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Rang oder Ranking?

Dynamiken und Grenzen des Vergleichs in der Vormoderne

0525
2020
978-3-7398-0478-4
978-3-8676-4914-8
UVK Verlag 
Franz-Josef Arlinghaus
Peter Schuster

Ob bei Länderrankings oder bei Internetportalen zur Buchung einer Flugreise: Das Vergleichen kann in der Gegenwart als allgegenwärtiges Phänomen betrachtet werden. Die Ständegesellschaft des Mittelalters und der Frühen Neuzeit scheint, da Rangstufen für sie kennzeichnend sind, ebenfalls geradezu auf Vergleichen abonniert gewesen zu sein. Allerdings, und das zeigen die Beiträge des vorliegenden Bandes deutlich, bedarf es einer konsequenten Historisierung des Vergleichens. Denn durch den anderen Gesellschaftsaufbau gab es nicht die Lizenz, (fast) alles mit allem vergleichen zu können. Zudem nahm der Vergleich selbst oft andere Formen an als heute. So stellten gerade in der ,Ranggesellschaft' ,Rankings' eine Seltenheit dar. Die Beiträge behandeln unterschiedliche Felder der vormodernen Gesellschaft. Der Vergleich verschiedener Kulturen in der Frühen Neuzeit (Persien, Russland) sind ebenso Thema wie Rangeinstufungen im spätmittelalterlichen Hochadel. Kann so auch kein - gar nicht zu erreichender - enzyklopädischer Überblick geboten werden, so werden doch zentrale Bereiche des gesellschaftlichen Lebens der Vormoderne in den Blick genommen.

<?page no="0"?> Franz-Josef Arlinghaus, Peter Schuster (Hg.) Dynamiken und Grenzen des Vergleichs in der Vormoderne Rang oder Ranking? <?page no="1"?> Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven Herausgegeben von Martin Dinges · Joachim Eibach · Mark Häberlein Gabriele Lingelbach · Ulinka Rublack · Dirk Schumann · Gerd Schwerhoff Band 38 Wissenschaftlicher Beirat: Richard Evans · Norbert Finzsch · Iris Gareis Silke Göttsch · Wilfried Nippel · Gabriela Signori · Reinhard Wendt <?page no="2"?> Franz-Josef Arlinghaus, Peter Schuster (Hg.) Rang oder Ranking? Dynamiken und Grenzen des Vergleichs in der Vormoderne UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz <?page no="3"?> Gedruckt mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1437-6083 ISBN 978-3-86764-914-8 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2020 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Einbandmotiv: Herzogshut Karls des Kühnen von Burgund, um 1545, Einzelblatt mit Deckfarbenminiatur Printed in Germany UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 www.uvk.de <?page no="4"?> IInhalt Vorwort ......................................................................................................... 7 Zur Einführung.............................................................................................. 9 Franz-Josef Arlinghaus und Peter Schuster I. Der Vergleich und das/ der Andere Rang und Kultur. Vergleiche in der Geschichte russisch-europäischer Diplomatie ........................................................ 17 Jan Hennings Gesellschaftsvergleich in frühneuzeitlichen Reiseberichten: Persien um 1700 ................................................................................. 37 Stefan Brakensiek II. Hochadelige Vergleichspraktiken Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich ....................................................................... 53 Karl-Heinz Spieß III. Vergleich mit und in Medien Das Aussehen der Anderen: Zum Vergleichspotential von Kleidung im Spätmittelalter.......................................................... 89 Kirsten O. Frieling Vergleich und Unvergleichbarkeit. Jan van Eycks Verkündigungs-Diptychon in Madrid ............................................... 111 Johannes Grave Verzeichnis der Autor*innen ...................................................................... 131 <?page no="6"?> 7 VVorwort Der vorliegende Band ist aus einer 2013 am Zentrum für interdisziplinäre Studien (ZiF) durchgeführten Tagung hervorgegangen. Die Herausgeber möchten dem ZiF für die - wie immer - professionelle Unterstützung bei der Durchführung der Veranstaltung danken. Ausdrücklich danken möchten wir insbesondere den Autorinnen und Autoren der Beiträge, die sich in ihren Texten intensiv mit dem Vergleichsthema auseinandergesetzt haben. Beim Leitungsteam des Sonderforschungsbereichs 1288 „Praktiken des Vergleichens“, namentlich bei Angelika Epple, Walter Erhart und Johannes Grave, hat die Erstellung des Bandes auf vielfältige Weise immer wieder Unterstützung gefunden. Sabrina Timmer, die Leiterin der Geschäftsstelle, hat diese Unterstützung wie immer schnell und unbürokratisch umgesetzt. Dafür danken wir herzlich. Die Hilfskräfte Christine Gerwin, Marc Grünewald und Jonas Penningroth, sowie unsere Sekretärin Rita Gaye haben die Texte Korrektur gelesen und mit großer Geduld „in Form“ gebracht. Auch ihnen sei an dieser Stelle für die viele Arbeit gedankt. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass das Buch in der Reihe „Konflikte und Kultur“ aufgenommen wurde. Den Herausgebern der Reihe gilt unser herzlicher Dank. Für die schnellen Antworten auf unsere Fragen und das Entgegenkommen bei vielen kleinen Bitten danken wir Uta Preimesser vom UVK-Verlag, deren freundliche und entgegenkommende Art die Zusammenarbeit wesentlich erleichtert hat. Franz-Josef Arlinghaus / Peter Schuster <?page no="8"?> 9 ZZur Einführung Franz-Josef Arlinghaus und Peter Schuster Vorbemerkung Die dem Band zugrunde liegende Leitidee, sich dem Vergleich als soziokulturellem Phänomen zuzuwenden, und die wesentlichen Fragen, um die die Beiträge kreisen, wurden von Bettina Heintz, Bielefeld/ Luzern, und Willibald Steinmetz, Bielefeld, für einen Clusterantrag entwickelt, der einen Schwerpunkt im 19. und 20. Jahrhundert hatte. Auf einer 2013 durchgeführten Tagung, die dem Buch zugrunde liegt, ging es darum, die Fragestellung an die Vormoderne heranzutragen und auszuloten, wie umfassend eine Historisierung des Vergleichs nötig ist. Ziel war es zugleich, über eine Historisierung dem Vergleich selbst schärfere Konturen zu verleihen. Die essayhafte Einführung beruht weniger auf genuin eigenen Überlegungen der Herausgeber; vielmehr stellt sie eine Art - subjektive - Zusammenfassung der Diskussion dieser Arbeitsgruppe dar, in der die Herausgeber mitarbeiten durften. Die aufgeworfenen Fragen und Vorschläge zur Historisierung des Vergleichs lagen im Kern den Beiträgern als Tagungskonzept vor. Den einzelnen Aufsätzen ist es unseres Erachtens in überzeugender Weise gelungen, die Vorschläge für das jeweils behandelte Themengebiet aufzugreifen, ggf. in Frage zu stellen und, wo es opportun erschien, weiter zu entwickeln. Nach dem Wechsel von Bettina Heintz nach Luzern hat Angelika Epple zusammen mit Walter Erhart und Johannes Grave das Thema aufgegriffen und durch einen praxeologischen Zuschnitt eine andere Perspektive an das Vergleichen als soziales Phänomen herangetragen. Der SFB „Praktiken des Vergleichens“, der in Bielefeld 2017 seine Arbeit aufgenommen hat, bearbeitet das Vergleichen nun vor diesem anders gelagerten theoretischen Hintergrund. Gleichwohl, so hat die Diskussion der letzten Jahre im SFB gezeigt, handelt es sich bei den in diesem Band traktierten Themen, und insbesondere bei der bereits erwähnten Frage nach der Historisierung, um Problemstellungen, die auf Tagungen und in Workshops immer wieder diskutiert wurden und nichts von ihrer Relevanz eingebüßt haben. <?page no="9"?> Franz-Josef Arlinghaus und Peter Schuster 10 KKonzept Das Länderrating zur Einstufung der Kreditwürdigkeit, die „Pisa-Studie“ und die Stiftung Warentest haben eines gemeinsam: Sie basieren auf systematischen Vergleichen. Und so unterschiedlich die Beispiele, so sehr scheint ihr Kernthema, der Vergleich, einmal eingeführt, eine Dynamik zu entwickeln, der man sich nicht entziehen kann und die kaum aufhaltbar zu sein scheint. Die Ranggesellschaft der Vormoderne ist auf Ungleichheit abonniert und führt damit auch den Vergleich inhärent mit sich. Jedoch unterscheiden sich Form und Wirkung stark von den in der Moderne beobachteten Phänomenen. Der Sammelband möchte ausloten, welchen Stellenwert in der vormodernen Gesellschaft dem Vergleich als soziales Phänomen zukommt. Als Kontrastfolie dient dabei der Vergleich in der Moderne. Vergleich und Gesellschaftsstruktur Für die Gesellschaft der Gegenwart ist die Beobachtung zentral, dass Vergleiche und ihre Dynamiken primär im Rahmen bestimmter funktional ausdifferenzierter Bereiche Wirkung erzielen, kaum aber bereichsübergreifend Relevanz gewinnen (Universitätsrankings und die Bewertung von Unternehmen spielen jeweils nur für das Bildungsbzw. Wirtschaftssystem eine Rolle). Lassen sich diesbezüglich für die Vormoderne etwa segmentäre oder stratifikatorische Bereiche identifizieren, die nicht funktional differenziert sind, dennoch aber nur für auf sie begrenzte Vergleiche produzierten (etwa: Vergleich von Adelsfamilien, von Städten oder religiösen Orden untereinander)? Aber kommt der Adel ohne Vergleich mit dem Bürger oder Bauern aus? Oder orientiert sich der vormoderne Vergleich über alle Bereiche hinweg primär an allgemeingültigen Kategorien wie Anciennität, Herkunft, Heiligkeit und Ehre? Es scheint, dass die Einbettung des Vergleichs in funktional ausdifferenzierte Felder mit der beobachtbaren Eigendynamik des Vergleichs zusammenhängt. Werden Eigendynamiken des Vergleichs durch die Grundstrukturen der Gesellschaft oder die allgemeinen, normativen Semantiken („Ehre“) „ausgebremst“? Lassen sich in der Vormoderne überhaupt Eigendynamiken des Vergleichs identifizieren und wenn ja, nehmen sie vielleicht eine andere Richtung als in der Moderne? <?page no="10"?> Zur Einführung 11 FFolgen des Phänomens „Vergleich“ Rankings und andere Arten des Vergleichens haben nicht zuletzt zur Folge, dass sich Einzelne wie Institutionen gegenseitig wahrnehmen, z. T. ohne dass sie deshalb in direktem Kontakt miteinander treten müssten. Städterankings, ob nach Lebensqualität oder Wirtschaftsleistung, bieten oft erst den Anlass für eine Kontaktaufnahme zwischen Kommunen, weil diejenigen auf den hinteren Plätzen gern die „best practices“, für die die Spitzenreiter vermeintlich stehen, kennen lernen und gegebenenfalls adaptieren wollen. Dieses wechselseitige Beobachten auf der Basis bestimmter Vergleichskommunikationen scheint dann entweder dazu zu führen, dass man sich aneinander angleicht oder aber, meist gestützt auf ein Inkommensurabilitätspostulat, der Vergleich generell zurückgewiesen wird. Weltweit ähnliche Strukturbildung, ob bei Bildungseinrichtungen oder Armeen, Unternehmen oder Kommunen, basieren nicht zuletzt auf dem Vergleich und sind Beispiele für den ersten Fall; eine gewisse globale Integration scheint die Folge. Dagegen nehmen bestimmte Staaten sowie religiöse und ethnische Gruppen nicht selten kulturelle Unvergleichbarkeit für sich in Anspruch, um sich dem Druck des Vergleichs zu entziehen. Vergleich als Mechanismus der Angleichung und Integration und Vergleich als Mechanismus der Separierung und Desintegration - diese beiden Konfigurationen sind sicher auch für die Vormoderne von Relevanz, dürften aber auf anderen sozialen Formationen basieren und zielen. Um nur zwei Bereiche zu nennen: Der Vergleich der Religionen und Konfessionen etwa macht seit den Judenverfolgungen im 11. Jahrhundert, der Bekämpfung der Häresien durch das Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert und schließlich der Ausbildung unterschiedlicher Konfessionen im 16. Jahrhundert einen erheblichen Wandel durch. Heeraufgebot und Mäzenatentum scheinen zwei Spielarten zu sein, durch welche sich Fürstenhöfe untereinander verglichen (und angeglichen) haben. Und nicht erst seit den Kreuzzügen des Hochmittelalters und den Entdeckungsreisen des 15. und 16. Jahrhunderts werden Kulturen miteinander verglichen. Wo bzw. in welchen sozialen Bereichen der Vormoderne waren Vergleiche geradezu geboten, wo nicht erlaubt? Welche Effekte und Folgen hatten solche Ge- und Verbote für den Einzelnen, welche für die Gesellschaft? Kam dem Vergleich innerhalb bestimmter Gruppen, trotz der aufscheinenden Konkurrenz, eine integrative Funktion zu? Wie wichtig war der Vergleich für die Identitätsbildung von Gruppen wie Einzelpersonen? Wie greift der Einzelne auf den Vergleich zurück, um sich mit anderen in Relation zu setzen bzw. seine Individualität zu markieren? <?page no="11"?> Franz-Josef Arlinghaus und Peter Schuster 12 MMedien und Vergleichskommunikation Wesentlich für die Prominenz des Vergleichs heute scheint nicht zuletzt seine mediale Aufbereitung zu sein. Diese erfolgt in zweifacher Weise: Zum einen stehen seit der Telegraphie Techniken zur Verfügung, die es erlauben, Vergleiche in Echtzeit zu verbreiten. Zum zweiten nutzt die Vergleichskommunikation heute in starkem Maße in Tabellen eingetragene Zahlenwerte sowie graphische Darstellungen. Ohne Zweifel ist die Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit geringer gewesen als heute. Zudem dominierte dort, wo auf Schrift zurückgegriffen wird, die Erzählung, obwohl seit dem 16. Jahrhundert auch die tabellarische Darstellung allmählich an Raum gewann. Zugleich aber scheinen in der vormodernen Präsenz- oder Anwesenheitsgesellschaft andere Medien wie etwa Kleidung und die Positionierung von Personen im Raum prominent als Medien der Vergleichskommunikation genutzt worden zu sein. Welche Folgen hatte dies für die Verwendung und Wirkung von Vergleichen in der Gesellschaft? Führten die Situierung des Vergleichs in face-to-face-Situationen und die dort applizierten Medien dazu, dass Vergleiche weniger explizit herausgestellt wurden als heute? Vergleich, Zeit und Entwicklung Dieses Jahr Platz 5, nächstes Jahr Platz 2? Ob bei der Weltrangliste von Tennisspielern oder der Wirtschaftsleistung von Staaten - Vergleiche wollen auch Veränderungen abbilden und haben zumeist einen zeitlichen Index, der sich in der Moderne nicht zuletzt mit Fortschritt und Wachstum verbindet. Galt speziell das Mittelalter lange als wenig innovative Epoche, so hat sich inzwischen ein differenzierteres Bild eingestellt. Kirchen- und Klosterreformen waren seit dem 11. Jahrhundert auf der Agenda. Um grundlegende Veränderungen der Gesellschaft bemühten sich auch Herrscher wie Publizisten insbesondere des 15. Jahrhunderts. Die Gattung der Utopien ist bekanntlich eine Erfindung der Frühen Neuzeit und technischen Innovationen begegnete man vielleicht sogar mit weniger Skepsis als heute. Allerdings band man die Legitimität von Veränderungen meist an theologische Konzeptionen zurück, die nicht zuletzt andere Vorstellungen von Zeitlichkeit hegten, und das Thomas Morus seine Utopia nicht zeitlich, sondern im Raum platzierte, ist zu einem Signum des anderen Umgangs mit Zeitvorstellungen in Vormoderne und Moderne geworden. Welchen Platz hat dann der Vergleich in diesem Kontext? Wie stark kann er „Zeit“ als Index mitführen oder gar zum Thema machen? Welche Rückschlüsse auf den Vergleich als soziales Phänomen der Vormoderne ergeben sich daraus? Fragen dieser und anderer Art spielen <?page no="12"?> Zur Einführung 13 in den folgenden Beiträgen - mal an zentraler Stelle, mal als Nebenaspekt - eine zentrale Rolle. LLiteratur (in Auswahl) A RLINGHAUS , F RANZ -J OSEF , W ALTER E RHART , L ENA G UMPERT und S IMON S IEMI- ANOWSKI : Sich selbst vergleichen. Zur Relationalität autobiographischen Schreibens vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bielefeld 2020. E GGERS , M ICHAEL : Vergleichendes Erkennen. Zur Wissenschaftsgeschichte und Epistemologie des Vergleichs und zur Genealogie der Komparatistik, Heidelberg 2016. E PPLE , A NGELIKA und W ALTER E RHART (Hg.): Die Welt beobachten. Praktiken des Vergleichens, Frankfurt a.M. und New York 2015. E PPLE , A NGELIKA , W ALTER E RHART und J OHANNES G RAVE (Hg.): Practices of Comparing. Towards a new Understanding of a fundamental Human Practice, Bielefeld 2020. H EINTZ , B ETTINA : Numerische Differenz. Überlegungen zu einer Soziologie des (quantitativen) Vergleichs, in: Zeitschrift für Soziologie 39,3 (2010), 162-181. H EINTZ , B ETTINA : “Wir leben im Zeitalter der Vergleichung.“ Perspektive einer Soziologie des Vergleichs, in: Zeitschrift für Soziologie 45,5 (2016), 305-323. H EINTZ , B ETTINA : Kategoriale Ungleichheit und die Anerkennung von Differenz, in: S TE- FAN VON H IRSCHAUER (Hg.), Un/ doing Differences. Praktiken der Humandifferenzierung, Weilerswist 2017, 79-109. M AUZ , A NDREAS und H ARTMUT VON S ASS (Hg.): Hermeneutik des Vergleichs. Strukturen, Anwendungen und Grenzen komparativer Verfahren, Würzburg 2011. S TEINMETZ , W ILLIBALD (Hg.): The Force of Comparison. A New Perspective on Modern European History and the Contemporary World. New York und Oxford 2019. <?page no="14"?> II. Der Vergleich und das/ der Andere <?page no="16"?> 17 RRang und Kultur. Vergleiche in der Geschichte russisch-europäischer Diplomatie Jan Hennings Abstract Der Vergleich ist nicht nur ein wichtiges Werkzeug von Historikern. Schon die Zeitgenossen haben sich untereinander verglichen. In den russisch-europäischen Beziehungen haben die unterschiedlichen Vergleichsebenen - etwa in der Form von kultureller Fremdbeschreibung bzw. als soziale Praxis der Rangaushandlung - zu einem bisweilen widersprüchlichen Bild hinsichtlich der Position Russlands im europäischen Staatensystem geführt. Bei der Analyse frühneuzeitlicher Diplomatie ist dieser Umstand von besonderer Bedeutung, da Russland einerseits als Projektionsfläche für die kulturelle Abgrenzung Europas diente, die russischen Zaren jedoch andererseits an den rituellen Praktiken zur Herstellung von Rang und Status partizipierten. Ziel dieses Essays ist es, den Blick für die Verschiedenheit der Vergleichsdynamiken zu schärfen, um sie in der Diplomatiegeschichte - die auch immer eine Geschichte von Kulturbegegnungen ist - zu verorten. Einleitung Die Präsenz Russlands hat die Europäer oft zu Vergleichen provoziert. Der britische Gesandte am russischen Hof, Charles Whitworth, berichtete 1709 aus Moskau nach London: „the methods of this government, and especially their administration of justice differ more from those of Great-Britain than the severity of their climate from the gentleness of english air, and therefore it is no wonder they are so little understood“. 1 Friedrich Christian Weber, der als kurfürstlichhannoverischer Resident in St. Petersburg den englischen König Georg I. am Hof Peters I. von 1714 bis 1719 repräsentierte, kommentierte die dortigen „Gesandtschafts-Sachen“ mit den Worten: „Jedoch ist jezo alles auf den Europäischen Fuß eingerichtet, auch nach demselben das ceremoniel regliret worden, da man sonsten in ganzen Monaten sich darüber nicht vergleichen können.“ 2 Die beiden Diplomaten teilten vergleichende Beobachtungen mit. Jedoch handelte es sich um 1 W HITWORTH an B OYLE , 9.3.1709, SIRIO, Bd. L, 153. 2 W EBER : Des veränderten Rußlandes, 184. <?page no="17"?> Jan Hennings 18 gänzlich verschiedene Kategorien des Vergleichs. Withworth bediente sich kulturell-diskursiven Wissens, um die Schwierigkeiten der Verhandlungen mit kulturellen Unterschieden zu begründen. 3 Weber berichtete von einer sozialen Praxis, mit der im Ritual die Rangpositionen europäischer Herrscher bestimmt wurden. Je nach Art des Vergleichs ergab sich im Spannungsfeld zwischen Diskurs und Praxis ein anderes, bisweilen widersprüchliches Bild von den russisch-europäischen Beziehungen. Bei der Analyse frühneuzeitlicher Diplomatie ist dieser Umstand von besonderer Bedeutung, da Russland als das „rude and barbarous kingdom“ oft als Projektionsfläche für die kulturelle Abgrenzung Europas diente, 4 die russischen Zaren jedoch gleichzeitig als Konkurrenten um Ehre und Prestige im europäischen Präzedenzsystem auftraten. 5 Ziel dieses Essays ist es, den Blick für die Verschiedenheit der Vergleichsebenen zu schärfen, um sie in der Analyse der Diplomatiegeschichte - die auch immer eine Geschichte von Kulturbegegnungen ist - zu berücksichtigen. EEbenen des Vergleichs Vergleichen ist modern. Vor vielen Entscheidungen steht ein Vergleich. Oft wird davon ausgegangen, dass sich die zur Auswahl stehenden Optionen durch eine methodisch gesicherte Hierarchisierung ordnen lassen. Die Kreditwürdigkeit von Volkswirtschaften, die Beliebtheit von Webseiten, das bessere Konsumprodukt oder die höherwertige Ausbildung werden in eigens entwickelten Rangsystemen abgebildet. Die Auswertung quantitativer Daten für internationale Hochschulrankings ist nur ein Paradebeispiel für diesen Vorgang. 6 Auch in der Vormoderne wurde verglichen. Status und Rang bestimmten maßgeblich die sozio-politische Stellung von Individuen und Gruppen in der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft sowie die Position ganzer Herrschaftsverbände innerhalb einer hierarchisch organisierten politischen Ordnung. 7 Doch wenn in der Vormoderne von „Rang“ gesprochen wurde und gegenwärtig von „Ranking“ 3 Vgl. H ARTLEY : Clash of cultures, 58ff. 4 Vgl. die englischsprachigen Reiseberichte in B ERRY und C RUMMEY (Hg.): Rude and barbarous kingdom; Freilich war auch für Russland der Vergleich mit dem Westen ein identitätsstiftendes Motiv. Der Vergleichsmodus ist geradezu ein konstitutives Moment russischer Identität, die spätestens seit der Regierungszeit Peters I. im Pendelschlag zwischen der Identifikation mit Europa und der Unvergleichbarkeit Russlands die russische Kulturgeschichte maßgeblich geprägt hat, siehe J AHN : „Us“: Russians on Russianness. 5 Dazu ausführlich H ENNINGS : Russia and courtly Europe. Der vorliegende Artikel basiert auf Teilergebnissen dieser Arbeit. 6 H EINTZ : Numerische Differenz, 169. 7 Einführend zu Status und Rang in der neueren Ritualforschung, S TOLLBERG -R ILINGER : Rituale. <?page no="18"?> Rang und Kultur 19 die Rede ist, so besteht zwischen diesen zwei Kategorien ein fundamentaler Unterschied. Heute wird angenommen, man könne objektive Verfahren des Vergleichs zur Erkenntnisgewinnung nutzen, und zwar unabhängig von den interessengesteuerten und kontingenten sozialen Praktiken, die jeder Vergleich unweigerlich nach sich zieht. Als wissenschaftliche Methode übt das Ranking keinen Einfluss auf die Realität aus. Das Ranking soll die Wirklichkeit lediglich so abbilden wie sie ist, um Entscheidungen zu erleichtern, wobei dieser Neutralitätsanspruch bei vielen auf Unbehagen hinsichtlich der suggestiven Wirkung und der Einflussnahme von Ranglisten auf Politik oder individuelles Kaufverhalten stößt. 8 Im Unterschied zum modernen Ranking war im frühneuzeitlichen Zeremoniell der Rang mit der Zurschaustellung von Status und Prestige, d. h. mit dem Kommunikationsakt und den Interessen seiner Teilnehmer untrennbar verknüpft. Der zeremonielle Vergleich war also nicht nur ein Ausdruck von politischen Ideen und gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern ein Eingriff in die soziale Realität selbst. Das Ritual war ein soziales Ereignis, das die politische Ordnung hervorbrachte. 9 Wenn also 1661 die Botschafter Ludwigs XIV. von Frankreich und Philips IV. von Spanien beim feierlichen Einzug des schwedischen Gesandten in London um den Vortritt rangen, was in einer blutigen Auseinandersetzung zwischen den zwei Parteien endete, so verglich man sich nicht um weniger als um den Erhalt der internationalen Ordnung. 10 Anders gesagt, ist das Ranking heute ein Instrument der Informationsbeschaffung zur handlungsleitenden Orientierung, so konstituierte der Rang damals soziale Realität in einem ritualisierten, performativen Akt des relativen Status-Vergleichs. 11 8 So kann die Aura der Zahlen in den Augen der Kritiker nicht darüber hinweg täuschen, dass die Vergleichsmethode zur Informationsbeschaffung selbst eine Art sozialer Praxis ist. Diese stiftet auf anderer Ebene eine eigene Ordnung, die für viele Teilnehmer abgekoppelt von ihrer eigenen Wirklichkeit zu existieren scheint, also von jener Wirklichkeit, die das Ranking ja gerade beschreiben will. So zum Beispiel bzgl. der Hochschulpolitik in einem viel beachteten Beitrag im Magazin London Review of Books von H OWARD H OTSON , in dem der Oxforder Frühneuzeitler die „THE-QS World University Rankings“ und die sich daran orientierende Bildungspolitik Großbritanniens einer Generalkritik gegen die Prämisse der Ökonomisierung der Universität unterzieht: H OTSON : Don’t Look to the Ivy League. 9 Dazu grundlegend S TOLLBERG -R ILINGER : Symbolische Kommunikation, 503. 10 R OOSEN : Modern diplomacy, 181f.; Zum Gesandtschaftszeremoniell siehe allgemein K RISCHER : Souveränität; Für Russland im 16. Jahrhundert insbesondere Juzefovič: Put’ posla; Für das 18. Jahrhundert A GEEVA : Ceremonial. 11 Vgl. die Gegenüberstellung von Vergleich als „kognitiver Akt“ bzw. als „kommunikatives Phänomen“, in H EINTZ : Numerische Differenz, 163. <?page no="19"?> Jan Hennings 20 Um die Dinge zu verkomplizieren, kommt noch eine dritte Kategorie des Vergleichens hinzu. Kulturen vergleichen sich. Es scheint, als komme kulturelle Identität ohne den Bezug auf das Fremde, sei es in der europäischen Geschichte der Islam, der Orient, Russland oder der Kommunismus, nicht aus. 12 Die Beschreibung fremder Kulturen als Spiegelbild eigener Identität war auch gerade in der frühen Neuzeit weit verbreitet. Montaigne äußerte sich in seinem Essay „Über die Menschenfresser“ bekanntlich kritisch zu dem Umstand, dass „jeder das Barbarei nennt, was bei ihm ungebräuchlich ist - wie wir ja in der Tat offensichtlich keine andere Messlatte für Wahrheit und Vernunft kennen als das Beispiel und Vorbild der Meinungen und Gepflogenheiten des Landes, in dem wir leben: Stets findet sich hier die perfekte Religion, die perfekte Staatsordnung, der perfekteste Gebrauch der Dinge.“ 13 Noch in Friedrich Schillers berühmter Antrittsrede von 1789, „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? “, hielten die „Wilden“ als Spiegelbild aufgeklärter Europäer her, nämlich als Ebenbild des eigenen, einstmalig vorzivilisatorischen Zustands. Unter dem Eindruck sich verdichtender Fremdheitserfahrungen seit dem Beginn der europäischen Expansion und deren Deutungen durch die Aufklärung wurden bestimmten Kulturkreisen unterschiedliche Ränge bzw. Entwicklungsstufen zugewiesen. So berichtete der Dichter und frisch berufene Jenaer Universalhistoriker von den überseeischen „Völkerschaften, die auf den mannichfaltigsten Stuffen der Bildung um uns herum gelagert sind, wie Kinder verschiednen Alters um einen Erwachsenen herum stehen, und durch ihr Beyspiel ihm in Erinnerung bringen, was er selbst vormals gewesen, und wovon er ausgegangen ist.“ 14 Um die zwei letzteren Formen soll es im Folgenden gehen: um Vergleiche als identitätsstiftende und ausgrenzende Fremdbeschreibung sowie als kommunikatives Ereignis, d.h., als ordnungsstiftende und integrative Aushandlung von Rang und Ehre. In den russisch-europäischen Beziehungen ko-existierten bzw. vermischten sich die zwei Vergleichsebenen. In der Diplomatiegeschichte stehen sie sich als konkurrierende Deutungen der Position Russlands und seiner Partizipationsmöglichkeiten im frühneuzeitlichen Staatensystem gegenüber. Vorab sei erwähnt, dass die Zeitgenossen ein klares Bewusstsein dafür hatten, dass sowohl die Beschreibung fremder Völker als auch die soziale Rangbestimmung auf der Grundlage von Vergleichen fußte. Dies rückt den Vergleich als historisches Phänomen selbst in den Vordergrund und fügt seiner Verwendung in der geschichtswissenschaftlichen Methodendiskussion einen wichtigen Aspekt 12 Zur Einführung D ELANTY : Formations of European Modernity, 4-10, passim; Für Russland und die Türkei exemplarisch N EUMANN : Uses of the Other, 1-112. 13 M ONTAIGNE : Essais, 111. 14 S CHILLER : Universalgeschichte, 11. <?page no="20"?> Rang und Kultur 21 hinzu. 15 So weist das Vokabular des diplomatischen Protokolls deutliche Bezüge zum Vergleichsvorgang auf. Zum Beispiel deutete der Titel „Exzellenz“ im Gesandtschaftszeremoniell die Höherstellung an und war neben anderen rituellen Attributen unabdingbarer Bestandteil der souveränen Würde, mit der ein akkreditierter Botschafter seinen Herren repräsentierte. 16 Ganz explizit schrieben die Zeremonialwissenschaftler vom Vergleich. 17 In der Sprache der zeitgenössischen Experten für zeremonielle Angelegenheiten war nicht selten von Rangverhandlung als „Vergleich“ die Rede. Zumindest die Terminologie, die für das Zeremoniell typisch war, legt dies nahe. John Selden drückte sich in seiner Abhandlung „Titles of Honor“ von 1614 wie folgt aus: „But that Basilius held himselfe rather the better man being compard with the Emperor“. 18 James Howell schrieb 1664 in seinem „Proedria vasilike a discourse concerning the precedency of kings“: „Therupon the Emperour [of Russia] slighting the Queen in comparison of the Emperour of Germany, who was the only Prince Paramount.“ 19 Und in Zacharias Zwantzigs „Theatrum Praecedentiae“ von 1706 hieß es in einer Erörterung von Rangansprüchen: „Indessen halten sich offt gedachte hohe Potentzen, Kayser, Könige Churfürsten, Fürsten, Respubliquen Herren und Staaten an die Possession, nemlich wie weit, wohin und wie hoch eines jeden Rang und Praecedentz von Alters oder die letzten Zeiten her gegangen: Oder es nimmt hierinnen ein jeder Potentat, Respublique, Fürst und Herr sein Reglement nach demselben, welchem Er in Charactere & Dignitate vollkommen gleich: Oder wie er sich dessfals mit einem Pari und sonst darüber vergleicht.“ 20 Ebenso explizit konnte die Beschreibung von Kulturen im Modus des Vergleichs erfolgen. Johann Heinrich Gottlob Justi überschrieb 1762 seine Staatenbeschreibung mit dem Titel: „Vergleichungen der Europäischen mit den Asiatischen und andern vermeintlich Barbarischen Regierungen“. 21 Ähnlich relativistisch-kritisch wie Montaigne beanstandete Justi den Nationalstolz und die Überhöhung der eigenen Kultur: „So treiben wir Europäer diese hohe Einbildung von uns selbst doch viel höher als alle andere Nationen des Erdbodens. Unser Vorzug scheinet uns gar nicht zweifelhaftig. Wir setzen uns kühn über alle andre Völker der übrigen Welttheile hinaus. Sie sind in unsern Augen nichts als ungeschickte, rohe und unwissende Barbaren, wenn wir ihnen noch die Ehre erzeigen, dass wir 15 Vgl. S TOLER : Considerations; Zur Methodendiskussion K OCKA und H AUPT : Comparison and beyond. 16 S TIEVE : Europäisches Hof-Ceremoniel, 288ff.; Zum Exzellenztitel und weiteren Statusmerkmalen von Souveränität vgl. S TOLLBERG -R ILINGER : Völkerrechtlicher Status. 17 Dazu Zeremonialwissenschaft grundlegend V EC : Zeremonialwissenschaft. 18 S ELDEN : Titles, 28. 19 H OWELL : Discourse, 215. 20 Z WANTZIG : Theatrum Praecedentiae, T. I, s.p. („An den Leser“). 21 J USTI : Vergleichungen. <?page no="21"?> Jan Hennings 22 sie nicht gar unter die Wilden zählen.“ 22 Die hier kritisierten Kategorien dieser Gegenüberstellungen fanden ihren Ausdruck in der Überzeugung, dass verschiedene lokale Traditionen miteinander unvereinbar seien und die Sitten fremder Völker mithin „ungereimt, unvernünftig, thöricht und lächerlich.“ 23 Diese Art des Kulturvergleichs hatte dazu geführt, dass die eigene Identitätskonstruktion den Ausschluss des kulturell Anderen nach sich zog. Für Justi sollte der Vergleich hingegen den sich „so weise dünkenden“ Europäern „eine gewisse Schamröthe“ ins Gesicht treiben. Im Spiegel anderer Länder sollten sie sich ihrer selbst gewahr werden, um die vorherige „Überheblichkeit“ und „Krankheiten der Einbildungskraft“ abzulegen. 24 Kulturvergleich und Fremdbeschreibung in der frühen Neuzeit sind in diesem Sinne kein Phänomen sozialer Praxis oder Ordnungsstiftung, sondern Ausdruck diskursiven Wissens. 25 Der Vergleich konnte sich als Zitat eines Fremdheitsdiskurses zeigen, wie etwa im eingangs angeführten Gesandtschaftsbericht von Charles Whitworth, als Projektionsfläche für die kulturelle Ausgrenzung von einem mehr oder weniger beliebig „Anderen“. Diese Art des Vergleichs war nicht notwendigerweise an die reale Begegnung mit Repräsentanten fremder Kulturen zurückgebunden. So konnte John Milton die Abhandlung “Brief history of Moscovia […] Gathered from the writings of several eye-witnesses” schreiben, ohne selbst nach Russland gereist zu sein. 26 Die frühneuzeitliche ethnographische Literatur über das „barbarische“ Moskowien bot dafür genug Material. 27 Es verwundert nicht, dass Russland in der Wahrnehmung der Zeitgenossen eher der „nicht-europäischen“ Welt zugeordnet und die russische diplomatische Praxis dementsprechend von den Entwicklungen in Europa abgegrenzt wurde. 28 Anderthalb Jahrzehnte nach dem Erscheinen von Justis „Vergleichungen“ leitete Jean-Nicolas Demeunier seine völkerkundlichen Darstellungen, „L’Esprit des usages et des coutumes des différens peuples“ (1776), mit einem Plädoyer für eine komparative Perspektive ein: „Wir kennen nun beinahe alle Nationen, die zivilisierten (policées) und die wilden. Die Zeit ist gekommen, sie zu vergleichen.“ 29 Um die Unterschiede der Vergleiche als diskursives Wissen auf der einen, bzw. als soziale Interaktion auf der anderen Seite noch einmal zu verdeutlichen, sei Demeuniers Beobachtung über die Notwendigkeit des Völkervergleichs ein Zitat aus Zwantzigs „Theatrum“ gegenübergestellt: „Sonsten finden sich nechst dem 22 J USTI : Vergleichungen, s.p. („Vorrede“); Zu J USTI vgl. O STERHAMMEL : Entzauberung, 64ff. 23 J USTI : Vergleichungen, s.p. („Vorrede“). 24 E BD . 25 Vgl. hierzu ausführlich O STERHAMMEL : Entzauberung, 21ff., passim. 26 M ILTON : Moscovia. 27 Grundlegend hierzu P OE : People born to slavery. 28 S CHEIDEGGER : Perverses Abendland; K LUG : Das „Asiatische“ Rußland. 29 Übers. zit. n. O STERHAMMEL : Entzauberung, 19. <?page no="22"?> Rang und Kultur 23 Türkischen Kayser [...] noch weitläufige grosse barbarische Könige/ Kaysere […] wo nicht vielen Europäischen Cronen vorzuziehen / doch zu vergleichen seyn.“ 30 Auf den ersten Blick handelt es sich hier um sehr ähnliche Aussagen. Beide Überlegungen stellen die europäischen (policées) und „barbarischen“ Kulturen gegenüber. Und doch ergeben sich trotz der Ähnlichkeit auf der Oberfläche des Vokabulars grundlegende Unterschiede in der Bedeutung des jeweiligen Vergleichs und für das, was er über die Beziehungen zwischen den Staaten aussagt. Demeunier hatte Wissen über das Klima, die Fruchtbarkeit des Bodens, die physische Beschaffenheit der Länder, die Bedürfnisse der Volksstämme, ihre Politik, Moral und Gesetze, Ideen und Vorstellungen von Freiheit und Sklaverei usw. zusammengetragen. Er wollte die Völker nicht von seinem Standpunkt aus in ihrer Eigenartigkeit entblößen und der Lächerlichkeit preisgeben, sondern im Vergleich ihrem Wesen („l’esprit“) nachspüren. 31 Zwantzig hingegen beschrieb konkrete soziale Ereignisse und Begegnungen, d. h. Präzedenzfälle, Diplomatenempfänge, Titulaturen und Zeremonien, durch welche die Beziehungen zwischen den genannten Herrschern auf symbolischer Ebene verhandelt - oder eben „verglichen“ - wurden, ohne notwendigerweise auf kulturelle Unterschiede zu verweisen. KKulturvergleiche Der Kulturvergleich hat das Russlandbild seit der frühen Neuzeit und mithin die Vorstellungen von der russischen diplomatischen Praxis maßgeblich geprägt, zumal es nicht selten Mitglieder von Gesandtschaften waren, die im Anschluss an ihre Reisen umfangreiche ethnografische Berichte veröffentlichten. 32 Die Gesandtschaft Richard Chancellors etwa, des ersten Engländers in Moskau, dessen Verhandlungen 1553 mit Ivan IV. zur Einrichtung des englischen Handelsmonopols führten, wurde ganz im Modus der europäischen Entdeckung beschrieben: „But they [the Russians], being amazed with the strange greatness of his ship [...] began presently to avoid and to flee; but he still following them at last overtook them, and being come to them they, being in great fear as men half dead, prostrated themselves before him, offering to kiss his feet. [...] And the barbarous Russes asked [...] of our men whence they were and what they came for. Whereunto answer was made that they were Englishmen sent into those coasts from the most excellent King Edward the Sixth. [...] The barbarians heard these 30 Z WANTZIG : Theatrum Praecedentiae, T. I, 84. 31 D EMEUNIER : L’esprit, Bd.1, V-VI. 32 Für eine ausführlich kommentierte Bibliografie zu Russland siehe P OE : Foreign descriptions. <?page no="23"?> Jan Hennings 24 things very gladly.“ 33 Das Urteil anderer Russlandreisender fiel noch eindeutiger aus. Der Holsteiner Gesandtschaftssekretär, Adam Olearius, schrieb um die Mitte des 17. Jahrhunderts: „Wenn man die Russen nach ihren Gemüthern / Sitten und Leben betrachtet / seynd sie billich unter die Barbaren zu rechnen.“ 34 Mehr als 100 Jahre nach Chancellors Reise wusste auch sein Landsmann Charles Howard of Carlisle, Botschafter Charles II., folgendes an seinen König zu berichten: „They are a people who neither know to manage affairs nor practise courtisy, and as for truth or honour they would think it a disreputation to be guilty of them. Hence, it is that to give the Ly is here accounted no affront and to professe themselves slaves is their only ingenuity.“ 35 In der von dem Botschafter autorisierten Reisebeschreibung seines Sekretärs hieß es, die Bojaren hätten ihn mit ihren Goldketten an Äthiopische Sklaven erinnert. 36 Die Vergleichsdynamik des kulturellen Ausschlusses, die solchen Beschreibungen zugrunde liegt, setzt sich in diversen Staatenbeschreibungen und Abhandlungen russischer diplomatischer Praxis fort. Samuel Pufendorf schrieb in seiner „Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten“ über Russland: „Von der Russischen Nation Qualitäten ist nicht viel sonderliches zu schreiben / das ihnen zu grossem Ruhm dienen kann. Bey ihnen ist keine solche Cultur, als bey den meisten andern Europaeischen Völckern [...]. Sie sind mißtrauisch / grausam / und blutrünstig.“ 37 Diese Art der Beschreibung wurde oft verwendet, um das Ansehen Peters I. in den Kontrast zur scheinbar rückständigen moskowitischen Praxis zu stellen, und zwar bereits zur Zeit Peter des Großen. Peter Pavlovich Schafirow (1670-1739), Peters Favorit und Verfasser der ersten Abhandlung über internationales Recht in russischer Sprache, schrieb daran anknüpfend zum Ende des Großen Nordischen Kriegs (1700-1721), dass Zar Peter Russland zu viel Ehre verholfen habe. Die Errungenschaften des Zaren erschienen noch glorreicher, da er betonte, was sie überwunden hätten: „Noch vor einigen Jahrzehnten beschrieb und bewertete man das Russische Volk und den Russischen Staat in anderen Europäischen Staaten so wie Indianer oder Perser und andere Völkerschaften, die bis auf ein paar Handelsbeziehungen keine Korrespondenz mit Europa führten.“ 38 Schafirow nach zu urteilen war Russland kein Teil europäischer Staatsangelegenheiten, weder im Krieg noch zu Friedenszeiten, und wurde kaum jemals als Teil der Gemeinschaft der Europäischen Völker betrachtet. 33 C HANCELLOR : First Voyage, 28. 34 O LEARIUS : Beschreibung, 184. 35 “Carlisle an Charles II, 14. Juni 1664”, TNA, SP 91/ 3, fos. 105-105v, abgedruckt in R OBBINS : Carlisle, 12f.; Zum Sklaven-Topos der frühneuzeitlichen Ethnographie über Russland vgl. P OE : „Slaves oft he Tsar“. 36 M IEGE : Three embassies, 184f. 37 P UFENDORF : Einleitung, 715. 38 S HAFIROV : Discourse, 2 (zit. n. der russischen Version). <?page no="24"?> Rang und Kultur 25 Jene Kategorien des Kulturvergleichs haben sich in die Forschung zu russischeuropäischen Beziehungen seit dem 19. Jahrhundert eingeschrieben. Die Behauptung des russischen Professors für internationales Recht, Fedor F. Martens, es sei falsch, zu meinen, die Moskowiter hätten überhaupt einen Begriff von den Beziehungen mit Europa gehabt, erinnert stark an Schafirows Panegyrik auf Peter I. 39 Noch in der Russlandforschung des 20. Jahrhunderts gab es starke Tendenzen, den Nachweis der Kontinuität von nicht-europäischen Herrschaftsstrukturen und sowjetischem Totalitarismus zu erbringen, wie etwa in den Arbeiten Richard Pipes. 40 Die Entwicklung russischer Autokratie brachte Russland demnach auf einen Sonderweg, der von der Geschichte der westlichen Zivilisation grundlegend abwich. Mit Blick auf die klassische Diplomatiegeschichte, und aus der Sicht des „Balance of Power“-Konzepts, befand sich Russland an der östlichen Randlage des europäischen Staatensystems, 41 das sich seit dem Westfälischen Frieden in Westeuropa verdichtete und die Grundlage für die moderne Staatenordnung legte. 42 Die Russlandforschung reagierte auf diese Prämisse, indem sie vornehmlich den Aufstieg Russlands zu einer europäischen Großmacht zu erklären suchte und sich auf die Überwindung der alten russischen Welt sowie des Außenseiterstatus der Zaren seit Peter dem Großen konzentrierte. 43 Je näher Russland an Europa heranrückte und je stärker es sich in das Staatensystem eingliederte, desto mehr qualifizierte es sich als Forschungsgegenstand innerhalb einer Forschungsrichtung, die den europäischen Nationalstaat als Akteur internationaler Beziehungen in den Mittelpunkt gerückt hatte. Das hieß im Umkehrschluss, dass sich das vorpetrinische Russland der Aufmerksamkeit von Historikern entzog, da es sich vor der Einrichtung von permanenten Gesandtschaften und der Einbindung in westliche Bündnissysteme durch Peter I. keinen Platz in der aufkeimenden europäischen diplomatischen Kultur verschafft hatte. Es setzte sich das Bild des orthodoxen, rückständigen und isolierten Moskowien durch. Der Barbarendiskurs und die ihm zugrunde liegenden Kulturvergleiche bildeten gleichsam die Folie, durch wel- 39 M ARTENS : Meždunarodnoe pravo, I, 157 f.; Zur Geschichte des Völkerrechts in Russland neuerdings M ÄLKSOO : Russian approaches. 40 P IPES : Old Regime; Zur kritischen Einordnung der Arbeiten von R ICHARD P IPES in die Frühneuzeitforschung zu Russland siehe vergleichend P OE : Truth und K IVELSON : On Words. 41 A NDERSON , Rise of modern diplomacy, 27f.; Kritisch zur Unterscheidung zwischen westeuropäischer und “peripherer” Diplomatie, W ATKINS : Introduction, 4; Nicht zuletzt sind derlei geographische Unterscheidungen auch an die Traditionen und Fachstrukturen der Osteuropäischen Geschichte als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft gebunden. Zur Diskussion siehe H ILDERMEIER : Osteuropa. 42 Vgl. dazu H ENNINGS : Balance of Power. 43 Siehe z. B. M EDIGER : Moskaus Weg nach Europa, ferner B LACK : Russia’s rise; S COTT : Eastern powers; K UNISCH : Aufstieg; S CHULZE und W ESSEL : Systembegriff. <?page no="25"?> Jan Hennings 26 che die russische frühneuzeitliche Diplomatie betrachtet werden konnte. Die russische diplomatische Praxis mit ihren versteiften Ritualen erinnerte an eine fremde Welt, die angesichts der Anfänge des modernen Völkerrechts und des auf Gleichheit angelegten Staatensystems allenfalls zur Blütenlese vormoderner Rückständigkeit taugte. Die Autoren des Kulturvergleichs wurden dabei als Zeugen der Andersartigkeit Russlands herangezogen, um die rückständige politische Kultur der Zaren und mithin ihre Unvereinbarkeit mit dem Westen zu beschreiben. 44 Gesandtschaftsrituale wurden als Zeichen der Differenz gedeutet: „Muscovy appeared strange to foreigners“. 45 Europäisch-russische Beziehungen wurden unter dem Aspekt der Alteritätserfahrung betrachtet, und auch das Zeremoniell wurde oft in den Kategorien des Kulturvergleichs untersucht, was erklärt, weshalb die ältere Zeremoniellforschung vor allem die Frage nach dem kulturellen Ursprung nationaler Identität und ihrem rituellen Ausdruck stellte. 46 RRangvergleiche Die Fremdbeschreibung anderer Kulturen für bare Münze zu nehmen, verstellt den Blick auf Prozesse, an denen sowohl westliche als auch nicht-europäische Gesandte teilhatten. In der neuen Diplomatiegeschichte werden deshalb kulturelle Unterschiede als alleinige Faktoren in den frühneuzeitlichen internationalen Beziehungen zunehmend hinterfragt. 47 Bei den diplomatischen Ritualen handelte es sich um eine Vergleichsform, die ihren eigenen Regeln folgte. Diese waren weniger in Identitätsstiftung und kultureller Differenz begründet als in der täglichen Praxis politischer Kommunikation innerhalb der frühneuzeitlichen Anwesenheitsgesellschaft. 48 44 So wird z. B. C ARLISLE in diesem Sinne bei A NDERSON : Rise of modern diplomacy, 61, zitiert. 45 R IASANOVSKY und S TEINBERG : History of Russia, 181 f. 46 In der älteren Forschung war das russische diplomatische Zeremoniell stets Gegenstand einer Debatte um die Wurzeln russischer Identität, seien diese nun westlich (S AVVA : Moskovskie cari, 268- 270), asiatisch, mongolisch (V ESELOVSKIJ : Tatarskoe vlijanie), slawisch, litauisch, byzantinisch oder eine Vermischung all dieser Elemente (J UZEFOVIČ : Put’ posla, 5-13); Weichen diese Interpretationen auch voneinander ab, so ist ihnen doch gemein, dass sie das Zeremoniell als Verkörperung nationalkulturellen Erbes ansehen; Vgl. des weiteren L EŠKOV : O drevnej russkoj diplomatii, für die vorrevolutionäre Zeit. Die Sowjethistoriographie betonte den westlichen Ursprung, schloss byzantinische und slawische Elemente jedoch nicht aus: P OTEMKIN : Istorija, Bd. 1, 303-315. 47 W INDLER : Diplomatic history; B RAUNER : Zwei Truhen; V OGEL : Amtsantritt; Für Russland zuletzt B OTERBLOEM : Russia and Europe. 48 Ich folge hier den soziologischen Ansätzen, die in der deutschen Frühneuzeitforschung aufgegriffen und unter dem Begriff der „Anwesenheitsgesellschaft“ ausformuliert wurden. Siehe dazu S CHLÖGL , Kommunikation und Vergesellschaftung. Siehe auch S TOLLBERG -R ILINGER , Symbolische Kommunikation. <?page no="26"?> Rang und Kultur 27 In der Notwendigkeit der Präsenz von Herrschaft lag ein wesentliches Dilemma frühneuzeitlicher Diplomatie: Wie war es in einer Kultur der Anwesenheit möglich, politische Kommunikation über große Entfernungen herzustellen? Das Gesandtschaftszeremoniell bot eine Möglichkeit, die Abwesenheit politischer Entscheidungsträger im diplomatischen Dialog zu überbrücken. Aus dem Problem der Stellvertretung eines absenten Fürsten ergaben sich die verschiedenen Funktionen des Rituals und all seine Schwierigkeiten. Häufig traten Konflikte auf, bei denen es vorrangig um die Anerkennung von Ehre und Prestige als Statusmerkmale von Souveränität ging und damit um die Herstellung einer politischen Rangordnung. 49 Es war keineswegs von vornherein klar, wie man sich in Situationen begegnen konnte, ohne die Würde seines Herrschers zu kompromittieren. Hierin liegt ein Kern des Verständnisses diplomatischer Begegnungen sowohl von Europäern untereinander, als auch zwischen Europäern und Russen. Die zunächst vieldeutigen, willkürlichen Gesten der Teilnehmer mussten auf nachvollziehbare Konventionen reduziert und in einem langen Prozess der Standardisierung zu einem verbindlichen System von Normen gefügt werden. Dieser Prozess war langwierig. Er war aber flexibler und offener für Kompromisse, als die Idee von der Inkommensurabilität von Kulturen, also das Aufeinanderprallen von bereits fixen, existierenden kulturellen Normen vermuten lässt. 50 Wie die neue Diplomatiegeschichte herausgearbeitet hat, war diese Entwicklung auch in Europa noch im 17. Jahrhundert keinesfalls abgeschlossen. Erst mit der Intensivierung diplomatischer Kontakte nach 1648 kam der Prozess zur eigentlichen Entfaltung. 51 Neben offenkundigen kulturellen Unterschieden sahen sich die Teilnehmer im direkten diplomatischen Kontakt also mit ganz basalen Schwierigkeiten und Problemen, mit der Unvorhersagbarkeit und der Kontingenz menschlicher Kommunikation von Angesicht zu Angesicht konfrontiert. Aus dem sozialen Imperativ der körperlichen Präsenz ergaben sich Rangkonflikte, die über den Vergleich von Statusattributen im rituellen Geschehen ausgehandelt wurden, z. B. durch die Zuweisung des place d’honneur, durch das Abnehmen oder das Aufsetzen eines Huts, durch eine sechsspännige Kutsche, durch die erste Visite durch andere Botschafter, durch den Titel „Exzellenz“ usw. Sowohl die Russlandreisenden als auch die russischen Diplomaten im Ausland waren sich den Zwängen dieser Logik, sowie der politischen Bedeutung von temporalen und räumlichen Metaphern - verbal oder nonverbal - sehr bewusst. Dies gilt auch gerade für jene europäischen Gesandten, die in ihren Reiseberichten den „barbarischen Charakter“ der russischen Kultur beschreiben. 49 K RISCHER : Souveränität. 50 Zur Frage der kulturellen Inkommensurabilität S UBRAHMANYAM : Courtly encounters. 51 K RISCHER : Gesandtschaftswesen. <?page no="27"?> Jan Hennings 28 Nachdem Chancellor sein Buch wie ein Entdeckungsreisender eingeleitet hatte, setzte er den Text fort und schaltete bei der Beschreibung seiner Audienz in Moskau vom Modus des Kulturvergleichs in den Modus des zeremoniellen Vergleichs um: „There sat a very honorable company of courtiers to the number of one hundred, all appareled in cloth of gold down to their ankles. And there hence being conducted into the chamber of presence, our men began to wonder at the majesty of the emperor. His seat was aloft in a very royal throne, having on his head a [...] crown of gold, appareled with a robe all of goldsmith’s work, and in his hand he held a scepter garnished and beset with precious stones; and besides all other notes and appearances of honor, there was a majesty in his countenance proportionable with the excellency of his estate.” 52 Chancellor vermaß den Rang des russischen Hofs und die souveräne Würde des Zaren anhand sichtbarer Statusattribute und stellt diese ins Verhältnis zum englischen König: „This so honorable an assembly, so great a majesty of the emperor and of the place, might very well have amazed our men and have dashed them out of countenance; but, notwithstanding, Master Chancellor, being therewithal nothing disamayed, saluted and did his duty to the emperor after the manner of England and withal delivered unto him the letters of our King Edward the Sixth.“ 53 Hier schrieb kein beobachtender Ethnograph, sondern ein teilnehmender Diplomat. Chancellor erstattete Bericht. Er beschrieb hier nicht die exotischen Zeremonien eines fremden Landes mit byzantinischem oder mongolischem Erbe, in der er seine eigene nationale Identität spiegeln könnte, sondern beobachtete und verglich die konstitutiven Elemente von Rang und Ehre, die für seine Stellung innerhalb der zwischenhöfischen Ordnung relevant waren. Die Zeichen verweisen also nicht auf die russische Kultur, sondern auf die Aktivität des Diplomaten im ordnungsstiftenden Vergleich. Das heißt, dass Chancellor den Zaren als Spender von Ehre oder als Bedrohung für den Rang des englischen Königs ernst nahm. Notwendig wurde der Rangvergleich nämlich dann, wenn die Verhandlungspartner Ansprüche auf umkämpfte symbolische Güter innerhalb eines gemeinsamen Referenzsystems erhoben. Gleichzeitig vermischen sich in Chancellors Bericht die Ebenen des Kulturvergleichs und des ordnungsstiftenden Vergleichs im Zeremoniell. Diese Verschränkung von Rang und Kultur lässt sich bei Reisebeschreibungen oft beobachten. Der habsburgische Diplomat Sigismund von Herberstein, der seit dem 16. Jahrhundert aufgrund seiner einflussreichen Reisebeschreibung „Moscoviticarum Commentarii” als einer der prominentesten Russlandreisenden gilt, 54 52 C HANCELLOR : First Voyage, 24. 53 E BD ., 25. 54 Siehe F RÖTSCHNER und K ÄMPFER : Herbersteins Rerum Moscoviticarum Commentarii. <?page no="28"?> Rang und Kultur 29 brachte den Widerspruch zwischen kulturellen Unterschieden und der Notwendigkeit, sich zeremoniell zu vergleichen, auf den Punkt. Seine Beharrlichkeit in einem zeremoniellen Streit kurz nach dem Grenzübertritt unweit von Smolensk begründete er mit den Worten, „Ich wolt auch meinem Herrn sein Achtperkhait bey den wilden Leuten erhalten“. 55 Mochte Herberstein den Versuch der Russen, die Ehre des Zaren gegenüber seinem Souverän symbolisch zu verteidigen, als rituelles Gebaren von Wilden abtun, so wusste er doch nur zu gut, worum es bei solchen Streitigkeiten ging: um den Erhalt der souveränen Majestät seines Herrn in einem zeremoniellen Vergleich, dem er deshalb auch eine detaillierte Beschreibung widmet. 56 Dieser Widerspruch findet sich auch bei Carlisle. Wie bereits erwähnt, schloss Carlisle die Russen im Kulturvergleich von dem Kreis zivilisierter Staaten aus. In der Beschreibung der Zeremonien selbst wurde der Autor des Berichts jedoch nicht müde zu betonen, wie viel Ehre der Botschafter von dem Zaren erhalten hatte. So liest man beispielsweise von einer Zeremonie, welche die majestätische Erscheinung des russischen Souveräns hervorhob: „[the ceremony] rendered the person of this prince transcendently Majestick”. 57 Wobei Carlisle diesem Auftritt die zeremonielle Stirn bot: “It was reported every where in the court, that the City of Mosco never saw the Entry of any Ambassador so glorious as this.” 58 Auch hier vermischen sich die Vergleiche. Carlisle hatte kurz vor seinem Empfang in Moskau eine zeremonielle Niederlage erlitten. Für ihn war das freilich ein „ridiculous example of the pride and rusticity of the Moscovites”. 59 Gerade weil sich Carlisle bewusst war, dass es sich bei dem zeremoniellen Affront um einen Eingriff in die internationale Ordnung handelte, aus der er als der Unterlegene hervorgehen könnte, überblendete er das Geschehen mit dem Barbarendiskurs, um den Zaren außerhalb dieser Ordnung zu stellen und sich somit der Niederlage zu entziehen. 60 Doch anders als der Barbarendiskurs konnte das Zeremoniell nur begrenzt als Ausschlussmedium genutzt werden, nämlich nur dann, wenn die Teilnehmer nicht innerhalb eines Rangsystems miteinander konkurrierten. 61 Rituale bestimmten nicht nur die Beziehungen zwischen den Höfen; auch die Hofgesellschaft selbst befand sich in einem ständigen Prozess des Verhandelns von 55 H ERBERSTEIN : Rerum Moscoviticarum Commentarii, 387f. 56 E BD ., 404ff.; Vgl. G ARNIER : Symbolische Kommunikationsformen. 57 M IEGE : Three embassies, 148. 58 E BD ., 127. 59 E BD ., 133. 60 Dazu ausführlich H ENNINGS : Failed gift, 97ff. 61 So konnte sich Ludwig XIV. bei dem Empfang einer siamesichen Gesandtschaft außerhalb der europäischen Rangordnung stellen und sich als orientalischen Despoten inszenieren, siehe L OVE : Rituals of Majesty. Zur Bedeutung des außereuropäischen Zeremoniells vgl. Z SCHACKWITZ : Einleitung, T. 3, 385. <?page no="29"?> Jan Hennings 30 Rangansprüchen, in den sich die Gesandten einzufinden hatten. Für Fürst Boris I. Kurakin, einen der herausragenden Diplomaten Zar Peters, 62 bot das Zeremoniell ein umfangreiches Panorama der Hofgesellschaft. Deshalb fertigte er eine detaillierte Beschreibung der „Ordnung dieses Hofs in den Zeremonien“ an und dekodierte darin das hannoverische Hofleben unter Georg I. 63 Durch die genaue Beobachtung der Familie des Kurfürsten sowie der Behandlung ihrer Minister und auswärtiger Diplomaten platzierte er sich in einer Hierarchie, deren soziale Realität sich im Zeremoniell offenbarte. Dabei war es nicht von Belang, dass er sich als Repräsentant einer fremden Kultur integrieren musste. Was zählte, war die Distanz im Umgang mit dem Kurfürsten und seiner Frau, die Räume, in denen die Zusammenkünfte stattfanden, die Frage, wer wem die „rechte Hand“ überließ, die Art der Stühle, die zum Sitzen angeboten wurden usw. Als außenstehender Beobachter, so berichtete Kurakin, „promenierte ich dort unter Mühen, mich in meiner Hochachtung wahrend (ochranjaja sebja v svoem respekte)“. 64 Berichte wie die Kurakins erleichterten es dem petrinischen Hof, das Gesandtschaftsritual anderen Höfen anzupassen, wobei die Zaren spätestens seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert an zwischenhöfischen Zeremonien partizipierten. Wenn Christian Weber, seinerseits kurfürstlich-hannoverischer Resident in St. Petersburg, wie eingangs zitiert nun bald vermelden konnte, man habe sich vor Peter I., unter dem „das ceremoniel regliret worden“, zwischen europäischen und russischen Gesandten nur unter Schwierigkeiten vergleichen können, so meint der Diplomat damit keineswegs unvereinbare kulturelle Normen und Bräuche, die Russland und den Westen bis dahin getrennt hätten. Vielmehr beschreibt er das Vergleichen von Rang und Status innerhalb einer etablierten Praxis, die in Europa und Russland unterschiedlichen Standardisierungsgeschwindigkeiten unterworfen war. Es wäre irreführend, von der Integration der Zaren in das Präzedenzsystem auf eine eindeutige Mitgliedschaft im europäischen Staatensystem zu schließen. Vielmehr kommt es darauf an, die Gleichzeitigkeit solcher widersprüchlichen Vergleichsebenen zu erkennen und sie zwischen Diskurs und Praxis zu verorten. Russland konnte das Andere außerhalb europäischer Identität verkörpern und gleichzeitig ein aktiver Partner im reziproken Tausch von Ehre und Rang innerhalb der Fürstengesellschaft sein. 62 Zwischen 1709 und 1712 war Kurakin nacheinander Gesandter in Großbritannien, Hannover und Den Haag. Einen Überblick zu Peters I. Diplomaten gibt G RABAR : International law, 46-51. 63 S EMEVSKIJ : Archiv, 201ff.; Zum hannoverischen Hof vgl. S TIEGLITZ : Hof ohne Fürsten. 64 S EMEVSKIJ : Archiv, 202. <?page no="30"?> Rang und Kultur 31 LLiteratur A GEEVA , O L ’ GA G.: Diplomatičeskij ceremonial imperatorskoj Rossii XVIII vek, Moskau 2012. A NDERSON , M ATTHEW S MITH : The rise of modern diplomacy, 1450-1919, London 1993. B ARTLETT , R OGER P. und L INDSEY A. J. H UGHES (Hg.): Russian society and culture and the long eighteenth century. Essays in honour of Anthony G. Cross, Münster 2004. B ERRY , L LOYD E. und R OBERT O. C RUMMEY (Hg.): Rude & barbarous kingdom. Russia in the accounts of sixteenth-century English voyagers, Madison 1968. B LACK , J EREMY : Russia’s rise as a European power, 1650-1750, in: P AUL D UKES (Hg.), Russia and Europe, London 1991, 69-83. B OTERBLOEM , K EES : Russia and Europe. The Koenraad van Klenk embassy to Moscow (1675-76), in: Journal of Early Modern History 14 (2010), 187-217. B RAUNER , C HRISTINA : Ein Schlüssel für zwei Truhen. 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Jahrhundert kam es zu einer Verwissenschaftlichung des Reisens. Davon zeugen die sog. Apodemiken, die eine Methodologie des Reisens boten, und die Forderung, Reiseberichte sollten einen Beitrag zur „Staatenkunde“ bzw. „Statistik“ leisten. Der Beitrag verdeutlicht am Beispiel von Reiseberichten ins persische Safawidenreich, dass für sie eine komparatistische Perspektive charakteristisch war. Der vergleichende Blick richtete sich auf das Regierungssystem, die Finanzen und die militärische Schlagkraft der Staaten, aber auch auf deren Landwirtschaft, Handel und Gewerbe. Interessanterweise machte der Vergleich auch vor Problemen der Mentalität, der Kultur und Religion nicht Halt, was umso bemerkenswerter ist, als die europäischen Länder, die in ihnen vorherrschende soziale und politische Ordnung und der christliche Glaube einbezogen wurden, ohne dass a priori von deren Superiorität ausgegangen wurde. Einleitung Reiseberichte genossen im frühneuzeitlichen Europa außerordentliche Popularität. Durch sie gelangte das sprunghaft wachsende Wissen über die Welt zur Kenntnis einer breiten Öffentlichkeit. Standen im 16. Jahrhundert noch vielfach „unerhörte Neuigkeiten“ im Zentrum von Berichten über andere Kontinente, 1 fühlten sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts mehr und mehr reisende Autoren bemüßigt, den zeitgenössischen Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit zu entsprechen und zur systematischen Erfassung der Welt beizutragen. 2 Damit ein solcher Bericht im Kontext der zeitgenössischen Staatenkunde als wertvoll anerkannt wurde, genügte es nicht länger, dass er lediglich Sensationen enthielt oder gelehrte Lesefrüchte zusammenstellte. Die zeitgenössische Erkenntnistheorie 1 B RENNER : Die Erfahrung der Fremde, 14-48; H ARBSMEIER : Wilde Völkerkunde, 71-121 (zu den deutschsprachigen Reiseberichten des 16. Jh. in die „Neue Welt“); G REENBLATT : Reisende und Entdecker; T REUE : Abenteuer und Anerkennung (mit Diskussion, welche Funktionen „Gereistsein“ nach der Rückkehr haben konnte). 2 B LANKE : Deutschsprachige Reisebeschreibungen. <?page no="37"?> Stefan Brakensiek 38 forderte Evidenz, die durch persönlichen Augenschein, verlässliche Zeugnisse Dritter oder authentische Quellen gewährleistet sein sollte. 3 MMethodik der gelehrten Reise Jeder Beitrag, der sich mit den frühneuzeitlichen Staatenkunden (zeitgenössisch auch: Statistik) befasst, kann auf die grundlegenden Arbeiten von Justin Stagl, Mohammed Rassem und Arno Seifert zurückgreifen. 4 Sie betonen, dass diese Darstellungen nicht zuletzt auf einer Methodik des Reisens und einer Verwissenschaftlichung der Berichte über das Reisen beruhte. Diese Entwicklung wurde durch eine eigene Textgattung gefördert, die sogenannten Apodemiken, die Anweisungen enthielten, wie eine Reise vorzubereiten und durchzuführen war, vor allem aber, wie ein verlässlicher Bericht zu verfassen war. 5 Diese Textgattung wurde auch Reisekunst (ars apodemica) oder Reiseklugheit (prudentia peregrinandi) genannt. Apodemiken kamen zur Mitte des 16. Jahrhunderts auf und verschwanden um die Mitte des 18. Jahrhunderts wieder vom Buchmarkt. Man kann sie als eine frühe Spielart sozialwissenschaftlicher Methodologie charakterisieren, boten sie dem Reisenden doch Systematiken, mit deren Hilfe er neue Daten über die von ihm bereiste Weltgegend erheben konnte. 6 Sie enthielten in der Regel einen detaillierten Fragenkatalog, der abzuarbeiten war, und weitere Anweisungen, die dem Reisenden die Werkzeuge an die Hand zu geben versprachen, das Wissen über die Welt zu vervollständigen. Diese Instruktionen steckten ehrgeizige Ziele: Von einem Reisebericht wurde erwartet, dass er einen Überblick über die Geschichte des bereisten Landes bot, dessen geographische und klimatische Bedingungen umriss, die Grundzüge von Landwirtschaft, Gewerbe und Handel darlegte, das politische System, einschließlich Administration und Rechtsprechung charakterisierte, und die Gelehrsamkeit, das Erziehungssystem sowie die üblichen religiösen Lehrmeinungen und Riten vorstellte. Der Reisende sollte von allgemeinen Beobachtungen ausgehend zu möglichst detaillierten Beschreibungen regionaler und lokaler Spezifika vordringen. Das barg freilich das Risiko bloßen Sammelns, ohne dass daraus irgendwelche systematischen Einsichten erwuchsen. Unbeschadet dessen waren diese Anleitungen von 3 D ASTON : Wunder, Beweise und Tatsachen. 4 R ASSEM und S TAGL (Hg.): Statistik und Staatsbeschreibung in der Neuzeit, darin vor allem: S EIFERT : Staatenkunde, 217-248; R ASSEM und S TAGL (Hg.): Geschichte der Staatsbeschreibung. 5 S TAGL , O RDA und K ÄMPFER : Apodemiken; S TAGL : A History of Curiosity. 6 S TAGL : Methodik der Sozialforschung, 131-204; D ERS .: Die Methodisierung des Reisens im 16. Jahrhundert, 140-176; Aktuelle Zusammenfassung bei: D ERS .: Thesen zur europäischen Fremd- und Selbsterkundung, 65-79. <?page no="38"?> Gesellschaftsvergleich in frühneuzeitlichen Reiseberichten 39 großer Bedeutung, weil sie eine spezifische Neugier-Haltung gegenüber den bereisten Ländern förderten. Der umfassend informierte Gelehrte galt den Apodemiken als idealer Reisender. Sein Wissen sollte nicht ausschließlich auf Lektüre beruhen, sondern vor allem auf unmittelbarer Augenscheinnahme, und wo das nicht möglich war, auf glaubwürdigen Zeugnissen. Üblicherweise empfahlen sie dem Forschungsreisenden, ein Tagebuch zu führen, das ihm später beim Abfassen des Berichts als Gedächtnisstütze diente. Die Erträge von solch methodisch angeleiteten Reisen sollten das gelehrte Wissen von der Welt vermehren und vervollkommnen. Man integrierte die Ergebnisse in die Staatenkunde, die auch unter der Bezeichnung Statistik vornehmlich an den protestantischen Universitäten im Reich gelehrt wurde. 7 Die Kategorien, die der Erfassung der Welt zugrunde lagen, entstammten zum einen der gelehrten Tradition, vor allem den antiken Ethnographien Herodots und Tacitus. Die Studie von Almut Höfert zum europäischen Wissen über das Osmanische Reich hat allerdings herausgearbeitet, dass die Klassifikationsmuster, die in den Apodemiken zu finden sind, nur teilweise der klassischen Tradition entlehnt waren. 8 Sie betont vielmehr, dass die Kategorien auf einem Lernprozess beruhten, der sich zwischen 1450 und 1600 allmählich vollzog. Europäische Reisende und Gelehrte, Kaufleute und Staatsmänner hätten wegen der militärischen Bedrohung durch die Osmanen intensiv über die Grundlagen ihrer Macht nachgedacht. Die Gründe für die enorme Schlagkraft der osmanischen Armee wurden nicht allein ihrer militärstrategischen Überlegenheit zugeschrieben, sondern auch auf die nüchterne, frugale Lebensweise der Türken, ihre frommen Sitten und ihren religiösen Fanatismus zurückgeführt. 9 Die Autorin legt nahe, dass die Apodemiken im Wesentlichen den inkrementell erworbenen Erklärungsmustern aus aktuellen Reiseberichten folgten und diese lediglich in eine enzyklopädische Ordnung brachten. Das floss auch in die Kategorienbildung der zeitgenössischen Staatenkunde ein, die somit - zugespitzt formuliert - aus einem reflexiven Umgang mit der Mächtekonkurrenz resultierte. Eine vergleichende Perspektive war der Staatenkunde somit als Staatsvergleichung inhärent. Wie noch zu zeigen sein wird, prägte sie jedoch bereits die Datenerhebung der Reisenden zu ihren systematisch angelegten Berichten. Apodemiken wurden auch ars peregrinandi genannt. Diese Bezeichnung verweist darauf, dass die propagierte Methodik des Reisens und Berichtens nicht im 7 K AUFHOLD und S ACHSE : Die Göttinger „Universitätsstatistik“ des 18. Jahrhunderts, 72-95; B EHRISCH : „Politische Zahlen”, 551-577; D ERS .: Vermessen, Zählen, Berechnen des Raums im 18. Jahrhundert, 7-25; D ERS .: Zu viele Informationen, 455-473. 8 H ÖFERT : Den Feind beschreiben, siehe Zusammenfassung, 313-315. 9 Dabei handelt es sich freilich um Erklärungen, die bereits in der Germania des T ACITUS zu finden sind. <?page no="39"?> Stefan Brakensiek 40 vollen Sinn als wissenschaftlich angesehen wurde. Wie alle artes gehörte auch die Kunst des Reisens zu den akademischen Handwerken: Der gelehrte Reisende sollte seine Beobachtungen gemäß nominalistischer Schemata aufgliedern. Die zeitgenössische Statistik, die man als eine deskriptive Staatenkunde charakterisieren kann, folgte in der Regel einer Logik, die den Lehren des Philosophen Petrus Ramus viel verdankte. 10 Auch wenn einzelne Gelehrte der Staatenkunde Wissenschaftlichkeit attestierten, waren die meisten eher geneigt, in aristotelischer Manier scientia exklusiv als cognitio universalium zu definieren, während sich Reiseberichte und Staatenkunde lediglich mit Singularitäten befassten. Soweit mir bekannt, gab es kein explizites zeitgenössisches Konzept, wie empirische Einzelbefunde in ein umfassendes Konzept von Gesellschaften oder Kulturen zu integrieren waren, die dann ihrerseits Gegenstand eines systematischen Vergleichs hätten werden können. Hermann Conring, einer der Gründer der Staatenkunde, behauptete zwar, dass auf Empirie beruhende Erfassung von Singularitäten aufgrund von experientia in universelle Erkenntnis zu überführen sei. 11 Wie das genau vonstattengehen kann, bleibt freilich sein Geheimnis. Fairerweise muss man anerkennen, dass dies keine Spiegelfechtereien unter lang verstorbenen Gelehrten sind, sondern epistemologische Probleme, mit denen sich die Geistes- und Sozialwissenschaften bis heute herumschlagen. Wie gingen frühneuzeitliche Reisende mit diesem erkenntnistheoretischen Problem um? Nun, die meisten ignorierten es schlichtweg. Sie sammelten und publizierten Einzelbeobachtungen, die sich im Verlauf des 17./ 18. Jahrhunderts zu wahren Papierbergen auftürmten. Die Addition von „Fakten“ ohne systemischen oder komparatistischen Anspruch bildete das Prinzip vieler Berichte. Die bereits erwähnten nominalistischen Ordnungsentwürfe lieferten lediglich die Kriterien, um die Befunde in enzyklopädischer Weise zusammenzufügen. Sicherlich boten Apodemiken keinen Ausweg aus der nominalistischen Falle. Ohne ein Konzept, wie verschiedene beobachtete Faktoren miteinander interagieren mochten, konnte es keine kohärente Erzählung über gesellschaftliche Verhältnisse geben. Einige Reiseberichte erzählen jedoch sehr wohl kohärente 10 Die Bedeutung des französischen Humanisten P ETRUS R AMUS (eigentlich P IERRE DE LA R AMÉE , 1515-1572) bestand weniger in seiner Philosophie als in seiner in der Kritik am zeitgenössischen Lehrbetrieb an den Artistenfakultäten wurzelnden Logik, die Erkenntnis auf kürzestem Wege bezweckte. An die Stelle der aristotelischen Syllogistik (Lehre von den logischen Schlüssen) wollte er eine Lehre der Schlussfolgerungen gesetzt sehen, die auf Beobachtung und Experiment beruhte. R AMUS war einer der streitbarsten und umstrittensten Universitätslehrer des 16. Jahrhundert. Seine Ermordung in der Bartholomäusnacht machte ihn zum Märtyrer für die reformierten Gelehrten in ganz Europa. Dies und seine didaktisch eingängige Rhetorik erklären seine große Bedeutung für die akademische Ausbildung im 17. Jahrhundert, vor allem an den protestantischen Universitäten in den Niederlanden, der Eidgenossenschaft, in Skandinavien und im Reich. Vgl. S ELLBERG : Petrus Ramus. 11 C ONRING : De Civili Prudentia Liber Unus, 60-65; Vgl. dazu S EIFERT : Staatenkunde, 220-221. <?page no="40"?> Gesellschaftsvergleich in frühneuzeitlichen Reiseberichten 41 Geschichten. Sie folgten dabei berühmten Vorbildern, namentlich Giovanni Boteros Delle relationi universali 12 , die zwischen 1591 und 1598 publiziert wurden, Samuel Pufendorfs Einleitung zu der Historie der Vornehmsten Reiche und Staaten so itziger Zeit in Europa sich befinden 13 aus dem Jahr 1682 bzw. Gottfried Achenwalls Abriß der neuesten Staatswissenschaft der vornehmsten Europäischen Reiche und Republicken 14 , der im Jahr 1749 erstmals erschien. Wie diese Vorbilder folgten die ambitionierteren Reiseberichte zwei narrativen Strategien: Zum einen analysierten sie das politische System des jeweiligen Landes, indem sie die Modellbildungen der zeitgenössischen politischen Wissenschaft aufgriffen, die ihrerseits aristotelische Ideen modifizierte und weiterentwickelte. Diese Lehren boten Konzepte zur Deutung der Funktionsweisen verschiedener politischer Ordnungen und ihres zyklisch auftretenden Wandels. Zum anderen tendierten gelehrte Reisende dazu, ihre politischen Beobachtungen - unter Berücksichtigung von Klima, Boden, Wirtschaft und Völkerpsychologie - zu historisieren. In der Zusammenschau brachte die neoaristotelische Regimentenlehre 15 in soziokulturell-historisierender Perspektive eine Darstellungsform in die Reiseberichte des 17./ 18. Jahrhunderts, die an die vergleichende Verfassungsgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts gemahnt. Die Lektüre der avancierteren Reiseberichte der Frühneuzeit führt den Leser demnach in eine Sphäre systematisch angelegter Vergleiche. FFrühneuzeitliche Persienberichte Exemplifiziert werden soll dies anhand der Berichte über das Reich der Safawiden in Persien, die im 17. und frühen 18. Jahrhundert publiziert wurden. Sie stammen von einer Handvoll europäischer Reisender, die eine Gemeinschaft von Experten bildeten, manchmal verbunden durch persönliche Bekanntschaft, häufig durch Korrespondenz, zumindest aber durch gegenseitige Lektüre ihrer Veröffentlichungen. 16 Das Zentrum dieses Netzwerkes von Experten bildete der Kapuzinerpater Raphaël du Mans, der seit 1644 die katholische Mission in Isfahan leitete. 17 Er verstarb 1696 nach einem Aufenthalt von mehr als 50 Jahren in der persischen Hauptstadt. Seine Integrität und seine Sprachkenntnisse erwarben ihm eine Vertrauensstellung am persischen Hof. Auf diese Weise ge- 12 B OTERO : Relationi Universali. 13 P UFENDORF : Einleitung. 14 A CHENWALL : Abriß der neuesten Staatswissenschaft. 15 W EBER : Staatsformenlehre, 590-599. 16 S CHUSTER -W ALSER : Das Safawidische Persien; L OCKHART : European contacts with Persia, 373-411; O STERHAMMEL : Asien im Reisebericht des 17. und 18. Jahrhunderts, 224-260. 17 R ICHARD : Raphaël du Mans; W INDLER : Missionare in Persien, 208-220 und 411-452. <?page no="41"?> Stefan Brakensiek 42 langte er an Informationen aus erster Hand, mehr als jeder andere Europäer. Mit großer Liebenswürdigkeit teilte er dieses Wissen mit jenen europäischen Reisenden, die seinen hohen Erwartungen an Gelehrsamkeit und Umgangsformen entsprachen. Im Jahr 1660 verfasste er unter dem Titel L’estat de la Perse einen Bericht für Colbert. 18 In mancherlei Hinsicht erinnert die Kapuzinermission an eine französische Botschaft mit angeschlossenem Auskunftsbüro. Denn obwohl das Dossier von 1660 an Colbert vertraulich war, gab Raphaël du Mans aktualisierte Versionen des Berichts an die nachfolgend erwähnten Autoren weiter. 19 Einer dieser Autoren ist Engelbert Kaempfer, 20 dessen Bericht auf einem Aufenthalt in Persien in den Jahren 1683 bis 1688 beruhte, aber erst 1712 in lateinischer Sprache veröffentlicht wurde. Er mag uns einen Eindruck davon geben, zu welchen Ergebnissen man mit dem vergleichenden Blick kommen konnte. Unter der Überschrift Potestas absolutissima schreibt er einleitend: „Der König ist das Oberhaupt des Persischen Reiches, der kraft Erbrechts zum Gipfel seiner Würde aufsteigt. Seine Großartigkeit bezeugen sowohl die ungeheure Flächenausdehnung des Territoriums als auch die unermesslichen Glücksgüter, deren er sich vor den übrigen Herrschern Asiens erfreut. Aus ihrer Anhäufung nenne ich - sofern es gestattet ist, vorweg die ausgezeichneteren anzuführen - zuerst die vollkommen unabhängige und uneingeschränkte Rechtsprechung. Ich sehe, dass die Organe der staatlichen Herrschaftsgewalt in der gesamten Welt teils durch ausdrückliche Bestimmungen eingeschränkt sind, die Grundgesetze heißen, teils durch mancherlei stillschweigend angenommene, gleichwohl unüberwindliche Schranken und Notwendigkeiten eingeengt sind. Den Alleinherrscher der Russen hielt bis jetzt die Autorität der Aristokraten im Zaume, zumal er von willkürlichen Unternehmungen durch die gewissenhafte Beachtung altväterlicher Sitten zurückgehalten wurde. Dem Sultan der Türken drückt die ungebundene Machtbefugnis der Schutztruppe des Militärs Grenzen auf, die von keinem Beschluss überwunden werden kann. Den Großmogul der Inder engt die eigene Nachkommenschaft ein, kampftüchtig gemacht durch die gewichtige Unterstützung des wohlgesinnten Volkes; mehr Beispiele möchte ich verschweigen. Dem obersten Herrscher der Safawiden aber ist wegen des Wegfalls aller Hemmnisse ausnahmslos alles erlaubt und freigestellt.“ 21 18 R APHAE L : Estat de la Perse en 1660. 19 So ist im Nachlass von K AEMPFER überliefert: Raphaelis du Mans descriptio Persicae, communicata Dno. Engelberto Kaempfero Ispahana 1684 cum Grammatica Linguae Turcicae (British Library, Sloane Mss. 2908). 20 Zu Leben und Werk vgl. H ABERLAND : Engelbert Kaempfer 1651-1716. 21 K AEMPFER . Amoenitatum Exoticarum: „Caput Imperii Persici Rex est, qui ad Dignitatis fastigium jure hæreditatis provehitur. Magnitudinem Ejus, cum vasta moles territorii, tum vero immensæ testantur felicitates, quibus Ille præ ceteris Asiæ Principibus beatur. Harum ex cumulo, ut <?page no="42"?> Gesellschaftsvergleich in frühneuzeitlichen Reiseberichten 43 Man erkennt, wie Kaempfer die Reiche des Orients vergleicht, indem er sich auf wenige grundlegende Strukturmerkmale konzentriert. Diese Prinzipien bezog er im Wesentlichen aus der europäischen Tradition politischen Denkens. Wir sind über seinen diesbezüglichen Hintergrund bestens informiert, denn er schloss seine Ausbildung am Athenäum in Danzig mit einer Disputation ab, die den Titel Exercitatio politica de Majestatis Divisione in realem et personalem trägt. 22 Die kleine Schrift behandelt die Frage, ob es sinnvoll ist, die fürstliche Machtvollkommenheit, die majestas, gedanklich zu teilen in einen Anteil, die majestas personalis, die der Person des Fürsten zukommt, und einen überpersönlichen Anteil, die majestas realis, die ohne Ansehen der Person an die Verfassungsgesetze des Staates, die leges fundamentales gebunden ist. Das war eine übliche Themenstellung für Disputationen in politicis. Die von Kaempfer herangezogene politikwissenschaftliche Literatur stammt aus allen Lagern des zeitgenössischen Denkens. Kaempfer neigt, wie seinerzeit allgemein üblich, der ungeteilten majestas zu. Für unsere Frage ist nun kaum von Belang, dass Engelbert Kaempfer als 22-jähriger einer Souveränitätslehre anhing, die an Jean Bodin gemahnt. Wichtiger ist, dass Kaempfer bereits als junger Mann mit der politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts bestens vertraut war und ohne Schwierigkeiten über deren Begriffsbildungen verfügte, die ihm als intellektuelles Werkzeug dienten, um das Herrschaftssystem in Persien einzuordnen. Die narrativen Muster für seinen Reisebericht bezog Kaempfer aus Samuel Pufendorfs bereits erwähnter Einleitung zu der Historie der Vornehmsten Reiche und Staaten, die 1682 erstmals veröffentlicht wurde. Kaempfer besaß eine französische Ausgabe aus dem Jahr 1687. 23 Pufendorfs Schrift erlebte im ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhundert eine lebhafte Rezeption; so wurde das Werk an Gymnasien und Universitäten als Einleitung ins Studium der Geschichte genutzt. Von der Konzeption her handelt es sich allerdings nicht um eine historische Darstellung im heutigen Sinne, sondern um eine Staatenkunde: præfari insigniores liceat, primam nomino liberrimam atque absolutissimam Jurisdictionem. Video Potentias universi Orbis, alias explicitis circumscribi conditionibus, quas Leges fundamentales vocant; alias intra definitos limites retineri tacitis quibusdam & insuperabilibus obstaculis atque necessitatibus. Russorum Autocratorem hactenus auctoritas Optimatum strinxerat, ab arbitrariis ausibus revocatum religiosa patrii moris observantiâ. Turcorum Sulthano licentia præsidiarii militis sudem figit, nullo consilio suberabilem. Indorum magnum Mogolem propria compescit soboles, gravi armata subsidio faventis populi; ut plura taceam. Sophorum verò Principi, sublatis impedimentis, abdicativè omnia permissa atque intergra sunt“ (Übersetzung von D ETLEF H ABER- LAND und K ARL A UGUST N EUHAUSEN ). 22 K AEMPFER : Exercitatio politica de Majestatis Divisione in realem et personalem; D ERS .: Gottesgnadentum und Teilung der Majestät, 15-29. 23 P UFENDORF : Introduction à l’histoire des principaux; Zu den Quellen, auf denen der Persienbericht des E NGELBERT K AEMPFER beruhte: B RAKENSIEK , Politische Urteilsbildung, 93- 124, insb. 106-110. <?page no="43"?> Stefan Brakensiek 44 Die Kapitel handeln jeweils ein Land ab, wobei eine ausführliche Herrscher-, Kriegs- und Staatengeschichte den größten Raum einnimmt, gefolgt von Abschnitten, die in systematischer Form den Nationalcharakter, die Sozialstruktur, die Wirtschaft, dann die strukturellen Probleme des Staates, schließlich seine Stellung im Mächtesystem erörtern. Persien wird in dem Werk nicht mit abgehandelt, aber Kaempfer adaptierte in seinen Amoenitates exoticae Pufendorfs komparatistische Methode und sein Gliederungsprinzip. So ist es wenig erstaunlich, dass der Ländervergleich nicht auf Asien beschränkt bleibt, sondern die europäischen Mächte ganz selbstverständlich mit einbezogen werden. Eine Unvergleichbarkeit zwischen asiatischer Despotie und europäischer Monarchie wird von Kaempfer nirgends unterstellt. So teilt er dem Leser mit: „Die am Perserhof herrschenden Sitten sind denen bei uns nicht unähnlich, nur lassen sie eben das Gepräge des persischen Volkes durchblicken. Der Perser ist im ganzen bescheiden und beherrscht, viel zurückhaltender als der Türke, der Züge des wilden Blutes seiner tatarischen Vorfahren erkennen lässt.“ 24 Aus eigenen Beobachtungen und populären Stereotypen stellt Kaempfer eine konventionelle Mischung aus Völkerpsychologie und Sittengeschichte des Hofes her, wie sie in Reisebeschreibungen und Länderkunden der Zeit üblich waren. Engelbert Kaempfers Reisebericht über das safawidische Persien ist nur ein Beispiel unter mehreren. Besonders gern gelesen wurden die Berichte des Jean- Baptiste Tavernier, der den Orient zwischen 1631 und 1668 mehrfach bereiste. 25 Zitiert sei die englische Ausgabe aus dem Jahr 1678, die erschien unter dem Titel The six travels of John Baptista Tavernier, through Turky and Persia to the Indies. Über die Regierungsform in Persien lesen wir dort: “The Government of Persia is purely Despotick or Tyrannical. For the King has the sole power of life and death over all his Subjects, independent from his Council, and without any Trials or Law-proceedings. He can put to what death he pleases the chief Lords of the Kingdom, no man daring to dispute the reason: nor is there any Soveraign in the world more absolute then the King of Persia.“ 26 Er fährt fort: „The Prime Minister of the Kingdom is call’d Athewadoulet, or the support of Riches. His office is the same with the Grand Vizir’s in Turky and may be compar’d to the ancient Mayors of the Palace in France. In regard all the affairs of 24 K AEMPFER : Amoenitatum Exoticarum, 146: „Mores aulicorum ut compendio perstringam, nostratium eas persimiles ajo, ita tamen, ut indolem suæ nationis retineant. Hæc sanè (indoles) modesta est & mansueta, longèque Turcorum genio sedatior, in quo primævus Tartarorum sanguis feritatis suæ servat vestigia.“ 25 Dem franz. Original von 1676, T AVERNIER : Les six Voyages, folgten 1681 zwei dt. Übersetzungen, D ERS .: Beschreibung der sechs Reisen sowie D ERS .: Vierzig-jährige Reise-Beschreibung sowie 1682 eine niederländische Ausgabe mit dem Titel D ERS .: De zes reizen. 26 T AVERNIER : The Six Voyages, 219. <?page no="44"?> Gesellschaftsvergleich in frühneuzeitlichen Reiseberichten 45 the Kingdom pass through his hands, he ought to be rather a Gownman then a Souldier: and herein he only differs from the Grand Vizier, who is always to be at the head of the Army, and for every slight fault or distate is subject to bestrangl´d by the Grand Signior. Whereas in Persia where the Government is milder, the Prime Ministers generally dye in their beds, or if they are Depos´d, they are only exil´d to some frontier City, where they live as private men.“ 27 Die Ähnlichkeiten mit Kaempfers Darstellungsweise und komparatistischer Methode fallen ins Auge. Verglichen mit diesen beiden Darstellungen von Kaempfer und Tavernier eilt dem Reisebericht von Jean Chardin ein Ruf größerer Originalität voraus. Er bereiste ebenfalls das Osmanische Reich, Moghul-Indien und das persische Safawidenreich. Chardin war ein französischer Protestant, der als Juwelenhändler an den Höfen des Orients und Okzidents verkehrte und gezielt in die Produktionsgebiete für Schmuck und Edelsteine reiste. Am persischen Hof in Isfahan hielt er sich mehrere Jahre auf. Obwohl er von manchen Aspekten des politischen Systems in Persien abgestoßen war, die im Widerspruch zu seinen Ehrvorstellungen standen, war er voll des Lobes über die Zuvorkommenheit, mit der er und jeder andere europäische Besucher am Hof in Isfahan behandelt wurden. Besonders bemerkenswert erschien dem Calvinisten, der am Ende seines Lebens vor der Hugenottenverfolgung durch Ludwig XIV. nach London emigrierte, die religiöse Toleranz im Safawidenreich. Darüber hinaus konstatierte er, dass die einfache Bevölkerung in Stadt und Land in Persien - verglichen mit Europa - größere Freiheit genoss und wirtschaftlich besser gestellt war. Ich zitiere aus seiner Description de la Perse: „Je finirai ce traité du gouvernement de Perse en rapportant le jugement que j’en ai fait, après avoir demeuré beaucoup d’années dans le pays. Il m’a donc semblé qu’il y a beaucoup d’humanité dans tout ses lois et dans toutes ses pratiques, et bien au delà de ce qu’on pourroit s’imaginer d’un gouvernemnet despotique et d’une puissance arbitraire.“ 28 GGesellschaftsvergleich als Strukturmerkmal Was kann man aus diesen Befunden lernen? Eine vergleichende Perspektive war ein grundlegendes Merkmal der meisten europäischen Reiseberichte, schon in Bezug auf die Kategorien, die bei der Erhebung und Einordnung von Informationen zum Einsatz kamen, aber auch in Hinblick auf die üblichen Formen der Darstellung. Die Urteile über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die 27 T AVERNIER : The Six Voyages, 221. 28 Zitiert nach C HARDIN : Description de la Perse, 463; Die Erstveröffentlichung stammt aus dem Jahr 1685, eine spätere Ausgabe von 1711 bildet die Grundlage des zitierten Wiederabdrucks. <?page no="45"?> Stefan Brakensiek 46 religiösen und kulturellen Selbstverständlichkeiten und die politische Ordnung wurden typischerweise nicht individuell getroffen, sondern beruhten auf einer intensiven Kommunikation innerhalb einer Gruppe von reisenden Experten, die Kaufleute, Gelehrte, Diplomaten und Geistliche umfasste. In dieser Kommunikation entwickelte sich ein nuanciertes Bild des Landes, das sich im Tenor von Autor zu Autor nicht sonderlich unterschied. Die hier angeführten detaillierten und besonders ambitionierten Reiseberichte folgten den Analyseschemata der Apodemiken und den Darstellungsformen der Staatenkunden. Diesen im Zeitverlauf zunehmend detaillierter werdenden Darstellungen war der Vergleich - sowohl mit den benachbarten Ländern, als auch mit den europäischen Staaten - eigentümlich: Es handelte sich dabei nicht um eine hinzugefügte, besonders ausgewiesene Vergleichsebene, sondern um eine ständig mitlaufende Komparatistik, die stets an der Erfahrungswelt des europäischen Lesers anknüpfte. SSchluss Anders als die Idee vom unhintergehbaren Orientalismus Europas nahelegt, 29 zeugen die Berichte des 17. und frühen 18. Jahrhunderts keineswegs davon, dass ihre Autoren eine unüberbrückbare Andersartigkeit von Menschen und Verhältnissen in Europa und anderen Teilen der Welt unterstellten. Es finden sich darin auch keine Hinweise auf eine angebliche Inferiorität anderer Völker. Selbst die „orientalische Despotie“ und die „europäische Monarchie“ erschienen vielen Autoren ähnlicher, als man erwarten dürfte. 30 Und nicht einmal vor religiösen Dogmen, vor Frömmigkeit und Gottesdienst machte ihr komparatistischer Blick halt. 31 Es würde sich lohnen zu untersuchen, ob diese Vergleichsperspektive einem religiösen Relativismus zuarbeitete. Möglicherweise setzte sie jedoch eine gewisse überkonfessionelle Unbefangenheit bereits voraus. 32 Als Montesquieu seine Lettres Persanes verfasste, die angeblich aus der Feder eines persischen Botschafter stammen, der in Briefen aus Versailles nachhause ein vernichtendes moralisches Urteil über den französischen Hof und den höfischen Adel fällt, kehrte sich die Vergleichsperspektive wirksam um. Kaum zufällig gehörte Montesquieu zu den begeisterten Lesern der Reiseberichte des Jean Chardin. 33 29 S AID : Orientalism. 30 Das betont im Kapitel „Wirkliche und unwirkliche Despoten“ auch O STERHAMMEL : Die Entzauberung Asiens, 271-309. 31 H ÖFERT : Den Feind beschrieben, 303-309. 32 P LATOW : Konstruktive, 161-176. 33 Y OUNG : Montesquieu’s View of Despotism, 392-405; Zur Art und Weise, wie M ONTESQUIEU Reiseberichte für seine Lettres Persanes genutzt hat, vgl. auch B LANKE , Politische Herrschaft und <?page no="46"?> Gesellschaftsvergleich in frühneuzeitlichen Reiseberichten 47 LLiteratur A CHENWALL , G OTTFRIED : Abriß der neuesten Staatswissenschaft der vornehmsten Europäischen Reiche und Republicken, zum Gebrauch in seinen Academischen Vorlesungen, Göttingen 1749, <http: / / www.deutschestextarchiv.de/ achenwall_staatswissen schaft_1749> (Zugriff: 13.08.2019). B EHRISCH , L ARS : „Politische Zahlen”. 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Hochadelige Vergleichspraktiken <?page no="52"?> 53 SSpätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich Karl-Heinz Spieß Walter Map, der aus England stammende Beobachter der Höfe seiner Zeit, berichtet in seinem um 1200 entstandenen Werk „De nugis curialium“ von einem Gespräch, das er in Paris einmal mit König Ludwig VII. von Frankreich geführt hatte. Der König habe sich über die Reichtümer der Könige und deren Unterschiedlichkeit geäußert. „So könnten sich zum Beispiel der Kaiser von Konstantinopel und der König von Sizilien ihres Goldes und ihrer Seidengewänder rühmen, aber ihre Leute könnten nichts außer reden, weshalb sie für die Kriegsführung ungeeignet seien. Der römische Kaiser, den man Kaiser der Deutschen nennt, habe gute Krieger und Schlachtpferde, aber kein Gold oder Seide oder anderen Reichtum [...]. Deinem Herrn aber, dem König von England, fehlt es an nichts; er hat Krieger, Pferde, Gold, Silber, Juwelen, Früchte, Wild und alles andere. Wir in Frankreich dagegen haben nichts außer Brot und Wein und Fröhlichkeit.“ 1 Die Aussagen des Königs, die in ihrer anekdotenhaften Untertreibung der eigenen Position an den bekannten Spruch des Berliner Bürgermeisters Wowereit „Wir sind arm, aber sexy“ erinnern, dürften aber zumindest in der vergleichenden Wahrnehmung der europäischen Könige ihren wahren Kern haben. Erwuchs aus der Beobachtung der Unterschiede zwischen den Königs- und Fürstenhäusern auch eine Konkurrenz um Macht und Pracht? Die Antwort der Forschung auf diese Frage ist in der Regel zustimmend. So hat Peter-Michael Hahn in seiner Zusammenfassung der Tagung „Vorbild - Austausch - Konkurrenz. Höfe und Residenzen in der gegenseitigen Wahrnehmung“ folgendes Fazit gezogen: „Die europäischen Fürstenhäuser standen untereinander in einem dauernden Wettbewerb um Glanz und dynastisch-höfische Unverwechselbarkeit. Dies fand vor allem in der materiellen Ausgestaltung der Hofhaltung und dem dort entwickelten Lebensstil seinen sichtbaren Ausdruck [...]. Zwischen den dynastischen Häusern herrschte ein nie offiziell erklärter, nicht enden wollender Wettbewerb der gebauten Würden, der glänzenden Bildwerke, der personalen Gesten und nonverbalen Argumentationen, der durch keine zeremonialen Ordnungen zu bändigen gewesen wäre. Sämtliche Anstrengungen der beteiligten Akteure zielten einerseits darauf ab, Zugehörigkeit zur exklusiven Gesellschaft der Fürsten zu demonstrieren, und andererseits gegenüber rangnahen dynastischen Rivalen Andersartigkeit und 1 M AP : De nugis curialium, 225. Die deutsche Übersetzung stammt vom Verfasser. <?page no="53"?> Karl-Heinz Spieß 54 ein Stück Überlegenheit an den Tag zu legen.“ 2 Mit Hilfe der Spieltheorie wurde von Ulf Christian Ewert und Jan Hirschbiegel der Nachweis geführt, dass die beteiligten Fürsten die ruinöse Statuskonkurrenz für eine rationale Vorgehensweise halten mussten, da ein Verzicht auf Prunk nur Nachteile gehabt hätte. 3 Der ritterliche Humanist Ulrich von Hutten warf in einer 1518 entstandenen Schrift einen kritischen Blick auf diesen Repräsentationsdruck: „In unserer Zeit aber sind fast alle Fürsten arm infolge ihrer Prachtliebe und ihrer Eitelkeit, denen sie huldigen und für die sie das meiste Geld nutzlos ausgeben [...]. Und darin besteht der Stolz der Fürsten, daß sie, je mehr Geld sie bedürfen, umso weniger arm erscheinen wollen. Deshalb schränken sie in keiner Weise ihren Prunk und ihren Aufwand ein; im Gegenteil, der eine ist verschwenderisch, um den anderen neidisch zu machen, um im Verschwenden nicht unterlegen zu sein.“ 4 Umso verstörender musste es wirken, wenn ein Herrscher sich demonstrativ schlicht verhielt. Werner Paravicini hat am Beispiel des französischen Königs Ludwig XI., der sich im Vergleich zum burgundischen Herzog Karl dem Kühnen wenig prachtliebend gab, die Theorie von der Unabdingbarkeit der höfischen Repräsentation hinterfragt. 5 Sein Fazit, wonach gerade die Herrscher mit einem Macht- oder Legitimationsdefizit in den Rangwettbewerb investiert haben, verdient auch für unser Thema Beachtung. 6 Andererseits, so ein Ergebnis meiner Untersuchungen zu „Erfolg und Mißerfolg im spätmittelalterlichen Reichsfürstenstand“, gab es keinen deutschen Fürstenhof, der wegen politischer Bedeutungslosigkeit oder fehlendem Prunk aus dem Kreis der Standesgenossen ausgeschieden worden wäre. 7 Dazu hätte es einer übergeordneten sanktionierenden Instanz bedurft, die es im Reich nicht gab. Man konnte zwar im Ansehen aufsteigen oder absinken, aber blieb dennoch im exklusiven Kreis der Fürsten. Die mit der Geburt erlangten Rangtitel Herzog, Pfalzgraf, Landgraf oder Markgraf fixierten die Zugehörigkeit zum Fürstenstand, 8 so dass ein Streit zwischen einem Herzog von Bayern und einem Herzog von Sachsen um den Vorrang nur seismographische Schwankungen im Ranggefüge auslöste, nicht aber die fürstliche Existenz selbst berührte. 9 Mit diesem Hinweis auf die Abgeschlossen- 2 H AHN : Dynastische Rivalitäten, 392f. 3 Vgl. E WERT und H IRSCHBIEGEL : Nur Verschwendung? , 117ff. 4 H UTTEN : Dialog über den Hof, 85. 5 P ARAVICINI : Schlichtheit und Pracht. 6 Vgl. E BD ., 79f. 7 Vgl. S PIEß : Fürstliche Höfe im spätmittelalterlichen Reich, 229f. 8 Nur der König konnte mit einer Standeserhöhung einem Nichtfürsten den Zugang zu dem exklusiven Kreis eröffnen, doch hat er davon relativ selten Gebrauch gemacht. Siehe dazu S CHLINKER : Fürstenstand und Rezeption. 9 Zu den Rangstreitigkeiten beider Häuser vgl. A ULINGER : Das Bild des Reichstages, 242f. <?page no="54"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 55 heit des Fürstenstandes wende ich mich im Folgenden zunächst der Ranghierarchie am eigenen Hof des Fürsten zu, denn die dort alltäglich praktizierte Tisch- und Speiseordnung kehrte auch bei dem Zusammentreffen der Fürsten auf Festen wieder. Die in den Hofordnungen auftauchende Klausel, dass die Regelungen außer Kraft gesetzt werden sollen, falls „fremde lute“ da sind, lenkt im zweiten Abschnitt unsere Aufmerksamkeit auf die Personen und Medien, welche die europäischen Höfe über den Prachtaufwand der anderen Fürsten informierten. Im dritten Abschnitt geht es um die Sektoren des Vergleichs. Prinzipiell konnten die Fürsten alle nur denkbaren Distinktionsmerkmale einsetzen, um sich von den Statuskonkurrenten abzusetzen. Aus der Vielzahl greife ich das Gefolge, den Schatz und die Genealogie heraus. Im kürzeren zweiten Teil werde ich auf die heutigen Versuche eingehen, wie man die Fürsten in einem Ranking platzieren könnte. An den Fürstenhöfen im spätmittelalterlichen Reich nahmen der Fürst und seine Hofleute zweimal am Tag ihre Mahlzeiten nach einem festen Zeremoniell ein. Alle speisten gemeinsam in einem großen Saal, der sogenannten Hofstube, Abb. 1: Festmahl Herzog Karls des Kühnen zu Ehren Kaiser Friedrichs III., Miniatur aus Diebold Schillings „Amtlicher Chronik“ von 1474, Buchmalerei um 1485/ 6 <?page no="55"?> Karl-Heinz Spieß 56 an rangmäßig geordneten Tischen, deren Zahl je nach der Größe des Hofes zwischen 10 und 20 Tafeln schwankte (Abb. 1). 10 Eine Tischordnung der gefürsteten Grafen von Henneberg für die Residenz Schleusingen aus dem Jahr 1550 sei exemplarisch vorgestellt. 11 Am ersten Tisch, dem Fürstentisch, saßen der Regent, seine Familienangehörigen und die beiden Spitzenamtsträger des Hofes, der Hofmeister und der Marschall. Am zweiten Tisch wurden die Hofdamen platziert, was wohl der Kleinheit des Hofes zuzuschreiben ist, denn normalerweise speisten die Damen separat im Frauenzimmer und wurden auch von einem eigenen Koch versorgt. Der dritte Tisch war für die Räte bestimmt, der vierte für die Kanzlei, den Arzt und den Barbier; an sieben weiteren Tischen war das restliche Hofgesinde versammelt. Da sie mit etwa zehn Personen besetzt wurden, lässt sich eine Speisegemeinschaft von 100 bis 200 Personen errechnen. Jedes Mitglied des Hofes konnte seinen Status erkennen und vergleichen, denn an den Tischen wurden die Quantität und Qualität der Speisen und Getränke unterschieden. Des Weiteren gab es Unterschiede bei dem Essgeschirr, das an den ersten vier Tischen aus Silber und an den letzten sieben Tischen aus Holz bestand. 12 Klagen über diese Rangunterschiede, die in der Anwesenheitsgesellschaft des Fürstenhofes zweimal täglich eingeprägt wurden, wurden naturgemäß nur in den unteren Rängen geäußert. Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II. hat in seiner Schrift „Vom Elend der Hofleute“ in gekonnter humanistischer Zuspitzung die Qualitätsunterschiede beim Wein geschildert. Während er sauren, wässrigen und flockigen Wein trinken muss, wird - so wörtlich - „dem König in deiner Gegenwart uralter Wein von solchem Feuer aufgetischt, dass sein Duft das ganze Haus erfüllt. Jener wird also Muskateller oder Malvasier trinken, doch davon wird er dir niemals und sei es das kleinste Maß bescheren, wie sehr du auch an Herzkrämpfen leiden magst.“ 13 Bartholomäus Sastrow, der in seiner Jugend bei den Markgrafen von Baden als Schreiber gedient hatte, erinnerte sich in seiner Autobiographie noch sehr gut daran, dass der ihm in einem Zinnbecher gereichte Tischwein im Sommer überhaupt nicht ausreichte, während am Tisch der Räte zweimal ausgeschenkt wurde. 14 In Schleusingen erhielten übrigens nur die ersten vier Tische Wein, während sich die restlichen sieben mit Bier begnügen mussten. Fürsten, die nur Bier ausschenken, fand Enea Silvio übrigens ganz schrecklich. 10 Vgl. S PIEß : Fürsten und Höfe, 73-78. 11 ThStA Meiningen, GHA, Sektion III, Nr. 99, fol. 49r, 58r. Inhaltlich wiedergegeben von K OCH : Die Tisch-Ordnung, o. S. 12 E BD . 13 P ICCOLOMINI : Das Elend der Hofleute, 433. 14 S ASTROW : Herkommen. Erster Theil, 267. <?page no="56"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 57 Abb. 2: Karte: Die Heiratsverbindungen der Könige von Aragon, Dänemark, England, Frankreich, Polen und Ungarn (1200-1500). Abb. 3: Karte: Die Herkunft auswärtiger Herolde aus den burgundischen Hofrechnungen (1420-1442), die Zahl in Klammern gibt die Anzahl der Belege an. <?page no="57"?> Karl-Heinz Spieß 58 Das täglich praktizierte Hofzeremoniell betonte die herausgehobene Stellung des Fürstens, zugleich wurde jedem Mitglied des Hofes ein bestimmter Platz in der Ranghierarchie zugewiesen. Die permanente Repräsentation des sozialen Beziehungssystems am Hof trug zu dessen Stabilisierung bei und bewirkte trotz aller Rangunterschiede ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Jeder einzelne Hofmann erschien als Teil eines Ganzen, das ausschließlich auf den Fürst an der Spitze ausgerichtet war. Der alltägliche Repräsentationsaufwand war auf die Binnenkommunikation ausgerichtet und wurde deshalb sofort gesteigert, falls „fremde lute“, andere Fürsten oder sonstige hochstehende Gäste an den Hof kamen. Jetzt wurde das gesamte Tafelsilber aus dem Gewölbe geholt, die Zahl der Gänge vermehrt oder die Hofmusikanten wurden zum besseren Spiel aufgefordert. 15 Der Gast sollte den Hof in seiner ganzen Pracht erleben, ihn mit anderen vergleichen und darüber seinem Hof berichten. Da Besuche eines Fürsten an einem anderen Fürstenhof eher selten vorkamen, muss nach weiteren Vermittlern in der Vergleichskommunikation gefragt werden. Zunächst sind die durch die Heiraten geknüpften Kontakte zu nennen, die zu einem regelmäßigen Informationsaustausch führten. Wie eng die durch Schwägerschaft und Verwandtschaft geknüpften Bande der Fürsten im Reich waren, illustriert das Dispensgesuch Herzog Friedrichs des Schönen von Österreich, in dem er ausführt, „er könne aus keinem deutschen Fürstenhaus eine Braut nehmen, da er mit allen verwandt sei. Danach wird aufgezählt, der Herzog von Kärnten sei der Bruder seiner Mutter, der Herzog von Brandenburg der Sohn seiner Schwester, der Herzog von Lothringen sein Schwager, der Herzog von Bayern sein Onkel, der Herzog von Sachsen der Sohn seiner Tante usw.“ 16 Die Vernetzung innerhalb des Reiches wurde auf europäischer Ebene erweitert durch die internationalen Königs- und Fürstenheiraten, von denen diese Graphik eine Vorstellung vermitteln soll (Abb. 2). 17 Die familiären Kontakte wurden ergänzt durch die Herolde als berufsmäßige Nachrichtenüberbringer (Abb. 3), 18 durch Spielleute und auch durch Reisende, die wie Leo von Rožmital die europäischen Höfe besuchten und an jedem Hof eifrig über die anderen Herrscher befragt wurden. 19 Insgesamt darf man davon ausgehen, dass ein reger Informationsaustausch den Vergleich der Königs- und Fürstenhöfe für die Zeitgenossen ermöglichte. 15 Vgl. K OCH : Die Tisch-Ordnung, o. S.; F OUQUET : „Wie die kuchenspise sin solle“ 16 S PIEß : Unterwegs zu einem fremden Ehemann, 21. Abgedruckt bei von Z EISSBERG : Elisabeth von Aragonien, 139. 17 Vgl. S PIEß : Europa heiratet. 18 Vgl. H ILTMANN : Herolde und die Kommunikation, 55-59 (mit der Karte auf Seite 55). 19 L EO ´ S VON R OŽMITAL : Ritter-, Hof-, und Pilger-Reise; R ADZIKOWSKI (Hg.): Reisebeschreibung N ICLAS von P OPPLAU ; Siehe auch, P ARAVICINI und W ETTLAUFER (Hg.): Europäische Reiseberichte <?page no="58"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 59 des späten Mittelalters. Band 1 und die eindringlichen Studien von P ARAVICINI : Der Fremde am Hof; D ERS .: Bericht und Dokument. Abb. 4: Ansicht von Schloss und Stadt Heidelberg. Abb. 5: Die Albrechtsburg in Meißen. <?page no="59"?> Karl-Heinz Spieß 60 Wie bereits angekündigt, will ich aus der Vielzahl der möglichen Vergleichsfelder nur wenige herausgreifen, einige andere aber zumindest nennen. So gehört die Architektur von fürstlichen Residenzen oder Kirchenbauten zu den wichtigsten Ranganzeigern. Die kunsthistorische Forschung spricht von einem fürstlichen Anspruchsniveau, vom Schloss als Manifest des Fürsten, mit dem er seinen Rang dauerhaft demonstrierte. 20 Die im Burgenbau bereits erkennbare Rangkonkurrenz erhielt mit den fürstlichen Residenzbauten, wie dem Heidelberger Schloss 21 (Abb. 4) oder der Albrechtsburg in Meißen (Abb. 5), 22 im 15. Jahrhundert eine neue Dimension und setzte sich bekanntlich in der Frühen Neuzeit dynamisch fort. Die Architektur fürstlicher Stiftskirchen, ihre Ausstattung und die dortigen Grablegen sind ebenfalls als Medien des Rangvergleichs eingesetzt worden. 23 Neue Formen der Grabmalgestaltung, wie die sogenannten Doppeldeckergrabmäler mit Transi-Darstellung sind im Reich 1462 und 1467 von Kurfürsten eingeführt worden und dokumentierten deren Spitzenstellung im Reichsfürstenstand (Abb. 6). 24 Auch das Material des Grabmals diente der Distinktion, kamen doch im 15. Jahrhundert Metallgrabmäler auf, die dem fürstlichen Anspruchsniveau offenbar mehr entsprachen als Stein (Abb. 7). 25 Eine vergleichende Betrachtung der fürstlichen Grabmäler ist ein dringendes Forschungsdesiderat, das ich demnächst zu erfüllen hoffe. Ranganzeigend konnten weiterhin die Künstler sein, die man an den Hof holte, 26 die Qualität und Zahl der Reliquien, die man nicht nur sammelte, sondern auch in den Heiltumsweisungen zur Schau stellte 27 oder die Gründung eines Hofordens. 28 Nur nennen möchte ich ebenfalls die Session auf den Reichstagen, obwohl gerade sie in der Reichsöffentlichkeit größte Aufmerksamkeit fand. 20 Vgl. zum Anspruchsniveau W ARNKE : Bau und Überbau, 13; weiter M ÜLLER : Das Schloß als Bild des Fürsten; D ERS .: Spätmittelalterliches Fürstentum; D ERS .: Das Schloß als fürstliches Manifest; Zuletzt H UTHWELKER und W EMHÖNER : „Chescune maison“. 21 Vgl. B ENNER und W ENDT : Das Heidelberger Schloß. 22 Vgl. M ÜLLER : Das Schloß als fürstliches Manifest, 399-428. 23 H UTHWELKER und W EMHÖNER : „Chescune maison“, 350-360 zur Stiftskirche in Neustadt und zum Heiliggeiststift in Heidelberg. 24 Vgl. E BD ., 360ff. 25 Vgl. M ÖTSCH : Die gefürsteten Grafen von Henneberg, 238f. zu den aus der Vischer-Werkstatt in Nürnberg stammenden Bronzegrabmäler der Henneberg-Römhild; Zu den Metallgrabmälern der Wettiner im Dom zu Meißen vgl. S TOCK : Messinggrabplatten im Meißner Dom. 26 Vgl. den Katalog und Beitragsband Apelles am Fürstenhof, hrsg. v. M ÜLLER . 27 Allg. K ÜHNE : Ostensio Reliquarum und F EY : Zu Schmuck und Zierde; D IES .: Beobachtungen zu Reliquienschätzen; D IES .: Die Reliquienstiftung Kurfürst Ruprechts I.; D IES .: König Ludwig I. von Ungarn. 28 Vgl. S PIEß : Fürsten und Höfe, 117f.; D ERS .: Hegemonie und Repräsentation, 391f. <?page no="60"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 61 Abb. 6: Grabmal des Erzbischofs Henry Chichele (†1443), entstanden 1424, Kathedrale von Canterbury. Abb. 7: Deckplatte der Tumba Kurfürst Friedrichs des Streitbaren (†1428), entstanden vor 1437, vermutlich Nürnberg, Deckplatte aus Messing, Tumba aus Bronze, Meißen, Fürstenkapelle des Domes. <?page no="61"?> Karl-Heinz Spieß 62 Allerdings sind die Sitzordnung und die daraus resultierenden Sessionstreitigkeiten wegen ihrer verfassungsgeschichtlichen Relevanz bereits intensiv untersucht worden, so dass ich darauf verzichten kann. 29 Ähnlich wie auf den Reichstagen tauchte bei den festlichen Treffen von Fürsten anlässlich von Hochzeiten, Turnieren oder Leichenbegängnissen die Frage der Sitzordnung auf. Jetzt wurden Fürsten-, Grafen- und Rittertische gebildet und rangmäßig mit Speisen und Getränken versehen. 30 Der Gastgeber musste hier auch kniffelige Rangfragen lösen, 31 die an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden können. Eingehender beschäftigen möchte ich mich zunächst mit dem fürstlichen Gefolge, das für das öffentliche Auftreten von maßgeblicher Bedeutung war. Begab der Fürst sich zu einer Hochzeit oder zu einem Reichstag, so reiste gewissermaßen sein Hof mit ihm. Er führte seinen Standesgenossen nicht nur sich selbst in eigener Person vor, sondern auch seinen Hofstaat. 32 Das ist der Grund, warum neben den Räten auch Falkner, Sternseher oder Narren auf den Reichstag mitgebracht wurden. 33 Die Chronisten der Fürstentreffen notieren penibel die Anzahl der Pferde bzw. Personen, die ein Fürst in seinem Gefolge mit sich führte und konnten somit sogar „harte Daten“ für einen Rangvergleich liefern. 34 Weit mehr als die Quantität zählte jedoch die Qualität des Gefolges. Die Listen nennen deshalb in der Regel namentlich die Grafen und Freiherren oder gar Fürsten, die sich im Gefolge eines Kurfürsten oder Fürsten befanden. 35 Diese hochrangige Begleitung wurde auch in der Öffentlichkeit funktional in Szene gesetzt. So gab es offenbar auf dem Wormser Reichstag von 1495 einen Rangwettbewerb unter den weltlichen Kurfürsten, wer bei der Belehnung die Bitte um die Erneuerung des Lehnsbandes aussprechen sollte. Während Kurfürst Albrecht Achilles den Herzog von 29 Vgl. L UTTENBERGER : Pracht und Ehre, 311ff.; S PIEß : Rangdenken und Rangstreit; S TOLLBERG - R ILINGER : Zeremoniell als politisches Verfahren. 30 Vgl. H IERETH : Herzog Georgs Hochzeit, 54-73 und 10f.; B OJCOV : Qualitäten des Raumes, 149- 153; Z EILINGER : Die Uracher Hochzeit, 66-75 und 158-164 (Abdruck der Tischordnung). 31 Auf der Uracher Hochzeit saßen die Prälaten aus dem Territorium an dem Tisch nach den Grafen, aber vor den Gesandten der Reichsstädte und danach kam erst der Tisch der Ritter und Edelknechte. Da an jedem Tisch wiederum eine Rangfolge zu beachten war, wurden die städtischen Gesandten gereiht „nach dem sich irr herkomens halb gepurt hatt, unnd nach erkennen des burgermaisters zu Ulm“, d. h. man hatte zusätzlich den Ulmer Bürgermeister als „Experte“ für die städtischen Rangverhältnisse befragt. 32 Vgl. S TREICH : „Uf dem zcoge zcu unserm herrn dem Romischen kunige ...“; S PIEß : Kommunikationsformen, 264ff.; D ERS .: Reisen deutscher Fürsten und Grafen, 42f. 33 RTA 1471, 528 (2 Falkner), 535 (2 Sternseher), für Narren im Gefolge siehe N IJSTEN : In the Shadow of Burgundy, 326f. 34 Exemplarisch sei auf die Gefolgeauflistungen der Reichstage zu Regensburg 1471 (RTA 1471, Nr. 110a-c, 511-566), Frankfurt 1486 (RTA 1486, Nr. 915, 912-945) und Worms 1495 (RTA 1495, Nr. 1594-1598, 1151-1173) verwiesen. 35 Vgl. S PIEß : Kommunikationsformen, 266; D ERS .: Reisen deutscher Fürsten und Grafen, 43 (Fürsten in Begleitung von Grafen auf der Jerusalemwallfahrt). <?page no="62"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 63 Abb. 8: Die Schatzkammer Kaiser Maximilians I., 1517-1518, Nürnberg, Albrecht Dürer, Darstellung aus der „Ehrenpforte“ Maximilians I. Abb. 9: Der „Gebrauchs-Schatz“ Kaiser Maximilians I., 1512/ 13-1516, Regensburg, Werkstatt Albrecht Altdorfer, Miniatur aus dem Triumphzug Kaiser Maximilians I. <?page no="63"?> Karl-Heinz Spieß 64 Mecklenburg als Bittsteller auftreten ließ, benannte der sächsische Kurfürst den Fürsten von Anhalt, der Kurfürst von der Pfalz aber den Bischof von Worms. Besser konnten diese Kurfürsten ihre hegemoniale Stellung in ihrem Herrschaftsbereich und in der Fürstengesellschaft insgesamt nicht demonstrieren. 36 Dass die hochrangigen Begleiter im fürstlichen Gefolge selbst nicht allein, sondern auch wieder mit Gefolgsleuten erschienen, ließ die Zahl der Begleiter entsprechend anschwellen. Jeder Teilnehmer, auch der gräfliche oder ritterliche Gefolgsmann, trug mit seiner Zahl der Pferde zu dem Rangwettbewerb innerhalb seiner Gruppe bei. 37 Als nächstes Vergleichsfeld soll der fürstliche Schatz herangezogen werden, zumal er bei den gerade angesprochenen Fürstentreffen zur Geltung kam. Schon die Beinamen „der Reiche“ für die Herzöge Ludwig und Georg von Bayern-Landshut belegen, dass die Zeitgenossen das im Schatz erkennbare Vermögen von Fürsten taxierten. 38 Kaiser Maximilian hat als propagandistisch versierter Herrscher seinen Schatz in der Ehrenpforte abgebildet und sich in der Beischrift gleich selbst den ersten Platz im Ranking der fürstlichen Schatzbesitzer gesichert (Abb. 8). 39 In seinem Triumphzug wird der Schatz nochmals in den zwei üblichen Komponenten, dem weltlichen Tafelsilber und dem liturgischen Gerät, gezeigt (Abb. 9 u. 10). 40 Was hier bildlich vorgeführt wurde, konnten ausgewählte Besucher der Fürstenhöfe direkt in Augenschein nehmen. Es war nämlich üblich, den eigenen Schatz zu zeigen, um ihn propagandistisch zu verwerten. Leo von Rožmital ließ in seinem Reisebericht entsprechend beeindruckt vom Schatz Philipps des Guten von Burgund notieren, der Schatz sei so „unaussprechlich vil uberkostlich“ und man meine, das „man in der werlt nit so kostlichs find als ers hab“. 41 Wie man sieht, hat die jährlich publizierte Liste der reichsten Männer der Welt durchaus schon mittelalterliche Vorläufer. Am besten ließ sich der Schatz jedoch bei höfischen Festen den staunenden Augen der Betrachter vorführen, wobei die schriftlichen Berichte für einen bleibenden Eindruck sorgten. Aus dem sorgfältig im Heidelberger Schlossgewölbe verwahrten Tafelgeschirr waren Teile für etwa 30 Personen ausgesondert, die zum 36 Vgl. S PIEß : Hegemonie und Repräsentation, 365ff. 37 Exemplarisch RTA 1471, Nr. 110, 528f.: Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg: 65 Pferde, sein Begleiter Graf Ludwig von Öttingen: 10; Erkinger von Seinsheim: 5 Pferde usw. Den Pferden müssen entsprechende Knechte zugeordnet gewesen sein. 38 Vgl. Z IEGLER : Die Bedeutung des Beinamens „reich“. 39 Bild und Textnachweis: S CHAUERTE : Die Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I, 335f. und 395. 40 Farb-Bild des Gebrauchsschatzes und Textnachweis aus dem Triumphzug Kaiser Maximilians I.: O TTOMEYER und V ÖLKEL : Die öffentliche Tafel, 179. Zum „Schatz der Andacht“ siehe M ICHEL : „zu Lob und ewiger gedechtnuß“. 41 L EO ´ S VON R OŽMITAL : Ritter-, Hof-, und Pilger-Reise, 150; Vgl. K ÜMMEL : Heirat, Reise, Beute, 111. <?page no="64"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 65 Abb. 10: Der „Schatz der Andacht“ Kaiser Maximilians I., 1512/ 13-1516, Regensburg, Werkstatt Albrecht Altdorfer, Miniatur aus dem Triumphzug Kaiser Maximilians I. Abb. 11: Detail aus dem „Sechsten Eid der schönen Dame Edea“, 15. Jh., Frankreich, Miniatur aus der „Histoire du Grand Alexandre“. <?page no="65"?> Karl-Heinz Spieß 66 täglichen Gebrauch auf dem Fürstentisch und den Rätetischen dienen sollten. Die zahlreichen anderen Teile sollten nur hervorgeholt werden, falls bedeutender Besuch erwartet wurde. 42 Das 1458 in Heidelberg gefeierte Weihnachtsfest bot eine solche Gelegenheit für den vornehmsten weltlichen Kurfürsten, seinen Rang zu demonstrieren. Friedrich I. hatte fünf Mitglieder des wittelsbachischen Hauses, zwei Bischöfe, 21 namentlich genannte Grafen sowie rund 2.000 Ritteradlige eingeladen. Alle Tischgenossen speisten und tranken aus Silbergeschirr, wobei in der großen Hofstube noch eine Kredenz aufgebaut war, die weiteres Tafelgeschirr ausstellte. Die Kredenzen waren mit besonders wertvollen Schauteilen bestückt, die dank der erhöhten Positionierung von allen Gästen bewundert werden konnten (Abb. 11). 43 Als der aus Burgund stammende Antoine de Lalaing 1503 an einem Essen im Heidelberger Schloss teilnahm, zählte er die einzelnen Stücke des Schaugeschirrs auf: 118 Becher und Pokale, die meisten vergoldet, sowie 60 Kannen und Schalen. 44 Ähnlich wie bei der Zahl der Gefolgsleute lieferten die Berichterstatter auch bei den Kredenzen genaue Zahlen, um dem Leser einen Vergleich mit dem Schatz anderer Fürsten zu ermöglichen. Als Karl der Kühne bei dem berühmten Trierer Treffen im Jahr 1473 Kaiser Friedrich III. und die Reichsfürsten zu einem Bankett einlud, kam sogar eine zehnstufige Kredenz zum Einsatz, die bis zur Decke reichte und beladen war mit 33 goldenen oder vergoldeten Flaschen, 70 Silberkannen, 100 goldenen und mit Juwelen verzierten Deckelpokalen, 24 silbernen Handwaschbecken, sechs Tafelschiffen und sechs ganzen Einhörnern. Es wird eigens vermerkt, dass das Schaugeschirr nicht für das Bankett verwendet wurde, vielmehr standen für jeden Gast zusätzlich eine silberne Trinkschale bereit und für je zwei Gäste eine silberne Wasserkanne. 45 Die Kredenzen waren ein so unentbehrliches Instrument der fürstlichen Prestigekonkurrenz, dass sie auch auf biblischen oder mythologischen Szenen abgebildet wurden (Abb. 12 u. 13). 46 Ergänzt wurde die Opulenz des Tafelgeschirrs durch den kostbaren Schmuck, den die Fürsten bei diesen Gelegenheiten anlegten. So zählte Leo von Rožmital bei seiner Besichtigung der burgundischen Schatzkammer u. a. einen Hut auf, den er auf 50.000 Kronen taxierte. 47 Möglicherweise sah er so aus wie dieser Hut, 42 Vgl. S PIEß : Fürsten und Höfe 79f. 43 Vgl. S PIEß : Kommunikationsformen im Hochadel, 261 und D ERS .: Fürsten und Höfe 84ff. 44 B ACKES : Das literarische Leben, 39. 45 Vgl. S PIEß : Der Schatz Karls des Kühnen, 283f. Hinzu kamen noch die liturgischen Gerätschaften aus Gold und Silber. Zum Einsatz der burgundischen Kredenz bei früheren Festlichkeiten EBD ., 282f. 46 Vgl. O TTOMEYER UND V ÖLKEL : Die öffentliche Tafel, 178-187 (Kredenz und Buffet). Die auf Seite 78 ohne Quellenbeleg angegebene rangmäßige Beschränkung der Kredenzstufen auf fünf für Kaiser und Könige, vier für Fürsten und Herzöge, drei für Grafen und zwei für Ritter konnte weder im schriftlichen noch im bildlichen Material bestätigt werden. 47 Siehe Anm. 41. <?page no="66"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 67 Abb. 12: Ausschnitt aus der „Festtafel des Assuerus“, ca. 1470-1490, franko-flämische Tapisserie. Abb. 13: Fresko eines Buffets, 1527-1529, Mantua, Giulio Pippi, gen. Romano. <?page no="67"?> Karl-Heinz Spieß 68 den Karl der Kühne sogar mit auf seinen Feldzug nahm, wodurch er in Grandson zur Beute der Schweizer wurde (Abb. 14). 48 Herzog Georg von Bayern-Landshut trug bei seiner Hochzeit einen Hut mit einem kostbaren Band aus Perlen und Edelsteinen, das auf 50.000 fl. geschätzt wurde. 49 Nach Meinung von reisenden Kaufleuten, die der Schreiber des Berichtes als Experten befragt hatte, war der Hut insgesamt sogar 100.000 fl. wert. 50 Man sagte ihm, es gäbe kaum einen deutschen Fürsten, der einen solch kostspieligen Hutkranz besäße. 51 Der Berichterstatter - so würden wir es heute ausdrücken - rankt Herzog Georg somit eindeutig in die Spitzengruppe der fürstlichen Hutbesitzer. Damit beschließe ich die Überlegungen zum Schatz und den Kleinodien und verweise auf den Beitrag von Kirsten Frieling. Mein nächstes Untersuchungsfeld behandelt die Vorstellungen der Fürsten von ihrer Genealogie. Ich will und kann an dieser Stelle nicht auf die zahllosen Werke der dynastischen Hofhistoriographie eingehen, die um das Herkommen des Fürstengeschlechts kreisen, 52 sondern will mich auf ausgewählte bildliche Präsentationen konzentrieren. In weltlichen Schau- und Prunkräumen der fürstlichen Residenzen befanden sich Fresken mit der Darstellung der möglichst weit zurückreichenden Vorfahren. Sie wurden gelegentlich persönlich von den Fürsten selbst ausländischen Gesandten vorgestellt, um die einzigartige Anciennität der Dynastie herauszustreichen. Der brabantische Historiograph Edmond de Dynter berichtet, König Wenzel habe ihm 1413 persönlich die Fresken mit der Genealogie der Luxemburger auf der Burg Karlstein gezeigt. Sie führte über die Herzöge von Brabant und über die Karolinger bis zu den Trojanern zurück (Abb. 15). 53 48 Zum Hut siehe S PIEß : Der Schatz Karls des Kühnen, 276; D EUCHLER : Die Burgunderbeute, 118f.; C ETTO : Die Burgunderbeute und Werke burgundischer Hofkunst und jetzt auch F RIELING : Sehen und gesehen werden, 103f. 49 Vgl. H IERETH : Herzog Georgs Hochzeit, 52. 50 Vgl. E BD ., 62. Es scheint derselbe Hut zu sein. 51 Vgl. E BD ., 99. 52 Vgl. z. B. J OHANEK : Die Schreiber und die Vergangenheit; Studt: Fürstenhof und Geschichte; D IES .: Neue Fürsten - Neue Geschichte? ; M OEGLIN : Les ancêtres du prince; D ERS .: Die Genealogie der Wittelsbacher. Weitere Literatur bei S PIEß : Research on the Secular Princes, 31ff. 53 DE D YNTER : Chronica, 74: „Meque postea per manum capiens, duxit in quandam aulam, in qua preciose imagines omnium ducum Brabancie, usque ad ducem Johannem Brabancie hujus (sic! ) nominis tercium inclusive, sunt depicte, quas predictus Karolus imperator genitor suus inibi depingi fecerat, dixitque ad me, quod illa sua esset genealogia, quodque ipse de propagine Trojanorum, et signanter sancti Karoli magni imperatoris et inclite domus Brabancie, descendit, et quod Heinricus de Luxemburgo imperator, proavus suus, habuit filiam primi ducis Johannis Brabancie, ex qua genuit avum suum Johannem Bohemie et Polonie regem.“; N EUWIRTH : Der Bildercyklus des Luxemburger Stammbaumes, 20f., mit Abbildung der Nachzeichnungen aus dem 16. Jahrhundert auf Tafel I-XVI; Vgl. hierzu auch G RAUS : Troja und trojanische Herkunftssage, 37; C LEMENS : Luxemburg-Böhmen, Wittelsbach-Bayern, Habsburg-Österreich. <?page no="68"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 69 Abb. 14: Herzogshut Karls des Kühnen von Burgund, um 1545, Einzelblatt mit Deckfarbenminiatur. Abb. 15: Nachzeichnungen der genealogischen Fresken der Luxemburger auf Burg Karlstein, Phototypien der zwischen 1569 und 1575 entstandenen Nachzeichnungen, dargestellte Personen (v.l.n.r.): König Johann von Böhmen, Herzog Johann I. von Lothringen und Brabant, Kaiser Karl der Große, König Priamos. <?page no="69"?> Karl-Heinz Spieß 70 Um 1465 wurde in einem Saal der Münchener Residenz eine genealogische Reihe von 62 bayerischen Herzögen beginnend mit Bavarus und Norix als Wandmalerei dargestellt, wobei Karl der Große und Ludwig der Bayer sowie weitere Könige aus der Dynastie besonders hervorgehoben waren (Abb. 16). 54 Ähnlich wie bei dem Gefolge spielte neben der Quantität der Generationen offenbar auch die Qualität der Vorfahren eine gewichtige Rolle. Dies gilt umso mehr als nach der Anschauung der Zeit das von den Vorfahren weitergegebene Blut nicht nur die Eignung zur Herrschaft mit sich führte, sondern sich auch noch von Generation zu Generation mit dieser Qualität anreicherte. Der gegenwärtige Vertreter der Dynastie erschien damit als höchste Steigerung der Eigenschaften seiner Vorfahren und konnte aus seiner genealogischen Vergangenheit Rang- und Herrschaftsansprüche in der Gegenwart ableiten. Je weiter die Kontinuität des Blutes zurückreichte, umso begründeter erschienen solche Ansprüche. 55 Als Jakob Mennel in seiner „Fürstlichen Chronik“ 1510 seinem Auftraggeber Maximilian I. nicht bloß die Abstammung, sondern sogar eine agnatische Blutslinie von dem trojanischen Helden Hector bis zum Kaiser selbst nachwies, war Maximilian begeistert, weil damit die Habsburger zum vornehmsten Geschlecht Europas avancierten. 56 Wie Maximilian nutzten auch die Wittelsbacher die Genealogie, um sich im Vergleich zu anderen Herrschern abzusetzen. Herzog Albrecht IV. von Bayern führte 1473 persönlich dem Mailänder Gesandten Carlo Visconti in den erwähnten Festsaal mit den Fresken und zeigte ihm seine Vorfahren, von denen viele Kaiser und Könige gewesen seien. 57 Leider wissen wir nicht, wie dieser Bericht des Gesandten von seinem Herrn Galeazzo Maria Sforza aufgenommen wurde, der aber als Aufsteiger ohne große Vergangenheit nicht erfreut über den genealogischen Stolz der Wittelsbacher gewesen sein dürfte, zumal er die Fürsten nördlich der Alpen ohnehin als hochmütig ansah. 58 Die pfälzischen Wittelsbacher haben im Heidelberger Schloss eine 1180 mit dem ersten bayerischen Herzog aus dem Hause einsetzende Freskengalerie anfertigen lassen, die nicht nur die Vorfahren, sondern auch deren Ehefrauen abbildete, um den Glanz der Dynastie durch die Einheiraten zu erhöhen (Abb. 17). 59 Der möglichweise schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstandene 54 Zu den Münchener Fresken vgl. H OFMANN : Die bayerischen Herzöge im Bild; M OEGLIN : Les ancêtres du prince; S TUDT : Symbole fürstlicher Politik. 55 M ELVILLE : Vorfahren und Vorgänger.; D ERS .: Die Bedeutung geschichtlicher Transzendenzräume. 56 M ERTENS : Geschichte und Dynastie. Vgl. jetzt auch K ELLNER : Formen des Kulturtransfers am Hof Kaiser Maximilians I. 57 Vgl. F UCHS : Das „Haus Bayern” im 15. Jahrhundert, 319f. 58 Vgl. L UBKIN : A Renaissance Court, 153 und 186; S PIEß : Fürsten und Höfe, 132f. 59 Vgl. dazu jetzt H UTH : Zur Bedeutung der Pfalzgräfinnen, 141-157. <?page no="70"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 71 Abb. 16: Ausschnitt aus den "Vierzehn Ahnen des Hauses Wittelsbach" aus dem Alten Hof in München. 1463-1465, dargestellte Personen (v.l.n.r.): „Okarius“, Tassilo, Ludwig der Fromme, „Karolo Manus“, „Arnolt“, Otto von Ungarn und Otto der Große. Abb. 17: Auszug aus der „Pfälzer Regentenreihe", Herzog Otto I. von Bayern (†1183) und seine Gemahlin Agnes (†1191), Herzog Ludwig I. von Bayern (†1231), Pfalzgraf Otto II. (†1253) und seine Gemahlin Agnes (v.l.n.r.), 1772/ 73, Amberg, Miniaturkopie der Ahnenreihe aus dem Schloss zu Amberg. <?page no="71"?> Karl-Heinz Spieß 72 Bilderzyklus 60 wurde übrigens wie sein Münchener Pendant mehrfach gedruckt und damit als Propagandamedium weit verbreitet (Abb. 18). 61 Kommen wir jetzt zum zweiten, wesentlichen kürzeren Teil meines Beitrages, in dem es um die bisherigen Versuche geht, die Reichsfürsten in ein Rangsystem oder eine Rankingliste einzuordnen. Hierfür bieten sich unterschiedliche Kriterien an, die aber sämtlich mit Schwachpunkten behaftet sind. Peter Moraw hat einmal unter Einbeziehung von knapp 40 bischöflichen Reichsfürsten ungefähr 80 Fürsten untersucht und diese gemäß dem Kriterium „politische Handlungsfähigkeit“ gereiht. Der stärksten Gruppe weist er eine Größe von fünf Prozent und der zweiten zehn Prozent zu, während er die mittleren Mächte auf 25 % und die Gruppe der Schwachen und Schwächsten immerhin auf 60 % taxiert. 62 Moraw war sich der Angreifbarkeit seiner Schätzungen bewusst, denn „politische Handlungsfähigkeit“ lässt sich nur schwer messen und konnte sich zudem von Generation zu Generation stark verändern. Die Einbeziehung von Bischöfen verunklärte zudem die Statistik für die ganz anders strukturierten weltlichen Dynastien. Moraw kam es vor allem auf das Ergebnis an, wonach sich nur sehr wenige Fürsten politisch „selbständig zu regen vermochten“. 63 Nach diesem Versuch aus dem Jahr 1986 hat sich Moraw 1997 erneut mit einer Ranggliederung, aber diesmal nur der weltlichen Reichsfürsten beschäftigt. 64 An die 20 Dynastien legte er für die Jahre 1308 bis 1509 zunächst das Kriterium des sozialen Rangs ihres Konnubiums an. Ich komme noch darauf zurück, möchte aber zuerst auf das ebenfalls von Moraw eingesetzte Kriterium der Abschichtung von Fürstensöhnen in eine geistliche Karriere eingehen. Seine These ist, dass die „feinsten Familien“ kaum diesen Versorgungsweg wählten, „die bescheidenen aber in sehr hohem Maß“. 65 Obwohl eine solche Tendenz unverkennbar ist, 66 kann mich dieses Kriterium nicht völlig überzeugen, da es zu sehr mit der generativen Situation in den fürstlichen Familien verknüpft ist. Die Habsburger hatten nur wenig Söhne und deshalb keinen Versorgungsdruck. Als die hochrangigen pfälzischen Wittelsbacher viele Söhne hatten, ergriffen auch sie die Alternative 60 H UTH : Zur Bedeutung der Pfalzgräfinnen, 142ff.; Zu der medialen Verbreitung der Münchener Fresken auf Pergament und Papier vgl. S TUDT : Symbole fürstlicher Politik; S TAUBER : Herrschaftsrepräsentation und dynastische Propaganda. 61 S TUDT : Symbole fürstlicher Politik, 233f. 62 Vgl. M ORAW : Fürstentum, Königtum und „Reichsreform“, 123. 63 E BD . 64 Vgl. M ORAW : Das Heiratsverhalten im hessischen Landgrafenhaus. 65 E BD ., 137-138. 66 Vgl. die einschlägige Tabelle für 18 fürstliche Dynastien bei S PIEß : Safeguarding Property, 41 und die genealogischen Tafeln, 42ff. <?page no="72"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 73 Abb. 18: Gedechtnus / der Churfürsten / vnd Pfalntzgraven bey Rheyn / auch Hertzogen in Bayrn (wie die zu Heydelberg im Saal befunden werden), nach 1559, Heidelberg, Holzschnitt von Antony Corthoys d. Ä. <?page no="73"?> Karl-Heinz Spieß 74 einer geistlichen Karriere, um weitere Teilungen zu vermeiden (Abb. 19). 67 Auch das dritte Kriterium Moraws, der geographische Raum des Konnubiums, ob europäisch, genauer gesamtdeutsch oder regional, 68 hält einer näheren Überprüfung nicht stand. Eine benachbarte Kurfürstentochter konnte als Ehefrau höherwertiger sein als eine entfernt wohnende Fürstentochter, dennoch trifft die Aussage Moraws im Kern zu. 69 Über die von Moraw angesprochenen Kriterien hinaus könnte man noch weitere für ein Ranking finden, wie z. B. die Größe des Hofes, die aber die Qualität der Hofleute vernachlässigt, weil fünf Grafen wichtiger sind als 20 Stallknechte. 70 Die Zahl der zu Reichstagen und Festen mitgebrachten Pferde könnte als Kriterium für einen Vergleich dienen, doch scheint sie stärkeren Schwankungen unterworfen zu sein. 71 Auch die Einkünfte der Fürsten taugen nicht für eine Statistik, da sie mit den Schulden, die kaum zu ermitteln sind, verrechnet werden müssten. 72 So bleibt als einziges brauchbares Kriterium die soziale Qualität des Konnubiums, auch wenn es im Blick auf die hohen Mitgiften mit der finanziellen Leistungsfähigkeit in Korrelation gesetzt werden müsste. 73 Auf dem Gebiet der Heiratsgaben, besonders Mitgift, Morgengabe und entsprechende Zinssätze, verglichen sich die Reichsfürsten untereinander, denn schließlich verhandelten sie darüber fast ständig. Während die Zollern die Mitgift einer Tochter auf 10.000 fl. begrenzten, gab es nach Aussage der Wettiner keine festen Mitgiftsätze. 74 Die Aussteuer und die Morgengabe sollten nach der Ehre des fürstlichen Hauses bemessen werden, doch verwies Markgraf Albrecht Achilles bei den Verhandlungen mit seinem künftigen Schwiegersohn Eberhard von Württemberg darauf, dass es einen gemeinen Gebrauch im Reich gäbe, auf je 10.000 fl. erhaltene Mitgift mindestens 67 Vgl. S PIEß : Erbteilung, dynastische Räson und transpersonale Herrschaftsvorstellung, 170ff. und 177f. 68 Vgl. M ORAW : Das Heiratsverhalten im hessischen Landgrafenhaus, 138ff. 69 Vgl. die Überlegungen zum räumlichen Aspekt des Konnubiums im nichtfürstlichen Hochadel bei S PIEß : Familie und Verwandtschaft, 409-414 und die Konnubiumskarten der Herzöge von Pommern und der Markgrafen von Brandenburg aus dem Haus Zollern bei D ERS .: Fürsten und Höfe, 52f. und bei A UGE : Handlungsspielräume fürstlicher Politik, 440 für Mecklenburg und Pommern. 70 Vgl. S PIEß : Fürsten und Höfe, 63-67; Vgl. auch das Kapitel „Größe und Etat der Höfe“ bei M ÜLLER : Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit, 29ff. 71 Siehe die Listen in Anm. 34 und 37. 72 Vgl. die Einkommensstatistiken für ausgewählte Fürstenhöfe bei S PIEß : Fürstliche Höfe im spätmittelalterlichen Reich, 228f. 73 Vgl. die Kombination beider Aspekte bei S PIEß : Familie und Verwandtschaft, 344-366 und 389- 409; N OLTE : Familie, Hof und Herrschaft, 95-114; A UGE : Handlungsspielräume fürstlicher Politik, 235-248. 74 Vgl. N OLTE : Familie, Hof und Herrschaft, 107f. <?page no="74"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 75 Abb. 19: Grafik: Das Verhältnis zwischen verheirateten und geistlichen Söhnen, früh verstorbene Söhne nicht eingerechnet. <?page no="75"?> Karl-Heinz Spieß 76 3.000 fl. Morgengabe zu leisten. 75 Auch bei der Verzinsung der Heiratsgaben pochte man bei einem angebotenen Zinssatz von nur sechs Prozent auf den „fürstlichen Gebrauch“, mindestens zehn Prozent Zinsen zu zahlen. 76 Die Kenntnis des „fürstlichen Gebrauchs“ kann nur auf dem sorgfältigen Vergleich der in den fürstlichen Dynastien ausgehandelten Eheverträge beruhen. Wertet man das fürstliche Konnubium ungeachtet der Mitgiftproblematik aus, so empfiehlt es sich, mindestens drei Kategorien zu bilden. Überfürstliche, d. h. königliche Heiraten, fürstliche oder standesinterne Heiraten und unterfürstliche Ehen mit Grafen oder Freiherren. Eventuell kann man noch eine vierte Kategorie für Sonstige bilden, d. h. Personen mit niedrigerem oder unklarem Stand. Als Peter Moraw 1997 seine Konnubiumsanalyse für den Fürstenstand vorgelegt hat, habe ich zeitgleich ohne Kenntnis des Moraw-Projekts eine Magisterarbeit an Jürgen Herold vergeben, in der nach meinen Vorgaben ebenfalls eine solche Analyse gemacht werden sollte. 77 Während Moraw mit den drei genannten Kategorien gearbeitet hat, sind es bei Herold vier. Um die Analyse zu verfeinern, hat Herold die Daten nach zwei Kriterien gereiht. In der Sortierfolge A richtet sich die Reihenfolge nach dem Anteil der Heiratsverbindungen mit Königshäusern. In der Sortierfolge B ist ein rechnerischer Querschnitt gebildet worden. Dabei wurden die Heiratsverbindungen mit einem unterschiedlichen Faktor, nämlich einfacher Prozentsatz für Sonstige, zweifacher für Grafen und Herren, dreifacher für Fürsten und ein vierfacher Prozentsatz wurde für Königsheiraten addiert und daraus eine Rangzahl für die 20 Dynastien ermittelt. Die Daten wurden schließlich noch für die Söhne und Töchter getrennt aufbereitet, weil in der Regel Söhne höherwertig verheiratet wurden als Töchter. Da Moraw den Zeitraum von 1300 bis 1500 ausgewählt hat, Herold aber den im Greifswalder Principes-Projekt übliche von 1200 bis 1550 sind die Ergebnisse nicht wirklich vergleichbar, aber sie liefern durchaus Anhaltspunkte für das fürstliche Heiratsverhalten. Moraw ermittelte acht Prozent überfürstliche Heiraten, 59 % fürstliche oder standesinterne und 33 % unterfürstliche Heiraten. 78 Bei Herold lauten die entsprechenden Zahlen für die Söhne 18,1 %, 52,4 % und 27,6 %, 79 für die Töchter 14 %, 45,5 % und 39,4 %, 80 d. h. die fürstlichen Heiraten unter dem 75 N OLTE : Familie, Hof und Herrschaft, 110f.; Zur Frage der Ehre vgl. auch S PIEß : Familie und Verwandtschaft, 141f. 76 Vgl. S PIEß : Witwenversorgung im Hochadel, 99f. 77 H EROLD : Ständische Abgrenzung. 78 Vgl. M ORAW : Das Heiratsverhalten im hessischen Landgrafenhaus, 135. 79 H EROLD : Ständische Abgrenzung. Bd. 2, Tafel 95 (A). 80 E BD ., Tafel 100 (A). <?page no="76"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 77 Stand machen rund ein Drittel aus. Noch aufschlussreicher ist die fortschreitende Veränderung des Konnubiums, wie sie die folgende Graphik illustriert (Abb. 20). 81 Sie lässt nämlich die zunehmende Distanzierung der Fürsten vom nichtfürstlichen Adel erkennen, die auch in der Betonung der fürstlichen Standesprivilegien zum Ausdruck kommt. 82 Dies bildet den Hintergrund für die Weigerung des pfälzischen Kurfürstensohnes Philipp, Gräfin Ottilie von Katzenelnbogen zu heiraten, obwohl diese ein reiches Erbe mit sich gebracht hätte. Stattdessen bat er um eine Ehefrau, „die fursten genosse were“. 83 Stellt man die in Greifswald und von Moraw ermittelten Daten in eine Rangliste ein, so verteilen sich die 20 Geschlechter ungeachtet der Herangehensweise doch recht konform (Abb. 21). Lässt man die bereits 1320 ausgestorbenen Askanier in Brandenburg außer Acht, so formiert sich eine von Luxemburg, Habsburg, Kurpfalz und Bayern gebildete Spitzengruppe, die Mittelgruppe wird gebildet von den Wettinern, den Zollern, Sachsen-Wittenberg, Pommern, Mecklenburg, Sachsen-Lauenburg, Braunschweig, Hessen und Württemberg. Am unteren Rand 81 Vgl. die Graphik bei H EROLD : Ständische Abgrenzung. Bd. 1, 104. 82 Vgl. K RIEGER : Fürstliche Standesvorrechte im Spätmittelalter, 116. 83 Vgl. S PIEß : Familie und Verwandtschaft, 31. Abb. 20: Grafik: Anteil an Heiratsverbindungen der Reichsfürsten mit dem nichtfürstlichen Adel (1200-1550). <?page no="77"?> Karl-Heinz Spieß 78 stehen Anhalt, Jülich, Baden und die 1410 entstandenen pfälzischen Nebenlinien. Mit dieser Rankingliste, die allerdings so angreifbar ist wie jede andere, sei der Beitrag beendet. Abb. 21: Grafik: Rangvergleich. <?page no="78"?> Spätmittelalterliche Fürstenhöfe im zeitgenössischen und heutigen Vergleich 79 AAbbildungsverzeichnis und -nachweis Abb. 1: Festmahl Herzog Karls des Kühnen zu Ehren Kaiser Friedrichs III., Miniatur aus Diebold Schillings „Amtlicher Chronik“ von 1474, Buchmalerei um 1485/ 6; Bern, Burgerbibliothek (Mss.hist.helv.I.3, fol.170). Abb. 2: Karte: Die Heiratsverbindungen der Könige von Aragon, Dänemark, England, Frankreich, Polen und Ungarn (1200-1500); Karl-Heinz Spieß. Abb. 3: Karte: Die Herkunft auswärtiger Herolde aus den burgundischen Hofrechnungen (1420-1442), die Zahl in Klammern gibt die Anzahl der Belege an; Torsten Hiltmann. Abb. 4: Ansicht von Schloss und Stadt Heidelberg. Abb. 5: Die Albrechtsburg in Meißen. Abb. 6: Grabmal des Erzbischofs Henry Chichele (†1443), entstanden 1424, Kathedrale von Canterbury. Abb. 7: Deckplatte der Tumba Kurfürst Friedrichs des Streitbaren (†1428), entstanden vor 1437, vermutlich Nürnberg, Deckplatte aus Messing, Tumba aus Bronze, Meißen, Fürstenkapelle des Domes. Abb. 8: Die Schatzkammer Kaiser Maximilians I., 1517-1518, Nürnberg, Albrecht Dürer, Darstellung aus der „Ehrenpforte“ Maximilians I.; Braunschweig, Herzog Anton Ulrich Museum, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen (Adürer WB 2.279, Karton 20H). Abb. 9: Der „Gebrauchs-Schatz“ Kaiser Maximilians I., 1512/ 13-1516, Regensburg, Werkstatt Albrecht Altdorfer, Miniatur aus dem Triumphzug Kaiser Maximilians I.; Wien, Grafische Sammlung der Albertina (25232). Abb. 10: Der „Schatz der Andacht“ Kaiser Maximilians I., 1512/ 13-1516, Regensburg, Werkstatt Albrecht Altdorfer, Miniatur aus dem Triumphzug Kaiser Maximilians I.; Wien, Grafische Sammlung der Albertina (25231). Abb. 11: Detail aus dem „Sechsten Eid der schönen Dame Edea“, 15. Jh., Frankreich, Miniatur aus der „Histoire du Grand Alexandre“; Paris, Petit Palais. Abb. 12: Ausschnitt aus der „Festtafel des Assuerus“, ca. 1470-1490, franko-flämische Tapisserie; Saragossa, Museo Catedralicio de la Seo (15211). Abb. 13: Fresko eines Buffets, 1527-1529, Mantua, Giulio Pippi, gen. Romano; Mantua, Museo Civico di Palazzo Tè. Abb. 14: Herzogshut Karls des Kühnen von Burgund, um 1545, Einzelblatt mit Deckfarbenminiatur; Basel, Historisches Museum (Inv. 2007.511). Abb. 15: Nachzeichnungen der genealogischen Fresken der Luxemburger auf Burg Karlstein. Phototypien der zwischen 1569 und 1575 entstandenen Nachzeichnungen, dargestellte Personen (v.l.n.r.): König Johann von Böhmen, Herzog Johann I. von Lothringen und Brabant, Kaiser Karl der Große, König Priamos. Abb. 16: Ausschnitt aus den "Vierzehn Ahnen des Hauses Wittelsbach" aus dem Alten Hof in München. 1463-1465, dargestellte Personen (v.l.n.r.): „Okarius“, Tassilo, Ludwig der Fromme, „Karolo Manus“, „Arnolt“, Otto von Ungarn und Otto der Große; München, Bayerisches Nationalmuseum. Abb. 17: Auszug aus der „Pfälzer Regentenreihe“, 1772/ 73, Amberg, Miniaturkopie der Ahnenreihe aus dem Schloss zu Amberg, dargestellte Personen (v.l.n.r.): Herzog Otto I. von Bayern (†1183) und seine Gemahlin Agnes (†1191), Herzog Ludwig I. von <?page no="79"?> Karl-Heinz Spieß 80 Bayern (†1231), Pfalzgraf Otto II. (†1253) und seine Gemahlin Agnes; München, Bayerisches Nationalmuseum (NN 3605). Abb. 18: Gedechtnus / der Churfürsten / vnd Pfalntzgraven bey Rheyn / auch Hertzogen in Bayrn (wie die zu Heydelberg im Saal befunden werden), nach 1559, Heidelberg, Holzschnitt von Antony Corthoys d. Ä.; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum (Inv.-Nr. HB 891, Kapsel 1333). Abb.19: Grafik: Das Verhältnis zwischen verheirateten und geistlichen Söhnen, früh verstorbene Söhne nicht eingerechnet; Karl-Heinz Spieß. Abb. 20: Grafik: Anteil an Heiratsverbindungen der Reichsfürsten mit dem nichtfürstlichen Adel (1200-1550); Karl-Heinz Spieß / Jürgen Herold. Abb. 21: Grafik: Rangvergleich; Karl-Heinz Spieß / Jürgen Herold. LLiteratur A UGE , O LIVER : Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter. Der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit, Stuttgart 2009. A ULINGER , R OSEMARIE : Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert. Beiträge zu einer typologischen Analyse schriftlicher und bildlicher Quellen, Göttingen 1980. B ACKES , M ARTINA : Das literarische Leben am kurpfälzischen Hof zu Heidelberg im 15. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Gönnerforschung des Spätmittelalters, Tübingen 1992. B ENNER , M ANFRED und A CHIM W ENDT : Das Heidelberger Schloß im Mittelalter. 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Zu diesem Zweck erfolgen zunächst einige grundsätzliche Überlegungen zum Sich-Kleiden als Form des sozialen Vergleichs, die dahingehend argumentieren, dass Kleidungspraktiken eine Vergleichskommunikation immer schon inhärent ist. Anschließend wird untersucht, auf welche Art und Weise Kleidung in der spätmittelalterlichen Gesellschaft verglichen wurde und welche Auswirkungen die vestimentäre Vergleichskommunikation für die Konstituierung sozialer Ordnungen haben konnte. Im Mittelpunkt steht dabei die These, dass Kleidungspraktiken als Praktiken des sozialen Vergleichs bestehende soziale Ordnungen nicht nur stabilisiert, sondern auch dynamisiert haben. 1. Einleitung Dass Kleidung nicht bloß als Schutzhülle des Körpers fungiert, sondern ein zentrales Medium nonverbaler Kommunikation darstellt, liegt spätestens seit der verstärkten Hinwendung der Geschichtswissenschaft zur Erforschung sozialer Interaktion im Allgemeinen und symbolischer Kommunikation im Besonderen in den letzten rund zehn bis zwanzig Jahren dermaßen auf der Hand, dass es fast schon überflüssig anmutet - und man sich kaum noch traut - eigens darauf hinzuweisen. 1 Vor allem im Anschluss an die soziologischen und philosophischen 1 Aus der wahren Flut an Literatur, die inzwischen zum Thema erschienen ist, seien an dieser Stelle exemplarisch herausgegriffen S TOLLBERG -R ILINGER , N EU und B RAUNER (Hg.): Bilanz; S TOLLBERG - R ILINGER , P UHLE , G ÖTZMANN und A LTHOFF (Hg.): Spektakel; S TOLLBERG -R ILINGER : Kleider; S CHREINER : Rituale; B URKHARDT und W ERKSTETTER (Hg.): Kommunikation; G ÜNTHART und J UCKER (Hg.): Kommunikation; S PIEß (Hg.): Kommunikation; A LTHOFF (Hg): Kommunikation. <?page no="89"?> Kirsten O. Frieling 90 Studien Georg Simmels, René Königs, Roland Barthes und Pierre Bourdieus 2 gehört es längst zu den Grundannahmen auch der geschichtswissenschaftlichen Forschung, dass die Art und Weise, wie Menschen sich kleiden, Auskunft über Lebensstile, soziale und politische Ordnungen, gesellschaftliche Normen, Wertvorstellungen und Konventionen, Geschlechterbilder oder politische Haltungen geben kann. 3 Das gilt im Prinzip auch für die Mediävistik 4 ; gleichwohl haben nur wenige der in jüngster Zeit vermehrt erschienenen Arbeiten zum Thema Kleidungspraktiken dezidiert als kommunikative Akte begriffen und dies zu ihrem hauptsächlichen Untersuchungsgegenstand gemacht. 5 Wegen ihres evidenten medialen Potentials erscheint es unmittelbar eingängig, vestimentäre Verhaltensweisen als Praktiken des sozialen Vergleichs zu analysieren, ja Kleidungspraktiken drängen sich als Untersuchungsfeld für das Phänomen des sozialen Vergleichs förmlich auf - wenn man Vergleiche als kommunikative Akte versteht. 6 Denn wohl bei kaum einer anderen sozialen Praktik spielt die wechselseitige Wahrnehmung und die Orientierung am Verhalten der Anderen eine dermaßen zentrale Rolle wie beim Sich-Kleiden. Die folgende eingehendere Betrachtung des Sich-Kleidens als einer Form des sozialen Vergleichs setzt daher zunächst bei der kommunikativen Funktion von Kleidung an, um einige grundsätzlichere Überlegungen zum Vergleichspotential von Kleidung zu entfalten. Danach wird in einem zweiten Schritt untersucht, wie Kleidung im spätmittelalterlichen Reich verglichen wurde. Welche Komponenten von Gewändern spielten für den Vergleich eine Rolle? In welchem Modus wurde Kleidung verglichen? Lassen sich sprachliche Marker für den Vergleich ausmachen? Es geht also vor allem darum, wie über Kleidung gesprochen wurde und was das über das Funktionieren des Vergleichs aussagt. Anschließend wird in einem dritten Schritt versucht, Folgen und Effekte der vestimentären Vergleichs- Das Manuskript wurde bereits 2014 eingereicht; neuere Literatur konnte daher nicht mehr berücksichtigt werden. 2 Rezipiert wurden in erster Linie S IMMEL : Mode; K ÖNIG : Mode; B ARTHES : Mode; B OURDIEU : Unterschiede. 3 Programmatisch und nach wie vor einschlägig D INGES : Unterschied; D ERS .: Lesbarkeit; für Frankreich R OCHE : Vêtement. 4 Frühe Impulse gingen dort von B ULST und J ÜTTE (Hg.): Zwischen Sein und Schein, aus. Zumeist wurde und wird auf die sozialhistorische Relevanz von Kleidung jedoch mehr oder weniger beiläufig und allgemein im Zusammenhang mit anderen Themen verwiesen, etwa in Untersuchungen zur höfischen Kultur, zum städtischen Alltagsleben oder zu Herrschertreffen. 5 Einen solchen Zugriff weisen die Arbeiten von J AN K EUPP und der Verfasserin auf. Vgl. K EUPP : Wahl; D ERS .: Mode; F RIELING : Kleidung; D IES .: Kleidermoden. Den Studien von S TEPHAN S ELZER liegt hingegen ein aus der Wirtschaftsgeschichte stammender konsumhistorischer Ansatz zugrunde. Siehe D ERS .: Laufsteg; D ERS .: Optik; D ERS .: Blau. 6 Ich folge hier den Überlegungen von H EINTZ : Differenz, bes. 163-167. <?page no="90"?> Das Aussehen der Anderen 91 kommunikation auszuloten, indem danach gefragt wird, wie das Vergleichspotential von Kleidung in der Gesellschaft des Spätmittelalters für soziale Integrations- und Separierungsprozesse ausgeschöpft wurde - und zwar sowohl mit Blick auf das Verhältnis von Individuum und sozialer Gruppe als auch mit Blick auf die ständische Ordnung als ganze. Zwar können die unterschiedlichen Facetten spätmittelalterlicher Kleidungspraktiken hier nur in groben Zügen und bei weitem nicht vollständig umrissen werden; aber schon ein kursorischer Blick auf exemplarische vestimentäre Verhaltensweisen trägt meines Erachtens zum Verständnis der Funktions- und Wirkungsweisen des sozialen Vergleichs im späteren Mittelalter bei. In Kleidungspraktiken stellt sich der soziale Vergleich als äußerst vielschichtiges Phänomen dar, das teilweise der ständischen Ordnung eine größere Dynamik verleiht. 22. Das Sich-Kleiden als eine Form des sozialen Vergleichs Kleidung ist ein Kommunikationsmedium, in dem - unabhängig davon, ob es als Sprache oder Operation verstanden wird 7 - verstärkt soziale Zu- und Selbstbeschreibungen verhandelt werden. Sie gilt als verlässliches Indiz für den sozio-ökonomischen Status ihres Trägers, als Verweis auf die Zugehörigkeit zu bestimmten sozial-politischen Milieus (Typ ‚Oberstudienrat’, Typ ‚Nerd’, Typ ‚Rocker’ etc.), aber auch als (Fach-) Kompetenz verbürgende Markierung von Berufsständen (reguläre Dienstbekleidung wie Arztkittel, Zugschaffneruniformen oder Blaumänner ebenso wie zum Beispiel das einheitliche Business-Outfit von Bankern und Geschäftsleuten). 8 Damit übernimmt Kleidung nicht zuletzt eine identitätsstiftende Funktion: Sowohl Individuen als auch soziale Gruppen greifen häufig unter anderem auf Kleidung zurück, um sich - bei gleichzeitiger Abgrenzung von Anderen - der Zugehörigkeit bzw. Zusammengehörigkeit zu vergewissern. Während die Herausbildung und Verfestigung von Kompetenz verheißender Berufskleidung eher Ausfluss der funktional ausdifferenzierten modernen Gesellschaft zu sein scheint 9 , spielt Kleidung als besonders markante Ausdrucksform spezifischer 7 Dazu B OHN : Kommunikationsmedium, 118-120. 8 Im Prinzip, wenngleich mit einer anderen Stoßrichtung (Frage der Akzeptanz), B OHN : Kommunikationsmedium, 129. 9 Spezifische Kleidung für bestimmte berufliche Tätigkeiten gab es zwar durchaus auch schon deutlich früher. Am Hof des Pfalzgrafen Ottheinrich von Neuburg sollten laut einer Hofordnung aus dem Jahre 1526 die Köche vierteljährlich neue Schürzen und die Küchenjungen jährlich mehrere Hemden und Schürzen erhalten, um „sich deß seuberer halten“ zu können, „wie sich dann gebürt“. K ERN (Hg.): Hofordnungen, 179. Allerdings ist diese Art ‚Dienstkleidung’ bei weitem noch nicht institutionalisiert; ihr liegen, wie aus der Hofordnung selbst hervorgeht, eher pragmatische Erwägungen zugrunde, als dass sie das Ergebnis einer Professionalisierung darstellt. Für die städtische <?page no="91"?> Kirsten O. Frieling 92 Lebensstile 10 prinzipiell in allen geschichteten Gesellschaften eine zentrale Rolle für soziale Distinktionen. 11 In der ständisch gefügten Sozialordnung des Spätmittelalters kommt die Relevanz von Kleidung als ‚Medium der Selbst- und Fremdverortung’ (Keupp) 12 in besonderer Weise zum Tragen, weil diese Gesellschaft sich in erheblichem Maße überhaupt erst durch nonverbale Kommunikationsakte wie Sitz- und Rangordnungen, Prozessionen, Umritte, Krönungen etc. konstituierte 13 und weitaus stärker der Vorstellung einer Übereinstimmung von sozialem Status und Auftreten, von Sein und Schein verhaftet war. 14 Man ging davon aus, dass das äußere Erscheinungsbild eines Menschen seinem Stand entsprach und zuverlässig Auskunft über seinen gesellschaflichen Status, sein Geschlecht und/ oder seinen Zivilstand gab. Paradoxerweise machte just diese sicher geglaubte Verweisfunktion Kleidung attraktiv für die Formulierung individueller Identitätsentwürfe und Geltungsansprüche, ermöglichte sie es doch, die an sie herangetragenen gesellschaftlichen Erwartungshaltungen gezielt zu bedienen oder zu durchbrechen. 15 Wenngleich der Rahmen für Individualität in der Kleidung in der spätmittelalterlichen Ständegesellschaft wesentlich enger und festgefügter gewesen ist als heutzutage, ließ diese doch auch Raum für vestimentäre Distinktionen. Je nach gesellschaftlichem Status und finanziellen Ressourcen waren vestimentäre Gestaltungsspielräume im Einzelfall allerdings höchst unterschiedlich bemessen. 16 Als kommunikative Akte ruhen Kleidungspraktiken unweigerlich auf Vergleichen auf. Was jemand trägt, wie er sich anzieht, orientiert sich bewusst oder unbewusst als Anpassung oder Abgrenzung immer am Kleidungsverhalten Anderer. Das bedeutet nicht, dass das Senden vestimentärer Botschaften intendiert sein Gesellschaft des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit zeigt A RLINGHAUS : Gerichtswesen, dass berufsständische Kleidung von Amtsträgern mit bestimmten Rollenerwartungen verbunden gewesen ist, weist aber auch darauf hin, dass solche Kleidung „weniger Berufskleidung als Ausweis der allumfassenden Mitgliedschaft in einer bestimmten Korporation“ gewesen ist. E BD ., 496. 10 Dazu B OURDIEU : Klassenstellung, 60; D ERS .: Unterschiede, 25. 11 B OURDIEU hat im Vorwort zur deutschen Ausgabe der ‚Feinen Unterschiede’ selbst darauf hingewiesen, dass Lebensstile als Manifestationen der sozio-ökonomischen Lage grundsätzlich in allen geschichteten Gesellschaften eine Rolle spielen, wenngleich die konkreten Unterscheidungsmerkmale, die soziale Unterschiede zum Ausdruck bringen, je nach Epoche und Gesellschaft andere seien. B OURDIEU : Unterschiede, 12. 12 K EUPP : Wahl. 13 Vgl. exemplarisch S TOLLBERG -R ILINGER : Kleider; S PIEß : Rangdenken; R OGGE : Ratsherrschaft. 14 Ausführlich dargelegt bei B ULST und J ÜTTE (Hg.), Kleidung. A RLINGHAUS : Gerichtswesen, bes. 467, zeigt, wie dieses In-eins-Setzen von Person und Kleidung es ermöglichte, bestimmte Rollen in der Stadt (kommunale Amtsträger) durch Kleidung zu markieren. 15 Vgl. K EUPP : Wahl; F RIELING : Kleidung. 16 Vgl. K EUPP : Wahl; F RIELING : Kleidung. <?page no="92"?> Das Aussehen der Anderen 93 muss, geschweige denn, dass die gesendeten Mitteilungen richtig verstanden werden müssen. Wenn man beispielsweise das charakteristische Karomuster des Modelabels Burberry nicht kennt oder nicht weiß, dass die Schuhe des französischen Schuhdesigners Christian Louboutin rote Sohlen haben, wird man diese Markenzeichen nicht erkennen und die entsprechenden Produkte nicht als hochpreisige Luxusartikel einordnen; dessen ungeachtet wird aber auch der nichtwissende Beobachter grundsätzlich deren Eleganz und teure Anmutung wahrnehmen können. 17 Es scheint mir daher eine kommunikationstheoretische und -pragmatische Besonderheit von Kleidung zu sein, dass ihr kommunikatives Moment immer in irgendeiner Art und Weise abgerufen wird, aber kaum steuerbar ist; in dem Augenblick, in dem Kleidung in der Öffentlichkeit getragen wird, wird sie auch unabhängig vom Willen bzw. jenseits der Absicht ihres Trägers zur Mitteilungsinstanz und damit zum Gegenstand einer Ausdeutung durch das Gegenüber. Im Unterschied zu anderen Kommunikationsformen kann Kleidung sich daher dem Vergleich nicht entziehen, sondern dieser ist jener immer schon inhärent. 18 Wie soziale Interaktion und Vergleich ineinandergreifen, lässt sich insbesondere am Phänomen des Dresscodes beobachten. Dresscodes sind spezifische Kleidungspraktiken, die den Akteuren implizit als Richtschnur für das eigene vestimentäre Handeln dienen und vor allem darauf abzielen, dass die Aufmachung in ihrer materiellen Beschaffenheit und in ihrem Typus (Abendkleid, Trainingsanzug, Kostüm) sowohl dem sozialen Status des Trägers als auch der konkreten Gebrauchssituation angemessen ist. 19 Ausgehandelt in sozialer Interaktion, weisen sie einen schillernden normativ-faktischen Charakter auf: Gemeinschaften setzen Dresscodes implizit bei ihrem Kleidungsverhalten als gegeben voraus, während sie zugleich durch ihr Kleidungsverhalten eben jene Dresscodes überhaupt erst hervorbringen. 20 Das heißt, Dresscodes sind das Ergebnis von Aushandlungsprozessen, während sie zugleich laufend immer wieder von neuem verhandelt werden. Wie sie sich im Einzelnen gestalten, welche Dresscodes konkret gelten, ist kultu- 17 Hier bricht sich indes noch ein ganz anderer sozialer Prozess Bahn, nämlich die Generierung von Wissen für Eingeweihte. Wer über dieses Insiderwissen nicht verfügt, bleibt außen vor. 18 Anders als H EINTZ : Differenz, 164, gehe ich folglich davon aus, dass vestimentäre Verhaltensweisen genauso wie „sprachliche Äußerungen von vornherein als kommunikative Äußerungen verstanden werden“. 19 F RIELING : Kleidung, 161. 20 Die Annahme, dass Menschen durch ihr Handeln diejenigen Strukturen, die ihr Handeln bestimmen, produzieren, ist von A LFRED S CHÜTZ , P ETER L. B ERGER und T HOMAS L UCKMANN wissenssoziologisch als ‚Lebenswelt’ gefasst worden. J ÜRGEN H ABERMAS hat dieses Konzept kommunikationstheoretisch erweitert. Vgl. B ERGER und L UCKMANN : Konstruktion; H ABERMAS : Theorie. <?page no="93"?> Kirsten O. Frieling 94 rell bedingt und somit auch historisch wandelbar. Bezugspunkt ist dabei das vestimentäre Auftreten der Anderen, insbesondere der ‚peer group’ - insofern sind Dresscodes immer gruppenbezogen. 21 Individuelles Kleidungsverhalten vollzieht sich also immer in Auseinandersetzung mit herrschenden Dresscodes, sei es, man setzt sich bewusst über sie hinweg (zum Beispiel Joschka Fischers Vereidigung als hessischer Minister in Turnschuhen), sei es, man passt sich ihnen an. Der sich dabei unwillkürlich abspielende soziale Vergleich ist indes mehr als ein rein kognitiver Vorgang, denn er ereignet sich eben nicht allein im Kopf, sondern geht de facto vonstatten: Wegen ihrer eklatanten Anschaulichkeit stellt Kleidung automatisch eine Beziehung zwischen den Beteiligten her und setzt sie für jedermann sichtbar in ein (hierarchisches) Verhältnis zueinander; sie führt soziale Unterscheidungen unweigerlich vor Augen, indem sie sie unmittelbar visuell umsetzt (zum Beispiel besser, teurer, stilvoller angezogen sein als…). 22 Der Vergleich vollzieht sich also bereits in der Praxis und schafft dort ein Ranking bzw., wie für das Spätmittelalter darzulegen sein wird, eine Rangordnung. Aus diesem Grund stellen vestimentäre Vergleiche zumindest in der stark in nonverbaler Kommunikation verankerten Vormoderne meiner Ansicht nach immer schon kommunizierte Vergleiche dar. Waren sich auch die Zeitgenossen des Spätmittelalters dieses Vergleichspotentials von Kleidung bewusst? Einiges spricht dafür; zumindest schimmern im Quellenmaterial, wie im Folgenden gezeigt werden wird, immer wieder entsprechende Indizien durch. 33. Formen des vestimentären Vergleichs im Spätmittelalter Von der enormen Bedeutung, die die Zeitgenossen im späten Mittelalter Kleidung als sozialem Ordnungskriterium beimaßen, zeugen die unzähligen Anmerkungen zu Gewandungen, wie sie sich in Chroniken, Festbeschreibungen oder Gesandtenbriefen und Reiseberichten finden lassen. Vor allem im Zusammenhang mit Schilderungen von höfischen Festen wie Hochzeits- oder Trauerfeiern, Taufen, aber auch Herrschertreffen bei Reichstagen, Einzügen in Städten, Reiterzügen, Besuchen an fremden Höfen etc. machten Augenzeugen und Berichterstatter die Kleidung prominenter beteiligter Zeitgenossen und ihrer Entourage immer wieder zum Thema. Schaut man sich genauer an, wie über Gewandungen berichtet wurde, ergeben sich eine Reihe von Beobachtungen, die für das Phänomen des sozialen Vergleichs durchaus aussagekräftig sind. 21 Am Beispiel der Fürsten um 1500 F RIELING : Kleidung, 183-184. 22 Zum Unterschied des Vergleichs als mentale oder kommunikative Operation H EINTZ : Differenz, 163-164. <?page no="94"?> Das Aussehen der Anderen 95 Im Vordergrund standen für die damaligen Zeitgenossen klar die Kleidungsmaterialien, d.h. verwendete Stoffe bzw. Pelze, die Farben und gegebenenfalls auffällige Stickereien und/ oder Devisen. Zwar finden sich hin und wieder auch Andeutungen zum Gewandschnitt (ein kurzer Rock, ein weiter Rock o.ä.), allerdings treten diese - außer, wie noch zu zeigen sein wird, bei der Charakterisierung landestypischer Kleidung - aufs Ganze gesehen deutlich hinter das Interesse am Material zurück. Die Fokussierung auf Stoffe, Pelze, Farben und zum Teil Stickereien hängt mit deren hohem materiellen Wert und zugleich der ihnen zugeschriebenen kulturellen Wertigkeit zusammen, denn teure, kostbare Stoffe wie Samt, Brokat oder Seide in leuchtenden, kräftigen Farben und aufwendige Perlenstickereien galten im Spätmittelalter als Ausweis des Reichtums ihres Trägers und verbürgten so in den Augen der damaligen Zeitgenossen einen prestigeträchtigen Auftritt. 23 Verdichtet lässt sich dieser Zusammenhang in vereinzelten zeitgenössischen Bemühungen greifen, den Wert besonders kostbar anmutender Gewänder zu beziffern. Über einen goldenen, mit Perlen und Edelsteinen besetzten Rock, in dem Herzog Karl der Kühne von Burgund zu einem Festmahl erschien, das er für Kaiser Friedrich III. und die Fürsten während der berühmten Zusammenkunft in Trier im Herbst 1473 ausrichtete, heißt es in der Berner Chronik Diebold Schillings, „der wart geschetzt fúr hunderttusent gúldin“. 24 Ein anderer Augenzeuge, vermutlich ein sächsischer Rat, beschreibt den Rock ausführlich und berichtet, der Kaiser habe den Rock auf 100.000 Gulden geschätzt. 25 Bereits bei der Ankunft in Trier habe Karl der Kühne ein Gewand getragen, das ein französischer Augenzeuge auf 200.000 Ecues, Wilwolt von Schaumburg auf 100.000 Gulden schätzte. 26 Wie unzuverlässig und unrealistisch solche Schätzungen im Einzelnen 23 Ausführlich dazu F RIELING : Kleidung. 24 T OBLER (Hg.): Chronik, 112. 25 „Er [Karl] trug auch an demselben tag ein gulden stuck, das was vorn her als mit leisten und viden umb und auff den achsseln und vorn umb dy hende iii rubein als dy huener ayer oder grosser und demant, eins davon dick und so gros perlin, dy ich ye gesehen hab als die fewste. Auch auff dem hut aber ein kostlich clainot, das wunder was, das het iiii rubin dy warn so gross - und zcwen demant dy warn bei der gross - und drei perlein dy warn so gross - und sust zu ring dorumb schablicht perlin der gross - , dy hingen als dy flinder vast kostlich. Den rock scheczt der kayser umb Cm. gulden.“ Bericht eines Augenzeugen, wahrscheinlich eines sächsischen Rates. C HMEL (Hg): Actenstücke, 58. Erg. durch die Verf. 26 Im Augenzeugenbericht des Franzosen ist von „une manteline toute chargee de tres grosses perles de reubiz, dyamants et gros ballais, autant que on en y a peu mettre“, die der burgundische Herzog während des Einzugs in Trier angehabt habe, „laquelle manteline l’on extime valoir ii.c mil escuz“, die Rede. C HMEL (Hg.): Actenstücke, 59. Wilwolt von Schaumburg spricht dagegen von einem Wappenrock: Beim Einritt in Trier „het der herzog ob seinem kürrüss ainen wappenrock an, dem man nichts anders, dan das allerpest und kostlichist edl gestain und wunder schone große perlein sach, und wart uber hundert tausent gulden wert. Desgleichen het er uf der linkn seiten uber den peinharnisch zu tall einer zwerhen hant brait einen porten von solichem perlein, und das edlstain so <?page no="95"?> Kirsten O. Frieling 96 auch sein mögen 27 , sind sie doch ein Indiz dafür, dass für die damaligen Zeitgenossen die materielle Beschaffenheit und Wertigkeit eines Gewandes zu einem Großteil dessen Prestigeträchtigkeit ausmachte. Ihre eigentliche soziale Relevanz entfalten vestimentäre Marker wie Stoffe, Pelze, Farben oder Stickereien indes erst im Akt des Vergleichens. Mag das Outfit eines Fürsten oder sein livriertes Gefolge noch so imposant sein, erst wenn es zu Anderen in Beziehung gesetzt wird, wird sein Distinktionspotential deutlich. Am eindrücklichsten lässt sich Kleidung als Medium der Vergleichskommunikation denn auch in Berichten fassen, die ausführlicher über ein besonderes Ereignis wie eine Fürstenhochzeit oder einen Reichstag berichten und das äußere Erscheinungsbild aller als wichtig erachteten Anwesenden nebeneinander schildern. Führt man sich die Funktion solcher Berichte vor Augen, Abwesende über die Geschehnisse vor Ort zu informieren, und fragt vor diesem Hintergrund noch einmal genauer nach, wessen Kleidung überhaupt geschildert wird, wie ausführlich die Beschreibungen jeweils ausfallen und in welcher Reihenfolge sie erfolgen, lässt sich der vestimentäre Vergleich (noch einmal anders gewendet) jenseits von face-to-face-Situationen fassen. Denn die Verfasser antizipieren, was für ihren Auftraggeber von Interesse sein könnte und filtern dementsprechend das, was sie als berichtenswert erachten, heraus. Hans Oringen etwa, der einen Bericht über die Vermählung Herzog Georgs von Bayern mit Hedwig von Polen in Landshut 1474 im Auftrag des zur Feier eingeladenen, aber abwesenden Herzog Ernsts von Sachsen verfasst hat, widmet einen nicht geringen Teil seines Berichts der Kleidung der versammelten Fürsten und Fürstinnen. Er schildert das Aussehen ihrer Kleidung, teilweise samt Schmuck und Kopfputz, anlässlich verschiedener Festelemente wie der Ankunft der Braut in Landshut, der Trauung, dem abendlichen Tanz etc., und zwar nach Geschlechtern getrennt und in der Regel in der Reihenfolge ihres Auftritts. 28 Was bedeutet das nun für den Vergleich an sich? Ausdrückliche Vergleiche im Sinne von „Fürst X ist besser angezogen als Fürst Y“ finden sich bei Oringen erwartungsgemäß ebenso wenig wie bei anderen Chronisten. Doch er bewertet zum Teil die Gewandung einzelner Fürsten und Fürstinnen mit Hilfe sprachlicher Wendungen, etwa mit Blick auf die Perlenstickereien. So beschreibt er die Perlen auf dem Ärmel Herzog Albrechts von Bayern als „gar grossen pernlein vnd waren zu mal ser groß“, wohingegen er die Perlen auf den Gewandärmeln von dessen maisterlich gesetzt, das es sich mit den farben, so herzog Karl hofgesint füret, der hofklaidung vergleicht und dem wappenrock gleich teur geschetzt wart“. K ELLER (Hg.): Geschichten, 14. 27 Dazu S PIEß : Schatz, 279. 28 Ausführlich dargelegt bei F RIELING : Kleidung, 164-171. Neue Editionen des Textes finden sich bei B AUER : Quellentexte, 247-267 sowie D EUTINGER und P AULUS (Hg.): Landshut, 217-241. <?page no="96"?> Das Aussehen der Anderen 97 Brüdern Christoph und Wolfgang „nicht also groß“ nennt. 29 Außerdem gewichtet er die Darstellung der Gewandensembles, indem er auswählt, wessen Gewänder er überhaupt beschreibt, wie viel Platz er ihnen einräumt und an welcher Stelle. Auswahl, Ausführlichkeit und Reihenfolge der Gewandschilderungen vermitteln nicht nur einen Eindruck vom Ablauf der Feierlichkeiten, sondern konturieren auch - einem Ranking gemäß - unweigerlich eine hierarchische Ordnung. Wenngleich über die konkreten Gebrauchszusammenhänge derartiger Festbeschreibungen bislang wenig bekannt ist 30 , ist wohl mit einigem Recht anzunehmen, dass die zeitgenössischen Rezipienten, seien sie nun Leser oder Hörer, im Umgang mit ihnen geübt waren und die Gewichtungen der Verfasser auch als solche registrierten. Vor diesem Hintergrund wäre zu überlegen, ob exorbitante Kostenschätzungen von Kleidungsstücken nicht in gewisser Weise den Gewandträger dem Vergleich regelrecht entzogen, vielleicht gar entziehen sollten, indem sie die in der Bezifferung des außergewöhnlich hohen materiellen Wertes vergegenständlichte Pracht des Gewandes als im wahrsten Sinne des Wortes unvergleichlich erscheinen ließen. Dasselbe ist für den Topos des Noch-Niebzw. Lange-Nicht-Gesehenen anzunehmen, auf den Chronisten immer dann zurückgreifen, wenn sie vestimentäre Aufmachungen als außergewöhnlich kennzeichnen wollen. So wie ein sächsischer Rat in Trier die Größe der Perlen auf dem Gewand Karls des Kühnen als „so gros perlin, dy ich ye gesehen hab“, bestaunte 31 , notierte der Speyerer Bischof und kurpfälzische Kanzler Matthias Ramung, der eine Beschreibung über die Hochzeitsfeierlichkeiten von Philipp von der Pfalz und Margarete von Bayern 1474 verfasste, über den Einzug der Gäste in Amberg, dass so viele farblich einheitlich gekleidete Fürsten samt Gefolgschaften „lange zeit [...] nit gesehen“ worden seien. 32 Durch den Verweis auf das Noch-Niebzw. Lange-Nicht-Dagewesene wird hier ebenfalls eine Unvergleichbarkeit suggeriert, die zweifellos das Prestige der Betreffenden mehren sollte. Wie die vestimentäre Vergleichskommunikation in einer Gesellschaft, in der soziale und politische Ordnungen einer symbolischen Umsetzung bzw. Visualisierung bedurften, um hergestellt und stabilisiert zu werden, zu einer Art Nagelprobe für beanspruchten oder tatsächlichen Rang werden konnte, zeigt sich, wenn Gewänder oder Kleidungsbestandteile als Rangkennzeichen aufgefasst wurden. Für den Reichstag zu Worms 1495 ließ Maximilian eine Art Kleiderordnung für die anstehenden Belehnungen an die Reichsfürsten ausgeben. Sie sah für die anwesenden Herzöge, Landgrafen, Markgrafen, Erzbischöfe und Bischöfe jeweils 29 B AUER : Quellentexte, 261. 30 Vgl. S TUDT : Fürstenhof, 366-371. 31 C HMEL : Actenstücke, 58. 32 B UCHNER : Quellen, 418. <?page no="97"?> Kirsten O. Frieling 98 spezifische Gewandungen vor, die hinsichtlich Farbe, Stoff, Pelzbesatz und Schnitt im Prinzip zwar ähnlich, aber hierarchisch abgestuft gestaltet waren. 33 Zusammen mit den Kurfürsten im Kurornat sollte sich die Führungsspitze des Reiches nach dem Willen des Königs als einheitliches, harmonisches, zugleich jedoch klar geordnetes Ganzes präsentieren. 34 Zur Konstituierung der Rangordnung trug die Kleidung maßgeblich bei. Daher ist es kaum verwunderlich, dass Konflikte nicht ausblieben. Markgraf Friedrich von Brandenburg, der Bruder des regierenden Kurfürsten Johann Cicero, protestierte energisch dagegen, dass ihm von Maximilian für die anstehenden Belehnungsfeierlichkeiten statt eines Herzogsgewands lediglich ein Markgrafengewand zugeteilt worden war, und hatte damit auch Erfolg: Der König ließ ihm eine Beschreibung des Herzogsgewand zukommen, damit er sich entsprechende Kleidung anfertigen lassen konnte. 35 Weniger erfolgreich verlief dagegen die Intervention des brandenburgischen Gesandten, der Kurfürst Johann Cicero auf dem Reichstag vertrat. Er hatte offensichtlich versucht, als Stellvertreter des Kurfürsten für sich das Tragen des Kurornats in Anspruch zu nehmen, was ihm jedoch von Maximilian ausdrücklich untersagt wurde. 36 Sensibilisiert für die Funktion des Kleidungsvergleichs als Verhandlungsinstanz für Geltungsansprüche waren indes keineswegs nur die Beteiligten, sondern ebenso die Beobachter. 1451 mokierten sich zum Beispiel die adeligen Ritterbrüder des Deutschen Ordens über den Thorner Ratsherren Georg von Berge, der gerade vom Königshof zurückgekehrt war, er „treibet grossen hoffart und helt sich als ein furste mit vorspannen, struszfedern, weisse steffeln, rote cleider mit hermmeln gefuttert“. 37 Und mehreren Berichterstattern, die 1473 beim Treffen von Kaiser und burgundischem Herzog in Trier anwesend waren, blieb nicht verborgen, dass der Mantel, den Karl der Kühne zu den Verhandlungen mit Friedrich III. am 2. und 3. Oktober trug, eindeutig Anleihen beim roten, mit Hermelin 33 Ausführlich dazu F RIELING : Kleidung, 185-186 u. 190-193. 34 Der König habe das Kleidungsreglement erlassen, so berichtet ein brandenburgischer Gefolgsmann, damit die Fürsten „in fürstlicher claidung vor den frembden botschaften und dem zukomenden man dester zirlicher werden angesehen“. A NGERMEIER (Hg.): Reichstagsakten, 1374. Vgl. F RIELING : Kleidung, 192-193. 35 Friedrich argumentierte gegenüber Maximilian, dass Brandenburg kein einfaches Markgrafentum, sondern ein Kurfürstentum und er selbst mit vier Herzogtümern belehnt sei; von daher sei es „ime zuvil nachtailig, in der wat als ain slechter Markgraf zu steen“ und ihm „gebur ain herzögliches claid“. Der König antwortete ihm, dass er „wiss, das Brandemburg [sic] ein Kurfürstenhaus sey und in die zal der gemain Markgrafen nit gehör“ und Friedrich sich „das herzögliche claid“ nach der beigefügten Beschreibung „lassen zurichten und des wie die andern Herzöge gebrauchen“ solle. A NGERMEIER (Hg): Reichstagsakten, 1375-1376. Dazu F RIELING : Kleidung, 193-194. 36 Siehe E BD ., 194-195. 37 S ELZER : Blau, 246. <?page no="98"?> Das Aussehen der Anderen 99 eingefassten Kurfürstenornat 38 nahm, brisanterweise aber aus goldenem Stoff bestand und einen Hermelinkragen besaß, der „in deckt bis mitten in den rükke und lenger dann die kurfürstenkappen gieng“ 39 - eine Gewandung, die meiner Ansicht nach vor der Folie spätmittelalterlicher Kleidungslogik keinesfalls rein deskriptiv zum Kurfürstenornat in Beziehung gesetzt wurde, sondern von den Beobachtern als (bewusstes) vestimentäres Zitat verstanden und inszenierte Erhebung über die Kurfürsten interpretiert werden musste. 40 44. Folgen und Effekte des Phänomens des vestimentären Vergleichs Welche Wirkungen die vestimentäre Vergleichskommunikation in der spätmittelalterlichen Gesellschaft entfalten konnte, wird deutlich, wenn man nach der Bedeutung von Kleidung für die Einbindung von Individuen in soziale Gruppen bzw. in die ständische Ordnung fragt, insbesondere danach, wie das Vergleichspotential von Kleidung für soziale Integrations- und Separierungsprozesse ausgeschöpft wurde. 4.1. Soziale Gruppen Grundsätzlich zeichnet sich Kleidung gerade dadurch aus, dass sie, wie eine Art zweite Haut unmittelbar mit ihrem Träger verbunden, in einer Deutlichkeit wie wohl wenige andere Medien sozialen Prozessen der Integration und Separierung zugleich Vorschub leistet. Denn im selben Zuge, indem sie Gruppenzugehörigkeiten deutlich sichtbar zutage treten lässt, grenzt sie ebenso deutlich die Gruppe als Gruppe gut sichtbar nach außen ab - und ist dadurch nicht zuletzt bedeutsam für die Ausbildung von Identität, die erst in der Differenz Kontur gewinnt. 41 Das 38 Zur Entstehung des Kurfürstenornats vgl. F RIELING : Kleidung, 186-190. 39 E HM : Trier, 248. Karls Mantel erinnerte sowohl die brandenburgischen Gesandten als auch einen Kleriker aus dem Gefolge des Erzbischofs von Mainz an das Kurornat. D IES .: Burgund, 154 mit Anm. 156. 40 Zumal dieser Mantel sich einfügte in eine ganze Reihe spektakulärer Outfits, die der burgundische Herzog zu verschiedenen Anlässen während des Zusammentreffens mit dem Kaiser in Trier trug, und somit Teil eines größer angelegten ‚Kleidungsprogramms’ (E HM ) gewesen ist, mit dem Karl seinem Anspruch auf die Königswürde Aus- und Nachdruck verleihen wollte, tatsächlich aber Kaiser und Kurfürsten brüskierte. Vgl. F RIELING : Kleidung, 179-182; E HM : Burgund, 153. 41 F RIELING : Kleidung, 11-12; D IES .: Kleidermoden, 123-124. <?page no="99"?> Kirsten O. Frieling 100 gilt im Prinzip auch für spätmittelalterliche Kleidungpraktiken, in denen ein integratives, separierendes und/ oder identitätsstiftendes Moment jedoch in unterschiedlichem Maße akzentuiert sein konnte. Auf Einbindung und Abgrenzung gleichermaßen hob Kleidung zum Beispiel immer vornehmlich dann ab, wenn es darum ging, die Exklusivität einer Gruppe zu betonen. Bei Adelsgesellschaften etwa, deren Mitglieder sich einheitlich kleideten, schuf die uniforme Gewandung, wie Andreas Ranft gezeigt hat, nicht nur eine vermeintliche Gleichheit zwischen den Mitgliedern, sondern sie machte, indem sie für jedermann sichtbar anzeigte, wer dazu gehörte und wer nicht, die Mitgliedschaft in der Gesellschaft zu einer exklusiven Angelegenheit. 42 Auch bei den Hoforden, man denke nur an den Orden vom Goldenen Vlies, hob das Tragen des Ordensgewandes in erster Linie auf die Abgeschlossenheit des Ordens ab - im Unterschied zu den Adelsgesellschaften allerdings nicht ohne dabei mittels vestimentärer Distinktionen ein hierarchisches Gefüge innerhalb der Gruppe zu wahren. 43 In anderen Kontexten hingegen kam anscheinend die integrative Wirkung einheitlicher Kleidung stärker zum Tragen, ja wurde möglicherweise sogar gezielt abgerufen. So kann die an Fürstenhöfen offenbar übliche Praxis, angehende Schwiegertöchter und Töchter identisch einzukleiden, als Bemühen gedeutet werden, den neuen Familienmitgliedern das Einfinden in die künftige Familie zu erleichtern und ihre Einbindung in die Familie vestimentär zu bekräftigen. 44 Ebenso lässt sich bei landesübergreifenden Fürstenheiraten das Drängen des höfischen Umfelds auf die Einkleidung der frisch übergesiedelten Braut in ortsübliche Mode als eine Art Integrationsmaßnahme begreifen, um der Fürstin das Einleben in einem ihr fremden Land zu erleichtern. 45 So wünschte Maximilian I., dass seine Braut Bianca Maria Sforza zu einem Gottesdienst, der während der Hochzeitsfeierlichkeiten im März 1494 stattfand, sich deutsch kleidete. 46 An einem Tanz in Worms im Juni darauf präsentierte sich die Königin ebenfalls „uf teutsch gekleidet“. 47 Eine vorwiegend integrierende Stoßrichtung war wohl auch der vom Dienstherrn, sei es bei Hofe oder in der Stadt, ausgegebenen einheitlichen Gewandung, der sogenannten Livree 48 , zu eigen, zielte diese doch darauf ab, ihre Träger zu 42 R ANFT : Adelsgesellschaften. Die Gesellschaften legten das Aussehen der Gesellenröcke in ihren Statuten fest und verhängten auch Strafen, wenn Mitglieder dem nicht nachkamen oder zuwiderhandelten. D ERS .: Adelsgesellschaften, 158, 162 u. 169. 43 Vgl. B OULTON : Knigths; N EWTON : Fashion, 41-52. 44 Dazu F RIELING : Kleidung, 218-219. 45 S PIEß : Ehemann, 32; F RIELING : Kleidung, 232. 46 B ÖHMER : Regesta, 59. 47 S AILER : Kleidung, 175 Anm. 25. 48 Zur begrifflichen Differenzierung von Hofgewand und Livree F RIELING : Kleidung, 104-106. <?page no="100"?> Das Aussehen der Anderen 101 einer Ganzheit zusammen und an den jeweiligen Dienstherrn zu binden; dabei schwang freilich immer auch ein landesherrlicher bzw. städtischer Obrigkeitsanspruch mit. 49 Das Moment der sozialen Separierung scheint dagegen in denjenigen Fällen eine größere Rolle gespielt zu haben, in denen die Gewandung eng mit einer spezifischen Form der Lebensführung verbunden war. Die Witwentracht beispielsweise mit ihren langen, stoffreichen, in Schwarz oder tiefdunklen Blautönen gehaltenen, untaillierten, hoch geschlossenen und weitestgehend schmucklosen Gewändern und ihrer charakteristischen weißen, üblicherweise Haare, Stirn und Kinn bedeckenden Witwenbinde, die sich stark von der üblichen figurbetonten Frauenmode unterschied, trug dem an die Witwe herangetragenen Ideal eines zurückgezogenen, enthaltsamen und frommen Lebenswandels Rechnung: Die wallende Kleidung verhüllte - im Unterschied zu den modischen eng anliegenden und tief dekolletierten Frauengewändern - die weiblichen Körperformen bis zur Unkenntlichkeit, entsexualisierte gewissermaßen den Leib der Witwe, separierte die Witwe optisch und schloss sie visuell aus der Gemeinschaft aus. Die Witwentracht markierte also nicht bloß den Witwenstatus an sich, sondern versinnbildlichte das damit verbundene, gesellschaftlich erwartete Lebenskonzept. 50 Inwieweit Kleidung in den genannten Prozessen der Gruppenbildung auch eine identitätsstiftende Wirkung entfalten konnte, lässt sich kaum mehr beurteilen. Für die Herausbildung einer nationalen Identität im Reich spielte sie indes, wie andere kulturelle Praktiken auch, anscheinend durchaus eine Rolle. Als sich im Verlauf des 15. Jahrhunderts ein nationales Bewusstsein im Reich allmählich stärker zu formieren begann, wurden auch Moden mehr und mehr in ihren länderspezifischen Ausprägungen wahrgenommen. Wenn sie Kleidung beschrieben, griffen Chronisten nun auf Kategorien wie ‚deutsch’, ‚polnisch’, ‚französisch’ oder ‚italienisch’ zurück, um deren Aussehen zu charakterisieren. Zum hauptsächlichen Unterscheidungskriterium avancierte dabei der Schnitt eines Gewandes. 51 44.2. Ständische Ordnung Fragt man nun nach Konsequenzen und Auswirkungen des vestimentären Vergleichs für die ständische Ordnung des Spätmittelalters insgesamt, ergibt sich ein erstaunliches Bild. In Kleidungspraktiken stellen sich ständische Schranken als deutlich durchlässiger dar, als angesichts der Kleidung zugewiesenen Bedeutung für die Markierung von Rollen und sozialem Status zu erwarten wäre. Sie verschwammen in den oberen Gesellschaftsschichten, in denen sich die Lebensstile 49 Zusammenfassend E BD ., 238 u. 285-288. 50 Zur Witwenkleidung siehe F RIELING : Kleidung, 197-208. 51 E BD ., 227-228; D IES .: Kleidermoden, 128-130. <?page no="101"?> Kirsten O. Frieling 102 allmählich stärker annäherten. So sind im ausgehenden 15. Jahrhundert kaum signifikante Unterschiede etwa zwischen dem Kleidungsverhalten wohlhabender Städter und hochadeligen Bekleidungsweisen auszumachen. Kostbare Stoffe wie Samt, Scharlach und Seide wurden gleichermaßen vom Adel und von der Oberschicht in Bern, Lübeck oder Augsburg getragen. 52 Einfachere Seidenstoffe wie Damast, Satin, Taft, Atlas oder Zendal, aber auch Lündisches Tuch, Mechelner Tuch oder Tuch aus Arras fanden sich in der Garderobe von Angehörigen des niederen und mittleren Adels, im Kleidungsbestand wohlhabender Bürger, an den Höfen der Herzöge von Anjou und der Herzöge von Burgund 53 wie in reichsfürstlichen Gewandtruhen 54 gleichermaßen. Doch auch in den übrigen Gesellschaftsschichten büßten ständische Differenzierungen in der Kleidung teilweise ihre klaren Konturen ein. Grund dafür ist das bislang von der Forschung nur am Rande erwähnte und unterschätzte Zirkulieren von Gewändern über Standesgrenzen hinweg, wie es durch das Vererben, Verschenken oder Verkaufen von Kleidungsstücken möglich wurde. Fürstinnen und Fürsten vermachten bisweilen das eine oder andere Gewand treuen Dienstboten. So erhielt der sächsische Hofschneider Wolfgang aus dem Gewandfundus des verstorbenen Herzog Ernsts von Sachsen „eyn grawen rock mit eym merden futter“. Desweiteren gingen auf Anweisung Herzog Friedrichs ein Zobelfutter an „heinrich vom endt“ sowie „[a]uch nach bevelh meyn g h hertzog Friderichs eyn zcöbeln futter mit eynem swartzen attlitz obirkragen“ an „Jacoff von Schonberg“; außerdem erhielt Ernst von Schonberg einen „welschin“ Rock „mit eynem hermeln futter“ des verstorbenen Fürsten. 55 Als Erbschaft gelangte auch im Februar 1537 ein „gutte[r] groe[r] domaschaten mardren rock“ in den Besitz des Nürnbergers Kaufmannssohns Christoph Scheuerl. Herzog Johann von Sachsen hatte ihn dem Juristen vermacht, der eine zeitlang als herzoglich sächsischer Rat tätig gewesen war. 56 Für den eigenen Gebrauch ließ Scheuerl den Rock erheblich umarbeiten, wie dem Familien- und Rechnungsbuch entnommen werden kann: Aus dem Damast wurden ein Wams und ein Leibrock („seyon“) geschneidert, während das Marderfutter des herzöglichen Rocks als Futter in eine eigens aus Seidenschamlott neu angefertigte Schaube eingenäht wurde. 57 Der Bas- 52 S CHMIDT : Kleidungsverbrauch, 144-145. 53 E BD ., 145. 54 Vgl. F RIELING : Kleidung, 44-53. 55 Alle Zitate ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Bb 5909, fol. 27v. 56 Z ANDER -S EIDEL : Hausrat, 41; im Anschluss daran auch S ELZER : Blau, 246. 57 „Item ich hab aws dem groen domasckatn gemach ein wammes und einen seyon. Item ich kowft den 16. Aprilis von Ursula Gundlfingerin 29 eln des besten und schonsten Seiden Schamlot genant Thobin. Wi si den vhon Hansn poemern erkowft hat, und an gwin di eln umb 17 ß gut gelt Thut 24 <?page no="102"?> Das Aussehen der Anderen 103 ler Bischof Johann VI. von Venningen vererbte seine „úberrocke“ nicht nur Verwandten, sondern auch seinen Kämmerlingen und Kaplänen. 58 Herzogin Sophie von Jülich hinterließ ihrer Kammerzofe zwei ihrer kurzen Tapperte, der Amme Grete ebenfalls einen kurzen Tappert, der „Metzgin [...] eynen van dem besten“ ihrer gefütterten Tapperte und die übrigen gefütterten Tapperte ihren Jungfrauen. 59 Desgleichen vererbten Stadtbürgerinnen und -bürger einzelne Kleidungsstücke an Dienstmägde oder Knechte. Der Lübecker Bürger Johan Plawe beispielsweise verfügte in seinem Testament vom 1. September 1350, dass seine frühere Magd Tilseke van Lucowe das Obergewand seiner Ehefrau erhalten sollte. 60 Solche Kleidungsgaben sollten, wie Katharina Simon-Muscheid für städtische Haushalte vor Augen geführt hat, in erster Linie der materiellen Absicherung des Personals nach dem Tod seines Arbeitgebers dienen. 61 Sie entsprangen einer sozialen Fürsorgeverpflichtung und Mildtätigkeit, die sich auch in vestimentären Vermächtnissen der Wohlhabenden an Arme und Bedürftige spiegelt. An Fürstenhöfen gehörte die Austeilung schwarzer Gewänder an (in der Regel zwölf) arme Leute zu den üblichen Trauermaßnahmen, wenn der Fürst starb. 62 Gleichermaßen war es bei den städtischen Oberschichten Usus, Bedürftige mit Kleidung zu bedenken. So hinterließ der um 1477 in Basel verstorbene Junker Jakob Waltenheim dem einhändigen Bruder Dietrich, einem Stadtarmen, den er persönlich kannte, Gewänder und zehn Gulden. 63 Caspar Kress aus Nürnberg legte 1521 testamentarisch fest, dass „man alle meine Kleider (außerhalb der 3 besten, welich ich [...] verschickt hab), kundigen Eehalten oder hausarmen leuten, oder mein und meiner hausfrauen armen Bauersleuten, die des notdürftig oder hinder uns fl 13 ß. doraws macht mir Melchior Tayg ein ehrschawbn, die futert ich mit obgemeltem m.g.herrn mardern futter“. Z ANDER -S EIDEL : Hausrat, 41. 58 S CHMIDT : Kleidungsverbrauch, 156. 59 E NDRULAT : Testament, 101. 60 B RANDT (Hg.): Regesten, 199; Beispiele für Konstanz bei B AUR : Testament, 237. 61 S IMON -M USCHEID : Dinge, 161-171; S ELZER : Blau, 237. S IGNORI : Erblasser, 229-231, geht hingegen davon aus, dass testamentarische Zuwendungen an Gesinde und Bedürftige nicht nur den Dank für geleistete Dienste und die Sorge um die materielle Versorgung der Bedachten spiegeln, sondern auch Ausdruck einer Selbststilisierung des Erblassers als großzügiges, sozial engagiertes, erfolgreiches Mitglied der städtischen Gesellschaft waren. 62 Dazu F RIELING : Kleidung, 275-276. 63 S IGNORI : Erblasser, 230. Dem Kaplan der Gemeindekirche Sankt Martin, Heinrich Roßnagel, der wohl sein Beichtvater gewesen ist, vererbte er den besten seiner langen Röcke sowie zehn Gulden. E BD ., 229. Hans Vischmort, der Torwächter von Sankt Alban, bekam ebenfalls einen seiner Röcke, allerdings einen von den schlichteren (S IGNORI spricht, wohl in Anlehnung an die Quellensprache, von „schlechteren“ Röcken), nebst zehn Gulden. E BD ., 230. Auch Waltenheims Magd Adelheid von Liestal hinterließ ihr Hab und Gut hauptsächlich dem Hausgesinde. Die Jungfrau Verena erhielt einen Gulden samt ihrem Unterpelz, der Knecht Lienhard zwei Gulden. E BD ., 232. <?page no="103"?> Kirsten O. Frieling 104 verprennt und schaden genommen haben, geben und austeilen, alles nach meiner lieben Hausfrauen, Sohn und Tochter Wohlgefallen und Gutdünken“ sollte. 64 Bemerkenswerterweise konnten Gewänder und Accessoires anscheinend nicht nur von Dientsherren und -herrinnen an das Personal, also von oben nach unten, sondern auch umgekehrt weitergegeben werden. Margreth von Luzern, die Magd der Bürgermeisterwitwe Ursula Rot, vererbte der ebenfalls im Haus tätigen Jungfrau Vigillin einen weißen Barchent, einen braunen Goller sowie einen Schleier, der Spitalmagd Elsi, die sie, während sie krank gewesen war, gepflegt hatte, einen schwarzen Barchent, eine schwarze Schaube, „ein geisen beltzlin“ und auch einen Schleier sowie einer Agnes Tüffelin ein Unterhemd nebst sämtlichen Schuhen und Sohlen, vermachte aber auch einen schwarzen Goller und ein paar Handschuhe Ursulas Tochter Susan. 65 Wie Kleidungsvererbungen trugen Kleidungsschenkungen zur standesübergreifenden Zirkulation von Gewändern bei. Sowohl bei Hofe als auch in der Stadt war es üblich, dem Personal neue oder gebrauchte Kleidung als Geschenk zukommen zu lassen, sei es als Ausdruck persönlicher Verbundenheit oder als Anerkennung für geleistete Dienste. So bekam der Niederadelige Christoph von Thein von Herzog Ruprecht von Bayern anlässlich einer Reise „eine guete neue schwarze sumer schauben“ geschenkt. 66 Den größeren Anteil an der Standesgrenzen überschreitenden Verbreitung von Gewändern hatte indes wohl der Altkleiderhandel. 67 In Städten wie Basel oder Nürnberg existierten florierende Märkte für getragene Gewänder, wo eigene abgelegte, geerbte oder geschenkte und mutmaßlich auch (beim Dienstherrn) gestohlene Kleidungsstücke veräußert werden konnten. 68 Dass der Weiterverkauf von Kleidung einer gängigen Praxis entsprach, geht beispielsweise aus Testamenten hervor. Der Lübecker Bürger Eccard Rubowe etwa verfügte im Dezember 1350 unter anderem, dass aller Schmuck und alle Gewänder seiner verstorbenen Frau verkauft werden sollten, um den Erlös Bedürftigen zukommen zu lassen. 69 Selbst Kleidung, die ursprünglich gestiftet worden war, wurde nicht selten zu 64 Z ANDER -S EIDEL : Hausrat, 382. 65 S IGNORI : Erblasser, 238. Ob Agnes auch zum Hausgesinde der Rots gehörte, bleibt unklar. 66 S ELZER : Blau, 238. 67 Eine eingehendere Untersuchung dieses Phänomens aus kulturgeschichtlicher Perspektive wird von der Verfasserin vorbereitet. 68 Solche Secondhandmärkte lagen maßgeblich in den Händen von Unternehmerinnen. Vgl. S IMON - M USCHEID : Dinge, 84-86; Z ANDER -S EIDEL : Hausrat, 383-397. 69 B RANDT : Regesten, 213. Vgl. auch E BD ., 211 das Testament der Gertrud, Witwe des Marquard Hildemar, die in ihrem Testament vom 9. Oktober 1350 verfügte, dass alle ihre Gewänder mit den Ärmelspangen veräußert „und der Erlös für ihr Seelenheil verwendet“ werden sollte. <?page no="104"?> Das Aussehen der Anderen 105 Geld gemacht 70 - sogar dann, wenn sie von den Stiftern eigentlich für einen bestimmten Zweck (Altartücher, Messornate, Chorröcke u.ä.) vorgesehen worden war. 71 Mit Missbrauch hatten allem Anschein nach auch Fürstenhöfe zu kämpfen, wie eine hessische Hofordnung aus dem Jahre 1570 erahnen lässt. In ihr ordnete Landgraf Wilhelm IV. an, dass alle diejenigen, die das Hofgewand erhielten, es für sich und ihre Diener anfertigen lassen „und das Tuch oder Farbe nit in altte cleider verwechseln, verkeuffen oder verpartiren“ sollten. 72 Der An- und Verkauf war, wie man vermuten könnte, keineswegs auf einfachere Gewänder beschränkt, sondern schloss durchaus hochpreisige Kleidung ein. Der Nürnberger Kaufmann Michael Behaim erstand beispielsweise im Februar 1509 bei „der Klaiberin, furkeufling unter dem von Ploben am marck“, für 29 Gulden (! ) eine gebrauchte „swartze schamlottene, mederein schauben oder haßsocken mit einem mederein ladtz“. 73 Der Seconhandmarkt wurde offenbar - zumindest in Nürnberg - quer durch alle Gesellschaftsschichten genutzt. 74 Sogar der vermögende Anton Tucher erwarb bei einer Händlerin zwei „allt tappe, warn des Fürlegers gewest“, und zahlte dafür pro Stück vier Gulden. 75 Zu klären bleibt in diesem Kontext, welche Rolle Imitate für die Verwischung ständischer Grenzen in der alltäglichen Kleidungspraxis spielten. Samt- und Pelzersatz aus Leinen, Baumwolle oder Wolle, falscher Hermelin, der tatsächlich aus Lasten bestand 76 oder dessen schwarze Einsprengselungen statt aus Hermelinschwänzen aus winzigen schwarzen Lammfellstücken gefertigt waren 77 , fingierte Perlen-, Gold- und Silberstickereien oder vermeintliche aufwendig gemusterte ita- 70 Vgl. S ELZER : Blau, 55-56. 71 Dass es sich dabei um höchst wertvolle Gewänder handeln konnte, zeigt das Testament der Herzogin Sophia von Jülich. Sie vermachte „der Cruytzbroeder Ordens Kirchen zo Duysseldorp [...] unsen blaen gulden Tabbart. In de Collegiat Kirche zu Duysseldorp geuen wir unsen schwartzen gulden Tabbart. In dat Cloister zo dem Aldenberge geuen wir unser swartzer syden Tabbadre eynen ind unsen blaen syden Tabbart. Dese vurss. gulden ind syden Tabbarde sullen alle vermacht werden zo gegeren ind Koir-Rocken, damit den dienst Gotz zo doin.“ E NDRULAT : Testament, 101. 72 K ERN (Hg.): Hofordnungen, 26. Üblicherweise wurde das Hofgewand in Form von Stoffen samt Mustern, die den Schnitt der Gewänder zeigten, ausgegeben. Für die Anfertigung selbst hatte jeder Hofgewandempfänger selbst zu sorgen. Ausführlich dazu F RIELING : Kleidung, 257-275, zur Bedeutung des Hofgewands als fürstliches Herrschaftsinstrument E BD ., 285-288. 73 Z ANDER -S EIDEL : Hausrat, 385. 74 E BD ., 385. 75 E BD ., 385-386. 76 S COTT : Kleidung, 64. Laut D ELORT : Fourrures, 138, hätte die große Nachfrage nach Hermelin im spätmittelalterlichen Europa gar nicht befriedigt werden können, wenn nicht Lasten als Hermelin ausgegeben worden wäre. 77 S COTT : Kleidung, 120. <?page no="105"?> Kirsten O. Frieling 106 lienische Seidenstoffe, die sich bei näherem Hinsehen als bedruckte Stoffe minderer Qualität entpuppten 78 - es bestanden vielfältige Möglichkeiten, höherwertige (Kleidungs-) Materialien vorzutäuschen. Während wir für das fortgeschrittenere 16. und das 17. Jahrhundert wissen, dass solche Imitate offenbar weit verbreitet waren und in der Kleidergesetzgebung ebenso reglementiert wurden wie die Originale 79 , ist über den Gebrauch von Imitaten im Spätmittelalter bislang wenig bekannt. Wie stark ähnelten sich Original und Nachahmung? Waren die Imitate auf der Straße als solche erkennbar oder waren sie so gut gemacht, dass sie täuschend echt aussahen? Und wie wurde damit umgegangen? Wurde ihr Tragen geduldet oder sanktioniert? Es wäre sicherlich lohnenswert, der Verwendung billiger Nachahmungen aus der Perspektive der Vergleichskommunikation einmal genauer nachzuspüren, schließlich standen sie als günstigere Alternative auch Bevölkerungsgruppen offen, für die die Originale unerschwinglich waren. Standesübergreifende Gewandvererbungen und -geschenke, der Altkleiderhandel und in Teilen sicherlich auch Imitationen vergrößerten die vestimentären Handlungsspielräume des Einzelnen und ermöglichten es, die auf die Aufrechterhaltung der ständischen Ordnung zielenden Dresscodes zu unterlaufen. Der Besitzerwechsel von Kleidungsstücken über Standesgrenzen hinweg versetzte diejenigen, die sie erhielten bzw. erstanden, potentiell in die Lage, auch Gewänder zu tragen, die nicht ihrem sozialen Status entsprachen - und die geschilderten Beispiele deuten an, dass sie dies zum Teil auch tatsächlich taten. Ständische Differenzierungen lösten sich dadurch zwar nicht auf, sie erscheinen aber in den Kleidungspraktiken doch durchlässiger, als bislang gemeinhin angenommen. 55. Schlussbetrachtung Kleidungspraktiken sind ohne den Vergleich, d.h. ohne die wechselseitige Beobachtung, nicht vorstellbar. Menschen setzen sich über ihre Kleidung unweigerlich in Beziehung zu anderen. Im Kleidungsverhalten spiegeln sich deshalb grundlegende Muster sozialer Verortung unmittelbar wider. Die Gesellschaft des Spätmittelalters nutzte - wie die zugegebenermaßen lediglich schlaglichtartig präsentierten Beispiele verdeutlichen - das Vergleichspotential von Kleidung gleichzeitig zur Stabilisierung und Dynamisierung bestehender sozialer Ordnungen. Das Aussehen der Anderen bildete dabei den zentralen Bezugspunkt des Vergleichs. 78 Als preiswertere und weniger aufwendige Alternative zu eingewebten Musterungen konnten Stoffe musternd gefärbt, mit Farbe bemalt oder bedruckt werden. Beim Zeugdruck brachte man die Farbe mit hölzernen Druckstöcken, den sogenannten Modeln, auf den Stoff auf, um das Muster zu erzeugen. Mit Ausnahme von Samt fanden alle Textilien Verwendung, wobei die Motivgestaltung an die Motivik der Weberzeugnisse angelehnt war. Vgl. F RIELING : Kleidung, 76-77. 79 Z ANDER -S EIDEL : Kleidergesetzgebung, 183. <?page no="106"?> Das Aussehen der Anderen 107 LLiteratur ThHStAW=Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar A LTHOFF , G ERD (Hg.): Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, Stuttgart 2001. A NGERMEIER , H EINZ (Hg.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 5: Reichstag von Worms 1495, Bd. 2: Berichte und Instruktionen, Göttingen 1981. A RLINGHAUS , F RANZ -J OSEF : Gesten, Kleidung und die Etablierung von Diskursräumen im städtischen Gerichtswesen (1350-1650), in: J OHANNES B URKHARDT und C HRIS- TINE W ERKSTETTER (Hg.), Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit, München 2005, 461-498. B ARTHES , R OLAND : Die Sprache der Mode, Frankfurt a.M. 1985. B AUER , T HOMAS A LEXANDER : Feiern unter den Augen der Chronisten. Die Quellentexte zur Landshuter Fürstenhochzeit von 1475, München 2008. B AUR , P AUL : Testament und Bürgerschaft. 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Der überwiegende Teil der Bilder war in umfassende Bildensembles und -systeme integriert und regte schon aus diesem Grunde zu Vergleichen an, die sich auf das Dargestellte konzentrierten - so etwa bei typologischen Bildern, die zu einer Gegenüberstellung von Altem und Neuem Testament aufforderten. Bilder konnten zudem aber auch hinsichtlich ihrer Darstellungsform oder ihrer Materialität und Wertigkeit verglichen werden. Der Beitrag skizziert diese Formen des Bildvergleichs im christlichen Mittelalter, um dann an einem Beispiel des 15. Jahrhunderts, Jan van Eycks Verkündigungsdarstellung in der Sammlung Thyssen-Bornemisza, exemplarisch darzulegen, wie diese Kultur des vergleichenden Sehens für komplexere Darstellungsprobleme genutzt werden konnte. Van Eyck gelingt es, durch einen impliziten Vergleich von Malerei und Skulptur eine Antwort auf die Undarstellbarkeit der Inkarnation zu finden. 1. Vergleichendes Sehen in der mittelalterlichen Bildkultur Wie kaum ein anderes Zeitalter muss das Mittelalter als Epoche gelten, in der Bilder im Regelfall im Plural auftraten. Die Frühe Neuzeit dürfte u. a. durch die Etablierung neuer, profaner Gattungen sowie durch druckgraphische Vervielfältigung zahlenmäßig zwar mehr Bilder als das Mittelalter hervorgebracht haben, doch setzte sie zugleich zunehmend den seit der Frührenaissance bekannten Idealtyp des gerahmten, in sich geschlossenen und klar abgegrenzten Tafelbildes durch. Wo zuvor Polyptychen die Altäre geziert oder Freskenzyklen die Wände überzogen hatten, beherrschten nun immer häufiger großformatige Einzelbilder den Gesamteindruck. Zyklischen Bildformen kam in der Wandmalerei sowie in der Druckgraphik eine weiterhin nicht geringe Bedeutung zu, und dennoch ist unverkennbar, wie sehr das klassische Tableau, das einzelne, für sich stehende Tafelbild, auch diese Darstellungsformen beeinflusste und veränderte. Während mithin die Frühe Neuzeit trotz aller faktischen Pluralität von Bildern und Bildformen im Bann des idealtypischen Einzelbildes stand, das Leon Battista Alberti <?page no="111"?> Johannes Grave 112 bereits 1435 mit einem geöffneten Fenster verglichen hatte, 1 sind mittelalterliche Bilder selbst dort, wo sie als einzelne auftreten, nahezu immer in ihren vielfältigen Bezügen zu anderen Bildern zu sehen. In der Glasmalerei, in Illuminationen und Buchschmuck sowie in den Polyptychen der Altarretabel und in der Wandmalerei treten Bilder fast nie vereinzelt, sondern im Kontext weiterer bildlicher Darstellungen auf. Wolfgang Kemp hat daher zu Recht die Pluralität der Bilder und ihre systematische Verklammerung als einen Grundzug der mittelalterlichen Bildkultur herausgestellt. 2 Nicht wenige dieser pluralen Bilder und Bildsysteme wenden sich an Betrachter, die im vergleichenden Sehen geübt sind. 3 Einige Formen und Praktiken des Vergleichs von Bildern seien im Folgenden zunächst kurz skizziert. Drei Aspekte verdienen dabei besondere Aufmerksamkeit: 1.) das typologische Denken als Anregung zum vergleichenden Sehen, 2.) Vergleiche, deren Hauptaugenmerk formalen Spezifika von bildlichen Darstellungen gilt, sowie 3.) Vergleiche von Material, Aufwand und Wert. Bilderfolgen wurden im Mittelalter keineswegs nur genutzt, um biblische Geschichten oder hagiographische Legenden in linearen Narrationen vor Augen zu führen. Vielmehr hat vor allem das typologische Denken dazu angeregt, bildliche Darstellungen paar- oder gruppenweise einander zuzuordnen. Auf diese Weise ließ sich die Grundidee der Typologie, die vergleichende Gegenüberstellung von Altem und Neuem Bund, anschaulich entfalten. Das weithin bekannte Verfahren, das auch dreigliedrig - ante legem, sub lege, sub gratia 4 - angewandt werden konnte, klingt bereits in zentralen Passagen des Neuen Testaments an und wurde im frühen Christentum und der Patristik systematisiert. 5 Wichtige Ereignisse der Zeit vor Christi Geburt (Typus) gelten als Präfiguration von Geschehnissen des Neuen Testaments (Antitypus). Was vor der Menschwerdung Gottes nur verschleiert erscheinen konnte, wird mit Christi Ankunft offenbar. So weist Abrahams Begegnung mit dem Priester Melchisedek, der sein Opfer mit Brot und Wein darbringt (Gen 14,18-20; Hebr 5,6), auf das Letzte 1 A LBERTI , L EON B ATTISTA : De pictura, I, 19 (A LBERTI , B ÄTSCHMANN und S CHÄUBLIN : Standbild, 224). 2 Vgl. K EMP : Christliche Kunst, 17: „Die große Gemeinsamkeit der christlichen Kunstepoche, die von 400 bis 1400 reicht, ist die Dominanz der Bilder über das ‚Bild‘ (im emphatischen Sinn, den ihm die Neuzeit gibt).“; ferner D ERS .: Bildsysteme. 3 Der Zusammenhang von pluralen Bildern und vergleichendem Sehen ist u. a. betont worden von G ANZ und T HÜRLEMANN : Einführung. 4 Vgl. etwa A UGUSTINUS : De doctrina christiana 2, 16 u. 25; I SIDOR VON S EVILLA : Etymologiae 6, 16 und 17. Eine eindrucksvolle Umsetzung dieser dreigliedrigen Typologie in Bilder bietet der 1181 fertiggestellte Verduner Altar des Nikolaus von Verdun im Stift Klosterneuburg. 5 Vgl. O HLY : Bedeutungsforschung; D ERS .: Typologie; vgl. ferner für die bildende Kunst M OHNHAUPT : Beziehungsgeflechte. <?page no="112"?> Vergleich und Unvergleichbarkeit 113 Abendmahl voraus, und die Jonasgeschichte kann als Sinnbild der Auferstehung gelten (Jona 2,1-2; Mt 12,40). Stets impliziert das typologische Denken einen Vergleich, wobei zunächst Strukturanalogien gesucht werden, die dann eine Einsicht in jene fundamentale Differenz ermöglichen, die mit der Erfüllung des zuvor nur Präfigurierten einhergeht. So sehr die Typologie auch auf textueller Basis begründet und in exegetischen Texten etabliert wurde, dürfte ihr Transfer in bildliche Darstellungsformen für die weite Verbreitung des typologischen Denkens im Mittelalter dennoch von großer Bedeutung gewesen sein. Schon der lateinische Leitbegriff figura legt es nahe, die Typologie als Verfahren zu verstehen, das konstitutiv mit Bildern - seien es mentale Vorstellungsbilder oder sinnlich erfahrbare Repräsentationen - verwoben ist. 6 Darüber hinaus dürften bildliche Darstellungen einen wesentlichen Anteil daran gehabt haben, dass die Typologie der mittelalterlichen Theologie und Frömmigkeit zu einer Selbstverständlichkeit wurde. Denn für zahlreiche typologische Gegenüberstellungen erschließt sich das tertium comparationis keineswegs ohne weiteres bei der bloßen Lektüre schriftlicher Zeugnisse. Bilder konnten daher erheblich daran mitwirken, die Gemeinsamkeit zweier auf den ersten Blick kaum verwandter Szenen stärker herauszuarbeiten und evident erscheinen zu lassen. Exemplarisch zeigt sich diese veranschaulichende Leistung typologischer Bilderpaare bei Darstellungen, in denen die Aufrichtung der eher- 6 Zum figura-Begriff vgl. A UERBACH : Figura. Abb. 1: Jüngeres Bibelfenster (Ausschnitt), um 1280, Glasmalerei, Kölner Dom, Stephanuskapelle (urspr. im Chor der Kölner Dominikanerkirche). <?page no="113"?> Johannes Grave 114 nen Schlange und die Kreuzigung Christi nebeneinander gestellt werden. In welch hohem Maße einige Typologien auf visuellen Parallelen beruhen, kann etwa ein Bilderpaar aus dem sog. Jüngeren Bibelfenster im Kölner Dom (Abb. 1) vor Augen führen (es handelt sich um Glasmalereien, die um 1280 für die Kölner Dominikanerkirche geschaffen und später transloziert wurden) 7 : Indem der Stab, an dem Moses die eherne Schlange befestigt, der Form eines Kreuzes angeglichen wird und zudem die symmetrische Verteilung der Bildfiguren dem Schema von Kreuzigungsdarstellungen folgt, gewinnt die Typologie an Anschaulichkeit und Plausibilität. Dass diese Darstellungsform sehr geläufig war, deuten u. a. die Bibliae pauperum an, die in großer Zahl in Handschriften und frühen Drucken verbreitet waren. Auch hier finden sich ähnliche Strategien der Plausibilisierung des typologischen Vergleichs von eherner Schlange und Kreuzigung (Abb. 2). 8 Mittels der bildlichen Aufbereitung ließ sich der Blick des Betrachters gezielt auf jene Gemeinsamkeiten lenken, auf die sich der Vergleich beider Szenen gründen konnte. Schon die weite Verbreitung typologischer Bilder bürgt dafür, welche Bedeutung dem vergleichenden Sehen in der mittelalterlichen Bildkultur zukam. Vergleiche waren aber nicht nur gefordert, um inhaltliche Bezüge zwischen bestimmten, aufeinander bezogenen Darstellungen nachvollziehen zu können. Vielmehr konnte das Interesse dabei auch der Frage gelten, wie bestimmte Szenen, Ereignisse oder Figuren im Bild zur Erscheinung kamen. So hat die Forschung zur Buchmalerei darauf hingewiesen, dass sich das Zusammenspiel von illuminierten Verso- und Recto-Seiten keineswegs nur auf das Dargestellte beschränkte, sondern auch die Disposition und Form der Darstellung betreffen konnte. 9 In einigen Fällen kann es beispielsweise von zentraler Bedeutung sein, die Aufmerksamkeit auf die Position bestimmter Motive im Bildfeld zu richten, um im Vergleich zweier Seiten signifikante Korrespondenzen ausmachen zu können. Für eine Reihe von Codices aus ottonischen Skriptorien hat Wolfgang Christian Schneider zeigen können, wie Details der Disposition erst im Akt des Umblätterns ihren tieferen Sinn erhalten. In auffällig vielen illuminierten Handschriften sind zentrale Motive der Bilder so positioniert, dass sie beim Schließen des Buches oder Umblättern der Seiten gleichsam direkt aufeinanderfallen. Auffällig häufig begegnet dieser Umstand bei Dedikationsszenen; hier ist es zum Beispiel das Buch in der Hand des Widmenden, das beim Umblättern in die Hände eines Heiligen, Mariens oder Jesu gelegt wird. Eine Variation dieser Idee findet sich im ehemals Bamberger Perikopenbuch Heinrichs II., das zwischen 7 Vgl. B RINKMANN : Bibelfenster, 133-148; R ODE : Glasmalereien, 83-91. 8 Zu dem hier gezeigten Beispiel aus dem Stift St. Florian vgl. S CHMIDT : Armenbibeln, 105ff. 9 Vgl. S CHNEIDER : Aufführung; vgl. auch D ERS .: Geschlossene Bücher. <?page no="114"?> Vergleich und Unvergleichbarkeit 115 1007 und 1012 im Reichenauer Skriptorium entstanden ist (Abb. 3). 10 Die Darstellung der Darbietung von Gaben durch die Heiligen Drei Könige ist auf einer Doppelseite so inszeniert, dass über den inhaltlichen Zusammenhang geradezu ostentativ auch ein formaler Bezug hergestellt wird. Denn Maria und der Jesusknabe sind auf der rechten Buchseite eigens so weit aus der Bildmitte gerückt, dass die ausgestreckten Hände Mariens beim Zuklappen des Buches die Gaben der Könige entgegennehmen können. 11 So folgerichtig und plausibel der mit dem Umblättern erfolgende performative Vollzug des im Bild angesprochenen Aktes auch anmutet, bedarf es dennoch einer besonderen Aufmerksamkeit, damit diese Pointe nicht übersehen wird. Während der Codex die beiden aufeinander bezogenen Bilder im geöffneten Zustand trennt, bleibt ihr enger Zusammenhang im geschlossenen Zustand zwangsläufig unsichtbar. Dass sich der faktische Zusammenfall zweier Bilder nur im Verborgenen ereignet, eröffnet eine Möglichkeit, um Erwartungen und Vorgriffe in die Darstellung zu integrieren, die erst in der Zukunft oder gar im Jenseits zu ihrer Erfüllung kommen sollten. Doch wenn mit dem Umblättern 10 Vgl. F ILLITZ , K AHSNITZ und K UDER : Zierde. 11 Vgl. S CHNEIDER : Aufführung, 7-9. Abb. 2: Biblia pauperum, um 1310, kolorierte Federzeichnung auf Pergament, 33,5 x 24 cm, Stiftsbibliothek St. Florian, Österreich (cod. III, 207, fol. 7r). <?page no="115"?> Johannes Grave 116 die Vereinigung der bildlichen Darstellungen vollzogen und zugleich verborgen wird, dann erlaubt allein der bewusste vergleichende Blick auf die durch die Öffnung des Codex getrennten Seiten eine Einsicht in die tiefere Bedeutung dieser Konstellation. Auf durchaus originelle Weise gilt hier ebenfalls, was das Prinzip der Typologie kennzeichnet: Der Vergleich bietet eine Vorahnung von Ereignissen, die erst in der Zukunft ihre volle Erfüllung finden werden. Zu diesem Zweck muss der Benutzer des Codex die Disposition der Bilder vor dem Umblättern genau miteinander vergleichen, um beispielsweise festzustellen, dass das dedizierte Buch und die Hand des Empfangenden gleich weit vom Buchfalz entfernt sind. Damit der Betrachter die performative Pointe solcher Doppelseiten nachvollziehen kann, muss er mithin für einen Moment davon absehen, die rechte Hälfte der Doppelseite lediglich als Fortsetzung des linken Bildes zu verstehen, und stattdessen zu einem vergleichenden Sehen im engeren Sinne wechseln. Was er dabei zueinander in Beziehung setzt, sind nicht allein die im Bild dargestellten Motive, sondern etwa auch deren Verankerung auf der Bildfläche. Das Beispiel der Buchmalerei führt daher vor Augen, dass sich der Vergleich von Bildern im Mittelalter nicht allein auf ikonographische Aspekte beschränkte, sondern auch Spezifika der Darstellungsform umfassen konnte. Abb. 3: Perikopenbuch Heinrichs II., um 1007-1012, Reichenauer Skriptorium, ehemals Bamberg, München, Staatsbibliothek (clm 4452, fol. 17v-18r). <?page no="116"?> Vergleich und Unvergleichbarkeit 117 Ein gezieltes vergleichendes Sehen setzt die mittelalterliche Bildkultur nicht zuletzt dort voraus, wo Materialien, Qualitäten und Werte gegeneinander abgewogen werden. Die Schriften des Abtes Suger von Saint Denis lassen erahnen, wie selbstverständlich ein offenherzig taxierender, scheinbar allzu weltlicher Blick war. Suger stellt beständig heraus, wie unvergleichlich wertvoll, teuer und aufwendig die unter seiner Leitung geschaffenen und gestifteten liturgischen Geräte, vasa sacra, Schreine und Altäre seien. 12 Und dort, wo er bestehende Bauteile oder Ausstattungsstücke hatte ändern oder ersetzen lassen, merkt er ebenfalls an, wie sehr der neue Zustand den alten übertreffe. Nach einer Aufzählung des durch ihn vermehrten Kirchenschatzes weist Suger ausdrücklich darauf hin, dass Pilger die Ausstattung von Saint Denis für bedeutender halten würden als die zu Konstantinopel in der Hagia Sophia verwahrten Schätze. 13 Gerade weil Suger immer wieder Ausdrücke der Unvergleichbarkeit und Einzigartigkeit bemüht, lassen seine Berichte keinen Zweifel daran, dass die von ihm verantworteten Maßnahmen an Bauten und Ausstattung zum staunenden Vergleichen einladen sollten. Diese Sensibilität für Differenzen in Material, kunsthandwerklicher Ausführung und Wert dürfte nicht zuletzt eine Grundlage dafür geboten haben, dass sich ab dem 14. Jahrhundert ein Paragone 14 zwischen verschiedenen Kunstgattungen, vor allem zwischen Malerei und Skulptur, herausbilden konnte, der in der Renaissance stark an Bedeutung gewinnen sollte. 15 In exemplarischer Weise wog Francesco Petrarca in seinem durchweg auf Vergleiche zielenden Werk De remediis utriusque fortunae (ca. 1353-1366) die Vorzüge der Skulptur gegenüber denen der Malerei ab. Während sich Petrarca wegen der Beständigkeit des Materials für die Skulptur aussprach, 16 gab Leon Battista Alberti etwa 75 Jahre später in seinem Traktat De pictura (1435) der Malerei den Vorzug, da sie sich seines Erachtens komplexeren Darstellungsproblemen stellen würde. 17 Die kurze Skizze einiger wesentlicher Erscheinungsformen des vergleichenden Sehens in der mittelalterlichen Bildkultur lässt ahnen, dass bereits vor der Etab- 12 Vgl. etwa S UGER : De administratione II, 162: „[...] melioribus, quos inuenire potui de diuersis partibus, pictoribus [...]“ (S UGER , S PEER und B INDING : Schriften, 316). 13 Vgl. S UGER : De administratione III, 225f.: „Conferre consueui cum Iherosolimitanis et gratantissime addiscere, quibus Constantinopolitane patuerant gaze et sancte Sophie ornamenta, utrum ad comparationem illorum hec aliquid ualere deberent. Qui cum hec maiora faterentur, uisum est nobis [...].“ (S UGER , S PEER und B INDING : Schriften, 344). 14 Vgl. F ARAGO : Paragone; P FISTERER : Paragone. 15 Vgl. L EPPER : Paragone; H ESSLER , Zum Paragone. 16 P ETRARCA , F RANCESCO : De remediis utriusque fortunae, XLI; vgl. die Auszüge bei B AXANDALL : Giotto, 141-143; vgl. aber auch S EILER : Distanz. 17 Vgl. A LBERTI : De pictura II, 26 u. II, 27 (A LBERTI , B ÄTSCHMANN und S CHÄUBLIN : Standbild, 236 u. 242). <?page no="117"?> Johannes Grave 118 lierung des frühneuzeitlichen Kunstbegriffs und der mit ihm einhergehenden ästhetischen Diskussionen mit einem hohen Maß an Sensibilität für ein breites Spektrum an Qualitäten und Differenzen gerechnet werden darf. Schon im Mittelalter konnte gezielt zu einem vergleichenden Sehen angeregt werden, um Ähnlichkeiten und Unterschiede in Darstellung, Form und Gestalt, Gattung und Material sowie in Wertfragen zur Geltung zu bringen. Die folgende Fallstudie soll dieses breite Spektrum von Vergleichsoperationen nicht exemplarisch vorführen, sondern auf eine komplexe Weiterentwicklung aufmerksam machen. An Jan van Eycks Madrider Verkündigungs-Diptychon soll zumindest in Ansätzen gezeigt werden, wie ein vergleichendes Sehen, das formale Aspekte sowie Materialunterschiede und deren Wertigkeiten in den Blick nimmt, für die Arbeit an einem fundamentalen Darstellungsproblem aktiviert wird, in dessen Zentrum Fragen des Vergleichs und der Unvergleichbarkeit stehen. 22. Vergleich und Nonkommensurabilität bei Jan van Eyck Unter den erwähnten Formen des vergleichenden Sehens scheint der Paragone zwischen verschiedenen Gattungen bereits entschieden auf den kunsttheoretischen Diskurs der Frühen Neuzeit vorauszuweisen. Der Wettstreit zwischen Malerei, Skulptur sowie bisweilen auch Dichtung, Musik und Architektur mutet wie ein frühes Indiz einer langsam einsetzenden Herausbildung und Ausdifferenzierung des Kunstsystems an. 18 Die Geschichte des frühneuzeitlichen Paragone ist daher lange Zeit am Leitfaden kunsttheoretischer Quellentexte geschrieben worden. Es sind schriftlich überlieferte Positionierungen - von Leon Battista Alberti über Leonardo da Vinci und Baldassare Castiglione bis hin zu Giorgio Vasari und Benedetto Varchi -, die in der Regel als entscheidende Wegmarken des Paragone-Diskurses verstanden worden sind. Rudolf Preimesberger hat jedoch mit Nachdruck dafür plädiert, den Blick über die mehr oder weniger kanonischen Texte der italienischen Kunsttheorie hinaus zu weiten, um einerseits auch nördlich der Alpen vergleichbare Gedanken aufspüren zu können und andererseits Bilder als mögliche Beiträge zu einer solchen Debatte in Erwägung zu ziehen. 19 Denn so sehr uns auch für die altniederländische Kunst Quellentexte fehlen, in denen explizit von einem Wettstreit der Gattungen die Rede wäre, zeugen die Bilder doch unverkennbar von einem hohen Interesse am Vergleich von Malerei und Skulptur. Innerhalb eines kurzen Zeitraums bildete sich in der altniederländischen Malerei des frühen 15. Jahrhunderts eine subtile Kunst der Stein- und Statuenimitation aus, die in Italien 18 Vgl. L UHMANN : Kunst, 215-300, bes. 220ff.; K RAUS : Genese. 19 Vgl. P REIMESBERGER : Diptychon. <?page no="118"?> Vergleich und Unvergleichbarkeit 119 lange Zeit ihresgleichen suchte. 20 Während die bereits annähernd perfekten Nachahmungen von Skulpturen auf den Außenflügeln von Hubert und Jan van Eycks Genter Altar allein aus einem Material gefertigt zu sein scheinen, 21 überbieten andere Gemälde, etwa die Frankfurter Trinitätsdarstellung des Meisters von Flémalle (Abb. 4), diesen Illusionseffekt nochmals, indem sie auch verschiedene Gesteine mit ihren je eigenen Farben täuschend echt wiedergeben. 22 Dass sich hier ein besonderes Bemühen äußert, mit den Mitteln der Malerei möglichst vielen Qualitäten der Skulptur zu entsprechen, kann keinem Zweifel unterliegen. Preimesberger griff einen Vorschlag Erwin Panofskys auf, als er die Hypothese äußerte, dass sich der Wettstreit zwischen Malerei und Skulptur nördlich der Alpen „anschaulich-begrifflos in den gemalten Skulpturen der Altaraußensei- 20 Zum Forschungsstand vgl. K RIEGER : Grisaillemalerei; sowie zuletzt K EMPERDICK : Abstraktion. 21 H UBERT und J AN VAN E YCK , Genter Altar, vollendet 1432, Gent, St. Bavo. 22 Vgl. P REIMESBERGER : Diptychon, 462f.; vgl. auch K EMPERDICK und S ANDER , Der Meister von Flémalle, 206-214. Abb. 4: Meister von Flémalle, Gnadenstuhl/ Trinität, um 1430, Eichenholz mit Leinwand unterklebt, 149,1 x 58,3 cm, Frankfurt a.M., Städel. <?page no="119"?> Johannes Grave 120 ten“ 23 manifestiert haben könnte. Die Statuenimitationen auf den Außenseiten von Flügelaltären dienen zwar zunächst vorrangig dazu, die Ansicht des geöffneten Altars gegenüber dem Blick auf die verschlossenen Flügel auszuzeichnen; 24 und die drastisch reduzierte Farbigkeit der fast monochromen Außenseiten könnte nicht zuletzt liturgisch motiviert sein. Dennoch scheint sich die Reflexion des Verhältnisses von Malerei und Skulptur gleichsam verselbständigt zu haben. Denn die Angleichung des gemalten Bildes an die steinerne Skulptur lud zwangsläufig zu einem Vergleich beider Gattungen ein und implizierte im Fall der Flügelaltäre zugleich eine Hierarchisierung. Ein entscheidendes Argument für seine These eines in den Bildern verhandelten Paragone fand Preimesberger in einem Diptychon Jan van Eycks, das die Verkündigung an Maria zeigt (Abb. 5). 25 Während die Statuenimitationen sonst an Außenflügeln von größeren Altären erscheinen, sind es hier die beiden einzi- 23 P REIMESBERGER : Diptychon, 465, bezieht sich auf P ANOFSKY : Galileo, 3; zustimmend zu dieser These: B ELTING und K RUSE : Erfindung, 64f.; sowie S CHOELL -G LASS : En grisaille, 201f. 24 Vgl. etwa K EMPERDICK : Abstraktion, 33f. 25 Vgl. B OROBIA : Museo Thyssen, 100f. Abb. 5: Jan van Eyck, Diptychon mit der Verkündigung an Maria, 1430er Jahre, Öl auf Eichenholz, 38,8 x 23,2 cm (Erzengel Gabriel) bzw. 39 x 24 cm (Maria), Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza. <?page no="120"?> Vergleich und Unvergleichbarkeit 121 gen Bildtafeln der Innenseiten des kleinformatigen Diptychons, die wie zwei aus Alabaster gefertigte Skulpturen anmuten. Spätestens in diesem Fall beschränkt sich die Funktion der Statuenfiktion nicht darauf, eine Differenz zu anderen Teilen eines größeren Bildensembles zu markieren. Vielmehr stehen die fingierten Skulpturen nun selbst im Zentrum. Unübersehbar ist das Bemühen, mit den Mitteln der Malerei möglichst viele vermeintliche Vorzüge der Skulptur zu überbieten. Der Realismus der Darstellung, die geschickte Ausleuchtung der Figuren und ihre Positionierung auf Plinthen, die teilweise in den Realraum des Betrachters hineinzuragen scheinen, verleihen den plastisch anmutenden Statuen eine unerhörte Präsenz. Zudem spiegeln sich die Rückenansichten der Figuren auf den glatt polierten Oberflächen der schwarzen Rückwände, so dass selbst die scheinbar allein der Skulptur vorbehaltene Mehransichtigkeit im Bild geboten werden kann. Das Gemälde gleicht sich auf diese Weise so weitgehend der Erscheinung von Skulpturen an, dass aufgrund der nahezu perfekten Täuschung die eigentliche Leistung der Malerei übersehen zu werden droht. Doch zielt die Fiktion von steinerner Materialität und skulpturaler Körperlichkeit offenkundig nicht darauf, den Betrachter dauerhaft zu täuschen. Dass der Rezipient zwei bemalten Holztafeln gegenübersteht, wird ihm rasch bewusst - sei es, weil sein Blick auf die Scharniere zwischen den Bildträgern trifft oder weil er, zum Beispiel in dem Bemühen, die Inschrift zu lesen, so nah an die Tafeln herantritt, dass er ihre Flächigkeit nicht mehr ignorieren kann. Rudolf Preimesberger hat aus einigen kleineren Differenzen, die die beiden Tafeln hinsichtlich der Perspektive und der Spiegelungen aufweisen, 26 den Schluss gezogen, dass das Diptychon leicht angewinkelt aufgestellt werden sollte. Schon aufgrund dieser Inszenierung wären unweigerlich die eigene Materialität und der spezifische Objektcharakter der mit Scharnieren zusammengefügten Tafeln hervorgetreten. Zusätzlich geschärft wurde der Blick für die eigene Dinghaftigkeit des Diptychons dadurch, dass auch seine mit Marmorimitationen versehenen Außenseiten visuell attraktiv gestaltet wurden. Zweck der so kunstvoll herbeigeführten Wirklichkeitsnähe der Skulpturendarstellungen dürfte daher nicht ein vollkommener Illusionismus gewesen sein. 27 Vielmehr kann die eigentliche Leistung der Malerei, ihre aemulatio der Skulptur, erst bewusst reflektiert werden, wenn die Täuschung durchschaut ist. Dann zeigt sich auch, dass die Figuren mit äußerst fein gezeichneten Details aufwarten, die eine Bildhauerarbeit dieser Größe kaum so subtil hätte zur Geltung bringen können. Und nicht zuletzt fällt nun auf, dass die Taube des Heiligen Geistes die Bindungen der Skulptur überwunden hat und trotz ihrer steinernen Erscheinung ohne Stütze 26 Vgl. P REIMESBERGER : Diptychon, 479f. 27 Vgl. auch H AMBURGER , Seeing and Believing, 52f. <?page no="121"?> Johannes Grave 122 vor dem schwarzen Hintergrund zu schweben vermag. 28 Ist die Täuschung einmal durchschaut, so kann der Betrachter das vor seinen Augen stehende Gemälde systematisch mit jenen Skulpturen vergleichen, die er zunächst vielleicht zu sehen meinte. Folgt man der Argumentation Rudolf Preimesbergers, die auch dem bisher skizzierten Gedankengang weitgehend zugrunde lag, so kann van Eycks Diptychon als ein mit den Mitteln des Bildes artikulierter Beitrag zur frühen Kunsttheorie gelten. Preimesberger sah in den beiden Tafeln nicht nur Überlegungen des Paragone vorformuliert, sondern vermutete zugleich Rückverweise auf die antike Kunst, soweit sie durch die Naturalis historia des älteren Plinius bekannt war, sowie auf die mittelalterliche Optik. 29 Durch technische Fertigkeiten und umfassende literarische Kenntnisse gerüstet, wäre der Maler van Eyck mithin in einen Wettstreit mit der Skulptur getreten. Das Diptychon hätte, so gesehen, vorrangig dazu gedient, den Betrachter nach einer anfänglichen Täuschung zu einem Vergleich beider Gattungen anzuregen, aus dem die Malerei siegreich hervorgehen sollte. Neben der offenkundigen religiösen Funktion, als Andachtsbild zu dienen, müsste van Eycks Werk daher auch mit ästhetischen Ansprüchen seines Besitzers und Betrachters gerechnet haben. 30 In diesem Sinne würde sich die langsame Emanzipation des autonomen Kunstwerks aus einer religiösen Bildpraxis bereits mit van Eycks Diptychon andeuten. 31 In seiner beeindruckenden Beweisführung hat Preimesberger allerdings weitgehend aus den Augen verloren, welches Ereignis mit den beiden fingierten Statuen dargestellt werden sollte. Fast scheint es, als habe die Verkündigungsdarstellung nur als Vorwand zur Entfaltung eines frühen Paragone gedient. 32 Erwägt man jedoch, dass das Sujet des Madrider Diptychons keineswegs von untergeordneter Bedeutung ist, 33 so eröffnet sich eine neue Perspektive, um den mit dem Diptychon implizierten Vergleich zweier Gattungen in die Deutung der voraussetzungsreichen Szene einzubeziehen. Denn mit der Verkündigung ist nicht allein die Begegnung des Erzengels Gabriel mit Maria vor Augen geführt, 28 Vgl. B ELTING und K RUSE : Erfindung, 66. 29 Vgl. P REIMESBERGER : Diptychon, bes. 467ff. 30 Vgl. E BD ., 486. 31 Einen ähnlichen Gedanken hat H ANS B ELTING am Beispiel Giovanni Bellinis verfolgt; vgl. D ERS .: Bellini; dazu kritisch: G RAVE : Bellini. 32 Vgl. auch B ORCHERT : Color lapidum, 247f. Kritisch dazu: S CHWARZ : Visuelle Medien, 110- 114; K EMPERDICK : Abstraktion, 25-31; für eine alternative Lesart, die stärker auf mögliche religiöse Gehalte eingeht, vgl. P URTLE : Context. 33 Vgl. M ARROW : Illusionism, 161-166; M ARROWS Text, der mir erst nach der Arbeit an diesem Aufsatz bekannt geworden ist, betont ebenfalls die zentrale Bedeutung des dargestellten biblischen Geschehens, akzentuiert aber den Zusammenhang zwischen der Verkündigung und dem trompel’œil der gemalten Skulpturen auf andere Weise. <?page no="122"?> Vergleich und Unvergleichbarkeit 123 sondern auch die Inkarnation, mithin die Menschwerdung des Gottessohns, angesprochen. Es ist dieser paradoxe Kern des Verkündigungsgeschehens, der bildende Künstler immer wieder vor fundamentale Herausforderungen gestellt hat. Die eigentliche Inkarnation, so hat die kunsthistorische Forschung vor allem an Verkündigungsdarstellungen des italienischen Quattrocento herausarbeiten können, 34 ist nicht wirklich darstellbar; sie lässt sich allein ex negativo, durch Hinweise auf ihre Undarstellbarkeit, evozieren. Dass bereits den Zeitgenossen Jan van Eycks die tiefe Paradoxie der Inkarnation bewusst war, bezeugt u. a. eine Predigt Bernardins von Siena, in der ausgeführt wird, wie mit der Menschwerdung Gottes „die Ewigkeit in die Zeit kommt, die Unermesslichkeit ins Maß, der Schöpfer ins Geschöpf […] das Undarstellbare in die Darstellung […] das Unsichtbare ins Sehen […].“ 35 Mit anderen Worten: Mit der Inkarnation unterwirft sich das schlechthin Nonkommensurable einer irdischen Vergleichbarkeit, ohne jedoch seine Göttlichkeit einzubüßen. Doch wie ließ sich die Menschwerdung Gottes darstellen, ohne seine Göttlichkeit zu verleugnen? Auf welche Weise konnte dem Betrachter vermittelt werden, dass Christus, wie es bei Paulus heißt, in allem „den Menschen gleich“ (Phil 2,7; vgl. Hebr 2, 17) war, aber von Sünde frei blieb? 36 Dass Jan van Eyck in dem Madrider Diptychon - aber auch im Genter Altar und im Dresdner Tripytchon (Abb. 6) - die Verkündigungsszene in der Form statischer Skulpturen repräsentiert, verdient vor diesem Hintergrund Aufmerksamkeit. Denn sobald der Betrachter bemerkt hat, dass er nicht vor Statuen, sondern vor einer bemalten Tafel steht, gibt sich dieses Gemälde als Darstellung einer Darstellung, als Bild eines Bildes, zu erkennen: Ein Bild erster Ordnung, die skulpturale Darstellung der Verkündigung, wird zum Sujet eines Bildes zweiter Ordnung, der malerischen Imitation von Statuen. Das Spiel mit Identität und Differenz, das Jan van Eyck auf medial-materialer Ebene anstößt, indem 34 Vgl. M ARIN : Verkündigungen; D IDI -H UBERMAN : Fra Angelico, 128-159; A RASSE : L’annonciation. 35 B ERNARDIN VON S IENA : Sermo III: In nativitate Domini. De triplici Christi nativitate: „Quid enim est quod fari gestit homo mortalis, nisi quod in tempus venit aeternitas, immensitas in mensuram, Creator in creaturam, Deus in hominem, vita in mortem, beatitudo in miseriam, impassibilitas in poenalitatem, incorruptibilitas in corruptibilitatem, infigurabilis in figuram, inenarrabilis in sermonem, inexplicabilis in linguam, incircumscriptibilis in locum, invisibilis in visionem, inaudibilis in sonum, inolfabilis in odorem, ingustabilis in cibum, impalpabilis in tactum, Dominus in servitutem, imperator in vile obsequium, libertas in mancipium, liberator in pretium, sanitas in aegritudinem, satietas in famem, fons in sitim, continens in contentum? “; B ERNARDIN VON S IENA : Opera omnia, Bd. VII, 38f.; die zitierte Passage ist zu einem locus classicus der kunsthistorischen Forschung über Verkündigungsdarstellungen avanciert; vgl. etwa D IDI - H UBERMAN : Fra Angelico, 43; M ARIN : Verkündigungen, 186; A RASSE : L’annonciation, 11f. 36 Vgl. den Horos des Konzils von Chalcedon; zit. nach W OHLMUTH : Decreta, Bd. 1, 86. <?page no="123"?> Johannes Grave 124 er zum Vergleich von Malerei und Skulptur einlädt, korreliert dabei in bemerkenswerter Weise mit dem Darstellungsproblem der Verkündigung. Indem sich die Malerei der Skulptur angleicht und sich in sie zu verwandeln scheint, bildet sie zunächst eine Analogie zur Inkarnation aus: Sie wird gleichsam körperlich und scheint Schwere und Plastizität anzunehmen. Der Schluss liegt nahe, dass mit dieser Transformation der Malerei in Skulptur auch die Menschwerdung Gottes nachgebildet wird, zumal Jan van Eyck offenkundig bemüht war, alle Qualitäten der Skulptur, ihre körperliche Präsenz, aber auch ihre Mehransichtigkeit, mit malerischen Mitteln einzuholen. Mit dieser Angleichung der Malerei an die Skulptur darf jedoch ebenso wie mit der Annahme einer menschlichen Existenz durch Christus eine bleibende fundamentale Differenz nicht eingeebnet werden. Die Angleichung darf in beiden Fällen nicht so weit gehen, dass jeder Anlass zum Vergleichen und zum Aufdecken von Differenzen entfiele. So wie Christus unbeschadet seiner Menschwerdung weiterhin seine divinitas, seine göttliche Natur, wahrt, muss bei aller Angleichung auch die mediale Spezifik des Gemäldes erkennbar bleiben. Die Malerei behauptet ihre Differenz gegenüber der Skulptur, indem sie die Abb. 6: Jan van Eyck, Dresdner Altar (Madonna mit dem Erzengel Michael und der hl. Katharina), 1437, Öl auf Holz, 33,1 x 27,5 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden. <?page no="124"?> Vergleich und Unvergleichbarkeit 125 beinahe vollkommene Fiktion an entscheidenden Stellen durchbricht. Wenn der Betrachter auf die Flächigkeit oder die spezifische Materialität des Gemäldes gestoßen wird und die Konzentration auf die Statuenimitation zugunsten der Einsicht in die malerische Vermittlung aufgibt, wird er auf den bleibenden Unterschied zwischen beiden Gattungen aufmerksam. Während die Transformation der Malerei in Skulptur zunächst der Inkarnation entsprach, kann die fortdauernde Differenz zwischen Statue und Tafelbild nun darauf verweisen, dass trotz der menschlichen Natur Christi zugleich ein unendlich großer Abstand zu den irdischen Sündern bestehen bleibt. Erst auf diese Weise vermag Jan van Eycks Werk eine überzeugende Analogie zum Geheimnis der Inkarnation auszubilden: So wie Christus in scheinbar paradoxer Weise neben seiner göttlichen auch eine menschliche Natur annimmt, führt das Diptychon Malerei und Skulptur zusammen, ohne sie unterschiedslos zu verschmelzen. Dass van Eyck dabei nicht auf einen schlichten, zweistufigen Vorgang von Illusion und Enttäuschung zielt, zeigt sich bei längerer Betrachtung seines Diptychons. Sein Bildwerk ist von einer derart suggestiven Qualität, dass wir auch nach der Enttarnung der Malerei immer wieder die Körperlichkeit der Skulptur wahrzunehmen glauben. Beide ‚Naturen‘ dieses ungewöhnlichen Bildes, die fingierte Plastizität und die eigene Materialität der Malerei, bleiben in der Schwebe und fordern ständig aufs Neue zum Vergleich auf. Die ungewöhnliche Verschränkung von Identität und Differenz, die das Verkündigungs-Diptychon in einem offenen Prozess der Bildwahrnehmung und des Vergleichens ins Werk setzt, muss keineswegs überraschen. Vielmehr scheint Jan van Eyck eine Leitidee des christlichen Bilddenkens aktualisiert zu haben. Paulus hatte die wirkmächtige Vorstellung geprägt, dass Christus als „imago Dei invisibilis“, als „Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15; vgl. Hebr 1,3), zu verstehen sei. Mit ihr schien es möglich, die Dreifaltigkeit Gottes besser zu durchdringen. Um zu verstehen, dass Christus mit Gott identisch und zugleich als eine der drei Personen Gottes von Gottvater und dem Heiligen Geist geschieden sei, griff Augustinus die Rede von Christus als dem Bild Gottes auf. Die Semantik des Bildbegriffs - Bild ist hier grundsätzlich zu verstehen als Bild von etwas - erlaubt es tatsächlich, diese „Einheit von Differenz und Einheit“ 37 zu denken. Denn nur in der Einheit mit dem, wovon es Bild ist, kann das Bild seinen Bild-Status behaupten; ohne diesen konstitutiven Bezug wäre die Semantik des Bildbegriffs sinnlos. Zugleich impliziert das Wesen des Bildes aber auch eine Differenz von dem, was sich in ihm zeigt. Diese Einheit von Differenz und Einheit wird im Diptychon Jan van Eycks medial spezifiziert und zugleich zur Darstellung eines komplexen theologischen Problems genutzt. Indem das Diptychon Darstellungen von Skulpturen, mithin 37 Vgl. K REUZER : Einleitung, XX; vgl. auch K REUZER : Gestalten, 190. <?page no="125"?> Johannes Grave 126 Bilder von Bildern, vor Augen führt, regt es zu einer Reflexion über den Bildstatus an. Sobald der Betrachter die täuschend echte malerische Nachbildung der Statuen entdeckt hat, wird er durch das Vergleichen der Gattungen Malerei und Skulptur in ein Spiel von Identität und Differenz eingeführt. Aufgrund der fortdauernd suggestiven Statuenfiktion in den beiden bemalten Tafeln wird er immer auch Skulpturen zu sehen meinen. Die zwei Aspekte des Diptychons - das Bild erster Ordnung, das mittels zweier Statuen die Verkündigung zeigt, und das Bild zweiter Ordnung, das mit malerischen Mitteln diese Skulpturen vor Augen führt - eröffnen eine ungeahnte Möglichkeit, den zwei Naturen Christi und damit einem Kernproblem der Inkarnation gerecht zu werden. Einsichtig wird die Einheit von Göttlichkeit und Menschlichkeit in Christus aber nur, wenn Identität und Differenz zugleich gedacht werden. Die Denkform, in der das möglich erscheint und sogar Anschaulichkeit gewinnen kann, ist der Vergleich. AAbbildungsverzeichnis und -nachweis Abb. 1: Jüngeres Bibelfenster (Ausschnitt), um 1280, Glasmalerei, Kölner Dom, Stephanuskapelle (urspr. im Chor der Kölner Dominikanerkirche); Archiv des Verf. Abb. 2: Biblia pauperum, um 1310, kolorierte Federzeichnung auf Pergament, 33,5 x 24 cm, Stiftsbibliothek St. Florian, Österreich (cod. III, 207, fol. 7r); Archiv des Verf. Abb. 3: Perikopenbuch Heinrichs II., um 1007-1012, Reichenauer Skriptorium, ehemals Bamberg, München, Staatsbibliothek (clm 4452, fol. 17v-18r); F ILLITZ , K AHSNITZ und K UDER : Zierde, Taf 14-15. Abb. 4: Meister von Flémalle, Gnadenstuhl/ Trinität, um 1430, Eichenholz mit Leinwand unterklebt, 149,1 x 58,3 cm, Frankfurt a.M., Städel; S ANDER : Niederländische Gemälde im Städel 1400-1550, Taf. 7. Abb. 5: Jan van Eyck, Diptychon mit der Verkündigung an Maria, 1430er Jahre, Öl auf Eichenholz, 38,8 x 23,2 cm (Erzengel Gabriel) bzw. 39 x 24 cm (Maria), Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza; B ELTING und K RUSE : Erfindung, Taf. 57. Abb. 6: Jan van Eyck, Dresdner Altar (Madonna mit dem Erzengel Michael und der hl. Katharina), 1437, Öl auf Holz, 33,1 x 27,5 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden; B ELTING und K RUSE : Erfindung, Taf. 56. Literatur A LBERTI , L EON B ATTISTA : Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei, hg. von O SKAR B ÄTSCHMANN und C HRISTOPH S CHÄUBLIN , Darmstadt 2000. A RASSE , D ANIEL : L’annonciation italienne. Une histoire de perspective, Paris 1999. A UERBACH , E RICH : Figura, in: D ERS ., Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, Bern 1967, 55-92. <?page no="126"?> Vergleich und Unvergleichbarkeit 127 B AXANDALL , M ICHAEL : Giotto and the Orators. Humanist observers of painting in Italy and the discovery of pictorial composition 1350-1450, Oxford 1971. B ELTING , H ANS : Giovanni Bellini. Pietà. Ikone und Bilderzählung in der venezianischen Malerei, Frankfurt a.M. 1985. B ELTING , H ANS und C HRISTIANE K RUSE : Die Erfindung des Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei, München 1994. 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S EILER , P ETER : Petrarcas skeptische Distanz zur skulpturalen Bildniskunst seiner Zeit, in: R ENATE L. C OLLELLA , M EREDITH G ILL und L AWRENCE A. J ENKENS (Hg.), Pratum Romanum. Richard Krautheimer zum 100. Geburtstag, Wiesbaden 1997, 299-324. S UGER VON S AINT -D ENIS : Ausgewählte Schriften: Ordinatio, De consecratione, De administratione, hg. von A NDREAS S PEER und G ÜNTHER B INDING , Darmstadt 2005. W OHLMUTH , J OSEF (Hg.): Concilium oecumenicorum decreta, 3. Aufl., Paderborn 1998, Bd. 1. <?page no="130"?> 131 VVerzeichnis der Autor*innen: Franz-Josef Arlinghaus, seit 2009 Professor für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung des Hoch- und Spätmittelalters an der Universität Bielefeld. Nach einer Ausbildung zum Tischler, Studium der Mittleren Geschichte, Romanistik, Pädagogik und Wirtschaftspolitik in Münster (1983-1991) und Madrid. Promovierte 1997 mit einer Arbeit über den Einfluss des Mediums „Schrift“ auf die Buchführungstechniken der italienischen Kaufleute des 14./ 15. Jahrhunderts. 2007 habilitierte er sich an der Universität Kassel mit einer Arbeit zum Gerichtswesen des spätmittelalterlichen Köln. Anschließend 2007/ 08 Dozentur am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt a.M., verbunden mit einer Lehrstuhlvertretung in Teilzeit an der Universität Kassel sowie 2008/ 09 Professur für Geschichte mit einem Schwerpunkt in der Geschichte der vormodernen Welt an der Universität Vechta. Forschungsschwerpunkte: Stadtgeschichte; Rechtsgeschichte; Geschichte des Individuums und der Individualität; Pragmatischer und symbolisch-ritueller Gebrauch von Schrift; Eigendynamik vormoderner Gesellschaften. Stefan Brakensiek, hat seit 2006 den Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Duisburg-Essen inne. Nach einem Studium der Geschichte und der deutschen Literaturwissenschaft wurde er 1990 mit einer Arbeit zur Privatisierung der ländlichen Gemeingüter in Westfalen und Niedersachsen promoviert. Im Jahr 1997 erfolgte die Habilitation in Bielefeld mit einer Arbeit zur Amtsführung und Lebenswelt von Amtsträgern in der lokalen Justiz und Verwaltung in Hessen im 18./ 19. Jahrhundert. Seit 2011 Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Agrargeschichte sowie seit 2012 Mitglied im Vorstand des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte in Essen sowie seit 2013 Sprecher des Graduiertenkollegs 1919 „Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage: Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln“ in Essen. Forschungsschwerpunkte: Herrschaftskommunikation in den europäischen Fürstenstaaten; Legitimation dynastischer Herrschaft durch genealogische Artefakte; Umgang mit Kontingenz durch Zukunftshandeln. Kirsten O. Frieling hat Geschichte, Französische Philologie und Skandinavistik in Greifswald studiert und wurde in Erlangen als Stipendiatin im Graduiertenkolleg „Kulturtransfer im europäischen Mittelalter“ mit einer Arbeit zur Ordnungsfunktion sowie symbolhafter Zeichenhaftigkeit fürstlicher Kleidung am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit promoviert. Derzeit ist sie wiss. Assistentin im Arbeitsbereich Mittelalter/ Frühe Neuzeit in Bielefeld und beschäf- <?page no="131"?> 132 tigt sich dort mit dem Themenkomplex „Gottes Werk und Teufels Beitrag: Religiosität und Emotionen im Mittelalter“. Ihre Forschungsschwerpunkte: Geschichte sozialer Kommunikation, Geschichte der Religiosität, Kulturgeschichte des Politischen sowie des Hochadels im Mittelalter; Körpergeschichte; Geschichtstheorie; Methoden der Geschichtswissenschaft. JJohannes Grave, Studium in Kunstgeschichte, Mittellatein, Mittelalterlicher Geschichte und Philosophie an der Universität Freiburg. 2005 schloss er seine Promotion in Kunstgeschichte in Jena ab und habilitierte sich 2012 an der Universität Basel. Von 2009 bis 2012 war er zudem stellvertretender Direktor des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris. 2012 folgte Grave einem Ruf an die Universität Bielefeld, seit 2019 ist er Professor für Neuere Kunstgeschichte an der Universität Jena. Ab 2017 Leitung der Teilprojekte C01 „Bild-Vergleiche. Formen, Funktionen und Grenzen des Vergleichens von Sehen“ (gem. mit Britta Hochkirchen) sowie Ö „Making of: Humanities“ (gem. mit Jürgen Büschenfeld) im SFB 1288 „Praktiken des Vergleichens“ an der Universität Bielefeld. Träger des „Förderpreis im Gottfried Wilhelm Leibniz-Programm“ der DFG für das Jahr 2020. Forschungsschwerpunkte: Kunst, Kunsttheorie und Ästhetik um 1800; Italienische Malerei der Frührenaissance; Temporalität des Bildes und der Bildrezeption; Französische Malerei des 17. bis 19. Jahrhunderts; Bildtheoretische Fragen und historische Bildkonzepte. Jan Hennings, studierte Geschichte, Germanistik und Kulturwissenschaften in Frankfurt a.d.O. sowie Rostock, anschließend 2011 Promotion an der University of Cambridge, Clare College, mit einer Arbeit zu russisch-europäischen Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Arbeitete bis 2013 als Junior Research Fellow am St John’s College in Oxford. Daraufhin war er als Visiting Assistant Professor und Gerda Henkel-Fellow an der Sabancı University, Istanbul tätig. Von 2016 bis 2017 war er Assistant Professor für Geschichte an der Central European University (CEU) in Budapest sowie seit 2017 Associate Professor ebenda. Seine Arbeit zur russisch-europäischen Diplomatie erschien 2016 als „Russia and Courtly Europe. Ritual and Diplomatic Culture, 1648-1725“ (New Studies in European History), Cambridge. In seinem aktuellen Forschungsprojekt widmet er sich den russisch-osmanischen Beziehungen in der frühen Neuzeit: „Centres Beyond the Periphery: Russian-Ottoman Exchanges in the Early Modern World“. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Frühen Neuzeit; Russisch-Europäische Beziehungen; Russisch-Osmanische Beziehungen; Diplomatiegeschichte. Peter Schuster, seit 2011 Professor für die Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Bielefeld. Studierte Geschichte, Mathematik <?page no="132"?> 133 und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld. Nach dem 1. Staatsexamen (1986) für das Lehramt an der Sekundarstufe II, sowie anschließendem Referendariat (1987/ 88), promovierte er 1991 mit einer Arbeit zu dem Phänomen städtischer Prostitution im Untersuchungszeitraum von 1350-1600. Anschließend wurde er 1997 mit einer Arbeit zu Recht und Alltag im spätmittelalterlichen Konstanz habilitiert. Nach wiss. Stationen in Bielefeld und Göttingen war er von 2002-2006 Studienrat an einem städt. Gymnasium sowie 2005/ 06 ebenfalls im Hochschuldienst der Universität Bielefeld. Anschließend folgte er bis 2010 einem Ruf an die Universität des Saarlandes, war dort gleichsam für den bilingualen Lehramtsstudiengang Geographie/ Geschichte in Kooperation mit der Universität Metz verantwortlich und Mitglied im Leitungsgremium der École doctorale transfrontalière sowie Studiendekan. 2009 Gastprofessor an der École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris. Karl-Heinz Spieß, studierte von 1968-1972 Geschichte, Anglistik, Pädagogik und Philosophie an den Universitäten Mainz und Aberdeen (Schottland). 1972- 1993 Wissenschaftlicher Angestellter und Akademischer Rat bzw. Oberrat an der Universität Mainz. Wurde 1977 mit einer rechts- und territorialgeschichtlich ausgerichteten Dissertation promoviert sowie 1991 mit einer Arbeit über Familie und Verwandtschaft im deutschen nichtfürstlichen Hochadel des Spätmittelalters habilitiert. 1993/ 94 Lehrstuhlvertretung an der Universität Kassel. 1994-2014 Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften in Greifswald. Forschungsschwerpunkte: Kulturtransfer; Zisterzienserkloster; Universitätsgeschichte; Principes; Kultur des Mittelalters. <?page no="133"?> Band 17 Christian Hochmuth Globale Güter - lokale Aneignung Kaffee, Tee, Schokolade und Tabak im frühneuzeitlichen Dresden 2008, 272 Seiten, 6 s/ w u. 3 farb. Abb., Broschur ISBN 978-3-86764-082-4 Band 18 Mathis Leibetseder Die Hostie im Hals Eine ›schröckliche Bluttat‹ und der Dresdner Tumult des Jahres 1726 2009, 200 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-208-8 Band 19 Sarah Bornhorst Selbstversorger Jugendkriminalität während des Ersten Weltkriegs im Landgerichtsbezirk Ulm 2010, 374 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-249-1 Band 20 Mark Häberlein, Christian Kuhn, Lina Hörl (Hg.) Generationen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten (ca. 1250-1750) 2011, 220 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-254-5 Band 21 Päivi Räisänen Ketzer im Dorf Visitationsverfahren, Täuferbekämpfung und lokale Handlungsmuster im frühneuzeitlichen Württemberg 2011, 370 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-255-2 Band 22 Jan Willem Huntebrinker »Fromme Knechte« und »Garteteufel« Söldner als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert 2010, 452 Seiten, 54 s/ w Abb., Broschur ISBN 978-3-86764-274-3 Band 23 Ulrike Ludwig, Barbara Krug-Richter, Gerd Schwerhoff (Hg.) Das Duell Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne 2012, 372 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-319-1 Band 24 Alexander Kästner Tödliche Geschichte(n) Selbsttötungen in Kursachsen im Spannungsfeld von Normen und Praktiken (1547-1815) 2011, 688 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-320-7 Band 25 Albrecht Bukardt, Gerd Schwerhoff (Hg.) Tribunal der Barbaren Deutschland und die Inquisition in der Frühen Neuzeit 2012, 452 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-371-9 Band 26 Matthias Bähr Die Sprache der Zeugen Argumentationsstrategien bäuerlicher Gemeinden vor dem Reichskammergericht (1693-1806) 2012, 316 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-397-9 Konflikte und Kultur Herausgegeben von Martin Dinges, Joachim Eibach, Mark Häberlein, Gabriele Lingelbach, Ulinka Rublack, Dirk Schumann und Gerd Schwerhoff www.uvk.de : Weiterlesen <?page no="134"?> Band 27 Christina Gerstenmayer Spitzbuben und Erzbösewichter Räuberbanden in Sachsen zwischen Strafverfolgung und medialer Repräsentation 2013, 386 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-403-7 Band 28 Alexander Kästner, Gerd Schwerhoff (Hg.) Göttlicher Zorn und menschliches Maß Religiöse Abweichung in frühneuzeitlichen Stadtgemeinschaften 2013, 218 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-404-4 Band 29 Andreas Flurschütz da Cruz Zwischen Füchsen und Wölfen Konfession, Klientel und Konflikte in der fränkischen Reichsritterschaft nach dem Westfälischen Frieden 2014, 460 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-504-1 Band 30 Nina Mackert Jugenddelinquenz Die Produktivität eines Problems in den USA der späten 1940er bis 1960er Jahre 2014, 338 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-559-1 Band 31 Maurice Cottier Fatale Gewalt Ehre, Subjekt und Kriminalität am Übergang zur Moderne Das Beispiel Bern 1868-1941 2017, 248 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-719-9 Band 33 Suphot Manalapanacharoen Selbstbehauptung und Modernisierung mit Zeremoniell und symbolischer Politik Zur Rezeption europäischer Orden und zu Strategien der Ordensverleihung in Siam 2017, 288 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-809-7 Band 34 Moritz Glaser Wandel durch Tourismus Spanien als Strand Europas, 1950-1983 2018, 392 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-826-4 Band 35 Eva Keller Auf Bewährung Die Straffälligenhilfe im Raum Basel im 19. Jahrhundert 2019, 304 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-892-9 Klicken + Blättern Leseprobe und Inhaltsverzeichnis unter www.uvk.de Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. : Weiterlesen <?page no="135"?> Konflikte und Kultur Ob bei Länderrankings oder bei Internetportalen zur Buchung einer Flugreise: Das Vergleichen kann in der Gegenwart als allgegenwärtiges Phänomen betrachtet werden. Die Ständegesellschaft des Mittelalters und der Frühen Neuzeit scheint, da Rangstufen für sie kennzeichnend sind, ebenfalls geradezu auf Vergleichen abonniert gewesen zu sein. Allerdings, und das zeigen die Beiträge des vorliegenden Bandes deutlich, bedarf es einer konsequenten Historisierung des Vergleichens. Denn durch den anderen Gesellschaftsaufbau gab es nicht die Lizenz, (fast) alles mit allem vergleichen zu können. Zudem nahm der Vergleich selbst oft andere Formen an als heute. So stellten gerade in der ›Ranggesellschaft‹ ›Rankings‹ eine Seltenheit dar. Die Beiträge behandeln unterschiedliche Felder der vormodernen Gesellschaft. Der Vergleich verschiedener Kulturen in der Frühen Neuzeit (Persien, Russland) sind ebenso Thema wie Rangeinstufungen im spätmittelalterlichen Hochadel. Kann so auch kein - gar nicht zu erreichender - enzyklopädischer Überblick geboten werden, so werden doch zentrale Bereiche des gesellschaftlichen Lebens der Vormoderne in den Blick genommen. ISBN 978-3-86764-914-8 www.uvk.de