla ss und T hem a? Welch e Stor ys eignen sich zur Ansprache welches Publikums? Und schließlich: Welche Storys weisen durch Akteure, Ereignisse und die Dramaturgie der Handlung das größte narrative Potenzial auf? Story-Formatierung: Sind geeignete Storys identifiziert, sind diese nochmals formal auf ihre Narrativität zu prüfen und ggf. zu überarbeiten, um die kommunikativen Potenziale des narrativen Kommunikationsmodus voll auszuschöpfen. Bei der Story-Formatierung geht es also im Wesentlichen um das Kommunikationshandwerk des Kommunikators. <?page no="112"?> Was leistet Storytelling? 111 Story-Telling: Unter Story-Telling im engeren Sinne (im Unterschied zum übergeordneten Gesamtvorgang Storytelling) ist schließlich die Verbreitung der fertigen Story durch geeignete Kommunikatoren und über geeignete Kanäle auf unterschiedlichen Meinungsmärkten zu verstehen. In loser Anlehnung an die sogenannte Lasswell-Formel (Lasswell 1948, S. 37) stellt sich also die Frage: Wer erzählt die Story wem durch welchen Kanal (und mit welcher Wirkung). Die Auswahl des geeigneten Kommunikators, eines hinreichend reichen Mediums und die angemessene Adressierung des Publikums fallen in diese Phase. Aufgrund der offenen Kommunikationssituation, in der die Rezipienten ihren eigenen Sinn in die Erzählung hineininterpretieren und diesen anschließend an Dritte weitergeben können, ist auch die Bereitschaft, sich an öffentlichem Dialog und Anschlusskommunikation zu beteiligen, notwendig. Gestaltungsfunktionen auf Rezipientenseite Im Gegensatz zu argumentativ formatierten Mitteilungen fordert die Erzählung von Rezipienten eine größere „Eigenleistung“. Erzählungen machen oft lediglich einen impliziten Sinnvorschlag, d. h. den Rezipienten wird eine bestimmte Interpretation der Geschichte zwar nahegelegt, sie müssen diese Interpretation aber letztlich selbst vornehmen. Die „Moral der Geschichte“ ist zwar in der Handlung sowie in den Akteursrollen und -konstellationen angelegt. Unterschiedliche Rezipienten können diese aber unterschiedlich auffassen und beispielsweise mit unterschiedlichen Akteuren sowie deren Motiven und Handlungen sympathisieren. Für Kommunikatoren stellt dieser Umstand auf den ersten Blick ein Risiko dar, da narrative Mitteilungen leicht anders aufgefasst werden können als ursprünglich intendiert. Zugleich erklärt die aktive Rekonstruktion, Interpretation und Bewertung der Geschichte durch die Rezipienten möglicherweise eine der größten Stärken des Erzählens: Geschichten wirken, weil Rezipienten sich die Erzählung in besonderer Weise zu eigen machen und die Geschichte als eigene Erzählung weiterverbreiten können. Konstitution von Kommunikationsräumen Geschichten erzeugen in besonderer Weise Kommunikationsräume. Am augenfälligsten wird dies im Rahmen interpersoneller Kommunikation, wenn sich Menschen um ein <?page no="113"?> 112 Florian Krüger Lagerfeuer, in einem Theater oder einem Kino versammeln, um als räumliche Gemeinschaft einer Geschichte zu folgen. Deutlich wird die Entstehung von Kommunikationsräumen durch Storytelling aber auch im Fall von Massenkommunikation mit dispersen Publika, etwa dann, wenn ein aktueller Bestseller oder die neueste Folge einer beliebten Seifenoper oder TV-Serie für Tage oder Wochen zum Gesprächsstoff zwischen Menschen wird, die sonst wenig gemein haben. Die Erzählung offenbart hier ihre besondere Anschlussfähigkeit (Krüger 2015, S. 162). Sie lässt sich leicht weitererzählen und die emotionalen Affekte, die ihre Rezeption auslöst, motivieren zahlreiche Rezipienten ihrerseits zu Erzählern zu werden und die Geschichte weiterzuerzählen. Erzählungen sorgen also gewissermaßen für einen besonders offenen Zugang zu Kommunikationsräumen und eine geringe Abgrenzung von Kommunikationsräumen. 77..33 WWaass lleei isstteett SSttoorryytteelllliinngg ffüürr ddaass PPuubblliicc RReellaattiioonnss--MMaannaaggeemmeenntt? ? Public Relations-Management hat stets eine dienende Funktion in Organisationen (Hoffjann 2007, S. 97). Es trägt zur Bildung der Organisationsidentität bei (Kussin 2006, S. 120) und bewirtschaftet das Sozialkapital der Organisation (Szyszka 2009). Storytelling kann diese Funktionen unterstützen, wenn es strategisch zur Erreichung von Kommunikationszielen eingesetzt wird. Am Beispiel des Organisationstyps Unternehmen lässt sich Storytelling folgendermaßen definieren: „Corporate Storytelling ist eine Kommunikationsoperation des Public Relations-Managements gewinnorientierter Organisationen des Wirtschaftssystems. Ziel dieser Operation ist die Unterstützung der Funktionen des Kommunikationsmanagements. Hierzu zählen die Rekonstruktion der Unternehmensidentität und das Bewirtschaften von Sozialkapital in der Form von Image und Reputation, wofür wiederum öffentliche Aufmerksamkeit und Deutungshoheit sicherzustellen sind. Das Public Relations-Management operiert dabei in einem erzählenden Kommunikationsmodus und kommuniziert narrative Selbstdarstellungen in der Form von Corporate Storys. Diese Corporate Storys weisen tradierte Elemente und Strukturen von Erzählungen wie Akteure, Ereignisse, Orte, zeitliche und logische Verläufe und Handlungsmuster auf, die das Identitäts-, Aufmerksamkeits- und Deutungsmanagement der Organisation unterstützen“ (Krüger 2015, S. 100). Das Public Relations-Management von Unternehmen hat also zum einen die Funktion, die Unternehmensidentität zu gestalten und zu kommunizieren. Zum anderen befasst sich PR mit dem Management des Sozialkapitals des Unternehmens in der Form vom Image, Reputation und Vertrauen. Ziel aller Operationen des Public Relations-Managements sind Erhalt und Ausbau des unternehmerischen Handlungsspielraums und letztlich der dauerhafte Systemerhalt, also das Fortbestehen des Unternehmens. Was also leistet Storytelling zur Funktionserfüllung von Public Relations? Aufmerksamkeitsmanagement Um in Beziehung zur Umwelt treten zu können benötigen Unternehmen öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Botschaften. Storys wecken und binden Aufmerksamkeit und unterstützen so das Aufmerksamkeitsmanagement von Unternehmen. Feststellen lässt sich dies anhand von Aufmerksamkeitsbzw. Narrationsfaktoren wie wir sie aus der kommunikationswissenschaftlichen Nachrichtenwertforschung kennen (Maier 2003). <?page no="114"?> Was leistet Storytelling? 113 Zu den in Storys stark ausgeprägten Faktoren zählen Eindeutigkeit, Erfolg, Faktizität, Nähe, Emotionalisierung und Personalisierung. Schwächer ausgeprägt treten auch die Faktoren Überraschung, Kontroverse und Misserfolg auf. Das vermehrte Auftreten dieser Aufmerksamkeitsfaktoren lässt sich unmittelbar auf die narrative Form der Mitteilungen zurückführen. Die Struktur einer Erzählung mit benennbaren Akteuren (Personalisierung, Emotionalisierung), Orten (Nähe) und Ereignissen (Faktizität) sowie einer Handlung, die in einem Spannungsbogen von ihrem Anfangszu ihrem Endpunkt verläuft (Eindeutigkeit, Kontroverse, Erfolg, Misserfolg), impliziert das Vorhandensein von Narrationsfaktoren. Identitätsmanagement Um sich von der Umwelt und auch vom Wettbewerb zu unterscheiden entwickeln Unternehmen gemeinsam mit ihren Stakeholdern mit der Zeit eine eigene, möglichst unverwechselbare Unternehmensidentität. So werden Motive, Handlungsweisen und Leistungen des Unternehmens konsistent und nachvollziehbar. Narrative Selbstbeschreibungen von Unternehmen unterstützen die Funktion der Identitätskonstruktion und vermittlung. Storys transportieren Leistungs- und Wertemerkmale der jeweiligen Unternehmen und können vom Public Relations-Management bewusst zu diesem Zweck eingesetzt werden. Leistungsmerkmale der Unternehmensidentität (Buß 2012, S. 171) wie Reputation, Kompetenz und Rang lassen sich daher ebenso in Unternehmenserzählungen finden wie die Wertemerkmale Ortsbezug, Tradition und kulturelles Selbstverständnis. Management von Deutungshoheit Unternehmen benötigen nicht nur öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Botschaften, sie haben auch ein Interesse daran, sich mit ihren Interpretationen des Geschehens im Deutungswettbewerb mit anderen Stakeholdern durchzusetzen. Storys weisen Deutungsmuster auf, die sich in Abwandlung der Framedefinition von Entman (1993) als narrative Frames interpretieren lassen. Die Elemente der erzählten Handlung definieren dabei die narrativen Frames. Hierzu zählen das zentrale Problem, das Ausgangspunkt der Erzählung ist, die Rollen, die unterschiedliche Akteure in der Erzählung einnehmen und die eine Bewertung ihrer Motive und Handlungen nahelegen, die positive oder negative Entwicklung der Handlung von ihrem Anfang zu ihrem Ende und - soweit vorhanden - die Moral der Geschichte. 77..44 FFaazzi itt Storytelling ist ein Kommunikationsmodus, der den Strukturwandel von Medien- und Kommunikationssystemen überdauert. Storytelling konstituiert offene Kommunikationsräume indem es anschlussfähige Mitteilungen in narrativer Form hervorbringt, die von Kommunikatoren und Rezipienten gemeinsam und wechselseitig konstruiert und weitererzählt werden. Im Public Relations-Management von Unternehmen kann Storytelling insbesondere Leistungen für das Identitäts-, Aufmerksamkeits- und Deutungsmanagement erbringen und so zur Bewirtschaftung des Sozialkapitals von Unternehmen beitragen. Die Leistungsfähigkeit von Storytelling ist dabei auf Besonderheiten des narrativen Kommunikationsmodus sowie auf Elemente und Strukturen der Kommunikationsform Erzählung zurückzuführen. <?page no="115"?> 114 Florian Krüger LLiitteerraattuurr Aristoteles (2010). Poetik. Übersetzt und herausgegeben von Manfred Fuhrmann. Stuttgart: Reclam. Bal, M. (2009). Narratology. Introduction to the Theory of Narrative. 3. Aufl., Toronto; Buffalo; London: University of Toronto Press. Buß, E. (2012). Managementsoziologie. Grundlagen, Praxiskonzepte, Fallstudien. 3. überarb. Aufl., München: Oldenbourg. Campbell, J. (1999). Der Heros in tausend Gestalten. 6. Aufl. (original 1949), Frankfurt am Main; Leipzig: insel taschenbuch. Daft, R., & Lengel, R. (1986). Organizational Information Requirements, Media Richness and Structural Design. Management Science 32(5), 554-571. Entman, R. (1993). Framing: Toward Clarification of a Fractured Paradigm. Journal of Communication 43(4), 51-58. Ettl-Huber, S. 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Das Handlungsfeld wird aus der Idee unterschiedlich skalierter Kommunikationsräume entwickelt und entlang der von Claudia Mast identifizierten Kriterien, die einen Kommunikationsraum konstituieren, aufgespannt. Anschließend werden Vermittlungsleistungen internationaler Public Relations näher in den Blick genommen und daraus im Abgleich mit Strategieoptionen eine Kernfunktion abgeleitet. 88..11 EEi innl leeiittuunngg Politische, rechtliche, ökonomische und technische Prozesse haben die räumlichen Distanzen in der Welt schrumpfen lassen. Wir tragen Kleidung, telefonieren mit Smartphone oder essen Lebensmittel, die am anderen Ende der Welt produziert worden sind. Wir hören Musik, die auch in anderen Kontinenten aus Kopfhörern oder Lautsprechern schallt. Wir lesen in den Tagesmedien, was in anderen Länden Europas, in Amerika, Afrika oder Asien Neues passiert ist. Und auch die Wirtschaft ist heute transnational, international oder gar global aufgestellt. Mit der Globalisierung haben sich die Rahmenbedingungen und Anforderungen an Public Relations (PR) verändert. Die Internationalisierung der Unternehmenskommunikation war und ist eine wesentliche Herausforderungen für das Kommunikationsmanagement im 21. Jahrhundert (Zerfass et al. 2011, S. 87). Im Jahr 2004, als die Dissertation der Autorin zum Thema „Public Relations ohne Grenzen? “ beim VS Verlag erschien, wurde internationale PR in der Kommunikationspraxis bereits intensiv diskutiert. In der Forschung hatte sich zwar bereits ab Ende der 1960er Jahre das Forschungsfeld des internationalen Marketings (Perlmutter 1969; Sweeney 1970; Wind/ Douglas/ Perlmutter 1973) und ab Ende der 1980er Jahre ein Forschungsinteresse auch an internationaler PR etabliert (Booth 1986; Ovaitt 1988; Anderson 1989; Nally 1991; Wouters 1991; Kunczik 1992). Im deutschsprachigen Raum allerdings wird die Diskussion über trans- und internationale PR erst seit Mitte der 1990er Jahre intensiver geführt (Wakefield 1996; Andres 2004; Huck 2004; Ingenhoff und Rühl 2013; Meadows und Meadows 2014, S. 872; Jain, De Moya und Molleda 2014). Zwischenzeitlich liegen zahlreiche Monographien zum Thema vor, v. a. hervorgegangen aus PR-Dissertationen. Zudem werden Aspekte der grenzüberschreitenden Kommunikation auch in anderen Bezügen mit thematisiert: etwa in Beiträgen zu Online- und Social Media-Kommunikation, Investor Relations, Medienarbeit oder zur internen Kommunikation. <?page no="119"?> 118 Simone Huck-Sandhu 88..22 PPuubblliicc RReel laatti ioonnss iinn ggrreen nzzü übbeer rsscchhr reei itteen nddeen n KKoommm mu unniikka attiioonnssr rääuumme en n Das Handlungsfeld internationale PR lässt sich unmittelbar aus der Idee unterschiedlich skalierter Kommunikationsräume entwickeln. Als Kommunikationsraum bezeichnet Mast (1986) in Anlehnung an Wagner (1965, S. 79) „das räumlich ausgedehnte Verbreitungsgebiet wie auch de[n] Gesprächsraum der an der jeweiligen Kommunikation teilnehmenden Gesellschaft“. Im Zusammenhang mit internationaler PR kann das Kriterium der räumlichen Ausdehnung wortwörtlich genommen werden: Internationale PR spricht Teilöffentlichkeiten in zwei oder mehr Ländern an. „PR ist längst nicht mehr nur auf die Öffentlichkeit eines Landes beschränkt, sondern überschreitet zunehmend nationale, regionale und damit auch kulturelle Grenzen“ (Huck 2004, S. 17). Sie bewegt sich somit in einem räumlichen Verbreitungsgebiet, das sich über nationalstaatliche Grenzen hinweg erstreckt und damit transnational bis hin zu global ausgerichtet sein kann. Dabei überschreitet sie in der Regel auch sozio-kulturelle Grenzen, so dass internationale PR meist kulturübergreifend ausgerichtet ist. Kommunikationsräume als räumlich definierte Verbreitungsgebiete lassen sich nach Mast (1986) entlang der drei Kriterien Grenzziehungen, Zugang und Durchdringung näher umreißen. Agiert PR in internationalen bzw. interkulturellen Räumen, ergeben sich jeweils spezifische Rahmenbedingungen: Für die Konstituierung eines Kommunikationsraumes bedarf es erstens der Abgrenzung. Kommunikationsräume als „konkrete Räume“ (Mast 1986, S. 258) weisen immer auch Grenzen auf. Im Kontext internationaler PR sind dies z. B. Landes-, Sprach- oder kulturelle Grenzen. Dabei kann von Begrenzung die Rede sein, wenn Inhalte z. B. nur in Europa oder nur in deutscher Sprache verfügbar sind. Gleichzeitig ist gerade internationale PR aber auch von Entgrenzung geprägt, wenn sie im Zeitalter der Globalisierung gerade nicht mehr länger auf einzelne Länder oder Kulturkreise beschränkt bleibt. Wo unterschiedliche Kontinente, Zeitzonen und Kulturen angesprochen werden, gelten neben räumlichen bzw. personellen Grenzen eines Kommunikationsraums deshalb immer auch zeitliche und inhaltliche Unterschiede. Internationale PR definiert sich über die Überschreitung solcher Grenzen. Sie macht gerade nicht an nationalstaatlichen oder kulturellen Grenzen Halt, sondern zieht ihre Kommunikationsräume bewusst größer. Zugleich berücksichtigt sie aber nationale und kulturelle Besonderheiten wo nötig und sinnvoll, und begrenzt sich damit ganz bewusst in (scheinbar) entgrenzten Kommunikationsräumen. Zweitens spielt der Zugang zum Kommunikationsraum eine Rolle für seine Konstituierung. Zugang zum Kommunikationsraum erfasst nach Mast (1986, S. 258) die grundlegende Möglichkeit, an der Kommunikation in einem personell oder geografisch definierten Gesprächsraum teilnehmen zu können. Nimmt man medienvermittelte Räume als Beispiel, so unterscheiden sich deren Verfügbarkeit und Belastbarkeit z. B. abhängig vom politisch-rechtlichen System, von ökonomischen, technologischen oder medialen Rahmenbedingungen in einem Land. Diese Faktoren werden in der Literatur zur internationalen PR auch als externe Rahmenbedingungen von Kommunikation bezeichnet, die sich von Land zu Land unterscheiden können (Daub 2001, S. 20): Politische Faktoren wirken sich z. B. in Form der politischen Stabilität oder des politischen Systems direkt oder indirekt auf die Rolle, Funktion und Freiheit der Medien <?page no="120"?> Was leistet internationale Public Relations? 119 im Land aus. Mediensystem und -berichterstattung stellen wiederum eine wesentliche Basis für die Konzeption und Umsetzung von PR dar. Ökonomische Faktoren sind u. a. das Wirtschaftssystem und das Ausmaß an Wettbewerb im Land. Sie bilden ein Tableau, vor dessen Hintergrund PR unterschiedliche Ausprägungen annehmen kann. Rechtliche Rahmenbedingungen äußern sich in Ge- oder Verboten für das Kommunikationsmanagement, sowohl nach innen und außen Technologische Faktoren beziehen sich im Hinblick auf PR in erster Linie auf die Verfügbarkeit sowie die Verbreitung von gedruckten, audio-visuellen oder digitalen Kanälen und Medien. Sozio-kulturelle Spezifika wirken sich auf Werthaltungen, normative Prinzipien, Mentalitäten und die kulturelle Prägung der Menschen eines Landes aus. Sie hängen nicht nur mit den generellen Einstellungen und Verhaltensweisen, sondern z. B. auch mit ganz konkreten Elementen wie Farbwahrnehmung oder kommunikativem Verhalten zusammen, die für die Gestaltung von PR-Inhalten und -Medien bedeutsam sind (Streich 1996, S. 18 ff.). Hinzu kommen sprachliche Unterschiede. Im Zusammenhang mit internationaler PR stellt sich die Frage, wie ähnlich oder verschieden die jeweiligen Rahmenbedingungen jener Länder sind, die in einem internationalen oder interkulturellen Kommunikationsraum zusammengefasst werden sollen. Abhängig davon variiert auch die Ansprache der Teilöffentlichkeiten im Raum. Drittens spielt die mediale Durchdringung von Kommunikationsräumen eine Rolle für die PR. Konkret geht es um die spezifische Mediennutzung in einem (grenzüberschreitenden) Raum. Arten und Formen der Nutzung variieren abhängig davon, welche medialen Angebote im Kommunikationsraum bestehen. Aspekte der medialen Durchdringung können auch als kommunikationsspezifische Rahmenbedingungen internationaler Kommunikation bezeichnet werden (Huck-Sandhu 2016, S. 427f.): Unter dem Oberbegriff der medienbezogenen Faktoren eines Landes lassen sich nationale Unterschiede in Verfügbarkeit und Nutzung, aber auch in Struktur, Professionalisierungsgrad, Rolle und Ethik der Medien subsummieren. Adressatenbezogene Faktoren sind all jene Aspekte, die durch die unterschiedlichen nationalen oder internationalen Bezugs- und Zielgruppen sowie Meinungsführer vorgegeben werden. Sie sind eng verbunden mit allgemeinen sozio-kulturellen Faktoren und greifen z. B. Unterschiede bei Sprachen, Mentalitäten oder Kommunikationsstilen auf. Neben externen Rahmenfaktoren, die den Kommunikationsraum bestimmen, spielen für die internationale PR auch organisationsinterne Faktoren eine Rolle. Dazu gehören z. B. Strukturen, Prozesse und Ziele eines Unternehmens, aber auch Unternehmenskultur, -philosophie und Corporate Identity (Kunczik 1992, S. 341). Interne Rahmenfaktoren sind meist über Jahre oder Jahrzehnte hinweg gewachsen, haben sich über Unternehmensbereiche und Länderniederlassungen verstetigt und ähneln sich somit über Ländergrenzen hinweg. <?page no="121"?> 120 Simone Huck-Sandhu 88..33 VVeerrmmi ittt tlluunnggsslleei issttuunngg iinntteer rnnaattiioonnaalleerr PPuubblliicc RReel laattiioonnss Innerhalb der landes- oder kulturspezifischen Rahmenbedingungen eines Kommunikationsraums sowie der organisationsspezifischen Faktoren lassen sich Spannungsfelder identifizieren, in denen sich internationale PR bewegt. „Mit jedem neuen Land, auf das ein weltweit tätiges Unternehmen seine PR-Arbeit ausweitet, vervielfachen sich die Herausforderungen des Umfeldes“ (Huck 2004, S. 17). Deshalb weist grenzüberschreitende Kommunikation besondere Vermittlungsleistungen auf, die entlang der drei Variablendimensionen, die Mast (1986, S. 248ff.) im Analyseraster der medialen Vermittlungsleistung zusätzlich zur medialen Bewältigung von Kommunikationsräumen beschreibt, lose adaptiert und übertragen werden können: Nimmt man Masts Merkmalskatalog (ebd., S. 250ff.) auf und übersetzt ihn für die internationale PR, so lässt sich zunächst der Faktor Zeit im Vermittlungsprozess als besondere Herausforderung für die internationale PR verstehen. Zwar hat der technische Wandel mit E-Mail, Video-Conferencing und Cloud-Technologien dazu beigetragen, dass räumliche Distanzen in der Wahrnehmung zunehmend schrumpfen. Zeitverschiebungen erschweren die Aussagenentstehung, etwa im Hinblick auf die zügige Abstimmung zwischen Kommunikatoren in unterschiedlichen Ländern oder die koordinierte, weltweit zeitgleiche Informationsbereitstellung. Als Beispiel für Anwendungsfelder können hier Ad-hoc-Mitteilungen der Investor Relations, Presseinformationen in Krisensituationen oder auch klassische Aufgaben wie die weltweite Kommunikation einer Produktneueinführung genannt werden. Allerdings haben neue technische Kanäle und Medien dazu beigetragen, dass Prozesse und Strukturen internationaler PR heute deutlich einfacher und schneller sind als noch vor zehn Jahren. Simultane und nicht-simultane Kommunikationsvermittlungen, wie sie Mast (1986, S. 253) unterscheidet, sowie der Informationsabruf in eigener und fremder Zeit haben den technischen Vermittlungsprozess verändert und eröffnen gerade der internationalen und interkulturellen PR neue Möglichkeiten. Die Bewältigung medialer Aussagen im Vermittlungsprozess lässt sich an die besonderen Herausforderungen internationaler bzw. -kultureller Kommunikationsräume anknüpfen. Die Bewältigung medialer Aussagen in Form von Text, Sprache, Bild und/ oder Daten ist sowohl aus Kommunikatorals auch Stakeholdersicht in grenzüberschreitenden Räumen alles andere als trivial. Unterschiedliche Sprachen, Kommunikationsstile oder Bild- und Textwahrnehmungen sorgen dafür, dass scheinbar eindeutig formulierte und visuell präsentierte Inhalte durchaus unterschiedlich wahrgenommen werden können. Hier zeigt sich der Rückbezug zu den oben beschriebenen sozio-kulturellen Spezifika in besonders deutlicher Art und Weise. Auch die Art des Kommunikationsprozesses spielt im Kontext der Aussagenbewältigung eine Rolle. Dass Kommunikation verteilt, auf Abruf bzw. Zugriff oder im Dialog erfolgen kann bietet eröffnet der internationalen PR im Rahmen der o. g. Rahmenbedingungen Vorteile. Abhängig von Nationalität, räumlicher Verteilung oder auch kulturellen Besonderheiten einer Teilöffentlichkeit kann Kommunikation ganz unterschiedliche Angebote machen und Formen annehmen. So gewinnt sie die Flexibilität, kulturspezifische Interessen und Gewohnheiten zu bedienen, ohne den trans- oder internationalen Kommunikationsraum darüber aus dem Blick zu verlieren. <?page no="122"?> Was leistet internationale Public Relations? 121 Die Gestaltungsfunktionen im Vermittlungsprozess schließlich bilden die „Einwirkungsmöglichkeiten professioneller Kommunikatoren auf den Vermittlungsprozess“ einerseits und die Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Rezipienten zur Verfügung stehen, andererseits ab (Mast 1986, S. 261). Sie beziehen sich auf Form und Art des Kommunikationsprozesses, sowohl aus Kommunikatorals auch Rezipientensicht. Im Kern haben technische Neuerungen dazu geführt, dass die Grenzen zwischen Sender und Empfänger immer stärker verschwimmen und „individual-kommunikative Strukturen in das massenmediale System vordringen konnten“ (ebd., S. 260). In Social Media sind Rezipienten längst zu aktiven, vielfach sogar proaktiv agierenden Kommunikatoren geworden. Klare (2010, S. 35f.) schreibt von einer „kommunikativen Globalisierung“ im Internet und den klassischen Medien. PR als Grenzstelle ist heute mehr denn je internationales Monitoring sozialer Netzwerke sowie ein grenzüberschreitend gedachtes, international umgesetztes Kommunikationsmanagement. 88..44 SSttaannddaarrddiissiieer rttee DDiiffffeerreennzziieerruunngg aallss KKeerrnnffuunnkkttiioonn Ein grenzüberschreitender Kommunikationsraum, unterschiedliche Rahmenbedingungen je nach Land und Kultur sowie besondere Herausforderungen im Bereich der Vermittlungsleistung - die Kernfunktion internationaler PR liegt in der Abwägung zwischen global und lokal, kulturübergreifend und kulturspezifisch. Als Management der Kommunikation einer Organisation mit ihren Teilöffentlichkeiten in unterschiedlichen Ländern und Kulturen ist sie so global wie möglich, zugleich aber auch so lokal wie nötig ausgerichtet: so global wie möglich, um ein international einheitliches Auftreten zu fördern und die Entstehung eines grenzüberschreitend konsistenten Images zu ermöglichen; so lokal wie nötig, um auf nationale und kulturelle Charakteristika von Teilöffentlichkeiten und Kommunikationsmustern so gut wie möglich eingehen zu können. Im Kern lassen sich Strategien internationaler PR zwischen Standardisierung und Differenzierung verorten (Huck-Sandhu 2016, S. 430ff.; Huck 2007): In der Standardisierungsstrategie wird internationale PR so global einheitlich angelegt und umgesetzt wie möglich. „Je mehr Angleichungsprozesse sich im Bereich der allgemeinen und spezifischen Rahmenbedingungen vollziehen, desto einfacher und integrativer wird eine globale Kommunikationspolitik“ (Huck-Sandhu 2016, S. 428). Standardisierung zielt darauf ab, PR über Ländergrenzen hinweg so einheitlich wie möglich anzulegen. Bedingung ist, dass sich die im Kommunikationsraum zusammengefassten Länder in den wichtigen Charakteristika und Rahmenbedingungen ausreichend ähneln, um PR standardisiert umzusetzen. Vorteile der Standardisierungsstrategie liegen in den erzielbaren Synergieeffekten, im Know-how-Transfer über Ländergrenzen hinweg und der hohen Effizienzorientierung (Dmoch 1997, S. 22f., Streich 1996, S. 55). Ein wesentlicher Nachteil ist die geringe Berücksichtigung kultureller Besonderheiten (Streich 1996, S. 55f.). Im Rahmen der Differenzierungsstrategie wird internationale PR so lokal und kulturspezifisch wie möglich angelegt. „Communication is extremely local and very personal“, schrieb Haywood (1991, S. 22) Anfang der 1990er Jahre. Differenzierte internationale PR nimmt auch heute Rücksicht auf die jeweiligen nationalen oder kulturellen Besonderheiten eines Landes. Teilöffentlichkeiten und die Medien vor Ort können dadurch passgenau angesprochen, Themenagenden und öffentliche Meinung gezielt berücksichtigt werden. Zugleich bleiben die oben genannten Vorteile der Standardisierungsstrategie <?page no="123"?> 122 Simone Huck-Sandhu - Synergien, Effizienz und Wissenstransfer innerhalb der Kommunikationsabteilung - unrealisiert. In der Praxis werden deshalb unterschiedliche Ausprägungen der Strategie der Standardisierten Differenzierung, die auch als „glokale“ internationale PR bezeichnet wird, gewählt. Sie stellt eine Mischstrategie dar, die Vorteile beider Strategien zu kombinieren und unter einem „international konsistente[n] Kommunikationsdach“ (Bird 2001) zusammenzuführen sucht. 88..55 FFaazzi itt: : WWaass iinntte errnnaatti ioonnaallee P Puubblliicc RReel laatti ioonnss lleei isstteen n kkaannnn Was also leistet internationale PR? Die einfache Antwort lautet: Internationale PR leistet die Ansprache von Stakeholdern über Länder- und kulturelle Grenzen hinweg. Sie ermöglicht eine „glokale“ Kommunikation, die die Vorteile der Standardisierung mit den Vorteilen der Differenzierung verbindet. So spricht sie relevante Teilöffentlichkeiten in trans-, internationalen oder globalen sowie interkulturellen Kommunikationsräumen so global wie möglich, aber eben auch so lokal wie nötig an. Die komplexere Antwort auf die Frage nach den Leistungen internationaler PR ist vielschichtiger. Sie löst sich von der deskriptiven Beschreibung dessen, was internationale PR tut, und richtet sich stärker auf Funktion und Mehrwert des Handlungsfeldes für die Unternehmenskommunikation: Internationale PR bringt - ggf. Hand in Hand mit dem internationalen Marketing - die grenzüberschreitende Perspektive in die Unternehmenskommunikation ein. Sie beobachtet Kommunikationsräume, die für eine Organisation relevant sind, über Grenzen der nationalen oder funktionalen Zuständig hinaus. Sie identifiziert deren Schnittmengen, indem sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede z. B. von Stakeholdern, von den nationalen Medienagenden, der öffentlichen Meinung zu unternehmensrelevanten Themen oder im Medienprofil eines Landes offen legt. Damit bildet sie die Basis für die Definition, Verbindung bzw. Abgrenzung und gemeinsame Bearbeitung größerer grenzüberschreitender Kommunikationsräume abhängig davon, welche Ziele die Organisation verfolgt und welche kommunikativen Aufgaben es zu bearbeiten gilt. Im besten Fall hebt sie dabei Synergien. Man kann also sagen: Internationale PR aus Kommunikatorperspektive legt grenzüberschreitende Gemeinsamkeiten von Teilöffentlichkeiten, Themen und Kommunikationssituationen offen. Und dazu gehört zunehmend auch die Beobachtung von und Kommunikation in Sozialen Medien, die abgesehen von Sprachgrenzen und nationalen Mediennutzungsmustern mehr global als lokal funktioniert. <?page no="124"?> Was leistet internationale Public Relations? 123 LLiitteerraattuurr Anderson, G. (1989). A Global Look at Public Relations. In B. Cantor (Hg.), Experts in Action. Inside Public Relations (S. 412-422), 2. Aufl., White Plains: Longman. Andres, S. (2004). Internationale Unternehmenskommunikation im Globalisierungsprozess. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Bird, J. (2001). Internationale Public Relations. In M. Merten & R. Zimmermann (Hg.), Das Handbuch der Unternehmenskommunikation (S. 206-218). Neuwied; Kriftel: Luchterhand. Booth, A. (1986). Going Global. Public Relations Journal 42, 22-26. Daub, C.-H. (2001). Spannungsfeld Unternehmenskommunikation. Perspektiven im Zeitalter der Globalisierung. 3. Aufl., Basel: edition gesowip. Dmoch, T. (1997). 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BBuussi inneesss s--ttoo--BBuussiinneessss--KKoommmmu unniikkaattiioonn aauuss ffuunnkkttiioonnaalleer r PPeerrs sppeekkt tiivvee Helena Stehle Der vorliegende Beitrag thematisiert die Bedeutung und Leistung von Kommunikation und Kommunikationsarbeit in Geschäftsbeziehungen. Business-to-Business (BtB)-Kommunikation wird dabei als Handlungsfeld in der funktionalen PR-Forschung verortet. Ein strukturationstheoretischer Zugang ermöglicht eine situative, beziehungsorientierte Analyse von Kommunikation und Kommunikationsarbeit im BtB-Austausch. Ihre Rolle reicht je nach Typ und Situation des Austauschs vom unterstützenden Hilfsmittel bei diskreten Transaktionen bis zum zentralen Mittel der Abstimmung bei kooperativen Beziehungen. 99..11 KKo ommm mu unniikkaatti ioonn iinn GGe es sc chhä äf fttssbbe ez ziieehhu unngge en n -- GGe egge en nsstta anndd dde err PPRR--FFoorrsscchhu unngg? ? „Mit der Wiederentdeckung eröffnete sich eine große Welt für die Unternehmenskommunikation.“ Mit diesen Worten beschreibt ein Kommunikationsverantwortlicher den Moment, als seiner Abteilung nach einem Führungswechsel wieder Mitverantwortung für Geschäftsbeziehungen übertragen wurde (Stehle 2015, S. 449). Zwar wird ein ganzheitliches, integratives Verständnis sowohl in der Forschung zu Public Relations (PR) und Unternehmenskommunikation als auch in der Kommunikationspraxis häufig proklamiert. Nicht selten findet dieses seine Grenze jedoch dann, wenn es um Geschäftsbeziehungen zu anderen Unternehmen geht. Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen - auch als Business-to-Business- oder BtB-Beziehungen bezeichnet - stellen die kleinsten Bausteine einer vernetzten Wirtschaft dar (Stehle 2015, S. 364). Dies gilt insbesondere, wenn sie über diskrete Transaktio nen hinausgehen und Zusammenarbeit und Kooperation in den Blick nehmen. Austausch zwischen Unternehmen, z. B. von Produkten, Geld oder Informationen, und interorganisationale Zusammenarbeit sind dabei Grundkonstanten von Wirtschaft, wie historische Vorläufer moderner Netzwerks- oder anderer Kooperationsformen, z. B. Handwerkszünfte oder die „Hanse“ ab Mitte des 12. Jahrhunderts, zeigen (ebd., S. 20). Ideen der Arbeitsteilung und Spezialisierung aus dem 18. Jahrhundert, Managementkonzepte der 1980er Jahre, z. B. zu Kernkompetenzen und Outsourcing, sowie veränderte Rahmenbedingungen wie z. B. kürzere Produktlebenszyklen bei höheren Produktionskosten trugen dazu bei, dass Interdependenzen und Verbindungen zwischen Unternehmen in den Mittelpunkt rückten (Picot et al. 2008, S. 3f.; Cropper et al. 2008, S. 6ff.; Sydow 2005a, S. 1). Vor allem seit Beginn des neuen Jahrtausends beobachtet die Wissenschaft eine stark ansteigende Vernetzung zwischen Marktteilnehmern (Hagenhoff 2008, S. 4; Friedrich von den Eichen 2005, S. 84; Spur 2000). Das heißt, es geht insbesondere um auf Dauer angelegte, kooperative Beziehungen anstelle von diskretem, transaktionalem Austausch. Während diese Art von Austausch anfänglich v. a. auf Industriegütermärkten und in <?page no="127"?> 126 Helena Stehle Hochtechnologie-Branchen verortet wurden, wird er mittlerweile für zahlreiche Märkte als relevant und wettbewerbsbestimmend wahrgenommen (Ford und Håkansson 2006, S. 6; Kutschker 2005, S. 1144; Hagedoorn 2002, S. 602f.). Mit ihm werden dabei strategische Wettbewerbsvorteile wie z. B. Ressourcenzugang und Flexibilität verbunden (Stahl 2005, S. 8; Windeler 2001, S. 14; Håkansson 1987, S. 10). Um jedoch erfolgversprechend zu sein, wird oftmals auf Kommunikation als einflussreiche „weiche“ Größe von Geschäftsbeziehungen verwiesen: „Without communication, no business relationship, interaction, or transaction would seem possible“ (Hinner 2005, S. 9). Sie soll z. B. Unsicherheit reduzieren, bei der Abstimmung wechselseitiger Erwartungen helfen oder aber Vertrauen schaffen (Fuchs 2003, S. 165). Nicht nur die Unternehmens- und Managementpraxis hat die Bedeutung von Geschäftsbeziehungen erkannt. Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung, insbesondere das Marketing, sowie die Interorganisationsforschung beschäftigen sich seit Mitte der 1950er Jahre mit der Thematik (für einen historischen Überblick Cropper et al. 2008, S. 6ff.). Dabei wird auch immer wieder auf den Faktor Kommunikation als wichtige „Stellschraube“ oder aber Hürde hingewiesen, ohne diese jedoch in ihrer Komplexität zu erfassen und zu definieren (Stehle 2015, S. 450; Röttger 2009, S. 12; More und McGrath 1997, S. 320). Die Kommunikationspraxis, insbesondere der Agentursektor, hat das Themenfeld mittlerweile ebenfalls für sich entdeckt und betont den Stellenwert von BtB-Kommunikation als Aufgabenfeld der PR-Arbeit. Eine Befragung von Kommunikationsverantwortlichen und Führungskräften liefert jedoch Indizien, dass trotz eines ganzheitlichen Kommunikationsverständnisses mehrheitlich keine unmittelbare Verantwortlichkeit für Geschäftsbeziehungen wahrgenommen und zugeschrieben wird (Stehle 2015, S. 94). Bei zentralen Beziehungen, v. a. zu Kunden, Zulieferern und Projektpartnern werden vorrangig andere Funktionen und Einheiten wie z. B. Marketing, Vertrieb, Einkauf oder Partnermanagement als verantwortlich angesehen. Auch in der Forschung zu Unternehmenskommunikation und PR wird bislang kaum auf Geschäftsbeziehungen eingegangen und auf andere Funktionsbereiche wie z. B. das Marketing im Falle von Kundenbeziehungen verwiesen (Mast 2016, S. XV; Szyszka und Einwiller 2015, S. 851f.). Die funktionale PR-Forschung, die sich v. a. mit der Kommunikation von Unternehmen auseinandersetzt und deren Funktionalität in den Blick nimmt, klammert den ökonomischen Kontext von Unternehmen und die aufgezeigten relevanten Veränderungen in der Wirtschafts- und Unternehmensrealität bislang in weiten Teilen aus. Sie konzentriert sich stärker auf den Austausch mit dem gesellschaftspolitischen und internen Feld von Unternehmen und damit auf vollständig externe bzw. interne Organisation-Umfeld-Beziehungen, während das Marktumfeld auf der einen Seite und kooperative Beziehungen auf der anderen Seite weitgehend außen vor bleiben (z. B. Zerfaß 2010, S. 353; Zühlsdorf 2002, S. 216). Doch BtB-Beziehungen und das Phänomen der Vernetzung bieten Ansatzpunkte und Erkenntnisse für die kommunikationswissenschaftliche PR-Forschung, die neue Impulse ermöglichen. Denn mit der Vernetzung zwischen Unternehmen verändert sich ihre Art, sich auszutauschen und abzustimmen. Je relationaler sich ihr Austausch entwickelt, desto bedeutsamer werden Aspekte und möglicherweise Auseinandersetzungen über gemeinsame Ziele, Interessen und Wahrnehmungen. Welche Rolle spielt Kommunikation vor diesem Hintergrund? Welche Leistungen kann sie in und für Geschäftsbeziehungen erbringen? <?page no="128"?> Was leistet Unternehmenskommunikation in Geschäftsbeziehungen? 127 Welche Erkenntnisse lassen sich daraus für die Forschung zu PR und Unternehmenskommunikation auf der einen Seite sowie für die Kommunikationspraxis auf der anderen Seite ableiten? Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um ein Extrakt der Dissertation „Unternehmenskommunikation in Geschäftsbeziehungen. Business-to-Business-Kommunikation als Teil der funktionalen PR-Forschung“ (Helena Stehle, 2015, Springer VS), der um aktuelle Literatur und Bezüge ergänzt wurde. 99..22 BBuussiinnees sss--ttoo--BBuussiinnees sss--KKoommm muunniikkaattiioonn aallss HHaannddlluunnggssffeel ldd dde err UUnnt te errnneehhm meen nssk ko om mm muunni ikka atti io onn Die Frage nach der Leistung von Kommunikation im Kontext von Organisationen und Unternehmen wird v. a. in der funktionalen, organisationstheoretischen Forschung zu PR und Unternehmenskommunikation aufgegriffen, die Teil der sozialwissenschaftlich geprägten Kommunikationswissenschaft ist (Mast 2016, S. 6; Jarren und Röttger 2015, S. 29; Botan und Taylor 2004, S. 645). Funktionale Ansätze der organisationstheoretischen PR-Forschung gehen davon aus, dass Kommunikationsarbeit zum Erhalt und zur Zielerreichung „ihrer“ Organisation beiträgt, während diese in einer Umwelt aktiv ist (Stehle 2015, S. 145). Sie sehen Kommunikationsarbeit als Organisationsfunktion bzw. Teilsystem des organisationalen Systems an, d. h. es geht um ihre Ziele und Leistungen sowie - insbesondere im Ansatz des Kommunikationsmanagements - um ihre effiziente und effektive Planung und Umsetzung auf Organisationsebene (Mast 2016, S. 13; Zerfaß 2010, S. 288; Jarren und Röttger 2009, S. 31, 40; Theis-Berglmair 2008, S. 1). In der Frühzeit des funktionalen Zugangs wird die Organisation dabei als geschlossen und die Umwelt als ihr „Gestaltungsraum“ (Sandhu 2012, S. 2) betrachtet. Die Organisation- Umwelt-Beziehung wird instrumentell wahrgenommen, ebenso wie Interaktion und Kommunikation. Mit dem Wandel in der Organisationsforschung setzte sich jedoch auch in der PR-Forschung die Idee einer sozial eingebetteten Organisation und deren Interdependenz mit ihrem Umfeld durch (Mast 2016, S. 3). Spezifische Organisation-Umfeld-Konstellationen entwickelten sich zu eigenständigen Handlungsfeldern wie z. B. Medienarbeit oder interne Kommunikation. Insbesondere die Unterscheidung zwischen Kommunikation mit einem externen Umfeld sowie der Kommunikation innerhalb einer Organisation prägte die Forschung und Praxis zu PR und Unternehmenskommunikation. Das interne und externe Umfeld von Organisationen, insbesondere von Unternehmen, werden dabei häufig noch weiter aufgeteilt, z. B. in Mitarbeiter- und Marktkommunikation sowie (gesellschaftspolitisch ausgerichtete) Öffentlichkeitsarbeit (Mast 2016, S. 14f.; Zerfaß 2010, S. 287ff.; Bentele 1997, S. 22f.; Grunig 1992, S. 4). Diese „Spielarten“ der Unternehmenskommunikation werden und wurden ausführlich beschrieben und untersucht (z. B. Mast 2016; Zerfaß 2010, 2007). Ziel ist es, das Umfeld von Organisationen und ihre Bezugsgruppen genauer zu fassen und darauf aufbauend Teilbereiche der organisationalen Kommunikationsarbeit konkreter beschreiben und analysieren zu können (Stehle 2015, S. 404). Als Kriterien zur Systematisierung von Organisation-Umfeld-Konstellationen werden bislang v. a. Merkmale des Umfelds (z. B. intern, extern; Wirtschaft, Politik, Gesellschaft) oder Eigenschaften von dessen Akteuren (z. B. Zielgruppen, Anspruchsgruppen, Teilöffentlichkeiten) herangezogen. <?page no="129"?> 128 Helena Stehle Hinsichtlich BtB-Beziehungen zeigen sich dabei zwei Herausforderungen der funktionalen PR-Forschung: Erstens wird das ökonomische Feld in der Mehrheit der Betrachtungen bislang lediglich kurz angerissen. Zweitens verweisen insbesondere kooperative Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen darauf, dass die Kopplung von Umfeldern mit bestimmten Mechanismen der Handlungskoordination zwar dem Ziel der Vereinfachung dienen kann, aber mit Einschränkungen einhergeht. Das ökonomische Umfeld von Unternehmen, insbesondere im Austausch mit anderen Unternehmen, ist von der Forschung zu PR und Unternehmenskommunikation bislang wenig erschlossen. 1 Dies gilt sowohl für den grundlegenden Prozess der BtB-Kommunikation als auch für BtB-Kommunikationsarbeit. BtB-Kommunikation wird dabei als Kommunikation von Unternehmen zu Unternehmen, d. h. als grundlegender, wechselseitiger Prozess sozialen Handelns bzw. der Bedeutungsvermittlung zwischen mindestens zwei Unternehmen mit dem sekundären Ziel der Verständigung, Abstimmung und Koordination und dem primären Ziel der Einflussnahme verstanden. BtB-Kommunikationsarbeit hingegen wird als Kommunikationsarbeit eines Unternehmens definiert, die sich als Organisationsfunktion an dessen Zielen ausrichtet und systematisch, d. h. zielorientiert und geplant, Kommunikationsprozesse anstößt (Stehle 2015, S. 56f. in Anlehnung an Mast 2016, S. 13; Zerfaß 2010, S. 231; Burkart 2002, S. 30ff.). Sie konzentriert sich dabei auf korporative Wirtschaftsakteure eines Unternehmens und ist damit breiter gefasst als traditionelle Definitionen von BtB-Kommunikationsarbeit, die die Kommunikationsarbeit von Industriegüterunternehmen mit ihren Bezugsgruppen (insbesondere Kunden) meinen (z. B. Smith 2012, S. 370). „Marktkommunikation“, wie die Kommunikationsarbeit mit Bezugsgruppen eines ökonomischen Umfelds beispielsweise bei Zerfaß (2007, S. 41) oder Szyszka und Schmitz (2006, S. 66) benannt wird, wird zwar im Rahmen eines integrierten Kommunikationsverständnisses in das Feld der Kommunikationsarbeit einbezogen, allerdings kaum differenziert. Ihr wird mehrheitlich das „Leitprinzip“ (Zerfaß 2010, S. 407) zugeschrieben, sich auf die Anbahnung oder Verhinderung von Transaktionen bzw. auf die Gestaltung von „Transaktions- und Wettbewerbsbeziehungen“ (ebd. 2007, S. 46) zu konzentrieren und vorrangig mittels Informationen Handeln zu koordinieren. Ziel ist der Verkauf und Einkauf von Produkten und Ressourcen (Szyszka und Einwiller 2015, S. 852). Es geht vorrangig um transaktionalen, diskreten Austausch mit Kunden oder Zulieferern und um eine Kommunikationsarbeit, die diesen Ressourcenaustausch durch Informationen unterstützt und anderen, verantwortlichen Funktionsbereichen wie Vertrieb oder Einkauf zuarbeitet (Stehle 2015, S. 405). Ein vorherrschendes Koordinationsprinzip wird damit auf ein ganzes Umfeldsegment von Unternehmen, hier das ökonomische, bezogen, dem die Abstimmung einer Organisation mit ihrem Umfeld - ob Bezugs-, Anspruchs- oder Zielgruppen - unterliegt (z. B. Zerfaß 2010, S. 279; Jarren und Röttger 2009, S. 30). Diesem Prinzip sind alle Organisation-Umfeld-Beziehungen des Segments (implizit) unterworfen. 1 Für Ausnahmen aus der wissenschaftlichen PR-Perspektive vgl. z. B. Huang und Hagan (2011), Welch (2006), More und McGrath (1997), Karathanos (1996), Szyszka und Einwiller (2015) für PR-Arbeit im Absatzmarkt insgesamt, in Teilen mit Fokus auf BtB-Unternehmen im traditionellen Sinne vgl. Knetsch (2016), in Teilen mit speziellem Fokus auf die Kommunikationsarbeit von Clusterorganisationen vgl. Hartmann (2016), aus der PR-Praxis vgl. z. B. Fuchs (2003). <?page no="130"?> Was leistet Unternehmenskommunikation in Geschäftsbeziehungen? 129 Wenn es um die Abstimmung mit dem ökonomischen Umfeld eines Unternehmens geht, so wird die Aufgabe von Kommunikation aus PR-Sicht dabei zurückhaltend und mehrheitlich indirekt verstanden. Andere Funktionen und Einheiten wie z. B. die Marketing-Abteilung oder auch das Management werden eher als zuständig angesehen als die Kommunikationsabteilung. Was aber passiert, wenn im ökonomischen Umfeld nicht nur diskrete Transaktionen stattfinden? Wenn Unternehmen sich austauschen, d. h. interagieren - und „BtB“ somit in seinem grundlegenden Sinne als „zwischen Unternehmen“ verstanden wird -, so stimmen sie ihr Handeln und Denken ab. Der Austausch kann dabei von „purer“, d. h. diskreter Transaktion bis hin zu dauerhafter Kooperation reichen - unter der Annahme, dass die beteiligten Unternehmen rechtlich unabhängig bleiben und freiwillig interagieren (Sydow und Windeler 2001, S. 134). Basis ist immer eine geschäftliche Zielsetzung, d. h. jeder Austausch zwischen Unternehmen ist ökonomisch motiviert (Diller und Kusterer 1988, S. 211; Håkansson und Snehota 2006, S. 261; Windeler 2001, S. 126; Cullen et al. 2000, S. 225; Möller und Halinen 2000, S. 32). Diskrete Transaktionen entsprechen dabei einem unverbundenen, standardisierten „Geld-gegen-Ware“-Austausch bzw. einem für sich stehenden Transfers von Verfügungsrechten an materiellen und immateriellen Gütern zwischen Beteiligten, die sich freiwillig und rechtlich auf Augenhöhe einigen und dabei ausschließlich das eigene Nutzenkalkül in den Mittelpunkt stellen (Kleinaltenkamp 1997, S. 85; Kotler 1972, S. 48). Geschäfts- oder BtB-Beziehungen werden hingegen im engen Sinne eines langfristig wiederholten, verbundenen und kooperativen Austauschs verstanden, der auch auf wechselseitigen Nutzen angelegt ist und nicht nur besteht, wenn er „durch einen Produktkauf belegt werden“ (Belz 1998, S. 35) kann (Cropper et al. 2008, S. 5f.; Sydow und Windeler 1997, S. 2). Sie gehen mit zwei Aspekten einher: auf der einen Seite mit einem „Näher-rücken“ zwischen Unternehmen (z. B. im Hinblick auf gemeinsame Ziele und Strukturen bei einem Projekt), auf der anderen Seite mit einer anderen Form der Abstimmung von Handeln und Interessen (Picot et al. 2008, S. 236). Statt Geld und materiellen Kosten-Nutzen-Relationen werden Normen und Werte relevant - sowie Kommunikation (Sydow 2005b, S. 41; Windeler 2001, S. 200ff.). Kommunikation und darauf aufbauend Kommunikationsarbeit werden ein verändertes Leistungspotenzial und damit eine andere Bedeutung zugeschrieben als bei diskretem, transaktionalem Austausch zwischen Unternehmen. Was aber kann Kommunikation (-sarbeit) in BtB-Beziehungen leisten? 99..3 3 SSi ittu ua attiivvee LLe eiis st tu unngge enn vvoon n UUn ntteerrnne ehhm me enns skkoom mm mu unniik ka atti io on n iinn GGees scchhääfft tssbbeez zi ieehhu unnggeen n Der Begriff der Leistung wird je nach wissenschaftlicher Perspektive unterschiedlich verstanden und verwendet. Im Folgenden wird eine strukturationstheoretisch begründete Annäherung an die Bedeutung und Leistung von Kommunikation und Kommunikationsarbeit in Geschäftsbeziehungen vorgestellt. Sie fußt auf entsprechenden Ansätzen der funktionalen organisationstheoretischen PR-Forschung, die sich auf die Leistung von Kommunikation bei der Konstitution, Reproduktion und Weiterentwicklung von Wahrnehmungs- und Interpretationsmustern konzentrieren und Kommunikation v. a. über diese Leistung definieren (Röttger 2015, S. 237f.; Jarren und Röttger 2009, S. 43f.; Zerfaß 2010, S. 297). Vor diesem Hintergrund kommt ein Leistungsverständnis zum <?page no="131"?> 130 Helena Stehle Tragen, das sich an funktionale, organisationstheoretische und betriebswirtschaftliche Dimensionen anlehnt und Leistung als einen definierten oder versprochenen Nutzen sowie den „Grad der Erreichung eines vereinbarten oder verordneten Ziels“ von Kommunikation(-sarbeit) hinsichtlich aller beteiligten Akteure in einer Geschäftsbeziehung bzw. - im Falle von Kommunikationsarbeit - eines der beteiligten Unternehmen versteht (Minssen 2014, S. 29; ergänzend Lies 2016, S. 116; Fröhlich et al. 2015, S. 20; Jarren und Röttger 2015, S. 30). Die Strukturationstheorie gehört wie z. B. die Systemtheorie zu den wenigen Basistheorien der Soziologie und wurde von Anthony Giddens in den 1970er Jahren als Gesellschaftstheorie mit dem Ziel entwickelt, soziale Strukturen und deren Entwicklung zu beschreiben und zu erklären (Bryant und Jary 2001, S. 7ff.; Ortmann und Sydow 2001). Im Mittelpunkt der Theorie steht die Frage, wie das Handeln der beteiligten Akteure und die Strukturen, die sie umgeben, zusammenhängen. Es geht um die zeitgleiche Analyse von Strukturen und Handeln bei der Erklärung sozialer Interaktion (Giddens 1984, S. 25). Zentrale Idee ist dabei die Rekursivität von Handeln und Strukturen bei der Reproduktion sozialer Systeme (Röttger 2015, S. 230; Stehle 2015, S. 175f.). Ein soziales System oder Gebilde wird als ein sich reproduzierendes Muster oder eine Gesamtheit an sozialen Interaktionen zwischen Akteuren gesehen, das erfahrbar ist (Giddens 1984, S. 377). Es entsteht oder verändert sich, indem Strukturen, d. h. Regeln und Ressourcen 2 , sowie Akteure kontinuierlich aufeinandertreffen und sich beeinflussen. Auch in der PR- und (Inter-)Organisationsforschung wurde die einflussreiche Theorie entsprechend aufgegriffen und auf den Organisationskontext sowie Organisationen als soziale Gebilde übertragen (weiterführend Röttger 2015; Zerfaß 2010; Jarren und Röttger 2009; Zühlsdorf 2002). Unter strukturationstheoretischer Perspektive können im vorliegenden Kontext Geschäftsbeziehungen als besondere Interaktionszusammenhänge und soziale Gebilde definiert werden, die im raumzeitlichen Verlauf und in wechselseitiger Abhängigkeit von Handeln eigene Merkmale ausbilden - Merkmale, die sich entweder erst im Handeln manifestieren oder strukturelle Eigenschaften darstellen, die in Raum und Zeit lokalisierbar und identifizierbar sind (Stehle 2015, S. 374). Kommunikation kann hingegen als spezifische Form von sozialem Handeln bzw. von Interaktion verstanden werden (Giddens 1984, S. 28f.). Geschäftsbeziehungen und Interaktion sind unmittelbar und wechselseitig miteinander verbunden. Dies gilt entsprechend für Geschäftsbeziehungen und Kommunikation. Wenn Unternehmen interagieren, stehen Fragen der Abstimmung von Handeln und von - möglicherweise unterschiedlichen oder sogar konträren - Interessen, Wahrnehmungen und Interpretationen im Mittelpunkt (Zerfaß 2010, S. 244). Denn die Interaktion geht mit Interdependenz einher, die ihre Ursache in Arbeitsteilung, Ressourcenknapp- 2 Regeln werden als generalisierte Handlungshinweise verstanden, die auf Sanktionen verweisen oder Dingen eine Bedeutung zuweisen, wie z. B. Verhaltensregeln für einen Brandfall (Giddens 1984, S. 21). Sie begründen sogenannte soziale Praktiken als Aktivitäten, die von Akteuren über Raum und Zeit hinweg geteilt werden und stabil sind. Ressourcen bezeichnen das Machtpotenzial, die Regeln beeinflussen oder durchsetzen zu können. Sie können allokativ („Macht über Dinge“), z. B. über Budgetverantwortung, oder über Autorität („Macht über Menschen“) begründet sein, die z. B. mit einer hohen Position in der Unternehmenshierarchie einhergeht (Stehle 2015, S. 177). <?page no="132"?> Was leistet Unternehmenskommunikation in Geschäftsbeziehungen? 131 heit oder erwartetem Nutzen hat. Bei der Abstimmung zweier Unternehmen stehen diesen in Anlehnung an Giddens (1984, S. 29) drei Interaktionsformen zur Verfügung: Sie können Macht ausüben, sanktionieren oder kommunizieren. Machtausübung erfolgt unter Einsatz ökonomischer, technischer, autoritativer oder administrativer Ressourcen. In Kaufverhandlungen kommt z. B. traditionell der Einsatz von Geld zum Tragen. In Zulieferbeziehungen finden beispielsweise technische Unterstützung oder Maßnahmen zur Evaluation statt. Auch Kompetenzen und Wissen sind Ressourcen, die von den Unternehmen eingesetzt werden können, um in einer BtB- Beziehung das Gegenüber zu beeinflussen. Machtausübung zielt dabei darauf, auf das Handeln des Gegenübers Einfluss zu nehmen (Stehle 2015, S. 373). Sanktionierung erfolgt auf Basis von Normen des Umfelds, der beteiligten Unternehmen oder ihrer Beziehung. Traditionell handelt es sich im BtB-Austausch um ausgehandelte Verträge, aber auch um den gültigen Rechtsrahmen, z. B. aus dem Kartellrecht, oder informelle Kodizes der jeweiligen Branche. Auf ihrer Basis verhandeln Unternehmen und stimmen ihr Handeln ab (Stehle 2015, S. 373f.). Kommunikation hingegen setzt an den Interessen der Unternehmen an und hilft, auf Basis von Interpretationsmustern Wahrnehmungen, Einstellungen und Interessen abzustimmen. Als Beispiele hierfür können die Entwicklung eines gemeinsamen Leitbildes oder einer gemeinsamen Zielsetzung im Rahmen einer Forschungskooperation oder die Verwendung spezifischer (Fach-)Sprache angeführt werden. Geteilte Interpretationsmuster sind Voraussetzung, um Ziele und Interessen abzustimmen und zu integrieren (Stehle 2015, S. 373). Bei der Frage, wann welche Interaktionsform in welchem Ausmaß zum Tragen kommt, hilft der konkrete Interaktionszusammenhang weiter, der zwei Unternehmen verbindet und ihren Austausch konkretisiert, d. h. die jeweilige Situation und der Beziehungsstand ihres BtB-Austauschs. Interaktionszusammenhänge und soziale Interaktion hängen rekursiv zusammen. Analytisch lassen sich demzufolge Ausprägungen von BtB-Austausch mit zentralen Interaktionsformen verbinden, die diese jeweils - so die Annahme - dominieren (Stehle 2015, S. 380). Im Falle von diskretem, transaktionalem Austausch geht es für die beteiligten Unternehmen darum, Handeln so zu koordinieren, dass das eigene Ziel erreicht wird. Für einen Verkäufer von Produkten bedeutet das, dass er für sein Produkt einen möglichst hohen Gegenwert erhält, während für den Käufer der gegenteilige Fall - möglichst „viel“ Produkt zu niedrigen Kosten - erstrebenswert ist. Das vorherrschende Leitprinzip ist mehrheitlich die Ausübung ökonomischer und/ oder technischer Macht wie z. B. in den genannten Preisverhandlungen (vgl. Abb. 1). Sie findet auf Basis von Kosten-Nutzen-Abwägungen statt und wird im Koordinationsprinzip des Wettbewerbs auf einem Markt verkörpert - ein Konzept, das wie beschrieben in der PR-Forschung oftmals mit „Marktkommunikation“ verbunden wird. Der Einsatz ökonomischer und/ oder technischer Macht dominiert die Abstimmung. Sanktionierendem Handeln und Kommunikation sowie - damit verbunden - Kommunikationsarbeit kommen dabei eine sekundäre, subsidiäre Rolle zu. Sie unterstützen das ökonomische Koordinationsprinzip des Wettbewerbs und den daraus resultierenden Austausch, indem sie die zentralen Strukturen - ökonomische, technische und zum Teil auch autoritative oder administrative Ressourcen - beiden Seiten bekannt und bewusst machen, ihre Bedeutung vermitteln und sie für die konkrete Situation interpretieren. Während Kommunikation dabei auf wechselseitigen <?page no="133"?> 132 Helena Stehle Konsens über das Koordinationsprinzip und seine Bedeutung abzielt, geht es Kommunikationsarbeit stärker darum, die Position „ihres“ Unternehmens im BtB-Austausch zu stärken, indem sie z. B. auf Referenzen - als autoritative Machtmittel - oder das teurere Konkurrenzprodukt verweist. Bei dauerhaften BtB-Beziehungen - dem entgegengesetzten „Idealtyp“ - hingegen ist das Leitprinzip der Kooperation vorherrschend. Die beteiligten Unternehmen sind sich der Verbundenheit ihrer Aktivitäten bewusst. Sie interagieren, richten ihr Handeln und einen Teil ihrer Interessen und Ziele aufeinander aus und erwarten einen wechselseitigen Nutzen. Die Abstimmung von Interessen und Wahrnehmungen steht im Mittelpunkt. Es geht darum, eine gemeinsame Orientierung und Richtung für die Beziehung abzustimmen. Dies ist z. B. bei Forschungspartnerschaften oder strategischen Allianzen zentral, die auf wiederholten Austausch über einen längerfristigen Zeitraum hinweg ausgerichtet sind sowie zumindest in Teilen kongruente Ziele beinhalten. An dieser Stelle wird eine primäre, konstitutive Rolle von BtB-Kommunikation sichtbar - wenn nicht Regeln der Sanktionierung dominieren wie es z. B. bei Partnerschaften der Fall ist, die bereits in kurzer Zeit funktionsfähig sein müssen und sich daher stark an vertraglichen Absprachen orientieren. Wenn es weniger darum geht, den anderen - und sich - im Handeln zu bewerten, sondern vielmehr darum, gemeinsame Ziele, Bedeutungen oder auch Bewertungsmaßstäbe zu entwickeln, d. h. Interessen und Wahrnehmungen zu integrieren, dann dominiert Kommunikation. Die Leistung von Kommunikation besteht darin, Interessen und Interpretationsmuster sowie „Spielregeln“ in und für die Beziehung zu entwickeln, zu reproduzieren, wechselseitig zu vermitteln und im Verlauf des Austauschs zu verändern und anzupassen. In der Ausprägung der Kommunikationsarbeit sollen diese dabei im Sinne der Unternehmensziele beeinflusst werden, um bestmöglich zu diesen beizutragen. Dazu sollen die gemeinsamen Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster sowie die weiteren „Spielregeln“ des <?page no="134"?> Was leistet Unternehmenskommunikation in Geschäftsbeziehungen? 133 Austauschs im Sinne des Unternehmens und seiner Interessen beeinflusst werden. Diese Leistung spielt v. a. dann eine Rolle, wenn Signifikanzregeln wie z. B. Vertrauen einen BtB-Austausch stärker beeinflussen als das ökonomische Wettbewerbsprinzip. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Austausch komplexe Interaktionen umfasst, die nicht alle in einem Vertrag geregelt werden können. Kommunikation hat nicht zuletzt dann eine besondere Bedeutung, wenn die anderen Regeln und Ressourcen des BtB-Austauschs noch nicht vorhanden sind, sie hinterfragt werden oder sich verändern wie z. B. im Verlauf und der Fortentwicklung einer Beziehung zwischen Unternehmen. Zur weiterführenden Betrachtung der Bedeutung und Leistung von BtB-Kommunikation in Geschäftsbeziehungen lassen sich neben dem Beziehungstyp ergänzend situative Aspekte heranziehen. Abhängig von der Beziehungsphase sowie Phasen des Wandels verändert sich auch die Bedeutung und Leistung von BtB-Kommunikation(-sarbeit). Sie wird wichtiger, wenn sich bislang dominierende Strukturen und Interaktionsformen eines BtB-Austauschs verändern oder diese verändert werden, z. B. indem ein Akteur sie in Frage stellt. BtB-Kommunikation hilft an dieser Stelle abzustimmen, wie die Strukturen, Modalitäten und Interaktionsformen wahrgenommen werden und welche Bedeutung ihnen im Zusammenspiel mit anderen zugeschrieben wird. Dabei kann sie - dann in ihrer Ausprägung als Kommunikationsarbeit - auch versuchen, Einfluss im Sinne des kommunizierenden Unternehmens auszuüben, z. B. wenn „Spielregeln“ des Austauschs neu verhandelt werden (Stehle 2015, S. 398f.). Zusammenfassend gehen im strukturationstheoretischen Sinne alle drei Interaktionsformen zusammen, wenn sich Unternehmen austauschen. Dies wird z. B. deutlich, wenn auch kooperative Geschäftsbeziehungen von Gesetzen und Branchenkodizes geprägt sind und die beteiligten Unternehmen im Austausch auf ihre unterschiedlichen Ressourcen verweisen. Die drei Interaktionsformen können den Austausch aber unterschiedlich stark prägen. Die Bedeutung und Leistung von BtB-Kommunikation(-sarbeit) verändert sich dabei: Wenn ökonomische, technische, administrative oder autoritative Ressourcen oder formelle Regeln der Sanktionierung den Austausch dominieren und die Bezugspunkte für die Abstimmung zwischen zwei Unternehmen sind, dann spielt Kommunikation eine sekundäre, subsidiäre Rolle. Ihre Leistung besteht darin, die prägenden Ressourcen oder Regeln sowie ihre Bedeutung im Austausch zu vermitteln und für die jeweilige Austauschsituation zu interpretieren. Im strukturationstheoretischen Sinne hat Kommunikation jedoch auch bei deren Entstehung und Entwicklung Einfluss und übernimmt dann eine (mit-)konstituierende Rolle. Vor allem die BtB-Kommunikationsarbeit zielt auf diese Beeinflussung der „Spielregeln“ des Austauschs. Bei Strukturen, die den ökonomischen Kontext oder das Umfeld generell umfassen wie z. B. Gesetze oder Branchenkodizes, ist die Einflussmöglichkeit im konkreten BtB-Austausch geringer. Wenn es sich jedoch z. B. um informelle Normen handelt, die die beteiligten Unternehmen betreffen, dann spielt Kommunikation eine zentrale Rolle. Sie konstitutiert, reproduziert, vermittelt und verändert diese im Zusammenspiel mit den anderen Interaktionsformen, die hierbei jedoch weniger Einfluss entwickeln. Je kooperativer und „näher“ eine BtB-Beziehung, desto bedeutender ist Kommunikation. Mit dem Typ der kooperativen Geschäftsbeziehung geht schlussendlich eine konstitutive Rolle von Kommunikation als spezifische Interaktionsform einher. Damit wird jedoch auch ersichtlich, dass Kommunikation nicht per se eine zentrale Rolle in allen Interaktionszusammenhängen zwischen Unternehmen zukommt. Sie kann vielmehr unterschiedliche Leistungen je nach Beziehungstyp und -situation erbringen: vom <?page no="135"?> 134 Helena Stehle unterstützenden Hilfsmittel bei diskreten Transaktionen bis zum zentralen Mittel der Abstimmung bei kooperativen Beziehungen. Indem Beziehungstypus, Kontext sowie Prinzipien und Formen der BtB-Abstimmung gemeinsam betrachtet werden, werden Denkanstöße sowohl für die funktionale PR-Forschung als auch für die Kommunikationspraxis sichtbar. 99..4 4 KKo onnsse eqquueennzzeenn ffüürr ddiie e KKoom mmmuunniikka at ti io onnssaarrbbeeiit t iinn FFoorrsscchhuunngg uunndd PPrraaxxiiss Was leistet BtB-Kommunikation für Geschäftsbeziehungen? Die Bedeutung und Leistung von Kommunikation lässt sich nur schwer übergreifend fassen. Sie ist situativ, d. h. in wechselseitiger Abhängigkeit von Austauschform und Situation, zu sehen. Eine Einschätzung ihrer Rolle - und damit aus Sicht der Kommunikationspraxis: der eigenen Rolle - wird damit komplexer, im Idealfall jedoch auch realistischer. Sie reicht von sekundären, unterstützenden Leistungen bei diskretem, transaktionalen Austausch bis hin zu konstituierenden Leistungen bei der Abstimmung von Erwartungen, Wahrnehmungen und Interessen im Falle von dauerhaften Kooperationen und/ oder Veränderungssituationen im BtB-Austausch. Was aber resultiert aus diesen Überlegungen für die PR- Forschung und -Praxis? Erstens lässt sich BtB-Kommunikation aufgrund ihrer situativen, beziehungsorientierten Rolle im BtB-Austausch als weiteres Handlungsfeld der PR, insbesondere Unternehmenskommunikation betrachten. Traditionelle Konzepte zur Bestimmung von Handlungsfeldern greifen im Falle von Geschäftsbeziehungen allerdings zu kurz. Die Reduktion des Marktumfeldes auf transaktionalen Austausch und entsprechend von Marktkommunikation auf eine (oftmals noch weiter eingeschränkte vertriebs-)unterstützende Rolle hält mit einer zentralen Entwicklung in der Unternehmenspraxis - der Verlagerung des Augenmerks von transaktionalem Austausch auf kooperative Geschäftsbeziehungen - nicht Schritt. Eine situative Modellierung von Unternehmenskommunikation, die die Kopplung von Koordinationsprinzipien und entsprechenden Kommunikationsrollen an Unternehmensumfelder löst und stattdessen situativ und dynamisch an konkreten Interaktionszusammenhängen festmacht, rückt in den Fokus. Dies gilt möglicherweise auch über den ökonomischen Kontext hinaus. Denn wenn an das „Herzstück“ von PR - die Organisation-Umfeld-Beziehung und -Kommunikation - gerührt wird und bisherige Organisation-Umfeld-Konzepte fortentwickelt werden, so lassen sich Anknüpfungspunkte für andere, traditionelle Handlungsfelder der PR und Unternehmenskommunikation wie z. B. die Medienarbeit oder den Austausch mit gesellschaftspolitischen Akteuren ableiten. Auch in diesen Handlungsfeldern bietet sich eine situative Betrachtung der Bedeutung und Leistung von Kommunikationsarbeit an, wenn sich Beispiele für Beziehungstypen mit dominantem ökonomischen Koordinationsprinzip auch im gesellschaftspolitischen Umfeld von Unternehmen finden lassen, z. B. Unternehmen und Umweltschutzorganisationen gegen Zahlungen im Hinblick auf Umweltsiegel kooperieren. Auch im internen Umfeld von Unternehmen lässt sich die Entkoppelung von Koordinationsmechanismen und Unternehmenskontexten zeigen, wenn z. B. illegale Zahlungen angenommen werden, obwohl entsprechende Compliance-Vorschriften hierarchisch vorgegeben wurden. Die unterschiedlichen Vorstellungen von der Beziehung einer Organisation zu ihrem Umfeld und die <?page no="136"?> Was leistet Unternehmenskommunikation in Geschäftsbeziehungen? 135 Rolle, die Kommunikation dabei spielt und spielen kann, lohnen daher auch jenseits des ökonomischen Kontextes einen weiterführenden Blick. Sie berühren den Kern von PR und Unternehmenskommunikation. Der zweite Impuls betrifft die prägnante Management- und Kommunikatororientierung der funktionalen PR-Forschung. Betrachtet man Kooperationsbeziehungen, so können sie dem Idealtypus einer Beziehung auf Augenhöhe nahe kommen. Wenn das der Fall ist, fordert dies den traditionellen Managementgedanken heraus. Eigene Interessen lassen sich nicht mehr ohne Weiteres durchsetzen, wenn man die jeweilige Beziehung nicht gefährden will. Geht man dennoch weiterhin davon aus, dass Unternehmen ihre Ziele verfolgen und dazu systematisch handeln, d. h. behält man die Managementorientierung bei, so muss an dieser Stelle die Kommunikatororientierung der PR-Forschung neu interpretiert werden. In einer vernetzten Umwelt könnten ein anderes Steuerungsverständnis sowie ein anderes, wechselseitiges Verständnis von Kommunikation und Interaktion notwendig werden, während bei diskreten Transaktionen bisherige Managementvorstellungen weiterhin durchsetzbar sein könnten. Auch an dieser Stelle bietet eine situative Herangehensweise möglicherweise weitere Einblicke. Drittens lässt sich vor dem Hintergrund der Argumentation nicht zuletzt die Organisation von Kommunikationsarbeit in Unternehmen in den Blick nehmen. BtB-Kommunikation bewegt sich als Gegenstand an der Schnittstelle der Kommunikationsarbeit zu zahlreichen weiteren Unternehmensfunktionen. Die Unternehmensfunktion Kommunikationsarbeit muss dabei nicht zwangsläufig mit der Unternehmenseinheit Kommunikation einhergehen. Darauf verweisen die bereits angesprochenen Erkenntnisse, dass der entsprechenden Unternehmenseinheit bei Geschäftsbeziehungen und „Marktkommunikation“ größtenteils nur eine indirekte Rolle - als Rahmengeber oder zur operativen Unterstützung - zugestanden wird. Durch das Phänomen der Vernetzung könnte die Diskussion einer integrativen, ganzheitlichen Konzeption von Unternehmenskommunikation und insbesondere ihrer konkreten Umsetzung in Unternehmen wieder an Fahrt aufnehmen. Denn möglicherweise ist angesichts eines vernetzten Umfeldes bald nicht mehr von PR, Marktkommunikation oder interner Kommunikation die Rede. Möglicherweise verändert sich Unternehmenskommunikation hin zu einem situativen Umgang mit komplexen Organisation-Umfeld-Beziehungen, zu denen unterschiedliche Einheiten und Funktionen im Unternehmen beitragen - je nachdem welches Koordinationsprinzip vorherrscht. Für die Unternehmenskommunikation bedeutet das auf der einen Seite ein deutliches Plus an Komplexität. Auf der anderen Seite könnte sie ihr Verständnis einer Organisationsfunktion, die ganzheitlich denkt, interne wie externe Grenzen überspannt und damit strategische Relevanz besitzt, unter Beweis stellen. Es bleibt die Frage, wer in Unternehmen konkret dafür zuständig ist - und sein sollte. <?page no="137"?> 136 Helena Stehle LLiitteerraattuurr Belz, C. (1998). Erkenntnisse zum systematischen Beziehungsmanagement. In C. Belz, E. Brademann & H. J. Fuch (Hg.), Management von Geschäftsbeziehungen: Konzepte - Integrierte Ansätze - Anwendungen in der Praxis (S. 18-76). Nachdruck. Wien: Ueberreuter. Bentele, G. (1997). 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Ausgehend von einer Begriffsabgrenzung beleuchtet er den Strukturwandel, der bei der Kommunikation in Organisationen in den letzten Jahren zu beobachten war. Anschließend werden Ziele und Funktionen in den Blick genommen, um Hinweise auf Leistungen der Mitarbeiterkommunikation abzuleiten. Den Abschluss bildet ein Abgleich mit empirischen Ergebnissen aus großen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland. 1100..1 1 EEi innl le eiit tu unngg „Das Aktionsfeld Mitarbeiterkommunikation hat inzwischen Karriere gemacht und deutlich an Wertschätzung gewonnen. Gut informierte Mitarbeiter gelten heute als Erfolgsfaktor“ (Mast 2016, S. 263). Die interne Kommunikation gehört zu jenen Praxisfeldern innerhalb der Unternehmenskommunikation, die in der letzten Dekade das wohl größte Wachstum zu verzeichnen hatten - sowohl quantitativ als auch qualitativ. Studien wie der European Communication Monitor (Zerfaß et al. 2011, S. 86) oder die Langzeitstudie Interne Kommunikation (Spachmann und Huck-Sandhu 2008ff.) unter Kommunikationsfachleuten und -verantwortlichen machen dies deutlich. Ein Grund für den Bedeutungszuwachs in der Praxis kann darin gesehen werden, dass die Kommunikation mit Mitarbeitern lange Jahre im Schatten ihrer großen Schwester, der externen Kommunikation, stand und weiterhin steht. Allerdings sind die Anforderungen an die Mitarbeiterkommunikation (teilweise stark) gestiegen. Wandel ist in vielen der Unternehmen zum Alltag geworden. Neue technische Möglichkeiten haben die Zahl der Kanäle und Medien vervielfacht. Die Erwartung der Mitarbeiter an schnelle, transparente und dialogische Kommunikation sind gestiegen. Kurz gesagt: „Das Feld, in dem sich die interne Unternehmenskommunikation bewegt, wird immer unkalkulierbarer“ (Mast 2016, S. 264). Und damit verändern sich auch Rahmenbedingungen und Erwartungen an die Leistungen interner Kommunikation. 1100..2 2 IInntte errnnee KKo om mm mu unniik ka atti io onn aallss KKoommmmuunniikkaattiioonnssmma annaaggeemmeen ntt Der Begriff der internen Kommunikation bezeichnet jene Kommunikation, die innerhalb einer Organisation stattfindet. Es existieren aber durchaus unterschiedliche Verständnisse und Definitionen, und je nachdem welche Perspektive gewählt wird, variieren auch die Antworten auf die Frage nach Leistungen interner Kommunikation. In der Literatur lassen sich zwei Hauptverständnisse unterscheiden: Im ersten Verständnis umfasst die interne (Unternehmens-)Kommunikation „sämtliche kommunikativen Prozesse, die sich in einem Unternehmen zwischen dessen Mitgliedern <?page no="145"?> 144 Simone Huck-Sandhu abspielen“ (Mast 2016, S. 263). Diese Definition knüpft an das breite Begriffsverständnis an, das in der Organisationskommunikationsforschung geprägt wird. Interne Kommunikation umfasst hier die gesamte formale und informelle Kommunikation, die intern über alle Ebenen der Organisation hinweg stattfindet (Mast 2014, S. 1123). Im Blickpunkt stehen demnach „jene kommunikativen Prozesse, derer es bedarf, damit Organisationen funktionieren, operieren und letztlich existieren können“ (Szyszka und Malczok 2016, S. 24). Nimmt man diese Perspektive auf, so kann eine Systematisierung des Feldes nicht nur nach dem Formalitätsgrad der Kommunikation (formal/ informell) erfolgen, wie in Masts Definition oben explizit angesprochen, sondern z. B. auch nach Zentralität (zentral/ dezentral), Reichweite (lokal/ regional/ national) oder Gegenstand (arbeitsbezogen/ organisationsbezogen). Je nach Zuschnitt von Kommunikation ergeben sich auf diese Weise unterschiedliche Kommunikationsräume (Mast 1986, S. 57). Definitionen, die im Forschungsfeld Public Relations bzw. Unternehmenskommunikation geprägt werden, legen ein enger gefasstes Begriffsverständnis an. Sie betonen Aspekte der Zielorientierung, Planung und Gestaltung von interner Kommunikation und verstehen interne (Unternehmens-)Kommunikation als „Teil des Kommunikationsmanagements, das speziell Mitarbeiter als wichtige Stakeholder anspricht. Sie ist in die übergeordneten Kommunikationsstrategien eingebunden. Sie wird zentral geplant, implementiert und gesteuert“ (Spachmann und Huck-Sandhu 2013, S. 5). Interne Kommunikation wird im Rahmen eines funktionalen Verständnisses als Managementfunktion verstanden (Klöfer und Nies 2003; Schick 2014), ist an Zielen ausgerichtet und muss sich somit auch an ihrem Erfolgsbeitrag messen lassen (Einwiller et al. 2008, S. 225). Ihre Aufgabe es ist, „die richtigen Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfügbar zu machen, damit Mitarbeiter ihre Aufgaben effizient erfüllen können“ (Huck und Spachmann 2008, S. 212, im Rückbezug auf Mast 2006, S. 255ff.). In diesem zweiten Verständnis kann interne Kommunikation - ergänzend zu den oben genannten Kriterien, aber aus anderer Perspektive - z. B. nach gewähltem Medium (persönlich/ schriftlich/ digital), Bezugsgruppe (etwa nach Funktion, Alter oder Interesse) oder Fristigkeit der Kommunikation (kurz-/ mittel-/ langfristig) segmentiert werden. Im Hintergrund stehen hier die gezielte Wahl geeigneter Medien, die bewusste Segmentierung von Zielgruppen und das Timing einer Kommunikationsmaßnahme durch das Kommunikationsmanagement. Wird interne Kommunikation als Organisations- und Managementfunktion innerhalb der Unternehmenskommunikation betrachtet, die einen Beitrag zur Erreichung der Organisationsziele zu leisten hat, so kommt die zweitgenannte Perspektive zur Anwendung. Auf einem solchen funktionalen Verständnis fußen alle Beiträge, die in diesem dritten Teil des vorliegenden Bandes versammelt sind. Der vierte Teil weitet dann den Blick auf die Organisationskommunikation. Er thematisiert Kommunikation in Organisationen in der Vielfalt ihrer Ausprägungen - mit Querverbindungen zum erstgenannten Begriffsverständnis. Wenn im weiteren Verlauf dieses Kapitels über Leistungen geschrieben wird, werden diese aus der zweiten Perspektive, dem Verständnis von interner Kommunikation als Kommunikationsmanagement heraus entwickelt. <?page no="146"?> Was leistet interne Kommunikation? 145 1100..33 DDiimme ennssiioonneen n ddees s SSt tr ruukkt tu urrwwa annddeel lss -- rreev vi issiitte ed d Was leistet interne Kommunikation? Um eine Antwort auf diese Frage geben zu können, hilft zunächst ein Blick auf den Strukturwandel der vergangenen Jahre. Grenzaufhebungen, wie sie Mast Ende der 1980er Jahre für das Kommunikationssystem insgesamt identifizierte, lassen sich auch für die Kommunikation in Organisationen beobachten. Sie bilden den Ausgangpunkt für Leistungen interner Kommunikation, aber zugleich auch den Rahmen, in dem sich diese entfalten. Im Jahr 1986 beschrieb Mast die Folgen des Strukturwandels in den Kommunikationssystemen in drei Dimensionen (vgl. Kap. 1 dieses Bands): in Form der Grenzaufhebung zwischen Prozessen der Individual- und Massenkommunikation, Grenzaufhebungen zwischen den Bereichen medialer Aussagenentstehung und kommunikationstechnischer Vermittlung sowie Grenzaufhebung zwischen Print- und Telekommunikation. In Kapitel 1 in diesem Band wurde deutlich, dass sich jene Entwicklungen seither verstetigt und teilweise gar verstärkt haben. Und was sich auf das Kommunikationssystem als Ganzes auswirkt, schlägt sich an vielen Stellen auch in der internen Kommunikation nieder. Dass die drei Grenzaufhebungen durchaus eng miteinander verzahnt sind und auf interne Kommunikation einwirken, lässt sich am Beispiel des Intranets verdeutlichen (vgl. hierzu auch den Beitrag von Hoffmann in diesem Band). Mit der Einführung des Intranets, v. a. aber neuer Social Media-Anwendungen verschwimmen die Grenzen zwischen Individual- und Massenkommunikation (z. B. in individualisierbaren Newsportalen), Aussagenentstehung und -vermittlung (z. B. in internen Wikis) sowie zwischen Print- und Telekommunikationslogiken (z. B. Mitarbeiter-Apps, interne Videokanäle) ähnlich stark wie in der externen Kommunikation. Der Strukturwandel lässt sich spezifisch für die interne Kommunikation weiter ausdifferenzieren. In der internen Kommunikation weichen vormals mehr oder wenig klar definierte Grenzen allmählich auf. Klassische Grenzen, die Mitarbeitern und dem Management als Ankerpunkte im Organisations- und Kommunikationsgefüge galten, sind in Bewegung geraten. Dies betrifft allen voran zwei Aspekte: organisationale Grenzen: Die Grenzen zwischen „innen“ und „außen“ verschwimmen zunehmend, berichten die im Rahmen der Langzeitstudie Interne Kommunikation befragten Verantwortlichen für Interne Kommunikation in schöner Regelmäßigkeit (zuletzt: Spachmann und Huck-Sandhu 2015). Einerseits werden Informationen, die in externen Medien oder Sozialen Netzwerken kursieren, schneller ins Unternehmen hineingetragen. Andererseits tragen Mitarbeiter Informationen über die neuen Medien schneller und mit größerer Sichtbarkeit nach außen - teils gewollt, teils unreflektiert. hierarchische Grenzen: Auch die Grenzen zwischen „oben“ und „unten“ sind durchlässiger geworden. Mit dem Abbau von Hierarchien, der Einführung der Matrixorganisation oder gar der Entwicklung hin zum neuen Idealbild des agilen Unternehmens haben sich die Rolle, Ziele und Aufgaben des Kommunikationsmanagements verändert. Um im Bild hierarchischer Kommunikationswege zu bleiben: Horizontale und diagonale Kommunikation haben an Bedeutung gewonnen, ausgehend von Feedback-Möglichkeiten zu Berichten in der Mitarbeiterzeitschrift über Themeneingaben von Mitarbeitern für Call-In-Formate im Mitarbeiterfernsehen und Kamingesprächen mit der Unternehmensleitung bis hin zu Dialogformaten im Social Intranet. <?page no="147"?> 146 Simone Huck-Sandhu Die klassischen Denklinien, die sich in der Literatur zur internen Kommunikation bis heute finden, verlieren angesichts dieser Grenzaufhebungen an Kontur. Im Rückbezug zur Theoriebildung zeigen sich bei dem skizzierten Strukturwandel Querverbindungen und Parallelen zu den großen Strömungen in der Unternehmensführung (Buchholz und Knorre 2012, S. 14; Buchholz 2015, S. 838ff.; Huck-Sandhu 2016). In den 1970er und 1980er Jahren, getrieben vom betriebswirtschaftlichen Ziel der Leistungsbereitschaft, standen die Information zu Unternehmenszielen und -hintergründen sowie der Aufbau eines Wir-Gefühls im Mittelpunkt. In den 1990er Jahren war es Kernaufgabe der internen Kommunikation, Verständnis für und Mitgestaltung von permanenter Prozessoptimierung zu schaffen und das Engagement der Mitarbeiter zu stärken. In den 2000er Jahren ging es verstärkt um Mobilisierung, Flexibilität und Leistungsbereitschaft sowie die Stärkung des Gemeinschaftssinns im Change. An die Stelle der hierarchischen, arbeitsteiligen Organisation ist das Idealbild einer agilen Organisation getreten, in der Mitarbeiter Teilhaber oder gar vollwertige Akteure in der internen Kommunikation sind. Neuere Ansätze der internen Kommunikation tragen dem Rechnung, indem sie von einer Orientierungsleistung für Mitarbeiter sprechen (Buchholz und Knorre 2012; Huck- Sandhu 2013). 1100..4 4 LLeeiis st tu unngge en n iin ntte er rnne err KKo om mm muunniikka atti io onn Was interne Kommunikation leisten soll bzw. leisten kann, hängt auch davon ab, was unter Leistung(en) zu verstehen ist. Der Leistungsbegriff der Public Relations, wie ihn Stehle in Kapitel 4 dieses Bandes herausgearbeitet hat, lässt sich unter der gemeinsamen funktionalen Perspektive unmittelbar auch ins Feld der internen Kommunikation übernehmen: Leistungen interner Kommunikation können als geplantes Handeln im Rahmen des internen Kommunikationsmanagements verstanden werden, das zu einem bestimmten Ziel führt bzw. in ein intendiertes Ergebnis mündet (vgl. den Beitrag von Stehle in diesem Band). Was also leistet interne Kommunikation - mit welchem Ziel? In welchem Kontext? Und mit welchem Ergebnis? LLeeiissttuunnggeenn aallss zzi ieelloorriieennttiieerrtteess, , ggeeppllaanntteess HHaannddeel lnn Interne Kommunikation als Kommunikationsmanagement ist gekennzeichnet durch zielorientiertes, geplantes Handeln. In der Literatur existieren ausführliche Zielkataloge für die Kommunikation mit Mitarbeitern und dem Management. Meist wird zwischen unternehmens- und mitarbeiterorientierten Zielen unterschieden (bspw. Noll 1995, S. 47). Zu den unternehmensorientierten Zielen gehören etwa die Information als Voraussetzung für die Aufgabenerfüllung, die Förderung des Verständnisses für Zusammenhänge, die Verbesserung der Mitarbeiterführung, die Erhöhung der Flexibilität für Veränderungen, die Verpflichtung auf gemeinsame Ziele sowie die Identifikation mit dem Unternehmen, um die Arbeitsleistung zu steigern. Mitarbeiterorientierte Ziele sind z. B. die Schaffung einer positiven Atmosphäre, Anerkennung, Steigerung der Zufriedenheit, Förderung von Selbständigkeit und Selbstentfaltung, die Vermittlung von Sicherheit im und Klarheit über das Unternehmen sowie die Förderung der Meinungsbildung. Während unternehmensorientierte Ziele eine instrumentelle Funktion haben, weisen mitarbeiterorientierte Ziele eine soziale Funktion auf. <?page no="148"?> Was leistet interne Kommunikation? 147 In der Literatur finden sich auch Hinweise auf Funktionen interner Kommunikation. So unterscheidet beispielsweise Meier (2002) zwischen einer Informations- und einer Dialogfunktion. Die Informationsfunktion dient der Anordnung und Anweisung sowie Vermittlung und Koordination. Die Dialogfunktion beinhaltet Orientierung und Erklärung sowie Herstellung sozialer Interaktion. Huck und Spachmann (2008) modellieren eine Orientierungsfunktion, die als Kernfunktion bei der Kommunikation mit Mitarbeitern zu verstehen ist. Sie beinhaltet sowohl die punktuelle und aktuelle Information der Mitarbeiter über Ereignisse als auch die Orientierung in Form von sachlicher Kontextualisierung (hintergründig und analysierend) und sozialer Kontextualisierung (wert- und beziehungsbezogen; ebd., S. 215). Die Orientierungsfunktion ist somit eine ganzheitlich angelegte Funktion und beinhaltet kognitive und affektive Orientierungsleistungen. Daran lässt sich die Frage anschließen, welche Ergebnisse Leistungen interner Kommunikation erzeugen. Ihre Ergebnisse werden im Allgemeinen in Form von drei Wirkungen beschrieben (Meier 2002, S. 25ff.): Interne Kommunikation kann erstens eine Innenwirkung haben, wenn Mitarbeiter z. B. Hintergründe und Zusammenhänge verstehen, sich in Entscheidungsprozesse einbezogen fühlen, motiviert sind und somit Leistung bringen. Zweitens hat interne Kommunikation eine Außenwirkung, wenn Mitarbeiter als Botschafter ihres Unternehmens agieren. Sind sie gut informiert, motiviert und zufrieden, tragen sie z. B. zur Zufriedenheit und Bindung von Kunden bei oder stärken Glaubwürdigkeit, Vertrauen und das Image des Unternehmens. Drittens tritt durch „gute“ interne Kommunikation eine Kostenwirkung ein, indem sie Kommunikationsaufwendungen, Prozess- und Produktionskosten senkt. Ob und wie Kommunikationsleistungen entlang der definierten Ziele zu diesen drei Wirkungen führen, hängt u. a. auch vom Kontext ab, in dem sie erbracht werden. Was leistet interne Kommunikation in welchem Kontext? Zunächst kommt es darauf an, in welchem Aufgabenfeld Kommunikation erfolgt. In Ableitung aus den oben genannten Zielen und Funktionen heraus können erstens Routine- und aufgabenbezogene Kommunikation, zweitens anlassbezogene Kommunikation und drittens Kommunikation über Grundsätze und Werte des Unternehmens unterschieden werden (Huck und Spachmann 2008, S. 216). In diesem Zusammenhang stellen die Unternehmens- und die Kommunikationskultur relevante Kontexte dar, in denen sich interne Kommunikation entfaltet. Zudem lässt sich ein situativer Zuschnitt anlegen, so dass die Kontexte Alltagskommunikation und Change Communication voneinander abgrenzbar werden. Interne Veränderungskommunikation in Zeiten des Wandels stellt ein spezifisches Feld mit eigenen Zielen dar, in dem Leistungen von Kommunikation anders gelagert sind als im Kontext der Routinekommunikation (vgl. den Beitrag von Laukemann in diesem Band). ZZiieellee" FFuunnkkttiioonneenn uunndd EErrggeebbnniisss see iinn ddeerr KKoommmmuunniikkaattiioonns sp prraaxxiiss Bis in die Mitte der 2000er Jahre hinein existierten nur vereinzelt Studien, die Ziele, Funktionen und Ergebnisse der internen Kommunikation empirisch erhoben. Zu den wenigen Ausnahmen gehören u. a. die Erhebungen von Winterstein (1996) und Hoffmann (2001). Mit dem Bedeutungszuwachs der internen Kommunikation in der Praxis ist in den vergangenen Jahren auch das Interesse der Wissenschaft am Themenfeld gestiegen und die Zahl der wissenschaftlichen Studien, die sich mit Teilaspekten der internen Kommunikation beschäftigen, hat zugenommen - zwar langsam, aber stetig. Neben praxisorientierten Erhebungen, z. B. von Verbänden oder Agenturen existieren zwi- <?page no="149"?> 148 Simone Huck-Sandhu schenzeitlich einige wissenschaftlich fundierte Umfragen, die die Entwicklung des Feldes im Zeitverlauf begleiten - allen voran Claudia Masts TOPKOM-Umfrage, die seit vielen Jahren eine feste Größe im Feld ist, und die an ihrem Fachgebiet initiierte Langzeitstudie Interne Kommunikation. Zudem liefern auch breiter ausgerichtete Studien wie der European Communication Monitor immer wieder themenspezifische Erkenntnisse zu Status Quo und Entwicklung der internen Kommunikation. Welche empirischen Hinweise auf Leistungen interner Kommunikation lassen sich daraus gewinnen? Die Rolle der internen Kommunikation in Unternehmen hat sich verändert: Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/ 2009 löste eine Entwicklung aus, die interne Kommunikation im Ergebnis heute vielerorts stärker zum Berater der Unternehmensleitung werden ließ. Sie scheint sich vom Sprachrohr der Unternehmensleitung stärker hin zu einer eigenständigen Funktion zu entwickeln. Jeweils rund 70 Prozent der in der Studie Interne Kommunikation 2012 befragten Leiter interne Kommunikation sehen sich als Berater der Unternehmensleitung, als Initiator und Impulsgeber und/ oder als Sprecher der Unternehmensleitung (Huck-Sandhu und Spachmann 2013, S. 12). Knapp 60 Prozent beschreiben sich als Vermittler zwischen unterschiedlichen Interessen und Ansichten im Unternehmen. 24 Prozent geben an, als Fürsprecher der Mitarbeiter zu agieren (ebd.). Die Ziele interner Kommunikation sind in Bewegung: Die befragten Verantwortlichen für interne Kommunikation gaben im Jahr 2009 an, dass die Mitarbeiter durch die Krise kritischer und fordernder geworden sind (Huck-Sandhu und Spachmann 2010, S. 13). Das veränderte Bild vom Mitarbeiter, das sich hier schon andeutete, findet seine Entsprechung auch in veränderten Funktionen. Diese kommen u. a. in einer Verschiebung in- <?page no="150"?> Was leistet interne Kommunikation? 149 nerhalb des Zielkanons zum Ausdruck. In den letzten Jahren war zu beobachten, wie sich die Wichtigkeit einzelner Ziele in der Kommunikationsarbeit der befragten Unternehmen allmählich verlagerte (vgl. Abb. 1). Die drei klassischen Ziele Information, Identifikation und Motivation spielen noch immer eine zentrale Rolle. Allerdings verlieren diese eher instrumentell ausgerichteten, unternehmensorientierten Ziele tendenziell eher an Bedeutung, während mitarbeiterorientierte Ziele wie Orientierung, Verständnis für Unternehmensziele und Geschäftsentscheidungen sowie Vertrauen in die Unternehmensleitung seit 2008 anteilig zugelegt haben (Spachmann und Huck-Sandhu 2013; 2015). Somit ist die interne Unternehmenskommunikation in den befragten großen und mittelständischen Unternehmen v. a. von einer Informationsfunktion geprägt. Ziele, die seit 2008 an Relevanz gewonnen haben, lassen sich unmittelbar unter die Orientierungsleistung nach Huck und Spachmann (2008) subsummieren. Das Ziel der Mitarbeiterinformation findet sein direktes Pendant in der von ihnen modellierten punktuellen und aktuellen Information von Mitarbeitern über Ereignisse. Das Ziel der Erklärung von Geschäftszielen und -entscheidungen lässt sich der sachlichen Kontextualisierung zuordnen, die Hintergründe und Zusammenhänge verdeutlicht. Und die Ziele, Mitarbeiter ins Unternehmen zu integrieren sowie Vertrauen zur Unternehmensleitung aufzubauen, können als soziale (wert- und beziehungsbezogene) Kontextualisierung verstanden werden. Das Aufgabenspektrum der internen Kommunikation ist breit und vielfältig. Ein den Zielen ähnliches Bild ergibt sich für die Frage danach, wie wichtig unterschiedliche Aufgaben der Kommunikation in Unternehmen sind. Knapp 90 Prozent der Befragten geben im Jahr 2014 an, dass der Transport von Botschaften der Unternehmensleitung an die Mitarbeiter sehr wichtig ist (Spachmann und Huck-Sandhu 2015, S. 24). Mit deutlichem Abstand dazu nennen jeweils rund 30 Prozent die Initiierung eines Dialoges zwischen Mitarbeitern und dem Management, aber auch die Unterstützung der internen Interessendurchsetzung der Unternehmensleitung sowie das Angebot einer Plattform für Wissensaustausch und Kollaboration als sehr wichtige Aufgabe in der internen Kommunikation. Die zu Tage tretende Schwerpunktsetzung auf die Informationsaufgabe - top-down, zur Förderung der Meinungsbildung sowie im Angebot einer Dialog-, Wissens- und Kollaborationsplattform - kann als Pendant zum Kernziel interner Kommunikation, nämlich der Mitarbeiterinformation gesehen werden. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse, dass auch die Ziele Verständnis, Orientierung und Etablierung eines Vertrauensverhältnisses als wichtige Aufgaben der Kommunikationsarbeit gesehen werden. Sie scheinen u. a. in der Dialog- und Kontaktfunktion, aber auch der Orientierungsfunktion auf. So lassen sich die oben aus der Theorie heraus skizzierten Leistungen interner Kommunikation anhand der Empirie unterfüttern. 1100..55 ZZuussaammmmeennffaassssuunngg Die Frage nach dem Einfluss des Strukturwandels und seiner Dimensionen, wie sie Mast (1986) für das Kommunikationssystem als Ganzes aufwarf, betrifft auch die interne Kommunikation ganz wesentlich. Im Kontext der neuen Möglichkeiten durch Social Intranet und des generellen Trends zu Dialog und Partizipation verändern sich ihre Leistungen bzw. entwickeln sich weiter. Neue Leistungen bilden sich heraus und führen dazu, dass andere Leistungen in den Hintergrund treten oder eine neue Auslegung erfahren. Betrachtet man die empirischen Ergebnisse zur Entwicklung der Ziele im Zeitverlauf, so zeigt sich, dass z. B. das instrumentelle, unternehmensorientierte Ziel der <?page no="151"?> 150 Simone Huck-Sandhu Motivation an Bedeutung verloren und das ganzheitliche, mitarbeiterorientierte Ziel der Orientierung an Bedeutung gewonnen hat. Die generelle Informationsfunktion tritt nach wie vor klar zu Tage. Ob und in welcher Form sich in der Kommunikationspraxis eine Orientierungsfunktion im engeren Sinne herausbilden wird, bleibt zwar abzuwarten. Es zeigt sich jedoch, wie sehr sich mit dem Strukturwandel und den Grenzaufhebungen im Mediensystem auch die Leistungen der internen Kommunikation - verstanden als Kommunikationsmanagement - verändern können. <?page no="152"?> Was leistet interne Kommunikation? 151 LLiitteerraattuurr Buchholz, U. (2015). Interne Unternehmenskommunikation. In R. Fröhlich, P. Szyszka & G. Bentele (Hg.), Handbuch der Public Relations. Wissenschaftliche Grundlagen und berufliches Handeln (S. 831-850). 3. Aufl. Wiesbaden: Springer VS. Buchholz, U., & Knorre, S. (2012). Interne Unternehmenskommunikation in resilienten Organisationen. Berlin; Heidelberg: Springer Gabler. Einwiller, S., Klöfer, F. & Nies, U. (2008). Mitarbeiterkommunikation. In M. Meckel & B. Schmid (Hg.), Unternehmenskommunikation. Kommunikationsmanagement aus Sicht der Unternehmensführung (S. 221-260). Wiesbaden: Gabler. Hoffmann, K. (2001). Das Intranet. Ein Medium der Mitarbeiterkommunikation. Konstanz: UVK-Verlag. Huck, S., & Spachmann, K. (2008). Leistungsprofil interner Kommunikationsmedien und -quellen: Analysekonzept und Fallstudien. In J. Raabe, R. Stöber, A.-M. Theis-Berglmair & K. Wied (Hg.), Medien und Kommunikation in der Wissensgesellschaft. Tagungsband der DGPuK- Jahrestagung 2007 (S. 211-224). Konstanz: UVK. Huck-Sandhu, S. (2013). Orientierung von Mitarbeitern - ein mikrotheoretischer Ansatz für die interne Kommunikation. In A. Zerfaß, L. Rademacher & S. Wehmeier (Hg.), Organisationskommunikation und Public Relations. Forschungsparadigmen und neue Perspektiven (S. 223- 245). Wiesbaden: Springer VS. Huck-Sandhu, S. (2016). Interne Kommunikation im Wandel: Entwicklungslinien, Status Quo und Ansatzpunkte für die Forschung. In dies. (Hg.), Interne Kommunikation im Wandel. Theoretische Konzepte und empirische Befunde (S. 1-19). Wiesbaden: Springer VS. Huck-Sandhu, S., & Spachmann, K. (2010). Zwischen Strategie und Schnellschuss: Interne Kommunikation in der Wirtschaftskrise. Ergebnisse der Umfrage 2009. Stuttgart: Universität Hohenheim. http: / / www.ik-trends.de/ wp-content/ uploads/ 2015/ 02/ IK2009_Teilnehmerbericht.pdf. 13. Dezember 2016. Huck-Sandhu, S., & Spachmann, K. (2013). Zwischen Berichterstattung und Agenda Setting: Themenorientiertes Management interner Kommunikation. Ergebnisse der Umfrage 2012. Stuttgart: Universität Hohenheim. http: / / www.ik-trends.de/ wp-content/ uploads/ 2015/ 02/ IK2012_Teilnehmerbericht.pdf. 13. Dezember 2016. Klöfer, F., & Nies, U. (2003). Erfolgreich durch interne Kommunikation. Mitarbeiter besser informieren, motivieren, aktivieren. 3. Aufl. Neuwied; Kriftel: Luchterhand. Mast, C. (1986). Was leisten die Medien? Funktionaler Strukturwandel in den Kommunikationssystemen. Osnabrück: Fromm. Mast, C. (2014). Interne Unternehmenskommunikation. Mitarbeiter führen und motivieren. In A. Zerfaß & M. Piwinger (Hg.), Handbuch Unternehmenskommunikation. Strategie, Management, Wertschöpfung (S. 1121-1140). 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Gabler. Mast, C. (2016). Unternehmenskommunikation. 6. Aufl., Konstanz; München: UTB. Meier, P. (2002). Interne Unternehmenskommunikation. Von der Hauszeitung bis zum Intranet. Zürich: Orell Füssli Verlag AG. Noll, N. (1995). Gestaltungsperspektiven interner Kommunikation. Wiesbaden: Gabler. Schick, S. (2014). Interne Unternehmenskommunikation: Strategien entwickeln, Strukturen schaffen, Prozesse steuern. 2. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. <?page no="153"?> 152 Simone Huck-Sandhu Spachmann, K., & Huck-Sandhu, S. (2013). Interne Kommunikation - Stellenwert und Neuausrichtung. In G. Bentele, M. Piwinger & G. Schönborn (Hg.), Kommunikationsmanagement (Loseblattwerk, Ergänzungslieferung Aug. 2013, Nr. 3.96, S. 1-30). Neuwied; Kriftel: Luchterhand 2001 ff. Spachmann, K. & Huck-Sandhu, S. (2015). Zwischen Beteiligung und Dialog: Social Media in der internen Kommunikation. Ergebnisbericht zur Umfrage 2014. Pforzheim; Stuttgart: Hochschule Pforzheim/ Universität Hohenheim. http: / / www.ik-trends.de/ wp-content/ uploads/ 2015/ 07/ IK2014_Social-Media.pdf. Zugegriffen: 13. Dezember 2016. Szyszka und Malczok (2016). Interne Kommunikation - ein Begriff revisited. In S. Huck-Sandhu (Hg.), Interne Kommunikation im Wandel. Theoretische Konzepte und empirische Befunde (S. 23-39). Wiesbaden: Springer VS. Winterstein, H. (1996). Mitarbeiterinformation. Informationsmaßnahmen und erlebte Transparenz in Organisationen. München; Mering: Hampp. Zerfass, A., Verhoeven, P., Tench, R., Moreno, A., & Vercic, D. (2011). European Communication Monitor 2011. Empirical Insights into Strategic Communication in Europe. Results of an Empirical Survey in 43 Countries (Chart Version). Brussels: EACD, EUPRERA. http: / / www.zerfass.de/ ECM-WEBSITE/ media/ ECM2011-Results-ChartVersion.pdf. Zugegriffen: 13. Dezember 2016. <?page no="154"?> 111 1 WWa ass lleei isst te et t VVeer räännddeer ruunnggs sk koommmmuunniikkaatti ioonn? ? MMiittaarrbbeeiitteerr aallss zzeennttrraallee AAk ktteeuurree iinn WWaannddlluunnggsspprroozzeesssseenn Sabine Laukemann Was ist Unternehmenswandel? Welche Rolle spielt Kommunikation in Veränderungssituationen? Welche Bezugsgruppen adressiert sie - und von welchen Bezugsgruppen wird sie adressiert? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der vorliegende Beitrag. Ausgehend von einer Typologisierung des Unternehmenswandels werden Ziele und Instrumente von Veränderungskommunikation diskutiert. Im Fokus steht die für jeglichen Wandel zentrale Bezugsgruppe der Mitarbeiter. Sie hat sich längst emanzipiert von einer vormals rezipientenorientierten Haltung hin zu einem kommunikationsinitiierenden und meinungsmachenden Akteur. Und die Unternehmenskommunikation? Ihre Rolle hat sich drastisch verändert: Sie hat die Deutungshoheit verloren und sich stattdessen zum Enabler von internen Kommunikatoren entwickelt. EEiinnlleeiittuunngg uunndd tth he emmaattiisscchhe e HHi innffüühhrruunngg Die Kommunikationswelt eines Unternehmens ist heute ein Netzwerk aus professionellen Kommunikatoren, Agenda-Settern, Zuhörern und Kommentatoren. Allerdings haben die wenigsten ihren Arbeitsplatz in der Unternehmenskommunikation und damit den Auftrag, für das und im Sinne des Unternehmens zu sprechen. Die meisten sind einfach ein Kind der Jetzt-Zeit, der Zeit selbstverständlicher und selbstbewusster Individualkommunikation. Sie verstehen ihre Rolle als die des steten Lebens-Kommentators, unabhängig davon, ob es sich um das Privat- oder Berufsleben handelt. Dank sozialer Medien und Instant-Kommunikation kein Problem - der vormalige Rezipient hat sich entgrenzt und ist nun zugleich Produzent, Sender, Meinungsmacher, Experte und gefragter Gesprächspartner. Darin zeigt sich eine Auswirkung der „permanently online, permanently connected“-Kultur (Vorderer 2015). Was heißt das für die professionelle Unternehmenskommunikation? Statt die Hoheit über Kommunikationsinhalte und deren Deutung zu wahren, ist ihre Rolle heute die des Coaches, des Supervisors, des Möglichmachers und bisweilen des Dompteurs in einer scheinbar grenzenlosen Arena aus Kommunikatoren im Unternehmen. Der Verlust der Deutungshoheit ist schmerzlich für die Unternehmenskommunikation. Einmal mehr, wenn die Zeichen auf Wandel stehen. Wenn kleine oder große, evolutionäre oder revolutionäre, geplante oder ungeplante, steuerbare oder nicht steuerbare Veränderungen sich ankündigen oder aus dem Nichts einfach da sind. Eben genau dann, wenn es unabdingbar ist, diesen Wandel als Unternehmen zu gestalten und zu bewältigen. 1111..11 DDiiee VViieellggeessttaallttiiggkkeeiitt ddeess WWaannddeellss Unternehmenswandel ist inhärenter Bestandteil des Unternehmenslebenszyklus und wird in Wissenschaft und Praxis als Konstante des Wirtschaftslebens aufgefasst (vgl. u. a. Malik 2007, S. 146f.; Kotter 1996, S. 3). Demnach finden sich nahezu täglich Verän- <?page no="155"?> 154 Sabine Laukemann derungen in Unternehmen. „Wer seine Organisation an den sich immer schneller ändernden Bedürfnissen des Marktes ausrichten will, für den ist laufende Anpassung und Wandel nicht die Ausnahme, sondern die Regel“ (Doppler und Lauterburg 2008, S. 118). Ohne Bereitschaft und Fähigkeit zum Wandel können Unternehmen nicht dauerhaft bestehen. Eine professionelle Handhabung jeder Veränderung und damit Veränderungskommunikation ist erfolgskritisch für den Bestand eines Unternehmens. Veränderungen in Unternehmen zeigen sich im Unternehmensalltag sehr vielgestaltig: als Fusion, als Einführung neuer IT-Systeme oder als Produktentwicklung. Betrachtet man Wandel grundsätzlich, so lässt er sich durch drei Dichotomien beschreiben (Muth 2014, S. 36ff.): Auslöser: Ursachen für Veränderungen können im Unternehmen selbst wie auch außerhalb zu finden sein. Reichweite und Intensität: Wandel kann revolutionär das gesamte Unternehmen mit seinen grundlegenden Zielen betreffen oder evolutionär nur Teile davon. Steuerbarkeit durch das Management: Manche Veränderungen lassen sich sehr früh, bisweilen bereits vor Eintreten eines sichtbaren Veränderungsimpulses steuern - von anderen wird ein Unternehmen überrascht. Muth (ebd.) entwickelt aus diesen Dichotomien eine Typologie des Wandels, bestehend aus acht Veränderungstypen (vgl. Abb. 1). <?page no="156"?> Was leistet Veränderungskommunikation? 155 Die einzelnen Veränderungstypen lassen sich durch die Merkmale ihrer Achsen beschreiben. So ist beispielsweise Veränderungstyp I als unternehmensintern verursachter, evolutionärer und durch das Management des Unternehmens früh steuerbarer Wandel charakterisiert. Jeder Veränderungstyp beschreibt einen Idealtypus; in der Unternehmensrealität sind Mischformen denkbar. Die Typologie dient der Einordnung und Orientierung in Veränderungssituationen - und um die Ausgangssituation der jeweiligen Veränderungskommunikation zu verorten. Denn nicht jeder Typus versetzt die Kommunikation in eine proaktive und von Beginn an gestaltende Rolle. Eine solche zu erlangen, ist jedoch eines der vordersten Ziele. 1111..22 VVeerräännddeerruunng gs skko ommm mu unniikka atti ioonn aallss EExxi isstte en nzzs siicchheer ruunngg jjeeddees s UUnntteer rnneehhmme en nss Kommunikation gilt als Schlüsselelement im Unternehmenswandel (vgl. u. a. Doppler und Lauterburg 2008, S. 393f.; Pfannenberg 2007, S. 819; Larkin und Larkin 1996, S. 97). „[…] change shoots communication to the top of the management agenda […]“ (Quirke 2008, S. 137). Die Aufgabe der Veränderungskommunikation besteht Pfannenberg zufolge darin, „die riskante Komplexität für die internen wie externen Stakeholder zu reduzieren und sie auf die Ziele des Change-Projekts zu orientieren“ (Pfannenberg 2013, S. 11). Indem sie den Wandel nach innen und außen vermittelt, für Akzeptanz und Unterstützung sorgt, trägt Veränderungskommunikation wesentlich zu dessen operativer Umsetzung bei. Damit ist sie ein wichtiger Baustein zur langfristigen Existenzsicherung des Unternehmens. Die Bedeutung der Kommunikation in Veränderungssituationen ergibt sich aus der „Potenzierung von Kommunikationsnotwendigkeiten“ (Gergs und Trinczek 2005, S. 51). Die Autoren sehen gar eine Korrelation zwischen Kommunikationsintensität und Größe und Tiefe des Veränderungsprojektes (ebd.). Daraus folgern mehrere Autoren, dass Unternehmenswandel nur so gut sei wie das zugehörige Kommunikationskonzept (Mohr 1997, S. 366; Doppler und Lauterburg 2008, S. 200). Eine mangelhafte Gestaltung von Informations- und Kommunikationsprozessen begünstigt es Widerständen, Unsicherheiten und Ängsten Fuß zu fassen. Unter Bezugnahme auf mehrere Studien fand Kling unter den möglichen Ursachen von Widerständen zahlreiche kommunikationsbezogene Faktoren, darunter Informationsmangel über Ziele, Vorgehensweisen, Alternativen und Hintergründe und damit offene Interpretationsspielräume, die letztlich zu fehlendem Verständnis und fehlender Akzeptanz führen können (Kling 2003, S. 30). Kurzum: „At the heart of […] failure is poor communication, despite the recognition that well managed communication is central to managing change“ (Quirke 2008, S. 137). Veränderungskommunikation baut auf einer Kommunikationsstrategie auf, die die Erreichung der Unternehmensziele unterstützt und über einen mittelbis langfristigen Horizont hinaus Gültigkeit hat. Somit besitzt die Veränderungskommunikation neben ihrer Gestaltungsfunktion auch eine Managementfunktion. Relevante Kommunikationspartner finden sich sowohl im als auch außerhalb des Unternehmens. Die Veränderungskommunikation zeigt sich somit als verbindendes Element bzw. als Vermittler zwischen ggf. divergierenden Perspektiven. Sie kann verschiedene Rollen einnehmen: <?page no="157"?> 156 Sabine Laukemann Die Rolle des Beraters und Gestalters durch systematische Beobachtung und Analyse der Innen- und Umwelt des Unternehmens sowie durch Ableitung von Handlungsempfehlungen für die Veränderungskommunikation und durch Aufnahme, Analyse und Bewertung von Feedbacks aus der Innen- und Umwelt des Unternehmens und deren Vermittlung an das Management. Die Rolle des Vermittlers der Unternehmenssicht im Dialog mit relevanten internen und externen Bezugsgruppen sowie Kommunikationsnetzen. Veränderungskommunikation ist die zentrale Stelle zwischen Management, internen und externen Bezugsgruppen sowie Kommunikationsnetzen. Sie hat vielerlei Aufgaben im Unternehmenswandel, die von der Vermittlung von Informationen, über deren Interpretation zum Zwecke der Einordnung und Orientierung über die Rolle des Dialogpartners bis hin zum Gestalter des Wandels durch die Analyse von Feedbacks und einer darauffolgenden Beratung des Managements reichen. Damit nimmt die Veränderungskommunikation die Rolle des „boundary spanners“ ein, des die Grenzen des Unternehmens überspannenden Vermittlers. Als „boundary spanners“ gelten „individuals within the organization who frequently interact with the organization´s environment and who gather, select, and relay information from the environment to decision makers in the dominant coalition“ des Unternehmens (White und Dozier 1992, S. 93). Um der zunehmenden Vernetzung zwischen Bezugsgruppen Rechnung zu tragen, muss die Interaktion zwischen Bezugsgruppen als Aufgabe des boundary spannings betont werden. Dies macht die Akteure der situativen Veränderungskommunikation zu „exchange agents“ (Leifer und Delbecq 1978, S. 41). 1111..33 BBeez zu uggssggrruuppppeen n ddeer r VVeer räännddeer ruunnggs skkoommm mu unniikka attiioonn Unternehmen können in Veränderungssituationen eine Vielzahl aktueller und potentieller Kommunikationspartner mit jeweils sehr unterschiedlichen Erwartungsbzw. Interessenlagen haben. Zink (2007, S. 5) hat herausgefunden, dass diejenigen Änderungsvorhaben eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit besitzen, die alle relevanten Bezugsgruppen einbeziehen. Unstrittig ist die Bedeutung der Mitarbeiter für das Gelingen von Unternehmenswandel. Sie stehen im Fokus von Literatur und Forschung (vgl. z. B. Müller-Stewens und Lechner 2011; Krüger 2009; Quirke 2008; Gergs und Trinczek 2005; Vahs und Leiser 2003; Mohr 1997; Larkin und Larkin 1996). Die Bezugsgruppe Mitarbeiter setzt sich bei genauerer Betrachtung aus mehreren Subgruppen mit unterschiedlichen Erwartungen und schließlich Kommunikationsbedarfen zusammen (vgl. Tab. 1). Anzunehmen, dass intern Kommuniziertes intern bleibt, greift jedoch zu kurz. Durch die Möglichkeiten der Online-Kommunikation verschwimmen interne und externe Kommunikation. „Die Grenze zwischen interner und externer Kommunikation ist spätestens seit Entstehen der Blogosphäre aufgehoben, denn alles, was intern kommuniziert wird, kann über Nacht einer großen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ (Voß und Röttger 2008, S. 64). Anderson sieht einen maßgeblichen Vorteil für Blogger - ge- <?page no="158"?> Was leistet Veränderungskommunikation? 157 MMiittaarrbbeeiitteerr-- SSuubbggrruuppppeenn MMöögglliicchhee EErrwwaarrttuunnggeenn iimm UUmmffeelldd vvoonn UUnntteerrnneehhmmeen nsswwaannddeell Top Management Ausbau / Sicherung des Unternehmenserfolgs bzw. -bestands Werterhalt / Wertsteigerung Arbeitsplatzsicherheit Sicherung / Erweiterung von Kontrolle, Macht, Status und Karrieremöglichkeiten Vermeidung von Qualitäts- / Sinnverlust der Arbeit Identifikation mit dem Unternehmen nach dem Wandel Führungskräfte Ausbau / Sicherung des Unternehmenserfolgs bzw. -bestands Arbeitsplatz- und Standortsicherheit Schaffung / Ausbau von Karrierechancen Sicherung / Erweiterung von Kontrolle, Macht und Status Vermeidung von Qualitäts- / Sinnverlust der Arbeit Identifikation mit dem Unternehmen nach dem Wandel Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben Ausbau / Sicherung des Unternehmenserfolgs bzw. -bestands Arbeitsplatz- und Standortsicherheit Schaffung / Ausbau von Karrierechancen Vermeidung von Qualitäts- / Sinnverlust der Arbeit Identifikation mit dem Unternehmen nach dem Wandel Auszubildende/ Studenten Ausbau / Sicherung des Unternehmenserfolgs und -bestands Arbeitsplatz- und Standortsicherheit Schaffung neuer Arbeitsplätze Vermeidung von Qualitäts- / Sinnverlust der Arbeit Identifikation mit dem Unternehmen nach dem Wandel Betriebsrat Ausbau / Sicherung des Unternehmenserfolgs und -bestands Arbeitsplatz- und Standortsicherheit Vermeidung von Qualitäts- / Sinnverlust der Arbeit Identifikation mit dem Unternehmen nach dem Wandel Aufsichtsrat Ausbau / Sicherung des Unternehmenserfolgs und -bestands Werterhalt / Wertsteigerung Eigentümer (Unternehmer, Konzernmutter) Ausbau / Sicherung des Unternehmenserfolgs und -bestands Einlagensicherung Werterhalt / Wertsteigerung Temporäre Mitarbeiter (freie Mitarbeiter, Zeitarbeiter, Aushilfen) Arbeitsplatz- und Standortsicherheit Fortsetzung / Institutionalisierung des Beschäftigungsverhältnisses Vermeidung von Qualitäts- / Sinnverlust der Arbeit Identifikation mit dem Unternehmen nach dem Wandel Ehemalige Mitarbeiter Ggf. Entstehung eines neuen, attraktiven Arbeitgebers Pensionäre / Rentner Ggf. Sicherheit von Betriebsrenten <?page no="159"?> 158 Sabine Laukemann rade weil sie Teil des Unternehmens sind. Dadurch verfügen sie über einen detaillierteren Einblick ins Unternehmen als Journalisten das von außen vermögen (Anderson 2007, S. 223). Ergo: Durch die Dezentralisierung der Kommunikatoren schwinden Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten für Unternehmen und mit ihnen die „Interpretationshoheit von Unternehmensinformationen“ (Meckel 2008, S. 479). „Die Grenzen zwischen internen und externen Kommunikationsprozessen werden zunehmend durchlässig; ebenso nehmen die Austauschprozesse zwischen den Stakeholder-Gruppen sowie den regionalen, nationalen und internationalen Öffentlichkeiten zu“ (Mast 2008a, S. 409). Mitarbeitern eröffnen sich mehrere Informationsquellen und Kommunikationspartner; Unternehmen sehen sich einer wachsenden Anzahl an Kommunikatoren gegenüber. Unternehmen haben ihre Stellung als Primär-Informant und -Kommunikator sowie als ausschließlicher Steuerer der Veränderungskommunikation verloren. Umso wichtiger sind die Beziehungspflege mit relevanten Bezugsgruppen und das Bewusstsein um die Dynamik im eigenen Netz aus Bezugsgruppen. Als Teil eines individuellen, dynamischen, in Teilen situativen Netzes, das dauerhafte wie auch temporäre Beziehungen zu Bezugsgruppen beinhaltet, ist ein Unternehmen heute einer von potentiell vielen Kommunikatoren und Kommunikationspartnern. Veränderungskommunikation hat sich also dezentralisiert. Dies rückt zwei Elemente in den Fokus: Den Verlust der zentralen Steuerbarkeit der Veränderungskommunikation durch das Unternehmen und die Aufgabe, alle Mitarbeiter eines Unternehmens als denkbare Ansprechpartner und damit Kommunikationsakteure des Unternehmens zu betrachten. Damit ist das Enabling der Mitarbeiter eine zentrale Aufgabe der Veränderungskommunikation: Es gilt, Mitarbeitern die Hintergründe und Auswirkungen des Wandels aus Unternehmenssicht nahe zu bringen und Verständnis für das Handeln und die Absichten des Unternehmens zu erzeugen. Dem Verlust der Steuerung steht ein großer Vorteil der dezentralen Kommunikation gegenüber: Mitarbeitern wird von externen Bezugsgruppen eine hohe Glaubwürdigkeit beigemessen (vgl. u. a. Mast 2013, S. 226). Diese Glaubwürdigkeit und Authentizität kann gerade in Veränderungssituationen helfen, die Informationen und Botschaften des Unternehmens zu transportieren. Das setzt jedoch voraus, dass Mitarbeiter kompetent Auskunft geben können und dazu vom Unternehmen als eigenständige, wichtige Bezugsgruppe im Wandel angesehen und behandelt werden. Sind sie nicht überzeugt von der Veränderung oder der Art und Weise, wie mit der Veränderung umgegangen werden soll, verkehrt sich die Chance gegenüber den externen Bezugsgruppen schnell ins Gegenteil. Damit verzahnt sich die interne mit der externen Veränderungskommunikation. 1111..44 IInnssttr ruumme en ntte e dde er r VVeer räännddeer ruunng gs skko ommm mu unniikka atti ioonn „The medium is the message“, konstatierte Marshall McLuhan bereits in den 1960er Jahren (McLuhan und Fiore 1967) und machte damit deutlich, dass nicht nur der Inhalt selbst, sondern auch die Wahl des Kommunikationskanals große Bedeutung für den Erfolg von Kommunikation hat. Diesem Gedanken folgen auch van Riel und Fombrun (2008, S. 175): „The choice of which media to use to convey the communication message is at least as important as the other components of the communication program.“ Die Bedeutung der Auswahl von eingesetzten Kommunikationsinstrumenten lässt sich auch <?page no="160"?> Was leistet Veränderungskommunikation? 159 und gerade auf Veränderungssituationen übertragen, in denen ggf. hoch emotionalisierte Situationen ein Höchstmaß an Fingerspitzengefühl und Sensibilität für die Befindlichkeiten der Beteiligten und den richtigen Ton bei den Kommunikatoren erfordern. „Der effiziente Einsatz von Kommunikationskanälen ist dann gegeben, wenn der Komplexitätsgrad der Aufgabe in Bezug zum Leistungsspektrum gesetzt wird […]“ (Mast 2013, S. 172). In der Literatur wird v. a. die Bedeutung der persönlichen, dialogischen Kommunikation hervorgehoben (vgl. u. a. Einwiller et al. 2008, S. 254; Mast 2008b, S. 25; Voß und Röttger 2008, S. 66; Quirke 2008, S. 152; Gergs und Trinczek 2005, S. 53; Doppler und Lauterburg 2008, S. 350; Larkin und Larkin 1996). Was macht die persönliche, dialogische Kommunikation so bedeutsam in Veränderungssituationen? Veränderungssituationen werden oft durch drei Eigenschaften charakterisiert: Parallelität und Dichte zum Teil gegenläufiger Ereignisse, die eine hohe Relevanz für das Unternehmen aufweisen, für die jedoch immer weniger Erfahrungswerte und Routinen vorliegen (Töpfer 2008, S. 363; Liebl 2000, S. 10f.; Nagel 2010, S. 25) Zeitdruck (Mast 2008b, S. 16; Liebl 2000, S. 10f.; Nagel 2010, S. 25) Emotionalität (Mast 2008a, S. 415ff). Töpfer (2008, S. 373) beschreibt, dass Bezugsgruppen in den von ihm betrachteten Krisenfällen ein höheres „Involvement“ gegenüber dem Unternehmen und seiner Situation aufweisen und die Sachebene im Verlauf des Prozesses zugunsten der Emotionsebene zurück gedrängt wird. Nicht jedes Charakteristikum trifft demnach auf jede Veränderungssituation zu, nicht immer treten sie kumuliert auf. Zudem bietet jede Eigenschaft eine weite Spannbreite an möglichen Ausprägungen. Dennoch bedeutet eine Veränderungssituation in der Regel den Umgang mit Unvertrautem und eröffnet dadurch Unsicherheit Raum. Gergs und Trinczek (2005, S. 51) sehen einen Zusammenhang zwischen Kommunikationsintensität und Größe und Tiefe des Veränderungsprojektes. Muth überträgt diesen Gedanken auf ihr Verständnis von Unternehmenswandel (vgl. Kap. 11.1) und setzt diese Korrelation in Verbindung mit den Veränderungstypen. Demnach sind die Kommunikationsbedarfe der relevanten Bezugsgruppen und damit die Kommunikationsintensität seitens des Unternehmens zur Erreichung der Kommunikationsziele umso höher, je größer einerseits die Reichweite des Veränderungsfalles und je größer andererseits die potentielle Unsicherheit ist, z. B. wenn ein Ereignis überraschend eintritt bzw. die Situation nur gering durch das Unternehmen lenkbar ist (Muth 2014, S. 84ff.). Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die Wahl und Quantität der Kommunikationsinstrumente? Um hohen Kommunikationsbedarfen adäquat zu begegnen, eignen sich v. a. „reiche“ Medien, die es erlauben, das Gegenüber „emotional und individuell anzusprechen, Bindungen zu festigen und Vertrauen aufzubauen“ (Mast 2008b, S. 25). Persönliche Kommunikation wird zudem als besonders glaubwürdig wahrgenommen (vgl. u. a. Larkin und Larkin 1996). Im Sinne der Media Richness-Theorie wird die persönliche Kommunikation als besonders „reich“ bezeichnet, weil sie unmittelbares Feedback erlaubt und durch die Kombination von verbaler und nonverbaler Kommunikation einen vieldimensionalen Eindruck der Kommunikationspartner ermöglicht (vgl. zu Media Richness: Daft und Lengel 1986). „Persönliche Gespräche eignen sich besonders gut, emotionale Stresssituationen abzubauen, und sie vermitteln Wissen und Eindrücke. Damit sprechen sie die rationale und emotionale Seite des Menschen gleichermaßen an“ (Mast 2008a, S. 423). „‚Reichere‘ Medien eignen sich auch für Inhalte, die nicht eindeutig, sondern eher mehrdeutig sind und unterschiedlich interpretiert werden können“ (Mast <?page no="161"?> 160 Sabine Laukemann 2013, S. 171). Sie entsprechen damit sehr gut den häufig hohen Anforderungen in Veränderungssituationen, wenn komplexe Zusammenhänge vermittelt werden müssen. Je komplexer und vieldeutiger die Inhalte, desto „reicher“ die Medien, die sich für die Kommunikation eignen und in der Lage sind, die Komplexität zu transportieren und entsprechende Feedbackmöglichkeiten anzubieten. Bei der Auswahl und Kombination geeigneter Medien geht es um das richtige Maß an und den adäquaten Einsatz persönlicher und medialer Kommunikation. Gergs und Trinczek (2005, S. 54) haben Studien zu eingesetzten Kommunikationswegen in der internen Kommunikation in Veränderungsprozessen untersucht und kamen hinsichtlich der Auswahl konkreter Instrumente zu folgendem Ergebnis: „Die Intensität der Face-to-Face-Kommunikation muss mit der Komplexität des Veränderungsprozesses steigen.“ Damit unterstreichen sie die Wahl „reicherer“ Medien im Unternehmenswandel. Ihrer Ansicht nach hat Einwegekommunikation lediglich eine „unterstützende Funktion“ (ebd., S. 53). Übertragen auf Unternehmenswandel bedeutet das: Je höher Reichweite und Unsicherheit einer Veränderung, desto größer ist demnach nicht nur die Kommunikationsintensität in Summe, sondern auch die Menge an eingesetzten Kommunikationsinstrumenten und desto wichtiger ist die soziale Präsenz des Kommunikators (vgl. Abb. 2). „The most effective way to communicate is informally, face-to-face, one-on-one“ (Larkin und Larkin 1996, S. 101). Die Autoren betonen dabei die Bedeutung des „richtigen“ Gesprächspartners: Nicht dem Top Management solle demnach die Aufgabe zufallen, den Mitarbeitern v. a. in der Ankündigungsphase Unternehmenswandel zu erklären, sondern vielmehr ihren jeweils direkten Vorsetzten, die als „opinion leader“ fungieren (ebd., S. 104). Larkin und Larkin raten dementsprechend vom Einsatz medienvermittelter <?page no="162"?> Was leistet Veränderungskommunikation? 161 Kommunikation wie z. B. durch Videos und Informationsveranstaltungen ab, um Wandel zu erklären oder gar initial bekannt zu geben. Wichtig ist dabei die Widerspruchsfreiheit der Kommunikationsinhalte. Deren Konsistenz ist angesichts der Vernetztheit der Bezugsgruppen zwingend und ein elementarer Faktor für Glaubwürdigkeit und Vertrauen gegenüber dem Unternehmen. 1111..55 UUnntteer rnneeh hmme en n iimm KKoommm mu unniikkaattiioonnssrraauumm ddees s WWa annddeel lss Mitarbeiter sind zentrale Botschafter des Unternehmens nach innen und außen. Die Grenzen zwischen Unternehmens- und Individualkommunikation verschwimmen. Castells (2009) nutzt den Begriff der „mass-self communication“ und bringt damit zum Ausdruck, dass jeder - im Kontext dieses Beitrags - Mitarbeiter eines Unternehmens über in der Regel internetbasierte Plattformen gezielte oder disperse Öffentlichkeiten ansprechen kann. „Technologische Entwicklungen heben mediale Grenzen auf, verschmelzen Kommunikationsräume und -prozesse und verbinden bislang Getrenntes“ (Mast 1986, S. 11). Es tun sich verschiedene Kommunikationsräume auf: initiiert durch das Unternehmen, durch Mitarbeitergruppen, durch einzelne Mitarbeiter. Neben das Unternehmen als klassischen Konstituierer von Veränderungs-Kommunikationsräumen sind Mitarbeiter in dieser Funktion getreten. Ziel der Unternehmenskommunikation ist es, diese Kommunikationsräume inhaltlich bestmöglich zur Deckung zu bringen. Interne und externe Bezugsgruppen können nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Vielmehr verzahnen sich interne und externe Veränderungskommunikation zu einer Integrierten Veränderungskommunikation (Muth 2014, S. 308ff.), die das übergeordnete Ziel verfolgt, über alle Kommunikatoren, Kommunikationsinhalte, Kommunikationsinstrumente und Kommunikationszeitpunkte ein konsistentes und widerspruchsfreies Bild einer Veränderungssituation zu zeichnen. Interne Veränderungskommunikation lässt sich nicht mehr von externer trennen. Das betrifft auch das Postulat, interne vor externe Bezugsgruppen in die Kommunikation zu involvieren. Der Beginn der internen Veränderungskommunikation ist gleichzeitig der Beginn der externen. <?page no="163"?> 162 Sabine Laukemann LLiitteerraattuurr Anderson, C. (2007). The Long Tail. Der lange Schwanz. Nischenprodukte statt Massenmarkt. Das Geschäft der Zukunft. München: Hanser. Castells, M. (2009). Communication Power. London: Oxford University Press. Daft, R. L., & Lengel, R. H. (1986). 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Hillsdale: Lawrence Erlbaum. Zink, K. J. (2007). Mitarbeiterbeteiligung bei Verbesserungs- und Veränderungsprozessen: Basiswissen - Instrumente - Fallstudien. München: Hanser. <?page no="166"?> 1122 WWaass lleeiisstteett ddaass IInnttrraanneett? ? I Innffoorrmmaattiioonn" KKoommmmuunniikkaattiioonn" IInntteerraakkttiioonn uunndd IInntteeggrraattiioonn Claus Hoffmann Der Beitrag erläutert die medialen Leistungen des elektronischen Mediums Intranet. Im Mittelpunkt stehen die Aspekte Information, Kommunikation und Interaktion, insbesondere vor der Herausforderung der digitalen Transformation. 1122..11 DDaass IInnttrraanne et t: : ZZeen nttrraallee AAnnwwe en nd duun nggs sp pl laat tt tf fo orrmm iin n UUn ntte errnneehhm me enn Das Intranet ist heute in vielen Unternehmen das Leitmedium der internen Kommunikation. Es gestaltet und optimiert Informations-, Kommunikations- und Interaktionsprozesse in Unternehmen 1 . Das Intranet ist ein durchgängiges und geschlossenes, nichtöffentliches digitales Computernetzwerk auf der Basis der Internet-Technologien (Hoffmann 2001). Die Entwicklung von Intranets in Unternehmen basiert auf digitalen Technologien. Das elektronische Medium ermöglicht vielfältige technische Dienste, die zum Austausch von Inhalten dienen und als Kommunikationsmodi verstanden werden können. Wichtige und in der Unternehmenspraxis verbreitete Anwendungen sind Informationsabrufdienste, E-Mail, Newsletter, Diskussionsgruppen und Kommunikationsforen. Auch für Social Media-Anwendungen wie Weblogs, Wikis, Instant Messanger bildet das Intranet die technologische Basis. Seit dem Aufkommen der ersten Intranet Mitte der 1990er Jahre institutionalisieren sich die Medienanwendungen des Intranets zunehmend. In den Organisationen gibt es zwischen den Nutzern, aber auch als organisatorische Vorgaben immer mehr formelle und informelle Regelungen z. B. in Form von Medienetiketten und organisatorischen Richtlinien. Das Intranet ermöglicht Organisationen innovative Formen der Information, Kommunikation und Interaktion. Es bietet digitale mediale Funktionen und hebt bestehende Grenzen im organisationsinternen Vermittlungsprozess auf. Aus der Sicht der Nutzer stellt das Intranet ein elektronisches Medium zur Information, Kommunikation und Interaktion in Organisationen dar. Räumliche und zeitliche Barrieren können in Datennetzen aufgehoben werden: Informationen stehen weltweit, rund um die Uhr und „on-demand“ zur Verfügung. Gleichzeitig bieten sich Möglichkeiten, Informationen gezielt zu verteilen, z. B. im Rahmen von Projekten an die beteiligten Mitarbeiter. Das Intranet ist ein Hybridmedium, das zur interpersonalen Kommunikation, Gruppenkommunikation und zur gruppenübergreifenden Kommunikation gleichermaßen genutzt werden kann. Beispielsweise lässt es sich als Medium zum Informationsabruf und -austausch, zur Diskussion von Sachverhalten und zur Gestaltung sozialer Beziehungen einsetzen. Darüber hinaus vereint es - zumindest teilweise - die Leistungen etablierter 1 Vgl. zur Wichtigkeit Digitaler Medien und der persönlichen Kommunikation Mast (2016) und Huck-Sandhu (2016). <?page no="167"?> 166 Claus Hoffmann Medien, z. B. der Mitarbeiterzeitschrift oder dem Schwarzen Brett, in Organisationen. Das digitale Medium bietet für unternehmensinterne Informations-, Kommunikations- und Interaktionsprozesse spezifische Leistungen, insbesondere hinsichtlich der Zeitbewältigung, Aussagenbewältigung und den Gestaltungsfunktionen (Mast 1986, S. 248 ff.), die in diesem Beitrag diskutiert werden. 1122..22 IInnffoorrmma atti ioonnsslleei issttuunnggeen n Das Intranet hat grundlegende Auswirkungen auf die Quantität und Qualität von Informationen in Unternehmen. Informationen und Wissen lassen sich in Organisationen gezielt sammeln, aufbereiten und Mitarbeitern zugänglich machen. Die Zahl der im Unternehmen verfügbaren Informationsquellen und abrufbaren Informationen erweitert sich deutlich und das Intranet hat das Potenzial, mehr Transparenz im Unternehmen zu schaffen. Viele Unternehmen nutzen die Informationsbasis beispielsweise gezielt zur Einführung neuer Mitarbeiter, die sich selbst über Abteilungen, Projekte und Vorgänge im Intranet informieren können. Die Mitarbeiter selbst können wiederum auch Information bereitstellen und als Kommunikator aktiv werden. Die Information besitzt eine neue inhaltliche Qualität. Zum einen können für die Organisationsmitglieder bisher nur schwer zugängliche Informationsquellen erschlossen werden. Zum anderen entstehen mit der Integration multimedialer Elemente innovative Darstellungsformen der Information. Schriftliche Texte, gesprochene Nachrichten, graphische Präsentationen, bildliche Darstellungen, akustische Sequenzen und Bewegtbilder bis hin zum Corporate TV können als Aussagen übermittelt werden. Der Nutzer kann über unterschiedliche Sinne Informationen wahrnehmen, die nicht nur sprachlich, sondern auch zusätzlich über nonverbale Kanäle übermittelt werden. Das elektronische Netzmedium hat weitreichende Auswirkungen auf Quantität und Qualität von Informationen und somit auch auf die Wissensbasis von Unternehmen. Individuelles Mitarbeiterwissen lässt sich organisationsweit in elektronischen Datennetzen speichern und bereitstellen. Die Vielfalt der Informationsquellen und potenziell abrufbaren Informationen kann dabei in der Unternehmenspraxis stark anwachsen, doch erleichtern Suchmechanismen und logische Informationsstrukturen das Auffinden von relevantem Wissen. Datenbanksysteme können im Intranet aufgebaut und zugänglich gemacht werden, die umfangreiche Informationen wie Qualifikationen, Projekterfahrungen und Einsatzfelder von Mitarbeitern sowie Kundendaten vorhalten. Aus der gespeicherten Wissensbasis lassen sich bei Vorhandensein logischer Schemata und Regeln weitere Schlussfolgerungen und damit neues Wissen generieren. Datenbanksysteme werden auf diese Weise zu Expertensystemen, die einen höheren Grad an Informationsunterstützung für die Gesamtorganisation bieten. Neben sachlichen Informationen können über das Medium Intranet auch das individuelle Wissen und die subjektiven Erfahrungen der Mitarbeiter bekannt gemacht und vermittelt werden. Beispielsweise lassen sich Erkenntnisse aus Projekten und Verfahren, dem Umgang mit Kunden oder Konkurrenten sowie Best-Practice-Beispiele dokumentieren. Erfahrungen einzelner Unternehmensbereiche können auf andere Anwendungsfelder transferiert werden. Somit entwickelt sich das Intranet durch die Kombination von Informationen mit persönlichen Erfahrungen zu einem umfassenden Knowledge Warehouse, welches das verfügbare Wissen der Organisation speichert und bereitstellt. <?page no="168"?> Was leistet das Intranet? 167 1122..33 KKoommm muunniikkaattiioonnsslleei issttuunnggeen n Das Intranet ermöglicht neue Formen der computervermittelten Kommunikation in Organisationen und erweitert die Reichweite des kommunikativen Handelns, indem sich räumliche Distanzen überwinden und durch die Speicherung der Inhalte zeitliche Barrieren aufheben lassen. Möglich wird eine raum-zeitliche Asynchronität und Entkopplung kommunikativer Akte. Aufgrund des Computereinsatzes unterliegt die Intranet-Kommunikation im Vergleich zur unvermittelten Face-to-face-Kommunikation technischen Restriktionen, welche die Bandbreite der verfügbaren Übertragungskanäle und Ausdrucksformen beschränken. Die Kommunikationssituation ist durch das Vorhandensein eines technischen Mediums gekennzeichnet. Das Intranet lässt elektronische Formen der interpersonalen Kommunikation in Organisationen zu. Charakteristisch für die Intranet-Kommunikation ist, dass die Kommunikationspartner in keinem Face-to-face-Kontakt stehen. Sie bedienen sich eines digitalen, technischen Mediums, um Aussagen mitzuteilen. Eine qualitative Veränderung ist die größere Souveränität der Nutzer in raum-zeitlicher Hinsicht beim Austausch von Mitteilungen. Die Digitalisierung der Informationen ermöglicht es, Nachrichten weltweit und jederzeit innerhalb weniger Sekunden auszutauschen (synchrone Vermittlung) oder diese auf Abruf gespeichert zur Verfügung zu stellen (asynchrone Vermittlung). Durch den Einsatz des Intranets in Organisationen entstehen darüber hinaus innovative Prozesse der computervermittelten Gruppenkommunikation, etwa elektronische Diskussionsgruppen und Kommunikationsforen, aber auch neue gemeinschaftliche Formen der Telekommunikation wie Web- und Videokonferenzen. Dies kann zur Bildung elektronischer bzw. virtueller Gemeinschaften der Organisationsmitglieder führen, welche die sozialen Beziehungen in Unternehmen prägen können. Das Intranet schafft außerdem neue Kommunikationsräume und Öffentlichkeiten in Organisationen. Es ist in der Lage, Mitteilungen an alle Mitarbeiter oder bestimmte Personengruppen zu vermitteln. Neben aktiv gesuchten Informationsangeboten („Pull“) gibt es auch elektronische Verteilmechanismen für Informationen („Push“). Social Media-Anwendungen bieten häufig auch die Möglichkeiten einer sofortigen Benachrichtigung über neue Inhalte durch sogenanntes Instant Messaging. 1122. .44 IInntte erraakkt tiioonnssl leei issttu unnggeen n Das Intranet integriert als Plattform auch Anwendungen aus dem Bereich Unternehmenssoftware, z. B. Warenwirtschaftssysteme, Personalverwaltungssysteme oder Projektmanagementlösungen. Durch die technische Verknüpfung wird es den Nutzern möglich, Interaktionen auszulösen. Der Nutzer kann Vorgänge und Prozesse auslösen und selbst auf die Anwendung steuernd einwirken. Durch den Einsatz des Intranets erhalten Interaktionen in Organisationen eine neue Qualität und es lassen sich neue Formen der Zusammenarbeit realisieren. Dezentral und unabhängig von einer Raum-/ Zeitbindung können Tätigkeiten elektronisch vermittelt durchgeführt werden. Das Intranet ermöglicht darüber hinaus eine grundlegende Veränderung und Optimierung von Geschäftsprozessen. Für die Mediatisierung und Automatisierung von Arbeitsabläufen im Zeitalter von Industrie 4.0 ist das Intranet eine wesentliche Basis. <?page no="169"?> 168 Claus Hoffmann Vielfältige Arbeitsabläufe in Unternehmen werden zunehmend mediatisiert ausgeführt. Beispielsweise können im Personalwesen Stelleninformationen, Bewerbungen, Personalakten, Arbeitszeitkonten, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen und das Vorschlagswesen über das Intranet abgewickelt werden. In der Produktion ergeben sich neue Formen der Arbeitsplanung, Lagerverwaltung, Fertigungssteuerung, Auftrags- und Terminverfolgung und des Qualitätsmanagements. Im Bereich Forschung und Entwicklung können zentrale Datenbanken und Entwicklungsbibliotheken über das Intranet verwaltet werden. In der Beschaffung können Lieferanten- und Produktkataloge bereitgestellt und Bestellungen sowie elektronische Ausschreibungen über das Intranet bearbeitet werden. Im Bereich Marketing und Vertrieb können Produktinformationen und Preislisten bereitgestellt und Vertriebsvorgänge mit einem Intranet unterstützt werden. In der Verwaltung lassen sich schließlich Projektkalkulation und -überwachung sowie die gesamte Datenverwaltung mit einem Intranet realisieren. Der Einsatz eines Intranets in Organisationen führt zu neuen Formen der Zusammenarbeit. Verteiltes Arbeiten basiert auf medial vermittelten Interaktionen am Arbeitsplatz, die durch vernetzte Computer ermöglicht werden („Digital Workplace“). Für die Computer-/ Telearbeit geeignet sind insbesondere Tätigkeiten, die einen hohen Autonomiegrad aufweisen, d. h. keine permanente persönliche Anwesenheit voraussetzen, und sich auch dezentral mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien durchführen und steuern lassen. Telearbeit bietet v. a. in jenen Bereichen der Organisation Vorteile, die ohnehin auf Fernkommunikation oder Kundennähe angewiesen sind, Verwaltung Archive Data-Warehouse Projektkalkulation Projektüberwachung Adress- und Telefonlisten Kommunikation Mitarbeiterkommunikation PR nach innen Krisenkommunikation Change Kommunikation Personalwesen Online-Stelleninformation und -bewerbung Elektronische Personalakte Aus- und Weiterbildung Vorschlagswesen Arbeitszeitkonten F & E CAx-Anwendungen Entwicklungsbibliotheken Simultaneous Engineering Intranet- Anwendungen Kundendienst Software-Updates Problemmeldung Fehlerbeseitigung Wartung und Diagnose Beschaffung Bestellformulare und Bestellüberwachung Lieferanten- und Produktkataloge Elektronische Ausschreibungen Produktion Arbeitsplanung ERP-Anwendungen Warehouse Management Intralogistik Qualitätsmanagement Fertigungssteuerung Auftrags- und Terminverfolgung Marketing & Vertrieb Produktinformationen Online-Shop Schulung Webinare <?page no="170"?> Was leistet das Intranet? 169 wie z. B. der Außendienst mit mobilen Mitarbeitern oder Arbeitsfelder mit informatisierten Inhalten. Abb. 1 gibt einen Überblick über typische Einsatzfelder von Intranet- Anwendungen in Organisationen. L Liitteerraattuurr Hoffmann, C. (2001). Das Intranet. Ein Medium der Mitarbeiterkommunikation. Konstanz: UVK. Huck-Sandhu, S. (2016). Interne Kommunikation im Wandel: Entwicklungslinien, Status Quo und Ansatzpunkte für die Forschung. In S. Huck-Sandhu (Hg.), Interne Kommunikation im Wandel. Theoretische Konzepte und empirische Befunde (S. 1-19). Wiesbaden: Springer. Mast, C. (2016). Unternehmenskommunikation. Konstanz, München: UVK. Mast, C. (1986). Was leisten die Medien? Funktionaler Strukturwandel in den Kommunikationssystemen. Osnabrück: Fromm. <?page no="172"?> Teil 4 OOrrggaanniissaatti ioonnsskkoommmmuunniikka attiioonn <?page no="174"?> 1133 WWa ass lleei isstteett OOrrggaanniissaattiioonnssk koommmmuunniikkaattiioonn? ? R Reefflleexxiioonn iinn KKoommmmuunniikkaattiioonnsspprroozze esssseenn Swaran Sandhu Organisationskommunikation ist ein zentrales Forschungsfeld der Kommunikationswissenschaft. In Abgrenzung zu Public Relations bzw. strategischer Kommunikation ist ihr Gegenstandsbereich weiter gefasst: Es geht der Organisationskommunikation nicht um intentionale Kommunikation, sondern um alle Kommunikationsprozesse in und von Organisationen. Der medial-technologische Wandel führt zu Grenzaufhebungen in dreifacher Hinsicht. Erstens zu einer Explosion verfügbarer Kommunikationskanäle, die neue Bewältigungsstrategien erfordern. Zweitens wirken nicht-menschliche Akteure wie Algorithmen verstärkt auf die Kommunikationsprozesse in Organisationen ein, weil sie Information selektieren und prioritisieren. Drittens sind Kommunikationsräume heute entgrenzt und orientieren sich stärker an Werten und Identitäten denn territorialen Grenzen. Die Organisationskommunikation muss es leisten, diese Wandlungsprozesse angemessen zu erklären, und zwar aus einer prozessualen, reflexiven und konstitutiven Perspektive. 1133..11 OOrrggaanniissaatti ioonnsskkoommm mu unniikka attiioonn aallss SScch haarrnniieer rffuunnkkt tiioonn Moderne Gesellschaften sind Organisationsgesellschaften - auch wenn der Begriff sicherlich problembehaftet ist (Kühl 2015). Nichtsdestotrotz findet ein Großteil des täglichen Lebens in organisierter Form statt. Damit ist weniger die Selbstorganisation und -optimierung von Einzelpersonen oder die familiäre Terminkoordination gemeint. Vielmehr geht es um die arbeitsteilige Koordination der Zielerreichung, die z. B. in einem kleinen Projektnetzwerk, in Non-Profit-Vereinen bis hin zu internationalen Großkonzernen stattfinden kann, kurz: überall da, wo Menschen gemeinsam Ziele erreichen wollen, findet eine Form von Organisation bzw. von Organisieren - und damit auch Kommunikation - statt. Die Mittel und Wege der Kommunikation sind vielfältig und stehen in direkter Wechselwirkung zur technologische Medienentwicklung und -nutzung. Je mehr spezifische Medientechnologien zur Verfügung stehen, desto stärker werden diese auch zur organisationalen Kommunikation eingesetzt. Durch den rapiden Preisverfall für Technologie und Telekommunikation verfügen inzwischen Privatpersonen oder Mitarbeiter über eine bessere Medienausstattung und höhere -kompetenz als diese häufig in der Organisation selbst anzutreffen ist. Diese Nutzer sind es inzwischen gewohnt, sich über kostenlose Smartphone-Anwendungen zu informieren, auszutauschen und digitale Inhalte in Nutzergruppen zu teilen. Größere Organisationen unterliegen datenschutzrechtlichen Vorschriften und eigenen Sicherheitsarchitekturen, die wiederum die gewohnte und erlernte Nutzung von Apps und Programmen konterkariert. Anschauliche Beispiele, wie stark das Innenleben von Organisationen von deren Kommunikationsinfrastruktur abhängt, liefern etwa die Wikileaks-Veröffentlichungen, die aus internen und zum Teil vertraulichen Quellen aber auch ganz banalen Kommunikationsprozessen aus Organisationen zitieren (Diesner et al. 2005). Damit wird deutlich, dass Organisationskommunikation ein Spannungsfeld zwischen Individuum, Organisation und Umwelt beschreibt, das durch mediale Nutzungsformen <?page no="175"?> 174 Swaran Sandhu sowohl innerhalb als auch außerhalb der Organisation gekennzeichnet ist. Organisationskommunikation hat eine Scharnierfunktion in doppelter Hinsicht. Erstens verschränkt sie disziplinär die Organisationsmit der Kommunikationsforschung. Dies bedeutet, dass sowohl ein grundsätzliches Verständnis der organisationalen Prozesse als auch kommunikationswissenschaftlichen Annahmen notwendig sind, um das Forschungsfeld zu bearbeiten. Zweitens ist die Organisation als Untersuchungsgegenstand auf der Mesoebene, d. h. zwischen individueller und gesellschaftlicher Dimension verortet. Damit reicht das Analysespektrum von einzelnen Kommunikationsepisoden innerhalb klar abgegrenzter Kommunikationsräume bis zum gesellschaftlichen Diskurs. Dieser Aufriss zeigt, dass das Forschungsfeld Organisationskommunikation als solches die prägenden Perspektiven, Paradigmen und Untersuchungsebenen aus den jeweiligen Mutterdisziplinen mitbringt und zugleich einen speziellen Fokus auf das Phänomen der Organisation richtet. Der Begriff Organisationskommunikation wird unterschiedlich verwendet: In einer weiten Interpretation wird er als „Kommunikation in, von und um (über)“ Organisationen verstanden (Weder 2010, S. 17). Damit werden alle Ausprägungen sowohl zielgerichteter als auch nicht-intentionaler Kommunikation auf Mikro-, Meso- und Makroebene abgedeckt. Mit dieser breiten Definition geht die Trennschärfe gegenüber anderen Disziplinen wie etwa der Public Relations, der strategischen Kommunikation, aber auch der internen Kommunikation verloren. Organisationskommunikation wird in manchen Fällen mit „interner Kommunikation“ gleichgesetzt und bezieht sich hier ausschließlich auf (intentionale) Kommunikationsprozesse in Organisationen, die sich v. a. auf der Mikro- und Mesoebene bewegen. Fragen der effizienten Gestaltung der Kommunikationsprozesse bis zur Führung und Koordination stehen dabei im Zentrum (vgl. den Beitrag von Huck- Sandhu in diesem Band). Schließlich wird Organisationskommunikation in einigen Fällen als Ersatz für Unternehmenskommunikation verwendet, wenn damit der inhärente „corporate bias“ des Begriffs durch einen Fokus auf alle Organisationstypen vermieden werden soll. Je nach theoretischer Perspektive lässt sich die Organisation als Mittel zur Zielerreichung und Effizienzsteigerung (funktional), als Prozess der gemeinsamen Sinngenerierung (interpretativ) oder als Ausübung von Kontrolle (kritisch) verstehen (Mumby 2013). Dieses Kapitel diskutiert zunächst zentrale Parameter für die Organisationskommunikation vor dem technologischen Wandel. Im zweiten Schritt werden diese Dimensionen mit aktuellen Entwicklungen und einem Schwerpunkt auf organisationsinternen Prozessen kontrastiert. Der dritte Teil bietet einen Ausblick, was Organisationskommunikation leisten muss. Die nachfolgenden Beiträge zu Organisationskommunikation vertiefen ausgewählte Aspekte. Reputation zeigt den „Charakter“ einer Organisation nach innen und außen (vgl. den Beitrag von Fleischer in diesem Band). Die CEO- Kommunikation baut eine Brücke zwischen Organisationsrepräsentanten und ihrer organisationalen Umwelt (vgl. den Beitrag von Talanow in diesem Band). Institutionen sind ein Scharnier zwischen gesellschaftlichen Anforderungen an Organisationen und deren organisationsinternen Bewältigungsstrategien (vgl. den Beitrag von Sandhu in diesem Band). Schließlich sind organisationsinterne Netzwerke und damit zusammenhängende Innovationsprozesse ein relativ neues Forschungsfeld für die Organisationskommunikation (vgl. den Beitrag von Biedermann in diesem Band). <?page no="176"?> Was leistet Organisationskommunikation? 175 1133..22 OOr rgga anniissa atti ioon n uunnd d KKoommm mu unniikka atti ioonn: : eei inn SSp piieeg ge el lb biilldd? ? Trotz der hohen lebensweltlichen und berufspraktischen Bedeutung ist die Organisationskommunikation als Forschungsfeld in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft nicht so stark verankert wie etwa im angelsächsischen (Jablin et al. 1987; Mumby 2013) oder romanischen Sprachraum (Alemanno und Parent 2013). Der Leistungsbzw. Funktionsbegriff wird in der Literatur zur Organisationskommunikation nur eingeschränkt behandelt. Dies lässt sich aus den unterschiedlichen theoretischen Zugriffen auf das Forschungsfeld erklären. Begrenzt man den Forschungstand auf den Bereich der Kommunikation „in“ Organisationen treffen mindestens zwei Denkhaltungen aufeinander, nämlich eine instrumentelle und eine interpretative Perspektive. Aus pragmatischen Gründen verzichte ich auf eine Herleitung beider Perspektiven, um stattdessen die Unterschiede stärker zu beleuchten (vgl. etwa Huck-Sandhu 2016 als Überblick bzw. ihren Beitrag in diesem Band). Das instrumentelle bzw. funktionale Verständnis der Organisationskommunikation wurzelt im Scientific Management bzw. der Human Relations-Forschung aus den 1930er Jahren und wird im deutschen Sprachraum häufig mit „interner Kommunikation“ gleichgesetzt. Die Betriebswirtschaftslehre bzw. Managementforschung und hier besonders die Personalführung verstehen interne Kommunikation als Werkzeug bzw. steuerbaren Prozess, der im Dienste der Organisationsziele steht. Deshalb steht die Optimierung der Kommunikation im Vordergrund. Disziplinär schließt die Perspektive an sozialpsychologische Modelle zur Analyse und Optimierung von Gruppenprozessen an. Demgegenüber steht eine interpretative Organisationskommunikationsforschung, die Kommunikation in (und von) Organisationen als Prozess der Sinngenerierung versteht (Weick 1985). Denn Organisationen - so die weiteste Auslegeordnung dieser Perspektive - sind letztlich das Ergebnis von Kommunikationsepisoden zwischen menschlichen Akteuren, aber auch nicht-menschlichen Aktanten wie etwa Zeichen, Architektur oder auch Softwareprogrammen. Diese radikale Perspektive auf die Organisationen wird als kommunikative Konstitution von Organisationen beschrieben (Schoeneborn und Wehmeier 2014). In beiden Perspektiven spiegeln sich die medialen Entwicklungen wider, wobei der Fokus in diesem Kapitel klar auf der interpretativen Perspektive liegt, da die instrumentell-funktionale Perspektive bereits von Huck-Sandhu in diesem Band diskutiert wird. Organisationen operieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind durch vielfältige Beziehungen mit ihrer Umwelt verbunden, die wiederum auf die Organisation zurückwirken. Die letzten 30 Jahre waren von Grenzaufhebungen in verschiedenen Dimensionen geprägt, die Mast (1986) bereits andeutete. Durchschlagende Treiber waren die Digitalisierung/ Konnektivität (insbesondere Internet und Mobilkommunikation), Globalisierung/ Internationalisierung (insbesondere Neoliberalismus und Deregulierung im Mediensektor), die Bildungsrevolution (insbesondere Ausbildung/ Hochschulbildung) und damit einhergehend ein verändertes Rezeptions- und Mediennutzungsverhalten, das sich zunehmend auch in Organisationen niederschlägt. Um diese Herausforderungen besser verstehen zu können, lässt sich Organisationskommunikation konsequenterweise prozessual (in einem stetigen Fluss der Sinngenerierung), reflexiv als Struktu- <?page no="177"?> 176 Swaran Sandhu ration (Handlung und Struktur beeinflussen und ermöglichen sich gegenseitig) und konstitutiv (erst durch Kommunikation wird Organisation möglich) konzipieren. 1133..33 HHeerraauussffo orrddeer ruunngg dduurrcchh GGr reen nzza auuffhhe eb buunnggeen n Die extramedialen Einflussfaktoren (Mast 1986, S. 108) zeigen sich für die Organisationskommunikation in drei Dimensionen: erstens, die Grenzaufhebung zwischen Individual- und Gruppenbzw. Massenkommunikation, die sowohl synchrone als auch asynchrone Kommunikationsprozesse möglich macht. Zweitens, die Grenzaufhebung zwischen Mensch und Maschine, wenn immer stärker Algorithmen in die Nachrichtenselektion eingreifen. Und drittens die Grenzaufhebung von Kommunikationsräumen, sowohl auf der persönlichen als auch auf der geografischen Ebene. GGrreennzzaauuffhhe ebbuunngg II: : KKaannaalleexxpplloossiioonn uunndd IInnffoor rmmaatti ioonnssüübbeerrllaadduunngg Organisationen und Organisationsprozesse passen sich den sich wandelnden Umweltbedingungen an. Allerdings sind viele erlernte Prozesse des Organisierens relativ robust, wie etwa die klassischen Konzepte der bürokratischen Organisationstheorie, die Koordination durch Hierarchie betont. Gerade deshalb stehen viele Organisationen vor der Herausforderung, die Organisationskommunikation den sich wandelnden Rahmenbedingungen anzupassen. Durch die Digitalisierung haben sich „[d]ie medialen Leistungen der Raum- und Zeitbewältigung […] entkoppelt“ (Mast 1986, S. 66). Der rapide Preisverfall von Hardware macht Highend-Geräte inzwischen auch für Mitarbeiter erschwinglich. Hinzu kommt, dass viele Dienste wie etwa Video-Conferencing oder kollaborative Dateibearbeitung mit Dienstleistungen außerhalb der Organisation leichter zu erreichen sind als mit den dort bereitgestellten Werkzeugen. So schreibt Mast (1986, S. 107): „Neue Kommunikationstechniken durchdringen individuellprivate, berufliche und öffentliche Kommunikationsräume und werden zunehmend multifunktional in individuell-privaten, geschäftlichen und massenkommunikativen Prozessen angewandt.“ Ersetzt man „neue Kommunikationstechniken“ durch Smartphones zeigt sich, wie zutreffend diese Aussage für heute geworden ist. Die extramedialen Einflussfaktoren verändern die Organisationsprozesse. Die Einführung neuer Technologien in Organisationen ist vergleichbar mit einer Operation am offenen Herzen. Etablierte Prozesse müssen weiterlaufen bis Mitarbeiter hinreichend geschult sind und neue Technologien verstanden und akzeptiert haben. Der Weg zur produktiven Nutzung ist lang, hart und steinig. Was bei einem kleinen Start-up mit einer intrinsisch hoch motivierten Gruppe von „Nerds“ bestens funktioniert, kann bei einem Großkonzern in den Mühlen der Bürokratie verenden. Es ist eben doch nicht so leicht, Elefanten zu tanzen zu bringen, wie dies Rosabeth Kanter (1983) so plastisch beschrieben hat. Exemplarisch zeigt sich dies in der E-Mail-Nutzung. In vielen Organisationen gelten E-Mails noch immer als „state-of-the-art“, obwohl es inzwischen viele andere mediale Möglichkeiten der synchronen Kommunikation (Chat, Instant Messaging, Wikis, Projektverwaltungen etc.) gibt. Durch die scheinbar einfache Nutzung der E-Mail-Kommunikation verbringen viele Mitarbeiter viel Zeit damit, E-Mails zu sichten, zu sortieren und zu beantworten. Denn E-Mails sind mehr als ein technisches Kommunikationswerkzeug: Sie werden als Projektdokumentation („Haben Sie nicht den neuen Entwurf erhalten? “), Absicherung der Entscheidung („Sie waren ja alle in Kopie in der Mail von letzter Woche…“) und damit auch zur Legitimation und <?page no="178"?> Was leistet Organisationskommunikation? 177 Ermächtigung des eigenen Handelns eingesetzt. Technologie ist keineswegs neutral, sondern kann etwa zur Mikropolitik eingesetzt werden. Doch kann allein schon die Einführung von Technologie unser Handeln verändern? Eine wichtige Perspektive zum besseren Verständnis des Zusammenspiels zwischen Organisation, Individuum und Technologie liefert die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) (Latour 2013). Diese Theorieströmung schreibt auch nicht-menschlichen Akteuren, sogenannten „Aktanten“, Handlungsfähigkeit zu. Aktanten reichen von einfachen mechanischen Verfahren (Schilder, Wegweiser) bis hin zu Software. Die Ausstattung und Veränderung einer IT- Infrastruktur ist deshalb weder trivial noch folgenlos, sondern greift massiv in die Kommunikationsarchitektur einer Organisation ein. Zugleich erweitern die neuen digitalen Kanäle die Bandbreite der Kommunikationsmöglichkeit und können schnell zu einer Art Informationsüberlastung führen. Konzepte wie etwa die Media-Richness-Theorie sind trotz der expansiven Digitalisierung nur begrenzt weiterentwickelt worden (Sheer und Chen 2004). Keineswegs können Organisationen voraussetzen, dass Mitarbeiter die komplette Kommunikationsarchitektur mit allen Kanälen gleichermaßen beherrschen. Deshalb erscheint es sinnvoll zu sein, Mitarbeiter zu schulen und eigene Regelwerke (z. B. Social Media Guidelines) dort zu entwickeln, wo Schnittstellen zur externen Kommunikation bestehen (Schach 2015). Viele Organisationen beschäftigen sich mit Konzepten der flexiblen/ agilen oder resilienten Organisation (Buchholz und Knorre 2012), um die oben genannte Herausforderung der Kanalexplosion bei gleichzeitiger Informationsüberflutung zu bewältigen. Mit agil bzw. resilient sind Konzepte der Selbstorganisation jenseits der Hierarchie gemeint, wie sie z. B. in Netzwerkkonzepten angelegt sind. Neben der reinen Verfügbarkeit neuer technologischer Plattformen kann eine Organisationsgestaltung nicht ohne die Auseinandersetzung mit der Organisationskultur und -identität gedacht werden. Ein Punkt, der bei der Gestaltung von Unternehmenscommunities oder Enterprise Social Networks (Rossmann et al. 2016) mitbedacht werden muss (Gilpin und Miller 2013). Denn die besten Technologien nutzten nichts, wenn sie nicht verstanden, akzeptiert und eingesetzt werden. Auch hier verändert sich die Rolle und Aufgabe der Organisationskommunikation. Statt dem Kanalverwalter wird zunehmend ein Gestalter und Coach für Kommunikationstechnologie und -prozess erforderlich. GGrreennzza auuffhhe ebbuunngg IIII: : DDaatte enn uunndd AAl lggoorriitth hmmeen n Während digitale Werkzeuge die Koordination in Gruppen und zwischen Organisationen teilweise erheblich erleichtern können, verändert sich dadurch die Situation für den Einzelnen. Denn „[d]ie Entwicklung der Telekommunikation ist auch geprägt durch ein Vordringen von Elementen der Individualkommunikation in das massenmediale System“ (Mast 1986, S. 78). Was vor rund 30 Jahren nur in Ansätzen denkbar war, ist heute in vielen Organisationen zum Alltag geworden. Die Entwicklung verläuft in zwei Richtungen, nämlich organisationsintern und -extern. Zunächst zu den internen Entwicklungen: Organisationen versuchen, die Mechanismen sozialer Netzwerke auch in der Organisation einzusetzen, um Kommunikationsprozesse zu verschlanken bzw. überhaupt erst sichtbar zu machen. Beispielsweise können in Foren Informationen ausgetauscht und bewertet werden. Eng verbunden mit der Digitalisierung produzieren Organisationen immer mehr Daten, nicht aber zwangsläufig handlungsleitendes Wissen. Um aus reinen Daten entscheidungsrelevantes Wissen zu <?page no="179"?> 178 Swaran Sandhu generieren, wird seit den 1980er Jahren verstärkt das Wissensmanagement eingesetzt. Damit sollen zum einen die Datenbestände in Organisationen systematisiert werden und zum zweiten die richtigen Daten zum richtigen Zeitpunkt der richtigen Person zur Verfügung stehen. Denn Daten erlangen erst durch ihren Kontext und Verwendungszusammenhang Relevanz. Mit der Digitalisierung ihrer Datenbestände haben Organisationen nun die Chance, Datenbestände neu zu systematisieren. Dies setzt aber zunächst voraus, dass Datenbestände zugänglich sind, d. h. digitalisiert und zum zweiten systematisiert werden können. Um die Datenbestände beherrschbar zu machen, werden verstärkt sogenannte Dashboards eingesetzt, eine Art Cockpit-System, die für den Mitarbeiter am Desktop oder für das mobile Endgerät relevante Daten aufbereitet und ggf. bereits selektiert und interpretiert. Diese Aufgaben können bereits jetzt Algorithmen übernehmen, die sich zukünftig an das Verhalten des Nutzers anpassen werden und entsprechende Präferenzen erlernen. Big Data wird diese Entwicklung noch schärfer herausstellen (Kennedy et al. 2015), gleichzeitig aber auch ethische Fragestellungen deutlich akzentuierter sichtbar machen. Für die externe Kommunikation hat die Individualisierung und Algorithmisierung zwei Dimensionen, nämlich auf der Kommunikator- und auf der Rezipientenseite. Als Kommunikatoren können Einzelpersonen eine Reichweite über digitale Netzwerke aufzubauen, die zuvor nur über Massenmedien möglich war. Damit können sie das klassische Gatekeeping etablierter Intermediäre umgehen und den Eindruck einer direkten Kommunikation erzeugen (Bro und Wallberg 2014). Diese Kommunikationsformen haben sich seit ca. 2010 auf dem Kurzmitteilungsdienst Twitter und ähnlichen Plattformen (Instagram, Snapchat, etc.) im Bereich der Populärkultur aber auch der Politik entwickelt (Colapinto und Benecchi 2014). Dies bedeutet keineswegs, dass die Gatekeeper-Funktionen der Massenmedien verschwunden sind. Wohl aber, dass sich einzelne Personen oder Akteure über soziale Netzwerke eine Reichweite vorbei an den etablierten Massenmedien aufbauen können. Für die Organisationskommunikation bedeutet dies, dass exponierte Organisationsvertreter, aber auch reguläre Mitarbeiter nicht mehr durch ihre reine Funktion in der Organisation, sondern über ihre öffentlichen Kommunikationsbeziehungen wahrgenommen werden können. Für Rezipienten ist die Vision einer individualisierten und personalisierten Nachrichtennutzung in vielen Fällen bereits Realität geworden. Kuratierte Nachrichtenströme (Thorson und Wells 2016) werden auf Smartphones nach den Nutzerpräferenzen der Rezipienten automatisch erstellt und dabei laufend verbessert (Sandhu und Luft 2016). Ähnliche Konzepte werden auch in Organisationen eingesetzt, um Mitarbeiter besser mit relevanten Informationen automatisch zu versorgen. GGr re en nzzaauuf fh he eb bu unngg IIIIII: : GGl lo ob baallee KKoom mm mu un niikka at ti ioon ns ssst tr rööm me e Die letzte Grenzaufhebung betrifft die Kommunikationsräume. Der Begriff ist mehrdeutig. Er kann sich auf geografische, kulturelle oder kognitiv abgesteckte Räume beziehen, die sich im weitesten Sinne durch eine gemeinsame Situationsdefinition und einheitliche Deutungsmuster ihrer Teilnehmer auszeichnen. Organisationen nehmen dabei als „Sinngeneratoren“ (Ortmann 2010, S. 187) für ihre Mitglieder und für die Umwelt eine wichtige Rolle ein. Besonders die organisationale Sozialisation und Kultur werden immer stärker zu wichtigen Differenzierungsmerkmalen gegenüber anderen Organisationen. Nicht nur Unternehmen, sondern auch Non-Profit-Organisationen sowie Kirchen, Fussballclubs oder kriminelle Netzwerke operieren heute weltweit. Damit sie voneinander unterscheidbar bleiben, benötigen sie eine klare Identität nach <?page no="180"?> Was leistet Organisationskommunikation? 179 innen und eine Differenzierung nach außen, etwa über ein spezifisches Image (Cheney et al. 2014). Das Fundament für den Aufbau von Identität und Image sind Kommunikationsströme. Prinzipiell lassen sich zwei grundlegende Organisationstypen unterscheiden, die nachfolgend kurz erläutert werden. Die Formalorganisation umfasst bestimmte Merkmale wie etwa Zielorientierung, Hierarchie, Mitgliedschaft, Weisungsbefugnis und Sanktionsfähigkeit gegenüber ihren Mitgliedern sowie eine klare Grenzziehung gegenüber der Umwelt (Sanders und Kianty 2006). Demgegenüber stehen netzwerkartige Organisationstypen, die sich sehr viel stärker über Identifikationsangebote und eine gemeinsame Wertebasis konstituieren. Organisationen werden häufig über klare Grenzen gegenüber ihrer Umwelt definiert. Die einfachste und sichtbarste Form der Grenzziehung ist die Mitgliedschaft, an die Rechte, aber auch Pflichten gebunden sind. Studierende müssen eingeschrieben sein, um Prüfungen abzulegen. Arbeitnehmer haben einen Arbeitsvertrag, der Arbeitszeit und Aufgaben regelt und erhalten dafür ein Gehalt. Auch die Kommunikation ist klar geregelt: Es gibt unterschiedliche Ausprägungen der internen Kommunikation, deren Verbreitungsgrad durch die entsprechenden Medien (Mitarbeiterzeitung, -TV, Intranet, etc.) definiert wird. Die Kommunikationsinhalte sind nur für die Mitglieder der Organisation bestimmt und generieren so eine abgeschlossene Themenöffentlichkeit bzw. einen Kommunikationsraum. Ergänzend zu den offiziellen, formalen Kommunikationskanälen hat jede Organisation informelle Kommunikation. Darunter lassen sich alle Formen des Austauschs zusammenfassen, der nicht entlang etablierter Kommunikationshierarchien verläuft und/ oder Themen außerhalb des direkten Organisationskontextes behandelt. Informalität kann durchaus brauchbar sein. Sie ermöglicht Organisationsmitgliedern einen schnellen und direkten Austausch jenseits der Hierarchie, etwa in persönlichen Netzwerken. Aber Informalität kann auch negative Folgen haben, wenn sich etwa Gerüchte verbreiten oder Seilschaften exklusive Informationen zuspielen oder andere davon ausschließen (Alt 2005). Netzwerkartige Organisationsformen können Projekte, soziale Bewegungen oder ähnliches sein (Castells 2015). Diese haben nicht zwingend eine Hierarchie oder eine Führungsebene, sondern basieren häufig auf technologisch gestützten Koordinations- und Kooperationsplattformen. Eine Mitgliedschaft ist nicht zwingend notwendig, um an Projekten teilzunehmen. Einige Autoren sprechen deshalb auch von partiellen Organisationen (Ahrne und Brunsson 2011), die nur in Teilen die typischen Merkmale einer Organisation umfassen. Das ideelle Fundament dieser Organisationen ist zum Teil an die Grundsätze der Selbstorganisation angelehnt, wie sie etwa bei der Open-Source- Bewegung zu finden ist: Selbstorganisation, Transparenz, Chancengleichheit und Meritokratie. Die Mitarbeit an diesen Projekten ist häufig wertegetrieben und intrinsisch motiviert, da externe Anreizsysteme fast komplett fehlen. Die Kommunikationsräume dieser Organisationstypen basieren auf „deterritorialen Vergemeinschaften“ (Tepe und Hepp 2008, S. 43). Gemeint sind kooperative Arbeitszusammenhänge, die sich von lokalen Netzwerkgruppen, in welchen face-to-face Kontakte noch möglich sind bis zu einem translokalen Sinnhorizont erstrecken, der nicht mehr an geografische Grenzen gebunden ist. Dieser gemeinsame Sinnhorizont wird durch medienvermittelte Kommunikation aufrechterhalten, etwa über gemeinsame kollaborative Arbeitsplattformen, Instant Messaging oder Chats. Gerade diese Organisationstypen sind ohne anschlussfähige Kommunikationsströme kaum dauerhaft denkbar. <?page no="181"?> 180 Swaran Sandhu 1133..44 LLeei is sttu unngge en n dde er r OOr rgga anniis saattiio onnssk koom mm mu unniikka atti io onn Im Abgrenzung zur internen Kommunikation, die Kommunikation als Mittel der organisationalen Zielerreichung versteht, will Organisationskommunikation eine Reflexion über alle Formen der Kommunikationsprozesse in Organisationen leisten. Die Nähe zur Organisationsforschung eröffnet hier neue Räume um nichtreduktionistische Ansätze jenseits einer funktionalen Optimierungslogik anzuwenden. Je nach theoretischem Fokus lassen sich so unterschiedliche Erklärungsmomente entwickeln. Die folgenden drei Perspektiven stehen exemplarisch für unterschiedliche theoretische Zugänge zur Organisationskommunikationsforschung: eine prozessuale, eine reflexive und eine konstitutive Perspektive. Eine prozessorientierte Perspektive versteht Organisationskommunikation als andauerndes kollektives Sensemaking (Weick 1995, 2012). Ein individuelles, aber auch geteiltes Verständnis von organisationaler Wirklichkeit lässt sich als „ongoing retrospective development of plausible images that rationalize what people are doing“ (Weick 2008, S. 1403) verstehen. Mit anderen Worten: Alle Handlungen und Kommunikationsinhalte werden permanent vor dem existierenden Erfahrungsschatz der Organisationsmitglieder abgeglichen und mit Sinn versehen. Die entscheidende Herausforderung ist es, eine kollektive Deutung der organisationalen Wirklichkeit zu entwickeln. Weick und Sutcliffe (2003) arbeiten hier mit dem Konzept der organisationalen Achtsamkeit („mindfulness“). Sie untersuchten sogenannte „high reliability organizations“, also Organisationen, bei welchen ein kleiner Fehler katastrophale Auswirkungen haben kann, etwa Kernkraftwerke, Flugzeugträger oder Intensivstationen in Krankenhäuser. Diese Organisationen zeichnen sich durch eine introspektive Haltung aus. Sie lehnen grob vereinfachende Interpretationen ab, haben ein feines Gespür für organisationale Prozesse und Abläufe, richten die Aufmerksamkeit eher auf Fehler (und deren Gründe) als Erfolge zu feiern, streben nach Flexibilität und schätzen fachliches Wissen und Können höher ein als Hierarchie. Viele dieser Ideen werden heute neu verpackt unter dem Stichwort „digitale Transformation“ in Unternehmen hineingetragen. Oft werden sie dann mit Management- Buzzwords wie etwa agil, disruptiv, responsiv oder ähnlichen Begriffen belegt, die gerne als Ausdruck für Unternehmensanpassungen verwendet werden. Im Kern geht es aber immer um die Frage, wie Menschen das, was ihnen in Organisationen widerfährt, interpretieren. Eine reflexive Perspektive schließt an die prozessuale Perspektive an. Besonders Giddens (1995) aber auch Beck et al. (1996) haben versucht, mit Reflexion bzw. Reflexivität moderne Gesellschaften zu beschreiben. Der gemeinsame Fluchtpunkt für beide ist das Ende der Gewissheit sicherer Strukturen, wie sie (vermeintlich? ) in traditionalen Gesellschaften gegeben war. Stattdessen regieren Unsicherheit, Verwirrung und Chaos die Moderne. Die Geschwindigkeit der Veränderungen nimmt stetig zu. Bewährte, häufig binäre Rezepte (richtig/ falsch) gelten nicht mehr, stattdessen sind Mehrdeutigkeiten und Aushandlungen an der Tagesordnung. Dies betrifft Organisationen unmittelbar. Seit einiger Zeit wird die Organisationsumwelt v. a. als VUCA beschrieben (Bennett und Lemoine 2014). Die Abkürzung steht für volatile, uncertain, complex und ambigious und wurde erstmals vom amerikanischen Militär verwendet. Volatil bedeutet, dass eine Situation als instabil und unvorhersehbar eingeschätzt wird. Unsicher beschreibt, dass es keine einfachen Kausalbeziehungen mehr gibt, sondern die Folgen einer Entscheidung unklar sein können. Bei komple- <?page no="182"?> Was leistet Organisationskommunikation? 181 xen Arrangements handelt es sich um mehrere, miteinander in Beziehung stehende Elemente, deren gegenseitige Wirkung unklar ist und sich teilweise verstärken oder aufheben kann. Schließlich können Situationen mehrdeutig (ambiguitär) sein, d. h. es ist unklar, nach welchen Regeln oder Gesetzmäßigkeiten Wirkungen entstehen, was Planung unmöglich macht. Überträgt man das Konzept der Reflexivität auf die Organisationskommunikation, bedeutet dies, die enge gegenseitige Verschränkung von Handlung und Struktur zu berücksichtigen (Banks und Riley 1993). Was bedeutet dies für die Organisationskommunikation? Zunächst geht es darum, die Komplexität der kommunikativen Situation zu erfassen und dabei zu berücksichtigen, dass jede kommunikative Handlung das Gesamtgefüge der Organisation verändert und auf sie zurückwirkt. Dies gilt insbesondere für die oben angesprochenen Grenzaufhebungen. Es geht nicht nur um Medientechnologien, sondern immer auch um deren Nutzung und die dabei manchmal unbeabsichtigten Folgen. Schließlich leistet die konstitutive Perspektive einen Beitrag dazu, kommunikative Prozesse als Herzstück von Organisationen zu verstehen. Die kommunikative Konstitution von Organisationen („CCO“, communicative constitution of organizations) geht davon aus, dass Organisationen aus einzelnen Interaktionen und anschlussfähigen Kommunikationsepisoden zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren laufend neu geschaffen werden (Cooren et al. 2006; Taylor und van Every 2000; Schoeneborn 2013b). Die CCO-Perspektive geht in Anlehnung an die Akteur-Network-Theory davon aus, dass auch nicht-menschliche Akteure - als Aktanten beschrieben - eine handlungsleitende Wirkung auf Menschen haben können und somit auch zur Fortführung von Organisationen beitragen. Beispielsweise können dies Schilder sein, die ein bestimmtes Verhalten hervorrufen, das Arrangement der Schreibtische, bestimmte Software-Anwendungen (Schoeneborn 2013a) oder Checklisten (Frind 2016). Mit diesem breiten Kommunikationsbegriff weitet sich der Blick in der Organisationsanalyse auf die Materialität der einzelnen Kommunikationsepisoden. Man könnte sogar so weit gehen, dass Organisationen nur aus Kommunikation bestehen (Blaschke und Schoeneborn 2017). Für die Organisationskommunikation bedeutet dies nicht nur auf die Kommunikationsinhalte und -medien zu achten, sondern auch Aktanten und ihre Wirkung in der Analyse von Organisationen zu berücksichtigen. Was leistet also Organisationskommunikation? Sie leistet das, wofür wir bereit sind, sie einzusetzen, nämlich den Perspektivenwechsel gegenüber rein funktionalen Ansätzen ernsthaft zu betreiben. Dies setzt eine Offenheit gegenüber alternativen Erklärungsansätzen voraus. Das Schöne dabei: Es ist nicht schwierig. Denn fast jede/ r ist Mitglied in einer Organisation. Nichts liegt also näher, als die eigene Organisation als Untersuchungsobjekt anzusehen und sich dabei auf das konstitutive Wechselspiel zwischen Organisation und Kommunikation einzulassen. Doch Vorsicht - die somit gewonnenen Erkenntnisse könnten eingefahrene Denkmuster hinterfragen! <?page no="183"?> 182 Swaran Sandhu LLiitteerraattuurr Ahrne, G., & Brunsson, N. (2011). Organization outside organizations: The significance of partial organization. Organization, 18(1), 83-104. Alemanno, S. P., & Parent, B. (2013). Les communications organisationnelles. Paris: Editions L‘Harmattan. Alt, R. (2005). Mikropolitik. In E. Weik & R. Lang (Hg.), Moderne Organisationstheorien 1. Handlungsorientierte Ansätze (S. 295-328). Wiesbaden: Gabler. Banks, S. P., & Riley, P. (1993). Structuration theory as an ontology for communication research. Communication Yearbook 16, 167-196. Beck, U., Giddens, A., & Lash, S. (1996). Reflexive Modernisierung. 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Stuttgart: Klett-Cotta. <?page no="186"?> 1144 WWa ass lleeiisst te ett RReeppuutta atti ioonn? ? U Unntteerrnneehhmmeennsscchhaarraakktteerr gglloobbaalliissiieerrtt uunndd ddiiggiittaalliissiieer rtt Alexander Fleischer Der Beitrag baut auf der Dissertation Reputation und Wahrnehmung des Autors auf, in der untersucht wurde, wie Reputation entsteht und welche Konsequenzen dies für das praktische Handeln hat. Die Ausarbeitung endet mit dem Gedanken, dass Unternehmen, die nach guter Reputation streben, den Erwartungen an ein „tugendhaftes Unternehmen“ gerecht werden müssen. Dieser Gedanke wird hier fortgeführt. Wenn universell gültige Wahrnehmungsdimensionen für Reputation existieren - so die These -, stellt sich die Frage, warum die Reputation einer Organisation von Region zu Region unterschiedlich sein kann. Die Antwort wird unter Herbeiziehung einzelner Dimensionen des Leistungsbegriffs der Medien gegeben. 1144..11 RRe eppu ut taattiioon n - - L Le eiittggrrö öß ßee u un ntteerrnneehhmmeerri is scchheenn H Haan nd de ellnns s Der Praxis ist daran gelegen, dass sich die Wissenschaft weiter mit Reputation beschäftigt. Denn die bestehenden Modelle und Verfahren sind entweder komplett aus der Luft gegriffen (häufig von kommerziellen Anbietern wie Agenturen oder Beratern) oder aber so komplex und aufwendig in der Anwendung (häufig von akademischen Instituten), dass sie nur für Großkonzerne geeignet sind. Letztere werden selbst dort nur von einem elitären Zirkel verstanden und bleiben dadurch für die eigentliche Unternehmensführu ng u nd -praxis häufig we rt los. Ermutige nd ist, dass die wisse nschaftlic he Auseinandersetzung mit Reputation in den letzten Jahren fruchtbar war. Vor allem im deutschsprachigen Raum entsteht zunehmend Konsens darüber, welches die Treiber sind, die Reputation in der Wahrnehmung durch andere ausmachen. Dieser Konsens pendelt sich auf drei Dimensionen ein. Während Eisenegger und Imhoff (2009) die drei Dimensionen theoretisch hergeleitet haben, haben Schwaiger (2004) und Ingenhoff (2007) jeweils umfangreiche empirische Designs angewendet, um ihre Dimensionen zu überprüfen. Wiedmann (2012) hat schließlich das vielzitierte Reptrak-Konzept den neueren Erkenntnissen angepasst, indem er „Reputationsreflektoren“ aus den ursprünglich sieben Dimensionen von Fombrun (1996) herausgelöst hat. Dieser sichtbare Konsens wurde in „Reputation und Wahrnehmung“ (Fleischer 2014) hinterfragt und so weiterentwickelt, dass die abstrakte und doch nicht einheitliche Begrifflichkeit beiseitegelegt und ein Modell entwickelt wurde, das universell gültig und anwendbar ist. Zunächst war es nötig, Licht in das Dunkel rund um die Entstehung von Reputation zu bringen, etwas das trotz der zahlreichen Literatur bisher nicht unternommen wurde. Dann musste eingestanden werden, dass die Grenzen dessen, was mit auf Befragungen basierender Empirie heute möglich und erklärbar ist, erreicht sind. Schließlich mussten neue und ältere Erkenntnisse aus Psychologie und Philosophie herbeigezogen werden, um dennoch einen Schritt weiterzukommen. Das resultierende Modell basiert auf Metadimensionen der Reputation, die psychologisch-philosophisch abgestützt sind und zugleich die Grundlage liefern für eine situations-, branchen- und größenunabhängige Anwendung. Es erlaubt Unternehmen, rasch und einfach einen wirkungsvollen Aktionsplan zur Beeinflussung der eigenen Reputation zu entwickeln. <?page no="187"?> 186 Alexander Fleischer Reputation wird in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung häufig als kollektives, intuitives Urteil der anderen erklärt, das vom Einzelnen wahrgenommen und beurteilt wird, ohne eine Erklärung dafür zu liefern, wie dies möglich sein und vor sich gehen soll. Die herausragende Rolle der Intuition beim Urteilen und Entscheiden wurde durch die Psychologie, insbesondere von Gigerenzer (2008) und Kahnemann (2012) in der jüngeren Vergangenheit empiriegestützt aufgezeigt. Die Antwort auf die Frage, wie es zu kollektiven intuitiven Urteilen kommen kann, ist bei Jung (2010) zu finden, der das kollektive Unbewusste erklärt, ebenso wie die Schemata, die sich im Unbewussten über die Evolution abgelagert haben. Er bezeichnet diese als Archetypen. Da es sich bei Reputation um eine Beurteilung von Wesensinformationen handelt, können die Dimensionen, auf die der Konsens der Forschung zuläuft, ontologisch hergeleitet und abschließend folgendermaßen bezeichnet werden (Fleischer 2014): Um eine gute Reputation zu erzielen, muss eine Organisation (oder ein Mensch) in der Wahrnehmung als aktiv-potent, weise und gütig wahrgenommen werden und zwar so, dass sich diese drei Eigenschaften gegenseitig durchdringend im Gleichgewicht halten. Weitergedacht, kann ein Unternehmen mit einer guten Reputation mit einem tugendhaften Unternehmen 1 gleichgesetzt werden, denn die Dimensionen weisen Nähe zu den Kardinaltugenden auf, nämlich zu Tapferkeit, Weisheit, Gerechtigkeit und Maßhalten. 2 Gute Reputation wird so zur archetypischen Leitgröße im menschlichen Miteinander. Warum ist dies nun der Schlüssel für eine Verwertung in der Praxis? Eine Geschäftsleitung kann ausgehend von den drei Metadimension (mit dem Aspekt Gleichgewicht sind es vier) eine Standortbestimmung vornehmen und einen kurz-, mittel- und langfristigen Plan zur Behebung der Defizite oder zum Bewahren der Stärken ausarbeiten. In „Reputation und Wahrnehmung“ (Fleischer 2014) ist an einem fiktiven Fallbeispiel dargelegt, wie das konkret angegangen werden kann. Dank des Metacharakters der Dimensionen lassen sich bestehende Marktforschungsergebnisse aus verschiedenen relevanten Bereichen leicht integrieren. Je mehr Datenmaterial zur Wahrnehmung relevanter Stakeholdergruppen bei der Standortbestimmung vorhanden ist, desto besser. Es geht aber zunächst auch ohne. Das heißt, die Leitung eines Unternehmens muss sich keinen riesigen Instrumentenpark an Markt- und Medienforschung zulegen und kostspielig am Laufen halten, ehe sie vernünftige Entscheidungen treffen und zielführende Maßnahmen einleiten kann. Das setzt jedoch voraus, dass eine Unternehmensführung eine eigenständige Marke als Grundlage einer positiven Reputation anstrebt und bereit ist, echte Veränderungen vorzunehmen. Die Unternehmensmarke ist der zentrale Vermittlungshebel zwischen der Reputation, die sich außerhalb des Unternehmens bei dessen Stakeholdern und der Öffentlichkeit bildet und der Realität des Unternehmens mit seinen Aspirationen und Zielen. Reputationsarbeit ist daher in erster Linie Markenarbeit und in zweiter Linie Kommunikation. 1 Auf die Parallele der Metadimensionen mit den Kardinaltugenden hat mich Stephan Feldhaus, Kommunikationsleiter der Roche AG aufmerksam gemacht. 2 Übersetzt in Archetypen könnte man von Krieger/ in, Weise/ r, Liebende/ r sprechen und von König/ Königin, wenn die ersten drei Archetypen integriert sind, d. h. sich gegenseitig durchdringend im Gleichgewicht oder im Maß halten. <?page no="188"?> Was leistet Reputation? 187 „Marken brauchen ein Selbstbewusstsein. Ihre Eigentümer müssen sagen: ‚Egal, was die Leute gerade über unsere Marke denken, wir wissen, wie wir sein wollen, und wir machen uns an die Arbeit, damit wir auch entsprechend wahrgenommen werden.’ Das mag ein langer Weg sein, aber jeder Eigentümer trägt dafür die Verantwortung und hat es in der Hand, die Wahrnehmung seiner Marke zu verändern. Nur kann er eben nicht direkt auf die Marke einwirken und diese ‚führen’, indem er an der Oberfläche ein paar Schönheitskorrekturen, wie ein neues Erscheinungsbild oder eine teure Werbekampagne, veranlasst. Um die ihm anvertraute Marke zu bewahren und nachhaltig zu verändern, muss der Eigentümer der Marke seiner Rolle als Anführer der Organisation, die hinter der Marke steht, gerecht werden“ (Freitag 2015, S. 45). „Gute Reputation“ als Leitgröße unternehmerischen Handelns lässt sich dann, wie in Abb. 1 gezeigt, über einen Zyklus mit drei Schritten operationalisieren. Die Standortbestimmung führt zunächst zu Reputationsprojekten, die die Realität im Unternehmen, dort wo Defiz ite fe st gest ellt w urden, v er ändern solle n. Na ch a uße n w ird die A usw ahl von Themen ebenfalls ausgehend von den festgestellten Stärken und Defiziten vorgenommen und in die abgeleiteten Markenvorgaben eingebettet. Und schließlich werden auch die einzelnen Botschaften anhand der drei Dimensionen und der Situation des Unternehmens diesbezüglich ausgestaltet. Der dritte Schritt lässt erkennen, dass die Metadimensionen nicht nur strategisch geplant, sondern auch individuell und ad hoc nützlich sind. Der um seine eigene und die Repu- <?page no="189"?> 188 Alexander Fleischer tation seines Unternehmens besorgte Manager kann in einer hereinbrechenden Krise die drei Dimensionen nutzen, um die eigenen Handlungsoptionen zu beurteilen und in Balance zu bringen. Dieser Check anhand der drei Dimensionen kann im Extremfall innerhalb von nur wenigen Minuten zu einer besseren Entscheidung führen. 1144..2 2 GGuutte e RRe ep pu utta atti io onn ddu urrcch h ttu ugge en nddhha afftteess VVe errhha alltte enn Reputation ist eingebettet in eine dreigliedrige Wertordnung: Von den häufig im Vordergrund stehenden materiellen Werten, über den immateriellen Wert Reputation zu den übergeordneten ethischen Werten. Es drängt sich die Frage auf: Bedeutet ein Streben nach guter Reputation die Verherrlichung der Eitelkeit? Tritt damit das Geltenwollen (Ehrsucht) und Seinwollen (Hochmut) als zusätzliches Laster neben das Habenwollen (Gier nach Reichtum)? In der Praxis häufig ja. Aber Streben nach guter Reputation gelingt nur mit Arbeit am Selbst. Wenn also das Geltenwollen und das Seinwollen zum Werden führt, heiligt der Zweck wohl die Mittel. So wie der Eigentümer einer Marke erstens deutlich macht, „wie der Zweck der Marke verfolgt werden soll und an welchem Denken wir uns als Mitarbeiter und sonstige Agenten der Marke orientieren können und sollen“ (Freitag 2015, S. 94) und zweitens für die „Marke eine praktische Philosophie [definiert], die uns konkret und verständlich aufzeigt, welche Handlungen dem Denken der Marke entsprechen und welche nicht“ (ebd., S. 95), so definiert auch die Gesellschaft über den Hebel Reputation ihre Erwartungen an Unternehmen und deren Führung. In „Reputation und Wahrnehmung“ wurde die Antwort auf die Frage nach der Entstehung von Reputation mithilfe der Analogie vom Menschen zur Organisation gegeben. Die gleichen Kriterien, die beim Urteil über die Reputation oder die Vertrauenswürdigkeit eines Menschen zum Tragen kommen, gelten auch für das Urteil über eine Organisation. Bei den Unternehmensführern schließt sich hier wieder der Kreis, denn in ihrer Stellvertreterfunktion für die Organisation kommt ihrem eigenen Handeln besondere Bedeutung zu. Reputation als erfüllte Erwartung an ein tugendhaftes Unternehmen beginnt mit den tugendhaften Unternehmensführern. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei hier nochmals betont, was mit Tugendhaftigkeit gemeint ist und was nicht. Nicht gemeint ist die landläufige Vorstellung einer verhärmten Oberlehrerin oder eines verkniffenen Oberlehrers. Es geht um „mehr Tugend, weniger Moral“ (Brantschen 2009, S. 41). Gemeint sind die Kardinaltugenden im klassischen Sinn -Tapferkeit, Gerechtigkeit, Weisheit und Maßhalten, die als Synonyme der Metadimensionen der Reputation, also zur aktiven Potenz, Güte, Weisheit und dem Gleichgewicht aufgefasst werden können. Eine ganz besondere Bedeutung kommt dem Gleichgewicht der drei Dimensionen zu - oder in Tugenden gesprochen, dem Maßhalten. Praktiker aus der Unternehmenskommunikation können ein Lied davon singen, wie die Eitelkeit und der Stolz 3 der Unterneh- 3 „Stolz ist das schlimmste Laster. Stolz ist ein Problem im Wahrnehmungsapparat. Stolz macht uns blind […] für unsere eigenen Schwächen und veranlasst uns zu glauben, wir seien besser, als wir es tatsächlich sind. Stolz macht uns sicherer und engstirniger, als wir es sein sollten“ (Brooks 2015, S. 432). <?page no="190"?> Was leistet Reputation? 189 mensführung zur Gefahr für das Unternehmen werden kann. Der Druck auf Kommunikationsabteilungen, in huldigendem Ton die Leistung der Unternehmungsführung zu preisen, kann immens werden und das Nachgeben auf diesen Druck hat noch immer zu einer früher oder später durch die Presse weidlich genutzten Gelegenheit der Demontage geführt. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall“. Ein Glücksfall also, wenn sich bei Unternehmensführern Erfolg mit Reflexion so paart, dass es sich in einem Maßhalten im kommunikativen Handeln niederschlägt. Dass dies viel Reife erfordert und eher selten vorkommt, ist ein zentraler Grund, weshalb gute Reputation ein so wertvolles Gut ist. Es muss hart verdient werden und zwar nicht durch viele Arbeitsstunden, sondern durch charakterliche Stärke. „Veränderung beginnt erst, wenn sich das Denken verändert und wenn sich durch jahrelange Praxis der Charakter der Agenten verändert“ (Freitag 2015, S. 92). Der Begriff des Charakters ist interessant, da im Zusammenhang mit Marken immer wieder von Identität und Persönlichkeit gesprochen wird (Niederhäuser und Rosenberger 2011). Bei der Beleuchtung der Entstehung von Reputation rückte das Wesen eines Menschen oder einer Organisation ins Zentrum des Interesses, da durch außenstehende Wahrnehmende versucht wird, eine Einschätzung und ein Urteil darüber zu fällen. Der Begriff des Charakters taucht zwar hin und wieder in der Literatur auf, wird aber nicht ein- und abgegrenzt. Dabei eignet sich das Konzept des Charakters, die Brücke zum Verhalten zu schlagen und eine zeitliche Komponente einzubeziehen. Die Begriffe Identität, Persönlichkeit und Wesen stehen eher für statische Konzepte. Der Begriff des Charakters ist für den Reputationskontext auch deshalb passend, da er auch die soziale Komponente der Reputation aufgreift, denn „tatsächlich wird unser Charakter […] in einer Gemeinschaft ausgeformt“ (Brooks 2015, S. 365) und die „Summe der Handlungen eines Menschen macht in unserer Wahrnehmung seinen Charakter aus“ (Freitag 2015, S. 103). Tugendhaftigkeit wird nicht primär dadurch erreicht, dass man sich etwas verkneift, sondern dass man etwas tut. Tapferkeit, Gerechtigkeit, Weisheit und Maßhalten finden nicht intellektuell statt, sondern kommen in Taten zum Ausdruck. Diese Taten haben nicht nur Einfluss und Wirkung auf die Mitmenschen und das Umfeld des Akteurs, sondern auch auf ihn selbst und prägen dadurch über die Zeit seine Persönlichkeit. Das im Menschen angelegte Wesen und seine Identitätsmerkmale schärfen und entwickeln sich im Zeitverlauf durch Handlungen, ebenso wie die Reflexion darüber, und so entsteht Charakter: „Charakter [ist] nicht angeboren oder von Natur aus vorhanden. Man muss ihn mühsam und kunstfertig bilden. Man kann nicht zu dem guten Mensch werden, der man sein will, wenn man diesen Kampf nicht führt“ (Brooks 2015, S. 35). Und doch hat Charakter auch mit Einsatz von Energie zu tun, die sich im Unterbinden gewisser Handlungen ausdrückt. Die Mäßigung als Ausdruck vom Unterbinden oder Nicht-Ausleben, z. B. von Gier oder Hochmut, ist somit eine ebenso energiegeladene Handlung wie das tapfere nach außen gerichtete Kämpfen (ebd., S. 107). Im Markenkontext empfiehlt Freitag im Rückgriff auf Aristoteles, dass wir „das gute Handeln nochmals unterteilen: In gutes Denken und einen guten Charakter. […] Wenn […] von ‚gutem Handeln‘, ‚gutem Denken‘ oder ‚gutem Charakter‘ gesprochen wird, so ist damit immer gut in Bezug auf den Zweck der Marke gemeint. Es geht also nicht um ein moralisches Urteil, sondern darum, ob das Handeln dem eigenen Anspruch der Marke gerecht wird“ (Freitag 2015, S. 91). Er sieht die Notwendigkeit, dass die Führung <?page no="191"?> 190 Alexander Fleischer eines Unternehmens neben den drei von außen vorgegebenen Elementen - nämlich Gesetzesrahmen, funktionale Tugenden und moralische Tugenden - spezifische Markentugenden definiert, die ihr als Vorgabe für eine für das Unternehmen ganz spezifische zu etablierende Praxis dient (Freitag 2015, S. 157ff.). Dass Reputation ein so kostbares und schwer zu erlangendes Gut ist, liegt auch daran, dass in der Praxis ein immanenter Widerspruch aufgelöst werden muss. Reputation kann nicht entstehen, wenn ein Unternehmen nicht bekannt ist und wenn sein herausragendes Verhalten und die daraus resultierenden außergewöhnlichen Leistungen nicht bekannt werden. Dazu ist ein großes Maß an Kommunikation notwendig. Gleichzeitig ist aber Selbstlob kontraproduktiv. Oder wie Brooks (2015, S. 29f.) es erklärt: „Der sich selbst zurücknehmende Mensch ist wohltuend und gütig, während der sich selbst anpreisende Mensch fragil und misstönend ist. Demut ist Freiheit von dem Bedürfnis, sich ständig als überlegen beweisen zu müssen. [...] Diese Art der Bescheidenheit hat auch etwas intellektuell Beeindruckendes. […] Demut ist das Bewusstsein, dass es vieles gibt, was wir nicht wissen, und dass ein Großteil dessen, was wir zu wissen glauben, verzerrt oder falsch ist. Auf diese Weise führt Demut zu Weisheit.“ Zusammenfassend soll betont werden, dass dem Faktor Zeit bei Reputation eine besondere Bedeutung zu kommt, und dass das Konstrukt der Unternehmenspersönlichkeit oder -identität, wie in Abb. 2 dargestellt, unter Einbezug des Faktors Zeit zu einem Konstrukt des Unternehmenscharakters weiterentwickelt werden kann. Dadurch wird die Bedeutung des erleb-, sicht- und kommunizierbaren Verhaltens unterstrichen. <?page no="192"?> Was leistet Reputation? 191 Markenarbeit ist also Charakterbildung und zwar mit dem Ziel, dass diese sich über einen Zeitverlauf hinweg in sichtbarem Handeln niederschlägt, das zu guter Reputation führen soll. Weiter oben wurde festgehalten, dass Reputationsarbeit in erster Linie Markenarbeit ist und in zweiter Linie Kommunikation. Dieser Kommunikation soll sich nun zugewandt werden und zwar über folgende Frage: Wie sind die Folgen der Entwicklungstendenzen der (medialen) Vermittlungsleistung vor dem Hintergrund der Reputationsentstehung einzuschätzen. 1144..33 EEnnttwwi icckkl luunnggsst te ennddeen nzze en n ddeerr mme eddiiaalleenn VVeer rmmi ittttl luunnggs slleei is sttu unngg iinn ddeerr RReeppuuttaattiioonnsseen nttsstteehhuunngg In Tab. 1 werden die Dimensionen aus Masts (1986) Analyseraster zur medialen Vermittlungsleistung ergänzt um deren Relevanz aus einer Reputationsperspektive. Die skizzierten Entwicklungstendenzen bei der Zeitbewältigung im Vermittlungsprozess führen aus der Perspektive der Reputationsentstehung dazu, dass reputationsbeeinflussende Informationen auf Dauer abrufbar und auffindbar sind. Eine Information, die negative oder positive Auswirkung auf die Wahrnehmung eines Unternehmens hat, kann also noch nach Jahren und Jahrzehnten aufgefunden werden und direkten Einfluss auf die Wahrnehmung und Beurteilung neuer Handlungen dieses Unternehmens haben, indem sie in diesen aktuellen Kontext verwoben wird. Informationen mit negativem oder positivem Einfluss auf die Reputation können sich schneller verbreiten und schneller kommentiert werden. Sie lassen sich auch schneller untermauern - und zwar in beide Richtungen - im Sinne eines Widerlegens oder eines Bestätigens. Reputationsbeeinflussende Informationen können jederzeit zur Verfügung gestellt werden und dank Smartphones und ähnlicher multifunktionaler elektronischer Geräte jederzeit von jedermann dokumentiert werden. Die Schlüsselwörter für die Reputation bei der Dimension Zeitbewältigung sind also „schneller“, „jederzeit“ und „auf Dauer“. Bei der Aussagenbewältigung im Vermittlungsprozess führt die Entwicklung dazu, dass Reputationsbeeinflussung durch glaubwürdigere Kommunikationsformen wie z. B. Video möglich ist. Die Beurteilung von Ereignissen und Handlungen selbst wird dadurch sichtbar und beobachtbar. Die quantitative und qualitative Aggregation (Fleischer 2014, S. 97), also wie sich aus einzelnen Images die Reputation verdichtet und verändert, wird (vermeintlich) ebenfalls beobachtbar. Diese Entwicklungen bieten aber auch neue (stärkere/ glaubwürdigere) Möglichkeiten und Formen der Manipulation, z. B. durch Verfremdungen von Videoaufnahmen oder Verfremdungen des Aggregationsvorgangs durch „Roboterposts“. Hinzu kommt die geballte Kraft der Digitalität, die „als Suchtmaschine und Verführungsapparat wirkt“ (Altmeppen 2016, S. 211) und „die digitalen Konglomerate [, die] zeitgleich die öffentlichen Arenen beherrschen […] zu Apparaten mit enormen Potenzial zu digitalen Verführungen“ (ebd.) werden lässt. Zentraler Punkt der Aussagenbewältigung im Reputationsprozess ist die Aggregation. Die von Mast skizzierten und hier aus Reputationssicht betrachteten Entwicklungen verändern alle drei Typen der Kommunikationsschlaufen, die im Reputationsentstehungsprozess zum Tragen kommen (Fleischer 2014, S. 92ff.). Das Unternehmen im Gespräch mit einzelnen Personen wird beobachtbar, der Dialog von zwei Personen über das Unternehmen wird beobachtbar und die Beurteilung des Unternehmens durch eine Person <?page no="193"?> 192 Alexander Fleischer gegenüber einer anderen ebenso. Im Reputationskontext ist bei der Dimension Aussagenbewältigung im Vermittlungsprozess also der Schlüsselbegriff „beobachtbar“. DDiimmeenn- ssiioonn IInnd diikkaa- tto orreen n EEnnt twwiic ckklluunnggsst teennddeennz zeenn RReelleevvaan nzz aauuss RReeppuut taattiioonnssppeerrssppeekkttiiv vee Zeitbewältigung im Vermittlungsprozess Aussagenentstehung Die Mediensysteme nähern sich durch den gemeinsamen Einsatz von Telekommunikationstechnik an. Bislang getrennte Bereiche werden funktionell verbunden und haben Konsequenzen für die Kommunikationspraxis, z. B. das Berufsfeld Journalismus. Reputationsbeeinflussende Informationen sind längerfristig abrufbar und auffindbar schneller verbreitbar schneller kommentierbar schneller untermauerbar (in beide Richtungen - widerlegend und bestätigend) jederzeit der Rezeption zur Verfügung stellbar jederzeit dokumentierbar (Video/ Ton, etc.) dank Smartphones Schlüsselbegriffe: „schneller“, „jederzeit“, „auf Dauer“ Vermittlungsprozess Aussagenrezeption Aus Sicht des Rezipienten besteht die Möglichkeit, die zeitliche Dimension der Aussagenrezeption zu variieren. Aussagenbewältigung im Vermittlungsprozess Kommunikationsform Die einzelnen Medien stellen zunehmend integrierte Leistungsangebote zur Verfügung, d. h. in unterschiedlichen Kombinationen die Vermittlung von Kommunikationsabläufen und -formen. Sie bieten verschiedene mediale Konstellationen einzelner Variablen der Aussagenbewältigung. Reputationsbeeinflussung durch glaubwürdigere Kommunikationsformen, z. B. Video Die Beurteilung von Ereignissen und Handlungen wird sichtbar und beobachtbar. Neue (stärkere/ glaubwürdigere) Formen der Manipulation (Verfremdung von Videoaufnahmen, Verfremdung des Aggregationsvorgangs durch „Roboterposts“ etc.) Aggregation von Images wird (vermeintlich) beobachtbar. Schlüsselbegriff: „beobachtbar“ Kommunikationsprozesse Gestaltungsfunktionen im Vermittlungsprozess Kommunikatorsicht Die Gestaltungsfunktionen variieren abhängig vom Medium. Bei den „klassischen Verteilmedien“ liegt der Schwerpunkt der vermittlungsprozessualen Mitwirkungsmöglichkeiten bei den beruflichen Kommunikatoren. Mit neuen Medien verschiebt er sich zunehmend in Richtung zum Rezipienten hin. Das „Wie“ des Dialogs wird sichtbar und damit eine neue Quelle, die Ausprägung des „Wesens“ durch Handlung zu beobachten. Der Umgang mit Machtverlust wird beurteilbar. Verhalten in Echtzeit auf Augenhöhe wird beobachtbar. Dialogverhalten rückt in den Vordergrund (gegenüber früher: Informationsverhalten). Schlüsselbegriff: „Dialog“ Rezipientensicht <?page no="194"?> Was leistet Reputation? 193 Mediale Bewältigung von Kommunikationsräumen (Un-) Bestimmtheit des Kommunikationsraums In den jeweiligen Kommunikationsräumen sind auf allen Ebenen („regional“, „personell“) zunehmende print- und telekommunikative Medienangebote präsent. Zugang zu Wesensinformationen ist grundsätzlich global. Sprache bleibt als „letzte Barriere“. Englisch als künstliche Sprache Kulturelle, milieuabhängige Medienräume bleiben erhalten. Aufmerksamkeit, Intensität der Informationsexponiertheit, Nähe und Relevanz erlangen zusätzliche Bedeutung. Hier findet die wesentliche Veränderung statt: Die Rolle der Medien ist stark im Wandel und der Ausgang noch offen. Öffentlichkeitsbegriff rückt wieder in den Mittelpunkt. Wo findet die Grenzziehung zwischen Öffentlichkeiten statt? Schlüsselbegriffe: „Nähe“, „Relevanz“ Zugang zu Kommunikationsräumen Mediale Durchdringung von Kommunikationsräumen Die Entwicklungstendenzen bei den Gestaltungsfunktionen im Vermittlungsprozess führen aus einer Reputationsperspektive dazu, dass das „Wie“ des Dialogs sichtbar und damit eine neue Quelle zugänglich wird, die Ausprägung des „Wesens“ durch Handlung zu beobachten. Auch der Umgang mit Machtverlust wird beurteilbar und schließlich wird Verhalten in Echtzeit auf Augenhöhe beobachtet - und beurteilbar. Dialogverhalten rückt gegenüber Informationsbereitstellung und -verbreitung in den Vordergrund. Der Schlüsselbegriff hier ist „Dialog“. Die Existenz medial unterschiedlicher Kommunikationsräume war bisher der Grund dafür, dass die Reputation eines Unternehmens sich von einem zum anderen Kontinent unterscheiden kann, obwohl Reputation nach universell gleichen Dimensionen und Abläufen entsteht. Je nach Kommunikationsraum dringen unterschiedliche imagebildende Wesensinformationen über eine Organisation zu den Menschen vor. Die dadurch entstehenden unterschiedlichen Images aggregieren sich daher je nach medialem Kommunikationsraum zu einer sich von anderen Kommunikationsräumen unterscheidenden Reputation. Die Entwicklungen bei der medialen Bewältigung von Kommunikationsräumen führen nun aus Reputationssicht dazu, dass der Zugang zu Wesensinformationen grundsätzlich global unbeschränkt möglich ist. Sprache bleibt als „letzte Barriere“. Englisch bildet sich immer mehr als künstliche, vermeintlich gemeinsame Sprache heraus. Kulturelle Medienräume bleiben aber dennoch bestehen, und das insbesondere auch milieuabhängig. Grenzziehung und Grenzverwischung finden gleichzeitig statt. Aufmerksamkeit, Intensität der Informationsexponiertheit, Nähe und Relevanz gewinnen zusätzliche Bedeutung. In den Medienräumen finden wesentliche unberechenbare Veränderungen statt, auch für Gesellschaft und Demokratie, angetrieben durch die ökonomischen Interessen der „digitalen Konglomerate, die neue Formen von Zugängen zu Inhalten organisieren [und] zugleich tief in die Aufschichtungen der sozialen Beziehungen“ (Altmeppen 2016, <?page no="195"?> 194 Alexander Fleischer S. 210) eingreifen. Die Rolle der Medien ist dadurch weiterhin stark im Wandel und der Ausgang dieses Wandels und die künftige Rolle der Medien sind offen. Der Öffentlichkeitsbegriff rückt gleichzeitig wieder in den Mittelpunkt und damit die zentrale Frage, wo künftig Grenzziehung zwischen Öffentlichkeiten und Arenen stattfinden. Durch den grundsätzlichen „Zugang zu Allem“ gewinnt Relevanz neue Bedeutung und neue Qualität. Der Rezipient ist einerseits viel stärker gezwungen, Relevanz selbst zu definieren, andererseits wird über Algorithmen aber zugleich mehr denn je fremdbestimmt gesteuert, was für ihn Relevanz haben soll. „Die neuen Gatekeeper sind […] nicht institutionell an journalistische Standards gebunden und keinen gesellschaftlichen Erwartungen verpflichtet. Sie können ungestört Agenda Building betreiben in den von ihnen geschaffenen und kontrollierten Arenen“ (Altmeppen 2016, S. 214). Die Mechanismen der Entstehung der Reputation, insbesondere in deren letzter Phase, wo die Öffentlichkeit und Massenkommunikation in das Zentrum rücken, verändern sich damit entscheidend. „Reputation als eine besondere Form der öffentlichen Meinung“ (Fleischer 2014, S. 100) ist ebenso wie andere Elemente der öffentlichen Meinung immer weniger den grundlegenden institutionellen Regeln des Journalismus unterworfen, sondern zunehmend abhängig von den Mechanismen und Regeln, die den Geschäftsmodellen der digitalen Konglomerate unterliegen (Altmeppen 2016). Es lässt sich noch nicht sagen, welche Gegenentwicklungen dies provozieren wird und ob und wann Politik und Regulator reagieren werden. So viel lässt sich schon sagen: Bei den Entwicklungen der medialen Bewältigung von Kommunikationsräumen sind in Bezug auf den Rezipienten und damit auch den Wahrnehmenden von Reputation die Schlüsselbegriffe „Nähe“ und „Relevanz“. Als Schlussfolgerung wurden in Abb. 3 Masts vier Dimensionen des Analyserasters zur medialen Vermittlungsleistung mit der schematischen Darstellung des Entstehungsprozesses von Reputation (Fleischer 2014, S. 166) verknüpft. Es wird deutlich, dass die Darstellung dadurch nochmals an Tiefe und Klarheit gewinnt, da die Relevanz der Dimensionen Zeit und Raum deutlicher wird. Die Gestaltungsfunktion erhält durch die Zuordnung zur Marke und die Aussagenbewältigungsfunktion durch die Zuordnung zu den Vorgängen im Aggregationsprozess jeweils einen eindeutigen Bezugspunkt im Reputationskontext. In allen Dimensionen ist mit dem Dilemma der gleichzeitigen Expansion und Kontraktion umzugehen. Alles wird zugleich schneller und langlebiger (längerfristiger auffindbar); es rückt näher und wird zugleich unübersichtlicher, weil kleinteiliger. Da Reputation von Wahrnehmung abhängt, stellen Bewältigung und Gestaltung zwei Seiten der gleichen Medaille dar. Die Gestaltung passt sich der (antizipierten und vermuteten) Bewältigung an. Es geht jeweils darum, die Informationen, die Aufschluss auf das Wesen oder den Charakter geben, zu dechiffrieren. Wie diese Informationen chiffriert werden, hängt von kulturellen Faktoren ab, die dahinterliegenden Wesensmerkmale jedoch nicht. Wesensmerkmale und Beurteilung sind daher universell gleich, Ausdrucksformen und deren Interpretation sind kulturell geprägt. Ausdrucksformen und Interpretationsmuster hängen von Kommunikationsräumen ab. Diese wiederum stellen im Reputationszusammenhang in erster Linie Kulturräume dar. Findet eine Kontraktion der Kulturräume oder eine Expansion statt? Schaffen Google, Facebook und Co. einen gemeinsamen kulturellen Raum oder schaffen sie einen zusätzlichen Raum? Verschmelzen Öffentlichkeiten zu einer globalen Öffentlichkeit oder entsteht eine globale Scheinöffentlichkeit mit vielen Gegenöffentlichkeiten? <?page no="196"?> Was leistet Reputation? 195 Es scheint, dass auch in diesem Bereich - bei der Bewältigung von Kommunikationsräumen - die Aufgabe und Lösung darin besteht, „dass wir künftig stärker die einzelnen Individuen (untere Ebene) sowie die Menschheit in ihrer Gesamtheit (obere Ebene) in den Blick nehmen, statt uns - wie bisher - auf die mittlere Ebene, die Gruppenebene (Völker, Nationen, Religionen etc.), zu konzentrieren“ (Schmidt-Salomon 2015, S. 295). <?page no="197"?> 196 Alexander Fleischer 114 4..44 AAu us sb bl liic ck k -- DDi iggiittaalli is si ieerruun ng g uun ndd GGl lo ob ba al liis si ie er ruun ngg rrü ücckkeenn KKo ommm mu un niikka at tiio on nssrrääu um mee i in n d de enn F Fo ok kuus s Die Globalisierung ist eine Entwicklung, die in den vergangenen Jahrzehnten bereits beobachtet und in ihren Auswirkungen beurteilt werden konnte. In den letzten zehn Jahren kam die Digitalisierung hinzu, die für sich genommen neue Möglichkeiten und Entwicklungen mit sich bringt. Zugleich verleiht sie der Globalisierung eine neue Qualität. Die Bildung der globalen digitalen Konglomerate treibt die Ökonomisierung der Medienlandschaft voran, wirkt zugleich in die Öffentlichkeiten hinein und verändert über den Journalismus auch „demokratiesensible Bereiche“ (Altmeppen 2016, S. 212) der Staaten. Da die Mechanismen der Öffentlichkeit und der Massenkommunikation über den Begriff der Reputation Relevanz für die unternehmerische Welt (Fleischer 2014, S. 100) erhalten, geraten auch alle Unternehmen in einem sensiblen Bereich zunehmend in die Einflusssphäre dieser digitalen Konglomerate. Die für Unternehmen vermeintlich positive Entwicklung der Ökonomisierung der Medien könnte sich so also als Bumerang erweisen. Auch Unternehmen haben ein originäres Interesse daran, den Journalismus gewissen gesellschaftlich vereinbarten Mindestregeln, Standards und gru nds ät zl ic h ein er eigen en Ver an twor tung verp flich tet zu wissen . Die Ver änd erun gen und Ent w ic klu nge n auf die Zei tb ewä lti gun g und Auss age nb ewä lti gu ng la ssen sich mittlerweile recht gut abschätzen - alles wird immer schneller, zeitnaher und transparenter. Dabei bietet diese Transparenz neue Möglichkeiten der Manipulation. Bei den Gestaltungsfunktionen lässt sich der Trend zu „owned media“ in der Unternehmenskommunikation beobachten, der sich weiter verstärken wird. Schwer absehbar ist hingegen, wie sich Globalisierung und Digitalisierung auf die Kommunikationsräume und deren Bewältigung auswirken werden. Einer Globalisierung von Medienräumen und damit von Öffentlichkeiten sind klare Grenzen gegeben. Die Grenzen zwischen Kulturräumen verschieben sich leicht, doch der Vormarsch des Englischen als lingua franca findet nur in einzelnen Milieus und auch da nur in ausgewählten Lebensbereichen statt. Durch die mit der Digitalisierung einhergehende Personalisierung der Medienauswahl findet wohl eher eine Einschränkung des Nachrichten- und Informationshorizontes statt. Es stellt sich somit die Frage, wo künftig Öffentlichkeit stattfindet, in welchen Räumen Reputation entsteht und Wirkung ausübt. Reputation als besondere Form der öffentlichen Meinung ist in ihrer Entstehung von den Entwicklungen betroffen, die die Bewältigung von Kommunikationsräumen verändern. Art und mögliche Szenarien der Betroffenheit lohnen einer weiteren tiefergehenden Betrachtung. <?page no="198"?> Was leistet Reputation? 197 LLiitteerraattuurr Altmeppen, K.-D. (2016). Die Re-Institutionalisierung des Journalismus durch die digitalen Konglomerate. In O. Jarren & C. Steininger (Hg.), Journalismus jenseits von Markt und Staat (S. 209-217). Baden-Baden: Nomos. Brantschen, N. (2009). Vom Vorteil, gut zu sein - Mehr Tugend - weniger Moral. 4. Aufl., München: Kösel. Brooks, D. (2015). Charakter. München: Kösel. Mast, C. (1986). Was leisten die Medien? Funktionaler Strukturwandel in den Kommunikationssystemen. Osnabrück: Fromm. Eisenegger, M., & Imhof, K. (2009). Funktionale, soziale und expressive Reputation - Grundzüge einer Reputationstheorie. In U. Röttger (Hg.), Theorien der Public Relations (S. 243-264). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Fleischer, A. (2014). Reputation und Wahrnehmung. Wie Unternehmensreputation entsteht und wie sie sich beeinflussen lässt. Wiesbaden: Springer VS. Freitag, A. (2015). Von Marken und Menschen. Mainz: Verlag Hermann Schmidt. Fombrun, C. J. (1996). Reputation. Realizing Value from the Corporate Image. Boston: Harvard Business School Press. Gigerenzer, F. (2008). Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. 4. Aufl., München: Goldmann. Ingenhoff, D. (2007). Integrated Reputation Management System (IReMs). Ein integriertes Analyseinstrument zur Messung und Steuerung von Werttreibern der Reputation. PR-Magazin 7, 55-62. Jung, C. G. (2010). Archetypen. 16. Aufl., München: dtv. Kahnemann, D. (2012). Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler. Niederhäuser, M., & Rosenberger, N. (2011). Unternehmenspolitik, Identität und Kommunikation. Modell - Prozesse - Fallbeispiele. Wiesbaden: Gabler. Schmidt-Salomon, M. (2015). Hoffnung Mensch. Eine bessere Welt ist möglich. München; Berlin: Piper. Schwaiger, M. (2004). Components and Parameters of Corporate Reputation - an Empirical Study. Schmalenbach Business Review 56(1), 46-71. Wiedmann, K.-P. (2012). Das Reptrak-Konzept. PR-Magazin 12, 66-73. <?page no="200"?> 115 5 WWa ass lleei isst te et t CCEEOO--KKo ommmmuunniikkaattiioonn? ? P Peerrssoonnaalliissiieerruunngg zzwweecckkss OOrriieennttiieerruunngg" IIddeennttiiffiikkaattiioonn uunndd PPuubblliizziittäätt Markus Talanow Wirtschaftsunternehmen reagieren auf die zunehmende gesellschaftliche Komplexität mit der Personalisierung ihres Spitzenpersonals. Als CEO-Kommunikation bietet dieses Feld Identifikation und Orientierung für interne und externe Stakeholder. Während sich die CEO-Kommunikation in Großkonzernen längst etabliert und professionalisiert hat, stellt sie ein vergleichsweise junges Forschungsfeld der Kommunikationswissenschaft dar. Dieser Beitrag unterscheidet zwischen instrumenteller und spezifischer Personalisierung in der CEO-Kommunikation. Zur Präzisierung liefert er einen Überblick über die Kommunikationsnotwendigkeiten entlang der idealtypischen Amtsphasen eines CEOs. 1155..11 PPe er rssoonnaalliissi ieer ruunngg Personalisierung ist in Medien und Unternehmenskommunikation einer der wirkmächtigsten Trends der letzten Jahrzehnte. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Francks Überlegungen zur Ökonomie der Aufmerksamkeit (1998) erörtern dabei einen grundsätzlichen Mechanismus, der zum Verständnis des Megatrends Personalisierung hilfreich ist. Er begreift Aufmerksamkeit als Währung, die zugleich knappste Ressource dieser Ökonomie ist. „Aufmerksamkeit ist die wirksamste aller Drogen“ - und Personalisierung kann helfen, sie zu erlangen. Da Massenmedien als Verteiler der knappen Ressource Aufmerksamkeit wirken, verschafft ihnen dies auch Einfluss auf andere Gesellschaftsbereiche, denn diese müssen sich den medialen Spielregeln orientieren, wie die Medialisierungsthese besagt (Jarren 2001; Imhof et al. 2004; Eisenegger 2004; Imhof 2006; Donges 2008). Dies gilt keineswegs nur für traditionelle Medien. Auch in sozialen Medien haben sich längst spezifische Selektionslogiken, Ästhetiken und Kodizes herausgebildet. Einfluss auf den Personalisierungstrend in der Wirtschaft hatten auch Liberalisierung und Globalisierung seit den 1970er Jahren, im Zuge derer ihre Protagonisten stärker in den öffentlichen Fokus rückten (Imhof 2010, S. 41). Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise bildete schließlich eine Zäsur: Das öffentliche Vertrauen v. a. in Unternehmen und besonders ihr Führungspersonal war nachhaltig erschüttert, Schuldige wurden gesucht, und auch hier bieten sich Personen besser an als komplexe juristische Regelwerke. Das soziologische Konzept der Individualisierung bietet einen weiteren Rahmen für das Personalisierungsphänomen (Beck 1986). Personalisierung existiert und wirkt an verschiedenen Stellen im Kosmos der Kommunikation. Für die Wirtschaft untergliedern Brettschneider und Vollbracht (2010, S. 135ff.) die Personalisierung der Unternehmenskommunikation in drei Felder: die Personalisierung der Unternehmens-PR, der Unternehmensberichterstattung und der Stakeholderwahrnehmung. Die CEO-Kommunikation ist dabei ein Fall von Personalisierung der Unternehmens-PR, die beiden anderen Perspektiven werden in diesem Beitrag nicht näher beleuchtet. Zur besseren Einordnung der CEO-Kommunikation hilft Eiseneggers Systematisierung der Personalisierungmodi. Die Systematisierung stützt sich zum einen auf Habermas’ <?page no="201"?> 200 Markus Talanow Theorie des kommunikativen Handelns (1981). Habermas (1981, S. 128ff.) betont, dass sämtliche Akteure moderner Gesellschaften in Diskursen immer im Hinblick auf drei Weltbezüge thematisiert und bewertet würden: die objektive, die soziale und die subjektive Welt. Zum anderen bezieht sich Eisenegger auf die drei reinen Typen legitimer Herrschaft nach Max Weber (1980, S. 124): Legale (rationale) Herrschaft, die „nicht der Person, (…) sondern gesatzten Regeln“ gehorcht (Herv. i. O. ) (W eb er 200 9 , S . 2 17 ). Tr ad it io nal e Herrschaft , die auf d em Gl aub en an die „Heil igkeit von j eher g el tender T raditionen und die Legitimität der durch sie zur Autorität Berufenen“ (Weber 1980, S. 124) beruht. Charismatische Herrschaft, die auf der „Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen“ (Weber 1980, S. 124) beruht. Einem charismatischen Führer wird aufgrund seiner außergewöhnlichen persönlichen Qualitäten gehorcht - allerdings „auch nur, solange ihm diese Qualitäten zugeschrieben werden“ (Weber 2009, S. 221). Funktionale Personalisierung Soziale Personalisierung Expressive/ charismatische Personalisierung Personalisierungsreferenz Objektive Welt Messbare Zweckerfüllung; Funktionssysteme Soziale Welt Kodifizierte und nicht kodifizierte Normen Subjektive Welt Individuelle Eigenart und Subjektivität Personalisierungsaspekte Personaler Erfolg; Fachkompetenz Sozialverantwortlichkeit; Soziale Legitimität; Fairness Persönlichkeit/ Charakter; Begabungen/ Talente; Werdegang; Private Lebenswelt; Charisma/ Leadership; Faszinationskraft Personalisierungsstil Kognitiv-rational Normativ-moralisierend Emotional-ästhetisierend Alimentierter Herrschaftstyp nach Max Weber Rationale Herrschaft Traditionale Herrschaft Charismatische Herrschaft <?page no="202"?> Was leistet CEO-Kommunikation? 201 Ausgehend von diesen Überlegungen Habermas’ und Webers definiert Eisenegger (2010, S. 18ff.) drei Modi der Personalisierung: funktionale Personalisierung, soziale Personalisierung und expressiv-charismatische Personalisierung. Sie orientieren sich jeweils an einem Weltbezug und einem korrespondierenden Herrschaftstyp (vgl. Tab. 1). Wenngleich es ursprünglich zur Klassifizierung medialer Personalisierung entworfen wurde, ist das Konzept von Eisenegger sehr gut zur Analyse und Rasterung von Subjektpersonalisierung, also personalisierter Organisationsbzw. Unternehmenskommunikation geeignet (Talanow 2015). 1155..22 CCEEOO--KKoommm mu unniikka attiioonn S Sppeezziiffiisscch hee uunndd iinnssttr ruumme enntteel lllee PPeerrssoonnaalliissiieerruunngg iinn ddeerr UUnntteer rnneeh hmmeennsskkoommmmuunniikkaattiioonn Grundsätzlich kann Personalisierung im Rahmen der Unternehmenskommunikation in zwei Modi genutzt werden, einem spezifischen und einem instrumentellen (Talanow 2015, S. 157ff.). Dies gilt grundsätzlich für Personen, die das Unternehmen vertreten und somit natürlich auch für den CEO bzw. die CEO-Kommunikation. Personalisierung im spezifischen Modus betrachtet Personalisierung eher als Zweck denn als Mittel. Dies ist z. B. der Fall, wenn das Image eines CEO in eine bestimmte Richtung geschärft werden soll oder er mit bestimmten Themen positioniert wird. Dabei wird er bewusst in seiner Rolle als CEO im Sinne des Unternehmenswohls positioniert und nicht etwa als Privatperson. Abzugrenzen ist spezifische Personalisierung allerdings von reiner Personen-PR, da ihr Bezugspunkt die Unternehmensreputation ist. Hingegen wird im instrumentellen Modus der Personalisierung diese eher als Mittel zum Zweck betrachtet, z. B. wenn der CEO (oder auch andere Vorstände) eingesetzt werden, um bestimmte Themen medial prominent zu platzieren oder durch seinen Einsatz als Kommunikator in einer konkreten Situation kommunikative Vorteile zu realisieren. Die Personalisierung im spezifischen und im instrumentellen Modus sollen ineinander greifen und einander unterstützen (vgl. Abb. 1). Ist z. B. ein CEO im Zuge spezifischer Personalisierung in einem bestimmten Feld - das idealerweise im Zusammenhang mit dem Geschäft des von ihm geführten Unternehmens steht - als besonders kompetent oder als Vordenker („Thought Leader“) anerkannt, lässt sich dieser Vorteil im Zuge instrumenteller Personalisierung dazu nutzen, dieses Thema im Sinne des Unternehmens medial besonders glaubwürdig zu besetzen. Auch wenn ein CEO als besonders vertrauenswürdig wahrgenommenen wird, kann sein Einsatz als Kommunikator einem Unternehmen in einer Krisensituation helfen. Damit sie nachhaltig zu einer guten Unternehmensreputation beitragen können, die bei personalisierter Unternehmenskommunikation stets als Referenzpunkt dienen sollte, dürfen spezifische und instrumentelle Personalisierung nicht isoliert voneinander betrachtet werden (Talanow 2015, 158 f.). FFuun nkkt ti ioon neen n dde er r CCE EO O--KKoom mm muunniikka atti ioonn Die Kommunikation eines CEO bzw. der CEO als Kommunikator erfüllen für Organisationen mehrere Funktionen. Sie überschneiden sich teilweise mit dem Nutzen, den die <?page no="203"?> 202 Markus Talanow personalisierte Medienberichterstattung für Rezipienten stiftet (Schierl 2007, S. 17). Zunächst steht die Orientierungsfunktion. Dies umfasst insbesondere Aussagen zur Strategie und deren Umsetzung. Eine Orientierungsfunktion erfüllt CEO-Kommunikation nach Innen und Außen gleichermaßen. Aussagen des CEO zu diesen Themen können für Mitarbeiter, Kunden oder Kapitalmärkte sehr folgenreich sein. Gerade in Phasen eines Wechsels auf Vorstands- oder Geschäftsführungsebene kann dazu eine regelrechte Exegese erfolgen - umso wichtiger ist Konsistenz in Aussagen und Themen in der Kommunikation. Jedoch auch in moralischen oder gesellschaftlichen Fragen scheint von CEOs zunehmend erwartet zu werden, dass sie eine Orientierungsfunktion erfüllen, wie bspw. die Forderung von Vertretern der Bundesregierung an die Wirtschaft zeigt, mehr für die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu tun. Weiter zählt die Identifikationsfunktion zu den Leistungen der CEO-Kommunikation. Neben vielen anderen Faktoren wie z. B. den unmittelbaren Vorgesetzten spielen auch CEOs eine entscheidende Rolle für die Identifikation von Mitarbeitern mit ihrem Unternehmen. Jedoch auch außerhalb einer Organisation haben Sympathie oder Antipathie für die Person an deren Spitze Auswirkungen auf das Ansehen des Unternehmens. Zudem erfüllt CEO-Kommunikation eine Publizitätsfunktion, d. h. sie kann einem Unternehmen angesichts der medialen Vorliebe für Personalisierung und Personen zu Berichterstattung und Öffentlichkeit verhelfen (Maier et al. 2010, S. 79; Bentele und Fähnrich 2010, S. 53). Gerade für Unternehmen, die vielleicht nicht zu denjenigen zählen, die ohnehin im Fokus der Wirtschaftsmedien stehen, kann der gezielte und taktisch kluge Einsatz des CEO in der Kommunikation helfen, den „share of voice“ zu erhöhen. <?page no="204"?> Was leistet CEO-Kommunikation? 203 Auch intern kann dies durchaus helfen, Aufmerksamkeit von Mitarbeitern zu erhalten. Da jedoch in der internen Kommunikation eine höhere Kontrolle über Inhalte und Kanäle herrscht, ist die Publizitätsfunktion v. a. in der externen Kommunikation relevant. PPhha asseen n uunndd IInntteen nssiittäätteen n ddeerr CCEEOO--KKoommmmuunniikkaattiioonn Die Intensität der CEO-Kommunikation kann sich je nach Amtsphase unterscheiden, in der sich ein CEO befindet. Der Phase des Amtsantritts folgt dabei idealtypisch eine Phase der Etablierung, in der die verfolgte Strategie umgesetzt wird. Je nach Verlauf stehen dann eine Vertragsverlängerung bzw. erneute Bestellung an oder aber die Phase des Abtritts beginnt. Alternativ kann es auch zu einer vergleichsweise kurzfristigen Entlassung kommen. Beiden Szenarien folgt dann der Neuantritt des Nachfolgers. Wenngleich die Grenzen zwischen interner und externer Unternehmenskommunikation immer stärker verschwimmen und stellenweise eine völlige Auflösung dieser Grenzen erwartet wird, so ist es an dieser Stelle dennoch hilfreich, analytisch nach interner und externer CEO-Kommunikation zu trennen. Dabei wird zudem auf das Phasenmodell der CEO-Positionierung verwiesen (Talanow 2015, S. 317f.), das aufgrund empirischer Analysen der Medienarbeit ausgewählter DAX30-Unternehmen die Modi der Personalisierung nach Eisenegger (2010) mit den Amtsphasen eines CEO verknüpft. Externe Kommunikation Für den Fall, dass ein CEO-Wechsel geplant und mit etwas Vorlauf vollzogen wird, steht ein erster Ausschlag des öffentlichen Interesses an seiner Person bereits vor seinem Amtsantritt an, nämlich bei der Bekanntgabe seiner Ernennung. Das Interesse an der Person, die künftig das Unternehmen führen soll, ist groß und wird z. B. in Form erster Portraits, die Medien vom neuen Vorstandschef erstellen, bedient. Vor diesem Hintergrund kann der spezifische Modus der Personalisierung dominieren. In aller Regel wird an dieser Stelle keine intensive aktive externe Kommunikation des kommenden CEO erfolgen, solang der amtierende CEO noch an Bord ist. Dies gilt auch für die nun folgende Phase zwischen Ernennung und Amtsantritt des CEO. Wenngleich das Interesse und die Neugier an den Plänen des kommenden CEO für das Unternehmen meist sehr groß sind, wird er in der Regel zum einen damit beschäftigt sein, diese auszuarbeiten und festzulegen, zum anderen sollten alle Beteiligten darauf bedacht sein, den scheidenden CEO nicht in die Rolle der „lame duck“ zu manövrieren. Etwas anders liegen die Dinge im Fall eines kurzfristigen CEO-Wechsels, entweder aufgrund eines Rücktritts oder einer Demission des Amtsinhabers. Hier wird der Nachfolger nicht umhin kommen, sich auch aktiv an die Öffentlichkeit zu wenden. Dabei empfiehlt es sich, keine Schnellschüsse zur Unternehmensstrategie abzugeben, sondern sich zunächst auf Aussagen zur Lösung der drängendsten Herausforderungen oder Probleme zu fokussieren, die womöglich auch für den Führungswechsel verantwortlich waren (Talanow 2015, S. 317). Diese Aussagen müssen sorgfältig vorbereitet und abgestimmt sein, auch wenn hierfür nur wenig Zeit zur Verfügung steht und Medien und Kapitalmarkt drängen. <?page no="205"?> 204 Markus Talanow Ist die Phase des Amtsantritts kommunikativ bewältigt, so empfiehlt sich grundsätzlich eine Phase reduzierter CEO-Kommunikation nach außen. Auch wenn neuen CEOs oftmals der Bonus neuer Hoffnungsträger gewährt wird und das Interesse an ihnen so groß ist wie vielleicht nie mehr während ihrer Amtszeit, sollte Zurückhaltung walten. Freilich lässt sich externe Kommunikation nicht völlig zurückfahren, sie wird beispielsweise im Rahmen von Telefonkonferenzen anlässlich der Vorlagen von Quartalszahlen bei börsennotierten Unternehmen immer ein Mindestmaß wahren. Die Aussagen, die getätigt werden, sollten sich dann jedoch v. a. auf funktionale Themen beziehen. Es kommt zunächst darauf an, zu zeigen, dass das Geschäft und das „Handwerkszeugs“ eines CEO beherrscht werden, bevor Aussagen zu einem weiteren Themenkreis beispielweise sozialer oder gar visionärer Natur getätigt werden. Denn bleibt der geschäftliche Erfolg zunächst aus - ob durch den neu angetretenen CEO zu verantworten oder nicht - so läuft er Gefahr, angesichts solcher Aussagen als realitätsfern oder gar als „Schönwetter-Kapitän“ wahrgenommen zu werden, der die Augen vor den Problemen des Unternehmens verschließt. Freilich kann ein CEO nicht dauerhaft extern wenig sichtbar oder unsichtbar bleiben; einige Zeit nach dem Amtsantritt werden von ihm die Erläuterung seiner Strategie und dessen, was er im Unternehmen womöglich verändern will, um es fit für zukünftige Herausforderungen zu machen, erwartet. Die Intensität in der externen CEO-Kommunikation wird also schrittweise und mit Bedacht gesteigert werden. Dabei bleibt es nach wie vor ratsam, sich vorrangig auf funktionale Aspekte („auf das Geschäft“) zu konzentrieren. Nach einer initialen Kommunikation der Strategie - wenn man so will, der „Regierungserklärung“ des CEO - sollten danach v. a. Fortschritte bei deren Umsetzung im Fokus der Kommunikation stehen. Erst, wenn sich diese Erfolge eingestellt haben und ein Vorstandschef fest im Sattel sitzt, können allmählich auch Aussagen zu etwas geschäftsferneren Themen den Themenkreis der CEO-Kommunikation erweitern bzw. abrunden. Dies können beispielweise Aussagen zu den Herausforderungen der gesamten Industrie, vielleicht auch der gesamten Gesellschaft, sein. Jedoch ist es beispielweise nur schwer vorstellbar, dass ein CEO, der eben erst angetreten ist und der noch unter Beweis stellen muss, ob er sein Unternehmen erfolgreich führen und der Verantwortung für Geschäft und Mitarbeiter gerecht werden kann, gut beraten ist, sich bspw. mit Vorschlägen zur Reform des Bildungs- oder des Rentensystems aus dem Fenster zu lehnen. Dies heißt nicht, dass Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Themen grundsätzlich nicht ratsam sind. Sie sollten jedoch nicht sofort zu Beginn einer Amtszeit forciert werden, ebenso wenig wie Aussagen zu „philosophischen“ oder „visionären“ Themen abseits des Geschäfts - dies sollte, wenn überhaupt erfahrenen CEOs obliegen, die bereits hinreichend lange im Amt sind und v. a. auf einen „Track Record“ von Erfolgen im eigenen Unternehmen verweisen können. Die vorausgegangene Zeitspanne kann freilich individuell variieren, beispielsweise bedingt durch allgemeine Lebens- oder Industrieerfahrung. Neigt sich die Amtszeit eines CEO - planungsgemäß - dem Ende entgegen, wird sich die Intensität seiner externen Kommunikation in vielen Fällen noch einmal erhöhen. Neben persönlichen Bilanzen des Erreichten oder auch Würdigungen der Leistungen stehen dabei auch Themen im Fokus, die womöglich noch nicht abschließend bearbeitet oder gelöst wurden. Steht der Nachfolger bereits fest, wird es darauf ankommen, in der <?page no="206"?> Was leistet CEO-Kommunikation? 205 Übergangsphase eine möglichst abgestimmte und reibungslose Kommunikation zu gewährleisten, beispielsweise, was künftige Herausforderungen oder Strategien zu deren Bewältigung betrifft. Das Konfliktpotential, das hierin liegt, ist recht offensichtlich. Somit lässt sich hinsichtlich der idealtypischen Intensitäten der externen CEO-Kommunikation zusammenfassend eine Spitze zu Beginn konstatieren, die nicht zuletzt vom großen Interesse der Öffentlichkeit getrieben ist. Eine gewisse Zeit nach dem Amtsantritt sind substanzielle Aussagen zur verfolgten Strategie und zu Zielen ratsam. Der Initialphase wird oft eine extern etwas ruhigere Phase folgen, in der, was die Kommunikation anbelangt, abgewartet wird, bis sich erste Erfolge bei der Umsetzung der Strategie einstellen. Ist dies der Fall, kann sie durchaus wieder intensiviert werden. Andernfalls wird der CEO ebenfalls gefordert sein, aber dann eher im Sinne von Neuadjustierung der Strategie und deren Kommunikation. Selbstverständlich spielen im Rahmen der CEO-Kommunikation auch Ereignisse eine Rolle, die nur bedingt oder gar nicht planbar sind, wie z. B. Übernahmen und Krisen. Auch Pflichttermine wie Bilanzpressekonferenzen oder Hauptversammlungen sind terminlich nur bedingt steuerbar. Gegen Ende einer Amtszeit kann es sinnvoll sein, die Kommunikation eines CEO nochmals etwas zu intensivieren, dies sollte jedoch mit Augenmaß und nicht zu ostentativ geschehen, um nicht den Eindruck zu erwecken, es handle sich um eine letzte Selbstbeweihräucherung angesichts des bevorstehenden Abschieds. Dabei dürfte tendenziell zu Beginn und zu Ende einer Amtszeit der spezifische Modus, in der langen Phase dazwischen der instrumentelle Modus überwiegen, wobei beide stets miteinander verwoben sind. Interne Kommunikation Im Unterschied zur externen Kommunikation kann die interne Kommunikation eines ernannten, jedoch noch nicht amtierenden CEO bereits in der Übergangsphase beginnen, zumindest für den Fall, dass er bereits im Unternehmen tätig ist. Ist er noch für ein anderes Unternehmen tätig, gestaltet sich dies natürlich schwierig. Wenngleich in dieser Phase noch vor Amtsantritt keine weitreichenden öffentlichen Aussagen zur künftigen Strategie oder Personalentscheidungen getätigt werden sollen, so können sich der neue Mann oder die neue Frau an der Spitze dennoch den Mitarbeitern vorstellen, sei es in Grußworten oder z. B. in Form von Videos, die ihn beim Besuch von verschiedenen Bereichen und Personen des Unternehmens zeigen. So gewinnt er an Profil und die Mitarbeiter sind nicht so sehr im Unklaren, wer derjenige ist, der sie und das Unter-nehmen künftig führen wird. Spätestens jedoch zum Amtsantritt jedoch ist eine sorgfältig geplante Begrüßung der Mitarbeiter durch den neuen Vorstandschef - dies dürfte nur wenig überraschen - Pflicht. Andres als in der externen Kommunikation sollte der Vorstandschef auch in der Initialphase seiner Amtszeit intern sichtbar und präsent bleiben. Es müssen dabei nicht immer Themen sein, die sich um die Unternehmensstrategie oder die Zahlen drehen. Es könnten hierzu mitunter auch andere Themen geeignet sein, z. B. solche aus Forschung & Entwicklung oder Human Resources. Dabei ist es in Zeiten zunehmender Grenzauflösungen zwischen interner und externer Kommunikation (v. a. durch elektronische und soziale Medien), unbedingt ratsam, den Informationsgehalt von Aussagen zur Unternehmensstrategie abzustimmen und intern und extern gleich zu halten. Wird intern mehr kommuniziert als extern, ist es möglich dass diese, sollte es sich um substanzielle Aussagen handeln, ihren Weg zu den Medien finden. Werden in den Medien neue, wichtige <?page no="207"?> 206 Markus Talanow Details bekanntgegeben, ohne dass diese auch intern sorgfältig kommuniziert werden, so kann dies Verunsicherung oder auch Verärgerung bei Mitarbeitern und Führungskräften auslösen. Bei besonderen Anlässen (z. B. Übernahmen, Krisen), die eine besondere externe Kommunikation des CEO erfordern, ist eine interne Präsenz nötig. Denkt man hier an die Idee der Kommunikationsräume von Mast (1986) zurück, zeigt sich eine zunehmende Auflösung zwischen interner und externer Kommunikation. Tritt ein Vorstandchef ab, so ist die Verabschiedung von den Mitarbeitern unter dem Einsatz der Medien der internen Kommunikation natürlich obligatorisch. Gleichwohl kann die Endphase der Amtszeit eines Vorstandschefs intern womöglich etwas weniger kommunikationsintensiv sein als extern, wo, abhängig von der Größe des Unternehmens und der Bekanntheit des CEO, durchaus mehr als ein einziges Abschiedsinterview denkbar ist. Dies hängt auch von weiteren Faktoren ab, wie dem persönlichen Kommunikationsstil des scheidenden CEO oder dem Zustand, in welchem er das Unternehmen übergibt. 1155. .33 FFaazziitt: : CCEEOO--KKoommm muunniikkaattiioonn iinn ddyynnaammiisscchheen n MMeeddiieen nwweelltteen n CEO-Kommunikation ist eine Reaktion auf dynamische Medienwelten und komplexe Umweltbedingungen. Sie liefert Orientierung und Identifikation für externe und interne Stakeholder und ist abhängig von den jeweiligen Amtsphasen. Dies bedeutet nicht, dass CEO-Kommunikation ein völlig neues Phänomen ist. Doch der Medienwandel hat v. a. für Großkonzerne die Notwendigkeit einer gezielten CEO-Kommunikation nochmals verschärft. Überträgt man das Analyseraster von Mast (1986) auf die CEO-Kommunikation, fallen besonders drei Punkte auf: CEO-Kommunikation schafft neue Kommunikationsräume: der mediale Wandel hat dazu geführt, dass sich CEOs heute nicht nur in klassischen Interviews für Tageszeitungen oder Mitarbeitermagazinen zu Wort melden, sondern teilweise eigene Plattformen wie einen YouTube-Kanal oder Twitter-Account haben. CEOs spiegeln auch gesellschaftlichen Wandel wider: so hat z. B. das Traditionsunternehmen OTTO, einer der größten E-Commerce Händler in Europe, vor einiger Zeit die Krawatte abgeschafft und das „Du“ auf allen Ebenen eingeführt. Zugleich gehen manche Unternehmen radikal andere Wege in der Inszenierung ihrer Arbeitsräume. Facebook-CEO Mark Zuckerberg sitzt - wie alle im Unternehmen - in einem Großraumbüro und holt sich, je nach Projekt oder Relevanz, die Verantwortlichen direkt in seine räumliche Nähe. Die klassische Vorstandsetage ist hier schon lange Vergangenheit. Die zeitliche Dimension in der Aussagevermittlung ist bereits oben mit den Amtsphasen illustriert. Diese definieren die Intensität und den Inhalt der Kommunikation. Durch die permanente Nachrichtenverfügbarkeit sind CEOs unter Umständen auch gezwungen, relativ schnell auf Anfragen und Krisen zu reagieren. Gleiches gilt auch für die inhaltliche Dimension der Aussagenbewältigung. Die Kommunikation des CEO ist integraler Bestandteil der Unternehmenskommunikation. Sie sollte daher unbedingt in deren Gesamtkontext betrachtet, geplant und durchgeführt werden und nicht als eine Sonderkommunikation innerhalb der Unternehmenskommunikation existieren. <?page no="208"?> Was leistet CEO-Kommunikation? 207 LLiitteerraattuurr Beck, U. (1986). Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Bentele, G., & Fähnrich, B. (2010). Personalisierung als sozialer Mechanismus in Medien und gesellschaftlichen Organisationen. In M. Eisenegger & S. Wehmeier (Hg.), Personalisierung der Organisationskommunikation - Theoretische Zugänge, Empirie und Praxis (S. 51-76). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Brettschneider, F., & Vollbracht, M. (2010). Personalisierung der Unternehmensberichterstattung. In M. Eisenegger & S. Wehmeier (Hg.), Personalisierung der Organisationskommunikation - Theoretische Zugänge, Empirie und Praxis (S. 133-158). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Donges, P. (2008). 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O Orrggaanniissa attiioonnaallee FFeel lddeerr uunndd kkoommmmuunniikkaattiivvee LLooggiikkeenn Swaran Sandhu Der Beitrag führt in die Prämissen des Neoinstitutionalismus ein und fragt, wie sich Kommunikationskontexte aus einer institutionellen Perspektive analysieren lassen. Ausgehend von dieser Perspektive wird zunächst die vorherrschende Kommunikationslogik der Beschleunigung und Entgrenzung analysiert, die eine dominante Logik für die PR-Praxis darstellt. Eine Stärke des Neoinstitutionalismus ist es, unterschiedliche Analyseebenen einzusetzen. Diese Idee wird dann mit dem Konzept des Kommunikationsraums und dem institutionellen Entrepreneur verschränkt. Insgesamt zeigt der Beitrag, dass sich der Neoinstitutionalismus durch seine kommunikative Wende als ein geeignetes Raster für die Analyse von Kommunikationsdynamiken anbietet. 1166..1 1 EEi innl le eiit tu unngg Die Kernaufgabe der PR-Forschung ist es, das Phänomen „Public Relations“ (PR) zunächst zu beschreiben und im Idealfall zu erklären. Dazu haben sich in den letzten 30 Jahren ganz unterschiedliche theoretische Strömungen entwickelt (vgl. den Beitrag zur PR-Forschung von Stehle in diesem Band). Die bewusste Entscheidung für eine theoretische Perspektive schließt in der Regel andere Zugänge aus. Deshalb sind theoretische Entscheidungen immer folgenreich. Die Kontextfaktoren des Medienwandels (Mast 1986), verfügb ar e Komm un ika tion skan äle und d er H an d lu ng ss pie lrau m v on Re zip ie nten waren schon immer eine Herausforderung für die Kommunikatorforschung, insbesondere für die Public Relations. Doch wie lassen sich diese Kommunikationsdynamiken sinnvoll für die PR beschreiben? Seit einiger Zeit wird die institutionelle Perspektive verstärkt in der PR-Forschung diskutiert und eingefordert. Mit dieser „institutionellen Wende“ holt die PR-Forschung nach, was andere Sozialwissenschaften wie die Politik- und Geschichtswissenschaften, die Ökonomie und die Soziologie bereits in den 1990er Jahren vollzogen haben. Gemeinsam ist allen Strömungen des sogenannten Neoinstitutionalismus, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen als zentrale Einflussgröße auf organisationales und individuelles Handeln verstanden wird. In diesem Beitrag liegt der Schwerpunkt auf einer Spielart des Neoinstitutionalismus, nämlich dem soziologischen bzw. organisationalen Institutionalismus. Wenn im folgenden also von Institutionalismus die Rede sein wird, dann ist immer diese Ausprägung gemeint. Im Zentrum des Beitrags steht die Frage, wie sich aus einer institutionellen Perspektive Kommunikationsdynamiken erklären lassen. Der Beitrag beleuchtet zunächst die Grundlagen des Neoinstitutionalismus (Kap. 16.2). Dabei stehen v. a. das Konzept der institutionellen Isomorphie in organisationalen Feldern und das Modell der institutionellen Logik im Mittelpunkt. Anschließend geht es um die Frage, wie die institutionelle Perspektive Kommunikationsdynamiken erklären kann (Kap. 16.3). Sie vollzieht derzeit eine Wende hin zu einer stärker rekursiven bzw. handlungsorientierten Ausrichtung. An <?page no="211"?> 210 Swaran Sandhu die Stelle eines eher passiven Akteurs rückt die Vorstellung eines in die Umwelt eingebetteten „Entrepreneurs“, der seine Rahmenbedingungen aktiv gestalten kann. Diese Annahme wird auf das Kommunikationsmanagement übertragen, in dem die Vorstellung des strategisch-handelnden Akteurs dominant ist. Das Resümee plädiert für eine prozessuale PR-Forschung, die kommunikative Kontextbedingungen in Forschungsdesigns verstärkt berücksichtigt (Kap. 16.4). 1166..22 PPrräämmiisssseen n ddees s NNeeooiinnssttiittuuttiioonnaalliissmmu uss Organisationen passen sich an die Erwartungsstrukturen ihrer Umwelt und ihnen ähnlichen Organisationen an. Dadurch erlangen sie ein hohes Maß an Konformität mit den Umwelterwartungen und gelten so als legitim zu. So könnte man die Kernthese des Neoinstitutionalismus zusammenfassen. Doch wie und warum konnte sich diese vermeintlich einfach anmutende These zu einer der einflussreichsten Organisationstheorien entwickeln, die nun auch in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft (Künzler et al. 2013; Jarren und Steininger 2016) und PR-Forschung (Wehmeier 2006; Sandhu 2012) verstärkt rezipiert wird? Der Neoinstitutionalismus liefert einen Erklärungsrahmen, der konträr zu funktional-managementorientierten Ansätzen steht und zugleich die Frontstellung zwischen system- und handlungsorientierten Ansätzen auflöst, indem er für eine integrative Theoriebildung plädiert. Die hier diskutierte 1 Spielart des Neoinstitutionalismus (kurz NSI für New Sociological Institutionalism) hat ihre Wurzeln in der Soziologie und Organisationsforschung. Zentraler Ausgangspunkt für die frühen Arbeiten im Feld war die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit nach Berger und Luckmann (2004 [1966]). Mit der Wiederentdeckung gesellschaftlicher Einflussfaktoren auf die Organisation und der damit verbundenen Abkehr von rein zweckrationalen Erklärungsmodellen für organisationales Handeln wurde in den 1980er Jahren der Weg für den Siegeszug der institutionellen Perspektive geebnet (Meyer und Rowan 1977; Zucker 1977; DiMaggio und Powell 1983), der bis heute andauert (DiMaggio und Powell 1991; Greenwood et al. 2008; Scott 2014). Eine bis heute gültige Beobachtung der zwischenzeitlich als Klassiker geltenden Aufsätze war die erstaunliche Gleichförmigkeit von Organisationsstrukturen. Diese institutionelle Isomorphie - die Angleichung von formalen Organisationsstrukturen - avancierte zu einem der zentralen Erklärungsmuster des organisationsbezogenen Neoinstitutionalismus. Institutionelle Isomorphie wird nach Meyer und Rowan (1977) durch sogenannte Rationalitätsmythen erzeugt. Dies sind gesellschaftlich sedimentierte Erwartungshaltungen, denen sich Organisationen unterwerfen, um als legitim zu gelten. Rationalität gilt als die zentrale Leitorientierung der westlichen Kultur und hat sich seit der Aufklärung als Mentalitätshaltung verselbstständigt. Um als rational zu gelten muss alles Handeln auf klare Zweck-Mittel-Optimierung und damit Effizienz ausgerichtet sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob die eingesetzten Verfahren tatsächlich zu einer besseren Zielerreichung führen. Darauf bezieht sich der zweite Teil des Kunstworts Rationalitäts-„mythos“. Solange sich die Organisation konform zu den Umwelterwartungen verhält, wird ihr Legitimität zugeschrieben, auch wenn sie nicht zwangsläufig effizient ist. Aktuelle Anforderungen an 1 Der Beitrag basiert in Teilen auf Diskussionen des Neoinstitutionalismus in anderen Arbeiten, vgl. hier besonders Sandhu (2012; 2015). <?page no="212"?> Was leistet eine institutionelle Perspektive für PR? 211 Organisationen sind z. B. die Vereinbarkeit von Familie und Karriere, Nachhaltigkeit, Transparenz oder Integrität. Organisationen reagieren auf diese Anforderungen durch den Aufbau von entsprechenden Fachabteilungen, Arbeitsprogrammen und Zertifizierungen. Oftmals stehen diese Erwartungen in Konflikt zueinander, was zu einer Entkopplung von Formal- und Aktivitätsstruktur führt. Organisationen flaggen eine Schauseite (Formalstruktur) aus, um die Erwartungshaltung zu erfüllen und puffern dadurch die Anforderungen für die konkreten Aktivitäten ab. In der Regel findet dieser Entkopplungsprozess jedoch unbewusst und im guten Glauben an das richtige Verhalten statt ohne dass man hier von einer bewussten Täuschung oder Heuchelei sprechen kann. Stattdessen soll „im guten Glauben“ an die Ziele der Organisation Imagepflege betrieben werden (grundlegend: Meyer und Rowan 1977). Folgt man dieser Sichtweise, dann lässt sich die Expansion von PR-Praktiken als Reaktion auf die gestiegenen gesellschaftlichen Erwartungen erklären (Rao und Sivakumar 1999). PR wird so als organisationales Inszenierungsvehikel für die organisationale Selbstdarstellung verstanden. Diese eher passive Sichtweise vernachlässigt jedoch die aktive Rolle, die PR für die Konstitution von Organisationen einnehmen kann (Suddaby 2011). Sie wird im weiteren Verlauf des Beitrags noch diskutiert werden. IInnssttiittuuttiioonneellllee IIssoommoorrpphhiiee iinn oorrggaanniissaattiioonnaalleenn FFeellddeerrnn Der zweite zentrale Erklärungsansatz für institutionelle Isomorphie stammt von DiMaggio und Powell (1983). Sie konkretisieren mit dem Konzept des organisationalen Feldes eine dem Neoinstitutionalismus eigene Analyseebene. Organisationale Felder konstituieren sich durch die gegenseitige Beobachtung von Organisationen, durch steigende Interaktionen zwischen ihnen und die Ausformung von Machtstrukturen und Koalitionsmustern, die insgesamt zu einer gegenseitigen Wahrnehmung und kollektiven Rationalität zwischen den Organisationen in einem Feld führen (ebd., S. 150). Felder lassen sich nicht a-priori bestimmen, sondern nur durch ex-post Analysen und sind somit Ergebnisse des Forschungsdesigns. Für die PR ist der Feldbegriff ein hilfreiches Konstrukt, da es unmittelbar das Verhältnis der Organisation zu ihrer Umwelt betrifft. Innerhalb des organisationalen Felds finden Angleichungs- oder Isomorphieprozesse in drei Varianten statt: Der regulative Zwang geht etwa von Regelwerken aus, die z. B. in Gesetzen oder Statuten festgelegt sind oder von definitionsmächtigen Organisationen gesetzt werden. Da Organisationen Sanktionen in der Regel scheuen und nicht bewusst in Kauf nehmen, gleichen sie ihre Praktiken und Verfahren diesen Regeln an. Der Einfluss von supra-nationalen Regelwerken etwa auf europäischer Ebene oder Anforderungen der OECD führen dazu, dass sich Organisationsstrukturen, etwa im Bildungsbereich oder im Reporting angleichen. Die mimetische Form der Anpassung wird bei hoher Unsicherheit relevant. Hier orientieren sich Organisationen an Vorbildern mit hoher Reputation und imitieren deren Verfahren und Praktiken. Denn was erfolgreiche Unternehmen tun, kann ja nicht falsch sein. Diese Umweltorientierung reduziert die Entscheidungskomplexität in Organisationen, führt aber in letzter Konsequenz zu Herdeneffekten. Letztlich können normative Einflussfaktoren zu Angleichungsprozessen führen. Homogene Ausbildungen, standardisierte Nachwuchsselektion und gegenseitige Bestätigung in gleichen Netzwerken führen zu einem gemeinsam geteilten Werteverständnis innerhalb der Organisation, das nur bestimmte Strategien als geeignet und umsetzbar <?page no="213"?> 212 Swaran Sandhu ansieht. Diese gemeinsame Weltsicht kann durch die Organisation selbst oder aber von außen durch Berater in die Organisation gebracht werden. Beispielsweise sind Managementberater regelmäßig für Ministerien im Einsatz, die dann das Vokabular der Wirtschaft in die Ministerialbürokratie bringen. So werden etwa Arbeitssuchende zu „Kunden“ in einem „Jobcenter“ umgedeutet und entsprechende Routinen und Prozesse implementiert. Im Kern geht es bei der Feldkonstitution um kommunikative Beziehungsmuster, die sich entlang von gemeinsamen Themen konstituieren (Hoffman 1999) und somit Beziehungsräume für Organisationen aufspannen (Wooten und Hoffman 2008). Mit diesem recht überschaubaren Satz an Kernüberlegungen avancierte der Neoinstitutionalismus zu einer wichtigen organisationstheoretischen Strömung. Seine Popularität speiste sich zum einen aus der Abkehr von zweck-rationalen Erklärungsmodellen und zum anderen aus der konzeptionellen Offenheit des Ansatzes. Eine weitere Stärke war die Möglichkeit das institutionelle Denken auf verschiedenen Untersuchungsebenen zu skalieren. UUnntte errssu ucchhu unnggsseeb beenneenn iimm NNeeooiinnssttiittuuttiioonnaalliissm muuss Eine Besonderheit von institutionalistischen Forschungsansätzen ist die Skalierbarkeit der Untersuchungsebenen und damit der Reichweite der theoretischen Annahmen. Institutionalisten legen ganz unterschiedliche Perspektiven auf ihren Untersuchungsgegenstand an (vgl. Abb. 1). Die Abbildung lässt sich entweder von oben nach unten oder von unten nach oben lesen: Liest man sie von oben, nimmt man eine Makroperspektive ein und stellt den Einfluss von gesellschaftlichen Regeln auf Organisationen („Umwelt als Institution“ bzw. Makro-Institutionalismus) in den Vordergrund. Liest man die Tabelle von unten, interessiert vielmehr wie Organisationen auf ihre Mitglieder wirken („Organisationen als Institution“ bzw. Mikro-Institutionalismus). Als „Scharnier“ zwischen den beiden Ebenen sind die oben erwähnten organisationalen Felder verortet. Entscheidend ist, dass diese analytischen Kategorien nur begrenzt vom Forscher selbst definiert werden und sich erst durch empirische Untersuchungen behaupten müssen. Als Brückenschlag zwischen den Untersuchungsebenen lässt sich das Konzept der institutionellen Logik anbringen. IInnssttiittuuttiioonneellllee LLooggiikkeenn Institutionelle Logiken definieren den Handlungsrahmen von Organisationen und ihrer Kommunikation. Sie sind eine Brücke zwischen den stärker strukturalistisch geprägten Makro-Ausprägungen des Neoinstitutionalismus und den eher prozessual geprägten Mikro-Ansätzen (Thornton und Ocasio 2008, S.100). Sie verdichten die kulturell geprägten und kognitiv abgelagerten Muster, über die der sozialen Realität Sinn zugeschrieben wird (Thornton und Ocasio 1999, S. 804). Die Logiken liefern somit eine Art Paketlösung, um die institutionalisierten Anforderungen von der gesellschaftlichen Ebene auf die Organisations- und teilweise individuelle Ebene zu übersetzen. Demnach sind es institutionelle Ordnungen, „die Mechanismen definieren, nach denen sich Organisationen an etablierte Muster anpassen oder davon abweichen“ (Friedland und Alford 1991, S. 244, eigene Übersetzung). Diese Logiken sind keineswegs statisch oder eindeutig, sondern können miteinander in Konflikt stehen. Zur Zeit zeigt sich deutlich, wie z. B. die Managementlogik als Kurz- <?page no="214"?> Was leistet eine institutionelle Perspektive für PR? 213 formel für eine Ausrichtung auf Effizienz, Kontrolle und Kosten in verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen zu Konflikten führt: Ärzte müssen Aufwand und Kosten dokumentieren und zugleich Zeit für die persönlichen Anliegen ihrer Patienten haben; Professoren sollen Drittmittel akquirieren, Forschungsanträge schreiben und gute Lehrevaluationsergebnisse abliefern, aber zugleich das Humboldt’sche Ideal von Forschung und Lehre verkörpern und die Studierenden fit für den Arbeitsmarkt machen. gesellschaftliche Teilsysteme bzw. institutionelle Logiken Meso-Ebene Organisationales Feld kollektive Rationalität, konstruierte Realität von O rg an is at ione n Makro-Ebene Umwelt als Institution gesellschaftliche Erwartungs- Strukturen, Rationalitätsmythen Mikro-Ebene Organisation als Institution soziales Handeln von Individuen in Organisationen Institutionelle Logiken definieren Feldkonfiguration und mögliche Konfliktlinien der Sinnkonstitution. Institutionelle Arbeit ermöglicht Wandel von Organisationen und Feldern durch aktives Einwirken und erwirkt dadurch eine strategische Institutionalisierung. „Umwelt als Institution Organisationales Feld Organisation Organisation Gruppe „Organisation als Institution Mesoauf Mikro- Ebene: Konstitution von PR- Rollen und Strukturen auf Mikro-Ebene: Institutionalisierung spezifischer Handlungsprogramme für PR. Mikroauf Mikro- Ebene: Aktive Einflussnahme auf Organisationen Felder durch institutionelle Arbeit. Mesoauf Meso-Ebene: Regulative, normative und kognitive Isomorphie- Effekte wirken auf PR ein, z. B. durch gegenseitige Beobachtung im kommunikativen Feld. Institutionelle Logiken können im Konflikt stehen. Makroauf Meso- Ebene: Gesellschaftliche Erwartungsstrukturen definieren PR-Programme, z. B. CSR-Maßnahmen; institutionelle Logiken strukturieren Felder. <?page no="215"?> 214 Swaran Sandhu Die Auswirkungen davon zeigen sich in konkreten Anforderungen, die an Organisationen gestellt werden, beispielsweise in Form von standardisierten Evaluationskriterien, Leitlinien und Selbstbeschreibungen, die z. B. in Leitbildern definiert werden. Public Relations hat bei institutionellen Logiken eine wenig untersuchte Doppelrolle. Zum einen werden institutionelle Logiken häufig durch kommunikative und rhetorische Maßnahmen implementiert und legitimiert. So ist PR nicht selten daran beteiligt, die impliziten Annahmen der Organisationsleitung in einen expliziten Handlungsrahmen innerhalb der Organisation, aber auch gegenüber der Umwelt darzustellen. Typische Formate (bzw. Genres oder kommunikative Gattungen, vgl. Orlikowski und Yates 1994) solcher Selbstbeschreibungen sind Leitbilder, Mission Statements oder Claims, die implizite Annahmen materialisieren und in kommunikative Statements übersetzen. Besonders gut lässt sich dies an Fällen illustrieren, die das Selbstbild der Organisation erschüttern oder auf die Probe stellen, z. B. Krisen, strategische Neuausrichtungen oder Eigentümerwechsel. Gut dokumentiert ist etwa, wie in Verlagen der Wechsel von einer verlegerischen oder publizistischen Logik (das Produkt oder der Autor stehen im Zentrum) hin zu einer managerialen Logik (Profit und Effizienz sind zentral) zu strukturellen und organisationalen Veränderungen führte, die sich bis in die Personalrekrutierung und strategische Ausrichtung der Organisation hindurch zog (Thornton und Ocasio 1999). Daraus folgt: Die Praxis der PR ist nicht beliebig oder gar an die Person des Kommunikationsmanagers gekoppelt, sondern durch die strukturelle Einbettung und die generelle institutionelle Logik einer Organisation geprägt. Für bestimmte organisationale Felder entstehen mediale Beobachtungsregimes und Grundüberzeugungen, die die kommunikativen Modi der PR prägen. Diese Muster lassen sich nur schwer durchbrechen, weil sie sich als nicht-hinterfragbare Grundüberzeugungen („taken-for-granted“-Annahmen) verfestigt haben. 1166..3 3 KKo om mm muun niikkaatti io on nssd dyyn naammi ikkeen n vve errsstte eh heenn Wie vor rund 30 Jahren stellt sich auch heute noch die Frage, wie Kommunikationsdynamiken auf verschiedenen Ebenen erklärt werden können (vgl. den einleitenden Beitrag von Huck-Sandhu und Sandhu in diesem Band). Die Analyse von Mast (1986) entstand unter dem Eindruck veränderter gesellschaftlicher, technologischer und rechtlicher Rahmenbedingungen, die zu einer neuen Kommunikationsdynamik führten. Zentrale Treiber damals waren die Liberalisierung des Rundfunkmarktes sowie neue Kommunikationstechnologien. Ihr Analyseraster orientierte sich entlang des medialen Vermittlungsprozesses, der sich vom Kommunikator über Medieninhalte bis zum Rezipienten erstreckte und in sogenannten Kommunikationsräumen ablief. Aus einer neoinstitutionalistischen Perspektive lassen sich verschiedene Schwerpunkte setzen. Insbesondere die Analyse der dominanten Kommunikationslogik und das Konzept des Kommunikationsraums bieten sich dafür an. DDaass AAkktteeuurrssppaarraaddooxx iimm NNeeooiinnssttiittuuttiioonnaalliissmmuuss Die bisherigen Schilderungen erweckten möglicherweise den Anschein, dass die organisationale PR nur symbolisch-repräsentative Aufgaben hat, die die Schauseite der Organisation bedienen, um dadurch gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden (etwa Kühl 2011, S. 177). Diese Haltung ist der bewussten Dezentrierung einer starken <?page no="216"?> Was leistet eine institutionelle Perspektive für PR? 215 Akteursvorstellung im Neoinstitutionalismus geschuldet. Sie lenkt den Blick auf überindividuelle und aggregierte Einflüsse. Doch Organisationen sind auch im Neoinstitutionalismus keine Abziehbilder ihrer Umwelt, sondern können aktiv und strategisch auf Umwelteinflüsse reagieren (grundlegend etwa Oliver 1991). In jüngster Zeit wird die aktive Gestaltung der Organisationsumwelt innerhalb institutioneller Rahmenbedingungen unter dem Stichwort „institutional work“ diskutiert (Lawrence und Suddaby 2006). Denn gerade die für PR so wichtige kommunikative Kompetenz, also die Ausgestaltung von Sinninhalten mit medialen Mitteln (Messaging und Framing), wird auch von Vertretern der institutional work als relevant angesehen. PR-Fachpersonen übernehmen hier erheblichen Anteil an der Gestaltung organisationaler Wirklichkeiten. Diese Erweiterung des Neoinstitutionalismus um eine stärker akteurszentrierte Ausrichtung verspricht viel Potenzial für die Erforschung von PR-Praktiken jenseits des eisernen Käfigs der institutionellen Schranken. KKoommmmuunniikka attiioonnssllooggiikk ddeerr BBeesscchhlleeuunniigguunngg uunndd EEnnttggrreennzzuunngg Knapp zehn Jahre nach Mast schreibt Münch (1995, S. 83): „In der Welt der totalen Kommunikation wird Kommunikation zum totalen Zwang“. Dieser Zwang zieht sich durch alle Lebensbereiche, vom Sport über die Politik bis hin zu Wirtschaft und Kultur - Kommunikationswissenschaftler bezeichnen diese Entwicklung gerne als Mediatisierung. In Abgrenzung zu der herkömmlichen Logik der Massenmedien (Altheide und Snow 1979) sind Beschleunigung und Entgrenzung die zwei markantesten Zeichen einer neuen Kommunikationslogik durch digitale Medien. Beschleunigung bedeutet, dass Medieninhalte schneller und direkter als „news bites“ für mobile Endgeräte aufbereitet werden. Entgrenzung meint, dass gerade bei digitalen Produkten das physikalische Trägermedium immer stärker in den Hintergrund rückt und stattdessen die Inhalte plattformneutral aufbereitet und dann in entsprechenden Varianten publiziert werden können. Die klassischen Grenzen zwischen Inhalteproduzenten, Plattformanbietern und Telekommunikationsdienstleistern verwischen. Damit ändern sich auch die Distributionswege und die Erlösmodelle klassischer Inhalteproduzenten, wie z. B. Verlage oder Rundfunksender. Mediale Linearität wird zunehmend durch „always-on“ bzw. „real-time-reporting“ ersetzt oder weicht einer individualisierten Rezeption „on-demand“. Die Angebotsbreite (mehr Medieninhalte und mehr Anbieter) bringt ein Selektionsproblem für den Rezipienten mit sich, das die Anbieter über algorithmische Verfahren lösen wollen. Medieninhalte werden stärker denn je als ökonomisches Produkt verstanden. Im digitalen Raum wird die komplette Mediennutzung der Rezipienten von Unternehmen ausgewertet und fortlaufend optimiert. Angelehnt an van Dijk und Poell (2013) besteht die vorherrschende Kommunikationslogik aus vier Punkten: Programmierbarkeit: Inhalte werden primär über digitale Plattformen zur Verfügung gestellt, in vielen Fällen sind es die Nutzer selbst, die Inhalte generieren. An die Stelle von Experten treten Algorithmen, die Nachrichten selektieren. Popularisierung: Die Plattformen richten ihr Angebot am populären Inhalten aus, die permanent ausgewertet werden, um sie weiter zu optimieren. Konnektivität: Inhalte werden auf Plattformen präsentiert, die zugleich die Vernetzung von Rezipienten darstellt. Dadurch entstehen neue Beziehungsmuster zwischen Rezipienten. <?page no="217"?> 216 Swaran Sandhu Datafizierung: Alles Mediennutzungsverhalten wird ausgewertet und optimiert. Dabei spielt weniger die Aktion des einzelnen, sondern das Aggregat die entscheidende Rolle. Das Fundament für Beschleunigung und Entgrenzung ist die Steigerungslogik des Neoliberalismus, der Wachstum durch Privatisierung und Zurückdrängung staatlicher Wohlfahrtspolitik propagiert. Diese Grundhaltung hat sich mit dem bedingungslosen Techno- Solutionismus (Morozov 2013) des Silicon Valley verbunden, um die „kalifornische Ideologie“ (Barbrook und Cameron 1996) auch in Europa zu etablieren. Technologische und politische Rahmenbedingungen werden häufig als externe Variablen von Kommunikationsdynamiken analysiert. Dabei wird außen vor gelassen, dass Rahmenbedingungen von wirtschaftlichen und politischen Akteuren mitgestaltet werden und keineswegs unveränderbar sind (Welzer 2016). KKoommmmuunniikkaattiioonnssrrääuummee uunndd iinnssttiittuuttiioonneellllee EEnnttrreepprreenneeuurree Mit dem Konzept des „Kommunikationsraums“ bezieht sich Mast (1986, S. 258) auf räumlich-geographische aber auch kognitive Räume, die sowohl auf der individuellen als auch der organisatorischen bzw. gesellschaftlichen Ebene angesiedelt werden können. Doch wie konstituieren sich diese Räume durch Medien und wie lassen sie sich analysieren? Mit dem Konstrukt des organisationalen bzw. kommunikativen Felds ermöglicht die neoinstitutionalistische Perspektive eine Präzisierung des Konzepts. Wie bereits oben erwähnt rücken mit der kommunikativen Wende verstärkt themenzentrierte Felder ins Zentrum der Analyse (Hoffmann 1999). So werden die kommunikativen Beziehungen zwischen Organisationen zu einem wichtigen Teil der Analyse und lassen sich für die PR-Forschung nutzbar machen, um die Entwicklungen in einem Feld besser verstehen zu können. Kommunikative Felder sind nicht statisch, sondern entwickeln sich im Zeitverlauf. Dabei unterliegen sie mindestens zwei Einflussfaktoren. Erstens können sogenannte „fieldconfiguring-events“ die Feldstruktur stark verändern (Hardy und Maguire 2010). Diese Ereignisse erschüttern das organisationale Selbstverständnis der Organisation innerhalb eines Felds und verändern damit dessen grundlegende Narrative. Welche Form diese Ereignisse annehmen, kann ganz unterschiedlich sein: dies können z. B. Gesetzgebungsverfahren, Klagen, aber auch Demonstrationen, Krisen oder Umweltkatastrophen sein. Zweitens können Felder aber auch aktiv verändert werden. Hier kommen sogenannte „institutionelle Entrepreneure“ ins Spiel, die Felder mitgestalten können (Lawrence und Suddaby 2006). Sie sind sensibel für kulturelle Rahmungen eines Felds und setzen diskursive Mittel gekonnt ein, um Einstellungen und Wahrnehmungen zu verändern, denn institutionelle Arbeit „basiert häufig auf dem gesprochen oder geschriebenen Wort, das darauf abzielt, den institutionellen Kontext zu verändern“ (ebd., S. 239, eigene Übersetzung). Institutionelle Entrepreneure sollen also über genau jene Kompetenz verfügen, die wir gemeinhin auch strategischen PR-Experten zuschreiben. Kommunikationsräume sind also kein Zufallsprodukt institutioneller Rahmenbedingungen, sondern können gezielt entwickelt werden. Mit der kommunikativen Wende im Neoinstitutionalismus (Cornelissen et al. 2015) erweitert sich der Blick auf die kommunikativen Prozesse. Diese Konvergenz der theoretischen Perspektiven erlaubt es auch, die Frontstellung zwischen intentional-ausgerichtetem Kommunikationsmanagement und der stärker interpretativ arbeitenden PR-Forschung bis zu einem gewissen Grad aufzubrechen. <?page no="218"?> Was leistet eine institutionelle Perspektive für PR? 217 1166. .44 WWaass lleei isstte ett eei innee iinnsstti ittu uttiioonneel lllee PPeerrssp peek ktti ivve e? ? Jeder theoretische Zugriff muss sich daran messen lassen, wie angemessen der Erklärungsrahmen ist, den er zur Lösung praktischer oder theoretischer Probleme wählt. Eine Möglichkeit, dies auf einer abstrakten Ebene zu diskutieren, bietet der synoptische Theorievergleich (Friedrichsmeier und Fürst 2013) bzw. die Analyse paradigmatischer Grundlagen (Ingenhoff and Bachmann 2014). Damit wird schnell deutlich, dass es keine allgemeingültige Theorie geben kann, sondern jede Wahl mit Vor- und Nachteilen verbunden ist. Für eine Pluralität an PR-Theorien spricht, dass eine breitere Auswahl an unterschiedlichen Zugängen neue und andere Blickwinkel in die Diskussion einführen kann, die bislang ausgeblendet wurden. Aus der Arbeit von Mast (1986) wird deutlich, dass institutionelle Rahmenbedingungen einen Einfluss auf Kommunikationsprozesse haben, und zwar sowohl auf Kommunikatorals auch auf Rezipientenseite. Somit ist das institutionalistische Denken schon lange ein Teil der Kommunikationswissenschaft gewesen (Sandhu 2012, S. 128ff.), auch wenn die Diskussion nicht zwangsläufig mit der heutigen Begrifflichkeit des Neoinstitutionalismus geführt wurde. Wie oben ausgeführt lassen sich aus der neoinstitutionalistischen Perspektive Kommunikationsdynamiken auf verschiedenen Ebenen analysieren. Dies ist eine wichtige Weiterentwicklung innerhalb der institutionellen Theorie, die Kontextfaktoren lange Zeit als stabil und nur schwer veränderbar angesehen hat. Mit einer dynamischen Perspektive lassen sich Veränderungen von PR-Praktiken auf verschiedenen Ebenen besser erklären. Mit der kommunikativen Wende im Neoinstitutionalismus und dem Fokus auf intentionalen Botschaften (im Sinne von Framing, Diskurs oder Rhetorik) werden Kommunikationsmanager zu einem zentralen Analysefaktor innerhalb der institutionell ausgerichteten PR-Forschung. Dadurch lassen sich Forschungsfragen und -designs generieren, die zum Erkenntnisfortschritt in der PR-Forschung beitragen. <?page no="219"?> 218 Swaran Sandhu LLiitteerraattuurr Altheide, D. L., & Snow, R. P. (1979). Media Logic. London: Sage. Barbrook, R., & Cameron, A. (1996). The Californian Ideology. Science as Culture 6(26), 44-72. Berger, P. L., & Luckmann, T. (2004). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. 20. Aufl. [original: 1966]. Franfurt am Main: Fischer. Cornelissen, J. P., Durand, R., Fiss, P. C., Lammers, J. C., & Vaara, E. (2015). 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DDeessiiggnn TThhi innkkiinngg uunndd TTeeaamm--KKoommmmuunniikkaattiioonn aauuss NNeettzzwweerrkkppeerrssppeekkttiivvee Daniel Biedermann Was leisten die Medien - das ist eine Frage, die nicht nur ex-post erhoben, sondern viel mehr proaktiv analysiert sein will. Neuen Leistungen der Medien, individualisierte Formen von Massenkommunikation und funktionelle Verzahnung von medialer Aussagenentstehung mit kommunikationstechnischer Vermittlung haben die Rahmenbedingungen der Organisationskommunikation stark verändert. Aber Ausgangspunkt einer guten Kommunikationsarbeit ist und bleibt die Kreation von Inhalten. Im Kontext des Medienwandels sind heute verstärkt Innovationen gefragt, die nicht nur graduell verbessern, sondern disruptiv neues Markt- und Forschungspotenzial eröffnen. Der Beitrag beleuchtet, wie ein möglicher Weg hin zu Innovationen aussehen kann. Dazu wird die Denk- und Funktionsweise von Design Thinking vorgestellt und diskutiert. Damit verknüpft wird die soziale Netzwerkanalyse, die gerade in Kombination mit dem Design Thinking Mehrwert für die Organisationskommunikation stiften kann. 1177..11 DDaass uunnbbeek kaannnnttee WWeesseenn „„N Nuuttz ze er r““ -- DDees siiggnn TTh hiinnkki inngg uunndd nnuuttz ze errzze en nttrriie errt te e IInnnnoov va attiio onneenn I Innnnoovvaattiioonneenn: : EExxiisstteennzzg grruunnddllaaggee vvoonn UUn ntteerrn neehhm meenn Was wär, gäb’ ich einen Oreo einem Vampir in einer Gruselshow? Hat er wirklich Lust auf dich oder doch nur Durst auf Milch? (Werbespot Oreo 2016) Die Frage, wonach es dem Vampir aus der TV-Werbung ist, muss für diesen Moment unbeantwortet bleiben. Vielmehr soll der Vampir stellvertretend für den Medienrezipienten stehen. Was braucht er? Was sind seine Bedürfnisse? Dies sollte Leitfrage des Handelns aller Medien sein. Und hierbei geht es nicht nur um Inhalte, sondern auch um Formate oder Kanäle. Was Medien leisten, sollte nicht nur ex-post erhoben werden, sondern viel mehr proaktiv analysiert sein. Es mag zwar veränderte Rahmenbedingungen in der Medienwelt geben (Mast 1986; vgl. den einleitenden Beitrag von Huck-Sandhu und Sandhu). Doch egal, ob man über die Grenzaufhebung zwischen Print- und Telekommunikation, die Grenzaufhebung zwischen Prozessen der Individual- und Massenkommunikation oder die Grenzaufhebung zwischen den Bereichen medialer Aussagenentstehung und kommunikationstechnischer Vermittlung spricht (Mast 1986, S. 12f.) - am Anfang steht immer die Kreation von Kommunikation bzw. Inhalt. <?page no="223"?> 222 Daniel Biedermann Neue Leistungen der Medien, individualisierte Formen von Massenkommunikation, funktionelle Verzahnung von medialer Aussagenentstehung mit kommunikationstechnischer Vermittlung sind nur einige Trends, die in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachten waren. Betrachtet man die von Mast beobachteten Veränderungen, so ist die Brücke vom Strukturwandel der 1980er Jahre zu heutigen Entwicklungen deutlich. Die „sozialen“ Medien haben sicherlich den größten Einfluss auf das Mediengeschehen in den letzten Jahren gehabt. Mass-Self-Communication (Castells 2009) ist zu einer neuen Dimension der individualisierten Massenkommunikation geworden. Hier verschmelzen alle vormals getrennten Aspekte der Kommunikation. Egal ob mit Bezug auf den Inhalt, die Technik oder die Rollen: Grenzen werden immer undeutlicher. Was jedoch klar ist: Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Kommunikation ist nicht linear. Kommunikation wird durch den Faktor ‚Mensch’ schwierig vorhersehbar. Kommunikation integriert unterschiedliche Akteure: Menschen, Medien und Maschinen. Kurz gesagt: Kommunikation ist komplex. Doch was will der Empfänger nun wirklich? Wie lassen sich seine Bedürfnisse identifizieren und dafür Lösungen entwickeln? Die Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit, wie z. B. die Ausdehnung von klassischen Medienangeboten in den Online-Bereich, sind größtenteils kontinuierliche Evolutionen, Revolutionen sind eher selten. Doch genau diese disruptiven Ideen sind es, die aus Sicht von Praxis und Wissenschaft großes (Markt- und Forschungs-) Potenzial haben. Unternehmen versuchen, ihre Marktpositionen durch Innovationen langfristig aufrecht zu erhalten und auszubauen. Dazu sind immer wieder neue Ideen und Ansätze notwendig, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Beitrag führt aus, wie ein möglicher Weg hin zu Innovationen aussehen kann. Dazu wird die Denk- und Funktionsweise von Design Thinking vorgestellt und diskutiert. Damit verknüpft wird die soziale Netzwerkanalyse, die in Kombination mit dem Design Thinking Mehrwert für die Entwicklung von Innovationen stiften kann. DDeerr NNuuttzzeerr iimm FFookkuuss -- DDeessiiggnn TThhiinnkkiinngg Design Thinking ist eine Innovationsmethode, die auf Basis eines iterativen Prozesses nutzer- und kundenorientierte Ergebnisse zur Lösung von komplexen Problemen liefert (Uebernickel et al. 2015, S. 16). Besonders die Eigenschaft, dass der Zweck oder Nutzen einer Innovation schnell erkennbar wird, trägt zum großen Erfolg der Methode bei. Der Prozess sieht einzelne Phasen vor, die jeweils in mehreren Iterationen durchlaufen werden. Beobachtung und Kreativ-Workshops spielen dabei eine zentrale Rolle; das Erstellen von Prototypen ist ebenfalls fest im Vorgehen verankert (Stapelkamp 2013, S. 422). Aus Ideen können nur dort innovative Produkte entstehen, wo die Dimensionen Wünschbarkeit, Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit in einem ausgewogenen Verhältnis berücksichtigt werden (vgl. Abb. 1). Zentrale Herausforderung eines Design Thinking-Vorhabens ist es, durch Analyse, Beobachtung oder und Fragetechniken das „magische Projektdreieck“ zwischen Wünschbarkeit, Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit zu finden und so neuartige Produkt- und Projektideen zu liefern. Weniger geeignet ist Design Thinking, wenn der Ergebnisraum bereits stark vordefiniert ist und es keinen wirklichen Spielraum zur Gestaltung gibt. Während andere Projekt-Vorgehensmodelle (z. B. Agile Development oder Wasserfall- Methode) darauf abzielen, „die Dinge richtig zu tun“, hilft Design Thinking dabei, „die <?page no="224"?> Was leisten Medien für die Innovation? 223 richtigen Dinge zu tun“. Dabei spielt die Einbindung der Endanwender und von Experten, die ihre Kunden oder Nutzer sehr gut verstehen, eine zentrale Rolle. Kernelemente des Design Thinkings sind die „drei P“: People, Places, Process: People: Um möglichst unterschiedliche Blickwinkel auf eine konkrete Fragestellung zu erhalten, sollten Design Thinking-Teams aus Personen zusammengesetzt werden, die einerseits aus unterschiedlichen Fachgebieten stammen und in ihrem Gebiet jeweils über tiefes Fachwissen verfügen. Andererseits sollten sie über die Eigenschaft verfügen, sich in die anderen Fachdomänen hineinzudenken und Verknüpfungen zu schaffen. Sie sollten so in der Lage sein, eine gemeinsame Sprache mit anderen Experten zu finden. Auch ungewöhnliche Ideen sollten angehört und diskutiert, gefestigte Lösungsideen stattdessen in Frage gestellt werden. In diesem Mix von Persönlichkeitstypen und Multidisziplinarität spricht man auch von T-Shaped-Teams, die sich für den Erfolg von Design Thinking-Teams als besonders förderlich herausgestellt haben (vgl. Abb. 2). Places: Direkte Face-2-Face-Interaktion ist Grundvoraussetzung für die Kreativarbeit im Innovationsprozess, daher muss ein Design Thinking-Team an einem Ort zusammenkommen können. Virtualisierung durch Video- oder Telefonkonferenzen schränkt die nötige Interaktion zu sehr ein. Im Innovationsprozess müssen Gedanken visualisiert und Ideen schnell veranschaulicht werden. Daher sind bewegliche Gegenstände und ein inspirierendes Raumkonzept wichtiger Bestandteil eines Design Thinking-Projekts. Es sollte eine Atmosphäre herrschen, in der man sich wohl fühlt und im sehr visuell ausgerichteten Kreativprozess und im „Erfinden“ möglichst nicht eingeschränkt wird. Mobiles Mobiliar, Prototyping-Material und -Werkzeug sind dazu nötig. <?page no="225"?> 224 Daniel Biedermann Process: Um dem kreativen Arbeiten in der Gruppe Orientierung und Struktur zu geben und das Problemlösungspotential des Design Thinking-Ansatzes optimal zu unterstützen, braucht es einen Prozess. Der Design Thinking-Prozess des Hasso-Plattner-Instituts gliedert sich in sechs Phasen (vgl. Abb. 3). Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Phasen nicht im idealtypischen Sinn streng nacheinander zu durchlaufen sind, sondern Wiederholungen, Vor- und Rücksprünge zu beliebigen Zeitpunkten möglich und auch sinnvoll sein können. <?page no="226"?> Was leisten Medien für die Innovation? 225 Grundsätzlich basiert der Prozess auf dem Beobachten und Verstehen von Bedürfnissen, um daraus eine Fülle kreativer Ideen zu generieren, von denen anschließend einzelne ausgewählt und anhand von Prototypen erprobt werden. Die Grafik veranschaulicht von links nach rechts die sechs Phasen des Design Thinking- Prozesses. In den ersten drei Phasen wird auf den Ist-Zustand und die Problemanalyse fokussiert. Die Phasen vier bis sechs hingegen widmen sich dem Lösungsraum. In beiden Teilen geht man zunächst bewusst kreativ in die Breite, um sich dann auf ein oder wenige Probleme im ersten bzw. auf ein oder wenige Lösungen im zweiten Teil zu fokussieren. Dabei sind möglichst vielfältige Aspekte des Problems bzw. der Lösung in Betracht zu ziehen. In diesen Schritten stehen die Kundenbedürfnisse im Mittelpunkt. Inhaltlich läuft in den verschiedenen Phasen Folgendes ab: Verstehen: In diesem Prozessschritt wird die konkrete Fragestellung der Aufgabe festgelegt, das die Herausforderungen des Projekts beschreibt (Beispiel: Wie sieht das Medienangebot in zehn Jahren aus? ). Beobachten: Feldbeobachtung und Recherche sind Schwerpunkte dieses Prozessschrittes. Es werden Interviews geführt oder auch Selbsterfahrungen aus Anwendersicht gesammelt (Beispiel: Nutzerverhalten beobachten). Sichtweise definieren: An dieser Stelle wird mit Hilfe von Personas gearbeitet. Eine Persona ist eine fiktive Personen, die den typischen Anwender einer Nutzergruppe repräsentiert. Die Person wird mit einem Lebenslauf und einer eigenen Gefühls- und Bedürfniswelt ausgestattet. Die in der Recherche erworbenen Beobachtungen werden auf diese definierte Persona bezogen. Die Fragestellung wird in direkten Bezug zur Persona gestellt, um deren Bedürfnissen gerecht zu werden (Beispiel: Für wen entwickeln wir neue Angebote und was ist deren Bedürfnis? ). Ideen finden: In diesem zentralen Schritt sollen mit Hilfe von Brainstorming und anderer Kreativmethoden möglichst viele Ideen erarbeitet werden. Während der Ideenentwicklung findet keine Bewertung der Vorschläge statt. Alle Vorschläge werden in Form von Skizzen, Storyboards oder Geschichten aus Anwendersicht visualisiert und vorgestellt. Am Ende dieser Phase werden die Vorschläge verdichtet (z. B. Cluster gebildet) und eine Auswahl getroffen, welche Vorschläge weiter verfolgt werden sollen (Beispiel: Entwicklung einer Vielzahl von Ideen und Priorisierung). Prototypen entwickeln: Lösungsvorschläge werden greifbar gemacht, indem Prototypen der Lösungsvorschläge für die Vorstellung bei den Zielgruppen gebaut werden. Die Prototypen werden mit einfachsten Mitteln und möglichst wenig Aufwand erstellt, getestet und ggf. wieder verworfen („fail early and fail often“) (Beispiel: Prototypen als Diskussionsgrundlage). Testen: Die Prototypen werden den Zielgruppen oder Zielpersonen gezeigt. Die durch die Vorstellung der Prototypen gewonnenen Rückmeldungen fließen in das Konzept ein. Neben frühzeitig eingehenden Korrekturwünschen können auch unerwartete Anforderungen mit aufgenommen werden; diese werden durch Rücksprünge in frühere Phasen (durch Iteration) adressiert (Beispiel: Feedback und anschließende Iteration). Places und Process sind zentrale Bausteine des Design Thinkings und gut dokumentiert. Gerade für den Prozess gibt es inzwischen eine Reihe von Ansätzen, die sich zwar nach der Anzahl ihrer Phasen unterscheiden, deren Prinzip und Ziel jedoch identisch sind. <?page no="227"?> 226 Daniel Biedermann 1177..22 TT--SSh haap peedd- -TTeeaammss aalls s NNeettz zwweerrkk - - dde enn SSc chhllüüs ssseell zzuumm EErrf fool lgg eennt tssc chhllü üs ssseelln n Ansatzpunkt für die kommunikationswissenschaftliche Forschung könnte das kommunikative Zusammenspiel innerhalb der Teams sein. Die methodische Vorgehensweise innerhalb des Design Thinkings strukturiert die Kommunikation bis zu einem gewissen Punkt vor. So sind beispielsweise Kommunikationsströme und Sprechanteile während eines Brainstormings im Normalfall definiert. Interessant könnte jedoch die Untersuchung der Kommunikation innerhalb des Teams im Zeitablauf über alle Prozessschritte hinweg sein. So könnte ein Beitrag für die künftige Zusammensetzung und Bespielung solcher Teams gewonnen werden. Die soziale Netzwerkanalyse bietet hierfür Ansätze und Lösungshinweise. WWaass ssiinndd ssoozziiaallee NNeet tzzwweerrkkee? ? Mitchell (1969, S. 2) definiert Netzwerke als „a specific set of linkages among a defined set of actors, with the additional property that the characteristics of these linkages as a whole may be used to interpret the social behavior of the actors involved“. Die Begriffsklärung von Wasserman und Faust (1994, S. 20) bringt es auf den Punkt: „A so cia l n etwor k consists of a fi ni te set or s ets o f actor s and t he r elati on o r re lat io ns de f in ed on t hem . Th e p res en c e of re la tion al in fo rm ati on is a c rit ic al and d efin in g featur e o f a social network.“ Aus den angeführten Definitionen lässt sich ableiten, dass es sich bei den T-Shaped-Teams um ein soziales Netzwerk handelt: a finite set of actors: genau definierte Menge von Akteuren, relations defined on them: zwischen ihnen bestehende Beziehungen, the characteristics of these linkages as a whole may be used to interpret the social behavior of the actors involved: Rückschlüsse aus der Gesamtheit der Verbindungen auf das Verhalten Einzelner. Zur Beschreibung von Netzwerken eignen sich Indikatoren, die sich in den Kommunikationsabläufen widerspiegeln. Sie lassen sich nach Größe, Inhalt, Funktion, Formalisierungsgrad oder der Vielfalt von Verknüpfungen unterscheiden. Darüber hinaus stehen Variablen wie Zentralisierung, Offenheit, Flexibiliät oder Länge der Kommunikationswege zur Verfügung (Daniels et al. 1997, S. 126). Spannender an dieser Stelle ist jedoch die Frage nach den Rollen in solchen Netzwerken. Individuen prägen Netzwerke, verbinden Netzwerke und beleben Netzwerke. Und diese Rollen auch im Design Thinking zu identifizieren und darauf aufbauend Kommunikations- und damit auch Gesamtleistungen solcher Gruppen weiter zu steigern, liefert neue Erkenntnis. FFoorrmmaallee uunndd IInnffoorrmmaallee PPoossiittiioonneenn iinn NNeettzzwweerrkkeenn Positionen in Netzwerken können formaler und informeller Natur sein. Bei der formalen Sichtweise kann Anleihe im betriebswirtschaftlichen Feld der Unternehmensführung genommen werden (Aufbauorganisation). Dabei werden Aufgaben in Unternehmen auf unterschiedliche Abteilungen und Hierarchieebenen verteilt (Bruhn 2005, S. 162). Bei der Aufbauorganisation handelt es sich um die sichtbare und klar geregelte Zuweisung <?page no="228"?> Was leisten Medien für die Innovation? 227 von Aufgaben, Zuständigkeiten und Entscheidungsmacht in Unternehmen oder einzelnen Abteilungen. Diese Aufteilung lässt sich aus Organigrammen oder Pflichtenheften ablesen. Die formale Hierarchie ist stark von der Mesoebene geprägt. Die formale Verankerung von Positionen weist eine Reihe von Strukturdimensionen auf, anhand derer sich Stärken und Schwächen beurteilen lassen (Freygang 1999, S. 45). Der wohl größte Vorteil einer formalen Festlegung von Zuständigkeiten sind die auftretenden Spezialisierungseffekte. Durch eine Aufgabenteilung in einzelne Teilschritte ergeben sich hohe Wiederholungszahlen für die verantwortlichen Mitarbeiter bei ihren Arbeitsaufgaben. Eine hohe Frequenz lässt Automatismen entstehen, die letztlich für Economies of Scale sorgen können. Klare Regelungen geben den Mitarbeitern Sicherheit und verringern Reibungsverluste sowie den Kommunikationsaufwand. Durch eine formale Zuweisung von Pflichten können sich die Mitarbeiter innerhalb ihres Kompetenzbereichs Freiräume schaffen und eigene Lösungswege entwickeln. Bei zu starker Formalisierung besteht jedoch die umgekehrte Gefahr der Überorganisation, sodass jegliche Kreativität und Eigeninitiative der Mitarbeiter unterdrückt wird, was gerade im Innovationsprozess hinderlich ist. Formale Positionen existieren in allen Unternehmen. Die Ausformung solcher Relationen in der Realität kann teilweise aber stark von geplanten Abläufen abweichen. Dabei entstehen informelle Positionen, die parallel zu den formalen bestehen. Bei der Zusammensetzung von Teams sind genau diese informellen Rollen in den Gruppen relevant für die Leistungsfähigkeit der Gruppe. Informelle oder informale Positionen können in formalen oder informellen Organisationen existieren. Wesentliche Elemente solcher Konstrukte sind die informale Kommunikation, informelle Gruppen, informelle Führer oder der soziale Status. Die einzelnen Elemente sind dabei nicht systematisch geplant oder gar niedergeschrieben. Informale Kommunikation und die daraus resultierenden informellen Positionen sind von der formalen Planung nicht vorgesehen, können diese jedoch beeinflussen. Ein Organigramm kann informelle Positionen nicht abbilden oder verorten. Gerade die bewusste Ausbildung immer flacherer Hierarchien in Unternehmen hat dazu geführt, dass informelle Strukturen an Bedeutung gewonnen haben (Freygang 1999, S. 46). PPoossi itti ioonne en n iinn NNeettz zwweer rkkeenn Stohl (1995, S. 37) benennt als wichtige Positionen in Netzwerken den Gatekeeper, die Liaison, die Bridge, den Isolierten und den Boundary Spanner. Sie zählen zu den am häufigsten verwendeten Begriffen in der Literatur. Diese Rollen spielen damit auch in bzw. für T-Shaped-Teams ein Rolle. Der Gatekeeper agiert als eine Art Filter, der entscheidet, ob eine Information zu ihrem Empfänger gelangt oder ob die Information zurückgehalten bzw. umgeleitet wird. Welche Informationen von außen in eine Gruppe gelangen, hängt stark von dieser Rolle ab. Sie wägt ab, was relevant für die Gruppe ist. Damit ist eine hohe Kompetenz für die Bewertung von Informationen wichtig. So schützt der Gatekeeper die Gruppe auch für einem Information Overflow. Einem Gatekeeper kommt damit ein großer Einfluss in Organisationen zu (Byers 1997, S. 44). Da gerade am Anfang des Design Thinking-Prozesses eine breite Informationsbasis wichtig ist, hängt die Qualität der Leistung des Teams immer auch stark davon ab, ob die relevanten Informationen überhaupt in der Gruppe ankommen. <?page no="229"?> 228 Daniel Biedermann Die Position der Liaison agiert als Verbindungsstück zwischen zweien oder mehreren Unterbereichen, ohne jedoch Mitglied in einem dieser Bereiche zu sein. Als sogenannter Linking Pin koordiniert diese Stelle die Aktivitäten der Gruppen, indem für Kommunikation und Informationsaustausch von Gruppe zu Gruppe gesorgt wird. Liaisons genießen in Organisationen hohes Ansehen, da sie den Informations-fluss zwischen einzelnen Bereichen und Teams kontrollieren. Ein Beispiel für eine formalisierte Liaison ist der Projektleiter, der den Austausch zwischen Subprojekten koordiniert (Goldhaber 1993, S. 150). Eine große Nähe dazu weist die Position der Bridge oder Liason auf. Eine Bridge ist mindestens in einem der Netzwerke, die sie verbindet, Mitglied. Die Gruppenzugehörigkeit bedingt dabei einen größeren Einfluss auf die Gruppenmitglieder (Mast 2010, S. 191). Ohne diese Verbindungsfunktionen wäre eine Vielzahl von Unterbereichen vom Kommunikationsfluss abgeschnitten. Liaisons sorgen somit dafür, dass T-Shaped-Teams nicht unverbunden nebeneinander stehen und doppelte Arbeit verrichten, sondern verteilen relevante Informationen an die Teams. Der Boundary Spanner (oder Cosmopolit) unterhält Kontakte zu Personen außerhalb der Organisation. Als Liaison tr gt er zum Austausch der Organisation mit deren Umwelt bei und fungiert dabei als Frühwarnsystem, indem Veränderungen des Mar ktumfe lds wahr genomm en w erden und da s U ntern ehmen vor ( po tenziell en) Bedrohungen geschützt wird. Darüber hinaus kann der Boundary Spanner die Perspektiven der relevanten Anspruchsgruppen in die Organisation tragen und die Erfolgsaussichten möglicher Handlungsszenarien oder Innovationen vorab einschätzen. Dritte wichtige Funktion ist die Kommunikation von Zielsetzungen an die Stakeholder, um Missverständnisse gegenüber den relevanten Teilöffentlichkeiten zu vermeiden (Huck 2004, S. 56). Dabei soll das Vertrauen der Öffentlichkeit gewonnen (Windowing) und Beziehungen zu den Anspruchsgruppen aufgebaut und gepflegt (Buffering) werden (Fenell und Alexander 1987). Der Boundary Spanner übernimmt damit eine Relaisfunktion, die in beide Richtungen - von innen nach außen und vice versa - geöffnet ist. Ein Beispiel für Boundary Spanner sind Mitarbeiter im Außendienst. Durch den intensiven Kundenkontakt sind diese Personen Sprachrohr des Unternehmens nach außen und können direkt Feedback zu Prototypen oder auch grundsätzliche Bedürfnisse der Kunden erheben. Das Feedback der Kunden nach innen zu transportieren, ist eine wichtige Aufgabe, da so potenzielle Probleme frühzeitig identifiziert werden und in strategische Überlegungen einfließen können. Eine solche Rolle in einem Design Thinking Team zu haben, ist förderlich für die Leistung der Gruppe, da so schnell und frühzeitig Rückmeldungen eingeholt werden können (Iteration). Die Isolierten sind mit keiner anderen Person im Netzwerk verbunden. Dies bedeutet aber keineswegs, dass ein Isolierter mit keinem anderen Netzwerkmitglied spricht (Daniels et al. 1997, S. 125f.). Die Position des Isolierten - wie auch alle anderen Positionen - sind immer nur im jeweiligen Kontext gültig. Ein Netzwerkmitglied kann in einer Beziehungsdimension isoliert sein (keine Freundschaften zu anderen Akteuren), aber in einer anderen Dimension zentral sein (Macht durch formale Leitungsposition). Isolation besteht auch immer nur zur definierten Menge der Netzwerkmitglieder, d. h. die Isolation ist auf das untersuchte Netzwerk begrenzt. Für eine nutzenstiftende Mitarbeit in einem Innovationteam, das den Anwender in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt, sind solche Rollen ohne weiteren Nutzen. <?page no="230"?> Was leisten Medien für die Innovation? 229 Eine weitere Position in Netzwerken ist die des Opinion Leaders (Meinungsführer). Ein Opinion Leader verfügt über Macht. Ohne Macht gäbe es keine Anführer (Staehle 1999, S. 377ff.). In formalen Netzen resultiert die Macht des Meinungsführers meist aus dem qua hierarchischer Position bestehenden Zugang zu Informationen. Ein Akteur in hoher Position erhält frühzeitiger Informationen als andere Organisationsmitglieder und kann Meinungen lenken. Darüber hinaus erfährt er wegen seiner formalen Position oft eine hohe Glaubwürdigkeit, was den Einfluss auf die Meinung Dritter verstärkt. Die Macht informeller Führer beruht auf anderen Aspekten (z. B. bestimmte Fähigkeiten, spezielles Know-how, Persönlichkeitsmerkmale), die von den anderen Gruppenmitgliedern zuerkannt werden. Informelle Meinungsführer zeichnen sich oft durch eine lange Betriebszugehörigkeit oder Zugehörigkeit zu informellen Zirkeln (z. B. Betriebssportgruppen) aus. Informelle Meinungsführerschaft ist nicht an bestimmte Hierarchieebenen geknüpft, sondern kann parallel oder diametral dazu bestehen. Informelle Meinungsführerschaft besteht häufig themengebunden (Freygang 1999, S. 49). Opinion Leader beeinflussen andere Mitglieder, indem sie Botschaften interpretieren oder in den Sprachgebrauch des Emp fän ge r s über setzen . Im A llgem ein en gen ießen M ein un gsfüh re r hohe s A nse he n und Vertrauen, weshalb sie oft um Rat gefragt werden. Opinion Leader sind damit prädestinierte Bestandteile von T-Shaped-Teams, da sie aufgrund ihrer Rolle Schnittstellen zu vielen Menschen haben. Ihr Einfluss auf das Arbeitsergebnis der Gruppe darf jedoch nicht ihrer Rolle entsprechend sein, da sonst Verzerrungen entstehen. Informelle Positionen dürfen nicht als losgelöst von der Mesoebene betrachtet werden. In einer Organisation ist individuelles Handeln immer von Einflüssen der Organisation (Meso) und Persönlichkeitsmerkmalen (Mikro) geprägt und umgekehrt. Gleichsam muss beachtet werden, dass informelle Positionen immer vom Kontext abhängig sind. Meinungsführer sind meist auf ein Thema beschränkt, Liaisons sind nicht für die Vernetzung von Unterbereichen in allen Situationen oder Themen zuständig, sondern meist auf einzelne Aspekte begrenzt. Jede Position ist damit ein ‚Contextual’, d. h. eine auf bestimmte Rahmenbedingungen begrenzte Stellung. Je nach Kontext kann ein und dieselbe Person verschiedene Positionen in einem Netzwerk einnehmen. 1177..33 DDees siiggnn TTh hiinnkkiinngg uunndd SSo ozzi iaallee NNeet tzzw weer rkkee -- eei inn PPrroolloogg Design Thinking als Forschungsgebiet, das in der Kommunikationswissenschaft bislang kaum Beachtung gefunden hat, eröffnet neue Perspektiven auf die Entwicklung von Innovationen. Innovationen sind das Rückgrat für den Markterfolg von Unternehmen - in allen Wirtschaftszweigen. Entscheidend für die Leistungsfähigkeit von Design Thinking sind die involvierten Menschen. Die Zusammensetzung und Funktionsweise der T-Shaped-Teams genauer zu betrachten ist daher vielversprechend. Für die Analyse dieser Gruppen bietet sich die soziale Netzwerkanalyse an. Dies zu skizzieren, war Ziel des Beitrags. Eine detaillierte theoretische und empirische Untersuchung der Zusammenhänge zwischen den zwei Forschungsfeldern könnte für Wissenschaft und Praxis relevante Ergebnisse liefern. Design Thinking bietet Anknüpfungspunkte zu fast allen Disziplinen der <?page no="231"?> 230 Daniel Biedermann Kommunikationswissenschaft. Der direkte oder indirekte Einfluss auf die Leistungskraft der Medien ist nur ein Teilbereich davon. Der Beitrag dient jedoch nur als Prolog für weitere Forschung in diesem Feld und kann als Denkanstoss dienen. Ob der Vampir nun das Oreo möchte oder doch eher die Milch, lässt sich nun immer noch nicht sagen. Jedoch konnte eine Herangehensweise aufgezeigt werden, die bei der Beantwortung der Frage helfen kann. <?page no="232"?> Was leisten Medien für die Innovation? 231 LLiitteerraattuurr Bruhn, M. (2005). Unternehmens- und Marketingkommunikation. Handbuch für ein integriertes Kommunikationsmanagement. München: Vahlen. Byers, P. Y. (1997). Organizational Communication. Theory and Behavior. Boston: Allyn and Bacon. Castells, M. (2009). Communication Power. London: Oxford University Press. Daniels, T. D., Spiker, B. K., & Papa, M. J. (1997). Perspectives on Organizational Communication. Boston: McGraw-Hill. Eisenberg, E. M., & Goodall, H. L. Jr. (1997). Organizational Communication. Balancing Creativity and Constraint. 2. Aufl., New York: St. Martin’s Press. Fennell, M. L., & Alexander, J. A. (1987). Organizatinal Boundary Spanning in Institutionalized Environments. Academy Management Journal 30(3), 456-476. Freygang, L. (1999). Formale und informale Netzwerkstrukturen im Unternehmen. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag. Goldhaber, G. M. (1993). Organizational Communication. 6. Aufl., Madison: Brown & Benchmark. Harris, H. D., Murphy, S. P., & Vaisman, M. (2013). Analyzing the Analyzers. An Introspective Survery of Data Scientists and Their Work. Cambridge: O´Reilly. HPI School of Design Thinking (2016). 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Ein Handbuch“ 1994 Eröffnung des neuen digitalen Hörfunk-Studios 1995 Beginn des Diplom-Studiengangs Kommunikationswissenschaft 1996 Eröffnung des neuen Fernsehstudios 1999 Durchführung der ersten Befragung von PR-Verantwortlichen der DAX-Unternehmen in Deutschland als Auftakt der Langzeitstudie „DAX-KOM“ (heute: „TOPKOM 500: Strategische Unternehmenskommunikation im Brennpunkt“) 2002 Durchführung der ersten Chefredakteursumfrage als Auftakt der Langzeitstudie „Zeitungsjournalismus im Internetzeitalter“ Erscheinen der ersten Auflage der Publikation „Unternehmenskommunikation. Ein Leitfaden“ 2006 Beginn des Bachelor-Studiengangs Kommunikationswissenschaft <?page no="237"?> 236 Chronik 2009 Beginn der Master-Studiengänge Kommunikationsmanagement sowie Empirische Kommunikationswissenschaft 2015 Auszeichnung von Claudia Mast als „Professorin des Jahres“ (Unicum Beruf) in der Kategorie Geistes-, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften 2016 Erscheinen der Publikation „Unternehmenskommunikation. Ein Leitfaden“ in der sechsten Auflage 2017 Publikation „ABC des Journalismus. Ein Handbuch“ in der dreizehnten Auflage (im Erscheinen). <?page no="238"?> VVeer rzze eiicchhnniiss ddeer r AAuutto orriinnnneenn uunndd AAuutto orreenn Daniel Biedermann, Dr., ist Principal Business Consultant für IT Connectivity bei Daimler Trucks und Leiter des Realisierungsteams Design Thinking der Daimler AG. Er studierte Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim und promovierte dort im Anschluss am Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft und Journalistik zum Thema „Analyse und Bewertung von Kommunikationsleistungen - Die Social Communication Scorecard als Instrument zur Erfassung und Beurteilung interpersonaler Netzwerke in Kommunikationsabteilungen“. Danach war er als Consultant für die Kommunikationsberatung Sympra GmbH (GPRA) tätig. Seine aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind die nutzerzentrierte Entwicklung von Innovationen für das Truck-Business und die konzernweite Implementierung von Design Thinking bei Daimler. E-Mail: daniel.biedermann@daimler.com Katja Fiedler, Dr., von 2007 bis 2014 Senior Manager IR, seit 2014 Professional PR Manager bei der Raiffeisen Bank International AG in Wien. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Ihre Promotion erfolgte bei Prof. Dr. Claudia Mast im Fach Kommunikationswissenschaft zum Thema „Nachhaltigkeitskommunikation in Investor Relations“. Anschließend war sie in der IR der Raiffeisen Bank International v. a. für die Erstellung der Finanzberichte zuständig. Später wechselte sie in derselben Bank in die PR, wo sie klassische Öffentlichkeitsarbeit macht. E-Mail: katja.fiedler@rbinternational.com Alexander Fleischer, Dr., ist Leiter Brand, Marketing und Kommunikation bei EY (Ernst & Young AG) für die Region Deutschland, Österreich, Schweiz. Nach abgeschlossenen Studien in Betriebswirtschaftslehre (Dipl.-Betriebswirt (FH) und Publizistik (MA) war er von 1995 bis 1998 als PR-Berater bei Peter Bütikofer GmbH/ AG in Berlin, Zürich und Frankfurt tätig, bevor er 1998 bei PricewaterhouseCoopers die Kommunikationsleitung und dann die Leitung Marketing und Kommunikation in der Schweiz und später auch in der Region Europa, Mittlerer Osten, Indien und Afrika übernahm. Von 2015 bis 2016 baute der die Unternehmenskommunikationsberatung furrerhugi.corporate auf, bevor er zurück in die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsbranche zu EY wechselte. Von 2008 bis 2014 promovierte er an der Universität Hohenheim mit einer Arbeit zum Thema Reputation und Wahrnehmung. Er bloggt unregelmässig zum Thema Reputation in der Wirtschaft unter allaboutrep.com. E-Mail: alexander.fleischer@allaboutrep.ch Claus Hoffmann, Dr., ist Berater für Change Management, Kommunikation und Projektentwicklung. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften war er von 1994 bis 1999 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hohenheim tätig. In dieser Zeit promovierte er mit einer Arbeit zum Intranet als Medium der Mitarbeiterkommunikation. 1999 erfolgte der Wechsel als Leiter Bildung / Veranstaltungen zur MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, Stuttgart. Seit 2007 ist er als selbstständiger Berater für Kunden aus Wirtschaft und dem Public Sector aktiv. E-Mail: hoffmann@europaprojekte.de <?page no="239"?> 238 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Simone Huck-Sandhu, Dr., ist Professorin für Public Relations an der Hochschule Pforzheim. Nach dem Studium der Kommunikationswissenschaft war sie von 2000 bis 2011 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hohenheim tätig. In dieser Zeit promovierte sie mit einer Arbeit zur Internationalen Public Relations und habilitierte sich im Themenfeld Interne Organisationskommunikation. 2011 erfolgte der Wechsel an die Hochschule Pforzheim. In der Lehre vertritt sie die Fächer Public Relations und Unternehmenskommunikation. In der Forschung beschäftigt sie sich mit Fragen der strategischen Kommunikation. Aktuelle Forschungsgebiete sind Kommunikationsmanagement, Interne Kommunikation und Innovationskommunikation. E-Mail: simone.huck-sandhu@hs-pforzheim.de Florian Krüger, Dr., ist Director Corporate Communications bei der Online-Jobbörse StepStone in Düsseldorf. Nach dem Studium der Kommunikationswissenschaft war er von 2005 bis 2011 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hohenheim tätig. Er promovierte mit einer Arbeit zu narrativer Public Relations in der Unternehmenskommunikation. Von 2011 bis 2016 arbeitete er als Pressesprecher und Kommunikationsmanager beim Verbraucherportal Verivox in Heidelberg. E-Mail: mail@florian-krueger.de Sabine Laukemann, Dr., ist Leiterin Unternehmenskommunikation bei der DATAGROUP AG. Sie studierte Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim und baute nach verschiedenen beruflichen Stationen in Journalismus und Public Relations bei DATAGROUP die Unternehmenskommunikation, d. h. Marketing, Public Relations und Investor Relations, auf. Neben der Leitung dieses Unternehmensbereiches liegen ihre Schwerpunkte in strategischen Konzernaufgaben wie der Akquisition und Eingliederung von Unternehmen. Berufsbegleitend promovierte sie an der Universität Hohenheim zum Thema Veränderungskommunikation mit externen Bezugsgruppen. E-Mail: sabine.laukemann@datagroup.de Swaran Sandhu, Dr., ist Professor für Unternehmenskommunikation mit Schwerpunkt Public Relations an der Hochschule der Medien, Stuttgart. Er studierte Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim und Public Relations an der Syracuse University (USA). Danach war er von 2003 bis 2005 als Projektentwickler und Teamleiter Forschungsmanagement bei der MFG Medienentwicklung tätig. Von 2006 bis 2012 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Oberassistent an der Universität Luzern. Promotion zum Thema Public Relations und Legitimität. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind PR und Organisationskommunikation, Neo-Institutionalismus und Netzwerkanalyse. E-Mail: sandhu@hdm-stuttgart.de Alexandra Simtion, Dr. ist Pressesprecherin bei der Evangelischen Heimstiftung in Stuttgart. Sie studierte Kommunikationswissenschaften mit den Schwerpunkten PR, Politik und Marketing an der Universität Hohenheim. Ihre Promotion schrieb sie zur strategischen Stakeholder-Ansprache mit dem Schwerpunkt Kundenkommunikation auf BtB- Messen. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hohenheim forschte und lehrte Alexandra Simtion zur Zukunft des Journalismus, Arbeitgeberkommunikation und zum Kommunikationsmanagement. Seit 2017 ist sie an der Hochschule Luzern als Dozentin für Arbeitgeberkommunikation tätig. E-Mail: alexandra.simtion@web.de <?page no="240"?> Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 239 Klaus Spachmann, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim. Nach der Ausbildung zum Bankkaufmann und Finanzassistenten studierte er Politikwissenschaft sowie Wirtschaftswissenschaften. 2005 promovierte er zum Thema Wirtschaftsjournalismus in der Presse. Seine Arbeitsschwerpunkte in Lehre und Forschung sind Wirtschaftskommunikation, redaktionelle Konzepte im Journalismus sowie interne Unternehmenskommunikation. E-Mail: klaus.spachmann@uni-hohenheim.de Helena Stehle, Dr., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim. Sie promovierte zum Themenfeld der Unternehmenskommunikation in Geschäftsbeziehungen. In Forschung und Lehre beschäftigt sich die Kommunikationswissenschaftlerin mit strategischer Kommunikation, Organisation-Umfeld-Beziehungen sowie Erwartungen an Kommunikatoren aus Journalismus und Kommunikationsarbeit. Sie verantwortet die Verzahnung von Wissenschaft und Praxis als Vorstandsmitglied der Deutschen PR-Gesellschaft (DPRG) e. V. in Baden-Württemberg. E-Mail: helena.stehle@uni-hohenheim.de Markus Talanow, Dr., ist seit 2014 Unternehmenssprecher beim DAX-Konzern Merck mit Sitz in Darmstadt. Nach seinem Studium der Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim von 1999 bis 2005 begann er seine berufliche Laufbahn bei der strategischen Kommunikationsberatung Hering Schuppener Consulting in Frankfurt. Ende 2011 begann er die Arbeit an seiner Dissertation zum Thema Personalisierung und Corporate Media Relations, die er 2014 abschloss. In seiner Arbeit wendete er die akademische Methodik an, um Fragestellungen zu erörtern, die ihn seit seiner Beratertätigkeit besonders beschäftigen. E-Mail: markustalanow@gmx.de <?page no="241"?>