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Neue Betriebswirtschaft

Theorien, Methoden, Geschäftsfelder

0813
2018
978-3-7398-0364-7
978-3-8676-4828-8
UVK Verlag 
Wilhelm Schmeisser
Wolfgang Becker
Markus Beckmann
Alexander Brem
Peter Eckstein
Matthias Hartmann

Die Betriebswirtschaft erfindet sich immer wieder neu. Sie entwickelt regelmäßig Theorien und Methoden und verfängt sich nicht in den methodischen Fehlschluss, die Wirtschaftswissenschaften müssten nach naturwissenschaftlichen-mathematischen Gesetzmäßigkeiten in der Wirtschaft suchen. Vor diesem Hintergrund ist die neue Betriebswirtschaft ein Ansatz, die klassische Betriebswirtschaft mit aktuellen Fragestellungen zu verbinden. Dieses Buch stellt deshalb klassische Themen wie Buchhaltung, Kosten-, Erfolgs- und Umsatzrechnung, Finanzierung dar, aber auch explizit Statistik zur Datengewinnung und Datenauswertung. All diese Themen werden stets im Lichte der aktuellen Entwicklungen von Digitalisierung, Internationalisierung und innovativen Geschäftsmodellen behandelt. Die Autoren wenden sich klassischen Funktionen des Betriebes zu, aber auch Themen wie Security, Compliance, Nachhaltigkeit, Online-Marketing, Innovationsmarketing, Strategisches Controlling, Cross-Mergers and Acquisitions, u.a. in Verbindung mit der Unternehmensbewertung, sowie Risk-Management. Das Buch richtet sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften sowie an Unternehmer und Manager, die sich mit betriebswirtschaftlichen Themen in Theorie und Praxis auseinandersetzen.

<?page no="1"?> Wilhelm Schmeisser, Wolfgang Becker, Markus Beckmann, Alexander Brem, Peter P. Eckstein, Matthias Hartmann (H rs g.) Neue Betriebswirtschaft <?page no="3"?> Wilhelm Schmeisser, Wolfgang Becker, Markus Beckmann, Alexander Brem, Peter P. Eckstein, Matthias Hartmann (H rs g.) N Neeuuee BBeettrriieebbssw wiirrttsscchhaaf ftt UVK Verlag München <?page no="4"?> Bibliog rafische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN 978-3-86764-828-8 (Print) ISBN 978-3-7398-0363-0 (EPUB) ISBN 978-3-7398-0421-7 (EPDF) © UVK Verlag München 2018 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Einbandmotiv: © iStockphoto - LP-mrfiza Printed in Germany UVK Verlag Nymphenburger Strasse 48 · 80335 München Tel. 089/ 452174-65 www.uvk.de Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Tel. 07071/ 9797-0 www.narr.de <?page no="5"?> Neue Betriebswirtschaft VVoorrwwo orrtt o oddeerr ZZuumm AAddjjeekkttiivv „„nneeuu““ iinn d deerr BBeettrriieebbsswwiirrttsscchha afftt Seit ca. 5000-7000 Jahren haben Betriebswirte und Kaufleute zwar in der Geschichte nicht in spektakulärer Weise theoretisch-praktisches, instrumentelles Wissen erarbeitet, aber Wissen, das die Betriebswirtschaft permanent bereichert hat. Die landwirtschaftliche Revolution vor ungefähr 12 000 Jahren lieferte die Voraussetzungen der Entstehung von Dörfern mit ersten Spezialisierungen und Tauschhandel, der immer mehr auch durch fahrende Kaufleute international wurde. Mythen und Religion lieferten für Stadtstaaten „…eine vollständige Beschreibung der Welt und bieten uns einen detaillierten Vertrag mit vorgegebenen Zielen. Gott existiert. Er befahl uns, uns auf eine bestimmte Weise zu verhalten. Wer Gott gehorcht, wird Aufnahme im Himmel finden. Wer ihm nicht gehorcht, wird in der Hölle schmoren. Allein schon die Klarheit dieser Abmachung erlaubt es einer Gesellschaft, gemeinsame Normen und Werte festzulegen, die das menschliche Verhalten regeln.“ (Harari, Homo Deus, 2017, S. 252) Und wenn man seinem Gott einen Tempel, eine Kirche oder eine Moschee baut, muss diese(r) verwaltet werden und Steuern müssen erhoben werden. Dadurch entstehen die Buchhaltung, die Mathematik, die Statistik, die Schrift und der Handel. Leider gibt es bis heute keine Geschichte der Betriebswirtschaft dazu, die die Anfänge bis ins 21. Jahrhundert behandelt, und die belegen könnte, dass die Betriebswirtschaft die grundlegende Wissenschaft der Wirtschaftswissenschaften ist. Durch den Handel, den Tausch mit Schafen, Ziegen, Wolle, Silber Gold, Sklaven und später mit Geld sammelt die Betriebswirtschaft immer mehr kaufmännisches Wissen an. Durch unterschiedlichste Währungen und Geldeinheiten werden Tauschgeschäfte durch erste Börsen in Venedig, Amsterdam und Chicago eingerichtet. Seit ca. 200-250 Jahren schreibt sich alle betriebswirtschaftlichen Errungenschaften die Volkswirtschaftstheorie selbst zu. Weiterhin hat sich die Volkswirtschaft selbst als neue Wissenschaft erklärt, indem sie das methodische und mathematische Vorgehen eines Isaac Newtons in der Physik kopierte, und damit einem naturalistischen Fehlschluss unterlag. Die Volkswirtschaft glaubt bis heute, dass betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Phänomene mit naturwissenschaftlichen Theorien zu beschreiben, zu erklären, zu prognostizieren und zu gestalten sind. Selbst aus permanenten Fehlern lernt die Volkswirtschaft nichts, wie zuletzt aus der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/ 2008, die sie weder erkannt noch prognostiziert hat, noch kann sie bis heute dafür eine Lösung anbieten. Hätte die Volkswirtschaft auf Buchhaltung, Bilanzanalyse und Rating zurückgegriffen und die 10 größten Banken der Welt 2007 analysiert, hätte sie die Finanz- und Bankenkrise 2007 voraussagen können. Erst heute greift man in Bankentest in Europa auf derartige alte und neue Techniken der Betriebswirtschaft zurück. Deshalb findet man auch in der Neue Betriebswirtschaft Statistik und deren Anwendung bei Basel III und Rating. Volkswirtschaftliche Theorieansätze helfen dabei nicht weiter. Schumpeter ist wahrscheinlich der einzige Volkswirt, der in seinen Werken implizit versucht hat, eine volkswirtschaftliche Theorie auf der Grundlage betriebswirtschaftlicher Aktivitäten und Buchungssätze zu entwickeln. Die Betriebswirtschaft hat nie den Anspruch gehabt, eine generelle, universelle, naturwissenschaftlich geprägte Theorie zu entwickeln. Auch die „neue“ Betriebswirtschaft geht wie vor tausenden von Jahren Probleme pragmatisch theoretisch an, wie z.B. das Strategische Management, die Kosten- und Leistungsrechnung, das Controlling, Corporate Governance und Compliance, Finanzierungstheorien, Organisationstheorien, personalwirtschaftliche Theorien, Online-Marketing, Digitalisierung, neue Geschäftsmodelle und Innovationen, Statistik, Rating, Nachhaltigkeitsmanagement usw. <?page no="6"?> 6 Vorwort Legt man das klassische Werk von G. Wöhe „Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaft“, 2017, als wissenschaftlichen Maßstab für unser Buch zugrunde, so wollen die Verfasser/ innen in der „Neuen Betriebswirtschaft“ die Inhalte hervorheben, die im Buch von Wöhe nur rudimentär oder gar nicht thematisiert worden sind. Wir, die Verfasser/ innen, wollen es auch nicht versäumen, Herrn Dr. Jürgen Schechler für die Betreuung unseres Buches und für seine konstruktive Kritik zu danken. Ohne seine Weitsicht und umsichtige Geduld könnte ein derartiges Werk nicht in dieser kurzen Zeit entstehen. Wir wünschen unseren Studentinnen und Studenten, unseren Kolleginnen und Kollegen, viel Spaß beim Lesen. Bamberg, Berlin, Hamburg, Nürnberg, St. Gallen Die Verfasser/ innen <?page no="7"?> Neue Betriebswirtschaft IInnhhaallttssüübbeerrssiicchhtt Vorwort oder Zum Adjektiv „neu“ in der Betriebswirtschaft .................................................................. 5 Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................................... 15 Tabellenverzeichnis ......................................................................................................................................... 21 Alexander Brem 1 Das Neue in der Betriebswirtschaft: Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien........................................................................................ 25 Uwe Christians 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung...................................................................... 39 Peter P. Eckstein 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille........... 103 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung............................................................................................ 177 Rebecca Popp 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE ............................................................................... 207 Wilhelm Schmeisser 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement............. 219 Ralf Hafner 7 Einführung in die Unternehmensbewertung................................................................................... 229 Rebecca Popp 8 Unternehmenszusammenschlüsse..................................................................................................... 249 Sugirtha Murugaiah, Wilhelm Schmeisser 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften ........................................................................................................................................... 267 Thomas Henschel, Ilka Heinze 10 Governance, Risk & Compliance ...................................................................................................... 339 Günter Müller-Stewens, Christoph Lechner 11 Der Strategic Management Navigator: Ein Bezugsrahmen zur Strukturierung der Strategiearbeit ....................................................................................................................................... 371 Kai-Christian Muchow 12 Strategisches Controlling..................................................................................................................... 391 <?page no="8"?> 8 Inhaltsübersicht Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle ...........................................................................................425 Rebecca Popp 14 Standortentscheidungen ......................................................................................................................453 Irene E. Rath 15 Einführung in das Personalmanagement..........................................................................................469 Wilhelm Schmeisser 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen .......................................................511 Anna Riedel 17 Online-Kommunikation ......................................................................................................................539 Markus Beckmann, Jens Heidingsfelder 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement.............................................549 Matthias Hartmann, Leonhard Gebhardt 19 Die neue N ac hha ltigk ei t im Unter nehmer tum ..... ....... .... ....... .... ..... ....... ..... ...... ..... ....... .. .... ....... ..... 5 93 Über die Autoren ..........................................................................................................................................619 Index ...............................................................................................................................................................621 <?page no="9"?> Neue Betriebswirtschaft IInnhhaallttssvveerrzzeeiicchhnniiss Vorwort oder Zum Adjektiv „neu“ in der Betriebswirtschaft .................................................................. 5 Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................................... 15 Tabellenverzeichnis ......................................................................................................................................... 21 1 Das Neue in der Betriebswirtschaft: Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien ..................................................................................25 Hintergrund ......................................................................................................................................... 25 Wissenschaftsziele in der Betriebswirtschaftslehre ........................................................................ 25 Angewandte Forschung als Zwischenform..................................................................................... 26 Spielregeln für anwendungsorientierte, qualitativ-empirische Forschung in der Betriebswirtschaftslehre........................................................................................................................................... 28 Konzeption einer betriebswirtschaftlich orientierten, qualitativen Forschungsstrategie ......... 31 Einschränkungen, Ausblick und weiterer Forschungsbedarf ....................................................... 35 Literatur ................................................................................................................................................ 36 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung ...................................................................39 Funktion und Teilgebiete des Rechnungswesens und der Buchführung ................................... 39 2.2 Inventur, Bilanz und Bilanzaufbau ................................................................................................... 47 2.3 Erfolgsunwirksame Geschäftsvorfälle, Veränderung der Bilanz und laufende Kontenbuchhaltung ............................................................................................................................ 54 2.4 Eigenkapitalkonto und dessen Veränderung, Verbuchung erfolgswirksamer Geschäftsvorfälle und Erfolgsrechnung............................................................................................................ 66 2.5 Berücksichtigung von Verlusten und Risiken im Jahresabschluss ............................................... 87 2.6 Kapital-/ Finanzflussrechnung als Ursachenrechnung für Liquiditätsveränderung.................. 94 Anlage: Bilanzgliederung nach § 266 HGB .................................................................................. 101 Literatur .............................................................................................................................................. 102 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille .... 103 3.1 Vorbemerkungen............................................................................................................................... 103 3.2 Historische Notizen zur Statistik .................................................................................................... 104 3.3 Statistische Grundbegriffe ............................................................................................................... 107 3.4 Datenerhebung .................................................................................................................................. 113 3.5 Verteilungsanalytische Betrachtungen............................................................................................ 118 Wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtungen .......................................................................... 138 Zusammenhangsanalytische Betrachtungen ................................................................................. 149 <?page no="10"?> 10 Inhaltsverzeichnis Neue Betriebswirtschaft Regressionsanalytische Betrachtungen ...........................................................................................165 Schlussbemerkungen und Literaturhinweise .................................................................................174 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung........................................................................................... 177 4.1 Zielsetzung und Aufbau des Beitrags.............................................................................................177 4.2 Die Stellung der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung in der Betriebswirtschaftslehre ....177 4.3 Einführender Überblick über die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung..............................181 4.4 Angebotskalkulation .........................................................................................................................184 4.5 Marktorientiertes Kostenmanagement...........................................................................................190 4.6 Ermittlung und Analyse des Erfolgs ..............................................................................................192 4.7 Pl an ung und K ontro lle der Wir ts ch aftlic hk eit . .... ..... .... .... ..... .... .... .. .... ..... .... .... ..... ... ...... ...... ... ..... 1 95 4.8 Business Cases zur Produkteinführung .........................................................................................196 4.9 Kalkulation besonderer Kostenträger ............................................................................................199 4.10 Konkrete Entscheidungssituationen...............................................................................................200 Literatur zur Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung .................................................................204 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE ........................................................................... 207 Rechtsformwahl.................................................................................................................................207 SE, Aktiengesellschaft und Börse ...................................................................................................211 Literatur...............................................................................................................................................217 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement ........ 219 Finanzierungstheorien, deren terminologische Grundlagen, Logik und Ziele........................219 Wertorientiertes Finanzierungsmanagement.................................................................................224 Literatur...............................................................................................................................................227 7 Einführung in die Unternehmensbewertung ................................................................................ 229 Anlässe für Unternehmensbewertungen .......................................................................................229 Methoden der Unternehmensbewertung.......................................................................................230 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals ....................................................................243 Literatur...............................................................................................................................................247 8 Unternehmenszusammenschlüsse ...............................................................................................249 Begriffsabgrenzung ...........................................................................................................................249 Motive .................................................................................................................................................251 Phasen von M&A ..............................................................................................................................256 Erfolgsfaktoren und Risiken von M&A-Transaktionen ..............................................................259 Erfolgsmessung von Mergers & Acquisitions ..............................................................................260 Trends bei Unternehmenszusammenschlüssen ............................................................................261 Literatur...............................................................................................................................................264 <?page no="11"?> Inhaltsverzeichnis 11 Neue Betriebswirtschaft 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften........................................................................................................................................ 267 Abstract............................................................................................................................................... 267 Fundamentale Grundlagen zum Risiko ......................................................................................... 267 Ratings ................................................................................................................................................ 277 Rechtliche Grundlagen ..................................................................................................................... 292 Risikosteuerung ................................................................................................................................. 308 Literatur .............................................................................................................................................. 331 10 Governance, Risk & Compliance ................................................................................................... 339 Einführung in die Thematik von Governance, Risk & Compliance ........................................ 339 Corporate Governance..................................................................................................................... 341 Risikomanagement ............................................................................................................................ 346 Compliance Management ................................................................................................................ 357 Governance, Risk & Compliance Quick -Check.......................................................................... 364 Übungsaufgaben/ Fragen zu Governance, Risk & Compliance ................................................ 365 Literaturempfehlungen..................................................................................................................... 366 Literatur .............................................................................................................................................. 367 11 Der Strategic Management Navigator: Ein Bezugsrahmen zur Strukturierung der Strategiearbeit.................................................................................................................................. 371 Einleitendes zum Unternehmen/ Umwelt-Verhältnis.................................................................. 372 Der Aufbau des Strategic Management Navigator ...................................................................... 373 Strategische Gestaltungsebenen ...................................................................................................... 383 Pfade durch den SMN...................................................................................................................... 385 Besonderheiten und Grenzen des SMN........................................................................................ 388 Zusammenfassung ............................................................................................................................ 390 12 Strategisches Controlling ................................................................................................................ 391 Konzeptionelle Grundlagen ............................................................................................................ 391 Aufgaben des strategischen Controllings ...................................................................................... 396 Instrumente des strategischen Controllings.................................................................................. 399 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle ...................................................................................... 425 Eine systematische Perspektive des Geschäftsmodells ............................................................... 425 Begrifflichkeit des Geschäftsmodells ............................................................................................. 426 Funktion eines Geschäftsmodells................................................................................................... 435 Struktur eines Geschäftsmodells .................................................................................................... 438 Prozess eines Geschäftsmodells ..................................................................................................... 441 <?page no="12"?> 12 Inhaltsverzeichnis Neue Betriebswirtschaft Lenkung eines Geschäftsmodells....................................................................................................446 Literatur...............................................................................................................................................448 14 Standortentscheidungen ................................................................................................................. 453 Determinanten der betrieblichen Standortentscheidung ............................................................453 Literatur...............................................................................................................................................466 15 Einführung in das Personalmanagement..................................................................................... 469 Einführung in die Thematik und personalwirtschaftliche Grundlagen....................................469 Theoretische Grundlagen ................................................................................................................471 Personalwirtschaftliche Kernaufgaben...........................................................................................475 Trends im Personalwesen und Arbeit 4.0 ......................................................................................504 Schlussbemerkung .............................................................................................................................506 Literatur...............................................................................................................................................506 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen ................................................... 511 Toyotas Just-in-Time: Eine organisatorische Erfolgsgeschichte ................................................512 Organistionsziele: Ohne Ziele keine Performance-Messung .....................................................516 Zur Notwendigkeit von Organisationsansätzen ...........................................................................518 Organisationsansätze und Prämissen .............................................................................................520 Betriebliche Organisationstheorie als Wissenschaft, Organisationsprobleme zu erkennen, zu analysieren und zu gestalten .......................................................................................................527 Zur traditionellen deutschen Organisationslehre nach Kosiol...................................................529 Organisationsanalyse.........................................................................................................................534 Fragen..................................................................................................................................................537 17 Online-Kommunikation.................................................................................................................... 539 Einführung .........................................................................................................................................539 Suchmaschinenmarketing.................................................................................................................541 Display Advertising ...........................................................................................................................542 Affiliate Marketing.............................................................................................................................542 Email Marketing ................................................................................................................................543 Online-PR und Storytelling .............................................................................................................543 Social Media Marketing ....................................................................................................................544 Crowdsourcing...................................................................................................................................544 Mobiles Internet ................................................................................................................................545 Corporate Website .............................................................................................................................545 Social Collaboration ..........................................................................................................................546 Literatur...............................................................................................................................................546 <?page no="13"?> Inhaltsverzeichnis 13 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement ...................................... 549 Einleitung und Aufbau dieses Buchabschnitts ............................................................................. 549 Nachhaltigkeit und Unternehmen: Vor welchen neuen gesellschaftlichen Herausforderungen stehen Unternehmen heute? .............................................................................................. 551 Unternehmen für Nachhaltigkeit.................................................................................................... 557 Stakeholder-Management................................................................................................................. 569 Normen und Standards des Nachhaltigkeitsmanagements ........................................................ 574 Nachhaltigkeitsmanagement und die Funktionen des Unternehmens ..................................... 582 Fazit ..................................................................................................................................................... 590 Literatur .............................................................................................................................................. 591 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum ............................................................................ 593 Nachhaltiges Unternehmertum ...................................................................................................... 593 Funktion nachhaltigen Unternehmertums .................................................................................... 596 Struktur nachhaltigen Unternehmertums...................................................................................... 603 Prozesse nachhaltigen Unternehmertums..................................................................................... 608 Lenkung nachhaltigen Unternehmertums..................................................................................... 611 Literatur .............................................................................................................................................. 615 Über die Autoren........................................................................................................................................ 619 Index .............................................................................................................................................................. 621 <?page no="15"?> Neue Betriebswirtschaft AAbbbbiilldduunnggssvveerrzzeeiicchhnniiss Abb. 1-1 Abgrenzung von Beratung gegenüber anwendungsorientierter Forschung und akademischer Forschung ........................................................................................................ 27 Abb. 1-2 Levels of mutual engagement task content and outcomes .............................................. 27 Abb. 1-3 Angewandte Wissenschaft im Theorie- und Praxisbezug................................................. 30 Abb. 1-4 Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Methoden .................................. 32 Abb. 1-5 Der standardisierte Prozess theoriegenerierender Forschung.......................................... 34 Abb. 2-1 Überblick über die Güter- und Finanzströme im Unternehmen..................................... 41 Abb. 2-2 Systeme des Rechnungswesens ............................................................................................. 43 Abb. 2-3 Grundbegriffe des Rechnungswesens im Kontext der Leistungserstellung .................. 44 Abb. 2-4 Stromgrößen des Rechnungswesens..................................................................................... 45 Abb. 2-5 Begriffsabgrenzungen mit Beispielen (I) ............................................................................. 46 Abb. 2-6 Begriffsabgrenzungen mit Beispielen (II)............................................................................ 47 Abb. 2-7 Von der Inventur zur Bilanz .................................................................................................. 48 Abb. 2-8 Bilanz - Mittelherkunft und Mittelverwendung ................................................................. 49 Abb. 2-9 Grobstruktur einer Bilanz nach HGB ................................................................................. 53 Abb. 2-10 Vier Grundtypen von Geschäftsvorfällen ........................................................................... 55 Abb. 2-11 Organisation der Buchführung ............................................................................................. 58 Abb. 2-12 Auflösung der Bilanz in Konten ........................................................................................... 59 Abb. 2-13 Aktivische und passivische Bestandskonten - Buchung von Anfangsbeständen, Zugängen, Abgängen und Endbeständen ........................................................................... 61 Abb. 2-14 Umsatzsteuersystem im Inland ............................................................................................. 63 Abb. 2-15 Zusammenfassung der (Bestands-)Konten zur Bilanz ...................................................... 64 Abb. 2-16 Ablauf der Buchungen von der Eröffnungsbilanz zur Schlussbilanz............................. 66 Abb. 2-17 Veränderung des Eigenkapitals ............................................................................................. 67 Abb. 2-18 Veränderung des Eigenkapitalkontos................................................................................... 67 Abb. 2-19 Geschäftsprozesse in Handel und Industrie (vereinfachte Darstellung) und Wertbewegungen in der Bilanz.............................................................................................. 69 Abb. 2-20 Buchungsprozess zum Schlussbilanzkonten ....................................................................... 71 Abb. 2-21 Abschreibungsarten und Determinanten ............................................................................ 73 Abb. 2-22 Übersicht über die Abschreibungsverfahren....................................................................... 75 Abb. 2-23 Anlagengitter ............................................................................................................................ 76 Abb. 2-24 Beispiel für Anlagengitter....................................................................................................... 76 Abb. 2-25 Herstellungskosten .................................................................................................................. 78 Abb. 2-26 Vergleich von Gesamtkostenverfahren (GKV) und Umsatzkostenverfahren (UKV) bei Bestandserhöhung............................................................................................................. 85 Abb. 2-27 Vergleich von GKV und UKV bei Bestandsminderung................................................... 85 <?page no="16"?> 16 Abbildungsverzeichnis Neue Betriebswirtschaft Abb. 2-28 Übersicht über die Bewertungen nach dem Niederstwertprinzip.................................... 87 Abb. 2-29 Interdependenzen zwischen Bilanz, Erfolgsrechnung und Kapitalfluss-/ Finanzrechnung.................................................................................................................................... 95 Abb. 3-1 Gebrauchtwagenmarkt..........................................................................................................108 Abb. 3-2 Verkehrsunfall ........................................................................................................................108 Abb. 3-3 Palette von Hühnereiern.......................................................................................................109 Abb. 3-4 Größenklassifikation von Hühnereiern..............................................................................112 Abb. 3-5 Datendatei, Basis: 150 Gebrauchtwagen vom Typ Opel Corsa .....................................115 Abb. 3-6 Datendatei, Basis: 857 Hühnereier......................................................................................116 Abb. 3-7 Datendatei, Basis: 1109 befragte Parkhausnutzer .............................................................117 Abb. 3-8 Fragebogenauszug, Basis: Mehrfachnennungen ...............................................................117 Abb. 3-9 Kreissegmentdiagramm, Basis: 1104 Befragte ..................................................................120 Abb. 3-10 Ordinales Struktogramm......................................................................................................123 Abb. 3-11 Stabdiagramm.........................................................................................................................125 Abb. 3-12 Stabdiagramm.........................................................................................................................126 Abb. 3-13 Stamm-Blatt-Diagramm, Basis: 857 Hühnereiergewichte...............................................127 Abb. 3-14 Normiertes Histogramm mit Normalverteilung ..............................................................129 Abb. 3-15 Boxplot, Basis: 857 Hühnereiergewichte ...........................................................................130 Abb. 3-16 Verteilungsfunktion, originäre Werte..................................................................................137 Abb. 3-17 Verteilungsfunktion, standardisierte Werte........................................................................138 Abb. 3-18 Zahl und Wappen ..................................................................................................................139 Abb. 3-19 Gaußsche Normalverteilung................................................................................................141 Abb. 3-20 Standardnormalverteilung N(0, 1) ......................................................................................145 Abb. 3-21 Bivariate absolute Häufigkeitsverteilung ............................................................................152 Abb. 3-22 Konditionalverteilungen als Struktogramme ....................................................................153 Abb. 3-23 Konditionalverteilungen als Struktogramme ....................................................................154 Abb. 3-24 Zufriedenheits- und kategoriespezifische Konditionalverteilungen ..............................160 Abb. 3-25 Streudiagramm .......................................................................................................................161 Abb. 3-26 Streudiagramm .......................................................................................................................164 Abb. 3-27 Streudiagramm mit linearer Regression .............................................................................166 Abb. 3-28 Logarithmische Regression ..................................................................................................170 Abb. 3-29 Linearisierte Regression ........................................................................................................171 Abb. 3-30 Marginale Zeitwertneigungen als Tangenten.....................................................................172 Abb. 4-1 Etappen der Entwicklung der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung........................178 Abb. 4-2 Kreislauf des wertschöpfungsorientierten Controllings .................................................180 Abb. 4-3 Teilgebiete der laufenden Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung ...............................181 Abb. 4-4 Schematischer Abrechnungsweg in der Voll- und Teilkostenrechnung ........................182 Abb. 4-5 Abgrenzung der Kosten von den Aufwendungen ...........................................................186 <?page no="17"?> Abbildungsverzeichnis 17 Neue Betriebswirtschaft Abb. 4-6 Progessive und retrograde Kalkulation.............................................................................. 193 Abb. 4-7 Berechnungsschema bei Gesamtkostenverfahren und Umsatzkostenverfahren......... 193 Abb. 4-8 Stufenweise Fixkostendeckungsrechnung ......................................................................... 194 Abb. 4-9 Grafische Darstellung der Break-Even-Analyse............................................................... 197 Abb. 4-10 Phasen des Produktlebenszyklus ........................................................................................ 198 Abb. 4-11 Kostenvergleichsrechnung ................................................................................................... 202 Abb. 5-1 Umwandlung in eine SE....................................................................................................... 212 Abb. 6-1 Wertorientiertes Finanzmanagement im Vergleich zu anderen Finanzierungstheorien ................................................................................................................................... 223 Abb. 6-2 Wertorientiertes Finanzmanagement im Vergleich zu anderen Finanzierungstheorien ................................................................................................................................... 224 Abb. 6-3 Aspekte eines „Wertorientierten Finanzmanagements“.................................................. 226 Abb. 7-1 Unternehmensbewertungsanlässe (Beispiele) ................................................................... 229 Abb. 7-2 Discounted-Cashflow-Bewertung....................................................................................... 231 Abb. 7-3 Bilanz zu Buchwerten ........................................................................................................... 232 Abb. 7-4 Bilanz zu Buchwerten (saldiert) .......................................................................................... 232 Abb. 7-5 Bilanz zu Marktwerten.......................................................................................................... 233 Abb. 7-6 Bilanz aus finanzwirtschaftlicher Sicht............................................................................... 233 Abb. 7-7 Enterprise-DCF- und Equity-DCF-Methode................................................................... 234 Abb. 7-8 Zwei-Phasen-DCF-Modell (Beispiel mit Detailplanungszeitraum von fünf Jahren) . 235 Abb. 7-9 Football-Field-Format zur Ergebnisdarstellung einer Multiplikatorenanalyse ........... 241 Abb. 7-10 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals ........................................................ 244 Abb. 8-1 Der Begriff „Unternehmenszusammenschlüsse“............................................................ 250 Abb. 8-2 Autonomie und Führungsanspruch ................................................................................... 259 Abb. 9-1 Übersicht von Risiken........................................................................................................... 269 Abb. 9-2 Gleichgewichtsbedingungen im Risikotragfähigkeitskalkül ............................................ 273 Abb. 9-3 Kreislauf des Risikomanagementprozesses ...................................................................... 274 Abb. 9-4 Überblick der Risikosteuerung ............................................................................................ 275 Abb. 9-5 Ratingnotationen der drei größten Ratingagenturen ....................................................... 280 Abb. 9-6 Insolvenzprognose ................................................................................................................ 281 Abb. 9- 7 Traditionelle Bonitätsanalyse ............................................................................................... 282 Abb. 9-8 Univariate Diskriminanzanalyse .......................................................................................... 283 Abb. 9-9 Multivariate Diskriminanzanalyse mit Trennlinien........................................................... 284 Abb. 9-10 Kennzahlenbasierte Diskriminanzanalyse ......................................................................... 285 Abb. 9-11 Grundlegender Aufbau eines neuronalen Netzes ............................................................ 286 Abb. 9-12 Zusammenhänge des Netzes BP-14................................................................................... 28 7 Abb. 9-13 Aufbau des BVR-II-Ratings ................................................................................................ 288 Abb. 9-14 Beispiel für Risikogewichte im Standardansatz ................................................................ 289 <?page no="18"?> 18 Abbildungsverzeichnis Neue Betriebswirtschaft Abb. 9-15 Vergleich KSA und IRB-Ansatz..........................................................................................291 Abb. 9-16 Aufteilung der Risikoanrechnungsfaktoren gemäß Basel I .............................................294 Abb. 9-17 Die drei Säulen von Basel II ...............................................................................................296 Abb. 9-18 Systematik des Eigenmittels nach Basel III.......................................................................299 Abb. 9-19 Entwicklung der Kapitalanforderungen ............................................................................ 300 Abb. 9-20 Veränderte Kapitalanforderungen von Basel II und Basel III .......................................301 Abb. 9-21 Beispielrechnung Liquidity Coverage Ratio.......................................................................303 Abb. 9-22 Beispielrechnung Net Stable Funding Ratio......................................................................305 Abb. 9-23 Erwartete und unerwartete Verluste ...................................................................................308 Abb. 9-24 Grundgleichung der Kalkulation vom erwarteten Verlust ..............................................309 Abb. 9-25 Wahrscheinlichkeitsverteilung von Kreditverlusten .........................................................311 Abb. 9-26 Kumulierte Mortalitätsraten 1971-1944 .............................................................................314 Abb. 9-27 Ein-Jahres-Migrationsmatrix................................................................................................314 Abb. 9-28 Entwicklung der bedingten (In-)Solvenzwahrscheinlichkeit für die Ratingklasse BBB..........................................................................................................................................315 Abb. 9-29 Laufzeitspezifische bedingte Ausfallwahrscheinlichkeit ohne Berücksichtigung der Migrationen. ...........................................................................................................................315 Abb. 9-30 Systematisierung von Kreditportfoliomodellen................................................................321 Abb. 9-31 (Forward-)Zerobondrenditen und Kreditbarwerte ..........................................................324 Abb. 9-32 Recovery Rates. ......................................................................................................................325 Abb. 9-33 Wahrscheinlichkeitsverteilung der Marktwerte .................................................................325 Abb. 9-34 Kreditrisikomodelle im Überblick.......................................................................................328 Abb. 10-1 House of Governance ..........................................................................................................339 Abb. 10-2 Systematik des Risikobegriffs ..............................................................................................347 Abb. 10-3 Aufgabenzuordnung in den Risikofeldern.........................................................................349 Abb. 10-4 Regelkreislauf des Risikomanagement-Prozesses ............................................................352 Abb. 10-5 Zielsystem der Top-Serv-GmbH ........................................................................................354 Abb. 10-6 Kernkomponenten der ISO 31000 .....................................................................................356 Abb. 10-7 ISO 31000: Risikomanagement-Prozess ............................................................................356 Abb. 10-8 Ziele effektiver Compliance .................................................................................................359 Abb. 10-9 Die Compliance Pyramide....................................................................................................360 Abb. 10-10 Komponenten des ISO 19600.............................................................................................362 Abb. 11-1 Der Strategic Management Navigator ................................................................................373 Abb. 11-2 Die Positionierung eines Unternehmens in seiner Umwelt ............................................377 Abb. 11-3 Der Ablaufprozess der Positionierungsarbeit ...................................................................378 Abb. 11-4 Schematische Darstellung des Einflusses der Digitalisierung auf die Wertkette einer Versicherung ............................................................................................................ .....379 Abb. 11-5 Pfade durch den SMN ..........................................................................................................385 <?page no="19"?> Abbildungsverzeichnis 19 Neue Betriebswirtschaft Abb. 12-1 Die systemorientierte Konzeption des Managementprozesses...................................... 394 Abb. 12-2 Aufgabenbereiche der Unternehmensführung mit ihren Steuerungsgrößen .............. 395 Abb. 12-3 Strategische Kontrolle........................................................................................................... 397 Abb. 12-4 Das formale Verfahren der Geschäftsstrategieplanung................................................... 399 Abb. 12-5 Prinzipdarstellung einer Strategy Map ............................................................................... 402 Abb. 12-6 Ursache-Wirkungs-Ketten in einer Strategy Map ............................................................ 403 Abb. 12-7 Grundstruktur einer Balanced Scorecard .......................................................................... 404 Abb. 12-8 Messung der Zielerreichung in einer fünfdimensionalen Balanced Scorecard ............ 405 Abb. 12-9 Konzeption eines wertorientierten Controllingsystems .................................................. 409 Abb. 12-10 Der PDCA-Zyklus zur kontinuierlichen Verbesserung .................................................. 410 Abb. 12-11 Die X-Matrix zur Dokumentation des Hoshin-Kanri-Prozesses .................................. 412 Abb. 12-12 House of Quality des QFD................................................................................................. 413 Abb. 12-13 Der Value Proposition Canvas am Beispiel Twitter ......................................................... 416 Abb. 12-14 Der Business Model Canvas ................................................................................................ 417 Abb. 12-15 Die drei Ebenen der Geschäftsmodellentwicklung ......................................................... 418 Abb. 12-16 Design und Test von Geschäftsmodellen.......................................................................... 419 Abb. 13-1 Dimensionen eines Geschäftes ........................................................................................... 427 Abb. 13-2 Ausprägungsformen von Modellen .................................................................................... 428 Abb. 13-3 Einordnung von Geschäftsmodellen anhand von Ausprägungen................................. 433 Abb. 13-4 Die drei Kategorien der Funktionsbereiche von Geschäftsmodellen........................... 435 Abb. 13-5 Das Business Model Canvas ................................................................................................ 439 Abb. 13-6 Prozess eines Geschäftsmodells.......................................................................................... 441 Abb. 15-1 BSC-Ansatz zur Rechenbarkeit. .......................................................................................... 475 Abb. 15-2 Vorteile interner und externer Personalbeschaffung ....................................................... 481 Abb. 15-3 Mulitmodales Interview........................................................................................................ 484 Abb. 15-4 Häufige Beurteilungskriterien .............................................................................................. 487 Abb. 15-5 Bedürfnispyramide von Abraham Maslow........................................................................ 490 Abb. 15-6 Herzberg Zwei-Faktoren-Modell ........................................................................................ 491 Abb. 15-7 Überblick über Personalfreisetzungsnahmen.................................................................... 497 Abb. 15-8 Theorie X und Theorie Y .................................................................................................... 502 Abb. 15-9 Varianten des Führungsverhalten ................................ ....................................................... 503 Abb. 15-10 Trends und Entwicklung in der Arbeitswelt .................................................................... 505 Abb. 16-1 Zusammenhang Rechnungswesen, Organisatuinsstellen und Kostenträgerrechnung ................................................................................................................................. 515 Abb. 16-2 Multikontextuale Organisationsansätze ............................................................................. 520 Abb. 16-3 Erkenntnisgewinnungsprozess einer Theorie bzw. eines Organisationsansatzes........ 529 Abb. 16-4 Aufbau- und Ablauforganisation ........................................................................................ 530 Abb. 16-5 In modifizierter Anlehnung an die traditionelle Organisationslehre nach Kosiol ...... 530 <?page no="20"?> 20 Abbildungsverzeichnis Abb. 16-6 Methodisches Vorgehen bei der traditionellen Organisation .........................................531 Abb. 16-7 Organisationsanalyse zum Problem der Delegation von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz mit der potenzi™™x `s˜²qqkx— hwx ]wx˜•’n™x •x š™s ˆk˜°²k^ und Ablauforganisation, die die Zusammenarbeit der Stellen gefährdet......................536 Abb. 16-8 Zum problematischen Zusammenhang zwischen Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz in der Stellenanalyse und der Stellenabstimmung im Rahmen der Organisationsanalyse .............................................................................................................536 Abb. 16-9 Methodisches Vorgehen der Organisationsanalyse ..........................................................537 Abb. 17-1 Inhalte - Online-Kommunikation .......................................................................................536 Abb. 18-1 Aufbau des Kapitels zu Nachhaltigkeitsmanagement......................................................550 Abb. 18-2 Schematische Darstellung der Wechselwirkungen zwischen Unternehmen und ihrem gesellschaftlichen und ökologischen Umfeld. Durch Nachhaltigkeit ergeben sich dabei Änderungen im Umfeld des Unternehmens. .................................................556 Abb. 18-3 Vergleichende Darstellung von Wert- und Schadschöpfung ..........................................563 Abb. 18-4 Zwei unterschiedliche Perspektiven auf das Verhältnis von Wertschöpfung und Vermeidung von Schadschöpfung. .....................................................................................564 Abb. 18-5 Vereinfachte Darstellung einer produktbezogenen Wertschöpfungskette....................566 Abb. 18-6 Erweiterter Betrachtungsrahmen der unternehmerischen Wert- und Schadschöpfung................................................................................................................................567 Abb. 18-7 Macht-Interesse-Matrix.........................................................................................................572 Abb. 18-8 Zusammenhang zwischen Normen & Standards, den Funktionen des Unternehmens und operativen Instrumenten. ............................................................................586 Abb. 19-1 Wechselwirkungen zwischen Sach- und Wertebene .........................................................597 Abb. 19-2 Leistungsfähigkeit von Technologien, dargestellt mit zwei S-Kurven ..........................599 Abb. 19-3 Fahrzeuge der deutschen Post (Streetscooter) mit Elektro-Antrieb..............................601 Abb. 19-4 Differenzieren des Kundennutzen nach Potenzial. ..........................................................603 Abb. 19-5 Ein Basis-Modell für den unternehmerischen Prozess....................................................606 Abb. 19-6 Kreislauf ökologischer Nachhaltigkeit ...............................................................................610 Abb. 19-7 Management-Cockpit für die ökonomische Nachhaltigkeit eines E-Commerce- Unternehmens. .......................................................................................................................612 Abb. 19-8 Stakeholderanalyse nach Dreuw et al. ................................................................................614 <?page no="21"?> Neue Betriebswirtschaft TTaabbeelllleennvveerrzzeeiicchhnniiss Tab. 2-1 Bilanz am 31.12.t0 (Gründungsbilanz) ................................................................................... 54 Tab. 2-2 Beispiel Anfangsbilanz 1.1.t1.................................................................................................... 55 Tab. 2-3 Beispiel Bilanzen und Vier klassische Geschäftsvorfälle ..................................................... 56 Tab. 2-4 Beispiel - Eröffnungsbuchungen 1.1.t1 ................................................................................. 60 Tab. 2-5 Beispiel - Die vier typischen Geschäftsvorfälle auf Hauptbuchkonten............................ 62 Tab. 2-6 Beispiel - Abschlussbuchungen Geschäftsjahresende t1.................................................... 65 Tab. 2-7 Beispiel - SBK am 31.12.t1 ...................................................................................................... 65 Tab. 2-8 Bilanzierung von Herstellungskosten zur Wertuntergrenze ................................................ 79 Tab. 2-9 Bilanzierung von Herstellungskosten zur Wertobergrenze ................................................. 80 Tab. 2-10 Beispiel - Anfangsbilanz zum 1.1.t2 ....................................................................................... 80 Tab. 2-11 Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen auf den Bestandskonten in t2............................................................................................................................................... 81 Tab. 2-12 Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen auf den Erfolgskonten in t2............................................................................................................................................... 82 Tab. 2-13 Beispiel - Buchungen auf dem GuV-Konto in t2 ................................................................ 83 Tab. 2-14 Beispiel - SBK am 31.12.t2 ...................................................................................................... 83 Tab. 2-15 Bsp. einer Ergebnisrechnung nach dem Gesamtkostenverfahren und dem Umsatzkostenverfahren .......................................................................................................................... 86 Tab. 2-16 Beispiel - Anfangsbilanz 1.1.t3 ................................................................................................ 91 Tab. 2-17 Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen im Hauptbuch..................... 92 Tab. 2-18 Beispiel - Buchungen auf den Erfolgskonten in t3.............................................................. 93 Tab. 2-19 Beispiel - GuV-Konto in t3...................................................................................................... 94 Tab. 2-20 Beispiel - SBK 31.12.t3............................................................................................................. 94 Tab. 2-21 KFR in t1..................................................................................................................................... 97 Tab. 2-22 KFR in t2..................................................................................................................................... 97 Tab. 2-23 KFR in t3..................................................................................................................................... 98 Tab. 2-24 Beispiel - Vermögensveränderung, GuV und KFR über alle Perioden t0 bis t3 ............ 98 Tab. 3-1 Häufigkeitstabelle, nominales Merkmal ................................................................................ 119 Tab. 3-2 Fallzusammenfassung, Mehrfachantworten ......................................................................... 122 Tab. 3-3 Häufigkeitstabelle, Mehrfachantworten ................................................................................ 122 Tab. 3-4 Häufigkeitstabelle, ordinales Merkmal .................................................................................. 123 Tab. 3-5 Häufigkeitstabelle, diskretes metrisches Merkmal............................................................... 124 Tab. 3-6 Häufigkeitstabelle, Basis: äquidistante Gewichtsklassen .................................................... 128 Tab. 3-7 Mittelwerttabelle ....................................................................................................................... 132 Tab. 3-8 Mittelwerttabelle ....................................................................................................................... 134 <?page no="22"?> 22 Tabellenverzeichnis Neue Betriebswirtschaft Tab. 3-9 Häufigkeitstabelle .....................................................................................................................134 Tab. 3-10 Mittelwerttabelle, Basis: originäre und standardisierte Werte ............................................135 Tab. 3-11 Häufigkeitstabelle .....................................................................................................................136 Tab. 3-12 Preistabelle .................................................................................................................................146 Tab. 3-13 Erlöshochrechnung ..................................................................................................................148 Tab. 3-14 Kontingenztabelle vom Typ (2 3 2) .......................................................................................150 Tab. 3-15 Nutzerbefragung, Basis: verarbeitete Fälle ...........................................................................151 Tab. 3-16 Zufriedenheitsspezifische Konditionalverteilungen............................................................153 Tab. 3-17 Geschlechtsspezifische Konditionalverteilungen ................................................................154 Tab. 3-18 #²-Unabhängigkeitstest, Basis: Tabelle 3-14 .........................................................................155 Tab. 3-19 Kontingenztabelle mit beobachteten und erwarteten Werten ...........................................156 Tab. 3-20 Anzahl der Freiheitsgrade df = 1 ..........................................................................................158 Tab. 3-21 Kontingenztabelle vom Typ (2 3 2) .......................................................................................159 Tab. 3-22 #²-Unabhängigkeitstest, Basis: Tabelle 3-21 .........................................................................159 Tab. 3-23 Mittelwerttabelle .......................................................................................................................161 Tab. 3-24 Unabhängigkeitstest .................................................................................................................163 Tab. 3-25 (3 3 3)-Korrelationsmatrix ......................................................................................................163 Tab. 3-26 Partielle Maßkorrelation ..........................................................................................................164 Tab. 3-27 (2 3 2)-Korrelationsmatrix ......................................................................................................165 Tab. 3-28 Regressionsparameter ..............................................................................................................167 Tab. 3-29 Modellkennzahlen.....................................................................................................................168 Tab. 3-30 Heuristische Modellwahl .........................................................................................................169 Tab. 3-31 Linearisierte Regression...........................................................................................................171 Tab. 3-32 Modellkennzahlen.....................................................................................................................173 Tab. 3-33 Korrelationsmatrix ...................................................................................................................174 Tab. 4- 1 Abgrenzung von externem und internem Rechnungswesen .............................................179 Tab. 4-2 Überblick über Kalkulationsverfahren ..................................................................................185 Tab. 4-3 Kalkulationsschema der Zuschlagskalkulation ....................................................................189 Tab. 4-4 Schema zur Kalkulation des Angebotspreises .....................................................................190 Tab. 4-5 Unterschiede zwischen Gesamtkostenverfahren und Umsatzkostenverfahren..............193 Tab. 4-6 Integration von Prozesskostensätzen in die Zuschlagskalkulation...................................199 Tab. 8-1 Motive aus Käufer- und Verkäufersicht ................................................................................252 Tab. 8-2 Phasen in Unternehmenszusammenschlüssen.....................................................................258 Tab. 8-3 M&A Deals nach Volumen (Mrd. USD) - 2013 Q3 bis 2017 Q2. ..................................262 Tab. 14-1 Beispiel für die Kapitalwertmethode .....................................................................................457 Tab. 14-2 Beispiel für Umfeld- und Performancefaktoren ..................................................................459 Tab. 19-1 Weiter- und Wiederverwertung von Rohstoffen im Betriebsablauf. ................................600 <?page no="23"?> 23 Tab. 19-2 Rückstände in Abhängigkeit vom Output eines Unternehmens....................................... 604 Tab. 19-3 Rückstandsnutzung nach Horneber. ..................................................................................... 609 Tab. 19-4 Sustainability Balanced Scorecard mit beispielhaften Kennzahlen................................... 611 Tab. 19-5 Beispiel einer Betriebsbilanz („Ökobilanz“) nach Balderjahn und Specht...................... 613 Tab. 19-6 Prinzip-Modell einer Input-Output-Analyse nach Horneber............................................ 614 <?page no="25"?> Neue Betriebswirtschaft 11 DDaass N Neeu uee iinn ddeerr BBeettrriie ebbsswwiirrttssc chhaafft t: : AAn nssäättzzee zzuurr qqu uaalliittaattiivve enn FFoorrsscchhu unng g u unndd K Koon nzzeeppttiio onn tthheeoor riie eggeenneerri ieerreennd deerr FFoorrsscchhuunnggssssttrraatteeggiieenn Alexander Brem Hintergrund Befasst man sich im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften mit empirischerabb Forschung, wird nach wie vor vorwiegend auf quantitative Verfahren zurückgegriffen. Einzig in Form der amerikanischen „Case Study“ scheinen sich nun auch langsam qualitative Verfahren zu etablieren - wobei in den Bereichen der Marketing-, Management- und Organisationsforschung bereits eigenständige, wenn auch nicht dominante, qualitative Forschungsansätze Eingang gefunden haben. Jedoch ist in diesem Zusammenhang ein starker Mangel an wissenschaftlicher Fundierung und Validierung des Vorgehens zu bemängeln. Dies äußert sich insbesondere in einer großen Bandbreite verschiedenster Verwendung von Begrifflichkeiten, Methoden und Interpretationen. Qualitative Forschung in der Betriebswirtschaftslehre - ein nach wie vor oft vernachlässigtes Thema. Denn schwerpunktmäßig werden qualitative Verfahren vorwiegend in soziologischen Bereichen angewandt, obwohl in vielen Lehrbüchern zur empirischen Forschung die Zusammengehörigkeit von quantitativen und qualitativen Verfahren - auch in der Betriebswirtschaftslehre - beschworen wird. Vor diesem Hintergrund stellt vorliegender Beitrag die historische Entwicklung der Wissenschaftsziele in der Betriebswirtschaft dar, um über die Mischform der angewandten Forschung auf die Rahmenbedingungen für anwendungsorientierte, qualitativ-empirische Forschung in der Betriebswirtschaftslehre zu sprechen zu kommen. Nach der Definition elementarer Begrifflichkeiten wie Bezugsrahmen, Modell und Theorie und der Abgrenzung quantitativer zu qualitativer Forschung schließt der Beitrag mit dem Vorschlag einer theoriegenerierenden Forschungsstrategie für qualitative Untersuchungen im betriebswirtschaftlichen Kontext. Mit dem vorliegenden Kapitel soll ein erster Schritt in Richtung gemeinsamer, konzeptionellmethodischer Basis geschaffen werden. Dies soll nicht implizieren, dass die hier eingeführten Begrifflichkeiten und Strategieansätze als allgemeingültig oder alleinig richtig anzusehen sind - im Gegenteil: Hierdurch soll eine wissenschaftlich-konstruktive Diskussion angeregt werden, um nicht nur das Ansehen und die Relevanz qualitativer Forschung an sich zu steigern, sondern diese insbesondere für Studierende und Wissenschaftler leichter einsetzbar zu machen. Wissenschaftsziele in der Betriebswirtschaftslehre Verhaltenswissenschaftlich vs. theoretisch-ökonomisch In der wissenschaftlichen Diskussion sind im deutschsprachigen Bereich generell zwei unterschiedliche Wissenschaftsauffassungen vorzufinden: Auf der einen Seite die anwendungsorientierte-verhaltenswissenschaftliche Wissenschaft, die Probleme und Themen der Praxis aufgreift und versucht, für diese Entscheidungshilfen zu konzipieren. Auf der anderen Seite ist die theoretisch-ökonomische Forschung zu sehen, die ohne direkten Anwendungsbezug auskommt. (Böttger 1993, S. 34) „Die Betriebswirtschaftslehre ist überall dort erfolgreich gewesen, wo sie dem Praktiker handfeste Instrumente zur Lösung seiner Probleme in die Hand gab. Es hieße, eine Chance zu vertun, wenn <?page no="26"?> 26 Alexander Brem Neue Betriebswirtschaft der Wissenschaftsprozeß abgebrochen wird, bevor die Forschungsaussage bis zu ihrer nutzenstiftenden Instrumentalisierung vorangetrieben ist.“ (Witte 1981, S. 38) Unter einer konstruktiven Betriebswirtschaftslehre versteht Steinmann in diesem Kontext eine Wissenschaft, die „praktisch ausgerichtet ist insofern, als sie ihr Tun als unmittelbare Weiterführung praktischen betriebswirtschaftlichen Handelns begreift und durch methodische Bemühungen zu einer vernünftigeren Gestaltung dieses Handelns beitragen will.“ (Steinmann 1978, S. 98) Neben der normativen beeinflusst demnach insbesondere die technische Problematik den Beitrag der Betriebswirtschaftslehre zur Bewältigung praktischer Probleme. Demnach soll die Betriebswirtschaftslehre insbesondere der Beratung von Menschen dienen, die nicht wissen, mit welchen Mitteln sie welche ökonomischen Ziele erreichen können. (Steinmann & Böhm et al. 1976, S. 51) Auf den Punkt bringt es Kappler: „Soweit Wissenschaftler praktische Vorschläge machen, machen sie sie als Praktiker. Als Wissenschaftler sind sie eher Hebamme, die nicht zeugt, aber durch Praxisnachvollzug Neuem mit ans Tageslicht hilft.“ (Kappler 1994, S. 53) Albert sieht im Gegensatz dazu die Betriebswirtschaftslehre als eine Wissenschaft, die eine Theoriegenerierung zum Gegenstand hat: „Die Leistung dieser (empirischen) Wissenschaft besteht ja darin, immer tiefer in die Beschaffenheit der Realität einzudringen durch Versuche der Erklärung auf theoretischer Grundlage, das heißt: durch die Erfindung, Entwicklung, Anwendung und Beurteilung erklärungskräftiger und damit gehaltvoller Theorien. Je größer deren Erklärungskraft, desto vielseitiger werden im Allgemeinen die Möglichkeiten ihrer technologischen Verwertung und damit auch ihrer politischen Anwendung sein.“ (Albert 1972, S. 22) In einem solchen Umfeld stellt Albert weiterhin fest: „Die Art von Aussagen, auf die wir hinzielen, beansprucht nicht, nomologische Erklärungen darzustellen. Solche Erklärungen scheinen uns bei der gestellten Thematik nicht erreichbar; darum suchen wir nicht nach ihnen. Die Art von Erklärungen, die wir für erreichbar halten, sind ‚rationale Rekonstruktionen‘, d.h. Angabe von Gründen für die Existenz - auch für Entstehung und Wandel - bestimmter dauerhaft beobachtbarer insitutioneller Phänomene.“ Angewandte Forschung als Zwischenform Als eine Zwischenform der genannten Bereiche kann wohl der Begriff der angewandten Forschung gesehen werden. Der reine Wissenschaftler hat demzufolge „Rätsel“ zum Ausgangspunkt, die aus erklärungsbedürftigen Phänomenen oder Diskrepanzen zwischen Theorie und Beobachtung entstammen. Der angewandte Forscher hingegen geht von Problemen praktisch handelnder Menschen aus, zu deren Lösung noch kein befriedigendes Wissen zur Verfügung steht. (Ulrich 1981, S. 5) Unter empirischen Forschungsmethoden werden solche Methoden subsumiert, die zur Informationsgewinnung über die Realität eingesetzt werden können. (Stier 1999, S. 4f) In diesem Kontext ist es wichtig, die anwendungsorientierte Forschung von dem Bereich der Beratung von Unternehmen abzugrenzen (vgl. Abbildung 1-1). Demnach strebt wissenschaftliche Forschung nach allgemeingültigen Aussagen, die über Einzelfälle hinausgehen. Dem Neuen in der Welt soll somit ein Gesicht gegeben werden, das über eine subjektive Wahrnehmung hinausgeht. Der Forscher muss eine auf Forschungshypothesen basierende systematische Analyse erbringen, die dann die Grundlage für die Formulierung von Aussagen bildet. Im Gegensatz zur Beratung müssen die daraus gewonnenen Erkenntnisse vom Einzelfall abstrahiert werden, um die bei der akademischen Forschung notwendige Distanz zum Erkenntnisobjekt zu wahren und allgemeingültige Aussagen treffen zu können. Dazu gehört auch eine systematische und konsistente Datenerhebung, um die wissenschaftliche Stringenz und praktische Relevanz der Erkenntnisse sicherzustellen (vgl. hierzu auch Abbildung 1-2). (Wilkesmann & Latniak 2005, S. 25ff); (Kilper & Latniak et al. 2000, S. 309f) <?page no="27"?> 1 Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien 27 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 1-1: Abgrenzung von Beratung gegenüber anwendungsorientierter Forschung und akademischer Forschung. Quelle: Wilkesmann/ Latniak 2005, S. 28 Abbildung 1-2: Levels of mutual engagement task content and outcomes. Quelle: Emery/ Emery et al. 1977, S. 201 Im Weiteren soll geklärt werden, welche Bestandteile anwendungsorientierte Forschung kennzeichnen. Ulrich nennt in diesem Kontext fünf Merkmale angewandter Forschung: (Ulrich 1982, S. 3f) ! Die Problemstellungen stammen aus der Praxis, ! Gegenstand ist hier nicht die Gültigkeit von Theorien, sondern die Anwendbarkeit von Modellen in der Praxis, ! die betrachteten Probleme sind ihrem Wesen nach interdisziplinär, <?page no="28"?> 28 Alexander Brem Neue Betriebswirtschaft ! angewandte Forschung hat den Entwurf einer „neuen Wirklichkeit“ zum Ziel und ! nicht die Wahrheit der wissenschaftlichen Aussagen ist die Norm, sondern der Nutzen der zu schaffenden Entwürfe für die Praxis. Diese müssen sich an Kriterien wie Leistungsgrad, Zuverlässigkeit und universeller Anwendbarkeit der Problemlösung messen lassen. Als Ziel steht dabei eine „konzeptionelle Forschung“, die komplexe Phänomene problemorientiert erfasst und „geistig manipuliert“, um begriffliche und methodische Modelle zu entwerfen. (Ulrich 1981, S. 21) Nach Ulrich braucht die angewandte Wissenschaft somit „nicht nur Erklärungsmodelle im Sinne des Rationalismus, sondern auch Erkenntnisse, die man als Verstehensmodelle bezeichnen könnte.“ (Ulrich 1984, S. 193) Auf den Punkt bringt es Kubicek, der die betriebswirtschaftliche Forschung als einen zweckbezogenen Prozess zur Erkenntnisgewinnung auffasst, indem Lösungen für praktische Organisationsprobleme durch praxeologische Aussagen vermittelt werden: „Ihren wissenschaftlichen Charakter erhalten Aussagen zur Problemlösung dadurch, dass sie sich nicht nur auf ein einziges Problem beschränken, sondern nach Zusammenhängen suchen, die über einzelne Ereignisse in der Realität hinausgehen und mittels Abstraktion und Verallgemeinerung zur Lösung einer größeren Anzahl ähnlicher Probleme verhelfen. Auf diese Weise soll die individuelle Problemlösung in der Praxis ökonomisiert werden, und hierin liegt der praktische Sinn wissenschaftlicher Forschung als „Umweghandlung“ begründet.“ (Kubicek 1975, S. 14) Spielregeln für anwendungsorientierte, qualitativ-empirische Forschung in der Betriebswirtschaftslehre 1.4.1 Allgemein Um qualitative Verfahren zielgerichtet zum Einsatz bringen zu können, müssen zunächst einige „Spielregeln“ definiert und elementare Begriffe wie Bezugsrahmen, Modell und Theorie geklärt werden. Ausgangspunkt hierfür bildet die anwendungsorientierte Forschung, da diese dem aktuellen Status Quo am nähesten kommt. Merkmal dieses anwendungsorientierten Vorgehens ist es, vorhandene Theorien zu verwenden und Erklärungsmodelle zu konstruieren, welche die Theorien wie auch relevante Realitätsaspekte umfassen. In die Modellkonstruktion gehen somit theoretische Aussagen, Annahmen über Randbedienungen als auch empirische Regelmäßigkeiten einzelner Tatbestände mit ein. (Martin 1989, S. 240f) Um die Methoden der heuristischen Sozialforschung anwenden und somit die Entwicklung einer Theorie erreichen zu können, müssen vier grundsätzliche Regeln beachtet werden: (Kleining 1995, S. 23ff) ! Offenheit der Forschungsperson bzw. des Forschungsobjekts: Der Forscher muss dem Gegenstand, dem Neuen gegenüber „offen“ sein und das Vorverständnis ändern können und wollen, wenn die Daten ihm entgegenstehen. ! Offenheit des Forschungsgegenstands: Die Kenntnis vom Gegenstand und dessen Bestimmung sind vorläufig und so lange der Änderung unterworfen, bis der Gegenstand „vollständig“ entdeckt ist. ! Maximale, strukturelle Variation der Perspektiven: Der Gegenstand soll von maximal vielen unterschiedlichen Seiten erfasst werden. Dies geschieht durch Variation aller Bedingungen der Forschung, die einen Einfluss auf die Abbildung des Gegenstandes haben oder haben könnten. Die Variation sucht demnach strukturelle, dem Gegenstand eigene Aspekte, die aus den verschiedenen Perspektiven erkennbar sind. ! Analyse auf Gemeinsamkeiten: Die verschiedenen Seiten oder Bilder des Gegenstandes werden auf ihren Zusammenhang hin untersucht, oder das Verfahren entdeckt das Gemeinsame in den <?page no="29"?> 1 Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien 29 Neue Betriebswirtschaft Verschiedenheiten. Alle Daten müssen im strukturellen Zusammenhang als Teile des Gesamten erkenn- und verstehbar sein. Zudem wird ein „Triangulieren“ empfohlen, was auf die regelmäßige Variation der Erhebungsmethoden abzielt, dass sich der Forscher einem bestimmten Phänomen auf unterschiedlichen Wegen annähert. (Flick 1987, S. 251) Dies kann erreicht werden durch ! eine strukturierte Analyse von Dokumenten und Dokumentationen, ! die Durchführung von (explorativen) Experteninterviews, ! Beobachtungen, ! die Beteiligung an unternehmensinternen und -externen Workshops und Fachtagungen, ! und der abschließenden Darstellung von Praxisbeispielen anhand von Fallstudien. In diesem Zusammenhang gibt Gygi für betriebswirtschaftliche Forschungstätigkeiten folgende methodologische Regeln vor: (Gygi 1982, S. 183ff) ! Verwende zur Beschreibung der Phänomene und Fragestellungen der Betriebswirtschaftslehre die Systemperspektive. Suche nach Systemen, Sub- und Supersystemen, Inputs und Outputs, Elementen, Beziehungen, Strukturen, Prozessen, Verhalten, Stabilität Anpassung, Gleichgewicht, Störungen usw. ! Beschreibe die Probleme der Praxis als Störungen von Gleichgewichten in Systemen bzw. Subsystemen eines bestimmten Typs, und ihre Lösung als Vornahme von Lenkungseingriffen zwecks Störungsbeseitigung. Nimm dabei die allgemeinen kybernetischen Lenkungsmechanismen als Gerüst für die Beschreibung der Problemsituation zu Hilfe. ! Verwende bei der inhaltlichen Interpretation der abstrakten Systemterminologie - sei es zur Beschreibung, zur Erklärung oder zur Gestaltung - empirisches und methodisches Wissen aus verschiedenen Fachbereichen sowie auch aus der Praxis. ! Entwickle eine allgemeine Problemlösungsmethode, die den Problemherd als black box betrachtet. Versuche, sein Verhalten durch probeweise Eingriffe in den Griff zu bekommen. Überprüfe zu diesem Zweck die Lösungsversuche durch Beobachtung des bewirkten Verhaltens auf ihre Tauglichkeit und ersetze sie gegebenenfalls durch bessere. Je besser das Übertragungsverhalten des Systems bekannt ist, umso gezielter können die Eingriffe geplant und vollzogen werden. Öffne zu diesem Zweck die black box, bis bestimmte Outputwerte durch Inputmanipulation ohne Umweg herbeigeführt werden können (= Simulation). ! Falls es dir an empirischem Wissen (Theorien) über problemrelevante Wirkungszusammenhänge mangelt, so versuche bewährte Theorien aus anderen Fachbereichen, die formal, nicht aber materiell ähnliche oder gleiche Zusammenhänge zum Gegenstand haben, für deine Zwecke zu nutzen: Y Ermittle die formale Struktur der fachfremden Theorie Y Formuliere eine Isomorphievermutung zwischen den Problemstrukturen der beiden Disziplinen Y Interpretiere den formalen Kalkül für den betriebswirtschaftlichen Sachverhalt Y Auf diesem Weg aufgefundene Hypothesen bedürfen der empirischen Überprüfung. 1.4.2 Zielgrößen der Forschung: Bezugsrahmen, Modell und Theorie Bezugsrahmen „Bezugsrahmen erleichtern es dem Praktiker, akzeptable Problemdefinitionen zu formulieren, komplexe Probleme in einfache Teilprobleme zu zerlegen und hierfür Lösungshypothesen zu generieren. Für all diese Schritte gibt es keine Algorithmen, und die Existenz eines begrifflichtheoretischen Bezugsrahmens macht diese Prozesse keineswegs zu einer Routineangelegenheit mit Lösungsgarantie. Bezugsrahmen können aber helfen, äußerst schlecht strukturierte Entscheidungsprobleme der Praxis <?page no="30"?> 30 Alexander Brem Neue Betriebswirtschaft etwas besser zu strukturieren, ohne sie gleich zu wohl definierten Entscheidungen zu machen.“ (Kirsch 1970, S. 242f) Durch Induktion werden letztendlich auch Hypothesen generiert, die in den Bezugsrahmen eingehen und diesen entsprechend weiterentwickeln. (Hill 1957, S. 171ff); (Schanz 1988, S. 44) Weitere Merkmale von theoretischen Bezugsrahmen beschreibt Kirsch wie folgt: (Kirsch 1981, S. 198f) ! Bezugsrahmen leisten zwar keine direkte Erklärung von Phänomenen, aber sie ermöglichen Erklärungsskizzen, die Zusammenhänge verdeutlichen. ! Ein theoretischer Bezugsrahmen ist nicht als Basis für die Abgabe von Prognosen geeignet. ! Ein theoretischer Bezugsrahmen kann mit großer Reichweite und Reichhaltigkeit eine heuristische Kraft für die Formulierung und Bewältigung praktischer Probleme besitzen. ! Bezugsrahmen können helfen, schlecht strukturierte Entscheidungsprobleme der Praxis zu strukturieren, ohne diese gleich zu wohl strukturierten Entscheidungen zu machen. Nach Grochla lassen sich Bezugsrahmen in drei Schritten systematisch entwickeln: (Grochla 1969) ! Erarbeitung eines begrifflichen Instrumentariums zur Formulierung und empirischen Erfassung der als relevant erachteten Phänomene (terminologische Aussagen) ! Anwendung des begrifflichen Instrumentariums zur Beschreibung und Diagnose entsprechender Problemsituationen in der Realität (deskriptive Aussagen ! Erklärung von Zusammenhängen zwischen einzelnen Größen des Konzeptes im Hinblick auf Annahmen über Ursache-Wirkungsbeziehungen (empirisch-kognitive Aussagen) Abbildung 1-3 veranschaulicht abschließend den gesamten Forschungsprozess, der nach Ulrich zur Entwicklung eines Bezugsrahmens herangezogen werden kann. Abbildung 1-3: Angewandte Wissenschaft im Theorie- und Praxisbezug, Quelle: Ulrich 1984, S. 193 Somit sind Bezugsrahmen eine Vorstufe von Theorien, sie ermöglichen Erklärungsskizzen, die zu einem Verständnis von Zusammenhängen führen. So gesehen kann ein theoretischer Bezugsrahmen eine heuristische Methode für die Formulierung und Bewältigung praktischer Probleme sein. Dar- <?page no="31"?> 1 Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien 31 Neue Betriebswirtschaft über hinaus kann ein solcher Bezugsrahmen dazu dienen, das Neue in der Welt systematisch mit dem Wissen der Welt im Sinne der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur abzugleichen. Modell Ein Modell ist hingegen ein symbolisches System, das ein anderes - konkret den theoretischen Bezugsrahmen - in vereinfachender Weise abbildet. Somit stellt ein Modell eine vereinfachte Form des Bezugsrahmens dar. (Kirsch 1984, S. 758-762) Um Systeme, Strukturen und vorhandene Informationen vom Menschen erfassbar zu machen, sind somit Modelle notwendig. (Zimmermann 1981, S. 281) Dabei sind an die Modellqualität spezifische Anforderungen zu stellen: Logische Richtigkeit bzw. Wahrheit, Aussagefähigkeit (gewünschte und genaue Information), Realitätsentsprechung und Effizienz (entsprechende Aufwand-Nutzen-Relation). (Zimmermann 1981, S. 288f.) Theorie Der Theoriebegriff ist in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion generell umstritten. Unter einer betriebswirtschaftlichen Theorie versteht Koch die Bildung von bedingten Allgemeinsätzen, die ein Wirtschaftsunternehmen betreffen, z.B. Theoreme über optimale Losgrößen. (Koch 1982, S. 149) Schanz sieht in einer Theorie beispielsweise ein System nomologischer Hypothesen. (Schanz 19 88 , S. 2 4) Fü r das Be gr iff sv er st ändnis dies er Ar beit sol l fol ge nde D efi ni tio n A us ga ng sp unk t s ein : „A theory is a set of systematically related propositions specifying causal relationships among variables.“ (Black & Champion 1976, S. 56) Eine Theorie hat somit zwei Zielrichtungen. Zum einen die Darstellung von komplexen Sachverhalten zur direkten Anwendung in der betriebswirtschaftlichen Praxis, zum anderen eine Bildungsfunktion. Diese soll dem Praktiker durch das Studium der Theorie systematisch zur gedanklichen Erfassung von Zusammenhängen zwischen den Unternehmensvariablen anleiten und anregen. (Koch 1975, S. 223f) Zusammenfassend sind nach Rost folgende Gütekriterien an Theorien anzulegen: Empirischer Bestätigungsgrad, Innere Konsistenz, Einfachheit, Geltungsbereich, Relevanz und Brauchbarkeit. (Rost 2005, S. 3) Konzeption einer betriebswirtschaftlich orientierten, qualitativen Forschungsstrategie 1.5.1 Qualitative vs. quantitative Forschung „Die Erkenntnis beginnt nicht mit Wahrnehmungen oder Beobachtungen oder der Sammlung von Daten oder von Tatsachen, sondern sie beginnt mit Problemen.“ (Popper 1969, S. 104) Ausgehend von der jeweiligen Problemstellung stellt sich die Frage nach einer geeigneten Methodik zur Bearbeitung eines Themas. Generell ist je nach Themen- und Aufgabenstellung sowohl ein quantitativer als auch ein qualitativer Ansatz möglich (vgl. Abbildung 1-4), wobei die genaue Abgrenzung der Begriffe durchaus umstritten ist und die Anwendungsbereiche nicht überschneidungsfrei sind. (Rost 2005, S. 1f.); (Schreier 2005, S. 7) „Da Start- und Endpunkt eines jeden Forschungsprozesses die Theorie ist, ergibt sich die differentielle Indikation zwischen qualitativen und quantitativen Methoden aus dem vorfindbaren Zustand der Theorie zu Beginn des Forschungsprozesses und des angestrebten Zustands der Theorie am Ende des Prozesses. (Rost 2005, S. 1) Bei quantitativen Erhebungen stehen bestehende Theorieaussagen bereit, die durch konkrete Hypothesen und korrespondierenden Variablen überprüft werden. Qualitative Ansätze hingegen haben die Entdeckung bzw. Generierung von Theorieaussagen anhand empirischer Daten zum Gegenstand, wobei ein konkreter Fall als analytischer Bezugspunkt <?page no="32"?> 32 Alexander Brem Neue Betriebswirtschaft vorhanden ist. Ziel ist hierbei die Rekonstruktion der auf den Fall bezogenen Deutungsmuster, Handlungsorientierung und Wissensbeständen in Hinblick auf eine allgemeine Theorie, die das Fallgeschehen erklärt. (Brüsemeister 2000, S. 21ff.) Abbildung 1-4: Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Methoden. Quelle: Brüsemeister 2000, S. 55. Beispiele für qualitative Forschung sind Analysen von Lebenswelten und Organisationen oder Evaluationsforschung. (Flick & von Kardoff et al. 2000, S. 19) Qualitative Forschung kann quantitative Ergebnisse valide erweitern und vertiefen, meist ist jedoch die qualitative Forschung der quantitativen vorgelagert, indem diese das Forschungsfeld erschließt und theoretisch aufarbeitet. (Krotz 2005, S. 21); (Kleining 1995, S. 15) Diese Erkenntnis hängt mit den verschiedenen Erkenntniszielen der beiden Forschungsarten zusammen. Bei quantitativen Methoden stehen bestehende Theorieaussagen bereit, um konkrete Hypothesen über einen Sachverhalt aufzustellen, die mit Hilfe von Variablen überprüft werden können. Qualitative Ansätze hingegen zielen auf die Entdeckung bzw. Generierung von Theorieaussagen anhand empirischer Daten ab, da für dieses Feld noch entsprechende theoretische Grundlagen fehlen. Insofern liegt der Hauptunterschied zwischen beiden Verfahren in den Begriffen „Überprüfung“ und „Entdeckung“ (Brüsemeister 2000, S. 21); (Rost 2005, S. 1) Anders formuliert abstrahiert die qualitative Forschung die Technik des Vergleichs auf Gemeinsamkeiten, die quantitative Forschung hingegen auf Unterschiede. Qualitative Techniken sollen Beziehungen auf- und entdecken, quantitative Techniken sollen Beziehungen beschreiben sowie ggf. be- oder widerlegen. (Kleining 1995, S. 16ff) <?page no="33"?> 1 Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien 33 Neue Betriebswirtschaft Oft jedoch scheitert die skizzierte „Übergabe“ zwischen quantitativer und qualitativer Forschung schon zu Beginn der Vorhaben, da z.B. schon elementare Bestandteile wie eine gemeinsame Sprache fehlen. Kromrey definiert qualitative Forschung über deren Ziele, Ausgangspunkte, Vorgehensweise bei der Informationssammlung und Informationsauswertung wie folgt: (Kromey 2005, S. 5f) Ziele: ! Entdeckung von Strukturen und Zusammenhängen ! Einbettung des Einzelfalls in Strukturen ! Herausarbeiten individueller Besonderheiten ! Entdeckung empirisch gestützter Theorien Ausgangssituation: ! „Ungenaue Themenstellung“ ! Ein nur grob und vorläufig abgegrenzter Gegenstandsbereich ! Informationsbedarf über Strukturen und Zusammenhänge Informationssammlung: ! (kontrollierte) „Subjektivierung“ der Informationserhebung: Tiefe, Reichweite, Kontext von Informationen ! Breite Informationssammlung aus möglichst vielfältigen Perspektiven und möglichst wenig selektiv ! Nur „sensibilisierende“ Hypothesen ! Offenheit gegenüber allen unerwarteten Erkenntnissen ! Dadurch Notwendigkeit der „Deutung“ der Informationen zur Gewinnung von „Daten“ ! Verwendung gegenstandsnaher Daten Auswertung: ! Rekonstruktion der in den Informationen enthaltenen Konzepte, Strukturen, Regelhaftigkeiten mittels hermeneutischer Strategien ! Fallorientierte Analyse: Klassifikation gleichartiger Fälle, Kontrastierung mit gleichartigen Fällen (Typenbildung), ggf. erneute Informationsbeschaffung ! Formulierung empirisch gestützter, gegenstandsbezogener Hypothesen/ Theorien ! Entwicklung des methodischen Forschungsdesigns Erst nach der Bildung einer grundlegenden Theorie ist es möglich, daraus quantitative Forschungsansätze zu generieren, welche die Theorie überprüfen und gegebenenfalls - im Sinne des kritischen Rationalismus - falsifizieren. (Flick 1999, S. 56f) Dadurch dienen die qualitativen Erhebungen - wie angedeutet - als Vorstufe zu korrespondierenden quantitativen Ergebnissen. Das vorgeschlagene wissenschaftliche Arbeiten in diesem Sinne hat demnach nicht die Repräsentanz der Ergebnisse, sondern ein aktives Lernen mit dem Ergebnis von generalisierbaren Resultaten zum Ziel. (Martin 1989, S. 219) 1.5.2 Prozess der Theoriekonstruktion Die Abbildung 1-5 veranschaulicht den exemplarischen Prozess theoriekonstruierender 1 Forschung, die relativ leicht auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen übertragen werden kann. 1 Die Begriffe theoriegenerierend und theoriekonstruierend werden im Folgenden synonym verwendet. <?page no="34"?> 34 Alexander Brem Neue Betriebswirtschaft Abbildung 1-5: Der standardisierte Prozess theoriegenerierender Forschung. Quelle: In Anlehnung an Krotz, 2005 S. 135 Der Prozess startet mit dem Vorwissen und der Forschungsfrage. Im Feld erhebt der Forscher Daten, die analog ausgewertet werden, um Theoriebausteine und Ideen zu entwickeln. Liegen bereits Theoriebausteine oder ältere Daten vor, so müssen diese entsprechend abgeglichen und weitere Schlussfolgerungen gezogen werden. Sind die Daten ausgewertet, so muss das Wissen neu zusammengefasst und strukturiert werden. Auch sollen offene Fragen notiert und die Notwendigkeit weiterer empirischer Schritte geprüft werden. Der Prozess ist erst dann abgeschlossen, wenn der Kreislauf so oft durchlaufen ist, dass der Forscher eine hinreichende Theorie entwickelt hat. Ab diesem Zeitpunkt beginnt der wissenschaftliche Diskurs. (Krotz 2005, S. 134ff) Der theoriegenerierende Prozess hat die Suche nach Gemeinsamkeiten zum Gegenstand, um daraus Verallgemeinerungen im abstrakt-logischen Sinn abzuleiten. Diese Gemeinsamkeiten entstehen somit nicht durch formal-logisches Verallgemeinern oder Abstrahieren, sondern durch eine dialektische Forschung: Die Gemeinsamkeit entsteht durch den Bezug der Dinge zueinander. (Krotz 2005, S. 223ff) Die Methoden der Datenerhebung hängen vom konkreten Forschungsgegenstand bzw. -kontext ab, standardmäßig werden z.B. Interviews, Experimente, Beobachtungen, Gruppendiskussionen, Fallstudien und Dokumentenanalysen angewandt. (Krotz 2005, S. 138) Somit bietet diese Methodik einen sehr guten Ausgangspunkt für Probleme, die wegen deren Neuheit oder auch Schwierigkeit der genaueren Erforschung bis dato nur rudimentär bearbeitet werden konnten. Denn bisher mussten bzw. konnten Forscher nach eigenem Ermessen die Forschungsstrategie und -umsetzung bestimmen. Dies ist für den quantitativen Bereich nahezu undenkbar, da insbesondere durch die modernen Verfahren der Statistik genaue Vorgaben nicht nur üblich, sondern auch verpflichtend sind. Ein gemeinsames methodisches Grundverständnis bezüglicher qualitativer Forschungsansätze ist jedoch unerlässlich, weil nur dann gewährleistet ist, dass Ergebnisse auch weiter- und wieder verwendbar sind, und darüber hinaus mit anderen Resultaten verglichen werden können. Somit kann für Problemstellungen aus dem Bereich der Betriebswirtschaftslehre ein qualitativer Forschungsansatz gewählt werden, wenn die genannten Voraussetzungen dafür entsprechend erfüllt sind. Auch andere Verfahren, die im Bereich der Soziologie bereits große Verbreitung gefunden haben, können hierbei herangezogen werden. Als Beispiel hierfür kann das problemzentrierte Interview nach Witzel angeführt werden (Witzel 2000). Die letztendliche Generalisierbarkeit muss jedoch auch immer kritisch hinterfragt werden (Mayring 2007). <?page no="35"?> 1 Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien 35 Einschränkungen, Ausblick und weiterer Forschungsbedarf Der vorliegende Beitrag soll dazu dienen, die weitere wissenschaftliche Diskussion anzuregen - mit dieser Losung begannen die gegenwärtigen Darstellungen. Insofern kann und muss dieser Beitrag auch als erster Schritt in diese Richtung gesehen werden. So konnten zwar viele Bausteine und Themenbereiche aufgegriffen und angesprochen, jedoch nicht in der Tiefe bearbeitet werden, wie dies sicherlich noch notwendig wäre. Das gleiche gilt für die genaue Ausgestaltung theoriegenerierender Forschungsansätze, z.B. mit welcher Methodik diese zu bewerkstelligen sind, ob und ggf. inwiefern Unterschiede bezüglich Branche, Umsatz oder Alter der zu betrachtenden Unternehmen zu berücksichtigen sind usw. Auch im Hinblick auf „moderne“ Methodiken wie Case Study Research sollte eine kritische Auseinandersetzung über Sinn und Unsinn qualitativer Forschung im unternehmerischen Zusammenhang stattfinden. Genau hieraus ergeben sich auch vielfältige Ansatzpunkte zukünftiger Forschung: Welche Besonderheiten haben qualitative Verfahren im betriebswirtschaftlichen Kontext? Welche Methodiken aus der Soziologie lassen sich anwenden, bzw. müssen noch entsprechend modifiziert werden? Wie könnten interdisziplinäre Teams aussehen, welche Themen könnten diese bearbeiten? Wie auch immer die Diskussion weitergehen wird: Es wäre schade um das enorme Potenzial, das noch in qualitativen Verfahren im betriebswirtschaftlichen Kontext steckt, wenn dies weiter so ungenutzt bleiben sollte. <?page no="36"?> Neue Betriebswirtschaft LLiitteerraattu urr Albert, Hans (1972). Aufklärung und Steuerung. Gesellschaft, Wissenschaft und Politik in der Perspektive des kritischen Rationalismus. In Hochschule für Wirtschaft und Politik; HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung; Akademie für Gemeinwirtschaft (Hrsg.), Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik (S. 11-30). Tübingen: J.C.B. Mohr Black, James A.; Champion, Dean J. (1976). Methods and issues in social research. New York [u.a.]: Wiley Brüsemeister, Thomas (2000). Qualitative Forschung: ein Überblick. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag Böttger, Christian (1993). Marketing im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse und praktischer Nutzbarkeit. Fuchsstadt: Wilfer Flick, Uwe (1987). 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Zum Nutzen empirischer Untersuchungen für normative Modelle der Entscheidungsfällung. In Witte, Eberhard (Hrsg.), Der praktische Nutzen empirischer Forschung (S. 271- 304). Tübingen: J.C.B. Mohr <?page no="39"?> Neue Betriebswirtschaft 2 2 BBuucchhhhaallttuunngg, , BBiilla annzziieerruunng g uunndd FFiinna annz zffl luussssr reecchhn nuunngg Uwe Christians Funktion und Teilgebiete des Rechnungswesens und der Buchführung 2.1.1 Inhalt und Aufgaben des Rechnungswesens Das betriebliche Rechnungswesen ist das Basisinstrument zur „systematischen Erfassung, Aufbereitung, Darstellung und Auswertung aller betriebswirtschaftlich relevanten … Zustände und Handlungen eines Unternehmens, die zahlenmäßig zum Zwecke der Rechnungslegung und/ oder der Steuerung der Unternehmenstätigkeit unter Beachtung der einschlägigen Rechtsvorschriften“ zu erfassen sind. 2 In Abhängigkeit davon, welche Personengruppen durch das betriebliche Rechnungswesen mit Informationen versorgt werden, unterscheidet man zwischen dem internen und dem externen Rechnungswesen. Das interne Rechnungswesen dient vor allem dem Unternehmer bzw. dem Management zur Entscheidungsunterstützung sowie der Verhaltenssteuerung im Unternehmen. Es unterliegt keinen gesetzlichen Bestimmungen und umfasst (nach klassischer Einteilung) die Kosten- und Leistungsrechnung, die Statistik und die Planung. Es kann beliebig ausgestaltet werden. Das externe Rechnungswesen (Finanzbuchhaltung), welches auch gleichzeitig die Datengrundlage des internen Rechnungswesens ist, dient nicht nur dem Unternehmer als Informationsbasis, sondern ist insbesondere auch auf die Information von unternehmensfremden Stakeholdern, wie z.B. Gläubigern, Anteilseignern, Fiskus, ausgerichtet. Im Zuge der in der jüngeren Vergangenheit bedeutender werdenden wertorientierten Managementphilosophie (Shareholder Value-Ansatz) rücken internes und externes Rechnungswesen näher zusammen und überschneiden sich in ihren Ausrichtungen. 3 Es werden verschiedene Aufgaben des betrieblichen Rechnungswesens unterschieden. 4 Zu nennen ist zunächst die Aufgabe der Dokumentation. Diese wird von der Finanzbuchhaltung übernommen, und zwar anhand von Belegen systematisch (zeitlich und sachlich geordnet) und lückenlos alle wirtschaftlich relevanten, gewöhnlichen (Beschaffung und Absatz, Aufwendungen aus dem Fertigungsprozess), aber auch nicht gewöhnlichen Ereignisse des Unternehmens (Spekulationsgewinne, Vernichtung bzw. Wertverluste von Vermögensgegenständen) aufzuzeichnen. 5 Grundlage hierfür bilden die handels- und steuerrechtlichen Vorschriften (§§ 238ff. HGB; 140ff. AO) zur Führung von Büchern und zu den Aufzeichnungspflichten der Geschäftsaktivitäten des Unternehmens. Durch das Rechnungswesen wird das Unternehmensgeschehen zur Information der Adressaten (z. B. Eigentümer, Gläubiger, Management) zahlenmäßig erfasst und anschaulich aufbereitet. 6 „Darin werden die finanziellen Konsequenzen von Entscheidungen und Ereignissen im Unternehmen aus der Sicht des Unternehmers abgebildet. Die Abbildungen werden zu Finanzberichten zusam- 2 Känel, S. (2007), S. 16f. 3 Vgl. Mertins, C. (2013). 4 Vgl. Känel, S. (2007), S. 18f. 5 Vgl. Schmidt, M. (Hrsg.) / Auer, B. / Schmidt, P. (2012), S. 4. 6 Schmidt, M. (Hrsg.) / Auer, B. / Schmidt, P. (2012), S. 3. <?page no="40"?> 40 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft mengefasst und dann Entscheidungsträgern im Unternehmen unterbreitet.“ 7 In diesem Zusammenhang hat das betriebliche Rechnungswesen u.a. die Aufgabe, mindestens jährlich einen Jahresabschluss (Bilanz, Erfolgsrechnung und zum Teil Anhang) nach den gültigen handels- und steuerrechtlichen Vorschriften zu erstellen (Informations- und Rechenschaftslegungsaufgabe). Das Rechnungswesen hat auch eine Zahlungsbemessungsfunktion, denn auf der Basis der Ergebnisse des Jahresabschlusses wird die Höhe der möglichen Gewinnausschüttungen, der Steuerbelastung und oft auch der erfolgsabhängigen Vergütungen ermittelt. 8 Die Aufgaben der Überwachung und Kontrolle der Rentabilität, Wirtschaftlichkeit und der Zahlungsfähigkeit (Liquidität) sowie der Disposition des Unternehmens sind weitere zentrale Aufgaben des Rechnungswesens. Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben werden sowohl Daten als auch Instrumente aus der Kosten- und Leistungsrechnung, der Statistik, der Vergleichsrechnung und der Planungs- und Kontrollrechnung benötigt. Denn Planungen und Entscheidungen über zukünftige Aktionen (z.B. über Investitionen, Produktsortiments- oder Preisgestaltungen) können mit Hilfe von aufbereitetem Zahlenmaterial in der Regel besser getroffen werden (Planungsfunktion). Mit Hilfe von Soll-Ist-Vergleichen wird schließlich überprüft, ob die geplanten Ziele und Maßnahmen auch erreicht wurden (Kontrollfunktion). Allerdings gibt es nicht „das“ Rechnungswesen, sondern es wird vielmehr je nach Verwendungszweck der Informationen, der wiederum abhängig ist von der Rechtsform und der Organisationsstruktur 9 , sowie der „Stakeholder“ unterschiedlich ausgestaltet. 2.1.2 Buchführungspflicht „Jeder Kaufmann“ ist nach § 238 I HGB gesetzlich verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen die Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen. 10 Der handelsrechtlichen Buchführungspflicht (Doppelte Buchhaltung - Doppik = „Doppelte Buchführung in Konten“) unterliegen mithin gewerbetreibende Einzelunternehmen, wenn sie einen in kaufmännisch eingerichteten Gewerbebetrieb erfordern und sich nicht nach § 241a HGB von der Buchführungspflicht haben befreien lassen 11 , Personenhandelsgesellschaften, Kapitalgesellschaften und eingetragene Genossenschaften. Die Doppik kennt nicht nur Bestandskonten, sondern auch eigenständige Erfolgskonten (zweigeteiltes Rechnungswesen) und in der erweiterten Version (dreigeteiltes Rechnungswesen) auch Finanzkonten. 12 Nichtbuchführungspflichtige im Sinne der Doppik haben „nur“ eine einfache Buchhaltung anzuwenden und eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung (kurz: EÜR oder 4/ 3-Rechnung: § 4 III EStG) zu erstellen. Sie betrifft diejenigen Unternehmer, welche nicht per Gesetz zur Buchführung verpflichtet sind, sondern aus steuerlichen Gründen Aufzeichnungen erstellen müssen. Hierzu zäh- 7 Möller, H.P. / Hüfner, B. (2007), S. 4. 8 Vgl. Wöltje, J. (2016), S. 21. 9 Vgl. Möller, H.P. / Hüfner, B. (2007), S. 8f. 10 Wir gehen an dieser Stelle nicht weiter auf den Begriff und die Abgrenzung des Kaufmannsbegriffs und dem des Gewerbebetriebes nach § 15 II EStG ein, der davon zu unterscheiden ist, und verweisen auf die reichhaltige Literatur. Zum Kaufmannsbegriff § 1 HGB mit größenabhängigen Erleichterungen für Einzelkaufleute gem. § 241a HGB vgl. dazu im Überblick Buchholz, R. (2009), S. 6ff. 11 Einzelkaufleute, die an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren nicht mehr als jeweils 600 000 Euro Umsatzerlöse und jeweils 60 000 Euro Jahresüberschuss aufweisen, brauchen danach die §§ 238 bis 241 nicht anzuwenden. 12 Vgl. Schierenbeck, H / Wöhle, C.B. (2012), S. 599. <?page no="41"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 41 Neue Betriebswirtschaft len in der Regel Freiberufler, die Kleingewerbetreibenden und diejenigen Ist-Kaufleute, welche sich nach § 241a HGB von der Buchführungspflicht befreien lassen. Der wesentliche Unterschied zwischen der Gewinnermittlung durch Bilanzierung im Vergleich zur Gewinnermittlung im Rahmen einer Einnahme-Überschuss-Rechnung besteht darin, dass bei der Einnahme-Überschuss-Rechnung die Betriebsausgaben und Betriebseinnahmen in dem Jahr berücksichtigt werden, in dem sie zu- oder abgeflossen sind. Bei der Gewinnermittlung durch Bilanzierung wird nicht auf den Zahlungsabfluss abgestellt, sondern es gilt das Prinzip der wirtschaftlichen Zurechnung. Das bedeutet, dass die Betriebseinnahmen und die Betriebsausgaben in dem Wirtschaftsjahr zu berücksichtigen sind, in das sie wirtschaftlich gehören. 13 2.1.3 Teilgebiete des Rechnungswesens und deren Rechengrößen Je nach Teilgebiet des Rechnungswesens werden unterschiedliche Informationen nachgefragt und mit jeweils anderen Größen gerechnet. Gebiete des Rechnungswesens, die auf die Generierung von Informationen über Geldflüsse/ Liquidität ausgerichtet sind, erfordern eine Rechnung, die sich auf Zahlungsgrößen (und evtl. zahlungsäquivalente Größen) stützt. Dagegen müssen Teilgebiete, die über die Einkommenserzielung im Unternehmen informieren wollen, mit Erfolgsgrößen operieren. Aus der folgenden Graphik sind zunächst die Güter- und Finanzbewegungen in einer Unternehmung im Rahmen der Systemanalyse zu entnehmen: Abbildung 2-1: Überblick über die Güter- und Finanzströme im Unternehmen Unternehmen beschaffen sich Arbeitskräfte, Werkstoffe, Energie, Räume, Maschinen o.ä. am Markt (A), für die sie Gehälter, Kaufpreise oder Miete zahlen (1). Die eingekauften Güter (Rohstoffe, Maschinen) werden gelagert (Rohstofflager) bzw. im Fall der Anlagegegenstände benutzt (B), sodann in der Produktion verarbeitet (C). Die produzierten Waren werden, nachdem sie ggf. noch eingelagert werden (Erzeugnislager) (D), an den Absatzmarkt (E) abgegeben und führen zu Umsatzerlösen/ Einzahlungen (2). 13 Beispiel dazu unter http: / / www.existenzgruender.de/ DE/ Unternehmen-fuehren/ Unternehmenssteue rung/ Unternehmenszahlen-erfassen-Rechnungswesen/ Einfache-Buchfuehrung/ inhalt.html (abgerufen am 28.3.2018) A Beschaffungsmärkte Absatzmärkte Staat (Steuern, Gebühren, Subventionen etc.) Gesellschaft und Natur (Kultur, Normen und Werte, Bodenschätze, Boden, Emissionen etc.) Kredit- und Kapitalmärkte Input Output Produktionsprozess finanzielle Mittel 5 B C D E 1 3 2 4 <?page no="42"?> 42 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Unternehmen nehmen von außen Finanzierungsmittel auf, entweder in Form der Eigenfinanzierung (Einlagen von Einzelkaufleuten oder persönlich haftenden Personengesellschaftern, in Form von GmbH-Anteilen, Aktienemissionen, Genossenschaftsanteilen, Kommanditanteilen bei KGs) oder Fremdfinanzierung, wie z.B. Bankkredite, Wertpapieremissionen oder andere Kreditformen, oder aus Mezzaniner Finanzierung (bspw. Stille Gesellschaft, Genussrechte, nachrangige Darlehen). Hieraus resultieren Zahlungsströme (Zinsen, Gewinnausschüttungen, Kreditaufnahme, Tilgungen, Kapitaleinlagen) zwischen der Unternehmung und den Kredit- und Kapitalmärkten (3). Finanzmittel können umgekehrt aber auch bei Kreditinstituten, Versicherungen bzw. am Geld- oder Kapitalmarkt angelegt werden, z.B. in Form von Bankeinlagen, Kauf von Wertpapieren, wie Anleihen oder Aktien etc. (3). Finanzierungsbeziehungen zum Staat bestehen bei der Steuerzahlung und im Falle von Gebühren und Subventionen (4). Die Gesellschaft wie auch die Natur wirken sich in vielfältiger Weise auf die Leistungs- und Zahlungsströme in einer Unternehmung aus. Sollten sich Unternehmung bspw. nicht an Rechtsnormen und Werte der Gesellschaft halten, können direkte Strafzahlungen die Folge sein. Indirekt könnte dies über Reputationsverluste zu Einnahmeeinbußen oder Ausgaben führen (5). 14 Mit Hilfe des Rechnungswesens können je nach Teilgebiet unterschiedliche Informationen vermittelt werden. Mit einer periodenorientierten Erfolgsrechnung (Gewinn- und Verlustrechnung) wird das Ziel verfolgt, den Adressaten Informationen über die Einkommensentwicklung (d.h. die wirtschaftliche Entwicklung) des gesamten Unternehmens in einer Periode aus handelsrechtlicher Sicht (Einzelabschluss oder Konzernabschluss/ Handelsbilanz I und II) 15 zu geben. Hierbei stehen nicht allein die Geldflüsse, sondern auch Güterbewegungen im Blickpunkt. Für die Ermittlung der Erfolgsbesteuerung wird nicht die Handelsbilanz zu Grunde gelegt, sondern eine sog. Steuerbilanz erstellt. Die Steuerbilanz gleicht im Aufbau der Handelsbilanz, berücksichtigt allerdings spezielle steuerliche Sachverhalte. Darunter fallen beispielsweise steuerliche Abschreibungen, die u.a. aus wirtschaftspolitischen Gründen gewährt werden und entsprechend keinen tatsächlichen Werteverzehr abbilden (s. z.B. § 7 g und h EStG). 16 Bedingt durch den maßgeblichen Einfluss auf die Steuerlast des Unternehmens verwundert es nicht, dass innerhalb der Steuerbilanz ein möglichst geringer Gewinnausweis angestrebt wird. Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen kommt es häufig vor, dass lediglich eine Steuerbilanz erstellt wird. 17 Da diese Bilanz hinsichtlich steuerlicher Aspekte optimiert ist, kann es für das bilanzierende Unternehmen durchaus vorteilhaft sein, potenziellen Kreditgebern diese Art der Bilanzpolitik offenzulegen. Damit wird sichergestellt, dass z.B. die Hausbank über die Motivation eines möglichst geringen Gewinnausweises informiert ist und den betreffenden Jahresabschluss entsprechend interpretieren kann. Im Rahmen von zahlungsstromorientierten Liquiditäts-/ Finanzrechnungen wird aufgezeigt, ob die Unternehmung im Zuge ihrer gesamten Geschäftstätigkeit in der Lage ist, fristgerecht die Zahlungsansprüche Dritter bedienen zu können und damit eine Insolvenz (durch Zahlungsunfähigkeit) - Insolvenztatbestände sind Zahlungsunfähigkeit bzw. drohende Zahlungsunfähigkeit sowie bei 14 Vgl. zum Reputationsrisiko https: / / www.controlling-wiki.com/ de/ index.php/ Reputationsrisikomanage ment (abgerufen am 12.2.2018). 15 Zum Unterschied zwischen HB I und HB II vgl. Buchholz, R. (2009), S. 181. 16 Vgl. https: / / www.haufe.de/ unternehmensfuehrung/ profirma-professional/ sonderabschreibungvoraussetzungen-hoehe-und-buchung_idesk_PI11444_HI2808789.html (abgerufen am 12.2.2018). 17 Vgl. Schwamberger, G., http: / / www.di-vis.com/ flycms/ Herausforderungen+fuer+KMU+bei+der+ Jahresabschlusserstellung+durch+BilMoG+-+Teil+I-0137415255.html (abgerufen am 12.2.2018). <?page no="43"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 43 Neue Betriebswirtschaft Kapitalgesellschaften zusätzlich die Überschuldung - zu vermeiden. 18 Zweckmäßige Controllinginstrumente wären hierbei die Liquiditäts-, Kapitalfluss- und Investitionsrechnung. Die Kosten- und Leistungsrechnung (KLR), ausgestaltet als Planungs-/ Steuerungsbzw. Kontrollrechnung, ist i.d.R. einperiodig auf die sachzielbezogene Geschäftstätigkeit hin orientiert. Im Unterschied zum externen Rechnungswesen wird bei der KLR mit Erlösen und Kosten statt mit Erträgen und Aufwendungen operiert. Die folgende Übersicht zeigt die Systeme des Rechnungswesens: Abbildung 2-2: Systeme des Rechnungswesens. Quelle: Küting, P. / Lorson, P., 1998, S. 484. Die Abbildung 2-3 gibt einen Überblick über die jeweils geeigneten Rechengrößen bei den verschiedenen Teilgebieten des Rechnungswesens. Wie die Abbildung zeigt, werden Auszahlungen, Ausgaben, Aufwendungen und Kosten auf der einen Seite und Einzahlungen, Einnahmen, Erträge und Leistungen auf der anderen Seite unterschieden. Der Zahlungsmittelbestand (Fonds Liquide Mittel), bestehend aus Bargeld und Sichtguthaben bei Banken, wird durch Einzahlungen positiv und durch Auszahlungen negativ verändert. Die Stromgrößenrechnung hierfür wird als Kapitalfluss- oder Geldflussrechnung (Cash Flow-Rechnung) bezeichnet. Werden zum Zahlungsmittelbestand die Forderungen addiert und davon die Verbindlichkeiten abgezogen, so erhält man das Geldvermögen. Die dazugehörigen Stromgrößen heißen „Einnahmen“ und „Ausgaben“. Sie werden in der Finanzrechnung dargestellt. Addiert man zum Geldvermögen das sonstige Vermögen (Sachvermögen und bestimmte Finanzanlagen), so ergibt sich das Nettovermögen oder Reinvermögen. Eine Zunahme des Reinvermögens entsteht im Rahmen der Erfolgsrechnung (GuV) durch Erträge, eine Reduzierung durch Aufwendungen. Zu unterscheiden ist schließlich die Ebene der GuV von der Betriebsergebnisrechnung, die auf die Veränderung des Betriebsnotwendigen Vermögens fokussiert. Hinsichtlich der Stromgrößen wird hier von Kosten und Leistungen gesprochen. 18 Vgl. zu den Insolvenztatbeständen https: / / www.boeckler.de/ pdf/ mbf_rechtsfragen_kapitel7.pdf (abgerufen am 12.2.2018). <?page no="44"?> 44 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Abbildung 2-3: Grundbegriffe des Rechnungswesens im Kontext der Leistungserstellung Quelle: Wöltje, J., 2015, S. 27. Leistungen und Kosten sollen als Erfolgsgrößen das Management (interne Adressaten) bei Entscheidungen unterstützen. Man betrachtet daher in der Kosten- und Leistungsrechnung nur solche Änderungen des Reinvermögens, die betrieblich bedingt sind, d. h. durch die Erfüllung der gewöhnlichen Aufgaben des Betriebs (Herstellung und Absatz von Gütern und Leistungen) verursacht worden sind. Neutrale Aufwendungen und Erträge (z.B. betriebsfremder, außerordentlicher oder periodenfremder Aufwand) werden somit aus der GuV eliminiert. Zudem ist es zweckmäßig, auch Größen im Kalkül zu berücksichtigen, die nicht Ertrag oder Aufwand sind, sog. kalkulatorische Leistungen und Kosten. Letzteres erlangt insbesondere bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften Bedeutung, die Leistungen der Unternehmer/ Gesellschafter für das Unternehmen nicht als Aufwand erfassen können. Kalkulatorische Kosten sind Positionen, die nur innerhalb des internen Rechnungswesens berücksichtigt werden. Dazu zählen z.B. entgangene Zinsen auf das für die Unternehmung eingesetzte Kapital. Würde der Gesellschafter einer GmbH das eingezahlte Stammkapital alternativ z.B. auf einem Tagesgeldkonto anlegen, könnten Zinseinkünfte erzielt werden. Diese entgangenen Zinserträge auf das Eigenkapital eines Unternehmens bezeichnet man als kalkulatorische Zinsen. 19 Analog spricht man von kalkulatorischen Wagnissen für die Vergütung des Risikos der Unternehmenstätigkeit sowie kalkulatorischen Abschreibungen für die, unabhängig von gesetzlichen 19 Vgl. Bleis, C. (2009), S. 19ff. <?page no="45"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 45 Neue Betriebswirtschaft Vorgaben, den tatsächlichen Werteverzehr abbildenden Abschreibungen. Weiterhin sind bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften kalkulatorische Mieten und kalkulatorische Unternehmerlöhne zu berücksichtigen. Bsp. Kalkulatorischer Unternehmerlohn und kalkulatorische Miete Beispielsweise möchte ein Einzelunternehmer für seine Tätigkeit im eigenen Betrieb eine angemessene Entlohnung erzielen. Immerhin hätte er alternativ auch als Angestellter in einer vergleichbaren Managerposition in einem anderen Unternehmen tätig werden können. Würde ein derartiger kalkulatorischer Unternehmerlohn (kalkulatorische Kosten) nicht bei der Preissetzung berücksichtigt, würde der Unternehmer unter Umständen nicht genügend Zahlungsüberschüsse im Monat erwirtschaften, um sich eine angemessene Entlohnung für seine Tätigkeit entnehmen zu können. Stellt ein Einzelunternehmer oder ein Gesellschafter einer Gesellschaft dem Unternehmen Räume oder ein Gebäude unentgeltlich zur Verfügung, dann sollte die dafür ortsübliche Miete als kalkulatorische Miete in die Kostenrechnung einfließen. Damit wird sichergestellt, dass im Falle einer Änderung dieses Umstandes, die Mietkosten auch in der Kalkulation berücksichtigt sind. Aus der folgenden Tabelle gehen die positiven und negativen Stromgrößen als auch die Größen der Bestandsrechnung der in der Tabelle beschriebenen Ebenen (mit deren Rechnungen) hervor: Stromgrößen (Zunahme; +) Stromgrößen (Abnahme; -) Stromgrößenrechnung Bestandsrechnung Einzahlung Auszahlung Liquiditäts-/ Kapitalflussrechnung (KFR) Bargeld + Sichtguthaben = Zahlungsmittelbestand (Liquide Mittel) Einnahme Ausgabe Finanzierungsrechnung Zahlungsmittelbestand + Forderungen - Verbindlichkeiten = Geldvermögen Ertrag Aufwand Erfolgsrechnung (GuV) Geldvermögen + sonst. Vermögen = Nettovermögen (Reinvermögen) Leistung Kosten Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) (Betriebsergebnisrechnung) Reinvermögen - nicht betriebsnotwendiges Vermögen = betriebsnotwendiges Vermögen Abbildung 2-4: Stromgrößen des Rechnungswesens Quelle: Wöltje, J., 2015, S. 28f.; Schmidt, M. (Hrsg.) / Auer, B. / Schmidt, P., 2012, S. 4. Die vier Ebenen überschneiden sich zum Teil, zum Teil aber sind sie auch nicht deckungsgleich (siehe Abbildung 2-5). So gibt es Auszahlungen, die gleichzeitig Ausgaben sind (z.B. Barkauf von Waren), es gibt aber auch Auszahlungen, die keine Ausgaben sind (z.B. Zahlung einer Rechnung über in der Vorperiode gekaufte Waren) sowie Ausgaben, die keine Auszahlungen darstellen (z.B. Zielkauf von Waren). Ausgaben, die gleichzeitig Aufwendungen sind, wären bspw. Kauf von Rohstoffen zum sofortigen Verbrauch in der Produktion. Ausgaben, die keine Aufwendungen sind: Kauf von Rohstoffen auf Lager zum Verbrauch in späteren Perioden. Der Materialverbrauch aus Lagerbeständen wären Aufwendungen, die keine Ausgaben darstellen. Nachfolgend werden weitere Beispiele zu den Begriffsabgrenzungen aufgeführt. 20 20 Quelle: http: / / www.eduhi.at/ dl/ grundbegriffe_RW_fh_wedel.pdf (abgerufen am 3.4.2018) <?page no="46"?> 46 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Auszahlungen Auszahlung 6 Ausgabe Auszahlung = Ausgabe Ausgabe 6 Auszahlung Zahlung einer Rechnung über in der Vorperiode gekaufte Rohstoffe Barkauf von Rohstoffen Zielkauf von Rohstoffen Ausgaben Ausgabe 6 Aufwand Ausgabe = Aufwand Aufwand 6 Ausgabe Kauf von Rohstoffen auf Lager (Verbrauch in späteren Perioden) Kauf von Rohstoffen zum sofortigen Verbrauch Materialverbauch aus Lagerbeständen Aufwand Aufwendungen, die keine Kosten sind / neutraler Aufwand Zweckaufwand / Grundkosten Kosten, denen kein Aufwand gegenübersteht / Zusatzkosten Betriebsfremder Aufwand (z.B. Spenden) Periodenfremder Aufwand (z.B. Steuernachzahlungen aus früheren Jahren) Außerordentlicher Aufwand (Brandschaden, Veräußerungsverluste von Sachanlagen) Rohstoffeinsatz, Energieaufwendungen, Versicherungsaufwendungen u.v.a. Kalkulatorische Miete und kalkulatorischer Unternehmerlohn Kosten Abbildung 2-5: Begriffsabgrenzungen mit Beispielen (I) Einzahlungen Einzahlung 6 Einnahme Einzahlung = Einnahme Einnahme 6 Einzahlung Zahlung für Erzeugnisse, die in der Vorperiode an den Kunden abgegeben wurden Barverkauf von Erzeugnissen Zielverkauf von Erzeugnissen Einnahmen Einnahme 6 Ertrag Einnahme = Ertrag Ertrag 6 Einnahme Anzahlung für Erzeugnisse, die erst in einer späteren Periode erstellt werden Verkauf von Erzeugnissen, die in der Periode erstellt wurden Produktion von Erzeugnissen auf Lager <?page no="47"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 47 Neue Betriebswirtschaft Ertrag Erträge, die keine Leistungen sind/ neutraler Ertrag Zweckertrag / Grundleistung Leistungen, denen kein Ertrag gegenübersteht / Zusatzleistungen Betriebsfremder Ertrag (z.B. Verkauf eines nicht betrieblich genutzten Grundstücks über Buchwert) Periodenfremder Ertrag (z.B. Steuerrückzahlungen) Außerordentlicher Ertrag (z.B. Versicherungsentschädigungen für Brandschaden) Erträge aus betriebsbedingter Tätigkeit (Verkauf von betrieblichen Erzeugnissen) Differenz zwischen Wertansatz für Bestände in Kostenrechnung und Bilanz Leistungen Abbildung 2-6: Begriffsabgrenzungen mit Beispielen (II) Übung: Handelt es sich bei den folgenden Geschäftsvorfällen um Ausgaben, Aufwendungen oder um beides? Geschäftsvorfall Ausgabe/ Auszahlung Aufwand beides a) Lohnzahlung b) Zahlung von Zinsen c) Aufnahme eines Darlehens d) Rückzahlung eines Bankkredits e) Rückzahlung von Eigenkapital an ausscheidenden Gesellschafter f) Buchung einer Rückstellung g) Barankauf von Material h) Abschreibung einer Maschine i) Verarbeitung von aus dem Lager entnommenen Materials 2.2 Inventur, Bilanz und Bilanzaufbau 2.2.1 Inventur und Inventar Jeder Kaufmann hat gem. § 240 I und II HGB zu Beginn seines Handelsgewerbes sowie immer zum Schluss eines jeden Geschäftsjahres (welches 12 Monate nicht überschreiten darf) „seine Grundstücke, seine Forderungen und Schulden, sein bares Geld sowie seine sonstigen Vermögensgegenstände genau zu verzeichnen und dabei den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden anzugeben“. <?page no="48"?> 48 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Um ein solches Inventar erstellen zu können, bedarf es vorab der Erfassung der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden im Rahmen einer Inventur. Inventur bedeutet, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Wirtschaftsgüter des Unternehmens durch Zählen, Messen oder Wiegen im Rahmen einer körperlichen Bestandsaufnahme unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Inventur (GoI) erfasst werden. Zu den GoI, die sich aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchhaltung ableiten lassen, zählen die Grundsätze der Vollständigkeit ( = § 246 I HGB), Richtigkeit, Einzelerfassung und Einzelbewertung (Ausnahmen: Fest- und Gruppenbewertung gem. § 240 III u. IV HGB), Nachprüfbarkeit und Klarheit. 21 Die mit der Inventur verbundenen Ziele sind, die tatsächlichen Bestände zu erfassen, Mengen zu kontrollieren und Werte zu überprüfen und mit den Buchbeständen der Konten („der EDV“) abzustimmen und ggf. zu bereinigen. 22 ( = = Kontrollfunktion der Inventur). Alle Wirtschaftsgüter, welche nicht physisch ermittelt werden können, wie beispielsweise Forderungen und Verbindlichkeiten, ergeben sich regelmäßig aus den Zahlen in der Buchführung und werden dort entnommen. Die Buchbestände werden dann mit den tatsächlichen Verhältnissen (z.B. durch Saldenbestätigungen) abgeglichen. In diesem Zusammenhang spricht man von einer Buchinventur. Im Rahmen der Inventursysteme wird hinsichtlich des Umfangs der Bestandsaufnahme die vollständige von der Stichprobeninventur (§ 241 I HGB) unterschieden, bzgl. des Zeitpunktes der Bestandsaufnahme wird die klassische bzw. die zeitnahe bzw. ausgeweitete Stichtagsinventur (§ 240 I und II HGB), die zeitlich vor- oder nachverlegte Stichtagsinventur (§ 241 III HGB) und die permanente Inventur (§ 241 II HGB) differenziert. 23 Nachfolgend ist noch einmal der Weg von der Tätigkeit der Inventur über das Inventar zur Bilanz - auf die wir jetzt näher eingehen wollen - dargestellt. Abbildung 2-7: Von der Inventur zur Bilanz 24 21 Vgl. Scheffler, W. / Köstler, C. / Oßmann, S. (2012), S. 22. 22 Abweichungen zwischen Buchbestand und Inventur können sich ergeben aus Fehlern bei der Ein- und Auslagerung, aus Buchungsfehlern, aus Alterung und Verderb, Schwund und Diebstahl oder unberechtigten Entnahmen. 23 Vgl. hierzu im Einzelnen https: / / axel-schroeder.de/ die-inventur-arten-durchfuehrung-fallstricke/ (abgerufen am 5.12.2017). 24 Quelle: https: / / www.wiwiweb.de/ externes-rechnungswesen/ buchfuehrung/ bilanz/ gliederung-der-bilanz. html (abgerufen am 3.4.2018) <?page no="49"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 49 Neue Betriebswirtschaft 2.2.2 Bilanzinhalt und Bilanzstruktur Die Bilanz liefert eine „schnelle Übersicht über die am (Inventur-)Stichtag vorhandenen Bestände“. Sie ist eine verdichtete Abschrift des Inventars, dessen Bedeutung dagegen vor allem in der mengenmäßigen (Einzel)Darstellung der im Unternehmen vorhandenen Vermögensgegenstände und Schulden liegt. 25 In der Bilanz dürfen grundsätzlich nur die Vermögenswerte und Schulden abgebildet werden, welche betrieblich veranlasst sind. Das bedeutet, die Vermögensgegenstände und Schulden müssen zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehören. Vermögenswerte, welche beispielsweise zum Privatvermögen des Unternehmers gehören, dürfen nicht in der Bilanz erscheinen. Die Aktivseite der Bilanz (linke Seite des Bilanzkontos) repräsentiert die Vermögensgegenstände, die sich im wirtschaftlichen Eigentum des Kaufmanns befinden. Anhand der rechten Seite (Passiva) ist zu erkennen, welche Kapitalgeber (Gläubiger: Fremdkapital, Eigentümer: Eigenkapital) die unternehmerische Tätigkeit ermöglichen. Die Aktivseite zeigt also die Mittelverwendung , die Passivseite die Mittelherkunft. Abbildung 2-8: Bilanz - Mittelherkunft und Mittelverwendung Eine Bilanz (ital. bilancia = Balkenwaage) muss stets im Gleichgewicht sein. Die Summe aller Aktiva (Vermögen = Anlagevermögen + Umlaufvermögen) muss der Summe aller Passiva (Kapital = Eigenkapital + Fremdkapital) entsprechen. Vermögen und Kapital müssen der Höhe nach gleich sein, da schließlich alles Vermögen, das ein Unternehmen besitzt, den Mitteln der Eigen- oder Fremdkapitalgeber entstammen muss. Aus diesem Gleichgewicht lässt sich die allgemeine Beziehung Eigenkapital = Vermögen - Fremdkapital ableiten ( = Definition für Reinvermögen). Nach § 247 I HGB sind in der handelsrechtlichen Bilanz das Anlage- und das Umlaufvermögen, das Eigenkapital, die Schulden sowie die Rechnungsabgrenzungsposten gesondert auszuweisen und hinreichend aufzugliedern. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Transparenz werden die Vermögensgegenstände auf der Aktivseite nach dem Grad ihrer Liquidierbarkeit geordnet. Das bedeutet, dass alle Vermögensgegenstände, die sich weniger zeitnah in Barkapital umwandeln lassen, auf der Aktivseite ganz oben stehen, wie beispielsweise Grundstücke und Gebäude. Alle Vermögensgegenstände, welche sich sehr zeitnah in Barliquidität umwandeln lassen, stehen ganz unten auf der Aktivseite. Dies sind vor allem die Guthaben der Kasse und der Bankkonten. Nach § 247 II HGB gehören nur die Gegenstände, die bestimmt sind, dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen („gebraucht werden“), zum Anlagevermögen. Es setzt sich zusammen aus (1) Immaterielle Vermögensgegenstände: z.B. Konzessionen, derivativer Firmenwert, geleistete Anzahlungen; (2) Sachanlagen: z.B. Grundstücke und Bauten, technische Anlagen und Maschinen, Betriebs- 25 Schneider, W. (2008), S. 47. Aktiva Passiva Mittelherkunft - Eigentümer - Gläubiger Mittelverwendung - Anlagevermögen - Umlaufvermögen <?page no="50"?> 50 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft und Geschäftsausstattung; (3) Finanzanlagen: z.B. Teilhaberpapiere (z.B. Beteiligungen, Anteile an verbundenen Unternehmen) und Gläubigerpapiere (Fremdkapital; befristet, verzinslich). Werden immaterielle Posten entgeltlich erworben, besteht eine Ansatzpflicht. Um einen selbst geschaffenen immateriellen Vermögensgegenstand nach § 248 II S. 1 HGB ansetzen zu können, muss der Posten zuerst die Merkmale eines Vermögensgegenstandes 26 aufweisen, insbesondere eigenständige Bewertbarkeit und Verwertbarkeit der aktivierten Aufwendungen, d.h. auf Dritte übertragbar sein. Für selbst geschaffene Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten oder vergleichbare Vermögensgegenstände des Anlagevermögens besteht nach § 248 II S. 2 HGB ein Aktivie ru ng sv erbot . Di e Her stell un g der a rt ig e r imma te riel ler Ve rm ög ens ge ge ns tänd e ist d esh al b stets sofort aufwandswirksam. Während für derivative Geschäfts- / Firmenwerte 27 eine Ansatzpflicht besteht (gesetzliche Fiktion eines Vermögensgegenstandes gem. § 246 I S. 4 HGB), gilt für den originären, d.h. selbst geschaffenen Geschäfts- / Firmenwert - obwohl seine Bestandteile sonstige wirtschaftliche Vorteile darstellen - ein Ansatzverbot. Umlaufvermögen ist die Sammelbezeichnung für Vermögensgegenstände, die nicht dazu bestimmt sind, dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen („verbraucht werden“) und nicht Posten der Rechnungsabgrenzung sind. Hierzu gehören: Vorräte, Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände, Wertpapiere, Schecks, Kassenbestände, Guthaben bei Kreditinstituten. Wertpapiere gehören nur zum Umlaufvermögen, wenn sie zur Veräußerung oder als kurzfristige Liquiditätsreserve bestimmt sind; andernfalls sind sie im Anlagevermögen auszuweisen. Ob nun z.B. ein Wertpapier im Anlagevermögen oder im Umlaufvermögen bilanziert werden muss, ist von der bei Kauf des Wertpapiers beabsichtigten Haltedauer abhängig. Die Wertpapiere, welche kurz nach Erwerb wieder veräußert werden sollen, werden im Umlaufvermögen bilanziert. Soll das Wertpapier jedoch langfristig dem Betrieb des Unternehmers dienen, wird dieses dem Anlagevermögen zugeordnet. Zum Bilanzstichtag muss der Unternehmer jede einzelne Forderung überprüfen, ob diese noch werthaltig und einbringlich ist. Sollte dies nicht der Fall sein, muss die Forderung zum Bilanzstichtag in ihrem Wert entsprechend nach unten korrigiert werden. Zur Buchführung verpflichtete Unternehmer dürfen - worauf später noch ausführlicher eingegangen wird - nur die Erträge und Aufwendungen in der Buchführung erfassen, welche in ihrer wirtschaftlichen Verursachung in dem betreffenden Jahr liegen. ( = Grundsatz der periodengerechten Gewinnermittlung , § 252 I Nr. 5 HGB). Gehören Aufwendungen und Erträge teilweise in ein anderes Jahr als das Jahr der Zahlung, so müssen diese anteilig auf die Jahre ihrer wirtschaftlichen Verursachung aufgeteilt werden. Es muss also eine wirtschaftliche Abgrenzung vorgenommen werden. ( = Rechnungsabgrenzungsposten). Die Passivseite der Bilanz zeigt die Schulden und das Eigenkapital des Unternehmers. Das Eigenkapital zeigt das (Rein-)Vermögen, welches sich ergibt, wenn alle Vermögenswerte der Aktivseite aufsummiert und davon die Summe der auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesenen Schulden subtrahiert werden. Im Hinblick auf das Eigenkapital wirken sich bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften neben dem Einfluss des Jahresüberschusses insbesondere die Einlagen und Entnahmen der Eigentümer auf den Endbestand des Eigenkapitals aus. 26 Vgl. hierzu Buchholz, R. (2009), S. 38. Kriterien wären wirtschaftlicher Vorteil, selbständige Bewertbarkeit und selbständige Verwertbarkeit. 27 Sie entstehen, wenn ein ganzes Unternehmen entgeltlich erworben wird und der Kaufpreis den Wert des bilanziellen Eigenkapitals (z.B. aufgrund stiller Reserven oder dem Vorhandensein immaterieller Faktoren) übersteigt. <?page no="51"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 51 Neue Betriebswirtschaft Aktiva Passiva A. Anlagevermögen B. Umlaufvermögen C. Rechnungsabgrenzung D. Aktiver Unterschiedsbetrag aus Vermögensmehrung A. Eigenkapital Anfangsbestand + Einlagen + Jahresüberschuss - Entnahmen = Endbestand B. Fremdkapital C. Rechnungsabgrenzung Mittelverwendung Mittelherkunft Das dargestellte Beispiel zeigt das Eigenkapital für ein Einzelunternehmen bzw. eine Personengesellschaft. Bei Kapitalgesellschaften untergliedert sich das Eigenkapital wie folgt: Aktiva Passiva A. Anlagevermögen B. Umlaufvermögen C. Rechnungsabgrenzung D. Aktive latente Steuern E. Aktiver Unterschiedsbetrag aus Vermögensmehrung A. Eigenkapital Gezeichnetes Kapital Kapitalrücklagen Gewinnrücklagen Gewinnvortrag/ Verlustvortrag Jahresüberschuss/ Jahresfehlbetrag B. Fremdkapital C. Rechnungsabgrenzung D. Passive latente Steuern Mittelverwendung Mittelherkunft Das gezeichnete Kapital wird bei Aktiengesellschaften als Grundkapital, bei GmbH als Stammkapital bezeichnet. In die Kapitalrücklage wird bei Aktiengesellschaften vornehmlich das für Aktien über den Nennwert hinausgehende Aufgeld (sog. Agio) eingestellt. Bei GmbH sind z.B. Zuzahlungen von Gesellschaftern in das Eigenkapital (§ 272 HGB) unter den Kapitalrücklagen auszuweisen. Die Verbindlichkeiten werden nach ihrer Laufzeit unterschieden und nach § 266 HGB in die folgenden Einzelpositionen unterteilt: [1] Anleihen [2] Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten [3] Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen [4] Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung [5] Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen [6] Sonstige Verbindlichkeiten (beispielsweise aus Steuern oder sozialer Sicherheit) <?page no="52"?> 52 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Um einen vollständigen Ausweis der Schulden eines Unternehmens sicher zu stellen, sind neben den Verbindlichkeiten, wie z.B. Darlehensverpflichtungen, auch Schulden abzubilden, die zwar wahrscheinlich, hinsichtlich Höhe und / oder Fälligkeitstermin aber noch ungewiss sind. Steht für den Unternehmer vor Erstellung seiner Schlussbilanz auf den 31.12. des jeweiligen Jahres fest, dass er im Folgejahr oder in den Folgejahren mit hoher Wahrscheinlichkeit Zahlungen aus Verpflichtungen zu leisten hat, deren Höhe jedoch zum Bilanzstichtag noch nicht abschließend feststehen, bucht er in der voraussichtlich zu erwartenden Höhe eine Rückstellung in die Bilanz ein. Eine Auswahl derart ungewisser Verpflichtungen ist nachfolgend aufgeführt: bürgerlich-rechtliche Verpflichtungen Pensionen Drohverluste Garantieleistungen mit rechtlicher Verpflichtung Prozesskosten öffentlich-rechtliche Verpflichtungen Sozialplanverpflichtungen Steuerzahlungen wirtschaftliche Verpflichtungen Garantieleistungen ohne rechtliche Verpflichtung Obwohl über die definitiven Eigenschaften der Schuld also noch keine Gewissheit besteht, gebietet die kaufmännische Vorsicht dennoch die Erfassung über eine Rückstellung. Der Aufwand wird gewissermaßen von der Periode des Mittelabflusses (z.B. Ersatzleistung an den Kunden) in die Entstehungsperiode (z.B. Auslieferung eines fehlerhaften Produkts) vorgezogen. Gewinnrücklagen basieren demgegenüber nicht auf antizipierten Aufwand, sondern auf thesaurierten Gewinnen. Diese, nicht an die Anteilseigner ausgeschütteten, Gewinne verbleiben im Unternehmen und dienen z.B. der Selbstfinanzierung. Neben den offenen Rücklagen, worunter auch die Gewinnrücklagen fallen, gibt es noch sog. stille Rücklagen, die auch als stille Reserven bezeichnet werden. Während die offenen Rücklagen der Bilanz entnommen werden können, entstehen stille Rücklagen durch eine (für Außenstehende nicht ersichtliche) Überbewertung der Schulden bzw. Unterbewertung des Vermögens. Es werden folglich Gewinnbestandteile als Aufwand deklariert, um die entsprechenden finanziellen Gegenwerte im Unternehmen zu binden. Mit Hilfe eines Rechnungsabgrenzungspostens soll eine korrekte Ermittlung des Periodengewinns ermöglicht werden. Dafür müssen die Aufwendungen und Erträge der Periode zugeordnet werden, in der sie verursacht worden sind. Es muss eine periodengerechte Abgrenzung nach § 252 I Nr. 5 HGB stattfinden. (s. dazu Ausführungen w.u. zur periodengerechten Gewinnermittlung). Latente Steuern entstehen immer dann, wenn es in der Handelsbilanz im Vergleich zur Steuerbilanz zu unterschiedlich hohen Ansätzen von Vermögenswerten oder Schulden kommt. Dadurch ergibt sich ein unterschiedlicher Gewinn in beiden Bilanzen. Dieser wird dann durch die Positionen „aktive latente Steuern“ und „passive latente Steuern“ wieder ausgeglichen. 28 28 Vgl. zu einem Beispiel Buchholz, R. (2009), S. 132ff. <?page no="53"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 53 Neue Betriebswirtschaft Für aktive latente Steuern besteht ein Ansatzwahlrecht in der Handelsbilanz. Bei Ausweis unterliegen sie nach § 268 VIII HGB einer Ausschüttungssperre (soweit sie passive latente Steuern übersteigen). Laut § 274 a Nr. 4 HGB sind von dieser Vorschrift lediglich mittlere und große Kapitalgesellschaften betroffen. Nach 274 HGB müssen große und mittelgroße Kapitalgesellschaften passive latente Steuern als solche in der Bilanz ausweisen. Kleine Kapitalgesellschaften sowie Einzelunternehmen und Personengesellschaften haben dem § 249 I HGB folgend passive latente Steuern als Steuerrückstellungen auszuweisen. Die nachfolgende Abbildung zeigt die Grobstruktur einer Handelsbilanz nach § 266 HGB: Abbildung 2-9: Grobstruktur einer Bilanz nach HGB Die ausführliche Bilanzgliederung, die gem. § 266 HGB für große und mittelgroße Kapitalgesellschaften vorgesehen ist, ist aus der Anlage ersichtlich. Nach § 266 HGB ist die Bilanz in Kontenform zu erstellen. Hierbei ist neben den jeweiligen Posten auch auf die Reihenfolge zu achten. Aber es gibt die Möglichkeit von Erleichterungen, so dass nur eine verkürzte Bilanz zu erstellen ist. Bei der verkürzten Bilanz wird nur bis auf die 2. Ebene unterteilt (Buchstaben sowie römische Zahlen). Die ungekürzte Bilanz enthält in der 3. Ebene eine genauere Unterteilung. 2.2.3 Fallbeispiel zur Gründungsbilanz Wir betrachten die Karl‘s-Horst-GmbH, deren Gesellschafter im Jahr t0 Finanzmittel als Eigenkapital in Höhe von 40.000 € in die Firma einbringen. Zusätzlich nimmt die GmbH noch ein Darlehen in Höhe von 35.000 € bei der OSW-Volksbank eG auf. Mit diesem Kapital finanziert sie den Kauf von Maschinen (Sachanlagen) und Waren, die sie in der nächsten Periode t1 verkaufen möchte. Die Bilanz am 31.12.t0 hat folgendes Aussehen: <?page no="54"?> Neue Betriebswirtschaft Tabelle 2-1: Bilanz am 31.12.t0 (Gründungsbilanz) Aktiva Bilanz 31.12.t0 Passiva Sachanlagen 67.000 € 40.000 € Eigenkapital (EK) Waren 5.000 € 35.000 € Bankdarlehen Kasse 3.000 € - € Bilanzsumme 75.000 € 75.000 € Bilanzsumme Die Liquiden Mittel setzen sich (als sog. „Fonds“) 29 aus der Summe des Kassenbestands, der jederzeit verfügbaren Bankguthaben und evtl. weiterer geldnaher Vermögensgegenstände (z.B. Schecks und kurzläufiger Wertpapiere) zusammen. Jeder Vorgang, bei dem diese Liquiden Mittel zunehmen, ist eine Einzahlung, jeder Vorgang, der zu einer Abnahme dieses Fonds führt, ist eine Auszahlung (s.o. S. 43). Das Geldvermögen wird aus der Summe der Liquiden Mittel, den Forderungen sowie dem sonst. Finanzvermögen (ohne Wertpapiere, die bei dem Fonds der Liquiden Mittel schon zugerechnet wurden) abzüglich dem Fremdkapital (hier: Bankdarlehen) gebildet. Als Einnahme wird jeder Geschäftsvorfall bezeichnet, der zu einer Geldvermögenszunahme und Ausgabe, der zu einer Abnahme führt. Dieses Geldvermögen wird negativ, wenn das Fremdkapital größer ist als die positiven Bestandteile. Bei der Ermittlung von Einnahmen und Ausgaben werden also nicht nur Veränderungen des Bestandes an Zahlungsmitteln berücksichtigt, sondern ebenso Vorgänge, bei denen heute bereits rechtlich ein Anspruch (Forderung) auf den künftigen Erhalt von Finanzmitteln bzw. eine Verpflichtung (Verbindlichkeit) zu einem künftigen Abfluss von Zahlungsmitteln begründet wird (z.B. Zieleinkäufe und Zielverkäufe). Als Netto- oder Reinvermögen wird schließlich die Summe aus Geldvermögen und sonstigen Vermögen bezeichnet. Zum sonstigen Vermögen zählt jenes Vermögen, das in Geldvermögen noch nicht berücksichtigt ist, das wäre Immaterielles Vermögen, Sachanlagevermögen und sonstiges Umlaufvermögen. Zunächst wird von erfolgswirksamen Geschäftsvorfällen abgesehen. In unserem Fall der Karl´s-Horst-GmbH belaufen sich die Liquiden Mittel auf 3.000 €, das Geldvermögen (Kasse - Bankdarlehen) beträgt -32.000 € und das Eigenkapital = Reinvermögen auf 40.000 €. 2.3 Erfolgsunwirksame Geschäftsvorfälle, Veränderung der Bilanz und laufende Kontenbuchhaltung Der Gesetzgeber schreibt zwar keine konkrete Ausgestaltung der Buchführung vor, er hat gleichwohl Rahmenbedingungen genannt, die bei der Buchführung zu beachten sind. So müssen die Bücher nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) geführt werden (§ 238 I S. 1 HGB). Die GoB sind ein „allgemein anerkanntes, über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehendes Ordnungssystem von Regeln, die angeben, wie Bücher zu führen sind und wie die Erstellung des Inventars und des Jahresabschlusses zu erfolgen hat.“ 30 Es werden Dokumentationsgrundsätze (z.B. Belegprinzip; systematischer Aufbau der Buchführung; vollständige und verständliche Auf- 29 Es können auch andere „Fonds“ gebildet werden, z.B. den Fonds der bald verfügbaren Mittel. 30 Scheffler, W. / Köstler, C. / Oßmann, S. (2012), S. 9. 5 Uwe Christians <?page no="55"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 55 Neue Betriebswirtschaft zeichnung der Geschäftsvorfälle; Aufbewahrungsfristen gem. § 257 I HGB), Systemgrundsätze (Going concern-Prinzip; Grundsatz der Einzelerfassung und -bewertung; Pagatorikprinzip), das Vorsichtsprinzip i.w.S. und Rahmengrundsätze unterschieden. 31 Die Buchführung muss danach so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann (§ 238 I S. 2 HGB). Des Weiteren müssen sich die Geschäftsvorfälle in ihrer Entstehung und Abwicklung nachvollziehen lassen (§ 238 I S. 3 HGB). Und zwar gem. § 239 I HGB in einer „lebenden Sprache“. Gem. § 239 II HGB sind die Eintragungen in die Handelsbücher vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet durchzuführen. Nach § 239 III HGB muss der ursprüngliche Inhalt feststellbar bleiben. Die Rahmengrundsätze lassen sich differenzieren in den Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit, der Richtigkeit (Bilanzwahrheit), der Vollständigkeit, der Vergleichbarkeit (Bilanzidentität, Bilanzstetigkeit) und der Wirtschaftlichkeit (Wesentlichkeit, Relevanz). 32 Jeder Geschäftsvorfall ist im Rahmen der handelsrechtlichen Buchführungspflicht zu dokumentieren (§§ 238-263 HGB). Geschäftsvorfälle können entweder gleichzeitig auf der Aktivsowie der Passivseite der Bilanz oder nur auf einer der beiden Seiten Veränderungen hervorrufen. Jede Verbuchung eines Geschäftsvorfalles verändert die Bilanzstruktur. 2.3.1 Vier Grundtypen der Bilanzveränderung am Fallbeispiel In Abhängigkeit davon, welche Bilanzseiten verändert werden, wird zwischen vier Grundtypen von Geschäftsvorfällen unterschieden. Im Falle des Aktivtauschs / Passivtauschs vergrößert sich ein Aktivposten / Passivposten, ein anderer verringert sich. Bei einer Bilanzverlängerung vergrößern sich Aktiv- und Passivposten zugleich, während dies bei einer Bilanzverkürzung umgekehrt ist: Aktivposten Passivposten Bilanzsumme Aktivtausch + unverändert unverändert Passivtausch unverändert + unverändert Bilanzverlängerung + + + Bilanzverkürzung - - - Abbildung 2-10: Vier Grundtypen von Geschäftsvorfällen Im Folgenden wurden die vier typischen GF beispielhaft dargestellt. Zunächst noch einmal die Anfangsbilanz zum 1.1.t1: Tabelle 2-2: Beispiel Anfangsbilanz 1.1.t1 Aktiva Anfangsbilanz 1.1.t1 Passiva Sachanlagen 67.000 € 40.000 € Eigenkapital Waren 5.000 € 35.000 € Bankdarlehen Kasse 3.000 € - € Bilanzsumme 75.000 € 75.000 € Bilanzsumme 31 Vgl. ebd. S. 10 32 Vgl. ebd. S. 11. <?page no="56"?> 56 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Im ersten GF (Aktivtausch) wurden aus der Kasse auf das Bankgirokonto 2.500 € eingezahlt. Der Buchungssatz lautet: GF 1: Bankkonto an Kasse 2.500 € Der zweite GF (Aktiv-Passiv-Mehrung/ Bilanzverlängerung) werden Waren für 3.500 € auf Kredit eingekauft (Gegenkonto: Verb. aus Lieferungen und Leistungen). GF 2: Waren an Verb. LuL 3.500 € Im dritten GF (Aktiv-Passiv-Minderung / Bilanzverkürzung) werden 2.000 € per Bank zurückgezahlt, wodurch sich die Verb.LuL verringern. GF 3: Verb. LuL an Bank 2.000 € Schließlich werden im vierten GF (Passivtausch) die Verb. LuL in Bankdarlehen umgewandelt. GF 4: Verb. LuL an Darlehen 1.500 €. Auf der linken Seite ist die jeweilige Bilanz nach den Geschäftsvorfällen (GF) zu finden. Auf der rechten Seite wird parallel noch einmal die Bilanz abgetragen. Es wird dort jedoch dargestellt, welchen Stand die Liquiden Mittel, das Geldvermögen und das Reinvermögen nach den jeweiligen GF aufweisen. Die GuV wurde hier noch nicht berührt, weil es sich jedes Mal um erfolgsunwirksame GF handelte. Deshalb hat sich auch das Reinvermögen in keinem der Fälle geändert. Tabelle 2-3: Beispiel Bilanzen: vier klassische Geschäftsvorfälle Aktiva Bilanz (GF1) Passiva GF 1 (Aktivtausch) Bilanz Liquide Mittel (+/ -) 3.000 € Sachanlagen 67.000 € 40.000 € EK sonst. Finanzvermögen (+/ -) 0 Waren 5.000 € 35.000 € Darlehen Forderungen (+/ -) 0 Bank 2.500 € Fremdkapital (-/ +) 35.000 € Kasse 500 € - € = Geldvermögen - 32.000 € BS 75.000 75.000 BS sonst. Vermögen (+/ -) 72.000 € = Nettovermögen / Reinvermögen 40.000 € Aktiva Bilanz (GF2) Passiva GF 2 (A-P-Mehrung) Bilanz Liquide Mittel (+/ -) 3.000 € Sachanlagen 67.000 € 40.000 € EK sonst. Finanzvermögen (+/ -) 0 Waren 8.500 € 35.000 € Darlehen Forderungen (+/ -) 0 Bank 2.500 € 3.500 € Verb. LuL Fremdkapital (-/ +) 38.500 € Kasse 500 € - € = Geldvermögen - 35.500 € BS 78.500 78.500 BS sonst. Vermögen (+/ -) 75.500 € = Nettovermögen / Reinvermögen 40.000 € <?page no="57"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 57 Neue Betriebswirtschaft Aktiva Bilanz (GF 3) Passiva GF 3 (A-P-Minderung) Bilanz Liquide Mittel (+/ -) 1.000 € Sachanlagen 67.000 € 40.000 € EK sonst. Finanzvermögen (+/ -) 0 Waren 8.500 € 35.000 € Darlehen Forderungen (+/ -) 0 Bank 500 € 1.500 € Verb. LuL Fremdkapital (-/ +) 36.500 € Kasse 500 € - € = Geldvermögen - 35.500 € BS 76.500 76.500 BS sonst. Vermögen (+/ -) 75.500 € = Nettovermögen / Reinvermögen 40.000 € Aktiva Bilanz (GF 4) Passiva GF 4 (Passivtausch) Bilanz Liquide Mittel (+/ -) 1.000 € Sachanlagen 67.000 € 40.000 € EK sonst. Finanzvermögen (+/ -) 0 Waren 8.500 € 36.500 € Darlehen Forderungen (+/ -) 0 Bank 500 € - € Verb. LuL Fremdkapital (-/ +) 36.500 € Kasse 500 € - € = Geldvermögen - 35.500 € BS 76.500 76.500 BS sonst. Vermögen (+/ -) 75.500 € = Nettovermögen / Reinvermögen 40.0 € BS = Bilanzsumme 2.3.2 Auflösung der Bilanz in Konten Jeder GF wirkt sich auf die Höhe und die Zusammensetzung des Unternehmensvermögens und / oder des Kapitals aus und führt damit zu einer Veränderung einzelner Bilanzpositionen. Prinzipiell müsste die Bilanz ständig geändert werden, um die tatsächliche Lage des Unternehmens darzustellen. Da die Bilanz nur zu Beginn eines Handelsgewerbes sowie für den Schluss eines jeden Geschäftsjahres aufzustellen ist (§ 242 I S. 1 HGB) und die permanente Bilanzfortschreibung unübersichtlich und unpraktikabel ist, werden die Geschäftsvorfälle auf besonderen „Verrechnungsstellen“, den (Bestands-)Konten, erfasst. 33 Die Bilanz selbst bleibt von den laufenden GF unberührt und erst zum Geschäftsjahresende aufgrund des zu diesem Zeitpunkt zu erstellenden Inventars (neu) aufgestellt. Die beiden Seiten des Kontos werden mit Soll (S; linke Seite) und Haben (H; rechte Seite) bezeichnet. Anm.: Die Bezeichnungen Soll und Haben sind historisch und wurden willkürlich gewählt. Sie haben nichts mit den Verben sollen oder haben zu tun. 34 Wenn nun für jede aktive und passive Position aus der Bilanz mindestens ein eigenes Unterkonto eröffnet wurde, können für alle Geschäftsvorfälle, die unterjährig im Unternehmen stattfinden, die 33 Vgl. Scheffler, W. / Köstler, M. / Oßmann, S. (2012), S. 37. 34 Vgl. Nickenig, K. (2016), S, 52. <?page no="58"?> 58 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft jeweiligen Buchungssätze gebildet werden. Diese werden dann unterjährig auf den einzelnen Konten verbucht. Ein Buchungssatz besteht immer (mindestens) aus einer Sollbuchung und einer Habenbuchung (es können jedoch, z.B. bei Berücksichtigung von Geschäftsvorfällen mit Umsatzsteuerpflicht, weitere Konten hinzukommen). „Buchungsregel 1: Habe ich ein aktives Bestandskonto, welches mehr wird, so buche ich dieses im Soll. Buchungsregel 2: Habe ich ein passives Bestandskonto, welches mehr wird, so buche ich dieses im Haben. Buchungsregel 3: Habe ich ein aktives Bestandskonto, welches weniger wird, so buche ich dieses im Haben. Buchungsregel 4: Habe ich ein passives Bestandskonto, welches weniger wird, so buche ich dieses im Soll.“ 35 Durch die Formulierung von Buchungssätzen werden Geschäftsvorfälle in eindeutiger Weise in zeitlicher Reihenfolge im Grundbuch (Journal) festgehalten. Anschließend erfolgt eine Übertragung in das Hauptbuch, in welchem die Geschäftsvorfälle nach sachlichen Kriterien den betroffenen Konten zugeordnet werden. Abbildung 2-11: Organisation der Buchführung Quelle: in Anlehnung an Schmidt, M. (Hrsg.) / Auer, B. / Schmidt, P., 2012, S. 9. Bestandskonten werden oft weiter untergliedert, es werden insbesondere aus Gründen der besseren Überwachung von Zahlungsvorgängen für die einzelnen Kunden und/ oder Lieferanten Nebenbücher in Form von personenspezifischen Konten geführt (Nebenbuchhaltung in Form der Kontokorrentbuchhaltung; Debitoren- und Kreditorenkonten). 36 Weitere Nebenbuchhaltungen sind oft das Anlagenverzeichnis, die Lohn- und Gehaltsbuchhaltung, das Wareneingangsbuch. 35 Geismann, U. (2017), S. 55f. 36 Vgl. hierzu Schneider, W. (2008), S. 97f. Grundbuch Hauptbuch Nebenbücher Belege Datum Text Soll Haben ..... Bestandskonten Erfolgskonten Bilanzbuch <?page no="59"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 59 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 2-12: Auflösung der Bilanz in Konten 2.3.3 Eröffnungsbuchungen über ein Eröffnungsbilanzkonto (EBK) Die buchhalterischen Aufzeichnungen eines Geschäftsjahres beginnen mit einer Eröffnungsbilanz (=Anfangsbilanz bei bereits bestehenden Unternehmen) und enden mit einer Schlussbilanz, die gemäß des Grundsatzes der Bilanzidentität (§ 252 I Nr. 1 HGB) wiederum Ausgangspunkt für die Anfangsbilanz der nächsten Periode ist. Die Buchführung bedient sich zur Darstellung der interperiodischen Veränderungen der in der Anfangsbilanz aufgeführten Vermögens- und Kapitalpositionen der doppelten Buchführung. Sie ist - wie schon erwähnt - dadurch charakterisiert, dass jede Buchung eine Gegenbuchung erfordert, also jeweils zwei Konten angesprochen werden. Bei der Auflösung der Eröffnungs-/ Anfangsbilanz in Konten werden zu Beginn des Geschäftsjahres die Anfangsbestände der einzelnen Bilanzpositionen auf die entsprechenden aktiven Bestandskonten (Vermögenspositionen) bzw. passiven Bestandskonten (Kapitalpositionen) gebucht Soll Haben Kasse (AB ) € Soll Haben Waren (AB ) € Soll Haben Maschinen (AB ) € Soll Haben EK (AB ) € Soll Haben Darlehen (AB ) € Aktiva Passiva Bilanz Geschäftsausstattung Waren Kasse Eigenkapital Verbindlichkeiten Bilanzsumme Bilanzsumme <?page no="60"?> 60 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft (s. Abb. 2-11). Aus rein formalen Gründen wird das Eröffnungsbilanzkonto, ein technisches Hilfskonto, das die Anfangsbestände der Eröffnungsbilanz übernimmt, herangezogen. 37 Die Anfangsbestände sind auf den aktiven Bestandskonten stets im Soll zu nennen. Korrespondierend werden die Anfangsbestände der passiven Bestandskonten auf der Habenseite ausgewiesen. Bildet man das Eröffnungsbilanzkonto (EBK) als T-Konto ab, so entsteht eine seitenverkehrte Eröffnungsbilanz. Das EBK dient insbesondere der Kontrolle, ob alle Anfangsbestände der Eröffnungsbilanz auf Bestandskonten verbucht wurden. Das EBK darf keinen Saldo aufweisen, d.h. die Sollseite muss betragsmäßig mit der Habenseite übereinstimmen. Eröffnungsbuchungen: AAkkttiiv vkkoon nttoo a a nn E EBBKK b bzzw w.. E EB BKK a a n n P Paa ssssiiv vkko onnttoo Tabelle 2-4: Beispiel - Eröffnungsbuchungen 1.1.t1 Soll EBK Haben EK 40.000 € Maschinen 67.000 € Bankdarlehen 35.000 € Waren 5.000 € 75.000 € Kasse 3.000 € 75.000 € Soll Kasse Haben Soll Eigenkapital Haben AB) 3.000 € AB) 40.000 € Soll Waren Haben Soll Bankdarlehen Haben AB) 5.000 € AB) 35.000 € Soll Maschinen Haben AB) 67.000 € 2.3.4 Laufende Buchungen Für jede Bilanzposition wird also mindestens ein Konto eingeführt. Es handelt sich um Bestandskonten, weil sie Bestände der unterschiedlichen Bilanzpositionen wiedergeben. Bei Aktivkonten werden die Anfangsbestände und Zugänge (= Erhöhungen des Anfangsbestandes) im Soll, die Abgänge (= Minderungen des Anfangsbestandes) und der Endbestand im Haben gebucht. Bei den Passivkonten ist dies genau spiegelverkehrt: Die Anfangsbestände und Zugänge auf der Habenseite, die Abgänge auf der Sollseite und der Endbestand als Saldo wird auf der Sollseite gebucht. (s. Abb. 2-12). 37 Vgl. Scheffler, W. / Köstler, M. / Oßmann, S. (2012), S. 49. <?page no="61"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 61 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 2-13: Aktivische und passivische Bestandskonten - Buchung von Anfangsbeständen, Zugängen, Abgängen und Endbeständen Die Buchungssätze der vier Geschäftsvorfälle lauten wie folgt: 1) Bank an Kasse 2.500 € 2) Waren an Verb. LuL 3.500 € 3) Verb. LuL an Bank 2.000 € 4) Verb.LuL an Bankdarlehen 1.500 € Bilanz Aktiva Passiva Soll Haben Soll Haben Soll Haben Soll Haben Soll Haben Soll Haben Soll Haben Soll Haben AB AB AB AB AB AB AB AB +Zugänge +Zugänge +Zugänge +Zugänge +Zugänge +Zugänge - Abgänge - Abgänge - Abgänge - Abgänge EB EB <?page no="62"?> 62 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Das folgende Tabellenbild zeigt die relevanten Konten und deren Veränderungen (Zugänge / Abgänge) im Zusammenhang mit den vier typischen Geschäftsvorfällen: Tabelle 2-5: Beispiel - Die vier typischen Geschäftsvorfälle auf Hauptbuchkonten Aktivtausch Soll Kasse Haben Soll Bank Haben AB) 3.000 € 1) 2.500 € AB) 0 € 1) 2.500 € Bilanzverlängerung Soll Waren Haben Soll Verb. LuL Haben AB) 5.000 € AB) - € 2) 3.500 € 2) 3.500 € Bilanzverkürzung Soll Verb. LuL Haben Soll Bank Haben AB) - € AB) - € 3) 2.000 € 3) 2.000 € 2) 3.500 € 1) 2.500 € Passivtausch Soll Bankdarlehen Haben Soll Verb. LuL Haben AB) 35.000 € 3) 2.000 € AB) - € 4) 1.500 € 4) 1.500 € 2) 2.500 € 2.3.5 Behandlung der Umsatzsteuer 38 Das Grundprinzip der Umsatzsteuer liegt darin, dass ein umsatzsteuerpflichtiger Unternehmer, der etwas („Lieferung oder sonstige Leistung“) gegen Entgelt verkauft, Umsatzsteuer hinzurechnen und „kassieren“ muss. Die Umsatzsteuer hat er dann an das Finanzamt abzuführen. Der private Endkunde ist nicht zum Abzug der Umsatzsteuer berechtigt und somit nach dem Gesetz derjenige, der die Steuerlast tragen soll. Die (vorsteuerabzugsberechtigten) Unternehmen sollen prinzipiell nicht durch die Steuer belastet werden. Allerdings trifft sie der Verwaltungsaufwand für die Erhebung der Steuer. Die von anderen Unternehmern in Rechnung gestellte Umsatzsteuer wird als Vorsteuer, die vom Unternehmer selbst in seinen Rechnungen ausgewiesene Steuer wird als Umsatzsteuer bezeichnet. Im Rahmen der Abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung errechnet der Unternehmer seine zu zahlende Umsatzsteuer oder sein Vorsteuerguthaben selbst. Ist die vereinnahmte Umsatzsteuer höher als die gezahlte Vorsteuer, ergibt sich für den Unternehmer eine Zahllast, die er an das Finanzamt ab- 38 Vgl. Scheffler, W. / Köstler, M. / Oßmann, S. (2012), S. 106ff. <?page no="63"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 63 Neue Betriebswirtschaft führen muss. Ist die Vorsteuer höher als die Umsatzsteuer, ergibt sich ein Vorsteuerguthaben für den Unternehmer. Neben dem Steuersatz von 19 Prozent gibt es noch den Steuersatz von 7 Prozent. Umsatzsteuer und Vorsteuer sind beim Unternehmer als durchlaufende Posten erfolgsneutral zu behandeln. Im Rahmen der Buchführung werden die Konten, die die Umsatzsteuer betreffen, gesondert verbucht (s. Abb. 2-13). Ein umsatzsteuerpflichtiger Unternehmer kauft Produkt für 1.000 € zzgl. 190 USt und verkauft es an einen anderen umsatzsteuerpflichtigen Unternehmer für 1.500 €, so wird dem Abnehmer noch die Umsatzsteuer in Höhe von 19 % USt = 285 € auf den Kaufpreis aufgeschlagen. Die Differenz zwischen erhaltener Umsatzsteuer über 285 € und gezahlter Umsatzsteuer (Vorsteuer) von 190 €, also 95 € in diesem Fall, bezeichnet man als Umsatzsteuer-Traglast. Diese schuldet U1 seinem Finanzamt. Abbildung 2-14: Umsatzsteuersystem im Inland <?page no="64"?> 64 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Wenn durch Rabatte, Skonti oder Boni der Rechnungsbetrag gemindert wird, muss der Unternehmer nachträglich auch die Vorsteuer bzw. die Umsatzsteuer aus dieser Rechnung korrigieren. 39 2.3.6 Abschlussbuchungen Am Jahresende müssen für alle aktiven und passiven Bestandskonten die Salden ermittelt werden. Diese Salden werden dann in das so genannte Schlussbilanzkonto (SBK) gebucht. Buchungssätze: SSBBKK a a nn A Ak kttiivvk koon ntte enn b bz zw w.. P Paa ssssiivvk ko onnt teen n a a nn S SB BKK Abbildung 2-15: Zusammenfassung der (Bestands-)Konten zur Bilanz 39 Vgl. hierzu ausführlich Scheffler, W. / Köstler, M. / Oßmann, S. (2012), S. 142 ff. Soll Haben Kasse (AB ) € Soll Haben Waren (AB ) € Soll Haben Maschinen (AB ) € Soll Haben EK (AB ) € Soll Haben Darlehen (AB ) € Aktiva Passiva Bilanz Geschäftsausstattung Waren Kasse Eigenkapital Verbindlichkeiten Bilanzsumme Bilanzsumme (EB ) € (EB ) € (EB ) € (Zugänge) € (Zugänge) € (Zugänge) € (Abgänge) € (Abgänge) € (Abgänge) € (Zugänge) € (Zugänge) € (Abgänge) € (Abgänge) € (EB ) € (EB ) € <?page no="65"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 65 Neue Betriebswirtschaft Der Unterschied zwischen Schlussbilanzkonto und der Schlussbilanz besteht darin, dass die Seiten der Schlussbilanz als Aktivseite und Passivseite und die Seiten des Schlussbilanzkontos mit Soll und Haben bezeichnet werden. Die Schlussbilanz kann Positionen des SBK zusammenfassen. Tabelle 2-6: Beispiel Abschlussbuchungen Geschäftsjahresende t1 Soll Maschinen Haben Soll EK Haben AB) 67.000 € SBK 67.000 € SBK 40.000 € AB) 40.000 € 67.000 € 67.000 € 40.000 € 40.000 € Soll Waren Haben Soll Bankdarlehen Haben AB) 5.000 € SBK 36.500 € AB) 35.000 € 2) 3.500 € SBK 8.500 € 4) 1.500 € 8.500 € 8.500 € 36.500 € 36.500 € Soll Bank Haben AB) - € 3) 2.000 € Soll Verb. LuL Haben 1) 2.500 € SBK 500 € 3) 2.000 € AB - € 2.500 € 2.500 € 4) 1.500 € 2) 3.500 € SBK - € Soll Kasse Haben 3.500 € 3.500 € AB) 3.000 € 1) 2.500 € SBK 500 € 3.000 € 3.000 € Aus den Abschlussbuchungen entsteht das Schlussbilanzkonto zum 31.12.t1: Tabelle 2-7: Beispiel - SBK am 31.12.t1 Soll SBK 31.12.t1 Haben Maschinen 67.000 € 40.000 € Eigenkapital Waren 8.500 € 36.500 € Bankdarlehen Bank 500 € 0 € Verb. LuL Kasse 500 € Summe 76.500 € 76.500 € Summe <?page no="66"?> 66 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Zusammenfassend: Die Gegenkonten für Anfangs- und Schlussbestände bei Bestandskonten: Die folgende Ablaufschaubild zeigt noch einmal übersichtlich den Weg von der Eröffnungs-/ Anfangsbilanz über das EBK, die laufenden Buchungen auf den Bestandskonten, zu den Abschlussbuchungen: Eröffnungsbilanz ) EBK 5 Eröffnungsbuchungen o Aktivkonten o Passivkonten 5 Laufende Buchungen 5 Abschlussbuchungen SBK ) Schlussbilanz Abbildung 2-16: Ablauf der Buchungen von der Eröffnungsbilanz zur Schlussbilanz Wie aus dem Beispiel ersichtlich wird, erfolgt durch die hier durchgeführten Buchungen auf Bestandskonten nur eine Vermögensumschichtung. Das Eigenkapital blieb in jedem Fall unverändert. Es wurde mithin weder ein negativer noch ein positiver Unternehmenserfolg erzielt. Geschäftsvorfälle, die das Eigenkapital (oder das Reinvermögen) nicht berühren (also weder positiv noch negativ verändern), werden als erfolgsneutrale Buchungsvorgänge bzw. erfolgsneutrale Geschäftsvorfälle bezeichnet. Im nächsten Abschnitt werden betriebliche Vorgänge dargestellt, die zu einer Mehrung oder Minderung des Eigenkapitals (= erfolgswirksame Buchungsvorgänge) führen. 2.4 Eigenkapitalkonto und dessen Veränderung, Verbuchung erfolgswirksamer Geschäftsvorfälle und Erfolgsrechnung 2.4.1 Eigenkapitalkonto und dessen Veränderung Die bisher verbuchten und als erfolgsneutral charakterisierten Geschäftsvorfälle führten nur zu Bestandsänderungen beim Vermögen bzw. bei den Schulden, nicht jedoch zu Veränderungen des Eigenkapitals bzw. des Eigenkapitalkontos. Die betrachteten Geschäftsvorfälle waren mithin erfolgsunwirksam, d. h. der Betrieb verbuchte weder Gewinn noch Verlust. Der Erfolg wird dabei am Eigenkapital (EK) gemessen, wobei der Begriff „Erfolg“ als Oberbegriff für „Gewinn und Verlust“ steht. BSeitenverkehrte Darstellung der Eröffnungsbilanz: B Bestände der Aktivseite auf der Habenseite B Bestände der Passivposten auf der Sollseite Eröffnungsbilanzkonto ( EBK ) BWeist nach Einbuchung der Salden den gleichen Aufbau wie di e Sch l u ss bi la nz a uf Sch luss bila nz kont o ( SBK ) <?page no="67"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 67 Neue Betriebswirtschaft Im Folgenden soll zunächst das Eigenkapitalkonto betrachtet werden. Die Höhe des Eigenkapitalkontos resultiert aus der Differenz zwischen Vermögen und Fremdkapital. Die Bestandsposition „Eigenkapital“ umfasst diejenigen Mittel, die die Eigentümer der Unternehmung (Betriebssphäre) durch Zuführung von außen (Privatsphäre) oder durch Ausschüttungsverzicht zur Verfügung stellen. Geschäftsvorfälle, die bilanziell eine Wirkung als Aktiv-PassivËMehrung, AktivËPassivËMinderung oder PassivËTausch haben, können dabei die Bestandshöhe des Eigenkapitals beeinflussen. Abbildung 2-17: Veränderung des Eigenkapitals Das Eigenkapital wird durch erfolgswirksame Vorgänge, verbucht auf den Aufwands- und Ertragskonten, verändert, die in der GuV zusammengefasst und als Saldo in das EK-Konto übertragen werden. Darüber hinaus verändert sich das Eigenkapital, wenn dem Unternehmen von außen „etwas“ als Einlagen (z.B. bei Eintritt eines neuen Gesellschafters in die GmbH) hinzugefügt oder „etwas“ entnommen wird (z.B. Gewinnausschüttungen an die Anteilseigner). Entnahmen und Einlagen stellen dabei erfolgsneutrale Vorgänge dar. Abbildung 2-18: Veränderung des Eigenkapitalkontos Vermögen Eigenkapital Fremdkapital Þ Eigenkapital Þ Eigenkapital = = Gewinn oder Verlust Erträge - Aufwendungen + / - Einlagen / Entnahmen GuV Bilanz Aktiva Passiva Veränderung des Eigenkapitals erfolgsneutrale Veränderung / Privatkonto Einlagen Entnahmen erfolgswirksame Veränderung / GuV-Konto Erträge Aufwendungen <?page no="68"?> 68 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft 2.4.2 EK-Veränderung durch Einlagen/ Entnahmen; Kapitalerhöhung und -herabsetzung Beim Einzelkaufmann gibt es in der Buchhaltung nur ein Eigenkapitalkonto, das nach oben und unten voll variabel ist. Das Privatkonto wird als Unterkonto des EK-Kontos geführt. Die OHG - als Idealtypus einer Personengesellschaft - hat mindestens zwei unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftende Gesellschafter. In der Buchhaltung werden darum für jeden Gesellschafter ein eigenes Kapitalkonto sowie ein eigenes Privatkonto (als Unterkonto zum jeweiligen EK-Konto) geführt. 40 Das Kapitalkonto kann nochmals in ein festes und ein variables Konto unterteilt werden, um die Veränderungen des veränderlichen Teils des EK-Anteils jedes Gesellschafters festzuhalten. 41 Während bei Einzel- und Personenunternehmen Übertragungen aus dem Privatvermögen in das Betriebsvermögen als Einlagen bezeichnet werden, heißen sie bei Kapitalgesellschaften Kapitalerhöhungen. Entnahmen liegen dann vor, wenn ein Gesellschafter des Unternehmens Geld, Nutzungen oder Sachgüter in sein Privatvermögen überführt oder private Ausgaben über ein betriebliches Geldkonto bezahlt. Bei Kapitalgesellschaften werden die Entnahmen als Gewinnausschüttungen oder als Kapitalherabsetzungen bezeichnet. 42 Bei Kapitalgesellschaften gibt es kein „einfaches“ EK-Konto, sondern es ist in verschiedene Eigenkapitalpositionen unterteilt. Das „Gezeichnete Kapital“ („Stammkapital“ bei GmbHs; „Grundkapital“ bei AGs) stellt das feste Kapital dar, das den Nennwert der ausgegebenen Anteile widerspiegelt. Eine Erhöhung des gezeichneten Kapitals ist z.B. bei einer AG nur durch Emission neuer Aktien möglich. Sollte sich bei der Ausgabe neuer Aktien ein Agio / Aufgeld ergeben, dann wäre dies der Kapitalrücklage zuzuweisen. Bei den Rücklagen handelt es sich nicht um Zahlungsmittel, wie oft fälschlich vermutet wird. Denn die Kapitalrücklage kann auf der Aktivseite für diverse Zwecke verwendet werden, so z.B. für Investitionszwecke in Anlagen, natürlich kann sie auch in der Kasse verbleiben, was dauerhaft jedoch ökonomisch kaum nachvollziehbar wäre. Wurde ein Jahresüberschuss erzielt, so wird der Saldo des GuV-Kontos zunächst auf das EK- Konto Jahresüberschuss gebucht. Damit aus dem Gewinn bei einer Kapitalgesellschaft (• eigene Rechtspersönlichkeit) eine Dividende an die Gesellschafter werden kann, muss die Gesellschafterversammlung über die Gewinnverwendung beschließen. Zu Beginn des neuen Geschäftsjahres erfolgt daher zunächst eine Umbuchung auf das Konto Gewinnverwendung (Unterkonto des EK- Kontos). Dieses Konto wird aufgelöst, nachdem die Gesellschafterversammlung über die Gewinnverwendung entschieden hat. Werden die Gewinne der abgelaufenen oder früheren Perioden nicht ausgeschüttet bzw. nicht voll ausgeschüttet, so fließen die thesaurierten Gewinnbestandteile in die Gewinnrücklage. Wird der Gewinn in voller Höhe einbehalten, so findet ein Passivtausch statt. Das Konto Gewinnverwendung verringert sich um den Thesaurierungsbetrag, das Konto Gewinnrücklagen nimmt um diesen Betrag zu. Erfolgt hingegen eine vollständige Ausschüttung, so handelt es sich um eine Bilanzverkürzung. Sollte über die Gewinnverwendung nicht entschieden worden sein, so wird der Posten Gewinnvortrag/ Verlustvortrag (§ 266 III A. IV HGB) bebucht. 43 Bei Einzelkaufleuten und Personengesellschaften gibt es - wie zuvor gezeigt - keine Gewinnbzw. Kapitalrücklagen. Bei den Privatentnahmen oder unentgeltlichen Wertabgaben (früher: Eigenverbrauch) handelt es sich um Entnahmen von Gütern, Leistungen oder Geld aus dem unternehmerischen Bereich für den nicht- 40 Vgl. Kudert, S. / Sorg, P. (2011), S. 188. 41 Vgl. ebd., S. 188. 42 Vgl. ebd., S. 185. 43 Vgl. ebd. 190f. <?page no="69"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 69 Neue Betriebswirtschaft unternehmerischen Bereich. Das Konto gehört zu den Unterkonten des Eigenkapitals und wird auch per Saldo hierüber abgeschlossen. Bei der reinen Geldentnahme, d. h. betriebliches Geld wird in die private Sphäre durch Entnahme transferiert, fällt keine Umsatzsteuer an. Es handelt sich um einen nicht steuerbaren Vorgang. Grundsätzlich werden betriebliche Gegenstände, die mit Umsatzsteuer eingekauft wurden, vom vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer unter Abzug der Vorsteuer in der Buchführung erfasst. Dies ist in den Fällen möglich, wo der Unternehmer weiß, dass er den Gegenstand für betriebliche Zwecke benötigt: entweder nutzt er diesen selbst (z. B. Maschine) oder er verkauft ihn. Sofern aber der Gegenstand nach Erfassung in der Buchführung unter Abzug der Vorsteuer vom Unternehmer für private Zwecke entnommen wird, ist hier ein fiktiver (unterstellter) Verkauf anzunehmen und zu buchen. 2.4.3 Erfolgswirksame Geschäftsvorfälle Wir werden in unserem Beispielunternehmen zunächst davon ausgehen, dass es Handel betreibt, also Waren einkauft, diese wieder verkauft und dadurch einen Warenrohgewinn erzielt. Darüber hinaus produziert und verkauft diese Firma auch Erzeugnisse. Außerdem tätigt sie die gewöhnlichen Auszahlungen wie Gehaltszahlungen, Miete und Zinsen. Die Investitionen und Finanzierungsvorgänge wurden in t0 bereits vorgenommen. Die typischen Wertbewegungen in der Bilanz eines Produktionsbetriebes kann man wie nachfolgend gezeigt charakterisieren: Abbildung 2-19: Geschäftsprozesse in Handel und Industrie (vereinfachte Darstellung) und Wertbewegungen in der Bilanz 44 . Quelle: Reichhardt, M., 2017, S. 148. In der betrieblichen Praxis wie auch in der handelsrechtlichen Definition des Jahresabschlusses gem. § 242 III HGB stehen die Bilanz und die Erfolgsrechnung (GuV) und damit das zweiteilige ReWe im Vordergrund der Betrachtung. Während der Bilanzgewinn in der Bilanz die Veränderung des Eigenkapitals bzw. die Veränderung der Finanzierungsstruktur eines Unternehmens mit erklären hilft, zeigt die Erfolgsrechnung (GuV) durch Gegenüberstellung der Erträge und Aufwendungen auf, wie dieser Jahresüberschuss oder Jahresfehlbetrag zustande gekommen ist. 45 44 Ein Ertrag ist bilanztechnisch ebenfalls eine Aktiv-Passiv-Mehrung und ein Aufwand ist eine Aktiv-Passiv- Minderung. Anm.: RHB = Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. 45 Vgl. Auer, K. (2000), S. 21f. Eigenu. Fremdkapital aufnehmen (Bilanzverlängerung) RHB und Waren einkaufen (möglich: Aktivtausch, Bilanzverlängerung oder Bilanzverkürzung) RHB bei der Produktion verbrauchen (Aufwand) Gehälter, Miete und Zinsen zahlen (Aufwand) Fertige Produkte und Waren verkaufen (Ertrag) <?page no="70"?> 70 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Aufwendungen stellen den gesamten Werteverzehr an Gütern, Dienstleistungen und Abgaben dar, die zu einer Verminderung eines Vermögenspostens (z.B. RHB, Maschinen, Bankguthaben) führen und somit schließlich zu einer Eigenkapitalverminderung. Typische Aufwandsposten sind Verbrauch von RohË, HilfsË und Betriebsstoffen (RHBËStoffe), Büromaterialverbrauch, Weiterverarbeitung von Vorprodukten und Fremdteilen, Fahrzeugkosten, Porto und Telefon, Personalaufwand (Löhne, Gehälter, Sozialabgaben etc.) 46 , Zinsaufwand (KreditË und Überziehungszinsen), Mietaufwand (Mietzahlungen für gemietete Räumlichkeiten), Ausgaben für Werbung, KfzËSteuer, Grundsteuer, RechtsË und Beratungskosten, Abschreibungen (Werteverzehr beim abnutzbaren Anlagevermögen) sowie außerordentliche Aufwendungen (z. B. Diebstahl, Schwund, Verderb). Oft wird der Unterschied zwischen Zinszahlung und Kreditrückzahlung nicht verstanden. Bsp. Folgende Zeitungsmeldung irritiert: „Mannheim: Rosengarten macht Defizit: Der R. hat mit einen Defizit von 2,6 Mio. € abgeschlossen. Der Geschäftsführer der Kongressgesellschaft macht dafür die „hohen Tilgungsraten“ verantwortlich, mit denen der Kredit für den Ausbau des Gartens bedient werden muss.“ Während die Zinszahlungen erfolgswirksame Vorgänge sind und Aufwendungen darstellen, die den Gewinn schmälern, zählen Tilgungen zu den erfolgsunwirksamen Geschäftsvorfällen. Insofern können „hohe Tilgungsraten“ kaum zur Begründung für ein „Defizit“ in der GuV herhalten. Erträge bezeichnen die Mehrungen des Erfolges durch die Erstellung, die Bereitstellung oder den Absatz von Gütern und Dienstleistungen. Stammt der Ertrag aus dem Prozess der betrieblichen Leistungserstellung und Ëverwertung, so handelt es sich um einen Betriebsertrag, andernfalls wird er als neutraler Ertrag bezeichnet. Erträge erhöhen das Eigenkapital. Typische Erträge sind beispielsweise Umsatzerlöse aus dem Warenverkauf oder Dienstleistungen, sonstige Erlöse (Verkauf von Sachanlagen über Buchwert), Zinserträge, Provisionserträge, Mieterträge aus vermieteten Räumlichkeiten, Beteiligungserträge, Wertzuwachs beim Anlage- und Umlaufvermögen sowie außerordentliche Erträge. Buchungen auf Aufwandskonten f ühren zu Minderungen des Eigenkapitals (des Reinvermögens). Buchungen auf Ertragskonten zu Erhöhungen des Eigenkapitals. Während die Bestandskonten am Jahresanfang mit Hilfe des Eröffnungsbilanzkontos bereits eröffnet werden, müssen die Aufwands- und Ertragskonten unterjährig je nach Bedarf eröffnet werden. Am Jahresende müssen dann neben allen aktiven und passiven Bestandskonten auch die Erfolgskonten abgeschlossen werden. Während die Salden der Bestandskonten in das Schlussbilanzkonto am Jahresende zu buchen sind, werden die Salden der Erfolgskonten (Aufwandskonten und Ertragskonten) am Jahresende über das GuV-Konto abgeschlossen. Der Saldo der Gewinn- und Verlustrechnung ist dann Gewinn oder Verlust. Dieser wird am Jahresende über das Eigenkapitalkonto abgeschlossen: Ein Gewinn führt dann zu einer Erhöhung des Eigenkapitals des Unternehmers. Ein Verlust führt dementsprechend zu einer Verminderung des Eigenkapitals. Das folgende Bild zeigt das Gesagte noch einmal anschaulich: 46 Vgl. ausführlich Schmidt, M. (Hrsg.) / Auer, B. / Schmidt, P. (2012), S. 138ff. <?page no="71"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 71 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 2-20: Buchungsprozess zum Schlussbilanzkonten Die Buchungssätze für die Abschlussbuchungen lauten: ! SBK an alle aktiven Bestandskonten; alle passiven Bestandskonten an SBK ! GuV-Konto an alle Aufwandskonten; alle Ertragskonten an GuV-Konto ! EK-Konto an Privatkonto (falls Privatentnahmen > Privateinlagen) oder ! Privatkonto an EK-Konto (Privateinlagen > Privatentnahmen) ! GuV-Konto an EK-Konto (Gewinnübertrag) oder ! EK-Konto an GuV-Konto (bei Verlustübertrag) ! EK-Konto an SBK (falls EK > 0) oder ! SBK an EK-Konto (falls EK < 0 = § 268 III HGB) 2.4.4 Periodengerechte Gewinnermittlung und zeitliche Abgrenzung Die Periodenabgrenzung von Zahlungsflüssen gehört zu den Grundsätzen der ordnungsmäßigen Buchführung. Die Entstehung von Aufwendungen und Erträgen und die dazugehörigen Zahlungsvorgänge können und werden oft zeitlich auseinanderfallen. Solange die beiden Vorgänge innerhalb eines Geschäftsjahres stattfinden, ist dies für die Buchführung grundsätzlich unerheblich. Fallen die beiden Vorgänge allerdings in verschiedene Geschäftsjahre, kann eine periodengerechte Gewinnermittlung nur erfolgen, wenn die Aufwendungen und Erträge in dem Jahr erfolgswirksam erfasst werden, in dem sie wirtschaftlich verursacht sind und den Erfolg beeinflussen. Um dies zu gewährleisten, ist nach dem Grundsatz der Periodisierung (§ 252 II Nr. 5 HGB) eine zeitliche Abgrenzung vorzunehmen. Grundsätzlich sind also beim Bilanzierenden Aufwendungen und Erträge unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Zahlung nach ihrer wirtschaftlichen Verursachung zu berücksichtigen. Erstellt der Unternehmer lediglich eine Einnahme-Überschuss-Rechnung nach § 4 III EStG, kommt es grundsätzlich nicht auf die wirtschaftliche Verursachung an. Hier wird grundsätzlich auf den Zahlungsfluss abgestellt. Bestandskonten Aktivische Konten Konten des AV Konten des UV Passivische Konten Fremdkapitalkonten Eigenkapitalkonto Privatkonto GuV-Konto Ertragskonten Aufwandskonten SBK <?page no="72"?> 72 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Fallen Leistung und Zahlung auseinander, sind vier Fälle zu unterscheiden: 47 [1] Die Zahlung erfolgt vor der Gegenleistung: S vor einer Lieferung (geleistete und erhaltene Anzahlung) S vor einer sonstigen Leistung (Transitorische Posten: aktive und passive RAP) [2] Die Zahlung erfolgt nach der Gegenleistung S nach einer Lieferung (Forderungen u. Verbindlichkeiten) S nach einer sonstigen Leistung (Forderungen u. Verbindlichkeiten). Anzahlungen: Der zur Lieferung verpflichtete Unternehmer ist eine Sachleistungsverpflichtung eingegangen, die erst bei Lieferung getilgt wird. Es erfolgt eine Habenbuchung auf dem Passivkonto „Erhaltene Anzahlungen“. Der Kunde besitzt bis zum Erhalt der Ware eine Sachleistungsforderung, die auf dem Aktivkonto „Geleistete Anzahlungen“ erfasst wird. Gemäß § 266 II und III HGB sind zum Ausweis von Anzahlungen drei Positionen auf der Aktivseite und eine Position auf der Passivseite vorgesehen (s. im Anhang die Bilanz nach § 266 HGB). Zur periodengerechten Erfolgsermittlung für Fälle, in denen die Perioden der Zahlung und zeitraumbezogenen Leistung auseinanderfallen, werden alternativ zu den Anzahlungen, die ja nur bei zeitpunktbezogenen Leistungen greifen, Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) gebucht. Gemäß § 250 I und II HGB müssen vor dem Bilanzstichtag getätigte Ausgaben, die Aufwand im Jahr nach dem Bilanzstichtag darstellen, als aktive Rechnungsabgrenzungsposten (ARAP) in der Bilanz dargestellt werden. Analog dazu müssen vor dem Bilanzstichtag erzielte Einnahmen, welche Ertrag für einen Zeitraum nach dem Bilanzstichtag darstellen, als passive Rechnungsabgrenzungsposten (PRAP) auf der Passivseite der Bilanz abgebildet werden. Voraussetzung ist, dass die Vorauszahlungen Aufwand „für eine bestimmte Zeit“ (besser: Zeitraum) nach dem Abschlussstichtag sind. Insofern würden Ausgaben für Werbefeldzüge nicht als RAP erfasst werden können. Ihnen fehlt das Objektivierungsmerkmal „für eine bestimmte Zeit“. Buchungen: Aktive Abgrenzung (Erfolg ohne Abgrenzung zu niedrig): „Von uns im Voraus bezahlter Aufwand für kommende Perioden“ (z.B. Mietauszahlung): ARAP an Aufwandskonto Passive Abgrenzung (Erfolg ohne Abgrenzung zu hoch): „Im Voraus vereinnahmter Ertrag für kommende Perioden“ (z.B. Mieteinzahlung): Ertragskonto an PRAP Forderungen und Verbindlichkeiten entstehen, wenn der Bilanzierende eine Leistung auf Ziel erbracht bzw. erhalten hat. 48 Bei antizipativen Posten liegt der Leistungsvor dem Zahlungsvorgang. Die nach dem Bilanzstichtag stattfindende Zahlung wird vorweggenommen. Aktive antizipative Posten werden auf dem Konto Sonstige Vermögensgegenstände (Forderungen) verbucht, passive bei den Sonstigen Verbindlichkeiten. Oft kommt es vor, dass der Kaufmann bei einer Bank ein Darlehen aufnimmt, welches z.B. nur zu 95 Prozent ausbezahlt wird, obwohl es zu 100 Prozent zurückzuzahlen ist. Dieses Disagio über 5 Prozent stellt wirtschaftlich eine Vergütung für die Kapitalüberlassung dar, die im Voraus erbracht wurde (vorweg gezahlte Zinsen bzw. Bereitstellungsprovision/ Bearbeitungsgebühr). Gemäß § 250 III HGB hat der Bilanzierende ein Aktivierungswahlrecht, welches im Jahr der Darlehensaufnahme ausgeübt werden kann und durch planmäßige Abschreibungen zu tilgen ist. 49 47 Vgl. Kudert, S. / Sorg, P. (2011), S. 164. 48 Da die Umsatzsteuer bereits mit der Leistungserbringung gebucht wird, stellen die Forderungen bzw. Verbindlichkeiten Bruttobeträge dar. 49 Vgl. Rabeneck, J. / Reichert, G. (Wist 6/ 2003), S. 372. <?page no="73"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 73 Neue Betriebswirtschaft 2.4.5 Abschreibungen und Anschaffungskosten Die Nutzung eines Anlagegegenstandes im Unternehmen führt zu einem Wertverzehr (verbzw. gebrauchsbedingte, wirtschaftlich bedingte, zeitbzw. rechtliche bedingte Wertminderung). Dieser Wertverzehr wird in der Buchführung durch Abschreibungen erfasst. Sie sollen den Abschreibungsausgangbetrag für einen Anlagegegenstand dem tatsächlichen Wertverzehr entsprechend auf die Jahre der Nutzung als Aufwand verteilen (= Periodengerechte Aufwandsverrechnung). Der erwartete Wertverzehr während des Nutzungszeitraumes wird durch planmäßige Abschreibungen erfasst, darüber hinaus können außerplanmäßige Abschreibungen notwendig werden, wenn unerwartete Wertminderungen eintreten. Rechtsgrundlagen für die Vornahme planmäßiger Abschreibungen des Anlagevermögens sind § 253 I und III HGB. § 253 Abs. 1 HGB: Vermögensgegenstände sind höchstens mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten, vermindert um die Abschreibungen nach den Absätzen 3 bis 5, anzusetzen. Abs. 3: Bei Vermögensgegenständen des Anlagevermögens, deren Nutzung zeitlich begrenzt ist, sind die Anschaffungs- oder die Herstellungskosten um planmäßige Abschreibungen zu vermindern. Der Plan muss die Anschaffungs- oder Herstellungskosten auf die Geschäftsjahre verteilen, in denen der Vermögensgegenstand voraussichtlich genutzt werden kann. Ein Abschreibungsplan ist für jeden einzelnen Vermögensgegenstand des Anlagevermögens im Zeitpunkt des Zugangs zum Unternehmensvermögen aufzustellen. Er umfasst den Abschreibungsausgangsbetrag (Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich der Höhe des erwarteten Restverkaufserlöses), die erwartete Nutzungsdauer und das Abschreibungsverfahren. Abbildung 2-21: Abschreibungsarten und Determinanten Abschreibung auf Gegenstände des Anlagevermögens Planmäßige Abschreibung Anschaffungskosten Festlegung der Nutzungsdauer Abschreibungsmethode Wahl einer Vereinfachnungsmethode (GWG) Außerplanmäßige Abschreibung durch gesunkene Marktpreise oder Einschränkung der wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten <?page no="74"?> 74 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Die Anschaffungskosten oder die w.u. behandelten Herstellungskosten eines Vermögensgegenstandes bilden die Grundlage zur Berechnung der Abschreibung für diesen Vermögensgegenstand. Werden diese vom Bilanzierenden nicht korrekt ermittelt, ergibt sich für alle Folgejahre auch ein falscher Wert im Rahmen der Abschreibung. Gemäß § 255 HGB gehören zu den Anschaffungskosten alle Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen. Weitere Voraussetzung ist, dass diese Aufwendungen dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können. Auch nachträgliche Anschaffungskosten sind einzubeziehen. Die Vorsteuer gehört bei umsatzsteuerpflichtigen Unternehmern nicht zu den Anschaffungskosten. Anschaffungspreisminderungen sind von den errechneten Anschaffungskosten abzusetzen. Finanzierungskosten dürfen im Rahmen der Anschaffungskosten nicht berücksichtigt werden. Schema zur Ermittlung der Anschaffungskosten: Anschaffungspreis / Kaufpreis + Anschaffungsnebenkosten (auch nachträgliche) - Anschaffungspreisminderungen = Anschaffungskosten (AK) Bsp.: Kauf eines Anlagegegenstandes auf Ziel zu 94.000 € netto zzgl. Transport und Montage i.H.v. 6.000 € netto. Rechnung wird ausgeglichen mit 2% Skontoabzug per Banküberweisung. Anschaffungskosten: Anschaffungspreis 94.000 € + Anschaffungsnebenkosten 6.000 € 100.000 € - Anschaffungskostenminderungen 2.000 € = AK 98.000 € BBsspp. . BBuucchhuun ngg een n E Eiinngg a a nngg ssrreec ch hnnuun ngg : Anlagenkonto 100.000 € Vorsteuer 19.000 € ( ‰ USt auf gesamte AK) an Verbindlichkeiten LuL 119.000 € R Re ecchhn nuunng g ssaa uus sgg l leeiicchh : Verbindlichkeiten LuL 119.000 € an Anlagenkonto 2.000 € Vorsteuer (Berichtigung) 380 € Bank 116.620 € Würden die Anschaffungsnebenkosten nicht aktiviert, sondern sofort als Aufwand verbucht, wäre der Gewinn im Jahr der Anschaffung um diesen Betrag geringer. Dafür wäre der Abschreibungsbetrag in den Jahren der Nutzung aber auch niedriger. (= Zweischneidigkeit der Bilanz! ) <?page no="75"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 75 Neue Betriebswirtschaft Die Nutzungsdauer hat der Bilanzierungspflichtige zu schätzen, womit er natürlich einen nicht unerheblichen Ermessensspielraum besitzt. In der Praxis werden oft die sog. steuerlichen AfA- Tabellen herangezogen. (s. http: / / afa-tabelle.net/ ). Für die Festlegung des Abschreibungsplanes können verschiedene Abschreibungsverfahren genutzt werden. Folgende Verfahren können handelsrechtlich eingesetzt werden: 50 Abbildung 2-22: Übersicht über die Abschreibungsverfahren Die lineare Abschreibung ist die am häufigsten verwendete Abschreibungsform. Sie ist relativ einfach umzusetzen und ist anwendbar auf alle beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgüter. Grundsätzlich teilt man bei der linearen Abschreibung einfach die Abschreibungssumme durch die voraussichtliche Nutzungsdauer (= jährlicher Abschreibungsbetrag). Anders als bei der linearen Abschreibung wird bei der degressiven Abschreibung (auch Buchwert-AfA genannt) der Abschreibungsbetrag von Jahr zu Jahr weniger. Lediglich im ersten Jahr wird der Abschreibungsbetrag auf Basis der Anschaffungskosten und dem Abschreibungsprozentsatz errechnet. Für die weiteren Jahre hingegen wird der Abschreibungsbetrag aus dem Restbuchwert des Anlagegutes und dem Abschreibungsprozentsatz bestimmt. Die Abschreibung nach Maß der Inanspruchnahme (leistungsbezogene, zeitunabhängige Abschreibung) hängt an der tatsächlichen Inanspruchnahme des Abschreibungsgutes. Sie wird deshalb vor allem bei Anlagegütern mit starker Nutzungsschwankung verwendet. Entsprechend muss natürlich bei dieser Abschreibungsform auch nachgewiesen werden, in welcher Höhe die jährliche Leistung angefallen ist. 50 http: / / www.rechnungswesen-grundlagen.com/ abschreibungsverfahren-rechnungswesen.php (3.8.2017) <?page no="76"?> 76 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Alle buchführungspflichtigen Kaufleute müssen zum Tag der Aufstellung der Bilanz auch ein so genanntes Anlageverzeichnis aufstellen. In diesem hat der Kaufmann alle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens auszuweisen, welche sich am Bilanzstichtag in seinem Unternehmen befinden. Auch die Wirtschaftsgüter, welche zum Zeitpunkt der Aufstellung des Anlageverzeichnisses bereits vollständig abgeschrieben sind, erscheinen dort ebenso. Das Anlageverzeichnis stellt einen Bestandteil des Jahresabschlusses des Kaufmanns dar. In ihm wird quasi der Abschluss der einzelnen Anlagekonten vollzogen. Für Kapitalgesellschaften ist, größenabhängig, die Erstellung eines sog. Anlagengitters - wahlweise in der Bilanz oder im Anhang - Pflicht. Das Anlagengitter ist nach § 284 III HGB aufzustellen. Nach dieser geforderten Gliederung muss die Entwicklung der einzelnen Anlageposten ausgehend von den historischen Anschaffungsbzw. Herstellungskosten (AHK) dargestellt werden. Ferner müssen die Zugänge, Abgänge, Umbuchungen und Zuschreibungen des Bilanzjahres sowie die Abschreibungen in ihrer gesamten Höhe ausgewiesen werden. Das Anlagengitter (früher: Anlagenspiegel) gewährt dem Bilanzadressaten einen Einblick in die Altersstruktur bzw. in die Investitionstätigkeit der Unternehmung. Kleine Kapitalgesellschaften sind nach § 288 I Nr. 1 HGB von der Verpflichtung zur Aufstellung eines Anlagegitters befreit. Auch Personengesellschaften und Einzelunternehmen sind von der Aufstellungspflicht befreit, soweit im Publizitätsgesetz nicht anders geregelt. Folgende Angaben sind im Anlagengitter darzustellen: Abbildung 2-23: Anlagengitter Bsp.: Im nachfolgend beispielhaft dargestellten Anlagengitter fällt insbesondere der geringe Zugang bei den technischen Anlagen auf, welcher auf eine sehr niedrige Investitionstätigkeit hindeuten könnte. Position gesamte (historische) AK/ HK Zugang Abgang Umbuchung AfA (kumuliert) Zuschreibungen Endbestand AfA lfd. Jahr lfd. Jahr Vorjahr technische Anlagen 400 +5 -40 +20 -175 +10 220 250 -25 … Abbildung 2-24: Beispiel für Anlagengitter 2.4.6 Buchung der Erzeugnisse und Bestandsveränderungen und Bestimmung der Herstellungskosten Das Konto „Fertigerzeugnisse“ gehört zu den aktivischen Bestandskonten. Die in die Fertigerzeugnisse eingehenden Vorleistungen (Produktionsfaktoren) werden auf diesem Konto nicht direkt als Zugänge gebucht. Die bei der Fertigung in Anspruch genommenen Produktionsfaktoren werden vielmehr als Aufwendungen auf den entsprechenden Aufwandskonten erfasst und gehen dementsprechend in die GuV-Rechnung ein. <?page no="77"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 77 Neue Betriebswirtschaft Beispiel Verbrauch von Rohstoffen in der Fertigung: RHB-Verbrauch (Aufwand) an RHB Einsatz von Arbeitnehmern in der Fertigung: Lohnaufwand an Bank Das Konto „Fertigerzeugnisse“ enthält den Anfangsbestand, der aus der Schlussbilanz des Vorjahres übernommen wird. Dieser Anfangsbestand gibt den Wert der Lagerbestände an Fertigerzeugnissen am Anfang des Geschäftsjahres an. Am Schluss des Geschäftsjahres wird der Endbestand der Erzeugnisse durch Inventur ermittelt (s.o.). Dieser Lagerbestand wird mit Herstellungskosten bewertet. Sind Anfangs- und Endbestand gleich groß, verändert sich das Konto Fertigerzeugnisse nicht. Die abgesetzte Menge entspricht der produzierten Menge. In der Regel treten jedoch Abweichungen auf. Die folgenden zwei Fälle sind zu unterscheiden: 1. Produktionsmenge > Absatzmenge - = Erhöhung des Lagerbestandes = EB der FE > AB der FE Das Konto „Fertigerzeugnisse“ weist demnach einen Sollsaldo auf. Dieser Saldo gibt die Bestandserhöhung der Fertigerzeugnisse an. Der Saldo (Bestandserhöhung) wird als Ertrag in die GuV-Rechnung gebucht. 2. Produktionsmenge < Absatzmenge - = Erhöhung des Lagerbestandes = EB der FE < AB der FE Das Konto „Fertigerzeugnisse“ weist demnach einen Habensaldo auf. Dieser Saldo gibt die Bestandsminderung der Fertigerzeugnisse an. Der Saldo (Bestandsminderung) wird als Aufwand in die GuV-Rechnung gebucht. Die Aufwandskomponenten beziehen sich auf die Produktionsmenge, sie wurden also durch die produzierte Menge verursacht. Die Umsatzerlöse resultieren hingegen aus der Absatzmenge. Sollte die Absatzmenge kleiner sein als die Produktionsmenge, werden Umsatzerlösen zu hohe Aufwendungen gegenübergestellt. Der Aufbau des Lagers würde komplett negativ erfolgswirksam sein. Tatsächlich sind durch die Produktion jedoch Vermögensgegenstände entstanden. Der Aufbau des Lagers (Bestandserhöhung) wird dementsprechend als Ertrag in der GuV-Rechnung erfasst. Dadurch werden Erträge und Aufwendungen in der GuV-Rechnung gleichnamig und somit vergleichbar gemacht. Der Lagerbestand an Erzeugnissen wird mit den Herstellungskosten bewertet. Die Begründung hierfür ist im weiteren Sinne im Vorsichtsprinzip, das dem Gläubigerschutz entspricht, zu finden. Nach § 252 I Nr. 4 HGB muss die Bewertung vorsichtig erfolgen. Es muss eine ungleiche Behandlung von Risiken (Verlusten) und Chancen (Gewinnen) erfolgen, die als Imparitätsprinzip („Ungleichheitsprinzip“) bezeichnet wird. 51 Erträge sind nach dem Realisationsprinzip - welches mit ganz wenigen Ausnahmen für alle Bilanzposten gilt - auszuweisen. Ertrag ist im Regelfall erst dann entstanden, wenn ein Unternehmer alle vertraglichen Pflichten zur Durchführung des Geschäfts erfüllt hat (z.B. beim Kaufvertrag erst dann, wenn der Unternehmer die Ware an den Kunden übergeben hat). 52 Im Gegensatz zu den Erträgen sind die Aufwendungen eher früh auszuweisen. Grundsätzlich muss ein Verlust schon berücksichtigt werden, wenn er sich abzeichnet ( = Aufwandsantizipationsgebot). Hierzu werden - wie später noch ausführlicher beschrieben - das Niederstwertprinzip für Vermögensgegenstände und das Höchstwertprinzip für Schulden angewendet. 53 51 Vgl. zu den Prinzipien im Überblick Bossert, R. / Hartmann, P. (2005), S. 14ff. 52 Vgl. Buchholz, R. (2009), S. 25. 53 Vgl. Bossert, R. / Hartmann, P. (2005), S. 16ff. <?page no="78"?> 78 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Herstellungskosten liegen vor, wenn das Wirtschaftsgut, welches der Unternehmer in der Bilanz abbilden muss, von dem Unternehmer nicht per Fremdbezug erworben wird, sondern selbst hergestellt wird. Gemäß der gesetzlichen Definition des § 255 HGB stellen Herstellungskosten alle Aufwendungen dar, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder Verbesserung anfallen. Bei der Berechnung der Herstellungskosten muss zwischen den so genannten Pflichtbestandteilen und den Wahlbestandteilen unterschieden werden. Zu den Pflichtbestandteilen gehören alle zur Herstellung des Vermögensgegenstandes notwendigen Einzelkosten (Materialkosten, Fertigungskosten, Sonderkosten der Fertigung) sowie angemessene Teile der Gemeinkosten, die durch die Herstellung angefallen sind (Materialgemeinkosten, Fertigungsgemeinkosten). Zu den Wahlbestandteilen gehören angemessene Teile der Verwaltungsgemeinkosten. Diese müssen jedoch zwingend auf den Zeitraum der Fertigung entfallen; Fremdkapitalzinsen dürfen nur angesetzt werden, sofern sie der Finanzierung der Herstellung des Vermögensgegenstandes dienen. Gemeinkosten können im Vergleich zu den Einzelkosten dem Vermögensgegenstand nur indirekt zugerechnet werden. Die Gemeinkosten werden meist nur mit Hilfe von Zuschlagssätzen oder über entsprechende Umlageschlüssel auf die einzelnen Vermögenswerte verteilt. 54 Element der Herstellungskosten Fertigungsmaterial + Fertigungslöhne + Sondereinzelkosten der Fertigung + Materialgemeinkosten (soweit „angemessen“) + Fertigungsgemeinkosten (soweit „angemessen“) = Mindestansatz Herstellungskosten + Verwaltungsgemeinkosten (soweit „angemessen“) + Fremdkapitalzinsen (unter bestimmten Bedingungen) + freiwillige Sozialleitungen (unter bestimmten Bedingungen) = Höchstansatz Herstellungskosten Abbildung 2-25: Herstellungskosten Mit der Herstellung der Vermögensgegenstände verbundene Forschungskosten und Vertriebskosten dürfen nicht einbezogen werden. Das Verbot zur Einbeziehung der Forschungskosten und Vertriebskosten liegt darin begründet, dass diese Kosten nur schwer dem einzelnen Vermögensgegenstand zugeordnet werden können. Forschungskosten beispielsweise dienen zumeist der Entwicklung mehrerer Vermögensgegenstände gleichzeitig. Beispiel Im folgenden Beispiel werden die Lagerbestände einmal zur Wertuntergrenze (Fall A), zum anderen zur Wertobergrenze (Fall B) ausgewiesen. Es werden zwei Perioden betrachtet. In die Herstellungskosten sind die Fertigungskosten (hier: Personalaufwand) sowie die Materialaufwendungen einzubeziehen. Bezüglich der Einbeziehung der Verwaltungskosten besteht ein Wahlrecht. In der ersten Periode werden alle produzierten Stücke auf Lager gelegt; der Umsatz ist folglich Null. 54 Vgl. https: / / www.boeckler.de/ pdf/ mbf_grundlagen_ja_kapitel4.pdf (abgerufen am 13.2.2018). <?page no="79"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 79 Neue Betriebswirtschaft Die Bewertung der Lagerbestände erfolgt zur Wertuntergrenze (also zu 55 + 50 = 105). Es entsteht ein Verlust von 10. In der zweiten Periode hingegen wird die Produktion eingestellt und nur noch das Lager veräußert (Umsatzerlöse = 120). Der Gewinn beträgt 15. Über die zwei Perioden (Totalperiode) errechnet sich ein Gewinn von 5. Auch im Fall B ergibt die Totalperiode einen Gewinn von 5. Hier wird aber zur Wertobergrenze bewertet, sodass die Herstellkosten für das Lager nun bei 115 liegen und in der ersten Periode kein Verlust entsteht, während in der zweiten Periode der Gewinn bei 5 liegt. Man erkennt, dass die Lagerbewertung intertemporär zu einer Verschiebung des Gewinnausweises führen kann. Die Bewertung der Herstellungskosten zählt zu den bilanzpolitischen Wahlrechten. Tabelle 2-8: Bilanzierung von Herstellungskosten zur Wertuntergrenze Fall A EBK Bilanzierung der Herstellungskosten zur Wertuntergrenze Soll Haben Barmittel 135 135 EK Periode 1 GuV-K. SBK Soll Haben Soll Haben Verwaltungskosten 10 0 Umsatz Fertigerz. 105 125 EK Personalaufwand 55 105 Bestandserh. FE Barmittel 20 Materialaufwand 50 10 Verlust BS 125 125 BS 115 115 Periode 2 GuV-K. SBK Soll Haben Soll Haben Verw.kosten 0 120 Umsatz Fertigerz. 0 140 EK Personalaufwand 0 Barmittel 140 Materialaufwand 0 BS 140 140 BS Bestandsminderung FE 105 Gewinn 15 120 120 Periode 1 und 2 GuV-K. Soll Haben Verw.kosten 10 120 Umsatz Personalaufwand 55 Materialaufwand 50 Gewinn 5 120 120 <?page no="80"?> 80 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Tabelle 2-9: Bilanzierung von Herstellungskosten zur Wertobergrenze Fall B EBK Bilanzierung der Herstellungskosten zur Wertobergrenze Soll Haben Barmittel 135 135 EK Periode 1 GuV-K. SBK Soll Haben Soll Haben Verw.kosten 10 0 Umsatz Fertigerz. 115 135 EK Personalaufwand 55 115 Bestandserh. FE Barmittel 20 Materialaufwand 50 0 Verlust BS 135 135 BS 115 115 Periode 2 GuV-K. SBK Soll Haben Soll Haben Verw.kosten 0 120 Umsatz Fertigerz. 0 140 EK Personalaufwand 0 Barmittel 140 Materialaufwand 0 BS 140 140 BS Bestandsminderung FE 115 Gewinn 5 120 120 Periode 1 und 2 GuV-K. Soll Haben Verw.kosten 10 120 Umsatz Personalaufwand 55 Materialaufwand 50 Gewinn 5 120 120 2.4.7 Fortsetzung des Fallbeispiels: Periode 2 Ausgangspunkt ist die Anfangsbilanz des Jahres t2: Tabelle 2-10: Beispiel - Anfangsbilanz zum 1.1.t2 Soll Anfangsbilanz 1.1.t2 Haben Maschinen 67.000 € 40.000 € EK Waren 8.500 € 36.500 € Bankdarlehen Bank 500 € 0 € Verb. LuL Kasse 500 € BS 76.500 € 76.500 € BS <?page no="81"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 81 Neue Betriebswirtschaft Folgende Geschäftsvorfälle tätigt die Karl´s-Horst-GmbH also in t2: In der nächsten Periode t2 verkauft die Firma Waren (Barverkauf) zum Wert von 25.000 € (GF 1). Der Wareneinsatz zur Realisierung der Umsatzerlöse durch den Verkauf betrug 8.500 € (GF 2). Die Unternehmung produziert ein Produkt, zu dem sie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (RHB) als Materialaufwand verwendet. Die Unternehmung kauft zunächst RHB im Wert von 10.000 € und bezahlt diese per Bank noch in dieser Periode (GF 3). Desweiteren verkauft sie Produkte an die Kundschaft in Höhe von 40.000 € auf Ziel (GF 4). An Aufwendungen entstanden sind neben dem Wareneinsatz (GF 2) Personalauszahlungen (GF 6), Mietzahlungen (GF 7) und planmäßige Abschreibungen auf Maschinen (GF 5). Für die Produktion werden 7.500 € an RHB verbraucht (Materialaufwand! ) (GF 8). Auf Lager liegen Fertigerzeugnisse im Wert von 4.000 € (GF 9), die zu einer Bestandserhöhung in dieser Höhe führen. Hinzu kommt nun eine Tilgungsrate des Bankdarlehens (1.000 €) und Zinszahlungen für das Darlehen in Höhe von 250 € (GF 10 und 11). Die Buchungssätze zu den Geschäftsvorfällen im Journal lauten wie folgt: Buchungssätze 1) Bank an Umsatzerlöse Waren ......................................25.000 € 2) Wareneinsatz an Waren ................................................8.500 € 3) RHB an Bank.................................................................10.000 € 4) Ford. aus LuL an Umsatzerlöse Erz. ..............................40.000 € 5) Abschreibungen auf SA an Maschinen...........................6.700 € 6) Personalaufwand an Bank .............................................5.000 € 7) Mietaufwand an Bank ...................................................2.000 € 8) Materialaufwand an RHB ..............................................7.500 € 9) FE an Bestandsveränderung FE .....................................4.000 € 10) Zinsaufwand an Bank .....................................................250 € 11) Bankdarlehen an Bank ................................................1.000 € Diese Journalbuchungen werden nun in die Hauptbuchkonten übertragen: Tabelle 2-11: Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen auf den Bestandskonten in t2 Soll Maschinen Haben Soll EK Haben AB) 67.000 € 5) 6.700 € SBK 79.050 € AB) 40.000 € SBK 60.300 € GuV 39.050 € 67.000 € 67.000 € 79.050 € 79.050 € Soll RHB Haben Soll Bankdarlehen Haben 3) 10.000 € 8) 7.500 € 11) 1.000 € AB) 36.500 € SBK 2.500 € SBK 35.500 € 10.000 € 10.000 € 36.500 € 36.500 € <?page no="82"?> 82 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Soll Waren(einkauf) Haben Soll Bank Haben AB) 8.500 € 2) 8.500 € AB) 500 € 3) 10.000 € SBK - € 1) 25.000 € 6) 5.000 € 8.500 € 8.500 € 7) 2.000 € 10) 250 € Soll Fertigerzeugnisse Haben 11) 1.000 € 9) 4.000 € SBK 4.000 € SBK 7.250 € 4.000 € 4.000 € 25.500 € 25.500 € Soll Ford. LuL Haben Soll Kasse Haben 4) 40.000 € SBK 40.000 € AB) 500 € SBK 500 € 40.000 € 40.000 € 500 € 500 € Im Beispiel wurden in der Inventur Fertigerzeugnisse-Lagerbestände im Wert von 4.000 € ermittelt. Da der Lagerbestand am Anfang des Jahres Null war, hat sich der Bestand also um 4.000 € erhöht. Die wird auf dem Konto „BV Fertigerzeugnisse“ dokumentiert. Tabelle 2-12: : Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen auf den Erfolgskonten in t2 Soll Umsatzerlöse Waren Haben GuV-K. 25.000 € 1) 25.000 € Soll Umsatzerlöse Erzeugnisse Haben GuV-K. 40.000 € 4) 40.000 € Soll BV Fertigerzeugnisse Haben GuV 4.000 € 9) 4.000 € Soll Wareneinsatz Haben 2) 8.500 € GuV-K. 8.500 € Soll Abschreibungen SA Haben 5) 6.700 € GuV-K. 6.700 € Soll Personalaufwand Haben 6) 5.000 € GuV-K. 5.000 € Soll Mietaufwand Haben 7) 2.000 € GuV-K. 2.000 € Soll Materialaufwand Haben 8) 7.500 € GuV-K. 7.500 € Soll Zinsaufwand Haben 10) 250 € GuV-K. 250 € <?page no="83"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 83 Neue Betriebswirtschaft Nun folgen die Buchungen auf dem GuV-Konto. Die Erfolgsrechnung weist als Resultat aus der Gegenüberstellung von Aufwendungen (linke Seite) und Erträgen (rechte Seite) den Jahresüberschuss (JÜ) bzw. den Jahresfehlbetrag (JF) aus. Im Beispiel hat die Fa. Karl´s-Horst-GmbH einen Gewinn von 39.050 € erwirtschaftet. Tabelle 2-13: Beispiel - Buchungen auf dem GuV-Konto in t2 Soll GuV-Konto Haben Materialaufwand 7.500 € Umsatzerlöse FE 40.000 € Wareneinsatz 8.500 € Umsatzerlöse Waren 25.000 € Personalaufwand 5.000 € BV FE 4.000 € Mietaufwand 2.000 € Abschreibungen Sachanlagen 6.700 € Zinsaufwand 250 € JÜ 39.050 € 69.000 € 69.000 € Aus der folgenden Tabelle sind die Salden der Bestandskonten farblich hervorgehoben. Die Abschlussbuchungen lauten nun wie folgt: SBK an Maschinen ........................................60.300 € SBK an RHB ......................................................2.500 € SBK an FE .........................................................4.000 € SBK an Ford. LuL ............................................40.000 € SBK an Bank .....................................................7.250 € SBK an Kasse ......................................................500 € EK an SBK ......................................................79.050 € Darlehen an SBK ............................................35.500 € Das Schlussbilanzkonto hat schließlich folgendes Aussehen: Tabelle 2-14: Beispiel - SBK am 31.12.t2 Soll SBK 31.12.t2 Haben Maschinen 60.300 € 79.050 € EK RHB 2.500 € 35.500 € Bankdarlehen FE 4.000 € Ford. LuL 40.000 € Bank 7.250 € Kasse 500 € BS 114.550 € 114.550 € BS Das Eigenkapital erhöhte sich um 39.050 € auf jetzt 79.050 €. Das Bankdarlehen wurde zu einem geringen Teil getilgt. Die Bilanzsumme erhöhte sich von 76.500 € auf 114.500 €. Die Eigenkapitalerhöhung resultiert allein aus der GuV (private Vorgänge fanden hier ja nicht statt). <?page no="84"?> 84 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft 2.4.8 Gesamtkostenverfahren und Umsatzkostenverfahren als Verfahren der GuV- Rechnung Für Kapitalgesellschaften erlaubt § 275 II und III HGB in Staffelform die Aufstellung der GuV nach zwei Verfahren: Gesamtkosten- und Umsatzkostenverfahren. Die Berücksichtigung von Bestandsveränderungen der Erzeugnisse in der GuV-Rechnung ist nur im Gesamtkostenverfahren (GKV) notwendig. Das GKV (Produktionsverfahren) ermittelt den Erfolg aus dem Produktionsvorgang, indem der gesamte im Geschäftsjahr erzielte Produktionsertrag dem gesamten Aufwand aus der Produktion gegenübergestellt wird. Alle Produkte, die im Geschäftsjahr hergestellt wurden, werden als Ertrag ausgewiesen. Der Ausweis umfasst sowohl die im Geschäftsjahr verkauften Güter als auch die noch nicht verkauften Produkte, die als unfertige oder fertige Erzeugnisse auf Lager liegen. Diesen Erträgen werden die gesamten Herstellungskosten, die für den Produktionsprozess aller abgesetzten sowie aller produzierten Güter angefallen sind, als Aufwendungen gegenübergestellt. = Aufwand = Produktionsaufwand der Periode = Ertrag = Gesamtleistung der Periode Die folgende Abbildung zeigt den Aufbau des Gesamtkostenverfahrens nach dem BilRUG 2015: Auszuweisende Positionen nach § 275 II HGB: 1. Umsatzerlöse +/ - 2. Erhöhung oder Verminderung des Bestands an fertigen und unfertigen Erzeugnissen + 3. andere aktivierte Eigenleistungen + 4. sonstige betriebliche Erträge = Gesamtleistung - 5. Materialaufwand - 6. Personalaufwand - 7. Abschreibungen - 8. sonstige betriebliche Aufwendungen = Betriebsergebnis + 9. Erträge aus Beteiligungen + 10. Erträge aus anderen Wertpapieren und Ausleihungen des Finanzanlagevermögens + 11. sonstige Zinsen und ähnliche Erträge - 12. Abschreibungen auf Finanzanlagen und auf Wertpapiere des Umlaufvermögens - 13. Zinsen und ähnliche Aufwendungen +/ - 14. Steuern vom Einkommen und vom Ertrag = 15. Ergebnis nach Steuern +/ - 16. sonstige Steuern = 17. Jahresüberschuss/ Jahresfehlbetrag Beim UKV (Umsatzkostenverfahren) hingegen werden nur jene Aufwendungen erfasst, die Produkten oder Leistungen zugeordnet werden können, welche tatsächlich in der abgelaufenen Periode veräußert und damit umsatzwirksam wurden. Veränderungen im Bestand (wie beim Gesamtkostenverfahren) werden nicht erfasst. <?page no="85"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 85 Neue Betriebswirtschaft Auszuweisende Positionen nach § 275 III HGB: 1. Umsatzerlöse - 2. Herstellungskosten der zur Erzielung der Umsatzerlöse erbrachten Leistungen = 3. Bruttoergebnis vom Umsatz - 4. Vertriebskosten - 5. allgemeine Verwaltungskosten + 6. sonstige betriebliche Erträge - 7. sonstige betriebliche Aufwendungen = Betriebsergebnis + 8. Erträge aus Beteiligungen + 9. Erträge aus anderen Wertpapieren und Ausleihungen des Finanzanlagevermögens + 10. sonstige Zinsen und ähnliche Erträge - 11. Abschreibungen auf Finanzanlagen und auf Wertpapiere des Umlaufvermögens - 12. Zinsen und ähnliche Aufwendungen +/ - 13. Steuern vom Einkommen und vom Ertrag = 14. Ergebnis nach Steuern +/ - 15. sonstige Steuern = 16. Jahresüberschuss/ Jahresfehlbetrag Die beiden folgenden Schaubilder geben noch einmal anschaulich den Unterschied zwischen den beiden Verfahren wieder, und zwar einmal bei einer Bestandserhöhung … Abbildung 2-26: Vergleich von Gesamtkostenverfahren (GKV) und Umsatzkostenverfahren (UKV) bei Bestandserhöhung … und zum anderen bei einer Bestandsminderung: Abbildung 2-27: Vergleich von GKV und UKV bei Bestandsminderung <?page no="86"?> 86 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Die Gruppierung der Aufwendungen im GKV ähnelt einer Gruppierung nach Kostenarten (Personal, Material). Beim UKV wird eine Gruppierung nach Funktionen (Verwaltung, Vertrieb) vorgenommen. Hier werden den Umsatzerlösen die Umsatzaufwendungen, oder genauer gesagt, nur die durch die abgesetzten Produkte bedingten Herstellungskosten sowie die restlichen Aufwendungen des Betriebes gegenübergestellt. Wobei die übrigen Aufwendungen meist nach den betrieblichen Teilbereichen oder Teilfunktionen wie Vertrieb, Verwaltung und „Sonstiges“ gegliedert sind. Die Thematik Bestandsveränderungen sowie aktivierte und bewertete Eigenleistungen werden hier nicht dargestellt. Lediglich die den Funktionsbereichen nicht zurechenbaren Aufwendungen werden als sonstige Aufwendungen des Betriebes gezeigt. Aufwendungen für Material und Personal, Abschreibungen und sonstige primäre Aufwendungen des Betriebes in der Darstellung des Gesamtkostenverfahrens müssen nach definierten Schlüsseln für Kosten und Aufwand den verschiedenen Funktionsbereichen als sekundäre Aufwendungen zugerechnet werden. Die Schwierigkeit dabei ist die Schaffung der Zuordnung von Aufwendungen zum Herstellungs-, Vertriebs- oder Verwaltungsbereich sowie zu den Produkten, die abgesetzt wurden. Da die Aufwendungen nicht gleichwertig aus der nach konventionellem Kontenrahmen gegliederten Finanzbuchhaltung übertragbar sind, erfordert dies eine durchdachte Kosten- und Leistungsrechnung. 55 Bsp. Tabelle 2-15: Bsp. einer Ergebnisrechnung nach dem Gesamtkostenverfahren und dem Umsatzkostenverfahren Gesamtkostenverfahren Produkt A Produkt B Summe Erlöse 280.000 € 375.000 € 655.000 € Fertigungseinzelkosten 120.000 € 125.000 € - 245.000 € Gemeinkosten - 300.000 € Herstellkosten der Bestandsminderung A (-) - 60.000 € Herstellkosten der Bestandsmehrung B (+) + 45.000 € Gewinn = 95.000 € Umsatzkostenverfahren Produkt A Produkt B Summe Erlöse 280.000 € 375.000 € 655.000 € Selbstkosten 210.000 € 350.000 € - 560.000 € Gewinn = 95.000 € 55 Vgl. Heesen, B. (2016), S. 4. <?page no="87"?> 2 Buchhaltung und Bilanzierung 87 Neue Betriebswirtschaft 2.5 Berücksichtigung von Verlusten und Risiken im Jahresabschluss 2.5.1 Vorsichtsprinzip Das Vorsichtsprinzip ist eines der tragenden Prinzipien der Rechnungslegung nach HGB. Damit soll Ungewissheiten im Jahresabschluss Rechnung getragen werden. Solche Ungewissheiten treten im Rahmen des Wirtschaftsprozesses bei den unterschiedlichsten Ereignissen und Umständen auf. „Daraus resultierend sollten Vermögenswerte oder Erträge nicht zu hoch und Schulden oder Aufwendungen nicht zu niedrig angesetzt werden.“ 56 Das Vorsichtprinzip wird durch folgende Unterprinzipien ausgestaltet: ! Niederstwertprinzip (NWP) / Höchstwertprinzip (HWP): Wertminderungen von Vermögensgegenständen bzw. bewertungsbedingte Zunahme von Schulden sind - über eine Aufwandsbuchung - in der Bilanz zu berücksichtigen. Abbildung 2-28: Übersicht über die Bewertungen nach dem Niederstwertprinzip Zwischen der Bilanz und der GuV bestehen systembedingte Zusammenhänge derart, dass z.B. eine Abwertung von Vermögensgegenständen im Rahmen des Niederstwertprinzips (NWP) und eine Aufwertung von Schulden im Rahmen des Höchstwertprinzips (HWP), die in der Bilanz vorgenommen werden, gleichzeitig einen Ausweis von Aufwendungen und somit eine Ergebnisminderung in der GuV zur Folge haben. ! Realisations-/ Anschaffungswertprinzip: Potenzielle Gewinne, Erträge oder Chancen, die bis zum Stichtag noch nicht verwirklicht sind, dürfen nicht gewinnmehrend berücksichtigt werden. Aus der Perspektive der GuV soll das Realisationsprinzip verhindern, dass u.a. Wertsteigerungen, die im Zeitablauf über die historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten (AHK) (Anschaffungswertprinzip) hinaus eintreten, als Ertrag erfasst werden, wenn derartige Gewinne nicht über Verkaufsvorgänge mit Dritten verwirklicht, also realisiert worden sind. Selbst erstellte Vermögensgegenstände (im Anlagevermögen: aktivierte Eigenleistungen; im Umlaufvermögen: fertige und unfertige Erzeugnisse) sollen in der Bilanz nicht mit ihren unsicheren potenziellen Verkaufspreisen ausgewiesen werden. 57 Dementsprechend sind diese Vermögensgegenstände - wie oben gezeigt - 56 Auer, K. (2000), S. 218. 57 Vgl. Bossert, R. / Hartmann, P. (2005), S. 15. <?page no="88"?> 88 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft mit ihren (maximal aufwandsgleichen) Herstellungskosten zu bewerten und korrespondierend zur GuV in der Bilanz anzusetzen. „Die Gewinnspanne als Differenz zwischen einem potenziell unsicheren Verkaufspreis und den Herstellungskosten soll erst in der Periode als Gewinn(bestandteil) ausgewiesen, besteuert und ausgeschüttet werden, in der sie vereinnahmt wurde.“ 58 ! Das Imparitätsprinzip besagt, dass - umgekehrt - potenzielle, nicht realisierte Verluste sowie mit Wahrscheinlichkeit drohende Risiken oder Belastungen, die am Bilanzstichtag erkennbar sind und mit deren Eintritt nach dem Bilanzstichtag ernsthaft zu rechnen ist, bereits im Jahresabschluss des abgelaufenen Jahres über eine ergebnismindernde Aufwandsbuchung berücksichtigt (antizipiert) werden sollen. Risiken werden somit im Vergleich zu Chancen ungleich behandelt. Das Imparitätsprinzip dient auf dem Wege der stillen Selbstfinanzierung der Stärkung der Innenfinanzierungskraft der Unternehmung. 59 2.5.2 Ausgewählte Beispiele Wir werden uns im Folgenden auf einige gängige Beispiele konzentrieren, um die Behandlung von Risiken bzw. Verlusten im Rahmen der Abschlussbuchungen deutlich zu machen. 2.5.2.1 Außerplanmäßige Abschreibungen im Anlage- und Umlaufvermögen Außerplanmäßige Abschreibungen sind dann vorzunehmen, wenn ein Vermögensgegenstand - egal ob im Anlage- oder im Umlaufvermögen - eine unerwartete Wertminderung erfährt und diese voraussichtlich von Dauer ist. (Nur) bei Finanzanlagen können (Wahlrecht! ) außerplanmäßige Abschreibungen auch bei voraussichtlich nicht dauernder Wertminderung vorgenommen werden. Bei Sachanlagen müsste in solchen Fällen zusätzlich zur planmäßigen Abschreibung noch eine weitere Abschreibung, eben eine, die außerplanmäßig wäre, berücksichtigt werden. Im Umlaufvermögen spielt die Dauerhaftigkeit der Wertminderung keine Rolle, hier gilt stets das strenge Niederstwertprinzip ( = § 253 Abs. 3 Satz 3 und 4 HGB). Bei einer voraussichtlich dauernden Wertminderung besteht eine Abwertungspflicht auf den niedrigeren beizulegenden Wert. Die Bestimmung dieses Wertes ist bei den meisten Bilanzpositionen schwierig. Während der Tageskurs bei börsennotierten Wertpapieren anhand des verhältnismäßig objektiven Vergleichsmaßstabs „Börsenkurs am Bilanzstichtag“ ermittelt werden kann, sind andere Wertermittlungen, wie z.B. für Patente, Urheberrechte, Grundstücke, Beteiligungen, Handelswaren oder Forderungen oftmals nur nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung, d.h. möglichst willkürfreier Schätzung, möglich. Die Bewertung ist damit „eine mehr oder weniger subjektive Entscheidungshandlung des Bilanzierenden, die allerdings reale Konsequenzen für die Innenfinanzierung eines Unternehmens hat.“ 60 Denn je vorsichtiger die Bewertung ausfällt, desto geringer sind (zwischenzeitlich) die Mittelabflüsse für Steuer- und Ausschüttungsauszahlungen. Für die Unternehmen besteht mit dieser Regelung („voraussichtlich dauerhaft“) ein außerordentlich hoher Gestaltungsspielraum, weil letztlich die Argumente, ob die Wertminderung von Dauer oder doch nur vorübergehend ist, entscheiden. Je nach Zielsetzung bei der Bilanzerstellung wird der Bilanzierende die Auslegung in seinem Sinne betreiben: Gewinn-Minimierer (Maximierer) werden bestrebt sein, möglichst viele (wenige) Vermögenspositionen zu finden, bei denen sie eine außerplanmäßige Abschreibung vornehmen können. 61 Letztlich ist die Nutzung der außerplanmäßigen 58 Ebd. 59 Vgl. hierzu Zantow, R. (2004), S. 197f. 60 Bossert, R. / Hartmann, P. (2005), S. 19. 61 Er muss allerdings sicherstellen, dass z. B. der Abschlussprüfer, die Finanzbehörden oder die Analysten, die angeführte Argumentation und die Nachweise (sofern überhaupt verfügbar) für die dauerhafte Wertminderung nachvollziehen können und akzeptieren. <?page no="89"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 89 Neue Betriebswirtschaft Abschreibung also stark davon abhängig, inwiefern der Bilanzierende die Bilanzierungsgrundsätze ordnungsgemäß auslegt und anwendet bzw. inwieweit Externe Kenntnis von dem jeweiligen Sachverhalt haben. 62 Kleine und mittlere Unternehmen, die keiner Jahresabschluss-Prüfungspflicht unterliegen (betrifft insbesondere die Einzelunternehmen und Personengesellschaften sowie kleinere GmbHs), können das Ermessen stärker nutzen als prüfungspflichtige größere Unternehmen. Fällt der Grund für die außerplanmäßige Abschreibung weg, besteht handels- und steuerrechtlich ein Wertaufholungsgebot bis zum theoretisch fortgeführten Anschaffungswert (außer beim Geschäfts- oder Firmenwert, hier: Wertaufholungsverbot). Nimmt der Bilanzersteller eine Wertaufholung vor, was zu einer Gewinnerhöhung führt. Im Jahresabschluss werden drei Typen von Forderungen unterschieden: Einwandfreie Forderungen, Zweifelhafte Forderungen und Uneinbringliche Forderungen. Bei einwandfreien Forderungen wird mit einem Zahlungseingang in voller Höhe gerechnet. Sie müssen mit ihrem Nennwert in der Bilanz angesetzt werden, d.h. mit dem Rechnungsbetrag einschließlich der gesetzlichen Umsatzsteuer (Bruttobetrag). Zweifelhafte Forderungen (oder Dubiose) - aktives Bestandskonto - unterliegen dem Ausfallrisiko; der Zahlungseingang wird also unsicher. Beispiele: Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des säumigen Kunden; Debitor zahlt nach Mahnung nicht; Wechsel oder Schecks werden nicht eingelöst. Im Umlaufvermögen gilt das strenge Niederstwertprinzip, so dass diese Forderungen wertberichtigt werden müssen. Zweifelhafte Forderungen werden mit dem wahrscheinlichen Wert, den sie noch besitzen, in der Bilanz angesetzt. Die Bestimmung der Höhe der Einbringlichkeit erfolgt auf Basis der individuellen Beurteilung des Schuldners. Die Höhe des Ausfallrisikos kann häufig nicht exakt beziffert werden. Deshalb wird hier regelmäßig ein Schätzwert angesetzt. Der Rest der Forderung wird dann abgeschrieben (wertberichtigt). Insofern besteht bei der Festlegung von Einzelwertberichtigungen ebenfalls ein Ermessensspielraum des Bilanzierenden. Aus Gründen der Bilanzklarheit werden die zweifelhaften Forderungen von den einwandfreien Forderungen unterschieden. Die erfolgsneutrale Buchung lautet: „Zweifelhafte Forderungen an Forderungen“. Erst wenn ein Teil dieser zweifelhaften Forderungen abgeschrieben wird, wird der Forderungsausfall dem Aufwand zugerechnet. Die Abschreibung darf allerdings nur vom Nettobetrag erfolgen. Gemäß § 17 UStG wird die Umsatzsteuer erst bei einem tatsächlichen Forderungsausfall berichtigt. Bei den uneinbringlichen Forderungen steht am Bilanzstichtag fest, dass keine Zahlung erfolgt, z.B. wenn eine Zwangsvollstreckung fruchtlos ist, das Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt wird oder die Forderungen verjährt ist. Diese Forderungen müssen in voller Höhe abgeschrieben und die Umsatzsteuer korrigiert werden: „Abschreibungen auf Forderungen und USt an Forderungen“. Wenn auf eine Forderung ein Verlust zu erwarten ist, wird am Bilanzstichtag oft eine indirekte Buchung auf das Konto Einzelwertberichtigungen (EWB) mit der zu erwartenden Ausfallsumme (netto) durchgeführt. Das EWB-Konto stellt die kalkulierten Abschreibungen auf die Forderungen dar. Der Buchungssatz lautet: „Abschreibung auf Forderungen an EWB auf (zweifelhafte) Forderungen“. Steht es fest, dass eine Forderung uneinbringlich ist, wird die Forderung direkt über ein entsprechendes Konto abgeschrieben. Die EWB bleibt dabei unberührt, wird aber zum Jahresende angepasst. Da eine Einzelbewertung für jede Forderung aus Lieferung und Leistungen bei einem großen Kundenkreis schwer zu realisieren ist, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit allerdings mit Ausfällen von Forderungen zu rechnen ist, wird eine Pauschale auf Forderungsausfälle angesetzt. Sie gibt dann das allgemeine („latente“) Ausfallrisiko von Forderungen (netto! ) wieder. Normalerweise wird der (rechnerisch nachweisbare) Pauschalsatz aus den Forderungsausfällen (der nicht einzel- 62 Vgl. Hans-Böckler-Stiftung (2010), S. 14. <?page no="90"?> 90 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft wertberichtigten Forderungen) der letzten Jahre ermittelt. Gebucht wird die Pauschalwertberichtigung (PWB), ähnlich wie die EWB, indirekt. Zum Bilanzstichtag muss die PWB an den neuen Forderungsbestand angepasst werden. Dabei kann es zu einer Heraufstufung oder Herabsetzung des Pauschalwertes kommen. Besteht für eine Forderung eine Delkredereversicherung (Forderungsausfallversicherung), so ist die Wertberichtigung nur für den nichtversicherten Forderungsteil vorzunehmen. In der Praxis ist häufig eine Kombination beider Verfahren anzutreffen. So werden zunächst die betragsmäßig großen Forderungen einer Einzelbewertung unterzogen, im Anschluss erfolgt dann eine Pauschalwertberichtigung aller verbleibenden, nicht bereits einzeln bewerteten, Forderungspositionen. Gemäß § 253 V HGB darf ein niedrigerer Wertansatz nach § 253 III S. 5 oder 6 und IV nicht beibehalten werden, wenn die Gründe dafür nicht mehr bestehen (Zuschreibungsgebot). Bei der Auflösung der EWB können drei mögliche Fälle eintreten, die Ausfallsumme könnte zu niedrig, zu hoch oder genau mit der geschätzten Ausfallsumme übereinstimmen. Falls eine unerwartete Einzahlung auf eine abgeschriebene Forderung eingeht, ist der Zahlungseingang als aperiodischer Ertrag mit entsprechender Umsatzsteuer zu buchen. Wenn das Unternehmen nach HGB oder dem Publizitätsgesetz dazu verpflichtet ist, seine Bilanz zu veröffentlichen, dürfen PWB und EWB nicht in der Bilanz erscheinen. Die Wertberichtigungen werden von der Aktivposition abgesetzt (Nettoausweis). 2.5.2.2 Rückstellungen und deren Verbuchung Rückstellungen sind als Fremdkapital anzusehen und stets zweckgebunden. Unabhängig von den Ursachen der Bildung einer Rückstellung handelt es sich bei allen Rückstellungsarten um eine buchhalterische Vorwegnahme zukünftiger Auszahlungen. Da die exakte Auszahlungshöhe und/ oder der genaue Zahlungstermin im Zeitpunkt der Rückstellungsbildung noch nicht bekannt sind, beruht die Bildung einer Rückstellung immer auf einer Schätzung. 63 Für die Rückstellung ist der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendige Erfüllungsbetrag anzusetzen (§ 253 I S. 2 HGB). Es sind zukünftige Preis- und Kostensteigerungen zu berücksichtigen. Rückstellungen dürfen stets nur „netto“, d.h. ohne Umsatzsteuer ausgewiesen werden. Grundsätzlich lassen sich Schuldrückstellungen, Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften und Aufwandsrückstellungen unterscheiden. Bei den Schuldrückstellungen steht der Schuldcharakter im Vordergrund. Rückstellungen werden für ungewisse Verbindlichkeiten gebildet, die dem Grunde nach, in ihrer Höhe und/ oder von ihrem Zeitpunkt her noch nicht sicher feststehen. 64 Bei einer Verbindlichkeitsrückstellung besteht eine Verpflichtung gegenüber Dritten. Eine typische Verbindlichkeitsrückstellung ist z. B. die Rückstellung für Pensionszusagen: Für eine in der Regel erst Jahre nach der Zusage zu zahlende Pensionsverpflichtung wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufwandswirksam eine Rückstellung gebildet. Für Verbindlichkeitsrückstellungen besteht eine Bilanzierungspflicht. Im Zusammenhang mit dem Ansatz von Rückstellungen in der Bilanz ergibt sich i. d. R. ein Ermessensspielraum bezüglich der Höhe und der Eintrittswahrscheinlichkeit der Rückstellung. Neben den genannten Rückstellungsarten kennt das Handelsrecht desweiteren die Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften. Die zivilrechtliche Grundlage schwebender Geschäfte ergibt sich aus § 320 BGB. Wer danach aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vor zu leisten verpflichtet ist. Die aus einem 63 Vgl. Scheffler, W. / Köstler, M. / Oßmann, S. (2012), S. 271. 64 Beispiele bei Schneider, W. (2008), S. 300ff. <?page no="91"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 91 Neue Betriebswirtschaft Vertrag im Sinne des § 320 BGB entstehende Pflicht bezieht sich sowohl auf Sachals auch auf Dienstleistungsverpflichtungen, die entweder aus einem Einzelschuldverhältnis (z.B. Kaufvertrag, §§ 433 ff. BGB) oder einem Dauerschuldverhältnis (z.B. Mietverträge, §§ 535 ff. BGB) resultieren können. Soweit beide Seiten ihre Vertragspflicht noch nicht erfüllt haben, handelt es sich um ein schwebendes Geschäft, in dem weder handelsnoch steuerrechtlich der Gewinn oder Verlust bereits realisiert ist. 65 Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft dürfen in der Bilanz grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (Grundsatz des Bilanzierungsverbotes). Ein Bilanzausweis ist nur geboten, wenn und soweit das Gleichgewicht solcher Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist oder aus diesem Geschäft ein Verlust droht. Diese Bilanzierungsgrundsätze gelten nicht nur für gegenseitige Verträge, die auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichtet sind, sondern auch für Dauerschuldverhältnisse. Die Pflicht zur Bildung einer Verlustrückstellung ergibt sich aus dem bilanzrechtlichen Imparitätsprinzip. Durch die Rückstellung dürfen jedoch nur objektiv zu erwartende (drohende) Verluste antizipiert werden; die bloße Möglichkeit, dass das eingeleitete Geschäft mit einem Verlust abgeschlossen wird, reicht hierfür nicht aus. Ein Verlust „droht“, wenn konkrete Anzeichen dafür vorliegen, dass der Wert der eigenen Verpflichtungen aus dem Geschäft den Wert des Anspruchs auf die Gegenleistung übersteigt (sog. Verpflichtungs- oder Aufwendungsüberschuss), wobei die objektiven Wertverhältnisse am Bilanzstichtag maßgebend sind. Bei der Gruppe der Aufwandsrückstellungen steht die Abgrenzungsfunktion im Vordergrund. Dies bedeutet, dass die zukünftigen Ausgaben in den gegenwärtigen Aufwand transferiert werden. Erlaubt ist die Bildung von Rückstellungen für Abraumbeseitigung und für Instandhaltungsaufwendungen, die im vergangenen Geschäftsjahr unterlassen wurden, jedoch innerhalb der ersten drei Monate des folgenden Geschäftsjahres nachgeholt werden. Zum Zeitpunkt der Rückstellungsbildung ist erfolgswirksam ein Aufwand auf das Aufwandskonto zu buchen, welches sachlich zutreffend ist. Im Haben wird das jeweilige Rückstellungskonto (pass. Bestandskonto) angesprochen. „Aufwandskonto an Rückstellungen“. Eine Rückstellung ist aufzulösen, wenn der Grund, für den die Rückstellung gebildet wurde, eingetreten oder eine Inanspruchnahme nicht mehr wahrscheinlich ist. Es sind drei Fälle zu unterscheiden: 66 Es kommt zu einer erfolgsneutralen Bilanzverkürzung, wenn Auszahlung mit dem Rückstellungsbetrag übereinstimmt. Ist die tatsächliche Zahlung niedriger (höher) als der Rückstellungsbetrag, so entsteht in der Höhe der Differenz zwischen Rückstellungsbetrag und Auszahlung ein sonstiger betrieblicher Ertrag bzw. ein sonstiger betrieblicher Aufwand. 2.5.3 Fortsetzung des Fallbeispiels: Periode 3 In der dritten Periode t3 muss die Karl´s-Horst-GmbH zusätzlich einige Risiken bzw. Verluste berücksichtigen und „verkraften“. Die Anfangsbilanz zum 1.1.t3: Tabelle 2-16: Beispiel - Anfangsbilanz 1.1.t3 Soll Anfangsbilanz 1.1.t3 Haben Maschinen 60.300 € 79.050 € EK RHB 2.500 € 35.500 € Bankdarlehen FE 4.000 € 65 Beispiel hierzu unter http: / / www.welt-der-bwl.de/ Drohverlustrückstellung (abgerufen am 3.4.2018) 66 Vgl. Schneider, W. (2008), S. 304ff. <?page no="92"?> 92 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Ford. LuL 40.000 € Bank 7.250 € Kasse 500 € Bilanzsumme 114.550 € 114.550 € Bilanzsumme Zunächst verkauft die Fa. Erzeugnisse zu 10.000 €, die bar bezahlt werden (GF 1). Die Unternehmung zahlt nun für Gehälter 5.000 €, für Miete nach wie vor 2.000 € (GF 2 und 3). Der Lagerbestand wird komplett an den Markt abgegeben, woraus eine Bestandsminderung an FE resultiert. (GF 4). Die Kunden zahlen ihre Schulden nur in Höhe von 37.000 € statt 40.000 € zurück. 3.000 € fallen mithin wahrscheinlich aus (GF 5 und 11). Es wird für d ie Pr od uk ti on 2 .500 € a n RH B verbr a uc ht (G F 6). Zi n sen we rde n wie i n de r v er ga ng enen P eriod e 250 € gezahlt (GF 7). Planmäßige Abschreibungen in Höhe von 6.700 € an (GF 8). Eine Maschine fällt unvorhergesehen aus, die Wertminderung beträgt 3.000 €. (GF 9). Die Unternehmung muss aufgrund Gewährleistung mit einer Inanspruchnahme in späteren Perioden in Höhe von wahrscheinlich 1.500 € rechnen (GF 10). Buchungssätze 1) Bank an Umsatzerlöse ............................................. 10.000 € 2) Personalaufwand an Bank ......................................... 5.000 € 3) Mietaufwand an Bank ............................................... 2.000 € 4) Bestandsveränderung an FE ...................................... 4.000 € 5) Bank an Ford. LuL .................................................... 37.000 € 6) Materialaufwand an RHB .......................................... 2.500 € 7) Zinsaufwand an Bank ................................................... 250 € 8) Abschreibungen SA an Maschinen ............................ 6.700 € 9) Abschreibungen SA an Maschinen ............................ 3.000 € 10) Gewährleistungsaufwand an Rückstellungen ......... 1.500 € 11) Abschreibungen Forderungen an Ford. LuL .......... 3.000 € Die Buchungssätze werden in den Bestandskonten …. Tabelle 2-17: Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen im Hauptbuch Soll Maschinen Haben Soll EK Haben AB) 60.300 € 8) 6.700 € GuV/ JF 17.950 € AB) 79.050 € 9) 3.000 € SBK 61.100 € GuV/ JÜ - € SBK 50.600 € 79.050 € 79.050 € 60.300 € 60.300 € Soll Bankdarlehen Haben Soll Fertigerzeugnisse Haben SBK 35.500 € AB) 35.500 € AB 4.000 € 4) 4.000 € 35.500 € 35.500 € 4.000 € 4.000 € Soll Rückstellungen Haben Soll RHB Haben SBK 1.500 € 10) 1.500 € AB) 2.500 € 6) 2.500 € 1.500 € 1.500 € SBK - € 2.500 € 2.500 € <?page no="93"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 93 Neue Betriebswirtschaft Soll Bank Haben Soll Ford. LuL Haben AB) 7.250 € 2) 5.000 € AB) 40.000 € 5) 37.000 € 1) 10.000 € 3) 2.000 € 11) 3.000 € 5) 37.000 € 7) 250 € SBK - € SBK 47.000 € 40.000 € 40.000 € 54.250 € 54.250 € Soll Kasse Haben AB) 500 € SBK 500 € 500 € 500 € …und Erfolgskonten des Hauptbuches wie folgt abgebildet: Tabelle 2-18: Beispiel Buchungen auf den Erfolgskonten in t3 Soll Umsatzerlöse Haben Soll Personalaufwand Haben GuV-K. 10.000 € 1) 10.000 € 2) 5.000 € GuV-K. 5.000 € 10.000 € 10.000 € 5.000 € 5.000 € Soll BV Fertigerzeugnisse Haben 4) 4.000 € GuV 4.000 € Soll Mietaufwand Haben 4.000 € 4.000 € 3) 2.000 € GuV-K. 2.000 € 2.000 € 2.000 € Soll Abschreibungen SA Haben 8) 6.700 € GuV-K. 9.700 € Soll Materialaufwand Haben 9) 3.000 € 6) 2.500 € GuV-K. 2.500 € 9.700 € 9.700 € 2.500 € 2.500 € Soll Gewährleistungsaufwand Haben Soll Zinsaufwand Haben 10) 1.500 € GuV-K. 1.500 € 7) 250 € GuV-K. 250 € 1.500 € 1.500 € 250 € 250 € Soll Abschreib. Forderungen Haben 11) 3.000 € GuV-K. 3.000 € 3.000 € 3.000 € Das GuV-Konto weist einen Jahresfehlbetrag von 17.950 € auf. <?page no="94"?> 94 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Tabelle 2-19: Beispiel - GuV-Konto in t3 Soll GuV-Konto t3 Haben Materialaufwand 2.500 € Umsatzerlöse FE 10.000 € Personalaufwand 5.000 € BV FE - € Mietaufwand 2.000 € Abschreibungen (planm. und außerplanm.) 9.700 € Zinsaufwand 250 € BV FE 4.000 € Gewährleistungsaufwand 1.500 € Abschr. Forderungen 3.000 € JÜ - € JF 17.950 € 27.950 € 27.950 € Das SBK nimmt schließlich zum 31.12.t3 folgende Gestalt an: Tabelle 2-20: Beispiel - SBK 31.12.t3 Soll SBK 31.12.t3 Haben Maschinen 50.600 € 61.100 € EK RHB € 35.500 € Bankdarlehen FE € 1.500 € Rückstellung Ford. LuL € Bank 47.000 € Kasse 500 € Bilanzsumme 98.100 € 98.100 € Bilanzsumme Was passiert, wenn sich statt eines Jahresüberschusses ein Jahresfehlbetrag ergibt? Es besteht zum einen die Möglichkeit, den Bilanzverlust in der Bilanz auszuweisen. Zum anderen können auch Rücklagen aufgelöst und dadurch unter bestimmten Voraussetzungen Verluste ausgeglichen werden (§ 150 AktG). 2.6 Kapital-/ Finanzflussrechnung als Ursachenrechnung für Liquiditätsveränderung Prinzipiell kann das traditionell zweigeteilte Rechnungswesen auch dreigeteilt dargestellt werden, und zwar durch eine Bilanz (Bilanzkonten), durch eine Erfolgsrechnung (Erfolgskonten) und durch eine Finanzrechnung (Finanzkonten). Letztere stellt die (Perioden-)Einzahlungen/ Einnah- <?page no="95"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 95 Neue Betriebswirtschaft men den (Perioden-)Auszahlungen/ Ausgaben unter Berücksichtigung der Zahlungsmittelanfangsbestände entgegen und ermittelt auf diese Weise den Zahlungsmittelendbestand (oder Liquiditätssaldo). Im herkömmlichen, praktisch gebräuchlichen zweigeteilten Rechnungswesen erhält man keine systematisch mit der Bilanz und Erfolgsrechnung verzahnte Finanzrechnung. „Liquiditätswirksame Geschäftsvorgänge werden also undifferenziert auf ein Zahlungsmittelkonto gebucht und nicht wie im dreiteiligen System zunächst ohne unmittelbare Aufrechnung von Einnahmen und Ausgaben und gegliedert nach Zahlungsarten auf eigenständigen Finanzkonten.“ 67 Geschäftsvorfälle, die (wie oben bereits gezeigt) zu einer Veränderung der Liquiden Mittel führen, werden in der Bilanz und in der Kapitalflussrechnung abgebildet. Geschäftsvorfälle, die das Geldvermögen verändern, werden allein in der Bilanz abgebildet. Die Veränderung des Reinvermögens geschieht in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung. Das folgende Bild soll diese Verzahnungen zwischen den drei Rechnungswesenteilen noch einmal veranschaulichen: Abbildung 2-29: Interdependenzen zwischen Bilanz, Erfolgsrechnung und Kapitalfluss-/ Finanzrechnung Quelle: Wöltje, J. (2016), S. 30. Die Veränderung der Liquiden Mittel tragen in der Bilanz zur Abbildung der Entwicklung der Liquiditäts- und Vermögenslage bei, in der Finanz- oder Kapitalflussrechnung (KFR) werden dann die Ursachen für diese Veränderungen deutlich. Zu diesem Zweck werden die Einzahlungen und Auszahlungen hinsichtlich zentraler Unternehmensbereiche (nämlich operative Tätigkeit, Investitions- und Finanzierungstätigkeit) differenziert. 67 Schierenbeck, H. / Wöhle, C.B. (2012), S. 603. <?page no="96"?> 96 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Aufbau einer Kapital-/ Finanzflussrechnung (KFR) Im Allgemeinen werden die Zahlungsströme in drei Stufen des Cash-Flows unterschieden: ! Cash-Flow aus operativer Tätigkeit ! Cash-Flow aus Investitionstätigkeit ! Cash-Flow aus Finanzierungstätigkeit Um diese Cash-Flow zu errechnen, werden alle Ein- und Auszahlungen einer Periode betrachtet und ihrer Wirkung nach entsprechend zugeordnet. Dabei gibt es zwei Methoden: die indirekte und die direkte Methode. In der Praxis findet die indirekte Methode am häufigsten Anwendung, da bei dieser Methode die Cash-Flows aus dem Jahresüberschuss der Gewinn- und Verlustrechnung ermittelt werden können. Im Folgenden werden beide Berechnungen kurz skizziert. 68 Die indirekte Methode geht vom Jahresüberschuss aus und korrigiert diesen durch Hinzufügen der nicht zahlungswirksamen Aufwendungen, wie zum Beispiel Abschreibungen oder Einstellungen in die Rückstellungen. Zudem werden zahlungsunwirksame Erträge heraus gerechnet, wie zum Beispiel Zuschreibungen oder Erträge aus der Auflösung von Rückstellungen. Daraus ergibt sich der Cash-Flow der laufenden Geschäftstätigkeit. Die direkte Methode berechnet die Cash-Flows nicht über den Jahresüberschuss der Gewinn- und Verlustrechnung, sondern betrachtet Veränderungen aus internen Ein- und Auszahlungen, welche nur bedingt aus dem Jahresabschluss hervorgehen. Dafür werden die Einzahlungen von Kunden, aufgrund von Erzeugnisverkäufen mit sonstigen, nicht der Investition und Finanzierung zuzuordnenden, Einzahlungen addiert und um entsprechende Auszahlungen, wie zum Beispiel die Bezahlung von Lieferanten, reduziert. Daraus ergibt sich der Cash-Flow der laufenden Geschäftstätigkeit. Im Anschluss wird bei beiden Methoden gleich der Cash-Flow der Investitionstätigkeit gebildet. Dafür werden Einzahlungen aus dem Abgang von Anlagevermögen ermittelt und um Auszahlungen für den Erwerb von Anlagevermögen reduziert. Der Cash-Flow der Finanzierungstätigkeit wird in der direkten und indirekten Methode ebenfalls gleich berechnet. Dabei werden Einzahlungen in das Eigenkapital oder aus der Kreditaufnahme zusammengefasst und reduziert um Auszahlungen an Gesellschafter oder Kredittilgungen. Um den Finanzmittelbestand der betrachteten Periode zu ermitteln, werden die gebildeten Cash-Flows addiert und ggf. um wechselkursbedingte Wertveränderungen bereinigt. Die Summe daraus wird mit dem Anfangsbestand der Periode addiert und ergibt somit den Finanzmittelbestand am Ende der Periode. Aussagekraft der Kapital-/ Finanzflussrechnung (KFR): Die Information, die eine KFR enthält, ist in der Bilanz und der GuV zwar enthalten, aber nicht explizit aus ihnen ersichtlich. Eine KFR hilft dem Informationsempfänger, die liquiditätsmäßigen Rahmenbedingungen eines Unternehmens einzuschätzen, damit die Entscheidungen des Managements besser zu beurteilen und zukünftige Zahlungsströme besser zu prognostizieren sind. Sie ermöglicht darüber hinaus die Fähigkeit des Unternehmens einzuschätzen, Zinsen und Darlehenstilgungen aufzubringen und Gewinnausschüttungen vorzunehmen. 69 Die Gewinnung von positiven Zahlungsströmen aus dem operativen Bereich ist für Unternehmen wesentlich. Sollten dauerhaft zu geringe Zahlungsmittel zufließen, würde das Überleben bedroht sein. Bei genügend positiven Zahlungsmittelströmen hingegen kann das Unternehmen wachsen, hat bei Bedarf ausreichend Geld für F&E sowie für gut bezahlte Mitarbeiter. 68 Quelle: https: / / www.controllingportal.de/ Fachinfo/ Grundlagen/ Die-Kapitalflussrechnung.html (abgerufen am 14.8.2017) 69 Vgl. Möller, H.P. / Hüfner, B. (2007), S. 305. <?page no="97"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 97 Neue Betriebswirtschaft Mit den Daten einer KFR lassen sich problembeladene Unternehmen relativ gut identifizieren. 70 „Negative operative Zahlungsströme sollten spätestens ab dem zweiten Jahr ernsthaft betrachtet werden. Ohne einen positiven Zahlungsstrom aus dem operativen Bereich kann ein Unternehmen nicht bestehen. Es genügt dann nicht, auf positive Zahlungsströme aus dem Investitions- oder Finanzbereich zu hoffen.“ 71 In unserem Fallbeispiel sieht die KFR für das Jahr t1 wie folgt aus. Tabelle 2-21: KFR in t1 Umsatzeinzahlungen 0 € Wareneinkauf - 3.500 € Personalzahlungen 0 € Mietzahlungen 0 € Saldo operativer Bereich (1) - 3.500 € Saldo Investitionsbereich (2) 0 € Aufnahme Bankdarlehen 1.500 € Saldo Finanzierungsbereich (3) 1.500 € 1 Fonds áLiquide Mittel" (1+2+3) - 2.000 € Stand Liquide Mittel per 1.1.t2 3.000 € Stand Liquide Mittel per 31.12.t2 1.000 € In der Periode 1 wurden keine Umsatzerlöse erzielt, sondern lediglich Waren für 3.500 eingekauft, zunächst auf Kredit (GV 2), dann zu 2.000 teilbezahlt (GV 3), die Verbindlichkeiten aus LuL wurden getilgt, wofür ein Bankdarlehen über 1.500 aufgenommen wurde (GV 4). Die liquiden Mittel (Bank + Kasse) haben sich dadurch um 2.000 vermindert. Die KFR der Periode2 sieht wie folgt aus: Tabelle 2-22: KFR in t2 Umsatzeinzahlungen 25.000 € (nur Barverkäufe) RHB-Einkauf - 10.000 € Personalzahlungen - 5.000 € Mietzahlungen - 2.000 € Fremdkapitalzinszahlung - 250 € Saldo operativer Bereich (1) 7.750 € Saldo Investitionsbereich (2) 0 € Tilgung Bankdarlehen - 1.000 € Saldo Finanzierungsbereich (3) - 1.000 € 1 Fonds áLiquide Mittel" (1+2+3) 6.750 € Stand Liquide Mittel per 1.1.t3 1.000 € Stand Liquide Mittel per 31.12.t3 7.750 € 70 Vgl. Krehl, H. / Hauschildt, J. (1988), S. 91ff. 71 Möller, H.P. / Hüfner, B. (2007), S. 322. <?page no="98"?> 98 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Die Liquiden Mittel haben um 6.750 € zugenommen. Diese Zunahmen resultieren im operativen Bereich aus Umsatzeinzahlungen (25.000 €) sowie (negativ) den Auszahlungen für den Einkauf von RHB und Waren, Personalzahlungen, Mietzahlungen sowie Zinszahlungen insgesamt über 17.250 €, sodass ein Einzahlungsüberschuss im operativen Bereich von 7.750 € verbleibt. Der Investitionsbereich weist keinen Zahlungssaldo auf, der Finanzierungsbereich hingegen durch die Rückzahlung eines Bankdarlehens einen Saldo in Höhe von -1.000 € auf. Eine Periode später ergibt sich dann folgende KFR: Tabelle 2-23: KFR in t3 Umsatzeinzahlungen 47.000 € Wareneinkauf - € Mietzahlungen - 2.000 € Personalauszahlungen - 5.000 € Fremdkapitalzinszahlung - 250 € Saldo operativer Bereich (1) 39.750 € Saldo Investitionsbereich (2) - € Aufnahme Bankdarlehen - € Saldo Finanzierungsbereich (3) - € 1 Fonds áLiquide Mittel" (1+2+3) 39.750 € Stand Liquide Mittel per 1.1.t3 7.750 € Stand Liquide Mittel per 31.12.t3 47.500 € Hier hat sich der Fonds der Liquiden Mittel um 39.750 erhöht. Dies resultiert aus Umsatzeinzahlungen von 47.000 (10.000 Barverkäufe + 37.000 Forderungseingänge aus t2) und Auszahlungen für Miete, Personal und Zinsen über 7.250. Das Bankdarlehen wurde nicht berührt, und es gab weder Investitionsauszahlungen noch sonstige Finanzierungs-/ Kapitalein- oder auszahlungen. Die folgende Tabelle zeigt zusammenfassend die Entwicklung der Bilanz, GuV und KFR über die drei Jahre unseres Beispielfalls: Tabelle 2-24: Beispiel - Vermögensveränderung, GuV und KFR über alle Perioden t0 bis t3 Bilanz t0 t1 t2 t3 Maschinen 67.000 € 67.000 € 60.300 € 50.600 € Waren/ RHB/ FE 5.000 € 8.500 € 6.500 € - € Forder. LuL - € - € 40.000 € - € Liquide Mittel (Bank/ Kasse) 3.000 € 1.000 € 7.750 € 47.500 € BS 75.000 € 76.500 € 114.550 € 98.100 € EK 40.000 € 40.000 € 79.050 € 61.100 € Darlehen 35.000 € 36.500 € 35.500 € 35.500 € Rückstellungen - € - € - € 1.500 € BS 75.000 € 76.500 € 114.550 € 98.100 € <?page no="99"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 99 Neue Betriebswirtschaft 1 Bilanz t0 t1 t2 t3 Liquide Mittel (+/ -) 3.000 € - 2.000 € 6.750 € 39.750 € sonst. Finanzvermögen (+/ -) - € - € - € - € Forderungen (+/ -) - € - € 40.000 € - 40.000 € Fremdkapital (-/ +) - 35.000 € - 1.500 € - 1.000 € - 1.500 € = Geldvermögen (+/ -) - 32.000 € - 3.500 € 45.750 € - 1.750 € Sachanlagen 67.000 € - € - 6.700 € - 9.700 € Waren/ RHB/ FE 5.000 € 3.500 € - € - 6.500 € = Reinvermögen (+/ -) 40.000 € - € 39.050 € - 17.950 € GuV t0 t1 t2 t3 Umsatzerlöse 65.000 € 10.000 € BV FE 4.000 € - 4.000 € Wareneinsatz/ RHB-/ Materialverbrauch - 16.000 € - 2.500 € Rohertrag - € - € 53.000 € 3.500 € Personal-/ Mietaufwand - 7.000 € - 7.000 € Abschreibungen Sachanlagen - 6.700 € - 9.700 € Abschreibungen Forderungen - € - 3.000 € Veränder. Rückstellungen - € - 1.500 € Betriebsergebnis - € - € 39.300 € - 17.700 € Zinsaufwand - 250 € - 250 € Finanzergebnis - € - € - 250 € - 250 € Jahresüberschuss - € - € 39.050 € - 17.950 € KFR t0 t1 t2 t3 Umsatzeinzahlungen - € - € 25.000 € 47.000 € Wareneinkauf - 5.000 € - 3.500 € - 10.000 € - € Personal-/ Mietauszahlungen - € - € - 7.000 € - 7.000 € Saldo operativer Bereich - 5.000 € - 3.500 € 8.000 € 40.000 € Kauf Maschinen - 67.000 € - € - € - € Saldo Investitionsbereich - 67.000 € - € - € - € Aufnahme Bankdarlehen 35.000 € 1.500 € - 1.000 € - € Kapitaleinzahlung 40.000 € - € - € - € Zinsauszahlungen - € - € - 250 € - 250 € Saldo Finanzierungsbereich 75.000 € 1.500 € - 1.250 € - 250 € 1 Fonds áLiquide Mittel" 3.000 € - 2.000 € 6.750 € 39.750 € Stand Liquide Mittel per 1.1.tx - € 3.000 € 1.000 € 7.750 € Stand Liquide Mittel per 31.12.tx 3.000 € 1.000 € 7.750 € 47.500 € <?page no="100"?> 100 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Die vier Perioden sollen zusammenfassend noch einmal dargestellt werden. In der Periode Null wurden typische Gründungsaktivitäten (Kapitaleinzahlung und Darlehensaufnahme sowie Investition in Sachanlagen und Wareneinkauf) vorgenommen. Die erste Periode war ausschließlich durch erfolgsunwirksame Geschäftsfälle geprägt, und zwar wurden die vier klassischen Geschäftsvorfälle (Aktiv- und Passivtausch sowie Bilanzverlängerung und -verkürzung) gebucht. Insofern ergab sich keine Veränderung des Eigenkapitals (da auch keine Privatvorgänge vorkamen). Nur die Bilanzstruktur veränderte sich. Die liquiden Mittel nahmen leicht ab. In der Periode zwei wurden erfolgswirksame Geschäftsvorfälle verbucht. So wurden einige typische Auszahlungsvorgänge, wie Personal- und Miet- und Zinszahlungen vorgenommen. Darüber hinaus sind Abschreibungen auf Anlagen, Einkäufe von Materialien, Produktion von Erzeugnissen, Bestandsaufbau, also Lagerhaltung, und schließlich Verkäufe von Waren und Fertigerzeugnissen durchgeführt worden. Zum Teil wurden die Verkäufe in bar beglichen, zum Teil auf Rechnung geliefert. Das Jahresergebnis war relativ hoch, während der Liquiditätszuwachs demgegenüber deutlich zurückblieb. Die letzte, dritte, Periode war durch hohe Umsatzeinzahlungen, bei geringeren Umsatzerlösen, sowie Buchverlusten (Abschreibungen und Rückstellungsbildung) gekennzeichnet. Folge war ein deutliches Auseinanderfallen von Liquiditätssaldo (positiv) und Jahresergebnis (negativ). <?page no="101"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 101 Neue Betriebswirtschaft Anlage: Bilanzgliederung nach § 266 HGB <?page no="102"?> 102 Uwe Christians LLiitteerraattuurr Auer, K.W., Externe Rechnungslegung, Berlin u.a. 2000. Bleis, C., Grundlagen Investition und Finanzierung, 2. Aufl., München-Wien 2009. Bossert, R. / Hartmann, P., Übungsbuch Jahresabschluss, Konzernabschluss nach HGB, IAS/ IFRS und US-GAAP, 3. Aufl., Stuttgart 2005. Buchholz, R., Grundzüge des Jahresabschlusses nach HGB und IFRS, 5. Aufl., München 2009. Exler, M., Controllingorientiertes Finanz- und Rechnungswesen, 2. Aufl., Herne 2015. Geismann, U., Basiswissen Buchführung, Wiesbaden 2017. Hans-Böckler-Stiftung, Bilanzpolitik und Jahresabschlussanalyse, Sept. 2010, https: / / www.boeckler. de/ pdf/ mbf_bilanzpolitik_ja-analyse_gesamt.pdf. Heesen, B., Basiswissen Bilanzanalyse, Wiesbaden 2016. Känel, S., Bilanz und Bilanzanalyse, Herne/ Berlin 2007. Klauk-Lahme, B., Buchführung, Berlin 2010. Krehl, H. / Hauschildt, J., Krisendiagnose durch Finanzfußrechnungen, in: J. Hauschildt (Hrsg.): Krisendiagnose durch Bilanzanalyse, Köln 1988, S. 91ff. Kudert, S. / Sorg, P., Rechnungswesen - leicht gemacht, Berlin 2011. Küting, P. / Lorson, P., Konvergenz von internem und externem Rechnungswesen: Anmerkungen zu Strategien und Konfliktfeldern, in: Die Wirtschaftsprüfung 1998, S. 483-493. 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Die Grundlagen des modernen Finanzmanagements, München 2004. <?page no="103"?> Neue Betriebswirtschaft 3 3 NNeeuuee B Beettrriieebbsswwiirrttsscchhaaffttsslleehhr ree uunndd AAnng geewwaannd dttee SSttaattiissttiikk -- zzwwe eii SSeeiitteenn eeiinne err MMeeddaaiillllee Peter P. Eckstein Lernziele Die abschnittbezogenen Darstellungen sollen Ihnen anschaulich vermitteln, dass ! eine moderne Betriebswirtschaftslehre untrennbar mit der Angewandten Statistik verwoben ist, so, wie auf einer Medaille oder Geldmünze ein prägendes Wappen und eine Zahl ein einheitliches Ganzes bilden. ! die Statistik eine historisch gewachsene wissenschaftliche Disziplin ist, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung eine Zustandsbeschreibung eines realen Sachverhalts kennzeichnet, woraus sich ihre Etikettierung als „die Wissenschaft von der empirischen Erkenntnis“ erklärt. ! die Statistik aus methodischer Sicht zum einen in die Teilgebiete Deskriptive Statistik, Stochastik und Induktive Statistik und zum anderen in die Theoretische Statistik und in die Angewandte Statistik gegliedert wird. ! die Angewandte Statistik insbesondere mit der Verfügbarkeit moderner Rechentechnik und einschlägiger Softwarepakete einen vielfältigen Katalog von Verfahren und Methoden zur Gewinnung, Erfassung, Aufbereitung, Darstellung, Analyse, Modellierung und Vorhersage betriebswirtschaftlicher Daten zum Zwecke der Erkenntnisgewinnung und Entscheidungsfindung umfasst. ! die Erläuterung von statistischen Grundbegriffen unabdingbar ist für eine sachlogisch begründete und exakte Anwendung statistischer Analyseverfahren. ! die Verteilungsanalyse, die Korrelationsanalyse und die Regressionsanalyse klassische und in der betriebswirtschaftlichen Praxis häufig applizierte statistische Analyseverfahren kennzeichnen. ! sowohl deskriptive als auch induktive statistische sowie stochastische Betrachtungen ein integraler Bestandteil betriebswirtschaftlicher Anwendungen sind. 3.1 Vorbemerkungen Im Kontext des dritten Kapitels stehen statistisch-methodische und datenanalytische Betrachtungen im Zentrum der essayistischen Abhandlungen, die betriebswirtschaftlich motiviert und sachlogisch begründet sind. In Anlehnung an die Kapitelüberschrift werden dabei die Statistik mit der zahlenmäßig geschmückten Seite und die Betriebswirtschaft mit dem charakteristischen Wappen einer Medaille assoziiert. Während im Abschnitt 3.2 historische Notizen zur Statistik angeboten werden, stehen im Abschnitt 3.3 paradigmatische Erläuterungen von statistischen Grundbegriffen im Zentrum der Betrachtungen. Im Mittelpunkt des Abschnitts 3.4 stehen Anmerkungen zur Datenerhebung, worin die Erläuterung der im Rahmen der essayistischen Abhandlungen benutzten Realdaten eingeschlossen ist. Während im Abschnitt 3.5 anhand der vorgestellten Realdaten verteilungsanalytische Betrachtungen anschaulich dargestellt und erläutert werden, beinhaltet der Abschnitt 3.6 elementare wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtungen, in deren Zentrum der Wahrscheinlichkeitsbegriff, die Berech- <?page no="104"?> 104 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft nung von Wahrscheinlichkeiten sowie das theoretische Modell einer Normalverteilung stehen. Gleichwohl insbesondere die paradigmatischen Abhandlungen im Hinblick auf eine Erlöshochrechnung, die auf einem fiktiven Verkauf einer Palette von Hühnereiern basiert, in einem ersten Augenblick etwas skurril anmutet, ist die skizzierte Erlösprognose ein anschauliches und praxisrelevantes Beispiel für das Zusammenspiel von betriebswirtschaftlichen Kategorien und statistischen Analyseverfahren. Im Abschnitt 3.7 stehen Betrachtungen zur statistischen Korrelation im Vordergrund, die es stets kausalanalytisch zu begründen gilt, wenn man sich nicht auf das Glatteis von sogenannten Scheinkorrelationen begeben möchte. Im Abschnitt 3.8 werden regressionsanalytische Betrachtungen angeboten, die jeweils auf einem praxisrelevanten und realdatenbasierten Sachverhalt beruhen. Das Abschnitt 3.9 beinhaltet Schlussbemerkungen zu den angebotenen essayistischen Abhandlungen, worin auch Literaturempfehlungen eingeschlossen sind. 3.2 Historische Notizen zur Statistik Im Kontext des Abschnitts 3.2 werden historische Notizen zur Statistik angeboten, die eine Begründung dafür liefern, warum die Statistik eine historisch gewachsene Disziplin ist, die auf den fünf Säulen der materiellen Statistik, der Universitätsstatistik, der politischen Arithmetik, der mathematischen Statistik sowie der Stochastik fußt. 72 ! Materielle Statistik Johann Sebastian Bach (*1685, †1750), der Genius der spätbarocken Musik, lässt in Anlehnung an das Biblische Geschichtsbuch nach Lukas in der ersten Kantate seines Weihnachtsoratoriums nach dem Eingangschor Jauchzet! frohlocket! auf! preiset die Tage ... den Evangelisten in einem Tenor-Rezitativ mitteilen, ... daß ein Gebot von dem Kayser Augusto ausgieng , daß alle Welt geschätzet würde. Und jedermann gieng daß er sich schätzen liesse, ein ieglicher in seine Stadt ... Gleichwohl die biblische Weihnachtsgeschichte nach Lukas historisch nicht belegt ist, eignet sie sich dennoch zur Erleuchtung einer der historischen Quellen der Statistik, der sogenannten materiellen Statistik. Wann, wo und wie auch immer Menschen in einem Gemeinwesen lebten, sie bedurften zu dessen Verwaltung stets Kenntnisse über seine elementaren inneren Strukturen sowie über seine natürlichen und seine räumlichen Veränderungen. Das Motiv der Volkszählung, die in der Weihnachtsgeschichte erwähnt wird, liegt daher auf der Hand: Der römische Landpfleger Cyrenius konnte sich anhand dieser „Schätzung“ zum Beispiel nicht nur einen Überblick über die Anzahl der waffenfähigen Männer, sondern auch über die Anzahl der steuerpflichtigen Bevölkerung in Judäa verschaffen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang gleichsam die allegorische Darstellung dessen, was in der modernen Bevölkerungsstatistik unter dem Begriff der räumlichen und der natürlichen Bevölkerungsbewegung subsumiert wird: Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa ... in das jüdische Land zur Stadt David, die da heißet Bethlehem ..., daß er sich schätzen liesse mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie da selbst waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass im Unterschied zur biblischen Weihnachtsgeschichte nach Lukas der römische Zensus, der ihr zugrunde liegt, historisch verbrieft ist. Die 72 Vgl. Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 1.1, Seite 2 ff <?page no="105"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 105 Neue Betriebswirtschaft synonyme Verwendung des Begriffs Zensus für die Bevölkerungszählung eines bestimmten Territoriums findet ihren Ursprung in der Vermögensschätzung der freien Bürger des alten Roms und ihrer Erfassung in sogenannten Steuerlisten unter Angabe ihres Namens und ihres Wohnortes. ! Universitätsstatistik Interessant ist dabei, dass der heutzutage allseits geläufige Begriff Statistik allerdings erst ausgangs des 17. Jahrhunderts und eingangs des 18. Jahrhunderts in den Vorlesungstiteln deutscher Universitätsprofessoren auftauchte, die traditionell ihre Kollegien in lateinischer Sprache ministrierten. Der wohl bekannteste Vertreter der sogenannten Universitätsstatistik, die als eine zweite historische Quelle der Statistik angesehen werden kann, ist Gottfried Achenwall (*1719, †1772), der als Ordinarius für Staatenkunde an der Universität Göttingen lehrte und im Jahr 1748 begann, seine Kollegien zu den Staatsmerkwürdigkeiten mit dem originären lateinischen Titel Noticia politica vulgo statistica zu versehen und zu lesen. Achenwall bezeichnete erstmalig sein Kolleg als Statistik, weshalb ihm in der einschlägigen historischen Literatur auch der Ehrenname Vater der Statistik verliehen wurde. 73 Der etymologische Ursprung des Begriffs Statistik liegt letztlich in der Zustandsbeschreibung eines Staates bzw. von „Land und Leuten“ und koinzidiert mit den eingangs skizzierten Vorgängen und Zielstellungen der sogenannten materiellen Statistik. Die „verstaubte“ Kathederlehre der Universitätsstatistiker erfuhr allerdings eingangs des 18. Jahrhunderts eine „erfrischende“ und anfangs von den Universitätsstatistikern schärfstens befehdete Konkurrenz: die politischen Arithmetiker. ! Politische Arithmetik Im Unterschied zu der verbalen Kathederlehre der deutschen Universitätsstatistiker mit ihren vorrangig theoretischen Arbeiten zu den Staatsmerkwürdigkeiten waren die sogenannten politischen Arithmetiker mit Hilfe von Zahlen auf der Suche nach den Gesetzmäßigkeiten sozialer und wirtschaftlicher Zustände und Vorgänge. Der wohl bekannteste deutsche Vertreter der sogenannten Politischen Arithmetik, die als eine dritte historische Quelle der Statistik angesehen werden kann, war der Brandenburg-Preußische Feldprediger und spätere Probst zu Berlin-Cölln Johann Peter Süßmilch (*1707, †1767). Süßmilch erbat sich von seinen Pastorenkollegen aus insgesamt 1068 Dörfern der brandenburgischen Kurmark Kirchenbuchauszüge über Taufen, Trauungen und Sterbefälle und fasste seine fundamentalen und im Wesentlichen heute noch gültigen bevölkerungsstatistischen Erkenntnisse in seiner faszinierenden „Göttlichen Ordnung“ 74 zusammen. Bereits in der Vorrede des Verfassers, in der Süßmilch den Leser in seine Gedankenwelt einführt, vermag er diesen mittels seiner theologisch und allegorisch geprägten Sprache und durch sein geradezu modern anmutendes statistisches Denken zu fesseln, wenn er konstatiert: Alles ist hieben nach gewissen Zahlen und Verhältnissen eingerichtet. Die Menschen werden gebohren und sterben, aber allezeit in einer gewissen Verhältniß. Es werden Kinder, Söhne und Töchter durcheinander, geboren, aber ohne Verletzung der einmal von der Vorsehung beliebten Ordnung. Die Menschen sterben in Ansehung des Alters dem ersten Anblick nach ganz unordentlich untereinander, bey genauerer Wahrnehmung aber gleichfalls nach einer bestimmten Verhältniß. Da nun zu dem allen der Mensch wenig oder nichts beyträget, und ein ohngefehrer Zufall ein verlachungswürdiges Unding ist: so werden wir dadurch in dieser Wahrheit bevestiget, dass Gott für das menschliche Geschlecht Sorge trage. 75 73 Vgl. Tyszka, Carl von: Statistik, Teil I: Theorie, Methode und Geschichte der Statistik, Gustav Fischer Verlag, Jena 1924, Seite 84 ff 74 Süßmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, Tod, Fortpflanzung desselben erwiesen von Johann Peter Süßmilch, Prediger beym hochlöblichen Kalcksteinischen Regiment. Nebst einer Vorrede Herrn Christian Wolffens. Berlin, zu finden bey J. C. Spener 1741, Faksimile der Originalausgabe 75 Süßmilch, a.a.O., Seite 21 ff <?page no="106"?> 106 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft ! Mathematische Statistik Als eine vierte Quelle der Statistik kann die sogenannte mathematische Statistik aufgefasst werden, die im Unterschied zur politischen Arithmetik nicht nur die bloße statistische Deskription massenhaft erhobener Informationen über soziale Phänomene, sondern ursprünglich die Beschreibung und Nachbildung massenhaft erhobener Informationen über natürliche Phänomene mit Hilfe mathematischer Verfahren zum Gegenstand hatte. Stellvertretend für die Phalanx berühmter mathematischer Statistiker sollen im Kontext der historischen Notizen zur Statistik lediglich zwei Berühmthe it en erw äh nt u nd zu g le i ch g ewü rdi gt w erde n: z um e inen de r ge niale d eutsc h e Mathe mat ik e r, A stronom und Geodät Carl Friedrich Gauß (*1777, †1855) und zum anderen der englische Meteorologe, Biometriker und Statistiker Sir Francis Galton (*1822, †1911). Mit Gauß werden in der mathematischen Statistik vor allem die Methode der kleinsten Quadratesumme (vgl. Abschnitt 3.8) und das Modell einer Normalverteilung (vgl. Abschnitt 3.6) assoziiert, die er beide im Zuge der Auswertung massenhaft erhobener geodätischer Daten, die im Rahmen seiner langjährig währenden Landesvermessung des Königreichs Hannover anfielen, zum Zwecke der Ausgleichsrechnung von Messfehlern entwickelte bzw. als Messfehlergesetz entdeckte. Galton, der ein Cousin des Begründers der Evolutionstheorie Charles Darwin (*1809, †1882) war, wird als der geistige Vater der Korrelationsanalyse und der Regressionsanalyse gewürdigt, die er in seinem 1889 erschienenen Werk Natural Inheritance im statistischen Sinne anhand der Vererbung der menschlichen Körpergröße begründete und die beide ein spezieller Gegenstand der Abschnitte 3.7 und 3.8 sind. Galton ist zudem auch der Erfinder des nach ihm benannten Galton-Brettes 76 , das wegen seiner Originalität und Anschaulichkeit ein brillantes didaktisches Instrument zur bildhaften Verdeutlichung anspruchsvoller und substantieller statistischer Konzepte ist, worunter vor allem das schwache Gesetz großer Zahlen und die beiden theoretischen Verteilungsmodelle einer Binomialverteilung und einer Normalverteilung zu nennen sind. 77 ! Stochastik Der Vollständigkeit halber muss im Kontext der historischen Notizen zur Statistik noch die Stochastik 78 als eine fünfte historische Quelle der Statistik erwähnt werden, die im Unterschied zu den vorher vermerkten vier Quellen losgelöst von realen wirtschaftlichen, sozialen und natürlichen Phänomenen ihren Ursprung in theoretischen Abhandlungen über das Glücksspiel hat und in Anlehnung an ihren griechischen Wortursprung mit „geschicktem Erraten zufälliges Geschehens“ übersetzt werden kann. Ihr Kernstück ist die Wahrscheinlichkeitstheorie, die neben Verfahren und Modellen zur mathematisch-statistischen Beschreibung von zufälligen Ereignissen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten auch Aussagen über deren Gesetzmäßigkeiten liefert und ohne deren Axiome, Methoden und Modelle heute keine Entscheidungsfindung unter Risiko mehr denkbar erscheint, unabhängig davon, ob es sich um Entscheidungsprozesse in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- oder Sozialwissenschaften handelt. Als die geistigen Väter der Stochastik im Allgemeinen und der Wahrscheinlichkeitsrechnung im Speziellen können der Schweizer Mathematiker Jacob Bernoulli (*1654, †1705) und der französische Physiker und Mathematiker Pierre Simon Marquis le Comte Laplace (*1749, †1827) angesehen werden. 76 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Seite 272 ff 77 Vgl. Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6.6, Seite 205 ff 78 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Teil II, Seite 175 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6, Seite 133 ff <?page no="107"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 107 Neue Betriebswirtschaft Während Jacob Bernoulli (als Spross einer berühmten Schweizer Mathematiker-Familie) in seinem 1713 postum veröffentlichten Traktat Ars conjectandi dem Wahrscheinlichkeitsbegriff eine universelle Bedeutung zuweist und ihn damit von den Ketten befreit, die ihn ursprünglich an die bloße und pragmatische Betrachtung von Chancen beim Glücksspiel schmiedeten, fasste Laplace in seinem erstmals 1812 erschienenen Buch Théorie analytique des probabilités das wahrscheinlichkeitstheoretische Wissen seiner Zeit zusammen. Auf Laplace geht unter anderem der klassische Wahrscheinlichkeitsbegriff zurück, der aus didaktisch-methodischen Gründen und der Anschaulichkeit halber meistens im Kontext von Glücksspielen (etwa das Werfen einer Münze oder eines „idealen“ Spielwürfels) eingeführt wird. Nicht unerwähnt bleiben darf und soll in diesem Zusammenhang der russische Mathematiker Andrej Nikolajewitsch Kolmogorov (*1903, †1987), der in einem erstmals 1933 publizierten Traktat nicht nur den axiomatischen Wahrscheinlichkeitsbegriff begründete, sondern damit auch einen fundamentalen Baustein der modernen Wahrscheinlichkeitstheorie legte, die heute ein integraler Bestandteil der akademischen Ausbildung auch und gerade auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften ist. Die Kernaussagen der drei Kolmogorovschen Axiome, die gemäß ihrem griechischen Wortursprung Lehrsätze sind, die allgemein gültig sind und die man nicht zu beweisen braucht, lassen sich mit der folgenden Kernaussage zusammenfassen: Die Wahrscheinlichkeit ist ein reellwertiges Maß für den Grad der Gewissheit bzw. Ungewissheit des Eintretens eines zufälligen Ereignisses, das nur Werte zwischen null und eins annehmen kann. Wenn auch losgelöst von den praktischen Dingen des Lebens, so leisteten die Wahrscheinlichkeitstheoretiker, aus deren Phalanx einmal nur drei Persönlichkeiten eine Erwähnung und kurze Würdigung fanden, zweifelsfrei einen unschätzbaren und substantiellen Beitrag zur inhaltlichen Gestaltung und methodischen Qualifizierung dessen, was heute unter dem „modernen“ Begriff der Statistik subsumiert wird. Statistik ist die Bezeichnung für die Gesamtheit von Verfahren und Methoden zur Gewinnung, Erfassung, Aufbereitung, Analyse, Darstellung, Modellierung und Vorhersage von (möglichst) massenhaften, zähl-, mess- und systematisch beobachtbaren Daten über reale Sachverhalte zum Zwecke der Erkenntnisgewinnung und Entscheidungsfindung (meist unter Ungewissheit). 3.3 Statistische Grundbegriffe Aus statistisch-methodischer Sicht ist analog zur Abbildung 3-1 ein Gebrauchtwagenmarkt eine endliche, allerdings hinsichtlich ihres Umfanges nicht näher bestimmte, jedoch sachlich, örtlich und zeitlich genau abgegrenzte Menge von gebrauchten Personenkraftwagen, die es hinsichtlich interessierender Eigenschaften wie Zeitwert, Alter, Fahrleistung etc. statistisch zu erfassen und zu beschreiben gilt. Dabei erscheint das reale Objekt in Gestalt eines PKW als das kleinste Element der angestrebten statistischen Beschreibung, das synonym auch als statistische Einheit, Merkmalsträger, Beobachtungseinheit, Erfassungs- oder Erhebungseinheit bezeichnet wird. Während man im konkreten Fall die Menge aller im dritten Quartal 2017 auf dem Berliner Gebrauchtwagenmarkt zum Verkauf angebotenen PKW unter dem Begriff einer statistischen Grundgesamtheit subsumiert, bezeichnet man eine wohldefinierte, repräsentative und bezüglich ihres Um- <?page no="108"?> 108 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft fanges konkret bestimmte Teilmenge von gebrauchten PKW im Sinne der Deskriptiven Statistik als eine statistische Gesamtheit und im Sinne der Induktiven Statistik als eine Stichprobe, mit der man einen statistischen Schluss auf eine statistische Grundgesamtheit wagt. Abb. 3-1: Gebrauchtwagenmarkt Aus den einführenden und paradigmatischen Betrachtungen lassen sich die folgenden statistischen Grundbegriffe ableiten: ! Statistische Einheit Eine statistische Einheit ! (lies: Klein-Gamma) ist das kleinste Element in der Statistik. Eine statistische Einheit ! ist ein Träger von Informationen bzw. Eigenschaften, die für eine statistische Untersuchung von Interesse sind. Aus statistisch-methodischer Sicht ist zu beachten, dass eine statistische Einheit, die in einschlägigen und in englischer Sprache verfassten Fachbüchern als ein Fall (engl.: case) gekennzeichnet wird, einerseits ein reales Objekt (etwa eine Person, ein Unternehmen, ein Kraftfahrzeug, ein Hühnerei etc.) und andererseits ein Fall bzw. ein Vorgang (etwa ein Verkehrsunfall, ein Arztbesuch, ein Kriminalfall etc.) sein kann. Bei einer sogenannten Fallbzw. Vorgangsstatistik ist stets zwischen dem einzelnen Vorgang und den daran beteiligten realen Objekten zu unterscheiden. Abb. 3-2: Verkehrsunfall Die (aus Datenschutzgründen bewusst verwischte) Abbildung 3-2 mit dem Bild von einem Verkehrsunfall ist ein anschauliches Beispiel für eine statistische Einheit als ein Vorgang, an dem im speziellen Fall zwei Personen und zwei Personenkraftwagen in ihrer statistisch-methodischen Kennzeichnung als reale Objekte beteiligt sind bzw. waren. <?page no="109"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 109 Neue Betriebswirtschaft ! Statistische Gesamtheit Eine endliche Menge O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} wohl unterschiedener statistischer Einheiten ! i , die hinsichtlich sachlicher, örtlicher und zeitlicher Identifikationsmerkmale gleich abgegrenzt sind, heißt statistische Gesamtheit O n (lies: Groß-Gamma) vom Umfang n. Die eingangs des Abschnitts 3.3 indizierte Abbildung 3-1 von einem Gebrauchtwagenmarkt ist ein anschauliches Beispiel für eine statistische Gesamtheit, die hinsichtlich ihrer Identifikationsmerkmale inhaltlich wie folgt abgegrenzt ist: i) sachlich: gebrauchte und zum Verkauf angebotene PKW, ii) örtlich: auf dem Berliner Gebrauchtwagenmarkt, iii) zeitlich: im dritten Quartal 2017. Die statistische Einheit ! i ist dabei ein reales Objekt in Gestalt eines Personenkraftwagens. Die Anzahl n der statistischen Einheiten ist im gegebenen Fall nicht näher bestimmt. Ein weiteres anschauliches Beispiel für eine statistische Gesamtheit gewährt die Abbildung 3-3, in der eine Palette von Hühnereiern indiziert wird, die aus didaktisch-methodischen Gründen für die weiteren Betrachtungen von praktischer Relevanz ist. Abb. 3-3: Palette von Hühnereiern Die statistische Einheit wird durch das reale Objekt eines Hühnereies ! i der Ordnung i repräsentiert. In Anlehnung an seinen lateinischen Wortursprung fungiert der Index i als ein auf der Menge der natürlichen Zahlen œ = {1, 2, 3, …} variierender Zeiger, der die Elemente ! i B O n der betrachteten statistische Gesamtheit O n im Erscheinungsbild einer Palette von Hühnereiern zählt. Im Hinblick auf die paradigmatischen Betrachtungen im Kontext des Abschnitts 3.4 beläuft sich im konkreten Fall die Anzahl n der auf einer Palette zusammengetragenen und statistisch erfassten Hühnereier auf n = 857 Hühnereier. Die statistische Gesamtheit ist im konkreten Fall wie folgt inhaltlich abgegrenzt: i) sachliche Identifikation: Hühnereier, gelegt von Hühnern der Rasse Loheimer Braun, ii) örtliche Identifikation: auf einer Hühnerfarm im Bundesland Brandenburg, iii) zeitliche Identifikation: zusammengetragen und statistisch erfasst im Oktober 2015. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang der folgende Hinweis: Eine statistische Information gilt dann und nur dann als vollständig, wenn sie konkret nach Sache, Ort und Zeit abgegrenzt und identifizierbar ist. Im Zentrum einer statistischen Analyse stehen interessierende Eigenschaften, die an den statistischen Einheiten einer sachlich, örtlich und zeitlich wohldefinierten statistischen Gesamtheit erhoben wurden und in der statistischen Methodenlehre unter dem Merkmalsbegriff subsumiert werden, woraus sich wiederum die Kennzeichnung einer statistischen Einheit als Merkmalsträger einerseits und interessierender Eigenschaften als Erhebungsmerkmale andererseits erklärt. <?page no="110"?> 110 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft ! Statistisches Merkmal Eine Eigenschaft einer statistischen Einheit ! B O n , welche die zielführende Grundlage bzw. der interessierende Gegenstand einer statistischen Untersuchung ist, heißt statistisches Merkmal. Statistische Erhebungs- oder Beobachtungsmerkmale, die der eigentliche Gegenstand einer statistischen Erhebung und Analyse sind, variieren in der Regel hinsichtlich ihrer möglichen bzw. empirisch beobachteten und in einer Zustandsmenge definierten Ausprägungen. Dies ist eine Erklärung dafür, warum statistische Erhebungsmerkmale als Variablen gedeutet und vereinbarungsgemäß me i ste ns mit den gr oßen late inisc hen Großbuc hs ta ben ... X , Y, Z n ament lic h ge ke nnzeic hnet we rden. Während für einen Gebrauchtwagen der Zeitwert, das Alter, die bisherige Fahrleistung, der Hubraum des Triebwerks oder eine Sonderausstattung typische statistische Erhebungsmerkmale sind, kennzeichnen zum Beispiel das Gewicht, die Breite und die Höhe interessierende und statistisch erhobene Eigenschaften eines Hühnereies. ! Merkmalsausprägung Eine merkmalsbezogene Aussage bzw. ein Wert, die bzw. der für eine statistische Einheit erhoben wird, heißt Merkmalsausprägung. Für eine Merkmalsausprägung werden in Abhängigkeit von der zugrundeliegenden Skalierung die Begriffe Modalität, Realisation, Datum, Beobachtung bzw. Merkmalswert synonym verwendet. Die Merkmalsausprägungen eines Erhebungsmerkmals werden im Unterschied zum jeweiligen Erhebungsmerkmal in der Regel mit den jeweiligen kleinen lateinischen Endbuchstaben ... x, y, z bezeichnet. Bezeichnet X ein interessierendes Erhebungsmerkmal, das an n statistischen Einheiten ! i einer statistischen Gesamtheit O n beobachtet wird, dann kann eine beobachtete Merkmalsausprägung formal durch die folgende Zuordnung beschrieben werden: Jeder statistischen Einheit ! i B O n der Ordnung i wird durch die Abbildung X: ! i B O n = x i = X(! i ) B % eine Merkmalsausprägung x i der zugehörigen Zustandsmenge % zugeordnet. ! Zustandsmenge Die Menge % = {Q j , j = 1, 2, ..., m} aller m theoretisch möglichen bzw. aller m empirisch beobachteten und wohl voneinander unterschiedenen Merkmalsausprägungen eines statistischen Erhebungsmerkmals X, die an den n Merkmalsträgern ! i B O n einer statistischen Gesamtheit O n erhoben werden können bzw. erhoben wurden, heißt Zustandsmenge % (lies: Groß-Xi) des statistischen Erhebungsmerkmals X. Die Zustandsmenge eines statistischen Erhebungsmerkmals lässt sich bildhaft deuten als ein Verzeichnis aller möglichen bzw. empirisch beobachteten und voneinander verschiedenen Aussagen Q j (lies: Klein-Xi) über eine interessierende Eigenschaft X einer wohldefinierten statistischen Gesamtheit O n von statistischen Merkmalsträgern ! i . Die voneinander verschiedenen Aussagen Q j B %, die Elemente einer Zustandsmenge % sind, können Begriffe und/ oder Zahlen sein. Die Betrachtung einer beobachteten Merkmalsausprägung x i = X(! i ) B % eines statistischen Erhebungsmerkmals X, <?page no="111"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 111 Neue Betriebswirtschaft die ein Element der zugehörigen Zustandsmenge % ist, führt unmittelbar zum statistischen Skalenbegriff. ! Statistische Skala Eine relationstreue Abbildung von Merkmalsausprägungen eines Erhebungsmerkmals auf eine Zeichenbzw. Zahlenmenge heißt statistische Skala. Eine Skala, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung eine Treppe kennzeichnet, ist (stark vereinfacht ausgedrückt) eine „gestufte Bewertung“ für Merkmalsausprägungen eines statistischen Erhebungsmerkmals. Die Anwendung statistischer Analyseverfahren hängt entscheidend von der Skala ab, mit deren Hilfe die Ausprägungen eines statistischen Merkmals erfasst wurden. In der Angewa ndte n St atist ik ko mmt v or a lle m den folg e nde n drei h ie rarc hi sc h ge ordnet en Skale nty pen eine besondere praktische und theoretische Bedeutung zu: der nominalen, der ordinalen und der metrischen Skala. ! Nominale Skala Eine statistische Skala, mit der lediglich die Gleichartigkeit oder die Verschiedenartigkeit von Merkmalsausprägungen eines Erhebungsmerkmals zum Ausdruck gebracht werden kann, heißt nominale Skala. Gemäß ihrem lateinischen Wortursprung kennzeichnet eine Nominalskala eine Namensbzw. eine Attributskala. In der Statistik ist eine Nominalskala die niedrigstwertige Skala mit dem niedrigsten Informationsgehalt. Statistisch erfasste Ausprägungen eines nominalen Merkmals werden auch als Kategorien oder Attribute bezeichnet. Ein nominales Merkmal, das nur zwei mögliche Ausprägungen besitzt bzw. annehmen kann, heißt dichotom. Ein nominales Merkmal heißt häufbar, wenn sich auf ein und dieselbe statistische Einheit mehrere Ausprägungen eines Erhebungsmerkmals „häufen“ können. Ansonsten heißt es nicht häufbar. Beachtenswert ist dabei der folgende Hinweis: Der Häufbarkeitsbegriff ist wohl zu unterscheiden vom Häufigkeitsbegriff (vgl. Abschnitt 3.5). Aus personalwirtschaftlicher Sicht sind das Geschlecht, der Familienstand oder der Beruf nominale Merkmale einer Person. Ist für eine statistische Gesamtheit O n von n Personen ! i B O n zum Beispiel das Merkmal X: Familienstand von Interesse, dann ergibt sich das folgende Bild: Die Zustandsmenge % (lies: Groß-Xi) mit % = {Q j , j = 1, 2, ..., m} = {Q 1 = ledig, Q 2 = verheiratet, Q 3 = geschieden, Q 4 = verwitwet} ist laut amtlicher Statistik durch m = 4 wohl voneinander verschiedene, begrifflich gefasste und wertungsfreie Merkmalsausprägungen Q j (lies: Klein-Xi) gegeben, mit deren Hilfe man lediglich eine Gleichartigkeit oder eine Verschiedenartigkeit von betrachteten Personen ! i B O n bezüglich des Erhebungsmerkmals X: Familienstand mit seinen beobachteten Ausprägungen x i B % statistisch beschreiben kann. Die Geschlechtszugehörigkeit ist ein nominales und dichotomes Merkmal Y einer Person ! i B O n . Diese Charakteristik erklärt sich daraus, dass die Zustandsmenge % = {Q j , j = 1, 2} = {Q 1 = männlich, Q 2 = weiblich) lediglich aus den beiden (theoretisch und praktisch) möglichen Merkmalsausprägungen männlich oder weiblich besteht. <?page no="112"?> 112 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Der Beruf Z(! i ) ist ein häufbares nominales Merkmal Z einer Person ! i B O n . Dies erklärt sich daraus, dass eine Person durchaus mehrere Berufe besitzen bzw. ausüben kann. Demgegenüber ist die Geschlechtszugehörigkeit Y(! i ) ein nicht häufbares nominales Merkmal Y einer Person ! i B O n . ! Ordinale Skala Eine statistische Skala, mit der sowohl die Gleich- und die Verschiedenartigkeit als auch eine natürliche Rangfolge von Merkmalsausprägungen eines Erhebungsmerkmals zum Ausdruck gebracht werden kann, heißt ordinale Skala. In Anlehnung an ihren lateinischen Wortursprung kennzeichnet eine Ordinalskala eine hinsichtlich der Intensität bzw. Stärke geordnete und in der Regel durch komparative Prädikate oder Rangplätze getragene Skala. Ein anschauliches, leicht nachvollziehbares und praxisrelevantes Beispiel für ein ordinales Merkmal ist im Hinblick auf die Abbildung 3-4 und in Anlehnung an die Betrachtungen im Kontext des Abschnitts 3.4 die auf dem Gewicht von Hühnereiern beruhende Größenklassifikation, die durch die vierstufige ordinale Zustandsmenge % = {Q 1 = Small, Q 2 = Medium, Q 3 = Large, Q 4 = eXtra Large} gekennzeichnet wird. Abb. 3-4: Größenklassifikation von Hühnereiern ! Metrische Skala Eine statistische Skala, die mit Hilfe der Menge der reellen Zahlen sowohl die Gleich- oder die Verschiedenartigkeit und die Rangfolge als auch mess- und zählbare Unterschiede (Abstand, Vielfaches) von Merkmalsausprägungen eines Erhebungsmerkmals zum Ausdruck bringen kann, heißt metrische Skala. Eine metrische Skala, die auch unter der Bezeichnung einer Kardinal- oder Hauptskala firmiert, ist die höchstwertige statistische Skala. Eine vereinfachte, aber anschauliche Charakteristik einer metrischen Skala ist die folgende: Ein statistisches Erhebungsmerkmal, dessen Ausprägungen das Resultat eines Zähl- oder Messvorgangs sind und mit Hilfe von Zahlen beschrieben werden, ist metrisch skaliert. Aus statistisch-methodischer Sicht unterscheidet man zudem noch zwischen diskreten und stetigen metrischen Merkmalen. ! Diskretes (metrisches) Merkmal Ein metrisches Merkmal, das in einem geschlossenen Intervall nur einzelne bzw. endlich viele Merkmalswerte annehmen kann, heißt diskretes Merkmal. <?page no="113"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 113 Neue Betriebswirtschaft In der Angewandten Statistik erweist sich im Hinblick auf die Identifikation eines metrischen Merkmals als ein diskretes Merkmal die folgende Faustregel als hilfreich: Merkmalswerte, die das Ergebnis eines Zählvorgangs sind, kennzeichnet man als diskret bzw. diskontinuierlich. Die Anzahl der Kinder X(! ) ist ein diskretes metrisches Merkmal X eines Arbeitnehmers ! B O n einer statistischen Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} von n Arbeitnehmern. Die Zustandsmenge % des Merkmals X ist durch die Menge der natürlichen Zahlen × sowie der Zahl Null gegeben, so dass % = {0} ' × = {0, 1, 2,...} gilt. Für einen Arbeitnehmer ! i B O n der Ordnung i symbolisiert die Zuordnungsvorschrift X(! i ) = x i B % eine statistisch beobachtete Merkmalsausprägung, die als ein diskreter Merkmalswert x i B % definiert ist. ! Stetiges (metrisches) Merkmal Ein metrisches Merkmal, das in einem geschlossenen Intervall jeden beliebigen aller theoretisch möglichen (und potenziell unendlich vielen) Merkmalswerte annehmen kann, heißt stetiges Merkmal. Analog zu einem diskreten metrischen Merkmal erweist sich in der praktischen statistischen Arbeit die folgende Faustregel zur Identifikation eines stetigen Merkmals als hilfreich: Merkmalswerte sind ihrem Wesen nach stetig bzw. kontinuierlich, wenn sie das Ergebnis eines Messvorgangs sind. Das Gewicht (Angaben in Gramm) ist ein stetiges metrisches Merkmal X eines Hühnereies ! i B O n der Ordnung i einer statistischen Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} von n Hühnereiern, die zum Beispiel analog zur Abbildung 3-3 auf einer Palette gelagert wurden. Die Zustandsmenge % des stetigen Merkmals X ist durch die Menge der positiven reellen Zahlen ´ + gegeben. Für ein statistisch erfasstes Hühnerei ! i B O n der Ordnung i symbolisiert die Zuordnungsvorschrift X(! i ) = x i B % eine statistisch beobachtete Merkmalsausprägung, die als ein stetiger Merkmalswert x i B ´ + in Gestalt einer positiven reellen Zahl definiert ist. Im Hinblick auf die Abbildung 3-5 wurde zum Beispiel für das Hühnerei der Ordnung i = 857 ein Gewichtswert von x i = 64,5 g erfasst. 3.4 Datenerhebung Eine statistische Erhebung, deren Kernstück die Datenerhebung 79 ist, bildet den Ausgangspunkt jeglichen statistischen Arbeitens. Im Vorfeld einer statistischen Erhebung ist es stets geboten, sich der statistischen Grundbegriffe zu bedienen, die im Kontext des Abschnitts 3.3 paradigmatisch eingeführt und erläutert wurden. Darin 79 Vgl. Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 3, Seite 31 ff <?page no="114"?> 114 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft eingeschlossen ist die exakte inhaltliche Abgrenzung einer zu analysierenden statistischen Gesamtheit, die Festlegung der Erhebungsmerkmale, die Definition der jeweiligen Zustandsmenge und der zugehörigen Skala. In Abhängigkeit davon, ob die Merkmalsträger einer statistischen Grundgesamtheit oder nur eine (möglichst repräsentative) Teilmenge von Merkmalsträgern in Gestalt einer Stichprobe erhoben werden, unterscheidet man im Kontext einer Datenerhebung zwischen einer Vollbzw. Totalerhebung oder einer Teilbzw. Stichprobenerhebung. ! Datenerhebung Für eine statistische Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} mit einem Umfang von n Merkmalsträgern ! i heißt der Vorgang der Ermittlung und der Erfassung von Ausprägungen X(! i ) = x i B % (mindestens) eines statistischen Merkmals X, das über einer Zustandsmenge % definiert ist, Datenerhebung. Werden die Daten für eine statistische Untersuchung durch eine besondere Erhebung nach speziellen Ausprägungen von sachlichen, örtlichen und zeitlichen Identifikationsmerkmalen gewonnen, spricht man von einer Primärerhebung, deren Resultat eine Primärstatistik ist. Die Verwendung von bereits vorhandenem (im Allgemeinen nicht für die jeweilige Untersuchung erhobenem) Datenmaterial bezeichnet man als Sekundärerhebung bzw. Sekundärstatistik. Primärerhebungen werden in der Regel mit Hilfe von mündlichen bzw. schriftlichen Befragungen, Beobachtungen oder Experimenten bewerkstelligt. Die Ergebnisse einer Primärerhebung werden in einer statistischen Urliste erfasst. ! Urliste Ist X ein über einer Zustandsmenge % definiertes Merkmal, das für die n Merkmalsträger ! i einer statistischen Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} erhoben wurde, dann heißt die Zusammenstellung der Merkmalsausprägungen X(! i ) = x i B % in der Reihenfolge ihrer statistischen Erhebung (statistische) Urliste. Eine Folge von Merkmalsausprägungen aus einer Urliste wird auch als statistische Reihe oder Datenreihe gekennzeichnet. Eine Datenreihe, welche nur ein statistisches Erhebungsmerkmal zum Gegenstand hat, heißt univariat. Basiert eine Datenreihe auf zwei bzw. auf mehr als zwei Erhebungsmerkmalen, dann wird sie als bivariat bzw. multivariat bezeichnet und klassifiziert. In Anlehnung an die Begriffswelt der Informatik wird für alle weiteren Betrachtungen der statistische Datenbegriff inhaltlich wie folgt gefasst: ! Datenbegriff Eigenschaften von Merkmalsträgern einer sachlich, örtlich und zeitlich abgegrenzten statistischen Gesamtheit, die empirisch erhoben wurden, werden als Erhebungsmerkmale bezeichnet. Aussagen über Erhebungsmerkmale, die primärstatistisch erhoben und in einer Urliste erfasst wurden bzw. im sekundärstatistischen Sinne bereits aufbereitet vorliegen, heißen Merkmalsausprägungen. Merkmalsausprägungen, die für eine automatisierte statistische Verarbeitung mittels einer statistischen Software formalisiert werden, heißen Daten. Die für eine Menge von Erhebungsmerkmalen eines Merkmalsträgers aufbereiteten Daten bilden einen Datensatz. Die Menge aller im Kontext einer statistischen Erhebung erfassten Datensätze bilden eine Datendatei. <?page no="115"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 115 Neue Betriebswirtschaft Eine zweidimensionale Tabelle in Gestalt einer (n 3 m)-Matrix mit ihren n Zeilen und m Spalten ist eine bildhafte und anschauliche Betrachtung einer Datendatei. Projiziert man analog zum statistischen Programmpaket IBM SPSS Statistics die n Merkmalsträger einer statistischen Gesamtheit in die Tabellenzeilen und die m Erhebungsmerkmale in die Tabellenspalten, dann fungiert eine Tabellenzeile als ein Platzhalter für einen merkmalsträgerbasierten Datensatz, eine Tabellenspalte als ein Platzhalter für ein Erhebungsmerkmal und eine Tabellenzelle als Zeilen-Spalten-Schnittstelle als ein Platzhalter für eine Merkmalsausprägung. Abb. 3-5: Datendatei, Basis: 150 Gebrauchtwagen vom Typ Opel Corsa Die in der Abbildung 3-5 auszugsweise dargestellte Datendatei lässt sich erfassungsstatistisch wie folgt interpretieren: Im SPSS Dateneditor sind insgesamt 150 Zeilen und 7 Spalten belegt. Die 150 mit Daten belegten Zeilen des Dateneditors kennzeichnen die statistische Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} vom Umfang n = 150 gebrauchte Opel Corsa ! i B O n , die im dritten Quartal 2017 auf dem Berliner Gebrauchtwagenmarkt zum Verkauf angeboten und zufällig ausgewählt wurden. Die insgesamt sieben mit Daten belegten Spalten kennzeichnen die m = 7 Erhebungsmerkmale, die ursprünglich in einer zugehörigen statistischen Urliste vermerkt wurden. Das erste mit der Kennung Nummer versehene Erhebungsmerkmal fungiert als ein Identifikator für die statistisch erhobenen PKW. Das vorlagerte Piktogramm in Gestalt von drei gleichgroßen, aber unterschiedlich farbigen Kreisen ist ein Hinweis darauf, dass das Merkmal Nummer als eine nominale Variable definiert wurde, zumal ihre Funktion einzig und allein darin begründet liegt, die erfassten Merkmalsträger eindeutig zu identifizieren. Die beiden mit der Kennung Marke und Typ versehenen Größen sind ihrem Wesen nach nominale String- oder Zeichenkettenvariablen, die im konkreten Fall bezüglich ihrer Inhalte nicht variieren und daher als Identifikationsmerkmale aufgefasst werden können. Die restlichen vier Erhebungsmerkmale, die jeweils mit dem Piktogramm eines Metermaßes versehen sind, wurden als metrische Erhebungsmerkmale bzw. Variablen definiert. Während die Variablen Alter (Angaben in Jahren) und Hub(raum) (Angaben in 100 cm³) als diskrete Merkmale in Erscheinung treten, sind die Variablen Fahr(leistung) (Angaben in 1000 km) und (Zeit)Wert (Angaben in 1000 €) ihrem Wesen nach stetige Merkmale eines gebrauchten Opel Corsa Im Hinblick auf die Abbildung 3-6 ergibt sich das folgende Bild einer statistischen Datenerhebung: <?page no="116"?> 116 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-6: Datendatei, Basis: 857 Hühnereier Im auszugsweise dargestellten Dateneditor sind insgesamt 857 Zeilen und 5 Spalten mit Daten belegt. Die 857 belegten Editorzeilen kennzeichnen die statistische Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} von n = 857 Hühnereiern ! i B O n , die im Oktober 2015 auf einer Hühnerfarm im Bundesland Brandenburg statistisch erfasst wurden. Die insgesamt 5 mit Daten belegten Spalten kennzeichnen die m = 5 Erhebungsmerkmale. Für die weiteren paradigmatischen Betrachtungen sind zum einen die drei (jeweils mit dem Piktogramm eines Metermaßes gekennzeichneten) metrischen Variablen Gewicht (Angaben in Gramm), Breite und Höhe (Angaben jeweils in Millimetern) und zum anderen die ordinale Stringvariable Kategorie von Interesse, welche (analog zur Abbildung 3-4) die üblichen gewichtsbezogenen Größenkategorien von Hühnereiern beinhaltet. Beachtens- und bemerkenswert ist dabei, dass die ordinale und alphanumerisch definierte Variable Kategorie durch ein Piktogramm ergänzt wird, dass durch drei abgestufte, verschiedenfarbige und mit dem Kleinbuchstaben „a“ etikettierten Säulen getragen wird. Während die drei der Größe nach geordneten Säulen eine ordinale Skala symbolisieren, steht der Kleinbuchstabe „a“ für eine alphanumerische Variable, deren variierende Ausprägungen sowohl Buchstaben als auch Zahlen sein können. Da aller guten Dinge drei sind, gilt es noch, die auszugsweise dargestellte Datendatei innerhalb der Abbildung 3-7 kurz zu erläutern. Die Datendatei basiert auf einer Marktforschungsstudie, im Zuge derer im ersten Quartal 2015 in Berliner Parkhäusern insgesamt 1109 Parkhausnutzer zufällig ausgewählt und befragt wurden. Die insgesamt 1109 mit Daten belegten Zeilen des Dateneditors kennzeichnen die statistische Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} von n = 1109 befragten Parkhausnutzern ! i B O n , die aus statistisch-methodischer Sicht ein anschauliches Beispiel für eine Zufallsstichprobe sind. Während man im Sinne der Induktiven Statistik die zufällig ausgewählten und befragten Personen als eine Zufallsstichprobe deutet, kennzeichnet man alle mittels eines standardisierten Fragebogens erfassten Daten als eine realisierte Zufallsstichprobe vom Umfang n = 1109 Datensätzen. <?page no="117"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 117 Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-7: Datendatei, Basis: 1109 befragte Parkhausnutzer Im Hinblick auf die verteilungsanalytischen Betrachtungen im Kontext des Abschnitts 3.5 sind vor allem die acht nominalen, dichotomen und S -1-kodierten Variablen F5a bis F5h von Interesse, deren inhaltliche Bedeutung im zugehörigen Fragebogenauszug innerhalb der Abbildung 3-8 indiziert wird. Abb. 3-8: Fragebogenauszug, Basis: Mehrfachnennungen Aufgrund dessen, dass ein zufällig ausgewählter und befragter Parkhausnutzer bezüglich der Frage 5 entweder keine oder eine oder zwei oder mehr Antworten geben kann, subsumiert man diesen Sachverhalt der Häufbarkeit von Antworten in der Angewandten Statistik unter dem Begriff einer Analyse von Mehrfachantworten bzw. Mehrfachnennungen. Aufgrund dessen, dass vor allem in der empirischen Wirtschaftsforschung im Allgemeinen und in der Marktforschung im Speziellen die Mehrfachantwortenanalyse häufig appliziert wird, erfährt dieses Analysekonzept eine paradigmatische Darstellung und Erläuterung im Kontext des Abschnitts 3.5. Im Blickwinkel einer effektiven und praktikablen Datenerhebung ist es an dieser Stelle vor allem aus didaktischen Gründen noch geboten, den statistischen Vorgang einer Kodierung kurz zu erläutern. ! Kodierung Die Abbildung der Zustandsmenge eines nominalen oder ordinalen Erhebungsmerkmals auf die Menge der natürlichen bzw. ganzen Zahlen kennzeichnet den Vorgang einer Kodierung. Gemäß Abbildung 3-7 gab der befragte Parkhausnutzer ! i B O n der Ordnung i = 1107 wegen F5a = 1 und F5b = 1 an, via Internet und Navigationssystem auf das Parkhaus aufmerksam gemacht worden zu sein. Demnach hat der Interviewer auf dem Fragebogen mit der Kennung 1107 analog zur Abbildung 3-8 die beiden Antwortoptionen F5a und F5b angekreuzt. Um bei der Dateneingabe in <?page no="118"?> 118 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft den Computer via Tastatur nicht die alphanumerischen Zeichenketten Internet bzw. Navigationssystem im PKW „zeitraubend und fehlerempfänglich einhacken zu müssen“, gibt man in die Datenfelder der Ordnung (1107 : F5a) und (1107 : F5b) lediglich die Zahl 1 als eine einziffrige und numerisch kodierte Information ein. Für die restlichen Datenfelder der Ordnung (1107 : F5..), die keine Information tragen, also leer sind, wird in SPSS automatisch ein S -Zeichen gesetzt, woraus sich in logischer Konsequenz die Charakterisierung der acht Variablen F5a bis F5h als nominale, dichotome und S -1-kodierte Variablen mit der Zustandsmenge % = { S für nicht genannt, 1 für genannt} erklärt. Analog sind im konkreten Fall die beiden nominalen Variablen Kategorie und Zufried(enheit) gleichfalls dichotom und kodiert, wobei die Zustandsmengen für die Variable (Parkhaus)Kategorie mit % = { 1 für neu, 2 für alt} und für die Variable (Nutzer)Zufried(enheit)) mit % = { 0 für unzufrieden, 1 für zufrieden} definiert sind. 3.5 Verteilungsanalytische Betrachtungen In der Angewandten Statistik subsumiert man unter einer Verteilungsanalyse eine Beschreibung und Charakterisierung der Häufigkeitsverteilung eines oder mehrerer Merkmale mit Hilfe tabellarischer und/ oder grafischer Darstellungen sowie geeigneter Maßzahlen. Der Anschaulichkeit halber werden im Rahmen dieses Abschnitts einmal nur univariate verteilungsanalytische Betrachtungen angeboten, worin der Anschaulichkeit halber nominale, ordinale und metrische Merkmale einbezogen sind. Die Wesenheit einer Verteilungsanalyse lässt sich vereinfacht wie folgt beschreiben: Man betrachtet, wie sich die Merkmalsträger einer statistischen Gesamtheit auf die beobachteten Merkmalsausprägungen eines Merkmals verteilen bzw. „häufen“. Aus dieser vereinfachten und zugleich anschaulichen Metapher von einer Verteilungsanalyse ist es geboten, die folgenden Begriffe kurz zu erläutern: Häufigkeit, Häufigkeitsverteilung und Häufbarkeit. ! Häufigkeit Ist X ein beliebig skaliertes statistisches Erhebungsmerkmal, das über einer Zustandsmenge % = {Q j , j = 1, 2, ..., m} mit m $ n voneinander verschiedenen Merkmalsausprägungen Q j B % definiert ist und für eine endliche statistische Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} von n statistischen Einheiten ! i erhoben und in einer Urliste erfasst wurde, dann heißt die Anzahl n(X = Q j ) = n j der statistischen Einheiten ! i mit der Merkmalsausprägung Q j absolute Häufigkeit der Merkmalsausprägung Q j und die Anteilszahl p(X = Q j ) = p j = n j / n relative Häufigkeit der Merkmalsausprägung Q j . Im Hinblick auf den angebotenen Häufigkeitsbegriff erweisen sich die beiden Randglossen als hilfreich: Ersten ist die Summe der absoluten Häufigkeiten n(X = Q j ) = n j stets gleich der Anzahl n der Merkmalsträger ! i einer statistischen Gesamtheit O n , wobei <?page no="119"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 119 Neue Betriebswirtschaft n n ... n n n m j m j ; A A A ; 5 ; 1 2 1 gilt (lies: Summe aller n j für alle j gleich 1 bis m). Der griechische Großbuchstabe + (lies: Sigma) fungiert als Summenoperator. Zweitens gilt für die relativen Häufigkeiten p(X = Q j ) = p j bzw. für die prozentualen relativen Häufigkeiten p* j = p j 3 100 % stets 1 p ... p p p m 2 1 m 1 j j ; A A A ; 5 ; bzw. % * p m j j 100 1 ; 5 ; . Dabei ist zu beachten, dass gemäß dem lateinischen Begriff per centum in seiner Übersetzung für hundert es sachlogisch und plausibel nachvollziehbar nur für eine statistische Gesamtheit O n mit einem Umfang von n > 100 Merkmalsträgern ! i sinnvoll ist, prozentuale relative Häufigkeiten zu bestimmen und zu interpretieren. Beachtenswert ist zudem, dass relative Häufigkeiten sich insbesondere als nützlich und hilfreich bei Vergleichen gleichartiger, aber unterschiedlich großer statistischer Gesamtheiten erweisen. Hinzu kommt, dass relative Häufigkeiten als „statistische Konstrukte“ die Grundlage für die Begriffsbestimmung sowohl einer empirischen Häufigkeitsverteilung als auch einer empirischen Verteilungsfunktion F(a) bilden. ! Häufigkeitsverteilung Ist X ein beliebig skaliertes Merkmal mit m voneinander verschiedenen beobachteten Merkmalsausprägungen Q j (j = 1, 2, ..., m), dann heißt die Menge der geordneten Paare {(Q j , n j ), j = 1, 2, ..., m} bzw. {(Q j , p j ), j = 1, 2, ..., m} absolute bzw. relative (empirische) Häufigkeitsverteilung des Merkmals X. Das im Klammern vermerkte Adjektiv empirisch ist ein Hinweis darauf, dass man in der statistischen Methodenlehre zwischen einer theoretisch begründeten Verteilung (etwa einer Normalverteilung) und einer empirisch beobachteten Verteilung (etwa die Gewichtsverteilung von Hühnereiern) unterscheidet. ! Häufigkeitsverteilung eines nominalen Merkmals Die Tabelle 3-1 beinhaltet die Häufigkeitsverteilung des nominalen, dichotomen und 0-1-kodierten Erhebungsmerkmals Zufriedenheit, das analog zur Abbildung 3-7 auf einer Befragung von 1109 Parkhausnutzern basiert und eine Bewertung der Gesamtzufriedenheit mit dem Parkhausinneren zum Inhalt hat bzw. hatte. Tabelle 3-1: Häufigkeitstabelle, nominales Merkmal <?page no="120"?> 120 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Von den insgesamt 1109 befragten Parkhausnutzern gaben 1104 eine gültige bzw. statistisch auswertbare Antwort und lediglich 5 Befragte keine bzw. keine gültige Antwort auf die Frage nach der Gesamtzufriedenheit mit dem Parkhausinneren. Während in der Tabellenspalte Häufigkeit mit {(0 = unzufrieden, 208), (1 = zufrieden, 896)} die absolute Häufigkeitsverteilung des Erhebungsmerkmals Nutzerzufriedenheit indiziert wird, beinhaltet die Tabellenspalte Gültige Prozente mit {(0 = unzufrieden, 18,8 %), (1 = zufrieden, 81,2 %)} die prozentuale relative Häufigkeitsverteilung. Leicht nachvollziehbar ist der scheinbar triviale und doch so bedeutungsvolle statistische Sachverhalt, dass mit 208 + 896 = 1104 und 0,188 + 0,812 = 1 bzw. 18,8 % + 81,2 % = 100 % zum einen die Summe der absoluten Häufigkeiten identisch ist mit dem Umfang der statistischen Gesamtheit von Befragten, die eine gültige Antwort gaben, und zum anderen die Summe der relativen Häufigkeiten eins ist und die Summe der prozentualen relativen Häufigkeiten 100 ergibt. Die indizierten Tabellenspalten Prozent und Kumulierte Prozente sind im konkreten Fall ohne Belang. Eine sachlogische Interpretation der Analyseergebnisse ergibt dabei das folgende Bild: Demnach indizierten 896 bzw. 81,2 Prozent der befragten Nutzer, die eine gültige und statistische auswertbare Antwort gaben, dass sie mit dem Parkhausinneren insgesamt zufrieden sind. 208 bzw. 18,8 Prozent der Befragten gaben statistisch auswertbar an, dass sie mit dem Parkhausinneren nicht zufrieden sind. 5 bzw. 0,5 Prozent der Befragten gaben keine bzw. keine gültige Antwort auf die Frage nach der Zufriedenheit. Reduziert man die indizierte Häufigkeitsverteilung auf die Benennung charakteristischer Kennzahlen, so erweist sich im konkreten Fall nur eine Kennzahl als geeignet: die modale Merkmalsausprägung, auch Modus genannt, in Gestalt des Adjektivs zufrieden. In Anlehnung an das Französische la mode, woraus sich der omnipräsente Modebegriff erklärt, kennzeichnet ein Modus bzw. ein Modalwert eine Merkmalsausprägung, die im Ensemble aller beobachteten Ausprägungen am häufigsten beachtet wurde. Soweit es in der Angewandten Statistik sinnvoll und möglich erscheint, eine Häufigkeitstabelle durch eine geeignete grafische Darstellung zu ergänzen bzw. zu ersetzen, sollte dies gemäß dem Grundsatz, wonach ein Bild mitunter viele wohl gesetzte Worte und tabellarisch aufbereitete Zahlenkolonnen ersetzt, bewerkstelligt werden. Die Abbildung 3-9 beinhaltet ein sogenanntes Kreissegmentdiagramm auf der Basis der „gültigen“ prozentualen relativen Häufigkeiten. Abb. 3-9: Kreissegmentdiagramm, Basis: 1104 Befragte <?page no="121"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 121 Neue Betriebswirtschaft ! Kreissegmentdiagramm Ein Kreissegmentbzw. Kreisdiagramm ist eine grafische Darstellungsform der Verteilungsstruktur einer statistischen Gesamtheit durch die Aufteilung einer Kreisfläche in Segmente derart, dass sich die Flächen der Kreissegmente proportional zu den absoluten bzw. relativen bzw. prozentualen relativen Häufigkeiten eines Erhebungsmerkmals verhalten. Ein leicht nachvollziehbares Konstruktionsprinzip eines Kreisdiagramms lässt sich anhand der verfügbaren Daten wie folgt skizzieren: Multipliziert man eine relative Häufigkeit p j mit dem Winkelfaktor 360 0 , dann erhält man mit w j = p j 3 360 0 den Kreisinnenwinkel, der das jeweilige Kreissegment „aufspannt“. Im Hinblick auf das grauunterlegte Kreissemgent innerhalb der Abbildung 3-9 ergibt sich zum Beispiel ein Kreisinnenwinkel von (208 / 1104) 3 360 0 = 0,188 3 360 0 8 67,9 0 . Im Kontext der skizzierten paradigmatischen Betrachtungen erweisen sich noch die folgenden Hinweise als bedeutungsvoll und hilfreich: Die Anzahl der Segmente eines Kreisdiagramms darf der Anschaulichkeit halber nicht allzu groß sein. Eine in praxi hilfreiche Faustregel lautet: Ist die Zustandsmenge eines nominalen oder ordinalen Merkmals für mehr als acht Ausprägungen definiert bzw. wurden mehr als acht voneinander verschiedene Ausprägungen beobachtet, dann ist eine grafische Darstellung der Verteilungsstruktur einer statistischen Gesamtheit mittels eines Kreisdiagramms in der Regel nicht geeignet. Eine alternative grafische Darstellung ist ein sogenanntes Pareto-Diagramm 80 in Form eines Stabdiagramms, das auf Merkmalsausprägungen beruht, die hinsichtlich ihrer Häufigkeiten in der Regel absteigend geordnet sind. Wird die Verteilungsstruktur einer statistischen Gesamtheit allein mit Hilfe eines sogenannten Struktogramms, was ein Kreisdiagramm seinem Wesen nach ist, dargestellt, dann ist es zur Vermeidung von statistischen Fehlinterpretationen stets erforderlich und geboten, die Basis bzw. den Umfang der zugrundeliegenden statistischen Gesamtheit anzuzeigen. ! Analyse von Mehrfachantworten Ein statistisches Analysekonzept, das vor allem in der empirischen Wirtschaftsforschung eine breite Anwendung erfährt, ist die sogenannte Analyse von Mehrfachantworten. Mit Bezug auf die paradigmatischen Betrachtungen im Kontext des Abschnitts 3.4 soll unter Beachtung der Abbildungen 3-7 und 3-8 eine statistische Analyse der fragebogengestützten Frage 5 mit Hilfe des Programmpakets IBM SPSS Statistics bewerkstelligt werden. Dabei kommt das in SPSS implementierte Analysekonzept der multiplen Dichotomien zur Anwendung, das vereinfacht wie folgt skizziert werden kann: Ein Ensemble nominaler dichotomer und gleichartig kodierter Variablen wird algorithmisch „zu einem Bündel zusammengeschnürt“ und in diesem Variablenbündel eine interessierende und kodierte Ausprägung hinsichtlich ihres Erscheinens gezählt. Mit Bezug auf die Abbildungen 3-7 und 3-8 wurden im exemplarischen Fall alle die mit der Zahl 1 kodierten Aussagen gezählt. In den Tabellen 3-2 und 3-3 sind die Analyseergebnisse vermerkt, die sachlogisch wie folgt interpretiert werden können: 80 Vgl. Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 5.1, Seite 80 ff <?page no="122"?> 122 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Gemäß Tabelle 3-2 nannten von den insgesamt 1109 befragten Parkhausnutzern 386 bzw. (386 / 1109) 3 100 % 8 34,8 % mindestens ein Kriterium hinsichtlich des Findens des benutzten Parkhauses. Tabelle 3-2: Fallzusammenfassung, Mehrfachantworten Tabelle 3-3: Häufigkeitstabelle, Mehrfachantworten Gemäß Tabelle 3-3 wurden insgesamt 441 Antworten gegeben und vermerkt. Demnach hat ein Parkhausnutzer, der sich hinsichtlich der Frage 5 geäußert hat, im Durchschnitt 441 / 386 8 1,142 Kriterien genannt. Allein aus dieser Kennzahl, die größer als eins ist, wird augenscheinlich, dass es sich um Mehrfachantworten handeln muss, da augenscheinlich ein befragter Nutzer durchaus mehr als ein Kriterium nennen kann und auch im Durchschnitt genannt hat. Dieses Phänomen des sich Häufens von Merkmalsausprägungen auf einen Merkmalsträger subsumiert man in der Statistik unter dem Häufbarkeitsbegriff, der wiederum wohl zu unterschieden ist vom Häufigkeitsbegriff, der auf die Anzahl von Merkmalsträgern abstellt, die sich auf eine Merkmalsausprägung häufen. Erstaunlich ist im Hinblick auf die Tabelle 3-3 zudem, dass die traditionellen Hinweisschilder und der Zufall die am häufigsten genannten Kriterien sind, während im Vergleich dazu die modernen Medien wie Internet oder Navigationssystem eher „stiefmütterlich behandelt“ werden. Gleichwohl alle drei zahlenbeladenen Tabellenspalten in der Tabelle 3-3 eine gleichartige statistische Auswertung gewähren, legen sowohl Statistiker als auch Marktforscher letzten Endes ihr Augenmerk nur auf die letzte Tabellenspalte, die in Anlehnung an den englischen Merkmalsträgerbegriff case mit Prozent der Fälle überschrieben ist. Demnach gaben wegen (121 / 386) 3 100 % 8 31,3 % 31,3 Prozent bzw. knapp ein Drittel aller befragten Parkhausnutzer, die mindestens ein Kriterium nannten, an, dass Hinweisschilder hilfreich und wegen ihres modalen Erscheinungsbildes auch dominierend waren beim Auffinden des benutzten Parkhauses. <?page no="123"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 123 Neue Betriebswirtschaft ! Häufigkeitsverteilung eines ordinalen Merkmals Was liegt in diesem Fall näher, als nochmals einen kurzen Blick auf die Abbildung 3-6 zu werfen und die Verteilung von insgesamt 857 Hühnereiern auf die vier im Handel üblichen und gewichtsbezogenen Kategorien S, M, L und XL zu betrachten. Das numerische Verteilungsprotokoll ist in der Tabelle 3-4 zusammengefasst und in der Abbildung 3-10 in einem Struktogramm in Gestalt eines Balkens bildhaft dargestellt. Tabelle 3-4: Häufigkeitstabelle, ordinales Merkmal Abb. 3-10: Ordinales Struktogramm Während in der ersten Tabellenspalte die ordinale Zustandsmenge mit den vier möglichen und voneinander verschiedenen ordinalen Merkmalsausprägungen S, M, L und XL des Erhebungsmerkmals Größenkategorie vermerkt ist, sind in der Tabellenspalte Häufigkeit die absoluten und in der Tabellenspalte Prozent die prozentualen relativen Häufigkeiten aufgelistet. Beachtenswert ist dabei, dass im konkreten Fall die beiden Tabellenspalten Prozent und Gültige Prozente identisch sind, da für alle 857 erfassten Hühnereier die interessierende Größenkategorie erfasst wurde. Ein besonderes Augenmerk gilt es auf die letzte Tabellenspalte zu lenken, die mit der Kennung Kumulierte Prozente versehen ist und in der statistischen Methodenlehre auch unter dem Begriff Summenhäufigkeit firmiert. Einer Kumulation, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung ein schrittweises Anhäufen kennzeichnet, kommt in der Angewandten Statistik dahingehend eine besondere praktische Bedeutung zu, da man mit ihrer Hilfe gewissermaßen eine statistische Gesamtheit stufenweise zweiteilt. Hinzu kommt noch, dass die Kumulation einen Zugang zum Konstrukt einer Verteilungsfunktion gewährt. ! Summenhäufigkeit Ist X ein mindestens ordinales Erhebungsmerkmal, dessen absolute bzw. relative Häufigkeitsverteilung gegeben ist, dann heißt die Kumulation 5 ; ; Q $ ; j 1 r r j j n ) X ( n H bzw. 5 ; ; Q $ ; j 1 r r j j p ) X ( p F der absoluten bzw. relativen Häufigkeiten n r bzw. p r derjenigen Merkmalsausprägungen Q r (r $ j), welche die Merkmalsausprägung Q j nicht überschreiten, absolute bzw. relative Summenhäufigkeit H j bzw. F j der Ordnung j (j = 1, 2, ..., m). <?page no="124"?> 124 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Bezeichnet G das Erhebungsmerkmal Größenkategorie eines Hühnereies, dann ergibt sich analog zur Tabelle 3-4 zum Beispiel wegen 436 425 11 2 1 2 ; A ; ; $ ; 5 ; r r n ) M G ( n H eine kumulierte absolute Häufigkeit von 436, die wie folgt interpretiert werden kann: In der statistischen Gesamtheit von 857 Hühnereiern konnten insgesamt 436 Hühnereier höchstens der Größenkategorie M zugeordnet werden. In logischer Konsequenz konnten offensichtlich wegen 857 - 436 = 421 = 394 + 27 insgesamt 421 Hühnereier einer Größenkategorie von mindestens L, also entweder L oder XL, zugeordnet werden. Diese kumulierten absoluten Häufigkeitsaussagen korrespondieren wegen 509 0 496 0 013 0 2 1 2 , , , p ) M G ( p F r r ; A ; ; $ ; 5 ; mit den folgenden kumulierten relativen bzw. prozentualen Häufigkeitsaussagen: In der statistischen Gesamtheit von 857 Hühnereiern konnten 50,9 Prozent der Hühnereier höchstens der Größenkategorie M, also entweder der Kategorie M oder der Kategorie S, zugeordnet werden. In logischer Konsequenz konnten offensichtlich wegen (1 - 0,509) 3 100 % = 49,1 % in einem komplementären Sinne 49,1 Prozent der Hühnereier mindestens der Größenkategorie L bzw. den beiden höherwertigen Kategorien L und XL zugeordnet werden. Die Adverbien oder Umstandswörter höchstens bzw. mindestens sind verbale Kennzeichen kumulierter Häufigkeiten, die stets auf eine merkmalsbezogene Zweiteilung einer statistischen Gesamtheit hinweisen. ! Häufigkeitsverteilung eines diskreten metrischen Merkmals Die Statistik in der Tabelle 3-5 und die zugehörige Abbildung 3-11 basieren auf einer Befragung von Studierenden im Bachelor-Studiengang Betriebswirtschaftslehre am Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin im Wintersemester 2015/ 16. In die Befragung wurden die sogenannten Erstsemester nicht einbezogen. Auf der Grundlage eines standardisierten Fragebogens wurden die Studierenden unter anderem nach der Anzahl der Prüfungswiederholungen im vergangenen Semester befragt. Tabelle 3-5: Häufigkeitstabelle, diskretes metrisches Merkmal <?page no="125"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 125 Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-11: Stabdiagramm In der statistischen Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} von n = 189 Studierenden ! i gaben im Hinblick auf das interessierende Erhebungsmerkmal X: Anzahl der Prüfungswiederholungen 184 Studierende eine gültige und statistische auswertbare Antwort. Die Zustandsmenge % = {Q j , j = 1, 2, ..., m} = {0, 1, 2, 3, 4} des Erhebungsmerkmals wird im konkreten Fall durch die m = 5 voneinander verschiedenen Merkmalsausprägungen in Gestalt der natürlichen Zahlen von 1 bis 4 sowie der Zahl 0 getragen. Dies ist die Erklärung dafür, warum das Erhebungsmerkmal als ein diskretes metrisches Merkmal gekennzeichnet wird, dessen empirische relative Häufigkeitsverteilung mit Hilfe eines Stabdiagramms in der Abbildung 3-11 grafisch dargestellt wurde. Während das aus studentischer Sicht seelisch beruhigende Ereignis, mit keiner bzw. null Prüfungswiederholungen belastet zu sein, die modale Merkmalsausprägung kennzeichnet, ist die Last von vier Prüfungswiederholungen im konkreten Fall ein eher selten zu beobachtendes Ereignis. Während 57,7 Prozent der befragten Studierenden, die eine gültige Antwort gaben, von der Last einer Prüfungswiederholung befreit sind, müssen immerhin 42,7 Prozent mindestens eine Prüfung nachholen. Im sogenannten 100-Seelendorf der Statistik sind dies immerhin 43 prüfungsstressbelastete Seelen. Die nachfolgenden und mit einem grauen Balken versehenen Randglossen gilt es zu beachten und schmunzelnd zur Kenntnis zu nehmen: Allein eine Betrachtung des Stabdiagramms lässt die Vermutung aufkommen, dass die empirisch beobachtete Häufigkeitsverteilung durch das theoretische Verteilungsmodell einer sogenannten Poisson-Verteilung 81 beschrieben werden kann, die nach dem französischen Mathematiker Simeon Denis Poisson (*1781, †1840) benannt ist und in praxi vor allem dann zu einer Anwendung gelangt, wenn es gilt, voneinander unabhängige punktuelle Ereignisse hinsichtlich der Häufigkeit ihres Auftretens in festen meist kleinen Zeitabständen zu modellieren und zu prognostizieren. Ein Jeder, der in Eile ist und an einem Bankautomaten auch noch Bargeld abheben muss, zeigt sich entspannt, wenn keine Kunden am Bankautomaten warten. Aber wie es im Leben nun ein- 81 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 16.1.3, Seite 244 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6.5.1, Seite 185 ff <?page no="126"?> 126 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft mal ist, scheint einem der Zufall gerade in diesem Moment „einen Strich durch die Rechnung zu machen“: Das scheinbar seltene Ereignis, das just in diesem Moment schon vier Kunden in der Warteschlange stehen, ist aus theoretischer Sicht nicht sehr wahrscheinlich, was aber nicht heißt, dass es doch zeitraubend und nervenaufreibend eintritt. ! Häufigkeitsverteilung eines stetigen metrischen Merkmals Im Hinblick auf die im Abschnitt 3.4 in der Abbildung 3-6 auszugsweise angezeigte Datendatei, die auf einer statistischen Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} von n = 857 Hühnereiern ! i basiert, sollen der Anschaulichkeit halber einmal nur die primärstatistisch erhobenen Gewichtsdaten X(! i ) = x i B % verteilungsanalytisch betrachtet werden. Gleichwohl die erfassten Hühnereiergewichte nur auf ein zehntel Gramm genau gemessen wurden, sind die ihrem Wesen nach keine diskreten, sondern stetige bzw. reellwertige Merkmalsausprägungen, eine Charakteristik, die auch für die beiden metrischen Erhebungsmerkmale Breite und Höhe (Angaben jeweils in Millimetern) zutrifft. Die Zustandsmenge % dieser drei stetigen metrischen Merkmale ist jeweils durch die Menge der positiven reellen Zahlen ´ + gegeben. Einmal unterstellt, dass man das Gewicht eines jeden Hühnereies mit Hilfe einer modernen digitalen Waage messen und erfassen würde, dann hätte man zum Beispiel für das Hühnerei ! i der Ordnung i = 857 auf ein tausendstel Gramm genau ein Gewicht von X(! i ) = x i = 73,213 g gemessen. Intuitiv leuchtet es ein, dass in einer Palette von Hühnereiern wohl nur wenige Hühnereier genau dieses reellwertige Gewicht besitzen, oder verteilungsanalytisch formuliert, dass sich nur wenige Hühnereier auf diese reellwertige Gewichtsausprägung häufen. Einzig und allein der Anschaulichkeit halber sind in der Abbildung 3-12 die fiktiven, auf ein tausendstel Gramm genau gemessenen Gewichte der 27 Hühnereier, die analog zur Tabelle 3-4 der gewichtsbezogenen Kategorie XL zugeordnet wurden, in der Abbildung 3-12 in einem Stabdiagramm bildhaft dargestellt, das einem Stichkode gleicht, mit dem handelsübliche Waren etikettiert sind. Abb. 3-12: Stabdiagramm Augenscheinlich „häuft“ sich immer nur ein Hühnerei auf die jeweilige reellwertige Ausprägung oder erfassungsstatisch formuliert: Für die 27 Hühnereier der Kategorie XL wurden 27 wohl voneinander verschiedene Gewichte gemessen und erfasst. Hinzu kommt noch, dass man mit einer solchen grafischen Darstellung das charakteristische Verteilungsbzw. Bewegungsgesetz, das den reellwertig erfassten Hühnereiergewichten innewohnt, nicht zufriedenstellend bewerkstelligt werden kann. Offensichtlich gewährt die semigrafische Darstellung mit Hilfe eines sogenannten Stamm-Blatt- Diagramms in der Abbildung 3-13 einen anschaulicheren Zugang zu der „verborgenen und aufzudeckenden“ Verteilung der Hühnereiergewichte. <?page no="127"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 127 Neue Betriebswirtschaft Die Idee eines Stamm-Blatt-Diagramms (engl.: Stem-and-Leaf-Plot) geht auf den US-amerikanischen Chemiker und Statistiker John Wilder Tukey (*1915, †2000) zurück und wird dem modernen und vergleichsweise „jungen“ Teilgebiet der Statistik, der sogenannten Explorativen Datenanalyse, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung eine erforschende und ergründende Analyse von Daten ist, zugeordnet. „Kippt“ man das Stamm-Blatt-Diagramm entgegen dem Uhrzeigersinn um 90 0 , so wird augenscheinlich, dass die empirische Gewichtsverteilung nicht nur unimodal bzw. eingipfelig, sondern zudem auch noch nahezu symmetrisch ist. Gewicht (g) Anzahl Stamm & Blatt 7 5 . 11 12 5 . 2233 39 5 . 4444555555555 57 5 . 6666666677777777777 108 5 . 888888888888888999999999999999999999 127 6 . 000000000000000000111111111111111111111111 150 6 . 222222222222222222222222222222333333333333333333333 121 6 . 4444444444444444444445555555555555555555 86 6 . 66666666666666667777777777777 65 6 . 888888899999999999999 43 7 . 00000000011111 23 7 . 22222333 17 7 . 444455 2 Extremwerte (>=77) Stammbreite: 10 Jedes Blatt: 3 Fälle Abb. 3-13: Stamm-Blatt-Diagramm, Basis: 857 Hühnereiergewichte Die Wesenheit des Stamm-Blatt-Diagramms in der Abbildung 3-13 kann wie folgt vermerkt werden: Die Spalte Anzahl beinhaltet die absoluten Häufigkeiten, mit denen die jeweiligen „Gewichtsstämme“ mit „Gewichtsblättern“ „belaubt“ sind. Da die Stammbreite eine Stammwertigkeit von 10 besitzt und jedes Blatt drei Gewichtsangaben symbolisiert, wurden zum Beispiel gemäß der zweiten Stamm-Blatt-Folge 12 5 . 2233 in der statistischen Urliste bzw. in der Datendatei insgesamt 4 3 3 = 12 Gewichtsangaben erfasst, deren Zehner eine 5 und deren Einer jeweils 2 3 3 = 6 entweder eine 2 oder eine 3 waren. Da im gegebenen Fall die reellwertigen Dezimalangaben ohne Belang sind, hat man offensichtlich 12 Hühnereier erfasst, die 52 g oder schwerer, aber leichter als 54 g waren. Diese quantitative Aussage ist identisch mit einer sachlogischen Deutung von stetigen metrischen Daten, die nach dem Klassierungsprinzip von … bis unter … aggregiert bzw. zusammengefasst wurden. Analog sind die restlichen Stamm-Blatt-Zusammenstellungen zu interpretieren, die als Gewichtsklassen in der Tabelle 3-6 zusammengefasst sind. Die auf dem Stamm-Blatt-Diagramm innerhalb der Abbildung 3-13 beruhende Häufigkeitstabelle gewährt aus verteilungsanalytischer Sicht weitere beachtenswerte statistisch-methodische Einblicke. Gemäß Tabelle 3-6 wurden die n = 857 erfassten und reellwertigen Gewichtswerte x i in m = 14 Gewichtsklassen K j = (x j u $ X < x j o ) für j = 1, 2, …, m in Gestalt von disjunkten Klassen K j (in Form sich gegenseitig ausschließender Merkmalswerteintervalle) eingeordnet und zusammengefasst. Aufgrund dessen, dass im konkreten Fall für alle <?page no="128"?> 128 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft j = 1, 2, …, 14 die m = 14 Gewichtsklassen K j wegen . j = x j o @ x j u = 2 = const mit einer Breite von jeweils 2 g gleichbreit sind, subsumiert man in der Statistik eine solche Datenaggregation unter dem Begriff einer äquidistanten Klassierung eines stetigen metrischen Merkmals. Tabelle 3-6: Häufigkeitstabelle, Basis: äquidistante Gewichtsklassen Die statistischen Kennzahlen der modalen Gewichtsklasse K 7 = (x 7 u $ X < x 7 o ) = (62 g $ X < 64 g) der Ordnung j = 7, deren semigrafisches Erscheinungsbild im Stamm-Blatt-Diagramm der „Gewichtsstamm ist, der mit den meisten Gewichtsblättern belaubt ist“, können sachlogisch wie folgt interpretiert werden: In der betrachteten Palette von n = 857 Hühnereiern besitzen n 7 = 150 Hühnereier ein Gewicht X von mindestens 62 g bis unter 64 g. Dies sind anteilmäßig bzw. prozentual p 7 = 150 / 857 8 0,175 bzw. 17,5 % aller erfassten Hühnereier. Wegen F 7 = 0,583 sind 58,3 Prozent aller erfassten Hühnereier leichter als 64 g. In einer komplementären Betrachtung 1 - F 7 = (1 - 0,583) = 0,417 sind letztlich 41,7 Prozent der Hühnereier durch ein Gewicht von mindestens 64 g gekennzeichnet. Analog können die restlichen 13 Gewichtklassen interpretiert werden. Sowohl aus didaktisch-methodischen als auch aus theoretischen Gründen erweist sich eine nähere Betrachtung und Erläuterung der Abbildung 3-14, die auf der Tabelle 3-6 basiert und Ähnlichkeiten mit dem semigrafischen Stamm-Blatt-Diagramm in der Abbildung 3-13 besitzt, als geboten und vorteilhaft. <?page no="129"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 129 Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-14: Normiertes Histogramm mit Normalverteilung In der statistischen Methodenlehre subsumiert man diese grafische Darstellung von klassierten metrischen Daten unter dem Begriff eines normierten Histogramms, das zudem noch durch die stetige und glockenförmige Dichtefunktion einer Normalverteilung ergänzt wurde. Ein Histogramm, das gemäß seinem griechischen Wortursprung als eine Gewebezeichnung gedeutet werden kann, ist die klassische Form der grafischen Darstellung der Häufigkeitsverteilung eines stetigen metrischen Merkmals. Im Hinblick auf die Abbildung 3-14 ist dabei beachtenswert, dass mit dem Adjektiv normiert eine Eigenschaft indiziert wird, die aus statistisch-methodischer Sicht von substantieller Bedeutung ist: Es ist die Eigenschaft der Flächenproportionalität der aneinander grenzenden rechteckigen Flächen in einem Histogramm, deren Gesamtfläche dem Werte nach eins ist. Das Prinzip der Flächenproportionalität soll der Anschaulichkeit halber einmal nur anhand der modalen bzw. „der am häufigsten besetzten“ Gewichtsklasse K j der Ordnung j = 7 paradigmatisch erläutert werden. Während die „größte“ Rechteckfläche eine bildhafte Darstellung der relativen Klassenhäufigkeit p 7 = 150 / 857 8 0,175 ist, markiert die relative Häufigkeitsdichte p 7 D = p 7 / . 7 = 0,175 / 2 = 0,0875 die Rechteckhöhe und die Klassenbreite . 7 = 2 die Rechteckbreite des Rechtecks der Ordnung j = 7 im normierten Histogramm, womit man zugleich auch eine nachvollziehbare Erklärung dafür gefunden hat, warum in der Abbildung 3-14 die Ordinate mit dem Etikett Häufigkeitsdichte versehen wurde. Leicht nachzuvollziehen ist dabei die Tatsache, dass die Gesamtfläche aller m = 14 aneinandergrenzenden Rechtecke ihrem Wert nach eins ist, eine Eigenschaft, die wahrscheinlichkeitstheoretisch von substantieller Bedeutung ist und im Kontext des Abschnitts 3.6 eine nähere Betrachtung erfährt. Während die n = 857 primärstatisch erfassten und reellwertigen Hühnereiergewichte X(! i ) = x i B % gemäß Abbildung 3-14 in einem normierten Histogramm auf m = 14 disjunkte und äquidistante Gewichtsklassen K j „verdichtet“ wurden, wird mit dem sogenannten Boxplot in der Abbildung 3-15 die Datenaggregation noch erhöht bzw. verstärkt, indem alle 857 reellwertigen Gewichtsdaten auf m = 4 Gewichtsklassen K j „zusammengepresst“ werden, die ihrem Wesen nach nicht äquidistant, sondern äquifrequent, also nicht gleichbreit, dafür aber gleichhäufig sind. In der statistischen Methodenlehre wird diese Form der Klassierung mit dem Etikett äquifrequente Vierteilung einer statistischen Gesamtheit versehen. <?page no="130"?> 130 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-15: Boxplot, Basis: 857 Hühnereiergewichte Gleichsam wie das Stamm-Blatt-Diagramm in der Abbildung 3-13 ist ein Boxplot ein häufig appliziertes und aussagekräftiges statistisches Analyseinstrument der Explorativen Datenanalyse. Selbst wenn man ein Boxplot in Anlehnung an seine originäre Bezeichnung Box-and-Whisker-Plot als eine Schachtel-und-Schnurrhaar-Zeichnung deutet, ist diese skurril erscheinende Kennzeichnung dennoch hilfreich und angebracht. Unter Berücksichtigung der beigefügten Tabelle in der Abbildung 3-15, in der insgesamt fünf Gewichtskennzahlen vermerkt sind, lässt sich das plakatierte Boxplot der Hühnereiergewichte wie folgt sachlogisch interpretieren: Die Spannweite (engl.: range) R = x max - x min = 77,5 - 51,0 = 26,5 kennzeichnet die Ausdehnung des Boxplots. Demnach variieren alle n = 857 erfassten Hühnereiergewichte auf einem Niveau von 26,5 g zwischen dem größten beobachteten Gewichtswert von x max = 77,5 g und dem kleinsten Gewicht von x min = 51,0 g. In der unteren Gewichtsklasse K j = (x min < X $ Q 0.25 ) = (51,0 g < X $ 59,5 g) der Ordnung j = 1 sind (von Rundungsfehlern einmal abgesehen) 25 Prozent bzw. ein Viertel aller erfassten und der Größe nach geordneten Gewichte zusammengefasst. Diese Gewichtsklasse mit einer Breite von 8,5 g wird im Boxplot durch das linksseitige „Schnurrhaar“ bildhaft dargestellt. Die als obere Klassengrenze fungierende Kennzahl Q 0.25 firmiert in der Statistik unter dem Namen Quantil der Ordnung p = 0.25, das synonym auch als unteres oder erstes Quartil oder als 25-stes Perzentil bezeichnet und im Boxplot durch die linke Kante der Box symbolisiert wird. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die folgende Randglosse: Ein Quantil, das sowohl ein real beobachteter Wert als auch ein Fraktil im Erscheinungsbild eines berechneten und fiktiven Wertes sein kann, ist eine statistische Kennzahl, die eine geordnete Folge von Werten zweiteilt. Demnach kann das untere Gewichtsquartil in Höhe von Q 0.25 = 59,5 g wie folgt sachlogisch gedeutet werden: Ein Viertel bzw. 25 Prozent aller erfassten und ihrem Gewicht nach aufsteigend geordneten Hühnereier sind höchstens 59,5 g schwer. In logischer Konsequenz sind drei Viertel der erfassten Hühnereier schwerer als 59,5 g. Die Gewichtsklasse der Ordnung j = 2 K j = (Q 0.25 < X $ Q 0.5 ) = (59,5 g < X $ 62,5 g) mit einer Breite von 3 g wird durch den linken Teil der Box bildhaft sichtbar gemacht. Die obere Klassengrenze Q 0.5 wird in der Statistik als Median bezeichnet, der in Anlehnung an den lateinischen Begriff medianus den „mittleren Wert“ kennzeichnet und im Boxplot durch die „mittlere“ Boxtrennlinie markiert wird. <?page no="131"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 131 Neue Betriebswirtschaft Der Median, der synonym auch als mittleres oder zweites Quartil, als fünftes Dezil, als 50-stes Perzentil oder als Quantil der Ordnung p = 0.5 bezeichnet wird, ist eine wichtige Kennzahl in der Explorativen Datenanalyse. Die Bedeutungsschwere der medianen Kennzahl erklärt sich nicht nur aus ihrer Rolle als ein „Repräsentant der Mitte“, sondern insbesondere aus dem Faktum, dass sie (etwa im Unterschied zu einem arithmetischen Mittel) nicht durch Extremwerte affiziert und numerisch verzerrt wird. In einer sachbezogenen Interpretation liefert der Median als ein statistischer Lageparameter, der eine Gesamtheit in zwei gleich große Teile gliedert bzw. in Hälften teilt, die folgende Aussage: Während ein Hühnerei aus der „ersten bzw. unteren bzw. leichteren Hälfte“ aller erfassten Hühnereier höchstens 62,5 g schwer ist, besitzt ein Hühnerei aus der „zweiten bzw. oberen bzw. schwereren Hälfte“ der Hühnereier ein Gewicht von mehr als 62,5 g. Die Gewichtsklasse der Ordnung j = 3 K j = (Q 0.5 < X $ Q 0.75 ) = (62,5 g < X $ 66,0 g) ist ihrerseits durch eine Breite von 3,5 g gekennzeichnet und wird im Boxplot durch den rechten Teil der Box sichtbar gemacht. Die obere Klassengrenze Q 0.75 kennzeichnet dabei das obere oder dritte Quartil, das synonym auch als 75-stes Perzentil oder als Quantil der Ordnung p = 0.75 bezeichnet und im Boxplot durch die rechte Kante der Box augenscheinlich wird. Von allen erfassten und aufsteigend geordneten Hühnereiergewichten waren demnach drei Viertel bzw. 75 Prozent durch einen Wert von höchstens 66 g und ein Viertel bzw. 25 Prozent durch einen Wert größer als 66 g gekennzeichnet. Die angebotene bildhafte Deutung der drei Quartile in einem Boxplot liefert zugleich eine plausible Erklärung dafür, warum sie in der statistischen Verteilungsanalyse als Lageparameter gekennzeichnet und klassifiziert werden. Schlussendlich wird die Gewichtsklasse K j = (Q 0.75 < X $ x max ) = (66,0 g < X $ 77,5 g) der Ordnung j = 4 durch das rechtsseitige „Schnurrhaar“ einschließlich der beiden als kleine Kreise kennzeichneten Extremwerte bildhaft dargestellt. Der Anteil der Hühnereier, der dieser vierten Gewichtsklasse zugeordnet wird, beläuft sich auf 0,25 bzw. 25 Prozent oder verbal auf ein Viertel. Im Hinblick auf die praktizierte äquifrequente Vierteilung der 857 Hühnereiergewichte erweist sich aus statistisch-methodischer Sicht der folgende Hinweis als beachtenswert: Im Unterschied zur Tabelle 3-5, die auf dem Klassierungsprinzip „von … bis unter …“ basiert und vor allem in der amtlichen Statistik eine breite Anwendung erfährt, beruht die paradigmatisch skizzierte äquifrequente Vierteilung auf dem Klassierungsprinzip „größer als … bis einschließlich …“. Dieses Klassierungsprinzip findet vor allem in der mathematischen Statistik eine breite Anwendung. Beachtenswert ist dabei, dass statistische Analyseergebnisse auf der Basis einer gleichen Datendatei im Hinblick auf die Anwendung beider Klassierungsprinzipien voneinander abweichen können. Da „aller guten Dinge drei sind“, gilt es in diesem Zusammenhang noch zu vermerken, dass es in Anlehnung an die mediane Interpretation neben einer ersten und einer zweiten Hälfte auch noch eine dritte Hälfte zu erwähnen und zu erläutern gilt, die in einem Boxplot bildhaft durch die Breite der Box augenscheinlich wird und als statistische Kennzahl unter der Bezeichnung Interquartilsabstand firmiert. Im Hinblick auf die Abbildung 3-14 kennzeichnet der Interquartilsabstand QA 0.5 = Q 0.75 - Q 0.25 = 66,0 - 59,5 = 6,5 die Spannweite der mittleren Hälfte aller erfassten Hühnereiergewichte, die auf einem Niveau von 6,5 g zwischen dem oberen und unteren Gewichtsquartil von 66 g und 59,5 g variieren. Mit Hilfe des Interquartilsabstandes, der gleichfalls wie die Spannweite als ein statistisches Streuungsmaß definiert und interpretiert wird, ist es auch möglich, die beiden sogenannten Extremwerte, die im <?page no="132"?> 132 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Stamm-Blatt-Diagramm innerhalb der Abbildung 3-13 protokollarisch vermerkt und in der boxplotbasierten Abbildung 3-14 grafisch indiziert werden, exemplarisch zu erläutern. In der Explorativen Datenanalyse gilt für eine Identifizierung von Extremwerten eines metrischen Erhebungsmerkmals die folgende Regel: Merkmalswerte x i eines Erhebungsmerkmals X, die wegen x i < Q 0.25 - 1.5 3 QA 0.5 bzw. x i > Q 0.75 + 1.5 3 QA 0.5 mehr als das 1,5-Fache des Interquartilsabstandes QA 0.5 unterhalb des unteren Quartils Q 0.25 bzw. oberhalb des oberen Quartils Q 0.75 liegen, werden als Extremwerte gekennzeichnet. In Anlehnung an die Abbildungen 3-13 und 3-14 sind dies wegen x i > 66,0 + 1.5 3 6,5 = 75,75 alle erfassten Hühnereiergewichte x i , die größer als 75,75 g sind und im konkreten Fall durch die zwei Hühnereier ! i der Ordnung i = 327 und i = 390 mit einem Gewicht von X(! 327 ) = x 327 = 76,5 g und X(! 390 ) = x 390 = 77,5 g repräsentiert bzw. „getragen“ werden. Eine finale Betrachtung des symmetrischen Boxplots in der Abbildung 3-14 kulminiert analog zu den vorhergehend angebotenen verteilungsanalytischen Betrachtungen in der Aussage, dass das Ensemble aller n = 857 erfassten Hühnereiergewichte x i insgesamt durch eine symmetrische Verteilung gekennzeichnet werden kann. In Anlehnung an die Abbildung 3-14 und im Hinblick auf die wahrscheinlichkeitstheoretischen Betrachtungen im Kontext des Abschnitts 3.6 kann die Verteilung der Hühnereiergewichte schließlich und endlich hinreichend genau durch das theoretische Modell einer Normalverteilung beschrieben werden. Das theoretische Modell einer Normalverteilung wird dabei wiederum durch zwei statistische Kennzahlen getragen, die in der statistischen Methodenlehre mit den Etiketten arithmetisches Mittel und Standardabweichung versehen werden und in einer erklärenden und exemplarischen Betrachtung die folgenden Bilder ergeben: ! Arithmetisches Mittel Sind X(! i ) = x i die Merkmalswerte eines metrischen Merkmals X, die an den n Merkmalsträgern ! i einer statistischen Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} erhoben wurden, dann heißt der Wert, der sich ergibt, wenn man die Summe aller n beobachteten Merkmalswerte X(! i ) = x i gleichmäßig auf alle n Merkmalsträger ! i verteilt, wobei ) x ... x x ( n x n x n n i i A A A " ; " ; 5 ; 2 1 1 1 1 gilt, arithmetisches Mittel x (lies: x quer). Die in der Tabelle 3-7 zusammengefassten empirischen Befunde ergeben in ihrer sachlogischen Interpretation das folgende Bild: Tabelle 3-7: Mittelwerttabelle <?page no="133"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 133 Neue Betriebswirtschaft Das Gesamtgewicht aller n = 857 erfassten Hühnereier beläuft sich auf ² x + = 53986,1 S[W +û‹ g. Denkt man sich dieses Gesamtgewicht von nahezu 54 kg gleichmäßig auf alle 857 Hühnereier ! i B O n verteilt, dann besitzt im Durchschnitt ein Hühnerei ein Gewicht von x¥ = 1 857 « 53986,1 | 63 g. Allein aus diesen elementaren Betrachtungen erklärt sich auch die umgangssprachliche Interpretation eines arithmetischen Mittels als ein durchschnittlicher Wert in der Rolle eines mittleren Repräsentanten aller zugrundeliegenden Einzelwerte. Warum einem arithmetischen Mittel in der statistischen Methodenlehre eine zentrale und bedeutende Rolle zukommt, erklärt sich aus seinen charakteristischen Eigenschaften, von denen einmal nur die sogenannte Hochrechnungseigenschaft, die sogenannte Nulleigenschaft und die sogenannte quadratische Minimumseigenschaft kurz skizziert werden sollen: Die Hochrechnungseigenschaft - « }- = ²} [ ; [û‹ besagt, dass eine Merkmalswertesumme gleich ist dem Produkt aus der Anzahl der Merkmalswerte und dem arithmetischen Mittel. Dieser Sachverhalt lässt sich wiederum leicht anhand der Tabelle 3-7 verdeutlichen: Wenn ein Hühnerei im Durchschnitt 62,994 g schwer ist, dann beläuft sich das Gesamtgewicht von 857 Hühnereiern auf 857 « 62,997 | 53986,1 g. Die Nulleigenschaft besagt, dass wegen ² ( } [ ø }- ) = 0 ; [û‹ die Summe der Abweichungen der Einzelwerte von ihrem arithmetischen Mittel null ist. Obgleich die einzelnen Gewichtsangaben von ihrem arithmetischen Mittel „nach oben und nach unten“ abweichen, ist das Ausmaß der Abweichungen in einer summierenden Betrachtung vergleichbar mit einem „Null-Summen-Spiel“. Dieses scheinbar kuriose und doch so markante und bemerkenswerte Phänomen von einer Nullsumme lässt sich unter anderem damit beheben, dass man nicht die „positiven und negativen“ Abweichungen, sondern die quadratischen (und stets positiven) Abweichungen der Einzelwerte von ihrem arithmetischen Mittel betrachtet, womit man einen nachvollziehbaren Zugang zur quadratischen Minimumseigenschaft gefunden hat. Die quadratische Minimumseigenschaft ²(} [ ø ë) a ; [û‹ õ ²(} [ ø }- ) a ; [û‹ besagt, dass es keine reelle Zahl a gibt, für welche die Summe der quadratischen Abweichungen der einzelnen Merkmalswerte von dieser reellen Zahl a kleiner ist als für das arithmetische Mittel selbst. Die quadratische Minimumseigenschaft eines arithmetischen Mittels liefert wiederum eine plausible Erklärung dafür, warum in der statistischen Methodenlehre den beiden Kennzahlen einer Varianz einerseits und einer Standardabweichung andererseits als sogenannte Streuungsmaße für metrische <?page no="134"?> 134 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Merkmalswerte sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht eine zentrale Rolle beigemessen wird. ! Standardabweichung Ist X ein metrisches Merkmal, das für eine (endliche) statistische Gesamtheit bzw. Zufallsstichprobe O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} mit einem Umfang von n Merkmalsträgern ! i erhoben wurde, dann heißt die positive Quadratwurzel aus den durchschnittlichen quadratischen Abweichungen der einzelnen Merkmalswerte von ihrem arithmetischen Mittel 5 ; @ " @ ; n i i X )² x x ( n s 1 1 1 Standardabweichung. Im konkreten Fall wurde die Berechnungsvorschrift für die sogenannte Stichprobenstandardabweichung vermerkt, die mittels der Beziehung d O = s O « T n ø 1 n in die sogenannte deskriptive Standardabweichung d X transformiert werden kann. Eingedenk des numerischen Befundes in der Tabelle 3-8, der auf der Stichprobenstandardabweichung beruht und für alle 857 erfassten Hühnereiergewichte mit Hilfe des Statistikprogrammpakets SPSS berechnet wurde, kann die Standardabweichung als ein Maß für die mittlere quadratische Abweichung wie folgt sachlogisch interpretiert werden: Tabelle 3-8: Mittelwerttabelle Im Durchschnitt weichen die n = 857 Hühnereiergewichte X(! i ) = x i von ihrem arithmetischen Mittel in Höhe von 62,994 g um 4,901 g nach oben und nach unten ab. Im Hinblick auf das Zusammenspiel von arithmetischem Mittel und Standardabweichung gilt die folgende Regel: Im Intervall von arithmetischem Mittel plus/ minus einmal Standardabweichung liegt stets die Mehrheit aller Einzelwerte eines metrischen Erhebungsmerkmals. Diese allgemeingültige Regel kann man anhand der Tabelle 3-9 exemplarisch und numerisch nachvollziehen. Tabelle 3-9: Häufigkeitstabelle Von den 857 erfassten Hühnereiergewichten x i befinden sich in diesem Merkmalswertebereich, der auf der Basis gerundeter Parameterwerte wegen <?page no="135"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 135 Neue Betriebswirtschaft [63 g 9 4,9 g] = [58,1 g, 67,9 g] durch das indizierte und geschlossene Intervall gekennzeichnet wird, insgesamt 564 bzw. (564 / 587) 3 100 % 8 65,8 % der Gewichtswerte, die anteilmäßig und augenscheinlich mehr als die Hälfte aller Gewichtswerte ausmachen. Mit Bezug auf die Abbildung 3-14, in der die erfassten Hühnereiergewichte in einem normierten Histogramm dargestellt wurden, das wiederum hinreichend genau durch das theoretische Modell einer Normalverteilung beschrieben werden kann, ist es sinnvoll, diese allgemeingültige Regel auf die sogenannte Drei-Sigma-Regel zu erweitern, die im Abschnitt 3.6 eine nähere Erläuterung erfährt. Schlussendlich gilt es im Kontext der angebotenen verteilungsanalytischen Betrachtungen noch zwei Verfahren paradigmatisch zu erläutern, denen sowohl in der angewandten Statistik als auch in der statistischen Methodenlehre eine besondere praktische und theoretische Bedeutung zukommt und beigemessen wird: Es ist zum einen das statistische Analysekonzept einer Standardisierung und zum anderen das statistische Analyseinstrument einer Verteilungsfunktion. ! Standardisierung Ist X ein metrisches Merkmal, das für eine (endliche) statistische Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} bzw. Zufallsstichprobe mit einem Umfang von n 6 2 Merkmalsträgern ! i erhoben wurde und für dessen Merkmalswerte X(! i ) = x i mit 5 ; " ; n i i x n x 1 1 und 5 ; @ " @ ; n i i X )² x x ( n s 1 1 1 > 0 sowohl das arithmetische Mittel als auch die Standardabweichung gegeben sind, dann heißt die Transformationsvorschrift X i i s x x z @ ; Standardisierung der Merkmalswerte x i . Der Standardisierung, die auch als z-Transformation bezeichnet wird und nur für metrische Merkmale definiert und sinnvoll ist, kommt in der statistischen Datenanalyse nicht nur wegen ihrer Vereinfachungswirkung und ihrer Vergleichbarkeitsgarantie, sondern vor allem auch wegen ihrer charakteristischen Eigenschaften eine besondere Bedeutung zu, die verbal wie folgt vermerkt werden können: Standardisierte Werte sind dimensionslos, ihr arithmetisches Mittel ist null und ihre Standardabweichung ist eins. In der Tabelle 3-10 sind der Anschaulichkeit und der Vergleichbarkeit halber für die 857 Hühnereier die charakteristischen Kennzahlen sowohl für die empirisch erfassten originären Gewichtswerte x i als auch für die berechneten standardisierten Gewichtswerte z i zusammengefasst. Tabelle 3-10: Mittelwerttabelle, Basis: originäre und standardisierte Werte <?page no="136"?> 136 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Während zum Beispiel das Durchschnittsgewicht eines Hühnereies „dimensionsbeladen“ mit 62,994 g bemessen ist, ergibt das arithmetische Mittel der standardisierten Werte einen dimensionslosen Wert von null. Analog ergibt sich für das kleinste statistisch erfasste Gewicht von 51,0 g ein standardisierter und dimensionsloser Wert von z í+ì = 51,0 g ø 62,994 g 4,901 g | ø2,447 und analog für das größte erfasste Hühnereiergewicht ein dimensionsloser z-Wert von z í4À = 77,5 g ø 62,994 g 4,901 g | 2,960. Einmal unterstellt, dass man nur eine Datendatei mit standardisierten Werten verfügbar hat, die analog zur Abbildung 3-6 auf unterschiedlich bemessenen und dimensionierten metrischen Erhebungsmerkmalen beruhen, dann kann man allein anhand der verfügbaren z-Werte elementare Rückschlüsse auf die originären Daten ziehen, ohne diese verfügbar zu haben bzw. zu kennen. Während etwa negative bzw. positive z-Werte ein Hinweis auf unterdurchschnittlich bzw. überdurchschnittlich ausgeprägte originäre Merkmalswerte sind, markieren zum Beispiel alle z-Werte, die gleich oder größer als -1, jedoch gleich oder kleiner als 1 sind, sowohl das Ensemble der standardisierten als auch das Ensemble der originären Merkmalswerte im geschlossenen Intervall von arithmetischem Mittel plus/ minus einmal Standardabweichung. Der letztgenannte und auf den sogenannten Ein-Sigma-Bereich bezogene Hinweis wird durch die Tabelle 3-11 numerisch untermauert, die im Vergleich zur Tabelle 3-9 einen identischen Analysebefund indiziert. Tabelle 3-11: Häufigkeitstabelle Vergleichbare statistische Aussagen sowohl für originäre als auch für standardisierte Werte gewährt auch das bedeutungsvolle Analyseinstrument einer empirischen Verteilungsfunktion, das wie folgt charakterisiert werden kann: ! Verteilungsfunktion Ist X ein mindestens ordinales, zahlenmäßig erfasstes und geordnetes Erhebungsmerkmal mit m voneinander verschiedenen Merkmalswerten Q j , die in einer Zustandsmenge % = {Q j , j = 1, 2, ..., m} zusammengefasst sind, dann heißt die Funktion F(a) mit J K J L N 6 < $ < ; A m 1 j j j 1 ª a alle für 1 ª a ª alle für F ª a alle für 0 F(a) , j = 1, 2, ..., m @ 1, die jeder reellen Zahl a B ´ den Anteil der Merkmalsträger ! B O n einer statistischen Gesamtheit O n mit einem Merkmalswert Q j zuordnet, die diese reelle Zahl a nicht überschreiten, empirische Verteilungsfunktion. <?page no="137"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 137 Neue Betriebswirtschaft In der Abbildung 3-16 ist die empirische Verteilungsfunktion F(a) der 857 erfassten Hühnereiergewichte in Gestalt einer monoton wachsenden Treppenfunktion bildhaft dargestellt. Beachtenswert ist dabei, dass die jeweiligen Merkmalsträgeranteile in Prozent angegeben wurden, woraus sich der Ordinatentitel kumulierte Prozente erklärt. Abb. 3-16: Verteilungsfunktion, originäre Werte Einzig und allein der Anschaulichkeit halber wurde der Graph der empirischen Verteilungsfunktion F(a) noch durch gestrichelte Referenzlinien ergänzt, die auf den paradigmatischen Betrachtungen zum geschlossenen Intervall [arithmetisches Mittel 9 Standardabweichung] basieren, worin die in den Tabellen 3-8 und 3-9 vermerkten statistischen Kennzahlen des arithmetischen Mittels und der Standardabweichung eingeschlossen sind. Die mittlere Referenzlinie, die auf der Abszisse ein Gewicht von 63 g markiert, das im konkreten Fall das ganzzahlig gerundete arithmetische Mittel aller 857 erfassten Hühnereiergewichte kennzeichnet, schneidet den Graphen der empirischen Verteilungsfunktion F(a) auf einer kumulierten prozentualen Niveaustufe von ca. 51 Prozent, wobei formal F(63 g) M 51 % gilt. Demnach besitzen 51 Prozent der erfassten Hühnereier ein Gewicht von höchstens 63 g und 49 Prozent ein Gewicht über 63 g. Würde man in einer umgekehrten Betrachtung auf einem kumulierten prozentualen Niveau von F(a) = 50 Prozent parallel zur Gewichtsabszisse eine Referenzlinie ziehen, dann würde diese den Graphen der empirischen Verteilungsfunktion F(a) an der Stelle a 8 62,5 g „kreuzen“, einem Gewichtswert, der in der Abbildung 3-14 als das 50-ste Perzentil indiziert wird und den Median aller erfassten Hühnereiergewichte kennzeichnet. Ein analoges Bild ergibt sich aus einer näheren Betrachtung der beiden äußeren und parallel zur Ordinate kumulierte Prozente verlaufenden Referenzlinien auf einem Gewichtsniveau von a = 58,1 g und a = 67,9 g. Da im konkreten Fall F(58,1 g) 8 16,7 % und F(67,9 g) 8 82,5 % sowie F(67,9 g) - F(58,1 g) = 65,8 % gilt, überzeugt man sich anhand der Abbildung 3-16 leicht von der Tatsache, dass man das in der Tabelle 3-9 vermerkte numerische Protokoll des geschlossenen Intervalls [63 g 9 4,9 g] = [58,1 g, 67,9 g] <?page no="138"?> 138 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft zumindest näherungsweise, dafür aber elegant und anschaulich mit Hilfe der empirischen Verteilungsfunktion F(a) auch auf grafischem Wege lösen kann. Zu gleichen verteilungsanalytischen Aussagen gelangt man aus einer Betrachtung der Abbildung 3-17, in der die empirische Verteilungsfunktion F(a) der standardisierten Hühnereiergewichte gleichfalls in Gestalt einer monoton wachsenden Treppenfunktion grafisch dargestellt ist, deren Graph augenscheinlich kongruent ist mit dem treppenförmigen Graphen in der Abbildung 3-16. Abb. 3-17: Verteilungsfunktion, standardisierte Werte Im Vergleich zur Abbildung 3-16 besteht ein offensichtlicher und nachvollziehbarer Vorteil der Abbildung 3-17 darin, dass mit den indizierten gestrichelten Referenzlinien a = -1 und a = 1 für die standardisierten Gewichtswerte das geschlossene Merkmalswerteintervall von arithmetischem Mittel plus/ minus einmal Standardabweichung markiert wird, für das F(-1) 8 16,7 % und F(1) 8 82,5 % sowie F(1) - F(-1) = 65,8 % gilt. Während man diese statistischen Aussagen ohne Zusatzinformationen allein aus der Abbildung 3-17 entnehmen kann, bedarf eine alleinige Betrachtung der Abbildung 3-16 des Zusatzhinweises, dass das interessierende und betrachtete Merkmalswerteintervall auf dem arithmetischen Mittel plus/ minus einmal Standardabweichung beruht. Der analytische Befund, wonach 65,8 Prozent der 857 standardisierten Hühnereiergewichte z i im geschlossenen z-Werte-Intervall von -1 bis 1 variieren, koinzidiert mit den Ergebnissen in der Tabelle 3-11, die wiederum identisch sind mit den Ergebnissen in der Tabelle 3-9, die auf den originären Gewichtswerten beruht. Bemerkenswert ist schlussendlich der Hinweis, dass die angebotenen verteilungsanalytischen Betrachtungen von originären und standardisierten Werten mit Hilfe einer empirischen Verteilungsfunktion im Hinblick auf das Abschnitt 3.6 auch für wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtungen etwa auf der Grundlage der Verteilungsfunktion einer Normalverteilung gelten. Wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtungen Die Allegorie von den zwei Seiten einer Medaille ist in unserer Alltagssprache omnipräsent und umspannt ein weites Feld inhaltlicher Deutungen und Interpretationen. Der Begriff Medaille selbst hat seinen Wortursprung im Französischen und kennzeichnet eine aus Metall gegossene und geprägte Geld- oder Schaumünze. Gleich, mit welchen Substantiven man ein zweiseitiges Erscheinungsbild verbal zu etikettieren gedenkt, ob mit Alternative, Dichotomie, Binäreinheit oder Paar, sie lassen sich allesamt wiederum mit vielen anschaulichen bildhaften Gleichnissen unterlegen. <?page no="139"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 139 Neue Betriebswirtschaft Die Abbildung 3-18 plakatiert das Gleichnis von Zahl und Wappen einer Münze, das eingedenk der Überschrift des dritten Abschnitts auf das Gleichnis von der Betriebswirtschaftslehre und der Angewandten Statistik erweitert werden kann. Abb. 3-18: Zahl und Wappen Apropos - Zahl und Wappen, oder besser: Zahl oder Wappen: Das Werfen einer Münze ist ein althergebrachtes, stets zufallsbedingtes und in der Regel nicht manipuliertes Hilfsmittel für eine dichotome Entscheidungsfindung. Bezeichnet man der Anschaulichkeit halber die beiden gleichmöglichen zufälligen Elementarereignisse, dass beim einmaligen Werfen einer Münze entweder das Wappen oder die Zahl oben erscheint, mit A = {Wappen} und B = {Zahl}, so leuchtet es intuitiv ein, dass die Vereinigungsmenge A ' B = & die Ergebnis- oder Grundmenge & = {Zahl, Wappen} (lies: Omega) des Münzwurfexperiments kennzeichnet, die auch als ein sicheres Ereignis aufgefasst werden kann, da „es sicher ist“, dass beim einmaligen Münzwurf „entweder das Wappen oder die Zahl oben erscheint“. Analog ist es leicht nachvollziehbar, dass die Schnittmenge A ( B = * aus den beiden disjunkten bzw. elementefremden Elementarereignissen A und B eine leere Menge ist, die als ein unmögliches Ereignis * = { } gedeutet werden kann, da „es unmöglich ist“, dass beim einmaligen Werfen einer Münze „sowohl das Wappen als auch die Zahl oben erscheinen“. Aufgrund dessen, dass die beiden gleichmöglichen Elementarereignisse A und B als Ergebnismengen wegen n(A) = 1 und n(B) = 1 jeweils nur ein günstiges Ergebnis beinhalten und wegen n(&) = 2 in der zugehörigen Grundmenge & zwei gleichmögliche Ergebnisse gezählt werden, kann man die beiden klassischen Ereigniswahrscheinlichkeiten P ( A ) = n ( A ) n(&) = 1 2 und P ( B ) = n(B) n(&) = 1 2 bestimmen, die in Würdigung des französischen Mathematikers Pierre Simon Marquis de Comte Laplace (*1749, †1827) auch als Laplace-Wahrscheinlichkeiten bezeichnet werden. Da die beiden zufälligen Ereignisse A und B eine gleiche Eintrittswahrscheinlichkeit besitzen, werden sie auch als gleichwahrscheinliche Ereignisse charakterisiert. <?page no="140"?> 140 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Es war im Jahr 1933 als der junge russische Mathematiker Andrej Nikolajewitsch Kolmogorov (*1903, †1987) im Julius Springer Verlag Berlin ein Traktat mit dem Titel Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung veröffentlichte, in dem er den modernen Wahrscheinlichkeitsbegriff mittels dreier Axiome begründete, die gemäß ihrem griechischen Wortursprung drei postulierte Lehrsätze sind, die man „für recht hält und nicht zu beweisen braucht“. 82 ! Axiomatischer Wahrscheinlichkeitsbegriff Ist & P * eine (nichtleere) Ergebnismenge eines Zufallsexperiments und kennzeichnen die Teilmengen A, B C & zwei zufällige Ereignisse, dann heißt eine auf den Teilmengen von & definierte reellwertige Funktion P Wahrscheinlichkeitsmaß und P(…) Ereigniswahrscheinlichkeit, wenn die drei Axiome erfüllt sind: Erstens das Nichtnegativitätsaxiom P(A) 6 0, zweitens das Normierungsaxiom P(&) = 1 und drittens das Additionsaxiom: P(A ' B) = P(A) + P(B) für A ( B = *. Inwieweit sich Kolmogorov dabei vom russischen Sprichwort ; ¸f %~j*Ÿ Ÿ³¸(˜, wonach Gott die Dreifaltigkeit liebt, hat inspirieren lassen, ist nicht überliefert und bleibt eine nicht uninteressante Vermutung. Die drei Wahrscheinlichkeitsaxiome können in einem Merksatz wie folgt zusammengefasst werden: Eine Wahrscheinlichkeit ist ein reellwertiges Maß zur Beschreibung zufälligen Geschehens, das nur Werte zwischen null und eins annehmen kann. Die benutzte Funktionsbezeichnung P zur reellwertigen Beschreibung eines zufälligen Ereignisses A hat sich in Anlehnung an das Lateinische probabilitas zur Kennzeichnung einer Wahrscheinlichkeit als ein Standard durchgesetzt. Aufgrund dessen, dass gemäß dem Additionsaxiom für das Münzwurfexperiment P ( A ë B ) = P ( A ) + P ( B ) = 1 2 + 1 2 = 1 = P( &) gilt, hat man auch eine axiomatische und anschauliche numerische Begründung dafür gefunden, warum eine Wahrscheinlichkeit ein reellwertiges Maß zur Beschreibung zufälligen Geschehens ist, das stets nur Werte zwischen null und eins annehmen kann und gemäß dem Normierungsaxiom ein sicheres Ereignis eine Wahrscheinlichkeit von eins zugewiesen bekommt. Das Normierungsaxiom, wonach die Wahrscheinlichkeit eines sicheren Ereignisses per Definition eins ist, schlägt eine Brücke zur Abbildung 3-14, in der 857 erfasste Hühnereiergewichte mit Hilfe eines normierten Histogramms grafisch dargestellt wurden, dessen aneinandergrenzenden Säulen eine Gesamtfläche von eins besitzen. Doch mehr noch! Neben dem normierten Histogramm mit einer gesamten Säulenfläche von eins besitzt auch die stetige und glockenförmige Funktion über dem normierten Histogramm eine charakteristische und mit dem Normierungsaxiom verwobene Eigenschaft: Die Fläche oberhalb der Abszisse bzw. Gewichtsachse und unterhalb der glockenförmigen Funktion ist auch ihrem Wert nach eins, woraus sich wiederum ihre Kennzeichnung als eine Dichtefunktion erklärt und analog zur Abbildung 3-18 einen anschaulichen Zugang zum theoretischen Modell einer Normalverteilung gewährt. 82 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 13, Seite 190 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6.2, Seite 142 ff <?page no="141"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 141 Neue Betriebswirtschaft Das Modell einer Normalverteilung ist zweifelsfrei eines der beeindruckendsten mathematischen Konstrukte, das erstmals vom französischen Mathematiker Abraham de Moivre (*1667, †1754) formuliert wurde und erst nahezu einhundert Jahre später vom deutschen Mathematiker Carl Friedrich Gauß (*1777, †1855) als Verteilungsgesetz für Beobachtungsfehler im Rahmen der Vermessung des Königreichs Hannover in den Jahren 1820 bis 1844 identifiziert und angewandt wurde. Allein das Erscheinungsbild dieses Verteilungsmodells auf einer Banknote ist ein würdigender Hinweis auf seine eminente theoretische und praktische Bedeutung, der nicht im Geringsten durch den Sachverhalt geschmälert wird, dass die in der Abbildung 3-19 dargestellte Banknote mit dem verbalen Geldwert-Etikett Zehn Deutsche Mark seit 2002 als allgemein anerkanntes Äquivalent des Warenaustausches nicht mehr im Umlauf ist. Abb. 3-19: Gaußsche Normalverteilung Eine Kernbotschaft dieser Banknote wird augenscheinlich mit einem Bildnis von Carl Friedrich Gauß vermittelt, das in einer seitenverkehrten Darstellung auf einem Gemälde des dänischen Malers Christian Albrecht Jensen (*1792, †1870) aus dem Jahr 1840 beruht. Eine weitere Kernbotschaft, die man keinesfalls übersehen darf, aber durchaus leicht übersehen kann und daher in der Abbildung 3-19 linksseitig eine gesonderte und vergrößerte Darstellung erfährt, ist die faszinierende mathematische Funktion Ü ( } ) = 1 ù « i 2 « û « ß G ( óG9 ) c a«2 c , deren grafisches Erscheinungsbild ein glockenförmiges Gebilde ist, das auch als Gaußsche Normalverteilung oder Gaußsche Glockenkurve bezeichnet wird. Während in der für alle reellwertigen x definierten stetigen und nichtnegativen Funktion f(x) die beiden irrationalen und transzendenten Konstanten e und : (lies: Pi) mit den „tragenden Säulen eines Glockengestühls“ assoziiert werden können, fungieren die beiden reellwertigen Größen > (lies: My) und 4 > 0 (lies: Sigma) als die charakteristischen Parameter einer Normalverteilung. Im grafischen Erscheinungsbild einer Glockenkurve können die beiden Parameter als morphologische Kennzahlen gedeutet werden, da die Kennzahl > den Gipfel einer Glockenkurve f(x) auf der Abszisse an der Stelle x = > markiert und die Kennzahl 4 den Wölbungsgrad einer Glockenkurve kennzeichnet. 83 83 Eine anschauliche Erläuterung der beiden Konstanten findet man unter anderem bei Eckstein, Peter P.: Alea iacta est - Faszinierende Geheimnisse eines ungewöhnlichen Spielwürfels, UVK Verlagsgesellschaft mbH Konstanz und München 2017, Kapitel 2.4, 2.5 und 3.4 <?page no="142"?> 142 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Aufgrund dessen, dass das uneigentliche Integral [ Ü ( } ) â} = 1 K¦ G¦ über der stetigen, nichtnegativen und glockenförmigen Funktion f(x) in den Grenzen von „minus unendlich“ bis „plus unendlich“ seinem Wert nach eins ist, kennzeichnet man die Funktion f(x) als eine Dichtefunktion und verwendet sie als eine Wahrscheinlichkeitsverteilung. In ihrer Verwendung als eine Wahrscheinlichkeitsverteilung erweist es sich als vorteilhaft, die Dichtefunktion nach durch die zugehörige Verteilungsfunktion ‚  ( ë ) = K ( ô ' ë ) = [ Ü ( … ) â… y G¦ zu ergänzen, deren grafisches Erscheinungsbild analog zur Abbildung 3-19 eine stetige, monoton wachsende und s-förmige Funktion ist, die für eine reelle Zahl a mit 0 ' ‚  (ë) ' 1 stets nur Funktionswerte zwischen null und eins annehmen kann. Das theoretische Modell einer Normalverteilung erweist sich zum Beispiel für die Nachbildung und Beschreibung des Bewegungsgesetzes einer stetigen Zufallsgröße X allerdings nur dann als praktikabel und hilfreich, wenn man zum Beispiel den wahrscheinlichkeitstheoretischen Betrachtungen ein Normalverteilungsmodell zugrunde legt, dass analog zur Abbildung 3-18 mit ô~Q(ü = 3, ù = 1) hinsichtlich seiner Parameter als vollständig spezifiziert angesehen werden kann. Setzt man die beiden Parameterwerte in die Dichtefunktion Ü ( } ) = 1 i 2 « û « ß G ( óG_ ) c a ein und stellt die vollständig spezifizierte Funktion f(x) im Definitionsbereich 0 ' } ' 6 grafisch dar, dann erhält man die auf der Banknote plakatierte Glockenkurve f(x), deren Gipfel „mit Hilfe eines senkrechten Lots“ augenscheinlich auf der Abszisse an der Stelle x = 3 markiert werden kann. Würde man die Glockenkurve jeweils noch durch eine senkrecht auf der Abszisse stehende Linie an den beiden Stellen } = ü ø ù = 3 ø 1 = 2 und } = ü + ù = 3 + 1 = 4 ergänzen, dann hätte man an den beiden Stellen x = 2 und x = 4, wo die jeweilige Senkrechte die Glockenkurve schneidet, zugleich auch noch die beiden Wendepunkte der Glockenkurve sichtbar markiert. Deutet man den Wertebereich zwischen den beiden Wendepunkten von als den sogenannten Ein- Sigma-Bereich [ ü ± ù ] = [3 ± 1] = [ 2, 4 ] , dann würde man unter Verwendung der vollständig spezifizierten Dichtefunktion mit Hilfe des bestimmten Integrals [ Ü ( } ) â} | 0,683 ] a <?page no="143"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 143 Neue Betriebswirtschaft einen Wert erhalten, der die Größe der Fläche unterhalb der Dichtefunktion f(x) und oberhalb der Abszisse x im reellwertigen Bereich von 2 bis 4 beschreibt. Im stochastischen Sinne interpretiert man diesen Flächeninhalt wegen K ( ¦ ) = K ( 2 ' ô ' 4 ) = [ Ü ( } ) â} | 0,683 ] a als die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines zufälligen Ereignisses ¦ F { 2 ' ô ' 4 } , das darin besteht, dass eine stetige und N(3, 1)-verteilte Zufallsgröße X Werte oder Realisationen annimmt, die sich auf mindestens 2, höchstens jedoch auf 4 belaufen. In Anlehnung an das schwache Gesetz großer Zahlen 84 würde man im statistischen Sinne für eine große und aus mehr als einhundert Merkmalsträgern bestehende Gesamtheit hinsichtlich eines stetigen metrischen und N(3, 1)-verteilten Erhebungsmerkmals X lakonisch vermerken, dass für 68,3 Prozent der Merkmalsträger jeweils ein reeller Merkmalswert zwischen 2 und 4 empirisch erhoben wurde. Erweitert man den um den Parameter > = 3 symmetrischen Streuungsbereich auf einen sogenannten Zwei-Sigma-Bereich [ ü ± 2 « ù ] = [3 ± 2 « 1] = [ 1, 5 ] , dann berechnet man für das zufällige Ereignis ¤ F { 1 ' ô ' 5 } , das darin besteht, dass eine stetige und N(3, 1)-verteilte Zufallsgröße X Werte von mindestens 1 und höchstens 5 annimmt, eine Wahrscheinlichkeit von K ( ¤ ) = K ( 1 ' ô ' 5 ) = [ Ü ( } ) â} | 0,955 [ ‹ . Im Hinblick auf den sogenannten Drei-Sigma-Bereich [ ü ± 3 « ù ] = [3 ± 3 « 1] = [ 0, 6 ] würde man unter sonst gleichen Bedingungen für das zufällige Ereignis ¢ F { 0 ' ô ' 6 } eine Ereigniswahrscheinlichkeit von K ( ¢ ) = K ( 0 ' ô ' 6 ) = [ Ü ( } ) â} | 0,997 Y Ž . 1 bestimmen. Demnach ist es „nahezu sicher“, dass bei Unterstellung einer stetigen und N(3, 1)verteilten Zufallsgröße X das Ereignis C eintritt, wonach sich - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nahezu alle möglichen Realisationen im geschlossenen Intervall von null bis sechs befinden. Die drei paradigmatisch skizzierten wahrscheinlichkeitstheoretischen Aussagen können als eine allgemeingültige Regel, die in der Stochastik auch unter der Bezeichnung der sogenannten Drei- Sigma-Regel firmiert, wie folgt zusammengefasst werden: 84 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 17, Seite 268 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6.6, Seite 205 ff <?page no="144"?> 144 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft ! Drei-Sigma-Regel Kann eine stetige Zufallsgröße X durch eine Normalverteilung beschrieben werden, wobei ô~Q(ü, ù) gilt, dann beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, das eine reellwertige Realisation a in das geschlossene Intervall [ ü ø ³ « ù, ü + ³ « ù ] fällt, K ( ü ø ³ « ù ' ô ' ü + ³ « ù ) = - 0,683 Üü‰ ³ = 1 0,955 Üü‰ ³ = 2 0,997 Üü‰ ³ = 3 . Im Kontext der verteilungsanalytischen Betrachtungen im Abschnitt 3.5 wurde im Hinblick auf die statistische Analyse des Gewichtes von 857 Hühnereiern vermerkt, dass sich 65,8 Prozent der erfassten Gewichtswerte im sogenannten Ein-Sigma-Bereich befinden. Dass dieser empirische Befund nur geringfügig vom prozentualen Anteil von 68,3 Prozent abweicht, den man bei normalverteilten Gewichtswerten theoretisch erwarten würde, ist im Hinblick auf die Abbildung 3-14 ein weiterer Hinweis darauf, dass die erfassten Hühnereiergewichte nicht nur im deskriptiven Sinne als symmetrisch und nahezu glockenförmig verteilt, sondern zugleich auch im stochastischen Sinne als Realisationen einer normalverteilten Zufallsgröße aufgefasst werden können. Im Kontext einer paradigmatischen Darstellung des theoretischen Modells einer Normalverteilung ist es unabdingbar, im Hinblick auf die Abbildung 3-19 das „unikate Konstrukt“ der sogenannten Standardnormalverteilung kurz zu beleuchten. Allein das verbale Etikett Standardnormalverteilung in seiner formalen und verkürzenden Notation N(0, 1) zieht wiederum das bereits im Abschnitt 3.5 paradigmatisch skizzierte statistische Verfahren einer Standardisierung auf die Bühne des Geschehens. Eine stetige und N(>, 4)-verteilte Zufallsgröße X kann wegen î = ô ø ü ù mit Hilfe der sogenannten z-Transformation in eine stetige und N(0, 1)-verteilte Zufallsgröße Z umgewandelt werden, wobei für den Erwartungswert ü { = … ( î ) = 0 und für die Standardabweichung ù { = 1 gilt. Diese Transformation erweist sich nicht nur im Zuge einer vergleichenden Betrachtung unterschiedlich spezifizierter Normalverteilungsmodelle als vorteilhaft, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Herleitung und theoretische Begründung von statistischen Schätz- und Testverfahren als substantiell und tragend. 85 In diesem Zusammenhang dürfen keineswegs die Vorteile der Standardnormalverteilung unerwähnt bleiben, die sich vor allem in der statistischen Methodenlehre sowohl zur anschaulichen Erläuterung wahrscheinlichkeitstheoretischer Sachverhalte als auch zur Berechnung bzw. Bestimmung von interessierenden Ereigniswahrscheinlichkeiten als hilfreich erweisen, zumal man in praxi nicht zu jeder 85 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 19, Seite 294 ff, Kapitel 20, Seite 310 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 7.2, Seite 228 ff, Kapitel 7.3, Seite 246 ff <?page no="145"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 145 Neue Betriebswirtschaft Zeit und an jedem Ort moderne und leistungsfähige Rechentechnik verfügbar hat, mit deren Hilfe man in der Regel rechenaufwändige Wahrscheinlichkeitsberechnungen bewerkstelligen kann. Da auch für die reellwertige und nichtnegative Dichtefunktion Ù ( y ) = 1 i 2 « û « ß G ï c a der Standardnormalverteilung N(0, 1) wegen [ Ù ( y ) ây = 1 K¦ G¦ die Fläche unterhalb des eingipfeligen, glockenförmigen und um die Zahl Null symmetrischen Graphen T(z) dem Wert nach eins ist, leuchtet es ein, dass analog zur Abbildung 3-20 die beiden disjunkten zufälligen Ereignisse A = {Z < 0} und B = {Z 6 0} wegen P(A) = P(B) = 0,5 gleichwahrscheinlich sind. Aufgrund dessen, dass an der Stelle z = 0 die „Einserfläche“ unterhalb der symmetrischen Glockenkurve T(z) halbiert wird, kennzeichnet man den Erwartungswert E(Z) als den Median der stetigen und N(0, 1)-verteilten Zufallsgröße Z, der als „der in der Mitte stehende“ Wert ein aufsteigend geordnetes Ensemble von Realisationen bzw. Merkmalswerten in zwei gleichgroße Teile bzw. in Hälften gliedert. Abb. 3-20: Standardnormalverteilung N(0, 1) Im speziellen Fall einer stetigen und standardnormalverteilten Zufallsgröße Z ist analog zur Abbildung 3-20 die zugehörige Verteilungsfunktion s ( y ) = K ( î ' y ) = [ Ù ( y ) ây ï G¦ in Gestalt eines im Wertebereich 0 ' s(y) ' 1 monoton wachsenden und s-förmigen Graphen bildhaft dargestellt. In einschlägigen Fachbüchern und Tabellenwerken sind die Funktionswerte R(z) der Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung N(0, 1) in der Regel für alle z-Werte im Bereich von 0 bis <?page no="146"?> 146 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft 3,5 tabelliert. Da im konkreten Fall s ( 0 ) = K ( î ' 0 ) = [ Ù ( y ) ây = 0,5 Ž G¦ und s ( 1 ) = K ( î ' 1 ) = [ Ù ( y ) ây | 0,841 ‹ G¦ gilt, leuchtet es intuitiv ein, dass die Wahrscheinlichkeit für das zufällige Ereignis ¦ F { 0 ' î ' 1 } , das darin besteht, dass die stetige und N(0, 1)-verteilte Zufallsgröße Z einen Wert zwischen 0 und 1 annimmt, in ihrem Erscheinungsbild als die markierte Fläche unter der Glockenkurve wegen K ( 0 ' î ' 1 ) = [ Ù ( y ) ây | 0,341 ‹ Ž ungefähr mit 0,34 bemessen ist, ein Wert, der mit der Differenz s ( 1 ) ø s ( 0 ) = 0,841 ø 0,5 | 0,341 aus dem Verteilungsfunktionswert R(z) der oberen Intervallgrenze z = 1 und dem der unteren Intervallgrenze z = 0 identisch ist. Was ist leichter, ein bestimmtes Integral zu berechnen oder einen Funktionswert aus einer Tabelle zu entnehmen bzw. näherungsweise an einem s-förmigen Graphen abzulesen? Eine glaubwürdige und überzeugende Antwort erübrigt sich, es sei denn, man bedient sich, wie in den nachfolgenden paradigmatischen Betrachtungen einschlägiger Software etwa mit SPSS oder Microsoft Excel. ! Erlöshochrechnung Eine Bäuerin betreibt im Land Brandenburg einen Öko-Bauernhof und hat sich auf die Produktion von Öko-Eiern spezialisiert, die von Hühnern der Rasse Loheimer Braun gelegt werden. Auf den Berliner Wochenmärkten sind die von der Bäuerin feilgebotenen Öko-Eier sehr begehrt. Welchen Erlös würde die Bäuerin auf einem Berliner Wochenmarkt erwartungsgemäß erzielen, wenn sie eine Palette von insgesamt 2000 Öko-Eiern verkauft und ein Hühnerei der jeweiligen Gewichtskategorie zu den Preisen veräußert, die in der Tabelle 3-12 aufgelistet sind? Kategorie Gewichtsklasse Preis S(mall) G < 53 g 0,20 €/ Stück M(edium) 53 g $ G < 63 g 0,25 €/ Stück L(arge) 63 g $ G < 73 g 0,30 €/ Stück (e)X(tra)L(arge) G 6 73 g 0,35 €/ Stück Tabelle 3-12: Preistabelle In Anlehnung an die Betrachtungen im Abschnitt 3.5 soll davon ausgegangen werden, dass das Gewicht G eines Hühnereies (Angaben in Gramm) eine stetige und zugleich eine normalverteilte Zufallsgröße ist, wobei G H N(>, 4) <?page no="147"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 147 Neue Betriebswirtschaft gilt. Aus Praktikabilitätsgründen wurden die beiden unbekannten Parameter > und 4 des unvollständig spezifizierten Normalverteilungsmodells N(>, 4) aus den empirisch erhobenen Gewichtsdaten von 857 Hühnereiern geschätzt, wobei für den Erwartungswert > G = E(G) = 62,78 g M 63 g und für die Standardabweichung 4 G = 4,9 g M 5 g gelten soll. Die angestrebte Erlöshochrechnung kann unter Zuhilfenahme des Statistik-Programm-Pakets SPSS und unter Beachtung der eingangs formulierten Prämissen wie folgt bewerkstelligt werden: Für das zufällige Ereignis S : = {G < 53 g}, das darin besteht, dass ein zufällig ausgewähltes Hühnerei der Gewichtskategorie S zugeordnet wird, berechnet man eine Wahrscheinlichkeit von P(G < 53) = F G (53) = CDF.NORMAL(53, 63, 5) M 0,023. Die Funktion CDF.NORMAL basiert auf dem englischen Terminus C(umulative) D(istribution) F(unction of) Normal (Distribution) und kennzeichnet den Wert der Verteilungsfunktion F G der N(63, 5)-verteilten Zufallsgröße G an der Stelle 53, der sachlogisch wie folgt interpretiert werden kann: Unter der Annahme, dass das Hühnereigewicht G eine normalverteilte Zufallsgröße ist, wobei G H N(63 g, 5 g) gilt, beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein zufällig ausgewähltes Hühnerei leichter als 53 g ist, 0,023. Aufgrund dessen, dass die Bäuerin 2000 Hühnereier „zu Markte trägt und veräußert“, kann die Bäuerin erwartungsgemäß davon ausgehen, dass sich in der Verkaufsmenge von 2000 Eiern insgesamt 2000 3 0,023 = 46 Eier der Kategorie S befinden, für die sie gemäß Preisliste einen Verkaufserlös von (46 Stück) 3 (0,20 € je Stück) = 9,20 € erzielen kann. Für das zufällige Ereignis M : = {53 g $ G < 63 g}, das darin besteht, dass ein zufällig ausgewähltes Hühnerei der Gewichtskategorie M zugeordnet wird, also mindestens 53 g schwer, aber leichter als 63 g ist, berechnet man unter sonst gleichen Umständen eine Wahrscheinlichkeit von P(53 $ G < 63) = F G (63) @ F G (53) = CDF.NORMAL(63, 63, 5) @ CDF.NORMAL(53, 63, 5) M 0,477 und interpretiert sie wie folgt: Unter der Annahme, dass das Hühnereiergewicht G eine N(63 g, 5 g)-verteilte Zufallsgröße ist, beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein zufällig ausgewähltes Hühnerei der Gewichtskategorie M zuzuordnen ist, 0,477. Demnach kann die Bäuerin erwarten, dass sich in der Verkaufsmenge von 2000 Eiern insgesamt 2000 3 0,477 = 954 Eier der Kategorie M befinden, für die sie erwartungsgemäß einen Erlös von (954 Stück) 3 (0,25 € je Stück) = 238,50 € erzielen kann. <?page no="148"?> 148 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Für das zufällige Ereignis L : = {63 g $ G < 73 g}, berechnet man ceteris paribus, also unter sonst gleichen Bedingungen, eine Wahrscheinlichkeit von P(63 $ G < 73) = F G (73) @ F G (63) = CDF.NORMAL(73, 63, 5) @ CDF.NORMAL(63, 63, 5) M 0,477, die im konkreten Fall und in logischer Konsequenz identisch ist mit der Wahrscheinlichkeit für das Ereignis M. Erwartungsgemäß kann die Bäuerin für die Anzahl von 2000 3 0,477 = 954 Hühnereiern der Gewichtskategorie L laut Preisliste mit einem Erlös in Höhe von (954 Stück) 3 (0,30 € je Stück) = 286,30 € rechnen. Für das zufällige Ereignis XL : = {G 6 73 g}, berechnet man schließlich und endlich eine Wahrscheinlichkeit von P(G 6 73) = 1 @ F G (73) = 1 @ CDF.NORMAL(73, 63, 5) M 0,023, eine theoretisch zu erwartende Anzahl von 2000 3 0,028 = 46 XL-Eiern und aus deren Verkauf einen Erlös in Höhe von (46 Stück) 3 (0,35 € je Stück) = 16,10 €. In der Tabelle 3-13 sind die Ergebnisse der angestrebten und paradigmatisch skizzierten Erlöshochrechnung zusammengefasst. Kategorie Wahrscheinlichkeit Stückzahl Erlös S 0,023 46 9,20 € M 0,477 954 238,50 € L 0,477 954 286,30 € XL 0,023 46 16,10 € insgesamt 1,000 2000 550,00 € Tabelle 3-13: Erlöshochrechnung Das Bemerkenswerte an diesen betriebswirtschaftlichen und statistischen Betrachtungen besteht darin, dass sich die Bäuerin bereits im Vorfeld ihrer Verkaufsaktivitäten ein Bild darüber verschaffen kann, welchen Erlös sie allein aus einem Verkauf von 2000 Hühnereiern theoretisch zu erwarten hätte, ohne auch nur ein Ei gesammelt, gewogen, in die jeweilige Gewichtskategorie einsortiert und veräußert zu haben. Was allerdings aus sachlogischen und Plausibilitätsgründen nochmals repetiert werden muss, sind die Prämissen, unter denen die Erlöshochrechnung bewerkstelligt wurde: <?page no="149"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 149 Neue Betriebswirtschaft In Anlehnung an die Betrachtungen im Abschnitt 3.5 kann man empirisch belegen, dass für eine hinreichend große statistische Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} von Hühnereiern ! i das Gewicht G(! i ) hinreichend genau durch das theoretische Modell einer Normalverteilung mit den Parametern > G = 63 g und 4 G = 5 g beschrieben werden kann. Diese empirisch unterlegte Aussage ist äquivalent mit der wahrscheinlichkeitstheoretischen Annahme, wonach das Gewicht G eines Hühnereies eine normalverteilte Zufallsgröße ist, wobei G H N(63 g, 5 g) gilt. Unterstellt man weiterhin, dass die in der Tabelle 3-12 vermerkten Gewichtskategorien marktübliche Gewichtsklassifikationen sind, dann hat man im Zuge der praktizierten Erlöshochrechnung letzten Endes nichts anderes getan, als die nicht näher bestimmte und sachlogisch nur für die Menge © + der positiven reellen Zahlen definierte Gewichtsspanne in vier disjunkte Gewichtsintervalle aufgeteilt, die mengentheoretisch das sichere Ereignis & = {S} ' {M} ' {L} ' {XL} beschreiben, das im konkreten Fall darin besteht, dass ein zufällig ausgewähltes Hühnerei „mit Sicherheit“ in eine der vier disjunkten Gewichtskategorien eingeordnet werden kann. Da die vier Gewichtskategorien paarweise disjunkt sind, sich also paarweise gegenseitig ausschließen, wobei im konkreten Fall {S} ( {M} = *, {S} ( {L} = *, {S} ( {XL} = *, {M} ( {L} = *, {M} ( {XL} = * und {L} ( {XL} = * gilt, addieren sich gemäß dem Kolmogorovschen Normierungs- und dem Additionsaxiom die zugehörigen Ereigniswahrscheinlichkeiten P(S) + P(M) + P(L) + P(XL) = P(&) = 1 zu eins, die unter der vollständig spezifizierten Normalverteilungsannahme G H N(63 g, 5 g) theoretisch zu erwartenden kategoriespezifischen Stückzahlen n e zu n e (S) + n e (M) + n e (L) + n e (XL) = 46 + 954 + 954 + 46 = 2000 Stück und der zu erwartende Gesamterlös E e aus einem Verkauf von 2000 Hühnereiern schlussendlich zu E e (S) + E e (M) + E e (L) + E e (XL) = 9,20 + 238,50 + 286,30 + 16,10 = 550 €. Zusammenhangsanalytische Betrachtungen Dieser Abschnitt hat eine paradigmatische Darstellung von Verfahren der statistischen Zusammenhangsanalyse zum Gegenstand, die in der empirischen Wirtschafts- und Sozialforschung häufig appliziert werden. In einer statistischen Zusammenhangsanalyse, die stets sachlogisch zu begründen ist und keine Kausalitätsanalyse ersetzt, steht das Messen der Intensität und/ oder der Richtung von Zusammenhängen zwischen zwei oder mehreren Merkmalen mit Hilfe geeigneter graphischer Darstellungen und Maßzahlen im Vordergrund. <?page no="150"?> 150 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft In Abhängigkeit davon, ob eine statistische Zusammenhangsanalyse auf nominalen, ordinalen oder metrischen Merkmalen beruht, unterscheidet man in der statistischen Methodenlehre zwischen einer Kontingenzanalyse, einer Rangkorrelationsanalyse und einer Maßkorrelationsanalyse. Aus dem breitgefächerten Katalog zusammenhangsanalytischer Verfahren werden in den nachfolgenden Betrachtungen einmal nur die Grundidee einer bivariaten Kontingenzanalyse und einer bivariaten und einer partiellen Maßkorrelationsanalyse paradigmatisch und realdatenbasiert erläutert. 3.7.1 Kontingenzanalyse Die Grundlage einer statistischen Kontingenzanalyse, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung „das Zusammenfallen von Ereignissen“ beschreibt, bildet analog zur Tabelle 3-14 eine sogenannte Kontingenzbzw. Kreuztabelle, die in der angewandten Statistik in der Regel nur für kategoriale, d.h. für nominale und/ oder ordinale Erhebungsmerkmale mit wenigen sich voneinander unterscheidenden Merkmalswerten erstellt wird. Tabelle 3-14: Kontingenztabelle vom Typ (2 3 2) Die in der Tabelle 3-14 mit dem Etikett Nutzerzufriedenheit * Geschlecht Kreuztabelle versehene Kontingenztabelle basiert auf einer Nutzerbefragung in Berliner Parkhäusern im ersten Quartal 2015. Die zugrundeliegende SPSS Datendatei wurde bereits im Rahmen der exemplarischen Betrachtungen zur statistischen Datenerhebung im Abschnitt 3.4 in der Abbildung 3-7 auszugsweise dargestellt. Für die Parkhausbetreiber und für das Parkhausmanagement bestanden Sinn und Zweck der Nutzerbefragung unter anderem darin, eine empirisch unterlegte Antwort auf die sachlogisch plausible Fragestellung zu finden, ob und in welcher Intensität die Zufriedenheit mit dem Parkhausinneren und die Geschlechtszugehörigkeit von Parkhausnutzern in einem Zusammenhang stehen. Da man über diesen interessierenden Sachverhalt keine Kenntnisse besitzt, geht man in der empirischen Wirtschaftsforschung in der Regel wie folgt vor: Aus der hinsichtlich ihres Umfanges N nicht näher bestimmten, jedoch sachlich, zeitlich und örtlich abgegrenzten statistischen Grundgesamtheit O = {! i , i = 1, 2, …, N} von Parkhausnutzern ! wählt man zufällig und unabhängig voneinander eine hinreichend große Anzahl n < N von Parkhausnutzern ! aus, befragt sie (in der Regel auf der Grundlage eines standardisierten Fragebogens) und überträgt die erhobenen Informationen in eine Datendatei. Die Teilmenge O n = {! i , i = 1, 2, …, n} B O zufällig ausgewählter und befragter Parkhausnutzern ! vom Umfang n < N subsumiert man in der Induktiven Statistik 86 unter dem Begriff einer Zufallsstichprobe und die zugehörige Datendatei unter dem Begriff einer realisierten Zufallsstichprobe. 86 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Teil III, Seite 275 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 7: Statistische Induktion, Seite 211 ff. <?page no="151"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 151 Neue Betriebswirtschaft Im Zuge der Befragung wurden analog zur Tabelle 3-15 insgesamt 1109 Parkhausnutzer zufällig ausgewählt und befragt, wobei hinsichtlich der beiden interessierenden Erhebungsmerkmale Nutzerzufriedenheit und Geschlecht(szugehörigkeit) 12 Befragte keine bzw. keine gültige und 1097 Befragte eine gültige bzw. auswertbare Antwort gaben. Tabelle 3-15: Nutzerbefragung, Basis: verarbeitete Fälle Während im konkreten Fall die Zufallsstichprobe durch die Menge der n = 1097 zufällig ausgewählten und befragten Parkhausnutzer ! i gekennzeichnet ist, die hinsichtlich der beiden interessierenden Erhebungsmerkmale gültige Antworten gaben, ordnet man die beiden interessierenden Eigenschaften X: Nutzerzufriedenheit (mit dem Parkhausinneren) und Y: Geschlecht in die Gruppe kategorialer Erhebungsmerkmale ein, die erfassungsstatistisch durch die folgenden jeweils 0-1-kodierten Zustandsmengen gekennzeichnet sind: X(! i ) = x i B % X = {Q 1 = 0 = unzufrieden, Q 2 = 1 = zufrieden} Y(! i ) = y i B % Y = {0 1 = 0 = männlich, 0 2 = 1 = weiblich}. Aufgrund dessen, dass die Zustandsmengen % X und % Y der beiden Erhebungsmerkmale X und Y per Definition mit Q j (j = 1, 2) (lies: Klein-Xi) und 0 k (k = 1, 2) (lies: Klein-Ypsilon) jeweils nur zwei wohl voneinander verschiedene Ausprägungen beinhalten, mit deren Hilfe man lediglich eine Gleich- oder eine Verschiedenartigkeit der befragten Parkhausnutzer ! hinsichtlich der interessierenden Eigenschaft begrifflich beschreiben kann, kennzeichnet man beide Erhebungsmerkmale als nominal und dichotom und die Kontingenztabelle 3-14 als eine quadratische Vierfeldertafel vom Typ (2 3 2), da sie in ihrem „Inneren“ aus r 3 c = 2 3 2 = 4 Feldern besteht. In Anlehnung an die englischen Begriffe row und column symbolisieren die Variablen r und c die Anzahl der „inneren“ Zeilen und Spalten einer Kontingenztabelle. Jedes der vier „inneren Felder“ der Kontingenztabelle 3-14 beinhaltet bezüglich des jeweiligen Ausprägungspaares (Q j , 0 k ) die „gemeinsam“ beobachtete absolute Häufigkeit n(Q j , 0 k ) = n jk mit j = 1, 2, …, r und k = 1, 2, …, c. Demnach gaben von den insgesamt n = 1097 befragten Parkhausnutzern, die gültige Antworten gaben, zum Beispiel wegen n 11 = n(Q 1 , 0 1 )) = 136 Parkhausnutzer an, sowohl mit dem Parkhausinneren unzufrieden als auch männlich zu sein. Das Symbol n 11 kennzeichnet dabei die absolute Häufigkeit im Kontingenztabellenfeld der Ordnung j = 1 (Zeile 1) und k = 1 (Spalte 1) im „Inneren“ der Kontingenztabelle 3-14. Aus mengentheoretischer Sicht bilden die n 11 = n(Q 1 ( 0 1 ) = 136 Parkhausnutzer die Schnittmenge aus der Teilmenge aller n(Q 1 ) = 207 Parkhausnutzer, die angaben, wegen Q 1 = unzufrieden zu sein und aller n(0 1 ) = 719 Parkhausnutzer, die wegen 0 1 = männlich waren. <?page no="152"?> 152 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Die Randbzw. Marginalverteilung {(Q j , n(Q j )), j = 1, 2} = {(unzufrieden, 207), (zufrieden, 890)} des nominalen und dichotomen Erhebungsmerkmals X: Nutzerzufriedenheit (mit dem Parkhausinneren) kennzeichnet die univariate empirische Verteilung in der realisierten Zufallsstichprobe der n = 1097 befragten Parkhausnutzer ! i auf die zwei nominalen Ausprägungen Q 1 = unzufrieden und Q 2 = zufrieden. Während n(X(! i ) = Q 1 ) = n(Q 1 ) = 207 Parkhausnutzer ! i angaben, mit dem Parkhausinneren Q 1 = unzufrieden zu sein, waren n(X(! i ) = Q 2 ) = n(Q 2 ) = 890 Parkhausnutzer ! i mit dem Parkhausinneren Q 2 = zufrieden. Im konkreten Fall überzeugt man sich leicht von der Tatsache, dass für das dichotome Erhebungsmerkmal X: Nutzerzufriedenheit die Summe der absoluten Randhäufigkeiten n = n(Q 1 ) + n(Q 2 ) = 207 + 890 = 1097 identisch ist mit dem Stichprobenumfang n = 1097 Parkhausnutzer. Analog kennzeichnet die Marginalverteilung {(0 k , n(0 k )), k = 1, 2} = {(männlich, 719), (weiblich, 378)} des nominalen Erhebungsmerkmals Y: Geschlecht(szugehörigkeit) die univariate empirische Verteilung in der „gültigen“ realisierten Zufallsstichprobe der n = 1097 der befragten Parkhausnutzer ! i auf die dichotomen Ausprägungen 0 1 = männlich und 0 2 = weiblich. In logischer Konsequenz ist auch die Summe n = n(0 1 ) + n(0 2 ) = 719 + 378 = 1097 der c = 2 absoluten Randhäufigkeiten für das Erhebungsmerkmal Y: Geschlecht identisch mit dem Stichprobenumfang von n = 1097 befragten Parkhausnutzern ! i , die jeweils valide bzw. gültige Antworten gaben. In der Abbildung 3-21 ist die in der (2 3 2)-Kontingenztabelle 3-14 zusammengefasste bivariate absolute Häufigkeitsverteilung mit Hilfe eines dreidimensionalen Balkendiagramms bildhaft dargestellt. Abb. 3-21: Bivariate absolute Häufigkeitsverteilung <?page no="153"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 153 Neue Betriebswirtschaft Aus dem 3D-Balkendiagramm in der Abbildung 3-21 wird bereits ersichtlich, dass zum Beispiel die geschlechtsspezifischen Zufriedenheitsbewertungen der befragten Parkhausnutzer ungeachtet des unterschiedlichen absoluten Niveaus verhältnismäßig nahezu gleichartig sind. Diese erkennbar „verhältnismäßig gleichartigen“ geschlechtsspezifischen Häufigkeitsverteilungen führen unmittelbar zur Betrachtung der zugehörigen Konditionalverteilungen. Aus der rechteckigen (2 3 2)-Kontingenztabelle 3-14 können insgesamt r + c = 2 + 2 = 4 bedingte Verteilungen bzw. Konditionalverteilungen entlehnt werden, die der Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit halber in den Tabellen 3-16 und 3-17 aufgelistet sind und wie folgt interpretiert werden können: Tabelle 3-16: Zufriedenheitsspezifische Konditionalverteilungen Betrachtet man einmal nur die Menge der befragten Parkausnutzer ! i , die angaben, mit dem Parkhausinneren unzufrieden (Q 1 = 0) zu sein, so zeigt sich, dass von diesen n(X(! i ) = Q 1 ) = n(Q 1 ) = 207 unzufriedenen Parkhausnutzern p(0 1 | Q 1 ) = n(0 1 ( Q 1 ) / n(Q 1 ) = 136 / 207 8 0,657 bzw. 65,7 % männlichen Geschlechts (0 1 = 0) und in logischer Konsequenz wegen p(0 2 | Q 1 ) = n(0 2 ( Q 1 ) / n(Q 1 ) = 71 / 207 8 0,343 bzw. 34,3 % weiblichen Geschlechts (0 2 = 1) waren. Analog können auch die bedingten relativen bzw. prozentualen Häufigkeiten für die Teilmenge der zufriedenen (Q 2 = 1) Parkhausnutzer berechnet und interpretiert werden. Abb. 3-22: Konditionalverteilungen als Struktogramme <?page no="154"?> 154 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Da augenscheinlich die r = 2 in der Tabelle 3-16 indizierten zufriedenheitsspezifischen Konditionalverteilungen, deren prozentuale Angaben sich auf einem Gesamtwert von 100 Prozent addieren, nahezu kongruent, also nahezu deckungsgleich sind, kann dies als ein Indiz dafür gewertet werden, dass die beiden betrachteten Erhebungsmerkmale X: Nutzerzufriedenheit und Y: Geschlecht im kontingenzanalytischen Sinne voneinander unabhängig sind. Dieser kontingenzanalytische Befund wird durch die r = 2 jeweils auf 100 Prozent normierten und kongruenten zufriedenheitsspezifischen Struktogramme der Geschlechtszugehörigkeit in der Abbildung 3-22 bildhaft untermauert. Zu einer vergleichbaren Aussage gelangt man bei Betrachtung der c = 2 geschlechtsspezifischen Konditionalverteilungen in der Tabelle 3-17, die der Anschaulichkeit halber in der Abbildung 3-23 mit Hilfe zweier normierter Struktogramme grafisch dargestellt sind. Tabelle 3-17: Geschlechtsspezifische Konditionalverteilungen Abb. 3-23: Konditionalverteilungen als Struktogramme Die geschlechtsspezifischen Konditionalverteilungen basieren auf der Betrachtung der Nutzerteilmengen, die durch die c = 2 Ausprägungen 0 k (k = 1, 2) des Erhebungsmerkmals Y: Geschlecht definiert sind. So bestimmt man zum Beispiel für die weiblichen (0 2 = 1) Parkhausnutzer ! i , die folgende „Zufriedenheitsverteilung“: Von den insgesamt n(Y(! i ) = 0 2 ) = n(0 2 ) = 378 weiblichen Parkhausnutzern ! i gaben p(Q 1 | 0 2 ) = n(Q 1 ( 0 2 ) / n(0 2 ) = 71 / 378 8 0,188 bzw. 18,8 % an, mit dem Parkhausinneren unzufrieden (Q 1 = 0) und p(Q 2 | 0 2 ) = n(Q 2 ( 0 2 ) / n(0 2 ) = 307 / 378 8 0,812 bzw. 81,2 % <?page no="155"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 155 Neue Betriebswirtschaft mit dem Parkhausinneren zufrieden (Q 2 = 1) zu sein. Da offensichtlich auch die c = 2 durch die Geschlechtszugehörigkeit bedingten Verteilungen der Nutzerzufriedenheit, deren prozentuale Angaben sich auf einem Gesamtwert von 100 Prozent addieren, in ihrem paarweisen Vergleich gleichfalls nahezu deckungsgleich sind, wird auch mit diesem konditionalverteilungsbasierten Analysebefund angezeigt, dass die beiden kategorialen Erhebungsmerkmale X: Nutzerzufriedenheit und Y: Geschlecht im kontingenzanalytischen Sinne nicht voneinander abhängig, also voneinander unabhängig sind. So eindeutig im konkreten Fall der auf einer alleinigen Betrachtung von Konditionalverteilungen beruhende kontingenzanalytische Befund auch sein mag, aus statistisch-methodischer Sicht ist dieser Analysebefund ein „rein deskriptiver Befund“, den es im Sinne der Induktiven Statistik ist noch durch ein geeignetes Testverfahren zu ergänzen gilt. Ein statistisches Verfahren, das eine kausalanalytisch begründete statistische Überprüfung einer kontingenzanalytischen Vermutung ermöglicht und vor allem auch in der empirischen Wirtschaftsforschung eine breite Anwendung erfährt, ist der sogenannte Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest 87 , der wie folgt charakterisiert werden kann: Der Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest ist ein Ein-Stichproben-Test, mit dem man auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau ? prüft, ob zwei kategoriale Erhebungsmerkmale mit wenigen voneinander verschiedenen Ausprägungen X(! i ) B % X = {Q j , j = 1, 2, ..., r < n} und Y(! i ) B % Y = {0 k , k = 1, 2, ..., c < n}, die mittels einer Zufallsstichprobe O n = {! i , i = 1, 2,..., n} vom Umfang n in einer (r 3 c)- Kontingenztabelle abgebildet wurden, in einer statistischen Grundgesamtheit O = {! i , i = 1, 2, ..., N} vom Umfang N als unabhängig voneinander angesehen werden können. Auf der Basis der Kontingenztabelle 3-14 erhält man für den Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest das in der Tabelle 3-18 zusammengefasste Ergebnis, das in seinen Bestandteilen wie folgt interpretiert werden kann: Tabelle 3-18: #²-Unabhängigkeitstest, Basis: Tabelle 3-14 Der mit dem Etikett Chi-Quadrat nach Pearson versehene und anhand der Tabelle 3-19 berechnete Testvariablenwert # a = ²² (- YW ø - YW a )² - YW a e Wû‹ 4 Yû‹ = (136 ø 135,7)² 135,7 + ‡ + (307 ø 306,7)² 306,7 | 0,003 87 Vgl. i) Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 20.2.5, Seite 341 ff, ii) Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 8.1.2, Seite 300 ff und iii) Eckstein, Peter P.: Angewandte Statistik mit SPSS, Praktische Einführung für Wirtschaftswissenschaftler, 8., überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 5.1.2, Seite 168 ff <?page no="156"?> 156 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft ist ein aggregierter Gradmesser für das Ausmaß der normierten quadratischen Abweichungen der empirisch beobachteten absoluten Häufigkeiten n jk von den unter der Unabhängigkeitshypothese theoretisch erwarteten absoluten Häufigkeiten n e jk . Tabelle 3-19: Kontingenztabelle mit beobachteten und erwarteten Werten Das analytische Konstrukt einer unter der Unabhängigkeitsannahme erwarteten absoluten Häufigkeit n e jk kann man sich anhand der Tabelle 3-19 etwa für die erwartete Anzahl von n e 11 8 137,5 männlichen Parkhausnutzern, die mit dem Parkhausinneren unzufrieden sind, wie folgt verdeutlichen: Gemäß dem klassischen Wahrscheinlichkeitsbegriff beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein zufällig ausgewählter und befragter Parkhausnutzer mit dem Parkhausinneren unzufrieden ist (Ereignis Q 1 ), P(Q 1 ) = n(Q 1 ) / n = 207 / 1097 8 0,1887 und die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Parkhausnutzer männlich ist (Ereignis 0 1 ), P(0 1 ) = n(0 1 ) / n = 719 / 1097 8 0,6554, zwei Ereigniswahrscheinlichkeiten, die zum einen in der Tabelle 3-17 und zum anderen in der Tabelle 3-16 jeweils in der Rubrik Gesamt als eine prozentuale relative Häufigkeit p*(Q 1 ) = 65,5 % bzw. p*(0 1 ) = 18,9 % vermerkt sind. Unter der Annahme, dass die beiden interessierenden zufälligen Ereignisse Q 1 = unzufrieden und 0 1 = männlich stochastisch voneinander unabhängig sind, gilt gemäß der Multiplikationsregel für zwei stochastisch unabhängige zufällige Ereignisse die Gleichung P(Q 1 ( 0 1 ) = P(Q 1 ) 3 P(0 1 ). Demnach ist die Wahrscheinlichkeit P(Q 1 ( 0 1 ) für ein gemeinsames Eintreten zweier voneinander unabhängiger zufälliger Ereignisse gleich dem Produkt P(Q 1 ) 3 P(0 1 ) aus den beiden Ereigniswahrscheinlichkeiten P(Q 1 ) und P(0 1 ), woraus sich wiederum die Berechnungsvorschrift für die unter der Unabhängigkeitsannahme theoretisch zu erwartende Anzahl n e 11 = n e (Q 1 ( 0 1 ) = n 3 P(Q 1 ) 3 P(0 1 ) = n(Q 1 ) 3 n(0 1 ) / n von unzufriedenen männlichen Parkhausnutzern erklären lässt, die im gegebenen Fall leicht nachvollziehbar durch eine fiktive reelle Zahl n e 11 = 1097 3 (207 / 1097) 3 (719 / 1097) = 207 3 719 / 1097 8 135,7 getragen wird. Da offensichtlich wegen <?page no="157"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 157 Neue Betriebswirtschaft n 11 = 136 M n e 11 8 135,7 die empirisch beobachtete Anzahl n 11 unzufriedener männlicher Parkhausnutzer nur geringfügig von der theoretisch erwarteten Anzahl n e 11 abweicht, ist dieser numerische Befund ein Hinweis darauf, dass die beiden zufälligen Ereignisse Q 1 = unzufrieden und 0 1 = männlich als zwei stochastisch voneinander unabhängige zufällige Ereignisse aufgefasst werden können. Analog können die restlichen numerischen Befunde in der Tabelle 3-19 berechnet und interpretiert werden. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass jedes einzelne Feld die inneren vier Felder der Tabelle 3-19 immer nur eine Aussage über die Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit zweier zufälliger Ereignisse gewährt und erst der aggregierte Testvariablenwert #² 8 0,003 im kontingenzanalytischen Sinne einer Aussage darüber ermöglicht, ob die beiden interessierenden dichotomen Erhebungsmerkmale Nutzerzufriedenheit und Geschlecht als voneinander unabhängig gedeutet werden können oder nicht. Da im theoretisch „idealen“ Fall einer stochastischen Unabhängigkeit die beobachteten und erwarteten Anzahlen in einer Kontingenztabelle identisch sind, also n jk = n e jk bzw. n jk - n e jk = 0 und #² = 0 gilt, muss im konkreten Fall noch geklärt werden, wie der Testvariablenwert in Höhe von 0,003, der im Bereich der positiven reellen Zahlen variiert und für den man keine Norm kennt, sowohl kontingenzanalytisch als auch induktiv zu bewerten ist. Im Sinne einer „klassischen“ statistischen Testentscheidung vergleicht man im Zuge eines Chi- Quadrat-Unabhängigkeitstests auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau ? einen aus einer realisierten Zufallsstichprobe berechneten Testvariablenwert #² mit einem sogenannten Schwellenwert #² p, df , der seinem Wesen nach ein Quantil der Ordnung p = 1 @ ? einer Chi-Quadrat- Verteilung mit df Freiheitsgraden ist, und verwirft die Unabhängigkeitshypothese, sobald der Testvariablenwert den Schwellenwert überschreitet. Auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau von ? = 0,05 ermittelt man mit Hilfe des Programmpakets SPSS für p = 1 - 0,05 = 0,95 und df = 1 einen Schwellenwert von #² 0.95, 1 = IDF.CHISQ(0.95, 1) 8 3,84 und behält „aus Mangel an Abweichungen der beobachteten Anzahlen n jk von den erwarteten Anzahlen n e jk “ schlussendlich wegen #² 8 0,003 < #² 0.95, 1 8 3,84 die Ausgangshypothese H 0 bei, wonach in der statistischen Grundgesamtheit von Parkhausnutzern Nutzerzufriedenheit und Geschlechtszugehörigkeit zwei voneinander unabhängige Merkmale sind. Zu einem gleichen Testergebnis gelangt in Anwendung des sogenannten p(robabilitiy)-value- Konzepts, das auf den Vergleich eines vorab vereinbarten Signifikanzniveaus ? mit einem aus einer realisierten Zufallsstichprobe berechneten und sogenannten empirischen Signifikanzniveau ? * hinausläuft und eine Ausgangshypothese H 0 verworfen wird, sobald ein empirisches Signifikanzniveau kleiner ist als ein vorab vereinbartes Signifikanzniveau. Da im konkreten Fall und im Hinblick auf die Tabelle 3-18 ? * 8 0,958 > ? = 0,05 <?page no="158"?> 158 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft gilt, besteht kein Anlass, die Unabhängigkeitshypothese H 0 zu verwerfen. Allein anhand der indizierten SPSS Berechnungsvorschrift ? * = 1 - CDF.CHISQ(0.003, 1) 8 0,958 ist zu erkennen, dass gemäß Tabelle 3-18 das empirische Signifikanzniveau auf einer #²-Verteilung (lies: Chi-Quadrat-Verteilung) mit df = 1 Freiheitsgraden und auf dem Testvariablenwert #² 8 0,003 beruht, der wiederum auf der Basis der realisierten Zufallsstichprobe mit einem Umfang von n = 1097 befragten Parkhausnutzern berechnet wurde. Im Hinblick auf das Testergebnis ist zu beachten, dass man mit dem praktizierten #²-Unabhängigkeitstest keinen Nachweis dafür erbracht hat, dass in der hinsichtlich ihres Umfanges N nicht näher bestimmten statistischen Grundgesamtheit von Parkhausnutzern die beiden Erhebungsmerkmale Nutzerzufriedenheit und Geschlechtszugehörigkeit „auch wirklich voneinander unabhängig sind“. So, wie zum Beispiel ein Gericht „aus Mangel an Beweisen“ von einer nicht bewiesenen Schuld eines Angeklagten ausgeht, so hält man in der Induktiven Statistik „aus Mangel an Abweichungen eines empirisch beobachteten Befundes von einem theoretisch erwarteten Befund“ an der Ausgangsbzw. Nullhypothese H 0 fest, ohne damit allerdings ihre „Richtigkeit oder Gültigkeit“ nachgewiesen zu haben. Einzig und allein der Verständlichkeit und Anschaulichkeit halber soll das theoretisch nicht einfache Konstrukt von Freiheitsgraden noch kurz und paradigmatisch erläutert werden. Tabelle 3-20: Anzahl der Freiheitsgrade df = 1 Einmal unterstellt, dass man analog zur Tabelle 3-20 die 1097 befragten Parkhausnutzer dahingehend identifiziert hat, dass sowohl die zufriedenheitsbezogene als auch die geschlechtsbezogene Marginalverteilung vollständig und fixiert ist, dann leuchtet es intuitiv und augenscheinlich ein, dass man für eine (2 3 2)-Kontingenztabelle wegen r = c =2 und df = (r - 1) 3 (c - 1 ) = 1 hinsichtlich des zahlenmäßigen Besatzes der inneren vier Felder zahlenmäßig stets nur eine freie Wahloption besitzt, die in Anlehnung an den englischen Terminus degrees of freedom und der darauf beruhenden Abbreviatur df die Anzahl der Freiheitsgrade kennzeichnet. Setzte man analog zur Tabelle 3-20 gewollt oder zufallsbedingt die Zahl 136 in das Feld der Ordnung j = 1 und k = 1, so wären in logischer Konsequenz die restlichen drei Anzahlen festgelegt und somit nicht mehr frei wählbar, womit im Hinblick auf die Tabelle 3-19 bereits der Parameter df = 1 eine anschauliche und fassbare Erklärung gefunden hat. An dieser Stelle ist es geboten, noch zwei historische Notizen zu vermerken: Während das theoretische Wahrscheinlichkeitsmodell einer Chi-Quadrat-Verteilung 88 auf den deutschen Mathematiker 88 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Seite 319 ff, 387 und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Seite 259 ff <?page no="159"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 159 Neue Betriebswirtschaft Friedrich Robert Helmert (*1843, †1917) und den englischen Statistiker Karl Pearson (*1857, †1936) zurückgeht, werden sowohl das Verfahren eines Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstests als auch die Idee des p-value-Konzepts dem englischen Statistiker Sir Ronald Aylmer Fisher (*1890, †1962) zugeschrieben. Einen aus didaktisch-methodischer Sicht ergänzenden Einblick in die statistische Kontingenzanalyse gewährt die Tabelle 3-21, in deren Zentrum die Überprüfung der Annahme steht, dass für Nutzer von Berliner Parkhäusern die Zufriedenheit mit dem Parkhausinneren unabhängig ist von der Parkhauskategorie. Tabelle 3-21: Kontingenztabelle vom Typ (2 3 2) Auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau von ? = 0,05 verwirft man in Anwendung des pvalue-Konzepts nach Fisher und im Hinblick auf die Tabelle 3-22 wegen ? * 8 0,000 < ? = 0,05 die Unabhängigkeitsannahme bzw. -hypothese und geht mit einer sogenannten Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,05 davon aus, dass in der statistischen Grundgesamtheit von Parkhausnutzern eine Kontingenz zwischen der Nutzerzufriedenheit und der Parkhauskategorie besteht und somit beide Nutzermerkmale nicht als voneinander unabhängig gedeutet werden können. Tabelle 3-22: #²-Unabhängigkeitstest, Basis: Tabelle 3-21 Der mit einer geringen Wahrscheinlichkeit von 0,05 bemessene Irrtum bei dieser Testentscheidung besteht darin, die Unabhängigkeitshypothese zu verwerfen, obgleich sie richtig ist. Zu einem gleichen Testergebnis gelangt man gemäß Tabelle 3-22 im Sinne einer klassischen Testentscheidung mit #² 8 30,97 > #² 0.95, 1 8 3,84 aus einem Vergleich des Testvariablenwertes #² mit dem Schwellenwert #² p, df der Ordnung p = 1 - ? = 0,95 mit df = 1 Freiheitsgraden. Aufgrund dessen, dass der aus der realisierten Zufallsstichprobe auf der Basis von 1104 befragten Parkhausnutzern berechnete Testvariablenwert die „Schwelle eines freien Spiels des Zufalls weit überschreitet“, kann dieser empirische Befund keineswegs mehr mit einer „Unabhängigkeitsvermutung in Einklang gebracht werden“. Das Ergebnis des Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstests koinzidiert in logischer Konsequenz mit den 2 + 2 = 4 Konditionalverteilungen, die auf der Kontingenztabelle 3-21 basieren und in der Abbildung 3-24 jeweils als normierte und nicht deckungsgleiche Struktogramme grafisch dargestellt sind. <?page no="160"?> 160 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-24: Zufriedenheits- und kategoriespezifische Konditionalverteilungen Wohl hat man sowohl anhand des Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstests als auch angesichts der Konditionalverteilungen statistische Befunde vorzuweisen, dass für Parkhausnutzer die beiden dichotomen Merkmale X: Nutzerzufriedenheit und Y: Parkauskategorie als voneinander abhängig aufgefasst werden können. Was man allerdings allein anhand dieser Befunde nicht beantworten kann, ist die Frage nach der Intensität der statistischen Kontingenz. Ein in der angewandten Statistik häufig appliziertes Maß zur Messung der Stärke bzw. Intensität einer statistischen Kontingenz zwischen zwei nominalen Merkmalen ist das dimensionslose und normierte Kontingenzmaß 9 = T # a - « (¯ ø 1) , das vom schwedischen Mathematiker Harald Cramér (*1893, †1983) vorgeschlagen wurde und für das 0 $ V < 1 und m = min(r, c) gilt. Unter Verwendung der Ergebnisse aus der Tabelle 3-22 berechnet man für das Kontingenzmaß V nach Cramér einen Wert von 9 = T 30,97 1104 « (2 ø 1) | 0,167 und interpretiert ihn wie folgt: Auf der Basis von 1104 befragten Parkhausnutzern kann eine schwach ausgeprägte statistische Kontingenz zwischen der Nutzerzufriedenheit und der Parkhauskategorie gemessen werden, die darin kulminiert, dass Parkhausnutzer von neuen Parkhäusern mit dem Parkhausinneren eher zufrieden sind als mit dem Parkhausinneren von alten Parkhäusern. Gleichwohl dieser kontingenzanalytische Befund in einem ersten Augenblick mit den verbalen Etiketten „trivial und selbstverständlich“ versehen und kommentiert wird, besteht seine praktische Bedeutung darin, dass man mit ihm eine sachlogisch nachvollziehbare Aussage empirisch untermauert hat. 3.7.2 Maßkorrelationsanalyse Unter dem Begriff einer Maßkorrelationsanalyse fasst man in der statistischen Methodenlehre die sachlogisch begründete Analyse von statistischen Zusammenhängen zwischen zwei oder mehreren metrischen Erhebungsmerkmalen zusammen. Dabei erweist es sich stets als vorteilhaft, einer Maßkorrelationsanalyse eine explorative Datenanalyse vorzulagern. Bei einer explorativen Datenanalyse kommt dem grafischen Analysebausteins eines sogenannten Streudiagramms eine besondere praktische Bedeutung zu. <?page no="161"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 161 Neue Betriebswirtschaft ! Bivariate Maßkorrelation Unter Verwendung der in der Abbildung 3-6 auszugsweise plakatierten SPSS Datendatei Palette.sav soll statistisch analysiert werden, ob und in welcher Intensität und Richtung zwischen den metrischen, extremwertbereinigten und hinreichend genau normalverteilten Erhebungsmerkmalen X: Breite (Angaben in mm) und Y: Gewicht (Angaben in g), die für eine statistische Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, …, n} von n = 857 Hühnereiern ! i , die von Hühnern der Rasse Loheimer Braun gelegt wurden, empirisch erhoben wurden, ein statistischer Zusammenhang besteht. Im Vorfeld der angestrebten Maßkorrelationsanalyse erweist es sich als vorteilhaft, das in der Abbildung 3-25 dargestellte Streudiagramm einer näheren Betrachtung zu unterziehen, welche die folgenden explorativen Erkenntnisse liefert und gewährt: Abb. 3-25: Streudiagramm Die gestreckte Punktewolke, die das Ensemble der erfassten Hühnereier in einer zweidimensionalen Hyperebene bildhaft beschreibt, indiziert einen linearen Verlauf, der trotz einer augenscheinlichen und zufallsbedingten Streuung erkennen lässt, dass breitere Eier in der Regel ein größeres Gewicht besitzen als weniger breite Eier und umgekehrt. Aus sachlogischer Sicht deutet diese noch recht un sc ha rfe G ewic ht sun d Br eiten ko nk ordanz auf e inen po siti ve n linear en statist isc hen Zusammenhang hin. Die gestrichelten Mittelwertlinien, die analog zur Tabelle 3-23 jeweils auf dem zugehörigen arithmetischen Mittel beruhen und die Streufläche in vier Quadranten teilen, ermöglichen eine anschauliche Darstellung der Grundidee einer Maßkorrelation: Das Studium der Gleich- oder der Gegenläufigkeit der Merkmalswerte zweier metrischer Merkmale um ihre Mittelwerte. Tabelle 3-23: Mittelwerttabelle Zeigt sich anhand eines Streudiagramms, dass die überwiegende Mehrheit der Merkmalsträger bezüglich zweier Merkmale im ersten und im dritten Quadranten angesiedelt ist, dann ist dies ein Indiz für eine positive statistische Maßkorrelation. Streuen hingegen die Punkte der Punktewolke vorwiegend im zweiten und im vierten Quadranten, so ist dies ein Indiz für eine negative Maßkorrelation. <?page no="162"?> 162 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Beachtenswert dabei ist, dass in der Geometrie die vier Quadranten „im Uhrzeigersinn entgegengesetzt“ nummeriert werden. Da in der Abbildung 3-25 augenscheinlich die überwiegende Mehrheit der Hühnereier entweder unterdurchschnittlich leicht und breit (bzw. schmal) oder überdurchschnittlich schwer und breit ist, spricht man auch von einer ausgeprägten positiven Kovariation von Gewicht und Breite der Hühnereier, die mit Hilfe der Maßzahl der Kovarianz ‡ } = 1 ø 1 « ²(} [ ø }- ) « ({ [ ø {¥) ; [û‹ als ein durchschnittliches Abweichungsprodukt der Merkmalswerte von ihrem arithmetischen Mittel numerisch beschrieben werden kann. Im konkreten Fall berechnet man für die n = 857 Hühnereier eine Breite-Gewicht-Kovarianz von ‡ } = 4525,135 857 ø 1 | 5,286 , die sich im gegebenen Fall als eine mit der Dimension „Millimeter-Gramm“ beladene Maßzahl des Zusammenwirkens von Breite und Gewicht einer plausiblen Interpretation verschließt. Hinzu kommt noch, dass man für eine Kovarianz insbesondere für alle von null verschiedenen Werte keine Norm kennt. Eine Lösung des Problems vermittelt eine durch die in der Tabelle 3-23 angezeigten Standardabweichungen ‡  | 1,246 ¯¯ und ‡ } | 4,901 Ù normierte Kovarianz ‰ } = 5,286 ¯¯ « Ù 1,246 ¯¯ « 4,901 Ù | 0,865, die in der statistischen Methodenlehre als Maßkorrelationskoeffizient bezeichnet wird und wie folgt interpretiert werden kann: Wegen ‰ } = ‰ } | 0,865 besteht zwischen der Breite X und dem Gewicht Y von 857 (zufällig und unabhängig voneinander ausgewählten) Hühnereiern ein starker positiver linearer statistischer Zusammenhang. Demnach sind in der Regel überdurchschnittlich breite Hühnereier überdurchschnittlich schwer und unterdurchschnittlich breite Eier in der Regel unterdurchschnittlich schwer bzw. überdurchschnittlich schwere Hühnereier überdurchschnittlich breit und unterdurchschnittliche schwere Hühnereier unterdurchschnittlich breit. Aus der angebotenen sachlogischen Interpretation wird bereits deutlich, dass ein bivariater linearer Maßkorrelationskoeffizient seinem Wesen nach ein symmetrisches und dimensionsloses Zusammenhangsmaß ist, welches nur Werte zwischen -1 und 1 annehmen kann und mit dessen Hilfe man stets nur in der Lage ist, die Stärke und die Richtung eines linearen statistischen Zusammenhangs zwischen zwei metrischen Merkmalen zu messen. Während wegen ø1 ' ‰ } = ‰ } ' 1 ein Maßkorrelationskoeffizient nahe 1 bzw. -1 einen starken positiven bzw. negativen linearen statistischen Zusammenhang zwischen zwei metrischen Merkmalen X und Y indiziert, ist ein Maßkorrelationskoeffizient um 0 ist ein Indiz dafür, dass zwischen zwei metrischen Merkmalen kein linearer statistischer Zusammenhang nachweisbar ist. In praxi erweisen sich der Maßkorrelationskoeffizient und der daraus entlehnte Unabhängigkeitstest vor allem dann von Vorteil, wenn es zu prüfen gilt, ob zwischen zwei metrischen und normalverteilten Merkmalen ein signifikanter linearer statistischer Zusammenhang besteht. <?page no="163"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 163 Neue Betriebswirtschaft Tabelle 3-24: Unabhängigkeitstest Auf einem (stets vorab zu vereinbarenden) Signifikanzniveau von ? = 0,05 verwirft man gemäß Tabelle 3-24 auf der Basis des p-value-Konzepts wegen ? * 8 0,000 < ? = 0,05 die zweiseitige Unabhängigkeitshypothese H 0 : 7 XY = 7 YX = 0 und deutet den „wahren“ Maßkorrelationskoeffizienten 7 XY = 7 YX (lies: rho) in der statistischen Grundgesamtheit aller Hühnereier der Rasse „Loheimer Braun“ als verschieden von null. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass zwischen dem Gewicht Y und der Breite X von Hühnereiern ein linearer statistischer Zusammenhang besteht bzw. dass beide Merkmale eines Hühnereies nicht voneinander unabhängig sind. Aus historischer Sicht ist es im Kontext der angebotenen paradigmatischen Betrachtungen noch geboten, darauf zu verweisen, dass die Idee eines bivariaten Maßkorrelationskoeffizienten als eine durch Standardabweichungen normierte Kovarianz auf den französischen Physiker Auguste Bravais (*1811, †1863) zurückgeht. Seine breite Anwendung als ein Korrelationsmaß verdankt es dem englischen Statistiker Karl Pearson (*1857, †1936), woraus sich die in der einschlägigen Literatur und in Statistik-Software-Paketen übliche Notation eines Maßkorrelationskoeffizienten als Korrelationskoeffizient nach Bravais und Pearson erklärt. ! Partielle Maßkorrelation Die Grundidee einer partiellen statistischen Maßkorrelation soll in Anlehnung an die vorhergehenden Betrachtungen zu einer bivariaten Maßkorrelation für die 857 Hühnereier, an denen die drei metrischen Merkmale X: Breite (Angaben in mm), Y: Gewicht (Angaben in g) und Z: Höhe (Angaben in mm) statistisch erhoben wurden, motiviert und erläutert werden. In der Tabelle 3-25 ist die symmetrische und quadratische (3 3 3)-Matrix der bivariaten linearen Maßkorrelationskoeffizienten dargestellt. Tabelle 3-25: (3 3 3)-Korrelationsmatrix Bemerkenswert ist dabei, dass in der statistischen Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, …, n} der n = 857 Hühnereier ! i der in der Korrelationsmatrix in der Tabelle 3-25 grau unterlegte lineare statistische Zusammenhang zwischen X: Breite und Z: Höhe wegen ‰ { = ‰ { | 0,421 <?page no="164"?> 164 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft nicht allzu stark ausgeprägt ist. Hinzu kommt noch, dass im Ensemble der drei statistisch erhobenen Merkmale X: Breite, Y: Gewicht und Z: Höhe dieser Teilzusammenhang nicht plausibel zu begründen ist, wenn er für eine Menge mehr oder weniger gleichgewichtiger Hühnereier betrachtet wird. In diesem Falle würde man erwarten, dass sich Breite und Höhe eher diskordant, also eher umgekehrt zueinander verhalten, etwa derart, dass breitere Eier in der Höhe eher kleiner ausfallen, als weniger breite Eier und umgekehrt. In der Tat findet man diese sachlogischen Überlegungen auch statistisch anhand der Ergebnisse einer partiellen Maßkorrelationsanalyse bestätigt, deren Ergebnisse in der Tabelle 3-26 zusammengefasst sind. Tabelle 3-26: Partielle Maßkorrelation Wegen ‰ {.} = ‰ {.} | ø0,583 besteht für die 857 Hühnereier zwischen der Breite X und der Höhe Z ein umgekehrter bzw. negativer linearer statistischer Zusammenhang mittlerer Stärke, wenn der Einfluss des Gewichts Y ausgeschaltet bzw. kontrolliert bzw. als konstant angenommen wird. Verwendet man die bivariaten Korrelationskoeffizienten aus der (3 3 3)-Korrelationsmatrix innerhalb der Tabelle 3-25, so erhält man wegen 583 0 720 0 1 865 0 1 720 0 865 0 421 0 1 1 2 2 , )²) , ( )²) , ( ( , , , ) r ( ) r ( r r r r YZ XY YZ XY XZ Y . XZ @ 8 @ " @ " @ ; @ " @ " @ ; ein gleiches Ergebnis. Beachtenswert ist dabei, dass man im konkreten Fall insgesamt drei wohl zu unterscheidende partielle Maßkorrelationskoeffizienten berechnen kann. Die beiden verbleibenden partiellen linearen Maßkorrelationskoeffizienten ‰ }.{ | 0,894 und ‰ }{. | 0,784 belegen zahlenmäßig und augenscheinlich, dass die jeweilige Kontrollvariable den zugrundeliegenden bivariaten linearen statistischen Zusammenhang „nicht wesentlich verzerrend überlagert“. Abb. 3-2¨: Streudiagramm <?page no="165"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 165 Neue Betriebswirtschaft Eine anschauliche Darstellung der Grundidee einer Maßkorrelation im Allgemeinen und einer partiellen Maßkorrelation im Speziellen vermittelt letztlich die Abbildung 3-2¨, die das Breite-Höhe- Streudiagramm für die Teilmenge von 33 Hühnereiern beinhaltet, die durch ein „gleiches und konstantes“ Gewicht von 64 g gekennzeichnet sind. Die Punktewolke im Streudiagramm indiziert mit ihrem gestreckten und fallenden Verlauf einen ausgeprägten negativen linearen statistischen Zusammenhang zwischen Breite und Höhe für die 33 gleichgewichtigen Hühnereier. Demnach sind überdurchschnittlich breite gleichgewichtige Hühnereier in der Regel unterdurchschnittlich hoch und umgekehrt. Tabelle 3-27: (2 3 2)-Korrelationsmatrix Dieser diskordante grafische Analysebefund wird analog zur quadratischen Korrelationsmatrix vom Typ (2 3 2) in der Tabelle 3-27 durch einen bivariaten Maßkorrelationskoeffizienten in Höhe von ‰ { = ‰ { | ø0,877 zahlenmäßig untermauert. Regressionsanalytische Betrachtungen Dieser Abschnitt hat die statistische Regressionsanalyse 89 zum Gegenstand, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung ein Analyseverfahren kennzeichnet, im Zuge dessen einseitig gerichtete statistische Abhängigkeiten zwischen zwei oder mehreren (in der Regel metrischen) Merkmalen auf ein mittleres Niveau zurückgeführt und mit Hilfe geeigneter Modelle und Maßzahlen beschrieben werden. Analog zur statistischen Zusammenhangsanalyse, die im Abschnitt 3.7 paradigmatisch skizziert wurde, gelten auch für eine statistische Regressionsanalyse die folgenden Prämissen: Eine statistische Regressionsanalyse ist stets sachlogisch zu begründen und ersetzt keine Kausalitätsanalyse. Mit Hilfe einer Zusammenhangs- und Regressionsanalyse ist man stets nur in der Lage, Kausalitäten aufdecken und/ oder bestätigen zu helfen. Das Ziel dieses Abschnitts besteht darin, anhand praktischer Problemstellungen paradigmenorientiert zu zeigen, wie unter Verwendung grafischer und numerischer Verfahren für metrische Erhebungsmerkmale eine Regressionsanalyse mit Hilfe eines bivariaten linearen und eines bivariaten nichtlinearen Regressionsmodells bewerkstelligt werden kann. Dabei stehen Bau und Interpretation der jeweiligen Modelle im Vordergrund. 89 Vgl. i) Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 7, Seite 97 ff, ii) Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 9, Seite 331 ff und iii) Eckstein, Peter P.: Angewandte Statistik mit SPSS, Praktische Einführung für Wirtschaftswissenschaftler, 8., überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6, Seite 197 ff <?page no="166"?> 166 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft 3.8.1 Lineare Regression Unter Verwendung der SPSS Datendatei Corsa.sav, die im Abschnitt 3.4 zur Datenerhebung in der Abbildung 3-5 vermerkt wurde, soll für eine statistische Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, …, n} von n = 150 zufällig ausgewählten Personenkraftwagen ! i vom Typ Opel Corsa, die im dritten Quartal 2017 auf dem Berliner Gebrauchtwagenmarkt angeboten wurden, die statistische Abhängigkeit des Zeitwertes Y(! i ) = y i B ´ + , Angaben in 1000 €, vom Alter X(! i ) = x i B ´ + , Angaben in Jahren, mit Hilfe einer bivariaten inhomogenen linearen Regressionsfunktion { [ = Ü ( } [ ) = I Ž + I ‹ « } [ + ß [ beschrieben werden. In der Abbildung 3-27 ist das Streudiagramm für die n = 150 gebrauchten Opel Corsa ! i dargestellt, das zudem noch durch die gestrichelten Mittelwertlinien und durch den Graphen einer bivariaten inhomogenen linearen Regressionsfunktion des Zeitwertes Y über dem Alter X ergänzt wurde. Abb. 3-27: Streudiagramm mit linearer Regression Allein aus einer näheren Betrachtung des Streudiagramms wird ersichtlich, dass im betrachteten Marksegment von Gebrauchtwagen keine eindeutige bzw. funktionale Abhängigkeit zwischen dem Zeitwert Y und dem Alter X existiert, wohl aber eine diskordante statistische Abhängigkeit, die im skizzierten Fall durch eine fallende Gerade mit einem „mittigen Verlauf durch die Punktewolke“ sichtbar gemacht wird. Denkt man sich virtuell die Punktewolke derart „auf ein mittleres Maß zusammengedrückt“, dass alle Punkte auf der Geraden zu liegen kommen, dann hat man eine bildhafte Vorstellung davon gewonnen, was Statistiker (in Anlehnung an die im Abschnitt 3.2 vermerkten historischen Notizen) unter dem Begriff einer statistischen Regression subsumieren. Da man über die beiden Modellparameter ß 0 und ß 1 sowohl in der statistischen Grundgesamtheit O = {! i , i = 1, 2, …, N} in Gestalt des hinsichtlich seines Umfanges N nicht näher bestimmten Marktsegments von Gebrauchtwagen ! i des Typs Opel Corsa als auch in der Zufallsstichprobe <?page no="167"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 167 Neue Betriebswirtschaft O n = {! i , i = 1, 2, …, n} von n = 150 Opel Corsa keine Kenntnisse über die beiden Modellparameter ß 0 und ß 1 besitzt, schätzt man sie anhand empirisch erhobener Daten in Gestalt einer realisierten Zufallsstichprobe. Aus dem breiten Spektrum von Schätzverfahren, die in der Statistik und Ökonometrie im Kontext einer Regressionsanalyse angewandt werden, kommt der Methode der kleinsten Quadratesumme nach Carl Friedrich Gauß (*1777, †1855) eine besondere praktische Bedeutung zu. Eine Kleinste-Quadrate-Regression kann dabei wie folgt gekennzeichnet werden: Ist {(x i , y i ), i = 1, 2, ..., n} eine Menge von n beobachteten Wertepaaren zweier metrischer Merkmale X(! i ) = x i und Y(! i ) = y i , die für eine statistische Gesamtheit O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} vom Umfang n erhoben wurden, dann heißt die bivariate inhomogene lineare Funktion { [ À = Ü ( } [ ) = I Ž + I ‹ « } [ , für welche die Summe der quadrierten Residuen B ( I Ž , I ‹ ) = ² ( { [ ø { [ À ) a = ² ( { [ ø (I Ž + I ‹ « } [ ) ) a = ² ß [ a ; [û‹ ; [û‹ ; [û‹ ein Minimum wird, Kleinste-Quadrate-Regression von Y auf X. Tabelle 3-28: Regressionsparameter In der Tabelle 3-28 sind die mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadratsumme geschätzten Parameter der bivariaten inhomogenen linearen Regression { [ À = Ü ( } [ ) = 13,284 ø 0,901 « } [ ù { À (}) = 13,284 ø 0,901 « } des Zeitwertes Y über dem Alter X der 150 Gebrauchtwagen vom Typ Opel Corsa zusammengefasst. Eine sachbezogene Interpretation der geschätzten Regressionsparameter ergibt dabei das folgende Bild: Wegen x 0 = 0 Jahre und { Ž À = Ü ( 0 ) = 13,284 ø 0,901 « 0 = 13,284 würde man mit Hilfe der bivariaten inhomogenen linearen Kleinste-Quadrate-Regression den Wert eines Neuwagens auf 13,284 (1000 €) bzw. 13284 € schätzen. Dieser Schätzwert für einen Neuwagen vom Typ Opel Corsa, der mit dem geschätzten Wert der sogenannten Regressionskonstanten ß 0 identisch ist und den es hinsichtlich seiner Realitätsnähe noch kritisch zu hinterfragen gilt, wird in der Abbildung 3-25 durch den Schnittpunkt der Regressionsgeraden mit der Ordinate in Gestalt der senkrechten Zeitwertachse grafisch dargestellt. <?page no="168"?> 168 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Aufgrund dessen, dass die Ableitung erster Ordnung der stetigen und differenzierbaren linearen Regressionsfunktion y*(x) nach x wegen â{ À â} = ø0,901 identisch ist mit dem geschätzten Wert des sogenannten Regressionskoeffizienten ß 1 , ermöglicht sie in ihrer Deutung als marginale Zeitwertneigung die folgende sachlogisch plausible Aussage: Steigt unabhängig vom jeweiligen Altersniveau x 0 das Alter X eines gebrauchten Opel Corsa um ein Jahr, dann fällt sein Zeitwert Y unveränderlich und im Durchschnitt um 0,901 (1000 €) bzw. um 901 €. Im Sinne der Induktiven Statistik verwirft man auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau von ? = 0,05 gemäß dem p-value-Konzept und der Tabelle 3-28 wegen ? * 8 0,000 < ? = 0,05 die sogenannte Nullhypothese H 0 : ß 1 = 0 und deutet den geschätzten und dimensionsgeladenen Regressionskoeffizienten in Höhe von -0,901 (1000 € je Altersjahr) als signifikant verschieden von null und damit zugleich auch das Alter eines gebrauchten Opel Corsa als einen wesentlichen Zeitwertfaktor. Tabelle 3-29: Modellkennzahlen Im Hinblick auf die Tabelle 3-29 ist man wegen des sogenannten Bestimmtheitsmaßes R² 8 0,879 bereits in der Lage, mit Hilfe der bivariaten inhomogenen linearen Kleinste-Quadrate-Regression { À (}) = 13,284 ø 0,901 « } die Varianz des Zeitwertes Y zu 87,9 Prozent allein aus der Varianz des Alters X statistisch zu erklären. Während in der Regressionsanalyse das Bestimmtheitsmaß R², das stets nur Werte zwischen null und eins annehmen kann, als ein normiertes und dimensionsloses Gütemaß zur Einschätzung der statistischen Erklärungsfähigkeit einer Regression verwendet wird, fungiert der sogenannte Residualstandardfehler als ein ergänzendes Gütemaß, das in der Regel dimensionsgeladen ist und für das man im Unterschied zum Bestimmtheitsmaß allerdings keine Norm kennt. Demnach streuen im Durchschnitt die beobachteten Zeitwerte y i zu beiden Seiten um 1,542 (1000 €) bzw. um 1542 € um die Regressionsgerade, wobei in der „Bandbreite“ des sogenannten Toleranzintervalls [y* @ 1,542, y* + 1,542] mindestens die Hälfte der 150 erfassten Gebrauchtwagen vom Typ Opel Corsa bezüglich ihres Zeitwertes Y liegt. Ist man schließlich und endlich daran interessiert, im Marktsegment von Gebrauchtwagen zum Beispiel den Zeitwert für einen zehn Jahre alten Opel Corsa zu bestimmen bzw. abzuschätzen, dann kann man ceteris paribus und unter Verwendung der bivariaten inhomogenen linearen Kleinste- Quadrate-Regression wegen { À ( 10 ) = 13,284 ø 0,901 « 10 = 4,274 erwartungsgemäß mit einem Zeitwert von 4274 € rechnen, der unter Einbeziehung des Residualstandardfehlers von 1542 € durch einen Toleranzbereich von <?page no="169"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 169 Neue Betriebswirtschaft [4274 € 9 1542 €] = [2732 €, 5816 €] ergänzt werden kann. Spätestens an dieser Stelle kommen jedoch bei einer genaueren Betrachtung sowohl der Abbildung 3- 25 a ls a uc h de r ge sc hä tz ten Re gr essio nsp ar a meter e inig e bere ch tigte Zw eifel a uf , d ie wie fo lgt begründet sind: Während einerseits eine Schätzung des Neuwertes eines Opel Corsa mit 13284 € offensichtlich etwas zu gering ausfällt, wird andererseits bei einem „konstanten“ jahresdurchschnittlichen Zeitwertverlust von 901 € wegen } > 13,284 0,901 | 14,74 . 15 spätestens ab dem fünfzehnten Altersjahr ein negativer Zeitwert indiziert, der sich einer sachlogisch plausiblen Interpretation verschließt, es sei denn, man interpretiert den numerischen Befund eines negativen Zeitwertes dahingehend, dass ein Käufer eines gebrauchten Opel Corsa, der älter als 15 Jahre ist, noch mit einer Kaufprämie „beglückt“ wird. Der augenscheinlich nichtlineare Verlauf der Punktewolke in der Abbildung 3-27 ist ein Hinweis darauf, dass nicht eine lineare Regression, sondern eine nichtlineare Regression ein geeignetes Modell zur Beschreibung der einseitig gerichteten Abhängigkeit des Zeitwertes vom Alter für Gebrauchtwagen der Marke Opel Corsa ist. Bau und Interpretation eines geeigneten nichtlinearen Regressionsmodells sind der Gegenstand der nachfolgenden paradigmatischen Betrachtungen. 3.8.2 Nichtlineare Regression In der angewandten Statistik und Ökonometrie hat sich auf der Suche nach einem geeigneten Regressionsmodell für empirisch erhobene Daten mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger Software eine sogenannte heuristische Modellwahl als hilfreich erwiesen. In der Tabelle 3-30 sind einige der im Statistik-Programm-Paket SPSS in der Rubrik Kurvenanpassung angebotenen Modelle in Anwendung auf die Zufallsstichprobe O n = {! i , i = 1, 2, ..., n} von n = 150 Gebrauchtwagen ! i der Marke Opel Corsa bezüglich der beiden metrischen Erhebungsmerkmale Zeitwert Y und Alter X aufgelistet, deren Merkmalswerte Y(! i ) = y i > 0 und X(! i ) = x i > 0 von null verschieden und im Bereich der positiven reellen Zahlen definiert sind. Tabelle 3-30: Heuristische Modellwahl Im Hinblick auf die Tabelle 3-30 ist es beachtenswert, dass (einmal vom linearen Modellansatz abgesehen) die vier bivariaten nichtlinearen Modellansätze durch geeignete Transformationen auf eine <?page no="170"?> 170 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft linearisierte Funktion zurückgeführt werden können, sobald garantiert ist, dass die originären und zu transformierenden Merkmalswerte größer als null sind. Charakteristisch für diese Familie von linearisierten Funktionen ist, dass sie nichtlinear in ihren Variablen, jedoch linear in ihren Parametern sind, so dass die Methode der kleinsten Quadratesumme zur Bestimmung der Funktionsparameter ohne Einschränkungen anwendbar ist. In der angewandten Statistik und Ökonometrie hat es sich im Kontext einer heuristischen Modellwahl als vorteilhaft und praktikabel erweisen, als Auswahlkriterium das normierte und dimensionslose Bestimmtheitsmaß 0 $ R² $ 1 zu verwenden. Offensichtlich ist im Ensemble der in der Tabelle 3-30 aufgelisteten fünf Modellansätze das grauunterlegte logarithmische Modell in Gestalt der bivariaten inhomogenen logarithmischen Regressionsfunktion { À (}) = 15,296 ø 5,084 « ±-(}) mit einem Bestimmtheitsmaß von R² = 0,965 am „höchsten bestimmt“. Demnach können mit Hilfe der logarithmischen Regression 96,5 Prozent der Zeitwertevarianz allein aus der Altersvarianz statistisch erklärt werden, ein numerischer Befund, der in der angewandten Statistik und Ökonometrie als ein Indiz für eine geeignete Modellspezifikation gewertet wird. Dass eine logarithmische Regressionsfunktion als ein geeignet spezifiziertes Modell zur Beschreibung der Abhängigkeit des Zeitwertes Y vom Alter X für die 150 zufällig ausgewählten Gebrauchtwagen der Marke Opel Corsa angesehen werden kann, wird letztendlich auch durch die Abbildung 3-28 bildhaft untermauert. Abb. 3-28: Logarithmische Regression Der konvexe Graph der logarithmischen Regressionsfunktion „passt und schmiegt sich“ augenscheinlich recht gut an die empirische beobachtete und nichtlinear fallende Punktewolke an. Der stetige und nichtlineare Funktionsgraph, der augenscheinlich „in der Mitte der Punktewolke verläuft“, gewährt zudem ein anschauliches Bild vom statistischen Regressionsprinzip, das gemäß seinem lateinischen Wortursprung auf ein „Zurückführen auf ein mittleres Maß“ abstellt. Der Nachvollziehbarkeit und Anschaulichkeit halber ist in der Abbildung 3-29 das Streudiagramm mit den gestrichelten Mittelwertlinien und dem Graphen der linearisierten bivariaten inhomogenen Kleinste-Quadrate-Regressionsfunktion { À (y) = 15,296 ø 5,084 « y für y = ±-(}) des Zeitwertes Y über dem logarithmierten Alter Z bildhaft dargestellt. <?page no="171"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 171 Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-29: Linearisierte Regression Gleichwohl die nachfolgende Metapher etwas skurril anmutet, soll sie dennoch einzig und allein der Anschaulichkeit halber zur Erklärung der praktizierten logarithmischen Transformation z i = ln(x i ) der originären Altersangaben x i > 0 benutzt werden: Würde man im Streudiagramm in der Abbildung 3-26 die Abszisse, auf der die originären Altersangaben vermerkt sind, die auf einer Spannweite von 20 Jahren variieren, derart „stauchen“, dass sie nur noch im reellwertigen Bereich zwischen 0 und 3 variieren, dann würde analog zur Abbildung 3-27 die ursprünglich gekrümmte Punktewolke einen linear fallenden Verlauf indizieren und der ursprünglich konvexe Graph der Regression auf eine Gerade mit einem negativen Anstieg „gestaucht“ werden. In diesem Sinne kann eine logarithmische Transformation allegorisch als ein „Stauchen von positiven reellen Zahlen“ gedeutet werden. Beachtenswert ist dabei, dass die Methode der kleinsten Quadratsumme auf die n = 150 Wertepaare {(z i = ln(x i ), y i ), i = 1, 2, …, n} angewandt wurde, woraus sich die in der Tabelle 3-31 vermerkten Parameterwerte ergeben, die in logischer Konsequenz mit den grauunterlegten Parameterwerten in der Tabelle 3-30 übereinstimmen. Tabelle 3-31: Linearisierte Regression Analog zu den paradigmatischen Betrachtungen im Kontext des Abschnitt 3.8.1 verwirft man im induktiven Sinne auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau von ? = 0,05 gemäß dem pvalue-Konzept wegen ? * 8 0,000 < ? = 0,05 die sogenannte Nullhypothese H 0 : ß 1 = 0 und deutet den geschätzten Regressionskoeffizienten in Höhe von -5,084 als signifikant verschieden von null und somit letztlich das Alter eines gebrauchten Opel Corsa als einen wesentlichen Zeitwertfaktor. Im Hinblick auf die bivariate inhomogene logarithmische Kleinste-Quadrate-Regression <?page no="172"?> 172 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft { À ( } ) = 15,296 ø 5,084 « ± - ( } ) mit }, { > 0 ergeben sich die folgenden Parameterinterpretationen: Während der Wert der Regressionskonstanten in Höhe von 15,296 (1000 €) wegen x = 1 und { À ( 1 ) = 15,296 ø 5,084 « ± - ( 1 ) = 15,296 ø 5,084 « 0 = 15,296 als ein durchschnittlicher Marktpreis in Höhe von 15296 € für einen Einjahreswagen vom Typ Opel Corsa gedeutet werden kann, ist eine sachbezogene Interpretation des Regressionskoeffizienten in Höhe von -5,084 mit Hilfe der nichtlinearen Grenzfunktion â{ À â} = ø 5,084 } für } > 0 in Gestalt der Ableitung erster Ordnung der logarithmischen Regressionsfunktion y*(x) nach dem Alter x nur bedingt möglich. Ist man zum Beispiel an den Werten der Grenzfunktion an den Stellen x 0 = 1 und x 0 = 10 interessiert, so bestimmt man mit â{ À â} l } Ž = 1 = ø 5,084 1 = ø5,084 (1000 € pro Jahr) und â{ À â} l } Ž = 10 = ø 5,084 10 | ø0,508 (1000 € pro Jahr) die zugehörigen marginalen Zeitwertneigungen und interpretiert sie wie folgt: Während man für einen Einjahreswagen vom Typ Opel Corsa ceteris paribus im Verlaufe eines Jahres im Durchschnitt mit einem Zeitwertverlust von 5084 € rechnen muss, bemisst sich unter sonst gleichen Bedingungen der Zeitwertverlust im Verlaufe eines Jahres für einen zehn Jahre alten Opel Corsa erwartungsgemäß und im Durchschnitt auf „nur noch“ 508 €. Eine anschauliche grafische Darstellung erfahren der beiden marginalen Zeitwertneigungen in der Abbildung 3-20 in Gestalt zweier Tangenten, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung die beiden gestrichelten und fallenden Geraden kennzeichnen, welche den konvexen Graphen der logarithmischen Regression an den Stellen x 0 = 1 und x 0 = 10 „berühren“. Abb. 3-30: Marginale Zeitwertneigungen als Tangenten Allein aus einem Vergleich der beiden marginalen Zeitwertneigungen wird bereits ersichtlich, dass ein durchschnittlich zu erwartender Zeitwertverlust von vergleichbaren Gebrauchtwagen mit zunehmendem Alter in seinem absoluten Niveau immer geringer ausfällt. Diese scheinbar triviale <?page no="173"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 173 Neue Betriebswirtschaft und sachlogisch nachvollziehbare Aussage ist wohl zu unterscheiden von einer Aussage, die sich auf eine relative Veränderung des Zeitwertes bezieht und unmittelbar zum analytischen Konstrukt einer Elastizitätsfunktion und zum Begriff einer sogenannten Punkt-Elastizität führt. Die gebrochen rationale Funktion H ñ ( } ) = ø5,084 15,296 ø 5,084 « ± - ( } ) für } > 0 symbolisiert die zur geschätzten logarithmischen Regressionsfunktion { À ( } ) = 15,296 ø 5,084 « ± - ( } ) mit }, { > 0 gehörende Elastizitätsfunktion, deren Funktionswerte an den Stellen x 0 = 1 und x 0 = 10 als Punkt- Elastizitäten gekennzeichnet werden und wie folgt interpretiert werden können: Während ceteris paribus für einen x 0 = 1 Jahr alten Opel Corsa wegen H ñ ( 1 ) = ø5,084 15,296 ø 5,084 « ± - ( 1 ) = ø 5,084 15,296 | ø0,33 und | ø0,33 | < 1 einer einprozentigen Alterszunahme im Durchschnitt ein unterproportionaler Zeitwertverlust von 0,33 Prozent gegenübersteht, muss man wegen H ñ ( 10 ) = ø5,084 15,296 ø 5,084 « ± - ( 10 ) = ø 5,084 15,296 | ø1,42 und | ø1,42 | > 1 für einen x 0 = 10 Jahre alten Opel Corsa im Durchschnitt mit einem überproportionalen Zeitwertverlust von 1,42 Prozent bei einer einprozentigen Alterszunahme rechnen. Neben den paradigmatisch skizzierten und zeitwertbezogenen Sensibilitätsbetrachtungen für gebrauchte Opel Corsa eines bestimmten Alters mittels einer Grenzwertfunktion einerseits und einer Elastizitätsfunktion andererseits wird in der angewandten Statistik und Ökonometrie einer regressionsanalytisch begründeten Zeitwertabschätzung eine besondere praktische Bedeutung beigemessen. Ist man daran interessiert, im betrachteten Gebrauchtwagenmarktsegment den marktüblichen Zeitwert y*(x 0 ) für einen Opel Corsa in Abhängigkeit vom Alter x 0 zu bestimmen, dann kann man dies mit Hilfe der bivariaten inhomogenen logarithmischen Kleinste-Quadrate-Regression zum Beispiel wie folgt bewerkstelligen: Während man unter sonst gleichen Bedingungen zum Beispiel für einen zwei Jahre alten Opel Corsa wegen } Ž = 2 und { À ( 2 ) = 15,296 ø 5,084 « ± - ( 2 ) | 11,772 den Zeitwert erwartungsgemäß und im Durchschnitt auf 11772 € schätzt, würde man etwa für einen zehn Jahre alten Opel Corsa wegen } Ž = 10 und { À ( 10 ) = 15,296 ø 5,084 « ± - ( 10 ) | 3,590 erwartungsgemäß und im Durchschnitt einen Zeitwert von 3590 € bestimmen. Diese Zeitwertabschätzungen kann man auch anhand der Abbildung 3-26 auf grafischem Wege und in ausreichender Näherung bewerkstelligen, indem man auf dem jeweiligen Altersniveau parallel zur Zeitwertachse eine Linie zieht und dort, wo die senkrechte Linie den Graphen der logarithmischen Regression schneidet, eine Parallele zieht zur Altersachse, deren Schnittstelle mit der Zeitwertachse den zugehörigen Zeitwert auf der Zeitwertachse markiert. Tabelle 3-32: Modellkennzahlen <?page no="174"?> 174 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Unter Einbeziehung des Residualstandardfehlers von 0,825 (1000 €), der in der Tabelle 3-32 indiziert ist, können die „punktuellen“ Zeitwertabschätzungen noch durch Toleranzbereiche ergänzt werden, wobei für einen zwei Jahre alten Opel Corsa [11772 € 9 825 €] = [10947 €, 12597 €] und für einen zehn Jahre alten Opel Corsa [3590 € 9 825 €] = [2765 €, 4415 €] gilt. Im Hinblick auf die paradigmatisch skizzierten Zeitwertabschätzungen ist gemäß der sogenannten ceteris-paribus-Prämisse zu beachten, dass die zugrundeliegende logarithmische Regressionsfunktion auf beobachteten Alterswerten von mindestens einem, jedoch höchstens zwanzig Jahren basiert und Zeitwertabschätzungen, die außerhalb dieser Altersspannweite bewerkstelligt werden, hinsichtlich ihrer Realitätsnähe kritisch zu hinterfragen sind. Während zum Beispiel für einen Opel Corsa, der ein halbes Jahr alt ist, wegen } Ž = 1 2 und { À ¸ 1 2  = 15,296 ø 5,084 « ± - ¸ 1 2  | 18,820 eine Zeitwertabschätzung in Höhe von 18820 € noch realistisch erscheint, verschließen sich im Gegensatz dazu zum Beispiel wegen } Ž = 1 12 und { À ¸ 1 12  = 15,296 ø 5,084 « ± - ¸ 1 12  | 27,930 und } Ž = 21 und { À ( 21 ) = 15,296 ø 5,084 « ± - ( 21 ) | ø0,182 die Zeitwertabschätzungen für einen ein Monat bzw. 21 Jahre alten Opel Corsa in Höhe von 27930 € bzw. -182 € einer sachlogisch plausiblen Deutung. Schlussendlich ist es aus statistisch-methodischer Sicht noch geboten, einen kurzen Blick auf die Korrelationsmatrix in der Tabelle 3-33 zu werfen. Tabelle 3-33: Korrelationsmatrix Während der Maßkorrelationskoeffizient für die originären Daten, die analog zur Abbildung 3-26 in einem nichtlinearen Zusammenhang stehen, mit -0,937 vermerkt wird, ist er für die originären Zeitwerte und logarithmierten Altersangaben, die analog zur Abbildung 3-27 in einem linearen Zusammenhang stehen, mit -0,982 in seinem Wert noch höher bemessen. Allein anhand dieser beiden Maßzahlen wird die Aussage numerisch unterlegt, dass der Maßkorrelationskoeffizient nach Bravais und Pearson stets nur die Stärke und die Richtung eines linearen statistischen Zusammenhangs zwischen zwei metrischen Merkmalen zu messen vermag. Schlussbemerkungen und Literaturhinweise Das Ziel der vorliegenden essayistischen Abhandlungen bestand darin, sowohl historische Notizen als auch exemplarische Erläuterungen mathematischer und statistischer Begriffe, Verfahren und Methoden, die in der Betriebswirtschaftslehre zu einer breiten Anwendung gelangen, anzubieten. <?page no="175"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 175 Im Zentrum der angebotenen Abhandlungen stand dabei nicht die Herleitung und Begründung praxisrelevanter quantitativer Analyseverfahren, sondern einmal nur eine paradigmatische und anschauliche Erläuterung und Anwendung ausgewählter Verfahren auf der Basis realer Daten. Einzig und allein zum Zwecke eines besseren Verständnisses der dargebotenen Sachverhalte wurden in die historischen und sachbezogenen Erläuterungen bewusst zahlreiche Wortursprungserklärungen und bildhafte Darstellungen eingeflochten. In der stillen Hoffnung, dass Sie als interessierte Leser die essayistischen Abhandlungen nicht mit dem ernüchternden Urteil von einem „schwerverdaulichen Sauerteig“ abtun, sondern diese „trotz alledem“ als erkenntnisgewinnend betrachten und bewerten, haben alle verbalen, begrifflichen, zahlenmäßigen und bildhaften Darstellungen sowohl ihren zeitraubenden Aufwand gerechtfertigt als auch ihre allgemeinbildende Zweckbestimmung erfüllt. Für vertiefende Betrachtungen, inhaltliche Ergänzungen und theoretische Erweiterungen der vorliegenden essayistischen Abhandlungen erweisen sich die folgenden Literaturempfehlungen als hilfreich und zielführend: Eckstein, Peter P.: Kostproben aus der Hexenküche der Statistik - Skurriles, Leichtbekömmliches und Schwerverdauliches, Rainer Hampp Verlag München und Mehring 2009 Eckstein, Peter P: Eine Banknote als Ausgangspunkt historischer und datenanalytischer Betrachtungen, in: Wilhelm Schmeisser, Peter P. Eckstein, Ralf Hafner, Gerfried Hannemann, Jörg K. Stengel: Handbuch Wertorientiertes Management, UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015, Kapitel 2, Seite 27 ff Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Fachmedien Wiesbaden 2014 Eckstein, Peter P.: Angewandte Statistik mit SPSS - Praktische Einführung für Wirtschaftswissenschaftler, 8., überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer Gabler Fachmedien Wiesbaden 2016 Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Fachmedien Wiesbaden 2016 Eckstein, Peter P: Alea iacta est - Faszinierende Geheimnisse eines ungewöhnlichen Spielwürfels, UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2017 Eckstein, Peter P.: Datenanalyse mit SPSS - Realdatenbasierte Übungs- und Klausuraufgaben mit vollständigen Lösungen, 6., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer Gabler Fachmedien Wiesbaden 2017 Autor des Beitrages: Professor em. Dr. habil. Peter P. Eckstein lehrte bis zum Sommersemester 2016 Statistik, Ökonometrie und Empirische Wirtschaftsforschung am Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. <?page no="177"?> Neue Betriebswirtschaft 44 KKoosstte enn- " EErrllööss-uunnd d EErrg geebbnniissrreecchhnnu unng g Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich 4.1 Zielsetzung und Aufbau des Beitrags Die Zielsetzung dieses Beitrags besteht darin, den Leserinnen und Lesern einen umfassenden Überblick über den Themenbereich der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung (im Folgenden abgekürzt KEER) zu geben. Neben dem klassischen Kern der KEER werden entsprechend der Konzeption des Gesamtwerks auch moderne Entwicklungen der KEER dargestellt. Da somit die KEER in ihrer Breite vorgestellt werden soll, müssen notgedrungen an einigen Stellen Abstriche in der Tiefe der Darstellung gemacht werden. Um jedoch den Leserinnen und Leser im Anschluss an die Lektüre dieses Beitrags eine vertiefende Beschäftigung mit den behandelten Themen zu ermöglichen, werden am Ende dieses Beitrags (siehe letzten Abschnitt dieses Kapitels) zahlreiche, kommentierte und thematisch geordnete Literaturempfehlungen gegeben. Hinsichtlich der Struktur des Beitrags erfolgt zunächst eine Einordnung der KEER in die Betriebswirtschaftslehre, sowohl aus historischer wie auch aus fachlicher Perspektive. Im Anschluss daran werden die wesentlichen Teilgebiete und methodischen Varianten der KEER einführend dargestellt. Alle darauffolgenden Kapitel behandeln dann spezifische Fragestellungen, die mit dem Instrumentarium der KEER beantwortet werden können. Jedem Abschnitt sind Lernziele in Frageform vorangestellt, die sich durch Lektüre des Abschnitts beantworten lassen und somit gleichzeitig als Wiederholungsfragen zur Kontrolle des Lernfortschritts dienen. 4.2 Die Stellung der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung in der Betriebswirtschaftslehre Lernziele ! Welche Bedeutung hatte die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung für die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre? ! Welche Entwicklungsstufen hat die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung durchlaufen? ! Welche Unterschiede bestehen zwischen dem internem und dem externen Rechnungswesen? ! Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung und dem Controlling? 4.2.1 Historische Bedeutung Die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung stellte von Anfang an einen bedeutsamen Themenkomplex innerhalb der Betriebswirtschaftslehre dar und ist mit wichtigen Meilensteinen der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft verbunden. Als sich die Betriebswirtschaftslehre im deutschsprachigen Raum zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der Volkswirtschaftslehre abzugrenzen begann, beschäftigten sich bedeutende Fachvertreter dieser Gründergeneration mit Aspekten der KEER. So befasste sich beispielsweise Eugen Schmalenbach mit der Kalkulation industriell gefertigter Güter (siehe Abschnitt 4.4) und legte mit seiner Kostenlehre, in der zwischen fixen und variablen Kosten <?page no="178"?> 178 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft unterschieden wurde (siehe Abschnitt 4.3), einen der ersten theoretischen Bausteine des neuen Fachs Betriebswirtschaftslehre. Johann Friedrich Schär identifizierte unter Einbezug der Erlöse mit dem sog. toten Punkt diejenige Produktionsmenge, bei der die Erlöse gerade die Kosten decken. Heute verwenden wir hierfür üblicherweise den Begriff Gewinnschwelle oder anglisiert Break Even-Punkt (siehe Abschnitt 4.8.1). Auch beim Wiederaufbau der Betriebswirtschaftslehre im deutschsprachigen Raum nach dem Ende des zweiten Weltkriegs war die KEER von großer Bedeutung. So entwickelte Erich Gutenberg, der prägende Betriebswirt dieser Zeit, ausgehend von der Produktions- und Kostentheorie ein mikroökonomisch fundiertes, geschlossenes Konzept des Unternehmens. Auch heute noch ist die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung ein fester Bestandteil im Grundlagenbereich jedes betriebswirtschaftlichen Studiengangs und wird in jedem einführenden Lehrbuch der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre ausführlich behandelt. Darüber hinaus wird die KEER in der Regel auch in den branchenorientierten Speziellen Betriebswirtschaftslehren thematisiert, da es hier oftmals branchenspezifische Fragestellungen gibt, die eine Anpassung des Instrumentariums der KEER erfordern. Auch die KEER selbst hat sich im Laufe der Zeit stetig weiterentwickelt und dabei sowohl neue Fr ag es te llung en auf ge gr iff e n als auc h ihre M eth od i k und ihr I nstr um entari um erw eit er t und ve rf einert. Wie aus Abb. 4-1 ersichtlich ist, lassen sich hierbei drei wesentliche Etappen unterscheiden. In der ersten Etappe von etwa 1900 bis etwa 1950 herrschte eine retrospektive Orientierung vor. Der Fokus der KEER lag in dieser Zeit darauf, ein geschlossenes Kostenrechnungssystem aufzubauen, mit dem die tatsächlich angefallenen Kosten erfasst und verarbeitet werden konnten. Der wesentliche Rechnungszweck bestand darin, die vollen Selbstkosten der Produkte als Grundlage für eine Preisermittlung zu bestimmen (siehe Abschnitt 4.4). In der zweiten Etappe von etwa 1950 bis etwa 1990 dominierte eine prospektive Orientierung. Basierend auf einer Analyse des Verhaltens der einzelnen Kostenpositionen insb. in Abhängigkeit von der Beschäftigung (gemessen z.B. über den Arbeitseinsatz oder die Produktionsmenge) stand die Planung und Prognose der Kosten im Vordergrund. Durch Vergleich mit den dann tatsächlich angefallenen Kosten konnten unterschiedliche Arten von Abweichungen analysiert werden (siehe Abschnitt 4.7). In der dritten Etappe seit etwa 1990 herrscht eine antizipative Orientierung vor. Der Schwerpunkt liegt nun darauf, alle relevanten Einflussfaktoren für die Höhe, die Struktur und den Verlauf der Kosten zu identifizieren und vor diesem Hintergrund die Kosten durch strategische Entscheidungen aktiv zu beeinflussen (siehe u.a. Abschnitt 4.8.2). Abb. 4-1: Etappen der Entwicklung der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung <?page no="179"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 179 Neue Betriebswirtschaft 4.2.2 Einordnung in die Betriebswirtschaftslehre Unterscheidet man zwischen einer Sach- und einer Verhaltensebene des Wirtschaftens in Unternehmen, so ist die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung zunächst der Sachebene zuzuordnen. Als Teilgebiet des Finanz- und Rechnungswesens dient die KEER dazu, die Leistungsebene der Realgüter durch die Umwandlung in monetäre Größen abzubilden. Da die Sach- und die Verhaltensebene jedoch stets zusammenspielen und daher allenfalls gedanklich getrennt werden können, kann auch die KEER beabsichtigte oder unbeabsichtigte Verhaltenswirkungen entfalten. Dieser Aspekt hat in den vergangenen Jahren unter dem Begriff Behavioral Accounting verstärkte Beachtung gefunden. Während sich das Finanzwesen mit Zahlungsströmen befasst, d.h. mit Fragen der Kapitalbeschaffung und der Liquiditätssicherung, so ist das Rechnungswesen auf die Erfolgssphäre ausgerichtet. Hierbei wird üblicherweise zwischen dem externen Rechnungswesen und dem internen Rechnungswesen unterschieden, wobei die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung dem internen Rechnungswesen zuzuordnen ist. Die beiden Teilbereiche des Rechnungswesens können anhand von verschiedenen Kriterien voneinander abgegrenzt werden, wie aus Tabelle 4-1 hervorgeht. Tabelle 4-1: Abgrenzung von externem und internem Rechnungswesen Kriterium Externes Rechnungswesen Internes Rechnungswesen Informationsadressaten primär unternehmenssextern (insb. Eigentümer, Gläubiger, Fiskus) primär unternehmensintern (insb. Manager) Normierung gesetzlich (insb. Handelsrecht, Steuerrecht) kaum, folgt betriebswirtschaftlichen Konzepten Bezeichnung Rechengrößen Aufwendungen und Erträge Kosten und Erlöse Herleitung Rechengrößen pagatorisch kalkulatorisch Wesentliche Rechnungszwecke Zahlungsbemessung (Ausschüttung, Steuern) und Rechenschaftslegung Information für Planung, Steuerung und Kontrolle Betrachtungsobjekt primär Unternehmen als juristische Einheiten in ihrer Gesamtheit Unternehmen als wirtschaftliche Einheiten, detailliert untergliedert in ihre Bestandteile Blickrichtung primär vergangenheitsorientiert vergangenheits- und zukunftsorientiert Berichtsfrequenz quartalsweise bis jährlich variabel, i.d.R. mind. monatlich Namensgebend und von zentraler Bedeutung sind hierbei die Empfänger der jeweiligen Informationen: Während die Informationen des externen Rechnungswesens das Unternehmen verlassen und von Unternehmensexternen verarbeitet werden, verbleiben die Informationen des internen Rechnungswesens im Regelfall im Unternehmen und werden von unternehmensinternen Informationsadressaten verarbeitet. Entsprechend bildet das externe Rechnungswesen auch primär die Beziehungen und Transaktionen des Unternehmens mit seiner Umwelt ab. Die KEER hingegen bildet vorrangig diejenigen Aktivitäten ab, die innerhalb des Unternehmens ablaufen. Mit der KEER kann man somit einen ausgezeichneten Einblick in die Strukturen und Prozesses jedes Unternehmens gewinnen. Da die KEER kaum gesetzlich normiert ist, kann sie von jedem Unterneh- <?page no="180"?> 180 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft men entsprechend seinen konkreten Informationsbedürfnissen ausgestaltet werden. Hierfür existieren teilweise unterschiedliche methodische Konzepte, die alternativ oder in Ergänzung zueinander eingesetzt werden können. Das externe und das interne Rechnungswesen im deutschsprachigen Raum werden in der Regel als Zweikreissystem geführt, d.h. die Datengrundlage weicht voneinander ab. Dies wird auch durch unterschiedliche Begrifflichkeiten zum Ausdruck gebracht: Im externen Rechnungswesen wird mit Aufwendungen und Erträgen gerechnet. Hierbei handelt es sich um pagatorische, d.h. aus Zahlungen abgeleitete Größen. Auf lange Frist entsprechen also die Aufwendungen eines Unternehmens wertmäßig den Auszahlungen, während die Erträge wertmäßig mit den Einzahlungen identisch sind. In der KEER wird hingegen mit Kosten und Erlösen gerechnet, wobei es sich hierbei um kalkulatorische Größen handelt. Kosten und Erlöse lassen sich demnach nicht immer aus Ausbzw. Einzahlungen ableiten, sondern es können in der KEER bspw. auch Kostenpositionen angesetzt werden, die einen entgangenen Nutzen repräsentieren (sog. Opportunitätskosten). Kosten basieren demnach im deutschsprachigen Raum auf dem sog. wertmäßigen Kostenbegriff: Wertmäßiger Kostenbegriff: Kosten stellen den bewerteten Verzehr von Gütern und Dienstleistungen zur Erstellung und zum Absatz der betrieblichen Produkte und zur Aufrechterhaltung der hierfür notwendigen Betriebsbereitschaft dar. Die Unterscheidung zwischen externem Rechnungswesen (engl. Financial Accounting) und internem Rechnungswesen (engl. Managerial Accounting) existiert gleichermaßen auch im angloamerikanischen Raum. Dort findet jedoch üblicherweise ein Einkreissystem Anwendung, d.h. die Datengrundlage besteht - von Sonderrechnungen abgesehen - einheitlich aus pagatorischen Größen. Auch im deutschsprachigen Raum wird unter dem Begriff Harmonisierung des Rechnungswesens seit den 1990er Jahren über die Vorteile des Einkreissystems diskutiert, es konnte sich hierzulande jedoch bislang nicht in der Fläche durchsetzen. Aus einer anderen Perspektive können in Unternehmen die von Managern ausgeübten Führungsaktivitäten einerseits sowie ausführende Aktivitäten andererseits unterschieden werden. Die ausführenden Aktivitäten bilden hierbei den Wertschöpfungsprozess im engeren Sinne ab, bestehend aus Einkauf, Transport und Lagerung, Fertigung und Montage sowie Marketing, Vertrieb und Kundendienst. Zu den Führungsaktivitäten werden üblicherweise die Organisation, die Personalführung sowie der Managementzyklus bestehend aus Planung, Steuerung und Kontrolle gezählt. Planung, Abb. 4-2: Kreislauf des wertschöpfungsorientierten Controllings <?page no="181"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 181 Neue Betriebswirtschaft Steuerung und Kontrolle werden heute üblicherweise insb. in der Unternehmenspraxis unter dem Begriff Controlling zusammengefasst. Controlling hat dabei die Funktion, das gesamte betriebliche Handeln auf den Zweck der Wertschöpfung hin auszurichten, anzustoßen und in Gang zu halten (Lokomotionsfunktion). Hierbei werden die Manager von den Controllern als Führungsgehilfen unterstützt, die die Übereinstimmung von Informationsangebot, -nachfrage und -bedarf sicherstellen (Informationsfunktion) und die einzelnen Führungsaktivitäten koordinieren sollen (Abstimmungsfunktion). Bei einem solchen wertschöpfungsorientierten Controlling-Verständnis lässt sich die Wertschöpfung auch als Kreislauf aus der strategischen Führungsgröße Erfolgspotenziale sowie den operativen Führungsgrößen Erfolg und Liquidität darstellen (siehe Abb. 4-2). Hierdurch wird offensichtlich, dass die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung auch ein zentral bedeutsames Instrument des operativen Controllings darstellt, da mit der KEER die operative Führungsgröße Erfolg aus unternehmensinterner Perspektive geplant, gesteuert und kontrolliert werden kann. 4.3 Einführender Überblick über die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung Lernziele ! Welche Teilgebiete werden in der laufenden Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung unterschieden? ! Welcher Unterschied besteht zwischen Ist- und Plankostenrechnungen? ! Wie lassen sich Kosten in Abhängigkeit von Beschäftigungsveränderungen einteilen? ! Worin besteht der Unterschied im Abrechnungsweg zwischen Voll- und Teilkostenrechnungen? Eine wesentliche Unterscheidung innerhalb des Instrumentariums der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung besteht zwischen der laufenden und den fallweisen Rechnungen. Fallweise Rechnungen werden lediglich bei konkreten Anlässen durchgeführt. Bei der laufenden KEER handelt es sich um den klassischen Kern der Kostenrechnung, bei der üblicherweise täglich Transaktionen erfasst werden sowie ausgewählte Rechenvorgänge in der Regel zum Monatsende durchgeführt werden, um monatliche Berichte erstellen zu können. Bei der laufenden KEER handelt es sich im Idealfall um ein integriertes System, d.h. die Informationen werden von einem Teilgebiet zum nächsten weitergegeben und dort weiterverarbeitet. Die laufende KEER wird üblicherweise in die folgenden Teilgebiete unterteilt (siehe Abb. 4-3): Abb. 4-3: Teilgebiete der laufenden Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung <?page no="182"?> 182 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Die Kostenrechnung besteht hierbei aus drei Teilgebieten, in denen jeweils spezifische Fragen beantwortet werden: ! Kostenartenrechnung: Welche verschiedenen Kostenarten sind im Unternehmen angefallen? ! Kostenstellenrechnung: Wo, d.h. in welchen organisatorischen Teilbereichen des Unternehmens sind die Kosten angefallen? ! Kostenträgerrechnung: Wofür, d.h. für welche internen Leistungen oder Absatzleistungen sind die Kosten angefallen? Bei einer integrierten KEER gibt die Kostenartenrechnung ihre Informationen an die Kostenstellenrechnung und an die Kostenträgerrechnung weiter. Die Kostenstellenrechnung wiederum gibt ihre Informationen an die Kostenträgerrechnung sowie ggf. an die Ergebnisrechnung weiter. Die Kostenträgerrechnung gibt genauso wie die Erlösrechnung ihre Informationen an die Ergebnisrechnung weiter, so dass in der Ergebnisrechnung letztlich alle Kosten- und Erlösinformationen zusammenlaufen und der Erfolg als Differenz von Erlösen und Kosten ermittelt werden kann. Eine weitere wichtige Unterscheidung innerhalb des Instrumentariums der KEER ist die Frage, welche Art von Informationen verarbeitet werden. Wenn bei vergangenheitsorientierter Blickrichtung tatsächlich angefallene Kosten (und Erlöse) verarbeitet werden, so spricht man von Istkostenrechnungen. Bei der zukunftsgerichteten, gedanklichen Vorwegnahme angestrebter bzw. prognostizierter Kosten (und Erlöse) spricht man von Plankostenrechnungen. Diese Unterscheidung ist jedoch nicht gänzlich trennscharf, da teilweise auch in Istkostenrechnungen Planwerte oder durchschnittliche Vergangenheitswerte (sog. Normalkosten) Verwendung finden. Eine letzte wichtige grundsätzliche Differenzierungsmöglichkeit innerhalb des Instrumentariums der KEER ist die methodische Unterscheidung zwischen Voll- und Teilkostenrechnungen. Zunächst wurde in der ersten Etappe der KEER (siehe Abschnitt 4.2.1) die Vollkostenrechnung entwickelt, die Teilkostenrechnung wurde - von einigen Vorarbeiten abgesehen - erst in der zweiten Etappe entwickelt. Heutzutage finden sich in den Unternehmen beide methodische Ansätze, häufig auch parallel, was angesichts der heutigen leistungsfähigen IT-Unterstützung leicht realisierbar ist. Der wesentliche Unterschied zwischen Voll- und Teilkostenrechnung besteht darin, in welchem Umfang Kosten aus der Kostenstellenrechnung in die Kostenträgerrechnung bzw. in die Ergebnisrechnung weitergegeben werden (siehe Abb. 4-4): Abb. 4-4: Schematischer Abrechnungsweg in der Voll- und Teilkostenrechnung In der Vollkostenrechnung werden alle Kosten, also die vollen Kosten, zunächst in der Kostenträgerrechnung verarbeitet und von dort in die Ergebnisrechnung weitergegeben. In der Teilkostenrechnung wird hingegen nur ein Teil der Kosten von der Kostenstellenrechnung in die Kostenträgerrechnung weitergegeben, während die übrigen Kosten direkt von der Kostenstellenrechnung in die Ergebnisrechnung übertragen werden. Wichtig ist jedoch die Feststellung, dass schlussendlich sowohl in <?page no="183"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 183 Neue Betriebswirtschaft der Vollwie auch in der Teilkostenrechnung alle Kosten in die Ergebnisrechnung Eingang finden und somit Voll- und Teilkostenrechnung prinzipiell zu demselben Erfolgsausweis führen. Exkurs: Erfolgsausweis in der Voll- und Teilkostenrechnung Die oben getroffene Aussage, dass Voll- und Teilkostenrechnung zu demselben Erfolgsausweis führen, gilt in einer Periode (Monat, Jahr etc.) genau genommen nur unter der Bedingung, dass exakt die in dieser Periode produzierten Erzeugnisse am Markt abgesetzt wurden, d.h. dass es in dieser Periode keine Lagerbestandsveränderungen gab. Im Falle von Lagerbestandsveränderungen bei Erzeugnissen in einer Periode führen Voll- und Teilkostenrechnungen aufgrund der unterschiedlichen Bestandsbewertung in dieser Periode zu abweichenden Erfolgsausweisen. Bei gesamthafter Betrachtung aller Perioden (sog. Totalperiode) gleicht sich dieser Unterschied jedoch wieder aus. Grundlage für die Differenzierung zwischen Voll- und Teilkostenrechnungen ist die Unterscheidung von fixen und variablen Kosten. Dabei wird die Frage beantwortet, ob sich eine Kostenposition bei einer Veränderung der Beschäftigung verändert (variable oder proportionale Kosten) oder unverändert bleibt (fixe Kosten). Bei einer detaillierteren Unterscheidung können (bei einem Beschäftigungsanstieg) folgende Fälle unterschieden werden: ! Absolut fixe Kosten: Die Kostenposition bleibt auch bei einer großen Erhöhung der Beschäftigung unverändert ! Sprungfixe Kosten: Die Kostenposition bleibt innerhalb einer bestimmten Bandbreite der Beschäftigung unverändert. Wenn jedoch ein bestimmter Schwellenwert überschritten wird, dann steigen die Kosten an und bleiben dann wiederum bis zum Erreichen des nächsten Schwellenwerts unverändert ! Linear-proportionale Kosten: mit jeder zusätzlichen Beschäftigungseinheit steigen die Kosten um denselben konstanten Betrag an ! Unterproportionale Kosten: die Kosten nehmen zwar mit jeder zusätzlichen Beschäftigungseinheit zu, jedoch um einen kontinuierlich sinkenden Betrag ! Überproportionale Kosten: die Kosten nehmen mit jeder zusätzlichen Beschäftigungseinheit nicht nur zu, sondern auch um einen kontinuierlich ansteigenden Betrag Zur Trennung von fixen und variablen Kosten existieren verschiedene Verfahren der Kostenspaltung (auch Kostenauflösung genannt). Exkurs: Veränderlichkeit und Abbaubarkeit von fixen und variablen Kosten Entgegen dem umgangssprachlichen Wortgebrauch sind fixe Kosten nicht etwa unveränderlich und variable Kosten nicht notwendigerweise stark schwankend. So kann theoretisch der Fall eintreten, dass von einer Periode zur nächsten bei gleichbleibender Beschäftigung die fixen Kosten ansteigen. Dies wäre z.B. der Fall, wenn unser Vermieter den Preis für eine angemietete Lagerhalle erhöht. Gleichermaßen kann der Fall eintreten, dass die variablen Kosten trotz eines Anstiegs der Beschäftigung von einer Periode zur nächsten konstant bleiben. Dies wäre bspw. der Fall, wenn die Produktionsmenge ansteigt, jedoch der Einstandspreis für einen wichtigen Rohstoff stark gefallen ist und dieser Preisvorteil die höhere Verbrauchsmenge genau kompensiert. Hinsichtlich der Abbaubarkeit von fixen und variablen Kosten gilt tendenziell, dass variable Kosten relativ leicht abbaubar sind. Wenn weniger produziert werden soll, dann wird auch weniger vom besagten Rohstoff bestellt. Fixe Kosten hingegen sind nicht so leicht abbaubar, da <?page no="184"?> 184 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft es einerseits häufig Mindestvertragsdauern gibt (z.B. mehrjähriger Mietvertrag für die Lagerhalle) und andererseits häufig keine Teilbarkeit gegeben ist (man kann die Lagerhalle entweder ganz oder gar nicht mieten, nicht jedoch halb). Wenn fixe Kosten trotz fallender Produktionsmenge nicht kurzfristig abgebaut werden können, so spricht man von Kostenremanenz. 4.4 Angebotskalkulation Lernziele ! Welchen Einfluss haben der Prozesstyp der Produktion und die Produktvielfalt auf das Kalkulationsverfahren? ! Wie leiten sich die Kosten aus dem Aufwand ab? ! Was ist ein Kostenartenplan, und welche Anforderungen muss er erfüllen? ! Worin besteht der Unterschied zwischen Einzel- und Gemeinkosten, und wie erfolgt ihre Weitergabe aus der Kostenartenrechnung? ! Welcher Unterschied besteht zwischen Vor- und Endkostenstellen? ! Was versteht man unter sekundären Kosten und welche Verfahren der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung gibt es? ! Wie werden die Zuschlagssätze bei der Zuschlagskalkulation gebildet? ! Wie sieht das Kalkulationsschema zur Ermittlung der Selbstkosten in der Zuschlagskalkulation aus? ! Was versteht man unter Maschinenstundensätzen? ! Wie lässt sich aus den Selbstkosten ein Angebotspreis ermitteln? Bei der klassischen, Istkosten-basierten Kalkulation besteht die Zielsetzung darin, die vollen Selbstkosten eines Kostenträgers zu ermitteln, um darauf basierend einen Angebotspreis ermitteln zu können. Die üblichen Kostenträger sind demnach die von einem Unternehmen am Markt angebotenen Sach- und Dienstleistungen. Darüber hinaus können z.B. auch Prozesse (siehe Abschnitt 4.9.1) oder Projekte (siehe Abschnitt 4.9.2) kalkuliert werden. Im üblichen Falle eines Unternehmens, welches zahlreiche verschiedene Produkte und Dienstleistungen anbietet, findet die differenzierte Zuschlagskalkulation Anwendung. In Abhängigkeit vom Prozesstyp der Produktion und damit verbunden von der Produktvielfalt existieren aber auch andere, einfachere Kalkulationsverfahren (siehe Tabelle 4-2). <?page no="185"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 185 Neue Betriebswirtschaft Tabelle 4-2: Überblick über Kalkulationsverfahren Prozesstyp der Produktion Produktvielfalt Kalkulations verfahren Erläuterung Einzelfertigung Mehrere unterschiedliche Produkte als Einzelstücke Zuschlagskalkulation (siehe Erläuterung in diesem Abschnitt) Serienfertigung Mehrere unterschiedliche Produkte in jeweils größeren Mengen Massenfertigung Ein Produkt in sehr großer Menge Divisionskalkulation Die Gesamtkosten werden durch die Produktionsmenge geteilt. Sortenfertigung Mehrere ähnliche Produkte in jeweils größeren Mengen Äquivalenzziffernkalkulation Die Produktionsmengen der Produkte werden mit Äquivalenzziffern gewichtet, wobei das Verhältnis der Äquivalenzzi ffern zueinander näherungsweise die Verursachung der Gesamtkosten durch die einzelnen Produkte repräsentieren soll. Die Gesamtkosten werden dann durch die Summe der mit den Produktionsmengen multiplizierten Äquivalenzziffern geteilt. Aus den so ermittelten Kosten pro Äquivalenzziffer lassen sich die Kosten pro Produkt berechnen. Kuppelproduktion Mehrere Produkte gehen aus einem einheitlichem Produktionsprozess hervor Bei Haupt- und Nebenprodukten: Divisionskalkulation Bei mehreren Hauptprodukten: Äquivalenzziffernkalkulation Bei der Divisionskalkulation werden zunächst die Erlöse der Nebenprodukte von den Gesamtkosten in Abzug gebracht und anschließend die korrigierten Gesamtkosten durch die Produktionsmenge des Hauptprodukts geteilt. Es wird hierbei also nur das Hauptprodukt kalkuliert. Die Äquivalenzziffernkalkulation erfolgt wie bei der Sortenfertigung beschrieben. Bei der Zuschlagskalkulation werden die drei Teilgebiete der Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung als integriertes System durchlaufen (siehe Abschnitt 4.3). Die wesentlichen Schritte werden nachfolgend dargestellt. 4.4.1 Schritt 1: Abgrenzung der Kosten von den Aufwendungen Der Ausgangspunkt der in der Kostenrechnung verarbeiteten Daten ist die Finanzbuchhaltung des externen Rechnungswesens. Aufgrund des im deutschsprachigen Raum vorherrschenden Zweikreissystems (siehe Abschnitt 4.2.2) wird diese Datenbasis jedoch für die Zwecke der Kostenrechnung angepasst, d.h. es kommt zu einer Selektion, Korrektur und Ergänzung der Daten (siehe Abb. 4-5). <?page no="186"?> 186 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Abb. 4-5: Abgrenzung der Kosten von den Aufwendungen Es werden nur diejenigen Aufwandspositionen in die Kostenrechnung übernommen, die weder betriebsfremd (z.B. Spenden), außerordentlich (z.B. außerordentliche Abschreibung für eine Maschine nach Brandschaden) noch periodenfremd (z.B. Steuernachzahlung) sind. Die meisten Positionen werden dabei wertmäßig unverändert als Grundkosten in die Kostenrechnung übernommen, z.B. Personalkosten. Bei manchen Positionen erfolgt jedoch eine Umbewertung, da der gesetzlich vorgeschriebene Wertansatz der Finanzbuchhaltung als nicht geeignet für die Zwecke der Kostenrechnung angesehen wird. Ein typisches Beispiel für diese Anderskosten sind kalkulatorische Abschreibungen auf Basis von erwarteten Wiederbeschaffungswerten anstelle der historischen Anschaffungskosten. Darüber hinaus werden in der Kostenrechnung ausgewählte Positionen zusätzlich gebildet, deren Ansatz in der Finanzbuchhaltung aufgrund gesetzlicher Vorschriften nicht möglich ist. Ein typisches Beispiel für diese Zusatzkosten sind kalkulatorische Zinsen für Eigenkapital, da auch die Eigenkapitalgeber eine Renditeerwartung haben, die vom Unternehmen am Markt erwirtschaftet werden muss. Da Anders- und Zusatzkosten nicht den pagatorischen Aufwandspositionen entsprechen, bilden beide zusammen die kalkulatorischen Kosten. 4.4.2 Schritt 2: Erfassung der Kosten im Kostenartenplan Um eine strukturierte Erfassung und Auswertung der angefallenen Kosten zu ermöglichen, werden alle Kostenpositionen jeweils einer Kostenart zugeordnet. Die in einem Unternehmen verwendeten Kostenarten werden in einem unternehmensindividuellen Kostenartenplan zusammengefasst. An Kostenartenpläne sind die folgenden Anforderungen zu stellen: ! Vollständigkeit: Um alle Kostenpositionen erfassen zu können. ! Überschneidungsfreiheit: Um eine unbeabsichtigte Erfassung ähnlicher Positionen in unterschiedlichen Kostenarten zu vermeiden. ! Systematischer Aufbau: Um die Übersichtlichkeit und damit die Handhabbarkeit des Kostenartenplans sicherzustellen. Üblicherweise ist der Kostenartenplan nach einer Produktionsfaktorenlogik aufgebaut und enthält als wesentliche Kategorien Materialkosten, Personalkosten, Abschreibungen, Zinsen, Dienstleistungskosten, Wagniskosten und Steuern. ! Stetigkeit: Um die Entwicklung von Kostenarten über mehrere Perioden hinweg vergleichen zu können. ! Differenziertheit: Um die Kostenstruktur im gewünschten Detailgrad analysieren zu können. <?page no="187"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 187 Neue Betriebswirtschaft 4.4.3 Schritt 3: Unterscheidung von Einzel- und Gemeinkosten Die Unterscheidung von Einzel- und Gemeinkosten ist wichtig, da hiervon ihre Weitergabe aus der Kostenartenrechnung in die anderen Teilgebiete der Kostenrechnung abhängt: Während Einzelkosten direkt von der Kostenartenrechnung in die Kostenträgerrechnung übergeben werden, werden Gemeinkosten zunächst in die Kostenstellenrechnung weitergegeben und erst von dort in die Kostenträgerrechnung übernommen. Der Unterscheidung in Einzel- und Gemeinkosten liegt die Frage zu Grunde, ob sich eine Kostenposition einem bestimmten Kostenträger eindeutig zurechnen lässt oder nicht. Einzelkosten lassen sich direkt aufgrund einer Kausalitätsbeziehung einem Kostenträger zuordnen: Bspw. wird ein bestimmter Rohstoff nur deshalb verbraucht, weil daraus ein konkretes Produkt gefertigt wird. Gemeinkosten lassen sich hingegen nicht aufgrund einer Ursache-Wirkungs-Beziehung einem einzelnen Kostenträger zuordnen, sondern fallen immer für mehrere Kostenträger zugleich an. Wenn bspw. mehrere Produkte auf einer Maschine gefertigt werden, dann fallen die zeitabhängigen Abschreibungen für diese Maschine sowie die Mietkosten für die Produktionshalle, in der diese Maschine steht, für alle auf der Maschine gefertigten Produkte zugleich an. Will man nun die Abschreibungen und die Mietkosten für den Zweck der Kalkulation auf die einzelnen Produkte verteilen, so kann dies nur auf Basis einer als fair und logisch angenommenen Schlüsselung erfolgen. Keine Schlüsselung ist aber jemals als richtig beweisbar und damit letztlich immer willkürlich. Als wesentliche Schlüsselungsprinzipien lassen sich unterscheiden: ! Gleichverteilung: Jeder Kostenträger muss einen gleichen Anteil der Kostenposition tragen. ! Tragfähigkeit: Diejenigen Produkte, welche z.B. höhere Erlöse am Markt erzielen können, müssen einen größeren Anteil der Kostenposition tragen. Die wesentlichen Kostenpositionen, die sich als Einzelkosten direkt den Kostenträgern zurechnen lassen, sind Materialeinzelkosten (Rohstoffe, zugekaufte Bauteile) sowie Fertigungseinzelkosten (Fertigungslöhne). In manchen Fällen gibt es zudem noch Sondereinzelkosten der Fertigung (z.B. Abschreibungen auf produktspezifische Spezialwerkzeuge) sowie Sondereinzelkosten des Vertriebs (z.B. Spezialverpackungen für den Versand). Exkurs: Zusammenhang zwischen Einzel- und Gemeinkosten sowie fixen und variablen Kosten Grundsätzlich ist jede der vier Kombinationsmöglichkeiten möglich, auch wenn sie unterschiedlich häufig auftreten. Bei Einzelkosten handelt es sich in der Regel um variable Kosten, bspw. die für ein Produkt benötigten Rohstoffe. Es gibt aber auch fixe Einzelkosten, wenn z.B. für die Fertigung eines Produkts eine jährliche Lizenz von einem anderen Unternehmen erworben werden muss. Gemeinkosten sind häufig fixe Kosten, bspw. die bereits erwähnten zeitabhängigen Abschreibungen der Produktionsmaschine oder die Mietkosten für die Produktionshalle. Ein Teil der Gemeinkosten sind jedoch auch variable Kosten, z.B. die für den Betrieb der Produktionsmaschine notwendigen Energiekosten oder die Kosten für Licht und Wärme in der Produktionshalle. 4.4.4 Schritt 4: Erfassung der Gemeinkosten auf Kostenstellen Da sich die Gemeinkosten nicht direkt einem Kostenträger zurechnen lassen, werden sie zunächst als primäre Kosten auf derjenigen Kostenstelle erfasst, auf welcher sie angefallen sind. Als Kostenstelle bezeichnet man dabei einen für die Zwecke der Kostenrechnung abgegrenzten Teilbereich des Unternehmens. In aller Regel folgt die Bildung von Kostenstellen der Aufbauorganisation eines Unternehmens, d.h. Kostenstellen sind in vielen Fällen mit Abteilungen identisch. <?page no="188"?> 188 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Kostenstellen werden in Vor- und Endkostenstellen unterschieden. Endkostenstellen sind mehr oder weniger direkt am Wertschöpfungsprozess beteiligt. Vorkostenstellen sind dagegen nur indirekt am Wertschöpfungsprozess beteiligt, indem sie interne Leistungen für andere Kostenstellen erbringen. Wenn es sich bei den Empfängern dieser internen Leistungen um eine große Zahl von anderen Vorkostenstellen sowie Endkostenstellen handelt, so spricht man von allgemeinen Hilfskostenstellen. Beispiele sind die Kantine, der IT-Bereich oder der Werkschutz. Wenn die Vorkostenstelle dagegen nur für eine kleine Anzahl von i.d.R. Endkostenstellen interne Leistungen erbringt, so spricht man von bereichsbezogenen Hilfskostenstellen. Beispiele sind hier die Arbeitsvorbereitung und die Instandhaltung, die für die Endkostenstelle(n) der Produktion interne Leistungen erbringen. 4.4.5 Schritt 5: Durchführung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung Im Rahmen der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung geben die allgemeinen und bereichsbezogenen Hilfskostenstellen die Kosten für die von ihnen erbrachten internen Leistungen an die jeweiligen Leistungsempfänger weiter. Die Zielsetzung besteht darin, dass die Vorkostenstellen nach Durchführung der innerbetrieblichen Leistungen abgerechnet sind, d.h. alle ihre gesamten Kosten als sekundäre Kosten weitergegeben haben. Für die Durchführung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung existieren unterschiedliche Verfahren, die sich hinsichtlich ihrer Genauigkeit unterscheiden. Eine größere Genauigkeit bringt jedoch unweigerlich eine größere Komplexität des Verfahrens mit sich. Bei ansteigender Komplexität und Genauigkeit unterscheidet man die folgenden wesentlichen Verfahren: ! Anbauverfahren: Vorkostenstellen geben sekundäre Kosten ausschließlich an Endkostenstellen weiter. ! Stufenleiterverfahren: Die Vorkostenstellen werden in eine eindeutige Abrechnungsreihenfolge gebracht, wobei zunächst die allgemeinen und anschließend die bereichsbezogenen Hilfskostenstellen abgerechnet werden. Eine einmal abgerechnete Vorkostenstelle wird nicht wieder mit sekundären Kosten belastet. ! Iterationsverfahren: Es werden alle Leistungsbeziehungen berücksichtigt, wobei die Abrechnung der Vorkostenstellen solange wiederholt wird, bis auf den Vorkostenstellen nur noch geringfügige Kosten verbleiben. ! Gleichungsverfahren: Auch hier finden alle Leistungsbeziehungen Berücksichtigung, wobei die Abrechnung einmalig und simultan erfolgt. Hierzu wird ein lineares Gleichungssystem aufgelöst, wobei für jede Vorkostenstelle eine Gleichung aufgestellt wird, bei der die Kostenbelastung der Kostenentlastung entspricht. 4.4.6 Schritt 6: Ermittlung der Zuschlagssätze Nach Durchführung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung tragen die Endkostenstellen jeweils primäre und sekundäre Kosten. Für jede Endkostenstelle wird nun ein Zuschlagssatz gebildet. Diese Zuschlagssätze bilden das Vehikel, mit dem die Gemeinkosten auf die Kostenträger verteilt werden können. In allgemeiner Darstellung werden die Zuschlagssätze wie folgt gebildet: 幱ëه‡ë…y = ߇믅³«‡…ßâ߉ …-Ⳬ‡…ß-‡…ß±±ß ßß·Ù-ß…ß ߉…¯äß·Ùß ¤ßyƒÙ‡è뇷‡ Welche wertmäßige Bezugsbasis als geeignet anzusehen ist, hängt von der jeweiligen Endkostenstelle ab. Üblicherweise werden die folgenden Zuschlagssätze gebildet: ! Materialgemeinkostenzuschlagssatz = Gesamtkosten der Endkostenstelle Einkauf & Logistik / gesamte Materialeinzelkosten des Unternehmens ! Fertigungsgemeinkostenzuschlagssatz = Gesamtkosten der Endkostenstelle Produktion / gesamte Fertigungslohnkosten des Unternehmens. Im Falle einer mehrstufigen Fertigung werden hier üblicherweise entsprechend viele Fertigungsgemeinkostenzuschlagssätze gebildet. <?page no="189"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 189 Neue Betriebswirtschaft ! Verwaltungsgemeinkostenzuschlagssatz = Gesamtkosten der Endkostenstelle Verwaltung / gesamte Herstellkosten des Unternehmens (zur Zusammensetzung der Herstellkosten siehe Schritt 7) ! Vertriebsgemeinkostenzuschlagssatz = Gesamtkosten der Endkostenstelle Vertrieb / gesamte Herstellkosten des Unternehmens ! Entwicklungsgemeinkostenzuschlagssatz = Gesamtkosten der Endkostenstelle Forschung & Entwicklung / gesamte Herstellkosten des Unternehmens 4.4.7 Schritt 7: Ermittlung der Selbstkosten Mithilfe der Zuschlagssätze können nun die bereits pro Kostenträger erfassten Einzelkosten um anteilige Gemeinkosten ergänzt werden. Im Ergebnis lassen sich die vollen Selbstkosten pro Kostenträger nach dem folgenden Kalkulationsschema ermitteln (siehe Tabelle 4-3). Tabelle 4-3: Kalkulationsschema der Zuschlagskalkulation Pos. Kalkulationsposition Ermittlung 1 Materialeinzelkosten Übernahme aus der Kostenartenrechnung 2 Materialgemeinkosten Materialgemeinkostenzuschlagssatz auf Pos. 1 3 Materialkosten Summe aus Pos. 1 und 2 4 Fertigungseinzelkosten Übernahme aus der Kostenartenrechnung 5 Fertigungsgemeinkosten Fertigungsgemeinkostenzuschlagssatz auf Pos. 4 6 Sondereinzelkosten der Fertigung Übernahme aus der Kostenartenrechnung 7 Fertigungskosten Summe aus Pos. 4, 5 und 6 8 Herstellkosten Summe aus Pos. 3 und 7 9 Verwaltungsgemeinkosten Verwaltungsgemeinkostenzuschlagssatz auf Pos. 8 10 Entwicklungsgemeinkosten Entwicklungsgemeinkostenzuschlagssatz auf Pos. 8 11 Vertriebsgemeinkosten Vertriebsgemeinkostenzuschlagssatz auf Pos. 8 12 Sondereinzelkosten des Vertriebs Übernahme aus der Kostenartenrechnung 13 Selbstkosten Summe aus Pos. 8, 9, 10, 11 und 12 Im Falle einer anlagenintensiven Produktion wird das Kalkulationsschema im Bereich der Fertigungskosten häufig um Maschinenstundensätze ergänzt. Hierzu werden die Fertigungsgemeinkosten in maschinenabhängige Gemeinkosten (z.B. kalkulatorische Abschreibungen, Energiekosten) und Restgemeinkosten unterteilt. Während die Restgemeinkosten wie oben dargestellt über Zuschlagssätze verrechnet werden, erfolgt die Verrechnung der maschinenabhängigen Gemeinkosten über Stundensätze pro Maschine. Dazu werden die maschinenabhängigen Gemeinkosten für jede Maschine durch die jeweilige Maschinenlaufzeit geteilt. Die Verrechnung auf die Kostenträger erfolgt dann in Abhängigkeit von der zeitlichen Inanspruchnahme der jeweiligen Maschine durch die Kostenträger, multipliziert mit dem entsprechenden Maschinenstundensätzen. <?page no="190"?> 190 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Exkurs: Herstell(ungs)kosten Auch wenn im externen Rechnungswesen mit Aufwendungen und nicht mit Kosten gerechnet wird, so verwendet das die Finanzbuchhaltung normierende Handelsgesetzbuch dennoch an mehreren Stellen den Begriff Kosten. So wird in § 275 Abs. 3 HGB bspw. von Herstellungskosten gesprochen. In Abgrenzung hierzu spricht man in der KEER dagegen von Herstellkosten. Bei den Herstell(ungs)kosten handelt es sich um eine wichtige Schnittstelle zwischen internem und externem Rechnungswesen. Will man eine präzise Bewertung der Bestände an fertigen und unfertigen Erzeugnissen zu Herstellungskosten vornehmen, so bilden hierzu die in der Zuschlagskalkulation der KEER ermittelten Herstellkosten die Grundlage. 4.4.8 Schritt 8: Ermittlung des Angebotspreises Auf Basis der Selbstkosten wird nun unter Berücksichtigung einer angestrebten Gewinnmarge ein Angebotspreis ermittelt (siehe Tabelle 4-4). Wenn dieser Angebotspreis am Markt durchgesetzt werden kann, so sind die vollen Selbstkosten des Produkts gedeckt und es wird der angestrebte Gewinn erwirtschaftet. Tabelle 4-4: Schema zur Kalkulation des Angebotspreises Pos. Kalkulationsposition Ermittlung 13 Selbstkosten 14 Gewinn Gewinnmarge auf Pos. 13 15 Netto-Angebotspreis Summe aus Pos. 13 und 14 16 Umsatzsteuer Umsatzsteuersatz gemäß gesetzlicher Vorschriften auf Pos. 15 17 Brutto-Angebotspreis Summe aus Pos. 15 und 16 Wenn das Unternehmen erwartet, dass Erlösschmälerungen in Form von Skonti, Rabatten oder Boni anfallen, so ist dies sinnvollerweise bei der Kalkulation des Angebotspreises bereits entsprechend zu berücksichtigen. 4.5 Marktorientiertes Kostenmanagement Lernziele ! Was versteht man unter Cost Benchmarking und welche Alternativen gibt es? ! Welcher Unterschied besteht zwischen der progressiven und der retrograden Kalkulation? ! Wie können beim Target Costing die Zielkosten der einzelnen Produktkomponenten ermittelt werden? Die Vorgehensweise der in Abschnitt 4.4 vorgestellten Angebotskalkulation bestand darin, dass Unternehmen die vollen Selbstkosten ihre Produkte ermitteln und unter Berücksichtigung eines angestrebten Gewinns den Preis definieren, den ihre Kunden zu entrichten haben. Dieser Ansatz ist in ausgewählten Bereichen durchaus anwendbar, so z.B. bei Angebotsmonopolen oder bei kunden- <?page no="191"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 191 Neue Betriebswirtschaft individuell hergestellten Produkten. Angesichts der hohen Wettbewerbsintensität in vielen Branchen und der Tatsache, dass viele Märkte inzwischen Käufermärkte sind, kommen Unternehmen jedoch nicht umhin, die Marktgegebenheiten zu berücksichtigen. Im Folgenden werden daher mit dem Cost Benchmarking und dem Target Costing zwei Ansätze des marktorientierten Kostenmanagements vorgestellt. 4.5.1 Cost Benchmarking Unter Benchmarking versteht man allgemein einen systematischen Vergleich mit ausgewählten Benchmarking-Partnern. Hierbei geben die Benchmarking-Partner - ggf. anonymisiert unter Einschaltung einer Benchmarking-Organisation - auf Basis festgelegter Kriterien Informationen Preis, die einen gegenseitigen Vergleich ermöglichen. Liegt der Fokus auf dem Austausch und der Analyse von Kosteninformationen, so spricht man von Cost Benchmarking. Objekte des Cost Benchmarking können dabei sowohl Funktionsbereiche und deren Prozesse (z.B. Logistik) als auch Produkte sein. Hinsichtlich der Benchmarking-Partner können folgende Alternativen unterschieden werden: ! Internes Benchmarking: Hier werden die verschiedenen (ggf. international verteilten) Standorte eines Unternehmens/ Konzerns miteinander verglichen. ! Konkurrenzbezogenes Benchmarking: Hier beteiligen sich Unternehmen, die in einem direkten Wettbewerbsverhältnis zueinanderstehen, am Benchmarking. ! Branchenübergreifendes Benchmarking: Hier vergleichen sich Unternehmen aus verschiedenen Branchen miteinander. Unter der Annahme vergleichbarer Produkte und ähnlicher Gewinnerwartungen hat dasjenige Unternehmen Wettbewerbsvorteile, welches die geringsten Kosten aufweist. Die Zielsetzung aller Varianten des Cost Benchmarkings besteht demnach darin, sich an den Kosten des besten Benchmarking-Partners, also am Best Practice, zu orientieren. Es gilt zu analysieren, durch welche Maßnahmen dieses Kostenniveau - unter Berücksichtigung der unternehmensspezifischen Gegebenheiten - auch im eigenen Unternehmen erreicht werden kann. 4.5.2 Target Costing Beim Target Costing werden nicht andere Unternehmen, sondern die Kunden in den Fokus genommen. Die zentrale Annahme besteht darin, dass nicht das Unternehmen selbst den Preis seiner Produkte bestimmen kann, sondern dass gegebene Marktpreise existieren, welche die Kunden bereit sind zu zahlen. Die Kalkulationslogik dreht sich damit um: Während bei der klassischen, progressiven Kalkulation der Preis das Resultat aus den eigenen Kosten und der Gewinnerwartung ist, so sind bei der retrograden Kalkulation des Target Costings die maximal erlaubten Kosten das Ergebnis des Abzugs der Gewinnerwartung vom gegebenen Marktpreis (siehe Abb. 4-6). Diese maximal erlaubten Kosten werden als Zielkosten (engl. target costs) bezeichnet. Abb. 4-6: Progressive und retrograde Kalkulation <?page no="192"?> 192 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Häufig werden die nach progressiver Kalkulationslogik abgeschätzten Kosten (die sog. drifting costs) höher als die Zielkosten liegen. Es gilt daher, alle Komponenten des Produkts auf Kosteneinsparpotenziale hin zu untersuchen. Dabei gilt die Grundregel, dass der Kostenanteil einer Produktkomponente an den Zielkosten in etwa dem Beitrag dieser Komponente an der Erfüllung der verschiedenen Produktfunktionen entsprechen sollte. Der Bedeutung der Produktfunktionen aus Kundensicht kann dabei z.B. mittels der Conjoint-Analyse des Marketings ermittelt werden. 4.6 Ermittlung und Analyse des Erfolgs Lernziele ! Welcher Zusammenhang besteht zwischen Kosten- und Erlösträgern? ! Welche beiden Varianten bestehen bei der Erstellung einer Nettoergebnisrechnung, und warum führen beide zu demselben Ergebnis? ! Was versteht man unter einem Deckungsbeitrag? ! Welche Varianten der Bruttoergebnisrechnung können unterschieden werden? ! Welchen typischen Aufbau hat die Stufenweise Fixkostendeckungsrechnung? In der (Betriebs-)Ergebnisrechnung wird wie in Abschnitt 4.3 erläutert der Erfolg durch Abzug der Kosten von den Erlösen ermittelt. Da dies i.d.R. für eine Abrechnungsperiode (insb. Monat) erfolgt, spricht man auch von der Kostenträgerzeitrechnung. 4.6.1 Erlösrechnung Auch die Erlöse der KEER werden aus den Erträgen der Finanzbuchhaltung abgeleitet (siehe Abschnitt 4.4, Schritt 1). Hierbei gilt gleichermaßen, dass nur solche Ertragspositionen Zweckerträge darstellen, die weder betriebsfremd (z.B. Gewinne aus Spekulationsgeschäften), außerordentlich (z.B. Eingang bereits abgeschriebener Forderungen) noch periodenfremd (z.B. Steuergutschrift) sind. Auch in der Erlösrechnung gilt, dass die meisten Positionen Grunderlöse darstellen, die wertmäßig unverändert aus der Finanzbuchhaltung übernommen werden. Wertmäßig angepasste Anderserlöse treten bspw. bei einer von den Vorschriften der Finanzbuchhaltung abweichenden Bewertung von Bestandsveränderungen an fertigen und unfertigen Erzeugnissen auf. Zusatzerlöse entstehen bei Eigenleistungen, die in der Finanzbuchhaltung nicht aktiviert werden dürfen. In der Erlösartenrechnung gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Strukturierung. Ein Zeitungsverlag könnte beispielsweise zwischen Erlösen aus Abonnements und Erlösen aus Einzelverkauf oder zwischen Erlösen für gedruckte Exemplare und Erlösen für digitale Exemplare differenzieren. Bei den meisten Erlöspositionen handelt es sich um Einzelerlöse, die einem Erlösträger eindeutig zugeordnet werden können. In der Regel herrscht somit Identität zwischen den Kosten- und Erlösträgern des Unternehmens, d.h. pro Produkt können die Erlöse den Kosten gegenübergestellt werden. Gemeinerlöse treten bspw. dann auf, wenn ein Kunde bei einem aus mehreren Produkten bestehenden Auftrag einen pauschalen Paketpreis zahlt. In diesem Fall müssen die Erlöse den einzelnen Produkten des Kundenauftrags zugeschlüsselt werden, bspw. im Verhältnis der Produktkosten, was bei diesem Auftrag zu einer einheitlichen Gewinnmarge bei allen Produkten führen würde. 4.6.2 Nettoergebnisrechnung Die aus der Vollkostenrechnung resultierende Ergebnisrechnung bezeichnet man als Nettoergebnisrechnung. Wie auch in der Finanzbuchhaltung (siehe § 275 Abs. 2 und 3 HGB) besteht die Möglichkeit, die Nettoergebnisrechnung aus Basis des Gesamtkostenverfahrens oder auf Basis <?page no="193"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 193 Neue Betriebswirtschaft des Umsatzkostenverfahrens zu erstellen. Die Unterschiede zwischen beiden Verfahren ergeben sich aus Tabelle 4-5. Tabelle 4-5: Unterschiede zwischen Gesamtkostenverfahren und Umsatzkostenverfahren Kriterium Gesamtkostenverfahren Umsatzkostenverfahren Blickwinkel produktionsorientiert marktorientiert Erfassung der Erlöse Gesamtleistung, bestehend aus Umsatzerlösen, Bestandsveränderungen an fertigen und unfertigen Erzeugnissen sowie aktivierten Eigenleistungen nur Umsatzerlöse Erfassung der Kosten Gesamtkosten der Periode, strukturiert nach Kostenarten Kosten der in der Periode abgesetzten Leistungen, strukturiert nach Funktionsbereichen Beide Verfahren ermitteln dabei ein identisches Betriebsergebnis. Dies liegt daran, dass im Gesamtkostenverfahren auf der Kostenseite die Herstellkosten der erstellten, aber noch nicht abgesetzten Erzeugnisse sowie der aktivierten Eigenleistungen enthalten sind und diese Erzeugnisse und Eigenleistungen auf der Erlösseite genau zu ihren vollen Herstellkosten bewertet werden. Im Umsat zk os ten ve rfahre n find en di e Er z eug n is se und E ig enle ist ung en we de r auf d er K os ten noc h au f der Erlösseite Berücksichtigung. Das Schema zur Berechnung des Betriebsergebnisses nach Gesamt- und Umsatzkostenverfahren ist aus Abb. 4-7 ersichtlich. Abb. 4-7: Berechnungsschema bei Gesamtkostenverfahren und Umsatzkostenverfahren 4.6.3 Bruttoergebnisrechnung Die aus einer Teilkostenrechnung resultierende Ergebnisrechnung bezeichnet man als Bruttoergebnisrechnung. „Brutto“-Ergebnisrechnung deshalb, weil nicht die vollen Selbstkosten eines Produkts in einem Schritt von dessen Erlösen abgezogen werden, sondern einzelne Kostenschichten in mehreren Schritten in Abzug gebracht werden. Hierdurch ergeben sich Zwischenergebnisse, die als Deckungsbeiträge bezeichnet und i.d.R. nummeriert werden. Der allgemeine Aussagegehalt eines Deckungsbeitrags ist, dass der entsprechende Betrag zur Deckung der bislang noch <?page no="194"?> 194 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft nicht berücksichtigten Kosten beiträgt. Der konkrete Aufbau einer solchen Deckungsbeitragsrechnung ist unternehmensspezifisch, es existieren jedoch verschiedene grundsätzliche Varianten: ! Direct Costing: Basiert auf einer Unterscheidung von fixen und variablen Kosten, wobei die Fixkosten nicht weiter unterteilt werden. Es handelt sich um die historisch zuerst entwickelte, sehr einfache Form der Bruttoergebnisrechnung. ! Stufenweise Fixkostendeckungsrechnung: Basiert auf einer Unterscheidung von fixen und variablen Kosten, wobei die Fixkosten in mehrere Fixkostenschichten unterteilt werden. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung des Direct Costing und um die in der Unternehmenspraxis am häufigsten anzutreffende Variante. ! Relative Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung: Basiert auf einer Unterscheidung von Einzel- und Gemeinkosten. Aufgrund ihrer Komplexität findet diese Variante in Reinform in der Unternehmenspraxis kaum Anwendung. Grundlage der stufenweisen Fixkostendeckungsrechnung ist demnach eine Kostenspaltung in fixe und variable Kosten (siehe Abschnitt 4.3). In die Kostenträgerrechnung werden lediglich folgende Kosten übernommen: ! Variable Einzelkosten: Übernahme aus der Kostenartenrechnung ! Fixe Produkteinzelkosten: Übernahme aus der Kostenartenrechnung ! Variable Gemeinkosten: Übernahme aus der Kostenstellenrechnung. Die innerbetriebliche Leistungsverrechnung der Vorkostenstellen und die Bildung der Zuschlagssätze auf den Endkostenstellen beruht lediglich auf variablen Gemeinkosten. Die fixen Gemeinkosten verbleiben zunächst auf den Kostenstellen und werden von dort direkt in die Bruttoergebnisrechnung übernommen. Hierzu wird jede Vor- und Endkostenstelle (gesamthaft oder anteilig) derjenigen Fixkostenschicht zugeordnet, durch die ihr Kostenanfall verursacht wird. Typischerweise unterscheidet man neben den fixen Produkteinzelkosten folgende Fixkostenschichten: ! Produktgruppenfixkosten ! Spartenfixkosten ! Unternehmensfixkosten Abb. 4-8: Stufenweise Fixkostendeckungsrechnung <?page no="195"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 195 Neue Betriebswirtschaft Die Bruttoergebnisrechnung wird i.d.R. marktorientiert, d.h. nach dem Umsatzkostenverfahren erstellt. Statt einem produktorientierten Aufbau sind z.B. auch ein kunden- oder ein regionenorientierter Aufbau möglich. Eine typische Deckungsbeitragsrechnung ist aus Abb. 4-8 ersichtlich. Zur Ergebnisanalyse können Kennzahlen wie der Erlösanteil, der Deckungsbeitragsanteil oder die Erfolgsstärke herangezogen werden. Exkurs: Nachteile der Vollkosten- und Nettoergebnisrechnung Die Teilkosten- und Bruttoergebnisrechnung zielt darauf ab, die Nachteile der Vollkosten- und Nettoergebnisrechnung zu vermeiden bzw. zumindest zu reduzieren. Zu diesen Nachteilen zählen: - Schlüsselung von Gemeinkosten - Fehlende Unterscheidung von fixen und variablen Kosten und dadurch Proportionalisierung von Fixkosten 4.7 Planung und Kontrolle der Wirtschaftlichkeit Lernziele ! Welche Schritte laufen bei einer integrierten Plankostenrechnung ab? ! Welche Varianten der Plankostenrechnung gibt es? ! Was versteht man unter einer Abweichungsanalyse, und welche Abweichungsarten gibt es bei Einzelkosten? Auch bei der Plankostenrechnung (siehe Abschnitt 4.3) kann die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung in den folgenden Schritten als integriertes System durchgespielt werden: ! Planung der Einzelkosten auf Ebene der Kostenträger ! Planung der primären Gemeinkosten auf Ebene der Kostenstellen ! Durchführung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung mit Weitergabe der geplanten sekundären Kosten ! Belastung der Kostenträger mit Plan-Gemeinkostenzuschlägen ! Planung der Erlöse auf Ebene der Kostenträger ! Ermittlung des Planergebnisses Ebenso wie bei der Istkostenrechnung kann auch die Plankostenrechnung als Vollkosten- und Nettoergebnisrechnung oder als Teilkosten- und Bruttoergebnisrechnung durchgeführt werden. Es gibt hierbei die folgenden Varianten: ! Starre Plankostenrechnung: Es wird nicht zwischen fixen und variablen Kosten unterschieden. ! Flexible Plankostenrechnung auf Vollkostenbasis: Es wird zwischen fixen und variablen Kosten unterschieden. Diese Unterscheidung wird aber nur zur Abweichungsanalyse herangezogen, während die Kostenträger mit vollen (variablen und fixen) Gemeinkosten bezuschlagt werden. ! Grenzplankostenrechnung: Es wird zwischen fixen und variablen Kosten unterschieden und die Kostenträger werden lediglich mit variablen Gemeinkosten bezuschlagt. Im Anschluss an die Planung werden die tatsächlichen Istkosten und Isterlöse erfasst. Durch Vergleich von Planwerten und Istwerten kann eine Kontrolle vorgenommen werden. Um Rückschlüsse <?page no="196"?> 196 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft für zukünftige Planungen und für ggf. zu ergreifende Maßnahmen zu treffen, ist es wichtig, im (Regel-)Falle von Abweichungen zwischen geplanten und tatsächlichen Werten die Ursachen dieser Abweichungen detailliert zu analysieren. Aus diesem Grunde werden sowohl bei der Kontrolle der Einzelkosten, der Gemeinkosten als auch der Erlöse jeweils verschiedene Abweichungsarten unterschieden. Dies soll am Beispiel der Kontrolle von Materialeinzelkosten erläutert werden. Alle Kosten setzen sich aus einer Preis- und aus einer Mengenkomponente zusammen, d.h. die Kosten ergeben sich aus der verbrauchten Menge einer Kostenposition, bewertet mit einem Preis. Die Plankosten für einen Rohstoff ergeben sich folglich dadurch, dass einerseits ein Planverbrauch und andererseits ein Planpreis bestimmt wird. Während die Ermittlung des Planpreises eine Expertise des Einkaufs ist, hängt die Ermittlung des Planverbrauchs zunächst von der zu produzierenden Menge des Erzeugnisses ab (Planbeschäftigung), für das der Rohstoff benötigt wird. Diese Information wird aus der Vertriebsplanung unter Berücksichtigung geplanter Bestandsveränderungen abgeleitet. Auf dieser Basis berücksichtigt der Produktionsleiter aufgrund seiner Erfahrungen auch Ausschussmengen. Die Istkosten des Rohstoffs ergeben sich aus dem tatsächlichen Istverbrauch und dem tatsächlichen Istpreis. Zu Beginn der Abweichungsanalyse ist jedoch zu beachten, ob auch die geplante Menge des Erzeugnisses produziert wurde (Planbeschäftigung) oder eine andere, höhere oder niedrige Menge (Istbeschäftigung). Falls die Istbeschäftigung von der Planbeschäftigung abweicht, sind für eine faire und aussagekräftige Abweichungsanalyse zunächst die Plankosten in Sollkosten umzurechnen: B«±±³«‡…ß- = K±ë-³«‡…ß- À y‡…è߇å¹ä܅·Ùƒ-Ù K±ë-è߇å¹ä܅·Ùƒ-Ù Eine etwaige Differenz zwischen Istkosten und Sollkosten kann nun entweder aus einem - unter Berücksichtigung der Istbeschäftigung - höheren Verbrauch des Rohstoffs oder aus einem vom Planpreis abweichenden Istpreis resultieren. Um diese beiden Effekte zu trennen, werden als nächstes die Istkosten zu Planpreisen ermittelt: y‡…³«‡…ßyƒ K±ë-©‰ß·‡ß- = y‡…ß‰è‰ëƒå¹‡¯ß-Ùß À K±ë-©‰ß·‡ Nun können die beiden Abweichungsarten berechnet werden: K‰ß·‡ëè߷幃-Ù = y‡…³«‡…ßø y‡…³«‡…ßyƒ K±ë-©‰ß·‡ß- 9߉è‰ëƒå¹‡ëè߷幃-Ù = y‡…³«‡…ßyƒ K±ë-©‰ß·‡ßø B«±±³«‡…ß- Da die Planpreise vom Einkauf bereitgestellt wurden, hat der Produktionsleiter lediglich die Verbrauchsabweichung zu verantworten. 4.8 Business Cases zur Produkteinführung Lernziele ! Welche Zusammenhänge gelten im Break-Even-Punkt? ! Welche Phasen werden in der Lebenszyklus-Kostenrechnung unterschieden, und wie ist jeweils der Anfall von Kosten und Erlösen in diesen Phasen? Unter einem Business Case soll im Folgenden der sich auf die Erfolgprognose beziehende Teil eines umfassenden Business Plans bezeichnet werden, mit dem aus finanzieller Sicht eine Beurteilung getroffen wird, inwieweit die Einführung eines neuen Produkts lohnenswert erscheint. Hierfür können die einfache Break-Even-Analyse sowie die detailliertere Lebenszyklus-Kostenrechnung angewendet werden. <?page no="197"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 197 Neue Betriebswirtschaft 4.8.1 Break-Even-Analyse Im Break-Even-Punkt (BEP) gilt, dass die mit der produzierten und abgesetzten Menge (Break- Even-Menge M * ) erwirtschafteten Umsatzerlöse (Break-Even-Erlöse E * ) genau zu einem Erfolg von Null führen, daher auch die deutsche Bezeichnung Gewinnschwelle. Bei einer Mengeneinheit weniger ist das Produkt noch in der Verlustzone, bei einer Mengeneinheit mehr gerade in der Gewinnzone. Bei einer Aufspaltung der Produktkosten in fixe und variable Anteile gelten im Break- Even-Punkt demnach folgende Zusammenhänge: <¯‡ë…y߉±ö‡ß ø ߇믅³«‡…ß- = 0 <¯‡ë…y߉±ö‡ß = Ü·}ß s«‡…ß- + ë‰·ëè±ß s«‡…ß- ˆß峃-هèß·…‰äÙß = Ü·}ß s«‡…ß- Mittels der Break-Even-Analyse kann ein Unternehmen also analysieren, ob die prognostizierte Absatzmenge des potenziellen neuen Produkts ausreicht, um bei gegebenen Kosten- und Erlösfunktionen in die Gewinnzone zu gelangen (siehe Abb. 4-9). Abb. 4-9: Grafische Darstellung der Break-Even-Analyse Die Break-Even-Analyse wird i.d.R. für eine erste Erfolgsabschätzung eingesetzt. Es werden hierbei viele Vereinfachungen vorgenommen, insb. ! Keine Darstellung des zeitlichen Anfalls von Kosten und Erlösen ! Lineare Erlösfunktion ! Nur absolut fixe Kosten und nur linear-proportionale variable Kosten Exkurs: Hip-Roof-Chart Eine Break-Even-Analyse ist auch für mehrere Produkte anwendbar, wenn z.B. Produktgruppenfixe Kosten auftreten. Hierbei ist jedoch kein eindeutiger Break-Even-Punkt ermittelbar, sondern nur eine Bandbreite von Break-Even-Umsätzen. Die grafische Darstellung einer solchen Mehrprodukt-Break-Even-Analyse nennt man Hip-Roof-Chart. 4.8.2 Lebenszyklus-Kostenrechnung Der Lebenszyklus eines Produkts umspannt in Analogie zu Lebewesen die gesamte Phase von der Entstehung des Produkts bis zu seinem Verschwinden. Die dabei typischerweise unterschiedenen Lebenszyklus-Phasen sind aus Abb. 4-10 ersichtlich. <?page no="198"?> 198 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Abb. 4-10: Phasen des Produktlebenszyklus Auf dieser Grundlage werden in der Lebenszyklus-Kostenrechnung (engl. Life Cycle Costing) alle Kosten und Erlöse phasenspezifisch und (wie hier dargestellt) kumuliert erfasst. Dabei gelten folgende Zusammenhänge: ! Vorlaufphase: Hier fallen üblicherweise nur Kosten für Produktentwicklung, Marktforschung etc. an. ! Marktphase: Die Kostenseite besteht hier im Wesentlichen aus den Kosten für Herstellung und Vermarktung. Die Periodenerlöse beginnen in der Einführungsphase, steigen in der Wachstumsphase stark an und erreichen in der Reifephase ihren Höhepunkt. In der Sättigungsphase sinken die Periodenerlöse wieder und gehen in der Degenerationsphase stark zurück. ! Nachlaufphase: Hier fallen keine weiteren Erlöse für neue Produktverkäufe an, jedoch ggf. noch längere Zeit Erlöse für Ersatzteile und Wartung für die auf Kundenseite noch in Nutzung befindlichen Produkte. Neben entsprechenden Kosten fallen ggf. auch Kosten für eine Rücknahmeverpflichtung der Produkte an. Mit der Lebenszyklus-Kostenrechnung kann somit ebenfalls ein Break-Even-Punkt (BEP) ermittelt werden. Da hier der zeitliche Anfall von Kosten und Erlösen berücksichtigt wird, ist eine bessere Risikoanalyse möglich. Exkurs: Total Cost of Ownership Aus Sicht des Kunden besteht der Lebenszyklus eines Produkts aus der Nutzungsphase und der Entsorgungsphase. Auch hier kann man eine umfassende Kostenbetrachtung im Sinne einer Total Cost of Ownership (TCO) vornehmen. Die wesentlichen Kostenkategorien sind hierbei: - Kaufpreis und Anschaffungsnebenkosten - Kosten für Betrieb und Wartung - Entsorgungskosten, ggf. aber auch Verwertungserlöse <?page no="199"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 199 Neue Betriebswirtschaft 4.9 Kalkulation besonderer Kostenträger Lernziele ! Welche Prozesse eignen sich für die Prozesskostenrechnung? ! Wie kann die Prozesskostenrechnung in die klassische Zuschlagskalkulation integriert werden? ! Welche Abweichungsarten werden bei der Earned Value-Analyse unterschieden? Während bei der klassischen Kalkulation (siehe Abschnitt 4.4) die zum Absatz vorgesehenen Sach- und Dienstleistungen im Fokus stehen, können auch andere Kostenträger kalkuliert werden. Die beiden wichtigsten Anwendungen sind hierbei die Prozesskostenrechnung und die Projektkostenrechnung. 4.9.1 Prozesskostenrechnung Die Prozesskostenrechnung (engl. Activity-based Costing) wurde etwa ab Ende der 1980er Jahre entwickelt und damit zu einer Zeit, als in der Betriebswirtschaftslehre im Allgemeinen die Prozesse und die Ablauforganisation stärker in den Fokus rückten. Unter einem Prozess kann dabei eine abgeschlossene Abfolge logisch zusammenhängender Aktivitäten verstanden werden, bei denen ein Start- und ein Endzeitpunkt, der Ressourceninput sowie der Output ermittelt werden können. Für die Prozesskostenrechnung eignen sich insb. relativ häufig durchgeführte Prozesse ohne große Variationen zwischen den einzelnen Prozessdurchführungen. In der klassischen Zuschlagskalkulation erfolgt die Verteilung der Gemeinkosten auf die Produkte mittels Zuschlagssätzen pro Endkostenstelle, und damit in einer aufbauorganisatorischen Logik. Bei der Prozesskostenrechnung stehen hingegen Prozesse, die über mehrere Kostenstellen hinweg ablaufen und damit eine ablauforganisatorische Logik im Vordergrund. Die Beteiligung einer einzelnen Kostenstelle an einem übergreifenden (Haupt-)Prozess wird als Teilprozess bezeichnet. In der Prozesskostenrechnung wird nun ein Prozesskostensatz ermittelt, der die Kosten für die einmalige Prozessdurchführung angibt. Zu diesem Zweck werden alle auf den Kostenstellen erfassten Kosten für die Durchführung der Teilprozesse addiert und durch die Anzahl der Durchführungen des Hauptprozesses geteilt. Die Prozesskostensätze können dann in das Kalkulationsschema der Zuschlagskalkulation (siehe Tabelle 4-3) integriert werden und ersetzen oder ergänzen (siehe beispielhaft Tabelle 4-6) dort die üblichen Zuschlagssätze. Je nachdem, wie viele Prozessdurchführungen ein Produkt verursacht, wird die Anzahl der Prozesskostensätze ausgelöst. Tabelle 4-6: Integration von Prozesskostensätzen in die Zuschlagskalkulation Kalkulationspositionen in klassischer Zuschlagskalkulation Kalkulationspositionen bei integrierter Prozesskostenrechnung Materialeinzelkosten Materialeinzelkosten + Materialgemeinkostenzuschlag + Materialprozesskostensatz + Rest-Materialgemeinkostenzuschlag = Materialkosten = Materialkosten <?page no="200"?> 200 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Exkurs: Time-driven Activity-based Costing Eine Weiterentwicklung der Prozesskostenrechnung bzw. des Activity-based Costing ist das Time-driven Activity-based Costing. Die Ermittlung der Prozesskostensätze beruht hierbei auf der Dauer der Prozessdurchführung, was gegenüber der Prozesskostenrechnung zahlreiche Vorteile mit sich bringt. 4.9.2 Projektkostenrechnung Die Aktivitäten eines Projekts sind im Gegensatz zu Routinetätigkeiten typischerweise durch Neuartigkeit und Einmaligkeit, hohe Komplexität und Ressourcenaufwand sowie durch eine längere Dauer gekennzeichnet. Aus diesem Grund findet vor Projektstart i.d.R. eine Projektplanung aus zeitlicher Sicht (Projektablaufplan) sowie aus struktureller und finanzieller Sicht (Projektstrukturplan) statt. Im Projektstrukturplan wird das Gesamtprojekt hierarchisch in Teilprojekte und Arbeitspakete heruntergebrochen, denen jeweils Plankosten zugeordnet werden. In Analogie zur Plankostenrechnung (siehe Abschnitt 4.7) können anschließend die tatsächlich angefallenen Istkosten mit den Planbzw. Sollkosten verglichen werden und eine Kostenabweichung (Cost Variance) sowie eine Zeitabweichung (Schedule Variance) ermittelt werden. Diese beiden Kennzahlen sind der Kern des umfassenden Kennzahlensystems der sog. Earned Value-Analyse. 4.10 Konkrete Entscheidungssituationen Lernziele ! Wie lassen sich entscheidungsrelevante und entscheidungsirrelevante Kosten unterscheiden? ! Was versteht man unter sunks costs? ! Welche Kosten sind bei den Handlungsalternativen der make or-buy-Entscheidung zu berücksichtigen? ! Welche Bedeutung hat die prognostizierte Produktionsmenge bei der Kostenvergleichsrechnung zur Produktionsverfahrenswahl? ! Inwiefern hängt das Vorteilhaftigkeitskriterium bei der Produktionsprogrammwahl von der konkreten Entscheidungssituation ab? ! Was versteht man unter dem relativen Deckungsbeitrag? ! Wie ermittelt sich die kurzfristige Preisuntergrenze? ! Was versteht man unter Opportunitätskosten? Die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung hat unter anderem auch den Zweck, Entscheidungsträger in Entscheidungssituationen mit Informationen zur Vorteilhaftigkeit der verschiedenen Handlungsalternativen zu versorgen. Im Folgenden werden entlang des Wertschöpfungsprozesses die wichtigsten dieser Entscheidungssituationen diskutiert und aufgezeigt, welches Instrumentarium die KEER hierfür anbietet: ! Einkauf/ Produktion: Entscheidung, ob ein Bauteil selbst gefertigt oder fremdbezogen werden soll (make or buy-Entscheidung). ! Produktion: Entscheidung, ob eine halb- oder eine vollautomatische Maschine angeschafft werden soll (Produktionsverfahrenswahl). <?page no="201"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 201 Neue Betriebswirtschaft ! Produktion/ Absatz: Entscheidung, welche Produkte priorisiert hergestellt werden sollen (Wahl des Produktionsprogramms). ! Produktion/ Absatz: Entscheidung, ob ein Zusatzauftrag angenommen werden soll. Die Analyse ist hierbei jeweils auf die Erfolgssphäre beschränkt, d.h. strategische, qualitative etc. Überlegungen bleiben bei den nachfolgenden Ausführungen außer Betracht. Bei der jeweiligen Entscheidung sind nur diejenigen Kosten (und Erlöse) zu berücksichtigen, die zur Fundierung der Entscheidung als relevant identifiziert werden können. Entscheidungsrelevant sind alle diejenigen Kostenpositionen, welche durch die konkrete Entscheidung verursacht werden, d.h. anfallen bzw. wegfallen. Entscheidungsirrelevant sind hingegen alle diejenigen Kostenpositionen, welche unabhängig von der konkreten Entscheidung anfallen. Dies ist der Fall, wenn ! die Kostenposition in keinem logischen Zusammenhang zur Entscheidung steht (z.B. Gehalt des Geschäftsführers bei einer make or buy-Entscheidung). ! die Kostenposition zwar in einem logischen Zusammenhang mit der Entscheidung steht, der Kostenanfall jedoch bereits durch eine vergangene Entscheidung determiniert wurde (z.B. zeitabhängige Abschreibung einer Fertigungsmaschine, für die das Produktionsprogramm bestimmt werden soll). Man spricht in diesem Fall von sunk costs (im Deutschen auch umgangssprachlich als „eh da-Kosten“ bezeichnet). Es ist offensichtlich, dass eine Kostenposition niemals per se entscheidungsrelevant bzw. entscheidungsirrelevant ist, sondern stets nur vor dem Hintergrund einer konkreten Entscheidungssituation. 4.10.1 Eigenfertigung oder Fremdbezug (make or buy) Die Handlungsalternativen bzgl. des Bauteils bestehen in der Herstellung im eigenen Unternehmen oder im Bezug von einem Lieferanten (bzw. von einem von mehreren möglichen Lieferanten). Es handelt sich bei einer make or buy-Entscheidung i.d.R. um eine langfristige Entscheidung, die nicht ohne weiteres widerrufen werden kann. Unter Erfolgsgesichtspunkten ist diejenige Handlungsalternative auszuwählen, welche für die prognostizierte Bedarfsmenge die niedrigsten Kosten verursacht. Zu den wesentlichen Kosten der beiden Handlungsalternativen zählen: ! Eigenfertigung: Die bekannten oder abzuschätzenden Herstellkosten, bestehend aus Material- und Fertigungskosten. Da es sich um eine langfristige Entscheidung handelt, sind hierbei sowohl variable als auch fixe Kostenbestandteile zu berücksichtigen. Sofern das Bauteil erst noch entwickelt werden müsste, so sind auch die einmaligen Entwicklungskosten zu berücksichtigen. ! Fremdbezug: Neben dem Einstandspreis sind auch alle Transaktionskosten der Lieferantenbeziehung zu berücksichtigen. Hierzu zählen z.B. die Kosten der Vertragsverhandlung, der Bestellabwicklung und des Transports, der Qualitätsprüfung und der Nachverhandlung bei Spezifikationsänderungen. 4.10.2 Produktionsverfahrenswahl Auch bei der Produktionsverfahrenswahl zwischen zwei (oder mehr) unterschiedlichen Maschinen handelt es sich i.d.R. um eine langfristige Entscheidung. Unter der Annahme, dass hinsichtlich Mengenoutput und Produktqualität identische Produkte gefertigt werden können, ist wiederum diejenige Handlungsalternative (im Beispiel halb- oder vollautomatische Maschine) auszuwählen, welche für die prognostizierte Produktionsmenge die geringeren Kosten verursacht. Es ist also eine Kostenvergleichsrechnung vorzunehmen, die zu den statischen Verfahren der Investitionsrechnung zählt. Oftmals werden sich die Handlungsalternativen hinsichtlich des Kostenverlaufs unterscheiden. Im gewählten Beispiel könnte dies bedeuten: <?page no="202"?> 202 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft ! Halbautomatische Maschine: Sie verursacht geringere Anschaffungskosten (fixe zeitabhängige Abschreibungen), hat jedoch im laufenden Betrieb höhere Kosten (insb. variable Fertigungslöhne). ! Vollautomatische Maschine: Sie verursacht höhere Anschaffungskosten (fixe zeitabhängige Abschreibungen), hat jedoch im laufenden Betrieb geringere Kosten (insb. variable Fertigungslöhne). Hieraus wird deutlich, dass die Vorteilhaftigkeit der beiden Handlungsalternativen von der prognostizierten Produktionsmenge abhängt (siehe Abb. 4-11). Abb. 4-11: Kostenvergleichsrechnung Exkurs: Gewinnvergleichsrechnung Es ist auch denkbar, dass sich die Handlungsalternativen halb- und vollautomatische Maschine hinsichtlich Mengenoutput und/ oder Produktqualität unterscheiden. In diesem Falle würden beide Handlungsalternativen unterschiedliche Umsatzerlöse generieren, die bei der Entscheidung berücksichtigt werden müssten. Die Kostenvergleichsrechnung wäre dann zu einer Gewinnvergleichsrechnung weiterzuentwickeln, die ebenfalls zu den statischen Verfahren der Investitionsrechnung zählt. 4.10.3 Wahl des Produktionsprogramms Bei der Wahl des Produktionsprogramms gehen wir von einer gegebenen, da kurzfristig nicht veränderlichen Maschinenkapazität sowie von aus vertrieblicher Sicht jeweils maximal absetzbaren Mengen der verschiedenen produzierbaren Produkte aus. Es gilt vor diesem Hintergrund zu entscheiden, welche der Produkte in welchen Mengen gefertigt werden sollen. Es handelt sich hierbei i.d.R. um eine kurzfristige, relativ leicht revidierbare Entscheidung. Da die Maschinen bereits vorhanden sind und ihre Kapazität kurzfristig nicht geändert werden kann, sind die fixen zeitabhängigen Abschreibungen nicht entscheidungsrelevant (sunk costs). Das Vorteilhaftigkeitskriterium bei der Wahl des Produktionsprogramms ist von der konkreten Situation abhängig: ! Kein Kapazitätsengpass: Alle Produkte sind zu fertigen, die einen positiven Deckungsbeitrag (siehe Abschnitt 4.6.3) pro Stück aufweisen. ! Ein Kapazitätsengpass und gleicher Kapazitätsbedarf pro Stück bei allen Produkten: Die Priorisierung der zu fertigenden Produkte entspricht der Höhe ihrer (positiven) Stück- Deckungsbeiträge. <?page no="203"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 203 ! Ein Kapazitätsengpass und unterschiedliche Kapazitätsbedarfe pro Stück bei den verschiedenen Produkten: Da die verschiedenen Produkte die limitierte Kapazität (z.B. gemessen als Maschinenlaufzeit in Stunden) nun unterschiedlich stark beanspruchen, ist nicht mehr der absolute Stück-Deckungsbeitrag als Vorteilhaftigkeitskriterium heranzuziehen, sondern der Stück- Deckungsbeitrag pro knapper Kapazitätseinheit. Dieser wird als relativer Deckungsbeitrag pro Stück bezeichnet. ! Mehrere Kapazitätsengpässe: Bei einer mehrstufigen Fertigung kann es vorkommen, dass bei mehreren unterschiedlichen Maschinen gleichzeitig ein Kapazitätsengpass auftritt. Der relative Stück-Deckungsbeitrag bleibt hierbei das Vorteilhaftigkeitskriterium, zur Lösung dieser Entscheidungssituation muss jedoch die lineare Programmierung genutzt werden. 4.10.4 Annahme von Zusatzaufträgen Unter einem Zusatzauftrag soll die Anfrage eines Kunden verstanden werden, kurzfristig und ungeplant eine bestimmte Menge eines Produkts abnehmen zu wollen. Häufig ist der Kunde hierbei nicht bereit, den Listenpreis zu bezahlen, sondern bietet einen Preis unterhalb des Listenpreises an. Es handelt sich erneut um eine kurzfristige Entscheidung, die vor dem Hintergrund gegebener Produktionskapazitäten zu beantworten ist, d.h. die zeitabhängigen Abschreibungen der Maschinen und ähnliche Kostenpositionen sind wiederum entscheidungsirrelevant. Die Handlungsalternativen bestehen darin, den Zusatzauftrag anzunehmen oder nicht (Unterlassensalternative). Auch bei dieser Entscheidungssituation sind verschiedene Fälle zu unterscheiden: ! Kein Kapazitätsengpass: Da genügend Produktionskapazität vorhanden ist, um den Zusatzauftrag zu fertigen, sollte der Zusatzauftrag dann angenommen werden, wenn er einen positiven Deckungsbeitrag aufweist. Die variablen Kosten stellen damit die kurzfristige Preisuntergrenze dar. ! Vorliegen eines Kapazitätsengpasses: Trotz eines bestehenden Kapazitätsengpasses könnte der Zusatzauftrag angenommen werden, wenn stattdessen auf die Fertigung einer entsprechenden Menge eines anderen Produkts verzichtet wird. Da mit diesem anderen Produkt jedoch annahmegemäß ebenfalls ein positiver Deckungsbeitrag erwirtschaftet wird, könnte dieser Deckungsbeitrag bei Annahme des Zusatzauftrags nicht mehr erwirtschaftet werden. Es handelt sich somit um Opportunitätskosten im Sinne eines entgehenden Nutzens. Das Vorteilhaftigkeitskriterium bleibt damit der Deckungsbeitrag des Zusatzauftrags, allerdings sind die Opportunitätskosten als Kostenposition mit zu berücksichtigen. <?page no="204"?> Neue Betriebswirtschaft Literatur zur Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung Der Zielsetzung dieses Beitrags entsprechend finden sich nachfolgend ausgewählte Literaturempfehlungen, die eine vertiefende Beschäftigung mit den einzelnen behandelten Themen ermöglichen. Zur historischen Entwicklung der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung: Brockhoff, Klaus: Betriebswirtschaftslehre in Wissenschaft und Geschichte, 5. Aufl. 2016 Schneider, Dieter: Entwicklungsschwerpunkte zur heutigen Kostenrechnung, in: Männel, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch Kostenrechnung, 1992, S. 87-96 Becker, Wolfgang: Entwicklungslinien der betriebswirtschaftlichen Kostenlehre, in: Kostenrechnungspraxis, Sonderheft 1/ 93, S. 5-18 Lehrbücher zur Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung: Kompakt: Becker, Wolfgang/ Holzmann, Robert: Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung, 2. Aufl. 2016 Klassischer Umfang: Jórasz, William: Kosten- und Leistungsrechnung, 5. Aufl. 2009 Ausführlich: Deimel, Klaus/ Erdmann, Georg/ Isemann, Rainer/ Müller, Stefan: Kostenrechnung, 2017 Mit besonderer Berücksichtigung der Verhaltensperspektive: Ewert, Ralf/ Wagenhofer, Alfred: Interne Unternehmensrechnung, 8. Aufl. 2014 Mit Abdeckung des externen Rechnungswesens: Eisele, Wolfgang/ Knobloch, Alois: Technik des betrieblichen Rechnungswesens, 9. Aufl. 2018 Zum anglo-amerikanischen Managerial Accounting: Zirkler, Bernd: Management Accounting in den USA, in: Becker, Wolfgang/ Ulrich, Patrick (Hrsg.): Handbuch Controlling, 2016, S. 567-582 Zur Harmonisierung des Rechnungswesens: Trapp, Rouven: Konvergenz des Rechnungswesens, in: Becker, Wolfgang/ Ulrich, Patrick (Hrsg.): Handbuch Controlling, 2016, S. 705-723 Zum Wertschöpfungsorientierten Controlling: Becker, Wolfgang/ Baltzer, Björn/ Ulrich, Patrick: Wertschöpfungsorientiertes Controlling, 2014. Zum Cost Benchmarking: Hoffjan, Andreas: Cost Benchmarking als Instrument des strategischen Kostenmanagements, in: Zeitschrift für Planung, 6. Jg. 1995, S. 155-166. Zum Target Costing: Becker, Wolfgang/ Ulrich, Patrick/ Güler, Hasan: Umsetzungsstand des Target Costing - Ergebnisse einer empirischen Erhebung, in: Controlling, 28. Jg. 2016, S. 136-143 Zur Erlösrechnung: Männel, Wolfgang: Bedeutung der Erlösrechnung für die Ergebnisrechnung, in: Männel, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch Kostenrechnung, 1992, S. 631-655 20 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich <?page no="205"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 205 Zur Relativen Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung: Riebel, Paul: Einzelerlös-, Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung als Kern einer ganzheitlichen Führungsrechnung, in: Männel, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch Kostenrechnung, 1992, S. 247-299 Zur Ergebnisanalyse in der Stufenweisen Fixkostendeckungsrechnung: Becker, Wolfgang/ Baltzer, Björn/ Ulrich, Patrick: Kennzahlenorientierte Erfolgsanalyse im Mehrproduktunternehmen, in: Das Wirtschaftsstudium, 40. Jg. 2011, S. 98-101. Zur Plankostenrechnung: Überblicksartikel: Pampel, Jochen/ Botzkowski, Tim: Plankostenrechnung in der Unternehmenspraxis, in: Becker, Wolfgang/ Ulrich, Patrick (Hrsg.): Handbuch Controlling, 2016, S. 385-408 Ausführliches Lehrbuch: Kilger, Wolfgang/ Pampel, Jochen/ Vikas, Kurt: Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung, 13. Aufl. 2012 Zum Business Plan: Pott, Oliver/ Pott, André: Entrepreneurship, 2. Aufl. 2015 Zur Break-Even-Analyse: Schweitzer, Marcell/ Trossmann, Ernst: Break-Even-Analysen, 2. Aufl. 1998 Zur Lebenszyklus-Kostenrechnung: Hoch, Gero/ Heupel, Thomas/ Kachel, Timo: Life-Cycle-Costing in der Unternehmenspraxis: Techniken - Strategische Bedeutung - Umsetzungsprobleme, in: Becker, Wolfgang/ Ulrich, Patrick (Hrsg.): Handbuch Controlling, 2016, S. 329-344 Zur Prozesskostenrechnung: Kunz, Christian/ Baltzer, Björn: Gemeinkosten in der Produktkalkulation - Vergleich von Zuschlagskalkulation und prozessorientierten Verfahren, in: Das Wirtschaftsstudium, 38. Jg. 2009, S. 701-704 Baltzer, Björn/ Zirkler, Bernd: Time-driven Activity-based Costing, 2007 Zur Projektkostenrechnung: Überblicksartikel: Becker, Wolfgang/ Kunz, Christian: Earned Value Methode, in: Die Betriebswirtschaft, 69. Jg. 2009, S. 419-422 Umfassendes Lehrbuch: Fiedler, Rudolf: Controlling von Projekten, 7. Aufl. 2016 Zur Investitionsrechnung: Galli, Albert: Grundlagen der Investitionsrechnung, 2017 <?page no="207"?> Neue Betriebswirtschaft 5 5 R Reecchhttlli icchheerr RRaahhmmeen n: RReecchht tssffoorrmmwwaahhl l uunndd SSEE Rebecca Popp Lernziele ! Sie sollen einige Kriterien kennenlernen, durch die die Rechtsformwahl bestimmt wird. ! Sie sollen einige privatrechtliche Gesellschaftsformen beschreiben können. ! Sie sollen wissen, welche Gründungsvoraussetzungen bei AG und SE vorliegen. ! Sie sollen wissen, worum es bei Diskussionen über die Mitbestimmung in Unternehmen geht und welche Vorschriften bei AG und SE vorliegen. ! Sie sollen einige Vor- und Nachteile der SE kennen. Rechtsformwahl 5.1.1 Kriterien bei der Rechtsformwahl Die Rechtsform regelt sowohl das Außenverhältnis mit Publikum und Lieferanten, als auch das Innenverhältnis zwischen Gesellschaftern, Anteilseignern und Mitarbeitern. Daher stellt die Rechtsform eine wesentliche Rahmenbedingung für die Handlungsfähigkeit der Unternehmen dar. Die Wahl der Rechtsform bedeutet eine essentielle unternehmerische Entscheidung - ist allerdings nicht unabänderlich und somit immer wieder zu überdenken (Schneidewind 2011, S. 210). Die Frage der Rechtswahl stellt sich unter anderem bei Gründung des Unternehmens, Neustrukturierung, Unternehmensnachfolge und weiteren Entscheidungssituationen (Schneidewind 2011, S. 211). Zu den wesentlichen Aspekten, die Entscheidungen der Rechtsformwahl beeinflussen, gehören: ! Haftung: Verpflichtung für Verbindlichkeiten und Schäden einzustehen. ! Finanzierungsmöglichkeiten: Möglichkeiten der Finanzierung durch Eigen- oder Fremdkapital durch die jeweilige Unternehmensform. ! Leitungsbefugnis: Geschäftsführungsbefugnis der Gesellschafter und Vertretungsbefugnis nach außen. Innenverhältnisse sind vertraglich abänderbar, während Vorschriften zum Außenverhältnis i.d.R. rechtlich zwingend vorgegeben sind. Bei der Frage der Leitungsbefugnisse ist außerdem zu beachten, ob die Befugnisse delegiert werden können. ! Gewinn- und Verlustverteilung: betreffen Entnahmerechte und Gewinnbeteiligungen. ! Rechnungslegung und Publizität: Welche Art der Rechnungslegung ist vorgesehen und unter welchen Umständen ist diese zu veröffentlichen? ! Steuerbelastung: Welche Steuerarten (Gewerbesteuer/ Körperschaftssteuer etc.) greifen? <?page no="208"?> 208 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft ! Rechtsformabhängige Kosten: Gründungskosten, sowie laufende Kosten, wie z.B. Honorare für den Aufsichtsrat, Kosten für Rechnungslegung und Publizierung ! Unternehmenskontinuität: Möglichkeit des Gesellschafterwechsels, Nachfolger. ! Firma: Wahl des Unternehmensnamens. ! Auch Kriterien wie Tradition, Branchenüblichkeiten oder Image der Rechtsform spielen eine Rolle (vgl. Schneidewind 2011, S. 211). 5.1.2 Wichtige privatrechtliche Gesellschaftsformen Rechtsgrundlage für privatrechtliche Rechtsformen stellt das Gesellschaftsrecht dar. Dieses wird allgemein definiert als „das Recht von privatrechtlichen Personenvereinigungen, die zur Erreichung eines bestimmten gemeinsamen Zwecks durch Rechtsgeschäft begründet werden“. Die Grundform der Gesellschaft i.e.S. bildet die BGB-Gesellschaft. Auf dieser Gesellschaftsform gründen handelsrechtliche Sonderformen wie OHG, KG, Stille Gesellschaft. All diese Gesellschaften haben keine eigene Rechtspersönlichkeit. Die Grundform der Gesellschaft i.w.S. bietet der eingetragene Verein (e.V.). Die darauf basierenden handelsrechtlichen Sonderformen sind AG, GmbH oder Genossenschaft. Diese Gesellschaften haben eine eigene Rechtspersönlichkeit. Es gibt keine einheitliche Vorschrift für das Gesellschaftsrecht, vielmehr müssen verschiedene Rechtsquellen herangezogen werden: BGB, HGB, AktG, GmbH-Gesetze etc. Dieses Fehlen eines einheitlichen Gesellschaftsrechts verleiht dem Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung eine große Bedeutung. Hier sollten die laufende Zusammenarbeit, sowie besondere Vorkommnisse, wie z.B. das Ausscheiden eines Gesellschafters klar geregelt sein (Schneidewind 2011, S. 218). Einzelunternehmer Ein Einzelunternehmer haftet unbeschränkt mit dem gesamten Vermögen, d.h. mit dem Betriebssowie Privatvermögen. Der Eigenunternehmer hat auf der anderen Seite die vollkommene Entscheidungsfreiheit. Die Gründung ist formlos und einfach, es gibt keine Erfordernisse bezüglich des Mindestkapitals oder der Publizitätspflichten. Wesentliche Grundlagen liefert das HGB (Schneidewind 2011, S. 218). Allerdings sind die Finanzierungsmöglichkeiten von Einzelunternehmern beschränkt. Einzelunternehmer unterliegen der Einkommenssteuer. Die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ist typischerweise auf einen überschaubaren Kreis miteinander vertrauter Gesellschafter ausgerichtet. Sie stellt den Zusammenschluss von Personen zu einem gemeinsamen Zweck auf einer vertraglichen Basis dar. Die Gesellschafter haften für Schulden der Gesellschaft unbeschränkt; diese Haftung lässt sich auch nicht durch eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag ausschließen. Die Gesellschafter können die Gläubiger nicht zunächst auf das Gesellschaftsvermögen verweisen, sondern stehen gesamtschuldnerisch für die Gesellschafterschulden ein. Gesamtschuldner: „Schuldner, die für eine Schuld in der Weise haften, dass jeder von ihnen die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist. Der Gläubiger kann die Leistung nach Belieben von jedem Schuldner ganz oder z.T. fordern (§ 421 BGB). Im Verhältnis untereinander sind die Gesamtschuldner zu gleichen Anteilen verpflichtet (§ 426 BGB). Verpflichten sich mehrere zu einer teilbaren Leis- <?page no="209"?> 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE 209 Neue Betriebswirtschaft tung, so haften sie im Zweifel als Gesamtschuldner (§ 427 BGB). Auch die persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft haften als Gesamtschuldner (§ 128 HGB).“ (Gabler Wirtschaftslexikon). Jeder kann eine GbR gründen, wenn er mindestens einen Partner findet. Für die Gründung einer GbR reicht ein formfreier Vertrag, wobei aber ein schriftlicher Vertrag empfehlenswert ist (vgl. Schneidewind 2011, S. 220). Zudem ist kein Mindestkapital als Gesellschaftskapital vorgeschrieben. Mit Erreichen des Gesellschaftszwecks endet die Gesellschaft (vgl. Schneidewind 2011, S. 221). Es gibt einen großen Spielraum bei der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags einer GbR. Wesentliche Fragen sind: ! Unter welchen Voraussetzungen dürfen Gründer aussteigen und Dritte sich beteiligen? ! Verfassung, Kompetenzordnung: wer führt die Geschäfte und welche Mitspracherechte haben die anderen Gesellschafter? ! Besondere Gewichtung der Beteiligungen: Welchen Betrag bringt jeder Gesellschafter ein? sollen Gesellschafter besondere Stimmrechte erhalten? Wie soll der Gewinn und Verlust verteilt werden? Sind besondere Haftungsfreistellungsregelungen erforderlich? Offene Handelsgesellschaft (OHG) Bei der offenen Handelsgesellschaft (OHG) handelt es sich um den Zusammenschluss von unbeschränkt haftenden Personen, deren Zweck allerdings auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinsamer Firma ausgerichtet ist. Die Gesellschafter der OHG haften unbeschränkt, unmittelbar und gesamtschuldnerisch für die Gesellschaftsschulden mit ihrem gesamten Privatvermögen. In der Gesellschafsvereinbarung können die Rechte zur Geschäftsführung, sowie die Gewinn- und Verlustbeteiligung geregelt werden. Werden keine besonderen Vereinbarungen getroffen, so sind alle Gesellschafter zur Geschäftsführung berechtigt und die Gesellschafter werden in Höhe von 4 Prozent der jeweiligen Kapitalanlage beteiligt. Die Aufnahme neuer Gesellschafter kann die Eigenkapitalbasis erhöhen. Das Ausscheiden eines Gesellschafters erfolgt entweder auf Zustimmung aller Gesellschafter oder durch einseitige Kündigung mit einer Frist von 6 Monaten zum Ende des Geschäftsjahres. Kommanditgesellschaft (KG) Die Kommanditgesellschaft unterscheidet sich von der OHG durch die Unterscheidung zwischen zwei Arten von Gesellschaftern: ! Komplementär: Person die mit dem gesamten Privatvermögen unbeschränkt, unmittelbar und gesamtschuldnerisch für die Gesellschaftsschulden haftet ! Kommanditist: Person, deren Haftung auf eine im Handelsregister festgeschriebene Kapitaleinlage beschränkt ist. Der Kommanditist hat grundsätzlich keine Befugnis zur Geschäftsführung und Vertretung. Die Gesellschaftsgewinne werden durch eine 4%-ige Verzinsung der getätigten Kapitaleinlagen verteilt. Die Verteilung der verbleibenden Gewinne berücksichtigt das erhöhte Risiko der Vollhafter. Der eingetragene Verein (e.V.) Grundsätzlich muss man zwischen einem rechtsfähigen und einem nicht-rechtsfähigen Verein unterscheiden. Rechtsfähigkeit erlangt der Verein durch die Eintragung ins Vereinsregister. Beim nichtrechtsfähigen Verein haften die für den Verein Handelnden persönlich. Der Zweck eines Vereines darf nicht wirtschaftlich sein. Wirtschaftliche Vereine erlangen ihre Rechtsfähigkeit nicht durch einen Registereintrag, sondern benötigen staatliche Genehmigungen. <?page no="210"?> 210 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Zur Gründung eines Vereins sind mindestens sieben Gründer erforderlich, die die Satzung unterschreiben. In einer ersten Vollversammlung wird die Satzung beschlossen und die erforderlichen Organe werden gewählt. Diese bestehen aus der Mitgliedervollversammlung und dem Vorstand. Der Vorstand vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich und ist für die Geschäftsführung verantwortlich. Rechtsgrundlage für den Verein bietet das BGB. Die Satzung muss folgende Pflichtinhalte umfassen: Vereinszweck, Vereinsname, Vereinssitz, Ein- und Ausstritt von Mitgliedern, Vereinsbeiträge, Zusammensetzung des Vorstandes, Bestimmungen zur Mitgliederversammlung (vgl. Schneidewind, S. 220). Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Die Gesellschaft mit beschränkter Hafung (GmbH) kann für jeden gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden. Für die Verbindlichkeiten gegenüber Gläubigern haftet bei der GmbH nur das Gesellschaftsvermögen. Die GmbH kann von einer oder mehreren natürlichen oder juristischen Personen gegründet werden. Die GmbH wurde ursprünglich als Rechtsform für kleine oder mittlere Unternehmen gegründet. Die obligatorischen Organe der GmbH sind die Geschäftsführung und die Gesellschafterversammlung. Fakultativ gibt es noch einen Aufsichtsrat. Die Geschäftsführung vertritt die Gesellschaft. Die Gesellschafterversammlung ist Willensbildungs- und Kontrollorgan der GmbH. Der fakultative Aufsichtsrat übernimmt eine Überwachungs- und Beratungsfunktion. Gesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern müssen einen Aufsichtsrat haben. Der Gesellschaftsvertrag umfasst folgende Pflichtinhalte: Firma und Sitz der Gesellschaft, Gegenstand der Unternehmung, Stammkapital, Stammeinlage, Gesellschafterversammlung, Geschäftsführung, Aufsichtsrat, Rechnungswesen, Geschäftsjahr. Die Einflussmöglichkeiten der Kapitalgeber und der Grad der Flexibilität sind im Gesellschaftsvertrag sehr individuell regelbar (vgl. Schneidewind 2011, S. 225). Die Mini GmbH - Unternehmergesellschaft (Haftungsbeschränkt) UG Das Mindestkapital der Minigesellschaft beträgt einen Euro. Eine Anmeldung im Handelsregister ist erst möglich, wenn das Stammkapital in voller Höhe eingezahlt wurde. Die Mini GmbH verfügt über eine eigene Rechtspersönlichkeit und die Haftung ist beschränkt. Im Rechtsverkehr muss sie mit dem Zusatz „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ firmieren. Aus den erwirtschafteten Gewinnen muss jährlich ein Viertel zurückgelegt werden, solange bis 25.000 EUR erreicht sind. Zu diesem Zeitpunkt kann die Mini GmbH in eine normale GmbH umgewandelt werden. Die Kosten für die notarielle Beglaubigung des Gesellschaftervertrages und die Eintragung in das Handelsregister richten sich nach dem Stammkapital und sind damit häufig vernachlässigbar (vgl. Schneidewind 2011, S. 225). Importmodell Limited Auch wenn Sitz und Verwaltung des Unternehmens in Deutschland liegen, können Unternehmen die Rechtsform aus anderen EU-Ländern wählen. Die am häufigsten gewählte ausländische Rechtsform ist die aus Großbritannien stammende Private Company Limited by Shares (Limited/ Ltd.) (vgl. Schneidewind, S. 226). Dies ist eine Kapitalgesellschaft auf Aktienbasis ohne Mindestkapital, wobei die Gesellschafter Haftungsschutz genießen wie bei der deutschen GmbH. Wie bei der GmbH haftet der Geschäftsführer für Gesetzesverstöße oder die Abführung von Steuern und Sozialversicherung persönlich. Eine Limited kann unabhängig von Staatsangehörigkeit und Wohnsitz gegründet werden. Eine Mindestzahl von Gesellschaftern/ Shareholdern ist nicht vorgeschrieben. Die Geschäfte führt der Geschäftsführer - der Director. Wenn die Ltd. von mehreren Directors geführt wird, spricht man von einem Board of Directors. Es kann ein Chairmann als Vorsitzender, sowie ein Managing Director benannt werden. Außerdem braucht die Ltd. einen Company Secretary, der vor allem für die korrekte Einhaltung der Formalien sorgt. Die Gründung erfolgt durch einen schriftlichen Gründungsvertrag. Die Namenswahl ist frei, wobei der Name den Zusatz Ltd. beinhalten muss. Die Eintragung hat in Großbritannien und Deutsch- <?page no="211"?> 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE 211 Neue Betriebswirtschaft land zu erfolgen. Der oder die Directors und der Company Secretary müssen benannt werden und ein Registered Office in Großbritannien eingerichtet werden. An diese Zustelladresse des Unternehmens gehen offizielle Schreiben. Der große Vorteil der Limited liegt im geringen Kapitaleinsatz. Auch ist die internationale Bekanntheit der Limited im internationalen Handel größer als die einer deutschen GmbH. Für Finanzierungsfragen ist die Rechtsform der Limited in Deutschland allerdings eher ungünstig. Auch der Verwaltungsaufwand wird durch die Doppelung in Deutschland und Großbritannien erhöht, da z.B. der Jahresabschluss in beiden Ländern eingereicht werden muss. SE, Aktiengesellschaft und Börse Die Societas Europaea (SE) hat einen langen Weg hinter sich, bevor sie im Oktober 2004 endlich in Kraft trat. Schon 1966 wurde eine Sachverständigengruppe beauftragt, einen Entwurf des Statuts für eine Europäische AG vorzulegen. Doch nationale Interessen legten der Sachverständigengruppe Steine in den Weg, da befürchtet wurde, dass die nationalen Gesellschaftsformen durch die Europäische AG gefährdet sein könnten. Einen wesentlichen Konfliktpunkt stellten dabei die national geltenden Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer dar. Seit der Umsetzung der entsprechenden Verordnung zur SE am 08.10.2004 (vgl. Art. 70 SE-VO und Art. 14 (1) SE-RL), steht die SE multinational agierenden europäischen Unternehmen als Gesellschaftsform zur Verfügung. Die folgenden Ziele standen bei der Schaffung dieser Gesellschaftsform im Vordergrund: ! Z.T. sehr komplexe Konzernstrukturen, mit nationalen Tochtergesellschaften gegründet nach dem Recht des jeweiligen Landes, sollten vereinfacht werden ! Die Möglichkeit einer Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedsstaat, ohne das bestehende Unternehmen auflösen zu müssen, sollte gewährleistet werden ! Die Wahlmöglichkeit zwischen einem dualistischen und monistischen Verwaltungssystem sollte geschaffen werden ! Die Gründung von Unternehmen im europäischen Raum sollte erleichtert werden 5.2.1 Gesetzliche Grundlagen Die Rechtsverhältnisse der SE werden durch das europäische Verordnungsrecht, sowie mitgliedsstaatliches Recht geregelt. Die SE-VO bietet ein europaweites Rahmenwerk für SE-Unternehmen. Dadurch existiert mit der SE eine supranationale Gesellschaftsform, mit gemeinschaftsrechtlichen Regelungen, die in allen Mitgliedsstaaten gleichermaßen gültig sind. Insbesondere für multinationale Unternehmen erscheint dies attraktiv, da Kosten und Aufwand verringert werden können, wenn nur mit einer einzigen Rechtsform europaweit agiert werden kann. Außerdem wird durch die vereinheitlichte Regelung der SE die Sitzverlegung in den Mitgliedsstaaten vereinfacht. 5.2.2 Gründung der SE Die Stammkapitaleinlage für die Gründung einer SE ist relativ hoch und beträgt nach Art. 4 Abs. 2 SE-VO mindestens 120.000 EUR. Bei der AG sind im Vergleich 50.000 EUR Stammkapital notwendig. Außerdem muss das Unternehmen das Kriterium der Mehrstaatlichkeit erfüllen, um die Rechtsform SE annehmen zu können. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie eine SE entstehen kann: ! Durch Verschmelzung: es fusionieren verschiedene AGs, die unter dem Recht eines Mitgliedsstaates gegründet wurden und ihren Sitz und ihre Hauptverwaltung innerhalb der EU haben, zu einer SE. Voraussetzung hierfür ist, dass das Mehrstaatlichkeitsprinzip erfüllt ist. Mehrstaatlichkeitsprinzip: mindestens zwei Unternehmen unterliegen dem Recht verschiedener Mitgliedsstaaten <?page no="212"?> 212 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Es gibt noch zwei weitere Formen der Verschmelzung: Verschmelzung durch Aufnahme und durch Neugründung. Bei einer Verschmelzung durch Aufnahme geht das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaften auf die aufnehmende Gesellschaft über, die gleichzeitig die Rechtform einer SE annimmt. Die übertragenden Gesellschaften erlöschen. Bei der Verschmelzung durch Neugründung übertragen die Gründungsgesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf die neu entstehende SE und erlöschen ohne Liquidation. ! Gründung einer Holding-SE: Auch GmbHs können eine Holding-SE gründen. Dabei müssen lediglich zwei der beteiligten Unternehmen seit zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedsstaats unterliegende Tochtergesellschaft oder eine Zweitniederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat haben. Die Gründung wird dadurch vollzogen, dass die Anteilseigner ihre Anteile in die Holding einbringen und dafür im Austausch Aktien der neugegründeten SE erhalten. Voraussetzung für die Gründung ist, dass die in die Holding eingebrachten Gesellschaftsanteile mindestens 50 Prozent der Stimmrechte vermitteln. Die Gesellschaften, die die Gründung angestrebt haben, bleiben bei der Gründung der Holding-SE in ihrer ursprünglichen Form erhalten und bestehen unter dem Konzerndach der SE als abhängige Gesellschaften fort. ! Gründung einer Tochter-SE: auch Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts können eine Tochter-SE gründen. Auch SEs können Tochter-SEs gründen (so genannte sekundäre SE-Gründung). Zur Erfüllung der Mehrstaatlichkeit müssen mindestens zwei Gründer entweder dem Recht verschiedener Mitgliedsstaaten unterliegen und seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat haben. ! Umwandlung in eine SE: jede AG mit einer Tochtergesellschaft, die seit zwei Jahren dem Recht eines anderen Mitgliedsstaates unterliegt, kann in eine SE umgewandelt werden. Dabei bleibt die bisherige Rechtspersönlichkeit erhalten. Abbildung 5-1: Umwandlung in eine SE ! Gründung einer Tochter-SE durch eine bereits bestehende SE: Eine SE kann selbst eine oder mehrere Tochtergesellschaften in Form einer SE gründen. Dabei handelt es sich um eine Einmanngründung. Die Erfüllung des Mehrstaatlichkeitsprinzips wird unterstellt, da sie für die Gründung der SE notwendig war. Die Hürden für die Gründung einer SE liegen also insgesamt höher als für andere Unternehmensformen. Zum einen muss mehr Stammkapital eingebracht werden, zum anderen muss auch dem Prinzip der Mehrstaatlichkeit genüge getan werden. D.h. insgesamt können die Voraussetzungen eher von großen Unternehmen mit internationaler Erfahrung erfüllt werden. 5.2.3 Organisationsform Die SE verfügt über eine Hauptversammlung als Forum der Anteilseigner und eine Verwaltung. Dabei gibt es bezüglich der Verwaltung zwei Alternativen: Entweder wird die Leitung und Kontrolle einem Aufsichtsorgan und einem Leitungsorgan (dualistisches System) oder nur von einem Verwaltungsorgan (monistisches System) übertragen. Diese Besonderheit kommt dadurch zu Stande, dass <?page no="213"?> 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE 213 Neue Betriebswirtschaft in manchen Mitgliedsstaaten teilweise das dualistische, teilweise das monistische System vorherrscht oder beide Möglichkeiten angeboten werden (vgl. Sokolowski 2005, S. 32). Beim dualistischen System wird Geschäftsführung und Überwachung getrennt. Dieses System entspricht auch dem gesellschaftsrechtlichen System mit Vorstand und Aufsichtsrat in Deutschland. Auch in Österreich, Dänemark, Finnland, Schweden und in den Niederlanden existiert ein rein dualistisches System. Die Mitglieder des Leitungsorgans werden vom Aufsichtsorgan bestellt und führen die Geschäft in eigener Verantwortung. Aufgaben des Aufsichtsorgans, das von der Hauptversammlung bestellt wird, sind die Überwachung des Leitungsorgans, die Teilnahme an der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und die Auswahl des Führungspersonals. Nach dem Inkompatibilitätsgebot darf niemand gleichzeitig Mitglied beider Organe sein. Bei der monistischen Verwaltung hat die Gesellschaft nur ein Organ, das die Geschäftsführungskompetenz des Leitungsorgans und die Kontrollfunktion des Aufsichtsorgans vereint. Das monistische System findet sich in Großbritannien, der Schweiz, Spanien und Portugal wieder. Die Mitglieder des Verwaltungsorgans werden von der Hauptversammlung bestellt und führen die Geschäfte der SE. Allerdings können die laufenden Geschäfte einem oder mehreren Geschäftsführern in eigener Verantwortung übertragen werden. In diesem Fall ist zwischen laufender Geschäftsführung und Unternehmensleitung, die in die Zuständigkeit des ganzen Verwaltungsorgans fällt, zu unterschieden. Den übrigen Mitgliedern des Verwaltungsorgans obliegt die Überwachung der geschäftsführenden Mitglieder und sie sind nur an außergewöhnlichen Geschäften direkt zu beteiligen (vgl. Lambach 2004, S. 208). Über die Bestellung von Verwaltungsratsmitgliedern zu geschäftsführenden Direktoren können dieselben Personen Aufgaben und Befugnisse beider Organe innehaben, womit eine Struktur geschaffen werden kann, die dem amerikanischen Boardsystem gleicht (vgl. Eder, C. S. 545). Die Hauptversammlung ist die Versammlung der Eigentümer der SE. Die Aktionäre nehmen ihre Rechte durch dieses Organ wahr, dessen Aufgabe es ist, grundlegende Entscheidungen im Hinblick auf die Gesellschaft zu treffen, sowie dem Informationsaustausch zwischen Unternehmensführung und Aktionären Rechnung zu tragen. Die Hauptversammlung muss einmal im Jahr zusammentreten und kann jederzeit zusätzlich einberufen werden. Unabhängig davon, ob das dualistische oder das monistische System gewählt wird, gelten für die Hauptversammlung dieselben Regeln. Dabei verweist die SE-VO aber im Wesentlichen auf das nationale Recht des jeweiligen Sitzstaats (vgl. Jannott/ Frodermann 2005, S. 41; vgl. Brandt 2004, S. 66). 5.2.4 Mitbestimmung in der SE Die SE kann zwar prinzipiell mitbestimmungsfrei gegründet werden, entsteht die SE allerdings durch Umwandlung, muss das Thema mit den Arbeitnehmern verhandelt werden. Scheitern die Gespräche, darf niemand schlechter gestellt werden als vor der Umwandlung. D.h. falls schon zuvor paritätische Besetzung im Aufsichtsrat bestand, dürfen die Arbeitnehmer weiterhin die Hälfte der Sitze in Anspruch nehmen. Beteiligung der Arbeitnehmer wird dabei als jedes Verfahren - einschließlich Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung verstanden, durch das die Vertreter der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft Einfluss nehmen können. Mit Mitbestimmung ist die Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Angelegenheiten der Gesellschaft durch das Recht, Mitglieder des Aufsicht- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu bestimmen gemeint. Allerdings bietet die Form der SE den Unternehmen mehr Spielraum. Selbst Konzerne mit mehr als 20.000 Mitarbeitern können die üblichen 20 Mitglieder auf 6 reduzieren. 5.2.5 Einsatzmöglichkeiten in der Praxis In der Praxis gibt es drei Bereiche, in denen die SE-Gründung besonders häufig angewandt wird: ! bei grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen <?page no="214"?> 214 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft ! bei Reorganisationen im europäischen Konzern ! bei Reorganisation eines Unternehmens aus einem Drittstaat Grenzüberschreitende Unternehmensverbindungen Vor der Schaffung der SE mussten grenzüberschreitende Fusionen von mehreren Unternehmen durch Anteilsaustausch der Gesellschafter erfolgen. Dazu musste entweder eine gemeinsame Obergesellschaft nationalen Rechts gegründet werden. In dieses Unternehmen konnten jedoch nur Unternehmen aus demselben Mitgliedsstaat verschmolzen werden und die anderen Unternehmen mussten zu Tochtergesellschaften der gemeinsamen Obergesellschaft werden. Die andere Möglichkeit war, dass eines der Unternehmen zur Obergesellschaft wurde, während die anderen Unternehmen zu Tochtergesellschaften umgewandelt wurden (vgl. Ruhwinkel 2004, S. 45-46). Die SE-VO gibt die Möglichkeit, dass sich mehrere Unternehmen grenzüberschreitend vollständig rechtlich und wirtschaftlich zusammenschließen. Der Vorteil liegt neben der vereinfachten Transaktionsstruktur in der Gleichberechtigung der Gesellschaften in organisatorischer und struktureller Hinsicht (vgl. Götz 2004, S. 153). Bei einem Zusammenschluss von Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedsstaaten, die selbständige Rechtsträger bleiben wollen, bietet sich zudem die Errichtung einer Holding-SE an. Vorteilhaft ist hierbei wiederum die Gleichberechtigung der Gründungsgesellschaften (vgl. Kallmeyer 2003, S. 23). Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedsstaaten, die eine längerfristige Zusammenarbeit im operativen Bereich planen, können ihre Aktivitäten diesbezüglich in einem Joint Venture oder in einer Tochtergesellschaft bündeln (vgl. Jannott/ Frodermann 2005, S. 4). Reorganisation im Europäischen Konzern Bei grenzüberschreitenden Akquisitionen erlaubt es die SE-VO, dass sich die erwerbende und die übernommene Gesellschaft zu einer SE verschmelzen (up-stream-merger) (vgl. Kallmeyer 2003, S. 201). Um die Konzernstruktur zu vereinheitlichen kann eine AG nationalen Rechts in eine SE umgewandelt werden (vgl. Götz 2004, S. 158) (re-engineering). Bestehen mehrere wirtschaftlich verbundene, aber rechtlich selbständige Tochtergesellschaften in der EU, ermöglicht die SE die Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften zumindest in den Kernpunkten durch z.B. durch Umwandlung in eine Mutter-SE, sowie in verschiedene Sparten- und Tochter-SEs (Subsidiary-SE) (vgl. Wenz 2003, 193). Reorganisation eines Unternehmens aus einem Drittstaat Die SE ermöglicht die Reorganisation der Konzernunternehmen mit einer Muttergesellschaft in einem Drittstaat durch die Zwischenschaltung einer europäischen Holdinggesellschaft. 5.2.6 Vorteile der SE Die SE kann auf dem gesamten Gebiet der EU gegründet werden und es besteht keine Notwendigkeit verschiedene Gesellschaften in den verschiedenen Mitgliedsstaaten zu gründen. Europäische Kapitalgesellschaften können dadurch künftig mit nur einer einzigen Gesellschaft, anstelle von einer komplizierten Konzernstruktur mit einem Netz von Holding- und Tochtergesellschaften operieren. Dadurch wird die Effizienz erhöht und die Kosten gesenkt, da die Anzahl der Managementebenen sich reduzieren lässt (Thoma 2002, die Europäische Aktiengesellschaft, NJW 2002, S. 1449, Monti 1997, S. 607). Da die Konzerngröße deutscher Unternehmen überdurchschnittlich groß ist, kann insbesondere der Wirtschaftsstandort Deutschland von der Möglichkeit die Konzernstruktur zu vereinfachen profitieren. <?page no="215"?> 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE 215 Neue Betriebswirtschaft Auch grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen werden erleichtert, was wiederum optimal für Gesellschaften ist, die in verschiedenen Mitgliedsstaaten tätig sind. Die SE ist die einzige Gesellschaftsform, die es erlaubt, im Fall einer transnationalen Verschmelzung als eine Gesellschaft mit rechtlich unselbständigen Niederlassungen zu handeln. Gewinne können leichter eingezogen und Ressourcen somit besser eingesetzt werden, als dies z.B. umständliche Ausschüttungsverfahren von Tochtergesellschaften erlauben würden. Für den deutschen Mittelstand ist insbesondere die Bündelung europäischer Produktions- und Vertriebsgesellschaften durch die SE interessant. Auch eine identitätswahrende grenzüberschreitende Sitzverlegung wird durch die SE erstmalig gesellschaftsrechtlich ermöglicht (vgl. Grundmann 2003, S. 47). Die Sitzverlegung in einen anderen europäischen Mitgliedsstaat hat weder die Auflösung der Gesellschaft noch die Gründung einer neuen juristischen Person zur Folge. Neben der SE-VO gelten alleinig die Rechtsvorschriften des neuen Sitzstaates für die Gesellschaft (vgl. Lange 2003, S. 301). Gerade große und wirtschaftlich bedeutende Aktiengesellschaften können dadurch politische Macht gewinnen, wenn sie den Druck durch Drohung der Verlagerung von Arbeitsplätzen und Steuerzahlungen auf die Gesetzgebung ausüben, um unternehmensfreundlichere Rahmenbedingungen zu erwirken. Allerdings kann man aus deutscher Sicht diesen Punkt auch auf der Nachteilsseite der SE vermerken, da sich zeigt, dass insbesondere kleinere EU-Staaten in der Lage sind, attraktivere Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies könnte zu einem Wegzug von Unternehmen ins Ausland führen und somit den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächen. Um dem entgegenzuwirken ist in der SE-VO geregelt, dass der satzungsmäßige Sitz einer SE immer in dem Mitgliedsstaat liegen muss, in dem auch die Hauptverwaltung ist. Bei der Schaffung dieser Regelung wurde davon ausgegangen, dass die Verlegung der Hauptverwaltung so kostspielig und aufwändig ist, dass sie von Unternehmen selten vorgenommen wird (Lange 2003, S. 302). Der Zusatz SE im Namen könnte als Teil der Marke definiert werden und den Unterschied zwischen europäischen und amerikanischen bzw. asiatischen Unternehmen hervorheben (vgl. Buchheim R. 2001, S. 242ff.). Das europäische Image der SE könnte zur Überwindung psychologischer Schranken im Management und bei Mitarbeitern sowie bei externen Stakeholdern (Kunden, Investoren, Kreditgebern, Lieferanten und öffentlichen Stellen) beitragen. Unternehmensintern dient dieses europäische Image zur Bildung einer europäischen Unternehmenskultur (corporate identity) und nach außen wird ein rechtsformspezifisches, europäisches Goodwill geschaffen (vgl. Kallmeyer 2003, S. 21). Ein weiterer Vorteil, den die SE für Unternehmen z.B. im Vergleich zur AG bietet, ist die Wahlmöglichkeit zwischen dualistischer und monistischer Organisationsverfassung. Deutsche Unternehmen, die als SE agieren, können zwischen einer Verfassung mit Vorstand und Aufsichtsrat und dem anglo-amerikanischen Boardsystem entscheiden (Lange O. 2003, S. 301). Der Vorteil beim monistischen System liegt in der vereinfachten Entscheidungsfindung. Denn wenn es nur ein Gremium gibt, müssen auch die Unterschriften nur vom Verwaltungsrat als Leitungsgremium eingeholt werden. Auch die Vergütung des Aufsichtsratsvorsitzenden wird gespart. Die Wahlmöglichkeit zwischen monistischem und dualistischem System bietet die Möglichkeit eines Wettbewerbs der Systeme in der EU (vgl. Wenz 2003, S. 187). Auch bietet die SE die Möglichkeit die Größe des Aufsichtsrats festzulegen. Die Europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland überlässt den Eigentümern mehr Flexibilität bezüglich der Verwaltungsorganisation, was wiederum den Zuzug ausländischer SEs nach Deutschland fördern könnte. So könnten z.B. nicht mitbestimmte Europäische Aktiengesellschaften vollständig auf die Implementierung von Aufsichtspersonen verzichten, während mitbestimmte Gesellschaften die Arbeitnehmervertreter sogar mit der Geschäftsführung betrauen könnten, um die Akzeptanz von Entscheidungen in der Belegschaft zu erhöhen (vgl. Lange O. 2003, S. 301). <?page no="216"?> 216 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft 5.2.7 Nachteile der SE Ein wesentlicher Nachteil der SE sind die hohen Anforderungen bei der Gründung. So muss ein Gründungskapital von 120.000 EUR aufgebracht werden. Dies führt dazu, dass insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen die SE als Rechtsform nicht in Frage kommt (vgl. Gutsche 1994, S. 237-239). Kritisiert wird an der SE auch, dass im Statut in wesentlichen Teilen auf das nationale Recht der Mitgliedsstaaten verwiesen wird. Die SE bringt die Gefahr eines so genannten „jurisdictionshopping“ mit sich, denn letztendlich gibt es nicht nur eine SE, sondern 28 nationale Formen der SE in Europa (vgl. Manz u.a. 2005, S. 28). Zudem bleiben die nationalen Gerichte für gesellschaftliche Streitfragen der SE zuständig. Insbesondere in Deutschland gibt es komplizierte Steuer-und Gesellschaftsregelungen. Dies kann Unternehmen dazu bewegen, sich den EU-Mitgliedsstaat auszusuchen, der durch die gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Gesetze die besten Bedingungen bietet (Thoma 2002, S. 1449). Dadurch lässt sich bezweifeln, ob es sich bei der SE letztendlich - wie eigentlich bezweckt - um eine einheitliche Rechtsform handelt (vgl. Hirte 2002, S. 2). Außerdem führt die Verflechtung von europäischem und nationalem Recht zu Rechtsunsicherheit, was wiederum die Transaktionskosten erhöht (vgl. Bartone/ Klapdor 2005, S. 10). Die Regelung bezüglich der Arbeitnehmermitbestimmung stellt einen weiteren Nachteil für den Standort Deutschland dar. Denn selbst durch Verhandlung zwischen Arbeitsnehmern und Vorstand kann bei Umwandlung einer AG in eine SE das Niveau der Arbeitnehmerbeteiligung nicht verringert werden. Auf der anderen Seite können die Arbeitnehmer der umzuwandelnden AG die Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung durch Verhandlung erreichen. Fusionspartner aus anderen europäischen Mitgliedsländern könnten allerdings davor zurückschrecken, sich die deutsche Mitbestimmung aufzuerlegen. Die Investoren könnten es als eine Art der Enteignung ansehen, wenn die Parität sich nicht nur auf das Überwachungsorgan, sondern auch auf das Geschäftsführungsorgan bezieht, das mit der unternehmerischen Geschäftsleitung betraut ist. Dadurch könnten insbesondere deutsche Kapitalgesellschaften, die der (fast) paritätischen Mitbestimmung unterliegen, einen Wettbewerbsnachteil erleiden, weil sie nicht als potenzielle Transaktionspartner einer SE attraktiv sind (vgl. Horn 2005, S. 152). Die Richtlinie vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedsstaaten bietet eine Alternative zur SE, da sie Fusionen zwischen Kapitalgesellschaften verschiedener Mitgliedsstaaten erleichtert. Diese Richtlinie ist besonders für kleine und mittlere Unternehmen interessant, die in mehr als einem Mitgliedsstaat, jedoch nicht europaweit agieren wollen und daher eher vor der aufwändigen Gründung einer SE zurückschrecken (vgl. http: / / europa. eu.int/ comm/ internal_market/ company/ mergers/ indes_de.htm). Empfohlene Literatur Popp, R. (2017): Societas Europae (SE), Aktiengesellschaft und Börse im Rahmen der Finanzierung internationaler Unternehmen. In: Brem, A., Reinhard H., Schmeisser, W. (Hg.): Internationale Betriebswirtschaft. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Konstanz: UVK, S. 175-195. Schneidewind, P. (2011): Die Rechtsform. In: Klein, Armin (Hrsg.) (2011): Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis, München, 3. Aufl., S. 210-233., S. 2010. <?page no="217"?> 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE 217 Neue Betriebswirtschaft LLiitte erraattuurr Bartone, R., Klapdor, R. (2005): die Europäische Aktiengesellschaft. Recht, Steuer und Betriebswirtschaft. Berlin: Erich Schmidt. In: Klein, A. (Hrsg.) (2005): Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis, München, Vahlen. Baums, Th.; Cahn, A. (Hg.) (2004): Die Europäische Aktiengesellschaft - Umsetzungsfragen und Perspektiven. Berlin: De Gruyter Recht. Bösl, K. (2004): Praxis des Börsengangs - ein Leitfaden für mittelständische Unternehmen. Wiesbaden. Brandt, Ulrich (2004): Die Hauptversammlung der Europäischen Aktiengesellschaft (SE). Frankfurt a.M.: Peter Lang. Brem, A., Reinhard H., Schmeisser, W. (Hg.) (2017): Internationale Betriebswirtschaft. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Konstanz: UVK. Buchheim, R. (2001), Europäische Aktiengesellschaft. Eder, C. (2004): Die monistisch verfasste Societas Europaea - Überlegungen zur Umsetzung eines CEO-Modells, NZG 2004, Heft 12 Ferres, P. (2001): Motive für den Börsengang. In: Wieselhuber & Partner GmbH (Hg.): Börseneinführung mit Erfolg - Voraussetzungen, Maßnahmen und Konzepte. Wiesbaden: Gabler, S. 15- 28. Götz, Jürgen (2004): Chancen und Risiken der SE aus Unternehmenssicht. In: Theodor Baums und Andreas Cahn (Hg.): Die Europäische Aktiengesellschaft - Umsetzungsfragen und Perspektiven. Berlin: De Gruyter Recht. Grundmann, Stefan (2003): Grenzüberschreitende Sitzverlegung und grenzüberschreitende Fusion. In: Rüdiger von Rosen (Hg.): Die Europa AG - Eine Perspektive für deutsche Unternehmen? Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 21. Frankfurt a.M. Gutsche, Robert (1994): Die Eignung der Europäischen Aktiengesellschaft für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland. Baden-Baden: Nomos. Habersack, M.: Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt. Köln: O. Schmidt. Hirte, Heribert: Die Europäische Aktiengesellschaft. In: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (1), S. 1-10. Horn, Norbert (2005): Die Europa-AG im Kontext des deutschen und europäischen Gesellschaftsrecht. In: Der Betrieb (3), S. 147-153. 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Wöhe, G., Bilstein, J., Ernst, D.; Häcker, J. (2009): Grundzüge der Unternehmensfinanzierung. München: Vahlen. <?page no="219"?> Neue Betriebswirtschaft 66 VVoonn ddeerr ttrraaddiittiioonneelllleenn FFiinnaannzziieerruunnggsslleehhrree zzuumm wweerrttoorriieennttiieerrtteenn FFiinnaannzz-mmaannaaggeemmeenntt Wilhelm Schmeisser Lernziele ! Sie sollen die fünf Finanzierungstheorien benennen und sie kurz beschreiben und kritisch gegeneinander abgrenzen können. ! Sie sollen kritisch erklären können, warum die Betriebswirtschaftslehre sich mit volkswirtschaftlich geprägten Finanzierungstheorien für Industriebetriebe sehr schwer tut. ! Sie sollen die Anwendung der Portfoliotheorie nach Markowitz im Privatkundengeschäft einer Bank von der Portfoliomatrix unterscheiden lernen, die von der Segmentanalyse aus der Jahresabschlussanalyse eines Konzerns abgeleitet und erstellt wird. ! Sie sollen wissen, dass jede Finanzierungstheorie ihre eigenen Unternehmensbewertungsmodelle präferiert und argumentativ begründet. ! Sie sollen das wertorientierte Finanzmanagement aus der traditionellen Finanzierungslehre argumentativ ableiten und entwickeln lernen. ! Sie sollen die Grundzüge, Annahmen und Denkmodelle und Methoden des wertorientierten Finanzmanagements skizzieren, vorstellen und beschreiben können. Finanzierungstheorien, deren terminologische Grundlagen, Logik und Ziele Im Buch Schmeisser, W./ Hannemann, G./ Krimphove, D. u.a. (2012): Finanzierung und Investition, UTB basics, München, wird im ersten Kapitel von drei Finanzierungstheorien ausgegangen, und zwar von der traditionellen Finanzierungslehre, der kapitalmarktorientierten Finanzierungstheorie und der neo-institutionalistischen Finanzierungstheorie. Hier wird Schmidt, R./ Terberger, E. (1997) und Schäfer, H. (2002) gefolgt. In diesem Handbuch werden jetzt fünf Finanzierungstheorien diskutiert (vgl. Abb. 6-1 und 6-2). Es kommen in diesem Buch zum Einen die Behavioral Finance- Theorie und das Wertorientierte Finanzmanagement als weitere Finanzierungstheorien hinzu. Hintergrund der Erweiterung der Finanzierungstheorien sind mehrere Hypothesen, die dieses Buch leiten: (These 1): Die unterschiedlichen Sichtweisen der Finanzierungstheorien geben nicht nur die Spannweite der Beschreibung, Analyse, Erklärung und Gestaltungsmöglichkeiten von Finanzierungsphänomen wider, sondern bestimmen besonders, welche Instrumente und Methoden eines industriell geprägten, wertorientierten Finanzmanagements angewendet werden müssen, beispielsweise bei der Unternehmensbewertung das Ertragswertverfahren und der Economic Value Added (EVA)-Ansatz sowie die Segmentberichterstattung, um die Portfoliomethode zur Analyse der Segmente im Rahmen der Erfolgsanalyse, als Teil der Finanzanalyse, durchzuführen (nicht nach der Portfolioselektion-Theorie nach Markowitz, die nur für Aktien gilt, aber für Industriebetriebe mit ihren Geschäftsfeldern bzw. mit ihren Segmenten nicht anwendbar ist, da bei Geschäftsfeldern auf Synergieeffekte maßgeblich Wert gelegt wird). (These 2): Es wird davon ausgegangen, dass sich das wertorientierte Finanzmanagement aus der traditionelle Finanzlehre entwickelt hat, und zwar erstens durch den güter- und leistungswirtschaftlichen Bezug des Erfolgsmodells Industriebetrieb, zweitens durch den Shareholder Value-Ansatz, <?page no="220"?> 220 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft und drittens durch den International Financial Reporting Standard (IFRS), der zumindest die rechnungswesensorientierte Basis des wertorientierten Finanzmanagements bildet (vgl. Abb. 6-3). (These 3): Die kapitalmarkttheoretischen Finanzierungstheorien, die auf volkswirtschaftlichen Grundüberlegungen beruhen, brillieren zwar durch ihre mathematischen Modelle wie die Portfolio Selection Theory oder die Discounted Cashflow-Verfahren bei der Unternehmensbewertung, blenden aber die „Realwirtschaft“ mehr oder weniger aus und können deshalb nur begrenzt auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen angewandt werden. Hinzu kommt, dass über das Erfolgsmodell Börse bei den kapitalorientierten Finanzierungstheorien z.B. bei Hedgefonds, die eine 1000%- Rendite gegenüber Ländern, Währungen und sanierungsbedürftigen Unternehmen anstreben (ansonsten ist bereits bei 18 Prozent Rendite der rechtliche Tatbestand des Wuchers gegeben), eine gewisse „Piraterie“ auf globalen, nicht regulierten Finanzmärkten betreiben. (These 4): Sowohl bei den Banken im Firmenkundengeschäft, beim Rating, im Rahmen von Mergers and Acquisitions-Aktivitäten von internationalen Unternehmen, aber auch in der Wirtschaftsprüfungspraxis werden Unternehmen nach dem wertorientierten Finanzmanagement beurteilt. (These 5): Zum besseren Verständnis des wertorientierten Finanzmanagements und als modellmäßige Grundlage zur Reflexion des Buches wird die kapitalmarktorientierte Finanzierungstheorie ausführlich zugrunde gelegt, aber auch der Behavioral Finance- Ansatz behandelt, um das Spannungsfeld des betriebswirtschaftlichen Finanzmanagements deutlicher hervorzuheben und die Probleme der nicht-regulierten Finanzmärkte durch Schattenbanken wie Bad Banks, Hedge-Fonds, Private-Equity-Modelle mit internationalen, legalen Steuerhinterziehungsmodellen durch Banken deutlicher herauszuarbeiten. 6.1.1 Traditionelle Finanzierungstheorie In der Literatur wird der Begriff Finanzierung, aber auch der der Investition und deren Zusammenhang unterschiedlich beschrieben und definiert. Die traditionelle Finanzierungslehre wählt den Industriebetrieb als Erfolgsmodell und Ausgangspunkt ihrer wissenschaftlichen Betrachtungen. Ziel des Industriebetriebes ist es, im Sinne der klassischen volkswirtschaftlichen Auffassung, eine größtmögliche Bedürfnisbefriedigung oder maximale Nutzenerzielung der Konsumenten zu erreichen. Der historische Hintergrund der traditionellen Finanzierungstheorie ist, dass vor über 150 Jahren auch in Deutschland Industriebetriebe wie Siemens, AEG, Bosch, Bayer, BASF, Krupp und Thyssen, später Mercedes-Benz, VW oder BMW die junge Wissenschaft Betriebswirtschaftslehre stark geprägt haben. Der Industriebetrieb dient mit seinem Geschäftsmodell dabei der Güterbzw. Sachzielerzeugung der Volkswirtschaft und damit der Bevölkerung. Massenproduktion und Massenvertrieb (Marketing) erfordern umfangreiche Investitionen und ziehen entsprechende Finanzierungsprobleme nach sich. Die leistungswirtschaftliche Sphäre mit Beschaffung/ Logistik, Materialwirtschaft, Produktion, Forschung und Entwicklung sowie Absatz erfordern laufend Investitionen, die zu finanzieren sind. Die Finanzierung wird dabei als Hilfsfunktion des Betriebes angesehen, die für die Investitionen zur Sachzielerstellung notwendig ist. Die Finanzierung nimmt dabei folgende Aufgaben wahr: ! Deckung des Kapitalbedarfs für die Investitionen, ! Suche nach Finanzierungsformen für das Unternehmen zur Deckung ihres Kapitalbedarfs, ! Zins- und Tilgungszahlungen an den Kapitalgeber, ! Finanzierung der unterschiedlichen Finanzierungsanlässe (Gründung, Wachstum, Sanierung), ! Bei der Bilanzanalyse, als Teil der Finanzanalyse, versucht man mit ausgewählten Kennzahlen die „Goldene Bilanz- und Finanzregel“ zu erfüllen, um so rechtzeitig Insolvenzanzeichen des Unternehmens zu erkennen. <?page no="221"?> 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement 221 Neue Betriebswirtschaft ! Wahrung des finanziellen Gleichgewichts (d.h. der Liquidität), um beim laufenden Kapitalumschlag zwischen leistungswirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Sphäre eine Aufrechterhaltung des Güterstroms zu gewährleisten. ! Zu analysieren, wann und wo Liquiditätsengpässe beim Kapitalumschlag auftreten, und wie durch eine Finanzplanung und Finanzkontrolle eine Insolvenz vermieden werden kann. ! Wie beim Kauf und Verkauf von Unternehmen eine „objektive“ Unternehmensbewertung vorgenommen werden kann. Dabei bedient man sich des Substanzwertverfahrens und später des Ertragswertverfahrens. 6.1.2 Kapitalmarktorientierte Finanzierungstheorie auf der Basis volkswirtschaftlicher Überlegungen Die Maximierung des Nutzens der oder des Konsumenten im Sinne der utilitaristischen Philosophie ist die Grundlage der Kapitalmarkttheorie. Die Güterversorgung der Volkswirtschaft durch das Unternehmen wird per Prämisse wegdefiniert, und es geht nur noch um den „Nutzen“ der Gelderhaltung bzw. Geldvermehrung mittels des Erfolgsmodells Börse, die symbolisch für den idealen, volkswirtschaftlichen Markt mit allen seinen Gütern steht. Die Börse, die durch ein ideales Portfolio im Sinne der Portfolio-Selection-Theory abgebildet werden kann, bestimmt wiederum, so die Annahme, die „Realwirtschaft“ der Volkswirtschaft bzw. die leistungswirtschaftliche Sphäre des Industrieunternehmens. Wenn in der traditionellen Finanzierungslehre noch die Prüfung der Wirtschaftlichkeit von Investitionen und die Kapitalaufbringung mittels der Hilfsfunktion Finanzierung im Vordergrund des Industrieunternehmens standen, so werden diese Aufgaben des Finanzmanagements durch die Theoreme von Modigliani/ Miller wegdefiniert. Nach Modigliani/ Miller sind auf einem idealen Markt „Börse“ Investitions- und Finanzierungsentscheidungen gleich, und deshalb nur noch Geldanlageentscheidungen des Investors (z.B. des Hedge-Fonds). Der ideale Markt, die Börse, die mehr oder weniger dem Portfolio des (Konzern-)Unternehmens entsprechen soll, muss nach mathematisch-wahrscheinlichkeitstheoretischen Überlegungen gesteuert und gestaltet werden. D.h. ohne Synergieeffekte eines „normalen“ Industrieunternehmens, wobei auch die Argumentationen eines wertorientierten Strategischen Managements eines Industrieunternehmens keine Rolle spielen. Die Logik der Portfolio Selection Theory und der Kapitalmarkttheorie sind derartig verknüpft, dass behauptet wird, dass Menschen meist sparen wollen und können. Mit einer Transformation von Teilen des Einkommens in Aktien sichern sie sich ihren zukünftigen materiellen Wohlstand bzw. höheren Nutzen Im Zentrum der Portfolio Selection Theory steht die Frage des privaten, individuellen Anlegers oder Investors, welche Geldbeträge er in die einzelnen Aktienanlage-möglichkeiten binden will oder soll. Bei diesem Entscheidungsproblem spielen Rendite und Risiko unter verschiedenen Daten- und Erwartungskonstellationen eine entscheidende Rolle, insbesondere: ! Wie könnte ein optimales Portfeuille berechnet werden? ! Welche Einflussgrößen bestimmen den Kurs einer Aktie oder den Preis einer Option oder eines Futures? ! Welche statistischen Methoden und Tests (Varianz, Korrelation, Signifikanzniveau etc.) sind geeignet, die Modelle der Portfolioselektion-Theorie und die analytisch gewonnenen Aussagen der Kapitalmarkttheorie empirisch zu validieren? Kritisch muss dazu angemerkt werden, dass man versucht hat, die Überlegungen zu den Aktienportefeuilles auf die Problematik von Industrieunternehmen zu übertragen, was unweigerlich schief gehen musste und schief gegangen ist, wie die Banken- und Finanzkrise dies 2007 bis heute belegt. Beispiele hierfür sind Fragen wie diese: <?page no="222"?> 222 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft ! Haben die aus der Portfolio Selection Theory übernommenen Annahmen das Anlageverhalten eines Industriebetriebes beeinflusst? ! Haben die gewonnenen Erkenntnisse der Portfolio Selection Theory Einfluss auf die Entscheidungen über Geschäftsmodelle, Strategische Geschäftsfelder, Strategische Geschäftseinheiten des wertorientierten, strategischen (Finanz-)Managements eines Industiebetriebes genommen? ! Kann und darf ein Konzernunternehmen, das auf den Kauf und Verkauf von Unternehmen im Rahmen von Mergers and Acquisitions-Aktivitäten setzt, die Unternehmensbewertung durch kapitalmarktorientierte Formeln lösen, wie sie aus dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) abgeleitet sind? ! Nimmt man die Kapitalmarkttheorie ernst, mit ihrer vollkommenen Information, Rationalität und unüberschaubaren vielen Anbietern und Nachfragern, braucht man auch keine Banken, Versicherungen, Kreditverträge, weitere rechtliche Verträge usw., da keiner den anderen Marktteilnehmer am Erfolgsmodell „Börse“ belügen und betrügen kann, keine nicht werthaltigen Papiere weiterverkaufen kann etc. ! Zugute kommt die kapitalmarkttheoretische Finanzierungstheorie sicherlich den Hedge-Fonds, die auf unregulierte Kapitalmärkte setzen. Dass diese Finanzmärkte theoretisch keine großen Finanz-Player im vollkommenen Markt per se vorsehen, wird ignoriert. Lieber bedient man sich der unregulierten Finanzmärkte, um z.B. sanierungsbedürftige Unternehmen über die Börse billigst zu erwerben. Diese sanierungsbedürftigen Unternehmen werden dann von den Hedge- Fonds in die Insolvenz begleitet, um ihre Unternehmensteile dann teuer zu verkaufen („zu filetieren“). Nur so können Hedge-Fonds auf dreistellige Renditen kommen, was wiederum einer modernen Piraterie gleichkommt. 6.1.3 Neo-institutionelle Finanzierungstheorie auf der Basis volkswirtschaftlicher Überlegungen Im Gegensatz zur neoklassischen oder kapitalmarktorientierten Finanzierungstheorie, die Investition und Kapitalnehmer sowie Finanzierung und Kapitalgeber separiert betrachtet, führt die neoinstitutionalistische beide Seiten, d. h. die Investitions- und Finanzierungsseite wieder bewusst zusammen. Die volkswirtschaftliche Vorstellung in dieser Theorie beruht auf der Einsicht, dass Finanz- und Gütertransaktionen zwischen Wirtschaftssubjekten nicht vollkommen marktmäßig durchgeführt werden können. Wobei der unvollkommene Markt zentrale, kostengünstige und effiziente Organisations- und Kontrollfunktionen in der Ausprägung des Unternehmens übernimmt und erzeugt, und dies alles zum höchsten Gesamtnutzen einer Volkswirtschaft. Demnach gehören unternehmerische Bereitstellungen der Güterversorgung durch Industriebetriebe, aber auch staatliche oder sonstige Formen von Unternehmenszusammenschlüssen zu den besondere Formen des Marktversagens aus kapitalmarktorientierter Sicht, aber sind „empirisch“ unvermeidbar. Nach North (1988, S. 207) wird unter Institutionen im Finanzsystem ein System von rechtlichen Regelungen, Kontrakten, Verträgen, Zustimmungsverfahren und ethischen Verhaltensregeln zwischen Banken, Versicherungen und Finanzintermediäre verstanden, das den Gläubigerschutz garantiert. Gerade in Situationen, wenn man glaubt, dass man anderen kein Vertrauen schenken darf, sind die Institutionen und rechtlichen Verträge wegen der Unvollständigkeit der Information und der Nicht- Rationalität der Akteure kaum zu vermeiden. In der neo-institutionellen Finanzierungstheorie wird aus volkswirtschaftlicher Sicht die Existenz von Unternehmen begründet bzw. warum es aus der Sicht der Property-Right-Theory nichtmarktmäßige Koordinationsmechanismen, wie Unternehmen existieren. Kritisch ist anzumerken, warum nicht diskutiert wird, dass nur Industriebetriebe ein langfristiges Innovationsmanagement mit langfristigen Investitionen betreiben können, aber keine Börse; und dass der Wettbewerb durch wertorientierte Geschäftsmodelle/ Strategische Geschäftsfelder, die <?page no="223"?> 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement 223 Neue Betriebswirtschaft technologisch orientiert sind, von Industriebetrieben strategisch-langfristig und global geführt werden müssen. Also Tatsachen, die das Erfolgsmodell „Börse“ nie leisten kann und wird. Ein Innovationswettbewerb kann über die Börse marktmäßig nicht abgewickelt noch langfristig finanziert werden. Deshalb sind Marktbzw. Börsenmodelle für langfristige, technologische Innovationswettbewerbe von Industriebetrieben nicht geeignet. 6.1.4 Behavioral Finance auf der Basis volkswirtschaftlicher und verhaltenswissenschaftlicher Überlegungen Phänomene wie den Bank-Run in Griechenland, dass z.B. sehr viele Griechen ihre Euros von ihren Banken holen und zu Hause verstecken bzw. ins Ausland überweisen, ist vielleicht nicht immer volkswirtschaftlich rational zu verstehen, aber aus der Sicht der Menschen, die einen Grexit fürchten, erklärbar. Als Facebook an die Börse ging, kauften sehr viele Internet-Freaks Facebook-Aktien, ohne beurteilen zu können, ob der Preis der Aktie zu hoch oder zu niedrig war. Es genügte für sie, dass Facebook ein Programm für sie entwickelt hatte, das sie benutzten. Also Grund genug, Facebook-Aktien zu kaufen. 1996 kauften sehr viele Bürger T-Aktien, da sie davon ausgingen, dass der Wert dieser Aktie nie fallen könnte, sie die Aktie immer zu einem hohen Preis verkaufen könnten und sie sicher immer hohe Dividenden ausgeschüttet bekommen würden. Als die T-Aktie um 90 Prozent sank, beschwerten die Aktionäre bzw. Bürger sich bei Politikern und bei der Regierung, klagten gegen das Unternehmen und wollten ihre Verluste ersetzt bekommen; gleichzeitig stiegen sie aus dem Aktiengeschäft aus und legten ihr Geld wieder in Sparbüchern an. Die verhaltenswissenschaftliche Finanzierungstheorie beschreibt, analysiert und erklärt das Verhalten der Menschen als volkswirtschaftlich nicht rational und fragt danach, welche Konsequenzen man aus einem derartigen Verhalten ziehen könnte. Beispielsweise spielen Mitläufer- und Machtaspekte beim Kauf von Aktien und/ oder Unternehmen eine bedeutende Rolle und nicht utilitaristische Überlegungen. Fazit: Die Behavioral Finance-Theory untersucht irrationales Anlageverhalten und systematisiert Anomalien am Kapitalmarkt als Resultat von volkswirtschaftlich irrationalem Verhalten. Abb. 6-1: Wertorientiertes Finanzmanagement im Vergleich zu anderen Finanzierungstheorien <?page no="224"?> 224 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Abb. 6-2: Wertorientiertes Finanzmanagement im Vergleich zu anderen Finanzierungstheorien Wertorientiertes Finanzierungsmanagement Das „Wertorientierte Finanzierungsmanagement“ geht vom Unternehmensziel (The Goal of the Firm) bzw. vom wertorientierten Geschäftsmodell aus (vgl. Apple-Beispiel unten), um hohe Umsätze, Cashflows oder EBITs und einen hohen Unternehmenswert, z.B. in Form von EVAs, zu erzielen. Ansonsten muss das Portfoliomanagement seine Geschäftsmodelle/ strategischen Geschäftsfelder bzw. Segmente überprüfen, ob diese noch im Konzernportfolio gehalten werden können oder eliminiert werden müssen. Mittels der Konzernunternehmensbewertung und der Bewertung jedes einzelnen Geschäftsfeldes kann das Konzernportfolio überprüft werden. Gleichzeitig wird zu jedem einzelnen Geschäftsfeld eine Analyse des Strategisches Managements durchgeführt, inwiefern Überlegungen zum PIMS, der Erfahrungskurve, Synergieeffekte und ein kritischer Strategiediskurs hierbei mitberücksichtigt wurden. Es ergeben sich daraus Fragen gemäß IFRS, ob sich im internationalen Jahresabschluss bzw. Finanzcontrolling Strategieüberlegungen widerspiegeln (vgl. Abb. 6-3 und das Apple-Beispiel). „Apple Computer (AAPL) ignited the personal computer revolution in the 1970s with the Apple II and reinvented the personal computer in the 1980s with the Macintosh. But by 1997, it looked like it might be nearing the end for Apple. Mac users were on the decline, and the company didn´t seem to be headed in any real direction. It was at that point that Steve Jobs reappeared, taking back his old job as CEO of Apple, the company he cofounded in 1976. To say the least, things began to change. In fact, between then and September 2009, the price of Apple´s common stock has climbed by over forty-one-fold! How did Apple accomplish this? The company did it by going back to what it does best, which is to produce products that make the optimal trade-off between ease of use, complexity, and features. Apple took its special skills and applied them to more than just computers, introducing new products such as the iPod, iTunes, the sleek iMac, the MacBook Air, iPod Touch, and iPhone along with its unlimited “apps”. Although all these products have done well, the success of the iPod has been truly amazing. Between the introduction of the iPod in October 2001 and the beginning of 2005, Apple sold more than 6 million of the devices. Then, in 2004, it came out with the iPod Mini, about the length and width of a business card, which has also been a huge success, <?page no="225"?> 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement 225 Neue Betriebswirtschaft particularly among women. How successful has this new product been? By 2004, Apple was selling more iPods than its signature Macintosh desktop and notebook computers. How do you follow up on the success of the iPod? You keep improving your products and you keep developing and introducing new products that computers want. With this in mind, in March 2009, Apple unveiled its latest version of the iPod Shuffle. At the half the size of the previous generation iPod Shuffle, it has 4 GB of the storage, it is able to hold up to 1.000 songs, and is less than the size of a house key. It even has a new feature called Voiceover that, with the press of a button, tells you the song title or artist. How did Apple make a decision to introduce the original iPod and now the tiny iPodShuttle? The answer is by identifying a costumer need, combined with sound financial management. Financial management deals with the maintenance and creation of economic value or wealth by focusing on decision making with an eye toward creating wealth. As such, this text deals with financial decisions such as when to introduce a new product, when to invest in new assets, when to replace existing assets, when to borrow from banks, when to sell stocks or bonds, when to extend credit to a customer, and how much cash and inventor y to maintain. All of these aspects of financial management were factors in Apple´s decision to introduce and continuously improve the iPod, iPod Shuffle, and iPhone, and the end result is having a major financial impact on Apple.” (Keown, A. J./ Martin, J. D./ Petty, J. W.: Foundations of Finance, The Logic and Practice of Financial Management. 7 th Edition, Pearson, Boston, New York, San Francisco 2011). Das wertorientierte Finanzmanagement wird hier als Weiterentwicklung der traditionellen Finanzierungstheorie verstanden. Das Erfolgsmodell „Industriebetrieb“ ist sowohl Grundlage einer allgemeinen, internationalen Betriebswirtschaftslehre, eines wertorientierten Strategischen Managements einschließlich eines technologieorientierten Innovationsmanagements mit einem axiomatischen Geschäftsmodell als auch einer Shareholder Value-orientierten Finanzierungstheorie, die auf Rappaport (1986) zurückgeführt wird. Zum wissenschaftlichen Hintergrund: Das wertorientierte Finanzmanagement basiert auf einen internationalen, betriebswirtschaftlichen operativen und strategischen Hintergrund mit ausgewählten Aspekten der Rechtswissenschaften, der Finanzmathematik, Mathematik und Statistik. Grundannahmen: Wie in der traditionellen Finanzierungstheorie wird von der Investitionsseite bzw. der leistungswirtschaftlichen Sphäre des Industriebetriebes ausgegangen, die aber nicht nur ein operatives Working Capital Management in der Beschaffung/ Logistik, Produktion, Marketing permanent optimieren muss (vgl. wertorientiertes Geschäftsmodell durch ein Lean-Management bei Toyota), sondern auch strategisch den Industriebetrieb ausrichten muss, z.B. durch den „Integrierten Berliner Innovationsansatz“ (vgl. oben das Apple-Beispiel bzw. Schmeisser 2013, S. 48 ff.). Neue intuitive Geschäftsmodell-Innovationen sind permanente Herausforderungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich und in der automatisierten Produktion („Digitale Industrie“), die enorme Investitionen nach sich ziehen und dabei in ein wertorientiertes Geschäftsprozessmodell im Sinne der Lean-Management-Philosophie zu implementieren sind (Schmeisser/ Höhne u.a., 2015). Strategien zur Verwirklichung der internationalen Massenproduktion mit internationalen Wertschöpfungsketten und der Umsetzung der Erfahrungskurve bei der internationalen Massenvermarktung stehen dabei im Fokus. Weiter stehen ausgewählte finanzwirtschaftliche Modelle und Aspekte des Rechnungswesens nach IFRS beim (Finanz-)Controllings im Fokus: [1] IFRS (International Financial Reporting Standards): Internationale Unternehmen versuchen die Ergebnisse ihrer wirtschaftlichen Handlungen sich selbst, aber auch den Investoren durch zahlenmäßige Abbildungen (Bilanz, Ergebnisrechnung, Kapitalflussrechnung, Segmentanalyse etc.) nach standardisierten Regeln transparent zu machen. Mit diesen Aufgaben dient das Rechnungswesen (vgl. Abb. 6-3 unten) aber auch dem wertorientierten Finanzmanagement. [2] Unternehmensbewertungsverfahren, wie das Ertragswertverfahren, aber auch das Economic Value Added-Verfahren, erlauben es, Strategische Geschäftsfelder (Segmente) und die Kon- <?page no="226"?> 226 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft zernunternehmensbewertung permanent auf ihre Stimmigkeit mit der Konzernstrategie zu überprüfen. Letztendlich geschieht dies ebenfalls mit dem Konzern-Portfoliomanagement auf der Basis des Segmentberichtes. Damit wird das wertorientierte Portfoliomanagement ein Steuerungs- und Gestaltungsinstrument der Finanzholding der Konzerngeschäftsführung. Die Finanzholding lässt sich dann noch durch ein Internationales Cash- und Währungsmanagement flankierend unterstützen. Bei den unterschiedlichen Unternehmenslebenszyklusphasen des Konzerns helfen neben den Zahlen des Rechnungswesens auch ausgewählte Argumentationsaspekte des Strategischen und des Innovations-Managements (z.B. Synergieeffekte, Realisierung der Erfahrungskurve, Suche nach neuen Geschäftsmodellen, Strategische Bilanzanalyse usw.). Abb. 6-3: Aspekte eines „Wertorientierten Finanzmanagements“ <?page no="227"?> 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement 227 L Liitte erraattuurr Brem, A. Heyd, R. / Schmeisser, W. (2015): Internationale Betriebswirtschaftslehre, UVK, München Hungenberg , H. (2011): Strategisches Management in Unternehmen: Ziele - Prozesse - Verfahren. 6. Aufl., Wiesbaden Müller-Stewens, G. / Lechner, S. (2011): Strategisches Management, 4. Aufl. Schäffer Poeschel, Stuttgart Rappaport, A. (1986): Creating Shareholder. The New Standard for Business Performance. New York. London Schmeisser, W. (2013): Terminologische Grundlagen zum Innovationsmanagement sowie zu den Innovationstheorien. In: Schmeisser, W. / Krimphove, D. / Hentschel, C. / Hartmann, M. (2013): Handbuch Innovationsmanagement, UVK-Verlag, München, S. 17-52 Schmeisser, W. / Andresen, M. / Kaiser, S. (2012) Personalmanagement, UTB basics, Kapitel 1 und 3, Finanzorientiertes Personalmanagement Schmeisser, W. / Clausen, L. (2009): Controlling und Berliner Balanced Scorecard, Oldenburg Verlag, München Schmeisser, W. / Hannemann, G. / Krimphove, D. u.a. (2012): Finanzierung und Investition, UTB basics, München, Kapitel 1 Schmeisser, W. / Höhne, D. u.a. (2015): Wertorientierte Geschäftsmodelle (2015), UVK, München <?page no="229"?> Neue Betriebswirtschaft 77 EEiin nffüühhrruunngg iin n ddiie e U Unntte errnneehhmmeennssbbeewweerrttu unng g 90 Ralf Hafner Anlässe für Unternehmensbewertungen Es gibt zahlreiche Anlässe für die Bewertung von Unternehmen oder Anteilen an Unternehmen: Abb. 7-1: Unternehmensbewertungsanlässe (Beispiele) Oft ist der beabsichtigte Übergang (Kauf oder Verkauf) von Unternehmensanteilen oder ganzen Unternehmen Auslöser für die Unternehmensbewertung. Daneben gibt aber auch Bewertungsanlässe, die unabhängig von Transaktionen sind, beispielsweise für steuerliche Zwecke. KKa a uuf f u un ndd V Veer rk kaa uuf f v voon n U Unntte errn ne ehhmme en n ( (MM e errg g eer rss & & A Ac cq qu ui issiittiio on nss" k ku urrz z M M& &AA) ) Der Kauf eines Unternehmens stellt eine Investition dar. Investitionen sollten dann getätigt werden, wenn Sie vorteilhaft sind, den Wert des kaufenden Unternehmens erhöhen, wenn sie einen positiven Kapitalwert haben. Das ist dann der Fall, wenn die risikoadäquat abgezinsten Cashflows aus dem Investitionsobjekt „Unternehmenskauf“ größer sind als der zu leistende Kaufpreis. Beim Verkauf eines Unternehmens verzichtet der Veräußerer auf die künftigen Cashflows aus dem Unternehmen. Das macht nur dann Sinn, wenn die abgezinsten Cashflows niedriger sind als der Kaufpreis, den er erhält. Diese Überlegungen gelten gleichermaßen bei Fusionen, MBOs (Management-Buy-out), MBIs (Management-Buy-ins), beim Anteilsverkauf unter Gesellschaftern, bei IPOs (Initial Public Offerings, Börseneinführungen) und anderen Teilveräußerungen. WWe errt toor ri ieenntti ieer rt tee U Un ntteer rnneeh hmmeen nssffü üh hrruun ngg Akzeptiert man das Mantra der modernen Managementtheorie und -praxis, dann ist das unternehmerische Handeln am Unternehmenswert auszurichten. Maßnahmen, die den Unternehmenswert erhöhen, sollten umgehend umgesetzt werden. Unternehmensstrategie, Investitions- und Finanzierungsentscheidungen und Unternehmenswert bedingen sich gegenseitig. 90 Für eine ausführlichere Darstellung siehe Hafner, Unternehmensbewertung, in: Schmeisser/ Eckstein/ Hafner/ Hannemann/ Stengel, Handbuch Wertorientiertes Finanzmanagement, Konstanz/ München 2015, S. 81-158 <?page no="230"?> 230 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft PPo or rttffo ol liio om ma a nna a g g eemme en nt t Private und professionelle Anleger und deren Berater, insbesondere Aktienanalysten, bewerten Unternehmen zur Unterlegung ihrer Anlageempfehlungen und/ oder -entscheidungen bei der Zusammensetzung ihres Portfolios. GGeesseettzzl liicchhe e V Voorrs scchhr riifft teenn Bei bestimmten Anlässen sind in vielen Staaten gesetzlich Bewertungen von Unternehmen oder Unternehmensanteilen vorgeschrieben. Der Squeeze-out, der erzwungene Auskauf von Minderheitsaktionären durch den Mehrheitsaktionär, ist ein Beispiel hierfür. In Deutschland sind bei Abschluss von aktienrechtlichen Unternehmensverträgen, Verschmelzungen sowie Auf- und Abspaltung en Unter nehm ensbew er tung en vo rg esehen. VVeerrt trraa g g lliicchhee u un nd d s soonns sttiigg ee R Re eg g eelluunng g eenn Unternehmensbewertungen finden darüber hinaus statt bei Erbauseinandersetzungen, bei Ein- oder Austritt von Gesellschaftern in eine Personengesellschaft, bei Abfindungsfällen anlässlich von Ehescheidungen und anderen familienrechtlichen Auseinandersetzungen. EExxt teerrn nee R Re ecchhn nuun ngg sslleegg uun ng g u un ndd s stteeu ue errlliicchhe e Z Zwweecckke e Bei der sogenannten Purchase Price Allocation (Kaufpreisallokation der Anschaffungskosten einer Beteiligung in der Konzernbilanz) und den anschließenden jährlich erforderlichen Impairment-Tests (Werthaltigkeitstests) sind Unternehmensbewertungen vorzunehmen. Auch aus Steuergesetzen ergeben sich in vielen Staaten Anlässe zur Bewertung von Unternehmen. Methoden der Unternehmensbewertung Überblick In Theorie und Praxis wurden und werden zahlreiche Methodenansätze diskutiert. Inzwischen haben sich in der Unternehmensbewertungspraxis Standards etabliert. Ermittelt werden Bandbreiten für den Unternehmenswert, und zwar auf der Grundlage unterschiedlicher Bewertungsmethoden. Dazu gehören in der Regel ! investitionstheoretische Verfahren und ! marktwertorientierte Verfahren. Bei den investitionstheoretischen Verfahren hat sich die Discounted-Cashflow-Methode (DCF- Methode) international durchgesetzt. Die DCF-Methode wendet das aus der Investitionsrechnung bekannte Kapitalwertkalkül auf das Unternehmen als Investitionsobjekt an. Es gibt sie in unterschiedlichen Ausprägungen. Bei der ! Equity-DCF-Methode wird der Wert des Eigenkapitals ermittelt, bei der ! Entity- oder Enterprise-DCF-Methode, dem in der Praxis am häufigsten anzutreffenden Verfahren, der Wert des Eigen- und des Fremdkapitals, also ein von der Finanzierungsstruktur unabhängiger Wert. Die Grundüberlegung hinter den marktwertorientierten Verfahren ist, dass in effizienten Märkten Unternehmen mit vergleichbarem Ergebnispotenzial, vergleichbarer Wachstumsperspektive und vergleichbarer Risikostruktur auch vergleichbare Marktpreise haben sollten. Aus Marktpreisen vergleichbarer Unternehmen werden mit Hilfe von Multiplikatoren Bandbreiten für den Wert des zu bewertenden Unternehmens hergeleitet. Auch hier gibt es unterschiedliche Verfahren. Bei der ! Comparable Company Analysis werden diese Multiplikatoren aus der Analyse vergleichbarer börsennotierter Unternehmen gewonnen; bei der <?page no="231"?> 7 m>: AK? 82: @ >: C>B [: 4B8: B? ; B: 6JBùB842: @ 231 Neue Betriebswirtschaft ! Precedent Transactions Analysis Daten aus veröffentlichten Kaufpreisen aus Transaktionen von vergleichbaren Unternehmen. 7.2.2 Discounted-Cashflow-Methode Wie bei der Investitionsrechnung arbeiten wir auch bei der DCF-Methode mit Zahlungsgrößen (Ein- und Auszahlungen, Cashflows) und nicht mit Erfolgsgrößen (Erträgen und Aufwendungen). Die in den künftigen Jahren t=1, 2, 3, ... , n anfallenden freien Cashflows werden auf t=0 (den Bewertungsstichtag) abdiskontiert mit einem risikoadäquaten Zinssatz, den Kapitalkosten des zu bewertenden Unternehmens. Die Summe der sich so ergebenden Barwerte, der Kapitalwert, ist der Unternehmenswert. Abb. 7-2: Discounted-Cashflow-Bewertung Anders als bei der Investitionsrechnung gibt es bei der DCF-Methode der Unternehmensbewertung keine Anfangsauszahlung in t=0. Dieser Betrag, die Summe der Barwerte der künftigen freien Cashflows, ist die gesuchte Größe, der Unternehmenswert. Ist er ermittelt und setzt man diesen Unternehmenswert als Anschaffungsauszahlung mit einem negativen Vorzeichen in t=0 ein, so ergibt sich ein Kapitalwert von 0 und ein interner Zinsfuß in Höhe des Diskontierungssatzes, also der Kapitalkosten des Unternehmens. Gelingt es einem Käufer, das Unternehmen für einen geringeren Kaufpreis zu erwerben als die Summe der abdiskontierten künftigen freien Cashflows, so macht er ein gutes Geschäft. Der Kapitalwert seiner Zahlungsreihe ist dann nämlich positiv. Zahlt er mehr als die Summe der Barwerte der künftigen Cashflows, so führt dies zu einer höheren Anschaffungsauszahlung in t=0 und zu einem negativen Kapitalwert. Entsprechend der Entscheidungsregel für Kapitalwertrechnungen sollte er eine solche Investition nicht tätigen. Umgekehrtes gilt für den Verkäufer. Er verzichtet bei einem Verkauf auf die künftigen freien Cashflows. Sie gehen mit einem negativen Vorzeichen in seine Rechnung ein, der Kaufpreis in t=0 ist ein Zufluss bei ihm, eine Einzahlung. Entspricht diese dem Unternehmenswert, so ist auch der Kapitalwert seiner Zahlungsreihe 0. Erhält er mehr als die Summe der Barwerte der künftigen freien Cashflows, so macht er ein gutes Geschäft (Kapitalwert > 0), gibt er sich mit weniger zufrieden, so wird der Kapitalwert seines Zahlungsstroms negativ - gemäß der Entscheidungsregel sollte er dann lieber das Unternehmen behalten und weiter fortführen, da er sich bei dieser Alternative besserstellt als beim Verkauf. <?page no="232"?> 232 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Terminologie Starten wir mit der bei Unternehmensbewertungen üblichen Terminologie, und dort mit der Bilanz eines Unternehmens zu Buchwerten. Sie lässt sich wie folgt gliedern: Abb. 7-3: Bilanz zu Buchwerten Der Buchwert des Eigenkapitals lässt sich direkt aus der Bilanz ablesen. Gleiches gilt für den Buchwert der zinstragenden Verbindlichkeiten. Dazu gehören Bankdarlehen, Anleihen und andere Finanzierungsinstrumente, für die explizit Zinsen gezahlt werden. Verrechnen wir die Vermögensgegenstände mit den sonstigen Passiva, so erhalten wir das folgende Bild: Abb. 7-4: Bilanz zu Buchwerten (saldiert) Der Buchwert des Eigenkapitals und der zinstragenden Verbindlichkeiten entspricht also dem Buchwert der liquiden Mittel zuzüglich des Netto-Betriebsvermögens (Aktiva ohne liquide Mittel minus Passiva ohne Eigenkapital und zinstragende Verbindlichkeiten). Ersetzen wir die Buchwerte in der Bilanz durch Marktwerte, so führt dies, wenn es sich nicht um ein Unternehmen in einer Krisensituation handelt, auf der Aktivseite zur einer Bilanzverlängerung in Gestalt außerbilanzieller Vermögensgegenstände. Auf der Passivseite werden zinstragende Verbindlichkeiten und Eigenkapital zu ihren Marktwerten, dem Ergebnis einer Unternehmensbewertung und nicht zu Buchwerten gezeigt. Der Großteil der Abweichungen entfällt dabei in aller Regel auf das Eigenkapital. Bei börsennotierten Unternehmen ergibt sich der Marktwert des Eigenkapitals durch Multiplikation des Aktienkurses mit der Anzahl der sich im Umlauf befindlichen Aktien. <?page no="233"?> 233 Neue Betriebswirtschaft Abb. 7-5: Bilanz zu Marktwerten Interpretieren wir das Unternehmen aus finanzwirtschaftlicher Sicht als ein Portfolio von Investitionsprojekten, dann ersetzen wir die einzelnen Vermögensgegenstände (bilanzielle und außerbilanzielle) durch die aus künftigen diskontierten Cashflows ermittelten Kapitalwerte der einzelnen Projekte: Abb. 7-6: Bilanz aus finanzwirtschaftlicher Sicht Der Barwert aller Investitionen des Unternehmens wird als Gesamtunternehmenswert, international und inzwischen auch in Deutschland als „Enterprise Value“ bezeichnet. Enterprise Value plus Wert der liquiden Mittel ergibt den „Firm Value“. Der Firm Value entspricht dem Marktwert des Eigenkapitals plus dem Marktwert der zinstragenden Verbindlichkeiten. In einem letzten Schritt saldieren wir die Positionen liquide Mittel und zinstragende Verbindlichkeiten. Daraus ergibt sich die so genannte „Nettoverschuldung“ des Unternehmens. Abbildung 7-7 verdeutlicht schließlich den Unterschied zwischen der Enterprise-DCF-Methode und der Equity- DCF-Methode. Die Enterprise-DCF-Methode ermittelt den Enterprise Value durch Diskontierung der Cashflows vor Finanzierungskosten (Zinsen) mit den Kapitalkosten (WACC). Der Wert des Eigenkapitals des Unternehmens ergibt sich nach Abzug der Nettoverschuldung vom Enterprise 7 m>: AK? 82: @ >: C>B [: 4B8: B? ; B: 6JBùB842: @ <?page no="234"?> 234 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Value. Die Equity-DCF-Methode hingegen ermittelt direkt den Wert des Eigenkapitals. Dabei werden Cashflows nach Finanzierungskosten (Zinsen) und nach Veränderung der zinstragenden Verbindlichkeiten (Aufnahme und Rückzahlung von Fremdkapital) mit den Eigenkapitalkosten des Unternehmens diskontiert. Der Enterprise Value ergibt sich dann durch Addition des Eigenkapitalwerts und der Nettoverschuldung. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf das Enterprise-DCF-Verfahren. Die meisten DCF- Bewertungen in der Praxis haben es zur Grundlage. Equity-DCF-Verfahren finden sich beispielsweise bei der Bewertung von Banken und Versicherungen, da hier die zinstragenden Verbindlichkeiten einen anderen Charakter haben. Abb. 7-7: Enterprise-DCF- und Equity-DCF-Methode Enterprise-DCF-Methode Bei der Enterprise-DCF-Methode werden die künftigen freien Cashflows, das sind Cashflows vor Finanzierungskosten, also die Cashflows, die allen Kapitalgebern (Eigen- und zinstragendes Fremdkapital, „Equity“ und „Debt“) zur Verfügung stehen, abdiskontiert mit den gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (WACC) des Unternehmens. Resultat ist der Enterprise Value. Ziehen wir hiervon die Nettoverschuldung ab, so erhalten wir den Wert des Eigenkapitals. Bei der Prognose der künftigen freien Cashflows gibt es einen Unterschied zu den aus der Investitionsrechnung bekannten Kapitalwertberechnungen. In aller Regel wird dort ein endlicher Planungszeitraum unterstellt. Bei Unternehmensbewertungen geht man hingegen, falls dem in Ausnahmefällen nicht tatsächliche Gegebenheiten entgegen stehen (auf Zeit angelegte Unternehmen), von einem unendlichem Planungszeitraum, einer unendlichen Lebensdauer des Unternehmens aus. Bei der Prognose der künftigen freien Cashflows behilft man sich, da eine Planung bis in die Unendlichkeit nicht möglich ist, mit so genannten Phasenmodellen. Dabei wird der Planungszeitraum in zwei, manchmal drei Phasen unterteilt. In der ersten (und gegebenenfalls zweiten) Phase erfolgt eine Detailplanung und -prognose. Für die letzte Phase wird ein so genannter „Terminal Value“ ermittelt, der den Wert der freien Cashflows nach Abschluss der Detailplanungsphase repräsentiert. <?page no="235"?> 235 Neue Betriebswirtschaft Folgende „Zutaten“ benötigen wir demzufolge: ! die künftigen freien Cashflows, ! die Kapitalkosten (WACC) des Unternehmens und ! den Terminal Value. Abb. 7-8: Zwei-Phasen-DCF-Modell (Beispiel mit Detailplanungszeitraum von fünf Jahren) Freie Cashflows Der freie Cashflow ist bei der Enterprise-DCF-Methode wie folgt definiert: EBIT Earnings before interest and taxes (Betriebsergebnis) minus Steuern auf EBIT (marginaler Steuersatz) EBIAT Earnings before interest after taxes (Betriebsergebnis nach Steuern) plus Abschreibungen minus Investitionen Investitionen in das Anlagevermögen minus (plus) Erhöhung (Verminderung) Working Capital Umlaufvermögen ohne liquide Mittel abzüglich kurzfristige Verbindlichkeiten und Rückstellungen ohne zinstragende Verbindlichkeiten Freier Cashflow Ausgangspunkt ist das Betriebsergebnis, das zunächst um Steuern zu vermindert ist. Steuern sind Auszahlungen und mindern den Cashflow. Bei der Enterprise-DCF-Methode werden sie auf das Betriebsergebnis vor Zinsen berechnet, da der allen Kapitalgebern zur Verfügung stehende Cashflow ermittelt und abdiskontiert wird. Der Steuerspar-Effekt aus der Abzugsfähigkeit der Zinsen von der Steuerbemessungsgrundlage (Tax Shield) wird bei der Berechnung der Kapitalkosten (WACC) berücksichtigt. 7 m>: AK? 82: @ >: C>B [: 4B8: B? ; B: 6JBùB842: @ <?page no="236"?> 236 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Üblich ist die Verwendung des marginalen Steuersatzes, also des Prozentsatzes, der auf die letzten 100 Euro des Ergebnisses zu leisten ist. In Deutschland sind dies bei Kapitalgesellschaften rund 30 Prozent (Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag). Der effektive Steuersatz (Steueraufwand/ Ergebnis vor Steuern) in der Vergangenheit wird in der Regel vom marginalen Steuersatz abweichen. Ursachen sind unterschiedliche Ansätze in Handels- und Steuerbilanz, steuerliche Verlustvorträge oder im Ausland zu anderen Steuersätzen versteuerte Einkünfte. Der Ansatz des marginalen Steuersatzes bei der Ermittlung der künftigen freien Cashflows unterstellt also, dass die aufgeführten Effekte in den Planungsperioden nicht auftreten. Je weiter die Planungsperiode in der Zukunft liegt, desto realistischer sollte diese Annahme sein. Unterschiede zwischen handels- und steuerrechtlichen Ansätzen gleichen sich im Zeitablauf aus (mit Ausnahme nicht abzugsfähiger Aufwendungen), Verlustvorträge sind endlich und beim Transfer von im Ausland erzielten Ergebnissen in das Inland erfolgt in einigen Staaten ein „Hochschleusen“ auf das heimische Steuerniveau. Trifft die Annahme nicht zu, so ist eine gegebenenfalls sehr detaillierte Steuerplanung vorzunehmen und es sind für die Planjahre die sich daraus ergebenden Steuersätze zu verwenden. Nach Abzug der Steuern auf den EBIT ergibt sich der EBIAT. Diese Größe ist, um zum Cashflow zu gelangen, um nicht zahlungswirksame Erträge und Aufwendungen sowie nicht ertrags- und aufwandswirksame Zahlungen zu korrigieren. Zunächst sind die Abschreibungen, die den EBIT gemindert haben, wieder hinzu zu addieren. Sie führen nicht zu Auszahlungen. Investitionen in das Anlagevermögen hingegen sind abzuziehen, sie sind nicht als Aufwand im EBIT berücksichtigt, mindern jedoch den Cashflow, da sie zu Auszahlungen führen. Dasselbe gilt für Investitionen in das Working Capital. Die sich nach diesen Korrekturen ergebende Größe ist der freie Cashflow des Unternehmens, der Einzahlungsüberschuss, der Eigen- und Fremdkapitalgebern des Unternehmens zur Verfügung steht, vor Berücksichtigung von Zinsen. Kapitalkosten (WACC) Als Diskontierungssatz werden die mit Marktwerten gewichteten Kapitalkosten des zu bewertenden Unternehmens herangezogen. Damit wird der Renditeerwartung sowohl der Fremdals auch der Eigenkapitalgeber Rechnung getragen. 6¦¢¢ = …·Ùß-³ë©·…ë±³«‡…ß- × … … + ˆ + ‚‰ß¯â³ë©·…ë±³«‡…ß- -ëå¹ B…߃߉- × ˆ … + ˆ ¯·… … = m뉳…߉… â߇ …·Ùß-³ë©·…뱇 ƒ-⠈ = m뉳…߉… â߇ ‚‰ß¯â³ë©·…뱇 Die Gewichtung wird dabei festgemacht an der Zielkapitalstruktur des zu bewertenden Unternehmens. Die Ermittlung der Eigenkapitalkosten beruht auf Erkenntnissen aus dem Capital Asset Pricing Model (CAPM). Trotz aller Kritik an den Modelprämissen und einer allenfalls geringen empirischen Bestätigung hat es in der Praxis eine weite Verbreitung gefunden und große Beliebtheit erlangt. Die Eigenkapitalkosten ergeben sich nach dem CAPM als: …·Ùß-³ë©·…ë±³«‡…ß- = E·‡·³«±«‡ß‰ î·-‡ + ¤ß…ë × m뉳…‰·‡·³«©‰ä¯·ß Als risikoloser Zins dient in der Regel die Rendite von Staatsanleihen mit erstklassiger Bonität mit einer Laufzeit von mindestens 10 Jahren in der Währung, in der die Bewertung erfolgt. Die Marktrisikoprämie ist Zusatzrendite, die Anleger für eine Investition in eine Aktie mit einem durchschnittlichen Risiko gegenüber einer Investition in Staatsanleihen erwarten. In entwickelten Volkswirtschaften lag die Marktrisikoprämie in der Vergangenheit zwischen 3 und 8 Prozent mit Schwerpunkt zwischen 4 und 6 Prozent. Das Beta misst das systematische, nicht diversifizierbare Risiko. Es ist um 1 normiert, wobei ein Beta von 1 ein durchschnittliches Risiko, eine Beta von größer als 1 ein höheres <?page no="237"?> 237 Neue Betriebswirtschaft und ein Beta von unter 1 ein niedrigeres Risiko bedeuten. Betas zu börsennotierten Unternehmen sind inzwischen auch über kostenfreie Dienste wie Google Finance oder Yahoo Finance erhältlich. Die Fremdkapitalkosten entsprechen dem Zinssatz, den das Unternehmen bei einer Refinanzierung aller zinstragenden Verbindlichkeiten im Bewertungszeitpunkt zahlen müsste. In der Regel wird ein langfristiger Fremdkapitalzins zugrunde gelegt, um dem Langfristcharakter der Unternehmensbewertung Rechnung zu tragen. Im Unternehmen ist dieser Zinssatz bekannt. Hat der Bewerter keinen Zugang zum Management, so ist er zu schätzen. Am einfachsten ist das dann, wenn das Unternehmen eine Anleihe mit einer langen (10 Jahre) Restlaufzeit begeben hat, die notiert ist. Aus Kurs und Zinskupon lässt sich dann die Rendite errechnen; in den meisten Fällen ist sie direkt bei den entsprechenden Informationsdiensten ablesbar. Hat das Unternehmen ein Rating, so kann aus risikolosem Zins und dem für die Ratingklasse typischen „Spread“, dem Zuschlag, den die Kreditgeber auf den risikolosen Zins bei einer Kreditvergabe an ein Unternehmen mit vergleichbarer Bonität vornehmen, der Zinssatz geschätzt werden. Hat das Unternehmen kein Rating, so kann man versuchen, auf der Grundlage der Interest Coverage Ratio (EBIT/ Zinsaufwand) ein Rating zu schätzen. Schließlich kann auch die Rendite notierter Anleihen vergleichbarer Unternehmen mit vergleichbarer Bonität herangezogen werden. Zinsen auf Fremdkapital sind, anders als Dividenden an Eigenkapitalgeber, in den meisten Ländern steuerlich relevant, mindern also die Steuerlast. Insofern sind bei der Berechnung der Fremdkapitalkosten die Kosten nach Steuern anzusetzen. ‚‰ß¯â³ë©·…ë±³«‡…ß- -ëå¹ B…߃߉- = ‚‰ß¯â³ë©·…ë±³«‡…ß- «‰ B…߃߉- × (1 ø B…߃߉‡ë…y) Terminal Value Die DCF-Methoden der Unternehmensbewertung diskontieren künftige Cashflows auf den Bewertungszeitpunkt ab. Dabei wird eine unendliche Lebensdauer des Unternehmens unterstellt. Da es nicht möglich ist, die Cashflows bis in die Unendlichkeit zu prognostizieren, teilt man, wie oben dargestellt, den Planungszeitraum in zwei (oder mehr) Phasen auf, einen Detailplanungszeitraum und den Zeitraum danach (bis in die Unendlichkeit). Der Terminal Value repräsentiert bei der DCF- Met hode de n We rt d er f reie n Cashf lo ws n ac h de m Det ailplan ung sze itrau m. Er hat in de r Re ge l de n weitaus höheren Anteil am Gesamtunternehmenswert (75 Prozent und mehr sind durchaus normal) als der Wert der abgezinsten freien Cashflows der Detailplanungsphase. Seine Ermittlung bedarf demzufolge großer Sorgfalt. Zunächst ist darauf zu achten, dass der Detailplanungszeitraum so gewählt wurde, dass das letzte Planjahr als repräsentativ für die weitere Entwicklung, als „steady state“ angesehen werden kann und nicht das obere oder untere Ende eines Zyklus darstellt. Bei zyklischen Unternehmen ist ein „Durchschnittsjahr“ anzusetzen. Zwei Methoden finden in der Praxis Anwendung: ! Ewige Rente mit Wachstumsrate (Perpetuity Growth Method) und ! Multiplikatorenmethode. Bei der Perpetuity Growth Method ergibt sich der Terminal Value wie folgt: ? ߉¯·-ë± 9ë±ƒß = ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« 0K‹ 6¦¢¢ ø Ù ¯·… ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« 0K‹ = ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« ·¯ ߉‡…ßv빉 -ëå¹ â߉ ˆß…ë·±©±ë-ƒ-ه©¹ë‡ß = ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« 0 × ( 1 + Ù ) ƒ-â Ù = s«-‡…ë-…ß ( ß·Ùß ) 6ë幇…ƒ¯‡‰ë…ß 7 m>: AK? 82: @ >: C>B [: 4B8: B? ; B: 6JBùB842: @ <?page no="238"?> 238 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Den größten Einfluss auf die Höhe des Terminal Value hat die konstante Wachstumsrate g. Er wird umso größer, je mehr sich die Wachstumsrate den Kapitalkosten (WACC) annähert. Die Wachstumsrate sollte bei der Berechnung des Terminal Value indes nach oben begrenzt sein durch die Wachstumsrate der Volkswirtschaft eines Landes, bei international tätigen Unternehmen durch die Wachstumsrate der Weltwirtschaft. Jeder Wert darüber würde sonst dazu führen, dass zu einem Zeitpunkt in der Zukunft das Unternehmen größer ist als die Volkswirtschaft. Bei Unternehmen in reifen Branchen ist zu überlegen, g unterhalb der Wachstumsrate der Volkswirtschaft anzusetzen. In besonderen Fällen kann g auch negativ sein. Bei der Berechnung des Terminal Value nach der Multiplikatorenmethode wird eine Kenngröße des letzten Jahres des Detailplanungszeitraums, normalerweise EBIT oder EBITDA, mit einem Marktmultiplikator malgenommen. Dieser Marktmultiplikator, zum Beispiel 7-mal EBITDA, wird aus Multiplikatoren vergleichbarer börsennotierter Unternehmen und/ oder vergleichbarer Transaktionen der letzten Jahre gewonnen (siehe die folgenden Ausführungen zu den Multiplikatorenverfahren). Man kann dies interpretieren als einen Verkauf des Unternehmens zum Ende des Detailplanungszeitraums. Dies erklärt auch die häufig anzutreffende Bezeichnung als Exit Multiple Method. Wie bei der ewigen Rente ist auch hier wichtig, dass das letzte Planjahr als repräsentativ für die (lange) Zukunft angesehen werden kann. Außerdem ist darauf zu achten, dass in den aus Vergleichsunternehmen und vergleichbaren Transaktionen gewonnenen Multiplikatoren keine zyklischen Effekte enthalten sind. Bei der Verwendung der Methode sollte Klarheit darüber bestehen, dass der Großteil des Unternehmenswerts (Terminal Value) auf der Grundlage von Multiplikatoren ermittelt wird und nicht auf der Grundlage der Diskontierung künftiger freier Cashflows. Typischerweise werden bei der Analyse beide Methoden verwendet und jeweils die eine als Plausibilitätsprüfung für die andere verwendet. Wurde der Terminal Value als ewige Rente berechnet, so ergibt sich der implizite EBITDA-Multiplikator als: y¯©±·y·…߉ …¤y? ˆ¦-mƒ±…·©±·³ë…«‰ = ? ߉¯·-ë± 9ë±ƒß è߉ßå¹-߅ -ëå¹ â߉ K߉©ß…ƒ·…{ ‰«…¹ m߅¹«â …¤y? ˆ¦ 0 Bei Verwendung der Multiplikatorenmethode lässt sich die implizite Wachstumsrate g berechnen als: Ù = ? ߉¯·-ë± 9ë±ƒß è߉ßå¹-߅ -ëå¹ â߉ mƒ±…·©±·³ë…«‰ß-¯ß…¹«âß × 6¦¢¢ ø ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« 0 ? ߉¯·-ë± 9ë±ƒß è߉ßå¹-߅ -ëå¹ â߉ mƒ±…·©±·³ë…«‰ß-¯ß…¹«âß + ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« 0 Der nächste und letzte Schritt, die Berechnung des Unternehmenswerts, ist technischer Natur: Die Barwerte der freien Cashflows der Detailplanungsphase sind zu ermitteln, ebenso der Barwert des Terminal Value. Die Summe der Barwerte ergibt den Enterprise Value, den Gesamtunternehmenswert. Beträgt der Detailplanungszeitraum 5 Jahre, so ergibt sich: …-…߉©‰·‡ß 9ë±ƒß = ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« ‹ (1 + 6¦¢¢) ‹ + ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« a (1 + 6¦¢¢) a + ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« _ (1 + 6¦¢¢) _ + ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« ] (1 + 6¦¢¢) ] + ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« [ (1 + 6¦¢¢) [ + ? ߉¯·-ë± 9ë±ƒß (1 + 6¦¢¢) [ ¯·… ? ߉¯·-ë± 9ë±ƒß = ‚‰ß·ß‰ ¢ë‡¹Ü±« [ × ( 1 + Ù ) 6¦¢¢ ø Ù «â߉ ? ߉¯·-ë± 9ë±ƒß = mƒ±…·©±·³ë…«‰ × ¤ßyƒÙ‡Ù‰ößß (yƒ¯ ¤ß·‡©·ß± …¤y? ˆ¦ [ ) Aufgrund der zahlreichen Annahmen, die bei der Unternehmensbewertung zu treffen sind, wird der Wert üblicherweise nicht als einwertige Größe, sondern als Bandbreite ermittelt. Dazu werden, wie bei Investitionsrechnungen, Sensitivitätsund/ oder Szenarioanalysen vorgenommen. <?page no="239"?> 239 Neue Betriebswirtschaft 7.2.3 Multiplikatorenverfahren Comparable Company Analysis Bei der Comparable Companies Analysis wird der Unternehmenswert aus Marktpreisen vergleichbarer börsennotierter Unternehmen abgeleitet. Da sich Aktienkurse verschiedener Unternehmen aufgrund der unterschiedlichen Anzahl im Umlauf befindlicher Aktien nicht einfach vergleichen lassen, ist eine Standardisierung erforderlich. Diese Standardisierung wird dadurch erreicht, dass der Wert der vergleichbaren börsennotierten Unternehmen ins Verhältnis gesetzt wird zu Größen wie Umsatz, EBITDA, EBIT, Buchwert oder anderen branchenspezifischen Kennzahlen wie Anzahl der Abonnenten, Hektoliterausstoß, Verkaufsfläche in m 2 oder Streckenkilometer des jeweiligen vergleichbaren Unternehmens. Ergebnis der Standardisierung sind Multiplikatoren - man spricht daher auch von Multiplikatorenverfahren. Multiplikatorenverfahren erfreuen sich in der Praxis großer Beliebtheit. Es gibt fast keine Unternehmensbewertung, in der nicht in detaillierter Form Multiplikatoren vergleichbarer Unternehmen, zumindest als Plausibilisierung, herangezogen werden. Jede Fairness Opinion enthält eine Comparable Companies Analysis, jeder Analystenreport. Selbst auf Entscheiderebene im Top Management sind sie gang und gäbe. Vermutlich werden mehr Entscheidungen auf der Grundlage von Multiplikatoren getroffen als auf der Basis von DCF-Bewertungen. Das Vorgehen, bei Bewertungen vergleichbare Sachverhalte heranzuziehen, ist tief in uns verankert. Wer ein Grundstück oder ein Haus erwerben oder eine Wohnung anmieten möchte, der informiert sich in der Regel auf den gängigen Immobilienportalen oder Mietspiegeln über Quadratmeterpreise und -mieten in der bevorzugten Wohngegend. Sicher, jedes Grundstück ist einzigartig, erst recht jedes Haus oder jede Wohnung. Gleichwohl dienen uns die gängigen Markt-Multiplikatoren, hier Quadratmeterpreise und -mieten, als Anker bei unserer Bewertung. Besonderheiten tragen wir durch Zu- und Abschläge Rechnung. Dasselbe gilt, wenn wir einen Gebrauchtwagen kaufen oder verkaufen wollen. Auch hier gilt, dass jedes Auto anders ist, aber aus Typ, Baujahr, Laufleistung und Ausstattung lassen sich auch hier Preise oder Bandbreiten von Preisen für vergleichbare Fahrzeuge herleiten. Dieselbe Grundidee liegt der Comparable Companies Analysis zugrunde. Sie ist, weil den menschlichen Vorlieben näher, verständlicher und leichter zu präsentieren als eine DCF-Bewertung. Im Vergleich zu den umfangreichen Annahmen, die zur Herleitung und Diskontierung künftiger freier Cashflows erforderlich sind, ist eine Aussage wie „marktüblich sind 8-mal EBITDA“ eine gewaltige Komplexitätsreduktion, die sich zudem auch viel leichter kommunizieren lässt. Übliche Multiplikatoren Der Price/ Earnings-Multiplikator oder das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist die bekannteste Standardisierung der Ergebnismessung börsennotierter Gesellschaften. Er ist definiert als: K … Ö = m뉳…߉… â߇ …·Ùß-³ë©·…뱇 v빉߇üè߉‡å¹ƒ‡‡ = ¦³…·ß-³ƒ‰‡ …‰Ùßè-·‡ µß ¦³…·ß Bei der Comparable Companies Analysis findet er in aller Regel nur ergänzend Anwendung, da der Jahresüberschuss der in die Analyse einbezogenen Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Bilanzpolitik, unterschiedlichen Steuersätzen sowie unterschiedlichen Verschuldungsgraden nur bedingt vergleichbar und damit für die Comparable Companies Analysis nicht geeignet ist. Herzstück einer Comparable Company Analysis sind normalerweise EBITDAoder/ und EBIT- Multiplikatoren. EBITDA und EBIT sind unbeeinflusst von Steuersätzen. Auch Unternehmen aus unterschiedlichen Steuerhoheiten lassen sich so vergleichen. Außerdem sind beide Größen vor Zinsergebnis und damit unbeeinflusst von der Finanzierungsstruktur. EBITDA-Multiplikatoren 7 m>: AK? 8 2: @ > : C>B [ : 4B8: B? ; B: 6J BùB8 42: @ <?page no="240"?> 240 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft finden häufiger Anwendungen, da sie zudem keine Effekte unterschiedlicher Abschreibungspolitik oder -zyklen enthalten. …¤y? ˆ¦-mƒ±…·©±·³ë…«‰ = …-…߉©‰·‡ß 9ë±ƒß …¤y? ˆ¦ …¤y? -mƒ±…·©±·³ë…«‰ = …-…߉©‰·‡ß 9ë±ƒß …¤y? Umsatzmultiplikatoren finden vor allem dann Verwendung, wenn es sich bei dem zu bewertenden Unternehmen um ein Unternehmen in der Krise oder ein Start-up-Unternehmen handelt, also Unternehmen mit niedrigen oder negativen Ergebnissen. Damit ist auch gleich die Gefahr ihrer Verwendung umschrieben: Dass alle Unternehmen irgendwann positive freie Cashflows erwirtschaften mü ssen, um ein en positi ve n We rt z u h ab en, w ird le ic ht im Ei fer des Gefec ht s v er ge ssen. Auch bei der Bewertung von reifen Unternehmen werden regelmäßig Umsatzmultiplikatoren ermittelt, da der Umsatz die Größe im Jahresabschluss ist, die am wenigsten von bilanzpolitischen Maßnahmen beeinflusst ist. Der Umsatzmultiplikator ist definiert als: <¯‡ë…y-mƒ±…·©±·³ë…«‰ = …-…߉©‰·‡ß 9ë±ƒß <¯‡ë…y Gelegentlich findet sich in der Praxis auch das Verhältnis von Equity Value zu Umsatz als Umsatzmultiplikator, das nach herrschender Meinung jedoch als inkonsistent anzusehen ist, da es für Unternehmen mit einer hohen Verschuldung zu niedrigeren Umsatzmultiplikatoren führt und die Aggregation von Umsatzmultiplikatoren von Unternehmen mit unterschiedlichen Verschuldungsgraden erschwert. Weiterhin sind anzutreffen Buchwert-Multiplikatoren, bei denen der Equity Value ins Verhältnis gesetzt wird zum Buchwert des Eigenkapitals. Daneben finden sich branchenspezifische Multiplikatoren, bei denen normalerweise der Enterprise Value ins Verhältnis gesetzt wird zu den produzierten Hektolitern eines Getränks, den produzierten Tonnen an Stahl, der Anzahl von Hits auf einer Webseite, der Anzahl der Abonnenten, um nur einige Beispiele zu nennen. Vergleichbare Unternehmen Die Auswahl der vergleichbaren Unternehmen spielt die zentrale Rolle bei der Comparable Companies Analysis. Welche Unternehmen einzubeziehen sind, ist an der Zielsetzung der Analyse festzumachen, der Ableitung von Marktmultiplikatoren für Unternehmen mit vergleichbarem Ergebnispotenzial, vergleichbarem Wachstum und vergleichbarem Risiko. Ausgangspunkt der Suche sind in der Regel die Wettbewerber des zu bewertenden Unternehmens. Viele Unternehmen geben diese im Geschäftsbericht an. Bei Bloomberg und auch bei Diensten wie Google Finance oder Yahoo Finance finden sich Comparable Companies. Marktanalysen sind eine weitere dankbare Quelle. Die so gewonnene Long List wird dann Stück für Stück zu einer Short List verdichtet, in der dann Unternehmen mit vergleichbaren Produktionsmethoden, vergleichbaren Vertriebssystemen, vergleichbaren Forschungsaktivitäten und vergleichbaren Endkunden aufgenommen werden. Auch Unternehmensgröße, Profitabilität, Wachstumspotenzial und Risikostruktur sollten vergleichbar sein. Regressionsanalysen können bei der Beurteilung, ob ein Unternehmen wirklich „vergleichbar“ ist, helfen. Im Grundsatz kommen auch Unternehmen aus anderen Branchen in Betracht, sofern ihr Ergebnispotenzial, ihre Wachstumsperspektiven und ihr Risikoprofil mit dem zu bewertenden Unternehmen vergleichbar sind. Darauf wird in aller Regel aber nur zurückgegriffen, wenn es aus der Branchen nicht ausreichend vergleichbare Unternehmen gibt. Da es sich bei den vergleichbaren Unternehmen um börsennotierte Gesellschaften handelt, ist in der Regel umfangreiches Zahlenmaterial über die Webseiten, über kostenfreie Dienste (Google <?page no="241"?> 241 Neue Betriebswirtschaft Finance, Yahoo Finance und andere) oder kostenpflichtige Datenbanken (Bloomberg, Thomson Reuters und andere) verfügbar. Es gilt, für jedes vergleichbare Unternehmen den Marktwert des Eigenkapitals zu ermitteln (Anzahl ausstehender Aktien mal Aktienkurs) und daraus den Enterprise Value (Eigenkapitalwert plus Nettoverschuldung). Im Anschluss können dann für jedes Vergleichsunternehmen Umsatz-, EBITDA-, EBIT- und andere Multiplikatoren berechnet werden. Die Bandbreite der Multiplikatoren wird in einem nächsten Schritt dann verdichtet, indem Median, arithmetisches Mittel und andere statistische Größen herangezogen werden. Die so gewonnenen „marktüblichen“ Multiplikatoren werden dann in einem letzten Schritt auf das zu bewertende Unternehmen angewendet. Die nachfolgende Abbildung zeigt beispielhaft die Darstellung der Ergebnisse einer Comparable Company Analysis mit sechs verschiedenen Multiplikatoren im so genannten Football-Field-Format: Abb. 7-9: Football-Field-Format zur Ergebnisdarstellung einer Multiplikatorenanalyse Das Football-Field-Format eignet sich auch zur Darstellung der aus unterschiedlichen Bewertungsverfahren (DCF, Comparable Companies Analysis, Precedent Transactions Analysis etc.) gewonnenen Bandbreiten. Precedent Transactions Analysis Die Precedent Transactions Analysis ist genauso wie die Comparable Companies Analysis ein multiplikatorengestützter Bewertungsansatz. Die Grundidee ist dieselbe: Unternehmen mit vergleichbarem Ergebnispotenzial, vergleichbarer Wachstumsperspektive und vergleichbarer Risikostruktur sollten in effizienten Märkten auch vergleichbare Marktpreise haben. Als Marktpreise dienen hier jedoch nicht die Börsenkurse vergleichbarer notierter Unternehmen, sondern gezahlte (oder gebotene) Preise bei Akquisitionen vergleichbarer Unternehmen. Die Multiplikatoren, die auf der Grundlage vergleichbarer Transaktionen ermittelt wurden, reflektieren zwei Sachverhalte, die in den Multiplikatoren, die aus den Börsenkursen vergleichbarer Unternehmen hergeleitet wurden, nicht enthalten sind: ! Kontrollprämie und ! Synergien. 7 m>: AK? 82: @ >: C>B [: 4B8: B? ; B: 6JBùB842: @ <?page no="242"?> 242 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Unter der Kontrollprämie versteht man den Betrag, den ein Erwerber über den Marktpreis der Aktien eines Unternehmens hinaus bereit ist zu bezahlen, um eine Mehrheit zu erhalten und damit Einfluss ausüben zu können auf Ergebnispotenzial, Wachstum und Risiko. Der Marktpreis einer Aktie spiegelt letztlich den Marktpreis eines Minderheitsanteils wider - an der Börse werden Minderheiten gehandelt. Auch Synergien, die ein strategischer Käufer mit dem zu bewertenden Unternehmen realisieren könnte, fließen in den Börsenkurs nicht ein (es sei denn, es liegt ein aktuelles Übernahmeangebot eines derartigen Käufers vor). Sie sind aber in den gezahlten (oder gebotenen) Kaufpreisen vergleichbarer Transaktionen und den daraus abgeleiteten Multiplikatoren enthalten. Wie die Comparable Companies Analysis, so gehört heute auch die Precedent Transactions Analysis zu jeder Unternehmensbewertung dazu. Sie führt, ceteris paribus, weil sie eben Kontrollprämien und Synergien implizit berücksichtigt, normalerweise zu höheren Multiplikatoren. Wie bei der Comparable Companies Analysis, so spielt auch bei der Precedent Transactions Analysis die Auswahl der vergleichbaren Transaktionen die zentrale Rolle. Auch hier gilt, dass Transaktionen von Unternehmen mit vergleichbarem Ergebnispotenzial, vergleichbarer Wachstumsperspektive und vergleichbarer Risikostruktur zu suchen und in die Analyse einzubeziehen sind, denn nur sie führen zu belastbaren Multiplikatoren und damit Wertbandbreiten. Ohne Zugang zu kostenpflichtigen Datenbanken ist man hier schnell am Ende. Die Zeitschrift Finance veröffentlicht regelmäßig sogenannte Experten-Multiples für ausgewählte Branchen 91 , enthält aber (explizit) keine Analysen über konkrete Transaktionen innerhalb der Branchen. Über professionelle Anbieter (in alphabetischer Reihenfolge seien hier Bloomberg, Mergermarket, Thomson Reuters SDC und Zephyr genannt) hingegen lässt sich umfangreiches Datenmaterial zu Transaktionen weltweit beschaffen. Sektor-/ Branchenteams von Investmentbanken und Beratungsgesellschaften pflegen üblicherweise selber eine eigene Datenbank über Transaktionen in ihrer Branche (gespeist aus eigenem Research und kostenpflichtigen Diensten), so dass Transaktions-Multiplikatoren mehr oder weniger auf Knopfdruck abrufbar sind. Verfügt man nicht über diesen Luxus, so sind in einem ersten Schritt die Daten aus den vergleichbaren Transaktionen aufzubereiten. Insbesondere dann, wenn das Zielunternehmen ein privat gehaltenes Unternehmen war, werden die verfügbaren Informationen in aller Regel unvollständig sein. Von den für eine Multiplikatorenanalyse erforderlichen Inputdaten wie Umsatz, EBITDA, EBIT, Jahresüberschuss und Buchwert werden nicht alle verfügbar sein, ebenso wenig wie Informationen über zu bereinigende Ergebniseinflüsse. War das Zielunternehmen börsennotiert, dann sollte versucht werden, die LTM-Zahlen (letzte 12 Monate vor der Transaktion) der aufgeführten Größen zu ermitteln. Zu beachten ist weiterhin, welche Größe als Transaktionswert in der Datenbank angegeben wurde, Equity Value oder Enterprise Value. Zu ermitteln ist weiterhin der Wert der zinstragenden Verbindlichkeiten und der liquiden Mittel zum Zeitpunkt der Transaktion. Diese Größen sind erforderlich, um Multiplikatoren abzuleiten. Das Universum der Multiplikatoren entspricht dem der Comparable Company Analysis. Durch Vergleich von Precedent Transactions Analysis und Comparable Companies Analysis lassen sich Anhaltspunkte dafür finden, wie hoch in der jeweiligen Branche die in der Vergangenheit gezahlten Kontrollprämien waren. Teilweise werden in Veröffentlichungen über große Transaktionen auch Angaben zu den erwarteten Synergien gemacht, so dass sich die Transaktionsmultiplikatoren weiter aufgliedern lassen in Multiplikatoren mit und ohne Synergieeffekte: …¤y? ˆ¦-mƒ±…·©±·³ë…«‰ «¹-ß B{-߉ٷß- = …-…߉©‰·‡ß 9ë±ƒß p? m …¤y? ˆ¦ …¤y? ˆ¦-mƒ±…·©±·³ë…«‰ ¯·… B{-߉ٷß- = …-…߉©‰·‡ß 9ë±ƒß p? m …¤y? ˆ¦ + ߉ë‰…ß…ß µä¹‰±·å¹ß B{-߉ٷß- 91 http: / / www.finance-magazin.de/ research/ multiples/ <?page no="243"?> 243 Neue Betriebswirtschaft Die möglichen Fehlerquellen bei der Datenaufbereitung sind hoch. Folgende Sachverhalte sollten geprüft werden: ! Handelt es sich um eine mehrheitliche Übernahme? Falls nein, sollte die Transaktion gegebenenfalls nicht berücksichtigt werden, da vermutlich keine Kontrollprämie im Transaktionspreis enthalten ist. ! Wurden 100 Prozent der Anteile erworben? Falls nein, worauf beziehen sich die veröffentlichten Transaktionswerte oder Kaufpreise? Auf den erworbenen Anteil oder auf 100 Prozent der Anteile? Hier ist sicherzustellen, dass eine Umrechnung auf 100 Prozent erfolgt. ! Wurden Teile des Kaufpreises in Aktien des Erwerbers gezahlt, so sind Umtauschverhältnis und Kurs am Tag vor der Veröffentlichung zu beschaffen. Bei der Auswahl der vergleichbaren Transaktionen beginnt man wie bei der Auswahl vergleichbarer Unternehmen mit Transaktionen in derselben Branche wie das zu bewertende Unternehmen. Bei der Analyse vergleichbarer Transaktionen zu beachten, dass es sich um historische Daten handelt und nicht um aktuelle Börsenpreise wie bei der Comparable Companies Analysis. Es macht wenig Sinn, Multiplikatoren von Transaktionen zu verwenden, die aus Notverkäufen in 2009 während der letzten Finanzkrise resultieren oder von High-Tech-Unternehmen aus der Dotcom-Blase im Jahr 2000. Das Marktumfeld, in dem die vergleichbare Transaktion stattfand, sollte mit dem aktuellen Marktumfeld vergleichbar sein. Generell gilt, dass den Transaktionen, die in den letzten zwei bis drei Jahren vor dem Bewertungsstichtag stattfanden, eine höhere Gewichtung zukommen sollte als den Transaktionen, die länger zurückliegen. Gibt es jedoch keine vergleichbaren Transaktionen in den letzten zwei bis drei Jahren, so wird man gleichwohl die älteren betrachten, da sie durchaus Trends in der Branche aufzeigen können. Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals Aus didaktischen Gründen sind wir bislang von der Gültigkeit der Beziehung …-…߉©‰·‡ß 9ë±ƒß + ±·§ƒ·âß m·……ß± = 6߉… â߇ …·Ùß-³ë©·…뱇 + y·-‡…‰ëÙß-âß 9߉è·-ⱷ平߷…ßausgegangen. Die meisten Lehrbücher verfahren ebenso. In der Praxis ist indes zwischen dem Enterprise Value und dem Wert des Eigenkapitals in vielen Fällen mehr als nur die Nettoverschuldung (zinstragende Verbindlichkeiten minus liquide Mittel). Abbildung 7-10 gibt einen (nicht abschließenden) Überblick. WWeerrt t g g eessoonnddeer rt t b beew weerrt teette err V Veerrmmöög g een nssgg eegg e enns sttää nnd dee Beispiele sind zum Verkauf bestimmte Vermögensgegenstände und das so genannte nicht betriebsnotwendige Vermögen (Vermögensgegenstände, die ohne Beeinträchtigung des operativen Cashflows veräußert werden könnten). Exemplarisch sei hier das nicht genutzte Grundstück (Innenstadtlage in einer attraktiven Großstadt) aufgeführt. Hier erfolgt der Ansatz mit dem voraussichtlichen Veräußerungserlös. Ist die Veräußerung nicht sofort, sondern erst in einigen Jahren möglich, so ist er abzuzinsen. Steuereffekte, die aus einer Veräußerung resultieren, sind zu berücksichtigen. Ebenso Verbindlichkeiten, die mit dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen zusammenhängen. Die Ergebnisse aus dem gesondert bewerteten Vermögen (und gegebenenfalls damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten) sind bei der Herleitung der freien Cashflows zu eliminieren (Vermeidung von Doppelzählungen). 7 m>: AK? 82: @ >: C>B [: 4B8: B? ; B: 6JBùB842: @ <?page no="244"?> 244 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Abb. 7-10: Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals AAn ntteeiillee aa nnd de er reerr GGees seellllsscchhaa f ftteerr Hält das zu bewertende Unternehmen die Mehrheit, aber weniger als 100 Prozent der Anteile an einem Tochterunternehmen, so wird das Tochterunternehmen zu 100 Prozent konsolidiert und der Tatsache, dass nicht alle Anteile dem Mutterunternehmen gehören, dadurch Rechnung getragen, dass auf der Passivseite der Konzernbilanz ein Ausgleichposten „Anteile anderer Gesellschafter“ ausgewiesen wird. In der Konzernergebnisrechnung wird der Ergebnisanteil dieser Gesellschafter ebenfalls separat gezeigt. Es handelt sich wirtschaftlich um einen Anteil an einer Tochtergesellschaft und nicht um einen Anteil am Mutterunternehmen oder am Konzern. Erfolgt die Bewertung, die Prognose der künftigen freien Cashflows wie in der Praxis üblich auf Basis des Konzernergebnisses und nicht auf Basis einer Einzelbewertung der Unternehmen, so ist dem Rechnung zu tragen. Ein Teil der künftigen freien Cashflows wird nicht den Eigenkapitalgebern des Mutterkonzerns zufließen, sondern den „anderen Gesellschaftern“. Bei der Bewertung der Anteile anderer Gesellschafter ist zu beachten, dass die in der Konzernbilanz ausgewiesenen Werte Buchwerte sind. Sie sind zu ersetzen durch die Anteile am tatsächlichen Wert des oder der in den Konzernabschluss einbezogenen Tochterunternehmen. Dies ist dann relativ leicht, wenn diese Unternehmen börsennotiert sind. Der Börsenkurs kann als relativ gute Approximation für den Wert der Minderheitenanteile herangezogen werden. Gibt es keine Börsennotierung, so ist für das Tochterunternehmen eine eigene DCF-Bewertung vorzunehmen. Liegen die dafür benötigten Informationen nicht vor, dann sollte der Unternehmenswert mit Hilfe von Multiplikatoren (Comparable Companies Analysis oder Precedent Transactions Analysis) geschätzt werden. Als letzter Ausweg bleibt dann doch wieder der Buchwert. Und in den Fällen, in denen der Wert der Anteile anderer Gesellschafter verschwindend gering ist, mag man mit dieser Unschärfe auch leben wollen. <?page no="245"?> 245 Neue Betriebswirtschaft AAu ußße errbbi illaa nnz zi ieellllee z ziinns sttrraa gg eennd de e V Veerrb biin nddl liicchhkke eiitteenn Hier sind in erster Linie Verbindlichkeiten aus „Operating Leases“, die unter und nicht in der Bilanz ausgewiesen werden, angesprochen. Wirtschaftlich handelt es sich bei Leasingverbindlichkeiten eindeutig um zinstragende Verbindlichkeiten. Der Barwert der künftigen Leasingverbindlichkeiten aus den nicht bilanzierten Operating Leases ist zu schätzen und zu den in der Bilanz ausgewiesenen zi ns tra ge nde n Ve rbindlic hk e it en z u ad di er en. Dasselbe gilt für vergleichbare außerbilanzielle Finanzierungsformen wie zum Beispiel das Factoring. Auch hier sollten die verkauften Forderungen aus Lieferungen und Leistungen wieder dem Working Capital zugerechnet und in gleicher Höhe die zinstragenden Verbindlichkeiten erhöht werden. PPe enns siioon ns szzu us saa gg een n Künftige Verpflichtungen aus Pensionszusagen können einen erheblichen Anteil an der Bilanzsumme des zu bewertenden Unternehmens ausmachen. Für die Unternehmensbewertung relevant sind in erster Linie Leistungszusagen des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern (so genannte Defined Benefits). Diese Zusagen können durch den Aufbau eines eigenen Planvermögens oder durch Versicherungen „gedeckt“ sein. Dabei sind folgende Fallkonstellationen möglich: ! Das Planvermögen ist höher als der Wert der künftigen Verpflichtungen. Es liegt eine Überdeckung vor. ! Das Planvermögen entspricht dem Wert der künftigen Verpflichtungen. Die Pensionen sind voll gedeckt. ! Das Planvermögen ist geringer als der Wert der künftigen Verpflichtungen. Es liegt eine Unterdeckung vor. ! Es gibt überhaupt gar kein Planvermögen. Die künftigen Verpflichtungen sind ungedeckt. International ist es überwiegend gebräuchlich, für Pensionszusagen einen separaten Kapitalstock, ein eigenes Planvermögen aufzubauen. Es sind überdeckte, gedeckte und unterdeckte, nur selten vollkommen ungedeckte Pensionen anzutreffen. In Deutschland wurde lange Zeit kein Planvermögen in den Unternehmen für die Pensionsverpflichtungen aufgebaut. Es wurde unterstellt, dass der Rückfluss aus dieser Innenfinanzierung ausreichend sei, um im Leistungsfall für die notwendige Liquidität zu sorgen. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde langsam mit dem Aufbau gesonderter, vom operativen Vermögen getrennter Planvermögen begonnen. Bei den DAX-Unternehmen sind inzwischen rund zwei Drittel der Pensionszusagen durch Planvermögen gedeckt (anders ausgedrückt: ein Drittel der Pensionszusagen sind ungedeckt). Bundesweit dürfte der Deckungsgrad deutlich unter denen der DAX-Konzerne liegen, so dass bei der Bewertung von Unternehmen mit Pensionszusagen in Deutschland in aller Regel von einer deutlichen Unterdeckung auszugehen ist. Zur Ermittlung des Ausmaßes der Unterdeckung ist ein ausführliches versicherungsmathematisches Gutachten erforderlich. Bei den DAX-Unternehmen werden die Annahmen, die hinsichtlich Sterbetafeln, Diskontierungszinssatz, erwartete Steigerungsraten bei Gehalt und bei Renten sowie erwartete Rendite des Planvermögens (soweit vorhanden) in den Jahresabschlüssen veröffentlicht. Ebenso werden in begrenztem Umfang Auswirkungen bei Änderungen einzelner Input-Variablen angegeben. Bei nicht notierten Unternehmen ist in aller Regel Input vom Management erforderlich, um zu einer belastbaren Bewertung der Pensionen zu kommen. Der Bilanzausweis bietet aufgrund von bestehenden handelsrechtlichen Übergangsregelungen oft nur einen groben Anhaltswert. Liegt insgesamt eine Überdeckung vor, so liegt es nahe, diese gesondert zum Enterprise Value hinzuzuaddieren. Jedoch ist zu prüfen, ob ein Zugriff auf diese Mittel rechtlich überhaupt möglich wäre. Außerdem sind steuerliche Auswirkungen zu berücksichtigen. In manchen Steuerhoheiten sind hohe Steuersätze vorgesehen, wenn auf das Planvermögen zugegriffen wird. Als Alternative 7 m>: AK? 82: @ >: C>B [: 4B8: B? ; B: 6JBùB842: @ <?page no="246"?> 246 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft bietet sich an, die Überdeckung (wenn sie signifikant ist) bei der Prognose der künftigen Aufwendungen zu berücksichtigen. Eine Unterdeckung ist wirtschaftlich betrachtet der versicherungsmathematische Barwert künftiger Cash-Outflows aus den eingegangenen Pensionsverpflichtungen. Sie ist vom Enterprise Value abzuziehen, wenn der Wert des Eigenkapitals ermittelt wird. SSoon nssttiigg e e f frreem md dk kaa p piittaa l lää hhn nlliicch hee P Poos siit tiioon ne enn Neben den Pensionsrückstellungen gibt es auf der Passivseite der Bilanz weitere Positionen, die sich weder den zinstragenden Verbindlichkeiten noch dem Working Capital zuordnen lassen. Als Beispiel seien hier einmalige Rückstellungen für Restrukturierungsaufwendungen genannt oder Rückstellungen für Prozessrisiken. Hierfür sollten, gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Eintrittswahrscheinlichkeiten, Nach-Steuer-Barwerte ermittelt und diese als fremdkapitalähnliche Positionen vom Enterprise Value abgezogen werden, um zum Eigenkapitalwert zu gelangen. Latente Steuern sind daraufhin zu analysieren, ob sie zum operativen oder zum nichtoperativen Bereich gehören, wann sie voraussichtlich fällig werden und dann gegebenenfalls vom Enterprise Value abzuziehen. Steuerliche Verlustvorträge stellen einen gesondert zu bewertenden Vermögensgegenstand dar und sind zum Enterprise Value hinzuzuaddieren. OOp pt tiioon ns sw weer rt te e Viele börsennotierte Unternehmen gewähren ihrem Management Aktienoptionen als Bestandteil der Vergütung. Diese Optionen beinhalten das Recht, innerhalb eines bestimmten Zeitraums Aktien des Unternehmens zu einem festgelegten Preis zu erwerben. Diese Optionen beeinträchtigen den Enterprise Value nicht, wohl aber den Eigenkapitalwert. Ausgeübt werden die Optionen nur, wenn der Aktienkurs über dem Bezugspreis liegt. In Höhe der Differenz erzielt der Ausübende einen Gewinn - er erwirbt beispielsweise zu einem Preis von 20 Euro eine Aktie, die für 25 Euro gehandelt wird. Gibt das Unternehmen dafür neue Aktien aus, dann kommt es zu einer Kapitalverwässerung. Der Anteil der Altaktionäre am Unternehmen sinkt, dem Marktpreis von 25 Euro steht nur ein Erlös von 20 Euro gegenüber. Das Unternehmen könnte die Aktien alternativ auch am Markt kaufen, müsste indes 25 Euro aufwenden, erhält aber nur 20 Euro. Dies reduziert den Cashflow an die Eigenkapitalgeber. Und damit den Eigenkapitalwert. Bewerten lassen sich die Optionen mit den gängigen Optionspreismodellen (Black Scholes oder Cox Ross Rubinstein) ermitteln. Üblicherweise sind diese Berechnungen auch im Anhang der Jahresabschlüsse der Unternehmen zu finden. Ist die Gewährung von Aktienoptionen an das Management beim zu bewertenden Unternehmen „ständige Übung“, so reicht es nicht aus, lediglich die bestehenden Optionen zu bewerten. Es sind darüber hinaus auch die Optionen ins Kalkül einzubeziehen, die in Zukunft voraussichtlich noch gewährt werden. Hat der Bewerter Zugang zum Management, so lassen sich hier in aller Regel belastbare Informationen zusammenstellen. Ist das nicht der Fall, so wird man sich mit groben Schätzungen (zum Beispiel auf der Grundlage historischer Relationen von Umsatz oder EBIT und gewährten Optionen) behelfen müssen. Neben Aktienoptionen des Managements können auch Wandel- und Optionsanleihen den Eigenkapitalwert mindern, da auch sie zu einer Verwässerung der Anteile der Altaktionäre führen, wenn sie ausgeübt werden. Im Gegensatz zu den Managementoptionen werden Wandel- und Optionsanleihen jedoch häufig an der Börse gehandelt. Der aktuelle Marktpreis ist, wenn der ermittelte Wert des Eigenkapitals nicht stark vom Marktwert des Eigenkapitals abweicht, eine hinreichend gute Approximation. Alternativ lassen sich auch hier mit Hilfe von Optionspreismodellen Werte ermitteln. <?page no="247"?> 7 Einführung in die Unternehmensbewertung 247 LLiitteerraattuurr Internationale Standardwerke (Auswahl) Damodaran, Investment Valuation: Tools and Techniques for Determining the Value of Any Asset, 3. Aufl., 2012 Koller/ Goedhart/ Wessels, Valuation: Measuring and Managing the Value of Companies, 6. Aufl., 2015 Rosenbaum/ Pearl, Investment Banking, Valuation, Leveraged Buyouts, and Mergers & Acquisitions, 2. Aufl., 2013 Deutsche Standardwerke (Auswahl) Ballwieser/ Hachmeister, Unternehmensbewertung: Prozess, Methoden und Probleme, 5. Aufl., 2016 Drukarczyk/ Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl., 2015 DVFA-Arbeitskreis „Corporate Transactions and Valuation“, Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung Hering, Unternehmensbewertung, 3. Aufl., 2014 Hommel/ Dehmel, Unternehmensbewertung case by case, 7. Aufl., 2013 Institut der Wirtschaftsprüfer (Hrsg.), IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S1 i. d. F. 2008), Matschke/ Brösel, Unternehmensbewertung: Funktionen - Methoden - Grundsätze, 4. Aufl., 2012 Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl., 2015 Web (Auswahl) www.damodaran.com http: / / macabacus.com/ learn <?page no="249"?> Neue Betriebswirtschaft 88 U Unntteerrn neehhmmeennsszzuussaammmmeennsscchhllüüssssee Rebecca Popp Lernziele ! Sie sollen die Begriffe Unternehmenszusammenschluss und Merger&Acquisition richtig verstehen und verwenden können. ! Sie sollen einige Motive für Unternehmenszusammenschlüsse kennen. ! Sie sollen den Ablauf eines Unternehmenszusammenschlusses beschreiben können. ! Sie sollen Ansätze zur Erfolgsmessung von Unternehmenszusammenschlüssen kennen. ! Sie sollen einen Einblick in aktuelle Entwicklungen bei Unternehmenszusammenschlüssen gewinnen. Begriffsabgrenzung Unternehmenszusammenschlüsse entstehen durch Verbindung von bisher rechtlich sowie wirtschaftlich selbständigen Unternehmen, wobei zumindest bei einem der beiden Unternehmen die rechtliche oder wirtschaftliche Selbständigkeit aufgegeben werden kann, jedoch nicht aufgehoben werden muss. Je nach rechtlicher und wirtschaftlicher Selbständigkeit lassen sich Unternehmenszusammenschlüsse weiter unterteilen in Unternehmenskooperationen und Unternehmensverknüpfungen. Bei Kooperationen bleibt die rechtliche Autonomie unberührt und auch die wirtschaftliche Autonomie bleibt bis auf die vertraglich festgelegte Zusammenarbeit der kooperierenden Bereiche weiter bestehen. Zu diesen Unternehmenskooperationen gehören auch strategische Kooperationen wie z.B. Joint Ventures oder strategische Allianzen und andere Kooperationsformen wie Konsortien oder Kartelle. Bei Unternehmensverknüpfungen wird zumindest die wirtschaftliche Autonomie aufgegeben. Unternehmensverknüpfungen lassen sich in Mergers und Acquisitions unterteilen. Übersetzt man M&A - also Mergers and Acquisitions - wörtlich, so handelt es sich im um Fusionen (Mergers) und Unternehmensübernahmen (Acquisitions). Unter Acquisition wird der Erwerb ganzer Unternehmen oder einzelner Unternehmensteile verstanden, wobei das erworbene Unternehmen seine wirtschaftliche und rechtliche Selbständigkeit zum Teil oder zur Gänze aufgibt (vgl. Pernsteiner, H/ Andeßner, R. 2014, S 79 f.; Wirtz 2012, S. 10). Die Akquisition erfolgt durch den Kauf von Gesellschaftsanteilen (share deal) oder als Übertragung sämtlicher Wirtschaftsgüter des Zielunternehmens (asset deal). Bei einem Asset Deal handelt es sich um einen Unternehmenskauf in Form von Anlagevermögen, Wirtschaftsgütern und immateriellen Vermögensgegenständen. Auch die komplette Übernahme des Unternehmens ist dabei möglich. Der Vorteil von Asset Deals besteht darin, dass bestimmte Wirtschaftsgüter aus dem Verkauf ausgeschlossen werden können und der Verkäufer gegebenenfalls die bisher rentablen Geschäftsbereiche weiterführen kann. Auf der Käuferseite bestehen auf steuerlicher und finanzierungstechnischer Seite positive Effekte. Die erworbenen Wirtschaftsgüter gehen direkt in die Bilanz des Käufers über und können inklusive stiller Reserven und eventuell gezahlten <?page no="250"?> 250 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Goodwills 92 abgeschrieben werden. Die Finanzierung wird dadurch erleichtert, dass der Käufer die erworbenen Objekte bei der Bank besichern kann. Bei einem Share Deal werden die Anteile oder Beteiligungen eines Rechtsträgers erworben. Die Identität des gekauften Objekts bleibt also erhalten. Der Erwerber wird Mehr- oder Minderheitsanteilseigner. Garantien und Risikobeschränkungen sind oft Vertragsbestandteil. Die Bilanzierung der erworbenen Anteile erfolgt im Anlagevermögen als Beteiligung und lässt sich somit nicht steuermindernd abschreiben. Vorteilhaft ist beim Share Deal, dass der Käufer individuell mit den Anteilseignern des Target-Unternehmens verhandeln kann. Außerdem entstehen keine arbeitsrechtlichen Probleme aufgrund eines Arbeitgeberwechsels (vgl. Wirtz 2012, S. 286). Merger beschreibt die Fusion von zwei bisher rechtlich und wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen, wobei mindestens ein Unternehmen seine rechtliche Selbständigkeit aufgibt. Dabei kann zwischen einer Fusion durch Aufnahme und einer Fusion durch Neugründung unterschieden werden (vgl. Hinne 2003, S. 5f; Wirtz 2003 S. 13, Rademacher 2011, S 11, Picot 2012, S. 26). Die Verwendung des Begriffs M&A ist äußerst vielfältig und uneinheitlich. Hier werden die Begriffe M&A und Unternehmenszusammenschluss synonym verwendet. In Anlehnung an deutschsprachige Literatur sollen Unternehmenszusammenschlüsse durch Kooperation nicht unter den M&A Begriff fallen, d.h. der Begriff Unternehmenszusammenschluss wird als Unternehmenszusammenschluss im engeren Sinne verstanden. Abbildung 8-1: Der Begriff „Unternehmenszusammenschlüsse“ 92 Goodwill ist im Rechnungswesen die Bezeichnung für einen immateriellen Vermögensposten im Unternehmen, der durch entgeltlichen Erwerb von anderen Unternehmen oder Unternehmensteilen entsteht oder als selbst geschaffener Firmenwert eine Höherbewertung des eigenen Unternehmens darstellt. <?page no="251"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 251 Neue Betriebswirtschaft Es gibt verschiedene Ansätze wie sich Unternehmenszusammenschlüsse unterscheiden lassen. Eine erste Art der Unterscheidung ist gemäß des leistungswirtschaftlichen Zusammenhangs der Unternehmen. Schließen sich Unternehmen auf der gleichen Produktionsstufe zusammen, so bezeichnet man dies als horizontalen Zusammenschluss (vgl. Grill 2011, S. 18f., Gaughan 2002, S. 13). Horizontale Zusammenschlüsse können negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, insbesondere wenn es sich bei den fusionierenden Unternehmen um Unternehmen mit großer Marktmacht handelt. Kartellrechtliche Kontrollen sollen diese negativen Auswirkungen mindern (vgl. Gaughan 2002, S. 13f.). Bei vertikalen Zusammenschlüssen hingegen verbinden sich Unternehmen auf vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen. Der Zusammenschluss mit Unternehmen auf vorgelagerter Ebene hilft z.B. bei der Versorgung des Unternehmens mit Vorprodukten oder Rohstoffen. Man spricht hier von Rückwärtsintegration. Bei der Vorwärtsintegration werden Unternehmen der nachgelagerten Wertschöpfungsstufen integriert (vgl. Stein 1992, S. 9). Ein Konglomerat hingegen ist der Zusammenschluss von Unternehmen ohne leistungswirtschaftlichen Zusammenhang (vgl. Grill 2011, S18f.). Hinsichtlich der Finanzierung kann man zwischen Außen- und Innenfinanzierung und eigen- und fremdkapitalbasierter Finanzierung unterscheiden. Weiterhin kann nach der Übernahmetechnik unterschieden werden. Dabei kann man zwischen freundlichen und feindlichen Übernahmen unterscheiden. Bei einer freundlichen Übernahme führen Interessenten und Management des Akquisitionsobjekts Verhandlungen. Feindliche Übernahmen resultieren aus der Tatsache, dass bei Kapital- und Aktiengesellschaften Eigentümer und Managementfunktion auseinander fallen, woraus sich ein Interessenkonflikt ergibt. Ein Investor kann sich direkt an die Eigentümer eines Unternehmens wenden, um ein Unternehmen zu kaufen, ohne die Einwilligung des Managements eingeholt zu haben (vgl. Bauer 2011, S. 15). Die Bezeichnung „feindlich“ stellt oft nur die ablehnende Sicht des Managements des Übernahmekandidaten für den Kauf der Kapitalmehrheit an einem Unternehmen gegen den Willen von dessen Vorstand, Aufsichtsrat oder Belegschaft dar. Motive Unternehmenszusammenschlüsse können als Form der strategischen Unternehmensentwicklung gesehen werden, um auf veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu reagieren. Unternehmenszusammenschlüsse beeinflussen unterschiedlichste Beteiligte (z.B. Eigner, Management, Mitarbeiter und andere Stakeholder auf beiden Seiten). Dabei haben die verschiedenen Stakeholder unterschiedliche Beweggründe, die nicht unbedingt komplementär sind. Die folgende Tabelle zeigt unterschiedliche Motive für Unternehmenszusammenschlüsse aus Käufersicht und Verkäufersicht auf. Motive für Unternehmenszusammenschlüsse Motive aus Käufersicht strategische Motive finanzielle Motive persönliche Motive - Realisierung von Synergieeffekten und Wertzuwachs - Marktmotive - Leistungsmotive - Risikomotive kapitalmarktbedingte Motive bilanzpolitische und steuerliche Motive unterschiedliche persönliche Motive des Managements <?page no="252"?> 252 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Motive aus Verkäufersicht eigentümerspezifisch unternehmensspezifisch - Nachfolgeregelung und Ausstieg - Cash In finanzielle Notlage bessere Investitionsmöglichkeiten interne Differenzen zwischen Gesellschaftern fehlende Finanzmittel (Investitionen/ Wachstum) - Schuldenabbau, Liquiditätsengpässe - Kostensenkung, Steuervorteile - Konzentration auf Kernkompetenzen strategische Neuausrichtung - Mitarbeiterausstieg Tabelle 8-1: Motive aus Käufer- und Verkäufersicht Zu unterscheiden sind unterschiedliche Erwartungen zwischen strategischen Investoren, die reale Zusammenschlussmotive haben und reinen Finanzinvestoren. Das Kaufinteresse von reinen Finanzinvestoren ist meist ausschließlich finanziell. Reale Zusammenschlussmotive Reale Zusammenschlussmotive sind z.B. ! Synergieeffekte ! Diversifikation/ Risikominimierung ! Größere Marktmacht ! Verbesserung der Managementleistung Zu den Synergieeffekten gehören z.B. Kosten und Umsatzvorteile, die auf Unternehmenszusammenschlüsse bzw. - übernahmen zurückzuführen sind. Durch die Zusammenlegung bisher getrennter Unternehmensbereiche oder Funktionen, wie z.B. Verwaltung und Produktion können Doppelarbeiten vermieden und Kosten eingespart werden (vgl. Kurz 2006, S. 8). Einen weiteren Vorteil, der aus dem Zusammenschluss mehrerer Unternehmen resultiert, ist die Unternehmensgröße. Hierdurch entstehen so genannte Economies of Scale, denn die Fixkosten werden auf eine höhere Produktionsstückzahl verteilt, so dass die Fixkosten pro Stück sinken (vgl. Kurz 2006, S. 8). Man unterscheidet dabei zwischen Spezialisierungseffekten, Kapazitätseffekten und Erfahrungskurveneffekten (vgl. Balz 2007, S. 22f.). Spezialisierungseffekte werden dadurch erreicht, dass Aufgaben im Unternehmen besser bzw. effizienter bearbeitet werden können und dadurch die Stückkosten sinken. Werden die Stückkosten durch eine Vergrößerung der Stückzahlen ohne die Ausnutzung vorhandener Leerkapazitäten reduziert, spricht man von Kapazitätsgrößenvorteilen. Durch z.B. Mengenrabatte von Lieferanten sinken bei zunehmender Unternehmensgröße die Kosten pro Stück. Allerdings steigen, wenn eine bestimmte Unternehmensgröße überschritten wird, die Stückkosten manchmal sogar wieder. D.h. vor dem Zusammenschluss von Unternehmen ist dieser Effekt zu hinterfragen (vgl. Balz 2007, S. 23, Hinne 2008, S. 41). Erfahrungskurveneffekte stellen einen Bezug zwischen kumulierter Ausbringungsmenge und den Kosten pro Stück her. Die grundlegende Aussage des Ansatzes ist, dass bei einer Verdopplung der kumulierten Ausbringungsmenge die Kosten pro Stück um 15-30 Prozent verringert werden können. Durch einen Zusammenschluss zwischen Unternehmen können Erfahrungen zwischen den Unternehmen weitergegeben werden. Durch Skaleneffekte können Unternehmen mit größerer Produktionsmenge niedrigere Stückkosten erreichen und damit die Kostenführerschaft erlangen. <?page no="253"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 253 Neue Betriebswirtschaft Die Fixkostendegression ist umso intensiver je fixkostenintensiver die Produktion des Unternehmens ist. Ein Beispiel ist das Auftreten von M&A-Transaktionen in der Stahlindustrie durch die hohen Fixkosten für die benötigten Anlagen und Maschinen. Im Telekommunikationsbereich ist dieses Motiv durch die hohen Infrastrukturkosten zu erklären (vgl. Balz 2007, S. 22; Hinne 2008, S. 40). Außerdem entstehen so genannte Economies of Scope, also Verbundvorteile, die das Zusammenwirken von Entscheidungen, Tätigkeiten, Maßnahmen und Funktionsbereichen des Unternehmens darstellen. Durch finanzwirtschaftliche Synergien wird der Zugang zu internationalen Börsen und Kapitalmärkten erleichtert, da durch den Zusammenschluss eine bestimmte Unternehmensgröße erreicht wird (vgl. Budzinski/ Kerber 2003, S. 43). Durch den Zusammenschluss von Unternehmen werden zudem Kompetenzen und Erfahrungen auf ein anderes Erzeugnis übertragen und existierende Faktoren wie Technologien, Produktionsanlagen und Vertriebskanäle gemeinschaftlich genutzt (vgl. Lenhard 2009, S. 32f.). Ein wesentliches Motiv für M&A Aktivitäten liegt im Zugang zu Know-How und Ressourcen. D.h. beim Zusammenschluss steht der Zugang der im Zielunternehmen vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen im Vordergrund. Mit M&A Aktivitäten kann das Unternehmen Zugang zu Fähigkeiten erlangen, die nicht einfach gekauft werden können und auch nicht anders generiert werden können. Die durch den Kauf des Zielunternehmens erworbenen Fähigkeiten und Ressourcen sind für das Käuferunternehmen nur dann wertvoll, wenn sie uneingeschränkt transferiert, genutzt und evtl. kombiniert werden können (vgl. Hinne 2008, S. 43f.). Auch der Zugang zu Beziehungen zu Kunden, Lieferanten, Wettbewerbern, Kooperationspartnern, Forschungseinrichtungen, Agenturen etc. gehört zu den M&A Motiven (vgl. Hinne 2008, S. 46). Ein weiterer Vorteil von Unternehmenszusammenschlüssen liegt in der Risikoreduktion. Hier kann man zwischen kurz- und langfristigen Risiken unterscheiden. Kurzfristige Risiken bestehen aufgrund der Abhängigkeit eines Unternehmens von bestimmten Produkten oder Branchen. Schließen sich Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen zusammen, so wird das Risiko auf verschiedene Branchen gestreut. Für Zusammenschlüsse werden oft Unternehmen ausgesucht, deren Ertragsentwicklungen sich entgegenstehen, um Zahlungsströme auszugleichen. Durch die Diversifikation via Unternehmenszusammenschluss erreicht das Unternehmen größere Unabhängigkeit bei Marktschwankungen (vgl. Wirtz 2003, S. 64). Vertikale Zusammenschlüsse verringern die Abhängigkeit von Zulieferern und Abnehmern. Durch höhere Abnahmemengen lassen sich zudem die Einkaufskonditionen verbessern. Gerade beim produzierenden Gewerbe spielt der Zugang zu Ressourcen eine große Rolle. Durch den Zusammenschluss mit vorgelagerten Unternehmen lassen sich bedeutende Kostenvorteile erzielen, wenn nicht sogar ein exklusiver Zugang zu bestimmten Ressourcen erreicht wird. Dabei müssen diese Ressourcen nicht unbedingt materieller Natur sein. Auch Know- How stellt ein bedeutendes Asset dar. Um das langfristige Überleben eines Unternehmens zu sichern, ist das Vordringen in neue Wachstumsmärkte zur Risikobewältigung anzustreben, womit eine Verringerung der Bindung von wettbewerbsintensiven oder stagnierenden Märkten bewirkt wird (vgl. Wirtz 2003, S. 64). Durch Unternehmenszusammenschlüsse wird außerdem die Marktmacht vergrößert und die Anzahl der konkurrierenden Unternehmen verringert. Eine Wettbewerbsverdrängung wird durch die Gewinnung neuer Märkte und Vertriebswege und den indirekten Kauf von Marktanteilen des einstigen Mitbewerbers erreicht. Somit verringert sich die Wettbewerbsintensität. Bei horizontalen Zusammenschlüssen von Unternehmen, die vorher schon einen beachtlichen Marktanteil innehatten, verbessert sich durch den verringerten Preiswettbewerb deren Verhandlungsposition nicht nur gegenüber den Kunden am Absatzmarkt, sondern auch gegenüber den Lieferanten am Beschaffungsmarkt. Das Unternehmen kann mit der gewonnenen Marktmacht die abgesetzte Menge, den Marktpreis und andere Parameter beeinflussen und die Ertragskraft verbessern (vgl. Budzinski/ Kerber 2003, S. 52, vgl. Lenhard 2009, S. 34, vgl. Pauser 2007, S. 42). Derartige monopolistische Marktstrukturen führen zu einem Nachteil für die Zulieferer und Kunden. Die Kartellbehörde als <?page no="254"?> 254 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft nationale Instanz, die dazu befähigt ist, die Entstehung und den Missbrauch von Marktmacht von Beginn an abzuwenden, und die Diskussionen über eine eventuelle globale Weltkartellbehörde zeigen die Aktualität dieser Problematik (vgl. Lenhard 2009, S. 35; Pauser 2007, S. 43). Die Transaktionskosten-Theorie zeigt ein mögliches Motiv für die Durchführung von vertikalen Unternehmenszusammenschlüssen, d.h. von Zusammenschlüssen mit Unternehmen aus einer vor- oder nachgelagerten Wertschöpfungsstufe. Hierbei ist es wichtig, dass die Kosten in Bezug auf die Entwicklung, Verhandlung, Durchführung und Kontrolle von Verträgen nach dem Zusammenschluss geringer sind, als sie es vor der Integration waren (vgl. Hinne 2008, S. 46). 8.2.2 Spekulative Zusammenschlussmotive Finanzinvestoren haben zudem spekulative Zusammenschlussmotive. Finanzinvestoren erwerben ein Unternehmen, um erhebliche Wertsteigerungen zu erlangen. In der Regel haben Finanzinvestoren kein strategisches Interesse, sondern versuchen in einem kurzen Zeitraum mit Hilfe finanzwirtschaftlicher und operativer Mittel, eine hohe Rendite zu erreichen. Die Investition wird meist nach einem Zeitraum von ca. 3-5 Jahren beendet und mit Gewinn weiterveräußert (vgl. Allert, A. 2014, S. 568). Im Rahmen von spekulativen Motiven sollen Arbitrage-Gewinne erzielt werden, die sich aus der Differenz zwischen Kaufpreis und Finanzierungskosten und einem höheren Verkaufserlös ergeben. Voraussetzung dafür, dass der Käufer solche Arbitrage-Gewinne realisieren kann, ist dass er die notwendige Akquisitionserfahrung und Markterfahrung hat. Außerdem muss eine Intransparenz des Markts vorliegen und der Käufer muss gegenüber anderen Marktteilnehmern einen Vorsprung haben. Ein Käufer mit der notwendigen Erfahrung sollte sich auf unterbewertete Unternehmen konzentrieren, um eine möglichst große Wertsteigerung zu erzielen (vgl. Jansen 1999, S. 156). Steueroptimierung ist ein weiteres finanzielles Motiv. Die Zusammenführung zweier Unternehmen bieten erhebliche steuerliche Potenziale. Z.B. kann der Verlustvortrag eines Unternehmens mit den Gewinnen eines anderen verrechnet werden. Je nach Gestaltung der Transaktion (Asset Deal) lässt sich der komplette Kaufpreis steuerlich geltend machen (vgl. Writz 2012, S. 76). Zudem ist durch die Hebung stiller Reserven eine Erhöhung der Abschreibungsbasis möglich. Des Weiteren kann der Zinsaufwand für eine Fremdkapitalfinanzierung des Zusammenschlusses steuerlich geltend gemacht werden (vgl. Jansen 2008, S. 138; Pauser 2007, S. 53). Ein Finanzinvestor arbeitet meist auf einen schnellen, rentablen Exit hin und ist nicht an einer längerfristigen Zusammenarbeit interessiert. 8.2.3 Managementmotive Diese Motive bestehen meist vorrangig aus Macht- und Prestigestreben. Durch die Übernahme des Unternehmens wird der Einflussbereich des Managers vergrößert. Allerdings kann es wegen Selbstüberschätzung der Unternehmensleitung dazu kommen, dass sich der gewünschte Erfolg nicht einstellt („Hybris-Theorie). Folge der Selbstüberschätzung ist, dass Manager bereit sind Preise für Unternehmen zu zahlen, die oberhalb des Marktniveaus liegen (vgl. Jansen 2008, S. 138f; vgl. Lenhard 2009, S. 36). Stehen einem Unternehmen freie Mittel zur Verfügung so kommt es zu Interessenkonflikten zwischen Unternehmensführung und Eigentümern. Während die Eigentümer an einer Ausschüttung der Gewinne interessiert sind, möchte das Management den eigenen Einflussbereich erweitern und Unternehmenskäufe tätigen. Eine Ausschüttung des Free-Cashflows würde eine Verminderung der kontrollierten Ressourcen darstellen und somit den Einflussbereich des Managements reduzieren. Bei geringerem Free-Cash-Flow müsste das Management für Finanzierungen früher auf den Kapitalmarkt zurückgreifen, was wiederum den Handlungsspielraum des Managements einschneiden würde. Außerdem kann das Management nicht ausgeschüttete freie Mittel zur späteren Ertragsstabilisierung verwenden (vgl. Lenhard 2009, S. 37; Pause 2007, S. 55). <?page no="255"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 255 Neue Betriebswirtschaft Der wichtigste Vermögensgegenstand eines Managers, sein Humankapital, ist im Gegensatz zum Investment eines Aktionärs an ein einzelnes Unternehmen gebunden. Meist ist auch der Einkommensstrom weitgehend von der Unternehmensperformance abhängig. Um das Risiko des Einkommensverlustes zu minimieren, sind Manager daran interessiert auf Unternehmensebene einen hohen Diversifikationsgrad zu erreichen. Die zunehmende Größe des Unternehmens erhöht gleichzeitig den Einkommensstrom (vgl. Becker 2015, S. 51; Wirtz 2003, S. 71). Außerdem möchten Manager möglichst unentbehrlich sein. Häufig werden daher M&A Zusammenschlüsse in Geschäftsfeldern getätigt, in denen der Geschäftsführer besondere Expertise aufweist (vgl. Becker 2015, S. 52). 8.2.4 Motive aus Verkäufersicht Bei kleinen und mittleren Unternehmen ist häufig die fehlende Unternehmensnachfolge ein zentraler Verkaufsgrund. Wenn sich der oder die Eigentümer aus Altergründen oder anderen Gründen aus dem Unternehmen zurückziehen wollen und eine z.B. familiäre Nachfolge nicht bestimmt ist, ist eine Veräußerung oft der einzige Weg, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Auch Differenzen zwischen den Gesellschaftern können einen Beweggrund für den Verkauf des Unternehmens darstellen. In Folge von Erbschaften z.B. können neue Eigentümer in den Gesellschafterkreis eintreten, was zu einem erhöhten Potenzial für Streitigkeiten führen kann. Auch hier bietet der Unternehmensverkauf häufig den einzigen Ausweg. Der Verkauf erfolgt meist nicht an einen externen Käufer, sondern an bestehende Miteigentümer. Auch der berufliche Aufstieg des Alteigentümers im Falle eines Unternehmensverkaufs ist ein weiteres Motiv. Hierbei spekuliert der Gesellschafter darauf, dass wenn er die Gesellschaft an ein größeres Unternehmen weiterverkauft, er dort eine führende Position einnehmen und den Einflussbereich ausdehnen kann (vgl. Wirtz 2003, S. 73). Ein weiterer Grund für den Verkauf durch den Alteigentümer könnte sein, dass alternative Investitionsmöglichkeiten bestehen. Der Alteigentümer ist bemüht, sein Unternehmen zu verkaufen und die gewonnenen Mittel in alternativen Investitionsprojekten anzulegen. Auch finanzielle Engpässe stellen ein Verkaufsmotiv dar. Häufig ist der Zeitraum für den Verkauf so eng, dass ein Notverkauf des Unternehmens erfolgt, bei dem nur sehr niedrige Preise für das Unternehmen erzielt werden (vgl. Wirtz 2003, S. 74). Neben den genannten Eigentümermotiven lassen sich noch zahlreiche Motive aus Unternehmenssicht nennen. Veränderung der Rahmenbedingungen wie z.B. technologische Entwicklungen, können Investitionen erforderlich machen, die das Unternehmen nicht aufbringen kann. Durch Unternehmensverkauf an einen finanzkräftigen Investor können diese Mittel erlangt werden. Auch können die erforderlichen Mittel für Unternehmenswachstum aufgebracht werden. Bei Liquiditätsengpässen oder für den Schuldenabbau kann ein Unternehmensverkauf oder Teilverkauf notwendig sein, um das Überleben des Unternehmens zu sichern. Durch die Veräußerung eines nicht-börsennotierten Unternehmens an ein an der Börse gelistetes Unternehmen können die Kapitalkosten verringert werden und steuerliche Vorteile erlangt werden. Das nicht-börsennotierte Unternehmen erwartet sich Zugang zum anonymen Kapitalmarkt und bessere Finanzierungsmöglichkeiten und günstigere Konditionen (vgl. Wirtz 2003, S. 74f.). Ein weiteres Verkaufsmotiv liegt in Re- und Umstrukturierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit einer strategischen Neuausrichtung von Unternehmen. Zum Beispiel kann die strategische Positionierung in neuen Geschäftsfeldern dazu führen, dass sich das Unternehmen aus bisherigen Geschäftsfeldern zurückzieht, was zur Veräußerung von Unternehmensteilen führen kann. Auch wenn sich ein Unternehmen auf die Kernkompetenzen konzentriert und seine Unternehmenstätigkeiten wieder auf solche Bereiche konzentriert, in denen es sich schon in der Vergangenheit Wettbewerbsvorteile sichern konnte, werden Unternehmensbereiche, die nicht zum Kerngeschäft gehören, verkauft. Ziel ist es, durch die Bündelung der Ressourcen auf Kerngeschäfte die erreichten Wettbewerbsvorteile dauerhaft zu sichern (vgl. Wirtz 2003, S. 74f.). <?page no="256"?> 256 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Unternehmen können auch durch den Weggang von wichtigen Mitarbeitern in eine gefährliche Lage gebracht werden. Besonders in Dienstleistungs- und High-Tech-Branchen ist der Abgang von wichtigem Personal bedenklich, da Unternehmen besonders abhängig von den Fähigkeiten der Mitarbeiter sind. Im schlimmsten Fall kann auch der Weggang wichtiger Mitarbeiter den Verkauf des Unternehmens notwendig machen (vgl. Wirtz 2003, S. 75). Phasen von M&A Bei M&A Prozessen gibt es drei Hauptphasen: ! Preakquisitionsphase ! Transaktionsphase ! Post-Merger-Phase Dabei sind die einzelnen Phasen integrativ und iterativ zu sehen und aufgrund der Interdependenzen ist der Ablauf nicht rein chronologisch zu betrachten (vgl. Jansen 2008, S. 249). 8.3.1 Preakquisitionsphase In der Preakquisitionsphase wird zunächst die Ausgangslage analysiert, danach für das Target-Objekt ein Anforderungsprofil erstellt. Dazu muss eine Akquisitionsstrategie festgelegt werden, wobei die eigenen Unternehmensziele erörtert werden. Somit kann ein Soll-Profil erstellt werden, das das so genannte Screening erleichtert. Zu Kriterien des Screenings gehören z.B. Unternehmensgröße, Marktzugangsmöglichkeiten, Branche, Produktprogramm und Kapazitäten (vgl. Reißner 1992, S. 152). Die Informationen dafür können entweder durch eine Abteilung des Käufers oder durch externe Unternehmen wie z.B. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften besorgt werden. Häufig werden in einem Kurzprofil, auch Teaser genannt, auf ein bis drei Seiten, anonym die wichtigsten Informationen des Zielobjekts dargestellt. Wurde beim zu veräußernden Unternehmen ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, kann im Teaser auch der Name des Unternehmens enthalten sein. Darauf folgt ein Information Memorandum, das nach der Unterzeichnung der Vertraulichkeits- und Geheimverhaltungsvereinbarung ausgehändigt wird. Das so genannte NDA (Non-Disclosure-Agreement) gilt als Grundvoraussetzung für weitere detaillierte Einblicke und Vertragsverhandlungen. Wurde allerdings ein Insolvenzverfahren gegen das Target-Objekt eröffnet, erübrigen sich die Regelungen zur Vertraulichkeit, da der Insolvenzantrag öffentlich gemacht wird. Das Ergebnis der Preakquisitionsphase sollte eine gut durchdachte strategische Vision sein, mit der die Akquisition erklärt werden kann und der Prozess gestaltet werden kann. Außerdem sollte eine klare Vorstellung darüber bestehen, welcher Nutzen aus der Akquisition gewonnen werden kann (vgl. Jansen 2008, S. 250ff.). 8.3.2 Transaktionsphase Die Transaktions- oder Merger-Phase kann in die Teilbereiche Kontaktaufnahme, Due Diligence, Unternehmensbewertung, Verhandlung und Vertragsgestaltung und -abschluss gegliedert werden. In einem ersten Schritt sind potenzielle Kandidaten auszuwählen und näher zu untersuchen. Dabei können externe Berater herangezogen werden. Die ermittelten Kandidaten (Long List) sind im Anschluss einer Vorauswahl zu unterzeihen (sog. Screening). Dabei soll geprüft werden inwieweit die Kandidaten den erstellten Anforderungen gerecht werden (Short List). Bei der Kontaktaufnahme geht es darum festzustellen, ob das Management des anderen Unternehmens überhaupt Interesse an der Transaktion zeigt. <?page no="257"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 257 Neue Betriebswirtschaft Im Rahmen der Unternehmensbewertung soll ein Kaufpreis für das Target-Objekt gefunden werden. Entsprechen die Kaufpreisvorstellungen den Interessen des Käufers ausreichend, so können erstmals konkretere interne Informationen herangezogen werden. Der Letter of Intent (LOI) ist ein erster juristischer Schritt zur Formalisierung der Vertragsverhandlungen und Bereitstellung von Informationen. Der LoI enthält die Definition des Transaktionsgegenstandes, Kaufpreisvorstellungen, Geheimhaltungsverpflichtungen und die Planung der Due Diligence. Due Diligence ist eine weitgehende Prüfung des Unternehmens im Rahmen einer M&A Transaktion. Insbesondere sollen dabei Sachverhalte aufgedeckt werden, wegen derer der Deal abgebrochen werden muss. Dabei wird auf die Einzelbereiche Financial, Marketing, Human Resources, Cultural, Legal and Tax, Organizational und IT eingegangen. Zur Durchführung der Due Diligence wird unter anderem ein - meist elektronischer - Datenraum zur Verfügung gestellt. Im Nachgang werden wesentliche rechtliche Fragen geklärt, vorhandene Risiken analysiert und konkret über den Kaufpreis verhandelt. Wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind, kommt es zum Vertragsabschluss. Die Vertragsunterzeichnung wird dabei auch als Signing bezeichnet. Außerdem wird ein Stichtag festgesetzt, zu dem die Parteien alle festgelegten Bedingungen zu erfüllen haben. Dieser Termin wird auch als Closing bezeichnet. 8.3.3 Post-Merger-Phase Die Post-Merger-Phase beinhaltet die Integration des erworbenen Unternehmens und die Erfolgskontrolle des M&A Prozesses. Während der Integrationsphase werden das akquirierende Unternehmen und das verkaufte Unternehmen zusammengeführt. Die Integrationsmaßnahmen sollten dabei nicht erst nach der Transaktion erfolgen, sondern sind von Anfang an zu berücksichtigen und zu planen (vgl. Jansen 2008, S. 319). Die Post Merger Integration umfasst alle Bereiche unternehmerischen Handelns, d.h. nicht nur organisatorische Aspekte (z.B. Finanzbuchhaltung, Beschaffung, Produktion, Vertrieb, IT), sondern auch übergeordnete Aspekte (wie z.B. die Integration und Anpassung der Unternehmenskultur oder Kommunikation). Auch die Übernahme und Pflege von Kunden und Lieferanten ist zu beachten. Die Integration muss auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen: ! Strategische Integration: Überprüfung der Komplementarität der Strategien, strategische Neuausrichtung, Integration der Geschäftsfelder etc. ! Organisatorische/ Administrative Integration: Integration der internen Kontroll- und Bilanzsysteme, Integration der IT-Systeme, Vereinheitlichung des Schnittstellen- und Prozessmanagements etc. ! Personelle Integration: Schaffung einheitlicher Anreiz und Vergütungssysteme, Personalentwicklung, Konfliktmanagement, Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen etc. ! Kulturelle Integration: Integration der Unternehmenskulturen, Definition neuer Leitbilder, Visionen und Ziele, Führungsstil etc. ! Operative Integration: Zusammenlegung von Produktlinien, Fertigungsstätten, Projekten; Vereinheitlichung von Logistik, Einkauf, Vertrieb etc. ! Externe Integration: Kommunikation mit Analysten, Kunden, Lieferanten, Beratern, Stakeholdern <?page no="258"?> Neue Betriebswirtschaft Pre-acquisition-Phase Transaktions-Phase Post-Merger-Phase - Basisstrategie - Screening - Vorgeldsondierung - Grobbewertung und Finanzierungsplanung - Prüfung Genehmigungsfähigkeit - Planung M&A Organisation - Vorverträge (NDA, LOI) - Due Diligence - Pre-Closing-Integrations- Plan - Detailbewertung und Detail- Finanzierungsplanung interne Beschlüsse - Ver ha ndl ung & S ign in g der Kauf- und Umsetzungsverträge finale kartellrechtliche Prüfung - Eigentumsübergang (Closing) - Post-Closing-Integrations- Planung organisatorisch-rechtliche Umsetzung personelle & kulturelle Umsetzung marktliche Umsetzung weitere unternehmensabhängige funktionelle Umsetzungsfelder - Integrations-Evaluation - M&A Wissenstransfer Tabelle 8-2: Phasen in Unternehmenszusammenschlüssen Dabei kann die Integration enger oder weiter gestaltet werden: Stand alone Aquisition: das akquirierende Unternehmen behält die rechtliche Selbstständigkeit und die vorhergehende Management-, Organisations- und Personalpolitik bei. Bei diesem Ansatz stehen Synergien nicht im Vordergrund und es entstehen keine grundlegenden Organisations-oder Personalveränderungen, wodurch ein Kulturschock vermieden wird. Holding- und Turnaround Akquisition: Bei dieser Art der Integration bleibt auch die rechtliche Selbstständigkeit des Verkäufers erhalten. Dabei wird auf Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen zurückgegriffen. Außerdem wird das Management des akquirierten Unternehmens ausgetauscht und die Finanzierungs- und Kostensituation wird verbessert. Integrationsmaßnahmen haben im Vergleich eine geringe Relevanz. Bei der Symbiose oder partiellen Integration werden nur die Unternehmensteile integriert, die mit dem Käuferunternehmen eng verbunden sind. D.h. das Ziel ist es, die Unternehmen so gut wie möglich zusammenzuführen ohne deren Autonomie zu beeinträchtigen. Bei der Absorption werden ehemals selbständige Unternehmen zu einem zusammengefasst. Der Bedarf an Autonomie ist bei dieser Strategie gering und die strategischen Interdependenzen zwischen den Unternehmen sind stark ausgeprägt. Dazu werden umfangreiche Integrationsaktivitäten benötigt, weil auch von verschiedenen Seiten inklusive von den Mitarbeitern mit Widerstand zu rechnen ist (vgl. Haspeslagh/ Jemison). Es kann ein Zusammenhang zwischen Integrationsgrad und Führungsanspruch hergestellt werden. Der Integrationsgrad ist umso höher, je stärker der Führungsanspruch des akquirierenden Unternehmens ist und je geringer die Selbstständigkeit des akquirierten Unternehmens ist. 25Œ Rebecca Popp <?page no="259"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 259 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 8-2: Autonomie und Führungsanspruch Dabei besteht kein linearer Zusammenhang zwischen Integrationsgrad und Integrationserfolg. Eine vollständige Integration bietet die besten Möglichkeiten für Synergien, aber gleichzeitig auch die größten Risiken. Erfolgsfaktoren und Risiken von M&A-Transaktionen 8.4.1 Erfolgsfaktoren Der wahrscheinlich bedeutendste Erfolgsfaktor zum Erreichen der gesteckten Ziele im M&A Bereich ist die Erfahrung der beteiligten Parteien. Bei der Mitwirkung von erfahrenen Managern und Beratungsspezialisten an einer Transaktion wird der Erfolg des Zusammenschlusses wesentlich erhöht. Mit einer ansteigenden Anzahl von M&A-Transaktionen ist ein Unternehmen besser in der Lage, das Vorhaben realistisch zu beurteilen, die Due Diligence zu strukturieren und durchzuführen, die Unternehmensintegration abzuwickeln und die beabsichtigten Synergien zu verwirklichen. Erfahrende Manger und Beratungsspezialisten sind dazu fähig, auftretende Probleme im Rahmen der M&A Transaktion schnell und effizient zu lösen (vgl. Dreher & Ernst 2014, S. 39). Ein weiterer Erfolgsfaktor von Unternehmenszusammenschlüssen ist der so genannte Strategic Fit zwischen Käufer und Verkäufer. So wird die Harmonie zwischen Käuferunternehmen und Kaufobjekt genannt. Je unterschiedlicher die zusammengefügten Unternehmen sind, desto komplexer wird die Transaktion. Verschiedene Unternehmensvisionen, Unternehmensgrößen, Unternehmenskulturen und Geschäftsfelder der beteiligten Unternehmen und kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede können Auswirkungen auf den Strategic Fit haben. Management und Mitarbeiter des zu verkaufenden Unternehmens sind ein letzter wichtiger Faktor für den Erfolg der M&A Transaktion. Zusammenschlüsse, bei denen viele Mitarbeiter des Target-Objekts im Unternehmen verbleiben, sind erfolgreicher als Zusammenschlüsse, bei denen viele Mitarbeiter abwandern. Auf der anderen Seite können viele Synergien erst durch den Abbau von Arbeitsplätzen erzielt werden. Durch die Weiterbeschäftigung des Managements kann die Moral der Mitarbeiter positiv beeinflusst werden und zudem kann sich das Management im operativen Tagesgeschäft als hilfreich erweisen. Das Festhalten am alten Management bzw. Teilen davon kann nach der Transaktion dabei helfen, das Unternehmen zu stabilisieren (vgl. Dreher & Ernst 2014, S. 40). Wesentlich für den Erfolg des Zusammenschlusses ist eine gute Vorbereitung und schnelle Durchführung. Der Transaktionsprozess muss von allen Parteien akkurat vorbereitet und abgewickelt werden (vgl. Dreher & Ernst 2014, S. 42). 8.4.2 Risiken bei M&A-Transaktionen Werden M&A-Transaktionen aus rein finanziellen Motiven geschlossen, wie der Befriedigung des Shareholder-Value oder finanziellem Eigennutzen des Managements, sind die Transaktionen meist weniger erfolgreich. Das Problem bei rein finanziellen Unternehmenszielen ist die kurzfristige <?page no="260"?> 260 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Unternehmensbetrachtung. Wenn allerdings strategische Ziele überwiegen, sind die Erfolgsaussichten der M&A Aktivitäten deutlich höher. Eine weitere Gefahr birgt ein zu hoher Kaufpreis. Die Preisvorstellung kann daher rühren, dass die Bewertung des Unternehmens von den M&A Dienstleistern zu hoch angesetzt wird, weil diese damit einen Anreiz für die Durchführung der Transaktion geben wollen und sich damit besser als Berater platzieren wollen. Auch die Verbundenheit des Verkäufers mit dem eigenen Unternehmen kann dazu führen, dass der Kaufpreis zu hoch angesetzt wird. Die Verkäufer, die das Unternehmen aufgebaut haben, übersehen häufig Schwachstellen ihrer Unternehmen und setzen daher den Kaufpreis zu hoch an. Damit wird die Einigung auf einen Kaufpreis fast unmöglich und es besteht die Möglichkeit, dass damit der Unternehmensverkauf gescheitert ist (vgl. Dreher/ Ernst 2014, S. 41). Außerdem werden häufig von den Managern und Gesellschaftern irrationale und emotionale Entscheidungen getroffen. Solcherlei Fehlentscheidungen, die nur aufgrund von Prestigestreben und nicht aus rationalen Gründen getroffen werden, gibt es bei allen Unternehmensgrößen. Transaktionen die aus emotionalen Gründen durchgeführt werden, sind häufig nicht erfolgreich. Auch Vorhaben, die Kostensynergien in den Vordergrund stellen, haben häufig keine guten Erfolgsaussichten, da Ertragspotenzial und Synergieeffekte oft überschätzt werden oder erst verzögert realisiert werden können. Sind die kulturellen Aspekte und Unternehmenskulturen zu unterschiedlich, so kann dies ebenfalls zum Misserfolg der Transaktion führen. Vor allem in der Post-Merger-Phase kann es hier zu Problemen kommen. Auch die Komplexität der Transaktion und der damit verbundenen Zeitaufwand wird oft unterschätzt. Häufig wird viel zu spät realisiert, dass die Vorbereitung, Planung und Durchführung der Transaktion auch das operative Tagesgeschäft einschränkt. Erfolgsmessung von Mergers & Acquisitions Leider ist die Messung des Transaktionserfolgs nicht so einfach, wie in den Naturwissenschaften, wo unter Laborbedingungen immer ein Faktor verändert werden kann. Dennoch muss im Rahmen einer Transaktion ein Ziel definiert werden, woran später der Grad der Zielerreichung gemessen werden kann. Für die Eigentümer ist die Erhöhung des Unternehmenswerts ein wesentliches Ziel. 8.5.1 Quantitative Messmethoden Man kann bei den quantitativen Messmethoden zwischen jahresabschlussorientierten, kapitalmarktorientierten und ereignisorientierten Methoden unterscheiden. Bei der jahresabschlussbasierten Analyse wird auf Daten des Geschäftsberichts, wie Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht und Kennzahlen zurückgegriffen. Dabei spielt der Vergleich der Kennziffern ähnlich aufgestellter Unternehmen eine große Rolle. Bei der kapitalmarktbasierten Erfolgskontrolle wird die Börsenkursentwicklung analysiert. Erwarten Aktionäre aufgrund eines Unternehmenszusammenschlusses oder einer Akquisition eine positive Unternehmensentwicklung, kaufen sie Aktien, was wiederum zu Kursgewinnen führt. Die Kursreaktion kann aus der Differenz zwischen dem tatsächlichen und erwarteten Börsenkurs hergeleitet werden. Der erwartete Börsenkurs ergibt sich aus der Fortführung des Kurses wie er ohne die M&A Transaktion zu erwarten gewesen wäre. Nachdem die Transaktionsabsicht bekannt geworden ist, beobachten Börsenunternehmen den eigenen Kurs und den des zu kaufenden Unternehmens genau. Die Kursentwicklung bereinigt um die Entwicklung der Branche, spiegelt wider, wie die <?page no="261"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 261 Neue Betriebswirtschaft Transaktion von den Aktionären aufgenommen wird. Falls die Bewertung schlecht ausfällt, kann die Transaktion noch in Frage gestellt oder sogar verhindert werden. So könnten die Aktieninhaber die erforderlichen Maßnahmen und Beschlüsse, wie den Umtausch von Aktien ablehnen. Außerdem hat sich in der Vergangenheit oft eine Korrelation zwischen der Erfolgsaussicht der Transaktion und dem Verhalten des Aktienkurses bei Bekanntgabe des Zusammenschlusses gezeigt (vgl. Balz 2007, S. 35). Auch für nicht börsennotierte Unternehmen sind Marktreaktionen auf den geplanten Zusammenschluss von Belang. So könnten sich z.B. Finanzgeber weigern, den Kreditrahmen zu erhöhen oder Eigentümer die erforderlichen Kapitalerhöhungen verhindern, wenn sie von der Transaktion nicht überzeugt sind und diese damit stoppen. Ein Nachteil an dieser Messmethode ist, dass Aktienkurse nur für gelistete Unternehmen ermittelt werden können. Auch Unternehmenskennzahlen wie Umsätze, Marktanteile, Umsatzrenditen, Cashflows und Kapitalverzinsung können zur Erfolgsmessung herangezogen werden (vgl. Balz 2007, S. 36f.). Finanzwirtschaftliche Kennzahlen hingegen stellen einen mittelbaren Bezug zur Wertentwicklung der Unternehmung her. Der Nachteil dieser Kennzahlen ist allerdings, dass das dahinter stehende Volumen nicht unbedingt gewinnbringend oder wertsteigernd für das Unternehmen ist. Bei der ereignisorientierten Erfolgskontrolle erfolgt die Analyse durch Wiederverkaufsanalysen und Fluktuationsraten von Führungskräften. Es wird zum einen geprüft, ob das akquirierte Unternehmen später wieder verkauft wird. Außerdem wird die Fluktuation bei Führungskräften und anderen Leistungsträgern des Unternehmens analysiert. Eine geringere Fluktuation bedeutet einen höheren Erfolg (vgl. Balz 2007, S. 37). 8.5.2 Qualitative Erfolgskontrolle Die qualitative Erfolgskontrolle erfolgt über das Befragen von Managern und Mitarbeitern sowie mit Hilfe von Expertenmeinungen. Vor allem um den kulturellen und strategischen Fit und Motive und Ziele zu bewerten wird auf diese Form der Erfolgskontrolle zurückgegriffen. Die qualitative Erfolgskontrolle erlaubt es, Probleme schon während der Merger-Phase aufzudecken, während die quantitative Erfolgskontrolle lediglich in der Post-Merger-Phase angewandt werden kann. Hingegen sind die Einschätzungen aus der qualitativen Erfolgskontrolle häufig eher subjektiv und können die Ergebnisse verzerren (Einschätzungen der Transaktionsverantwortlichen können dabei helfen, den Zielerreichungsgrad mit Hilfe von Kennzahlen zu deuten. Die Verantwortlichen sind dabei allerdings subjektiv (vgl. Balz 2007, S. 36f.). Trends bei Unternehmenszusammenschlüssen 8.6.1 Weltweite Entwicklung Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 ging auch die Anzahl der M&A-Transaktionen stark zurück. Im Jahr 2017 allerdings scheinen die Unternehmer weltweit wieder zuversichtlicher zu sein. In den USA überstieg das Volumen der Transaktionen 2017 das Spitzenvolumen aus 2008 um 50 Prozent. Die USA bleiben damit der größte Markt für M&A Deals, vor Westeuropa und dem asiatischpazifischen Raum. Die steigenden Zinssätze und Steuerrechtsreformen in den USA könnten sich außerdem weiterhin positiv auf den M&A Markt auswirken. Die Anzahl der transnationalen M&A Deals im asiatisch-pazifischen Raum ist seit 2008 kontinuierlich gestiegen, wobei vor allem chinesische Unternehmen stark auf Unternehmenskäufe drängten. <?page no="262"?> 262 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Allerdings wurden internationale Kontrollen der Kapitalmärkte verschärft, so dass M&A Deals heute genauer überwacht werden. Im Jahr 2017 ging daher auch die Anzahl der transnationalen M&A Aktivitäten zurück. Nachdem M&A-Transaktionen 2017 nach Anzahl und Deal Value auf einem Rekordniveau lagen, bleibt für 2018 noch ein weiterer Anstieg zu erwarten. Makroökonomische Faktoren, wie das niedrige Zinsniveau, die günstigen Finanzierungsbedingungen und anhaltendes globales Wachstum begünstigen diesen Trend. Solide Bilanzen, getragen von hohen Cash-Reserven und gute Ertragsaussichten begünstigen ebenfalls M&A-Transaktionen. Die politischen Unsicherheitsfaktoren, zum Beispiel in Korea, weniger kalkulierbare sicherheits- und wirtschaftspolitische Entscheidungen in den USA, die Auswirkungen des Brexit und auch die langen Verzögerungen in der Bildung der Bundesregierung scheinen der optimistischen Stimmung nicht zu schaden. In den USA gewinnen transnationale Transaktionen immer mehr an Bedeutung. Dies erklärt sich unter anderem durch die Lockerung der Restriktionen von grenzübergreifenden Fusionen. Allerdings überwiegt weiterhin die Anzahl nationaler Transaktionen in Nordamerika, genau wie im asiatisch-pazifischen Raum und Westeuropa. Acquirer Region Target Region asiatischpazifischer Raum Nordamerika Westeuropa asiatischpazifischer Raum 1308 186 139 Nordamerika 39 3743 280 Westeuropa 42 721 1493 Tabelle 8-3: M&A Deals nach Volumen (Mrd. USD) - 2013 Q3 bis 2017 Q2. Das größte Volumen an transnationalen Deals entsteht zwischen Westeuropa und Nordamerika. Allerdings spiegeln diese Zahlen teilweise die große Anzahl multinationaler Unternehmen mit Headquarter in den USA wieder. Einige der größten Deals sind das Ergebnis von USamerikanischen Unternehmen die ihren Sitz aus Steuergründen verlegt haben. 8.6.2 Wandel im Konsumentenverhalten und Auswirkungen auf M&A Es ist gibt zudem einige sektorspezifische Trends hinsichtlich M&A Aktivitäten. Bei den Verbrauchergütern verdeutlicht das Kaufangebot von Amazon an Whole Foods in Höhe von 13,7 Milliarden, dass sich die Kaufgewohnheiten der Konsumenten und die Vertriebskanäle ändern. Zudem hat der große Erfolg von Finanztechnologie (fintech) die Aufmerksamkeit von etablierten Finanzdienstleitern erregt, die versuchen ihre Geschäftsmodelle anzupassen. In der Telekommunikationsbranche überwiegen Transaktionen die Inhalte und Distributionskanäle vereinen. 8.6.3 Activist Investors So genannte Activist Investors spielen eine immer größere Rolle bei M&A-Transaktionen. Ein Activist Investor ist ein Individuum oder eine Gruppe, der eine große Menge an Aktien einer Unternehmung kauft und/ oder versucht einen Sitz im Vorstand eines Unternehmens zu erhalten, um große Veränderungen im Unternehmen zu erreichen. <?page no="263"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 263 Neue Betriebswirtschaft 8.6.4 Digitalisierung Die Digitalisierung und das Entstehen ganz neuer Industriezweige zwingt Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle umfassender anzupassen, als sie dies organisatorsch bewältigen können. Daher wollen viele Unternehmen die Anpassungen durch Zukäufe erreichen, insbesondere im Technologiebereich, mit denen sie digitale Geschäftsmodelle vorantreiben wollen. Der M&A Markt erhält Auftrieb durch Anlagedruck bei Finanzinvestoren, deren Fundraising in den vergangenen Jahren einen Rekordstand erreicht hat. Die Mittel sollen nun verwendet werden, was dazu führt, dass einige Private- Equity-Investoren in Bieterprozessen intensiv um attraktive Targets kämpfen. Auch chinesische Investoren und Family Offices drängen immer mehr in das Buy-out-Geschäft und heizen den Wettbewerb als zusätzliche finanzstarke Kaufinteressenten weiter an. Dieser Wettbewerb lässt den Kaufpreis steigen. Verkäufer erlangen durch diesen Wettbewerb um interessante Targets eine komfortable Position. Dies hat Auswirklungen auf die Vertragsverhandlungen und die Vertragsgestaltung von M&A-Transaktionen. Bei Auktionen und Transaktionen können maßgeblich die Verkäufer die Bedingungen diktieren. Häufig geben die Verkäufer extrem kurze Zeitspannen zwischen der Abgabe des finalen Angebots und dem Vertragsabschluss vor. Manchmal ist die Vorgabe 48 Stunden. Auch die Vertragsbedingungen können Verkäufer zu ihren Gunsten gestalten. Zum Teil führt dies soweit, dass die Bieter im Kaufvertrag Garantien streichen und ausschließlich auf einen Versicherungsschutz bauen, um ihr Angebot attraktiv zu machen. Um den kurzen Zeitplänen gerecht zu werden, muss insbesondere auch die Due Diligence so kurz wie möglich gehalten werden. Unternehmen benutzen M&A als strategische Hilfsmittel um grundlegende Innovationen vorzunehmen. Die Anzahl der Transaktionen, die durchgeführt wird, um grundlegend Kenntnisse und Technologien in den Bereichen Fintech, Artificial Intelligence, Robotics etc. zu erlangen wird immer größer. Weltweit gaben Unternehmen im Jahr 2016 291 Milliarden für M&A Deals im Bereich disruptiver Technologien aus, also 4x so viel wie im Jahr 2012. Die wichtigsten Bereiche waren das Internet der Dinge, Social Media und Digital. 8.6.5 Die Nutzung von M&A Aktivitäten und Wagniskapital Der Einsatz von Wagniskapital ist heute fester Bestandteil einer Innovationsstrategie. Es bietet Unternehmen die Möglichkeit Zugriff auf externe Technologien zu erhalten. Dabei wird in junge, nicht börsennotierte Technologieunternehmen investiert. Da solche Unternehmen für eine herkömmliche Kreditfinanzierung meist nicht genügend Sicherheiten aufbringen können, stehen vollhaftendes Eigenkapital sowie hybride Finanzierungsformen im Vordergrund. Beim Einsatz von Wagniskapital geht es nicht nur um finanzielle Erträge, sondern auch um den Zugang zu neuen Technologien, Geschäftsmodellen und Talent, die wichtig für ein Wachstum durch Innovationen sind. Das Zusammenspiel von technologischem Wandel, sich wandelnden Verbraucherbedürfnissen und einem sich wandelnde regulatorischen Rahmenwerk, ändern die Art und Weise wie Produkte und Services entwickelt, geliefert und konsumiert werden. Dadurch verschwimmen die Grenzen zwischen Sektoren und bieten neuartigen Wettbewerbern die Möglichkeit, neue Angebote zu machen. Unternehmen benutzen M&A und Wagniskapital dazu, in innovative Startups zu investieren, um ein innovatives Angebot zu schaffen. Es ist wichtig, dass Unternehmen genaue Vorstellungen davon haben, welche Rolle externe Innovationen spielen können, wenn es darum geht strategische Ziele umzusetzen. Innovationsgetriebene M&As und Wagniskapitalstrategien sollten diese langfristigen strategischen Ziele wiederspiegeln, so dass jeder Seite klar ist welche Ziele verfolgt werden. Wenn Unternehmen eine Vorgehensweise gewählt haben, ist es wichtig, dass sie diese Strategie über einen gewissen Zeitraum verfolgen, so dass sie auch die entsprechenden Signale an künftige Partner und Zielunternehmen vermitteln. <?page no="264"?> 264 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Es ist von Bedeutung, dass Unternehmen die Kompetenz entwickeln, Signale bezüglich technischer Veränderungen genauso wie bezüglich Veränderungen des Konsumentenverhaltens oder Veränderungen angrenzender Märkte zu beurteilen. Unternehmen sollten die Zusammenarbeit auch mit Unternehmen anderer Sektoren in Betracht ziehen. Die Konvergenz der Sektoren sollte Wettbewerbern unterschiedlicher Sektoren Anreiz geben, gemeinsam in neue Technologien zu investieren. Solche gemeinsamen Investitionen minimieren die Risiken und den Kapitalbedarf, während gleichzeitig Fähigkeiten und Erfahrungen ausgetauscht werden können. Durch die Zusammenarbeit können neuartige Angebote für Konsumenten geschaffen werden und die bestehenden Märkte verändert werden. Bedeutend für externe Innovationen mit Hilfe von M&A ist vor allem, dass die Unternehmensspitze sich voll hinter diese Strategie stellt und eine Unternehmenskultur für Innovationen schafft. Ein wichtiger Einflussfaktor für M&A Aktivitäten ist das Streben nach technologischer Innovation. Heute ist es notwendig, ständig neue Geschäftsmodelle oder Technologien zu entwickeln oder diese zu kaufen. Als ein gutes Beispiel dient der Kauf von Siemens Wind Power durch Gamesa. Durch Siemens Wind Power erlangt Gamesa die Marktführerschaft im Offshore-Windkraftbereich, während Siemens durch Gamesa neue Möglichkeiten erhält, den Onshore-Bereich weiterzuentwickeln. Ein wichtiges Geschäftsfeld im Bereich M&A sind Umwelttechnologien - Heizung, Dämmung, Belüftung - alles was mit der Minderung von CO 2 -Ausstößen zu tun hat. Empfohlene Literatur Balz, U. (2007): Praxisbuch Mergers & Acquisitions - Von der strategischen Überlegung zur erfolgreichen Integration. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. Landsberg am Lech: mi-Fachverlag. Redline GmbH. Writz, B. (2012): Merger & Acquisition Management. Strategie und Organisation von Unternehmenszusammenschlüssen. 2. Aufl. Wiesbaden. L Liitteerraattu urr Allert, A. (2014): Mergers & Acquisitions in der Krise. In: A. Crone und H. Werner (Hg.): Modernes Sanierungsmanagement. Sanierungskonzepte, Finanzierungsinstrumente, Insolvenzverfahren, Haftungsrisiken, Arbeitsrecht und Verhandlungsführung. 4. Auflage, S. 563-588. Balz, U. (2007): Praxisbuch Mergers & Acquisitions - Von der strategischen Überlegung zur erfolgreichen Integration. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. Landsberg am Lech: mi-Fachverlag. Redline GmbH. Bauer, C.; Düsterlo, J. E. (Hg.) (2013): Distressed Mergers & Acquisitions. Kauf und Verkauf von Unternehmen in der Krise. Wiesbaden. Becker, R. (2015): Überschussliquidität des Käufers als strategischer Faktor bei Unternehmensakquisitionen. Wiesbaden: Gabler. Crone, A.; Werner, H. (Hg.) (2014): Modernes Sanierungsmanagement. Sanierungskonzepte, Finanzierungsinstrumente, Insolvenzverfahren, Haftungsrisiken, Arbeitsrecht und Verhandlungsführung. 4. Auflage. Deloitte: Fuelling growth through innovation. Deloitte M&AI ndex. Deloitte: The state of the Deal. M&A Trends 2018. Dreher, M./ Ernst, D. (2014): Mergers & Acquisitions - Grundlagen und Verkaufsprozess mittlerer und großer Unternehmen. Konstanz, München: UVK/ Lucius. <?page no="265"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 265 Haspeslagh P.C.; Jemison, D. B. (1991): Managing Acquisions. Creating value through Corporate Renewal. New York. Herbert, Smith, Freehills (2017): M&A in a changing world: opportunities amidst disruption. Hinne, C. (2008): Mergers & Acquisition Management - Bedeutung und Erfolgsbeitrag unternehmensinterner M&A Dienstleister. Gabler: Wiesbaden. Jansen, S. A. 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Zu diesem Zweck wird der Umgang mit Risiken mittels eines notwendigen, betriebswirtschaftlichen Risikomanagementprozesses geführt. Die Risikopolitik von Banken wird durch den Kreditvergabeprozess unter Identifikation, Berücksichtigung und Bewältigung von Ausfallrisiken im Rahmen der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen und internen Richtlinien gesteuert. Im Rahmen des Risikomanagements sind Ratings entscheidende Indikatoren für die betriebswirtschaftliche Bepreisung eines Kredits. Dabei können unterschiedliche Ratings klassifiziert, sowie unterschiedliche Methoden zur Bonitätseinschätzung bzw. Kreditwürdigkeitsprüfung herangezogen werden. Die detaillierte Betrachtung ergibt, dass der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht mittels regulatorischer Maßnahmen in die Geschäftsmodelle der Banken eingreift, sodass Banken gezwungen sind, einen strukturellen Wandel zu durchlaufen. Als Konsequenz werden die Kreditinstitute zunehmend homogener und die zukünftige Erneuerung mittels „Basel IV“ bringt zugleich neue Herausforderungen für Banken mit sich. Fundamentale Grundlagen zum Risiko 9.1.1 Grundlagen Risiko Es gibt zahlreiche Definitionen für den Begriff Risiko, aber diese sind nicht einheitlich deklariert. Die Gemeinsamkeit jener Definitionen beschreibt ein mögliches Eintreten eines Verlusts oder Schadens. 93 Bei dem Risikobegriff wird zwischen Ursache und Wirkung unterschieden. Der Informationsstand vom Entscheidungsträger wird als Ursache angesehen und jegliche Abweichung von definierten Zielen wird als Wirkung verstanden. 94 Häufig wird dabei zwischen reinen und spekulativen Risiken differenziert. Erklärt wird das reine Risiko mit einem negativen Resultat und einem reinen Verlustpotenzial. Bei einem spekulativen Risiko gibt es zwei Ausprägungen, die Chance auf Gewinn bzw. die Möglichkeit zum Verlust. Das eingegangene Risiko und die mögliche Chance auf Rendite beeinflussen sich dabei gegenseitig. 95 93 Vgl. Buchhart, A./ Burger, A. [Risiko-Controlling, 2001], S. 20 ff. 94 Vgl. Martin, T.A./ Bär, T. [Grundzüge des Risikomanagements nach KonTraG, 2017], S. 71 95 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 27 ff <?page no="268"?> 268 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Allgemein sind zwei Grundprinzipien zu beachten: Zunächst werden die Risiken im Verhältnis zur Ertragsmöglichkeit nur dann übernommen, falls der mögliche Ertrag im Verhältnis zum Risikopotenzial rentabel erscheint. Die Risiken werden auf die Geschäftsstruktur abgestimmt. Im nächsten Schritt wird geprüft, inwiefern das Kreditinstitut die Übernahme der Kosten bewerkstelligen kann. Vorab ist eine Abstimmung zwischen den zu quantifizierenden Risikopotenzialen und den allokierten Risikodeckungspotenzialen des Kreditinstitutes notwendig. Die sogenannte Risikotragfähigkeitskapazität ist verantwortlich, um konsequent das bestehende Risikopotenzial zu begrenzen. 96 Gemäß MaRisk 97 sind die maßgeblichen Risiken zu ermitteln, zu messen und kontinuierlich entsprechend mit ökonomischen Eigenmitteln zu unterlegen. Eine Streuung der Risiken soll bezwecken, dass jedes Kreditinstitut jederzeit in der Lage ist, die resultierenden unerwarteten Verluste ohne negative Konsequenzen auf ihre Geschäftstätigkeit aus eigener Kraft abdecken zu können. Im MaRisk im Allgemeinen Teil (AT 2.2) sind die maßgeblichen Risiken wie Kredit-, Marktpreis- und Liquiditätsrisiken vorzufinden. 98 Bei der Risikoidentifizierung ist die strukturierte Erfassung von Risiken bedeutend, bspw. in Form einer Dokumentation eines Risikohandbuchs. Die erfassten Risiken werden durch geeignete Methoden festgelegt und bearbeitet. Hierfür ist eine Bereitstellung von Daten für die Risikoquantifizierung notwendig. Die Risikoidentifizierung sollte vorzugsweise flexibel auf Veränderungen bekannter bzw. neuer Risiken reagieren können, vor allem bei Aktivitäten in neuen Geschäftsfeldern. 99 Das systematische Risiko wird durch Liquiditätsprobleme einzelner Banken ausgelöst, wodurch das gesamte Finanzsystem gefährdet werden kann. In Folge einer Kettenreaktion können sich andere Banken durch Liquiditätsprobleme anstecken, da Banken untereinander agieren. 100 9.1.2 Risikoarten Adressenausfallrisiko bzw. Kreditrisiko Die Kreditvergabe ist immer mit dem Risiko verbunden, dass der Kreditnehmer seinen Zahlungsverpflichtungen nicht fristgerecht nachkommt, sei es teilweise oder gar nicht. Kreditinstitute gehen bei der Kreditgewährung entsprechend in Vorleistung, bevor die Gegenleitung in Form von Tilgungszahlungen bzw. Zinszahlungen vom Kreditnehmer erbracht werden. Häufig wird das Adressenausfallrisiko als Synonym für das Kreditrisiko verwendet. Oftmals wird in der Finanzbranche die Adresse als Geschäftspartner bzw. Marktteilnehmer bezeichnet. Die Adressenausfallrisiken sind als Risiken eines Verlusts aufgrund des Ausfalls eines Geschäftspartners sowie einer möglichen Wertänderung der eingegangenen Geschäfte bzw. aufgrund von Bonitätsveränderungen (Ratingmigrationen) des Kreditnehmers definiert. Dies beinhaltet, dass der Vertragspartner des Kreditinstituts seinen vertraglichen Zahlungsverpflichtungen gar nicht oder nicht fristgerecht leistet. Rudimentär betrachtet ist das Adressausfallrisiko als ein Risiko einer allgemeinen Bonitätsverschlechterung des Kreditnehmers zu verstehen, ohne dass diese Verschlechterung zwingend zum Ausfall führen muss. Der Ausfall deklariert eine Leistungsstörung der Gegenpartei. 101 96 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 19 ff. 97 Mindestanforderungen an das Risikomanagement 98 Vgl. Menningen, M. [Aufbau, Bestandteile und Problemfelder ökonomischer Risikotragfähigkeitskonzepte in Banken, 2014], S. 52 ff. 99 Vgl. Oesterreichische Nationalbank (OeNB) [Leitfaden zur Gesamtbankrisikosteuerung, 2017], S. 77 100 Vgl. Deutsche Bundesbank [Glossar, 2017] 101 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 435 f. <?page no="269"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 269 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-1: Übersicht von Risiken. Quelle: Entnommen aus Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 8 Marktpreisrisiko Das Marktpreisrisiko beschreibt die Unsicherheit, welches bei Veränderungen der Marktpreise bzw. marktabhängiger Bewertungsfaktoren für bilanzielle oder außerbilanzielle Positionen, negative Erfolgssituationen eines Kreditinstituts hervorgeht. 102 Dabei ist irrelevant, ob die Position bspw. als OTC-Geschäft (Over the Counter) oder an organisierten Märkten gehandelt wird. Das Marktpreisrisiko ist ein komplexes Konstrukt, da dieser einen entscheidenden Einfluss auf diverse Finanzinstrumente wie Zinssatz, Devisen- oder Aktienkurs haben kann. Zum Marktpreisrisiko zählen u.a. Fremdwährungs-, Aktienkurs- und Zinsänderungsrisiko. 103 Aktienrisiko Das Aktienrisiko stellt die Unsicherheit der Wertveränderung von Finanzprodukten bzw. Aktien aufgrund von Kursbewegungen dar. Die Aktienkursschwankungen können unterschiedliche Gründe zur Entstehung haben. Das Aktienrisiko kann sich mit anderen Risikokategorien überlappen, da das Aktienrisiko mit dem Kreditrisiko stark vernetzt ist. Das Aktien- und Kreditrisiko kann mittels der identischen Ursache ausgelöst werden. In Bezug auf die Bonität des Emittenten kann es durch einen teilweisen bzw. kompletten Ausfalls eines Investments, welches zu einer Bonitätsverschlechterung des Emittenten führt, Auswirkungen auf den Aktienkurs des Unternehmens mit sich bringen. Der Bereich Aktienrisiko zählt zu den Gegenparteienrisiken und ist stets bei der Steuerung des Kreditrisikos zu beachten. Das Aktienkursrisiko wird hinsichtlich des Marktpreisrisikos durch Kurschwankungen, bspw. im Zusammenhang von Angebot und Nachfrage, analysiert. 104 Zinsänderungsrisiko Banken erwirtschaften traditionell Erträge aus zinstragenden Geschäften, dementsprechend ist ein 102 Vgl. Zurek, J./ Karl-Werner [Kreditrisikomodellierung, 2009], S. 22 103 Vgl. Menningen, M. [Aufbau, Bestandteile und Problemfelder ökonomischer Risikotragfähigkeitskonzepte in Banken, 2014], S. 55 104 Vgl. EIOPA [Zugrunde liegende Annahmen der Standardformel für die Berechnung der Solvenzkapitalanforderung (SCR), 2014], S. 16 ff. <?page no="270"?> 270 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft besonderes Augenmerk auf die Kontrolle der Risikokategorie Zinsänderungsrisiko wichtig. Das Zinsänderungsrisiko zählt zu den systematischen Risiken. 105 „Nicht zuletzt aufgrund der ausgeprägten Niedrigzinsphase ist es in den letzten Jahren Gegenstand verschiedener Regulierungsinitiativen geworden und hat vermehrt eine Risikobegrenzung durch operatives aufsichtsrechtliches Handeln ausgelöst.“ 106 Das Zinsänderungsrisiko entsteht aus einer negativen Beeinflussung des Marktwertes. Dieser kann als marktzinsbedingtes Vermögens- und Einkommensrisiko interpretiert werden. 107 Ein Zinsrisiko entsteht dann, wenn die potenziellen Verluste durch Veränderungen von einem oder mehreren Zinssätzen bzw. der gesamten Zinsstrukturkurve reagieren, welches wiederrum zu einer Wertminderung der Position führen kann. 108 Währungsrisiko Das Währungsrisiko wird durch Wechselkursänderungen in Form von negativer Beeinflussung des Marktwertes hervorgerufen. 109 Ein Währungsrisiko tritt nur auf, wenn Kreditinstitute Fremdwährungspositionen in ihrer Bilanz halten. 110 Emittentenrisiko Das Emittentenrisiko ist eine Sonderform von Kreditrisiko. Das Emittentenrisiko besteht darin, dass der Emittent (Herausgeber von Wertpapieren) nicht im Stande ist, seine Zahlungsverpflichtungen einzuhalten. Der Anleger erwartet einen teilweisen bzw. gesamten Verlust seines Kapitals. Der Käufer gewährt dem jeweiligen Emittenten mit dem Kauf dieser Wertpapiere ein Darlehen. Dafür geht der Herausgeber der Verpflichtung nach, das geliehene Geld zusätzlich einer Zinszahlung zurückzuzahlen. Oftmalig erwirbt der Käufer mit dem Kauf von Wertpapieren Anteile am Unternehmen oder an Institutionen des Staates. Größtenteils handelt es sich um Schuldverschreibungen in Form von Aktien, Staatsanleihen und Derivaten. 111 Kontrahentenrisiko Es wird von einem Kontrahentenrisiko gesprochen, wenn ein teilweiser bzw. kompletter Ausfall der Gegenpartei einen Werteverlust aus dem vertraglichen Finanzgeschäft eines Kapitalmarktgeschäfts auslöst. Oftmals wird der Handel von Wertpapieren über Kontrahenten wie einer Landesbank abgewickelt. 112 Ein bekanntes Beispiel ist sicherlich, die Überweisung von mehreren Millionen der staatlichen Förderbank KfW an die US-Investmentbank Lehman Brothers aufgrund eines Devisentermingeschäfts. Die Gegenleistung wurde infolge der Zahlungsunfähigkeit der Lehman Brothers nie erbracht. 113 Vermehrt wird der Begriff Kontrahentenrisiko in Zusammenhang mit Swap-Gegengeschäften verwendet, bspw. etwa bei Credit Default Swaps (CDS), die als Kreditversicherung für Anleihebesitzer zu verstehen sind. 105 Vgl. Deutsche Bundesbank [Zinsänderungsrisiken, 2011] 106 Vgl. Deutsche Bundesbank [Arbeitskreis Bankenaufsicht, 2017] 107 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Risikomanagement [Risikoaggregation in der Praxis, 2008], S. 189. 108 Vgl. Deutsche Bundesbank [Die Rolle des „Baseler Zinsschocks“ bei der bankaufsichtlichen Beurteilung von Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch, 2012], S. 2 109 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 86 110 Vgl. Buschmeier, A. [Ratingagenturen, 2011], S. 14 sowie Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 16 111 Vgl. Brauweiler, H.-C. [Risikomanagement in Kreditinstituten, 2015], S. 17 112 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 26 ff. 113 Vgl. ebd., S. 19 <?page no="271"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 271 Neue Betriebswirtschaft Liquiditätsrisiko Im Rahmen der Liquiditätsrisiken fordert die MaRisk Kreditinstitute auf, ihren Zahlungsverpflichtungen jederzeit nachzukommen, unter Berücksichtigung der Einhaltung von Liquiditätskennziffern, welche die zu erfüllenden Nebenbedingungen darstellen. Gemäß aufsichtsrechtlicher Liquiditätsvorschriften müssen Kreditinstitute ihre Mittel so anlegen, dass jederzeitig eine angemessene Zahlungsbereitschaft sichergestellt ist. Für die Liquiditätsrisikosteuerung ist die Gewährleistung der aufsichtsrechtlich ausreichenden Liquidität zwingend einzuhalten. Die Grundlage für die operative Risikosteuerung bilden die Liquiditätsrisikoauswertungen. Ziel der Risikosteuerung ist es, eine vorausschauende Sicherstellung der täglichen Zahlungsfähigkeit der Bank zu ermöglichen. 114 Die Aufsicht entscheidet anhand der Liquiditätskennziffern über den Regelfall, inwiefern die Liquidität eines Instituts angemessen sei. 115 Jedes Institut ist verantwortlich für die Erstellung der monatlichen Meldung zu den Liquiditätskennziffern gemäß LiqV 116 . Die Grundlage für die Durchführung des Controllings bildet ein EDV-System, dass durch den Bereich Risikocontrolling des Kreditinstituts betreut und genutzt wird. Die quantitativen Anforderungen der „Verordnung über die Liquidität der Institute (Liquiditätsverordnung)“ werden um qualitative Anforderungen ergänzt, um so ein effektives (Mindest-) Liquiditätsmanagement in den Instituten zu etablieren. Mit der Verabschiedung der CRR und anschließend der delegierten Verordnung fokussiert sich die Aufsicht nun zusätzlich auf die beiden quantitativen Kennziffern Liquidity Coverage Ratio und Net Stable Funding Ratio. 117 Operationelle Risiken Das operationelle Risiko wird gemäß CRR wie folgt definiert: „Operationelles Risiko ist das Risiko von Verlusten, die durch Unangemessenheit oder das Versagen von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder durch externe Ereignisse verursacht werden, einschließlich Rechtsrisiken.“ 118 Operationelle Risiken sind somit als spezifische Ereignisrisiken zu verstehen, die mit Eigenmitteln zu unterlegen sind. 119 Zielsetzung ist eine Verringerung der Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. des Schadensausmaßes unter Berücksichtigung eines optimalen Chancen-Risiko-Kalküls. 120 9.1.3 Risikoneigung Die R isi ko nei gu ng ch arakt e ris ie rt , i nwi efer n C ha ncen wa hr ge nommen we rd en . Di e Einste llung der Entscheidungsträger mit entsprechender Kompetenz ist für die Festlegung einer geeigneten Strategie verantwortlich. Je nachdem agiert ein Institut konservativ bzw. risikofreudig. Die Risikoneigung findet ihre Konkretisierung in der Strategie, ferner mittels folgender Festlegungen, im Rahmen der regulatorischen Anforderungen: ! Bestimmung der zur Risikodeckung reservierten Kapitalbestandteile (z.B. Jahresüberschuss abzüglich Mindestgewinn) 114 Vgl. Zurek, J./ Karl-Werner [Kreditrisikomodellierung, 2009], S. 26 115 Siehe Unterkapitel 4.3.2 116 Liquiditätsverordnung 117 Siehe Kapitel 4 118 EU-Verordnung [Capital Requirements Regulation, ] (1.Teil, Titel 1, Artikel 4, Absatz 52) 119 Vgl. Zurek, J./ Karl-Werner [Kreditrisikomodellierung, 2009], S. 28 120 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 9 ff. <?page no="272"?> 272 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft ! Definition des Risikohorizonts: Festlegung der Parameter zur Risikoquantifizierung (z.B. Konfidenzniveau, Haltedauer, Worst-Case-Szenarien) ! Vorgaben für die Implementierung eines Limitsystems und Festlegung, ab welcher Höhe Positionen abgesichert werden Zudem sollte beim Abschluss neuer Geschäfte einkalkuliert werden, in welcher Höhe der Verlust maximal getragen werden könnte, falls die erhofften Gewinnerwartungen nicht eintreten. 121 9.1.4 Risikokalküle Im Rahmen der ertragsorientierten Risikopolitik erschließen sich zwei Hindernisse: Zunächst ist sicherzustellen, dass das Kreditinstitut die Übernahme des Risikos bewältigen kann, sprich ob die Risikotragfähigkeit gegeben ist. Anschließend stellt sich die Frage, inwiefern die Übernahme der Risiken für das Kreditinstitut lohnenswert erscheint. Diese beiden Problemstellungen lenken im Risiko-Controlling zu unterschiedlichen Risikokalkülen. 122 Risikotragfähigkeitskalkül Das Risikotragfähigkeitskalkül gewährleistet, dass Kreditinstitute die eventuellen Verluste der übernommenen Risiken kompensieren können. Im Wesentlichen wird das Risikotragfähigkeitskalkül in zwei Segmente untergliedert: [1] Im Rahmen des Vorsichtsprinzips dürfen die kalkulierten Verlustpotenziale in Abhängigkeit der repräsentativen Risikobelastungsszenarien des definierten Risikotragfähigkeitspotenzials der Gesamtbank nicht übersteigen. [2] Unter der Prämisse, dass die Verluste der eventuellen Risiken eingetreten sind, werden diese durch die Festlegung eines abgestimmten Systems von Risikolimits beschränkt. Grundsatz (1) prüft, inwiefern die verfügbaren Risikodeckungsmassen des Kreditinstitutes für alternative Risikobelastungsszenarien genügen, sodass Kreditinstitute in keine kritische Lage versetzt werden. Grundsatz (2) beschränkt sich auf die Notwendigkeit einzelner Geschäftsbereiche des Kreditinstitutes um präzise Beschränkungen für die Übernahme von Risiken zu setzen. Es werden periodenspezifische Verlustlimits vorgegeben, welche für die entsprechenden Risikodeckungsmassen allokiert werden. Die Risikopotenziale für verschiedene Belastungsszenarien sind bereits definiert. Bei der Steuerungsphilosophie des Kreditinstituts ist zu klären, in welcher Höhe und welche Arten von Risikodeckungsmassen zur Risikoabdeckung verfügbar sind. In erster Linie kommt bei der Risikoabdeckung das regulatorische Eigenkapital in Betracht. Es richtet sich nach den vorhandenen bzw. den zu mobilisierenden Kapitalreserven, um das Institut in jedem Fall vor Verlustsituationen zu schützen. 121 Vgl. Hoffmann, W. [Risikomanagement, 2017], S. 43 122 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 3 f. <?page no="273"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 273 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-2: Gleichgewichtsbedingungen im Risikotragfähigkeitskalkül Quelle: Entnommen aus Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 15 ff. 9.1.4.2 Risiko-Chancen-Kalkül Als nächstes ist zu klären, inwieweit Risiken von Kreditinstituten übernommen werden, damit diese dem Kreditinstitut einen Ertrag bringen. Grundsätzlich ist es plausibel einen zusätzlichen Ertrag in Form eines Risikozuschlags zu erwirtschaften. Im Risiko-Chancen-Kalkül erfolgt die Allokation des Risikokapitals, um die Risikoperformance zu optimieren. Hierzu ergibt sich der risikogerechte Verdienst aus der risikolosen Ertragserwartung und dem Risikozuschlag. Hierbei bildet der Kern die risikoadjustierten Eigenkapitalkosten. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Fall die Kennziffer RORAC (Return On Risk Adjusted Capital). Diese kann sowohl als ISTals auch PLAN-Größe berechnet werden. 9.1.5 Risikomanagementprozess Alle wesentlichen Aktivitäten des systematischen Umgangs mit Risiken werden erfasst 123 , um ein erfolgreiches Bestehen und die Weiterentwicklung eines Unternehmens zu gewährleisten. Das Risikomanagement hat sich in der Vergangenheit stark verändert, welches von regulatorischen Vorschriften geprägt ist. Die Risikostrategie orientiert sich stark an den qualitativen Anforderungen der Säule II von Basel III bzw. MaRisk und schafft eine Risikobegrenzung. Die übergeordnete Zielsetzung ist es, für ein optimales Verhältnis von Rendite und Risiko Sorge zu tragen. Das Risikomanagement kann als Prozess angesehen werden, in dem der gesamte Prozess sich in verschiedene Phasen unterteilen lässt. Im Folgenden wird ein Überblick über alle Phasen dargestellt, in der die einzelnen Phasen näher erörtert werden. Grundsätzlich können die vier Phasen des Risikomanagementprozesses wie folgt definiert werden: Risikoidentifikation, Risikobewertung, Risikosteuerung und Risikokontrolle. Dabei ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass es zu inhaltlichen Überschneidungen kommen kann, da keine klare Trennung formuliert wurde. 123 Vgl. Strauß, M. [Wertorientiertes Risikomanagement in Banken, 2009], S. 40 ff. <?page no="274"?> 274 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Für die Darstellung des Risikomanagementprozesses eignet sich vor allem ein kreisförmiger Ansatz. Alle folgenden Phasen bzw. Prozessschritte sind wiederkehrende Elemente und werden regelmäßig durchlaufen. Der Kreislaufcharakter ermöglicht Raum für Verbesserungspotenzial. 124 Im Rahmen jedes Risikomanagement ist die Formulierung einer unternehmensspezifischen Risikopolitik durch den Vorstand bzw. die Geschäftsführung erforderlich. Die Risikopolitik sollte sowohl dem angestrebten Chancenbzw. Risikoprofil als auch stets der gesamten Unternehmenspolitik des Instituts entgegenkommen. Zudem soll eine Risikopolitik den „Risikoappetit“ des Institutes eingrenzen, um das Risikobewusstsein zu stärken und um besser die Wirkungsmöglichkeiten nachzuvollziehen. 125 Des Weiteren sollten die Geschäftsaktivitäten an das Risiko-Chancen-Kalkül angepasst werden, um eine grobe Abwägung vorzunehmen. Dabei wird geprüft, welche maximalen Risiken in Kauf genommen werden, in Abhängigkeit zu den ergebenen Chancen. Abbildung 9-3: Kreislauf des Risikomanagementprozesses Risikoidentifikation Zunächst erfolgt eine Erfassung aller relevanten Risikofaktoren, die über eine Wertgröße für das Kreditinstitut verfügen. Es werden Daten aktueller, zukünftiger, potenzieller und theoretisch denkbarer Risiken gesammelt. Der vorherige Schritt ist maßgeblich für die anschließenden Prozessschritte und für die zukünftigen Tätigkeiten. Die Identifikation der Risiken erfolgt grundsätzlich nach dem Top-Down- oder Bottom-Up-Ansatz. Die bereits genannten Arten von Risiken werden in diesem Prozess einzeln betrachtet und kategorisiert. Die Risikoidentifikation ist ein fortlaufender Prozess, welcher in regelmäßigen Abständen erfolgt. Kreditinstitute müssen entsprechend dynamisch auf Veränderungen der Umwelt reagieren, um die Risikosituation besser einschätzen zu können. Die Risikoidentifikation zeichnet die Ist- Situation des Kreditinstituts auf. Zudem werden Entstehungsursachen möglicher Risiken determiniert und hinsichtlich Schäden bzw. indirekter Folgen untersucht. 126 124 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 214 ff. 125 Vgl. Fiege, S. [Risikomanagement- und Überwachungssystem nach KonTraG, 2006], S. 145 ff. 126 Vgl. Hoffmann, W. [Risikomanagement, 2017], S. 23 <?page no="275"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 275 Neue Betriebswirtschaft Risikobewertung Der Kreislauf setzt sich mittels der Maßnahmen der Risikobewertung als Bestandteil der unternehmerischen Risikopolitik fort. Die Bewertung der Risiken erfolgt auf Grundlage der Qualität und Verfügbarkeit der Daten, wodurch Risiken identifiziert werden. Die Unterteilung erfolgt in einzelne Risikobereiche. Dabei werden Risiken differenziert, welche den Kernbestandteil eines Umsetzungsprozesses der Risikoanalyse ausmachen. Die Bewertung der Risiken verläuft in den Dimensionen der Eintrittswahrscheinlichkeit und der möglichen Schadenshöhe bei Eintritt. 127 Der bevorstehende Vermögensverlust bei Eintritt des Risikos muss klar erarbeitet werden, um eine Verbindung zwischen Risikoübernahme und Haftungskapital herzustellen. Die angewandten Verfahren zur Messung nehmen Einfluss auf das Ergebnis einer Risikobewertung. Es werden statistische Verteilungsfunktionen für die Eintrittswahrscheinlichkeit angewandt und deren Auswirkungen für das Konzernergebnis modelliert. Basierend auf den Ergebnissen der Risikobewertung werden unter Berücksichtigung von Kosten-/ Nutzen-Betrachtungen geeignete Maßnahmen einkalkuliert. 128 Risikosteuerung Die Risikosteuerung befasst sich mit den Ergebnissen der Risikoidentifikation und -quantifizierung. Auf Grundlage der Ergebnisse ist es erforderlich zu entscheiden, inwiefern Handlungsbedarf besteht und Aktivitäten eingeleitet werden müssen. In diesem Fall ist eine konzernweite Koordination notwendig. 129 Alle wesentlichen Risikosteuerungsansätze werden im Folgenden in einem kleinen überschaubaren Maß dargestellt: Abbildung 9-4: Überblick der Risikosteuerung Risikovermeidung Das Grundprinzip der Risikovermeidung stellt in erster Linie einen Steuerungsansatz dar. Dieser Grundgedanke soll bestimmte gesetzliche, politische, ethische und strategische Geschäftsaktivitäten und die entsprechenden Risiken unterbinden. Der Risikovermeidungsansatz hat vor allem für die operationellen Risiken einen hohen Stellenwert, da diese Risiken häufig im Vorfeld ungeplant und nicht voraussehbar sind. Jedoch wird im Gegensatz zu Kredit- und Marktrisiken keine (direkte) Risikoprämie vereinbart. Dem Kreditinstitut sollte bewusst sein, dass nichteingegangene Geschäftsaktivitäten auch keine potenziellen Zusatzchancen erwirtschaften. Risikoakzeptanz Die Risikoakzeptanz wird oftmals als passives Risikomanagement bezeichnet. Sobald Risiken eingegangen und beibehalten werden, sind diese mit Kapitalunterlegungen begleitet, um die anvisierte Ausfallwahrscheinlichkeit der Bank nicht zu gefährden. 127 Vgl. Fiege, S. [Risikomanagement- und Überwachungssystem nach KonTraG, 2006], S. 160 ff. 128 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Risikomanagement [Risikoaggregation in der Praxis, 2008], S. 175 ff. 129 Vgl. Strauß, M. [Wertorientiertes Risikomanagement in Banken, 2009], S. 176 <?page no="276"?> 276 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Die traditionellen Methoden der Kreditrisikosteuerung bei Kreditvergabe, innerhalb der Laufzeit und beim möglichen Auftritt von Schwierigkeiten, geben dabei ein Instrumentarium wieder, dass von der Kreditwürdigkeitsprüfung, Vertragsgestaltung, laufenden Überwachung bis hin zum speziellen Umgang mit problembehafteten bzw. notleidenden Krediten sich erstreckt. Ziel ist es, das Risiko des einmal gewährten Kredits möglichst gering zu halten, um künftige Wertberichtigungen bzw. Abschreibungen zu verhindern. Gemäß einer asymmetrischen Informationsverteilung ist es schwierig eine sehr präzise Einschätzung über die Bonität des Kreditnehmers zu gewinnen. Um Risiken einzudämmen, werden laufende Überwachungen (Monitoring) und Maßnahmen zur Risikofrüherkennung sowie spezielle Mittel im Umgang mit problembehafteten oder notleidenden Engagements eingeleitet. Diese Engagements werden, wenn möglich, rechtzeitig vom Bereich Sanierung und Restrukturierung erkannt und bearbeitet. Aus diesem Bereich erfolgt die Abwicklung des Engagements, indem vorzeitig die Beendigung des Kreditvertrags mit der Verwertung der Sicherheiten bzw. Vermögenswerte veranlasst wird. Risikotransfer Unter einem Risikotransfer wird die teilweise bis vollständige Übertragung von Risiken auf Dritte verstanden. In Anbetracht können Risiken einzeln oder zusammengefasst als Portfolio transferiert werden. Im Wesentlichen kann der Risikotransfer durch Finanzinstrumente (z.B. Kreditderivate oder Versicherungen) erfolgen. Einer der häufig genutzten Kreditderivate ist der Credit Default Swap. Hierbei erhält der Sicherungsgeber eine bestimmte Prämie, geht jedoch die Verpflichtung ein, dass bei Eintritt eines vorab festgelegten Kreditereignisses eine Ausgleichszahlung an den Sicherungsnehmer zu entrichten ist. Risikodiversifikation Eine Risikodiversifikation strebt die bestmögliche Risikostreuung an. Dabei werden möglichst geringe Korrelationen zwischen den einzelnen Risikopositionen angepeilt. Das Vorhaben ist eine Verringerung unerwarteter Verluste, um so den Bedarf an Kapital besser zu lenken. Zusätzlich spielt die Verteilung des Kreditportfolios von Ratingklassen eine bestimmte Rolle für den unerwarteten Verlust, da schlechtere Ausfallklassen mit einer höheren Volatilität der Ausfallraten einhergehen und sich hierdurch eine Steigerung des unerwarteten Verlusts ergibt. Risikokontrolle Die Risikokontrolle umfasst qualitative und quantitative Aspekte, wie die laufende Risikoüberwachung der einzelnen Stufen des Risikomanagementprozesses über systematische Ist-Soll-Abgleiche. Basierend auf der Grundlage eines abgestimmten Risikoüberwachungssystems erfolgt die Überwachung und Kontrolle in den fünf folgenden Prämissen: [1] Inwiefern die allgemeinen risikostrategischen Vorgaben eingehalten sind [2] Inwiefern das Risikomanagement in aufbau- und ablauforganisatorischer Hinsicht adäquat sei [3] In welchem Verhältnis die tatsächliche Risikoposition zur angestrebten Risikoposition stehe [4] Welche Effekte aus den durchgeführten Steuerungsmaßnahmen hervorgerufen sind [5] Welche Erträge und Renditen auf das eingegangene Risiko erwirtschaftet sind Entsprechende Informationen werden in einem regelmäßigen Risiko-Report festgehalten. Der Report dient als zentrale Kontrollinstanz für Informationsbedürfnisse und Entscheidungskompetenzen. Die konzernweite Risikosituation wird periodisch überprüft und halbjährlich auf Basis einheit- <?page no="277"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 277 Neue Betriebswirtschaft licher Vorgaben als interner Bericht in aggregierter Form an die Konzernleitung und den Verwaltungsrat berichtet. 130 Externe Berichterstattung erfolgt im Sinne von (Konzern-)Lagebericht, zudem sind auch Zwischen- und Ad-hoc-Berichte möglich. Dabei werden Risiken aufgenommen und deren künftige Entwicklung berücksichtigt. Der externe Bericht basiert auf bankaufsichtsrechtlichen Normen, insbesondere stehen Informationen über Risikotragfähigkeit, Risikobegrenzung und Funktionserhaltung des Finanzsystems im Vordergrund der Aufsicht. Die Offenlegungsvorschriften beziehen sich auf Säule III von Basel III und der Informationspflicht gegenüber den Marktteilnehmern. 131 Ratings Grundlagen Rating Ein Rating befasst sich mit der standardisierten Beurteilung einer Person, eines Instituts oder eines Objekts. Ratings werden durch eine Note gewertet, wobei die Bewertung meist anhand einer eindimensionalen ordinalen Skala erfolgt. Durch Nutzung unterschiedlicher festgelegter Informationen soll die Bonität des Kreditnehmers approximiert werden. Somit erfolgt eine Einordnung der betrachteten Objekte in einer Rangfolge. 132 Mittels Ratings werden Bonitäts- und Kreditrisikoermittlungen objektiviert. Dabei wird die Entscheidungssicherheit erhöht und die Basis für eine einheitliche Risikoermittlung und Risikoabbildung geschaffen. Zusätzlich wirkt das Rating entscheidungsunterstützend. Die verwerteten Informationen des Kreditnehmers müssen wahrheitsgemäß und zuverlässig sein, da ansonsten das Ratingergebnis verzerrt und der Kreditnehmer falsch klassifiziert wird. Hier wird sich mit der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit von Instituten, Objekten bzw. Personen beschäftigen. Um Unstimmigkeiten zu vermeiden wird der Begriff Rating als Synonym für Credit Rating verwendet. 133 Credit Rating Das Credit Rating baut auf dem Ansatz des Bonitätsrisikos auf. Der Begriff Rating entstammt aus dem englischen Wort „to rate“, welches übersetzt einschätzen, einstufen oder skalieren bedeutet. Es erfolgt eine Bewertung der wirtschaftlichen Verhältnisse, um die Bonität bzw. Kreditwürdigkeit einzuschätzen. Es wird eine Prognose einer voraussichtlichen zukünftigen Zahlungsfähigkeit des Schuldners festgestellt. Ein Rating gibt Auskunft, inwiefern ein Kreditnehmer in der Lage ist bzw. sein wird, dessen Zahlungsverpflichtungen in voller Höhe und fristgerecht nachzukommen. Das Ergebnis des Ratings, insbesondere die Kreditqualität des Schuldners, wird in Abhängigkeiten von externen bzw. internen Ratings festgesetzt. Eine positive (Upgrade) bzw. negative (Downgrade) Abweichung von dem bisherigen Credit Rating führt zu einer Ratingänderung. Die Abweichungen entstehen durch eine Verbesserung bzw. einer Verschlechterung der Bonität des bewerteten Kreditnehmers. 134 9.2.2 Ratingklassifizierung Bei der Ratingklassifizierung werden die drei am häufigsten vorkommenden Ratingarten näher erläutert. 130 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Risikomanagement [Risikoaggregation in der Praxis, 2008], S. 175 f. 131 Vgl. Strauß, M. [Wertorientiertes Risikomanagement in Banken, 2009], S. 83 ff. 132 Vgl. Horsch, A./ Schulte, M. [Risikomanagement, 2010], S. 94 f. 133 Vgl. Hundt, S. [Informationsgehalt von Credit Ratings, 2015], S. 20 f. 134 Vgl. Hundt, S. [Informationsgehalt von Credit Ratings, 2015], S. 20-25 <?page no="278"?> 278 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Externe und interne Ratings In der Regel wird zwischen externen und internen Ratings unterschieden. Beide Ratings zielen darauf ab, einen Kreditnehmer anhand seiner Bonität zu klassifizieren und das Risikogehalt eines Kreditnehmers im gesamten Kreditportfolio darzustellen. Gemäß Basel II soll eine Vergleichbarkeit der Bewertung von Unternehmen möglich sein. Externe Ratings Externe Ratings werden durch Ratingagenturen wie Moody’s, Fitch oder Standard and Poor’s erstellt. Unternehmen beauftragen Ratingagenturen zur Erstellung eines Ratings gegen Zahlung einer Gebühr. Das Rating soll unabhängig von den Interessen der zu analysierenden Bank erfolgen. In der Finanzkrise 2008 gerieten Ratingagenturen enorm in Verruf, denn im Hinblick auf die Objektivität war das eingeschätzte Rating nicht ganz zweifelsfrei, da einige Kreditnehmer besser eingeschätzt wurden, als sie tatsächlich waren. Seit Anbeginn der Zeitgeschichte der Ratingagenturen sind die drei genannten Ratingagenturen nicht wegzudenken. Im Mittel der langjährigen Erfahrungen der renommierten Ratingagenturen haben die erstellten Ratings eine hohe Akzeptanz bezüglich der Anerkennung der Ratingeinstufung. Darüber hinaus verfügen diese Ratingagenturen über ein großes Spektrum an statistischen Daten. Die angewandten Verfahren schätzen die Messgenauigkeit der Ausfallwahrscheinlichkeit sehr präzise ein. 135 Interne Ratings Es werden interne Ratings eigenständig von Banken im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfung über ein bankindividuelles internes Verfahren ermittelt. Hierfür wird die Bonität des Kreditnehmers mittels einer Bonitätsprüfung eingeschätzt. Dabei werden in diesem Prozess die Kreditnehmer klassifiziert und die dazugehörige Ausfallwahrscheinlichkeit beurteilt. Die Finanzkrise 2008 hat gezeigt, nicht arglos großen Ratingagenturen zu vertrauen und im Gegenzug mehr Vertrauen den eigenen internen Ratings entgegenzubringen. Grundsätzlich ist die Festlegung des Zinsbetrages eines Kreditnehmers maßgeblich für interne Ratings. Das Kreditrisiko wird bei Vergabe eines Kredits mit einem entsprechenden Eigenkapitalanteil hinterlegt, sodass das Verlustrisiko so gering wie möglich für die Bank gehalten wird. Das interne Rating der Kreditinstitute wird nicht veröffentlicht und das angewandte Verfahren wird vertraulich gehandhabt. 136 Unsolicited Rating und Solicited Rating Ratings werden generell als Auftragsarbeiten durchgeführt. Eine spezielle Form des Ratings wird als Solicited Rating bezeichnet. Dabei ist das Unternehmen der Initiator und stellt freiwillig eine Vielzahl bonitätsrelevanter Informationen zur Verfügung. Geht die Initiative direkt aus einer Ratingagentur oder einem Investor hervor, handelt es sich um ein Unsolicited Rating. Hierbei basiert der Input auf veröffentlichten Informationen, die zur Erarbeitung des Ratings genutzt werden. Folglich werden keine unternehmensinternen Informationen einbezogen. 137 135 Vgl. Kroon, G. [Messung und Steuerung von Kreditrisiken, 2009], S. 187 136 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 58 137 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 56 sowie Buschmeier, A. [Ratingagenturen, 2011], S. 156 f. <?page no="279"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 279 Neue Betriebswirtschaft Emittenten- und Emissionsrating Emittenten- und Emissionsratings beziehen sich auf ein Ratingobjekt. Ein Emissionsrating umfasst die Bewertung von einzelnen Finanztiteln wie z.B. Schuldverschreibungen. Einzelne Schuldverschreibungen eines Emittenten können unterschiedliche Ratings aufweisen, da Ausstattungsmerkmale wie Besicherung je nach Nachrangigkeit, unterschiedlichen Rechten, Laufzeiten und sonstigen Bedingungen für Zins- und Tilgungszahlungen in die Bewertung einfließen können. Beim Emittentenrating wird die allgemeine Fähigkeit eines Emittenten beurteilt, inwiefern der Emittent rechtzeitig und vollständig seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommt. Diese Art von Rating bildet die Basis für das Emissionsrating. 138 Bedeutung von Ratingeinschätzungen Das Resultat eines Ratings wird von den Ratingagenturen in Form einer Buchstabenbzw. Buchstaben-Zahlen-Kombination als Ratingskala formuliert. Das Gesamtergebnis wird durch eine Skala von A bis D deklariert. Es wird ein spezifisches Risikoprofil erarbeitet. Die Untersuchung gibt die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Zahlungsunfähigkeit preis. Hierbei werden als Klassenbeschreibungen verbale Erklärungen über die Bonität dargeboten. 139 Die nachfolgende Abbildung 9-5 gibt einen Überblick über die Ratingskalen der drei größten Ratingagenturen wieder, dabei differenzieren sich die Skalen nur minimal voneinander. Jeder Ratingklasse wurde hierbei ein Intervall von Ausfallwahrscheinlichkeiten mit dem entsprechenden geometrischen Mittel, welches auf Basis historischer Ausfallquoten beruht, fest zugeordnet. Als Investment Grade wird die Bandbreite der Ratings von AAA bis BBB- benannt, die über ein geringes Risiko verfügen. Ratings, die schlechter als BBB- abschneiden, werden hingegen als Speculative Grade (relativ hohes Risiko) bezeichnet. 140 S&P Moody's Fitch Klassenbeschreibung AAA Aaa AAA Sehr gut: höchste Bonität; beinahe kein Ausfallrisiko Investment Grade AA+ AA AA- Aa1 Aa2 Aa3 AA+ AA AA- Sehr gut bis gut: sehr hohe Zahlungswahrscheinlichkeit; geringes Ausfallrisiko A+ A A- A1 A2 A3 A+ A A- Gut bis befriedigend: angemessene Deckung von Zins und Tilgung; vorhandene Risikoelemente können negative Veränderung des wirtschaftlichen Umfelds auslösen BBB+ BBB BBB- Baa1 Baa2 Baa3 BBB+ BBB BBB- Befriedigend: angemessene Deckung von Zins und Tilgung; spekulative Elemente können Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds lostreten BB+ BB BB- Ba1 Ba2 Ba3 BB+ BB BB- Ausreichend: mäßige Deckung von Zins und Tilgung Speculative Grade 138 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 57 f. 139 Vgl. Horsch, A./ Schulte, M. [Risikomanagement, 2010], S. 94 140 Vgl. Hundt, S. [Informationsgehalt von Credit Ratings, 2015], S. 29 f. <?page no="280"?> 280 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft B+ B B- B1 B2 B3 B+ B B- Mangelhaft: geringe Deckung von Zins und Tilgung CCC CC Caa Ca CCC CC Ungenügend: niedrigste Qualität; akute Gefahr des Zahlungsverzugs SD 141 / D C DDD DD D Zahlungsunfähig: in Zahlungsverzug Abbildung 9-5: Ratingnotationen der drei größten Ratingagenturen Quelle: In Anlehnung an Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 68 Im Wesentlichen ähnelt das Rating einem Ranking, bei dem eine Rangfolge dargestellt wird. Mittels der einheitlich vergebenen Notation sind das Rating und die Bonität verschiedener Unternehmen vergleichbar. Die Abstände zwischen zwei aufeinanderfolgenden, durch Symbole bzw. Ziffern, abgestuften Ratingklassen werden als sogenannte Notches betitelt. Zum Beispiel beträgt der Abstand zwischen den beiden Ratingklassen BB und B+ in der Ratingskala von Standard & Poor’s (S&P) zwei Notches. 142 Es können empirische Ausfallraten abgeleitet werden, welche die Basis der Risikoprämienkalkulation darstellt. Sollte sich ein Rating verschlechtern, so steigen die Kosten für das Risiko stark an, die dann im Preis ihren Niederschlag finden. Im Umkehrschluss sinkt bei einem besseren Rating der Preis f ür e in en Kredi t. 143 9.2.3 Bonitätseinschätzung In diesem Abschnitt werden sowohl die Kreditfähigkeitsprüfung als auch die Bonitätsprüfung näher erörtert. Des Weiteren werden ausgewählte Verfahren dargeboten. Kreditfähigkeitsprüfung Die Kreditfähigkeit bedeutet, dass der Kreditantragsteller in der Lage ist, rechtswirksame Kreditgeschäfte einzugehen. Die Geschäftsfähigkeit einer Person bzw. die Vertretungsmacht ist im Rahmen des BGBs 144 zu prüfen. Die Kreditfähigkeitsprüfung seitens des Kreditgebers ist grundlegend, da bei fehlerhafter Prüfung jeglicher Anspruch auf Rückzahlung des Darlehensbetrags gefährdet wird. 145 Bonitätsprüfung Die Bonitätsprüfung untersucht, inwieweit der Kreditnehmer voraussichtlich fähig ist Zins- und Tilgungszahlungen vertragsmäßig zu leisten. Insofern steht die Ermittlung und Beurteilung der Bonität eines Kreditnehmers im Zentrum der Betrachtung. Es wird zwischen persönlicher und materieller Bonität unterschieden. Unter persönlicher Bonität wird die Persönlichkeitsstruktur des Kreditnehmers beurteilt, inwiefern die beruflichen, fachlichen und unternehmerischen Eigenschaften des Kreditnehmers ausgeprägt sind. Die materielle Bonität beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Kreditnehmers. 141 Selective Default 142 Vgl. Gleißner und Füser [Praxishandbuch Rating und Finanzierung, 2014], S. 25-28 143 Vgl. Metzler, L.von/ Pohle, K. [Risikoaggregation im industriellen Controlling, 2004], S. 166 144 Bürgerliches Gesetzbuch 145 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 44 <?page no="281"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 281 Neue Betriebswirtschaft Grundsätzlich ist die Ertrags- und Liquiditätsstruktur sowie die Vermögens- und Kapitalstruktur entscheidend. Die momentane und zukünftige Situation des Kreditnehmers sollte geeignet sein, um eine gesicherte Zins- und Tilgungszahlung zu gewährleisten. Im folgenden Abschnitt werden ausgewählte Methoden hierfür vorgestellt. 146 Verfahren Unzählige Instrumente liegen Kreditinstituten und Ratingagenturen zur Analyse von Kreditnehmern vor. Der Einsatz technisch-moderner Verfahren objektiviert die Gewichtung der Prüfungsmerkmale. Er rationalisiert die Kreditwürdigkeitsprüfung durch Beschränkung der entscheidungsrelevanten Prüffelder und treibt den Prüfungsvorgang voran. Statistische Verfahren kategorisieren insolv ent e und s olv ent e K redit nehme r nac h den je we ilig en Branc he n und Größen. D er E insat z vo n statistischen Verfahren ermöglicht eine Zeitersparnis, erleichtert den Kreditvergabeprozess, unterstützt Kreditsachbearbeiter und ergänzt im Gesamtbild den Kreditvergabeprozess. 147 Die beiden formellen Insolvenzprognoseverfahren „Induktives Verfahren“ und „Empirisch-statistisches Verfahren“ werden in der nachfolgenden Abbildung dargestellt. Gesondert wird die traditionelle Bonitätsanalyse betrachtet. Abbildung 9-6: Insolvenzprognose Quelle: In Anlehnung an Gleißner und Füser [Praxishandbuch Rating und Finanzierung, 2014], S. 54 Traditionelle Bonitätsanalyse Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat die Bonitätsanalyse der Banken einen Wandel durchgemacht. Insbesondere in Deutschland galt bisher die fundamentale Bonitätsanalyse als richtungsweisend. STÜTZEL (1983, S. 33f.) vertritt die Auffassung, dass der Liquidität keine eigene analytische Aussagefähigkeit eingeräumt wird, weil die Liquidität nur zur Wiedergabe der Bonität dient bzw. als ein operatives Managementproblem angesehen wird. 148 146 Vgl. ebd., S. 45 ff. 147 Vgl. Hofmann, G. [Basel II und MaRisk, 2007], S. 116 148 Vgl. Stützel, W. [Bankpolitik heute und morgen, 1983], S. 33 f. sowie Everling, O./ Goedeckemeyer, K.-H. [Bankenrating, 2015], S. 276 f <?page no="282"?> 282 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Die traditionelle Bonitätsanalyse beruht auf Jahresabschlüssen und gibt einen Einblick in alle wesentlichen Informationen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens anhand der vorhandenen Datenmaterialien. Diese können Rückschlüsse zur wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit des Unternehmens erschließen. Es soll ersichtlich sein, wie es um die Liquiditätslage des Unternehmens steht. 149 Der Jahresabschluss wird anhand festgelegter Kriterien ausgewertet und anschließend folgt eine Verdichtung von ausgewählten Kennzahlen. Basierend auf dem Jahresabschluss werden Zeitvergleich, Branchenvergleich sowie der Soll-Ist-Vergleich erstellt. 150 Der Zeitvergleich liefert unternehmensbezogene Entwicklungstendenzen. Bei einer Kreditvereinbarung wird die Werthaltigkeit bzw. die Verwertbarkeit von Sicherheiten des Kreditnehmers beurteilt, sodass mittels Sicherheiten Verluste von Kreditinstituten geschmälert werden können. 151 Abbildung 9-7: Traditionelle Bonitätsanalyse Quelle: Entnommen aus Schiller, B./ Tytko, D. [Risikomanagement im Kreditgeschäft, 2001], S. 76 Die traditionelle Bonitätsanalyse hat nur einen eingeschränkten Informationsgehalt auf Basis eines Jahresabschlusses. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Tatsache, dass Jahresabschlüsse vergangenheits- und bilanzstichtagbezogen sind. 152 Gemäß Basel III (Säule III) wurden die Offenlegungsvorschriften verschärft. 153 Des Weiteren ist die Einschätzung problematisch hinsichtlich der Anwendung unterschiedlicher Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten bei HGB und IFRS. Unter Ausnutzung von Bewertungswahlrechten kann eine Unternehmenssituation modifiziert (besser) dargestellt werden, um die Chancen auf einen besseren Kredit zu erhöhen. Zwar ist der Kreditvergabeprozess weitgehend bei allen Kreditinstituten standardisiert, jedoch hat der Kreditsachbearbeiter einen gewissen Spielraum. Subjektive Attribute (wie bspw. ein Kundengespräch oder eine Betriebsbesichtigung) können in die Einschätzung einfließen. Das Kreditrisiko ist schwierig einzuschätzen, da bei langfristiger Laufzeit Veränderungen im Hinblick auf Zahlungsfähigkeit möglich sind. In diesem Zusammenhang prüfen Kreditinstitute nach Werthaltigkeit und Verwertbarkeit von Sicherheiten unter Berücksichtigung der aktuellen Risikoeinstufung. 154 Die traditionelle Bonitätsanalyse ist immer noch Bestandteil von Banken. 149 Vgl. Schiller, B./ Tytko, D. [Risikomanagement im Kreditgeschäft, 2001], S. 86-89 150 Vgl. Schiller, B./ Tytko, D. [Risikomanagement im Kreditgeschäft, 2001], S. 76 151 Vgl. Grunwald, E./ Grunwald, S. [Bonitätsanalyse im Firmenkundengeschäft, 2008], S. 125 ff. 152 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 47 153 Siehe Abschnitt 4.3 154 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 46 ff. <?page no="283"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 283 Neue Betriebswirtschaft Diskriminanzanalyse 155 Die Diskriminanzanalyse wird als ein Verfahren zur Analyse von Gruppenbzw. Klassenunterschieden angewandt. Das genannte Verfahren ermöglicht die Grundgesamtheit aller Objekte (bspw. zu klassifizierende Unternehmen) angesichts ihrer Merkmalsausprägungen (z.B. Bilanzkennzahlen) in solvente und insolvente Gruppen einzuteilen. Die Trennung leitet sich anhand der Diskriminanzfunktion, welche im Prozess der Diskriminanzanalyse ermittelt wird, wie folgt ab: 156 D = b Ž + b ‹ X ‹ + b a X a +. . . +b Ç X Ç ˆ = ˆ·‡³‰·¯·-ë-yë‰·ëè±ß X î = m߉³¯ë±‡ë‰·ëè±ß µ ( µ = 1,2, . . , v ) b î = ˆ·‡³‰·¯·-ë-y³«ßÜÜ·y·ß-… Üü‰ m߉³¯ë±‡ë‰·ëè±ß µ b Ž = ³«-‡…ë-…߇ ±·ßâ Die Formulierung der Diskriminanzfunktion erfordert die Auswahl von Merkmalsvariablen. Die Parameter b Ž und b î mit µ = 1,2, … , v sind auf Basis der Daten für die Merkmalsvariablen zu schätzen. Mehrere Variablen werden bei minimalem Informationsverlust durch eine Linearkombination zu einer Variable zusammengeschlossen.157 Eine empirische Vorbereitung erfolgt mittels dem cut-off-point K V , dieser ermöglicht eine bestmögliche Trennung insolventer und solventer Unternehmen. Unterschieden wird dabei zwischen einer univariaten und einer multivariaten Diskriminanzanalyse. Bei der univariaten Diskriminanzanalyse werden einzelne Kennzahlen und Merkmale betrachtet. Abbildung 9-8: Univariate Diskriminanzanalyse Quelle: In Anlehnung an Uwe Christians [Rating und Kreditwürdigkeitsprüfung WiSS 2016/ 2017, 31.12.2016], HTW Berlin, S. 10 155 Christians, U. [Rating und Kreditwürdigkeitsprüfung WiSS 2016/ 2017, 31.12.2016], HTW Berlin 156 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 50 f. 157 Vgl. Backhaus, K./ Erichson, B./ Plinke, W./ Weiber, R. [Multivariate Analysemethoden, 2016], S. 220 f. <?page no="284"?> 284 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Im Rahmen einer Teststichprobe wird versucht einen geeigneten Trennpunkt (cut-off-point) aufzustellen, sodass die Anzahl der Fehlklassifikationen so gering wie möglich gehalten wird. Der Alpha- Fehler, auch Fehler erster Art genannt, bezeichnet insolvente Unternehmen, die fälschlicherweise als solvent tituliert werden. Der Beta-Fehler gibt die Wahrscheinlichkeit der solventen Unternehmen an, die irrtümlich als insolvent tituliert werden. Die univariate Diskriminanzanalyse ist leicht nachvollziehbar, bei der keine Verteilung der Kennzahlen erforderlich ist. Jedoch werden dabei nur Teilaspekte berücksichtigt. Die multivariate Diskriminanzanalyse ermöglicht die gleichzeitige Untersuchung von mehreren Merkmalsvariablen. Oftmals wird diese Methode beim Kreditgeschäft genutzt, um kreditsuchende Unternehmen in bestandsfeste Gruppen wie solvente bzw. insolvente Unternehmen einzuordnen. Abbildung 9-9: Multivariate Diskriminanzanalyse mit Trennlinien Quelle: In Anlehnung an Uwe Christians [Rating und Kreditwürdigkeitsprüfung WiSS 2016/ 2017, 31.12.2016], HTW Berlin, S. 17 [1] Zunächst wurden drei solvente Unternehmen fälschlicherweise in die insolvente Gruppe einsortiert. Im Gegenzug wurden irrtümlich zwei insolvente Unternehmen der solventen Gruppe zugeordnet. [2] Bei der zweiten univariaten Trenngerade wurden vier solvente Unternehmen falsch zur insolventen Gruppe klassifiziert. Des Weiteren wurden drei insolvente Unternehmen der solventen Gruppe zugeordnet. [3] Eine Kombination aus 1) und 2) ergibt eine Reduzierung der Fehleinschätzung. Beim dritten Versuch wurden nur noch zwei solvente Unternehmen bei der Gruppe der Insolventen eingeordnet. Nur ein insolventes Unternehmen wurde in die solvente Gruppe eingereiht. Zusätzlich zur Diskriminanzanalyse sollte stets die Nutzung von Jahresabschlüssen und Offenlegungsberichten erfolgen. <?page no="285"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 285 Neue Betriebswirtschaft Beispiel 158 Anhand des Z-Scores nach Bilanzratingmodell von ALTMAN ALTMAN erstellte eine kleine Datenbasis mit 33 insolventen und 33 solventen Unternehmen, die aus einer vergleichbaren Branche stammen und eine ähnliche Bilanzsumme aufweisen. Die fünf Variablen ô ‹ bis ô [ stellen ausgewählte aussagekräftige Kennzahlen dar. î = 0,012 « ô ‹ + 0,014 « ô a + 0,033 « ô _ + 0,006 « ô ] + 0999 « ô [ ô ‹ : Working Capital / Bilanzsumme ô a : Gewinnrücklage/ Bilanzsumme ô _ : Earnings Before Interest and Taxes (EBIT)/ Bilanzsumme ô ] : Marktwert des Eigenkapitals / Bilanzsumme ô [ : Umsatz/ Bilanzsumme Der Ansatz von ALTMAN zur Insolvenzprognose stellt einen optimalen Trennwert von 2,675 in Bezug auf die Anzahl der Fehlklassifizierung auf. Tatsächlich stellte sich heraus, dass alle Unternehmen der Stichprobe mit einem Wert Z < 1,81 ein Jahr später insolvent wurden und die Unternehmen mit einem Wert Z > 2,99 ein Jahr später stets solvent waren. Es ergab sich die Entscheidungsregel, dass Unternehmen mit einem Wert Z > 2,99 als nicht insolvenzgefährdet kategorisiert wurden. Hingegen werden Unternehmen mit einem Wert Z < 1,81 als insolvenzgefährdet betrachtet. Unternehmen mit einem Wert 1,81 < Z < 2,99 werden in keiner der beiden Gruppen eingeordnet. 159 Die folgende Abbildung zeigt anhand von zwei Kennzahlen die Trennung von Unternehmen, die solvent bleiben und jenen die insolvent werden. Bei allen statistischen Verfahren gilt, dass sie auf Vergangenheitsentwicklungen basieren und die Ergebnisse in die Zukunft übermittelt werden. Abbildung 9-10: Kennzahlenbasierte Diskriminanzanalyse Quelle: Entnommen aus Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 98 f. 158 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 95 f. 159 Vgl. Everling, O./ Goedeckemeyer, K.-H. [Bankenrating, 2015], S. 176 <?page no="286"?> 286 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Neuronale Netze 160 Neuronale Netze agieren nach dem Prinzip der Mustererkennung. Die Idee der neuronalen Netze besteht darin, den biologischen Ablauf der Informationsverarbeitung des menschlichen Gehirns zu imitieren. Ein neuronales Netz umfasst eine Eingabeschicht, Mittelschicht(en) und eine Ausgabenschicht. Die erste Schicht, die sogenannte Eingabeschicht, ist verantwortlich für die Aufnahme von Informationen (z.B. finanzielle Kennzahlen) über Impulse mittels Neuronen. Diese werden mit Gewichten versehen und anschließend in die nächste Schicht weitergereicht. Dabei wird nach den wichtigsten Ausprägungsmerkmalen selektiert. In der Mittelschicht erfolgt die Informationsverarbeitung. In den Elementen der Mittelschichten (Neuronen) werden die eingehenden Informationen zu vernetzten Werten verknüpft. Diese stellen Inputwerte für die nachgelagerten Neuronen dar. Abschließend werden die Informationen an die Ausgabeschicht weitergeleitet, die zu einem Krediturteil verdichtet werden. 161 Wie das menschliche Gehirn lernen die Neuronen von Datensätzen. Neuronale Netze verarbeiten quantitative und qualitative Daten. 162 Abbildung 9-11: Grundlegender Aufbau eines neuronalen Netzes Quelle: Entnommen aus Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 171 f. Als Anwendungsbeispiel ist an dieser Stelle das sogenannte Baetge-Bilanzrating BP-14 heranzuziehen, welches auf der Grundlage von 14 Jahresabschlusskennzahlen basiert und zu einem neuronalen Netzwert komprimiert wird. Die Informationsbereiche lassen sich in Vermögens-, Finanz- und Ertragslage aufteilen. Anhand des ermittelten neuronalen Netzwerts wird ein Unternehmen einer bestimmten Klasse zugeordnet. In der nachfolgenden Abbildung sind sechs Güteklassen und vier Risikoklassen verzeichnet, aus der die jeweiligen Insolvenzwahrscheinlichkeiten berechnet werden können. 163 Eine Weiterentwicklung des Baetge-Bilanz-Ratings (BBR) wird von Moody's Analytics, dem sogenannten RiskCalc, genutzt. 164 Expertensysteme 165 Induktive Verfahren, sprich heuristische Methoden, dienen zur Erkenntnisgewinnung aus subjektiven Erfahrungen und Beobachtungen bzw. erwarteten betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen. Heuristische Methoden beruhen auf Erfahrungen aus dem Kreditgeschäft, die in der Vergangenheit 160 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 50 f. 161 Vgl. Gleißner und Füser [Praxishandbuch Rating und Finanzierung, 2014], S. 171 f. 162 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 317 163 Siehe Abbildung 9-12 164 Vgl. Hutzschenreuter und Griess-Nega [Krisenmanagement, 2006], S. 130 ff. 165 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 46 - 88 <?page no="287"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 287 Neue Betriebswirtschaft hinsichtlich der Bonität eines Kreditnehmers gewonnen wurden. Des Weiteren ist zu erwähnen, dass die Qualität heuristischer Modelle von der adäquaten Abbildung des subjektiven Expertenwissens beeinflusst wurde und weniger von der Datenbasis. Als Resultat ergab sich ein gewichteter Bonitätsdurchschnitt, mittels dessen eine Risikoeinstufung des Kreditengagements vorgenommen wurde. Die heuristischen Methoden zielen zu keinem endgültigen anerkennungsfähigen Risikogewicht ab. Abbildung 9-12: Zusammenhänge des Netzes BP-14 Quelle: In Anlehnung an Hutzschenreuter und Griess-Nega [Krisenmanagement, 2006], S. 131 Heutzutage findet das Expertensystem kaum Anwendung. In jener Zeit fand das Expertensystem in der Praxis vorwiegend im Firmenkundenbereich seine Verwendung. Expertensysteme wurden von statistischen Modellen bspw. mittels des BVR-II-Ratings abgelöst, welche Volks- und Raiffeisenbanken nutzen. Das Ratingsystem BVR-II-Rating besteht aus zwei Teilkomponenten: quantitative Kennzahlen zum Jahresabschluss (Teilscore JA) sowie qualitative Kriterien (Teilscore QU). Der quantitative Teil hat eine Gewichtung von 60 Prozent und die qualitativen Kriterien gehen mit 40 Prozent in die Bewertung ein. Der quantitative Teil basiert auf der Jahresabschlussanalyse. Der qualitative Teil wird in Form von strukturierten Fragebögen dokumentiert. Der Jahresabschluss, die betriebswirtschaftliche Auswertung und die Kontoführung sind ausgerichtet die Vermögenslage und Ertrags- und Finanzkraft einzuschätzen. Zusätzlich werden Absatz- und Beschaffungsmärkte sowie Veränderungen der branchenabhängigen Wettbewerbsposition im Markt des Kreditnehmers beobachtet. 166 Des Weiteren wird die Planung der zukünftigen Entwicklung zur Bewertung des qualitativen Teils herangezogen. Die Aggregation der quantitativen und qualitativen Teile ergibt vorerst eine maschinelle Ratingnote, die als ein „Vor-Rating“ gewertet wird. Anschließend wird dieses Rating durch Wissen von Kredit- 166 Vgl. Gleißner und Füser [Praxishandbuch Rating und Finanzierung, 2014], S. 458 <?page no="288"?> 288 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft experten ergänzt ehe es zur Erstellung des endgültigen Ratings kommt. Zusammenfassend ergibt sich folgende Abbildung: Abbildung 9-13: Aufbau des BVR-II-Ratings Quelle: Entnommen aus Gleißner und Füser [Praxishandbuch Rating und Finanzierung, 2014], S. 459 Das BVR-II-Rating beurteilt die aktuelle Vermögens-, Finanz- und Ertragslage und infolge dessen wird die zukünftige Unternehmensentwicklung in die Bonitätsanalyse integriert. Ein Maß für die Substanzentwicklung in der jüngeren Vergangenheit wird durch die wirtschaftliche Entwicklung, einschließlich der Kapitalstruktur, wiedergegeben. 9.2.4 Methoden der Kreditwürdigkeitsprüfung und Vergleich Seit Basel II wurde die Berechnung der Eigenkapitalunterlegung für Kreditrisiken mithilfe von Säule I verschärft. Kreditinstitute verfügen über die Wahl zwischen zwei Ansätzen, dem Kreditrisiko- Standardansatz (KSA), der auf einem externen Rating basiert und dem Internal Ratings Based- Ansatz (IRB-Ansatz). Bei dem IRB-Ansatz wird zwischen dem sogenannten IRB-Basisansatz und dem fortgeschrittenen IRB-Ansatz unterschieden. Zunächst werden die genannten Modelle vorgestellt, jedoch wird im Rahmen dieser Abschlussarbeit der IRB-Ansatz detaillierter vertieft. Kreditrisiko-Standardansatz (KSA) Die Standardmethode basiert auf externen Ratings und nutzt die durch die Aufsichtsbehörde vorgegebenen Risikogewichte. Diese sind abhängig einer externen Bonitätsbeurteilung (z.B. für Kredite an Staaten, Banken und Unternehmen). 167 Häufig wird dieser Ansatz für die Bemessung des Kreditrisikos, insbesondere von kleineren Banken, genutzt. Die nachfolgende Abbildung stellt die Risikogewichte im Standardansatz exemplarisch dar. 167 Vgl. Gleißner, W. [Grundlagen des Risikomanagements, 2017], S. 83 <?page no="289"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 289 Neue Betriebswirtschaft Forderungsklasse Staaten und deren Zentralbanken Banken Unternehmen kurzfristige Forderungen sonstige Forderungen Rating Risikogewicht AAA bis AA- 0% 20% 20% 20% A+ bis A- 20% 20% 50% 50% BBB+ bis BBB- 50% 20% 50% 100% BB+ bis BB- 100% 50% 100% 100% B+ bis B- 100% 50% 100% 150% Unterhalb B- 150% 150% 150% 150% Ohne 100% 20% 50% 100% Abbildung 9-14: Beispiel für Risikogewichte im Standardansatz Quelle: In Anlehnung an Everling, O./ Goedeckemeyer, K.-H. [Bankenrating, 2015], S. 273 f. Bei Basel I erhielten alle Unternehmenskredite ein einheitliches Risikogewicht, wohingegen in Basel II das Risikogewicht auf dem Rating des Schuldners basiert. Bei der Berechnung einer Forderung, mit entsprechend gewichtetem Risikoaktivum, wird der Forderungsbetrag mit dem Risikogewicht multipliziert. Folglich wird bei riskanteren Forderungen ein höheres Risikogewicht zugeordnet, somit sind bei Anwendung des Standardansatzes die Forderungen mit einem höheren Anteil an regulatorischem Eigenkapital refinanziert als vergleichsweise die Forderungen, die weniger risikobehaftetet sind. Die wesentliche Erweiterung unter Basel III besteht darin, dass die Institute vom aufsichtsrechtlichen Kreditrisiko-Standardansatz zur Eigenmittelbestimmung Gebrauch machen. Die Kreditinstitute sollen in der Lage sein das Risikogehalt ihrer Kredite durch den Einsatz interner Modelle einzuschätzen. 168 Basel III hat den Kreditrisiko-Standardansatz nur minimal modifiziert. Zudem hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) im Dezember 2014 das Konsultationspapier „Revisions of the Standardised Approach for credit risk“ veröffentlicht. Das Werk enthält Lösungsansätze hinsichtlich der Schwachstellen des bisherigen Ansatzes. 169 Einer der wesentlichen Kritikpunkte ist die zu hohe Abhängigkeit von externen Ratings. Diese führen häufig zu einer unzureichenden Risikobeurteilung und einem unzureichenden Risikomanagement auf Seiten der Kreditgeber. Hinzu kommt die fehlende Differenzierung zwischen unterschiedlichen Risikoprofilen innerhalb von Forderungsklassen. Einige Forderungsklassen haben ein einheitliches Risikogewicht, somit ist keine Unterscheidung zwischen Risikoprofilen gegeben. Des Weiteren kommt die Tatsache hinzu, dass die Vergleichbarkeit zwischen dem KSA und dem IRB-Ansatz unzulänglich sei, welche auf unterschiedlichen Definitionen und Geltungsbereichen ausgewählter Forderungsklassen zurückzuführen ist. Nationale Wahlrechte und Auslegungsspielräume erschweren den Kreditrisiko-Standardansatz. 170 Es soll stets die Grundstruktur des KSA bestehen bleiben. Zudem sollen die Forderungsklassen klar abgegrenzt werden. Das Inkrafttreten der neuen Gegebenheiten soll vorrausichtlich 2019 erfolgen. 168 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 25 ff. 169 Vgl. Gexwqq™xq›–²˜nqh™s°²x𠆲J™sx ™)4) -_4†, ¶]s™š•ns•q•’w^8n²xš²sš²xq²nI+ «'-©µ 170 Vgl. Budy et al. [Der neue Kreditrisikostandardansatz, 2015], S. 4-15 <?page no="290"?> 290 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft IRB-Ansatz Der bankinterne Ratingansatz wird mittels dem IRB-Basisansatz bzw. dem fortgeschrittenen IRB- Ansatz ermittelt. Banken nutzen hierbei individuell berechnete Risikogewichte. Die Verwendung von IRB-Ansätzen erfordert die Erfüllung von qualitativen Anforderungen, die den Ansprüchen der Mindestanforderungen an das Risikomanagement entsprechen. Die beiden IRB-Ansätze basieren mit verschiedenen Gewichtungsfunktionen auf Grundlage der folgenden Risikoparameter: 171 ! Probability of Default Die Ausfallwahrscheinlichkeit (Probability of Default) beruht auf Grundlage historischer Ausfalldaten. Der Risikoparameter gibt die Anzahl der Kredite einer Risikoklasse an, die voraussichtlich innerhalb eines Jahres ausfallen werden. Der Probability of Default (PD) beschreibt die Wahrscheinlichkeit im Rahmen eines einjährigen Zeitfensters, in dessen eine Gegenpartei ihren Verpflichtungen nicht partiell oder vollständig nachkommt, sodass es zu einem Ausfallereignis kommt. Demnach bildet dieser Risikoparameter die Ausfallwahrscheinlichkeit ab. Darüber hinaus kann der Probability of Default für durchschnittlich geschätzte Ausfallwahrscheinlichkeiten einzelner Kreditnehmer, welche einer bestimmten Risikoklasse zugehören, verwendet werden. Das ist nur der Fall, falls die Schätzungen mit einem statistischen Ausfallmodell ermittelt wurden. 172 Die Ausfallwahrscheinlichkeit richtet sich nach der Bonität des Schuldners. ! Exposure at Default Das Exposure at Default (EAD) ist die erwartete Höhe der ausstehenden Forderung zum Zeitpunkt des Ausfalls, in anderen Worten der Nominalbetrag inklusive Zinsen. Bei der Betrachtung der Kreditlinie ist die Höhe der Ausnutzung der Kreditlinie zu schätzen, um das Exposure at Default zu erhalten. Beim außerbilanziellen Geschäft des Exposure at Defaults wird oft auf den Credit Conversion Factor 173 (CCF) zurückgegriffen. Der CCF gibt den erwarteten prozentualen Anteil einer offenen Linie an, welcher bis zum Ausfall erfahrungsgemäß in Anspruch genommen werden kann. Der CCF wird im Basisansatz vorgegeben und im fortgeschrittenen Ansatz aus der Datenhistorie des Loss Given Defaults ermittelt. 174 An dieser Stelle wird ein stochastisches Exposure als Beispiel herangezogen. Dispokredite, welche zu den stochastischen Exposures zählen, basieren auf historischer Daten. Diese bestehen aus genau zwei Komponenten: einer sicheren und einer unsicheren Komponente. Die sichere Komponente ist der Betrag, welcher zum Zeitpunkt … in Anspruch genommen wurde. Die unsichere Komponente ist der restliche Anteil des Dispokredits, welcher vor dem Ausfallzeitpunkt genutzt wurde. Zudem wird die unsichere Komponente CCF geschätzt. 175 ! Beispiel Angenommen es bestehe ein Dispolimit in Höhe von 1.000€, davon wurden 600€ in Anspruch genommen (sichere Komponente). Aus historischen Daten ergibt sich ein CCF von 70 Prozent. Erwartetes Exposure: … ( …¦ˆ ) = 600€ + 70% « ( 1000€ ø 600€ ) = 880€ 171 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 83 f. 172 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 51 173 Zu Deutsch: Kreditumrechnungsfaktor 174 Vgl. Hofmann et al. [Auszug Publikationen 2005, 2005], S. 2 f. 175 Vgl. Kaposty, F.; Loederbusch, M.; Maciag, J.; Pfingsten, A. [Die Abbildung von Abhängigkeit zwischen PD, LGD, EAD, 06.03.2015], WWU Münster, S. 28 <?page no="291"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 291 Neue Betriebswirtschaft ! Loss Given Default Als Loss Given Default (LGD) wird die Verlustquote bei Ausfall bezeichnet, unter Berücksichtigung einer Sicherheitenverwertung. Dieser Risikoparameter gibt an, welcher Anteil einer ausstehenden Forderung durch den Ausfall uneinbringlich ist. Der uneinbringliche Teil berücksichtigt das Vermögen des Schuldners, die Rangstellung von Sicherheiten und deren Erlös aus der Verwertung. 176 Es wird eine prozentuale Verlustquote bei Ausfall des Kreditnehmers wiedergegeben. Der Loss Given Default entspricht allgemein dem Delta von Eins und der Wiedereinbringungsquote (Recovery Rate). 177 Die Recovery Rate steht für die Erlösquote bei Forderungsausfällen. 178 pˆ = 1 ø EE Die Quote beschreibt den anteiligen Mittelrückfluss aus dem nicht zu erbringenden Engagement. Angenommen der vereinfachte LGD weist einen Wert von 70 Prozent auf, entsprechend würde sich eine Recovery Rate in Höhe von 30 Prozent ergeben. Mit anderen Worten gibt die Recovery Rate Auskunft über den prozentualen Anteil, der bei einem Ausfall des Kreditnehmers wiederbeschafft werden kann. 179 ! Maturity Die Restlaufzeit des Kredits wird Maturity (M) genannt. Beim IRB-Basisansatz werden durchschnittlich 2,5 Jahre gewählt, falls die Geschäftsfelder Privatkunden bzw. Nicht-Privatkunden angesprochen werden. Bei der Wahl eines fortgeschrittenen Ansatzes kann eine Restlaufzeit von einem Jahr bis maximal fünf Jahren gewählt werden. 180 Vergleich: Abbildung 9-15: Vergleich KSA und IRB-Ansatz Quelle: in Anlehnung an Schelhowe [Einführung in die Kreditrisikomessung im Zuge von Basel II, 2007], S. 10 ff. 176 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 82 177 Vgl. Martin, M.R. W./ Wehn, C. [Kreditderivate und Kreditrisikomodelle, 2014], S. 22 f. 178 Vgl. Kern, M. [Kapitalmarktorientierter Kreditrisikotransfer, 2009], S. 23 179 Vgl. Wagner, E. [Credit Default Swaps und Informationsgehalt, 2009], S. 8 180 Vgl. Wernz, J. [Banksteuerung und Risikomanagement, 2012], S. 52 <?page no="292"?> 292 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Beim IRB-Basisansatz wird nur der Parameter der Ausfallwahrscheinlichkeit PD bankindividuell geschätzt. Die restlichen Komponenten werden von der Baseler Bankenaufsicht vorgegeben. Beim fortgeschrittenen IRB-Ansatz dagegen werden alle Komponenten vom Kreditinstitut intern geschätzt. Die angewandten internen Ratingsysteme werden von der Aufsicht kontrolliert und genehmigt. Hierfür werden mehrere Ratingansätze (wie bspw. multivariate Diskriminanzanalyse oder Neuronale Netzwerke) verwendet. Die Risikoparameter LGD und EAD basieren auf internen historischen Verlusterfahrungen. 181 Die CRR verwendet zur Absicherung von Risiken eine der geschilderten Methoden, die ein entsprechendes Eigenkapital hinterlegen. Interne Kreditrisikomodelle können das ökonomische Risiko eines Kreditengagements bzw. Kreditportfolios präziser einschätzen, da angepasste Gewichtungsfaktoren für Kreditnehmergruppen mittels interner Kreditrisikomodellen modelliert werden. Die im Durchschnitt ermittelten Kapitalanforderungen verfügen nach dem internen IRB-Ansatz über eine geringere Ausfallwahrscheinlichkeit, als vergleichsweise die nach dem Standardansatz ermittelten Kapitalanforderungen. Durch unterschiedliche Gewichtungsfaktoren wird ein Delta hervorgerufen. Folglich muss die Bank für diese Kreditnehmer weniger Eigenkapital vorhalten. 182 Ein weiterer Vorteil des IRB-Ansatzes stellt die Berücksichtigung der individuellen Situation des Kreditinstituts dar. Die Kreditinstitute kennen sowohl die lokalen, als auch die kausalen Komplexitäten ihres Geschäftes am besten, weswegen ein einheitlicher Ansatz - wie der Standardansatz - diesen Gegebenheiten nur eingeschränkt Rechnung tragen kann. Dementsprechend erfolgt eine präzisere Betrachtung beim IRB-Ansatz und folglich spart der Kreditgeber an Eigenkapital. 183 Rechtliche Grundlagen Dieser Abschnitt gibt Einblick in die rechtlichen Regularien. Vor allem wird ein besonderes Augenmerk auf die Vorschriften des Baseler Ausschusses geworfen. Es wird sowohl die Entwicklung von Basel I, II und III als auch MaRisk näher untersucht. Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über die Vorgaben und Empfehlungen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht. Kreditinstitute haben eine verantwortungsvolle Rolle als Finanzintermediäre. 184 Hierbei ist vor allem der professionelle und pflichtbewusste Umgang mit Kredit-, Markt-, Liquiditäts- und anderen Risiken enorm wichtig, denn die Risiken dürfen nicht zur Gefährdung der Solvenz der Institute und zu Instabilitäten im Finanzsektor führen. Neben der eigenen Risikovorsorge der Kreditinstitute werden zusätzlich spezielle Aufsichtsregeln für Kreditinstitute geschaffen, die zu einer Stärkung der Sicherheit und Solidität des Finanzsystems dienen. Umsetzung Die Empfehlungen des Baseler Ausschusses werden in Form der Richtlinie Capital Requirement Directive (CRD IV) und der Verordnung Capital Requirements Regulation (CRR) verwirklicht. 185 Die resultierenden Gesetzgebungen werden durch die EU erlassen und ins nationale Recht der jeweiligen Länder übernommen. In Deutschland werden die Anforderungen des Baseler Ausschusses 181 Vgl. Hofmann, J./ Schmolz, S. [Controlling und Basel III in der unternehmenspraxis, 2014], S. 55 f. 182 Vgl. Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 515 ff. 183 Vgl. Hofmann, J./ Schmolz, S. [Controlling und Basel III in der unternehmenspraxis, 2014], S. 57 184 Vgl. Springer, F. [Echtzeit- und Ereignisorientierung in Kreditinstituten, 2017], S. 12 f. 185 Vgl. Luz, G./ Neus, W./ Schaber, M./ Schneider, P./ Wagner, C.-P./ Weber, M. [CRR visuell, 2015], S. XII <?page no="293"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 293 Neue Betriebswirtschaft mithilfe einer Überarbeitung des Kreditwesensgesetzes (KWG) übertragen. Um dem herkömmlichen Geschäftsbetrieb der Kreditinstitute nachgehen zu können, bedarf es der Einhaltung von quantitativen Aufsichtsstandards hinsichtlich der Eigenkapitalanforderungen. Technische Details zu den Eigenkapitalanforderungen werden in der Solvabilitätsverordnung (SolvV) vermerkt. Zusätzlich erfolgt eine Konkretisierung mittels den Mindestanforderungen für das Risikomanagement (MaRisk), wobei SolvV die Säule I und III des Baseler Rahmenwerks konkretisiert. Die qualitativen Anforderungen der Säule II werden mittels MaRisk umgesetzt. 186 Zur Vervollständigung ist noch eine weitere Rechtsverordnung zu Groß- und Millionenkrediten (Gro-MIKV) zu erwähnen. Diese Rechtsverordnung regelte im Kreditvergabeprozess die Groß- und Millionenkredite, die nicht weiter thematisiert werden. 187 9.3.1 Basel I Vorgeschichte Nach dem Bankenzusammenbruch des deutschen Bankhauses Herstatt und den Schwierigkeiten mit der amerikanischen Franklin Bank wurde der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht, auf Initiative der G10-Staaten, 1974 gegründet. Als Vertreter nationaler Zentralbanken und Aufsichtsbehörden stellt der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht ein Gremium dar. Das gebildete Gremium soll mittels einheitlicher Standards weitere Bankinsolvenzen vorbeugen. Das Gremium umfasst die Vertreter von Aufsichtsbehörden und Zentralbanken von ausgewählten Ländern 188 , die sich vierteljährlich in Basel treffen. Es besteht die Notwendigkeit, dass Kreditinstitute ihren Geschäftstätigkeiten angemessenen mit Eigenkapital zu unterlegen haben. Die Stärkung der international tätigen Geschäftsbanken und die Kooperation zwischen den Bankenaufsichtsbehörden soll die Stabilität des internationalen Finanzsystems verbessern. Eine Überwachung des internationalen Finanzsystems soll zukünftig Lücken und Fehlentwicklungen vermeiden. Mittels einer Aufstellung allgemeiner Grundsätze, Maßnahmen und Anregungen soll eine effektive Änderung nationaler Bankenaufsichtsnormen angestrebt werden. Die Empfehlungen des Baseler Ausschusses können als Leitlinien der beteiligten Staaten betrachtet werden. 189 Gesetzgebung und Anforderungen 1988 hat der Baseler Ausschuss die ersten Regelungen verabschiedet. Basel I schreibt den international tätigen Banken der G10-Ländern eine Unterlegung der Risikoaktiva mit 8 Prozent Eigenkapital vor. Ein angemessenes Eigenkapital soll Verluste abfedern und Risiken abdecken. Hierbei werden die Geschäfte der Banken begrenzt. Ausschlaggebend für die Maßnahme war die sehr dünne Eigenkapitaldecke in der Vergangenheit. Bei den risikogewichteten Aktiva werden zunächst die bilanziellen Forderungen mit einem Risikoanrechnungsfaktor betrachtet und anschließend mit 8 Prozent multipliziert. Jede Risikoklasse hat ihren jeweiligen Prozentsatz: 190 186 Vgl. BaFin [Mindestanforderungen an das Risikomanagement, 2006], S. 3 187 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 140 ff. 188 Dazu gehören Belgien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Luxemburg, den Niederlanden, Spanien, Schweden, Schweiz, Großbritannien und USA 189 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 17 f. 190 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 255 ff. <?page no="294"?> 294 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Risikoanrechnungsfaktor gemäß Basel I Aktivposten 0% für Forderungen gegenüber staatlichen Schuldnern (OECD 191 -Staaten) 20% für Forderungen gegenüber Kreditinstituten 50% für grundpfandrechtlich gesicherte Realkredite 100% für alle sonstigen Risikoaktiva, d. h. auch alle Kredite an Unternehmen Abbildung 9-16: Aufteilung der Risikoanrechnungsfaktoren gemäß Basel I Quelle: In Anlehnung an Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 256 Zu Zeiten als Basel I rechtkräftig war, hatte die Zugehörigkeit der OECD 192 -Mitgliedschaft eine besondere Stellung hinsichtlich der Eigenkapitalunterlegung von Kreditinstituten. Denn gemäß Basel I waren OECD-Staaten risikolos und hatten keine spezielle Eigenkapitalunterlegung benötigt. 193 Die Berechnung der erforderlichen Eigenkapitalunterlegung sieht folgendermaßen aus: …‰Ü«‰â߉±·å¹ß …·Ùß-³ë©·…뱃-…߉±ßك-Ù = ‚«‰â߉ƒ-ه‡ƒ¯¯ß × E·‡·³«ë-‰ßå¹-ƒ-هÜ볅«‰ ·- % × 8 % Beispiel Laut Basel I benötigt ein Unternehmenskredit in Höhe von 2 Mio. € eine Eigenkapitalunterlegung von 160.000€. …·Ùß-³ë©·…뱃-…߉±ßك-Ù = 2.000.000€ « 100 % « 8 % = 160.000€ Entwicklung von Basel I zu II Die Berechnungsmethode von Basel I teilt Kreditnehmer in vier Risikoklassen ein, dementsprechend wurde wenig differenziert. Beispielsweise wurde gefordert, dass Unternehmen mit einem Rating von AAA ebenso die starren 8 Prozent an Eigenkapital unterlegen wie ein Start-up Unternehmen mit einem Rating der Speculative Grade. Die auftretenden Quersubventionen sind für Kreditnehmer mit guter Bonität benachteilig gestaltet. Das heißt, dass der bonitätsstarke Kreditnehmer eine zu hohe Marge zahlt und unbegründet Risiken aller Kreditnehmer übernimmt. 194 Basel I besitzt kein verlässliches Maß. Angenommen ein Schuldner mit schlechter Bonität hat seinen Sitz in einem OECD-Land, so muss dieser aufgrund seines Sitzlandes weniger Eigenkapital vorhalten, als würde er in einem Nicht-OECD-Land beheimatet sein. Im Umkehrschluss werden Schuldner mit guter Bonität in einem nicht OECD-Land benachteiligt. Dementsprechend werden Fehlanreize gesendet. Die Risikokategorie Kreditrisiko und ihre Differenzierung wird in Basel I nur sehr spärlich gemessen. Die eingegangenen Risiken sollen künftig besser mit dem erforderlichen Eigenkapital korrespondieren. Zusätzlich sollen Risiken noch präziser quantifiziert werden. Die Kreditinstitute sind aufgefordert Risiken mit ausreichendem Eigenkapital zu unterlegen, um Banken in einer Krise vor Insolvenz zu schützen. 191 Organisation for Economic Cooperation and Development 192 Zu Deutsch: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 193 Vgl. Heinz-Peter Derrix-Belau [Basel I - III Historie und Ausblick, 2012], S. 1 f. 194 Vgl. Schmeisser, W./ Mauksch, C./ Schindler, F. [Ausgewählte Verfahren zur Analyse und Steuerung von Risiken im Kreditgeschäft, 2005], S. 20 <?page no="295"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 295 Neue Betriebswirtschaft 1999 wurde die Neuaufnahme der Verhandlungen, hinsichtlich der Baseler Eigenkapitalunterlegung eingeleitet.195 Die neuen Anforderungen in der Neuaufnahme werden im Sinne von drei grundlegenden Säulen ausgelegt. 196 9.3.2 Basel II Die seit 1988 geltende Eigenkapitalvereinbarung wurde zum 1.Januar 2007 revidiert. Die Eigenkapitalvereinbarung des Baseler Ausschusses in Form von Basel II wurde als verbindlich für Kreditinstitute erklärt. Es wurden mehrfach ergänzende Konsultationspapiere bis zur endgültigen Version vom Baseler Ausschuss verfasst. Im Juni 2004 wurde ein Reformpaket mit Verbesserungspotenzial veröffentlicht, insbesondere zur Regulierung der Eigenkapitalquoten von Kreditinstituten. Die Kreditinstitute wurden vorab über die Vorschläge unterrichtet, damit diese die Neuerungen in ihren Kalkulationen bis 2007 einplanen und berücksichtigen konnten. 197 Ein bedeutsamer Aspekt zum Nachtrag war, dass Kreditinstitute zur Erfüllung strengerer, qualitativer und quantitativer Standards interne Value at Risk Modelle nutzen konnten, statt wie bisher bei Basel I das Standardmessverfahren. Denn je riskanter ein Kreditgeschäft ist, desto höher sollten die Eigenkapitaleinlagen der Bank sein, um besser mit dem Risikogewicht des Kreditnehmers umzugehen. Individuelle Value at Risk Modelle sind auf die Kreditnehmer abgestimmt und entsprechend kann die Bank Eigenkapital einsparen. Der Zweck ist Kapitalanforderungen viel stärker in das eingegangene Risiko einzubeziehen sowie neuere Entwicklungen an den Finanzmärkten und im Risikomanagement der Institute zu beachten. 198 Drei-Säulen-Prinzip Das Regelwerk von Basel II basiert auf den drei Säulen: Mindestkapitalanforderung, aufsichtliches Überprüfungsverfahren und Marktdisziplin. Die drei Säulen bilden das Fundament und ergänzen sich gegenseitig. Basierend auf dem Grundprinzip von Basel I ist Säule I entstanden und zusätzlich kommen Säule II und III neu hinzu. 199 Säule I: Mindestkapitalanforderungen Die Einhaltung der Eigenkapitalanforderungen wird weiterhin am sogenannten Kapitalkoeffizienten gemessen und soll mindestens 8 Prozent betragen. Ergänzend zu dem bisherigen Marktrisiko findet in Basel II das Kreditrisiko und das operationelle Risiko mehr Beachtung, welche mit mehr Eigenkapital zu unterlegen sind. Die Eigenmittelunterlegung in Deutschland wird gemäß §10 KWG berechnet. Darin werden die Anforderungen an die Eigenmittelausstattung von Kreditinstituten, Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen festgelegt. 200 Die Eigenkapitalunterlegung soll zukünftig an die Marktentwicklung und an das Risikomanagement einzelner Banken angepasst werden. Dementsprechend ist für die Bemessung des Kreditrisikos und des operationellen Risikos sowohl der Kreditrisiko-Standardansatz als auch die verfeinerten Verfahren des IRB-Ansatzes zulässig. Die methodische Weiterentwicklung interner Verfahren fördert den Wettbewerb bei Kreditinstituten untereinander. 201 195 Vgl. Kern, M. [Kapitalmarktorientierter Kreditrisikotransfer, 2009], S. 33-37 196 Siehe Abbildung 9-17 197 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 144 198 Vgl. Deutsche Bundesbank [Die neue Baseler Eigenkapitalvereinbarung (Basel II), 2001], S. 10-17 199 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 15 ff. 200 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 18-23 201 Vgl. Macht, C. [Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht und Basel II, 2007], S. 35-39 <?page no="296"?> 296 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-17: Die drei Säulen von Basel II Quelle: in Anlehnung an Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 17 ff Säule II: Aufsichtliches Überprüfungsverfahren Das Ziel ist es vergleichbare Wettbewerbsbedingungen für Kreditinstitute zu schaffen. Die zweite Säule von Basel II enthält einen sogenannten Überprüfungsprozess, Supervisory Review Process (SRP). In dem Prozess wird sichergestellt, dass interne Verfahren implementiert wurden, um ein besseres Verständnis für das eingegangene Risiko zu ermöglichen. Kreditinstitute sollen in der Lage sein, selbstständig Risiken zu messen, zu steuern und zu überwachen (Reporting) unter Berücksichtigung der Mindestkapitalanforderungen. Die angemessene Eigenkapitalausstattung wird ins Verhältnis zum Risikoprofil gesetzt. Das Kreditinstitut kann nun die Entwicklung und Einhaltung strategischer Pläne in Bezug auf Risikotoleranz und Überprüfung der Integrität der Bank mit Hilfe interner Kontrollsysteme unterstützen. 202 Die Kreditinstitute sind verpflichtet einen sogenannten Internal Capital Adequacy Assessment Process (ICAAP) vorzuweisen. Dieser dient dazu, dass Banken genügend Kapital zur Deckung aller relevanten Risiken zur Verfügung steht. Beim ICAAP werden adäquat die Risiken zu dem Risikodeckungspotenzial ins Verhältnis gesetzt. ICAAP kann als Synonym für den Risikotragfähigkeitsprozess interpretiert werden. Die Einhaltung wird über nationale Aufsichtsbehörden, wie der Supervisory Review and Evaluation Process (SREP), überwacht. 203 Ein regelmäßiger Austausch von Kreditinstituten und Aufsichtsbehörden ist notwendig, um die Gesamtbankbeurteilung und konstante Weiterentwicklung sicherzustellen. Die Aufsichtsbehörden besitzen weitreichende Informationsrechte und Eingriffsmöglichkeiten. 204 202 Vgl. ebd., S. 70 f. 203 Vgl. BaFin [Europäische Vorgaben zur Umsetzung des SREP, 2016], S. 3-7 204 Vgl. Hofmann, G. [Basel III und MaRisk, 2011], S. 19 f. <?page no="297"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 297 Neue Betriebswirtschaft Säule III: Marktdisziplin Das Hauptmerkmal der Säule III liegt in der Offenlegungspflicht. Zwar sind Wesentlichkeiten offenzulegen, zugleich soll der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet werden. Die Marktteilnehmer sollen nach einer risikobewussten Geschäftsführung handeln. Es wird bezweckt, dass die Marktteilnehmer erhöhte und risikoaffine Entscheidungen begrenzen. Die Transparenzvorgaben sind in den vier Bereichen Eigenmittelvorschriften, Eigenkapitalstruktur, Kapitaladäquanz und Eigenmittelausstattung vorzufinden: Die Eigenmittelvorschriften zeigen den Marktteilnehmern eine Übersicht über beteiligte Gesellschafter. Es wird die Eigenkapitalstruktur aufgezeigt, um ein besseres Verständnis der Fähigkeit zur Absorption potenzieller Verluste des Kreditinstitutes (z.B. Höhe des Kernkapitals) zu vermitteln. Nach der Kapitaladäquanz sind die Eigenmittelanforderungen für das Ausfallrisiko, Marktrisiko sowie das operationelle Risiko einschließlich der angewandten Verfahren wie Standardansatz bzw. IRB-Ansätze zu publizieren. Zusätzlich werden die Kernkapitalquote und die Gesamteigenmittelquote veröffentlicht. Das Risiko-Exposure ist in den Kategorien Ausfallrisiken, Marktrisiken und operationelle Risiken offenzulegen. 205 9.3.3 Basel III 9.3.3.1 Gesetzliche und aufsichtsrechtliche Vorgaben Im Baseler Ausschuss sind 27 Staaten vertreten. Seit der jüngsten Finanzmarktkrise 2008 soll künftig eine globale und rechtzeitige Umsetzung von Empfehlungen erfolgen. 206 Die drei tragenden Säulen von Basel II bleiben weiterhin bestehen. In Basel III werden die Anforderungen für Kreditinstitute unter anderem aufsichtsrechtliches Kapital, antizyklischer Kapitalpuffer, neue Standards hinsichtlich der Liquiditätssteuerung und Verlustquote weitgehend verschärft. Die Umsetzung von Basel III wird mittels der Europäischen Kommission mit dem Gesetzespaket CRD IV durchgesetzt. Das Gesetzespaket CRD IV besteht aus der Verordnung (CRR) und der Richtlinie (CRD). 207 Das Single Rulebook ist ein gesamteinheitliches Regulierungsrecht, das zur einheitlichen Anwendung der Basel-III-Regeln dient. 208 Die EU-Kommission regelt die Verordnungen, somit werden Eigenkapital, Liquidität und Verschuldungsquote über CRR abgewickelt. Richtlinien werden über CRD erlassen. Die Richtlinien sind grundsätzlich durch den nationalen Gesetzgeber umzusetzen. Durch rechtsgültige Verordnungen werden gewissermaßen Säulen I und II abgebildet. Die Richtlinie CRD bietet Anpassungsmöglichkeiten der entsprechenden Aufsichtsbehörden für den aufsichtsrechtlichen Überprüfungsprozess bei Kreditinstituten. 2011 wurde die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) gegründet, welche in London sitzt. Diese ist für die Bankenaufsicht im europäischen Raum zuständig. Zur Umsetzung von Basel III wird die EBA von der Europäischen Kommission aufgefordert, bindende Umsetzungsstandards offen zu legen. Mit der Zustimmung der EU-Kommission wird diese schlussendlich rechtskräftig. Die EBA erhält Unterstützung der nationalen Aufsicht, damit die Einhaltung der festgelegten Standards sichergestellt werden kann. Die Aufsicht für Banken wird in Deutschland von der Bundes- 205 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 148 f. 206 Vgl. Rudolph, B./ Hofmann, B./ Schaber, A./ Schäfer, K. [Kreditrisikotransfer, 2012], S. 177 207 Vgl. Sabine Reimer [Bafin Journal, S. 8- 12 208 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [BaFin übersetzt Fragen und Antworten der EBA zum Single Rulebook, 2015] <?page no="298"?> 298 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft bank und von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kontrolliert. Die Bundesbank prüft laufend Auswertungen von aufsichtsrechtlichen Meldungen und die BaFin kann Anordnungen für aufsichtsrechtliche Maßnahmen durchsetzen. 209 Laut §11 KWG wird von Kreditinstituten verlangt, dass sie jederzeit eine ausreichende Zahlungsbereitschaft durch ihre verfügbaren Mittel sicherstellen. 210 Gemäß §25a KWG wird ein internes Kontrollverfahren gefordert, welches geeignete Regelungen zur Steuerung und Überwachung von Risiken der Banken liefert. Zusammenfassend werden von dem Basel III-Regelwerk Empfehlungen für international tätige Banken ausgesprochen, welche in die Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie (CRD) eingearbeitet werden. Mittels KWG, SolvV bzw. MaRisk werden diese ins nationale Recht übertragen. 211 Gemäß Basel III soll eine gemeinsame Regelung für die Beaufsichtigung, die Sanierung und Abwicklung von Banken geschaffen werden. In der europäischen Bankenaufsicht sind der einheitliche Aufsichtsmechanismus Single Supervisory Mechanism (SSM) und der einheitliche Abwicklungsmechanismus Single Resolution Mechanism (SRM) enthalten. Die systemrelevanten Banken agieren anhand ihrer Vernetzung international. Dabei können diese Banken durch eine mögliche Schieflage die gesamte Stabilität der Finanzmärkte maßgeblich beeinflussen. Dementsprechend sind spezielle verschärfte Anforderungen gefordert. Systemrelevante Banken sind definiert als „ein EU-Mutterinstitut, eine EU-Mutterfinanzholding gesellschaft, eine gemischte EU-Mutterfinanzholding gesellschaft oder ein Institut, dessen Ausfall oder Versagen zu einem Systemrisiko führen könnte.“ 212 Diese Banken haben eine höhere Verlustabsorptionsfähigkeit. Im Allgemeinen dient die Verlustabsorptionsfähigkeit zum Ausgleich anfallender Verluste im laufenden Geschäftsbetrieb, um die „too-big-to-fail“-Problematik einzudämmen. 213 Neue Anforderungen an das Risikomanagement Eigenkapitalanforderungen Präventive Maßnahmen wurden geschaffen, um krisenartige Situationen, wie die globale Finanzmarktkrise 2008, vorzubeugen. Die Bankenkrise hat gezeigt, dass die bisherigen Eigenkapitalbestandteile für Krisenfälle nicht ausreichen. Folglich können sie nicht als Verlustpuffer dienen. Die CRR sieht eine Verschärfung für bankaufsichtliche Eigenkapitalforderungen gemäß §10 KWG vor. 214 Verstärkung des qualitativen und quantitativen Eigenkapitals Ein wesentlicher Bestandteil von Basel III sieht eine Stärkung der Eigenmittelqualität vor, insbesondere dem Kernkapital. Die regulatorischen Eigenmittel umfassen zwei Bestandteile, das Kernkapital (Tier 1) und das Ergänzungskapital (Tier 2). Das „Going-Concern Capital“, welches als Kernkapital (Tier 1) bezeichnet wird, besteht aus dem harten und zusätzlichen Kernkapital. Das gesamte Kernkapital trägt Sorge dafür, dass laufende Verluste des Kreditinstituts gedeckt werden und der Fortbestand des Kreditinstituts gegeben ist. 209 Vgl. Zirkler, B./ Hofmann, J./ Schmolz, S. [Basel III in der Unternehmenspraxis, 2015], S. 2 ff. 210 Vgl. Noack et al. [Neue regulatorische Konzepte der Bankenaufsicht und ihre Auswirkungen auf die Gesamtbanksteuerung, 2014], S. 27 ff. 211 Vgl. Romeike und Binder [Rechtliche Grundlagen des Risikomanagements, 2008], S. 126 f. 212 idF v. CRD IV Art.3 Abs. 30 213 Vgl. Deutsche Bundesbank [Kapitalzuschläge für systemrelevante Banken in Deutschland, 2017] 214 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [Jahresbericht der BaFin, 2013], S. 68 <?page no="299"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 299 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-18: Systematik des Eigenmittels nach Basel III Das Kernkapital soll insgesamt die Widerstandsfähigkeit des Kreditinstituts repräsentieren, wodurch die Geschäftsfähigkeit sichergestellt werden soll. Hartes Kernkapital soll eine Quote von 4,5 Prozent erfüllen und besitzt den Charakter vom qualitativ hochwertigen Eigenkapital. Das Kernkapital enthält Stammkapital oder rechtsformabhängige Eigenkapitalinstrumente. Unter rechtsformabhängige Eigenkapitalinstrumente sind (beispielsweise bei Genossenschaftsbanken die Genossenschaftsanteile, bei öffentlich-rechtlichen Sparkassen sind das stille Einlagen, Gewinnrücklagen und sonstige andere Rücklagen) zu verstehen. Das harte Kernkapital hat die Eigenschaft von effektiven Kapitaleinzahlungen und steht dem Kreditinstitut dauerhaft zur Verfügung. Zusätzlich sind sie nachrangig und besitzen eine uneingeschränkte Verlustteilnahme (Verlustabsorption). Darüber hinaus hat das harte Kernkapital keine obligatorischen Ausschüttungsverpflichtungen (Zahlungsflexibilität). Die Verschärfungen der CRD IV sollen sicherstellen, dass das harte Kernkapital an erster Stelle Verluste auffängt. 215 Das zusätzliche Kernkapital ist ähnlich zum harten Kernkapital aufgebaut. Die zusätzliche Kernkapitalquote soll 1,5 Prozent ausmachen. Es hat ähnliche Anforderungen wie das harte Kernkapital. Der Unterschied liegt darin, dass Emittenten unter besonderen Konditionen erst nach mindestens 5 Jahren kündigen können. 216 Falls die harte Kernkapitalquote unter 5,125 Prozent liegt, sieht die CRR eine Umwandlung des zusätzlichen Kernkapitals in hartes Kernkapital vor, sodass die Maßnahme (eine Beteiligung an der Verlustabsorption) vorgesehen ist. Die Mindestanforderung für das vollständige Kernkapital, ohne Kapitalpuffer, muss 6 Prozent betragen. Das Ergänzungskapital ist im Insolvenzfall zur Haftung heranzuziehen. Es dient der vollständigen Befriedigung von nicht nachrangigen Forderungen von Fremdkapitalgebern. Das Ergänzungskapital kann aus langfristigen Nachrangverbindlichkeiten oder Pauschalwertberichtigungen bestehen. Der Anteil des Ergänzungskapitals beträgt 2 Prozent. 217 Das harte Kernkapital, das zusätzliche Kernkapital und das Ergänzungskapital sollen zusammen 8 Prozent der risikogewichteten Aktiva ohne Einbeziehung des Kapitalpuffers ausmachen. Kapitalerhaltungspuffer Der Kapitalerhaltungspuffer, welches aus hartem Kernkapital besteht, dient gemäß CRD IV dem Erhalt der geforderten Risikodeckungsmasse des Eigenkapitals. Zusätzlich kann dieser in Stresspha- 215 Vgl. Klauck und Stegmann [Basel III, 2012], S. 58-62 216 Vgl. Sarialtin, M. [Eine Analyse zu den Auswirkungen von Basel III und Solvency II, 2015], S. 31 f. 217 Vgl. Zirkler, B./ Hofmann, J./ Schmolz, S. [Basel III in der Unternehmenspraxis, 2015], S. 6 <?page no="300"?> 300 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft sen als Verlustabsorption genutzt werden. In wirtschaftlich günstigen Phasen wird der Kapitalerhaltungspuffer aufgebaut und teilweise bzw. vollständig für Verluste aus dem laufenden Geschäftsbetrieb in Anspruch genommen. 218 Bei Beanspruchung des Puffers greifen Restriktionen wie eine Ausschüttungssperre ein, folglich wird der Impuls gesendet den Kapitalerhaltungspuffer erneut aufzufüllen. Ab 2016 sind Kreditinstitute verpflichtet den Kapitalerhaltungspuffer schrittweise mit 0,625 Prozent p.a. aufzubauen und abschließend 2019 auf eine Gesamthöhe von 2,5 Prozent der risikogewichteten Aktiva zu erzielen. Antizyklischer Kapitalpuffer Bis 2019 soll der antizyklische Kapitalpuffer 2,5 Prozent der risikogewichteten Aktiva ausmachen. In wirtschaftsstarken Zeiten soll durch übermäßiges Kreditwachstum der Kapitalpuffer aufgebaut werden, um später zyklischen Schwankungen entgegenzuwirken. Folglich sollen Kreditinstitute 2,5 Prozent Kapitalerhaltungspuffer, 2,5 Prozent antizyklischen Kapitalpuffer und mindestens 4,5 Prozent hartes Kernkapital vorhalten. In der Summe müssen Banken insgesamt 9,5 Prozent hartes Kernkapital bis 2019 vorhalten. 219 Die folgenden Abbildungen zeigen die stufenweise Einführung der Kapitalanforderungen und veranschaulichen den Aufbau des Kapitalpuffers. 220 Gemäß den Regelungen von Basel III sollen Kreditinstitute ab 2016 bis 2019 schrittweise zusätzliche Kapitalpuffer bilden, darunter zählen der Kapitalerhaltungspuffer und der antizyklische Kapitalpuffer. Die beiden Kapitalpuffer sind im Sinne von harten Kernkapital zu unterlegen. 221 Abbildung 9-19: Entwicklung der Kapitalanforderungen (Wesentliche Inhalte von Basel III) Quelle: in Anlehnung an Deutsche Bundesbank [Basel III, 2011], S. 19 f. Einen Überblick über die Veränderungen hinsichtlich der Kapitalanforderung von Basel II zu Basel III ergibt folgende Aufstellung: 218 idF v. KWG §10c Kapitalerhaltungspuffer Art.1 219 Vgl. Basler Ausschusses für Bankenaufsicht [Pressemitteilung, 2010], S. 3 ff. 220 Vgl. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht [Basel III, 2010], S. 64 ff. 221 Vgl. Sarialtin, M. [Eine Analyse zu den Auswirkungen von Basel III und Solvency II, 2015], S. 13 <?page no="301"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 301 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-20: Veränderte Kapitalanforderungen von Basel II und Basel III Quelle: in Anlehnung an Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 3 Offenlegung In der Säule III aus Basel III sind die Anforderungen der Offenlegung verankert. Die Kreditinstitute sind aufgefordert Informationen zur Solvabilität und Finanzanlage preiszugeben. Insbesondere sollen Kennzahlen zu Kapitalbestandteilen und deren Erhebung aufgezeigt werden. Sie dienen dem Zweck, dass Kreditinstitute ein besseres Verständnis hinsichtlich der Selbstregulierung erhalten. Es wird zwar eine Markttransparenz abverlangt, jedoch sollen geschäftsspezifische und vertrauliche Informationen der Kreditinstitute nicht veröffentlicht werden. Die Informationen, die veröffentlicht werden, müssen vergleichbar sein. 222 Beim Kontrahentenrisiko soll die Erhebung und Methodik publiziert werden. Hinzu sollen Verbriefungspositionen erkenntlich dargestellt werden. 223 Verschuldungsquote Basel III führt eine Höchstverschuldungsquote (sog. Leverage Ratio) ein. Diese soll die übermäßige Verschuldung von Kreditinstituten eingrenzen, sodass wirtschaftlich schädigende Schuldenabbauprozesse nicht erforderlich sind. p߁߉ëÙß E녷« = s߉-³ë©·…ë± è·±ë-y·ß±±ß‡ ƒ-â ëƒß߉跱ë-y·ß±±ß‡ ߇å¹ä܅ > 3 % Der Quotient setzt sich im Zähler aus dem harten und zusätzlichen Kernkapital zusammen. Der Nenner besteht aus der Summe der bilanziellen und außerbilanziellen Positionen. 224 Halbjährlich ist der Durchschnitt der letzten Monatswerte in den Offenlegungsberichten anzugeben. Hierbei ist die Besonderheit, dass keine Einbeziehung von Sicherheiten sowie Risikovorsorge angesetzt werden. Die Verschuldungsrate muss mindestens 3 Prozent betragen. 222 Vgl. Klauck und Stegmann [Basel III, 2012], S. 71 f. 223 Vgl. Zirkler, B./ Hofmann, J./ Schmolz, S. [Basel III in der Unternehmenspraxis, 2015], S. 18 f. 224 Vgl. Klauck und Stegmann [Basel III, 2012], S. 46 f. <?page no="302"?> 302 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Der Leverage Ratio wird seit 2015 offengelegt und ist ab 2018 in Säule I fest verankert. Bisher war der Leverage Ratio in Basel III in Säule II integriert. Momentan dient die Verschuldungsrate als reine Informationskennzahl und Beobachtungsgröße, wohin durch sie als Frühwarnindikator für die Aufsicht fungiert. Der Leverage Ratio arbeitet einer einheitlichen und besseren Vergleichbarkeit des Kreditzyklus zu. Die CRD IV sieht für 2018 eine europaweit einheitliche Höchstverschuldungsquote vor. 225 Liquiditätsanforderungen Der Baseler Ausschuss formulierte mit Basel III neue Liquiditätsvorschriften, die aufgrund von Liquiditätsengpässen der Vergangenheit, insbesondere der Finanzkrise 2008, resultieren. Die Liquiditätskennzahlen sind in Artikel 411 bis 428 der Verordnung (EU) Nr. 575/ 2013 verankert. Die Liquiditätsanforderungen sollen sicherstellen, dass Banken über ausreichend Liquidität in Stresssituationen verfügen. Hierfür wurden zwei Liquiditätskennzahlen, der Liquidity Coverage Ratio (LCR) und der Net Stable Funkdin Ratio (NSFR), ins Leben gerufen. 226 Liquidity Coverage Ratio Die Liquidity Coverage Ratio dient der Überwachung und Eingrenzung der Zahlungsunfähigkeit. Der Baseler Ausschuss will erreichen, dass Kreditinstitute in Liquiditäts-Stressszenario, genügend hochwertige Aktiva (sog. High Quality Liquid Assets, HQLA) vorhalten. Die Kreditinstitute sollen in der Lage sein, in dem von der Aufsicht vorgeschriebenen Stressszenario, mindestens 30-Tage lang den Nettoliquiditätsbedarf decken zu können. Notfalls könnte unter bestimmten Bedingungen die HQLA, in der von der Bankenaufsicht inszenierten Stresssituation, in Barmittel umgewandelt werden. Die Kennzahl ist definiert, als der Bestand der erstklassigen liquiden Aktiva dividiert durch den Nettomittelabfluss für ein 30-tägiges Zeitfenster unter Stressbedingungen. 227 p¢E = p·§ƒ·âß, §ƒë±·…ë…· ¹«å¹߉…·Ùß ¦³…·ë ( |Hp¦ ) Q߅…« ø îë¹±ƒ-ه¯·……߱냇Ùä-Ùß ·¯ 30 ø ? ëÙß ø B…‰ß‡‡‡yß-뉷« õ 100% Die LCR wurde bereits ab 2015 eingeführt. Es wurde schrittweise der Erfüllungsgrad angehoben, um Institute sukzessiv an die neue Mindestanforderung heranzuführen. 2018 wird die Kennzahl zu 100 Prozent erreicht und ist bindend für alle Kreditinstitute. Die stufenweise Steigerung soll den Kreditinstituten ermöglichen Härtefälle zu vermeiden und Raum für die notwendigen Anpassungen im Rahmen ihres Bilanzstrukturmanagements zu genehmigen. Die LCR dient zur Stärkung des kurzfristigen Liquiditätsprofils eines Instituts. Die Bestände an hochwertigen, liquiden Aktiva werden in zwei Stufen in Abhängigkeit zu dem Grad der Liquidierbarkeit unterteilt. Die Höhe des Wertabschlags, auch Haircut genannt, wird gemessen an der Liquidierbarkeit. Im Wesentlichen beinhaltet Stufe 1 Barmittel, Zentralbankguthaben und mit sehr guter Bonität garantierte Anleihen, Forderungen gegenüber Gebietskörperschaften, sonstigen öffentlichen Stellen. Ebenso sind Forderungen gegenüber staatlichen Banken bzw. Förderbanken aus Mitgliedstaaten (Risikogewicht 0 Prozent) oder multilateralen Entwicklungsbanken enthalten. Die Stufe 1 hat keinen Wertabschlag. Insgesamt muss Stufe 1 mind. 60 Prozent des Bestands an hochwertigen liquiden Aktiva ausmachen. 228 225 Vgl. Zirkler, B./ Hofmann, J./ Schmolz, S. [Basel III in der Unternehmenspraxis, 2015], S. 11 226 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [Liquiditätsanforderungen, 2017] 227 Vgl. Noack et al. [Neue regulatorische Konzepte der Bankenaufsicht und ihre Auswirkungen auf die Gesamtbanksteuerung, 2014], S. 36 ff. 228 Vgl. Cluse et al. [LCR, 2013], S. 2-7 <?page no="303"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 303 Neue Betriebswirtschaft Die Stufe 2 besteht aus gedeckten Schuldverschreibungen und Unternehmensanleihen guter Bonität, aber auch garantierte Anleihen von Staaten, Zentralbanken, Gebietskörperschaften oder sonstigen öffentlichen Stellen. Die Stufe 2 hat einen Wertabschlagsfaktor von 15 Prozent. Der Gesamtwert der Aktiva aus Stufe 2 darf 40 Prozent des Bestandes an hochwertigen liquiden Aktiva ausmachen. 229 Beispiel LCR Liquide Aktiva € Liquide Passiva € LCR Stufe 1 Abflüsse von Barmitteln 100% Barreserve 700.000 € Stabile Privatkundeneinlagen/ KMU 1.600.000 € 5% 100% Zentralbankguthaben/ Staatsanleihen (KSA RW 0%) 100.000 € weniger stabile Privatkundeneinlagen/ KMU 1.700.000 € 10% Stufe 2 Einlagen öffentlicher Sektor 900.000 € 75% 85% Pfandbriefe (gutes Rating) 600.000 € unwiderrufliche Kreditzusagen an Unternehmen 320.000 € 10% 85% anrechenbare Unternehmensanleihen mit einem Rating AA- oder höher 800.000 € Sonstige Zahlungsmittelabflüsse 800.000 € 100% Zuschüsse von Barmitteln 50% Forderungen gegenüber Privatkunden 200.000 € 100% Forderungen gegenüber Kreditinstituten 800.000 € Abbildung 9-21: Beispielrechnung Liquidity Coverage Ratio Berechnung: Stufe 1 Aktiva: 100% « 700.000€ + 100% « 100.000€ = 800.000€ Stufe 2 Aktiva: 85% « 600.000€ + 85% « 800.000€ = 1.190.000€ Von den 1.190.000€ darf nur die Höchstgrenze von Stufe 2 Aktiva berücksichtigt werden, das entspricht a _ von Stufe 1 Aktiva: a _ « 800.000€ = 533.333,33€ Erstklassiger Aktivabestand: šÎÎ. ÎÎ΀ + -££. £££, ££€ = Ë. £££. £££, ££€ Gesamtabfluss von Barmitteln: 5% « 1.600.000€ + 10% « 1.700.000€ + 75% « 900.000€ + 10% « 320.000€ 229 Vgl. Klauck und Stegmann [Basel III, 2012], S. 120 ff. <?page no="304"?> 304 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft + 100% « 800.000€ = 1.757.000€ Gesamtzufluss von Barmitteln: 50% « 200.000€ + 100% « 800.000€ = 900.000€ , jedoch darf nur maximal 85% des Gesamtabflusses berücksichtigt werden: 85% « 1.757.000€ = 1.493.450€ . Da 900.000€ unter der Grenze von 1.493.450€ liegt, können die 900.000€ komplett angerechnet werden. Nettoabfluss von Barmitteln: Ë. œ-œ. ÎÎ΀ ø —ÎÎ. ÎÎ΀ = š-œ. ÎÎ΀ ”¹e = Ë. £££. £££, ££ š-œ, ÎÎÎ = Ë--, ž% Die LCR des Beispiels für das Monatsende beträgt 155,6%, sodass die Kennzahl den regulatorischen Anforderungen standhält. Net Stable Funding Ratio Die Net Stable Funding Ratio ist eine Kennzahl, die langfristig die Widerstandsfähigkeit der Banken sicherstellen soll. Die strukturelle Liquiditätsquote NSFR bezieht sich auf den Zeitraum eines Jahres. Die NSFR wird ab dem 1.Januar 2018 in Kraft treten und optimiert die Fristenstruktur innerhalb der Bankbilanz. Die NFSR basiert auf der Grundlage der „Goldenen Bankregel“, denn die kurzfristige Refinanzierung soll von einer langfristigen Refinanzierung der Aktiva abgelöst werden. Die NSFR soll bewirken, dass Banken vermehrt auf stabile Quellen z.B. Kundeneinlagen setzen. Es soll verhindert werden, dass im Fall eines Ausfalls der Liquiditätspositionen die regulären Refinanzierungsquellen einer Bank beeinträchtigt werden, sodass sich das Ausfallrisiko erhöht. Zusätzlich soll eine systemweite Anspannung verhindert werden. 230 Die folgende Formel stellt das Verhältnis zwischen der Höhe der verfügbaren Refinanzierungsmittel und des Finanzierungsbedarfs für einen einjährigen Zeitraum dar. Es soll stets eine Quote von mindestens 100 Prozent eingehalten werden. Beim NSFR gibt es einen Gewichtungsfaktor, dieser Faktor variiert von 0 Prozent (vollständig instabil) bis 100 Prozent (vollständig stabil). 231 QB‚E = 9߉ÜüÙèë‰ß‰ ¤ß…‰ëÙ ‡…ë跱߉ EßÜ·-ë-y·ß‰ƒ-Ù …‰Ü«‰â߉±·å¹ß‰ ¤ß…‰ëÙ ‡…ë跱߉ EßÜ·-ë-y·ß‰ƒ-Ù > 100% Beispiel NSFR Aktiva € Passiva € NSFR erforderliche stabile Refinanzierung verfügbare stabile Refinanzierung 0% Barmittel, Zentralbankguthaben 2.000.000 € aufsichtliches Eigenkapital (Tier 1+2) 1.900.000 € 100% 20% Aktien, Pfandbriefe (gutes Rating und Restlaufzeit (RLZ) > 1 Jahr Staatsanleihen (KSA RW 0%) 10.000.000 € Verbindlichkeiten ggf. Kunden/ Institute (RLZ > 1 Jahr) 1.200.000 € 100% 230 Vgl. Hofmann, J./ Schmolz, S. [Controlling und Basel III in der unternehmenspraxis, 2014], S. 16 231 Vgl. Paul, S./ Stein, S. [Finanzkommunikation, Basel III und die Unternehmensfinanzierung, 2013], S. 68 f. <?page no="305"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 305 Neue Betriebswirtschaft 50% Kredite an Nichtfinanzunternehmen mit RLZ 4.200.000 € Stabile Einlagen von Privatkunden/ KMU (RLZ < 1 Jahr) 450.000 € 90% 85% Kredite an Privatkunden/ KMU (RLZ < 1 Jahr) 1.060.000 € Verbindlichkeiten von Unternehmen (RLZ < 1 Jahr) 320.000 € 50% 100% Übrige Aktiva 80.000 € Sonstige 630.000 € 0% Abbildung 9-22: Beispielrechnung Net Stable Funding Ratio Erforderliche stabile Refinanzierung: 0% « 2.000.000€ + 20% « 10 .000.000€ + 50% « 4.200.000€ + 85% « 1.060.000€ + 100% « 80.000€ = 5.081. 000 € Verfügbare stabile Refinanzierung: 100% « 1.900.000€ + 100% « 1. 200 . 000 € + 90% « 450.000€ + 50% « 320.000€ + 0% « 630.000€ = 3.665.000€ jcže = -. ΚË. ÎÎÎ £. žž-. ÎÎÎ = Ë, £šž£% Der NSFR liegt mit 1,3863 Prozent über der geforderten Grenze und wurde somit erfüllt. Ausblick Basel IV 232 Offiziell handelt es sich um ein Reformpaket zur Finalisierung der Basel III-Vorschriften, aber viele Kreditinstitute untereinander bezeichnen das aktuelle Regulierungspaket als „Basel IV“, aufgrund der tiefgehenden Reformschritten. Eine geraume Zeit lang stand die Überarbeitung von Basel III noch in der regulatorischen Pipeline. Am 07. 12. 2017 wurde das überarbeitete Rahmenwerk: „Basel III Finalising post crisis reform“ zum Thema der risikogewichteten Aktiva und der Capital Floor wurde finalisiert. 233 Kernbestandteil der Änderung ist der weltweite Mindeststandard zur Eigenkapitalunterlegung für Banken sowie die Überarbeitung von risikogewichteten Aktiva und Capital Floors. 234 Momentan werden regulatorische Eigenmittelanforderungen von den meisten Banken (mittels interner Modelle) durchgeführt. Kreditinstitute können durch den Einsatz interner Risikomodelle die bankindividuellen Risiken und Zusammenhänge besser beurteilen, sodass das Kreditinstitut weniger Eigenkapital vorhalten muss. Mit dem Reformpakt werden zukünftig interne Modellverfahren eingeschränkt und es folgt eine Revision des Standardverfahrens im Rahmen der Eigenkapitalunterlegung. Dabei wird das IRB-Modell begrenzt. Die Kreditinstitute haben beim IRB-Modell hinsichtlich der Risikobewertung viel Handlungsspielraum, folglich können interne Risikomessmodelle manipuliert werden. Mittels Manipulationen können geringe Eigenkapitalanforderungen hervorgebracht werden, um somit ein besseres Potenzial für die Kreditvergabe und ggf. eine Dividendenausschüttung zu erreichen. Um den Missbrauch von internen Risikomodellen zu beschränken, wird eine Untergrenze für die Eigenkapitalausstattung eingeführt. Als Verbindung zwischen Modell- und Standardansatz sollen sogenannte Output Floors dienen. 232 Vgl. Jerzembek et al. [Diskussion um Basel IV, 2017], S. 7-19 233 Vgl. Wolfgarten und Cluse [Die Welt nach Basel III, 2017] 234 Vgl. Ogrinz et al. [Willkommen in der Welt von „Basel IV“, 2017-2018] <?page no="306"?> 306 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Die Überarbeitung des Kreditrisiko-Standardverfahrens wurde bereits angestoßen, dabei stehen Kreditinstitute bei der Umsetzung vor erheblichen, strategischen und operativen Herausforderungen. Der Baseler Ausschuss fordert Kreditinstitute zur Verwendung des risikosensitiveren Standardansatzes auf. Die Anwendung interner Modelle ist unattraktiver, da es zu kostspielig ist, neben dem Standardansatz zusätzlich ein zweites Konzept zu implementieren. Die Vergleichbarkeit soll durch die Verwendung des Standardverfahrens bezweckt werden. Hinzu soll die eigenständige Schätzung der LGD und EAD nicht mehr zulässig sein. Anfang März 2016 veröffentlichte der Baseler Ausschuss ein zweites Konsultationspapier, sodass das AMA Modell (Advanced Measurement Approach-interner Ansatz), welches die Erfassung der operationellen Risiken regelt, in Basel IV grundsätzlich nicht mehr anerkannt wird. Alle Kreditinstitute sollen künftig auf das Standardmodell zurückgreifen. 235 Basierend auf dem Standardansatz legte die Aufsicht, mit einem festgelegten Prozentsatz, eine minimale Kapitalanforderung für interne Modelle verbindlich fest (Floor). Im Oktober 2017 haben Europa und USA einen Kompromiss bei 72,5 Prozent gefunden. 236 Ohnehin befinden sich die Banken in einem schwierigen Niedrigzinsumfeld, sodass eine baldige Umsetzung der Neuerungen im Rahmen der Finalisierung von Basel III nicht zeitnah möglich wäre. Im Dezember 2017 konnte bezweckt werden, dass die Aufsicht den Banken für die Umsetzung der Basel IV-Neuerungen, eine längere Frist als bei den vorigen Neuerungen bzw. Regelungen einräumt. 237 Die Nutzung von Standardrisikomodellen wird künftig den Kreditinstituten die bisherigen Liquiditätsanforderungen gemäß Basel III (Bsp. Eigenkapitalquote) erschweren. 9.3.4 MaRisk In der Mindestanforderung für das Risikomanagement (MaRisk) werden die Anforderungen an Banken, die sich aus der Säule II von Basel II erschließen, festgehalten. Im MaRisk werden sämtliche allgemeine Vorgaben zum Bereich Risikomanagement, Dokumentation, Organisation, Ausgestaltung der internen Revision sowie interne Kontrollsysteme, einschließlich deren Aufbau- und Ablauforganisation im Kredit- und Handelsgeschäft, formuliert. Kreditinstitute sind verpflichtet, ein Risikotragfähigkeitskonzept zu entwickeln, darin sollen alle wesentlichen Risiken aus der Geschäftstätigkeit ins Verhältnis zu der vorhandenen Risikodeckungsmasse gesetzt werden. Die strikte Einhaltung der Anforderungen von MaRisk wird in regelmäßigen Abständen von der BaFin angeordnet. 238 Die Struktur von MaRisk besteht aus einem allgemeinen Teil (Modul AT) und einem besonderen Teil (Modul BT). Der allgemeine Teil (Modul AT) gibt die grundlegenden Anforderungen wieder, in dem die Ausgestaltung des Risikomanagements, die Organisation und die Dokumentation erfolgt. Der besondere Teil (Modul BT) ist für die Prozesse rund um das Management und Controlling von Risiken ausgelegt. Im Modul BT werden besondere Anforderungen für die Ausgestaltung des internen Kontrollsystems für bestimmte Geschäftsarten und Risikoarten sowie an die Ausgestaltung der Internen Revision festgelegt. Die MaRisk basiert im Wesentlichen auf dem §25a Abs. 1 des Kreditwesengesetzes. In dem Paragraphen wird die Sicherstellung der Risikotragfähigkeit von Banken dargeboten. Gemäß §25a muss 235 Vgl. Kemmer [Die Vollendung von Basel III oder schon Basel IV? , 2016], S. 2-12 236 Vgl. Maisch [Basel IV-Vor diesen Regeln zittert die Finanzbranche, 2017] 237 Vgl. Staub [Basel IV: Marathon, Marschhalt oder Makulatur? , 2017] sowie Schmergal [Deutsche Kreditwirtschaft: Einigung zu Basel IV darf nicht zu Lasten der Wirtschaft in Europa gehen, 2017] 238 Vgl. AT 4.1 MaRisk <?page no="307"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 307 Neue Betriebswirtschaft jede Bank über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation verfügen sowie die gesetzlichen Bestimmungen und die betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten gewährleisten. 239 Unter einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation wird das Vorhandensein eines wirkungsvollen Risikomanagements, einschließlich angemessener Regelungen, interpretiert. Diese sollen die finanzielle Lage der Bank passgenau bestimmen und zudem alle Geschäftstätigkeiten exakt dokumentieren, damit die Aufsicht die ordnungsgemäße Überwachung gewährleisten kann. Um den Begriff Risikomanagement allgemein zu determinieren, erfolgt eine kurze Deklaration an dieser Stelle. Die Ausgestaltung des Risikomanagements ist institutsspezifisch. Das Risikomanagement ist für die Festlegung von Strategie sowie der Verfahren zur Ermittlung und Sicherstellung des Risikotragfähigkeitskonzepts verantwortlich. In jedem Kreditinstitut sind technische Kontrollsysteme eingerichtet, sodass interne Kontrollverfahren die Geschäftstätigkeit überwachen. Zudem sollten genügend Personal und technisch-organisatorische Ressourcen zur Verfügung stehen. Die Konkretisierung des Risikomanagements erfolgt im Rahmen des Rundschreibens der BaFin. 240 Es werden zwar prinzipienorientierte Rahmen abgesteckt, aber es sind noch genügend Handlungsspielräume zur individuellen Umsetzung des Risikomanagements vorhanden. 241 Die Einführung von inversen Stresstests wurde 2012 auf Grundlage der Vorgaben der EBA konzeptioniert. Die Überlebensfähigkeit bzw. Widerstandsfähigkeit der Kreditinstitute wird untersucht, indem die Kreditinstitute verschiedenen Stressszenarien ausgesetzt werden. Es soll die Überlebensfähigkeitsschwelle der Bank als maximaler tolerierbarer Verlust dargestellt werden. Die Geschäftsführung ist hierbei für die eingegangenen strategischen Entscheidungen und für den Stresstest verantwortlich. Die Ergebnisse des Stresstests sind kritisch zu reflektieren und ggf. sind Maßnahmen einzuleiten. Die aktuelle Fassung „Rundschreiben 09/ 2017 (BA)“ wurde von der BaFin veröffentlicht. 242 Wesentlicher Inhalt der Neuerungen sind im Bereich Datenaggregation, Risikoberichterstattung, Risikokultur und Auslagerung zu identifizieren. 243 Zahlreiche Änderungen haben sich mittels Globalisierung und Margendruck im Bankengeschäft ergeben. Das essentielle Hauptgeschäft von Kreditinstituten ist die Vergabe von Krediten. Kredite sind grundsätzlich mit Vorsicht zu betrachten, da möglicherweise Zahlungen teilweise bzw. nicht zurückgezahlt werden oder durch Ratingabstufungen beeinflusst werden können. Ein Risikomanagementsystem dient zur Koordination von Teilrisiken. Einzelne Teilrisiken von unterschiedlichen Geschäftsbereichen werden aggregiert und bilden ein Gesamtrisiko ab. Die Vorhersage der Kreditverluste können nur mit einer bestimmten statistischen Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden. Absehbare Kreditverluste sind in die Kalkulation des Kreditgeschäfts einzubinden. Je akkurater die Kalkulation der Verluste ist, desto besser sind die risikoadjustierten Kreditkonditionen, um das Kreditinstitut vor einem Verlust zu bewahren. 239 Vgl. Romeike und Binder [Rechtliche Grundlagen des Risikomanagements, 2008], S. 136 f. sowie idF v. KWG §25a Besondere organisatorische Pflichten; Verordnungsermächtigung 240 Vgl. Hofmann, G. [Basel III und MaRisk, 2011], S. 557 ff. sowie Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [Risikomanagement, 2017] 241 Vgl. Thomas, C. [Stresstests für das bankbetriebliche Liquiditätsrisiko, 2015], S. 7 242 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [Rundschreiben 09/ 2017 (BA) - Mindestanforderungen an das Risikomanagement - MaRisk, 2017] 243 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [Risikomanagement, 2017] <?page no="308"?> 308 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Risikosteuerung 9.4.1 Messung der erwarteten und unerwarteten Verluste Es wurden bereits die zwei Ansätze der Risikobeurteilung, nämlich der Standardansatz, welcher sich auf externe Risikobeurteilung von Ratingagenturen bezieht und der IRB-Ansatz, der sich in zwei Varianten differenziert, diskutiert. 244 Mit den vier Komponenten Probability of Default, Loss Given Default, Exposure at Default und Maturity werden unter Verwendung der Risikogewichtsfunktion die Mindestkapitalanforderung berechnet. 9.4.2 Überblick 245 Im Kreditrisikocontrolling der Banken hat sich im Rahmen der sogenannten Kreditrisikomodelle die Unterteilung in den erwarteten Verlust (Expected Loss) und den unerwarteten Verlust (Unexpected Loss) auf der Basis von Verlustverteilungen durchgesetzt. 246 Abbildung 9-23: Erwartete und unerwartete Verluste Quelle: in Anlehnung an Kroon, G. [Messung und Steuerung von Kreditrisiken, 2009], S. 15 Die erwarteten Verluste sollen im Kundengeschäft durch Risikoprämien, die der Kunde leistet, abgedeckt werden. Grundsätzlich beruhen Risikoprämien auf Vergangenheitswerten, aus denen durchschnittliche Ausfallraten ermittelt werden. Diese sollen Rückschlüsse auf künftig zu erwartende Verluste geben. 244 Vgl. Schroeter, U. [Ratings - Bonitätsbeurteilungen durch Dritte im System des Finanzmarkt-, Gesellschafts- und Vertragsrechts, 2014], S. 114 f. 245 Vgl. Daldrup und Schumann [Kreditrisikomodelle - State of the Art, 2003], S. 3-9 246 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 237 f. <?page no="309"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 309 Neue Betriebswirtschaft Falls die tatsächlich eingetretenen Kreditverluste in einer Periode größer sind als die vereinnahmten Risikoprämien, tritt ein Verlust auf, der das Ergebnis einer Bank belastet und die Eigenkapitalbasis gefährdet. Als unerwarteter Verlust wird eine negative Abweichung des eingetretenen Verlusts aus dem Kreditgeschäft benannt. 247 Sobald der konkrete Wert eines Ereignisses in negativer Weise vom erwarteten Wert abschweift, besteht ein Risiko. Entsprechend ist im Kreditgeschäft der tatsächliche Wertverlust eines Kredits höher als vermutet. 248 Erwarteter Verlust (EL ) 249 Bei den Steuerungsinstrumenten haben sowohl die Ermittlung risikoadjustierter Prämien als auch die Quantifizierung des Kreditrisikos einen bedeutenden Stellenwert. Der erwartete Verlust ist der Mittelwert der Verlustverteilung und hierbei hat das Kreditinstitut die Erwartungshaltung, dass dieser Verlust über einen ganzen Konjunkturzyklus im Durchschnitt potenziell zu verkraften ist. 250 Banken im Kreditgeschäft rechnen mit Verlusten in Form einer teilweisen oder vollständigen Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtung bzw. Ratingabstufung. Diese sind mit statistischen Wahrscheinlichkeiten vorhersehbar und werden als sogenannte Standard-Risikokosten in den Kreditpreis eingerechnet. 251 Abbildung 9-24: Grundgleichung der Kalkulation vom erwarteten Verlust (mit Zahlenbeispiel) Quelle: Eigene Darstellung Die erwarteten Verluste, auch Expected Loss (EL) genannt, sind gewissermaßen planbar, da sich die Kreditverluste auf statistisch ermittelte Verluste aus speziellen Modellen beziehen, welche bei einem Kredit erwartet werden. Folglich erwarten Kreditinstitute den berechneten Verlust. Mit dem erwarteten Verlust wird der statistische Erwartungswert angesprochen. 252 Zur Ermittlung des erwarteten 247 Vgl. Wiedemann, A. [Risikotriade, 2008], S. 114 f. sowie Oehler, A./ Unser, M. [Finanzwirtschaftliches Risikomanagement, 2002], S. 21 f. 248 Vgl. Kroon, G. [Messung und Steuerung von Kreditrisiken, 2009], S. 14-17 249 Vgl. Rudolph, B./ Hofmann, B./ Schaber, A./ Schäfer, K. [Kreditrisikotransfer, 2012], S. 142 250 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 51 251 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 162 f. 252 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 290 <?page no="310"?> 310 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Verlusts wird ein Kreditportfolio aufgestellt: Der erwartete Verlust setzt sich multiplikativ aus den drei Komponenten PD, EAD und LGD zusammen. Dabei bilden PD und EAD zusammen den möglichen Verlustbetrag. 253 Beispiel Das Rating wird auf Basis von Ausfallwahrscheinlichkeiten kalibriert, d.h. verschiedene Ratingnoten werden Ausfallwahrscheinlichkeiten zugeordnet. Ein Ratingsystem muss eine bankweite Vergleichbark eit d er R isi ke n er möglic hen. F er ne r sollt e ein Ra ting in tuiti v ve rst ändl ic h se in, d am it q ual ifiz ier te Kreditanalysten diese richtig anwenden können. Der Expected Loss soll durch die Risikovorsorge abgedeckt werden. Unerwarteter Verlust (UEL) Von einem unerwarteten Verlust, dem sogenannten „Unexpected Loss“, ist die Rede, falls der Verlust aufgrund von Unsicherheiten bei den Schätzungen größer ausfällt als prognostiziert wurde. „Sie werden auf der Grundlage eines bestimmten Konfidenzniveaus (99.9%), den Niveau der angenommenen Korrelation zwischen Krediten usw. berechnet.“ 254 Das Risiko für Kreditinstitute resultiert aus den unerwarteten Verlusten. Der unerwartete Verlust führt zu einer negativen Abweichung vom Erwartungswert bzw. Expected Loss. In der Praxis wird häufig der Value at Risk Ansatz zur Bestimmung des unerwarteten Verlusts gewählt. Der unerwartete Verlust einer Position X definiert sich als die Differenz zwischen dem Value at Risk zum Konfidenzniveau 1-L sowie der Haltedauer T mit der Ausfallwahrscheinlichkeit und dem Expected Loss. 255 <p(ô) ‹Gk,„ = 9ëE (ô) ‹Gk,„ ø …p(ô) Im Gesamtkonzept werden alle wesentlich identifizierten Verlustrisiken des erwarteten und des unerwarteten Verlusts erfasst. Der erwartete Verlust ist kein Risiko und stellt nur eine Planungsgrundlage dar. Das Risiko besteht nur dann, wenn negative Abweichungen vom Erwartungswert vorliegen. 256 Der unerwartete Verlust charakterisiert die Abweichungen der auftretenden Verluste um den Erwartungswert. Unter Einbeziehung der Standardabweichung als Volatilitätsmaß wird der Unexpected Loss für ein Kreditengagement folgendermaßen dargestellt: 257 <p = …¦ˆ « YKˆ « ù ˜µ» a + (1 ø EE) a « ù –» a mit ù –» a = Kˆ « ( 1 ø Kˆ ) Der im Wurzelterm beschriebene Ausdruck wird von den Varianzen (ù ˜µ» , a ù –» a ), dem Probability Default und der Loss Given Default bestimmt. Angenommen ù –» a = 0 und ù ˜µ» a = 0, so würde es keine 253 Vgl. Kroon, G. [Messung und Steuerung von Kreditrisiken, 2009], S. 14-17 254 Deutschen Bundesbank [Überprüfung der Eigenkapitalvorschriften für Banken und Wertpapierfirmen, 2010], S. 1 f. 255 Vgl. Menningen, M. [Aufbau, Bestandteile und Problemfelder ökonomischer Risikotragfähigkeitskonzepte in Banken, 2014], S. 60-62 256 Vgl. Volk und Wiesemann [Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte, 2012], S. 267-272 257 Vgl. Dunemann [Kreditportfoliomodelle, 2002], S. 5-11 <?page no="311"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 311 Neue Betriebswirtschaft Unsicherheit des Ausfalls geben. 258 Folglich ist der unerwartete Verlust gleich Null. Anhand des asymmetrischen Maßes wird der Value at Risk verwendet, welcher häufig auch als Credit Value at Risk bezeichnet wird. Der Credit Value at Risk wird mittels der Dichtefunktion der Kreditausfälle berechnet. 259 Beispiel Die Kredithöhe beim Ausfall eines Kreditnehmers beträgt 500.000€ (EAD). Die Ausfallwahrscheinlichkeit ist in Höhe von 0,95% (PD) angegeben. Die Wiedereinbringungsquote wurde auf 50% geschätzt. Die Standardabweichung der Verlustquote ù ˜µ» wurde in Höhe von 0,25% angegeben. Berechnung der Standardabweichung bzgl. der Ausfallwahrscheinlichkeit: ù –» = Y 0,0095 « (1 ø 0,0095) = 0,0970 Berechnung des unerwarteten Verlusts: <p = 500.000€ « Y 0,0095 « 0,25 a + ( 1 ø 0,5 ) a « 0,0970 a = 27.138,53 Der unerwartete Verlust beträgt in diesem Beispiel 27.138,53€. Abbildung 9-25: Wahrscheinlichkeitsverteilung von Kreditverlusten Quelle: in Anlehnung an Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 156 258 Vgl. Schmeisser, W./ Mauksch, C./ Schindler, F. [Ausgewählte Verfahren zur Analyse und Steuerung von Risiken im Kreditgeschäft, 2005], S. 96 259 Vgl. Daldrup und Professor Dr. Matthias Schumann [Kreditrisikomodelle - State of the Art, 2003], S. 8 <?page no="312"?> 312 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Im Allgemeinen ist der Expected Loss gegeben und der Unexpected Loss entspricht einem bestimmten Bereich der Wahrscheinlichkeitsverteilung von Kreditverlusten. Die Modellierung der Risikokosten soll dazu beitragen, eine zutreffende Annahme über wahrscheinliche Verteilungen zu treffen. Die vorangegangene Abbildung 9-25 stellt graphisch den Zusammenhang zwischen Expected Loss und Unexpected Loss dar. Die Kreditverlustverteilung ist eine asymmetrische Verteilung, mit einer ausgeprägten rechtsschiefen Verteilung. Das Erscheinungsbild ist dadurch begründet, dass hohe Kreditverluste selten auftreten und dementsprechend eine geringe Wahrscheinlichkeit besitzen. Allerdings treten kleinere Verluste mit hoher Wahrscheinlichkeit häufiger auf. 260 Der erwartete Verlust wird durch Standard- Risikokosten gedeckt. Sobald die Risiken den erwarteten Verlust übersteigen, d.h., in den unerwarteten Verlust gehen, muss das Kreditinstitut mittels Kapital die Risiken abfangen, damit eine mögliche Insolvenz abgewendet werden kann. 261 [•n ™•x™s –w–™x 2²–sq›–™•x•›–’™•n hwx L z -]wx˜•š™xIx•h™²k, M•sš ’™•x Gesamtverlust, welches sich additiv aus Expected Loss und Unexpected Loss zusammenstellt, den Betrag (x) übersteigen. 262 Value at Risk Das Konzept zum Value at Risk wurde 1990 vom amerikanischen Investmenthaus J.P. Morgan entwickelt und fand seine Anwendung vor allem im Banken- und Versicherungsbereich. Der Value at Risk (VaR) ist ein Risikomaß, welches in komprimierter Form Informationen über eine Wahrscheinlichkeitsverteilung wiedergibt und zur Entscheidungsvorbereitung beiträgt. Das Risikomaß ermöglicht, ein Risiko in einer Entscheidungssituation messbar zu gestalten. In der Bankenlandschaft verbreitet sich vermehrt der Value at Risk. 263 Der Value at Risk º9ëE k ( ô ) ³ ist definiert als der maximale Verlust, der bei einem gegebenen Konfidenzniveau nÓ(0; 1) und gegebener Haltedauer ? nicht überschritten wird. Beim Marktpreisrisiko wird häufig eine Haltedauer von einem bis zehn Tagen verwendet und beim Adressausfallrisiko wird oft eine Haltedauer von zehn Tagen gewählt. 264 In der Praxis liegen die Werte üblicherweise für n zwischen 0,05 und 0,01. Statistisch gesehen wird der Value at Risk als n-Quantil der Verteilungsfunktion von ô betrachtet. Mit anderen Worten formuliert, gibt die Maßzahl des Value at Risks an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Verlust binnen einer vorgegeben Zeitspanne auftreten kann. Mit folgender Formel lässt sich der Value at Risk mit Konfidenzniveau 1 ø n ausdrücken: 9ëE ‹Gk = ‚  G‹ (n) ‚  G‹ (n) ist die Quantilsfunktion zur Verteilungsfunktion ‚ ó . Negativ bewertete Abweichungen von einem gewünschten bzw. erwarteten Ergebnis werden als Risiko betrachtet. 265 Ein Beispiel zum Value at Risk erfolgt im Unterkapital 4.2.2. Der Value at Risk kann mittels unterschiedlicher Methoden wie einer Monte-Carlo-Simulation, einer historischen Simulation oder eines analytischen Varianz-Kovarianz-Modells ermittelt werden. 266 260 Vgl. Schmeisser, W./ Mauksch, C./ Schindler, F. [Ausgewählte Verfahren zur Analyse und Steuerung von Risiken im Kreditgeschäft, 2005], S. 95 ff. 261 Vgl. Kern, M. [Kapitalmarktorientierter Kreditrisikotransfer, 2009], S. 26 f. sowie Risk Consulting Group [Credit Analyzer, 2012], S. 16 f. 262 Siehe Abbildung 9-25 263 Vgl. Stier, C. [Risikomanagement und wertorientierte Unternehmensführung, 2017], S. 19 f. 264 Vgl. Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 330 265 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 308 <?page no="313"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 313 Neue Betriebswirtschaft Bei der historischen Simulation werden historische Daten bewertet. Mithilfe von vergangenheitsbezogenen Renditeverteilungen können Rückschlüsse auf die zukünftige Verteilung abgeleitet werden. Bedauerlicherweise lassen sich keine möglichen Marktentwicklungen in die Risikoeinschätzung integrieren. Die Monte-Carlo-Simulation basiert auf Zufallsvariablen. Es werden für Risikopositionen eigene bestimmte Verteilungsprämissen zugrunde gelegt. Üblicherweise wird eine Normalverteilung angenommen. Die Monte-Carlo-Simulation bietet eine hohe Flexibilität. Jedoch besteht durch die hohe Komplexität ein einhergehend hohes Modellrisiko. Das Varianz-Kovarianz-Modell, oftmals als Korrelationsansatz bezeichnet, beruht auf einem theoretischen Modell. Es werden die zu bewertenden Risikopositionen identifiziert und die Einflussfaktoren bestimmt. Für die Ausprägung der Risikofaktoren werden Wahrscheinlichkeiten verankert. Beim Varianz-Kovarianz-Modell werden sehr strikte und starre Annahmen getroffen. 267 Berechnungsmethodik (Migrationsmatrizen) „Eine Migrationsmatrix gibt die Wahrscheinlichkeit für den Ausfall eines Kunden in Abhängigkeit von seiner Ratingnote und die Wahrscheinlichkeit für eine Änderung dieser Ratingnote an. Sie stellt das Kernstück der Messung bzw. der Bewertung des Risikos von gerateten Kreditnehmern dar.“ 268 Je nach Größe und den zu vergebenen Kredit fällt die Intensität der Prüfung unterschiedlich aus. Migrationsmatrix 269 Ratings verändern sich im Zeitablauf. Aufgrund dessen ist eine regelmäßige Aktualisierung des Ratingprozesses erforderlich, insbesondere bei langfristigen Krediten, um die zukünftige Situation des Kreditnehmers besser zu beurteilen. Veränderungen in Ratings während der Laufzeit werden in sogenannten Migrationsmatrizen übersichtlich verzeichnet. 270 Die Migrationsmatrix beruht auf historischen Beobachtungen und wird über einen längeren Zeitraum beobachtet, damit sich die relative Häufigkeit für potenzielle Veränderungen innerhalb eines Zeitraumes erschließen lässt. 271 Die Migrationswahrscheinlichkeiten der Migrationsmatrizen geben an, inwiefern der Kreditnehmer innerhalb eines bestimmten Zeitraumes in eine andere Ratingklasse migriert wurde. In anderen Worten, zeigt die Matrix an, inwieweit der Schuldner von seinem Ausgangsrating innerhalb eines festgelegten Zeitraums in eine andere Ratingklasse wandert. 272 Für diesen Zeitraum wird die Wahrscheinlichkeit, in der sich das Kreditrating ändert, bestimmt. Falls der Schuldner seinen Verpflichtungen gegenüber dem Kreditinstitut innerhalb von 90 Tagen nicht nachkommt, wird dieser Sachverhalt als Ausfall (Default) deklariert. Im Folgenden werden Ratingmigrationen dargestellt, in denen die Migrationswahrscheinlichkeit von Kreditnehmern in Abhängigkeit ihres anfänglichen Ratings und der Kreditlaufzeit angegeben wur- 266 Vgl. Fiege, S. [Risikomanagement- und Überwachungssystem nach KonTraG, 2006], S. 169 f. 267 Vgl. ebd., S. 170 sowie Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 424 268 Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 53 269 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 294-299 270 Vgl. Daldrup und Schumann, M. [Rating, Ratingsysteme und ratingbasierte Kreditrisikoquantifizierung, 2006], S. 86-89 271 Vgl. Daldrup und Schumann, M. [Kreditrisikomodelle - State of the Art, 2003], S. 34 f. 272 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 80 <?page no="314"?> 314 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft den. Hierbei wird von einem Expected Loss ausgegangen. Die Matrix zeigt die Ausfallrate des Kreditnehmers unter Berücksichtigung der Laufzeit an. 273 Kreditlaufzeit in Jahren Rating 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 AAA 0,00% 0,00% 0,00% 0,00% 0,08% 0,08% 0,08% 0,08% 0,08% 0,08% AA 0,00% 0,05% 1,11% 1,20% 1,20% 1,20% 1,20% 1,20% 1,26% 1,30% A 0,00% 0,19% 0,26% 0,47% 0,53% 0,59% 0,78% 0,98% 0,98% 0,98% BBB 0,41% 0,66% 0,97% 1,51% 2,39% 2,77% 2,86% 2,86% 3,44% 3,66% BB 0,50% 1,08% 5,19% 9,78% 10,79% 11,26% 13,64% 13,87% 14,55% 15,21% B 1,59% 8,60% 14,82% 21,02% 23,21% 28,21% 30,22% 31,70% 33,63% 35,91% CCC 8,32% 18,13% 33,30% 40,14% 45,63% 48,66% 49,94% 51,42% 57,39% N.A. Abbildung 9-26: Kumulierte Mortalitätsraten 1971-1944 (nach ALTMAN/ KISHORE 1996) Quelle: Entnommen aus Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 295 Bei einer längeren Kreditlaufzeit steigt die Ausfallrate: Je mehr Zeit vergeht, desto eher kann sich die wirtschaftliche Situation des Kreditnehmers ändern. Rating in t=0 Rating AAA AA A BBB BB B CCC Rating in t=0 AAA 90,81% 0,70% 0,09% 0,02% 0,03% 0,00% 0,22% AA 8,33% 90,65% 2,27% 0,33% 0,14% 0,11% 0,00% A 0,68% 7,79% 91,05% 5,95% 0,67% 0,24% 0,22% BBB 0,06% 0,64% 5,52% 86,93% 7,73% 0,43% 1,30% BB 0,06% 0,06% 0,74% 5,30% 80,53% 6,48% 2,38% B 0,12% 0,14% 0,26% 1,17% 8,84% 83,46% 11,24% CCC 0,00% 0,02% 0,01% 0,12% 1,00% 4,07% 64,86% Ausfall 0,00% 0,00% 0,06% 0,18% 1,06% 5,20% 19,79% Abbildung 9-27: Ein-Jahres-Migrationsmatrix Quelle: Entnommen aus Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 296 Mittels Ratingmigrationsmatrizen 274 werden bedingte Wahrscheinlichkeiten dargestellt. Es lassen sich empirische Erkenntnisse erschließen: Beispielsweise wird die Ratingklasse BBB zur statistischen Betrachtung herangezogen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kreditnehmer dieser Ratingklasse im kommenden Jahr ausfällt, beträgt 99,82% (= 100% - 0,18%). 273 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 295 ff. 274 Siehe Abbildung 9-27 <?page no="315"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 315 Neue Betriebswirtschaft Im zweiten Jahr wird rückblickend die Wahrscheinlichkeit des Kreditengagements am Ende des ersten Jahres berücksichtigt, das heißt: 99,82% « 0,18% = 0,179676% resp . 99,82% ø 0,179676% = 99,6403%. Im dritten Jahr wird die Wahrscheinlichkeit analog zum zweiten Jahr berechnet: 99, 6403 % « 0,18% = 0,179353% resp. 99,6403% ø 0,179353% = 99,4609%. Abbildung 9-28: Entwicklung der bedingten (In-)Solvenzwahrscheinlichkeit für die Ratingklasse BBB Quelle: in Anlehnung an Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 296 Die berechnete periodische Insolvenzwahrscheinlichkeit und das Gegenstück, die Solvenzwahrscheinlichkeit des Kreditnehmers, ergeben gemeinsam 100%. Die berechnete bedingte Ausfallwahrscheinlichkeit der Ratingklasse BBB ist in der vierten Zeile vorzufinden. Bedingte Ausfallwahrscheinlichkeit (ohne Migration) Rating 1.Jahr 2.Jahr 3.Jahr 4.Jahr 5.Jahr 6.Jahr AAA 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% AA 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% A 0,06000% 0,05996% 0,05993% 0,59890% 0,05986% 0,05982% BBB 0,18000% 0,17968% 0,17935% 0,17903% 0,17871% 0,17839% BB 1,06000% 1,04876% 1,03765% 1,02665% 1,01577% 1,00500% B 5,20000% 4,92860% 4,67326% 4,43025% 4,19988% 3,98148% CCC 19,78000% 15,86752% 12,72892% 10,21114% 8,19138% 6,57112% Abbildung 9-29: Laufzeitspezifische bedingte Ausfallwahrscheinlichkeit ohne Berücksichtigung der Migrationen. Quelle: Entnommen aus Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 296 <?page no="316"?> 316 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Bisher wurde das Grundprinzip dargestellt. Bei großen Datenbeständen werden häufig die Kreditnehmer in Gruppen eingeteilt, in sogenannte Kohorten. Kohorten sind homogene Gruppen, deren Gruppenmitglieder über eine ähnliche Ausfallwahrscheinlichkeit verfügen. Im Folgenden werden zwei Migrationsmatrizen, nämlich die diskrete und kontinuierliche Migrationsmatrix, dargestellt. 275 Diskrete Migrationsmatrizen 276 Diskrete Migrationsmatrizen geben Aufschluss darüber, wie hoch die Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres von einem Rating-Level in ein anderes Rating-Level eingestuft zu werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Rating · nach Rating µ innerhalb eines Jahres migriert wird, ergibt sich aus der folgenden Formel: (· õ µ) Üè߉Ùë-ه‰ë…ß = â߉ ë¯ …-âß ß·-߇ v빉߇ ·â߉ E녷-Ù³±ë‡‡ß µ èßÜ·-â±·å¹ß- B幃±â-߉ â߉ s«¹«‰…ß â߉ B幃±â-߉ ·â߉ s«¹«‰…ß ¯·… E녷-Ù³±ë‡‡ß · yƒ ¤ßÙ·-â߇ v빉߇ Beispiel Eine Bank besitzt über zwei Kohorte (Gruppe A und Gruppe B) mit folgenden Eigenschaften: Gruppe B Gruppe A Anzahl der Kreditnehmer 20.000 36.000 Migration nach Gruppe A 3.000 - Migration nach Gruppe B - 1.000 Ausfälle 200 700 Die Migrationsmatrix sieht folgendermaßen aus: - Teilschritte: o Wahrscheinlichkeit in der Gruppe B zu bleiben: 20.000 ø 3.000 ø 200 20.000 = 0,84 o Wahrscheinlichkeit von Gruppe B nach Gruppe A eingestuft zu werden: 3.000 20. 000 = 0,15 o Wahrscheinlichkeit von Gruppe B auszufallen: 200 20. 000 = 0,01 o Wahrscheinlichkeit in der Gruppe A zu bleiben: 36.000 ø 1.000 ø 700 36.000 = 0,9528 o Wahrscheinlichkeit von Gruppe A nach Gruppe B eingestuft zu werden: 1.000 36.000 = 0,0278 275 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 297 276 Vgl. Knöchlein, G. [Kreditrisikomanagement und Ratingverfahren WS 2007/ 2008, 2007], Johannes Gutenberg-Universität Mainz, S. 21-31 <?page no="317"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 317 Neue Betriebswirtschaft o Wahrscheinlichkeit von Gruppe A auszufallen: 700 36.000 = 0, 01944 Die zugehörige einjährige Migrationsmatrix m ‹ sieht wie folgt aus: Von / Nach B A Ausfall Gruppe B 84% 15% 1% Gruppe A 2,78% 95,28% 1,94% Ausfall 0% 0% 100% Gelesen wird die Tabelle von links nach rechts, bspw. beträgt die Wahrscheinlichkeit von Gruppe B nach Gruppe A zu wandern 15%. Aus der einjährigen Migrationsmatrix können unter gewissen Annahmen mehrjährige Migrationsmatrizen berechnet werden, unter der Voraussetzung, dass diese über die gesamte Zeit konstant verlaufen. Die zweijährige Migrationsmatrix für das vorangegangene Beispiel sieht folgendermaßen aus: 1 1 2 M M M " ; , , , ) - 1 1 1 / 2 ; , , , ) - 1 1 1 / 2 " , , , ) - 1 1 1 / 2 1 0 0 0382 , 0 9120 , 0 0498 , 0 0213 , 0 2689 , 0 7098 , 0 1 0 0 0194 , 0 9528 , 0 0278 , 0 01 , 0 15 , 0 84 , 0 1 0 0 0194 , 0 9528 , 0 0278 , 0 01 , 0 15 , 0 84 , 0 Zur Berechnung der ³-jährigen Migrationsmatrix werden die einzelnen einjährigen Migrationsmatrizen multipliziert: ) 1 , 2 ( ) 2 , 1 ( ) 1 , ( ) 1 , ( 1 1 1 @ A @ A " " " A A " A ; @ A k t k t M t t M t t M k t t M k Kontinuierliche Migrationsmatrix 277 Die kontinuierlichen Migrationsmatrizen können eine präzise Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeiten für beliebige Laufzeiten angeben. Die Ausfallwahrscheinlichkeit wird mittels einer zeithomogenen Markov-Kette in kontinuierlicher Zeit modelliert. Die Markov-Kette wird durch eine Migrationsmatrix 6(f…) erklärt, wobei die Elemente der Matrix  [Y ( f… ) die Wahrscheinlichkeit wiedergeben, dass in einer Zeitspanne von f… Jahren die Migration von der Ratingklasse · zur Ratingklasse µ stattfindet. Beispiel  "A","¼¼" ( 4 ) : Hierbei wird die Höhe der Wahrscheinlichkeit angegeben, mit welcher der Kreditnehmer mit dem Rating A innerhalb von vier Jahren in die Ratingklasse BB migriert. Die Migrationsmatrix wird mittels einer sogenannten Generatormatrix ñ modelliert, deren Elemente ? ij den Grad einer Migration zwischen den Ratingklassen · und µ wiedergeben. Es gilt: 6 ( f… ) = ß ‹f0 = 1 + ñf… + ‹ a! ñ a ñft a … (1.1) 277 Vgl. Germar Knöchlein [Kreditrisikomanagement und Ratingverfahren WS 2007/ 2008, 2007], Johannes Gutenberg-Universität Mainz, S. 32-50 <?page no="318"?> 318 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Der Grad einer Intensität einer Migration multipliziert mit einer kleinen Zeitspanne f…, ergibt die Wahrscheinlichkeit einer Migration in dieser Zeitspanne: Für · 1 µ gilt: ? ij « f… =  [Y ( f… ) Für jede gewählte Zeitspanne kann die Intensität der Ausfallwahrscheinlichkeit berechnet werden. Zunächst wird die Generatormatrix bestimmt. Dabei werden Ratingänderungen und Ausfälle berücksichtigt. Unter Verwendung des Maximum-Likehood-Schätzers sehen die Elemente der Generatormatrix folgendermaßen aus: Für · 1 µ gilt: ? ij = — ij é } ~ (2)c2 ; ? ij = ø # ? ij [£Y Q ij : Beobachtete Migrationen/ Übergänge der Ratingklassen von · nach µ ñ [ (‡): Kreditnehmer in Ratingstufe · zum Zeitpunkt s Mit dieser Formel können exakte Messungen gemacht werden. Beispiel Ein Kreditinstitut besitzt über zwei Kohorten: Kohorte A (gute Bonität) und Kohorte B (schlechte Bonität). Die Kreditnehmer sind entweder Kohorte A oder Kohorte B zugeordnet. Folgende Daten werden innerhalb eines Jahres aufgezeichnet: ! Zu Beginn des Jahres haben sowohl Kohorte A als auch Kohorte B jeweils 20 Kreditnehmer in ihrer Ratingklasse. ! Ein A-Kreditnehmer wird zum Monatsende des ersten Monats auf Rating B zurückgestuft und verbleibt mit dem Rating B für den Rest des Jahres. ! Ein B-Kreditnehmer wird zum Monatsende des zweiten Monats auf Rating A hochgestuft und verbleibt mit dem Rating A für den Rest des Jahres. ! Ein B-Kreditnehmer fällt am Ende des sechsten Monats aus. Zunächst wird der Sachverhalt in kleine Teilschritte unterteilt: Intensität einer Migration von Rating A nach Rating B ? AB = — AB é } & (2)c2 = ‹ aŽ« d dc K‹O« d dc KaŽ« de dc = ‹a a_O = 0,0502 Zähler: Nur ein Kreditnehmer wird von der Ratingklasse · nach µ migriert. Nenner: Erster Summand: Im ersten Monat ( ‹ ‹a ) sind 20 Kreditnehmer in der Ratingklasse A. Zweiter Summand: Im zweiten Monat wird einer der 20 Kreditnehmern herabgestuft. Folglich sind es 19 Kreditnehmer multipliziert mit ‹ ‹a . Dritter Summand: Im dritten Monat wird ein B - Kreditnehmer in die Ratingklasse A hochgestuft somit sind es 20 Kreditnehmer, die bis zum Ende des Jahres ( ‹Ž ‹a ) in der Ratingklasse A vorzufinden sind. Intensität einer Migration von Rating A nach Default (D) ? AD = — AD é } & (2)c2 = Ž aŽ« d dc K‹O« d dc KaŽ« de dc = 0 <?page no="319"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 319 Neue Betriebswirtschaft Da kein A-Kreditnehmer als Default eingestuft wurde, steht im Zähler eine Null. Ù ? AA = ø # ? õî ½£Y = ø? õñ ø ? õê = ø0,0502 Intensität einer Migration von Rating B nach Rating A ? BA = — BA é } % (2)c2 = ‹ aŽ« d dc Ka‹« d dc KaŽ« R dc K‹O« O dc = ‹a a_[ = 0,0511 Intensität einer Migration von Rating B nach Default (D) ? BD = — BD é } % (2)c2 = ‹ aŽ« d dc Ka‹« d dc KaŽ« R dc K‹O« O dc = ‹a a_[ = 0,0511 Ù ? BB = ø # ? ñî ¼£Y = ø? ñõ ø ? ñê = ø a] a_[ = ø0,1021 Intensität des Defaultszustands (D) ? DA = ? DB = ? DD = 0 Die Generatormatrix sieht folgendermaßen aus: ñ = , , , ) - 1 1 1 / 2 0 0 0 0,0511 0,1021 - 0,0511 0 0,0502 0,0502 - (1.2.) Aus der Generatormatrix erschließt sich die Migrationsmatrix. Zur Berechnung der Migrationsmatrix wird die Formel aus (1.1) verwendet: 6 ( f… ) = ß ‹f0 = ² ñ W ¦ WûŽ « f… W ³! Grundsätzlich wird nach jenem Glied abgebrochen, dessen Ergebnis sich zum Vorgänger nur unwesentlich unterscheidet. Aus der Migrationsmatrix kann die Ausfallwahrscheinlichkeit für die Laufzeit in f… direkt entnommen werden. Beispiel In diesem Beispiel besteht die Generatormatrix aus genau vier Gliedern. 1. Glied: ñ Ž « f… Ž 0! = ¶ 1 0 0 0 1 0 0 0 1 Ž 2.Glied: ñ ‹ « f… ‹ 1! = ¶ ø0,0502 0,0502 0 0,0511 ø0,1021 0,0511 0 0 0 Ž « 1 = ¶ ø0,0502 0,0502 0 0,0511 ø0,1021 0,0511 0 0 0 Ž <?page no="320"?> 320 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft 3.Glied: ñ a « f0 c a! = ¶ 0,0051 ø0,0076 0,0026 ø0,0078 0,0130 ø0,0052 0 0 0 Ž « 0,5 = ¶ 0,0025 ø0,0038 0,0013 ø0,0039 0,0065 ø0,0026 0 0 0 Ž 4.Glied: ñ _ « f… _ 3! = ¶ ø0,0006 0,0010 ø0,0004 0,0011 ø0,0017 0,0007 0 0 0 Ž « 0,16 = ¶ ø0 ,0001 0,0002 ø0,0001 0,0002 ø0,0003 0,0001 0 0 0 Ž In Summe ergibt sich folgende Matrix: Ù ñ Ž « f… Ž 0! + ñ ‹ « f… ‹ 1! + ñ a « f… a 2! + ñ _ « f… _ 3! = ¶ 0,9522 0,0466 0,0012 0,0474 0,9041 0,0486 0 0 0 Ž Die Ein-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit für einen A-Kreditnehmer beträgt 0,12%. Die Zwei- Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit für einen A-Kreditnehmer beträgt 4,86%. Das vorangegangene Beispiel sieht bei einer Darstellung in Form einer diskreten Migrationsmatrix folgendermaßen aus: ! Wahrscheinlichkeit in Rating A zu bleiben: aŽG‹ aŽ = 0,95 ! Wahrscheinlichkeit von Rating A nach Rating B zu wandern: ‹ aŽ = 0,05 ! Wahrscheinlichkeit von A nach Default zu migrieren: 0 Beim analogen Vorgehen ergibt sich folgende Matrix (mit den restlichen Elementen): ¶ 0,95 0,05 0 0,05 0,9 0,05 0 0 0 Ž Zusammenfassend sind diskrete Migrationsmatrizen zeithomogen. Häufige Ratingänderungen führen zu Verzerrungen der Ergebnisse. Bei der kontinuierlichen Methode werden im Gegensatz zum diskreten Modell zusätzliche Informationen bezüglich des Zeitpunktes und der Häufigkeit des zu migrierenden Kreditnehmers einbezogen. Es können beliebige Laufzeiten mittels der kontinuierlichen Migrationsmatrix berechnet werden. Der Umgang mit neuen Kreditnehmern bzw. einem auslaufenden Kredit kann die kontinuierliche Methode bewerkstelligen. 9.4.3 Notwendigkeit der Portfoliosteuerung Die Zusammenstellung eines Portfolios zur Untersuchung der Risikostruktur eines Kreditengagements ist bedeutend, folglich untersucht das Portfoliomanagement von Kreditinstituten die Risikostruktur des Kreditengagements. Sorgfältig wird ein Limit für einen Kredit eingeräumt, sodass die Risikoposition begrenzt ist. 278 Kreditportfoliomodelle werden gemäß dem Prinzip Top-Down bzw. Bottom-Up gehandhabt. Im Top-Down-Ansatz werden Kreditengagements mit ähnlichen Risikomerkmalen (wie Alter oder 278 Vgl. Keiner, T. [Rating für den Mittelstand, 2001], S. 87 f. <?page no="321"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 321 Neue Betriebswirtschaft geographische Lage) auf Basis von historischen Daten zu homogenen Segmenten zusammengefasst. Die homogenen Segmente werden als statistisch identisch angesehen. Diese lassen auf das Gesamtrisiko schließen, ohne dabei die einzelnen Positionen des Segmentes gesondert zu betrachten. 279 Bei der Wahl eines Bottom-Up-Ansatzes erfolgt eine individuelle Beurteilung der Bonität einzelner Schuldner. Demzufolge hat jede spezifische Position ein spezielles Risiko-Rating. 280 Der Zweck der Kreditrisikomodelle ist die Überprüfung der Risikopositionen von Krediten auf Portfolioebene, sodass eine exakte Prognose für Portfoliowerte ermittelt wird. Zu diesem Zweck werden drei Modelle ausgewählt, deren Ausfallwahrscheinlichkeiten sich durch die Monte-Carlo- Simulation bzw. Poisson-Verteilung darstellen lassen. Im Rahmen dieser Abschlussarbeit werden die drei folgenden Modelle erläutert: ! CreditMetrics TM von JP Morgan ! CreditRisk+ TM von Credit Suisse Financial Products ! CreditPortfolioView TM (CPV) von McKinsey & Company Das Kreditportfoliomodell zur Messung des unerwarteten Verlusts unterteilt sich in Firmenwert- und Ausfallraten-Modelle. Die nachfolgende Abbildung illustriert die schematische Untergliederung von Kreditportfoliomodellen. Abbildung 9-30: Systematisierung von Kreditportfoliomodellen Quelle: In Anlehnung an Kern, M. [Kapitalmarktorientierter Kreditrisikotransfer, 2009], S. 28 f. Firmenwert-Modell Firmenwert-Modelle können sich durch mögliche negative Veränderungen der Bonität des Kreditnehmers ergeben, das heißt, hierbei ist das zu quantifizierende Bonitätsrisiko zu betrachten. Die Messung des Kreditrisikos basiert auf der Wanderung zwischen Bonitätsklassen und der damit verbundenen Wertänderung des Kredits. Ziel ist es, ein Kreditportfolio zu Marktpreisen zu bewerten und Marktwertänderungen aus der Bonitätsverschlechterung abzubilden. Eines der bekanntesten Modelle ist CreditMetrics. 281 279 Vgl. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht [Entwicklung von Modellen zum Kreditrisiko: aktuelle Verfahren und Verwendung, 1999], S. 28f. 280 Vgl. Schmoll, A. [Kreditrisiken erfolgreich managen, 1999], S. 45 f. sowie Knapp, M. [Zeitabhängige Kreditportfoliomodelle, 2002], S. 48 f. 281 Vgl. Kroon, G. [Messung und Steuerung von Kreditrisiken, 2009], S. 48 <?page no="322"?> 322 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Ausfallraten-Modell Primär bildet das Kreditausfallrisiko ein stochastisches Ereignis ab, indem zwischen Kreditausfall und Nicht-Kreditausfall unterschieden wird. Es werden Ausfallwahrscheinlichkeiten mit potenziellen Verlustbeiträgen geschätzt. CreditRisk+ und CreditPortfolioView gehören dabei zu den Ausfallraten-Modellen. 282 CreditRisk+ CreditRisk+ ermittelt die Wahrscheinlichkeit für potenzielle Kreditausfälle. Verluste, die für eine kreditgebende Bank entstehen, sind ähnlich zu den Schadeneintrittswahrscheinlichkeiten. 283 Ein aktuarisches Kreditrisikomodell dient zur Orientierung der Entwicklung des CreditRisk+ Modells, da Kreditverluste stark den versicherungswirtschaftlichen Risiken ähneln. 284 1997 hat Credit Suisse Financial Products das aktuarische Basismodell zum CreditRisk+ weiterentwickelt, welches das Kreditrisiko und das Ausfallrisiko umfassen. 285 Die Quantifizierung aus dem Kreditrisiko und dem Ausfallrisiko ergibt auf Portfolioebene den Unexpected Loss, der für ein bestimmtes Konfidenzintervall und einen bestimmten Zeitraum festgelegt wird. 286 Als Risikokomponenten werden die Rückzahlungsquote des Ausfalls, das Exposure des Kreditausfalls, die erwartete Ausfallrate und die Volatilität des Ausfalls angegeben. 287 Der CreditRisk+ findet aufgrund seiner einfachen Handhabung und den geringen Anforderungen der Inputdaten häufig seine Anwendung bei Kreditinstituten. Als Grundlage zur Berechnung des Unexpected Loss dient der erwartete Kreditverlust des Portfolios. Die Anzahl an Kreditausfällen für ein Portfolio mit Q Krediten ergibt sich als Summe der einzelnen erwarteten Ausfallraten, welche den Erwartungswert ü darstellen: ü = # © [ — [û‹ mit © [ = …‰ë‰…ß…ß ¦ƒ‡Üë±±‰ë…ß â߇ s‰ßⷅ-ß¹¯ß‰‡ Die Wahrscheinlichkeitsverteilung wird näherungsweise durch die Poisson-Verteilung beschrieben, da diese keine identische Ausfallrate für alle Kreditnehmer fordert. 288 6 ; –9[229; = a I( «9 x ; ! mit ü ø …‰ë‰…ß…ß ¦-yë¹± ës‰ßⷅ냇Üä±±ß- 6 ; –9[229; ø 6빉‡å¹ß·-±·å¹³ß·… , â뇇 s‰ßⷅ-ß¹¯ß‰ 냇Üë±±ß- ø ¦-yë¹± â߉ s‰ßⷅ냇Üä±±ß Es wird die Annahme getroffen, dass die Anzahl der Ausfälle unabhängig zu anderen Perioden sei. Die durchschnittliche Anzahl der Kreditausfälle, in einem bestimmten Zeithorizont, sei eine Zufallsvariable mit dem Mittelwert ü und der Standardabweichung i ü. 289 282 Vgl. ebd., S. 49 f. 283 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 31 284 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 442 285 Vgl. Zurek, J./ Karl-Werner [Kreditrisikomodellierung, 2009], S. 86 286 Vgl. Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 494 287 Vgl. Schwarz [Kreditrisikomodelle, 2004], S. 17-24 288 Vgl. Puhani, J. [Statistik, 2005], S. 148 f. 289 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 163-170 <?page no="323"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 323 Neue Betriebswirtschaft Beispiel In einer Betrachtungsperiode fällt kein Kredit aus, das heißt - = 0 mit vier Krediten und den jeweiligen erwarteten Ausfallraten in Höhe von 2%, 5%, 7% und 8,5%. Die Anzahl der erwarteten Kreditausfälle beträgt: ü = ² © [ = 2% + 5% + 7% + 8,5% = 22,5 % = 0,225 ] [û‹ 6 Ž –9[229; = ß G9 « ü Ž 0! = ß GŽ,aa[ = 79,85% Die Wahrscheinlichkeit, dass kein Kredit im angeführten Beispiel ausfällt, beträgt 79,85%. Jedem Kreditnehmer ist eine individuelle Standardabweichung zugeordnet. Des Weiteren wird angenommen, dass die Variable ü mit der Standardabweichung ù approximativ eine Gammaverteilung beschreibt. Diese lässt sich empirisch berechnen. Die Gammaverteilung hat den Vorteil, dass keine negativen Ausfallraten zustande kommen. Die Kreditinstitute können mithilfe von EDV-gestützten Systemen ein Portfolio innerhalb weniger Minuten erstellen. 290 CreditMetrics CreditMetrics wurde von JP Morgan 1997 zur Modellierung des Bonitätsrisikos entwickelt. Das Modell CreditMetrics ist ein multivariates Unternehmenswertmodell, welches auf dem Merton- Modell basiert. 291 In der Praxis wird das CreditMetrics-Modell mithilfe einer Monte-Carlo- Simulation durchgeführt. Die Zielsetzung dieser Methode ist es, die Ungewissheit wie ein zukünftiger Portfoliowert sich entwickelt im Voraus einem Risikohorizont zuzuweisen, welcher im Rahmen von Veränderungen der Kreditnehmerbonität entstehen könnte. 292 CreditMetrics lässt sich in drei Stufen unterteilen: Zunächst muss ein Exposure für jedes Finanzinstrument im betrachteten Portfolio bestimmt werden. Als nächstes wird eine mögliche Wertentwicklung der Finanzinstrumente bestimmt. In der letzten Stufe werden Korrelationsstrukturen berücksichtigt. CreditMetrics wird unter Berücksichtigung von Wertveränderungen, auf Grund von Ratingveränderungen und Ausfallereignissen, innerhalb eines bestimmten Zeitraums erstellt. In der Regel wird ein Zeitraum von einem Jahr gewählt. Bei Eintritt des Ausfallereignisses oder einer eventuellen Ratingveränderung werden Werte für jedes Einzelgeschäft (bzw. Gesamtportfolio) der möglichen Marktwerte zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Hilfe der Migrationsmatrix berechnet. Bonitätszustandsänderungen lassen sich durch die Migrationswahrscheinlichkeiten ausdrücken. Dabei wird die relative Häufigkeit der jeweiligen Ratingklassen auf Basis historischer Daten ermittelt. Diese werden Forward-Werte genannt 293 Die Abbildung 9-27 stellt bspw. eine Migrationsmatrix da. Es ist eine Neubewertung eines Kredittitels erforderlich, um alle möglichen Bonitätszustände am Risikohorizont zu erfassen, da dieser in seinem jetzigen Zustand eine stochastische Größe darstellt. 294 290 Vgl. Schwarz [Kreditrisikomodelle, 2004], S. 12 291 Vgl. Rudolph, B./ Hofmann, B./ Schaber, A./ Schäfer, K. [Kreditrisikotransfer, 2012], S. 170-185 sowie Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 454-461 292 Vgl. Hans Rau-Bredow [Kreditrisikomodelle und Diversifikation, S. 7-15 293 Vgl. Martin, M.R. W./ Wehn, C. [Kreditderivate und Kreditrisikomodelle, 2014], S. 173 294 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 458 <?page no="324"?> 324 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Es werden alle vertraglich vereinbarten anfallenden Cashflows, über den Risikohorizont hinaus, mit risikoadjustierten Forward-Nullkuponzinssätzen laufzeitadäquat auf den Zeitpunkt des Risikohorizonts diskontiert. 295 Die folgende Tabelle stellt bspw. den Risikohorizont eines Jahres hinsichtlich eines risikoadjustierten Forward-Nullkuponzinssatzes dar: Abbildung 9-31: (Forward-) Zerobondrenditen und Kreditbarwerte Quelle: In Anlehnung an Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 456-459 Die Zahlungsströme werden mithilfe des ratingspezifischen Forward-Zinssatzes folgendermaßen erklärt: Allgemeine Form: ° CF 0 (1 + Üy Ž (³, è, …)) 0GW „ 0ûŽ Beispiel 296 Ein A-Kreditnehmer hat einen Kredit in Höhe einer 1 Mio. EUR mit einer Nominalverzinsung von 8% und einer Laufzeit von 5 Jahren. Folglich weist der Kreditnehmer am Risikohorizont ein Rating von A auf: 80.000 …<E + 80.000 …<E (1 + 0,0372) ‹ + 80.000 …<E (1 + 0,0432) a + 80.000 …<E (1 + 0,0493) _ + 1.080.000 …<E (1 + 0,0532) ] = 1.177.657 € …<E 295 Vgl. Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 483 296 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 178 ff. CF 0 ø ¢ë‡¹Ü±« yƒ¯ îß·…©ƒ-³… … Üy Ž ø ü±…·Ùß- ‚«‰ë‰â 뱇 ‚ƒ-³…·«- ¯·… sƒ©«-y·-‡‡ë…y ¯·… E·‡·³«¹«‰·y«-… ³ ƒ-â îß·…©ƒ-³… … ƒ-â E녷-Ù³±ë‡‡ß è <?page no="325"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 325 Neue Betriebswirtschaft Sollte ein Kreditausfall eintreten, wird dieser aus dem Produkt des Recovery Rate und dem Nominalvolumen bestimmt. Basierend auf einer Studie von Moody’s wurden differenzierte Recovery Rates dargestellt: 297 Rangstellung Erwartungswert Standardabweichung Senior Secured 53,80% 26,86% Senior Unsecured 51,13% 25,45% Senior Subordinated 38,52% 23,81% Subordinated 32,74% 20,18% Junior Subordinated 17,09% 10,90% Abbildung 9-32: Recovery Rates. Quelle: In Anlehnung an Schwarz [Kreditrisikomodelle, 2004], S. 7 Nach reichlicher Überlegung kann jedem Bonitätszustand eines Kreditnehmers ein Marktwert und eine Eintrittswahrscheinlichkeit zugeordnet werden. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Kreditwertes lässt sich aus der Eintrittswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit des Marktwertes bestimmen. 298 Unter Berücksichtigung einer Rangstellung des Kredits von „Senior Secured“ mit einem Anfangsrating von A ergibt sich für das vorangegangene Beispiel die folgende Verteilung: Rating Marktwerte G- / Wahrscheinlichkeit È / G- / « È / AAA 1.107.911 € 0.0009 997€ AA 1.183.166 € 0.0227 26.858 € A 1.177.657 € 0.9105 1.072.256 € BBB 1.165.996 € 0.0552 64.363 € BB 1.108.337 € 0.0074 8.202 € B 1.067.465 € 0.0026 2.775 € CCC 914.291 € 0.0001 91 € D 538.000 € 0.0006 323 € Erwartungswert 1.175.866 € Abbildung 9-33: Wahrscheinlichkeitsverteilung der Marktwerte Im Beispiel beträgt der Erwartungswert 1.175.866 €, welcher sich aus der Summe des gewichteten (ratingspezifischen) Marktwertes MW w und der Eintrittswahrscheinlichkeit © w zusammensetzt. Für die Erstellung der Abbildung 9-33 wurde folgende Formel verwendet: 299 297 Vgl. Schiller, B./ Tytko, D. [Risikomanagement im Kreditgeschäft, 2001], S. 270 f. 298 Vgl. Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 485 f. 299 Vgl. Claudia, S.; Pfeiffer, V.; Witzke, T. [Kreditportfoliomodelle, 2001], S. 22 ff. <?page no="326"?> 326 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft ² MW w « © w ¼ wû‹ Der Expected Loss wird aus der Differenz aus dem aktuellen Kreditwert und dem Erwartungswert gebildet: …}©ßå…ßâ p«‡‡ = 볅ƒß±±ß‰ s‰ßⷅ߉… ø …‰뉅ƒ-ه߉… …}©ßå…ßâ p«‡‡ ¼a[27[aU = 1.177. 657…<E ø 1.175.866 …<E = 1.791€ Im angesprochenen Beispiel beträgt der erwartete Verlust 1.791€. Zusätzlich kann der unerwartete Verlust als Value at Risk unter Nutzung der kumulierten Eintrittswahrscheinlichkeiten ausgedrückt werden. Beispielsweise wird ein Vertrauensbereich von 99% angenommen. Zudem wird ein Marktwert gesucht, welcher eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 99% nicht überschreitet. Beginnend mit der Ratingklasse AAA wird die Eintrittswahrscheinlichkeit © solange aufsummiert bis die kumulierten Eintrittswahrscheinlichkeiten von mindestens 99% erreicht sind. Der angefragte Quantilswert ist bei der Ratingklasse BB vorzufinden, da das Aufsummieren der Eintrittswahrscheinlichkeiten bis zur Ratingklasse BB einen Quantilswert von 0,09% + 2,27% + 91,05% + 5,52% + 0,74% = 99,67% ergibt. Der Value at Risk kann folgendermaßen berechnet werden: 9ë±ƒß ë… E·‡³ ( }% ) = …‰뉅ƒ-ه߉… ø Hƒë-…·±‡߉… Im Beispiel ergibt sich ein Value at Risk für den unerwarteten Verlust in Höhe von 67.529 € für den Vertrauensbereich von 99%, welcher aus der Differenz zwischen 1.175.866 …<E ø 1.108.337 …<E = 67.529 …<E hervorgeht. 300 Credit PortfolioView McKinsey & Co entwickelte CreditPortfolioView um eine Verbesserung und Weiterentwicklung des Ratingmigrationsansatzes zu ermöglichen. Dabei ist aufgefallen, dass bei einem Ausfallrisiko und einem Bonitätsrisiko makroökonomische Einflussgrößen zu beachten sind. 301 Untersuchungen am amerikanischen Markt haben gezeigt, dass der Markt in den Jahren 1973 bis 1993 einen ersichtlichen Einfluss auf die Ausfallwahrscheinlichkeit hatte. Das Credit PortfolioView ist ein Modell, in dem die Volatilität der Ausfallrate und die Rating-Migration des Kreditnehmers mit makroökonomischen Faktoren zusammenhängen. Kreditnehmer werden in Risikosegmente aufgeteilt, für jedes Segment wird eine Ausfallrate ermittelt. Zu den makroökonomischen Faktoren gehören unter anderem die Wachstumsrate, das Bruttoinlandsprodukt, die Geld- und Kapitalmarktzinssätze sowie die Arbeitslosenquote. Die Regressionsanalyse liefert Variablen, die in die Ausfallraten einfließen, um eine bestmögliche Messung des Kreditrisikos zu ermöglichen. Kreditnehmer derselben Branche verfügen über identische Ausfallwahrscheinlichkeiten. Die Bonität des Kreditnehmers hingegen spielt eine nachrangige Rolle. 302 300 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 178 ff. 301 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 461 302 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 180-185 <?page no="327"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 327 Neue Betriebswirtschaft Modellvergleich Die genannten Modelle können entweder ein Firmenwert- oder Ausfallwert-Modell sein. Die Modelle sind abhängig von der Anwendbarkeit, Transparenz und Wirtschaftlichkeit. 303 Heutzutage ist die technische Implementierung für alle drei Modelle gegeben. CreditRisk+ und CreditMetrics untersuchen die Bonität des Kreditnehmers. Das Modell Credit- PortfolioView arbeitet nicht unmittelbar mit der Bonität des Kreditnehmers. In der Praxis werden CreditMetrics und CreditPortfolioView mithilfe von zeitaufwendigen und umfangreichen Monte-Carlo-Simulationen durchgeführt, welche die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Kreditportfoliowerte liefert. Das liegt der Tatsache zugrunde, dass größere Kreditinstitute eine große Anzahl von Kreditnehmern aufweisen. Wirtschaftlich betrachtet, gibt das CreditPortfolioView Modell einen guten Gesamtüberblick, insbesondere werden makroökonomische Aspekte beachtet. Beim CreditMetrics beruht die Ausfallwahrscheinlichkeit auf Ratingklassen und beim CreditRisk+ wird eine einheitliche Ausfallwahrscheinlichkeit für alle Kreditnehmer aus einem Kreditsegment festgelegt. Beim CreditRisk+ Modell lassen sich Umwelteinflüsse problemlos unter geringem Aufwand in das Modell implementieren. Dagegen werden bei den beiden Modellen CreditMetrics und CreditPortfolioView Monte-Carlo-Simulationen genutzt, die eine hohe Rechenkapazität benötigen. Änderungen der Eingangsparameter der Simulation lassen sich nicht ohne weiteres einbauen, da sie sehr aufwendig und zeitintensiv sind. Zudem kommt die Tatsache hinzu, dass die hohe Rechenzeit eine Verzögerung nach sich zieht. Die Aufsicht für Kreditinstitute setzt strenge Anforderungen, insbesondere legt sie viel Wert auf geeignete Kreditrisikomodelle. Für kleine Banken ist es sinnvoll auf CreditRisk+ zurückzugreifen, da es kostenlos zur Verfügung steht. Je nach geschäftsbzw. institutsspezifischen Wünschen können Änderungen am CreditRisk+ Modell leicht vorgenommen werden. Kleineren Banken stehen in der Regel weniger Ressourcen zur Verfügung. Da nur kleinere Änderungen vorgenommen werden, gibt es nur einen geringen Implementierungs- und Umsetzungsaufwand. Im Gegensatz dazu nutzen größere Banken das CreditPortfolioView Modell, da diese für umfangreiche Kreditportfolios besser geeignet sind. Zusätzlich sind größere Kreditinstitute an einer Imple ment ie ru ng vo n makroök onomi sc he n As pe kt en in ihre m Ris ik om od ell inte res si er t. Eine regelmäßige Kalibrierung der Modelle ist erforderlich, um eine Verbesserung der Qualität der Ausfallwahrscheinlichkeitsermittlung des erwarteten Verlusts zu erzielen. Die Kreditrisikomodelle dienen der rechtzeitigen Erkennung der Konzernrisiken. 304 303 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 474 ff. 304 Vgl. Oehler, A./ Unser, M. [Finanzwirtschaftliches Risikomanagement, 2002], S. 82 f. <?page no="328"?> 328 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-34: Kreditrisikomodelle im Überblick Quelle: In Anlehnung an Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 474 9.4.4 Gesamtbankorientierte Steuerungsinstrumente In diesem Abschnitt werden Steuerungsinstrumente, die das Gesamtrisiko verringern, genannt. Im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfungen stehen viele Steuerungsinstrumente zur Verfügung. Kreditinstitute benutzen Steuerungsinstrumente, um potenzielle Verluste zu begrenzen. In den nachfolgenden Unterkapiteln werden die vier gängigsten Steuerungsinstrumente (wie die Limitierung von Krediten oder die Quantifizierungen von Kreditrisiken im RAROCbzw. RORAC-Konzept) kurz vorgestellt. Heutzutage basieren alle Risikomanagementsysteme auf EDV-gestützte Verfahren. Risikokapitalsteuerung durch Limitierung Ein Limit beschreibt die Begrenzung einer Kreditlinie eines Kreditnehmers. Das eingeräumte Limit bestimmt eine Obergrenze für Einzelkreditnehmer bzw. für Kreditnehmer auf Portfolioebene. Limite können in Form von Value at Risk oder Worst-Case-Szenarien festgemacht werden. Das Risikocontrolling eines Kreditinstituts entscheidet in Abhängigkeit des Eigenkapitels über die Höhe der Ausgabe des Limits und an welche Unternehmensbereiche Limite ausgegeben werden. Bei Bedarf können zusätzliche Sicherheiten bestellt werden. 305 Darüber hinaus trägt der Bereich Risikocontrolling die Verantwortung der Limitüberwachung, d.h. es wird entschieden, welche Überschreitungen jener Limits geduldet werden bzw. strikt eingehalten werden müssen. Jedes Kreditinstitut verfügt über ein Limitsystem, um die entsprechenden Limite zu überwachen, jedoch sollte die Flexibilität nicht eingeschränkt werden. 306 305 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 35 306 Vgl. Horsch, A./ Schulte, M. [Risikomanagement, 2010], S. 44 f. <?page no="329"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 329 Neue Betriebswirtschaft Quantifizierung von Kreditrisiken (RAROC/ RORAC) 307 Seit Anfang der 90er Jahre beschäftigen sich Banken vermehrt mit der Entwicklung der Integration des Risikoaspekts. Dabei wurden die sogenannten risikoadjustierten Performancemaße wie RORAC (Return on Risk Adjusted Capital) und RAROC (Risk Adjusted Return on Capital) hervorgerufen. Aus Bankensicht wird das Ergebnis ins Verhältnis zum eingegangenen Risiko (sog. ökonomisches Kapital) betrachtet. 308 Das ökonomische Kapital dient zur Abdeckung des unerwarteten Verlusts. 309 Mittlerweile ist das Vorgehen bei allen Banken Routine, denn es wird eine Optimierung der Risikomessung und Risikokapitalbestimmung für eine bessere Allokation angestrebt. Die beiden Kennzahlen sind auf die Gesamtbankperspektive ausgerichtet. Hinzu wird die Risikoübernahme entsprechender Geschäftsfelder beobachtet. 310 Die risikoadjustierte Kennzahl RORAC bilden Risiken ab, welche bspw. aus Geschäften wie einer Transaktion oder aus einem Portfolio resultieren. 311 Ziel ist es, ein rentables Geschäft angemessen an der allokierten Eigenkapitalunterlegung zu erfassen. Banken verwenden diese Kennzahl zur internen Planung und Steuerung. ENE¦¢ = Q߅…«ß‰Ùßè-·‡ E·‡·³«³ë©·…ë± « 100% Das Risikokapital besteht zu gleichen Teilen aus dem ökonomischen Kapital, welches durch den Value at Risk ermittelt wird und zum anderen aus dem regulatorischen Kapital. 312 Das Nettoergebnis ergibt sich aus der Differenz zwischen Zinserlös und Zinsaufwendungen. 313 Beim RAROC soll das eingegangene Risikopotenzial durch das vorhandene Risikokapital abgedeckt werden. Zur Berechnung der Kennziffer RAROC wird das risikoadjustierte Nettoergebnis ins Verhältnis zum Risikokapital (oft dem ökonomischen Kapital) gesetzt. E¦EN¢ = ‰·‡·³«ëⵃ‡…·ß‰…߇ Q߅…«ß‰Ùßè-·‡ E·‡·³«³ë©·…ë± « 100% Das risikoadjustierte Nettoergebnis ist analog zum Nettoergebnis aus RORAC aufgebaut, nur das zusätzlich die Risikokosten abgezogen werden. Die Kennziffer ermittelt rentable Geschäftsbereiche . 314 Diversifikation im Kreditportfolio Eine Diversifikation im Kreditportfolio strebt eine Risikostreuung und Risikoverteilung an. Grundsätzlich soll der unerwartete Verlust verringert werden, um eine bessere Steuerung des ökonomischen Kapitals zu ermöglichen. 315 Um eine Risikostreuung zu begünstigen, ist eine geringe Korrelation zwischen den einzelnen Risikopositionen notwendig. Im Kreditportfolio erfolgt eine Diversifikation durch die Verteilung des ausgereichten Kreditvolumens auf viele kleinere Kredite unterschiedlicher und vor allem unabhängiger Kreditnehmer. 316 Die Diversifikation eines Kreditportfo- 307 Vgl. Strauß, M. [Wertorientiertes Risikomanagement in Banken, 2009], S. 67 ff. 308 Vgl. ebd., S. 7 309 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 44-55 310 Vgl. Rudolph, B./ Hofmann, B./ Schaber, A./ Schäfer, K. [Kreditrisikotransfer, 2012], S. 232 ff. 311 Vgl. Hanker, P. [Management von Marktpreis- und Ausfallrisiken, 1998], S. 255 f. 312 Vgl. Daheim, M.Gero/ Thiele, M. [100 Bankkennzahlen, 2011], S. 68 f. 313 Vgl. Wrede, I. [Ökonomische Auswirkungen von Schätzfehlern bei der bankinternen Bestimmung von Kreditausfallwahrscheinlichkeiten, 2010], S. 30 f. 314 Vgl. Daheim, M.Gero/ Thiele, M. [100 Bankkennzahlen, 2011], S. 69 f. 315 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 484 316 Vgl. Strauß, M. [Wertorientiertes Risikomanagement in Banken, 2009], S. 81 ff. <?page no="330"?> 330 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft lios im Rahmen der Granularität kann am Ausmaß der Ergebnisstreuung des Erwartungswerts eines Portfolioverlusts gemessen werden. Unter einem schlecht diversifizierten Kreditportfolio fällt die Ergebnisschwankung um den Erwartungswert höher aus, als ein gut diversifiziertes Kreditportfolio. Unerwartete Ergebnisschwankungen lassen sich über die Standardabweichungen darstellen: 317 B? ˆ = Q ²(ô [ ø …6º ( 9 ) ³ a « 6(ô [ ) (; ) — [û‹ ô [ ø …·-y߱߉߷Ù-·‡ 6 ( ô [ ) ( ; ) ø …·-…‰·……‡빉‡å¹ß·-±·å¹³ß·… …6 ( 9 ) ø …‰뉅߅߉ 9߉±ƒ‡… â߇ s‰ßⷅ©«‰…Ü«±·«‡ Die Standardabweichung eines Portfolios, bei der die Ausfallkorrelation null ist, kann durch die Summe der Standardabweichung einzelner Kreditengagements folgendermaßen ausgedrückt werden: B? ˆ –940_9U[9 = Q ² B? ˆ [ a — [û‹ Korrelationsanalysen zeigen, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit bei positiv korrelierten Kreditnehmern steigt. Produkte des Kreditrisikomanagements Im aktiven Risikomanagement können Kreditinstitute die Risikoüberwälzung in Form von Kreditverkäufen, Kreditsyndizierungen, Kreditverbriefungen und Kreditderivaten tätigen. 318 Der Einsatz eines Risikotransfers ermöglicht die Risikokonzentrationen gewisser Branchen zu vermeiden, eine Verbesserung der Bilanz zu erreichen und die Erschließung neuer Finanzierungs- und Ertragsquellen. Der Transfer von Kreditrisiken ist stets mit der Informationsasymmetrie verbunden. Im Folgenden werden die genannten Kreditrisikoprodukte kurz vorstellt. Kreditverkäufe Kreditverkäufe sind auch als Forderungsverkäufe bekannt. Ein Kreditinstitut verkauft seinen Kreditvertrag an Dritte weiter. Dies ermöglicht dem Kreditinstitut eine zügige und kostengünstige Sanierung der Bilanzen. Zudem hat das Kreditinstitut die Möglichkeit sich schnell zu refinanzieren. Der Bundesgerichtshof verabschiedete 2008 das Risikobegrenzungsgesetz, welches den Verkäufer auffordert dem Käufer mehr Transparenz auf Grundlage der Informationspflicht anzubieten. Im Jahr 2010 wurden neue Anmerkungen von dem Bundesgerichtshof, bezüglich der Übernahme der Rechte aus dem ursprünglichen Kreditvertrag, eingeführt. 319 Kreditsyndizierung 320 Die Syndizierung erfolgt bei Krediten mit hoher Größenordnung, da das Gesamtkreditvolumen auf andere Banken verteilt wird. Die Form des Kredits wird als Konsortialkredit (oder als syndizierter 317 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 203 ff. 318 Vgl. Brauweiler, H.-C. [Risikomanagement in Kreditinstituten, 2015], S. 9 319 Vgl. Hofmann, J./ Schmolz, S. [Controlling und Basel III in der unternehmenspraxis, 2014], S. 120 sowie Kern, M. [Kapitalmarktorientierter Kreditrisikotransfer, 2009], S. 55 320 Vgl. Everling, O./ Goedeckemeyer, K.-H. [Bankenrating, 2015], S. 76 f. <?page no="331"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 331 Neue Betriebswirtschaft Kredit) bezeichnet. Bei einer Größenordnung von Großkrediten bzw. Millionenkrediten werden häufig Konsortialkredite verwendet, da sie melderechtliche Schwellen (insbesondere §13 KWG Großkredite) überschreiten. Für ein einzelnes Kreditinstitut ist es nicht möglich sehr hohe Kreditengagements selbstständig zu tragen, da diese mit viel Eigenkapital zu unterlegen sind und ein Ausfall dieser Größenordnung zur Insolvenz der Bank führen würde. Die Aufteilung des Gesamtkreditvolumens auf unterschiedliche und nicht konzernverbundene Kreditinstitute senkt das Risiko und die Eigenkapitalunterlegung. 321 Kreditverbriefungen 322 Kreditverbriefungen basieren auf dem Prinzip, dass illiquide nicht handelbare Vermögenswerte handelbar gemacht werden. Aus dem Kreditportfolio entnimmt das Kreditinstitut Forderungen aus dem Kreditgeschäft. Diese werden aus der ursprünglichen Kreditbeziehung abgetrennt und anschließend in marktfähige Wertpapiere umgewandelt. 323 Kreditderivate Kreditderivate sind Finanzkontrakte, welche dem Vertragspartner erlauben das Kreditrisiko eines Referenzschuldners zu isolieren und ihn damit handelbar zu machen, ohne dabei die vertragliche Beziehung zu verändern. Kreditderivate dienen zur Absicherung von Kreditrisiken, indem sie potenzielle Ausfälle neutralisieren. Häufig sind es OTC Produkte. 324 LLiitteerraattuurr Backhaus, Klaus / Erichson, Bernd / Plinke, Wulff / Weiber, Rolf [Multivariate Analysemethoden, 2016]: Eine anwendungsorientierte Einführung. 14., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Berlin, Heidelberg: Springer Gabler. 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Einführung in die Thematik von Governance, Risk & Compliance Zahlreiche Unternehmenszusammenbrüche und -schieflagen haben den deutschen Gesetzgeber dazu bewogen die gesetzlichen Anforderungen an die Sorgfalts- und Aufsichtspflichten von Vorständen und Geschäftsleitung weiter zu verschärfen bzw. auszweiten. Damit Vorstand bzw. Geschäftsleitung ihren Sorgfalts- und Aufsichtspflichten sachgerecht nachkommen können, ist ein ganzheitliches Governance System im Unternehmen zu implementieren. Diese Anforderungen werden in einem „House of Governance“ in Abbildung 10-1 dargestellt (Gnändiger 2013, S. 183). Abbildung 10-1: House of Governance. Quelle Gnändiger (2013, S. 183) <?page no="340"?> 340 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Das „House of Governance“ besteht aus drei tragenden Säulen, die für eine erfolgreiche Unternehmensüberwachung erforderlich sind. Die Corporate Governance bildet den Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung des Unternehmens. Bei der Corporate Governance wird häufig in interne sowie externe Corporate Governance unterschieden. Zu der internen Corporate Governance zählen die Unternehmensführung durch den Vorstand, sowie die interne Überwachung durch den Aufsichtsrat, bzw. wenn dieser nicht vorhanden ist durch ein von den Inhabern eigerichtetes Aufsichtsgremium. Unterstützt wird der Aufsichtsrat bei seiner Überwachungsfunktion durch den Abschlussprüfer. Die externe Corporate Governance ist durch die Bereitstellung von verlässlichen Informationen durch das Unternehmen und der externen Überwachung durch die Aktionäre gekennzeichnet (Velte et al. 2013, S. 2). Damit Vorstand und Aufsichtsrat ihre Aufgaben sachgerecht erfüllen können, sind die folgenden Systeme - auch als Säulen der Corporate Governance bezeichnet - einzuführen: ! das Compliance-Managementsystem, ! das Risikomanagementsystem und ! das interne Kontrollsystem. Das Compliance-Managementsystem unterstützt die Unternehmensleitung dabei, die für das Unternehmen relevanten gesetzlichen Regelungen sowie die intern festgelegten Standards einzuhalten und Zuwiderhandlungen systematisch zu unterbinden. Dazu ist eine Compliance-Kultur zu schaffen, welche die Grundeinstellungen und Verhaltensweisen, die auch durch die Geschäftsleitung gelebt werden definiert. Im nächsten Schritt sind die Compliance-Ziele festzulegen. Hierzu orientiert sich das Unternehmen an den Geschäftsbereichen bzw. den Geschäftsprozessen, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Auf dieser Basis können die Compliance-Risiken direkt bestimmt werden - dabei ergibt sich eine Schnittstelle zum Risikomanagement, dessen Aufgabe die systematische Erfassung und Bewertung aller für das Unternehmen relevanter Risiken sowie die Erarbeitung von adäquaten Strategien zur Steuerung bzw. Vermeidung dieser Risiken ist. Nach Gnändiger (2013, S. 185) sollten bei der allgemeinen Risikoerfassung die Compliance-relevanten Risiken explizit benannt und mit den geplanten Steuerungsmaßnahmen erfasst werden. Diese Risiken finden Eingang ins Compliance-Programm bzw. -handbuch. In diesem Zusammenhang werden auch die Verantwortlichkeiten für die Erfassung und Steuerung dieser Risiken sowie deren Kommunikation festgelegt (Compliance-Berichtswesen). Um die dauerhafte und ordnungsmäßige Funktionsweise des Compliance-Management- und Risikomanagementsystems zu gewährleisten, wird auf das interne Kontrollsystem zurückgegriffen. Dieses interne Kontrollsystem ist prinzipiell in jedem Unternehmen vorhanden und unterscheidet sich nur nach seinem Formalisierungsgrad. Ein solches internes Überwachungssystem unterstützt die Unternehmensleitung bei der generellen Steuerung und Überwachung der Unternehmensaktivitäten. Das interne Überwachungssystem wird dabei in prozessintegrierte (organisatorische Sicherungsmaßnahmen und Kontrollen) und prozessunabhängige Überwachungsmaßnahmen (interne Revision) unterschieden (Gnändiger 2013, S. 186; Deloitte 2011, S. 8). Bei den prozessintegrierten Überwachungsmaßnahmen handelt es sich um permanente Aktivitäten, die in den jeweiligen Geschäftsprozessen integriert sind und von den verantwortlichen Mitarbeitern beachtet bzw. durchgeführt werden. Als organisatorische Sicherungsmaßnahme wären z. B. das IT-Berechtigungskonzept zu nennen sowie sämtliche Richtlinien und Arbeitsanweisungen. Die Kontrollen sind in den jeweiligen Arbeitsablauf bzw. Geschäftsprozess integrierte Maßnahmen, die von den verantwortlichen Mitarbeitern für diese Aktivitäten ausgeführt werden, um Fehler zu vermeiden oder Unrichtigkeiten aufzudecken. Als eine solche aufdeckende Kontrolle könnte z. B. die monatliche Abstimmung der Salden von der Debitorenbuchhaltung mit dem Hauptbuchkonto Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sein. <?page no="341"?> 10 Governance, Risk & Compliance 341 Neue Betriebswirtschaft Für die prozessunabhängige Überwachungsfunktion ist die interne Revision vorgesehen. Die interne Revision ist prozess- und funktionsunabhängig und überwacht durch fortlaufende Prüfung und Beurteilung das Interne Kontrollsystem (Gnändiger 2013, S. 186). Die interne Revision leitet ihre Feststellungen in Form eines Prüfungsberichts an die Unternehmensführung weiter. Dabei werden für festgestellte Mängel Verbesserungsmöglichkeiten sowie Lösungsvorschläge zu deren Umsetzung unterbreitet. Die Verantwortung für die Umsetzung dieser Maßnahmen zur Verbesserung des internen Kontrollsystems liegt jedoch bei der Unternehmensführung und diese Verantwortung kann nicht delegiert werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Corporate Governance lediglich den konzeptionellen Rahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens bieten kann. Für eine wirkungsvolle und sachgerechte Steuerung und Überwachung der Unternehmensaktivitäten stellt das Risikomanagementsystem die Ausgangsbasis da. Nur wenn die Unternehmensleitung von den wesentlichen Geschäftsrisiken Kenntnis hat, können sachgerechte Maßnahmen zur Risikosteuerung ergriffen werden. Das Interne Kontrollsystem und das Compliance-Managementsystem können zur Dokumentation der vorgenommen Maßnahmen der Risikosteuerung genutzt werden. Daher werden diese Komponenten in den folgenden Unterabschnitten überblicksartig vorgestellt. Am Ende des Kapitels finden Sie dann noch Literaturhinweise für eine vertiefende Auseinandersetzung mit diesen Themenkomplexen. Corporate Governance Definition von Corporate Governance In diesem Unterkapitel unternehmen wir den Versuch, den Begriff der Corporate Governance zu definieren und den Ausgangspunkt für die Corporate Governance Debatte in Deutschland zu erläutern. Wie Becker und Ulrich (2008, S. 261) feststellen, ist es der betriebswirtschaftlichen Literatur bisher nicht gelungen, eine einheitliche Definition der Corporate Governance zu entwickeln. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird in einer sehr engen Sichtweise von Corporate Governance die Sicherstellung der Rückzahlung der Kapitaleinlage an die Aktionäre einer Kapitalgesellschaft verstanden („Residualanspruch“; vgl. Shleifer und Vishny 1997, S. 737). In dieser engen Sichtweise wird also nur die Beziehung von den Eigentümern bzw. Aktionären, die als Shareholder bezeichnet werden und der Gesellschaft als solcher, vertreten durch ihre Geschäftsleitung verstanden. Weitergefasste Definitionen sprechen von einer nachhaltigen oder guten Unternehmensführung. Folgt man einer solchen weiten Definition wird deutlich, dass die Corporate Governance sich auch um die übrigen Interessenbzw. Anspruchsgruppen der Unternehmung - wie Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und andere Gläubigern (den sogenannten Stakeholdern ) - kümmert. Diese breite Definition verdeutlicht den Schwerpunkt auf folgenden Aspekten: ! Einführung einer wertorientierten Unternehmensführung, damit der Unternehmenserfolg nachhaltig gesteigert werden kann, ! Veränderung der Organisationsstrukturen um diese nachhaltige Wertsteigerung umzusetzen und ! Gestaltung von anreizkompatiblen Vergütungssystemen für angestellte Führungskräfte (Becker und Ulrich 2008, S. 261). Beiden Definitionen ist gemeinsam, dass Leitung und Kontrolle von Unternehmen, sowie die Akteure, die diese Kontrollen ausüben, im Zentrum der Betrachtung stehen (Becker et al. 2009, S. 6). Da die Principal-Agent-Theorie als Ausgangspunkt der Corporate Governance Debatte zu sehen ist, wird dieses Konzept nachfolgend kurz beschrieben Die Principal-Agent-Theorie hat ihren Ursprung in der Arbeit von Berle und Means (1932). Bei großen Kapitalgesellschaften besteht häufig eine Trennung von Eigentum und Leitung der Gesellschaft. <?page no="342"?> 342 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Berle und Means (1932) führen aus, dass mit zunehmender Unternehmensgröße die Komplexität der Kapitalgesellschaft zunimmt und daher externe Geschäftsführer - sogenannte Agents oder Manager - eingestellt werden müssen, um eine optimale Führung der Gesellschaft zu gewährleisten. Da der Eigentümer (Principal) eines Unternehmens dann nicht mehr in Geschäftsleitung und Vertretung des Unternehmens involviert ist, entsteht ein Informationsdefizit. Dieser angestellte Manager hat damit einen Informationsvorsprung gegenüber dem Eigentümer, was in der Literatur als Informationsasymmetrie bezeichnet wird. Diesen Informationsvorsprung versuchen nun die Manager zu ihrem Vorteil zu nutzen. Daher benötigen die Eigentümer ein System, welches in der Lage ist, die Informationsasymmetrien abzubauen und eine Überwachung der Manager ermöglicht, damit ihr Handeln im Sinne der Eigentümer erfolgt. Die Kontroll- und Steuerungsmechanismen der Corporate Governance können ein solches System für die Anteilseigener bereitstellen (Becker und Ulrich, 2008, S. 262). Ein wesentlicher Aspekt, der mit den Kontroll- und Steuerungsmechanismen verbunden ist, ist das Entstehen sogenannter Agenturkosten. Dabei handelt es sich zum einen um die Kontrollkosten der Principals und zum anderen um die Signalisierungskosten der Agents. Die Kontrollkosten entstehen dadurch, dass der Principal die Handlungen des Agents überwachen muss. In diesem Zusammenhang wäre zum Beispiel die Prüfung des Jahresabschlusses durch einen unabhängigen Dritten - den Wirtschaftsprüfer - zu nennen. Mit Hilfe des Jahresabschlusses gibt das angestellte Management (also die Agents) Auskunft über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens. In Abhängigkeit von der jeweiligen Unternehmensgröße ist der Jahresabschluss freiwillig oder gesetzlich vorgeschrieben von einem Wirtschaftsprüfer zu prüfen. Durch diese Beauftragung des Wirtschaftsprüfers entstehen dem Principal Kontrollkosten, die natürlich auf der anderen Seite zu einer besseren Absicherung und Disziplinierung des Agents führen. Die Signalisierungskosten des Agents entstehen zum Beispiel dadurch, dass dieser seinerseits versucht, die Informationsasymmetrie und die damit verbundenen Kontrollen durch den Principal zu reduzieren. Eine solche Reduzierung dieses Informationsvorsprungs könnte u. a. dadurch erreicht werden, dass die Informationspolitik und das Berichtswesen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage verbessert wird und die Eigentümer somit einen verbesserten Einblick in die Erfolgssituation des Unternehmens erhalten. Somit können Unternehmen mit guter Ergebnissituation aufgrund dieser verbesserten Transparenz weitere Aktionäre und Kapitalgeber gewinnen, was sich langfristig auch positiv für die Unternehmenswertentwicklung auswirken kann. Nach Jensen und Meckling (1976) sowie Fama und Jensen (1983) wird von einer positiven Principal- Agent-Theorie immer dann gesprochen, wenn die jeweiligen Agenturkosten so gering wie möglich gehalten werden. Die Etablierung eines Corporate Governance Mechanismus kann also zu einer solchen Optimierung der Agenturkosten beitragen (Becker und Ulrich 2008, S. 262). Die Principal-Agent-Theorie wurde vermehrt in jünger Zeit als nicht ausreichend zur Erklärung der Corporate Governance Theorie kritisiert (Hilb 2009 S. 5; Becker und Ulrich 2008, S. 263). Zum einen weist diese Theorie wenig Flexibilität auf und es muss mehr als kritisch gesehen werden, dass Manager sich immer opportunistisch verhalten und die Eigentümer nur an einer Steigerung des Unternehmenswertes interessiert sind. 10.2.2 Corporate Governance Systeme Im Rahmen der Corporate Governance Debatte werden zwei grundsätzliche Ansätze zur Unternehmenssteuerung und -überwachung unterschieden. Entwickelt wurden diese Ansätze jeweils für große, börsennotierte Aktiengesellschaften. Im Folgenden werden beide Ansätze mit ihrer grundlegenden Struktur vorgestellt und anschließend auf ihre Praktikabilität bzw. Einsatzfähigkeit untersucht. Nach dem Shareholder-Ansatz besteht die Hauptaufgabe der Manager (Agents) der Maximierung der Gewinne für die Eigentümer (Shareholder). <?page no="343"?> 10 Governance, Risk & Compliance 343 Neue Betriebswirtschaft Nach der Principal-Agent Theorie ist der Agent daher verpflichtet diese Gewinnmaximierung für die Eigentümer sicherzustellen. Den Ursprung hat dieses Modell im Anglo-Sächsischen Raum genommen und weist damit auch eine andere Gestaltung der Aufsichtsorgane der Gesellschaften auf. Beim Shareholder-Modell gibt es nur ein Aufsichts- und Leitungsorgan, das sogenannte Board. Dieses Board wird mit angestellten Managern besetzt (sogenannte Executives), die zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft berechtigt und verpflichtet sind. Die übrigen Board- Mitglieder, also die Nicht-Geschäftsführenden Mitglieder (sogenannte Non-Executive Directors) sind mit der Überwachung der Geschäftsleitung, also der angestellten Manager, beauftragt. Die Non-Executive Directors sollten zum Zeitpunkt der Berufung in das Board keine wirtschaftlichen oder rechtlichen Beziehungen zum Unternehmen haben, in dem sie ihre Aufsichtstätigkeit ausüben. Der Ein-Board Struktur liegt der Gedanke zugrunde, dass eine effiziente Geschäftsführung und Überwachung durch nur ein Board leichter umzusetzen ist. Insbesondere die Information und Kommunikation zwischen den Board-Mitgliedern wird erleichtert. Darüber hinaus werden sogenannte Ausschüsse (Committees) eingerichtet, um die Boards nicht mit Arbeit zu überlasten. Insbesondere werden Ausschüsse für Prüfungsangelegenheiten wie die Jahresabschlussprüfung sowie die Auswahl und Berufung von neuen Boardmitgliedern und die Festlegung der Vergütung für die Executive Directors gebildet. Diese Ausschüsse werden zur überwiegenden Zahl mit Non- Executive Directors besetzt. Die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (SE) eröffnet die Möglichkeit sich auch in Deutschland für das international verbreitete System der Führung durch ein einheitliches Leitungsorgan zu entscheiden. Die Ausgestaltung der unternehmerischen Mitbestimmung wird bei der Europäischen Gesellschaft durch eine Vereinbarung zwischen der Unternehmensleitung und der Arbeitnehmerseite festgelegt. (vgl. DCGK 2017, S. 1-2). Diese vorgestellte Struktur des Aufsichtsorgans ist für große börsennotierte Kapitalgesellschaften entwickelt worden. Kleinere mittelständische Kapitalgesellschaften sind natürlich auch dazu verpflichtet, ein solches Board einzurichten, aber hinsichtlich der Besetzung mit Blick auf Anzahl und Verhältnis von Executive Directors/ Non-Executive Directors bestehen Erleichterungen. In Klein- und Mittelständischen Unternehmen tauchen auf Grund der engen Verflechtung von Eigentümern und Geschäftsleitung in wesentlich geringerem Umfang die typischen Interessenkonflikte aus der Agent-Theorie auf. Der Principal (Eigentümer) und der Agent (Geschäftsleitung) sind bei kleinen Mittelständischen Unternehmen häufig in einer Person vereint. Bei diesen eigentümergeführten Unternehmen spielen daher die Non-Executive Directors keine so starke Rolle wie in KMU mit überwiegend angestellter Geschäftsleitung und geringer Vertretung der Eigentümer in der Geschäftsleitung. Während beim Shareholder-Ansatz das Interesse der Eigentümer und damit die Maximierung des Unternehmenswertes im Vordergrund steht, wird beim Stakeholder-Modell die Verantwortung des Unternehmens gegenüber den Interessen aller Stakeholder, also aller Anspruchsgruppen, berücksichtigt (Spielmann 2012, S. 83). Nach Freeman (1984), Evan und Freeman (1988) und Blair (1995) ist es die Hauptaufgabe, das Vermögen aller Stakeholder zu maximieren. Zu den Stakeholdern zählen neben den Eigentümern die Mitarbeiter, Arbeitnehmervertreter bzw. Gewerkschaften, Kunden, Lieferanten, der Staat sowie die lokale Gemeinschaft, in die das Unternehmen eingebunden ist. Die Stakeholder-Theorie erweitert die Agency-Theorie bzw. den Shareholder-Ansatz auf alle Anspruchsgruppen. Zentrales Thema ist nach wie vor die Informationsasymmetrie, die jetzt auf die Gruppen Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten usw. ausgeweitet wird. Das Agency-Problem wird jetzt universeller gesehen (Spielmann 2012, S. 83), ist allerdings nicht hundertprozentig mit der Stakeholder-Agent-Beziehung identisch bzw. zu vergleichen, da die Eigentümer zwar die Geschäftsleitung (Agents) ernennen, aber nicht die übrigen Stakeholder. Das Unternehmen wird somit zur Koalition von verschiedenen Interessengruppen, die unterschiedliche Zielvorstellungen haben. Die Herausforderung besteht damit im Lösen von Zielkonflikten zwischen den einzelnen Anspruchsgruppen. <?page no="344"?> 344 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Dazu wirkt das Board als Koordinator zwischen den Anspruchsgruppen und versucht, die verschiedenen Interessen mit den firmeninternen Zielen in Einklang zu bringen. Dies erfordert von den Board- Mitgliedern ein fundiertes Wissen über das Unternehmen und dessen Anspruchsgruppen sowie eine gute Beziehungs-Pflege. Daher sollen die Vertreter der wichtigsten Anspruchsgruppen einen Sitz im Board erhalten, damit sie ihre Aufgaben wirksam erfüllen können (Spielmann 2012, S. 85). Aus dieser Sichtweise hat sich das zweistufige Modell von Aufsichtsrat und Vorstand für Aktiengesellschaften in Deutschland entwickelt. Der Aufsichtsrat fungiert als Kontrollgremium und ist zur Überwachung der Geschäftsleitung (Vorstand) verpflichtet. Der Aufsichtsrat umfasst je nach Unternehmensgröße Arbeitnehmervertreter, Betriebsrat bzw. Gewerkschaftsvertreter und je nach Gesellschafterstruktur Vertreter aus diesen Reihen. Um seine Kontrollaufgaben besser ausführen zu können, kann der Aufsichtsrat Ausschüsse bilden, an die entsprechende Aufgaben zur Überwachung delegiert werden können. Solche Ausschüsse können z. B. für Abschlussprüfung, Nominierung von neuen Vorstandsmitgliedern gebildet werden. Aufgrund der Tragweite der Jahresabschlussprüfung bei börsennotierten Aktiengesellschaften sind diese sogar verpflichtet einen Prüfungsausschuss einzurichten, der sich schwerpunktmäßig mit der Jahresabschlussprüfung und der Kommunikation zwischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und dem Unternehmen auseinandersetzt. In diesem Prüfungsausschuss muss mindestens ein Mitglied mit ausreichenden Kenntnissen aus diesem Bereich vertreten sein. Der Vorstand wird durch den Aufsichtsrat gewählt und bestimmt. Die Vorstandmitglieder sind mit Arbeitsvertrag angestellt und zur Vertretung der Gesellschaft nach außen berechtigt und verpflichtet. Positiv wird an diesem zweistufigen System die klare Trennung von Geschäftsleitung und Überwachung der Gesellschaft gesehen. Kritisch wird in der Literatur der erhöhte Abstimmungsbedarf zwischen den beiden Gremien angesehen. Als weiteres kritisches Element wird die Unabhängigkeit von Mitgliedern des Aufsichtsrates gesehen. Anders als beim einstufigen Boardsystem, bei dem die Non-Executive Directors keine wirtschaftlichen bzw. rechtlichen Beziehungen zum Unternehmen unterhalten dürfen, sind diese Regelungen beim zweistufigen System nicht so streng formuliert. 10.2.3 Rechtliche Grundlagen und Empfehlungen zur Corporate Governance Einen wesentlichen Meilenstein in der deutschen Corporate Governance Debatte stellt die Entwicklung und Herausgabe des Deutschen Corporate Governance Kodex dar. Der Deutsche Corporate Governance Kodex präsentiert die wesentlichen gesetzlichen Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften und enthält darüber hinaus internationale und nationale Standards für verantwortungsvolle Unternehmensführung (DCGK 2017, S. 1; Gnändiger 2013, S. 182). Der Kodex verfolgt das Ziel, das deutsche Corporate Governance System transparent und nachvollziehbar zu machen. Weiterhin soll das Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften gestärkt werden (DCGK 2017, S. 1). Der Kodex verdeutlicht die Verpflichtungen von Aufsichtsrat und Vorstand börsennotierter Gesellschaften und wird in jährlichen Zeitabständen an aktuelle Entwicklungen angepasst. Von seiner generellen bzw. grundsätzlichen Systematik her ist der deutsche Corporate Governance Kodex nach dem Vorbild des englischen Coporate Governance Code gestaltet. Es gilt der sogenannte „comply or explain“-Ansatz. Dies bedeutet, dass die zu berichtende Gesellschaft grundsätzlich von den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex abweichen kann. Falls eine solche Abweichung vorgenommen wird, ist diese zu begründen und die abweichende Handhabung bzw. Verfahrensweise zu erläutern. Dies ermöglicht den Gesellschaften die Berücksichtigung branchen- oder unternehmensspezifischer Gegebenheiten. Somit trägt dieser Kodex gleichzeitig zur Flexibilisierung und Selbstregulierung der deutschen Unternehmensverfassung bei (DCGK, 2017, S. 2). Bei den Regelungsinhalten können drei verschiedene Stufen unterschieden werden: ! Anregungen <?page no="345"?> 10 Governance, Risk & Compliance 345 Neue Betriebswirtschaft ! Empfehlungen ! gesetzliche Vorschriften. AAn nrreegg u un ngg e en n sind Hinweise, von denen ohne weitere Erläuterung, also ohne Offenlegung im Jahresabschluss, abgewichen werden kann. Dies kommt bei den jeweiligen Stellen im Corporate Governance Kodex durch das Wort „sollte“ zum Ausdruck. Von dde enn EEmmp pffe eh hlluunngg een n des Corporate Governance Kodex können die Unternehmen abweichen. Sie sind jedoch verpflichtet, jede Abweichung offen zu legen und zu begründen, warum von dem jeweiligen Standard abgewichen wurde. Im Corporate Governance Kodex wird für diese Empfehlungen das Wort „soll“ verwendet. Zusätzlich enthält der Corporate Governance Kodex Beschreibungen und Erläuterungen von wichtigen gg eesseettzzl liicchhe en n V Voor rsscchhr riif ftteenn vor allem aus dem Aktien- und Handelsgesetzbuch, die im Rahmen der deutschen Corporate Governance zu berücksichtigen sind. Der Deutsche Corporate Governance Kodex richtet sich in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften und Gesellschaften mit Kapitalmarktzugang im Sinne des § 161 Absatz 1 Satz 2 des Aktiengesetzes. Auch nicht kapitalmarktorientierten Gesellschaften wird die Beachtung des Kodex empfohlen (DCGK 2017, S. 2). Die Beachtung des Corporate Governance Kodex wird auch anderen Unternehmen empfohlen, da die gesetzlichen Regelungen des Aktiengesetzes zur Corporate Governance wegen der Strukturähnlichkeit auch für die GmbH gelten. Nach Gnändiger (2013, S. 183) gelten diese Empfehlungen grundsätzlich auch für Personengesellschaften und Einzelunternehmen. Insbesondere sind diese Regelungen dann von Bedeutung, wenn die Zusammensetzung des Geschäftsleitungsorgans überwiegend durch angestellte Geschäftsführer bzw. Manager erfolgt. Wie empirische Studien aus Deutschland belegen, ist mit zunehmender Unternehmensgröße eine deutliche Verschiebung von der eigentümergeführten zu einer fremdgeführten Geschäftsleitung festzustellen (Spielmann 2012; Durst und Henschel 2014). Die börsennotierten Gesellschaften sind gem. § 289a HGB dazu verpflichtet, ein Corporate Governance-Statement (-erklärung) zu erstellen und dieses offen zulegen. Die Erstellung dieses Statements muss durch den Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam erfolgen, wobei sich jedes Organ nur zu den in § 289a HGB geforderten Angaben äußert, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen (Velte et al. 2013, S. 28). In der Entsprechungserklärung nach § 161 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat zu erklären, ob sie den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex folgen und die Abweichungen von diesen Empfehlungen sind zu begründen. Unter den relevanten Angaben zu den Unternehmensführungspraktiken sind Aussagen zu den umgesetzten Anregungen des Corporate Governance Kodex zu berichten sowie eine Beschreibung des internen Steuerungssystems des Unternehmens (Velte et al. 2013, S. 28) darzulegen. Darüber hinaus sollte berichtet werden, welche unternehmensindividuellen Regelungen bzw. Kodizes zur Anwendung gelangen. Hierunter sind z. B. interne Verhaltensanweisungen (Code of Conduct) zu verstehen oder Anforderungen an die Besetzung von Organmitgliedern. Hinsichtlich der Darstellung und Beschreibung der Arbeitsweise von Vorstand und Aufsichtsrat macht der Corporate Governance Kodex keine konkreten Angaben. Nach Velte et al. (2013) werden unter der Arbeitsweise die internen Abläufe im Unternehmen verstanden, die unter anderem in der Geschäftsordnung niedergelegt sind. Als Hilfestellung für die berichtrelevanten Tatbestände kann auf die Empfehlungen der EU-Kommission zurück gegriffen werden. Dabei sollte zu folgenden Punkten Stellung genommen werden: ! Interne Organisation und Arbeitsweise der Leitungs- und Aufsichtsorgane, ! Erklärung zu den einzelnen Mitgliedern der jeweiligen Leitungs- und Aufsichtsorgane, sowie zur Anzahl der Sitzungen und Haupttätigkeiten, ! Umgang mit Risiken und Interessenskonflikten sowie die Unternehmensstrategie, ! Darstellung des Idealprofils der Aufsichtsratsbesetzung und Entsprechung durch die Offenlegung der bei den einzelnen Mitgliedern vorhandenen Kompetenzen sowie die Benennung aller als unabhängig erachteten Aufsichtsratsmitglieder. <?page no="346"?> 346 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Im Zusammenhang mit der Besetzung des Aufsichtsrat von börsennotierten Kapitalgesellschaften wird durch das BilMoG gefordert, dass dem Aufsichtsrat mindestens ein unabhängiges Mitglied angehört, welches über ausreichenden Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügt. Alternativ erlaubt das BilMoG in § 324 Abs. 1 HGB und § 107 Abs. 3 (2) AktG auch die Einrichtung eines Prüfungsausschusses der sich mit den Fragen zur Rechnungslegung und Abschlussprüfung beschäftigt. Dies soll zu einer Verbesserung der Qualität der Unternehmensüberwachung beitragen. Hinsichtlich der Bekanntmachung des Corporate Governance-Statement besteht für die Unternehmen ein Ausweiswahlrecht. Das Corporate Governance-Statement kann entweder im Lagebericht mit einem gesonderten Abschnitt ausgewiesen werden oder auf der Homepage des Unternehmens veröffentlicht werden. Bei einer Bekanntgabe auf der Homepage des Unternehmens ist jedoch auf die Internetquelle im Lagebericht des Unternehmens hinzuweisen (vgl. § 289a Abs. 1 HGB). Der Deutsche Corporate Governance Kodex gliedert sich in sechs Bereiche: ! Aktionäre und Hauptversammlung ! Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat ! Vorstand ! Aufsichtsrat ! Transparenz ! Rechnungslegung und Abschlussprüfung. Laut von Werder und Bartz (2017) sind im Corporate Governance Kodex nach einer längeren Phase ohne nennenswerte materielle Neuregelungen im Jahr 2017 einige substantielle Erweiterungen erfolgt. So wurden z.B. erstmals Regelungen zur Einrichtung eines Whistleblowing-Systems für Beschäftigte und Dritte, zum Kompetenzprofil für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats, zur Benennung der unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder und zur Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden im Dialog mit den Investoren hinzugefügt. Für Mittelständische Unternehmen gibt es keinen separaten Corporate Governance Kodex. Allerdings wurde im Jahr 2004 von der INTES Akademie für Familienunternehmen und der Welt Am Sonntag der erste Governance Kodex für Familienunternehmen herausgegeben. Erklärtes Ziel dieses Kodex ist es, Familienunternehmen einen verlässlichen Rahmen für die Gestaltung und Verbesserung ihrer Governance-Strukturen zu geben (INTES, 2015, S. 2). Dieser Kodex wird ständig weiterentwickelt und verbessert. Der aktuelle Kodex kann online unter dem folgenden Web- Link www.kodex-fuer-familienunternehmen.de abgerufen werden. Von der Systematik her unterscheidet der Governance Kodex für Familienunternehmen ähnlich wie der Deutsche Corporate Governance Kodex bei seinen Verlautbarungen in Empfehlungen, die für eine gute Corporate Governance unverzichtbar sind, was mit der Formulierung „soll“ zum Ausdruck gebracht wird. Bei der Formulierung „es wird empfohlen“ handelt es sich dagegen um Empfehlungen, von denen in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden kann (INTES 2015, S. 4). Risikomanagement 10.3.1 Definition und Abgrenzung des Begriffs Risiko und Risikomanagement Der Begriff Risiko wird in der Betriebswirtschaftslehre nicht einheitlich definiert. Einigkeit besteht darin, dass Risiko als etwas Negatives angesehen wird und damit subjektiv unsichere Entwicklungen ausgedrückt werden sollen. Das Spektrum der in der Betriebswirtschaftslehre angewandten Definitionen 325 reicht dabei von Risiko als Synonym für quantifizierbare, d. h. messbare Unsicherheit 325 Für eine ausführliche Zusammenstellung und Abgrenzung der in der betriebswirtschaftlichen Literatur verwendeten Risikobegriffe vgl. die Arbeit von Kessler (2000, S. 40). <?page no="347"?> 10 Governance, Risk & Compliance 347 Neue Betriebswirtschaft (vgl. Knight 1921, S. 20) bis zu komplexen Risikomassen wie dem Maß für „spekulatives Risiko” von Leitner (vgl. Leitner 1915, S. 95). Im vorliegenden Kapitel wird Risiko als die aus einer Entscheidung resultierende Verlustgefahr verstanden. In diesem Sinne wird Risiko häufig auch als spekulatives Risiko i.e.S. bezeichnet (vgl. Abbildung 10-2). Als Verluste werden dabei Nettovermögensminderungen angesehen (vgl. Baetge und Jerschensky 1999, S. 171). Abbildung 10-2: Systematik des Risikobegriffs. Quelle: in Anlehnung an Kless (1998, S. 93) und Münzel und Jenny (2005, S. 29) Die Übernahme von Risiken in diesem (letzteren) Sinne ist ein wesensbestimmendes Merkmal jedweder unternehmerischer Tätigkeit. Ein Unternehmen muss die von ihm bereits eingegangen Risiken identifizieren, messen und steuern, wenn es seinen Bestand langfristig sichern will (vgl. Hahn 1987, S. 139). Ziel des Risikomanagements ist es daher, die bereits bestehenden und die künftig entstehenden Risiken eines Unternehmens so zu steuern und zu regeln, dass der Wert eines Unternehmens durch die Verringerung von Risiken bei weiter bestehenden Ertragschancen gesteigert wird. Außerdem ist sicherzustellen, dass die Risikoposition eines Unternehmens - d. h. die Gesamtheit der von einem Unternehmen eingegangen Risiken - dessen Risikotragfähigkeit nicht übersteigt. Die Risikotragfähigkeit ist die Fähigkeit des Unternehmens, Verluste aus eingetretenen Gefahren tragen zu können, ohne insolvent zu werden. Risikomanagement ist somit eine wichtige Facette einer wertorientierten Unternehmensführung (vgl. Baetge und Jerschensky 1999, S. 172; Dickinson 2001, S. 360). 10.3.2 Organisation des Risikomanagements Bevor wir uns dem Prozess des Risikomanagement und damit auch der operativen Ebene zuwenden, sollen zunächst die Fragen der organisatorischen Eingliederung des Risikomanagement näher betrachtet werden. Der Erfolg des Risikomanagement-Systems hängt wesentlich davon ab, ob geeignete Voraussetzungen in der Aufbau- und Ablauforganisation des Unternehmens geschaffen werden. Ehrmann (2012, S. 162 ff) definiert dafür folgende Fragestellungen: ! Einflussfaktoren wie Unternehmensgröße, -art, Rechtsform, Struktur, Intentionen des Managements; ! Start top down, d. h. der Anstoß zum Aufbau und zur Durchführung des Risikomanagements muss stets von der Unternehmensführung ausgehen; ! organisatorische Einordnung, d. h. Aufbau- und Ablauforganisation sowie Fragen zur Zentralisation bzw. Dezentralisation; spekulatives Risiko Risiko i. e. S. „Gefahr" Risiko i. w. S. „Chance" Risiko echtes/ versicherbares Risiko (Gefahr/ Bedrohung) <?page no="348"?> 348 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft ! Zuordnung der Aufgaben auf die Aufgabenträger; ! Nutzung vorhandener Instrumente, wie z. B. der Unternehmensplanung oder Balanced Scorecard für das Risikomanagement. Aus diesen Fragestellungen werden wir nun die organisatorische Einordnung näher betrachten. Auf die Zuordnung der Aufgabenverantwortung wird anschließend eingegangen. Bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hat Fayol in seinen allgemeinen Organisationsprinzipien beschrieben, dass die Zentralisierung natürlicher Bestandteil jeder Organisation ist, das optimale Ausmaß jedoch für jedes Unternehmen individuell gefunden werden muss (vgl. Fayol 1929, S. 19 ff). Im Zuge der Zentralisation werden gleichartige Aufgaben zentral zusammengefasst. Dieses Vorgehen bringt sowohl Vorals auch Nachteile mit sich (vgl. Ehrmann 2012, S. 166): Vorteile Nachteile Konsequente Durchsetzung des Leitungswillens Konzentration des Einflusses Straffung der Aufgabenerfüllung Verhinderung von Kompetenzstreitigkeiten Vermeidung von Doppelbzw. Mehrarbeit Räumliche Konzentration Behinderung der Initiativfreudigkeit der Mitarbeiter Überlastung der Zentralinstanzen Brachliegen von Spezialwissen Verlängerung des Weges von der Entscheidung zur Ausführung Gefahr der verspäteten Reaktion auf Veränderungen Bei einer Dezentralisation werden hingegen gleichartige Aufgaben dezentral, d. h. in verschiedenen Abteilungen, auf verschiedenen Stellen, oder an unterschiedlichen Standorten ausgeführt. Daraus resultieren die folgenden Vor- und Nachteile (vgl. Ehrmann 2012, S. 166): Vorteile Nachteile Wissen und Kenntnisse der Mitarbeiter werden besser genutzt Förderung der Selbstständigkeit und damit der Motivation der Mitarbeiter Erleichterung der Anpassung an Umweltveränderungen Entlastung der Zentraleinheiten Gefahr von Doppelbzw. Mehrarbeit und damit Unwirtschaftlichkeit Bereichsegoismus mangelnder Überblick in den dezentralen Einheiten Verlängerung des Weges von der Entscheidung zur Ausführung Gefahr von Informationslücken bei den Zentraleinheiten Wie Sie erkennen können, heben sich die Vor- und Nachteile teilweise gegeneinander auf. Wie soll nun das Risikomanagement am besten organisiert werden? Ehrmann (2012, S. 166) verweist auf empirische Studien in europäischen Ländern, nach denen wichtige Risikomanagement-Funktionen mehrheitlich dezentral ausgeübt werden. Diese Tatsache scheint auf der Logik zu beruhen, dass Risiken auf Entscheidungsebene entstehen und damit jeder Mitarbeiter, der mit Entscheidungen betraut ist, im Grunde auch Risikomanager sein muss, da <?page no="349"?> 10 Governance, Risk & Compliance 349 Neue Betriebswirtschaft er seinen Arbeitsbereich am besten kennt, somit Risiken schnell erkennen und einschätzen und Lösungen einleiten kann (vgl. Ehrmann 2012, S. 167). Natürlich treffen die vorstehend aufgezählten Nachteile einer dezentralen Organisation auch auf das Risikomanagement zu. So kann es vorkommen, dass ein Mitarbeiter ein Risiko aus seinem Entscheidungsbereich nicht erkennt, da er die Gesamtzusammenhänge nicht kennt oder nicht erkennt. Daher ist es wichtig, bei der Entscheidung über Zentralisation vs. Dezentralisation die Vor- und Nachteile unternehmensindividuell gegeneinander abzuwägen. Ev. stellen Lösungsansätze wie die abgemilderte Form der Zentralisierung (vgl. Ehrmann, 2012, S. 168) einen interessanten Kompromiss dar. An dieser Stelle möchten wir noch auf einige praktische Implikationen hinweisen. Häufig werden gerade kleinere und mittlere Unternehmen das Risikomanagement als Stabsstelle der Unternehmensführung einrichten. Bei dieser Entscheidung sollten sich die Unternehmen nicht nur an den Vorteilen wie Unabhängigkeit, Expertenwissen und Entlastung der Führungsinstanz orientieren, sondern sich auch der negativen Aspekte von Stabsstellen (keine Weisungsbefugnisse, häufig Konflikte zwischen Stab und Linie, Gefahr der Schattenhierarchie) bewusst sein. Mitunter wird die Auffassung vertreten, dass die interne Revision Aufgaben des Risikomanagement übernehmen sollte. Dies ist jedoch als kontraproduktiv anzusehen, da die originäre Aufgabe der internen Revision in der Kontrolle der Eignung und des fehlerfreien Funktionieren der Systeme (also hier dem Risikomanagementsystem) liegt. Wie bereits angesprochen, stellt die Zuordnung von Aufgaben und Verantwortungen einen wesentlichen Aspekt der organisatorischen Handhabung des Risikomanagements im Unternehmen dar. Da Risiken und Chancen in nahezu allen Unternehmensbereichen bei nahezu allen Mitarbeitern eine Rolle spielen, muss die Unternehmensführung überlegen, wie all diese Mitarbeiter strukturiert und effizient am Prozess des Risikomanagement teilnehmen können. Ehrmann (2012, S. 170) schlägt dazu ein schrittweises Vorgehen vor, bei dem zuerst Risikofelder mit den jeweiligen Aufgabenträgern identifiziert werden. Im zweiten Schritt werden dann die Einzelaufgaben detailliert aufgeführt. Abbildung 10-3 veranschaulicht dieses Vorgehen. GF = Geschäftsführung, B = Bereichsleitung, C = Controlling Abbildung 10-3: Aufgabenzuordnung in den Risikofeldern. Quelle: in Anlehnung an Ehrmann 2012, S. 171 Aus Abbildung 10-3 wird zum einen ersichtlich, dass sich die Verantwortung der Unternehmensleitung in vielen Risikofeldern über die Aufgaben Identifikation, Evaluation und Steuerung erstreckt. Damit wird nochmals verdeutlicht, dass das Risikomanagement stets einen wesentlichen Aspekt der Unternehmensführung darstellt. Darüber hinaus wird ersichtlich, dass das Controlling häufig unterstützende Funktionen im Risikomanagement übernimmt. Da das Controlling selbst ein recht junger Funktionsbereich in den Unternehmen ist, bestehen auch heute noch Auffassungsunterschiede zur Gestaltung und Position. Auch bei der organisatorischen Einordnung des Control- Schritt 1 Identifikation der Risikofelder Identifikation GF, B, C GF, B, C GF, B, C, M GF, B, C, M GF, B, C, M B, C, M Evaluation GF, B, C GF, B, C GF, B, C, M GF, B, C, M Aufgabenzuordnung Schritt 2 Steuerung GF, B GF, B GF, B GF, B GF, B B, M Strateg. Risiken Marktrisiken Finanzrisiken Personalrisiken Vertragsrisiken sonstige Risiken <?page no="350"?> 350 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft lings müssen sich die Unternehmen ähnliche Gedanken wie im Risikomanagement zu Zentralisation vs. Dezentralisation machen. Größtenteils besteht Konsens, dass das Controlling geradezu prädestiniert ist, die speziellen Aufgaben eines Teilbereichs des Risikomanagement, nämlich des Risikocontrollings, zu übernehmen. Zu den Aufgaben des Risikocontrollings zählt zum einen die koordinierte Überwachung sämtlicher Unternehmensrisiken. Darüber hinaus sollen die Auswirkungen aktuell existierender und möglicher zukünftiger Risiken in das im Unternehmen bestehende Planungs- und Kontrollsystem integriert werden (Ehrmann, 2012, S. 176). Dies wird ebenfalls aus Abbildung 10-3 ersichtlich. Das Controlling kann bei Identifikation und Evaluation unterstützen, jedoch nur indirekt bei der Risikobewältigung. Unabhängig von der gewählten organisatorischen Eingliederung, sind im Rahmen des Risikomanagement eine Vielzahl von Einzelaufgaben zu bewältigen, die in die Komplexe ! konstitutive Aufgaben (dienen der Systembildung und -erhaltung) ! strategische Aufgaben (Umgang mit strategischen Risiken) ! operative Aufgaben (primärer Fokus sind die Risiken aus dem operativen Geschäft) gegliedert werden können. Aufgabe der Unternehmensführung ist es, gemäß Abbildung 10-3 die geeigneten Aufgabenträger zu identifizieren. Im Rahmen der Organisation des Risikomanagements ist weiterhin von der Unternehmensleitung die grundsätzliche Strategie zur Risikobewältigung festzulegen. Die operativen Bereiche müssen Mitarbeiter bestimmen, die für die Risikoerfassung und -bewertung sowie die Steuerung der Risiken verantwortlich sind. Nach Oehler und Unser (2001) stehen als Maßnahmen zur Steuerung und Regelung des Risikos in einem Unternehmen die folgenden vier Strategien zur Verfügung: [1] Risikovermeidung [2] Risikoverminderung [3] Risikoüberwälzung [4] Risikotragung oder -übernahme Ehrmann (2012) schlägt mit der Risikodiversifikation eine weitere Strategie vor, die von anderen Autoren unter der Kategorie Risikotragung subsumiert wird. Von den ersten vier Strategien können nach Smallman (1996, S. 14) je zwei zu einer ursachenbezogenen Risikopolitik (1 und 2), die an den Risiken selbst ansetzt (proaktives Risikomanagement), und einer wirkungsbezogenen Risikopolitik (3 und 4), die die Auswirkungen von eingetretenen Risiken begrenzt (reaktives Risikomanagement), zusammengefasst werden. Auch die Diversifikationsstrategie kann - aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit der Risikotragung-Strategie - zum reaktiven Risikomanagement gezählt werden. In den meisten Unternehmen mit proaktivem Risikomanagement werden alle genannten Instrumente mit unterschiedlicher Gewichtung eingesetzt. Wie ein solcher Risikostrategie-Mix aussieht, hängt von der Risikopräferenz des Unternehmens bzw. seiner Leitung und Art der Geschäftstätigkeit ab (vgl. Baetge und Jerschensky 1999, S. 173). Nachfolgend ein kurzer Überblick über die Ziele der einzelnen Strategien: Risikovermeidung bedeutet in der Regel, eine unternehmerische Chance nicht wahrzunehmen. Somit verzichtet das Unternehmen gänzlich auf risikobehaftete Geschäfte. Auf diese Weise kann das Risiko überhaupt nicht entstehen. Die Risikovermeidung sollte allerdings nur auf einzelne Risiken angewendet werden, da bei der Risikovermeidung zwar kein Risiko entsteht aber auch gleichzeitig, zumindest für systematische Risiken, auch auf mögliche Gewinnchancen verzichtet wird und das Sicherheitsziel vor andere Ziele des Unternehmens (Gewinnziele) tritt. Diese radikale Risikobe- <?page no="351"?> 10 Governance, Risk & Compliance 351 Neue Betriebswirtschaft seitigung ist also nur dann empfehlenswert, wenn eine effektive Risikoverminderung nicht möglich ist und ein folgender Schaden die Existenz des Unternehmens beträchtlich in Mitleidenschaft ziehen würde. Beispiel Die Funbike GmbH ist ein mittelständisches Unternehmen, welches Fahrräder produziert. Das Unternehmen hat die Produktion von Fahrrädern mit Elektro-Hilfsmotoren neu in sein Produktprogramm aufgenommen. Leider ist die Gewinnmarge aufgrund der hohen Materialkosten und Lohnkosten für die Montage der Bauteile des Elektromotors recht gering. Ein neuer Lieferant macht ein hervorragendes Preisangebot für die Komplettkomponente Elektromotor. Da die Geschäftsführung den Lieferanten nicht kennt und Qualitätsmängel und/ oder Lieferschwierigkeiten befürchtet, entscheidet sie sich gegen den Wechsel. Durch diese Vermeidung wird die Chance auf eine interessante Kosteneinsparung ausgeschlossen, dies kann einen erheblichen Wettbewerbsnachteil mit sich bringen. Daher sollte die Vermeidungsstrategie nur bei Entscheidungen mit Existenzgefährdung gewählt werden. Bei der Verminderung von Risiken werden die Entscheidungen, die die Risiken ausgelöst haben, nicht rückgängig gemacht, sondern es werden die Risiken selbst reduziert. Diese Verminderung kann an der Beeinflussung von Schadenshöhe bzw. Eintrittswahrscheinlichkeit des Einzelrisikos ansetzen. Hierbei soll durch die Steuerungsmaßnahme die Wahrscheinlichkeit und oder die Höhe des Vermögensverlusts verringert werden. Eine Risikoverminderung umfasst somit Maßnahmen, die zur Senkung des Schadenerwartungswertes beitragen. Hierbei werden ursachenbzw. wirkungsorientierte Maßnahmen ergriffen. Dazu gehören z. B. eine bessere Aus- und Weiterbildung des Personals, verstärkte Motivation der Mitarbeiter, Erweiterung der Sicherheitsvorkehrungen und schließlich auch Kontrollen. Weiterhin zählt zu diesen Maßnahmen auch die Vorgabe von Risikolimits, die im Rahmen der jeweiligen Tätigkeit eingegangen werden dürfen (Weber et al., 1999, S. 1715). Unter Risikoüberwälzung versteht man die Möglichkeit, Risiken gegen Entgelt auf Dritte zu übertragen. Dies geschieht häufig in Form einer Versicherung. Die Möglichkeit, Risiken zu versichern, ist die bekannteste Art der Überwälzung von Risiken und wurde lange Zeit als einziges Instrument des Risikomanagement gesehen (vgl. Hahn, 1987, S. 138; Dickinson, 2001, S. 361). Risiken, die insgesamt in Relation zu Art und Umfang der Geschäftstätigkeit als auch der Risikotragfähigkeit des Unternehmens als hoch eingestuft werden und bei denen eine Verminderung nur begrenzt möglich ist, können entweder vermieden oder übertragen werden. Das Risiko kann bei der Risikoüberwälzung mittels vertraglicher Festlegungen oder durch Versicherungen auf andere Wirtschaftssubjekte übertragen werden. Es erfolgt eine sofortige Transformation der Unsicherheitssituation. Einschränkungen sind bei dem Mittel der Versicherung zu nennen, da diese häufig mit hohen Kosten verbunden ist. Eine Versicherung ist allerdings nur für bestimmte Risiken möglich. Viele andere Risiken können dagegen nicht versichert werden. Diese nicht versicherbaren Risiken können aber durch spezielle Vertragskonstellationen auf den Vertragspartner überwälzt werden (Lück 1998b, S. 1929). Diese Sichtweise ist für Risiken, die nicht unmittelbar aus der Geschäftstätigkeit resultieren (wie das Feuerrisiko) und einige ausgewählte geschäftstypische Risiken (wie die Versicherung von Warenforderungen) angemessen. Risikoübernahme bedeutet Risiken selbst zu tragen, allerdings nicht im passiven Sinn. Die Strategie umfasst die aktive Vorsorge für den Fall, dass die Risiken tatsächlich eintreten. Diese Vorsorge geschieht durch die Bereitstellung von Deckungskapital (Rücklagen und Reserven). Für jede Risikokategorie wird eine individuelle Maßnahme festgelegt und in Form von Wertberichtigungen, Rückstellungen usw. ein entsprechender Betrag dafür vorgesehen. Bei Risiken deren Schadensausmaß sowie deren Eintrittswahrscheinlichkeit als gering einzustufen sind, kann diese Strategie sinnvoll sein. Auch mittlere Risiken, bei denen die Kosten möglicher Steuerungsmaßnahmen zu hoch sind <?page no="352"?> 352 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft sollten ebenfalls akzeptiert werden. Oftmals werden Risiken auch bewusst in Kauf genommen, wenn sich daraus auch neue Chancen für das Unternehmen ergeben können. Weiterhin muss beachtet werden, dass gerade Risiken, die als Ergebnis der Risikosteuerung akzeptiert werden, im Weiteren einer kontinuierlichen Beobachtung unterzogen werden müssen. Somit können mögliche Änderungen rechtzeitig berücksichtigt werden. Bei der Risikodiversifikation werden mehrere, voneinander unabhängige Einzelrisiken systematisch in der Form kombiniert, dass im Ergebnis das Gesamtrisiko vermindert wird. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Festlegung, dass nur eine bestimmte Anzahl an Führungskräften eines Unternehmens gemeinsam eine Flugreise antreten dürfen. Im Falle eines Unglücks wird damit vermieden, dass das Unternehmen ohne Management zurückbleibt. 10.3.3 Prozess des Risikomanagements Um den wesentlichen Zielen des Risikomanagements, nämlich der frühzeitigen Erkennung bestandsgefährdender operativer und strategischer Risiken aus sowohl dem internen wie auch dem externen Unternehmensumfeld sowie der rechtzeitigen Einleitung geeigneter Präventionsmaßnahmen gerecht zu werden, ist es erforderlich ein ganzheitliches Risikomanagementsystem im Unternehmen zu implementieren. Dabei orientieren sich die Unternehmen an einem definierten Risikomanagement-Prozess, den wir im vorliegenden Unterkapitel kurz vorstellen werden. Abbildung 10-4: Regelkreislauf des Risikomanagement-Prozesses. Quelle: in Anlehnung an Ehrmann 2012, S. 36 Wir haben bereits erfahren, dass für das Erkennen, Bewerten und Berichten von Risiken in den operativen Bereichen die jeweils verantwortlichen Mitarbeiter einzubinden sind. Eine Koordination muss an zentraler Stelle stattfinden. Außerdem wissen Sie bereits, dass das Risikomanagement in den gesamten Management-Prozess einzubetten ist, der Risikomanagement-Prozess läuft somit nicht isoliert ab. Abbildung 10-4 bietet eine mögliche Darstellung des Ablaufs des Risikomanagement-Prozesses. In der Literatur besteht weitgehend Einigkeit hinsichtlich der Ablaufphasen, die Zuordnung dieser Phasen in ein Ablaufschema sowie die in den Phasen angesiedelten Aufgaben werden jedoch unterschiedlich diskutiert. Im ersten Schritt werden durch eine Art Inventur Risiken identifiziert und hinsichtlich ihrer Bedeutung evaluiert. Dabei werden insbesondere die Eintrittswahrscheinlichkeit und die potenzielle Scha- 4. Risikoüberwachung laufende Kontrolle - Frühwarnung 2. Planung der Strategie - Risikovermeidung - Risikoverminderung - Risikoüberwälzung - Risikodiversifikation - Risikoübernahme 1. Risikoanalyse - Risikoidentifikation - Risikobewertung - Risikoaggregation Risikomanagement System 3. Risikobewältigung - Auswahl der Instrumente - Organisation <?page no="353"?> 10 Governance, Risk & Compliance 353 Neue Betriebswirtschaft denshöhe bewertet. Mittels der Aggregation werden einzelne Risiken zum einem Gesamtrisiko zusammengefasst. Im nächsten Schritt werden die Maßnahmen zur Risikobewältigung festgelegt. Dazu sind grundsätzlich fünf Strategien möglich: Risikovermeidung, Risikoverminderung, Risikoüberwälzung, Risikodiversifikation und Risikotragung. Diese Strategien wurden bereits im Unterkapitel Organisation des Risikomanagements ausführlich angesprochen. Im dritten Schritt werden anhand der gewählten Strategie die Risiken gesteuert. Dabei ist neben der Auswahl geeigneter Instrumente auch die organisatorische Komponente von Bedeutung. Aus der Risikoüberwachung werden im vierten Schritt Informationen gewonnen, die der Unternehmensführung rechtzeitig und umfassend zur Verfügung zu stellen sind. Dafür ist ein geeignetes Risikoberichtswesen einzurichten. Aus der laufenden Risikokontrolle sowie aus Frühwarnimpulsen wird eine neue Risikoanalyse generiert und der Prozess startet wieder bei Schritt 1. Sie sehen also, dass es sich beim Risikomanagement-Prozess um ein fortlaufendes Vorgehen handelt. Bevor das Unternehmen den Risikomanagement-Prozess konzipiert und implementiert, müssen vorbereitende Maßnahmen ergriffen werden. Dazu zählen lt. Ehrmann (2012, S. 71): ! die Information der Mitarbeiter ! die Überprüfung des Informationsstandes ! die Einordnung der Risikoziele in das Zielsystem ! die Abstimmung mit anderen Managementsystemen sowie ! die Regelung organisatorischer Fragen. Wie bereits erläutert, sind eine Vielzahl von Mitarbeitern in das Risikomanagement einzubeziehen, da viele Risiken direkt im operativen Geschäft ersichtlich werden. Um den Mitarbeitern ihre Rolle im Risikomanagement-Prozess und die Erwartungen der Unternehmensleitung zu verdeutlichen, sind die Mitarbeiter vor der Implementierung entsprechend zu unterrichten. Insbesondere soll vermieden werden, dass die Mitarbeiter möglichst viele Risiken „jagen und sammeln“ (Gleißner 2011) und diese unstrukturiert und ohne Beachtung der Chancen weitergeben (Ehrmann 2012, S. 71). Beispiel: Für unser Beispielunternehmen, die Top-Serv GmbH, hat der Geschäftsführer Herr Clever eine e-mail sowie einen Aushang für das schwarze Brett vorbereitet. Darin werden das Vorhaben erläutert, der Zeitplan dargestellt und bereichsspezifische Workshops zur weiteren Diskussion angekündigt. Das Unternehmen muss sich zunächst fragen, wie gut der momentane Informationsstand ist. Ehrmann (2012, S. 72) empfiehlt hierzu die Verwendung von Checklisten, mittels derer beantwortet werden kann: ! welche Informationen regelmäßig (in welchen Intervallen) oder sporadisch erhoben werden; ! ob diese Informationen vollständig, und genau sind und ihren Zweck erfüllen; ! ob überflüssige und/ oder zu teure Informationen erhoben werden. Zur Beantwortung der letzten Frage ist es erforderlich, den Informationsbedarf zu ermitteln. Ehrmann (2012, S. 72) verweist dazu auf zwei mögliche Verfahren: Beim datenorientierten Ansatz werden bereits im Unternehmen vorhandene Daten, wie z. B. Organisations- und Produktionspläne analysiert und durch Beobachten von Arbeitsabläufen, schriftlichen Befragungen und Interviews ergänzt. Im letzten Schritt werden die Analysen durch empirisch-statistische Methoden wie Hoch- oder Rückrechnungen und Extrapolationen ergänzt. Beim entscheidungsorientierten Ansatz werden die Entscheidungsträger aufgefordert, für Teilaufgaben erforderliche Informationen zuzuordnen. Falls sich bei der Analyse des Informationsbe- <?page no="354"?> 354 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft darfs herausstellt, dass das Unternehmen zusätzliche Informationen benötigt, müssen neue Informationsquellen erschlossen werden. Bei internen Informationsquellen ist die liefernde Stelle innerhalb des Unternehmens angesiedelt, bei externen Informationsquellen außerhalb des Unternehmens und damit nur mittelbar beeinflussbar. Als nächstes erfolgt die Einordnung der Risikoziele in das Zielsystem des Unternehmens. Getreu dem Start Top Down-Ansatz sollen Risiken auch in der obersten Zielebene adressiert werden. Hier wird es sich regelmäßig um Risikogrundsätze handeln. Weiterhin werden Risiken in den verschiedenen Unternehmenszielen oftmals indirekt adressiert, da diese Ziele die Sicherung des Unternehmensfortbestands zum Inhalt haben. Abbildung 10-5 verdeutlicht dies an einem Beispiel. Abbildung 10-5: Zielsystem der Top-Serv-GmbH. Quelle: in Anlehnung an Ehrmann (2012, S. 76) Das oberste Unternehmensziel, einen ROI von 12 % erzielen zu wollen, definiert das Sicherheitsniveau. Das Marketingziel konkretisiert das oberste Unternehmensziel, die Produkt-, Personal- und Kommunikationsziele stellen die Bausteine zum Erreichen des Marketingziels und damit des ROI-Ziels dar. Somit haben all diese Ziele die Risikobewältigung zum indirekten Zielinhalt. Daneben werden die Risikoziele als direkte Risikobewältigungsziele in das Zielsystem aufgenommen. Häufig existieren in Unternehmen zur Erfassung der Geschäftsprozesse mehrere Systeme nebeneinander, ein ganzheitliches Managementsystem ist in nur wenigen Unternehmen anzutreffen. Daher ist es bei der Einführung eines Risikomanagementsystems sehr wichtig, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der vorhandenen Systeme festzustellen und Schnittstellen sinnvoll zu setzen. Auf diese Art können Mehrarbeit, Kompetenzprobleme und Mehrkosten vermieden werden. 10.3.4 Standards zum Risikomanagement Der ISO-Standard 31000 Risk Management wurde im Jahr 2009 verabschiedet. Im Gegensatz zu anderen ISO Standards (wie z. B. ISO 9001) besteht für den ISO 31000 keine Zertifizierungspflicht. Die ISO 31000 ist inzwischen in ca. 60 Ländern weltweit als nationale Norm, bisher nicht aber vom Risikoziele Y Störungsvermeidung in der Produktion Y Vermeidung von Vakanzen Marketingziel Umsatzsteigerung um 20 % Kommunikationsziele Y Bildung einer Marke Y Know-How- Transfer Personalziele Y Mitarbeiterbindung Y Einstellung qualifizierter Projektleiter Produktziele Y Qualitätssicherung Y Verbesserung des Service Unternehmensziel Return on Investment 12 % <?page no="355"?> 10 Governance, Risk & Compliance 355 Neue Betriebswirtschaft DIN in Deutschland übernommen worden. Gründe dafür sind u.a. die Definition des Begriffs Risiko und die Sorge vor einem Zertifizierungsdruck. Diese ISO Normen werden alle 5 Jahre einer Revision unterworfen, um sie an die neuen Gegebenheiten anzupassen bzw. zu aktualisieren. Die ISO 31000 Norm befindet sich derzeit in der Revision; mit der Veröffentlichung der Aktualisierung wird in 2018 gerechnet. Der Standard zielt darauf ab, organisatorische und prozessuale Aspekte des Risikomanagements zu verbinden. Dabei ist es ein Hauptanliegen des ISO 31000, das Risikomanagement stärker mit den vorhandenen Unternehmenssteuerungs- und Managementsystemen zu verbinden. Nur so kann ein ganzheitliches Risikomanagement im Unternehmen implementiert werden. Um den Standard nicht zu überfrachten und besser lesbar zu halten, enthält der ISO-Standard 31000 keine Definitionen zum Risikomanagement. Damit aber sichergestellt ist, dass die wesentlichen Begriffe klar definiert und abgegrenzt sind und damit ein einheitliches Begriffsverständnis zum Thema Risikomanagement vorliegt, wird auf den ISO Guide 73 Risk Management - Vocabulary verwiesen. In diesem Guide sind alle zentralen Definitionen und Begriffe zum Thema Risiko und Risikomanagement auf rund 15 Seiten erklärt. Vom grundsätzlichen Aufbau her, werden in dem ISO Guide 73 Risk Management zunächst die grundlegenden Begriffe von Risiko und Unsicherheit sowie das Risikomanagement definiert. Die weiteren Definitionen sind in Form des klassischen Risikomanagementprozesses organisiert. Der ISO Standard 31000 gliedert sich in sechs Kapitel. Die Kapitel 4 bis 6 widmen sich den Themen Principles (Grundsätze des Risikomanagements), Organizational Framework (Organisatorischer Rahmen) und Risk Management Process (Risikomanagement-Prozess) und stellen damit das eigentliche Herzstück des Standards dar. Abbildung 10-6 veranschaulicht die Verbindung dieser Kapitel als Komponenten des Risikomanagements. In Kapitel 4 (Grundsätze zum Risikomanagement) wird ausgeführt, dass das Risikomanagement eine Führungsaufgabe darstellt und die Geschäftsleitung für die Implementierung und Weiterentwicklung des Risikomanagements verantwortlich ist. Weiterhin wird aus den in der Abbildung 10-6 unter den Buchstaben a) bis k) aufgezählten Grundsätzen deutlich, dass das Risikomanagement kein starres Konzept sein kann, sondern dynamisch an die sich verändernden internen (Unternehmensstruktur) und externen (Umfeld-) Bedingungen angepasst werden muss. Das Kapitel 5 liefert ein Rahmenkonzept für die Risikomanagement-Organisation. Die Organisation des Risikomanagements folgt dem sogenannten „Top-down“-Ansatz. Die Geschäftsleitung gibt die zentralen Risikomanagementgrundsätze vor und ist verantwortlich für die Einrichtung und Pflege des Risikomanagementsystems. Es findet eine laufende Überwachung der Wirksamkeit des Risikomanagements statt. Dies kann dann gegebenenfalls zu Veränderungen im Risikomanagementsystem führen. Abschließend beschäftigt sich Kapitel 6 mit dem laufenden Risikomanagement-Prozess. Aus Lesbarkeitsgründen wird im Folgenden die Abbildung zum Risikomanagement-Prozess aus der Abbildung 10-6 herausgelöst und in Abbildung 10-7 dargestellt. <?page no="356"?> 356 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Abbildung 10-6: Kernkomponenten der ISO 31000, Quelle: Henschel (2010, S. 260) Abbildung 10-7: ISO 31000: Risikomanagement-Prozess. Quelle: Henschel (2010, S. 261) <?page no="357"?> 10 Governance, Risk & Compliance 357 Neue Betriebswirtschaft Im sechsten Kapitel wird ebenfalls noch einmal hervorgehoben, dass ein wirkungsvoller Risikomanagement-Prozess unternehmensweit umgesetzt werden muss. Dies bedeutet, dass sich der Risikomanagement-Prozess auf alle Leistungsprozesse im Unternehmen erstrecken sollte. Die Mitarbeiter in den einzelnen Leistungsprozessen sind für die Überwachung der Risiken zuständig. Diese Risikoinformationen werden dann in das Berichtswesen für die Geschäftsleitung integriert. Somit ist sichergestellt, dass ein kontinuierlicher Informationsfluss über die wesentlichen Unternehmensrisiken gewährleistet ist. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Vorhandensein eines international gültigen Standards zu einer weiteren Vereinheitlichung des Risikomanagements führen wird. Um die Anwendung des ISO Standard 31000 weiter zu unterstützen und praktische Hilfestellung zu geben, wurde in 2013 der Standard ISO 31004 Risk Management - Guidance for the implementation of ISO 31000 herausgeben. Mit Hilfe dieses neuen Standards sollen zwei Ziele verfolgt werden. Zum einen wird den Anwendern ein Werkzeug an die Hand gegeben, mit dem sie ihr bisheriges Risikomanagementsystem evaluieren können, um zu sehen ob ihr Risikomanagement den Anforderungen des ISO Standard 31000 entspricht oder in welchen Bereichen noch Anpassungsbedarf besteht. Zum anderen bietet der neue Standard ISO 31004 weitere Erläuterungen zu den einzelnen Komponenten bzw. Fragestellungen des ISO Standard 31000. Um ein leichteres Auffinden dieser Sachverhalte bzw. Themenkomplexe zu ermöglichen sind die jeweiligen Themenblöcke (Abbildung 10-7) in separate Anhänge gegliedert. So verfügt der ISO 31004 über 12 detaillierte Anhänge die zu den jeweiligen Themenkomplexen detaillierte Ausführungen und Beispiele geben. Weiter gefördert wird dieser Prozess durch die Veröffentlichung des ISO/ IEC 31010 - Risk management - Risk assessment techniques. Er unterstützt damit den ISO 31000 durch Anleitungen zur Auswahl und Anwendung von geeigneten Methoden zur systematischen Risikobewertung. Dieser mehr als 90 Seiten umfassende Standard bietet eine umfassende aber dennoch kompakte Darstellung von über 30 verschiedenen Methoden zur Risikoerfassung und -bewertung an. Dabei werden qualitative und quantitative Methoden zur Risikobewertung vorgestellt. Jede Methode wird nach dem gleichen Schema abgehandelt und kann daher als eine Art Kurzreferenz genutzt werden, wenn sich der Anwender schnell über eine Methode informieren bzw. einen Überblick verschaffen möchte. Nach einem kurzen Überblick zur jeweiligen Methode, werden die benötigten Ressourcen sowie der formale Prozess zum Einsatz der Methode vorgestellt. Abschließend erfolgt eine Diskussion der Stärken und Schwächen der jeweiligen Technik. Für die Einrichtung eines Risikomanagementsystems im Unternehmen kann auch auf die Prüfungsstandards des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) in Deutschland zurückgegriffen werden. Diese Prüfungsstandards sind zwar mit Schwerpunkt auf die Arbeit der Wirtschaftsprüfer bei der Überprüfung derartiger Systeme ausgerichtet, bieten aber auch gute Unterstützung bei der Implementierung und Verbesserung von Risikomanagementsystemen in Unternehmen an. Insbesondere der in 2017 verabschiedete IDW PS 981 - Risikomanagementsysteme zur freiwilligen Prüfung 326 beschreibt die Grundelemente eines Risikomanagementsystems, die Prüfungsanforderungen bei der Auftragsannahme, der Prüfungsplanung und -durchführung, sowie der Dokumentation und Berichterstattung eines Prüfers. Compliance Management 10.4.1 Definition und Begriffsverständnis von Compliance Bisher konnte sich ähnlich wie bei Risikomanagement und Governance keine einheitliche Definition für die Thematik „Compliance“ durchsetzen. Gemäß Wulf und Schäfer (2010) beschreibt Compliance die Gesamtheit der Systeme und Prozesse zur Sicherstellung der Einhaltung von Gesetzen 326 Vgl. IDW PS 340 zur Pflichtprüfung des Risikomanagementsystems bei börsennotierten Aktiengesellschaften <?page no="358"?> 358 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft und Rechtsverordnungen sowie der internen Standards bzw. Richtlinien des Unternehmens. Im Deutschen Corporate Governance Kodex (2017, S. 6) wird unter Randziffer 4.1.3. dagegen folgende Definition aufgeführt: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance). Er soll für angemessene, an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtete Maßnahmen (Compliance Management System) sorgen und deren Grundzüge offenlegen. Beschäftigten soll auf geeignete Weise die Möglichkeit eingeräumt werden, geschützt Hinweise auf Rechtsverstöße im Unternehmen zu geben; auch Dritten soll diese Möglichkeit eingeräumt werden“ Unter Randziffer 5.2 wird die Empfehlung gegeben, dass der Aufsichtsratsvorsitzende regelmäßigen Kontakt zum Vorstand hält und sich über Fragen der Compliance austauscht. Im Governance Kodex für Familienunternehmen (INTES, 2015, S. 22) findet sich unter Randziffer 4.1.2 eine sehr ähnliche Definition. Damit wird die Wichtigkeit der Compliance auch für nicht börsennotierte Unternehmen verdeutlicht: „Die Unternehmensführung soll für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien (Compliance) sowie für ein angemessenes Chancen- und Risikomanagement im Unternehmen in Übereinstimmung mit den Werten und Zielen der Inhaber sorgen.“ Unter Compliance Management wird somit die Gesamtheit aller Maßnahmen zur Sicherstellung des re ch tmä ßi ge n Ve rhal t e ns e ine s U nte rn ehm ens , se iner O rg an e so wie der M itar bei ter im Hin bl ic k auf die gesetzlichen und unternehmenseigenen Gebote und Verbote verstanden (Passarge 2011, S. 7). Auf der persönlichen Seite der Geschäftsleitung führt die Nichteinhaltung der entsprechenden Gesetze bzw. Regelungen (sog. „Non-Compliance“) zu zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen für die handelnden Personen (Hillmer 2011, S. 44; Scherer 2012, S. 204). Die Haftung beschränkt sich aber nicht nur auf Geschäftsleitung bzw. Vorstand, auch die Aufsichtsorgane bzw. Beiräte haben ihren Sorgfalts- und Überwachungspflichten nachzukommen, da sie ansonsten eine Pflichtverletzung begehen. Nach Hillmer (2011, S. 44) betrifft dies auch die handelnden Mitarbeiter eines Unternehmens. Das zentrale Element jeglicher Haftung ist also in der Pflichtverletzung (durch Tun oder Unterlassen) der jeweiligen Person zu sehen (Scherer 2012, S. 204). Scherer (2012) und Hennrichs (2006) machen darauf aufmerksam, dass mit der Einführung des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG, 2005) die Geschäftsführer hinsichtlich der eingehaltenen Sorgfaltspflichten eine verstärkte Rechtfertigungspflicht trifft. Zu diesen Sorgfaltspflichten zählt unter anderem, dass der Geschäftsführer bzw. Vorstand über aktuelles betriebswirtschaftliches Wissen verfügt und in der Lage ist, geeignete Systeme und Methoden zur Unternehmenssteuerung anzuwenden. Im Aktiengesetz wurde diese Sorgfaltspflicht - auch als sogenannte „Business Judgement Rule“ bezeichnet - in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ausdrücklich verankert. Dies bedeutet eine stärkere Reichweite bezüglich möglicher Pflichtverletzungen im Rahmen der Geschäftsführertätigkeit. Diese setzt unter anderem voraus, dass der Geschäftsführer sein betriebswirtschaftliches Wissen auf dem aktuellen Stand hält und anerkannte Werkzeuge und Methoden aus Recht, Technik und Wirtschaft einsetzt, um seinen Managementaufgaben gerecht zu werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Geschäftsführer allumfassende Fähigkeiten und Kenntnisse haben muss, er muss vielmehr sicherstellen, dass diese Aufgaben durch geeignete Maßnahmen, z. B. rechtssichere Delegation an Mitarbeiter oder Berater, umgesetzt sind (Scherer 2012, S. 206). In § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG wird diese Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters wie folgt festgelegt: <?page no="359"?> 10 Governance, Risk & Compliance 359 Neue Betriebswirtschaft „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“ Wie aus der Vorschrift des § 93 AktG deutlich wird, trifft den Geschäftsleiter die Beweislast, dass er auf der Basis angemessener Informationen seine Entscheidungen getroffen hat. Dies setzt implizit voraus, dass der Geschäftsleiter über einschlägiges betriebswirtschaftliches, technisches sowie rechtliches Methodenwissen verfügt, da ansonsten eine angemessene Informationsbasis wohl kaum vorliegen bzw. beurteilt werden kann (Scherer 2012, S. 205). Diese Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters wird für die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) in analoger Weise in § 43 GmbHG festgelegt und ist damit auch für Mittelständische Unternehmen, die häufig in der Rechtsform einer GmbH geführt werden, gültig. Darüber hinaus gelten Sorgfaltspflichten sinngemäß auch für Einzelunternehmer und Personengesellschaften. So wird etwa in § 347 Abs. 1 HGB ausdrücklich auf die kaufmännischen Sorgfaltspflichten des Geschäftsführenden hingewiesen. Damit wird die Pflicht zur Sorgfalt zu einem zentralen Thema für alle KMU. Neben der persönlichen Haftung des Geschäftsleiters kann das Fehlen eines Compliance Management weitere signifikante Auswirkungen haben. Verstößt ein Unternehmen z. B. gegen geltende Umwelt- und Sicherheitsauflagen, führt dies mit Sicherheit zumindest zu einem Imageschaden, welcher bei einem stark regional verwurzeltem Unternehmen zu einem existenzbedrohenden Risiko werden kann. In besonders schweren Fällen kann auch die Betriebserlaubnis entzogen werden, was zur Einstellung des Geschäftsbetriebs und damit z. B. zum Verlust der Einkunftsquelle des Unternehmers führt (Passarge 2011, S. 7). Das Vorhandensein eines Compliance Management ist auch zunehmend als strategischer Wettbewerbsvorteil z. B. für die Gewinnung und Bindung qualifizierter Mitarbeiter zu betrachten. Nach Passarge (2011, S. 9) kann ein systematisches Compliance Management dazu beitragen, die Unternehmenskultur zu verbessern und zu einer Reduzierung der Fluktuation beitragen. Im Überblick lassen sich die Ziele von effektiver Compliance wie in Abbildung 10-8 gezeigt zusammenfassen. Abbildung 10-8: Ziele effektiver Compliance Compliance Prävention S Kenntnis/ Anwendung von Gesetzen und Richtlinien S Vermeidung von Haftungsrisiken S Schutz vor wirtschaftlichem Schaden Information S Mitarbeiterschulungen S Übernahme von Verantwortung für individuelles Handeln S Transparenz Detektion S Monitoring von Schwachstellen S Prozessdokumentation, Reporting S Ahndung von Verstößen Reputation S Wahrnehmung durch Mitarbeiter, Kunden und weitere Anspruchsgruppen S Vertrauen in die Integrität des Unternehmens S Vermeidung von Reputationsrisiken <?page no="360"?> 360 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Um die Entwicklung und Einführung von Compliance Management-Systemen weiter voranzutreiben bzw. einheitliche Mindeststandards bei der Implementierung derartiger Systeme zu bieten, hat die ISO Organisation einen neuen ISO-Standard „Compliance Management Systems“ (ISO/ DIS 19600) entwickelt. Analog zum Risikomanagement-Standard 31000 ist der Standard zum Compliance Management ebenfalls nicht einer Zertifizierungsbzw. Prüfungspflicht unterworfen, sondern vielmehr als Leitfaden für Unternehmen jeder Größenordnung bei der Implementierung von Compliance-Systemen konzipiert. Weitere Einzelheiten finden Sie in Abschnitt 10.4.3 dieses Kapitels. 10.4.2 Die Compliance Pyramide Nach Behringer (2011, S. 39) kann der Umfang und die Ausgestaltung von Compliance in Unternehmen im Rahmen einer dreistufigen Pyramide dargestellt werden. Abbildung 10-9: Die Compliance Pyramide. Quelle: Behringer 2011, S. 41 Auf der untersten Stufe besteht die Compliance lediglich aus der Einhaltung von gesetzlichen Regelungen, die für die jeweilige Unternehmung relevant sind. Diese Compliance-Anforderungen sind zwingend zu erfüllen, da - wie im vorherigen Abschnitt bereits ausgeführt wurde -, die Non- Compliance im schlimmsten Fall zur Entziehung der Betriebserlaubnis und damit zur Schließung des Unternehmens führen kann. Darüber hinaus ist diese Non-Compliance auch mit der persönlichen Haftung der Geschäftsleitung bzw. den leitenden Mitarbeitern verbunden. Der ersten Stufe der Compliance Pyramide kommt daher eine wesentliche Bedeutung im Rahmen der Einrichtung eines Compliance Management-Systems im Unternehmen zu. Damit die Compliance unternehmensweit umgesetzt werden kann und von allen Mitarbeitern als nachhaltiges Instrument zur Unternehmenssteuerung und -überwachung erkannt wird, muss ein entsprechendes Problembewusstsein durch die Geschäftsleitung erzeugt werden. Dies wird in der Literatur häufig mit dem englischen Schlagwort „tone at the top“ bezeichnet (Scherer 2012) und bedeutet, dass die Geschäftsleitung die gewünschten Werte und Ideale vorleben muss und auch für sich selbst die jeweiligen Gesetze und Regelungen beachtet. Die zahlreichen Unternehmensskandale in den USA und Europa wurden vielfach vom obersten Management bzw. der Geschäftsleitung verursacht, was natürlich wenig für die Umsetzung eines funktionierenden Compliance Management im Unternehmen spricht. Daher ist es zwingend erforderlich, dass sich die Unternehmung entsprechende Leitlinien für gute Unternehmensführung vor- Soziale Verantwortung Best Practice Gesetzliche und andere verpflichtende Regeln <?page no="361"?> 10 Governance, Risk & Compliance 361 Neue Betriebswirtschaft gibt. Hierzu bieten die bereits im Unterabschnitt 1.2.3 zur Corporate Governance vorgestellten Verhaltenskodizes eine geeignete Ausgangsbasis. Darüber hinaus muss natürlich sichergestellt werden, dass die Unternehmensleitung Maßnahmen ergriffen hat, um jegliche Missbrauchstatbestände zu vermeiden. Ein wirksames Mittel zur Prävention ist hier die Einrichtung eines Internen Kontrollsystems (vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 10.1 dieses Kapitels). Auf der zweiten Stufe der Compliance Pyramide sind die sogenannten Best Practice-Lösungen angesiedelt. Das Unternehmen erkennt, dass neben der Einhaltung der gesetzlichen Regelungen die freiwillige Befolgung von Branchenstandards, den „Best Practices“, sich als wertsteigernd für das Unternehmen auswirken kann. Die Idee dieser Best Practice-Lösungen basiert auf der Methode des Benchmarking. Dabei vergleicht sich das Unternehmen mit dem Branchenführer mit dem Ziel, durch eine Adaption der Erkenntnisse im eigenen Unternehmen genauso erfolgreich zu werden (Behringer 2011, S. 44). Diese Best Practice Regelungen bzw. Praktiken haben keinen rechtsverbindlichen Charakter, sie stellen vielmehr Selbstverpflichtungen des Unternehmens dar. Häufig fließen jedoch derartige Verhaltensanweisungen bzw. Leitlinien in sogenannte Branchenkodizies ein, die eine Verhaltenserwartung an das Unternehmen darstellen, aber nicht einklagbar sind (Behringer 2011, S. 44). Die Einhaltung dieser freiwilligen Branchenkodizes gewinnt auch im Rahmen der Kaufmännischen Sorgfaltspflicht und der sogenannten „Business Jugdement Rule“ (vgl. Abschnitt 10.1 dieses Kapitels) an Bedeutung. Dabei hat der Unternehmer im Falle eines Schadensersatzanspruchs durch Dritte nachzuweisen, dass er bei Ausführung seiner Geschäftsführertätigkeit die entsprechende Sorgfalt hat walten lassen und sich bei der Geschäftsausübung der betriebswirtschaftlichen bzw. technischen Methoden bedient, die gegenwärtig als geeignet - z. B. durch einen Branchenstandard empfohlen - angesehen werden. Damit kann er den Entlastungsbeweis erbringen, dass er die nötigen Sorgfaltspflichten im Rahmen des § 93 Abs. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG eingehalten hat. Neben den Branchenstandards können aber auch die Nutzung von bestimmten Praktiken bzw. Übungen sowie die Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Entwicklungen Eingang in die Best Practice-Lösungen finden. Wie Behringer (2011) feststellt, können dabei freiwillige Standards zu quasi verpflichtenden Standards werden, wenn z. B. große Konzerne zu den Kunden des Mittelständischen Unternehmens zählen und die weitere Auftragsvergabe von der Beachtung bzw. Einhaltung dieser Standards abhängig machen. Die dritte Stufe der Compliance Pyramide manifestiert sich in der freiwilligen sozialen Verantwortung des Unternehmens. Damit werden ökologische und soziale Belange in das unternehmerische Handeln integriert (Behringer 2011, S. 40). Hier spielen besonders die Erwartungen der verschieden Anspruchsgruppen des Unternehmens(Stakeholder) eine bedeutende Rolle. Damit wird der Corporate Social Responsibility ein hoher Stellenwert einräumt. Das Handeln auf dieser dritten Stufe unterliegt nach Behringer (2011, S. 40) jedoch auch einem betriebswirtschaftlichen Kalkül. Hierbei muss das Unternehmen abwägen, wie stark es bereit ist, in diese freiwillige Compliance zu investieren und welcher Nutzen davon erwartet wird. Diese Investitionen zur freiwilligen Compliance können durchaus Vorteile am Markt bringen. So wird z. B. die Personalbeschaffung unterstützt, da die potenziellen Bewerber das Unternehmen positiv wahrnehmen und den Beitrag zum Engagement in der Region honorieren. Unternehmen verfolgen diese Interessen mit der Konzentration auf die Entwicklung eines Employer Branding, welches dazu dient, das Unternehmen als Arbeitgeber erster Wahl am Markt zu etablieren und somit ein positives Arbeitgeberimage zu kommunizieren. 10.4.3 Standards zum Compliance Management Bisher fokussierten Compliance-Standards insbesondere internationale Empfehlungen und Richtlinien, auf einzelne Teilbereiche wie z. B. den Umgang mit Amtsträgern im Ausländischen Geschäftsverkehr bzw. Korruption oder der Vermeidung von nicht gesetztreuem Verhalten. Hierzu <?page no="362"?> 362 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft wurden von der OECD bzw. der Internationalen Handelskammer (ICC) Compliance Leitfaden bzw. Richtlinien herausgeben. Aufgrund der Ausrichtung dieser Regelungen bieten die Inhalte keine Unterstützung bei der Implementierung und der Überprüfung von Compliance Systemen. Der neue ISO Standard (ISO 19600 Compliance-Management-System) hat sich daher zum Ziel gesetzt, den Unternehmen eine Unterstützung bei der Einrichtung eines Compliance Management (sogenannte Frühphase) und dem späteren Betrieb dieses Systems (sogenannte Spätphase) zu bieten. Mit ca. 50 Paragraphen bzw. Klauseln, die auf insgesamt 33 Seiten abgehandelt werden, handelt es sich ähnlich dem ISO 31000 um einen relativ überschaubaren und flexiblen Leitfaden zur Umsetzung von Compliance Systemen in Unternehmen jedweder Größenordnung. Da sich der Standard grundsätzlich als Leitfaden zur Einrichtung bzw. Umsetzung von Compliance Management Systemen versteht, ist eine Prüfung bzw. Zertifizierungpflicht nicht vorgesehen. Die Unternehmen können den ISO 19600 als Rahmenkonzept und Vorgehensmodell zur Implementierung eines umfassenden Compliance Management für ihr Unternehmen nutzen. Wie Makowicz und Wüstemann (2015, S. 1196) bemerken, bietet der ISO 19600 Standard systematische und klare Handlungsempfehlungen, die mit zahlreichen Beispielen untermauert sind und damit die praktische Umsetzung eines Compliance Management Systems für die Unternehmen erleichtern. Abbildung 10-10: Komponenten des ISO 19600. Quelle eigene Darstellung in Anlehnung an Bleker, S./ Hortensius, D. 2014, S. 9 Von seiner Struktur her ist der ISO 19600 analog den bisherigen Managementstandards wie z. B. den ISO 14001 Umweltmanagementsystemen oder den Qualitätsmanagementstandards der ISO 9001-Familie aufgebaut. Dies bietet den Vorteil, dass die Compliance-relevanten Fragestellungen unmittelbar in die im Unternehmen bereits vorhandenen Managementsysteme integriert werden 4.1 Identifikation interner und externer Faktoren 4.2 Identifikation der Anforderungen der Stakeholder 4.3/ 4.4 Bestimmung des Projektumfangs & Aufbau des CMS Grundsätze guter Unternehmensführun g 5.2 Implementierung von Compliance- Regeln 4.5/ 4.6 Identifikation der Compliance Verpflichtungen & Evaluation der Compliance Risiken 5. Führungsunabhängig e Compliance- Funktion 5.3 Verantwortung auf allen Hierarchiestufen 7. Unterstützungs- 10. Management von Non-Compliance und KVP 6.1 Adressierung von Compliance Risiken und Planung der Zielerreichung 9. Evaluation von Performance und Compliance Reporting 8.1/ 8.2 Operative Planung und Steuerung von Compliance Risiken Optimierung Implementierung Pflege Entwicklung Evaluation Implementierung . Grundsätze guter Unternehmensführun g <?page no="363"?> 10 Governance, Risk & Compliance 363 Neue Betriebswirtschaft können und damit die Compliance Aspekte quasi als eine Erweiterung der bisherigen Managementsysteme aufgenommen werden. Die wesentlichen Elemente und ihre Verbindung im Compliance Management Standard ISO 19600 können aus der vorangegangenen Abbildung 10-10 entnommen werden. Der obere Teil der Abbildung 10-10 stellt die Einrichtung eines Compliance Managements dar. Dieser Bereich wird häufig als Frühphase bezeichnet, in der die Ziele und der Anwendungsbereich eines Compliance Management Systems im Unternehmen festgelegt werden müssen. Hierzu bietet es sich an, mit Hilfe einer SWOT Analyse die externen und internen Compliance-Felder zu identifizieren. In diesem Zusammenhang sollten auch die Erwartungen der relevanten Stakeholder- Gruppen in Betracht gezogen werden. Darauf aufbauend kann nachfolgend die Compliance Politik des Unternehmens definiert und geeignete Compliance Programme für den jeweiligen Unternehmensbereich erarbeitet werden. In der zweiten Phase, der sogenannten Spätphase (im unteren Teil der Abbildung 10-10 dargestellt), werden die Compliance Risiken und Compliance-Verpflichtungen unter Zuhilfenahme eines risikobasierten Ansatzes identifiziert, bewertet und gesteuert. Dazu wird auf den standardisierten Risikosteuerungsprozess aus dem ISO Standard 31000 zum Risikomanagement zurückgegriffen (siehe Abschnitt 10.3.4 dieses Kapitels Standards zum Risikomanagement). Am Ende dieses risikoorientierten Prozesses erfolgen die Berichterstattung und Dokumentation zu den Compliance Risiken und dem Compliance Management System. Die in der ISO 19600 empfohlene umfassende Dokumentation wird von zunehmender Wichtigkeit für Unternehmen und Geschäftsleitung. Im Fall einer aufgedeckten Unregelmäßigkeit wird es dem Unternehmen mit einer sachgerechten Dokumentation eher gelingen, einen Entlastungsbeweis zu erbringen. Zudem plant der deutsche Gesetzgeber eine sanktionsmildernde Berücksichtigung von Compliance-Bemühungen bei der Festlegung eines Strafmaßes. Konkret wurde dies schon im Rahmen der GWB-Novelle (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) zur Bußgeldbemessung berücksichtigt (Makowicz und Wüstemann, 2015, S. 1198). In einem weiteren Schritt wird das Management von Non-Compliance und die ständige Verbesserung der Entwicklung und Pflege des Compliance Managements in den Fokus gestellt (siehe Punkt 10 in Abbildung 10-10). Für die Organisation und Umsetzung eines Compliance Management im Unternehmen bietet auch der Prüfungsstandard der Wirtschaftsprüfer (im Folgenden kurz IDW) PS 980 zur Prüfung von Compliance Management Systemen eine gute Orientierungshilfe beim Aufbau eines ganzheitlichen Compliance Managements. Der Prüfungsstandard IDW PS 980 ist wie folgt gegliedert: ! 1. Vorbemerkungen (Anwendbarkeit), ! 2. Begriffsbestimmungen, ! 3. Gegenstand, Ziel und Umfang der Prüfung, ! 4. Grundelemente eines Compliance Management System, ! 5. Prüfungsanforderungen, ! 6. Anwendungshinweise und Erläuterungen. In den Abschnitten 1 bis 5 werden die eigentlichen Fragen zur Prüfung von Compliance Management Systemen kompakt auf 15 Seiten abgehandelt. Damit handelt es sich bei dem neuen Standard um einen relativ kurzen und übersichtlichen Prüfungsstandard (Balk et al. 2010, S. 243). Im sechsten Abschnitt werden für das Verständnis tiefer gehende Anwendungshinweise sowie Erläuterungen gegeben, die äußert hilfreich für die Implementierung bzw. Prüfung solcher Systeme sind. Darüber hinaus werden in den zwei Anlagen Rahmenkonzepte für die Ausgestaltung von Compliance Management Systemen geben. Außerdem finden sich in den Anlagen auch Hinweise zur Berichterstattung. Nach Balk et al. (2010) sind für Unternehmen, die sich mit der Einrichtung eines <?page no="364"?> 364 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Compliance Management System beschäftigen, die Abschnitte Begriffsbestimmungen (2), Gegenstand der Prüfung (3), sowie die Grundelemente (4) von besonderer Relevanz. Desweiteren können auch die Anwendungshinweise und Erläuterungen ganz hilfreich sein. Der Rest des Prüfungsstandards beschäftigt sich mit der Art und Weise wie ein Prüfer seine Prüfungshandlungen zu planen und durchzuführen hat sowie der Berichterstattung über die Ergebnisse der Prüfung. Die beiden Standards ISO 19600 und IDW PS 980 stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich sinnvoll. Der ISO 19600 kann insbesondere als eine konzeptionelle Konkretisierung der im IDW PS 980 vorgestellten Grundelemente eines Compliance Management Systems bewertet werden (Withus und Kunz 2015, S. 689). Alle wesentlichen Elemente bzw. Komponenten eines Compliance Management Systems werden sowohl im IDW PS 980 als auch im ISO 19600 angesprochen und sind weitestgehend identisch. Der ISO 19600 enthält allerdings keine Aussagen zur Prüfung bzw. Zertifizierung des eingerichteten Compliance Management Systems durch unabhängige Dritte, wie etwa den Wirtschaftsprüfer. Hier muss im konkreten Fall auf den IDW PS 980 zurückgegriffen werden. Hingegen bietet der neue ISO 19600 für Unternehmen mit umfangreichen Auslandsaktivitäten, wie z. B. mit vielen Tochtergesellschaften im Ausland, eine Hilfe zur Standardisierung und damit Einführung einer unternehmensweit einheitlichen Compliance Struktur (Withus und Kunz, 2015, S. 689). Governance, Risk & Compliance Quick -Check Die von Miles und Snow (2003) entwickelte Typologie zur Beurteilung des Organisationsverhaltens von Unternehmen stellt eine gute Ausgangsbasis für die Weiterentwicklung zu einem umfassenden Bewertungsinstrument für Unternehmen da. Nach der Erweiterung bzw. Anpassung dieser Typologie um die Bereiche Corporate Governance, Risikomanagement und Compliance ergibt sich ein umfassendes Bewertungsschema welches detaillierte Aussagen zur Unternehmensteuerung und Unternehmenskontrolle erlaubt. Mit diesem Tool können Unternehmer zielgerichtet ihre vorhandenen Systeme zur Unternehmensteuerung und Unternehmenskontrolle weiter ausbauen. Der Ansatz von Miles und Snow dient als Rahmen für die durch die Autoren vorgenommene ganzheitliche Bewertung von Risikomanagement- und Compliance-Aktivitäten. Dazu entwickelten die Autoren drei Typen von Risikomanagement- und Compliance-Verhalten. Die Typenzuordnung der empirisch ermittelten Ausprägungen der Studienteilnehmer wurde nicht auf dem mathematischen Weg ermittelt, sondern erfolgte auf Basis teilstrukturierter Interviews. Um die Charakterisierungen vorzunehmen, wurde untersucht, welche Determinanten in bestimmten Mustern bzw. Häufungen auftreten. Hierzu verwenden wir folgende drei Typenbezeichnungen zur Klassifikation der Leistungsfähigkeit von Unternehmen: ! Reactor ! Defender ! Analyser. Nach dieser Klassifikation verfügen Unternehmen der Kategorie „Reactor“ über keine realisierbare Strategie; ihre weitere Entwicklung, ggf. sogar ihr Überleben ist als kritisch anzusehen. Am anderen Skalenende befindet sich der „Analyser“. Unternehmen dieser Kategorie sind am besten für die dynamischen Entwicklungen ihres Geschäftsumfeldes gerüstet. Bei dem Kategorietyp „Defender“ handelt es sich um ein Unternehmen, welches sich in einer Marktnische gut etabliert hat und wenn keine starken Veränderungen im externen Umfeld entstehen, kann dieser Unternehmenstyp ohne größere organisatorische Veränderungen überleben. Der Quick Check erlaubt durch die Selbst-Evaluation in den Themenfeldern ! Strategie und Struktur ! Governance und Compliance ! Unternehmensplanung <?page no="365"?> 10 Governance, Risk & Compliance 365 Neue Betriebswirtschaft ! Performance-Messung ! Risikomanagement-Prozess ! Risikomanagement-Organisation ! Projektrisikomanagement eine individuelle und zielgerichtete Analyse der Stärken und Schwächen des Unternehmens. Für jeden Quick Check-Teilnehmer erfolgt eine klare Zuordnung zu einem der Unternehmenstypen. Auf dieser Basis können im nächsten Schritt zielgerichtete Verbesserungsvorschläge zur Umsetzung eines ganzheitlichen Risiko- und Compliance Management angeboten werden. Die Fundierung dieser Typologie ist durch mehre eigene empirische Untersuchungen an deutschen Kleinen und Mittelständischen Unternehmen belegt bzw. getestet. Welcher Unternehmer-Typ sind Sie? Sicher haben Sie durch die Lektüre der vorhergehenden Absc hnitt e bereit s ein „Bau ch ge fühl" entw ic ke lt, in we lc he Ka te go rie Sie sic h bzw . Ih r Un te rn eh m en einordnen würden. Um die Einordnung weitestgehend objektiv und anhand eigener Erfahrungen vorzunehmen, können Sie einen Online-Test zur Selbst-Evaluation verwenden. Dieser ist unter folgender Webadresse abrufbar und kann direkt online bearbeitet werden: www.wee-consult.de Nach der Beantwortung der Fragen erhalten Sie eine Zuordnung zu einem der drei Unternehmenstypen und auf Wunsch weitere zielgerichtete Anregungen zur Verbesserung Ihrer Unternehmensführung. Übungsaufgaben/ Fragen zu Governance, Risk & Compliance Corporate Governance [1] Bitte skizzieren Sie kurz Ihr Verständnis von Corporate Governance im Kontext einer sachgerechten Unternehmensführung. [2] Was ist als Kerninhalt bzw. als Grundgedanke der Principal-Agent-Theorie zu verstehen? [3] Wodurch unterscheiden sich die beiden Ansätze zur Corporate Governance, also der Shareholderbzw. Stakeholder-Ansatz, grundsätzlich? [4] Welche gesetzlichen Regelungen bzw. Richtlinien sind im Rahmen der Corporate Governance für ein Unternehmen zu beachten? Risikomanagement [1] In Ihrem Unternehmen wird in letzter Zeit häufig über „Risiko als Chance“ gesprochen. Wie ordnen Sie diese Aussage betriebswirtschaftlich ein? [2] Einer der Ausgangspunkte für das Risikomanagement sind die Unternehmensziele. Welche Aufgaben könnten sich daraus für das Risikomanagement ergeben? [3] Ihr Geschäftsführer hat sich in letzter Zeit mit der Frage beschäftigt, wie ein ganzheitliches Risikomanagement im Unternehmen eingeführt werden kann. Er überlegt nun, einen Werkstudenten mit der Entwicklung eines Konzeptes zu beauftragen. Was halten Sie von dieser Idee? [4] Warum entscheiden sich Ihrer Meinung nach viele europäische Unternehmen für die dezentrale Organisation ihres Risikomanagements? <?page no="366"?> 366 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft [5] Ein Unternehmen sieht sich in den letzten Jahren verstärkt mit der Problematik sinkender Bewerberzahlen und schlechterer Qualität der eingehenden Bewerbungen konfrontiert. a) Benennen Sie mögliche Risiken. b) Welche(s) Risikofeld(er) sehen Sie hier angesprochen? c) Wie sollten die Aufgaben für das identifizierte Risiko verteilt werden? [6] Warum sollte ein Unternehmen stets eine Kombination aus mehreren Risikostrategien anwenden? [7] Warum kann das Risikomanagement-System kein starres Konzept sein? Compliance Management [1] Was sind die Ziele einer effektiven Compliance? [2] Was ist unter einem Compliance-Management-System zu verstehen? [3] Warum verlangen Unternehmen nach einem flexiblen Compliance-Management-System? [4] Welche Standards bzw. Normen können für die Einrichtung eines Compliance- Management-Systems herangezogen werden? LLiitteerraattu urreem mppffeehhllu unnggeenn Wenn Sie sich mit dem Themenkomplex Governance, Risk & Compliance tiefer beschäftigen wollen, empfehlen wir die folgenden Literaturquellen als Einstieg. Behringer, S. (2012) Compliance kompakt. Best Practice im Compliance Management, Berlin. Ehrmann, H. (2012) Risikomanagement im Unternehmen, Herne. Gleißner, W. (2017) Grundlagen des Risikomanagements im Unternehmen, München. Henschel, T. und Heinze, I. (2016) Governance, Risk & Compliance im Mittelstand. Praxisleitfaden für gute Unternehmensführung, Berlin. Henschel, T. (2010) Erfolgreiches Risikomanagement im Mittelstand. Strategien zur Unternehmenssicherung, Berlin. Runzheimer, B. und Wolf, K. (2009) Risikomanagement und KonTraG, Konzeption und Implementierung, Wiesbaden. Ulrich, P. (2018) Corporate Governance. Leitfaden für wertschöpfungsorientierte Unternehmensführung, Wiesbaden. Vanini, U. (2012) Risikomanagement, Stuttgart. Velte, P., Weber, S. und Stieglbauer, M. (2013) Reform der europäischen Corporate Governance, Herne. Welge, M. und Eulerich, M. (2014) Corporate Governance-Management, Theorie und Praxis der guten Unternehmensführung, Wiesbaden <?page no="367"?> 10 Governance, Risk & Compliance 367 Neue Betriebswirtschaft L Liitte erraattuurr Baetge, J. und Jerschensky, A. (1999) Frühwarnsysteme als Instrumente eines effizienten Risikomanagement und -Controlling. Controlling, 11 (4/ 5): S. 171-176. Balk, C., Schulte, F. und Westphal, F. (2010) Wann ist eine Compliance-Prüfung nach dem neuen Standard IDW EPS 980 zweckmäßig? Zeitschrift für Corporate Governance (5): S. 242-248. Becker, W. und Ulrich, P. (2008) Corporate Governance in mittelständischen Unternehmen. Zeitschrift für Corporate Governance (6): s. 261-267. Becker, W. und Ulrich, P. (2009) Mittelstand, KMU und Familienunternehmen in der Betriebswirtschaftslehre. 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Doch Teile des Gedankenguts werden heutzutage auch in anderen Organisationen, wie staatlichen Behörden, Stiftungen oder Krankenhäusern zur Anwendung gebracht, wobei dann aber häufig andere Zielsysteme und Performancekriterien eingesetzt werden, um der jeweiligen institutionellen Logik besser gerecht zu werden. Doch die Fragen, die es zu beantworten gilt, sind weitgehend ähnlicher Natur: Wovon hängt es ab, ob bestimmte Organisationen erfolgreich sind oder untergehen? Wie unterscheiden sie sich von ihren Konkurrenten und welche Konsequenzen haben diese Unterschiede? Warum sind einige Organisationen besser in der Lage mit Veränderungen umzugehen und sich rascher anzupassen als andere? Betrachtet man die Anzahl der Wissenschaftler, die sich heute weltweit damit befassen, und die Menge der dazu verfassten Publikationen, ist es eine Erfolgsgeschichte. Stellt man die Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse in der Unternehmenspraxis dagegen, so ist die Bewertung nicht ganz so euphorisch. Zwar beschäftigen sich Unternehmen heutzutage viel mehr mit dem Thema Strategie als vor 50 Jahren, doch inwieweit kommen dabei wissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse und Methoden zum Einsatz? Die Antwort darauf fällt teilweise ernüchternd aus. Und dies, obwohl die Kernfrage, mit der sich das SM beschäftigt, für den Erfolg von Unternehmen unbestritten äußerst relevant ist: Wie lässt sich der langfristige Erfolg von Unternehmen (durch die Schaffung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile) sicherstellen? Im Umkehrschluss ist die Notwendigkeit für ein SM in der Unternehmenspraxis weitgehend unumstritten, jedoch besteht zum „Wie“ nur wenig Einigkeit. Doch trotz dieser noch bestehenden Uneinigkeit entstand im Laufe seiner relativ jungen Geschichte eine äußerst reichhaltige Ökologie des Wissens zu den zentralen Themen eines SMs. Sie offeriert sowohl wichtige Konstrukte, Theorien, Methoden und wissenschaftliche Erkenntnisse, als auch praktische Instrumente und Gestaltungsempfehlungen. Auch wurden immer wieder Bezugsrahmen entwickelt, die den strategischen Akteuren helfen sollten, ihre Strategiearbeit etwas zu systematisieren und damit auch effizienter zu gestalten. Einer dieser Bezugsrahmen ist der „Strategic Management Navigator“. Seine in 2001 erstmals veröffentlichte Grundstruktur ist bis heute unverändert geblieben, während seine Ausgestaltung im Detail den heutigen Rahmenbedingungen angepasst wurden. 328 327 Vgl. zur Entwicklungsgeschichte des Strategischen Management Müller-Stewens, G. (2016): Das Strategische Management als Disziplin - Meilensteine und Perspektiven seiner Entwicklung, in: Die Unternehmung, Vol. 70, Heft 4, S. 324-343. 328 Vgl. dazu Müller-Stewens, G./ Lechner, C. (2016): Strategisches Management. Wie strategische Initiativen zu Wandel führen, 5. überarbeitete Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag (Erstauflage 2001). <?page no="372"?> 372 Günter Müller-Stewens und Christoph Lechner Neue Betriebswirtschaft Mit dem Strategic Management Navigator schlagen wir einen umfassenden Bezugsrahmen für die Disziplin des Strategischen Managements vor. In Abschnitt 11.2 wird sein Aufbau vorgestellt, in Abschnitt 11.3 werden die ihm zu Grunde liegenden Leitdifferenzen erörtert und in Abschnitt 11.4 seine Verwendungsmöglichkeiten dargestellt. Vorab soll jedoch eine kurze Einleitung über die Beziehung zwischen Unternehmen und ihrer Umwelt erfolgen, die es durch die Strategiearbeit letztlich auszugestalten gilt. Einleitendes zum Unternehmen/ Umwelt-Verhältnis Unternehmen stehen in ständiger Interaktion mit ihrer Umwelt. Sie decken ihren Ressourcenbedarf durch die Leistungen ihrer Zulieferer, wetteifern mit ihren Konkurrenten um Kunden, verkaufen an diese Produkte und Dienstleistungen, entwickeln oder adaptieren neue Technologien und bezahlen Steuern und Abgaben, stellen Mitarbeiter zum Aufbau neuer Kompetenzfelder ein etc. Es gibt nun für ein Unternehmen verschiedene Möglichkeiten, seine Umwelt zu betrachten. Eine analytische Einteilung, die häufig verwendet wird, differenziert nach einer generellen Umwelt, die aus einer soziokulturellen, technologischen, politischen und ökonomischen Dimension besteht, und einer enger gefassten Aufgabenumwelt, die sich aus Kunden, Konkurrenten, Mitarbeitern, Zulieferer etc. zusammensetzt. Nicht alle diese Bezugsgruppen sind jedoch für Unternehmen gleichermaßen von Bedeutung. Die, die Ansprüche an das Unternehmen stellen bzw. deren Interessen mit dem Unternehmen verbunden sind, werden als Anspruchsgruppen (Stakeholder) bezeichnet. Sie prägen die relevante Außenwelt eines Unternehmens. Dabei werden auch Anspruchsgruppen wie die Mitarbeiter als Teil dieser Außenwelt betrachtet, da sie gewissermaßen »von außen« Erwartungen an das Unternehmen haben, zu denen das Unternehmen Stellung zu beziehen hat. Natürlich bestehen zwischen der generellen Umwelt und der Aufgabenumwelt enge Wechselbeziehungen. So beeinflussen Megatrends aus der generellen Umwelt Anspruchsgruppen aus der Aufgabenumwelt Z.B. der demographische Wandel hat Einfluss auf den Stakeholder Mitarbeiter und den Arbeitsmarkt, aber auch die Kundschaft und deren Bedürfnisse. Umgekehrt sind die Anspruchsgruppen aber auch wesentliche Akteure hinsichtlich der Entwicklung der generellen Umwelt. So prägt z.B. der Stakeholder „Regulator“ die Trends in den für eine Branche relevanten rechtlichen Entwicklungen. Warum erscheint uns trotz dieser Wechselbeziehungen eine solche Differenzierung in die generelle Umwelt und Aufgabenumwelt zweckmäßig zu sein? Unternehmen wählen aus ihrer Umwelt z. B. diejenigen Anspruchsgruppen aus, die sie als wichtig erachten. Auf diese konzentrieren sie ihre Aufmerksamkeit. Wie sie diese wahrnehmen und mit welcher Einstellung sie ihnen gegenübertreten (verhandeln, koalieren, negieren, bekämpfen etc.), hängt vom Einzelfall ab und ist von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Immer wieder jedoch gibt es Anspruchsgruppen, die von Unternehmen zuerst ausgeblendet und unterschätzt werden. Dies kann im Weiteren zu großen Problemen führen, wie z. B. der Erdölkonzern S HELL hinsichtlich Greenpeace, Google hinsichtlich besorgter Bürger wegen der umfassenden Aufnahme von Straßen und Häusern, oder US-Investmentbanken im Nachgang zur Finanzkrise 2008/ 2009 hinsichtlich der amerikanischen Regierung erfahren mussten. Die »Konstruktion« des Umfeldes ist also nicht als willkürlicher oder einmaliger Vorgang zu verstehen. Vielmehr sind Unternehmen ständig auf der Suche nach Weltsichten, die es ihnen ermöglichen, erfolgreich zu agieren, und die für sie nützlich sind. Je nachdem, wie sie Handlungen und Ereignisse ihrer Umwelt interpretieren, verändern oder behalten sie ihre konzeptionellen Raster bei. Betrachtet sich z.B. ein PKW-Hersteller primär als Hersteller und Verkäufer von Fahrzeugen, dann werden vermutlich Unternehmen wie Google oder Uber nicht als relevante Stakeholder wahrgenommen. Sieht man sich dagegen primär als Mobilitätsanbieter, dann dürfte dies wohl der Fall sein. Betrachtet ein Unternehmen nun sich selbst und sein relevantes Umfeld, so stellen sich ihm Fragen wie: Wie verhalten wir uns gegenüber unseren Kunden? Was erwarten sie von uns? Was wollen wir <?page no="373"?> 11 Der Strategic Management Navigator 373 Neue Betriebswirtschaft ihnen anbieten? Welche Erwartungen haben die Mitarbeiter an das Unternehmen? Wie gehen wir damit um? Wie gestalten wir unsere Interaktionen gegenüber dem Staat? Wie verhält sich der Staat gegenüber uns? etc. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Möglichkeiten des Unternehmens gegenüber allen Anspruchsgruppen bei der Ausgestaltung der Beziehungen zu diesen gleichermaßen erweitern lassen. Hier sind Trade-Off-Überlegungen anzustellen, die um Fragen kreisen wie: Auf wessen Interessen lassen wir uns mehr und auf wessen weniger ein? An wessen und welchen Vorgaben müssen wir uns ausrichten? Streben wir nach einer Harmonisierung der Zielsetzungen oder lassen wir ausgewählte Interessen dominieren? Fragen, die meist nicht nur taktischer, sondern auch normativer Natur sind. Letzteres ist z.B. dann der Fall, wenn Wert auf ein nachhaltiges Strategisches Management gelegt wird, das neben der Bedienung der Eigentümerinteressen insbesondere auch danach strebt, langfristig im Einklang mit Gesellschaft und Umwelt zu stehen. Der Aufbau des Strategic Management Navigator Der Strategic Management Navigator (SMN) besteht aus den in Abbildung 11-1 dargestellten vier plus eins Arbeitsfeldern, die sich aus den beiden Achsen Genese/ Wirksamkeit sowie Prozess/ Inhalt ergeben. Die Arbeitsfelder tragen die Bezeichnung Initiierung , Positionierung , Wertschöpfung , Veränderung und Performance Messung. Mit diesen Achsen und Feldern wird das Strategische Management nicht nur statisch erfasst und in Teilaufgaben zerlegt, sondern die Felder sind auch so angeordnet, dass sie - ausgehend von der Initiierung - eine prozessuale Betrachtung ermöglichen. Abb. 11-1: Der Strategic Management Navigator Die Achsen und ihre Bedeutung Wie Abbildung 11-1 zeigt, liegen dem Aufbau des SMN zwei Achsen zu Grunde. Sie greifen zwei Leitdifferenzen des Strategischen Managements auf, die dessen Entwicklung maßgeblich beeinflusst haben. <?page no="374"?> 374 Günter Müller-Stewens und Christoph Lechner Neue Betriebswirtschaft GGeenne essee v veerrssuus s W Wi irrkkssaa mmk keei itt Der vertikal verlaufenden Achse des SMN liegt das Sprachspiel der Genese und operativen Wirksamkeit von Strategien zu Grunde. Mit diesen Begriffen wird die - weit verbreitete - Vorstellung der Formulierung und anschließenden Umsetzung von Strategien an zwei Stellen entscheidend verändert. Erstens wird sie um all die Prozessverläufe erweitert, die nicht diesem Schema folgen, gle ic hw ohl je doc h em p ir is ch u nd the ore ti sc h vo n Re lev an z si nd . Z u de nk en ist hier b eisp ielsw eise an die emergente Formierung von Strategien, wie sie Henry Mintzberg beschrieben hat. 329 Er zeigt, dass Strategien oft auch sukzessive aus den tagtäglichen Aktivitäten von Unternehmen »emergieren«, ohne vorherige, klare Absicht. Die Annahme, dass Strategien in der Unternehmenspraxis zuerst formuliert und dann implementiert werden, wird mit dem Sprachspiel der Genese/ Wirksamkeit aber nicht aufgehoben, sondern relativiert - als ein mögliches Prozessmuster neben einer Reihe alternativer oder konkurrierender Sichtweisen. Entscheidend ist folglich eine begriffliche Konzeption, die eine möglichst große Offenheit zulässt. Zweitens konzentrieren wir uns nicht auf Strategien, sondern auf strategische Initiativen. Warum dies? Wir gehen davon aus, dass eine Strategie eines Unternehmens per definitionem immer schon formiert ist, d. h., in einer spezifischen Ausprägung zumindest implizit bereits vorliegt. Sie manifestiert sich z.B. in den Produkten, die ein Unternehmen herstellt, den Märkten, die es bedient, seinem Verhalten gegenüber Wettbewerbern oder den wertschöpfenden Aktivitäten, die es ausübt. Ausgehend vom bereits laufenden organisatorischen Basisprozess kann nun die Genese von strategischen Initiativen und deren operative Wirksamkeit beobachtet und untersucht werden. Auch hier ist zunächst konzeptionell Offenheit gegenüber all dem anzustreben, was unter eine strategische Initiative fällt. Sowohl intendierte als auch nicht intendierte Initiativen gilt es zu berücksichtigen. So kann sie die (Re-)Positionierung des gesamten Unternehmens betreffen oder auch nur ein strategisch bedeutsames Großprojekt in einem der Geschäftsbereiche. Damit kommt der Gestaltung der Veränderung deutlich mehr Bedeutung zu, als nur der »Implementierer« der verabschiedeten Strategien zu sein. Zudem können Rückkopplungen aus den Wandelprozessen zu neuen Initiativen oder zu deren Anpassung führen. PPr roozze essss v veer rssuus s I In nhha a lltt Die zweite, horizontal verlaufende Achse basiert auf der im Strategischen Management ebenfalls weit verbreiteten Unterscheidung in eine prozessuale (Strategy Process) und eine inhaltliche (Strategy Content) Dimension, auf die im Rahmen der historischen Entwicklung der Disziplin bereits hingewiesen wurde. Die strategische Inhaltsforschung konzentriert sich dabei auf die Frage, welche Optionen möglicher strategischer Positionierungen je nach externem Kontext zu einer optimalen Performance führen. Die strategische Prozessforschung hingegen untersucht, welcher Prozesse es bedarf, um diese erfolgreichen Wettbewerbspositionen überhaupt zu erreichen. Sie erforscht, wie sich Strategien im Zeitablauf formieren und wirksam werden und arbeitet die Faktoren heraus, die dabei eine Rolle spielen. Beide Forschungsstränge verbindet ihr Interesse an Erklärungen für den Erfolg von Unternehmen. Der Bezugsrahmen des SMN versucht nun über seine horizontale Achse beide Bereiche zu verbinden, ohne sie ihrer Eigenständigkeit zu »berauben«. Dies wird möglich, indem der Fokus auf strategische Initiativen gelegt wird. Sie sind die zentrale Analyseeinheit, über die die »Brücke« zwischen Prozess- und Inhaltsforschung geschlagen wird. Eine jede Initiative hat nämlich neben einem prozessualen auch einen inhaltlichen Bezug. Stehen bei der Initiierung und Veränderung Themen der Prozessforschung im Vordergrund, so geht es bei der Positionierung und Wertschöpfung um Themen der Inhaltsforschung. So kann z. B. untersucht werden, wie eine Initiative im Unternehmen 329 Mintzberg, H./ Waters, J. A. (1985): Of strategies, deliberate and emergent. In: Strategic Management Journal, Vol. 6, Nr. 3, S. 257-272. <?page no="375"?> 11 Der Strategic Management Navigator 375 Neue Betriebswirtschaft entsteht (Initiierung), was ihr inhaltlicher Fokus im Außenverhältnis (Positionierung) und Innenverhältnis (Wertschöpfung) ist und wie und ob sie operativ wirksam wird und sich im Unternehmen ausbreitet und verfestigt (Veränderung). 11.2.2 Die Arbeitsfelder und ihre Fragestellungen Durch die beiden aufgespannten Leitdifferenzen des SMN ergeben sich nun die in Abbildung 11-1 dargestellten vier plus eins Arbeitsfelder. Jedes dieser Arbeitsfelder ist durch eine andere zentrale Fragestellung charakterisiert. IInniittiiiieer ruunngg : SSttrra a tteeg g iie epprroozze essssee l laa nncciie er reenn Im ersten Feld des SMN kommen die beiden Dimensionen „Prozess“ und „Genese“ zusammen. Es geht also um die Frage: Wie soll es in der Organisation zu Strategien kommen? Ausgangspunkt der Überlegung sind hier strategische Initiativen, die in einem Unternehmen in Rahmen von Strategieprozessen entstehen. Strategische Initiativen sind wichtige, koordinierte Vorhaben innerhalb eines Unternehmens, die seine Entwicklung signifikant beeinflussen. Zu denken ist z. B. an Initiativen, die sich ganz grundsätzlich auf die (Re-)Positionierung einer Geschäftseinheit in ihrem Umfeld beziehen, oder eine Initiative zum Eintritt in eine neue Marktregion, zur Entwicklung eines spezifischen Geschäftsmodells oder zur Erschließung einer neuen Technologie für das Unternehmen. Aktuelle Beispiele sind eine Digitalisierungsinitiative oder eine Innovationsinitiative. Solche Vorhaben können prinzipiell überall im Unternehmen entstehen und sind nicht an eine bestimmte Hierarchieebene gebunden. Sie können ihren Ursprung also nicht nur auf Ebene des Topmanagements haben, wie dies oft angenommen wird, sondern ebenso auf den mittleren und unteren Managementebenen. Auslöser von Initiativen können dazu formell ermächtigte Gremien sein, aber auch informelle Netzwerke von Mitarbeitern quer über die Hierarchieebenen. In der Phase der Initiierung legt das Unternehmen seinen Initiierungsstil fest, das heißt die Art und Weise, wie es zu strategischen Initiativen kommt. Dabei steht eine ganze Reihe von Optionen für derartige Strategieprozesse zur Auswahl. So gibt es z.B. Top-down ausgerichtete Prozesse. Sie sind z.B. in relativ überraschungsfreien Umfeldern oder in Sanierungsfällen, wo schnell und effizient durchgegriffen werden muss, zweckmäßig. Oder in großen, diversifizierten Konzernen trifft man oft einen sehr formalisierten und am Kalender ausgerichteten Prozess an. Es gibt aber auch Kontexte, wie etwa Professional Service Firms, in denen Bottom-up-Prozessen mehr Gewicht gegeben werden sollte. Innerhalb jedes Strategieprozesstyps gilt es dann noch eine Reihe von Detailfragen zu klären wie etwa: Wer ist daran beteiligt? Welche Methoden sollen dabei zum Einsatz gelangen? Wie soll kommuniziert werden? Die Kunstfertigkeit besteht also darin, den zum jeweiligen Kontext passenden Strategieprozess zu definieren. Dabei kann es durchaus sein, dass mehrere Prozesstypen - wegen unterschiedlicher Kontexte - parallel im Unternehmen zur Anwendung gelangen. Unterhält ein Konzern z.B. einen Bereich für Start ups und Corporate Ventures, so wird dieser andere Strategieprozesse verlangen als der Gesamtkonzern. Fallbeispiel: Die strategische Führung der H ELVETIA Gruppe Die in St. Gallen ansässige Schweizer Versicherungsgruppe H ELVETIA ist im Leben-, Schaden- und Rückversicherungsgeschäft aktiv und erbringt mit rund 6'500 Mitarbeitenden Dienstleistungen für mehr als 4.7 Millionen Kunden. Bei einem Geschäftsvolumen von CHF 8.51 Mia. erzielte Helvetia im Geschäftsjahr 2016 ein Ergebnis aus der Geschäftstätigkeit von CHF 491.8 Mio. Die Combined Ratio (brutto) betrug 88.5%. Darüber hinaus engagiert sich Helvetia auf vielfältige Weise für Umwelt und Gesellschaft. Die Namensaktien der Helvetia Holding werden an der Schweizer Börse gehandelt. Strategieprozesse erfolgen bei der H ELVETIA auf mehreren Ebenen, die miteinander verzahnt sind. <?page no="376"?> 376 Günter Müller-Stewens und Christoph Lechner Neue Betriebswirtschaft Im Rahmen der »Strategie Helvetia 2015+« wurden im Jahr 2000 das »Leitbild«, die »Mission (strategische Ambition)«, die »Werte« sowie die »Gruppenstrategie« definiert. Dazu gehörte auch die Festlegung der strategischen Gruppenziele „Marktpositionen verstärkt ausbauen“, „Profitabilität nachhaltig steigern“ und „Kundennutzen bedürfnisgerecht erhöhen“. Zur Erreichung dieser Gruppenziele wurde ein Portfolio von Gruppeninitiativen definiert und weitgehend umgesetzt. So gab es z.B. zum Ziel „Marktpositionen verstärkt ausbauen“ die drei Initiativen „Ausbau des Multi-Channeling-Ansatzes in allen Ländermärkten“, „Schrittweise Etablierung einer «Europäischen» Leben-Produkteentwicklung“, sowie „Verfolgung einer aktiven M&A-Strategie“.Mit dem Auslaufen der »Strategie Helvetia 2015+« machte man sich auf Basis einer Betrachtung der erreichten und nicht erreichten Ziele im Jahr 2015 an die Erarbeitung der neuen Strategie »helvetia 20.20«. Diese wurde auch notwendig vor dem Hintergrund der bedeutsamen Akquisition der Nationale Suisse in 2014. Der Strategieprozess wird vom Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung verantwortet und erstellt und um die Inputs von internen und externen Spezialisten ergänzt. Eine kleine interne Strategieabteilung. mit einem Chief Strategy Officer an der Spitze, koordiniert den Prozess. Im Sinne von top-down und bottom-up werden die wichtigsten Themen mit den Ländergesellschaften (Business Units) abgestimmt und verabschiedet. Auf Business-Unit-Ebene finden ebenfalls Strategieprozesse in den jeweiligen Ländern statt. Hier geht es um Themen wie Kundensegmente, Vertriebskanäle, Produkte und Wettbewerbsdifferenzierung. Bei der H ELVETIA bemüht man sich um die Balance zwischen einer langfristiger Planung und kurz- und mittelfristigen Initiativen, die flexibel angepasst werden können. Häufig wird die Bedeutung der Inittierungsarbeit für den Gesamterfolg der Strategiearbeit erheblich unterschätzt. Eher selten wird reflektiert welches denn für eine gegebene Situation ein optimaler Prozess wäre. Oft folgt man hier den Mustern der Vergangenheit. Doch die Optionen die hier ausgewählt werden bestimmen ganz erheblich über die im zweiten Schritt zu erarbeitenden Inhalte der Strategien. So führt z.B. ein signifikant erhöhter Beteiligungsgrad höchstwahrscheinlich auch zu anderen Inhalten. PPoossi ittiioon niieer ru unngg : DDaa ss V Veerrh hää llttnniis s z zu u d deen n A An nsspprruucchhgg ssgg rru uppppeenn b beesstti immmme enn Im zweiten Feld des SMN kommen die beiden Dimensionen „Inhalt“ und „Genese“ zusammen. Es geht also um die Frage: Welche Positionierung soll das Unternehmen gegenüber seiner Umwelt einnehmen? Bei der Positionierung stellt sich einem Unternehmen und seinen Subeinheiten die Aufgabe, eine vorteilhafte Stellung gegenüber seinen als relevant erachteten Anspruchsgruppen (= Stakeholder) zu bestimmen und die vorhandenen Ressourcen und Fähigkeiten so einzusetzen, dass diese Stellung erreicht werden kann. Es geht um die aktive Gestaltung der Beziehungen zu den Anspruchsgruppen der Umwelt, seien es Kunden, Lieferanten, Kooperationspartner, Wettbewerber, staatliche Stellen oder kollektive Akteure wie Kapitalmarkt oder Gesellschaft. Aufgabe ist die Ausgestaltung ausgewogener und nachhaltiger „Stakeholder Relations“. Man folgt hier also dem Ansatz eines Stakeholder Managements. 330 In Abbildung 11-2 wird dies veranschaulicht, wo die vier dort genannten Anspruchsgruppen nur exemplarisch zu verstehen sind. 330 Vgl. Freeman, R. E. (1984): Strategic management. A stakeholder approach, Boston, sowie Freeman, R. E./ Harrison, J. S./ Wicks, A. C./ Parmar, B. L./ Colle, S. (2010): Stakeholder theory. The state of the art, Cambridge. <?page no="377"?> 11 Der Strategic Management Navigator 377 Neue Betriebswirtschaft Abb. 11-2: Die Positionierung eines Unternehmens in seiner Umwelt Strategische Initiativen richten sich bei der Positionierung auf das Außenverhältnis eines Unternehmens. D. h., die Entscheidungsträger positionieren das Unternehmen bzw. seine zu steuernden Einheiten einerseits in der generellen Umwelt, andererseits aber auch gegenüber den im Handlungssystem als relevant erachteten Anspruchsgruppen. Hier wird, was »außen« ist, in Form der genannten Stakeholder »personifiziert«, die wiederum selbst unter dem Einfluss der Trends aus der generellen Umwelt stehen. Diese Außenwelt umfasst folglich insbesondere alle Gruppierungen, die einen Einfluss auf die Aktivitäten des Unternehmens ausüben können oder im Gegenzug von diesem beeinflusst werden. Zwischen ihnen und dem Unternehmen finden dabei rekursive Austauschbeziehungen statt, die sich nicht nur auf den Transfer von Geld und Gütern beziehen, sondern auch durch politische und kulturelle Interaktionsprozesse geprägt sind. Insgesamt geht es bei der Positionierung um die Bestimmung des Verhältnisses zwischen einem Unternehmen und den Anspruchsgruppen seiner Umwelt. Wie positionieren wir uns z. B. in unserem Absatzmarkt gegenüber unseren Kunden (Sortiment etc.)? Fallbeispiel: Die Positionierung der Geschäfte der H ELVETIA Gruppe Die H ELVETIA positioniert sich als Unternehmensgruppe in drei Markt- und Geschäftsgebieten: (1) „Schweiz“, (2) „Europa“ (Deutschland, Italien, Österreich und Spanien, jeweils mit den beiden Geschäftsbereichen Leben und Nichtleben (KFZ, Hausrat, Haftpflicht etc.), sowie (3) „Specialty Markets“. Mit ihrer „… Strategie helvetia 20.20 gibt sie Antworten auf aktuelle Markttrends und macht das Unternehmen digitaler, agiler und wertvoller. Sie stellt dabei den Kunden noch stärker ins Zentrum. Mit den drei Marktbereichen verfolgt Helvetia ambitionierte Ziele: Sie will die beste Schweizer Versicherung im Heimmarkt sein als solides Fundament für den Konzern. Darüber hinaus strebt sie nach einer signifikanten Verbesserung der Positionierung in Europa und nach einem Ausbau des Bereichs Specialty Markets als selektiver Nischenplayer.“ 331 Mehrwert will sie insbesondere drei Stakeholdern stiften: (1) Den Kunden durch passgenaue und personalisierte Versicherungs- und Vorsorgelösungen mit hoher Convenience; (2) den Mitarbeitenden als attraktive und zukunftsgerichtete Arbeitgeberin; (3) den Aktionären durch eine kontinuierliche Steigerung der Gewinn- und Dividendenkapaziät. 331 https: / / www.helvetia.com/ corporate/ content/ de/ ueber-uns/ strategie.html. <?page no="378"?> 378 Günter Müller-Stewens und Christoph Lechner Neue Betriebswirtschaft In den Marktgebieten Schweiz und Europa bietet sie Privatpersonen sowie kleinen und mittleren Unternehmungen Versicherungs- und Vorsorgelösungen an. Die Länder werden dabei als Geschäftseinheiten geführt und positionieren sich eigenständig am Markt. Sie agieren mit relativ hoher Autonomie und decken jeweils die wichtigsten Aktivitäten einer Versicherung ab. So betreiben sie Produktentwicklung, Risikozeichnung (Underwriting), Betrieb, Marketing & Verkauf, Schadensabwicklung und Kapitalanlage in ihren Märkten. Der Ländermarkt »Schweiz« beispielsweise forciert die Themen »Einfachheit« (im Sinne von unkompliziert, schnell und unbürokratisch) und »Swissness« (im Sinne von Tradition und Verlässlichkeit). Im Geschäftsgebiet „Specialty Markets“ positioniert man sich in europäischen Ländern als Spezialist und Nischenanbieter z.B. für Kunst-, Transport- und Marineversicherungen, aber auch als Rückversicherer. Auf der Gruppen-Ebene werden übergreifende Themen bearbeitet, ohne zu sehr die Autonomie der operativen Einheiten einzuschränken. Die Kapitalbewirtschaftung der Gruppe fällt ebenso darunter wie regulatorische Aufgaben, Compliance und Risk Management. Zudem kümmert sich das Corporate Center um Themen wie Synergien im Branding, in der Marktforschung und in der IT, Entwicklung von Führungskräften sowie Spezialprojekte wie Mergers & Acquisitions. Analytisch werden bei der Entwicklung einer Positionierungsstrategie in einem ersten Schritt eine Umwelt- und eine Unternehmensanalyse durchgeführt. Bei der externen Umweltanalyse geht es zum einen um die externen Megatrends und Entwicklungen in der generellen Umwelt, zum anderen um die Analyse der mit den Stakeholdern aus der Aufgabenumwelt verbundenen Märkte. Wie soll man sich z.B. gegenüber den Mitarbeitenden positionieren angesichts der zu erwartenden Entwicklung des Arbeitsmarktes? Aus Umwelt- und Unternehmensanalyse gilt es eine Synthese zu bilden: Was heißt es, wenn die in der Umweltanalyse identifizierten Gefahren und Gelegenheiten auf die Stärken und Schwächen aus der Unternehmensanalyse treffen? Welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus für das Unternehmen. Man vergleiche dazu Abbildung 11-3. Abb. 11-3: Der Ablaufprozess der Positionierungsarbeit In einem zweiten Schritt werden aufbauend auf den Erkenntnissen aus der strategischen Analyse die Optionen hergeleitet, die man für das Unternehmen sieht. Dabei ist klar zu unterscheiden zwischen den Optionen für die strategischen Geschäftseinheiten („Business Strategy“), wo es primär um die Frage des „Wie konkurrieren? “ geht, und den Optionen für das Gesamtunternehmen („Corporate Strategy“/ Gruppenstrategie), wo eine Antwort auf die Frage des „Wo konkurrieren? “ gefunden werden muss. Hier geht es um die Entwicklung des Portfolios der Geschäfte in denen das Unter- <?page no="379"?> 11 Der Strategic Management Navigator 379 Neue Betriebswirtschaft nehmen tätig sein will. Dabei sind die Strategien in den vier-elementigen normativen Rahmen des Unternehmens einzupassen: Vision und Ziele richten den Kurs aus, Mission und Werte schränken dessen Freiheitsgrade ein. Im dritten Schritt werden dann die Optionen hinsichtlich ihrer Voraussetzungen sowie Vor- und Nachteile bewertet, um sich dann für eine davon zu entscheiden. Das Arbeitsfeld der Positionierung steht für den klassischen Kern eines Strategischen Managements, der Ausgestaltung der Außenbeziehung zwischen Unternehmen und Umfeld. Demzufolge findet der größte Zeiteinsatz bei den meisten Unternehmen in diesem Feld statt. Eine Positionierungsstrategie ist allerdings vorerst nur eine Absichtserklärung, die nun noch ihrer internen Umsetzung bedarf, was durch Wertschöpfungsstrategien erfolgt. WWeerrt tsscch hööppffuunngg : DDaa ss G Gees scchhääfft tssmmood deellll g g eessttaa llt teenn Im dritten Feld des SMN kommen die beiden Dimensionen „Inhalt“ und „Wirksamkeit“ zusammen. Nun müssen im Unternehmen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die in der Positionierungsstrategie geäußerten Ambitionen auch zur Umsetzung gelangen. Hier geht es also um die inhaltliche Ausgestaltung des Innenverhältnisses, d. h. um die Festlegung der Aktivitäten und Ressourcen, um dadurch die Positionierungsstrategie möglichst stark wirksam werden zu lassen. Es geht um die Frage: Wie wollen wir die Wertschöpfung des Unternehmens gestalten? Und welche Ressourcen und Wertschöpfungsaktivitäten benötigt es hier und in welcher Form? Je nachdem, über welche Fähigkeiten ein Unternehmen dabei verfügt, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf seine Handlungsmöglichkeiten gegenüber der Umwelt. D. h., die verfügbaren Ressourcen definieren und limitieren auch die für eine Positionierung wählbaren Optionen. Wenn z. B. eine Supermarktkette durch ihr ausgefeiltes Informationssystem in der Lage ist, über ihre Filialen in »real time« aktuelle Markttrends zu identifizieren und sie ihren Kunden anschließend in kürzester Zeit zu offerieren, dann weist sie eine Fähigkeit auf, die ihr eine herausragende Stellung am Markt und gegenüber ihren Konkurrenten ermöglicht. Die Verfügbarkeit dieser Fähigkeit ermöglicht es den Geschäften, andere Positionierungsoptionen zu ergreifen, als wenn diese Fähigkeit nicht nutzbar wäre. Wertschöpfungsketten können auch genutzt werden, um die eigenen Prozesse hinsichtlich bestimmter Steuerungskriterien oder Themen zu durchleuchten. So gibt es Effizienzsteigerungsinitiativen bei denen man jede Wertschöpfungsaktivität hinsichtlich Kostensenkungsmöglichkeiten untersucht. Gleiches könnte man tun bezogen auf das Thema Qualität oder Durchlaufzeit. Oder aktuell trifft man in vielen Unternehmen auch Digitalisierungsinitiativen an, mittels derer das gesamte Geschäftsmodell inklusiv seiner Wertschöpfungsprozesse auf Potenziale untersucht wird, die mit einer Digitalisierung einher gehen. Betrachtet man z.B. ein Versicherungsunternehmen, so hat die Digitalisierung Einfluss auf jede Aktivität der Wertkette, was in Abbildung 11-4 dargestellt ist. Abb. 11-4: Schematische Darstellung des Einflusses der Digitalisierung auf die Wertkette einer Versicherung (Quelle: Allianz SE) <?page no="380"?> 380 Günter Müller-Stewens und Christoph Lechner Neue Betriebswirtschaft Doch eine Digitalisierungsinitiative muss natürlich alle strategisch relevanten Aspekte einer solchen neuen technologischen Entwicklung umfassend adressieren und nicht bei den Wertschöpfungsprozessen stehen bleiben. Fallbeispiel: Digitalisierungs-Initiative bei der H ELVETIA Gruppe Die neuen digitalen Technologien veranlassen auch die H ELVETIA Gruppe ihr Geschäftsmodell zu durchleuchten, um den Einfluss dieses technologischen Wandels zu untersuchen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Man sieht die Digitalisierung als starken Treiber der Geschäftsentwicklung und will die Chancen der Digitalisierung insbesondere zur Dynamisierung des Geschäfts nutzen. Organisatorisch wurde dies in Form einer umfassenden Digitalisierungsinitiative verankert. Diese umfasst drei Komponenten: (1) Die Ermöglichung offener, moderner Kunden- und Partnerinteraktionen durch Online Geschäftsmodelle; (2) Über Smart Data & Analytics zunehmend personalisierte Dienstleistungen. Dadurch werden Kundendaten zu einer strategisch zunehmend wichtigen Ressource im Geschäftsmodell der H ELVETIA . (3) Eine weitere Verbesserung der Effizienz in der Leistungserbringung durch Prozessautomatisierung entlang der Wertketten. Die Position eines Unternehmens steht also auch in enger Verbindung mit seinem Geschäftsmodell. Mit der Positionierung wird auch der Zweck des eigenen Tuns in Form von Nutzenversprechen („Value Proposition“) an die wichtigsten Stakeholder festgelegt. Auf diesem setzt dann auch das Geschäftsmodell auf, über das dann die Art und Weise definiert wird, wie das Unternehmen seine We rt sc h öp fun g or ga nis ie rt . Hi n z u ko mmt n oc h die F estl eg ung d er E rt ragsm ec hanik , als o de r Ar t und Weise, wie man sein Geld verdienen möchte. Erhält z.B. ein Mobilfunkanbieter eine monatliche Pauschale vom Kunden; oder bezahlt eine Fluggesellschaft die Nutzung der Turbinen ihrer Flugzeuge auf einer Stundenbasis, dann wenn sie in Betrieb waren. Wichtig ist, dass das Arbeitsfeld Wertschöpfung nicht nur unter dem Aspekt von Effizienzsteigerungen betrachtet wird, sondern dass auch die Themen Wachstum und Innovation dort verfolgt werden. Angesichts der Disruptionen, die aktuell das Umfeld vieler Branchen kennzeichnen, ist die Suche nach innovativen Weiterentwicklungen und Transformationen der Geschäftsmodelle dringlicher denn je. Doch damit gehen oft nicht nur strukturelle Änderungen einher, sondern auch tiefgreifende kulturelle Veränderungen. Man denke nur an das Beispiel von oben, wenn ein PKW- Hersteller auf einmal sagt, dass er fortan primär Mobilität verkauft, und die produzierten PKW nur noch eine untergeordnete Komponente in diesem Geschäftsmodell darstellen. VVeer rää nndde er ru un ngg : DDa a ss UUnnt teer rnne ehhm me en n eerrnne eu ue errnn Die Strategien sind nun entwickelt. Das Unternehmen und seine Geschäfte wurden gegenüber ihren Anspruchsgruppen positioniert. Die dazugehörigen Wertschöpfungsprozesse und Geschäftsmodelle sind überarbeitet und teilweise neu definiert. Doch wie kann nun das, was beschlossen wurde, auch in das Verhalten der Organisationsmitglieder eingebracht werden? Denn erst dann erhält eine zur strategischen Initiative gewordene Idee Leben. Erst dann wird sie operativ wirksam. Es ist zu fragen, wie denn diese notwendigen Veränderungen herbeigeführt werden sollen? Wie können sie so verfestigt werden, dass sie die Organisation nachhaltig prägen? Inwieweit ist das Verhalten in und von Organisationen überhaupt bewusst und gezielt beeinflussbar? Speziell auch dann, wenn in den Wandel Tausende von Mitarbeitern involviert sind. Und dort, wo es beeinflussbar ist, welche Gestaltungsmöglichkeiten stehen hierfür zur Auswahl? Nachdem es also bei der Positionierung und Wertschöpfung um den Inhalt von strategischen Initiativen ging, behandelt das vierte Feld, ob und wie - d.h. welche Prozesse - sie operative Wirksamkeit erlangen und in der Lage sind, das Unternehmen zu verändern. Genauer gesagt geht es um die Auswirkungen strategischer Initiativen auf den organisatorischen Basisprozess, womit sich der Kreis zur Initiierung wieder schließt. <?page no="381"?> 11 Der Strategic Management Navigator 381 Neue Betriebswirtschaft Auch hier ist zu berücksichtigen, dass Unternehmen nicht nur technische Systeme zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen, sondern auch soziale Systeme sind, in denen verhaltenswissenschaftliche Phänomene eine besondere Rolle spielen. Strategische Initiativen können sich hier entfalten und an Momentum gewinnen oder untergraben und in ihrer Wirksamkeit behindert werden. Fallbeispiel: Wandel zu einem einheitlicheren Auftritt der H ELVETIA Gruppe Die Vereinheitlichung des Markenauftritts für die Ansprache aller Anspruchsgruppen über alle Markt- und Geschäftseinheiten hinweg ist eine besonders wichtige Herausforderung für die H ELVETIA Gruppe - dies auch angesichts eines relativ geringen Bekanntheitsgrades in manchen Ländermärkten. Ziel war ein flexibles Werbekonzept, das eine lokal adaptierbare und bedürfnisgerechte Marktbearbeitung erlaubt. Der Fokus auf eine zentrale Marke erwies sich als notwendig, bedingt durch intensiven Wettbewerb in den Märkten, neu entstandene Herausforderungen nach der Finanzkrise und Konsolidierungen in der Versicherungslandschaft. Dazu wurde eine strategische Veränderungsinitiative mit einer die Gruppe repräsentierendem Projektteam aufgesetzt über die das Markenprofil international geschärft und die Unternehmenskultur dynamisch darauf ausgerichtet werden sollte. Zu den Umsetzungsmaßnahmen zählten das Engagement im Skisport, die Ergänzung der Online-Aktivitäten mit länderspezifischen Helvetia-Blogs oder die intensive Weiterbildung der Mitarbeiter. Zudem wurde immer wieder in spielerischer oder formaler Form auf die drei zentralen Werte der Helvetia verwiesen (Vertrauen, Dynamik, Begeisterung). Zur kontinuierlichen Steuerung der Markenstrategie wurden klare Verantwortlichkeiten auf Corporate- und Business-Ebene definiert, ein inter-funktionales Brand Management Council eingerichtet, ein Brand Monitor konzipiert sowie ein Brand Management-Jahreszyklus installiert. Nachdem diese einmalig anfallenden Aufgaben abgeschlossen waren, wurde in 2014 die Initiativenorganisation aufgelöst und die Aufgabe des Brand Management als dauerhafte Zentralfunktion etabliert. Strategischer Wandel bedeutet, dass es zu substanziellen Veränderungen kommen wird, jenseits der normalen Routinen in der Organisation und jenseits der ohnehin permanent laufenden, eher kleineren Veränderungen. Neue Denkweisen, Einstellungen, Interaktionsmuster, Regeln, Verhaltensweisen etc. sollen in großem Umfang in wesentliche Teile des Unternehmens Einzug halten. Der strategische Wandel beginnt dabei nicht erst im Feld „Veränderung“. Der strategische Wandel treibt den ganzen SMN. Veränderungen werden in der In- oder Umwelt des Unternehmens ausgelöst und teilweise durch die Initiierung strategischer Initiativen aktiv aufgegriffen. Zwischen Umwelt und Unternehmen gilt es wieder den Fit herzustellen. Dabei sind die Prozesse der Genese von Strategien bereits im Hinblick auf das spätere Wirksamwerden auszugestalten: Eine inspirierende Vision, bei den Anspruchsgruppen sinnstiftende Nutzenversprechen etc. können hier hilfreich sein. Natürlich muss die Gestaltung eines Veränderungsprozesses immer kontextabhängig erfolgen, was heißt, dass jeder Fall seinen eigenen Prozessansatz benötigt. Unterschiede können über die bisherige Geschichte und die daraus erwachsene Identität des Unternehmens entstehen, über die für den Wandel verfügbare Zeitspanne, über die Verteilung von Macht und Verantwortlichkeit im Unternehmen, über die vorhandenen Fähigkeiten etc. Trotzdem haben sich einige allgemeine Grundsätze herauskristallisiert, die bei einem Change Management Beachtung finden sollten. Auch wenn strategischer Wandel nur begrenzt rational gestaltbar ist, so lassen sich derartige Veränderungsprozesse zumindest insoweit gestalten, dass die für eine Veränderung erforderliche Energie mobilisiert werden kann, die Mehrzahl der Mitarbeiter zum Wandel befähigt wird, Widerstände überwunden werden können etc. Das Betreiben derartige Veränderungsprozesse ist als eigene und für den Erfolg des Unternehmens äußerst bedeutsame Kompetenz zu betrachten - und dies nicht nur zur Sicherung seines Überlebens, sondern auch zur Steigerung seiner Performance. Diese Kompetenz muss in Organisationen oft erst mühevoll entwickelt und dann gepflegt werden. Sie stellt eine beträchtliche Investition in die „weichen Faktoren“ des Unternehmens dar. In Zeiten immer ähnlicherer Produkte und immer hö- <?page no="382"?> 382 Günter Müller-Stewens und Christoph Lechner Neue Betriebswirtschaft herer Agilitäts- und Flexibilitätserfordernisse stellt Know-how zur Steuerung sozialer Prozesse jedoch ein wesentliches Differenzierungspotenzial im Wettbewerb dar. Mit der „Veränderung“, als ein im SMN integriert verankertes Arbeitsfeld, kann das Unternehmen durch das konzeptionelle Durchdenken des für eine gewünschte Außenpositionierung erforderlichen Wandels auch ein rechtzeitiges Korrektiv erfahren. Dadurch kann z. B. erkannt werden, ob die gewählten Strategieinhalte bezogen auf die Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft der Organisation zu ambitioniert sind. Strategie ist eben die Kunst des Möglichen. Was möglich ist, muss nun hier - trotz aller Unwägbarkeiten des tatsächlichen Verlaufs eines Wandels - ausgelotet werden, bevor es zu einer Verabschiedung (unrealistischer) Strategien kommt. PPe errf foor rmma a nnc ce e--M M e es sssuun ng g : FFoor rt tsscch hrri itttts sbbeeoob baa cch httuun ngg u un ndd F Feee ed dbbaa cck k Das letzte Feld des SMN behandelt die Performance-Messung. Unter diesem Begriff lassen sich prinzipiell alle Arten von Ansätzen zusammenfassen, die den Verlauf von strategischen Initiativen von der Genese bis zu ihrem Wirksamwerden beobachten und messen. Ziel einer „Performance- Messung“ ist es demnach, umfassend und rechtzeitig zu informieren, wie sich Strategien bzw. strategische Initiativen auf die unternehmerischen Einheiten auswirken. Informationen zur Performance-Messung sind meist nicht nur für das Management eines Unternehmens, sondern auch für Investoren, Regulatoren und Aufsichtsgremien sowie Mitarbeiter, Lieferanten und die allgemeine Öffentlichkeit von Interesse, da es um die Bemessung des an diese Anspruchsgruppen geleisteten Wertbeitrags geht. Unternehmen haben in aller Regel spezifische Managementsysteme installiert, um ihre Performance-Messung durchzuführen. Derartige Performance-Measurement-Systeme unterstützen Entscheidungen, indem sie systematisch Informationen über die Leistungskraft eines Unternehmens sammeln, analysieren und Interessierten zur Verfügung stellen. Sie bestehen in aller Regel aus einer Reihe von finanziellen und nichtfinanziellen Kennzahlen. Sie sollen Entscheidungen unterstützen und Auskunft über das Erreichen von Zielen geben. Doch trotzdem trifft man häufig Situationen an, wo es eine Vielzahl solcher Systeme gibt, diese aber nicht an die verfolgten Strategien angepasst wurden. Dies gilt z.B. häufig für die Performance-Messung strategischer Initiativen. Das heißt, man weiß nicht, ob die Strategien greifen oder nicht, da das Managementsystem noch den alten Strukturen folgt. Die Performance-Messung wird im SMN als simultanes und nicht nachgelagertes Arbeitsfeld in ein zirkuläres Verhältnis zur Genese und Wirksamkeit strategischer Initiativen gesetzt. Während traditionell der Fokus der Performance-Messung auf der finanzwirtschaftlichen Messung lag, hat in den letzten Jahren hier eine Bewegung hin zu umfassenden, mehrperspektivischen und schon frühzeitig Feedback gebenden Ansätzen stattgefunden. Wenn man z.B. in das Feld Initiierung geht, und dort z.B. eine Verbesserung des Commitments zur Strategieumsetzung durch einen höheren Beteiligungsgrad anstrebt wird, dann misst die Performance Messung nicht nur ob es zu dieser Erhöhung des Beteiligungsgrads kam, sondern auch ob der erwünschte Effekt, also die Erhöhung des Commitments, tatsächlich eingetreten ist. Oder im Feld Positionierung geht es nicht nur um die Frage, ob Wert für Aktionäre geschaffen wurde, sondern auch für andere als relevante erachtete Stakeholder wie Kunden, Mitarbeiter, Gesellschaft und Umwelt. Ihnen gegenüber gibt man ein Nutzenversprechen ab. Die Performance-Messung fasst dann nach, und frägt, ob es auch eingelöst wurde. Fallbeispiel: Multi-dimensionale Performance-Messung bei der H ELVETIA Gruppe Die H ELVETIA versteht ihre Performance-Messung multi-dimensional: Als börsenquotiertes Unternehmen ist sie den Aktionären verpflichtet und hat hier finanzielle Ergebnisse zu erbringen. Sie verwendet dazu Messgrößen wie Return on Equity, Prämienwachstum, Schadensquote, Kostenquote etc. Die erzielten finanziellen Ergebnisse werden dann mit den über die Gruppenstrategie kommunizierten Zielgrößen verglichen. <?page no="383"?> 11 Der Strategic Management Navigator 383 Neue Betriebswirtschaft Als Versicherungsgruppe dient die H ELVETIA aber auch ihren Kunden. So misst sie auch regelmäßig Kundenzufriedenheit anhand mehrerer Faktoren wie z. B. Wiederempfehlungsrate, Schnellligkeit der Betreuung oder Qualität der Leistung. Als Arbeitgeber von ca. 6.500 Arbeitsplätzen erfasst sie auch Indikatoren wie Gehaltsstrukturen, Mitarbeiterzufriedenheit oder Investitionen in Ausbildung und Weiterbildung, um den gegenüber den Mitarbeitern erzeugten Nutzen zu messen. Auch analysiert die H ELVETIA ihre Leistung als »Corporate Citizen« in Form von Steuerzahlungen, kulturellem und sozialem Sponsoring sowie Aktivitäten, die dem Gemeinwohl und der Umwelt dienen. So werden z.B. der Strom-, Energie- und Verkehrsmix der Gruppe erhoben und kommuniziert. Bereits 1954 weist Peter Drucker auf die zentrale Bedeutung der Leistungsmessung im Management hin: “The real difficulty lies indeed not determining what objectives we need, but in deciding how to set them. There is only one fruitful way to make this decision: by determining what shall be measured in each area and what the yardstick of measurement should be … The things measured become relevant” 332 . Robert Kaplan, der Mitbegründer des Konzept der »Balanced Scorecard«, bringt es noch prägnanter zum Ausdruck: „If you can’t measure it, you can’t manage it.” 333 In diesen Sätzen deutet sich bereits vieles an, was bis heute die Herausforderungen der Performance-Messung prägt. Andererseits wird man sich aber auch immer bewusster, welche Nachteile man sich mit einer allzu „target-driven company“ einhandelt, bei der man versucht jegliches Verhalten über ausdifferenzierte Kennzahlensysteme („KPI-Bäume“) zu steuern. Herausforderung ist es hier einmal mehr, die richtige Balance zu finden. Strategische Gestaltungsebenen Wer Strategien entwickelt sollte sich immer sehr genau bewusst sein, für welche Art von strategischer Einheit dies getan wird, denn es stellen sich jeweils andere Fragen, die es zu bearbeiten und zu beantworten gilt. In nahezu jedem größeren Unternehmen trifft man heutzutage auf folgende Typen organisatorischer Einheiten: (1) das Gesamtunternehmen, mit der Unternehmenszentrale (“Corporate Center/ Headquarters“) als Führungseinheit, (2) strategische Geschäftseinheiten (Divisionen, Sparten, Regionen etc.) und (3) Funktionalbereiche. Manchmal gibt es auch noch (4) eine Netzwerkebene, die es zu planen und zu steuern gilt, falls das Unternehmen zu einem solchen gehört. Hinzu kommen als Gestaltungseinheiten (5) strategische Projekte. CCoor rppo or ra a ttee S Sttrra a tteeg g y y Eine Gesamtunternehmensstrategie (oder Gruppenstrategie) befasst sich primär mit der Frage der Entwicklung des Portfolios der Geschäfte in die das Unternehmen diversifiziert ist bzw. zukünftig diversifiziert sein soll. Diese Diversifikation kann sich z.B. auf Branchen, Regionen, Kundengruppen und/ oder Marken beziehen. Sie sollte in enger Abstimmung zum in der Mission festgelegten Zweck des Unternehmens erfolgen und das Unternehmen seiner Vision näher bringen, ohne dabei die eigenen Werte zu korrumpieren. Mit der Portfoliosteuerung ist dann auch die Frage verbunden, wie es die verfügbaren Ressourcen auf die Geschäfte verteilt und welche Verbundvorteile bzw. Synergien zwischen diesen Geschäften realisiert werden sollen. So kann eine Versicherung z. B. sowohl im Lebensals auch im Nichtlebensgeschäft (Hausrat, KFZ etc.), sowie in der Rückversicherung 332 Vgl. Drucker, P (1954): The practice of management, New York, S. 56. 333 Vgl. Kaplan, R./ Norton, D. P. (1996): Balanced scorecard. Translating strategies into action, Harvard Business School Press, S. 26. <?page no="384"?> 384 Günter Müller-Stewens und Christoph Lechner Neue Betriebswirtschaft tätig sein und diese Geschäfte durch eine Konzernzentrale steuern. Synergien könnten z. B. über eine gemeinsame Produktentwicklung oder Außendienstorganisation angestrebt werden. BBuussiinne essss S Sttr raa tteeg g yy Geschäftsstrategien richten sich auf die Ebene einer einzelnen unternehmerischen Einheit, der sogenannten strategischen Geschäftseinheit. Dies kann z.B. eine Produktdivision sein oder aber auch eine Landesgesellschaft. Eine solche Einheit ist mehr oder weniger eigenständig für ihr Wettbewerbsverhalten und dessen Ergebnisse verantwortlich. So geht es bei einer Geschäftseinheit »KfZ-Versicherung« nicht mehr nur um deren Vertriebsfragen, sondern auch um die Festlegung der gesamten strategischen Ausrichtung dieser Einheit im Verhältnis zu ihrem Wettbewerb. Setzt man z. B. eher auf eine Kostenführerschaftsstrategie im Massengeschäft oder auf eine Differenzierungsstrategie im Premiumsegment? Will man die Schadensabwicklung noch eigenständig durchführen oder lässt man diese von externen Dienstleistern ausüben? Etc. FFu un nk kttiio on na a l lssttrra a tteeg g iieen n Funktionalstrategien beziehen sich auf die direkten, leistungswirtschaftlichen Aktivitäten einer unternehmerischen Einheit, wie etwa die Produktions- oder die Marketingstrategie, oder auf unterstützende Aktivitäten, wie z. B. die Personal- oder Finanzierungsstrategie. Betrachten wir z. B. wieder ein Unternehmen der Versicherungsindustrie, so geht es bei der Vertriebsstrategie einer Einheit um die Frage, welche eigenen Produkte man mit welchen Vertriebskanälen am besten in welchen Regionen an welche Zielgruppen verkaufen kann. In großen diversifizierten Unternehmen werden die unterstützenden Funktionalstrategien wie IT, HR oder Finanzen meist über im Corporate Center angesiedelten Zentralabteilungen unternehmensweit koordiniert und geführt. Ziel einer HR- Strategie könnte z.B. eine länderübergreifende Harmonisierung des Recruiting und der Entlohnungssysteme sein. NNe ettzzw weerrkkssttrraa t teegg iieenn Hier agieren Unternehmen nicht mehr allein am Markt, sondern schließen sich kooperativ zusammen, um Vorteile zu erzielen, die sie allein nicht erzielen könnten. Eine typische Frage auf dieser Ebene ist, welche Aktivitäten man zur Ausschöpfung von Synergien gemeinsam betreiben will und welche lieber nicht. Ein klassisches Beispiel hierfür ist das Netzwerk der in der Star Alliance zusammengeschlossenen Luftfahrtgesellschaften, wo man z. B. über gemeinsame Lounges oder gemeinsame Streckenrechte nach Synergieeffekten sucht. Man findet derartige Netzwerke insbesondere aber auch im mittelständischen Bereich, wo man sich über Netzwerke bestimmte Vorteile von Großunternehmen ebenfalls erschließen möchte. WWe ecchhs seellsseeiitti igg ee A Ab bh hää nngg i igg kkeei itteen n u un nd d d di iee S Suucch he e n naa c chh M M e ehhrrw weer rtt Auch wenn man diese vier Ebenen analytisch gut trennen kann, darf nicht übersehen werden, dass Interdependenzen zwischen den Ebenen bestehen. So kann eine Entscheidung auf der Corporate-Ebene eine Rahmenbedingung setzen, innerhalb derer eine Geschäftseinheit zu operieren hat (z. B. Vorgaben für eine Neuproduktpositionierung in einer Gruppe mit konkurrierenden Marken). D. h., Manöver, bezogen auf eine der Ebenen, haben normalerweise Rückkopplungen auf andere Ebenen zur Folge. Ebenso ist zu beachten, dass viele Unternehmen aufgrund ihrer hohen Komplexität Zwischenebenen eingeführt haben, um ihren Anforderungen entsprechen zu können. Die Dezentralisierung unternehmerischer Verantwortung und die Etablierung von ergebnisverantwortlichen Profitcentern führten zu einem hohen Zuwachs an strategischen Gestaltungsebenen und -objekten. Dies kann sich einerseits in einer Reihe von Zwischeneben zeigen, die dann Namen wie Bereiche, Segmente etc. erhalten. Oder international operierende Unternehmen bündeln Landeseinheiten in Regionen, um <?page no="385"?> 11 Der Strategic Management Navigator 385 Neue Betriebswirtschaft das Portfolio der in dieser Region vertretenen Geschäftseinheiten besser mit den lokalen Gegebenheiten der Region in Einklang zu bringen. Oder es können Kundenplattformen sein, über die man zu relativ homogenen Kundengruppen, die Leistungen aus mehreren Geschäften des Unternehmens beziehen, eine integrierende Ebene schafft. Der Vereinfachung halber vertiefen wir derartige Spezialfälle hier allerdings nicht. Unternehmerische Vorteile auf jeder Ebene speisen sich aus unterschiedlichen Quellen. Jede Gestaltungsebene ist Ansatzpunkt für das Erzielen überdurchschnittlicher Leistungen. Gelingt es z.B. einer Unternehmensgruppe auf der Gruppenebene nicht, einen Mehrwert durch die Nutzung von Synergien zu erzielen, der größer ist als die Kosten dieser Ebene (z. B. die Kosten einer Holding- Organisation), dann wird es am Kapitalmarkt mit einem sogenannten “Conglomerate Discount“ bestraft. Das Gesamtunternehmen ist dann weniger wert als die Summe seiner Teile. Ein Investor könnte sich dann sagen, dass er lieber direkt in die Einzelgeschäfte investiert, da er dann die anteiligen Kosten der Gruppenebene nicht mitzutragen hat und besser selbst sein Anlagenportfolio optimiert. Pfade durch den SMN Mit dem SMN lässt sich ein Prozess zur Genese und Verwirklichung strategischer Initiativen strukturieren. Der sequenzielle Ablauf entlang der Arbeitsfelder Initiierung-Positionierung-Wertschöpfung-Veränderung in Abbildung 11-5 (a1) ist dabei idealtypisch. Wie in der Abbildung jedoch typologisch veranschaulicht wird, sind auch andere Abläufe denkbar, wobei jedoch jeder Pfad bei der Initiierung beginnt. Abb. 11-5: Pfade durch den SMN SSttrra a tteegg iis scchhee ((NNeeuu- -))AAuussrriic chhttuunngg Im Fall der strategischen (Neu-)Ausrichtung werden - nach der Initiierung - zuerst die Positionierungsprogramme entwickelt, d. h., die relevante Einheit wird gegenüber ihrem Umfeld ausgerichtet. Die Variante (a1) zeigt den idealtypischen Ablauf im SMN: Die beiden folgenden Arbeitsmodule haben dann die Aufgabe, strategiegerecht das Geschäftsmodell auszugestalten und die Organisation nachzuführen (Anpassung der Strukturen, Systeme, Werte etc.). In der Variante (a2) wird in der Positionierung zwar die Vision schon formuliert und die Strategien auch grob skizziert, doch danach stößt man zuerst die notwendigen organisatorischen Verände- <?page no="386"?> 386 Günter Müller-Stewens und Christoph Lechner Neue Betriebswirtschaft rungsprozesse an, bevor dann die Wertschöpfungssysteme und die damit verbundene Ressourcenausstattung mit Strukturen, Systemen, Fähigkeiten etc. festgelegt werden. Fallbeispiel: Strategische Neuausrichtung bei Puma Eine strategische Neuausrichtung durchlief der Sportartikelhersteller P UMA nach Jahren roter Zahlen. Mit einer veralteten Produktpalette und einem riesigen Schuldenberg stand P UMA Anfang der 90er-Jahre kurz vor dem Aus. 1993 wurde Jochen Zeitz im jungen Alter von nur 30 Jahren als neuer CEO ernannt. Nur ein Jahr später schrieb P UMA erstmalig seit 1986 wieder schwarze Zahlen, mit einem Gewinn von 25 Mio. DM. Die Vision von Jochen Zeitz war es, P UMA neu zu positionieren, weg von reinen athletischen Sportartikeln hin zu sportiver Mode und jungem Lifestyle. Daraufhin verschlankte er unternehmensweit die Mitarbeiterstruktur, beispielsweise durch den Abbau einer ganzen Ebene an Direktoren und Regionalmanagern. Zudem verlagerte P UMA die Produktion an Vertragspartner in China, Vietnam und Taiwan. Um der Vision junger Lifestyle-orientierter Mode gerecht zu werden, brachte Jochen Zeitz Mode Designer wie Jil Sander und das Model Christy Turlington ins Unternehmen, um neue, höherpreisige Kollektionen zu entwerfen. Die Marke P UMA hat seitdem durch weitere Produkte und Marktsegmente ihr Image nachhaltig gestärkt. So sind z. B. eine Kooperation mit P ORSCHE und S PARCO zu nennen, um feuerfestes Schuhwerk zu entwickeln, Parfüm und Aftershaves unter dem P UMA -Label sowie Produkte und Sponsoring in Trendsportarten wie Motorsport und Golf. Durch diese strategische Neuausrichtung wurde François-Henri Pinault auf Puma aufmerksam. Er war gerade im Begriff das vom Vater 2005 übernommene Firmenkonglomerat auf Luxusgüter zu restrukturieren. Seine Familienholding hält die Mehrheit der Stimmrechte an Kering (bis 2003: PPR). Im Jahr 2007 hat dann Kering die Mehrheit an Puma übernommen, um sich damit neben dem Luxussegment auch im dabei neu geschaffenen Geschäftsbereich Sport & Lifestyle zu positionieren. Doch bis heute hat Puma unter der neuen Eigentümerschaft ~ trotz mehrerer Veränderungsprojekte - noch nicht zu seiner alten Form zurückgefunden. ((NNe euu- -) )EErrf fi innd duun ngg Im Fall der (Neu-)Erfindung des Geschäfts entstehen Strategien aus organisatorischen Lernprozessen zur Logik eines Geschäfts. Aus neuem Wissen emergieren im Fall (b1) in kreativer Art und Weise neue Geschäftsideen. Fallbeispiel: Der Einstieg von Ebay ins Immobiliengeschäft Bei der Auktionsplattform E BAY verbringt man sehr viel Zeit damit, den Kunden in ihrem Transaktionsgebaren zuzusehen. Millionen von Transaktionsdaten werden dazu analysiert. Neue Geschäftsideen kommen dann oft aus der Beobachtung der Häufung neuer Auktionsobjekte und -formen. So hat man z. B. gesehen, dass Kunden auf einmal begannen, Wohnungen und Häuser anzubieten bzw. danach zu fragen, woraus man eine neue Geschäftseinheit für Immobilienauktionen ableitete. Der Hebel zum Erfolg lag hier in einem die etablierte Form des Wettbewerbs verändernden Geschäftsmodell. Man kann sich hier aber auch ein etabliertes Unternehmen vorstellen, das erkannt hat, dass sein bestehendes Geschäftsmodell bedroht ist, z. B. durch Anbieter mit Billigprodukten. Wenn es gelingt einen neuen Ansatz zu entwickeln (z. B. durch den Aufbau von Services), wird die Positionierungsstrategie angepasst. Danach wird der Veränderungsprozess in Gang gebracht, der erforderlich ist, um die neuen Strategieinhalte im Verhalten der Organisationsmitglieder zum Leben zu bringen. Diesem Muster folgten Ende der 90er-Jahre Unternehmen, die befürchteten, dass das Internet (z. B. in Form neuer elektronischer Vertriebswege oder Beschaffungssysteme) ihr Geschäftsmodell verändern würde. Daraufhin wurden E-Business-Initiativen gestartet, die einzelnen Geschäftssysteme auf die Konsequenzen daraus durchleuchtet und ggf. redefiniert (z. B. Einrichtung neuer E-Vertriebs- <?page no="387"?> 11 Der Strategic Management Navigator 387 Neue Betriebswirtschaft kanäle), E-Business-Strategien wurden formuliert und ein Projekt zur E-Transformation aller Mitarbeiter (als kultureller Wandel) gestartet. Damit näherte man sich der Variante (2b). Sie kann den Fall eines Start-up-Unternehmens repräsentieren: Die Gruppe, die sich zur Gründung und zum Aufbau des neuen Start-up zusammengefunden hat, tastet sich über viele Iterationen an ein hoffentlich funktionsfähiges Geschäftsmodell heran. Recht bald muss dann an die Gestaltung des notwendigen Veränderungsprozesses gedacht werden, der die Organisation aus der Gründersituation heraus in einen laufenden und wohl organisierten Betrieb überführt. Langsam erhält man auch eine Vorstellung davon, wie die dazugehörigen Märkte aussehen könnten und mit welchen Wettbewerbern man es dort zu tun hat. Nun kann begonnen werden, die dazugehörigen Positionierungsstrategien zu definieren. ((RRe e--) )VVi ittaa lli issi ieer ru un ng g Bei der (Re-)Vitalisierung geht es darum, zuerst einmal eine verkrustete Organisation aufzubrechen und zu mobilisieren, um dann darauf aufbauend nach neuen strategischen Optionen zu suchen. Ohne die Verankerung neuer Werte sieht man hier keine Chance, das Unternehmen nachhaltig strategisch neu zu gestalten. Ist der kulturelle Wandel genügend weit fortgeschritten, dann werden im Fall (c1) die Wertschöpfungsprozesse und die organisatorischen Strukturen, in denen sie stattfinden, unter die Lupe genommen. Es wird z. B. gefragt, ob bislang die Strategien mit der gegebenen Organisationsstruktur den richtigen Bezugspunkt hatten oder ob es einer Reorganisation bedarf. Erst wenn die Frage geklärt ist, welche organisatorischen Einheiten überhaupt positioniert werden sollen, macht es Sinn, die Positionierungsaufgabe anzugehen. Es kann nun davon ausgegangen werden, dass auf der Basis veränderter Werte und innerhalb veränderter struktureller Rahmenbedingungen inhaltlich andere Strategien entstehen, als wenn man z. B. den klassischen Pfad (a1) gewählt hätte. Im Fall (c2) sieht man dagegen nach der kulturellen Mobilisierung keinen Reorganisationsbedarf und geht deshalb direkt in die Positionierung und passt erst danach die Strukturen an. Der Pfad (c) ist oft mühsam. Meist dauert er viele Jahre, da eine Kulturveränderung ein langwieriger und kaum zielorientiert-steuerbarer Prozess ist. Nicht selten ist es sogar so, dass es einer Führungsmannschaft nur gelingt, eines der Arbeitsfelder abzuarbeiten, und der nächste Arbeitsschritt unter neuer Führung stattfindet. Derartige Fälle einer Revitalisierung hat man häufig dort gesehen, wo ganze Branchen liberalisiert und dereguliert wurden (z. B. Telekommunikationsindustrie), wo es sich für die betroffenen Wettbewerber um fundamentalen Wandel handelt, der nahezu alles im und am Unternehmen verändert. Fallbeispiel: Revitalisierung bei IBM IBM durchlief in ihrer Geschichte bereits mehrere strategische Transformationen. Seit dem Ende der 90er-Jahre bis heute entwickelte sich IBM von einer Hardware-Computer-Firma zu einem Service- und Software-Anbieter. Dieser strategische Wandel vollzog sich ursprünglich aufgrund der Notwendigkeit, dem Trend des immer mehr zum Massenprodukt werdenden klassischen Hardware-Geschäfts und dessen abnehmender Profitabilität entgegenzuwirken. Die Kerngeschäfte der IBM, wie beispielsweise der Verkauf von Großrechnern, verloren zunehmend an Umsatz und Profitabilität. Bereits 2000 kündigte Louis Gerstner (damaliger CEO) an, IBM müsse einmal gründlich durchgeschüttelt werden, um ihr Wachstum anzukurbeln und um ihrem Ziel gerecht zu werden, der führende Anbieter von Technologie und Services der Internetökonomie zu sein. Daher kündigte Gerstner grundlegende Veränderungen im Management an, wodurch vor allem Vertreter der jüngeren Generationen nach oben rückten. Zwei Jahre später bekam die strategische Vision erhebliches Momentum, als IBM, nun unter der Führung von Samuel Palmisano, die Business-Consulting Division von PricewaterhouseCoopers übernahm. Durch diesen Kauf konnte IBM sein Angebot im Servicebereich rasant ausbauen und wurde zum größten Anbieter in diesem Bereich. Einen weiteren Höhepunkt erlangte IBMs strategische Neuausrichtung <?page no="388"?> 388 Günter Müller-Stewens und Christoph Lechner Neue Betriebswirtschaft mit dem Verkauf ihrer Personal Computer Division an den chinesischen Computerhersteller Lenovo. Damit besiegelte IBM ihren Ausstieg aus dem produzierenden Gewerbe; die Zukunft sah man nun im Bereich Technologieservice, Consulting und Software - alles Bereiche, die sich als deutlich profitabler gezeigt haben, als die Personal-Computer-Sparte. IBMs Produkt- und Serviceangebot hat sich aufgrund der strategischen Revitalisierung stark verändert. Zwischen 2000 und 2009 wurden 108 strategische Akquisitionen unternommen, die zu einer starken Verschiebung der Segmenterträge führten. Von 2000 bis 2009 hat sich der Vorsteuerertrag der Hardwaresparte von 2,7 Mrd. USD auf 1,4 Mrd. USD fast halbiert. Die Servicessparte konnte ihr Ergebnis hingegen von 4,5 Mrd. USD auf 8,1 Mrd. USD fast verdoppeln und die Softwaresparte von 2,5 Mrd. USD auf 8,1 Mrd. USD sogar mehr als verdreifachen. Mit dieser Transformation vom Industriezum Dienstleistungsunternehmen ging natürlich auch ein erheblicher kultureller Wandel einher, den es zu bewältigen galt. Es gibt aber auch Unternehmen, die sich genau diesen Pfadtyp auch bei kleinen Veränderungen zu ihrem kontinuierlichen Grundmuster gemacht haben. Sie gehen davon aus, dass, bei einer permanente Pflege und Weiterentwicklung der zentralen Werte des Unternehmens, die Strukturen sich so anzupassen haben, dass die Werte sich optimal entfalten können und dann auch erfolgreiche Strategi en dar aus emergier en w e rd en: „str ucture foll ow s c ulture“ u nd „strate gy fo llo ws str uc tu re “ . Natürlich laufen die Strategieprozesse in der betrieblichen Realität nicht immer so linear-sequentiell ab, wie in den Pfadtypen jeweils dargestellt. Manchmal stellt man in einem Arbeitsfeld fest, dass man im vorherigen Feld nicht logisch genug gearbeitet hat oder bestimmten wichtigen Fragen ausgewichen ist, dann muss man nochmals einen Schritt zurück. Oder bei Pfad 1a kam es auch zu Anwendungen, die mehr dem Bild einer Spirale entsprachen. Etc. Besonderheiten und Grenzen des SMN Mit dem SMN wollen wir eine grundsätzliche Arbeitsstruktur anbieten, die möglichst universal bzgl. der Einsatzfelder und -formen ist. Um diesem Anspruch möglichst nahe zu kommen, wurde der Ansatz an verschiedenen zu erfüllenden Funktionen ausgerichtet. (a) Gleiche Arbeitsstruktur auf allen Gestaltungsebenen: Strategische Initiativen können auf verschiedenen Gestaltungsebenen betrieben werden, je nach dem Gestaltungsobjekt. Der SMN ist so aufgebaut, dass seine Grundstruktur mit den vier plus eins Arbeitsfeldern auf allen Gestaltungsebenen anwendbar ist: vom Unternehmensnetzwerk, über das Unternehmen, die Geschäftseinheiten, die Funktionsbereiche, die strategischen Projekte bis hin zum Individuum. Workshop: SMN-Coaching auf Individualebene Der SMN kann auch auf Teams und Individuen angewandt werden. Dadurch kann eine zeitnahe Brücke zwischen den kollektiven Beschlüssen und persönlichen Konsequenzen geschlossen werden. Jeder Arbeitsschritt im SMN hat auch Auswirkungen auf die am Prozess Beteiligten und vom Prozess Betroffenen. Ein Coaching muss dort ansetzen, wo aus den kollektiven Fragestellungen individuelle Problemstellungen und Herausforderungen werden, da sonst die Veränderungsinitiativen an ausbleibenden Verhaltensänderungen scheitern könnten. Die Instrumente eines Coaching können den einzelnen Arbeitsfeldern zugeordnet werden. Dabei treten z. B. folgende Themen auf: " Initiierung: Wie kann ich die mir zugedachte Rolle (im Führungsteam) ausüben? Möchte ich die Rolle in der gegebenen Form akzeptieren? Wo treten Rollenkonflikte auf (Familie, Partnerunternehmen usw.)? Wie kann ich diese austragen? Wo sollte ich an mir arbeiten, um in meiner neuen Rolle erfolgreich zu sein? etc. <?page no="389"?> 11 Der Strategic Management Navigator 389 Neue Betriebswirtschaft " Positionierung: Was bedeuten die Positionierungsentscheidungen für mich? Gibt es persönlich zu ergänzende Stakeholder (Verhältnis zum Vorgesetzten usw.)? Wie stark fühle ich mich zu Vision, Mission, Werten, Zielen und Strategien verpflichtet? Welchen Einfluss habe ich auf den Erfolg? Wie will ich mich selbst in die Verhandlungen um unsere Positionierung gegenüber den Stakeholdern einbringen? etc. " Wertschöpfung: Welche Art des Handelns wird von mir zur Umsetzung der Strategien erwartet? Welche Fähigkeiten werden von mir gefordert sein, um entsprechend handeln zu können? Über welche dieser Fähigkeiten verfüge ich bereits? Bin ich in der Lage, die fehlenden Fähigkeiten rechtzeitig aufzubauen? Welche Unterstützung benötige ich hierfür? etc. " Veränderung: Fühle ich mich durch das Design des Wandels angesprochen? Fühle ich mich in der Lage, mich auf den Wandel einzulassen? Was ist meine Aufgabe in der Umsetzung des Wandels? Welche Hindernisse erwarte ich bei meiner Wandelarbeit? Denke ich, ausreichend Kompetenzen und Unterstützung zu haben, um mit diesen Hindernissen umzugehen? Wofür sollte ich um Unterstützung anfragen? etc. " Performance Messung: Wie kann ich beobachten, wo ich in meinem eigenen Veränderungsprozess stehe? Gibt es Vorlaufindikatoren dazu, ob ich mich in die richtige Richtung verändere? Wie liege ich im Verhältnis zur Gruppe? etc. Ein Schulungskonzept zum SMN kann z. B. so angelegt sein, dass in zeitlich auseinander liegenden Blöcken schrittweise die einzelnen Arbeitsfelder »on the job« durchlaufen werden und man dabei parallel sowohl mit dem Führungsteam, dem zu transformierenden System als Ganzes als auch mit den Einzelpersonen arbeitet. (b) Unterstützung unterschiedlicher Prozesstypen: Strategische Initiativen finden in sehr unterschiedlichen Kontexten statt. Der strategische Arbeitsprozess sollte in seinem Ablauf möglichst gut dem jeweiligen Kontext entsprechen. Durch die Modularisierung des SMN in seine Arbeitsfelder konnten in Abschnitt 4 generische Prozesstypen abgeleitet werden, denen unterschiedliche Prozesspfade durch den SMN zuordenbar sind. (c) Gleiche Arbeitsstruktur unabhängig von der Unternehmensgröße: Anspruch des Ansatzes ist es auch, dass ein kleines Start-up-Unternehmen oder ein mittelständischer Betrieb oder ein großer internationaler Konzern nach der gleichen Grundstruktur ihren strategischen Arbeitsprozess ausgestalten kann. Dies kann z. B. Schnittstellenprobleme zwischen einem Großunternehmen und einer kleinen Tochtergesellschaft vereinfachen. Natürlich müssen dann die Tiefe und die Methodik der Arbeitsweise in den einzelnen Arbeitsfeldern dem Komplexitätsgrad des Gestaltungsobjektes angepasst sein. Doch die grundsätzliche Logik der Strategie- und Wandelarbeit bleibt die gleiche. (d) Orientierungskompass: Sowohl seitens der Wissenschaft als auch der unternehmerischen Praxis hat sich zum Strategischen Management eine derart reichhaltige Ökologie des Wissens entwickelt, dass sie kaum mehr zu überschauen ist. Der SMN ist ein Versuch, diese Vielfalt sinnvoll zu ordnen und strukturiert aufzubereiten. In jedem Feld kann man sich vertieft in die jeweilige Materie einarbeiten, ohne den Gesamtzusammenhang aus den Augen zu verlieren. Damit soll allerdings nicht beansprucht werden, dass jede Thematik immer eindeutig einem der Arbeitsfelder zuordenbar ist. (e) Theorienspeicher und Werkzeugkiste: In jedem Feld des SMN kann Wissen zum Strategischen Management in Form von Theorien oder Werkzeugen hinterlegt werden. So können einerseits die im Laufe der Zeit entwickelten Beschreibungen, Hypothesen und Theorien zum Strategischen Management gespeichert und bei Bedarf abgerufen werden. Der SMN wird dann zu einem „Theorienspeicher“. Andererseits bietet er auch Raum für die auf die Lösung strategischer Probleme entwickelten Heuristiken und Instrumente und wird in dieser Funktion zur „Werkzeugkiste“. (f) Kommunikationsplattform: Gerade wenn es um strategische Fragen geht, wird oft in verschiedenen „Sprachen“ gesprochen. Ein Wechsel der Abstraktionsebenen ist dabei ebenso oft zu beobachten, wie die sich teils überschneidende, teils widersprüchliche Verwendung von Begriffen. Über ein ge- <?page no="390"?> 390 Günter Müller-Stewens und Christoph Lechner meinsames Denkraster, wie es der SMN darstellt, kann ein Verständigungsprozess unterstützt werden. Dies soll nicht nur Studierenden und wissenschaftlich Interessierten von Nutzen sein, sondern auch Führungskräften die Möglichkeit bieten, eine gemeinsame Sprache in ihren strategischen Diskursen zu finden. (g) Heuristik zur Ideengenerierung: Das Strategische Management kann als eine sich evolutionär fortentwickelnde Disziplin betrachtet werden. Neues wird geschaffen, selektiert und im Wissensschatz verankert. Der SMN kann auch dazu verwendet werden, neue Ideen zu generieren und damit die Variation im Feld zu erhöhen. Auch dies gilt gleichermaßen für Wissenschaft wie unternehmerische Praxis. Dahinter steht die Annahme, dass Unternehmen lernen können, mit den Anforderungen ihrer Zukunft besser umzugehen, je größer und umfangreicher ihr Reflexions-, Problemlösungs- und Handlungspotenzial ist. (h) Problemraster : Analog zur Verwendung als Heuristik kann der SMN auch für die Identifikation und gezielte Bearbeitung von konkreten Problemen (»strategic issues«) eingesetzt werden. Dabei zwingt die Vernetzung der Felder dazu, eine Problemstellung nicht nur isoliert, sondern in Zusammenhang mit den anderen Feldern zu betrachten. Zusammenfassung Jede Strategiebildung basiert auf einer spezifischen Betrachtung der Umwelt durch ein Unternehmen (bzw. dessen Akteure). Dabei kommt es zu einer Selektion der Anspruchsgruppen (Stakeholder) am Unternehmen in Relation zu ihrer wahrgenommenen Bedeutung. Der Strategic Management Navigator (SMN) stellt einen Bezugsrahmen zur Strukturierung des Strategischen Managements in vier plus eins modulartigen Arbeitsfeldern dar: Initiierung, Positionierung, Wertschöpfung, Veränderung plus Performance-Messung. Er verbindet dabei die Inhalts- und Prozessforschung, indem er sowohl die inhaltlichen als auch prozessualen Aspekte von strategischen Initiativen thematisiert. Ebenso differenziert er in Fragen der Genese (Entstehung) und der tatsächlichen Wirksamkeit von Strategien. Die einzelnen Gestaltungsebenen eines Unternehmens bieten dabei unterschiedliche Ansatzpunkte zur Realisierung von Vorteilen als Grundlage zur Erzielung einer überdurchschnittlichen Performance. Der SMN bietet eine zusammenhängende Betrachtung des Strategischen Managements über seine vier plus eins Felder, ohne dabei durch eine bestimmte Prozessvorstellung die Betrachtung vorschnell zu verengen. So können seine modulartigen Arbeitsfelder - je nach Gestaltungskontext - in unterschiedlichen Abfolgen zu alternativen Arbeitsprozessen (SMN-Pfadtypen) aneinandergereiht werden. Die Arbeitsstruktur des SMN ist weitgehend universal bzgl. der Einsatzfelder und -formen. Er weist eine rekursive Grundlogik auf, d. h., seine Struktur der vier plus eins Felder ist auf verschiedene Ebenen unternehmerischer Einheiten anwendbar, wie z. B. Netzwerke, Gesamtunternehmen, Geschäftseinheiten oder einzelne Abteilungen. Der SMN bewegt sich im Spannungsfeld von grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung und stellt daher sowohl wissenschaftliche Theorien als auch auf praktische Anwendung zielende Instrumente vor. <?page no="391"?> Neue Betriebswirtschaft 1 122 SSttrraatteeggiisscchhe ess CCoonnttrroolllliinng g Kai-Christian Muchow Konzeptionelle Grundlagen 12.1.1 Strategie 334 Das Konzept der Strategie besitzt insbesondere im Bereich der Militärtheorie eine mindestens zweieinhalbtausendjährige Bedeutungsgeschichte, die in ihren Wurzeln bis in die griechische Antike zurückreicht. 335 In der Betriebswirtschaftslehre wurde der Strategiebegriff erstmals im Zusammenhang mit spieltheoretischen Modellen ökonomischen Verhaltens in den 40er Jahren verwendet (v. Neumann & Morgenstern 1944), bevor sich die strategische Unternehmensführung in den 60er Jahren unter dem Eindruck einiger richtungweisender Veröffentlichungen (Chandler 1962, Ansoff 1965, Andrews 1971) dann als eigenständige betriebswirtschaftliche Teildisziplin etablieren konnte. Die Vielfalt der Beiträge, die diese neue Disziplin in den folgenden Jahren hervorbrachte, sorgte innerhalb kurzer Zeit auch für eine enorme semantische Varietät des Strategiebegriffs selbst (vgl. dazu Mintzberg 1989a, Whittington 1993, Mintzberg et al. 1999, Mintzberg & Lampel 1999). Mintzberg (1987) identifizierte in diesem Zusammenhang in der Literatur fünf verschiedene Sichtweisen, wie das Konzept der Unternehmensstrategie grundsätzlich begriffen werden kann, nämlich als Plan, als List, als Position, als Perspektive und als Verhaltensmuster. Den klassischen Werken der Strategieliteratur wie auch dem Alltagsverständnis am nächsten steht das Konzept der Strategie als einem Plan, der vom Top-Management zur Erreichung der langfristigen Ziele einer Organisation entwickelt wird: „Strategy can be defined as the determination of the basic long-term goals and objectives of an enterprise and the adoption of courses of action and the allocation of resources necessary for carrying out these goals.“ (Chandler 1962, S. 13). Diese Sichtweise interpretiert Strategien als Ergebnis eines formalen Planungsprozesses (vgl. etwa Hax & Majluf 1991, Welge & Al-Laham 1993). Aus der Perspektive der Strategie als einer List (Ploy) geht es in erster Linie um einzelne strategische Manöver, hinter denen sich jeweils eine bestimmte Intention der Akteure verbirgt. Diese Auffassung ist eng mit der Vorstellung von Strategie als einer vorausgedachten Vorgehensweise verknüpft und findet sich insbesondere in spieltheoretischen Beiträgen (Schelling 1960, Fudenberg & Tirole 1991) wieder. Die Auffassung von Strategie als einer Position interessiert sich für die Frage, welche Wettbewerbspositionen für das Unternehmen auf einzelnen Produktmärkten jeweils optimal sind und wie das Unternehmen solche Positionen erlangen kann. Die Strategie bildet dabei die „Passung“ eines Unternehmens mit seiner Wettbewerbsumwelt ab (Hofer & Schendel 1978). Versteht man Strategie als Perspektive, so rücken die grundsätzliche Art und Weise, wie sich ein Unternehmen verhält, sowie die Grundüberzeugungen und Weltanschauungen seiner Führung, die in dieser Art und Weise zum Ausdruck kommen, in den Mittelpunkt des Interesses. In der Strategie reflektiert sich aus dieser Sicht der spezifische Charakter (Selznick 1957) einer Organisation. Sie wird zu einem abstrakten 334 Vgl. zu diesen Abschnitt auch Muchow (2006). 335 Zur ausführlichen Erörterung der Etymologie des Strategiebegriffs sowie der semantischen Abgrenzung der Konzepte der militärischen und der Unternehmensstrategie vgl. in der englischsprachigen Literatur z. B. Andrews (1971), Quinn (1980); in der deutschsprachigen Literatur etwa Pümpin (1980), Gälweiler (1987), Staehle (1994) etc. <?page no="392"?> 392 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft Konzept, das zwar nur in der Vorstellung der einzelnen Mitglieder existiert, von diesen aber gemeinsam geteilt wird und sie daher miteinander verbindet. Die Definition der Strategie als eines über die Zeit konsistenten Verhaltensmusters (Pattern) befasst sich weniger mit den abstrakten Absichten und Plänen als vielmehr mit den konkreten strategischen Handlungen der Mitglieder einer Organisation. Von diesem - von Mintzberg selbst vertretenen - Standpunkt aus ist also streng zwischen der beabsichtigten Strategie und der realisierten Strategie eines Unternehmens zu unterscheiden (Mintzberg & Waters 1985). Eine beabsichtigte Strategie wird danach im Regelfall nur teilweise in eine realisierte, bewusste Strategie umgesetzt, während der andere Teil als unrealisierte Strategie wirkungslos bleibt. Auf der anderen Seite kommt es außerhalb des formalen strategischen Planungsprozesses laufend zur Herausbildung emergenter, d.h. unbewusst entwickelter Strategien, die gemeinsam mit den bewussten Strategien in die realisierte Strategie einfließen (Mintzberg & McHugh 1985, Mintzberg 1989b). Nach Auffassung von Burgelman (1983a, 1983b) ist die von Mintzberg beschriebene Emergenz von Strategien das Ergebnis zeitlich und lokal begrenzeter Problemlösungsaktivitäten innerhalb einzelner Teilbereiche des Unternehmens, die sich im Verlauf eines ungeplanten evolutionären Ausleseprozesses in Form von strategischen Initiativen durchgesetzt und Eingang in die Unternehmensstrategie gefunden haben. Für die Beschreibung und Untersuchung von solchen strategischen Handlungen ist zu beachten, dass diese als Folge ihres ungeplanten Entstehens grundsätzlich nur ex post als Bestandteil der Unternehmensstrategie identifiziert werden können (Weick 1979, 1995; Burgelman 1983a): “From the perspective of a process study, the concept of strategy of large complex firms can be viewed as the result of the corporate context on the stream of strategic behaviors at operational levels […] the concept of corporate strategy represents the more or less explicit articulation of the firm’s theory about its past concrete achievements.” (Burgelman 1983a, S. 66). Quinn (1980), der insbesondere Mintzbergs Auffassung von Strategie nahesteht, weist in seiner Arbeit zu den Prozessen der inkrementellen Entwicklung und Implementierung von Unternehmensstrategien darauf hin, dass emergente Strategien sich auch ohne Bewusstsein des Top- Managements herausbilden können: “… often the existence of a strategy (or strategy change) may be clear to an objective observer, although it is not yet apparent to the executives making critical decisions.” Der Fokus der strategischen Managementforschung liegt aus dieser Prozessperspektive auf der Beschreibung und Analyse des Zustandekommens und operativen Wirksamwerdens von beobachteten Unternehmensstrategien (Chakravarthy & Doz 1992), die als „pattern in a stream of actions“ (Mintzberg & Waters 1985) aufgefasst werden. 12.1.2 Controlling Ähnlich wie für den Strategiebegriff findet sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur auch für den Begriff des Controllings eine große Vielfalt von Definitionen, in denen sich die unterschiedlichen Auffassungen ihrer Autoren hinsichtlich der Konzeption des Unternehmens als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Untersuchung und den daraus resultierenden Aufgaben der Unternehmensführung widerspiegeln. Diese Auffassungen haben sich seit der Begründung der Managementlehre zum Ende des 19. Jahrhunderts fortwährend weiterentwickelt (Staehle 1994), und dementsprechend hat sich auch das Bild des Controllings im Laufe ihrer Entwicklung als betriebswirtschaftlicher Disziplin um immer neue Facetten erweitert und so bis heute grundlegend verändert. Während der ursprüngliche Begriff des „Comptroller“ im Bereich der öffentlichen Wirtschaft im England des 15. Jahrhunderts das (noch heute bestehende) Hofamt des leitenden Rechnungsprüfers der Finanzverwaltung bezeichnete, hielt der Begriff in den USA ab 1880 auch Einzug in den privatwirtschaftlichen Bereich, ohne allerdings in der Bedeutung verwendet zu werden, wie sie inzwischen im deutschen Sprachraum üblich geworden ist. Diese moderne Controllingkonzeption kristallisierte sich erst seit den 50er Jahren im Zuge der akademischen Bemühungen um eine Definition des Begriffes, der bereits in der betriebwirtschaftlichen Praxis verwendet wurde (Staehle 1994; Weber & <?page no="393"?> 12 Strategisches Controlling 393 Neue Betriebswirtschaft Schäffer 2011). 336 Weber und Schäffer legen in ihrer ausführlichen Analyse dieses Entwicklungsprozesses als Ansatzpunkte für eine Definition die Funktionen des Controllings zugrunde und unterscheiden dabei vier Aspekte, nämlich (1) die Informationsversorgung, (2) die erfolgszielbezogene Steuerung, (3) die Koordination und (4) die Rationalitätssicherung der Führung. Zur Funktion der Informationsversorgung, die sich in der Literatur auf die längste Tradition stützen kann, gehört die Auffassung, dass das Controlling der Unterstützung der Steuerung des Unternehmens durch Information (Hoffmann 1972) diene. Da eine reine Fokussierung auf die Informationsbeschaffung zu kurz greift, wenn nicht (wie bei Hoffmann) auch auf den Verwendungszusammenhang der Sammlung von betrieblichen Informationen eingegangen wird, stellten nachfolgende Autoren klar, dass es im Zusammenhang mit Controlling um eine erfolgszielbezogene Steuerung und damit eine systematische Zielausrichtung des Unternehmens gehen muss (Krüger 1979; Baum, Coenenberg & Günther 2007). Da das Controlling dieser Sicht zufolge eine zentrale Funktion für die Unternehmenssteuerung übernimmt, kann es aber auch im weiteren Sinn als ein Führungsinstrument zur Koordination von Planung und Kontrolle sowie der Informationsversorgung im Unternehmen aufgefasst werden (Küpper 1987; Horváth 2003). Diese Konzeption erweitert den potenziellen Wirkungsbereich des Controllings weit über die Grenzen des betrieblichen Rechnungswesens, dem es in der Praxis in der Regel zugeordnet wird, und gab daher den Anstoß zur einer vierten Sichtweise, die auf die Funktion des Controllings zur Rationalitätssicherung der Führung abhebt (Schäffer 2009; Weber & Schäffer 1999, 2011). Danach ist es die zentrale Aufgabe des Controllings und gleichzeitig sein Alleinstellungsmerkmal als betriebliche Funktion, Führungshandeln möglichst rational zu untermauern; d.h. die Tätigkeiten der Planung, der Kontrolle und der Informationsversorgung stehen im Dienste der Sicherstellung einer rationalen Führung - der Controller wird zum Hüter der Rationalität im Unternehmen. Die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der vier von Weber und Schäffer besprochenen Controllingkonzeptionen sollten aber nicht den Blick dafür verstellen, dass ihnen allen - implizit oder explizit - das gemeinsame Grundverständnis eines zyklischen Managementprozesses (Abb. 12-1) zugrunde liegt, in dessen Rahmen das Zusammenspiel der Planung, Umsetzung und Kontrolle von Führungsentscheidungen einen kybernetischen Regelkreis bildet (Malik 1986, Bleicher 1992, Pfohl & Stölzle 1997, Günther 1997, Horváth 2003, Weber & Schäffer 2011). Gegenstand dieses Managementprozesses ist die Frage, wie die Organisation als soziales System (Ulrich 1970, 1978, 1984) auf ihre Zielsetzung hin ausgerichtet werden und wie ihre Existenz dauerhaft gesichert werden kann. Das Controlling übernimmt dabei als ein Teilsystem der Organisation die Aufgabe, die Unternehmensführung beim Umgang mit der Komplexität 337 einer dynamischen Unternehmensumwelt durch Planung, Kontrolle und Informationsversorgung zu unterstützen und so zur Existenzsicherung der Organisation beizutragen (Horváth 2003). Auf der Grundlage dieses kybernetisch-systemorientierten Ansatzes definiert Horváth den Begriff des Controlling wie folgt: „Controlling ist - funktional gesehen - dasjenige Subsystem der Führung, das Planung und Kontrolle sowie Informationsversorgung systembildend und systemkoppelnd ergebniszielorientiert koordiniert und so die Adaption und Koordination des Gesamtsystems unterstützt.“ (Horváth 2003, S. 151) 336 Im angelsächsischen Sprachraum wird nach wie vor eher von „Management Accounting“ oder „Management Control“ gesprochen, wenn dieser Begriff gemeint ist. 337 Vgl. dazu die Definition von Ulrich (1970): „Unter Komplexität wird im allgemeinen die Möglichkeit der geistigen Erfassung und Beherrschung eines Systems verstanden. Sie beruht auf dem Reichtum der Beziehungen zwischen den Elementen und seiner Umwelt und äußert sich bei dynamischen Systemen in einer sehr hohen Anzahl möglicher Zustände, die das System annehmen kann“ <?page no="394"?> 394 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft Abb. 12-1: Die systemorientierte Konzeption des Managementprozesses (Bleicher 1992) Für die Zwecke des vorliegenden Aufsatzes ist es wesentlich festzustellen, dass Controlling (1) ein auf alle finanziellen Aspekte des Unternehmens gerichteter Prozess aufgefasst werden kann, der als solcher (2) in den Gesamtprozess der Unternehmensführung eingebunden ist und (3) auf der Abstimmung von interner Planung und Kontrolle auf der Grundlage einer laufenden Datenerfassung (Ist-Werte) beruht (Staehle 1994). Als Kontrolle wird dabei eine vorausschauende Feinsteuerung verstanden, die mithilfe von Ist-Rechnungen und darauf aufbauender Abweichungsanalysen die Ursachen für gefundene Abweichungen von der Planung analysiert und auf der Grundlage von Erwartungs- und Entscheidungsrechnungen (z.B. Forecasts, Profitabilitätsrechnungen) Maßnahmen vorbereitet, damit der Plan in der Bezugsperiode noch erreicht werden kann (Rüegg-Stürm & Sander 2009). 12.1.3 Strategisches Controlling Grundidee des strategischen Controllings ist, den Wirkungsbereich des Controllings von der rein finanziellen Planung auf die Strategieplanung auszuweiten mit Ziel, die nachhaltige Existenzsicherung des Unternehmens zu gewährleisten (Mann 1978, 1987). Die vorausgegangene Analyse der beiden vielschichtigen Begriffe „Strategie“ und „Controlling“ hat aber schon angedeutet, dass ein solches Unterfangen keineswegs frei von definitorischen Voraussetzungen ist: Planungsgedanke Strategisches Controlling baut gedanklich auf einem zumindest rudimentär vorhandenen strategischen Plan auf und setzt damit implizit einen ganz bestimmten Strategiebegriff voraus - nämlich die Konzeption der Strategie als einem von der Unternehmensführung entwickelten bzw. gemeinsam verabschiedeten Plan. Es ist dementsprechend inkompatibel mit Strategieauffassungen, die das Vorhandensein eines solchen Plans negieren, was insbesondere die oben skizzierte Konzeption der Strategie als eines Verhaltensmusters betrifft. Anders ausgedrückt, kann sich strategisches Controlling immer nur auf den beabsichtigen Teil einer Unternehmensstrategie beziehen. Zyklischer Prozesscharakter Entsprechend der gemeinsamen inhaltlichen Basis der vier oben genannten Konzeptionen des Controllings, als dessen Teilsystem das strategische Controlling aufzufassen ist (Baum, Coenenberg & Günther 2007), liegt auch letzterem implizit ein kybernetisch-systemtheoretisches Verständnis des gesamten Managementprozesses zugrunde. Strategisches Controlling ist dabei sowohl mit den stra- <?page no="395"?> 12 Strategisches Controlling 395 Neue Betriebswirtschaft tegischen als auch mit den finanziellen Aspekten des sich jährlich wiederholenden Planungs- und Budgetierungsprozesses eng verzahnt und begleitet diesen fortlaufend durch alle seine Phasen (Schreyögg & Steinmann 1985, Müller-Stewens & Lechner 2003). 338 In der betrieblichen Praxis gehört die Gestaltung, Koordinierung und Unterstützung dieses Prozesses zu den wesentlichsten Aufgaben des strategischen Controllers. Abgrenzung zwischen strategischem und operativem Controlling Die oben bereits erwähnte Auffassung des strategischen Controllings als Teilsystem des Controllings (Baum, Coenenberg & Günther 2007) folgt dessen Konzeption als Führungsinstrument zur Koordination von Planung, Kontrolle und Informationsversorgung im Rahmen der Unternehmenssteuerung (Horváth 2003). Da das strategische Controlling aber - anders als das operative Controlling - gleichzeitig auch in den Strategieprozess eingebunden ist (Müller-Stewens & Lechner 2003) und damit über die Grenzen des betrieblichen Rechnungswesens hinausgreift, bietet sich hier ein Ansatzpunkt zur Abgrenzung gegenüber dem operativen Controlling. Abb. 12-2: Aufgabenbereiche der Unternehmensführung mit ihren Steuerungsgrößen (Gälweiler 1987) Letzteres befasst sich mit der laufenden Erfassung und Steuerung des wirtschaftlichen Erfolgs eines Unternehmens (ausgedrückt in finanziellen Erfolgsgrößen der internen Rechnungslegung wie Geschäftsergebnis oder Liquidität) und bezieht sich dabei auf einen kurzfristigen Zeithorizont (i.d.R. das laufende Geschäftsjahr). Im Gegensatz dazu stellt das strategische Controlling die Erfassung und Steuerung von mittel- und langfristigen, teils qualitativen Erfolgsgrößen (z.B. Markt- oder Ressourcenposition, Stärke des Technologieportfolios usw.) in den Mittelpunkt, die der Unternehmensführung Aufschluss über bestehende oder neue Potenziale für zukünftigen Unternehmenserfolg geben und damit helfen, die Existenz des Unternehmens auf lange Sicht abzusichern (Mann 1987; 338 Genau diese zyklische Konzeption des strategischen Planungsprozesses liegt auch dem Bezugsrahmen des General Management Navigator (GMN) zugrunde, mit dem insbesondere die Genese und Verwirklichung strategischer Initiativen analysiert werden (vgl. Müller-Stewens & Lechner 2003 sowie den Aufsatz von G. Müller-Stewens in diesem Band). <?page no="396"?> 396 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft Baum, Coenenberg & Günther 2007). Strategische und operative Erfolgsgrößen sind jedoch keineswegs unabhängig voneinander, sondern stehen vielmehr in einer logischen Hierarchie zueinander (Gälweiler 1987). Dabei setzen die langfristig orientierten Erfolgsgrößen den Rahmen für die mögliche Bandbreite, in denen sich die kürzerfristig ausgerichteten Erfolgsgrößen bewegen - so lässt z.B. die ungünstige Wettbewerbsposition eines strategischen Geschäftsfeldes in der Regel keine überdurchschnittlichen Ergebnisse hinsichtlich Gewinn oder Liquidität zu (Abb. 12-2). 339 Mit seinem Fokus auf strategische Steuerungsgrößen und mit seinem spezifischen Instrumentarium ergänzt und erweitert das strategische Controlling den Wirkungsbereich des Controllings (Mann 1978, 1987) und trägt durch dessen Systematik - ganz im Sinne der oben skizzierten Controllingkonzeption von Weber und Schäffer - zur Rationalitätssicherung der strategischen Unternehmensführung bei (Weber & Schäffer 1999, 2011). Damit lassen sich wichtigsten konzeptionellen Elemente des strategischen Controllings wie folgt zusammenfassen: „In Abwandlung des Controlling-Begriffs kann strategisches Controlling als Versorgung der Unternehmensleitung mit entscheidungsrelevanten Informationen und als Koordination verschiedener strategischer sowie operativer Subsysteme des Unternehmens zur Gewährleistung einer nachhaltigen Existenzsicherung als oberste Zielsetzung verstanden werden. Strategisches Controlling greift auf den aus strategischer Planung, Realisation und strategischer Kontrolle bestehenden kybernetischen Controlling-Prozess zurück und unterstützt den strategischen Führungsprozess.“ (Baum, Coenenberg & Günther 2007, S. 9) Aufgaben des strategischen Controllings Nachhalten der strategischen Planung Ausgehend vom Begriff der Strategie als einem zumindest in seinen Grundzügen formulierten Plan ist der Hauptgegenstand des strategischen Controllings das Nachhalten der strategische Planung (mit Vergleich von Ist- und Sollgrößen sowie Abweichungsanalysen; vgl. Hahn 2006), und zwar insbesondere (1) der strategischen Geschäftsfeldplanung (einschließlich Produkt-/ Markt-Strategie, Investitionsplanung, Standort- und Kapitalstruktur etc.) sowie ergänzend (2) der Organisations- und Rechtsstrukturplanung und (3) der Führungskräftesystemplanung (z.B. Karriereplanung, Anreizsysteme). Ein wesentlicher Unterschied zum operativen Controlling besteht allerdings darin, dass die verschiedenen Aspekte der strategischen Planung, die zusammen den Gegenstand des strategischen Controllings bilden, hinsichtlich ihrer Umsetzung grundsätzlich auf längere Zeiträume angelegt sind (Gälweiler 1987). Für die Kontrolle strategischer Planung hat dies zur Folge, dass bei der Realisierung sich anbahnende Abweichungen oder auch Planungsfehler möglichst frühzeitig erkannt und geeignete Maßnahmen (d.h. Beseitigung der Abweichungsursachen oder Anpassung der Planung) ergriffen werden sollten. Im Idealfall wird eine solchermaßen vorausschauende strategische Kontrolle mit der strategischen Planung und ihrer Implementierung zeitlich parallelisiert - Strategieplanung, -umsetzung und -kontrolle werden so Teile eines integrierten Prozesses (Kaplan & Norton 1996, Hahn 2006). Innerhalb des Aufgabenbereichs des strategischen Controllings kann zwischen Prämissen- und Durchführungskontrolle einerseits und strategischer Überwachung andererseits unterschieden werden (Schreyögg & Steinmann 1985, 1986, 1987). Die beiden Begriffe der Prämissen- und Durchführungskontrolle beziehen sich im Rahmen des klassischen, weiter ober bereits skizzierten Planungsansatzes auf die fortlaufende Überwachung der Gültigkeit der strategischen Planungs- 339 Gälweiler (1987) spricht in diesem Zusammenhang von sogenannten Vorsteuergrößen. <?page no="397"?> 12 Strategisches Controlling 397 Neue Betriebswirtschaft annahmen sowie auf die fortlaufende Überwachung des Fortschritts der Maßnahmenimplementierung. 340 Sie werden beide ersetzt durch das Konzept der strategischen Überwachung, wenn die Unternehmensumwelt durch hohe Dynamik und Turbulenz geprägt ist und die Rolle der strategischen Planung (als Zyklus der Strategieformulierung und -implementierung) hinter jene der nicht planbasierten, ungerichteten strategischen Kontrolle sowie der organisationalen Anpassungs- und Lernprozesse zurücktritt. Das Konzept der strategischen Überwachung, das sich auf die Erfassung und Analyse von schwachen Signalen in der Unternehmensumwelt bezieht, die auf Diskontinuitäten, technologische Trends oder Veränderungen im Marktumfeld hindeuten, fällt inhaltlich mit dem Idee der strategischen Frühaufklärung zusammen und ergänzt das strategische Controlling, ist selbst aber systematisch eher Teil der strategischen Umweltanalyse und gehört damit in den Bereich der Entwicklung von Strategien. 341 Abb. 12-3: Strategische Kontrolle (Schreyögg & Steinmann 1985) Die strategische Prämissenkontrolle 342 - als Teil der gerichteten strategischen Kontrolle (Schreyögg & Steinmann 1985; Baum, Coenenberg & Günther 2007) - befasst sich mit den Annahmen, die der zuvor formulierten strategischen Planung zugrunde liegen, und überprüft über den gesamten Prozess der Strategieplanung und Strategieimplementierung hinweg, inwieweit diese Annahmen noch realitätsgerecht sind. Wie bei der strategischen Überwachung handelt es sich auch hier um einen kontinuierlichen Prozess, der zeitlich in den jährlichen strategischen Planungszyklus eingebettet ist. Zur Prämissenkontrolle gehören im Einzelnen: ! Leitbildkontrolle (ist das Leitbild der Organisation hinreichend aussagekräftig und klar formuliert und bei den Mitarbeitern verankert? ) ! Zielkontrolle (Überprüfung von Annahmen bzw. Zielsetzungen hinsichtlich Marktvolumina und Wachstumsraten, Produktions- und Vertriebskapazitäten, Entwicklungsplänen für bestimmte Technologien usw., z.B. durch Benchmarking) ! Profitabilitätskontrolle (Überprüfung von Annahmen hinsichtlich bestehender Gewinnerwartungen und Erfolgspotenziale) 340 Etwa durch die Siemens-Härtegradmethodik (vgl. dazu etwa Frintrop & Gruber 2010). 341 Vgl. dazu etwa Krystek & Müller-Stewens (1993); Müller-Stewens & Lechner (2003); Baum, Coenenberg & Günther (2007); Müller & Müller-Stewens (2009). 342 Baum, Coenenberg & Günther (2007) sprechen in diesem Zusammenhang auch von „Kontrolle der Plangenerierung“. <?page no="398"?> 398 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft ! Planungssystemkontrolle (Überprüfung des Planungsprozesses z.B. hinsichtlich Operationalisierung der festgelegten Ziele, inhaltlicher Konsistenz, Dokumentation, Verzahnung mit der operativen Planung usw.) ! Interne Machbarkeitskontrolle (Abgleich der Planung mit der laufenden Liquiditäts-, Bilanz- und Kapitalbedarfsplanung) ! Externe Durchführbarkeitskontrolle (Abgleich der Planung mit der Entwicklung der Unternehmensumwelt, z.B. strategisches Verhalten der Wettbewerber, technologische Durchbrüche, Veränderung regulatorischer Erfordernisse usw.) Im Rahmen der strategischen Durchführungskontrolle 343 geht es insbesondere um zwei Aspekte: Zum einen sollen der laufende Fortschritt der konkreten Maßnahmen zur Implementierung der Strategie und etwaige Störungen der Strategieimplementierung erfasst werden („Setzen wir die Planung richtig um? “), z.B. durch die Messung der Erreichung von Meilensteinen, die entweder qualitativ (bei strategischen Projekten) oder quantitativ (durch marktbezogene oder finanzielle Kennzahlen) formuliert werden können, etwa durch eine Balanced Scorecard (Kaplan & Norton 1992, 1993). Zum anderen geht es aber auch darum, durch die Messung der Erreichung dieser Meilensteine Hinweise auf die tatsächliche Erschließung und Nutzung der in der Planung identifizierten Erfolgspotenziale und damit Hinweise auf die praktische Bewährung der Strategie zu finden („Haben wir die richtige Planung? “). Vor allem dieser zweite Aspekt der Durchführungskontrolle ist im Vergleich mit der operativen Erfolgsmessung mit wesentlich höherer Unsicherheit verbunden, da Ursache-Wirkungs- Zusammenhänge im Hinblick auf die Validität der gewählten Strategie komplexer und damit Zielabweichungen weniger eindeutig zu interpretieren sind. Die praktischen Schwierigkeiten bei der strategischen Durchführungskontrolle machen letztere aber nicht entbehrlich, da insbesondere in schnellzyklischen Branchen (z.B. Konsumelektronik) strategische Fehlentscheidungen in kürzester Zeit zu einem kompletten Ausscheiden aus dem Wettbewerb führen können. 344 Vielmehr können sowohl die Fortschritte bei der Strategieimplementierung als auch die Validität der strategischen Planung nur dann richtig beurteilt werden, wenn Zielabweichungen im Rahmen laufender Soll-Ist-Vergleiche möglichst frühzeitig - d.h. im Rahmen des jährlichen Planungsprozesses und nicht erst nach dessen Abschluss - an die Strategieentwicklung zurückgespielt und gegebenenfalls die strategische Planung nachjustiert werden (Baum, Coenenberg & Günther 2007, Bea & Haas 2016). 12.2.2 Koordinierung des Planungsprozesses Entsprechend der Konzeption des strategischen Controllings als Bestandteil des kybernetischen Prozesses der Unternehmensführung (Bleicher 1992; Horváth 2003; Baum, Coenenberg & Günther 2007) sind dessen konstitutive Bestandteile der strategischen Planung, Realisation und Kontrolle 345 in einem Zyklus miteinander verbunden. In der Unternehmenspraxis handelt es sich in der Regel um einen sich jährlich wiederholenden Planungsprozess, in dessen Rahmen die Teilprozesse der strategischen Planung und der Budgetierung, die diese Planung mit der Zuweisung entsprechender finanzieller Ressourcen reflektieren soll, miteinander abgestimmt werden (Kaplan & Norton 1996, 2005). 346 Der strategische Controller ist thematisch in beide Prozesse eingebunden und deshalb 343 Baum, Coenenberg & Günther (2007) bezeichnen diesen Teilbereich des strategischen Controllings auch als „Kontrolle der Planerreichung“. 344 Man denke hier etwa an das Schicksal früherer Mobiltelefonhersteller wie Nokia, Motorola, Siemens und Sony Ericsson. 345 Vgl. analog „Entscheiden“ - „Ingangsetzen“ - „Kontrollieren“ (Bleicher 1992). 346 Für die Abstimmung der Teilprozesse der strategischen Planung und der Budgetierung ist es in der Praxis unerheblich, ob diese parallel oder sequenziell zueinander durchgeführt werden. <?page no="399"?> 12 Strategisches Controlling 399 Neue Betriebswirtschaft prädestiniert, den gesamten Planungsprozess zu koordinieren (z.B. durch Planungskalender, Planungs- und Budgetierungsrichtlinien, inhaltliche Vorgaben usw.). Auf der Grundlage eines schriftlich fixierten Vision des Unternehmens und des konkreten Geschäftsauftrags des zu beplanenden Geschäftsbereichs, die jeweils von einer jährlichen Überarbeitung im ausgenommen sind, werden die funktionalen und die Geschäftsbereichsstrategien sowie spezifische strategische Initiativen formuliert, mit entsprechenden Aktionsplänen hinterlegt und schließlich im Rahmen der Budgetierung mit den dafür benötigten finanziellen Mitteln ausgestattet (Hax & Majluf 1991). Die nachfolgende Abbildung stellt einen solchen Planungsprozess für die Entwicklung einer Geschäftsbereichsstrategie vereinfacht dar: Abb. 12-4: Das formale Verfahren der Geschäftsstrategieplanung (Hax & Majluf 1991) Instrumente des strategischen Controllings 12.3.1 Balanced Scorecard Die Balanced Scorecard ist ein Managementkonzept, mit dem aus den einzelnen Perspektiven der verschiedenen Stakeholder einer Organisation die Umsetzung ihrer strategischen Ziele ganzheitlich erfasst und dargestellt werden kann. Dem Konzept liegt der Gedanke zugrunde, die rd. 20-25 für die Messung des Strategieerfolgs der Organisation jeweils wichtigsten Kennzahlen regelmäßig zu erfassen und entsprechend der diversen Stakeholder-Perspektiven zu kategorisieren. Nach der Leitvorstellung eines Flugzeugcockpits soll dem Management ein Überblick über wichtigsten steuerungsrelevanten Parameter gegeben werden, der diese Perspektiven möglichst ausgewogen berücksichtigt. Dahinter steht das Ziel, ausgehend von der Vision, dem Leitbild und der verabschiedeten Strategie den Zusammenhang zwischen strategischen und operativen Zielen deutlich zu machen und zu diesem Zweck jeweils den Fokus auf diejenigen Kennzahlen zu legen, die für die strategischen Ziele und Erfordernisse der Organisation spezifisch sind. Sie ist daher in erster Linie ein Instrument des Berichtswesens zur Darstellung des Fortschritts der Strategieimplementierung und unterstützt vor allem die Kommunikation und Umsetzung von bereits formulierten Strategien in strategische Maßnahmen und individuelle Mitarbeiterziele (Kaplan & Norton 1992; Eschenbach, Eschenbach & Kunesch 2008). <?page no="400"?> 400 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft Das Konzept der Balanced Scorecard entstand um 1990 auf der Grundlage eines Forschungsprojekts, das von R. Kaplan und D. Norton mit verschiedenen Unternehmen mit dem Ziel durchgeführt wurde, einen neuen Weg der Messung des Unternehmenserfolgs jenseits rein finanzieller Instrumente und Parameter zu finden. Im Rahmen des Projektes wurden die in Frage kommenden Messgrößen mit Hilfe von Leitfragen vier verschiedenen Kategorien bzw. Perspektiven zugeordnet (mit jeweils vier bis sechs Messgrößen pro Perspektive), nämlich Finanzen („Wie sollen wir uns gegenüber unseren Teilhabern verhalten, um finanziellen Erfolg zu haben? “), Kunden („Wie sollen wir gegenüber unseren Kunden agieren, um unsere Vision zu verwirklichen? “), interne Geschäftsprozesse („In welchen Geschäftsprozessen müssen wir die besten sein, um unsere Teilhaber und Kunden zu befriedigen? “) und Lernen und Mitarbeiterentwicklung („Wie können wir unsere Veränderungs- und Wachstumspotenziale fördern, um unsere Vision zu verwirklichen? “). Finanzen Aus der finanzwirtschaftlichen Perspektive geht es um die Beurteilung der Unternehmensleistung aus der Sicht der Kapitalgeber. Dahinter steht der Gedanke, dass - ähnlich wie in der bereits weiter oben skizzierten Konzeption der Vorsteuergrößen nach Gälweiler (1987) - alle strategischen Maßnahmen letztendlich ihren Niederschlag im operativen Ergebnis finden müssen. Um der Idee einer ganzheitlichen und ausgewogenen Erfassung der Strategieumsetzung und der dafür identifizierten Steuerungsgrößen in der Balanced Scorecard-Rechnung zu tragen, müssen also die nichtfinanziellen Ziele des Unternehmens (etwa operative Verbesserungen in der Produktion oder im Vertrieb) mit den finanziellen Zielen kompatibel sein - eine verringerte Ausschussquote oder eine verbesserte Kundenzufriedenheit sind sinnlos, wenn sie zumindest langfristig keine Wirkung auf finanzielle Steuerungsgrößen wie den Umsatz oder das operative Ergebnis haben (Kaplan & Norton 1992). Da sich eine Balanced Scorecard im Unternehmenskontext grundsätzlich auf die Umsetzung der Strategie eines bestimmten Geschäftsfeldes bezieht, orientieren sich die konkreten Vorgaben für die finanziellen Steuerungsgrößen in der Regel auch an der spezifischen Situation auf der Ebene des strategischen Geschäftsfeldes (und meist nicht an allgemeinen finanziellen Zielvorgaben auf Konzernebene). Kunden Der finanzielle Erfolg eines Unternehmens ist in der Logik der Balanced Scorecard maßgeblich das Resultat einer positiven Beurteilung der Unternehmensleistung (bzw. der Leistung der strategischen Geschäftseinheit) aus der Sicht der Kunden. Um den Zusammenhang zwischen finanziellem Erfolg und Kundenzufriedenheit sicherzustellen, muss die Kundenstrategie ebenso mit konkreten Maßnahmen hinterlegt werden, auf deren Basis dann kundenbezogene Erfolgsgrößen mit finanziellen verglichen werden können. Kaplan und Norton schlagen in diesem Zusammenhang die Messung von geeigneten zeitlichen Leistungsparametern (Beobachtungen zu Liefergeschwindigkeit oder Time-to-Market in der Produktentwicklung), Qualitätsbeurteilungen, Einschätzungen bezüglich Produkt- und Serviceangebot (Funktionaliät) und der Wahrnehmung des Wertversprechens vor, die z.B. auf der Basis von Kundenbefragungen oder Benchmarkings identifiziert werden können (Kaplan & Norton 1992, 2009). Wie bei der Gestaltung der Balanced Scorecard insgesamt gilt auch aber für die Auswahl der Maßnahmen und Messgrößen zur Erfassung der Kundenperspektive, dass diese sich an den konkreten Gegebenheiten der Organisation orientieren sollten. Interne Geschäftsprozesse Um die strategischen Ziele im Hinblick auf die Kundenperspektive erfüllen zu können, muss das Unternehmen ein klares Bild darüber haben, welche Prozesse für seine eigene Leistungserbringung maßgeblich sind und wie die Qualität dieser Prozesse zu beurteilen ist. In der Prozessperspektive zielt die Balanced Scorecard daher darauf ab, die wesentlichen Treiber für die Leistungsfähigkeit der internen Geschäftsprozesse des Unternehmens und ggf. seiner strategischen Geschäftseinheiten zu <?page no="401"?> 12 Strategisches Controlling 401 Neue Betriebswirtschaft erfassen und mit geeigneten Messgrößen (z.B. zu Durchlaufzeiten, Prozessqualität, Prozesskosten) zu hinterlegen. Dabei sind in multidivisionalen Unternehmen sowohl die Ebene der strategischen Geschäftseinheit als auch die Ebene des Gesamtunternehmens zu berücksichtigen, da sich z.B. mangelhafte Konzernprozesse durchaus auf die Leistungsfähigkeit der Geschäftsprozesse auf der Ebene der strategischen Geschäftseinheiten auswirken können. 347 Zur Auswahl der Treiber für die Balanced Scorecard schlagen Kaplan und Norton zwei Kriterien vor: Zum einen sollten diejenigen Prozesse in den Mittelpunkt gestellt werden, welche die größte Wirkung auf die Kundenzufriedenheit haben (d.h. die engste kausale Verbindung mit der Kundenperspektive haben); zum anderen sol lte es sic h um Aspekte ha ndeln , die durc h die H andlu ng en de r Mit arbeit e rn b eein fl uss t we rde n können. Die Auswahl der passenden Treiber nach diesen Kriterien hilft dem Unternehmen gleichzeitig, seine Kernkompetenzen und ggf. auch wettbewerbskritische Technologien zu identifizieren (Prahalad & Hamel 1990; Kaplan & Norton 1992). Prozesse, die dagegen extern vorgegeben sind (z.B. gesetzlich vorgeschriebene Verfahren), haben nur insofern eine strategische Bedeutung, als ihr Funktionieren sichergestellt sein muss; zur Differenzierung im Wettbewerb (und damit auch als Elemente einer Balanced Scorecard) sind sie jedoch ungeeignet. Lernen und Mitarbeiterentwicklung Letztendlich gründen die finanziellen, kundenbezogenen und prozessbezogenen Aspekte der Unternehmensstrategie alle auf der Beantwortung der Frage, wie der langfristige Unternehmenserfolg auf der Ebene der Mitarbeiter - insbesondere vor dem Hintergrund ständiger Produkt- und Prozessinnovationen - sichergestellt werden kann. Obwohl es intuitiv einleuchtet, dass der Wert eines Unternehmens eng mit seiner Fähigkeit zu Lernen und Mitarbeiterentwicklung verbunden ist, kann die Balanced Scorecard einen wertvollen Beitrag leisten, diesen Zusammenhang der Geschäftsleitung auch visuell und auf der Basis konkreter Kennzahlen immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. In der Praxis liegt die größte Schwierigkeit bei der Erfassung der Lern- und Entwicklungsperspektive einer Unternehmensstrategie aber darin, für die identifizierten Treiber (z.B. Mitarbeiterpotenzial, Innovationskraft, Innovationsklima) auch geeignete Messgrößen zu finden. Zwar geben Kaplan und Norton hier einzelne Beispiele (z.B. Umsatzanteil der Neuprodukte am Gesamtumsatz, Kennzahlen zur kontinuierlichen Prozessverbesserung); nichtsdestoweniger erfordert dieser Teil der Balanced Scorecard im Vergleich zu den übrigen drei Perspektiven aber die meiste Kreativität bei der praktischen Umsetzung (Kaplan & Norton 1992, 1993; Eschenbach, Eschenbach & Kunesch 2008). Entwicklung der Strategy Map Die Auswahl der vier hier vorgestellten Perspektiven ist keineswegs zwingend, sondern wurde von Kaplan und Norton lediglich als Strukturierungsvorschlag aufgefasst, da es nach ihrem Verständnis zu den wichtigsten Charakteristika der Balanced Scorecard gehört, dass Sie auf die Anforderungen und Bedürfnisse der jeweiligen Organisation angepasst werden kann, in der sie zu Einsatz kommt. Dementsprechend kann die Festlegung auf bestimmte Perspektiven in der Praxis auch von den vier obengenannten abweichen, wenn dies z.B. in einem bestimmten Unternehmen aufgrund seines zugrundeliegenden Geschäftsmodells oder infolge bestimmter Anforderungen der Geschäftsleitung geboten erscheint. Allerdings ist dabei zu beachten, dass die Perspektiven nicht voneinander unabhängig sind, sondern in einem logischen Zusammenhang zueinander stehen. In der hier besprochenen viergliedrigen Fassung von Kaplan und Norton beruht der finanzielle Erfolg eines Unternehmens auf der Zufriedenheit seiner Kunden, die sich ihrerseits auf die Beherrschung der für die Leistungserstellung kritischen Unternehmensprozesse und damit letztendlich auf die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter gründet (Kaplan & Norton 1996; Baum, Coenenberg & Günther 2007). Die logi- 347 Bei börsennotierten Konzernen lässt sich dies häufig in Gestalt eines „Conglomerate Discount“ beobachten, den die Marktkapitalisierung solcher Unternehmen im Vergleich mit der Summe der Unternehmenswerte der einzelnen Geschäftseinheiten aufweist (vgl. dazu etwa Müller-Stewens & Lechner 2003). <?page no="402"?> 402 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft sche Hierarchie der einzelnen Perspektiven ist auch das zentrale Gestaltungsprinzip der sogenannten Strategy Map, die nach Kaplan & Norton einen wichtigen Bestandteil des Strategieprozesses bildet und in der die wesentlichen semantischen Elemente der jeweils zu implementierenden Unternehmensstrategie und die zwischen ihnen bestehenden Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge grafisch dargestellt werden (Kaplan & Norton 1996, 2009): Abb. 12-5: Prinzipdarstellung einer Strategy Map (Kaplan & Norton 2009) Die Erstellung einer Strategy Map setzt voraus, dass zuvor auf der Grundlage eines Unternehmensleitbilds (einschließlich der Vision, der Mission und der Unternehmenswerte) eine Unternehmensstrategie im Rahmen des Strategieprozesses entwickelt wurde. Für die Strategy Map werden dann die Aussagen dieser Strategie auf ihre wesentlichen Ziele und Treibergrößen reduziert und die wechselseitigen Ursache-Wirkungs-Beziehungen identifiziert. Ihre Erstellung erfordert ein gründliches Verständnis der Organisation und ihrer Strategie, damit die logischen Zusammenhänge möglichst stichhaltig und im Sinne des Ziels der Unternehmenssteuerung möglichst vollständig identifiziert werden können, und ist insofern meist zeitaufwendig. Im Idealfall bildet sie alle wesentlichen Annahmen ab, die einer Unternehmensstrategie zugrunde liegen, und ist gleichzeitig für die Unternehmensleitung und die Strategieentwicklung eine hervorragende Möglichkeit, diese Unternehmensstrategie besser zu verstehen, zu diskutieren und auf ihre Konsistenz zu überprüfen (Baum, Coenenberg & Günther 2007; Eschenbach, Eschenbach & Kunesch 2008). Da die Strategy Map die Grundlage für die Entwicklung der Balanced Scorecard bildet, ist es kritisch für deren erfolgreiche Umsetzung, dass sie mit hoher Sorgfalt erstellt wird. Nichts ist für die Glaubwürdigkeit einer Balanced Scorecard schlimmer, als wenn bei ihrer Analyse - etwa im Rahmen einer Vorstandsklausur - unzutreffende Annahmen der zugrundeliegenden Strategy Map aufgedeckt werden. Insofern ist in der Praxis vor allem auf die Vollständigkeit, Validität und Konsistenz der Kausalbeziehungen zwischen den einzelnen strategischen Zielen zu achten: „Die Strategy Map ist eine bildliche Darstellung der Kausalzusammenhänge zwischen den strategischen Zielen; sie ist […] der Ausgangspunkt für alle Balanced-Scorecard-Projekte.“ (Kaplan & Norton 2009, S. 125). Zu einer solchen Prüfung gehört auch, dass alle Kausalbeziehungen qualifiziert werden (z.B. Ursache vs. Wirkung, positiver vs. negativer Zusammenhang) und alle Ziele in irgendeiner Weise miteinander verbunden sind. Bei Zielen, die in keiner Beziehung zu den übrigen Elementen einer Strategie ste- <?page no="403"?> 12 Strategisches Controlling 403 Neue Betriebswirtschaft hen, liegt die Vermutung nahe, dass sie in Wirklichkeit kein wesentlicher Bestandteil der Unternehmensstrategie sind und daher nicht in die Strategy Map gehören. Die nachfolgende Abbildung zeigt beispielhaft, wie ein solches Geflecht von Kausalbeziehungen über die vier Perspektiven der Balanced Scorecard hinweg aussehen kann: Abb. 12-6: Ursache-Wirkungs-Ketten in einer Strategy Map (Kaplan & Norton 1996) Herunterbrechen der Ziele und Auswahl der Kennzahlen Ist die Strategy Map vollständig definiert, sind im nächsten Implementierungsschritt im Rahmen des Balanced-Scorecard-Projekts dann jeweils vier Aspekte für die Nachverfolgung der strategischen Ziele zu formulieren, die den vier identifizierten Perspektiven jeweils zugrunde liegen. Dabei handelt es sich um (1) die aus der Unternehmensstrategie abgeleiteten strategischen Ziele für die jeweilige Geschäftseinheit, (2) die zu deren Messung jeweils ausgewählten Kennzahlen, (3) die für die Kennzahlen jeweils geltenden Vorgaben (Planbzw. Sollwerte) sowie schließlich (4) die zur Erreichung dieser Vorgaben hinterlegten operativen Maßnahmen. Die schrittweise Detaillierung dieser vier Aspekte liefert den Kontext, um die strategische Planung hinsichtlich ihrer Umsetzung messbar zu machen und im Rahmen ihrer Kommunikation die inhaltliche Verbindung zwischen strategischen Zielen und operativen Maßnahmen deutlich zu machen (Kaplan & Norton 1992, 1996, 2009). Für den Erfolg der Strategieimplementierung und insbesondere für die einheitliche Ausrichtung des Unternehmens auf seine Strategie hinweg ist es entscheidend, dass diese Detaillierung konsequent und über alle Funktionen hinweg durchgeführt wird. Abbildung 12-7 stellt den Prozess der Implementierung und die Grundstruktur der Balanced Scorecard im Überblick dar. Bei der Auswahl der Kennzahlen ist - ganz im Geiste des Leitgedankens der Balanced Scorecard - grundsätzlich auf eine ausgewogene Mischung aus finanziellen und nichtfinanziellen Kennzahlen zu achten. Darüber hinaus sollten kurz- und langfristige Parameter ebenso in einer sinnvollen Auswahl vertreten sein wie Früh- und Spätindikatoren. In jedem Fall sollte das entscheidende Gestaltungsprinzip aber sein, dass die Auswahl der Kennzahlen zwar ein hinreichend vollständiges Bild der Organisation zeichnet, gleichzeitig aber das Management bei der strategischen Fokussierung der Organisation unterstützt und dementsprechend die Auswahl der Kennzahlen auf die Größenord- <?page no="404"?> 404 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft nung von etwa 20-25 begrenzt. Balanced Scorecards mit 100 oder mehr Kennzahlen, wie sie in der Praxis von Unternehmen durchaus vorkommen, sind daher Zeit- und Ressourcenverschwendung. Abb. 12-7: Grundstruktur einer Balanced Scorecard (Kaplan & Norton 1992, 1993, 1996) Stärken und Schwächen der Balanced Scorecard Aus der Sicht des strategischen Controllings ist der wichtigste Vorteil der Balanced Scorecard, dass sie mehr als jedes andere Instrument des strategischen Managements in ihrer Zielsetzung darauf angelegt und infolge ihrer Übersichtlichkeit auch gut dafür geeignet ist, den inhaltlichen Zusammenhang zwischen den strategischen Zielen einer Organisation und den zu ihrer Umsetzung ergriffenen operativen Maßnahmen herzustellen. Da sie sich zudem über ihre strukturelle Ausgewogenheit definiert und eine allzu einseitige Ausrichtung auf finanzielle Ziele vermeidet, findet die Balanced Scorecard in der Regel eine hohe Akzeptanz bei dem Mitarbeitern und bietet somit eine hervorragende Plattform zur Umsetzung der zuvor entwickelten Strategie und ihre ideelle Verankerung in der Organisation. Im Rahmen ihrer schrittweisen Entwicklung bietet sie der Geschäftsführung und den am Strategieprozess beteiligten Stabsabteilungen außerdem die Möglichkeit, die Logik der Strategie und ihrer einzelnen Ziele im Gesamtzusammenhang zu diskutieren und insbesondere auf ihre Vollständigkeit, Sinnhaftigkeit und Konsistenz hin zu reflektieren (Simon & von der Gathen 2002; Baum, Coenenberg & Günther 2007; Eschenbach, Eschenbach & Kunesch 2008). Den genannten Stärken der Balanced Scorecard stehen im Hinblick auf ihre praktische Umsetzung aber auch eine Reihe von Schwachpunkten gegenüber: So setzt ihre Verwendung als Vehikel der Strategiekommunikation voraus, dass auf der Seite der Geschäftsleitung eines Unternehmens (oder einer strategischen Geschäftseinheit auch die Bereitschaft besteht, mit den Mitarbeitern so gründlich und umfassend über die strategischen Ziele zu diskutieren, wie es deren Messung, Vorgabenplanung und Herunterbrechen in operative Ziele erfordern. Dieser Prozess ist zum einen zeit- und ressourcenaufwendig und steht zum anderen in einem möglichen Konflikt mit den Vertraulichkeitsbedürfnissen der strategischen Planung, so dass sich die Führung vor der Entscheidung über ein Projekt zur Einführung der Balanced Scorecard auf jeden Fall darüber verständigen sollte, ob die bestehende Führungskultur dafür eine geeignete Grundlage bietet <?page no="405"?> 12 Strategisches Controlling 405 Neue Betriebswirtschaft (Eschenbach, Eschenbach & Kunesch 2008). Sie setzt des weiteren auch den Willen der Mitglieder der Geschäftsleitung voraus, sich selbst intensiv in den Prozess der Strategieentwicklung einzubringen, statt diesen nur zu rezipieren und seine Ergebnisse abzunicken, sowie die Bereitschaft, die damit verbundenen inhaltlichen und formalen Veränderungen im Berichtswesen mitzutragen. Eine erfolgreiche Umsetzung der Balanced Scorecard ist anspruchsvoll und verlangt insbesondere vom Top Management eine ausgeprägte Disziplin - werden z.B. infolge unzureichender inhaltlicher Diskussion nachträglich konzeptionelle Fehler aufgedeckt oder nach der Einführung zusätzlich zur Scorecard weiter die bisherigen Berichtsformate angefordert, die sie eigentlich ersetzen sollte, so ist dem Projekt die politische Grundlage entzogen. Auch hier sollte deshalb in der Praxis vorab geklärt werden, ob die Balanced Scorecard angesichts der spezifischen Bedürfnisse und Sachzwänge das geeignete Instrument ist, um das strategische Controlling und den Strategieprozess zu unterstützen. Weitere Kritikpunkte, die in der Literatur in Zusammenhang mit der Balanced Scorecard gelegentlich genannt werden und etwa die Auswahl der vier generischen Dimensionen durch Kaplan und Norton, ihre unzureichende Außenorientierung oder das Fehlen konkreter Verfahrensanweisungen zur Operationalisierung der Ziele betreffen, 348 gehen alle aus dem gleichen Grund am Thema vorbei, da sie nicht am Konzept der Balanced Scorecard, sondern lediglich an falschen Vorstellungen bezüglich ihrer Umsetzung ansetzen. Hinsichtlich der Auswahl der Dimensionen wurden die Autoren im Laufe eines Vierteljahrhunderts nicht müde zu betonen, dass es eine zentrale Aufgabe der jeweils betreffenden Organisation im Rahmen eines Balanced-Scorecard-Projektes ist, die für sie der Art und Anzahl nach passenden Dimensionen selbst zu identifizieren und zu entwickeln (Kaplan & Norton 1993, 2008). Für einen Finanzdienstleister kann es beispielweise sinnvoll sein, für die Messung von Performancekennzahlen der angebotenen Produkte wie in der nachfolgenden Abbildung eine fünfte Dimension zu verwenden, wenn damit strategische Zielsetzungen verbunden sind. Abb. 12-8: Messung der Zielerreichung in einer fünfdimensionalen Balanced Scorecard Ebenso wie die Auswahl der passenden Dimensionen ist auch die strategische Außenorientierung einer Balanced Scorecard eine inhaltliche Frage, die eine Organisation im Rahmen ihrer Einführung selbst beantworten muss. Eine Strategie sollte, unabhängig von der Betrachtung von Markt- oder 348 Zu den ersten beiden Punkten vgl. den Überblick dazu in Baum, Coenenberg & Günther 2007, zum dritten Punkt vgl. Kudernatsch 2013. <?page no="406"?> 406 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft Ressourcenpositionen, zumindest implizit immer nach außen gerichtet sein, da sie von einer relationalen Beschreibung dieser Position ausgeht und insofern immer nur mit Bezug zum Wettbewerb sinnvoll formuliert werden kann. Dementsprechend ist es zwar ein Konstruktionsfehler der zugrundeliegenden Strategie, wenn eine Balanced Scorecard keine Außenorientierung aufweist, aber kein konzeptionelles Problem dieser selbst. Schließlich gehört auch die Entwicklung konkreter Anleitungen zur Operationalisierung der strategischen Ziele zu den Aufgaben, die innerhalb der Organisation im Rahmen des Einführungsprojektes von den Beteiligten des Strategieprozesses entsprechend der jeweiligen organisationalen Erfordernisse selbst gestaltet werden müssen. Die Balanced Scorecard ist weder ein tayloristisches Verfahren zur Arbeitsgestaltung noch ein reines Strategie- oder Controllingkonzept; sie bietet vielmehr einen umfassenden, aber durchaus konkreten Bezugsrahmen für die Konzeption des gesamten Strategieprozesses im Unternehmen. Ihre Einführung ist insofern meist mit einem grundlegenden Wandel des Unternehmens verbunden und sollte daher mit entsprechenden Methoden des Change Managements unterstützt werden (Kaplan & Norton 1996, 2005, 2009). 12.3.2 Wertorientierte Ansätze Zu den Methoden und Instrumenten des strategischen Controllings, die insbesondere seit etwa 1990 eine breite Resonanz in der Unternehmenspraxis fanden, gehören auch die wertorientierten Ansätze, die sich angelsächsischen Sprachraum mit Konzept des Shareholder Value verbinden. Mit dem Begriff, der auf W. E. Fruhan zurückgeht, aber insbesondere durch A. Rappaport bekannt gemacht wurde (Fruhan 1979; Piper & Fruhan 1981; Arzac 1986; Rappaport 1986; Blyth, Friskey & Rappaport 1986), verbinden sich zwei wesentliche Problemstellungen. Einerseits geht es um die praktische Frage, wie die Eignung verschiedener strategischer Wahlmöglichkeiten im Hinblick auf die Nutzung bestehender und Schaffung neuer Erfolgspotenziale (Gälweiler 1987) bewertet werden kann. Die zweite Problemstellung ist die bereits in früheren betriebswirtschaftlichen Ansätzen aufgeworfene normative Frage, an welchen der verschiedenen Anspruchsgruppen der Unternehmensumwelt (z.B. Kunden, Staat, Arbeitnehmer) sich das Denken und Handeln der Unternehmensführung orientieren sollte bzw. welche konkreten Interessen im Managementprozess vorrangig berücksichtigt werden sollten. 349 Die Antwort aus Sicht des Shareholder Value-Ansatzes auf die zweite Frage ist einfach und eindeutig: Priorität haben die Interessen der Eigentümer des Unternehmens. Im Hinblick auf die erste Frage - also die Bewertung unterschiedlicher strategischer Alternativen - vertreten die Verfechter der wertorientierten Perspektive die Position, dass der monetäre Wert eines Unternehmens - bei börsennotierten Unternehmen reflektiert durch seinen Aktienkurs - langfristig die Auswirkungen strategischer Entscheidungen auf die Höhe und Qualität zukünftiger Zahlungsströme berücksichtigt (Arzac 1986, Hax & Majluf 1991). Dem liegt wiederum die Annahme der Kapitalmarkttheorie zugrunde, dass die Kapitalmärkte Informationen grundsätzlich effizient verarbeiten können (Fama 1970). Der Shareholder Value-Ansatz leitet daraus für gewinnorientierte Unternehmen generell (d.h. börsennotiert oder nicht) den für ihn kennzeichnenden Grundsatz ab, dass die Wertschöpfung für seine Eigentümer - repräsentiert durch den Unternehmenswert - ein sinnvolles Beurteilungskriterium für die Beurteilung von strategischen Wahlmöglichkeiten darstellt (Hax & Majluf 1991; Baum, Coenenberg & Günther 2007). Er geht aber über eine reine Maximierung des Aktienkurses (bei börsennotierten Unternehmen) oder eines möglichen Kaufpreises (bei nicht börsennotierten Unternehmen) hinaus, indem er die Analyse der Treiber des Unternehmenswerts - z.B. Umsatz- oder Ergebniswachstum, Höhe des operatives Ergebnisses oder Kapitalkosten - als Referenzpunkte des (strategischen) Managements in den Mittelpunkt stellt (Rappaport 1986; Stern, Shiely & Ross 2002). 349 Die Betrachtung von verschiedenen Anspruchsgruppen als Rahmen unternehmerischen Denken und Handelns ist insbesondere ein Kennzeichen des St. Galler Management-Modells; vgl. dazu etwa Ulrich & Krieg (1974), Ulrich (1978). <?page no="407"?> 12 Strategisches Controlling 407 Neue Betriebswirtschaft Berechnung des Shareholder Value Grundlage für die Berechnung des Shareholder Value sind hier die Kapitalmarkttheorie - insbesondere das Capital Asset Pricing Model (CAPM) - und die auf ihr beruhenden klassischen Verfahren der Unternehmensbewertung (Born 1995; Copeland, Koller & Murrin 1995; Brealey & Myers 1996; Perridon & Steiner 1997). Nach dem Standardverfahren (Discounted Cash Flow bzw. DCF- Methode) ergibt sich der Wert eines Unternehmens auf der Basis eines Geschäftsplans mit i.d.R. 5- oder 10-jähriger Reichweite aus der Summe der Barwerte der Free Cash Flows (d.h. der jährlich anfallenden Cash Flows abzüglich der jeweils erforderlichen Investitionen in Anlagevermögen und Nettoumlaufvermögen) sowie dem sogenannten End- oder Fortführungswert. Als Diskontierungszinsfuß für die Berechnung der Barwerte werden die risikogewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (Weighted Average Costs of Capital bzw. WACC) herangezogen, die sich nach Maßgabe der Kapitalstruktur des zu bewertenden Unternehmens aus der relativen Gewichtung von Eigenkapitalkosten und Fremdkapitalkosten (vermindert um den abzugsfähigen Ertragssteuersatz) ergeben. Die Eigenkapitalkosten setzen sich nach dem CAPM aus dem jeweils aktuell am Markt verfügbaren risikofreien Zins (i.d.R. Rendite 10-jähriger Staatsanleihen) und der risikogewichteten Marktprämie zusammen, die einem von den Eigenkapitalgebern geforderten Risikozuschlag entspricht. Zur Abbildung des unternehmensspezifischen Risikos wird der sogenannte Beta-Faktor -K, verwendet, der sich aus dem Verhältnis der Kovarianz zwischen der Aktienrendite und der Marktrendite einerseits und der Varianz der Marktrendite andererseits ergibt. 6¦¢¢ = …s s s ¹™ + ‚s s s ·™ ( 1 ø … ) s ¹™ = E _ + ºE = ø E _ ³I mit WACC = gewichtete Kapitalkosten EK = Eigenkapital FK = Fremdkapital GK = Gesamtkapital K EK = Eigenkapitalkosten K FK = Fremdkapitalkosten t = anzuwendender Steuersatz R f = risikofreier Zins R m = durchschnittliche Rendite des Aktienmarkts K = Beta-Faktor Nachdem auf der Grundlage der gewichteten Kapitalkosten die Barwertreihe der Free Cash Flows ermittelt wurde, ist schließlich noch der Endwert zu ermitteln, der sich auf den Wert derjenigen Free Cash Flows bezieht, die außerhalb der Reichweite des Geschäftsplans liegen. Dieser ermittelt sich aus dem Verhältnis zwischen dem Free Cash Flow im ersten Jahr nach dem Planungszeitraum und den gewichteten Kapitalkosten (sogenannte „ewige Rente“), wobei die Kapitalkosten gegebenenfalls um eine angenommene Wachstumsrate des operativen Ergebnisses (r) vermindert werden können (mit der Wirkung, dass sich der Endwert erhöht): …-â߉… = ‚¢‚ óK‹ 6¦¢¢ ø ‰ Aus der Summe der Barwerte der Free Cash Flows und des Endwertes oder, falls es sich um ein Unternehmen mit mehreren Geschäftsfeldern handelt, aus der Summe der mit Hilfe der DCF- Methode einzeln ermittelten Werte der Geschäftsfelder und der Unternehmensholding ergibt sich schließlich der Unternehmenswert. Zieht man von diesem Gesamtunternehmenswert den Markt- <?page no="408"?> 408 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft wert des Fremdkapitals ab, so erhält man den Marktwert des Eigenkapitals, also den Shareholder Value (Born 1995, Baum, Coenenberg & Günther 2007). Economic Value Added Der Unternehmenswert als Steuerungsgröße der strategischen Unternehmensführung steht auch im Mittelpunkt des EVA-Ansatzes, der von der Unternehmensberatung Stern Stewart & Co. entwickelt wurde und der zur Messung des Shareholder Value insbesondere auf die Kennzahl des Economic Value Added (EVA) abstellt. Ausgehend von der Gewinngröße des operativen Geschäftsergebnisses nach Steuern, aber vor Finanzierungskosten (Net Operating Profit After Taxes bzw. NOPAT), berechnet sich der EVA aus der Differenz zwischen diesem und den Kapitalkosten, die für die Erzielung des NOPAT eingesetzt werden müssen. Die Kapitalkosten wiederum sind das Produkt aus dem betrieblich gebundenen Gesamtkapital (Net Operating Assets bzw. NOA) und den bereits im vorhergehenden Abschnitt besprochenen gewichteten Kapitalkosten (WACC): …9¦ = QNK¦? ø (QN¦ × 6¦¢¢) Analog zur DCF-Methode berechnet sich dann der Wert eines Unternehmens aus der Summe des betrieblich gebundenen Gesamtkapitals und dem Barwert der erwarteten zukünftigen EVAs (auch bezeichnet als Market Value Added bzw. MVA): <-…߉-ß¹¯ß-‡߉… = QN¦ + …9¦ 6¦¢¢ Im Sinne einer wertorientierten Unternehmensführung zieht der EVA-Ansatz daraus den Schluss, dass jede unternehmerische Entscheidung über die Allokation von Kapital nur dann dem Ziel der Unternehmenswertsteigerung dient, wenn durch die Kapitalallokation ein Mehrgewinn erzielt wird, der über die mit der Allokationsentscheidung verbundenen zusätzlichen Kapitalkosten hinausgeht (Rüegg- Stürm & Sander 2009; Menz & Müller-Stewens 2010). Ein solcher Vergleich lässt sich besonders transparent bei Investitionsentscheidungen berechnen, eignet sich nach Ansicht der Verfechter des EVA-Ansatzes aber auch zur Schaffung von Vergütungsanreizen für das Management zur konzeptionellen Verankerung einer wertorientierten Unternehmensführung (Stern, Shiely & Ross 2002). 350 Wertorientiertes Controlling Während der EVA-Ansatz das Konzept des Economic Value Added als ein ganzheitliches Unternehmenssteuerungssystem auffasst, „… bei dessen vollständiger Umsetzung alle Beteiligten und alle wesentlichen Prozesse durchgängig nach nur einer Wertkennzahl gesteuert werden …“ 351 , sieht der Ansatz des wertorientierten Controllings die Rolle und die Einsatzmöglichkeiten wertorientierter Konzepte etwas nüchterner: „Der Shareholder Value-Ansatz kann nicht als Substitut für die bisher bestehende Unternehmenssteuerung herangezogen werden.“ 352 Statt einer vollständigen Ausrichtung der Unternehmenssteuerung am Konzept der Shareholder Value empfehlen die Vertreter des wertorientierten Controllings daher lediglich Ergänzungen des bestehenden Controllingsystems um einzelne wertorientierte Aspekte. Dazu gehören z.B. eine entsprechende Erweiterung des Zielsystems des Unternehmens um die Zielsetzung der „Steigerung des Eigentümerwertes“, die Ergänzung des strategischen und operativen Controllings um unternehmenswertbezogene Analysen (im strategischen Controlling z.B. bei der Bewertung von Investitionsentscheidungen, im operativen 350 In der Praxis ist allerdings insbesondere eine sinnvolle und steuerungsrelevante Berechnung des betrieblich gebundenen Gesamtkapitals oftmals mit Problemen verbunden, wenn die Bilanz des Unternehmens z.B. einen hohen Anteil von immateriellen Vermögensgegenständen oder regulatorisch geforderten Eigenkapitalpositionen aufweist, die sich dem Einfluss des Managements entziehen (etwa bei Finanzdienstleistern). 351 Stern, Shiely & Ross 2002, S. 10 352 Baum, Coenenberg & Günther 2007, S. 284 <?page no="409"?> 12 Strategisches Controlling 409 Neue Betriebswirtschaft Controlling etwa durch die Berechnung von unternehmenswertbezogenen Treibergrößen) oder die Pflege von Investor Relations gegenüber den Eigen- und Fremdkapitalgebern (Günther 1997; Baum, Coenenberg & Günther 2007). Die nachfolgende Abbildung stellt ein solchermaßen ergänztes Controllingsystem im Überblick dar: Abb. 12-9: Konzeption eines wertorientierten Controllingsystems (Günther 1997) Stärken und Schwächen der wertorientierten Ansätze Ein wesentlicher Vorteil der Verwendung wertorientierter Ansätze für die Zwecke des strategischen Controllings liegt zweifellos darin, dass sie die Überprüfung der Sinnhaftigkeit von strategischen Entscheidungen anhand von quantitativen Größen in den Mittelpunkt stellt und damit zu einer nachvollziehbar geführten Diskussion über die Beurteilung strategischer Wahlmöglichkeiten beitragen kann. Dies gilt insbesondere für die Bewertung von Unternehmensakquisitionen, die durch die Frage nach ihrem konkreten Wertbeitrag auf eine objektivere Grundlage gestellt werden können, als wenn eine solche Bewertung allein auf der Basis von schlecht messbaren, qualitativen Kriterien erfolgt. Die Berechnung dieses Wertbeitrages ist allerdings häufig mit einer Reihe von praktischen Problemen verbunden, etwa bei der Prognose der Cash Flows oder bei der Ermittlung von Werttreibern wie dem betrieblich gebundenen Gesamtkapital und den Kapitalkosten (Baum, Coenenberg & Günther 2007, Rüegg-Stürm & Sander 2009). Diese Probleme haben in der Praxis dazu geführt, dass anstelle der aufwendigen Ermittlung von Shareholder Value-Steuerungsgrößen vielfach weiterhin die traditionellen Kennzahlen der Unternehmensrechnung (z.B. Return on Investment bzw. ROI, Marktanteil, Umsatzrendite) verwendet werden, ohne dass dies zu einem Verlust an Wertorientierung in der Unternehmenssteuerung führt (Thießen 1999). Hinzu kommt, dass insbesondere bei börsennotierten Unternehmen die Verwendung von wertorientierten Steuerungsgrößen im Rahmen von Anreiz- und Vergütungssystemen opportunistisches Verhalten des Managements begünstigt und zu einer einseitigen Ausrichtung auf die kurzfristige Unternehmenswertsteigerung zu Lasten der Interessen der langfristiger Investoren führen kann. Während das Management im Hinblick auf die Wertsteigerung von Aktienoptionen und anderer Anreizinstrumente vor allem versuchen wird, kurzfristige Liquiditäts- und Gewinnkennzahlen zu optimieren, beziehen sich die Interessen der langfristigen Investoren in der Regel schwerpunktmäßig auf die Nutzung und Erschließung langfristiger Erfolgspotenziale (Gälweiler 1987). <?page no="410"?> 410 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft 12.3.3 TQM-Ansätze Ausgehend von den ersten Bemühungen um eine Entwicklung von Methoden zur systematischen Qualitätskontrolle in den Produktionsbetrieben des 19. Jahrhunderts, die insbesondere auf Frederick Taylor und die durch ihn begründete Lehre der wissenschaftlichen Betriebsführung (Scientific Management) zurückgehen, entwickelte sich nach Ende des zweiten Weltkriegs das Qualitätsmanagement als ein Teilsystem der Produktionslehre, das sich gezielt mit Themen der Ergebniskontrolle und der Fehlervermeidung bei der Herstellung bzw. Erbringung von Produkten oder Dienstleistungen beschäftigt (Simon & von der Gathen 2002; Schmidt 2005). Nachdem anfangs noch die nachträgliche Prüfung der Produktqualität im Vordergrund stand, bei der jeweils am Ende des Produktionsprozesses die Qualität des Endprodukts durch einen verantwortlichen Meister kontrolliert wurde, wurde das Konzept des Qualitätsmanagements im Verlauf seiner weiteren Entwicklung schrittweise erweitert. Die Unzulänglichkeiten eines linearen Prozesses der Qualitätssicherung durch Endkontrolle führten zu der Überlegung, Qualitätsmängeln bereits an der Quelle ihrer Entstehung vorzubeugen und durch Rückkopplung zwischen Fehlerkontrolle und Fehlerquelle an der Qualität des Leistungserstellungsprozesses selbst anzusetzen. Aus der daraus abgeleiteten Forderung, dass letztendlich die gesamte Wertschöpfungskette vom Lieferanten bis zum Kunden beherrscht werden müsse und demzufolge ein effektives Qualitätsmanagement nicht nur als eine technische Aufgabe, sondern vor allem auch als eine Führungsaufgabe zu sehen sei, entwickelte sich schließlich die ganzheitliche Sicht des Total Quality Management (Simon & von der Gathen 2002; Seghezzi, Fahrni & Friedli 2013). Prozessorientierung und Kaizen Aus dem Prinzip der präventiven Qualitätssicherung im Total Quality Management (TQM) ergeben sich zwei wichtige Konsequenzen: Zum einen wird das Qualitätsmanagement durch den Einbau von Rückkopplungsschleifen selbst zu einem zyklischen Teilprozess der betrieblichen Leistungserstellung (mit entsprechendem Optimierungspotenzial); zum anderen verlagert sich sein Fokus weg vom reinen Leistungserstellungsprozess und hin zu den Mitarbeitern, die an ihm beteiligt sind. Qualitätsmanagement wird in der Gestalt von TQM so zum Instrument der Mitarbeiter- und Unternehmensführung. Durch die Abkehr vom linear-ergebnisorientierten Denken zugunsten einer zyklisch-prozessorientierten Ausrichtung rücken die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Wertschöpfungsstufen in den Mittelpunkt. Die kontinuierliche Analyse und Verbesserung der einzelnen Schritte des Leistungserstellungsprozesses mit dem Ziel einer inkrementellen, langfristigen Optimierung im Rahmen von TQM wurde in Japan unter dem Begriff „Kaizen“ und im englischen Sprachraum als „Continuous Improvement“ bekannt, wofür der sogenannte PDCA-Zyklus jeweils grundlegend ist (Shewhart & Deming 1986; Simon & von der Gathen 2002). Die in der nachfolgenden Abbildung dargestellten Teilschritte des PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act) beschreiben die spezi- Abb. 12-10: Der PDCA-Zyklus zur kontinuierlichen Verbesserung (Simon & von der Gathen 2002) <?page no="411"?> 12 Strategisches Controlling 411 Neue Betriebswirtschaft fischen Aufgaben der Qualitätssicherung im Rahmen der betrieblichen Leistungserstellung (insbesondere auch im Sinne einer Ableitung von konkreten Arbeitsanweisungen und Zuordnung von Verantwortlichkeiten), weisen aber gleichzeitig eine große inhaltliche Ähnlichkeit mit der bereits oben besprochenen systemorientierten Konzeption des Managementprozesses (Bleicher 1992) auf: Hoshin Kanri / Policy Deployment Mit dem Begriff „Hoshin Kanri“ (im englischen Sprachraum besser bekannt als „Policy Deployment“) verbindet sich ein Konzept zur Implementierung von Planungszielen, das in den sechziger Jahren in Japan bei Toyota entwickelt wurde und sich seither insbesondere im Kontext der Einführung neuer Managementsysteme wie der Balanced Scorecard, TQM und Lean Management oder Six Sigma weltweit verbreitet hat. Ausgehend von dem bereits in den fünfziger Jahren von Drucker etablierten Prinzips des Management by Objectives (Drucker 2009) zielt Hoshin Kanri darauf ab, dieses mit TQM und Lean Management zu verbinden. Seinen Verfechtern zufolge ist Hoshin Kanri ein Managementinstrument zum Nachverfolgung und Umsetzung von Strategien in Organisationen (Tennant & Roberts 2001; Zairi & Erskine 2004; Zairi 2006; Kudernatsch 2013; Khadri Ahmed 2016). Das Konzept wurde außerhalb Japans durch eine Publikation von Akao bekannt, der es als einen Bezugsrahmen für die Planung, Umsetzung und Überprüfung von systematisch geplanten Wandelprozessen beschrieb (Akao 1991; Khadri Ahmed 2016). Unter Planung wird dabei insbesondere die Strategieentwicklung verstanden, während sich Umsetzung sich auf alle Maßnahmen zur Vorbereitung, Bündelung und Koordination von organisationalen Aktivitäten der Strategieimplementierung und Überprüfung auf alle Maßnahmen zur Nachverfolgung und Feinsteuerung dieser Aktivitäten bezieht - bis hinunter auf tägliche Kontrollzyklen. Hoshin Kanri unterscheidet sich von anderen Methoden der Planungsumsetzung 353 durch die Anwendung eines TQM-Ansatzes, bei dem der PDCA-Zyklus durchgängig auf allen Ebenen und in allen Prozessen der Organisation implementiert wird. Dies bedeutet auch, dass Instrumente des Qualitätsmanagements für die Bestandsaufnahme, die Identifizierung von Problemen und die Erarbeitung von entsprechenden Gegenmaßnahmen sowie deren Umsetzung eingesetzt werden. Die generelle Zielsetzung von Hoshin Kanri ist die Herbeiführung von Handlungen im organisationalen Tagesgeschäft, die im Einklang mit den ausgewählten Planungszielen des jeweiligen Geschäftsjahres stehen (Witcher & Butterworth 1997; Khadri Ahmed 2016). Im Kontext von Hoshin Kanri tritt der PDCA-Prozess im Wesentlichen in zweierlei Funktion auf, nämlich einerseits als übergreifendes Gestaltungsprinzip zur Implementierung der festgelegten Planungsziele und zum anderen in der schon erwähnten Form als Elementarstruktur jeglicher Prozessverbesserung im Unternehmen. In der Variante des übergreifenden Prozessdesigns gehört zum ersten Schritt („Plan“) unter anderem die Entwicklung der Unternehmensstrategie (einschließlich Vision und Mission; vgl. z.B. Bleicher 1992) und die Ableitung einer begrenzten Anzahl (drei bis fünf) sogenannter Durchbruchziele, die meist einen dreibis fünfjährigen Planungshorizont haben und sich in der Regel dadurch auszeichnen, dass sie auf einen radikalen Veränderungsprozess abzielen. 354 Auf dieser Basis werden dann einmal jährlich im Rahmen einer Zielklausur die sogenannten Hoshin-Ziele zwischen der ersten und der zweiten Führungsebene abgestimmt, womit gleichzeitig ein komplexer Prozess der Zielkaskadierung beginnt. Im Rahmen dieses Prozesses werden dann die Zielklausur auf den nachgeordneten Führungsebenen repliziert und die Ziele durch iterative Diskussionen (sog. Catchball-Prozess; Tennant & Roberts 2001) abgestimmt und gegebenenfalls bis auf die Werkstattebene heruntergebrochen, mit Maßnahmen hinterlegt und mit Ressourcen und Verantwortlichkeiten verknüpft. Zur Dokumentation der Zielkaskadierung wird in der Regel - als 353 Vgl. dazu etwa den wesentlich einfacheren Ansatz des 2004 implementierten Siemens Management System (Menz & Müller-Stewens 2010) 354 Der Begriff der Durchbruchsziele ist wesentlich beeinflusst durch das Prinzip „Strategy as stretch and leverage“; vgl. dazu Hamel & Prahalad (1993) <?page no="412"?> 412 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft eine der vielen Arbeitstechniken, die im Kontext von Hoshin Kanri zur Anwendung kommen - die sogenannte X-Matrix eingesetzt: 355 Abb. 12-11: Die X-Matrix zur Dokumentation des Hoshin-Kanri-Prozesses Im zweiten Schritt des Hoshin-Kanri-Prozesses („Do“) geht es in erster Linie darum, die zuvor vereinbarten Zielvorgaben umzusetzen und insbesondere durch Coaching bei Führungskräften und Mitarbeitern ein Bewusstsein für Qualitätsverbesserung, Reduzierung von Prozesszeiten und Kostenkontrolle im Sinne der TQM-Philosophie und die Fähigkeit zu entsprechenden Problemlösungen zu verankern. Der dritte Schritt („Check“) beschäftigt sich vorrangig mit dem Einsatz von Techniken der routinemäßigen Fortschrittskontrolle, wie sie für Lean Production bzw. Lean Management kennzeichnend sind. Zu diesen Techniken gehören insbesondere das Shop Floor Management mit regelmäßiger Präsenz der Führungskräfte in der Produktion, laufender Visualisierung und Nachverfolgung der Leistungserstellungsprozesse sowie Etablierung von Standardprozessen sowie die Durchführung der sogenannten “President’s Diagnosis”, bei der die Fortschritte bei der Umsetzung des Hoshin-Kanri-Prozesses und der in seinem Rahmen vereinbarten Maßnahmen nach einem festgelegten Verfahren direkt durch die Unternehmensleitung überprüft und mit den jeweiligen Prozessverantwortlichen diskutiert werden. Im vierten Schritt („Act“) geht es schließlich um eine Reflexion des jährlichen Hoshin-Kanri-Prozesses (auch im Hinblick auf ggf. erforderliche Veränderungen in der Führungskräfteentwicklung), die Umsetzung von Maßnahmen aus der “President’s Diagnosis” und die Etablierung von unternehmensweiten Standards, die als Aufsatzpunkt für zukünftige Prozessverbesserungen dienen können (Tennant & Roberts 2001; Jochum 2002; Kudernatsch 2013). 355 Zur Gestaltung von Hoshin-Kanri-Prozessen und den damit verbundenen Arbeitstechniken vgl. etwa Jochum (2002), Kudernatsch (2013). <?page no="413"?> 12 Strategisches Controlling 413 Neue Betriebswirtschaft Quality Function Deployment Ein ähnlich systematisches TQM-Konzept, das erstmals in der Schiffswerft von Mitsubishi Heavy Industries in Kobe 1972 eingesetzt wurde (Hauser & Clausing 1988; Akao 1994), ist die Methode des Quality Function Deployment (QFD). Anders als Hoshin Kanri setzt QFD aber nicht an der Umsetzung von Planungszielen, sondern am Produkt (bzw. der Dienstleistung) selbst und der Frage an, inwieweit darin die Erwartungen der Kunden („Voice of the Customer“) reflektiert sind. Dahinter steht die Zielsetzung, durch eine möglichst genaue Kenntnis der Kundenerwartungen Hinweise auf die Leistungsmerkmale zu bekommen, die diesen Erwartungen entsprechen. Dabei geht es insbesondere um die Übersetzung von qualitativen Kundenerwartungen (z.B. erforderliche vs. überflüssige Leistungsmerkmale) in quantitative Daten, mit deren Hilfe alle Leistungserstellungsprozesse eines Unternehmens optimiert werden können - bei Produkten z.B. sowohl im Hinblick auf technische Qualität als auch bezogen auf Designqualität (Gündüz 2016). Das QFD-Konzept ist insofern als ein Planungs- und Kommunikationssystem zu sehen, das den TQM-Gedanken mit Aspekten des Value Engineering verbindet und mit dem die Leistungserstellungsprozesse eines Unternehmens einheitlich darauf ausgerichtet werden können, was Kunden jetzt und vielleicht auch in der Zukunft nachfragen (Hauser & Clausing 1988; Lockamy & Khurana 1995). Als wesentliches Hilfsmittel dient dabei das „House of Quality“, in dem die Kundenwünsche in einer Matrix den relevanten technischen Leistungsmerkmalen gegenübergestellt und entsprechende Korrelationen berechnet werden, aus denen sich dann die Ziele und Prioritäten für den Leistungserstellungsprozess ableiten lassen (Hauser & Clausing 1988; Simon & von der Gathen 2002): Abb. 12-12: House of Quality des QFD (Simon & von der Gathen 2002) Stärken und Schwächen der TQM-Ansätze Die starke Resonanz der verschiedenen TQM-Ansätze in der Unternehmenspraxis ist zu einem großen Teil sicher darauf zurückzuführen, dass ihre Handlungsempfehlungen in der Regel sehr systematisch hergeleitet und mit sehr klaren Arbeitsanweisungen, Erfolgsindikatoren und Zuständigkeiten hinterlegt sind. Hat sich ein Unternehmen für einen bestimmten Ansatz entschieden, stehen die erforderlichen Maßnahmen und das Instrumentarium für seine Umsetzung bereits mehr oder weniger fest, was gleichzeitig den Umsetzungsprozess sehr transparent und mikropolitisch durchsetzbar macht und insbesondere dafür sorgt, dass die Planungsziele verlässlich und rigoros implementiert werden. Infolge ihres historischen Ursprungs in der Industrieproduktion gilt dies <?page no="414"?> 414 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft besondere für den Kontext von produzierenden Unternehmen mit Einlinienorganisation, schneller Entscheidungsfindung und klaren, überschneidungsfreien Hierarchien. Die Systematik und Rigorosität wird aber zur Schwäche, wenn im Zuge der Einführung eines TQM-Ansatzes ein hohes Tempo bei der Umsetzung der Planungsziele über deren Akzeptanz bei den Mitarbeitern gestellt wird und wenn z.B. bei der gemeinsamen Diskussion in der Zielklausur die abgeleiteten Unterziele ohne weitere persönliche Zielvereinbarungsgespräche von den Vorgesetzten plötzlich für die direkt unterstellten Mitarbeiter für verbindlich erklärt werden. Dies gilt insbesondere für den Hoshin-Kanri- Ansatz, dessen zeit- und ressourcenaufwendiger Zielvereinbarungs- und Kaskadierungsprozess quasi per Definition unter einem hohen Zeitdruck steht, wenn die Planziele von der Unternehmensleitung über die verschiedenen Hierarchiestufen bis auf die Produktionsebene heruntergebrochen werden sollen (Löfving, Melander, Andersson, Elgh & Thulin 2014; Melander, Löfving, Andersson, Elgh & Thulin 2016). Hinzu kommt, dass TQM-Ansätze streng genommen keinen strategischen Fokus haben: Sie fragen danach, ob die Unternehmensziele richtig umgesetzt werden („Machen wir es richtig? “), aber nicht danach, welche eigentlich die richtigen Unternehmensziele sind („Machen wir das Richtige? “). Während die Balanced Scorecard den Aufbau einer konsistenten Strategy Map voraussetzt und die wertorientierten Ansätze die Frage der Strategiewahl zwar radikal vereinfachen, aber dennoch stellen, sind strategische Ziele aus der TQM-Perspektive exogen gegeben und werden mit ihrer Hilfe als konkrete Arbeitsanweisungen und persönliche Ziele operationalisiert, aber nicht hinterfragt oder bewertet. 356 Der häufig geäußerten These (Tennant & Roberts 2001; Simon & von der Gathen 2002; Zairi & Erskine 2004; Zairi 2006), TQM-Ansätze könnten eine Quelle von Wettbewerbsvorteilen sein, ist zudem entgegenzuhalten, dass eine hohe Produkt- oder Dienstleistungsqualität zwar grunsätzlich strategisch wertvoll sein kann, aber im Hinblick auf Industriestandards wie ISO 9000 weder eine seltene noch schwer imitierbare Ressource darstellt und je nach Beschaffenheit des betreffenden Produkt- oder Dienstleistungsmarkts in der Regel auch substituierbar ist (Barney 1991), z.B. durch eine Kostenführerstrategie (Porter 1999). Das inhaltliche Defizit der TQM- Ansätze aus der Sicht des strategischen Controllings ist letztendlich in ihrem historischen Ursprung des Taylorismus begründet; die Kritik am Scientific Management als „Wissenschaft ohne Theorie“, die sich einseitig auf organisationale Effizienz fokussiert (Kieser 1995), gilt insofern sinngemäß auch für die TQM-Ansätze. Ihre Eignung für Themen der Qualitätssicherung im operativen Management steht außer Zweifel; im Kontext des strategischen Managements bleiben sie aber ohne eine tragfähige Strategieentwicklung banales Rezeptwissen und inhaltsleere Mechanik. 12.3.4 Business Modelling Zu den neueren Konzepten aus dem Bereich des strategischen Managements, die in den letzten Jahren der Praxis breit rezipiert wurden, gehört der Begriff des Geschäftsmodells. Während in der betriebswirtschaftlichen Literatur gelegentlich noch die mangelnde theoretische Fundierung des Begriffs beklagt wurde (Teece 2010), haben Geschäftsmodelle als Managementinstrumente, die auf die Absicherung und den Ausbau von Wettbewerbsvorteilen eines Unternehmens abzielen, in der Unternehmenspraxis bereits deutlich an Bedeutung gewonnen. Trotz der teilweise noch bestehenden konzeptionellen Unklarheiten und ungeachtet der Vielzahl der alternativen Auffassungen dazu zeichnet sich inzwischen eine definitorische Konvergenz hinsichtlich des Geschäftsmodellbegriffs 356 Der QFD-Ansatz, der die Kundenerwartungen bezüglich bestimmter Produkte oder Dienstleistungen zum Ausgangspunkt für die Gestaltung dementsprechender Leistungsmerkmale macht, hätte grundsätzlich das Potenzial, diesen Mangel an strategischem Bezug zu beseitigen. Allerdings ist er im Zusammenhang mit der (quantitativen) Messung von Kundenerwartungen mit methodologischen Problemen behaftet, die insbesondere dann schwer wiegen, wenn zur Kategorisierung der relativen Bedeutung der einzelnen Kundenwahrnehmungen auf so umstrittene psychologische Konzepte wie etwa Maslow’s Bedürfnispyramide zurückgegriffen wird (Edgeman & Hensler 2005, Maritan 2015). <?page no="415"?> 12 Strategisches Controlling 415 Neue Betriebswirtschaft dahingehend ab, dass es um ein Instrument zur kohärenten Strategieumsetzung geht, mit dem die strategische Planung und ihre operative Implementierung inhaltlich miteinander verknüpft werden können (Johnson, Christensen & Kagermann 2008; Dahan, Doh, Oetzel & Yaziji 2010; Bieger & Reinhold 2011; Wirtz, Pistoia, Ullrich & Göttel 2016), womit die Tür zum strategischen Controlling geöffnet ist. Der vorliegende Abschnitt stellt exemplarisch das Geschäftsmodellkonzept von Osterwalder vor, das insbesondere auf die Übersetzung der Unternehmensstrategie in ein Geschäftsmodell und die Überprüfung des Geschäftsmodells im Hinblick auf seine Konsistenz mit der Unternehmensstrategie abstellt (Osterwalder 2004; Osterwalder & Prigneur 2011; Osterwalder, Prigneur, Bernarda & Smith 2015). Die drei wesentlichen Bestandteile dieses Konzepts, nämlich das Wertangebot, das eigentliche Geschäftsmodell und die Analyse seiner Umwelt, werden in den nachfolgenden Abschnitten der Reihe nach vorgestellt. „I understand the business model as the strategy’s implementation into a conceptual blueprint of the company’s money earning logic. In other words the vision of the company and its strategy are translated into value propositions, customer relations and value networks.“ (Osterwalder 2004, S. 17) Das Wertangebot Als Aufsatzpunkt für die Entwicklung eines Geschäftsmodells ist mit Hilfe des Value Proposition Canvas (Osterwalder, Prigneur, Bernarda & Smith 2015) zunächst ein Wertangebot zu erarbeiten, mit dem ein Unternehmen auf dem Markt aufzutreten beabsichtigt. Dieses Wertangebot geht von dem Grundgedanken aus, dass es nicht um eine ein Produkt oder eine Dienstleistung an sich geht, sondern darum, ein Bedürfnis zu befriedigen und dadurch ein Problem zu lösen. Ein Wertangebot beschreibt die Vorteile, die ein Kunde von den Produkten oder Dienstleistungen eines Unternehmens erwarten kann. Dazu müssen einerseits die Kunden hinsichtlich der Merkmale beobachtet werden, die sie bei einem Produkt oder einer Dienstleistung voraussetzen, und es muss andererseits ein dazu passendes Wertangebot geschaffen werden, dessen Vorteile für die Kunden attraktiv sind. 357 Dementsprechend beginnt die Entwicklung eines Wertangebots stets mit einer Beschreibung, welche Aufgaben (z.B. funktionale, soziale oder emotionale) eine bestimmte Kundenzielgruppe erledigen möchte. Im zweiten Schritt geht es um die Erfassung der Probleme oder negativen Gefühle, der unerwünschten Kosten und Situationen sowie der Risiken, denen die Kunden vor, während und nach Erledigung dieser Aufgaben begegnen oder begegnen können (Was sehen Ihre Kunden als zu teuer an? Warum sind derzeitige Lösungen suboptimal? etc.). Im dritten Schritt werden dann die Vorteile beschrieben, die die Kunden erwarten, wünschen oder von denen sie durch ein Wertangebot überrascht wären; z.B. funktionaler Mehrwert, sozialer Nutzen, positive Gefühle und Kosteneinsparungen. Wenn die Beobachtungen der Kunden hinsichtlich der Merkmale, die sie bei einem Produkt oder einer Dienstleistung voraussetzen, hinreichend vollständig und verifiziert sind, kann darauf aufbauend ein Wertversprechen entwickelt werden, das mit den von den Kunden präferierten Merkmalen übereinstimmt. Zu diesem Zweck werden zunächst die Produkte oder Dienstleistungen beschrieben, die den Kunden helfen, eine funktionale, soziale oder emotionale Aufgabe zu erledigen, oder ihnen helfen, bestimmte Grundbedürfnisse zu befriedigen. Danach werden sogenannte „Problemlöser“ identifiziert, also Eigenschaften, die für die Reduzierung oder Beseitigung der Kundenprobleme dienlich sind oder sein können (Führen sie zu Einsparungen? Beseitigen sie suboptimale Lösungen? Begrenzen oder beseitigen sie Fehler, die Kunden machen? Beseitigen sie Hindernisse, die Ihre Kunden abhalten, Lösungen einzuführen? etc.). Auf dieser Basis werden dann die soge- 357 Der gleiche Gedanke liegt auch dem QFD-Konzept zugrunde, wird dort aber quantitativ abgebildet, s.o. <?page no="416"?> 416 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft nannten „Nutzenbringer“ erfasst, also die Vorteile, die die Kunden erwarten oder wünschen oder von denen sie angenehm überrascht wären, z.B. den funktionalen und sozialen Nutzen, positive Gefühle oder Kosteneinsparungen (Übertreffen sie die derzeitigen Lösungen? Machen sie dem Kunden das Leben oder die Arbeit leichter? Führen sie zu positiven sozialen Konsequenzen, die der Kunde wünscht? Machen sie etwas, das die Kunden suchen? etc.). Aus der Kombination des Kundenprofils und eines dazu passenden Wertversprechens (Value Map) ergibt sich schließlich das Wertangebot (Value Proposition), das als Nukleus die für anschließende Ausarbeitung eines Geschäftsmodells dienen kann. Abb. 12-13: Der Value Proposition Canvas am Beispiel Twitter Das Geschäftsmodell und sein Umfeld Für den Entwurf eines Geschäftsmodells gilt ebenso wie für die Entwicklung eines Wertangebots, dass diese Vorgänge nicht linear, sondern iterativ ablaufen. Ziel dieses Verfahrens ist, anhand von einfachen Prototypen Ideen schnellstmöglich zu erproben und daraus zu lernen, um bessere Entwürfe zu gestalten und diese erneut zu testen (Osterwalder, Prigneur, Bernarda & Smith 2015). Dabei spielen Kundenerhebungen (z.B. Auswertung von statistischen Informationen und Marktforschungsdaten, Interviews, Beobachtungen, Experimente, Social-Media-Analysen, Data Mining usw.) eine wichtige Rolle. Für die Beschreibung eines Geschäftsmodell schlagen Osterwalder und Prigneur (2011) eine Standardstruktur mit neun gedanklichen Elementen vor (den sogenannten Business Model Canvas), aus denen sich die Logik der Wertschöpfung eines Unternehmens zusammensetzen sollte. Dabei handelt es sich im einzelnen um (1) die adressierten Kundensegmente, (2) die dazu passenden Wertversprechen, (3) die Kommunikations- und Vertriebskanäle, (4) die Kundenbeziehungen, (5) die geplanten Einnahmequellen, (6) die für die Leistungserstellung erforderlichen Ressourcen, (7) die entsprechenden Schlüsselaktivitäten, (8) die Schlüsselpartnerschaften und (9) die Kostenstruktur. Das Wertangebot - bestehend aus Kundenprofil und Value Map - leistet in diesem Zusammenhang die Vorarbeit, um die ersten beiden Elemente des Geschäftsmodells, nämlich Kundensegmente und Wertversprechen, inhaltlich zu befüllen. <?page no="417"?> 12 Strategisches Controlling 417 Neue Betriebswirtschaft Abb. 12-14: Der Business Model Canvas (Osterwalder & Prigneur 2011) Für die strategische Fundierung des Wertangebots und des Geschäftsmodells ist es grundlegend, dass ihre Entwicklung stets in einen spezifischen Kontext stattfindet, der im iterativen Prozess von Design und Test berücksichtigt werden muss. Neben der Beschreibung des Wertangebots und der neun Elemente des Geschäftsmodells sollte daher auch ein eingehendes Verständnis der Geschäftsmodellumgebung (Business Model Design Space) erarbeitet und mögliche Gestaltungsimpulse (neue Kundenbedürfnisse, Technologien etc.) und Gestaltungsbeschränkungen (neue Regulierungen, Wettbewerber etc.) identifiziert werden, auf deren Grundlage dann robustere und wettbewerbsfähigere Entwürfe konzipiert werden können. Als Bezugsrahmen für diese Umfeldanalyse, die Ähnlichkeiten mit Porters Konzept zur Analyse des Branchenwettbewerbs aufweist (Porter 1999), schlagen die Autoren die Unterscheidung von (1) Marktkräften, (2) Branchenkräften, (3) Schlüsseltrends und (4) makroökonomischen Kräften vor (Osterwalder & Prigneur 2011). Zu den Marktkräften gehören etwa die Kundensegmentierung, Wachstumspotenziale, bestehende Marken und Kundenbindungen oder auch aktuelle Verschiebungen im Markt. Als Branchenkräfte werden neben den Wettbewerbern auch potenzielle neue Marktteilnehmer, Zulieferer, Lieferanten und Ersatzprodukte bzw. -dienstleistungen aufgefasst. Unter den Begriff der Schlüsseltrends fallen etwa technologische Entwicklungen, neue Vorschriften und Gesetze, demografische und ökonomische Veränderungen sowie soziale und kulturelle Trends. In die Kategorie der makroökonomischen Kräfte fallen schließlich Faktoren wie Preis- oder Zinsentwicklungen, Konjunkturschwankungen, Veränderungen in der Besteuerung oder bei den Staatsausgaben. Für die Robustheit und Wettbewerbsfähigkeit des Geschäftsmodells ist es in jedem Fall von entscheidender Bedeutung, im Prozess von Design und Test auch zwischen den drei Betrachtungsebenen - Wertangebot, Geschäftsmodell und Kontext - immer wieder hin- und herzuwechseln (Osterwalder, Prigneur, Bernarda & Smith 2015). <?page no="418"?> 418 Kai-Christian Muchow Neue Betriebswirtschaft Abb. 12-15: Die drei Ebenen der Geschäftsmodellentwicklung (Osterwalder et al. 2015) Die Weiterentwicklung von Wertangeboten und Geschäftsmodellen Zwar ist die kontinuierliche Erprobung und Verbesserung von Wertangeboten und Geschäftsmodellen insbesondere für Startups eine Kernaufgabe der Unternehmensführung; sie entscheidet aber häufig auch über die Wettbewerbsfähigkeit etablierter Unternehmen. Zu einer durchdachten Unternehmensstrategie gehört ein finanziell ausgewogenes, synergetisches Geschäftsportfolio, in dem langfristig immer wieder neue Geschäftsmodelle als Wachstumstreiber geschaffen und bestehende Geschäftsmodelle proaktiv überprüft und verbessert werden. Infolge der mit einer neuen Geschäftsidee in der Regel verbundenen Unsicherheiten führt der Weg dorthin häufig nicht über eine aufwendige finanzielle Geschäftsplanung, sondern über Experimente, die eine schnelle Rückmeldung dazu liefern, ob die Idee funktioniert oder nicht (Osterwalder, Prigneur, Bernarda & Smith 2015). Eine wichtige Rolle spielt dabei der sogenannte Lean-Startup-Zyklus: Er beginnt mit der Entwicklung einer Hypothese in Form eines ersten Wertangebots und eines darauf beruhenden Geschäftsmodells. Im ersten Schritt des Zyklus wird ein Prototyp der geplanten Leistung (d.h. eines Produkts oder einer Dienstleistung) oder ein Experiment gestaltet, anhand dessen die Hypothese getestet werden kann. Im zweiten Schritt wird dann die Leistungsfähigkeit des Prototyps gemessen bzw. das Experiment durchgeführt und die Ergebnisse werden im dritten Schritt mit der Ausgangshypothese verglichen und bewertet, bevor der Lernzyklus neu beginnt (z.B. mit einem überarbeiteten Prototyp oder mit einem neuen Experiment). Auch in diesem Prozess spiegeln sich die bereits erwähnte systemorientierte Konzeption des Managementprozesses (Bleicher 1992) und der zyklische Charakter des strategischen Controllings - hier allerdings mit der Besonderheit einer besonders kurzen und häufigen Rückkopplung. <?page no="419"?> 12 Strategisches Controlling 419 Neue Betriebswirtschaft Abb. 12-16: Design und Test von Geschäftsmodellen (Osterwalder et al. 2015) Stärken und Schwächen des Business Modelling Geschäftsmodelle beschreiben „… das Grundprinzip, nach dem eine Organisation Werte schafft, vermittelt und erfasst“. 358 Aus Sicht des strategischen Controllings definieren sie den strukurellen Kontext, innerhalb dessen die Versorgung der strategischen und operativen Unternehmensführung mit Informationen zu den entscheidungsrelevanten Steuerungsgrößen erfolgt. Sie ersetzen damit weder die Unternehmensstrategie noch das Controlling, schaffen aber für beide einen wichtigen ge meinsamen Bezugsrahmen. 359 In Gestalt des Business Model Canvas steht der Unternehmenspraxis ein besonders detailliert ausgearbeiteter und intuitiv verständlicher Ansatz für die Entwicklung und Analyse von Geschäftsmodelle zur Verfügung. Ähnlich wie bei der Balanced Scorecard ist seine Umsetzung mit einem hohen Zeit- und Ressourcenaufwand und mit der Bereitschaft der Unternehmensführung verbunden, strategische Überlegungen mit den am Prozess der beteiligten Mitarbeitern zu teilen. Ein wesentlicher Vorteil der gemeinsamen Geschäftsmodellentwicklung ist aber, dass ihre Ergebnisse nicht nur in Form eines zusätzlichen Reportings oder einer weiteren Zielbesprechung in die Unternehmensführung zurückwirken, sondern mit einem schnellen und effektiven Veränderungsprozess der gesamten Organisation und einer tendenziell hohen Akzeptanz der Mitarbeiter einhergehen. Dieser Aspekt dürfte insbesondere für kleinere Unternehmen mit nur einem oder wenigen strategischen Geschäftsfeldern und flachen Hierarchien von Interesse sein. 358 Vgl. Osterwalder & Prigneur (2011), S. 18 359 Vgl. dazu das inhaltlich verwandte Konzept der Orientierungsgrundlagen der Unternehmensführung bei Gälweiler (1987) <?page no="420"?> 420 Neue Betriebswirtschaft LLiitteerraattu urr Akao, Y. (1991). Hoshin Kanri: Policy Deployment for Successful TQM. Cambridge MA: Productivity Press. Akao, Y. (1994). Development History of Quality Function Deployment. Tokyo: Asian Productivity Organization. Andrews, K. (1971). The concept of corporate strategy. Homewood (Ill.): Irwin. Ansoff, H. I. (1965). Corporate strategy. New York: McGraw-Hill. Arzac, E. R. (January-February 1986). Do Your Business Units Create Shareholder Value? Harvard Business Review, S. 121-126. Barney, J. (1991). Firm Resources and Sustained Competitive Advantage. Journal of Management, S. 99-120. 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In der Folge zwingen die beiden Phänomene (1) steigender Wettbewerbsdruck und (2) immer kürzere Innovationssowie Technologiezyklen Unternehmen dazu, alte Denkmuster zu verlassen sowie neue Antworten zu finden, entsprechend zu reagieren und frühzeitig zu agieren. Dies bedeutet, dass bestehende Geschäftsmodelle und teilweise ganze Industriezweige kritisch hinterfragt und neu gedacht werden müssen. Beispiele für den Wandel von Geschäftsmodellen lassen sich in vielfältiger Weise finden. Nokia, einst ein Gummistiefelhersteller, avancierte zur Jahrtausendwende zum führenden Mobilfunktelefonhersteller. Nur wenige Jahre später war von der marktbeherrschenden Position nichts mehr übrig, da neue Geschäftsmodelle von Konkurrenten wie Apple, Google (mit Android) oder Samsung dem alten von Nokia überlegen waren. Ein anderes Beispiel findet sich in der Kaffeebranche: Nestlé revolutionierte mit seinem neuen Nespresso-Kaffeekapsel-Geschäftsmodell den Kaffeemarkt. Kunden standen nun für Kaffee(-kapseln) Schlange und zahlten umgerechnet 50-70 Euro für das Kilo Kaffeebohnen (bis zum 10-fachen des vorherigen Preises). Diese Beispiele der Veränderung von Geschäftsmodellen sollen jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die meisten Unternehmen täglich Chancen vergeben, indem sie an ihren Geschäftsmodellen (zu) lange festhalten und spät oder gar nicht auf veränderte Märkte und Kundenwünsche reagieren. 361 Zur Schaffung einer Basis jeglicher Diskussion zum Thema Geschäftsmodell bedarf es zunächst einer genauen Analyse des Konstrukts Geschäftsmodell. Dafür müssen zentrale Fragen zur Begrifflichkeit, zur Funktion, zur Struktur, zu den Prozessen und zur Lenkung von Geschäftsmodellen beantwortet werden. Diese fünf genannten Punkte bilden zugleich die Lernziele dieses Beitrags, die zur besseren Übersicht folgend dargestellt sind. Lernziele [1] Begrifflichkeit: Aufbau eines sprachlichen Grundverständnisses für den Begriff Geschäftsmodell sowie die Befähigung zur kritischen Auseinandersetzung über Eigenschaften von Geschäftsmodellen [2] Funktion: Kenntnis und Verständnis über den Zweck von Geschäftsmodellen [3] Struktur: Kenntnis und Verständnis über Strukturelemente von Geschäftsmodellen 360 Vgl. Porter (1985). 361 Vgl. Gassmann und Friesike (2012). <?page no="426"?> 426 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft [4] Prozess: Kenntnis und Verständnis über dynamische Vorgänge beim Umgang mit Geschäftsmodellen [5] Lenkung: Kenntnis und Verständnis über Steuerungs- und Regelungsmöglichkeiten beim Umgang mit Geschäftsmodellen Gleichzeitig ergeben sich aus den Lernzielen die weiteren Hauptkapitel dieses Beitrages. Begrifflichkeit des Geschäftsmodells Der Begriff Geschäftsmodell erfährt eine große Verbreitung und wird nahezu inflationär in der Praxis verwendet. Aus diesem Grund eignet sich im Allgemeinen eine wissenschaftstheoretische und im Speziellen eine semiotische, d.h. sprachwissenschaftliche Annäherung an den Begriff Geschäftsmodell. Konkret kann das Wort in zwei Bestandteile und zwar Geschäft sowie Modell zerlegt werden. Diese beiden Bausteine werden für sich einzeln nach ihrer Bedeutung untersucht und danach sinnvoll wieder zusammengefügt. Zunächst wird im Folgenden für diese Wortdefinition (auch als Nominaldefinition bekannt) der Begriff Geschäft (13.2.1) und anschließend der Begriff Modell (13.2.2) untersucht. Abschnitt 13.2.3 stellt abschließend für dieses Kapitel dar, was unter der Begrifflichkeit Geschäftsmodell zu verstehen ist. Der Begriff Geschäft Der Begriff Geschäft bezeichnet jede Art gewinnorientierter Tätigkeit. Das Ziel von Geschäften ist es folglich, Gewinn zu erzielen, also profitabel zu sein. 362 Mit anderen Worten: „business is in business to make profits; if it’s not making profits, it’s soon out of business.“ 363 Ein weiteres relevantes Synonym ist u.a. die Transaktion als gegenseitige Übertragung von Gütern und Dienstleistungen. Auf Transaktionen konzentrierte sich auch die Wirtschaftsinformatik beginnend in den 1970er Jahren, indem sie die Erfassung und Darstellung von Geschäftsprozessen und Informationssystemen in Unternehmen zum Ziel hatte. 364 In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur wird im weiteren Sinne der entgeltliche Austausch von Wirtschaftssubjekten und im engeren Sinne die kaufmännische Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsichten von Wirtschaftseinheiten - meist Unternehmen - verstanden. Dabei verlangt vor allem die Begriffsbedeutung im engeren Sinne nach tiefergreifenden Überlegungen. Ein Geschäft im engeren Sinne konzentriert sich vor allem auf eine möglichst effektive Kombination von Ressourcen und Fähigkeiten mit dem Ziel, nutzenstiftende Aktivitäten durchzuführen und schließlich wiederum einen Gewinn zu erzielen. Dabei lassen sich drei wesentliche Grundelemente (Dimensionen) eines Geschäftes festhalten: [1] Know-how/ Technologien (Ressourcen), [2] Produkte/ Services und [3] Zielgruppen/ Märkte. 365 Abbildung 13-1 fasst das Zusammenwirken der drei Dimensionen zusammen. 362 Vgl. Friedman (1970). 363 Vallance (1993). 364 Vgl. Zollenkop (2006). 365 Vgl. Gharajedaghi (2007). <?page no="427"?> 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle 427 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 13-1: Dimensionen eines Geschäftes 366 Bei der Übertragung dieses verfeinerten Begriffsverständnisses eines Geschäftes auf das Geschäftsmodellkonzept lässt sich schlussfolgern, dass ein Geschäftsmodell die genannten drei Dimensionen eines Geschäftes inklusive der wesentlichen Aspekte wie Elemente des Geschäfts und Beziehungen der Elemente zueinander vereinfacht und verkürzt abbilden soll. Weiterhin ist es notwendig, sich mit dem Zweck eines Geschäftes zu beschäftigen. Grundsätzlich besteht der Zweck eines Geschäftes darin, Kunden zu gewinnen. Drucker formuliert dies wie folgt: „There is only one valid definition of business purpose: to create a customer.“ 367 Es wird somit klar, dass Kunden bestimmen, was ein (erfolgreiches) Geschäft ist und was nicht. 368 Testfragen zum Abschnitt: ! Welche Dimensionen definieren Geschäfte? ! Was ist der Zweck bzw. das Ziel von Geschäften? 13.2.2 Der Begriff Modell Das Wort Modell geht auf das griechische Wort „metron“ für Maßstab oder Maß, sowie das lateinische Wort „modus“ für Muster oder Vorlage zurück. In der Managementliteratur wird unter einem Modell „ein vereinfachtes Bild einer Wirklichkeit“ 369 verstanden. Der Sinn und Zweck von Modellen liegt in erster Linie in der vereinfachten Darstellung komplexer Zusammenhänge. 370 Mittels zunehmender Reduktion oder Verallgemeinerung kann eine Komplexitätsreduzierung erreicht werden. 371 Von wissenschaftlicher Seite kommt einem Modell eine große Bedeutung im Erkenntnisprozess zu. 372 In Biologie, Ökonomie sowie im Management werden Modelle dementsprechend eingesetzt, um ein grundlegendes Problem, nämlich den Mangel an Wissen (lack of knowledge) zu lösen. 373 Modelle lassen sich in zwei Grundarten unterteilen: [1] formale Modelle und [2] mentale Modelle. 374 366 Vgl. ebd. 367 Drucker (1954), S. 37. 368 Vgl. Drucker (1954). 369 Schwaninger (2004), S. 53. 370 Vgl. Schwaninger (2004). 371 Vgl. Ropohl (2012). 372 Vgl. Stachowiak (1973). 373 Vgl. Baden-Fuller und Morgan (2010). 374 Vgl. Schwaninger (2004). <?page no="428"?> 428 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft Die formalen Modelle bringen die Realität in eine stringente und logische Struktur. Sie können dabei überaus spezifisch sein und einen hohen Grad an Präzision aufweisen. In diesem Sinne werden formale Modelle auch häufig in eine mathematische Struktur gebracht und können algorithmisch gerechnet werden. 375 Beispielhaft kann eine Bilanz dabei helfen, Bestandsgrößen eines Unternehmens in Geldeinheiten abzubilden und lässt somit Auswertungen hinsichtlich finanzwirtschaftlicher Kennzahlen zu. Aufgrund der gegebenen Genauigkeit von formalen Modellen ist der Umfang des abgebildeten Bereiches eher gering. Abbildung 13-2: Ausprägungsformen von Modellen 376 Demgegenüber stellen mentale Modelle eine Konstruktion von Individuen dar, die sich eine selektive Abstraktion und starke Vereinfachung der Realität im Kopf erschaffen. 377 Eine besondere Bedeutung kommen aus betriebswirtschaftlicher Sicht den gemeinsamen mentalen Modellen (shared mental models) zu. Diese Modelle bündeln die gemeinsamen Vorstellungen, Prinzipien, Annahmen, Theorien, Konzepte, Schemata und Weltanschauungen eines Kollektivs. Der Umfang der Abbildung ist bei mentalen Modellen breiter als bei formalen Modellen, wohingegen die Spezifität geringer ausgeprägt ist. 378 Mittels mentaler Modelle lassen sich Kausalketten bestimmen und Wirkzusammenhänge erörtern. 379 Wirkungsgefüge über vernetztes Denken oder die Balanced Scorecard fallen unter solche Modelle. Weitere Unterteilungen sind auf der Sachebene bzw. Systemebene anhand von Systemen (z.B. das gesamte Unternehmen) und Subsystemen (z.B. einzelne Fachabteilungen) sowie auf der Zeitebene anhand von statischen und dynamischen Modellen möglich. Bei einem Subsystemmodell wird nur ein Teil des Originals abgebildet, wohingegen ein Systemmodell das gesamte Original modellieren möchte. Ein statisches Modell bildet ein Original nur zu einem Zeitpunkt ab, wobei ein dynamisches Modell versucht, Veränderungen über einen Zeitraum abzubilden. 380 Kombiniert man die möglichen vorgestellten Ausprägungsformen von Modellen, ergeben 375 Vgl. Stachowiak (1973). 376 Eigene Darstellung. 377 Vgl. Gharajedaghi (2007). 378 Eine weitere Untergliederung der mentalen Modelle ist möglich. Auch Rahmenkonzepte, die noch breiter ansetzen, lassen sich in diese Logik einordnen. Vgl. Schwaninger (2004). 379 Vgl. zu Modelltypen ebenso Halecker und Hartmann (2013). 380 Vgl. Baetge (1974). <?page no="429"?> 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle 429 Neue Betriebswirtschaft sich acht Modellarten. Abbildung 13-2 gibt einen Überblick über die möglichen vorgestellten Modellarten. Gemeinsam haben all diese Modelle, dass sie eine Funktion, also einen Zweck haben. Hinsichtlich der Funktion lassen sich sechs verschiedene Modelltypen unterteilen: [1] Beschreibungsmodell, [2] Erklärungsmodell, [3] Gestaltungsmodell, [4] Veränderungsmodell, [5] Entscheidungsmodell und [6] Simulationsmodell. 381 Darin werden drei Kategorien von Typen deutlich. Einerseits geht es beim [1] Beschreibungs- und [2] Erklärungsmodell um eine vereinfachte Darstellung komplexer Sachverhalte aus der Wirklichkeit mit dem Ziel, ein besseres Verständnis zu erlangen. In der Betriebswirtschaftslehre nimmt z.B. eine Bilanz diese beschreibende und erklärende Funktion ein, um die Vermögens- und Kapitalsituation vereinfacht wiederzugeben. Das [3] Gestaltungs- und [4] Veränderungsmodell bildet die zweite Kategorie und dient der gestalterischen Arbeit. Die Ausarbeitung eines Businessplans, um die Idee des Geschäfts z.B. potenziellen Kapitalgebern vorzustellen, kann hier exemplarisch angeführt werden. Die restlichen Modelltypen [5] und [6] stellen die dritte Kategorie dar und sollen dabei helfen, unternehmerische Entscheidungen zu treffen. In der Betriebswirtschaft arbeitet man z.B. mit Unternehmenssimulationen, um den potenziellen Absatz unter gewissen Bedingungen besser abschätzen zu können. Auch Szenarioanalysen fallen unter diese Kategorie. Ebenso helfen Tourenplanungsmodelle bei der unternehmerischen Entscheidungsfindung im Bereich der Logistik. Unabhängig von der Art und dem Zweck eines Modells stehen Modelle und die Realität immer in einem indirekten Abbildungsverhältnis zueinander. Dieses Abbildungsverhältnis muss dabei bestimmten semiotischen (sprachwissenschaftlichen) Bedingungen unterliegen. Diese Bedingungen können in eine [1] syntaktische, [2] semantische und [3] pragmatische Bedingung gegliedert werden: [1] Syntaktische Bedingungen: „Modelle sind stets Modelle von etwas, nämlich Abbildungen, Repräse nt ation e n natü rlic he r ode r küns tl ic her Orig in al e, di e se lb st w ieder M od elle sein k ön nen.“ 382 Bei einer Modellerstellung wird somit immer gefragt, wie das betrachtete Original verkürzt dargestellt werden kann, ohne die Bedeutung des Originals zu verfälschen. Folglich lässt sich ein Modell auf Richtigkeit prüfen, indem in der Realität ein (komplexeres) Original vorhanden ist oder eben nicht. 383 [2] Semantische Bedingungen: „Modelle erfassen im Allgemeinen nicht alle Attribute des durch sie repräsentierten Originals, sondern nur solche, die den jeweiligen Modellerschaffern und/ oder Modellbenutzern relevant erscheinen.“ 384 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es eine Vielzahl von Modellen zu einem einzigen Original geben kann und zwar in Abhängigkeit davon, wer die Modelle kreiert oder nutzt. Eine Bewertung von Modellen ist somit wichtig, um diese voneinander abzugrenzen. Dafür gibt es unzählige Kriterien wie z.B. die Zugänglichkeit, Prüfbarkeit, Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Spezifität, Präzision, Genauigkeit, Klarheit, Gültigkeit, Eindeutigkeit, Detailliertheit oder Vollständigkeit von Modellen. Eine Prüfung von Modellen in semantischer Hinsicht kann mit Validitäts- oder Reliabilitätsbedingungen durchgeführt werden. Validi- 381 Vgl. Schwaninger (2004). 382 Vgl. Stachowiak (1973), S. 131. 383 Vgl. Amler (1983). 384 Vgl. Stachowiak (1973), S. 132. <?page no="430"?> 430 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft tät misst dabei -vereinfacht dargestellt-, wie genau das Modell das Original wiedergibt. Reliabilität (Objektivität) hingegen bewertet ein Modell dahingehend, ob bzw. in welchem Ausmaß andere Anwender (z.B. bei der Schaffung eines Modells) zum gleichen (Ergebnis-) Modell kommen würden. 385 [3] Pragmatische Bedingungen: „Modelle sind ihren Originalen nicht per se eindeutig zugeordnet. Sie erfüllen ihre Ersetzungsfunktion a) für bestimmte - erkennende und/ oder handelnde - Subjekte, b) innerhalb bestimmter Zeitintervalle und c) unter Einschränkungen auf bestimmte gedankliche oder tatsächliche Operationen.“ 386 Es lassen sich hierbei vier Bezugskriterien unterscheiden: 1) der Objektbezug, 2) der Subjektbezug, 3) der Zeitbezug und 4) der Zielbezug. Beim 1) Objektbezug wird die Frage gestellt, wovon Modelle benötigt oder geschaffen werden. Der 2) Subjektbezug stellt die Frage, wer die Modelle schafft und/ oder nutzt. Beim 3) Zeitbezug geht es um die Fragestellung, wann Modelle geschaffen werden und für welchen Horizont sie gelten. Im 4) Zielbezug wird die Frage beantwortet, welchen Zweck die Modelle erfüllen. Für eine Prüfung der pragmatischen Bedingung und somit eine Bewertung des Ausmaßes des gestifteten Nutzens eines Modells gibt es zwar Ansätze, jedoch liefern diese keine allgemeingültigen nachvollziehbaren Kriterien. Die semiotischen (sprachwissenschaftlichen) Bedingungen von Modellen zeigten deutlich, dass ein Modell das ursprüngliche Original abbilden muss. Damit die Modellbildung gelingt und im weiteren Sinne noch das Original abgebildet wird, bedarf es bei der Bildung systematischer Kriterien. Im Folgenden soll näher auf die systematischen Kriterien der Modellbildung eingegangen werden. Es sind fünf systematische Kriterien bei der Modellbildung zu beachten: [1] Neutralität [2] Systematik, [3] Interdisziplinarität, [4] Integration und [5] Handlungsbefähigung. [1] Neutralität hat als Ziel, neutrale Begrifflichkeiten, die möglichst vorurteilsfrei sind, zu verwenden. Die verwendeten Termini des Modells sollen somit Verzerrungen in der Interpretation vermeiden, die durch vorbelastete Begrifflichkeiten gedanklich entstehen könnten. [2] Systematik besagt, dass ein Modell eine funktionale und eine strukturelle Dimension besitzen muss. Bei der funktionalen Dimension wird die Frage beantwortet, was der Zweck des Originals ist. Somit muss ebenso aus dem Modell ersichtlich werden, was der Zweck (Funktion) des Originals ist. Bei der strukturellen Dimension werden eine Vielzahl von Elementen des Modells sowie die Beziehungen der Elemente zueinander dargestellt. Dabei ist es möglich, dass Beziehungen auch hierarchisch sein können. Einige Elemente des Modells können sich somit auf „höheren“ bzw. „niedrigeren“ Ebenen befinden. 387 Neben der geforderten Funktion und Struktur ist es sinnvoll, ebenfalls eine Prozess- und Lenkungsdimension in die Modellbildung zu integrieren. [3] Interdisziplinarität bedeutet, dass im Prozess der Modellbildung das Original nicht nur einseitig aus einer Perspektive (also nicht nur aus einer einseitigen Disziplin) betrachtet werden sollte, um ein Abbild (Modell) zu schaffen. Vielmehr sollen mehrere Perspektiven eingenommen (fachübergreifende Disziplinen) werden oder zumindest die eingenommene Perspektive in Beziehung zu weiteren Perspektiven gesetzt werden (Einordnung der eingenommenen Perspektive in einen interdisziplinären Kontext). [4] Integration fordert, dass Modelle nicht punktuell gebildet werden dürfen. Mit anderen Worten sollte nicht auf Basis eines Originals, sondern zumindest auf Basis mehrerer Originale ein Modell gebildet werden. Ein Modell sollte somit eine gewisse Bandbreite an Originalen repräsentieren können. Somit sollte ein Geschäftsmodell nicht nur auf ein spezifisches Unternehmen passen, sondern zumindest eine Gruppe von Unternehmen repräsentieren. 385 Vgl. Amler (1983). 386 Stachowiak (1973), S. 132f. 387 Vgl. Randolph (1979). <?page no="431"?> 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle 431 Neue Betriebswirtschaft [5] Handlungsbefähigung hat den Anspruch, Handlungsfähigkeit in einer komplexen Umwelt zu ermöglichen, indem die Formulierung von Hypothesen sowie die Ableitung und Beurteilung von Maßnahmen theoriegeleitet und praxisorientiert erfolgt. 388 Es ist zusammenfassend festzuhalten, dass bei der Analyse betriebswirtschaftlicher Probleme eine Vereinfachung von realen Vorgängen mit Hilfe von Modellen erforderlich ist. Wichtig ist hierbei, dass eine gewisse Strukturähnlichkeit zwischen dem Modell und der Realität existiert. Dabei haben Modelle den Vorteil, dass sie leichter zu überschauen sind als die Realität. Jedoch haben diese den Nachteil, dass sie die Realität niemals vollständig und exakt abbilden können. 389 Modelle können auch den Vergleich von zwei Betrachtungsgegenständen aus der Realität erleichtern und zwar indem sie eine Messung ermöglichen, die vorher nicht möglich war. Betrachten wir z.B. die Bilanz als Vermögens- und Kapitalmodell zweier Unternehmen, ist anhand dieser ein Vergleich möglich. Messungen können dabei grundsätzlich [1] klassifikatorisch, [2] komparativ (=vergleichend) oder [3] metrisierend erfolgen. Dabei wird das klassifikatorische und komparative Messen den qualitativen sowie das metrisierende Messen den quantitativen Verfahren zugeordnet. Der Informationsgehalt ist beim klassifikatorischen Messen am geringsten, da hier lediglich eine Zuordnung zu einer Klasse erfolgt. Beispielsweise kann ein Unternehmen einer Branche zugeordnet werden. Logische Operatiwx™x q•xš –•™s¦ Ik—™–‡s•— Iks †s²x›–™ wš™s x•›–n -‹(6,) †™•y ’wyv²s²n•h™x [™qq™x •qn š™y—™—™x* über zusätzlich die Aussage, ob etwas größer/ besser etc. oder kleiner/ schlechter etc. ist, möglich -‹(6 kxš Œ(Š,) 8›–•™X•›– •qn ™q °™•y y™ns•q•™s™xš™x [™qq™x Ikq%nI•›– y‡—•›–+ ²kqIkšsƒ›’™x+ um wieviel etwas größer oder kleiner ist (z.B. der Umsatz von zwei Unternehmen). 390 Für Geschäftsmodelle gilt, dass sie in Klassen eingeordnet werden können. Exemplarisch gibt es Geschäftsmodelle, die der Plattformökonomie zugeordnet werden können (z.B. Uber, Airbnb usw.) und andere Geschäftsmodelle eben nicht (z.B. Volkswagen, Aldi usw.). Dabei können die Klassen sehr vielfältig sein (z.B. Geschäftsmodelle mit Dienstleistungsfokus oder Produktionsfokus usw.). Findet eine Aufnahme und Protokollierung von Geschäftsmodellen statt, kann anhand dieser ebenfalls klassifikatorisch gemessen werden. 391 Geschäftsmodelle können ebenfalls komparativ gemessen werden. Einige Geschäftsmodelle sind z.B. kapitalintensiver als andere. Das benötige Kapital ist somit größer als bei anderen, weshalb ein Vergleich möglich ist. Es gibt auch erfolgreichere und weniger erfolgreiche Geschäftsmodelle, die komparative Aussagen auf Basis eines komparativen Messens zulassen. Ein metrisierendes Messen von Geschäftsmodellen ist dann möglich, wenn einzelne Elemente oder Dimensionen betrachtet werden. Beispielhaft sind Aussagen darüber möglich, dass ein Geschäftsmodell x-mal mehr Personal benötigt als ein anderes. Metrisierende Aussagen sind u.a. auch zum Wachstum von Geschäftsmodellen möglich. Eine tiefergreifende Erklärung von Geschäftsmodellen erfolgt im folgenden Abschnitt. 388 Vgl. Pfeiffer und Randolph (1976) und Hartmann (2018). 389 Vgl. Baetge (1974). 390 Vgl. Hartmann (2013). 391 Eine solche Aufnahme zum Zwecke der Klassifikation von Geschäftsmodellen wird u.a. bei Hartmann et al. (2017) beschrieben. <?page no="432"?> 432 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft Testfragen zum Abschnitt: ! Was ist der übergeordnete Zweck von Modellen? ! Welche Ausprägungsformen von Modellen gibt es? ! Welche Modelltypen lassen sich hinsichtlich ihrer Funktion unterscheiden? ! Welchen sprachwissenschaftlichen Regeln muss das Abbildungsverhältnis zw. Original und Modell unterliegen? ! Welche systematischen Kriterien müssen bei der Modellbildung beachtet werden? ! Welche Messarten können unterschieden werden und inwiefern lassen sich diese voneinander abgrenzen? 13.2.3 Der Begriff Geschäftsmodell Das in der Wissenschaft existierende Modellverständnis und damit der verbundene Vereinfachungsaspekt zur Erklärung eines in der Realität vorhandenen Sachverhaltes (siehe Kapitel 13.2.2) sowie das bestehende Geschäftsverständnis (siehe Kapitel 13.2.1), lassen sich analog auf das Verständnis von Geschäftsmodellen übertragen. Ein Geschäftsmodell ist folglich ein hilfreiches Konstrukt, das dabei hilft, ein in der Realität existierendes Geschäft mit seinen drei zentralen Dimensionen (siehe dazu Abbildung 13-1) vereinfacht darzustellen. Geschäftsmodelle können dabei zum Zweck der Beschreibung und Erklärung (Analyse), was unter einem „Geschäft“ zu verstehen ist, eingesetzt werden. Zum anderen können Geschäftsmodelle den Zweck als Werkzeug zur Geschäftsmodellierung (Gestaltung) und (Weiter-)Entwicklung bzw. Veränderung erfüllen. Schließlich können Geschäftsmodelle ebenso als Basis für unternehmerische Entscheidungen Anwendung finden. Geschäftsmodelle steigern somit das Verständnis des abgebildeten Geschäftes und führen somit zu einer Wissensgenerierung. 392 Weiterhin bieten Geschäftsmodelle das Potenzial, einen Mehrwert zu schaffen, indem Handlungsbedarfe und Gestaltungsoptionen für das Unternehmen erkannt werden. Zusätzlich kann die Konzentration auf die eigentlichen Kernelemente eines Geschäftes gesteigert werden. Dadurch wird es Managern mit Hilfe des Geschäftsmodells erleichtert, die richtigen bzw. sich überhaupt Fragen zu stellen, wie mit dem aktuellen Geschäft heute und in Zukunft Geld verdient werden kann. 393 Zusätzlich können Geschäftsmodelle aber auch als Basis für wissenschaftliche Untersuchungen dienen. 394 Verallgemeinert hilft ein Geschäftsmodell also dabei, die Wirklichkeit für Betrachter wahrnehmbar und zugänglich zu machen, um auf dieser Basis Schlüsse zu ziehen. Aus Modellperspektive ist es somit die übergeordnete Funktion eines Geschäftsmodells, eine vereinfachte Abbildung und Beschreibung eines oft komplexen Unternehmensgebildes zu geben als auch die aktuelle Situation zu bestimmen und eine Grundlage zur Weiterentwicklung zu schaffen. Zur Erfüllung dieser Funktion bilden Geschäftsmodelle eher einen breiten Umfang bei einer geringeren Tiefe (geringere Spezifität) von Unternehmen (=Abbildungsobjekt) ab. Geschäftsmodelle lassen sich somit eher den gemeinsamen mentalen Modellen zuordnen. Die Basis von Geschäftsmodellen bilden jedoch zunächst wissensbasierte mentale Modelle von Individuen der jeweiligen Unternehmung. 395 Weiter stellt ein Geschäftsmodell auf sachlicher Ebene ein Systemmodell (das Geschäft wird als im Gesamtzusammenhang betrachtet) und auf zeitlicher Ebene ein statisches Modell (das Unternehmen wird zu einem Zeitpunkt betrachtet) dar. Diese Einordnung wird in Abbildung 13-3 deutlich. 392 Vgl. Baden-Fuller und Morgan (2010). 393 Vgl. Magretta (2002). 394 Vgl. Doganova und Eyquem-Renault (2009). 395 Vgl. Baden-Fuller und Morgan (2010). <?page no="433"?> 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle 433 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 13-3: Einordnung von Geschäftsmodellen anhand von Ausprägungen 396 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass mit Hilfe des Geschäftsmodells keine Komplexität per se in Form von Reduzierung von Elementen und deren Verbindungen zueinander, erreicht werden kann. Sondern es sich ausschließlich um ein Hilfsmittel zur Orientierung in der komplexen Unternehmenswelt handelt. Ein Vorhaben zur Reduktion von Komplexität kann darauf ansetzen. Zudem muss ein Geschäftsmodell deutlich von anderen „market devices“ wie Businessplan, Bilanz etc. unterschieden werden. 397 Trotz der Erkenntnisse zur Begrifflichkeit Geschäftsmodell, die aus der Semiotik abgeleitet werden können, zeigen sich in der Realität größere Abweichungen, was unter einem Geschäftsmodell verstanden wird. Allgemeine Einigkeit besteht nur darüber, dass ein Geschäftsmodell beschreibt, welchen Wert dem Kunden geboten wird, wie dieser Wert geschaffen wird und wie letztendlich damit Geld verdient werden kann. 398 Bezüglich der genannten Abweichungen über den Begriff lassen sich in der wissenschaftlichen Literatur drei unterschiedliche Kategorien bzgl. des Definitionskerns feststellen: ! Wirtschaftlichkeit - Definitionskern liegt auf der Logik der Profit-Generierung (Value Capture), ! Funktionsweise - Definitionskern liegt auf der Architektur von Unternehmen (Value Creation) und ! Strategie - Definitionskern liegt auf der Marktposition, grenzüberschreitende Interaktionen und Wachstumschancen. 399 Nicht nur in der Literatur, sondern auch in Unternehmen hat die gesamte Entwicklung rund um den Begriff Geschäftsmodell in den letzten Jahren deutlich zugenommen und sich als modisches „Buzzword“ etabliert. 400 In der Praxis ist die Meinung weit verbreitet, dass das Management wisse, wie das Geschäftsmodell des jeweiligen Unternehmens aussieht. 401 Tatsächlich ist die semantische 396 Eigene Darstellung. 397 Vgl. Baden-Fuller und Morgan (2010). 398 Vgl. Halecker et al. (2014). 399 Vgl. Morris et al. (2005). 400 Vgl. Zott et al. (2011). 401 Vgl. Casadesus-Masanell und Ricard (2011). <?page no="434"?> 434 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft Bedeutung des Begriffs Geschäftsmodell vielfach sehr unterschiedlich und die pragmatische Nützlichkeit 402 unklar. Beispielsweise wird auf der semantischen Ebene der Begriff Geschäftsmodell fälschlicherweise gleichgesetzt mit dem Prozess der Umsatzgenerierung 403 oder verwechselt mit dem Wertkettenprinzip von Porter. Zudem gibt es Probleme, die Begriffe Strategie, Geschäftsmodell und Taktik richtig voneinander zu trennen. 404 Aus pragmatischer Sicht liegt eine häufige Fehleinschätzung darin, dass Probleme im Unternehmen noch zu selten auf Schwächen des Geschäftsmodells zurückgeführt werden. Es werden zwar Signale gedeutet und verstanden, eine konkrete Handlung, im Sinne einer Anpassung oder Veränderung des bestehenden Geschäftsmodells, bleibt jedoch aus. 405 Zudem zögern viele Unternehmen mit konkreten Handlungen zu lange und verspielen somit wertvolle Zeit. Gerade im Hinblick auf die Fähigkeit Anpassungen am Geschäftsmodell auf Grund von veränderten Bedingungen vorzunehmen, gibt es Unternehmen, die dreimal schneller solche Veränderungen vornehmen, als der Durchschnitt. 406 Ein Grund dafür liegt darin, dass neue Geschäftsmodelle auf den ersten Blick für interne und externe Stakeholder oft nicht attraktiv aussehen und dementsprechend nur nachrangig gefördert werden. 407 Darüber hinaus stehen neue Geschäftsmodelle eines Unternehmens häufig im direkten Konflikt (Kannibalismus) mit dem bestehenden alten Geschäftsmodell dieses Unternehmens. In der Praxis herrscht trotz aller Unwägbarkeiten zumindest so viel einheitliches Verständnis, dass die Beschäftigung mit dem Geschäftsmodellkonzept in vielen Konstellationen als nutzenstiftende und wichtige unternehmerische Aktivität angesehen wird. 408 Dabei gilt als wichtigste Grundvoraussetzung für eine korrekte Verwendung des Geschäftsmodells das Verstehen des Konzeptes in Gänze. 409 Zum Abschluss des Kapitels soll noch eine Definition des Begriffs Geschäftsmodell gegeben werden. Definition Geschäftsmodell Ein Geschäftsmodell ist eine formale Abbildung aller systemrelevanter Kosten- und Margentreiber sowie des Nutzenversprechens zur Analyse der unternehmerischen Absicht. Testfragen zum Abschnitt: ! Was ist der übergeordnete Zweck von Geschäftsmodellen? ! Welche Ausprägungen von Modellen nehmen Geschäftsmodelle ein? 402 Im Sinne von Handlungsaufforderungen oder Notwendigkeiten, die sich daraus ergeben. 403 Vgl. Amit und Zott (2001). 404 Vgl. Casadesus-Masanell und Ricard (2011). 405 Vgl. McGrath und Cliffe (2011). 406 Vgl. Nunes und Breene (2011). 407 Vgl. Johnson et al. (2008). 408 Vgl. George und Bock (2011). 409 Vgl. Casadesus-Masanell und Ricart (2010). <?page no="435"?> 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle 435 Neue Betriebswirtschaft Funktion eines Geschäftsmodells Die Klärung der Funktion (=Zweck) eines Geschäftsmodells ist essentiell für die Geschäftsmodellbildung an sich. Allgemein beschreibt die Funktion eines Objektes, welche Aufgabe dieses zu erfüllen hat. Somit beschreibt die Funktion den Vorgang zwischen Input und Output innerhalb eines Systems. Zur Feststellung der Funktion muss dabei nur Input und Output betrachtet werden. 410 Die generelle Funktion eines Geschäftsmodells lässt sich anhand seines Modellcharakters als Hilfsmittel für das Management beschreiben, welches den Umgang mit dynamischen Unternehmenskomplexitäten erleichtern und wirksame Entscheidungen und Handlungen ermöglichen soll. 411 Die spezielle Funktion eines Geschäftsmodells lässt sich als multifunktional beschreiben, da es für unterschiedliche Zwecke bzw. Ziele dienlich sein kann. Die sich daraus ergebenden Funktionsbereiche, also die Aufgabenbereiche eines Geschäftsmodells, können in drei Kategorien eingeteilt werden: ! Geschäftsmodelle zur Beschreibung und Erklärung, ! Geschäftsmodelle zur Gestaltung und Veränderung und ! Geschäftsmodelle zur Entscheidungsfindung und Simulation. Abbildung 13-4 gibt einen Überblick über die Funktionsbereiche eines Geschäftsmodells. Abbildung 13-4: Die drei Kategorien der Funktionsbereiche von Geschäftsmodellen 412 13.3.1 Geschäftsmodell zur Beschreibung und Erklärung Ein Geschäftsmodell stellt in der Betriebswirtschaft ein relativ neues Analysemittel (new unit of analysis) dar. Ein Geschäftsmodell hat somit die Funktion zu beschreiben und zu erklären, wie ein Geschäft funktioniert 413 und damit, wie es dem Unternehmen gelingt, einen Nutzen für den Kunden zu erzeugen. Zusätzlich muss der Kunde bereit sein, für diesen Nutzen zu zahlen. 414 Dafür sind eine genaue Beschreibung und Erklärung der Strukturen innerhalb des Geschäftes notwendig. 415 410 Vgl. Pfeiffer (1971). 411 Vgl. Schwaninger (2004). 412 In Anlehnung an Halecker (2016). 413 Vgl. Zott et al. (2011). 414 Vgl. Teece (2010). 415 Vgl. George und Bock (2011). <?page no="436"?> 436 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft Des Weiteren soll mit dem Geschäftsmodell ein Blick auf das Gesamtgeschäft ermöglicht werden. 416 Dadurch gelingt es, eine Positionsbestimmung des Geschäftsmodells im gesamten Unternehmensnetzwerk (Value Network) vorzunehmen 417 oder eine Problemanalyse durchzuführen. Hier werden die Vorteile eines Modells klar ersichtlich, da nur mit Hilfe eines Modells die komplexe Welt sich soweit vereinfachen lässt, dass ein gesamthafter Blick möglich ist. Mit Hilfe dieses breiteren Blickwinkels wird auch das relevante unternehmerische Umfeld (Ecosystem) betrachtet, innerhalb dessen das Unternehmen mit seinem Geschäft aktiv ist. 418 Durch die Analyse eines Geschäftsmodells wird somit eine Grundlage zum besseren Verständnis und folglich zur besseren Erklärung von Zusammenhängen gelegt. Zum einen wird deutlich, was der Nutzen (value) ist 419 und welche internen Kompetenzen und Ressourcen zur Verfügung stehen. 420 Zum anderen nimmt das Geschäftsmodell eine kritische Rolle beim Verstehen der gesamten Wertschöpfung ein. Am Ende kann ein Geschäftsmodell aus funktionaler Sicht als Erklärungsgrundlage dienen, warum einige Unternehmen erfolgreicher sind als andere. 421 Vereinfacht kann diese Geschäftsmodellfunktion der Beschreibung und Erklärung bildlich in Form einer Landkarte beschrieben werden, die zum besseren Verständnis und zur Orientierung (Positionsbestimmung) im Unternehmensalltag beitragen soll. Testfrage zum Abschnitt: ! Inwiefern unterstützen Geschäftsmodelle bei der Beschreibung und Erklärung von Geschäften? 13.3.2 Geschäftsmodell zur Gestaltung und Veränderung Geht es bei den oben genannten Aufgaben hauptsächlich um eine analytische Beschreibung und Erklärung des Geschäftes zur Positionsbestimmung, konzentrieren sich die nachfolgenden Aktivitäten eher auf die Entwicklung eines neuen Geschäfts oder die Veränderung von bestehenden Geschäften. Innerhalb der Entwicklung neuer und Veränderung alter Geschäfte besteht die Funktion eines Geschäftsmodells zum einen in der richtigen (Aus-)Wahl von Elementen der Geschäftsmodelle und zum anderen in einer operativen Vermittlerfunktion. Konkreter besteht die Funktion eines Geschäftsmodells darin, das richtige Marktsegment (=Element) zu identifizieren, die optimale Struktur der Value Chain (=Element bzw. mehrere Elemente) (Value Creation) zu definieren sowie die Kosten- und Erlösstruktur (=Elemente) (Value Capture) abschätzen zu können. 422 Dabei können auch völlig neue Möglichkeiten der Geschäftsgestaltung erkundet werden sowie diese ökonomisch verwertet bzw. ausgebeutet werden, weshalb auch die Erkundung und Verwertung neuer Gestaltungsmöglichkeiten als Funktionen zu nennen sind. Geschäftsmodelle sind demnach als Vermittler von (Geschäfts-)Gelegenheiten oder als Mechanismus zur Chancenverwertung zu verstehen. 416 Vgl. ebd. 417 Vgl. Chesbrough und Rosenbloom (2002). 418 Vgl. Zott et al. (2011). 419 Vgl. Teece (2010). 420 Vgl. Morris et al. (2005). 421 Vgl. Zott und Amit (2008). 422 Vgl. Chesbrough (2006). <?page no="437"?> 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle 437 Neue Betriebswirtschaft Auf der operativen Ebene soll das Geschäftsmodell als Verbindungselement zwischen Innovation (hier Technologieentwicklung) und organisationaler Struktur (Value Creation) bzw. auch zwischen Technologie und Markt agieren. 423 Ein Geschäftsmodell beschreibt somit, wie mit einer Innovation Geld verdient werden kann. Damit mit einer Innovation (oftmals Technologie) Geld verdient werden kann, braucht es ein Geschäftsmodell, mit dem der Kunde bzw. der Markt erreicht und damit ein ökonomischer Output (Umsatz durch Kunden) realisiert wird. Zusammenfassend besitzt ein Geschäftsmodell somit die Funktion als Verbinder, Link und Mediator zwischen einem Input (Technologie, Ressourcen) und einem Output (Markt, Kunde, Economic Value). Testfrage zum Abschnitt: ! Inwiefern unterstützen Geschäftsmodelle bei der Gestaltung und Veränderung von Geschäften? 13.3.3 Geschäftsmodell zur Entscheidungsfindung und Simulation Geschäftsmodelle werden neben dem Zweck, ein besseres Verständnis zu erlangen oder ein Geschäft besser auszugestalten, auch zum Zwecke der Entscheidungsfindung und Simulation eingesetzt. Durch die klare systematische Trennung von einzelnen Elementen eines Geschäfts innerhalb eines Geschäftsmodells, hilft ein Geschäftsmodell dabei, Optionen für eine neue Zusammensetzung oder einen einfachen Austausch von Elementen zu ergründen. Darüber hinaus besitzt ein Geschäftsmodell das Potenzial, Unternehmer oder Manager dabei zu unterstützen, eine Idee klar zu präsentieren und zu vermitteln bzw. im Entscheidungsfindungsprozess zu diskutieren. 424 Diese Bewusstseinsschaffung können auch etablierte Unternehmen einsetzen, um auf verschiedenen Hierarchieebenen die richtigen Fragen zum Geschäft zu stellen. Zusätzlich kann der Einsatz von Geschäftsmodellen die Bildung und die Verwendung einer einheitlichen Sprache innerhalb einer Organisation fördern. Das Geschäftsmodellkonzept stellt dadurch eine wertvolle Hilfestellung bei der Erprobung und Verbesserung von Optionen und letztendlich bei der Entscheidung Organisationen zu verändern dar. Schlussendlich bietet die Arbeit mit Geschäftsmodellen das Potenzial, kostspielige Versuche und Irrtümer durch die Modellüberlegungen und ggf. Simulationen zu vermeiden. Darüber hinaus hilft es dabei, das Denken und das Vorgehen im operativen Geschäft zu strukturieren und die Aufmerksamkeit sowie den Ressourceneinsatz sinnvoll zu bündeln, wodurch die Handlungsfähigkeit insgesamt gesteigert und die Wirksamkeit von Aktionen erhöht wird. Testfrage zum Abschnitt: ! Inwiefern unterstützen Geschäftsmodelle bei der unternehmerischen Entscheidungsfindung bei Geschäften? 423 Vgl. Chesbrough und Rosenbloom (2002). 424 Vgl. Doganova und Eyquem-Renault (2009). <?page no="438"?> 438 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft Struktur eines Geschäftsmodells Die Struktur eines Systems (im vorliegenden Fall eines Geschäftsmodells) setzt sich zusammen aus der Art und Menge der Elemente sowie der zwischen den Elementen herstellbaren Relationen. 425 Für die Arbeit mit Geschäftsmodellen ist es essentiell, dass die Struktur eines Geschäftsmodells mit seinen Elementen und Verbindungen verstanden wird. 426 Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Ebenen bzw. Beschreibungstiefen bei der Struktur von Geschäftsmodellen unterscheiden. Zum einen gibt es eine abstrakte bzw. allgemeine Beschreibung von Geschäftsmodellen, die auf nahezu alle Unternehmen passt und dementsprechend anwendbar ist. Zum anderen gibt es eine Unternehmensspezifische Ebene, die berücksichtigt, dass jegliche Geschäftsmodelle Besonderheiten aufweisen. Geschäftsmodelle sind, auch wenn sie ein vereinfachtes Abbild eines Unternehmens darstellen, häufig doch kompliziert und somit nicht immer geeignet für jede Form von Verwendung. 427 Deshalb macht es Sinn, zwei Blickwinkel für die Struktur eines Geschäftsmodells zu unterschieden: [1] Aggregation - eine Art herauszoomen, um auf das Geschäftsmodell mit einem gewissen Abstand zu schauen und weniger Details hinsichtlich Elemente und Verbindungen berücksichtigen zu müssen. Hierbei werden nur die wesentlichen Bestandteile betrachtet. [2] Zerlegung (Decomposition) - Zerlegung des Modells in einzelne Komponenten für Detailanalysen. Abhängig von der Fragestellung können auch nur einzelne Komponenten des Geschäftsmodells mit den entsprechenden Elementen und Verbindungen betrachtet werden. 428 Die Aggregation eignet sich für strategische Überlegungen, gerade wenn es z.B. um Vergleiche von aggregierten Geschäftsmodellstrukturen innerhalb einer Industrie geht. Demgegenüber bietet sich die Zerlegung an, um eine Detailsicht auf die einzelnen Komponenten einzunehmen, wodurch konkrete Handlungen abgeleitet oder überprüfbar werden können. 429 Eine weitere Unterteilung auf der Unternehmens-, Geschäftseinheit- oder Produkt- und Dienstleistungsebene wäre hier denkbar. 13.4.1 Integrierte Strategiesicht (im weiteren Sinne Aggregation) Die Struktur eines Geschäftsmodells lässt sich aus einer integrierten Strategieperspektive (im weiteren Sinne Aggregation) in drei wesentliche Bestandteile untergliedern und entsprechend aggregieren: [1] Value Proposition (Nutzenversprechen) - beschreibt welcher Nutzen, sprich welcher Wert im Angebot des Unternehmens enthalten ist. [2] Value Creation (Wertschöpfung) - listet die Partner und Kanäle auf, über die der Wert geschaffen bzw. produziert und an den Kunden geliefert wird. [3] Value Capture (Umsatz/ Ertragsmodell) - ist die ‚Bottom Line‘ eines Geschäftsmodells und übersetzt die zwei Bereiche Value Proposition und Value Creation in Kosten und Umsätze und zeigt somit, wie und in welchem Ausmaß das Unternehmen selbst vom erschaffenen Wert profitiert. 430 425 Vgl. Ropohl (1979). 426 Vgl. Casadesus-Masanell und Ricart (2010). 427 Vgl. Baden-Fuller und Morgan (2010). 428 Vgl. Casadesus-Masanell und Ricart (2010). 429 Vgl. Zollenkop (2006). 430 Vgl. Teece (2010). <?page no="439"?> 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle 439 Neue Betriebswirtschaft Der Schwerpunkt der Geschäftsmodellstruktur liegt dabei klar auf der konzeptionellen Architektur (Value Proposition und Value Creation) anstatt auf einer finanziellen Architektur (Value Capture) des Geschäftes, obwohl finanzielle Aspekte innerhalb der konzeptionellen Architektur durchaus Anwendung finden können. 431 Unabhängig von der Ausgestaltung der Struktur sollte ein Geschäftsmodell aus integrierter Strategieperspektive immer so strukturiert sein, dass es sich merklich von denen der Wettbewerber unterscheidet und somit schwierig nachzuahmen ist (Vorsicht vor Immitation! ). 432 Das Ziel muss es sein, eine einzigartige Struktur (Kombination) zu finden, die genügend Innovationen enthält, um gegen Imitation ausreichend geschützt zu sein und somit einen langfristigen Markterfolg verspricht. 433 Testfrage zum Abschnitt: ! Welche Bestandteile sind bei einem Geschäftsmodell aus Sicht einer integrierten Strategieperspektive zu unterscheiden und was besagen diese? 13.4.2 Handlungsorientierte Perspektive (im engeren Sinne Zerlegung) Für die strukturelle Zerlegung des Geschäftsmodells bzw. die Unterscheidung in einzelne Elemente gibt es verschiedene Ansätze. Diese dienen in der Regel der Operationalisierung des Geschäftsmodells und werden auch als Business Model Frameworks bezeichnet. Insgesamt beschreiben die Ansätze einzelne Komponenten eines Unternehmens, die in Verbindung zueinanderstehen und die Funktionsweise eines Unternehmens darstellen sollen. Abbildung 13-5: Das Business Model Canvas 434 431 Vgl. ebd. 432 Vgl. ebd. 433 Vgl. Morris et al. (2005). 434 Osterwalder und Pigneur (2009). <?page no="440"?> 440 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft Der bekannteste Ansatz ist dabei das Business Model Canvas von Osterwalder und Pigneur. Das Modell besticht durch seine Einfachheit und der logischen Verkettung der einzelnen Komponenten miteinander. Die Auswahl der Komponenten basiert dabei auf den Perspektiven des Balanced- Scorecard Ansatzes und der Management Literatur. 435 Das Business Model Canvas eignet sich sehr gut, um in das Themenfeld Geschäftsmodell einzutauchen und schnell die ersten Grundzusammenhänge zu verstehen. Vor allem wird durch das Nutzenversprechen (Value Proposition) und dem Fokus auf die Visualisierung verstärkt zum Denken in Wert und Nutzen angeregt. Abbildung 13-5 gibt einen Überblick über das Business Model Canvas. Das Business Model Canvas gliedert sich in neun Bausteine. Der Baustein Clients (Kundensegmente) bestimmt die verschiedenen Gruppen von Personen (Business to Customer (B2C)) oder Organisationen (Business to Business (B2B)), die ein Unternehmen erreichen und bedienen möchte. Zentrale Fragestellungen 436 sind bei diesem Feld: ! Für wen schöpfen Sie Wert? ! Wer sind Ihre wichtigsten Kunden? Der zweite Baustein Services wird häufig auch als Value Proposition (Leistungsversprechen) bezeichnet. Das Leistungsversprechen definiert das Paket von Produkten und Dienstleistungen, welches für ein bestimmtes Kundensegment Wert schöpft. Typische Fragestellungen des Bausteins sind: ! Welche Probleme Ihrer Kunden helfen Sie zu lösen? ! Welche Produkt- und Dienstleistungspakete bieten Sie jedem Kundensegment an? Beim dritten Baustein Channels (Kanäle) geht es darum, wie die Kunden vom Unternehmen informiert werden, um die Produkte oder Dienstleistungen zu vermitteln. Es wird u.a. gefragt: ! Über welche Kanäle (z.B. Vertrieb, Marketing) möchten Ihre Kundensegmente erreicht werden? ! Wie erreichen Sie Ihre Kunden jetzt? Der vierte Baustein Relationships (Beziehungen) beschreibt die Arten von Beziehungen, die ein Unternehmen mit bestimmten Kundensegmenten eingeht. Grundsätzliche Fragen sind z.B.: ! Welche Beziehungsarten erwartet jedes Ihrer Kundensegmente von Ihnen? ! Wie sind die Arten der Beziehung in Ihr Geschäftsmodell integriert? Der fünfte Baustein Key Resources (Schlüsselressourcen) bezieht sich auf die wichtigsten Wirtschaftsgüter (Assets), die für das Funktionieren eines Geschäftsmodells notwendig sind. Typische Fragen sind hier beispielhaft: ! Welche Schlüsselressourcen erfordert Ihr Leistungsversprechen? ! Welche Schlüsselressourcen erfordern Ihre Distributionskanäle und Kundenbeziehungen? Beim sechsten Baustein Key Activities (Schlüsselaktivitäten) wird beschrieben, was die wichtigsten Dinge sind, die ein Unternehmen tun muss, damit sein Geschäftsmodell funktioniert. Fragen sind hier: ! Welche Schlüsselaktivität erfordert Ihr Leistungsversprechen? ! Welche Schlüsselaktivitäten erfordern Ihre Distributionskanäle und Kundenbeziehungen? Der siebte Baustein Key Partner (Schlüsselpartnerschaften) beschreibt, welche Lieferanten und Partner zum Gelingen des Geschäftsmodells beitragen (Value Network). Es wird u.a. gefragt: 435 Osterwalder (2004). 436 Alle folgenden Fragestellungen sind beispielhaft aus Osterwalder und Pigneur (2010) entnommen. <?page no="441"?> 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle 441 Neue Betriebswirtschaft ! Welche Schlüsselpartner und Schlüssellieferanten tragen zum Gelingen des Unternehmens bei? ! Welche Schlüsselaktivitäten und -ressourcen werden von Partnern und Lieferanten bezogen? Der achte Baustein Cost Centres (Kostenstruktur) schlüsselt die wesentlichen Kosten auf, die zum Betrieb des Geschäfts notwendig sind. Relevante Fragen sind: ! Welches sind die wichtigsten Kosten, die mit Ihrem Geschäftsmodell einhergehen? ! Welche Schlüsselressourcen und Schlüsselaktivitäten sind am teuersten? Der neunte Baustein Revenue Streams (Einnahmequellen) steht für die Einkünfte, die ein Unternehmen aus jedem Kundensegment generiert (Umsatz). Fragen sind u.a.: ! Für welche Werte sind Ihre Kunden wirklich bereit zu bezahlen? ! Wofür bezahlen Ihre Kunden jetzt? Testfrage zum Abschnitt: ! Welche neun Bausteine weist das Business Model Canvas aus und was sagen diese aus? Prozess eines Geschäftsmodells Nach der statischen Betrachtung des Geschäftsmodells in seiner Funktion und Struktur stehen im weiteren Verlauf die dynamischen Aspekte Prozess und Lenkung im Vordergrund. Ein Prozess beschreibt die räumliche und zeitliche Realisierung der Struktur. 437 Dabei spielt vor allem der zeitliche Aspekt mit Blick auf Geschäftsmodellinnovationen eine entscheidende Rolle. 438 Als Kriterium für die Abgrenzung von Geschäftsmodellprozessen kann der jeweilige Zweck/ das Ziel des Prozesses dienen. Auf dieser Basis lassen sich Geschäftsmodellprozesse für die [1] Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen (Business Model Innovation), die [2] Verwendung von Geschäftsmodellen und die [3] Überprüfung von bestehenden Geschäftsmodellen unterscheiden. Demnach ist es bei der Entwicklung das Ziel, ein neues Geschäftsmodell zu erstellen, bei der Verwendung mit dem Geschäftsmodell zu arbeiten und schließlich bei der Überprüfung ein bestehendes Geschäftsmodell auf eine weitere Passung mit dem Unternehmensumfeld zu analysieren. Das Ergebnis eines Überprüfungsprozesses kann ein notwendig erscheinender Veränderungsbzw. Anpassungsprozess sein (Business Model Development). Somit wird deutlich, dass vor der ersten Verwendung eine Erstellung stattgefunden haben muss. Das Geschäftsmodell wird im weiteren Verlauf immer wieder überprüft und wenn nötig verändert. Folglich lässt sich entlang dieser Dreiteilung ein iterativer Prozess bei der Arbeit von Geschäftsmodellen darstellen. 439 Abbildung 13-6 verdeutlicht diese Ausführungen grafisch. Abbildung 13-6: Prozess eines Geschäftsmodells 440 437 Vgl. Ropohl (1979). 438 Vgl. ebd. 439 Vgl. Bucherer (2010). 440 Eigene Darstellung an Anlehnung an Bucherer (2010). <?page no="442"?> 442 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft Aufgrund dessen, dass ein bestehendes Geschäftsmodell bereits erstellt ist, entfällt die Entwicklungsprozessphase und wird durch die Überprüfungsprozessphase ersetzt. Somit untergliedert sich der Geschäftsmodellprozess bei bestehenden Geschäftsmodellen in den Überprüfungs- und Verwendungsprozess. Dabei können diese Prozesse beliebig oft wiederholt werden. Beispielweise kann innerhalb des Verwendungsprozesses durch die Regelung und Kontrolle eine notwendige Anpassung des bestehenden Geschäftsmodells festgestellt werden. Im weiteren Verlauf kann bei der Analyse innerhalb der Überprüfungsphase des bestehenden (alten) Geschäftsmodells erkannt werden, dass die Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells notwendig ist und/ oder das bestehende alte Geschäftsmodell angepasst werden muss. Im Falle dessen, dass ein neues Geschäftsmodell notwendig erscheint, wird ein Entwicklungs- und im weiteren Verlauf Verwendungsprozess des neuen Geschäftsmodells bzw. ein Geschäftsmodellinnovationsprozess angestoßen und durchgeführt. Bei einer notwendigen Anpassung des bestehenden Geschäftsmodells wird das Geschäftsmodell hinsichtlich Design und Gestaltung überprüft und das Ergebnis anschließend innerhalb des Verwendungsprozesses implementiert. Insgesamt lassen sich somit die drei wesentlichen Geschäftsmodellprozesse unterscheiden: ! Entwicklungsprozess, ! Verwendungsprozess und ! Überprüfungsprozess. 13.5.1 Entwicklungsprozess eines neuen Geschäftsmodells Mit dem Entwicklungsprozess ist der Ablauf gemeint, wie ein neues Geschäftsmodell geschaffen werden kann. In diesem Zuge wird auch von einem Geschäftsmodellinnovationsprozess gesprochen. 441 Es geht dabei nicht um das Finden neuer Produkte oder Dienstleistungen, sondern um eine komplette Neudefinition der bestehenden Strukturen und deren Verbindungen zueinander (siehe dazu auch Kapitel 4) sowie letztendlich wie für den Kunden ein neuer Nutzen geschaffen wird. 442 Grundsätzlich bietet sich für den Erstellungsprozess ein experimenteller Ansatz an. Begründet werden kann dies durch die ausgeprägte Unsicherheit im Entwicklungsprozess eines Geschäftsmodells und einer mangelnden Vorhersagbarkeit von konkreten (Erfolgs-)Kennzahlen. Ein Entwicklungsprozess auf experimenteller Basis bietet die Vorteile, mit geringen Kosten möglichst viel zu lernen und zu entwickeln. 443 Innerhalb dieses Ansatzes stellen sich Entwicklungsprozesse, die stufenweise durchgeführt werden als besonders ökonomisch heraus. So wird zunächst ein kostengünstiges Konzept (Konzepte können auch Beta- oder Pilotphasen sein) entwickelt und getestet, bevor es umgesetzt wird. Unternehmen sollten sich jedoch nicht nur auf Experimente verlassen, sondern sicherstellen, dass sie sich generell in die richtige Richtung bewegen. 444 Dafür sollten sich Unternehmen nicht zu sehr auf externe Partner (z.B. Unternehmensberatungen, Forschungsinstitute) verlassen, da dies nachweislich die Fähigkeit verringert, nach neuen Innovationen zu suchen. 445 441 Vgl. zur Vertiefung von Geschäftsmodellinnovationen Halecker und Hartmann (2013a) und Halecker und Hartmann. (2013b). 442 Vgl. Markides (2006). 443 Vgl. McGrath (2010). 444 Vgl. Bourreau et al. (2012). 445 Vgl. Bock et al. (2012). <?page no="443"?> 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle 443 Neue Betriebswirtschaft Ein weiterer Ansatz beschreibt, wie ein neues Geschäftsmodell parallel zu einem bestehenden Geschäftsmodell erstellt werden kann. Es wird klar zwischen einer Konzeptionalisierungsphase (Exploration) und einer Umsetzungsphase (Exploitation) unterschieden: [1] Exploration (Initialisierung des Geschäftsmodelldesigns und Tests), [2] Exploration (Geschäftsmodellentwicklung), [3] Exploitation (Wachstum und Verfeinerung des Geschäftsmodells) und [4] Exploitation und weitere Exploration (anhaltendes/ nachhaltiges Wachstum durch organisationsweites Lernen). 446 Unabhängig vom gewählten Ansatz sollte generell im Entwicklungsprozess eines neuen Geschäftsmodells immer versucht werden, eine prinzipielle Geschäftsmodellinnovation zu erreichen. Denn nur durch prinzipielle Innovationen können grundlegende Veränderungen in den vorhandenen Lösungsansätzen und damit drastische Verbesserungen erreicht werden. Ein entsprechend langfristiger Wettbewerbsvorteil wird dadurch sichergestellt. 447 Insgesamt ist es innerhalb des Entwicklungsprozesses eine der größten Schwierigkeit, die Parallelität und Vereinbarkeit zwischen altem und neuem Geschäftsmodell sicherzustellen. Hier können sich durch den Transfer und die Verschiebung von Ressourcen zwischen den Geschäftsmodellen organisatorische Schwierigkeiten ergeben. 448 Testfragen zum Abschnitt: ! Worum geht es inhaltlich bei einem Entwicklungsprozess von Geschäftsmodellen? ! Welche Ansätze gibt es beim Entwicklungsprozess von Geschäftsmodellen? ! Welche Phasen gibt es bei Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells bei einem gegebenen bestehenden Geschäftsmodell? 13.5.2 Verwendungsprozess Es wird angenommen, dass die Verwendung von Geschäftsmodellen einem rationalen Handeln sowie einer gewissen Zielsetzung folgt und weitgehend dadurch bestimmt wird. Demnach gilt es, nach der Zielfunktion zu fragen, welche den Zusammenhang aller relevanten Ziele inklusive deren Zielerfüllungsbeiträge einer Unternehmung beschreibt. Je nachdem, wie die Antwort auf die Frage nach der Wahl der Zielfunktion ausfällt, ist in der Folge der Verwendungsprozess verschieden. Mögliche Ziele sind innerhalb des Verwendungsprozesses: ! die Erneuerung des zugrundeliegenden Kerns der Unternehmenslogik mit dem Unterziel einer entsprechenden Vorbereitung und Anpassung auf externe Unsicherheiten sowie einer Vorbereitung auf zukünftige Änderungen 449 und ! neue Geschäftschancen und Möglichkeiten für alle involvierten Parteien durch eine Erneuerung des Wertversprechens (Value). 450 Die Veränderung des Unternehmenskerns (Value Proposition) zieht eine Anpassung in der Werterstellung (Value Creation) nach sich, welche möglichst konsistent zu den ökonomischen, ökologi- 446 Vgl. Sosna et al. (2010). 447 Vgl. Pfeiffer (1980). 448 Vgl. Chesbrough (2010). 449 Vgl. Schneider und Spieth (2013). 450 Vgl. Zott und Amit (2010). <?page no="444"?> 444 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft schen 451 sowie sozialen strategischen Zielen erfolgen muss. 452 Daraus wird deutlich, dass eine entsprechende Zielhierarchie notwendig und hilfreich ist. Bevor es jedoch zu einer erfolgreichen und zielgerichteten Geschäftsmodellentwicklung bzw. innovation kommt, muss das neue bzw. veränderte Geschäftsmodell entsprechend nach der Analyse- und Gestaltungsphase implementiert werden. Die Implementierung bildet die erste Phase des Verwendungsprozesses. Ziel ist es, das entwickelte Geschäftsmodell (Konzept) in die Realität zu überführen und entsprechende Maßnahmen und Projekte einzuleiten sowie dabei entsprechende Erfahrungen zu sammeln. Im Rahmen der Implementierung bietet es sich an, das Geschäftsmodell nach einer genauen Planung in einem Testmarkt zu implementieren, bevor es auf den Gesamtmarkt ausgerollt wird. Grundsätzlich sollte der gesamte Prozess der Implementierung schnell erfolgen. Eine schnelle Einführung („Big Bang Approach“) verschafft bei prinzipiellen Geschäftsmodellinnovationen einen klaren Wettbewerbsvorteil. 453 Die letzte Phase innerhalb des Verwendungsprozesses besteht aus der Regelung und Kontrolle. Hierbei geht es um eine entsprechende Führung und das Management von Geschäftsmodellen und somit des gesamten Geschäftes bzw. Unternehmens. Controlling und Monitoring sind dabei wichtige Instrumente, um den Erfolg der Implementierung zu überwachen und entsprechend fortlaufende interne und externe Änderungen wahrzunehmen. 454 Übergeordnet können diese Instrumente in die Lenkung eines Geschäftsmodells eingeordnet werden, über die Abschnitt 13.6 einen Überblick gibt. Testfragen zum Abschnitt: ! Welche Ziele kann es für einen Verwendungsprozess geben? ! Welche Phasen hat der Verwendungsprozess? ! Was ist der Inhalt der einzelnen Phasen des Verwendungsprozesses? 13.5.3 Überprüfungsprozess eines bestehenden Geschäftsmodells Ein bestehendes Geschäftsmodell wird durch verschiedene individuelle also auch Organisations- und Umweltprozesse geprägt. 455 Da ein Geschäftsmodell aus Systemsicht als offenes System verstanden werden kann 456 , steht es mit angrenzenden Geschäftsmodellen (innerhalb eines Unternehmens) und seiner Umwelt in permanenter Verbindung und im stetigen Austausch. 457 In der Folge sind Unternehmen gezwungen, ihr Geschäftsmodell ständig zu überprüfen und zu entwickeln. Geschieht dies nicht, kann es zu einem sogenannten ‚Miss-Fit‘ zwischen Geschäftsmodell und Umwelt kommen. Als potenzielle Auslöser für einen „Miss-Fit“ und in der Folge als verantwortlich für einen Veränderungsimpuls gelten übergeordnet die folgenden drei Faktoren: [1] interne Faktoren, 451 Vgl. Hartmann und Gebhardt (2018). 452 Vgl. Zott et al. (2011). 453 Vgl. Bourreau et al. (2012). 454 Vgl. Schallmo (2013). 455 Vgl. George und Bock (2011). 456 Vgl. Zott und Amit (2008). 457 Vgl. Moore (1993). <?page no="445"?> 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle 445 Neue Betriebswirtschaft [2] naheliegende externe Umweltfaktoren (z.B. Industrieparks, geografische Hotspots) und [3] erweiterte externe Umweltfaktoren (makroökonomischer Ursprung, Verhalten von Wettbewerbern). Als [1] interne Auslöser einer Überprüfung mit entsprechender Anpassung oder Neuentwicklung kommen folgende Punkte in Betracht: ! bewusste Entscheidungen vom Management, ! eigenständige Entwicklung eines einzelnen Elementes (z.B. Erfahrungen eines Mitarbeiters), ! Interaktion zwischen einzelnen Elementen in einer Komponente (z.B. Bildung von Synergien aus einem Bündel an komplementären Ressourcen), ! Interaktion zwischen einzelnen Komponenten (z.B. vom Nutzenversprechen generierter Umsatz, wird in den Erwerb neuer Ressourcen überführt). 458 Unternehmen, die in einem geografischen Hotspot (Technologieparks, Campus-Initiativen) angesiedelt sind, werden durch die [2] naheliegende externe Umwelt nachweislich in ihrem Geschäftsmodell beeinflusst (positiv als auch negativ). Insgesamt kann die Ansiedlung in einem solchen speziellen Hotspot den teilnehmenden Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil hinsichtlich Know-how schaffen. 459 Je radikaler die Innovation im [3] erweiterten externen Umfeld z.B. bei makroökonomischen Veränderungen sind, umso herausfordernder und größer sind die notwendigen Veränderungen am bestehenden Geschäftsmodell. 460 Produkt-, Prozess- oder Geschäftsmodellinnovationen innerhalb des Wettbewerbs können zu einer Anpassung bei Wettbewerbern führen. Dies wiederum hat einen direkten Einfluss auf das Geschäftsmodell von Unternehmen, die sich im Wettbewerb zu diesen Unternehmen befinden. 461 Unternehmen die z.B. einer disruptiven Geschäftsmodellinnovation eines anderen Wettbewerbers auf dem Markt gegenüberstehen, haben folgende Antwortbzw. Reaktionsmöglichkeiten: ! Tatenlosigkeit (Inaction), ! Abwehrhaltung (Resistance), ! Anpassung (Adaption) und ! Durchhalten (Resilience). 462 Festzuhalten bleibt, dass ein bestehendes Geschäftsmodell unter permanentem Einfluss von interner und externer Seite steht und sich entsprechend kontinuierlich anpassen muss. 463 Dies kann durch einen fortlaufenden Lernprozess erfolgen oder durch einen trial-and-error-Prozess. 464 Folglich hängt der langfristige Erfolg eines Unternehmens von der Fähigkeit ab, bestehende Geschäftsmodelle weiterentwickeln zu können. 458 Vgl. Demil und Lecocq (2010). 459 Vgl. Borgh et al. (2012). 460 Vgl. Teece (2010). 461 Vgl. Bucherer et al. (2012). 462 Vgl. Dewald und Bowen (2010). 463 Vgl. Christensen et al. (2010). 464 Vgl. Sosna et al. (2010). <?page no="446"?> 446 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft Testfragen zum Abschnitt: ! Warum sind Unternehmen gezwungen, ihr Geschäftsmodell permanent zu überprüfen und ggf. zu entwickeln? ! Welche „Miss-Fits“ gibt es übergeordnet? ! Welche Reaktionsmöglichkeiten sind bei einer disruptiven Geschäftsmodellinnovation eines Wettbewerbers denkbar? Lenkung eines Geschäftsmodells An dieser Stelle soll gezeigt werden, welche Rolle die Lenkung und dabei insbesondere die Steuerung und Regelung von Geschäftsmodellen spielt. Da Geschäftsmodelle dynamische Ganzheiten darstellen, die nicht starr sind, sondern sich permanent verändern, können sie sich in vielfältiger Weise verhalten. Die Fähigkeit, ein Geschäftsmodell kontrolliert zu entwickeln oder eine Geschäftsmodellinnovation kontrolliert zu erreichen, wird als Lenkung verstanden. Es stellt sich immer die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass alle relevanten Entscheidungen bzgl. Funktion, Struktur und Prozess in den durchgeführten Aktionen ausreichend reflektiert werden. Dabei stellen die Steuerung und die Regelung zwei verschiedenartige Vorgänge zum selben Zweck dar, der als erfolgreiches Management (Lenkung) von Geschäftsmodellen zu verstehen ist. Nachfolgend werden beide Vorgänge genauer betrachtet. 13.6.1 Steuerung Steuerung ist die zielgerichtete Verhaltensbeeinflussung eines Systems durch Anweisungen, sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten. 465 Ausgehend von der Strategie des Unternehmens wird vom Management festgelegt, wie das Geschäftsmodell ausgestaltet sein muss bzw. was erreicht werden soll. 466 Es werden Ziele definiert und das Unternehmen entsprechend danach gesteuert, sodass die vorgegebene Strategie möglichst realisiert wird. Zu berücksichtigen ist hier, welche Funktion das Geschäftsmodell an sich erfüllen soll. Denn wie bereits weiter vorne gezeigt, lassen verschiedene Funktionen unterschiedliche Steuerungsvorgänge zu. Die Steuerung von Geschäftsmodellen ist darauf ausgerichtet, durch konkrete Anweisungen zukünftige Prozesse auf gegebene Ziele auszurichten. Dazu ist die Vorwegnahme von potenziellen Konsequenzen aus internen und externen Einflüssen auf das Geschäftsmodell notwendig. 467 Eine enge Verzahnung zwischen strategischer Analyse und Geschäftsmodellanalyse/ -design ist notwendig, um die richtigen Schlüsse aus möglichen Marktentwicklungen zu ziehen und das Geschäftsmodell vor „isolierenden Mechanismen“ zu schützen. 468 Kurzgesagt müssen bei der Steuerung klare Zielvorgaben aus der Strategie zu konkreten Anweisungen an das operative Geschehen führen. Für diese Operationalisierung kann das Geschäftsmodell genutzt werden. Durch das Gesamtbild, was ein Geschäftsmodell liefert, wird schnell klar, welche Zielvorgaben auf welche Bestandteile und Komponenten des Geschäftes wirken. Schlussendlich 465 Vgl. Ulrich und Probst (1991). 466 Vgl. Casadesus-Masanell und Ricard (2011). 467 Vgl. Demil und Lecocq (2010). 468 Vgl. Teece (2010). <?page no="447"?> 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle 447 Neue Betriebswirtschaft wird eine effektive operative Steuerung eines Geschäftes erst durch die Abbildung des Geschäftes in einem Modell möglich. Testfrage zum Abschnitt: ! Für was kann ein Geschäftsmodell im Rahmen der Steuerung von Unternehmen genutzt werden? 13.6.2 Regelung Die Regelung ist ein Vorgang, bei dem die zu beeinflussende Größe mit der Führungsgröße (Zielvorgabe = Steuerungselement) verglichen und in Abhängigkeit vom Ergebnis des Vergleichs im Sinne einer Angleichung auf die Führungsgröße beeinflusst wird. 469 Vereinfacht dargestellt handelt es sich im betriebswirtschaftlichen Sinne um eine Überwachung und Kontrolle sowie eine Anpassung von betrieblichen Prozessen. Dabei lassen sich für das Management von Geschäftsmodellen zwei Schritte ableiten: [1] Permanentes Monitoren und Überwachen der internen sowie auch externen Risiken und Unsicherheiten, welche einen potenziellen Einfluss auf das Geschäftsmodell haben können. [2] Überführung der Ergebnisse in Entscheidungsvorlagen für das Management hinsichtlich potenzieller Anpassungen (Regelung) innerhalb des Geschäftsmodells. 470 Somit ist es die Rolle des Managements, eine permanente Balance (Fit) zwischen dem Geschäftsmodell, seiner Komponenten und der sich ständig verändernden Realität durch inkrementelle oder radikale Anpassungen zu erhalten. 471 Als Instrumente im Hinblick auf mögliche Störgrößen von außen lassen sich im Rahmen von Geschäftsmodellen steuerungstechnische Simulationsverfahren mit entsprechenden Regelungsmöglichkeiten anwenden und testen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Lenkung innerhalb eines Unternehmens, ob mit oder ohne den Einsatz eines Geschäftsmodells, eine essentielle Rolle spielt und es gerade bei Geschäftsmodellinnovationen auf eine gezielte Steuerung und reaktionsschnelle Regelung (Anpassung) ankommt. Testfragen zum Abschnitt: ! Wie ist der Zusammenhang zwischen Steuerung und Regelung? ! Welche Aufgaben lassen sich für das Management von Geschäftsmodellen ableiten? 469 Vgl. Ulrich und Probst (1991). 470 Vgl. Demil und Lecocq (2010). 471 Vgl. ebd. <?page no="448"?> 448 Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke Neue Betriebswirtschaft LLiitteerraattu urr Amit, R. und Zott, C. (2001), “Value creation in E-business”, Strategic Management Journal, Vol. 22 6-7, pp. 493-520. Amler, R.W. (1983), Analyse und Gestaltung strategischer Informationssysteme der Unternehmung, Göttingen 1983. Baden-Fuller, C. und Morgan, M.S. 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Recent developments and future research”, Journal of management JOM, Vol. 37 No. 4, pp. 1019-1042. <?page no="453"?> Neue Betriebswirtschaft 1 144 SSttaannddoorrtteenntts scchhe eiidduunng geenn Rebecca Popp Determinanten der betrieblichen Standortentscheidung Lernziele ! Sie sollen kennenlernen, wann eine Standortwahl vorgenommen werden muss. ! Sie sollen erfahren, welche Arten von Standortfaktoren es gibt. ! Sie sollen häufige Fehler bei Standortentscheidungen kennenlernen. ! Sie sollen erfahren, wie sich die Internationalisierung auf Standortentscheidungen auswirkt. ! Sie sollen verschiedene Formen des Investitionscontrollings bei Standortentscheidungen kennen. 14.1.1 Wesentliche Aspekte Definition Als Unternehmensstandort oder Firmensitz wird die Örtlichkeit bezeichnet, „an dem einzelne Funktionen der betrieblichen Leistungserstellung bzw. Teile oder die Gesamtheit der betrieblichen Wertschöpfung erbracht werden“ (vgl. Kinkel 2003, S. 7). Dabei ist die Standortwahl wegen der langfristigen Ausrichtung und der mangelnden Revidierbarkeit eine konstitutive Entscheidung von höchster strategischer Bedeutung (vgl. Wöhe 2005, S. 304; Kinkel 2003, S. 2). Geschichtliche Entwicklung der Standortbestimmungslehre Alfred Weber legte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Grundstein für Standortanalysen mit seiner Arbeit „reine Theorie des Standorts“. Hier wird das Standortproblem auf wenige berechenbare Standortfaktoren reduziert, um überprüfbare Gesetzmäßigkeiten zu etablieren (vgl. Goette 1994, S. 51). In der so genannten empirisch-realistischen Standortbestimmungslehre wird versucht, reale Standortentscheidungen theoretisch systematisch zu analysieren und Entscheidungshilfen für eine zielorientierte Standortwahl für die Praxis zu geben (vgl. Herbertz 2002, S. 40). Dabei wird meist versucht, möglichst alle relevanten Standortfaktoren zu berücksichtigen und nicht nur Kostenfaktoren mit einzubeziehen. Denn sieht man Standortfaktoren hauptsichtlich als Kostenprobleme, so müsste man z.B. davon ausgehen, dass es an jedem Standort die gleichen Absatzchancen gibt. Da dies nicht realistisch ist, rückt Behrens den Absatzmarkt mehr in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch nicht quantifizierbare Markt- und Branchenfaktoren sollen berücksichtigt werden, so dass Standortentscheidungen nicht auf exakten Berechnungen basieren, sondern vielmehr das Resultat eines qualitativen Vergleichs der Standortfaktoren sind. Die Standortfaktoren nehmen entscheidenden Einfluss auf die Kosten- und Gewinnsituation eines Unternehmens. Standortfaktoren sind niemals allgemeingültig, sondern gelten für jedes Unternehmen individuell. Durch die empirisch-realistische Standortbestimmungslehre wurden vor allem Standortfaktorenkataloge erstellt. Hier werden relevante Standortfaktoren aufgelistet, was die Basis einer fundierten Entscheidung liefert, allerdings werden methodische Fragen und Entscheidungsmodelle zur Unterstützung des Entscheidungsprozesses nur im Ansatz dargestellt. <?page no="454"?> 454 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Anlass für eine Standortwahl Eine Standortwahl wird insbesondere getroffen, wenn eine Neugründung oder Betriebsverlagerung ansteht. Weitere Gründe können die Expansion oder Auslagerung einzelner Abteilungen sein. Bei Neugründungen neuer Geschäftsbereiche existieren meist noch keine Vergleichswerte hinsichtlich der möglichen Kosten/ Gewinne und Renditen, die bei der Standortwahl berücksichtigt werden können. D.h. hier gestaltet sich die Standortwahl am schwierigsten. Bevor eine Betriebsverlagerung oder Expansion ansteht wird versucht, den bereits bestehenden Standort auszubauen oder anzupassen. Häufig werden auch einzelne Abteilungen an neue Standorte ausgelagert. Dies umfasst z.B. die Buchhaltung, die Kundenbetreuung oder auch die Produktion z.B. aus Personalkostengründen. Beim Outsourcing hingegen übernehmen gänzlich andere Unternehmen die ausgelagerten Aufgaben. Dabei handelt es sich nicht um einen Standortwechsel, sondern um eine neue Fertigungstiefe (vgl. Maaß, 2004, S. 5). Arten von Standortfaktoren Standortfaktoren lassen sich in beschaffungsorientierte, fertigungsorientierte-, absatzorientierte und staatlich festgelegte Standortfaktoren unterteilen. ! Beschaffungsorientierte Standortfaktoren § Grundstücke (Miet- oder Kaufpreise, Beschaffenheit) § Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (Preise, Transportkosten) § Arbeitskräfte (Angebot abhängig von der Lebensqualität des Standortes, Lohnniveau, Freizeitangebot, Theater etc.) § Energie (Kosten und Verfügbarkeit) § Verkehr (Verkehrsinfrastruktur wie z.B. Autobahnanschluss, Nähe zum Flughafen, Transportkosten) ! Fertigungsorientierte Standortfaktoren § Nähe zu kooperationsbereiten Unternehmen § Natürliche Gegebenheiten wie Boden und Klima ! Absatzorientierte Standortfaktoren § Absatzpotenzial (abhängig von Kaufkraft, Konkurrenz, Bevölkerungsstruktur etc.) § Verkehr § Absatzkontakte (Verfügbarkeit von z.B. Maklern, Messen und Werbeagenturen) ! Staatlich festgelegte Standortfaktoren § Steuern § Grenzüberschreitende Regelungen (Zölle, Außenhandelsgesetze) § Wirtschaftsordnung § Politische Stabilität § Umweltschutzmaßnahmen § Staatliche Hilfen (z.B. Investitionshilfen in strukturschwachen Regionen, Existenzgründungshilfen, Förderung von Forschung und Entwicklung) (vgl. Bea et al. 2009, S. 253) <?page no="455"?> 14 Standortentscheidungen 455 Neue Betriebswirtschaft Häufige Fehler bei Standortentscheidungen Bei der Standortwahl gibt es fünf wesentliche Fehler: ! Unstimmigkeit bei der Wettbewerbs- und Standortstrategie führen häufig dazu, dass das gewünschte Ergebnis nicht erreicht wird. Steht bei der Standortwahl die Kostenreduktion im Vordergrund, während es sich eigentlich um ein Unternehmen handelt bei dem Qualitätsführerschaft an erster Stelle steht, ist ein Scheitern wahrscheinlich. ! Bestehende Standortvorteile werden nicht hinreichend genutzt, so dass die Internationalisierung nicht im Verhältnis steht ! Das Fehlen von Lieferanten und Zulieferern am neuen Standort wird oft wegen der heutigen modernen Transportmöglichkeiten unterbewertet. ! Veränderungen der Standortfaktoren, wie z.B. steigende Lohnkosten werden häufig nicht berechnet oder unterschätzt Verlagerungen, die aus Kostengründen getroffen werden, scheitern öfter als aus Gründen der Markt- oder Kundenorientierung (vgl. Kinkel/ Zanker 2007, S. 20). 14.1.2 Internationalisierung als Aspekt der Standortentscheidung In den letzten Jahrzehnten ist die Globalisierung immer weiter vorangeschritten und die Internationalisierung ist für Unternehmen immer mehr von Bedeutung. Einige Faktoren sind für die Globalisierung dabei von besonderer Bedeutung: ! Der Abbau von Zöllen und anderen Handelsbarrieren über die acht GATT-Runden (1948 - 1994). Die letzte GATT Runde in Uruguay (1986-1994) hatte zur Gründung der WTO geführt. ! Der starke Anstieg ausländischer Direktinvestitionen ! Die Liberalisierung der Märkte und der verringerte Einfluss des öffentlichen Sektors ! Die Bildung regionaler Wirtschaftsblöcke z.B. EU oder NAFTA (North American Free Trade Agreement); ! Abnehmende Transportkosten; ! Die Verbilligung der Kommunikation und die Zunahme der Nutzung des Internets (vgl. Peters et al. 2006, S. 22). Von Internationalisierung ist die Rede, wenn Unternehmen länderübergreifend tätig werden. Neben den klassischen Formen des Exports und der Auslandsdirektinvestitionen bestehen noch weitere Möglichkeiten der Internationalisierung wie z.B. Lizenzvergaben, Joint Ventures oder Gründungen von Niederlassungen und Tochtergesellschaften (vgl. Gutmann/ Kabst 2000, S. XIX). Chancen und Risiken Internationalisierung Durch die Internationalisierung ergibt sich für Unternehmen die Chance, neue Absatzmärkte zu erschließen und gleichzeitig aufgrund höherer Produktionsmengen vorhandene Märkte zu sichern. Sollten die bereits bedienten Märkte gesättigt sein, so ermöglicht die Erschließung neuer Märkte im Ausland die Möglichkeit, bei gleichem Kapitalaufwand höhere Kapitalrenditen zu erzielen (vgl. Backes-Gellner/ Huhn 2000, S. 184). Außerdem können einzelne Abteilungen ausgelagert werden, um Kosten zu sparen. Auch die Möglichkeit Offshore-Zonen zu nutzen gibt Unternehmen einen Anreiz zur Internationalisierung. In solchen Zonen herrschen Standortbedingungen, die insbesondere rechtliche und <?page no="456"?> 456 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft steuerliche Vorteile darstellen. Offshore-Finanzplätze zeichnen sich durch niedrige Steuern, ein hohes Maß an Vertraulichkeit und die Minimierung der Finanzmarktaufsicht und -regulierung aus. Allerdings bringt die Internationalisierung natürlich auch Risiken mit sich. Dazu gehören zum Beispiel politische Risiken, evtl. Währungsrisiken. Auch Engpässe im Management und hinsichtlich der Erfahrung gehören zu den Risiken. Häufig kennt sich das Management nicht gut genug aus, um die Risiken im anderen Land adäquat einschätzen zu können. Häufig mangelt es an Fremdsprachenkenntnissen und Kenntnissen bezüglich des Marktumfeldes oder im Bereich Sozialnormen und ausländischen Kulturen (vgl. Backes-Gellner/ Huhn 2000, S. 187). Die Abwanderung aus Personalgründen kann zum Qualitätsverlust führen, so dass es schon häufig zu Rückverlagerungen der Unternehmen gekommen ist. Als Standortnachteile von Deutschland als Produktionsstandort lassen sich z.B. hohe Arbeitskosten inklusive Lohnnebenkosten und kurze Arbeitszeiten, sowie hohe Steuerbelastungen anführen. Allerdings kann die Auslagerung von Abteilungen aus Personalkostengründen zum Serviceverlust für Kunden und Geschäftspartnern führen. Häufig müssen z.B. bei IT-Fragen oder auch bei Fragen bezüglich des Personalmanagements Tickets geöffnet werden, ohne dass man einen Ansprechpartner für sein Anliegen hat. Bei Rückfragen wird ein weiteres Ticket eröffnet und ein neuer Mitarbeiter beschäftigt sich erneut mit dem Sachverhalt. Dies hat enorme Effizienzverluste zur Folge. Außerdem stoßen Kunden bei der Verlagerung ins Ausland häufig auf sprachliche Schwierigkeiten. Auch wird kritisiert, dass die Produktion in Billiglohnländern unter teilweise unmenschlichen Bedingungen zunimmt. Die Verlagerung der Produktion ins Ausland wiederum führt zu Arbeitsplatzverlusten innerhalb Deutschlands. D.h. eine Standortverlagerung ins Ausland kann dem Image eines Unternehmens schaden. Strategien der Internationalisierung Im Rahmen der Internationalisierung können Unternehmen auf „Do it yourself“, Kooperations- oder Akquisitionsstrategien zurückgreifen. Diese kennzeichnen auch die Eigentumsverhältnisse, die Unternehmen im Ausland erlangen. Greift ein Unternehmen auf die „Do it yourself“-Lösung zurück, so wird eine neue Betriebsstätte gegründet. In diesem Fall besteht das größte Risiko für das Unternehmen. Kooperationen wiederum können in Form von strategischen Allianzen und Joint Ventures erfolgen. Bei einem Joint Venture gründen oder erwerben mindestens zwei unabhängige Partner ein rechtlich selbständiges Unternehmen unter gemeinsamer Leitung. Vorteile bei Joint Ventures liegen im geminderten Risiko, der Verfügbarkeit von Marktkenntnissen verschiedener Partner und dem Knowhow des einheimischen Partners. Bei einer strategischen Allianz bündeln zwei oder mehr Unternehmen ihre Ressourcen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern (vgl. Meffert/ Bolz 1994, S. 124). Die Wahl einer Akquisitionsstrategie, um in neue Märkte einzudringen, vereinfacht im Vergleich zur Neugründung den Eintritt in neue Märkte. Dabei ist aber meist nicht der Standort das wichtigste Argument, sondern vielmehr das Leistungsprogramm des gekauften Unternehmens (vgl. Goette 1994, S. 45). <?page no="457"?> 14 Standortentscheidungen 457 Neue Betriebswirtschaft 14.1.3 Investitionscontrolling im Rahmen der Standortentscheidung Monetäre Bewertungsverfahren Bei der monetären Bewertung lassen sich statische und dynamische Verfahren unterscheiden. Zu den statischen Verfahren gehören die Kostenvergleichsrechnung, Gewinnvergleichsrechnung, Rentabilitätsvergleichsrechnung und Amortisationsrechnung. Zu den dynamischen Verfahren gehören die Kapitalwertmethode, die Methode des internen Zinsfußes und die Annuitätenmethode. Der Unterschied der beiden Bewertungsmethoden liegt in der Berücksichtigung des Zeitpunkts. Bei den dynamischen Verfahren werden alle Zahlungen mit in die Berechnung mit einbezogen und fließen durch Abzinsung oder Aufzinsung mit in die Entscheidung ein. Die statischen Verfahren auf der anderen Seite beziehen sich nur auf eine bestimmte Periode und lassen Einzahlungen und Auszahlungen außerhalb dieses Zeitpunkts außen vor. Nachdem Überschüsse reinvestiert werden können und Auszahlungen gedeckt werden müssen, bietet das dynamische Verfahren ein realistischeres Abbild. Die Kapitalwertmethode bestimmt den Wert eines Investitionsobjektes anhand des Barwerts sämtlicher Ein- und Auszahlungsüberschüsse. Die Kapitalwertmethode basiert auf den Annahmen, dass ein einheitlicher Kalkulationszinssatz für die Kapitalaufnahme und Kapitalanlage existiert und finanzielle Mittel unbegrenzt verfügbar sind. Folgendes Beispiel soll aufzeigen, wie die Kapitalwertmethode bei der Standortwahl helfen kann. Ein Unternehmen sucht nach einem Standort zur Erschließung neuer Absatzmärkte. Dabei bieten sich die Alternativen 1, 2 und 3. Auf dem Kapitalmarkt herrscht ein einheitlicher Zinssatz von 3 Prozent. Standort 2015 2016 2017 2018 1 - 6 Mio. 1 Mio. 2 Mio. 3 Mio. 2 - 9 Mio. 2 Mio. 3 Mio. 5 Mio. 3 - 9 Mio. 5 Mio. 3 Mio. 2 Mio. Tabelle 14-1: Beispiel für die Kapitalwertmethode Mit diesen Angaben lassen sich die folgenden Kapitalmarktwerte berechnen: Standort 1: - 6 Mio. + 1 Mio./ 1,03 + 2 Mio./ 1,03^2+ 3 Mio./ 1,03^3= -398.509 Standort 2: - 9 Mio. + 2 Mio./ 1,03 + 3 Mio./ 1,03^2 + 5 Mio./ 1,03^3= 345.243 Standort 3: - 9 Mio. + 5 Mio./ 1,03 + 3 Mio./ 1,03^2 + 2 Mio./ 1,03 + 2/ 1,03^3= 567.348 Es zeigt sich, dass die Investition in Standort 1 zunächst nicht lohnenswert ist, während die Standorte 2 und 3 einen positiven Kapitalwert erbringen und somit die Standortwahl ratsam ist. Es lässt sich aus dem Vergleich zwischen Standort 1 und 2 auch erkennen, dass der Kapitalwert größer wird je früher die Kapitalerträge entstehen. Sollte nur ein neuer Standort ausgewählt werden, so müsste nach dieser Methode Standort 3 ausgewählt werden. Nutzwertanalyse als Bewertungsverfahren Nachdem nicht nur quantitative sondern auch qualitative Bewertungsverfahren wichtig für Standortentscheidungen sind, wird im Folgenden auch die Nutzwertanalyse genauer betrachtet. Bei der Nutzwertanalyse werden die Präferenzen des Entscheidungsträgers hinsichtlich eines multidimensionalen Zielsystems mit einbezogen. <?page no="458"?> 458 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft In der Praxis ist dieses Verfahren besonders relevant, weil sowohl qualitative wie auch quantitative Faktoren bewertet werden können. Es besteht die Möglichkeit, Zielkriterien zu definieren und Zielgewichte zu setzen. Bei der Wahl der Zielkriterien müssen eine Mehrfacherfassung der Faktoren vermieden werden und eine Nutzenunabhängigkeit der Kriterien gewährleistet sein. Nutzenunabhängigkeit bedeutet, dass die Erfüllung eines Standortfaktors nicht die Erfüllung eines anderen Faktors bedeuten soll, um eine Doppelgewichtung zu vermeiden. Jedem Faktor wird eine nominale, ordinale und kardinale Messskala zugrunde gelegt. In einem zweiten Schritt werden die Kriterien gewichtet. Allerdings werden bei dieser Bewertungsmethode Zielkriterien und Zielgewichte individuell und meist subjektiv gesetzt. Zur Reduzierung des subjektiven Einflusses sollte sich die Gewichtung der Faktoren an den Aufgaben und Zielen des Standorts orientieren. In einem dritten Schritt wird der Teilnutzen bestimmt. Er lässt sich als Nutzen einer Handlungsalternative in Bezug auf ein Zielkriterium beschreiben. So lassen sich die qualitativen Ausprägungen eines Standortfaktors in Zahlen ausdrücken. Der vierte Schritt besteht in der Ermittlung des Nutzwerts der verschiedenen Standortalternativen. Die Nutzwertanalyse bietet damit eine Möglichkeit, Informationen systematisch und nachvollziehbar aufzubereiten. Standortfaktor Ausprägung Wertzuordnung Gewichtung Handelsbarrieren erfüllt/ nicht erfüllt K.O. Marktpotenzial >2000 Stk. 3 0,3 >1000 Stk. 2 <500 Stk. K.O. Infrastruktur gut 3 0,2 mittel 2 schlecht 1 Lohnkosten <10 EUR/ Std. 3 0,2 >10 EUR/ Std. 2 <10 EUR/ Std. 1 Alternativen Faktoren A B C Handelsbarrieren OK OK OK Marktpotenzial (0,3) 1500 2 0,6 2200 3 0,9 400 1 K.O Infrastruktur (0,2) mittel 2 0,4 gut 3 0,90 gut 3 0,6 <?page no="459"?> 14 Standortentscheidungen 459 Neue Betriebswirtschaft Lohnkosten (0,2) 9 € 3 0,6 11€ 2 0,4 9€ 3 0,6 Um den Gesamtnutzwert eines Standortes zu ermitteln werden also zunächst die Teilnutzwerte durch Multiplikation des Wertes mit der Gewichtung ermittelt. Anschließend werden die Teilnutzwerte aufsummiert. In diesem Fall hätte Standort B mit einem Nutzwert von 2,2 den höchsten Gesamtnutzwert, gefolgt von Standort A mit einem Gesamtnutzwert von 1,6. Standort C scheidet aus, da der KO-Wert der Mindestabsatzmenge nicht erreicht wurde. Szenarioverfahren als Mittel der Standortbewertung Da Standortentscheidungen Auswirkungen auf die Zukunft eines Unternehmens haben, müssen Prognoseverfahren gewählt werden um einen Standort zu bewerten. Die Szenariotechnik ist ein Verfahren, das quantitative und qualitative Faktoren berücksichtigt. Die Szenarien werden in diesem Zusammenhang als Abfolge möglicher Ereignisse abgebildet und ermöglichen dadurch die Identifizierung von kausalen Zusammenhängen. Beispiel: um einen neuen Markt zu sichern, möchte ein Unternehmen sich in einem weiteren Land positionieren. Dabei kommen die Länder 1, 2 und 3 in Frage. Zunächst ermittelt das Unternehmen die wesentlichen Standortfaktoren Marktpotenzial, Lohnniveau, Personalqualität, Anzahl der Wettbewerber, Infrastruktur, Preisniveau, Steuerniveau und Marktanteil. In der Regel gilt der Gewinn als mögliches Kriterium zur Messung der Zielerreichung. Sowohl qualitative als auch quantitative Standortfaktoren beeinflussen den Gewinn eines Unternehmens. Zum Beispiel beeinflusst die Qualität der Mitarbeiter die Produktivität des Unternehmens, was sich auf die Kosten und somit den Gewinn auswirkt. Eine bessere Infrastruktur verkürzt die Lieferzeiten und steigert somit die Kundenzufriedenheit, was sich auf das Absatzvolumen auswirken kann. In der Phase der Prognose von Performance- und Umfeldentwicklungen werden Präszenarien erstellt, indem gewisse Annahmen für künftige Entwicklungen von Standortfaktoren angestellt werden. Man unterscheidet dabei zwischen Umfeldfaktoren, die außerhalb des Einflussbereichs des Unternehmens liegen und Performancefaktoren, die durch Aktivitäten des Unternehmens beeinflusst werden (vgl. Buhmann/ Schön 2008 S. 282ff; vgl. Wöhe 2005, S. 53ff.). Das Unternehmen prognostizierte dabei die folgenden Tendenzen: 2019 2020 2021 Umfeldfaktoren Preisniveau 1 1 1 Lohnniveau 1 0 -1 Steuerniveau 1 0 -1 Performancefaktoren Marktanteil 1 1 2 Personalqualität 1 2 2 Lieferzeiten 0 1 1 Tabelle 14-2: Beispiel für Umfeld- und Performancefaktoren <?page no="460"?> 460 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Das Konzept der Erfahrungskurve gibt eine Erklärung für positive Performanceentwicklungen. In einer Konsistenzmatrix kann überprüft werden, welche Faktoren sich gegenseitig beeinflussen oder sich ausschließen. So beeinflussen sich z.B. Lohnniveau und Preisniveau. Basierend auf dieser Erstprognose werden die Entwicklungstendenzen der Umfeld- und Performancefaktoren in prozentuale Angaben umgewandelt, um Einzahlungs- oder Auszahlungsüberschüsse für die Folgejahre zu prognostizieren. Das Feld möglicher Entwicklungen wird durch ein Trendszenario, ein Best-Case Szenario und ein Worst-Case Szenario begrenzt. Standort A B C WC (p=0,25) -500.000 € 0 € 100.000 € TC (p=0,5) 300.000 € 100.000 € 250.000 € BC (p=0,25) 1000.000 € 500.000 € 450.000 € Erwartungswert 275.000 € 362.500€ 262.500 € Bandbreite 1500.000 € 500.000 € 350.000 € Der Erwartungswert berechnet sich wie folgt: Standort A: 0,25*(-500.000) + 0,5*300.000 + 0,25*1.000.000 = 275,000 Standort B: 0,25*0+ 0,5*500.000+0,25*450.000= 362.500 Standort C: 0,25*100.000+0,5*250.000*0,25*450.000=262,500 Ein risikoneutraler Entscheider würde nun Standort B wählen, da dieser den höchsten Erwartungswert aufweist. Ein risikoscheuer Entscheider würde hingegen eventuell Alternative C auswählen, da in jedem Fall ein positives Ergebnis zu erwarten ist und außerdem die geringste Bandbreite gegeben ist (vgl. Buhmann 2009, S. 293). Vor- und Nachteile der verschiedenen Verfahren Die oben beschriebenen Standortbewertungsverfahren helfen, das Problem der Standortbewertung auf wenige erfolgskritische Faktoren zu reduzieren. Damit können sie allerdings auch nur als Teillösungen betrachtet werden. Im Zusammenhang mit der Kapitalwertmethode wird der Fokus auf die quantitativen Kriterien gelegt. Der Vorteil bei diesem Verfahren liegt in dessen Objektivität. Allerdings werden einige Annahmen getroffen. Sowohl die Höhe als auch die zeitliche Verteilung der mit einer Standortinvestition verbundenen Ein- und Auszahlungen werden als bekannt vorausgesetzt. Außerdem wird ein vollkommener Kapitalmarkt angenommen. In der Realität ist das Vorliegen beider Prämissen jedoch wenig wahrscheinlich. Obwohl qualitative Standortfaktoren für die Standortwahl von großer Bedeutung sind, können sie wegen der mangelnden Quantifizierbarkeit nicht mit einbezogen werden. Die Nutzwertanalyse schafft hier Abhilfe und erlaubt es qualitative Faktoren miteinzubeziehen. Außerdem bietet das Nutzwertverfahren die Möglichkeit, das Entscheidungsproblem strukturiert anzugehen. Allerdings können Nutzenabhängigkeiten und Mehrfacherfassungen vorkommen. Das größte Problem bei der Nutzwertanalyse liegt in der subjektiven Ermittlung und Gewichtung der Faktoren. Sowohl die quantitativen Verfahren, als auch die Nutzwertanalyse geben nur ein Abbild wieder und berücksichtigen nicht die Dynamik der Faktoren. Die Szenariotechnik erlaubt es verschiedene Entwicklungstendenzen für die Zukunft abzubilden. Die Qualität der Analyse hängt allerdings maßgeblich von den Einschätzungen der durchführenden Personen ab. Dabei geht es nicht darum, Vorhersagen zu treffen, sondern mögliche Ereignisse auf dem Weg zu einem vorher definierten Ziel darzustellen. Erst durch einen Vergleich und die Verknüpfung der verschiedenen Analysemodelle wird es ermöglicht, eine basierte Entscheidung zu treffen. <?page no="461"?> 14 Standortentscheidungen 461 Neue Betriebswirtschaft 14.1.4 Relevanz des Standortfaktors in der Finanzindustrie Bedeutung der Standortwahl für Banken Bankdienstleistungen sind immaterielle Produkte, die ohne Vorratsproduktion angefertigt werden. Die losgelöste Produktion vom Nachfrager entfällt. Banken haben in der Regel eine Geschäftszentrale, die als Leitstelle und Verwaltung fungiert, sowie Geschäftsstellen, in denen die Geschäftsvorfälle abgewickelt werden. Die Banken sind dabei Urproduzenten der Güter, so dass die Beschaffungskosten für diese wegfallen. Anstelle der Transportkosten beim Anbieter treten Beschaffungskosten bei den Nachfragern an. Um ein möglichst großes Marktpotenzial abzuschöpfen, muss es ein möglichst engmaschiges Netz an Absatzwegen geben (vgl. Eder 2015, S. 34; Wyman 2015, S. 5). Bankdienstleistungen lassen sich in drei Geschäftsfelder unterteilen, die unterschiedliche Anforderungen hinsichtlich der Struktur und der Standortbedingungen an die Geschäftsstellen stellen. Das Commercial Banking beschäftigt sich mit der Annahme und Weitergabe von Geldern, das Investment Banking umfasst Wertschriftenhandel, kapitalmarktbezogene Beratungsleistungen und das Trust Banking befasst sich mit der Verwaltung von Vermögenswerten (vgl. Bumbacher 1994, S. 3). Das Commercial Banking erfordert Kundennähe, denn es herrscht großer Wettbewerb. Im Investment Banking hingegen ist die Nähe zur Börse von Vorteil. Auch das Trust Banking benötigt bei Vermögensanlage am Kapitalmarkt Börsennähe. Aber auch die Kundennähe ist essentiell, falls der Kunde Mitentscheider der Verwahrungsstrategien ist. Mit voranschreitender Entwicklung der digitalen Technik nimmt allerdings die Bedeutung der Börse als standortprägende Kraft ab (vgl. Finke 2016, S. 20). Die Wahl des Standortes der Geschäftszentrale basiert auf strategischen Gesichtspunkten und es mu ss ke ine I de nt it ät vo n Mark t u nd S tan do rt g eg ebe n se in. D as hei ßt , da ss d ie Z ent rale unabhängi g vom Standort des Marktes gewählt werden kann. Bei den Faktoren des Finanzplatzes unterscheidet man zwischen Makro und Mikrostandortfaktoren. Bei Betrachtung der Standortwahl für national tätige Banken können makroökonomische Umweltfaktoren wie gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen, gesellschaftliche, politische und rechtliche Faktoren als konstant angenommen werden. Bei der internationalen Standortwahl spielen diese Faktoren hingegen auch eine Rolle. Makrostandortfaktoren beziehen sich auf die ganze Volkswirtschaft. Die politische und soziale Stabilität, regulatorische Vorschriften, verfügbares Humankapital, die allgemeine Wirtschaftskraft eines Staates, die Stabilität und Stärke der heimischen Wahrung und letztendlich die Besteuerung der Kreditinstitute gehören zu solchen makroökonomischen Faktoren. Mikrostandortfaktoren können lokal different sein: ! Die Beschaffenheit der Infrastruktur ! Individuelle Standortfaktoren ! Qualität der Technologie- und Informationssysteme vor Ort ! Die Nähe zur Zentralbank ! Die Qualität der Technologie- und Informationssysteme vor Ort (vgl. Breuer 1998, S. 146). Die Ressourcen lassen sich in Primär- und Sekundärressourcen unterteilen. Primärressourcen sind für den Erfolg der Bank essentiell. Sekundarressourcen beeinflussen wiederum die Primärressourcen. Zu den Primärressourcen gehört z.B. Humankapital, welches wiederum durch die Sekundärressourcen wie die Lebensqualität, die politische und soziale Stabilität und das Ausbildungsniveau geprägt wird. In der Praxis siedeln Banken ihre Geschäftszentralen häufig räumlich aggregiert in einem so genannten Bankenviertel an. Dieses liegt häufig in der Innenstadt und hat eine günstige Anbindung, auf der anderen Seite ist ein Bankenviertel häufig durch hohe Mietpreise geprägt. Für Banken sind <?page no="462"?> 462 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft die Kosten der Informationsbeschaffung und deren Verarbeitung ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Es geht darum, Netzwerke zu schaffen, in denen verlässlich und schnell Informationen fließen können. Ein Indiz für die Attraktivität eines Standortes stellt der Global Financial Centres Index dar, der die internationalen Finanzplätze untereinander anhand folgender Faktoren mit abnehmender Gewichtung vergleicht: ! Verfügbarkeit von Fachpersonal ! Das regulatorische Umfeld ! Der Zugang zu den internationalen Finanzplätzen ! Verfügbarkeit geschäftlicher Infrastruktur ! Zugang zu Kunden ! Faire Rahmenbedingungen ! Kommunikation mit der Regierung ! Gewerbesteuersatz ! Betriebskosten ! Zugriff auf Anbieter von Dienstleistungen ! Lebensqualität ! Kultur und Sprache ! Qualität und Verfügbarkeit von gewerblichen Immobilien und ! Persönliche Steuerregelung (vgl. Long Finance 2016). Standortwahl von Fintechs Anders als Kreditinstitute haben Fintechs nur einen Absatzkanal als Interaktionsmedium mit dem Kunden und als Plattform ihrer Produkte. Sie bieten ausschließlich digitale Lösungen an und die gesamte Kommunikation ist digital. Dadurch werden auch die Kosten der Informationsweitergabe durch die Digitalisierung entfernungsunabhängig. Für Fintechs sind einige Standortfaktoren von Bedeutung, die auch für Direktbanken von Belang sind. Direktbanken sind Kreditinstitute, die Bankgeschäfte ohne eigenes Filialnetz betreiben und dabei keinen persönlichen Kontakt zu ihren Kunden benötigen. D.h. auch bei den Direktbanken werden alle Bankgeschäfte online abgewickelt. So ist für Direktbanken wie Fintechs die Nähe zu einem Finanzzentrum von Bedeutung, da sich dort vermehrt spezialisiertes Personal findet. Außerdem ist natürlich eine technisch einwandfreie Infrastruktur unbedingt notwendig (vgl. Ott 2001, S. 33-34). Aufgrund ihrer Beschaffenheit haben Fintechs aber noch weitere Ansprüche an den Standort. Da Geschäftsfilialen entfallen, haben Fintechs in der Regel nur eine Geschäftszentrale. In den ersten Jahren ist der Einsatz von Wagniskapital essentiell für den Erfolg von Fintechs. Die Nähe zu Venture Capital-Gebern und finanziellen Ressourcen kann dabei vorteilhaft sein. Außerdem sollte der Standort natürlich möglichst kostengünstig sein, so dass der Fixkostenblock möglichst gering gehalten werden kann. Unter diese Fixkosten fallen zum Beispiel Mietpreise für die Büroräume, sowie Personalkosten. Die jungen Fintech Unternehmen profitieren von der Nähe zu Finanzzentren, da so ein Netzwerk gebildet und Wissen und Erfahrungen ausgetauscht werden können. Zudem benötigen Fintechs qualifiziertes Humankapital für die Realisierung des Geschäftsmodells. Für Fintech geeignetes Humankapital lässt sich vor allem in der Nähe von relevanten Universitäten für Wirtschaftswissenschaften oder Informationstechnologie finden. Auch die wirtschaftliche und politische Stabilität der Volkswirtschaft ist für das Gelingen der Fintechs wichtig. Indikatoren der wirtschaftlichen Stabilität sind zum Beispiel eine niedrige Arbeitslosenquote, ein hohes Durchschnittseinkommen, eine stabile Währung und ein hohes Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (vgl. Ernst & Young 2016, S. 7). <?page no="463"?> 14 Standortentscheidungen 463 Neue Betriebswirtschaft Fintechs haben den Zugang zu Finanzdienstleistungen neu gestaltet. Klassische Banken müssen Synergien zur Kooperation mit Fintechs schaffen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Andererseits wünschen sich Start-ups eine Kooperation mit etablierten Unternehmen, um neue Märkte erschließen zu können, neue Kundengruppen gewinnen zu können, das Knowhow zu ergänzen oder Kosten zu senken (vgl. PricewaterhouseCoopers 2016, S. 36ff.). Wenn Banken in Form einer Partnerschaft mit den Fintechs kooperieren, kann dies gegenseitiges Lernen und Austausch mit sich bringen (vgl. Schleidt 2016, S. 41). Bei dieser Kooperation können die Banken im Backend agieren und dem Fintech die Banklizenz zur Verfügung stellen (vgl. Bitkom 2015, S. 16). Eine andere Möglichkeit ist, dass die Banken als Dienstleister kooperieren. Eine dritte Option ist die finanzielle Beteiligung über einen VC-Fonds an den Fintechs, oder deren direkte Übernahme. Häufig werden in der Praxis kostenlose oder vergünstigte Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Junge Unternehmen profitieren vom Einzug in ein solches Fintech-Zentrum in mehrfacher Hinsicht. Auf der einen Seite sparen sie sich in der kapitalintensiven Seedphase die Mietausgaben und halten so die Fixkosten gering. Außerdem bietet ein Fintech-Zentrum physische Nähe und Wissensaustausch mit anderen Start-ups und dem Sponsor der Räumlichkeiten. So wird ein Netzwerk aufgebaut und Knowhow ausgetauscht. Banken profitieren, indem sie vom enormen Wachstumspotenzial der Fintechs Vorteile erhalten. Auf der anderen Seite können junge Unternehmen von der Möglichkeit profitieren, neue Kundenstämme zu erschließen. Der Vergleich von internationalen Standorten für Fintechs Rahmenbedingungen des Standorts Deutschland In Deutschland befindet sich die stärkste Konzentration von Fintechs in Berlin, Frankfurt am Main, München und Hamburg. Dabei wird Frankfurt häufig mit dem Finanzplatz Deutschland in Verbindung gebracht. So liegt Frankfurt nach dem GFCI im internationalen Vergleich auf Platz 18, München auf Platz 27. Hamburg hingegen ist auf Platz 587 (Long Finance 2016). In Deutschland gibt es verhältnismäßig wenige Unternehmensneugründungen. Die so genannte Total Early-stage Entrepreneurial Activity weist in der Bundesrepublik eine Quote von 5,27% auf und ist damit geringer als in anderen Europäischen Staaten (vgl. Sternberg/ Vorderwülbecke/ Brixy 2014, S. 9.). Die Finanzierung von jungen Unternehmen kann in Deutschland einen Zuschuss mit öffentlichen Mitteln erhalten. Am meisten wird dabei in Berlin investiert. Dort fanden im Jahr 2015 205 Finanzierungsrunden mit einer Gesamtsumme von 2,1 Milliarden Euro statt. Auch im europäischen Vergleich liegt Berlin im branchenübergreifenden Start-up Bereich noch vor London (vgl. Ernst & Young 2016b, S. 3). Allerdings liegen andere Bundesländer weit zurück: In Bayern gab es 2015 74 Finanzierungsrunden in Höhe von insgesamt 258 Millionen Euro, in Hamburg wurden mit 28 Finanzierungsrunden 296 Millionen investiert und in Hessen in 12 Runden 22 Millionen Euro. Für einen internationalen Vergleich der Lebenshaltungskosten lässt sich der Cost of Living Index heranziehen. Deutschland wird hiernach weltweit auf Platz 24 gerankt. Im Europäischen Vergleich befindet sich Deutschland auf Platz 15, also im oberen Mittelfeld (vgl. Numbeo 2018). Für Mikrostandortfaktoren werden Nettokaltmieten pro Quadratmeter der jeweiligen Stadt für Büroflächen sowie der Gewerbesteuerhebesatz herangezogen. Die Mietpreisentwicklung spiegelt die Angebotsknappheit in den deutschen Städten wieder. In Berlin und Stuttgart erreichten sich die Durchschnittsmieten 2017 einen historischen Höchststand mit 17,00 bzw. 13,25 EUR pro Quadratmeter. Im Vergleich zu 2016 entsprach dies einer Steigerung von 8%. In anderen Städten führte die Verlagerung der Vermietungsaktivität in periphere Teilmärkte oder das Umland zu moderateren Entwicklungen. So lagen die Mietpreise in Düsseldorf im Jahr 2017 bei 15,40 EUR (+3%) und in München bei bei 16,50 EUR (+2%). In Frankfurt war sogar eine leicht negative Tendenz zu beobachten (18,80 EUR, -1%). <?page no="464"?> 464 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Der Gewerbesteuerhebesatz wird von den Kommunen frei festgelegt. Da die Gewerbesteuer neben der Grundsteuer die wichtigste Einnahmequelle der Gemeinden darstellt, kann mit dem Hebesatz die Haushaltskasse direkt beeinflusst werden. Da einige Gemeinden in der Vergangenheit versucht haben, durch besonders niedrige Hebesätze Gewerbetreibende anzulocken, wurde festgelegt, dass dieser den Wert von 200 % nicht unterschreiten darf. Dies bedeutet in Verbindung mit der Steuermesszahl, dass jedes Gewerbe in Deutschland jährlich 7 % seines Ertrages an die Kommune, in der sein Betrieb sitzt, zahlen muss. Nach oben ist der Hebesatz unbegrenzt. In Berlin lag der Gewerbesteuerhebesatz im Jahr 2018 bei 410%, in Frankfurt bei 460%, in München bei 490%. Aufgrund der starken Regulierungen von Seiten der Bafin haben es Fintechs in Deutschland verhältnismäßig schwer, in den Markt einzutreten. Zudem sind die Auflagen bezüglich des Datenschutzes in Deutschland verhältnismäßig hoch. Auf der Suche nach einem guten Finanznetzwerks liegt Frankfurt durch den Sitz der Europäischen Zentralbank, der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank und der höchsten Anzahl an Banken im deutschen Städtevergleich an der Spitze. Allerdings bietet Berlin als Gründungshauptstadt die Nähe zu vielen anderen Start-ups, auch aus anderen Branchen (vgl. McKinsey 2013, S. 36). Die Zugehörigkeit zur EU bietet Deutschland Vorteile mit Hinblick auf das verfügbare Humankapital. Durch die Visafreihat kann quasi jeder europäische Staatsbürger als Mitarbeiter ohne bürokratische Hürden akquiriert werden. Außerdem ist das allgemeine deutsche Bildungsniveau im internationalen Vergleich der OECD-Länder auf einem guten Niveau. Dabei ist das Bildungssystem laut OECD besser auf die Bedürfnisse der Wirtschaft abgestimmt als das anderer Länder. Jeder zweite unter den 25 bis 34-Jährigen hat eine abgeschlossene Berufsausbildung im dualen System und 86 Prozent der Absolventen haben eine Beschäftigung. Bei Hochschulabsolventen liegt die Quote sogar bei 87%. Dabei gibt Deutschland im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft deutlich weniger Geld für Bildung aus als andere Industrieländer. Die Bildungsausgaben betragen nur 4,3 Prozent, während der Schnitt aller OECD Länder bei 5,2 Prozent liegt (vgl. OECD 2017). Deutsche Arbeitgeber wählten Frankfurt unter die zehn besten deutschen Hochschulen, was die Qualität der Absolventen betrifft. Gefragt hatten die französische Personalberatung Emerging und das Berliner Marktforschungsunternehmen Trendence für die Bildungszeitschrift „Times Higher Education“ (THE). Am Ende sah ihr sogenanntes University Employability Ranking für Deutschla nd auf d en e rste n zehn Plät zen so aus: Hoc hs ch ul e Mü nc he n, Uni ve rsit ät H ei del ber g, TU M ünchen, Humboldt-Universität Berlin, TU Dresden, TU Berlin, Ludwig-Maximilians-Universität München, Freie Universität Berlin, Goethe-Universität Frankfurt, Technische Hochschule Köln. Einmal im Jahr kürt „Times Higher Education“ die Top-Universitäten der Welt. 44 deutsche Hochschulen haben es in der aktuellen Ausgabe in die Top 1000 geschafft; 20 davon liegen unter den besten 200 der Welt, 10 sogar unter den Top 100. Bestgerankte deutsche Hochschule ist wie im Jahr zuvor die Ludwig-Maximilians-Universität München. Zusammengefasst bietet die Bundesrepublik Deutschland als Makrostandort eine stabile Volkswirtschaft, ein effizientes Rechtssystem, eine stabile Währung und eine hohe Lebensqualität. Im Jahr 2017 Dezember 2017 lag die Arbeitslosenquote in Deutschland bei nur 3,6% und damit deutlich unter der der gesamten EU, wo sie zum gleichen Zeitpunkt bei 7,3% lag. Auch das BIP pro Kopf gehört zu den Stärken Deutschlands. Dabei liegt Deutschland im EU-Vergleich im vorderen Drittel und deutlich über dem EU-Durchschnitt. Allerdings kann Deutschland mit Luxemburg nicht mithalten. Hier liegt der in Kaufkraftstandards umgerechnete BIP (der auch Preisniveaus und Kaufkraft berücksichtigt) beim einem Indexwert von 267. Deutschlands Kaufkraftstandard beträgt hingegen 123 und der EU Durchschnitt liegt bei 100. <?page no="465"?> 14 Standortentscheidungen 465 Neue Betriebswirtschaft Standortfaktoren in London, Singapur und USA In London ergänzen sich mehrere Faktoren, die die britische Hauptstadt so attraktiv für Fintechs machen. So ist jede größere, weltweit agierende Bank durch mindestens eine Außenstelle in London vertreten. Daher erreicht London auch den ersten Platz im GFCI Index. Neben der hohen Bankendichte ist in London die höchste Dichte an Universitäten und höheren Bildungseinrichtungen vertreten (vgl. Ernst & Young 2016, S. 7). Die Stadt versucht außerdem mit niedrigen Unternehmenssteuern für Neugründungen und möglichen Steuerrückerstattungen Startups anzuziehen. Des Weiteren ist in London eine gute Struktur für Anschlussfinanzierungen vorhanden. Im Rahmen des so genannten Sandboxings können Start-ups ohne gesetzliche Auflagen das Geschäftsmodell erproben. Dabei soll dieser Test unter Realbedingungen dabei helfen, künftige Schwachstellen aufzufinden und einen schnelleren Marktzugang zu eröffnen (vgl. Ernst & Young 2016, S. 7). Als nachteiliger Standortfaktor für London lassen sich die hohen Lebenshaltungskosten und die hohen Mietaufwendungen für Büroflächen nennen. Auch der Brexit wirft ein negatives Licht auf London im Vergleich zu anderen internationalen Finanzplätzen. Durch die Abkapselung vom EU- Binnenmarkt wird mit einem künftigen Anstieg der Transaktionskosten im internationalen Finanzhandel gerechnet. Als erste Reaktion hat die Bank of England kurz nach dem Referendum, den Leitzins halbiert, um eine Rezession zu vermeiden. Singapur ist das größte Fintech-Hub in Asien und beheimatet die meisten Wagniskapitalgeber auf dem asiatischen Kontinent. Auch hinsichtlich der Gesetzgebung in Sachen Neugründungen gehört Singapur zu den proaktivsten Städten. Der Staat fördert die Investition in Wagniskapital, indem er für jeden Dollar investierten Wagniskapitals einen Dollar dazu gibt, allerdings nur bis zu einem Betrag von drei Millionen Dollar. Zudem tritt auch die Regierung als VC-Geber auf und investiert selbst in Start-ups. In den ersten drei Jahren nach Gründung wird sichergestellt, dass die Steuerlast den jungen Fintechs nicht zu sehr schadet. Außerdem weißt Singapur ein überdurchschnittliches Bildungsniveau und sehr hohe politische Stabilität auf, was sich z.B. durch eine der weltweit niedrigsten Arbeitslosenquoten ausdrückt (vgl. Ernst & Young 2016, S. 7). In den USA herrschen schwächere regulatorische Anforderungen für Fintechs. Insbesondere investieren nicht nur klassische Wagniskapitalgeber, sondern auch Banken in Fintechs. Dadurch wurden in den vergangenen zehn Jahren die höchsten Erlöse durch den Börsengang junger Unternehmen im internationalen Vergleich eingenommen (Ernst & Young 2016c, S. 51). Man muss allerdings im Besitz einer gültigen Green Card sein, um ein Start-up gründen zu können. In den USA haben sich zwei Fintech-Zentren herausgebildet. Zum einen das Silicon Valley in Kalifornien und zum anderen New York. Im Silicon Valley ist das verfügbare VC in Prozent vom BIP 25-mal höher als das in Berlin. In Kalifornien wird so viel in Fintechs investiert wie nirgends sonst. New York auf der anderen Seite bringt die Nähe zur Wall Street und zu den großen Finanzinstituten mit sich. Sollte man in Kooperation mit einer Universität gründen, verspricht die Stadt zehn Jahre Steuerfreiheit. Auf der Negativliste New Yorks stehen allerdings ebenfalls die hohen Lebenshaltungskosten und die hohen Mieten für Büroräume (Ernst & Young 2016, S. 7). Es zeigt sich also, dass Deutschland als Standort für Fintechs geeignet ist, wenn auch Städte wie London und New York oder das Silicon Valley durchaus attraktiv sind. Empfohlene Literatur Backes-Gellner, U.; Huhn, K. (2000): Chancen und Risiken der Internationalisierung. In: Gutman, J./ Kabst, R.: (2000): Internationalisierung im Mittelstand. 1. Auflag. Wiesbaden. Springer. Herbertz, F. (2002): Einflußfaktoren bei internationalen Standortentscheidungsprozessen. Frankfurt am Main. <?page no="466"?> 466 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft LLiitteerraattuurr Backes-Gellner, U.; Huhn, K. (2000): Chancen und Risiken der Internationalisierung. In: Gutman, J./ Kabst, R.: (2000): Internationalisierung im Mittelstand. 1. Auflage. Wiesbaden: Springer. Bea F. X.; Dichtl, E.; Schweitzer, M. (Hrsg.) (2009). Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Bd. 1: Grundfragen. 10. Auflage. Stuttgart: Lucius & Lucius. Behrens, K. (1971): Allgemeine Standortbestimmungslehre. 2. Auflage: Opladen. Bitkom (Hrsg.) (2015): Positionspapier zum Status Quo der FinTechs in Deutschland, Berlin. Blohm, H.; Lüder, K. (1991): Investition, 7. Auflage, München. Buhmann, M./ Schön, M. (2009): Dynamische Standortbewertung - Denken in Szenarien und Optionen, in: Kinkel, S. (Hrsg.): Erfolgsfaktor Standortplanung: In- und ausländische Standorte richtig bewerten, S. 279-299, Berlin. Collier International. City Survey. Deutschland 1. Halbjahr 2017. Büro- und Investmentmärkte im Überblick. https: / / www.colliers.de/ wp-content/ uploads/ 2017/ 07/ city-survey-colliers-buero-in vestment-h1-2017.pdf. am 05.04.2018. Eder, D. (2015): Investition in die Zukunft, in: Die Bank, o. Jg., Nr. 3, S. 34-35. Ernst & Young (2016): Swiss FinTech Report 2016, Zürich. Ernst & Young (2016b): Landscaping UK Fintechs. Ernst & Young (2016b): Start-up-Barometer Deutschland. Gutmann, J.; Kabst, R. (2000): Internationalisierung im Mittelstand. 1. Auflage. Wiesbaden: Springer. Herbertz, F. (2002): Einflußfaktoren bei internationalen Standortenscheidungsprozessen. Frankfurt am Main. Kinkel, S. (2003): Dynamische Standortbewegung und strategisches Standortcontrolling. Frankfurt am Main. Kinkel, Stefan; Zanker, Christoph (2007): Globale Produktionsstrategien in der Automobilzulieferindustrie. Berlin, Heidelberg: Springer. Long Finance (2016): CFCI Methodology - unter http: / / www.longfinance.net/ programmes/ fi nancialcentrefutures/ global-financial-centres-index/ methodology.html am 04.04.2018. Maaß, Frank (2004): Standortverlagerung von Unternehmen. Wiesbaden: Deutscher Universitäts- Verlag. McKinsey (Hrsg.) (2013): Berlin gründet - Fünf Initiativen für die Start-up Metropole Europas, Berlin. McKinsey (Hrsg.) (2016): Die FinTech-Herausforderung - Wie die Digitalisierung den Finanzsektor verändert. Meffert, H./ Bolz, J. (1994): Internationales Marketing-Management, 2. Auflage, Stuttgart. Numbeo 2018: Cost of Living Index by Country 2018. https: / / www.numbeo.com/ cost-of-living / rankings_by_country.jsp? title=2018&region=150. OECD 2017. Bildung auf einen Blick. Verfügbar unter https: / / www.oecd-ilibrary.org/ education/ bildung-auf-einen-blick-2017_eag-2017-de, 06.04.2018. Peters, S; Reinhardt, K.; Seidel, H. (2006): Wissen verlagern. Gabler. PricewaterhouseCoopers (Hrsg.) (2016): Start-up-Unternehmen Deutschland, Berlin et. al., S. 36-39. <?page no="467"?> 14 Standortentscheidungen 467 Schleidt, Daniel (2016): In der Fintech-WG, in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.04.2016, S. 41. Thommen, Jean-Paul (1996): Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre. 5. Auflage. Zürich: Versus. Wöhe, G.: Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre. 22. Aufl. München. Wyman, O. (2015): Fintech 2.0: Neue Chancen für Finanzdienstleister, Frankfurt am Main et al., S. 5. <?page no="469"?> Neue Betriebswirtschaft 1155 EEiinnffü ühhrruun ngg iinn ddaass PPeerrs soonna allmmaanna aggeemmeenntt Irene E. Rath Einführung in die Thematik und personalwirtschaftliche Grundlagen Wir stehen vor großen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, wie die Internationalisierung und Globalisierung, auch kleine und mittelgroße Unternehmen sind international tätig. Internationale und interkulturelle Teams sind gefordert und der Wille zum kulturellen Verständnis. Es bedingt Spielregeln für ein fruchtbares Zusammenspiel der Kulturen. Die Arbeitswelt wird komplexer und unbeständiger. Die vier Megatrends Mobile, Social, Cloud und Analytics spiegeln die Herausforderungen der Digitalisierung wider. Grundsätzlich heißt es, wer die Digitalisierung annimmt, gehört zu den Gewinnern. In der neuen Arbeitswelt spricht jeder mit jeden und die mobilen Endgeräte entgrenzen die Arbeit und das Büro passt in die ‚Hosentasche‘. Der Ort zum Arbeiten wird eher zum Treffpunkt zum Austausch mit Kollegen. („from workplace to meeting place“) (Maitland & Tompson 2011, S. 81). Somit verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Leben zusehends (Rump & Eilers 2017, S. 3). In mobilen und dezentralen Büros ist Macht eher unsichtbar und Kontrolle kaum spürbar. Führungskräfte müssen eher motivieren anstatt kontrollieren (Rump & Eilers 2016, S. 22ff.). Die Ansprüche der Mitarbeiter verändern sich und das Personalwesen muss sich anpassen. Aber auch die Ansprüche an das Personal und der Stellenwert des Personals verändern sich, durch den Wandel weg von der produzierenden hin zu einer Dienstleistungs- und wissensbasierten Gesellschaft. Es wird Personal benötigt, das nicht nur die ihnen zugeteilten Aufgaben ausführt, sondern mit neuen Ideen dafür sorgt, dass die Wünsche der Kunden, die sich immer schneller ändern, befriedigt werden, so dass ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen gesichert ist. Solches Personal ist schwer zu finden. Zudem stehen wir vor einem demografischen Wandel, immer mehr ältere Menschen stehen weniger jungen Menschen gegenüber. Die Bevölkerungspyramide steht ‚kopf‘. Der Fachkräftemangel scheint nun in vielen Branchen angekommen zu sein, obwohl dieser nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage zu steigenden Löhnen und Gehältern führen müsste, was immer noch nur bedingt der Fall ist. Manche reden schon vom „War for Talents“ (Krieg um Talente). Hierbei geht es nicht nur darum Talente zu gewinnen, es geht darum, Talente zu halten (Simon/ Krütten, 2012, S. 142). Junge, gute ausgebildete Menschen kennen ihren Wert und sind durchaus wechselwillig. Gut qualifizierte Arbeitnehmer/ inner können ‚Job Hopping’ und ‚Cherry-Picking‘ betreiben (Rump & Eilers, 2016, S. 25). Zudem wird sozialverträgliches Handeln der Unternehmen immer wichtiger. Unethisches Verhalten wird abgestraft. Deutschland verzichtet jedoch trotz Engpasssituationen auf dem Arbeitsmarkt auf eine stärkere Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Außerdem stehen wir vor der Herausforderung, die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dazu gibt es einen Trend zur Urbanisierung. Unternehmen in ländlichen Bereichen haben es somit immer schwerer, geeignete Arbeitskräfte zu rekrutieren. Ausbildungsplätze zu besetzen erfordert für viele Unternehmen heute schon enorme Anstrengungen (Rump & Eilers 2016, S. 13). Unternehmen werben mit Firmenwagen, Auslandspraktika, Zuschuss zur Miete etc. Einen Dienstwagen plus iPhone bietet beispielsweise die bayerische Steuerberaterkanzlei Gabriel und Kollegen. Diesen Dienstwagen und das Smartphone dürfen die Auszubildenden auch in der Freizeit nutzen. Eine ‚krasse‘ Ausnahme bietet ein mittelständischer Kfz-Zulieferbetrieb aus Baden-Württemberg, der seinen Auszubildenden Spritztouren im Firmenporsche ermöglicht hat (Fehling 2.2.1014). <?page no="470"?> 470 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft Diese Begebenheiten gelten es im Personalwesen nicht nur zu beachten, sondern auch zu internalisieren. Grundsätzlich ist die Personalwirtschaft eine betriebswirtschaftliche Funktion, deren Kernaufgaben die Bereitstellung und der zielorientierte Einsatz von Personal sind. Personal dient als Instrument der Aufgabenerfüllung. ‚Personal’ sind die in einem Unternehmen beschäftigten Menschen. Henry Ford sagte einmal: „Sie können mir meine Fabriken wegnehmen und die Gebäude abbrennen, aber mit meinen Leuten baue ich das Unternehmen sofort wieder auf.“ (Sims et al. 2015, S. 80) Ulrich (1970, S. 246 f.) unterscheidet den Mensch doch sehr stark von den sachlich-maschinellen Betriebsmitteln: Für Ulrich sind die Menschen kein Mittel zum Zweck, Menschen haben einen Selbstwert und stellen Ansprüche an die Umwelt. Der Mensch ist auch in anderen sozialen Umgebungen eingebunden und nicht nur im Unternehmen. Menschen sind selbsttätig, sie verfügen über ein Denkvermögen, können Initiativen ergreifen und haben einen Willen. Somit ist der Mensch kein passives Objekt, sondern eher Träger von sinnhaften und selbständigen Handlungen. Der Mensch kann sich unterschiedlich verhalten und kann daher im Unternehmen an verschiedenen Orten eingesetzt werden. Seine Leistungsabgabe hängt auch von seinem Willen ab. Ein Mensch kann nie vollständig ‚beherrscht‘ werden, er ist jedoch bis zu einem gewissen Grad beeinflussbar. Ein Mensch ist grundsätzlich nicht kaufbar. Der Mensch stellt nur seine Arbeitskraft gegen Entgelt zur Vefügung. Somit ist er an Entscheidungen wie Eintritt, Einsatz und Austritt mitbeteiligt (Ulrich, 1970, S. 246 f.). „Ein in erster Linie auf monetäre Anreize gerichtetes Modell bildet keine ausreichende Grundlage für die Lösung personalwirtschaftlicher Probleme, weil es psychologische und soziologische Determinanten des Arbeitsverhaltens weitgehend ausklammert.“ (Kupsch/ Marr 1991, 732) In vielen Unternehmen stellen Personalkosten einen wesentlichen Teil der Gesamtkosten dar (Steria Mummert Consulting 2010). Mitarbeiter kosten, sind aber auch sehr wertvoll (Sims et al. 2015, S. 80). Aufgabe des Personalmanagements ist es neben der Koordination der Personalressourcen, sowohl die Bedürfnisse der Mitarbeiter als auch die des Unternehmens in die Übereinstimmung zu bringen. Daraus können sich Zielkonflikte ergeben. Bartscher et al. unterteilt die Ziele des Personalmanagements in Wirtschaftliche Ziele: Die menschliche Arbeit soll so effizient wie möglich eingesetzt werden, damit die Erwartungen der Kapitalgeber der Unternehmen befriediget werden können. Hier wird die menschliche Arbeit als Produktionsfaktor verstanden. Soziale oder humanitäre Ziele: Die Arbeitsumstände für alle Mitarbeiter sollen bestmöglich gestaltet sein. Diese Ziele können bspw. durch Arbeitsplatzsicherheit, familienfreundliche Arbeitsplätze, eine qualitativ gute Kantine, angemessene Bezahlung etc. realisiert werden. Sonstige Ziele: Unterschiedliche Interessengruppen tragen volkswirtschaftliche, rechtlich und ethische Ziele an die Unternehmen heran. Unter volkswirtschaftlichen Zielen kann ein Beitrag der Unternehmen zum Gemeinwohl einer Gesellschaft, wie z. B. Bereitstellung von Ausbildungsplätzen, Beschäftigung von Behinderten etc. verstanden werden. Rechtliche Ziele können bspw. sein, die Zahlung eines Mindestlohns, die Einhaltung der gesetzlich geregelten Arbeitszeiten und die Gewährung von Elternzeit. <?page no="471"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 471 Neue Betriebswirtschaft Ethische Ziele können Vertraulichkeit, Verschwiegenheit, Gleichbehandlung, Einhaltung von allgemeingültigen Wertung und Normen sein (Bartscher et al. (2012, S. 61 f.)). In 2014 waren weltweit 3,2 Mrd. Menschen in angestellten Arbeitsverhältnissen tätig (Sims et al. 2015, S. 79). Unter Human Resource Management wird die Planung, Realisierung und Kontrolle von Prozessen, die das notwendige Humankapital im Unternehmen bereit- und sicherstellen, verstanden. Beim Humanitätsprinzip stehen der Mensch und seine Bedürfnisse im Vordergrund. Die Erfüllung des Prinzips zeigt sich unter anderem in humanen Arbeitsbedingungen, sicherer Führung und Anerkennung. Der Mensch gilt hierbei als wichtigste Ressource. Er gilt nicht als Kostenfaktor, sondern als langfristige Investition. ´Denn nur wer qualifiziertes Personal an den richtigen Stellen hat, kann langfristig erfolgreich sein. Personal ist weit mehr als ein Kostenfaktor - es ist der entscheidende Faktor, der über Erfolg oder Misserfolg entscheidet‘. (www.personal-wissen.de, abgerufen 30.5.2017). Google betrachtet Mitarbeiter als wertvollstes Kapital und nennt die HR- Abteilung deshalb People Operations (POPS). Google bietet viele attraktive Vergünstigungen, um Mitarbeiter zu finden, zu halten und zu entwickeln (Sims et al., 2015, S. 79). Der HR-Business-Partner ist eine andere neuere Form des Personalmanagements. Das HR- Business-Partner-Modell nach Dave Ulrich orientiert sich an der unternehmerischen Praxis und soll Unternehmen helfen, ihr Personalmanagement businessorientiert aufzustellen, Prozesse zu optimieren und Veränderungen zu behandeln. Dieses Modell ist eher strategisch ausgerichtet (https: / / www.dgfp.de/ qualifizierung/ kompetenz-und-karriereentwicklung/ hr-busi ness-partner/ ). Theoretische Grundlagen Lernziele In diesem Abschnitt lernen Sie die theoretischen Grundlagen des Personalmanagements kennen. Sie erkennen, dass die Grundlagen schon in der Klassik gelegt wurden und wissen, dass Henry Ford und Frederick W. Taylor (ein bekannter US-amerikanischer Ingenieur) mit der Anwendung des Flussprinzips bedeutende Erkenntnisse für das Personalwesen und auch für das Management generell gewonnen haben. Theorie der wissenschaftlichen Betriebsführung Scientific Management gilt nach Schmeisser et al. (2013, S. 11ff.) als Vorläufer eines funktionsorientierten Personalmanagements bzw. „Generellen Managements“. Schon Adam Smith erkannte mit seinem berühmten Stecknadelbeispiel den hohen Wert der Arbeitsteilung und kann somit als Grundstein für einen Industriebetrieb gelten. Stecknadelbeispiel von Adam Smith: Ein Arbeiter kann ohne Arbeitsteilung höchstens eine, jedoch keine 20 Stecknadeln pro Tag herstellen. Die Produktion einer Stecknadel beinhaltet 18 verschiedene Arbeitsgänge pro Stecknadel. Wenn die Arbeit geteilt wird, d.h. ein Arbeiter zieht den Draht, der andere steckt ihn, ein anderer schneidet ich, ein vierter spitzt ihn zu etc., können 10 Arbeiter 48.000 Stecknadeln pro Tag herstellen. Die Begründung für die enorme Pro- <?page no="472"?> 472 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft duktivitätssteigerung liegt in der größeren Geschicklichkeit des einzelnen Arbeiters, da er nur noch eine oder wenige Handgriffe ausführen muss, in der Zeitersparnis, da kein Wechsel von einer Tätigkeit zur anderen stattfindet, und der Erfindung von Neuerungen. Neben der Arbeitsteilung wird auch die Erfindung von Kraftmaschinen für die Produktionssteigerung in den Fabriken verantwortlich gemacht. Durch die erhöhte Produktivität sanken die Personalkosten und die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen wurde verbessert. Bedingt durch die Gewerbefreiheit in einer freien Marktwirtschaft in England war es möglich, in Massenproduktionen auch un ge ler nt e Mitarbe ite r zu bes ch äft ig e n, w ie Ta ge lö hne r, F rau en und Kind er , die teilw eise für ‚Hungerlöhne‘ arbeiteten. Dasselbe Phänomen kann lt. Schmeisser et al. auch heute noch zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern bei multi- und transnationalen Unternehmen festgestellt werden, wenn eine Verlagerung der Produktion von Hochin Niedriglohnländern vorgenommen wird (2013, S. 13). Der Ingenieur F. W. Taylor unersuchte mit Hilfe der aus den Naturwissenschaften entlehnten Methoden Arbeitsprozesse systematisch, vor dem Hintergrund des Menschenbildes des homo oeconmicus, des rational handelnden Menschen, der auf Nutzenmaximierung in rein materieller Form handelte. Das Ziel des Unternehmens ist es, den Menschen möglichst produktiv einzusetzen und Störfaktoren, die die Zielrealisierung behindern könnten, aufzuräumen. Folgende Instrumente dienen hierzu: Y Radikale Arbeitsteilung: Je weniger anspruchsvoll die ausgeübte Tätigkeit ist, desto größer ist die Lern- und Erfahrungskurve von Arbeitnehmern. Somit ist die Produktivität der Arbeit umso höher je höher der Spezialisierungsgrad ist. Y Strikte Trennung von Leitungs- und Ausführungstätigkeiten: Leitungstätigkeit gilt eher als geistige Arbeit und Ausführungstätigkeiten gelten ehr als körperliche Arbeit. Eine Vermischung der beiden würde nach Taylor die Vorteile der Arbeitsteilung reduzieren und zu einem Produktivitätsverlust führen. Y Optimierung von Arbeitsvollzug und Arbeitswerkzeugen: Hier geht es um Zeit- und Bewegungsstudien. Taylor stoppte die Arbeitszeit schon mit einer Stoppuhr. Unnötige Bewegungen sollen vermieden werden. Vorgabezeiten für die Ausführungen einzelner Tätigkeiten sollten ermittelt werden, die dann zur Grundlage der Entgeltgestaltung und Personalbedarfplanung dienen. Y Aufgabenorientierte Personalauswahl und -entwicklung: Taylor legte großen Wert auf die Identifikation und Förderung tätigkeitsspezifischer Eignungen der Arbeiter. Diese bilden die Grundlage für die Personalauswahl und -entwicklung. Y Leistungsorientierte Entgeltpolitik: Durch die erhöhte Produktivität könne nach Taylor das Unternehmensziel einer hohen Arbeitsproduktivität mit dem Mitarbeiterziel nach einer möglichst hohen Entlohnung in Einklang gebracht werden und bildet die Grundlage für eine leitungsorientierte Entgeltpolitik. Es wurden Normalzeiten als Grundlagen für einen Normallohn ermittelt, dieser konnte durch eine individuelle Leistungssteigerung erhöht werden (Akkordlohn). Y Einheitlichkeit der Auftragserteilung: Die Einheitlichkeit der Auftragserteilung geht auf die klassische betriebswirtschaftliche Organisationstheorie von Henry Fayol (1916) zurück (Holtbrügge 2015, S. 9f.). <?page no="473"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 473 Neue Betriebswirtschaft Schaufelbeispiel von F. W. Taylor Taylor fand heraus, dass wenn ein Arbeiter die passende Schaufelgröße hat und dabei die richtigen Körperbewegungen ausführt, dieser pro Tag im Durchschnitt 25 bis 35 Tonnen Kohle mehr schaufeln kann. Zudem war die Arbeit auch nicht so anstrengend, so dass der Arbeiter abends noch an seinem Privathaus bauen konnte (Taylor 1913, S. 68). Zu Taylors Zeit galt Arbeit in erster Linie als Leid, welches monetär kompensiert wird. Taylor glaubte, dass die Mitarbeiter motiviert sind, wenn die monetäre Entlohnung ihrer Arbeit hoch genug ist. Diese Idee wurde zum Leitmotiv der Führungsstrategie in den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts (Schreyögg & Koch 2015, S. 326; Nickels et al. 2015, S. 271). Auch heutzutage gibt es Unternehmen, welche sich die Idee des Scientific Managements von Taylor zu Nutze machen. United Parcel Service (UPS) beispielsweise schreibt ihren Mitarbeitern vor, wie sie aus ihren Trucks aussteigen sollen (mit dem rechten Fuß zuerst), wie schnell sie gehen sollen (ca. einen Meter pro Sekunde), wie viele Pakete sie pro Tag abholen und ausliefern sollen (im Durchschnitt 400) und sogar wie sie ihre Schlüssel zu halten haben (Zinken nach oben, Mittelfinger). Das Unternehmen glaubt davon zu profitieren, dass ihre Mitarbeiter nicht nachzudenken brauchen, sondern ihren Job automatisch erledigen (Nickels et al., 2015, S. 271f.). Henry Ford setzte das Fließkonzept für die Herstellung seiner Autos ein. In der Massenproduktion wurde in der Ford Motor Company das Automodell T erstellt. Es wurden 16 Millionen Auto hergestellt, wobei die Farbe egal war, Hauptsache sie war „schwarz“. Das T-Modell ‚Lizzy‘ wurde für 800 Dollar verkauft, der sonst übliche Preis für Automobile in Einzelfertigung betrug 5000 Dollar. Taylor legte mit seinen Grundlagen des Scientific Management die Basis für die Massenproduktion in dem Massenmarkt der Automobilbranche (Schmeisser et al. 2013, S. 13). Henry Ford und Frederick W. Taylor gelten als Entwickler und Umsetzer des nachhaltigsten und seit über 100 Jahren berühmtesten Unternehmensführungsmodells. Übung 1: Beschreiben Sie mit Ihren Worten die taylorschen Instrumente, um den Menschen möglichst produktiv einzusetzen und Störfaktoren zu minimieren. Im Scientific Management wurde erstmals die systematische Effizienz von Arbeitsabläufen untersucht und legte somit Anfang des 20. Jahrhunderts die Grundlagen für eine Massenproduktion. Als Kritikpunkte des Taylorismus gelten die Monotonie der Arbeit, das Zweiklassenmodell (ausführende und leitende Tätigkeiten, wonach der eine denkt und der andere nur ausführt), im 21. Jahrhundert werden eher tätigkeitsübergreifende Schlüsselqualifikationen gefragt. Zudem ist eine Einkommensmaximierung nicht das alleinige Ziel vom Menschen (Holtbrügge, 2015, S. 11 f.). Übung 2: Welche Vor- und welche Nachteile hat das tayloristische System? VVeerrhhaal ltteen nss-uunndd aarrbbeeiittssppssyycchhoollooggiisscchheerr AAnnssaat tzz d deess PPeerrs soon naal lmmaannaag geem meenntts s Lt. Schmeisser et al. liegt der Ansatz des Personalmanagements in den letzten 40 Jahren vermehrt auf die Personalentwicklung. Seit den Hawthorne-Studien wirken der Ansatz des „Verhaltens- und arbeitspsychologischen Personalmanagementansatzes“ auf das funktionsorientierte Personal- <?page no="474"?> 474 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft management, um eine bessere Anbindung der Mitarbeiter an das Unternehmen zu bewirken. Durch die Personalentwicklung wird versucht, die Mitarbeiter zu motivieren und die Arbeit im Unternehmen zu akzeptieren. Zudem soll eine Anpassung an veränderte gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen von Organisation und auch Personal erfolgen. Durch die zunehmende Bildung sind Mitarbeiter nicht mehr gewillt im tayloristischem System einer Organisation zu arbeiten, so dass die hohe Arbeitsteilung mehr und mehr an Bedeutung verliert. Die Humanisierung der Arbeit wird seit den 1960er und 1970er Jahren inkl. der Personalentwicklung und der Humankapitaldiskussion diskutiert. Der Schwerpunkt liegt hierbei darauf, wie Personalfördermaßnahmen für einen optimalen Personaleinsatz geplant, organisiert, implementiert und evaluiert werden können (Schmeisser et al. 2013, S. 17f.). H Huummaann--RReellaatti ioonnss--AAnnssaattzz Zahlreiche Experimente in den Jahren 1924 bis 1934 der Psychologen Mayo und Roethilisberger gelten als Ausgangslage des Human-Relations-Ansatzes. In diesen Experimenten sollte der Nachweis erbracht werden, dass die Produktivität der Arbeit durch eine Variation der Arbeitsbedingungen positiv verändert werden kann. So wurde bspw. die Beleuchtung verändert. Wie es in der Theorie der Wissenschaftlichen Betriebsführung bereits postuliert wurde, stiegen die Leistungen der Mitarbeiter an. Jedoch stiegen die Leistungen der Kontrollgruppe ebenfalls an, die jedoch unter unveränderten Bedingungen arbeitete. Nachdem die positiven Veränderungen der Arbeitsbedingungen zurückgenommen wurden stiegen die Leistungen aller Mitarbeiter noch einmal auf einen absoluten Höchststand an, auf dem sie mehrere Wochen verblieben. Damit hatten die Forscher keinesfalls gerechnet. Die Interpretation der Forscher war, dass nicht nur die objektiven Arbeitsbedingungen eine Rolle spielen (entgegen der Annahme von Taylor), sondern im stärkeren Maße auch die sozialen Bedingungen. Nur schon durch die Anwesenheit der Forscher verbesserte sich das Arbeitsklima, da sie in Gesprächen kundtaten, dass sie sich um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen bemühten (Hawthorne-Effekt). Die Kernaussage des Human-Relations-Ansatzes ist, dass durch die Verbesserung der sozialen Beziehungen (informelle Kommunikation, Gruppendynamik) und der sozialen Bedingungen (Altersvorsorge, Sportstätten, Kinderbetreuung, Cafeteria) die Zufriedenheit der Mitarbeiter gesteigert wird und dieses wiederum zu einer Erhöhung der Arbeitsleistung führt (Holtbrügge 2015, S. 12 f.). F Fiinnaan nzzoorriieen nttiieerrttee PPeerrsso onnaal lwwiirrttsscchhaafftt Dieser Ansatz bedient sich der klassischen Instrumente und Daten des Rechnungswesens, um sie auf die Personalwirtschaft anzuwenden. Lt. Schmeisser et al. lassen sich viele Funktionen im Personalmanagement mit quantitativen Methoden der Finanzwirtschaft und dem Controlling rechnen und entscheidungsorientiert darstellen, wodurch Personalentscheidungen besser begründbar werden. Hier wird die Frage beantwortet, welchen Beitrag die Belegschaft zur Wertschöpfung eines Unternehmens leistet. Das Berliner Humankapitalbewertungsmodell und die Berliner Balanced Scorecard verhelfen diesen Ansatz zu einer Anwendung in der Praxis (Schmeisser 2013, S. 19f.), denn das Berliner Balanced Scorecard Modell kann als strategisch-operativer Bezugsrahmen dienen, mit dessen Hilfe Cash-Flow generierende Unternehmensbereiche detailliert geplant, gesteuert und kontrolliert werden können (Schmeisser (2009, S. 282). <?page no="475"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 475 Neue Betriebswirtschaft Abb. 15-1: BSC-Ansatz zur Rechenbarkeit. Eigene Darstellung in Anlehnung an Schmeisser, 2002 und 2013, S. 120 Management Summary Arbeitsteilung führt zur Produktivitätssteigerung, wie das Stecknadelbeispiel von Adam Smith ganz deutlich zeigt. Taylor setzte die Arbeitsteilung konsequent um, was ihn jedoch nicht immer beliebt machte. Der Schwerpunkt beim verhaltens- und arbeitspsychologischen Ansatz liegt lt. Schmeisser et al. auf Personalfördermaßnahmen für einen optimalen Personaleinsatz (2013, S. 17f.). Der Human Relations-Ansatz zeigt auf, dass die Produktivität der Arbeit durch eine Variation der Arbeitsbedingungen positiv verändert werden kann. Schmeisser et al. zeigen auf, dass sich viele Funktionen im Personalmanagement mit quantitativen Methoden der Finanzwirtschaft und dem Controlling rechnen und entscheidungsorientiert darstellen lassen, wodurch Personalentscheidungen besser begründbar werden, dies ist der Ansatz des finanzorientierten Personalwesens. Personalwirtschaftliche Kernaufgaben Lernziele ! Sie wissen, dass es im Personalwesen eine grundsätzliche Unterscheidung in Bereitstellungs- und Führungsaufgaben gibt. ! Sie kennen die normalen Prozesse der Mitarbeitergewinnung, -einstellung und -entlassung und deren Fallstricke. <?page no="476"?> 476 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft Die Kernaufgaben lassen sich in Bereitstellungs- und Führungsaufgaben untergliedern. 15.3.1 Bereitstellungsaufgaben Bei den Bereitstellungsaufgaben steht am Ausgangspunkt die Frage: Welche Aufgaben müssen erfüllt werden? Für die zu erfüllenden Aufgaben müssen Mitarbeiter akquiriert, eingestellt und eingegliedert werden. Bereitgestellt werden sollen neben dem Personal die erforderlichen Qualifikationen des Personals und Anreize zur Motivation des Personals. Personalbereitstellung Personal soll zur betrieblichen Aufgabenerfüllung bereitgestellt werden. Die Gesamtheit aller zur Erfüllung der Unternehmensaufgabe erforderlichen Arbeitskräfte richtet sich nach dem Leistungsprogramm der Unternehmung, den Verfahren bzw. der Art der Leistungserstellung (Handwerk oder arbeitsteilige industrielle Fertigung), dem Mechanisierungsgrad, dem Organisationskonzept, den externen Einflussfaktoren (gesetzliche + tarifliche Vorgaben), dem Wandel der gesellschaftlichen Wertstrukturen, den branchentypischen Entwicklungen, den gesamtwirtschaftlichen bzw. konjunkturellen Einflüssen und den technischen Änderungen. Der erforderliche Bedarf an Personal muss ermittelt werden (Weber et al. 2014 S. 296f.). Die Bestimmung des Personalbedarfs gilt als Scharnier zwischen Personal- und Unternehmensplanung. Personalbedarf Unterschieden wird zwischen Brutto- und Nettopersonalbedarf. Der Brutto-Personalbedarf ist der Soll-Personalbestand, der erreicht werden soll, z.B. wenn eine neue Fabrik mit Personal bestückt werden muss. Vom Brutto-Personalbedarf ist der derzeitig vorhandene Personalbestand (Ist- Personalbestand) abzuziehen. Das Ergebnis ist der Netto-Personalbedarf, der den erwarteten Personalbedarf darstellt: Brutto-Personalbedarf ./ . Ist-Personalbestand = Netto-Personalbedarf (Weber et al., 2014, S. 298). Die Bestimmung des Brutto-Personalbedarfs kann mittels der qualitativen und quantitativen Methode erfolgen: a) Qualitative Methode: Bei der qualitativen Methode wird der künftige Personalbedarf im Hinblick auf die Qualifikation erhoben. Er ermittelt Kenntnisse, Fähigkeiten, Verhaltensweisen über die das Personal verfügen soll. Grundlage zur Ermittlung des qualitativen Personalbedarfs ist die Arbeitsanalyse (Weber et al., 2014, S. 298). Eine Arbeitsanalyse ist die systematische Untersuchung der zu lösenden Aufgaben bezüglich Arbeitsobjekt, Arbeitsmittel und Arbeitsvorgänge. Anhand der Arbeitsanalyse werden die Anforderungsarten der zu lösenden Aufgaben sowie deren Umfang festgelegt (Thommen et al. 2017, S. 383). b) Quantitative Methode: Hier werden Aussagen über die Menge des zu erwartenden Arbeitsanfalls in Ableitung aus bestehenden Planungen (z.B. Organisationsplan, Zeitstudien) gemacht (Weber et al. 2014, S. 298). Die Ermittlung des Personalbedarfs in der Praxis könnte folgendermaßen aussehen: Einsatzbedarf S Was wird zur unmittelbaren Aufgabenerfüllung für bestehende Kapazitäten benötigt? Hier geben die Aufgabenanalyse und der Stellenplan Auskunft. + Neubedarf <?page no="477"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 477 Neue Betriebswirtschaft S Beim Neubedarf werden die Mitarbeiterzahlen ermittelt, die zur unmittelbaren Aufgabenerfüllung für zusätzliche Kapazitäten erforderlich sind. Diese Daten liefern der Geschäftsplan, ebenso die Aufgabenanalyse und der Stellenplan. + Reservebedarf S Mithilfe von Krankenstatistiken und Urlaubsplänen wird der Reservebedarf zur Überbrückung unvermeidbarer Ausfälle z.B. Krankheit/ Urlaub ermittelt. + Ersatzbedarf S Ersatzbedarf ist das Personal, welches zum Ersatz von Abgängen z.B. wegen Pensionierung, Versetzung, Kündigung erforderlich ist. Es wird mithilfe von Statistiken über Ersatzbedarf und der Laufbahnplanung ermittelt. - Freistellungsbedarf S Der Freistellungsbedarf wird mithilfe des Geschäftsplans, der Aufgabenanalyse und des Stellenplans zur Anpassung an geringere Beschäftigung ermittelt. _______ ________________________________________________________________ = Bruttopersonalbedarf im Zeitpunkt t n (= Soll-Personalbestand in t n ) ./ . Personalbestand im Zeitpunkt t 0 + Personalabgänge im Zeitraum t 0 bis t n S feststehende Abgänge (Pensionierungen, Kündigungen), statisch zu erwartende Abgänge (Invalidität, Todesfälle, Fluktuation) S Auswirkungen getroffener Entscheidungen (Versetzungen, Beförderungen) ./ . Personalzugänge (feststehende) im Zeitpunkt t 0 bis t n = Nettopersonalbedarf (zusätzlich zum vorhandenen Personalbestand) notwendige Mitarbeiter unter Berücksichtigung der Fluktuation (erwarteter Personalbedarf) (Wöltje 2010, S. 113f.) Beim Bruttobedarf handelt es sich um den gesamten Personalbedarf in einem bestimmten Zeitraum. Der Nettopersonalbedarf stellt den Personalbedarf zusätzlich zu dem vorhandenen Personal dar. Die Fluktuation wurde berücksichtigt (Thommen 2017, S. 380). Übung 3: Unterscheiden Sie zwischen Brutto- und Nettopersonalbedarf. Mit den folgenden Kennzahlen lässt sich der Personalbedarf errechnen: Personalbedarf = Arbeitsmenge Leistungsfähigkeit/ Mitarbeiter = Arbeitsmenge x Zeitbedarf pro Arbeitsvorgang übliche Arbeitszeit pro Arbeitskraft (Wöltje, 2010, S. 114) Personalbeschaffung (Recruiting) Aufgabe der Personalbeschaffung oder des Recruitings ist es, die in der Personalbedarfsermittlung festgestellte Unterdeckung zu decken (Thommen et al. 2017, S. 388). Der Trend geht eher zum Contracting anstatt Recruiting. Der Begriff »Contracting« stammt von dem englischen Wort »Contract« (= Vertrag) und bedeutet im ursprünglichen Sinn: Einen Vertrag abschließen. Im deutschsprachigen Raum hat sich dieser Begriff für eine spezielle Art von vertraglichen Vereinbarungen etabliert. Unter Contracting versteht man im Energiesektor Dienstleistungskonzepte zur Realisierung von Ef- <?page no="478"?> 478 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft fizienzverbesserungen in Energieerzeugungsanlagen. (https: / / www.ove.de/ 2-energie-contract ing/ 5-contracting-faq.php, abgerufen 16.10.2017). Im Personalwesen soll ebenfalls eine Effizienzverbesserung erzielt werden und eine andere, nettere und offenere Form der Personalbeschaffung (im Gegensatz zur klassischen Personalbeschaffung) eingeführt werden. Das Personalbeschaffungspotenzial sind die Arbeitskräfte oder potenziellen Arbeitskräfte, die zur Besetzung der Stelle zur Verfügung stehen. Dieses Potenzial setzt sich aus Insidern, Arbeitnehmern, die schon im Unternehmen beschäftigt sind, und Outsidern, Arbeitnehmer, die außerhalb des Unternehmens tätig sind, zusammen. Bei der externen Personalbeschaffung kann es zu Neueinstellungen oder zum temporären Einsatz von Arbeitskräften kommen (Thommen et al., 2017, S. 388). Die Personalbeschaffung kann intern (im Unternehmen) und extern (außerhalb des Unternehmens) durchgeführt werden. Die externe Personalbeschaffung durchläuft in der Regel die folgenden Schritte: ! Analyse des Personalbeschaffungspotenzials Hier wird zwischen latentem Potenzial, welches nur mit besonderen Anstrengungen als neue Mitarbeiter erwerbbar ist (Nicht-Berufstätige) und offenem Potenzial (auf dem Arbeitsmarkt verfügbare Kräfte) unterschieden. Informationen können aus Arbeitsmarktstatistiken und Veröffentlichungen von Kammern und Verbänden bezogen werden. ! Kontaktaufnahme mit den in Frage kommenden Personen (Mitarbeiterakquisition) Das Ziel der externen Akquisition (auch Personalwerbung genannt) ist, geeignete Personen zu einer Bewerbung zu veranlassen. Dieses kann geschehen durch Stellenanzeigen, Auswertungen von Stellengesuchen, Arbeitsvermittlern, Jobmessen, Head Huntern und Career Centern u. ä. ! Personalauswahl (siehe 15.3.1.2) ! Einstellung und Eingliederung der neuen Mitarbeiter (siehe 15.3.1.2) (Weber et al. 2014, S. 295 ff.) Die systematische Suche von Führungskräften des mittleren und oberen Managements wird als Executive Search bezeichnet. Die Kontaktaufnahme geschieht häufig durch eine direkte Kontaktaufnahme mit den möglichen Kandidaten. Häufig bedeutet diese Methode ein Abwerben vom bisherigen Arbeitgeber. Executive Search empfiehlt sich, wenn ein diskretes Vorgehen erforderlich ist und Stelleninserate von Anfang an aussichtslos sind. Diese Art der Akquisition wird heute von vielen Personal- und Unternehmensberatungen angeboten (Thommen et al., 2017, S. 389). „Stellen Sie Leute ein, die klüger sind als Sie, und gehen Sie ihnen aus dem Weg.“ (Harald Schulz, CEO von Starbucks (Sims et al. 2015, S. 80) Mit Personalwerbung wird versucht, geeignete Kandidaten für ein Unternehmen zu finden. Personalwerbung kann als Teil der Public Relation gesehen werden (Thommen et al. 2017, S. 388). Es können Stellenanzeigen in Zeitungen oder Fachzeitungen geschaltet werden oder die heute häufigere Variante sind Anzeigen auf Jobbörsen wie Stepstone, Monster etc. Weiterhin können Personalvermittlungsagenturen zwischen geschaltet werden, diese sprechen den Mitarbeiter an, führen die erste Vorauswahl durch, bevor der potenzielle Kandidat das Unternehmen betritt. Die Entscheidung, ob der Kandidat eingestellt wird, wird im Unternehmen gefällt. Der neue Mitarbeiter kann als Festangestellter, befristet Angestellter oder als Mitarbeiter der Personalagentur anfangen. Bei bestandener Probezeit geht das Arbeitsverhältnis dann in der Regel vom Personalvermittler auf das Unternehmen über. <?page no="479"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 479 Neue Betriebswirtschaft In diesem Zusammenhang wird häufig der Terminus Employer Branding benutzt. Employer Branding steht dafür, dass ein Unternehmen als Arbeitgeber zu einer Marke wird und somit theoretisch im Marketing verankert ist. Eine Marke verspricht Qualität (Bartscher 2012, S. 360). Employer Branding wird definiert als „die Profilierung und Positionierung eines Unternehmens als Arbeitgeber auf den relevanten Zielmärkten, verbunden mit der Zielsetzung, ein unverwechselbares Vorstellungsbild als attraktiver Arbeitgeber in der Wahrnehmung seiner internen und externen Zielgruppen (künftige, potenzielle, aktuelle, ehemalige Mitarbeiter) zu realisieren“ (Beck 2008, S. 28) Bedingt durch die Anforderungen des Arbeitsmarktes müssen sich Unternehmen verstärkt um Mitarbeiter bemühen (Eller 2015, S. 3). Eine schnelle Karriere und ein gutes Gehalt reichen nicht, um zum Arbeitgeber erster Wahl oder zum ‚nice place to work‘ zu werden (Bartscher 2012, S. 360). Dass die Unternehmen sich die Bewerber aussuchen, ist Geschichte; heute und künftig suchen sich die Bewerber die Unternehmen aus (www.humanresourcemanager.de). Die Ansprüche junger Menschen an das Erwerbsleben waren noch nie so hoch wie heute (http: / / www.e-fellows.net/ Karriere/ Beruf-und-Karriere/ Talentierte-junge-Arbeitskraefte). Häufig passen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbild nicht überein. Der Arbeitgeber nimmt an, dass seine Arbeitnehmer hoch motiviert sind, ihr Unternehmen zu 94 % weiterempfehlen, gern über ihr Unternehmen reden und denken, der Ruf als Arbeitgeber wäre sehr gut. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Eine Studie der Stepstone-Plattform fand heraus, dass Mitarbeiter selten hoch motiviert sind, ihr Unternehmen nur zu 14 % weiterempfehlen und über 60 % der Arbeitnehmer gar nicht über ihr Unternehmen reden. Das ist umso bedauerlicher für die Arbeitgeber, da persönliche Kontakte als wichtigste Quelle für die Suche nach neuen Arbeitgebern gelten. Zudem ist Geld für die Arbeitnehmer nicht alles, eine gute Arbeitsumgebung und Ausstattung sind häufig wichtiger als eine gute Bezahlung. (stepstoneemployerbrandingstudie) Hier wird die Zweifaktorentheorie von Herzberg (siehe 15.3.4) bestätigt, wonach die Bezahlung eher ein Hygienefaktor und kein Motivator ist, nach dem Motto: gute Arbeit verlangt gutes Geld und das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Glanzvolle Werbeanzeigen reichen nicht, um Mitarbeiter zu binden. So etwas wird heute nicht mehr geglaubt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind heute auf gleicher Augenhöhe. Junge, gut ausgebildete Arbeitnehmer haben die Wahl, Arbeitnehmer werden häufiger wechseln und dies erst im letzten Moment kundtun. „Eine Arbeitgebermarke ist nicht das, was ein Personalchef gerne über sein Unternehmen hören würde, sondern das, was Mitarbeiter und Kandidaten tatsächlich über einen Arbeitgeber denken und sagen.“ (wiwo 2015). Eine Arbeitgebermarke wird als schwach bezeichnet, wenn keine Jobsicherheit besteht (53 %), Teams nicht gut zusammenarbeiten oder schlechte Leistungen erbringen (50 %), die Führungsmannschaft einen schlechten Ruf hat (44 %), über aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter schlecht gesprochen wird (37 %), es im Unternehmen nur beschränkte Möglichkeiten der Karriereentwicklung gibt (34 %) (Befragung LinkedIn n-1005). Aber wie kann man zum Arbeitgeber erster Wahl werden? Der ganze Mensch will wahrgenommen werden. Was haben wir, was andere nicht haben? Work-Life-Balance, Home Office, Kinderbetreuung, Weiterbildung, Aufstiegschancen hat fast jeder Arbeitergeber. Das sind die sogenannten ‚Must-Have- Faktoren‘. Um zum ‚nice place to work‘ zu werden, muss für die Arbeitnehmer ein Versprechen herausgearbeitet werden, das häufig emotional ist, wie bspw. Faszination Flughafen, der Flughafen als spannender Arbeitsplatz, den man schon als Kind liebte und an dem man nun jeden Tag arbeiten darf ! (www.humanresourcesmanager.de) Arbeitszeit ist Lebenszeit, Kollegen werden zu Freunden, Büros zu Wohlfühloasen. <?page no="480"?> 480 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft Gute Führung ist sehr wichtig, um eine starke Arbeitgebermarke zu werden, denn schlechte Führung kostet und die Leidenschaft ‚dümpelt‘. Moderne Manager müssen Charakterstärke und Moral zeigen, Unternehmen müssen lt. Dämon (2015) ‚anständig sein‘. Human Capital ist wichtiger als Kapital (www.gruenderszene.de). Man sollte Arbeitnehmer befragen, was sie wünschen und langfristig denken! Die neue Kohorte Erwerbstätiger möchte einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen, geleitet und motiviert, gefördert und gefordert werden - und dabei Spaß haben. Sie will Karriere machen, aber nicht um jeden Preis. Die klassische Denkweise im Personalwesen muss überdacht werden: Schreibt ein Unternehmen eine Bewerbung an den zukünftigen Arbeitnehmer seiner Wahl? Geht der Personalchef zu einem Vorstellungsgespräch zu dem Arbeitnehmer nach Hause? Lässt der zukünftige Arbeitnehmer den Personalschef in der völligen Ungewissheit nach dem Gespräch? Auf der Beliebtheitsskala für Deutschlands Arbeitgeber steht 2017 Zalando auf Platz 1 gefolgt von McKinsey und Rocket Internet (http: / / www.manager-magazin.de/ fotostrecke/ die-begehr testen-arbeitgeber-2017-in-deutschland-fotostrecke-147557-9.html, abgerufen 22.11.2017). Der weltweit beliebteste Arbeitgeber ist Google, gefolgt von Wegmans Food Markets, und an dritter Stelle liegt BCC (The Boston Consulting Group) (http: / / www.finanzen.net/ top_rank ing/ top_ranking_detail.asp? inRanking=1596&inPos=21). Aber was machen die beliebten Arbeitgeber besonders gut? Google bspw. tut viel, dass seine Marke strahlt. „Das Unternehmen punktet durch verschiedene Vergünstigungen und eine Quasi-Rundumversorgung der Mitarbeiter. Drei Bio-Mahlzeiten pro Tag, unbegrenzte Snacks, Fitnesskurse, Ölwechsel, Friseure, kostenlose Fahrradreparatur und eine Waschküche sind weitere Benefits, die den Angestellten zur Verfügung stehen. „Wir kümmern uns um dich. Um deine Gesundheit und dein körperliches, seelisches, soziales und finanzielles Wohl. Kreativität, Jobsicherheit, Freizeit“ sind Selbstverständlichkeiten, so sagt es Google (www.google.de/ wiwo). Wegmans Food Markets ist ein Familienunternehmen. „Mit Impfungen, Yoga-Stunden, Kochkursen und einem Wellness-Center kümmert sich das Unternehmen sehr um die Gesundheit und das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter. Diese fühlen sich allem Anschein nach auch wohl (http: / / www.finanzen.net/ top_ranking/ top_ranking_detail.asp? inRanking=1596&inPos=21). Die Grundbedingungen müssen vom Arbeitergeber erfüllt werden, wie feste Arbeitsverträge, Altersversorgung, Ausbildung, Weiterbildung, Personalentwicklung, gute Führung, was regelmäßiges Lob und Anerkennung (Wertschätzung, Kontinuität, inhaltliche Klarheit, die aktive interdisziplinäre Unterstützung durch die Führungskräfte beinhaltet (www.TÜV-Rheinland.de). Führung ist ein Hebel zum Erfolg und gute Arbeit verlangt ein gutes Gehalt. Darauf wird dann ein emotionales Versprechen gelegt, so dass die Mitarbeiter jeden morgen mit aufrechtem Haupt durch die Eingangstür ihres Unternehmens gehen nach dem Motto: Ich bin stolz, zur XY-Unternehmensgruppe zu gehören. Fazit: Das Arbeitgeberbild passt nicht immer mit dem Arbeitnehmerbild eines Unternehmens überein. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbild müssen übereinstimmen, erst dann wird weiterempfohlen und eine Identifikation mit dem Unternehmen wird hergestellt. Das Markenversprechen muss eingehalten werden! Mit Employer Branding kann es gelingen, das Fremdbild mit dem Eigenbild in Einklang zu bringen. Trends der Mitarbeitersuche sind die Suche der Kandidaten auf beruflichen Networking-Websites wie LinkedIn und Xing oder sozialen Medien wie Facebook und Twitter. In den USA haben im Jahr 2013 94 Prozent der Personalfachkräfte soziale Medien zur Personalsuche genutzt (Sims et al. 2016, S. 82f.). Schätzungsweise rund 60 Prozent der Personalfachkräfte nutzen Facebook für die Erlangung zusätzlicher Informationen über die Kandidaten. Sie führen die so genannten ‚ ssoocciiaa ll mmeeddiiaa bba a cckk-- <?page no="481"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 481 Neue Betriebswirtschaft gg rroouunndd cchhe ecckks s ‘, um den Fit zwischen der Unternehmenskultur und der im Netz preisgegebenen Weltanschauungen der Kandidaten zu überprüfen (Nickels et al. 2015, S. 311). Der Kampf um die knappe Arbeitskraft, auch ‚War for Talents‘ genannt, erstreckt sich neuerdings nicht mehr nur auf die jungen Nachwuchskräfte. Angesichts der demographischen Entwicklung eröffnen Bereiche wie Elektronik und Maschinenbau neue Möglichkeiten für Mitarbeiter über 50. Laut der Studie „Abschied vom Jugendwahn? Unternehmerische Strategien für den demographischen Wandel“ der Commerzbank AG aus dem Jahr 2009 stellten rund 51 Prozent der Unternehmen in Deutschland in den letzten fünf Jahren Mitarbeiter zwischen 50 und 59 Jahren ein (Hutzschenreuter 2015, S. 310). War for Talents: Im Krieg um Talente siegen Frankfurt, Berlin, Köln, Düsseldorf und Hamburg. In Stuttgart, Leipzig und München gibt es ‚Traumjobs‘, nur keiner will hin. (Koschik, Karriere Städte-Ranking, www.Karriere.de, abgerufen 11.12.2017) Personalleasing ist eine andere Art der externen Personalbeschaffung und aus dem Arbeitsleben nicht mehr weg zu denken, da Personal-Engpasssituationen schnell und effizient beseitigt werden. Ein normaler Einstellungsprozess dauert in der Regel häufig mehrere Monate, Personalleasing kann von einem auf dem anderen Tag geschehen. Jedoch ist Personalleasing bei den Mitarbeitern nicht sehr beliebt. Bei der internen Personalbeschaffung werden Mitarbeiter aus der eigenen Belegschaft angeworben. Mitarbeiter können beispielsweise versetzt oder befördert werden. Hier kann bei der Bewerberauswahl auf aktuelle Beurteilungsgespräche mit Vorgesetzten, Gleichgestellten oder Untergebenen zurückgegriffen werden (Thommen et al. 2017, S. 389). In vielen mittleren und größeren Unternehmen wird der interne Arbeitsmarkt sehr gut gepflegt. In solchen Unternehmen kommen häufig nur Nachwuchskräfte, die relativ schnell eingearbeitet werden können, über den externen Arbeitsmarkt. Interne Personalbeschaffung kann jedoch auch im Sinne von Mehrarbeit der vertraglichen Arbeitszeit (Überstunden) erfolgen (Thommen et al. 2017, S. 388). Es gibt sowohl Vorteile der internen sowie der externen Personalbeschaffung. Welchem Arbeitsmarkt dem Vorteil gegeben wird hängt von der Personalentwicklungspolitik im Unternehmen ab. Vorteile interner Personalbeschaffung Vorteile externer Personalbeschaffung - Motivationswirkung durch Erhöhung der Aufstiegschancen besseres Betriebsklima durch die Bindung der Mitarbeiter ans Unternehmen geringeres Risiko, da Stärken und Schwächen des Bewerbers bereits bekannt sind schnellere Besetzung der offenen Position transparentere Personalpolitik geringere Beschaffungskosten - Schaffung von Aufstiegsstellen für Nachwuchskräfte kurze Einarbeitungszeit neue Mitarbeiter bringen neue Ideen und Impulse der Betriebsblindheit wird vorgebeugt, es kommen neue Ideen von außen in das Unternehmen. größere Auswahlmöglichkeit an Bewerbern keine Rivalitäten oder Neidgefühle zwischen internen Bewerbern (? ! ) - Stellenbesetzungsprobleme werden gelöst, nicht verlagert durch Versetzungen, die letztlich Vakanzen hinterlassen können externe Bewerber können höher qualifiziert sein, es entstehen somit keine Fortbildungskosten Abb. 15-2: Vorteile interner und externer Personalbeschaffung (eigene Darstellung in Anlehnung an Weber et al., 2014, S. 301.) <?page no="482"?> 482 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft Personalauswahl und Personaleinsatz Bewerber werden anspruchsvoller. Bei der Personalauswahl ist die Person aus dem Bewerberkreis auszuwählen, deren gegenwärtige oder potenzielle Qualifikationen den Anforderungen der Stelle entsprechen. Die Auswahl erfolgt nach vermuteter Eignung für die zu besetzende Stelle. Unter Eignung wird die Wahrscheinlichkeit verstanden, in diesem Beruf oder Tätigkeitsfeld erfolgreich zu sein. Manchmal ist es sinnvoll, die Stellenanforderung an den Bewerber anzupassen. Auswahlkriterien für die externe Personalauswahl sind Bewerbungsunterlagen, Interviews und Tests (Wöhe et al. 2016, S. 131). Eine Faustregel aus der Praxis besagt, wenn 60 % des Bewerberprofils mit der Stelle übereinstimmen, lohnt es sich den Bewerber anzuschauen. Eine Vorauswahl der Bewerber geschieht über die Bewerbungsunterlagen, kommt ein Bewerber in die engere Wahl folgen häufig Interviews, Tests, Assessment Center (Rollenspiele, Gruppendiskussionen, Fallstudien). Das grundsätzliche Problem bei der Bewerberauswahl ist, dass anhand einer Verhaltensstichprobe auf zukünftiges Arbeitsverhalten geschlossen wird. Häufig wird von Bewerbern ‚soziale Kompetenz‘ gefordert. Hierunter wird die Fähigkeit verstanden, sich in einem Umfeld angemessen und im Sinne der Zielereichung zweckmäßig zu verhalten (Biermann 1999, S. 180). Das Unternehmen möchte nach Thommen et al. (2017, S 389) folgende Informationen über den Bewerber: ! Leistungsfähigkeit des Bewerbers: Hier geht es um die Feststellung, inwieweit die Anforderungen der Stelle mit den Fähigkeiten des Bewerbers übereinstimmen. ! Leistungswille des Bewerbers: Es soll geklärt werden, ob der Bewerber gewillt ist, die seinen Fähigkeiten entsprechenden Leistungen zu erbringen und den Rollenerwartungen des Arbeitsgebers somit entspricht. ! Entwicklungsmöglichkeiten: Die Anforderungen und die Qualifikation des Arbeitnehmers werden selten genau übereinstimmen. Bei einer Unterdeckung muss geklärt werden, wie diese Lücke durch Weiter- oder Ausbildungsmaßnamen eliminiert werden kann, so dass der Mitarbeiter gut auf die neue Stelle vorbereitet ist. ! Leistungspotenzial: Eventuell soll der neue Mitarbeiter später eine Führungsaufgabe oder andere höherwertige Aufgaben erfüllen. Hier wird geprüft, ob der Bewerber für solche Aufgaben infrage kommt (Thommen et al. 2017, S 389). Die Auswertung von Bewerbungsunterlagen erfolgt lt. Schuler gemäß den folgenden Kriterien: [1] Formale Aspekte: Hier wird beurteilt, ob die Bewerbung ordentlich, übersichtlich, fehlerfrei und vollständig ist. Das Lichtbild spielt eine sehr große Rolle. Jedoch wird manchmal bewusst auf ein Lichtbild verzichtet. Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie, zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, sollte beachtet werden. [2] Anschreiben und Lebenslauf: Sind ein Anschreiben und ein ausführlicher oder tabellarischer Lebenslauf in der Bewerbung enthalten? Nicht unterschriebene Unterlagen werden in der Regel sofort aus dem Bewerbungsverfahren aussortiert. Im Zuge der elektronischen Bewerbung erfolgt eine elektronische Unterschrift. Fehlerfreiheit sollte selbstverständlich sein. [3] Erforderliche Ausbildung: Die erforderlichen Zeugnisse, Praktikumsnachweise und sonstige Bescheinigungen wie z.B. ein ausbildungsbedingter Auslandsaufenthalt sollten in der Bewerbung enthalten sein. [4] Erforderliche Spezialkenntnisse: Falls erforderliche Spezialkenntnisse wie eine Fremdsprache, EDV-Kenntnisse und sonstige Zusatzausbildungen und Lehrgänge etc. gefordert sind, sollte in der Bewerbung darauf eingegangen werden. <?page no="483"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 483 Neue Betriebswirtschaft [5] Übereinstimmung Lebenslauf / Belege: Ein lückenloses Arbeitsleben ist anhand von Belegen nachzuweisen, falls dieses möglich ist. Auch heute legen viele Unternehmen noch Wert auf einen lückenlosen Lebenslauf. Dieses wird sich jedoch wahrscheinlich in der Zukunft ändern, da es vermutlich immer mehr Zeiten der Nicht-Beschäftigung geben wird. Backpack-Reisen sind heute kein Nachteil mehr, sondern zeigen, dass man sich in einer komplexen Welt zurechtfinden kann und Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt, um sein Ziel zu erreichen. [6] Plausibilität des Stellenwechsels: Eine Abfolge der Positionen und eine Nachvollziehbarkeit des Arbeitgeberwechsels sind wünschenswert. [7] Schulnoten: Woran sollen die Bewerber ausgewählt werden? Schulnoten eignen sich immer noch gut zur Prognose weiterer Ausbildungsleistungen, sie sind jedoch weniger geeignet zur Prognose des Berufserfolgs. Lt. Hetzte und Kammel (2001, S. 300) können aus Schulnoten nur Rückschlüsse auf die allgemeine Leistungsbereitschaft und auf bestimmte Interessengebiete gezogen werden. [8] Studienleistungen: Falls das Notenniveau der Hochschule und des Studienfachs bekannt ist, wird es in der Regel bei der Auswahl berücksichtigt. Die Qualität der Bachelorarbeit ist häufig wichtiger als das Thema. [9] Arbeitszeugnisse und Referenzen: Diese sind meist nur verlässlich, wenn sie von Fachleuten ausgestellt werden. Persönliche (mündliche) Referenzen sind häufig aussagekräftiger als schriftliche. [10] Ergänzende anforderungsspezifische Aspekte: Hierzu zählen Berufserfahrung und Mobilität etc. [11] Soziales Engagement: Wenn alle Bewerber die gleichen guten Noten haben, kann ein soziales Engagement (Beteiligung an einem Hochschulwettbewerb für ein ‚besseres Deutschland’, freiwillige Feuerwehr, freiwilliges soziales Jahr im Krankenhaus) den Ausschlag für die Einladung zum Vorstellungsgespräch geben. [12] Offengebliebene Fragen werden für das Gespräch vorgemerkt (Schuler 2000 S. 80) Kommt ein Bewerber in die engere Wahl, folgt in der Regel ein Einstellungsinterview. Die Funktion eines Einstellungsinterviews aus Unternehmenssicht ist die Erwartungen des Bewerbers kennen zu lernen und den zukünftigen Leistungserfolg abschätzen zu können. Der Bewerber möchte hingegen, seinen zukünftigen Arbeitsplatz und die an ihn gestellten Leistungsanforderungen kennen lernen. Einstellungsverfahren laufen häufig mehrstufig ab. Das erste Interview ist vielfach ein Telefoninterview. Hier soll der Bewerber in seinem natürlichen Umfeld kennengelernt werden. Ist dieses aus Unternehmenssicht erfolgreich folgt die Einladung zum Interview in der Unternehmung. Interviews sollten vorab geplant werden, da ein unstrukturiertes Interview nach Expertenmeinung wenig valide ist. „Häufig kommt es nicht darauf an, was der Bewerber sagt, sondern wie er es sagt.“ (Anderson 1991, S. 415). Die Entscheidung in einem Einstellungsinterview für oder gegen einen Bewerber fällt häufig in den ersten drei Sekunden des Interviews. <?page no="484"?> 484 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft Lt. Schuler sollte das Interview wie folgt aufgebaut sein. Aufbau eines multimodalen Interviews Gesprächsbeginn: kurze informelle Unterhaltung, Bemühen um eine angenehme und offene Atmosphäre, Vorstellung, Skizzierung des Verfahrensablaufs, keine Beurteilung Selbstvorstellung des Bewerbers: Bewerber spricht einige Minuten über seinen persönlichen und beruflichen Hintergrund Freies Gespräch: Interviewer stellt offene Fragen in Anknüpfung an Selbstvorstellung und Bewerbungsunterlagen Berufsinteressen, Berufs- und Organisationswahl: Fragen zu berufsbezogenen Interessen, Motiven, Hintergründe der Berufswahl Biographische Fragen: oder ‚Erfahrungsfragen‘ werden aus Anforderungsanalysen abgeleitet und anforderungsbezogen aus biographischen Fragebögen übernommen Realistische Tätigkeitsinformation: Ausgewogene Information seitens des Interviewers über Arbeitsplatz, Unternehmen Situative Fragen: erfolgskritische Situationen werden geschildert und Fragen nach dem Verhalten des Bewerbers in dieser Situation Gesprächsschluss: Fragen des Bewerbers, Zusammenfassung, weitere Vereinbarung Abb. 15-3: Mulitmodales Interview (eigene Darstellung in Anlehnung an Schuler 2002, S. 191 ff.) Übung 4: Ihr Chef bittet Sie für ein anstehendes Bewerbungsgespräch einen Fragenkatalog zu entwickeln. Welche Fragen soll Ihr Chef stellen? Bei Absagen sollte auf Standardabsagen verzichtet werden, gar keine Absagen sind jedoch noch unbeliebter. Einmal getroffene Entscheidungen sind schwer zu korrigieren. Die Personalauswahlentscheidungen haben sowohl für den Bewerber als auch den Betrieb weitreichende Bedeutung. Sie bedeuten Kosten für den Bewerber als auch für das Unternehmen. Auswahlkosten für Bewerber unterscheiden Thommen et al. (2017, S. 390) in aktuelle Kosten und potenzielle Kosten. Aktuelle Kosten sind die Kosten, die unmittelbar mit dem Auswahlverfahren zu tun haben, wie z.B. die Kosten der Arbeitszeit der Personalsachbearbeiter. Potenzielle Kosten sind die, die durch Falschentscheidungen zustande kommen, es könnten ungeeignete Bewerber eingestellt werden oder besser geeignete Bewerber abgelehnt werden. Diversity sollte im Personalwesen eine große Rolle spielen, vor dem Hintergrund, dass Arbeitskräfte knapper werden, denn für die Ausübung der Arbeit ist es egal ob jemand schwarz oder weiß, Frau oder Mann, jung oder alt, religiös oder nicht-religiös ist, jeder hat seine (anderen) Stärken und diese gilt es zu nutzen. Vielfalt ist ein Gewinn und eine andere Art zu leben. Gleichberechtigung sollte zur Selbstverständlichkeit werden, zumal es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt (AGG). <?page no="485"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 485 Neue Betriebswirtschaft Das Allgemeine Geichbehandlungsgesetz (AGG) verhindert in Deutschland, dass Personen aufgrund ihres Alters, Geschlechts, ihrer Herkunft, Weltanschauung oder Behinderung benachteiligt werden (Sims et al. 2015, S. 80). Definition: „Diversity umfasst all das, worin Menschen sich unterscheiden können, und dabei sowohl äußerlich wahrnehmbare als auch subjektive Unterschiede, Rasse, Geschlecht, Alter und körperliche Behinderung zählen zur ersten Kategorie; Erziehung, Religion und Lebensstil dagegen zur zweiten.“ (Wagner & Spheri 1999, S. 18) Übung 5: Recherchieren Sie, was die Charta der Vielfalt bedeutet und wer deren Schirmherrschaft innehat. Auch Bewerber können Stellen ablehnen, wenn im Bewerbungsverfahren die Entscheidung als nicht fair und nachvollziehbar angesehen wird, wenn die Verfahrensregeln nicht eingehalten werden, wenn dem Bewerber nicht der nötige Respekt entgegengebracht wurde und es keine Informationsgerechtigkeit gibt. Bewerber können sich als benachteiligt ansehen oder die Fragen der Interviewer können zu nah an der Persönlichkeitssphäre des Bewerbers grenzen (bspw. leben sie allein oder mit ihrem/ r Freund/ in zusammen? ). Bewerber, die sich als ‚nicht gut‘ behandelt fühlen, werden ihre Erfahrungen eventuell anderen potenziellen Bewerbern mitteilen, sich später nicht erneut bewerben und bei dem Konsum der Produkte oder Dienstleistungen wahrscheinlich auf andere Anbieter zurückgreifen (Weber et al. 2014, S. 234). Zudem besteht die Gefahr juristischer Folgen, bei bspw. Ungleichbehandlung der Bewerber. Wenn die Bedingungen (Vergütung, Sozialleistungen etc.) ausgehandelt sind und der Arbeitsvertrag unterschrieben ist, wird der Bewerber zum Mitarbeiter (Sims et al. 2015, S. 80). Die Einstellung des Mitarbeiters ist ein formaler Akt und erfolgt i.d.R. über einen Arbeitsvertrag. Die Personaleingliederung bzw. Einarbeitung ist das Bindeglied zwischen Einstellung und vorgesehener Tätigkeit am Arbeitsplatz. Diese wird in der Praxis sehr unterschiedlich gehandhabt. Die Gepflogenheiten und Verhaltensnormen des Betriebes sind dem neuen Mitarbeiter mitzuteilen, um Reibungsverluste zu vermeiden. Einige Unternehmen haben Mentor- oder Patensysteme, andere Unternehmen führen regelmäßige Feedback-Gespräche oder haben komplette Einführungsprogramme mit Willkommenswoche, Filmvorführungen über das Untenehmen, Einarbeitungsordner, Einarbeitungsplänen und vorab vereinbarter Kennenlern-Termine der Abteilungs-/ Teamleiter o.ä. und einem Blumenstrauß zur Begrüßung. In der Einarbeitungsphase wird der neue Mitarbeiter dem Arbeitsplatz zugeordnet. Hier soll der Mitarbeiter seine Arbeitsaufgaben und die zur Arbeitserledigung notwendigen Arbeitsinstrumente kennenlernen (Thommen et al. 2017, S. 394). Funktioniert die Eingliederung nicht, ist es für beide Seiten unangenehm und häufig mit Kosten verbunden. Kündigt der neue Mitarbeiter, da es eine falsche Entscheidung für ihn war, in dem Unternehmen anzufangen, ist es für beide Parteien eine gute Lösung. Kündigt der Mitarbeiter jedoch, da die Eingliederung aus Sicht des neuen Mitarbeiters unbefriedigend war, wird von organisationellem Versagen gesprochen. In solchen Fällen können Unternehmen sehr fähige Mitarbeiter, die sie mühsam und mit hohen Kosten verbunden angeworben haben, wieder verlieren, was für beide Parteien sehr bedauerlich ist. Hier wird deutlich, wie wichtig die Sensibilität und Professionalität der Personalabteilung ist. <?page no="486"?> 15. 15 Neue Betriebswirtschaft Digitale Personalakte Personalakten werden heute i.d.R. elektronisch geführt, man spricht von der digitalen oder elektronischen Personalakte. Die relevanten Daten eines Mitarbeiters sind auf einem Blick verfügbar. Standortübergreifend und international: Kontaktdaten, Gehaltsdaten, Gehaltsentwicklung, Schriftverkehr, gescannte Dokumente, E-Mails, Telefonnotizen, Aus- und Fortbildungsinformationen, Entwicklung, Skills, Organisationszugehörigkeit, Ausstattung, Mutterschutz, Elternzeiten, Vertragsdaten, Fehlzeiten, Urlaubsdaten, Stundensaldo, Kostenstellen, Spesenabrechnungen etc. Zudem spart sie den Weg zum Aktenschrank. (https: / / www.rexx-systems. com/ digitale-personalakte.php? cp=hr&kw=elektronische%20personalakte&gclid= Cj0KCQiA84rQBRDCARIsAPO8RFyDzwoRfBrg7-9Kz4ZpucOf3aqQukEwKgQZih_Tf0X _-5DfgIBZEaAaAuGQEALw_wcB ) Mit einem Employee Self Service (ESS) wird Personalarbeit effizient verwaltet. Das ESS ist ein Tool, mit dem die Mitarbeiter Zugriff auf ihre eigenen Personaldaten haben und diese selbst verwalten. Die Mitarbeiter legen ihre personalbezogenen Daten nicht nur selbst an, sie ändern diese und sind verantwortlich für die Richtigkeit der Angaben. Zudem können sie Genehmigungsprozesse in Gang setzen. Mit einem ESS pflegen die Mitarbeiter somit ihre Daten selbst. Die Bandbreite reicht von Urlaubsanträgen, Leihgaben bis zu Kraftfahrzeug-Pools (http: / / www.personalmanage ment.info/ hr-know-how/ fachartikel/ detail/ employee-self-service-portale-ess/ .) Die folgenden Kennzahlen können bei der effektiven Personalauswahl hilfreich sein: Arbeitsplatzattraktivität = Anzahl Bewerber___ Anzahl Ausbildungsplätze Diese Kennzahl zeigt, wie attraktiv der Arbeitgeber am Markt für potenzielle Auszubildende eingeschätzt wird. Umso mehr Bewerbungen eingehen, desto attraktiver ist der Arbeitgeber anzusehen. Beschaffungs-/ Auswahlkosten = Personal-Akquisitionskosten Anzahl der Eintritte Wenn die Beschaffung/ Auswahlkosten sehr hoch sind, bedeutet dies, dass sich zwar viele Bewerber beworben haben, jedoch kaum Mitarbeiter gewonnen werden konnten. Hier sollte untersucht werden, ob das Auswahlverfahren gut genug ist. Vorstellungsquote = Vorstellungsgespräche x 100 Anzahl der Bewerbungen Die Vorstellungsquote zeigt, wie förderlich die Stellenanzeige war und wie passgenau die Bewerber für die offene Stelle sind. Einstellungsquote = abgeschlossene Arbeitsverträge x 100 Anzahl der Bewerbungen Bei einer guten Einstellungsquote hat die Personalabteilung ‚gute Arbeit’ geleistet, denn es wurden keine Ressourcen für unnötige Bewerbungsgespräche etc. vergeudet. Produktivität der Personalbeschaffung = Bewerbungen (Vorstellungen/ Einstellungen) Beschaffungsmitarbeiter Diese Kennzahl gibt an, die effektiv die Personalabteilung bei der Bewerberauswahl arbeitet (Wöltje, 2010, S. 117 f.). <?page no="487"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 487 Neue Betriebswirtschaft 15.3.2 Personalbeurteilung Ein effektives Personalmanagement erfordert eine regelmäßige Beurteilung der Mitarbeiter. Der Mitarbeiter wird häufig als kritische Ressource betrachtet. Es ist wichtig, dass sich der Arbeitgeber ein Bild von seinem Mitarbeiter machen kann und dessen Fähigkeiten und Potenziale kennt (Weber et al. 2014, S. 309). Die Ziele der Personalbeurteilung sind eine individuelle Personalförderung, Potenzialermittlung, Leistungsstimulierung, Analyse von Qualifizierungsbedarf, Begründung von Karriereentscheidungen und eine Entgeltdifferenzierung. Gleichzeitig gilt die Personalbeurteilung als Disziplinierungs- und Sozialisationsinstrument (Weber et al. 2014, S. 309). Die Beurteilung kann durch Einschätzungen des Beurteilenden (freie Beurteilungen) oder anhand eines Kriterienkatalogs erfolgen (stark standardisierte merkmalorientierte Einstufungsverfahren). Häufig wird die Leistung oder die zukunftsorientierte Eignung des Mitarbeiters für bestimmte Aufgaben (Potenzialbeurteilung) beurteilt. Es kann eine quantitative Beurteilung anhand der Leistungsmenge oder eine qualitative Beurteilung anhand des Führungsverhaltens, der Auffassungsgabe und der Zuverlässigkeit erfolgen (Weber et al. 2014, S. 309). Eine 360-Grad-Beurteilung liefert eine Ru dum ansic ht des M itarbeit ers und g ew äh rt m eh r Infor mat ionen über di e Arb eit sbe ziehu ng en bspw. zu Kunden, Managern, direkten Untergebenen und Kollegen (Sims et al. 2016, S. 85). Die Top-Ten der am häufigsten benutzten Beurteilungskriterien sind: Beurteilungskriterium Häufigkeit Fachkenntnisse 80 % Fleiß und Arbeitseinsatz 74 % Verhalten gegenüber Führungskräften und Mitarbeitern 72 % Zuverlässigkeit 64 % Arbeitsqualität 62 % Belastbarkeit 58 % Ausdrucksfähigkeit 54 % Arbeitstempo 54 % Organisations- und Planungsvermögen 48 % Verantwortungsbereitschaft 45 % Abb. 15-4: Häufige Beurteilungskriterien (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an www.classic.unister.de) Das Problem der Personalbeurteilung ist, dass diese in der Regel sehr subjektiv ist, so dass Beurteilungsfehler möglich sind. Personal sollte nicht nur beurteilt, sondern auch weiterentwickelt werden (Personalentwicklung). Mithilfe der Personalbeurteilung werden die notwendigen Grundlagen gelegt, um bestehende und künftige Entwicklungspotenziale von Mitarbeitern zu erkennen. (Weber et al. 2014, S. 309f.) Management Summary Personalbereitstellung beinhaltet neben Bereitstellung von Mitarbeitern auch die Bereitstellung von Qualifikationen. Die Personalbeurteilung ist für ein effektives Personalmanagement erforderlich. <?page no="488"?> 15. 15 Neue Betriebswirtschaft 15.3.3 Personalentwicklung Lernziele Sie erkennen, wie wichtig eine gezielte Weiterentwicklung von Mitarbeitern ist und können die gängigen Personentwicklungsmaßnahmen benennen. Bei der Personalentwicklung (PE) geht es um die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter. Dieses kann bspw. durch das Sammeln von Erfahrungen, durch Weiterbildung und durch Beratung erfolgen. Zur Personalentwicklung gehören alle planmäßigen Veränderungen der methodischen, fachlichen, sozialen oder persönlichen Merkmale der Mitarbeiter, die er zur Ausübung seiner Berufstätigkeit benötigt (Kenntnisse, Erfahrungen, Fähigkeiten). Die Personalentwicklung versucht, die Interessen der Unternehmen und der Mitarbeiter zu vereinbaren. Lt. Thommen et al. (2017, S 420) hat die Personalentwicklung die Aufgabe, die Mitarbeiterfähigkeiten in der Weise zu fördern, dass sie ihre derzeitigen und künftigen Aufgaben bewältigen können und sie über die Qualifikationen verfügen, die die an sie gestellten Anforderungen entspricht. Die Unternehmensziele, die eine PE verfolgt, sind eine optimale Nutzung des Mitarbeiterpotenzials durch Qualifizierung und gelenkte Erfahrungsvermittlung sowie durch den bestmöglichen Einsatz der vorhandenen Mitarbeiter. Die Motivation der Mitarbeiter soll durch Informationen über berufliche Entwicklungschancen und unter Berücksichtigung der spezifischen Mitarbeiter- Bedürfnisse, durch Schaffung von Aufstiegsmöglichkeiten und Karrierevorstellungen und einer individuellen Förderung und Beratung erreicht und gesteigert werden. Ein weiteres Ziel ist eine optimale Besetzung der Stellen (Versorgungsfunktion), wodurch sich das Risiko der Fehlbesetzung reduziert. Ferner sollen Nachwuchskräfte gewonnen und spezifische Begabungen frühzeitig erkannt werden. Ein weiterer Zielgedanke ist, die individuellen und organisatorischen Bedürfnisse zur Vermeidung von Überforderung aufeinander abzustimmen (Abstimmungsfunktion). Die Ziele der Mitarbeiter, die mit einer PE verbunden sind, sind eine Ausweitung ihrer Qualifikation, die Sicherung des Arbeitsplatzes, ein höheres Lohnniveau und eine höhere Position im Unternehmen, welche ihnen mehr Prestige, Macht und Möglichkeiten zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit bietet (intrinsische Ziele). Maßnahmen der Personalentwicklung sind Weiterbildung (auch: Training, Fortbildung, Qualifizierung, Aufgabenzuordnung, Stellenbesetzung u.ä.), systematischer und wechselnder Arbeitseinsatz (job rotation), Variation der Aufgabeninhalte (job enrichment [Aufgabenspektrum aufwerten, dieses kann durch eine Erhöhung der Verantwortungskompetenz und des Entscheidungsspielraums erreicht werden], job enlargement [gleichwertige Tätigkeiten zusammenfassen, wodurch die Tätigkeit abwechslungsreicher wird 472 ]), innerbetrieblicher Stellenmarkt, Nachfolgeplanung, Laufbahn- oder Karriereplanung (Weber et al. 2014, S. 305). Im Rahmen der zunehmenden Verknappung von Fachkräften bekommt Personalentwicklung eine große Bedeutung, da Mitarbeiter beispielsweise extern nicht akquiriert werden können, so dass auf den internen Arbeitsmarkt zurückgegriffen werden muss. Zudem wird die Qualität der Mitarbeiter für die Entwicklung des Unternehmens immer wichtiger, die Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmens ist umso größer, je besser die Mitarbeiter auf ihre jeweiligen Aufgaben vorbereitet sind (Thommen et al. 2017, S. 420). 472 Die Übergänge sind häufig fließend und eine genaue Abgrenzung zwischen job rotation und job enlargement ist nicht immer klar gegeben. <?page no="489"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 489 Neue Betriebswirtschaft Management Summary Personalentwicklung ist mehr als Weiterbildung. In der Personalentwicklung geht es auch darum, den Mitarbeitern den ‚Rücken zu stärken‘, um Karriereplanung, Talententwicklung etc. 15.3.4 Personalmotivation und Entgeltpolitik Lernziele Sie lernen, wie Mitarbeiter motiviert werden können und erkennen, dass Geld nur bedingt ein Motivator sein kann. Sie kennen die neuesten Personalhonorierungsmodelle. These: Vergessen Sie Lob, Bestrafung, Geld. Um Mitarbeiter wirklich zu motivieren, müssen Sie die Arbeit interessant gestalten! (Herzberg 2003, S. 50 ff.) Nur von zufriedenen Mitarbeitern können gute Arbeitsergebnisse erwartet werden. Die Unternehmensleitung muss sich mit den Wünschen der Mitarbeiter auseinandersetzen (Wöhe et al. 2016, S. 138). Motivation ist der Wunsch, selbst handeln zu wollen ohne eine Stimulation von außen oder auch Beweggründe für ein Verhalten (Herzberg 2003, 50 ff.). Anreize (situative Anregungen) ( Stangl 2017 ), die Unternehmen gewähren, zielen auf die Befriedigung dieser Beweggründe. Sie versuchen die Motive der Mitarbeiter mit den Zielen und Bedürfnissen des Unternehmens zu verknüpfen. Die Motivationstheorie ist eine wichtige Grundlage für die Gestaltung von Anreizsystemen. Bei der Anreizgestaltung geht es darum, dass Anreize angeboten und aufeinander abgestimmt werden, welche die erwünschten Verhaltensweisen auslösen und unerwünschte Verhaltensweisen zurückdrängen. Die Aufgabe der Personalabteilung ist es, Anreizpakete zu schnüren, die eine hohe Attraktivität für Mitarbeiter haben, um gute Mitarbeiter im Unternehmen zu halten und das Arbeitsverhalten positiv zu beeinflussen. Das schwierigste ist jedoch, zu wissen, auf welche Anreize die Mitarbeiter überhaupt reagieren. Daher muss zuerst geklärt werden, welche Bedürfnisse die Mitarbeiter haben und welche Motive sie zu einem bestimmten Verhalten, wie z.B. Leistungssteigerung, Eintritt in das Unternehmen, veranlassen. Wenn die Bedürfnisse bekannt sind, können diese gezielt angesprochen werden. Die Grundzusammenhänge können mit den gängigen Motivationstheorien erläutert werden. Generelle Aussagen sind jedoch schwierig, da die Motivations- und Bedürfnisstruktur i.d.R. individuell sehr unterschiedlich ist. (Thommen et al. 2017, S. 400). Anreize können materieller und nichtmaterieller Art sein. Monetäre Anreize sind bspw. Lohn, eine Erfolgsbeteiligung, betriebliche Sozialleistungen etc. Nichtmonetäre Anreize sind bspw. Weiter- und Ausbildungsmöglichkeiten, Aufstiegschancen, Betriebsklima, Führungsstil, Arbeitszeit- und Pausenregelung, Arbeitsinhalt, Arbeitsplatzgestaltung. Jedoch muss betont werden, dass nicht alle Anreize eindeutig in monetär und nichtmonetär eingeordnet werden können. Eine Beförderung ist erst mal nicht monetär und im zweiten Schritt monetär, da hiermit meist eine Gehaltserhöhung verbunden ist. (Thommen et al. 2017, S. 400). Empfehlenswert sind Anreizpakte aus einer Kombination aus materiellen und immateriellen Anreizen nach dem ‚Cafeteria-System‘ (Wahlfreiheit), so kann jeder Mitarbeiter die Anreize auswählen, die für ihn am besten sind. Die beiden grundlegenden Arten der Motivation sind: <?page no="490"?> 490 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft Intrinsische Motivation: Die Motivation kommt von ‚innen‘, d. h. die Faktoren bestimmt der Einzelne selbst. Typische Faktoren zur intrinsischen Motivation sind das Streben nach Entscheidungsfreiheiten, verantwortungsvollen wichtigen Tätigkeiten und Persönlichkeitsentwicklung. Hier geht es bspw. um den Sinn der Arbeit, der Mitarbeiter hat das Gefühl, etwas Wertvolles oder Nützliches zu tun (Sims et al. 2017, S. 87). Extrinsische Faktoren: Die Motivation kommt von ‚außen‘. Die extrinsischen Faktoren werden von Dritten, z.B. der Personalabteilung oder dem Vorgesetzten mit dem Ziel vorgegeben, jemand zu einem gewünschten Verhalten zu motivieren. Beispiele hierfür sind Belobigungen, Gehaltserhöhungen, Gehaltsreduzierungen und Bestrafungen. Extrinsische Motivationsfaktoren haben i.d.R. einen kurzfristigeren, aber stärkeren Effekt, während intrinsische Faktoren eher eine langfristige Wirkung erzielen (www.themen-management.de/ Human Resource). In der Motivationstheorie spielen die Bedürfnispyramide von Abraham Maslow und das Zwei- Faktoren-Modell von Herzberg eine bedeutende Rolle. Bedürfnispyramide von Abraham Maslow Abb. 15-5: Bedürfnispyramide von Abraham Maslow (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Maslow 1943, S. 370 ff.) Die Bedürfnispyramide von Maslow startet mit den Grundbedürfnissen. Erst wenn diese erfüllt sind, kann die nächste Stufe der Pyramide erklommen werden: die Sicherheitsbedürfnisse wie bspw. wohnen und arbeiten. Wer keine Wohnung und keine Arbeit hat, kann sich gemäß Maslow nicht um die sozialen Bedürfnsse wie Freundschaft, Liebe und Gruppenzugehörigkeit kümmen. Sind die Sicherheitsbedüfnisse gestillt, kann man sich um die sozialen Bedürfnisse kümmern, sind diese wiederum gestillt, kümmert man sich um die Wertschätzung-Bedürfnisse wie Anerkennung und Geltung. Als letzte Stufe in der Pyramide gilt die Selbstverwirklichung. Hier strebt der Mensch danach, seine gesamten Fähigkeiten und Möglichkeiten (auch die ihm selbst verborgenen) voll auszuschöpfen und sich voll zu entfalten. Gemäß dieser Pyramide der Bedüfnisse ist das Verhalten der Menschen nach Maslow durch die nichtbefriedigten Bedürfnisse bestimmt. Unbefriedigte Bedürfnisse gelten somit als Motivator für menschliches Verhalten. Zudem können die Bedürfnisse in Defizit- und Wachstumsbedürfnisse unterteilt werden. Defizitbedürfnisse (Mangelbedüfnisse) nehmen an Stärke ab, in dem sie befriedigt werden. Sie treten auf, Defizitbedürfnisse Wachstumsbedürfnisse e Selbstverwirklichung Grundbedürfnisse (Essen, Trinken, Schlafen) rfnisse Sicherheitsbedürfnisse materielle und berufliche Sicherheit - Wohnen, Arbeit soziale Bedürfnisse Freundschaft, Liebe, Gru ppenzugehörigkeit Wertschätzungs-Bedürfnisse Anerkennung/ Geltung Jeweils eine Stufe muss erklommen sein, bevor die nächste erstiegen werden kann. <?page no="491"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 491 Neue Betriebswirtschaft verschwinden und treten später wieder auf. Sie können i.d.R. nur durch andere Menschen befriedigt werden. Hier herrscht somit eine große Umweltabhängigkeit. Die Wachstumsbedürfnisse (eher als unstillbare Bedürfnisse definiert) nehmen an Stärke zu in dem Maße, in dem sie befriedigt werden. Ein Mensch, der nach Selbstverwirklichung strebt, strebt nach persönlichen Wachstum als Selbstzweck (Thommen et al. 2017, S. 402). Die Erkenntnisse von Maslow bedeuten für den Arbeitsplatz, dass die Bedürfnisse der unteren Ebenen erfüllt sein sollen, damit sich die Mitarbeiter auf andere Dinge wie Leistung und ihre inneren Fähigkeiten konzentrieren können (Marcouse et al. 2015, S. 71). Die Unternehmen können und sollten dazu beitragen, dass Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz nicht mehr als Ort des Leides empfinden, wo sie auf die Erfüllung ihrer Bedürfnisse verzichten müssen und diese nur in der Freizeit befriedigen können, sondern als Ort, an dem sie ihre Bedürfnisse befriedigen können (Schreyögg & Koch 2015, S. 326f.). Bei dem Herzberg Zwei-Faktoren-Modell wird zwischen den Faktoren unterschieden, die Zufriedenheit und Unzufriedenheit auslösen. Die Motivatoren sind in der Regel intrinsische Faktoren, wie Leistungserfolg, Arbeitsinhalt, Verantwortung, Aufstiegsmöglichkeiten u.ä. Sie sind zufriedenheitsauslösend und motivierend. Die Hygienefaktoren lösen gemäß diesem Modell keine Zufriedenheit aus. Sollten sie jedoch fehlen führt dies zu Unzufriedenheit. Typische Hygienefaktoren sind der Verdienst bzw. das Einkommen, die persönliche Beziehung zu den Kollegen und Untergebenen und die Arbeitssicherheit (extrinsische Faktoren) (siehe Abbildung 15-6). Abb. 15-6: Herzberg Zwei-Faktoren-Modell. Quelle: www.grundlagen der Unternehmensführung Die Herzberg-Theorie liefert gute Erklärungen dafür, dass finanzielle Anreize allein nicht ausreichend zur Motivation der Mitarbeiter sind. Bei guter Arbeit wird ein entsprechend hohes Gehalt <?page no="492"?> 492 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft erwartet. Ist die Bezahlung jedoch nicht angemessen, führt dies sehr schnell zur Demotivation. Außerdem hatte die Theorie wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des Trends zu Job- Enrichment. Zur Herzberg-Theorie passt gut die folgende Aussage: „„I Ic chh hhaa b bee eess n niic chhtt nnööttiig g , , mm eeiin nee M Miit taa r rb beeiit teerr u umm sso onnsst t f füürr m mi icch h a a r rb beeiit teenn z zuu l laa s ssseenn““. . Es ging um die Frage der Vergütung von Überstunden (Bessmann, Heiner, Bessmann GmbH & Co. KG, Mariefeld, Interview: 2.2.2005). Equity Theory von Adams Die Equitiy Theory oder Gleichgewichtstheorie geht von der Annahme aus, dass der Mitarbeiter Vergleiche anstellt zwischen den Ergebnissen und seinen Beiträgen und abwägt, ob dieses Verhältnis gerecht erscheint (Adams 1963, Schmeisser 2013, S. 185). Ergebnisse sind bspw. die Bezahlung, zusätzliche Leistungen, Status, Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitszufriedenheit, also die Aspekte, die der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber erwartet. Beiträge sind bspw. Arbeitseinsatz, Zeit, Training, Ausbildung, Arbeitserfahrung, also die Aspekte, die der Mitarbeiter glaubt, einzubringen. Gemäß der Gleichgewichtstheorie erfolgt die Motivation nicht durch die objektive Höhe der Beiträge, sondern vielmehr daran, wie der Arbeitnehmer seine Beiträge in Bezug zu den Ergebnissen wahrnimmt und diese Ergebnisse werden an einer Referenzperson (bspw. ein Kollege, oder der frühere Inhaber der Stelle) gemessen. Die Einschätzung ist somit eher subjektiv, also von der individuellen Einschätzung abhängig. Somit sollten Führungskräfte darauf achten, dass das Ergebnis-Beitrags-Verhältnis verschiedener Mitarbeiter eher gleich ist und wenn ein Mitarbeiter mehr leistet, er auch höhere Ergebnisse erzielt und umgekehrt (Schmeisser 2013, S. 186). Beispiel für die Subjektivität der Wahrnehmung und ‚was ist schon gleich‘? Zwei Sachbearbeiter, die die gleiche Tätigkeit ausüben und dieselbe Ausbildung absolviert haben, bekommen versehentlich die Gehaltsabrechnung des jeweils anderen und stellen fest, dass einer der beiden 200 € mehr verdient. Was geschieht? Der Sachbearbeiter, der weniger verdient, geht zum Personalchef und sagt, dass es ungerecht sei, dass er bei gleicher Arbeit und Ausbildung weniger verdient. Aber auch der Sachbearbeiter, der 200 € mehr verdient, geht zur Personalabteilung und sagt, er müsste mehr verdienen, da es doch ganz klar wäre, dass er besser wäre als sein Kollege, das wäre ihm ja auch durch sein höheres Gehalt bestätigt worden, nur wäre der Abstand zu gering. Grundsätzlich gilt ein faires Gehalt wirkt besser als ein hohes Gehalt (Thommen et al. 2017, S. 406). Jedoch wird es eine absolute Lohngerechtigkeit kaum geben. Wenn es dem Unternehmen gelungen ist, gute Mitarbeiter durch Personalmarketing, Employer Branding, valide Auswahlverfahren in das Unternehmen zu holen, so besteht die nächste Aufgabe, diese Mitarbeiter dauerhaft zu binden, nicht dass sie schon nach wenigen Monaten oder Jahren das Unternehmen wieder verlassen und die Stellen wieder neu besetzt werden müssen (Kanning 2017, S. 190). Rentation Management kümmert sich um die Bindung der Mitarbeiter und kann mit Bindungsmanagement übersetzt werden. Übung 6: Überlegen Sie, welche Gründe für Sie ausschlaggebend wären, sich an ein Unternehmen zu binden. Beispiel Work-Life-Balance (WLB) (Ausgewogenheit von Arbeit und Privatleben) wird im heutigen Arbeitsleben eher zu einer Selbstverständlichkeit im Arbeitsleben. Die Generation Y hat von ihren Eltern gelernt, dass eine Ausgewogenheit eine Gesundheitsvorsorge und der Schlüssel zu mehr Zufriedenheit ist. Mit einer ausgewogenen Work-Life-Balance ergibt sich eine weitere <?page no="493"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 493 Neue Betriebswirtschaft Möglichkeit, Mitarbeiter an eine Firma zu binden. Wenn in einer Unternehmung die Ansicht vorherrscht, dass die extensive Ausdehnung der Arbeitszeit zum Erfolg führt, steht das Budget im Vordergrund und nicht der Mensch. Eine solche Ansicht ist jedoch für eine Work-Life- Balance eher hinderlich. Flexible Arbeitszeiten (z.B. über das ganze Jahr verteilt), Sabbaticals, Ehrenamt (Rump & Eilers 2016, S 18 ff.), eine schrittweise Pensionierung, Familienunterstützung wie Kindergärten und Betreuung von Familienangehörigen sind Möglichkeiten, die zu einer Work-Life-Balance führen können. Weiterhin können Unternehmen Maßnahmen zur präventiven Gesundheitspflege anbieten (ergonomische Arbeitsplätze, Schwimmbad, Ernährungsberatung) sowie haushaltsnahe Dienstleistungen wie Putzservice, Bügelservice, firmeneigenes Lebensmittelgeschäft etc. Management Summary Motive sind Anreize für Verhalten. Die Motivationstheorien sollen dabei helfen, die Motive der Mitarbeiter zu erkennen und zu befriedigen. Anreize sind situative Anregungen, um ein bestimmtes Verhalten zu erzeugen. Das Unternehmen sollte Anreizpakete schnüren, um die Mitarbeiter zu motivieren. Das Schwierige hierbei ist, zu wissen, wodurch sich ein Mitarbeiter motivieren lassen kann. Arbeitsentgelt Die Personalpolitik hat die Aufgabe, die Arbeitsentgelte der Mitarbeiter zu bestimmen. Löhne bzw. Gehälter sind bezahlte Entgelte dafür, dass der Mitarbeiter dem Unternehmen seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Erfolgsbeteiligungen, Boni, Prämien oder Sozialleistungen sind von diesen Zahlungen im engeren Sinne abzugrenzen (Thommen et al. 2017, S. 406). Arbeitsentgelt wird gemäß Wöhe et al. definiert als alle finanziellen Leistungen eines Unternehmens an seine Mitarbeiter (2016, S. 140). Die Entgeltpolitik sollte nach Thommen et al. folgenden Gerechtigkeiten genügen: ! Anforderungsgerechtigkeit: Hier sollte ein angemessenes Verhältnis zwischen Anforderung oder Schwierigkeitsgrad und Entgelt geschaffen werden. Hierbei kann eine Arbeitsbewertung helfen. Mit der Arbeitsbewertung sollen die Schwierigkeitsgrade einer Arbeit oder des Arbeitsplatzes ermittelt werden im Verhältnis zu anderen Arbeitsplätzen oder Arbeiten. Der Maßstab hierzu soll einheitlich sein (Thommen et al. 2017, S. 407). ! Leistungsgerechtigkeit: Hier wird die über die Normalleistung liegende Leistung berücksichtigt. ! Verhaltensgerechtigkeit: Hiermit soll erreicht werden, dass das Verhalten gegenüber Kollegen (Hilfsbereitschaft und Solidarität), Einrichtungen und Arbeitsmitteln (also Pflichtbewusstsein und Sorgfaltspflicht), der Öffentlichkeit, was zu einer Identifikation mit dem Unternehmen führt, angemessen ist. Verhaltensbewertung ist jedoch schwierig und immer eher subjektiv. Daher wird diese Bewertung häufig indirekt wahrgenommen, z.B. die Verbundenheit zum Unternehmen über die Anzahl der Dienstjahre. ! Sozialgerechtigkeit: Hierzu gehört u.a. die Altersversorgung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kinder- und Familienzulagen und die Zahlung eines Mindestlohnes. ! Personalmarktgerechtigkeit: Ansatzpunkte sind hier Vergleichslöhne gleicher Branchen. ! Unternehmenserfolgsgerechtigkeit: Eine Beteiligung am Unternehmenserfolg sorgt für eine Unternehmenserfolgsgerechtigkeit (Thommen et al. 2017, S. 407). Die Gerechtigkeitskriterien zu Entgeltbemessung sind stark von den aktuellen gesellschaftlichen Wertevorstellungen abhängig. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass eine objektive Lohn- <?page no="494"?> 494 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft gerechtigkeit wenigsten in Teilen erreicht wird, wenn einzelne dieser Kriterien berücksichtigt werden, die Bewertungskriterien offengelegt werden und alle Mitarbeiter gleichbehandelt werden (Thommen et al. 2017, S. 407). Überlegen Sie, ob es gerecht ist, dass DAX-Vorstände bis zu 141-mal so viel verdienen wie ihre Angestellten (Dornis 6.10.2016). Traditionelle Entgeltformen sind der Zeitlohn, dieser wird nach der Dauer im Unternehmen ermittelt und ist unabhängig von der erbrachten Leistung. Der Akkordlohn ist ein Leistungslohn und wird aufgrund der Menge der erbrachten Leistung (Output) bezahlt. Ein Prämienlohn beinhaltet einen arbeitszeitabhängigen Grundlohn und einer leistungsorientierten Prämie (Wöhe et al. 2016, S. 142 ff.) Moderne Vergütungsformen Solche Vergütungsformen sind eher leistungsorientiert (outputorientiert) und sind häufig mit einer langfristigen Kapitalbeteiligung verbunden. Eine Erfolgsbeteiligung ist eine variable Vergütung, die vom Erreichen des Unternehmensziels abhängt. Eine Kapitalbeteiligung ist jede Art der finanziellen Beteiligung der Beschäftigten am Kapital des Unternehmens. Hier zählen bspw. Mitarbeiteraktien, stille Beteiligungen, Partizipationsscheine etc. Für die Unternehmen ist eine Kapitalbeteiligung interessant, da es eine Finanzierungsform ist. Zudem erwarten Unternehmen im Normalfall eine höhere Bindung an das Unternehmen und mehr Engagement der Arbeitnehmer, da sie direkt von höheren Gewinnen profitieren. (Thommen et al. 2017, S. 415). Eine wertorientierte Vergütung ist am Aktienkurs gekoppelt. Firmenautos, Handys, Kita-Plätze, Altersversorge etc. müssen ebenfalls der Vergütung zugerechnet werden. 15.3.5 Personalcontrolling Personalcontrolling ist die Ausrichtung der Planung, Steuerung und Kontrolle personalwirtschaftlicher Prozesse auf den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens (Bühner, 2005, S. 340) Neben Methoden des herkömmlichen Controllings werden im Personalcontrolling auch spezielle Methoden und Verfahren angewandt. Das Ziel ist, relevante Kennzahlen im Umgang mit den Humanressourcen zu ermitteln und deren Erreichbarkeit zu prüfen. Außerdem wird im Personalcontrolling die Effektivität des Personalmanagements beurteilt. Im Personalcontrolling wird häufig die Frage gestellt, was ist ein Mitarbeiter wert (Humanvermögensrechnung/ Human Resource Accounting). Die Humanressourcen von Unternehmungen sollen ermittelt werden, d.h. die Mitarbeiter werden als monetärer Wert quantifiziert. Hintergrund ist, dass alles, was in Werten oder Zahlen ausgedrückt werden kann, leichter kontrollierbar ist. Die Ansätze sind leicht verständlich, jedoch häufig schwer erreichbar. Hier gibt es verschiedene Ansätze, drei werden vorgestellt: [1] Ein Mitarbeiter ist das wert, was er kostet. Hier werden die Anwerbungskosten zuzüglich des Lohns oder des Gehalts des Mitarbeiters zuzüglich aller Arbeitergeberleistungen als Ansatzpunkt genommen. Dieser Ansatz ist leicht durchführbar, wird in der Praxis jedoch von den Vertretern der Humanvermögensrechnung als ‚abgegriffen‘ abgelehnt mit der Begründung, dass die Leistungen des Mitarbeiters ebenso wenig Berücksichtigung finden wie die zukünftige Entwicklung des Mitarbeiters. <?page no="495"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 495 Neue Betriebswirtschaft [2] Ein Mitarbeiter ist das wert, was er kostet, um ihn durch eine andere Person zu ersetzen .. Der Wert des Mitarbeiters spiegelt sich somit in den Wiederbeschaffungskosten vergleichbarer Mitarbeiter wieder. Dieser Ansatz berücksichtigt, dass Mitarbeiter sich weiterentwickeln können. [3] Ein Mitarbeiter ist seinen aktuellen und zukünftigen Beitrag zur Wertschöpfung wert. Hier wird der Wert nicht anhand der Kosten gemessen, sondern daran, welchen Beitrag der Mitarbeiter zum Erfolg des Unternehmens leistet. Dieser Ansatz zeigt wahrscheinlich am besten, was ein Mitarbeiter für ein Unternehmen wert sein kann. Ein Problem ist jedoch die Komplexität dieses Ansatzes. Es bedarf komplexer mathematischer Modelle, was die Praxistauglichkeit einschränkt (Achouri 2011, S. 138). Wenn ein Mensch das wert ist, was er verdient, wäre ein 35jähriger Arzt mit einem jährlichen Einkommen von 76.000 € soviel wert wie drei 43 Jahre alte Krankenschwestern mit einem Jahreseinkommen von 35.000 € und so viel wie achtzig 35jährige Inder mit einem Jahreseinkommen von 950 € (Heinrich 26.8.2010, S. 63). Befürworter der Humanvermögensrechnung erklären, dass ein Vorgesetzter den Mitarbeiter besser pflegt, wenn er weiß, dass ein Mitarbeiter bspw. 250.000 € wert ist. Kritiker bemängeln, dass es unethisch ist, einen Menschen ‚in Zahlen auszudrücken‘ (www.frankfurt-school.de). Personalcontrolling ist umsetzbar mit der Berliner Balance Scorecard (siehe 15.2 Finanzorientiertes Personalmanagement). Übung 7: Überlegen Sie, inwieweit es unmoralisch ist, einen Menschen in Geldeinheiten zu bewerten, und gegen welches Grundgesetz verstößt eine Bewertung? 15.3.6 Personalfreisetzung Personalfreisetzung wird in der Regel mit Trennung von Mitarbeitern und Personalanpassung gleichgesetzt. Ein verantwortlicher Umgang mit dem Personal ist wichtiger als je zuvor, da die Wirtschaft ständigen Veränderungen unterliegt, was häufig mit Personalentlassungen einhergeht. Lt. Thommen et al. (2017, S. 426) ist es die Aufgabe der Personalfreisetzung, personelle Überdeckungen sowohl in quantitativer, qualitativer, zeitlicher als auch in örtlicher Hinsicht zu beseitigen. Ursachen der Personalfreisetzung können sein: ! Konjunkturelle Entwicklungen: die Nachfrage nach bestimmten Produkten kann rückläufig sein, wodurch es zu einem Personalüberhang kommen kann. ! Saisonale Schwankungen: in einigen Branchen kommt es saisonal zu Nachfrageschwankungen und somit zu variierenden Personalbedarfen. ! Strukturelle Änderungen, bspw. strukturelle Veränderung der Nachfrage, indem ein Gut durch ein anderes ersetzt wird und somit Personalfreistellungsbedarf entsteht (Thommen et al. 2017, S. 426). ! Technologischer Wandel, bspw. durch Industrie 4.0, Industrieroboter ersetzen Arbeitskräfte. <?page no="496"?> 496 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft ! Management- und Planungsfehler, wodurch es zu Einsparungen kommen muss und die Entlassung von Mitarbeitern ein schneller Weg ist, Einsparungen vorzunehmen. ! Standortverlagerungen bspw. ins Ausland. ! Strategische Neuorientierung mit bspw. neuem Produktsortiment. ! Mangelnde Leistungsbereitschaft oder Leistungsfähigkeit der Arbeitskräfte. ! Änderung der Aufbau- oder Ablauflauforganisation (Berthel & Becker 2010, S. 208). Maßnahmen der Personalfreisetzung Personalfreisetzungsstrategien zielen darauf hin, die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens zu erhalten und die Beschäftigungsentwicklung positiv zu beeinflussen. Bei den Personalfreistellungsmaßnahmen wird unterschieden zwischen Vermeidung von Personalfreisetzungen und Maßnahmen der Personalfreisetzung. In erster Linie sollten Personalfreistellungsmaßnahmen bei langfristigen Personalüberdeckungen angewandt werden. Kurzfristige Überdeckungen bspw. aufgrund von Rohstoffengpässen oder saisonalen Schwankungen sollten durch andere Maßnahmen ausgeglichen werden. Solche Maßnahmen wie die Personaleinsatzplanung gehören teilweise zum Personalbereich. So kann bspw. auf Lager produziert werden, Fremdaufträge von anderen Unternehmen können angenommen werden, Zwischenprodukte können hergestellt werden und es kann eine Diversifikation in anderen Märkten oder Produkten vorgenommen werden (Thommen et al. 2017, S. 426). Die Maßnahmen zur Personalfreisetzung müssen nicht unbedingt zu Entlassungen führen, die Mitarbeiter können auch an anderen Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Bevor Personal entlassen wird, kann in Engpass-Situationen darüber nachgedacht werden, die freiwilligen Sozialleistungen zu kürzen und die Vergütung zu reduzieren (hier sind die Hürden jedoch sehr hoch) (https: / / www. focus.de/ finanzen/ karriere/ arbeitsrecht/ tid-13845/ arbeitsrecht-in-schwierigen-zeiten-duerfenunternehmen-das-gehalt-kuerzen_aid_386229.html)). Mit der Gestaltung flexibler Perioden- und Lebensarbeitszeitmodelle können Kapazitätsschwankungen aufgefangen werden. Maßnahmen der Personalfreisetzung ohne Reduktion Qualitativ orientierte Maßnahmen: Hierzu zählen Maßnahmen der Personalentwicklung, die die Mitarbeiter befähigen, neue Aufgaben zu übernehmen, womit eine Freisetzung verhindert werden soll. Örtlich orientierte Maßnahmen: Hiermit sind einfache Versetzungen gemeint, um Entlassungen zu vermeiden. Zeitlich orientierte Maßnahmen: Zu diesen Maßnahmen zählt der Abbau von Überstunden, Kurzarbeit, eine Verkürzung der Arbeitszeit und das Angebot, die Arbeitszeit individuell zu verkürzen. Maßnahmen der Personalfreisetzung mit Reduktion Nutzung der natürlichen Fluktuation: Um Entlassungen der Mitarbeiter zu vermeiden, kann die Unternehmung die natürliche Fluktuation der Mitarbeiter (Pensionierung, Kündigung seitens der Mitarbeiter, Tod, Invalidität) nutzen. Nichtverlängerung befristeter Arbeitsverträge: Befristete Arbeitsverträge werden nicht verlängert, um Entlassungen in der Stammbelegschaft zu vermeiden. Nichtverlängerung oder Kündigung von Personalleasingverträgen: Diese Möglichkeit hat sich gerade in der Finanz- und Wirtschaftskrise bewährt. Durch das Leasen von Personal können in Boomzeiten Engpässe überwunden werden und in Rezessionsphasen können relativ einfach Mitarbeiter abgebaut werden. <?page no="497"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 497 Neue Betriebswirtschaft Aufhebungsverträge: Mit einem Aufhebungsvertrag vereinbaren der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber einvernehmlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dieses ist jederzeit möglich. Kündigungsschutzrechte und Beteiligungsrechte des Betriebsrates kommen nicht zum Tragen. Vorzeitige Pensionierung: Diese werden für Unternehmen interessant, wenn die damit verbundenen Kosten wirtschaftlich vertretbar sind. Kritisch ist anzumerken, dass die Kosten des Personalabbaus zum Teil auf die Allgemeinheit (Arbeitslosen- und Rentenversicherung) abgeschoben wurden. Durch das Arbeitsförderungsgesetz von 1993 wurde dies jedoch erschwert. Nachfolgend ein Überblick über die Personalfreisetzungsmaßnahmen. Abb. 15-7: Überblick über Personalfreisetzungsnahmen (Quelle: eigene Darstellung nach Hentze und Graf, 2005, S. 373, Thommen et al. 2017, S. 427) Kündigung: Die Kündigung ist die härteste Maßnahme für den Arbeitnehmer (Thommen et al. 2017, S. 427). Sollten Kündigungen unvermeidbar sein, sollte der Arbeitgeber jedoch Angebote zur Verarbeitung und Bewältigung des Ausscheidens anbieten. Der Arbeitgeber könnte auch einen Aufhebungsvertrag anbieten. Das Ziel sollte sein, die immateriellen und materiellen Kosten auf Arbeitsgeber- und Arbeitnehmerseite zu reduzieren. Die ordentliche Kündigung ist eine Kündigung innerhalb einer gesetzlichen, tarifvertraglich oder einzelvertraglich vereinbarten Kündigungsfrist. Die außerordentliche Kündigung ist eine Kündigung aus wichtigem Grund (z.B. Diebstahl, Betrug), bei der die Frist nicht eingehalten wird oder mit einer sog. Auslauffrist ausgesprochen wird (Bartscher et al., 2012, S. 326). Nicht zu vernachlässigen ist, dass Arbeitsverträge auch immer moralische Aspekte beinhalten. Es geht um gegenseitige Erwartungen und Angebote seitens des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers. Eine Kündigung wirkt sich i.d.R. auf die Motivation der Kollegen aus. Wird ein Mitarbeiter gekündigt, halten sich die Kollegen zurück nach dem Motto: ‚es hätte mich auch treffen könne‘. Typische Reaktionen wie Stress, Wut, Angst, Frustration zeigen nicht nur die gekündigten Mitarbeiter, sondern auch diejenigen, die das Glück hatten, ihre Stelle behalten zu dürfen. In diesem Zusammenhang wird häufige vom ‚psychologischen Vertrag‘ gesprochen. Maßnahmen der Personalfreisetzung Freistellung durch Änderung bestehender Verhältnisse Verzicht auf Neueinstellungen Freistellung durch Beendigung bestehender Arbeitsverhältnisse Arbeitszeitverkürzung - Teilzeit - Abbau von Überstunden - Kurzarbeit Versetzung horizontal vertikal - Fluktuation ausnutzen - Förderung des freiwilligen Ausscheidens - Kündi gung <?page no="498"?> 498 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft Der psychologische Vertrag kann nach Huf als nicht einforderbare Erwartungen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers in Bezug auf die Leistungen und Gegenleistungen verstanden werden auf der Grundlage von subjektiv gedeuteten Versprechungen (Huf 2011, S. 30). Somit ist es ein Vertrag der unausgesprochenen und gegenseitigen Erwartungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dieser Vertrag enthält die Faktoren, die in dem schriftlichen Arbeitsvertrag nicht festgehalten sind, wie z.B. wie viel Engagement das Unternehmen von seinen Mitarbeitern erwartet, wie produktiv soll der Mitarbeiter arbeiten, welches Verhalten wird erwartet etc. Aber auch der Arbeitnehmer hat gewisse Erwartungen an seinen Arbeitgeber, wie z.B. welches Verhalten er von seinem Chef erwartet, wie stellt sich der Arbeitnehmer die Führung vor, wie zufrieden will er mit der Arbeit sein, wie viel Schulungen möchte er besuchen usw. Die Erwartungen sind auch nicht immer bei allen Arbeitnehmern oder Vorgesetzten gleich. Zudem können sich die Erwartungen verändern. Das macht es schwierig. Das Personalmanagement hat die Aufgabe, die beiderseitigen Erwartungen auszutarieren (Huf 2011, S. 29). Wenn diese nicht expliziert formulierten wechselseitigen Erwartungen nicht eingehalten werden, wird dieses häufig subjektiv als Vertragsbruch wahrgenommen (Lieber 2011, S 144). Als Vertragsbruch empfinden Mitarbeiter bspw. wenn Versprechen, die in der Rekrutierungsphase gemacht wurden, nicht eingehalten werden oder die Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung keine Konsequenzen haben (Huf 2011, S. 34). Chefs empfinden einen Vertragsbruch bspw. wenn der Mitarbeiter nicht weit über seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit tätig ist (Staffelbach et al. 2009, S. 35). Aber warum sollte so etwas wichtig sein? Ganz einfach, weil Erwartungen nicht erfüllt werden könnten und es im schlimmsten Fall sogar zu einer Kündigung kommen könnte, der Mitarbeiter geht, weil er ‚sich das anders vorgestellt‘ hat, der Chef kündigt dem Mitarbeiter, da seine Vorstellung vom Mitarbeiterengagement nicht befriedigt wurde. Häufig wäre es ganz einfach gewesen wäre, die gegenseitigen Erwartungen zu erfüllen, nur waren sie nicht bekannt. Somit könnte versucht werden, die gegenseitigen Erwartungen zu klären. Man könnte sich zusammensetzen und wirklich einen Vertrag der gegenseitigen Erwartungen aufsetzen. Die Gefahr dabei ist jedoch, dass man sich nicht traut, alles zu sagen, was man sich wünscht, da es zu ‚banal‘ klingt, zu ‚kleingeistig‘ scheint oder man sich nicht sicher ist, ob es nicht in den sozialen Medien ‚breitgetreten‘ wird. Also, es ist nicht einfach, aber es kann sich lohnen! Übung 8: Überlegen Sie sich, wie sich der Schadstoffskandal bei VW auf die Moral der Mitarbeiter auswirken könnte. Wenn Stellen abgebaut werden müssen, ist dies eine sensible Angelegenheit, die zu einem Trauma führen kann. Robbins et al. geben Tipps, die helfen könnten, das Trauma eines Stellenabbaus zu bewältigen: Die Kommunikation sollte offen und ehrlich sein, d. h. zu entlassene Mitarbeiter sollten möglichst früh informiert werden. Die bleibenden Mitarbeiter müssen erfahren, wie die neuen Ziele und Erwartungen aussehen. Zudem sollten die Auswirkungen des Stellenabbaus erklärt werden. Gesetze, die den Stellenabbau betreffen, wie Massenentlassungen, Mitbestimmung, müssen befolgt werden. Auch Mitarbeiter, die bleiben, sollten unterstützt und beraten werden. Es sollte eine Neuausrichtung der Aufgabenverteilung auf der Basis der Erfahrung und Fähigkeiten der Mitarbeiter erfolgen. Die Moral sollte gestärkt werden, das kann durch eine individuelle Beratung <?page no="499"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 499 Neue Betriebswirtschaft und Bestärkungen oder in Einzelgesprächen geschehen, so dass die bleibenden Mitarbeiter verfügbar und engagiert bleiben. Für frei gewordene Büroflächen und Schreibtische müssen Pläne erstellt werden, was damit geschehen soll, damit die verbliebenden Mitarbeiter nicht deprimiert sind (Robbins et al. 2014, S. 363 f). Angebote wie eine Outplacememt-Beratung können Kündigungen abmildern, wonach man sich auch in schlechten Zeiten „aufeinander verlassen kann“ (http: / / www.gemina.or/ psychologischervertrag). Ouptlacement ist ein operatives Instrument der Personalfreisetzung und hilft eine einvernehmliche ‚sanfte‘ Trennung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit Hilfe eines spezialisierten Personalberaters zu ermöglichen. Dieses Instrument soll dem Ausscheidenden helfen, mithilfe einer gezielten Marketingstrategie eine adäquate neue Arbeitsstelle zu finden (Thommen et al. 2017, S. 428). Phasen einer Outplacement-Beratung [1] Emotionale Hilfe für den entlassenen Arbeitnehmer, [2] Analyse marktfähiger Qualifikationen und Entwicklungspotenziale, [3] Planung einer Stellensuche, [4] Durchführung einer Stellensuche (Ridder 2009, S. 124.) Falls größere Entlassungen anstehen, sollte das Unternehmen über eine mögliche Trennungskultur nachdenken. Lt. Andrzejewski beinhaltet eine Trennungskultur die „(…) Summe aller Regeln und Maßnahmen, die Trennungen (Personalabbau und Kündigungen) und Veränderungen (Versetzungen in Unternemen) fair, human sowie professionell machen“ (2003, S. 5). Ein möglicher Leitsatz könnte lauten, dass Entlassungen nie am Freitag stattfinden sollten. Unter Downsizing wird der planmäßige Stellenabbau innerhalb einer Organisation verstanden. Falls ein Unternehmen für die aktuelle Konjunkturlage zu viele Mitarbeiter beschäftigt, kann die Gewinnlage durch einen Stellenbaubau verbessert werden (Robbins et al. (2014, S. 363). Kündigungen reduzieren i.d.R. die Kosten und erhöhen den Gewinn. Bsp. SAP Lt. Hutschenreuter verkündete die SAP AG im Jahr 2014 einen Einstellungsstopp mit dem Ziel der Kostenreduzierung und somit der Gewinnerhöhung. Das Ziel dieser Maßnahme war, dass keiner der bereits vorhandenen 67.000 Mitarbeiter gehen musste (2015, S. 291). In Deutschland haben wir eine grundsätzliche Vertragsfreiheit. Im Personalwesen greift der Staat jedoch steuernd ein, da die Machtverteilung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht gleich verteilt ist. Ein Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz verliert, kann im schlimmsten Fall alles verlieren, ein Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer verliert, kann diesen i.d.R. kurzfristig ersetzen. Hier gibt es bestimmte Kündigungsschutzgesetze, die dem Arbeitgeber die aus Sicht des Arbeitnehmers unfreiwillige Kündigung des Arbeitsverhältnisses erschweren soll. Die gesetzlichen Regelungen befinden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch, im Betriebsverfassungsgesetz und im Kündigungsschutzgesetz (Hutschenreuter 2015, S. 291 f.). <?page no="500"?> 500 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft Abwicklung Auch nach der Kündigung sollte der Arbeitnehmer das Unternehmen möglichst noch positiv in Erinnerung behalten. Hierbei könnte ein Abgangsinterview helfen. Dieses wird in der Regel kurz vor dem Ausscheiden des Mitarbeiters geführt. Besonders interessant ist dieses, wenn der Mitarbeiter von sich aus gekündigt hat. Themen des Abgangsinterviews: Õ Ermittlung des tatsächlichen Kündigungsgrundes, Õ Erarbeitung der kündigungsverursachenden Schwachstellen, Õ Versuch des Abbaus von Aversionen gegenüber dem Unternehmen, Õ Danksagung und Verabschiedung (Olfert & Steinbuch, 1995, S. 425). Weiterhin ist ein Zeugnis, welches dem Arbeitnehmer ausgehändigt wird, anzufertigen. Es sollte unmissverständlich formuliert sein und darf nicht zu Irrtümern führen oder Mehrdeutungen beinhalten. Das Zeugnis ist schriftlich auf dem Firmenbogen zu erteilen und bedarf einer Unterschrift des Arbeitgebers. Bei der Zeugnisausstellung herrscht in der Regel ein Zielkonflikt zwischen Wahrheit und ‚von verständigem Wohlwollen getragen‘ (Jung 2008, S. 314 ff.). Management Summary Es gibt verschiedene Arten der Mitarbeiterzahl-Reduzierung. Die Kündigung ist die härteste Maßnahme für den Arbeitnehmer. In der Praxis heißt es, ein ‚richtiger Personaler‘ ist man erst, wenn man Mitarbeiter entlassen hat. 15.3.7 Führung Lernziele Sie können Führung definieren und kennen die gängigen Führungsstile. Führung gilt als Möglichkeit, eine direkte, persönliche und zweckorientierte Beeinflussung des Verhaltens von Einzelpersonen vorzunehmen (Staehle, 1999, S. 328). Lt. Dwight D. Eisenhower ist „Führung (…) die Kunst, jemand anderen dazu zu bringen, etwas für Sie zu tun, weil er es tun will.“ (Sims et al., 2016, S. 90). Führung ist die beabsichtigte, zielgerichtete Verhaltensbeeinflussung zur Sicherung des einheitlichen, zielgerichteten Handelns. Das zentrale Problem der Lenkung und Steuerung besteht darin, dass das Handeln auf gemeinsame Ziele ausgerichtet sein muss: Gemeinsam und nicht gegeneinander. Führung ist ein sozialer Einflussprozess zur Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Systemleistungen. Der Führende kann sich dazu auf Machtpotenziale stützen, die das Unternehmen bereitstellt (Belohnungs-/ Bestrafungsmöglichkeit) und so die Amtsautorität nutzen oder selbst Wissen, Information, Persönlichkeitswirkung erwerben. Die Einflussnahme ist abhängig von der Persönlichkeit und dem Führungsverhalten oder der Führungssituation. Sanktionsandrohungen sind keine führungsrelevante Machtquelle, wenn für die Geführten keine Bedrohung entsteht. Der Begriff der Führung wird häufig mit Leadership, Management oder Leitung gleichgesetzt. Führung im Sinne von Personalführung ist handlungsorientiert und beinhaltet die zielorientierte Einflussnahme auf Einstellungen und Handlungsweisen der Mitarbeiter durch die Führungskraft mit dem Ziel der Steuerung produktiver, sozialer Systeme. Geführt werden können einzelne Mit- <?page no="501"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 501 Neue Betriebswirtschaft arbeiter, aber auch Gruppen. Führung ist kein einseitiger Akt. Führung ist ein Prozess des Zusammenwirkens zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Das beinhaltet, dass Führung unterschiedlich wahrgenommen wird - je nach beteiligten Personen und deren innerer und äußerer Umwelt. Die Möglichkeiten zur Einflussnahme sind vielfältig. Grundsätzlich kommen zwei Führungsansätze in Frage: [1] Führung durch Strukturen: Im Unternehmen werden im Rahmen der Organisation Strukturen gestaltet, die den Führenden und Geführten das Autoritätsverhältnis aufzeigen. Diese sind z.B. ersichtlich in Organigrammen, Stellenbeschreibungen, Personalentwicklungsprogrammen. [2] Führung durch Menschen: Hier steht das Handeln des Vorgesetzten im Vordergrund. Es geht darum, wie der Vorgesetzte sich darstellt, seine Ziele verdeutlicht, wie er Aufgaben koordiniert und Mitarbeiter motiviert, also um den Prozess der Interaktion (Rosenstiel 2003, S. 3 ff.). Führung ist jedoch abhängig davon, welches Menschenbild der Führende von seinen Mitarbeitern hat. Exkurs Menschenbilder: (Greif 1983, S. 61 f.; Thommen et al. 2017, S. 371) Die Theorie X und Y, die der amerikanische Unternehmensberater Douglas McGregor in den 1950er Jahren entwickelt hat, impliziert die Annahme, dass Führungskräfte bestimmte Annahmen über die Natur der Menschen gemacht haben. Es gibt bestimmte Grundannahmen über die menschliche Natur, die gerade im Personalwesen und gerade in Bezug auf die Motivierbarkeit von Menschen eine große Rolle spielen. Theorie X: Gemäß dieser Aussage ist der Mensch von Natur aus eher „faul“, d.h. der Durchschnittsmensch hat eine angeborene Abneigung gegen Arbeit und versucht sie zu vermeiden, wo immer er kann. Aufgrund dieser Arbeitsabneigung muss der Mensch gezwungen, gelenkt, geführt und unter Androhung von Strafe dazu gebracht werden, das vom Unternehmen gesetzte Soll zu erreichen. Daraus kann gefolgert werden, dass der Durchschnittsmensch eher an die Hand genommen werden will, sich vor Verantwortung eher drückt, wenig Ehrgeiz besitzt und vor allem auf Sicherheit fixiert ist. Dies führt zu einem Teufelskreis, da diese in der Theorie angelegten Vorurteile zu einem eher autoritär und kontrollbetonten Führungsverhalten führen. Wenn Mitarbeiter keine Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln und Verantwortung zu übernehmen, werden sie dieses auch nicht tun. Somit hat sich das Vorurteil bestätigt und der Teufelskreis ist geschlossen. Theorie Y enthält dagegen die folgenden,auf der Grundlage der Motivations- und Persönlichkeitstheorie von Abraham Maslow entwickelten Grundannahmen über Menschen: Der Mensch verausgabt sich körperlich und geistig beim Arbeiten und das kann als ebenso natürlich angesehen werden wie bei Spiel oder Ruhe. Menschen müssen nicht überwacht oder bestraft werden, um sich für die Ziele des Unternehmens einzusetzen. Wenn Menschen sich den Zielen verpflichtet fühlen, wird sich der Mensch der Selbstdisziplin und -kontrolle unterwerfen. Wie sehr ein Mensch sich den Zielen verpflichtet fühlt, hängt von der Belohnung, die mit der Zielerreichung verbunden ist, ab. Der Durchschnittsmensch ist bei geeigneten Bedingungen bereit, Verantwortung zu übernehmen und er sucht sie sogar. Nicht wenige, sondern viele Menschen haben einen hohen Grad an Vorstellungskraft, Urteilsvermögen und Erfindungsgabe. Das Vermögen an Verstandeskräften des Durchschnittsmenschen ist nur zum Teil ausgenutzt (McGregor 1970, S. 61f.; Thommen et al. 2017, S. 371). <?page no="502"?> 502 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft Der Teufelkreis der Theorie X: Die verstärkende Wirkung der Theorie Y: Abb. 15-8: Theorie X und Theorie Y. (Quelle: Eigene Darstellung nach Ulrich, Baitsch und Alioth 1983, S. 18f.; Thommen et al. 2017, S. 371) Fazit: Wenn ein Vorgesetzter das Menschenbild der Theorie X hat, wird er eher autoritär und kontrollhaft führen und den Mitarbeiter dadurch demotivieren, so dass ein Teufelskreis entsteht (die Voraussage hat sich erfüllt). Hat der Vorgesetzte jedoch das Menschenbild der Theorie Y verinnerlicht, so wird er den Mitarbeitern Freiraum zur selbständigen Gestaltung einräumen, sie an Entscheidungsprozessen beteiligen und eine Organisationsgestaltung anstreben, die Initiative und Engagement der Mitarbeiter fördert. Auch hier bestätigt sich der selbstgewählte Führungsstil (Thommen et al. 2017, S. 371). Die Führer-Geführten-Beziehung soll die Leistung, Zufriedenheit oder Loyalität der Geführten verbessern. Führung findet auf allen Ebenen statt: im TToop p- -M M a a nnaa gg e emme en ntt, MM i iddddllee- -M M a a nnaa gg e emme en ntt und im LLoow weer r- -M M a a nnaa gg e emme en ntt. . Grundsätzlich sollte Führung Gerechtigkeit, Verantwortung und Sozialverträglichkeit vereinbaren. (Weber et al. 2014, S. 320 ff.) Theorie X verantwortungssscheu, keine Initiative strenge Vorschriften und Kontrolle passives Arbeitsverhalten Theorie Y Handlungsspielraum, Selbstkonktrolle Initiatvie und Verantwortungsbereitschaft Engagement für die Arbeit bestätigt daraus folgt führt zu führt zu führt zu führt zu verstärkt daraus folgt <?page no="503"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 503 Neue Betriebswirtschaft autoritär patriarchalisch informierend beratend kooperativ delegativ demokratisch Vorgesetzter entscheidet und ordnet an Vorgesetzter entscheidet: Er ist aber bestrebt, die Untergebenen von seinen Entscheidungen zu überzeugen, bevor er sie anordnet Vorgesetzter entscheidet: Er gestattet jedoch Fragen zu seinen Entscheidungen, um dadurch die Akzeptanz der Mitarbeiter zu erreichen Vorgesetzter informiert seine Untergebenen über seine beabsichtigten Entscheidungen: Die Untergebenen haben die Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern, bevor der Vorgesetzte die endgültige Entscheidung trifft Die Gruppe entwickelt Vorschläge. Vorgesetzter wählt aus Die Gruppe entscheidet, nachdem der Vorgesetzte zuvor das Problem aufgezeigt und die Grenzen des Entscheidungsspielraumes festgelegt hat Die Gruppe entscheidet. Der Vorgesetzte fungiert als Koordinator nach innen und nach außen Abb. 15-9: Varianten des Führungsverhalten (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Tannenbaum/ Schmidt, S. 96) Beim autoritären Führungsstil (neue Bezeichnung „telling“) entscheidet der Vorgesetzte, notfalls setzt er mit Zwang seine Anliegen durch. Er bevorzugt die Befehlsform und gibt nur die jeweils nächsten Arbeitsschritte bekannt. Auf Überzeugung verzichtet er. Seine Gruppenmitglieder lässt der autoritäre Führer nicht an Entscheidungen partizipieren; er kontrolliert eher das Verhalten der Gruppenmitglieder. Der patriarchalische Vorgesetzte entscheidet und setzt mit Manipulation durch. Beim informierenden Führungsstil entscheidet der Vorgesetzte und setzt mit Überzeugung durch. Beratender Führungsstil bedeutet, dass der Vorgesetzte informiert, und die Betroffenen äußern ihre Meinung zu dem jeweiligen Fall. Beim kooperativen Führungsstil entwickelt die Gruppe Vorschläge, aus denen der Vorgesetzte eine Lösung auswählt. Der delegative Führungsstil beinhaltet, dass der Vorgesetzte Verantwortung abgibt (delegiert). Beim demokratischen Führungsstil entscheidet die Gruppe im vereinbarten Rahmen autonom. (Tannenbaum/ Schmidt 1958, S. 95 ff.) Der autoritäre Führungsstil Vorteile: Schnelle Handlungsfähigkeit: in Krisensituationen ist es wichtig, schnelle Entscheidungen zu treffen; die Verantwortung ist klar. Nachteile: Die Mitarbeiter werden demotiviert und sehen keine Notwendigkeit, sich eigene Gedanken zu machen und selbst initiativ zu werden. Der Vorgesetzte wird leicht überfordert mit der Aufgabe, alles selbst entscheiden zu müssen. Fehler oder falsche Einschätzungen können die Folge sein. Wenn der Vorgesetzte mal abwesend ist, geht die Arbeit nicht weiter. Der kooperative Führungsstil Vorteile: Die Motivation der Mitarbeiter wird gefördert, weil die Ideen und Vorschläge der Mitarbeiter ernst genommen werden. Der Vorgesetzte wird entlastet. Das Arbeitsklima ist angenehm und fördert gute Ergebnisse. Nachteile: Es besteht die Gefahr, dass es zu keinen klaren Entscheidungen kommt. In seinem Bemühen, es allen recht zu machen, kann sich der Vorgesetzte im Ernstfall nicht durchsetzen. Darunter können die Disziplin leiden und notwendige Entscheidungen auf die lange Bank geschoben werden. Der demokratische („delegating“) Führungsstil Vorteile: Da die Mitarbeiter selbstbestimmt mit einem großen Spielraum handeln, kann sich das <?page no="504"?> 504 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft motivierend auswirken und die Mitarbeiter können ihre persönlichen Stärken einbringen. Nachteile: Nicht jeder Mitarbeiter kann mit dem hohen Maß an Freiheit umgehen. Ohne die ordnende Hand des Vorgesetzten tritt leicht Desorientierung auf. Google, IBM, Cisco und AT&T pflegen den demokratischen Führungsstil. (Nickels et al. 2015, S. 198) Im 21. Jahrhundert gilt die Devise, dass eine Führungsperson mehrere Führungsstile nebeneinander praktizieren sollte und diese sollten situationsorientiert sein. Grundsätzlich geht man heute eher weg vom Kontrollieren, sondern mehr zum Coaching (‚Versuchen Sie es so! ‘). Es wird nicht mehr abgestraft, sondern nur gestärkt, da ansonsten der Mitarbeiter abspringen würde. Der Chef ist Coach, Dirigent, Motivator, Unterstützer. Eine offene Fehlerkultur müssen wir zulassen, Ausprobieren muss normal werden und es soll ermuntert werden zum Scheitern. „Die besten Führungspersönlichkeiten tun alles, um das Selbstwertgefühl ihrer Mitarbeiter zu stärken.“ (Sam Walter) (Sims et al. 2016, S. 88) Übung 9: Überlegen Sie sich, welcher Führungsstil für Sie am motivierendsten ist. Management Summary Führung bedeutet nicht zu dominieren, zu manipulieren oder zu nötigen, aber auch nicht anbiedern oder ‚bestechen‘. Führung ist der Vorgang, bei dem ein Mensch einem anderen Menschen die Einflussnahme erlaubt; dabei ist das Ziel eine Führung mit Leichtigkeit, das heißt intelligent und wirkungsvoll bei gleichzeitig minimalem Machteinsatz. Trends im Personalwesen und Arbeit 4.0 Der technologische Fortschritt hat schon immer eine bedeutende Rolle in der Gestaltung der Arbeitsumgebung und des Arbeitslebens gespielt und insofern wird auch die digitale Transformation große Veränderungsprozesse im Arbeitsleben hervorbringen. Elektronische und digitale Medien beherrschen nicht nur das Privatleben, sondern auch die Arbeitswelt (Rump & Eilers 2016, S. 5). Rasche technologische Veränderungen, turbulente Marktentwicklungen, Globalisierung und der demografische Wandel werden die Zukunft des Personalmanagements prägen (Weber et al. 2014, S. 325). Durch die Smartphones hat man sein Büro in der Hosentasche. Arbeiten kann man von überall auf der Welt. Junge, gut ausgebildete Menschen fordern neue Formen des Arbeitslebens, starre Büro-Anwesenheitszeiten verlieren mehr und mehr an Attraktivität. Sie wollen ausprobieren, scheitern und Fehler sollen erlaubt sein. Henry Ford sagte schon: „Suchen Sie nicht den Fehler - finden Sie die Lösung-“ (Sims et al. 2015, S. 91) Vorgesetzte werden zu Coachs, Schwächen werden durch ein Stärken der Stärken ausgeglichen, starre Anweisungen werden abgestraft. Wenn sich Mitarbeiter nicht genug gefördert, gestärkt, wertschätzt fühlen, sind sie schnell gewillt, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, sie kündigen zum letzten Termin und gehen ohne zurückzuschauen. Zudem wissen sie, dass mindestens fünf potenzielle neue Arbeitgeber auf sie warten. Arbeitgeber müssen sich um neue Mitarbeiter bemühen, wenn nicht gar kämpfen (Kampf um Talente). Als Arbeitgeber muss man beliebt sein, um zu diesem Kampf überhaupt zugelassen zu werden. <?page no="505"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 505 Neue Betriebswirtschaft Durch den demografischen Wandel sind die Unternehmen zudem gezwungen, ältere Mitarbeiter mehr zu fördern und zu pflegen als je zuvor. Heute haben auch über 50jährige noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt und sind wechselbereit. Unternehmen entwickeln Programme, bspw. zur Gesundheitsvorsorge, zur altersgerechten Arbeitsplatzbesetzung, für gestaltbare Lebensarbeitszeitmodelle und Inhouse Sport- und Fitnessangebote. Zudem gewinnt der Ansatz der gesunden Führung mehr und mehr an Bedeutung. Die Vergütung wird sich vermehrt an den Qualifikationen der Mitarbeiter orientieren (Skill-Based- Pay). Die Entlohnung ist somit nicht mehr unbedingt an den Anforderungen des Arbeitsplatzes oder an den Leistungen der Mitarbeiter gekoppelt. Ein Qualifikationszuwachs führt somit automatisch zu einem Lohnzuwachs. Hiermit soll der wachsenden Komplexität der Arbeitsplätze Rechnung getragen werden (Weber et al, 2014, S. 325). Wenn Arbeitskräfte knapper werden, müssen sich auch die Unternehmen anpassen und über neue Wege der Mitarbeitergewinnung, -bindung (Retention Management) und Motivation nachdenken. Der Aufbau einer Arbeitgebermarke (Employer Branding) kann helfen, dem zunehmenden Fachkräfteengpass entgegenzuwirken. Neue potenzielle Mitarbeiter werden durch ein attraktives und unverwechselbares Image des Arbeitgebers angezogen, die Bewerberpassung gelingt leichter und der Rekrutierungsaufwand wird reduziert. Bei den vorhandenen Mitarbeitern kann eine emotionale Bindung zwischen Mitarbeiter und Unternehmen eher gelingen, womit eine längerfristige Bindung der Arbeitnehmer an das Unternehmen funktionieren kann (Weber et al. 2014, S. 326). Zudem wird die Fluktuation reduziert. Arbeit 4.0 ist ein häufig genutztes Schlagwort, wenn es um Zukunft der Arbeit geht. Neben der digitalen Transformation, der Individualisierung, dem Wertewandel, der zunehmenden Volatilität haben wir einen Trend zur Wissens- und Informationsökonomie. Durch die Konsequenzen dieser Trends wird es zu einem tiefgreifenden Wandel der Arbeitsformen, -beziehungen, Kompetenzanforderungen und Berufsbilder kommen (Rump & Eilers 2016, S. 3). Kinder, die heute zur Schule gehen, kennen die Berufe noch nicht, die sie wahrscheinlich ergreifen werden, weil es diese noch gar nicht gibt. Leben und Arbeiten wird zunehmend übergangslos stattfinden. Bei Arbeit 4.0 geht es darum, wie wir in Zukunft leben und arbeiten werden. technisch-ökonomische Entwicklungen demografische Entwicklung gesellschaftliche Entwicklung Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Kostendruck und Innovationsdruck Digitale Transformation Beschleunigung und gleichzeitige Komplexitätszuwachs Volatibilität, Innovation und Wissensökonomie Verknappung der Rohstoffsituation und Energieversorgung Alterung der Gesellschaft und der Belegschaft Schrumpfung der Gesellschaft Verknappung der Nachwuchskräfte Verringerung des Erwerbspersonenpotenzials Verlängerung der Lebensarbeitszeit Sensibilisierung für Nachhaltigkeit Diversität Feminisierung Individualisierung Wertewandel Polarisierung der Gesellschaft Abb. 15-10: Trends und Entwicklung in der Arbeitswelt (eigene Darstellung nach Rump & Eilers 2016, S. 5) Durch die Digitalisierung kommt es lt. Rump & Eilers zu neuen Formen der Zusammenarbeit und Koordination trotz räumlicher und zeitlicher Verteilung (2016, S. 5). Zudem ist der Zugang zu globalen Ressourcen, Wissen und Kompetenzen enorm erleichtert worden (Münchner Kreis 2013). <?page no="506"?> 506 Irene E. Rath Neue Betriebswirtschaft Aufgabenverteilung und Arbeit können somit in vielen Bereichen unabhängig von Zeit um Raum erfolgen. Expertenteams aus aller Welt arbeiten häufig gemeinsam an Projekten, so dass es möglich ist, Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen, Erfahrungen und Kenntnissen über Ländergrenzen hinweg zu vernetzen und optimal miteinander zu kombinieren (Rump & Eilers 2016, S. 5). Zudem erfolgt durch die Digitalisierung ein Aufweichen der Grenzen zwischen Belegschaft und Kundenkreis (Accenture 2012) und der klassischen Grenzen von Unternehmen. Die reale und virtuelle Welt verschmelzen im „Internet der Dinge“ immer mehr. Geschäftsprozesse verändern sich, da Mitarbeiter zu jeder Zeit vom jedem Ort auf Daten und Information zugreifen können (Rump & Eilers 2016, S. 6). Junge Menschen möchten beim Arbeiten leben und beim Leben arbeiten. Arbeit muss flexibler werden. Es herrscht die Möglichkeit zum ‚Anytime and Anywhere‘-Arbeiten, was jedoch die Gefahr von everywhere und everytime beinhaltet. Das erfordert mehr Fähigkeit zum Selbstmanagement (Boundary Management), was eine Kompetenz zur Lebensführung inkl. Grenzziehung (auch mal Nein zu sagen) beinhaltet. Ergebnisse werden mehr zählen als abgeleistete Arbeitsstunden (Rump & Eilers 2016, S. 30ff.). Die ‚Digital natives‘, die Generation mit einer hohen Technologieaffinität, tragen diese Affinität in die Arbeitswelt. Sie haben ein großes Bedürfnis nach Austausch von Wissen, Fähigkeiten und Ideen. Lotzmann, Vice Präsident HR und Chief Medical Office des Global Health Management bei SAP, formulierte es im Rahmen einer Podiumsdiskussion so: „Alle Betriebe werden irgendwann über die gleichen Technologien verfügen. Was sie am Markt unterscheidet, sind Einstellungen, Verhalten und Engagement der Mitarbeiter“ (2015). Die zukünftige Arbeitswelt wird durch eine zunehmende Volatilität, also einer Unbeständigkeit und Flüchtigkeit von Dienstleistungen und Produkten geprägt sein. Zudem werden die Innovationszyklen und Produktlebenszyklen immer kürzer und die Komplexität größer. Durch die Möglichkeit, überall und jederzeit zu arbeiten, müssen hochwertige Ergebnisse schneller geliefert werden, was dazu führen kann, dass die Aufgaben nicht immer mehr vollständig beherrscht werden. Kunden/ innen sind besser informiert und somit mündiger und erwarten Rundum-Lösungen (Rump & Eilers 2016, S 15 ff.). Die Halbwertzeiten von Wissen verkürzen sich. Auch Wissensarbeit wird weltweit verteilt werden. Aufgrund dieser digitalen Entwicklungen werden sich die Profile der Menschen weltweit immer mehr angleichen, was dazu führt, dass der ‚Krieg um die besten Talente‘ nicht mehr national, sondern weltweit geführt werden wird. Flexibilität, Wendigkeit und Schnelligkeit spielen in der digitalisierten Welt eine entscheidende Rolle (Rump & Eilers 2016, S 16f.). Schlussbemerkung Personal ist die wichtigste Ressource eines Unternehmens. Zudem wird ein Fachkräftemangel immer wahrscheinlicher. Heute muss sich das Unternehmen bei potenziellen neuen Mitarbeitern bewerben. Es wird eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sein, das richtige Personal an den richtigen Stellen zu haben und zu halten. Zudem sollten die Mitarbeiter noch hochmotiviert sein. LLiitteerraattuurr Accenture (2012) Pulse Check: Generation Y im Berufsalltag. http: / / www.accenture.com/ Micro sites/ talentmanagement/ Documents/ downloads/ 1304_FL_TalMgmt_Pulse_Check_0.3.pdf. abgerufen: 07. Dez. 2017 Achouri, C.: Human Resources Management: Eine praxisbasierte Einführung, Wiesbaden: Gabler 2011 <?page no="507"?> 15 Einführung in das Personalmanagement 507 Neue Betriebswirtschaft Adams, J. S.: Toward an understanding of inequity. Journal of Abnormal and Social Psychology, 67(5), 1963, S. 331-341 Anderson, N. R.: (1991). Decision Making in the Graduate Selection Interview: An Experimental Investigation. In: Human Relations, 44. Jg. H. 4. 403-417 Andrzejewski, L: (2003). Personalabbau und Kündigung wirtschaftlich, professionell und fair gestalten. Hernsteiner-Fachzeitschrift für Managemententwicklungen (16(3)), S. 4-9 Bartscher, T., Stöckl, J. & Träger, T.: Personalmanagement, München: Pearson 2012 Beck, C.: Personalmarketing 2.0: Vom Employer-Branding zum Recruiting, 2008 Berthel, Jürgen & Becker, Fred G.: Personal-Management, 9. Auflage, Konstanz: Schäffer, Poeschel, 2010 Bühner, R.: Personalmanagement, 3. 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Paris 1916 Fehling, J.: , Fitness-Studio, iPhone, Porsche fahren, Azubi im Wunderland: Mit diesen Prämien ködern Chefs den Nachwuchs, 2.2.1014, focus online: http: / / www.focus.de/ finanzen/ karriere/ dienstwagen-fitnessstudio-entspannungsoase-azubi-im-wunderland-10-top-offerten-mit-denenarbeitgeber-um-nachwuchs-buhlen_id_3596111.html, abgerufen 2.10.1017 Biermann, T.: Dienstleistungs-Management, München [u.a.]: Hanser 1999, (Reihe Management Praxis). Greif, S.: Konzepte der Organisationspsychologie. Bern, Stuttgart, Wien: Hans Huber 1983 Heinrich, C.: Was ist ein Mensch wert, Die Zeit, Nr. 35, 26.8.2010, S. 63 Hentze, J. & Graf, A.: Personalwirtschaftslehre 2. Personalerhaltung uns Leistungsstimulation, Personalfreistellung und Personalinformationswirtschaft, 7., überarbeitet Auflage, Stuttgart: UTB 2005 Herzberg, F.: Was Mitarbeiter in Schwung bringt, in: Harvard Business Manager, 2003, Heft 4, S. 50-62 Holtbrügge, D.: Personalmanagement, 6. 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Sie sollen erkennen und begreifen, dass sich die Organisation in einem Industriebetrieb als Geschäftsmodell, beispielsweise aus einer Strategie und einem herzustellenden Produkt, ableiten lässt, unter Beachtung der Anforderungen an die Produktivität, Wirtschaftlichkeit und der Rentabilität. ! Sie sollen lernen, dass die sachlichen Unternehmensziele, z. B. billige Autos zu produzieren, die Strategie bestimmt, hier die Kostenführerschaft nach Porter, und damit die Wertschöpfungskette im Unternehmen. Die Wertschöpfungskette ist hier die Prozessorganisation oder Ablauforganisation, um einen angestrebten Return on Investment, gemäß der unternehmerischen Voll- oder Teilkostenrechnung zu erzielen. ! Sie sollen organisationsanalytisch verstehen, dass das Unternehmensziel zum Ziel der Gesamtorganisation wird, das mengen- und artenteilig auf fiktive Stellen oder personale Stelleninhaber aufgeteilt und verteilt wird, um das Unternehmen produktiver werden zu lassen, um Qualitätsfehler zu vermeiden, um Kosten und Leistungen Organisationsbzw. Kostenstellen zuzuordnen und die Rentabilität der Herstellung und des Verkaufs von Produkten durch das Controlling zu überprüfen. ! Sie sollen lernen, dass das Organisationsphänomen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, zu definieren und zu verstehen ist, Stichworte hierzu sind u. a. der institutionelle Organisationsbegriff, der instrumentelle und der funktionale Organisationsbegriff, insbesondere im Zusammenhang mit dem Substitutionsge-setz der Organisation und der Innovation. ! Sie sollen lernen, dass man bei der Organisation oft zwischen Organisationsstruktur bzw. Aufbauorganisation sowie zwischen Geschäftsprozessorganisation und Ablauforganisation unterscheidet. Dabei dient die Aufbauorganisation der Unternehmenszielfindung und -durchsetzung des Unternehmensziels. Die Hierarchie der Aufbauorganisation dient als Befehlskanal des Direktionsrechts. Die Geschäftsprozessorganisation oder Ablauforganisation soll insbesondere der Herstellung und des Vertriebs des Produktes dienen, um die Rahmenbedingungen, insbesondere die Plankosten des Produktes einzuhalten, die Zeit der Belieferung und die Einhaltung der Qualität des Produktes zu garantieren, die Humanisierung des Arbeitsplatzes und die Motivation der Mitarbeiter zu berücksichtigen, usw. Innovationen sind für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit für Unternehmen relevant, erfordern aber auch einen permanenten organisatorischen Wandel, ein Change Management, der Aufbau- und Ablauforganisation sowie der Weiterbildung bzw. Qualifikation der Stelleninhaber bzw. deren Versetzung oder deren Ausscheiden aus der Organisation, ein Prozess der kaum konfliktfrei abläuft. ! Treten in der Organisation Probleme auf, bedient man sich entweder der Aufgabenanalyse bzw. Organisationsanalyse oder der empirischen Personal- und Organisationsforschung. <?page no="512"?> 512 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Die Aufgabenanalyse bzw. Organisationsanalyse dient zum Beispiel Konflikte zwischen Stellen, Abteilungen und/ oder Bereiche/ Sparten im Hinblick auf Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen zu untersuchen, um dann neue organisatorische Gestaltungskonzepte zu entwickeln. Aufgaben- und Arbeitsanalysen dienen aber auch als Voraussetzung, um Arbeitsabläufe mittels von Computern automatisch zu programmieren oder in einer Vorstufe spezifische Logistikkonzepte wie Just-in-Time einzuführen, um kundenorientiert Produkte/ Autos zu liefern, deren Produktivität zu erhöhen, wirtschaftlich und rentabler zu arbeiten. Eine empirische Organisations- und Personalforschung ist meist dann notwendig und sinnvoll, wenn Unternehmen z. B. einen demographischen Wandel ausgesetzt sind, und bestimmte Personalgruppen, wie junge Mütter, bestimmte personalpolitische und organisatorische Instrumente und Maßnahmen vom Unternehmen erhoffen und erwarten, um auf ihre familiären und Berufsprobleme besser einzugehen, wenn man sie als Mitarbeiterinnen im Unternehmen möchte. ! Sie sollen mit Hilfe eines Organisationscontrollings lernen und erkennen, dass optimale Ablauforganisationen, wie das Just-in-Time-Logistikkonzept, die Rentabilität eines Automobilunternehmens nach einem Change Management enorm erhöhen kann. Ein Marketing kann diese Rentabilitätssteigerung im Logistikbereich kaum in gesättigten Märkten durch alternative Umsatzsteigerungen, wie in der Autobranche, kompensieren. Derartige Rentabilitätssteigerungen wie im Logistikbereich sind nur durch Produktinnovationen möglich, wobei darauf hingewiesen werden muss, dass Just-in-Time eine Prozessinnovation in der Ablauforganisation war und ist. Toyotas Just-in-Time: Eine organisatorische Erfolgsgeschichte 16.1.1 Historischer Hintergrund Dass ablauforganisatorische Erfolgsmodelle nicht vom Himmel fallen, sondern zufällig, praktisch und theoretisch entwickelt werden müssen, lässt sich in einem historischen Abriss zur japanischen Automobilindustrie zumindest andeuten. Toyota und Nissan wurden 1933 in einer Förderphase des Ministry of Commerce and Industry (MCI) gegründet. Erst 1949 erlaubte die amerikanische Besatzungsmacht in Japan Personenkraftwagen wieder zu produzieren. 1952 stellte das Ministry of International Trade and Industry (MITI), als Nachfolgeorganisation des MCI seine Politik des Protektionismus und des Technologietransfers für die japanische Automobilindustrie auf, die diese vor amerikanische und europäische Konkurrenz schützte. Da Gründungen ausländischer Unternehmen in Japan nach 1946 untersagt waren und ausländische Unternehmen sich an japanische Unternehmen nur bis 20 Prozent beteiligen durften, war Japan kein interessantes Zielland für ausländische Investitionen. Deshalb stellte die Lizenzvergabe an japanischen Autoproduzenten die einzige Möglichkeit dar, den japanischen Markt mit europäischen und amerikanischen Automobilen zu erobern. Zwischen 1952 und 1953 konnten vier japanische Automobilhersteller auslän-dische Hersteller finden, die ihnen Lizenzen einiger Automarken erteilten. Nissans Lizenzvertrag war so ausgestaltet, dass Nissan zunächst alle zur Herstellung eines PKWs notwendigen Teile von Austin aus Europa geliefert bekam. Ab dem zweiten Vertragsjahr sollte Nissan im Stande sein, Lieferanten in Japan zu gewinnen, um den Austin 40 eigenständig zu produzieren. Zur Sicherstellung dieses Ziels wurden die Nissan-Mitarbeiter intensiv von Austin-Ingenieuren geschult und beraten. <?page no="513"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 513 Neue Betriebswirtschaft Bereits Ende 1955 erreichte Nissan das Ziel, dass 100 Prozent aller Teile aus Japan kamen. Aus der Notwendigkeit, Teile aus anderen Ländern zu beziehen und später aus einer großen Zuliefererindustrie aus Japan zu beziehen, entstand das revolutionäre, organisatorische „Just-in-Time- System“. D. h. wenn Autos bestellt und verkauft werden können, und wenn das Automobilunternehmen nur so viele Teile bestellt und bezieht, wie es für die momentane Produktion von bestellten Autos braucht, spricht man vom „Just-in-Time-Verfahren“. Um nur einige betriebswirtschaftliche Nebeneffekte herauszustellen, sei betont, dass dadurch der japanische Automobilhersteller keine Grundstücke oder Gebäude für den Einkauf und die Logistik benötigte, keine Lagerhaltung für die Einzelteile der zu montierenden Autos, kein Lagerpersonal und auch keine Lagerverwaltung. Es wurde also viel Kapital und Kosten eingespart. Toyota und Nissan waren die ersten japanischen Autounternehmen, die versuchten, eigene (innovative) Autos zu entwickeln und zu exportieren. Zum damaligen Zeitpunkt glaubten beide Hersteller, dass sie mit ihrem kleinen, einfach gebauten japanischen PKW im europäischen, insbesondere im amerikanischen Markt keine Wettbewerbschancen besaßen. Als jedoch europäische Kleinwagenhersteller, wie der VW-Käfer, erste nachhaltige Exporterfolge auf dem amerikanischen Markt erzielten, erwogen auch Toyota und Nissan, Kleinwagen in die USA zu exportieren. Damit traten für Toyota mehrere Probleme auf: a) Wie sieht ein wettbewerbsfähiges Auto aus, das z. B. dem VW-Käfer Konkurrenz machen und vom amerikanischen Markt aufgenommen werden könnte. Der Erfolg des VW-Käfers in Amerika konnte auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden. Er war gut konstruiert und verarbeitet und hatte einen geringen Benzinverbrauch sowie einen niedrigen Verkaufspreis. Damit erfüllte er das Bedürfnis vieler Amerikaner in den 1950er und 1960er Jahren, nämlich ökonomischer zu sein als amerikanische Autos. Entscheidend zum Erfolg des VW-Käfers in den USA trug jedoch bei, dass Volkswagen frühzeitig die Notwendigkeit einer hohen Servicequalität erkannt hatte und ein flächendeckendes Werkstattnetz mit einem zuverlässigen Kundendienst aufgebaut hatte. So konnte VW dem Image und dem Vorurteil entgegenwirken, dass ausländische Autos generell teure Unterhaltskosten verursachen und Ersatzteile nur schwer erhältlich sind. Nissan und Toyota stellten fest, dass die Penetrationsrate ausländischer Autos an der Pazifik- und Atlantikküste der USA am höchsten waren, was ihnen entgegenkam. Weiter profitierten ausländische Automarken davon, dass die Autohändler in den USA nicht an Autohersteller gebunden waren und die USA keinen Protektionismus gegenüber ausländischen Autohersteller praktizierten. Toyota und Nissan nahmen sich den VW-Käfer als Vorbild und stellten die größten Schwachpunkte des V W- Kä fer s b ei ih ren Au to s ab . Di e am er ik a n isc he n Kä ufer w ün sc ht en s ic h ein en g röße re n Motor, um die langen Strecken in Amerika besser zu bewältigen, und eine bessere Innenausstattung des Autos. Der 1965 eingeführte Toyota Corona wurde speziell für den amerikanischen Markt mit einigen Innenausstattungszusätzen produziert, die andere importierte Kleinwagen nicht aufweisen konnten. Beispielsweise waren die Sitze weich gepolstert, der Boden der Autos wurde mit Teppichböden ausgekleidet, und sie hatten getönte Windschutzscheiben. Darüber hinaus besaß der Corona mit 90 PS einen doppelt so starken Motor wie sein direkter Konkurrent, der VW-Käfer. Zum Zeitpunkt der Markteinführung war der Corona der einzige importierte Kleinwagen in den USA, der über ein automatisches Getriebe verfügte. Mit innovativen Autos wie Corona und Corolla (1967) legte Toyota den Grundstein seines Weltruhms und dafür, in Zukunft die Nr. 1 am Weltmarkt zu werden. Bis 1967 schafften Toyota und Nissan es, die Preise ihrer Kleinwagen dem Niveau vergleichbarer europäischer Autos anzugleichen. Der Toyota Corolla wurde 1967 mit 1.374 Dollar angeboten, während der VW-Käfer 1.375 Dollar kostete. Der Datsun 310 von Nissan war mit 1.339 Dollar sogar billiger als der vergleichbare Austin Mini Deluxe mit 1375 Dollar. <?page no="514"?> 514 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Toyota und Nissan kam es beim Vertrieb entgegen, dass es amerikanischen Automobilherstellern verboten war, Vertragshändler zu verpflichten, ausschließlich nur ihre Marken zu führen. Um den Automarkt in Amerika zu erobern boten japanische Automobilhersteller den Vertragshändlern Gewinnmargen zwischen 18 und 20 Prozent an, im Gegensatz zu den 12 bis 13 Prozent von Ford, General Motors und Chrysler vom Endverkaufspreis. Toyota war der erste Automobilimporteur in den USA, der Fernsehspots für seine Modelle einsetzte. ! 971 hatte Toyota mit 39 Prozent den höchsten Werbemarktanteil an TV-Werbung von allen Automobilunternehmen in den USA. b) Wie konnte Toyota diesen Erfolg erzielen, da 1960 in ganz Japan nur 165.000 PKW pro Jahr produziert wurden, während im selben Jahr in den USA 6,6 Millionen PKW verkauft wurden? Genau hier setzt die Problematik der japanischen Automobilhersteller mit der Organisation und Qualitätssicherung in der Produktion und in der Einkaufslogistik an. Im Vergleich zu Japan waren die USA schon sehr früh in den 1910er und 1920er Jahren motorisiert. Dies wurde durch die Ablauforganisation/ Prozessorganisation des technischen Erfolgsmodells Fließband von Taylor/ Ford in der Automobilbranche möglich. 1914 überführte Ford die Werkstattproduktion der Einzelfertigung von Automobilen zur ablauforientierten Fließproduktion des Automobils mittels Fließband nach den wissenschaftlichen Vorgaben der wissenschaftlichen Betriebsführung nach Taylor. Durch die innovative, tayloristische Produktionsmethode mit dem Fließband war es möglich, kleine PKW einfacher Bauart kostengünstig in Massenproduktion herzustellen. Durch die Massenproduktion konnte man sein Personal spezialisieren und die Personalkosten senken. Die Personalkosten sanken mit den Produktivitätserhöhungen durch Lern- und Übungseffekte am Arbeitsplatz und in der gesamten Produktionsorganisation. Man konnte durch den Taylorismus genaue Arbeitszeiten pro Mitarbeiter und Organisationsstelle bzw. Arbeitsplatz bestimmen sowie die Materialverbrau ch smen ge n k alk uli eren u nd dam it P lan ko sten de r He rs tellu ng eines Au tos besti mm en und ko ntrollieren. Modern gesprochen haben Ford 1914 und Toyota 1967 die Kostenführerschaft als Strategie nach Porter (1982) mittels der Verwirklichung der Erfahrungskurve (Henderson, 1972) praktiziert und erfolgreich implementiert. Auch die japanische Automobilindustrie hat von Anfang an versucht, das Gesetz der Massenproduktion zu verwirklichen, um die Fixkosten zu senken. Ford hatte dies erstmals mit dem Modell T durch die Fließbandproduktion und durch den Verkauf des Autos in den gesamten Vereinigten Staaten geschafft. Toyota und Nissan setzten auf eine aggressive Exportwirtschaft nach Amerika, Asien und später nach Europa, um hohe Produktionsmengen zu erzielen. Toyota und Nissan kannten das Erfolgsmodell Fließband von 1914 von Ford und Taylor. Durch diese innovative Ablauforganisation und dank der Erfahrungskurve konnten Ford den Preis des Modells T von 850 Dollar auf 450 Dollar und bis 1926 sogar auf 310 Dollar senken. Durch die implizite Strategie der Kostenführerschaft war das Modell T als (Volks-)Auto zum ersten Mal auch für die Käufer mittlerer Einkommen erschwinglich und erweiterte den Automarkt und dessen Wachstumsmöglichkeiten enorm. Die VW-Käfer-Produktion und die Produktion des Corollas übernahmen dieses organisatorische Erfolgsmodell von Ford und Taylor. Dass Toyota aber noch erfolgreicher als Ford und VW werden sollte, lag einmal an der innovativen Produktpolitik und am Just-in-Time-Konzept mit den neuen Controllinginstrumenten wie das Target-Costing und der Prozesskostenrechnung, die die Ablauforganisation wirtschaftlich besser steuern halfen. Ebenso perfektionierte die japanische Automobilindustrie ihre Vertriebsorganisation für ihre Exporte. Zwischen 1978 und 1985 versuchten europäische und amerikanische Organisationstheoretiker den Erfolg der japanischen Automobilindustrie mit der japanischen Mentalität und Unternehmenskulturen zu begründen. Erst spät erkannte man, dass die Japaner die amerikanische Literatur zur <?page no="515"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 515 Neue Betriebswirtschaft Qualitätskontrolle, aber auch Kosiols Buch zur Organisation der Aufbau- und Ablauforganisation (1961) übersetzt hatten, um ihr Logistik-Konzept „Just-in-Time“ bzw. Lean-Management in der Ablauforganisation zu perfektionieren. Zusätzlich fand eine Überprüfung der Strategieimplementierung in der Organisationsablaufanalyse in Abstimmung mit dem Rechnungswesen laufend statt, um permanent Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitsverbesserungen zu erzielen. Die japanische Mentalität und Unternehmenskultur hat den Organisationswandel im strukturellen Ansatz nur „psychologisch-unternehmenskulturell“ unterstützt, erklärt aber nicht deren betriebswirtschaftlichen Erfolg. Dieser Beweis wird durch eine fiktive Return-on-Investment-Rechnung im unteren Beispiel bewiesen. Ansonsten lesen Sie mehr dazu im Kapitel Ablauforganisation bzw. zum Lean-Management. In Abb. 16-1 finden sie den Zusammenhang zwischen Rechnungswesen, Kostenstellen bzw. Organisationsstellen und Kostenträgerrechnung angedeutet. Abb. 16-1: Zusammenhang Rechnungswesen, Organisatuinsstellen und Kostenträgerrechnung 16.1.2 Organisationscontrolling: Just-Time-Konzept und Return-on-Investment anhand eines fiktiven Beispiels Fall Ein Automobilunternehmen will den Return on Investment seiner Produktpalette (bestehend aus den Produktgruppen A = PKW, B = Sportwagen und C = LKW) errechnen und durch eine Verbesserung seiner organisatorischen Logistikkonzepte im Beschaffungsbereich verbessern. Aus der Buchhaltung und aus der Kosten- und Leistungsabrechnung (Controlling) können für das letzte Jahr folgende Zahlen ermittelt werden (siehe unten). <?page no="516"?> 516 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Freigesetztes Kapital bzw. Finanzierungsmittel sollen in Zukunft in Diversifikationsoptionen des Konzerns investiert werden (vgl. Portfoliomanagement). Grundstücke/ Gebäude A: 10.000 Produktionsanlagen A: 3.000 B: 20.000 B: 16.000 C: 15.000 C: 6.000 Lagerbestände A: 4.000 Forderungen A: 6.000 B: 18.000 B: 5.000 C: 7.000 C: 7.000 Flüssige Mittel A: 3.000 Umsatz A: 40.000 B: 4.000 B: 45.000 C: 2.000 C: 15.000 Variable Kosten A: 15.000 Unternehmensfixkosten 30.000 B: 22.000 C: 8.000 Fragen [1] Errechnen Sie für die Produktpalette des Konzerns den Return on Investment (ROI). [2] Machen Sie gezielte Vorschläge für Parameteränderungen in Form neuer Logistik-konzepte des Lean Managements bzw. des Just-in-Time-Konzeptes von Toyota, um in den nächsten Jahren der ROI um 10 Prozent zu erhöhen. [3] Wo sehen Sie Weiterentwicklungsoptionen, um den ROI zu erhöhen? Literatur Schmeisser, W. ( 1997): Internationale Strategien der japanischen Automobilindustrie zur Erschließung des amerikanischen Automobilmarktes bis 1992; in Clermont, A. / Schmeisser, W. (Hrsg.): Internationales Personalmanagement, Vahlen-Verlag, München, S. 165 - 194. Schmeisser, W. / Clausen, L. (2009): Controlling und Berliner Balanced Scorecard Ansatz, Oldenbourg Verlag, München. Schmeisser, W. / Andresen, M. / Kaiser, S. (2012): Personalmanagement, UTB basic, München, S. 12 ff. Schmeisser, W. / Stoeff, D. (2014): Leanmanagement (E-Book), München. Organistionsziele: Ohne Ziele keine Performance-Messung Wenn man danach fragt, warum Unternehmen sich eine Organisation geben, d. h. eine in Form der Aufbauorganisation und eine in Form der Ablauforganisation, dann sind mehrere Antworten denkbar, hinter denen sich implizite Organisationsziele verbergen: [1] Die Unternehmung ist eine Organisation. In der Literatur nennt man dies den institutionellen Organisationsbegriff . Die Unternehmung ist z. B. eine Aktiengesellschaft und muss im Handelsregister angemeldet werden. Sie tritt im Innen- und Außenverhältnis als eine juristische Person auf, die durch einen Organträger, den Vorstandsvorsitzenden, gegenüber Banken, Finanzamt, Gewerkschaften, Arbeitsgerichten, Lieferanten und Kunden vertreten wird. <?page no="517"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 517 Neue Betriebswirtschaft Das Organisationsziel ist hier ein juristisches Ziel, nämlich dass die Unternehmung klagen und verklagt werden kann. Im Innenverhältnis benötigt die Aktiengesellschaft eines Aufsichtsrates, eines Vorstandes und sie muss einmal im Jahr eine Hauptversammlung mit Aktionären abhalten. Es müssen ein Betriebsrat und eine Frauenbeauftragte gewählt werden (vgl. Corporate Governance-Ansatz) usw. [2] Die Unternehmung hat eine Organisation. Wenn die Unternehmung eine Organisation hat und von einem Vorstand als Organträger z. B. einer Aktiengesellschaft geführt wird, dann bedient sich der Vorstand einer Organisation, um besser operativ und strategisch das Unternehmen führen zu können. In diesem Fall spricht man davon, dass die Unternehmung eine Organisation hat. In der Organisationslehre spricht man hierbei vom instrumentellen Organisationsbegriff. Die Organisation dient dem Vorstand, seine Ziele und Strategie wertschöpfungsorientiert mittels einer Primärorganisation (Aufbauorganisation), z. B. durch eine funktionale Organisation, Geschäftsbereichsorganisation, Matrixorganisation und in Form einer Sekundärorganisation (Ablauforganisation) z. B. produktorientierte, prozessorientierte und kundenorientierte Prozessorganisation zu implementieren. Organisationsziele zur Verbesserung der Unternehmensführung können folgende sein: ! Implementierung einer Strategie eines Geschäftsfeldes (Produkt, Produktprogramm, etc. in einer wertschöpfungsorientierten Primär- und Sekundärorganisation (vgl. Porters Ansatz), um deren Profitabilität (ROI, EBIT, EVA, Berliner Balanced Scorecard etc.) zu gewährleisten und um diese sich durch das Rechnungswesen/ Controlling bestätigen zu lassen. ! Die Stellenbildung und die Kostenstellenbildung werden bei der Aufbauorganisation bzw. Primärorganisation parallel und deckungsgleich vorgenommen. Zum einen können damit die Stelleninhaber für verursachte Kosten und Erträge zur Verantwortung gezogen werden. Gleichzeitig kann mittels Vollund/ oder Teilkostenrechnung überprüft werden, ob die Ist-Kosten auch den Plankosten entsprechen. Die Abweichungsanalyse gilt sonst als erster Ansatzpunkt, um einen Organisationswandel mit einer evtl. verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung (Change Management) einzuleiten. ! Um wettbewerbsfähig zu bleiben, versuchen Industriebetriebe permanent durch ein Innovationsmanagement neue Produkte in eine mehr oder weniger flexible Organisation zu implementieren. Dazu dienen aber auch das Lean-Management, das Betriebliche Vorschlagswesen und das Qualitätsmanagement in der Sekundärorganisation bzw. Ablauforganisation, die die Produktivität um 5 Prozent pro Jahr zu steigern versuchen. Für die Unternehmensführung heißt dies, bei gleicher Produktion muss dann auch pro Jahr 5 Prozent mehr verkauft werden oder die Rationalisierung führt zu einem entsprechenden Personalabbau. Gerade diese Organisationsziele sind bei Mitarbeitern, Betriebsrat und Gewerkschaften unbeliebt. ! Für die Sekundärorganisation bzw. Ablauforganisation lässt sich die Verknüpfung Rechnungswesen und Organisation bei der Rationalisierung und dem Lean-Management ebenfalls belegen. Das Target Costing mit der Prozesskostenrechnung und/ oder die Teilkostenrechnung bieten sich an, bei Geschäftsprozessen die Produktivität und Wirtschaftlichkeit einzelner oder gesamter Prozesse laufend durch das Controlling zu verfolgen oder nach der Zweckmäßigkeit der bisherigen Organisation zu fragen. ! Die Aufbauorganisation dient natürlich auch dafür, um Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates in Gremien bei der Zielfind ung und -durchsetzung des Vorstandes mit zu berück- <?page no="518"?> 518 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft sichtigen (vgl. Corporate Governance-Ansatz im Rahmen des politisch-rechtlichen Organisationsansatzes). Ansonsten gilt das Direktionsrecht, das in einer hierarchischen Aufbauorganisation einfacher durchzusetzen ist. [3] Die Unternehmung wird organisiert (tätigkeitsorientierter Organisationsbegriff) Hinter dem tätigkeitsorientierten Organisationsbegriff steht die Intention, beispielsweise den Arbeitsplatz oder die Produktion im Sinne des Lean-Managements effizient zu gestalten. Organisationsziele sind hier z. B. Arbeitsplätze derart zu gestalten, das sie der Arbeitsstättenverordnung und der Arbeitsplatzsicherheit des Stelleninhabers dienen. Der Mitarbeiter der Stelle darf selbst Vorschläge zur Arbeitsplatzgestaltung machen, um den Mitarbeiter zu motivieren und an das Unternehmen zu binden. Aber auch im Sinne des Lean-Managements über ein Qualitätsmanagement (Quality-Circles, Kaizen) und betriebliches Vorschlagswesen erhofftman sich Produktivitätsverbesserungen zu erzielen, technisch-organisatorische Verbesserungsvorschläge zu realisieren, um so die Wirtschaftlichkeit und Rentabilität des Working Capitals des Umlaufvermögens zu verbessern. Zur Notwendigkeit von Organisationsansätzen Gerade der instrumentelle Organisationsbegriff der Primär- und Sekundärorganisation sind durch interdisziplinäre Perspektiven zum Organisationsphänomen gekennzeichnet. Dies liegt daran, dass sich mehrere Wissenschaften mit dem Organisationsphänomen seit Jahrzehnten und sogar seit Jahrhunderten auseinandersetzen. Sie verfolgen und untersuchen dabei unterschiedlichste Organisationsziele und heben dadurch auch unterschiedlichste Kausalitätserkenntnisse zur Organisation (Quasi-Theorien) heraus, die wiederum als Grundlage zur Organisationsgestaltung dienen können. ! Die notwendige Voraussetzung jeder instrumentellen Organisationsgestaltung ist der Strukturelle Ansatz, so dass der Vorstand über eine Aufbaubzw. Primärorganisation zu entscheiden hat. Im Vordergrund steht hier die Aufgaben- und Informationserfüllung durch die Organisation. Mit der Primärorganisation wird auch die Entscheidung zur Sekundärorganisation bzw. Ablauforganisation fallen. Der strukturelle Ansatz legt die zweckmäßige und eine technisch sinnvolle Option für die Primär- und Sekundärorganisation fest. Ohne den strukturellen Ansatz ist somit keine instrumentelle Organisation und fortschrittliche Unternehmensführung in einem Unternehmen denkbar. ! Hinreichende Voraussetzung(en): Mit dem strukturellen Organisationsansatz können dann weitere Organisationsansätze alleine oder additiv berücksichtigt werden. Hierzu bieten sich erst einmal der psychologisch-verhaltenswissenschaftliche Organisationsentwicklungsansatz bzw. humanorientierte Organisationsansatz an. Mitarbeiter wollen bei der Reorganisation von Unternehmen bei Innovationen und beim Lean-Management psychologisch mitgenommen werden, sonst können enorme Widerstände durch die Belegschaft auftreten. Becker und Labucay (2012, S. 2) bringen dies in ihrer Definition zur Organisationsentwicklung besonders gut auf den Punkt: Definition „Organisationsentwicklung als ganzheitlicher managementgeleiteter Prozess der Gestaltung und Veränderbarkeit von Organisationseinheiten und Organisationen umfasst alle Maßnahmen der direkten und indirekten zielorientierten Beeinflussung von Strukturen, Prozessen, Personen und Beziehungen, die eine Organisation (gemeint ist hier die Unternehmensleitung/ der Vorstand, d. Verf.) plant, realisiert und (durch ein Organisationscontrolling, d. Verf.) evaluiert.“ <?page no="519"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 519 Neue Betriebswirtschaft Merksatz Beim strukturellen Ansatz wird deshalb gern vom Organisationswandel, der Reorganisation oder der strukturellen Organisationsentwicklung in der Primär- und Sekundärorganisation gesprochen. Die strukturelle Organisationsentwicklung kann oder muss oft durch eine arbeitspsychologisch verhaltenswissenschaftliche Organisationsentwicklung begleitet werden, wie dies Becker in der Personalentwicklung und mit Labucay in der Organisationsentwicklung fordert. Eine Unterstützung erfährt die arbeitspsychologisch verhaltenswissenschaftliche Organisationsentwicklung durch die Unternehmenskultur, die man als einen Spezialfall der verhaltenswissenschaftlichen Organisationsentwicklung bzw. Change Management ansehen kann, oder soziologisch dem symbolischen Interaktionismus, um interkulturelle Probleme in internationalen Unternehmen besser lösen zu können. Auch in diesem Buch wird der symbolische, unternehmenskulturelle Organisationsansatz mit seinen eigenen Modellen analytisch und gestalterisch getrennt als eigener Organisationsansatz behandelt. (vgl. Schmeisser/ Kirchhoff: Innovation und Kultur, E-Book, UTB, München 2013) Der letzte Ansatz, der in diesem Organisationsbuch als Ergänzung zum „Strukturellen Ansatz“ erörtert, diskutiert, analysiert und seine gestalterischen Auswirkungen zeigen wird, ist der „rechtlich-politische Ansatz“, der sowohl unter den institutionellen als auch den instrumentellen Organisationsbegriff zu subsumieren ist. Folgt man Nitschke (in Anlehnung an Nitschke, 2012, S. 10), so kann man mit Politik und dem Recht folgende Vorstellungen zum Organisationsphänomen verbinden und identifizieren: a) Im Sinne des institutionellen Organisationsbegriffs: ! Eine öffentlich-rechtliche Ordnung, die mit den Corporate-Governance-Ansatz verbunden werden kann, also Rechtsform, Gesellschafterversammlung, Hauptversammlung, Aufsichtsrat, Vorstand, Betriebsrat, Frauenquote, ein shareholdervalue-orientiertes Entgeltmanagementsystem mit Aktienoptionsprogrammen usw. ! Eine Ordnung für alle, die man mittels Regeln in einem Organisationsbuch schafft und sich auf das Arbeitsrecht, Sozialrecht usw. bezieht, also beispielsweise Anweisungen am Anfang und Ende der einzelnen Arbeitsschichten im Betrieb im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes, wie z. B. Anlegung von Schutzkleidung, Arbeitspausen, Urlaubsanträge, Einstellungen, Besetzungen von Stellen, Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversicherung. ! Die Repräsentation des Unternehmers durch ein Geschäftsführerorgan (Vorstand) gegenüber allen Kunden, Lieferanten, Banken, Aktionären, Mitarbeitern, Finanzämtern, Sozialversicherungsträgern, um klagen und verklagt werden zu können. ! Eine mehr demokratische oder monarchische Verfassung, um über Ziele der Organisation zu bestimmen und sie mit und ohne Direktionsrecht durchsetzen zu können. ! Die Frage nach ethischen Prinzipien bei der Zielfindung, um das Gemeinwohl der Organisation und das Gute im Leben der Menschen/ Mitarbeiter zu fördern oder zu behindern. ! Das „Regierungshandeln“ in und durch die Organisation entspricht der Unternehmenspolitik der Unternehmensführung. b) Im Sinne des instrumentellen Organisationsbegriffs: ! Im klassischen Primärorganisationsansatz werden die Herrschafts- und die Machtfrage über das Recht geklärt und legitimiert. Wer das Geld hat, hat das Sagen und legt die entsprechende Rechtsform zur Herrschaftssicherung und zur Festlegung der Unternehmenspolitik fest. <?page no="520"?> 520 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft ! Trotzdem können die Zielfindung und Zieldurchsetzung eine Machtfrage von externen und internen Satellitengruppen bzw. Stakeholdern werden, an denen sich die Organisationspolitik zukünftig orientiert. ! In mitbestimmten Unternehmen stellt sich im Rahmen der Unternehmensverfassung die Frage, wie die unterschiedlichen Interessengruppen in der Organisation repräsentiert werden, durch rechtliche Regelungen oder durch Machtspiele und Überredungskünste mittels des Kommunikationskonzeptes des Harvard-Ansatzes. Konfliktmanagement und Wirtschaftsmediation als Konfliktlösungs- und Kommunikationsinstrument im Rahmen von Einigungsstellen, die dann dadurch einen eigenen Stellenwert erhalten. ! Es treten aber auch politische Herausforderungen an Unternehmen auf, wie ein gesundes, erfolgreiches und gutes Leben jedes einzelnen Organisationsmitgliedes in der Unternehmung gewährleistet werden kann, wenn man zumindest die „Diktatur“ des Unternehmers verneint (vgl. Wirtschaftsethik , Ethik). Organisationsansätze und Prämissen Abbildung 16-2 gibt einen vertieften Überblick zu den Organisationsansätzen. Abb. 16-2: Multikontextuale Organisationsansätze 16.4.1 Zum Strukturellen Ansatz: Metapher - Organisation als „Maschine“ Der klassische, strukturelle Ansatz der Organisationstheorie von Taylor, Fayol, Max Weber, Nordsieck, Kosiol, Dale, Drucker etc. weist zumindest folgende Organisationsziele auf, wie ! Zweckmäßigkeit ! Produktivität in Bezug auf die eingesetzte Technik, ! Wirtschaftlichkeit und Rentabilität, den Return on Investment nach Du Pont von 1919. <?page no="521"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 521 Neue Betriebswirtschaft Der moderne, strukturelle Organisationsan satz fordert zumindest im Sinne von Porter die Kostenführerschaft mit Hilfe der Erfahrungskurve und / oder die Differenzierungsstrategie pro Business Unit gemäß dem Portfoliomanagement zu verwirklichen, und die angestrebte Strategie mit dem Produkt organisatorisch zu implementieren. Merksatz Ausgangspunkt aller Organisationsüberlegungen ist die Aufgabe bzw. heute die Information, die sich aus der Unternehmenszielsetzung und / oder Strategie ableitet. Die Business Units / Geschäftsfelder in Organisationseinheiten (Segmente, Business Units, Sparten, Projekte usw.) zu implementieren und eine entsprechende Organisationsform auszuwählen und umzusetzen, ist eine zentrale Herausforderung an die Unternehmensleitung und die eines Organisators. Die Wertschöpfungskette als Prozessorganisation soll den Return on Investment oder den Shareholder Value sicherstellen. Dies ist ein Weg, den auch der Berliner Balanced Scorecard Ansatz vorschlägt, um die Performance zu messen (vgl. Schmeisser/ Clausen 2009). Merksatz Die Organisationsprämissen des „Strukturellen Organisationsansatzes“ sind: 1 Die Organisation wird, aus einem ingenieurwissenschaftlichen und wirtschaftsinformatikorientierten Verständnis heraus, als eine Maschine bzw. als ein Managementinformationssystem eines Computers verstanden. 2 Die Unternehmensorganisation wird dabei nicht von einer sozialen, politischen, kulturellen und ökonomischen Umwelt beeinflusst. 3 Die betriebswirtschaftlichen Organisationsziele beschränken die Organisation auf ein rationales, quantitatives Zweck-Mittel-Modell des (positiven) Bürokratiemodells von Max Weber und sie enden in einer Aufbauorganisation. Modern formuliert, würde das rationale Bürokratiemodell von Max Weber eine Strategieimplementierung im Sinne einer Wertschöpfungskette fordern, die in dem Berliner Balanced Scorecard Modell und einer Prozessorganisation wiederzufinden ist. 4 Es wird im Sinne von Taylor mehr oder weniger implizit ein mechanistisches-instrumentelles Menschenbild (homo oeconomicus) gefordert. Der Mensch ist ein „Rädchen“ in der Uhrwerkorganisation der Unternehmung. Die Mitarbeitermotivation orientiert sich am homo oeconomicus oder moderner am Shareholder Value. 5 Die Technik wird im Sinne von Max Weber als gegebenes passives Element angesehen oder als aktives Element z. B. in Projektorganisationen, die durch (technische) Innovationen und Organisationswandel geprägt sind (vgl. Burns and Stalker: The Management of Innovation, London 1961). 6 Nur die politische Spitze, also der Vorstand, die Geschäftsleitung in Anlehnung an Max Weber haben das Recht, Unternehmensziele und damit Organisationsziele, Strategien und Visionen zu bestimmen. Alle anderen Organisationsmitglieder sind im Sinne des monarchischen Prinzips Befehlsempfänger. 7 Gegebene Organisationsziele, Effektivität und Effizienz durch ein (Organisations-) Controlling und Strategien, Organisationsstrukturen und Organisationsprozesse stehen im Mittelpunkt einer strukturellen Organisationsgestaltung. <?page no="522"?> 522 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft 8 Organisatorische Aktivitäten, die nicht in der Wertschöpfung enthalten sind, nicht der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmung dienen und nicht den Unternehmenswert (Shareholder Value) erhöhen, dürfen und können organisatorisch nicht beachtet werden . 16.4.2 Verhaltenswissenschaftlicher und arbeitsorganisatorischer Organisationsansatz Gemeint ist hier: Unternehmen als Instrument, um kognitive, emotionale und soziale Bedürfnisse der Organisationsmitglieder zu befriedigen Die „Rationalität“ des naturwissenschaftlich-ingenieurwissenschaftlichen Maschinenmodells des traditionellen Managementverständnisses zur Organisation ging davon aus, dass die Mitarbeiter sich mit ihrem Verhalten problemlos in die formalen Strukturen und Prozessen einfügen würden, wie Zahnräder in einem Uhrwerk. Schon bei der Einführung des Fließbandes bei Ford ging diese Annahme des Taylorismus nicht auf. Die Mitarbeiter litten an Monotonie und psychische Sättigung und versuchten durch Krankmachen und Fluktuation derartigen Arbeitsbedingungen zu entkommen. Spätestens seit dem Hawthorne-Experiment gehen diese Erkenntnisse in die Organisationstheorie und Organisationsforschung ein. Mit der Anreiz-Beitragstheorie von Barnard (1938) werden Organisationsprobleme nicht nur als Koordinationsproblem eines Strukturellen Ansatzes, sondern auch als Motivationsproblem eines verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatzes angesehen. Es wird seitdem vermutet, dass die Motivation eines Mitarbeiters im Sinne der Bereitschaft der Erbringung einer erwarteten bzw. definierten Arbeitsleistung nur erfolgt, wenn der Organisator bzw. Arbeitsstudieningenieur im Sinne des Scientific Managements nicht nur die organisatorische Leistung festlegt, sondern auch die organisatorischen Beiträge, die personalwirtschaftlichen Anreize, die den Erwartungen des Mitarbeiters entsprechen müssen. Die organisatorischen Anreize sind die kollektiven, arbeitsrechtlichen Verpflichtungen der vereinbarten organisatorischen und personalwirtschaftlichen Spielregeln des Tarifvertrages und der eigenen Bedürfnisse des Mitarbeiters. Es ist zu vermuten, dass die Produktivität eines Mitarbeiters umso höher ist, je mehr ein Akteur bzw. Organisationsmitglied durch eine bestimmte Arbeitsteilung, Spezialisierung und Professionalisierung der gestellten organisatorischen Aufgabe entspricht, diese als interessante Arbeit erlebt und sein Einkommen, seine Arbeitsplatzsicherheit und seine Zukunftsperspektiven durch eine Unternehmenskarriere mittels dieser Aufgabe abgesichert sieht. Es verwundert deshalb nicht, das der arbeitspsychologische und verhaltenswissenschaftliche Organisationsansatz einmal als konträrer Ansatz zum strukturellen Organisationsansatz angesehen wird, und zum anderen als „Reparaturbetrieb“, d. h. als komplementärer Ansatz zum strukturellen Ansatz verstanden wird, weil dieser den Menschen jetzt als bedürftiges, soziales Wesen sieht. Denn der Mitarbeiter möchte sich trotz Techniknotwendigkeit und Struktur im Betrieb immer noch als Mensch behandelt sehen . Merksatz Die arbeitspsychologische und verhaltenswissenschaftliche Perspektive der Organisation geht von folgenden Prämissen im Sinne von Cyert, March und Simon (Cyert/ March 1963, Simon 1976 und Schanz 1978) aus: - Der Ansatz wählt den „Methodologischen Individualismus“, da höhere verhaltenswissenschaftliche Organisationseinheiten, wie die Gruppe, die Führung oder die Organisation als soziale Einheit, nur als Aggregation von Individuen sozialpsychologisch untersucht werden können. Dies ist ein methodisches Defizit des verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes. <?page no="523"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 523 Neue Betriebswirtschaft - Organisationen, wie Unternehmen, existieren, um menschliche Bedürfnisse, Motivationen zu befriedigen und einen Glückzustand durch die Arbeit zu bewirken. - Organisationen und Mitarbeiter benötigen einander im Rahmen der Strategieimplementierung in Strukturen und Prozessen. - Wenn die Zusammenarbeit zwischen individuellen Mitarbeiter und / oder aggregierten Organisationseinheiten und/ oder der gesamten Organisation mangelhaft ist, wird einer von ihnen oder beide in Mitleidenschaft gezogen. - Passen sich Organisation und Individuum/ Mitarbeiter hingegen gut aneinander an, ist dies vorteilhaft für beide. - Konflikte sind verhaltenswissenschaftliche Störphänomene und müssen deshalb harmonisch, psychologisch gelöst werden. D. h. Konflikte sind nicht erwünscht oder sie müssen offengelegt, diskutiert und konstruktiv mittels Coaching, Mediation usw. beigelegt werden (ein Konfliktmanagement im Sinne des politischen Organisationsansatzes ist nicht erwünscht! ). Der verhaltenswissenschaftliche Organisationsansatz konzentriert sich in seiner Analyse auf das individuelle Verhalten der Mitarbeiter in der Organisation, auf das Gruppenverhalten und/ oder interaktive Gruppenverhalten in der Organisation, auf das Führungsverhalten in der Organisation, das kommunikative, harmonische Verhalten in der Organisation und das Verhalten aller Mitglieder in der Organisation, oft auch als verhaltenswissenschaftliche Organisationsentwicklung bekannt. Verhaltenswissenschaftliche Organisationsprobleme treten dergestalt auf, dass z. B. eine Motivationsoffensive auf der individuellen Ebene durch Gruppendruck und Gruppendynamik und/ oder durch autoritäre Führung zum Scheitern führt. Die einzelnen Aggregationsebenen Individuum, Gruppe, Führungsverhalten, Kommunikationsgeflecht, Organisationsentwicklung des verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatzes widersprechen sich ständig und können nur schwer zu einer einheitlichen arbeitspsychologischen Organisationsleitlinie ausgerichtet werden. Gerade im situativen Ansatz, als eine Teilperspektive des verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatzes, untersucht man empirisch Situationsvariable, wie diese sich auf die Formalstruktur auswirken (vgl. Kieser/ Walgenbach 2007). Ob diese Analytik und empirische Organisationsforschung etwas für die Praxis bringt, darf angezweifelt werden. ! Zum einen, weil die Situationsvariablen, insbesondere die Rechtsform, Unternehmensziele, die Strategie und die Effizienzkriterien durch die Geschäftsleitung selbst festgelegt werden. ! Zum anderen ist es nicht üblich, dass Unternehmen sich an derartigen situativen Organisationsergebnissen der Organisationsforschung in ihren organisatorischen Gestaltungsbemühungen zielgerichtet ausrichten oder orientieren. Info Oft jedoch wird die Organisationsentwicklung durch die Personalentwicklung und Motivationsentwicklung vorangetrieben. Man denke nur z. B. an die Humanisierung des Arbeitslebens in den 1970er Jahren in Deutschland. In Unternehmen war es üblich, Job Enrichment, Job Enlargement und Job Rotation sowie teilautonome Arbeitsgruppen anstatt einer klassischen Fließarbeit zu organisieren. Gerade bei den neuen Formen der Arbeitsorganisation sind struktureller und verhaltenswissenschaftlicher Organisationsansatz eine enge Kooperation eingegangen. <?page no="524"?> 524 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft 16.4.3 Rechtlich-politischer Organisationsansatz: Unternehmen als Herrschaftsinstrument und politische Arena von Interessengruppen Organisatorische Arbeitsteilung und Spezialisierung erhöhen den Wohlstand der Nationen und schaffen Produktivitätssteigerungen in Organisationen, wie bereits Adam Smith 1776 in seinem berühmten Nadelproduktionsbeispiel dies berichtet. Es wirft aber auch die Frage auf, dass mit der aufkommenden Manufakturproduktion immer mehr Tausch und Abstimmungsprozesse in großen Unternehmensorganisationen erfolgen müssen statt in Märkten. Es wird hier damit auch die Frage gestellt, wann ein freier Markt für Austausch und Abstimmung notwendig ist, und wann ein Unternehmen eine Organisation(-struktur) benötigt, um die Abstimmungs- und Koordinationsprozesse intern über eine Ablauforganisation zu regeln. Die Industrialisierung und Massenproduktion haben das Fließband und das Großunternehmen, wie Ford, Siemens, Toyota und andere Unternehmen, im Sinne des strukturellen Organisationsansatzes hervorgebracht. Eine vorläufige Begründung dafür ist, dass Arbeitsteilung und Spezialisierung von Fertigungsprozessen einfacher in Unternehmen als auf Märkten zu erbringen sind, um Produktivitätsvorteile zu erzielen. Es bleiben aber auch die Argumente des neo-institutionalistischen, volkswirtschaftlich geprägten Organisationsansatzes erhalten, dass der Ressourcenverbrauch für Tausch und Abstimmung in Industriegesellschaften nicht unerheblich ist und heute möglicherweise in marktwirtschaftlich oder virtuell zu betreibende Organisationseinheiten auszulagern ist. Im Weiteren stehen jedoch für diese betriebswirtschaftliche Organisationsbetrachtung der Unternehmung die rechtlichen Institutionen und ihren herrschaftssichernden Mitteln im Vordergrund dieses Ansatzes. Info Anfang der 1990er Jahre wurden diese ökonomischen Organisationsansätze z. B. von Picot u. a. entwickelt. Grundlage bildete die Mikroökonomie, die die Akteure der Organisationen als rational handelnde Individuen ansahen, die über vollständige und sichere Information über den Markt verfügten. Die Akteure verfolgen als Produzenten das Ziel der Gewinnmaximierung. Die Institution Organisation dient ihnen dazu, ihre Marktmacht aufzubauen oder sich gegenüber Konkurrenten zu verteidigen. Die neo-institutionalistischen Organisationsansätze gehen von begrenzt rationalen Akteuren aus, die über begrenztes Wissen, begrenzte Informationsverarbeitungskapazitäten und einer eingeschränkten Moral verfügen. Zur Bewältigung der organisatorischen Koordinations-, Moral- und Motivationsproblemen helfen rechtliche Institutionen, sprich Gesetze und organisatorische Regelungen. Das Setzen juristischer Rahmenbedingungen (Institutionen) für einen unternehmerischen Ordnungsrahmen, d. h. für die Leitung und Überwachung von Unternehmen ist unumgänglich. Das Spektrum von rechtlichen Institutionen sei in diesem Buch beispielhaft für eine Aktiengesellschaft vorgestellt. Info Der Gesetzgeber bestimmt mit Hilfe der Gesetzeswerke des Bürgerlichen Gesetzbuches, des Handelsgesetzbuches, des Aktiengesetzes, des Betriebsverfassungsgesetzes, des Mitbestimmungsgesetzes und des Tarifgesetzes, um nur die relevantesten Gesetze zu nennen, den rechtlichen Ordnungsrahmen einer institutionellen Unternehmensorganisation. Der rechtliche Rahmen legimitiert im Sinne von Max Weber (1920) z. B. das Direktionsrecht der obersten Unternehmensorgane im Sinne eines Obrigkeitsverständnisses. Der Vorstand darf z. B. im Sinne eines eingeschränkten „monarchischen Herrschaftsrechts“, die Strategie bestimmen und sie in eine entsprechende Aufbauorganisation/ Struktur des Unternehmens implementieren. <?page no="525"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 525 Neue Betriebswirtschaft Durch die organisatorische und personelle Trennung von strategischer Willensbildung einerseits z. B. des Strategisches Managements, der Strategiefestsetzung z. B. der Business Units/ Segmentfelder lt. Geschäftsbericht in einem Portfolio und damit der Segmente und Sparten in der Aufbauorganisation des Unternehmens entsteht andererseits ein konfliktorientierter Abstimmungsprozess mit den operativen Management-Organisationsebenen, den Tarifpartnern und dem Controlling. Info Bereits Machiavelli, Max Weber (1920), French and Raven (1959) oder Fisher and Ury (Harvard Modell der Kommunikation) haben darüber nachgedacht, wie Herrschaft mittels Machtbasen in Organisationen zu sichern ist. Im Gegensatz zum psychologisch-orientierten, verhaltenswissenschaftlichen Organisationsansatz wird hier vom interessenorientierten Koalitionsmodell der Unternehmung ausgegangen. Konflikte zwischen internen und externen Koalitions- und Interessengruppen, wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sind nicht etwas „Schlechtes“, das die soziale Harmonie in der Organisation gefährdet, sondern ein absolut normales organisatorisches Phänomen und darum ein Menschenrecht, das sich z. B. in der rechtlichen Institution der Tariffreiheit, im Grundgesetz und im Tarifrecht widerspiegelt. Im rechtlich-politischen Organisationsansatz wird von einer Unternehmung ausgegangen, die sich einem rechtlichen und damit organisatorisch-institutionellen Unternehmensverfassungsrahmen bewegen muss. Dieser rechtlich-institutionelle Rahmen ist durch weitere Rechtsinstitutionen wie das Betriebsverfassungsgesetz, das Mitbestimmungsgesetz und Compliance-Management-System zu erweitern und zu ergänzen, damit eine „gute“ Corporate Governance-Unternehmensführung im organisatorischen Aufbau einer Unternehmung entsteht. Damit soll gewährleistet werden, dass zum einen das Direktionsrecht des Vorstandes gesichert ist, aber auch zum anderen die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Interessen in der Unternehmenswillensbildung berücksichtigt werden. Das klassische „monarchische Prinzip“ der rechtlichen Herrschaftssicherung durch die Aufbauorganisation wird durch Mitbestimmungsgesetze der Interessengruppen „demokratisiert“. Mit dem rechtlich-konfliktorientierten Organisationsansatz wird die Organisation „Unternehmung“ als politische Arena der Ziel- und Strategiefindung definiert. Es wird z. B. über die Budgetallokation auf die Bereiche, Sparten und Abteilungen der Unternehmung verhandelt, über Arbeitsplätze und über die Verteilung von Unternehmensergebnissen zwischen den Interessengruppen. Unternehmensverfassung, Konfliktmanagement mit Hilfe der Machtnutzung und Interessenkonflikte mittels Kommunikation werden bei diesem Organisationsansatz herausgehoben. Merksatz Organisationsprämissen des rechtlich-politisch-orientierten Organisationsansatzes sind: - Unternehmerische Strategieentscheidungen betreffen immer die Allokation knapper betrieblicher Ressourcen in der Organisation. - Eine Unternehmung ist eine Organisation, die als Koalitionsgebilde angesehen wird. Koalitionen bestehen aus internen (Vorstand, Aufsichtsrat, Betriebsrat, Funktionsbereiche etc.) und externen Interessengruppen (Banken, Gewerkschaften, Staat u. a.) - Koalitionen bzw. Interessengruppen sind Individuen und/ oder Gruppen. - Die Koalitionen verfolgen unterschiedliche Ziele und Strategien aufgrund persönlicher Werte, Normen und Einstellungen. - Unternehmensziele und damit Organisationsziele sowie Strategieentscheidungen entstehen aus der Interaktion dieser Koalitionen untereinander heraus, und zwar durch ständiges Feilschen, Verhandeln, Drohen und Wetteifern um „machtvolle“ Positionen in der Organisation. <?page no="526"?> 526 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft - Wegen der Ressourcenknappheit sind Machtspiele und konfliktorientierte Auseinandersetzungen bei der Strategiesuche, -bildung, -verabschiedung und -durchsetzung in der betrieblichen Organisation die Regel. - Konflikte zwischen Koalitionen sind normal und können und sollten nicht „psychologisch harmonisch“ gelöst werden. Die politische Setzung durch eine Institution, einen Vertrag, z. B. Unternehmenssatzung, Organisationsrichtlinien, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag usw. sind zeitlich begrenzte Konfliktlösungsmechanismen für die Organisation. 16.4.4 Zum visionären, symbolisch-kulturellen Organisationsansatz Hier: Organisation als Theater von Visionen und Mythen. Das Erfolgsgeheimnis innovativer und erfolgreicher Unternehmen ist z. B. das Lean-Management-System der Ablauforganisation bei Toyota. Info Seit über 30 Jahren versucht man mit dem Phänomen Unternehmenskultur den kreativen Produkten mit dem interkulturellen Management auf dessen Erfolgsspur zu kommen. Zu den bekanntesten Büchern zur Unternehmenskultur zählen „In Search of Excellence“ von Peters/ Waterman, die Theory Z von Ouchi (1982), „ The Art of Japanese Management“ von Pascale und Athos (1982) und „Corporate Cultures“ von Deal und Kennedy (1982). Schein (1984) ist jedoch Auslöser und Nestor der Unternehmenskulturdebatte. Scheins „Drei-Kultur-Ebenen-Modell“ gibt eine erste Vorstellung davon, wie eine Organisationskulturanalyse erfolgen kann und wie eine entsprechende Unternehmenskulturgestaltung erfolgen müsste. Gerade bei Unternehmensfusionen auf nationaler und internationaler Ebene ist dies ein Dauerthema, wie bei Technologieunternehmen, die permanent Innovationsmanagement betreiben müssen. Bei ihnen ist das Change-Management, d. h. der ständige Struktur- und Prozesswechsel in der Organisation, verursacht durch technologische Innovationen, eine permanente Herausforderung. Die innovative Strategiefindung wird mit der Metapher des Theaterspielens verglichen, da die Organisationskoalitionen, die Unternehmensbelegschaft und die Gewerkschaft auf eine symbolische Führung, auf Zusammenhalt und auf Veränderungsbereitschaft eingeschworen werden müssen. Beispiel Neue Visionen wie die iPad-Vorführung von Steve Jobs bei Apple 2011 sind nicht nur gutes Innovationsmarketing, sondern auch neue Drehbücher, die neue Rollenspiele der Mitarbeiter in Organisationseinheiten bedeuten, um sie mittels neuer Maskeraden und einer neuen Bühnengestaltung auf eine neue Unternehmensorganisation bei Apple vorbereiten zu können. Innovative Unternehmenskulturen dienen dazu, politisch konfliktfreier neue Strukturen und Prozesse in der Organisation zu implementieren. Schaffung und Veränderung der Unternehmenskultur bedeutet auch, eine andere Aufbau- und Ablauforganisation für neue Produkte zu kreieren. Dabei verändert sich jeder Arbeitsplatz jedes Mitarbeiters. Personalentwicklung wird zur Organisationsentwicklung mit Hilfe einer veränderten Unternehmenskultur. <?page no="527"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 527 Neue Betriebswirtschaft Merksatz Organisationsprämissen des symbolischen Organisationsansatzes sind: - Nicht das (Marketing-)Ereignis ist wichtig, z. B. ein vorgeführtes iPad mit einer Unternehmensmission, Vision und Strategie, sondern seine Bedeutung für die Unternehmensorganisation. - Die Bedeutung eines Ereignisses oder einer Strategie erlangen diese erst durch deren Interpretation durch die Mitarbeiter (mit der Vorführung des iPads als Forschungs- und Entwicklungsergebnis von Apple wird auch die Organisation der Produktion und das Marketing bei Apple verändert, um das Massenprodukt iPad besser zu produzieren und zu verkaufen). - Die meisten Visionen, Ziele und Strategien in der Organisation sind für die Belegschaft und das Management nicht eindeutig zu interpretieren. - Mit dem symbolischen Organisationsansatz und der symbolischen Führung will man die „Eindeutigkeit“ auch vermeiden, um den konfliktorientierten Organisationswandel weniger kontrovers mit den Interessengruppen zu gestalten, z. B. über den Verbleib von Arbeitsplätzen oder bei der Schließung von Produktionsstätten. - Vieldeutigkeit von Strategien und Zielen fördert rationale Problemlösungen, unterminiert politisch gewollte Interessenkoalitionen und erleichtert Innovationen und deren Strategieimplementierung in der Organisation, um zu einem neuen strukturellen Ansatz in der Unternehmung zu kommen. - Bei der Konfrontation mit der Ungewissheit und Mehrdeutigkeit der Arbeitsplatzerhaltung und Produktionsstandortschließung und/ oder -erhaltung neigen Organisationsmitglieder und Organisationen dazu, Symbole der Solidarität und Gemeinschaft zu entwickeln, um unternehmerische Strategien für sie verständlicher zu machen, obwohl sie vielleicht gegen die eigenen Interesse der eigenen Koalition verstoßen . Im Sinne der Chandler-Hypothese „Structure follows Strategy“ kommt es beim Strategiewechsel zu organisatorischen Erfordernissen, die mit Hilfe der (manipulativen) Unternehmenskulturänderung konfliktärmer gelöst werden können. Betriebliche Organisationstheorie als Wissenschaft, Organisationsprobleme zu erkennen, zu analysieren und zu gestalten Mit Immanuel Kant in Bezug auf die Anwendung der Organisationstheorie hin zu antworten, könnte lauten: Was kann man über Organisationstheorien wissen? Und: Was kann man bei Organisationsproblemen tun? Info Kant bezieht sich bei der Erkenntnisgewinnung bzw. bei Theorien oder theoretischen Ansätzen auf Hume, der bei der Erklärung von Theorien auf das Kausalitätsproblem ausführlich und kritisch eingeht: Man findet in der menschlichen bewussten Vorstellung zu einem Phänomen, hier Organisation, eine intuitive Kausalvorstellung, d. h. die Vorstellung, dass jede (organisatorische) Wirkung mit ihrer Ursache notwendigerweise verknüpft ist. Die kritische Frage hierzu ist nur, wie man zu der vorläufigen, „richtigen“ Kausalvorstellung gekommen ist? Ohne hier das logische, erkenntnistheoretische und empirische Forschungsproblem auszudiskutieren, hat der Verfasser in diesem Buch eine Grundsatzentscheidung getroffen, die betriebliche Orga- <?page no="528"?> 528 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft nisationsproblematik anhand von vier Organisationsansätzen und deren Kausalitätsvorstellungen zu lösen, um dem Unternehmen Hilfestellungen bei der Organisationsproblematik zu geben. Da dabei nicht immer alle Organisationsansätze in ihrer Totalität bzw. in ihrer Gesamtheit behandelt werden können, verwendet der Verfasser hier einen wissenschaftlichen „Trick“, den die Leser bzw. wirtschaftswissenschaftlichen Studenten aus der Volkswirtschaft her kennen werden, nämlich die Ceteris-paribus-Klausel. Bei jedem Organisationsproblem erfolgt eine getrennte Betrachtung einer Variablen, hier eines Organisationsansatzes, dazu. Lateinisch bedeutet ceteris paribus unter sonst gleichen Umständen. Übertragen auf die Organisationsansätze bedeutet dies, dass man nicht gleichzeitig alle Wirkungen und Ursachen beobachten, beschreiben, analysieren, erklären und gestalten kann. Bei der theoretischen Betrachtung eines Organisationsansatzes werden daher automatisch die anderen Organisationsansätze ausgeblendet, obwohl sie in der betrieblichen Wirklichkeit alle gleichzeitig bestehen und wirken. Mit den Organisationsansätzen werden erst einmal axiomatische Theoriesysteme entwickelt, die aus einem vorläufigen, induktiv erworbenen Vorverständnis der Praktiker und/ oder Theoretiker von (Unternehmens-)Organisationen besteht. Diese haben eine bestimmte Sichtweise bzw. Perspektive, wie sie die Organisation beobachten, beschreiben und verstehend erklären. Dabei entwickeln sie erste fachliche Grundterme zur Organisation sowie abgeleitete Terme aus ihrer Perspektive bzw. ihrem Organisationsansatz. Wie die Terme definiert werden, geben Bildungsregeln der Logik an. Die Terme werden zu Ausdrücken gruppiert, klassifiziert bzw. systematisiert. Als klassische Beispiele hierfür sind das System der traditionellen Organisationslehre von Kosiol (1961) und das Lean-Management-System/ Kanban-System als spezifisches Logistiksystems von Toyota im Strukturellen Ansatz zu nennen. Der Strukturelle Ansatz als „Theorie“ besteht dabei aus (Quasi-)Gesetzen, in der Organisationstheorie als „Organisationsprinzipien“ bekannt. Bei den (Quasi-)Gesetzen, sprich Organisationsprinzipien, gibt es zwei logische Systematisierungen : ! Axiome oder Prämissen des Organisationsansatzes, d. h. (Quasi-)Gesetze, die im Organisationsansatz nicht abgeleitet, sondern gesetzt werden (z. B. Ausgangspunkt des Strukturellen Ansatzes ist die Aufgabe, heute die Information). ! Organisationsprinzipien des Organisationsansatzes, d. h. (Quasi-)Gesetze / Theoreme / Organisationsprinzipien, die im Organisationsansatz abgeleitet sind (vgl. Traditionelle Organisationslehre von Kosiol: Aus der Aufgabe werden die Analyse und Synthese der Aufbauorganisation und der Ablauforganisation deduziert.) Die Ableitung von Organisationsprinzipien ist geregelt durch Ableitungsregeln (Deduktionsregeln), die dann auch empirisch, d. h. induktiv-statistisch auf „Kausalität“ überprüft werden können. Popper spricht hierbei von Falsifikationsregeln (vgl. Popper (1976), Logik der Forschung). Organisationsprinzipien bzw. Hypothesen, z. B. Objektprinzip mit dem Gestaltungsmodell der Objektorganisation oder Spartenorganisation, steht in einem logischen Primär-Organisationssystem einer Holding in einem Wirkungsverhältnis zur Produktivität, Wirtschaftlichkeit und Rentabilität des Produktprogramms einer Unternehmen. In Abb. 16-3 wird ein grundsätzlicher Erkenntnisgewinnungsprozess eines theoretischen Organisationsansatzes dargestellt, der insbesondere mittels Hypothese empirisch noch überprüft werden kann. Bestätigte Hypothesen und damit Theorien, die eine Kausalität zwischen Prämissen, Organisationsprinzipien und Wirkungen aufzeigen, eignen sich für eine sinnvolle betriebswirtschaftliche Organisationsgestaltung bzw. für einen Change-Management-Ansatz (Organisationswandel der Organisation, wenn dieser vorher nicht effektiv gewesen war.) <?page no="529"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 529 Neue Betriebswirtschaft Abb. 16-3: Erkenntnisgewinnungsprozess einer Theorie bzw. eines Organisationsansatzes Zur traditionellen deutschen Organisationslehre nach Kosiol „… als eine Ausgangsbasis einer „multikontextualen Organisationstheorie“: Kosiol (1961) übernahm das Konzept der traditionellen Organisationslehre von Nordsieck (1928), und entwickelte die Organisationsprinzipien für die Analyse und Synthese der Aufbau- und Ablauforganisation zu einem betriebswirtschaftlich, mathematisch-logischen „geschlossenen“ Gesamtkonzept der Organisation. Die traditionelle Organisationslehre wählte als Axiom die Aufgabe. Die anderen „multikontextualen“ Organisationsansätze, wie politisch-rechtlicher Ansatz, symbolischer und verhaltenswissenschaftlich-psychologischer Organisationsansatz können nur ergänzend und komplementär zum strukturellen, traditionellen Organisationsansatz angewendet werden. Ohne Struktur und Prozess der Organisation können die anderen Organisationsansätze nicht mit ihren Organisationsproblemen nicht eingebracht werden. Kosiol geht bei seinen Organisationsüberlegungen von eine freien Marktwirtschaft aus, die einem Unternehmen eine „Aufgabe“ aus der Realwirtschaft für die Leistungssphäre eines Industrieunternehmens vorgibt bzw. stellt. Demnach fragt der Markt Autos nach. Autos herstellen und verkaufen wird zur Unternehmensaufgabe und damit zur quantitativen Organisationsgesamtaufgabe. Modifizierend und ergänzend muss heute noch die Strategie in das Kosiolsche Organisationssystem eingefügt werden, d. h. z. B. muss die Kostenführerschaft im Sinne von Porter (1982), die in einer Wertschöpfungskette implementiert werden. Die Aufgabe strategisch anzugehen heißt erst einmal, Autos billig herzustellen, wie dies Ford beim Modell T „aus dem Bauch heraus“ mit Hilfe des Fließbandes entschieden hatte. Mittels extremer Arbeitsteilung und geringer Qualifikation bei den Mitarbeitern bei der Stellen- und Arbeitsplatzbesetzung am Fließband wollte man eine hohe Produktivität erzielen und die Personalkosten massiv senken, um organisatorisch wirtschaftlich und beim Verkauf der Produkte rentabel zu sein. Organisatoren folgten den Rezepten des Scientific Management von Taylor und führten in allen Automobilunternehmen eine Ablauforganisation mit Fließband und ein Funktionsmeistersystem (heute als Matrix bekannt) als Aufbauorganisation ein. Dabei bilden die Aufbauorganisation und die Ablauforganisation nicht nur methodisch-instrumentelle Instrumente, um dem strukturellen Organisationsphänomen besser gerecht zu werden. Die Weltbild zur Unternehmung, insbesondere Organisation und Personalführung und -verwaltung Theorie / Modell Hypothese(n) Ergebnisse theoretische und empirischstatistische plausible Idee mehrfache Prüfung, Bestätigung, Korrektur oder Verwerfung Beobachtungen, praktische Erfahrungen, Experimente andere Theorien andere Theorien <?page no="530"?> 530 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Aufbauorganisation zeigt eine Über-, Gleich- und Unterordnung von Stellen und Stelleninhabern, die Ablauforganisation beschreibt den Arbeitsprozess, nämlich wer mit wem in welcher örtlichen und zeitlichen Reihenfolge zusammenarbeitet, um die Aufgabe zu lösen bzw. z. B. das Auto herzustellen und zu verkaufen . Merksatz Die Unternehmensaufgabe wird zur Organisationsaufgabe, die nun zweckmäßig, technisch und ökonomisch in der Aufbau- und Ablauforganisation in der Unternehmung routinemäßig gelöst werden muss. Die Aufgabe (heute die Information bei Informations- und Kommunikationstechnologien) bildet das Grundaxiom bzw. die Grundprämisse aller strukturellen Organisationsbetrachtungen . Abb. 16-5: In modifizierter Anlehnung an die traditionelle Organisationslehre nach Kosiol 1961 Geschäftsleitung Kostenstelle G Einkauf Kostenstelle E Absatz Kostenstelle A Produktion Einzelfertigung Kostenstelle E ng e E Montage Kostenstelle M Materiallager Kostenstelle M r M Logistik Kostenstelle L Verkauf Kostenstelle V Aufbauorganisation (Struktur) Ablauforganisation (Prozess) Abb. 16-4: Aufbau- und Ablauforganisation <?page no="531"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 531 Neue Betriebswirtschaft Neben dem Axiom „Aufgabe“, aus dem Kosiol die traditionelle Organisationslehre entwickelt, sind sein methodisches Vorgehen und seine generellen Performance-Ziele für die Organisation eines Industriebetriebes herausgestellt. Methodisch analysiert Kosiol die Gesamtaufgabe in immer kleiner Teilaufgaben, bis er zu den Bewegungselementen an einen speziellen Arbeitsplatz kommt (vgl. hierzu das Multimomentaufnahmeverfahren). Von da an synthetisiert er sinnvolle/ zweckmäßige kleinere Bewegungselemente eines Arbeitsvollzuges zu Subaufgaben der unternehmerischen Gesamtaufgabe bzw. zu einen Aufgabenbündel einer Stelle, dann zu einer Abteilung, einer Hauptabteilung und dann zu einer Funktion oder Sparte. Analoges erfolgt bei der Ablauforganisation, wobei der Arbeitsvollzug erst einmal analysiert wird, um ihn dann zu einer Synthese zu vereinigen, z. B. in Form eines Maschinenarbeitsplatzes, einer Werkstätte oder eines Fließbandes. Abb. 16-6: Methodisches Vorgehen bei der traditionellen Organisation (vgl. 8›–kn™^·ks–²kq™x «'-0) Dabei fordert Kosiol ! einmal, dass man bei der Aufgabenanalyse und Aufgabensynthese zweckmäßig vorzugehen habe, also immer an eine kausale Zweck-Mittel-Beziehung zu denken hat bzw. „was“ jede Stelle als Teil der Gesamtaufgabe in der Aufbauorganisation zu erfüllen hat. ! Zweitens, dass die Zweckmäßigkeit sich an den technischen Erfordernissen und Möglichkeiten zu orientieren hat, um sinnvolle und technisch machbare Organisationsformen im Industriebetrieb zu entwickeln. Und die Organisation muss ökonomisch sein, d. h. sie muss produktiv, wirtschaftlich und rentabel sein. Methodisches Vorgehen Kosiols bei der Analyse und Synthese bei der Aufbau- und Ablauforganisation ist Programm des strukturellen Organisationsansatzes. Kosiol wirft die Frage auf, nach welchen Gesetzmäßigkeiten bzw. Organisationsprinzipien Organisationen zu analysieren und dann wieder zu synthetisieren sind. Für die Aufbauorganisation benennt er fünf Organisationsprinzipien, mit denen Organisationsphänomene zu analysieren und mit dem die Synthese der Organisation nach einem Organisationsprinzip zentralisiert durchzuführen ist. Zuerst wird die Gesamtaufgabe des Industriebetriebes beschrieben, um sie dann mengen- und artmäßig nach den Organisationsprinzipien zu analysieren: <?page no="532"?> 532 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Merksatz Für die Aufbauorganisation benennt Kosiol fünf Organisationsprinzipien, und zwar 1. die Verrichtung, 2. das Objekt, 3. die Phase, 4. den Rang und 5. die Zweckmäßigkeit sowohl für die Analyse der Gesamtaufgabe als auch für die Synthese. Er schlägt vor, immer z. B. ein Organisationsprinzip zu nehmen, um z. B. nach der Verrichtung zu zentralisieren und nach den anderen Organisationsprinzipien zu dezentralisieren. Verrichtung (synonyme Begriffe sind Funktion und „Aufgabe“): Typische Aufgabe im Industriebetrieb sind in der Leistungssphäre Beschaffung, Produktion und Absatz. In der Finanz- oder Verwaltungssphäre Rechnungswesen, Personalwirtschaft, Organisation und Informatik, Allgemeine Verwaltung mit Assistenten und Stäben, Bewachung der Gebäude. Es ist nicht verwunderlich, dass Kosiol bei der Synthese nach der Verrichtung zur Primärorganisation der „Funktionalen Organisations-Struktur“ gelangt. Objekt (Objekte sind für Kosiol Produkte, Produktprogramme bzw. Sparten oder Divisionen, modern Geschäftsfelder, Länder, Regionen, Kontinente etc.): Ein Automobilunternehmen können seine Organisation nach kleinen, mittleren und großen Personenkraftwagen, Lastkraftwagen/ Busse, Motorräder, Sportwagen, in Spanien, Deutschland, Asien, Amerika usw. analysieren und synthetisieren. Kosiol kommt mit dem Objektprinzip zur Produktorganisation (synonyme Begriffe sind Spartenorganisation, Geschäftsfeld-Organisation usw.) Kosiol schlägt aber auch vor, Organisationsprinzipien zu kombinieren, wie nach Verrichtungs- und Objektprinzip, und kommt dann zur Primärorganisation der Matrixorganisation. Phase (mit dem Phasen-Organisationsprinzip im Sinne von Fayol wird der Managementprozess mit seinen Management-Funktionen Zielsetzung, Planung, Personalführung, Kommunikation, Organisation und Kontrolle beschrieben): Geschlossene Großaufgaben, die gemanagt und durchgeführt werden, sind typische Erfolgsmodelle in unserer Wirtschaft. Bei der Analyse und Synthese nach dem Phasenprinzip kommt Kosiol zur Projektorganisation in der Primärorganisation. Rang (der Rang beschreibt die Hierarchie in der Aufbauorganisation): Hier folgt Kosiol Max Webers oder auch Taylors Gedanken, das Organisationen „immer“ das monarchische Prinzip der Herrschaftssicherung des Unternehmers in rechtlicher Form des Direktionsrechts im Unternehmen sichern wollen, ein Gedanke, der im rechtlich-politischen Organisationsansatz noch einmal kritisch untersucht werden wird. Zweckmäßigkeit (Kosiol unterscheidet zwischen primären und sekundären Zweck): Mit der Zweckmäßigkeit verfolgt Kosiol mehrere Überlegungen: (a) das Unternehmen ist in einer Zweck-Mittel-Beziehung so zu analysieren und zu synthetisieren, das z. B. die Organisationsstellen gleichzeitig als Kostenstellen des Rechnungswesens zu verwenden sind, um z. B. Kosten und Leistungen, die durch derartige Stellen, Abteilungen, Funktionen, etc. verursacht werden, diesen Stellen die Kosten mindestens zurechnen zu können. (b) Primäre Zwecke werden im Industriebetrieb immer in der Leistungssphäre, in der Beschaffung, Produktion und im Absatz erfüllt. Sie sind produktiv, wirtschaftlich zu organisieren und erwirtschaften einen Return-on-Investment. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass in diesen Organisationseinheiten grundsätzlich die Einzelkosten <?page no="533"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 533 Neue Betriebswirtschaft entstehen und die Kostenträger als potenzielle Umsatz- und Deckungsbeitragsträger zu identifizieren sind. (c) Sekundäre Zwecke entstehen organisatorisch nach Kosiol immer in der Sphäre des „Finanz-Verwaltungsbereichs“ und sind für ihn deshalb unproduktiv, belasten die Wirtschaftlichkeit und den Deckungsbeitrag. Das Kosiol in diesen Organisationsstellen die Gemeinkosten und die Fixkosten vermutet, überrascht nicht. Merksatz: Ablauforganisation acht Organisationsprinzipien Für die Ablauforganisation (modern: Prozessorganisation) schlägt Kosiol acht Organisationsprinzipien für die Arbeitsanalyse und Arbeitssynthese vor. Dies sind die fünf Organisationsprinzipien der Aufbauorganisation, und zwar 1. Verrichtung, 2. Objekt, 3. Phase, 4. Rang und 5. Zweck. Es kommen in Anlehnung an das Scientific Management noch drei weitere Organisationsprinzipien hinzu, nämlich „wie“ 6. zeitlich, 7. örtlich und 8. personell die Aufgaben zu bewältigen sind. Zeitliches Organisationsprinzip (Stichworte hierzu könnten die Arbeitszeit bzw. die Arbeitszeitflexibilisierung in der Analyse und Synthese der Arbeit sein: In Anlehnung an das Scientific Management werden hier die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Arbeitsgänge am Fließband oder im Logistiksystem Just-in-Time analysiert, die Reihenfolge festgelegt und dazu die jeweilige Zeitdauer. Als weitere Aspekte dazu sind die Schichtbetriebszeiten, Anfangs- und Endzeiten von Arbeiten zu bestimmen, und zwar in Anlehnung an das Arbeitszeitgesetz usw. Danach werden auch die zeitlichen, personalen und sachlichen Abhängigkeiten zwischen den Arbeitsgängen gestaltet. Räumliches Organisationsprinzip Das räumliche Organisationsprinzip analysiert die Arbeitsplätze, deren Anordnung, Zuordnung und Bearbeitungsstationen z. B. bei Fließbandproduktion, um die Durchlaufzeit und die Transportwege zu minimieren. Es klärt die ergonomischen Erfordernisse des Arbeitsplatzes, der Werkzeugmaschine, der Raumgestaltung, die Arbeitsplatzsicherheit usw. Personales Organisationsprinzip Schließlich erfolgt aufgrund der organisatorischen Anforderungen an einen gewünschten Stelleninhaber, der einzelne Arbeitsgänge an einem Werkstück mittels eines angedachten Kompetenzprofils erfüllen soll, eine Zuordnung zu einem Eignungsprofil einer in Betracht gezogenen Person. Durch diese Person verknüpft sich die Ablaufmit der Aufbauorganisation mit dem Personalmanagement. Literatur Bitte lesen Sie dazu noch: Bea, F. X. / Göbel, E. (2010): Organisation, 4. Aufl., UTB-Verlag, München, Kapitel 12: Traditionelle Organisationsmodelle, S. 359 - 392 <?page no="534"?> 534 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Organisationsanalyse Auslöser einer Organisationsanalyse sind z. B. Kommunikationsprobleme in einem internationalen Projekt, oft alleine schon durch ! E-Mails, ! Sprachprobleme und ! kulturelle Missverständnisse. Weitere Auslöser von Organisationsanalysen sind, wenn ein Organisationswandel von den Mitarbeitern wegen Gefährdung bestehender Ressourcenzuteilung oder nur auf eine Teileinheit der Organisation ein beschränkter Organisationswandel nicht hingenommen wird. Hinzu kommen Ängste und Befürchtungen von Mitarbeitern, dass durch den strukturellen und prozessualen organisatorischen Wandel Fachwissen und Kompetenzen bei der Aufgabenerfüllung durch die Neuausrichtung der Organisation gefährdet sein könnten, bestehende Machtbeziehungen zu Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten gefährdet sind, Gruppenaktivitäten in Projektgruppen nicht gewollte Resultate hervorbringen und dann Mitarbeiter mit struktureller Trägheit auf psychologisch erlebte „Bedrohungen“ reagieren und betriebswirtschaftlich geplante Ergebnisse des Unternehmens unterminieren usw. Neben dem rein technisch-strukturellen „Organisationswandel“, aufgrund einer Organisationsanalyse, müssen die ! psychologischen, ! politischen und ! kulturellen Organisationsprobleme komplementär mittels eines Change Managements gelöst werden. Es können unterschiedliche Vorgehensweisen bei einer Organisationsanalyse gewählt werden, um Organisationsprobleme zu beschreiben, zu erklären und daraus Schlussfolgerungen für die Primärorganisation und die Sekundärorganisation zu ziehen: a) Eine traditionelle aufgaben-, technik-, ergonomische und informatikbezogene Organisationsanalyse im Sinne der traditionellen Organisationslehre von Kosiol bzw. des Strukturellen Organisationsansatzes durchzuführen (dies erfolgt gleich unten im laufenden Text). b) Eine organisations- und arbeitspsychologische, politisch-konfliktorientierte und unternehmenskulturelle Organisationsanalyse, z. B. beim „Organisatorischen Wandel“ durch Innovationen durchzuführen, um ein Change Management zum strukturellen Organisationswandel unterstützend einzubringen. (vgl. dazu Change Management bei den organisationspsychologischen, rechtlich-politischen und beim symbolisch-unternehmenskulturellen Organisationsansatz) c) Eine Organisationsanalyse mittels einer empirischen Organisations- und Personalforschung durch Befragung der potenziellen und/ oder der derzeitigen Belegschaft durchführen, um z. B. zu Hypothesen (Gesetzmäßigkeiten) der Karrierewünsche von Frauen zu gelangen, damit diese Familie, Arbeit und Karriere in einer Organisation bewältigen können. Eine Organisationsgestaltung in der Prozessorganisation könnte z. B. dann dazu kommen, Arbeitsabläufe stärker durch Arbeitszeitflexibilisierung und/ oder einen Kindergarten im Unternehmen zu berücksichtigen. (vgl. dazu Arbeitszeitflexibilisierung in der Ablauforganisation) d) Heute kann man mit Hilfe ausgewählter Instrumente des Organisations-Controllings, zusätzlich zu den obigen Organisationsanalysen, eine betriebswirtschaftlich-finanzwirtschaftliche Organisationsanalyse durchführen. Bei der Prozessorganisation bieten sich die Prozesskostenrechnung und das Target Costing an, aber auch die Berliner Balanced Scorecard. Man kann aber auch die Beschaffungs-, Produktions- und Absatzprozesse mit ausgewählten Kennzahlen des Working- Capital-Management-Ansatzes der Finanzanalyse untersuchen. <?page no="535"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 535 Neue Betriebswirtschaft Info Hier in diesem Kapitel wird nur die erste Möglichkeit der Organisationsanalyse im Sinne der traditionellen Organisationslehre erläutert. Merksatz Folgt man Kosiol, so hat der Organisator die Gesamtaufgabe der Unternehmung analytisch nach Organisationsprinzipien zu zerlegen, um sie später nach zweckmäßigen Organisationsprinzipien wieder zu Organisationstellen, Abteilungen, Hauptabteilungen, Sparten bzw. Strategische Geschäftsfelder / Business Units zu synthetisieren. Dabei tauchen sofort erste Organisationsfehler auf, nämlich dass pro Organisationsstelle für einen fiktiven Stelleninhaber Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung sich nicht kongruent entsprechen, oder dass in der gelebten „Praxis“ sich Stelleninhaber Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung anderer Stellen mit aneignen oder es zumindest versuchen, so dass Konflikte vorprogrammiert sind. Jede laufende Organisationsanalyse bzw. Systemanalyse im IT-Bereich verfolgt den Zweck, Schwachstellen zu beschreiben und aufzudecken, Verbesserungsmöglichkeiten für die Organisation und/ oder IT-Bereich zu finden, diese zu bewerten und daraus Organisationsgestaltungsempfehlungen abzuleiten (vgl. z. B. Lean-Management bzw. das Just-in-Time-Konzept der japanischen Automobilindustrie). In Anlehnung an Acker (Acker, H. B., Weiskamp, J. (1977) Organisationsanalyse, S. 11 ff.) besteht eine Organisationsanalyse aus drei Hauptphasen: a) Aus der Aufnahme und Darstellung des organisatorischen IST-Zustandes (mittels Prüflisten, Prüffragen, Prüfkatalogen, Multimomentverfahren bzw. weitere REFA-Techniken, Stellenbeschreibungen, Organigrammen usw.) b) Einer kritischen Prüfung von Schwächen und Fehlern der Aufbau- und Ablauforganisation (mittels Interviews der Betroffenen, Funktionendiagrammen, Kommunikationsanalysen etc.) c) Aus der Entwicklung, Beurteilung und Bewertung von Alternativlösung der Aufbau- und Ablauforganisation mittels Argumentationsbilanzen, Nutzwertanalysen, Entscheidungsbaumverfahren, Target Costing, Prozesskostenrechnung, Investitionsrechnungen und dergleichen mehr. Merksatz Bei dem methodischen Verfahren der Organisationsanalyse kann man zwei Grundphasen unterscheiden: „1. Prüfung der Einzelheiten einer Organisation auf fehlerhafte und unzweckmäßige Gestaltung, 2. Vergleich mehrerer Alternativlösungen, zwischen denen sich ohne besondere Bewertungsverfahren keine Entscheidung fällen lässt. (Heute spricht man in diesen Fällen vom Organisationscontrolling, d. Verf.)“ (Acker/ Weiskamp 1977, S. 39). <?page no="536"?> 536 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Abb. 16-7: Organisationsanalyse zum Problem der Delegation von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz mit der potenzi™™x `s˜²qqkx— hwx ]wx˜•’n™x •x š™s ˆk˜°²k^ kxš Ablauforganisation, die die Zusammenarbeit der Stellen gefährdet Aufgabe (Prozessschritt) im Rahmen der Aufbau- und Ablauforganisation Verantwortung Aufgabenerfüllung S technisch S personal S betriebswirtschaftlich - Organisationstellen sind gleich Kostenstellen und eine Kostenkontrolle durchzuführen Plankosten (Sollkosten) mit Istkosten vergleichen, Abweichungen feststellen, Ursachenforschung betreiben - Erfolg erzielen (Erträge sichern) Kompetenz Humankapital Fähigkeiten und Kompetenzen S Aufgabe zu verstehen S Aufgabe zu bewältigen S Aufgabe zu verändern S Aufgabe zu verbessern im Rahmen von Rationalisierungsmaßnahmen Abb. 16-8: Zum problematischen Zusammenhang zwischen Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz in der Stellenanalyse und der Stellenabstimmung im Rahmen der Organisationsanalyse Aufgabe Kompetenz Verantwortung <?page no="537"?> 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen 537 Abb. 16-9: Methodisches Vorgehen der Organisationsanalyse Fragen [1] Welche Prämissen und Organisationsziele verfolgen die einzelnen Organisationsansätze? [2] Erläutern Sie das methodische Vorgehen der traditionellen Organisationslehre nach Kosiol. [3] Wie kommt man von den Organisationsprinzipien zu alternativen Gestaltungsalternativen der Primärorganisationen? [4] Was versteht man unter einer Sekundärorganisation, und warum ist diese derart bedeutsam? [5] Wie wird nach der traditionellen Organisationslehre die Organisationsanalyse durchgeführt? [6] Welche Möglichkeiten der Organisationsanalyse kennen Sie? [7] Wie wird Organisationswissen über die Unternehmung erzielt? [8] Welche Ziele und Methoden eines Organisationscontrollings sind besonders relevant? <?page no="539"?> Neue Betriebswirtschaft 1 177 OOn nlliinnee--KKoommmmuunni ikkaattiioonn Anna Riedel Lernziele ! Die veränderten Rahmenbedingungen der Online-Kommunikation einschätzen und begreifen ! Die Grundidee und die Abrechnungsmodelle der zentralen Kommunikationsinstrumente der digitalen Medien verstehen ! Zielgruppenspezifische Online-Kommunikationsinstrumente identifizieren und bewerten Einführung Neben den klassischen Marketinginstrumenten haben sich durch die digitalen Medien neue Kommunikationsmöglichkeiten mit den unterschiedlichen Zielgruppen eines Unternehmens aufgetan. Dabei ist hier zu berücksichtigen, dass nicht nur die externen Zielgruppen gemeint sind, sondern auch interne wie Mitarbeiter, Partner oder beispielsweise Investoren. Wirtz identifiziert vier Einflussfaktoren im Electronic Business (Wirtz; 2013), die maßgeblich zu der Entwicklung und Intensivierung der Online-Kommunikationsinstrumente beigetragen haben: a) Konvergenz Durch die zunehmende Konvergenz entstehen neue Marktbedingungen und die Dekonstruktion von Wertschöpfungsketten kann vorangetrieben werden. Dies geschieht beispielsweise durch die Annäherung der Basistechnologien und die Zusammenführung einzelner Glieder aus der Wertschöpfungskette vornehmlich in den Branchen der Telekommunikation, der Medien und der Informationstechnologie bis hin zu einem Verschmelzen der Märkte insgesamt. b) Innovationsdynamik Im Electronic Business ist die Dynamik der Veränderungen groß und nicht linear. Gleichzeitig können Innovationen von revolutionärer Tragweite in immer kürzeren und zunehmend diskontinuierlichen Abständen beobachtet werden, weswegen nicht mehr von evolutionärem Fortschreiten, sondern von Disruption beziehungsweise von disruptiven Technologien gesprochen wird. Dies hat zur Folge, dass die Vorausschau durch Extrapolation der Vergangenheit nicht mehr funktioniert, sondern den am Markt agierenden Unternehmen eine erhebliche Anpassungsfähigkeit abverlangt wird. c) Customer Empowerment Sowohl auf der Konsumgüterals auch auf Industriegüterseite ist eine zunehmende Individualisierung der Nachfrage zu beobachten. So sollen einerseits die Produktionsfaktoren den firmenspezifischen Besonderheiten ihrer Verwendung in den Wertschöpfungsaktivitäten entsprechen und andererseits führen soziodemografische Gründe wie beispielsweise zunehmender Wohlstand insbesondere bei kaufkräftigen Konsumenten zu einer individuellen Produktauswahl zur Demonstration ihrer Persönlichkeit (Reichwald, Piller; 2009). <?page no="540"?> 540 Anna Riedel Neue Betriebswirtschaft Zudem zieht die steigende Markttransparenz durch die Online-Kommunikationsmedien unter anderem sinkende Wechselbarrieren und einen hohen Informationsstand auf Nachfragerseite nach sich. Der Umgang mit Kunden auf Augenhöhe stellt demnach eine zentrale Herausforderung für traditionelle Unternehmen dar, nicht zuletzt weil Kunden häufig einen zentralen Bestandteil des Wertangebotes selbst beitragen (z.B. Youtube, Wikipedia, Amazon). d) Wettbewerbsintens i v ierung Die steigende Markttransparenz führt ferner zu einer zunehmenden Marktfragmentierung, sinkenden Markteintritts- und Wechselbarrieren und somit zu einer Wettbewerbsintensivierung. Die Markeintrittsbarrieren fallen unter anderem durch homogene Technologien mit hoher Diffusion, digitalitätsinduzierte Kostenvorteile und den Wegfall geographischer Hürden. Die Wechselbarrieren hingegen fallen aufgrund von technologischen, ausbildungsbedingten, psychologischen und wertbedingten Faktoren. Der Wettbewerb wird außerdem durch den Wegfall (Disintermediation) und die Verschiebung (Reintermediation) von einzelnen Stufen der Wertschöpfungskette intensiviert. Ein klassisches Beispiel für Disintermediation in diesem Zusammenhang ist der Wegfall des Handels durch den Direktvertrieb durch das Internet. Die eben genannten vier Einflussfaktoren implizieren ein verändertes Markt- und Arbeitsumfeld. Unternehmen reagieren unterschiedlich schnell auf die veränderten Rahmenbedingungen, da das anhaltende Auftreten neuer Technologien zu ständiger Änderung von Kommunikationsformaten, Inhalten und Plattformen führt. Neue Technologien bieten eine Vielzahl von Möglichkeiten, fordern aber auch etablierte Geschäftsmodelle und Routinen heraus. Marketing-Manager müssen die Technologien, die sich auf ihr Geschäft auswirken, verstehen und anwenden lernen und zunehmend mit Produkt-Managern zusammenarbeiten. Eine praxisorientierte Fallsammlung für Erfolgsbeispiele dieser Zusammenarbeit liefert bspw. Growthhackers.com (Ellis; 2018). Abb. 17-1: Inhalte - Online-Kommunikation Wie in Abb. 17-1 schematisch dargestellt, folgt nun ein kurzer Überblick über die zentralen Online- Kommunikationsinstrumente, die den Marketing- und Kommunikationsmanagern zur Verfügung stehen. Über detailliertere Vorgehensweisen, Beispiele und Kontrollmechanismen sind unter anderem Kreutzer (Praxisorientiertes Online Marketing, 2016) oder Lammenett (Praxiswissen Online Marketing, 2009) empfehlenswert. Generell gilt auch hier, dass eine fundierte Analyse- und Planungsphase zu einer ordentlichen Umsetzungs- und Kontrollphase führen sollte, die am Ende den <?page no="541"?> 17 Online-Kommunikation 541 Neue Betriebswirtschaft Kreislauf schließt. Dabei sollten die jeweiligen Instrumente erst im Anschluss an die Analysephase ausgewählt werden, um so die jeweils geeignetsten für die spezifische Zielgruppe zu identifizieren. 17.2 Suchmaschinenmarketing Unter dem Oberbegriff Suchmaschinenmarketing (SEM für Search Engine Marketing) werden die zwei Kommunikationsinstrumente Suchmaschinenoptimierung (SEO) und Suchmaschinenwerbung (SEA) gefasst. Diese sind von besonders hoher Relevanz, da Suchende meist nur die erste Ergebnisseite (Search Engine Result Page: SERP) und hier auch nur die obersten Ergebnisse wahrnehmen. Besonders spannend ist hier der Vergleich der Desktop-Nutzung gegenüber der mobilen Nutzung, da auf mobilen Endgeräten der Ergebnisumfang durch die Bildschirmgröße extrem eingeschränkt ist. Laut einer Eyetracking-Studie von Mediative (2016) klicken mobil nur 7,4 Prozent auch hinter dem vierten Suchergebnis, während dies 16 Prozent der Desktop-Nutzer tun. Unangefochtener Marktführer für das Suchmaschinenmarketing in beiden Ausprägungen ist Google. So entfielen im Juni 2017 79,4 Prozent der Desktop-Suchanfragen beziehungsweise 96,2 Prozent der mobilen Anfragen auf Google (NetMarketShare 2017). Im Folgenden wird Google demzufolge beispielhaft für andere Suchmaschinen verwendet. 17.2.1 Suchmaschinenoptimierung (SEO) Die Suchmaschinenoptimierung umfasst alle Maßnahmen, die zum Zweck haben, dass das eigene Angebot auf den ersten Plätzen der organischen Trefferlisten der Suchmaschinen erscheint. Im Gegensatz zum SEA handelt es sich bei SEO um kein Cost-per-Click-Modell innerhalb der organischen Suchergebnisse auf Google. Die Onsite- und Offsite-Optimierung entscheiden über Relevanz der Webseite. Diese beinhalten die Maßnahmen auf der eigenen Seite und jene auf anderen Webseiten, wie bspw. Social Media- Kampagnen. Onsite ist besonders auf die technische und inhaltliche Optimierung (Text, Struktur und Programmiercode), Offsite auf die Qualität und Anzahl der Backlinks zu achten. Ein Link von einer fremden Seite zählt im Sinne des Backlinks als eine Art Empfehlung, der der Seite mehr Wert vermittelt. Die technische und inhaltliche Optimierung zielt auf Googles Rankingalgorithmus ab, der kontinuierlich optimiert wird und demzufolge die Seiten entsprechend angepasst werden müssen. Zentrale Elemente sind umfangreicher, sinnvoller und qualitativ hochwertiger Content, die richtige Auswahl und Verwendung der Keywords, die Strukturierung der Inhalte und eine intelligente Link-Struktur, maschinenlesbare sowie mobil optimierte Inhalte und selbstverständlich die URL und deren Domain(s). 17.2.2 Suchmaschinenwerbung (SEA) Suchmaschinenwerbung (auch Keyword-Advertising) hingegen beinhaltet alle Maßnahmen, die dazu führen, dass eigene Online-Werbeformate bei der Eingabe bestimmter Suchbegriffe gegen Bezahlung auf den ersten Seiten der Suchmaschinen auftauchen. 2016 verzeichnete Google weltweit ca. 3,3 Billionen Suchanfragen (Internet Live Stats 2017) und allein im vierten Quartal 2017 setze Google rund 31,9 Milliarden US-Dollar um (Alphabet 2018). Für die Auswahl der eingeblendeten Suchmaschinenanzeigen verwendet Google ein Auktions- Preismodell, das die Darstellung und Reihung der Anzeige gemäß dem jeweiligen Gebot auf ein Keyword ausgibt. Die Abrechnung erfolgt auf Basis von Cost-per-Click, d.h. nur wenn ein Nutzer die Anzeige anklickt, muss der Werbetreibende dafür bezahlen. Der tatsächliche Klickpreis wird durch das maximale Angebot des Werbetreibenden, die Anzeigenposition des jeweiligen Werbers <?page no="542"?> 542 Anna Riedel Neue Betriebswirtschaft und den Google-AdWords-Qualitätsfaktor bestimmt (detaillierte Informationen und Anleitungen liefert Google selbst, z.B. unter AdWords-Hilfe (2018)). Die Ziele, die im Rahmen von SEA verfolgt werden können, sind vielfältig. So können Unternehmen bspw. ihren Traffic steigern und somit die Chance erhöhen, Neukunden oder Interessenten/ Leads zu gewinnen. Zudem können auch Branding-Effekte realisiert werden. 17.3 Display Advertising Unter Display Advertising (auch Display-Werbung) werden sämtliche Arten von Online-Werbung verstanden, bei denen grafische Werbemittel wie Videos, Animationen oder Bilder verwendet und auf Seiten Dritter ausgespielt werden, mit dem Ziel den Traffic auf der Zielseite zu erhöhen beziehungsweise eine vorher definierte Conversion zu erzielen. Dies kann die Registrierung für einen Newsletter, das Erstellen eines Kundenkontos, der Online-Einkauf oder vieles mehr bedeuten. Im Jahr 2016 wurden in Deutschland im Durchschnitt ca. 151 Millionen Euro Nettowerbeinvestitionen für digitale Displaywerbung getätigt (OVK 2017). Im selben Erhebungszeitraum wurden im Segment digitale Display-Werbung (In-Stream- und In-Page-Formate in Online und Mobile) rund 1,79 Milliarden Euro umgesetzt (BVDW 2017). Die traditionelle Wertschöpfungskette des Display Advertising vom Advertiser über die Mediaagentur zum Ad Network weiter zum Vermarkter endend beim Publisher, wird mit Real Time Bidding um die Akteure der Plattformen, die sich zwischenschalten, um Angebot und Nachfrage zu koppeln sowie ‚Big Data‘ auszuwerten erweitert (Schroeter et al. 2013). Klassische Anbieter sind etablierte Online-Vermarkter, Suchmaschinen wie Google AdWords, Werbenetzwerke, soziale Netzwerke und eigenvermarktete Angebote. Als Vorteile des Display Advertising werden die hohe Reichweite, hohe Verfügbarkeit, niedrige Einstiegskosten, hohe Flexibilität sowie Personalisierung und Individualisierung angesehen. Mit Real Time Bidding wird unter anderem der Personalisierung und Individualisierung Rechnung getragen. Hierdurch wird das Targeting und die Ansprache jedes einzelnen Users ermöglicht. Gleichzeitig macht es die Aktivitäten deutlich besser mess- und steuerbarer. Weitere Targeting-Techniken wie Geo-Targeting, Frequenzy Cap und Behavioral Targeting bieten die Möglichkeit für leistungsbasierte Werbung. Display Advertising ist besonders dann geeignet, wenn beim potenziellen Kunden ein Bedürfnis geweckt werden soll, das noch nicht, oder noch nicht in dieser Art vorhanden ist. Darunter fallen beispielsweise Low-Interest-Produkte, für die es nur wenige andere sinnvolle Marketing-Kanäle gibt. Zusammen mit SEM ist die Display-Werbung die gängigste Werbeart im Internet. Weiteres Ziel von Display Advertising ist das Branding, also der Aufbau einer Marke oder eines Images, da hier im Vergleich zur Textanzeige mehr visuelle Möglichkeiten gegeben sind. 17.4 Affiliate Marketing Affiliate Marketing, oder auch Partnerprogramm bzw. internetbasierte Vertriebskooperation, nutzt den Internetauftritt von Partnerunternehmen, indem Werbeflächen auf deren Website geschaltet werden, um die Aufmerksamkeit der Internet-User auf den eigenen Waren- oder Dienstleistungspool zu erhöhen (Kreutzer 2016). Im Jahr 2016 wurden 7,6 Milliarden Euro im Online-Handel in Deutschland mit Affiliate Marketing umgesetzt, dies entspricht einem Wachstum von knapp neun Prozent zum Vorjahr (BVDW 2016). Grundgedanke ist, dass der Merchant/ Anbieter/ Advertiser die Kosten des Aufbaus von Traffic auf der eigenen Website auf die Affiliates/ Publisher/ Partnerunternehmen verlagert. Somit erweitert der <?page no="543"?> 17 Online-Kommunikation 543 Neue Betriebswirtschaft Merchant seine Reichweite über differenzierte Internetseiten und steigert seine Präsenz im Internet. Demgegenüber stehen die Werbeerlöse des Affiliate. Er erhält für jede Transaktion oder jeden Verkauf, der durch die Werbemaßnahem generiert wird, eine Provision. Um die Interaktion des Nutzers mit dem jeweiligen Werbemittel zu verifizieren, wird jedes Werbemittel bei jedem Affiliate mit einem Partnercode versehen (Kreutzer 2016). Häufig bedienen sich Merchant und Affiliate sogenannter Affiliate-Netzwerke, die eine Schnittstellenfunktion innehaben. Die Vergütung findet über Vermittlerprovisionen statt. Der Schwerpunkt des Affiliate Marketing liegt auf dem B2C-Marketing. Im Vordergrund für den Merchant steht die Gewinnung von Leads und der durchgehende Kontakt via E-Mails oder Newsletter. Zweitrangig aber angestrebt ist die Erhöhung des Bekanntheitsgrades sowie der Aufbau eines positiven Images. Von diesem Image kann auch der Affiliate durch die Zusammenarbeit mit bekannten Werbepartnern profitieren. Affiliate Marketing ist sehr branchen- und produktspezifisch. Die entscheidenden KPI’s für die Erfolgsbewertung von Affiliate-Marketing sind Ad-Impressions, Ad-Clicks, Click-Through-Rate, die Generierung von Leads (Sign-Up) und Sales (Generierung von Käufern) (Kreutzer, Rummler, Wille-Baumkauf 2015). 17.5 Email Marketing E-Mail-Marketing ist eine Form von Direktmarketing und umfasst die systematische Übermittlung marketingbezogener Informationen per E-Mail bzw. per E-Newsletter zur Erreichung von Marketing-Zielen im B2Bwie im B2C-Markt. Die große Stärke des Email-Marketings liegt darin, dass sie im gesamten Kundenbeziehungslebenszyklus angewendet werden kann (Kreutzer 2016). Nichtsdestotrotz sind die Gesamtaufwendungen im Jahr 2016 für Email Marketing in Deutschland auf 1,3 Milliarden Euro gesunken. Dies ist ein historisches Tief und war nach dem historischen Hoch in 2015 mit einem Volumen von 2 Milliarden Euro nicht zu erwarten (Deutsche Post 2017). Grund dafür scheint vor allem der technologische Fortschritt und, dass die Bereiche Social Media, Real Time Advertising und mobile Anwendungen größere Anteile im Marketingmix einnehmen (Horizont 2014). Unterschieden werden vier Ausprägungen der E-Kommunikation: Trigger Emails, Transaction Emails, After-Sales Emails und der E-Newsletter. Ziele des Email Marketing sind die Ansprache potenzieller Kunden, die Kontaktaufnahme, die Erbringung verschiedener Serviceleistungen und die Vertiefung der Beziehung mit dem Kunden. Personalisierung und Individualisierung der Inhalte sind Erfolgsfaktoren, welche über Rich-Media-Content (Videos, Werbespots), Frequenz und Timing der Zustellung (Öffnungsraten, Response-Quoten) und gutem individualisierten Dialog (Rabatte, Aktionen, Kündigung) erreicht werden (Kreutzer 2016). Email Marketing ist rechtlich im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb geregelt und wird technologisch durch SPAM-Filter zunehmend erschwert. Ferner nimmt das Thema Datenschutz einen immer höheren Stellenwert in der Gesellschaft an. 17.6 Online-PR und Storytelling Während die Auflagezahlen von Tageszeitungen abnehmen und die jüngeren Generationen immer weniger Zeit vor dem Fernseher verbringen oder Radio hören, nehmen Mobile Internet und Social Media in der Informationsversorgung zu. Diese Lücke zwischen klassischen Medien und dem Internet versucht der Bereich Online-PR als Teilbereich der Organisationskommunikation in Unternehmen zu schließen (Zerfaß, Pfeil 2015). Die Aufgabe der Online-PR ist ein gewinnbringendes Verhältnis zwischen dem Unternehmen und dessen Stakeholdern zu etablieren und weiterzuentwickeln. Klare Zielsetzung hierbei ist die Darstellung des Unternehmens als ein wertebasiertes, ethisch handelndes und nachhaltig arbeitendes Un- <?page no="544"?> 544 Anna Riedel Neue Betriebswirtschaft ternehmen. Dabei geschieht der Transfer dieses Bildes nicht nur an potenzielle Kunden, sondern auch an Mitglieder der Politik, Öffentlichkeit, Shareholder und Medien. Für die Erfüllung dieser Aufgaben muss die Online-PR insbesondere auf relevante Plattformen wie soziale Netzwerke, Blogs und Media-Sharing ausgerichtet werden. Diese Umstellung verändert den Rhythmus der PR- Aktivitäten, da es nun von enormer Bedeutung ist, wie das Netz, inklusive Blogger, Influencer und Youtuber, das eigene Unternehmen reflektiert. Die Online-PR muss sofort eingreifen können, wenn Negativschlagzeilen oder Fake-News erscheinen. Zuvor waren die PR-Aktivitäten häufig auf Pressemitteilungen und Presseinformationen limitiert (Kreutzer, Rumler, Wille-Baumkauff 2015). Eine Methode zur Verbreitung von PR-Inhalten online ist das Storytelling (Geschichten erzählen). Im Optimalfall verbreitet sich eine gute Geschichte über Social-Media-Plattformen multimedial mit rasanter Geschwindigkeit und erreicht in kürzester Zeit Millionen von potenziellen Kunden auf verschiedensten Endgeräten. Da das menschliche Gehirn Informationen, die als eine Geschichte erzählt werden, leichter abspeichert und weitergibt, können so unternehmensrelevante Inhalte zielgruppengerecht und emotional kommuniziert werden. 17.7 Social Media Marketing Mit 51 Prozent Wachstum im Jahr 2016 entwickelt sich der Bereich Social Media Marketing rasant und zeigt dessen zunehmende Bedeutung (Zenith 2017). In einer Umfrage von Social Media Examiner, in der der Nutzen für Unternehmen von Social Media Marketing untersucht wurde, antworteten die Unternehmen zu 88 Prozent damit, dass die Aufmerksamkeit für das Unternehmen erhöht werden sollte. Es folgten die Argumente „mehr Traffic“ (78%), „Kundenloyalität fördern“ (69%) und die „bessere Kenntnis des Marktes“ (66%). Weniger wichtig seien „steigende Verkäufe“ (52%) und „neue Geschäftskontakte“ (53%) (Social Media Examiner 2017). Der Begriff soziale Medien umfasst sowohl die Online-Medien als auch die Online-Technologien, die es dem User ermöglichen, im Internet Informationen auszutauschen. Es wird differenziert zwischen sozialen Netzwerken, Media-Sharing-Plattformen (Blogs) sowie Online-Foren und Communities (Kreutzer, Rummler, Wille-Baumkauff 2015). Die wichtigsten Social Media-Plattformen für Marketingverantwortliche in Unternehmen sind im Jahr 2017 Facebook, LinkedIn, Twitter, YouTube, Instagram und Pinterest (Social Media Examiner 2017). Die sozialen Medien fördern einen multidirektionalen Austausch. Somit sollten sie nicht einzig als Sales-, Commercial oder Public Relation- Kanal verstanden werden, sondern als eine Chance, in den Dialog mit Stakeholdern zu treten und One-to-one-Serviceleistungen zu erbringen. Das Hauptziel des Social Media Marketings besteht darin, den Dialog zwischen Unternehmen und ihren relevanten Zielgruppen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Dieser Dialog soll kollaborativ, interaktiv und iterativ sowie simultan sein. Dies wird durch Instrumente der Kommunikation (soziale Netzewerke - „gefällt mir“ an Produktwerbung), der Kooperation (Bewertung des Produktes) und des Content Sharing (Teilen der Werbung für Freunde) unterstützt. Social Media Marketing ist demnach ein taktisches Konzept, welches in den Marketing-Mix des Unternehmens einfließt, um gesetzte Marketingziele zu erreichen, indem die Nutzer sozialer Medien direkt in den Dialog mit dem Unternehmen gebracht werden (Kreutzer 2016). 17.8 Crowdsourcing Crowdsourcing ist Kundendialog auf Augenhöhe und ein relevanter Teil des Innovationsmanagements. (Al-Ani 2014) Der Begriff an sich ist eine Wortneuschöpfung und kombiniert die Begriffe „Crowd“ und „Outsourcing“. <?page no="545"?> 17 Online-Kommunikation 545 Neue Betriebswirtschaft Eingeführt wurde der Begriff von Jeff Howe im Jahre 2006. Er definiert Crowdsourcing als “an act of taking a job traditionally performed by a designated agent (usually an employee) and outsourcing it to an undefined, generally large group of people in the form of an open call” (Howe 2006). Grundlage bildet hierbei der technologische Fortschritt in Verbindung mit der Netzgesellschaft. Unternehmen haben dadurch nahezu grenzenlose Mittel, über das Internet Humankapital außerhalb des Unternehmens in Anspruch zu nehmen. Die Folge ist die Erhöhung der eigenen Innovationskraft, resultierend in einem Geschwindigkeitsvorteil auf Wettbewerbsebene und einer Kostenreduzierung auf Unternehmensebene. Im Jahr 2014 gaben 85% der größten globalen Marken, darunter Procter&Gamble, Unilever und Nestle, an, Crowdsourcing schon seit über zehn Jahren zu nutzen (eYeka; 2015). 17.9 Mobiles Internet Allein im dritten Quartal 2017 wurden weltweit ungefähr 370 Millionen Smartphones verkauft. Kumuliert wurden in den Jahren 2016 und 2017 weit über zwei Milliarden mobile Telefone abgesetzt (Business Wire 2017). Zusätzlich stehen den Nutzern auch weitere mobile Endgeräte wie Tablets, Smart Books oder Ultra Books zur Verfügung. Diese Verkaufszahlen kombiniert mit einer zunehmenden mobilen Breitbandverfügbarkeit und Ortungsdiensten wie GPS ermöglichen eine Vielzahl von Kommunikationsangeboten für Unternehmen und Endkunden, auf die die zuvor genannten Kommunikationsinstrumente abgestimmt werden müssen. Es entwickelt sich eine First Screen-, Second Screen- und sogar Third Screen-Kultur verbunden mit dem existenziellen Bedürfnis, dass das mobile Internet 24/ 7 zu Diensten ist. Gekoppelt mit der Dematerialisierung - auch Zero-Gravity-Thinking - der Produkte, stehen Unternehmen vor der großen Herausforderung, ihre Waren mobil verfügbar zu machen. Ein Wandel hin zur digitalen Welt hat stattgefunden und eine Applikationen-Ökonomie ist daraus herangereift (Kreutzer 2016). Die Unternehmensberatung McKinsey hat in einer Studie die zehn größten disruptiven Technologien der nächsten 10 Jahre dargestellt. Mobiles Internet belegt dabei unangefochten den ersten Platz (McKinsey 2013). Es handelt sich um einen globalen Megatrend, der einen epochalen Wandel ganzer Branchen, vor allem aber der Gesellschaft eingeleitet hat und diese weiterhin verändern wird. 17.10 Corporate Website “You’ll never have a second chance to make a first impression! ” Dieses Zitat, das unter anderem Arthur Schopenhauer (1788-1860) zugeschrieben wird, steht wie kein Zweites für die Bedeutung von der Corporate Website. Die Corporate Website, auch Web-Angebot oder Web-Präsenz eines Unternehmens, ist der Internetauftritt einer Organisation und kann das Zentrum der gesamten Online-Kommunikation bilden. Grundlage ist hierbei die Registrierung eines Domain-Namens. Für die Gestaltung sollten vor allem Kriterien der Nutzerfreundlichkeit im Vordergrund stehen wie Verständlichkeit, eine einfache Bedienbarkeit sowie ein geringes Auftreten von Fehlern, um die Zufriedenheit der User zu erhöhen. Die Corporate Website ist Teil der Pull-Kommunikation, das heißt, dass der Nutzer sich die Information aktiv und selbständig im Internet sucht. Die Unternehmens-Website kann weltweit von potenziellen Kunden erreicht werden und ist damit Point of Information, Point of Interaction und Point of Sale (Kreutzer 2016). Die größte Herausforderung besteht darin, die komplementären Anforderungen gegenüber den Zielpersonen, einer attraktiven und kreativen Gestaltung der Website, und gegenüber den Suchrobotern, einer syntaktisch oder semantischen Gestaltung der Textinhalte, um die Suchmaschinenkompatibilität zu gewährleisten und zu verbessern. Diese Aufgabe zu meistern, ist ein durchlaufender Prozess, der immer wieder Veränderungen im Design und Content der Corporate Website erfordert. <?page no="546"?> 546 Anna Riedel Neue Betriebswirtschaft 17.11 Social Collaboration Unter dem Oberbegriff Social Collaboration oder auch Social Intranet versteht man die Zusammenarbeit von Nutzern in Projekten, Teams oder Gruppen mit Hilfe von elektronischen Online Medien. So werden beispielsweise im unternehmensinternen Kontext soziale Medien wie Wikis, Blogs oder Foren zur Unterstützung der Kollaboration verwendet. Die Ziele für den Einsatz einer Social Collaboration Software können die standortübergreifende und partizipative Zusammenarbeit, Beschleunigung der innerbetrieblichen Informationsströme, Reduktion des Emailverkehrs und die Mitarbeiterzufriedenheit sein (Wolf 2011). Die Kernelemente der Social Collaboration stellen das Dokumenten- und Wissensmanagement sowie Personen-/ Identitäts- und Erreichbarkeitskonzepte dar. Zu den bekanntesten Plattformen, die versuchen all diese Instrumente miteinander zu verbinden, gehören Microsoft Sharepoint, IBM Connections und Confluence, die mobil verfügbar sind und somit auch externen Anwendern wie Kunden den Zugriff ermöglichen. LLiitteerraattuurr 100partnerprogramme.de (2013): Ranking der deutschsprachigen Affiliate Netzwerke nach der Anzahl der Merchants im Jahr 2013. In Statista-das Statistikportal. Zugriff am 08.11.2017, von https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 164684/ umfrage/ top-affiliate-netzwerke-2010nach-anzahl-der-merchants/ . AdWords-Hilfe (2018): Grundlagen, Anleitungen und Support für AdWords-Hilfe, https: / / support.google.com/ adwords/ Zugriff am 23. März 2018. Al-Ani, Stumpp, Schildhauer (2014): Crowd-Studie 2014. Die Crowd als Partner der deutschen Wirtschaft: HIIG DISCUSSION PAPER SERIES; Alexander von Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft; Discussion Paper 2014-02. Alphabet (2018): Umsatz von Google weltweit vom 4. 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An dieser Stelle gilt unser Dank den Studierenden für die Anregungen und Denkanstöße im Zuge der Vorlesung, die uns die kontinuierliche Weiterentwicklung der Inhalte ermöglichen. Einleitung und Aufbau dieses Buchabschnitts Dieser Beitrag widmet sich der Frage, wie das Konzept und Anliegen der Nachhaltigkeit Folgerungen für die Neue Betriebswirtschaftslehre mit sich bringt. Zu Beginn zeigen wir auf, wie sich durch Nachhaltigkeitsaspekte die Rahmenbedingungen für Unternehmen in den letzten Jahrzehnten geändert haben (Abschnitt 18.2). Dabei liegt der Fokus insbesondere auf neuen gesellschaftlichen Herausforderungen, die die Handlungsoptionen von Unternehmen prägen. Der Begriff der Nachhaltigkeit dient uns dabei als hilfreiche Semantik, um die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen zu erfassen. Anschließend betrachten wir, welchen Beitrag Unternehmen für Nachhaltigkeit leisten können (Abschnitt 18.3). Dabei beleuchten wir die allgemein bekannte unternehmerische Zielfunktion der Wertschöpfung als Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung. Neu ist in unserer Betrachtung die Aufnahme des Schadschöpfungsmanagements als komplementäre Zielfunktion des Unternehmens. Zusätzlich erweitern wir den Betrachtungsrahmen der unternehmerischen Wert- und Schadschöpfung entlang des Lebenszyklus‘ eines Produktes und im Hinblick auf neue Themen mit Relevanz für das Unternehmen. Da Wert- und Schadschöpfung nicht im luftleeren Raum stattfinden, widmen wir uns nachfolgend dem Stakeholder-Management als strukturiertem Ansatz, um erfolgreiches Interaktionsmanagement mit den Anspruchsgruppen des Unternehmens zu betreiben (Abschnitt 18.4). Stakeholder des Unternehmens formulieren dabei spezifische Erwartungen an das Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeitsthemen. Diesen Erwartungen können Unternehmen durch Normen und Standards des Nachhaltigkeitsmanagements begegnen (Abschnitt 18.5). Dabei betonen wir die Relevanz von Standards als freiwillige Selbstbindungen, um Nachhaltigkeitsherausforderungen zu überwinden und stellen die Vorteile freiwilliger Standards im Vergleich zu gesetzlichen Regelungen und individuellen Unternehmensansätzen dar. Im Anschluss zeigen wir sodann die besondere Bedeutung von Nachhaltigkeitsmanagement als Schnittstellenmanagement für die Funktionen des Unternehmens (Abschnitt 18.6). Dabei stellen wir das operative und strategische Nachhaltigkeitsmanagement als komplementäre Perspektiven vor. Am Beispiel des Marketings illustrieren wir schließlich exemplarisch, wie etablierte Unternehmensfunktionen durch eine Nachhaltigkeitsbrille neu gedacht und gestaltet werden können und welche neuen Instrumente hierfür förderlich sind. Der Buchabschnitt schließt mit einem kurzen Fazit (Abschnitt 18.7). Die nachfolgende Grafik (Abbildung 18-1) zeigt die zugrundeliegende Logik dieses Buchkapitels. <?page no="550"?> 550 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft Abb. 18-1: Aufbau des Kapitels zu Nachhaltigkeitsmanagement. Die angesetzte Logik dieses Buchbeitrags betrachtet damit verschiedene Facetten einer nachhaltigkeitsorientierten „Neuen Betriebswirtschaft“. Neue gesellschaftliche Herausforderungen prägen die unternehmerischen Rahmenbedingungen und damit auch die Handlungsoptionen der EntscheidungsträgerInnen. Welches neue Selbstverständnis kommt damit dem Unternehmen zu? An welchen Stellen müssen welche Akteure (Stakeholder) eingebunden werden? Welche neuen Fragen ergeben sich für die Funktionen des Unternehmens? Als geschweifte Klammer stellt sich dabei die Frage, welches Wissen und welche Fähigkeiten ManagerInnen und Studierende als zukünftige EntscheidungsträgerInnen erwerben müssen, um mit den geänderten Rahmenbedingungen umgehen zu können. Jedes Unterkapitel beinhaltet die jeweiligen Lernziele des Kapitels, kurze Fallbeispiele sowie eine Übersicht mit Verständnisfragen für das Selbststudium. 18.1.1 Übergeordnete Lernziele des Buchbeitrags ! Nachhaltigkeit als gesellschaftliche wie auch unternehmerische Herausforderung und Chance verstehen lernen. ! Verstehen, welchen Beitrag Unternehmen für Nachhaltigkeit leisten können und wie sich die Rolle von Unternehmen im Kontext Nachhaltigkeit ändert. ! Relevanz der Stakeholder für Unternehmen und Nachhaltigkeit kennenlernen und Verständnis für Nachhaltigkeitsmanagement als Interaktionsmanagement entwickeln. ! Bedeutung von Standards als freiwilliger Selbstbindung im Hinblick auf Nachhaltigkeitsherausforderungen verstehen. <?page no="551"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 551 Neue Betriebswirtschaft ! Verständnis für das Zusammenspiel zwischen Nachhaltigkeitsmanagement und den Funktionen eines Unternehmens entwickeln. ! Grundzüge des Nachhaltigkeitsmarketings als Weiterentwicklung des klassischen Marketings kennenlernen und verstehen. Nachhaltigkeit in aller Munde - aber was steckt dahinter? Schaut man sich im Jahr 2018 die Internetauftritte großer deutscher Unternehmen an, findet man bei fast allen DAX-30-gelisteten Konzernen ein Bekenntnis zu einer nachhaltigen Entwicklung bzw. Ausrichtung des Unternehmens. Dabei tauchen immer wieder Begriffe wie Integrität, (unternehmerische) Verantwortung, Governance, gesellschaftlicher Beitrag, Risikomanagement, Transparenz, Glaubwürdigkeit, Werteverständnis, Corporate-Social-Responsibility, Wertschöpfung, Zukunftsfähigkeit, Leitbild oder auch Vision, Stakeholder und Compliance auf. In Hochglanzprospekten werben Unternehmen mit ihren Nachhaltigkeitsaktivitäten und veröffentlichen zusätzlich umfangreiche Nachhaltigkeitsberichte. Trotz aller Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit verstoßen DAX-Konzerne in regelmäßigen Abständen gegen Grundsätze einer verantwortlichen Unternehmensführung: Verwicklungen in Korruptionsaffären, Verstöße gegen Sozial- und Sicherheitsstandards bei ihren Zulieferern oder jüngst der großangelegte Umwelt- und Verbraucherbetrug im Zusammenhang mit manipulierten Abgaswerten von Kraftfahrzeugen. Dabei sehen sie sich zunehmend mit kritischen Anspruchsgruppen konfrontiert, die eine höhere Transparenz der Unternehmen und nachhaltiges Handeln fordern, etwa Umweltschutzorganisationen und weitere Nichtregierungsorganisationen. Was trifft nun zu? Haben sich die DAX-Konzerne gemeinsam dem Konzept einer nachhaltigen Entwicklung verschrieben? Oder handelt es sich bei den Nachhaltigkeitsbekenntnissen auf den Unternehmenswebseiten lediglich um Lippenbekenntnisse und leere Versprechen? Die Antwort fällt in der unternehmerischen Realität differenzierter aus. Fest steht: Im Jahr 2018 spielt Nachhaltigkeit für Unternehmen eine Rolle. Was darunter verstanden wird und wie dies im Unternehmen gelebt wird, unterscheidet sich jedoch oftmals deutlich von Unternehmen zu Unternehmen. Nachhaltigkeit und Unternehmen: Vor welchen neuen gesellschaftlichen Herausforderungen stehen Unternehmen heute? 18.2.1 Lernziele ! Grundpfeiler, zugrundeliegende Problemstellungen und Ansätze des Begriffs Nachhaltigkeit kennen und verstehen. ! Verständnis von Interdependenzen von Unternehmen und seiner natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt entwickeln. ! Aufzeigen der Stellen, wo sich diese Umwelt radikal verändert (hat). ! Verständnis entwickeln, wie dadurch neue Fragen für Unternehmen entstehen. ! Bedeutung von Nachhaltigkeit für den Handlungsspielraum unternehmerischer Akteure begreifen. ! Sensibilität für nachhaltigkeitsbezogene Themen entwickeln und die Relevanz der Themen für Unternehmen erkennen. <?page no="552"?> 552 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft 18.2.2 Einleitende Fragen ! Was verstehen wir unter dem schillernden Begriff der Nachhaltigkeit? Woher kommt seine heutzutage weite Verbreitung? ! Wie gehören Unternehmen und Nachhaltigkeit zusammen? ! Auf welchen Konzepten beruht Nachhaltigkeit und wie wirken diese auf den Handlungsrahmen des Unternehmens? ! Wie hat sich im Hinblick auf Nachhaltigkeit das Umfeld unternehmerischen Handelns in relevanter Weise geändert? 18.2.3 Verständnis von Nachhaltigkeit Für das bessere Verständnis so genannter Nachhaltigkeitsherausforderungen und ihren Wechselwirkungen mit unternehmerischen Akteuren ist es zunächst essentiell, die Begrifflichkeit Nachhaltigkeit näher unter die Lupe zu nehmen. Hierfür können wir auf zwei Meilensteine der Nachhaltigkeit zurückgreifen: die erstmalige Verwendung des Begriffs Nachhaltigkeit durch Hans Carl von Carlowitz als Fachbegriff in der Forstwirtschaft sowie den Brundtland-Bericht, der als Durchbruch des Nachhaltigkeitsbegriffs als Kategorie im gesellschaftlichen Diskurs verstanden wird. Forstwirtschaftliches Nachhaltigkeitsverständnis nach Carlowitz Die erste namentliche Erwähnung des Begriffs Nachhaltigkeit stammt aus den Anfängen der Forstwissenschaft und ist auf Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) zurückzuführen. Carlowitz sah sich in seiner Funktion als Oberberghauptmann mit dem Problem konfrontiert, ausreichend Holz für den Betrieb von Schmelzen im Bergbau bereitzustellen. Im Zuge einer regionalen Knappheit von Holz als Brenn- und Baustoff musste Carlowitz eine Lösung finden, um für den jetzigen und zukünftigen Betrieb der Minen hinreichend Holz zur Verfügung zu haben. Die Knappheit an (regional verfügbarem) Holz stellte eine ökologische Restriktion für das ökonomische Handeln (Betrieb von Minen) dar. Carlowitz sah sich folglich mit einem ökonomischen Optimierungsproblem unter ökologischen Nebenbedingungen konfrontiert: Wie kann ein Zustand erreicht werden, in dem eine dauerhaft hohe Versorgung mit Holz sichergestellt werden kann? Carlowitz fand die Lösung für sein Problem in der Beschreibung und Organisation eines forstwirtschaftlichen Prinzips, das er eine „nachhaltende“ Nutzung nannte (und dabei erstmals den Begriff nachhaltend/ nachhaltig verwendete). Die Kernidee einer „nachhaltenden“ Nutzung: Schlage (nur) so viel Holz ein, wie der Wald in der gleichen Zeit regenerieren kann. Oder ökonomisch formuliert: Lebe von den Zinsen (also das nachwachsende Holz), ohne das Kapital (hier: der gesamte Waldbestand) der kurzfristigen Vorteile wegen zu verzehren. Ein solches Ertragsmodell ist dauerhaft möglich. Gleichzeitig lässt es zu und lädt dazu ein, den langfristigen Zinsertrag durch die aktive Pflege des Kapitalstocks zu erhöhen: etwa durch das proaktive Nachpflanzen neuer Bäume, den Schutz der Bäume gegen Wildverbiss, ihre Düngung etc. Eine „nachhaltende“ Nutzung ist somit kein passives Konzept, sondern erfordert aktives Management. Carlowitz fand mit der Definition einer nachhaltigen Forstwirtschaft eine Antwort auf ein primär ökonomisches Problem. Sein Ansatz ist hierarchisch zu lesen: Für die Zielerreichung in der ökonomischen Dimension (langfristiger Ertrag) ist die ökologische Dimension (Bewahrung eines gesunden und funktionierenden ökologischen Systems) eine notwendige Voraussetzung, ein Mittel. Die ökologische Dimension spielt für Carlowitz zwar eine entscheidende Rolle, aber nicht als eigenständiges Ziel, sondern als zu berücksichtigende Restriktion. Zugleich ist Carlowitz‘ Nachhaltigkeitsverständnis eher statisch gedacht: Da die Zielsetzung in der Schaffung eines möglichst optimalen Gleichgewichts zwischen dem Einschlag und der Erzeugung von Holz bestand, zielt dieses Verständnis von Nachhaltigkeit auf das erfolgreiche Erreichen bzw. Verwalten eines möglichst optima- <?page no="553"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 553 Neue Betriebswirtschaft len Zustandes ab. Aufgrund seiner eher statischen Ausrichtung lässt es sich daher nur eingeschränkt auf andere Themen- und Handlungsfelder übertragen. 1713 verschriftlichte Carlowitz seine Grundzüge der modernen Forstwirtschaft in der Schrift Sylvicultura oeconomica mit dem Begriff der „nachhaltenden Nutzung“. Damit ist er gleichzeitig der Ideengeber für das Prinzip der Nachhaltigkeit und der Erfinder des Begriffs in der deutschen Sprache. Trotz der frühen Schaffung des Begriffs fristete Nachhaltigkeit als Terminus und Konzept seit der ersten Erwähnung ein Nischendasein und wurde erst in den 1980er Jahren in einer breiten gesellschaftlichen Debatte aufgenommen und weiterentwickelt. Dabei kann der Brundtland-Bericht als zweiter Meilenstein verstanden werden, der Nachhaltigkeit gesellschaftlich aufgreift und als Lösungsheuristik für dynamische Entwicklungspfade einführt. Nachhaltige Entwicklung: der Brundtland-Bericht als Meilenstein der neueren Nachhaltigkeitsdebatte Der so genannte Brundtland-Bericht kann als Meilenstein der neueren Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit betrachtet werden und wurde in den 1980er Jahren von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen initiiert. Ausgangspunkt war eine damalige globale Debatte darüber, ob einerseits die Umwelt oder andererseits Entwicklung und Wohlstand wichtiger seien. In dieser Debatte standen sich verschiedene Parteien und Allianzen gegenüber, etwa die frühe Umweltschutzbewegung gegen Wirtschaftsverbände oder Länder des globalen Südens gegen westliche Industrieländer. Verhärtete Fronten und scheinbar unvereinbare Interessen der Parteien bestimmten den damaligen Diskurs. Die Brundtland-Kommission sollte in dieser Problemlage eine Antwort darauf finden, wie der vermeintliche Zielkonflikt von Ökologie versus Entwicklung/ Wohlstand aufgelöst werden kann. Als Ergebnis eines aufwendigen partizipativen Konsultationsprozesses lieferte die Kommission 1987 schließlich ein wegweisendes Verständnis für nachhaltige Entwicklung: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung , die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ (WCED, 1987, S. 51) Aus welchen Gründen stellte diese mittlerweile klassische Definition einen wichtigen Meilenstein im Nachhaltigkeitsdiskurs dar? Hierzu lassen sich mehrere Punkte nennen. Zunächst einmal erweitert die Brundtland-Kommission durch den Fokus auf Entwicklung den Betrachtungsrahmen noch ausgeprägter um die zeitliche Dimension. Innerhalb eines gegebenen Zeitpunkts erweisen sich Umweltschutz und Wohlstandserzeugung in der Tat oftmals als Gegensätze. Damit erschien der zeitgenössische Konflikt im Jetzt (1980er Jahre) kaum lösbar. Die Re- Formulierung als Entwicklungsfrage nimmt die Zeitdimension hinzu und fragt, wie natürliche Ressourcen und Wohlstand langfristig für „unsere gemeinsame Zukunft“ (so der Titel des Berichts) im Zusammenhang stehen - eine Perspektive, die in diesem Punkt ähnlich zu Carlowitz‘ Verständnis (2.3.1) ist. Betrachtet aus dem „Rückspiegel der Zukunft“ lautet die Frage: Wie müssen wir für das Jetzt Entwicklungspfade definieren, um in der Zukunft gut leben zu können? Durch die Re-Formulierung aus der Perspektive der gemeinsamen Zukunft wies die Brundtland-Kommission aus dem wahrgenommenen Konflikt heraus. Die menschlichen Entwicklungspfade werden dabei an ihrer Tragfähigkeit für eine gemeinsame Zukunft gemessen. Um diesen Aspekt der dauerhaften Tragfähigkeit auszudrücken, übernahm die Brundtland-Kommission den ursprünglich durch von Carlowitz geprägten, forstwirtschaftlichen Fachbegriff der Nachhaltigkeit und führte ihn im Kontext einer „nachhaltigen Entwicklung“ in den breiten gesellschaftlichen Diskurs ein. Ein zweiter Akzent der Brundtland-Definition liegt auf ihrem Fokus auf menschliche Bedürfnisse. Nimmt man den Entwicklungsgedanken ernst, ergibt sich als Folgefrage, an welchen Zielen letzten Endes Entwicklung zu messen ist. Die Antwort der Brundtland-Kommission lautet: an menschlichen Bedürfnissen, und zwar gleichermaßen an denen von heute wie denen von morgen. Mensch- <?page no="554"?> 554 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft liche Entwicklung hat dabei einen inhärenten Prozessbzw. Entwicklungscharakter. Im Gegensatz zum eher statischen Verständnis von Carlowitz (Management eines Gleichgewichtszustands) wird Nachhaltigkeit nun um eine dynamische Entwicklungsperspektive ergänzt. Neben dem expliziten Entwicklungscharakter unterscheidet sich der Brundtland-Ansatz noch in einem zweiten Punkt deutlich von der Definition von Carlowitz. Während sich Carlowitz eher auf die Erreichung ökonomischer Ziele unter ökologischen Restriktionen konzentrierte, ging die Brundtland-Kommission darauf ein, dass sich Entwicklung an vielfältigen menschlichen Bedürfnissen orientiert, die gleichermaßen ökonomische, ökologische und soziale Fragen betreffen. Menschen haben nicht nur wirtschaftliche Bedürfnisse (materieller Wohlstand), sondern auch das Bedürfnis, in einer intakten Umwelt zu leben oder sozialen Zusammenhalt zu erfahren. Wir sprechen bei Nachhaltigkeit daher von einer Mehrdimensionalität auf der Zielebene. Die drei Zieldimensionen sollen dabei nicht als strikt voneinander getrennte Kategorien verstanden werden. Viele Nachhaltigkeitsherausforderungen, die einer menschlichen Entwicklung im Wege stehen (etwa die negativen Folgen des Klimawandels), sind durch eine hohe Komplexität und Mehrdimensionalität gekennzeichnet (der Klimawandel verursacht beispielsweise ökonomische Kosten, ökologische Schäden und - etwa durch Konkurrenz um knapper werdendes Wasser - soziale Spannungen). Nachhaltigkeit kann nun helfen, die wechselseitigen Zusammenhänge (Interdependenzen) zwischen Ökologie, Sozialem und Ökonomie zu erkennen und ein Bewusstsein für die Ziele und Restriktionen menschlicher Entwicklung zu schaffen. Als Heuristik, also als Denk- und Suchanweisung, kann Nachhaltigkeit helfen, geeignete Kriterien zu definieren, wie Ziele menschlicher Entwicklung erreicht werden können. Es handelt sich also nicht um ein vorformuliertes Lösungskonzept. Vielmehr kann eine „Nachhaltigkeitsbrille“ helfen, die richtigen Fragen zu stellen und den geeigneten Betrachtungsrahmen zu wählen. Schließlich ergeben sich aus dem expliziten Fokus auf menschliche Bedürfnisse des Brundtland- Verständnisses zwei weitere Folgen. Zum einen ist nachhaltige Entwicklung ein „anthropozentrisches“ Konzept. Das bedeutet: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Nachhaltigkeit wird somit nicht als Selbstzweck außerhalb menschlicher Gesellschaften verstanden, sondern wird immer von den menschlichen Bedürfnissen her gedacht. Dies schließt den Schutz der Natur explizit ein, wo es Menschen gibt, die dafür ein Bedürfnis haben bzw. wenn Ökologie die Bedingung für die Befriedigung eines Bedürfnisses ist. Gleichzeitig haben Menschen unterschiedliche und teils widersprüchliche bzw. konfligierende Bedürfnisse und Wertvorstellungen. Deshalb ist Nachhaltigkeit zum zweiten ein pluralistisches Konzept, das offene Diskurse erfordert: Nachhaltigkeit ist keine fertige Antwort, sondern eine gemeinsam zu diskutierende Frage. Für das hier skizzierte Verständnis von Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwicklung sind zusammenfassend die folgenden Grundpfeiler aufzuführen. Eine nachhaltige Entwicklung ist gekennzeichnet durch: ! eine Verknüpfung von gleichermaßen sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten (Mehrdimensionalität) ! einen Entwicklungsbzw. Transformationscharakter ! einen Fokus auf der Erfüllung menschlicher Bedürfnisse (anthropozentrischer Ansatz) ! die Bedürfnisbefriedigung aktueller und kommender Generationen ! das gemeinsame Interesse an einer tragfähigen Zukunft ! ein Verständnis für Denk- und Lernprozesse mit einem weitreichenden Horizont ! einen pluralistischen Charakter, der offene Diskurse erfordert, da verschiedene Anspruchsgruppen heterogene und teils konfligierende Interessen haben können. Zusammenfassend hilft uns Nachhaltigkeit als Betrachtungsrahmen, Themen und Fragestellungen mit hoher Relevanz für die Gesellschaft und das Unternehmen sichtbar zu machen und aufzugreifen. Welche konkreten Änderungen dabei für Unternehmen von Relevanz sind, betrachtet der nächste Abschnitt. <?page no="555"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 555 Neue Betriebswirtschaft 18.2.4 Unternehmensrelevante gesellschaftliche Änderungen und Herausforderungen im Kontext von Nachhaltigkeit Welche gesellschaftlichen Neuerungen im unternehmerischen Umfeld werden nun durch Nachhaltigkeit relevant für die Unternehmen? Im Hinblick auf Nachhaltigkeit kennzeichnen die nachfolgenden Punkte zentrale Entwicklungen und Herausforderungen, die das Umfeld der Unternehmen und damit ihren Handlungsspielraum stark beeinflussen: [1] Globale Dimension von zunehmenden Nachhaltigkeitsherausforderungen: Während sich Carlowitz mit seinem Nachhaltigkeitsverständnis einer regionalen Ressourcenknappheit widmete, stehen wir heute vor der Knappheit an wichtigen Ressourcen auf einer globalen Ebene. Das von Carlowitz im Kleinen skizzierte Problem der Beschränkung wirtschaftlicher Entwicklung durch ökologische Restriktionen findet nun global statt. Damit steht die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft zunehmend im Konflikt mit einer steigenden Ressourcenknappheit. Hierzu gehört beispielsweise die Übernutzung von Frischwasser, fruchtbarem Boden und fossilen Energieträgern auf einer globalen Ebene in bisher nicht gekanntem Ausmaß (siehe u.a. Rockström et al., 2009; Steffen et al., 2015). [2] Neue Bewertung von unternehmerischer Performance: Wenn Interdependenzen zwischen Ökologie, Sozialem und Ökonomie bestehen, dann führt Nachhaltigkeit zu neuen Bewertungsmaßstäben. Unternehmerisches Handeln wird in Folge zunehmend nicht nur an wirtschaftlichen Kriterien gemessen. Vielmehr lenkt der Nachhaltigkeitsbegriff mit seinen drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales verstärkt den Blick darauf, Unternehmen auch kritisch im Hinblick auf ihre Umwelt- und Sozialperformance zu betrachten. [3] Neue Aufgaben für Unternehmen entlang globaler Wertschöpfungsketten: Unternehmerische Wertschöpfungsketten sind heute stark globalisiert. Entlang dieser globalisierten Wertschöpfungsketten treten vielfältige Nachhaltigkeitsherausforderungen auf, etwa im Hinblick auf Arbeitsbedingungen in Ländern des globalen Südens oder ökologische Herausforderungen bei Produktions- und Transportprozessen. Staatliche Akteure können nur sehr eingeschränkt bindende globale Regelungen setzen, um Nachhaltigkeitsherausforderungen entlang globaler Wertschöpfungsketten zu begegnen. Dabei entstehen so genannte Governance Lücken. Wo staatliche Akteure keine ausreichenden Regeln setzen können, fällt Unternehmen zunehmend die Verantwortung zu, Probleme zu lösen, um deren Lösung sich vorher insbesondere staatliche Akteure gekümmert haben. Wo Unternehmen vormals vor allem „Regelnehmer“ waren und in den vorgegebenen staatlichen Regelwerken agierten, werden sie nun zunehmend selbst zu „Regelsetzern“. In Form von freiwilligen Selbstverpflichtungen, durch Nachhaltigkeitssiegel und -standards, etc. übernehmen Unternehmen gewollt oder ungewollt neue Verantwortlichkeiten. Dabei stellt sich auch die Frage der politischen Rolle des Unternehmens 473 . [4] Neue Themen und Anspruchsgruppen: Insbesondere durch die Globalisierung der Wertschöpfungskette sehen sich Unternehmen heute einer Fülle von neuen Anspruchsgruppen wie z.B. Umweltschutzgruppen, Tierschützern, Menschenrechtsaktivisten etc. und ihren jeweiligen Erwartungen an das unternehmerische Handeln ausgesetzt. Diese neuen Erwartungen bieten gleichermaßen neue Chancen und Risiken für Unternehmen und stellen neue Anforderungen an die Interaktion des Unternehmens mit (neuen) Anspruchsgruppen. [5] Neue Formen der Kommunikation: Neue Mittel der Informationsbereitstellung sowie neue Ansprüche an die Transparenz von Unternehmen prägen das Kommunikationsumfeld. Die Informations- und Kommunikationstechniken im unternehmerischen Umfeld haben sich in den 473 Die politische Rolle des Unternehmens stellt eine spannende und aktuelle Managementfrage dar. An dieser Stelle verweisen wir auf die weiterführende Literatur zur politischen Rolle des Unternehmens. Siehe beispielsweise Pies, Beckmann, & Hielscher (2014). <?page no="556"?> 556 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft letzten zwei Jahrzehnten stark geändert. Dadurch können Problemstellungen für das Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette sehr schnell eine sehr hohe Verbreitung erleben. Als Beispiel seien hier Missstände bei den Arbeitsbedingungen in Ländern des globalen Südens genannt, die in Minuten mit Bild- oder Videoaufnahmen eine kritische Öffentlichkeit in der ganzen Welt erreichen können. Die geographisch sehr lange Wertschöpfungskette ist unter dem Aspekt der Informationsweitergabe so kurz wie noch nie in der Geschichte der Wirtschaft geworden. Die aufgeführten Änderungen werden für Unternehmen relevant, da sie inhärent in Wechselwirkungen mit dem sozialen und ökologischen Umfeld stehen. Nachfolgend betrachten wir deshalb die Interdependenz zwischen Nachhaltigkeit und Unternehmen. Gleichzeitig führen die betrachteten Entwicklungen zu einer Neujustierung der Rolle von Unternehmen. Dieser neu justierten Rolle widmen wir uns ausführlich im dritten Abschnitt dieses Kapitels. 18.2.5 Interdependenz zwischen Nachhaltigkeit und Unternehmen Schon immer galt: Unternehmerisches Handeln geschieht nicht im luftleeren Raum. Vielmehr handeln Unternehmen in einer ökologischen und gesellschaftlichen Umwelt, wodurch sich Interdependenzen in beide Richtungen ergeben. Unternehmen sind einerseits von gesellschaftlichen Entwicklungen und Rahmenbedingungen betroffen, die in das Unternehmen hineinwirken (outside in). Gleichzeitig prägen Unternehmen durch ihre Tätigkeiten, etwa durch neue Erfindungen und Technologien, das gesellschaftliche Umfeld (inside out). Dass Unternehmen derart im Zusammenspiel mit ihrer Umwelt stehen, ist keineswegs neu. Neu ist im Kontext der Nachhaltigkeit jedoch, dass sich das Umfeld der Unternehmen stark ändert und dass Unternehmen damit neue Rollen zukommen. In Abbildung 18-2 zeigen wir die Einbettung des Unternehmens in das soziale und ökologische Umfeld. Durch Nachhaltigkeit kommen nun neue Themen und Fragestellungen - seien dies globale Herausforderungen oder Boykott-Aufrufe von NGOs - von außen auf das Unternehmen zu (outside in). Gleichzeitig beeinflussen Unternehmen ihrerseits das gesellschaftliche und ökologische Umfeld (inside out) im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsherausforderungen, sei dies durch globalisierte Wertschöpfungsprozesse oder technische Innovationen wie das iPhone. Insgesamt ergeben sich durch die neuen Änderungen für Unternehmen neue Möglichkeiten und Restriktionen der Handlungsoptionen sowie damit verbundene neue Rollen für das Unternehmen. Abb. 18-2: Schematische Darstellung der Wechselwirkungen zwischen Unternehmen und ihrem gesellschaftlichen und ökologischen Umfeld. Durch Nachhaltigkeit ergeben sich dabei Änderungen im Umfeld des Unternehmens. <?page no="557"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 557 Neue Betriebswirtschaft Zusammenfassend haben wir uns bisher der Frage gewidmet, wie sich das Umfeld der Unternehmen durch Nachhaltigkeit ändert (was ändert sich für Unternehmen? ). Im nachfolgenden Abschnitt 18.3 betrachten wir nun ausführlich die Frage, welche neue(n) Rolle(n) Unternehmen durch Nachhaltigkeit einnehmen (müssen). Oder pointierter: Wie ändern sich Unternehmen? Dabei beleuchten wir verschiedene Dimensionen die nötig sind, um diese neue Rolle ausfüllen zu können. 18.2.6 Lern- und Verständnisfragen ! Worin unterscheiden sich die erwähnten Ansätze (Carlowitz und Brundtland-Bericht) zur Nachhaltigkeit? ! Welche Grundpfeiler kennzeichnen eine nachhaltige Entwicklung? Und welche Folgefragen und Zielkonflikte könnten sich daraus ergeben? ! Welche neuen gesellschaftlichen Änderungen erfahren durch Nachhaltigkeit eine Relevanz für Unternehmen? Nennen und erläutern Sie drei Beispiele. Welche weiteren Beispiele fallen Ihnen ein? ! Warum muss es keinen Widerspruch zwischen einer nachhaltigen Entwicklung und ökonomischen Aktivitäten geben? ! Schauen Sie sich die erste Fallstudie („Nachhaltigkeit in aller Munde“) an und überlegen Sie: Auf welche Treiber und Änderungen im unternehmerischen Umfeld verweisen die Unternehmen? Welche Themen und Akteure greifen sie auf ? Unternehmen für Nachhaltigkeit 18.3.1 Lernziele ! Erkennen, wie Unternehmen einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten können. ! Verstehen, wie sich das gesellschaftliche Rollenverständnis von Unternehmen durch Nachhaltigkeit ändert. ! Verständnis für die Zielfunktionen des Unternehmens im Hinblick auf Nachhaltigkeit entwickeln: Wertschöpfung und Schadschöpfungsvermeidungsmanagement. ! Überwindung des Trade-Off-Denkens zwischen Wertschöpfung und verminderter Schadschöpfung. ! Verständnis von Nachhaltigkeitsmanagement als proaktivem Managementansatz um Win- Win-Potenziale zu schaffen und Zielkonflikt-Denken zu überwinden. ! Erweiterte Betrachtung des unternehmerischen Umfeldes: Erweiterung entlang der Wertschöpfungskette sowie Inklusion neuer Themen (ökologischer und sozialer Natur) und damit einhergehend: neuer Anspruchsgruppen. ! Relevanz des Stakeholder-Managements für ein erfolgreiches Nachhaltigkeitsmanagement erkennen. 18.3.2 Einleitende Fragen ! Welche Zielfunktionen erfüllt eine Unternehmung? ! Wie ändert sich das gesellschaftliche Verständnis von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit? Inwieweit müssen sie sich ändern? <?page no="558"?> 558 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft ! Wie ändert sich die Zielsetzung von Unternehmen im Kontext Nachhaltigkeit? ! Was verstehen wir unter unternehmerischer Wertschöpfung? ! Warum ist es wichtig, ein Verständnis für unternehmerische Schadschöpfung zu entwickeln? 18.3.3 Unternehmen leisten durch Wertschöpfung Nachhaltigkeitsbeiträge Wenn wir im Zuge einer nachhaltigen Entwicklung von menschlichen Bedürfnissen sprechen, dann stellt sich die Frage, wie und durch wen diese Bedürfnisse befriedigt werden können. Unternehmen kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. In einer von Knappheit gekennzeichneten Welt ist es alles andere als trivial, die Fülle an menschlichen Bedürfnissen zu befriedigen. Große Teile der Weltbevölkerung haben nach wie vor Schwierigkeiten, elementare Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Kommunikation, Mobilität, etc.) zu befriedigen. Dabei steigt die Zahl der Menschen auf unserer Erde weiter an. Zugleich sind unsere Bedürfnisse vielfältig - und werden immer vielfältiger (wer hatte vor 25 Jahren das Bedürfnis, das Internet zu nutzen? ). Welchen Beitrag können Unternehmen nun zur erfolgreichen Befriedigung dieser vielfältigen menschlichen Bedürfnisse leisten? Die kurze Antwort lautet: Unternehmen liefern einen gesellschaftlichen Beitrag zur Erfüllung menschlicher Bedürfnisse, indem sie - möglichst geeignete, günstige, bessere - Angebote an Produkten und Dienstleistungen unterbreiten (und zugleich Möglichkeiten für Beschäftigung, Einkommen und Weiterentwicklung für Mitarbeitende schaffen). Die etwas weitergehende Antwort, die wir im Folgenden entwickeln wollen, lautet: Unternehmen leisten einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung, indem sie Bedürfnisbefriedigung durch Wertschöpfung betreiben. Was aber verbirgt sich - aus Nachhaltigkeitssicht - hinter dem Begriff der Wertschöpfung? Zunächst zur üblichen Verwendung des Begriffs der Wertschöpfung in den Wirtschaftswissenschaften. Hier wird der Begriff je nach Teildisziplin unterschiedlich verwendet und bezieht sich u.a. auf die Leistung verschiedener Wirtschaftsbereiche zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Wertschöpfung als Grundlage zur Berechnung des BIP) (Horvath, 2017). Im betriebswirtschaftlichen Sinne bezieht sich Wertschöpfung auf die Differenz zwischen Gesamtleistung (Output) und erbrachten Vorleistungen (Input) bei unternehmerischen Tätigkeiten, etwa der Produktion von Konsumgütern. Im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung differenzieren wir nun den Betrachtungswinkel auf die unternehmerische Wertschöpfung mit folgenden zwei komplementären Perspektiven. Zwei komplementäre Perspektiven zur unternehmerischen Wertschöpfung Betrachten wir unternehmerische Wertschöpfung zunächst auf einer Akteurs- oder Mikroebene, zeigt sich: Unternehmerische Wertschöpfung ist ein Tauschphänomen - und damit eine Win-Win- Veranstaltung. Unter idealisierten Rahmenbedingungen (eine kritische Reflexion folgt) gilt: Unternehmen tragen zur Bedürfnisbefriedung aller Beteiligten bei, indem sie Optionen organisieren, durch die sich alle direkten Tauschpartner freiwillig besserstellen können. Wenn Unternehmen Produkte und Dienstleistungen anbieten, fallen diese Leistungen nicht vom Himmel oder entstehen aus einer Black-Box. Vielmehr organisieren Unternehmen z.T. hoch komplexe Formen der Kooperation zwischen vielfältigen Akteuren, um diese Angebote zu erbringen. Als Beispiel kann hier ein Smartphone genannt werden (Bereitstellung eines Mittels für die Bedürfnisse Kommunikation, Zugang zu Wissen, Unterhaltung, etc.). Nur durch die erfolgreiche Kooperation verschiedener Akteure entlang einer Wertschöpfungskette kann das komplexe Smartphone- Produkt hergestellt werden und für den Kunden verfügbar gemacht werden. Dabei werden durch freiwillige Tauschakte zwischen verschiedenen Akteuren (Zulieferer, Unternehmen, Mitarbeiter, Kunden, etc.) Möglichkeiten zur Besserstellung geschaffen. Dass diese Tauschakte freiwillig erfolgen, bedeutet: Niemand muss dieses Produkt kaufen, sondern hat eigene Gründe das zu tun - und zwar, weil man erwartet, sich damit besserzustellen. Dies setzt voraus, dass zwei Aspekte der Freiwilligkeit gegeben sein müssen. Erstens muss der Tauschpartner (z.B. der Käufer des Smartphones) <?page no="559"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 559 Neue Betriebswirtschaft mündig sein und damit die Fähigkeit besitzen, eine begründete Wahl hinsichtlich der Tauschaktion treffen zu können. Zweitens müssen Wahlmöglichkeiten für Tauschaktionen bestehen. Ganz konkret heißt das z.B.: Ein Kunde, der die Erfahrung macht, dass sein Smartphone nicht funktioniert, geht nicht mehr freiwillig zu demselben Hersteller (wenn es eine Auswahl an Herstellern gibt). Eine Mitarbeiterin, die durch ihre Arbeit unglücklich oder geschädigt wird, sucht nach einer anderen Arbeit (wenn kein Zwang, sondern eine Wahlfähigkeit besteht und wenn es Wahlmöglichkeiten gibt). Wer dauerhaft freiwillig kooperiert, tut dies in der Erwartung, sich besser zu stellen - und das heißt: bestimmte Bedürfnisse besser zu befriedigen als ohne diese Interaktion. Freiwillige Tauschakte signalisieren somit eine wechselseitige Besserstellung und ermöglichen es dem Unternehmen und seinen Tauschpartnern, ganz unterschiedliche Bedürfnisse zu befriedigen. Oder anders formuliert: Unternehmen schöpfen Wert, indem sie Win-Win-Beziehungen organisieren, die es den Beteiligten wechselseitig ermöglichen, vielfältige Bedürfnisse zu befriedigen. So betrachtet findet unternehmerische Wertschöpfung also nicht in einem Vakuum statt. Vielmehr geschieht Wertschöpfung als sozialer Prozess mit (Tausch-)Partnern. Dafür ist es essentiell, dass das Unternehmen seine relevanten Kooperationspartner und deren jeweilige Interessen kennt und versteht. Diese besondere Art des Interaktionsmanagements greifen wir in Abschnitt 4 unter dem Aspekt des Stakeholder-Managements auf. Nun zur zweiten Perspektive. Betrachten wir unternehmerische Wertschöpfung auf einer gesellschaftlichen, Makro-Ebene, zeigt sich: Unternehmen tragen durch Wertschöpfung zur Bewältigung von Knappheit bei. Unternehmen können einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen, indem sie durch die Überführung von begrenzt verfügbaren Ressourcen (natürliche Ressourcen, Arbeitskraft, etc.) in Produkte und Dienstleistungen mehr Wert generieren, als die verwendeten Ressourcen darstellen. Aus den knappen gegebenen Ressourcen kann dabei ein gesellschaftlich wertvolleres „Mehr“ entstehen. Um die gesellschaftliche Dimension unternehmerischer Wertschöpfung zu erläutern, bringen wir den unternehmerischen Gewinn in unsere Betrachtung ein. Auch hier betrachten wir zunächst die Möglichkeiten von Unternehmen zur gesellschaftlichen Wertschöpfung unter idealisierten Annahme n ( die kr it isc he R ef le xion folg t) . Ein Gewinn (G) ergibt sich vereinfacht gesehen aus der Differenz zwischen Umsatz (U) und Kosten (K):  = < ø s Dabei gilt:  = ¸9߉³ëƒÜ‡¯ß-Ùß } K‰ß·‡ 9߉³ëƒÜ‡ß·-¹ß·…  ø (…·-Ù߇߅y…ß E߇‡«ƒ‰åß- } K‰ß·‡ E߇‡«ƒ‰åß ) Welche gesellschaftlichen Implikationen ergeben sich aus dieser betriebswirtschaftlich trivialen Formel? Zunächst zu den Kosten: Die Kosten beziehen sich auf die Summe aller Ressourcen, die die Unternehmung verbraucht - und damit alternativen gesellschaftlichen Verwendungen entzogen hat. Wie wertvoll diese Ressourcen dabei für alternative Verwendungen gewesen wären, wird am Markt durch Knappheitspreise ausgedrückt. Ein höherer Preis spiegelt höhere Knappheit wider; ein niedriger Preis signalisiert, dass diese Ressource vergleichsweise reichlich vorhanden ist. Die Kosten drücken somit aus, wie sehr ein Unternehmen gesellschaftliche Knappheit durch die Entnahme von Ressourcen verschärft. Nun zum Umsatz: Der Umsatz bezieht sich auf die Summe der am Markt zu Knappheitspreisen abgesetzten Produkte und Dienstleistungen - und die damit einer gesellschaftlichen Verwendung zugeführt werden. Wie wertvoll diese Angebote gesellschaftlich gesehen werden, wird erneut durch Knappheitspreise gespiegelt: Hohe Preise können erzielt werden, wenn ein Unternehmen dort Angebote macht, wo Knappheit herrscht. Der Umsatz drückt somit aus, wie sehr ein Unternehmen gesellschaftliche Knappheit durch seine Angebote verringert. <?page no="560"?> 560 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft Ein erwirtschafteter Gewinn lässt dabei zwei Rückschlüsse zu: Es wurde erstens mehr Wert für die Gesellschaft erzeugt, als zuvor entnommen wurde (Umsatz > Kosten). Zweitens wurde auf diese Weise gesellschaftliche Knappheit verringert: Menschliche Bedürfnisse können nun besser erfüllt werden als zuvor. Im Gewinnprinzip steckt damit eine Wertschöpfungslogik. Wenn Unternehmen insgesamt mehr Wert für die Gesellschaft erzeugen, als sie ihr vorher entnommen haben, und dabei eine gesellschaftliche Knappheit verringert wird, dann schaffen sie durch Wertschöpfung bessere Angebote für Bedürfnisbefriedigung und letztlich einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung. Unternehmen haben in diesem Verständnis ein gesellschaftliches Mandat zur Wertschöpfung. Gewinne dienen dabei sowohl als Belohnung wie auch als hilfreiches Signal für gelungene Wertschöpfung. Unternehmerische Wertschöpfung als Problemlösung menschlicher Bedürfnisse kann somit einen maßgeblichen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten. Gewinne müssen dabei nicht im Widerspruch zu einer nachhaltigen Entwicklung stehen. Im Gegenteil: Unter geeigneten Rahmenbedingungen (! ) leisten Unternehmen systematisch einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Für die unternehmerische Wertschöpfung als Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung können wir drei Schlussfolgerungen ziehen: ! Wertschöpfung ist der primäre Beitrag von Unternehmen zu einer nachhaltigen Entwicklung. Dabei geht es um Problemlösungen für menschliche Bedürfnisse. ! Unter geeigneten Rahmenbedingungen sind unternehmerische Gewinne ein Signal und eine Belohnung dafür, dass Unternehmen Wertschöpfung generieren. ! Wertschöpfung ist ein sozialer Prozess mit Partnern (Stakeholdern). Inklusion von Schadschöpfungsvermeidungsmanagement So wichtig der Wertschöpfungsbeitrag von Unternehmen für die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse auch ist, der alleinige Fokus auf Wertschöpfung stellt eine verkürzte Sichtweise auf das Zusammenspiel von unternehmerischer Tätigkeit und Nachhaltigkeit dar. Denn die isolierte Betrachtung von Wertschöpfung suggeriert, dass Unternehmen bei der Ausübung von Wertschöpfung keine negativen Folgen für Dritte generieren. Dies ist jedoch oftmals der Fall. Wo Unternehmen ihre natürliche, menschliche oder soziale Umwelt durch ihre Aktivitäten belasten und damit Möglichkeiten für die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse einschränken oder gar zerstören, unterminieren sie die Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung. In dieser Hinsicht schöpfen Unternehmen dann keinen Wert, sondern verursachen Schaden. Neben der unternehmerischen Wertschöpfung spielt daher das Konzept der Schadschöpfung eine wichtige Rolle für ein differenziertes Nachhaltigkeitsverständnis von Unternehmen. Nahezu jede Art unternehmerischer Wertschöpfung kann zu (oftmals nicht intendierten) negativen Folgen für Mensch und/ oder Umwelt führen. Diese Schadschöpfung kann sich sowohl in Form materieller (bspw. toxischer Abfall einer Chemieproduktion) als auch immaterieller Schadschöpfung (bspw. Schädigung der Mitarbeitenden durch Stressbelastung/ Gesundheitsbelastung) widerspiegeln. Wie hängen diese Schadschöpfungseffekte nun mit den zwei Perspektiven auf die Wertschöpfung von Unternehmen zusammen? Analog zur Wertschöpfung können wir auch von zwei Perspektiven der Schadschöpfung sprechen, die wir nachfolgend einführen. Die erste Perspektive auf unternehmerische Wertschöpfung betrachtete auf der Mikro-Ebene, dass Unternehmen durch die gegenseitige Besserstellung von Tauschpartnern Wertschöpfung für diese Tauschpartner und für sich selbst generieren können. Diese Betrachtungsweise setzt jedoch bestimmte, idealisierte Annahmen voraus, und zwar insbesondere die Freiwilligkeit von Tauschaktionen, der Konsens der beteiligten Akteure zum Tausch, die selbstbestimmte Zustimmung sowie die berechtigte Erwartung einer gegenseitigen Besserstellung. In der Realität treffen diese Annahmen jedoch nicht immer zu. Abhängigkeiten oder gar Zwang zwischen den Beteiligten (z.B. im Fall von <?page no="561"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 561 Neue Betriebswirtschaft Kinder- oder Zwangsarbeit), Betrug und Täuschung, schädliche externe Effekte sowie unmündige Entscheidungen können in der Realität zu Transaktionen führen, bei der sich eine Seite zu Lasten der anderen besserstellt (und dabei in der Summe sogar Wert zerstört). Unternehmen organisieren dann nicht Win-Win, sondern Win-Lose - und vermindern oder verhindern unternehmerische Wertschöpfung auf der Mikro-Ebene. Um im Beispiel des Smartphones zu bleiben: Entlang der Wertschöpfungskette des Smartphones bestehen zahlreiche Tauschaktionen zwischen Zulieferern, MitarbeiterInnen, Investoren und dem Unternehmen (Smartphone-Produzent). Bei diesen vielfältigen Tauschaktionen können negative Effekte für die Beteiligten entstehen, etwa wenn MitarbeiterInnen durch die Verletzung von Arbeitsrechten und schlechte Arbeitsbedingungen zu Schaden kommen. Wenn MitarbeiterInnen keine freie Wahl bei der Auswahl des Tauschpartners (etwa bei Zwangsarbeit) haben, dann besteht ein Abhängigkeitsverhältnis, das letztlich die Besserstellung der MitarbeiterInnen beim Tausch verhindern oder erschweren kann und damit ihre Möglichkeit zur Befriedigung von eigenen Bedürfnissen (Gesundheit, Wohlbefinden, etc.) einschränkt. Neben der freien Wahlmöglichkeit kommt dem Aspekt der Unmündigkeit eine zentrale Rolle zu: Wenn jemand „freiwillig“ mit toxischen Farben oder Laugen arbeitet (z.B. schädliche Chromverbindungen in der Ledergerbung), weil er/ sie nicht weiß, dass die Arbeit krebserregend ist, dann besteht zwar eine Win-Win-Fiktion, die letzten Endes aber einer Win-Lose-Situation gleichkommt. Die Person wird geschädigt, ohne es zu wissen. 474 Schadschöpfungseffekte können somit unter bestimmten Bedingungen mit Blick auf die direkt am Wertschöpfungsprozess beteiligten Transaktionspartner (also MitarbeiterInnen, KundInnen, ZulieferInnen etc.) entstehen. Oftmals betreffen Schadschöpfungseffekte aber Anspruchsgruppen, die gar nicht direkt am Wertschöpfungsprozess mitwirken: Anwohner leiden unter Lärm und Abgasen, ohne an der Produktion mitzuwirken; Fischer am Unterlauf eines Flusses leiden unter schlechter Wasserqualität, ohne an der Einleitung von Abwasser beteiligt zu sein; zukünftige Generationen leiden unter dem Klimawandel, ohne an seiner heutigen Verursachung beteiligt zu sein. In all diesen Fällen führt unternehmerische Wertschöpfung zur Schädigung bei Dritten - die dieser Schädigung weder freiwillig zustimmen noch die Wechselmöglichkeit haben, sich ihr leicht zu entziehen. Im Gegensatz zur Wertschöpfung handelt es sich bei Schadschöpfungseffekten folglich nicht um einen freiwilligen Tausch zur Realisierung von Win-Win-Potenzialen. Vielmehr sprechen wir bei der Schadschöpfung auf direkt oder indirekt Beteiligte von Win-Lose-Situationen. Hierdurch werden die Bedürfnisse der heutigen und zukünftigen Generationen negativ beeinträchtigt. Nun zur zweiten Perspektive, die unternehmerische Wertschöpfung auf der Makro-Ebene betrachtet: die Schaffung eines gesellschaftlichen Mehrwerts durch die Verringerung von gesellschaftlicher Knappheit. Wir erinnern uns an die hierbei interpretierte Definition von Gewinn:  = ¸9߉³ëƒÜ‡¯ß-Ùß } K‰ß·‡ 9߉³ëƒÜ‡ß·-¹ß·…  ø (…·-Ù߇߅y…ß E߇‡«ƒ‰åß- } K‰ß·‡ E߇‡«ƒ‰åß ) 474 Aus dieser Überlegung kann man eine weitreichende Implikation ableiten. Bei der Frage, nach welchen Standards Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern arbeiten „sollten“, ist die Perspektive der Menschen selbst relevant - und dabei zu unterscheiden, ob die Wahl frei und mündig getroffen wird. Oftmals werden hier normative Wertvorstellungen aus westlichen Industrieländern direkt auf die Bedingungen in Entwicklungs- und Schwellenländern übertragen, ohne die kontextspezifischen Besonderheiten und Wertvorstellungen zu berücksichtigen. Eine differenzierte Auseinandersetzung hinsichtlich der Übertragbarkeit von Standards und Ansprüchen an „gute“ Arbeitsbedingungen ist deshalb unerlässlich. So kann es aus einer westlichen Perspektive Sinn machen, die Ächtung einer bestimmten Chemikalie (etwa Chrom-Salze bei der Ledergerbung) einzufordern, da ein besseres Wissen über die schädlichen Auswirkungen der Chemikalie besteht (erhöhtes Krebsrisiko). Bei anderen Fragen, etwa hinsichtlich der Wohnbedingungen von Arbeitnehmern in Textilfabriken, sollte die Situation jedoch differenzierter betrachtet werden. Hier wissen die Menschen sehr wohl, wie sie wohnen - und können ggf. besser abschätzen, ob sie bessere Wohnbedingungen oder lieber höhere Löhne/ mehr Arbeit haben wollen. <?page no="562"?> 562 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft Unsere vorherigen Überlegungen zur unternehmerischen Wertschöpfung beruhten dabei auf bestimmten, idealisierten Annahmen, und zwar insbesondere der Aussagekraft von Preisen. In perfekten Märkten spiegeln Preise die Knappheit eines Gutes korrekt wider. In der Realität sind Preise jedoch oftmals ein unzureichendes Signal für die Knappheit eines Gutes. Zunächst zu den Kosten: Hier können die fehlende Einpreisung externer Kosten (etwa Umweltschäden) und fehlende Eigentumsrechte (etwa für Fischbestände im Meer) zu einem zu niedrigen Preis für eine eigentlich knappe Ressource führen, bspw. zu günstigen Weltmarktpreisen für eine überfischte Fischart. Die Folge: Die durch die Unternehmen internalisierten Kosten erscheinen gering, obwohl die gesellschaftlichen Kosten - etwa bei der Überfischung und dauerhaften Zerstörung eines Fischbestands - viel höher sind. Das Unternehmen macht möglicherweise einen Gewinn, obwohl sich langfristig Knappheit erhöht und für die Gesellschaft ein Schaden verursacht wird. Nun zum Umsatz: Hier können Phänomene wie Korruption oder Betrug den Preis eines Gutes künstlich nach oben treiben, obschon die Knappheit des Gutes weitaus geringer ausfällt. Die Folge: Das Unternehmen macht Gewinn, obwohl es gar nicht zur Verringerung von Knappheit beigetragen, sondern vielmehr knappe Ressourcen in eine nicht-optimale Verwendung gelenkt hat. Die Verzerrung von Preisen als Knappheitsindikator kann somit die Wertschöpfungsfunktion von Unternehmen unterminieren und stattdessen Schadschöpfung verursachen. Wo Schadschöpfung in Folge dieser Marktunvollkommenheiten passiert, sind deshalb (kurzfristige) Gewinne kein geeignetes Signal mehr, dass ein Unternehmen gesellschaftliche Wertschöpfung betreibt. Sowohl aus einer Mikrowie auch Makro- Perspektive auf Schadschöpfung folgt: Wenn Unternehmen sich am Ziel einer nachhaltigen Entwicklung messen (lassen), erfordert dies, entlang der eigenen Wertschöpfungskette (und zuweilen darüber hinaus) Schadschöpfungseffekte zu erkennen und nach Möglichkeiten ihrer Überwindung zu suchen. Damit verändert sich das (Selbst-)Verständnis von Unternehmen: Neu ist, dass wir im Kontext von Nachhaltigkeit nicht mehr nur die unternehmerische Wertschöpfung betrachten, sondern gleichermaßen Fragen der unternehmerischen Schadschöpfung berücksichtigen. 475 Aus den zwei Betrachtungswinkeln auf Schadschöpfung folgen analog zur Wertschöpfung drei Schlussfolgerungen: ! Die Vermeidung von Schadschöpfung ist ein entscheidender Beitrag von Unternehmen zu einer nachhaltigen Entwicklung. Es geht darum, Optionen für (zukünftige) Bedürfnisbefriedigungen offen zu halten. ! In dem Maße, in dem Schadschöpfung geschieht, sind (kurzfristige) Gewinne kein verlässliches Signal mehr, dass Unternehmen Werte für die Gesellschaft generieren. ! Schadschöpfung ist analog zur gesellschaftlichen Wertschöpfung ein sozialer Prozess. Um die Schädigung einer Anspruchsgruppe zu erkennen und zu verringern bzw. zu unterbinden, muss ein Unternehmen die relevanten Stakeholder-Gruppen kennen und die zugrundeliegenden Wirkungsketten verstehen. 475 Dass die Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen nicht-intendierte Schadschöpfungseffekte verursachen kann, ist natürlich keine neue Erkenntnis. Neu ist jedoch, dass sich das unternehmerische Umfeld durch die eingangs vorgestellten Änderungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit deutlich geändert hat. Dazu zählen insbesondere die erhöhte Komplexität und das Ausmaß von Nachhaltigkeitsherausforderungen mit Relevanz für Unternehmen. Während früher die Lösung von Schadschöpfungsproblemen - etwa im Rahmen der Wohlfahrtsökonomik - primär dem Staat zugeschrieben wurde, sehen sich Unternehmen zudem zunehmend der Erwartung gegenüber, aktiv an der Minderung von Schadschöpfungseffekten mitzuwirken. <?page no="563"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 563 Neue Betriebswirtschaft Abb. 18-3: Vergleichende Darstellung von Wert- und Schadschöpfung, basierend auf Beckmann & Schaltegger (2014, S. 328). Genau wie Wertschöpfung geschieht unternehmerische Schadschöpfung somit nicht im luftleeren Raum, sondern in Wechselbeziehungen zwischen Unternehmen und Gesellschaft bzw. ökologischen Systemen. Zusammenfassend stellen wir in Abbildung 18-3 die Charakteristika von Wert- und Schadschöpfung im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung gegenüber. Wenn sowohl Wertals auch Schadschöpfung für das Zielverständnis von Unternehmen wichtig sind, dann müssen wir betrachten, wie beide Aspekte zusammenpassen. Durch die zusätzliche Betrachtung von unternehmerischer Schadschöpfung neben der Wertschöpfung ergeben sich demnach neue Fragen an das (Selbst-)Verständnis von Unternehmen: Wie kann ein Unternehmen gleichzeitig Wertschöpfung betreiben und seine Schadschöpfung verringern? Was folgt aus der Mehrdimensionalität von Wertschöpfung und Schadschöpfung? Wie können Unternehmen die Gleichzeitigkeit mehrerer Ziele managen? Um diese Fragen zu beantworten, betrachten wir nachfolgend den Zusammenhang zwischen Wert- und Schadschöpfung im Hinblick auf die unternehmerischen Zielfunktionen. Wertschöpfung und Schadschöpfungsvermeidungsmanagement als komplementäre Zielfunktionen des Unternehmens Gemessen am gesellschaftlichen Ziel der Berücksichtigung menschlicher Bedürfnisse können Unternehmen in zwei Weisen zur Nachhaltigkeit beitragen: Der primäre Nachhaltigkeitsbeitrag von Unternehmen liegt in der Organisation von Wertschöpfung; der sekundäre Nachhaltigkeitsbeitrag in der Vermeidung von Schadschöpfung. Die Bezeichnungen „primär“ und „sekundär“ drücken hierbei nicht aus, dass Wertschöpfung wichtiger sei als die Vermeidung von Schadschöpfung, sondern sind „lexikalisch“ gemeint: Wie bei Begriffen im Lexikon muss geklärt werden, in welcher Reihenfolge eine Ordnung erfolgt. Zuerst steht hierbei die Frage nach dem Wertschöpfungsbeitrag im Raum: Warum wird ein Unternehmen überhaupt gebraucht? Für welches Problem liefert es eine Lösung? Welche Bedürfnisse können Dank des Unternehmens besser erfüllt werden? Erst nach Klärung dieser Überlegungen, schließt sich die Frage an, inwiefern im Zuge von Wertschöpfung Schadschöpfungseffekte auftreten und wie sie vermieden werden (können). Wertschöpfung und Schadschöpfungsminimierung sind somit explizit als komplementäre Ansätze zu verstehen. Nachhaltigkeitsmanagement als Ansatz zur Überwindung des vermeintlichen Zielkonfliktes zwischen Wertschöpfung und Schadschöpfungsminderung Das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement hat die Aufgabe, den Nachhaltigkeitsbeitrag der Unternehmung systematisch zu managen. Nimmt man nun ernst, dass Unternehmen hierzu die traditionelle Zielfunktion (Wertschöpfung) um die neue Zielfunktion „Schadschöpfungsminderung“ erweitern, wird deutlich, dass es im Nachhaltigkeitsmanagement um die simultane Berücksichtigung zweier Ziele geht: die unternehmerische Wertschöpfung zu maximieren und gleichzeitig die damit einhergehende Schadschöpfung zu minimieren. Auf den ersten Blick erscheinen diese zwei Ziele schwer vereinbar: Denn wenn Wertschöpfung mit Schadschöpfung einhergeht, muss eine Erhö- <?page no="564"?> 564 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft hung der Wertschöpfung gleichzeitig die Schadschöpfung verstärken, während eine verminderte Schadschöpfung scheinbar nur auf Kosten einer verringerten Wertschöpfung erfolgen kann. Wie kann dieser vermeintliche Zielkonflikt zwischen den beiden unternehmerischen Zielfunktionen überwunden werden? Abbildung 18-4 stellt zwei Möglichkeiten dar, wie das Verhältnis der beiden Ziele Wertschöpfung und Schadschöpfungsminderung gedacht werden kann. In beiden Denkarten geht es darum, beide Ziele ernst zu nehmen und in der Summe bestmöglich zu erreichen. Beide Denkarten unterscheiden sich jedoch grundlegend in den zugrundeliegenden Annahmen und in der Folge den dann zu stellenden Fragen. Zunächst zur ersten Denkart. Diese nimmt Wertschöpfung und Schadschöpfungsvermeidung als einen prinzipiellen Widerspruch wahr; einen sogenannten „Trade-Off“ (Abbildung 18-4a)). Ausgangspunkt ist die (berechtigte) Wahrnehmung, dass Wertschöpfungsaktivitäten (z.B. die Produktion von Gütern) zu Schadschöpfung (z.B. Abwässern) führen - und die (oftmals nicht reflektierte) Annahme, dass dieser Zusammenhang unverändert gegeben ist und sich nicht ändern lässt. Der vermeintliche Zielkonflikt wird dann zum Nennwert genommen und in der gegebenen Konfliktsituation nach einer Kompromisslösung gesucht wird. Typische Fragen lauten dann: Wie lassen sich die beiden Ziele gegeneinander abwägen? Wie sähe z.B. ein Kompromiss zwischen Umweltschutz und Gewinn aus? Oder graphisch: Welche Punkte auf der Trade-Off-Geraden soll man ansteuern? Abb. 18-4: Zwei unterschiedliche Perspektiven auf das Verhältnis von Wertschöpfung und Vermeidung von Schadschöpfung. Wir bezeichnen einen solchen Ansatz als ein reaktiv-passives Nachhaltigkeitsmanagement, weil das Unternehmen die Situation passiv hinnimmt und innerhalb des Konflikts zu reagieren versucht. Wie bereits beschrieben, liegt diesem Ansatz die Fokussierung des Denkens auf den wahrgenommenen Trade-Off zugrunde. Dieses im Nachhaltigkeitsbereich weit verbreitete Trade-Off-Denken lässt sich historisch erklären (siehe Hart, 2010). Hintergrund ist hierbei beispielsweise der in den 1970er und 1980er Jahren in vielen Ländern durch gesetzliche Auflagen erzwungene Einsatz von nachgeschalteten Umweltschutzmaßnahmen (sogenannte End-of-Pipe-Lösungen), bspw. der Einbau von teuren und aufwendigen Filtern an bestehenden Produktionsstätten, die Schadschöpfung verursachen (etwa schädliche Abgase). Derartige End-of-Pipe-Lösungen können zwar Schadschöpfung verringern. Allerdings stiften sie für das Unternehmen keinen zusätzlichen Nutzen: weder wird das Produkt leistungsfähiger, noch sinkt der Ressourcenverbrauch, noch werden die MitarbeiterInnen <?page no="565"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 565 Neue Betriebswirtschaft produktiver. Eine Win-Win-Lösung ist somit nicht möglich. Betriebswirtschaftlich gesehen, verursacht die Lösung vielmehr lediglich Kosten. Die verringerte Schadschöpfung geht damit notwendigerweise zu Lasten der Wertschöpfung. Die im Trade-Off gedachte Lösung repliziert dabei den wahrgenommenen Zielkonflikt zwischen beiden Zielfunktionen. Nachdem viele Unternehmen jahrzehntelang aufgrund gesetzlicher Regelungen gezwungen waren, derartige Lösungen umzusetzen, ist es wenig verwunderlich, dass die Wahrnehmung von Nachhaltigkeit als Trade-Off zwischen Wertschöpfung und Schadschöpfunsvermeidung nach wie vor verbreitet ist. Nun zur zweiten Denkart. Diese alternative Perspektive kennzeichnet sich dadurch, dass sie den Denkrahmen anders aufspannt. Ausgangspunkt ist auch hier die Wahrnehmung, dass Wertschöpfung situativ zu Schadschöpfung führt - aber mit der radikal unterschiedlichen Annahme, dass dieser Zusammenhang nicht unveränderlich gegeben ist, sondern auf bestimmten Situationseigenschaften (z.B. Art der verwendeten Technologie) beruht, die ihrerseits verändert werden können. Auf diese Weise wird der wahrgenommene Konflikt nicht zum Nennwert genommen, sondern als Ausgangspunkt, um den Betrachtungsrahmen zu erweitern. Für die Darstellung in Abbildung 18-4b) bedeutet dies, dass die Lösungssuche den Blick weg von der Trade-Off-Gerade lenkt: Inwiefern ist es möglich, Lösungen jenseits des Trade-Offs zu finden? Statt Wertschöpfung und Schadschöpfungsminderung als konfligierende Ziele gegeneinander abzuwägen, lautet die Frage folglich: Wie lassen sich beide Ziele in ein Steigerungsverhältnis bringen? Wie muss die Situation verändert werden, damit ein Unternehmen durch die Vermeidung von Schadschöpfung seine Wertschöpfung steigern kann? Eine solche Fragestellung lädt einerseits dazu ein, relevante Schadschöpfungsquellen proaktiv zu identifizieren, zu quantifizieren und zu analysieren - und andererseits aus dieser Analyse heraus neue Lösungen zu finden und zu erfinden, also kreativ zu schaffen, die zuvor nicht möglich schienen. Aus diesem Grund sprechen wir bei dieser Win-Win-Situation von einem proaktiv-kreativen Ansatz von Nachhaltigkeitsmanagement. Der Umstieg von einer bestehenden schmutzigen Technologie auf eine neue, saubere Technologie zwecks Umweltschutz und Schadschöpfungsminderung kann zu einer gesteigerten Wertschöpfung führen, wenn die neue Technologie so gewählt wird, dass sie zugleich weitere Unternehmensvorteile realisiert. Illustriert am Beispiel: Eine bestehende Technologie im Produktionsprozess, bspw. Lacke auf der Basis von problematischen Chemikalien, wird durch eine gänzlich neue Technologie ausgetauscht (z.B. wasserlösliche Lacke, die mittels elektrostatischer Aufladung aufgetragen werden und eine Änderung der Inputs und des Prozesses ermöglichen). Gleichzeitig deckt das Nachhaltigkeitsmanagement dabei Ineffizienzen im Produktionsprozess auf und steigert die Effizienz des gesamten Prozesses. Neben einer verringerten Schadschöpfung erfährt das Unternehmen gleichzeitig eine Reduktion der Prozesskosten (erhöhte Wertschöpfung). Durch die gesteigerte Effizienz des Produktionsprozesses (verringerter Energie- und Materialbedarf) erhöht sich das Wertschöpfungspotenzial des Unternehmens und damit letztlich seine Wettbewerbsfähigkeit. Nachhaltigkeitsmanagement als proaktiver und innovativer Ansatz hat gegenüber dem reaktivpassiven Ansatz somit einen entscheidenden Vorteil. Der Einsatz nachgeschalteter Umweltschutzmaßnahmen (End-of-Pipe) führt zu Kostennachteilen für das Unternehmen im Vergleich zu Wettbewerbern, die keinen Umweltschutz betreiben. Unter dieser Prämisse ist eine „nachhaltigere“ Produktion auf Dauer unter Wettbewerbsbedingungen kaum aufrecht zu erhalten. Eine auf Innovation setzende Win-Win-Lösung ist hingegen kompatibel mit der Wettbewerbslogik bestehender wirtschaftlicher Systeme. Eine gesteigerte Nachhaltigkeit im Unternehmen kann somit sogar als Wettbewerbsvorteil fungieren. Mut zu Innovationen und Investitionen sowie Freiräume für kreatives Denken sind dabei essentielle Voraussetzungen für die Nutzung von Nachhaltigkeitsmanagement als Überwindung bestehender Zielkonflikte. Im weiteren Verlauf dieses Buchbeitrags folgen wir dem Ansatz, den wir hier als proaktiv-kreatives Nachhaltigkeitsmanagement bezeichnet haben. Damit wollen wir nicht suggerieren, dass es immer einfach gelingt, Win-Win-Lösungen zu finden. Im Gegenteil. Die Suche ist oftmals schwierig und <?page no="566"?> 566 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft langwierig. Aber wir lernen mehr, wenn wir uns auf diese Suche begeben und gezielt versuchen, den Betrachtungsrahmen so zu erweitern, dass wir Wert- und Schadschöpfungseffekte besser verstehen und gestalten können. Dieser Erweiterung des Betrachtungsrahmens widmen wir uns deshalb im nachfolgenden Unterkapitel. Erweiterung des Betrachtungsrahmens der unternehmerischen Wert- und Schadschöpfung In einem klassischen Verständnis von unternehmerischen Wirtschaften und Wertschöpfung wird der Analyse- und Managementrahmen des Unternehmens oftmals sehr eng definiert. Die zu managenden Prozesse erstrecken sich dabei primär auf den organisationsinternen Bereich (so genannter gate-to-gate Bereich) der Unternehmung. Aspekte der Wert- und ggf. Schadschöpfung werden ledi gl i ch i m Bezu gsrahme n der eig enen We rkst ore bet rac hte t. W ese ntlic he We rt wie S ch adsc höpfungseffekte manifestieren sich jedoch nicht allein im Unternehmen, sondern sowohl bei seinen direkten Interaktionspartnern als auch bei betroffenen Dritten. Daher erfordert und ermöglicht ein proaktiv-kreatives Nachhaltigkeitsmanagement, dass der Betrachtungsrahmen deutlich ausgeweitet wird (mit allen dazugehörigen Herausforderungen und Chancen für die Handlungsmöglichkeiten des Unternehmens). Konkret leitet das Nachhaltigkeitsmanagement dazu an, den analytischen Betrachtungsrahmen für das Management um zwei Dimensionen zu erweitern: erstens, um die Lebenszyklus-Dimension, die den Blick auf sämtliche (vor- und nachgelagerten) Schritte der gesamten Wertschöpfungskette lenkt; sowie, zweitens, um die Themen- und Akteursdimension, die für jede Wertschöpfungsstufe zur Analyse neuartiger Ansprüche und Anspruchsgruppen einlädt. Abb. 18-5: Vereinfachte Darstellung einer produktbezogenen Wertschöpfungskette. Abbildung 18-5 stellt die Lebenszyklus-Dimension in vereinfachter Form dar. Deutlich wird, dass jedem Produkt (wie z.B. ein Smartphone) eine ganze Kette unterschiedlicher Aktivitäten zugeordnet werden können, die von der Extraktion der Rohstoffe bis hin zur Abfallentsorgung reichen. Die Lebenszyklus-Perspektive unterstreicht zwei wichtige Dinge: Erstens treten Wert- und Schadschöpfungseffekte auf allen Stufen der Wertschöpfungskette auf. Diese gilt es zunächst einmal zu verstehen. Zweitens hängen Unternehmen über die Wertschöpfungskette mit Nachhaltigkeitsfragen zusammen, die auch außerhalb ihrer Werkstore liegen. Entscheidungen an einer Stelle der Wertschöpfungskette können daher Wert- und Schadschöpfungseffekte an einer anderen Stelle verursachen. So hängt möglicherweise die Nachfrage eines Smartphone-Herstellers nach bestimmten Mineralien mit Nachhaltigkeitsfragen im Bergbau zusammen, während die Design-Entscheidungen bezüglich des Smartphones Auswirkungen auf die Möglichkeiten seines späteren Recyclings haben. Nimmt man diese kettenübergreifenden Interdependenzen in den Blick, können sich hieraus Ansatzpunkte für mögliche Win-Win-orientierte Gestaltungsoptionen ergeben. Die zweite Erweiterung des unternehmerischen Betrachtungsrahmens widmet sich den neuen Themen, die sich durch die Betrachtung neuer Anspruchsgruppen und durch neue gesellschaftliche Änderungen im Umfeld des Unternehmens ergeben. Für eine nachhaltige Entwicklung erfahren nunmehr neben ökonomischen Themen zusätzlich ökologische und soziale Themen Einzug in das Blickfeld des Unternehmens. Hierbei sprechen wir von einer erweiterten Themen-Dimension. Für jeden Schritt der Wertschöpfungsstufe lässt sich hier fragen, inwiefern mit bestimmten Managemententscheidungen Auswirkungen für nachhaltigkeitsrelevante Aspekte wie CO 2 -Ausstoß, Flächenverbrauch, Achtung von Menschenrechten oder Mitarbeitergesundheit verbunden sind - und wie durch eine Verknüpfung dieser Themen wertschöpfende Lösungen gefunden werden können. Abbildung 18-6 stellt den erweiterten Betrachtungsrahmen auf der Lebenszyklus- und der Themen-Dimension dar. <?page no="567"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 567 Neue Betriebswirtschaft Abb. 18-6: Erweiterter Betrachtungsrahmen der unternehmerischen Wert- und Schadschöpfung. Zusammenfassend können wir für das Nachhaltigkeitsmanagement folgende Charakteristika festhalten: Der primäre Beitrag von Unternehmen zur Nachhaltigkeit liegt in der Organisation von Wertschöpfungslösungen. Diese Wertschöpfungsfunktion ist durch die Vermeidung von Schadschöpfung als sekundärer (aber nicht weniger wichtigerer) unternehmerischer Nachhaltigkeitsfunktion zu komplimentieren. Eine Steigerung der Wertschöpfung und eine Verminderung der Schadschöpfung müssen dabei keinen Widerspruch darstellen. Vielmehr kann gezieltes Nachhaltigkeitsmanagement durch proaktiv-kreative Ansätze und eine Erweiterung des Betrachtungsrahmens helfen, innovative Win-Win-Lösungen zu generieren. Sowohl Wertals auch Schadschöpfung sind dabei explizit als soziale Prozesse zu verstehen. Dies erfordert eine systematische Interaktion mit den relevanten Anspruchsgruppen des Unternehmens. Im Folgenden widmen wir uns deshalb dem Stakeholder-Management als zentralem Baustein des unternehmerischen Nachhaltigkeitsmanagements. Exkurs zum Ehrbaren Kaufmann Das Ideal des Ehrbaren Kaufmanns lässt sich auf die Ursprünge des Unternehmertums in Europa, insbesondere in Deutschland und Italien des Spätmittelalters zurückführen. Frühe Unternehmer (oder Kaufleute) standen vor der Herausforderung, dass Tauschgeschäfte im (Fern-)Handel zu den vorher verhandelten Konditionen auch tatsächlich eingehalten werden. Das Einhalten von Tausch- oder Transaktionsversprechen war damals wie heute keine Selbstverständlichkeit. Um das gegenseitige Vertrauen bei Tauschaktionen zu erhöhen, entwickelte sich das Leitbild eines Ehrbaren Kaufmanns, an dem sich Unternehmer der damaligen Zeit orientieren sollten (und dessen Einhaltung auch durch besondere Formen der Rechtsprechung - etwa in der Hanse - sanktioniert wurde). Zugrundeliegende Tugenden des Ehrbaren Kaufmanns sind demnach bspw. Ehrlichkeit, Treue, Verlässlichkeit, Fleiß, Zahlungsmoral, Vertragstreue, Maßhalten sowie Demut. Diese Rollenbeschreibung eines vertrauenswürdigen Unter- <?page no="568"?> 568 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft nehmers und das kollektive, durch die Kaufmannsgemeinschaft selbst auferlegte Regelwerk zu seiner Durchsetzung lassen sich in ihrer ökonomischen Wirkung als Wertschöpfungskatalysator sehen: Eine ehrbare Kaufmannschaft fördert Vertrauen bei Tauschaktionen und ermöglicht damit letztlich das Eingehen von komplexeren, riskanteren und daher produktiveren Fernhandelsbeziehungen. Der Ehrbare Kaufmann nutzt in diesem Sinne „Moral als Produktionsfaktor“ (Pies, Beckmann, & Hielscher, 2009). Trotz der weit zurückreichenden Entstehungshistorie im Mittelalter und der frühen Neuzeit lassen sich einige Aspekte des Ehrbaren Kaufmanns auch in die Moderne übertragen. Dabei gibt es fortlaufend Ansätze, die Prinzipien des Ehrbaren Kaufmanns in die moderne Management- und Unternehmenslehre zu überführen (siehe insbesondere Lütge & Strosetzki, 2017). Mit dem Konzept der Nachhaltigkeit ist das Ideal des Ehrbaren Kaufmanns jedoch nur in Teilen deckungsgleich. Die Tugenden des Kaufmanns fungieren primär als Wertschöpfungskatalysator für die direkt am Tausch beteiligten Vertragsparteien. Im Kontext der Nachhaltigkeit nehmen wir jedoch auch Interaktionsformen des Unternehmens mit weiteren Anspruchsgruppen in den Blick, die - Stichwort Schadschöpfung - nicht notwendigerweise direkt an freiwilligen Tauschakten beteiligt, aber davon betroffen sind. Die Verantwortung des Ehrbaren Kaufmanns bezieht sich dabei auf den Tausch, also die gegenseitige Besserstellung, zwischen Unternehmern und ggf. ihren Kunden. Eine Verantwortung für weitere gesellschaftliche Akteure und Themen, inklusive mit Blick auf eine aktive Vermeidung von Schadschöpfung, lässt sich aus dem Ideal nur bedingt ableiten. Hinzu kommt, dass es sich beim Ehrbaren Kaufmann um das Ideal einer bestimmten Akteursrolle für natürliche Personen handelt. Bei Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwicklung geht es hingegen um systemische Fragen, bei denen in Anbetracht globaler Interdependenzen nicht natürliche, sondern Unternehmen als juristische Personen eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Dies beinhaltet oftmals sogar eine politische Rolle und wir sprechen von „corporate citizens“, als dem Unternehmen als (ehrbaren) Bürger. 18.3.4 Lern- und Verständnisfragen ! Welches Verständnis für die Zielfunktion des Unternehmens weist die klassische Betriebswirtschaftslehre auf ? Welche Problemstellungen ergeben sich im Hinblick auf Nachhaltigkeit daraus? ! Welches neue Verständnis kommt der Zielfunktion bzw. den Zielfunktionen eines Unternehmens im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung zu? ! Warum werden Wertschöpfung und Schadschöpfungsvermeidung oftmals als Zielkonflikt verstanden? Erläutern Sie, wie Ansätze des Nachhaltigkeitsmanagements diesen Zielkonflikt überwinden können. ! Warum erfordert das Nachhaltigkeitsmanagement eine erweiterte Betrachtung über die Unternehmensgrenzen hinweg? Denken Sie an die globale Wertschöpfungskette von Schokolade. Welche Fragen ergeben sich bei der erweiterten Betrachtung über die Grenzen eines Schokoladenherstellers hinaus? ! Warum kommt der Interaktion mit Stakeholdern im Nachhaltigkeitsmanagement eine zentrale Rolle zu? ! Recherchieren Sie auf den Webseiten der DAX-30-Unternehmen die Nachhaltigkeitsauftritte von Unternehmen verschiedener Branchen (z.B. Automotive und Bankenwesen). § Wie definieren Unternehmen ihre Rolle im Hinblick auf Nachhaltigkeit? § Welchen Beitrag zur gesellschaftlichen Wertschöpfung leisten die Unternehmen? Welchen Beitrag zur Minderung von Schadschöpfung leisten sie? Welche Schadschöpfungsthemen sind dabei von Relevanz? § Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Bezug auf das Nachhaltigkeitsverständnis können Sie identifizieren? <?page no="569"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 569 Neue Betriebswirtschaft § Warum wird Nachhaltigkeit in verschiedenen Branchen unterschiedlich aufgefasst und umgesetzt? Diskutieren Sie. ! Inwiefern passt der Ehrbare Kaufmann zu den Konzepten Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung? ! Wie müsste das Ideal des Ehrbaren Kaufmanns weiterentwickelt werden, um eine bessere Kompatibilität mit dem Konzept einer nachhaltigen Entwicklung zu erreichen? Stakeholder-Management 18.4.1 Lernziele ! Relevanz der Stakeholder für den unternehmerischen Handlungsspielraum verstehen. ! Bedeutung der Stakeholder-Gruppen für die Erreichung der Zielfunktionen des Unternehmens erkennen (sowohl für Wertals auch Schadschöpfung). ! Verständnis entwickeln, an welchen Stellen Stakeholder im Hinblick auf nachhaltige Entwicklung eine Rolle spielen. ! Fähigkeit entwickeln, verschiedene Stakeholder-Gruppen zu identifizieren und zu kategorisieren. ! Ansätze kennenlernen, wie das Interaktionsmanagement mit Stakeholdern zielführend gestaltet werden kann. Fallstudie zu Stakeholdern im Bereich des Platin-Abbaus (illustratives Beispiel) Das Edelmetall Platin ist ein wichtiger Rohstoff für verschiedene Industriezweige, insbesondere die chemische Industrie. Platin wird u.a. in High-Tech-Produkten der Elektro- und Unterhaltungsindustrie (z.B. Bildschirme), im medizinischen Bereich (u.a. Medizintechnik, Medikamente und Implantate) sowie in der Schmuckindustrie (z.B. Eheringe) eingesetzt. Darüber hinaus ist Platin ein essentieller Bestandteil von Katalysatoren in der Automobilindustrie. Der fiktive deutsche Chemiekonzern A&B Chemie AG mit Sitz in Essen benötigt für seine Produktionsprozesse jährlich mehrere Tonnen Platin. Den Großteil des bezogenen Platins verwendet A&B Chemie für seine Katalysatoren-Sparte. Beinahe 90 % des benötigten Platins bezieht A&B Chemie von Platin Unlimited, einem Bergbaukonzern aus Südafrika. In den Platinminen arbeiten ca. 10.000 Minenarbeiter für Platin Unlimited. Die sozialen und ökologischen Praktiken von Platin Unlimited stehen seit Jahren in der Kritik: Menschen- und Arbeitsrechte werden von der Bergbaufirma missachtet, der Abbau des kostbaren Metalls erfolgt unter gefährlichen Arbeitsbedingungen und der Bergbau als solches verursacht eine erhebliche ökologische Schadschöpfung. Bei einem Generalstreik der Minenarbeiter für sichere Arbeitsbedingungen, eine faire Entlohnung und das Recht auf die Gründung einer Gewerkschaft wurden 24 Minenarbeiter von lokalen Sicherheitskräften erschossen. Platin Unlimited und die A&B Chemie stehen seitdem massiv in der Kritik. Die südafrikanische Regierung droht Platin Unlimited mit dem Entzug der Betriebserlaubnis. <?page no="570"?> 570 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft 18.4.2 Einleitende Fragen Für das Unternehmen stellen sich zahlreiche Fragen im Hinblick auf den strukturierten und zielgerichteten Umgang mit Anspruchsgruppen bzw. Stakeholdern: ! Wer sind die relevanten Anspruchsgruppen des Unternehmens? ! Welche Bedürfnisse haben die jeweiligen Gruppen? Welche Ansprüche (stakes) und Erwartungen haben die identifizierten Stakeholder? ! Warum sind Stakeholder für die unternehmerische Zielerreichung wichtig? Worin liegen ihre direkten und indirekten Wertschöpfungsbeiträge? ! Wie verändern sich die Erwartungen/ die Positionen der Stakeholder im Zeitverlauf ? Können neue Stakeholder antizipiert werden? ! Wie kann mit konfligierenden Interessen zwischen Stakeholdern und Unternehmen und zwischen Stakeholder-Gruppen umgegangen werden? ! Welche Stakeholder sind besonders relevant? Nach welchen Kriterien lassen sich Stakeholder einordnen? ! Welche Formate können genutzt werden, um eine erfolgreiche (effektive und effiziente) Kommunikation mit den Stakeholdern zu erreichen? Welche Mittel der Kommunikation eignen sich für welche Gruppen? 18.4.3 Relevanz und Begrifflichkeit der Stakeholder im Nachhaltigkeitsmanagement Für die Begrifflichkeit der „Stakeholder“ (deutsch: Anspruchs- oder Interessensgruppen) existieren verschiedene Definitionen. Im Nachhaltigkeitsmanagement ist die Definition von Edward Freeman besonders einflussreich. Demnach sind Stakeholder „any group or individual who can affect or is affected by the achievement of the organization’s objectives” (Freeman, 1984, S. 46). Im engeren Sinne sind Stakeholder somit relevante Anspruchsgruppen, die direkt oder indirekt von der unternehmerischen Wertbzw. Schadschöpfung betroffen sind und ihrerseits einen relevanten Einfluss auf den unternehmerischen Handlungsspielraum haben. Insgesamt ist die von Freeman aufgestellte Definition sehr breit gefasst und muss sich deshalb oftmals der Kritik aussetzen, dass hierdurch eine gewisse Beliebigkeit im Hinblick auf Stakeholder geschaffen wird. Oder etwas zugespitzt gefragt: Welche Akteure im unternehmerischen Umfeld fallen nicht unter diese Definition? Durch Ansätze des Nachhaltigkeitsmanagements soll dieses eher breit gefasste Verständnis von Stakeholdern kontextabhängig konkretisiert werden und für die unternehmerische Praxis handhabbar gestaltet werden. Zunächst möchten wir die Relevanz der Stakeholder erläutern und aufzeigen, an welchen Stellen Beziehungen zwischen Stakeholdern und Unternehmen liegen. In Anlehnung an Freeman findet sich auch in der Stakeholder-Literatur der von uns bereits diskutierte Gedanke, dass die Zielsetzung von Unternehmen darin besteht, Wertschöpfung zu betreiben - und zwar für alle involvierten Stakeholder: „create value for all stakeholders“ (Post, Preston, & Sachs, 2002). Neben freiwillig angestrebter Wertschöpfung können Stakeholder jedoch von Schadschöpfung des Unternehmens betroffen sein. Wertals auch Schadschöpfung sind demnach soziale Prozesse in der Interaktion mit Stakeholdern des Unternehmens. Aus den bisherigen Überlegungen zur Rolle von Stakeholdern können wir folgern: Für eine erfolgreiche Wertschöpfung und eine minimierte Schadschöpfung ist es essentiell, dass das Unternehmen in den systematischen und strukturierten Austausch mit relevanten Akteursgruppen tritt. Im Folgenden sprechen wir hierbei von Stakeholder-Management als integraler Komponente des Nachhaltigkeitsmanagements. Nachhaltigkeitsherausforderungen mit Relevanz für Unternehmen bringen neue Themen und Fragestellungen und damit auch neue Akteursgruppen in den Blickwinkel des Unternehmens. Durch die Erweiterung des Betrachtungsrahmens als Mittel zur Zielerreichung des Unternehmens rücken nun <?page no="571"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 571 Neue Betriebswirtschaft auch Stakeholder in den Fokus der unternehmerischen Aufmerksamkeit, die in der bisherigen Betrachtung (unternehmensinterner Bezugsrahmen) kaum Beachtung fanden. So können kontextabhängig Stakeholder an scheinbar weit entfernten Stellen der unternehmerischen Wertschöpfung plötzlich einen beträchtlichen Einfluss auf die Handlungsoptionen des Unternehmens haben. Hier seien als Beispiel die teilweise menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben der globalen Textilwirtschaft (so genannte sweatshop-Problematik) genannt. Durch eine gesteigerte mediale Aufmerksamkeit rücken die Schicksale der NäherInnen in Zulieferbetrieben in Südostasien in das öffentliche Bewusstsein in den westlichen Industrieländern. Weit entfernte Stakeholdergruppen beeinflussen so über Zwischenschritte die Handlungschancen des fokalen Textilunternehmens (z.B. im Hinblick auf den Umsatz, die öffentliche Reputation, das Marketing oder die Unternehmensleitung). Welche Gründe sprechen nun dafür, Stakeholder in die Entscheidungsfindungen des Unternehmens einzubinden? An dieser Stelle sei nur auf zwei zentrale Aspekte der Vorteile einer Stakeholderbeteiligung hingewiesen. Erstens verfügen Unternehmen nicht zwangsläufig über die Ressourcen, das Wissen und die Mittel, um Lösungen zu finden, die Wertschöpfung zu erhöhen und dabei die Schadschöpfung zu verringern. Durch eine proaktive Einbindung von Stakeholdern können Wertschöpfungspotenziale und Möglichkeiten der Schadschöpfungsminderung aufgedeckt werden und in partizipativen Innovationsprozessen gemeinsame Lösungsansätze entwickelt werden. Als Beispiele können hier so genannte Open-Innovation-Ansätze erwähnt werden (siehe Chesbrough & Bogers, 2014). Zweitens kann eine Stakeholderbeteiligung die Legitimation unternehmerischer Entscheidungen und Handlungen erhöhen, und zwar auch gegenüber Dritten. Durch eine frühzeitige Einbindung der relevanten Stakeholder und ihrer jeweiligen Ansprüche kann einer späteren möglichen Schadschöpfung proaktiv entgegengewirkt werden. Hierdurch können sich die Reputation und Glaubwürdigkeit des Unternehmens steigern, was wiederum einen positiven Einfluss auf das Wertschöpfungspotenzial der Unternehmen haben kann. Der Gedanke der Stakeholderbeteiligung ist nicht gänzlich neu. Wie bereits erwähnt, agieren Unternehmen seit jeher mit Akteuren außerhalb ihrer eigentlichen Systemgrenzen. Neu ist hingegen der Grad der Einbettung verschiedener Interessensgruppen sowie die strukturierte und systematische Herangehensweise an das Interaktionsmanagement durch das Vorgehen des Stakeholder-Managements. Ebenfalls neu ist die wachsende Bedeutung bestimmter Stakeholder, etwa nichtstaatlicher Organisationen (siehe Abschnitt 18-2), die es in dieser Form früher nicht gab - und durch die (Stichwort erweiterter Betrachtungsrahmen) neuartige Themen entlang der gesamten Wertschöpfungskette an Bedeutung gewinnen können. 18.4.4 Stakeholder-Management als gezieltes Interaktionsmanagement Nachhaltigkeitsmanagement versteht sich inhärent als Interaktionsmanagement mit relevanten Akteuren innerhalb und außerhalb des Unternehmens. Es kann daher auch als proaktives Beziehungsmanagement beschrieben werden. Grundlage hierfür ist zunächst eine initiale Stakeholder-Analyse. Eine Stakeholder-Analyse schafft einen ersten Überblick über die beteiligten Akteure, ihre jeweiligen Erwartungen und potenziellen Beiträge zur Wertschöpfung und ihre Interdependenzen untereinander. Selbst die elaborierteste Stakeholder-Analyse stellt jedoch für sich genommen noch keine Lösung dar, sondern dient als Zwischenschritt bei der Suche nach Lösungen für wechselseitige Besserstellungen. Konkret gehören zur Stakeholder-Analyse drei Kernaktivitäten, die jeweils ganz grundsätzliche Fragen an das Management der Stakeholder richten: ! Identifikation der Stakeholder: Wer sind die Stakeholder eines Unternehmens und welche jeweiligen Bedürfnisse/ Ansprüche haben sie? Was steht für sie auf dem Spiel? ! Kategorisierung und Priorisierung: Welche Stakeholder sind besonders relevant? Aus welchen Gründen? ! Interaktion: Was sind geeignete Formate der Interaktion und Kommunikation mit den Stakeholdern? Welche Kommunikationskanäle können für welche Zielgruppen verwendet werden? <?page no="572"?> 572 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft Die Identifikation der relevanten Stakeholder erfordert zunächst eine umfassende Aufstellung aller Akteure, die von der unternehmerischen Wertbzw. Schadschöpfung betroffen sind und ihrerseits einen Einfluss auf die Handlungsmöglichkeiten der Unternehmung haben. Diese erste Erfassung der Anspruchsgruppen kann leicht zu einer langen und unübersichtlichen Auflistung von Akteuren führen, insbesondere wenn ein erweiterter Betrachtungsrahmen (über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg) und eine erweiterte Themendimension in die Sammlung miteinbezogen werden. Damit einhergehend werden zu den Stakeholdern die jeweiligen Ansprüche und Erwartungen sowie ihre Beiträge zur Wert- und Schadschöpfung aufgelistet. So haben die Mitarbeitenden als Stakeholder bspw. den Anspruch eines sicheren und fair bezahlten Arbeitsplatzes. Im Falle eines Arbeitsunfalls oder einer Auslagerung der Produktion ins Ausland würden Entschädigungen, verbesserte Sicherheitsvorkehrungen oder Beschäftigungszusagen als Erwartungen zu finden sein. Die Identifikation dient somit als Ausgangspunkt für die anschließende Kategorisierung und Priorisierung der Stakeholder. Eine ausführliche Aufstellung aller denkbaren Stakeholder und ihrer jeweiligen Ansprüche und Erwartungen ist in den meisten Fällen nicht praktikabel. In Anbetracht der begrenzten Ressourcen und Kapazitäten einer jeden Unternehmung muss zwangsläufig eine Priorisierung der Stakeholder erfolgen. Für die Kategorisierung der diversen Stakeholder haben sich in der wissenschaftlichen Literatur und im Stakeholder-Management verschiedene konzeptionelle Ansätze etabliert. Hierzu gehört bspw. die Gruppierung in primäre und sekundäre Stakeholder (Freeman, Harrison, & Wicks, 2007). Dabei haben die primären Stakeholder einen direkten Anspruch an das Unternehmen und direkten Einfluss auf die unternehmerische Wertschöpfung. Hierzu gehören bspw. die Mitarbeitenden, Investoren, Zulieferer und Kunden. Sekundäre Stakeholder wie bspw. die Medien oder NGOs haben ein öffentliches Interesse an der Organisation und stehen nur indirekt im Bezug zur unternehmerischen Wert- und Schadschöpfung. Als weiterer Ansatz können Stakeholder auch in Abhängigkeit ihrer Macht, Legitimität und Dringlichkeit kategorisiert werden (Mitchell, Agle, & Wood, 1997). Je nach Ausprägung der drei Dimensionen kommt den Stakeholdern dabei eine spezifische Rolle zu. Abb. 18-7: Macht-Interesse-Matrix in Anlehnung an Ackermann und Eden (2011, S. 183). <?page no="573"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 573 Neue Betriebswirtschaft Der Ansatz der Macht-Interessen-Matrix von Ackermann und Eden (2011) zur Kategorisierung von Stakeholdern soll an dieser Stelle ausführlicher betrachtet werden. In seinen Ursprüngen stammt der Ansatz aus dem Projektmanagement und ist deshalb zeitpunkt- und themenbezogen. Stakeholder werden dabei nach der Ausprägung ihrer Macht bzw. ihrer Einflussmöglichkeiten sowie ihrer berechtigten Interessen (Ansprüche oder stakes) betrachtet. Die Auswertung dieser Erfassung lässt sich in einer Vier-Felder-Matrix darstellen (Abbildung 18-7). Die Einteilung in die vier Gruppen (Subjects, Key Players, Context Setters und Crowd) erlaubt eine gute Übersicht über die identifizierten Stakeholder und erleichtert die Entscheidungsfindung, wann und wie mit welchen Stakeholdern in welchem Umfang und zu welchen Themen eine Interaktion stattfinden sollte. Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass sich die Position der Stakeholder im Zeitverlauf ändern kann und die Einteilung immer themen- und kontextabhängig stattfindet. Hier gilt: Die Kategorisierung der Stakeholder stellt nur eine Momentaufnahme dar und sollte fortlaufend aktualisiert werden, um heutigen und zukünftigen Ansprüchen der (ggf. wechselnden) Stakeholder gerecht zu werden. Auf die Identifikation und die Kategorisierung der Stakeholder folgt die Interaktion mit den Stakeholdern. Die Interaktion sollte dabei zielgerichtet und strukturiert erfolgen. Die zugrundeliegende Frage ist dabei: Welche Formate sind geeignet, um mit den Stakeholdern zu interagieren? Noch spezifischer: Für welche Stakeholder-Gruppen eignet sich welches Instrument der Kommunikation am besten? Prinzipiell lässt sich zwischen einer Information der Stakeholder (eher monologisch) und einer umfassenden Kommunikation (dialogorientiert) unterscheiden. Zu den primär informierenden Medien zählen dabei Nachhaltigkeitsberichte, Pressemitteilungen, Newsletter, Unternehmensberichte oder sonstige Botschaften auf den Kommunikationskanälen des Unternehmens. Runde Tische mit Stakeholder-Gruppen, die Interaktion in den sozialen Medien oder neue Formate wie Open-Innovation-Ansätze zählen hingegen zu den dialogorientierten Ansätzen. Die Wahl eines geeigneten Kommunikationsformats ist alles andere als trivial und sollte die spezifischen Bedürfnisse und Besonderheiten der Stakeholder-Gruppen miteinbeziehen. Investoren des Unternehmens können bspw. leicht über Nachhaltigkeitsberichte oder mit um Nachhaltigkeitsthemen erweiterte Unternehmensberichte erreicht werden. Kommunale Träger und Akteure der Zivilgesellschaft sind indes eher durch runde Tische oder intensive Konsultationsprozesse einzubinden. Die Wahl geeigneter Kommunikationsmittel ist dabei themen- und kontextabhängig. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Durch geeignete Maßnahmen des Nachhaltigkeitsmanagements können die relevanten Stakeholder identifiziert und kategorisiert werden sowie zielgruppengerechte Kommunikationskanäle gewählt werden. 18.4.5 Lern- und Verständnisfragen ! An welchen Stellen kommt Stakeholdern im Hinblick auf die unternehmerische Wert- und Schadschöpfung eine wichtige Rolle zu? ! Welche Schwierigkeiten könnten sich bei der Identifikation, Priorisierung und Interaktion mit den Stakeholdern aus Ihrer Sicht ergeben? ! Arbeitsauftrag: Im Frühjahr 2010 ereignete sich eine Katastrophe auf der Bohrinsel Deepwater Horizon von British Petroleum vor der Küste von Louisiana. Die Explosion verursachte das Austreten von Millionen Liter Rohöl in den Golf von Mexiko. Die Ölpest war eine der schlimmsten der Geschichte und die unmittelbare tragische Konsequenz waren 11 Tote und 17 Verletzte, die auf der Anlage arbeiteten. Allerdings verschob sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bald auf die massiven Umweltschäden, die durch die Explosion entstanden, sowie die verursachten großen wirtschaftlichen Verluste, vor allem in den Bereichen Tourismus und Fischerei. Eine Krise war eingetreten und BP musste darauf reagieren. Um dies zu tun, stand an erster Stelle, dass BP sofort auf die wichtigsten Interessengruppen und die Öffentlichkeit reagierte, um BPs Betroffenheit zu zeigen und um zu kommunizieren, was BP beabsichtigen zu tun, um <?page no="574"?> 574 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft diese Krise in den Griff zu bekommen. Recherchieren Sie zunächst Hintergrundmaterial zum Vorfall auf der Deepwater Horizon. Beantworten Sie anschließend die nachfolgenden Fragen: § Wer sind aus Sicht von British Petroleum die relevanten Stakeholder? In welcher Form sind sie von der Ölkatastrophe betroffen (Ansprüche und Erwartungen)? § Ordnen Sie die identifizierten Stakeholder in eine Macht-Interessen-Matrix nach Ackermann und Eden ein. Wie könnten sich die Stakeholder im Zeitverlauf ändern? ! Welche Formate der Kommunikation könnte British Petroleum wählen, um mit den verschiedenen Stakeholder-Gruppen zu interagieren? Normen und Standards des Nachhaltigkeitsmanagements 18.5.1 Lernziele ! Ein Verständnis von Definitionen, Funktionen und Entwicklung von Standards und Normen entwickeln. ! Gründe der Entstehung von freiwilligen Standards und Normen als unternehmerische Selbstbindung begreifen. ! Unternehmen als neue Akteure der Regelsetzung verstehen. ! Die Zielsetzung und Aufgaben von Normen und Standards als strukturierte und glaubhafte Überwindung von Informationsasymmetrien verstehen. ! Die PDCA-Logik als Philosophie erfolgreicher Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagementsysteme begreifen. ! Kosten, Nutzen und Anwendungsvoraussetzungen von Standards und Normen verstehen und abwägen können. Fallstudie: ein neuer Nachhaltigkeitsstandard für Aluminium Aluminium ist ein essentieller Rohstoff für die deutsche Wirtschaft und wird insbesondere in der Automobilbranche in großen Mengen verarbeitet. Die große Nachfrage nach Aluminium kann dabei nicht durch recyceltes Aluminium abgedeckt werden. Für die Herstellung von Primär-Aluminium werden große Mengen an Bauxit benötigt. Bauxit wird vornehmlich im oberirdischen Tagebau in Gebieten des tropischen Regenwaldes gewonnen, etwa in Brasilien oder Suriname. Der Abbau von Bauxit und die Veredelung zu Aluminium führt zu einer Reihe an Nachhaltigkeitsherausforderungen, bspw. chemischen Abfällen, hohen CO 2 -Emissionen, Bodenerosion oder einer Bedrohung der Lebensräume indigener Völker. Staatliche Akteure haben bisher nur bedingt Regelungen für die Nachhaltigkeitsherausforderungen der globalen Aluminium-Wertschöpfungsketten aufgestellt. (Hier liegt folglich ein Fall von fehlender oder unzureichender „Governance“ für globale Lieferketten vor). Dies liegt an der inhärent regionalen Begrenztheit nationalstaatlicher Regulierungen sowie an der Instabilität und fehlenden Durchsetzungskraft staatlicher Regulierung in Regionen der Bauxit-Gewinnung. Durch die mediale Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeitsherausforderungen im Hinblick auf Aluminium ist öffentlicher Druck entstanden, endlich Lösungsansätze für die Probleme entlang der Aluminium-Wertschöpfungskette zu etablieren. Mehrere Unternehmen haben auf diese geänderten Erwartungen reagiert. Gemeinsam mit Stakeholdern aus der Zivilgesellschaft und staatlichen Akteuren entwickeln Unternehmen der „Aluminium Stewardship Initiative“ (ASI) einen freiwilligen Nachhaltigkeitsstandard für Aluminium. In Abwesenheit staatlicher Regulierung versuchen die beteiligten ASI-Unternehmen kollektiv ein geeignetes Regelwerk <?page no="575"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 575 Neue Betriebswirtschaft für ihre Branche zu entwickeln und damit die sie betreffende Governance-Lücke im Bereich Aluminium durch eine freiwillige Selbstbindung zu überwinden. In einem aufwendigen und mehrstufigen Konsultationsprozess wurden verschiedene Stakeholder-Gruppen teils öffentlich und teils nichtöffentlich in die Entwicklung des Standards einbezogen. Die Entstehung des Standards folgte dabei den Leitlinien der ISEAL-Alliance, die Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Nachhaltigkeitsstandards anbietet. Insgesamt könnte der Standard durch den partizipativen und offenen Ansatz ein hohes Maß an Legitimität erfahren. Fraglich ist aktuell jedoch, ob die Indikatoren des Standards wirklich ambitioniert genug ausgewählt wurden und damit letztlich ein spürbarer Beitrag zur Begegnung der Nachhaltigkeitsherausforderungen bei Aluminium geleistet werden kann. Siehe Aluminium Stewardship Initiative: https: / / aluminium-stewardship.org/ (asi, 2018) 18.5.2 Einleitende Fragen ! Warum sind freiwillige Standards und Normen neben gesetzlichen Regulierungen erforderlich? ! Welchen Zweck erfüllen Standards im Hinblick auf Nachhaltigkeitsherausforderungen? ! Warum erstellen Unternehmen proaktiv Nachhaltigkeitsstandards als kollektive, freiwillige Selbstbindung? ! Welche neue Rolle kommt Unternehmen durch Nachhaltigkeitsherausforderungen bei der Gestaltung der regulativen Rahmenbedingungen zu? ! Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede weisen Nachhaltigkeitsstandards auf ? ! Warum gibt es mittlerweile in einigen Branchen ein „Überangebot“ an Standards? ! Welchen Mehrwert und welche Kosten können Standards für beteiligte Unternehmen hervorbringen? ! Wie hängen Standards und die Funktionen des Unternehmens zusammen? 18.5.3 Bedeutung von Normen und Standards für das Nachhaltigkeitsmanagement Die vorangegangenen Unterkapitel haben betrachtet, warum Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Thema der neuen Betriebswirtschaft avanciert und welche neue Rolle Unternehmen dabei zukommt. Schließt man hieran die Frage an, wie einzelne Nachhaltigkeitsthemen Eingang in das Management der Unternehmen finden, lassen sich hierzu idealtypisch folgende drei komplementäre Wege unterscheiden: staatliche Regulierungen (Gesetze), individuelle Unternehmensansätze sowie unternehmerische Nachhaltigkeitsstandards. ! Staatliche Regulierungen prägen durch Gesetze die Rahmenbedingungen und Handlungsoptionen der Unternehmen. Dabei sind die Inhalte der Gesetze seitens des Staates (also extern) vorgegeben. Dass diese Inhalte befolgt werden müssen, wird ebenfalls extern vorgegeben: Die Einhaltung der Gesetze ist für Unternehmen verpflichtend. Bei der Erfüllung staatlicher Auflagen durch Unternehmen sprechen wir von der so genannten Compliance, die durch verschiedene Abteilungen des Unternehmens geleistet wird, etwa den Einkauf/ Verkauf, die Produktion und die Rechtsabteilung. Unternehmen müssen dabei die durch staatliche Regulierung definierten Mindestanforderungen kennen und einhalten und ihre Konformität mit ebendiesen Regelungen dokumentieren. Dieser Aspekt des Einhaltens des momentan geltenden Rechts bezeichnet die statische Komponente von Compliance. Allerdings gilt für viele Nachhaltigkeitsthemen, dass sich staatliche Regulierungen fortlaufend ändern und Unternehmen sich folglich an sich ändernde Mindestanforderungen dynamisch anpassen müssen, etwa wenn Grenzwerte verschärft werden oder Regelungen für ganz neue Themen erlassen werden. In dieser Hinsicht zeigt sich die dynamische Komponente von Compliance. Hinzu <?page no="576"?> 576 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft kommt, dass Unternehmen versuchen können, staatliche Regulierungen zu antizipieren bzw. mitzugestalten, etwa durch die Mitarbeit in Verbänden und Ausschüssen. ! Nun zu der Kategorie der individuellen Ansätze zur Bearbeitung von Nachhaltigkeitsthemen. Hier entscheiden Unternehmen sowohl über die Inhalte der Ansätze und Maßnahmen als auch über die Anwendung der Ansätze rein unternehmensintern. Staatliche Regulierungen müssen freilich auch hier weiterhin eingehalten werden. Jedoch kann das Unternehmen entscheiden, an ausgewählten Stellen individuell über die gesetzlichen Regelungen hinaus zu gehen. Durch diese Fokussierung auf das eigene Unternehmen und die freie Gestaltung der Inhalte ergibt sich eine Vielzahl an unterschiedlichen und individuellen Unternehmensansätzen, um Nachhaltigkeitsthemen in das Unternehmen zu tragen. ! Normen und Standards des Nachhaltigkeitsmanagements stellen nun einen wichtigen, dritten Weg dar. Hier gilt: Die Inhalte dieser Standards (welches Thema ein Standard bearbeitet, welche Mindestanforderungen und Prozesse definiert werden etc.) werden, ähnlich wie bei staatlicher Regulierung, außerhalb des Unternehmens vorgegeben. Anders als bei staatlicher Regulierung ist die Einhaltung dieser Vorgaben jedoch nicht verpflichtend, sondern freiwillig. Ähnlich zu den individuellen Unternehmensansätzen erfolgt die Entscheidung über die Umsetzung dabei individuell im Unternehmen. Nachhaltigkeitsstandards stellen somit eine kollektiv verfügbare, aber individuell freiwillige Selbstbindung dar. Bei einer Beteiligung an der Standardschaffung können Unternehmen Einfluss auf die Indikatoren des Standards nehmen. Durch diese Art kollektiver Regelsetzung können Unternehmen gemeinsam die bestehenden gesetzlichen Regelungen ergänzen bzw. übertreffen. Oftmals werden Standards und Normen des Nachhaltigkeitsmanagements unter dem Sammelbegriff des Nachhaltigkeitsstandards zusammengeführt. Die Bedeutung freiwilliger Standards und Normen nimmt weltweit immer weiter zu. Die besondere Rolle freiwilliger Standards und ihre Eignung für Nachhaltigkeitsaspekte lässt sich dabei besser verstehen, wenn wir reflektieren, welchen besonderen Anforderungen Nachhaltigkeitslösungen in der Regel genügen müssen. Hier sind insbesondere drei Aspekte zu beachten: ! Erstens sollen unternehmerische Nachhaltigkeitslösungen die Legitimität bei relevanten Stakeholdern sichern. Je nach Nachhaltigkeitsthema gewinnen unterschiedliche Stakeholder (z.B. Mitarbeitende, NGOs, etc.) an Bedeutung für das Unternehmen. Diese Stakeholder haben jeweils spezifische Erwartungen an die Aktivitäten des Unternehmens. Wie entspricht man als Unternehmen diesen Erwartungen in einer Art und Weise, die glaubhaft ist und auch von den Stakeholdern akzeptiert wird? ! Zweitens erfordern Nachhaltigkeitslösungen Transparenz. Nachhaltigkeitsthemen mit Relevanz für Unternehmen sind durch Komplexität gekennzeichnet. Dies führt zu Informationsasymmetrien im Hinblick auf Produkteigenschaften, Herstellungsprozesse und die Gestaltung der Wertschöpfungskette des Unternehmens. Stakeholder-Gruppen fordern dabei zunehmend mehr Informationen über die Produkte der Unternehmen ein. Gleichzeitig erfordern auch Managemententscheidungen über alternative Nachhaltigkeitslösungen Vergleichbarkeit und gemeinsame Referenzsysteme. Wie können Unternehmen die hierfür notwendige Transparenz - sowohl im Unternehmen als auch im Vergleich zwischen Unternehmen - schaffen? ! Drittens gelten auch für Nachhaltigkeitslösungen die Ansprüche von Effektivität und Effizienz. Eine nachhaltigere Ausgestaltung der unternehmerischen Wertschöpfung ist oft nicht trivial, sondern mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Wenn ein Unternehmen sich diesen Herausforderungen stellen will, dann stellen sich die Frage der Effektivität (die richtigen Dinge tun, um das Ziel zu erreichen) und die Frage der Effizienz (die Dinge richtig tun). Gemessen an diesen drei Anforderungen zeigt sich, dass sowohl rein staatliche Regulierungen als auch rein individuelle Unternehmensansätze angesichts stetig neuer Themen, Akteure, Erwartungen und Fragestellungen schnell an ihre Grenzen kommen: <?page no="577"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 577 Neue Betriebswirtschaft Während sich komplexe Wertschöpfungsketten zunehmend globalisiert haben, können staatliche Akteure nur eingeschränkt als globale Regelsetzer agieren. Nationalstaaten können naturgemäß nur in ihren jeweiligen Einflusssphären Gesetze und Regelungen erlassen und durchsetzen. Nachhaltigkeitsherausforderungen, die sich über Ländergrenzen erstrecken, lassen sich somit nur eingeschränkt durch staatliche Regulierungen überwinden. Bisweilen verfügen einige staatliche Akteure zudem nicht über die Stabilität, die geeigneten Institutionen, den Willen oder das Wissen, um Nachhaltigkeitsherausforderungen durch Gesetzgebungen zu begegnen. Staaten können also negative externe Effekte globaler Wertschöpfungsketten nur teilweise und oft nur verzögert internalisieren. Zudem fällt einer staatlichen Regulierung meist eine primär reaktive Rolle zu. Gesetzgebungsverfahren sind dabei langwierig und weniger flexibel als freiwillige unternehmerische Selbstbindungen. So wichtig staatliche Regulierungen auch sind: Aus Unternehmenssicht sind sie nur bedingt geeignet, spezifische Erwartungen der Stakeholder aufzugreifen (Legitimität), Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen, Produkten und globalen Standorten herzustellen (Transparenz) und die Umsetzung von Nachhaltigkeitslösungen anzuleiten (Effektivität und Effizienz). Individuelle Unternehmensansätze haben den Vorteil, dass sie sehr spezifisch auf die Besonderheiten eines Unternehmens eingehen können. Gleichzeitig sind sie dadurch nur bedingt geeignet, allgemein bestehende Erwartungen hinsichtlich Legitimität und Transparenz zu erfüllen, da diese Ansätze unternehmensintern ausgestaltet werden und folglich nicht von externen Akteuren kontrolliert bzw. eingesehen werden können. Durch die Schaffung vielfältiger individueller Ansätze können zudem hohe Kosten für jedes einzelne Unternehmen entstehen, da jedes Unternehmen „das Rad neu erfindet“ anstatt auf bewährte Praktiken anderer Unternehmen im Kontext Nachhaltigkeit zurückzugreifen. Dadurch können die Effektivität und die Effizienz der individuell eingesetzten Maßnahmen beeinträchtigt werden. Einen besonders vielversprechenden Ansatz, um Nachhaltigkeitsthemen mit einer hohen Legitimität, Transparenz, Effektivität und Effizienz zu begegnen, stellen Standards als kollektiv verfügbare, aber individuell freiwillige Selbstbindung von Unternehmen dar: ! Standards greifen dabei Erwartungen auf, die ein Unternehmen erfüllen muss, wenn es von bestimmten Akteuren (Stakeholdern) als legitim anerkannt werden will. Die Erwartungen der Stakeholder werden bereits bei der Entwicklung von Standards eingebunden. Wir sprechen hierbei von einer diskursiven Erstellung der Inhalte von Standards. Zudem ist definiert, welche Art von Nachweis erbracht werden muss, um die Erwartungen zu erfüllen. ! Standards formulieren einheitliche Referenzsysteme um Unternehmensleistungen zu kommunizieren und auch für Managemententscheidungen vergleichbar zu machen. Dadurch können sie helfen, Informationsasymmetrien abzubauen. Somit helfen Standards, die Vergleichbarkeit von unternehmerischen Nachhaltigkeitsaktivitäten zu erhöhen. ! Standards können geeignete Indikatoren und Maßnahmen vorgeben, mit denen spezifischen Herausforderungen im Kontext Nachhaltigkeit wirksam begegnet werden kann (Effektivität). Zugleich formulieren sie Erfahrungen im Sinne von guten Praktiken, wie Unternehmen diese Problemstellungen strukturiert und effizient lösen können. Ein standardisiertes Vorgehen vereinfacht dabei ein professionelles Management komplexer Nachhaltigkeitslösungen. Vor diesem Hintergrund können wir im Rahmen dieses Beitrags nun Standards und Normen des Nachhaltigkeitsmanagements wie folgt definieren: Definition Nachhaltigkeitsstands sind prinzipiell allgemein zugängliche, diskursiv formulierte und oftmals erprobte Prinzipien und Vorgehensweisen für das betriebliche Nachhaltigkeitsmanagement, die Unternehmen freiwillig anwenden können. <?page no="578"?> 578 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft Diese breite Definition von Nachhaltigkeitsstandards umfasst sowohl Standards, die öffentlichrechtlichen Ursprungs sind (wie z.B. das EU-„Bio-Siegel“), als auch Standards, die privatrechtlichen Ursprungs sind (wie z.B. das „FairTrade“-Siegel oder das „Bioland“-Siegel). Standards können sich dabei auf einzelne Produkte beziehen (wie z.B. „Der Blaue Engel“) oder auf das gesamte Unternehmen (wie z.B. das EMAS-Audit; ein betriebliches Umweltmanagementsystem). Weitere Aspekte können dieser allgemeinen Definition noch hinzugefügt werden: Die Anwendung von Standards im Unternehmen ist in Anlehnung an ein Verständnis nachhaltiger Entwicklung als fortlaufender Prozess zu verstehen. Dabei folgen die meisten Standards einem mehrstufigen Verfahren, das explizit Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten einschließt. Standards sind diskursiv formuliert. Das bedeutet, dass die Inhalte eines Standards von mehreren Akteuren in einem fortlaufenden Prozess gemeinsam definiert und weiterentwickelt werden. Um die Legitimität der Inhalte zu erhöhen und die Erwartungen der Stakeholder von Anfang an einzubinden, hat es sich bewährt, verschiedene Stakeholder-Gruppen bei der Erstellung eines Standards miteinzubeziehen. So genannte Multi-Stakeholder-Initiativen (MSIs), bestehend aus Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und zum Teil staatlichen Akteuren, prägen deshalb die Schaffung von Standards entlang globaler Wertschöpfungsketten. Standards und Normen können helfen, neuen Aufgaben und Erwartungen im Kontext Nachhaltigkeit zu begegnen. Für sich genommen sind Standards und Normen dabei keine zwingend neuen Phänomene. Neu ist jedoch ihre wachsende Bedeutung, die zunehmende Einbindung zivilgesellschaftlicher Stakeholder in ihre Erstellung und die Fülle verfügbarer Standards. Eine zentrale Funktion von Standards liegt darin, Unternehmen zu erlauben, im Zuge des Nachhaltigkeitsmanagements so genannte Informationsasymmetrien zu überwinden. Diese Informationsasymmetrien treten auf, wenn die verschiedenen Seiten einer Tauschbeziehung (z.B. Verkäufer und Käufer) unterschiedliche Informationen über den Herstellungsprozess oder die Beschaffenheit eines Produktes besitzen. Beispielsweise haben Fischereiunternehmen mehr Informationen über die angewandten Praktiken beim Fischfang als die Käufer im Supermarkt. Die Bedingungen beim Fang des Fisches können dabei nicht am finalen Produkt erkannt werden. Eine Aussage auf einer Produktverpackung wie „dieser Fisch wurde verantwortlich gefischt und schont die natürlichen Lebensräume des Fisches“ muss aufgrund der vorliegenden Informationsasymmetrien deshalb mit Vorsicht genossen werden. Nachhaltigkeitsstandards dienen vor diesem Hintergrund als transparentes und legitimes Mittel, um solche Informationsasymmetrien glaubhaft und strukturiert zu überwinden. Informationsasymmetrien werden auch im Kapitel zum Marketing eine wichtige Rolle spielen. Im nachfolgenden Abschnitt beleuchten wir die zunehmende Verbreitung von Standards und Normen (so genannte Fragmentierung von Nachhaltigkeitsstandards) als neues Phänomen und zeigen Gemeinsamkeiten von Nachhaltigkeitsstandards auf. 18.5.4 Fragmentierung von Standards und gemeinsame Prinzipien Nachhaltigkeitsstandards haben in den letzten 20 Jahren eine geradezu rasante Ausbreitung erlebt. So finden wir heute Nachhaltigkeitsstandards in nahezu allen verschiedenen industriellen Branchen - von Lebensmitteln wie Kaffee und Bananen über Textilien bis hin zu außergewöhnlichen Produkten wie Goldschmuck und Grabsteinen. Stellenweise finden sich dabei auch mehrere Standards für einen Themenbereich, etwa bei Kaffee oder Textilien. Hier koexistieren etliche Nachhaltigkeitsstandards. Dies kann zu neuen Herausforderungen (etwa im Hinblick auf die Legitimität, den Anspruch des Standards und die Wahl eines geeigneten Standards) für beteiligte Unternehmen und Kunden führen. Stellenweise ergänzen sich Nachhaltigkeitsstandards in ihrer Wirkungsweise entlang der unternehmerischen Wertschöpfungskette. In anderen Fällen konkurrieren Nachhaltigkeitsstandards und ihre dazugehörigen Initiativen direkt um Marktanteile und die Verbreitung ihres Standards im jeweiligen Sektor. Diese fragmentierte Landschaft an Nachhaltigkeitsstandards wird von einigen <?page no="579"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 579 Neue Betriebswirtschaft Experten deshalb auch als „Explosion“ von Standards oder als „Label-Labyrinth“ bezeichnet. Insgesamt kann eine solche Fragmentierung von Nachhaltigkeitsstandards als neuen Governance- Instrumenten als ambivalentes Phänomen betrachtet werden, da für Unternehmen, Kunden und Nachhaltigkeitsaspekte sowohl negative als auch positive Effekte auftreten können. Die Fragmentierung von Nachhaltigkeitsstandards ist einer der zentralen Trends neben der Legitimität und der Wirkungseffektivität von Standards, die die aktuelle Debatte um Standards und Normen im Nachhaltigkeitskontext bestimmen. Trotz der großen Vielfalt an Normen und Standards im Nachhaltigkeitsbereich lassen sich bestimmte Merkmale finden, die für die meisten Nachhaltigkeitsstandards gelten und die hinsichtlich ihrer Ausprägung einen detaillierteren Vergleich zwischen Standards erlauben: ! Entwicklungsbeteiligung verschiedener gesellschaftlicher Stakeholder-Gruppen: Bei einer gemischten Beteiligung (zivilgesellschaftliche, wirtschaftliche und ggf. staatliche Akteure) sprechen wir von einem Multi-Stakeholder-Ansatz. Unterschiedliche Akteursgruppen mit ihren spezifischen und bisweilen konfligierenden Interessen werden in die Schaffung eines Nachhaltigkeitsstandards miteinbezogen. Hierdurch kann sich die Legitimität des Standards erhöhen, da relevante Anspruchsgruppen frühzeitig eingebunden werden und deren berechtigte Interessen erkannt werden. Andererseits können konfligierende Interessen und Machtverhältnisse in Multi- Stakeholder-Initiativen zu Minimal-Kompromissen führen und letztlich einen weniger ambitionierten Standard zur Folge haben. ! Bezug auf internationale Vereinbarungen: Die meisten Standards referenzieren sich auf bestehende, übergeordnete Arbeits-, Sozial- und Umweltübereinkommen, etwa die ILO Kernarbeitsnormen 476 , die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 477 , die Sustainable Development Goals (SDGs) oder auf Richtlinien der Vereinten Nationen (z.B. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte). Durch den Bezug auf bereits bestehende und allgemein anerkannte Vereinbarungen erhalten neue Nachhaltigkeitsstandards eine erhöhte Legitimität und reduzieren gleichzeitig den Konsultationsprozess bei der Bestimmung der Indikatoren des Standards. ! Definition von Mindestanforderungen und oftmals messbaren Zielen (sozialer, ökonomischer und ökologischer Art) mit zeitlichem Rahmen. ! Definition von Fortschrittsanforderungen, in denen kontinuierliche Verbesserung nachgewiesen werden muss. Dies bedeutet einerseits, dass sich die teilnehmenden Unternehmen in ihren Nachhaltigkeitsbemühungen kontinuierlich verbessern. Andererseits wird der jeweilige Standard kontinuierlich weiterentwickelt und neuen Rahmenbedingungen und Entwicklungen angepasst. Standards sind in diesem Sinne keine statischen, sondern dynamische Instrumente des Nachhaltigkeitsmanagements. ! Entwicklung von Verifizierungskriterien zur Überprüfung der aufgestellten Kriterien. Dies ermöglicht Transparenz, Vergleichbarkeit und Unabhängigkeit. ! Nutzung von unabhängigen Kontrollen und Verifizierung durch Dritte (so genannte third party certification) oder Selbstverpflichtung (interne Audits). ! Sanktionen bei Nicht-Einhaltung der Standards: Standards sollten über geeignete Sanktionsmöglichkeiten verfügen, um Abweichungen oder Verstöße von den festgeschriebenen Kriterien wirksam zu sanktionieren. Oftmals fehlt den Standardsetzern hier jedoch die notwendige Durchsetzungskraft, um wirksame Sanktionen zu verhängen. Geldzahlungen, Nachbesserungsaufforderungen und ein möglicher Ausschluss aus dem Standard können hierbei bspw. als Sanktion Verwendung finden. 476 International Labour Organization (ILO) 477 Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) <?page no="580"?> 580 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft In Anbetracht der zunehmenden Fragmentierung der Landschaft an Nachhaltigkeitsstandards gibt es nunmehr einen Bedarf für Richtlinien zur Erstellung von Standards. Oder anders ausgedrückt: Selbst die Entwicklung von Standards folgt mittlerweile gewissen Standards. Die ISEAL Alliance 478 stellt hierzu einen Referenzrahmen zur Verfügung, der bei der Schaffung eines neuen Nachhaltigkeitsstands hilfreich sein kann (ISEAL, 2017). Damit soll letztlich die Vergleichbarkeit und Legitimität von Standards erhöht werden, die gemeinsam den ISEAL-Prinzipien zur Standarderstellung folgen. Für die konkrete Umsetzung von Nachhaltigkeitsstandards bedarf es einer spezifischen Analyse der Herausforderungen, der Bedürfnisse der Stakeholder sowie einer Kosten-Nutzen-Betrachtung. Im Hinblick auf den Nutzen von Nachhaltigkeitsstandards können Kostenersparnisse durch Effizienzsteigerungen, die Stärkung von Vertrauen und Glaubwürdigkeit, eine Verbesserung der Stakeholder- Beziehungen, verbesserte Marktzugänge sowie besseres Risikomanagement und eine Verminderung an Informationsasymmetrien und Transaktionskosten auftreten. Dem gegenüber stehen die Kosten der Einführung eines Standards. Hierzu zählen die Einführungs- und Produktionsumstellungskosten, Schulungen für Mitarbeitende, interne Kosten (z.B. für die Informationsbeschaffung bei Audits) sowie externe Kosten für Audits und Zertifizierungsprozesse. Bedenkt man, dass viele Standards einer expliziten Lern- und Entwicklungslogik folgen, wird deutlich, dass sich ihr Potenzial oftmals erst durch eine dauerhafte Bereitschaft für organisatorisches Lernen und eine Weiterentwicklung der unternehmerischen Prozesse und Entscheidungsfindungen entfaltet. Im Folgenden illustrieren wir diesen Lern- und Entwicklungsaspekt anhand von unternehmerischen Managementsystemen mit Nachhaltigkeitsbezug. 18.5.5 Nachhaltigkeitsmanagementsysteme und die PDCA-Logik Managementsysteme dienen als strukturiertes System, um bestimmte Themenbereiche in einem Unternehmen zu erfassen, zu koordinieren und zu steuern. Im Bereich Nachhaltigkeit existieren Managementsysteme insbesondere für Energie, Abfall, Arbeitssicherheit und weitere Aspekte. Mutter aller Managementsysteme sind dabei Ansätze des Umweltmanagements. Umweltmanagementsysteme (UMS) systematisieren dabei die Inhalte (Was? Welches Thema? ), die Vorgaben (Welche Ziele? ), die Prozesse (Wie erreicht man die Ziele? ) sowie die Zuständigkeiten (Wer? ) zur Umsetzung der spezifischen Umweltpolitik einer Unternehmung oder Organisation. Das Vorgehen eines Umweltmanagementsystems kann dabei mittels Standards formalisiert werden. Die Umweltnormreihe ISO 14000 ff bietet mit der Norm ISO 14001 eines der weitverbreitetsten Umweltmanagementsysteme an. Darüber hinaus bietet die ISO-Normen-Familie weitere internationale Umweltstandards an, etwa für eine Ökobilanzierung (ISO 14040) oder für die Erfassung von Treibhausgasen (ISO 14064). Die ISO 14001 beschreibt den Weg zur Zertifizierung des Umweltmanagementsystems. Das UMS der teilnehmenden Organisation durchläuft dabei einen zweistufigen Zertifizierungsprozess durch eine akkreditierte Zertifizierungsstelle. Die ISO 14001 strebt an, betrieblichen Umweltschutz im Einklang mit wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmengegebenheiten zu fördern. Die ISO 14001 erfährt dabei eine hohe Zustimmung und kann weltweit angewandt werden. In einigen Branchen (etwa in der Automobilbranche) ist der Standard so weit verbreitet, dass seine Anwendung kaum noch als freiwillig bezeichnet werden kann, sondern seitens der Automobilhersteller de facto von allen Zulieferern verpflichtend erwartet wird. Ein Umweltmanagementsystem sollte als kontinuierlicher Lern- und Entwicklungsprozess verstanden werden. Eine einmalige externe Beratung oder eine singuläre Entscheidung des Top-Managements genügen hierfür nicht. Vielmehr gilt es, dass die Systeme im Unternehmen dauerhaft gelebt und vorgelebt werden. 478 International Social and Environmental Accreditation and Labelling Alliance (ISEAL) <?page no="581"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 581 Neue Betriebswirtschaft An der ISO 14001 Norm lässt sich dieser Lern- und Entwicklungsgedanke gut festmachen. Ähnlich wie andere Prozesse des unternehmerischen Managements orientieren sich das Umweltmanagement und somit auch die ISO 14001 Norm am so genannten PDCA-Zyklus. Dieser Zyklus stammt ursprünglich aus den Anfängen des Qualitätsmanagements und liefert ein hilfreiches Prozessschema für die Einführung und Steuerung von Umweltbzw. Nachhaltigkeitsmanagementprozessen. PDCA steht in diesem Fall für: ! Plan (Planung): Festlegung der umweltrelevanten Ziele (Was? ) und Prozesse (Wie? ) ! Do (Ausführung): Implementierung der Prozesse ! Check (Kontrolle): Überprüfung der Prozesse mit Blick auf Zielerreichung und Einhaltung weiterer Anforderungen (Recht, Qualität, Sicherheit ...) ! Act (Anpassung): Folgerungen für Anpassungen sowie Zielsetzung der stetigen Verbesserung Der PDCA-Zyklus ermöglicht es Unternehmen, ihre Umweltmanagementsysteme und ihre Ansätze des Nachhaltigkeitsmanagements als dauerhafte Lernprozesse anzulegen, die einem klaren Entwicklungscharakter folgen und eine stetige Verbesserung zum Ziel haben. Dabei können Standards und Normen ganz unterschiedliche Funktionen eines Unternehmens betreffen. So könnte ein Nachhaltigkeitsstandard für Aluminium bspw. die Funktionen Beschaffung, Produktion und Vertrieb genauso betreffen wie das Marketing der Unternehmung und die Strategieabteilung. Normen und Standards des Nachhaltigkeitsmanagements können deshalb auch als umfassende Klammer für die Funktionen des Unternehmens verstanden werden. Der nachfolgende Abschnitt widmet sich nun eingehender den Funktionen eines Unternehmens im Hinblick auf das Nachhaltigkeitsmanagement. 18.5.6 Lern- und Verständnisfragen ! Warum sind Fortschrittsanforderungen im Hinblick auf Nachhaltigkeitsherausforderungen besonders wichtig? ! Worin unterscheidet sich ein Compliance-Ansatz von der Schaffung individueller Nachhaltigkeitslösungen? ! Auf welchen Grundprinzipien basieren die meisten Nachhaltigkeitsstandards? ! Welche Kosten und Nutzen können sich durch die Einführung von Standards ergeben? Inwiefern könnten sich diese Aspekte bei großen Unternehmen, Mittelständlern und Kleinunternehmen unterschiedlich auswirken? ! Was wird unter der Fragmentierung von Nachhaltigkeitsstandards verstanden? Welche besondere Rolle kommt dabei staatlichen Akteuren zu? ! Warum kommt dem PDCA-Zyklus eine besondere Rolle bei Nachhaltigkeitsmanagementsystemen zu? ! Die Fair Wear Foundation (FWF) bietet einen weit verbreiteten Nachhaltigkeitsstandard für die globale Textilindustrie. Arbeitsauftrag: Recherchieren Sie Informationen zur Fear Wear Foundation und dem dazugehörigen Nachhaltigkeitsstandard für Textilien und beantworten Sie anschließend die nachfolgenden Fragen: § Sie haben Gemeinsamkeiten und Grundpfeiler von Standards kennengelernt. Welche Kriterien davon erfüllt der Fear Wear Foundation Standard? § Welche Themenbereiche der Nachhaltigkeit deckt der Standard ab? § In welchen Unternehmensbereichen ist der Standard anwendbar? § Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial für den FWF-Standard? Wie sieht es mit den Sanktionsmöglichkeiten des Standards aus? § Welche Bedingungen müssen Unternehmen erfüllen, um dem Standard zu genügen? Welche Kosten und welcher Nutzen könnte sich für Sie als UnternehmerIn ergeben? <?page no="582"?> 582 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft ! In Anbetracht der Vielzahl unterschiedlicher Nachhaltigkeitsstandards und Labels existieren mittlerweile eigene Vergleichsportale, um Kunden eine bessere Vergleichbarkeit der Standards zu ermöglichen. Recherchieren Sie die Vergleichsportale Siegelklarheit (www.siegelklarheit.de) und Siegelcheck (http: / / siegelcheck.nabu.de/ ) und beantworten Sie anschließend die nachfolgenden Fragen: § Worin unterscheiden sich die beiden Vergleichsportale? § Welche Standards und Labels werden auf beiden Portalen aufgeführt? § Inwieweit unterscheidet sich die Beurteilung einzelner Standards und Label? ! Können Sie Unterschiede bei den Vergleichskriterien identifizieren? Nachhaltigkeitsmanagement und die Funktionen des Unternehmens 18.6.1 Lernziele ! Grundverständnis für Funktionen als spezifische Leistungserfüller für Teilaufgaben eines Unternehmens erkennen und begreifen. ! Interdependenzen zwischen Funktionen und Unternehmenserfolg erkennen. ! Zusammenspiel zwischen Nachhaltigkeitsmanagement, Normen und Standards und den Funktionen des Unternehmens erkennen und verstehen. ! Die zwei Perspektiven auf das Nachhaltigkeitsmanagement (operativ und strategisch) im Hinblick auf unternehmerische Funktionen kennenlernen und verstehen. ! Besonderheiten des Nachhaltigkeitsmarketings kennenlernen. ! Verständnis für die Weiterentwicklung des Marketings durch Nachhaltigkeitsaspekte entwickeln. Fallstudie zum Textilunternehmen Nudie Jeans Das schwedische Textilunternehmen Nudie Jeans verkauft hochwertige Denim-Produkte, insbesondere Jeans. Anfang der 2000er Jahre entschied das Top-Management, dass Nudie Jeans seine Produktion schrittweise auf 100% ökologische Baumwolle als Grundstoff für Denim- Produkte umstellen wird. Diese Managemententscheidung warf zahlreiche Folgefragen für die einzelnen Funktionen des Unternehmens auf. Zum Zeitpunkt der ambitionierten Umstellung fristete der Markt für biologische Baumwolle in geeigneter Qualität noch ein Nischendasein. Nudie Jeans musste somit in den intensiven Austausch mit den Baumwollproduzenten treten, um das Angebot an qualitativ hochwertiger Biobaumwolle zu steigern. Dies hatte eine Neuaufstellung der beteiligten Zulieferer zur Folge. Über die Zuliefererkette forcierte Nudie Jeans zusätzlich die Implementierung von Nachhaltigkeitsstandards (insbesondere Aspekte der Arbeitssicherheit bei der Textilproduktion). Während ein Teil der Kunden primär vom Design und der Qualität der Produkte angesprochen wird, spielt für andere Kunden vor allem die ökologische und soziale Ausrichtung des Unternehmens eine entscheidende Rolle bei der Kaufentscheidung. Die Marketingabteilung von Nudie Jeans begegnet somit verschiedenen Käufergruppen und muss eine geeignete Strategie zur Positionierung und Kommunikation der ökologischen und sozialen Produktattribute finden. Nudie Jeans muss gleichzeitig verhindern, dass durch eine Umstellung auf 100% biologische Baumwolle unvorhergesehene Nachteile für das Image von Nudie Jeans erwachsen. Zusätzlich ergeben sich im Hinblick auf das Marketing neue Fragen der Preisgestaltung, der Kundenbindung und der Ansprache der Kunden. <?page no="583"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 583 Neue Betriebswirtschaft Für das Ende des Lebenszyklus einer Jeans erarbeitet Nudie Jeans innovative Ansätze im Hinblick auf das Recycling und die Wiederverwendung der Baumwollfasern. Die Funktionen Produktion sowie Forschung & Entwicklung spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Siehe Nudie Jeans: https: / / www.nudiejeans.com/ de (Nudie Jeans, 2017) 18.6.2 Einleitende Fragen ! Was sind Unternehmensfunktionen und welchen Nutzen schaffen sie für ein Unternehmen? ! Wie hängen Nachhaltigkeitsmanagement und unternehmerische Funktionen zusammen? ! Welche Rolle kommt Standards und Normen im Hinblick auf die Funktionen des Unternehmen s zu ? ! Was sind Besonderheiten des Nachhaltigkeitsmarketings im Vergleich zum konventionellen Marketing? ! Stehen Nachhaltigkeit und Marketing im inhärenten Widerspruch zueinander? ! Welche typischen Instrumente und Strategien werden im Nachhaltigkeitsmarketing verwendet? 18.6.3 Verständnis und Relevanz der Funktionen eines Unternehmens Jedes Unternehmen (vom kleinen Start-Up bis zum globalen Großkonzern) stellt eine Organisation dar, die über - unterschiedlich ausdifferenzierte - Funktionen verfügt. Funktionen erbringen dabei spezialisierte Teilleistungen und bilden die Grundvoraussetzung für die Fähigkeit eines Unternehmens zur Erreichung seiner Zielfunktionen. Erst durch das symbiotische Zusammenspiel verschiedener Funktionen kann das Unternehmen als strukturierte Organisation mehr Wert schaffen als die bloße Summe seiner Teile. Einige Funktionen sind Kernfunktionen, die direkt wertschöpfend sind (z.B. Produktion und Vertrieb), während andere Funktionen eine unterstützende Rolle einnehmen, um die primären Kernfunktionen zu ermöglichen (z.B. das Personalmanagement). Unternehmen benötigen Funktionen, um spezifische Tätigkeiten möglichst effizient auszuführen. Die Spezialisierung von Unternehmensteilen (Abteilungen, Teams, Gruppen) in spezifische Funktionen ist sicherlich keine neue Erkenntnis. Diese zweckgerichtete Arbeitsteilung hat sich in Anbetracht der unternehmerischen Wertschöpfung bewährt. Im Hinblick auf das Nachhaltigkeitsmanagement und neue gesellschaftliche Herausforderungen mit Relevanz für Unternehmen kommt einer Funktionsperspektive jedoch eine neue Bedeutung zu. Die generischen Funktionen eines Unternehmens (bspw. Beschaffung, Produktion, Absatz, Logistik, Finanz- und Rechnungswesen, Personal) können erheblich von den eingangs angeführten neuen gesellschaftlichen Entwicklungen und der damit verbundenen neuen Rolle von Unternehmen betroffen sein. Als ausführende (operative) Einheiten müssen die Funktionen dabei auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren. Einige illustrative Beispiele: ! Als fokales Unternehmen steht Ihr Unternehmen aufgrund von Entscheidungen im Beschaffungsmanagement massiv in der öffentlichen Kritik. Für die Produktion von Pflegeprodukten und Kosmetika wurden natürliche Ausgangsstoffe (Palmöl) eingekauft, deren Herstellungsbedingungen (Rodung von Regenwald und Kinderarbeit) angeprangert werden. Die Funktionen Marketing/ Kommunikation betreiben öffentliche Schadensbegrenzung. ! Durch extreme Wetterevents als Folge des anthropogenen Klimawandels ist Ihre Versorgung mit Rohmaterial durch die Zulieferer nicht mehr gesichert. Das Lieferkettenmanagement muss neue und sichere Bezugsquellen für Produktions-Inputs erschließen. ! Berichtswesen: Eine neue gesetzliche Richtlinie verpflichtet Ihr Unternehmen aufgrund seiner Größe dazu, in Zukunft bestimmte nachhaltigkeitsrelevante Kriterien, bspw. den CO 2 - Fußabdruck und den virtuellen Wasserverbrauch Ihrer Unternehmung offenzulegen. Die klassi- <?page no="584"?> 584 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft schen Funktionen Controlling und Berichtswesen müssen auf diese neuen Anforderungen und zu erfassenden Kriterien reagieren. Die vorherigen Fallbeispiele beschreiben, wie Unternehmen Nachhaltigkeitsfragen eher reaktiv in ihren Funktionen verarbeiten. Durch eine strategische Ausrichtung und das Antizipieren (also das frühzeitige Erkennen) von gesellschaftlichen Entwicklungen können Unternehmen ihre Funktionen jedoch auch proaktiv für die Entwicklung von Nachhaltigkeitslösungen einsetzen. Auch hierzu einige illustrative Beispiele: ! Die Funktion Marketing/ Kommunikation diversifiziert die Ansprache potenzieller Käufergruppen. Nachhaltigkeitsbezogene Aspekte des angebotenen Produkts (etwa der Verzicht auf künstliche Inhaltsstoffe und eine Garantie auf faire Zahlungen an landwirtschaftliche Zulieferer) werden gezielt in der Kommunikation hervorgehoben. Hierdurch werden neue Käufergruppen für die Kaufentscheidung motiviert. Gleichzeitig werden durch die Verwendung von unabhängigen Siegeln gezielt Informationsasymmetrien abgebaut. ! Das Lieferkettenmanagement entwickelt gemeinsam mit seinen Zulieferern neue Anbaumethoden, um die benötigten pflanzlichen Rohmaterialien an die negativen Folgen des Klimawandels anzupassen. Durch die Steigerung der Resilienz gegenüber dem Klimawandel verringert sich das Ausfallrisiko der Zulieferer. ! Durch gezielte Maßnahmen des Personalmanagements (bspw. Förderprogramme von Minderheiten) wird eine höhere Diversität der Mitarbeitenden erreicht. Mittel- und langfristig steigert das Unternehmen hierdurch seine Attraktivität als Arbeitgeber für qualifizierte Mitarbeitende und erschließt sich bislang ungenutzte Humankapitalressourcen. Damit die Funktionen eines Unternehmens proaktiv gesellschaftliche Entwicklungen mitgestalten können und (bei Bedarf) auf ebendiese optimal reagieren können, benötigen die EntscheidungsträgerInnen im Unternehmen ein fundiertes Verständnis für die relevanten Nachhaltigkeitsherausforderungen sowie geeignete Kompetenzen, um innerhalb der Funktionen damit umzugehen. Nachfolgend erläutern wir das besondere Verhältnis von Nachhaltigkeitsmanagement und unternehmerischen Funktionen. 18.6.4 Zusammenspiel zwischen Nachhaltigkeitsmanagement und unternehmerischen Funktionen Im Hinblick auf die anfangs erwähnten neuen gesellschaftlichen Herausforderungen und die klassischen Funktionen des Unternehmens als arbeitsteiliger Organisation kommt dem Nachhaltigkeitsmanagement eine zentrale Rolle als Schnittstellenmanagement zu. Im Unternehmen können Schnittstellen an verschiedenen Stellen bestehen, insbesondere zwischen den Funktionen (Abteilungen), innerhalb der Funktionen sowie zwischen dem Unternehmen und seiner Außenwelt. Aspekte der Wert- und Schadschöpfung und die Erweiterung des Betrachtungsrahmens erfordern Lösungsansätze über Funktionsgrenzen des Unternehmens hinweg. Wenn sich eine Unternehmung bspw. entschließt, von der konventionellen Produktion von wasserdichten Funktionsjacken (hoher Einsatz von problematischen Chemikalien) auf eine weniger schädliche Imprägnierungstechnologie umzusteigen, sind davon verschiedene Bereiche bzw. Funktionen betroffen: Produktion, Forschung und Entwicklung, Einkauf sowie Personalmanagement. Für den späteren Verkauf der wasserdichten Jacken spielen zudem die Marketingabteilung und der Vertrieb eine zentrale Rolle. Dieses einfache Beispiel zeigt, wie nachhaltigkeitsorientierte Entscheidungen verschiedene Funktionen und Aufgabenbereiche des Unternehmens betreffen. Nachhaltigkeitsmanagement kann deshalb auch als aktives Schnittstellenmanagement gesehen werden. Dabei können wir zwei komplementäre Perspektiven auf das Nachhaltigkeitsmanagement einnehmen: das operative und das strategische Nachhaltigkeitsmanagement. Nachfolgend zeigen wir auf, wie in beiden Perspektiven erfolgreiches Schnittstellenmanagement betrieben werden kann. <?page no="585"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 585 Neue Betriebswirtschaft Operatives Nachhaltigkeitsmanagement Das operative Nachhaltigkeitsmanagement ist eher statisch geprägt. Hier geht es darum bestehende Lösungen effizient umzusetzen. Dazu bewegt sich das Nachhaltigkeitsmanagement in den bestehenden Strukturen, Prozessen und Gegebenheiten des Unternehmens. Auf dieser operativen Ebene steht die effiziente Nutzung bestehender Schnittstellen zwischen verschiedenen Funktionen (etwa Einkauf und Produktion) im Mittelpunkt. Als Beispiel können wir an dieser Stelle die Erstellung eines jährlichen Nachhaltigkeitsberichts aufführen. Für den Bericht müssen durch die Nachhaltigkeitsabteilung bzw. die Nachhaltigkeitsbeauftragte zahlreiche Daten aus den verschiedenen Funktionen des Unternehmens gesammelt werden, etwa hinsichtlich des Energieverbrauchs, der Dienstreisen der Mitarbeitenden oder des Logistik- und Transportaufkommens. Aus ausgewählten Datenmengen kann dann bspw. der CO 2 -Fußabdruck des Unternehmens (oder bestimmter Produkte) berechnet werden und im Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht werden. Damit dies in einer effizienten Art und Weise geschieht, ist es notwendig, dass durch das Nachhaltigkeitsmanagement die bestehenden Schnittstellen optimal bespielt werden, um einen reibungslosen Austausch von Informationen und Wissen zu ermöglichen. Das operative Nachhaltigkeitsmanagement dient in dieser Rolle insbesondere als interner Mittler und ggf. Mediator zwischen den Funktionen und Akteuren innerhalb des Unternehmens. Strategisches Nachhaltigkeitsmanagement Auf einer strategischen Ebene kümmert sich das Nachhaltigkeitsmanagement darum, neue Schnittstellen zu entwickeln. Das Nachhaltigkeitsmanagement dient dabei als Impulsgeber und Agendasetzer und bringt (oftmals von außen) neue Themen, Ansätze und Lösungen in das Unternehmen hinein. In dieser Perspektive kommt dem Nachhaltigkeitsmanagement eine dynamische und innovative Rolle zu. Hierfür muss das Nachhaltigkeitsmanagement eine proaktive Kommunikation mit internen und externen Stakeholdern führen. Das strategische Nachhaltigkeitsmanagement dient in dieser Rolle sozusagen als „Ohr und Mund“ zur Außenwelt des Unternehmens. Als Beispiel können wir hierfür die gemeinsame Weiterentwicklung von Produkten im Lebensmitteleinzelhandel erwähnen. Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels (etwa REWE und EDEKA) gehen strategische Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen Akteuren (bspw. NABU und WWF) ein, um den spezifischen Erwartungen der Kunden und NGOs hinsichtlich eines nachhaltigeren Produktsortiments gerecht zu werden. Durch das strategische Nachhaltigkeitsmanagement werden dabei neue Schnittstellen zwischen externen Akteuren (NGOs) und den Funktionen des Unternehmens (insbesondere Einkauf, Vertrieb und Produktion) aufgebaut, um gemeinsam das Produktsortiment des Unternehmens weiterzuentwickeln. Dabei bringt eine solche strategische Partnerschaft gleichzeitig neue Themen und Akteure in das Unternehmen hinein und nimmt Einfluss auf die Agenda und Zielsetzung des Unternehmens. Insgesamt findet Nachhaltigkeitsmanagement damit nicht nur in der eigentlichen Nachhaltigkeitsabteilung (bzw. bei der oder dem Nachhaltigkeitsbeauftragten) statt, sondern an zahlreichen Stellen des Unternehmens. Durch die bereits entwickelten und bespielten Schnittstellen kann das Nachhaltigkeitsmanagement Themen und Herausforderungen im Kontext Nachhaltigkeit in alle relevanten Funktionen des Unternehmens bringen. In diesem Fall sprechen wir vom Mainstreaming von Nachhaltigkeit innerhalb der Organisation. Damit dient das Nachhaltigkeitsmanagement als „Übersetzer“, um die Themen und Anliegen von relevanten Stakeholdern in das Innere der Unternehmung hinein zu transportieren. Nachhaltigkeitsbezogene Praktiken werden damit innerhalb der spezifischen Funktionen bzw. über verschiedene Funktionen hinweg gestreut und erfahren langfristig eine breite Einbettung in die Unternehmung. <?page no="586"?> 586 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft 18.6.5 Normen und Standards als Rahmen für unternehmerische Funktionen Normen und Standards des Nachhaltigkeitsmanagements dienen als umschließende Klammer für die klassischen Funktionen eines Unternehmens (Abbildung 18-8). So betreffen Aspekte des standardisierten unternehmerischen Umweltmanagements bspw. die Produktion, das Lieferkettenmanagement und das Reporting. Ein Nachhaltigkeitsstandard für Arbeitsbedingungen in der globalen Textilwirtschaft könnte analog u.a. auf den Einkauf, die Produktion, das Marketing und den Vertrieb einwirken. Innerhalb der klassischen Funktionen werden dabei durch Ansätze des Nachhaltigkeitsmanagements neue Instrumente eingeführt und angewandt, etwa eine erweiterte Berichterstattung, die Verwendung von Nachhaltigkeitssiegeln oder das bereits ausführlich beschriebene Stakeholder-Management (Abbildung 18-8). Abb.18-8: Zusammenhang zwischen Normen & Standards, den Funktionen des Unternehmens und operativen Instrumenten. Um das Zusammenspiel zwischen Nachhaltigkeitsmanagement, Normen und Standards sowie operativen Instrumenten besser zu verstehen, betrachten wir nachfolgend exemplarisch die Funktion Marketing im Detail. Der Fokus liegt dabei auf der Relevanz gesellschaftlicher Herausforderungen für die Funktion, den spezifischen Fragen, Problemstellungen und Chancen, die sich durch die neuen Rahmenbedingungen und die neue Rolle des Unternehmens ergeben, sowie auf den Instrumenten und Maßnahmen, die innerhalb eines nachhaltigkeitsorientierten Marketings ergriffen werden können. 18.6.6 Nachhaltigkeitsmarketing im Kontext neuer gesellschaftlicher Herausforderungen Welche neuen Fragen und Besonderheiten ergeben sich für die Funktion Marketing im Hinblick auf die geänderten Rahmenbedingungen für Unternehmen? Was bedeutet ein neues Rollenverständnis des Unternehmens für diese Funktion? Wie wird durch die Funktion Marketing Wertschöpfung betrieben? Welche neuen Instrumente sind hierfür erforderlich? <?page no="587"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 587 Neue Betriebswirtschaft Bevor wir auf diese Fragen eingehen, sei die grundlegende Frage vorangestellt, ob Nachhaltigkeit und Marketing überhaupt vereinbar sind oder ob hier nicht ein inhärenter Widerspruch besteht. Denken Sie zunächst an das Phänomen der so genannten Fast-Fashion, also das schnelle Umschlagen mehrerer Kleidungskollektionen pro Saison. Dabei werden große Mengen an Kleidung zu niedrigen Preisen auf den Markt geworfen. Die Schnelllebigkeit von modischen Trends führt zu immer neuem Konsum von Kleidungsstücken. Die Bewerbung dieser neuen Trends und Produkte zielt dabei einzig auf ein gesteigertes Konsumverhalten ab. Etwas überspitzt formuliert: Ist das zugrundeliegende Marketing damit ein zentraler Treiber einer nicht-nachhaltigen Konsum-und Wegwerfgesellschaft? An dieser Stelle lohnt sich ein Blick zurück zu den Ursprüngen des Marketings. In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, in der Güter knapp waren, fokussierten Unternehmen ihre Überlegungen primär auf die Optimierung der Produktion und später auf den Vertrieb. Das moderne Marketing setzt hingegen anders an. Seit den 1970er Jahren lenkt die Idee des Marketings den Blick der Unternehmung auf die Bedürfnisse der Kunden. Marketing kann seitdem als grundlegende Philosophie zur Ausrichtung der Unternehmen vom Markt her verstanden werden. Damit nehmen sowohl das Marketing als auch eine nachhaltigkeitsorientierte Betrachtungsweise eine Bedürfnisperspektive ein. Marketing beschäftigt sich mit dem Identifizieren, dem Antizipieren und dem Befriedigen von Bedürfnissen. Allerdings betrachtet das konventionelle Marketing hierbei einen eher engen zeitlichen Rahmen (Kauf und Nutzung des Produkts) und geht von einer bilateralen Beziehung zwischen Unternehmen und Konsument aus. Im Gegensatz dazu geht eine nachhaltige Entwicklung davon aus, dass die Bedürfnisse heutiger und zukünftiger Generationen befriedigt werden können (langfristiger zeitlicher Betrachtungsrahmen) und dass die Ansprüche vielfältiger Stakeholder betrachtet werden. Um dem geänderten unternehmerischen Umfeld im Hinblick auf Nachhaltigkeit gerecht zu werden, kann das Nachhaltigkeitsmarketing das klassische Marketing weiterentwickeln und neu definieren. Dabei differenziert das Nachhaltigkeitsmarketing zwei zentrale Fragen des konventionellen Marketings. (a) Auf der Produktseite fokussiert das klassische Marketing auf das Leistungsversprechen und den direkten Nutzen eines Produkts für den Kunden. Das Nachhaltigkeitsmarketing nimmt hier zusätzlich in den Blick, welche direkten und indirekten Nachhaltigkeitseigenschaften eines Produkts relevant und gestaltbar sind. (b) Wo das Marketing auf der Kundenseite die Bedürfnisse der Konsumenten betrachtet, hinterfragt nun das Nachhaltigkeitsmarketing, inwiefern nachhaltigkeitsrelevante Eigenschaften für Konsumenten-Bedürfnisse wichtig sind oder relevant gemacht werden können. Zudem orientiert sich das Nachhaltigkeitsmarketing an einem erweiterten Betrachtungsrahmen. Durch die angesetzte Nachhaltigkeitsbrille bezieht sich Marketing nicht nur auf eine enge Perspektive (Distribution und Nutzung des Produktes), sondern betrachtet den gesamten Wertschöpfungsprozess (von der Rohstoffgewinnung bis zum Ende des Lebenszyklus des Produkts) (Belz & Peattie, 2009). Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen der Betrachtung des Lebenzyklus und den Informationsasymmetrien. Gerade weil nun nicht nur auf die Qualität und den Preis des Produkts in seiner physischen Form geachtet wird, sondern auch auf die Auswirkungen in den vorherigen Wertschöpfungsstufen (z.B. Kinderarbeit und Raubbau natürlicher Ressourcen), die nicht am fertigen Produkt erkennbar sind, führt eine Lebenszyklusbetrachtung zu Informationsasymmetrien. Eine zentrale Zielsetzung des Nachhaltigkeitsmarketings ist folglich der glaubhafte Abbau von ebendiesen Informationsasymmetrien und der gezielte Aufbau von Vertrauensbeziehungen mit den (potenziellen) Kunden. Wenn das Nachhaltigkeitsversprechen, sprich die nachhaltigkeitsrelevanten Produkteigenschaften, nicht glaubhaft gemacht werden kann, kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Kaufbeziehung zwischen den Tauschpartnern zustande. Das Nachhaltigkeitsmarketing kann deshalb durch die Verwendung von anerkannten Siegeln/ Nachhaltigkeitsstandards helfen, Informationsasymmetrien abzubauen und die Glaubwürdigkeit der angebotenen Güter erhöhen. <?page no="588"?> 588 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft 18.6.7 Strategien und Instrumente des Nachhaltigkeitsmarketings Um die Frage zu beantworten, was die konkreten Nachhaltigkeitseigenschaften eines Produkts sind, ist zunächst eine strukturierte Erfassung der Eigenschaften entlang des Produktlebenszyklus notwendig. Im Hinblick auf ökologische Aspekte kann hierfür bspw. eine Ökobilanzierung durchgeführt werden. Eine Ökobilanzierung (oder auch Life-Cycle-Assessment, LCA) dient zur systematischen Erfassung von relevanten ökologischen Themen entlang des Lebenszyklus. Hier kommt Standards und Normen eine zentrale Rolle zu, da bspw. die ISO Norm 14040 für die strukturierte und standardisierte Durchführung einer Bilanzierung herangezogen werden kann. Sobald die nachhaltigkeitsrelevanten Aspekte eines Produkts erfasst sind, stellt sich die nächste Frage: Wie sollen die identifizierten Nachhaltigkeitseigenschaften kommuniziert werden? Hierfür bieten sich im Zuge des Nachhaltigkeitsmarketings vier Strategien zur Positionierung nachhaltiger Produkteigenschaften am Markt an (Meffert & Kirchgeorg, 1998): ! Im Fokus bzw. dominante Positionierung: Nachhaltigkeitseigenschaften bilden das primäre Attribut der Produktpositionierung und -Kommunikation. Aspekte von Preis und Qualität sind zweitranging zu betrachten. Hierbei nehmen Kunden auch einen Abschlag bei Qualität (z.B. geringeres Sortiment, verringerte Produktleistung etc.) in Kauf. Gleichzeitig kann eine höhere Bereitschaft für einen Preisaufschlag bestehen. ! Gleichberechtigtes Attribut: Nachhaltigkeitseigenschaften stellen ein Attribut von mehreren dar. Dabei fungieren Nachhaltigkeitseigenschaften (soziale, ökonomische und ökologische Komponenten) als eigenständige Dimension, die dabei von Preis und Qualität abgegrenzt ist. ! Ins Leistungsversprechen integriert: Nachhaltigkeit wird nicht als eigenständiges, von der Produktleistung zu unterscheidendes Kriterium positioniert, sondern als Merkmal von Qualität kommuniziert. Damit gehen Nachhaltigkeitseigenschaften nicht zu Lasten der Qualität, sondern sind das Element eines Premium-Versprechens. Erst durch die vorhandenen Nachhaltigkeitseigenschaften erfüllt das Produkt sein besonderes Leistungsversprechen. Ziel ist die Aktivierung einer höheren Zahlungsbereitschaft der Kunden für die gesteigerte Qualität. ! Keine Erwähnung von Nachhaltigkeitsattributen: Nachhaltigkeit wird bewusst in der Positionierung und Kommunikation nicht thematisiert. Dies kann relevant sein, wenn Nachhaltigkeitseigenschaften von den Kunden als (vermeintliche) Verschlechterung der Qualität angesehen werden. Diese Strategie kann ebenfalls Anwendung finden, wenn nur wenige Vorteile bei der Zielgruppe zu erwarten sind, das Unternehmen durch die Kommunikation jedoch gleichzeitig eine größere Angriffsfläche bietet (z.B. im Hinblick auf NGOs, Medien oder staatliche Akteure). Veränderung des Marketing-Mix: von den 4P’s zu den 4C’s Zusätzlich zu einer strategischen Positionierung der nachhaltigkeitsrelevanten Produkteigenschaften ist ein neuer Perspektivansatz für die Ausgestaltung des Marketings erforderlich. Als neues Instrument des Nachhaltigkeitsmarketings kann an dieser Stelle beispielhaft der Ansatz des Marketing- Mix der 4C betrachtet werden. Das Konzept der so genannten 4C’s bietet dabei eine Weiterentwicklung des klassischen Marketing-Mix, basierend auf den 4P’s (Belz & Peattie, 2009; Lauterborn, 1990). Der Ansatz der 4C’s ist besonders geeignet, um den neuen Rahmenbedingungen zu begegnen, in denen die Marketingfunktion agiert (neue gesellschaftliche Herausforderungen, neue Anspruchsgruppen und Themen sowie ein neues Verständnis der unternehmerischen Wertschöpfung). Die Weiterentwicklung der 4P’s zu den 4C’s zeigt dabei exemplarisch auf, wie Nachhaltigkeitsthemen eine neue Betrachtung klassischer Marketingannahmen erfordern und ermöglichen. Das Konzept der 4C’s (Customer solution, Customer cost, Convenience, Communication) ermöglicht im Vergleich zu den 4P’s (Product, Price, Place, Promotion) einen neuen/ erweiterten Betrachtungsrahmen und ermöglicht einen Perspektivwechsel vom Produkt (ausgehend vom Unternehmen) zum Nutzen (ausgehend vom Kunden). Insgesamt ermöglichen die 4C’s damit einen besseren Wir- <?page no="589"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 589 Neue Betriebswirtschaft kungshebel für das Nachhaltigkeitsmarketing. Im Folgenden betrachten wir die verschiedenen Herangehensweisen der beiden Marketingansätze im Detail: ! Vom Produkt ( ppr rood du uc ctt) zum Mehrwert für den Kunden (cco os sttuumme er r ssool luuttiioon n/ / c co os sttuum me err v vaa lluuee ): Im Gegensatz zu den 4P’s stehen bei den 4C’s nicht primär die Produkteigenschaften im Fokus, sondern die Erfüllung der Kundenbedürfnisse. Was will der Kunde erreichen? Welcher Nutzen entsteht für den Kunden? Dabei wird verstärkt die Perspektive der Kunden-Bedürfnisse eingenommen. Das gleiche Bedürfnis kann dabei nun durch verschiedene Wege befriedigt werden. S o kan n das Be dü rfnis n ac h Mobilit ät ent we der klassisc h durc h den Ka uf e ines PK Ws befriedigt werden. Alternativ eignen sich jedoch auch neue Konzepte wie Car-Sharing oder eine intelligente Verknüpfung von öffentlichen Verkehrsmitteln und individueller Mobilität. Zudem möchte der Kunde in dieser Betrachtungsweise nicht primär ein Produkt erwerben, sondern einen Nutzen erhalten, der verschiedene Ausprägungsdimensionen haben kann. Hier kann das Nachhaltigkeitsmarketing ansetzen und durch ökologische oder soziale Produktverbesserungen neuartigen Zusatznutzen für den Kunden generieren. ! Vom Preis ( ppr ri icce e) zu den tatsächlichen Kosten entlang des Lebenszyklus (ccuus stto omme err c co os stts s ): Traditionell fokussierte sich das Marketing auf den Verkaufspreis eines Produkts oder einer Dienstleistung. Durch die Brille der 4C’s rückt die Kundenorientierung in den Fokus und betrachtet die Frage, welche Kosten für die Kunden über den gesamten Lebenszyklus anfallen. Hierzu gehören auch die Beschaffungs-, Nutzungs- und Entsorgungskosten. Abermals folgt das Nachhaltigkeitsmanagement an dieser Stelle einer erweiterten Betrachtung der unternehmerischen Wertschöpfung entlang des gesamten Lebenszyklus des Produkts. Beispiel: Eine LED- Lampe ist in der Anschaffung deutlich teurer als eine herkömmliche Glühbirne. Aufgrund der höheren Energieeffizienz der LED-Lampe spart der Kunde im Gebrauch jedoch Geld im Vergleich zur Glühbirne. Diese Win-Win-Lösung ist aber nur umsetzbar, wenn der Kunde diese Vorteilhaftigkeit auch selbst versteht. Das Marketing hat deshalb die Aufgabe, die tatsächlichen Kosten(vorteile) erkennbar zu machen. ! Vom Ort der Produktbeschaffung ( ppl la a cce e) zum erleichterten Zugang zum Nutzen (cco on n- v ve enni ieennccee ): Im klassischen Marketing wird die Frage beantwortet, wie das zu verkaufende Gut zum Kunden kommt. Im Zuge der 4C’s wird die Frage aus Sicht des Kunden umformuliert und erweitert: Wie einfach kommt der Kunde an den Nutzen? Beim klassischen Verkauf eines Automobils stellt sich die Frage, wie und wo der potenzielle Kunde das Produkt erwerben kann. Im Nachhaltigkeitsmarketing könnte jedoch die Frage gestellt werden, wie einfach ein Kunde an den Nutzen der Mobilität kommt (in diesem Fall bspw. ein Car-Sharing-Service). Um den Zugang zum Nutzen zu vereinfachen, könnte etwa eine App für das Car-Sharing-Konzept verwendet werden, um die Convenience (Komfort) für den Kunden zu optimieren. ! Von der Bewerbung ( ppr room mo ot ti ioon n) des Produktes zur partizipativen Kommunikation mit den Kunden und Anspruchsgruppen (cco om mm mu un ni icca a t tiioon n): Während das klassische Marketing der Frage nachgeht, wie das Produkt bestmöglich beworben werden kann, hat das Nachhaltigkeitsmarketing zum Ziel, in eine intensive und längerfristige Kommunikation mit den (potenziellen) Kunden zu treten. Die zugrundeliegende Frage lautet dabei, wie Vertrauen und Verständnis für die Nachhaltigkeitseigenschaften und den Kundennutzen aufgebaut werden können. Damit wird eine Zwei-Wege-Kommunikation und ein Dialog mit den Kunden/ Anspruchsgruppen ermöglicht. An dieser Stelle weist das Nachhaltigkeitsmarketing große Schnittstellen zum Stakeholder-Management als strukturiertem Interaktionsmanagement auf. Zusammenfassend lässt sich für das Nachhaltigkeitsmarketing als exemplarische Funktion festhalten: Das Nachhaltigkeitsmarketing bringt nachhaltigkeitsbezogene Produktattribute mit den Bedürfnissen der Kunden möglichst über den gesamten Lebenszyklus zusammen. Dabei werden unterschiedliche Zielgruppen differenziert angesprochen, wobei verschiedene Positionierungsmöglichkeiten für die Nachhaltigkeitseigenschaften bestehen. Damit müssen Nachhaltigkeit und Marketing keinen inhärenten Widerspruch darstellen. Vielmehr steht das Nachhaltigkeitsmarketing im Ein- <?page no="590"?> 590 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Neue Betriebswirtschaft klang mit der (gesellschaftlichen) Wertschöpfung eines Unternehmens. Durch den Ansatz der 4C’s kann Marketing neu gedacht werden, nämlich konsequent von den multiplen Bedürfnissen der Kunden her. Zudem begegnet das Nachhaltigkeitsmarketing der Herausforderung von Informationsasymmetrien, die sonst das Zustandekommen von Kaufbeziehungen erschweren könnten. Dabei greift das neue Marketing auf etablierte Standards und Siegel sowie die Kooperation mit Dritten zurück, um Vertrauen langfristig zu sichern. 18.6.8 Lern- und Verständnisfragen ! Welche Relevanz haben Funktionen für das Unternehmen? Welche Bedeutung kommt ihnen im Kontext des Nachhaltigkeitsmanagements zu? ! Warum spielen Schnittstellen eine wichtige Rolle im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Unternehmen? ! Worin unterscheiden sich das operative und das strategische Nachhaltigkeitsmanagement? Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten? ! Recherchieren Sie zur ISO Norm 14040 (Life-Cycle-Assessment). Wie läuft die Lebenszyklusanalyse ab? Welche Aspekte werden an welchen Stellen des Lebenszyklus erfasst? Wo sehen Sie Schwierigkeiten bei der umfassenden Lebenszyklusanalyse? Denken Sie dabei bspw. an ein komplexes Produkt wie etwa ein Smartphone. ! Sie haben vier Strategien zur Positionierung von Nachhaltigkeits-Attributen kennengelernt. Versuchen Sie, zu jeder Positionierungsstrategie ein Beispielunternehmen zu finden (denken Sie hierbei insbesondere an alltägliche Konsumprodukte). ! Stehen Nachhaltigkeit und Marketing von Natur aus im Widerspruch zueinander? Diskutieren Sie! ! Welche Unterschiede kennzeichnen die Marketing-Ansätze der 4P’s und der 4C’s? Wo sehen Sie Schwierigkeiten in der Anwendung der 4C’s? Entwickeln Sie zu jedem Aspekt der 4C’s ein geeignetes Anwendungsbeispiel. ! Im Hinblick auf die weiteren Funktionen eines Unternehmens: Wie könnten sich neue gesellschaftliche Herausforderungen und die Einführung von Ansätzen des Nachhaltigkeitsmanagements auf das Lieferkettenmanagement sowie auf das Controlling und Berichtswesen auswirken? Recherchieren Sie hierzu. Fazit Die Neue Betriebswirtschaftslehre - so das Programm dieses Lehrbuchs - will nicht nur dazu beitragen, dass Unternehmen sowie ihre heutigen und zukünftigen EntscheidungsträgerInnen sich in einer beständig ändernden Welt zurechtfinden können. Sie will vielmehr auch dazu befähigen, eine sich ändernde Welt im positiven Sinne zu gestalten. Es geht um Orientierung und Gestaltung. Oder besser: um Orientierung zwecks Gestaltung. 479 Dem unternehmerischen Nachhaltigkeitsmanagement kommt dabei eine wichtige Rolle zu. In der vorliegenden Einführung in diese noch junge Teildisziplin der BWL haben wir aus der Perspektive der Nachhaltigkeit betrachtet, wie sich das Umfeld für unternehmerisches Handeln verändert (Orientierung). Und wir haben diskutiert, wie Unternehmen angesichts zahlreicher Nachhaltigkeitsherausforderungen eine konstruktive Rolle übernehmen und zur Entwicklung einer zukunftsfähigen Gesellschaft beitragen können (Gestaltung). 479 Siehe ganz ähnlich Homann und Suchanek (2000, S. 395). <?page no="591"?> 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement 591 Neue Betriebswirtschaft Neu orientieren müssen sich Unternehmen angesichts neuer Themen, Akteure und Erwartungen, an denen sie gemessen werden. Herausforderungen im Kontext der Nachhaltigkeit schließen gleichermaßen ökologische, soziale und ökonomische Aspekte in die Betrachtung ein und können sich auf den gesamten Lebenszyklus eines Produktes beziehen. Unternehmen können sich in einer globalisierten Welt nicht (mehr) darauf verlassen, dass sich staatliche Akteure hinreichend um derartige Herausforderungen kümmern. Gleichzeitig formulieren vielfältige Stakeholder z.T. neuartige Erwartungen an das unternehmerische Handeln. Unternehmen wird eine weitreichendere Verantwortung zugeschrieben als früher. Damit verbinden sich sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Zur Neu-Orientierung gehört vor diesem Hintergrund eine Aktualisierung des (Selbst-)Verständnisses der gesellschaftlichen Rolle des Unternehmens. Im Nachhaltigkeitsmanagement haben Unternehmen eine doppelte Zielfunktion. Durch Wertschöpfung können sie einen systematischen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten. Gleichzeitig gilt es, unternehmerische Schadschöpfung durch geeignete Ansätze zu minimieren. Mit kreativen Win-Win-Lösungen gelingt es, diese beiden Ziele des Nachhaltigkeitsmanagements simultan zu erreichen und damit wechselseitige Besserstellungen zwischen Unternehmen und ihren Tauschpartnern anzuleiten. Dieses neue Verständnis von Unternehmen hat weitreichende Implikationen für die Management-Gestaltung: für die Interaktion mit Stakeholdern, die freiwillige Selbstbindung an Normen und Standards sowie für die verschiedenen Funktionen des Unternehmens und das Management. An dieser Stelle wurde beispielhaft das Nachhaltigkeitsmarketing betrachtet, das durch geeignete Ansätze nachhaltigkeitsbezogene Attribute mit den Bedürfnissen der Kunden möglichst über den gesamten Lebenszyklus zusammenbringt. Unternehmen spielen letztlich eine zentrale Rolle, um nachhaltigere Entwicklungspfade einzuschlagen. Ansätze und Instrumente des Nachhaltigkeitsmanagements können dabei helfen, innerhalb und zwischen den unternehmerischen Funktionen relevante Fragen zu stellen und Lösungswege aufzuzeigen. Das Nachhaltigkeitsmanagement erfährt damit eine hohe Relevanz für alle Funktionen und Bereiche des Unternehmens. Dabei ersetzt das Nachhaltigkeitsmanagement keinesfalls das klassische Management, sondern bietet im Hinblick auf das geänderte Unternehmensumfeld eine Erweiterung des bestehenden Managementwissens. Der Beitrag versuchte zu zeigen: Aus gesellschaftlicher Sicht sind Unternehmen, ihr Gewinnstreben und ihr Management kein Selbstzweck, sondern rechtfertigen sich durch die konstruktiven Beiträge, die sie am Ende vom Tag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten. Gleiches gilt auch für die Betriebswirtschaftslehre: Sie ist aus gesellschaftlicher Sicht kein Selbstzweck, sondern muss sich daran messen lassen, zur Lösung echter Probleme beizutragen. Dieser Gedanke ist keineswegs neu. Aber die Neue Betriebswirtschaftslehre lädt dazu ein, gerade auch im Kontext der Nachhaltigkeit seine Reichweite immer neu zu aktualisieren. LLiitteerraattuurr Ackermann, F., & Eden, C. (2011). Strategic Management of Stakeholders: Theory and Practice. Long Range Planning, 44(3), 179-196. http: / / doi.org/ 10.1016/ j.lrp.2010.08.001 Asi. (2018). Aluminium Stewardship Initiative. Beckmann, M., & Schaltegger, S. (2014). Unternehmerische Nachhaltigkeit. In H. Heinrichs & G. Michelsen (Eds.), Nachhaltigkeitswissenschaften (pp. 321-367). Berlin Heidelberg: Springer Spektrum. Belz, F. M., & Peattie, K. (2009). Sustainability Marketing. A Global Perspective. Chichester: Wiley. Chesbrough, H., & Bogers, M. (2014). Explicating Open Innovation: Clarifying an Emerging Paradigm for Understanding Innovation Keywords. New Frontiers in Open Innovation, 1-37. http: / / doi.org/ 10.1093/ acprof <?page no="592"?> 592 Markus Beckmann und Jens Heidingsfelder Freeman, R. E. (1984). Strategic Management: A Stakeholder Approach. (Pitman, Ed.). Boston, MA. Freeman, R. E., Harrison, J. E., & Wicks, A. C. (2007). Managing for Stakeholders: Survival, Reputation, and Success. New Haven: Yale University Press. Hart, S. L. (2010). 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Oxford: Oxford University Press. <?page no="593"?> Neue Betriebswirtschaft 1 199 DDiiee nneeuuee NNa acchhhhaallttiiggkkeeiitt iimm UUnnt teerrnne ehhm meerrttuumm Matthias Hartmann, Leonhard Gebhardt Nachhaltiges Unternehmertum 19.1.1 Unternehmertum (Entrepreneurship) Wenn Menschen neue Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse schaffen, wird das als Unternehmertum verstanden (vgl. Hisrich et al. 2017, S. 6). Auch das Erschließen neuer Märkte gilt als Unternehmertum. Unternehmer gründen und managen ihre Organisation mit verschiedenen Zielen, z.B. wirtschaftlichen Profit oder dem Wachstum ihrer Organisation. Manche versuchen mit ihren Unternehmen die Lösung für Probleme wie z.B. Umweltverschmutzung oder Armut anzugehen. Alle Unternehmer zeichnen sich grundsätzlich durch innovatives Verhalten, strategische (Vgl. Carland et al. 1984, S. 358) und auch operative Management-Praktiken aus. Das Konzept Unternehmertum („Entrepreneurship“) kann sowohl in Start-ups als auch in etablierten Unternehmen angetroffen werden. Das Konzept geht in diesem Verständnis auf Joseph Schumpeter zurück. Seiner Theorie nach identifizieren Unternehmer („Entrepreneure“) die Möglichkeiten neuer Produktionskombinationen und setzen diese in die Praxis um. Dabei umfassen die Kategorien nach Schumpeter (1934, S. 66): ! die Einführung eines neuen Produktes/ Dienstleistung oder einer neuen Qualität; ! die Einführung einer neuen Produktionsweise; ! das Etablieren eines neuen Marktes; ! das Nutzen neuer Quellen von Produktionsmitteln; ! die Re-Organisation einer Industrie, einschließlich dem Schaffen oder Aufbrechen einer Monopolposition. Entrepreneure sind nicht zwangsläufig auch die Eigentümer von Unternehmen oder deren Geschäftsführer. Sie setzen sich oft auch als Mitarbeiter im Unternehmen für Produkt-, Dienstleistungs- und Prozessinnovationen ein. Denn Innovationen sind Lernprozesse, die in erster Linie auf individueller Ebene stattfinden. Hier wird nach der persönlichen Informationsgewinnung (Erfahrung, Recherche etc.) ein intellektueller Prozess angestoßen, der den Anlass zur Entwicklung neuer Produkte/ Dienstleistungen, Produktionsweisen bzw. der Erschließung neuer Märkte gibt. Dabei stehen Innovationen in engem Bezug zu technischer Entwicklung (Vgl. Pfeiffer 1980, S. 137). Gleichzeitig ist der Erfolg grundsätzlich abhängig vom wahrgenommenen Nutzen auf der Nachfrageseite (Vgl. Pfeiffer 1980, S. 422). Testfragen zum Abschnitt: ! Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Eigentümern, Geschäftsführern und Entrepreneuren fallen Ihnen ein? ! Wie entstehen Innovationen? Zeichnen Sie den Prozess auf ! <?page no="594"?> 594 Matthias Hartmann und Leonhard Gebhardt Neue Betriebswirtschaft 19.1.2 Nachhaltigkeit Entrepreneure treiben also die innovative Gestaltung der Unternehmensaktivitäten voran. Schließlich steht die langfristige Erhaltung des Unternehmens auf dem Spiel. Insofern lässt sich Nachhaltigkeit in der BWL der 50er und 60er (z.b. nach Hax 1957) sowie der neuen BWL wie folgt definieren: Nachhaltigkeit bedeutet Substanzerhaltung. Diese Definition richtet sich gegen ein Denken in Quartalen bzw. die ausschließliche Ausrichtung auf entsprechende kurzfristige Ziele. Denn langfristige Erfolge können nicht auf Kosten der Substanz eines Unternehmens oder seiner (gesellschaftlichen) Umwelt erzielt werden. Dabei wird der Begriff Nachhaltigkeit in drei Dimensionen erklärt: der ökonomischen, der ökologischen und der sozialen Nachhaltigkeit. Für die ökonomische Nachhaltigkeit wird der Begriff Substanzerhaltung bereits bei Hax (1957) eingeführt und verwendet. Er konzentriert sich bei der Verwendung des Begriffs auf Maßnahmen, die dem Ziel der Unternehmensrentabilität 480 entsprechen. Dieses ist ein Ziel unter vielen, wenn es um die Nachhaltigkeit eines Unternehmens geht. Schließlich lässt sich Rentabilität mit Pfeiffer als Formalziel beschreiben. Zu den Formalzielen gehören auch Ziele, die den Leistungserstellungsprozess mittels Wertkriterien darstellen. Dazu gehören u.a. „Kosten, Erlöse, Aufwand, Ertrag, Liquidität, Cash-Flow, Rentabilität“ (Pfeiffer 1999, S. 49). Nachhaltigkeit geht über die Leistungserstellung im Unternehmen hinaus, wenn gesellschafts- und unternehmensbezogene Ziele integriert werden (Balderjahn und Specht 2016, S. 62). Daher steht das Sachziel der ökologischen Nachhaltigkeit für den Erhalt der Ressourcen, die ein Unternehmen für den Leistungserstellungsprozess braucht. Diese Ressourcen werden von der Umwelt bereitgestellt und lassen sich auch als Ökosystem-Dienstleistungen wertmäßig beziffern. Auch die soziale Nachhaltigkeit ist für Unternehmen wichtig. Definierte Sachziele dieser Kategorie beziehen sich auf den Umgang mit internen und externen Interessensgruppen. Darunter fallen einerseits und im klassischen Sinne der BWL Mitarbeiter und Kunden eines Unternehmens. In der neuen BWL wird darüber hinaus auch an die Menschen gedacht, die den Erfolg eines Unternehmens mittelbar möglich machen: Dazu gehören Entscheidungsträger in der Politik und in den Medien, aber auch NGOs und Aktivisten. Soziale Unternehmer bieten u.a. in Entwicklungsländern Produkte an, um Lösungen für gesellschaftliche Missstände wie Armut oder mangelnde Energieversorgung anzubieten. Nachhaltigkeit zielt in der neuen BWL also insgesamt auf die Integration ökonomischer und nichtökonomischer Ziele. Organisation sollen in Ziel und Form der Wertschöpfung ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig sein (Tilley und Young 2009, S. 88). Testfragen zum Abschnitt: ! Was unterscheidet ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit? ! In welcher Beziehung stehen Sach- und Formalziele zueinander? 480 „[D]ie verbrauchten Vorräte [müssen] laufend wiederbeschafft werden; die Anlagen sind in arbeitsfähigem Zustande zu erhalten und im Bedarfsfalle zu erneuern. Nur unter dieser Voraussetzung ist es möglich, die Rentabilität des investierten Geldkapitals auf die Dauer zu sichern.“ Hax 1957, S. 17 zu den Zielen der Substanzerhaltung. <?page no="595"?> 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum 595 Neue Betriebswirtschaft 19.1.3 Nachhaltiges Unternehmertum In der neuen BWL wird nachhaltiges Unternehmertum ganzheitlich gedacht: Die neue unternehmerische Nachhaltigkeit umfasst nicht nur die ökologische Dimension (Recycling, etc.), sondern auch explizit die ökonomische und soziale Dimension. Nachhaltiges Unternehmertum bedeutet die Substanzerhaltung des Betriebes (Erhaltung des Betriebs und seiner Produktionskraft, Erhaltung der ökologischen Ressourcen, die Aufrechterhaltung sozialer Werte). Im Unternehmenskontext stellt Nachhaltigkeit die Substanzerhaltung des Unternehmens in den Mittelpunkt. Die unternehmerische Substanzerhaltung erfolgt entsprechend einer langfristigen Zielsetzung. Unternehmensziele werden dafür in Sach- und Formalziele differenziert und mittels einem systemtheoretischen Ansatz in Funktion, Struktur, Prozesse und Lenkung der Organisation übertragen. So können die Ziele auf das ganze Unternehmen übertragen werden. Sachziele werden von der sogenannten Leistungserstellung des Unternehmens (dem Geschäftsmodell, siehe dazu auch Hartmann et al. 2018) abgeleitet. Formalziele stehen in engem und abhängigem Verhältnis zu den Sachzielen (als „Richtungsgeber des unternehmerischen Handelns“; Pfeiffer 1999, S. 49). Die Leistungserstellung eines Unternehmens umfasst, „welche Produkte und/ oder Dienstleistungen für welchen Bedarf (Menge/ Zeit), in welcher Güte und Art (Qualität) unter welchen Bedingungen (Prozesse und Prozessträger, Ressourceneinsatz und Kombination) produziert und angeboten werden.“ (Pfeiffer 1999, S. 48) Die Ökonomische Nachhaltigkeit lässt sich nach Formal- und Sachzielen gliedern [1] Formalziele (auf Wertebene) können u.a. sein: 481 ! Erlöse 482 , Rentabilität und Produktivität 483 steigern; ! Kosten 484 reduzieren; ! Liquidität, d.h. das Unternehmen kann finanziellen Verpflichtungen nachkommen. [2] Zu den Sachzielen (auf Sachebene) gehören u.a. (nach Pfeiffer 1999, S. 49 und Thommen et al. 2017, 44ff.): ! Output: Leistungsumfang, Qualität und Kundenzufriedenheit; ! Organisation: Ziele zu Durchlaufzeit, Kapazitätsauslastung, der Zahl von Aktivitäten; ! Personal: Ziele der Führungsfunktionen wie Planung, Entscheidung und Kontrolle; ! Sachmittel und Technologien: z.B. den Innovationsgrad von Produkten erhöhen; ! Input: Kapitalversorgung, optimale Kapitalu. Vermögensstruktur, Risikoberücksichtigung. Grundlegend für die Ökologische Nachhaltigkeit sind häufig Sachziele (Beispiele): ! Output: Umweltverträglichkeit der angebotenen Produkte; ! Organisation: effizienter Ressourceneinsatz und -verbrauch; 481 Pfeiffer 1999, S. 48 und Thommen et al. 2017, 46ff. 482 Als Wert der im Unternehmen erbrachten Leistungen. 483 Das mengenmäßige Verhältnis von Input zu Output. 484 „Verzehr von Produktionsfaktoren, der durch die betriebliche Leistungserstellung (und -verwertung) verursacht wird.“ Wöhe et al. 2016, S. 290. <?page no="596"?> 596 Matthias Hartmann und Leonhard Gebhardt Neue Betriebswirtschaft ! Personal: Wissen zum verantwortlichen Umgang mit Ressourcen und Abfällen im Unternehmen (z.B. Mülltrennung) im Unternehmen fördern; ! Sachmittel und Technologien: Einsatz von Filtern und (Lärm-)Schutzvorrichtungen für die Vermeidung oder Kompensation von Schäden für die Umwelt; ! Input: auf geringen ökologischen Fußabdruck achten. Auch die Soziale Nachhaltigkeit kann mit Sachzielen abgebildet werden (bezogen auf Mitarbeiterund/ oder Gesellschaft, Beispiele): ! Output: Angebot von Produkten für einkommensschwache Zielgruppen; ! Organisation: Beachtung von Arbeitsschutz und -rechten im Unternehmen; ! Personal: Diversität in der Personalstruktur; ! Sachmittel und Technologien: hohe Ergonomie von Sachmitteln im Einsatz und diskriminierende Software vermeiden; ! Input: Achtung von Menschenrechten in der Lieferkette. Die Bestimmung und Orientierung an Sach- und Formalzielen ist grundlegend für den Bestand und damit die Nachhaltigkeit eines Unternehmens. Lernziele des Beitrags [1] Begrifflichkeiten: Aufbau eines Grundverständnisses für Nachhaltigkeit als Substanzerhaltung in ökonomischer, ökologischer und sozialer Dimension. [2] Funktion: Kenntnis und Verständnis über Zwecke von Nachhaltigkeit. [3] Struktur: Kenntnis und Verständnis zur Bedeutung von Nachhaltigkeit im Unternehmen (Output, Organisation, Personal, Sachmittel/ Technologien und Input). [4] Prozesse: Kenntnis und Verständnis zur unternehmerischen Praxis von Nachhaltigkeit als Vermeiden und Vermindern (ökonomische Nachhaltigkeit), Verwenden und Verwerten (ökologische Nachhaltigkeit) sowie Absichern und Evaluieren (soziale Nachhaltigkeit). [5] Lenkung: Kenntnis und Verständnis über Steuerungs- und Regelungsmöglichkeiten zur Sicherstellung von Nachhaltigkeit im Unternehmen. Funktion nachhaltigen Unternehmertums Durch die Orientierung an den oben genannten Sach- und Formalzielen soll der Bestand einer Organisation (in Funktion, Struktur, Prozess und Lenkung) langfristig gewährleistet werden. Wie gezeigt wurde, müssen für diese Substanzerhaltung eines Unternehmens sowohl Formalals auch Sachziele definiert werden. Für die Erarbeitung dieser Ziele werden unterschiedliche Aspekte in Betracht gezogen. Auf jeden Fall werden Output und Input eines Unternehmens zusammenhängend betrachtet. Diese Herangehensweise erfordert interdisziplinäre Kompetenzen: Input- und Output-Faktoren - wie Materie, Energie, Information (Hartmann 2018) - können nach den quantitativen (Kosten) und qualitativen Kriterien (z.B. Innovationsgrad, ökologische und soziale Verträglichkeit) bewertet werden. Dafür werden die Wechselwirkungen zwischen Sach- und Wertebene integriert und im Wertschöpfungsnetzwerk unter Einbeziehung von Lieferanten und Kunden betrachtet (siehe dazu Abbildung 19-1). <?page no="597"?> 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum 597 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 19-1: Wechselwirkungen zwischen Sach- und Wertebene, nach Pfeiffer et al. 1999, S. 48. In diesem Zusammenhang lassen sich die betrachteten Zielbereiche in Effektivität und Effizienz unterscheiden (Balderjahn und Specht 2016, S. 63). Die Sachziel-Erfüllung wird hinsichtlich ihrer Effektivität beurteilt. Sie orientiert sich daran, in welchem Ausmaß die geplanten Ziele tatsächlich erreicht worden sind. 485 Allerdings erschließt sich der Begriff im Gebrauch oft erst in der Gesamtbetrachtung des Wertschöpfungsnetzwerks. Das heißt z.B., ob die Kundenwünsche nach „fairen“ Ressourcen im Wareneingang berücksichtigt wurden (siehe Abschnitt 19.3.5). Neben der Auswirkung auf die Produktionsbedingungen können damit auch Absatzsteigerungen verbunden sein. Unter Effizienz versteht man nach Thommen et al. (2017, S. 46) „die Beurteilung der Beziehung zwischen der erbrachten Leistung und dem Ressourceneinsatz“. Effizienz zielt also auf einen Vergleich ab: Wie viele Ressourcen waren nötig, um ein Ziel zu erreichen? Eventuell könnte das Ziel (Output) auch mit einem geringeren Aufgebot an Input erreicht werden. Das Verhältnis effektiv/ effizient ist dann wichtig, wenn es darum geht, zu entscheiden wer - Staat oder private Unternehmen? - eine Dienstleistung für die nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft erbringt. Es kommt häufig vor, dass privatrechtlich organisierte Unternehmen die gleiche Sache (z.B. Dienstleistungen wie Personenbeförderung) günstiger als eine Anstalt des öffentlichen Rechts anbieten können. 486 Zum Thema der Effektivität und Effizienz werden im Abschnitt Lenkung verschiedene Management-Instrumente vorgestellt. In diesem Kapitel werden Formal- und Sachziele genauer auf ihre jeweilige Funktion hin untersucht. Schließlich kann der Aushandlungsprozess zwischen Sachzielen (z.B. ökologischer Art, wie Rohstoffschonung, Lärmvermeidung und niedrige Emissionen) und Formalzielen (z.B. Rentabilität, Wettbewerbsfähigkeit, Planungssicherheit) verschiedene Konflikte (Vgl. Schierenbeck und Wöhle 2016, S. 86) verursachen. Nachhaltiges Unternehmertum erfordert einen ernstgenommenen und bewussten Aushandlungsprozess zwischen allen (Sach- und Formal-)Zielen und die Formulierung einer klaren Strategie. Dafür kann die folgende Differenzierung Orientierung bieten. Testfrage zum Abschnitt: ! Von was würden Sie die Effektivität und Effizienz einer Dienstreise ableiten? 485 Thommen et al. 2017, S. 46. Die Autoren schreiben zu den beiden Begriffen weiter: Effizienz steht der Effektivität gegenüber. 486 Siehe dazu auch die Diskussion zum Gewährleistungsstaat bei Schuppert 2005. Lieferant(en) Unternehmen Kunde(n) Input Personal Sachmittel Organisation Output Wertebene Sachebene Kosten Erlöse Liquidität Rentabilität <?page no="598"?> 598 Matthias Hartmann und Leonhard Gebhardt Neue Betriebswirtschaft 19.2.1 Ökonomische Nachhaltigkeit Nach Hax (1957, S. 7) ist die „Erhaltung des Betriebes und seiner Produktionskraft […] eine Aufgabe der Unternehmensführung und ihrer Unternehmungspolitik“. Er unterscheidet die Funktion der Betriebserhaltung in Kapital- und die Substanzerhaltung. Funktion der Betriebserhaltung Betriebserhaltung Kapitalerhaltung Substanzerhaltung Die Kapitalerhaltung bezieht sich auf die Erhaltung des geldziffernmäßig bestimmten Ursprungkapitals Die Substanzerhaltung bezieht sich auf die Erhaltung der ursprünglichen, mengenmäßigen bestimmten Produktionskapazität Von entscheidender Bedeutung ist nicht nur die Frage, ob der erzielte Erlös ausreicht, alle verbrauchten Produktivfaktoren wieder zu ersetzen (Wirtschaftlichkeit). Es geht dabei auch darum, ob es möglich ist, die Produktion wie bislang fortzuführen (Produktivität/ Substanzerhaltung, vgl. Hax (1957, S. 7)). Produktivität, Wirtschaftlichkeit und Rentabilität ergeben sich aus Verhältnissen verschiedener Faktoren zueinander (Thommen et al. 2017, 46f.): Produktivität = Arbeitsergebnis Produktionsfaktoren Als Produktionsfaktoren sind u.a. Land, Kapital und Arbeitskraft (Fueglistaller et al. 2016, S. 5) zu verstehen. Wirtschaftlichkeit = Ertrag Aufwand Das Ziel Wirtschaftlichkeit aus Nachhaltigkeitsperspektive schließt auch die nominelle und reale Kapitalerhaltung ein. Werden dabei eventuelle Kaufkraftänderungen des ursprünglichen Kapitals nicht berücksichtigt, wird von einer nominellen Kapitalerhaltung gesprochen. Werden Einheiten gleicher Kaufkraft zugrunde gelegt, bezieht man sich auf die reale Kapitalerhaltung. Rentabilität = Gewinn Eingesetztes Kapital Die Einführung der Rentabilität in der Substanzerhaltungs-Frage beinhaltet auch die Frage danach, welche Beträge „abzuzweigen“ sind, um das „Minimalziel der Betriebserhaltung sicherzustellen“ (Hax 1957, S. 8). Es ist darauf zu achten, dass der Gewinn, der einem Unternehmen entzogen wird, nicht die Erhaltung der Produktionskapazität und der Ertragskraft gefährdet. Daher müssen alle verbrauchten Produktivgüter (Verbrauchs- und Gebrauchsgüter) wiederbeschafft werden. 487 Es gibt wiederum zwei Arten dieser Substanzerhaltung (Hax 1957, S. 18). Zum einen gibt es die Erhaltung, die den Verbrauch von Produktivgütern durch den Erwerb neuer, gleicher Produktivgüter ausgleicht. Das ist die sogenannte reproduktive Substanzerhaltung. Allerdings tritt hier das Problem auf, dass diese Art der Substanzerhaltung mit der Zeit nicht mehr den Marktanforderungen entspricht. Denn solche Anforderungen sind dynamisch und verändern sich mit der Zeit. Daher wurde mit der Berücksichtigung der technischen Entwicklung und Veränderungen am Absatzmarkt auch die qualifizierte Substanzerhaltung eingeführt (Hartmann 1997, 27f.). Diese Art der Substanzerhaltung führt uns zu den Sachzielen, die auch Aspekte der Innovation behandeln und das Unternehmens- 487 Zu den Verbrauchsgütern gehören Leim, Schmieröl und Schrauben. Gebrauchsgüter umfassen Maschinen, Betriebs- und Geschäftsausstattung, Fahrzeuge. Vgl. Pollert et al. 2016. <?page no="599"?> 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum 599 Neue Betriebswirtschaft streben in qualitativer Weise (die richtigen Dinge machen) behandeln. Dabei wird, wie der folgende Abschnitt zeigt, die Unternehmensebene verlassen und der Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen und Trends gewagt. Hier spielt auch die technologische Substanz eine wichtige Rolle (Hartmann 1997, S. 56). Unternehmen geraten oft in eine Zeitfalle, wenn ihr Geschäftsmodell 488 auf Technologien basiert: mit Regelmäßigkeit werden diese von besseren Technologien abgelöst. Ein geläufiges Beispiel liefert Kodak. Das Unternehmen war als einer der wichtigsten Hersteller für Fotografie-Ausrüstung, besonders Filme für analoge Kameras, bekannt. Es musste 2011 Insolvenz anmelden und verkaufte 2012 die Sp ar te der F il mp r od uktion - d as e he ma li ge K er ng es ch äf t. Diese Ar t vo n Ent wic klun ge n lassen sich idealtypisch mit S-Kurven verschiedener Technologien darstellen, wie Abbildung 19-2 zeigt. Die S-Kurven stellen den Zusammenhang zwischen Aufwand und Verbesserung eines Produktes dar (Foster 1986, S. 27, zitiert nach (Hartmann 1997, S. 57)). Deutlich werden die anfänglichen Kosten vo rt ei le d er e inen Te ch nologie ge ge nü ber der Fo lg ete ch nologie , die aber bald über troffe n we rden. Unternehmen sind im Sinne der technologischen Nachhaltigkeit dazu gezwungen, Folgetechnologien zu identifizieren und eigene Technologien fortzuentwickeln oder ggf. in neue zu investieren. Testfragen zum Abschnitt: ! Wie wird aus der reproduktiven eine qualifizierte Substanzerhaltung? ! Welche Beispiele für Technologien fallen Ihnen ein, deren Leistungsfähigkeit als Aufwand/ Verbesserung mittels zweier S-Kurven dargestellt werden kann? 19.2.2 Ökologische Nachhaltigkeit Das Sachziel der ökologischen Nachhaltigkeit kann den Transformationsprozess im Unternehmen, aber auch das Geschäftsmodell des Unternehmens (z.B. erneuerbare Energien) betreffen. Auch bei der Einführung nachhaltiger Technologien spielen S-Kurven eine Rolle: Noch immer tun sich deutsche Automarken schwer, im ökologischen Sinne nachhaltigere Antriebstechnologien einzuführen (Hartmann und Halecker 2015, 172f.). 488 Zu weiteren Ausführungen in Geschäftsmodellen siehe in diesem Band: Hartmann et al. 2018. Leistungsfähigkeit Zeit/ Aufwand Abbildung 19-2: Leistungsfähigkeit von Technologien, dargestellt mit zwei S-Kurven. Nach Hartmann (2013, S. 261). <?page no="600"?> 600 Matthias Hartmann und Leonhard Gebhardt Neue Betriebswirtschaft Im Unternehmen selbst sind die Prozess-Prinzipien von Vermeiden und Gestalten für den Umgang mit Ressourcen ausschlaggebend. Mithilfe der Tabelle 19-1 lassen sich Potenziale zur Rationalisierung im Unternehmen erschließen: 489 Weiter Wieder Verwenden Welcher Input/ Output lässt sich weiterverwenden? Beispiel: Intakte Dachziegel ausbauen und als Begrenzung für Garten nutzen Welcher Input/ Output lässt sich wiederverwenden? Beispiel: Intakte Dachziegel ausbauen und erneut verbauen Verwerten Welcher Input/ Output lässt sich weiterverwerten? Beispiel: Weiterverwertung von Ziegelsplitt zu Pflanzsubstrat Welcher Input/ Output kann wiederverwertet werden? Beispiel: Wiederholter Einsatz nach Verarbeitung von Altpapier Tabelle 19-1: Weiter- und Wiederverwertung von Rohstoffen im Betriebsablauf. Ausgehend von den Systemfunktionen eines Unternehmens (Vgl. Ropohl 2009, S. 131, zitiert nach Hartmann 2018) lässt sich ein Unternehmen wirkungsvoll zur ökologischen Nachhaltigkeit untersuchen. Sowohl Output als auch Input lassen sich in Materie, Energie und Information sowie die jeweilige Funktion in Wandlung, Transport und Speicherung differenzieren. Nachhaltiges Unternehmertum sollte dafür Sorge tragen, dass das funktional betrachtete Geschäftsmodell 490 (a) umweltschonend, (b) umweltneutral oder sogar (c) umweltfördernd ist. Letzteres wird auch als Business Sustainability 3.0 („Creating Value for the Common Good“, Dyllick und Muff 2016, S. 168) verstanden. Dementsprechend verändert sich der Blick eines Unternehmens mit zunehmender Nachhaltigkeitsorientierung. Je mehr ein Unternehmen nachhaltig orientiert ist, desto eher begreift es das Engagement als positiven Beitrag. Dann geht es eher darum Probleme der Klimaveränderung anzugehen, als („nur“) einen verursachten Schaden zu begrenzen. So kann sich aus einer defensiven Vermeidungsstrategie (z.B. durch weniger Input) eine offensivere Form des Umgangs im Unternehmen durch (Weiter- und Wieder-)Verwenden und Verwerten von Rohstoffen entwickelt werden. So können Müll und Abfälle zum Ausgangspunkt für eine Wertschöpfung einer Kreislaufwirtschaft („Circular Economy“) werden, bei der Ressourcen nicht nur schonend verbraucht, sondern ihre weitere Verwendung gleich mitgedacht wird. Ökologische Perspektive auf Geschäftsmodelle ! Materie-Wandlung: Kann die Verfahrens- und Fertigungstechnik auf Verschwendung und damit Abfall verzichten (Rationalisierung)? Beispiel 3D-Druck: weniger Lagerhaltung, Verpackungen und Transport? ! Materie-Transport: Wie wird die Materie transportiert? Beispiel Deutsche Post: Streetscooter 489 Nach VDI-Richtlinie 2243 und dem Webauftritt von WECOBIS, dem ökologischen Bauinformationssystem. Zu finden unter: http: / / www.wecobis.de/ service/ lexikon/ recycling-lex.html, Aufruf am 16.02.2017. 490 Vgl. Hartmann et al. 2018, als Beitrag zum neuen Modell der Geschäftsmodelle im vorliegenden Buch zu finden. <?page no="601"?> 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum 601 Neue Betriebswirtschaft ! Materie-Speicherung: Wie werden Stoffe gelagert und Lagergebäude isoliert? Thema Altlasten / Bodenkontamination (s. Bundes-Bodenschutzgesetz) ! Energie-Wandlung: Können bestimmte Wandlungstechniken ersetzt oder ergänzt werden? Beispiel Kohlekraftwerk: Dort ist der Wirkungsgrad (die Energie, die letztlich in elektrische Energie umgewandelt wird) bei knapp der Hälfte. Der Wirkungsgrad ist auch für die Technologie-Entscheidung von Motoren relevant. ! Energie-Transport: Beispiel Stromtrassen: Werden durch diese eventuell Ökosysteme gefährdet? ! Energie-Speicherung: Kann das Potenzial von gespeicherter Energie genutzt werden oder bleibt es unberücksichtigt? Beispiel EnergyNest: das Start-up entwickelt Beton, der den überschüssig produzierten Strom von erneuerbaren Quellen speichern kann. ! Information-Wandlung: Welche Techniken werden bei Informationsverarbeitung eingesetzt? Beispiel BitCoin: Die Krypto-Währung verursacht hohen Stromverbrauch. ! Information-Transport: Beispiel: Können anstelle des klassischen Briefverkehrs funktional-äquivalente Informationskanäle verwendet werden, z.B. E-Mail etc.? ! Information-Speicherung: Wo und wie werden Daten gespeichert? Beispiel Island: alle Rechenzentren nutzen zu 100% erneuerbaren Energien. Testfrage zum Abschnitt: ! Wenn Business Sustainability 3.0 umweltfördernd ist, wie würden Sie Business Sustainability 1.0 und 2.0 definieren? 19.2.3 Soziale Nachhaltigkeit Nachhaltiges Unternehmertum bedeutet auch die Aufrechterhaltung sozialer Werte. Diese Werte sind zumeist individueller Natur, sie müssen es aber nicht sein. Sie liegen begründet in der Ethik und wirken sich so auf das Handeln des einzelnen Unternehmers aus. Manche Unternehmer verzichten sogar zugunsten der Unternehmenssachziele auf Gewinne. So gibt es Unternehmen die in der Form einer GmbH oder AG organisiert werden, aber als gemeinnützig anerkannt sind. Diese Anerkennung erfolgt durch das Finanzamt und hat verschiedene, spezielle Sachziele zur Grundlage. Welche Sachziele eine Steuerbefreiung oder Minderung für ein Abbildung 19-3: Fahrzeuge der deutschen Post (Streetscooter) mit Elektro-Antrieb. <?page no="602"?> 602 Matthias Hartmann und Leonhard Gebhardt Neue Betriebswirtschaft Unternehmen rechtfertigen, regelt die Abgabenordnung. 491 Jedoch ist das Befolgen dieser Regelungen mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden und manche Unternehmen, die soziale Ziele verfolgen und Gewinnabsichten haben, vermeiden die Anerkennung durch das Finanzamt als gemeinnützig zugunsten einer höheren Flexibilität. Die Kategorisierung Forprofit/ Nonprofit kann aber auch noch aus einem anderen Grund nicht als trennscharfes Kriterium für nachhaltiges Unternehmertum herhalten - viele Nonprofit-Unternehmen streben nicht an, für immer zu bestehen. Manche dieser Unternehmen versuchen sogar, sich selbst überflüssig zu machen: Ihr Geschäftsmodell besteht darin, gesellschaftliche Missstände zu beheben. Nach unserer Definition widmet sich die soziale Nachhaltigkeit aber grundlegend allen Gruppen, die vom Unternehmenshandeln betroffen sein können. Diese werden Stakeholder genannt. Die Begriffskombination Social Entrepreneurship erlebte spätestens einen großen Aufmerksamkeitsschub, als Muhammad Yunus 2006 den Friedensnobelpreis gewann. Yunus hatte die Grameen Bank gegründet, welche Mikrokredite in Entwicklungsländern an Einzelpersonen verlieh. Durch die damit gewährleistete Geschäftstätigkeit, sollten die Kreditnehmer ohne große Hürden in die Lage kommen, selbst für Ihren Lebensunterhalt zu sorgen. In Selbstverpflichtungen erklärten sie zusätzlich, sich auf bestimmte gesundheits- und hygienefördernde Verhaltensweisen einzulassen (Yunus 2010, S. 45). Bei der Gründung der Grameen Bank stand zwar einerseits der soziale Zweck im Vordergrund. Andererseits sind Mikrokredite keine Geschenke. Die Kreditnehmer_innen zahlen Zinsen und die Mikrokredite auszahlenden Institutionen verdienen somit Erträge. Daher steht neben Sachziel, also Menschen mit Krediten aus der Armut zu helfen, das Formalziel: die Gewinnabsicht. Yunus handelte als Entrepreneur innovativ, indem er die Re-Organisation des Bankenwesens vorantrieb, welche aufgrund mangelnder Sicherheiten keine Kredite auszahlen würde. Anstelle dessen wurden lokale Gremien aus Kreditnehmer_innen eingerichtet, die sich gegenseitig in Kreditverwendung und -rückzahlungen begutachteten (Volkmann et al. 2012, S. 5). Tatsächlich konnte so eine sehr hohe Rückzahlungsquote erreicht werden. Soziale Unternehmer lassen sich nicht an der Rechtsform ihres Unternehmens erkennen (Schwarz 20 14 , S. 7 9). Es ist a lso n ic ht e nt sc he iden d, in we lc her R ec ht sfo rm d as U nt er n ehmen g efü hr t wird . Entscheidend für die Verwendung des Begriffs Social Entrepreneurship ist, ob der Unternehmer „an der Lösung eines gesellschaftlichen Problems arbeitet“ (Achleitner und Heister 2008, S. 151). Was gesellschaftliche Probleme sind, ist dabei als Sachziel in Abhängigkeit des Unternehmenskontextes bzw. seines situativen Umfeldes (Pott und Pott 2015, S. 12) und mit Blick auf Menschen im und um Unternehmen zu entscheiden. Beispiele ergeben sich im Hinblick auf Strategien zur Einstellung und Förderung von Auszubildenden, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Strategien zur Senkung von Krankheitsquoten sowie das Diversity-Management im Unternehmen. Testfragen zum Abschnitt: ! Ist Gemeinnützigkeit eine Voraussetzung für Social Entrepreneurship? ! Welche Vor- und Nachteile birgt Gemeinnützigkeit für soziale Unternehmer? ! Sind soziale Unternehmen zwangsläufig sozial nachhaltig? 491 Gemeinnützige Sachziele sind unter §52 der Abgabenordnung zu finden. Auch mildtätige Zwecke (selbstlose Unterstützung von Personen mit bestimmten Einschränkungen, geregelt nach §53 AO) rechtfertigen besondere Regelungen zur Steuererhebung. <?page no="603"?> 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum 603 Neue Betriebswirtschaft Struktur nachhaltigen Unternehmertums 19.3.1 Output Ökonomische Nachhaltigkeit Eine hohe wahrgenommene Qualität beim Kunden der eigenen Produkte ist mithin nur schwer als Sachziel abzubilden. Es kommt vor, dass Unternehmen ihre Produkte an der Kundenorientierung gewissermaßen vorbeientwickeln. Um den Wunsch der Abnehmer immer im Blick zu behalten, lohnt es sich, eine Kundenperspektive auf Basis einer bedarfsbasierten Funktionalmarktanalyse einzunehmen. Dabei werden von dem Bedarf in Kundenperspektive die neuen Potenziale der eigenen Produkte entwickelt. Andererseits können auch nach dem schon bestehenden Potenzial des Produktes weitere Bedarfe in einem potenziellen Gesamtmarkt offengelegt werden (Pfeiffer et al. 1997; Hartmann et al. 2018). Eine Möglichkeit die eigene Innovation auch aus Kundensicht grundlegend einzuschätzen und einzusortieren, bietet die Orientierung der Abbildung 19-4. Wie die Grafik zeigt, sind es die Produktinnovationen, die für Kunden den wesentlichen Unterschied erzielen. Diese können wiederum in inkrementell und radikal differenziert werden. 492 Bei radikalen Innovationen werden neue Märkte erschlossen oder neue Technologien eingeführt (Fueglistaller et al. 2016, S. 100). Ökologische Nachhaltigkeit In Abschnitt 19.2.2 wurde bereits auf die Unternehmensfunktion Bezug genommen, die sich aus dem Verhältnis Output (Materie, Energie, Information) eines Unternehmens zur Funktion (Wandlung, Transport, Speicherung) bestimmt. Während die Sicherstellung des Outputs erwünscht ist, die die Unternehmensfunktion sicherstellt (z.B. Materie-Transport im Fall einer Spedition), ist der Ausstoß von schädlichen Emissionen dabei nicht gewollt. 493 Horneber (1995) unterscheidet dafür den Begriff Rückstand in materiell und energetisch (siehe Tabelle 19-2). Diese sind in Abhängigkeit vom Output produkt-, prozess- oder nutzungsinduziert. 492 Zur Problematik von inkrementellen Innovationen, welche die Einführung nachhaltiger Technologien hemmt, siehe auch Hartmann und Halecker 2015, S. 168. 493 Organisationen wie atmosfair, myclimate Deutschland gGmbH und Climate Partner helfen dabei den eigenen CO2-Fußabdruck zu berechnen und kompensieren. Sie werden uneingeschränkt von der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. empfohlen. Siehe dazu: https: / / www.vzbv.de/ pressemitteilung/ marktcheck-flug gesellschaften-berechnen-bei-kompensation-zu-wenig-emissionen, Aufruf am 11.04.2018. Abbildung 19-4: Differenzieren des Kundennutzen nach Potenzial, nach Blaeser-Benfer 2014, S. 2. Prozess- oder Produktinnovation physisch immateriell FuE-basierte Dienstleistungs- Produktinnovation Innovation Prozessorganisatorische innovation Innovation <?page no="604"?> 604 Matthias Hartmann und Leonhard Gebhardt Neue Betriebswirtschaft Materiell Energetisch Fest Flüssig Gas Abfall Abwasser Abgas Abwärme Strahlung Licht Geräusche Erschütterung Emissionen Rückstand Tabelle 19-2: Rückstände in Abhängigkeit vom Output eines Unternehmens nach Horneber 1995, S. 43. Wie kann mit diesen nicht-erwünschten Wirkungen aus Perspektive der Nachhaltigkeit der Unternehmenstätigkeit umgegangen werden? ! Vermeidung: Es werden identifizierte Schäden und Risiken, die mit dem Output eines Unternehmens zusammenhängen, durch entsprechende Sachmittel und Technologien vermieden (siehe Abschnitt 19.3.4). ! Kompensation: Eine verbreitete Möglichkeit ist es, die entstehenden Schäden in der Umwelt im Preis zu berücksichtigen und dem Kunden in Rechnung zu stellen. Mit einer Gebühr können dann Maßnahmen durchgeführt werden, die den Schaden z.B. durch Aufforstung wieder ausgleichen. Auch das Unternehmen selbst kann diese Kosten tragen. Zu den vom Gesetzgeber zum Teil verlangten Maßnahmen gehören Lärmschutzreduzierung (in Abhängigkeit vom Standort, siehe Bundes-Immissionsschutzgesetz), z.B. im Baugewerbe. Soziale Nachhaltigkeit Hinsichtlich sozialer Aspekte gilt zunächst, dass über die Wirkung des Unternehmens für die Gesellschaft Klarheit hergestellt wird. ! Transparenz: die Stakeholder werden über die Wirkungen in der Umwelt informiert, eventuell werden Alternativen angeboten. Nach Chopra und Meindl (2014, 616f.) sollten alle Unternehmen in Corporate Social Responsibility Reports (siehe Abschnitt 19.5) über Energieverbrauch, Wasserverbrauch, Treibhausgasemissionen und Abfallaufkommen berichten. Testfragen zum Abschnitt: ! Wie kann der Output von Nachhaltigkeit nach ökonomischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten strukturiert werden? ! Wie würden Sie Kundennutzen und Rückstände aus nachhaltiger Perspektive differenzieren? 19.3.2 Organisation Die Organisation „Unternehmen“ ist mehr als die Summe seiner Teile. Eine übergeordnete Gestaltung der Organisation ist die Voraussetzung dafür, sich an vorhersehbare und unvorhersehbare Umweltbedingungen anpassen zu können. Die Umweltbedingungen können ökonomischer sowie ökologischer und gesellschaftlicher (nichtökonomischer) Art sein (Strubl 1993, S. 32-34). Um einen sogenannten „Fit“ von Umweltbedingung(en) und Organisation gewährleisten zu können, muss die ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit für die Organisation integriert betrachtet <?page no="605"?> 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum 605 Neue Betriebswirtschaft werden. Sie werden auf Strukturen, Prozesse sowie interne und externe Kommunikation des Unternehmens übertragen. Die Einführung von nachhaltigen Aspekten in den Unternehmensalltag ist aber voraussetzungsreich. Viele etablierte Unternehmen sehen zuerst die Notwendigkeit, ihr eigenes Geschäftsmodell nachhaltig aufzubauen und „gesellschaftliche wie ökonomische Wertschöpfung“ (Bungard 2018, S. 6) zu verbinden. Es kann dabei nicht ausschließlich auf den Shareholder-Value geachtet werden. Sowohl ökonomische als auch nichtökonomische Umweltbedingungen (auch als sogenanntes Ecosystem) bedingen durch Finanzierung, Mitarbeiter-Akquise und Innovationsfähigkeit den Erfolg eines Unternehmens. Um adäquat auf Umweltbedingungen im eigenen Unternehmen eingestellt zu sein, muss das Silo- Denken im Unternehmen überwunden werden. Dieses verhindert das abteilungs- und spartenübergreifendes Denken, welches letztlich zur Rationalisierung im Unternehmen beiträgt. 494 Verschiedene neue Ansätze der Organisations- und Kommunikationsprozesse fördern die innovativen Prozesse, dazu zählen u.a.: ! Soziokratie: auf System-Theorie basierendes Kommunikationskonzept; zu den Prinzipien gehörten Konsens (gemeinsame Beschlussfassung), Kreisstruktur (geteilte Verantwortung statt Linienorganisation), doppelte Verknüpfung der Kreise (Verknüpfung von unteren und oberen Kreisen), offene Wahl der Funktionen (wie Leitung, Aufgabenverteilung etc., vgl. Schallhart 2017, S. 215- 220). ! Neue (digitale) Kommunikationskanäle: digitale Tools wie Asana, Slack und Trello vermitteln Mitarbeiter_innen einen Blick dafür, was in der Gesamtorganisation passiert und können helfen, ggf. Kommentare und Anmerkungen einzubringen. Testfrage zum Abschnitt: ! Angenommen, Sie sollen Ihr Unternehmen nachhaltiger organisieren, wo würden Sie anfangen? 19.3.3 Personal Wie kommt es dazu, dass Entrepreneure sich der ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit in ihrem Unternehmen widmen? In Forschung und Praxis sind vor allem die Unternehmen bekannt, in denen sich Gründer und Management individuell stark eingebracht haben. Auch wenn Bottom-Up Prozesse denkbar sind, kommt häufig die Entscheidung für eine strategische Ausrichtung Top-Down. Beispiele finden sich sowohl bei etablierten Unternehmen wie FROSCH (Werner & Mertz GmbH) 495 oder dem dm-drogerie markt GmbH + Co. KG 496 als auch bei Start- 494 Dazu schreibt Pfeiffer bereits (1993), S. 3644: „Je mehr manuelle und sonstige Routinetätigkeiten durch Mechanisierung und Automatisierung zurückgedrängt werden, desto bedeutsamer wird es, das in weiten brachliegende kreative Potential der Arbeitskräfte zu nutzen: zum einen zur Verbesserung bzw. Innovation in den Prozessen, zum anderen zur Übernahme zusätzlicher Aufgaben und Verantwortung […]. Die Arbeitskraft muss mehr als Nutzendenn als Kostenfaktor gesehen werden.“ 495 Preisträger des Deutschen Nachhaltigkeitspreises: Sieger in der Kategorie „Deutschlands nachhaltigste Marken 2009“, verliehen von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis e.V. (finanziert von Forschungseinrichtungen, Ministerien, Unternehmen und Verbänden). Siehe dazu: https: / / www.nachhaltigkeitspreis.de/ ueber-uns/ stiftung/ , Aufruf am 11.04.2018. 496 Siehe dazu das Interview mit Erich Harsch, Geschäftsführer von dm mit dem Titel „Was bedeutet Nachhaltigkeit für dm, Herr Harsch? “ in der Wirtschaftswoche, https: / / www.wiwo.de/ technologie/ green/ nach gefragt-was-bedeutet-nachhaltigkeit-fuer-dm-herr-harsch/ 13546966.html, Aufruf am 11.04.2018. <?page no="606"?> 606 Matthias Hartmann und Leonhard Gebhardt Neue Betriebswirtschaft ups (Belz und Binder (2017, S. 7): Hier erkennen die Gründer aufgrund persönlicher oder beruflicher Umstände die zu lösenden ökonomischen, ökologischen und sozialen Probleme. Der Unternehmer identifiziert also Schwierigkeiten, die die Substanz des Unternehmens gefährden oder auch gesellschaftliche Probleme. Er oder sie entwickelt Möglichkeiten, diese betriebswirtschaftlich sinnvoll zu lösen. Wie die Abbildung 19-5 zeigt, werden aus ökonomischer, ökologischer und sozialer Perspektive dafür verschiedene nachhaltige Möglichkeiten entdeckt und evaluiert. Mit dem Anpassen an die Unternehmensstrategie werden sie in konkrete Maßnahmen übertragen. Bemerkenswert hieran ist, dass damit wieder unternehmerische Möglichkeiten freigesetzt werden. Abbildung 19-5: Ein Basis-Modell für den unternehmerischen Prozess nach Plummer et al. (2007, S. 368). Um das Personal bei der Ideenfindung für Nachhaltigkeit in allen drei Dimensionen einzubeziehen, bietet sich z.B. die Form des Design Thinkings an: ! Design-Thinking verbindet verschiedene, interdisziplinäre Rahmenkonzepte zur Neu-Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen sowie Organisationsentwicklung. Charakteristisch für Design-Thinking sind Nutzerorientierung, Problem-Bezug, Visualisierung, Experimentieren und Diversität (Vgl. Carlgren et al. 2016). Testfragen zum Abschnitt: ! Angenommen, Sie sollen Ihr Unternehmen nachhaltiger organisieren, wie würden Sie anfangen? ! Wie können Sie Ihre Mitarbeiter für diesen Prozess mit einbeziehen? 19.3.4 Sachmittel und Technologien Bislang wurden als Output problematische Rückstände besprochen, die es im Rahmen von nachhaltigem Unternehmertum zu minimieren gilt. Schon bevor es dazu kommt, kann das Unternehmen durch eine Auswahl von geeigneten Sachmitteln und Technologien die Nachhaltigkeit im Unternehmen von Anfang an stärken: Möglichkeit entdecken evaluieren nutzen neue Möglichkeit Unternehmens- Strategie unterentwickelte Möglichkeit <?page no="607"?> 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum 607 Neue Betriebswirtschaft Ökonomische Nachhaltigkeit Vorbereitung: Erstellung von Schutzbedarfsanalysen (siehe dazu Hartmann und Gebhardt 2017) auf Basis von Risikoanalysen und Rollenzuweisung sowie Corporate Governance Kodizes (Regelungen zum ethischen Verhalten im Unternehmen mit Kann-/ Soll-/ Muss-Bestimmungen) Notfall: Bereitstellung von Ressourcen entsprechend Schutzbedarfsanalysen Ökologische Nachhaltigkeit Vermeidung: Entwicklung eines hausinternen Recyclingsystems (Abfall/ Abwasser), einsetzen von entsprechenden Filtern für Gase Kompensation: Isolierungen, Lärmschutzvorrichtungen, alternative Routen entsprechend der Lebensräume von eventuell geschädigten Tieren, Kooperation mit Social Enterprises wie Atmosfair oder myclimate (Kompensation von CO 2 -Emissionen) Soziale Nachhaltigkeit Ergonomische Ausstattung am Arbeitsplatz: Schutz des Arbeitnehmers vor langfristigen körperlichen Beeinträchtigungen durch ungünstig belastendes Arbeitsumfeld Social-Media-Auftritt: Ein sorgfältiger Social-Media-Auftritt hilft dabei, die Belange von unterschiedlichen Stakeholdern schnell aufzunehmen und zu reagieren Künstliche Intelligenz (KI): Kann zur Fairness von Einstellungsverfahren beitragen Robotik und Exoskelette: Reduzieren die körperliche Belastung von Mitarbeiter_innen Testfragen zum Abschnitt: ! Inwiefern sind Sachmittel und Technologien eine Voraussetzung für nachhaltiges Unternehmertum? ! Warum werden manche nachhaltige Sachmittel und Technologien auch in Gesetzen verankert? 19.3.5 Input Wir haben oben Input nach Materie, Energie und Information gegliedert. Nachhaltiges Unternehmertum im Bereich Input stellt sich wie folgt dar: Ökonomische Nachhaltigkeit Es geht darum, dass hinsichtlich der Substanzerhaltung einerseits „gewisse Mindestbestände an Rohstoffen, Halb- und Fertigwaren“ (Hax 1957, S. 17) aufrechterhalten werden, um die Produktion jederzeit gewährleisten zu können. Darüber müssen aber die Vorräte nicht nur laufend wiederbeschafft werden. Diese Art ist allerdings kurzfristiger Natur. Nach Hax (1957) handelt es sich hierbei um eine reproduktive Substanzerhaltung. Denn schließlich geht es um den weiteren Betrieb des Unternehmens: Alle verbrauchten Vorräte müssen auch wieder ersetzt werden. Nicht berücksichtigt werden dabei die Markt- und Nachfrageveränderungen, welche durch gesellschaftliche Trends und neue Technologien jederzeit eintreten können. Von anderer Art ist daher die leistungsmäßige Substanzerhaltung. Die Wiederbeschaffung der gleichen Rohstoffe und Betriebsmittel genügt hier nicht. In Abhängigkeit neuer Qualitätsansprüche von Abnehmern muss auch der Input angepasst werden, um die gleiche Produktionsleistung sicherzustellen. <?page no="608"?> 608 Matthias Hartmann und Leonhard Gebhardt Neue Betriebswirtschaft Ökologische Nachhaltigkeit Es sollten Rohstoffe genutzt werden, die nachwachsen bzw. einen „geringen ökologischen Fußabdruck“ haben. Dafür gibt es verschiedene Zertifizierungen. Für Rohstoffe bieten sich z.B. die ISO, ÖkoTex oder FSC-Zertifizierungen an: ! ISO-Zertifizierung 14001: Standard für Umweltmanagementsysteme, in Deutschland haben circa 8.000 Organisationen ihr Umweltmanagementsystem zertifiziert. Es werden auch „vorgelagerte“ Umweltauswirkungen von Rohstoffen berücksichtigt. 497 ! ÖkoTex Standard 100: Textilien und einschlägige Materialen werden auf Schadstoffe bzw. für den Menschen schädliche Chemikalien getestet. 498 ! Forest-Stewardship-Council (FSC): Wälder mit „hohem Schutzwert“ werden gefördert und erhalten, dabei werden auch sichere Arbeitsbedingungen und die Rechte von Einheimischen respektiert. 499 Hinsichtlich dem Verbrauch von Energie kann darauf geachtet werden, dass „Ökostrom“ (aus erneuerbaren Energien) verwendet wird. Soziale Nachhaltigkeit Auch im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit gibt es Zertifizierungen. Beispiele liefern das Fairtrade- Siegel und das Siegel der Fair Wear Foundation, welches neben dem sozialen Anliegen auch ökologische Ansätze abbildet: ! Fairtrade-Siegel: wird an fair (soziale Arbeitsbedingungen, ökologischer Anbau, ökonomisch: Transparenz und Vorfinanzierung) gehandelte Produkte vergeben. ! Fair Ware Foundation: Das Siegel kann für die Herstellung von Textilien vergeben; Schwerpunkte liegen auf der Herstellung. Testfragen zum Abschnitt: ! Wie bedingt der Einkauf im Unternehmen dessen Substanzerhaltung? ! Auf welche Zertifikate müssen Unternehmer beim Einkauf achten und welche sind aus Ihrer Perspektive „nice-to-have“? Prozesse nachhaltigen Unternehmertums Im Abschnitt 19.3 wurde bislang das Unternehmen statisch in Output, Organisation, Personal, Sachmittel/ Technologien und Input betrachtet. In diesem Kapitel werden die Prozesse näher beleuchtet, die nachhaltiges Unternehmertum auch in der Abfolge von bestimmten Schritten, welche zu den gewünschten Ergebnissen führen sollen, gewährleisten. Dabei sind Prozesse zusammenhängende und voneinander abhängige Tätigkeiten, die den Input in Output transformieren. 19.4.1 Ökonomische Nachhaltigkeit: Vermeidung statt Verminderung Für die nachhaltige Gestaltung der unternehmensinternen Prozesse ergeben sich primär Vermeidungs- und Verminderungsaktivitäten: 497 Weitere Informationen dazu finden sich unter https: / / www.umweltbundesamt.de/ themen/ wirtschaftkonsum/ wirtschaft-umwelt/ umwelt-energiemanagement/ iso-14001-umweltmanagementsystemnorm, aufgerufen am 16.01.2017. 498 Siehe auch: https: / / www.oeko-tex.com/ de/ business/ certifications_and_services/ ots_100/ ots_100_start. xhtml, aufgerufen am 16.01.2017. 499 Siehe auch: http: / / www.fsc-deutschland.de/ de-de, aufgerufen am 16.01.2017. <?page no="609"?> 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum 609 Neue Betriebswirtschaft ! Als vermeidungsorientierte Prozessgestaltung (Horneber 1995, S. 53), lässt sich die Reduzierung von Rückständen (Arten von Rückständen: siehe Tabelle 19-3) im Produktionsablauf verstehen. ! Verminderungsaktivitäten beziehen sich zwar einerseits auf eine Produktgestaltung, die die Entsorgung bzw. den Lebenszyklus des Produktes mitdenkt („Optimierung der Lebensdauer“, Horneber 1995, S. 52), beziehen sich aber auch auf die Rückstandsvermeidung. Ein gutes Beispiel dafür liefern 3D-Drucker, die weitestgehend rohstoffeffiziente Produkte liefern. Dabei ist zu beachten, dass eine nachhaltige Gestaltung der Prozesse sowohl der klassischen, betriebswirtschaftlichen Wertperspektive (Stichwort Systemrationalisierung: Kostensenkung durch Minimierung der Verschwendung, Pfeiffer 1993, S. 3641) genügt. Sie ist ferner auch einer ökologischen Zielstellung (siehe unten) dienlich. Hier gilt vor allem das Credo „Vermeiden statt verhindern“, welches eine Ressourcenverschwendung in den Prozessen ablehnt. Wege dahin führen z.B. über (Pfeiffer 1993, S. 3644): ! Fokus auf den Konstruktionsbereich als Design-ausschlaggebend („Form follows function I“) ! Vermeidung von Ausschuss in der Produktion ! Vermeidung unnötiger Wechsel bzw. unnötiger Rüst- und Nebenzeiten ! Vermeidung unnötiger Komplexität durch die Prinzipien Vereinfachen/ Vereinheitlichen („Form follows function II“) Mithilfe des ganzheitlichen Denkens von Unternehmensprozessen in Wirkungs-Zusammenhängen bzw. Kausalitäten können, betriebswirtschaftlich günstige Entscheidungen gefällt werden. Diese führen nicht nur zu Kosteneinsparungen, sondern können in manchen Staaten auch Steuervergünstigungen (Chopra und Meindl 2014, S. 621) mit sich bringen. Letztere sind auch abhängig von Maßnahmen der ökologischen Nachhaltigkeit. 19.4.2 Ökologische Nachhaltigkeit: der Kreislaufgedanke Im Kontext von Nachhaltigkeit hat dabei das Cradle-to-Cradle Prinzip (eine der wichtigen Publikationen dazu stammt von McDonough und Braungart 2002) für Aufmerksamkeit gesorgt und große Zustimmung gefunden. Dabei werden biologische und technologische Kreisläufe miteinander kombiniert und in der Produktion berücksichtigt: ! Biologischer Kreislauf: Nutzung 6 biologischer Abbau 6 biologischer Nährstoff 6 Pflanzen ! Technischer Kreislauf: Nutzung 6 Rücknahme 6 technischer Nährstoff ! Zusammenführung: Produktion erfolgt aus technischen Nährstoffen und auf Materialien auf Pflanzenbasis, die wiederum in die Nutzung gehen Verwendungszwecke und Ziel von Materialien (Werkstoffe) und Produkte (Werkstücke) und lassen sich in einer Matrix klassifizieren (Horneber 1995, S. 54): Verwendungszweck Ziel gleichartig andersartig Aufarbeitung (Produkte) Wiederverwendung Weiterverwendung Aufbereitung (Material) Wiederverwertung Weiterverwertung Tabelle 19-3: Rückstandsnutzung nach Horneber 1995, S. 54. <?page no="610"?> 610 Matthias Hartmann und Leonhard Gebhardt Neue Betriebswirtschaft Ebenfalls bei Horneber (1995, S. 88) wird der Kreislauf wie beim Cradle-to-Cradle- Konzept in einem integrierten Aktivitäten- Netzwerk abgebildet, wobei die Natur als Ressourcenlieferant und Aufnahmemedium dem Konsum gegenübersteht. Über Rohstoffgewinnung und Herstellung auf der einen sowie Aufarbeitung, Aufbereitung und Rückstandbeseitigung auf der anderen, sind beide Felder (Natur und Konsum) miteinander verbunden. Ein nachhaltiger Prozess ließe sich also sowohl unternehmensintern als auch im übertragenen Sinne unternehmensextern wie in Abbildung 19-6 darstellen . 19.4.3 Soziale Nachhaltigkeit: Sicherheit und Arbeitsorganisation Im Themenabschnitt der sozialen Nachhaltigkeit im Bereich Prozesse geht es vor allem um die Arbeitsorganisation und Sicherheit von Arbeitnehmern im eigenen Unternehmen. Das Thema Sicherheit von Arbeitnehmern betrifft aber auch Zulieferer und Abnehmer. Zu diesem Zweck kann die soziale Nachhaltigkeit auch auf die Supply Chain übertragen werden (Chopra und Meindl 2014, 210ff.). Für die Evaluation der Prozesse von Zulieferern gibt es Kriterien, die als Mindeststandards geprüft werden können. Auch die Selbstevaluation von Zulieferern liefert erste Ergebnisse. Im Unternehmen können zur Stärkung von sozialer Nachhaltigkeit bestimmte Arbeitszeitenmodelle und Benchmarkings eingeführt werden. Hier wird auch die Risikovermeidung angestrebt: Unfälle möchte jedes Unternehmen vermeiden. Typische Konzepte für Arbeitszeitmodelle sind Job- Rotation, Job-Enlargement und Job-Enrichment (nach Schierenbeck und Wöhle 2016, S. 242): ! Job Rotation: durch regelmäßige Arbeitsplatzwechsel können verschiedene Aufgaben wahrgenommen werden, die physische Abwechslung für Arbeitnehmer wird erhöht ! Job Enlargement: durch neue Formen der Arbeitsteilung werden individuelle Arbeitsaufgaben auf neue Bereiche ausgeweitet, die mentale Abwechslung für Arbeitnehmer wird erhöht ! Job Enrichtment: die Selbstständigkeit des Arbeitsnehmers für die Wartung der Anlagen sowie Kontrolle der erstellten Produkte und Dienstleistungen wird erhöht Alle Maßnahmen, die sich für das Verhältnis der Arbeitnehmer zu ihren Arbeitsstellen positiv auswirken sollen, sind verbunden mit Anlern- und Ausbildungsprozessen. In Zeiten der Digitalisierung ist auch der Datenschutz persönlicher Informationen von hoher Bedeutung für Interessensgruppen des Unternehmens. 500 Wie eine Schutzbedarfsanalyse mit den Zielen Verfügbarkeit, Integrität und Vertraulichkeit erreicht werden kann und worauf bei Reaktionsleitfäden und Sofort-Maßnahmen geachtet werden muss, ist zu finden bei Hartmann und Gebhardt (2017). 500 So zog das Bekanntwerden des Datenmissbrauchs von persönlichen Informationen bei Facebook sowie die anschließende Diskussion zum Datenschutz im Jahr 2018 einen Fall des Aktienkurses der Firma von 8 Prozent nach sich. Siehe auch: http: / / www.faz.net/ aktuell/ finanzen/ finanzmarkt/ druck-auf-facebooklaesst-aktienkurs-fallen-15501933.html, Zugriff am 10.04.2018. Beschaffung & Lagerung Verarbeitung Produktion Nutzung (intern/ extern) Aufbereitung (intern/ extern) Abbildung 19-6: Kreislauf ökologischer Nachhaltigkeit <?page no="611"?> 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum 611 Neue Betriebswirtschaft Testfragen zum Abschnitt: ! In welchem Zusammenhang stehen Systemrationalisierung und Modelle der Kreislaufwirtschaft? ! Auf was würden Sie in Ihrer Supply Chain aus nachhaltiger Perspektive achten? Lenkung nachhaltigen Unternehmertums Ökonomische, ökologische und soziale Aspekte können mit Instrumenten integriert und einzeln dargestellt werden. Auf diese Art verdichtete Informationen bieten eine Entscheidungsgrundlage für das nachhaltige Management eines Unternehmens. Ein umfassendes Instrument ist die Balanced-Scorecard. Ein Beispiel dafür liefert Krause (2016), das hier zunächst dargestellt wird, bevor in den einzelnen Abschnitten das Management von ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit im Einzelnen behandelt wird. Diese Instrumente können entsprechend der Sach- oder Formalziele angepasst werden. Sie dienen dem Management einer Organisation als vorbereitende Mittel, um die passenden Entscheidungen für die Lenkung eines Unternehmens zu treffen. An vorderster Stelle stehen dafür das Nachhaltigkeits-Reporting, die Öko-Bilanzierung und CSR-Reporting zur Verfügung. Nach Krause (2016) bietet sich für die Berichterstattung im Unternehmen die Einführung der Balanced-Scorecard an. In dieser werden verschiedene Kennzahlen der Nachhaltigkeits-Dimensionen zusammengefasst. Dabei werden die Dimensionen verschiedentlich auch getrennt voneinander dargestellt und bewertet. Die Sach- und Formalziele führen aber immer verschiedene Perspektiven (die erweiterbar sind) zusammen, wie das folgende Beispiel in Tabelle 19-4 zeigt. Finanzperspektive Kundenperspektive Geschäftsprozessperspektive Potenzialperspektive Sachziele ökonomisch ökologisch sozial … Auszubildendenquote Ressourceneffizienz Personalentwicklungsmittel Kunden-/ Mitarbeiterzufriedenheit Ressourceneinsparung je Neuproduktion Internationalisierungsgrad innovative Fertigungsverfahren Recyclingquote und CO 2 -Emissionen Krankenstandsquote Unfallhäufigkeit Innovationsquote Ressourcen- Einsparungsgrad Energiequellenanteil Diversity-Kennzahlen Formalziele Rentabilität … Gesamtkapitalrentabiliät Fehlauslieferungsquote Deckungsbeiträge Kapazitätsauslastung Forschungs- und Entwicklungsanteil Tabelle 19-4: Sustainability Balanced Scorecard mit beispielhaften Kennzahlen, leicht verändert nach Krause (2016, S. 46). Wie in der Tabelle 19-4 dargestellt, werden sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte in Kennzahlen überführt. Die in den Perspektiven dargestellten Kennzahlen können sowohl absolut als auch relativ sein. Absolute Kennzahlen zählen und messen. Darunter fallen neben der Unfall- <?page no="612"?> 612 Matthias Hartmann und Leonhard Gebhardt Neue Betriebswirtschaft häufigkeit 501 auch Messungen von Rückständen, wie in Tabelle 19-4 angegeben. Relative Kennzahlen ergeben sich aus den unterschiedlichen Verhältnissen verschiedener Faktoren zueinander. Im Bereich Innovationsgrad, lässt sich mit der Innovationsquote das Verhältnis des durch neue Produkte und Dienstleistungen generierten Umsatzes zum Gesamtumsatz ermitteln (Krause 2016, S. 415): = Periodenumsatz mit neuen Produkten u. Dienstleistungen × 100 % Gesamter Periodenumsatz Dieser Ansatz gibt nur an, wie viel Umsatz tatsächlich generiert wird und sagt noch nichts darüber aus, welche Investitionskosten in die Forschung und Entwicklung (F&E) neuer Produkte fließen. Die hierfür am meisten verwendete Kennzahl (Krause 2016, S. 418) ist die F&E-Intensität, die sich durch folgendes Verhältnis ermitteln lässt: = Kosten für Forschung und Entwicklung ( pro Periode ) × 100 % Umsatzerlöse (pro Periode) Für andere Sachziele, wie der ökologischen Nachhaltigkeit führt Krause (2016, 448f.) den Ressourcen-Einsparungsgrad als zeitraumbezogene Kennzahlen-Variante: = Ressourcen ø Verbrauchermenge pro Periode in t Ressourcen ø Verbauchsmenge pro Periode in t ø 1 sowie als stückbezogene Variante ein: = Ressourcen ø Verbrauchermenge pro Outputeinheit in t Ressourcen ø Verbauchsmenge pro Outputeinheit in t ø 1 Alle Ressourcen sind Teil des Inputs, wie in Abschnitt 19.3.5 beschrieben. Dazu gehören neben den geläufigen Rohstoffen (Materie) auch Energie. 19.5.1 Ökonomisches Nachhaltigkeits-Reporting Im Themenbereich der ökonomischen Nachhaltigkeit wird die Erhaltung des Betriebs und seiner Produktionskraft angestrebt. Zu diesem Zweck können sogenannte Management-Cockpits dienlich sein, die besonders die sich entwickelnde Liquidität eines Unternehmens im Auge behalten und in Echtzeit der Geschäftsführung präsentieren. In der Abbildung 19-7 wird das Management-Cockpit eines E- Commerce-Unternehmens gezeigt. Auf Basis einer Excel-Tabelle werden in einer App in Echtzeit die wichtigsten Kennzahlen für das Unternehmen in den Dimensionen der Balanced Scorecard dargestellt. Insgesamt werden 17 Kennzahlen in mehreren Dimensionen (Zeit, Produktklassen, …) angezeigt. Die App entstand in dem EFRE- Digitalisierungsprojekt Digital Value (Hartmann et al. 2017, S. 56f.). Diese Form des Reportings ist nach individuellen Schwerpunkten und Bedürfnissen des Managements erweiterbar. Für die Substanzerhaltung aus ökonomischer Hinsicht können damit über die Liquidität hinaus Produktivität (bis hinunter auf Maschinen-Ebene), Wirtschaftlichkeit und Rentabilität dargestellt werden. 501 Bekannt sind die Schilder an Firmen, die darüber Auskunft geben, an wie vielen Tagen kein Unfall stattfand bzw. die meldepflichtige Vorfälle zählen. Abbildung 19-7: Management-Cockpit für die ökonomische Nachhaltigkeit eines E-Commerce- Unternehmens. <?page no="613"?> 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum 613 Neue Betriebswirtschaft 19.5.2 Ökologische Nachhaltigkeit: Öko-Bilanz Öko-Bilanzen versuchen in Abhängigkeit von Input und Output (Materie, Information, Energie) die Beziehung zwischen Unternehmen und Umwelt nachvollziehbar darzustellen. Nach Horneber (1995, S. 94) können im Rahmen der Ökobilanzierung sowohl Betriebsbilanzen als auch Prozessbilanzen erstellt werden. Dabei sollen mit einer Betriebsbilanz die Stoff- und Energieströme, „die als Input in das Unternehmen eingehen und es als Output wieder verlassen“ 502 , sowohl qualitativ als auch quantitativ dargestellt werden. Mit Horneber gesprochen, erfolgt die Analyse besagter Stoff- und Energieflüsse mit Blick auf die Wertschöpfungsaktivitäten. Balderjahn und Specht (2016, S. 64) geben folgendes Beispiel einer Betriebsbilanz (Änderungen vorgenommen). Wie oben in Tabelle 19-4 aufgeführt wurde, werden für die Erstellung der Betriebsbilanz die Rückstände aufgenommen und klassifiziert. Input Output Materie Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe Wasser und Luft Energie Elektrische und thermische Energie Materie Stoffliche Emissionen (Abfall, Sekundärstoffe, Abluft) Produkte („Güter“) und Dienstleistungen Energie Abwärme / (Lärm) Tabelle 19-5: Beispiel einer Betriebsbilanz („Ökobilanz“) nach Balderjahn und Specht (2016). Diese Form der Ökobilanzierung heißt zwar Betriebsbilanz, allerdings bleiben die konkreten Produktionsprozesse zunächst unberücksichtigt. Das führt zur zweiten Form der Ökobilanzierung, der Prozessbilanz. Hierfür werden die einzelnen „Produktionsprozesse einer Input-Output-Betrachtung unterzogen“ (Horneber 1995, 94f.). Ziel ist dabei auch, Verfahren und Maschinen hinsichtlich ihrer Umweltbelastungen vergleichen und bewerten zu können. Nach der Erstellung einer Ökobilanzierung sollte eine sogenannte Wirkungsabschätzung der potenziellen Umwelteffekte 503 erfolgen und als Grundlage für Management-Entscheidungen dienen. Weitere Informationen und Hinweise zur Implementierung einer Ökobilanz finden sich in der Norm ISO 14040: 2006, welche im Jahr 2016 validiert und als geltender Standard bestätigt wurde. 504 Horneber (1995, S. 101) spezifizierte diese Art der Betriebsbilanz weiter zu einem Prinzip-Modell, bei dem die Input-Output-Analyse im Vordergrund steht: 502 Lehmann und Hallay 1993, S. 13; zitiert nach Horneber 1995, S. 94. 503 Z.b. Treibhauseffekt, Sommersmog, Versauerung, Überdüngung; siehe dazu https: / / www.ibp.fraunhofer. de/ de/ Kompetenzen/ ganzheitliche-bilanzierung/ Angewandte-Methoden/ Oekobilanzierung.html, Aufruf am 14.02.2018. 504 Vgl. dazu https: / / www.iso.org/ standard/ 37456.html, Aufruf am 14.02.2018. <?page no="614"?> 614 Matthias Hartmann und Leonhard Gebhardt Neue Betriebswirtschaft Potenzial für das eigene Unternehmen Einfluss des Stakeholders auf das eigene Unternehmen Input Output A) Materie Qualität Menge Zeit Qualität Menge Zeit Werkstoffe Vorprodukte ergänzend: Wasser Luft … … prozessinduzierte Rückstände (fest, flüssig, gasförmig) nutzungsinduzierte Rückstände produktinduzierte Rückstände … … B) Energie Qualität Menge Zeit Qualität Menge Zeit Energie (Strom, Öl, Gas) … … prozessinduzierte Rückstände (Wärme, Strahlung, Lärm, Erschütterung) … … Tabelle 19-6: Prinzip-Modell einer Input-Output-Analyse nach Horneber 1995, S. 101. 19.5.3 Corporate Social Responsibility (CSR) Seit 2017 gibt es die CSR-Berichtspflicht für Unternehmen in Deutschland. So wurde es 2014 im europäischen Parlament beschlossen. Diese Richtlinie betrifft zuvorderst soziale Belange, kann aber auch ökologisches Engagement berücksichtigen. Es geht besonders darum, die Transparenz von Fragen zu Sozial- und Arbeitnehmerbelangen zu erhöhen. Dabei spielt auch „die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung“ eine wichtige Rolle. 505 Es müssen nicht alle Unternehmen die im Gesetzestext definierte Berichtspflicht erfüllen. Betroffen sind große, börsennotierte Unternehmen. Die Regelung bietet einen guten Überblick welche (Sach-)Ziele aus sozialer Perspektive und als Reporting-Instrument für das Management eines Unternehmens von Belang sein können. Um die Frage zu klären, welche Personengruppen konkret Sozial- und Arbeitnehmerbelange betreffen, dafür dient die Stakeholderanalyse: B: Pflege des Status A: überzeugen, für das Unternehmen gewinnen D: Routine C: aufmerksames Beobachten Abbildung19-8: Stakeholderanalyse nach Dreuw et al. (2014, S. 54). Entsprechend identifizierte Interessensgruppen sollten bei dem Thema Lenkung aus der Perspektive der sozialen Nachhaltigkeit berücksichtigt werden: Einmal als Personengruppen, deren Wohlbefinden vom Unternehmenshandeln unmittel- oder mittelbar beeinflusst wird (z.B. als Leistungsempfänger, Kunden, Arbeiter in der Lieferkette) und darüber hinaus als Adressaten der Berichterstattung. 505 Siehe dazu: http: / / www.csr-in-deutschland.de/ DE/ Politik/ CSR-national/ Aktivitaeten-der- Bundesregierung/ CSR-Berichtspflichten/ richtlinie-zur-berichterstattung.html, aufgerufen am 04.04.2018. <?page no="615"?> 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum 615 Neue Betriebswirtschaft Testfragen zum Abschnitt: ! Welche Maßnahme würden Sie als Berater einem Geschäftsführer empfehlen, um Transparenz zur Nachhaltigkeit im Unternehmen herzustellen? ! Erkennen Sie Vor- und Nachteile der Input-Output-Analyse nach Horneber im Vergleich zur Öko-Bilanz nach Balderjahn und Specht? ! Welche Interessensgruppen einer Tankstelle fallen Ihnen ein? LLiitteerraattuurr Achleitner, Ann-Kristin; Heister, Peter (2008): Investorenansprache im Social Entrepreneurship. In: Jörg Freiling und Tobias Kollmann (Hg.): Entrepreneurial Marketing. Besonderheiten, Aufgaben und Lösungsansätze für Gründungsunternehmen. 1. Aufl. Wiesbaden: Gabler, S. 149-165. Balderjahn, Ingo; Specht, Günter (2016): Einführung in die Betriebswirtschaftslehre. 6. Aufl. s.l.: Schäffer-Poeschel Verlag. Online verfügbar unter http: / / gbv.eblib.com/ patron/ FullRecord.aspx? p=4355544. Belz, Frank Martin; Binder, Julia Katharina (2017): Sustainable Entrepreneurship. A Convergent Process Model. In: Business Strategy and the Environment 26 (1), S. 1-17. DOI: 10.1002/ bse.1887. Bungard, Patrick (Hg.) (2018): CSR und Geschäftsmodelle. Auf dem Weg zum zeitgemäßen Wirtschaften. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg (Management-Reihe Corporate Social Responsibility). 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Univ.-Professor Dr. Dr. habil. Wolfgang Becker ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Inhaber des Lehrstuhls Unternehmensführung und Controlling an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Er leitet das Europäische Forschungsfeld für Angewandte Mittelstandsforschung (EFAM) und ist zudem Mitglied im Direktorium des Kompetenzzentrums für Geschäftsmodelle in der digitalen Welt, einer universitären Kooperation mit der Fraunhofer-Gesellschaft. Er vertritt zudem sein Fachgebiet in Executive-MBA-Programmen an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg und an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Schließlich ist er Gründer, Gesellschafter und Beiratsvorsitzender der Scio GmbH Professor Dr. W. Becker in Erlangen, die der Wirtschaftspraxis Beratung auf dem Gebiet des integrierten Strategie- und Organisationsdesigns anbietet. Prof. Dr. Markus Beckmann forscht und lehrt als Inhaber des Lehrstuhls für Corporate Sustainability Management am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Prof. Dr. Alexander Brem ist Inhaber des Lehrstuhls für Technologiemanagement an der FAU Erlangen-Nürnberg. Des Weiteren ist er Honorarprofessor an der Syddansk Universitet (Dänemark). Prof. Dr. Uwe Christians l ehrt Finanzwirtschaft und Rechnungswesen sowie BWL der Banken am Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der HTW Berlin. Prof. em. Dr. habil. Peter P. Eckstein lehrte bis 2016 Statistik, Ökonometrie und Empirische Wirtschaftsforschung am Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der HTW Berlin. Leonhard Gebhardt, M.A., forscht im Anwendungszentrum „Digital Value“ bei Prof. Dr. Hartmann zur Digitalisierung von Berliner KMU an der HTW Berlin. Er promoviert zum Thema Sustainable Entrepreneurship an der Universität Potsdam. Prof. Dr. Ralf Hafner lehrt seit 2013 International Business mit dem Schwerpunkt Finance and Accounting an der HTW. Er war davor über 20 Jahre als M&A-Berater in Führungspositionen in der Praxis bei verschiedenen Beratungsgesellschaften und Banken tätig. Dr. Bastian Halecker ist Gründer der Nestim GmbH und Startup Tour Berlin. Er hat bei Prof. Dr. Hartmann an der HTW Berlin zum Thema Geschäftsmodelle geforscht und an der Universität Potsdam promoviert. Prof. Dr. Matthias Hartmann lehrt und forscht zu den Themen Produktion und Logistik an der HTW Berlin. Er ist Leiter des Labors Unternehmenssimulationen und des Anwendungszentrums „Digital Value“ zur Digitalisierung Berliner KMU. Jens Heidingsfelder, M. Sc., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Corporate Sustainability Management am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg. <?page no="620"?> 620 Über die Autoren Prof. Dr. Thomas Henschel, MBA (UK), lehrt Betriebswirtschaft an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, sein Forschungsschwerpunkt liegt im Compliance- und Risikomanagement von KMU. Ilka Heinze, Diplom-Kaufmann (FH), ist Geschäftsführerin der wee consult, einer Beratungsgesellschaft für Personal- und Risikomanagement und Dozentin für Management-, Personal- und Organisationslehre an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland. Univ.-Prof. Dr. Christoph Lechner ist seit 2005 Ordinarius für Strategisches Management an der Universität St. Gallen, Schweiz, sowie Direktor des Instituts für Betriebswirtschaft. Dr. Kai-Christian Muchow ist Inhaber der Unternehmensberatung SirrahPartners und war von 2008 bis 2013 Team Head Strategic Controlling der Allianz Asset Management AG in München. Zuvor war er unter anderem als Director Corporate Development bei der Siemens AG und als Regional Controller im Beteiligungscontrolling der OSRAM GmbH tätig. Univ.-Prof. em. Dr. Günter Müller-Stewens lehrte bis 2016 an der Universität St. Gallen, Schweiz, Strategisches Management. Sugiritha Murugaiah, Master of Science in Finanzdienstleistungen und Risikomanagement. Rebecca Popp ist Internationale Diplom-Kauffrau (Univ.) und staatlich geprüfte Übersetzerin. Prof. Dr. rer. pol. Irene Rath, Euro FH, Internationales Management und internationales Personalmanagement, Dienstleitungsmanagement/ Customer Experience. Prof. Dr. Anna Riedel lehrt an der HTW Berlin mit dem Schwerpunkt Digital Business. Zuvor hat sie Konzerne sowie KMUs bezüglich ihrer digitalen externen und internen Kommunikationsstrategien beraten. Prof. em. Dr. habil. Wilhelm Schmeisser lehrte bis 2017 Allgemeine BWL, Internationales Personalmanagement, Personalmanagement und Organisation, Innovationsmanagement, Finanzierung und Investition an der HTW Berlin. Professor Dr. habil. Patrick Ulrich hat eine Professur für Unternehmensführung und -kontrolle an der Hochschule Aalen inne und ist Privatdozent an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Als Sprecher des Direktoriums leitet er das Aalener Institut für Unternehmensführung (AAUF). Seine Forschungsschwerpunkte sind: Unternehmensführung und -kontrolle, Controlling, Corporate Governance, Compliance, Risk Management und Leadership. Ralf Waubke, M.A., forscht im Anwendungszentrum „Digital Value“ bei Prof. Dr. Hartmann zur Digitalisierung Berliner KMU an der HTW Berlin. Er promoviert zum Thema Kritische Erfolgsfaktoren von Start-Ups im Ecosystem Berlin an der Universität Potsdam. <?page no="621"?> Neue Betriebswirtschaft IInnddeexx 3D-Balkendiagramm 152 absolute Häufigkeit 118 Absorption 258 Achenwall, Gottfried 105 Acquisition 249 Additionsaxiom 140 Adressenausfallrisiko 268 Adverb „höchstens“ 124 Adverb „mindestens“ 124 Aktienrisiko 269 Analyser 364 antizyklischer Kapitalpuffer 300 Anzahl der Freiheitsgrade 158 äquidistant 129 äquidistante Klassierung 128 äquifrequent 129 äquifrequente Vierteilung 129 Arbitrage-Gewinne 254 arithmetisches Mittel 132 Aspekte eines „wertorientierten Finanzmanagements 226 Asset Deal 249 Ausblick Basel IV 305 Ausfallraten-Modell 322 Ausgangshypothese 157 Axiom 140 axiomatischer Wahrscheinlichkeitsbegriff 140 Basel I 293 Basel II 295 Basel III 297 Basel IV, Ausblick 305 bedingte Verteilung 153 Behavioral Finance 223 Benchmarking 361 Beobachtungsmerkmal 110 Bernoulli, Jacob 106 bestimmtes Integral 142, 146 Bestimmtheitsmaß 168 bivariat 114 bivariate Häufigkeitsverteilung 152 bivariate inhomogene lineare Regression 166 bivariate Maßkorrelation 161 Bonitätsanalyse, traditionelle 281 Bonitätsprüfung 280 Box-and-Whisker-Plot 130 Boxplot 130 Bravais, Auguste 163 Business Jugdement Rule • Corporate Governance Capital Asset Pricing Model (CAPM) 222 CAPM Capital Asset Pricing Model 222 CDF.CHISQ 158 CDF.NORMAL 147 ceteris-paribus-Prämisse 174 Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest 155 Chi-Quadrat-Verteilung 158 Closing 257 Code of Conduct • Corporate Governance Comparable Company Analysis 239-241 Compliance Berichtswesen 340 Compliance Management 358 Compliance-Pyramide 360 Kultur 340 Managementsystem 340 <?page no="622"?> 622 Index Neue Betriebswirtschaft Non-Compliance 358, 360, 363 Organisation 363 Programm 340 Risiken 340 Sorgfalts- und Überwachungspflichten 358 Standards 361 Ziele 340, 344, 350, 354, 359, 363 Compliance Management-System 360 Controlling 349 Corporate Governance 341 Business Judgement Rule 358 Cod e of C ond uc t 345 Corporate Governance-Statement 345 Deutscher Corporate Governance Kodex 344 Governance Kodex für Familienunternehmen 346 House of Governance 339 Informationsasymmetrie 342, 343 interne, externe 340 Kontroll- und Steuerungsmechanismen 342 Shareholder-Ansatz 342 Stakeholder-Ansatz 343 wertorientierte Unternehmensführung 341 Corporate Social Responsibility 361 Cramer, Harald 160 Credit Default Swaps (CDS) 270 CreditMetrics 323 Credit PortfolioView 326 Credit Rating 277 CreditRisk+ 322 Daten 114 Datenaggregation 129 Datenbegriff 114 Datendatei 114 Dateneditor 116 Datenerhebung 113, 114 Datensatz 114 De Moivre, Abraham 141 Defender 364 deskriptive Standardabweichung 134 Deutscher Corporate Governance Kodex 358 Dezil 131 dichotomes Merkmal 111 Dichtefunktion 142, 145 Discounted-Cashflow-Methode 231-238 disjunkte Intervalle 149 diskontinuierliches Merkmal 113 Diskordanz 164 diskrete Migrationsmatrizen 316 diskretes Merkmal 112 Diskriminanzanalyse 283 multivariate 284 Diversifikation im Kreditportfolio 329 Drei-Säulen-Prinzip 295 Drei-Sigma-Bereich 143 Drei-Sigma-Regel 135, 144 Due Diligence 257 Economies of Scale 252 Economies of Scope 253 Ein-Sigma-Bereich 142 Ein-Stichproben-Test 155 Elastizitätsfunktion 173 Elementarereignis 139 Emissionsrating 279 Emittentenrating 279 Emittentenrisiko 270 empirische Verteilungsfunktion 137 empirische Wirtschaftsforschung 150 empirisches Signifikanzniveau 158 Employer Branding 361 <?page no="623"?> Index 623 Neue Betriebswirtschaft Endmaße 551 Enterprise Value 233 Enterprise-DCF-Methode 234-238 Equity-DCF-Methode 234 Ereigniswahrscheinlichkeit 143 Erfahrungskurveneffekt 252 Ergänzungskapital 299 Ergebnismenge 139 Erhebungsmerkmal 110 Erlöshochrechnung 146, 148 erwartete Verluste 308 erwarteter Verlust (EL ) 309 Erwartungswert 144 Eulersche Konstante e 141 Expertensysteme 286 explorative Datenanalyse 131 Exposure at Default 290 externe Ratings 278 Extremwert 132 Fallstatistik 108 Familienstand 111 Familienunternehmen Governance Kodex für ~ 346 feindliche Übernahme 251 Finance, Behavioral ~ 223 Finanzierungsmanagement, wertorientiertes 224 Finanzierungstheorie kapitalmarktorientierte 221 kapitalmarkttheoretische 220 neo-institutionelle 222 traditionelle 220 Finanzmanagement, wertorientiertes 226 Firm Value 233 Firmensitz 453 Firmenwert-Modell 321 Fisher, Ronald Aylmer 159 Flächenproportionalität 129 Freie Cashflows 235 Freiheitsgrade 157 freundliche Übernahme 251 FRS International Financial Reporting Standard 220 Galton, Francis 106 Gauß, Carl Friedrich 106, 141 Gaußsche Glockenkurve 141 Gaußsche Normalverteilung 141 GbR 208 gebrochen rationale Funktion 173 gesamtbankorientierte Steuerungsinstrumente 328 Gesamtschuldner 208 Geschlechtszugehörigkeit 111 Gesellschaft bürgerlichen Rechts 208 Gesellschaft mit beschränkter Hafung 210 Gesellschaftsrecht 208 Gipfel einer Glockenkurve 142 gleichwahrscheinlich 139 Gliederung 552 Global Financial Centres Index 462 GmbH 210 Grenzfunktion 172 Größenklassifikation 112 Grundbegriffe 107 Grundgesamtheit 166 Grundmenge 139 gültige Prozente 123 Gütemaß 168 häufbares Merkmal 111 Häufbarkeit 111, 117 Häufbarkeitsbegriff 122 Häufigkeit 118 Häufigkeitsbegriff 122 <?page no="624"?> 624 Index Neue Betriebswirtschaft Häufigkeitsdichte 129 Häufigkeitstabelle 119, 122, 123, 124, 128, 134, 136 Häufigkeitsverteilung 119 Häufigkeitsverteilung eines diskreten metrischen Merkmals 124 Häufigkeitsverteilung eines nominalen Merkmals 119 Häufigkeitsverteilung eines ordinalen Merkmals 123 Häufigkeitsverteilung eines stetigen metrischen Merkmals 126 Helmert, Friedrich Robert 159 heuristische Modellwahl 169 Histogramm 129 historische Notizen zur Statistik 104 Hochrechnungseigenschaft eines arithmetischen Mittels 133 Holding- und Turnaround Akquisition 258 horizontaler Zusammenschluss 251 IBM SPSS Statistics 115 Identifikationsmerkmale 109 IDF.CHISQ 157 IDW EPS 980 363 IDW PS 980 364 Index 109 induktive Statistik 150 Integrationsphase 257 International Financial Reporting Standard (IFRS) 220 Internationalisierung 455 interne Ratings 278 interne Revision 341, 349 internes Kontrollsystem 340, 361 Interquartilsabstand 131 IRB-Ansatz 290 Irrtumswahrscheinlichkeit 159 ISO 19600 Compliance-Management-System 362 ISO 31000 354 ISO 31004 Risk Management - Guidance for the implementation 357 ISO/ DIS 19600 Compliance Management Systems 360 ISO/ IEC 31010 - Risk management - Risk assessment techniques 357 Jensen, Christian Albrecht 141 Joint Venture 456 Kapitalerhaltungspuffer 299 Kapitalkosten (WACC) 236 Kapitalmarkttheorie 221 Kapitalwertmethode 457 Kardinalskala 112 Kausalitätsanalyse 149, 165 Klassierungsprinzip 127, 131 Klassierungsprinzip von ... bis unter 127 klassischer Wahrscheinlichkeitsbegriff 139 kleinste-Quadrate-Regression 167 kodierte Varianle 118 Kodierung 117 Kolmogorov, Andrej Nikolajewitsch 107, 140 Kommanditist 209 Komplementär 209 Konditionalverteilung 153, 159 Konglomerat 251 Konkordanz 161 Konstruktionsprinzip eines Kreisdiagramms 121 Kontingenzanalyse 150 Kontingenzmaß 160 Kontingenzmaß V nach Cramer 160 Kontingenztabelle 150 kontinuierliche Migrationsmatrix 317 kontinuierliches Merkmal 113 Kontrahentenrisiko 270 <?page no="625"?> Index 625 Neue Betriebswirtschaft Kontrollvariable 164 Kooperation, Unternehmens~ 249 Korrelationskoeffizient nach Bravais und Pearson 163 Korrelationsmatrix 163, 165, 174 Kovarianz 162 Kreditderivate 331 Kreditfähigkeitsprüfung 280 Kreditrisiko 268 Kreditrisiko-Standardansatz (KSA) 288 Kreditsyndizierung 330 Kreditverbriefungen 331 Kreditverkäufe 330 Kreisdiagramm 121 Kreissegmentdiagramm 120 Kreiszahl Pi 141 Kreuztabelle 150 Kumulation 123 kumulierte Häufigkeiten 124 kumulierte Prozente 123 Lageparameter 131 Laplace, Pierre Simon 106, 139 Laplace-Wahrscheinlichkeit 139 Letter of Intent LOI 257 Limited 210 lineare Regression 166 linearisierte Funktion 170 linearisierte Regression 171 Liquiditätsrisiko 271 Liquidity Coverage Ratio 302 Literaturhinweise 174 logarithmische Regression 170 Loss Given Default 291 Ltd. 210 Makrostandortfaktor 461 marginale Neigung 168, 172 Marginalverteilung 152 Marktpreisrisiko 269 Maßkorrelationsanalyse 160 Maßkorrelationskoeffizient 162 materielle Statistik 104 mathematische Statistik 106 Maturity 291 Meda ille 138 Median 130, 145 Mehrfachantwortenanalyse 121 Mehrfachnennungen 117 Mehrstaatlichkeitsprinzip 211 Menge der natürlichen Zahlen 109 Menge der positiven reellen Zahlen 126 Menge der reellen Zahlen 113 Merger 250 Merkmalsausprägung 110 Messung der erwarteten und unerwarteten Verluste 308 Methode der kleinsten Quadratesumme 167 metrische Skala 112 Migrationsmatrix 313 Mikrostandortfaktor 461 Mindestanforderung für das Risikomanagement (MaRisk) 306 Mini GmbH 210 Mittelwertlinie 161 Mittelwerttabelle 132, 134, 135, 161 modale Ausprägung 120 Modell einer Chi-Quadrat-Verteilung 158 Modellkennzahlen 168, 173 Modellparameter 167 Modus 120 multiple Dichotomien 121 Multiplikationsregel für zwei stochastisch unabhängige Ereignisse 156 Multiplikatorenverfahren 239-43 multivariat 114 <?page no="626"?> 626 Index Neue Betriebswirtschaft multivariate Diskriminanzanalyse 284 Münzwurf 139 Münzwurfexperiment 139 N(0, 1)-Verteilung 144 Net Stable Funding Ratio 304 Nettoverschuldung 233 neuronale Netze 286 nichtlineare Regression 169, 170 Nichtnegativitätsaxiom 140 nominale Skala 111 Nominalskala 111 normalverteilte Zufallsgröße 146 Normalverteilung 129, 132 normierte Kovarianz 162 normiertes Histogramm 129 Normierungsaxiom 140 Nulleigenschaft eines arithmetischen Mittels 133 Nullhypothese 168 Null-Summen-Spiel 133 Nutzenunabhängigkeit 458 Nutzerbefragung 151 offene Handelsgesellschaft 209 Offshore-Finanzplätze 456 Offshore-Zonen 455 OHG 209 Ökonometrie 169 operationelle Risiken 271 ordinale Skala 112 Ordinalskala 112 Pareto-Diagramm 121 partielle Korrelation 164 partielle Maßkorrelation 163 Pearson, Karl 159, 163 Performancefaktor 459 Perzentil 130 Piktogramm 116 Poisson, Simeon Denis 125 Poisson-Verteilung 125 politische Arithmetik 105 Portfolio Selection Theory 221 Prämissen einer Erlöshochrechnung 149 Preakquisitionsphase 256 Precedent Transactions Analysis 241-43 Preistabelle 146 Primärerhebung 114 Principal-Agent-Theorie 341 Private Company Limited by Shares 210 Probability of Default 290 Produkte des Kreditrisikomanagements 330 Programmpaket SPSS 121 Prospector 364 prozentuale relative Häufigkeit 119 Punkt-Elastizität 173 Punktewolke 161 p-value-Konzept 157 Quadrant 161 quadratische Minimumseigenschaft eines arithmetischen Mittels 133 Quantifizierung von Kreditrisiken 329 Quantil 130, 157 Quartil 130 Randhäufigkeit 152 Randverteilung 152 Rangkorrelationsanalyse 150 RAROC 329 Rating 277 Ratingklassifizierung 277 Reactor 364 reales Objekt 108 realisierte Zufallsstichprobe 150 <?page no="627"?> Index 627 Neue Betriebswirtschaft Regressionsanalyse 165 Regressionskoeffizient 168 Regressionskonstante 167 Regressionsparameter 167 Regressionsprinzip 171 relative Häufigkeit 118 Residualstandardfehler 168, 174 Risiko 267, 346 Begriff 346 spekulatives 347 Unternehmensrisiken 350 Risikoakzeptanz 275 Risikoarten 268 Risikoberichtswesen 353 Risikobewältigung 353 Risikobewertung 275 Risiko-Chancen-Kalkül 273 Risikodiversifikation 276 Risikofelder 349 Risikoidentifikation 274 Risikokalküle 272 Risikokontrolle 276 Risikomanagement Funktionen 348 Organisation 350 Prozess 352 Risikomanagementprozess 273 Risikomanagementsystem 341 ganzheitliches 352 Risikoneigung 271 Risikoposition 347 Risikopräferenz 350 Risikosteuerung 275, 308 Risikostrategie Risikotragung 350 Risikoüberwälzung 350 Risikovermeidung 350 Risikoverminderung 350 Risikotragfähigkeitskalkül 272 Risikotransfer 276 Risikoüberwachung 353 Risikovermeidung 275 Risikoziele 354 RORAC 329 Rückwärtsintegration 251 Säule I, Mindestkapitalanforderungen 295 Säule II, aufsichtliches Überprüfungsverfahren 296 Säule III, Marktdisziplin 297 Schachtel-Schnurrhaar-Diagramm 130 Schnittmenge 139, 151 schwaches Gesetz großer Zahlen 143 Schwellenwert 157, 159 Seitengestaltung 552 Seitennummerierung 569 Sekundärerhebung 114 Share Deal 250 Shareholder 341 sicheres Ereignis 139, 140 Signifikanzniveau 155 Signing 257 solicited Rating 278 Spannweite 130 Spezialisierungseffekt 252 SPSS 147 Stabdiagramm 125, 126 Stakeholder 341 Stamm-Blatt-Diagramm 126 Stand-alone-Akquisition 258 Standardabweichung 134, 144 standardisierte Werte 138 Standardisierung 135 Standardnormalverteilung 144 Statistik 107 statistische Einheit 108 <?page no="628"?> 628 Index Neue Betriebswirtschaft statistische Gesamtheit 109 statistische Grundgesamtheit 150 statistische Skala 111 statistisches Merkmal 110 Stem-and-Leaf-Plot 127 stetiges Merkmal 113 Steuerungsinstrumente, gesamtbankorientierte 328 Stichprobenstandardabweichung 134 Stichprobenumfang 152 Stochastik 106 stochastische Unabhängigkeit 157 Strategic Fit 259 strategische Allianz 456 Streudiagramm 161, 164 Streudiagramm mit linearer Regression 166 Strichkode 126 Struktogramm 121, 123, 153 Summenhäufigkeit 123 Summenoperator 119 Süßm ilc h, J oh an n P eter 105 Symbiose, partielle Integration 258 Synergieeffekt 252 Systematik des Eigenmittels nach Basel III 299 Tangente 172 Terminal Value 237 Testentscheidung, klassische 157 Testvariablenwert 155, 159 Titelei 593 Toleranzbereich 169, 174 Toleranzintervall 168 traditionelle Bonitätsanalyse 281 Treppenfunktion 138 Tukey, John Wilder 127 typografische Gestaltung 364, 574 Überwachungssystem Siehe Internes Kontrollsystem Umfeldfaktor 459 Unabhängigkeitshypothese 157 Unabhängigkeitstest 162 uneigentliches Integral 142, 145 unerwarteter Verlust (UEL) 309, 310 unimodal 127 univariat 114 Universitätsstatistik 105 unmögliches Ereignis 139 Unsicherheit 346 unsolicited Rating 278 Unternehmensbewertung Anlässe 229 Methodenüberblick 230 Unternehmensstandort 453 Unternehmensverknüpfung 249 Unternehmenszusammenschluss, Unternehmenszusammenschlüsse 249 unvollständig spezifizierte Normalverteilung 147 Urliste 114 Value at Risk 312 Variable 110 Vereinigungsmenge 139 Verschuldungsquote 301 Verteilungsanalyse 118 Verteilungsfunktion 136, 142, 145 vertikaler Zusammenschluss 251 vollständig spezifizierte Normalverteilung 142 Vorbemerkungen 103 Vorwärtsintegration 251 Wahrscheinlichkeit 107, 140 Wahrscheinlichkeitsverteilung 142 Währungsrisiko 270 <?page no="629"?> Index 629 Wendepunkte einer Glockenkurve 142 Wertebereich 145 Wertorientiertes Finanzmanagement, Aspekte 226 Wissensziele 103 Zeitwertabschätzung 173 Zinsänderungsrisiko 269 z-Transformation 135, 144 zufälliges Ereignis 140, 143, 146 Zufallsgröße 142 Zufallsstichprobe 150, 166 Zusammenhangsanalyse 149 zusätzliches Kernkapital 299 Zustandsmenge 110, 118, 125 Zustandsmenge, 0-1-kodierte 151 zweidimensionale Hyperebene 161 Zwei-Sigma-Bereich 143 <?page no="630"?> www.uvk.de Günther Schanz Eine kurze Geschichte der Betriebsw irtscha ftslehre 2018, 164 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-832-5 Bereits in der Antike, im Mittelalter und in der Renaissance beschäftigten sich Gelehrte mit ökonomischen Fragestellungen. Die akademische Betriebswirtschaftslehre ist dennoch eine junge Disziplin, die erst im 20. Jahrhundert aufblühte. Ihre Geschichte zeichnet Günther Schanz anhand der Wissenschaftsprogramme von Eugen Schmalenbach, Wilhelm Rieger, Heinrich Nicklisch, Erich Gutenberg, Edmund Heinen und Hans Ulrich kritisch nach. Überdies stellt er die arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre, die ökologische Öffnung der Disziplin, der Neue Institutionalismus und die verhaltenstheoretische Betriebswirtschaftslehre verständlich vor. Dieses Buch ist für Studierende und Wissenschaftler der Wirtschaftswissenschaften sowie angrenzender Studiengänge und darüber hinaus auch für Interessierte eine aufschlussreiche und zugleich spannende Lektüre. Kompakter und spannender Gesamtüberblick <?page no="631"?> www.uvk.de Die Aufmerksamkeit für Fair Trade hat in den letzten Jahren (inter-)national weiter zugenommen. In der 3., vollständig überarbeiteten Auflage geht es den Autoren vor allem darum, den Lesern die zentralen Argumentationslinien zu Fair Trade verständlich und übersichtlich zu vermitteln. Sie stellen das Konzept aus der Perspektive nachhaltiger Entwicklung dar und zeigen die theoretische Begründung und die empirische Bedeutung des Fairen Handels auf. Dabei werfen sie auch einen Blick auf die entwicklungspolitische Wirksamkeit des Fairen Handels und auf andere Konzepte, die eine ähnliche Zielsetzung haben. Zahlreiche Grafiken und Diagramme veranschaulichen die Inhalte. Das Buch richtet sich an Fach- und Führungskräfte aus dem Bereich Handel, politisch Interessierte und Studierende (Außenwirtschaft, Nachhaltigkeit, Umweltökonomie, Internationales Management). Michael von Hauff, Katja Claus Fair Trade Ein Konzept nachhaltigen Handels 3., vollständig überarbeitete Auflage 2017, 268 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-741-0 Grundlagenwerk für Studium und Praxis <?page no="632"?> www.uvk.de Endlich durchsetzen! Nikita Gribenko Durchsetzungsvermögen - privat und geschäftlich Praxistraining 2018, 150 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-850-9 Viele Situationen im Beruf und im Alltag erfordern Durchsetzungskraft. Doch Menschen, die sich nicht durchsetzen, haben meist das Nachsehen: Sie werden öfter ausgenutzt, weniger ernst genommen oder respektiert als andere. Dieser Ratgeber zeigt, wie Sie Ihr Durchsetzungsvermögen erhöhen und Ihre Interessen und Ziele besser erreichen können. Der Autor dieses Buches setzt dafür an der Individualität an. Er fragt zunächst nach dem Persönlichkeitstyp, nach der eigenen Motivation, der subjektiven Wahrnehmung. Erst durch eine ausführliche Selbstanalyse ist man in der Lage, als Person zu überzeugen und sich selbst zu beeinflussen. Anschließend werden die Techniken der Körpersprache, der Kommunikation und der Manipulation anschaulich beschrieben. Das Buch richtet sich an alle, die lernen wollen, sich durchzusetzen.