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Internationales Management und Personalführung

0419
2021
978-3-7398-8032-7
978-3-7398-3032-2
UVK Verlag 
Wilhelm Schmeisser
Irene E. Rath

Im Zeitalter der Globalisierung wird das Internationale Management für multinational agierende Unternehmen immer wichtiger. Aktuelle Herausforderungen sind insbesondere die internationalen Dienstleistungen, das internationale Personalmanagement und das internationale Financial Management. Diese drei hochrelevanten Managementbereiche bilden das Grundgerüst dieses Buches: Die Unternehmen müssen - was den Dienstleistungsbereich angeht - vor allem den internationalen Zahlungsverkehr der Banken und Versicherungen für sich optimieren. Darüber hinaus wird die Nutzung des Internets sowohl unternehmensintern als auch -extern diffiziler. Im Buch werden zudem die Themen global agierender Medien- und IT-Unternehmen sowie internationaler Beratungsfirmen behandelt. Das Personalmanagement entwickelt sich gerade in Europa aktuell zum strategischen Engpassfaktor. Neben den qualifikatorischen Herausforderungen von Industrie 4.0 und Künstlicher Intelligenz kommt nun noch die ohnehin schwierige Aufgabe hinzu, generell ausreichend viele Fachkräfte zu gewinnen. Doch Technik, Werkstoffe und Personal müssen auch finanziert werden und auch strategische Investitionen sind für globale Unternehmen kostenintensiv und überlebenswichtig. So rücken Cash Management-Systeme mit internationalem Cash Pooling immer mehr in den Fokus.

<?page no="0"?> Wilhelm Schmeisser, Irene E. Rath (Hg.) Internationales Management und Personalführung <?page no="2"?> Wilhelm Schmeisser, Irene E. Rath (Hg.) Internationales Management und Personalführung UVK Verlag · München <?page no="3"?> Einbandmotiv: © iStockphoto - NicoElNino Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.dnb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 1. Auflage 2021 © UVK Verlag München 2021 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de ISBN 978-3-7398-3032-2 (Print) ISBN 978-3-7398-8032-7 (ePDF) <?page no="4"?> Vorwort Dieses Buch wird Herrn Universitätsprofessor Dr. G. Müller-Stevens gewidmet. Das Internationale Management ist eines der dynamischsten Fächer in der Betriebswirtschaft. Mit diesem Buch wird eine Einführung mit diversen Themen gegeben. Ein Lehrbuch in das internationale Management sucht man oft vergebens. Hier ist ein erster Versuch, dieses zu heilen. Dieses Lehrbuch gibt verschiedene Perspektiven in das internationale Management. Hier verfolgen die Verfasser den Ansatz von Müller-Stevens aus St. Gallen, der im strategischen und internationalen Management als ausgewiesener Experte gilt. Prof. Dr. F. Wilhelm Schmeisser Prof. Dr. Irene E. Rath <?page no="6"?> Inhaltsübersicht Vorwort....................................................................................................................................................................... 5 Abbildungsverzeichnis .......................................................................................................................................... 17 Tabellenverzeichnis ............................................................................................................................................... 21 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................................................ 23 Teil 1: Multinationale Organisationen ...............................................................................25 Wilhelm Schmeisser / Irene Rath 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit ........................................ 27 Wilhelm Schmeisser / Irene Rath 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen ................................. 97 Teil 2: Internationales Recruiting....................................................................................169 Wilhelm Schmeisser / Irene Rath 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements .................. 171 Wilhelm Schmeisser / Irene Rath 4 Prozess des internationalen Personalmanagements .......................................................................... 225 Wilhelm Schmeisser / Irene Rath 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung............... 305 Wilhelm Schmeisser / Irene Rath 6 Internationales Personalmanagement in unterschiedlichen europäischen Kulturbereichen .. 371 Teil 3: Dienstleistungsmanagement ...............................................................................431 Wilhelm Schmeisser / Irene Rath 7 Internationales Dienstleistungsmanagement ...................................................................................... 433 Ivana Simic / Wilhelm Schmeisser 8 Trends und Entwicklungspotenziale der Internalisierung von Dienstleistungen...................... 479 Teil 4: Systeme und Historie...........................................................................................549 Gerfried Hannemann / Wilhelm Schmeisser 9 Grundlegende Überlegungen, Aspekte, Modelle und Elemente von Cash-Management-Systemen .......................................................................................................... 551 Jürgen Rath 10 Die Hanse, ein mittelalterlicher Global Player .................................................................................... 617 Glossar..................................................................................................................................................................... 655 Über die Autorinnen und Autoren .................................................................................................................. 665 Stichwortverzeichnis ........................................................................................................................................... 667 <?page no="8"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................................................................................... 5 Abbildungsverzeichnis ......................................................................................................................................... 17 Tabellenverzeichnis .............................................................................................................................................. 21 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................................................. 23 Teil 1: Multinationale Organisationen ..........................................................25 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit .............................................................................................................................27 1.1 Theoretischer Überblick............................................................................................... 28 1.1.1 Zu „multinationalen Unternehmen“ und zur Globalisierung ......................................... 28 1.1.2 Internationalisierung: Theorien und Erklärungsansätze ................................................ 33 1.1.3 Internationalisierungsstrategien von „multinationalen Unternehmen“: ein Überblick ........................................................................................................................ 37 1.1.4 Wettbewerbsfähigkeit: Wertschöpfung und Wertschöpfungskette ............................... 38 1.1.5 Zu den Begriffen Niedriglohn, Niedriglohnsegment, Niedriglohnland / Low-Cost Country ................................................................................................................................. 44 1.2 Fertigung, Beschaffung und Sourcing multinationaler Unternehmen.................... 47 1.2.1 Make or Buy - Eigenfertigung oder Fremdbezug ............................................................ 48 1.2.2 Fertigungstiefe ..................................................................................................................... 49 1.2.3 Einkauf, Beschaffung und Sourcing................................................................................... 49 1.2.4 Erscheinungsformen des Sourcings ................................................................................... 51 1.2.5 Global Sourcing und Low-Cost Country Sourcing - eine genauere Analyse ............... 53 1.3 Zur Wertschöpfungskette in der Bekleidungsindustrie ........................................... 62 1.3.1 Design und Produktentwicklung (Sortimentsprogramm) ............................................... 63 1.3.2 Order ..................................................................................................................................... 64 1.3.3 Verkaufsphase ...................................................................................................................... 64 1.3.4 Einkauf .................................................................................................................................. 64 1.3.5 Produktionsprozess ............................................................................................................. 64 1.3.6 Ausgangslogistik.................................................................................................................. 66 1.4 Wettbewerbs- und Wertschöpfungspotenziale in der Bekleidungswirtschaft ...... 66 1.4.1 Vertikalisierung ................................................................................................................... 66 1.4.2 Wertschöpfung in Beschaffung und Sourcing - Eigenheiten der Bekleidungsindustrie ................................................................................................................................ 68 1.5 Industrielle Revolutionen als Globalisierungstreiber ab dem 17. Jahrhundert ..... 76 1.5.1 Die erste industrielle Revolution ....................................................................................... 77 <?page no="9"?> 10 Inhaltsverzeichnis 1.5.2 Die zweite industrielle Revolution .................................................................................... 79 1.5.3 Die dritte industrielle Revolution...................................................................................... 80 1.5.4 Industrie 4.0 - die vierte industrielle Revolution ............................................................ 80 1.5.5 Terminologische Grundlagen............................................................................................. 81 1.5.6 Vertikale und horizontale Integration .............................................................................. 82 1.5.7 Revolution oder Evolution? ................................................................................................ 84 1.5.8 Die Vision Industrie 4.0 ...................................................................................................... 84 Bearbeitungshinweise zu den Übungen ........................................................................................................... 87 Literatur ........................................................................................................................................ 92 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen .................................................................................................................. 97 2.1 Interkulturelle Teams als Erfolgspotenzial und Herausforderung für Unternehmen................................................................................................................. 97 2.2 Grundlegende Termini und Modelle interkultureller Teamarbeit ........................ 100 2.3 Interkulturalität .......................................................................................................... 109 2.3.1 Kulturelle Überschneidungssituationen ......................................................................... 109 2.3.2 Terminologische Grundlagen von Interkulturalität ...................................................... 110 2.4 Teams und Interkulturalität ...................................................................................... 112 2.4.1 Terminologische Grundlagen von Teams ....................................................................... 112 2.4.2 Entwicklungsstadien von Teams ..................................................................................... 113 2.4.3 Terminologische Grundlagen von interkulturellen Teams .......................................... 113 2.5 Interkulturelle Teams aus vier organisationstheoretischen Perspektiven .......... 114 2.5.1 Zur Notwendigkeit von vier organisationstheoretischen Perspektiven ..................... 114 2.5.2 Strukturelle Perspektive: Die Organisation als Maschine ............................................ 116 2.5.3 Verhaltenswissenschaftliche Perspektive: Die Organisation als soziales System ..... 117 2.5.4 Politisch-rechtliche Perspektive: Die Organisation als politische Arena ................... 118 2.5.5 Symbolische Perspektive: Die Organisation als Theater .............................................. 119 2.6 Interkulturelle Teams aus einer strukturellen Perspektive ................................... 121 2.6.1 Primärorganisation ........................................................................................................... 121 2.6.2 Sekundärorganisation ....................................................................................................... 123 2.6.3 Zur Aufgabe als Auslöser für den Einsatz von Teamarbeit.......................................... 125 2.6.4 Konsequenzen für den Einsatz interkultureller Teams ................................................. 126 2.7 Interkulturelle Teams aus einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive ....... 127 2.7.1 Entwicklungsprozess interkultureller Teams ................................................................ 127 2.7.2 Kommunikation in interkulturellen Teams .................................................................... 129 2.7.3 Führung interkultureller Teams ...................................................................................... 132 2.7.4 Konsequenzen für den Einsatz interkultureller Teams ................................................. 135 2.8 Interkulturelle Teams aus einer politisch-rechtlichen Perspektive...................... 135 <?page no="10"?> Inhaltsverzeichnis 11 2.8.1 Konfliktauslöser in interkulturellen Teams.................................................................... 135 2.8.2 Konfliktarten und deren Auswirkungen ......................................................................... 138 2.8.3 Verhaltensweisen in Konfliktsituationen ....................................................................... 139 2.8.4 Lösungs- und Quasilösungsstrategien für Konflikte ..................................................... 140 2.8.5 Konsequenzen für den Einsatz interkultureller Teams ................................................. 143 2.8.6 Unternehmenskultur ......................................................................................................... 143 2.8.7 Einfluss der Unternehmenskultur auf interkulturelle Teams ....................................... 144 2.8.8 Konsequenzen für den Einsatz interkultureller Teams ................................................. 144 2.9 Strukturelle Organisationsstrukturen in multinationalen Unternehmen ............ 146 2.10 Unspezifische Organisationsstrukturen multinationaler Unternehmen .............. 149 2.11 Segregierte Organisationsstrukturen internationaler und multinationaler Unternehmen ............................................................................................................... 150 2.12 Integrierte Organisationsstrukturen multinationaler Unternehmen.................... 151 Bearbeitungshinweise zu den Übungen ......................................................................................................... 155 Literatur ................................................................................................................................................................ 162 Teil 2: Internationales Recruiting............................................................... 169 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements ............................................................................................ 171 3.1 Internationalisierung von Unternehmen als Herausforderung für das Personalmanagement ................................................................................................................ 171 3.2 Internationalisierungsstrategien und Internationales Personalmanagement ...... 173 3.3 EPRG-Modell von Perlmutter .................................................................................... 174 3.4 Rahmenbedingungen des Internationalen Personalmanagements ........................ 179 3.4.1 Arbeitsmarkt ...................................................................................................................... 179 3.4.2 Interne Wege der Personalbeschaffung .......................................................................... 180 3.4.3 Externe Wege der Personalbeschaffung .......................................................................... 181 3.4.4 Besonderheiten bei internationaler Personalsuche im Vergleich zur nationalen Personalsuche ..................................................................................................................... 184 3.4.5 E-Recruiting respektive die Rolle des Internets ............................................................. 185 3.4.6 E-Recruiting-Kanäle .......................................................................................................... 188 3.4.7 Arbeitsrecht ........................................................................................................................ 192 3.4.8 Arbeitskultur ...................................................................................................................... 193 3.4.9 Exkurs: Europäisches Arbeits- und Sozialrecht ............................................................. 194 3.4.10 Geltender Rechtsrahmen für Entsendungen in der EU ................................................. 194 3.4.11 EU-Entsenderichtlinie von 1996 ....................................................................................... 195 3.5 Formen der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Mitarbeitern........................... 197 3.6 Daten und Fakten zur Entsendung innerhalb der EU ............................................. 200 3.6.1 Mitarbeiterentsendung am Beispiel von Deutschland und Polen ................................ 200 <?page no="11"?> 12 Inhaltsverzeichnis 3.6.2 Entsendung polnischer Arbeitnehmer ins EU-Ausland ................................................ 201 3.7 Outsourcing und Offshoring des Personalmanagements ....................................... 202 Lösungshinweise zu den Übungen im Text................................................................................................... 204 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................. 211 4 Prozess des internationalen Personalmanagements ............................... 225 4.1 Bedeutung und Ziele von Auslandseinsätzen ......................................................... 225 4.2 Auswahl von Mitarbeitern......................................................................................... 226 4.2.1 Internationale Personalauswahl ...................................................................................... 226 4.2.2 Voraussetzungen und Anforderungen zur Personalauswahl ....................................... 228 4.2.3 Personalauswahlprozess ................................................................................................... 229 4.2.4 Rechtliche Aspekte zur Auswahl von Personal ............................................................. 229 4.2.5 Klassische Auswahlinstrumente und ihre Anwendung im internationalen Kontext 232 4.2.6 Schwierigkeiten klassischer Methoden im internationalen Kontext........................... 255 4.2.7 Kritische Würdigung von Assessment-Centern als Auswahlinstrument ................... 256 4.2.8 Probleme rechtlicher Hintergründe zu Datenschutz und Ethik ................................... 257 4.3 Interkulturelles Training ........................................................................................... 258 4.3.1 Grundsätzliches zum Interkulturellen Training ............................................................ 258 4.3.2 Familiäre Stabilität ............................................................................................................ 258 4.3.3 Vorbereitung auf den Auslandseinsatz ........................................................................... 259 4.3.4 Einsatz und Betreuung des Expatriates .......................................................................... 263 4.4 Einsatz .......................................................................................................................... 266 4.4.1 Arten internationaler Auslandseinsätze ......................................................................... 266 4.4.2 Zum Entsendungsprozess ................................................................................................. 269 4.4.3 Interne versus externe Bewerber..................................................................................... 270 4.4.4 Einflussfaktoren auf den Erfolg eines Auslandseinsatzes ............................................ 272 4.4.5 Einsatzphase....................................................................................................................... 274 4.4.6 Verlauf des Kulturschocks - Phasen nach Oberg .......................................................... 274 4.4.7 W-Kurven-Modell.............................................................................................................. 275 4.4.8 Betreuung des Mitarbeiters im Ausland ......................................................................... 276 4.5 Reintegration............................................................................................................... 279 4.5.1 Verlauf der Wiedereingliederung nach Fritz.................................................................. 279 4.5.2 Drei-Phasen-Modell des Rückkehrprozesses nach Hirsch ............................................ 280 4.5.3 Arten der Reintegration.................................................................................................... 281 4.5.4 Wiedereingliederung aus Unternehmensperspektive ................................................... 286 4.5.5 Maßnahmen zur Unterstützung der Reintegration des Expatriates ............................ 287 Lösungshinweise zu den Übungen im Text................................................................................................... 290 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................. 296 <?page no="12"?> Inhaltsverzeichnis 13 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung ............................................................................................................ 305 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen .............................................................. 305 5.1.1 Zum Konzept interkultureller beruflicher Handlungsfelder als Motivation in unterschiedlichen Kulturen .............................................................................................. 305 5.1.2 Zur Ein- und Abgrenzung von Interkulturalität ............................................................ 305 5.1.3 Zum interkulturellen Handlungsfeld der Auslandsentsendung ................................... 306 5.1.4 Zum Erfolg interkultureller Tätigkeiten ......................................................................... 310 5.2 Internationale Entgeltfindung ................................................................................... 330 5.2.1 Entgeltbegriff ..................................................................................................................... 331 5.2.2 Direktentgelt ...................................................................................................................... 332 5.2.3 Erfolgsbeteiligung.............................................................................................................. 333 5.2.4 Sozialleistungen ................................................................................................................. 333 5.2.5 Ausrichtung von Entgeltsystemen................................................................................... 333 5.2.6 Anforderungen an Entgeltsysteme .................................................................................. 333 5.2.7 Modelle internationaler Entgeltpolitik............................................................................ 335 5.2.8 Vergütung international tätiger Mitarbeiter .................................................................. 337 5.3 Entgeltvergleich eines Expatriates bei Versendung auf internationaler Ebene in Japan und Südafrika ................................................................................................... 343 5.4 Internationales Steuerrecht ....................................................................................... 347 5.4.1 Unbeschränkte Einkommenssteuerpflicht ...................................................................... 347 5.4.2 Beschränkte Einkommenssteuerpflicht ........................................................................... 348 5.4.3 Internationales Doppelbesteuerungsabkommen ............................................................ 349 Lösungshinweise zu den Übungen im Text................................................................................................... 354 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................ 356 6 Internationales Personalmanagement in unterschiedlichen europäischen Kulturbereichen ............................................................................ 371 6.1 Personalmanagement in Europa - internationales Personalmanagement ........... 371 6.1.1 Grundbegriffe des Personalmanagements....................................................................... 372 6.1.2 Abgrenzung internationales Personalmanagement ....................................................... 372 6.1.3 Internationalisierung der Märkte .................................................................................... 373 6.1.4 Internationalisierung von Unternehmen ........................................................................ 374 6.1.5 Treiber und Barrieren der Mitarbeiterentsendung ........................................................ 375 6.2 Personalplanung in Deutschland und als Beispiel für Europa bei multinationalen Unternehmen ........................................................................................... 376 6.2.1 Methodik der Personalplanung ........................................................................................ 377 6.2.2 Zur engeren Personalplanung .......................................................................................... 379 6.3 Digitalisierung als Ausgleich des demografischen Wandels ................................. 393 6.3.1 Voranschreiten der Digitalisierung ................................................................................. 395 <?page no="13"?> 14 Inhaltsverzeichnis 6.3.2 Folgen der Digitalisierung für deutsche Unternehmen ................................................ 396 6.3.3 Substituierbarkeitspotenzial ............................................................................................ 397 6.3.4 Steigende Produktivität .................................................................................................... 402 6.3.5 Umstrukturierung der Arbeitskräfte ............................................................................... 403 6.3.6 Handlungsfelder für deutsche Unternehmen ................................................................. 404 6.4 Zugewanderte Arbeitskräfte als Ausgleich des demografischen Wandels .......... 405 6.4.1 Fluchtmigration ................................................................................................................. 406 6.4.2 Migranten aus Südosteuropa............................................................................................ 413 6.4.3 Qualifizierte Zuwanderung .............................................................................................. 415 6.4.4 Beitrag der Migration zur Fachkräftesicherung ............................................................ 419 6.4.5 Handlungsfelder für deutsche Unternehmen ................................................................. 420 Bearbeitungshinweise zu den Übungen im Text.......................................................................................... 423 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................. 425 Teil 3: Dienstleistungsmanagement........................................................... 431 7 Internationales Dienstleistungsmanagement ............................................. 433 7.1 Rahmenbedingungen der Internationalisierung von Dienstleistungen ............... 433 7.2 Internationalisierungsmotivation (allgemein und im Besonderen bei Dienstleistungen) ................................................................................................................... 437 7.2.1 Typologisierung internationaler Dienstleistungen ....................................................... 438 7.2.2 Internationalisierung versus Globalisierung.................................................................. 441 7.2.3 Bedeutung von Zielen, Strategien und operativen Maßnahmen der Internationalisierung.............................................................................................................................. 441 7.2.4 Wettbewerbsstrategien ..................................................................................................... 443 7.3 Internationale Marktauswahl (für DL) ..................................................................... 445 7.4 Markteintritts- und -austrittsbarrieren.................................................................... 449 7.4.1 Markteintrittsbarrieren..................................................................................................... 450 7.4.2 Staatliche Politik ............................................................................................................... 455 7.4.3 Zu erwartende Reaktionen der Wettbewerber ............................................................... 456 7.5 Bedrohung durch Ersatzprodukte ............................................................................. 458 7.5.1 Verhandlungsstärke der Lieferanten ............................................................................... 458 7.5.2 Marktaustrittsbarrieren .................................................................................................... 463 7.5.3 Fazit der Strukturanalyse nach Porter im Einzelhandel in Indien............................... 464 7.6 Wettbewerbsstrategien internationaler Dienstleistungsunternehmen ................ 465 7.6.1 Drei generische Wettbewerbsstrategien nach Porter.................................................... 465 7.6.2 Generelle Wettbewerbsstrategien internationaler Dienstleistungsunternehmen ..... 469 7.6.3 Sequentiell-hybride Strategie........................................................................................... 472 Bearbeitungshinweise zu den Übungen ......................................................................................................... 473 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................. 476 <?page no="14"?> Inhaltsverzeichnis 15 8 Trends und Entwicklungspotenziale der Internalisierung von Dienstleistungen ........................................................................................................ 479 8.1 Begriffsdefinition und Bestimmung des First Mover.............................................. 482 8.1.1 Begriffliche Abgrenzung des First Mover bei Dienstleistungen .................................. 483 8.1.2 Zur Erkennung des First-Mover-Status ........................................................................... 484 8.1.3 Einfluss der Marktabgrenzung ......................................................................................... 486 8.2 Theoretische Auseinandersetzung mit dem First-Mover-Konzept ....................... 489 8.2.1 Spieltheoretische Modelle ................................................................................................. 490 8.2.2 Resource-based View......................................................................................................... 491 8.3 First-Mover-Konzept und allgemeine First-Mover-Vor- und -Nachteile ............. 496 8.4 Digitale Geschäftsmodelle und die Internet-Wirtschaft ........................................ 499 8.4.1 Abgrenzung des Begriffs „digitales Geschäftsmodell .................................................... 499 8.4.2 Definition der Internet-Wirtschaft und ihre Charakteristika ...................................... 501 8.4.3 Wettbewerbsbedingungen im Internet ............................................................................ 502 8.4.4 Spezifika digitaler Güter bzw. internationaler Dienstleistungen ................................ 505 8.5 Problematische First-Mover-Vor- und -Nachteile bei digitalen Geschäftsmodellen....................................................................................................................... 509 8.5.1 Synthese und Kategorisierung der einschlägigen Forschungserkenntnisse ............... 509 8.5.2 Feinanalyse der problematischen First-Mover-Vor- und -Nachteile ........................... 516 8.6 Ausgewählte Beispiele ............................................................................................... 528 8.6.1 MySpace und Facebook ..................................................................................................... 528 8.6.2 Google ................................................................................................................................. 529 Lösungshinweise zu den Übungen im Text ............................................................................. 535 Lösungen zu den Aufgaben im Text ......................................................................................... 536 Literaturverzeichnis............................................................................................................................................. 538 Teil 4: Systeme und Historie...................................................................... 549 9 Grundlegende Überlegungen, Aspekte, Modelle und Elemente von Cash-Management-Systemen ..................................................................... 551 9.1 Grundsätzliches........................................................................................................... 551 9.2 Cash Management System / e-Banking .................................................................... 552 9.3 Cash- und Liquiditätsmanagement ........................................................................... 560 9.4 Cash Concentration bzw. Cash Pooling ................................................................... 564 9.5 Zahlungsverkehr / Payment Factory ........................................................................ 566 9.6 Auswahl von Banken.................................................................................................. 579 9.7 Ausgestaltung der Zusammenarbeit von Gesellschaften und Banken beim Cash-Pooling ............................................................................................................... 581 9.8 Cash Management, spez. CASH POOLING .............................................................. 584 <?page no="15"?> 16 Inhaltsverzeichnis 9.9 Wesen, Erscheinungsformen usw. von Cash Pooling ............................................ 587 9.10 Arten (Methoden) des Cash Pooling......................................................................... 593 9.11 Juristische Aspekte: AG, GmbH, Cash Pool Master ............................................... 595 9.12 Fiktives Cash Pooling (Notional oder auch virtuelles Cash Pooling)................... 604 9.13 Grenzüberschreitendes Cash Pooling....................................................................... 607 9.14 Rechtliche Grundlagen des konzernweiten Cash Pooling ..................................... 607 9.15 Geschäftsführer im Rahmen eines Cash-Pooling im Konzern .............................. 611 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................. 613 10 Die Hanse, ein mittelalterlicher Global Player .................................................. 617 10.1 Vor 1150: Die Hansen vor der Hanse ....................................................................... 617 10.2 Von 1150 bis 1350: Hansen, Gilden und Kontore .................................................... 619 10.2.1 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen ............................................................................. 621 10.2.2 Die Fahrtgebiete der Hansen............................................................................................ 622 10.2.3 Die Kontore ........................................................................................................................ 624 10.2.4 Die Schiffe der Hanse ....................................................................................................... 628 10.2.5 Die Waren der Hanse ........................................................................................................ 630 10.2.6 Das Netzwerk der hansischen Fernkaufleute ................................................................. 631 10.3 Von 1350 bis 1500: Von der Kaufmannshanse zur Städtehanse ............................ 633 10.3.1 Die Hansetage .................................................................................................................... 635 10.3.2 Der Kampf um den Erhalt der Privilegien ...................................................................... 638 10.4 Von 1500 bis 1600: Die Welt wird größer - und unübersichtlicher ..................... 644 10.4.1 Der Niedergang der Kontore ............................................................................................ 646 10.4.2 Gesellschaftliche Umbrüche ............................................................................................. 649 10.5 Nach 1600: Blutverlust ............................................................................................... 650 10.6 Schlussbetrachtung..................................................................................................... 652 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................. 654 Glossar ................................................................................................... 655 Über die Autorinnen und Autoren .............................................................. 665 Stichwortverzeichnis ................................................................................ 667 <?page no="16"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1 Wertkette nach Porter ....................................................................................................................... 42 Abb. 1.2 Eine Auswahl von Konzepten und Klassifizierungsformen des Sourcings ......................... 51 Abb. 1.3 Wertkette einer Bekleidungsunternehmung ............................................................................... 63 Abb. 1.4 Struktur des Marktes für Bekleidung ............................................................................................ 65 Abb. 1.5 Beispielhaft vereinfachte Kostenstruktur eines Damenoberteils ........................................... 73 Abb. 1.6 Vorgehen bei der Zielkostenfestlegung des Market-into-Company-Verfahrens ............... 75 Abb. 1.7 Market-into-Company-Zielkostenermittlung ............................................................................. 75 Abb. 1.8 Die vier Stufen der industriellen Revolution ............................................................................... 77 Abb. 1.9 Transatlantischer Dreieckshandel.................................................................................................. 78 Abb. 1.10 Vertikale Integration im Rahmen von Industrie 4.0 .................................................................. 82 Abb. 1.11 Horizontale Integration im Rahmen von Industrie 4.0 ............................................................. 83 Abb. 2.1 Internationalisierungsstrategien nach Bartlett und Ghoshal .................................................. 98 Abb. 2.2 Drei Ebenen der Verhaltensprägung nach Hofstede ............................................................... 102 Abb. 2.3 Kulturzwiebelmodell nach Hofstede............................................................................................ 103 Abb. 2.4 Kulturdimensionen nach Hofstede............................................................................................... 104 Abb. 2.5 Dynamik kultureller Überschneidungssituationen.................................................................. 109 Abb. 2.6 Modell der interkulturellen Kompetenz nach Bolten .............................................................. 111 Abb. 2.7 Phasenmodell der Teamentwicklung nach Tuckman ............................................................. 113 Abb. 2.8 Multikontextuale Perspektiven ..................................................................................................... 115 Abb. 2.9 Organisationsprämissen des strukturellen Ansatzes............................................................... 116 Abb. 2.10 Organisationsprämissen des verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes ................................ 118 Abb. 2.11 Organisationsprämissen des politisch-rechtlichen Ansatzes ................................................ 119 Abb. 2.12 Organisationsprämissen des symbolischen Ansatzes ............................................................. 120 Abb. 2.13 Aufgabenanalyse und Aufgabensynthese .................................................................................. 121 Abb. 2.14 Arbeitsanalyse und Arbeitssynthese ........................................................................................... 123 Abb. 2.15 Entwicklungsschritte leistungsstarker interkultureller Teams nach DiStefano und Maznevski........................................................................................................................................... 127 Abb. 2.16 Entwicklungsstufen eines interkulturellen Teams nach Zeutschel ..................................... 128 Abb. 2.17 Kommunikationsprozess................................................................................................................. 130 Abb. 2.18 Vier Seiten einer Nachricht............................................................................................................ 131 Abb. 2.19 Kommunikationsarten mit beispielhaften Kommunikationsinstrumenten....................... 132 Abb. 2.20 Spektrum der Führungsstile nach Tannenbaum und Schmidt.............................................. 134 Abb. 2.21 Konflikttypen nach Thomas .......................................................................................................... 140 <?page no="17"?> 18 Abbildungsverzeichnis Abb. 2.22 Konfliktlösungsmechanismen für die Eskalationsstufen nach Glasl................................... 142 Abb. 2.23 Übersicht über die Organisationsstrukturen ............................................................................. 149 Abb. 2.24 Grundmodelle segregierter Organisationsstrukturen ............................................................. 150 Abb. 2.25 Grundmuster der integrierten Funktionalstruktur .................................................................. 151 Abb. 2.26 Grundmuster der integrierten Geschäftsbereichs-/ Produktstruktur................................... 151 Abb. 2.27 Grundmuster der integrierten Regionalstruktur ...................................................................... 152 Abb. 2.28 Beispiel Basisvariante: Internationale Matrixorganisation .................................................... 152 Abb. 2.29 Tensororganisation .......................................................................................................................... 153 Abb. 2.30 Intra- und interorganisationale Netzwerkstrukturen.............................................................. 153 Abb. 3.1 Geozentrischer Ansatz nach Perlmutter ..................................................................................... 176 Abb. 3.2 Polyzentrischer Ansatz nach Perlmutter .................................................................................... 177 Abb. 3.3 Geozentrischer Ansatz nach Perlmutter ..................................................................................... 177 Abb. 3.4 Methoden der Vorbereitung auf Auslandstätigkeiten............................................................. 198 Abb. 3.5 Entsandte polnische Staatsangehörige (2010-2015) in Tsd.. .................................................. 201 Abb. 4.1 Personalauswahlkette ...................................................................................................................... 229 Abb. 4.2 Die Standards des Arbeitskreis Assessment Center e.V. als Prozesskette ......................... 240 Abb. 4.3 Kompetenzdimension Kommunikationsfähigkeit.................................................................... 243 Abb. 4.4 Auswertungsmatrix.......................................................................................................................... 244 Abb. 4.6 Aufwand-Nutzen-Verhältnis von Auswahlverfahren ............................................................. 254 Abb. 4.7 Determinanten des Entsendungserfolges ................................................................................... 273 Abb. 4.8 In Anlehnung an das W-Kurven-Modell nach Gullahorn und Gullahorn ......................... 276 Abb. 4.9 Prozessmodell der Reintegration nach Hirsch .......................................................................... 280 Abb. 4.10 Modell der Wiederanpassung nach Black et al. ........................................................................ 284 Abb. 5.1 Internationaler Einsatz bestehender Markennamen................................................................ 307 Abb. 5.2 Potenzielle Vorteile kultureller Diversität.................................................................................. 309 Abb. 5.3 Problemorientierte und ressourcenorientierte Ansätze interkultureller Forschung....... 311 Abb. 5.4 Aufbau eines Interviewleitfadens zur Nachbefragung von Expatriates ............................. 313 Abb. 5.5 Prädiktoren und Kriterien interkulturellen Erfolgs ................................................................. 320 Abb. 5.6 Proximale und distale Bewertungskriterien interkulturellen Erfolgs ................................. 321 Abb. 5.7 Charakteristika interkultureller Kompetenzen ......................................................................... 322 Abb. 5.8 Strukturmodell interkultureller Kompetenz .............................................................................. 323 Abb. 5.9 Prozessmodell interkultureller Kompetenz................................................................................ 324 Abb. 5.10 Prädiktorwirkung der Teilkomponenten interkultureller Kompetenzen........................... 325 Abb. 5.11 Der interkulturellen Kompetenz verwandte Konstrukte........................................................ 327 Abb. 5.12 Bestandteile des Entgelts. ............................................................................................................... 332 Abb. 5.13 Bestimmungsfaktoren der Gehaltsfindung. ............................................................................... 338 <?page no="18"?> Abbildungsverzeichnis 19 Abb. 6.1 Kennzahlen des deutschen Außenhandels von 2000 bis 2015............................................... 373 Abb. 6.2 Deutsche Direktinvestitionen im Ausland von 1990 bis 2012............................................... 374 Abb. 6.3 Anforderung an das internationale Personalmanagement .................................................... 375 Abb. 6.4 Erwerbspersonenpotenzial bis 2060............................................................................................. 378 Abb. 6.5 Prozess der strategischen Personalplanung ............................................................................... 380 Abb. 6.6 Prognose der Einwohnerzahl Deutschlands von 2016 bis 2060 ............................................ 381 Abb. 6.7 Prognostizierte Entwicklung der Altersstruktur in Deutschland von 2010 bis 2050 ...... 383 Abb. 6.8 Bevölkerungspyramide für das Jahr 2017................................................................................... 385 Abb. 6.9 Prognostizierte Bevölkerungspyramide für das Jahr 2030 ..................................................... 385 Abb. 6.10 Prognostizierte Bevölkerungspyramide für das Jahr 2060 ..................................................... 386 Abb. 6.11 Minimale bis maximale Substituierbarkeitspotenziale einzelner Berufsgruppen (inklusive Gruppendurchschnitt) ................................................................................................. 399 Abb. 6.12 Die deutschen Bundesländer eingeteilt nach Betroffenheit durch ein hohes Substituierbarkeitspotenzial und Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe................. 399 Abb. 6.13 Substituierbarkeitspotenziale nach Anforderungsniveau ...................................................... 400 Abb. 6.14 Prozentuale Abweichung der Zahl von Erwerbstätigen nach Berufshauptfeldern aufgrund der Digitalisierung ......................................................................................................... 404 Abb. 6.15 Altersaufbau der Schutzsuchenden in Deutschland zum 31.12.2016 - Verteilung bezogen auf je 100 000 Personen.......................................................................... 407 Abb. 6.16 Höchste besuchte Bildungseinrichtung der volljährigen Asylerstantragsteller aus allen und den Top-10-Herkunftsländern im ersten Halbjahr 2017 .............................. 409 Abb. 6.17 Bildungsstrukturen im Vergleich ................................................................................................. 415 Abb. 7.1 Zum Business Model Canvas ......................................................................................................... 436 Abb. 7.2 Typologisierung internationaler Dienstleistungen anhand Intangibilität und Interaktivität ...................................................................................................................................... 439 Abb. 7.3 Typologisierung internationaler Dienstleistungen anhand der Mobilität ......................... 440 Abb. 7.4 Stufenmodell des Auslandsengagements.................................................................................... 441 Abb. 7.5 Zum Zusammenhang von Lebenszylus, Portfoliomethode und Erfahrungskurve .......... 444 Abb. 7.6 Die fünf Wettbewerbskräfte einer Branche nach Porter ........................................................ 448 Abb. 7.7 Indischer Großhandels- und Einzelhandelsumsatz in Millionen US-Dollar...................... 461 Abb. 7.8 Entwicklung der Reallöhne in Indien 2007 bis 2012 ................................................................ 462 Abb. 7.9 Generische Wettbewerbsstrategien ............................................................................................. 466 Abb. 7.10 Formen der Internationalisierung von Dienstleistungen ....................................................... 472 Abb. 8.1 Allgemeine First-Mover-Vor- und -Nachteile in Anlehnung an Clement et al. ............... 498 Abb. 8.2 Vier Formen der Digitalisierung in der Wertkette....................................................................... 500 Abb. 8.3 Ausgewählte Beispiele digitaler Güter........................................................................................ 506 Abb. 8.4 Spezifika digitaler Güter/ Dienstleistungen ................................................................................ 508 Abb. 8.5 Kategorien zur Einordnung der Forschungserkenntnisse...................................................... 510 <?page no="19"?> 20 Abbildungsverzeichnis Abb. 8.6 Kategorisiertes Ergebnis der Synthese der Forschungserkenntnisse .................................. 515 Abb. 8.7 Kausalkette zur Problematik von First Movern digitaler Geschäftsmodelle ..................... 527 Abb. 9.1 Aufgaben einer Inhouse Bank. ...................................................................................................... 555 Abb. 9.2 In-House Bank: Die Verbindung zwischen zwei Welten ....................................................... 556 Abb. 9.3 Management der konzerninternen Finanzprozesse ................................................................. 557 Abb. 9.4 Schema einer internationalen Zahlungsstruktur...................................................................... 558 Abb. 9.5 Bestandteile und Ziele des Liquiditätsmanagement ................................................................ 561 Abb. 9.6 Ablauf der Finanzdisposition. ........................................................................................................ 564 Abb.9.7 Schema des Cash Pooling in einer Inhouse Bank..................................................................... 565 Abb. 9.8 The Third Stage Payment Factory the Cashflow Management Centre .............................. 566 Abb. 9.9 Mehrwert, den eine Payment Factory erzielen kann............................................................... 571 Abb. 9.10 AvantGard Trax payment factory solution................................................................................ 573 Abb. 9.11 Installations-Start für EBICS Signature....................................................................................... 574 Abb. 9.12 Anschluss an das SWIFT-Network (3 Varianten)..................................................................... 577 Abb. 9.13 MA-CUG ............................................................................................................................................. 577 Abb. 9.14 SCORE ................................................................................................................................................. 578 Abb. 9.15 Formate von Zahlungsdatenträgern ............................................................................................ 578 Abb. 9.16 Schema einer „SWIFT-Drittbanklösung“ .................................................................................... 579 Abb. 9.17 Strukturvariante des One Bank-Ansatzes .................................................................................. 582 Abb. 9.18 Strukturvariante des Overlay Bank-Ansatzes ........................................................................... 583 Abb. 9.19 Bank Overlay Structure................................................................................................................... 584 Abb. 9.20 Reporting / Disposition ................................................................................................................... 587 Abb. 9.21 Chancen und Risiken von Cash Pooling kurzgefasst .............................................................. 588 Abb. 9.22 Chancen und Risiken von Cash Pooling kurzgefasst .............................................................. 589 Abb. 9.23 Poolingstruktur ................................................................................................................................. 590 Abb. 9.24 Idealtypische Cash Pooling-Struktur........................................................................................... 590 Abb. 9.25 Effektives Pooling - Beispiel für Ablauf und Effekt ................................................................ 593 Abb. 9.26 Multy Currency Notional Cash Pool Structure......................................................................... 595 Abb. 9.27 Grundstruktur eines Pooling - Poolingkreise........................................................................... 601 Abb. 9.28 Konzernweiter Ausgleich-Zustand vor Pooling ....................................................................... 603 Abb. 9.29 Konzernweiter Ausgleich-Zustand nach Pooling..................................................................... 604 <?page no="20"?> Tabellenverzeichnis Tab. 1.1 Vereinfachte Darstellung von Entstehungs- und Verteilungsrechnung ............................... 39 Tab. 1.2 Vereinfachte Kostenstruktur eines Bekleidungsstücks bis zur Handelsstufe ...................... 74 Tab. 2.1 Beispiele unterschiedlicher Wertehaltung in Bezug auf Machtdistanz ............................... 105 Tab. 2.2 Beispiele unterschiedlicher Wertehaltung in Bezug auf Unsicherheitsvermeidung ........ 106 Tab. 2.3 Beispiele unterschiedlicher Wertehaltung in Bezug auf Kollektivismus und Individualismus .................................................................................................................................. 106 Tab. 2.4 Beispiele unterschiedlicher Wertehaltung in Bezug auf Maskulinität und Femininität . 107 Tab. 2.5 Beispiele unterschiedlicher Wertehaltung in Bezug auf Langzeit- und Kurzzeitorientierung ........................................................................................................................................ 107 Tab. 2.6 Dimensionen der interkulturellen Kompetenz nach Gertsen ................................................ 112 Tab. 2.7 Formen der Sekundärorganisation ................................................................................................ 124 Tab. 2.8 Merkmale von Routineprozessen und Innovationsprozessen................................................ 125 Tab. 2.9 Eskalationsstufen nach Glasl .......................................................................................................... 141 Tab. 3.1 Das E.P.R.G.-Modell von Perlmutter............................................................................................. 174 Tab. 3.2 Mögliche Vor- und Nachteile externer Personalgewinnung .................................................. 183 Tab. 3.3 Vor- und Nachteile des Outsourcing von Personalaufgaben ................................................. 203 Tab. 4.1 Unterscheidung von Entscheidungsfehlern ................................................................................ 227 Tab. 4.2 Mögliche Kosten bei Fehlentscheidungen................................................................................... 228 Tab. 4.3 Häufige Beobachtungs- und Beurteilungsprobleme in Interviews ....................................... 233 Tab. 4.4 Ablauf eines Assessment-Centers ................................................................................................. 241 Tab. 4.5 Beispiel: Zeitplan - eintägiges AC ................................................................................................ 242 Tab. 4.6 Anforderungs-Verfahrens-Matrix ................................................................................................. 245 Tab. 4.1 Unterscheidung von Entscheidungsfehlern ................................................................................ 291 Tab. 5.1 Formen der Entgeltgerechtigkeit ................................................................................................... 331 Tab. 5.2 Lohnformen Direktentgelt .............................................................................................................. 332 Tab. 5.3 Formen der Erfolgsbeteiligung: ...................................................................................................... 333 Tab. 5.4 Formen der Sozialleistung ............................................................................................................... 333 Tab. 5.5 Qualitätsanforderungen ................................................................................................................... 334 Tab. 5.6 Effizienzanforderungen.................................................................................................................... 334 Tab. 5.7 Weitere Hilfestellungen ................................................................................................................... 334 Tab. 5.8 Vor- und Nachteile des stammlandorientierten Ansatzes....................................................... 335 Tab. 5.9 Vor- und Nachteile des entsendungslandorientierten Ansatzes ........................................... 336 Tab. 5.10 Vor- und Nachteile der geozentrischen Entgeltpolitik ............................................................ 336 <?page no="21"?> 22 Tabellenverzeichnis Tab. 5.11 Bestimmungsfaktoren auf nationaler Ebene............................................................................... 337 Tab. 5.12 Zusätzliche Bestimmungsfaktoren auf internationaler Ebene ............................................... 337 Tab. 5.13 Vergleich der Lebenshaltungskosten und Kaufkraftausgleichszulagen .............................. 339 Tab. 5.14 Länderklassifikationen zur Bestimmung von Auslandszulagen............................................ 340 Tab. 5.15 Sozialversicherungsabkommen 2013 ............................................................................................ 342 Tab. 5.16 Vergleich der Einkommen in Form einer Nettovergleichsrechnung bei Entsendung nach Japan und Südafrika................................................................................................................ 343 Tab. 5.17 Vor- und Nachteile des stammlandorientierten Ansatzes....................................................... 355 Tab. 5.18 Vor- und Nachteile des entsendungslandorientierten Ansatzes ........................................... 355 Tab. 5.19 Vor- und Nachteile der geozentrischen Entgeltpolitik ............................................................ 355 Tab. 6.1 Zusammengefasste Geburtenziffer: Entwicklung der Fertilitätsrate in Deutschland von 2004 bis 2015 ............................................................................................................................... 382 Tab. 6.2 Korrigierte Prognose des Außenwanderungssaldos ................................................................. 384 Tab. 9.1 Aufgaben / Vorteile elektronischer Bankkontenführung........................................................ 559 Tab. 9.2 Liquiditätsrechnung/ Schema .......................................................................................................... 561 Tab. 9.3 Zinsberechnung vor Cash Pooling ................................................................................................ 603 Tab. 9.4 Zinsberechnung nach Pooling........................................................................................................ 604 Tab. 9.5 Zinsberechnung des Konzerns X - ohne Pooling ..................................................................... 606 Tab. 9.6 Zinsberechnung des Konzerns X - mit fiktivem Pooling........................................................ 606 <?page no="22"?> Abkürzungsverzeichnis a.a.O. am angeführten Ort; auch am angegebenen Ort AC Assessment-Center AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz AIDA Attention, Interest, Desire Action AO Abgabenordnung AÜG Arbeitnehmerüberlassung BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BASF Badische Anilin- und Soda-Fabrik BetrVG Betriebsverfassungsgesetz BGB Bürgerliches Gesetzbuch BMF Bundesministerium der Finanzen BRICS Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika (Wirtschaftsraum) CDG Carl Duisberg Gesellschaft CETA Handelsabkommen zwischen Kanada und der EU (noch nicht rechtswirksam 3/ 2017) (Comprehensive Economic and Trade Agreement) CMT Cut, Make, Trim - Zuschneiden, Verarbeiten, Trimmen CUBE Contect, Usability, Banding, Emotion EEG Elektroenzephalografie EFI Expertenkommission Forschung und Innovation EG Europäische Gemeinschaft EMEA Europe, Middle East, Africa (Wirtschaftsraum) E-Recruiting Electronic Recruiting, Unterstützung bei der Personalbeschaffung durch den Einsatz elektronischer Medien EStG Einkommenssteuergesetz EU Europäische Union EWU-Länder Europäische Wirtschafts- und Währungsunion F&E Forschung& Entwicklung FOB Free on Board FTA Foreign Trade Association GATT General Agreement on Tariffs and Trade - Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen GIPS-Staaten Griechenland, Italien, Spanien und Portugal i.d.R. in der Regel IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IBM International Business Machines Corporation <?page no="23"?> 24 Abkürzungsverzeichnis IHK Internationale Handelskammer INCA Intercultural Competence Assessment Modell IT Informationstechnik M&A Mergers & Acquisitions (Fusionen und Käufe) MBV Market-based View NEO-FFI Neo-Fünf-Faktoren-Inventar NGO Nongovernmental Organization - Nichtregierungsorganisation o.b. oben beschrieben o.J. ohne Jahr OECD Organisation für Economic Co-operation and Development, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung RBV Resource-based View RL Richtlinie Rn. Randnummer SAP Software-Unternehmen aus Heidelberg SGB Sozialgesetzbuch TTIP Transatlantisches Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership) (noch nicht rechtswirksam 12/ 2020) UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization UNICEF Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen VGR Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung VRIO Valuable, Rare, Inimitable, Organization WTO World Trade Organization - Welthandelsorganisation zit. n. zitiert nach α- Fehler Alpha-Fehler β-Fehler Beta-Fehler <?page no="24"?> Teil 1: Multinationale Organisationen <?page no="26"?> 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit von Prof. Dr. Wilhelm Schmeisser und Prof. Dr. Irene Rath Haben Sie sich schon mal mit „Multinational Organizations“ befasst? Hier würden Sie wahrscheinlich erst mal „nein“ antworten, falls Sie nicht gerade in einem solchen Unternehmen arbeiten. Jedoch werden Sie bei der Bearbeitung dieses Kapitels merken, dass Ihnen „Multinational Organizations“ im Berufsleben und auch im privaten Leben sehr oft begegnen. Typische Beispiele für solche multinationale Unternehmen sind Coca Cola, Siemens, McDonalds, Apple etc. „Apple hat weltweit 477 Stores, Ikea hat weltweit 389 Märkte (Schwochow & Ramge, 2016, S. 134) und McDonald’s hat weltweit 35 737 Restaurants“ (Schwochow & Ramge, 2016. S. 135). „McDonald’s hat es vorgemacht: Mit Filialen lässt sich die Handelswelt erobern. Der Konsum ist so global wie die Produktion. Und der Geschmack eines Kunden in China unterscheidet sich heute in vielen Bereichen nicht mehr von einem in Argentinien. Alle mögen Big Macs, schwedische Möbel, Elektronik designet in California und günstige Klamotten mit schlichtem Schnitt, denen man nicht anmerkt, dass sie aus Japan stammen“ (Schwochow & Ramge, 2016, S. 134). Wir starten mit dem theoretischen Überblick in Bezug auf multinationale Unternehmen. Im zweiten Abschnitt beschäftigen wir uns mit der Fertigung, Beschaffung und dem Sourcing solcher Unternehmen. In Abschnitt drei beschäftigen wir uns mit der Wertschöpfungskette in der Bekleidungsindustrie und den sogenannten „Low-Cost Countries“. Über die industrielle Revolution als Globalisierungstreiber gelangen wir zu Industrie 4.0. Also, es wird interessant. Lernziele  Sie sollen wissen, dass der Freihandel für multinationale Unternehmen, die mehr als 20 bis 30 Prozent ihres Weltumsatzes mit anderen Ländern und Unternehmen tätigen, unumgänglich ist, wenn sie weiterexistieren und nicht insolvent gehen wollen.  Sie sollen die gängigsten Freihandelstheorien und deren Vertreter kennen, erläutern und erklären können.  Sie sollen Industrie 4.0 als neue globalisierte technologische Entwicklung begreifen lernen, die eine Reindustrialisierung Amerikas, Europas und Chinas bedeuten könnte. Neben ihren vielfältigen und komplexen politischen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen für die Gesellschaft bieten Internationalisierung und Globalisierung vielen Unternehmungen seit jeher die Chance, beispielsweise Organisationsstrukturen und Produktionsprozesse zu optimieren. Viele multinationale Organisationen nehmen die Optionen wahr, weltweit Absatzmärkte zu bedienen und beim Produzieren unterschiedliche Lohnkostensysteme in verschiedenen Weltregionen zu ihren Gunsten zu nutzen. Schließlich führt ein globaler Markt, sofern es keine protektionistischen Hindernisse durch Staaten gibt , zu globalem Wettbewerbsdruck, der einerseits eine gute Produktqualität erbringt, anderseits aber die günstigsten Preise einfordert, forciert durch Verbraucher, technologische Innovationen, Wertewandel und einen demografischen Wandel. <?page no="27"?> 28 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Das Phänomen der politischen, rechtlichen und ökonomischen Globalisierung ist dabei keine neue Erscheinung, sondern sie ist so alt wie das Streben des Menschen danach, mit begehrten Gütern Handel zu treiben (nach der modernen Archäologie mindestens 12 000-20 000 Jahre [Parzinger, 2015]), was diese wirtschaftlich vorantreibt. Wiederum neu ist die Qualität und Ausprägung der Globalisierung, die die Ausschöpfung von Niedriglohnregionen seit Ende des Zweiten Weltkriegs erfährt, wenn man politisch andererseits deklariert, man wolle die Sklavenarbeit und viele Ungerechtigkeiten beseitigen. Zurzeit wird mit großem Interesse in der Öffentlichkeit das Wachstum des afrikanischen, südamerikanischen und ostasiatischen Niedriglohnsektors - mit all seinen negativen Implikationen - diskutiert (von TTIP über CETA bis zur Wahl Bidens als neuen US-Präsidenten). Eine Fülle von Fachliteratur beleuchtet etwa die Bereiche Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft. Für den deutschsprachigen Raum liefern z.B. Kutschker und Schmid (2011) eine umfassende Übersicht über das Thema Internationales Management. Eine ebenso umfangreiche Übersicht über die Theorien der Globalisierung bieten Rehbein und Schwengel: Theorien der Globalisierung, 2012, sowie Brem, Heyd und Schmeisser: Internationale Betriebswirtschaft, 2015, sowie das Buch Internationales Management von Dirk Holtbrügge & Martin K. Welge (2015). Im Hinblick auf Niedriglohnsektoren ist insbesondere das Low-Cost Country Sourcing (Wildemann, 2006) ein viel beachtetes Untersuchungsfeld, mit dem sich im deutschsprachigen Raum in letzter Zeit besonders Horst Wildemann, Martin Lockström (2007) und Ulli Arnold (2002) befasst haben. Länder wie Bangladesch, China und Indien sind dabei vor allem für internationale Textil- und Bekleidungshersteller wegen ihres niedrigen Lohnniveaus die Produktionsländer der Wahl. Sie stehen für besonders niedrige Herstellkosten - die Fertigungskosten liegen enorm unter denen, die in den hoch entwickelten Industrieländern zu erwarten wären. Die Wertschöpfung und der erzielte Gewinn für ein Produktionsgut können dank einer global ausgerichteten Beschaffungspolitik auf Grundlage von Niedriglohnsegmenten deutlich erhöht werden. Erst seit 2015 werden diese Argumente durch Industrie 4.0 widerlegt und drehen sich um. Ein Kapitel befasst sich mit der Führung wertorientierter globaler oder multinationaler Unternehmen auf der Grundlage internationaler Niedriglohnsegmente und innovativer Technologien wie Industrie 4.0. Wertorientiertem Agieren von Unternehmen liegt die Idee der Wertschöpfung zugrunde. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Wertschöpfungsidee ist Michael E. Porter (1982 und 1984), dessen Wertkette ein entscheidendes Instrument zur Untersuchung von Wertschöpfungspotenzialen bleibt. Am von Porter vertretenen Konzept der Wertkette wird sich dieser Beitrag orientieren, indem er die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen durch die Ausschöpfung internationaler Niedriglohnregionen und innovativer Technologien (Industrie 4.0) fokussiert. Die traditionelle Betrachtungsweise wird jedoch nicht außer Acht gelassen. 1.1 Theoretischer Überblick 1.1.1 Zu „multinationalen Unternehmen“ und zur Globalisierung Internationalisierung und multinationale Unternehmen Nach Durcharbeiten diess Abschnitts  können Sie erklären, was ein multinationales Unternehmen ist,  kennen Sie die historischen Hintergründe zur Internationalisierung von Unternehmen,  verstehen Sie, was sich hinter den Begriffen Globalisierung und Internationalisierung verbirgt, <?page no="28"?> 1.1 Theoretischer Überblick 29  kennen Sie die wichtigsten Theorien, Ursachen und Erklärungsansätze zur Internationalisierung und  wissen Sie selbstverständlich, warum Unternehmen international tätig sind und sein wollen. Internationalisierung beschreibt einen Prozess der zunehmenden Ausdehnung von Aktivitäten jeglicher Art über nationale Grenzen hinaus. Multinationale Unternehmen sind Unternehmen, die in zahlreichen Ländern betriebswirtschaftlich tätig sind, um rechtliche, steuerrechtliche, produktionswirtschaftliche, beschaffungswirtschaftliche, absatzwirtschaftliche, technische, patentrechtliche und umweltorientierte Unternehmensziele besser erreichen zu können, indem sie Handelsrestriktionen vermeiden, Kostenvorteile ausnützen, Beschaffungssicherheit von Rohstoffen absichern und Absatzziele ihrer Produkte und Dienstleistungen gewährleisten. „Ihre Absatzmärkte sind auf mehrere Länder verteilt und sie steuern ihre Aktivitäten von einer Zentrale im Heimatland aus. Die Unternehmen nutzen günstige Standortvorteile und preiswerte Bezugsquellen von Rohstoffen, liefern aber im Gegenzug dem Gastland neue Technologien und Maschinen und schaffen dort auch Arbeitsplätze.“ (http: / / www.bpb.de/ nachschlagen/ lexika/ lexikon-der-wirtschaft/ 20146/ multinationaleunternehmen, zuletzt besucht am 19. 07.2017) Aktivitäten der multinationalen Unternehmen beschränken sich geografisch nicht auf einen binnenstaatlichen Bereich, sondern werden zunehmend unabhängig von nationalstaatlichen Grenzen. Die Begriffe multinational, international und global können vielfältig auf sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens angewendet werden, etwa auf die Politik oder Kultur. Im Bereich der Wirtschaft bezeichnet der Begriff Internationalisierung folglich die Ausdehnung und Dezentralisierung wirtschaftlicher Tätigkeit auf internationale, also länderübergreifende Märkte. Zugespitzt kann auch von der Internationalisierung von Unternehmungen gesprochen werden. Dies beschreibt den dynamischen Prozess, den Unternehmen auf dem Weg von einer rein nationalen Orientierung durchlaufen hin zu einer internationalen. Für multinationale Unternehmen spiegelt dies eine nachhaltige und für die jeweilige Institution bedeutsame Auslandstätigkeit wider. Die Internationalisierung eines Unternehmens ist in Form des Internationalisierungsgrades messbar (z. B. Exportumsatz am gesamten Umsatz des Unternehmens). Dieser gibt Auskunft über den Anteil der internationalen Geschäftstätigkeit an den nationalen und internationalen Gesamtaktivitäten einer internationalen Unternehmung und wird häufig auch mittels der Auslandsquote oder des Internationalisierungsindexes bestimmt. Übung 1.1 Erklären Sie den Begriff der multinationalen Unternehmung Internationalisierung von Unternehmen im historischen Abriss und Kontext Die Menschheit vor der Erfindung der Schrift und Antike (Kutschker & Schmid, 2011, Parzinger, 2015) Die Ursprünge von Internationalisierung finden sich bereits im vorchristlichen Alten Orient, Indien, China und im Alten Ägypten wieder, und zwar als Stadtkulturen, Handelsstützpunkte außerhalb des eigenen Stadt- und Staatsgebiets. Auf diese Weise wurde Fernhandel betrieben. Noch handelte es <?page no="29"?> 30 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit sich dabei um Internationalisierung als grenzüberschreitenden (Außen-)Handel. Internationalisierung in Form grenzüberschreitender Direktinvestitionen von Unternehmen außerhalb des eigenen Territoriums setzte erst später ein. Als eine der ersten bekannten wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Asien, Afrika und Europa gelten der Bernsteinhandel und die Seidenstraße, aber auch der Feuersteinhandel in Australien. Der Karawanenhandel mit Gütern wie Seide, Keramik, Kupfer, Silber, Gold, Sklaven, Gewürzen und Edelsteinen zwischen dem Mittelmeerraum und Südostasien kann als einer der ersten Belege für eine systematische, globale Beschaffung und Absatzsicherung dieser Güter durch Handel angesehen werden. Mittelalter Der Zusammenschluss nordeuropäischer Kaufleute zur Hanse im 13. Jahrhundert markiert für den nordeuropäischen Raum einen bedeutenden Abschnitt im Prozess der Internationalisierung. Zwar fand sie zu dieser Zeit noch als Außenhandel statt, die Institutionalisierung von internationalen Handelsaktivitäten deutete sich jedoch schon an. Für die beteiligten Kaufleute versprach die Organisation in der Hanse nicht nur ökonomische Vorteile. Einerseits wollte man sich gegen verlustreiche Überfälle auf die Handelstransporte schützen, andererseits fungierte die Hanse als Interessensvertretung gegenüber außenstehenden Handelspartnern, vor allem über Landesgrenzen hinaus. Aber erst im Spätmittelalter waren es Familien wie die Fugger, die Welser und die Medici, die über Europa hinaus einen regen Handel mit Waren trieben und ihr Vermögen nun durch eine frühe Form von Direktinvestitionen außerhalb der eigenen Landesgrenzen, zum Beispiel durch Fugger’sche Investitionen in den schlesischen und ungarischen Bergbau, mehren konnten. Zur Hanse finden Sie am Ende dieses Buches noch ein ausführliches Kapitel des Sozial- und Wirtschaftsgeschichtlers Dr. Jürgen Rath. Neuzeit Einen vorläufigen Höhepunkt fand die fortschreitende Institutionalisierung des Fernhandels infolge der Entdeckungsfahrten europäischer Seefahrer im 15. und 16. Jahrhundert und infolge der Kolonialisierung neu entdeckter Kontinente: Neu gegründete Überseegesellschaften wiesen nach Aufbau und Zweck schon viel Ähnlichkeit mit heutigen internationalen Unternehmungen auf (Kutschker & Schmid, 2011, S. 10). Wenn es um den ökonomischen Vorteil der Produktion von Waren fern des Absatzmarktes geht, lassen sich durchaus Parallelen zur Gegenwart ziehen, wenn auch unter unterschiedlichen Vorzeichen. Denn auch die Handelsunternehmungen der Frühen Neuzeit nutzten die ökonomischen Vorteile, die sich durch die wirtschaftliche Aktivität in den Kolonien ergaben: So war die Produktion von Handelswaren günstiger als im Mutterland, weil Rohstoffe zu günstigen Preisen vor Ort erworben werden konnten und die Lohnkosten durch den Missbrauch von Sklaven sehr niedrig waren. Industrielle Revolution Eine weitere Zäsur im Prozess der Internationalisierung von wirtschaftlichen Tätigkeiten markiert die „Industrielle Revolution“, die im Großbritannien des ausgehenden 18. Jahrhunderts ihren Anfang nahm und bis Mitte des 19. Jahrhunderts weite Teile Europas fundamental umgestaltet hatte. Kutschker und Schmid (2011, S. 12) betonen als Folge der Industrialisierung vor allem die Liberalisierung des Handels zwischen den Ländern. Zu bedeutenden deutschen Investitionen im Ausland, abgesehen von den bereits benannten Fugger’schen Direktinvestitionen, kam es erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Vorreiter waren englische Unternehmungen, die Tochtergesellschaften im Ausland gegründet hatten und das Vereinigte Königreich damit schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts „hinsichtlich der Internationalisierung zur führenden Nation“ weltweit machten. Noch aber erschwerten nationale Beschränkungen und internationale Regelungen zum Beispiel den Import und <?page no="30"?> 1.1 Theoretischer Überblick 31 Export bestimmter Warenmengen. Die Behandlung von inländischen und ausländischen Händlern war bis dato sehr protektionistisch und verhinderte einen globalen Wettbewerb. Übung 1.2 Erläutern Sie, seit wann internationaler Handel von Unternehmen betrieben wird und welche Vorteile dieser Freihandel für Unternehmen außerhalb ihres eigenen Landes brachte. Die Liberalisierung des Welthandels Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem internationalen Welthandel war das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen der Welthandelsorganisation, das 1947 abgeschlossen wurde und 1948 in Kraft trat. Ziel war es, den Welthandel zu erleichtern, bestehende Hindernisse, wie Zölle, Steuern und andere nationale Abgaben, abzubauen und die Weltwirtschaft zu fördern. Auch in Europa ermöglichte der Beitritt neuer Länder in den Wirtschaftsraum der EU den vereinfachten Zugriff auf weitere Beschaffungsmärkte. Als am 1. Mai 2004 Polen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Litauen, Estland, Ungarn und Lettland der EU beitraten, entstand der größte Binnenmarkt der westlichen Welt, und mit ihm sanken die Hürden für eine internationale Zusammenarbeit erneut. Die Liberalisierung des Welthandels war es auch, die der Bildung internationaler Niedriglohnsektoren den nötigen Impuls gab und Unternehmungen den hürdenfreien internationalen Zugriff auf vergleichsweise billige Arbeitskräfte in Ländern mit niedrigem Lohnniveau ermöglichte (Zentes, Swoboda & Morschett, 2004, S. 108 ff.). Globalisierung Die Globalisierung gilt als eine besonders weitreichende Form der Internationalisierung. Streng genommen steht der Begriff Globalisierung für einen dynamischen Prozess. Die in diesem Sinne inzwischen anerkannteste Definition ist Vernetzung (Rehbein & Schwengel, 2012, S. 10). Die Bundeszentrale für politische Bildung umschreibt Globalisierung als „eine politisch-ökonomische Bezeichnung für den fortschreitenden Prozess weltweiter Arbeitsteilung“ (Schubert & Klein, 2014). Der Globalisierungsbegriff wird auf politische, ökologische, geschichtliche, gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Kontexte angewendet. Als wirtschaftliche Globalisierung bezeichnet man die weltweite Ausrichtung und Verflechtung von Märkten und wirtschaftlichen Tätigkeiten. Als der Globalisierung ausgesetzte Märkte gelten die Finanz-, Arbeits-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalmärkte. Der Prozess der Globalisierung bewirkt, dass dereinst durch Ländergrenzen voneinander abgeschottete Märkte zu länderübergreifenden, weltweiten Märkten werden. Nicht jedes Land auf der Welt ist gleichermaßen von der Globalisierung betroffen. Es sind lediglich die OECD- und BRICS-Staaten (dazu gehören Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) sowie wenige südamerikanische und asiatische Schwellenländer, die am Globalisierungsprozess teilhaben. Der größte Teil der Länder der Erde weist nur sehr geringe wirtschaftliche Vernetzungstendenzen im Globalisierungssinne auf (Koch, 2014, S. 10). Ulrich Steger (1999, S. 220) sieht die Hauptmerkmale von Globalisierung vor allem in der De-Nationalisierung, einer hohen Mobilität von Kapital, Arbeit und Wissen, einem zunehmenden Austausch von traditionell-hierarchischen Strukturen durch kooperative Strukturen sowie in einer größeren Optionsaber auch Risikovielfalt durch die Nutzung weltweiter Chancen. Auf die Ebene von Unternehmen heruntergebrochen, kann Globalisierung als eine Form der Strategie einer grenzüberschreitend tätigen Unternehmung (globale Unternehmung) angesehen werden, bei der Wettbewerbsvorteile weltweit durch die Ausnutzung von Standortvorteilen und die Erzielung von Skaleneffekten aufgebaut werden sollen. Investitionsort, Produktionsort, Steuerort und Markt sind nicht mehr zentral in einem Land gebündelt, sondern verteilen sich weltweit auf die aus <?page no="31"?> 32 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Unternehmenssicht kostengünstigsten Standorte. Die Globalisierung von Unternehmungen kann sich in allen Unternehmensbereichen vollziehen, etwa im Marketing und Vertrieb, im Personalmanagement, in Forschung und Entwicklung, der Produktion oder dem Beschaffungswesen. Insbesondere der Produktionsprozess ist insofern zergliedert, als einzelne, noch so kleine Komponenten eines Produktionsgutes jeweils dort produziert werden, wo die Produktion am effizientesten ist. Aufgrund zunehmend abgebauter Handelsschranken zwischen den Staaten, der zunehmend weltweit mobilen Verfügbarkeit und Einsetzbarkeit des Produktionsfaktors Kapital sowie der nahezu grenzenlosen Anwendbarkeit der neuen Kommunikations- und Internettechnologien wird zunehmend in solchen Staaten produziert, die die besten Kostenvorteile bieten. Globalisierung im historischen Kontext Wie auch im Fall der Internationalisierung wird für die Globalisierung fälschlicherweise angenommen, sie sei ein „modernes“ Phänomen. Unstrittig ist aber, dass die Menschheit seit Tausenden von Jahren miteinander über sehr große räumliche Distanzen, wenn auch noch nicht weltumspannend, interagiert hat. In sich scheinbar potenzierender Geschwindigkeit haben dagegen die Reaktionszeiten durch immer speziellere und effektivere Kommunikations- und Transportmedien in den letzten Jahrhunderten stetig abgenommen. Ab wann man von Globalisierung sprechen kann, ist umstritten, die Ursachenforschung schwierig. Wenn man dem Terminus Globalisierung die Idee weltumspannender Aktivitäten und Arbeitsteilung, die Überwindung von Raum und Zeit, zugrunde legt, wäre die Frage zu stellen, seit wann es praktisch möglich ist, physisch von einem Punkt auf dem Globus zu einem anderen zu gelangen oder mithilfe von Kommunikationsmitteln mit diesem Kontakt aufzunehmen. Die Frage lässt sich klar beantworten: Die Globalisierung beginnt mit der Transportrevolution Ende des 19. Jahrhunderts, mit dem Einsatz von Dampflokomotiven, von Dampfschiffen, mit der Erfindung von Gefriermöglichkeiten, der Erfindung des Telegrafen, der Verlegung von Seekabeln. Weitere Ansätze sehen den Ursprung der Globalisierung in der Industriellen Revolution, andere wiederum setzen schon bei der europäischen Welteroberung des 16. Jahrhunderts an. Globalisierung kann und muss auch als ein Prozess der Kolonialisierung verstanden werden, der sich rückblickend geradezu als eine Zwangsläufigkeit aus dem Zusammentreffen verschiedenster Faktoren des menschlichen sozialen Interagierens ergab - die Wurzeln globalisierender Tendenzen reichen weit zurück und spiegeln sich im historischen Kontext von Internationalisierung wider. Der Terminus Globalisierung taucht vermutlich das erste Mal als „Globalization“ in der anglo-amerikanischen Literatur auf und findet 1930 erstmals in der Publikation „Towards New Education, where it denoted a holistic view of human experience in education“ Anwendung (Nevalainen & Traugott, 2012, S. 377). Darüber hinaus wird er in den Sechzigern und Siebzigern des 20. Jahrhunderts wenig genutzt. Eine intensivere Verbreitung findet er seit den 1980er-Jahren in anglo-amerikanischen Soziologenkreisen. Erst seit den 1990er-Jahren nimmt die Verwendung des Globalisierungsterminus sprunghaft zu. Und tatsächlich sehen einige Wissenschaftler die Globalisierungsmotoren in der Zunahme der weltweiten Transportkapazitäten, der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie (speziell des Internets in den 1980er-Jahren), der Entwicklung von Laptop und Mobilfunk sowie deren Weiterentwicklung zu billigen Massenmedien seit den 1990er-Jahren. Außerdem nehmen seit den 1980er-Jahren nachweislich die grenzüberschreitenden Aktivitäten nicht nur absolut zu, sondern auch im Verhältnis zu einzelnen nationalen Entwicklungen, was sich anhand intraglobaler Handelsströme nachweisen lässt. Die Globalisierung nach ihrer strengsten Definition findet - in der Forschung unbestritten - ihre bis dato stärkste Ausprägung im Hier und Jetzt. Gern wird vom „Zeitalter der Globalisierung“ gesprochen. Gegenwärtig ist eine Verbindung zwischen einem Teil der Welt mit einem anderen Teil <?page no="32"?> 1.1 Theoretischer Überblick 33 der Welt virtuell jederzeit und real in enorm kurzer Zeit möglich, nicht nur im Hinblick auf den Transport von Waren und Gütern, sondern auch im Hinblick auf den reinen Daten- und Informationsfluss - und dies zu historisch gesehen niedrigen Kosten. Übung 1.3 Definieren Sie Globalisierung. Übung 1.4 Erläutern Sie die Kriterien, anhand welcher die Globalisierung beschreiben werden kann. 1.1.2 Internationalisierung: Theorien und Erklärungsansätze Ursachen von Internationalisierungs- und Globalisierungsprozessen Die Ursachen von Internationalisierung und Globalisierung im wirtschaftlichen Bereich sind vielfältig. Keine Ursache kann als die dominierende betrachtet werden, da eine Vielzahl von Impulsen ineinandergreift, die sich gegenseitig bedingen. Zusammenfassend können die folgenden Aspekte als treibende Kräfte von Globalisierungs- und Internationalisierungsprozessen betrachtet werden (Kutschker & Schmid, 2011, S. 182 ff., und Brem, Heyd & Schmeisser, 2015, Vorwort):  die zunehmende Liberalisierung der Märkte, Deregulierung der Waren- und Dienstleistungssowie Geld- und Kapitalströme durch Abkommen wie GATT und die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds sowie Privatisierungen von Staatsmonopolen;  steigende Kooperationstendenzen in Form von Abkommen zwischen Staaten;  steigende Integrationstendenzen in Form von Freihandelszonen, Zollunionen, Gemeinsamem Markt, Wirtschaftsunion und politischen Unionen;  die Öffnung ehemaliger Planwirtschaften wie China;  das Auftreten neuer Wettbewerber auf dem Weltmarkt - dazu zählen südamerikanische ebenso wie asiatische Schwellenländer;  der technologische Fortschritt beispielsweise im Bereich des Transportwesens, der Informations- und Kommunikationstechnologie;  einschneidende politische Umwälzungen, wie das Ende des Eisernen Vorhangs Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre, dieser ebnete erst den Weg für eine freie, weltumspannende Wirtschaftstätigkeit. Ursachen und Gründe für die Internationalisierung von Unternehmungen Die Ursachen und Gründe für die Internationalisierung von Unternehmungen sind vielfältig. Alle eint das Streben nach Wettbewerbsfähigkeit und Wettbewerbsvorteilen, das Unternehmen transnational agieren lässt. Eine Differenzierung nach Motiven, wie sie zum Beispiel von Reinhard Meckl (Meckl, 2010, S. 6 f.) vorgenommen werden, erscheint plausibel. Meckl unterscheidet Market Seekers, Technology and Innovation Seekers, Efficiency Seekers und Natural Ressource Seekers. <?page no="33"?> 34 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit  Market Seekers sind Unternehmungen, die dann nach besseren Absatzmöglichkeiten auf ausländischen Märkten suchen, wenn der Heimatmarkt durch geringe Wachstumsraten, starken Wettbewerb und deshalb durch ein niedriges Preisniveau gekennzeichnet ist.  Technology and Innovation Seekers internationalisieren in Richtung technologie- und innovationsstarke Länder, um von deren Potenzial zu profitieren.  Efficiency Seekers suchen die Effizienzsteigerung im Ausland über den Zugang zu billigeren Produktionsfaktoren und indem sie über Volumeneffekte im Ausland Profitabilitätsbzw. Renditekennzahlen optimieren.  Natural Ressource Seekers suchen nach internationalen Investitionen, um Zugang zu Rohstoffen und Rohprodukten zu erlangen, die für die eigene Produktion benötigt werden. Dunning fügt noch strategische Motive, Strategic (created) asset-seeking hinzu. Diesen liegt der Wunsch zugrunde, sich durch Direktinvestitionen im Ausland in formelle und informelle Netzwerke einklinken zu können (Dunning & Lundan, 2008, S. 72 f.). Für die meisten Unternehmen wird nicht nur eines dieser Motive maßgeblich sein bei der Entscheidung, im Ausland zu investieren. In der Regel sind es mehrere Faktoren, die zusammentreffen und die Auslandsaktivität begründen. Netzwerkeffekt: „Auf Plattformen wirken sich selbst verstärkende Netzwerkeffekte. Das bedeutet: Je mehr Marktteilnehmer sich auf einer Plattform tummeln, desto attraktiver werden sie für andere. Netzwerkeffekte sorgten zum Beispiel dafür, dass Facebook so schnell groß werden konnte. (Schwochow & Ramge, 2016, S. 208) Formen der Internationalisierung Nach Meckl lassen sich drei Hauptformen des Auslandsengagements unterscheiden:  Handelsbeziehungen (zum Beispiel Export/ Import, Transithandel),  Auslandsbeziehungen ohne Kapitalbeteiligungen (zum Beispiel Lizenz, Franchising, internationale Kooperationen) sowie  Kapitalanlagen. Diese lassen sich unterscheiden in Finanzinvestitionen und strategische Investitionen. Strategische Investitionen wiederum können in eigengegründete Auslandsgesellschaften, Akquisitionen (Mehrheitsbeteiligungen), Minderheitsbeteiligungen und Joint Ventures differenziert werden Internationalisierungstheorien Unter Internationalisierungstheorien lassen sich alle Theorien subsumieren, die die Internationalisierung kausal (warum? ), modal (wie? ), temporal (wann? ) und/ oder lokal (wo? ) darzustellen versuchen. Dazu zählen Theorien zur Erklärung des Außenhandels, z. T. unter historischen Gesichtspunkten (zum Beispiel Merkantilismus) oder unter Betrachtung von Kostenvorteilen (Theorie der absoluten Kostenvorteile, Theorie der komparativen Kostenvorteile, Heckscher-Ohlin-Theorem), Theorien zur Erklärung von Direktinvestitionen (zum Beispiel einfache Zinssatztheorie, Währungsraumansatz, technologische Theorien wie Industrie 4.0) sowie Theorien mit einem generellen Erklärungsansatz von Internationalisierung (zum Beispiel Ansätze der Kostendegression, Standortansätze, Internalisierungsansatz). Es fällt auf, dass viele Internationalisierungsstrategien vorrangig die Absatzperspektive von Internationalisierung erklären, aber kaum explizit auf die Gründe eingehen, aus denen ein Unternehmen <?page no="34"?> 1.1 Theoretischer Überblick 35 beschließt, international Rohstoffe, unfertige Erzeugnisse und Fertigprodukte zu beschaffen, um seine Waren dann möglicherweise sogar nur national abzusetzen. Zu den wenigen Ansätzen, die diesen Sachverhalt einbeziehen, gehört der Produktlebenszyklusansatz von Vernon, auf den im Folgenden noch eingegangen wird. Ultra-traditionelle Erklärungsansätze für Außenhandel Betrachtet man die gängigen Theorien des Außenhandels näher, könnte man von Adam Smiths 1776 vorgebrachter Theorie der absoluten Kostenvorteile ausgehen, warum Unternehmen - vor allem im Hinblick auf Beschaffungsstrategien - den Weg der Internationalisierung wählen. Smith sagt, Außenhandel sei auf absolute Kostenvorteile von Ländern zurückzuführen. Jedes Land hat bei bestimmten Produkten absolute Kostenvorteile, bei anderen Produkten absolute Kostennachteile. Zum Außenhandel kommt es dann, wenn die Länder, die bei Produkten absolute Kostenvorteile haben, sich auf deren Produktion spezialisieren, diese Produkte exportieren und im Gegenzug die Produkte importieren, bei denen sie absolute Kostennachteile aufweisen. Dieser Ansatz macht jedoch idealtypische Prämissen, die in der Form in der Realität nicht anzutreffen sind (Broll & Gilroy, 1989). Auch die Idee der relativen Kostenvorteile von David Ricardo , der die Produktivitätsunterschiede von Ländern betont, kann dieses Problem nicht zufriedenstellend lösen, da sie ebenfalls Idealtypen voraussetzt. Dennoch kann die Theorie der komparativen Kostenvorteile in Ansätzen erklären, warum es beispielsweise zur Beschaffung in sogenannten Niedriglohnländern kommt. Ricardo sagt, dass Außenhandel stattfindet, weil Länder sich auf die Produktion des Gutes spezialisieren, bei dem sie relative Kostenvorteile genießen, dieses Gut dann exportieren und umgekehrt das Gut importieren, bei dem sie relative Kostennachteile aufweisen. Jeweils das Land, das für ein Gut relative Kostenvorteile hat, sollte seine Produktion darauf spezialisieren. Wohlstand könne für jedes Land eintreten, wenn zwischen den Ländern mit jeweils vorhandenen komparativen Kostenvorteilen Arbeitsteilung herrscht (Ricardo, 1979). Das Faktorproportionentheorem der schwedischen Wissenschaftler Eli Heckscher und Bertil Ohlin (Heckscher, 1949, S. 272-300) geht weiter, indem es neben dem Produktionsfaktor Arbeit die Produktionsfaktoren Kapital und Boden betrachtet. Außerdem sieht das Theorem weniger die Produktivitätsunterschiede als entscheidend an, sondern vielmehr die Ausstattung mit Produktionsfaktoren , über die unterschiedliche Länder in unterschiedlichem Ausmaß verfügen. Je stärker einer dieser Faktoren in einem Land vorhanden ist, desto geringer sind die Faktorkosten. In Ländern, die übermäßig mit dem Faktor Arbeit ausgestattet sind, ist Arbeit vergleichsweise billig. Ein solches Land hat also komparative Kostenvorteile bei der Produktion von arbeitsintensiven Gütern. Im Vergleich dazu hat ein kapitalreiches Land (Heckscher und Ohlin subsumieren Boden unter Kapital) komparative Kostenvorteile bei der Fertigung kapitalintensiver Güter. Ein Land exportiert dementsprechend das Gut, das auf dem Produktionsfaktor aufbaut, von dem ausgiebig vorhanden ist, und importiert die Güter, dessen zur Fertigung benötigter Produktionsfaktor nicht ausreichend vorhanden ist. Kapitalintensive Güter werden nach dieser Theorie in Industrieländern, arbeitsintensive Güter in Entwicklungs- und Schwellenländern produziert und dementsprechend exportiert bzw. importiert. Die Theorien von Ricardo und Heckscher/ Ohlin haben gemeinsam, dass sie Außenhandel über relative Kostenvorteile erklären. An allen Theorien wird kritisiert, sie seien zu realitätsfern, würden Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Währungsschwankungen und Transportkosten nicht berücksichtigen und ihre Annahmen auf Faktorimmobilität, Gütermobilität sowie einer fixen Ressourcenbzw. Faktorausstattung begründen. Zudem stellte Wassily Leontief in einer kritischen Analyse die Annahmen und Ergebnisse des Faktorproportionentheorems einleuchtend infrage, indem er mit einer Studie nachwies, dass die USA mehr arbeitsintensive Güter als kapitalintensive Güter produzierten (Leontief, 1953, S. 332-349 <?page no="35"?> 36 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit und 1956, S. 386-407) - ein Widerspruch zum Heckscher/ Ohlin-Theorem. Demnach müsse der Faktor Arbeit weiter ausdifferenziert werden, denn auch die Art der Arbeitsleistung, genauer deren Qualität, sei bei einer Betrachtung von Relevanz. Dieses sogenannte Leontief-Paradoxon konnte im Laufe der Zeit von anderen Wirtschaftswissenschaftlern bestätigt werden. Traditionelle Erklärungsansätze für Außenhandel Interessant ist der (Nicht-)Verfügbarkeitsansatz von Kravis, der besagt, dass Länder die Produkte importieren, über die sie selber nicht verfügen (Kravis,1956, S. 143-155). Derartige Produkte sind beispielsweise Mineralien wie „Seltene Erden“, die nur in wenigen Regionen der Welt vorhanden sind. Für z.B. den europäischen Textil- und Bekleidungshandel trifft dieses Argument nicht zu, da die für den innereuropäischen Bekleidungshandel nötigen Produkte durchaus in Europa produziert werden könnten und dies traditionell auch geschah. Auch die Theorie der technologischen Lücke nach Posner (Posner, 1961, S. 323-341) und Hufbauer (Hufbauer, 1966) kann den Außenhandel in der Bekleidungsindustrie nicht erklären. Sie sagen, Außenhandel entwickle sich, wenn Länder nicht den gleichen technologischen Entwicklungsstand haben. Der Export von einem Land A in ein anderes Land B kommt zustande, weil Land A über die bessere Technologie eines Gutes verfügt und bis zu deren Imitation durch Land B einige Zeit verstreichen wird - eine Sachlage, die für den Bekleidungshandel zwischen Asien und Europa nicht zutrifft, denn eine solche Wechselwirkung zwischen beiden Regionen lässt sich historisch nicht nachweisen. Übergreifende Internationalisierungstheorien Eine verhaltenswissenschaftliche Analyse von Internationalisierungsprozessen in Unternehmen liefert die Verhaltenstheorie von Yaid Aharoni (Aharoni, 1966, S. 49-172). Er liefert plausible Erklärungen, die gewiss auf eine Vielzahl von Internationalisierungsentscheidungen von Unternehmungen zutreffen. Sein Fokus liegt zwar auf Direktinvestitionen, Kutschker und Schmid (2011, S. 427) betonen aber, dass die Verhaltenstheorie auch weitere Formen der Internationalisierung erklären kann. Aharoni sagt, dass Entscheidungsprozesse nicht rational sein müssen, Entscheidungen häufig im Kollektiv gefällt werden, diese Kollektive unterschiedliche Zielrichtungen und Interessen haben können und nur über eine beschränkte Informationsaufnahme-, Informationsverarbeitungs- und Problemlösungskapazität verfügen und Entscheidungen weniger aufgrund des Bedürfnisses nach Optimierung, sondern eher aufgrund des Bedürfnisses nach Befriedigung gefällt werden. Zudem sind Unternehmen lernfähig und ändern mit zunehmender Auslandserfahrung auch ihr Investitionsverhalten: Auslandsinvestitionen werden mit wachsender Auslandserfahrung immer selbstverständlicher. Auch wenn an Aharonis Theorie kritisiert wird, sie stelle lediglich dar, wie es zu suboptimalen Entscheidungen kommt, und nicht, wie Auslandsaktivitäten tatsächlich zustande kommen sollten, gelingt es ihm i. d. R., die Realität hinter Unternehmensentscheidungen besser abzubilden. Interessant im Hinblick auf Produktionsverlagerungen ins Ausland ist Raymond Vernons Produkt(lebens-)zyklusansatz, den er 1966 vorstellte (Vernon, 1966, S. 190-207). Darin unterscheidet Vernon zunächst zwischen drei Phasen eines Produkts: 1. dem Stadium des neuen Produkts, 2. dem Stadium des reifenden Produkts und 3. dem Stadium des standardisierten Produkts. Im ersten Stadium wird ein Produkt in dem Land, in dem es entwickelt wird, produziert, in den Markt eingeführt und verkauft. Eine zu Beginn noch unbedeutende Auslandsnachfrage wird über Exporte befriedigt. Der Preis für dieses Produkt ist zu diesem Zeitpunkt noch vergleichsweise hoch, da es anfangs in geringen Stückzahlen zu einem hohen Lohn- und Gehaltsniveau produziert wird. Im Stadium des reifenden Produkts erlaubt eine zunehmende Inlands- und Auslandsnachfrage, größere Stückzahlen zu fertigen. Vernon geht davon aus, dass neue Wettbewerber auf den Markt drängen - vorerst im <?page no="36"?> 1.1 Theoretischer Überblick 37 Inland, später auch im Ausland -, wodurch sich das Unternehmen gezwungen sehen wird, die Preise seines Produkts zu senken. Dies kann durch die Verlagerung an einen günstigeren Produktionsstandort, möglicherweise im Ausland, geschehen. Zu einer solchen Produktionsverschiebung kann es dann kommen, wenn die Kostenunterschiede zwischen Inland und Ausland so groß sind, dass trotz Transportkosten auch ein Reimport attraktiv erscheint. In der Regel wird die Produktion zunächst in andere Industrieländer verschoben. Im dritten und letzten Stadium kommt es zu einem vollkommen standardisierten Produkt, dessen Fertigungsprozesse nahezu vereinheitlicht sind - häufig wird hier schon das Stadium der Massenproduktion erreicht. Um in Masse zu produzieren, sind regelmäßig nur noch wenige hoch qualifizierte, hoch vergütete Arbeitskräfte, stattdessen mehr günstige, niedrig qualifizierte Arbeitskräfte vonnöten. Internationalisierung dient dabei dem Massenabsatz. Da neue Wettbewerber hinzugekommen sind und der Kostendruck steigt, steigt die Notwendigkeit, noch günstiger zu produzieren: Die Produktionsverlagerung in Niedriglohnländer wird zur Ultima Ratio, Produktionsstandorte im Heimatland werden aufgegeben, die Produktion in weiteren Industrieländern reduziert, die produzierten Güter aus den Entwicklungsländern ins Heimatland und weitere Industrieländer exportiert. Relativiert wird dieser Ansatz erst durch die Industrie 4.0, die eine Rückverlagerung der Produktion in die nationalen Heimatländer erlaubt. Vernon betrachtet mit seinem Ansatz nur Direktinvestitionen, was zumindest im Widerspruch zum Heckscher/ Ohlin-Theorem steht, sofern es sich um kapitalintensive Güter handelt. Übung 1.5 Erklären und erläutern Sie die absoluten und die relativen Kostenvorteile von Ländern. Übung 1.6 Erklären Sie das Faktorproportionentheorem der schwedischen Wissenschaftler Eli Heckscher und Bertil Ohlin. Übung 1.7 Beschreiben und erklären Sie die Produktionsverlagerungen von multinationalen Unternehmen ins Ausland nach Raymond Vernons Produkt(lebens-)zyklusansatz. 1.1.3 Internationalisierungsstrategien von „multinationalen Unternehmen“: ein Überblick Unter einer Internationalisierungsstrategie nach Kutschker und Schmid (2011) sowie Porter (1982 und 1984) und Schmeisser et al. (2012) wird das geplante Maßnahmenbündel einer multinationalen Unternehmung sowie das sich plötzlich herausbildende Entscheidungs- und Handlungsmuster verstanden, auf deren Basis eine multinationale Unternehmung ihre Internationalisierungspolitik betreibt. Zu den fünf Grunddimensionen der Internationalisierungsstrategien gehören:  die Markteintrittsbzw. Marktbearbeitungsstrategie,  die Zielmarktstrategie,  die Timingstrategie und  die Allokationsstrategie (Grundarten: Konfigurations- und Leistungsstrategie). Export, Lizenzierung, Franchising, Vertragsfertigung, Joint Ventures, strategische Allianzen, Tochtergesellschaften, Fusionen oder Minderheitsbeteiligungen können Markteintritts- und Marktbearbeitungsstrategien darstellen. Zu den Zielmarktstrategien zählen die Strategien der Marktpräsenz, der Marktselektion und der Marktsegmentierung. Ihnen liegen Entscheidungen hinsichtlich der anvisierten Zielmärkte zugrunde. Timingstrategien fokussieren auf den optimalen Zeitpunkt von <?page no="37"?> 38 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Markteintritten auf länderspezifischer oder länderübergreifender Ebene. Die Konfigurationsstrategie ist eine Strategie, die im Hinblick auf die geografische Verteilung von Wertschöpfungsaktivitäten angewendet wird. In der Autoindustrie werden verschiedene Aktivitäten der Leistungserstellung in unterschiedlichen Ländern durchgeführt. Zu ihr zählt beispielsweise die Koordinationsstrategie, bei der die optimale wechselseitige Abstimmung zwischen einzelnen Unternehmenseinheiten (zum Beispiel innerhalb von Konzernen) berücksichtigt wird. Die Leistungsstrategien betrachten die Tatsache, dass Unternehmen ihre Leistungen weltweit identisch, also standardisiert, oder weltweit differenziert anbieten können. 1.1.4 Wettbewerbsfähigkeit: Wertschöpfung und Wertschöpfungskette Wertschöpfung Unternehmen schöpfen Wert, indem die ihnen zugeordneten technischen Einheiten Güter mit den Werteigenschaften hervorbringen, die eine Befriedigung der Bedürfnisse von Abnehmern bewirken (Large, 1995, S. 10). Zur Deckung menschlicher Bedarfe ist ein Leistungsprozess notwendig, dem die Transformation von Rohstoffen in Produkte zugrunde liegt. Dieser Prozess läuft zumeist auf mehreren Stufen ab und wird in der Regel von unterschiedlichen Wirtschaftseinheiten durchgeführt. Jede dieser Stufen - bis auf die erste, die als Urproduktionsbzw. Gewinnungsstufe bezeichnet wird - übernimmt von der ihr vorgelagerten Stufe Produkte und gestaltet diese um, verarbeitet oder veredelt diese. Das so transformierte Produkt wird dadurch stets mit einem höheren Wert an die nachgelagerte Stufe weitergegeben (Haller, 1997, S. 30). Auf volkswirtschaftlicher Ebene wird die Wertschöpfung eines Unternehmens als dessen Beitrag zum im Inland entstandenen Volkseinkommen bzw. Inlandsprodukt bezeichnet. Als Wertschöpfung im engeren betriebswirtschaftlichen Sinne gilt die Summe der Roherträge, verringert um die zugekauften Vorleistungen. Sie entspricht der Differenz zwischen den Einstandspreisen aller extern eingekauften Leistungen (fremderstellte Güter und Dienste) und den Verkaufserlösen aller eigenen Marktleistungen (Güter und Dienste, die aus diesen Vorleistungen und eigenen Leistungen zusammengesetzt sind). Als Vorleistungen gelten die Güter (Waren und Dienstleistungen), die Wirtschaftseinheiten von anderen Wirtschaftseinheiten bezogen und im Berichtszeitraum im Zuge der Produktion verbraucht haben. Leistungswirtschaftlich bzw. realgüterwirtschaftlich ist die Wertschöpfung die Summe des in einer Periode hinzugefügten Produktionsbeitrags und der von anderen Unternehmen empfangenen Vorleistungen. Die Wertschöpfung ist also die Differenz des gesamten Produktionswerts und der empfangenen Vorleistungen. Für die Bruttowertschöpfung heißt das vereinfacht (Coenenberg, Haller & Schultze, 2012, S. 1170): Bruttowertschöpfung = Umsatz - Materialaufwand Die Wertschöpfung deckt damit den Faktoreinsatz und den Gewinn ab. Auf makroökonomischer Ebene ist sie eine Nettoerfolgsgröße, wenn man Erfolg als Gegenwert für das Ergebnis des Leistungsgeschehens definiert. Nach der traditionellen Deutung wird der Ausdruck Wertschöpfung als quantitativer ökonomischer Begriff genutzt, der eben diesen Wertzuwachs bezeichnet, der durch die beschriebenen ökonomischen Aktivitäten geschaffen wird. Haller betont, dass Wertschöpfung nicht den Werterstellungsprozess bezeichnet, sondern für das Ergebnis des Leistungsprozesses, den geschaffenen Wertzuwachs, steht. Wert ist dabei stets ein subjektiv empfundener Mehrwert, der sich durch einen höheren Grad der Brauchbarkeit bzw. Wertschätzung des Outputs im Vergleich zum Input ergibt. Die Bewertung des Mehrwerts als solche erfolgt in einer marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft in <?page no="38"?> 1.1 Theoretischer Überblick 39 Form der Preiskalkulation mit einem Marktwert. Doch auch dieser Marktwert ist keine objektive Größe, sondern ergibt sich aus der gefühlten Bedürfnisbefriedigung des Kunden. Die betriebliche Wertschöpfung wird mit der Wertschöpfungsrechnung ermittelt. Es ist zwischen der Entstehungsrechnung (auch reale oder Subtraktionsmethode) und der Verteilungsrechnung (auch personale oder Additionsmethode) zu unterscheiden (Tab. 1.1) (Schmeisser, 2008, S. 126). Tab. 1.1: Vereinfachte Darstellung von Entstehungs- und Verteilungsrechnung (in Anlehnung an Coenenberg et al., 2012, S. 1172 f.) Die Entstehungsrechnung ermöglicht einen Blick auf die betriebswirtschaftliche Wertschöpfung, wogegen die Verteilungsrechnung einen breiteren Blick auf die an ihrer Erzeugung beteiligten Anspruchsgruppen ermöglicht. Möchte man die Wertschöpfung praktisch ermitteln, bietet sich die Entstehungsrechnung eher an als die Verteilungsrechnung, da mit ihrer Hilfe das Zustandekommen der Wertschöpfung deutlicher wird. Das Ergebnis beider Berechnungswege ist die Nettowertschöpfung (Schmeisser, 2008, S. 126 f.). Die Wertschöpfungsquote gibt Auskunft über den Anteil der Wertschöpfung an der Gesamtleistung des Unternehmens und lässt somit Rückschlüsse auf Fertigungstiefe, vertikale Integration und die Outsourcingstrategie des Unternehmens zu. Sie berechnet sich folgendermaßen: Wertschöpfungskette (in Prozent) = Wertschöpfung x 100 Gesamtleistung oder Umsatz Haller (1997, S. 298) weist darauf hin, dass der bisher beschriebene, traditionell interpretierte Begriff der Wertschöpfung ausschließlich bis Ende der 1970er-Jahre genutzt wurde. Seit den Siebzigern kam noch eine „moderne“ Deutungsweise hinzu, die stark von der traditionellen Deutungsweise abweicht. Diese geht auf die in den USA entstandenen strategischen und operativen Managementkonzepte zurück, die zwar auch einen aus der betrieblichen Tätigkeit entstehenden Mehrwert erfassen, doch diesen ausschließlich als Wertmehrungsfaktor für die Eigenkapitalgeber definieren. Zweck dieses „Wertschöpfungsmanagements“ (engl. „Value Added Management“) ist die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen, wie die Senkung der Stückkosten und/ oder unterschiedliche Differenzie- <?page no="39"?> 40 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit rungsformen, durch die Steigerung des Unternehmensmarktwerts (Rappaport, 1986). In diesem Sinne ist auch Michael E. Porters Wertkettenansatz (1984) zu verstehen. Hätte, Hätte, Wertschöpfungskett e. Unternehmen verbrauchen Ressourcen, wenn Sie Werte schaffen. Im Idealfall kommt Gewinn am Ende dabei heraus. Die Ansammlung von Tätigkeiten in einem Unternehmen kann mit Hilfe der Wertschöpfungskette systematisch erfasst werden. Mit Hilfe von Wertkettenanalysen können Prozesse optimiert und Wettbewerbsorteile geschärft werden (Schwochow & Ramge, 2016, S. 56). Wertschöpfung in der Supply Chain: Supply Chain Management Die exakte Übersetzung für Supply Chain nach Porter ist Lieferkette oder Wertkette, gängiger aber ist Wertschöpfungskette. Die Wertschöpfungskette umfasst alle an der Entwicklung, Erstellung, Lieferung und Entsorgung eines Produkts beteiligten Akteure, von den Rohstofflieferanten bis hin zu den Endabnehmern. Die Idee der Kette, engl. Chain, wird in der Literatur auf den Begriff des Netzwerks ausgeweitet (Schmeisser et al., 2014, drittes Kapitel). An der Erstellung einer Unternehmensleistung ist also ein Netzwerk weiterer Unternehmen beteiligt, von der Rohstofflieferung und -verarbeitung hin zum Verkauf an den Endkunden. Der Begriff Supply steht dabei für die übergeordnete Funktion der Belieferung des Endkunden. Mit der Größe eines solchen Netzwerks von miteinander verbunden agierenden Unternehmen wächst auch die Notwendigkeit der Koordination dieses komplexen Systems. Naim, Disney und Towill konnten nachweisen, dass mit zunehmender Zahl an Akteuren die Fähigkeit dieses Netzwerks, optimale Koordinationsabläufe aufrechtzuerhalten, überproportional sinkt (Naim, Disney & Towill, 2004, S. 123 f.). Die Beherrschung und Gestaltung der „Belieferungskette“ bzw. des „Belieferungsnetzwerks“ unter Wertschöpfungsgesichtspunkten sind die maßgeblichen Aufgaben der Beteiligten, denn sie begründen einen eigenen thematischen Bereich der strategischen Unternehmensführung: Supply Chain Management. Das Supply Chain Management hat zwar seine Wurzeln im Logistikmanagement, geht aber in seinen Ansätzen über ein bloßes Streben nach den klassischen Logistikzielen, wie der Reduzierung von Durchlaufzeiten (Lead Times), Bestandsverringerung und der Erhöhung der Liefertreue (Corsten & Gössinger, 2008, S. 107), hinaus. Dem Supply Chain Management ist die engere Ausrichtung an den Bedürfnissen des Endkunden eigen. Unter dem Management einer Supply Chain versteht man also „… die unternehmensübergreifende Koordination und Optimierung der Material-, Informations- und Wertflüsse über den gesamten Wertschöpfungsprozess […] mit dem Ziel, den Gesamtprozess unter Berücksichtigung der Kundenbedürfnisse sowohl zeitals auch kostenoptimal zu gestalten“ (Arndt, 2013, S. 47). Ziel der Supply Chain ist zum einen das Schaffen von Kundennutzen unter Berücksichtigung von Kosten und Gewinn, zum anderen wird die Integration der Wertschöpfungsprozesse und damit einhergehend die Verbesserung der Wettbewerbsposition aller in der Supply Chain integrierten Parteien angestrebt (Kummer, Grün & Jammernegg, 2013, S. 67). Nicht allein entscheidend, aber mitentscheidend für ein wertschöpfungsorientiertes Supply Chain Management ist dabei die Kostenoptimierung/ -senkung über alle Wertschöpfungsstufen der internationalen Supply Chain. Wie von Porter angeführt, sind die Konzepte der Supply Chain und der Wertschöpfungskette miteinander verwandt (Porter & Miller, 1985, S. 149 ff.) und können insofern zusammengefügt werden, wobei eine Wertkette nicht auf eine einzelne Unternehmung beschränkt bleiben muss. Stattdessen können die Wertketten miteinander verschränkt, also der gesamte Wertschöpfungsprozess, zum <?page no="40"?> 1.1 Theoretischer Überblick 41 Beispiel in einer Supply Chain, erfasst werden (Porter, 2010, S. 60). Der Unterschied zwischen beiden Konzepten liegt darin, dass die Supply Chain Versorgungs- und Verfügbarkeitsaspekte betrachtet, die Wertkette es dagegen ermöglicht, Chancen und Risiken für Nutzen- und Wertsteigerung ins Auge zu fassen (Klaus, 1998, S. 444.) Wettbewerbsvorteile und Wertschöpfung nach Porter Porter unterscheidet zwei Grundtypen von Wettbewerbsvorteilen für Unternehmen einer Branche:  Kostenvorteil und  Differenzierung. Davon abgeleitet ergeben sich nach Porter drei Strategietypen im Wettbewerb:  Kostenführerschaft,  Differenzierung und  Konzentration auf Schwerpunkte. Der Kostenführer strebt an, der kostengünstigste Hersteller einer Branche zu sein, indem er alle Quellen für mögliche Kostenvorteile aufspürt und nutzt. Der Differenzierungsfaktor darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, da bei ungenügender Differenzierung sich auch eine noch so gute Kostenposition - widergespiegelt in zum Wettbewerber vergleichsweise niedrigen Preisen - aufhebt. Das Unternehmen, das auf die Strategie der Differenzierung setzt, wird sich mit der Betonung exklusiver Merkmale seines Produkts behaupten wollen und kann durch hohe Qualität und Spezialisierung höhere Preise als Mitbewerber der gleichen Branche erzielen. Bei der dritten Strategie, der Konzentrationsstrategie, sind zwei Varianten zu unterscheiden: die Variante des Kostenschwerpunkts und die Variante des Differenzierungsschwerpunkts. Abhängig vom gewählten Zielsegment nutzt das Unternehmen den Kostenschwerpunkt, bei dem es sich durch ein anderes Kostenverhalten von den Wettbewerbern unterscheidet, oder den Differenzierungsschwerpunkt, bei dem das Unternehmen andere spezielle Käuferbedürfnisse in anderen Segmenten als die Wettbewerber nutzt. Der die Umwelt betonende Industrial-Organization-Ansatz von Porter und anderen Autoren wird jedoch kritisiert: Es könne Unternehmen durchaus gelingen, sowohl Kostenführerschaft als auch Differenzierung umzusetzen, sie entscheiden sich für die Umsetzung beider Strategien (Kutschker & Schmid, 2011, S. 841). Porter wiederum kritisiert am gängigen Wertschöpfungsmodell, dass die Wertschöpfung potenziell kostensenkende oder differenzierungssteigernde Verbindungen zwischen Unternehmen und ihren Lieferanten außer Acht lasse. Da aber eben diese Betrachtungsweise für die multinationale Unternehmung von großer Bedeutung ist, wird im Folgenden auf die Wertkettenlehre von Porter näher eingegangen, bevor später ein Blick auf die Wertkette durch Industrie 4.0 geworfen wird. Wertkette nach Porter Als Wertkette, Wertschöpfungskette oder Value Chain bezeichnet man ein von Porter in den 1980er- Jahren maßgeblich gestaltetes Instrument, mit dem der Prozess der betrieblichen Leistungserstellung bei einem Unternehmen strukturiert werden kann ( Abb. 1 . 1). <?page no="41"?> 42 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Abb. 1.1: Wertkette nach Porter (in Anlehnung an Porter, 2010, S. 64) Porter bietet die Idee der Wertkette als analytisches Instrument an, um die Ursachen von Wettbewerbsvorteilen zu untersuchen. Er gliedert die Wertkette eines Unternehmens in „… strategisch relevante Tätigkeiten, um dadurch Kostenverhalten sowie vorhandene und potentielle Differenzierungsquellen zu verstehen“ (Porter, 2010, S. 63). Jede einzelne strategische Tätigkeit kann die relative Kostenposition eines Unternehmens positiv beeinflussen und eine Differenzierungsbasis schaffen, um dem Unternehmen damit einen Wettbewerbsvorteil auf Basis von Kosten oder Differenzierung zu ermöglichen. Die Wertkette eines Unternehmens nach Porter ist in ein Wertsystem, einen breiten Strom von Tätigkeiten, eingebettet. Zu diesem Strom können die Wertketten von Lieferanten ebenso wie die Wertketten von Vertriebskanälen und Abnehmern gezählt werden. Das Potenzial von Wettbewerbsvorteilen liegt darin, dass sich die Wertkette eines jeden branchenspezifischen Unternehmens von der seines Konkurrenten unterscheidet. Die Wertkette zeigt den Gesamtwert einer Unternehmensleistung. Sie setzt sich zusammen aus Wertaktivitäten und der Gewinnspanne. Die Gewinnspanne ist die Differenz zwischen Gesamtwert und Summe der Kosten, die bei der betrieblichen Leistungserstellung entstehen. Stets bei der Kostenermittlung einzubeziehen sind auch die Gewinnspannen der Wertketten von Lieferanten oder anderer an der Leistungserstellung beteiligter Unternehmen, da diese Gewinnspannen einen Teil der Gesamtkosten darstellen, die der Abnehmer in Form des Endpreises übernehmen wird. Porter beschreibt neun miteinander verbundene Grundtypen von Tätigkeiten, die er als die Bausteine bezeichnet, aus denen ein Unternehmen das für den Abnehmer wertvolle Produkt erschafft. Dabei unterscheidet er primäre und unterstützende Aktivitäten. Primäre Aktivitäten sind die Schlüsselaktivitäten in den Kernprozessen, die bei der Leistungserstellung von Produkten und Dienstleistungen ausgeführt werden. Porter zählt dazu Eingangslogistik, Operationen, Marketing und Vertrieb, Ausgangslogistik und den Kundendienst. Die unterstützenden Tätigkeiten, also die Unternehmensinfrastruktur, Personalwirtschaft, Technologieentwicklung und Beschaffung, dienen der Aufrechterhaltung der primären Aktivitäten. Je nach Unternehmenstyp ergeben sich unterschiedliche Kern- und Nebenprozesse. Jede dieser Wertaktivitäten setzt zu ihrer Funktionserfüllung gekaufte Inputs, Ressourcen in Form von Arbeitskräften und Management sowie Technologie ein. Sowohl die einem Unternehmen vorgelagerten als auch nachgelagerten Akteure, wie Lieferanten und Abnehmer, haben Wertketten. Das Produkt eines Unternehmens stellt in der Kette des Abnehmers den gekauften Input dar (Porter, 2010, S. 93). <?page no="42"?> 1.1 Theoretischer Überblick 43 Die Wertkette ermöglicht eine genaue Analyse, wie einzelne Wertaktivitäten eines Unternehmens zusammenwirken, und dient als Basis für eine genaue Bestimmung von Wettbewerbsvorteilen und die Entscheidung für eine Strategie zu ihrer Umsetzung. Wettbewerbs- und Wertschöpfungsstrategien Wertschöpfungsstrategien als Teilfunktion des strategischen Managements sind all jene Strategien, die hinsichtlich Veränderungen in den Schwerpunkten der Wertschöpfung von Unternehmen angewendet werden. Zu unterscheiden sind:  Horizontale Wertschöpfungsstrategien: Dazu zählen Variationen in der Produkt-Markt- Matrix nach Ansoff. Demnach fließen in die strategischen Überlegungen die Abwägungen von Risiken und Chancen ein, ob und wie bestehende Märkte oder neue Märkte mit jeweils bestehenden oder neuen Produkten bearbeitet werden können/ sollen.  Vertikale Wertschöpfungsstrategien: Diese Strategien werden hinsichtlich der vertikalen Integration dem Unternehmen vor- und nachgelagerter Wertschöpfungsstufen angewendet. Ob ein Unternehmen im Vergleich zu seinen Mitbewerbern kostengünstig oder kostenintensiv arbeitet, hängt davon ab, in welchem Modus es die einzelnen Aktivitäten der Wertkette ausführt. Jede Wertaktivität, auch eine unterstützende, kann für den Wettbewerbsvorteil entscheidend sein. Besonders interessant ist das Potenzial, das dabei in der Integration bzw. Desintegration von originär vorgelagerten oder nachgelagerten, aufeinander abgestimmten Wertketten und deren strategischen Aktivitäten liegt. Dies gelingt zum Beispiel mittels Koalitionen mit an der Leistungserstellung beteiligten Unternehmen, wie Lieferanten, oder der kompletten Integration von Tätigkeiten, wie der Eigenproduktion oder dem Absatz. Im Rahmen von Lieferantenkoalitionen können die Wertkette des Unternehmens und die Wertkette des Lieferanten so aufeinander abgestimmt werden, dass eine Win-Win-Situation entsteht (Porter, 2010, S. 87). Einen entscheidenden Einfluss auf den Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens stellt das Wettbewerbsfeld dar, in das die unternehmerische Wertkette eingebettet ist und welches den Aufbau und die wirtschaftlichen Grundregeln der Wertkette prägt:  Segmentfeld: Marktsegment, also Produktvarianten und Abnehmer;  Integrationsgrad: Make-or-Buy-Entscheidungen;  geografisches Feld: Spektrum von Regionen, Ländern oder Ländergruppen, in denen sich das Unternehmen am Wettbewerb beteiligt;  Branchenfeld: benachbarte Branchen, in denen sich ein Unternehmen am Wettbewerb beteiligt. Entscheidet sich ein Unternehmen für die Wettbewerbsstrategie des Kostenvorsprungs, muss es sich mit dem Kostenverhalten seiner Wertaktivitäten auseinandersetzen. Dieses Kostenverhalten hängt laut Porter von einer Reihe von auch gleichzeitig kostenwirksamen Strukturfaktoren ab, die er als Kostenantriebskräfte bezeichnet. Dazu zählt, neben größenbedingten Kostendegressionen oder -progressionen und dem Grad der vertikalen Integration, auch die Frage des Standorts. Für Porter ist der geografische Standort einer Wertaktivität eine eigene Kostenantriebskraft, die das Kostenverhalten von Wertaktivitäten bestimmt. Demzufolge zählt auch die Entscheidung für einen bestimmten geografischen Standort einer Wertaktivität zur Strategie des Kostenvorsprungs und beeinflusst die Kosten auf unterschiedliche Art und Weise. <?page no="43"?> 44 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Anhand eines Beispiels aus der Bekleidungsindustrie wird auf die in der Bekleidungswirtschaft häufig genutzten Wettbewerbs- und Wertschöpfungsstrategien der Vertikalisierung, der Lieferantenverknüpfung und der Standortwahl näher eingegangen. 1.1.5 Zu den Begriffen Niedriglohn, Niedriglohnsegment, Niedriglohnland / Low-Cost Country Niedriglohn Als Lohn wird gemeinhin der (finanzielle) Ausgleich, das Entgelt für erbrachte Leistungen eines in einem Dienstverhältnis stehenden Arbeiters bezeichnet. Entlohnt wird der Faktor Arbeit, der aus betriebswirtschaftlicher Sicht ein Wirtschaftsgut darstellt, das bei der Leistungserstellung (Produktion) eingesetzt wird. Lohnkosten sind Teil der Fertigungseinzelkosten. Diese wiederum werden den Fertigungsgesamtkosten zugerechnet. Fertigungskosten sind Teil der Herstellkosten. Als Herstellkosten werden jene Kosten verstanden, die bei der Herstellung oder beim Erwerb eines Gutes anfallen. Hilfslöhne, die für Reinigungskräfte anfallen, also Tätigkeiten, die wenig direkt mit der Fertigung des Gutes zu tun haben, fallen unter Gemeinkosten. Ein Lohn wird dann als Niedriglohn bezeichnet, wenn er trotz Vollzeitbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht zur Existenzsicherung ausreicht. Der Niedriglohn kommt damit der Armutsgrenze nahe, die nach deutschem Verständnis auf Sozialhilfeniveau liegt (Schäfer, 2000, S. 77). Der Begriff Niedriglohn auf globaler, volkswirtschaftlicher Ebene umschreibt ein mit entwickelten Volkswirtschaften verglichen geringes Lohnniveau eines Beschaffungsbzw. Exportlandes (Krugman & Obstfeld, 2006, S. 351). Niedriglohnsegment Unter einem Segment wird allgemein ein Bereich verstanden, der sich aufgrund seiner ihm eigenen Charakteristika und Eigenschaften von anderen Bereichen unterscheidet. In der Betriebswirtschaft wird der Begriff besonders mit der betrieblichen Funktion des Marketings verbunden und findet sich in den Konzepten des „Marktsegments“ und der „Marktsegmentierung“ wieder. Versteht man unter dem Niedriglohnsegment einen niedrig preisorientierten Beschaffungsmarkt, bedeutet dies im Falle des Faktors Arbeit, dass dieser dort zu niedrigen Preisen beschafft wird. Darüber hinaus können auf niedrig preisorientierten Beschaffungsmärkten zu niedrigen Kosten produzierte Güter als Handelsgüter zu niedrigen Preisen eingekauft werden. Hier bezeichnet Segment in Verbindung mit dem Begriff Niedriglohn ganz abstrakt einen Teilbereich der Arbeitsentgeltpolitik von Arbeitsmärkten, der von den Charakteristika des Niedriglohns geprägt ist und sich dadurch von anderen Arbeitsentgelt-Varianten unterscheidet. Niedriglohnland respektive Low-Cost Country In Abgrenzung zu Niedriglohnsektor wird der Begriff Niedriglohnland in der deutschen, mit seinem englischen Äquivalent Low-Wage Country auch in den internationalen Wirtschaftswissenschaften genutzt. Der Begriff Niedriglohnland hat inzwischen eine eher populärwissenschaftliche Konnotation, da die negativen Seiten dieser Beschaffungsstrategie durch die häufige Nutzung im außerwissenschaftlichen Bereich, durch kritische Berichterstattung in den Medien und durch das Engagement von Nichtregierungsorganisationen (NGOs ) Eingang in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gehalten haben. Unter einem „niedrigen Lohn“ ist in Deutschland jedoch etwas anderes zu verstehen als in den bekannten Niedriglohnländern, denn ein im Vergleich zu europäischen Volkswirtschaften niedriges Lohnniveau muss theoretisch in den infrage kommenden „Niedriglohnländern“ nicht automatisch „niedrige Entlohnung“ bedeuten - in der Praxis liegen die Löhne in den <?page no="44"?> 1.1 Theoretischer Überblick 45 Ländern mit den niedrigsten Löhnen weltweit aber auch dort unter einem existenzsichernden Niveau. Der Begriff „Niedriglohnland“ impliziert darüber hinaus im Vergleich zu entwickelten Volkswirtschaften niedrige Standards im gesamten Bereich des Arbeitsumfelds: Eine geringe Arbeitssicherheit, geringer Gesundheits- und Umweltschutz, unzumutbare Arbeitszeiten, der Einsatz von Kinderarbeit, sexuelle Diskriminierung, hauptsächlich von Frauen oder die fehlenden Organisationsmöglichkeiten von Arbeitnehmern in Gewerkschaften werden mit Niedriglohnländern in Verbindung gebracht. Dass dies nicht zu Unrecht geschieht, davon zeugen nicht nur handfeste Belege von NGOs wie T RANSPARENCY I NTERNATIONAL oder A TTAC . Im Englischen werden die Begriffe Low- Wage Country oder Low-Cost Country verwendet, wobei die Betonung bei Ersterem auf der Lohnstruktur, bei Letzterem auf den Faktorkosten, wie Materialkosten, Arbeit, Anlagevermögen etc., liegt. Hier wird der Terminus Low-Cost Country genutzt, da das damit zusammenhängende Beschaffungskonzept des Low-Cost Country Sourcings in die deutschsprachige Literatur Einzug gehalten hat. In der internationalen Literatur wird ein Land, in dem der durchschnittliche Stundenlohn weniger als 10 USD (entspricht ca. 8 Euro) (Rinn & Zollenkop, 2009, S. 355), in anderen Quellen weniger als 7 USD (entspricht ca. 5 Euro) beträgt (Javaheri, 2009, S. 4), als Low-Cost Country bezeichnet. Köhler weitet den Begriff des Low-Cost Country noch über den Kostenaspekt hinaus auf Länder aus, die in der Lage sind, die Nachfrage aus einem Hochkostenland zu erfüllen, weil sie die nötige Qualität und Technologie bieten können (Köhler, 2011, S. 62). Die Differenz zwischen den Arbeitskosten in Deutschland sowie anderen europäischen Ländern und den Arbeitskosten in Osteuropa und Asien ist enorm. So betrugen die Arbeitskosten in China und Indien im Jahr 2005 nur zwischen 2,6 und 3,7 Prozent der deutschen Arbeitskosten. Die Arbeitskosten in Tschechien und Polen betrugen immer noch nur zwischen rund 9 und 12 Prozent der deutschen Arbeitskosten (Kerkhoff, 2005, S. 72). Der Begriff Low-Cost Country bezieht sich auf Exportländer, die zumeist von armen Volkswirtschaften - Schwellen- und Entwicklungsländern - vertreten werden. Einen solchen Zusammenhang zwischen Entwicklungsstufe und Bruttonationaleinkommen stellt die W ELTBANK her. Sie teilt Volkswirtschaften mit mehr als 30 000 Einwohnern - insgesamt 214 Länder - in Länder mit geringem, unterem mittlerem, oberem mittlerem und hohem Bruttonationaleinkommen ein. Zudem unterscheidet sie nach Entwicklungsstand des Landes in entwickelte Länder und Entwicklungsländer, wobei Länder mit einem hohen Bruttonationaleinkommen zu den entwickelten Ländern gezählt werden (Weltbank, 2014). In der Regel sind sogenannte Low-Cost Countries also Entwicklungsländer. Sie haben zumeist auf jedem Gebiet vergleichsweise niedrige Preise vorzuweisen. Das hat zur Folge, dass auch Gemeinkosten, also Kosten für Verwaltung, Material, Betriebs- und Hilfsstoffe sowie unechte Gemeinkosten (für Energie und weitere Ressourcen) in der Kostenträgerrechnung bzw. Deckungsbeitragsrechnung in diesen Ländern - im Vergleich zum Mutterland des Unternehmens - sehr niedrig sind. Zu den klassischen Low-Cost Countries zählen u. a. Vietnam, Malaysia, Indonesien, Indien, Bangladesch, Mexiko, Brasilien, Venezuela, Bolivien, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Ukraine, Marokko und Tunesien. Zu den Volkswirtschaften mit einem ebenfalls vergleichsweise niedrigen Lohnniveau, das aber höher ist als das Lohnniveau reiner Low-Cost Countries, zählen Länder wie Polen und Tschechien. Indem Unternehmen Teile ihrer Wertschöpfungsaktivitäten in Niedriglohnländer verlagern, können sie die Kosten dieser Aktivitäten bemerkenswert reduzieren und dadurch ebenfalls Wettbewerbsvorteile generieren. Dies geschieht zum Beispiel durch die Gründung von Tochtergesellschaften und ausländischen Kapitalbeteiligungen (Joint Ventures), Direktinvestitionen oder durch spezifische Beschaffungsaktivitäten. Wertschöpfung und Produktion sind heute in weltweiten Lieferketten verbunden. Verteilung der Wertschöpfung in Prozent am Beispiel des iPhones: <?page no="45"?> 46 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Materialkosten iPhone 21,9 Profite Südkorea 4,7 Personalkosten China 1,8 Profite Japan 0,5 Profite USA (nicht Apple) 2,4 Profite Taiwan 0,5 Profite Apple 58,5 Profite EU 1,1 Personalkosten außerhalb Chinas 3,5 Profite von unbekannt 5,3 (Schwochow & Ramge, 2016, S. 111) Zusammenfassung Globalisierung und Internationalisierung sind historisch gesehen ein uraltes Phänomen in Gestalt des Kolonialismus und mindestens 12.000 Jahre alt und älter. Historisch bekannte Phänomene zu Zeiten der alten Ägypter sind der Bernsteinhandel von der Ostsee bis zum Alten Ägypten, die Entwicklung des Mittelmeerhandels durch die Phönizier, der Handel entlang der Seidenstraße von China durch Asien bis Europa. Die Hanse und der Handel der Fugger sind in Deutschland sehr bekannt. Historisch z. B. vernachlässigt wird bis heute der Handel in Indien, China, Afrika sowie Arabien mit Sklaven, Gold, Elfenbein und Piraterie oder der Handel der Inka in Südamerika. Die Industrialisierung von England wird erkauft durch den Handel mittels 50 Kolonien, wie Indien, Kanada, Australien, Südafrika usw. Der Brexit ist eine romantische Vorstellung der Engländer, dass es ihnen wieder so gut gehe wie im viktorianischen Zeitalter, da ihnen als Weltmacht ⅓ der Welt gehörte und sie das Sagen hatten. Globalisierung als neuer „historischer“ Begriff ist gemäß dieser Sichtweise nur die Verlängerung der Kolonialisierung seit mindestens 12.000 Jahren in allen Erdteilen der Welt. Unter Internationalisierungstheorien lassen sich alle Theorien subsumieren, die die Internationalisierung kausal (warum? ), modal (wie? ), temporal (wann? ) und/ oder lokal (wo? ) darzustellen versuchen. Dazu zählen Theorien zur Erklärung des Außenhandels, z. T. unter tendenziell betriebswirtschaftlichen und historischen Gesichtspunkten (zum Beispiel Merkantilismus) oder unter Betrachtung von Kostenvorteilen (Theorie der absoluten Kostenvorteile, Theorie der komparativen Kostenvorteile, Heckscher-Ohlin-Theorem), Theorien zur Erklärung von Direktinvestitionen (zum Beispiel einfache Zinssatztheorie, Währungsraumansatz, technogische Theorien wie Industrie 4.0) sowie Theorien mit einem generellen Erklärungsansatz von Internationalisierung (zum Beispiel Ansätze der Kostendegression, Standortansätze, Internalisierungsansatz). Es fällt auf, dass viele Internationalisierungsstrategien vorrangig die Absatzperspektive von Internationalisierung erklären, aber kaum explizit auf die Gründe eingehen, aus denen ein Unternehmen beschließt, international Rohstoffe, unfertige Erzeugnisse und Fertigprodukte zu beschaffen, um seine Waren dann möglicherweise sogar nur national abzusetzen. Zu den wenigen Ansätzen, die diesen Sachverhalt einbeziehen, gehört der Produktlebenszyklusansatz von Vernon. <?page no="46"?> 1.2 Fertigung, Beschaffung und Sourcing multinationaler Unternehmen 47 Als Wertkette, Wertschöpfungskette oder Value Chain bezeichnet man ein von Porter in den 1980er-Jahren maßgeblich gestaltetes Instrument, mit dem der Prozess der betrieblichen Leistungserstellung bei einem Unternehmen strukturiert werden kann. Porter bietet die Idee der Wertkette als analytisches Instrument an, um die Ursachen von Wettbewerbsvorteilen zu untersuchen. Er gliedert die Wertkette eines Unternehmens in „… strategisch relevante Tätigkeiten, um dadurch Kostenverhalten sowie vorhandene und potentielle Differenzierungsquellen zu verstehen“ (Porter, 2010, S. 63). Das Supply Chain Management hat zwar seine Wurzeln im Logistikmanagement, geht aber in seinen Ansätzen über ein bloßes Streben nach den klassischen Logistikzielen, wie der Reduzierung von Durchlaufzeiten (Lead Times), Bestandsverringerung und der Erhöhung der Liefertreue, hinaus. Dem Supply Chain Management eigen ist die engere Ausrichtung an den Bedürfnissen des Endkunden. Unter dem Management einer Supply Chain versteht man also die unternehmensübergreifende Koordination und Optimierung der Material-, Informations- und Wertflüsse über den gesamten Wertschöpfungsprozess mit dem Ziel, den Gesamtprozess unter Berücksichtigung der Kundenbedürfnisse sowohl zeitals auch kostenoptimal zu gestalten. Porter unterscheidet zwei Grundtypen von Wettbewerbsvorteilen für Unternehmen einer Branche:  Kostenvorteil und  Differenzierung. Davon abgeleitet ergeben sich nach Porter drei Strategietypen im Wettbewerb:  Kostenführerschaft,  Differenzierung und  Konzentration auf Schwerpunkte. Der Begriff Low-Cost Country bezieht sich auf Exportländer, die zumeist von armen Volkswirtschaften - Schwellen- und Entwicklungsländern - vertreten werden. Einen solchen Zusammenhang zwischen Entwicklungsstufe und Bruttonationaleinkommen stellt die Weltbank her. Sie teilt Volkswirtschaften mit mehr als 30.000 Einwohnern - insgesamt 214 Länder - in Länder mit geringem, unterem mittlerem, oberem mittlerem und hohem Bruttonationaleinkommen ein. 1.2 Fertigung, Beschaffung und Sourcing multinationaler Unternehmen Nach Durcharbeiten dieses Abschnitts  haben Sie gelernt, wie es zu einer Entscheidung zwischen Make or Buy kommen kann,  beherrschen Sie Begriffe wie Fertigungstiefe, Sourcing inkl. Erscheinungsformen etc.,  wissen Sie, wann es sich lohnt, Global Sourcing zu betreiben,  haben Sie sich zudem mit den Risiken von Global Sourcing auseinandergesetzt. <?page no="47"?> 48 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit 1.2.1 Make or Buy - Eigenfertigung oder Fremdbezug Je nach Produktionsobjekt geht der Entscheidung zur Beschaffung in der Regel die Frage nach Eigenfertigung oder Fremdbezug - Make or Buy? - voraus. Nicht nur Unternehmen, zu deren Leistungserstellung die Produktion von Sachgütern oder Konsumgütern gehört, sind auf eine Arbeitsteilung bei der Wertschöpfung angewiesen. Auch in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Materialwirtschaft/ Logistik oder Vertrieb und Verwaltung kann die Entscheidung zwischen Eigenfertigung und Fremdbezug von Relevanz sein. Erfolgt die Leistungserstellung im Unternehmen auf Basis extern beschaffter Rohstoffe oder Fertigungsteile, liegt eine Make-Entscheidung vor. Sollen fertige Produkte beschafft werden, wird die Frage mit „Fremdbezug“ beantwortet - in diesem Fall kommt es zum Outsourcing. Im weiteren Sinne können jedoch an jeder Entscheidung der Unternehmenstätigkeit strategische Überlegungen angestellt werden, zukünftig Eigen- oder Fremdfertigung durchzuführen bzw. durchführen zu lassen, zum Beispiel beim Auslaufen von Lieferverträgen, bei einer Änderung der Kosten von Eigenfertigung bzw. Fremdbezug oder bei veränderten Qualitäts- und Flexibilitätsanforderungen (Kummer et al., 2013, S. 153). Die Überlegung, ob und wie eine Tätigkeit der Leistungserstellung integriert oder ausgelagert wird, ist außerdem eng mit den damit verbundenen Kostenvorteilen verbunden. Sie ist beispielsweise davon abhängig, ob die interne oder die externe Bereitstellung von Vorprodukten kostengünstiger ist, was mittels Grenzkosten, Opportunitätskosten und Vollkosten und der sich daraus ergebenden kritischen Mengen berechnet wird (Knolmayer, 2007, S. 4). Als weitere Entscheidungsinstrumente dienen die Break-Even-Analyse, die klassische Investitionsrechnung, das Make-or-Buy-Portfolio, Nutzwertanalysen und Checklisten. Entscheidungskriterien können daneben auch die Unternehmensstrategie, die gewünschte Autonomie, ein ausreichendes Lieferangebot und die Höhe und Regelmäßigkeit des Bedarfs sein (Kummer et al., S. 153). Es stehen verschiedene Strategien zur Wahl:  die Eigen- oder Lohnfertigung im Inland,  die Eigenfertigung im Ausland,  der Zukauf (Vollimporte) oder  die Lohnfertigung im Ausland sowie  die passive Lohnveredelung als Sonderform Die Vertragsfertigung oder Lohnfertigung, auch „verlängerte Werkbank“, ist eine Markteintrittsbzw. Marktbearbeitungsstrategie, in deren Rahmen eine inländische Unternehmung per Vertrag genau definierte Fertigungsstufen, wie Vorproduktion, Endproduktion, Veredelung oder Komplettproduktion, auf eine rechtlich selbstständige ausländische Unternehmung überträgt. Sie betrifft primär die Wertschöpfungsbereiche Beschaffung und Produktion. Zu unterscheiden sind die Vorproduktion im Ausland, die Endproduktion im Ausland, die Veredelung im Ausland und die Komplettproduktion im Ausland. Eine Eigenerstellung ist zum Beispiel dann sinnvoll, wenn das Unternehmen ausreichende Kapazitäten und das nötige Know-how aufweist, um kosteneffizienter und - abhängig vom Bedürfnis des Zielkunden - schneller und/ oder qualitativ hochwertiger zu produzieren (Merkel, Breuer, Eltze & Kerner, 2008, S. 35). Unternehmen ziehen unter Umständen den Fremdbezug vor, weil ihr Kapital dann nicht in zusätzlichem Anlagevermögen gebunden ist und Aufwendungen für Bau und Unterhalt von Fabriken und die Anschaffung von Maschinen wegfallen. Darüber hinaus entstehen so keine weiteren Fixkosten und auch Lohnkosten können auf diese Weise umgangen werden. Für die Fertigung benötigte Lizenzen und Zertifikate müssen nicht vom Unternehmen erworben werden, denn im Fall des Fremdbezugs fällt auch diese Aufgabe an den Dienstleister vor Ort. Zudem kann der Fremdbezug durch auf Economies of Scale oder Economies of Scope beruhenden Kostenvorteilen gekennzeichnet sein (Baumol, Panzar & Willig, 1982, S. 67 ff.). <?page no="48"?> 1.2 Fertigung, Beschaffung und Sourcing multinationaler Unternehmen 49 Unabhängig davon, ob sich Unternehmen für oder gegen die Eigenfertigung entscheiden - sie können vom niedrigen Lohnniveau profitieren, wenn sie ihre Produktionsstandorte in sogenannte Niedriglohnländer verlagern. Charakteristisch ist, dass gerade die Fertigungskosten in Low-Cost Countries niedriger sind. Bekleidungsunternehmer lagern daher die Fertigung mitunter aus und beauftragen damit eine Manufaktur. Im Fast-Fashion-Bereich, der auf kurze Durchlaufzeiten setzt, kann dennoch die Eigenfertigung sinnvoll sein, wenn damit die Nähe zu den Absatzmärkten größer ist. 1.2.2 Fertigungstiefe Eine mit dem Wertschöpfungs- und dem Make-or-Buy-Konzept verwandte Größe ist die Fertigungstiefe, für die auch der Begriff der „Wertschöpfungstiefe“ gebraucht wird. Sie zeigt sich als Ergebnis von Make-or-Buy-Entscheidungen, indem sie den Anteil der Gesamtleistung eines Unternehmens darstellt, der von diesem zur Leistungserstellung erbracht wird. Sie sagt also aus, wie hoch der Anteil eines Unternehmens an der für ein Endprodukt insgesamt notwendigen Wertschöpfung im Produktionsprozess ist. Die Fertigungstiefe oder auch Wertschöpfungsquote wird folgendermaßen berechne Fertigungstiefe (in Prozent) = Eigenfertigung ⋅ 100 gesamte Fertigung = Eigenfertigung ⋅ 100 Eigenfertigung + Fremdbezug Ein Unternehmen weist also dann eine Fertigungstiefe von 0 Prozent auf, wenn es keine Produktion durchführt, sondern nur Handel betreibt. Ein Unternehmen mit einer sehr hohen Fertigungstiefe fertigt möglicherweise sämtliche Fertigungskomponenten und verarbeitet Rohstoffe direkt weiter. Die Fertigungstiefe gibt also Aufschluss über den Grad des Outsourcings eines Unternehmens. 1.2.3 Einkauf, Beschaffung und Sourcing Unbestritten ist, dass Einkauf (engl. purchasing), Beschaffung (engl. procurement), Sourcing und das Supply Chain Management betriebswirtschaftliche Funktionen innerhalb eines Unternehmens sind. Über die genaue Definition dieser Begriffe, deren Anwendung sowie deren Abgrenzung untereinander ist man sich in der Fachliteratur uneinig. Am ehesten herrscht Konsens darüber, dass der Einkauf eine operative Funktion darstellt (zum Beispiel bei Lockström, 2007, S. 11, und Arnolds, Heege, Röh & Tussing, 2013, S. 2) und dem Bereich der Beschaffung zugeordnet werden kann, wogegen das Beschaffungsmanagement übergeordnet, breiter gefächert und taktischer Natur ist. Sourcing und Supply Chain Management werden dagegen dem strategischen Bereich zugeordnet. Beschaffung Das Beschaffungsmanagement dient wie andere betriebswirtschaftliche Aufgaben der Erfüllung der Wertschöpfung. Nach Arnold zählen zur Beschaffung „… sämtliche unternehmensund/ oder marktbezogenen Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, einem Unternehmen die benötigten, aber nicht selbst hergestellten Objekte verfügbar zu machen“ (Arnold, 1997, S. 3). Für Porter liegt in der genauen Betrachtung der Beschaffungsmodi das Potenzial, Kostenpositionen und damit indirekt Wertaktivitäten positiv zu beeinflussen. So kann ein Unternehmen seine Kostenposition verbessern, indem es Inputs in genau der Qualität kauft, die seinen Anforderungen entspricht, diese aber nicht unnötig übersteigt. Auch die Verhandlungsstärke gegenüber den Lieferanten, die Wahl geeigneter Lieferanten sowie deren Kostensteuerung durch eine intensive Zusammenarbeit kann die Kosten- <?page no="49"?> 50 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit position eines Unternehmens im Bereich der Beschaffungsaktivitäten deutlich verbessern (Porter, 2010, S. 81 f. und S. 150 f.). Beschaffungsbzw. Sourcing-Konzepte stellen im Supply Chain Management einen Teilaspekt dar, neben Bereichen wie Prozessmanagement, zwischenbetrieblicher Kooperation oder dem Logistikmanagement (Corsten & Gössinger, 2008, S. 115). Dementsprechend gilt das strategische Beschaffen als eine kritische Größe im gesamten Supply Chain- und Wertschöpfungsmanagement, das über Erfolg und Misserfolg einer Unternehmung entscheiden kann. Zu den Beschaffungsobjekten zählen Produktionsmaterial, Betriebsstoffe, Investitionsgüter und Dienstleistungen. Ein Handelsunternehmen hat keinen Bedarf an Produktionsmaterial, im Zentrum der Beschaffung stehen die Handelswaren. Handelswaren sind Güter, die bezogen und ohne weitere Bearbeitung weiterveräußert werden. In der deutschsprachigen und der englischsprachigen Literatur werden die Begriffe Sourcing und Beschaffung (bzw. engl. Procurement) nicht synonym verwendet. Sourcing wird überwiegend synonym mit „Beschaffungsmarketing“, also einem Teilbereich des Beschaffungsmanagements, gebraucht, wodurch es der umfänglichen Bedeutung jedoch nicht gerecht wird. Deshalb wird hier der Verständlichkeit halber der Begriff Sourcing verwendet, da dieser Wortbestandteil die Beschaffungsstrategie des Low-Cost Country Sourcings beinhaltet. Sourcing Sourcing steht für den Prozess, die für die eigentliche Unternehmensleistung benötigten Vorleistungen zielgerichtet und unter unternehmensstrategischen Gesichtspunkten zu beschaffen. Das strategische Sourcing kann als kleinstes Element der Beschaffungs- und Supply-Strategie angesehen werden (Eßig, Hoffmann & Stölzle, 2013, S. 108). Mitunter wird auch der Einkauf als Sourcing bezeichnet. Eine exakte Trennung der Begriffe Beschaffung, Einkauf und Sourcing gelingt in der Fachliteratur nicht. Deshalb werden die Begrifflichkeiten in diesem Abschnitt sinnähnlich verwendet: Beschaffung und Einkauf sind auch Sourcing, denn Sourcing wird als Teilbereich des Beschaffungsmanagements verstanden. Die wichtigste Aufgabe des Sourcings im klassischen Sinne ist die „Suche, Bewertung und Selektion von Beschaffungsquellen“ (Ahlert et al., 2009, S. 745). Das Sourcing verfolgt drei entscheidende Ziele:  kundengerichtete Ziele: Dazu zählt alles, was die Versorgung der Kunden sicherstellt, denn deren Anspruchsniveau ist im Vergleich zu vor 50 Jahren enorm gestiegen.  lieferantengerichtete Ziele: Sie zielen auf die Verbesserung der Konditionen durch stabile Lieferantenbeziehungen über Mengeneffekte und eine Vertrauensbasis zwischen Unternehmen und Lieferanten ab.  wettbewerbsgerichtete Ziele: Sie haben den Wettbewerber im Blick und laufen auf deren Ausgrenzung mittels Ausschließlichkeitsverträgen hinaus. Es gibt in Theorie und Praxis eine Vielzahl von Sourcing-Konzepten, bei denen unter anderem nach Trägern der Wertschöpfung (Eigenfertigung oder Fremdbezug), Art der Bereitstellung (Zeitkonzepte: stock sourcing, demand-tailored sourcing, just-in-time), Anzahl der Bezugsquellen (Lieferantenkonzepte wie single oder multiple sourcing), Größe des Marktraums (Arealkonzepte: local sourcing, domestic sourcing, global sourcing) oder nach Sourcing-Objekt (unit sourcing, modular sourcing, system sourcing) unterschieden wird (Abb. 1.2). Hier sind es vor allem die Arealkonzepte, die einer näheren Betrachtung bedürfen. Nachdem einige der relevanten Erscheinungsformen des Sourcings näher erläutert werden, wird der Fokus auf dem Konzept des Global Sourcings und seiner Unterform Low-Cost Country Sourcing liegen (Abschnitt 2.5). Die einzelnen Sourcing-Konzepte <?page no="50"?> 1.2 Fertigung, Beschaffung und Sourcing multinationaler Unternehmen 51 finden häufig kombiniert Anwendung, beispielsweise wenn diverse Sourcing-Objekte global über eine Vielzahl von Lieferanten beschafft werden. Abb. 1.2: Eine Auswahl von Konzepten und Klassifizierungsformen des Sourcings. Weitere, hier nicht aufgezählte Möglichkeiten der Klassifizierung werden durch die leeren Kästen angedeutet (in Anlehnung an die Sourcing-Konzepte von Arnold, 2002, S. 93 ff.) 1.2.4 Erscheinungsformen des Sourcings Direktes und indirektes Sourcing Beim direkten Sourcing sind im Sourcing-Prozess keine Mittler in Form von Agenturen oder einheimischen Unternehmen zwischengeschaltet, während dies beim indirekten Sourcing der Fall ist. Diese Spezialisten übernehmen für die Unternehmen eine ganze Palette von Aufgaben, die die Unternehmen selber nicht leisten wollen. Dazu zählen alle operativen Aufgaben, wie die Auswahl von Rohmaterialien, die Koordination von Zulieferern bis hin zu Verpackung und Versand des Endprodukts (Ferny & Perry, 2011, S. 281). Sofern das Unternehmen die Kontrolle über die Beschaffung von Rohmaterialien behalten möchte, wird es die Beschaffung direkt organisieren und direkt mit Zulieferern verhandeln. Die Vorteile sind u. a. Einsparungen durch das Umgehen der Agenten (deren Marge oft 4-10 Prozent des Einkaufsvolumens beträgt) (Merkel et al., 2008, S. 38) und eine bessere Kontrolle über die Auswahl des Rohmaterials, die Produktion und die Fertigungszeit (Ferny & Perry, 2011, S. 281). Die jeweiligen Vor- und Nachteile liegen auf der Hand: Ist eine dritte Stelle zwischengeschaltet, fallen weitere Kosten an, außerdem gibt das Unternehmen die absolute Kontrolle des Fertigungs- und Logistikprozesses ab. Der Vorteil ist, dass derartige Mittler aufgrund langjähriger Erfahrung häufig einen besseren Zugang zu Beschaffungsmärkten haben. Beim direkten Sourcing dagegen kann das Unternehmen direkten Einfluss auf die Wertschöpfungskette nehmen und weitere Wertschöpfungspotenziale generieren. Andererseits ist der Aufwand für das Management eines <?page no="51"?> 52 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Wertschöpfungsprozesses im fernen Ausland viel höher, wodurch auch die damit verbundenen Kosten höher ausfallen (Ahlert et al., 2009, S. 761). Single und Multiple Sourcing Hinter Multiple Sourcing steht eine möglichst große Auswahl von Lieferanten, mit dem Hintergedanken, den Wettbewerb zwischen ihnen zu steigern. Dieser Wettbewerbsdruck hat nicht nur positive Auswirkungen auf deren Qualität, sondern auch auf den Preis, den diese dem Auftraggeber anbieten können. Der Ausfall eines Lieferanten lässt sich zudem gut kompensieren, wenn noch weitere Lieferanten zur Wahl stehen. Single Sourcing steht demzufolge für die Beauftragung nur eines Lieferanten, was den Nachteil einer hohen Abhängigkeit hat. Dennoch kann auch diese Zusammenarbeit Preis- und Qualitätsvorteile mit sich bringen, wenn das auftraggebende Unternehmen die Leistungsfähigkeit dieses einen Lieferanten gezielt fördert, etwa durch Trainings und Investitionen in dessen Fertigungstechnologie. Zudem sind die Koordinationskosten beim Single Sourcing niedriger als beim Multiple Sourcing (Knolmayer, 2007, S. 18). Outsourcing und Offshoring Die Begriffe Outsourcing und Offshoring werden zum Teil fälschlicherweise synonym verwendet, wenn unter beidem die Auslagerung von industriellen Produktionsprozessen an externe Dienstleister an ökonomisch günstigeren Standorten, zum Beispiel in Länder mit einem niedrigeren Lohnniveau, verstanden wird. „Outsourcing“ ist ein Kunstwort, das aus den Bestandteilen outside und resourcing geschaffen wurde. Es bedeutet demnach „Nutzen externer Ressourcen“. Beim Outsourcing werden Dienstleistungen, Produktion und Herstellung aus dem Unternehmen an ein Fremdunternehmen ausgelagert. So können sich Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und dabei Kosten für Betriebsprozesse sparen, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Dabei findet sich in der Wissenschaft die Ansicht, dass im strengen Sinne kein Unternehmen von sich behaupten kann, outzusourcen, wenn es die jeweilige Leistung in der Vergangenheit nie selbst erbracht hat - dass also nicht outgesourct werden kann, was nicht vorher schon eine unternehmensinterne Leistung war (Hermes & Schwarz, 2005, S. 15, sowie Kummer et al., 2013, S. 152). Kummer et al. relativieren diese Aussage jedoch für den Fall der Erstentscheidung: Dies trifft auf (Handels-)Unternehmen zu, die sich von Beginn an darauf festgelegt haben, eigengefertigte oder fremdbezogene Ware zu veräußern, sich also schon zu Beginn der Unternehmenstätigkeit für oder gegen Outsourcing entschieden haben. Unternehmen, die aus Kostengründen ins Ausland outsourcen, stammen in der Regel aus wirtschaftlich hoch entwickelten Industrieländern und outsourcen in Entwicklungsländer, sofern dort die infrastrukturellen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sowie das Lohnniveau aus Sicht des Unternehmens günstig sind. Der Grad des Outsourcings hängt davon ab, wie viel Kontrolle über einzelne Produktionsprozesse das Unternehmen abgeben möchte. Die Abgrenzung von Outsourcing und Offshoring gestaltet sich schwierig, da dies nicht einmal in der Fachliteratur zweifelsfrei gelingt. So impliziert der häufig verwendete Begriff Offshore Outsourcing zwar eine länderübergreifende Spezialform des Outsourcings. Offshoring wird aber teilweise synonym mit Outsourcing verwendet. In einigen Veröffentlichungen wird Outsourcing, in anderen Offshoring, als eine rein IT-spezifische Strategie angesehen. Kutschker und Schmid verstehen unter Offshoring das länderübergreifende Outsourcing, in dessen Rahmen eine internationale Unternehmung einzelne Unternehmensfunktionen von einer ausländischen Unternehmung oder Unternehmenstochter ausführen lässt (Kutschker & Schmid, 2011, S. 1453). Diese Unternehmen können Zulieferbetriebe sein oder immaterielle Dienstleistungen erbringen. Michael Brandau und Heinz-Werner Ufer definieren Offshoring noch etwas enger, indem sie die Verlagerung in Niedriglohnländer betonen (Brandau & Ufer, 2008, S. 371). Jahns, Hartmann und Bals betonen aber, dass Offshoring <?page no="52"?> 1.2 Fertigung, Beschaffung und Sourcing multinationaler Unternehmen 53 keineswegs ein Synonym von Outsourcing ist, und definieren es damit so, wie es auch im englischsprachigen Raum üblich ist: Im Rahmen von Make-or-Buy-Entscheidungen repräsentiert Outsourcing die Buy-Alternative und Offshoring sowohl Buyals auch Make-Entscheidung (Jahns, Hartmann & Bals, 2007, S. 201). Offshoring kann also auch auf eine innerhalb des Unternehmens durchgeführte Dienstleistung, etwa durch eine Tochtergesellschaft, angewendet werden. Gemeinsam haben Outsourcing und Offshoring das Hauptmotiv: die Suche nach kostengünstigen Ressourcen für die betriebliche Leistungserstellung im Ausland. Global Sourcing und Low-Cost Country Sourcing Nach Zentes, Swoboda und Morschett (2004, S. 179) kann dann von Global Sourcing gesprochen werden, wenn die strategische Unternehmensaufgabe der Beschaffung innerhalb eines internationalen Handlungsrahmens stattfindet. Demnach ist dies eine Strategie, die durch die Ausdehnung auf weltweite Beschaffungsquellen gekennzeichnet ist. Weigel und Rücker bezeichnen den globalen Einkauf als Global Sourcing (Weigel & Rücker, 2013, S. 67). Nach Kerkhoff ist unter Global Sourcing „die Ausrichtung der Beschaffungsaktivitäten von Unternehmen an den weltweit vorhandenen Beschaffungsquellen“ zu verstehen (Kerkhoff, 2005, S. 35). Low-Cost Country Sourcing ist eine Form des Global Sourcings und bezeichnet die Beschaffung von Rohwaren oder fertigen Handelsgütern aus Ländern mit einem geringen Lohnniveau - gemeinhin Niedriglohnländer - mit dem Ziel, durch die Nutzung von Kostenvorteilen Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Je intensiver der Wettbewerb, je wichtiger der Faktor Kosten im Rahmen der Wettbewerbsstrategie des Unternehmens und je arbeitsintensiver das zu beschaffende Rohprodukt, desto wahrscheinlicher wird Low-Cost Country Sourcing notwendig. Legt man Porters Verständnis von Sourcing zugrunde, also die Entscheidung für einen bestimmten geografischen Standort einer Wertaktivität, liegt das Low-Cost Country Sourcing nahe. Die Beschaffung von Investitionsgütern, Waren und Dienstleistungen in Niedriglohnländern ist eine entscheidende Strategie in Zeiten abgebauter Handelsschranken und findet in sämtlichen Industrie- und Handelszweigen Anwendung, die von einer arbeits- und lohnintensiven Produktion abhängen. Bewertungskriterien bei der Entscheidung für Global Sourcing, speziell Low-Cost Country Sourcing, sind etwa zwischen Ländern bestehende Faktorkostenunterschiede oder die entstehenden Logistikkosten, Steuern und Zölle (Wildemann, 2006, S. 256). Die Konzepte des Global Sourcings und des Low-Cost Country Sourcings stehen nicht im Widerspruch zu einer Make-Entscheidung im Rahmen der Frage Eigenfertigung oder Fremdbezug. Denn auch innerhalb der unternehmenseigenen Fertigung kann es zum Global Sourcing bestimmter Fertigungskomponenten kommen. 1.2.5 Global Sourcing und Low-Cost Country Sourcing - eine genauere Analyse Motive für Global Sourcing Es ist eine Vielzahl von Faktoren, die Unternehmen dazu bewegt, Sourcing im weltweiten Ausland zu betreiben. Gründe für Sourcingmaßnahmen im Ausland sind etwa die Nähe zu den potenziellen Wachstumsmärkten in Entwicklungs- und Schwellenländern und damit einhergehend die Möglichkeit, neue Beschaffungsmärkte und/ oder neue Absatzmärkte zu erschließen. So kann durch vorbereitendes Absatzmarketing das Potenzial von Beschaffungsmärkten als zukünftige Absatzmärkte ausgelotet werden (Arnolds et al., 2013, S. 377). Zudem verfügen Unternehmen auf weltweiten Beschaffungsmärkten über eine sehr gute Verhandlungsposition, da die eingebundenen Zulieferer <?page no="53"?> 54 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit wissen, dass der Bedarf von Unternehmen unter Umständen auch durch andere Anbieter in anderen Ländern gedeckt werden könnte. Durch eine globale Streuung von Lieferanten kann darüber hinaus eine bessere Wertschöpfung entlang der Supply Chain erfolgen, da das Unternehmen aus einem größeren Pool von leistungsbereiten Lieferanten wählen kann. Wenn die internationalen Beschaffungsländer eine Tradition in der Fertigung bestimmter Güter haben, wie China in der Seidenproduktion, lohnt sich eine Fertigung im Ausland. Dann spricht die besonders herausragende Materialqualität auf bestimmten Beschaffungsmärkten für ein Global Sourcing. Ganze Beschaffungsregionen sind hinsichtlich Know-how und Qualität inzwischen Vorreiter in der Fertigung bestimmter Güter, wie Asien für die Elektronik- und Computerindustrie (Weigel & Rücker, 2013, S. 67). Viele Unternehmen versprechen sich zudem einen besseren Zugang zu innovativen Techniken und Technologien im Bereich der Fertigung und Entwicklung, wie ihn beispielsweise der asiatische Raum für die Elektrotechnik bieten kann. Auch der Zugang zu neuen Rohstoffmärkten und -quellen ist ein entscheidender Grund für die Auslandsbeschaffung. In einigen Fällen, wie im Fall der Seltenen Erden, kann der Bedarf an Rohstoffen ausschließlich durch internationale Beschaffung gedeckt werden. Außerdem schreitet der Ausbau der nötigen Infrastruktur mit wachsender Wirtschaftsstärke in Schwellenländern voran - die Rahmenbedingungen für Unternehmen werden also immer attraktiver. Viele Unternehmen lockt auch die Tatsache, dass gesetzliche Einschränkungen wie die Einhaltung von Gesundheits- und Umweltstandards in den Industrieländern durch das Sourcing im Ausland möglicherweise wegfallen. So bestehen in Entwicklungs- und Schwellenländern andere rechtliche Rahmenbedingungen im Bereich des Arbeitsrechts: Arbeitszeiten, Krankheitsfälle, Urlaubszeiten werden weniger restriktiv gehandhabt als in Industrieländern (Knolmayer, 2007, S. 9). Ebenso locken staatliche Subventionen Unternehmen in bestimmte Beschaffungsregionen. Lieferanten, die von derartigen Subventionen profitieren, können den beauftragenden Unternehmen Konditionen unter Marktniveau anbieten (Weigel & Rücker, 2013, S. 69). Insbesondere mittels Low-Cost Country Sourcing beziehen Unternehmen einen hohen Anteil der externen Wertschöpfung aus Ländern mit niedrigem (Lohn-)Kostenniveau, um damit eine hohe Kostenersparnis zu erzielen (Weigel & Rücker, 2013, S. 67). Wildemann führt als Hauptgrund für Beschaffungs- und Sourcingmaßnahmen in Low-Cost Countries die Realisierung von Einsparungen durch die Nutzung bestehender Faktorkostenunterschiede an (Wildemann, 2006, S. 254). Auch Ferny und Perry identifizieren den Kostenfaktor, insbesondere den der Lohnkosten, als einen der Haupttreiber für das Global Sourcing in der Textil- und Bekleidungsindustrie - die Lohnnebenkosten, aber auch die Kosten für Rohmaterialien sind in den Industrieländern deutlich höher als in Low-Cost Countries (Ferny & Perry, 2011, S. 281, und Weigel & Rücker, 2013, S. 67). Beschaffungsmarkt- und Lieferantenwahl beim Global Sourcing - Kriterien und Prämissen Für das Auslandsengagement ist eine Vielzahl von Standortfaktoren zu bewerten. Wenn Unternehmen sich für die Strategie des Global Sourcings entschieden haben, werden sie intensiv prüfen, ob sowohl Beschaffungsmarkt als auch potenzielle Lieferanten oder Dienstleister die nötigen Rahmenbedingungen erfüllen, um infrage zu kommen. Gerade weil, wie oben ausgeführt, eines der wichtigsten Motive des Global Sourcings die Kostenreduktion ist, muss ausgelotet werden, ob die Charakteristika des favorisierten Beschaffungsmarkts und die Arbeitsweise des Lieferanten wirklich zu Kosteneinsparungen führen. Unter Umständen fallen schlussendlich sogar höhere Kosten an, als wenn im nahen Ausland oder gar im Inland beschafft worden wäre. <?page no="54"?> 1.2 Fertigung, Beschaffung und Sourcing multinationaler Unternehmen 55 Beschaffungsmärkte Zunächst müssen Unternehmen prüfen, ob die avisierten Beschaffungsländer oder -regionen die rechtlichen Rahmenbedingen erfüllen, die notwendige Infrastruktur und die nötige technologische Reife bieten, geringe Eintrittsbarrieren aufweisen und einen niedrigen Korruptionsgrad haben. Ein entsprechendes Bildungsniveau und die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften, qualifiziert vor allem auf der Ebene des Führungspersonals und des Fabrikmanagements, sind ebenfalls wichtig. Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen zählen mögliche staatliche Subventionen, Local-Content- Vorschriften, Zölle, Steuern sowie weitere Ex- und Importbestimmungen. Neben den genannten allgemeinen Größen müssen Unternehmen abwägen, ob die Versorgungssicherheit für Rohstoffe, Energie oder Fertigungsmaterialien gewährleistet ist. Dies hängt ab von Faktoren wie politischen Gegebenheiten, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder ökologischen Restriktionen. Ein wichtiger Faktor, hauptsächlich bei der Auswahl von Low-Cost Countries, sind die Kosten. Dazu zählen die Fertigungskosten im Land. Hinzu kommen Kosten für den Transport von Rohstoffen zu den Beschaffungsmärkten und fertigen Waren zu den Absatzmärkten. Gerade im Hinblick auf die Transportkosten ist es von Vorteil, wenn die Rohstoffmärkte in der Nähe von Produktionsstätten liegen, um hierbei zu sparen und um die Lieferzeiten so gering wie möglich zu halten. Zu bedenken ist, dass Global Sourcing eine stete Präsenz vor Ort erfordert, die durch externe Agenten oder interne Unternehmensbüros gewährleistet werden muss. Die Transaktionskosten für die aufwendige Verwaltung der Auslandsaktivität fallen dabei nicht unerheblich ins Gewicht. Sie können einen Großteil der Kostenvorteile, die durch die Wahl des Low-Cost Country erzielt wurden, eliminieren. Auch die Lieferzeit von fertiger Ware zu den Absatzmärkten muss verhältnismäßig gering sein. Zudem müssen die Transportmöglichkeiten in einem idealen Verhältnis zu Aufwand und Kosten stehen. Zu beachten ist auch, dass, je weiter der Produktionsort vom Absatzmarkt entfernt ist, es umso schwieriger wird, noch Spezifikationen am Sortiment vorzunehmen. Gewagt werden sollte der Blick in die zukünftige Entwicklung von Beschaffungsländern: Sind die ausgewählten Beschaffungsländer in einigen Jahren immer noch attraktiv genug oder ist dann mit deutlich veränderten Rahmenbedingungen zu rechnen? Der demografische Wandel wird beispielsweise China immer unattraktiver machen, da die Ein-Kind-Politik zu einer immer älter werdenden Gesellschaft führt und dadurch auf lange Sicht nicht mehr genug Arbeitskräfte zur Verfügung stehen werden. Ohnehin ist China nicht mehr das attraktivste Land für die Fremdproduktion. Zum einen sind die Löhne im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern gestiegen, zum anderen findet seit einiger Zeit ein immer härter werdender Kampf um Fertigungskapazitäten statt, was die Preise der Produzenten in die Höhe treibt. Des Weiteren steigen die Produktionskosten in den Ländern in die Höhe, die sich mit zunehmender Auftragslage und daraus wachsendem Druck der Auftraggeber gezwungen sehen, soziale und Umweltstandards einzuhalten - was auf China inzwischen zutrifft. Auf rein operativer Ebene müssen ebenfalls mögliche Hürden benannt werden: Lassen sich auf dem favorisierten Beschaffungsmarkt überhaupt die benötigten Stückzahlen beziehen? China beispielsweise ist dafür bekannt, nur großvolumige Aufträge umsetzen zu können. Ferner muss die Produktivität in Betracht gezogen werden, denn sie unterscheidet sich zwischen einzelnen Ländern deutlich. So ist die Produktivität in China deutlich höher als in Bangladesch, da die chinesischen Fabriken besser ausgebildete Mitarbeiter und leistungsfähigere Maschinen haben. Um eine Entscheidung über Ort und Art der Beschaffungsquellen treffen zu können, muss also eine Fülle von Faktoren - parallel - analysiert werden. Hat sich ein Unternehmen schließlich für eine Beschaffungsregion entschieden, bedürfen die potenziell infrage kommenden Zulieferer einer genaueren Betrachtung. <?page no="55"?> 56 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Lieferanten Entscheidet sich das Unternehmen, eigens entwickelte Produkte im Ausland fertigen zu lassen oder fremdentworfene Produkte zu beziehen, also einen Zulieferbetrieb zu engagieren, müssen diese Zulieferer einige für eine effektive und effiziente Zusammenarbeit notwendige Rahmenbedingungen erfüllen. Diese müssen nicht nur bei der Vertragsanbahnung geprüft, sondern fortwährend kontrolliert werden. Diverse Kriterien werden - neben Solvenz und Liquidität des Betriebs - dabei abgefragt. Ein entscheidender Punkt ist die Zuverlässigkeit des Zulieferbetriebs, insbesondere im Hinblick auf Lieferzeiten, Liefermengen, Lieferpreise, Lieferqualität und die Umsetzung aller anderen vertragsrelevanten Themen. Von Gewicht ist dabei auch, wie flexibel der Betrieb bei (kurzfristigen) Produkt- und Mengenänderungen reagieren kann. Von Vorteil ist es, wenn der Betrieb bereits über Kontakte zu Rohstofflieferanten verfügt. Des Weiteren ist, sofern möglich, das Geschäftsgebaren zu durchleuchten, denn dieses kann sich in anderen Kulturkreisen von dem in Industrieländern stark unterscheiden, zum Beispiel wenn es um die Rechtsauslegung in Streitfällen oder etwaiges Unrechtsbewusstsein bei (Kommunikations-)Mängeln geht. Zulieferbetriebe und Auftragsproduzenten sollten über ausreichend reife Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit, also eine geeignete Personalaufstellung wie ausgebildete Führungskräfte und ein starkes, stabiles Management verfügen. Die Angestellten müssen neben den Fertigkeiten des Lesens und Schreibens ebenso die Finanzmathematik beherrschen. Auch die Mitarbeiter in der Produktion müssen die notwendige Fachbildung vorweisen. Zu hinterfragen ist, ob der Auftragsproduzent über Kontakte zu Rohstofflieferanten verfügt, ob er Erfahrungen in der Fertigung der in Auftrag gegebenen Produkte vorweisen kann und ob er über die dafür notwendige technische Ausstattung verfügt. Es liegt auf der Hand, dass für eine gute Zusammenarbeit die Qualität der produzierten Waren ausschlaggebend ist. Das heißt, die Fertigungsqualität des Produktionsbetriebs muss den Ansprüchen des Auftraggebers genügen. Die Qualität der Ware spielt eine wesentliche Rolle, wenn über die Verlagerung in Niedriglohnländer nachgedacht wird: Ist sie zu niedrig, können Lohnkostenvorteile durch nötige Ausbesserungen und Retouren überkompensiert werden. Da viele Unternehmen in Industrieländern an freiwillige und gesetzlich vorgegebene Umweltstandards, Compliance- und Verhaltenskodizes sowie an spezielle Corporate-Social-Responsibility (CSR)-Maßgaben gebunden sind, zum Beispiel in Bezug auf Umweltverträglichkeit und Arbeitsbedingungen, müssen etwaige Lieferanten in der Lage sein, diese Vorgaben im Sinne des Unternehmens umzusetzen. Außerdem ist zu klären, wie gut der Lieferant zu erreichen ist und wie effektiv sich der Transport der fertigen Waren vom Lieferanten zum Auftraggeber organisieren lässt. Weitere Prämissen Für die erfolgreiche Umsetzung einer Global-Sourcing-Strategie müssen auch seitens der beauftragenden Unternehmen einige Grundvoraussetzungen erfüllt werden, darunter die folgenden: Das Unternehmen sollte eine gewisse Mindestgröße vorweisen, um nötige Marktforschungs- und Implementierungsaktivitäten vor Ort finanziell bewältigen sowie die nötige datentechnische Infrastruktur über Ländergrenzen hinweg auf- oder ausbauen zu können. Zudem sind die Kosten durch Reisen und die nötige Reisezeit ungleich höher, als wenn ein lokales oder regionales Unternehmen beauftragt würde. Das Unternehmen sollte Erfahrungen in der internationalen Beschaffungsorganisation haben und über Mitarbeiter verfügen, die internationaler Verkehrssprachen mächtig sind (Wildemann, 2006, S. 266, und Arnolds et al., 2013, S. 377 und 379). <?page no="56"?> 1.2 Fertigung, Beschaffung und Sourcing multinationaler Unternehmen 57 Für das Global Sourcing kommen fast nur Beschaffungsobjekte mit einem hohen Beschaffungsvolumen infrage, da sonst Einsparungen durch (hohe) Transport- und Logistikkosten überkompensiert werden. Das Unternehmen muss mit deutlich längeren Lieferzeiten rechnen als bei regionaler Beschaffung oder Produktion. Es ist sinnvoll, mit einer Vielzahl von Lieferanten langfristige Verträge zu vereinbaren, um sich so Rabatte zu sichern, die sonst nur bei der Strategie „wenige Lieferanten - hohe Mengenrabatte“ zu erzielen wären. Risiken Zu den Risiken zählen Ereignisse, die potenziell eintreten können, aber nicht müssen. Die Risiken des Global Sourcings und speziell des Low-Cost Country Sourcings werden in der Literatur unterschiedlich klassifiziert. Zölle, Versicherungen etc. fallen nicht darunter - sofern sie vorhersehbar sind und Unternehmen bereits im Vorfeld der Auslandsaktivität mit ihnen rechnen müssen. Sie werden deshalb an dieser Stelle nicht berücksichtigt. Arnolds et al. unterscheiden zwischen allgemeinen Risiken, politischen Risiken, wirtschaftlichen Risiken und lieferantenspezifischen Leistungsrisiken (Arnolds et al., 2013, S. 373 f.). Stölzle und Kirst unterscheiden beschaffungsmarktspezifische Risiken (politische, rechtliche, finanzielle und soziokulturelle Risiken), lieferantenspezifische Risiken (noch untergliedert in Leistungsrisiken, wie Qualitätsmängel, Lieferfehler, Lieferantenausfall) und Verhaltensrisiken (darunter fallen die mit der Prinzipal-Agent-Theorie thematisierten Probleme) (Stölzle & Kirst, 2007, S. 63). Köhler differenziert - hier mit Blick auf die Supply Chain - in Supply Chainexogene und Supply Chain-endogene Risiken. Zu den exogenen Risiken zählt er politische, rechtliche, wirtschaftliche und soziokulturelle Risiken. Zu den endogenen Risiken gehören laut Köhler Lieferrisiken, Informationsrisiken, Finanzrisiken und Rechtsrisiken (Köhler, 2011, S. 68 ff.). Daneben existiert eine Vielzahl anderer Risikosystematisierungen. Allen gemein ist, dass sie die gleichen Risiken anführen, wenn es um das Abwägen von Global-Sourcing- und Low-Cost-Country-Sourcing- Maßnahmen geht. Länderrisiken Rechtliche Risiken Mit diesen Risiken ist vor allem in Ländern mit wenig Rechtssicherheit und geringen Standards des Rechtssystems zu rechnen. Dazu zählen Qualitäts-, Haftungs- und Schutzrisiken (Produktpiraterie, Plagiate), die Umsatzeinbußen und den Verlust von Marktanteilen nach sich ziehen. Politische Risiken Besonders hoch sind die politischen Risiken in Schwellen- und Entwicklungsländern, also in den Ländern, die für das Low-Cost Country Sourcing grundlegend sind. Dies sind in der Regel Länder mit einer großen politischen Instabilität. Sie weisen eine potenziell größere Anfälligkeit für Streiks, militärische Konflikte, Terrorismus, Wirtschaftskriminalität und Korruption und ein schlechteres Bildungssystem auf. Daneben können häufige Regierungswechsel durch instabile Machtverhältnisse gravierende Änderungen der Rechts- und Wirtschaftslage zur Folge haben. Weitere politische Risiken sind Risiken, die aus unvorhergesehenen fiskalpolitischen Maßnahmen von Regierungen resultieren, wie Handelshemmnisse in Form von Exportsteuern oder protektionistische Gesetze wie Exportquoten, Exportverbote, Local-Content-Vorschriften und komplizierte Sicherheits- und Umweltvorschriften. Neumair führt hier noch die Transferrisiken an, die bestehen, weil die Rückführung <?page no="57"?> 58 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit von Erlösen bzw. investiertem Kapital in das Herkunftsland des Investors erschwert oder verhindert wird (Neumair, 2006, S. 59). Wirtschaftliche Risiken Zu den wirtschaftlichen Risiken zählen Währungsrisiken, vor allem die Risiken von Wechselkurs- und Konjunkturschwankungen. Technologische Risiken Hier können eine instabile und unzureichende Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der Mangel an Know-how und Infrastruktur für den Transport, die Produktion und die Energieversorgung genannt werden. Soziokulturelle Risiken Dazu zählen Kommunikationsschwierigkeiten verbaler und nonverbaler Natur, was insbesondere bei der Beschaffung in asiatischen Ländern von Relevanz ist. Weitere Hürden können ein unterschiedliches Qualitätsbewusstsein, unterschiedliche Unternehmenskulturen und möglicherweise fremde Geschäftsgebaren sein. Ebenfalls zu den Länderrisiken, jedoch nicht zu einer der genannten Kategorie, kann das Risiko für die Anfälligkeit von Naturkatastrophen gezählt werden. Dabei kann es für Unternehmen entscheidend sein, ob sie ihre Produktion zum Beispiel in erdbebengefährdete Gebiete verlagern oder dort Produzenten beauftragen. Ein Risiko, das kaum ein Unternehmen davon abhalten wird, in Niedriglohnländern zu produzieren oder produzieren zu lassen, ist im Absatzmarkt zu verorten: Speziell in der Textil- und Bekleidungsindustrie, aber auch in anderen Industrien wie der Elektronikindustrie ist die Akzeptanz von Produktionsverlagerung in Schwellen- oder Niedriglohnländer sehr gering. Diese Problematik kann im schlimmsten Fall wirtschaftliche Auswirkungen für Unternehmen bedeuten. Gerade für Unternehmen, die die Ablehnung bestimmter Arbeitsbedingungen und die Einhaltung von Umweltstandards stark mit ihrem Image verknüpfen, kann ein wirtschaftlicher Schaden entstehen, weil die Einhaltung bestimmter Compliance- und CSR-Regelungen nicht immer lückenlos überprüft werden kann. Leistungs- und Lieferantenrisiken Viele Unternehmen fürchten die Verletzbarkeit unternehmensinterner und wettbewerbsrelevanter Information, etwa von Betriebsgeheimnissen. Die Diskretion im Hinblick auf strategische und operative Entscheidungen des Unternehmens ist eine wichtige Kompetenz, über die ein Lieferant verfügen sollte. Darunter fällt die Scheu, Kompetenzen und Know-how zu verlieren - das Problem der Produktpiraterie ist besonders in China gravierend, da das Land mit der Ahndung dieses Problems sehr lax umgeht. Das Risiko, in Abhängigkeit von Auftragnehmern, Zulieferern und Dienstleistern zu geraten, ist hoch. So kann die Abhängigkeit vom Dienstleister bei Vertragsverlängerung zu höheren Entgeltforderungen durch den Dienstleister führen (Knolmayer, 2007, S. 6). Eine Vielzahl der Leistungsrisiken kann auf Missverständnissen in der Kommunikation beruhen, eine Problematik, die gerade bei der Zusammenarbeit mit Partnern in anderen Ländern in Betracht gezogen werden muss. So kann es passieren, dass sich Lieferanten nicht an Preisabsprachen halten (Preisrisiko), falsche Liefermengen versenden, Lieferungen nicht in der vereinbarten Qualität erfolgen, zu spät kommen oder an einen anderen Ort als vereinbart gelangen (Köhler, 2011, S. 222 f.). Die hier genannten Risiken können zu nicht unerheblichen Transaktions- und Steuerungskosten führen, die die Kostenvorteile des Global Sourcings wieder eliminieren. Auch mit Finanzrisiken ist zu rechnen, nämlich dann, wenn die Beschaffungskosten deutlich höher ausfallen als geplant und Lohnkostenvorteile, <?page no="58"?> 1.2 Fertigung, Beschaffung und Sourcing multinationaler Unternehmen 59 die Logistikkosten, Kosten der Auftragsabwicklung, Kosten des Problem-Handlings, Aufwendungen für Steuern und Zölle nicht aufwiegen. Zu den Lieferantenrisiken zählt etwa die Unsicherheit über die Geschäftssituation potenzieller Geschäftspartner, da es sich schwierig gestalten kann, über diese Lieferanten belastbare Informationen zu erhalten. Strategien zur Risikominimierung Risiken, also Gefahren, deren Eintrittswahrscheinlichkeit nicht vorhersehbar ist, können mithilfe verschiedener Strategien verringert werden. Eine gründliche Lieferantenauswahl anhand der oben genannten Kriterien kann dabei unterstützen, lieferantenbezogene Risiken so gering wie möglich zu halten. Das Stichwort ist Risikostreuung: Beispielsweise können Transaktionskosten umso niedriger gehalten werden, je mehr unterschiedliche Produkte ein Unternehmen in derselben Region beschafft. Auch die regionale Streuung von Herstellern minimiert Ausfallrisiken. Diese Vorgehensweise kann zu einer stärkeren Leistungsbereitschaft beim herstellenden Betrieb führen, da es den Wettbewerb unter den Fabriken erhöht. Das Verteilen von Zulieferern auf verschiedene Länder kann zudem im Fall von Konjunkturschwankungen und einem sich ändernden Lohnniveau notwendig werden. Wenn Unternehmen in so einem Fall rasch auf andere Beschaffungsmärkte ausweichen können, beugen sie finanziellen Verlusten vor. Eine langfristige Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Lieferant schafft Routine und Vertrauen auf beiden Seiten. Sie minimiert Kommunikationsprobleme sowie die auf der Prinzipal- Agent-Theorie basierenden Probleme, die vor und nach Vertragsabschluss entstehen können, wenn beide Seiten unterschiedliche Interessen verfolgen. Viele Unternehmen setzen auf eine starke Lieferantenintegration, -kooperation und -förderung. Diese Maßnahmen helfen, die Transparenz zwischen den einzelnen Vertragspartnern zu vergrößern - etwaige Schwachstellen können so schneller erkannt und Schäden vermieden werden. Indem Unternehmen kompetente Lieferanten aufbauen, kann das Lieferantenmängelrisiko schon im Vorfeld abgebaut werden. Dies kann mittels Schulungen und ständiger Qualitätsprüfungen geschehen. Gerade hinsichtlich der Zuverlässigkeit von Lieferanten und einem für westeuropäische Verhältnisse ungewöhnlichem Geschäftsgebaren sind vor einer Zusammenarbeit stets Vereinbarungen zu Leistungsstörungen zu treffen. Dies setzt eine gründliche Auseinandersetzung voraus mit den jeweiligen Rechtsordnungen, dem Landes- und Schuldnerrisiko sowie eine Prüfung, inwieweit mögliche Ansprüche im Ausland durchgesetzt werden können (Kerkhoff, 2005, S. 185 ff.). Wechselkursrisiken können für Unternehmen reduziert oder gar eliminiert werden, indem sie mittels speziell formulierter Kaufverträge auf den Lieferanten oder per Financial Hedging (dies sind spezielle Waren- und Devisentermingeschäfte; Köhler, 2011, S. 80) auf Dritte übertragen werden. Politische Risiken können in Ländern mit einem hohen staatlichen Einfluss, wie dies in Low-Cost Countries häufig der Fall ist, auch durch ein Public-Affairs-Management minimiert werden, also Öffentlichkeitsarbeit, Selbstverpflichtungen oder Lobbying. Auch im Fall der politischen Risiken bleibt die Streuung von Zulieferern auf verschiedene Länder mit jeweils unterschiedlich großen Risikopotenzialen eine empfehlenswerte Taktik. Üblicherweise wählen Unternehmen für unterschiedliche Zwecke unterschiedliche Ländermärkte, in denen Lieferanten sitzen. So wird je nach Fertigungskompetenz, nach Kostenstruktur und abhängig vom zu produzierenden Objekt eine strenge Auswahl der Beschaffungsregion des Landes und des Lieferanten stattfinden. Lieferanten in Ländern mit einem hohen Average Cost Index werden für die Sortimentsplanung herangezogen. Zu diesen Ländern zählen westeuropäische Staaten, die ein hohes Lohnniveau, aber auch eine hohe Fertigungskompetenz vorweisen. Je niedriger die benötigte <?page no="59"?> 60 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Fertigungskompetenz und je niedriger der Average Cost Index des Fertigungslandes, desto höher die Produktionsmenge. So wird die kostenorientierte Massenproduktion in Schwellen- und Entwicklungsländern mit einem geringen Lohnniveau durchgeführt. Wenn die Produktion nach der Pull- Logik erfolgt, wird das erste Auftragsvolumen in Asien, die Nachorder aber in einem nahen Beschaffungsmarkt produziert, um bei großer Nachfrage schnell in die Läden zu gelangen. Die rechtlichen, gesellschaftlichen und nicht zuletzt ökonomischen Rahmenbedingungen in den einzelnen infrage kommenden Beschaffungsländern zu überprüfen, bleibt eine wichtige Maßnahme bei der Entscheidung für oder gegen ein konkretes Beschaffungsland. Gerade in Schwellen- und Dritte- Welt-Ländern ist die politische und wirtschaftliche Lage häufig so instabil, dass eine regelmäßige Überprüfung des Status quo angezeigt bleibt. Die ost- und südeuropäischen Länder gelten gemeinhin als zuverlässig. Dass man sich darauf jedoch nicht immer verlassen kann, zeigt die aktuelle Schuldenkrise einiger südeuropäischer Länder. Auch die Wirtschaftsdaten der Beschaffungsländer, also Informationen über Wirtschaftskraft, Managementqualität, das Potenzial für Wirtschaftswachstum, die Arbeitsmarktsituation, Entwicklung der Staatsverschuldung und des Zinsniveaus, technologisches Potenzial, die Ausprägung von Korruption sind die Basis für eine stichhaltige Vorauswahl. Auskünfte darüber geben die Außenhandelskammern, die Welthandelsorganisation, Länderbonitätsrankings durchgeführt von Ratingagenturen wie M OODY ’ S und S TANDARD & P OOR ’ S , der jährlich vom W ORLD E CONOMIC F ORUM aktualisierte Business Competitiveness Index, die Veröffentlichungen von T RANSPARENCY I NTERNATIONAL sowie zahlreiche weitere Publikationen von Nichtregierungsorganisationen (Kerkhoff, 2005, S. 70 f.). Allein Informationen über die tatsächlichen Lohn- und Lohnnebenkosten sind nicht einfach zu erlangen. Unternehmen sind dabei überwiegend auf eigene Recherchen angewiesen, wobei die Industrie- und Handelskammern sowie die Wirtschaftsministerien der einzelnen Länder - entsprechende Sprachkenntnisse vorausgesetzt - als Recherchegrundlage dienen können. Über die Risiken in den einzelnen Ländern informieren auch Länderberichte von Kreditinstituten und „Institutional Investor’s Country Credit Ratings“, die auf Befragungen internationaler Banken zur Kreditwürdigkeit einzelner Länder beruhen. Abgesehen davon müssen Unternehmen vor Ort Erkundungen durchführen - was wiederum mit Transaktionskosten verbunden ist. Corporate Social Responsibility als Wettbewerbsvorteil bei Low-Cost Country Sourcing Die Kritik am Modell des Low-Cost Country Sourcings ist enorm, da die Arbeit in den Fabriken der Low-Cost Countries nicht den Anforderungen entspricht, die in Deutschland an Arbeitsplatzsicherheit und Arbeitsbedingung gestellt werden. Kein Unternehmen, das sich in sogenannten Niedriglohnländern engagiert, sei es, weil es dort produziert oder produzieren lässt, kommt umhin, sich mit der Problematik der Social Responsibility zu befassen, denn der Wert einer Marke bemisst sich auch nach dem Image des dahinter stehenden Unternehmens. Die Verbraucher sind kritisch und - dank der Globalisierung - bestens informiert über Vorkommnisse fernab ihrer Lebensrealität. Es steht völlig außer Frage, dass Arbeit und das gesamte Arbeitsumfeld einem sozialen und ökologischen Standard entsprechen müssen, der sowohl den Menschen als auch der Umwelt respektvoll begegnet. Kinder- und Zwangsarbeit, sexuelle Belästigung, Missbrauch, das Verbot von Arbeitnehmervertretungen, Diskriminierungen, mangelnde Arbeitssicherheit und Umweltschutz sind die Realität in Entwicklungs- und Schwellenländern. Löhne, die nicht ausreichen, eine Familie zu ernähren, Arbeitsstandards, die die Sicherheit und Gesundheit der Fabrikarbeiter gefährden, und ein Gebaren, das der Umwelt massiv schadet, werden vom Konsumenten nicht goutiert. Ganz im Gegenteil steht angesichts eines ausreichenden Angebots von Bekleidungsunternehmen stets das ökonomisch wirksame Druckmittel des Boykotts im Raum. Neben den Konsumenten sind es auch die Industriestaaten selber, die durch gesetzliche Maßgaben Grenzen setzten. So ist der Einsatz von in der EU unerlaubten Chemikalien bei der Fertigung nicht möglich, wenn die Waren in die EU eingeführt werden sollen. <?page no="60"?> 1.2 Fertigung, Beschaffung und Sourcing multinationaler Unternehmen 61 „Nachhaltigkeit“, „Compliance“, „Corporate Social Responsibility“, „Corporate Citizenship“ oder „Sustainability“ sind nicht nur bloße Schlagworte, sie sind mittlerweile Teil der Unternehmensstrategie, denn der Verbraucher macht seine Kaufentscheidung vom Unternehmensimage abhängig. Compliance als übergeordneter Begriff steht dabei für die Einhaltung von Gesetzen, Standards und Regularien und für die Erfüllung darüber hinaus gehender, vom Unternehmen selbst gesetzter ethischer Standards und Ansprüche. Nicht nur für das Unternehmensimage scheint das Thema Compliance von Brisanz zu sein. Es ist unbestritten, dass bessere Arbeitsbedingungen eine höhere Produktivität bewirken: Ein gesunder, zufriedener Mitarbeiter ist körperlich leistungsfähiger und motivierter. Wie schnell ein Unternehmen in die Schlagzeilen geraten kann angesichts von Nachrichten über einstürzende Fabrikbauten und Meldungen über nach westlichen Gesichtspunkten unzumutbaren Arbeits- und Umweltstandards, haben nicht nur Bekleidungsunternehmen immer wieder erfahren können. Wenn es nach Negativschlagzeilen zu großangelegten Boykottaufrufen durch NGOs kommt, kann dem Absatz und somit dem Unternehmen schwerer Schaden entstehen. Ein dadurch entstandener Imageschaden kann selten durch Aussitzen, sondern häufig erst mittels neuer Investitionen in Marketing und Öffentlichkeitsarbeit wieder repariert werden. Zusammenfassung (Internationales) Sourcing steht für den Prozess, die für die eigentliche Unternehmensleistung benötigten Vorleistungen zielgerichtet und unter unternehmensstrategischen Gesichtspunkten zu beschaffen. Das strategische Sourcing kann als kleinstes Element der Beschaffungs- und Supply-Strategie angesehen werden. Mitunter wird auch der Einkauf als Sourcing bezeichnet. Eine exakte Trennung der Begriffe Beschaffung, Einkauf und Sourcing gelingt in der Fachliteratur nicht. Deshalb werden die Begrifflichkeiten sinnähnlich verwendet: Beschaffung und Einkauf sind auch Sourcing, denn Sourcing wird als Teilbereich des Beschaffungsmanagements verstanden. Die wichtigste Aufgabe des Sourcings im klassischen Sinne ist die ‚Suche, Bewertung und Selektion von Beschaffungsquellen‘. Das Sourcing verfolgt drei entscheidende Ziele:  kundengerichtete Ziele: Dazu zählt alles, was die Versorgung der Kunden sicherstellt, denn deren Anspruchsniveau ist im Vergleich zu vor 50 Jahren enorm gestiegen.  lieferantengerichtete Ziele: Sie zielen auf Verbesserung der Konditionen durch stabile Lieferantenbeziehungen über Mengeneffekte und eine Vertrauensbasis zwischen Unternehmen und Lieferanten ab.  wettbewerbsgerichtete Ziele: Sie haben den Wettbewerber im Blick und laufen auf deren Ausgrenzung mittels Ausschließlichkeitsverträgen hinaus. Es gibt in Theorie und Praxis eine Vielzahl von Sourcing-Konzepten, bei denen unter anderem nach Trägern der Wertschöpfung (Eigenfertigung oder Fremdbezug), Art der Bereitstellung (Zeitkonzepte: stock sourcing, demand-tailored sourcing, just-in-time), Anzahl der Bezugsquellen (Lieferantenkonzepte wie single oder multiple sourcing), Größe des Marktraums (Arealkonzepte: local sourcing, domestic sourcing, global sourcing) oder nach Sourcing-Objekt (unit sourcing, modular sourcing, system sourcing) unterschieden wird. Die einzelnen Sourcing-Konzepte finden häufig kombiniert Anwendung, beispielsweise wenn diverse Sourcing-Objekte global über eine Vielzahl von Lieferanten beschafft werden. Für die erfolgreiche Umsetzung einer Global-Sourcing-Strategie müssen auch seitens der beauftragenden Unternehmen einige Grundvoraussetzungen erfüllt werden, darunter die folgenden: <?page no="61"?> 62 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Das Unternehmen sollte eine gewisse Mindestgröße vorweisen, um nötige Marktforschungs- und Implementierungsaktivitäten vor Ort finanziell bewältigen sowie die nötige datentechnische Infrastruktur über Ländergrenzen hinweg auf- oder ausbauen zu können. Zudem sind die Kosten durch Reisen und die nötige Reisezeit ungleich höher, als wenn ein lokales oder regionales Unternehmen beauftragt würde.  Das Unternehmen sollte Erfahrungen in der internationalen Beschaffungsorganisation haben und über Mitarbeiter verfügen, die internationaler Verkehrssprachen mächtig sind.  Für das Global Sourcing kommen fast nur Beschaffungsobjekte mit einem hohen Beschaffungsvolumen infrage, da sonst Einsparungen durch (hohe) Transport- und Logistikkosten überkompensiert werden.  Das Unternehmen muss mit deutlich längeren Lieferzeiten rechnen als bei regionaler Beschaffung oder Produktion.  Es ist sinnvoll, mit einer Vielzahl von Lieferanten langfristige Verträge zu vereinbaren, um sich so Rabatte zu sichern, die sonst nur bei der Strategie „wenige Lieferanten - hohe Mengenrabatte“ zu erzielen wären. Man könnte annehmen, dass für Unternehmen, die die Produktion aus der unternehmensinternen Wertschöpfungskette ausgelagert haben, ausschließlich die Beschaffungskosten, nicht direkt die Produktionskosten von Relevanz sind. Dies trifft so nicht zu. Denn auch Händler, die nicht selber produzieren, profitieren vom niedrigen Lohnniveau des Beschaffungslandes, da sich das Lohnniveau auf den Preis der produzierten Ware direkt auswirkt. „Nachhaltigkeit“, „Compliance“, „Corporate Social Responsibility“, „Corporate Citizenship“ oder „Sustainability“ sind nicht nur bloße Schlagworte, sie sind mittlerweile Teil der Unternehmensstrategie, denn der Verbraucher macht seine Kaufentscheidung vom Unternehmensimage abhängig. Übung 1.8 Welche Auswahlkriterien gelten beim Global Sourcing? Übung 1.9 Welche Prämissen gelten bei der Implementierung einer Globalstrategie? Übung 1.10 Welche Risiken müssen bei der internationalen Beschaffung von Rohstoffen und Produkten berücksichtigt werden? 1.3 Zur Wertschöpfungskette in der Bekleidungsindustrie Nach Durcharbeiten dieses Abschnitts haben Sie  die Wertschöpfungskette in der Bekleidungsindustrie verstanden und  ein Verständnis für die Eigenarten der Bekleidungsindustrie erlangt. Wertkettenansatz einer Bekleidungsunternehmung nach Porter <?page no="62"?> 1.3 Zur Wertschöpfungskette in der Bekleidungsindustrie 63 Abb. 1 . 3 stellt die Wertkette einer klassischen Bekleidungsunternehmung dar. Die hauptsächlich wertschöpfenden Aktivitäten einer Bekleidungsunternehmung, die für die Entwicklung, die Herstellung und den Absatz eines Bekleidungsstücks durchlaufen werden müssen, sind Design und Produktentwicklung, Vertrieb, Einkauf, Produktion und Versand (Ahlert et al., 2009, S. 58 f.) Für jede dieser Primäraktivitäten lassen sich ein Leistungsinput und ein Leistungsoutput definieren. Abb. 1.3: Wertkette einer Bekleidungsunternehmung (Abbildung aus Breitkopf, 1999, S. 171) Unterstützende Aktivitäten sind Logistik, dazu zählen die Informations- und Transportlogistik, das Marketing und das Controlling, das Personalsowie das Finanzierungsmanagement (Ahlert et al., 2009, S. 58 f.). Auf die einzelnen Bereiche soll nun genauer eingegangen werden. Die folgende Darstellung eines Standardprozesses bezieht sich auf den traditionellen Bekleidungshandel - H&M und andere vertikale Anbieter haben abweichende Abläufe. 1.3.1 Design und Produktentwicklung (Sortimentsprogramm) Design und Produktentwicklung ist eine für den Unternehmenserfolg entscheidende Phase. Sie beginnt mit der Ideenfindung, inspiriert durch Modemessen und durch die Arbeit von Trendscouts - der Leistungsinput. Am Ende dieser Phase steht die Umsetzung der Ideen in Form von Verkaufsmustern oder Prototypen, zusammengestellt zu Musterkollektionen - der Leistungsoutput. Gerade Modeunternehmen wie H&M bedienen sich bei der Ideenfindung bei den hochmodischen Designerkollektionen der Pariser, Londoner und Mailänder Laufstege (Ahlert et al., 2009, S. 58). Trendscouts sind damit beschäftigt, rechtzeitig Veränderungen im Konsumverhalten des Verbrauchers zu erkennen und gleichzeitig das Angebot der Konkurrenz zu beobachten. In dieser Phase ist auch das Produktangebot genauestens festzulegen. Dabei wird entschieden, welche Artikel mit welchen Stoffen, Schnitten und Farben produziert und mit welchen Accessoires (Knöpfen, Verschlüssen) versehen werden. Der Designprozess findet in der Regel am Computer mittels CAD (Computer-aided Design) statt. Dies ermöglicht es den Designern, Entwürfe nach Bedarf hinsichtlich Muster, Schnitt, Farben, Stoffen und Form zu modifizieren oder auf ältere Kollektionen und Datenbanken zurückzugreifen (Abecassis-Moedas, 2006, S. 412 ff.). Es ist stets zu klären, ob das Unternehmen auf externe Designkompetenz zurückgreift oder Inhouse-Designer anstellt. Da sich die Personalkosten und andere Aufwen- <?page no="63"?> 64 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit dungen für das interne Design mit Ausgaben für externe Dienstleister die Waage halten (Ahlert et al., 2009, S. 58 f.), sind Kosten nicht der entscheidende Faktor bei der Frage, ob das Unternehmen eigene Design-Ressourcen aufbaut. Entscheidend ist vielmehr, ob das Unternehmen ein eigenes scharfes Profil halten will, was das Erscheinungsbild seiner Kollektionen angeht. Dies ist insbesondere für exklusive Herstellermarken wichtig, die sich durch ihren eigenen Stil von den Wettbewerbern abheben müssen. 1.3.2 Order In der darauffolgenden 2. Phase legen die Bekleidungshersteller die entwickelten Verkaufsmuster ca. 4-8 Monate vor der geplanten Auslieferung vor. In bestimmten Zeiträumen kann der Handel seine Order tätigen. Die Hauptorderzeit liegt für die meisten Handelskunden während der Bekleidungsmessen, entsprechend den vier klassischen Saisons Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter im Januar und April bzw. August und November. Der Verkauf von Bekleidungsartikeln erfolgt über Showrooms und Modezentren (Ahlert et al., 2009, S. 59). 1.3.3 Verkaufsphase Es folgt die Phase des Verkaufs, vermittelt häufig durch Handelsvertreter. Sobald der Handel einen Auftrag erteilt, folgt die Fertigung eines festgelegten Volumens, da zu einem festgelegten Zeitpunkt geliefert wird. Diese Form der Fertigung wird als Auftragsproduktion bezeichnet: eine kundenindividuelle Fertigung durch den Bekleidungshersteller nach vorher durch den Kunden (Handel) festgelegten Leistungen. Der Leistungsoutput der Verkaufsphase ist hier der Produktionsauftrag. 1.3.4 Einkauf Der Einkauf ist der Teil des Beschaffungsvorgangs, in dem die für die Produktion benötigten Rohstoffe und Vormaterialien gekauft und der Zukauf von Handelsware (Tüchern, Kappen, Handtaschen, weiteren Accessoires) getätigt wird. Schon während der Kollektionsentwicklung wird entschieden, welche Rohmaterialien und Stoffe verwendet werden. In der Regel werden das Rohmaterial und benötigte Textilien bis zum Verbrauch bei der jeweiligen in- oder ausländischen Unternehmung oder beim Produzenten gelagert. Der Leistungsoutput beim Einkauf liegt bei der termingerechten Bereitstellung der zur Produktion benötigten Rohmaterialien und Textilien. 1.3.5 Produktionsprozess Dazu gehören der Zuschnitt, das Nähen sowie die Aufbereitung der Bekleidungsteile durch spezielle Bügelvorgänge. Der Leistungsinput sind die Produktionsmuster sowie die Rohmaterialien. Der Leistungsoutput ist das fertige Bekleidungsstück. Die einzelnen Produktionsstufen, also der gesamte Prozess von der Rohstoffverarbeitung und -veredelung bis hin zur Verarbeitung des fertigen Bekleidungsstücks, ist der wohl komplexeste Veredelungsschritt in der Wertschöpfungskette. Spinnen, Weben und Färben sind dabei am aufwendigsten, das Nähen zum fertigen Bekleidungsstück ist dagegen am einfachsten. <?page no="64"?> 1.3 Zur Wertschöpfungskette in der Bekleidungsindustrie 65 Abb. 1.4: Struktur des Marktes für Bekleidung (in Anlehnung an Tücking, 1999, S. 13) Abb. 1 . 4 skizziert die Struktur des Marktes der Textil- und Bekleidungswirtschaft. Angefangen bei der Bereitstellung von Rohmaterialien, Vorleistungen und Maschinen, stellt sie einerseits die Hauptproduktionsstufen, andererseits die Textil- und Bekleidungsindustrie dar, wobei hier der Schwerpunkt auf der Bekleidungsindustrie liegt. Am Ende des Fertigungsprozesses hin zum fertigen Bekleidungsstück steht der Handel, der dem Konsumenten das Bekleidungsstück verfügbar macht. Die Stufen des textilen Fertigungsprozesses lassen sich einteilen in:  Spinnstoffaufarbeitung (Vorbereitung der textilen Rohstoffe, wie Natur- und Chemiefasern, für den Spinnereiprozess),  Spinnstoffverarbeitung (Verspinnung zu Garnen und Verarbeitung zu Faserverbundstoffen),  Garnverarbeitung (Weiterverarbeitung der gesponnenen Garne, Zwirne und Chemiefasern zu Geweben, Gewirken und Gestricken),  Veredelung (Bleichen, Färben, Bedrucken und Ausrüsten der textilen Vorprodukte),  Stoffverarbeitung/ Konfektion (Fertigung von Bekleidungstextilien aus den textilen Flächen),  Bekleidungsindustrie (letzte Produktionsstufe in der textilen Kette; Weiterverarbeitung der verschiedenen Materialien zum verkaufsfertigen Bekleidungsstück),  Handelsstufe (Absatz der Erzeugnisse im Handel) (Ahlert et al., 2009, S. 43 f.). <?page no="65"?> 66 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit 1.3.6 Ausgangslogistik Die Ausgangslogistik stellt im klassischen Bekleidungshandel die letzte Stufe in der Wertschöpfungskette dar. Die verkaufsfähige Ware wird verteilt und komplettiert, was als der Leistungsinput zu verstehen ist. Darüber hinaus sind das Qualitätswesen, die Lagerhaltung, die Verpackung und die Kommissionierung Teil der Ausgangslogistik. Der Leistungsoutput ist die Zusammenstellung der verkaufs- und versandfertigen Ware an den Kunden. In der Regel wird die Aufgabe der Ausgangslogistik von externen Logistikunternehmen übernommen. 1.4 Wettbewerbs- und Wertschöpfungspotenziale in der Bekleidungswirtschaft In der europäischen Bekleidungsbranche finden sich Anbieter jeder strategischen Couleur, jede Wettbewerbsstrategie ist vertreten. So können zu den nach Porter als Kostenführer bezeichneten Anbietern jene gezählt werden, die wie K IK oder N EW Y ORKER Kleidung absetzen, die wegen niedriger Produktionskosten zu niedrigen Preisen angeboten werden, dafür aber jegliche Trendsetter-Ansprüche des Verbrauchers als nachrangig behandeln. Exklusive Designer und Premiummarken, wie H UGO B OSS , L OUIS V UITTON oder P RADA , wählen die Differenzierungsstrategie und bearbeiten Luxusmärkte - bei höheren Kosten sind Trendnähe und hohe Preise inbegriffen. Der klassische Kaufhauseinzelhandel, wie W ÖHRL und G ALERIES L AFAYETTE , versucht sich ebenfalls in der Strategie der Differenzierung, indem er sich von den preisgünstigen Angeboten der Handelsmarken-Einzelhändler, wie M ANGO , Z ARA und H&M, differenziert und qualitativ hochwertige Ware zu höheren Preisen anbietet. Gleichzeitig werden beide Wettbewerbsstrategien im Einzelhandel von Warenhäusern wie K ARSTADT verfolgt. Das Unternehmen bietet sowohl preisgünstige und trendferne Ware als auch hochpreisige und trendige Fashion an. Porter rät davon ab, beide Strategien verfolgen zu wollen - eine Warnung vor Konsequenzen, mit denen K ARSTADT nun öffentlichkeitswirksam zu kämpfen hat, denn K ARSTADT ist dadurch weder für Haushalte mit niedrigem noch für Haushalte mit hohem Einkommen interessant (Marchazina & Wolf, 2008, S. 284 f.). Sämtliche Strategien der Wertschöpfung zielen auf eine Kostensenkung ab. Auch die Unternehmen, die für die Differenzierungsstrategie stehen, werden auf ein optimales Verhältnis von Kosten und Erlös achten - in dieser Hinsicht besonders relevant für die Betrachtung der Bekleidungsindustrie. 1.4.1 Vertikalisierung 1.4.1.1 Terminologische Grundlagen und Erscheinungsformen In der Literatur finden sich unterschiedliche, in einzelnen Punkten abweichende Definitionen von Vertikalisierung. Schon das Attribut „vertikal“ wird gänzlich unterschiedlich gebraucht. Im Zusammenhang mit der Bekleidungswirtschaft findet etwa häufig das Konzept der vertikalen Distribution Verwendung. Zentes, Swoboda und Foscht differenzieren zwei unterschiedliche Gestaltungsformen von vertikaler Distribution: Secured Distribution und Controlled Distribution. Unter Secured Distribution, die auch als integrative Distribution bezeichnet wird, ist zu verstehen, dass der Händler in kommunikativer wie in distributiver Hinsicht mit dem Verbraucher in Kontakt steht: In die kommunikativen und distributiven Prozesse der Wertschöpfungskette sind keine weiteren Absatzmittler integriert. Bei der Controlled Distribution sind weitere Vertriebspartner zwischengeschaltet, die Marketingaktivitäten werden vom Händler dennoch weitestgehend kontrolliert (Zentes, Swoboda & Foscht, 2012, S. 51). In der Fachliteratur findet sich häufig für jegliche Vertikalisierungsstrategie der <?page no="66"?> 1.4 Wettbewerbs- und Wertschöpfungspotenziale in der Bekleidungswirtschaft 67 Begriff Vertikalisierung. Vertikalisierung bezeichnet dann die Integration von vor- oder nachgelagerten, technologisch eigenständigen Prozessen bzw. funktionalen Einheiten in der Wertschöpfungskette in das Eigentum und unter die Kontrolle des Unternehmens. Vertikal konzipierte Unternehmungen „nehmen direkten Einfluss auf die Entwicklung von Produkten, die Sortimentszusammenstellung und die Distribution“ (Riekhof, 2004, S. 432). Porter definiert die vertikale Integration als „die Arbeitsteilung zwischen einem Unternehmen und seinen Lieferanten, Vertriebskanälen und Abnehmern“ (Porter, 2010, S. 89). Vertikal organisierte Unternehmen sind durch eine enge Verknüpfung zwischen Groß- und Einzelhandelsstufe und der Industriestufe gekennzeichnet (Ahlert et al., 2009, S. 76). Je größer die Eigentumsrechte eines Unternehmens sowie dessen Kontrolle über aufeinanderfolgende Stufen der Wertschöpfungskette seiner Produkte sind, desto größer ist der Grad der vertikalen Integration (Grant & Nippa, 2006, S. 491). Er kann gemessen werden und beschreibt die Höhe des Anteils der von einem Unternehmen selbst erbrachten Leistungen innerhalb der Wertschöpfungskette. Die vertikale Integration ist im Produktionsbereich gleichbedeutend mit der Fertigungstiefe (Weiß, 1993, S. 33). Je stärker ein Unternehmen seine Fertigung vertikal desintegriert, also Teile oder die gesamte Fertigung outsourct, desto geringer ist die Fertigungstiefe. Der Zweck von Vertikalisierung ist die Steigerung der Effizienz in der gesamten Wertschöpfungskette, zum Beispiel durch Zeitreduktionen und Kostensenkungen beim Informations- und Warenfluss oder durch eine verbesserte Serviceleistung (Ahlert et al., 2009, S. 642). Erscheinungsformen Man unterscheidet in Rückwärtsintegration (upstreaming oder front-end-driven integration) und Vorwärtsintegration (downstreaming, back-end-driven integration). Erstere umfasst alle vorgelagerten Wertschöpfungsaktivitäten wie die Rohstoffauswahl und das Design, wobei alle dem Point of Sale vorgelagerten Prozesse integriert werden. Die Vorwärtsintegration umfasst die Integration nachgelagerter Aktivitäten wie die Aktivitäten des Vertriebs und des Marketings (Grant & Nippa, 2006, S. 492). In der Literatur wird darüber hinaus zwischen kooperativen und integrativen Vertikalisierungsmodellen unterschieden. Unter der kooperativen Vertikalisierung ist die freiwillige, regelmäßige und auf Dauer angelegte Zusammenarbeit zwischen zwei rechtlich und wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen in Industrie und Handel zu verstehen (Kunkel, 2008, S. 44). In der Praxis wird dieses Modell zum Beispiel von G ERRY W EBER umgesetzt. Unter integrativer Vertikalisierung ist zu verstehen, dass eine einzige operative, möglicherweise sogar rechtliche Einheit die gesamte Wertschöpfungskette von der Planung über Fertigung und Logistik bis hin zur Distribution vereint. Letzteres ist bei Z ARA der Fall. Beide Modelle haben gemeinsam, dass die Lieferkette von der ersten bis zur letzten Stufe durch den Bekleidungshändler kontrolliert wird (Kunkel, 2008, S. 44 f.). Des Weiteren kann noch zwischen vollständiger Integration und partieller Integration, also nach dem Grad der Integration unterschieden werden. Das Merkmal der vollständigen Integration ist eine einheitliche Eigentumsstruktur. Zwei aufeinanderfolgende Produktionsstufen unterliegen also der gleichen Autorität, ohne dass es zu Käufen von Dritten oder Verkäufen an Dritte kommt (Grant & Nippa, 2006, S. 492). Unter einer partiellen Integration ist die Notwendigkeit zu verstehen, innerhalb einer Produktionsstufe von Dritten zuzukaufen, da die Produktion sonst nicht für die nächste Stufe ausreichen würde. Vertikal organisierte Bekleidungsanbieter sind Hersteller und Händler zugleich. Sie sind folglich integriert und „… treten gegenüber dem Konsumenten als Handelsmarke mit eigenkontrollierten Verkaufsflächen auf und beherrschen zudem die komplette dahinter liegende Wertschöpfungskette - von der Zielgruppendefinition und Formatstrategie über die Kollektionsentwicklung und - <?page no="67"?> 68 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit beschaffung bis zur Flächenbewirtschaftung und Abverkaufssteuerung am Point of Sale (PoS)“ (OC&C Strategy Consultants, 2007, S. 2). Sie sind in der Lage, das gesamte Supply Chain Management bzw. die gesamte Wertschöpfungskette auf den eigenen Bedarf, also verbraucherorientiert, einzustellen, und zwar von der Produktion bis hin zum Vertrieb. Einen besonders hohen Vertikalisierungsgrad weist Z ARA auf, da die für die Produktion notwendigen Stoffe z. T. von einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft geliefert werden und die Produktion selber zur Hälfte durch zur I NDITEX -Gruppe gehörende Produktionsstätten durchgeführt wird (Grant & Nippa, 2006, S. 500). Die auf Kostenvorteile ausgelegte Wertschöpfungsstrategie der Vertikalisierung ist so erfolgreich, dass sie den „Vertikalen“ im Vergleich zum klassischen Bekleidungshandel stetes Wachstum beschert, an der Spitze stehen H&M und Z ARA (OC&C Strategy Consultants, 2007, S. 3). Die traditionellen Einzelhändler haben - verstärkt im letzten Jahrzehnt - mit Einbußen bei Umsatz und Marktanteil, daraus resultierend notwendigen Umstrukturierungen und einer insgesamt schwierigen Geschäftslage zu kämpfen. So mussten sogar einige traditionelle Händler wie S INN L EFFERS und K ARSTADT Insolvenz anmelden oder können an alte Erfolge nicht mehr anknüpfen. 1.4.1.2 Vorteile und Risiken Vorteile Ein entscheidender Vorteil der Vertikalisierung ist das Ausschalten eines zusätzlichen Marktteilnehmers, also auch einer weiteren Margenstufe. Von großer Bedeutung für die von kurzen Reaktions- und Durchlaufzeiten abhängige Fast-Fashion-Industrie ist der Faktor Schnelligkeit, der durch eine vertikale Organisation erhöht wird: Da keine zeitintensiven Abstimmungsprozesse mit dem Handel mehr nötig sind, kommen die produzierten Bekleidungsstücke schneller in den Verkauf. Wesentlich und von Porter als das führende Argument herausgearbeitet ist der Aspekt der Kostenersparnis. Mithilfe vertikaler Integration lassen sich Marktkosten wie Beschaffungs- und Transportkosten vermeiden (Porter, 2013, S. 378 f.). Risiken Treten Probleme auf einer Produktionsstufe auf, etwa Streiks oder Lieferengpässe, können sämtliche Aktivitäten auf den nachgelagerten Produktionsstufen und deren Profitabilität erheblich beeinträchtigt werden. Dieses Risiko sollte jedoch nicht überschätzt werden, dergleichen kann auch bei anderen Organisationsformen auftreten. Integration kann zudem Kosten auch steigern, wenn sie Unternehmen unflexibel macht, beispielsweise dann, wenn die Austrittsbarrieren sich erhöhen oder Lieferanten die Produktion billiger ausführen könnten (Porter, 2013, S. 117). 1.4.2 Wertschöpfung in Beschaffung und Sourcing - Eigenheiten der Bekleidungsindustrie Angesichts gestiegener Ansprüche des Kunden und eines hohen Wettbewerbsdrucks im Bekleidungshandel hat Beschaffung mehr als noch vor 50 Jahren eine strategische Bedeutung erlangt. Das heißt, sie gewinnt eine ähnlich hohe Bedeutung wie die Absatzseite. Heute ist es vornehmliche Aufgabe von Beschaffung im Bekleidungshandel, die richtigen Produkte zur richtigen Zeit in der richtigen Qualität am Point of Sale zur Verfügung zu stellen (Merkel, et al., 2008, S. 12). Die Beschaffungsstrategien in der Bekleidungswirtschaft unterscheiden sich nicht von denen anderer Wirtschaftszweige. Allerdings weisen sowohl die Struktur der Bekleidungsindustrie als auch die textilen Fertigungsprozesse Besonderheiten auf, die sich auch auf Beschaffungsprozesse auswirken. <?page no="68"?> 1.4 Wettbewerbs- und Wertschöpfungspotenziale in der Bekleidungswirtschaft 69 In der Bekleidungsindustrie handelt es sich dann um Outsourcing, wenn Zulieferbetriebe vertraglich vereinbarte Mengen an Kleidungsstücken herstellen oder Teile der Fertigung von Kleidungsstücken übernehmen. Der Beschaffungsvorgang bezieht sich dann häufig auf die Fertigware, die im Rahmen der verschiedenen Beschaffungsstrategien im Inland oder Ausland, unternehmensintern oder unternehmensextern gefertigt wird. Die Bekleidungswirtschaft umfasst mehrere Phasen, von denen sich einige für das Outsourcing anbieten. Vor allem die Produktion erfordert die Einbeziehung vieler Zulieferer und Produzenten nicht nur in verschiedenen Ländern, sondern gar über verschiedene Kontinente hinweg (Ferny & Perry, 2011, S. 281). Da sie aber räumlich, zeitlich und organisatorisch besonders gut teilbar ist, können einzelne Arbeitsschritte ausgelagert werden. Vornehmlich die kapitalintensiven Abläufe (Färben, Weben, Stricken, Zuschneiden) und arbeitsintensive und materialintensive Abläufe (Nähen, Schneidern, Fertigen, Drucken, Qualitätskontrolle, Verpacken) werden dabei an externe Dienstleister abgegeben. Für bestimmte Phasen und kritische Kontrollfunktionen, wie die des Designprozesses, des Marketings, der Qualitätskontrolle, der Lieferantenauswahl oder der Stoffauswahl, bleibt es für eine effiziente Wertschöpfung sinnvoller, sie im Unternehmen zu belassen (Merkel et al., 2008, S. 31). Die klassischen Aufgaben des Beschaffungsmanagements, also Einkauf und Sourcing, im Bekleidungshandel sind die Bedarfsermittlung, die Lieferantensuche und -selektion, Einkaufsverhandlungen und die Erfolgskontrolle des Einkaufs und der Lieferantenbeziehungen (Ahlert et al., 2009, S. 734 ff.). Bekleidungshändler, die fertig produzierte Bekleidungsstücke beziehen und handeln, wählen ihr Sortiment aus den Angeboten einschlägiger Importeure, Zwischenhändler oder Produzenten aus. Bei dieser Vorgehensweise ist von Vorteil, dass der Importeur, wenn er für mehrere Kunden einkauft, durch die große Einkaufsmenge nicht unwesentliche Kostenvorteile generieren kann. Diese Vorteile kann er durch niedrigere Preise an seine Kunden weitergeben. Außerdem kann das Unternehmen vom Know-how des Einkaufsmittlers in den Beschaffungsregionen profitieren, wenn es um Bürokratie, Kommunikation und um regionalspezifisches Branchenwissen geht. Der Einkauf seitens der Bekleidungshändler besteht dann nur noch aus der Auswahl und der anschließenden Preisverhandlung (Merkel et al., 2008, S. 30). Diese Mittler kommen hauptsächlich bei der Beschaffung fertiger Bekleidungskollektionen zum Einsatz. Für Handelsunternehmungen, die mit inhouse designter Bekleidung handeln, ist eher die Suche nach geeigneten Manufakturen von Relevanz. Beiden Varianten sind die Anforderungen an die Beschaffungsquelle und daraus resultierend die Prozesse der Beschaffungsquellensuche und -selektion gemein. Auch in der Bekleidungsindustrie sind die entscheidenden Kriterien:  die Qualität, zu der produziert werden kann;  der Preis, zu dem produziert werden kann. Er wirkt sich direkt auf den Beschaffungspreis, zu dem der Handel kauft, aus;  die Kapazität des Lieferanten/ der Manufaktur;  die Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Lieferanten/ der Manufaktur, die Lieferleistung (Pünktlichkeit, Lead Time und Flexibilität);  die Produktionsqualität (dazu zählen u. a. die Produktionsgeschwindigkeit und die Qualität der Produktionsprozesse) sowie  Standortfaktoren, wie Zölle, Tarife, Infrastruktur, politische Rahmenbedingungen etc. (Ahlert et al., 2009, S. 746). Für vertikal integrierte Anbieter, die zudem auf langfristige Lieferantenbeziehungen aufbauen, sind eine sich ständig wiederholende Lieferantensuche und die Auswahl relevanter Lieferanten nur noch von untergeordnetem Interesse. <?page no="69"?> 70 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Konstatiert werden muss, dass der Aufwand für das Sourcing und die Zusammenarbeit mit Auftragsnehmern im Ausland aufwendig ist. Aus diesem Grund haben viele Unternehmen im Rahmen des Direct Sourcings im Beschaffungsland Büros etabliert, in denen Mitarbeiter die Verantwortung für Produktqualität, Lieferung und weitere Verhandlungen übernehmen. Wie Ahlert et al. (2009, S. 744) herausstellen, muss abgewogen werden, was günstiger ist: die Beschäftigung fester Mitarbeiter oder die Zahlung von Provisionen an beteiligte Agenturen. Dies hängt einerseits vom Einkaufsvolumen in den infrage kommenden Regionen ab, andererseits von der Agentenmarge, die in der Region zu zahlen ist - ab einem bestimmten Einkaufsvolumen rentiert sich die Beschäftigung eigener Mitarbeiter in eigenen Einkaufsbüros, die volumenabhängigen Provisionen der Agenten würden die Kosten eines Büros übersteigen (Merkel et al., 2008, S. 157). Die Entscheidung, welche Zulieferer an welchen Standorten gewählt werden, hängt mit den oft historisch gewachsenen Spezialisierungen des jeweiligen Produktionslandes zusammen. So sind etwa China und Indien für ihre Seidenverarbeitung, China für seine Baumwollproduktion oder Italien für das Maßschneidern von besonderer Bedeutung (Ferny & Perry, 2011, S. 282). Je nachdem, welche Rohmaterialien benötigt werden und wie gut der Zugang dazu am jeweiligen Produktionsstandort ist, kann die Entscheidung für oder gegen einen Produktionsstandort getroffen werden. 1.4.2.1 Low-Cost Country Sourcing als Motor der Textil- und Bekleidungsindustrie Es gibt mittlerweile nur noch wenige Bekleidungshändler, die nicht in Low-Cost Countries produzieren lassen oder die Fertigung dorthin ausgelagert haben - unabhängig vom Markt, der bedient wird, unabhängig ob High-Fashion- oder Massenmarkt. Die Gründe sind ein immer intensiverer Wettbewerb und Verbraucher, die gute Qualität zu niedrigen Preisen erwarten. Die Hersteller sehen sich gezwungen, ihre Ziele durch eine Senkung des Lohnkostenanteils zu erreichen. Wenige Händler, die eine absatzmarktnahe Produktion mit ihrem Unternehmensimage verbinden, fertigen lokal oder regional. Die Verlagerung der Bekleidungsfertigung ins Ausland reicht von Direktinvestitionen in Form von eigenen Betrieben, über die passive Lohnveredelung bis hin zu Vollimporten und Fremdvergabe. Wie es der Begriff Low-Cost nahelegt, sind es Kostengründe, die für die Auslandsverlagerung sprechen. Es wurde bereits detailliert dargelegt, was der Ausdruck „Low-Cost“ impliziert und warum sich Unternehmen für das Low-Cost Country Sourcing entscheiden. Die dabei genannten Gründe treffen ausnahmslos auch auf die Bekleidungsindustrie zu. Warum sich gerade die Bekleidungs- und Textilindustrie veranlasst sieht, auf dem Niedriglohnsektor zu agieren, hat aber noch weitere Beweggründe. Die Herstellung eines Kleidungsstücks ist sehr arbeitsintensiv. Insbesondere Zuschnitt, Näherei und Trimmen sind sehr aufwendig, da sie i.d.R. fast ausschließlich durch Handarbeit zu erledigen sind. Jedoch kann man auch den Zuschnitt und die gesamte Textilherstellung automatisieren. Fertigungslöhne fallen also sehr ins Gewicht. Für etliche Industrien ist die Verlagerung in Low-Cost Countries von geringem Interesse, da durch Automatisierungen im Produktionsprozess Personalkosten gespart werden können. Automatisierte Produktionsabläufe bieten sich allerdings in der Bekleidungsindustrie beispielsweise aufgrund von unterschiedlichen Stoffeigenschaften nur in wenigen Fällen an. Die Arbeiten müssen also häufig von Hand erledigt werden. Ein weiteres Motiv ist, dass die Lohnkosten die Produktionskosten dominieren. Der Lohnanteil in der Bekleidungsindustrie beträgt 20-30 Prozent der Gesamtfertigungskosten. Die Fertigungsprozesse sind in sich jedoch so einfach, dass es nicht nötig ist, auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte zurückzugreifen. Im Gegenteil: Gering qualifizierte Arbeitskräfte sind das Rückgrat der Textil- und Bekleidungsindustrie. Diese, zusammen mit einem niedrigen Arbeitskostenniveau, finden sich aus den genannten strukturellen Gründen überwiegend nur in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die arbeitsintensiven Tätigkeiten können also an Standorte mit einem niedrigen Lohnniveau ausgelagert werden. Darüber <?page no="70"?> 1.4 Wettbewerbs- und Wertschöpfungspotenziale in der Bekleidungswirtschaft 71 hinaus können sie, wenn ein Umdisponieren aus unternehmerischer Sicht nötig ist, gerade wegen des geringen Qualifikationsgrads auch zeitnah von einem Standort zum nächsten verlagert werden. In Industrieländern gibt es für die Textil- und Bekleidungsbranche durch Tarifverträge oder gesetzlich verankerte Löhne in der Regel Mindestlohngrenzen. In osteuropäischen Ländern ist das Lohnniveau aus lohnkostenorientierter Sicht akzeptabel, weshalb die Fertigung auch in osteuropäische und südeuropäische Länder verlagert wird. Zwar gibt es inzwischen auch Mindestlohninitiativen in Schwellen- und Entwicklungsländern, diese bewegen sich aber immer noch auf einem äußerst niedrigen Lohnniveau. Auch das Fertigungswissen rund um Textilien und Bekleidung hat in den einschlägigen Regionen in Asien und Südosteuropa in den letzten Jahren maßgeblich zugenommen, seit die Textil- und Bekleidungsindustrie in vielen dieser Länder zum entscheidenden wirtschaftlichen Standbein geworden ist. Man kann davon ausgehen, dass in Ländern wie China, Indien und Bangladesch in den letzten Jahrzehnten eine Professionalisierung stattgefunden hat, die diese Länder inzwischen auf dem Gebiet der Textil- und Bekleidungsfertigung auch hinsichtlich ihres Know-hows für viele europäische und US-amerikanische Modehändler zu den Ländern der ersten Wahl hat werden lassen. Auch die Nähe zu den Rohstoffquellen spricht für sich: In Ländern, deren wirtschaftliches Standbein neben der Bekleidungsproduktion die reine Textilproduktion ist, können auch die für die Bekleidungsfertigung nötigen Stoffe besonders schnell und günstig bezogen werden. Damit können nicht nur die Kosten für den Rohstofftransport, sondern auch die Transportzeiten gering gehalten werden. Gerade für die Fast-Fashion-Branche, die wie H&M auf kurzfristige Sortimentsprogramme der Läden setzt, sind schnelle Lieferzeiten von entscheidender Bedeutung. Lieferanten für Fast-Fashion- und High-Fashion-Teile sollten sich aus strategischer Sicht in der geografischen Nähe von Lagern und Absatzmärkten befinden, da zu lange Durchlaufzeiten den Verkauf zur gewünschten Saison verhindern können und das Konzept der Fast Fashion unterminieren würden. Dies ist auch ein Grund dafür, warum sich Bekleidungsunternehmen nicht ausschließlich auf die Fertigung in asiatischen Ländern verlassen. Zum Teil bieten sich besonders Standorte in Ost- und Südeuropa an, wie Bulgarien, und an der Grenze zu Asien, wie die Türkei. Höhere Lohnkosten werden dann wegen der kürzeren Lieferkosten in Kauf genommen. Fast Fashion hat jedoch durch die Corona-Krise in 2020/ 21 mehr und mehr an Bedeutung verloren. Durch die Krise wurde deutlich weniger Bekleidung gekauft. Wer braucht schon im Homeoffice neue Schuhe oder einen neuen Anzug? Zudem leidet die Umwelt, es ist nicht nachhaltig, dauernd neue Bekleidung zu konsumieren. Außerdem gibt es aufgrund der unterbrochenen Lieferketten mehr und mehr Überlegungen wieder mehr in Europa oder auch in Deutschland zu produzieren. Das Jeans-Geschäft: Levi Strauss und Jacob W. Davis ließen sich schon 1873 die „Blue Jeans“ patentieren. Die Stoffe wurden schon damals aus Europa importiert. Diese Arbeiterhosen, die sehr robust waren und auch noch sind, galten als Vorreiter der Globalisierung. Levi-Jeans wurden zum Ausdruck von Lebensgefühl und zu Marken-Ikonen und gelten als Beispiel für die ungleiche Verteilung von Wertschöpfung (Schwochow & Ramge, 2016, S. 108f.). 1.4.2.2 Kosten und Kostentreiber bei Fertigung und Beschaffung in Low- Cost Countries Kostentreiber Kostenführerschaft und Kostenreduktion sind entscheidende Faktoren, wenn es um Wettbewerbsvorteile von Unternehmen geht. Als Kosten wird der bewertete Verzehr von wirtschaftlichen Gütern materieller und immaterieller Art zur Erstellung und zum Absatz von Sachund/ oder Dienst- <?page no="71"?> 72 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit leistungen sowie zur Schaffung und Aufrechterhaltung der dafür notwendigen Teilkapazitäten bezeichnet. Porter sieht die Analyse von Wertketten, die Diagnose von Kostenantriebskräften und deren effiziente Steuerung als wichtiges Instrument einer Kostenvorsprungstrategie an. Haben sich Bekleidungsunternehmen wie H&M für die Desintegration des Produktionsprozesses entschieden, also dafür, die Produktion an Dienstleister in Niedriglohnländer zu geben, ging dieser Entscheidung eine gründliche Make-or-Buy-Analyse voraus. Außerdem wurden Wertaktivitäten und ihre Kostenantriebskräfte gründlich analysiert. Insbesondere für ein Bekleidungsunternehmen, das auf niedrige Fertigungskosten und damit durchsetzbare niedrige Endpreise setzt, sind die Wertkette des Lieferanten bzw. die Kosten des gekauften Inputs von entscheidender Bedeutung. Dass dabei die Beschaffungspolitik einen relevanten Faktor in der Unternehmensstrategie darstellt, wurde in den vorhergehenden Kapiteln beleuchtet. Dennoch gilt die Beschaffung auf billigen Märkten nicht als Nonplusultra. Merkel et al. bringen es auf den Punkt: „Der Fokus liegt auf Gewinn statt Kosten.“ Billig eingekaufte Ware, die nicht abgesetzt werden kann, bringt keinen Gewinn, sondern Verlust. Die Orientierung sollte also nicht nur auf den Beschaffungskosten liegen, sondern auf dem Gesamtgewinn (Merkel et al., 2008, S. 12). Es muss konstatiert werden, dass der Produktionsprozess in der Bekleidungsindustrie sehr arbeitsintensiv ist und deshalb einen besonderen Kostentreiber darstellt. Hersteller sind gezwungen, die Kosten für den Produktionsfaktor „Arbeit“ zu senken, was insbesondere durch die Ausnutzung von Lohndifferenzen zwischen Entwicklungs- und Industrieländern geschieht. Selbst wenn es sich um den Fremdbezug handelt, Unternehmen also nicht eigenständig im Low-Cost Country produzieren, wirken sich die Lohnkosten direkt auf den Warenpreis aus. Doch Lohnkosten und Lohnnebenkosten stellen nur eine Einflussgröße auf den Beschaffungspreis dar. Nach einer Studie aus dem Jahr 2006 der Unternehmensberatung BearingPoint GmbH (in Zusammenarbeit mit der Universität Würzburg) betrugen für 53 Prozent der befragten deutschen Unternehmen die Netto-Kosteneinsparungen durch die Beschaffung in China, verglichen mit westeuropäischen Ländern zwischen 10 und 25 Prozent. Für 19 Prozent der Unternehmen lagen sie sogar zwischen 25 und 50 Prozent. Diese Zahlen lassen sich sicherlich auch auf den gesamten westeuropäischen Markt übertragen. Als die drei entscheidenden Kostentreiber gaben die befragten Unternehmen an:  laufende Qualitätskontrollen in der Produktion und im Warenausgang des Zulieferers,  Transportkosten,  Supply-Chain-Kosten. Als weitere Kostenkategorien, die bei der Bewertung von Beschaffungskosten zu berücksichtigen sind, gelten  Logistikkosten,  Kosten, die durch die Interaktion mit lokalen und staatlichen Behörden sowie durch bürokratische Hürden entstehen,  Kosten von Steuern und Zoll und  Währungsschwankungen (BearingPoint GmbH, 2008, S. 69). Unter Umständen kommen noch Investitionen in qualitätssichernde Maßnahmen, Weiterbildungen und in die Umsetzung des unternehmenseigenen Verhaltenskodex vor Ort hinzu, vor allem in Ländern, die nicht die sozialen und gesundheitlichen Standards wie westliche Länder aufweisen. Einen Eindruck von der Zusammensetzung des Bezugspreises eines Damenoberteils vermittelt in vereinfachter Form Abb. 1 . 5. Sie zeigt, dass der Anteil der Lohnkosten (CMT) nahezu ein Drittel an den gesamten Bezugskosten ausmacht (entspricht in der Abbildung den Landed Costs: Der Begriff Landed <?page no="72"?> 1.4 Wettbewerbs- und Wertschöpfungspotenziale in der Bekleidungswirtschaft 73 Costs entspricht dem Einstandspreis, den der Bekleidungshändler inkl. aller Kosten vom Werk des Zulieferers bis zur Heimatadresse des Händlers zu zahlen hat). Aber auch Zölle fallen stark ins Gewicht. Von 6 Euro der FOB (FOB ist ein Incoterm und steht für Free on Board; diese Handelsklausel besagt, dass die Ware in der vollen Verantwortung des Lieferers bis zum vereinbarten Verladehafen gebracht wird) fallen mit 2,70 Euro die meisten Kosten für Materialien und immer noch 2 Euro für fertigungsintensive CMT-Prozesse an (CMT steht für Cut, Make und Trim also: Zuschneiden, Verarbeiten und Trimmen). Die geringsten Kosten verursachen Transport und Importzölle. In der Summe liegen die Landed Costs bei 7,20 Euro. Abb. 1.5: Beispielhaft vereinfachte Kostenstruktur eines Damenoberteils (Merkel et al., 2008, S. 45) Kosten- und Preisermittlung Man könnte annehmen, dass für Unternehmen, die die Produktion aus der unternehmensinternen Wertschöpfungskette ausgelagert haben, ausschließlich die Beschaffungskosten, nicht direkt die Produktionskosten von Relevanz sind. Dies trifft so nicht zu. Denn auch Händler, die nicht selber produzieren, profitieren vom niedrigen Lohnniveau des Beschaffungslandes, da sich das Lohnniveau auf den Preis der produzierten Ware direkt auswirkt. Dies wurde in Abb. 1 . 5 deutlich, soll aber noch anhand der Kostenstruktur eines Bekleidungsstücks von seiner Produktion bis zur Lieferung an den Zielhafen in Tab. 1 . 2 exemplarisch und vereinfacht verdeutlicht werden. Die Selbstkosten eines Teils werden durch eine Vielzahl von Kostenblöcken bestimmt. Gerade niedrige Fertigungslöhne, die, wie gezeigt, einen Großteil der Einstandskosten ausmachen, ermöglichen den Bekleidungsunternehmen, ihre Ware zu niedrigen Preisen auf den Absatzmärkten anzubieten. Es wird aber auch offensichtlich, dass die Gemeinkosten, wie Energie, Miete, Pacht und Materialeinzelkosten, als wichtige Stellgrößen fungieren, um die Kosten zu reduzieren. Die Verlagerung der Produktion in Low-Cost Countries kann die Beschaffungskosten also enorm senken. Bei der Ermittlung des maximalen Beschaffungspreises kommt in der Bekleidungsindustrie häufig das Zielkostenverfahren zum Einsatz. Das Zielkostenmanagement, im Englischen auch Target Costing (Target Costs - die vom Markt erlaubten Kosten bzw. die Kosten, von denen man annimmt, dass der Markt sie akzeptiert; vgl. Deimel et al., 2006, S. 474), legt anhand verschiedener Kriterien fest, was ein Produkt den Konsumenten kosten darf. Diese Herangehensweise ist stark marktorientiert und dient <?page no="73"?> 74 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Bekleidungsunternehmen, die auf wettbewerbsintensiven Märkten mit kurzen Produktlebenszyklen agieren und einem hohen Preisdruck unterliegen (Breitkopf, 1999, S. 127). Tab. 1.2: Vereinfachte Kostenstruktur eines Bekleidungsstücks bis zur Handelsstufe (Deimel, Isemann & Müller, 2006, S. 228 und S. 442) Mögliche Vorgehensweisen sind:  Market-into-Company: Die Zielkosten werden aus den am Markt erzielbaren Preisen und der Gewinnplanung abgeleitet.  Out of Competitor: Die Zielkosten werden aus den Kosten der Konkurrenz abgeleitet. (Ahlert et al., 2009, S. 746) Abb. 1 . 6 veranschaulicht die Vorgehensweise des Market-into-Company-Verfahrens. Die Zielkosten lassen sich durch Subtraktion der Bruttogewinnspanne vom geplanten Produktumsatz herleiten. Die sich daraus ergebenden, vom Markt erlaubten Kosten (allowable costs), werden den Produktstandardkosten gegenübergestellt. Der Zielverkaufspreis ist eine variable Größe, da sich durch Modewechsel Absatzpreise ändern können. Der geplante Gewinn leitet sich aus der Umsatzrentabilität ab und ist produktspezifisch verbindlich. <?page no="74"?> 1.4 Wettbewerbs- und Wertschöpfungspotenziale in der Bekleidungswirtschaft 75 Abb. 1.6: Vorgehen bei der Zielkostenfestlegung des Market-into-Company-Verfahrens (Breitkopf, 1999, S. 128) Die Zielkosten werden beim Market-into-Company-Verfahren idealerweise schon während der Kollektionsentwicklung geplant und den Designern als Richtgröße vorgegeben. Sie werden verbindlich, sobald für das zu entwickelnde Bekleidungsteil klare Vorstellungen über Form, Farbe, Material und Design bestehen (Breitkopf, 1999, S. 178 f.). Dies bedeutet, dass schon die Bekleidungsproduzenten Vorgaben erhalten, was die von ihnen produzierte Ware kosten soll, wie hoch der Einstandspreis sein muss. Bei der Auftragsvergabe erhält der ausgewählte Lieferant neben Produktspezifikationen, Konditionen sowie einem Liefertermin und den Lieferkonditionen also auch ganz genaue Preisvorgaben für ein konkret genanntes Volumen (Abb. 1.7) (Merkel et al., 2008, S. 99). Abb. 1.7: Market-into-Company-Zielkostenermittlung (Breitkopf, 1999, S. 179) Die Darstellung zeigt, dass ausgehend vom Verkaufspreis des Handels retrograd der Herstellerverkaufspreis ermittelt wird - also der Preis, den der Hersteller für die produzierten Bekleidungsstücke vom Handel verlangt. Der Bekleidungsproduzent muss seinerseits versuchen, die vom H ändler vorgegebenen Zielkosten bei der Produktion nicht zu überschreiten. <?page no="75"?> 76 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Zusammenfassung Die Wertkette in der Bekleidungsindustrie gibt einen Einblick in die Realtität dieser Branche. Die Standardprozesse des traditionellen Bekleidungshandels (Design und Produktentwicklung, Order, Verkaufsphase, Einkauf, Produktionsprozesse und Ausgangslogistik) wurden aufgezeigt. Zudem haben Sie einen Einblick in die Wettbewerbs- und Wertschöpfungspotenziale dieser Branche erhalten. Es wurde herausgestellt, dass Low-Cost-Country-Sourcing als Motor der Textil- und Bekleidungsindustrie dient. Grundsätzlich ist zu erwähnen, dass die Wertkette in der Bekleidungsindustrie interessant ist und es abzuwarten bleibt, wie sich die Weltwirtschaft entwickelt. Vielleicht werden wir weiter in den Niedriglohnländern produzieren. Eine Alternative wäre jedoch, die Produktion wieder zurück nach Deutschland zu holen. Das Unternehmen TRIGEMA wirbt damit, in Deutschland zu produzieren. Achten Sie doch mal auf die Werbung im Fernsehen. Zudem hat sich durch die Corona-Krise in 2020/ 2021 vieles verändert. Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit sind bei den Konsumenten wieder mehr in den Fokus gerückt. Übung 1.11 Skizzieren Sie die Aspekte einer Wertkette in der Bekleidungsindustrie. Übung 1.12 Welche Wettbewerbs- und Wertschöpfungspotenziale entwickelt die internationale Bekleidungsindustrie? Übung 1.13 Welche Kosten und Kostentreiber lassen sich in der Fertigung und Beschaffung in Low-Cost Countries identifizieren? Übung 1.14 Skizzieren Sie zwei vereinfachte Kosten- und Preisermittlungsverfahren eines Bekleidungsbetriebs. 1.5 Industrielle Revolutionen als Globalisierungstreiber ab dem 17. Jahrhundert In den beiden letzten Abschnitten erfahren Sie, dass die industrielle Revolution als Globalisierungstreiber ab dem 17. Jahrhundert gilt. Sie werden die verschiedenen industriellen Revolutionen (1., 2., 3. und 4. industrielle Revolution) unterscheiden können. Die Industrie hat sich im Laufe der Zeit permanent verändert. Alle Ideen, die heutzutage entstehen, bauen demnach auf vergangenen Fortschritten auf. Industrie 4.0 durchlief demnach einen Entwicklungsprozess. Diese Entwicklung lässt sich seit dem 18. Jahrhundert in vier Phasen unterteilen - von Industrie 1.0 bis zur Industrie 4.0. Abb. 1 . 8 zeigt einen kurzen historischen Abriss über die bisherigen industriellen Revolutionen. <?page no="76"?> 1.5 Industrielle Revolutionen als Globalisierungstreiber ab dem 17. Jahrhundert 77 Abb. 1.8: Die vier Stufen der industriellen Revolution (vgl. acatech, 2013, und Herrmann, 2015, Kapitel 4) 1.5.1 Die erste industrielle Revolution Die erste industrielle Revolution, die meist als „Mechanisierung“ bezeichnet wird, startete in England während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Sie stellt den Übergang einer Agrarhin zu einer modernen Industriegesellschaft dar. Eine Grundbedingung für den Anfang der industriellen Revolution war vor allem die enorme Bevölkerungsexplosion in Großbritannien. Auf dem Land kam es dadurch zu einer Massenabwanderung in die Städte, die zu Wirtschaftszentren aufstiegen. Zu dieser Zeit wurde der größte Profit in der Textilbranche erzielt (http: / / www.wissen.de/ die-anfaengeder-industrialisierung-1751-1785). Die Rohstoffe wurden durch den lukrativen Dreieckshandel zwischen England, Afrika, Amerika und Westindien staatlich gewollt und deshalb billig importiert. Mitte des 18. Jahrhunderts kam es zu einem Umbruch in der Produktion. Durch die Mechanisierung der Produktion sind zahlreiche neue Techniken entstanden. Durch den Einsatz neuer Technologien kam es zu einem gewaltigen Produktivitätszuwachs. 1764 erfand der Weber James Hargreaves die erste noch Hand betriebene Spinnmaschine „Spinning-Jenny“. Der mechanische Webstuhl folge im Jahre 1785. Dem schottischen Ingenieur James Watt gelang im Jahr 1769 mit der Weiterentwicklung der Dampfmaschine eine geniale Erfindung. Eine technische Revolution, die ab den 1880er-Jahren die Industrialisierung in vielen Wirtschaftsbranchen vorantrieb (https: / / www.globalisierung-fakten.de/ industrialisierung/ referat-industrialisierung/ (06.06.2017)). Erstmals in der Geschichte waren die Menschen unabhängig von natürlichen Energiequellen und es entstand eine Vielzahl von Fabrikstädten. Neben dem großen industriellen Nutzen wurden durch die Dampfmaschine viele Arbeiten mechanisch automatisiert. So wurde in Großbritannien die Massenproduktion möglich, was dazu führte, dass durch betriebswirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten, wie die Erfahrungskurve, die Produkte billiger wurden. Die Entwicklung der Eisenbahn führte die erste industrielle Revolution zu ihrem Höhepunkt. Sie unterstützte den Transport auf dem Wasserweg zu <?page no="77"?> 78 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Lande. 1804 wurde die erste Lokomotive von Richard Trevithick gebaut. Allerdings wurde erst im Jahr 1829 der Durchbruch von George Stephenson mit der „Rocket“ erreicht. Der regelmäßige Personenverkehr begann 1830 auf der Strecke Liverpool-Manchester. Abb. 1.9: Transatlantischer Dreieckshandel (vgl. Harari, 2015, und Herrmann, 2015) Jedoch gab es auch eine Kehrseite der Industrialisierung, die sich auf den Straßen und vor den Fabriktoren zeigte. Die Auswirkungen dieser Revolution unterschieden sich für Arbeitnehmer und Arbeitgeber enorm. Die Klassenunterschiede verschärften sich in England. Einerseits gab es solche, die an der industriellen Wertschöpfung verdienten, und andererseits wurden die Fabrikarbeiter ausgebeutet. Harte Arbeitsbedingungen (bis zu 80 Stunden Arbeit in der Woche), Kinderarbeit, Lohndumping, Hunger, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit waren die verheerenden Folgen der industriellen Revolution. Das Fabriksystem führte zu einem dramatischen Niedergang des Handwerks und des Heimgewerbes. Obwohl die Arbeitsbedingungen sehr schlecht waren, zogen immer noch mehr Menschen in die Industriestädte und verstärkten den Trend der Verarmung. Diese strukturelle Armut wird auch als Pauperismus bezeichnet. In Deutschland erfolgte die Industrialisierung etwa 100 Jahre später. Zum einen lag es an der rückständigen Infrastruktur in Deutschland im Vergleich zu England. Zum anderen fehlte durch die Zersplitterung Deutschlands in viele kleine Einzelstaaten ein einheitlicher aufnahme- und nachfrageorientierter Markt. Ebenso stand neben einer weit verbreiteten Technologiefeindlichkeit auch das Fehlen von erforderlichem privatem Kapital für größere Investitionen der Industrialisierung im Wege. Am 1. Januar 1834 brachte die Gründung des deutschen Zollvereins die ersten nötigen Veränderungen. Da die grundlegenden Erfindungen bereits erfolgt waren, ging die industrielle Entwicklung im Vergleich zu Großbritannien in Deutschland zügig voran. Lesen Sie den Text unter https: / / www.globalisierung-fakten.de/ industrialisierung/ industrialisierung-zusammenfassung/ (30.05.2017). <?page no="78"?> 1.5 Industrielle Revolutionen als Globalisierungstreiber ab dem 17. Jahrhundert 79 1.5.2 Die zweite industrielle Revolution Die zweite industrielle Revolution ab 1871 beruhte auf den Grundlagen der Mechanisierung und Elektrifizierung und sie fand in der Phase der Hochindustrialisierung statt. Sie war geprägt durch die arbeitsteilige Massenproduktion mithilfe elektrischer Energie. Automatisierung war ebenso ein relevantes Stichwort dieser Revolution, denn ablauforganisatorische Prozesse wurden nicht nur neu entwickelt und eingeführt, sondern auch durch neue Techniken auf der Grundlage des Fließbands optimiert (http: / / www.gevestor.de/ details/ die-entdeckung-der-elektrizitat-wahrend-der-zweitenindustriellen-revolution-674384.htm). Während der zweiten industriellen Revolution gelang es der deutschen Industrie, eine führende wirtschaftliche Rolle im Welthandel einzunehmen. Die Industriezentren wurden in Deutschland immer größer und ökonomisch dominanter. Dadurch kam es auch zu einer rasch wachsenden Bevölkerung, die zwischen 1871 und 1910 von 41 auf 65 Millionen anstieg. Des Weiteren wurde der Umbruch von einer Agrarhin zu einer Industriegesellschaft immer deutlicher. Ende des 19. Jahrhunderts hatte der sekundäre industrielle Sektor den primären landwirtschaftlichen Wirtschaftssektor zurückgedrängt. Auf die Textil-, Eisen- und Stahlproduktion als Leitsektoren der industriellen Entwicklung folgten nun die Chemie- und Elektroindustrie, mit der Deutschland endgültig vom Nachzügler zum Vorreiter der Industrialisierung in Europa wurde. Unternehmen wie Siemens, AEG, Bosch und Bayer wurden in dieser Zeit der Hochindustrialisierung gegründet und entwickelten sich bis heute zu multinationalen Unternehmen. Für die Entwicklungen in Deutschland war und ist die amerikanische Automobilindustrie von großer Bedeutung. Erinnert sei an das von Henry Ford entwickelte „Model Ford-T“, das für die erste industrielle Fließbandproduktion im Automobilbereich Vorbild war. Vorreiter der sogenannten Assembly Lines, die zur Produktion des Ford T eingesetzt wurden, waren jedoch die Disassembly Lines. Diese wurden um das Jahr 1870 in den Schlachthöfen von Cincinnati eingesetzt, um dort die geschlachteten Tiere von einem Arbeiter zum nächsten zu transportieren. In der gleichen Weise fuhren die Autos mithilfe des Fließbands an den Produktionsarbeitern vorbei, wo jeder an seinem Arbeitsplatz nur noch eine oder wenige Arbeitstätigkeiten ausführte. Durch diese effizientere, wissenschaftliche Fertigungsmethode konnte die Arbeitszeit für einen Ford-T von über zwölf Stunden auf etwa 90 Minuten reduziert werden. Der Verkaufspreis des Modells T wurde dank der Arbeitsteilung, der Technisierung und der Erfahrungskurve von ca. 870 Dollar auf ca. 270 Dollar reduziert. Zur ökonomischen Motivation der Mitarbeiter wurde auch der Tageslohn auf 2 und später sogar auf 5 Dollar erhöht - mit der negativen Auswirkung, dass die Produktivität um 400 Prozent gesteigert werden konnte, um dafür bis zu 75 Prozent der Beschäftigten einzusparen. Dementsprechend konnte sich ein Ford-Arbeiter mit vier Monatslöhnen ein solches (Volkswagen-)Fahrzeug finanzieren. Schnell verbreitete sich die neue Technologie in der Automobilindustrie in der ganzen Welt. In Europa wurde die Technik als Erstes von Citroën übernommen (https: / / www.welt.de/ print/ wams/ vermischtes/ article13412755/ Henry-Ford-und-sein-Fliessband.html? wtrid=crossdevice.welt.desktop.vwo.article-spliturl&betaredirect=true). Mit dem Modell T, das 16 Mio.-fach hergestellt wurde, setzen multinationale Unternehmen immer mehr auf die Massenproduktion und den Massenabsatz, dies gilt z. B. auch für die Erfindung der Glühbirne, des Verbrennungsmotors und des Generators, die zukunftsweisend waren (http: / / www.gevestor.de/ details/ die-entdeckung-der-elektrizitat-wahrend-der-zweiten-industriellen-revolution-674384.html). Mit der Zeit kam es zu einem gesellschaftlichen Umdenken durch immer mehr Gewerkschaften, und die Fabrikarbeiter wurden besser entlohnt. Der Wunsch nach mehr Wohlstand wurde in den USA immer größer und konnte aufgrund der industriellen Massenproduktion und der dadurch kostengünstigeren Herstellung der Produkte erfüllt werden. Diese Entwicklungen führten somit auch zu einer bürgerlichen Revolution, durch welche die Sozialdemokratie entstand. <?page no="79"?> 80 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit 1.5.3 Die dritte industrielle Revolution Die dritte industrielle Revolution, auch als erste „Digitale Revolution“ bezeichnet, startete Anfang der 1960er-Jahre. Eine Zeitverzögerung in der technischen Entwicklung trat aufgrund der beiden Weltkriege auf. Während dieser Zeit befand sich Deutschland in einer starken wirtschaftlichen Situation. In den 1950er-Jahren war es zum Wirtschaftswunder in Deutschland gekommen. Getrieben wurde diese Revolution von der ersten Entwicklung der Computer von IBM und Siemens und vor allem durch die ersten digitalen und frei programmierbaren Steuerungen und Werkzeugmaschinen. Dadurch wurde das Fundament für die gesamte heutige Automatisierungspyramide und für die modernen Prozessleitsysteme gelegt. Ausgehend davon, dass in dieser Zeit viele Märkte gesättigt sowie die meisten Grundbedürfnisse befriedigt waren, rückte bei den Käufern der Anspruch an Individualismus und Qualität in den Vordergrund. Dies führte zu einer variantenreicheren Serienproduktion bis hin zu Mass Customization. Getrieben durch die Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die enorme Ausbreitung des Internets in den 1990er Jahren kam es zu bedeutenden Produktivitätssprüngen und einer weltweiten Verfügbarkeit von Wissen. Zudem stieg die Verschuldung in der Bevölkerung an, da die Menschen begonnen hatten, über ihre Verhältnisse zu leben. Im Zuge der dritten industriellen Revolution gewannen der Dienstleistungssektor und der Allfinanzsektor immer mehr an Bedeutung auf Kosten einer Weiterentwicklung der Industrialisierung. In Frankreich, England und den USA bestätigte sich dieser Trend besonders. Heute versuchen diese Länder, eine Reindustrialisierung zu starten. Deutschland war es gelungen, seinen Industrieanteil seit der Wiedervereinigung zu behalten. Ausschlaggebend waren Neuheiten aus dem landwirtschaftlichen und Pharmasektor, wie künstliche Düngemittel oder die Mähmaschinen, die auf den Markt kamen (http: / / www.lernhelfer.de). Die Strukturen in Deutschland passten aus der damaligen Sicht nicht zu einer fortgeschrittenen Dienstleistungsgesellschaft. Deshalb wurde Deutschland früher oft als „kranker Mann“ Europas betitelt. 1.5.4 Industrie 4.0 - die vierte industrielle Revolution Im letzten Abschnitt lernen Sie die Idee und die Vision der Industrie 4.0 sowie deren terminologische Grundlagen kennen. Sie werden erfahren, was sich hinter vertikaler und horizontaler Integration verbirgt, und Sie können entscheiden, ob es sich bei der Industrie 4.0 um eine Evolution oder eine Revolution handelt. Der Terminus „Industrie 4.0“ wurde 2011 von einer Arbeitsgruppe der Forschungsunion Wirtschaft und Wissenschaft in den öffentlichen Diskurs eingeführt. Geprägt wurde dieser Begriff insbesondere von den Leitern der Forschungsgruppe, Prof. Dr. Henning Kagermann, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster sowie Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas. Industrie 4.0 ist jedoch nicht plötzlich entstanden, sie folgt den durch die ersten drei Revolutionen verursachten Technologiesprüngen. Besonders nach der dritten industriellen Revolution konnte die Produktion und Fertigung bereits hochgradig automatisiert werden. Nun wurde durch die Einführung des Internets der Dinge und Dienste in die Fabrik die sogenannte vierte industrielle Revolution ausgerufen. Im Kern geht es um die Digitalisierung der industriellen Produktion. Maschinen, Produkte, Werkstücke und Menschen werden durch die sogenannten cyber-physischen Systeme im Bereich der industriellen Produktion miteinander vernetzt (vgl. Broy, 2010; Otto & Osterle, 2016; Roth, 2016). <?page no="80"?> 1.5 Industrielle Revolutionen als Globalisierungstreiber ab dem 17. Jahrhundert 81 Nicht nur in Deutschland wurde das Potenzial von Industrie 4.0 erkannt. Auch andere große Industrieunternehmen haben den Trend zur Nutzung des Internets der Dinge und Dienste in der industriellen Produktion erkannt. Besonders die Konkurrenten aus Asien und den USA arbeiten an entsprechenden Standards und Lösungen, was dazu führt, dass der globale Wettbewerb in der Produktionstechnik stetig zunimmt. Nennenswert ist insbesondere das Industrial Internet Consortium, eine Vereinigung, die im Frühjahr 2014 in den USA gegründet wurde. 1.5.5 Terminologische Grundlagen Für die Industrie 4.0 gibt es bisher keine eindeutige Definition. Im Folgenden werden verschiedene Definitionen für das Begriffsverständnis dargelegt. Eine der am häufigsten sowie umfangreichsten in der Literatur verwendeten Definitionen liefert die Plattform Industrie 4.0. Die Plattform besteht aus mehreren deutschen Industrieverbänden (Bitkom, VDMA und ZVEI), dabei übernehmen Bundeswirtschafts- und Bundesforschungsministerium die Leitung. Der Begriff Industrie 4.0 steht laut dieser Plattform „… für die vierte industrielle Revolution, einer neuen Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten. Dieser Zyklus orientiert sich an den zunehmend individualisierten Kundenwünschen und erstreckt sich von der Idee, dem Auftrag, über die Entwicklung und Fertigung, die Auslieferung eines Produkts an den Endkunden bis hin zum Recycling, einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen. Basis ist die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch Vernetzung aller an der Wertschöpfungskette beteiligten Instanzen sowie die Fähigkeit, aus den Daten zu jedem Zeitpunkt einen optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten. Durch die Verbindung von Menschen, Objekten und Systemen entstehen dynamische, echtzeitoptimierte und selbst organisierende, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach unterschiedlichen Kriterien wie […] Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen“ (Plattform Industrie 4.0, 2014). Im ersten Teil dieser umfangreichen Definition geht es um die Funktion der Industrie 4.0. Es wird betont, dass die Industrie 4.0 und deren Technologien Einfluss auf die gesamte Wertschöpfungskette multinationaler Unternehmen haben. Vor allem für die Logistikbranche erweisen sich die Industrie- 4.0-Technologien als nützlich. Neben der Beschaffungsseite ist Industrie 4.0 ebenso auf der Absatzseite immer stärker vorhanden. Hier bietet sich ein konkretes Beispiel an, das Sportunternehmen Adidas. „Futurecraft 3D ist der Prototyp unserer langfristigen Vision. Wir haben eine besondere Kombination aus Material und Prozess gefunden, die es uns erlaubt, völlig neue Wege zu gehen. Durch den Einsatz von 3D-Druck können wir erstklassige Laufschuhe herstellen und dabei die individuellen Performance-Daten des Läufers nutzen. Durch diese besondere Verknüpfung entstehen wirklich maßgeschneiderte Lauferlebnisse für jeden Athleten“ (Eric Liedtke, Mitglied des Vorstands der Adidas Gruppe, verantwortlich für Global Brands). Dieses Konzept erweist sich besonders für die Logistikbranche als nützlich. Zum einen kommt es zur Einsparung von Logistikkosten, aufgrund der individuellen Bestellungen kommt es zu dem individuellen Verkauf. Dies macht das Vorhandensein eines Verkaufslagers unnötig und bringt eine neue Verkaufsstrategie hervor. Somit wird aus der Definition deutlich, dass auch kurzfristige kundenindividuelle Produkte nach industriellem Maßstab hergestellt werden können, was wiederum Auswirkungen auf das Geschäftsmodell eines Industriebetriebs haben kann. Der zweite, eher technisch ausgerichtete Teil der Definition, thematisiert die Struktur sowie den Prozess von Industrie 4.0. Es wird unterstrichen, dass die Vernetzung aller an der Wertschöpfung <?page no="81"?> 82 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit beteiligten Akteure ausschlaggebend für die ständige Verfügbarkeit von Informationen ist. Durch den Erhalt von Daten in Echtzeit ist eine Optimierung hinsichtlich der Kosten und/ oder des Ressourcenverbrauchs möglich. Eine deutlich knappere Definition wird vom Arbeitskreis Industrie 4.0 verwendet: „Industrie 4.0 meint im Kern die technische Integration von CPS [cyber-physischen Systemen] in die Produktion und die Logistik sowie die Anwendung des Internets der Dinge und Dienste in industriellen Prozessen - einschließlich der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Wertschöpfung, die Geschäftsmodelle sowie die nachgelagerten Dienstleistungen und die Arbeitsorganisation“ (Kagermann et al., 2013, S. 18). Im weiteren Verlauf wird die umfängliche Definition der Plattform 4.0 als Grundlage verwendet. „Fast alle erfolgreichen Start-ups bauen digitale Plattformen. Die Plattformen sich schieben sich zwischen Hersteller und Kunden und schalten dabei alte Mittelsmänner aus. Ein gutes Beispiel: Streaming-Dienste wie Spotify, die sich auf Kosten von Plattenläden zwischen Musiker und Hörer gemogelt haben (Schwochow & Ramge, 2016, S. 208). 1.5.6 Vertikale und horizontale Integration Die Konzepte und Szenarien zu Industrie 4.0 wurden entwickelt, um Deutschlands Industrie zukunftsfest zu machen. Es ist essenziell, dass es zu einer Verschmelzung der physischen Produktion mit der Informations- und Kommunikationstechnologie kommt. Diese Verschmelzung erfolgt auf zwei Ebenen: vertikal und horizontal. Abb. 1.10: Vertikale Integration im Rahmen von Industrie 4.0 (IW Consult, https: / / vbw-agenda.de/ downloads/ positionen/ 140313-i-dienstleistungspotenziale_industrie-4.0_final.pdf, S. 8) <?page no="82"?> 1.5 Industrielle Revolutionen als Globalisierungstreiber ab dem 17. Jahrhundert 83 Die erste Ebene, die vertikale Integration, findet innerhalb des Unternehmens statt. Sie beinhaltet die Verknüpfung verschiedener IT-Systeme auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen eines Produktionssystems. Die Maschinen können nun drahtlos über die sog. Cyber Physical Systems (CPS) in Echtzeit miteinander kommunizieren (M2M-Kommunikation). Die Kommunikation kann einerseits durch RFID-Chips zum bearbeitenden Werkstück stattfinden und andererseits auch zum Beschäftigten, der die Maschinen bedient und überwacht (z. B. durch Datenbrillen). Entscheidend ist, dass durch die vertikale Integration die Produktion flexibler und schneller auf die einzelnen Kundenwünsche reagieren kann. Das führt dazu, dass Produkte auch in sehr kleinen Losgrößen rentabel produziert werden können (bis hin zur Losgröße 1). Ebenso lässt sich über die direkte Kommunikation der einzelnen Maschinen der Ressourcen- und Energieverbrauch optimieren (https: / / vbwagenda.de/ downloads/ positionen/ 140313-i-dienstleistungspotenziale_industrie-4.0_final.pdf, S. 8). Unter der horizontalen Integration versteht man die Einbindung der Systeme von Kunden, Lieferanten, verteilten Unternehmensstandtorten sowie externen Dienstleistern und Produzenten weltweit, zwischen denen ein Material-, Energie- und Informationsfluss verläuft, und zwar in einer eigenen vertikalen Systemlandschaft. Dadurch wird in dem entstandenen Wertschöpfungsnetzwerk ein in Echtzeit synchronisierter Austausch von internen und externen Unternehmensdaten möglich. Aufgrund der entnommenen Daten ist es dem Steuerungs- und Planungssystem nun möglich, die eigenen Produktionsprozesse zeitoptimiert zu koordinieren und in Echtzeit auf spezielle Anforderungen auszuführen. Abb. 1.11: Horizontale Integration im Rahmen von Industrie 4.0 (IW Consult, https: / / vbw-agenda.de/ downloads/ positionen/ 140313-i-dienstleistungspotenziale_industrie-4.0_final.pdf, S. 9) Durch das Zusammenspiel einer vertikalen und horizontalen Vernetzung ergeben sich Vorteile in der Produktivität und eine hohe Flexibilität für multinationale Unternehmen. Das führt dazu, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gesteigert wird. <?page no="83"?> 84 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit 1.5.7 Revolution oder Evolution? Industrie 4.0 ist ein langfristiges Vorhaben, diese in den betriebswirtschaftlichen Alltag und in die Produktion zu bringen. Dies wird nur durch einen schrittweisen Prozess ermöglicht (acatech, 2013, S. 23). Mittlerweile wird in der Literatur kontrovers diskutiert ob, die unter „Industrie 4.0“ erwartete Entwicklung revolutionär oder doch eher evolutionär sei. Eine Revolution ist immer durch schnelle und tiefgreifende Strukturumbrüche kennzeichnet. In vielen Ausführungen wird auf die tiefgreifenden Strukturumbrüche bezüglich der Arbeit und der Beschäftigung verwiesen (Schwab 2016). Andere verweisen auf den Zeitbedarf, den man benötige, um die Roboter und computerintegrierten Fertigungsanlagen (CIM) in die Produktion zu integrieren, die im Zuge der dritten industriellen Revolution eingeführt wurden. Das Konzept des Computer Integrated Manufacturings (CIM) verfolgte das Ziel transparenter Produktionsabläufe. Dabei standen Produktionsgeschwindigkeit, Flexibilität, Qualität und Zuverlässigkeit im Zentrum der Umsetzung. Schwab (2016) zweifelt den Neuigkeitswert der technischen Konzepte von Industrie 4.0 an. Er argumentiert, dass die festgelegten Ziele der Industrie 4.0 die gleichen Anforderungen darstellen, die bereits in den 1980er-Jahren realisiert werden sollten. „Was unter der Bezeichnung ‚cyber-physische Systeme‘ propagiert wird, ist zunächst nichts anderes als die Fortführung dessen, was seit den 1970er-Jahren als digitale Prozesssteuerung intensiv betrieben wird. Neu ist hier lediglich die mit Erweiterung des Adressraums gegebene Möglichkeit, über das Internet der Dinge Daten zwischen sehr vielen digital gesteuerten Prozessen selbsttätig austauschen zu können, was Möglichkeiten der Reorganisation von Wertschöpfung erweitert (aber auch Risiken erhöht)“ (Schwab 2016). Fasst man die Studien zusammen, ist sich die Mehrheit der Experten jedoch einig, dass Industrie 4.0 mehr als nur eine Neuauflage des CIM-Gedankens darstellt. Auch wenn die Ziele übereinstimmen, sollen diese auf einem anderen Weg und mit neuen Konzepten erreicht werden (acatech, 2013, S. 102). Auch der aktuelle Entwicklungsstand der Technologien ermöglicht es im Gegensatz zu früher, grundlegende Konzepte gezielt zu realisieren. Wirft man einen Blick auf die früheren technologischen Revolutionen, lässt sich feststellen, dass diese zunächst wenig revolutionäre Züge aufzeigten, sie liefen langsam und prozesshaft ab. Die meisten Experten sind sich in einem Punkt einig: Die längerfristigen Auswirkungen der vierten industriellen Revolution werden revolutionär sein, die Ausbreitung wird jedoch evolutionär verlaufen. Belegen kann man das mit einem Zitat des Präsidenten der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, Professor Kagermann: „Industrie 4.0 ist in der Art, wie es eingeführt wird, evolutionär. Schließlich können wir ja morgen nicht die Fabriken abreißen und alles ganz anders machen. Aber der Impact wird gewaltig sein, der ist revolutionär“ (acatech, 2013, S. 48). 1.5.8 Die Vision Industrie 4.0 Zurzeit ist es noch nicht möglich, eine genaue Aussage bezüglich der Auswirkungen von Industrie 4.0 zu treffen. Dennoch hat sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereits Ziele gesetzt: „Das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 zielt darauf ab, die deutsche Industrie in die Lage zu versetzen, für die Zukunft der Produktion gerüstet zu sein. Sie ist gekennzeichnet durch eine starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten (Großserien- )Produktion. Kunden und Geschäftspartner sind direkt in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse eingebunden.“ (https: / / www.bmbf.de/ de/ zukunftsprojekt-industrie-4-0-848.html) <?page no="84"?> 1.5 Industrielle Revolutionen als Globalisierungstreiber ab dem 17. Jahrhundert 85 Auch die Akteure der Plattform 4.0 haben sich das Ziel gesetzt, „das Zukunftsprojekt der Bundesregierung zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland umzusetzen“ (https: / / www.bmbf.de/ files/ Umsetzungsempfehlungen_Industrie4_0.pdf, S. 19). Neben der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit sollen durch die Entwicklung von Industrie 4.0 auch globale sowie nationale Herausforderungen bewältigt werden und bestehende IT-geschützte Prozesse optimiert werden. Viele Experten und Studien kommen zu dem Schluss, dass Deutschland als „Fabrikausrüster der Welt“ die beste Chance hat, im Vergleich zu anderen Ländern die Potenziale der vierten industriellen Revolution zu erschließen. Dass Deutschland in Zukunft gut aufgestellt ist, meint auch Gunther Reinhart, Institutsleiter des Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) der Technischen Universität München: „Deutschland beherrscht die komplexen automatisierten Systeme besser und sicherer als Unternehmen aus anderen Ländern.“ Die Besonderheit der Industrie 4.0 im Vergleich zu den vergangenen Revolutionen, ist die Tatsache, dass diese vorhergesagt wird. Die Auslöser der ersten drei Revolutionen wurden nachträglich festgestellt. Diese Tatsache ist der Grund dafür, dass heutzutage eine Menge an Industrie-4.0-Zukunftsszenarien bereits beschrieben/ entwickelt wurden. Fest steht bisher: Soll in Zukunft eine dynamische Gestaltung der Geschäfts- und Engineering-Prozesse ermöglicht werden, muss Industrie 4.0 vorangetrieben werden. Konkret bedeutet das, dass die Möglichkeiten der Produktion an Marktentwicklungen anzupassen sind. Die Produktion kann flexibler und dynamischer auf Stromausfälle oder Lieferverzögerungen reagieren. Durch den zunehmenden Komplexitätsgrad und die ansteigende Vernetzung werden mehrere Lieferantennetzwerke entstehen. Auch individuelle Kundenwünsche sowie kurzfristige Änderungswünsche werden durch die Industrie 4.0 ermöglicht. Selbst die Produktion von Kleinstmengen (Losgröße 1) kann rentabel werden. Aufgrund der individuellen Produkte kommt es zu einer Abwendung der Fertiglagerproduktion. Die flexiblere Produktion ermöglicht die Fokussierung auf „Production on Demand“, was zu einer Verbesserung der Reaktionsgeschwindigkeit der multinationalen Unternehmen führt. Durch das Wegfallen von Mindest-Losgrößen können Lagerbestände reduziert oder sogar ganz abgeschafft werden. Maschinen geben ihren aktuellen Status durch. Mithilfe von Sensoren kann die Maschine feststellen, ob sie Nachschub oder Wartung benötigt, und sogar eigenständig die Ersatzteile bestellen. Das geschieht alles frühzeitig, bevor es zu Engpässen oder Produktionsausfällen kommt. Die Chancen von Industrie 4.0 sind enorm. Neben der Erhöhung der Qualität und der Vielfalt der Produkte kann es zu einem Produktivitätszuwachs von 30 Prozent kommen. Gleichzeitig sind die Zeiträume von der Entwicklung bis zu Produktion kürzer. Dadurch wird Industrie 4.0 für den Industriestandort Deutschland einen entscheidenden Beitrag sowohl für den Erhalt als auch für die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit leisten. Die Umsetzung von Industrie 4.0 ist aber auch mit Hürden verbunden. Zum einen stellen Produktivitätszuwächse durch optimierte kurze Prozesse die technische Seite vor Herausforderungen. Die Anpassung der Arbeitsplätze an den Menschen ist die soziale Seite der Herausforderung. „Es werden Menschen benötigt, die in diesem kurzen Prozess nicht nur Experten sind, sondern entlang dieses Prozesses in der Lage sind, alle Prozessschritte zu beherrschen, und wir brauchen Maschinen, die die Menschen dabei unterstützen“ (Ferdinand Hasse, Leiter der Support Unit Manufacturing Solutions - Phoenix Contact GmbH). Andererseits ist die Klärung von wichtigen Fragen, beispielsweise bezüglich einheitlicher Standards oder der IT-Sicherheit - wegen Hacker-Attacken - dringend erforderlich. <?page no="85"?> 86 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Zusammenfassung Industrie 4.0 umfasst die Vernetzung aller menschlichen und maschinellen Akteure über die komplette Wertschöpfungskette sowie die Digitalisierung und Echtzeitauswertung aller hierfür relevanten Informationen, mit dem Ziel, die Prozesse der Wertschöpfung transparenter und effizienter zu gestalten, um mit intelligenten Produkten und Dienstleistungen den Kundennutzen zu optimieren. Wir legen hier den Schwerpunkt der Definition auf die Vernetzung von Wertschöpfungsketten und die sich daraus ergebende Chance, den Kundennutzen zu steigern. Im Abschlussbericht der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) vom April 2013 wird der Begriff definiert als „… technische Integration von CPS in die Produktion und die Logistik sowie die Anwendung des Internets der Dinge und Dienste in industriellen Prozessen - einschließlich der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Wertschöpfung, die Geschäftsmodelle sowie die nachgelagerten Dienstleistungen und die Arbeitsorganisation“ (Kagermann et al., 2013, S. 8). Diese Definition nennt erste technologische Komponenten und geht in der Zielstellung weiter als die reine Steigerung des Kundennutzens. Als CPS werden cyber-physische Systeme beschrieben, die mithilfe von Sensoren physikalische Daten erfassen, vernetzen und steuerbar machen. Das Internet der Dinge und Dienste ermöglicht die Verknüpfung von physischen Objekten mit dem Internet. Im Kern beschreiben beide Definitionen die gleiche Thematik. Der Begriff Industrie 4.0 diskutiert Chancen der immer weiter steigenden Verschmelzung der physischen und virtuellen Welt. Zu den neuen Technologien zählen beispielsweise Big Data, Ubiquitous Computing oder Clouds, die völlig neue Prozessschritte ermöglichen. Es soll eine vollständige, unternehmensübergreifende Vernetzung sowie Verbindung von Objekten, Menschen und Systemen der kompletten Wertschöpfungskette über den gesamten Lebenszyklus von Produkten realisiert werden. Um dies zu erreichen, ist es von großer Bedeutung, eine vertikale sowie horizontale Vernetzung der Systemlandschaften zu realisieren. Die vertikale Integration beschreibt die komplette Integration innerhalb des Unternehmens, die horizontale die unternehmensübergreifende Vernetzung beispielsweise mit dem Lieferanten oder Kunden. Industrie 4.0 stellt eine Weiterentwicklung bereits bestehender Konzepte, wie dem Lean- oder Supply Chain Management, dar. Das Revolutionäre besteht im Zusammenwachsen der Technologien zu einer Lösung (Roth, 2016, S. 6 f.). Die Smart Factory, zu Deutsch die intelligente Fabrik, ist ein elementarer Bestandteil von Industrie 4.0. Das Internet der Dinge und Dienste ermöglicht die Kommunikation und Vernetzung zwischen Menschen, Maschinen und Materialien. In einer solchen Fabrik würden sich beispielsweise Maschinen je nach Bedarf automatisiert anpassen oder selbstständig Ersatzteile ordern. Die Fabrik ist weniger störanfällig und kann erhebliche Effizienzsteigerungen realisieren. So ist es möglich, kundenindividuelle Produkte bis hin zu Unikaten zu produzieren. Die Smart Factory ist nicht isoliert zu betrachten. Sie ist ein Element einer intelligenten Infrastruktur. Dazu gehören intelligente Produkte, intelligente Logistiklösungen und intelligente Gebäude. Übung 1.15 Schildern Sie die technische internationale Entwicklung von Industrie 1.0 bis 4.0. Übung 1.16 Warum ist Industrie 4.0 für multinationale Unternehmen zukünftig so essenziell? <?page no="86"?> Bearbeitungshinweise zu den Übungen 87 Schlussbetrachtung Nach der Einführung und Historie folgt die Theorie. Die Ursprünge der Internationalisierung sind schon im vorchristlichen Alten Orient, Indien, China und im alten Ägypten zu finden. Wer hätte das gedacht? Dachten wir nicht, wir wären die „Schmiedemeister der Globalisierung“? Die Ursachen für die Globalisierung im wirtschaftlichen Gebiet sind vielfältig. Als wichtige treibende Kräfte der Globalisierung können die folgenden Punkte betrachtet werden: eine zunehmende Liberalisierung der Märkte. - Kooperationstendenzen in Form von Abkommen zwischen Staaten steigen. - Es ist ein Trend zu mehr Freihandelsabkommen, Zollunionen, gemeinsamen Märkten, Wirtschaftsunionen und politischen Unionen zu erkennen (mal schauen, ob das anhält). - Ehemalige Planwirtschaften öffnen sich mehr als früher. - Neue Wettbewerber (südamerikanische und asiatische Schwellenländer) treten auf dem Weltmarkt auf. - Der technologische Fortschritt ist enorm. - Einschneidende politische Umwälzungen (bspw. Ende des Eisernen Vorhangs) machen den Weg für eine freie, weltumspannende Wirtschaftstätigkeit frei. Sie haben die Erklärungsansätze für den Außenhandel kennengelernt und kennen die wichtigsten Internationalisierungsstrategien und -theorien von multinationalen Unternehmen. Nach der Darstellung der Wertkette von Porter folgte ein Praxisbeispiel aus der Textilindustrie. Die Textilindustrie war eine der ersten Branchen, die mehr und mehr im Ausland produzieren ließen. Globalisierung, Internationalisierung, Protektionismus, Freihandel: Wie es in der Welt weitergeht, ist spannend. Einerseits gibt es Tendenzen zum Protektionismus, andererseits wird Freihandel propagiert. Wir würden den Ausblick wagen, dass sich die Globalisierung nicht stoppen lassen wird. Andererseits kann man die Auswirkungen der Corona-Krise noch nicht absehen. Jedoch sind Prognosen immer unsicher; was wir besser können, ist die Vergangenheit zu analysieren. Bearbeitungshinweise zu den Übungen Abschnitt 1.1 1.1. Multinationale Unternehmen sind Unternehmen, die mindestens in zwei Ländern einkaufen, produzieren und/ oder ihre Ware verkaufen. 1.2. Seit mindestens 8.000 - 10.000 Jahren wird internationaler Handel von Unternehmen betrieben. Mit dem internationalen Handel erwarb man Rohstoffe, Produkte, Sklaven usw., die man im eigenen Land nicht oder nur sehr teuer bekommen konnte. <?page no="87"?> 88 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit 1.3. Unter Globalisierung versteht man die gesamte Vernetzung von Unternehmen und Ländern weltweit durch informative, kommunikative, technische, politische und ökonomische Prozesse untereinander. 1.4. Anhand der Umsätze, der Vernetzungen von Unternehmen untereinander, des Rohstoff-, Energie-, Arbeitskräfte- und Warenaustausches, der internationalen Handelsverträge, der Schifffahrt, der Eisenbahnverknüpfungen, der Flugzeugverbindungen, der Wanderungsquoten von Bevölkerungsgruppen usw. kann Internationalisierung und Globalisierung messbar gemacht werden. 1.5. Absoluter Kostenvorteil im Sinne von Adam Smith: Ein Unternehmen kauft in dem Land - Freihandel zwischen den Staaten vorausgesetzt -, in dem die Produkte, Rohstoffe und die menschliche Arbeitskraft aufgrund der internationalen Arbeitsteilung am billigsten sind. Relativer oder komparativer Kostenvorteil: Der englische Nationalökonom David Ricardo hat nachgewiesen, dass der internationale Tauschhandel zur Wohlfahrtssteigerung der Länder beiträgt. Auch wenn man nur die relativen Kostenvorteile von Produktionskosten der entsprechenden Güter zueinander in Vergleich setzt. 1.6. Heckscher (1949) und Ohlin (1933) erläuterten Aussagen über die Wirkung internationalen Handels auf die Faktorpreise getauschter Güter, wonach sich Unterschiede in den Faktorpreisrelationen vermindern und über die Zeit vollständig ausgleichen. 1.7. Vernon betrachtet mit seinem Ansatz nur Direktinvestitionen, was zumindest im Widerspruch zum Heckscher/ Ohlin-Theorem steht, sofern es sich um kapitalintensive Güter handelt. Abschnitt 1.2 1.8. Auswahlkriterien <?page no="88"?> Bearbeitungshinweise zu den Übungen 89 1.9. Für die erfolgreiche Umsetzung einer Global-Sourcing-Strategie müssen seitens der beauftragenden Unternehmen einige Grundvoraussetzungen erfüllt werden, darunter die folgenden:  Das Unternehmen sollte eine gewisse Mindestgröße vorweisen, um nötige Marktforschungs- und Implementierungsaktivitäten vor Ort finanziell bewältigen sowie die nötige datentechnische Infrastruktur über Ländergrenzen hinweg auf- oder ausbauen zu können.  Zudem sind die Kosten durch Reisen und die nötige Reisezeit ungleich höher, als wenn ein lokales oder regionales Unternehmen beauftragt würde.  Das Unternehmen sollte Erfahrungen in der internationalen Beschaffungsorganisation haben und über Mitarbeiter verfügen, die internationaler Verkehrssprachen mächtig sind.  Für das Global Sourcing kommen fast nur Beschaffungsobjekte mit einem hohen Beschaffungsvolumen infrage, da sonst Einsparungen durch (hohe) Transport- und Logistikkosten überkompensiert werden.  Das Unternehmen muss mit deutlich längeren Lieferzeiten rechnen als bei regionaler Beschaffung oder Produktion.  Es ist sinnvoll, mit einer Vielzahl von Lieferanten langfristige Verträge zu vereinbaren, um sich so Rabatte zu sichern, die sonst nur bei der Strategie „wenige Lieferanten - hohe Mengenrabatte“ zu erzielen wären. 1.10. Länderrisiken und Lieferantenrisiken Abschnitt 3 Übung 1.11.  Design und Produktentwicklung  Order  Verkaufsphase  Einkauf  Produktionsprozess  Ausgangslogistik Übung 1.12. In der Bekleidungsindustrie sind die entscheidenden Kriterien bzw. Wettbewerbspotenziale:  die Qualität, zu der produziert werden kann;  der Preis, zu dem produziert werden kann; er wirkt sich direkt auf den Beschaffungspreis aus, zu dem der Handel kauft;  die Kapazität des Lieferanten/ der Manufaktur;  die Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Lieferanten/ der Manufaktur, die Lieferleistung (Pünktlichkeit, Lead Time und Flexibilität);  die Produktionsqualität (dazu zählen u. a. die Produktionsgeschwindigkeit und die Qualität der Produktionsprozesse) sowie  Standortfaktoren, wie Zölle, Tarife, Infrastruktur, politische Rahmenbedingungen etc. <?page no="89"?> 90 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Übung 1.13. Als die drei entscheidenden Kostentreiber gelten:  laufende Qualitätskontrollen in der Produktion und im Warenausgang des Zulieferers,  Transportkosten,  Supply-Chain-Kosten. Als weitere Kostenkategorien, die bei der Bewertung von Beschaffungskosten zu berücksichtigen sind, gelten:  Logistikkosten,  Kosten, die durch die Interaktion mit lokalen und staatlichen Behörden sowie durch bürokratische Hürden entstehen,  Kosten von Steuern,  Währungsschwankungen. Übung 1.14. <?page no="90"?> Bearbeitungshinweise zu den Übungen 91 Abschnitt 1.5 Übung 1.15 Übung 1.16 Weil alle Unternehmen und Branchen sich weltweit noch stärker digitalisieren müssen, wollen sie international wettbewerbsfähig bleiben. <?page no="91"?> 92 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Literatur Abecassis-Moedas, C. (2006). Integrating design and retail in the clothing value chain: An empirical study of the organisation of design. 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Wiesbaden: Gabler. <?page no="95"?> 96 1 Grundlagen und Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit Weltbank (Hrsg.). (2014). How we Classify Countries. Verfügbar am 19.07.17 unter http: / / data.worldbank.org/ about/ country-classifications. Wildemann, H. (2006). Global Sourcing - Erfolgsversprechende Strategieableitung. In Th. Blecker & H. G. Gemünden (Hrsg.), Wertschöpfungsnetzwerke. Festschrift für Bernd Kaluza. Berlin: ESV. Zentes, J., Swoboda, B. & Morschett, D. (2004). Internationales Wertschöpfungsmanagement. München: Vahlen. Zentes, J., Swoboda, B. & Foscht, Th. (2012). Handelsmanagement. München: Vahlen. <?page no="96"?> 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen von Prof. Dr. Wilhelm Schmeisser und Prof. Dr. Irene Rath „Multis“ oder multinationale Organisationen gibt es in der heutigen Welt immer mehr. Als klassische „Multis“ werden in der Regel Siemens, Coca Cola, Unilever, Zara u. ä . Unternehmen bezeichnet. Um als multinationales Unternehmen zu gelten, muss das Unternehmen nicht nur länderübergreifend, sondern in sehr vielen Ländern der Erde tätig sein. Wie solche Unternehmen organisiert werden können, wird in diesem Beitrag aufgezeigt. Multinationale Organisationen erfordern eine Zusammenarbeit in internationalen Teams. Solche Unternehmen arbeiten beispielsweise in 40 oder sogar 60 Ländern der Erde, und daher ist zu lösen, wie eine solche Zusammenarbeit gelingen kann. In Abschnitt 2.1 werden die grundsätzlichen Herausforderungen, die an solche Teams gestellt werden, aufgezeigt. In Abschnitt 2.2 geht es um Modelle und Grundlagen internationaler Teams. Abschnitt 2.3 geht auf die Interkulturalität ein. Abschnitt 2.4 zeigt den Zusammenhang zwischen Teams und Interkulturalität. Der letzte Abschnitt dieses Kapitel zeigt auf, wie die Organisation multinationaler Unternehmen in der Praxis aussehen kann. 2.1 Interkulturelle Teams als Erfolgspotenzial und Herausforderung für Unternehmen Lernziele Nach Bearbeitung dieses Abschnitts haben Sie verstanden:  Um als multinationales Unternehmen erfolgreich zu sein, muss man Märkte sowohl global als auch lokal adäquat bedienen können.  Interkulturelle Teams sind sowohl für globale als auch lokale Erfolge multinationaler Unternehmen enorm entscheidend, und zwar besonders im Forschungs- und Entwicklungsbereich innovativer Geschäftsmodelle sowie im Marketingbereich.  Zur Führung interkultureller Teams gibt es keinen universellen Organisationsansatz, sondern vier Organisationsansätze, die sich komplementär ergänzen können. Sie sollten alle vier Organisationsansätze mit ihren Prämissen kennen, und deren komplementäre Organisationsansätze in multinationalen Unternehmen anwenden können. Die Welt unterliegt einem permanenten Wandel. Gab es im Jahr 1993 noch ein weltweites Exporthandelsvolumen von circa 3.684 Milliarden US-Dollar, hat sich dieses binnen zehn Jahren auf 18.301 Milliarden US-Dollar verfünffacht (WTO, 2014, S. 24; Minarsch, 2016). Ursache dafür ist die vielzitierte Globalisierung, die für „eine weltweite Verflechtung der Unternehmensaktivitäten“ (Rothlauf, 2006, S. 3) steht und als Megatrend zur zentralen Herausforderung des 21. Jahrhunderts avanciert. Denn mit der Globalisierung findet nicht nur eine weltweite wirtschaftliche, sondern in gleicher Weise eine technische, kulturelle, politische und ökonomische Verflechtung statt, die die ganze Welt verändert (Eickelpasch & Rademacher, 2004, S. 57 f.). Dies schlägt sich auch in der enormen Anzahl an international tätigen Unternehmen nieder, die sich bereits im Jahr 2008 auf weltweit circa 82.100 transnationale Unternehmen mit über 800.000 Tochterfirmen belief. <?page no="97"?> 98 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Die Globalisierung und die damit verbundene Internationalisierung hat die deutsche Wirtschaft ebenfalls stark verändert. Die Importquote Deutschlands für Waren und Dienstleistungen hat sich seit dem Jahr 1991 mit 39,1 Prozent (2015) fast verdoppelt, während bei der Exportquote mit 46,9 Prozent (2015) sogar eine Verdoppelung zu verzeichnen ist. Produkte und Dienstleistungen werden demzufolge weltweit gehandelt und verkauft, was wiederum neue Herausforderungen für die Unternehmen, besonders im Marketing, im Forschungs- und Entwicklungsbereich und im Produktionsbereich, birgt. Abnehmer und Kunden in verschiedenen Ländern und Kulturen haben unterschiedliche Ansprüche an das Unternehmen und dessen Produkte. Infolgedessen müssen sich die Unternehmen zunehmend bewusstwerden, dass sie Mitarbeiter brauchen, die diese unterschiedlichen Kundenanforderungen kennen und verstehen. Passende Arbeitskräfte müssen die Unternehmen heute nicht mehr nur auf dem landeseigenen Arbeitsmarkt suchen, denn mit der Globalisierung hat sich auch dieser über die nationalen Grenzen ausgedehnt. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Finaccord haben im Jahr 2013 bereits 50,53 Millionen Menschen außerhalb ihres Heimatlandes gearbeitet und studiert (Finaccord, 2014, S. 16). In Anbetracht der Tatsache, dass die lokalen Grenzen des Arbeitsmarktes aufgebrochen werden, gewinnt nicht nur die Globalisierung, sondern auch die Lokalisierung zunehmend an Bedeutung. Nach Bartlett und Ghoshal gibt es für internationale Unternehmen sowohl den Druck der globalen Integration als auch die Notwendigkeit zur lokalen Anpassung. Die globale Integration geht dabei im Wesentlichen auf Standardisierungserfordernisse ein und steht für eine weltweite Unternehmensstrategie. Die Notwendigkeit lokaler Anpassung hingegen passt die Unternehmensstrategie an die Bedürfnisse des jeweiligen Gastlandes an, um so Differenzierungsvorteile zu generieren. Je nachdem, wie stark die internationalen Unternehmen auf Globalisierungs- und Lokalisierungserfordernisse eingehen, ergeben sich vier Strategien für internationale Geschäftstätigkeiten, wie in Abb. 2.1 dargestellt (Bartlett & Ghoshal, 1990, S. 82 ff.). Abb. 2.1: Internationalisierungsstrategien nach Bartlett und Ghoshal (in Anlehnung an Hutzschenreuter, 2015, S. 397) <?page no="98"?> 2.1 Interkulturelle Teams als Erfolgspotenzial und Herausforderung für Unternehmen 99 Die Globale Strategie steht für globale Effizienz, wobei die Strategien beziehungsweise Ziele zentralisiert und mit Ausrichtung auf den Weltmarkt entwickelt werden. Bei der Internationalen Strategie ist das Ziel, unternehmensinternes Wissen weltweit zu nutzen, indem die Strategien des Heimatlandes auf die anderen Länder übertragen werden - meist zu Beginn einer Internationalisierung. Die Multinationale Strategie stellt sich hingegen auf die unterschiedlichen nationalen Bedingungen und Erfordernisse ein, um so einen internationalen Unternehmenserfolg erzielen zu können. Die Transnationale Strategie hingegen versucht alle drei bereits genannten Strategien zu verbinden, um sowohl die lokale Anpassung als auch die globale Effizienz und die weltweite Lernfähigkeit ausnutzen zu können (Bartlett & Ghoshal, 1990, S. 29 ff.). Gerade bei der Multinationalen Strategie und der Transnationalen Strategie ist es folglich für die Unternehmen wichtig, Mitarbeiter aus verschiedenen Kulturen und Ländern zu beschäftigen, die die lokale Strategie mit der globalen Unternehmensstrategie verknüpfen können. Mit der Globalisierung geht jedoch gleichermaßen eine Entwicklung von neuen Arbeitsformen - sogenannte New Work Formate - einher, die mehr denn je auf Kollaboration und Teamarbeit setzen. Folglich werden auch interkulturelle Teams immer interessanter für die Unternehmen, wie schon Snow, Snell, Davison und Hambrick (1996, S. 66) in ihrer Studie konkludieren: „Transnational teams are at the heart of the globalization process“. Darüber hinaus werden viele Organisationseinheiten, wie beispielsweise Teams, Arbeitsgruppen oder Projektgruppen, in der Arbeitswelt interkulturell zusammengesetzt (Podsiadlowski, 2002, S. 16). Diese interkulturelle Teamarbeit bietet für internationale Unternehmen viele Vorteile aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Hintergründe und Wissensgebiete der einzelnen Teammitglieder. Andererseits ist eine interkulturelle Teamarbeit mit verschiedenen Nationalitäten und Kulturen nicht immer einfach umzusetzen. Schnell kommt es dazu, dass in diesen Teams (Watson, Kumar & Michaelsen, 1993, S. 595 f.; Minarsch, 2016; Schmeisser, Reisser, Rolf & Popp, 2014) kulturelle Machtkämpfe ausgetragen werden, es zu Missverständnissen kommt oder das Team aufgrund von unterschiedlichen Perspektiven Effektivitätsverluste zu verzeichnen hat (Köppel, 2007, S. 78 ff.). Govindarajan und Gupta zeigen in ihrer Studie auf, dass in einem Unternehmen nur 18,0 Prozent der 70 untersuchten globalen Teams sehr erfolgreich zusammenarbeiten, während ein Drittel der Teams an ihrer Aufgabe scheitern (Govindarajan & Gupta, 2001, S. 63). Ebenso berichten die Medien täglich von gescheiterten Merger and Acquisitions (M&A), wie beispielsweise Chrysler-Daimler Benz oder Reebok-Adidas, die oftmals in zu großen kulturellen Unterschieden und einem defizitären kulturellen Integrationsmanagement begründet liegen (Syre, 2006, 5. September). Angesichts der weltweiten Entwicklungen hin zur interkulturellen Teamarbeit stellt sich die Frage, auf welche Weise interkulturelle Teams in internationalen Unternehmen effektiv und effizient organisatorisch eingesetzt werden können. Durch die vier Organisationsansätze ergibt sich ein multikontextuales Verständnis, das ergänzt durch praktische Handlungsempfehlungen den Unternehmen bei dem Umgang und dem Einsatz mit interkulturellen Teams eine Hilfestellung bietet. Im weiteren Verlauf werden folgende Thesen geprüft: These 1 Die Unternehmen müssen aufgrund der Einsatzmöglichkeit von interkulturellen Teams eine Makeor-Buy-Entscheidung treffen. These 2 Interkulturelle Teams bedürfen einer teamspezifischen interkulturellen Kommunikation und Führung, um erfolgreich zu sein. <?page no="99"?> 100 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen These 3 In interkulturellen Teams treten spezifische Konflikte auf, deren Lösung organisatorische und kulturspezifische Mechanismen verlangen. These 4 Die Leistung interkultureller Teams lässt sich durch eine adäquate Unternehmenskultur positiv beeinflussen. Zusammenfassung In diesem Abschnitt haben Sie gelernt, dass interkulturelle Teams - gerade unter dem Gesichtspunkt einer sich wandelnden Welt - entscheidend zum Erfolg bzw. Misserfolg eines Unternehmens beitragen können. Multinationale Unternehmen stehen vor dem Dilemma der globalen Integration oder der Notwendigkeit zur lokalen Anpassung. Bartlett und Ghoshal (1990) unterscheiden vier Internationalisierungsstrategien: Globale, Transnationale, Internationale oder Multinationale Strategie. 2.2 Grundlegende Termini und Modelle interkultureller Teamarbeit Lernziele Nach Bearbeitung dieses Abschnitts haben Sie ein Grundverständnis von den grundlegenden Modellen zur interkulturellen Teamarbeit in multinationalen Organisationen. Sie haben abzuschätzen und zu begründen gelernt, was in solchen Teams von überragender Bedeutung ist. Kultur Die Erläuterung und terminologische Eingrenzung des Phänomens Kultur ist bereits „seit langer Zeit Gegenstand verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen“ (Kutschker & Schmid, 2011, S. 671), wie beispielsweise der Psychologie, der Anthropologie oder der Soziologie. In der Management- und Betriebswirtschaftslehre hingegen wurde Kultur lange Zeit nicht als ernsthafter Einfluss auf Mitarbeiter angesehen. Einfluss von Kultur in Unternehmen Erst seit dem Aufkommen des Grundlagenproblems im Management zwischen Universalismus und Kulturismus in den 1960er-Jahren stellt sich auch für Unternehmen, insbesondere internationale Unternehmen, die Frage, wie sich Kultur auf dieselbigen auswirkt. Die Universalisten schließen mit der Culture-free-These den Einfluss von kulturellen Bedingungen auf Unternehmen und deren Management weitestgehend aus. Im Gegensatz dazu gehen die Kulturisten mit der Culture-bound- These davon aus, dass die kulturellen Einflüsse beim Management eines Unternehmens zwingend zu berücksichtigen sind, um organisationsspezifisch die bestmögliche Lösung zu finden (Kutschker & Schmid, 2011, S. 807). <?page no="100"?> 2.2 Grundlegende Termini und Modelle interkultureller Teamarbeit 101 Da keine dieser Thesen generell anwendbar ist, wird entsprechend durch das Management eine Entscheidung für die jeweilige Auffassungsrichtung getroffen (Welge & Holtbrügge, 1998, S. 45). Die Culture-bound-These wird vorzugsweise bei der Betrachtung von Makrovariablen, wie z. B. bei technischen Größen, herangezogen, wohingegen die Culture-free-These bei der Analyse von Mikrovariablen, wie z. B. bei Motivationsprozessen, zum Einsatz kommt (Hüfner, 2003, S. 79). Im Zusammenhang mit dieser Argumentationsgrundlage stellt sich die Frage, was Kultur überhaupt impliziert. Ursprünglich lässt sich der Terminus Kultur auf das lateinische Wort cultura (zu Deutsch: Bearbeitung, Pflege, Anbau) zurückführen, was darauf hindeutet, dass Kultur etwas von Menschen selbst Erschaffenes ist und sich nur durch Pflege weiterentwickeln kann. Eine rein etymologische Herleitung ist in diesem Fall jedoch nicht ausreichend. Es ist deshalb schwierig, eine einheitliche Terminologie herauszustellen, wie Kroeber und Kluckhohn (1963) mit über 160 sehr differierenden Kulturdefinitionen unter Beweis stellen. Für den Bereich der Betriebswirtschafts- und Managementlehre haben Kutschker und Schmid dennoch eine terminologische Grundlage geschaffen, die sich als Synthese der bekannten Definitionen erweist: Kultur ist die Gesamtheit der Grundannahmen, Werte, Normen, Einstellungen und Überzeugungen einer sozialen Einheit, die sich in einer Vielzahl von Verhaltensweisen und Artefakten ausdrückt und sich als Antwort auf die vielfältigen Anforderungen, die an diese soziale Einheit gestellt werden, im Laufe der Zeit herausgebildet hat (Kutschker & Schmid, 2011, S. 674). „In meiner Zeit bei IBM habe ich gelernt, dass Kultur das Wichtigste ist“ (Louis V. Gerstner Jr.) (Marcouse et al., 2015, S. 107). Kulturmerkmale Zur genaueren Kulturcharakterisierung bietet sich eine Betrachtung von unterschiedlichen Merkmalen an. Ebenen von Kultur Eine Merkmalsspezifizierung liefert Osgood (1951), bei dem Kultur durch zwei Ebenen abgebildet werden kann: die „Concepta-“ und die „Percepta-Ebene“. Die Concepta-Ebene bezieht sich auf kulturelle Phänomene, die nicht direkt beobachtbar und wahrnehmbar sind. Diese mentale Kulturebene beinhaltet das tiefliegende Fundament der Kultur, also beispielsweise Einstellungen, Werte und Normen. Die Percepta-Ebene hingegen steht für die beobachtbaren und wahrnehmbaren Phänomene von Kultur. Dazu zählt die materielle Kultur, wie Gegenstände oder Artefakte, und die soziale Kultur, wie Sprache oder Verhaltensweisen. Eine bildliche Analogie stellt der Eisberg dar, wobei die Percepta-Ebene als klar erkennbare Spitze des Eisberges bezeichnet werden kann, während die Concepta-Ebene den größten Teil des Eisberges widerspiegelt, die sich unter der Wasseroberfläche einer direkten Beobachtung entzieht (ebd., S. 209 ff.). Wandelbarkeit von Kultur Ein statischer Charakter ist bei Kultur vergeblich zu suchen. In der Vergangenheit entstanden, passt sie sich jedoch der Gegenwart und Zukunft an, wodurch ihr eine gewisse Wandlungsfähigkeit zugesprochen werden kann (Keller, 1982, S. 118). Für diese dynamische Anpassung besteht eine Notwendigkeit, die in gegenwärtigen Umständen und Trends begründet liegt, um den Ansprüchen der Menschen genügen zu können. Gerade im Themenbereich Arbeit kann diese kulturelle Anpassungsfähigkeit, die den Wandel von einer Arbeitsorientierung zu einer Freizeitorientierung zugelassen hat (Opaschowski, 1988, S. 32 ff.), beobachtet werden. <?page no="101"?> 102 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Erlernbarkeit von Kultur Jeder Mensch wird in eine primäre Kultur hineingeboren und eignet sich im Zuge seines Sozialisationsprozesses eine eigene Kultur an. Dieser Prozess wird auch Enkulturation genannt und erlaubt es, sich in seiner Kultur zurechtzufinden und zu wissen, was in dieser richtig und falsch ist. Allerdings stoßen die Menschen an Grenzen der kulturellen Erlernbarkeit, wenn sie sich eine zweite oder dritte Kultur aneignen wollen. Zwar können sie versuchen, diese Kultur zu verstehen und sich ihr anzupassen, jedoch wird dieser Akkulturationsprozess aufgrund der eigenen Primärkultur nie vollständig funktionieren, da sich die grundlegenden Handlungsmuster nie komplett ändern lassen (Kumbruck & Derbroven, 2015, S. 104). Abb. 2.2 zeigt diesbezüglich, dass Kultur klar von der Persönlichkeit und der allgemeinen menschlichen Natur abzugrenzen ist. Die menschliche Natur wird universell von allen Individuen durch ihre Gene ererbt und bildet dabei die Basis, analog zum Betriebssystem eines Computers. Die Persönlichkeit besteht hingegen aus individuellen und einzigartigen Kombinationen an Merkmalen, die teilweise vererbt und teilweise durch den Einfluss der Kultur und der persönlichen Erfahrungen erlernt sind. Abb. 2.2: Drei Ebenen der Verhaltensprägung nach Hofstede (in Anlehnung an Hofstede & Hofstede, 2011, S. 5) Handlungsbeeinflussende Kulturwirkung In ergänzender Betrachtung ist Kultur in erster Linie das Produkt von menschlichen Handlungen, da sie erst durch diese entsteht. Allerdings wird auch der Mensch in seinen Handlungen von bereits bestehender und geschaffener Kultur beeinflusst (Clarke, Jefferson & Roberts, 1979, S. 42). An dieser Stelle kann von einer wechselseitigen Beeinflussung der zuvor beschriebenen Concepta- und Percepta-Ebene gesprochen werden, die dergestalt ist, dass Kultur gleichzeitig einen „Einfluss- oder auch Restriktionsfaktor für Handlungen“ (Kutschker & Schmid, 2011, S. 676) darstellt. Kollektivitätscharakter von Kultur Jedes Individuum hat seine eigene Persönlichkeit und unterscheidet sich somit von anderen Individuen seiner Kultur, dennoch „bestehen Ähnlichkeiten zwischen den Persönlichkeitsstrukturen der Mitglieder gleicher Kultur[en]“ (Kammel & Teichelmann, 1994, S. 35). Die jeweilige Kultur gibt den Menschen gewisse Standards vor, an die sie sich halten und an denen sie sich orientieren können, <?page no="102"?> 2.2 Grundlegende Termini und Modelle interkultureller Teamarbeit 103 wie beispielsweise Fühl-, Denk- oder Handlungsmuster (Götz & Bleher, 2006, S. 13). Hofstede spricht an dieser Stelle von Kultur als „kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet“ (Hofstede & Hofstede, 2011, S. 4). Die Wortwahl Programmierung verdeutlicht, dass es für die Individuen sogar einen Druck gibt, dieser kollektiven Kultur zu folgen, um Mitglied einer spezifischen Gruppe zu sein. „Culture is for a group what personality is for an individual“ (Laurent, 1991, S. 1). Trotzdem ist jeder Mensch nicht nur Mitglied einer, sondern vieler verschiedener Kulturen. Quellen für diese einzelnen Kulturen können beispielsweise Erziehung, Familie, Nationalität, Geschlecht oder das Unternehmen, in welchem sich der Arbeitsplatz befindet, sein (Usunier & Walliser, 1993, S. 30). Aufgrund der verschiedenen Merkmale von Kultur kann konstatiert werden, dass Kultur viele Funktionen besitzt, wobei die Orientierungsfunktion als wichtigste herausgehoben werden muss. Demzufolge gibt Kultur etwas vor, an das sich gehalten werden kann - sie legt gewisse Regeln fest, zeigt, was gut und böse ist, und hilft, sich in der Welt zurechtzufinden. Kulturelemente Der Aufbau einer Kultur und ihrer Merkmale lässt sich durch das Kulturzwiebelmodell von Hofstede darstellen (Hofstede & Hofstede, 2011, S. 8 ff.). Demnach offenbart sich eine Kultur durch Symbole, Helden, Rituale und Werte, wie in Abb. 2.3 dargestellt. Abb. 2.3: Kulturzwiebelmodell nach Hofstede (in Anlehnung an Hofstede & Hofstede, 2011, S. 8) Die dabei gewählte Form einer Zwiebel für das Kulturmodell skizziert bereits den Aufbau einer Kultur. Um die darunterliegenden Schichten zu verstehen, ist eine Kultur von außen nach innen zu begreifen. Die Praktiken mit ihren Bestandteilen Symbole, Helden und Rituale sind sichtbar und klar zu erfassen, genau wie bei der bereits vorgestellten Percepta-Ebene. Doch um sie zu verstehen, bedarf es eines weiteren Vordringens bis hin zu den Werten, die nicht sichtbar sind und mit der Concepta-Ebene verglichen werden können. Der erste Eindruck einer Kultur wird bei Hofstede durch die äußerste und sichtbarste Schicht der Symbole gewonnen. „Symbole sind Worte, Gesten, Bilder oder Objekte, die eine bestimmte Bedeutung haben, welche nur von denjenigen als solche erkannt wird, die der gleichen Kultur angehören“ (Hofstede & Hofstede, 2011, S. 8). Mögliche Symbole können beispielsweise Sprache, Architektur, <?page no="103"?> 104 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Kunst oder Kleidung sein, die durch kulturfremde Individuen wahrgenommen und als Realität erfasst werden (Blom & Meier, 2004, S. 41). Die zweite Schicht des Modells bilden die Helden als Verbindung zwischen Symbolen und Ritualen. „Helden sind Personen, tot oder lebend, echt oder fiktiv, die Eigenschaften besitzen, die in einer Kultur hoch angesehen sind“ (Hofstede & Hofstede, 2011, S. 9). Die in der jeweiligen Kultur lebenden Menschen nehmen oft auf ihre Helden Bezug, ohne dass Außenstehende die Anspielungen verstehen können. Die dritte und letzte Schicht der sichtbaren Praktiken bilden die Rituale, die „kollektive Tätigkeiten [repräsentieren], die für das Erreichen der angestrebten Ziele eigentlich überflüssig sind, innerhalb einer Kultur aber als sozial notwendig gelten: sie werden daher um ihrer selbst willen ausgeübt“ (ebd.). Solche Rituale können beispielsweise nationale Feiertage oder Karnevalsumzüge sein. Die tiefste Ebene der Kultur bilden die Werte, die für eine „allgemeine Neigung [stehen], bestimmte Umstände anderen vorzuziehen. Werte sind Gefühle mit einer Orientierung zum Plus- oder zum Minuspol hin“ (ebd.). Somit sind Werte der grundlegende Kern einer Kultur, der auch von den eigenen Mitgliedern der Kultur nur sehr schwer erfasst oder gar sprachlich ausgedrückt werden kann. Sie bestimmen, was die Menschen als gut oder schlecht empfinden, und drücken sich beispielsweise auch in religiösen Einstellungen aus. Kulturdimensionen von Hofstedes empirischer Studie Hofstedes umfangreiche Studie und aufgrund seiner unterschiedlichen Herangehensweisen im Umgang mit Fragestellungen zur Kultur wird im Folgenden das empirische Modell von Hofstede ausführlich behandelt. Abb. 2.4: Kulturdimensionen nach Hofstede (in Anlehnung an die Ausführungen von Hofstede, Hofstede & Minkov, 2010) <?page no="104"?> 2.2 Grundlegende Termini und Modelle interkultureller Teamarbeit 105 Hofstede befragte in den 1960er- und 1970er-Jahren über 116.000 Mitarbeiter des Unternehmens IBM in über 70 Ländern per Fragebogen zu dem Thema Kulturdimensionen. Nach Kutschker und Schmid zielte Hofstede darauf ab, „Dimensionen herauszuarbeiten, mit denen man Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ländern darstellen kann“. Als Ergebnis der Faktor- und Varianzanalyse fand Hofstede vier Dimensionen heraus, die 49 Prozent der Gesamtvarianz und somit einen Großteil der kulturellen Unterschiede erklären. Aufgrund der Ergebnisse späterer Studien fügte Hofstede dem Modell zwei weitere Dimensionen hinzu (Huber, Kornmann & Köksecen, 2016, S. 27), weshalb hier von sechs Dimensionen ausgegangen wird, die auch in Abb. 2.4 dargestellt sind. Machtdistanz Die erste Kulturdimension ist die Machtdistanz, die das Ausmaß beschreibt, „bis zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen bzw. Organisationen eines Landes erwarten und akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist“ (Hofstede & Hofstede, 2011, S. 57 f.). Konkret geht es um die Frage, inwiefern die Mitglieder von verschiedenen Kulturen einen gewissen Machtunterschied tolerieren, wie Tab. 2.1 mit Beispielen aufzeigt. So können in Ländern mit hoher Machtdistanz (z. B. Mexiko) viele Hierarchiestufen, Statussymbole und eine zentrale Entscheidungsfindung in Unternehmen beobachtet werden. Die meisten europäischen Länder hingegen weisen eine geringe Machtdistanz auf, was sich auch in der Einbeziehung der Mitarbeiter in Unternehmen zeigt (Kutschker & Schmid, 2011, S. 720 ff.). Tab. 2.1: Beispiele unterschiedlicher Wertehaltung in Bezug auf Machtdistanz (in Anlehnung an Weidmann, 1995, S. 45) Gesellschaften mit niedriger Machtdistanz Gesellschaften mit hoher Machtdistanz  Mitbestimmung  Gleiche Rechte für alle  Tendenz zur Delegation von Aufgaben und Verantwortung  Kreative, erkenntnisbildende Lernmethoden  Eltern werden eher wie Partner behandelt  Machtgebrauch/ Machteinsatz muss legitimiert sein (Wahlen, Kompetenz)  Autokratie  Mächtige genießen Privilegien  Tendenz zur Zentralisation von Entscheidungen und Verantwortung  Reproduzierende Lernmethoden  Eltern werden als Respektsperson behandelt  Macht geht vor Recht, Macht ist vererbbar; stützt sich z. T. auf Gruppen- oder Familienclans Unsicherheitsvermeidung Die zweite Dimension wird als Unsicherheitsvermeidung bezeichnet. Für Hofstede zeigt diese den „Grad, bis zu dem die Mitglieder einer Kultur sich durch uneindeutige oder unbekannte Situationen bedroht fühlen“ (Hofstede & Hofstede, 2011, S. 220). Tab. 2.2 verdeutlicht in diesem Zusammenhang, dass eine Kultur mit starker Unsicherheitsvermeidung (z. B. Japan) versucht, die Zukunft unter Kontrolle zu halten und Konflikte zu vermeiden, indem sie viele Regeln, Gesetze und Vorschriften erlässt. Kulturen mit schwacher Unsicherheitsvermeidung (wie Irland oder Schweden) legen hingegen mehr Wert auf verschiedene Meinungen und Toleranz gegenüber fremden Kulturen, sodass in Unternehmen auch mehr Innovationen entstehen können (Rothlauf, 2006, S. 32). <?page no="105"?> 106 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Tab. 2.2: Beispiele unterschiedlicher Wertehaltung in Bezug auf Unsicherheitsvermeidung (in Anlehnung an Weidmann, 1995, S. 49) Gesellschaften mit schwacher Unsicherheitsvermeidung Gesellschaften mit starker Unsicherheitsvermeidung  Internationalismus, Offenheit für „Fremdes“  Toleranz, Meinungsvielfalt  Innovationsbereitschaft  Flexible Organisation und Arbeitsgestaltung  „Was nicht verboten ist, ist erlaubt“  Abweichungen von der Norm sind interessant  Nationalismus, Xenophobie 1  Dogmatismus  Widerstand gegen Veränderung  Formalisierung und Standardisierung  „Was nicht erlaubt ist, ist verboten“  Abweichungen von der Norm sind gefährlich Individualismus versus Kollektivismus Die dritte Dimension bezeichnet die Spannung zwischen Individualismus und Kollektivismus. In individualistischen Gesellschaften (z. B. USA) sind die Beziehungen zwischen den Menschen unabhängiger Natur. Ebenso tragen die Individuen jener Gesellschaften nur Verantwortung für sich selbst und enge Familienangehörige. In der Arbeitswelt wird der Arbeitsaufgabe und der Selbstverwirklichung eine höhere Bedeutung beigemessen als der Beziehung zu den Kollegen. In einer kollektivistisch geprägten Kultur (bspw. Pakistan) spielt hingegen die Eigenschaft Loyalität eine große Rolle. Eine starke Orientierung an der eigenen Gruppe und die Fürsorge für andere Personen in der gleichen Gruppe (bspw. Großfamilie oder Arbeitsteam) stehen an dieser Stelle im Fokus, wie die Gegenüberstellung von weiteren Wertehaltungen in Tab. 2.3 herausstellt (Emrich, 2014, S. 39). Tab. 2.3: Beispiele unterschiedlicher Wertehaltung in Bezug auf Kollektivismus und Individualismus (in Anlehnung an Weidmann, 1995, S. 46) Kollektivistische Gesellschaften Individualistische Gesellschaften  Identität durch Gruppen- und Firmenzugehörigkeit  Politische Macht wird von Interessengruppen ausgeübt  Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung ist moralisch fundiert (z. T. lebenslange Beschäftigung/ Betriebstreue)  „Lernen“ wird nur auf die Jugend bezogen  Harmonie, Respekt, Scham  Fremdbestimmung  Identität durch berufliche, gesellschaftliche Einbindung  Politische Macht wird von Wählern ausgeübt  Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung ist zweckbezogen und vertraglich fundiert (Arbeitsmarkt)  Permanente Weiterbildung  Schuldgefühle  Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung 1 Xenophobie bedeutet Fremdenfeindlichkeit und Dogmatismus bezeichnet ein unkritisches bzw. starres Festhalten an Meinungen oder Anschauungen. <?page no="106"?> 2.2 Grundlegende Termini und Modelle interkultureller Teamarbeit 107 Maskulinität versus Femininität Durch die vierte Dimension werden Gesellschaften nach ihrer Maskulinität bzw. Femininität unterschieden. Ist eine Kultur eher maskulin (wie Japan), so bedeutet dies, dass jene Gesellschaft viel Wert auf ein selbstbewusstes Auftreten legt. Es geht dabei meist um materielle und harte Werte, wie Ehrgeiz, Karriereorientierung und ein hohes Einkommen. In feministisch orientierten Kulturen (wie Schweden) geht es eher um die Lebensqualität an sich, wie Tab. 2.4 mit einigen Beispielen herausstellt. Die Menschen dieser Kultur nehmen mehr Rücksicht aufeinander und sind bescheiden, wodurch es vorrangig zu Kompromissen und Kooperationen kommt (Rothlauf, 2006, S. 31 f.). Tab. 2.4: Beispiele unterschiedlicher Wertehaltung in Bezug auf Maskulinität und Femininität (in Anlehnung an Weidmann, 1995, S. 48) Feminine Gesellschaften Maskuline Gesellschaften  Prinzip: Solidarität  Wohlfahrtsstaat als Ideal  Intuition  Anpassungsbereitschaft  „Arbeiten, um zu leben“  Bescheidenheit  Prinzip: Konkurrenz  Leistungsgesellschaft als Ideal  Aggression  Durchsetzungsvermögen  „Leben, um zu arbeiten“  Stolz Langzeitorientierung versus Kurzzeitorientierung Die fünfte Dimension betrachtet die langfristige bzw. kurzfristige Orientierung von Kulturen, wie Tab. 2.5 durch einige Beispiele verdeutlicht. Eine kurzfristig orientierte Gesellschaft (wie Kanada) zeichnet sich durch Merkmale wie Respekt vor der Tradition und Wahrung des Gesichts aus. Langfristig orientierte Länder (wie China) werden eher durch Beharrlichkeit, Respekt vor Rangordnungen, langfristigen Unternehmensstrategien und einer hohen Investitionstätigkeit charakterisiert. Tab. 2.5: Beispiele unterschiedlicher Wertehaltung in Bezug auf Langzeit- und Kurzzeitorientierung (in Anlehnung an Weidmann, 1995, S. 50) Gesellschaften mit Kurzzeitorientierung Gesellschaften mit Langzeitorientierung  Ungeduld, kurzfristige Erfolge  Normativismus 2  Tendenz zur absoluten Wahrheit  Eigene Ziele dominieren, Abneigung gegen Fremdbestimmung  Bewahrung von Traditionen  Ausdauer, langfristige Zielverfolgung  Pragmatismus  Viele „Wahrheiten“ (Abhängig von Zeit, Ort, Gegebenheit)  Bereitschaft, sich einem kollektiven Zweck unterzuordnen  Pragmatische Anpassung von Traditionen 2 Während der Normativismus die Vernunft vor die Theorie stellt, ist dies beim Pragmatismus umgekehrt und Handeln wird vor die Vernunft gestellt. <?page no="107"?> 108 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Gesellschaften mit Kurzzeitorientierung Gesellschaften mit Langzeitorientierung  Hohe Investitionen für schnelle Entwicklung (Verschuldung)  Haushalten zur Zukunftssicherung (Sparen) Beherrschung versus Nachgiebigkeit In Ergänzung zur fünften Dimension übernahm Hofstede von Minkov die bislang letzte und sechste Dimension, die ein Spektrum zwischen Beherrschung und Nachgiebigkeit aufspannt. Demnach streben Gesellschaften, die einen nachgiebigen Charakter aufweisen (wie z. B. die USA) danach, ihr Leben frei zu gestalten, Spaß an Freizeitaktivitäten zu haben und ihre eigenen Wünsche und Gefühle zu erfüllen. Gesellschaften mit großer Beherrschung (z. B. China) schränken sich hingegen stark ein, indem Spaß, Genuss oder freie Sexualität als verpönt gelten (Hofstede, Hofstede & Minkov, 2010, S. 277 ff.). Kritische Betrachtung der Kulturdimensionen von Hofstede Neben dem vorgestellten Modell von Hofstede gibt es weitere Studien, die andere Dimensionen für einen Landeskulturvergleich identifizieren (Trompenaars & Hampden-Turner, 2012). So bezieht sich beispielsweise Hall in seinen Kulturdimensionen auf unterschiedliche Aspekte der Kommunikation innerhalb von Kulturen. Für ihn hat Kultur vier verschiedene Dimensionen. Die erste Dimension Kontextorientierung verweist auf die Mindestmenge an Information, welche gebraucht wird, damit der Empfänger die Botschaft versteht. Die zweite Dimension Raumorientierung sagt aus, welche Privatsphäre und welches Territorium eine Kultur benötigt, um sich wohlzufühlen. Die dritte Dimension Zeitorientierung veranschaulicht eine Tendenz zu linearen Zeitabschnitten (monochrone Zeitauffassung) oder eine Annahme von verschwimmenden Zeitfenstern (polychrone Zeitauffassung). Mit der vierten Dimension Informationsgeschwindigkeit verweist Hall auf die unterschiedliche Geschwindigkeit, mit welcher Informationen in der Kommunikation codiert und decodiert werden (Hall, 1990, S. 3 ff.) Hofstede wird kritisch die Prägung seiner Studie durch die westliche Kultur und eine mangelnde Trennschärfe zwischen den Dimensionen vorgehalten. Jedoch bringen Kutschker und Schmid (2011) auch die Bedeutsamkeit der Studie zum Ausdruck. Hofstede erreichte mit seiner Studie einen großen Stichprobenumfang, welcher so nie durch andere Studien erreicht werden konnte. Auch die Tatsache, dass kaum eine Studie so oft zitiert und als Basis für weitere Arbeiten und Untersuchungen herangezogen wurde, zeugt von ihrem großen Einfluss (ebd., S. 731 ff.) Übung 2.1 Definieren Sie den Fachbegriff Kultur. Übung 2.2 Warum ist die empirische Studie von Hofstede bis heute so bedeutsam? Übung 2.3 Erläutern Sie die Kulturdimensionen von Hofstede. <?page no="108"?> 2.3 Interkulturalität 109 2.3 Interkulturalität Um Kulturen getrennt voneinander vergleichen zu können, gilt es zu wissen, was Kultur prägt. In den meisten Situationen treffen zwei oder mehrere Kulturen direkt aufeinander und es entstehen sogenannte kulturelle Überschneidungssituationen, die nur durch einen interkulturellen Hintergrund verstanden werden können. 2.3.1 Kulturelle Überschneidungssituationen Kulturelle Überschneidungssituationen entstehen, wenn Menschen aus zwei unterschiedlichen Kulturen aufeinandertreffen und sich eine Situation ergibt, „in der sie nicht allein aus einem kulturspezifischen Orientierungssystem heraus agieren können, sondern es mit zwei unterschiedlichen Orientierungssystemen zu tun haben, die mehr oder weniger deutlich wahrgenommen werden können“ (Thomas, 2005, S. 44). Die Eigenheit liegt darin begründet, dass beide Individuen in der Situation aufgrund ihres eigenkulturellen Orientierungssystems handeln, sich dessen aber keineswegs bewusst sind. Sie wähnen sich im Recht, das Richtige zu tun und werten das Verhalten des Gegenübers als falsch, da sie dessen kulturelles Orientierungssystem zunächst weder erkennen noch verstehen können. Wie Abb. 2.5 zeigt, müssen sich das vertraute Eigene und das ungewisse Fremde erst annähern, um einen Raum „der Nichteindeutigkeit, Vagheit und Neuartigkeit, der bedrohlich, aber auch anregend wirken kann“ (Thomas, 2005, S. 46), zu überwinden. Denn nur so kann das Fremde für das Eigene an Bedeutsamkeit gewinnen und eine gewisse Wechselwirkung entstehen, damit Kultur und Interkulturalität erfahrbar werden: „Kultur erfährt man immer über den Kontrast des Fremden mit dem Eigenen. Unsere eigene Welt kommt durch Eingrenzung von Vertrautem und Ausgrenzung von Fremden überhaupt erst zustande; man wird sich dem Eigenen, der eigenen Kultur, genauso bewusst wie dem Fremden“ (Brandenburger, 1995, S. 32 f.). Abb. 2.5: Dynamik kultureller Überschneidungssituationen (in Anlehnung an Thomas, 2005, S. 46) Daraus ergeben sich drei Anforderungen an die Bewältigung kultureller Überschneidungssituationen, um gemeinsam interkulturelle Synergieeffekte erzielen und etwas Neues kreieren zu können. Zunächst ist ein Kennenlernen des eigenkulturellen Orientierungssystems vonnöten. Im Zuge <?page no="109"?> 110 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen dessen gilt es vor allem, das eigene Denken, Verhalten und Wahrnehmen zu reflektieren und zu verstehen. Darüber hinaus besteht die Notwendigkeit, dass als zweite Anforderung auch das fremdkulturelle Orientierungssystem verstanden und anerkannt wird. Als dritte und schwierigste Anforderung bedarf es dann einer Abstimmung von dem Fremden mit dem Eigenen, was einen Perspektivenwechsel und eine Distanz zum Gewohnten mit sich bringt (Thomas, 2005, S. 49 ff.). Die Verhaltensregulationen unterscheiden sich in der Praxis jedoch stark voneinander, wie Bochner (1982) in Forschungen zum Thema Dynamik in kulturellen Überschneidungssituationen herausstellt. Je nach eigenem kulturellen Orientierungssystem und eigenen Erfahrungen kommt eines von vier Verhaltenskonzepten zum Tragen: Dominanzkonzept, Assimilationskonzept, Divergenzkonzept oder Synthesekonzept. Bei dem Dominanzkonzept wird ein Anpassungsdruck auf den Partner ausgeübt und die eigene Kultur der Fremden als überlegen angesehen. Im Zuge des Assimilationskonzepts findet das Gegenteil statt und eine Kultur unterwirft sich der anderen, indem sie deren Normen und Werte freiwillig übernimmt. Kommt das Divergenzkonzept zum Tragen, so werden beide Kulturen als bedeutsam angesehen, wobei die Werte und Normen so gegensätzlich sind, dass ständig zwischen dem eigen- und fremdkulturellen Orientierungssystem geschwankt wird und große Verunsicherungen entstehen. Nur wenn das Synthesekonzept als Verhalten beider Kulturen zum Vorschein kommt, kann es gelingen, ein gemeinsames kulturelles Orientierungssystem mit neuen Normen und Werten hervorzubringen und das Interkulturelle aufblühen zu lassen (Thomas, 2005, S. 47 f.). 2.3.2 Terminologische Grundlagen von Interkulturalität Der Terminus Interkulturalität resultiert aus kulturellen Überschneidungssituationen, die keine terminologische Eingrenzung begründen. Diese kann jedoch durch die lateinische Ableitung erfolgen. Demnach setzt sich Interkulturalität aus dem bereits erörterten Terminus cultura (zu Deutsch: Anbau, Bearbeitung, Pflege) und dem Begriff inter (zu Deutsch: zwischen) zusammen. Diese zwischenkulturelle Bedeutung deckt sich mit den Herleitungen aus der kulturellen Überschneidungssituation und deutet gleichzeitig auf eine Interaktion oder einen Prozess zwischen zwei oder mehreren Kulturen hin (Broszinsky-Schwabe, 2011a, S. 86). Eine ähnliche Auffassung vertritt auch die UNESCO, die in ihrem Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Interkulturalität wie folgt definiert: „,Interkulturalität‘ bezieht sich auf die Existenz verschiedener Kulturen und die gleichberechtigte Interaktion zwischen ihnen sowie die Möglichkeit, durch den Dialog und die gegenseitige Achtung gemeinsame kulturelle Ausdrucksformen zu schaffen“ (U- NESCO, 2005, Art. 4 Nr. 8). Neben der Bezeichnung interkulturell findet sich in der Literatur eine Vielfalt ähnlicher Termini, wie die deutschen Bezeichnungen multikulturell und transkulturell oder die englischen Bezeichnungen cross-cultural, intercultural, multicultural, diversity und teilweise auch transnational (Schneider & Hirt, 2007, S. 44). Jeder dieser Begriffe hat eine ganz eigene Bedeutung und lässt sich dadurch von den anderen abgrenzen. Für ein angemessenes und erfolgreiches Aufeinandertreffen mehrerer Kulturen bedarf es einer interkulturellen (Handlungs-)Kompetenz aller Beteiligten als notwendige Voraussetzung. Thomas definiert den Begriff wie folgt: Interkulturelle Kompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, kulturelle Bedingungen und Einflussfaktoren im Wahrnehmen, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich selbst und bei anderen Personen zu erfassen, zu respektieren, zu würdigen und produktiv zu nutzen im Sinne einer wechselseitigen Anpassung, von Toleranz gegenüber Inkompatibilitäten und einer Entwicklung hin zu synergieträchtigen Formen der Zusammenarbeit, des Zusammenlebens und handlungswirk- <?page no="110"?> 2.3 Interkulturalität 111 samer Orientierungsmuster in Bezug auf Weltinterpretation und Weltgestaltung (Thomas, 2003, S. 143). Dabei ist die interkulturelle Kompetenz der Bezugsfaktor für fachliche, strategische, soziale und individuelle Kompetenzen, wie Abb. 2.6 verdeutlicht. Abb. 2.6: Modell der interkulturellen Kompetenz nach Bolten (in Anlehnung an Bolten, 2006, S. 65) Nach Gertsen (1990) lässt sich die interkulturelle Kompetenz in drei Dimensionen aufteilen, die der Übersicht in Tab. 2.6 zu entnehmen sind. Die affektive Dimension bezieht sich auf die Bewusstseinsebene. Es geht vor allem darum, sensibel für kulturelle Situationen zu sein, diese zu durchschauen und „eventuell auftretende Probleme als kulturbedingt zu erkennen“ (Pernet, 2005, S. 14). Entscheidend dabei ist beispielsweise eine Vorurteilsfreiheit und Toleranz gegenüber anderen Kulturen. Bei der kognitiven Dimension geht es um interkulturelles Wissen, welches das Wissen über Unterschiede, Problempotenziale, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen, durch welche die Komplexität einer Kultur verstanden werden kann, umfasst. Die verhaltensbezogene Dimension bezieht sich auf die interkulturelle Handlungskompetenz, die es erlaubt, in interkulturellen Situationen effektiv zu handeln und Konflikte zu umgehen. Das Auftreten ist an dieser Stelle durch eine Handlungssicherheit und eine gute Kommunikationsfähigkeit geprägt (Gertsen, 1990, S. 346). <?page no="111"?> 112 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Tab. 2.6: Dimensionen der interkulturellen Kompetenz nach Gertsen (in Anlehnung an Bolten, 2006, S. 63) Affektive Dimension Kognitive Dimension Verhaltensbezogene Dimension  Ambiguitätstoleranz  Frustrationstoleranz  Fähigkeit zur Stressbewältigung und Komplexitätsreduktion  Selbstvertrauen  Empathie, Rollendistanz  Vorurteilsfreiheit, Offenheit, Toleranz  Geringer Ethnozentrismus  Akzeptanz/ Respekt gegenüber anderen Kulturen  Interkulturelle Lernbereitschaft  Verständnis des Kulturphänomens in Bezug auf Wahrnehmung, Denken, Einstellungen sowie Verhaltens- und Handlungsweisen  Verständnis fremdkultureller Handlungszusammenhänge  Verständnis eigenkultureller Handlungszusammenhänge  Verständnis der Kulturunterschiede der Interaktionspartner  Verständnis der Besonderheiten interkultureller Kommunikationsprozesse  Metakommunikationsfähigkeit  Kommunikationswille und bereitschaft i. S. der initiierenden Praxis der Teilmerkmale der affektiven Dimension  Kommunikationsfähigkeit  Soziale Kompetenz (Beziehungen und Vertrauen zu fremdkulturellen Interaktionspartnern aufbauen können) 2.4 Teams und Interkulturalität In Unternehmen sind Situationen, die eine interkulturelle Kompetenz erfordern, oftmals in Verhandlungen mit Geschäftspartnern oder beim Kontakt mit Kunden vorzufinden, wobei Interkulturalität bei der Zusammenarbeit in Teams die wohl prägnanteste Rolle einnimmt. 2.4.1 Terminologische Grundlagen von Teams In der Literatur findet sich, wie bei dem Begriff Kultur, keine einheitliche Terminologie von Team. Vielmehr existiert eine Diskussion darüber, ob ein Unterschied zwischen einer Gruppe und einem Team besteht. So wird eine Gruppe meist nach der Definition von Rosenstiel abgegrenzt, wonach eine Gruppe eine „Mehrzahl von Personen in direkter Interaktion, über eine längere Zeitspanne, bei Rollendifferenzierung und gemeinsamen Normen, verbunden durch ein Wir-Gefühl“ (Rosenstiel, 1992, S. 261) ist. Der Teambegriff geht über die Merkmale einer Gruppe hinaus, indem ein Team im Gegensatz zu einer Gruppe ein gemeinsames Ziel bzw. eine gemeinsame Aufgabe verfolgt. Katzenbach und Smith stellen darüber hinaus fest, dass Teams einen kooperativen Arbeitsstil besitzen und sich die Fähigkeiten der Teammitglieder ergänzen (Katzenbach & Smith, 1993, S. 68 ff.). Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Bezeichnung Team die Merkmale einer Gruppe miteinschließt, weshalb die Feststellung „jedes Team ist auch eine Gruppe, aber nicht jede Gruppe ist ein Team“ (Frech, 1996, S. 296) zutreffend ist. <?page no="112"?> 2.4 Teams und Interkulturalität 113 2.4.2 Entwicklungsstadien von Teams Ein erfolgreiches Team ist allerdings nicht sofort nach der Zusammenstellung gegeben. Vielmehr muss sich dieses Team erst selbst finden und dafür Entwicklungsphasen durchlaufen, um wirklich effektiv zu arbeiten. Tuckman (1965) hat diese Entwicklungsphasen in seinem Teambildungsmodell zusammengefasst. Demnach gibt es fünf Phasen, die in Abb. 2.7 dargestellt sind. Abb. 2.7: Phasenmodell der Teamentwicklung nach Tuckman (in Anlehnung an Brodbeck, 2007, S. 429) Die Forming-Phase kann auch als Entstehungsphase bezeichnet werden. Die Teammitglieder orientieren sich und lernen sich untereinander kennen. Gegenseitige Erwartungen und Eigenschaften sowie die Teamaufgabe sind noch nicht erkennbar, weshalb eine große Unsicherheit herrscht. Dieser ist durch viel Kommunikation, Information und Feedback zu begegnen, weshalb der Teamleiter in dieser Phase besonders gefordert ist (Rowold, 2015, S. 35). In der Storming-Phase kommt es häufig zu Konfrontationen und Konflikten. Die Teammitglieder klären ihre Teamziele und die Beziehungen untereinander. Sie testen ihre Grenzen aus und beharren auf ihren Meinungen. Wenn die Konflikte nicht gelöst werden können, leidet die Teamaufgabe darunter. Der Teamleiter fungiert als Streitschlichter, hat sich aber auch gleichzeitig in seiner Führungsrolle zu behaupten. Mit dem Überwinden von Konflikten und der damit einhergehenden Bildung eines Wirgefühls wird die Norming-Phase erreicht, in der die Teammitglieder ihre Rollen finden und sich mit dem Team identifizieren. Zwischen den Teammitgliedern entwickeln sich Beziehungen, sodass die Kohäsion steigt und gemeinsame Regeln sowie Normen festgelegt werden. Der Teamleiter fungiert dabei als Motivator und Aufgabenkoordinator. In der darauffolgenden Performing-Phase treten die einzelnen Teammitglieder in den Hintergrund und es kommt zur Höchstleistung des Teams. Aus diesem Grund wird diese Phase auch als Arbeits- oder Wachstumsphase bezeichnet. Durch eine funktionale Gruppenstruktur, eine hohe Motivation und die Fokussierung auf die Arbeitsbewältigung ist die Arbeitseffizienz in dieser Phase am größten. Der Teamleiter unterstützt sein Team durch Koordinations- und Delegationstätigkeiten, erinnert aber auch an die gemeinsame Vision. Nachdem die gemeinsame Aufgabe abgeschlossen ist, löst sich das Team in der Adjourning-Phase auf, wobei die Teammitglieder neuen Aufgaben nachgehen und der Teamleiter für einen klaren Abschluss und die Erledigung von Formalitäten sorgt (Schneider & Hirt, 2007, S. 278). 2.4.3 Terminologische Grundlagen von interkulturellen Teams Teamarbeit wird in Unternehmen eingesetzt, um Fehler von Individuen zu mindern bzw. zu verhindern und mithilfe von unterschiedlichen Kompetenzen der Teammitglieder bessere Ergebnisse zu erzielen (Merten, 2011, S. 106). Für die Generierung dieses synergetischen Potenzials durch Teamarbeit kommen interkulturelle Teams zum Einsatz. Die Gründe für diesen Einsatz sind vielfältig. So <?page no="113"?> 114 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen können beispielsweise Spezialisten für ein Fachgebiet aus verschiedenen Ländern kommen, zwei Unternehmen gehen eine Fusion ein oder das Unternehmen beschäftigt Mitarbeiter mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Unter einem konkludierenden Gesichtspunkt betrachtet, kann ein interkulturelles Team als Arbeitsgruppe aus Mitgliedern mit verschiedenen kulturellen Orientierungssystemen verstanden werden. Im engeren Sinne wird von interkulturellen Teams allerdings nur dann gesprochen, „wenn mehr als zwei Kulturen vertreten sind und fast jedes Teammitglied einer unterschiedlichen Kultur angehört“ (Fleischmann, 2014, S. 88). Ein interkulturelles Team ist jedoch deutlich von sogenannten Token Teams und bikulturellen Teams abzugrenzen. Während bei einem Token Team nur ein Mitglied einen anderen kulturellen Hintergrund als die restlichen Teammitglieder hat, bestehen bikulturelle Teams aus zwei Kulturen mit etwa gleicher Anzahl an Mitgliedern. Alle Teams, die mehr als drei verschiedene Kulturen beinhalten, werden hingegen als interkulturell bezeichnet. Zusammenfassung Gerade in Leitungsbeziehungen und Organisationsstrukturen multinationaler Unternehmen ist die interkulturelle Teamarbeit nicht mehr wegzudenken, will man in den Abteilungen Forschung und Entwicklung aber auch im Marketing in multinationalen Unternehmen erfolgreich sein. Unternehmen sind deshalb darauf orientiert, internationale Teams auf verschiedenen Organisationsebenen zusammenzustellen. Darauf, dass es bei der interkulturellen Teambildung unterschiedlichste Probleme gibt, hat die Studie von Hofstede bereits Ende der 1960er-Jahre hingewiesen; und wie Interkulturalität gelebt werden kann, ist immer noch ein strittiges Thema. 2.5 Interkulturelle Teams aus vier organisationstheoretischen Perspektiven Nach Bearbeitung dieses Abschnitts haben Sie ein Grundverständnis von interkulturellen Teams aus den verschiedenen organisationsspezifischen Perspektiven. 2.5.1 Zur Notwendigkeit von vier organisationstheoretischen Perspektiven Eine Vielzahl von Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Fachbereichen vertritt die Ansicht, die einzig wahre, universelle Perspektive in Bezug auf ihr Themengebiet zu besitzen, und baut deshalb eine ablehnende Haltung gegenüber anderen Ansichten auf. Jedoch kann keiner von ihnen die absolute Richtigkeit seiner Aussagen zweifelsohne beweisen. Es wurde bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine einheitliche Weltformel gefunden, die alle Phänomene von Unternehmen beschreiben kann. In der Organisationsforschung gibt es eine Vielzahl von Denkschulen, die mit ihren Annahmen und Konzepten völlig verschiedene Ansichten hinsichtlich der Funktion und Kontrollierbarkeit der <?page no="114"?> 2.5 Interkulturelle Teams aus vier organisationstheoretischen Perspektiven 115 Organisation vertreten. Obwohl alle Denkrichtungen wissenschaftlich fundiert sind, grenzen sie sich dennoch voneinander ab. Bolman und Deal (2008) bündeln das Potenzial der verschiedenen Denkrichtungen, um ein umfassendes Bezugssystem mit vier Perspektiven respektive Ansätze für das Management in Organisationen zu beschreiben. Dabei stützen sie sich weitestgehend auf Erkenntnisse der Sozialwissenschaften und der Betriebswirtschaft. Daraus resultiert ein Four-Frame-Modell, das eine Multiperspektivität zulässt, indem es die Tatsache anerkennt, dass jede Perspektive ein eigenes richtiges Bild der Realität beansprucht. Durch die Verbindung von struktureller, politischer, symbolischer und personeller Perspektive können Organisationen ganzheitlich verstanden werden. Der Ansatz von Bolman und Deal (ebd.) wird von Schmeisser et al. (2014) als Rahmen für die Organisations- und Managementanalyse weiterentwickelt. Durch das Verknüpfen unterschiedlicher Denkschulen kann es zur Entwicklung integrativer und interdisziplinärer Lösungen kommen, die sich nicht nur auf ein starres Lösungsmuster beziehen. Hinzu kommt, dass mithilfe dieses multikontextualen Rahmens verschiedene Organisationsziele untersucht werden, die „unterschiedlichste Kausalitätserkenntnisse zur Organisation heraus[stellen], die wiederum als Grundlage zur Organisationsgestaltung dienen können“ (Schmeisser et al., 2014, S. 46). Abb. 2.8 zeigt auf, dass keine Perspektive für sich steht, sondern sich alle Ansätze ergänzen und nur gemeinsam ein umfassendes Organisationsbild ergeben. Abb. 2.8: Multikontextuale Perspektiven (in Anlehnung an Schmeisser et al., 2014, S. 48) <?page no="115"?> 116 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen 2.5.2 Strukturelle Perspektive: Die Organisation als Maschine Der strukturelle Ansatz gilt als notwendige Voraussetzung für eine instrumentelle Organisationsgestaltung aller anderen Organisationsansätze. Im Mittelpunkt dieses Ansatzes stehen die Aufgaben und Informationen durch die Organisation, die mithilfe einer sinnvollen und zweckmäßigen Wahl der Primär- und Sekundärorganisation gesichert werden. Der Vorstand legt dazu eine hierarchische Grundstruktur fest, die auch als Primär- oder Aufbauorganisation bezeichnet wird. Diese Struktur regelt vor allem die „Aufgabenverteilung ab der zweiten Hierarchieebene des Unternehmens“ (unterhalb des Vorstands bzw. der Geschäftsführung) und richtet sich primär an den Gliederungskriterien Funktionen (Beschaffung, Produktion, Absatz) und Objekte (Produkte, Regionen oder Kunden/ Kundengruppen) aus. Durch die Sekundär- oder Ablauforganisation werden die Über- und Unterordnungsverhältnisse der Organisationsmitglieder und Organisationseinheiten herausgearbeitet, indem „hierarchieergänzende und hierarchieübergreifende Organisationsstrukturen“ (Schulte-Zurhausen, 2014, S. 306) zum Einsatz kommen. Die Bildung einer Ablauforganisation kann beispielweise durch das Stabsprinzip, das Matrixprinzip, das Ausgliederungsprinzip oder das Arbeitsgruppenprinzip erfolgen. Die Primär- und Sekundärorganisation sind so zu gestalten, dass „alle Aufgaben/ Informationen/ Kommunikationsströme wie Zahnräder einer mechanischen Uhr“ ineinandergreifen. Der Erfolg wird an „der Erfüllung der Unternehmensaufgabe (Sachziel) und an den Unternehmenszielen der Technizität, Produktivität, Wirtschaftlichkeit und Rentabilität (Formalziele)“ (Schmeisser, Clermont & Krimphove, 2000, S. 6) gemessen. Darüber hinaus gilt es, einige begrenzende Variablen bzw. Organisationsprämissen zu beachten, die in Abb. 2.9 in verkürzter Version dargestellt sind. Abb. 2.9: Organisationsprämissen des strukturellen Ansatzes (in Anlehnung an Schmeisser et al., 2014, S. 49 f.) Umgesetzt wird der strukturelle Ansatz bereits seit mindestens 130 Jahren, da er auf dem Scientific Management von Ford und Taylor aufbaut. Ford und Taylor haben in den Jahren von 1911 bis 1914 durch eine Funktionsmeisterorganisation/ Matrixorganisation als Primärorganisation und eine optimierte Ablauforganisation mittels Fließband viele Erfolge vorweisen können, da sie unbewusst die Gesetzmäßigkeiten der Erfahrungskurve verwirklichten. Die zweckmäßige Implementierung von <?page no="116"?> 2.5 Interkulturelle Teams aus vier organisationstheoretischen Perspektiven 117 einer Aufbau- und Ablauforganisation führte schließlich zu einer hohen Produktivität, Wirtschaftlichkeit, Rentabilität und auch der Kostenführerschaft nach Porter in der Automobilbranche, die später z. B. bei VW und Toyota wiederholt worden sind (Taylor, 1911; dazu auch Schmeisser et al., 2014, S. 27 f.). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kommt der strukturelle Ansatz vor allem dann zum Einsatz, wenn es um Make-or-Buy-Entscheidungen geht. Ob ein Unternehmen eher auf Selbstherstellung oder (internationalen) Fremdbezug der Produkte/ Dienstleistungen setzt, hängt maßgeblich davon ab, ob Primär- und Sekundärorganisation hinreichend geregelt sind und reibungslos ineinandergreifen. Denn funktioniert dies nicht, kann das Unternehmen die Aufgabe nicht effizient lösen und sieht sich gezwungen, den Auftrag entweder abzulehnen oder an ein anderes Unternehmen outzusourcen (Schmeisser et al., 2014, S. 26). Outsourcen bezeichnet das Ausgliedern von bestimmten Unternehmensbereichen, Produkten oder Dienstleistungen. Der strukturelle Ansatz liefert die Grundlage für alle folgenden Perspektiven und ist als Ausgangspunkt für weitergehende Betrachtungen anzusehen. Nur dann können „weitere Organisationsansätze alleine oder additiv berücksichtigt werden (Schmeisser et al., 2014, S. 45 f.). 2.5.3 Verhaltenswissenschaftliche Perspektive: Die Organisation als soziales System Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz setzt an den Defiziten des strukturellen Ansatzes an, denn „trotz aller rationaler Mittel, Instrumente und Methoden kann eine Organisation nicht wunschgemäß funktionieren, wenn der Mensch als bedürftiges und kreatives Wesen nicht betrachtet wird“ (Schmeisser et al., 2000, S. 6). Durch die Hawthorne-Experimente in den Jahren von 1927 bis 1932, die vor allem von Mayo, Roethlisberger und Dickson durchgeführt wurden, konnte die Alleingültigkeit des Scientific Management von Ford widerlegt werden. Die Experimente zeigten, dass die Rahmenbedingungen für die Produktivität der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle spielten. Denn trotz Veränderung bzw. Verschlechterung der Arbeitsbedingungen stieg die Arbeitsleistung an, da die Mitarbeiter durch Vorgesetzte und Forscher besondere Aufmerksamkeit erhielten (Hawthorne-Effekt). Ebenso sind informelle soziale Netzwerke und Freundschaften ein Faktor, durch welchen die Arbeitsleistung beeinflusst wird. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Organisation nicht mehr als Maschine, sondern vielmehr als ein soziales und produktives System verstanden, das den strukturellen Organisationsansatz inkludiert (Mayo, 1945, und Roethlisberger & Dickson, 1961). Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz stellt im Rahmen dieses sozialen Systems das (internationale) Verhalten, das Handeln und die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt seiner Analysen. Deshalb erfolgt eine Konzentration auf die Beziehungen zwischen Mitarbeitern, Organisationseinheiten (z. B. Gruppen) und der Gesamtorganisation. Mitarbeiter können durch ihre Kreativität die Effektivität der Organisation steigern, jedoch durch Verweigerung auch hemmen. Mithilfe einer angemessenen Kommunikation, Führung und Einbeziehung der Mitarbeiter kann bei diesen ein Selbstlern- und Selbstentwicklungsprozess einsetzen, aus dem dann ein organisationales Lernen und eine größere Innovationsfähigkeit resultieren (Schmeisser, Clermont & Krimphove, 2001, S. 13 f.). Einer der wichtigsten Faktoren für die Umsetzung des Ansatzes in multinationalen Unternehmen ist eine fähige internationale Führungskraft. Sie hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter und ihre Bedürfnisse im Arbeitsalltag berücksichtigt werden. Ein situationsspezifischer Führungsstil, klare Kommunikationsrichtlinien, Konfliktlösungen und die Unterstützung von Team- und Personalentwicklung müssen dabei Anwendung finden. <?page no="117"?> 118 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Die zur weiteren Eingrenzung des verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes zu beachtenden Organisationsprämissen werden in Abb. 2.10 dargestellt. Abb. 2.10: Organisationsprämissen des verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes (in Anlehnung an Schmeisser et al., 2014, S. 51) Der situative/ kontingenztheoretische Ansatz als Teilperspektive des verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes vereint diesen mit dem strukturellen Ansatz. Für einen Organisationserfolg mit größtmöglicher Effizienz und Effektivität benötigt es einen Fit von Struktur- und Situationsvariablen einer Organisation, weshalb Organisationsstruktur und Kontextsituation (z. B. Arbeitsbedingungen) eine konfliktfreie Kompatibilität aufweisen sollen (Scherm & Pietsch, 2007, S. 40 f.). Deshalb ist eine strukturelle Organisationsentwicklung immer durch eine verhaltenswissenschaftliche-arbeitspsychologische Organisationsentwicklung zu begleiten (Schmeisser et al., 2014, S. 46). 2.5.4 Politisch-rechtliche Perspektive: Die Organisation als politische Arena Die politisch-rechtliche Perspektive geht von „begrenzt rationalen Akteuren aus, die über begrenztes Wissen, begrenzte Informationsverarbeitungskapazitäten und eine eingeschränkte Moral verfügen“ (Schmeisser et al., 2014, S. 53). Dieses Menschenbild gilt für alle Organisationsmitglieder, die gemeinsam ein Unternehmen als „Koalition von Individuen“ (Cyert & March, 1963, S. 27) bilden. Mitglieder einer spezifischen Koalition sind alle Personen, die die Unternehmung als Mittel zur Zielerreichung sehen und ein gemeinsames Interesse an ihr haben (Schmeisser et al., 2001, S. 8). Neben den internen Koalitionsmitgliedern (z. B. Mitarbeiter, Führungskräfte und die Unternehmensleitung) werden auch externe Koalitionspartner registriert, die nicht im Unternehmen arbeiten, aber ein Interesse am Unternehmen haben (z. B. Kunden, Lieferanten, Banken, der Staat oder die Öffentlichkeit). Da die verschiedenen Koalitionen und Individuen unterschiedliche Ansichten und Interessen verfolgen, wird in der politisch-rechtlichen Perspektive nicht von einer Zielkongruenz aller Beteiligten ausgegangen. Vielmehr existieren Individual-, Gruppen- und Organisationsziele, die sich konträr gegenüberstehen oder auch überschneiden können. Diese Zielvielfalt führt dazu, dass eine Veränderbarkeit der primären Organisationsziele vorhanden ist, die durch die verschiedenen Koalitionen in Aushandlungsprozessen immer wieder neu festgelegt werden. Dabei kommt es im Wesentlichen darauf an, wie viel Macht die jeweilige Koalition besitzt und wie sie diese einsetzt, um unternehmerische Organisationsziele zu verändern (Schmeisser et al., 2000, S. 9). <?page no="118"?> 2.5 Interkulturelle Teams aus vier organisationstheoretischen Perspektiven 119 Ein rechtlich-institutioneller Unternehmensrahmen und weitere rechtliche Regelungen (z. B. die Europäische Aktiengesellschaft oder das Betriebsverfassungsgesetz) geben den Aushandlungs-, Abstimmungs- und Koordinationsprozessen eine Ordnung. So werden sowohl das Direktionsrecht des Vorstands als auch die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitarbeiter und weiterer Interessengruppen gesichert. Abb. 2.11 zeigt die beschränkenden Organisationsprämissen des Ansatzes noch einmal auf. Abb. 2.11: Organisationsprämissen des politisch-rechtlichen Ansatzes (in Anlehnung an Schmeisser et al., 2014, S. 55) Trotz der rechtlichen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise Gesetze und Richtlinien, sind Konflikte in der politisch-rechtlichen Perspektive als normal anzusehen. So gilt die Unternehmung in diesem Zusammenhang auch als „politische Arena der Ziel- und Strategiefindung“ (Schmeisser et al., 2014, S. 55). Die unterschiedlichen Koalitionen befinden sich in einem ständigen Aushandlungsprozess, beispielsweise über Budgetallokationen oder neue Arbeitsplätze, in welchem durch die verschiedenen Ziele und Strategien zwangsweise auch Konflikte entstehen. Diese Konflikte können und sollen nicht „psychologisch harmonisch“ (ebd.) gelöst werden, da sie „ein gesunder Indikator für Dynamik, Wachstum und Innovation einer Organisation“ sind. Konflikte dürfen zwar nicht vollständig gelöst werden, lassen aber sogenannte Quasi-Lösungen (Cyert & March, 1963, S. 117 f.) zu. Diese zeitlich begrenzten Quasi-Lösungen, wie beispielsweise Tarifverträge oder (internationale) Unternehmenssatzungen, gelten als förderlich und bringen das Unternehmen voran, indem sich dadurch neue Koalitionsgruppen angesprochen fühlen und gemeinsame Lösungen erarbeitet werden. Kommunikationsstrategien, Konfliktlösungsmechanismen und rechtliche Regelungen stehen bei diesem Ansatz im Vordergrund und geben den anderen drei Perspektiven einen gewissen Rahmen. 2.5.5 Symbolische Perspektive: Die Organisation als Theater Die symbolische Perspektive wird vor allem durch die Ansichten von Mead und Goffman geprägt, wonach der Mensch ein soziales und symbolisches Wesen ist, das „durch Sprache, Kultur, Ethik, Riten, Rituale, Bräuche geprägt ist“ (Schmeisser et al., 2000, S. 11). Die Organisationsmitglieder können das organisatorische Geschehen nicht rational begreifen, sondern sehen sich oftmals mehrdeutigen oder unverständlichen Situationen, Strategien oder Zielen <?page no="119"?> 120 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen ausgesetzt. Um diese Ereignisse für sich begreiflich zu machen, sprechen die Organisationsmitglieder ihnen bestimmte Bedeutungen und Interpretationen in Form von Symbolen zu. Als Ergebnis entsteht eine Unternehmenskultur, die durch die organisationsinternen Ereignisse und deren Bedeutungen herangewachsen ist. Ableitend aus den in Abb. 2.12 zusammengefassten Prämissen, stärkt die Unternehmenskultur das Gemeinschaftsgefühl der Mitglieder, kann jedoch auch als erklärendes Hilfsmodell der Aufbauorganisation angesehen werden. „Die Aufbauorganisation dient maßgeblich dem Hierarchieprinzip, damit der Vorstand bzw. die Geschäftsführung ihren Willen konfliktfrei im Unternehmen durchsetzen kann“ (Schmeisser et al., 2014, S. 26 f.). Darüber hinaus unterstützt die Unternehmenskultur die Vorgesetzten mithilfe verschiedener Riten oder Symbole (z. B. Kleidung oder Firmenautos) darin, ihre Macht zu demonstrieren und ihr Direktionsrecht durchzusetzen (ebd.). Abb. 2.12: Organisationsprämissen des symbolischen Ansatzes (in Anlehnung an Schmeisser et al., 2014, S. 57) Gerade bei Changemanagement-Situationen wird der Einbezug der Unternehmenskultur oftmals vergeblich gesucht, wie beispielsweise im Rahmen von Unternehmensfusionen oder innovationsgetriebenen Struktur- und Prozesswechseln bei internationalen Unternehmen. Solche strukturellen Veränderungen fordern jedoch gleichzeitig auch einen Wechsel der Unternehmenskultur, sodass die Mitarbeiter sich den neuen Anforderungen anpassen können. Damit die Mitarbeiter jedoch keinen Widerstand gegen das Changemanagement und den Wandel ausüben, bedarf es eines Verständnisses für deren Kulturen und die gesamte Unternehmenskultur, um neue Werte, Richtlinien und Normen etablieren zu können, mit denen alle Beteiligten zurechtkommen (Schmeisser et al., 2001, S. 17). Wird die Unternehmenskultur verändert, so zieht dies auch eine strukturelle Änderung der Aufbau- und Ablauforganisation nach sich, die somit einen neuen Raum für Innovationen gibt. Demzufolge kann mithilfe einer neuen oder veränderten Unternehmenskultur Personalentwicklung zur Organisationsentwicklung werden und den gesamten Organisationserfolg beeinflussen (Schmeisser et al., 2014, S. 57). Zusammenfassend lässt sich die symbolisch-kulturelle Perspektive auch mit einem „Theater von Visionen und Mythen“ (ebd., S. 56) vergleichen, wobei Innovationen und Veränderungen auch neue Skripte für die Mitarbeiter vorgeben, die ihre Rollen und das benötigte Bühnenbild neu erkunden und erlernen. Daher sind alle Organisationsmitglieder, vergleichbar mit einer Gruppe von Theaterspielern, angehalten, sich Veränderungen anzupassen und gemeinsame Regeln für das Zusammenspiel zu finden. <?page no="120"?> 2.6 Interkulturelle Teams aus einer strukturellen Perspektive 121 Übung 2.4 Welche Organisationsansätze respektive Organisationsperspektiven kennen Sie? Übung 2.5 Welche Prämissen kann man jedem Organisationsansatz zuordnen? 2.6 Interkulturelle Teams aus einer strukturellen Perspektive Bei der Betrachtung organisatorischer Fragestellungen aus einer strukturellen Perspektive geht es für Unternehmen um die Frage einer adäquaten Primär- und Sekundärorganisation für die Erreichung möglichst hoher Rentabilitäts-, Wirtschaftlichkeits- und Produktivitätsziele (Schmeisser et al., 2000, S. 4 ff.). 2.6.1 Primärorganisation Die Grundlage für den Einsatz interkultureller Teams bildet die Primärorganisation, denn durch die Aufgabenanalyse und die anschließende Aufgabensynthese wird die hierarchische Grundstruktur der Unternehmung festgelegt, wie Abb. 2.13 verdeutlicht (Töpfer, 2007, S. 1184 ff.). Abb. 2.13: Aufgabenanalyse und Aufgabensynthese (in Anlehnung an Bleicher, 1991, S. 49) Im Zuge dessen zerlegt die Aufgabenanalyse die Gesamtaufgabe der Organisation in Teilaufgaben und ordnet diesen in der Aufgabensynthese wiederum Stellen zu, welche sich zu Abteilungen zusammenfassen lassen (Kosiol, 1976, S. 42 ff.). Eine Stelle ist „die kleinste organisatorische Einheit im Unternehmen, die gestaltet werden muss“ (Heise, 2009, S. 45), und der sowohl ein spezifischer Aufgabenkomplex als auch Aufgabenträger zugeordnet werden können. Die so gebildeten Stellen werden anschließend zu Abteilungen zusammengefasst und hierarchisch verknüpft (Schulte-Zurhausen, 2014, S. 263). Um die Gesamtaufgabe der Organisation zu analysieren und die Teilaufgaben anschließend Stellen zuzuordnen, führt Kosiol fünf Organisationsprinzipien an, die in sachliche und formale Kriterien <?page no="121"?> 122 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen unterteilt werden (Kosiol, 1976, S. 49). An dieser Stelle empfiehlt Kosiol den Unternehmen, ihre Organisation jeweils nach einem Prinzip zu zentralisieren und nach den anderen Prinzipien zu dezentralisieren, um eine klare Organisationsstruktur zu entwickeln. Das erste sachliche Organisationsprinzip ist die Verrichtung, die auch als Funktion oder Aufgabe bezeichnet werden kann (Schmeisser et al., 2014, S. 64). Dabei wird die Aufgabenanalyse nach funktionalen Kriterien durchgeführt und anschließend werden die „Organisationseinheiten der zweiten Hierarchieebene nach Funktionen gebildet“ (Schulte-Zurhausen, 2014, S. 264). Diese Funktionsbereiche können leistungsorientierter Natur (z. B. Forschung und Entwicklung, Produktion, Vertrieb) oder ressourcenorientierter Natur (z. B. Personal- oder Finanzwirtschaft) sein. Insgesamt ergibt sich daraus eine „Primärorganisation der funktionalen Organisationsstruktur“ (Schmeisser et al., 2014, S. 64). Das zweite sachliche Organisationsprinzip ist das Objekt, nach welchem die Organisation gegliedert wird. Diese objektbezogene Gliederung erlaubt den Unternehmen einen besseren Überblick und eine bessere Erfolgszuweisung, da die hierarchische Bildung nach Produkten, Sparten, Regionen, Kunden oder Geschäftsfeldern erfolgt. Durch dieses Objektprinzip entsteht eine sogenannte Produktorganisation, die auch als Sparten- oder Geschäftsfeldorganisation bezeichnet wird. Funktionsorientierte und objektorientierte Gliederungskriterien können jedoch auch gleichzeitig zum Einsatz kommen, woraus eine Matrixorganisation (zwei Gliederungskriterien) oder eine Tensororganisation (drei Gliederungskriterien) resultiert. Das dritte Organisationsprinzip ist formal und stellt die Phase in den Mittelpunkt. Als Phase gilt an dieser Stelle der Managementprozess mit seinen Funktionen Planung, Organisation, Personaleinsatz, Führung und Kontrolle. Diese Phase wird nicht wie bei den anderen Prinzipien aufgeteilt, sondern bleibt als ganzer Prozess erhalten und wird einheitlich abgewickelt. So führt das Verrichtungsprinzip zur Projektorganisation als Aufbauorganisation. Als viertes Organisationsprinzip ist der Rang zu nennen, der für die „Hierarchie in der Aufbauorganisation“ steht. Beim Rangkriterium geht es um die Aufteilung der Aufgaben in Ausführungs- und Entscheidungsaufgaben und darum, weshalb dieses Prinzip als formales gilt. Das fünfte Organisationsprinzip bezieht sich schließlich auf die Zweckmäßigkeit. Dadurch werden primäre und sekundäre Zwecke im Unternehmen unterschieden. Primäre Zwecke sind Kernaufgaben, die immer in der Leistungssphäre des Unternehmens (z. B. Beschaffung, Produktion, Absatz) zu finden sind und beim Betriebszweck als Einzelkosten verrechnet werden. Sekundäre Aufgaben (z. B. Verwaltungsaufgaben) unterstützen hingegen die primären Aufgaben, sind aber selbst nicht produktiv (Schmeisser et al., 2014, S. 64 f.) und werden als Gemeinkosten verrechnet. Interkulturelle Teams können bei allen genannten Formen der Primärorganisation zum Einsatz kommen, unabhängig davon, nach welchem Kriterium das Unternehmen seine Organisation zentralisiert. Dabei sticht jedoch das Organisationsprinzip Phase hervor, das zu einer Projektorganisation führt. Diese Projektorganisation legt eine Teamarbeit nahe, da es sich bei Projekten um erstmalige, komplexe, neuartige, zeitlich klar begrenzte Aufgaben handelt, die ein „funktions- und ressourcenübergreifendes Know-how“ benötigen und als internationale Einzelarbeit nicht zu bewältigen sind. Darüber hinaus spielt die Primärorganisation bei interkultureller Teamarbeit eine große Rolle, wenn es um die Thematik der Stellenbildung geht. Diese entscheidet durch Zuordnung von benötigten Kompetenzen zu spezifischen Aufgaben, welches Mitarbeiterprofil sich für eine Stelle ergibt. Da einer Stelle anschließend eine passende Person zugeordnet wird, die auch Mitglied eines interkulturellen Teams sein kann, bildet sie die Grundlage für die Besetzungsmöglichkeiten dieser Teams. <?page no="122"?> 2.6 Interkulturelle Teams aus einer strukturellen Perspektive 123 2.6.2 Sekundärorganisation Auf Grundlage der Primärstruktur erweitert die Sekundärstruktur diese „um zusätzliche, für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zentrale Gesichtspunkte“ (Schulte-Zurhausen, 2014, S. 306), wobei die Primärorganisation überlagert wird, ohne dass es zu einer Ersetzung ihrer Struktur kommt. Die Sekundärorganisation hilft mit ihren Gestaltungsmaßnahmen die Schnittstellenproblematiken der Primärorganisation zu lösen und auf Innovationsprozesse spezifisch einzugehen. Dabei unterliegt die Sekundärorganisation den fünf Organisationsprinzipien der Primärstruktur. Diese werden, wie in Abb. 2.14 dargestellt, durch drei zusätzliche Organisationsprinzipien ergänzt, die beschreiben, wie die Aufgaben zu bewältigen sind. Das zeitliche Organisationsprinzip regelt dabei die zeitliche Abfolge der einzelnen Arbeitselemente. Dazu gehören sowohl Anfangs- und Endzeiten als auch die Dauer der Arbeitsgänge. Nach diesen zeitlichen Aspekten werden auch die „zeitlichen, personalen und sachlichen Abhängigkeiten zwischen den Arbeitsgängen gestaltet“ (Schmeisser et al., 2014, S. 65). Darüber hinaus bezieht sich das räumliche Organisationsprinzip auf die lokale Anordnung und Zuordnung der Arbeitsplätze, sodass Lauf- und Transportwege verringert und die Durchlaufzeiten optimiert werden. Das ergänzende personale Organisationsprinzip sorgt für eine Zuordnung von Eignungsprofilen zu den erforderlichen Kompetenzprofilen der Stellen. Die Ablauf- und Aufbauorganisation verknüpft sich dann durch eine für die Besetzung der Stelle angedachte Person mit dem Personalmanagement (Kosiol, 1976, S. 81 ff.). Abb. 2.14: Arbeitsanalyse und Arbeitssynthese (in Anlehnung an Bleicher, 1991, S. 49) Durch die ergänzenden Aspekte der Sekundärorganisation erweitert sich somit die Primärorganisation zu einer mehrdimensionalen Organisationsstruktur. So können sich je nach Fokus verschiedene Formen der Sekundärorganisation ergeben, wie in Tab. 2.7 dargestellt. Geht es beispielsweise darum, schnell und flexibel auf internationale Kundenbedürfnisse einzugehen, so eignet sich das Kundenmanagement als Sekundärorganisation. Sollen hingegen komplexe und innovative Probleme gelöst werden, liegt das Projektmanagement nahe. <?page no="123"?> 124 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Tab. 2.7: Formen der Sekundärorganisation (in Anlehnung an Schulte-Zurhausen, 2014, S. 307) Ergänzender Aspekt Sekundärorganisation Produktorientierte Koordination → Produktmanagement Kundenorientierte Koordination → Kundenmanagement Funktionsorientierte Koordination → Funktionsmanagement Prozessorientierte Koordination → Prozessmanagement Strategische Planung → Strategische Geschäftseinheiten Komplexe und innovative Pobleme → Projektmanagement Diese sekundären Organisationsstrukturen können mithilfe von vier unterschiedlichen Prinzipien gebildet werden. Eine Methode ist das Stabsprinzip, bei welchem „die Leitungsstellen der Primärorganisation um Stabstellen“ (Schulte-Zurhausen, 2014, S. 308) zu einer Stablinienorganisation ergänzt werden. Diese Ergänzung ist vor allem für Koordinationsaufgaben sinnvoll, „die eine intensive Informationssammlung und -verarbeitung erfordern“ (ebd.). Begründet liegt dies in der Hauptaufgabe einer Stabsstelle, die sich in entscheidungsvorbereitenden Aktivitäten für die Leitungsstelle widerspiegelt. Dadurch kann die Leitungsstelle quantitativ und qualitativ entlastet werden und ihre Entscheidungen mit einer höheren Qualität fällen. Im Gegensatz dazu kommt das Matrixprinzip vor allem zum Tragen, „wenn eine Problemstellung die gleichzeitige Behandlung aus unterschiedlichen Richtungen und von unterschiedlichen Standpunkten aus erfordert“(ebd., S. 311). Dabei ergeben sich in der Sekundärorganisation internationale Matrixschnittstellen, die bei komplexen Problemen eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Dimensionen kontrollieren und deren Kommunikation sowie Koordination sicherstellen. Im Zuge dessen kann sich eine Matrixstruktur auch ergeben, wenn „einer Stabstelle [sic] fachlich beschränkte Weisungsrechte eingeräumt sind“ (ebd., S. 313). Einen anderen Ansatz liefert das Ausgliederungsprinzip, welches neu gebildeten Organisationseinheiten die Koordination erleichtert, indem es „problemrelevante Komponenten aus der Primärorganisation ausgliedert“ (ebd.). Diese ausgegliederten Organisationseinheiten sind autonom und bekommen dann alle notwendigen Ressourcen und Kompetenzen zugeteilt. Anwendung findet dieses Prinzip vor allem im Bereich der Forschung und Entwicklung, in welcher die Organisationseinheiten für die Entwicklung und Umsetzung von Innovationen und Ideen verantwortlich sind. Organisationseinheiten als Zentralabteilungen, die der geschäftsbereichsübergreifenden Steuerung des Unternehmens dienen, bilden den zweiten wesentlichen Anwendungsbereich. Das letzte Prinzip ist das Arbeitsgruppenprinzip. Bei Anwendung dieses Prinzips werden hierarchieübergreifende Arbeitsgruppen gebildet, denen Entscheidungsbefugnisse übertragen werden, um eine Aufgabe möglichst effizient zu lösen. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe kommen dabei aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens und haben so unterschiedliche Perspektiven, unterschiedliches Wissen und unterschiedliche Ansichten, die sie zur Lösung des Problems einbringen. Teams „haben ihren Anwendungsschwerpunkt als befristete Organisationseinheiten in der Sekundärorganisation“ (Krüger, 2011, S. 209) gemäß dem vorgestellten Arbeitsgruppenprinzip. Bei dem Einsatz von Teams als Sekundärstruktur werden die Teammitglieder von ihrer Stammfunktion losgebunden und die hierarchischen Beziehungen werden innerhalb des Teams aufgehoben. Dadurch kann das Unternehmen Teams zur einzelfallspezifischen und flexiblen Strukturierung von Organisa- <?page no="124"?> 2.6 Interkulturelle Teams aus einer strukturellen Perspektive 125 tionseinheiten einsetzen. Abhängig vom zu fokussierenden Aspekt kann ein Team beispielsweise im Rahmen eines Produktmanagements oder Projektmanagements sinnvoll sein. 2.6.3 Zur Aufgabe als Auslöser für den Einsatz von Teamarbeit Der Einsatz von Teams als Sekundärorganisation steht in Abhängigkeit der zu bewältigenden Aufgabe. Da Teams als sekundäre Organisationsstruktur fungieren, werden sie, wie bereits kurz angesprochen, nicht für Routineprozesse, sondern für Innovationsprozesse eingesetzt, die in Tab. 2.8 gegenübergestellt werden. Tab. 2.8: Merkmale von Routineprozessen und Innovationsprozessen (in Anlehnung an Schulte-Zurhausen, 2014, S. 307) Routineprozesse Innovationsprozesse  Geringe Unsicherheit über Aktivitäten und Prozessergebnisse; hohe Planbarkeit  Zeitbedarf weitgehend bekannt  Feste Aufgabenzuweisung; hohe Austauschbarkeit der Personen  Klare Zielvorstellungen  Determinierte, optimierte Prozessabwicklung; festgelegte Entscheidungsregeln  Hohe Unsicherheiten über Aktivitäten und Prozessergebnisse; geringe Planbarkeit  zeitbedarf nicht exakt abschätzbar; häufiger Zeitdruck  Kaum Methoden verfügbar  Hohe Spezialisierung und geringe Austauschbarkeit der Personen; individuelle Leistungbeiträge  Häufig alternative Zielvorstellungen  Eher zufallsbestimmte Prozessabwicklung; fallbezogene Entscheidungen Erfordern Innovationsprozesse eine hierarchieübergreifende Zusammenarbeit von Spezialisten mit unterschiedlichen Perspektiven, Methoden und Wissen, so kann es zum Einsatz von Teams kommen, welche sich in ihren Fähigkeiten gegenseitig ergänzen und die Aufgabe in Selbstabstimmung lösen. Zur Problematik der Besetzung interkultureller Teams Im Zuge der Stellenbildung in der Primärorganisation und der personalen Synthese in der Sekundärorganisation stellt sich für Unternehmen nicht nur die Frage nach dem Einsatz interkultureller Teams, sondern auch nach deren optimaler Besetzung, um möglichst gute Unternehmensergebnisse zu erreichen. Größe von Teams Ein Fokus bei der Besetzung von (interkulturellen) Teams liegt auf der Teamgröße. Die Anzahl der Teammitglieder ist ausschlaggebend für eine erfolgreiche Zusammenarbeit (Grunwald, 1996, S. 742 f.). Im Zuge dessen sollte ein Team „groß genug sein, um eine produktive Vielfalt von Erfahrungen, Wissen und Fertigkeiten zu repräsentieren; es sollte aber auch klein genug sein, um rein praktisch den Austausch von Informationen und Argumenten zwischen allen Beteiligten reibungslos zu ermöglichen“ (Krüger, 2009, S. 29). Eine optimale Anzahl von Teammitgliedern wird in der Literatur ausgiebig diskutiert, wobei die meisten Autoren eine kleine Anzahl für sinnvoll erachten <?page no="125"?> 126 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen (Forsyth, 2010, S. 3). So gibt Saurwein basierend auf einer Literaturanalyse eine optimale Teamgröße von drei bis fünfzehn Mitgliedern an (Saurwein, 1996, S. 99). Auch Grunwald liegt mit seiner Analyse in dieser Spanne und definiert sieben Mitglieder als Optimum (Grunwald, 1996, S. 744). Im Idealfall sind gerade Mitgliederzahlen zu umgehen, um Pattsituationen bei Entscheidungen und Aufspaltungen in gleichstarke Untergruppen zu vermeiden. Zudem sind zur Bestimmung der optimalen Teamgröße jedoch immer aufgaben- und situationsspezifische Variablen zu berücksichtigen. Zusammensetzung des Teams Ein weiterer relevanter Einflussfaktor auf den Unternehmens- und Teamerfolg stellt die Zusammensetzung des Teams dar. Aus struktureller Perspektive geht es dabei um die Frage, ob homogene Teams bessere Leistungen erbringen als heterogene Teams. Diesbezüglich existieren verschiedene und zum Teil konträre Studien, die im Folgenden nur exemplarisch aufgezeigt werden. Thomas kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass homogene Teams aufgrund einer geringeren kulturellen Distanz bessere Leistungen erbringen als heterogene Teams. Cox, Lobel und McLeod (1991) hingegen postulieren einen positiven Zusammenhang zwischen heterogenen Teams und deren Leistung, da die dazugehörigen Gruppen einen höheren Grad an Kooperation aufweisen, sofern die Mitglieder aus kollektivistischen Kulturen kommen. Eine Erklärung für diese widersprüchlichen Ergebnisse der genannten Studien liefern Watson, Kumar und Michaelsen (1993), indem sie in ihrer Untersuchung einen neuen Zusammenhang zwischen Teamheterogenität und Teamleistung aufzeigen. So offenbart sich zu Beginn der Teamarbeit eine wirkungsvollere Zusammenarbeit in homogenen Teams. Nach einigen Wochen werden diese jedoch von heterogenen Teams aufgrund einer größeren Perspektivenvielfalt und mehr Lösungsvorschlägen in ihrer Leistung übertroffen (Watson et al., 1993, S. 595 f.). Stahl, Maznevski, Voigt und Jonsen (2010) bleiben hingegen eher neutral und schreiben heterogenen Teams sowohl eine negative Wirkung in Bezug auf vermehrte Aufgabenkonflikte und geringe soziale Integration als auch eine positive Wirkung in Bezug auf Kreativität und Zufriedenheit zu. Ein weiterer entscheidender Faktor in diesem Zusammenhang ist die Anzahl der Teammitglieder mit unterschiedlicher Kultur. Weißbach, Schülken und Hüttig (2007) schließen aus ihren Befragungen, dass „je höher die Anzahl von Teammitgliedern unterschiedlicher kultureller Herkunft ist, desto eher ist die Gruppe darauf angewiesen, sich auf Leistungsziele und die Mittel zur Zielerreichung zu einigen“ (ebd., S. 44), die eine höhere aufgabenbezogene Produktivität zum Resultat haben. Earley und Mosakowski (2000) können dies durch ihre Untersuchungen bestätigen, da ihre Ergebnisse zeigen, dass sehr heterogene und sehr homogene Teams die Leistung mäßiger heterogener Teams auf lange Sicht übertreffen, wodurch sich ein U-förmiger Verlauf zwischen kultureller Teamheterogenität und der Teamleistung ergibt. Gründe für die unterschiedlichen Ergebnisse der Studien sind vor allem die Art der Studienteilnehmer, die Messung der kulturellen Unterschiede und die Messung der Leistungskriterien. Beispielsweise fokussiert die Studie von Cox et al. (1991) auf kooperatives Verhalten von Studierenden im Team anhand des Diversitätskriteriums Ethnizität, wohingegen Earley und Mosakowski (2000) die Teamleistung von Mitarbeitern multinationaler Unternehmen mit unterschiedlichen Nationalitäten untersuchten. 2.6.4 Konsequenzen für den Einsatz interkultureller Teams Interkulturelle Teamarbeit von Unternehmen kann unabhängig von der Primärorganisationsstruktur als ergänzende Organisationseinheit der Sekundärorganisation eingesetzt werden. Einen empirischen Beleg für die Wirksamkeit von Teamarbeit gibt es bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, dennoch erscheint Teamarbeit in der Praxis vor allem bei komplexen Innovationsprozessen und aufgaben als sinnvoll (z. B. bei Apple, Nokia, Airbus), wenn die Teamgröße gering gehalten wird. <?page no="126"?> 2.7 Interkulturelle Teams aus einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive 127 Da interkulturelle Teams nur in spezifischen situations- und aufgabenabhängigen Bereichen eingesetzt werden können und die Leistung einer solchen Teamarbeit umstritten ist, kann folglich auch nicht von der in These 1 formulierten Annahme ausgegangen werden, dass Unternehmen aufgrund der Einsatzmöglichkeit von interkulturellen Teams eine Make-Entscheidung anstatt eine Buy-Entscheidung treffen. Zwar bieten interkulturelle Teams durch ihre flexible Einsetzbarkeit und ihre vielfältigen Perspektiven diverse Vorteile, jedoch hängt eine solche Make-or-Buy-Entscheidung von einer Vielzahl weiterer Faktoren ab, wie beispielweise den entstehenden Kosten, der verfügbaren Kapazität, der Konkurrenz, der Aufgabe und der Kontrollnotwendigkeit. 2.7 Interkulturelle Teams aus einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive Die zuvor erwähnten Studien kommen zu dem Schluss, dass die Leistung interkultureller Teams und deren Erfolg sehr kritisch betrachtet werden müssen. Allerdings zeigen sie auch, dass die Teamleistung von vielen Einflussfaktoren abhängt, die meist einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive zuzuordnen sind, wie beispielsweise Kommunikation, persönliche Beziehungen oder Führung. Deshalb gilt es an dieser Stelle, die verhaltenswissenschaftliche Dynamik bei der interkulturellen Teamarbeit aufzudecken und zu analysieren, um herauszufinden, was ein erfolgreiches interkulturelles Team ausmacht. 2.7.1 Entwicklungsprozess interkultureller Teams In diesem Zusammenhang ist zu konstatieren, dass der Entwicklungsprozess eines interkulturellen Teams in fünf Phasen (Abb. 2.15) erfolgt. 2.7.1.1 Entwicklungsprozess nach DiStefano und Maznevski Erfolgreiche interkulturelle Teams durchlaufen jedoch drei weitere Schritte, welche parallel zu der normalen Teamentwicklung stattfinden und die Voraussetzung für eine gute Teamleistung bilden. DiStefano und Maznevski (2000) nennen diese drei Schritte Mapping, Bridging und Integrating, wie in Abb. 2.15 dargestellt. Abb. 2.15: Entwicklungsschritte leistungsstarker interkultureller Teams nach DiStefano und Maznevski (in Anlehnung an DiStefano & Maznevski, 2000, S. 49) Der erste Schritt eines leistungsstarken interkulturellen Teams ist demnach das Mapping. Dabei geht es vorrangig darum, dass alle Teammitglieder die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen ihnen verstehen. Dieses Verständnis können die Teammitglieder erreichen, indem sie identifizieren, <?page no="127"?> 128 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen welche Kulturunterschiede wirklich einen Unterschied machen, da diese nicht immer offensichtlich sind (z. B. unterschiedliche Lernstile). Diese Differenzen sind dann am besten anhand von bestimmten Skalen oder Dimensionen direkt zu vergleichen. Im Zuge dessen können beispielsweise die Kulturdimensionen von Hofstede helfen, die Verschiedenartigkeit der Teammitglieder zu erkennen, um daraus mögliche Probleme und Potenziale abzuleiten (DiStefano & Maznevski, 2000, S. 48 ff.). Im zweiten Schritt erfolgt dann das Bridging, bei dem eine effektive Kommunikation im Fokus steht. Im Rahmen dieser Kommunikation gilt es, die Unterschiede zwischen den Teammitgliedern zu berücksichtigen und gemeinsame Kommunikationsmuster zu entwickeln, damit alle Perspektiven und Ideen in die Aufgabenbewältigung mit einfließen. Ein Verständnis für andere Ansichten und Kulturen bringt aber noch keine guten Teamleistungen hervor. Deshalb werden Mapping und Bridging durch den dritten Schritt des Integrating ergänzt. Integrating sorgt dafür, dass Verständnis und Kommunikation zu produktiven Ergebnissen führen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass sich alle Teammitglieder aktiv an der Teamaufgabe beteiligen, Uneinigkeiten gelöst und neue Teamperspektiven eingenommen werden, die alle Arten von Ideen als mögliche Lösung ansehen. 2.7.1.2 Entwicklungsprozess nach Zeutschel Auch Zeutschel geht davon aus, dass ein interkulturelles Team nicht nur die fünf Phasen des Teamentwicklungsmodells durchläuft, sondern darüber hinaus vier eigene Interaktionskategorien vorweist, wie Abb. 2.16 verdeutlicht. Abb. 2.16: Entwicklungsstufen eines interkulturellen Teams nach Zeutschel (in Anlehnung an Zeutschel, 2003, S. 263) <?page no="128"?> 2.7 Interkulturelle Teams aus einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive 129 Diese vier Kategorien sind als Entwicklungsstufen eines effektiven interkulturellen Teams zu sehen und bauen systematisch aufeinander auf. Für eine innovative Zusammenarbeit des Teams ist das Durchlaufen aller vier Stufen eine notwendige Voraussetzung. Ein Überspringen von Stufen ist dabei nicht möglich, dennoch sind Stufenrückschritte „als bewusste Korrektur beim Scheitern auf einer höheren Stufe“ (Zeutschel, 2003, S. 264) oder „als resignierte Rückfälle im Zuge von Alltagsroutine“ (ebd.) denkbar. Im Zuge dessen erkennen die Teammitglieder auf der ersten Stufe der Dominanz/ Anpassung kulturelle Unterschiede als tatsächlich existent an, reagieren darauf allerdings entweder mit bestimmendem oder nachgiebigem Verhalten. Beispielsweise kann die Dominanz einer Kultur als Vorgabe für eine gemeinsame Arbeitssprache, und Pünktlichkeitsnormen entweder durch den Druck einer Kultur einseitig vorgegeben werden oder wechselseitig in Abstimmungsprozessen für spezifische Teilbereiche festgelegt werden. Durch eine bewusste wechselseitige Dominanz und Anpassung kann das Team die Stärken und Potenziale der verschiedenen Kulturen erkennen und die Stufe der Koaktion erreichen. Diese Stufe ist besonders kritisch zu sehen, da die Teams in kulturellen Subgruppen getrennte Aufgaben erledigen, die ihren Stärken entsprechen. Die Teammitglieder haben auf dieser Stufe die Aufgabe, zu erkennen, welchen Beitrag die kulturellen Stärken für die Teamaufgaben leisten. Am besten geschieht dies, indem die Teammitglieder ergänzende Aufgaben übernehmen, die zeitlich begrenzt sind. Haben die Teammitglieder den Nutzen aller Kulturen erkannt, so kann das Team zur dritten Stufe der Integration gelangen. Bei der Integration werden durch die Kombination der verschiedenen kulturellen Elemente gemeinsame Handlungsmuster geschaffen, die allen Teammitgliedern ein identifizierendes Wirgefühl und Sicherheit geben. Mithilfe dieser gemeinsamen Handlungsmuster können interkulturelle Teams im abschließenden Schritt der Innovation ein Vertrauen aufbauen, das die Teammitglieder dazu veranlasst, eine eigene Teamkultur mit eigenen Handlungsmustern zu entwickeln, die „über alle beteiligten kulturspezifischen Repertoires hinausgehen und für dieses Team spezifisch sind“ (Zeutschel, 2003, S. 266). Die vorgestellten Modelle von DiStefano und Maznevski sowie von Zeutschel verdeutlichen, dass es viele erfolgskritische Prozesse gibt, die ein erfolgreiches interkulturelles Team ausmachen. Diese Entwicklungsprozesse können aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive vor allem durch Kommunikations- und Führungsaspekte gehemmt, aber auch unterstützt werden, wie eine genauere Betrachtung des Kommunikationsprozesses verdeutlicht. Übung 2.6 Wie groß sollten Teams idealerweise sein? Übung 2.7 Nennen Sie zwei verhaltenswissenschaftliche internationale Teamkonzepte. 2.7.2 Kommunikation in interkulturellen Teams Um die Kommunikationsaspekte eines Teams betrachten zu können, ist die etymologische Herleitung des Wortes Kommunikation ein hilfreicher Schritt. So lässt sich Kommunikation auf das lateinische Wort communicare (zu Deutsch: mitteilen oder besprechen) zurückführen, wobei sich mitteilen im Kommunikationsprozess nicht nur auf konkrete Informationen, sondern auch auf Emotionen, Appelle oder Meinungen bezieht. Aus diesem Grund lässt sich Kommunikation auch als ein „Prozess der Vermittlung von Bedeutung“ spezifizieren. <?page no="129"?> 130 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen 2.7.2.1 Kommunikationsmodell Der Kommunikationsprozess kann durch ein einfaches Kommunikationsmodell dargestellt werden, wie Abb. 2.17 verdeutlicht. Abb. 2.17: Kommunikationsprozess (in Anlehnung an Hodgetts & Luthans, 2000, S. 197) Im Rahmen dieses Prozesses wird eine vom Sender verschlüsselte Nachricht mittels eines Mediums an den Empfänger, der diese Nachricht wiederum entschlüsselt, übertragen. Der entscheidende Punkt dabei ist, wie der Empfänger die Nachricht wahrnimmt und interpretiert, denn eine erfolgreiche Kommunikation entsteht erst dann, wenn der „Empfänger die Botschaft so versteht, wie sie der Sender gemeint hat“ (Blom & Meier, 2004, S. 74). Durch den anschließenden Rückkopplungsprozess kann der Sender an den Reaktionen des Empfängers erkennen, ob die vermittelte Nachricht im beabsichtigten Sinne aufgenommen wurde (Schmeisser et al., 2014, S. 53 f.). Treffen unterschiedliche Kulturen im Kommunikationsprozess aufeinander, so ergeben sich vermehrt Probleme, die auf kulturspezifische Codes und differierende Kommunikationsverhalten zurückzuführen sind. Jede Kultur sendet und empfängt die Nachricht im Kommunikationsprozess „auf Basis des eigenkulturellen Wissens“, ohne die fremdkulturellen Kommunikationseigenheiten zu beachten. Dadurch werden die Nachrichten oftmals verzerrt oder falsch verstanden und es kommt zu interkulturellen Missverständnissen und Konflikten (Broszinsky-Schwabe, 2011b, S. 21). 2.7.2.2 Vier Seiten einer Nachricht Diese Missverständnisse und Konflikte können sich dabei sowohl auf die Inhaltsebene als auch auf die Beziehungsebene der Kommunikation beziehen. Während die Inhaltsebene die reinen Sachinformationen beinhaltet, regelt die Beziehungsebene die sozialen Verhältnisse, indem sie Hinweise enthält, wie die Kommunikationspartner zueinanderstehen. Kommunikationsstörungen können dabei auf beiden Ebenen entstehen, aber auch gelöst werden (Schulz von Thun, 1996, S. 26 f.; dazu auch Watzlawick, Beavin & Jackson, 2007, S. 53 ff.). Darüber hinaus enthält eine Nachricht nicht nur Inhalts- und Beziehungsaspekte, sondern schließt eine Selbstoffenbarung sowie einen Appell des Senders mit ein. Indem der Sender eine Nachricht übermitteilt, richtet er einen Appell an den Empfänger, um eine Reaktion bei diesem hervorzurufen und sein Ziel zu erreichen. Gleichzeitig sagt die Nachricht auch immer etwas über den Sender aus, da dieser durch die Art und Weise der Kommunikation eine Vielzahl an Informationen von sich preisgibt. Diese vier in Abb. 2.18 dargestellten Ebenen werden auch als vier Seiten einer Nachricht bezeichnet, die in jeder Art von Kommunikation, egal, ob zwischen Kulturen oder innerhalb einer Kultur, vorhanden sind. <?page no="130"?> 2.7 Interkulturelle Teams aus einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive 131 Abb. 2.18: Vier Seiten einer Nachricht (in Anlehnung an Schulz von Thun, 1996, S. 30) 2.7.2.3 Kommunikationsregeln Über die vier Ebenen einer Nachricht hinaus gibt es im Kommunikationsprozess spezifische Kommunikationsregeln, die für alle Arten von Kommunikation gültig sind und von Watzlawick et al. (2007) in fünf Axiomen der Kommunikation zusammengefasst werden (ebd., S. 50 ff.). Das erste Axiom bezieht sich auf die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren. Jede Kommunikation, egal ob Worte, Schweigen oder Weggehen, umfasst Verhalten. Genau so wie Personen sich „nicht nicht verhalten“ können, können sie auch „nicht nicht kommunizieren“. Ergänzend dazu schreibt das zweite Axiom jeder Kommunikation eine Inhalts- und eine Beziehungsebene zu, die zuvor bereits erläutert wurden. Das dritte Axiom versteht Kommunikation darüber hinaus immer gleichzeitig als Ursache und Wirkung, denn „die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt“ (ebd., S. 61). Zusätzlich geht das vierte Axiom von der Tatsache aus, dass jede Kommunikation eine digitale und analoge Seite hat. Der digitalen Seite liegt eine logische Syntax zugrunde, die sich meist auf die Inhaltsebene beschränkt. Die Beziehungsebene und im Hintergrund verborgene Analogien werden hingegen nur analog vermittelt (ebd., S. 61 ff.). Das fünfte Axiom konstatiert Kommunikation schließlich entweder als symmetrische oder komplementäre Interaktion. Symmetrische Kommunikationsabläufe ergeben sich durch Beziehungen der Kommunikationspartner, die auf Gleichheit beruhen. Hingegen sind komplementäre Kommunikationsabläufe durch Beziehungen gekennzeichnet, die auf Unterschiedlichkeit basieren. Diese fünf Axiome sind im interkulturellen Kontext als besonders wichtig zu erachten, da sie ungeahnte Quellen für Missverständnisse enthalten. So haben unterschiedliche Kulturen verschiedene Analogien nach dem vierten Axiom. Der Vergleich einer europäischen Weltkarte mit einer australischen Weltkarte verdeutlicht, dass die Welt um 180 Grad verschoben dargestellt wird und Begrifflichkeiten wie oben oder unten in diesem Kontext bereits sehr verschieden gedeutet werden können (Schneider & Hirt, 2007, S. 268). Ebenso bietet das erste Axiom Konfliktpotenzial, denn Schweigen gilt in einigen Kulturen als bloße Zurückhaltung, während dies in anderen Kulturen als aktives Kommunikationsinstrument angesehen wird (Walch, 2007, S. 171). Das dritte Axiom kommt bei der interkulturellen Kommunikation deutlich zum Tragen. Haben die Kommunikationspartner unterschiedliche Interpretationsmuster und kulturspezifische Codes beim Senden und Empfangen von <?page no="131"?> 132 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Nachrichten, so lassen sich Auslöser für Missverständnisse kaum nachvollziehen und Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge nur auf einer Metaebene betrachten (Schneider & Hirt, 2007, S. 268). 2.7.2.4 Kommunikationsarten Die größten Konfliktpotenziale interkultureller Kommunikation liegen allerdings in den Kommunikationsarten begründet (Blom & Meier 2004, S. 80). Eine Übersicht der verschiedenen Kommunikationsarten bietet Abb. 2.19. Abb. 2.19: Kommunikationsarten mit beispielhaften Kommunikationsinstrumenten (in Anlehnung an Blom & Meier, 2004, S. 80 sowie die Ausführungen von Knapp, 2003, S. 114-118 und Schmeisser et al., 2014, S. 55- 57) 2.7.3 Führung interkultureller Teams Um diese herausfordernden Kommunikationsaspekte bei der interkulturellen Teamarbeit beachten zu können, ist der interkulturelle Kommunikationsprozess durch eine Führungskraft zu unterstützen und zu leiten (Haug, 2003, S. 120 ff.). Darüber hinaus verlangt die Führung von interkulturellen Teams die Berücksichtigung weiterer Besonderheiten, die meist auf unterschiedlichen Ausprägungen bestimmter Kulturdimensionen beruhen und im Folgenden genauer erläutert werden. 2.7.3.1 Einstellung von interkulturellen Teammitgliedern gegenüber Teamarbeit Als erste Besonderheit hat die Führungskraft des interkulturellen Teams (ab jetzt Teamleiter genannt) die verschiedenen Einstellungen der interkulturellen Teammitglieder gegenüber Teamarbeit einzuschätzen und zu verstehen. So stellen Kirkman und Shapiro (2001) fest, dass die Kulturdimensionen Machtdistanz und Kollektivität die Einstellung der Kulturen gegenüber Teamarbeit beeinflussen. Besonders Mitarbeiter mit einer ausgeprägten Individualismus-Dimension zeigen Wider- <?page no="132"?> 2.7 Interkulturelle Teams aus einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive 133 stand gegen Teamarbeit, wohingegen Mitarbeiter mit einer hohen Machtdistanz-Dimension nicht in Teams arbeiten wollen, die einem Selbstmanagement unterliegen. Auch die bereits erwähnte Studie von Cox et al. (1991) belegt, dass individualistisch geprägte Mitarbeiter weniger kooperatives Verhalten in interkulturellen Teams zeigen als kollektivistisch geprägte Mitarbeiter. Darüber hinaus untersuchten Gibson und Zellmer-Bruhn (2001) in einer Studie, welche Metaphern (Militär, Sport, Familie, Gemeinschaft, Kollegialität) die Kulturen der Teamarbeit zuschreiben. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass kulturelle Dimensionen einen Einfluss auf die Metaphernauswahl für Teamarbeit nehmen, da individualistische Gesellschaften beispielsweise eher Sport oder Vereinigung als Metapher wählen, was den individualistischen Charakter von Teamarbeit unterstreicht. Barmeyer und Davoine (2006) untersuchen in einer Studie die unterschiedliche Wahrnehmung interkultureller Teamarbeit von deutschen und französischen Teammitgliedern. Im Zuge dessen konnte festgestellt werden, dass deutsche Teammitglieder ein Team als eine Gemeinschaft ansehen, in der alle Teammitglieder mit gleichem Einsatz und gleicher Intensität auf gemeinsame Teamziele hinarbeiten. Französische Teammitglieder sehen ein Team hingegen eher als Gruppe von Individuen an, die zwar ihren individuellen Beitrag leisten, jedoch nicht fest in das Team eingebunden sind und keine Gesamtverantwortung tragen. Diese Ergebnisse lassen sich auch der Kulturdimension Machtdistanz von Hofstede zuordnen. Während Franzosen eine sehr hohe Machtdistanz besitzen, die ein starkes Hierarchiedenken mit sich bringt, zeichnen sich Deutsche durch eine geringe Machtdistanz aus, die eine Gleichberechtigung von Leistungen und Meinungen zur Folge hat (Barmeyer & Davoine, 2006, S. 36 f.). Die erwähnten Einstellungen der verschiedenen Kulturen gegenüber Teamarbeit müssen daher in interkulturellen Teams vom Teamleiter wahrgenommen werden. Die Hauptaufgabe des Teamleiters besteht dann darin, diese verschiedenen Einstellungen in Einklang zu bringen und eine positive Haltung aller Teammitglieder gegenüber der Teamarbeit zu erzeugen. Dies kann erreicht werden, indem der Teamleiter als Führungskraft überzeugt. 2.7.3.2 Führungsstile in interkulturellen Teams Die interkulturellen Teammitglieder haben jedoch nicht nur kulturspezifische Einstellungen gegenüber Teamarbeit, sondern auch ihre eigenen Vorstellungen vom Begriff Führung. So zeigt beispielsweise die bereits erwähnte Studie von Barmeyer und Davoine auf, dass Franzosen den Teamleiter als Verantwortlichen ansehen, der dem Team die Richtung aufzeigt, es kontrolliert, betreut und motiviert. Die Verantwortung bleibt in diesem Fall immer beim Teamleiter, obwohl Aufgaben delegiert werden. Die Deutschen sehen den Teamleiter hingegen eher in der Rolle eines strukturierenden Moderators, der den Teamzusammenhalt fördert, Feedback gibt und den Prozess lenkt, sich dabei aber im Hintergrund hält. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass jede Kultur eine andere Führungspersönlichkeit und einen anderen Führungsstil erwartet, insbesondere wenn die Teammitglieder nur die eigenkulturelle Führungsweise kennen. Grundsätzlich reicht das Spektrum der Führungsstile von autoritär (Anweisung durch die Führungskraft) bis autonom bzw. partizipativ (selbstständige Entscheidungen und Verantwortung der Mitarbeiter), wie Abb. 2.20 veranschaulicht. <?page no="133"?> 134 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Abb. 2.20: Spektrum der Führungsstile nach Tannenbaum und Schmidt (in Anlehnung an Meier & Schindler, 1995, S. 175) Empirisch bewiesen ist jedoch, dass „die Effizienz des Führungsstiles stark von den kulturell geprägten Partizipationserwartungen der Mitarbeiter abhängig ist“ (Blom & Meier, 2004, S. 227). Je größer „die subjektiv empfundene Diskrepanz zwischen den Partizipationserwartungen der Mitarbeiter und dem Führungsstil des Vorgesetzten“ (ebd.) ist, desto mehr sinken Mitarbeiterzufriedenheit, Motivation, Leistungsbereitschaft und es entstehen Konflikte (Thomas & Stumpf, 2003, S. 83). Kulturen mit hohen Partizipationserwartungen haben meist eine geringe Ausprägung in der Dimension Machtdistanz (ebd., S. 81). So bevorzugen die Amerikaner eher einen partizipativen und die Inder einen autoritären Führungsstil (Keller, 1987, Sp. 1287 f.). Smith und Noakes (1996) zeigen darüber hinaus, dass sich ein partizipativer Führungsstil in individualistischen Kulturen effektiver erweist als in kollektivistischen Kulturen. Weitere Forschungen belegen zudem, dass unsicherheitsvermeidende Kulturen eindeutig und klar geführt werden müssen, beispielsweise durch formale Regeln (Smith & Noakes, 1996, S. 482) und das Festhalten an Autoritäten oder Experten. Je nach erwarteter Partizipation sollen die Teammitglieder auch in Zielsetzungsentscheidungen einbezogen werden, insbesondere wenn die Teammitglieder aus Kulturen mit niedriger Machtdistanz und Kollektivismus kommen (Thomas & Stumpf, 2003, S. 81). Empirische Befunde für die Zuordnung von Führungspräferenzen zu Kulturen und Nationen dürfen jedoch nie generalisiert werden, da jeder Mitarbeiter eigene Erfahrungen mit Führung hat und deshalb nicht pauschal einer Kultur zugeordnet werden kann (ebd., S. 84 f.). Demzufolge ist es möglich, dass ein Inder, der bereits große internationale Arbeitserfahrung hat, auch einen partizipativen Führungsstil präferiert, da er dessen Vorzüge kennengelernt hat. Führungspräferenzen anhand von Kulturdimensionen und Nationen sind demnach immer nur als richtungsweisend anzusehen, ermöglichen dem Teamleiter jedoch eine grobe Einordnung der Teammitgliedererwartungen. 2.7.3.3 Motivation und Anreize von interkulturellen Teams Kulturelle Präferenzen können auch im Zuge der Motivation und Anreize der Teammitglieder eine grobe Richtung aufzeigen. Teammitglieder aus kollektivistischen Kulturen bevorzugen Anreize, die sich auf das komplette Team beziehen, denn Leistung gilt als Erfolg des Teams und nicht des Einzel- <?page no="134"?> 2.8 Interkulturelle Teams aus einer politisch-rechtlichen Perspektive 135 nen. Soziale Wertschätzungsbedürfnisse sind in kollektivistischen Kulturen hoch ausgeprägt, weshalb diese eine nicht leistungsbezogene Bewertung (z. B. soziale Umgänglichkeit) und Motivation (z. B. Zugehörigkeit zu einem speziellen Team) bevorzugen. Individualistische Kulturen sehen hingegen individuelle Karrieren und persönliche Anreize als wichtiger an, weshalb Menschen dieser Kulturen eher nach der individuellen Leistung beurteilt werden wollen und durch individuelle Karrierewege motiviert werden können. In Kulturen mit hoher Unsicherheitsvermeidung wirken beispielsweise Arbeitsplatzgarantien als Anreize. Kulturen mit niedriger Unsicherheitsvermeidung hingegen sind leichter durch extrinsische Anreize zu motivieren, wie beispielsweise ein variables, leistungsabhängiges monetäres Vergütungssystem (Müller & Gelbrich, 2015, S. 543; dazu auch Blom & Meier, 2004, S. 226). Der größte Motivations- und Anreizunterschied besteht jedoch zwischen maskulinen und femininen Kulturen. Maskuline Kulturen lassen sich vor allem durch materialistische Werte wie Gehalt und Statussymbole motivieren. In femininen Kulturen gelten hingegen flexible Arbeitszeiten, anspruchsvolle Arbeitsaufgaben oder Sozialleistungen als motivierend (Müller & Gelbrich, 2015, S. 543; dazu auch Blom & Meier, 2004, S. 226 und Thomas & Stumpf, 2003, S. 81). 2.7.4 Konsequenzen für den Einsatz interkultureller Teams Anhand der vorhergehenden Ausführungen wird deutlich, dass ein interkulturelles Team aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive den Teamentwicklungsprozess Mapping, Bridging und Integrating nach DiStefano und Maznevski zu durchlaufen beziehungsweise die Stufe Innovation im Teamentwicklungsmodell von Zeutschel zu erreichen hat, um erfolgreich zusammenarbeiten zu können. Dieser Entwicklungsprozess hin zu einem erfolgreichen interkulturellen Team ist dabei vom Teamleiter durchzuführen, indem dieser die Teammitglieder dabei unterstützt, ihre kulturellen Unterschiede zu identifizieren und den Nutzen daraus zu erkennen. Schlussfolgernd kann vorläufig von der in These 2 formulierten Annahme ausgegangen werden, dass interkulturelle Teams einer teamspezifischen interkulturellen Kommunikation und Führung bedürfen, um erfolgreich zu sein. 2.8 Interkulturelle Teams aus einer politisch-rechtlichen Perspektive Da bei der Betrachtung interkultureller Teamarbeit aus einer strukturellen und einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive bereits einige Konfliktfelder zur Sprache gekommen sind, gilt es, diese nun aus einer politisch-rechtlichen Perspektive zu analysieren. 2.8.1 Konfliktauslöser in interkulturellen Teams Um einen Konflikt deutlich von einem Streit oder einem Disput abgrenzen zu können, ist eine terminologische Eingrenzung des Begriffs Konflikt vonnöten, der diesen als eine Interaktion zwischen Aktoren (Individuen, Gruppen, Organisationen usw.) [ansieht], wobei wenigstens ein Aktor eine Differenz bzw. Unvereinbarkeiten im Wahrnehmen und im Denken bzw. Vorstellen und im Fühlen und im Wollen mit dem anderen Aktor (den anderen Aktoren) in der Art erlebt, dass beim Verwirklichen dessen, was der Aktor denkt, fühlt oder will, eine Beeinträchtigung durch einen anderen Aktor (die anderen Aktoren) erfolgt (Glasl, 2010, S. 17). <?page no="135"?> 136 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Durch diese Begriffsbestimmung wird deutlich, dass ein Konflikt zwar eine wechselseitige Abhängigkeit der beteiligten Personen im Sinne einer Interaktion bedarf, jedoch bereits durch die Wahrnehmung einer Person entstehen kann, ohne dass die andere Person bzw. andere Personen einen Konflikt für sich feststellen. Darüber hinaus kann der eine Auslöser für einen Konflikt in der Praxis nur sehr schwer festgestellt werden, da es sich meist nicht um eine konkrete Konfliktursache handelt, sondern ein ganzes Ursachennetz existiert. Während Teamarbeit durch Konflikte bezüglich Themen wie Rollenverteilung, Macht und Abhängigkeiten geprägt ist, finden sich im Rahmen interkultureller Teamarbeit aufgrund kultureller Differenzen der Teammitglieder mehr potenzielle Konfliktauslöser. 2.8.1.1 Missverständnisse So kommt es in interkulturellen Teams oft zu interkulturellen Missverständnissen, die sich auf die verschiedenen Ebenen der Kommunikation beziehen. Im Zuge dessen können interkulturelle Missverständnisse bereits durch unterschiedliche Denkmuster entstehen. Beispielsweise praktizieren kollektivistische Kulturen eher eine intuitive Denkweise, während individualistische Kulturen ein analytisches Denken präferieren. Darüber hinaus kann eine kulturspezifische Wahrnehmung Unstimmigkeiten hervorrufen, wenn beispielsweise Europäer ein Familienfest in Afrika als laut wahrnehmen, während die Einheimischen es als normal bezeichnen. Des Weiteren können Missverständnisse aber auch durch unterschiedliche (Körper-)Sprachen und Interaktionen entstehen. Die durch unterschiedliche Wahrnehmungen, Denkmuster, Sprachen und Interaktionen entstandenen interkulturellen Missverständnisse lassen sich in drei wesentliche Kategorien einteilen, auf die im Folgenden näher eingegangen wird (Sievert, 2014, S. 28). Die erste Kategorie interkultureller Missverständnisse bezieht sich auf die Erwartungsverletzung, die entsteht, wenn das Verhalten eines Akteurs vom erwarteten bzw. typischen Verhalten abweicht. Dies bringt eine erhöhte Aufmerksamkeit und Beobachtung des Akteurs mit sich, dessen abweichendes Verhalten und Eigenschaften entweder negativ oder positiv beurteilt werden, wobei eine positive Erwartungsverletzung zu einer verbesserten Kommunikation und eine negative Erwartungsverletzung zu einer schlechteren Kommunikation im Team führt. Darüber hinaus ergeben sich durch negative Erwartungsverletzungen auch Hindernisse in der Informationsweitergabe und Verschlechterungen der sozialen Beziehungen, die in Konsequenz zu einer Verschärfung von Konfliktsituationen beitragen können und das Team an seiner Aufgabenerfüllung hindern. Des Weiteren können interkulturelle Missverständnisse auch durch Probleme in der Decodierung von Nachrichten im Kommunikationsprozess entstehen (Köppel, 2007, S. 83 f.). Nämlich wie übermittelt im Kommunikationsprozess ein Sender eine durch sein eigenkulturelles Orientierungssystem verschlüsselte Nachricht mittels eines Mediums an den Empfänger, welcher die Nachricht wiederum mithilfe seines kulturellen Orientierungssystems interpretiert bzw. decodiert (Blom & Meier, 2004, S. 73 ff.). Im Rahmen der Entschlüsselung durch den Empfänger schreibt dieser der Nachricht eine bestimmte Bedeutung zu, die „nicht eine Wahrnehmung realer Gegebenheiten“, sondern vielmehr die Konstruktion einer sozialen Umwelt darstellt. Diese Bedeutungszuschreibung kann dabei eine ganz andere sein, als der Sender intendiert hat, wodurch es zu Fehlinterpretationen und Missverständnissen kommt. Vor allem im interkulturellen Kontext tauchen solche Decodierungsprobleme häufig auf, da die Kommunikation durch große kulturelle Unterschiede und differierende Codes zunehmend belastet wird oder ganz scheitert, wenn beispielsweise ein Empfänger die gesendete Nachricht aufgrund seiner kulturellen Selektion erst gar nicht wahrnimmt. Diese Kommunikationsproblematik beeinträchtigt darüber hinaus den Austausch von Informationen und folglich auch die Aufgabenbewältigung sowie die Zusammenarbeit in interkulturellen Teams, sodass es zu verspäteten Aufgabenerledigungen oder Fehlleistungen kommt. Selbst wenn Missverständnisse aufgrund unter- <?page no="136"?> 2.8 Interkulturelle Teams aus einer politisch-rechtlichen Perspektive 137 schiedlicher kulturspezifischer Codes erkannt werden, können diese zu erheblichen Zeit- und Energieeinbußen führen sowie die Teamleistung mindern. Neben Erwartungsverletzungen und Decodierungsproblemen gibt es eine dritte Kategorie von interkulturellen Missverständnissen, die sich auf die Attributionstheorie zurückführen lässt, welche sich der Ursachenzuschreibung zwischenmenschlicher Ereignisse (beispielsweise Verhalten) zuwendet. Im Zuge dessen stellt der Handlungspartner für sich eine Kausalität zwischen einem Ereignis und dessen Ursache her, wobei die Ursachenerkenntnis Auswirkungen auf seine Reaktionen hat (Fincham & Hewstone, 2002, S. 216). Begleitet wird diese Zuschreibung durch externe und interne Attributionen (Köppel, 2007, S. 87). Bei einer externen Attribution schreibt der Beobachter die Verhaltensursache der externen Situation zu (wie beispielsweise Zufall, Glück oder Aufgabenschwierigkeit), wohingegen der Beobachter die Verhaltensursache bei einer internen Attribution in der handelnden Person (wie beispielsweise Fähigkeiten oder Anstrengung) verankert sieht. Während des Attributionsprozesses erfolgt die Ursachenzuschreibung meist nach dem fundamentalen Attributionsfehler, welcher ein negatives Verhalten des Handlungspartners eher in dessen Person (intern) verankert sieht, ein eigenes negatives Verhalten jedoch der Situation (extern) zuschreibt. Im Rahmen einer Teamarbeit wird dieser Fehler als ultimativer Attributionsfehler bezeichnet, da negatives Verhalten bei Mitgliedern des eigenen Teams (Ingroup) intern und negatives Verhalten anderer Personen (Outgroup) extern attribuiert wird, wobei es sich bei positivem Verhalten umgekehrt verhält (Gudykunst & Kim, 1992, S. 139). Kommt es zu einer interkulturellen Teamarbeit, äußert sich der ultimative Attributionsfehler, indem die Teammitglieder kulturelle Unterschiede nicht als solche erkennen und sie stattdessen als individuelle Defizite oder Inkompetenz des Teampartners bezeichnen. In jedem Fall führen solche Attributionsfehler zu Erschwernissen oder Unterbrechungen des Interaktionsprozesses, da Verhaltensursachen der Eigenschaft einer Person zugeschrieben werden, ohne dass dabei das Verhalten richtig interpretiert wird (Köppel, 2007, S. 88). Auch wirken sich die Fehlattributionen negativ auf das Teamklima, die Teamzufriedenheit, die persönlichen Beziehungen, den Teamzusammenhalt und im schlimmsten Fall auf die Aufgabenerledigung aus. Diverse Studien konnten in diesem Zusammenhang feststellen, dass es kulturelle Unterschiede in Bezug auf die Häufigkeit von Fehlattributionen gibt, da individualistische Kulturen beispielsweise viel häufiger zu diesen Attributionsfehlern neigen als kollektivistische Kulturen (Gudykunst & Kim, 1992, S. 138). 2.8.1.2 Ethnozentrismus Ein Konfliktauslöser bei interkultureller Teamarbeit kann darüber hinaus auch Ethnozentrismus sein, der „zu einer Verstärkung der bisher erläuterten interkulturellen Konflikte [durch] De- und Encodierungsprobleme sowie Fehlattributionen“ (Köppel, 2007, S. 93) führt. Ethnozentrismus steht dabei für eine Beurteilung fremder Verhaltensweisen aufgrund des eigenkulturellen Orientierungs- und Sozialsystems. Dies sorgt dafür, dass die Mitglieder einer gemeinsamen Kultur gleiche Standards und Werte als richtig empfinden und diese nicht infrage stellen. Durch diese Standards und Werte entsteht ein Referenzrahmen für die Kulturmitglieder, der ihnen hilft, sich zu orientieren und Situationen sowie Verhalten in richtig und falsch einzuteilen. Daher ist ein gewisses Maß an Ethnozentrismus für alle Individuen eine ,notwendige Grundlage für Denken und Handeln‘, wobei ein zu hohes Maß an Ethnozentrismus Dysfunktionalitäten zur Folge hat. So kommt es bei interkultureller Teamarbeit dazu, dass die Teammitglieder anderskulturelle Teammitglieder aufgrund ihrer eigenen Standards beurteilen, anstatt Verständnis für differierende Ansichten zu zeigen. Vielmehr erkennen sie Unterschiede zum eigenkulturellen Referenzrahmen, werten oder lehnen die fremden Verhaltensweisen jedoch ab, wenn die Differenzen zu groß sind. Im Falle hoch ethnozentrischer Teammitglieder kann dies eine Ablehnung von Zusammenarbeit mit <?page no="137"?> 138 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen anderskulturellen Teammitgliedern, eine eingeschränkte Informationsweitergabe, einen sinkenden Teamzusammenhalt oder eine Bildung von Subgruppen nach sich ziehen. 2.8.1.3 Stereotype Als letzter Konfliktauslöser bei interkultureller Teamarbeit werden die Stereotype angeführt, die „Vorstellungen über typische Eigenschaften einer Personengruppe“ terminieren. Dabei sind Stereotype strenggenommen wertneutral, werden aber für gewöhnlich als Vorurteile aufgefasst, die den Vorstellungen eine negative Konnotation zuweisen. Die Nutzung von Stereotypen beruht vor allem darauf, dass sich Menschen die komplexe Umwelt verständlich machen wollen. Im Rahmen dessen entsteht die Tendenz, Verhalten, Ereignisse und Lebewesen in bestimmte Kategorien und Schemata einzuteilen, um die Realität zu strukturieren (Stephan, 1989, S. 40 f.). Des Weiteren erfolgt die Informationsaufnahme sehr selektiv, indem die Informationsfilterung nur bereits bekannte Merkmale erfasst (Bodenhausen & Wyer, 1985, S. 280). Die Anwendung von Stereotypen vereinfacht diese Komplexitätsreduktion, dient als Orientierungsfunktion, macht Menschen handlungsfähig und erhöht deren Selbstwertschutz in interkulturellen Überschneidungssituationen, auch wenn dies fehlerhafte Wahrnehmungen und Kognitionen mit sich bringt (Schmid, 2001, S. 12 f.). Bei der Begegnung mit fremden Kulturen werden stereotype Denkweisen automatisch aktiviert, aber gleichzeitig durch die verbreitete Meinung der moralischen Verwerflichkeit versucht zu unterdrücken (Devine, 1989, S. 6). Allein durch das Vorhandensein dieser Stereotype können Schuldgefühle oder Selbstkritik bei Mitgliedern interkultureller Teams ausgelöst werden. Darüber hinaus fühlen sich stereotypisierte Teammitglieder oftmals nicht als Individuum wahrgenommen oder in ihrer kulturellen Auffassung verstanden, wodurch es zu Bildungen von Subgruppen, zum Einbruch der Teamleistung oder sogar zu Mitgliederfluktuation kommen kann. Im schlimmsten Fall schlägt Stereotypisierung in Diskriminierung um, die vorliegt, „wenn Individuen oder Gruppen von Menschen die Gleichbehandlung vorenthalten wird, die sie wünschen“ (Allport, 1954, S. 51). Während einer interkulturellen Teamarbeit kann dies beispielweise dazu führen, dass Teammitglieder vom Informationsfluss, von Ressourcen oder dem Team ausgeschlossen werden. Eine typische Stereotype ist, Russen trinken gerne… Und hier die Antort: „Alkohol ist wirklich gern gesehen auf unseren Tischen. Aber: Wir haben gute Gründe dafür! Denn bei uns wird stets auf etwas getrunken: Auf die Gesundheit, die Liebe oder die Freundschaft. Und weil jemand Geburtstag hat. Oder der internationale Tag des Kosmonauten ist. Genug Anlässe hat man ja. Aber eigentlich trinken wir den Schnaps nicht aus Wassergläsern - Pinnchen reichen uns auch“ (Star, V. 28.03.2017). 2.8.2 Konfliktarten und deren Auswirkungen Durch interkulturelle Missverständnisse, Ethnozentrismus und Stereotype können im Rahmen interkultureller Teamarbeit verschiedene Konflikte ausgelöst werden, welche sich hinsichtlich ihrer Konfliktbasis unterscheiden lassen. In der Literatur findet sich unter anderem die Trennung zwischen Aufgaben- und Beziehungskonflikten. Während Aufgabenkonflikte Inhalte wie Aufgabenziele, Ressourcenverteilung, Vorgehensweisen oder die Bewertung und Interpretation von Fakten thematisieren, beschäftigen sich Beziehungskonflikte mit persönlichen Werten, Stilen, Geschmäcken und Präferenzen. Darüber hinaus identifiziert Jehn (1997) in ihrer Studie eine prozessbedingte Konfliktart (Prozesskonflikt), die die Art der Aufgabenbewältigung in den Mittelpunkt stellt, wie beispielsweise die Zuordnung von Verantwortlichkeiten und die Delegation von Aufgaben. <?page no="138"?> 2.8 Interkulturelle Teams aus einer politisch-rechtlichen Perspektive 139 Die Auswirkungen von Aufgaben- und Beziehungskonflikten auf interkulturelle Teamarbeit werden in der Literatur ausgiebig diskutiert, sodass eine Vielzahl von Studien zu dieser Thematik existiert (Puck, 2009, S. 60 f.). In Bezug auf die Effekte von Beziehungskonflikten liegen übereinstimmende Studienergebnisse in der Gestalt vor, dass sich diese Art von Konflikten immer negativ auf die Teamleistung auswirkt (Dreu & Weingart, 2003, S. 741). Da die Teammitglieder viel Zeit und Energie damit verbringen, die persönlichen Beziehungen zu klären, anstatt sich der Teamaufgabe zu widmen, wird der Aufgabenlösungsprozess gehemmt, die Teamzufriedenheit sinkt und die Teamleistung verschlechtert sich (Jehn, 1997, S. 530). Allerdings konnten Earley und Mosakowski auch feststellen, dass Beziehungskonflikte eher in Teams mit wenigen verschiedenen Kulturen vorkommen als in Teams mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Kulturen (Earley & Mosakowski, 2000, S. 45). Dieser Tatbestand liegt darin begründet, dass gering kulturdiverse Teams vermehrt zur Bildung von Subgruppen sowie einer verlangsamten Entwicklung einer Teamidentität und eines gemeinsamen Teamsprachstils neigen (ebd.). Aufgrund der unterschiedlichen kulturspezifischen Werte und Ansichten kommt es in interkulturellen Teams ebenfalls zu vermehrten Aufgabenkonflikten als in Teams ohne kulturelle Vielfalt (Elron, 1997, S. 404). Diese Aufgabenkonflikte reduzieren zwar grundsätzlich, ebenso wie die Beziehungskonflikte, die Teamleistung, die Teamzufriedenheit und die soziale Integration der Teammitglieder, können aber auch positive Wirkungen nach sich ziehen. Vor allem im Zuge hochkomplexer Teamaufgaben können interkulturelle Teams durch Aufgabenkonflikte kreativere und innovativere Lösungen generieren, insofern sie diese konstruktiv lösen, die Teammitglieder offen bzw. kooperativ sind und ein hohes Maß an Vertrauen im Team existiert. Da die Aufgaben- und Beziehungskonflikte miteinander zusammenhängen, sind diejenigen interkulturellen Teams am effizientesten, die zwar Aufgabenkonflikte, jedoch keine Beziehungskonflikte in ihrem Team akzeptieren. 2.8.3 Verhaltensweisen in Konfliktsituationen In der Praxis lässt sich ein kulturspezifischer Umgang mit den erläuterten Konflikten identifizieren, wodurch es zu einer verlangsamten Konfliktlösung oder sogar einer Konflikteskalation kommen kann. So gilt ein spezifischer Konfliktumgang in der einen Kultur als wünschenswert, in der anderen jedoch als inakzeptabel (Ohbuchi & Takahashi, 1994, S. 1346), da das Konfliktkonstrukt in jeder Kultur anders aufgefasst wird. Eine konflikthafte Situation in Japan kann von Amerikanern beispielsweise als problemlos bezeichnet werden. Diese unterschiedlichen kulturellen Auffassungen von Konflikten lassen sich größtenteils durch die verschiedenen Ausprägungen der Kulturdimensionen, insbesondere Femininität/ Maskulinität und Individualismus/ Kollektivismus, erklären. Maskuline Kulturen versuchen beispielsweise Konflikte auszufechten, während feminine Kulturen eine kooperative Konfliktlösung durch Kompromisse und Vereinbarungen anstreben (Weidmann, 1995, S. 48). Im Umgang mit Konflikten spielt jedoch die Kulturdimension Individualität versus Kollektivität eine noch entscheidendere Rolle, da in individualistischen Kulturen die Aufgabe und in kollektivistischen Kulturen die Beziehung als relevant erachtet wird (ebd., S. 46). Deshalb versuchen kollektivistische Kulturen (z. B. China, Thailand und Japan) Konflikte zu vermeiden, um die Harmonie zu den Teampartnern zu bewahren. Konflikte werden dabei von kollektivistischen Teammitgliedern als bedrohliches Problem mit zerstörender Wirkung empfunden, das die Beziehung zu den Teammitgliedern gefährdet (Rathje, 2004, S. 115). Dementsprechend versuchen kollektivistische Teammitglieder, einen Konsens zu erreichen, und drücken ihre konträre Meinung nie direkt aus, sondern fordern beispielsweise den Teampartner mehrmals auf, seine Meinung zu wiederholen. In individualistischen Kulturen (wie Deutschland und den USA) werden Konflikte hingegen offen und direkt ausgetragen, da sie als konstruktives Mittel zur Problemlösung gelten. Aufgrund der Tatsache, dass individualistische Teammitglieder im Konflikt hauptsächlich auf die Problemlösung fokussiert sind, werden zur <?page no="139"?> 140 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Überzeugung von Teampartnern weniger emotionale, sondern vorwiegend rationale Argumente vorgebracht. Wie in Abb. 2.21 dargestellt, lassen sich die genannten kulturellen Umgangsformen mit Konflikten auch in das Konflikttypenmodell von Thomas (1976) einordnen, welches fünf mögliche Verhaltensweisen in Konfliktsituationen aufzeigt. Demnach reagieren Individuen je nach Orientierung an den eigenen und/ oder fremden Interessen in Konflikten entweder mit Vermeidungs-, Durchsetzungs-, Nachgabe-, Kompromiss- oder Konsensstrategien. Abb. 2.21: Konflikttypen nach Thomas (in Anlehnung an Thomas, 1976, S. 900) Empirische Studien belegen allerdings, dass kooperative und konsensorientierte Verhaltensweisen in Konflikten im Rahmen einer Teamarbeit innovationsförderlicher sind als vermeidende, durchsetzende und nachgebende Verhaltensweisen (Gobeli, Koenig & Bechinger, 1998, S. 423). 2.8.4 Lösungs- und Quasilösungsstrategien für Konflikte Damit interkulturelle Teams effektiv und effizient arbeiten können, ist in der Praxis eine Lösung bzw. Quasilösung der Konflikte essenzielle Voraussetzung, um nicht zu viel Zeit und Energie zu verlieren (Dreu & Weingart, 2003, S. 748). Die politisch-rechtliche Perspektive beschränkt mit ihrer siebten Prämisse die Möglichkeiten der Konfliktlösung zwar auf rechtliche Quasilösungen, jedoch werden auch verhaltenswissenschaftliche Konfliktlösungen aufgezeigt, da je nach Art des Konflikts und der Situation eine andere Herangehensweise sinnvoll sein kann . 2.8.4.1 Konfliktlösungsmechanismen nach Glasl Glasl schlägt deshalb Konfliktlösungsmechanismen vor, die sich nach der jeweiligen Eskalationsstufe des Konflikts ausrichten. Tab. 2.9 zeigt die einzelnen Eskalationsstufen mit ihren jeweiligen Merkmalen auf, wobei eine Dreiteilung der Konfliktlösungen in Win-Win-, Win-Lose- und Lose-Lose- Szenarien zu erkennen ist (Glasl, 2010, S. 234). <?page no="140"?> 2.8 Interkulturelle Teams aus einer politisch-rechtlichen Perspektive 141 Tab. 2.9: Eskalationsstufen nach Glasl (in Anlehnung an Klötzel, 2015) Ebene Stufe Merkmale Mögliche Lösung I 1. Verhärtung Spannungen/ gelegentliche Auseinandersetzungen Win-Win Eigenständig lösbar; beide Parteien können dabei gewinnen 2. Polarisierung und Debatte Auseinandersetzungen eskalieren zu einem Streit Versuche, andere von der eigenen Meinung zu überzeugen 3. Taten statt Worte Verbale Kommunikation wird reduziert Keine Empathie für andere II 4. Sorge um Image und Koalition Es geht nicht mehr um die Sache, sondern um Gewinne Verbündete werden gesucht Win-Lose Nur mit Hilfe lösbar; nur eine Partei gewinnt 5. Gesichtsverlust Demütigung des Gegners 6. Drohstrategien Drohungen werden ausgesprochen Eigene Macht soll veranschaulicht werden III 7. Begrenzte Vernichtungsschläge Es wird versucht, dem Gegner empfindlichen Schaden zuzufügen Eigener begrenzter Schaden wird in Kauf genommen Lose-Lose Nicht lösbar; beide Parteien verlieren 8. Zersplitterung Gegner soll zerstört werden 9. Gemeinsam in den Abgrund Eigene Vernichtung bei Zerstörung des Gegners wird in Kauf genommen Wie in Abb. 2.22 dargestellt, führt Glasl aufgrund der spezifischen Merkmale der Eskalationsstufen sechs verschiedene Konfliktlösungsmechanismen an, die zwar nicht immer eine gewinnbringende Lösung für beide Konfliktparteien bereithalten, aber eine möglichst effiziente und konfliktreduzierende Lösung anstreben (Glasl, 2010, S. 396 ff.). Demnach sind Konflikte auf den ersten drei Eskalationsstufen (Verhärtung, Polarisierung und Debatte und Taten statt Worte) idealerweise durch die beteiligten Personen selbst oder mithilfe eines Moderators zu lösen, da in dieser Phase der Konflikt noch für alle beteiligten Personen zu gewinnen ist. So fördert ein Moderator lediglich die Selbstklärung und hilft die Beziehungen zwischen allen Beteiligten zu verbessern (Glasl, 2010, S. 396 f.). Mit Fortschreiten der dritten bis zur fünften Eskalationsstufe (Taten statt Worte, Sorge um Image bzw. Koalition und Gesichtsverlust) kann der Konflikt nur noch mithilfe außenstehender Personen (wie dem Teamleiter) durch Prozessbegleitung gelöst werden, da die beteiligten Personen nicht mehr miteinander reden und sich der Konflikt von der Sachauf die Beziehungsebene verlagert hat. Durch eine Prozessbegleitung wird den beteiligten Partnern nützliches Wissen vermittelt, um Konflikte in Zukunft selbst lösen zu können (ebd., S. 398). <?page no="141"?> 142 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Abb. 2.22: Konfliktlösungsmechanismen für die Eskalationsstufen nach Glasl (in Anlehnung an Glasl, 2010, S. 397) Diese Prozessbegleitung kann auf den Stufen vier bis sechs (Sorge um Image bzw. Koalition, Gesichtsverlust und Drohstrategien) durch sozio-therapeutische Elemente ergänzt werden, die vor allem die Gefühle und unbewussten Blockaden der Beteiligten in den Fokus stellen. Hat sich der Konflikt bereits auf der fünften bis siebten Stufe (Gesichtsverlust, Drohstrategien und begrenzte Vernichtungsschläge) verhärtet, ist der Konfliktprozess nicht mehr nur zu begleiten. Es gilt vor allem, die Konfliktursachen durch Mediation aufzudecken und einen Kompromiss zwischen den Beteiligten auszuhandeln. Gelangt die Mediation an ihre Grenzen, kann auf der sechsten bis achten Stufe (Drohstrategien, begrenzte Vernichtungsschläge und Zersplitterung) ein Schiedsverfahren bzw. Gerichtsverfahren eingesetzt werden. Im Zuge dessen wird der Konflikt durch Fakten und Tatsachen von einem neutralen (Schieds-)Gericht gelöst, dessen Entscheidungen die beteiligten Personen dann akzeptieren. Bei hoch eskalierten Konflikten auf den Stufen sieben bis neun (begrenzte Vernichtungsschläge, Zersplitterung und gemeinsam in den Abgrund) hilft dann allerdings nur noch ein direkter Machteingriff von außen, der eine weitere Eskalation verhindert und Maßnahmen gegen den Willen der Beteiligten durchsetzt. 2.8.4.2 Rechtlich-politische Konfliktlösungsmechanismen Neben Moderation, Mediation, Prozessbegleitung, Schiedsverfahren und Machteingriff können in interkulturellen Teams auch rechtlich-politische Konfliktlösungsmechanismen eingesetzt werden, die als Quasilösungen Regeln für den Umgang mit unterschiedlichen Ansichten und Konfliktsituationen vorgeben (Cyert & March, 1963, S. 117 f.). Auf Landesebene kann durch Antidiskriminierungsgesetze, wie zum Beispiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Deutschland (AGG), bereits eine Grundlage für den Umgang in Unternehmen <?page no="142"?> 2.8 Interkulturelle Teams aus einer politisch-rechtlichen Perspektive 143 und damit auch in interkulturellen Teams gelegt werden (§§ 6-18 AGG). Das AGG in Deutschland regelt, dass beispielsweise eine Benachteiligung aufgrund der ethnischen Herkunft oder der Weltanschauung gesetzlich nicht toleriert wird und rechtliche Konsequenzen bei einem Verstoß nach sich zieht (§ 1 AGG; Verstöße gegen das AGG werden straf- und arbeitsrechtlich verfolgt). Damit erfahren unterschiedliche kulturelle Ansichten in interkultureller Teamarbeit und in anderen interkulturellen Unternehmenssituationen einen ersten Schutz, der durch weitere Maßnahmen der Unternehmen ausgebaut werden kann. An dieser Stelle sind besonders Unternehmensrichtlinien und Code of Conducts (zu Deutsch: Verhaltenskodizes) herauszustellen, welche den Mitarbeitern Verhaltensregeln vorgeben (Dietzfelbinger, 2015, S. 116). So werden Mitarbeiter bei BASF durch den dortigen Verhaltenskodex beispielsweise dazu aufgefordert, einen persönlichen Interessenkonflikt dem Vorgesetzten zu melden (BASF, 2017, S. 15), während der Code of Conduct bei Beiersdorf einen sachorientierten und nicht durch kulturelle Haltung beeinflussten Umgang mit Konflikten präferiert (Beiersdorf, 2017, S. 13). Die Einhaltung der Verhaltensregeln wird dabei von den Vorgesetzten überwacht und jeder Mitarbeiter kann Verstöße melden, die dann rechtlich geprüft und gesetzlich oder disziplinarisch geahndet werden. Ebenso können Unternehmen durch ein breit angelegtes Diversity Management kulturelle Vielfalt fördern und zu einem festen Bestandteil des Unternehmens werden lassen, wodurch kulturabneigende Haltungen und Verhaltensweisen eine Verringerung erfahren. 2.8.5 Konsequenzen für den Einsatz interkultureller Teams Es kann konstatiert werden, dass Missverständnisse, Ethnozentrismus und Stereotypisierung interkulturelle Aufgaben- und Beziehungskonflikte auslösen können, die zu einer Bildung von Subgruppen, Kommunikationsverschlechterungen und Leistungseinbußen in interkulturellen Teams führen. Die Umgangsformen und Verhaltensweisen in solchen interkulturellen Konflikten unterscheiden sich dabei je nach kulturellem Hintergrund der Teammitglieder und der Eskalationsstufe des Konflikts. Konflikte können aber auch positive Effekte, wie beispielsweise die Schärfung des Problembewusstseins der Beteiligten, das Erhalten von Teamgrenzen und den Aufbruch von festgefahrenen Strukturen, haben, wenn ihnen durch ein kooperatives Konfliktmanagement und angepasste Konfliktlösungsmechanismen begegnet wird. Unterstützend wirkt dabei der Teamleiter, der mithilfe von Führungs-, Beteiligungssowie Kommunikationsmitteln den konstruktiven Charakter von Konflikten betont und für die Einhaltung von Gesetzen, Richtlinien, Regeln und Vereinbarungen sorgt, die viele Konflikte bereits in ihrem Ursprung an einer Entstehung hindern. Folglich kann von der in These 3 formulierten Annahme ausgegangen werden, dass in interkulturellen Teams spezifische Konflikte auftreten, deren Lösung situations- und kulturspezifische Mechanismen verlangt. Übung 2.8 Welche Verhaltensweisen in Konfliktsituationen kennen Sie? Übung 2.9 Welche Konfliktlösungsmechanismen nach Glasl kennen Sie? 2.8.6 Unternehmenskultur Terminologische Grundlagen von Unternehmenskultur Um den Einfluss von Unternehmenskultur auf die unternehmerischen Aktivitäten und den Unternehmenserfolg begreifen zu können, hilft eine terminologische Eingrenzung des Begriffs Unternehmenskultur, die als „Gesamtheit der Grundannahmen, Werte, Normen, Einstellungen und Überzeu- <?page no="143"?> 144 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen gungen einer Unternehmung [verstanden wird], die sich in einer Vielzahl von Verhaltensweisen und Artefakten ausdrückt und sich als Antwort auf die vielfältigen Anforderungen, die an multinationale Unternehmungen gestellt werden, im Laufe der Zeit herausgebildet hat“(Kutschker & Schmid, 2011, S. 686). Im Zuge dieser Begriffsbestimmung zeigt sich eine große Deckungsgleichheit mit der terminologischen Eingrenzung des Konstrukts Kultur. 2.8.7 Einfluss der Unternehmenskultur auf interkulturelle Teams Die Unternehmenskultur beeinflusst jedoch nicht nur den allgemeinen Unternehmenserfolg, sondern besitzt auch direkte Auswirkungen auf die Leistung von interkulturellen Teams. Dabei sind vor allem die Auffassungen der Unternehmenskultur bezüglich Interkulturalität und Offenheit von großer Bedeutung. Da die Akzeptanz von Fremdkulturen mit der Unternehmenskultur variiert, werden auch die Einstellungen der interkulturellen Teammitglieder gegenüber ihren fremdkulturellen Teamkollegen beeinflusst. Demnach hilft eine offene und interkulturelle Unternehmenskultur dabei, die Teammitglieder auf interkulturelle Begegnungen und unterschiedliche Ansichten vorzubereiten. Polzer, Milton und Swann (2001) sowie Ely und Thomas (2001) zeigen auf, „dass sich kulturelle Diversität nur positiv auf den Teamerfolg und besonders auf die Kreativität im Team auswirkt, wenn sie im Unternehmen offen thematisiert, wertgeschätzt und akzeptiert wird“ (Fleischmann, 2014, S. 185). Auch Mathieu, Gilson und Ruddy (2006) weisen nach, dass sich ein offenes Unternehmensklima (als Bestandteil der Unternehmenskultur) positiv auf die Teamprozesse auswirken kann, wenn dadurch eine offene Kommunikation und Kooperation innerhalb und zwischen den Teams entsteht. Gleichzeitig wird durch eine offene Kommunikation und Kooperation auch eine diversitätsfördernde Unternehmenskultur entwickelt, die individuelle kulturelle Unterschiede der Mitarbeiter berücksichtigt und als Leistungspotenzial begreift (Watrinet, 2008, S. 114). In Ergänzung zu einer Unternehmenskultur, die Fehler zulässt und als Lernchancen sieht, kann daraus eine Vertrauenskultur entstehen, die im Besonderen die interkulturelle Teamarbeit positiv beeinflusst, indem sie eine vertraute Teamatmosphäre schafft, in der alle Meinungen als konstruktiv angesehen werden. Weiterhin sensibilisiert eine interkulturelle und offene Unternehmenskultur die Teammitglieder dahingehend, Veränderungen und wechselnde Rahmenbedingungen wahrzunehmen, wodurch die Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft der interkulturellen Teams steigen, was wiederum zu besseren Teamleistungen führt (Bauschke, 2014, S. 17). Andererseits können interkulturelle Teams jedoch auch die Unternehmenskultur beeinflussen, indem die Teammitglieder im Rahmen der Teamarbeit neue Erfahrungen machen, die ihre Werte und Einstellungen verändern. Die damit einhergehende Veränderung von Werten und Einstellungen fließt wiederum in die Unternehmenskultur mit ein, indem die Teammitglieder beispielsweise ihre Arbeitsweise ändern oder andere Mitarbeiter von ihrer neuen Einstellung überzeugen. 2.8.8 Konsequenzen für den Einsatz interkultureller Teams Aus den vorangegangenen Ausführungen kann gefolgert werden, dass bei Veränderungsprozessen in Unternehmen neben strukturellen und strategischen Maßnahmen die Unternehmenskultur als kritischer Faktor zu beachten ist. Eine starke Unternehmenskultur (hoher Verankerungsgrad und hohes Übereinstimmungsausmaß), die systemkompatibel ist, kann die Umsetzung von Unternehmensentwicklungen durch diverse Funktionen, wie beispielsweise Koordination, Motivation und Integration, unterstützen und somit die Interessen der Mitarbeiter mit den Interessen des Unternehmens in Einklang bringen, um damit auch den Unternehmenserfolg zu beeinflussen. <?page no="144"?> 2.8 Interkulturelle Teams aus einer politisch-rechtlichen Perspektive 145 Diese katalysatorischen Wirkungen gelten auch für interkulturelle Teams. Demnach sensibilisiert eine starke, offene und interkulturelle Unternehmenskultur die Mitglieder interkultureller Teams für wechselnde Rahmenbedingungen, schafft eine Vertrauenskultur und fördert die Kreativität, wodurch sich auch die Prozesse und Leistungen in den interkulturellen Teams verbessern. Folglich kann von der in These 4 formulierten Annahme ausgegangen werden, dass sich die Leistung interkultureller Teams von der Unternehmenskultur positiv beeinflussen lässt. Kultur ist wichtig Die 5 Dimensionen von Kultur sind in jeder Unternehmenskultur unterschiedlich stark ausgeprägt. Ist die Führungskraft gut kennt sie die Kulturen in den verschiedenen Teilen ihrer Organisation und auch in den verschiedenen Teilen der Welt. Gute Führungskräfte passen ihren Führungsstil entsprechend an. In asiatischen Niederlassungen werden bspw. kollektive Ansätze gewählt (Marcouse et al., 2015, S. 108). Peter Druckers Zitat betont die Wichtigkeit der Kultur: „Die Kultur verspeist die Strategie zum Frühstück“ (Marcouse et al., 2015, S. 109). Zusammenfassung Wie interkulturelle Teams gebildet werden können, lässt sich wohl am besten aus unterschiedlichen Organisationstheorien (Ansätzen) bzw. -perspektiven erläutern, da es nicht „ die Theorie“ dafür gibt. Der strukturelle Organisationsansatz ist der grundsätzlichste Ansatz und muss, wie im Exkurs zu den formalen Organisationsstrukturen bei internationalen Unternehmen behandelt, unbedingt berücksichtigt werden, ob als Struktur oder als Prozessorganisation. Alle weiteren Organisationsansätze sind komplementär zum strukturellen Organisationsansatz zu betrachten, und man kann je nach Organisationsproblem auf den einen oder anderen weiteren Organisationsansatz verzichten. Bildung interkultureller Teams aus verhaltenswissenschaftlicher Organisationsperspektive: Der Mensch will in einer formalen Organisationsstruktur wie ein Mensch behandelt werden. Gerade in interkulturellen Teams prallen anerzogene Werte und Verhaltensweisen aufeinander, die erkannt, analysiert und gesteuert werden müssen, will das multinationale Unternehmen in seinen wirtschaftlichen Aktivitäten und dem Verkauf von Produkten erfolgreich sein. Gerade der Kommunikation und der Führung in interkulturellen Teams kommen hier Schlüsselrollen zu. Politisch-rechtlicher Organisationsansatz zur Bildung politisch formaler und rechtlicher Rahmenbedingungen für die internationale Unternehmung: Bereits der römische Gelehrte Cicero wies vor 2000 Jahren darauf hin, dass alle Organisationsregeln und Gesetze von Menschen gemacht werden, und keine kulturelle Religion „naturgemäß“ oder „göttlich“ bestimmen kann, was gut und schlecht in Organisationen ist. Schließlich ist jede Religion von Menschen erdacht und nicht von Gott gegeben. Die Organisation und die interkulturellen Teams entwickeln eigene Regeln der Zusammenarbeit bzw. richten sich an staatlichen Gesetzen aus, z. B. Betriebsverfassungsgesetz, Mitbestimmungsgesetz, Einführung der Frauenquote, Diskriminierungsverbot etc. Symbolischer Organisationsansatz zur Bildung von interkulturellen Teams: Die Mehrheit der Mitarbeiter brauchen Märchen, Mythen, Sagen, Religion(en), Rituale, um mit un- <?page no="145"?> 146 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen verständlichen Aufgaben, Situationen, Unsicherheiten und Risiken in multinationalen Unternehmungen und in verschiedenen Ländern zurechtzukommen. Unternehmenskulturen in formalen Organisationsstrukturen helfen hier den Mitarbeitern, Orientierung zu bekommen und Rückschläge in der Arbeitswelt besser zu verkraften bzw. einen Organisationswandel aufgrund von internationalen Zusammenschlüssen von Unternehmen besser zu verstehen. 2.9 Strukturelle Organisationsstrukturen in multinationalen Unternehmen Nach Bearbeitung dieses Abschnitts haben Sie ein Grundverständnis dafür, wie die Organisation eines multinationalen Unternehmens gestaltet werden könnte. Sie haben abzuschätzen gelernt, welche Faktoren hierbei eine große Rolle spielen. Eine Organisation wird bestimmt durch die Art und Weise, wie die Aufgaben, die zum Funktionieren des Unternehmens im Inland und im Ausland erforderlich sind, auf die einzelnen Stellen und Niederlassungen verteilt sind. Hintergrund ist ein kostenrechnerischer, unternehmerischer Ansatz und ein finanzorientierter Eigentümeransatz. 1) Zum kostenrechnerischen Ansatz: Jede Organisationsstelle, Niederlassung usw. ist kostenrechnerisch auch eine Kostenstelle. Das heißt, das Management fragt danach, wie diese Kostenstellenfunktion produktiv gelöst wird bzw. wie viel Kosten verursacht werden und welche „Erträge“ durch diese Auslandsstelle(n) erzielt werden. 2) Zur finanzorientierten Perspektive der Aktionäre bzw. Eigentümer: Wie viel Kapital benötigt eine Auslandsniederlassung und mit welchem Free Cash Flow kann gerechtet werden bzw. wann werden die Auslandsinvestitionen über die Organisation wieder eingespielt? Dabei wird folgende Risikofrage mitschwingen: Kann unter ausländischer Staatsführung der Niederlassung das Eigentum der Unternehmung z. B. auch verstaatlicht werden oder das organisatorische Durchgriffsrecht der Unternehmensführung behindert werden? 3) Grundsätzlich stehen internationale Organisationsstrukturen im Fokus des Interesses, wenn Unternehmenswachstum eines Unternehmens besonders durch internationale Aktivitäten möglich ist. Folgende Fragen müssen dabei u. a. gelöst werden:  Will das Unternehmen seine Produktions- und Marketingaktivitäten 1: 1 ins Ausland übertragen?  Hat die Unternehmensleitung eine oder mehrere Strategien für das multinationale Unternehmen, die dann in entsprechende Organisationsstrukturen und Organisationsprozesse überführt werden können?  Hat das Unternehmen genügend qualifiziertes Personal (Expatriates), das den organisatorischen Notwendigkeiten des Unternehmens entspricht, um alle Organisationsstellen zu besetzen?  Soll eine kapitalmarktorientierte Managerkontrolle der Landesniederlassungen im Sinne eines Shareholder-Value-Ansatzes erfolgen?  Wie können interne Schnittstellenprobleme zwischen der Muttergesellschaft und den Töchterunternehmen, aber auch zwischen der Forschungs- und Entwicklungsabteilung im In- und Ausland mit den Produktions- und Marketingabteilungen gelöst werden? <?page no="146"?> 2.9 Strukturelle Organisationsstrukturen in multinationalen Unternehmen 147  Wie kann ein sozialpsychologisches Modell der Commitment-Förderung in multinationalen Unternehmen verankert werden? Dieses Modell besagt, dass die Beteiligung der Betroffenen in organisatorischen Stellen an den strategischen internationalen Entscheidungen der Unternehmung erfolgt, damit die Implementierung der Programme durch Manager und Mitarbeiter gefördert wird. Den Strukturen nationaler und internationaler Unternehmen wird seit den 1970er-Jahren in der Organisationsforschung in der deutschen Betriebswirtschaft starke Beachtung geschenkt (Kutschker & Schmid, 2011, S. 475 ff. und Schmeisser et al., 2014). Organisationsstrukturen beschreiben die Weisungs- und Kommunikationsstrukturen in multinationalen Unternehmen zwischen den Managementebenen, die formalen Produktions- und Marketingzusammenhänge zwischen der Mutter- und den Tochterunternehmen in den verschiedenen Ländern sowie die internen und externen Verrechnungszusammenhänge, um den kostenrechnerischen und finanzwirtschaftlichen Notwendigkeiten gerecht zu werden. Die formalen internationalen Organisationsstrukturen bilden damit das Gerüst einer multinationalen Unternehmung ab. Formale Organisationsstrukturen können bis hinunter auf die individuellen Akteure festgelegt werden, um deren Effizienz kostenrechnerischer und finanzwirtschaftlicher Art zu beurteilen.  Formale Organisationstrukturen werden oft nach folgenden Kriterien beurteilt, um auf ihre Effizienz zu schließen:  Arbeitsteilung: Die Arbeitsteilung wird als strukturelles Grundprinzip betrachtet, denn je mehr Mengenteilung, Spezialisierung (Artenteilung) und Professionalisierung durch Bildung hochqualifizierter Stellen und damit Einsatz von Spezialisten erfolgt, desto höher wird die Produktivität. Oder anders ausgedrückt: Je größer die Arbeitsteilung, d. h. die Aufgliederung der zu erreichenden betrieblichen Ziele auf die Aktivitäten und deren Verteilung auf die Organisationsmitglieder (Sichtbar im Organigramm der multinationalen Unternehmung), desto höher ist die zu erwartende Produktivität.  Koordination : Je höher die Arbeitsteilung, desto höher ist der Abstimmungsbedarf in arbeitsteiligen Prozessen durch Manager, Teams, Automatisierung sowie durch Strategien und Programme.  Leitungsbeziehungen: Äußere Form des Gefüges organisatorischer Einheiten: Strukturelle Lenkungssysteme wie Stablinienorganisation, Teams, Geschäftsführungen der Auslandsniederlassungen etc.  Delegation: Zuordnung von Aufgaben, Verantwortlichkeiten, Entscheidungsbefugnissen (= Kompetenzen) auf verschiedenen Ebenen und Stellen im In- und Ausland der Unternehmung.  Standardisierung: Festlegung einheitlicher technischer Vorgaben im Rahmen der Arbeitsteilung zur besseren Aufgabenwahrnehmung bei der Erzielung und Erstellung unternehmerischer Geschäftsfelder und Produkte, um die Produktivität zu erhöhen und eine bessere kostenrechnerische Wirtschaftlichkeit zu erzielen. In der Praxis findet man eine Vielzahl von strukturellen Alternativen, mit denen multinationale Unternehmen versuchen, auf die an sie herangetragenen politisch-rechtlichen, kulturellen und ökonomischen externen Umweltbedingungen und internen Anforderungen ihrer Anteilseigner, Manager und technologisch-produktionstechnischen, absatzwirtschaftlichen und verwaltungsmäßigen internen Anforderungen zu reagieren. Folgt man Kutschker und Schmid (2011, S. 475 ff.), dann werden zur Bildung internationaler Organisationsstrukturen meist zwei Kriterien herangezogen: 1) Die organisatorische Stellung des Auslandsgeschäfts im Vergleich zum Inlandsgeschäft der Unternehmung. 2) Die Art der Spezialisierung , die die Organisationsstruktur bestimmt. <?page no="147"?> 148 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Charakterisiert man diese beiden Kriterien genauer, wie die organisatorische Stellung des Auslandsgeschäfts, muss eine weitere Differenzierung vorgenommen werden: (zu 1) ob das Auslandsgeschäft vom Inlandsgeschäft organisatorisch getrennt wird oder ob das Auslandsgeschäft mit dem Inlandsgeschäft vereinigt und zusammengefasst wird. Wird das Auslandsgeschäft der Tochterunternehmen vom Inlandsgeschäft der Muttergesellschaft organisatorisch separiert bzw. abgespaltet, dann wird von segregierten bzw. differenzierten Organisationseinheiten oder Strukturen gesprochen. Wird dagegen das Auslandsgeschäft mit dem Inlandsgeschäft organisatorisch zusammengefasst, spricht man von integrierten Strukturen . Die „integrierten Organisationsstrukturmodelle“ werden auch als „globale Organisationsstrukturmodelle“ bezeichnet. Was jedoch als „global“ im Folgenden bezeichnet wird, ist in Anlehnung an Bartlett und Goshal (1989) zu verstehen. Globale Unternehmen sind nach Bartlett und Goshal auch internationale, multinationale und transnationale Unternehmen. (zu 2): Die Art der Spezialisierung ist wie bei nationalen Unternehmensstrukturen (Schmeisser et al., 2014, S. 120 ff.) eine Gliederung nach  Funktionen (bzw. Aufgaben, Verrichtungen oder Handlungen, wie beschaffen, produzieren, verkaufen, verwalten);  Geschäftsbereichen und Produkten ( bzw. Sachziele, wie beim VW-Konzern, Porsche, Audi etc.);  Regionen (bzw. Kontinente, Länder oder Märkte wie USA-Geschäft, China-Geschäft, Europa, Afrika, Frankreich, Spanien, Deutschland oder Märkte für Sportwagen, für Geschäftswagen etc.);  Kunden (für Diesel, Verbrennungsmotoren, Elektroautos etc. bis zum Verkaufspreis von 10 000, 20 000, 30 000, 50 000, 100 000 Euro) Es lässt sich analog sprechen von entweder  einer funktionalen Organisationsstruktur,  einer Geschäftsbereichsorganisationsstruktur angelehnt an ein strategisches Management mit unterschiedlichen Strategien,  einer Regionalorganisationsstruktur wie bei General Motors oder VW oder  einer Key-Account-Organisationsstruktur mit Deutscher Post, Bundeswehr oder Geschäftskunden als gut zahlende Klientelen. Kombiniert man Organisationsstrukturen zwei-, drei- oder mehrmals, spricht man von Matrixbzw. Tensorstrukturen. Abb. 2.23 gibt eine Übersicht über die Grundformen internationaler Organisationsstrukturen (Kutschker & Schmid, 2011, S. 491). Existiert eine ausländische erste Tochtergesellschaft, so erhält der Geschäftsführer (beispielsweise als „Expatriate“) eine Leitungsbeziehung (Leitungsspanne) mit einem relativ großen Entscheidungsspielraum. Die Muttergesellschaft will beobachten, wie sich der Absatz ihrer Produkte und die Umsätze im Ausland entwickeln und ob irgendwann sogar Produktionsverlagerungen mit entsprechenden Investitionen anstehen. Aufgrund der geringen Bedeutung des bisherigen Auslandsgeschäfts kann eine kostspielige Anpassung der unspezifischen Organisationsstruktur unterbleiben und eine Aufblähung von Personal- und Sachkosten vermieden werden. <?page no="148"?> 2.10 Unspezifische Organisationsstrukturen multinationaler Unternehmen 149 Abb. 2.23: Übersicht über die Organisationsstrukturen (Kutschker & Schmid, 2011, S. 496) 2.10 Unspezifische Organisationsstrukturen multinationaler Unternehmen Gerade am Anfang der Internationalisierung von Unternehmen schlagen sich diese Aktivitäten im Ausland weder in der Strategie noch in der Organisation nieder. In Unternehmen werden eher zufällig erste Exporte getätigt und man erkennt, dass man sich mit dem Land bzw. den Ländern, in die man exportiert, genauer auseinandersetzen muss. Solange diese Auslandsengagements nur eine geringe Bedeutung haben, führen sie zu keiner nennenswerten Veränderung in der Gesamtorganisationsstruktur der Unternehmung. Erst wenn der Auslandsumsatz vom Gesamtumsatz relevante Größen von ca. 10 Prozent und mehr erreicht, sollte über andere Organisationsstrukturen nachgedacht werden, aufgrund von Zöllen, Wechselkursrisiken, Rohstoffen, Personalkosten, Materialkosten, Logistikkosten und protektionistischen Tendenzen von Regierungen. Diese Tatbestände verlangen in der Regel, Teile der Produktion ins Ausland zu verlegen und internationale Strategien etc. zu entwickeln, wie beispielsweise  Zielmarktstrategien, die den Zusammenhang von Marktpräsenz z. B. in Europa darlegen,  Marktselektionsstrategien z. B. für Großbritannien, Frankreich, Italien und  Marktsegmentierungsstrategien für länderübergreifende Zielgruppen, z. B. Sportwagen, SUVs wie Audi, BMW oder Mercedes, die international und integral ein Angehen erfordern. <?page no="149"?> 150 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen 2.11 Segregierte Organisationsstrukturen internationaler und multinationaler Unternehmen Segregierte Organisationsstrukturen zeichnen sich dadurch aus, dass das Auslandsgeschäft und das Inlandsgeschäft organisatorisch voneinander abgespalten werden bzw. das Charakteristikum des Organisationsmodells „Internationale Divisionen“ ist die Dichotomie von Inlandsgeschäft und Auslandsgeschäft auf der ersten Hierarchieebene unterhalb des Vorstands bzw. der Geschäftsleitung der Mutterunternehmung. Internationale Divisionen werden vor allem unter folgenden Bedingungen gewählt: 1) Das Auslandsgeschäft hat eine so große Bedeutung erlangt, dass es mit unspezifischen Organisationsstrukturen nicht mehr zu steuern, zu koordinieren und kostenrechnerisch zu kontrollieren ist. 2) Das Auslandsgeschäft ist geografisch weit gestreut und auf viele Tochtergesellschaften verteilt. In Abb. 2.24 werden Grundmodelle segregierter Organisationsstrukturen vorgestellt. Fall 1: Segregierte Organisation bei Funktionalgliederung des Inlandsgeschäfts Fall 2: Segregierte Organisation bei Geschäftsbereichs-/ Produktglieder und des Inlandsgeschäfts Fall 3: Segregierte Organisation bei Regionalgliederung des Inlandsgeschäfts Abb. 2.24: Grundmodelle segregierter Organisationsstrukturen (eigene Darstellung in Anlehnung an Kutschker & Schmid, 2011, S. 502) <?page no="150"?> 2.12 Integrierte Organisationsstrukturen multinationaler Unternehmen 151 2.12 Integrierte Organisationsstrukturen multinationaler Unternehmen Integrierte internationale Funktionalstrukturen werden dann gewählt, wenn in multinationalen Unternehmen weltweit relativ einheitliche Produkte und Technologien vertrieben werden, wie bei Airbus, Apple, BMW, und wenn eine weltweit hohe Neigung zur technischen Standardisierung und Programmierung im Unternehmen vorliegt. In dieser Organisationsform erhalten die Funktionalressorts weltweite Verantwortung (Kutschker & Schmid, 2011, S. 507). Abb. 2.25: Grundmuster der integrierten Funktionalstruktur (Abbildung aus Kutschker & Schmid, 2011, S. 507) Wird die Organisationsform der integrierten Geschäftsbereichs-/ Produktstruktur gewählt, erhalten die Manager der Geschäfts- und Produktbereiche weltweite Linienverantwortung. Somit sind diese Manager im In- und Ausland für die entsprechenden Geschäftsbzw. Produktbereiche verantwortlich. Abb. 2.26: Grundmuster der integrierten Geschäftsbereichs-/ Produktstruktur (Abbildung aus Kutschker & Schmid, 2011, S. 512) Die Organisationsform der integrierten Regionalstrukturen beinhaltet, dass unterschiedliche Produkte, Geschäftsbereiche und Funktionen unter einem Dach implementiert werden. Dieses Modell wird gewählt, wenn  ein relativ hoher Umfang an internationalen Tätigkeiten anfällt und im Ausland eine Produktionsstätte errichtet wird (und nicht nur eine Niederlassung),  die Notwendigkeit zu einer starken länderbzw. regionalspezifischen Anpassung vorhanden ist und  zudem die Verhandlungen mit den ausländischen Behörden, Verbänden und Regierungsstellen eine zentrale Rolle für den Geschäftserfolg darlegen (Kutschker & Schmid, 2011, S. 519). <?page no="151"?> 152 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Abb. 2.27: Grundmuster der integrierten Regionalstruktur (Abbildung aus Kutschker & Schmid, 2011, S. 519) Mehrdimensionale integrierte Strukturen werden von Unternehmen mit zunehmender Internationalisierung gewählt, da die integrierten Funktional-, Geschäftsbereichs-, Produkt-, Regional und Key-Account-Strukturen in diesem Fall entscheidende Nachteile aufweisen. Wenn zwei Kritierien zur Organisationsgliederung ausgewählt werden, wird von einer Matrixstruktur gesprochen. Eine Tensorstruktur ergibt sich, wenn drei Kriterien simultan berücksichtigt werden. Abb. 2.28: Beispiel Basisvariante: Internationale Matrixorganisation (Pausenberger, 1992, S. 1061; Abbildung aus Siedenbiedel, 2008, S. 225) <?page no="152"?> 2.12 Integrierte Organisationsstrukturen multinationaler Unternehmen 153 Abb. 2.29: Tensororganisation (Kutschker & Schmid, 2011, S. 532; Abbildung aus Siedenbiedel, 2008, S. 227) Abb. 2.30: Intra- und interorganisationale Netzwerkstrukturen (Abbildung aus Kutschker & Schmid, 2011, S. 546) <?page no="153"?> 154 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Interorganisationale Netzwerke unterhalten auf langfristiger Basis Beziehungen zwischen zwei oder mehreren unabhängigen und selbstständigen Firmen. In der Regel geben unabhängige und rechtlich selbstständige Unternehmen einen Teil ihrer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit auf, um mit anderen Unternehmen zu kooperieren. Netzwerke entstehen dabei durch eine partielle Ausgliederung betrieblicher Funktionen und durch eine partielle Integration externer Faktoren (Kutschker, 2011, S. 538). Laut Kutschker sind intraorganisationale Netzwerkstrukturen in der Praxis bisher nur ansatzweise verwirklicht (Kutschker & Schmid, 2011, S. 546). Übung 2.10 Welche vier Grundformen des strukturellen Ansatzes werden für internationale Unternehmen unterschieden? Finden Sie je ein Beispiel-Unternehmen für so eine Organisationsstruktur. Zusammenfassung Der strukturelle Organisationsansatz ist der entscheidende und grundsätzliche Theorieansatz für jede Unternehmung. Welche Organisationsstrukturen daraus abgeleitet werden können, hängt von der Technologie und vom Produktprogramm der multinationalen Unternehmung ab. Inwiefern man psychologische, politisch-rechtliche oder kulturelle Aspekte neben den strukturellen Aspekten bei Unternehmensorganisationen zusätzlich berücksichtigen will und muss, hängt von den internen und externen Problemen ab, denen sich das multinationale Unternehmen ausgesetzt sieht. Schlussbetrachtung Zum Abschluss dieses Kapitels folgt eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte. Gestartet sind wir mit einer Erklärung, warum interkulturelle Teams in multinationalen Organisationen so wichtig sind. Sie sind es deshalb, da sie über den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens entscheiden können. Dem folgten die Grundlagen der Interkulturalität in Bezug auf Teams. Multinationale Unternehmen müssen sich auf die unterschiedlichen Kulturen einlassen und multinational aufgestellt sein. Im dritten Abschnitt wurden die interkulturellen Teams aus vier organisationstheoretischen Perspektiven betrachtet: - Die Organisation als Maschine (strukturelle Perspektive) - Die Organisation als soziales System (verhaltenswissenschaftliche Perspektive) - Die Organisation als politische Arena (politisch-rechtliche Perspektive) - Die Organisation als Theater (symbolische Perspektive) Dieser Abschnitt schloss mit der Erläuterung der Konsequenzen für den Einsatz internationaler Teams. Das Kapitel endet mit der Darstellung, wie Organisationsstrukturen in multinationalen Unternehmen aussehen und aussehen können. <?page no="154"?> Bearbeitungshinweise zu den Übungen 155 Bearbeitungshinweise zu den Übungen Abschnitt 2 Übung 2.1 Der Aufbau einer Kultur und ihrer Merkmale lässt sich durch das Kulturzwiebelmodell von Hofstede darstellen. Demnach offenbart sich eine Kultur durch Symbole, Helden, Rituale und Werte, wie in der Abbildung dargestellt. Kulturzwiebelmodell nach Hofstede Die dabei gewählte Form einer Zwiebel für das Kulturmodell skizziert bereits den Aufbau einer Kultur. Um die darunterliegenden Schichten zu verstehen, ist eine Kultur von außen nach innen zu begreifen. Die Praktiken mit ihren Bestandteilen Symbole, Helden und Rituale sind sichtbar und klar zu erfassen, genau wie bei der bereits vorgestellten Percepta-Ebene. Doch um sie zu verstehen, bedarf es eines weiteren Vordringens bis hin zu den Werten, die nicht sichtbar sind und mit der Concepta- Ebene verglichen werden können. Der erste Eindruck einer Kultur wird bei Hofstede durch die äußerste und sichtbarste Schicht der Symbole gewonnen. „Symbole sind Worte, Gesten, Bilder oder Objekte, die eine bestimmte Bedeutung haben, welche nur von denjenigen als solche erkannt wird, die der gleichen Kultur angehören.“ Mögliche Symbole können beispielsweise Sprache, Architektur, Kunst oder Kleidung sein, die durch kulturfremde Individuen wahrgenommen und als Realität erfasst werden. Die zweite Schicht des Modells bilden die Helden als Verbindung zwischen Symbolen und Ritualen. „Helden sind Personen, tot oder lebend, echt oder fiktiv, die Eigenschaften besitzen, die in einer Kultur hoch angesehen sind.“ Die in der jeweiligen Kultur lebenden Menschen nehmen oft auf ihre Helden Bezug, ohne dass Außenstehende die Anspielungen verstehen können. <?page no="155"?> 156 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Die dritte und letzte Schicht der sichtbaren Praktiken bilden die Rituale, die „kollektive Tätigkeiten [repräsentieren], die für das Erreichen der angestrebten Ziele eigentlich überflüssig sind, innerhalb einer Kultur aber als sozial notwendig gelten: Sie werden daher um ihrer selbst willen ausgeübt“. Solche Rituale können beispielsweise nationale Feiertage oder Karnevalsumzüge sein. Die tiefste Ebene der Kultur bilden die Werte, die für eine „allgemeine Neigung [stehen], bestimmte Umstände anderen vorzuziehen. Werte sind Gefühle mit einer Orientierung zum Plus- oder zum Minuspol hin“. Somit sind Werte der grundlegende Kern einer Kultur, der auch von den eigenen Mitgliedern der Kultur nur sehr schwer erfasst oder gar sprachlich ausgedrückt werden kann. Sie bestimmen, was die Menschen als gut oder schlecht empfinden und drücken sich beispielsweise auch in religiösen Einstellungen aus. Übung 2.2 Bis heute ist eine derartige Studie nie wieder erreicht worden. Sie gilt deshalb als die Vorzeigestudie überhaupt. Übung 2.3 Folgende Kulturdimensionen lassen sich unterscheiden: <?page no="156"?> Bearbeitungshinweise zu den Übungen 157 Abschnitt 3 Übung 2.4 Übung 2.5 <?page no="157"?> 158 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Organisationsprämissen des strukturellen Ansatzes Organisationsprämissen des verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes Organisationsprämissen des politisch-rechtlichen Ansatzes Organisationsprämissen des symbolischen Ansatzes <?page no="158"?> Bearbeitungshinweise zu den Übungen 159 Übung 2.6 Die Anzahl der Teammitglieder ist ausschlaggebend für eine erfolgreiche Zusammenarbeit (Grunwald, 1996, S. 742 f.). Im Zuge dessen sollte ein Team „groß genug sein, um eine produktive Vielfalt von Erfahrungen, Wissen und Fertigkeiten zu repräsentieren; es sollte aber auch klein genug sein, um rein praktisch den Austausch von Informationen und Argumenten zwischen allen Beteiligten reibungslos zu ermöglichen“ (Krüger, 2009, S. 29). Eine optimale Anzahl von Teammitgliedern wird in der Literatur ausgiebig diskutiert, wobei die meisten Autoren eine kleine Anzahl für sinnvoll erachten (Forsyth, 2010, S. 3). So gibt Saurwein basierend auf einer Literaturanalyse eine optimale Teamgröße von drei bis fünfzehn Mitgliedern an (Saurwein, 1996, S. 99). Auch Grunwald liegt mit seiner Analyse in dieser Spanne und definiert sieben Mitglieder als Optimum (Grunwald, 1996, S. 744). Im Idealfall sind gerade Mitgliederzahlen zu umgehen, um Pattsituationen bei Entscheidungen und Aufspaltungen in gleichstarke Untergruppen zu vermeiden. Zudem sind zur Bestimmung der optimalen Teamgröße jedoch immer aufgaben- und situationsspezifische Variablen zu berücksichtigen. Übung 2.7 (1) Entwicklungsprozess nach DiStefano und Maznevski Erfolgreiche interkulturelle Teams durchlaufen drei Schritte, welche parallel zu der normalen Teamentwicklung stattfinden und die Voraussetzung für eine gute Teamleistung bilden. DiStefano und Maznevski nennen diese drei Schritte Mapping, Bridging und Integrating. Entwicklungsschritte leistungsstarker interkultureller Teams (2) Zeutschel geht davon aus, dass ein interkulturelles Team fünf Phasen der Teamentwicklung durchlaufen muss, und darüber hinaus vier eigene Interaktionskategorien vorweisen muss. Siehe dazu die Abbildung. <?page no="159"?> 160 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Entwicklungsstufen eines interkulturellen Teams nach Zeutschel Übung 2.8 Konflikttypen nach Thomas Wie in der obigen Abbildung dargestellt, lassen sich die genannten kulturellen Umgangsformen mit Konflikten auch in das Konflikttypenmodell von Thomas einordnen, welches fünf mögliche Ver- <?page no="160"?> Bearbeitungshinweise zu den Übungen 161 haltensweisen in Konfliktsituationen aufzeigt. Demnach reagieren Individuen je nach Orientierung an den eigenen und/ oder fremden Interessen in Konflikten entweder mit Vermeidungs-, Durchsetzungs-, Nachgabe-, Kompromiss- oder Konsensstrategien. Übung 2.9 Wie in der folgenden Abbildung dargestellt, führt Glasl aufgrund der spezifischen Merkmale der Eskalationsstufen sechs verschiedene Konfliktlösungsmechanismen an, die zwar nicht immer eine gewinnbringende Lösung für beide Konfliktparteien bereithalten, aber eine möglichst effiziente und konfliktreduzierende Lösung anstreben. Konfliktlösungsmechanismen für die Eskalationsstufen nach Glasl Demnach sind Konflikte auf den ersten drei Eskalationsstufen (Verhärtung, Polarisierung und Debatte und Taten statt Worte) idealerweise durch die beteiligten Personen selbst oder mithilfe eines Moderators zu lösen, da in dieser Phase der Konflikt noch für alle beteiligten Personen zu gewinnen ist. So fördert ein Moderator lediglich die Selbstklärung und hilft, die Beziehungen zwischen allen Beteiligten zu verbessern. Mit Fortschreiten der dritten bis zur fünften Eskalationsstufe (Taten statt Worte, Sorge um Image bzw. Koalition und Gesichtsverlust) kann der Konflikt nur noch mithilfe außenstehender Personen (wie dem Teamleiter) durch Prozessbegleitung gelöst werden, da die beteiligten Personen nicht mehr miteinander reden und sich der Konflikt von der Sachauf die Beziehungsebene verlagert hat. Durch eine Prozessbegleitung wird den beteiligten Partnern nützliches Wissen vermittelt, um Konflikte in Zukunft selbst lösen zu können. Diese Prozessbegleitung kann auf den Stufen vier bis sechs (Sorge um Image bzw. Koalition, Gesichtsverlust und Drohstrategien) durch sozio-therapeutische Elemente ergänzt werden, die vor allem die Gefühle und unbewussten Blockaden der Beteiligten in den Fokus stellen. <?page no="161"?> 162 2 Organisationstheoretische Perspektiven in multinationalen Unternehmen Hat sich der Konflikt bereits auf der fünften bis zur siebten Stufe (Gesichtsverlust, Drohstrategien und begrenzte Vernichtungsschläge) verhärtet, ist der Konfliktprozess nicht mehr nur zu begleiten. Es gilt vor allem, die Konfliktursachen durch Mediation aufzudecken und einen Kompromiss zwischen den Beteiligten auszuhandeln. Gelangt die Mediation an ihre Grenzen, kann auf der sechsten bis zur achten Stufe (Drohstrategien, begrenzte Vernichtungsschläge und Zersplitterung) ein Schiedsverfahren bzw. Gerichtsverfahren eingesetzt werden. Dabei wird der Konflikt durch Fakten und Tatsachen von einem neutralen (Schieds-)Gericht gelöst, dessen Entscheidungen die beteiligten Personen dann akzeptieren. Bei hoch eskalierten Konflikten auf den Stufen sieben bis neun (begrenzte Vernichtungsschläge, Zersplitterung und gemeinsam in den Abgrund) hilft dann allerdings nur noch ein direkter Machteingriff von außen, der eine weitere Eskalation verhindert und Maßnahmen gegen den Willen der Beteiligten durchsetzt. Abschnitt 4 Übung 2.10 Es lassen sich  die funktionale Organisationsstruktur,  die Geschäftsbereichsorganisationsstruktur,  die Regionalorganisationsstruktur und  die Key-Account-Organisationsstruktur unterscheiden. Beispiele recherchieren Sie bitte im Netz. Literatur Allport, G. W. (1954). The Nature of Prejudice. Reading, MA: Addison-Wesley. Barmeyer, C. I. & Davoine, E. (2006). Interkulturelle Zusammenarbeit und Führung in internationalen Teams: Das Beispiel Deutschland-Frankreich. Zeitschrift Führung + Organisation, 75(1), 35- 39. Bartlett, C. A. & Ghoshal, S. (1990). Internationale Unternehmensführung: Innovation, globale Effizienz differenziertes Marketing. 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Was versteht man unter der Entsendungsrichtlinie der EU, über die in Europa strittig diskutiert wird? Welche Theorien stehen dahinter? Solche und ähnliche spannende Fragen werden in diesem Kapitel behandelt. Wir starten mit dem Gliederungspunkt 1, indem geht es um die Internationalisierung von Unternehmen als Herausforderung des Personalmanagements. In Absatz 2 werden die klassischen Internationalisierungsstrategien vorgestellt. Absatz 3 stellt das EPRG-Modell von Permutter vor. Der Absatz 4 zeigt die Rahmenbedingungen des internationalen Personalmanagements auf. Im nächsten Absatz werden die unterschiedlichen Formen der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Mitarbeitern aufgezeigt. Im Absatz 6 werden Daten und Fakten zur Entsendung innerhalb der EU dargestellt. Das Kapitel schließt mit Outsourcing und Offshoring im Personalmanagement ab. 3.1 Internationalisierung von Unternehmen als Herausforderung für das Personalmanagement Lernziele Sie haben ein grundsätzliches Verständnis für ein Internationales Personalmanagement und verstehen, warum Globalisierung heute ein ständiger Umgangsbegriff ist. Die fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft hat für viele Unternehmen zunehmend Geschäftsaktivitäten im Ausland und eine Internationalisierung der Unternehmensstrukturen zur Folge. Struktur, Strategie und Kultur eines Unternehmens wirken sich auf alle Bereiche im Unternehmen und somit auch auf das Personalmanagement aus. Internationale Märkte sind gekennzeichnet durch erhöhte Konkurrenz zwischen den Unternehmen weltweit. Daraus wächst der Druck auf die Unternehmen, konkurrenzfähig zu bleiben. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens sind die Kompetenzen der Mitarbeiter, die das sogenannte internationale Humankapital im Unternehmen bilden. Neben der fachlichen Qualifikation, werden Methoden-, Verhaltens- und interkulturelle Kompetenzen immer relevanter (Schuhmacher, 2014, S. 207). Durch diesen strukturellen Wandel und den strategischen Nutzen durch Mitarbeiter haben das internationale Personalmanagement und das internationale Recruiting in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen (Jung, 2011, S. 863) Besonderer Bestandteil ist dabei die Auswahl von Mitarbeitern für Auslandseinsätze und die Beschaffung von internationalem Personal aus dem Ausland. Bevor jedoch eine Auswahl getroffen werden kann, benötigt das Unternehmen erst einmal möglichst hoch qualifizierte Bewerber. Aus der Studie „Recruiting Trend 2015“ geht hervor, dass eine Vielzahl der deutschen Top-1.000- Unternehmen Probleme bei der Stellenbesetzung sieht. Prognostiziert wird, dass 34,1 % der <?page no="171"?> 172 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements Vakanzen schwer und 5 % aus Mangel an Kandidaten gar nicht besetzt werden können (CHRIS, 2016, S. 8). Gründe dafür werden im demografischen Wandel und in einem Fachkräftemangel in Deutschland gesehen (Lorenz, 2015, S. 1), beispielsweise bei den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) (Hesse, Gero, 2015, S. 514), gesehen. Um diesem Mangel zu begegnen, stehen grundsätzlich zwei Wege zur Verfügung. Die Entwicklung von Mitarbeitern für einen Auslandsaufenthalt und/ oder die Rekrutierung neuer Mitarbeiter wird in einer länderübergreifenden Studie untersucht („global sourcing“ oder global recruiting) (Berthel/ Becker, 2013, S. 759) welche Mitarbeiter mit welchem Potenzial gesucht werden. Wegen fehlender Fachkräfte in Deutschland versucht man den personellen Bedarf im Unternehmen im Ausland zu decken. Dieser „War for Talents“ (Holtbrügge, 2015, S. 5), der Kampf um die Besten, bedeutet demnach für die Unternehmen einen Bedarf an wirkungsvollen mittels internationalen Rekrutierungswegen und -prozess entstehen häufig Probleme und Hemmnisse. Bereits bei der Personalbeschaffung auf nationaler Ebene, können hohe Kosten für die Rekrutierung neuer Mitarbeiter anfallen. Bei internationaler Rekrutierung sind ein hohes Risiko sowie ein erhöhter Zeit- und Kostenaufwand (z.B. durch die räumliche Distanz) ausschlaggebende Faktoren, über die Form des Bewerbungsverfahrens nachzudenken. Die anfallenden Aufwendungen sind für eine Einstellung sicherlich vertretbar und tragen zum Erfolg des Unternehmens bei, wenn durch eine erfolgreiche Auswahl ein geeigneter Bewerber(in) eingestellt wurde. Fehlentscheidungen in der Personalauswahl verursachen grundsätzlich Kosten, die keinen Mehrwert für das Unternehmen aufweisen und ggf. erneut aufgebracht werden müssen (Lorenz, 2015, S. 2). Übung 3.1 Suchen Sie mindestens sechs Argumente, die die Notwendigkeit eines Internationalen Personalmanagements notwendig machen. Definition Internationales Personalmanagement : Personalmanagement in multinationalen Unternehmen, das im interkulturellen Umfeld tätig wird, um dem Unternehmen dafür die angemessenen Mitarbeiter(-innen) zuzuführen, damit das Unternehmen betriebswirtschaftlich erfolgreich ist und wird. Übung 3.2 Nennen sie mindestens fünf der größten Unternehmen der Welt. Übung 3.3 Definieren und grenzen Sie nationales und internationales Personalmanagement voneinander ab. Zusammenfassung Die Globalisierung der Wirtschaft schreitet voran. Viele Unternehmen sind mittlerweile grenzüberschreitend tätig und dieses hat Auswirkungen auf die Struktur, Strategie und Kultur des jeweiligen Unternehmens. Der Wettbewerb auf internationalen Märkten nimmt zu und ein wesentlicher Erfolgsfaktor, um im internationalen Umfeld erfolgreich zu sein und zu bleiben sind die Kompetenzen der Mitarbeiter, die das internationale Humankapital eines Unternehmens bilden. Die Herausforderung, die Unternehmen zu bewältigen haben, ist das richtige Personal an den richten Stellen, zu den kalkulierten Personalkosten zu haben. <?page no="172"?> 3.2 Internationalisierungsstrategien und Internationales Personalmanagement 173 3.2 Internationalisierungsstrategien und Internationales Personalmanagement Lernziele  Sie haben ein grundsätzliches Verständnis für die Personaltheorien und Personalstrategien im internationalen Personalmanagement.  Sie können die Begriffe Personaltheorien und Personalstrategien verstehen und erläutern.  Die Begriffe Scientific Management, finanzorientierte Personaltheorie, Ethnozentrische Strategie etc. können Sie einordnen und zuordnen. Personaltheorien Personaltheorien lassen sich unterschiedlich systematisieren und typisieren. Hier werden die international bekanntesten Theorien vorgestellt. Die älteste Theorie ist die pragmatischste, angloamerikanische Managementtheorie bzw. die Scientific Management-Theorie von Ford und Taylor (oder Human Ressource Management), die eine enge Verknüpfung mit der Organisationstheorie (Strukturellen Organisationsansatz) von Taylor eingegangen ist. Scientific Management als Vorläufer eines Funktionsorientierten Personalmanagements stellt die unterschiedlichsten Funktionen des Personalmanagements wie Personalsuche, Personalbeschaffung, Personaleinsatz, Personalentlohnung, Personalentwicklung, Personalführung usw. in den Vordergrund. Taylors Ansatz des Scientific Managements sucht den „besten Arbeiter“ heraus, der die höchste Produktivität erbringt, um dadurch die geringsten Personalkosten zu erzielen. Taylors System des Scientific Managements ist auch ein Versuch eine „gerechten“ Leistungsentlohnung zumindest im Produktionsbereich zu bekommen. In modifizierten Grundzügen und Überlegungen bildet das Scientific Management immer noch die Basis z.B. des deutschen Tarifsystems im Metall- und Automobilbereich und in allen internationalen Tarifsystemen. Die Feuerprobe hat das Taylorsystem oder Scientific System durch die erfolgreiche Anwendung in den Automobilwerken von Ford mit den Fließbändern 1911-1914 erfahren. Seit über 100 Jahren ist es das Vorbild für alle Automobilhersteller in der Welt. Es ist auch das Vorbild mit Modifikationen für alle anderen Branchen in der Welt, wie für McDonalds, Ikea, Aldi usw. Prämissen sind dabei, dass der Mensch ein homo oeconomicus ist, und nur durch Geld bzw. durch Akkord- und Prämienarbeit zu motivieren ist. Das Management führt Organisationsanalysen bzw. Systemanalysen durch, um die Produktivität der Arbeit und des Unternehmens zu steigern sowie die Qualität des Produktes zu verbessern. Das Management sorgt für eine gute Anlernphase bei hoher Arbeitsteilung in der Produktion oder für eine gute Ausbildung, um (Personal-) Kosten zu sparen und die internationale Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu verbessern. Modern würden Managementtheoretiker sagen, bei Ford wurde die Erfahrungskurve bestätigt (die besagt, dass bei einer Verdoppelung der Produktion potenziell die Kosten um 20-30 Prozent gesenkt werden können.) Und mit der Erfahrungskurve hat Ford, unbewusst strategisch, aber erfolgreich Porters generische Strategie der Kostenführerschaft realisiert, und nur dadurch konnte er das Modell T sehr günstig zu weniger als 800 Dollar anbieten (die meisten Autos hatten damals mehr als 5000 Dollar gekostet). Ford konnte dadurch mehr als 16.000.000 Autos produzieren und verkaufen. Ford hat damit den Massenmarkt für Autos geschaffen, seinen Marktanteil national und international über 50 % gesteigert und den Cashflow seiner Unternehmung extrem erhöht. Darum wurde dieses Erfolgsmodell nicht nur von allen Unternehmen in der Welt kopiert, General Motors, Volkswagen und Toyota waren die besten „Schüler“, sondern auch in anderen Branchen angewandt wie bei McDonalds, IKEA oder Aldi. Eine zweite Theorie ist die verhaltenswissenschaftliche oder arbeitspsychologische internationale Personaltheorie. Prämissen sind: Der Mensch ist ein soziales Wesen und möchte nicht wie im <?page no="173"?> 174 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements Scientific Management als „Rädchen in der Maschine Unternehmen“ behandelt werden. Der Mensch möchte in der Arbeit motiviert werden und sich als soziales Wesen unter seinen Kollegen/ innen aufgenommen und gleichberechtigt im internationalen Business behandelt fühlen. Nach Schmeisser / Andresen/ Kaiser (2014, S. 27 f.) geht es dem Unternehmen gut, wenn es den Mitarbeitern gut geht und umgekehrt. Werden die Mitarbeiter in der internationalen Unternehmung schlecht behandelt, dann geht es über die Zeit auch dem Unternehmen wirtschaftlich schlecht. Gerade die kulturelle, verhaltenswissenschaftliche Komponente ist in den einzelnen Niederlassungen der internationalen Unternehmung entscheidend zu beachten und diversitätsmäßig zu managen. Die dritte internationale finanzorientierte Personaltheorie (Schmeisser / Andresen / Kaiser, 2014, S. 19 ff.) bezieht sich auf das Rechnungswesen bzw. Controlling, mit den Prämissen, dass das internationale Unternehmen (1) Rechenschaft über ihr wirtschaftliches Handeln in den Niederlassungen und im gesamten Unternehmen ablegen muss. (2) Insbesondere über die Personalkosten muss eine finanzorientierte Personaltheorie im Rahmen eines Personalcontrollings informieren, um evtl. weitere Instrumente einzusetzen, um die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Niederlassungen und des gesamten Konzerns zu gewährleisten. Weitere Personalinstrumente sind neben einem Personalcontrolling, ein Entgeltsystem, eine Humankapitalberechnung, eine Berliner Balanced Scoreanalyse usw. Eine vierte internationale Personaltheorie, die eigentlich eine volkswirtschaftliche Theorie ist, ist die Arbeitsmarkttheorie oder auch Personalökonomie genannt. Sie beschäftigt sich mit Arbeitsmarktsegmenten wie durch gezielte Maßnahmen Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt zurückgeführt werden können, Hartz IV, ist dabei seit Jahren in Deutschland das große Stichwort. 3.3 EPRG-Modell von Perlmutter Das EPRG-Modell gehört zu den grundsätzlichen Modellen des internationalen (Personal-) Managements von Perlmutter, H. V., 1969. Perlmutter kritisiert, dass in der Literatur der Grad der Multinationalität von Unternehmen fast immer mit „objektiven“ Maßgrößen bestimmt wird, wie mit Strukturvariablen (Anzahl der ausländischen Niederlassungen, Beteiligungsverhältnisse, Organisationsstruktur, Nationalität des Topmanagements usw.) und mit betriebswirtschaftlichen Leistungskriterien wie Gewinn, Cashflow, Umsatz und Kapitaleinsatz im Ausland, Anzahl ausländischer Mitarbeiter, Personalkosten usw.). Neben diesen „objektiven“, betriebswirtschaftlichen Maßgrößen spielt nach Perlmutters Meinung die Einstellung des Topmanagements eine dominierende Rolle für die Messung der Multinationalität von Unternehmen. Die Einstellungen des Managements spiegeln sich in dem Führungskonzept eines Unternehmens wider. Zur Internationalen Ausrichtung des Personalmanagements greifen Unternehmen deshalb gerne auf vier Ansätze des EPRG Modells zurück, die im Folgenden erläutert werden (Tab. 3,1). Tab. 3.1: Das E.P.R.G.-Modell von Perlmutter Aspekte der Unternehmung ethnozentrisch polyzentrisch regiozentrisch geozentrisch Organisations- Komplexität Komplex im Heimatland, einfach bei den Tochtergesellschaften unterschiedlich und voneinander unabhängig hohe gegenseitige Abhängigkeit auf regionaler Ebene zunehmende Komplexität und weltweit eine hohe gegenseitige Abhängigkeit <?page no="174"?> 3.3 EPRG-Modell von Perlmutter 175 Autorität von Entscheidungen stark auf Muttergesellschaft konzentriert gering von Seiten der Muttergesellschaft große Regionale Headquarters und/ oder Zusammenarbeiten weltweite Zusammenarbeit zwischen der Muttergesellschaft und den Tochtergesellschaften Auswertung und Kontrolle Standards des Heimatlandes werden auf Leistungs- und Personalbeurteiligungen angewendet lokale Bestimmungen regionale Bestimmungen universale und lokale Standards Anreizsysteme und Sanktionen hoch bei der Muttergesellschaft, Gering bei Tochtergesellschaft sehr unterschiedlich, Tochtergesellschaften enthalten Belohnungen unterschiedlicher Höhe Belohnung für das Erreichen regionaler Vorgaben Verantwortung internationaler und lokaler Führungskräfte für das Erreichen intentionaler und lokaler Zielvorgaben Kommunikation und Informationsfluß hohe Anzahl von Aufträgen, Weisungen und Ratschlägen an die Tochtergesellschaft gering (mit der Muttergesellschaft und den Tochtergesellschaften) geringe mit der Muttergesellschaft, u.U. hoch mit den regionalen Headquarters und hoch zwischen den einzelnen Ländern beide Wege sowohl mit der Muttergesellschaft als auch zwischen den Tochtergesellschaften geografische Identifikation Nationalität der Muttergesellschaft Nationalität des Gastlandes regionales Unternehmen weltweites Unternehmen unter Wahrung nationaler Interessen fortlaufende Managementaufgaben (Personalrekrutierung, -auswahl, -controlling, -entwicklung) Mitarbeiter der Muttergesellschaft werden für weltweite Schlüsselpositionen ausgebildet Mitarbeiter des Gastlandes werden für Schlüsselpositionen im eigenen Land ausgebildet regionale Mitarbeiter werden für Schlüsselpositionen in der ganzen Region ausgebildet die besten Mitarbeiter auf der ganzen Welt werden für weltweite Schlüsselpositionen ausgebildet Quelle: in Anlehnung an Perlmutter, 1979 Das ethnozentrische Führungskonzept ist eine stammlandorientierte Steuerung und Koordination der Unternehmenstätigkeiten. Demnach werden die in der Muttergesellschaft verankerte Unternehmenspolitik, -strategien und -strukturen, sowie Konzepte und Managementansätze als für alle Tochtergesellschaften adaptierbar angesehen und daher in einheitlicher und zentralistischer Weise auf diese übertragen. Entscheidungen werden generell in der Unternehmenszentrale getroffen. Diese sind von den Tochterunternehmen im Ausland zu übernehmen. Die Niederlassungen im In- und Ausland verfügen lediglich über begrenzte Autonomie. Es werden Mitarbeiter, Expatriates, zu entsendende Mitarbeiter aus der Muttergesellschaft zu den Tochterunternehmen als Führungskräfte <?page no="175"?> 176 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements präferiert, da angenommen wird, dass sie fähiger und zuverlässiger sind als solche aus den Gastländern, da sie nicht die gleichen Denkmuster besitzen können. Insbesondere Unternehmen, die mit ihrer internationalen Geschäftstätigkeit beginnen und Globalisierungssowie Lokalisierungsvorteile nur im geringen Maße ausschöpfen, verfolgen die ethnozentrische Strategie (z.B. Toyota, Nissan, McDonalds, VW (Treffer 2016, S. 12; Mauer 2013, S. 8-10). Abb. 3.1: Geozentrischer Ansatz nach Perlmutter. Quelle: in Anlehnung an Mauer, 2013, S. 8ff. In Abgrenzung zum ethnozentrischen Ansatz, werden die Tochtergesellschaften bei der polyzentrischen Orientierung als eigenständige nationale Einheiten angesehen, die über ein höheres Maß an Autonomie verfügen. Das polyzentrische Führungskonzept geht davon aus, dass sich die Kulturen in den verschiedenen Ländern so unterscheiden, dass sie nur schwer von ausländischen Mitarbeitern / Führungskräften verstanden werden können. Deshalb sollte man das Management im Gastland mit eigenen Mitarbeitern/ Führungskräften („Native, orginal inhabitant“) besetzen, eine Philosophie die die Briten aus ihrer Jahrhunderte langen Kolonialzeit kennen und kannten. Nur in der obersten Führungsebene der Auslandsniederlassung musste mindestens ein Vertreter der Muttergesellschaft vertreten sein, als Verbindungsglied zur Muttergesellschaft. Das ausländische Management in der Niederlassung sollte man weitgehend alleine entscheiden lassen, solange sie die Zielsetzungen der Muttergesellschaft erfüllen. Diese Form des Führungskonzeptes findet man typisch bei britischen Muttergesellschaften, die auf die Tradition des Britischen Empire setzen, denn wie sonst konnten Sie als Briten in 50 Ländern ein Drittel der Welt beherrschen. So wird eine Dezentralisierung angestrebt, was sich beispielsweise in der Besetzung von Führungspositionen durch lokale Manager und durch die Rekrutierung beziehungsweise Personalausbildung einheimischer Mitarbeiter widerspiegelt. Verfolgen Unternehmen eine polyzentrische Strategie, so adaptieren sie nationale Gegebenheiten und kulturelle Unterschiede. Verschiedene Denkansätze in den Mutter- und Tochtergesellschaften werden akzeptiert (Treffer 2016, S. 12-13; Mauer 2013, S. 9-11). <?page no="176"?> 3.3 EPRG-Modell von Perlmutter 177 Abb. 3.2: Polyzentrischer Ansatz nach Perlmutter. Quelle: in Anlehnung an Mauer, 2013, S. 10f. Bei dem geozentrischen Führungsansatz wird „ein einheitliches Konzept unter Mitwirkung und Kooperation aller beteiligten Unternehmensteile“ (Mauer 2013, S. 8) weltweit angestrebt. Somit stehen in- und ausländische Organisationseinheiten auf Augenhöhe und unabhängig von strukturellen Hierarchien sollen die verfügbaren Ressourcen und Fähigkeiten optimal ergänzt und ausgeschöpft werden. So erfolgt sowohl der Einsatz bewährter Managementansätze als auch die internationale Rekrutierung von Fach- und Führungspersonal unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Nationalität (Treffer 2016, S. 13; Mauer 2013, S. 13-14). Es kommt über alle Ländergrenzen hinweg zu weltweiten Synergieeffekten. Nokia hat diesen Führungsansatz als bekanntestes Unternehmen praktiziert. Es musste dies schon allein darum tun, weil Finnland nicht genug potenzielle Mitarbeiter hatte. Nokia verlor seine technische Führungsrolle, als es mit der technischen Entwicklung für seine Smartphones im internationalen Innovationswettbewerb nicht mehr mithalten konnte. Abb. 3.3: Geozentrischer Ansatz nach Perlmutter. Quelle: in Anlehnung an Mauer, 2013, S. 10f., Fischlmayr, Kopecek, 2015, S 7f. <?page no="177"?> 178 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements „The firm’s subsidiaries are (..) neither satellites nor independent city states, but parts of a whole whose focus is on worldwide objectives as well as local objectives, each part making its unique contribution with its unique competence“(Perlmutter 1969, S. 13). Der regiozentrische (auch multi-ethnozentrische) Ansatz differenziert nach regionalen Gegebenheiten. Er beinhaltet Bestandteile des ethnozentrischen aber auch des polyzentrischen Ansatzes und bezieht sich auf weitestgehend homogene Ländergruppen. Damit findet dieser Ansatz insbesondere für Unternehmen Anwendung, die in unterschiedlichen Regionen, Kontinenten oder in unterschiedlichen kulturellen Gebieten tätig werden (Treffer 2016, S. 13; Mauer 2013, S. 9 und S. 12). Beim regiozentrischen Ansatz stehen neben einem internationalen Headquarter daher auf einer nachgeordneten Ebene regionale Headquarters für bestimmte Regionen geographisch zur Verfügung oder aufgrund religiös ethnologischer Komponenten wie Israel“ (Mauer 2013, S. 12). Beim regiozentrischen Führungskonzept erfolgt eine Rekrutierung von Führungskräften aus Ländern der gleichen Region (z.B. Mitteleuropa). Als Beispiel wählen Heenan und Perlmutter (1979) den europäischen Markt aus (z.B. Opel als 100%-Tochter von General Motors, die Auflagen von der Muttergesellschaft bekam, nur in Mitteleuropa Autos zu bauen und verkaufen zu dürfen. Dies ist ein Grund unter vielen, warum Opel 2017 an Peugeot/ PSA verkauft wurde. Von einem europäischen Produktionsstandort (Opel Rüsselsheim bei Frankfurt am Main) aus kann das Unternehmen viele unterschiedliche Märkte in Europa beliefern. Eine regionale Werbekampagne oder ein Design oder eine Markennamensfindung für ein Auto kann besser durch italienische, französische, belgische, britische und deutsche Manager auf „europäische Gemeinsamkeiten“ überprüft werden. Führungskandidaten, die eine Schlüsselrolle in ihren Heimatländern übernehmen sollen, können und müssen in der europäischen Mutterzentrale Erfahrungen sammeln, um eine stärke „eurozentrische“ Sicht zu entwickeln. Auch wenn ein Verständnis der vier Führungsansätze wichtig für das strategische Personalmanagement international tätiger Unternehmen ist, treten Unternehmen in der Praxis nicht als ausschließlich ethno-, poly-, regio- oder geozentrisch orientiert auf. Es handelt sich bei den vier strategischen, personalwirtschaftlichen Ansätzen um ein idealtypisches Konzept, wobei fließende Übergänge und verschiedene Kombinationen möglich sind (Treffer 2016, S. 14). EPRG Modell: ethnozentrisch Orientierung am Stammland polyzentrisch Orientierung an nationalen Gegebenheiten und kulturellen Unterschieden regiozentrisch Orientierung an regionalen Gegebenheiten geozentrisch Orientierung am Weltmarkt, globale Orientierung Übung 3.4 Erläutern Sie mit eigenen Worten, weshalb die Internationalisierung und Globalisierung ein Internationales Personalmanagement mit Personalstrategien und Personaltheorien erfordert Übung 3.5 Beschreiben Sie ausführlich das EPRG-Modell von Perlmutter mit eigenen Worten. <?page no="178"?> 3.4 Rahmenbedingungen des Internationalen Personalmanagements 179 Zusammenfassung Personaltheorien, wie das Scientific Management, die verhaltenswissenschaftliche Personaltheorie und die finanzorientierte Personaltheorie geben den Theoretiker aber auch den Praktiker einen Orientierungsrahmen. Personalstrategien helfen zu verstehen warum multinationale Unternehmen handeln wie sie handeln, z.B. entsprechend dem ethnozentrischen Strategieansatz bei VW oder Toyota. 3.4 Rahmenbedingungen des Internationalen Personalmanagements Lernziele  Sie haben ein grundsätzliches Verständnis für die Rahmenbedingen des internationalen Personalmanagements.  Sie wissen um die Komplexität des internationalen Arbeitsmarktes.  Sie kennen die Grundlagen und Begrifflichkeiten der internalen Personalbeschaffung. 3.4.1 Arbeitsmarkt Ob es einen Arbeitsmarkt im volkswirtschaftlichen Sinne für internationale Mitarbeiter gibt ist strittig. Zumindest gibt es diese theoretische Denkvorstellung in der Volkswirtschaft und die Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erstellt Arbeitsmarktsegmente von Berufen und Qualifikationen, die von internationalen Unternehmen gesucht werden. Internationale Unternehmen gehen heute bei der Suche nach internationalem Personal pragmatisch vor, und zwar wie bei der nationalen Personalsuche und mit Hilfe des Internets: Um neues Personal zu suchen und zu finden, stehen den Unternehmen eine Vielzahl von Wegen und Instrumenten zur Verfügung. Die Entscheidung, welcher Weg für das Unternehmen der richtige ist, hängt neben der allgemeinen internationalen Stellenbesetzungspolitik (Festing et al. 2011, S. 233) bzw. -strategie auch vom Zeit- und Kostenaufwand ab. Ziel ist eine „ausgewogene, zugleich kostenorientierte Personalbeschaffung" (Bröckermann, 2016, S. 49). Weitere Faktoren, die den Beschaffungsweg entscheidend beeinflussen, sind die Situation am Arbeitsmarkt, die Bedeutung der Position und die geforderten Qualifikationen (Bartscher/ Huber, 2007, S. 93; Olfert, 2015, S. 130). Für die Suche nach geeigneten Bewerbern zur Besetzung einer freien Stelle findet eine Unterteilung in zwei Personalbeschaffungsmärkte statt. Der interne Arbeitsmarkt bezieht sich auf die Mitarbeiter des Unternehmens, während auf dem externen Arbeitsmarkt die Bewerber außerhalb des Unternehmens zu finden sind (Bröckermann. 2016, S. 49). Die Literatur geht im Rahmen von internationaler Rekrutierung vornehmlich auf den Suchprozess von geeigneten Kandidaten für eine Auslandstätigkeit und die auftretenden Probleme einer Auslandsentsendung ein. Hierbei wird die Identifizierung von internen Mitarbeitern behandelt. Am internen und externen Arbeitsmarkt kann es jedoch an qualifizierten Fach- und Führungskräften mangeln. Um also intern auswählen zu können, müssen entsendungsfähige und -willige Mitarbeiter erst einmal am Arbeitsmarkt ausfindig gemacht werden (Festing et al., 2011, S. 238-240). Wichtig dabei ist beispielsweise das Beherrschen mindestens der Unternehmenssprache, die in multinationalen <?page no="179"?> 180 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements Unternehmen häufig Englisch ist. Wenn jedoch langfristig Mitarbeiter für einen Auslandseinsatz beispielsweise in der Türkei oder China gesucht werden, ist neben der Unternehmens- und Landessprache des Unternehmenssitzes auch die Landessprache des Entsendungsortes entscheidend. Außerdem ist das Problem der Kettenversetzung zu berücksichtigen. Werden interne Mitarbeiter versetzt oder versandt, verschiebt dies lediglich den quantitativen Personalbedarf und lässt an anderer Stelle erneut eine Vakanz offen. Diese bedarfsverschiebende Versetzung muss schließlich durch eine externe Einstellung gedeckt werden (Jung, 2010, S. 901). Aus diesen Gründen liegt der Schwerpunkt bei der Suche nach internationalen Mitarbeitern bei der externen Personalbeschaffung. Da dies jedoch nur ein Teilaspekt ist und für eine erfolgreiche Rekrutierung alle Teilprozess bedeutsam sind, werden interne Wege der Personalbeschaffung der Vollständigkeit halber mitberücksichtigt. 3.4.2 Interne Wege der Personalbeschaffung Bei der innerbetrieblichen Personalbeschaffung wird das erforderliche Personal aus dem Kreis der bereits tätigen Mitarbeiter des Unternehmens rekrutiert (Jung, 2010, S. 900). Im internationalen Kontext werden vornehmlich Expatriates zur Besetzung internationaler Stellen gesucht. Grundsätzlich können am internen Arbeitsmarkt zwei Fälle unterschieden werden: die Beschaffung mit und ohne Änderung bestehender Arbeitsverhältnisse. Das Unternehmen hat bei einer plötzlichen oder nur kurzzeitigen Unterdeckung die Möglichkeit, den Bedarf durch Mehrarbeit in Form von Überstunden, Änderung der betriebsüblichen Arbeitszeit, Urlaubsverschiebung oder Mehrleistung zu befriedigen. Es erfolgt dadurch keine Änderung der bestehenden Arbeitsverhältnisse. Mehrarbeit beschreibt die vorrübergehende Verlängerung der vertraglichen Arbeitszeit (Hutzschenreuter, 2015, S. 287; Jung, 2010, S. 900; Bertelsmann, 2002, S. 162) International ist dieser Aspekt jedoch nicht von Bedeutung. Ein dauerhafter und langfristiger Bedarf kann anstatt durch Neueinstellungen auch mittels Versetzung gedeckt werden. Nach § 95 Abs. 3 BetrVG ist eine Versetzung die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Laut § 106 GewO wird die Versetzung nach billigem Ermessen gemäß § 315 BGB durch Weisung, Änderungskündigungen oder einvernehmlich durch Änderungsverträge umgesetzt. Mit Hilfe innerbetrieblicher Stellenausschreibungen werden Mitarbeiter auf eine vakante Stelle aufmerksam gemacht werden. Damit wird die Grundlage für eine einvernehmliche Versetzung in die Wege geleitet. In der Praxis findet eine interne Ausschreibung nach dem Willen des Betriebsrates häufig vor einer externen Ausschreibung statt. Um die potenziellen Bewerber zu erreichen, wird die Stelle klassisch über Printmedien in Firmenzeitschriften, Werkszeitungen, Intranet, Rundschreiben und Aushängen am schwarzen Brett veröffentlicht (Bertelsmann, 2002, S. 167). Anforderungen wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz an eine innerbetriebliche Stellenausschreibung sind dabei die gleichen wie bei der Suche am externen Personalmarkt. Neben allen wichtigen Informationen (Stellenbeschreibung, Kurzbeschreibung der Tätigkeit, Abteilung, Arbeitszeit, Erforderliche Qualifikationen, Tarifgruppe/ Vergütung) (Jung, 2011, S. 161) für den Bewerber und die Bewerberin, müssen Auswahlrichtlinien, die Mitbestimmung des Betriebsrates und eine eventuelle Betriebsvereinbarung beachtet werden (Jung, 2011, S. 161; Olfert, 2015, S. 133). Der/ die geeignete Mitarbeiter/ in muss sich nach der so genannten AIDA-Formel (Attention, Interest, Desire and Action) (Scholz, 2014, S. 148- 150) als geeignet erweisen. Die Anzeige soll die Aufmerksamkeit des Bewerbers gewinnen, sein Interesse wecken, den Wunsch zur Bewerbung erzeugen und ihn tatsächlich zur Bewerbung bringen, wie auch bei der externen Ausschreibung. International kann die Hemmschwelle zur aktiven <?page no="180"?> 3.4 Rahmenbedingungen des Internationalen Personalmanagements 181 Bewerbung höher als national sein (Bertelsmann 2002, S. 168; Festing et al., 2011, S. 238-240, Jung 2011, S. 161). Bei einer vorrübergehenden Versetzung in internationalen Unternehmen, die Entsendung genannt wird, werden Mitarbeiter, als sog. Expatriates, an einen ausländischen Standort des Unternehmens geschickt und sind dort im Auslandseinsatz tätig. Obwohl externe Beschaffungsquellen zur Verfügung stehen, werden Mitarbeiter für Auslandseinsätze überwiegend intern rekrutiert. Für eine Entsendung interner Mitarbeiter, insbesondere auf Führungspositionen, spricht die Minimierung von Auswahlrisiken, Sicherung bereits geleisteter Investitionen, der Wissenstransfer sowie Personal- und Organisationsentwicklung (Festing et al., 2011, S. 233 und 241f.; Hutzschenreuter, 2015, S. 287). Zur Sicherung des Erfolgs einer Auslandsentsendung ist neben der Qualifikation besonders auch die Versetzungsbereitschaft des Mitarbeiters von Bedeutung. Diese unterliegt extrinsischen und intrinsischen Faktoren. Darunter zählen finanzielle und materielle Anreize, Besonderheiten des Gastlandes, wie die politische Situation und wahrgenommene Sicherheit im Land und der Arbeitsstelle, kulturelle Unterschiede und die familiäre Situation. Zum Teil können einige der Faktoren vom Unternehmen gesteuert werden (Festing et al., 2011, S. 238-240). 3.4.3 Externe Wege der Personalbeschaffung Externe Beschaffungswege beziehen sich auf die Personalsuche außerhalb des Unternehmens. Zwar gibt es viele Aspekte, die für eine interne Suche nach Personal sprechen, doch ist sie nicht immer möglich oder erscheint ungeeignet, wenn beispielsweise nicht genügend Potential im Unternehmen zu finden ist (Olfert, 2015, S. 137) Wie bereits erwähnt zieht eine interne Besetzung üblicherweise eine weitere offene Stelle nach sich, wonach der quantitative Personalbedarf im Unternehmen insgesamt nicht ausschließlich durch interne Personalsuche gedeckt werden können. International bedeutet in diesem Fall die Akquisition neuer Mitarbeiter aus einem anderen Land als dem Hauptsitz des Unternehmens bzw. eine landesunabhängige Suche. Gründe für eine internationale externe Suche nach Personal sind spezielle Fach- oder Persönlichkeitsmerkmale von Arbeitskräften und eine höhere Chance, dass der Mitarbeiter zur Landes- und Unternehmenskultur passt. Der so genannte Cultural Fit wird vor allem dann gesehen, wenn ausländische Arbeitskräfte an dem entsprechenden Auslandsstandort eingesetzt werden (Pepels, 2002, S. 22). Die externe Personalbeschaffung kann in aktive und passive Wege unterteilt werden. Zur Unterstützung sowohl aktiver als auch passiver Personalbeschaffung können Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt werden. Diese dienen neben der Personalauch der Imagewerbung und können beispielsweise Filmwerbung, ein Tag der offenen Tür oder Messeaktivitäten im Ausland sein (Jung, 2011, S. 151). Passive externe Personalsuche Bei der passiven Personalbeschaffung gehen nur wenige Maßnahmen vom Unternehmen selbst aus. Zu diesen zählen die öffentliche oder private Arbeitsvermittlung, Initiativbewerbungen, die Bewerberkartei, Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträge (Olfert, 2015, S. 137-150; Jung, 2011, S. 143- 145). In Deutschland hat die Bundesagentur für Arbeit (BfA) und ihre Einrichtungen unter anderem die Aufgabe und das Recht zur Arbeitsvermittlung. Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) ist dabei insbesondere für die Vermittlung von Führungskräften, Künstlern und die Auslandsvermittlung mit Arbeitsmarkzulassung ausländischer Arbeitnehmer zuständig. Des Weiteren bietet die Bundesagentur für Arbeit eine Jobbörse (Seit 2003 ist die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit <?page no="181"?> 182 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements online verfügbar unter „Arbeitsagentur.de“) In einer Bewerberkartei können beispielsweise nicht berücksichtigte, jedoch zukünftig interessante Bewerber gesammelt werden, so dass bei Bedarf schnell und kostengünstig auf sie zugegriffen werden kann (Laick, 2012, S. 87; Jung, 2011, S. 144). Die Arbeitnehmerüberlassung ist im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelt und bedeutet nach § 1 AÜG eine vorübergehende Überlassung im Rahmen wirtschaftlicher Tätigkeiten und steht unter Erlaubnispflicht. Zwischen dem Leiharbeiter, Verleiher und Entleiher entsteht ein Dreiecksverhältnis. Besondere Vorsicht ist nach § 15 und § 15 a AÜG bei ausländischen Arbeitnehmern geboten, die eine Arbeitsgenehmigung benötigen. Die Beschäftigung von Zeit- oder Leiharbeitnehmern kann das Risiko von Fehlbesetzungen verringern und ein kurzzeitiger Bedarf, ohne anschließende Probleme bei der Trennung vom Arbeitnehmer, kann gedeckt werden (Jung, 2011, S. 144-145). Bei einem Werkvertrag (§ 631 BGB) wird ein Unternehmen beauftragt, eine bestimmte Aufgabe durch Einsatz eigener Mitarbeiter in einer bestimmten Zeit zu übernehmen. Anders als bei der Arbeitnehmerüberlassung wird hier nicht die Arbeitszeit geschuldet, sondern eine definierte Dienstleistung bzw. ein Werk. In der Praxis kann die Abgrenzung durchaus schwierig sein. Es ist im Einzelfall unter Berücksichtigung von Kosten und Kapazitäten eine „make-or-buy“-Entscheidung zu treffen (Jung, 2011, S. 145). Werkverträge wurden in 2020 in Verbindung mit der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück ‚heiß‘ diskutiert. Aktive externe Personalsuche Bei angespannter Arbeitsmarktlage z.B. durch Fachkräftemangel, einem dringenden und größeren Bedarf an Arbeitskräften kommt die aktive Personalsuche auf dem externen Arbeitsmarkt verstärkt zum Einsatz. Dies gilt insbesondere für Positionen mit strategischer Bedeutung oder besonderen Qualifikationen, die langfristig besetzt werden sollen. Zur aktiven Personalbeschaffung zählen der Einsatz von Personalberatern, Headhunter, die Anwerbung über Betriebsangehörige oder Mitarbeiterempfehlungsprogramme, Stellenausschreibungen, Aushänge, Plakate, das Radio sowie das College Recruiting bzw. Hochschulmarketing und der Einsatz neuer Kommunikationsmittel wie das Internet. Insbesondere für Stellen höherer Hierarchieebenen im Unternehmen kommen Personalberater zum Einsatz. Personalberater verfügen über einen großen Erfahrungsschatz, wodurch das Risiko von Fehlbesetzungen minimiert werden kann. Internationales Headhunting ist eine übliche Methode, um das hohe Besetzungsrisiko, insbesondere bei Führungskräften und bei Mitarbeitern für Auslandseinsätze, zu minimieren. Das Outsourcing an Personalberater ist im internationalen Kontext neben externem Fachwissen durch eine verbesserte Service-Qualität, die Möglichkeit Kosten zu reduzieren sowie Ressourcenschonung im Personalmanagement attraktiv. Externe Dienstleister unterstützen nicht nur bei der Suche nach geeignetem Personal, sondern übernehmen auch einen Teil der Personalauswahl (Festing et al., 2011, S. 234-236) Stellenanzeigen werden in Printmedien, abhängig von der zu erreichenden Zielgruppe, in regionalen oder überregionalen Tages- und Wochenzeitungen wie auch Fachzeitschriften zur spezifischen Ansprache potentieller Bewerber veröffentlicht. Weitere nicht digitale Medien sind Informationsbroschüren und Plakate (Becker/ Bertel, 2013, S. 327). Die Wahl des Mediums bestimmt dabei die anfallenden Kosten. Der Anzeigetermin ist strategisch zu wählen. Er kann aufgrund von Kündigungsfristen, Semesterferien und Urlaubszeiten Einfluss auf die Erreichbarkeit der potentiellen Bewerber nehmen. Neben den Anforderungen an eine Stellenausschreibung, die im Zusammenhang mit der internen Ausschreibung beschrieben wurden, sind weitere Regeln zur Gestaltung zu beachten. Die Anzeige sollte <?page no="182"?> 3.4 Rahmenbedingungen des Internationalen Personalmanagements 183 mit dem Firmenimage übereinstimmen sowie an die zu erreichende Zielgruppe angepasst sein. Gegenstand von Aufbau, Struktur und Inhalt sind üblicherweise die folgenden Kernpunkte (Jung, 2011, S. 146-148): Wir sind: Informationen zum Unternehmen (entfällt intern meist) Wir haben: Informationen zur vakanten Stelle (Aufgabenbeschreibung) Wir suchen: Anforderungsmerkmale (Berufserfahrung und Fähigkeiten) Wir bieten: Informationen zu Leistungen (Sozialleistungen, Vergütung) Wir bitten um: geforderte Bewerbungsunterlagen Eine langfristig angelegte Maßnahme zur Personalbedarfsdeckung ist das Hochschulmarketing oder auch „Campus Recruiting“ oder „College Recruiting“. Der Kontakt zu Berufs-, Fach- und Hochschulen stellt in Zeiten des einsetzenden Fachkräftemangels eine Chance dar, diesem entgegenzuwirken und qualifiziertes Personal frühzeitig an das Unternehmen zu binden. Um dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegen zu wirken, suchen sich viele Unternehmen frühzeitig Werkstudenten. Die Unternehmen haben dann schon mal die Möglichkeit, die potenziellen zukünftigen Mitarbeiter zu testen und fachspezifisch zu schulen, um diese Werkstudenten dann nach Abschluss ihres Studiums passgenau an den geeigneten vakanten Positionen einzusetzen. Vor- und Nachteile der Beschaffungswege Obwohl die interne Personalsuche besonders bei der Entsendung favorisiert wird, gibt es gute Gründe, die für eine externe Einstellung sprechen. Ebenso gibt es zwischen Ländern Unterschiede in der Häufigkeit der Nutzung von Rekrutierungsquellen. Vergleicht man z.B. die USA mit China, ist in den USA eine höhere Präferenz zu externer Suche zu erkennen (Festing et al., 2011, S. 237)., Die Vorteile interner Beschaffung sind in Summe die Nachteile der externen Personalbeschaffung und umgekehrt. In der folgenden Tabelle 1 sind diese zusammenfassend gegenübergestellt. Unter Berücksichtigung der entsprechenden Rahmenbedingungen müssen sie in jedem Einzelfall neu abgewogen werden. Tab. 3.2: Mögliche Vor- und Nachteile externer Personalgewinnung Interne Personalbeschaffung Externe Personalbeschaffung Vorteile • Transparente Personalpolitik • Gesteigerte Arbeitgeberattraktivität, Mitarbeiterbindung und Motivation durch Entwicklungsmöglichkeiten • Entwicklung internationaler Managementfähigkeiten (Festing et al., 2011, S. 242) • Einstiegsmöglichkeiten für Nachwuchskräfte werden frei • Geringere Stellenbesetzungszeit und -aufwand • Mobilitätserhöhung der Arbeitnehmer • Personalbedarf wird direkt gedeckt • Auswahlmöglichkeiten aus Vielzahl von Bewerbern • Möglichkeit bereits vorhandene spezielle Qualifikationen (Sprache, kulturelle Kenntnisse) zu nutzen - Vermeidung von Fortbildungskosten • Anerkennung extern eingestellter Mitarbeiter und Führungskräfte • Geringere Gefahr von Betriebsblindheit durch neue Impulse von außen <?page no="183"?> 184 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements • Erhalt und Transfer von unternehmensspezifischem Wissen • Erleichterte Einarbeitung durch Betriebskenntnisse • Minimierung des Risikos von Fehlbesetzung durch Kenntnis und Erfahrungen des Mitarbeiters • geringere Beschaffungs- und Einarbeitungskosten • Keine vorhandenen Abhängigkeiten im Unternehmen Nachteile • Begrenzte Auswahlmöglichkeit • Beförderungsautomatik → Nachlassen der Kreativität, Qualität und Motivation • Möglichkeit der Betriebsblindheit • Neid und Rivalitäten zwischen Kollegen • Subjektive Beurteilung der Bewerber • Ehemalige Kollegen werden nicht als Vorgesetzte akzeptiert • Sachentscheidungen können durch starke persönliche Bindungen beeinflusst werden • Stagnation des Unternehmens/ Hemmung einer fortschrittlichen Entwicklung • Enttäuschung, Frustration und Demotivation bei Ablehnung • ggf. hohe Fortbildungskosten • Geringe Veränderungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit an den neuen Arbeitsraum, Unternehmens-, Landes- und Teamkultur • Nur Verlagerung des quantitativen Bedarfs • Hohe Beschaffungskosten (eventuell langwieriger Prozess) • Mögliche Fluktuations- und Frustrationsförderung • Negative Auswirkungen auf das Betriebsklima • Keine Unternehmenskenntnis (mehr Einarbeitungs- und Integrationsaufwand) • Risikoerhöhung von Fehlbesetzung • Eventuell höheres Einkommen als bei internen Mitarbeitern • Größerer Zeitaufwand Quelle: in Anlehnung an Jung, 2011, S. 152; Olfert, 2015, S. 131 und 137 3.4.4 Besonderheiten bei internationaler Personalsuche im Vergleich zur nationalen Personalsuche Generell treffen die Probleme der nationalen Personalsuche auch auf die internationale Personalsuche zu. Sie haben jedoch mehr Bedeutung und nehmen ein größeres Ausmaß an. Es müssen mehr Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren berücksichtigt werden, wodurch fortdauernde und neue Herausforderungen noch komplexer sind (Festing et al., 2011, S. 214). Insbesondere der Aspekt der Kommunikation stellt das Unternehmen in der internationalen Personalsuche vor große Herausforderungen. Bereits auf nationaler Ebene kann die gezielte und effiziente Bewerberansprache ein Problem darstellen. Bei aktiver internationaler Rekrutierung sind zusätzlich größere Distanzen zwischen suchendem Unternehmen und potenziellem Bewerber zu berücksichtigen. Dabei ist es schwieriger, Informationen über vakante Stellen zu verbreiten. Hier sind klassische Printmedien von Nachteil, da sie in der Regel eine geringe Reichweite und eine Beschränkung des Informationsgehalts aufweisen. Die länderübergreifende Veröffentlichung auf klassischen Wegen ist mit hohem Aufwand sowie hohen Kosten für die Veröffentlichung an mehreren Orten bei den- <?page no="184"?> 3.4 Rahmenbedingungen des Internationalen Personalmanagements 185 noch limitierter Verbreitung verbunden. Die Kommunikationsgeschwindigkeit über Printmedien ist besonders bei weiten Entfernungen gering und eine direkte Kommunikation nicht möglich. Hinzu kommen mögliche Auswirkungen auf die Aktualität von Anzeigen und die daraus resultierende Reaktionszeit. Durch die Verzögerung können potentiell interessante Bewerbungen möglicherweise zu spät beim Unternehmen eingehen. Die Ansprache und Attraktion schwer rekrutierbarer Fachkräfte auf internationaler Ebene ist stark beeinflusst durch den Bekanntheitsgrad und das Image des Unternehmens. Die nationale Attraktivität und Bekanntheit eines deutschen Unternehmens kann im Allgemeinen nicht auf den internationalen Arbeitsmarkt übertragen werden. Im internationalen Kontext ist die Fähigkeit des Unternehmens, eine starke Arbeitgebermarke aufzubauen, für den Erfolg bei der Personalgewinnung von besonderer Bedeutung. Das internationale Employer Branding, um auf sich aufmerksam zu machen und sich gegen globale Konkurrenten durchzusetzen, ist wie internationales Personalmanagement insgesamt komplexer. Die Bemühungen auf diesem Gebiet können hohe Kosten verursachen, wenn eine große Zielgruppe erreicht werden soll (Dannhäuser, 2015, S. 6). Bei der Umsetzung ist darauf zu achten, wie und in welchem Umfang eine länderspezifische Anpassung oder Vereinheitlichung der Positionierung erfolgen sollte. Eine globale Konsistenz der Arbeitgeberbotschaft kann dabei den Wiedererkennungswert fördern sowie Glaubwürdigkeit und Authentizität transportieren (Laick, 2012, S. 88-92; Dannhäuser, 2015, S. 6). Unternehmen müssen unterschiedliche lokale Kulturen berücksichtigen und dennoch eine Effizienz durch Standardisierung aufrechterhalten. Bei der Anpassung von Stellenausschreibungen an kulturelle Gegebenheiten am ausländischen Arbeitsmarkt, treten Besonderheiten auf, die dem Unternehmen am Anfang der Internationalisierung zunächst noch unbekannt sind. Zu diesen zählen beispielsweise das Bewerbungsprocedere, schwer vergleichbare Bildungsabschlüsse, Vergütungserwartungen, die Arbeitsmarktsituation, die Verbreitung der Medien zur Rekrutierung, die Kultur und Sprache im Allgemeinen und andere rechtliche Bedingungen (Berthel/ Becker, 2013, S. 775). Ein systematisches Vorgehen in der internationalen Personalsuche zur Bewältigung der Schwierigkeiten ist unter anderem durch Segmentierung mit Hilfe von geografischen Kriterien möglich. Headhunter und internationale Personalberater können hierbei das Unternehmen unterstützen (Berthel/ Becker, 2013, S. 775). Probleme können außerdem aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse entstehen, obwohl die Kommunikationssprache in multinationalen Unternehmen vornehmlich Englisch ist. Dies trifft sowohl auf potenzielle Mitarbeiter aus dem Ausland wie auch auf die deutsche Personalabteilung zu. Eine Möglichkeit, wie einigen der beschriebenen Herausforderungen begegnet werden kann, wird im Folgenden ausgeführt. Übung 3.6 Diskutieren Sie die Vor- und Nachteile der externen und internen Personalgewinnung für einen Global Player, wie bspw. Siemens. 3.4.5 E-Recruiting respektive die Rolle des Internets Große Distanzen, neue Technologien und die Dominanz des Internets im wirtschaftlichen wie auch privaten Bereich nehmen großen Einfluss auf das internationale Personalmanagement. Durch die Anpassung an die daraus resultierenden neuen Anforderungen an die Personalsuche und Personalauswahl sind digitale Verfahren und Instrumente zum heutigen Standard des Recruiting geworden. <?page no="185"?> 186 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements Als schneller und effizienter Kommunikationsweg ist das Internet ein Treiber der Internationalisierung (Gelbrich/ Müller, 2011, S. 538) und bietet sich besonders in internationalen Unternehmen zur Personalsuche an (Dannhäuser, 2015, S. 8). Es ist somit das wichtigste Medium zur Umsetzung eines weltweiten Recruitings (Schmeisser et al., 2002, S. 93 ). Im folgenden Abschnitt wird erklärt, was unter E-Recruiting verstanden wird und wie und warum sich das Recruiting in den letzten Jahren immer mehr in Richtung des Internets verschoben hat. Außerdem betrachtet der folgende Abschnitt die Gründe und die Bedeutung des E-Recruitings besonders für die internationale Personalsuche und stellt eingesetzte Instrumente zur Mitarbeitersuche vor. Terminologische Grundlagen des E-Recruiting E-Recruiting ist eine Abkürzung für die Bezeichnung Electronic Recruiting und stammt aus dem Englischen. Übersetzt bedeutet es so viel wie elektronisches Rekrutierung, Anwerbung, Mitarbeitereinstellung (Kopleck, 2013, S. 263, 643) bzw. Personalbeschaffung. Unter E-Recruiting wird die Personalbeschaffung mit der Unterstützung durch den Einsatz von elektronischen Hilfsmitteln über das Internet verstanden (Schmeisser/ Krimphove, 2010, S. 222). Eine enge Auslegung des Begriffes, wie sie in englischer Literatur üblich ist, liefern Berthel und Becker (2013). Sie erklären E-Recruiting als „[…] ein[en] Ausdruck für die Unterstützung der Personalbeschaffung und teilweise auch für die Personal(vor)auswahl durch den Einsatz informationstechnisch unterstützender Verfahren, computergestützter Instrumente sowie verschiedener Social- Media-Tools“ (Berthel/ Becker, 2013, S. 329). Entwicklung und heutiger Stand des E-Recruiting Mitte der 90er Jahre, als die Nutzung und Verbreitung des Internets begann, fand das E-Recruiting Einzug in die Personalarbeit und seine Bedeutung wuchs deutlich (Scholz, 2014, S. 156). Das Internet förderte auch das Wachstum eines internationalen Marktes und die weltweite Ausdehnung der Geschäftstätigkeiten von Unternehmen. Wie bereits erläutert, weiten Unternehmen daher die Suche nach Mitarbeitern auch auf internationaler Ebene aus. Dafür bietet das Internet eine schnelle und kostengünstige Alternative zu Printmedien (Holtbrügge, 2015, S. 117). Die zunehmende Internetaffinität hat auch Einfluss auf das Suchverhalten der Bewerber genommen. So werden mehr Unternehmenswebseiten und Online-Stellenbörsen zur Suche nach Jobangeboten genutzt. Klassische Medien, wie Zeitungen, nehmen dagegen in der Bedeutung ab (Schmeisser/ Krimphove, 2010, S. 222). Besonders jüngere Menschen, „Generation Y“ oder auch „Digital Natives“ genannt, haben die Bedeutung und Verbreitung des E-Recruiting vorangetrieben und werden dies auch in Zukunft tun. Sie nutzen Social Communities und das Internet seit ihrer Kindheit. Diese Medien nehmen in ihrem gesamten Leben einen großen Stellenwert ein (Dannhäuser, 2015, S. 16). Unternehmen passen ihre Strategien zur Personalsuche und -auswahl dem Interneteinfluss an und so fokussiert sich das Recruiting immer mehr auf Online-Recruiting-Kanäle. Auf diese Entwicklung folgend ist auch die Anzahl der Online-Jobbörsen am Markt mit dem weiteren Fortschritt des E- Recruiting stark gewachsen (Olfert, 2015, S. 146, 154). Die Form der eingehenden Bewerbungen in den Unternehmen zeigt ebenso die starke Entwicklung des E-Recruiting. Diese werden immer häufiger per E-Mail, über Jobbörsen und eigene Bewerbungsportale mit Online-Formularen im Internet eingereicht (Schmeisser/ Krimphove, 2010, S. 222)- Einige Unternehmen akzeptieren bereits nur noch ausschließlich elektronisch eingereichte Bewerbungen. <?page no="186"?> 3.4 Rahmenbedingungen des Internationalen Personalmanagements 187 Für Unternehmen ist es selbstverständlich geworden, den Rekrutierungsprozess im Internet durchzuführen. Online-Stellenanzeigen und elektronische Bewerbungen stellen hierbei einen Standard dar. Bedeutung und Chancen des E-Recruiting für internationale Personalsuche Damit Unternehmen im internationalen Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter mithalten können, zeigt die Nutzung von schnellen Rekrutierungsinstrumenten wie dem E-Recruiting ihre Bedeutung. Die Studie Recruiting Trends 2015 vom Centre of Human Resources Information Systems (CHRIS) der Universitäten Bamberg und Frankfurt am Main mit Monster Deutschland führte eine empirische Untersuchung der Top-1.000-Unternehmen Deutschlands durch. Demnach wurden im Jahr 2014 90,4% der Vakanzen auf einer eigenen Unternehmenswebseite veröffentlicht. Gleich dahinter folgten Online Stellenbörsen mit 70,1%. Social-Media-Kanäle machten einen Anteil von 28,1 % aus. Damit zeigte dieser Kanal mit 8,3 Prozentpunkten zum Vorjahr den größten Zuwachs. Obwohl mehr Vakanzen auf Unternehmenswebseiten veröffentlicht werden, ist der Anteil generierter Einstellungen mit 37,3 % identisch zu denen von Internet-Stellenbörsen (CHRIS, 2016, S. 8 f). Aus der hohen Einstellquote lässt sich eine hohe Akzeptanz der Bewerber für internetbasierte Verfahren in der Rekrutierung ableiten. Die folgend erläuterten Chancen durch ein Electronic Recruiting gewinnen in der internationalen Personalsuche noch mehr an Gewicht. Durch das E-Recruiting können signifikant Kosten eingespart werden. Bereits eine überregionale Stellenanzeige in traditionellen Printmedien kann zu erheblichen Ausgaben führen, die schnell zu einer fünfstelligen Summe heranwachsen (Konradt/ Sarges, 2003, S. 28). Wenn man dies auf unterschiedliche Länder und mehrere Zeitungen überträgt, stellt man fest, dass eine internationale Stellenschaltung in Printmedien zu Summen führen kann, die für ein Unternehmen schwer tragbar sind. Dagegen fallen bei einer Einstellung auf Online-Jobbörsen je nach Anbieter für die Unternehmen Kosten von ca. 500 bis 1500 Euro an. Die Bundesagentur für Arbeit bietet diesen Service sogar kostenlos an. Ein weiterer positiver Aspekt ist die Verführbarkeit der Anzeige. Online sind die Anzeigen über einen längeren Zeitraum, im Schnitt vier Wochen, zu sehen (Bröckermann, 2016, S. 55). Eine Tageszeitung wird dagegen nur einmal gedruckt und verkauft. Unterstützend können anfallende Kosten der Bearbeitungszeiten von Bewerbungen durch Bewerbermanagementsysteme reduziert werden. Durch spezielle Eingabemasken stehen hier relevante Informationen bereits in standardisierter Form zur Verfügung. Die Eingabe erfolgt durch den Bewerber selbst, wobei auch E-Mail oder Papierbewerbungen dem System nachträglich hinzugefügt werden können. Die Systeme und eine zentrale Speicherung der Bewerbungen machen diese jederzeit von jedem Ort abrufbar und stehen zur Auswahl bereit. Weitere Vorteile sind das Management von Suchaufträgen, die Organisation von Bewerbungsgesprächen, effektives Reporting und standardisierte Korrespondenzen (Schmeisser/ Krimphove, 2010, S. 222; Laick, 2012, S. 90-91). Online-Stellenanzeigen sind nicht nur eine längere Zeit verfügbar, das Internet macht es auch möglich, darauf 24 Stunden an 7 Tagen der Woche von jedem beliebigen Ort der Welt zuzugreifen. Dies kommt besonders der internationalen Personalsuche zugute. Denn so können örtliche und auch zeitliche Differenzen durch Zeitverschiebungen ausgeglichen werden. Voraussetzung dafür ist allerdings ein Breitbandzugang und ein Gerät mit Internetzugang und das Wissen um den Umgang damit (Konradt/ Sarges, 2003, S. 27; Jung, 2011, S. 149; Laick,2012, S. 91). Dadurch kann die Erreichbarkeit von potenziellen Mitarbeitern signifikant erhöht und neue Zielgruppen erreicht werden, was insgesamt zu einer höheren Bewerberanzahl führt. Ein größerer Bewerberpool kann die Chancen einer erfolgreichen Auswahl erhöhen. <?page no="187"?> 188 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements Ein weiterer positiver Aspekt ist die kostengünstige Unternehmenspräsentation und der große Umfang an stellenbezogenen Informationen. Dabei reichen die Möglichkeiten von einfachen Texten bis hin zu Fotos und multimedialen Darstellungen wie Imagevideos und virtuellen Rundgängen durch das Unternehmen (Scholz, 2014, S. 156). Dadurch ist bereits eine gezieltere und schnelle Vorauswahl durch den Bewerber selbst möglich, was den späteren Auswahlprozess vereinfacht. Durch die Veröffentlichung der Stellengesuche im Internet wird der Markt weitestgehend transparent für die Bewerber. Sie können mit wenig Aufwand den Markt überblicken, auch wenn sie nicht direkt auf Stellensuche sind. Bei Bedarf erleichtern Such- und Navigationsfunktionen das Finden geeigneter Angebote deutlich. Für Unternehmen kann diese Transparenz allerdings auch Nachteile haben. Zusammen mit dem wachsenden Wettbewerb um Personal steigt auch die Gefahr höherer Abwanderung. Zunehmend stehen die veröffentlichten Informationen über das Unternehmen auch den Konkurrenten zur Verfügung (Konradt/ Sarges, 2003, S. 25-27). Die Bewerber sehen insgesamt im E-Recruiting und einer Online-Bewerbung die Chance, mit wenig Aufwand schneller erfolgreich und bei Bedarf anonym eine passende Stelle zu erhalten (Konradt/ Sarges, 2003, S. 3). Die Bewerbungen können beliebig oft, ohne zusätzliche Kosten, verschickt werden. Bei den Chancen durch die Anwendung von E-Recruiting im internationalen Kontext muss aber auch der Datenschutz berücksichtigt werden. Online-Bewerbungen gehen einher mit dem elektronischen Umgang und der Verwaltung von personellen Daten. Es muss daher besonders Wert auf die technische Sicherheit gelegt werden (Dix/ Witrahm, 2001, S. 444; Konrad/ Sarges, 2003, S. 27-28). Es besteht zwar die Möglichkeit der Beschränkung von Zugangsrechten, doch diese hat wiederum negative Effekte wie höheren Aufwand für das Unternehmen und die potentiellen Bewerber zur Folge. 3.4.6 E-Recruiting-Kanäle Die vorausgegangenen Abschnitte haben gezeigt, dass das Internet im internationalen Recruiting einen großen Stellenwert einnimmt. Als wichtigste Wege des E-Recruiting zählen Online-Jobbörsen und firmeneigene Human-Resources-Webseiten. Zusätzliche Kommunikationswege, die zur Bewerberansprache genutzt werden, sind Social Media Netzwerke und Mobile Recruiting (Schmeisser / Krimphove, 2010, S. 222). Der folgende Abschnitt betrachtet diese Instrumente und ihre Anwendung genauer. Weitere Instrumente des E-Recruiting, auf die in diesem Heft jedoch nicht weiter vertiefend eingegangen wird, sind Newsgroups, die wie Diskussionsforen funktionieren, virtuelle Recruiting-Messen, Online-Karrieretage und Recruiting-Games, d.h. Spiele zur Orientierung und Selbstselektion im Internet mit relevanten Inhalten zur Position und dem Unternehmen, wodurch eine intensivere Kommunikation mit Interessenten vor der eigentlichen Bewerbung möglich ist. Als Form des Self- Assessment können sie auch der Personalauswahl zugeordnet werden (Bröckermann, 2016, S. 55). Online-Jobbörse Die Verlagerung der Personalsuche ins Internet hat eine große Anzahl an Anbietern von Online- Jobbörsen hervorgebracht. Diese haben heute einen starken Stellenwert bei der Arbeitsplatzsuche (Olfert, 2015, S. 154). Neben branchenübergreifenden Plattformen haben sich auch spezialisierte Plattformen z.B. für bestimmte Branchen (Scholz, 2014, S. 158), wie „Jobvector“ für Naturwissenschaftler, Mediziner und Ingenieure, herausgebildet. Zu den führenden deutschen (kommerziellen) Online-Jobbörsen zählen Monster, StepStone und Jobscout24, Jobware und Stellenanzeige.de (Beck, 2011, S. 1). Monster ist darunter die Bekannteste. Die <?page no="188"?> 3.4 Rahmenbedingungen des Internationalen Personalmanagements 189 weltweit meistbesuchte Online-Jobbörse ist Indeed. Nicht-kommerzielle Anbieter sind Online-Tages- und Wochenzeitungen und die Bundesagentur für Arbeit. Sie ist mit etwa 500.000 Stellenangeboten die größte Jobbörse im deutschsprachigen Raum und bietet den Vorteil der kostenlosen Stellenveröffentlichung sowie der Suche in der Bewerberdatenbank (Laick, 2012, S. 92). Online-Jobbörsen treten als zweiseitige Märkte auf. Bewerber und Unternehmen können sowohl als Suchende als auch als Anbieter agieren. Einerseits haben Bewerber die Möglichkeit ihre Arbeitskraft anzubieten, indem sie Bewerberprofile einstellen, und gleichzeitig können sie Arbeitsplätze nachfragen. Unternehmen bieten dagegen mit Stellenanzeigen ihre Arbeitsplätze an und können gleichzeitig die Datenbanken nach geeigneten Bewerberprofilen durchsuchen. Sie müssen für diese Dienste zahlen, wogegen Bewerber die Plattformen und Angebote in der Regel kostenlos nutzen können. Online-Jobbörsen entwickeln sich tendenziell mehr und mehr zu umfassenden Dienstleistungsangeboten mit integrierten Tools zur Suche und Auswahl von Bewerbern, wie einem Online- Assessment-Center und einem automatischen Bewerberabgleich (Scholz 2014, S. 158). Unternehmenseigene Human-Ressource-Websites Neben Jobbörsen nutzen die meisten Unternehmen ihre firmeneigenen Webseiten, um elektronische Stellenanzeigen zu veröffentlichen. Ebenso dient das Intranet für interne Stellenausschreibungen als Informationsmedium (Bertelsmann, 2002, S. 167). Die eigene Homepage wird auch als Basis-Instrument bezeichnet, wogegen Online-Jobbörsen als Standardinstrument gelten. Wie bei Printmedien sollten bei Online Stellenanzeigen, Human-Ressource-Webseiten und anderen Kanälen die Marketingmethoden „AIDA“-Formel und „CUBE“-Methode (Content, Usability, Branding and Emotion) beachtet werden. Usability (die Handhabung) macht den Erfolg einer Personalhomepage aus. Eine nicht intuitive Gestaltung und Handhabung der Webseite, auf der sich potenzielle Bewerber nicht zurechtfinden, kann dazu führen, dass diese Bewerber verloren gehen (Scholz, 2014, S. 148-150, 156- 157). Um potenzielle Mitarbeiter für sich zu gewinnen, kann sich das Unternehmen über das Internet ausführlich selbst präsentieren und die Bewerber gezielt ansprechen (Olfert, 2015, S. 146). Die Technologie der Unternehmenswebseite unterstützt dazu den Aufbau einer internationalen Arbeitgebermarke, indem sowohl Standardisierung und globale Konsistenz der Botschaft sowie flexible, lokale und kulturelle Anpassung der Webseite möglich sind. Ernst & Young hat beispielsweise seine Karrierewebseiten zentral und global entwickelt. Das Design, der Inhalt und die strategischen Botschaften sind vereinheitlicht, bieten aber trotzdem länderspezifische Anpassungsmöglichkeiten. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen können von einer umfangreichen Unternehmenspräsentation der Corporate Identity (Olfert, 2015, S. 44) profitieren: „Die Corporate Identity repräsentiert die Unternehmensidentität, indem sie das Selbstverständnis des Unternehmens darstellt“ und weiteren Informationen zu Karrierechancen oder Aufgabenbereichen potentieller Mitarbeiter profitieren. Chancen bietet dabei ein positiver und authentischer Transfer der Unternehmensatmosphäre). So können sich auch Alleinstellungsmerkmale herausbilden (Scholz, 2014, S. 157-158). Um möglichst viele Bewerber zu erreichen, ist es wichtig, dass die Homepage auch über Suchmaschinen zu finden und einer eindeutigen, leicht zu identifizierenden Webadresse zuzuordnen ist (Bröckermann, 2016, S. 52-55). Social Media Der Begriff Social Media stammt aus dem Englischen und bedeutet ins Deutsche übersetzt „soziale oder gemeinschaftliche Medien“. In diesem Abschnitt wird hauptsächlich auf Social Networks eingegangen, da diese neben anderen Anwendungen des Web 2.0, wie Wikis, Social News und Blogs, am ehesten zur Personalbeschaffung eingesetzt werden. Das Merkmal vom Web 2.0 sind vor allem <?page no="189"?> 190 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements nutzergenerierte Inhalte im Internet. In Social Networks oder auch Online Communities können Nutzer ein Profil erstellen und mit anderen Mitgliedern in Kontakt treten (Dannhäuser, 2015, S. V- VI). Sie dienen hauptsächlich als Kommunikations- und Informationsplattform. Der Fokus beim Social Media Recruiting ist meist eher langfristig angelegt und dient dabei der Unternehmenspräsentation sowie dem Aufbau und der Pflege von Beziehungen zu aussichtsreichen Kandidaten. Dazu werden Plattformen wie Facebook, Twitter, Google+ und spezielle Business Communities wie LinkedIn und Xing genutzt. Mitglieder können dort Profile erstellen, alle bewerbungsrelevanten Informationen, wie Lebensläufe, hinterlegen und Verknüpfungen zu anderen Mitgliedern erstellen. Unternehmen haben danach die Möglichkeit, gezielt nach potentiellen Kandidaten zu suchen und diese anzusprechen. Außerdem bieten Business Communities die Möglichkeit, Stellenanzeigen zu veröffentlichen und zu verbreiten, worauf Mitglieder dann zugreifen können. Ebenso nutzen Headhunter Social Networks, um Kandidaten zu entdecken (Rosenberger, 2014, S. 303-304). Neben dem demografischen Wandel und einem Fachkräftemangel ist Social Media als drittwichtigster Trend in der Personalbeschaffung erkannt worden (CHRIS, 2016, S. 7). Der Kanal wird verstärkt bei den Unternehmen eingesetzt, um u.a. frühzeitig Talente zu entdecken und langfristig an sich zu binden. In einer Studie der BITKOM im Oktober 2013 zum Thema Soziale Netzwerke wurde festgestellt, dass 78 % der Internetnutzer in sozialen Netzwerken angemeldet sind und 67 % diese auch aktiv nutzen. Insgesamt ist ein Zuwachs der aktiven Nutzung erkennbar, wobei vor allem bei den Nutzern der Generation 50plus ein starker Anstieg in den letzten Jahren auf 55 % zu verzeichnen ist. Am häufigsten werden Soziale Netzwerke jedoch weiterhin von den unter 30-jährigen genutzt. Die „Generation Y und Z“, eine wichtige Zielgruppe in Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels, ist häufig täglich in Social Media-Kanälen unterwegs. Diese nutzt sie abgesehen von Business Networks wie Xing und LinkedIn zwar primär für die private Kommunikation, aber doch auch regelmäßig zur Stellensuche (Indeed, 2014, S. 1). Kommunikationskanäle wie Telefon und E-Mail verlieren bei den unter 30-jährigen hingegen immer mehr an Bedeutung und Gruppenkommunikationen, wie sie beispielsweise über Facebook möglich sind, nehmen zu. Die Nutzung von Social Media-Kanälen kann demnach durchaus interessant im „War for Talents“ sein (Dannhäuser, 2015, S. VI-VII). Als besonderer Vorteil in der internationalen Personalsuche über Business-Netzwerke wird die Möglichkeit gesehen, sich ein besseres Bild über einen Kandidaten zu machen, als es allein über den Lebenslauf bei klassischen Bewerbungen der Fall wäre. So kann besser über den Cultural Fit des Kandidaten geurteilt werden (Rosenberger, 2014, S. 303-304). Obwohl die klassischen Kommunikationsmedien durch die intensive Social Media Nutzung Jüngerer verdrängt werden, ist eine persönliche und klassische Kommunikation über Printmedien nicht für jede Zielgruppe ersetzbar (Rosenberger, 2014" S. 303-304). Der Einsatz von Social Media ist daher nur als ergänzendes Instrument zu sehen, denn es sind längst nicht alle potentiellen Bewerber auf sozialen Netzwerken aktiv. Mobile Recruiting Eine weitere Form des E-Recruiting ist das Mobile Recruiting. Für den Begriff sind allerdings unterschiedliche Definitionen zu finden. Letztlich wurde Recruiting durch Mobile Media gefördert, und zwar, weil das Mobile Recruiting auf den Einsatz mobiler Zugangstechnologien im Rahmen der Bewerberansprache und Rekrutierungsaktionen setzt. Des Weiteren wird Mobile Recruiting insoweit eingegrenzt, dass es nicht bei dem reinen Aufruf einer Stellenanzeige über das Smartphone oder Tablet beginnt, sondern erst bei einer optimierten Darstellung von Firmenwebseiten, Jobbörsen und Stellenanzeigen für mobile Endgeräte und bis hin zu Recruiting-Apps (Dannhäuser, 2015, S. 17). Mit insgesamt 63 % der Bevölkerung werden Smartphones in Deutschland von allen Altersgruppen, <?page no="190"?> 3.4 Rahmenbedingungen des Internationalen Personalmanagements 191 wenn auch in unterschiedlicher Intensität, zunehmend z.B. zum Surfen im Internet sowie zum Senden und Lesen von E-Mails und WhatsApp-Mitteilungen genutzt (Weicksel, 2015). Weltweit nutzten 2015 rund 1,86 Mrd. Menschen ein Smartphone und die Prognosen sind steigend (Statista, 2015). Es ist davon auszugehen, dass die weltweit eingesetzten Smartphones und Tablets klassische PCs in ihrer Anzahl in Zukunft übersteigen werden. Bereits heute gibt es in manchen Haushalten keine stationären PCs mehr (Furkel, 2015, S. 4). Eine Studie von Indeed zeigt einen Anstieg der Stellensuchen, die mobil mit Smartphone oder Tablet getätigt werden, von 33 % im Jahre 2013 auf 45 % in 2014 (Indeed, 2014, S. 1). Durch Verbreitung von Smartphones und das veränderte Nutzerverhalten der Menschen rückt das Mobile Recruiting immer mehr in den Fokus des E-Recruiting. Nicht zuletzt sind Mobilgeräte, ebenso wie Social Communities, ein Teil des Lebensgefühls besonders der jüngeren Zielgruppe. Mobile Recruiting kann die Reichweite der Bewerberansprache erweitern und auch neue Zielgruppen ansprechen, die hauptsächlich das Mobiltelefon nutzen, um im Internet aktiv zu sein. Auch Bewerber, die nicht aktiv nach einer Stelle suchen, können z.B. durch Push-Benachrichtigungen (Brülke, o.J: Push-Benachrichtigungen sind kurze Informationen, die direkt auf das Smartphone- Display (durch z.B. App) gesandt werden, ohne eine gezielte Abfrage oder Starten der Anwendung durch den Nutzer auf das Unternehmen und Stellen aufmerksam gemacht werden). Wichtig für den Erfolg ist eine mobile Optimierung der Stellenanzeige oder Webseite. Eine Lösung dafür ist ein sogenanntes „Responsive Design“, was sich automatisch an verschiedene Endgeräte und Bildschirmgrößen anpasst, wie es beispielsweise das Unternehmen Globus nutzt. Dazu sind auch der Inhalt und die Länge der Texte, eine übersichtliche Menüführung und kompatible Bilder entscheidend, um ein positives Bild bei den potentiellen Bewerbern zu hinterlassen (Bröckermann, 2016, S. 52-55). Im Mobil Recruiting stehen den Unternehmen verschiedene Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme und Übermittlung von Informationen an die potentiellen Bewerber zur Verfügung. Wie bereits erwähnt, kann die Unternehmenswebseite, Online-Stellenanzeigen und Jobbörsen auf dem Smartphone angesehen werden. Laut der Studie „Recruiting Trends 2015“ geben 44,1 % der größten Unternehmen Deutschlands im Jahr 2014 an, ihre Unternehmenswebseite mobil optimiert zu haben, was einen Anstieg um 19,8 % zum Vorjahr ausmacht. Bei Online-Stellenanzeigen sind es trotz eines Zuwachses von 9,2 % lediglich 30,8 % (CHRIS, 2016, S. 9). Ein anderes Anwendungsbeispiel ist der Versand von Newslettern mit Informationen zum Unternehmen sowie neuen Angeboten per SMS. Auch Job-Apps wie von Jobscout24, Stepstone und Jobware sind am Markt verfügbar. Diese Apps haben häufig sogar ein größeres Serviceangebot als die herkömmlichen Online-Stellenmärkte. Der Service reicht von Benachrichtigungen bei neu eingetroffenen Stellenangeboten bis zu standortgebundener Jobsuche und dem automatischen Speichern bereits angesehener Anzeigen (Furkel, 2012, S. 2 ff.). Außerdem besteht bereits die technische Möglichkeit, den kompletten Bewerbungsprozess mobil durchzuführen, was schon von Unternehmen wie der Allianz genutzt wird. Es gibt vielfältige Lösungen für die Umsetzung. Diese sind z.B. ein mobil optimiertes Bewerbungsformular mit Übernahme von Daten aus sozialen Business-Netzwerken, die Bewerbung mit kurzem Anschreiben und einem Link zum Xing/ LinkedIn-Profil oder auch die Möglichkeit, die vorher gespeicherte Bewerbung mit Lebenslauf aus der Dropbox oder einem vorher angelegten Bewerberprofil hochzuladen. Häufig ist in der Realität aber ein Wechsel des Mediums zum PC (Desktop, Laptop oder Notebook) erforderlich, was wiederum in Zukunft zu einem Verlust von Bewerbern ohne PC führen kann. Ob sich der Weg der Mobil-Bewerbung durchsetzen wird, ist jedoch noch umstritten. Unternehmen sehen hier einen Trend, doch die Akzeptanz der Bewerber, die Bewerbung ausnahmslos über das Smartphone zu verschicken, ist noch gering (Furkel, 2015, S. 4-6). Dieses wird sich jedoch aus Autorensicht schnell ändern. <?page no="191"?> 192 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements Home-Arbeitsplätze gewannen in 2020 während der Corona-Pandemie deutlich an Bedeutung. Durch den Zwang, zuhause zu arbeiten, etablierte sich dieses Modell ziemlich gut und wurde von einigen Unternehmen zumindest teilweise beibehalten. Als größter Vorteil für die Mitarbeiter im Homeoffice wurde die bessere Balance zwischen Arbeit, Freizeit und Familie genannt. Für die Unternehmen ergibt sich ein großer Vorteil durch eine deutliche Einsparung in Bezug auf die Büroräume. 3.4.7 Arbeitsrecht Sie müssen im Arbeitsrecht aus deutscher Perspektive mehrere Ebenen unterscheiden:  Individuelles Arbeitsrecht: Hier wird der individuelle Arbeitsvertrag des Mitarbeiters nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt (§ 611 ff. BGB).  Kollektives Arbeitsrecht: Hier runter fällt das Betriebsverfassungsgesetz, das Mitbestimmungsgesetz, das Montanmitbestimmungsgesetz, das Tarifgesetzbuch, Mutterschutzgesetz, Datenschutzgesetz, das Gleichbehandlungsgesetz usw.  Europäisches Arbeitsrecht: Jeder hat das Recht sich in der europäischen Union frei zu bewegen z.B. seine Schulausbildung oder sein Studium zu betreiben, überall zu arbeiten, zu wohnen und muss überall im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes behandelt werden.  Sozialrecht (Arbeitslosenversicherung, Schwerbehindertengesetz, usw.)  Ansonsten gelten die Gesetze des entsprechenden Landes (z.B. Chinas, Polens, Bulgariens), wohin der Mitarbeiter entsendet wird (z.B. Arbeitslosenversicherung, Unfallversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung usw. insofern diese Versicherungen im Entsendungsland existieren). Die Gleichbehandlung von Bewerbern bei der Personalsuche und der Personalauswahl ist besonders im internationalen Kontext relevant. Das Ziel des Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist nach § 1 AGG Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Jede mittelbare oder unmittelbare Benachteiligung kann zu rechtlichen Konsequenzen für das Unternehmen führen. Diese Aspekte müssen bei allen Stellenausschreibungen und im Auswahlverfahren beachtet werden. Ausnahmen stellen nach § 8 AGG jene Ausschreibungen dar, die wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit eine bestimmte Eigenschaft zwingend voraussetzen (Olfert, 2015, S. 133). Unternehmen in Deutschland müssen außerdem die Mitbestimmung des Betriebsrates beachten. Im Grundsatz ist das Unternehmen frei in der Wahl des Personalbeschaffungsweges. Nach § 93 BetrVG kann der Betriebsrat allerdings die innerbetriebliche Ausschreibung einer freien Stelle generell für alle oder nur bestimmte Tätigkeiten verlangen. Dies gilt nicht für leitende Angestellte nach § 5 BetrVG. Nach § 99 Abs.1 muss der Arbeitgeber vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung die Zustimmung des Betriebsrates einholen. Er kann diese nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG verweigern. Gründe können die Nichtbeachtung von Mindestanforderungen bei der Ausschreibung, ein Verstoß gegen das AGG oder gegen Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG und unterschiedliche Anforderungen an inner- und außerbetriebliche Bewerber sein (Olfert, 2015, S. 185; Jung 2011, S. 185). Im internationalen Kontext kommen bei der Beschäftigung von Arbeitskräften aus dem Ausland weitere Aspekte hinzu (wenn Mitarbeiter für eine Niederlassung im Ausland aus dem entsprechen- <?page no="192"?> 3.4 Rahmenbedingungen des Internationalen Personalmanagements 193 den Land gesucht werden, spielt dies keine Rolle), die zu Beschränkungen und Problemen bei der Einstellung führen. Der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt und die Frage einer Aufenthalts-, Arbeits- oder Beschäftigungserlaubnis sind abhängig vom Ursprungsland. EU-Staatsangehörige und Schweizer Bürger (Durch das „Freizügigkeitsabkommen EU-Schweiz“) dürfen in einem EU-Staat ihrer Wahl ohne weitere Arbeitserlaubnis eine Arbeit aufnehmen. Das Unternehmen muss demnach keine zusätzlichen Einschränkungen oder Regelungen beachten. Kroatische Bürger bilden hier eine Ausnahme (Europäischer Berufsausweis - EPC (2016)). Für Nicht-EU-Bürger gelten nach § 41 Abs. 1 AufenthV aus bestimmten Staaten Erleichterungen bezüglich Visa, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Der Erhalt eines „Aufenthaltstitels zum Zweck der Erwerbstätigkeit“ nach §§ 18-21 Aufenthaltsgesetz hängt dabei von der Qualifikation des Beantragenden ab. Bei Bewerbern aus sog. „Drittstaaten“ ist also Vorsicht geboten (BiBB, 2014)) 3.4.8 Arbeitskultur Arbeitskultur ist, wie in einem Unternehmen und in einem Land gearbeitet wird. Wir vermeiden den Begriff „Arbeitskultur“, weil sein Inhalt unklar ist und weil man sich daran im internationalen Kontext gewöhnt hat, diesen Begriff immer dann zu benutzen, wenn man nicht klar auszusprechen vermag, was man eigentlich damit meint, ohne rassistische oder andere Vorurteile zu pflegen. Beobachtet man die Arbeitsverhältnisse in unterschiedlichen Ländern, so lässt sich die Arbeitskultur im „Atmosphärischen“ der Arbeit am besten charakterisieren, d.h. die Arbeitsverhältnisse aktualisieren die Gefühle, Erinnerungen, Begleitvorstellungen, Denkinhalte, Erwartungen und Aktionsbereitschaften der Mitarbeiter in ihrer jeweiligen Länderkultur. Man kann die Arbeitskultur pro Land qualitativ beschreiben und durch eine Rangskala von 1 (trifft voll zu) und 6 (trifft gar nicht zu) durch folgende Faktoren bewerten:  Im Betrieb herrscht ein hoher Teamgeist: man hilft sich gegenseitig bei der Lösung von arbeitsbezogenen, aber auch privaten Problemen.  Die Arbeitszeitgestaltung passt zur individuellen Arbeitszeit und zur privaten Zeitplanung.  Die Mitarbeiter werden an Entscheidungen beteiligt und über besonders wichtige Sachverhalte informiert.  Zwischen Mitarbeitern untereinander aber auch seitens der Führungskräfte herrscht ein freundlicher Umgangston.  Kann der Mitarbeiter folgendes Statement abgeben: Ich fühle mich wohl im Betrieb und arbeite gern auch einmal länger, wenn es die Auftragslage erfordert.  Die Mitarbeiter haben eigene Entscheidungsspielräume in ihrer Arbeit, innerhalb derer sie eigenverantwortlich tätig sind.  Man darf auch mal einen Fehler machen, ohne Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen (Abmahnung, Entlassung usw.) haben zu müssen.  Fehler ausdrücklich erlaubt und auch erwünscht, denn nur wer Fehler macht, kann daraus lernen.  Der Mitarbeiter kann auch über persönliche Probleme mit seinen Kollegen und den Ausbildern sprechen.  Der Arbeitsplatz und die Arbeitsgeräte entsprechen voll meinen Vorstellungen.  Das Entgelt entspricht voll meinen Vorstellungen. <?page no="193"?> 194 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements 3.4.9 Exkurs: Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Das europäische Arbeits- und Sozialrecht unterteilt sich in das primäre und sekundäre Gemeinschaftsrecht. Zwar ist die Sozialpolitik Angelegenheit der Mitgliedsstaaten, jedoch sind bei Entsendungen innerhalb der EU die Rechtsvorschriften des EU-Rechts zu berücksichtigen. Gemäß § 30 Abs. 2 SGB I ist das Unionsrecht vorrangig vor dem nationalen Recht zu beachten (Schulte 2013, S. 226). Zusammenfassend zielen das primäre und sekundäre Gemeinschaftsrecht auf eine Harmonisierung der europaweiten Lebens- und Arbeitsbedingungen, auf sozial gerechte Arbeitsbedingungen, auf Gesundheitsschutz sowie Arbeitssicherheit und auf Gleichbehandlung sowie die Bekämpfung von Diskriminierung ab (Oechsler/ Paul 2015, S. 88). Primäres Gemeinschaftsrecht Das primäre Gemeinschaftsrecht wird im Wesentlichen durch die Gründungsverträge (v.a. EU-Vertrag, Vertrag über die Arbeitsweise der EU, Charta der Grundrechte der EU) konstituiert. Ursprünglich als Wirtschaftsgemeinschaft geplant, wurde in der Europäischen Gemeinschaft eine Arbeits- und Sozialpolitik nicht berücksichtigt. Überlegungen zum sozialen Schutz und der Optimierung von Lebens- und Arbeitsverhältnissen sowie der beruflichen Bildung wurden erst im Rahmen des Abschlusses der Einheitlichen Europäischen Akte berücksichtigt (Oechsler/ Paul 2015, S. 88). „Zwar sind die Mitgliedsstaaten weiterhin zuständig für ihre nationale Gesetzgebung, doch sind sie durch die Verpflichtung richtlinienkonformer Gesetzgebung im Bereich des harmonisierten Rechts gebunden“ (Oechsler/ Paul 2015, S. 88). Sekundäres Gemeinschaftsrecht Das sekundäre Gemeinschaftsrecht ist das abgeleitete, also das nach Maßgabe der Gründungsverträge erlassene Recht der Gemeinschaftsorgane. Folgende Instrumente können zur Regelung auf europäischer Ebene herangezogen werden:  Verordnungen wirken in den Mitgliedsstaaten unmittelbar und sind rechtsverbindlich (z.B. die Verordnung 1612/ 68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer).  Richtlinien sind das Hauptinstrument im EG-Arbeitsrecht. Sie wirken zweistufig: Zunächst sind die Mitgliedsstaaten lediglich zur Umsetzung in nationales Recht verpflichtet. Nach Ablauf der Umsetzungsfrist wird die Richtlinie maßgebend für den Inhalt des umsetzenden Rechts.  Entscheidungen sind gegenüber dem Adressaten in allen ihren Bestandteilen rechtsverbindlich.  Empfehlungen und Stellungnahmen haben keine Rechtsverbindlichkeit (Oechsler/ Paul 2015, S. 88; Schiek 2007, S. 90-99). 3.4.10 Geltender Rechtsrahmen für Entsendungen in der EU Der Anspruch auf Freizügigkeit und das Recht auf Arbeiten in einem anderen Mitgliedsstaat aller EU-Bürger wurde bereits zu Beginn der Europäischen Gemeinschaft in den Verträgen festgehalten. Diese Koordinierungsregeln „beruhen auf dem Grundsatz der Anwendung von jeweils nur einer Gesetzgebung auf einmal, wenn die Berufstätigkeit in einem oder mehreren Mitgliedsstaaten ausgeübt wird“ (Cremer 2011, S. 7). Mit dem Ziel der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung unter Anwendung des Gastlandprinzips, findet für Personen, die sich innerhalb der EU bewegen, das <?page no="194"?> 3.4 Rahmenbedingungen des Internationalen Personalmanagements 195 Sozialversicherungssystem von nur einem Mitgliedsstaat Anwendung. Grundsätzlich fällt die Person unter die Gesetzgebung des Mitgliedsstaates, in dem sie ihre Berufstätigkeit als Arbeitnehmer oder auch als Selbständiger ausübt (Cremer 2011, S. 7). Für die Entsendung innerhalb der EU gelten die in Artikel 12 der Verordnung 883/ 2004 geregelten Sonderregelungen: (12.1) Eine Person, die in einem Mitgliedsstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedsstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit vierundzwanzig Monate nicht überschreitet und diese Person nicht an eine andere Person ablöst. (12.2) Eine Person, die gewöhnlich in einem Mitgliedsstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt und die eine ähnliche Tätigkeit ein einem anderen Mitgliedsstaat ausübt, unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Tätigkeit vierundzwanzig Monate nicht überschreitet (Verordnung 883/ 2004, Art.12). 3.4.11 EU-Entsenderichtlinie von 1996 In der Richtlinie 96/ 71/ EG aus dem Jahr 1996 sind Vorschriften festgelegt, die die für entsandte Arbeitnehmer geltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen verbindlich regeln. Inhalt der Richtlinie ist, „dass sich in einen anderen Mitgliedsstaat entsandte Arbeitnehmer gesetzlich auf eine Reihe von zentralen Rechten berufen können, die in dem Aufnahmemitgliedstaat, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, gelten“ (Europäische Kommission 2016, http: / / europa.eu/ rapid/ press-release_MEMO -16-467_de.htm). Die in dem Aufnahmemitgliedstaat geltenden Rechte, finden auf die entsandten Arbeitnehmer Anwendung, auch wenn sie weiterhin bei dem entsendenden Unternehmen beschäftigt sind. Weiterhin finden allgemein verbindliche Tarifverträge der Sozialpartner Anwendung für das Baugewerbe und weitere Branchen, falls sich die Mitgliedstaaten dafür entscheiden. Folgend sind die Mindestbedingungen, die für entsandte Arbeitnehmer anzuwenden sind, dargelegt:  Mindestlohnsätze  Höchstarbeitszeiten  Bezahlter Mindestjahresurlaub  Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften durch Leiharbeitsunternehmen  Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz  Gleichbehandlung von Männern und Frauen (EU-Entsenderichtlinie) Den Mitgliedsstaaten steht es frei, die Arbeitsbedingungen für die entsandten Arbeitnehmer günstiger zu gestalten (Europäische Kommission 2016, http: / / europa.eu/ rapid/ press-release_MEMO-16- 467_de.htm). Entsendearten gemäß EU-Entsenderichtlinie Gemäß EU-Entsenderichtlinie werden in Artikel 1 Abs. 3a-c drei Maßnahmen zur länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen innerhalb der EU unterschieden. Die in der Richtlinie <?page no="195"?> 196 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements genannten Entsendungen unterteilen sich in die normale Entsendung, die innerbetriebliche Entsendung und die Entsendung über Leiharbeitsfirmen. So liegt eine Entsendung vor, wenn Unternehmen  einen Arbeitnehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags entsenden, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder  einen Arbeitnehmer in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder  als Leiharbeitsunternehmen oder als einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellendes Unternehmen einen Arbeitnehmer in ein verwendendes Unternehmen entsenden, das seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat oder dort seine Tätigkeit ausübt, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitsunternehmen oder dem einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht (RL 96/ 71/ EG Artikel 1 Abs. 3 a-c). Problematiken der Entsendearten gemäß EU-Entsenderichtlinie Die normale Entsendung, als „Entsendungsart im traditionellen Sinne der Untervergabe von Sonderaufträgen an ein ausländisches Unternehmen“ (Cremers 2011, S. 30-31), ist die unproblematischste Form, bei der in der Regel hoch qualifizierte und dotierte Arbeitnehmer in einen anderen Mitgliedsstaat entsandt werden. Bei der innerbetrieblichen Entsendung wird allerdings von Tochtergesellschaften berichtet, die zur Umgehung von Arbeitsnormen und weiteren Auflagen gegründet werden. Beide Formen der Entsendung werden lediglich in Fällen problematisch, in denen der Unterlieferant beziehungsweise die ausländische Tochtergesellschaft ausschließlich billige Arbeitskräfte anzubieten hat. Bei der Entsendung von einem Land mit niedrigen Sozialversicherungskosten in ein Land mit normalen Sozialversicherungskosten belaufen sich die Kostenvorteile auf 25-30 Prozent. Darüber hinaus können Kostenvorteile generiert werden, wenn auf entsandte Arbeitnehmer lediglich Mindestlöhne und -bedingungen angewandt werden und sie nicht entsprechend ihrer Fertigkeiten beziehungsweise Qualifikationen oder wie die regulären Arbeitskräfte im Gastland vergütet werden. Bei der Inanspruchnahme von Leiharbeitsfirmen in grenzüberschreitenden Tätigkeiten treten die häufigsten Probleme auf. Das Verbot von Leiharbeitsfirmen, was zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Entsenderichtlinie, noch in mehreren Mitgliedstaaten im Bausektor galt, wurde in den 1990er Jahren in den meisten Ländern aufgehoben. Dadurch kam es zu einem gravierenden Anstieg des Sektors der Leiharbeitsfirmen (Cremers 2011, S. 30-31). Übung 3.7 Recherchieren Sie mit Hilfe des Internets, ob es aktuell einen Fachkräftemangel gibt. Übung 3.8 Zeigen Sie auf, welche Ebenen es im Arbeitsrecht aus deutscher Perspektive gibt. <?page no="196"?> 3.5 Formen der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Mitarbeitern 197 Zusammenfassung Es ist strittig, ob es einen Arbeitsmarkt im volkswirtschaftlichen Sinne für internationale Mitarbeiter gibt. In diesem Abschnitt wird aufgezeigt, wie eine internationale Suche nach Arbeitskräften gestaltet werden kann. Es wird unterschieden zwischen internen und externen Wegen der Personalbeschaffung und die jeweiligen Vor- und Nachteile werden aufgezeigt. Personal wird zunehmend mit Hilfe des Internets rekrutiert. Die unterschiedlichen Kulturgegebenheiten und die Gesetzgebung sind zu berücksichtigen. 3.5 Formen der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Mitarbeitern Lernziele Sie haben ein grundsätzliches Verständnis für die unterschiedlichen Formen der grenzüberschreitenden Tätigkeiten von Mitarbeitern und können diese voneinander abgrenzen. Traditionelle Auslandsentsendungen Mitarbeiter, die auch Expatriates genannt werden, werden von den fachlichen Vorgesetzten vorgeschlagen, die Auslandsaktivitäten in ihrem Bereich in der Tochterniederlassung aufzubauen, weiter zu entwickeln und Mitarbeiter vor Ort anzulernen. Traditionelle Entsendungen können 3-6 Wochen, mittelfristig bis zwei Jahre und langfristig bis 5 Jahre betragen. Sollte der Mitarbeiter für immer in der Tochterniederlassung bleiben wollen, so muss er in die Tochterniederlassung übertreten. Selbst-initiierte Auslandsaufenthalte Mitarbeiter sind mehr ihren eigenen Karrieren verbunden und nicht mehr dem Unternehmen. Wird eine Stelle in einer Tochtergesellschaft ausgeschrieben, bewerben sie sich darum, auch wenn sie nicht von ihren Chefs und der Personalabteilung als Expatriates vorgesehen sind. Für sie ist ein Auslandsaufenthalt persönlich dienlich und karrieretechnisch sinnvoll, deshalb planen sie den Auslandsaufenthalt aus eigener Initiative und bewerben sich auf Positionen im Ausland, auch in fremden Unternehmen. Inpatriates Inpatriates sind Expatriates von Tochterunternehmen, d.h. beschäftigte ausländische Mitarbeiter werden von der Tochterniederlassung in die Muttergesellschaft entsandt oder sie werden in eine andere Niederlassung entsandt und beschäftigt. International Commuters International Commuters sind internationale Pendler zwischen Muttergesellschaft und Tochterniederlassungen oder nur zwischen Tochtergesellschaften zwecks Sonderaufgaben, die immer wieder anfallen, z.B. die Informationssysteme und die Computer zu aktualisieren, zu überprüfen, zu reparieren usw. International Frequent Travellers Sie sind Expatriates, die gleichzeitig als internationale Vielflieger bezeichnet werden können, z.B. <?page no="197"?> 198 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements Mechaniker / Monteure, die immer wieder zu verschiedenen Erdölförderinseln in der Nordsee fliegen, um Probleme an der Hydraulik und Mechanik zu reparieren und generell zu lösen. Virtuelle Expatriates Fachkräfte z.B. auch Ärzte und Lehrer in Australien, Astronautenbetreuung von der Mutterbasis, die mit Hilfe von Skype fachliche Hilfe geben können, da deren Verschickung nicht möglich oder zu teuer wäre, und das Problem derart akut ist, dass der fachliche Rat nur noch zeitlich über Skype möglich ist. Sonstige traditionell entsandte Mitarbeiter 90-95 % traditionell entsandter Mitarbeiter, die z.B. auf Baustellen oder Schiffen eingesetzt werden, stammen aus Entwicklungsländern wie Pakistan, Indonesien, Philippinen. Diese Mitarbeiter haben keine Ausbildung und können billig beschäftigt werden. Nur die oberen Führungskräfte gehören zu den privilegierten Expatriates im weiteren Sinne, die von den internationalen Unternehmen normal bezahlt und beschäftigt werden. Eine Auslandstätigkeit bedingt einer umfassenden Vorbereitung, um die zukünftigen Delegierten die notwendigen Qualifikationen zu vermitteln und eventuelle diagnostiziere Defizite ausgleichen zu können (Holtbrügge, 2015, S. 332-333). Methoden der Vorbereitung auf Auslandstätigkeiten: erfahrungsbezogen - Übungen mit - Fallstudien Kunstkulturen - Rollenspiele - Mitarbeit in inter- - Kontrast-Kultur-Training nationalen Teams landesspezifisch landesübergreifend - Cultural-self-awareness- landeskundliche Training Informationen - Sechs-Dimensionen- cultural assimilator-Training Modell von Hofstede intellektuell Abb. 3.4: Methoden der Vorbereitung auf Auslandstätigkeiten (in Anlehnung an Holtbrügge, 2015, S. 333 und Gudykunst & Hammer, 1983, S. 126) Beispiel SAP führt seit vielen Jahren virtuelle Auslandsentsendungen durch. SAP gilt als drittgrößtes Software-Unternehmen der Welt mit ca. 36.600 Mitarbeitern in mehr als 50 Ländern der Erde. SAP- Produkte werden weltweit von mehr als 33.200 Kunden eingesetzt. In der Abteilung „System Landscape Optimization“ sind ca. 80 hoch qualifizierte Software-Experten beschäftigt, von denen die meisten als virtuelle Entsandte tätig sind. Ihre Hauptaufgaben sind ferngesteuerte Systemimplementierung und -wartung bei ausländischen Kunden. Solche Einsätze können bis zu einem Jahr dauern. Die permanente Präsenz der Experten vor Ort wäre zu teuer. Zudem sind viele dieser Experten in mehreren Projekten tätig (Ohr et al., 2007, Holtbrügge & Welge,2015, S. 338, http,: / / www.sap.com.). <?page no="198"?> 3.5 Formen der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Mitarbeitern 199 Intellektuell-landesspezifische Vorbereitungen beinhalten eine kurze Einführung oder Auffrischung in die jeweilige Landessprache und allgemeine Informationen über das Gastland. In Cultural Assimilator trainings werden die Teilnehmer mit landestypischen interkulturellen Problemsituationen kontrastiert und müssen sich für ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Interaktion entscheiden. Solche Cultural assimilator trainings wurden bspw. für Indonesien, China, Russland, Korea und die USA entwickelt. Self-awareness-Modelle gehen davon aus, dass für das Verständnis fremder Kulturen zunächst die Kenntnis der eigenen Kultur (Werte, Stereotype, Verhaltensweisen etc.) bekannt sein müssen. Hierzu wird bspw. das Verhalten der Teilnehmer in Rollenspielen aufgezeichnet und anschließend in der Gruppe diskutiert (Holtbrügge & Welge, 2015, S. 333-334). Übung 3.9 Überlegen Sie, wie eine Vorbereitung auf eine Auslandstätigkeit vorgenommen werden könnte. Beispiel Vorbereitungsseminare für ins Ausland gesandte Mitarbeiter bietet bspw. die Carl Duisberg Gesellschaft (CDG) an sieben verschiedenen Standorten in Deutschland (Berlin, Frankfurt, Hannover, Köln, München, Radolfzell am Bodensee und Saabrücken) an. Die CDG wurde 1949 gegründet und ist eine gemeinnützige Organisation für internationale berufliche Weiterbildung und Personalentwicklung. Getragen wird sie von ca. 750 Unternehmen, Organisationen und Einzelpersonen. Angeboten werden u.a. Sprachreisen, Sprachkurse für den Beruf, Auslandspraktika, interkulturelle Trainings und landeskundliche Informationsveranstaltungen, sowie Reintegrationsprogramme für Auslandsrückkehrer (Holtbrügge & Welge, 2015, S. 336 und https: / / www.carl-duisberg-firmentraining.de/ training/ sprachkurse/ pruefungsvorbereitung/ Übung 3.10 Grenzen Sie Expatriates, Inpatriates, International Commuters, International Frequent Travellers und virtuelle Expatriates voneinander ab. Zusammenfassung In diesem Abschnitt wurden unterschiedliche Formen der grenzüberschreitenden Tätigkeit vorgestellt. Eine Auslandstätigkeit bedingt eine spezielle Vorbereitung, die im Unternehmen oder auch von einem externen Dienstleister angeboten werden kann. <?page no="199"?> 200 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements 3.6 Daten und Fakten zur Entsendung innerhalb der EU Lernziele  Sie haben ein grundsätzliches Verständnis für die Daten und Fakten zur Entsendung innerhalb der EU.  Sie können die Chancen und Risiken bei Mitarbeiterentsendungen einordnen. Im Jahr 2015 wurden innerhalb der EU circa zwei Millionen Arbeitnehmer in einen anderen Mitgliedstaat entsandt. Die Zahl der entsandten Arbeitnehmer ist zwischen 2010 und 2015 um 41,3 Prozent gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einem Wachstum von sieben Prozent. Während der prozentuale Anteil der entsandten Mitarbeiter an der Gesamtbeschäftigung mit durchschnittlich 0,9 Prozent gering bleibt, ist die Dichte entsandter Arbeitnehmer in einigen Sektoren jedoch besonders hoch (Europäische Kommission 2017; European Commission 2016, S. 12). So sind 43,7 Prozent aller entsandten Arbeitnehmer aus dem Baugewerbe. Auf die verarbeitende Industrie fallen 21,8 Prozent und in der Bildung sowie dem Gesundheits- und Sozialwesen beträgt der Prozentsatz 13,5 Prozent. 10,3 Prozent der Entsendungen sind aus dem Bereich der Unternehmensdienstleistungen. Besonders hoch ist die Dichte der Beschäftigung entsandter Arbeitnehmer in Deutschland, Frankreich und Belgien. Insgesamt werden in diesen drei Mitgliedsstaaten circa 50 Prozent aller entsandten Arbeitnehmer beschäftigt. Aus Polen, Deutschland und Frankreich werden die meisten Arbeitnehmer entsandt. Die durchschnittliche Entsendedauer von Arbeitnehmer, die eine Dienstleistung in einem anderen EU-Land erbringen, liegt bei vier Monaten (European Commission 2016a). Im Jahr 2012 veröffentlichte das Forschungsinstitut ISMERI im Auftrag der Europäischen Kommission eine Studie, die Aspekte, welche die Entsendung zwischen den Mitgliedstaaten begünstigen oder beeinflussen, herausstellt. Den Ergebnissen dieser Studie zufolge gehören die geographische Nähe zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und die Lohnunterschiede zu den zentralen begünstigenden Faktoren für die Mitarbeiterentsendung (Hassel/ Wagner 2015, S. 42-43). Die folgenden Abschnitte umfassen Daten und Fakten zur Mitarbeiterentsendung am Beispiel von Deutschland und Polen. Da der Bausektor in einigen Bereichen Besonderheiten aufweist und da die meisten Entsendungen auf diesen Sektor fallen, wird im zweiten Teil dieses Kapitels der Fokus auf der grenzüberschreitenden Mitarbeiterentsendung im Bausektor in Deutschland liegen. 3.6.1 Mitarbeiterentsendung am Beispiel von Deutschland und Polen Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 418.908 entsandte Arbeitnehmer beschäftigt. Damit lag Deutschland hinsichtlich der im Inland aufgenommenen Arbeitnehmer deutlich vor Frankreich (177.674) und Belgien (156.556). Auf der anderen Seite stehen die ins Ausland entsandten Arbeitnehmer. Hier steht Polen im europäischen Vergleich mit 463.174 entsandten Arbeitnehmer eindeutig an der Spitze, gefolgt von Deutschland mit 240.862 und von Frankreich mit 139.040 entsandten Mitarbeitern (European Commission 2015, S. 9 und 16). <?page no="200"?> 3.6 Daten und Fakten zur Entsendung innerhalb der EU 201 3.6.2 Entsendung polnischer Arbeitnehmer ins EU-Ausland Mit einer Gesamtzahl von 463.174 Arbeitnehmern, die im Jahr 2015 aus Polen in das EU-Ausland entsandt wurden, entfallen von allen in der EU entsandten Mitarbeitern 22,6 Prozent auf polnische Mitarbeiter (European Commission 2015, S. 16). Die folgende Grafik zeigt, dass die Anzahl der aus Polen entsandten Arbeitnehmer in dem Zeitraum von 2010 bis 2015 kontinuierlich gestiegen ist. Abb. 3.5: Entsandte polnische Staatsangehörige (2010-2015) in Tsd. Quelle: In Anlehnung an: European Commission o.J. Im Jahr 2010 lag die Zahl entsandter Arbeitnehmer noch unter 300.000, 2014 wurden erstmals über 400.000 Mitarbeiter aus Polen entsandt. Im Jahr 2015 wurden die meisten Mitarbeiter aus Polen nach Deutschland (52,1 Prozent) entsandt, gefolgt von Frankreich (11,9 Prozent) und Belgien (10 Prozent). 36,2 Prozent der entsandten Mitarbeiter waren im Jahr 2015 im Bausektor beschäftigt und 19,6 Prozent entfielen auf das Transportwesen (European Commission o.J.). Entsendung aus dem EU-Ausland nach Polen Zwischen 2010 und 2015 ist die Zahl der nach Polen entsandten Arbeitnehmer um 39 Prozent gestiegen. Während im Jahr 2010 in Polen noch 12.877 entsandte Mitarbeiter beschäftigt wurden, lag die Zahl im Jahr 2015 bereits bei 17.897, was im Vergleich zum Vorjahr einem Wachstum von 23,2 Prozent entspricht. Allerdings liegt Polen hinsichtlich der Beschäftigung entsandter Arbeitnehmer im europäischen Vergleich relativ weit hinten (European Commission 2015, S. 23). Die meisten nach Polen entsandten Arbeitnehmer kamen im Jahr 2015 aus Deutschland (33,2 Prozent), gefolgt von Frankreich (16,3 Prozent) und Spanien (13,1 Prozent). 47,6 Prozent der nach Polen entsandten Arbeitnehmer waren im industriellen Gewerbe beschäftigt und 20,5 Prozent im Bausektor (European Commission o.J.). Entsendung deutscher Arbeitnehmer in das EU-Ausland Im Jahr 2015 entfielen mit insgesamt 240.862 Entsendungen 11,8 Prozent aller Entsendung innerhalb der EU auf Entsendung aus Deutschland in das EU-Ausland (European Commission 2015, S. 16). Von den 240.862 aus Deutschland entsandten Arbeitnehmern wurden im Jahr 2015 insgesamt 14,5 Prozent nach Österreich, 12,7 Prozent in die Niederlande, 9,6 Prozent nach Frankreich und 7,6 Prozent nach Belgien entsandt (Die Bundesregierung 2017c). Über die Hauptbranchen, in denen aus Deutschland entsandte Arbeitnehmer beschäftigt werden, liegen auf der Seite der Europäischen Kommission keine Daten vor. <?page no="201"?> 202 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements Entsendung aus dem EU-Ausland nach Deutschland Die Zahl der nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer ist zwischen 2010 und 2015 kontinuierlich gestiegen. Während im Jahr 2010 noch 250.054 Mitarbeiter aus dem europäischen Ausland nach Deutschland entsandt wurden, lag die Zahl im Jahr 2015 bei 418.908. Im Vergleich zu den nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern in 2014 - hier lag die Zahl bei 414.220 - entspricht dies einem Wachstum von 1,1 Prozent. Im Zeitraum von 2010 bis 2015 ist die Anzahl der nach Deutschland Entsandten insgesamt um 67,5 Prozent angestiegen (European Commission 2015, S. 23). Die Hauptherkunftsländer der Arbeitnehmer, die nach Deutschland entsandt werden, sind Polen, Slowenien, Slowakei, Ungarn, Österreich, Kroatien und Rumänien. Im Jahr 2014 wurden circa 50 Prozent aller nach Deutschland entsandten Mitarbeiter von polnischen Unternehmen entsandt, im Jahr 2015 waren es noch 31,7 Prozent. Damit bildet Polen weiterhin die Spitze, was die Zahl entsandter Arbeitnehmer nach Deutschland betrifft. Dass in den vergangenen Jahren auch die Zahl der Entsendungen aus Ungarn, der Slowakei und Rumänien nach Deutschland zugenommen haben, zeigt, dass neben der geographischen Nähe zu einem Land vor allem das vorhandene Lohngefälle ein Treiber für Entsendungen nach Deutschland ist (Wagner o.J., S. 1). Die meisten der nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer sind mit 44,5 Prozent im Baugewerbe tätig, gefolgt von der Industrie mit 25,4 Prozent (European Commission o.J.). 3.7 Outsourcing und Offshoring des Personalmanagements Lernziele  Sie haben ein grundsätzliches Verständnis für Outsourcing und Offshoring und können diese Begrifflichkeiten im internationalen Personalmanagement einordnen. Genau wie in anderen Unternehmensfunktionen sollte auch im Personalwesen darüber nachgedacht werden, ob alle Aufgaben selbst ausgeführt werden oder ob externe Anbieter hinzugezogen werden (Holtbrügge, 2015, S. 67). Neben dem Outsourcing bestimmter Personalfunktionen an externe Dienstleistungen wie die Lohn- und Entgeltabrechnung im Inland, weil die Kompetenz fehlt und diese extern billiger erstellt werden kann, ist in vielen internationalen Unternehmen zu beobachten, dass diese Personalfunktionen ins Ausland auf Tochterunternehmen verlagert werden z.B. nach Irland, China oder Indien, und zwar wegen niedrigerer Personalkosten bei der Abrechnungserstellung. Hinzukommt, dass aufgrund des Zeitunterschiedes die Aufgaben über Nacht erledigt werden können. Das Personalmanagement vor Ort kann sich dafür auf strategische Aufgaben konzentrieren. Kritische Verlagerungen des Personalmanagements, der Personalbeschaffung, Personalentgeltmanagements usw. z.B. nach Zypern, Singapur, Fürstentum Monaco, Indien usw. für Schiffskreuzfahrten nach Norwegen, Grönland, Mittel- und Südamerika usw., um Indonesier, Philippiner zu beschäftigen, die bis zu ca. 90 % des Personalbestands einer Schiffsbesatzung ausmachen sind kritisch zu betrachten. Ähnlich kritisch müssen die Erstellung bzw. der Bau von Fußballstadion in Katar gesehen werden, wenn auf Indern, Bangalen usw. zurückgegriffen wird, und diesen der Ausweis abgenommen wird, sie schlecht versorgt werden, kein Entgelt bekommen und wie Sklaven behandelt werden. Eine Verlagerung ins Ausland hat typische Vor- und Nachteile, die in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt sind. <?page no="202"?> 3.7 Outsourcing und Offshoring des Personalmanagements 203 Vorteile Nachteile - Konzentration auf Kernkompetenzen - Versuch, fixe Kosten variabler zu gestalten - Erhöhung der Leistungsqualität durch Spezialisierung - Vermeidung von Auslastungsschwankungen - Erhöhung der Flexibilität - Gewährleistung innovativer Leistungen durch Marktorientierung - Übertragung von Risiken - Hohe Transaktionskosten - Gefahr gegenseitiger Überschneidungen von Angeboten (vor allem bei der Auslagerung von Aufgaben an mehrere Unternehmungen) - Die Akzeptanz bei Mitarbeitern und Betriebsrat ist häufige gering - Abhängigkeit bei spezifischen Leistungen - Know-How-Verlust-Gefahr Tab. 3.3: Vor- und Nachteile des Outsourcing von Personalaufgaben (in Anlehnung an Holtbrügge, 2015, S. 67 Beispiel Ein Beispiel einer Unternehmung, die bereits seit längerer Zeit Teile ihrer Personalbeschaffung und -entwicklung ausgelagert hat, ist die Microsoft Deutschland GmbH. Der wichtigste Grund für das Outsourcing der administrativen Bearbeitung aller Bewerbungen an hr Factory GmbH war die Reduzierung der durchschnittlichen Durchlaufzeit auf weniger als zehn Tage. Dadurch gelangte die Unternehmung in die Lage, geeignete Kandidaten sehr schnell zu identifizieren und Wettbewerbsvorteile auf dem Personalbeschaffungsmarkt zu realisieren. Die hr Factory GmbH wickelt darüber hinaus die gesamte Personalentwicklung der Unternehmung ab. Dazu zählen die Kommunikation mit den Teilnehmern (Einladungen, Anreisebeschreibungen, u.a.), die Buchung passender Veranstaltungsorte sowie das Briefing der Trainer und die Rechnungsprüfung. Die Vorteile des Outsourcing dieser Personalaufgaben sieht Microsoft Deutschland vor allem in der Möglichkeit, sich auf die strategischen Aspekte des Personalmanagements zu konzentrieren sowie die Qualität der Personalbeschaffung und -entwicklung zu verbessern. Darüber hinaus konnte die Unternehmung dadurch die Fixkosten in ihrer Personalabteilung reduzieren und die Flexibilität bei schwankender Nachfrage erhöhen (Ambros 2002 in Holtbrügge, 2015, S. 69). Neben dem Outsourcing an externe Dienstleister ist auch das Offshoring (Verlagerung von Personalaufgaben ins Ausland) bei vielen Unternehmen zu beobachten. Typische Aufgaben, die ins Ausland verlagert werden, sind die Lohn- und Gehaltabrechnung und die Personalbetreuung (Holtbrügge, 2015, S. 69) Übung 3.13 : Grenzen Sie Offshoring und Outshoring des Personalmanagements gegeneinander ab und finden Sie jeweils Beispiele. „SAP hat 2004 damit begonnen, administrative Personalaufgaben in ein Shared Service Center nach Prag zu verlagern. Dieses übernimmt für ca. 70 Landesgesellschaften Prozesse aus den Bereichen Entgeltgestaltung, Personalbeschaffung und internationale Mitarbeitertransfers (Hotbrügge, 2015, S. 70). Outsourcing bedeutet die Auslagerung bestimmter Unternehmenstätigkeiten an Fremdunternehmen, z.B. Reinigungs-, Wach-, Kantinendienste (Kutscher, 2011; S. 10269. Kutscher & Schmid definieren Offshoring als die Bezeichnung für länderübergreifendes Outsourcing (2011, S. 1453). <?page no="203"?> 204 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements Offshoring bedeutet die Verlagerung betrieblicher Aktivitäten ins Ausland. Farshoring bedeutet in die Verlagerung ins entfernte Ausland. Unter Nearshoring wird die Verlagerung in nahe Länder, häufig osteuropäische Länder, verstanden. Zusammenfassung In diesem Abschnitt wurde auf das Out- und Offshoring des Personalmanagements eingegangen. Die typischen Vor- und Nachteile des Outsourcings wurden vorgestellt. Schlussbetrachtung Das Kapitel startet mit einer Einführung in die Thematik „Personalrecruiting“. Im Abschnitt 1 wird herausgestellt, welche Herausforderungen die Internalisierung von Unternehmen beinhaltet. Im nächsten Abschnitt werden die klassischen Personaltheorien und das EPRG-Modell von Perlmutter vorgestellt. Bei diesem E.P.R.G.-Modell steht - E. für ethnozentrisch (Heimatlandbezogen oder anders ausgedrückt: Orientierung am Stammland), - P. für polyzentrisch (Orientierung an nationalen Gegebenheiten und kulturellen Unterschieden), - R. für regiozentrisch (Orientierung an regionalen Gegebenheiten) und - G. für geozentrisch (Orientierung am Weltmarkt, globale Orientierung). Der dritte Abschnitt zeigt die Rahmenbedingungen des internationalen Personalmanagements auf und erläutert die verschiedenen Wege der internationalen Personalbeschaffung. Zudem werden neuere Recruitingwege diskutiert. Es erfolgt ein Einblick in die deutsche, europäische und internationale Gesetzgebung. Zudem wird auf die Arbeitskultur eingegangen. Im Abschnitt 4 werden die gängigen Formen der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Mitarbeitern vorgestellt. Im Abschnitt 5 erhalten Sie interessante Daten und Fakten zur Entsendung innerhalb der EU mit den Schwerpunkten auf die EU und auf Polen. Das Kapitel schließt mit einer Einführung in das Out- und Offshoring im Personalwesen. Lösungshinweise zu den Übungen im Text Übung 3.1 Fortschreitende Globalisierung, gesättigte Märkte im Heimatland, zunehmende Geschäftstätigkeiten im Ausland, erhöhte weltweite Konkurrenz, Knappheit der Fachkräfte <?page no="204"?> Lösungshinweise zu den Übungen im Text 205 Übung 3.2 Apple, Microsoft, Amazon, Facebook, ExxonMobil, Johnson & Johnson, Alibaba, General Elektric (Stand 2020) Übung 3.3 Internationales Personalmanagement: Personalmanagement in multinationalen Unternehmen, das im interkulturellen Umfeld tätig wird, um dem Unternehmen dafür die angemessenen Mitarbeiter(innen) zuzuführen, damit das Unternehmen betriebswirtschaftlich erfolgreich ist und wird Nationales Personalmanagement: Personalmanagement im Inland Internationales Personalmanagement: länderübergreifendes Personalmanagement, also mindestens in zwei Ländern der Erde Übung 3.4 Internationalität erfordert grundsätzlich internationales Management, Theorien und Strategien, da die nationalen Strategien, Theorien und auch das nationale Management nicht weit genug greifen. Im internationalen Umfeld ist mehr zu beachten als im nationalen Umfeld, wie unterschiedliche Werte, Kulturen, Normen, unterschiedliche Währungen, Markteintritts- und -austrittsbarrieren etc. Übung 3.5 Das EPRG-Modell wird als grundsätzliches Modell des internationalen (Personal-)Managements von Perlmutter, H. V., 1969 angesehen. Interne Personalbeschaffung Externe Personalbeschaffung Vorteile • Transparente Personalpolitik • Gesteigerte Arbeitgeberattraktivität, Mitarbeiterbindung und Motivation durch Entwicklungsmöglichkeiten • Entwicklung internationaler Managementfähigkeiten (Festing et al., 2011, S. 242) • Einstiegsmöglichkeiten für Nachwuchskräfte werden frei • Geringere Stellenbesetzungszeit und -aufwand • Mobilitätserhöhung der Arbeitnehmer • Erhalt und Transfer von unternehmensspezifischem Wissen • Erleichterte Einarbeitung durch Betriebskenntnisse • Minimierung des Risikos von Fehlbesetzung durch Kenntnis und Erfahrungen des Mitarbeiters • geringere Beschaffungs- und Einarbeitungskosten • Personalbedarf wird direkt gedeckt • Auswahlmöglichkeiten aus Vielzahl von Bewerbern • Möglichkeit bereits vorhandene spezielle Qualifikationen (Sprache, kulturelle Kenntnisse) zu nutzen - Vermeidung von Fortbildungskosten • Anerkennung extern eingestellter Mitarbeiter und Führungskräfte • Geringere Gefahr von Betriebsblindheit durch neue Impulse von außen • Keine vorhandenen Abhängigkeiten im Unternehmen <?page no="205"?> 206 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements Nachteile • Begrenzte Auswahlmöglichkeit • Beförderungsautomatik → Nachlassen der Kreativität, Qualität und Motivation • Möglichkeit der Betriebsblindheit • Neid und Rivalitäten zwischen Kollegen • Subjektive Beurteilung der Bewerber • Ehemalige Kollegen werden nicht als Vorgesetzte akzeptiert • Sachentscheidungen können durch starke persönliche Bindungen beeinflusst werden • Stagnation des Unternehmens/ Hemmung einer fortschrittlichen Entwicklung • Enttäuschung, Frustration und Demotivation bei Ablehnung • ggf. hohe Fortbildungskosten • Geringe Veränderungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit an den neuen Arbeitsraum, Unternehmens-, Landes- und Teamkultur • Nur Verlagerung des quantitativen Bedarfs • Hohe Beschaffungskosten (eventuell langwieriger Prozess) • Mögliche Fluktuations- und Frustrationsförderung • Negative Auswirkungen auf das Betriebsklima • Keine Unternehmenskenntnis (mehr Einarbeitungs- und Integrationsaufwand) • Risikoerhöhung von Fehlbesetzung • Eventuell höheres Einkommen als bei internen Mitarbeitern • Größerer Zeitaufwand Es ist ein Konzept zur qualitativen Betrachtung der Personalstrategien von internationalen Unternehmungen. EPRG steht für E: ethozentrische Orientierung P: polyzentrische Orientierung R: regiozentrische Orientierung G: geozentrische Orientierung Übung 3.6 Vor- und Nachteile der externen und internen Personalgewinnung für einen Global Player wie Siemens. Die Interne Personalgewinnung hat für große und länderübergreifend tätige Unternehmen einen hohen Wert, da die Rekrutierung im eigenen Unternehmen einfacher ist, als Mitarbeiter bspw. in 40 Ländern der Erde zu rekrutieren. Quelle: in Anlehnung an Jung, 2011, S. 152; Olfert, 2015, S. 131 und 137 Übung 3.7 Die Experten sind sich nicht einig, einige reden schon seit längerer Zeit von einem Fachkräftemangel, andere führen auf, dass es nur Engpässe in einigen Branchen geben würde. Ein deutliches Indiz eines Fachkräftemangels wären steigende Löhne, nach den volkswirtschaftlichen „Gesetz von Angebot und Nachfrage“. <?page no="206"?> Lösungshinweise zu den Übungen im Text 207 Übung 3.8 Im Arbeitsrecht aus deutscher Perspektive wird zwischen mehreren Ebenen unterscheiden: [1] Individuelles Arbeitsrecht: Hier wird der individuelle Arbeitsvertrag des Mitarbeiters nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt (§ 611 ff. BGB). [2] Kollektives Arbeitsrecht: Hier runter fällt das Betriebsverfassungsgesetz, das Mitbestimmungsgesetz, das Montanmitbestimmungsgesetz, das Tarifgesetzbuch, Mutterschutzgesetz, Datenschutzgesetz, das Gleichbehandlungsgesetz usw. [3] Europäisches Arbeitsrecht: Jeder hat das Recht sich in der europäischen Union frei zu bewegen z.B. seine Schulausbildung oder sein Studium zu betreiben, überall zu arbeiten, zu wohnen und muss überall im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes behandelt werden. <?page no="207"?> 208 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements [4] Sozialrecht (Arbeitslosenversicherung, Schwerbehindertengesetz, usw.) [5] Ansonsten gelten die Gesetze des entsprechenden Landes (z.B. Chinas, Polens, Bulgariens), wohin der Mitarbeiter entsendet wird (z.B. Arbeitslosenversicherung, Unfallversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung usw. insofern diese Versicherungen im Entsendungsland existieren) Übung 3.9 Methoden der Vorbereitung auf Auslandstätigkeiten: erfahrungsbezogen - Übungen mit - Fallstudien - Kunstkulturen - Rollenspiele - Mitarbeit in inter- - Kontrast-Kultur-Training nationalen Teams landesspezifisch landesübergreifend - Cultural-self-awareness- - Landeskundliche - Training Informationen - Sechs-Dimensionen- cultural assimilator Training Modell von Hofstede intellektuell Übung 3.10 Abgrenzung Expatriates, Inpatriates, International Commuters, International Frequent Travellers und virtuelle Expatriates Mitarbeiter, die auch Expatriates genannt werden, werden von den fachlichen Vorgesetzten vorgeschlagen, die Auslandsaktivitäten in ihrem Bereich in der Tochterniederlassung aufzubauen, weiter zu entwickeln und Mitarbeiter vor Ort anzulernen. Traditionelle Entsendungen können 3-6 Wochen, mittelfristig bis zwei Jahre und langfristig bis 5 Jahre betragen. Sollte der Mitarbeiter für immer in der Tochterniederlassung bleiben wollen, so muss er in die Tochterniederlassung übertreten. Inpatriates Inpatriates sind Expatriates von Tochterunternehmen, d.h. beschäftige ausländische Mitarbeiter werden von der Tochterniederlasssung in die Muttergesellschaft entsandt oder sie werden in eine andere Niederlassung entsandt und beschäftigt. International Commuters International Commuters sind internationale Pendler zwischen Muttergesellschaft und Tochterniederlassungen oder nur zwischen Tochtergesellschaften zwecks Sonderaufgaben, die immer wieder anfallen, z.B. die Informationssysteme und die Computer zu aktualisieren, zu überprüfen, zu reparieren usw. International Frequent Travellers Sie sind Expatriates, die gleichzeitig als internationale Vielflieger bezeichnet werden können, z.B. Mechaniker / Monteure, die immer wieder zu verschiedenen Erdölförderinseln in der Nordsee fliegen, um Probleme der Hydraulik und Mechanik zu reparieren und generell zu lösen. <?page no="208"?> Lösungshinweise zu den Übungen im Text 209 Virtuelle Expatriates Fachkräfte, z.B. auch Ärzte und Lehrer in Australien, Astronautenbetreuung von der Mutterbasis, die mit Hilfe von Skype fachliche Hilfe geben können, da deren Verschickung nicht möglich oder zu teuer wäre und das Problem derart akut ist, dass der fachliche Rat nur noch zeitlich über Skype möglich ist. Übung 3.11 Den Mindestlohn gibt es in Deutschland seit 1.1.2015. Ab 1.1.2021 beträgt der Mindestlohn 9,50 € pro Stunde. Ab dem 1.7.2021 beträgt er 9,60 € pro Stunde, ab dem 1.1.2022 9,82 € und ab dem 1.7.2022 10,45 € Stunde. <?page no="209"?> 210 3 Grundlagen, Theorien und Strategien des Internationalen Personalmanagements Übung 3.12 Offshoring und Outsourcing sind in vielerlei Hinsicht vergleichbar, jedoch gibt es einige wichtige Unterschiede. „Outsourcing bezieht sich auf den Erwerb bestimmter Dienstleistungen oder Produkte von einem Drittunternehmen, im Wesentlichen so etwas wie Buchhaltungsdienstleistungen oder Herstellung eines bestimmten Inputs für ein anderes Unternehmen. While many think outsourcing refers to using a service provider in another (usually cheaper) country that is not necessarily the case. Während viele denken, Outsourcing bezieht sich auf die Verwendung eines Dienstleisters in einem anderen (in der Regel billigeren) Land, das ist nicht unbedingt der Fall. Outsourcing can be done to a company that is located anywhere, the location isn't important. Outsourcing kann an ein Unternehmen erfolgen, das sich irgendwo befindet, der Standort ist nicht wichtig.“ https: / / translate.google.de/ translate? hl=de&sl=en&u=http: / / www.businessdictionary.com/ article/ 1090/ offshoring-vs-outsourcing-d1412/ &prev=search Die wichtigsten Auslagerungsgründe sind Kosten, Spezialisierung und Flexibilität. „Offshoring bezieht sich auf den Erwerb von Dienstleistungen oder Produkten aus einem anderen Land und ist oft, was Nachrichtenartikel wirklich beziehen, wenn sie Outsourcing diskutieren. While much offshoring involves outsourcing production to another company it can also refer to simply relocation certain aspects of a business to another country. Während viel Offshoring beinhaltet, die Produktion an ein anderes Unternehmen auszulagern, kann es sich auch darauf beziehen, bestimmte Aspekte eines Unternehmens einfach in ein anderes Land zu verlagern. The services and products are all still provided in the same country, but they are now in another country. Die Dienste und Produkte werden immer noch im selben Land angeboten, befinden sich aber jetzt in einem anderen Land. For example, when a car manufacturer in the US opens a factory in Thailand to make certain parts they are offshoring, as everything is still happening within the same company. Zum Beispiel, wenn ein Autohersteller in den USA eine Fabrik in Thailand eröffnet, um bestimmte Teile zu offshoring zu machen, da alles noch immer innerhalb desselben Unternehmens geschieht. „https: / / translate.google.de/ translate? hl=de&sl=en&u=http: / / www.businessdictionary.com/ article/ 1090/ offshoring-vs-outsourcing-d1412/ &prev=search Die wichtigsten Gründe für Offshoring sind auch Kosten, Steuern und Zölle sowie Kontrollen. „Bei der Entscheidung zwischen Offshoring oder Outsourcing müssen viele Faktoren berücksichtigt werden, und die ‚richtige‘ Entscheidung wird von Unternehmen zu Unternehmen variieren. Ultimately there can be significant cost savings or specialization benefits from both offshoring and outsourcing, which is what drives many companies to choose these routes. Letztendlich kann es erhebliche Kosteneinsparungen oder Spezialisierungsvorteile sowohl beim Offshoring als auch beim Outsourcing geben, was viele Unternehmen dazu bewegt, diese Routen zu wählen. Often it's worth consulting with experts in everything from process management to tax to ensure the best decision possible is made. Oft lohnt es sich, mit Experten von der Prozesssteuerung bis zur Steuer zu beraten, um die bestmögliche Entscheidung zu treffen. Often what seems like a great outsourcing or offshoring arrangement can have many hidden costs, reducing the benefit. Oft scheint eine große Outsourcing- oder Offshoring-Vereinbarung viele versteckte Kosten zu haben, die den Nutzen reduzieren. Many companies who have mismanaged outsourcing or offshoring have later reversed the decision, making for a very costly error over time. Viele Unternehmen, die Outsourcing oder Offshoring schlecht gemanagt haben, haben später die Entscheidung rückgängig gemacht, was im Laufe der Zeit zu einem sehr kostspieligen Fehler wurde.“ https: / / translate.google.de/ translate? hl=de&sl =en&u=http: / / www.businessdictionary.com/ article/ 1090/ offshoring-vs-outsourcing-d1412/ &prev= search <?page no="210"?> Literaturverzeichnis 211 Literaturverzeichnis Bartscher, T. & Huber, A. (2007). Praktische Personalwirtschaft. Eine praxisorientierte Einführung (2., vollst. überarb. Auflage). Wiesbaden: Gabler GWV. Beck, C. (2011). Analyse von Jobbörsen im Internet 2011. Fachhochschule Koblenz. On-line verfügbar am 06.04.2018 unter http: / / de.statista.com/ statistik/ studie/ id/ 6519/ dokument/ Bertelsmann, G. (2002). Interne Personalbeschaffungswege. In R. Bröckermann & W. Pepels (Hg.): Handbuch Recruitment. Die neuen Wege moderner Personalakquisition. Planung, Beschaffungswege, Auswahlverfahren. Beiträge aus Forschung und Praxis. 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Mitarbeiter kommen irgendwann aus dem Ausland zurück und müssen reintegriert werden, was nicht immer problemlos abläuft. Hiermit befasst sich Absatz 5. 4.1 Bedeutung und Ziele von Auslandseinsätzen Lernziele Sie können die Begriffe internationale Personalauswahl, Assessmentcenter, Interkulturelles Training, internationale Weiterbildung, Begleitung internationaler Entsandter in den Ländern vor Ort, Wiedereingliederung der Entsandten in die Muttergesellschaft nach dem Auslandsaufenthalt einordnen. Versteht man unter ökonomischer Internationalisierung den zunehmenden Anteil grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeiten von multinationalen Unternehmen in den Bereichen Handel, Finanzen, Dienstleistungen, Technologie und Logistik, so versteht man weshalb Unternehmen neben der Organisation, der rechtlichen Gestaltung, der finanziellen Beteiligungen und der „Klammer“ internationales Personalmanagement durch Expatriates eine große Bedeutung zuschreiben. Es bestehen häufig mehrere Gründe für eine Entsendung gleichzeitig. Sie bestimmen im erheblichen Maße die unternehmerischen und persönlichen Erwartungen, die das Mutterunternehmen oder Tochterunternehmen sowie die Mitarbeiter/ Innen an deren Rolle als Entsandter im Ausland haben. Schließt man diese Überlegungen an das EPRG-Modell von Perlmuttter an, so lassen sich pro Strategie folgende Erwartungen und Rollen daraus folgern: Koordinations- und Kontrollfunktion : Auslandsentsandte, insbesondere in ethnozentrisch geführten Unternehmen, können als Personalcontroller in der Organisation wirken, in der der Entsandte eine direkte Kontrollfunktion innehat, und damit die Umsetzung der Strategie in den Strukturen und Prozessen seitens der Tochterunternehmung sicherstellt. Gerade amerikanische, chinesische, deutsche, japanische und französische Unternehmen nutzen diese Form von Kontrolle, um die Dominanz und Machtposition der Entsandten zu unterstreichen. Sozialisierungsfunktion: Internationale Entsendungen helfen das Wissen von Sprache, politischen und kulturellen Werten von Ländern und Tochterunternehmen zu lernen und zu vertiefen. Kompetenzen im Controlling, im Marketing und im Handel, in der Produktion und in der Logistik sich anzueignen und an andere Mitarbeiter weiterzugeben, um spätere potenzielle, internationale Führungsfunktion im Unternehmen zu übernehmen. <?page no="225"?> 226 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Bildung von Netzwerken: Expatriates tragen zur freundschaftlichen Pflege, Kontakte und Kommunikation zwischen Mitarbeitern der Muttergesellschaft und der Tochterunternehmen bei. Man erhofft sich, dass Netzwerke international entstehen, auf die man bei Gelegenheit zurückgreifen kann, insbesondere wenn der Expatriate zurückgekehrt ist, und z.B. im Mutterunternehmen Kontaktstelle bzw. Person für bestimmte Länder ist. Boundary spanner: Expatriates tragen Informationen aus den intra- und extraorganisatorischen Bereichen der multinationalen Unternehmung zusammen und bilden somit „Botschafter oder ähnliche Vertreter“ ihres Unternehmens im jeweiligen Land. Soziale Events können dem Unternehmen helfen sich über politische Entwicklungen im Land rechtzeitig zu informieren und ein Wissen über den lokalen Markt zu sammeln und wie Reputation für das eigene Unternehmen platziert werden kann. Wissenstransfer und Sprachvermittler: Viele multinationale Unternehmen wie Airbus, BASF, Siemens usw. entwickeln eine unternehmenseigene, standardisierte Unternehmenssprache, die in den meisten Fällen Englisch ist. In Spanien, Mittelamerika und Südamerika kann dies auch Spanisch sein, ebenso in Portugal, Kongo, Mosambik und Brasilien ist auch Portugiesisch denkbar. Dennoch bleiben sprachliche Barrieren als Teil der Zusammenarbeit in internationalen Unternehmen oft bestehen. Übung 4.1 Welche Rollen, Erwartungen und Funktionen ergeben sich nach EPRG-Modell von Perlmutter bei Auslandsentsendungen? Zusammenfassung In diesem Absatz wurde die Bedeutung von Auslandseinsätzen aufgezeigt. Lt. Perlmutter gibt es verschiedenen Erwartungen und Rollen für einen Einsatz im Ausland, die erläutert wurden. 4.2 Auswahl von Mitarbeitern Lernziele In den folgenden Abschnitten werden die Ziele der Personalauswahl sowie die zur Verfügung stehenden und praktisch eingesetzten Verfahren und Methoden erläutert. Welche (spezifischen) Probleme bei einer internationalen Personalauswahl entstehen können und welche Möglichkeiten bestehen, um diese zu verringern, wird ebenfalls aufgezeigt. 4.2.1 Internationale Personalauswahl Durch eine erfolgreiche internationale Personalsuche ist ein Pool an potenziellen Mitarbeitern entstanden. Aus diesem muss im nächsten Schritt ein(e) geeignete(r) Bewerber/ in ausgewählt werden, um die vakante Stelle zu besetzen. Dieser Prozess wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Dazu zählen (Mondy/ Mondy, 2014, S. 158-160):  der Bewerberpool  andere HR-Funktionen  rechtliche Rahmenbedingungen  die zur Verfügung stehende Zeit, um eine Auswahl zu treffen <?page no="226"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 227  der Organisationstyp  die Hierarchieebene der zu besetzenden Position  und der Unternehmensfit. In den folgenden Abschnitten werden die Ziele der Personalauswahl sowie die zur Verfügung stehenden und praktisch eingesetzten Verfahren und Methoden erläutert. Einordnung und Ziele der Personalauswahl Die internationale Personalauswahl ist Teil des internationalen Rekrutierungsprozesses und schließt, wie die nationale Personalauswahl, unmittelbar an die Personalsuche an. Ridders definiert dazu folgende Aufgaben: „In Auswahlverfahren wird […] geprüft, ob die Qualifikationen des Bewerbers mit den Anforderungsprofilen übereinstimmen, und es sollen zukünftige Leistungen des Bewerbers prognostiziert werden."(Ridder, 2015, S. 99) Die Auswahl beabsichtigt demnach die Selektion der am besten passenden Bewerber. Nach der Personalauswahl folgen die Schritte Personaleinstellung und Einarbeitung, (auch „Onboarding“ genannt) (Schmeisser et al , 2013, S. 69f.). Bedeutung von Personalauswahl Die effektive und effiziente Personalauswahl nimmt einen großen Stellenwert im Beschaffungsprozess und im gesamten Unternehmen ein. Individuell auf das Unternehmen angepasste Diagnoseverfahren können entscheidende Wettbewerbsvorteile generieren (Berthel/ Becker, 2013, S. 354) So kann auch das Risiko von Fehlentscheidungen gemindert und das Unternehmen mit den benötigten Mitarbeitern versorgt werden. Die Entlassung von einmal eingestelltem Personal ist häufig mit Komplikationen verbunden (Jung, 2011, S. 153). Fehlentscheidungen bei der Auswahl können dem Unternehmen erheblich Schaden zufügen. Es können, wie in Tabelle 4.1 dargestellt, zwei Arten von Entscheidungsfehlern unterschieden werden. Tab. 4.1: Unterscheidung von Entscheidungsfehlern Eignung des Bewerbers Entscheidung angenommen abgelehnt objektiv geeignet richtige Entscheidung fälschlicherweise abgelehnt (β-Fehler) objektiv ungeeignet fälschlicherweise angenommen (α-Fehler) richtige Entscheidung Quelle: in Anlehnung an Berthel/ Becker, 2013, S. 367; Scholz, 2014, S. 18; Krüger, 2002, S. 195 Die Einstellungen von nicht geeigneten Bewerbern sind Fehler erster Art (Alpha-Fehler) (Krüger, 2002, S. 195). Sie können erhebliche negative Effekte nach sich ziehen. Wenn ein systematischer Fehler im Auswahlprozess, -verfahren oder in den Auswahlinstrumenten vorliegt, kann dieser alle nachfolgenden Auswahlprozesse beeinflussen (Berthel/ Becker, 2013, S. 367). Bis zur richtigen Besetzung der Position verringert sich in den meisten Fällen die Produktivität in der betroffenen Funktion. Nach Angaben deutscher Unternehmen können Kosten für Personalfehleinstellungen in der Höhe von bis zu 50.000 € entstehen (Krüger, 2002, S. 195; Lorenz, 2015, S. 2f.) In der nachfolgenden Tabelle (Tab. 4.2) werden die möglichen Kosten bei Fehlentscheidungen zusammenfassend dargestellt. <?page no="227"?> 228 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Tab. 4.2: Mögliche Kosten bei Fehlentscheidungen Anwerbungskosten - Stellenanzeige/ Personalberater - Auswahlverfahren (Arbeitszeit des Bewerbermanagements, der Führungskräfte) - Sachkosten (Bewerbungskosten der Kandidaten, Eignungsdiagnosen, Informationsmaterial) Einarbeitungskosten - Direkte Personalkosten (unbefriedigendes und verringertes Leistungsverhalten im Vergleich zum geeigneten Bewerber) - Ausbildung, Qualifizierung und Schulung/ Trainee-Programme - Indirekte Personalkosten (Zeit des Vorgesetzten/ Kollegen/ Betreuer) Überarbeitungskosten - Produktivitätsminderung, bis ein Nachfolger gefunden ist - Unsicherheit bei Kunden/ Mitarbeitern/ Kollegen - Störung des Betriebsklimas Trennungskosten - Abfindung/ Gerichtskosten (gilt nur nach Probezeit) - Personal- und Sachkosten für den Entlassungsvorgang Quelle: in Anlehnung an Obermann, 2013, S. 44; Krüger, 2002, S. 195; Lorenz, 201), S. 2f. Fehler der zweiten Art Beta-Fehler) treten auf, wenn eigentlich passende Bewerber dennoch als ungeeignet angesehen und abgesagt werden. Wenn letztendlich ein geeigneter Bewerber selektiert wurde, ist dieser Fehler wenig problematisch für das Unternehmen. Übung 4.2 Erklären Sie Alpha- und Beta-Fehler im Personaleinstellungsverfahren. 4.2.2 Voraussetzungen und Anforderungen zur Personalauswahl Die Analyse der Anforderungen an den Bewerber und die Festlegung eines Anforderungsprofils ist die Basis für die Entscheidung und Entwicklung des Auswahlinstruments. Somit bildet dieser Schritt die Voraussetzung für eine effektive Auswahl. Eine erfolgreiche Entscheidung wird maßgeblich von der Qualität des Anforderungsprofils bestimmt. Lorenz führt an, dass ein auswahlunterstützendes Anforderungsprofil „alle beim gesuchten Mitarbeiter gewünschten Qualifikationen möglichst detailliert […] beschreibt“ (und zwar „die fachliche Qualifikation, die Verhaltenskompetenzen und persönlichkeitsbezogene Aspekte“ (Lorenz, 2015, S. 8f.). Anhand dieses Maßstabs kann anschließend eine Auswahl der Instrumente zur Bewerberbeurteilung erfolgen. Die Anforderungen der Position können aus der Stellenbeschreibung abgeleitet und durch Befragung von Vorgesetzten und Stelleninhabern ergänzt werden (Verfürth (2002), S. 261). Dies liefert neben dem Stellenplan und Stellenbesetzungsplan auch wichtige Informationen zur Struktur und Arbeitsweise des Teams und der Abteilung fasst die Methoden, die zur Anforderungsanalyse herangezogen werden können, in einer Übersicht zusammen. Bei internationalen Führungskräften ist grenzüberschreitendes, interkulturelles Denken und Agieren Grundbestandteil der Arbeit. Der unternehmerische Erfolg ist von der Fähigkeit abhängig, Themen im „internationalen Kontext unter Einbeziehung unterschiedlicher Sichtweisen“ (Heymann/ Schuster (1998), S. 88) zu betrachten. Heymann und Schuster (1998) geben im Rahmen persönlichkeitsbezogener Kriterien Lernbereitschaft, kulturelle Anpassungs- und Integrationsfähigkeit, Überzeugungskraft, Kommunikationsfähigkeit, Toleranz, Initiative, Flexibilität, Mobilität, Teamfähigkeit <?page no="228"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 229 und Belastbarkeit als typische Anforderungen an. Tätigkeitsbezogene Anforderungen umfassen das Fachwissen, die Erfahrung sowie Fremdsprachenkenntnisse (Heymann/ Schuster, 1998, S. 89-90). 4.2.3 Personalauswahlprozess Wie in der Abb. 4.1 (Personalauswahlkette) dargestellt umfasst der Prozess der Auswahl mehrere Schritte, die jedoch nicht alle in der Praxis zur Anwendung kommen oder notwendig sind (Schmeisser et al., 2013, S. 70). Abb. 4.1: Personalauswahlkette. Quelle: in Anlehnung an Berthel/ Becker, 2013, S. 350 Auf Grundlage des Anforderungsprofils folgt typischerweise im zweiten Schritt eine erste Vorauswahl. Dazu werden bei fast allen Stellenbesetzungen die Bewerbungsunterlagen analysiert, bewertet und mit dem Anforderungsprofil abgeglichen. Eine Vorselektion basiert auf dem Prinzip der Negativselektion, bei der „[A]alle Bewerber, die für die Position als nicht geeignet erachtet werden“ (eine Absage erhalten). Die Selektion erfolgt anhand von definierten Kennzahlen und Kriterien, den sogenannten „Killer-Kriterien“ (Nicolai, 2006, S. 101: Zu erfüllende Grundbedingungen (Abschlussnote, Altersgrenze, etc.). Die Qualität der Vorauswahl bestimmt nach Krüger damit auch die Qualität des weiteren Auswahlprozesses. Außerdem bietet sie neben dem Anforderungsprofil Grundlage für die Konzeption der weiteren Auswahlinstrumente (Krüger, 2002, S. 195). Die anschließend genutzten Auswahlinstrumente werden im weiteren Verlauf genauer betrachtet. Dabei unterscheidet man zwischen klassische und digitale Verfahren über das Internet. Zum Ende oder während des Auswahlprozesses erfolgt eine Bewertung der in den vorherigen Schritten gesammelten Informationen. Daran wird schlussendlich die konkrete Auswahlentscheidung vollzogen. 4.2.4 Rechtliche Aspekte zur Auswahl von Personal Bei der Auswahl von Bewerbern und der dabei durchgeführten Beobachtung und Bewertung wird ein Eingriff in die Persönlichkeitssphäre der Kandidaten vorgenommen. Unterschiedliche rechtliche Regelungen kommen zum Einsatz, um die Persönlichkeitsrechte zu schützen. Aus dem Art. 1. Abs. 1 GG leitet sich ab, dass in die Intimsphäre einer Persönlichkeit nicht eingegriffen werden darf. Insbesondere psychologische Tests können das informelle Selbstbestimmungsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzen. Eine Einwilligungserklärung (durch freie Selbstbestimmung) der Bewerber, besonders zu eignungsdiagnostischen Tests, ist erforderlich für ein unproblematisches Eindringen in das Persönlichkeitsrecht (Lorenz, 2015, S. 45-50)- Gemäß § 32 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur für Zwecke des Beschäftigungsverhältnis- Zusammenhang zur Personalbeschaffung Vorselektion evtl. in verschiedenen Phasen Instrumenteneinsatz <?page no="229"?> 230 4 Prozess des internationalen Personalmanagements ses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Dies gilt nur wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Die Aufbewahrung von Daten eingestellter Bewerber ist durch Aufnahme der Informationen in die Personalakte zulässig. Welchen Zeitraum Daten abgelehnter Bewerber über die Ablehnung hinaus gespeichert werden dürfen, z.B. aus befürchteten Rechtsstreitigkeiten, ist umstritten (Greßlin, 2015, S. 117). Zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Wie oben erläutert, muss der Arbeitgeber Gleichbehandlung der Bewerber während des gesamten Bewerbungsverfahrens wahren. Bei der Auswahl von Personal ist daher eine Diskriminierung gemäß § 12 AGG zu verhindern (Wien/ Franzke (2014, S. 25). Das Gesetz wirkt sich auch auf die Zulässigkeit von Fragen in Einstellgesprächen oder Assessment-Centern aus. Dies wird im folgenden Abschnitt genauer erläutert. Im Falle einer Benachteiligung und Ablehnung aus den im § 1 AGG genannten Gründen, hat der Bewerber nach § 15 AGG drei Monate Zeit rechtliche Schritte einzuleiten, um Schadensersatzansprüche gegen das Unternehmen geltend zu machen (Lorenz, 2015, S. 5). Nach § 22 AGG liegt die Beweislast bei berechtigter Vermutung einer Benachteiligung beim Arbeitgeber. In den USA klagen jährlich rund 80.000 Mitarbeiter und Bewerber aus Diskriminierungsgründen. Besondere Erfolgswahrscheinlichkeit besteht bei Klagen gegen Unternehmen, die lediglich unstrukturierte Vorstellungsgespräche durchführen (Obermann, 2015, S. 51-53). Dies markiert einen weiteren relevanten Aspekt der Wahl des richtigen Auswahlinstruments. Der Aspekt der Chancengleichheit ist insbesondere im internationalen Recruiting zu berücksichtigen, kann jedoch ein Problem darstellen. Durch unterschiedliche Gesetzgebungen in verschiedenen Ländern ist für multinationale Unternehmen keine standardisierte Lösung möglich. Kenntnisse in den jeweiligen Gesetzeslagen sind folglich Voraussetzung. „Letztlich kann der Gesetzgeber aber nur den Rahmen der Auswahl gestalten und dadurch versuchen, Gerechtigkeit und Chancengleichheit herzustellen. Welche psychologischen und zum großen Teil unbewussten Prozesse bei Auswahlentscheidungen ablaufen, bleibt den Gesetzen vorenthalten.“ (Festing et al., 2011, S. 271f.). Übung 4.3 Recherchieren Sie die Ziele des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, gemäß Abschnitt 1, Allgemeiner Teil, § 1 (AGG). Mitbestimmungsrecht Durch das Betriebsverfassungsgericht ist die Unternehmensleitung zur Aufstellung von Betriebsvereinbarungen mit dem Gesamtbetriebsrat verpflichtet (Jung, 2011, S. 154; Berthel/ Becker, 2013, S. 368). Auswahlrichtlinien können bei mehr als 500 Beschäftigten vom Betriebsrat gefordert werden und bedürfen in jedem Fall nach § 95 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung. Das Aufstellen allgemeiner Beurteilungsgrundsätzen und der Personalfragebogen sind nach § 94 Abs. 1 und 2 mitbestimmungsbzw. zustimmungspflichtig. Auch bei der Personal(beschaffungs)planung nach § 92 BetrVG und in Bezug auf die Auswahlentscheidung und Einstellung nach § 99 BetrVG hat der Betriebsrat ein Beteiligungsrecht (Jung, 2011, S. 185; Berthel/ Becker, 2013, S. 368). Rechtliche Regelungen zu ausgewählten Instrumenten Das Vorstellungsgespräch unterliegt speziellen Regelungen, die in drei Kategorien gegliedert werden können. Die erste betrifft die Offenbarungspflicht, der sowohl Arbeitgeber als auch Bewerber unterliegen. Der Bewerber hat die Pflicht, Aspekte und Umstände von sich aus anzusprechen, die <?page no="230"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 231 ihn an der beruflichen Leistungserbringung hindern. Als zweites ist das Fragerecht des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Dieses ist durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht begrenzt. Fragen müssen in unmittelbarem Bezug zur Stelle stehen. Auf zulässige Fragen muss der Bewerber wahrheitsgemäß antworten. Drittens werden verbotene Fragen gestellt, kann der Bewerber dies verweigern bzw. „lügen (Notlüge)“ Stellt der Arbeitgeber unzulässige Fragen zu privaten oder intimen Aspekten, beispielsweise zu Vermögensverhältnissen, zum Alter, Familienstand, Kindern oder sexueller Orientierung (Lorenz, 2015, S. 5), darf der Bewerber die Antwort verweigern oder falsch beantworten („Lügerecht“). Bei einer Verletzung der Offenbarungspflicht oder einer unwahren Beantwortung zulässiger Fragen hat der Arbeitgeber nach § 123 BGB das Recht auf Anfechtung des Arbeitsvertrages, wodurch dieser nichtig wäre (Berthel/ Becker, 2013, S. 367-371; Wien/ Franzke, 2014, S. 17-20). Ein Bewerber hat nach §§ 662, 670 BGB grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz der entstandenen Kosten (Fahrt-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten) im Zusammenhang mit einem Bewerbungsgespräch. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber bei der Einladung explizit darauf hinweist, dass Bewerbungskosten nicht erstattet werden (Wien/ Franzke, 2014; S. 21-25; Olfert, 2015, S. 173). Des Weiteren hat ein Bewerber, der sich in einem Dauerarbeitsverhältnis mit baldiger Beendigung befindet, Anspruch auf Beurlaubung zur Stellensuche bei seinem aktuellen Arbeitgeber. Mit Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers legt der Arbeitgeber den Zeitpunkt der Beurlaubung, für einen angemessenen Zeitraum, fest. Er hat außerdem die Pflicht, die Vergütung fortzuzahlen. Die Länge der Lohnfortzahlung ist abhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses (Olfert, 2015, S. 173f.). Psychologische Tests sind nur bei unmittelbarem Bezug zu den anforderungsspezifischen Persönlichkeitsmerkmalen der Stelle rechtlich zulässig. Eine umfassende Aufklärung der Bewerber über den oder die Tests und die Zustimmung des Bewerbers ist unerlässlich. Für Assessment-Center gelten die rechtlichen Regelungen von Vorstellungsgesprächen und psychologischen Tests (Berthel/ Becker, 2013, S. 370). Normen zur Personalauswahl Aufgrund einer geringen Prognosevalidität vieler Auswahlverfahren (Holtbrügge, 2015, S. 133) und um in der Personalauswahl eine höhere Transparenz und Qualität zu erzielen, wurde 2002 von dem Deutschen Institut für Normierung (DIN) die DIN 33430 veröffentlicht. Sie formuliert Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen. Die Norm soll Personalauswahlprozesse durch Standardisierung optimieren. Dazu werden Anforderungen an die diagnostisch tätigen Personen sowie Verfahren gestellt. Verfahren, die bei der Auswahl zum Einsatz kommen, sollen dabei nachweislich einen Bezug zu den Anforderungen der Stelle haben. Zu diesen Verfahren zählen Eignungsinterviews, Arbeitsproben, Tests und Assessment-Center. Außerdem werden Hilfen und Empfehlungen zur Planung, Vorbereitung und Auswahl von eignungsdiagnostischen Instrumenten sowie zur Interpretation der Ergebnisse gegeben. Die deutsche Norm ist dabei allerdings nur als Handlungsempfehlung auf freiwilliger Basis umzusetzen und ist somit keine Rechtsnorm. Im Rechtsstreit kann die Eignungsbeurteilung nach den Anforderungen der DIN-Norm positiv für das Unternehmen wirken. Zusätzlich erhält der Bewerber durch die Norm Informationen über die Standards des Auswahlprozesses, was sich positiv im Sinne des Personalmarketings auswirken kann (Kerstin/ Püttner, 2006, S. 846-855). Abgeleitet aus der DIN 33430 wurde 2011 erstmals ein internationaler Standard die ISO- Norm 10667 mit dem Titel: „Assessment service delivery - Procedures and methods to assess people in work and organizational settings“ formuliert. Die Normen der DIN 33430 werden durch die Norm ISO- 10667 weiter ergänzt. Des Weiteren werden spezifische Methoden und Verfahren zur Einschätzung von Bewerbern beschrieben (Lorenz, 2015, S. 4f.). <?page no="231"?> 232 4 Prozess des internationalen Personalmanagements 4.2.5 Klassische Auswahlinstrumente und ihre Anwendung im internationalen Kontext Zum Zeitpunkt der Auswahl sind nicht alle Informationen über den Bewerber verfügbar (Schmeisser et al., 2013, S. 70). Der Einsatz verschiedenster Instrumente vermag Angaben zu angeforderten Qualifikationen und persönliche Eigenschaften zu generieren sowie Aufschluss über nicht bekannte Informationen und zukünftige Leistung zu geben. Um Personal auszuwählen steht eine Vielzahl von Instrumenten zur Verfügung, die abhängig von Anforderungen der zu besetzenden Stelle, den finanziellen und personellen Ressourcen sowie anderen Faktoren eingesetzt werden. Die Instrumente unterscheiden sich auch durch die Rekrutierungsquelle der Bewerber. Intern stehen bereits Daten und Informationen zur Verfügung, die bei einem externen Bewerber erst überprüft werden müssen (Jung, 2011, S. 154). Bei der Entscheidung, welches Personalauswahlinstrument eine hohe Qualität aufweist, um relevante Eigenschaften und Fähigkeiten zu messen, sollten auch die Gütekriterien berücksichtigt werden. Welches Auswahlinstrument im internationalen Kontext besonders geeignet ist, bleibt in der Literatur umstritten. Einige Autoren unterscheiden nicht zwischen nationalem und internationalem Einsatz der Auswahlverfahren, andere wiederum heben Assessment-Center und Persönlichkeitstests mit spezifisch internationaler Ausrichtung hervor (Festing et al., 2011, S. 267). Die in der Praxis am weitest verbreiteten Instrumente sind die Sichtung und Analyse von Bewerbungsunterlagen, Vorstellungsgespräche, Testverfahren und Assessment-Center. Andere Methoden im Einsatz sind graphologische und medizinische Gutachten, biografische Fragebögen, Referenzen anderer Arbeitgeber und Arbeitsproben. Wie alle Verfahren differieren diese in ihrer internationalen Verbreitung und Anwendung in verschiedenen Ländern (Berthel/ Becker, 2013, S. 354f. und 777f.). In Deutschland ist die Analyse der Bewerbungsunterlagen und Vorstellungsgespräche seit geraumer Zeit von größtem Belang. Ärztliche Eignungsuntersuchungen bilden häufig den Abschluss eines Verfahrens und können insbesondere bei Auslandstätigkeiten mit extremen klimatischen Bedingungen angebracht sein. Um zu prüfen, ob der Bewerber neben seinem Verhalten und den fachlichen Kenntnissen auch gesundheitlich geeignet ist, sind die genauen Stellenanforderungen, wie z.B. Schwindelfreiheit, Tropentauglichkeit für den Arzt Voraussetzung (Nicolai, 2006, S. 99, 101). Im Zuge der Corona-Krise in 2020 wurden Online-Einstellungsgespräche (z.B. über Zoom, Mircosoft Teams etc. salonfähig. Schriftliche Bewerbungsunterlagen Im Rahmen der Vorauswahl stellen Bewerbungsunterlagen in vielen Ländern den ersten Kontakt des Unternehmens mit dem Bewerber dar. Eine geringe Rolle spielt die Analyse und Bewertung der Bewerbungsunterlagen in Ländern wie Schweden oder Griechenland (Nicolai, 2006, S. 777). Aus den eingereichten Unterlagen (Bewerbungsschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse, Zertifikate, ggf. Führungszeugnis, amtsärztliche Bescheinigungen, Referenzen und firmeninterne Fragebögen) können Basisinformationen über den Bewerber entnommen werden, die drei wesentliche Funktionen erfüllen (Berthel/ Becker, 2013, S. 357).  Negativselektion  Erste Qualifikationsbeurteilung  Informationen als Grundlage für weitere Verfahren (z.B. Erkennen von offenen Fragen für ein Vorstellungsgespräch) Das Bewerbungsschreiben wird auf äußere Form analysiert und liefert Informationen über die Beweggründe der Bewerber sowie über Ausdrucksgewandtheit und Wortschatz. Lebensläufe werden <?page no="232"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 233 durch die sogenannte Zeitfolgenanalyse auf Vollständigkeit überprüft und geben sowohl Auskunft über Karrieremuster als auch weitere Erfahrungen, Interessen, ehrenamtliche Tätigkeiten sowie Sprach- EDV- und Fachkenntnisse. Andere Analysetechniken dabei sind die Entwicklungsanalyse und Branchen-/ Firmenanalyse (Berthel/ Becker, 2013, S. 357). International kann es bei der Vergleichbarkeit von Bewerbungsunterlagen zu Problemen kommen. Besonders Schul- und Studienleistungen differieren und auch Arbeitszeugnisse sind nicht in jedem Land üblich und unterliegen nicht denselben Voraussetzungen eines wohlwollenden Zeugnisses (Urteil des BAG vom 23.06.1960, 5 AZR 560/ 58) wie in Deutschland (Heymut/ Schuster, 1998, S. 95). Einstellungsgespräche Mit dem Verständnis der Analyse von Bewerbungsunterlagen als Vorauswahlinstrument ist das Vorstellungsgespräch, oder auch Interview, weltweit die am häufigsten eingesetzte Methode zur Personalauswahl (Berthel/ Becker, 2013 S. 777). Das Einstellgespräch stellt häufig den ersten und manchmal auch einzigen persönlichen Kontakt zum Bewerber dar. Es dient dabei zum Informationsaustausch, wobei sich das Unternehmen selbst präsentieren und dem Bewerber weitere Informationen zur Stelle liefern kann. Im „War for Talents“ ist es umso wichtiger geworden, einen positiven Eindruck zu hinterlassen (Scholz, 2014, S. 479). Ziele sind auch die Beurteilung des Eignungspotentials des Bewerbers bezüglich Soft Skills und Hardfacts, die Klärung von Motivation und Erwartungen sowie offener Fragen der Bewerbung (Berthel/ Becker, 2013, S. 359, Olfert, 2015, S. 174). Das Vorstellungsgespräch kann, je nach Strukturierung und Anzahl der beteiligten Personen, unterschiedliche Formen annehmen. Je strukturierter das Interview erfolgt, desto eher sind die Ergebnisse im Anschluss der Gespräche vergleichbar. Bei einem vollständig strukturierten Bewerbungsgespräch werden jedem Bewerber die gleichen Fragen in der gleichen Reihenfolge mit demselben Wortlaut gestellt. Der Vergleichbarkeit, geringem Aufwand und geringen Kosten stehen Nachteile eines starren und unflexiblen Gespräches gegenüber. Bei einem unstrukturierten Interview wird im Vorhinein keine Planung des Gespräches vorgenommen, wodurch Fragen zu beliebigen Themen frei gestellt und formuliert werden können. Der Mischform des teilstrukturierten Interviews liegt ein Leitfaden mit zu klärenden Fragen zugrunde. Die Reihenfolge und auch weitere Gesprächsinhalte sind dabei frei und flexibel gestaltbar (Berthel/ Becker, 2013, S. 359 Holtbrügge, 2015, S. 125). Ein Problem von Interviews sind Beobachtungs- und Beurteilungsfehler durch subjektive Empfindungen des Interviewers. Bei einem höheren Freiheitsgrad des Interviews nimmt die Gefahr dieser Probleme zu (Holtbrügge, 2015, S. 126). Häufig auftretende Phänomene, die die Objektivität beeinträchtigen sind in Tabelle 4.3 dargestellt. Tab. 4.3: Häufige Beobachtungs- und Beurteilungsprobleme in Interviews Phänomen Inhalt Halo-Effekt Eine einzelne positive oder negative Eigenschaft beeinflusst oder überstrahlt die Beurteilung anderer Persönlichkeitseigenschaften Ähnlichkeitsphänomen Bessere Bewertung eines Bewerbers, der Ähnlichkeiten in der Herkunft und im Verhalten des Beobachters aufweist Kontrast-Effekt Ein Bewerber wird an dem unmittelbar davor bewerteten Bewerber gemessen, was die Bewertung beeinflusst Primacy-Effekt Die ersten Informationen (erster Eindruck) bleibt besonders gut im Gedächtnis der Beobachter und kann den Gesamteindruck beeinflussen, indem weitere Informationen an die erste geknüpft werden. <?page no="233"?> 234 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Quelle: in Anlehnung an Holtbrügge, 2015, S. 126 Übung 4.4 Recherchieren Sie, was genau unter einem Halo-Effekt zu verstehen ist. Vorstellungsgespräche können in Einzel-, Zweier- und Gruppeninterviews differenziert werden. Das Einzelgespräch wird in der Regel von einem Vertreter der Personalabteilung oder vom Vorgesetzten durchgeführt. Bei einem Zweierinterview führen beispielsweise diese beiden Vertreter das Gespräch gemeinsam und bei einem Gruppeninterview können mehrere Interviewer und Bewerber gleichzeitig teilnehmen (Olfert, 2015, S. 175). Die Vorbereitung des Vorstellungsgesprächs ist für eine erfolgreiche Durchführung von hoher Bedeutung. Neben der Analyse der Bewerbungsunterlagen und der Einladung der Bewerber muss die Entscheidung für eine Gesprächsform, wie oben beschrieben, vorgenommen werden. Anschließend werden Fragen erstellt und der Ablauf sorgfältig organisiert (Olfert, 2015, S. 174). Das Interview wird üblicherweise in sieben Phasen gegliedert (Jung, 2011, S. 170f.):  Phase 1: Begrüßung des Bewerbers  Phase 2: Fragen zu und Beschreibung der persönlichen Situation  Phase 3: Erörterung des Bildungsgangs  Phase 4: Besprechung des beruflichen Werdegangs und Entwicklung  Phase 5: Informationen zum Unternehmen und die Position  Phase 6: Vertragsverhandlungen  Phase 7: Gesprächsabschluss ggf. Informationen zum weiteren Bewerbungsprozess Es bleibt nicht immer bei einem einzigen Gespräch. In Abhängigkeit der Position können auch Zweit- oder Drittgespräche folgen (Holtbrügge, 2015, S. 125). Testverfahren Der Einsatz von Eignungstests in der Personalauswahl bezweckt, weitere Informationen zu den Bewerbern zu liefern, um eine Fehlentscheidung zu vermindern. Die hauptsächlich psychologischen Tests sind „solche diagnostischen Verfahren, bei denen Verhaltensweisen bzw. Persönlichkeitsmerkmale von Personen unter standardisierten Bedingungen erfasst werden“ (Berthel/ Becker, 2013, S. 363). Die Qualität der Testverfahren wird anhand von Gütekriterien bestimmt. Jung (2011) fordert dazu drei Mindestanforderungen an die Tests. Die getestete Person muss ihr typisches Verhalten zeigen können, das Verfahren sollte erprobt, geeicht und zuverlässig messend sein und die erzielten Ergebnisse müssen das Verhalten der Person in der Zukunft abbilden (Jung, 2011, S. 172). International ist der Gebrauch von Testverfahren sehr unterschiedlich ausgeprägt. Im Gegensatz zu Deutschland und Japan sind Tests in Ländern wie Schweden und Neuseeland durchaus von Bedeutung (Berthel/ Becker, 2013, S. 777). Über die Klassifizierung von Eignungstests bezüglich inhaltlicher oder formaler Aspekte gibt es in der Literatur unterschiedliche Meinungen. Hier gilt die Unterscheidung in Anlehnung an Olfert (2015) und Jung (2011). Demnach werden grundsätzlich zwei Arten unterschieden. Diese sind zum einen Persönlichkeitstest und zum anderen Fähigkeitstests. Persönlichkeitstests sollen bestimmte Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale oder -strukturen sowie ihre Ausprägungen aufdecken. Ihre praktische Bedeutung bei der Auswahl von Bewerbern Realnormierte Messung Unterschiedliche Bewertung von Bewerbern in Abhängigkeit der Gruppe. In einer „schwachen“ Gruppe kann er als stark und in einer „stärkeren“ Gruppe als durchschnittlich eingestuft werden. <?page no="234"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 235 wird eher gering eingeschätzt. Sie sind sehr kosten- und zeitintensiv, durch den Bedarf eines Psychologen zur Interpretation der Ergebnisse (Olfert, 2015, S. 179). Darüber hinaus mangelt es den Tests und damit den Ergebnissen an Arbeitsplatzrelevanz (Berthel/ Becker, 2013, S. 366). Zu den Persönlichkeitstests zählen Projektive Tests, wie der Rohrschach-Test (Tintenklecks), Farbtests oder auch der Thematic Apperception-Test (TAT). Bei diesen Tests sollen die Probanden Ideen, Phantasien und Wünsche auf Reize, wie Portraitfotos im TAT, projizieren, die dann wiederum gedeutet und interpretiert werden. Projektive Tests sind rechtlich durch den Eingriff in die Intimsphäre und damit in das Persönlichkeitsrecht mit Vorsicht zu sehen (Berthel/ Becker, 2013, S. 365). Psychometrische Tests zählen ebenfalls zu den Persönlichkeitstests. Mit Hilfe von Fragebögen sollen Persönlichkeitseigenschaften der Bewerber erfasst und mit im Vorhinein festgelegten typischen Werten von Personen verglichen werden. International existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Tests. Hinweis Ein gebräuchliches Verfahren ist das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI), welches auf dem „Big Five-Modell“ (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit) basiert (Holtbrügge, 2015, S. 129). Fähigkeitstests untersuchen die Intelligenz und Leistungsfähigkeit der Bewerber. Allgemeine Leistungstests werden eingesetzt um die Aufmerksamkeit, Belastbarkeit und Konzentration der Kandidaten zu ermitteln. Bekannt ist hier der Aufmerksamkeits-Belastungstest (d2), bei dem unter Beachtung von Geschwindigkeit und Genauigkeit aus einer großen Anzahl ähnlicher Buchstaben bestimmte herausgestrichen werden müssen. Positionsspezifischer können spezielle Leistungstests wie der Berufs-Eignung-Test (BET) eingesetzt werden. Getestet werden hier sensorische Merkmale, motorische Funktionen, technisches Verständnis sowie Rechtschreib- und Rechenkenntnisse (Lorenz, 2015, S. 118; Olfert, 2015, S. 180). Intelligenztests basieren auf dem Konstrukt von allgemeiner Intelligenz, welche die „Begabung zum Denken“ (Olfert, 2015, S. 180) beschreibt. Damit eingeschlossen sind Faktoren wie sprachliches Verständnis, Kombinations-, Abstraktions- und Vorstellungsfähigkeit, rechnerisches Denkvermögen und räumliches Denken. Dabei kommt beispielswese der „Bochumer Matrizen Test“ zum Einsatz, der auch als computergestützte Version sowie als Verfahren zum internationalen Einsatz vorhanden ist (Lorenz, 2015, S. 119). Assessment-Center Da die gängige Kombination aus der Analyse von Bewerbungsunterlagen mit einem einfachen Einstellinterview den Ansprüchen vieler Unternehmen an die Personalauswahl nicht gerecht wird, setzen sie „auf ein aufwendiges eignungsdiagnostisches Verfahren, das Assessment-Center (AC).“(Klement, 2007, S. 2). Als Multimodales Instrument zur Eignungsdiagnostik ist es kein einzelnes Verfahren, sondern vereint und kombiniert verschiedene Instrumente, um vordergründig überfachliche Fähigkeiten zu beurteilen (Obermann, 2013, S. 1). Mit der Wahl eines passenden Auswahlinstrumentes sollen Probleme wie subjektive Beurteilung, geringe Vorhersagekraft über beruflichen Erfolg und fehlende Vergleichbarkeit umgangen werden (Stelzer-Rothe, 2002, S. 246). Dabei wird die Zusammenstellung von Übungen und Aufgaben in einem AC, im Gegensatz zum Vorstellungsgespräch, als Arbeitsprobe wahrgenommen. Die Einschätzung und Akzeptanz von Assessment-Centern (ACn) fällt in der Literatur und Praxis sehr konträr aus. Als Gründe werden insbesondere der hohe Aufwand und die höchsten Kosten der Präsenzbzw. Inhouse-Assessments im Vergleich zu anderen Auswahlverfahren aufgeführt. In diesem Absatz werden das Assessment-Center, seine Inhalte, Anwendung und Merkmale ausführlich dargestellt. Außerdem werden weitere Formen, insbesondere im internationalen und interkulturellen Einsatz, vorgestellt. <?page no="235"?> 236 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Präsenz-Assessment-Center Der Begriff Assessment-Center (AC) leitet sich aus dem englischen Wort „to assess“ ab, was bewerten, beurteilen, einschätzen bedeutet, während „Center“ mit Mittelpunkt oder im Zentrum übersetzt werden kann. Wörtlich übersetzt ergibt sich daraus die Bezeichnung Beurteilungs-, Bewertung,- Einschätzungszentrum (Stelzer-Rothe, 2002, S. 246). Der Begriff „Center“ wird ebenso mit der Kombination vieler Methoden zusammengebracht (Obermann, 2013, S. 3). Für Assessment-Center existieren eine Vielzahl unterschiedlicher Begriffsdefinitionen, mit differierenden Aufgaben und Inhalten. In der Praxis sind Assessment-Center ebenfalls von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich, wenn sie an die spezifischen Anforderungen und Kapazitäten angepasst werden. Die nachfolgenden Definitionen beziehen sich daher vor allem auf das grundlegende Verfahren. Definition „Assessment-Center sind multiple diagnostische Verfahren, welche systematisch Verhaltensleistungen bzw. Verhaltensdefizite von Personen erfassen. Hierbei schätzen mehrere Beobachter gleichzeitig für einen oder mehrere Teilnehmer seine/ ihre Leistungen nach festgelegten Regeln in Bezug auf vorab definierte Anforderungsdimensionen ein.“ (Kleinmann, 2013, S .2). Eine andere Formulierung liefert Obermann (2013), der ein Assessment-Center aufzeigt als  „ein einbis dreitägiges Seminar  mit acht bis zwölf Mitarbeitern oder Bewerbern,  die von Führungskräften und Personalfachleuten  in Rollenübungen und Fallstudien  beobachtet und beurteilt werden.  Diese Rollenübungen und Fallstudien  sind charakteristisch für  bestehende oder zukünftige  Arbeitssituationen und Aufgabenfelder“ (Obermann, 2013, S. 2). Mit Assessment-Centern sollen gegenüber anderen Verfahren vor allem überfachliche Fähigkeiten wie Teamfähigkeit, strategisches Denken, Motivationsfähigkeit, Lernfähigkeit oder Flexibilität gemessen werden. Dabei ist es klassisch als Gruppen-AC konzipiert und wird in dieser Form am häufigsten eingesetzt (Schuhmacher, 2014, S. 67). Obwohl das eignungsdiagnostische Verfahren zur Potentialeinschätzung (Ridders, 2015, S. 108) unterschiedlich ausgestaltet sein kann, zeichnet es sich im Grundsatz durch die nachfolgend beschriebenen Prinzipien und Merkmale aus. Diese Charakteristika und Prinzipien von Assessment-Centern sind zu verfolgen, um durch den Einsatz des Verfahrens ein verlässliches Urteil zu fällen (hierzu und im Folgenden: Obermann, 2013, S. 3f.; Nicolai, 2006, S. 97f.; Berthel/ Becker, 2013, S. 294f,; Bröckermann, 2016, S. 104). Das Prinzip der Simulation bezieht sich auf den Einsatz von situativen Übungen, den Simulationen. In Übungen mit hohem inhaltlichem Bezug zur späteren Tätigkeit sollen Teilnehmer nicht theoretisch, sondern praktisch handeln, wie es in einer Arbeitsprobe üblich ist. Das dadurch beobachtbare Verhalten bietet dann die Grundlage zur Eignungsprognose. Ein wesentliches Merkmal ist demnach nicht Eigenschaftsorientierung, sondern eine Verhaltensorientierung, bei denen die tätigkeitsspezifischen Anforderungen in Kriterien übersetzt werden müssen. <?page no="236"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 237 Das Prinzip der Methodenvielfalt oder auch Multimodalität soll sicherstellen, dass die Kriterien aus dem Anforderungsprofil beobachtet werden können. Dazu werden die einzelnen Anforderungskriterien in unterschiedlichen und unabhängigen Einzelübungen mehrfach beobachtet. Die möglichen Messfehler einzelner Übungen sollen durch die Kombination ausgeglichen werden, um im Ergebnis zu zuverlässigen Aussagen zu führen. Das Prinzip der Anforderungsanalyse soll sicherstellen, dass die gewählten Übungen auf das vorher ermittelte Anforderungsprofil der Zielposition abgestimmt sind. Auf der Basis der ermittelten Verhaltensweisen und Eigenschaften werden Aufgaben sowie Simulationen konstruiert. Durch das Prinzip der Mehrfachbeobachtung soll die Objektivität des Verfahrens gesichert werden. Nicht nur die Anzahl der Beobachter, auch Assessoren genannt, ist dabei von Bedeutung. Positiv ist auch die Beurteilung aus verschiedenen Perspektiven. Häufig zum Einsatz kommen dabei Führungskräfte des Unternehmens, die die Unternehmenskultur und Zielforderungen kennen. Des Weiteren können externe Beobachter (AC-Profis) oder Fachleute, Psychologen und erfahrene Personaler an Assessment-Centern teilnehmen. Wichtig zur Fehlervermeidung ist ein Training der Assessoren. Bei der Durchführung des Verfahrens sollte jeder Beobachter mit den Übungen, Zielen sowie dem Ablauf vertraut sein und wissen, welche Eigenschaften und Fähigkeiten, mit welchem Instrument gemessen werden soll. Außerdem wird Wert auf eine Trennung der Beobachtung und Beurteilung gelegt, um eine vorzeitige Urteilsbildung zu vermeiden. Als letztes Charakteristikum kommt das Prinzip der Transparenz zum Einsatz. Die Teilnehmer erhalten zu Beginn des ACs ausführliche Informationen über Ablauf, Inhalte, den Prozess, den Zweck des Verfahrens und die Anforderungskriterien sowie Verhaltensweisen, die beobachtet werden. Außerdem wird jedem Bewerber am Ende eines AC in einem individuellen Feedback-Gespräch seine Einschätzung anhand der einzelnen Übungen und jeweiligen Anforderungen erläutert. Anhand der Stärken und Schwächen kann der Kandidat verstehen, ob sein Verhalten tatsächlich zum Unternehmen und der Zielposition passt. Durch die Transparenz soll die Akzeptanz der Beurteilung und des gesamten Verfahrens gewährleistet werden (Nicolai, 2006, S. 97f.; Berthel/ Becker, 2013, S. 295; Obermann, 2013, S. 3f.; Bröckermann, 2016, S. 104). Entwicklung, Akzeptanz und Verbreitung von Assessment-Centern Bereits in der Antike und im 17. Jahrhundert sind Nachweise für diagnostische Auswahlverfahren zu finden. Die ersten Vorläufer heutiger Assessment-Center finden sich 1927 bei der deutschen Heerespsychologie zur Auswahl von Offizieren der Reichswehr in der Weimarer Republik. Diese erstmals eingesetzte ganzheitlich angelegte Prüfung musste von jedem Offiziersanwärter bis zum Zweiten Weltkrieg durchlaufen werden. Ziel war es, das Auswahlverfahren deutscher Offiziere zu verbessern und von Status und sozialer Herkunft unabhängig zu gestalten, sodass die Auswahl nach tatsächlichen Fähigkeiten stattfand, und nicht nach Adelsherkunft. Außerdem war mit der Beschränkung der Heeresgröße durch den Versailler Vertrag eine treffende Auswahl wichtiger geworden. Im Auftrag des Reichsministeriums gründete Johann Baptist Rieffert 1920 ein psychologisches Forschungszentrum an der Universität Berlin. Rieffert sah die Notwendigkeit den Menschen als Ganzheit zu betrachten und formulierte 1922 in Anlehnung an die Ganzheits- und Gestaltpsychologen (z.B. Kurt Lewin 1890-1947) ein Verfahren. Seine Position fasste sein Nachfolger im Amt, Max Simoneit (Simoneit, 1933, S. 44, zitiert nach Obermann, 2013, S. 13: „Eine isolierte Messung und Bewertung einzelner, durch Berufsanalyse bestimmter seelischer Fähigkeiten ist zwecklos; erst die Lagerung der isoliert gedachten seelischen Fähigkeiten innerhalb der seelischen Gesamtveranlagung lässt Schlüsse auf zukünftige Verhaltensweisen zu; daher ist die Ablösung des psychotechnischen durch das charakterologische Arbeitsprinzip notwendig, dabei Psychotechnik als Leistungsmaßmethode, Charakterologie als Lehre von der gesamten seelisch-körperlichen Veranlagung einschließlich der Werteinstellungen verstanden.“ (Obermann, 2013, S. 12-22). Die charakterologische Prüf- <?page no="237"?> 238 4 Prozess des internationalen Personalmanagements methode sah dem Assessment-Center des 21. Jahrhunderts sehr ähnlich. Gruppendiskussionen, damals „Rundgespräch“ genannt, und auch Geistes-, Lebenslauf- und Handlungsanalyse waren Bestandteile der Offiziersauswahl. Das Verfahren dauerte üblicherweise 3 Tage, an denen zwei Gruppen mit je vier Teilnehmern von einem Auswahlgremium beurteilt wurden. Auch die Hauptmerkmale Methodenvielfalt, Prüfung von Gruppen durch mehrere Beurteiler und situative Übungen waren bereits vertreten (Obermann Consulting GmbH, 2012, 4. Absatz). Durch den Erfolg bei der deutschen Offiziersauswahl übernahm England das Verfahren und setzte es 1942 zur Auswahl von Flugzeugpiloten und im Militär ein. Das britische Verfahren ist somit die Weiterentwicklung der deutschen Methode. Anschließend verbreitete sich das Verfahren in die anderen Länder des Commonwealth. Ein weiterer wichtiger Name im Zusammenhang mit der Assessment-Center Entwicklung ist Henry Murray, der in den 30er Jahren amerikanischer Direktor der psychologischen Klinik in Harvard war. Er entwickelte u.a. den Projektiven Test zur Leistungsmotivation (TAT) und lieferte andere Beiträge für das Assessment-Center wie den Ansatz des Mehraugenprinzips (Obermann, 2013, S. 16). In den USA wurden die Testverfahren 1942 auch zur Auswahl von Geheimdienstagenten übernommen. In dem Buch „Assessment of Men“, aus dem Jahre 1948, wurde das Auswahlverfahren des „Office of Strategic Service“ (OSS) im Detail beschrieben. In den 50er Jahren begannen die ersten Einsätze des Assessment-Centers im wirtschaftlichen Bereich. Dough Bray übertrug die Idee aus „Assessment of Men“ auf die 1956 gestartete Studie „Management Progress Study“ (MPS) der American Telephone & Telegraph Company (AT&T). Es sollte die Entwicklung von Fertigkeiten und Kompetenzen analysiert und Faktoren, die den Berufserfolg bestimmten, herausgefunden werden. Durch die prognostischen Erfolge wurden die anfangs geheimen Ergebnisse schließlich zur Führungskräfteauswahl angewendet (Obermann, 2013, S. 17-18). Von da an verbreitete sich das Verfahren weiter in den USA und wurde in den 70er Jahren wieder in deutschen Unternehmen eingesetzt. Der „Arbeitskreis Assessment Center, Führungskräfte-Auswahl und -Entwicklung“ schloss sich aus mehreren deutschen Wirtschaftsunternehmen zusammen (Ridder, 2015, S. 108). Im Jahr 2012 lag in Deutschland mit 47% aller Assessment-Center-Einsätze die häufigste Anwendung im Bereich der Personalauswahl, insbesondere bei externen Bewerbern. Laut einer Befragung des Arbeitskreis AC 2012 nutzen 27 der DAX 30 die Assessment-Center Methode. Mit zunehmender Beschäftigungsanzahl steigt die Nutzung von Assessment-Centern. Aber auch bei mittelgroßen Unternehmen ist die Nutzung von 19,5% in 2001 auf 55,8% in 2012 gestiegen (Obermann et al., 2012, S. 590-605). Kleine Unternehmen verfügen meist nicht über die geforderten Ressourcen, monetär, personell sowie zeitlich, die für die Entwicklung und Durchführung eines ACs notwendig sind (Scholz, 2014, S. 186). Die Anzahl der Unternehmen, die AC anwenden kann jedoch durchaus höher liegen, da der Name Assessment-Center zunehmend individuellen und unternehmensinternen Bezeichnungen wie z.B. Auswahlverfahren, Leistungsprüfstand Personal, Personalentwicklungsseminar oder Mitarbeiterentwicklungsprogramm abweicht. Als Grund dafür wird die Angstprävention vor dem Begriff Assessment-Center genannt, da es als härtestes Auswahlverfahren gilt (Klement, 2007, S. 2-4; Obermann et al., 2012, S. 590-605). Großbritannien ist das Land mit der am weitesten verbreiteten AC Anwendung. Hier liegen weitreichende Qualitätsnormen für den AC-Einsatz allgemein und für Spezialformen wie das Online- Assessment vor. In den anderen Ländern Europas findet man unterschiedlich Verbreitungen, Akzeptanz und angewandte Tests. Auch außerhalb Europas sind AC weit verbreitet. Neben der USA, Kanada und Südamerika hat das AC in Afrika, China, Indien, zahlreichen Ländern in Asien, Indone- <?page no="238"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 239 sien und Japan an Stellenwert zugenommen. Die Anwendungsformen sind im Grunde ähnlich, doch lassen sich durch kulturelle Unterschiede Abweichungen zum europäischen Verfahren feststellen. So steht in China ein Feedback im Anschluss an ein Assessment-Center im Widerspruch zum kulturellen Konzept der Harmonie und ist daher selten zu finden (Jung, 2010, S. 918). Anwendungsbereiche Neben der hier fokussierten Betrachtung des Einsatzes von Assessment-Centern zur Auswahl von Bewerbern findet die Technik auch in vielen weiteren Bereichen der Personalentwicklung Anwendung (Obermann, 2013; S. 4-10). Das AC dient in erster Linie dazu, interpersonelle Fähigkeiten, administrative Fähigkeiten, Leistungsmotivation und arbeitsrelevante Persönlichkeitsdispositionen zu erfassen und zu untersuchen (Jung, 2010, S. 918). Die daraus entstehenden Einsatzgebiete umfassen  die genannte Auswahl interner und externer Bewerber,  die Potentialfeststellung für Führungsaufgaben,  die Förderung von Führungs- und Nachwuchskräften,  ein Feedback für Führungskräfte,  die generelle Ermittlung des Entwicklungs-, Aus- und Weiterbildungsbedarfs oder Trainingsbedarfs im Sinne der Personalentwicklung und Laufbahnplanung (Ridders, 2015, S. 108; Obermann, 2013, S. 5). Außerdem können AC in Situationen der Berufsberatung, beruflichen Rehabilitation, Teamentwicklung, Forschung und Arbeitsplatzgestaltung zum Einsatz kommen (Lorenz, 2015, S. 132f.). Den jeweiligen Zweck entsprechend ergeben sich in der Praxis auch unterschiedliche Bezeichnungen des AC als Auswahl-AC, Potential-, Beurteilungsseminar (Nicolai, 2006, S. 88), Development Center oder auch Entwicklungs-AC. Aufgrund der hohen Aufwendungen wurden AC besonders zur Auswahl von Führungskräften und Managementpositionen eingesetzt. Die Nutzung hat sich jedoch in der Praxis in den letzten Jahren geändert und AC sind für viele unterschiedliche Zielgruppen entwickelt worden, bei denen überfachliche Eigenschaften Gewicht haben. So gewinnt das Assessment-Center-Verfahren auch bei der Auswahl von Fachkräften ohne Führungsverantwortung, wie Vertriebsmitarbeiter, Verkäufer, Polizisten und Servicepersonal an Bedeutung. Dabei werden inhaltliche Schwerpunkte eher auf zwischenmenschlichen Beziehungen, Werthaltung und Kundenverhalten gelegt (Stock-Homburg, 2013, S. 181; Obermann, 2013, S. 5f.) Außerdem werden Assessment-Center bei Projektleitern, Existenzgründern, Nachwuchsführungskräften, Nachwuchskräften, wie Trainees oder Auszubildende, und für Beamte eingesetzt (Klement, 2007, S. 2f.). Ablauf von Assessment-Centern Mitte der 90er Jahre wurden erstmals Qualitätsstandards der Assessment-Center-Technik vom Arbeitskreis Assessment Center e.V. festgelegt und abgedruckt. Die Ziele der 2004 überarbeiteten und veröffentlichten Version der Standards sind (Arbeitskreis Assessment Center e.V., 2004, S. 1):  eine zeitgemäße Grundlage für die sachgemäße AC-Praxis zu schaffen,  die Güte von Angeboten für die betriebliche Praxis prüfen und damit unqualifizierte Angebote erkennen zu können,  Transparenz und Klarheit für die Entscheider und Anwender/ Praktiker zu ermöglichen,  die Akzeptanz der Assessment-Center Methode weiter zu steigern. <?page no="239"?> 240 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Abb. 4.2: Die Standards des Arbeitskreis Assessment Center e.V. als Prozesskette. Quelle: in Anlehnung an Neubauer/ Höft, 2006, S. 78 9. Evaluation Regelmäßige Güteprüfungen und Qualitätskontrollen stellen sicher, dass die mit dem AC angestrebten Ziele auch nachhaltig erreicht werden. 8. Feedback und Folgemaßnahmen Jeder AC-Teilnehmer hat das Recht auf individuelles Feedback, um so das Ergebnis nachvollziehen und daraus lernen zu können. Nach dem AC sind konkrete Folgemaßnahmen abzuleiten und umzusetzen 7. Vorbereitung und Durchführung Eine gute Planung und Moderation des ACs gewährleisten einen transparenten und zielführenden Ablauf des Verfahrens. 6. Vorauswahl und Vorbereitung der potenziellen Teilnehmer Systematische Vorauswahl und offene Vorinformation sind die Grundlage für den wirtschaftlichen und persönlichen Erfolg im AC. 5. Beobachterauswahl und -vorbereitung Gut vorbereitete Beobachter, die das Unternehmen angemessen repräsentieren, sind am besten geeignet, fundierte und treffsichere Entscheidungen zu treffen. 4. Beobachtung und Bewertung Grundlage für die Eignungsdiagnose ist eine systematische Verhaltensbeobachtung. 3. Übungskonstruktion Ein Assessment Center besteht aus Arbeitssimulationen 2. Arbeits- und Anforderungsanalyse Eignungsbeurteilung lässt sich nur mit einer exakten Analyse der konkreten Anforderungen sinnvoll gestalten. 1. Auftragsklärung und Vernetzung Vor der Entwicklung und Durchführung eines AC sind die Ziele und die Rahmenbedingungen des Auftrages sowie die Konsequenzen für die Teilnehmer verbindlich zu klären und zu kommunizieren. <?page no="240"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 241 Die insgesamt neun Standards orientieren sich formal an dem Prozess der AC-Konstruktion und - Durchführung in der Praxis. Sie werden in Anlehnung an Neubauer und Höft (2006) als Prozesskette dargestellt. Die neun Standards können grundsätzlich zu drei Hauptphasen zusammengefasst werden: die Vorbereitungsphase, die Durchführungsphase und die Abschlussphase (Stelzer-Rothe, 2002, S. 248-249) Bereits 1981 gliederte Jeserich, wie in Tab. 4.4 dargestellt, den Ablauf eines Assessment-Centers in fünfzehn Teilaufgaben. Tab. 4.4: Ablauf eines Assessment-Centers Vorbereitungsphase Durchführungsphase Abschlussphase 1. Festlegung der Ziele und Zielgruppe 6. Training der Beobachter 11. Abstimmung der Auswertung 2. Auswahl der Beobachter 7. Empfang der Teilnehmer, Zeit und Ablauf des Programms erläutern 12. Anfertigung der Gutachten, Empfehlung von Fördermaßnahmen 3. Definition des Anforderungsprofils ggf. mit Beobachtern 8. Bearbeiten der Übungen und Unterlagen durch Teilnehmer 13. Endabstimmung, Endauswahl 4. Zusammenstellen der Übungen mit Bezug zu Anforderungen 9. Beobachtung der Leistungen durch Beobachter 14. Teilnehmer über Ergebnisse informieren 5. Information der Teilnehmer, organisatorische Vorbereitung (z.B. Raum und Hotelbuchung, Pinnwände) 10. Auswertung der Beobachtung 15. Vereinbarung von Förder-/ Entwicklungsmaßnahmen (findet nur bei internen AC statt) Quelle: in Anlehnung an Jeserich, 1981, S. 35 In der Vorbereitungsphase sollen die Grundlagen für das AC geschaffen werden. Je genauer ein Assessment-Center im Vorhinein geplant ist, desto geringer sind die Risiken von Durchführungsproblemen und Zielverfehlungen. Wie beschrieben ist die Erhebung der Anforderungen für eine Stelle (nicht nur bei einem AC) von essenzieller Bedeutung. Die Anforderungsanalyse ist sowohl eine Stärke des AC und ist gleichzeitig verantwortlich für die dessen Qualität. Obermann (2013) betont daher: „Auch bei einem noch so detaillierten und mit Aufwand konstruierten AC wird die Güte der Aussagen daher nie höher sein können als die Genauigkeit, mit der eine Anforderungsanalyse durchgeführt wurde.“ ( Schermuly/ Nachtwei, 2010, S. 17). Die spezifischen Anforderungen und Eigenschaften aus dem Anforderungsprofil eines „idealtypischen Kandidaten“ (Schermuly/ Nachtwei 2010, S. 17; Ridders, 2015, S. 109). werden in einer Skala gewichtet, um die Bewerber im AC daran zu bewerten. Auf Grundlage des Anforderungsprofils werden Übungen ausgewählt und konzipiert. Als Vorbereitung für realitätsnahe Übungen werden erfolgskritische Ereignisse erfasst und Bestsowie Schlechtlösungen unter Einbindung von Mitarbeitern formuliert. Zusätzlich zu den in beschriebenen Punkten sind die rechtlichen und ethischen <?page no="241"?> 242 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Rahmenbedingungen beim Einsatz und der Konzeption eines ACs zu berücksichtigen (Obermann, 2013, S. 45-54; Ridders, 2015, S. 109f.). Die Durchführungsphase ist die praktische Umsetzung und stellt somit die eigentliche Beobachtung der Kandidaten dar. Vorab sollten die Assessoren eine Beobachterschulung erhalten und so auf ihre Beobachterrolle, die AC-Ziele und die spezifischen Übungen vorbereitet werden. Beobachter mit den Anforderungen vertraut zu machen, wird als zweitwichtigstes Qualitätskriterium, nach der Entwicklung des Anforderungsprofils, gewertet (Schermuly/ Nachtwei, 2010, S. 17). Beteiligte Personengruppen in einem Assessment-Center sind die Kandidaten bzw. Bewerber oder Teilnehmer, eine entsprechende Anzahl an Beobachtern, ggf. Rollenspieler und Moderatoren. Letztere sollen einen reibungslosen Ablauf der Übungen gewährleisten und beeinflussen die Atmosphäre. Ebenso leiten sie die Einführungsphase und geben, wie die Beobachter, Rückmeldungen an die Teilnehmer (; Obermann, 2013, S. 221-234: Bröckermann, 2016, S. 106) Nachfolgend ist beispielhaft der Verlauf eines eintägigen Assessment-Centers aufgeführt. Tab. 4.5: Beispiel: Zeitplan - eintägiges AC Uhrzeit Thema 09: 00- 09: 30 Begrüßung und Einführung und Fragen zum Ablauf 09: 30 - 10: 30 Verteilung und Durchführung von Test 10: 30 - 11: 30 Selbstpräsentation 11: 30 - 11.45 Pause (Beobachterkonferenz) 11: 45 - 12.15 Führerlose Gruppendiskussion (Einteilung in zwei Gruppen) 12: 15 - 13: 15 Mittagspause (Beobachterkonferenz) 13: 15 - 14: 00 Postkorb-Übung 14: 00 - 14.15 Kaffeepause (Beobachterkonferenz) 14: 15 - 15: 00 Rollenübung je zwei Teilnehmer 15: 00 - 15: 15 Pause (Beobachterkonferenz) 15: 15 - 15: 45 Interview 15: 45 - 16: 00 Pause (Beobachterkonferenz) 16: 00 - 17: 00 Auswertung in Gesamtbeobachterkonferenz 17: 00 - 18: 00 Feedbackgespräch Quelle: in Anlehnung an Obermann, 2013, S. 233 Das AC beginnt üblicherweise mit einer Begrüßung und Einführung in den Ablauf des ACs, gefolgt von einer Vorstellungsrunde der Kandidaten. Anschließend erfolgt die Bearbeitung der ausgewählten Übungen, die den Kernbereich des ACs bilden. Nach jeder Übung sollte Zeit zur Bewertung und Auswertung der Beobachtungen für die Assessoren eingeplant sein. Diese Zeit kann den Kandidaten gleichzeitig als Vorbereitungszeit für Einzelarbeiten dienen (Bröckermann, 2016, S. 105-107). Die genaue Konzeption eines ACs ergibt sich aus den Zielen, Anforderungen und Kapazitäten für das Assessment-Center, die in der Vorbereitungsphase ermittelt wurden. In Abhängigkeit von der Anzahl der Teilnehmer und Beobachter bzw. des Netto-Zeitbedarfs für die ausgewählten Übungen, können AC einen oder mehrere Tage dauern. Anschließend werden die einzelnen Übungen über den Tagesablauf verteilt. Die Konstruktion von Einzel-AC ist dabei weniger komplex als bei Grup- <?page no="242"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 243 pen-ACn. Bei diesen werden aus Effizienzgründen die Vorbereitung und Präsentation der Ergebnisse von Einzel- und Gruppensituationen zeitversetzt terminiert. Dadurch ergibt sich ein differenzierter, individueller Zeitplan für jeden Beobachter und jeden Teilnehmer (Lorenz, 2015, S. 134). Der Ablauf folgt dabei meist dem gleichen Prinzip. Kommunikationsfähigkeit 1 2 3 4 5 6 7 Anmerkungen/ Notizen Schafft eine positive Diskussionsatmosphäre Bringt sich mit eigenen Beiträgen aktiv in die Diskussion ein Hört den Gesprächspartnern aufmerksam zu Stellt offene Fragen, fragt nach Überzeugt andere von seinen/ ihren Ideen und Vorschlägen Bezieht andere ein, verhält sich wertschätzend Gesamtwert der Dimension: Abb. 4.3: Kompetenzdimension Kommunikationsfähigkeit. Quelle: in Anlehnung an Lorenz, 2015, S. 136 Den Abschluss eines Assessment-Centers bilden die Auswertung der Beobachtungen für jeden Bewerber und die Erarbeitung eines Gesamturteils. Die Kompetenzdimensionen wurden jeweils nach den Übungen von den Beobachtern, wie beispielhaft in Abb. 4.3: Kompetenzdimension Kommunikationsfähigkeit dargestellt, anhand von sogenannten Verhaltensankern bewertet. Die Einzelbewertungen der Beobachter werden nach jeder Übung zusammengefasst und anschließend, wie in Abb. 4.4: Auswertungsmatrix beispielhaft dargestellt, in vorbereiteten Bewertungsbögen dokumentiert. Daraus entsteht ein Ergebnisprofil, womit die Ergebnisse der einzelnen Teilnehmer mit den stellenbezogenen Anforderungen verglichen werden können und Stärken sowie Entwicklungspotenziale aufgedeckt werden (Lorenz, 2015, S. 135). Assessment-Center vom: Rückmeldung am: Teilnehmer: Unterschrift: Beobachter/ Feedback-Geber: Unterschrift: Merkmal Übung 1 Übung 2 Übung 3 Übung 4 Übung 5 Übung 6 Übung 7 Übung 8 Übung 9 Übung 10 Mittelwert Methodenkompetenz M1 M2 M3 <?page no="243"?> 244 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Soziale Kompetenz M4 M5 M6 Persönlichkeitskompetenz M7 M8 M9 Reflexionsfähigkeit M10 M11 M12 Sonstige allgemeine Beobachtungen und Einschätzungen: Kommentare des Teilnehmers: Abb. 4.4: Auswertungsmatrix. Quelle: in Anlehnung an Schuhmacher, 2014, S. 146 Wie in den AC-Standards gefordert, erhalten die Kandidaten überwiegend direkt im Anschluss an das AC eine ausführliche Rückmeldung der Ergebnisse, zunehmend schriftlich und mündlich, in einem individuellen Feedback-Gespräch. Dies dient bei einem Auswahl-AC der Akzeptanz des Verfahrens und kann durch das Aufzeigen von Stärken und Schwächen nützlich für die Zukunft der Bewerber sein (Obermann, 2013, S. 250). Ein Feedback kann jedoch kritisch gesehen werden, da das Feedback immer vom Unternehmen und den Beobachtern abhängig ist (Scholz 2014, S. 186). Auch Beobachter erhalten ggf. ein Feedback zu ihrer Einschätzung. Um die Eignung und den Erfolg eines AC zu überprüfen, fordern die AC-Standards die regelmäßige Evaluation durch Güteprüfung und Qualitätskontrolle. Auf dieser Grundlage können ggf. Anpassungen und Änderungen des Beobachtungs- und Bewertungsprozess durchgeführt werden, um das AC für die Zukunft zu verbessen (Obermann, 2013, S. 270-273). Tests und Übungen im AC Es steht ein breites Spektrum erprobter und bewährter Einzelkomponenten zur Konzeption eines ACs zur Verfügung. Durch deren Einsatz soll ein möglichst umfassendes Bild aller relevanten Merkmale eines Bewerbers für die spätere Tätigkeit gebildet werden (Stock-Homburg, 2013, S. 181). Die Zusammensetzung der Komponenten hängt im Einzelfall von den Bedürfnissen des Unternehmens und der Position ab. In Tabelle 4.6 ist beispielhaft eine Anforderungs-Verfahrens-Matrix abgebildet. Auf diese Weise können die Übungen und die damit beobachtbaren Merkmale übersichtlich dargestellt werden. <?page no="244"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 245 Tab. 4.6: Anforderungs-Verfahrens-Matrix Anforderung Verfahren Kurzpräsentation Interview Gruppendiskussion Postkorb Rollenspiel Fallstudie Führungsverhalten Logisches Denken Praktisch-variables Problemlösen Initiative und Leistungsverhalten Ausdrucksfähigkeit Soziale Kompetenz Interkulturelle Kompetenzen Quelle: in Anlehnung an Höft/ Funke, 2006, S. 168 Für AC-Übungen können Cluster nach unterschiedlichen Kriterien gebildet werden. Jung (2010) teilt diese in vier Gruppen nach Art der Interaktion mit anderen Teilnehmern ein. Diese vier Kategorien sind: „Einzelkämpfer“ (Postkorbübung), „Jeder gegen jeden“ (Führerlose Gruppendiskussion), „Einer gegen den anderen“ (Rollenspiel) und „Einer gegen alle“ (Präsentation) (Jung, 2010, S. 918). Weiterhin können die Gruppen „alle miteinander“ (Konstruktionsübungen) und „weitere gebräuchliche Übungen“ (Interviews, Fallstudien) gebildet werden. Eine andere Einteilung nehmen Eisele und Doyé (2010) vor. Das sog. multimodale Verfahren setzt sich hiernach aus mehreren situativen ungebundenen und gebundenen Übungen zusammen (Eisele/ Doyé, 2010, S. 145). Die zwei Kategorien, simulationsorientierte und eigenschaftsorientierte Übungen, ergänzt Obermann (2013) als dritte Kategorie mit biografisch orientierten Übungen. Sie sollen sich gegenseitig ergänzen und somit die Vorteile der Multimodalität sicherstellen. Eine vollständige Aufzählung aller Übungen, die in der Literatur zu finden sind, würde aufgrund ihrer Vielzahl den Rahmen dieses Abschnitts sprengen. Deshalb werden lediglich im Folgenden einige typische Verfahren, die wiederkehrend in Assessment-Centern zum Einsatz kommen, dargestellt. Postkorb Diese situative Übung ist ein klassischer Bestandteil von ACn und in der Praxis sehr beliebt. Gründe dafür sind einerseits die hohe Augenscheinvalidität andererseits die Flexibilität der Übung. Sie stellt demnach eher einen formalen Rahmen dar, in dem die Inhalte positionsspezifisch gestaltet werden können (Obermann, 2013, S. 131). Ziele der Postkorb-Übung können die Beurteilung der Planungs-, Entscheidungs-, Organisations-, Delegationsfähigkeit, Stressverhalten und Flexibilität der Teilnehmer sein (Eisele/ Doyé, 2010, S. 146). Zu Beginn der Übung erhalten die Teilnehmer, neben relevanten Rahmenbedingungen wie Instruktionen und Organigrammen, realistische Schriftstücke (Obermann, 2013, S. 135: Informationsquelle der Schriftstücke sind interne Mitteilungen, Geschäftsberichte, Statistiken, Budgetplanungen, Briefe, Telefonnotizen, Rundschreiben, Zeitungsausschnitte, Artikel, Rechnungen, Einladungen/ Termine und Angebote), angelehnt an einen Posteingangskorb. Diese müssen in einer begrenzten Zeit, z.B. aufgrund einer anstehenden Dienstreise, bearbeitet, sortiert, <?page no="245"?> 246 4 Prozess des internationalen Personalmanagements priorisiert und ggf. delegiert werden. Während der Bearbeitung können Störungen eingebaut werden, wie Anrufe oder zusätzliche Meldungen. Die Lösungen können entweder schriftlich oder mündlich in Kombination mit einem Interview formuliert werden (Obermann, 2013, S. 131-135). Gruppendiskussion Mit dieser situativen Übung sollen soziale Kompetenzen, das Gruppen-, Kommunikations- und Diskussionsverhalten sowie Führungsfähigkeiten analysiert werden. Weiter können Zielorientierung, Belastbarkeit, Durchsetzungsvermögen, Kontaktfähigkeit und Engagement beobachtet werden. Ausdauer Gruppendiskussionen sind international beliebt und finden auf allen Kontinenten im Rahmen des ACs Anwendung. Die Anzahl der Teilnehmer sollte angelehnt an die betriebliche Praxis festgelegt werden. Es können unterschiedliche Variationen der Übung zum Einsatz kommen. Diese sind Gruppendiskussionen (Nicolai, 2006, S. 93):  mit/ ohne Rollenvergabe  mit/ ohne Diskussionsleiter  mit Rollenspielern  mit hohem/ niedrigen Wettbewerbscharakter  in Kombination mit anderen Übungen wie Präsentationen oder Fallstudien  mit/ ohne Interventionen Die Themen für Gruppendiskussionen können unternehmensspezifisch gestaltet werden und demzufolge vielfältige Schwerpunkte einnehmen. Als Beispiel können Interkulturelle Diskussionen oder die Bearbeitung der Struktur für eine Mitarbeiter-/ Kundenbeziehung genannt werden. Klassiker sind u.a. Übungen wie „Seenot“ oder „Wüstencrash“ (Schuhmacher, 2004, S. 180; Obermann, 2013, S. 108- 118). Rollenspiel In Rollenspielen können besonders kommunikative Fähigkeiten, wie Kundenorientierung Verhandlungsgeschick und Mitarbeiterführung, in Interaktion mit Anderen beobachtet werden. Rollenspiele finden als Simulationen von Eins-Zu-Eins-Gesprächssituationen, wie Verhandlungssituationen, kritische Vorgesetzten-Mitarbeiter-Gespräche oder Verkaufssituationen, statt. Die Teilnehmer erhalten vorab schriftlich Informationen zu den geltenden Rahmenbedingungen und die Position bzw. Rolle, die sie verkörpern sollen. Als Gesprächspartner dient dabei entweder eine neutrale Person oder ein Beobachter (Eisele/ Doyé, 2010, S. 147; Schuhmacher, 2014, S. 177). Präsentation Präsentationen sind neben Postkorb-Übungen und Gruppendiskussionen in deutschen ACn am beliebtesten. Ziel ist es, Erkenntnisse über die organisatorisch-analytischen und rhetorischen Fähigkeiten, also Souveränität, Kommunikations- und Überzeugungsfähigkeit der Teilnehmer zu erhalten. Grundsätzlich kann eine Präsentation ad hoc oder mit Vorbereitungszeit erfolgen, die üblicherweise maximal 30 Minuten beträgt. Kerninhalt der Übung ist die Aufbereitung, Strukturierung und Vorstellung im Plenum eines bestimmten Themas oder Materials. Für den Präsentationsinhalt steht dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Themen zur Verfügung, wie beispielsweise Selbstpräsentation, Vorstellung der letzten Projektarbeit, spontane Verkaufsgespräche, Präsentationen in Englisch oder einer anderen positionsrelevanten Sprache, Verteidigung der Analyse eines Business Cases oder Zusammenfassung von Testmaterial (Eisele/ Doyé, 2010, S. 146; Obermann, 2013, S. 120f.; Schuhmacher, 2014, S. 167f.). <?page no="246"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 247 Ähnlich einer Präsentation, jedoch mit inhaltlicher Betonung, komplexerem Sachverhalt und ggf. fachlichen Aspekten, kann ein Vortrag erfolgen. Die Vorbereitungszeit ist dementsprechend höher und erfolgt meist eigenständig während der Pausen eines ACs. Zusätzlich kann eine schriftliche Darlegung der Ergebnisse in einem Handout verlangt werden, um die Fähigkeit, einen komplexen Sachverhalt knapp darzulegen, zu überprüfen (Schuhmacher, 2014, S. 169). Fallstudien Fallstudien sollen den Berufsalltag von Führungskräften nachahmen. Dazu werden komplexe, aber überschaubare Situationen abgebildet, die individuell und eigenständig während der Pausenzeiten zwischen den Übungen bearbeitet werden. Die Ergebnisse werden anschließend in einer Präsentation vorgestellt. Ziel ist die Beurteilung des Auffassungsvermögens, Komplexitätsreduktion, Entscheidungsfähigkeit, Priorisierung, Ergebnisorientierung und das analytische Denken und Vorgehen. Darüber hinaus bietet es die Möglichkeit, fachliches Wissen zu testen (Eisele/ Doyé, 2010, S. 147; Schuhmacher, 2014, S. 171-173). Abb. 4.5 stellt ein Beispiel für einen Kurzfall dar. Kurzfall: B Betriebsleiter Sie sind ein Betriebsleiter in einem Produktionswerk. Als Sie in die Fräserei kommen, fliegt auf einmal ein Knäuel dreckige Putzwolle von hinten knapp an Ihrem Kopf vorbei. Sie drehen sich sofort um, können aber nicht feststellen, wer das Knäuel geworfen hat. Alle Mitarbeiter arbeiten und nehmen keinerlei Notiz von Ihnen. Wie verhalten Sie sich? Stellen Sie Ihre Vorgehensweise dar und erläutern Sie diese. Abb. 4.5: Beispiel für einen Kurzfall. Quelle: in Anlehnung an Schuhmacher, 2014, S. 173 Kurzfälle stellen zumeist alltäglicher Führungssituationen dar. Die Teilnehmer sollen die Situation bewerten, Entscheidungen treffen und diese anschließend begründen (Schuhmacher, 2014, S. 172f.). Interview Mithilfe eines Interviews soll der bisher gewonnene Eindruck eines Kandidaten ergänzt werden und nicht direkt beobachtbare Informationen zur sozialen Einstellung, Motivation, zu Interessen, Erwartungen, Werten und auch fachliche Informationen aufdecken (Olfert, 2015, S. 182). Ein AC-Interview kann dem Vorstellungsgespräch ähneln und ebenso strukturiert, teilstrukturiert oder unstrukturiert erfolgen. Die nachfolgend beschriebenen Vor- und Nachteile der Verfahren gelten entsprechend. Neben der Strukturiertheit sind in der Literatur andere Unterscheidungsformen und Interviewmethoden zu finden. Obermann differenziert zwischen Biografie-orientierten Interviews (BI) und situativer Fragetechnik (SI) (Obermann, 2013, S. 160-163). Des Weiteren beschreibt Schuhmacher (2014) eine Gesprächssituation mit einem benannten, für alle AC-Teilnehmer identischen, Beobachter. Es werden emotionale oder auch unangenehme Fragen gestellt, zu denen die Teilnehmer Stellung beziehen sollen, wie etwa einem Mobbing-Vorwurf. Hierbei beträgt die Interviewdauer lediglich bis zu drei Minuten und das Antwortverhalten wird von den anderen Beobachtern erfasst. Dabei besteht die Intention darin, emotionale Stabilität, Ausdrucksvermögen, Konflikt-, Identifikations- und Überzeugungsfähigkeit sowie die Fähigkeit zur Komplexitätsreduktion zu beobachten (Schuhmacher, 2014, S. 174-177). Persönlichkeitstests, Fähigkeitstests und Biografische Fragebögen Psychologische Testverfahren, wie Intelligenztests, Leistungstests und Persönlichkeitsfragebögen, können ebenso Bestandteil von Assessment-Centern sein. <?page no="247"?> 248 4 Prozess des internationalen Personalmanagements „Testverfahren - ‚signs‘ - sollen also situationsübergreifende, grundlegende psychologische Dimensionen messen, Arbeitsproben ‚samples‘ interessieren sich dagegen nur für Situation und die Tatsache ihrer adäquaten Bewältigung durch die Bewerber Mitarbeiter.“ (Obermann, 2013, S. 137). Tests zeichnen sich, im Vergleich zu situativen Übungen, durch eine hohe Auswertungsobjektivität aus. Ihr Nachteil liegt dabei in der Distanz zu den tatsächlichen positionsspezifischen Aufgaben und Tätigkeiten. Mit der Erstellung biografischer Fragebögen oder Biografie-orientierten Interviews soll auf das zukünftige Verhalten geschlossen werden. Das Grundverständnis dabei ist, dass vergangenheitsbezogene Ereignisse und Erfahrungen, also real erlebtes Verhalten, der Beste Indikator für zukünftige Verhaltensweisen ist (Obermann, 2013, S. 162f.). Nutzen von Assessment-Centern Die Anwendung von Assessment-Centern hat für Unternehmen, Teilnehmer und Beobachter Vorteile in mehrerlei Hinsicht. Ein positiv hervorzuhebender Aspekt des ACs ist die Methodenvielfalt (Ridders, 2015, S. 112f.). Es werden unterschiedliche Aufgabentypen verwendet. Dadurch können gleiche Fähigkeitsmerkmale mehrfach erfasst und zukünftige Anforderungen umfassend abgebildet werden. Die Bewerber haben die Möglichkeit sich ganzheitlich zu präsentieren und Stärken und Schwächen auszugleichen. Ergänzend sind mehrere geschulte Beobachter anwesend, die jeden Probanden mindestens einmal beobachten. Die Beobachtung wird dabei von der Urteilsfindung getrennt, die am Ende des Verfahrens stattfindet. Demzufolge wird eine einseitige subjektive Einschätzung reduziert, die Aussagekraft erhöht und das Risiko von Fehlentscheidungen gesenkt (Schuhmacher, 2014, S. 123; Ridders, 2015, S. 112f.). Darüber hinaus sprechen der systematische Ablauf und die Möglichkeit mehrere Bewerber gleichzeitig zu beurteilen für den Einsatz von Assessment-Centern. So ist eine direkte Vergleichbarkeit der Teilnehmer gewährleistet, was die Auswahlentscheidung erleichtert (Nicolai, 2006, S. 96-97; Scholz, 2014 S. 184). Außerdem werden Teilnehmer in verschiedenen Situationen und im Umgang mit anderen erlebt. Das Verhalten im Team und in der Zusammenarbeit kann in anderen Auswahlverfahren nicht abgebildet werden (Schuhmacher, 2014, S. 119-123). Ein grundlegender Nutzen von ACs ist der stärkere Anforderungs- und Realitätsbezug im Vergleich zu anderen Auswahlinstrumenten. Der Fokus liegt auf direkt beobachtbare Verhaltensmerkmale der zukünftigen Tätigkeit. In Test und Simulationen von realitätsnahen, tätigkeitsspezifischen Anforderungen und Situationen werden so relevante Informationen gesammelt, die Aussagen über die Eignung zulassen (Scholz, 2014, S. 184: Ridders, 2015, S. 112 f.; Lorenz, 2015, S. 132). Durch eine qualitativ gute Auswahl werden Fehlentscheidungen verringert und im internationalen Kontext sehr hohe Folgekosten einer Fehlbesetzung vermieden. Bei der Vorselektion wird durch eine intensivere Analyse des Anforderungsprofils nach objektiven Kriterien selektiert, wodurch Entscheidungen nachvollziehbar werden (Nicolai, 2006, S. 98). Der Umfang an Übungen, die Dauer des AC und eine spezifische Anpassung an das Unternehmen schränken die Trainierbarkeit von Sozialverhalten ein. Schauspieler können im Laufe eines AC entdeckt werden (Nicolai, 2006, S. 96). Schuhmacher (2014) ist der Auffassung: „Nur die Teilnehmer, deren Verhalten authentisch ist, halten den Anforderungen des Assessment-Centers stand.“ (Schuhmacher, 2014, S. 116). Der Bewerber erhält einen Einblick in die Anforderungen und Erwartungen sowie in das Unternehmen und kann daher frühzeitig selbst feststellen, ob er zu dem Unternehmen passt (Nicolai, 2006, S. 96; Schuhmacher, 2014, S. 124; Lorenz, 2015, S. 132). Durch ein ausführliches Feedback werden Entscheidungen nachvollziehbar gemacht. Wenn das AC für einen Bewerber nicht erfolgreich war, kann er dennoch positiven Nutzen daraus ziehen. Die Erkenntnisse über Stärken und Schwächen <?page no="248"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 249 kann der Teilnehmer zur eigenen Entwicklung nutzen. Durch das Aufeinandertreffen von mehreren Teilnehmern und Beobachtern aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen besteht die Möglichkeit für beide Parteien Netzwerke für die Zukunft aufzubauen. Dies sind Gründe, warum Assessment-Center als Auswahlverfahren und die daraus folgende Entscheidung eine hohe Akzeptanz haben (Sarges, 2001, S. 18). Darüber hinaus fördert ein AC die Entwicklung von Beobachtern und damit Feedback-, Beurteilungskompetenzen und das eigene Führungsverhalten (Schuhmacher, 2014, S. 125-126). Assessment-Center gelten durch eine objektive Bewertung, Standardisierung, und Transparenz mit begründeter Entscheidung als faires Verfahren (Schuhmacher, 2014, S. 124; Ridders, 2015, S. 112f.). Um Diskriminierung in der Personalauswahl (Diversity Management) zu vermeiden werden ACs durch den kombinierten Einsatz verschiedener Verfahren ebenfalls positiv hervorgehoben (Frintrup/ Flubacher, 2014, S. 59). Risiken von Assessment-Centern Assessment-Center bringen viele nützliche Eigenschaften mit. Sie bergen jedoch ebenso Risiken, die nicht außer Acht gelassen werden sollten. Der hohe zeitliche und finanzielle Aufwand für Vorbereitung, Durchführung und Abschluss, der für diese Auswahlmethode eingesetzt werden muss, wird als häufigster Nachteil genannt (Nicolai, 2006, S. 98). Der Bedarf an mehreren Beobachtern und Teilnehmern, die alle an einem Ort für einen längeren Zeitraum zusammentreffen müssen, hat hohe Personal- und Reisekosten zur Folge. Damit haben im internationalen Umfeld vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, die international nach Personal suchen wollen oder müssen, einen Nachteil. Sie verfügen nicht über ausreichend finanzielle und zeitliche Ressourcen, um sich den Einsatz eines AC leisten zu können (Scholz, 2014, S. 186). Zudem ist trotz mehrerer Beobachter nicht gewährleistet, dass keine Wahrnehmungsverzerrungen und Bildung von Stereotypen in Interviews auftreten. Ridders stellt die Frage, ob es nicht lediglich zu einer Addition subjektiver Bewertungen kommt. Auch wenn dies nicht der Fall ist, kann die Auswahlentscheidung am Ende doch wieder die eines einzelnen sein. Führungskräfte höherer Hierarchien oder Gruppendruck lenken ggf. die Urteilfindung in eine bestimmte Richtung (Ridders, 2015, S. 111f.). Von Nachteil ist auch das Erfassen des Verhaltens unter Laborbedingungen, die die Aussagekraft der Ergebnisse über die tatsächliche Praxis in Frage stellt. Darüber hinaus wird das Verhalten sowie interagierende Prozesse lediglich anhand von Skalen und durch Einstufungsmethoden erhoben, was die Beurteilung beeinflussen kann (Scholz 2014, S. 186). Weiterhin befasst sich viel Kritik mit der Gefahr, dass ein guter Selbstdarsteller oder Schauspieler positiver beurteilt wird. Dieser Aspekt kann jedoch auch eine schnelle Auffassungsgabe, Flexibilität, Anpassungs- und Einfühlungsfähigkeit zeigen (Nicolai, 2006, S. 98; Schuhmacher, 2014, S. 116). Nachteilig ist ebenfalls, dass trotz der längeren Dauer eines AC lediglich eine Momentaufnahme der Leistungen und Verhaltensweisen der Teilnehmer berücksichtigt werden kann. Lerneffekte und Entwicklungen sind nicht abzubilden. Die Ergebnisse können darüber hinaus durch den Druck, der auf den Teilnehmern lastet, verzerrt sein. Ständige Beobachtung, Leistungsdruck, Vergleiche und Konkurrenz mit den anderen Teilnehmern können Stressreaktionen erzeugen, die nicht dem normalen Verhalten der Bewerber entsprechen (Nicolai, 2006, S. 98) Ein weiteres Risiko ergibt sich aus dem Anforderungsbezug, der zuvor als Vorteil bezeichnet wurde. Problematisch ist dabei, dass die Übungen jeweils firmenspezifisch angepasst und entwickelt werden und demzufolge nicht standardisiert sind. Dadurch fehlt häufig der Bezug unter den einzelnen Übungen. Außerdem kann die Eingliederung in den Kontext des Unternehmens dabei ggf. verloren gehen. Die Qualitätsstandards und damit die Treffsicherheit können so verloren gehen, was in jedem <?page no="249"?> 250 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Einzelfall die Frage der Güte neu aufbringt (Nicolai, 2006, S. 98; Scholz, 2014, S. 186; Ridders, 2015, S. 112f.). „Auch wenn der Möglichkeit nach die prognostische Validität von ACn zufriedenstellend hoch ist, so ist sie im Einzelfall doch stark von der Sorgfalt bei der Entwicklung und Durch- ührung des betreffenden ACs abhängig.“ (Sarges, 2001, S. 18). Weitere Assessment-Formen Neben Gruppen-ACs existieren weitere Variationen, die auf den beschriebenen AC-Elementen basieren. Je nach Zielsetzung und Teilnehmeranzahl ergeben sich somit unterschiedliche Schwerpunkte (Obermann, 2013, S. 361-420; Schuhmacher, 2014, S. 67). Varianten sind beispielsweise Einzel-Assessment, Development Center, Lernpotential-AC, dynamische Assessment-Center/ Planspiel-AC, Real-Life-Assessment, Management-Audits, Team-Assessment-Center, Evaluations-Assessment-Center, Potential-AC, interkulturelle und internationale AC sowie Online-Assessment- Center (Schuhmacher, 2014, S. 67-73) Wie bei den Testverfahren bereits erläutert, würde eine detaillierte Beschreibung aller Weiterentwicklungen den Rahmen dieses Abschnitts sprengen. Daher werden an dieser Stelle die Varianten Einzel-Assessment-Center als Sonderform des Gruppen-AC sowie internationale und interkulturelle AC, aufgrund ihrer Relevanz für die internationale Personalauswahl, erläutert. Einzel-Assessment-Center (EAC) Das Einzel-Assessment-Center mit nur einem Kandidaten wird häufig bei der Auswahl von Führungskräften des Mittel- und Top-Managements aus Diskretionsgründen eingesetzt. Darüber hinaus können sie Einsatz in der Karriereberatung finden. Häufig werden EAC durch externe Spezialisten durchgeführt. Neben dem Aspekt der größeren Vertraulichkeit bei internen Kandidaten findet ein EAC bei Ja-Nein-Entscheidungen für die letzten Kandidaten einer externen Besetzung, nach dem Interview, statt. Die Dauer eines Einzel-AC beträgt für gewöhnlich einen Tag, an dem fünf bis acht Managementsimulationen und Interviews stattfinden. Das Übungsspektrum umfasst Einzelübungen und Rollenspiele, jedoch keine Gruppenübungen. Gruppenspezifische Verhaltensweisen, wie Team- oder Durchsetzungsfähigkeit, können daher nicht beobachtet und beurteilt werden. Durchführungs- und Beobachteraufwand sowie die geringe Distanz zum Teilnehmer stellen ebenfalls Nachteile des EAC dar. Es lässt sich allerdings einfacher und kurzfristiger organisieren und bietet den Vorteil einer kürzeren Abwesenheit des Kandidaten vom Arbeitsplatz. Außerdem ermöglicht ein Einzel-AC mehr Flexibilität im Ablauf, eine exaktere Aufgabenspezifikation und ist ideal für mittelständische Unternehmen, die einem Gruppen-AC aus verschiedenen Gründen skeptisch gegenüber stehen (Nicolai, 2006, S. 90; Obermann, 2013, S. 361-365; Schuhmacher, 2014, S. 67). Interkulturelle und Internationale Assessment-Center Die zunehmende Internationalisierung von Unternehmen, wirkt sich auf die Personalauswahl im Sinne wachsender Anforderungen aus. Die länderübergreifende Suche nach Führungskräften und Mitarbeitern hat auch in Assessment-Centern den Fokus auf internationale und interkulturelle Aspekte gelenkt. Ein Ziel ist es, die Prognose für Auslandsbesetzungen zu verbessern. Es werden spezifische Übungen und Verfahren konstruiert, um den eignungsdiagnostischen Anforderungen sowie neuen Aufgabenfeldern gerecht zu werden. In der Vorbereitung ist die Analyse der kulturellen Konstellationen der Teilnehmer und Beobachter, die in einem AC für internationale und multikulturelle Anwendung auftreten werden, von Belang (Schuhmacher, 2014, S. 211) Nach Obermann (2013) lassen sich im interkulturellen Kontext drei Varianten von Assessments nach ihrem Anwendungsgebiet unterscheiden (Obermann, 2013, S. 405-407). In der ersten Form, AC für Expatriates, werden einzelne, lokale Mitarbeiter im Hinblick auf die Eignung für eine Auslandsendsendung in einer konkreten Zielregion überprüft. Das AC wird üblicher- <?page no="250"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 251 weise als EAC durchgeführt. Hierbei sind allgemeine interkulturelle Fähigkeiten und die Passung des Mitarbeiters zur speziellen Zielkultur sowie Rahmenbedingungen entscheidend. Interkulturelle Kompetenzen werden als „Fähigkeiten verstanden, soziale Kompetenzen auch im Umgang mit Vertretern fremder Kulturen, z.B. in einem internationalen Team, zu beweisen“ (Festing et al., 2011, S. 268f.). Weitere Aspekte für den Erfolg einer Entsendung sind fachliche Fähigkeiten, die Motivation des Expatriates und insbesondere das familiäre Umfeld der Mitarbeiter. An diesem Punkt scheitert eine nicht unerhebliche Anzahl von Entsendungen. Schuhmacher (2014) hebt die Anwendung von Assessment-Centern im Rahmen von Entsendungen positiv hervor, um die hohen Risiken beherrschbar zu machen und weist hierbei auf einen Nachholbedarf hin (Schuhmacher, 2014, S. 213. Bei Interkulturellen ACn geht es vornehmlich um die Überprüfung von grundsätzlichen interkulturellen Kompetenzen und die Frage, ob später Führungspositionen außerhalb des Heimatlandes übernommen werden können. Dies findet innerhalb eines klassischen AC zur Auswahl oder Potentialanalyse für Nachwuchs- oder Führungskräften statt, der um zusätzliche Aufgaben mit interkulturellen Anforderungskriterien ergänzt wird. Durch den Mangel an einem konkreten Kontext, anders als bei dem AC für Expatriates, erscheint die Definition für Anforderungskriterien durchaus komplizierter. Als erfolgskritische Verhaltensweisen werden die Kompetenzen Ambiguitätstoleranz, Verhaltensflexibilität, Zielorientierung, Kontaktfreudigkeit, Einfühlungsvermögen, Polyzentrismus und Metakommunikative Kompetenzen erachtet. Zur Messung kommen Verhaltenssimulationen und situative Interviews zum Einsatz. Dabei ist darauf zu achten, differierende Kulturen und die Kriterien für interkulturelle Aspekte eindeutig und mehrfach abzubilden. Um eine Konzentration auf spezifische Kulturen und ggf. Vorteile für Kandidaten mit Vorlieben zu dieser Kultur zu vermeiden, ist die Abbildung einer europäischen oder erfundenen fremden Kultur durch die Übungen von Vorteil (Obermann, 2013, S. 413-417: Schuhmacher, 2014, S. 208f.). Internationale AC haben besonders in Europa Bedeutung und sind „AC mit Teilnehmern und Beobachtern unterschiedlicher Sprache und Kulturen“ (Obermann, 2013, S. 418). Sie kommen bei der Besetzung einer konkreten Stelle oder der Ermittlung von Entwicklungspotenzial für ein internationales Förderprogramm zum Einsatz. In Form von Development Centern oder Potentialanalysen finden AC besonders in internationalen, vor allem europäischen Unternehmen Anwendung. Die Sprache ist zumeist Englisch, äquivalent zur Arbeitssprache im Unternehmen. Herausforderungen entstehen durch eine einheitliche Gestaltung der Beurteilungskriterien für Teilnehmer aus unterschiedlichen Wertesystemen mit unterschiedlicher kultureller Herkunft und Muttersprache. Diese sind entweder auf die Leistungs- und Verhaltensstandards des Stammhauses oder auf eine einheitliche Kultur (Corporate Culture) (üblicherweise die amerikanische Business-Kultur) ausgerichtet. Außerdem ist auf eine Übereinstimmung im Sprachverständnis zu achten, sodass ggf. unterschiedliche Sprachkenntnisse keinen zu großen Einfluss auf das Ergebnis haben. Um Problemen entgegenzuwirken, soll die kulturelle Vielfalt der Kandidaten ebenfalls bei der Zusammensetzung der Beobachter berücksichtigt werden und dem Prinzip der Diversität folgen. Eine ausdrückliche Beurteilung interkultureller Aspekte fließt nicht mit in die Beurteilung eines internationalen ACs ein (Obermann, 2013, S. 406 f., 418; Schuhmacher, 2014, S. 208-210). Ein Beispiel für ein internationales AC ist das Auswahlverfahren von Fachkräften und Hochschulabsolventen bei der EU. Seit 2010 finden AC für verschiedene Zielgruppen und ohne explizite Einbindung interkultureller Aspekte statt. Die Sprache ist hierbei die Nichtmuttersprache (Englisch, Deutsch, Französisch) der jeweiligen Teilnehmer (Obermann, 2013, S. 418). <?page no="251"?> 252 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Grundsätzlich verlaufen internationale und interkulturelle AC wie nationale AC. Die Bewertung und Beobachtung der Teilnehmer erfolgen durch geschulte Beobachter, ggf. mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund. Hier ist darauf zu achten, dass sich die Bewerber über positiv und negativ zu bewertendes Verhalten einig sind (Festing et al., 2011, S. 270). Charakteristisch bleibt weiterhin der multimodale Einsatz von Aufgaben. Generell sind dafür alle Übungen denkbar, die auch im nationalen Verfahren zur Anwendung kommen. In diesem Fall muss bei der Konstruktion der Übungen, der Zusammenstellung und dem Feedback auf kulturelle Unterschiede der teilnehmenden Personen eingegangen werden (Schuhmacher, 2014, S. 212). Vergleich Assessment-Center und Einstellungsgespräch an ausgewählten Gütekriterien Die Qualität von eignungsdiagnostischen Verfahren zur Bewerberauswahl ist entscheidend für den Erfolg der Auswahl. Es muss daher beurteilt werden, ob die Methoden und Instrumente diejenigen Bewerber identifizieren, die den Anforderungen der Position entsprechen. Für Assessment-Center und Einstellgespräche wurden mehrfach Studien durchgeführt, um die allgemeine Güte der Verfahren zu überprüfen. Der neunte Standard der AC-Standards führt dazu an: „Regelmäßige Güteprüfungen und Qualitätskontrollen stellen sicher, dass die mit dem AC angestrebten Ziele auch nachhaltig erreicht werden.“ Neben den so genannten klassischen Gütekriterien wie Validität, Reliabilität und Objektivität der empirischen Sozialforschung (Klimecki/ Gmür, 2005, S. 229f.) beeinflussen weitere Nebengütekriterien (Weber et al., 2005, S. 137; Obermann, 2013, S. 337; Kupka et al., 2007, S. 407: Zu den Nebengütekriterien zählen Normierung, Benutzerfreundlichkeit, Unverfälschbarkeit, Fairness, Nützlichkeit, Ökonomie/ Testökonomie und Teilnehmerakzeptanz, die Entscheidung. Im Folgenden wird kurz erläutert, was unter den Gütekriterien verstanden wird und ein Vergleich zwischen Assessment-Centern und Einstellungsgesprächen gezogen. Objektivität Von Objektivität spricht man, wenn die Durchführung, Auswertung und Interpretation des Beurteilungsverfahrens sowie der Ergebnisse unabhängig von den Untersuchenden bzw. Beurteilenden oder Interpretierenden sind. Es müssen somit die gleichen Ergebnisse entstehen, auch wenn andere Personen das Verfahren durchführen, auswerten oder interpretieren. Anhand der drei Aufgaben werden drei Objektivitätsdimensionen unterschieden. In der Literatur wird die Objektivität ebenso als „Interrater-Reliabilität“ bezeichnet (Klimecki/ Gmür, 2005, S. 229). Sowohl in Vorstellungsgesprächen wie auch Assessment-Centern findet die Beurteilung der Kandidaten durch Menschen statt, was subjektive Beobachtungs- und Beurteilungsfehler nicht ausschließt. Unstrukturierte Interviews sind anfälliger für diese Probleme und werden im Vergleich zu strukturierten Interviews als weniger objektiv eingeschätzt. Neben einem höheren Grad der Strukturierung und Standardisierung wirkt sich der Einsatz mehrerer Beurteiler positiv auf die Objektivität aus (Holtbrügge 2015, S. 126). Bei Assessment-Centern findet die Beurteilung der Kandidaten durch mehrere Beobachter gleichzeitig statt. Damit liegt die Beurteilungsmacht nicht bei einer einzelnen Person. Außerdem ist die Beobachtung von der Auswertung und Interpretation getrennt durchzuführen. Die hohe Objektivität wird als Vorteil von Assessment-Centern angesehen (Schuhmacher, 2014, S. 124). Reliabilität Reliabilität bezeichnet die Zuverlässigkeit bzw. die Messgenauigkeit, mit der ein diagnostisches Verfahren ein Merkmal erfasst. Ob dieses Merkmal erfasst werden sollte ist dabei nicht relevant (Stelzer- Rothe, 2001, S. 256). Die Reliabilität ist die Voraussetzung für die Gültigkeit bzw. Validität von <?page no="252"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 253 Prognoseaussagen (Obermann, 2013, S. 286). Ein Aspekt dabei ist die Stabilität der Aussagen im Zeitverlauf. Ob die Ergebnisse in einer zweiten späteren Messung („Test-Retest-Reliabilität“) oder einer parallelen Messung („Paralleltest-Reliabilität“) übereinstimmen ist somit Voraussetzung für die Gültigkeit oder auch Validität der beruflichen Erfolgsprognose (Eisele/ Doyé, 2010, S. 149f.). Unstrukturierte Auswahlgespräche weisen eine geringe Reliabilität auf. Unterschiedliche Fragen im Interview führen zu unterschiedlichen Interpretationen und Entscheidungen. Die Retest-Reliabilität strukturierter Interviews ist durch bessere Vergleichsmöglichkeiten höher (Stelzer-Rothe, 2002, S. 241f.). Die Zuverlässigkeit eines Auswahl-Assessment-Center wird höher als bei Einstellinterviews eingeschätzt. Dies ist auf die Mehrfachmessung von Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften sowie die Mehrfachbeurteilung zurückzuführen. Dabei ist die Gesamtreliabilität von Assessment- Centern abhängig von der Reliabilität der einzelnen Übungen (Obermann, 2013, 290f.) Validität Die Validität gibt den „Grad der Genauigkeit [an], mit dem ein Verfahren das misst, was es zu Messen vorgibt.“ (Stelzer- Rothe, 2001, S. 256). Wie bereits erwähnt bedingen Reliabilität und Objektivität die Validität eines Verfahrens. Es ist das wichtigste Kriterium der klassischen Testtheorie (Höft, 2006, S. 762) Die wichtigsten Ausprägungen der Validität von ACn sind Inhalts-, Konstrukt- und prädiktive Validität (Für eine Übersicht weiterer Ausprägungen der Validität von AC siehe Anhang, Tabelle A 2,). Unter dem Begriff Inhaltsvalidität oder Augenscheinvalidität versteht man, wie gut die einzelnen Übungen eines Verfahrens die späteren Aufgaben des Mitarbeiters widerspiegeln. Ein Verfahren wird als konstrukt-valide angesehen, wenn das Messinstrument exakt die im Vorhinein definierten Konstrukte oder Merkmale misst, die es messen soll. Bei der Ermittlung der prädiktiven Validität wird der Zusammenhang der erzielten Prognosewerte mit dem tatsächlich eingetretenen beruflichen Erfolg ermittelt (Berthel/ Becker, 2013, S. 264; Obermann, 2013, S. 292) Ausgedrückt wird die Validität durch den Korrelationskoeffizienten. Ein Koeffizient von r = 1 bedeutet, dass das Auswahlinstrument die spätere Leistung korrekt vorhersagen kann. Dieser Wert wurde noch bei keinem Instrument nachgewiesen. Eine gute prognostische Validität, im Vergleich zu anderen Verfahren, wird bei r = 0,41 erreicht (Schuhmacher, 2014, S. 24f.). Die Validität von Einstellinterviews ist, wie auch schon die Reliabilität und Objektivität, in Abhängigkeit der spezifischen Form zu betrachten. Durch die höhere Vergleichbarkeit der Bewerber in strukturierten und standardisierten Einstellungsgesprächen haben diese eine höhere Prognosevalidität (Holtbrügge, 2015, S. 125-126). Verschiedene Analysen können hier signifikant höhere Validitäts-Koeffizienten in stark strukturierten Interviews gegenüber unstrukturierten nachweisen. Die Validität des Verfahrens kann durch eine Gestaltung mit größerem Anforderungsbezug oder mittels Mehrfachinterviews und mehrerer Interviewer erhöht werden (Stelzer-Rothe, 2002, S. 257; Schuler/ Markus, 2006, S. 212). In Assessment-Centern ist die Validität abhängig von den eingesetzten Übungen und Tests. Es werden Validitäten zwischen r=0,25 bis r=0,78 angegeben (Schuhmacher, 2014, S. 24). Bei korrektem Einsatz kann die Assessment-Center-Methode durch die Methodenvielfalt, mehrere Beobachter, hohe Systematik und standardisierte Beobachtungsinstrumente hohe Validitätswerte erreichen. In einer Studie des Arbeitskreises AC aus dem Jahr 2001 beurteilten 60,8 % der befragten Unternehmen die inhaltliche Validität und 48,8 % die Konstruktvalidität als zufriedenstellend. Immerhin schätzten 42,4 % die prädiktive Validität zufriedenstellend ein. Das Kriterium wurde jedoch von 2,2 % mit nicht zufriedenstellend bewertet (Arbeitskreis Assessment Center e.V., 2001) In mehreren Studien (Holtbrügge, 2015, S. 133) wurde für das AC-Verfahren trotzdem die höchste Prognosevalidität nachgewiesen (Holtbrügge, 2015, S. 132). Andere Studien stehen hingegen im Widerspruch dazu. Durch die meist unternehmensspezifische Entwicklung von ACn stellt sich die Frage nach der Objektivität, <?page no="253"?> 254 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Zuverlässigkeit und Gültigkeit bei jedem einzelnen AC aufs Neue. Obermann (2013) sieht Gründe für die unterschiedlichen Ergebnisse im Umfang der Standardisierung der jeweiligen Beobachtungssysteme sowie in der Zusammensetzung, Verschiedenartigkeit und Anzahl der einzelnen Aufgaben (Obermann, 2013, S. 318-337). Dabei kann der Anspruch an ein AC von der Wirklichkeit stark abweichen. Kriterien zur Qualitätssicherung und vereinbarte AC-Standards werden teilweise nicht eingehalten, wodurch erhebliche Qualitätsmängel entstehen (Schermuly/ Nachtwei, (2010, S. 16f.). Außerdem gibt es Unterschiede, an welchen Kriterien Berufserfolg in den Studien gemessen wird. Ansatzpunkte sind die Hierarchieebene, Verantwortung, Beförderung und Vorgesetztenbeurteilung. Dadurch sind die Ergebnisse schwer zu vergleichen. Schuhmacher (2014) führt zusammenfassend an: „Es kommt immer auf die Professionalität an, mit der die Methoden ausgeführt werden. Professionalität ist abzusichern, ansonsten scheidet jede Methode aus“ (Schuhmacher, 2014, S. 24). Ökonomie Definition Die Testökonomie oder Wirtschaftlichkeit beschreibt den Nutzen im Verhältnis zu den entstehenden Kosten. Damit ist sie letztendlich das ausschlaggebende Kriterium bei der Entscheidung für oder gegen ein Auswahlinstrument. In Abb. 4.6 ist das Aufwand-Nutzen-Verhältnis von Auswahlverfahren dargestellt. Abb. 4.6: Aufwand-Nutzen-Verhältnis von Auswahlverfahren. Quelle: in Anlehnung an Schuhmacher, 2014, S. 23 Die Abbildung zeigt allerdings, dass der Nutzen weitestgehend linear mit dem eingebrachten Aufwand steigt. Assessment-Center weisen bei professioneller Durchführung und Entwicklung eine <?page no="254"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 255 hohe Qualität auf. Durch AC ist es möglich, mit Hilfe unterschiedlicher und praxisnaher Übungen das Verhalten der Bewerber erfassen (Olfert, 2015, S. 182). Die Methode gilt jedoch als kostenintensives und aufwendiges Auswahlverfahren. Pro Teilnehmer fallen durchschnittlich 400 bis 2000 Euro an (Schermuly/ Nachtwei, 2010, S. 16). Diese entstehen durch die Vielzahl an Auswahlinstrumenten, Raummieten, geschulten Beobachtern, Moderatoren (Stelzer-Rothe, 2002, S. 246) und den zeitlichen Durchführungsaufwand (Obermann, 2013, S. 341-360: Eine detaillierte Aufstellung der Kosten sowie Verfahren zur schrittweisen Nutzenbeurteilung und -berechnung auf Euro-Basis liefert Obermann im Buch „Assessment Center“) Nach Schuhmacher (2014) sollte aus ökonomischer Sicht die Methode gewählt werden, „die mit minimalem Aufwand die höchste Aussagekraft entfalten kann.“ (Schuhmacher, 2014, S. 24). Aus wirtschaftlicher Sicht ist das AC daher nicht immer sinnvoll. Klassische Bewerbungsgespräche binden weniger Personal und sind weniger zeit- und kostenintensiv (Scholz, 2014, S. 184). Sie können ebenso wie AC valide Ergebnisse liefern, benötigen dafür aber deutlich weniger Personal und Zeit. Kostentreiber ist jedoch nicht allein der Auswahlprozess. Neben den Aufwendungen, die bis zur Einstellungsentscheidung anfallen, müssen ebenso Kosten und Schäden durch Fehlbesetzungen berücksichtigt werden (Obermann, 2013, S. 341 f.; Schuhmacher, 2014, S. 121). Daher ist die Wahl für eine Methode vom spezifischen Fall der zu besetzenden Stelle abhängig. Bei zentralen oder wichtigen Funktionen (z.B. Führungspositionen) mit hohem Risiko lohnt sich ein höherer Aufwand durch umfangreiche und ganzheitliche Verfahren, wie dem AC (Schuhmacher, 2014, S. 27). Dies gilt nicht für schlecht konstruierte AC, die sich nicht an den Anforderungen orientieren, sondern auf einfache und ökonomische Konstruktion richten. Dadurch ist die Validität eingeschränkt und es kommt zu Fehlaussagen. Ein strukturiertes Einstellinterview trifft in diesem Fall validere Aussagen (Obermann, 2013, S. 54f.). Wie in der Abb. 4.6 (Aufwand-Nutzen-Verhältnis von Auswahlverfahren) dargestellt, sind Qualitätskriterien nur mit hohem Aufwand zu erfüllen, „der sich aber lohnt: Denn nur dann werden die Verantwortlichen die besten Mitarbeiter am richtigen Ort im Unternehmen platzieren können.“ (Schermuly/ Nachtwei 2010, S. 17). Dem ist entgegenzusetzen, dass nicht immer ein AC und der höchste Aufwand und größte Sicherheit notwendig ist, um einen geeigneten Bewerber auszuwählen. Für niedrigere Positionen oder z.B. bei der Auswahl von Kellnern oder Kassierern können Assessment-Center zwar eingesetzt werden, sind aber aus ökonomischer Sicht nicht sinnvoll. Hier ist eine Auswahl mit Hilfe von Interviews und ggf. einem Probearbeitstag wirtschaftlicher. Schuhmacher (2014) fasst zusammen: „Das Assessment Center ist kein Allheilmittel. Der Einsatz muss anforderungsorientiert und dosiert erfolgen.“ (Schuhmacher, 2014, S. 215). 4.2.6 Schwierigkeiten klassischer Methoden im internationalen Kontext Der Einsatz von klassischen Methoden zur Personalauswahl ist durch Probleme in unterschiedlichen Bereichen geprägt. Wird Personal (erfolgreich) auf internationaler Ebene gesucht, steigt die Anzahl der eingehenden Bewerbungen beim Unternehmen durch die Ansprache einer größeren Zielgruppe meist deutlich. Dieser Anstieg ist zwar einerseits erwünscht, da die Wahrscheinlichkeit eines qualifizierten Bewerbers steigt, andererseits bedeutet ein größerer Bewerberpool einen erhöhten personellen und zeitlichen Aufwand zur Bearbeitung der Bewerbungsunterlagen. Dazu kommt der Aufwand für die Organisation der Durchführung weiterer Auswahlmethoden. Als Beobachter für internationale AC und Interviewer bei Einstellungsgesprächen werden vorwiegend Führungskräfte aus <?page no="255"?> 256 4 Prozess des internationalen Personalmanagements höheren Hierarchieebenen einbezogen. Diese müssen mit den Bewerbern, die aus unterschiedlichen Regionen der Welt kommen, an einem Ort zusammengebracht werden (Obermann, 2013, S. 406). In Assessment-Centern ist der Koordinationsaufwand noch größer, da mehrere Beobachter und Bewerber gleichzeitig anwesend sein müssen. Durch Reisezeiten und -kosten der Bewerber sowie Mitarbeiter bzw. Führungskräfte und Personalaufwendungen für Mitarbeiter des Personalmanagements fallen hohe Kosten an (Jung, 2010, S. 918). Infolgedessen wird bereits ein entsprechend hoher Teil des festgelegten Budgets der Personalauswahl für die organisatorische Vorbereitung aufgewendet. Um Kosten zu sparen, können weniger Bewerber zu einem persönlichen Kennenlernen eingeladen werden. Allerdings steigt dadurch die Gefahr, gut geeignete Kandidaten allein anhand von Bewerbungsunterlagen auszusortieren. Hierbei ist das Risiko der Fehleinschätzung durch die intransparente Vergleichbarkeit von Qualifikationen und Abschlüssen zwischen verschiedenen Ländern gegeben (Berthel/ Becker, 2013, S. 775). Bewerbungsunterlagen sind demgemäß bei einer internationalen Gegenüberstellung wenig aussagekräftig. Problematisch wird es also dann, wenn ein Unternehmen aus Kostengründen an der Konzeption von Auswahlinstrumenten spart, keine ausreichende Anforderungsanalyse durchführt und beispielweise auf Standardtests ohne Anforderungsbezug im AC oder unstrukturierte Interviews setzt. Das Risiko von Fehlentscheidungen nimmt demzufolge zu. Weitere Herausforderungen entstehen durch kulturelle Unterschiede der Bewerber untereinander und zum Unternehmen. Die Einstellung von Mitarbeitern, um interkulturelle Kompetenzen zu erweitern, stellt eine besondere Herausforderung an die internationale Personalauswahl dar. Um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu wahren, müssen Auswahlverfahren kulturübergreifend standardisiert gestaltet und gleichzeitig kulturspezifisch angepasst sein. Das Verfahren für alle Bewerber fair zu gestalten ist durch die unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Hintergründe komplex. Sprachliche Problemfelder sind dabei unterschiedliche Belegung und Deutung von Begrifflichkeiten sowie Unterschiede in nonverbaler Kommunikation (Gestik, Mimik und Distanzverhalten). Zusätzlich beeinflussen unterschiedliche Erwartungshaltungen die Deutung des Verhaltens und von Reaktionen (Schuhmacher, 2014, S. 208-211). Lösungen der genannten Probleme sind situations- und unternehmensabhängig. Lösungsansätze müssen demnach im Einzelfall analysiert und gestaltet werden. Als mögliche Hilfe können bei der Auswahl und bereits bei der internationalen Suche nach Mitarbeitern externe Dienstleister in Anspruch genommen werden. Headhunter und Personalberater haben fundierte Kenntnisse und Erfahrungen mit einschlägigen (kulturellen) Besonderheiten und Unterschieden. Sie können so einen Teil des Personalbeschaffungsprozesses übernehmen und dem Unternehmen bereits vorselektierte Bewerber präsentieren. Führt das Unternehmen die Auswahl selbst durch, ist es möglich die Vorselektion zu verbessern, um die hohen anfallenden Kosten zu beschränken (Obermann, 2013, S. 209). Mit Hilfe von Verfahren, die validere Ergebnisse liefern als Bewerbungsunterlagen, werden Fehlentscheidungen minimiert. In der Folge durchlaufen weniger, zu diesem Zeitpunkt jedoch noch potenziell geeignete Bewerber, kostspielige persönliche Auswahlverfahren. Ein weiterer Ansatz ist die Änderung des Mediums und die Automatisierung der Auswahlmethoden, um die Effizienz zu steigern. Diese beiden Lösungsansätze werden im folgenden Unterabsätzen vertiefend dargestellt. 4.2.7 Kritische Würdigung von Assessment-Centern als Auswahlinstrument Mit dem Einsatz von Assessment-Centern in der Personalauswahl sind zweifellos viel Aufwand und folglich hohe Kosten für das Unternehmen verbunden. Inwieweit sich ein AC dagegen durch den Nutzen rechtfertigen lässt, kann kritisch gesehen werden. Die Kosten werden häufig als Argument <?page no="256"?> 4.2 Auswahl von Mitarbeitern 257 gegen den Einsatz von AC angeführt. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Durchführung von Assessment-Centern bei gleicher Teilnehmerzahl und in Bezug auf Personalstunden sogar kostengünstiger sein kann als Interviews mit Erst- und Zweitgespräch. Werden die Gesamtkosten betrachtet, kommen ergänzend Entwicklungskosten und Kosten für Beobachtertrainings hinzu (Obermann, 2013, S. 344). Bei Interviews, die mit der gleichen Professionalität wie AC geführt werden, fallen allerdings ebenfalls hohe Vorbereitungs-, Durchführungs- und Nachbereitungszeiten an. Diese sind dann mit denen von Einzel-ACn vergleichbar (Schuhmacher, 2014, S. 121). Der folgende Abschnitt diskutiert Aspekte des Nutzens eines AC aus unterschiedlichen Perspektiven und zeigt Grenzen des Verfahrens auf. 4.2.8 Probleme rechtlicher Hintergründe zu Datenschutz und Ethik Die Personalauswahl bei Unternehmen wird in der Fachliteratur fortwährend kritisch betrachtet. Der Flugzeugabsturz der Tochtergesellschaft von Lufthansa (Germanwings) im Jahr 2015 führte dazu, dass das Thema in den Nachrichten und von Menschen unterschiedlicher Fachrichtungen diskutiert wurde. Der psychisch kranke Co-Pilot verursachte das Unglück und brachte die Maschine vorsätzlich zum Absturz. Obwohl die Lufthansa bei der Auswahl ihrer Piloten auf aufwendige AC setzt, besteht das Risiko, dass das psychologische Problem des Bewerbers nicht erkannt wird. In der ersten Auswahl zu Beginn des Berufslebens der Lufthansapiloten, finden ein psychologischer Teil und ärztliche Eignungsuntersuchungen statt. Die jährliche folgende Flugtauglichkeitsprüfung beinhaltet weiterhin ärztliche Gespräche, aber keine psychologischen Tests (ZEIT ONLINE, GmbH 2015). Ärztliche Einstellungsuntersuchungen sind in Deutschland Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Bewerbers. Ärzte müssen von der Schweigepflicht entbunden werden, wenn sie das Ergebnis an den Arbeitgeber übermitteln. Einzelne Untersuchungsbefunde gelten als nicht notwendig zur Eignungsbeurteilung durch den Arbeitgeber (Die Ärztekammer Berlin, 2008, S. 1: Die ärztliche Schweigepflicht ist sowohl im Strafgesetzbuch (§ 203 StGB) als auch in den Berufsordnungen der Landesärztekammern (§ 9 BO) geregelt). Des Weiteren sind nach § 32 Abs. 1 BDSG erhobene Daten im AC und der Personalauswahl generell strengen Regelungen zum Datenschutz unterlegen. Die französische Flugunfallbehörde untersuchte das Unglück und brachte folgende Aspekte zur Änderung des Auswahlprozesses mit ein. Zum einen die Lockerung der rechtlichen Regelungen, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist, und die Einbeziehung von persönlichen Ärzten bei der Flugtauglichkeitsauswahl. Des Weiteren soll der psychologische Zustand der Piloten jährlich und nur durch offizielle Stellen überprüft werden (Deutsche Welle, 2016). Diese Befunde führen zu der Frage, ob die ethischen Aspekte zum Schutz der Öffentlichkeit (Betroffenenschutz) oder die rechtlichen Regelungen zum Datenschutz mehr gewichtet werden sollten. Zusammenfassend lässt sich anhand der Ereignisse feststellen, dass Assessment-Center nicht alles lösen und nicht in die Zukunft oder die tatsächliche Psyche von Menschen blicken können. Zusammenfassung In diesem Absatz wurden die Zeile der Personalauswahl und die zur Verfügung stehenden Verfahren und Methoden der klassischen Personalauswahl erläutert. Zudem wurde auf die Probleme der internationalen Personalauswahl eingegangen und auf mögliche Lösungsvorschläge eingegangen. <?page no="257"?> 258 4 Prozess des internationalen Personalmanagements 4.3 Interkulturelles Training Lernziele  Sie haben ein grundsätzliches Verständnis für die Notwendigkeit interkultureller Trainings und kennen die Bedeutsamkeit der familiären Stabilität  Sie wissen, dass eine gewisse Vorbereitung für einen Auslandseinsatz unerlässlich ist. 4.3.1 Grundsätzliches zum Interkulturellen Training Die interkulturelle Kompetenz bildet eine weitere Grundlage für die Auswahl von Kriterien bei Entsandten und hat einen entscheidenden Stellenwert, um die Anschauung der Individuen in einem fremden Land zu verstehen (Wirth, 1992, S. 173). Dabei lässt sich die interkulturelle Kompetenz in drei Dimensionen unterscheiden. Erstens werden die affektiven, zweitens die kognitiven und drittens die psychomotorischen Lernziele widergespiegelt. Die affektive Dimension beinhaltet alle Einstellungen der Entsandten, mit dem Ziel sich für andere Kulturen zu interessieren und diese auch zu akzeptieren. Die Bereitschaft sich in interkulturellen Teams einzufügen ist ein typisches Beispiel der affektiven Dimension. Die kognitive Dimension ist durch die Erkennung und das Verständnis von Kulturunterschieden geprägt. Hierbei wird das neu Erlernte auf neue Bereiche angewandt. Das Erlernen von Fremdsprachen gehört z.B. zu dieser Dimension. Die dritte Dimension bezieht psychische Vorgänge ein, mit dem Zweck körperliche Bewegungsabläufe zu koordinieren. Das Erlernen einer fremden EDV-Tastatur fällt ebenso unter dieses Lernziel (Blom/ Meier, 2004, S. 201). Kühlmann & Stahl (1998) beleuchten die Aspekte der interkulturellen Kompetenz aus einer anderen Perspektive heraus. Dies wurde anhand einer Studie von diesen analysiert, indem mehr als 300 deutsche Fach- und Führungskräfte bezüglich der kritischen Ereignisse nach den Merkmalen der interkulturellen Handlungskompetenz befragt wurden. Als Ergebnis wurden insgesamt sieben Persönlichkeitsmerkmale herausgearbeitet, die eine Person bezüglich der interkulturellen Handlungskompetenz aufweisen sollte. Zu den Merkmalserfolgen zählen die Ambiguitätstoleranz, die Zielorientierung, die Kontaktbereitschaft, das Einfühlungsvermögen, die Verhaltensflexibilität, der Polyzentrismus (auch Unvoreingenommenheit) und die metakommunikative Kompetenz (auch Kommunikationssteuerung). Die oben genannten Merkmale werden als notwendige Voraussetzungen in Betracht gezogen und Anforderungen bezüglich der Aufgaben, Unternehmen und Einsatzland werden fest mit diesen gekoppelt (Kühlmann/ Stahl, 1998, S. 216 ff.). 4.3.2 Familiäre Stabilität Neben dem Auswahlkriterium der interkulturellen Kompetenz bei der Auswahl von Entsendungskandidaten sollte auch der familiären Situation eine große Beachtung geschenkt werden. Die mitreisenden Familienangehörigen spielen eine wichtige Rolle im Prozess der Auslandsentsendung. Diese können sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf den Entsandten und den Auslandseinsatz haben, da ein starker Zusammenhang zwischen der Entsendung und der Familienmitglieder herrscht. So unterstreicht eine Studie von Deloitte (2008) die Problematik der Hauptgründe für vorzeitige Auslandsabbrüche. Hierbei bestätigte sich, dass für 72% der Befragten die Integration der begleitende Familienangehörige als Grund für Abbrüche der Entsendung mit Nachdruck verleihen (Deloitte, 2008, S. 27). <?page no="258"?> 4.3 Interkulturelles Training 259 An dieser Stelle ist auf Groß (1994) zu verweisen, der sich im Hinblick auf die Partnerschaft folgendermaßen äußert: „Eine stabile Ehe erleichtert den Auslandseinsatz, indem sie den ruhenden Pol in einem fremden Umfeld darstellt und Geborgenheit und Vertrautheit vermittelt“ (Groß, 1994, S. 177). Im Gegensatz dazu führt eine bereits belastete Ehe zu Einschränkungen bezüglich der gegenseitigen partnerschaftlichen Beziehungen und somit erschwert sie auch den Auslandsaufenthalt für beide Parteien. Kammel & Teichelmann (1994) betonen, dass eine positive Einstellung des Entsandten und der Familienangehörigen zur Entsendung und zum Auslandsaufenthalt ein nicht zu unterschätzendes Kriterium darstellt. Im Zuge dessen ist es für die Begleitperson ebenfalls von Vorteil, diese in die Auswahlgespräche einzubinden. Außerdem thematisieren die Autoren, dass eine „Schnupperreise“ durchaus sinnvoll erscheint, um eine Enttäuschung in dem Entsendungsland zu vermeiden. Mit dieser Gelegenheit können die Entsandten und deren Familienmitglieder einen Einblick über zahlreiche Aspekte, die mit einer Entsendung zusammenhängen, gewinnen (Kammel/ Teichelmann, 1994, S. 77). Eine Vielzahl von Studien hat sich mit der familiären Begleitung des Entsandten beschäftigt. Dabei bestätigte sich, dass die Unzufriedenheit der Familienangehörigen einen negativen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Entsandten ausüben kann. Aufgrund der ungenügenden kulturellen Anpassung des Partners, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Motivation des Entsandten sinkt. Des Weiteren kann eine Auslandsentsendung einen Bruch der Karriere der Begleitpartner verursachen (Schneider/ Hirt, 2007, S. 257). Um diese Herausforderungen minimal zu halten, bedarf es einer systematischen Planung während der Auswahlphase des Expatriates. Schon in der Rekrutierungs- und Auswahlphase ist eine Auswahl von geeigneten Mitarbeitern vorzunehmen, die für eine bestmögliche Übereinstimmung im Hinblick auf die Kriterien wie die technischen und sozialen Ziele infrage kommen. Übung 4.5 Erläutern Sie, inwieweit eine familiäre Stabilität Einfluss auf die Entsendung eines Mitarbeiters ausübt. 4.3.3 Vorbereitung auf den Auslandseinsatz Ein entscheidender Einfluss auf einen erfolgreichen Auslandseinsatz beginnt mit der Vorbereitungsphase und stellt zugleich den umfangreichsten Prozess dar. Die Vorbereitungsphase sollte unverzüglich nach der Auswahl der zu entsendenden Kandidaten erfolgen. Kammel & Teichelmann (1994) konstatieren, dass die Mitarbeiter über die aktuellen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Informationen des Gastlandes regelmäßig sensibilisiert werden müssen (Kammel/ Teichelmann, 1994, S. 84). Da viele Anforderungen an den Expatriate und dessen Familie gestellt werden, sollte die Vorbereitung auf den Auslandseinsatz frühzeitig beginnen. Diesbezüglich wird seitens des Institutes für interkulturelles Personalmanagement eine ideale Vorbereitungszeit von sechs Monaten vorgeschlagen. Doch in der Praxis wird dies von den meisten deutschen Unternehmen mit einer Vorbereitungsphase von zwei bis vier Monaten praktiziert (Bittner/ Bernhard, 1994, S. 179 f.). Vorbereitungsmaßnahmen In der Literatur werden verschiedenste Verfahren zur Vorbereitung des Expatriates auf den Auslandseinsatz vorgestellt. Zum einen gehört es zur Aufgabe der Unternehmen, den Mitarbeiter auf den Auslandseinsatz bestmöglich vorzubereiten. Zum anderen sind Mitarbeiter für die Vorbereitung selbst zuständig. <?page no="259"?> 260 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Marburger berichtet von einer sogenannten Erkundungsreise des Entsandten und seiner Familie ins Ausland durch das Unternehmen, bevor ein Vertragsabschluss zustande kommt. Solch eine Reise kann sowohl Vorteile für das Unternehmen als auch für den Entsandten mitbringen. Dadurch verschafft sich der Entsandte einen Überblick, kann Netzwerke aufbauen und für sich entscheiden, ob ein Auslandseinsatz nach wie vor in Frage kommt. Somit kann einerseits rechtzeitig das Risiko eines Auslandsabbruchs und andererseits unnötig entstandene Kosten minimiert werden. Weiterhin gibt es eine Vielzahl von Anforderungen, die der Expatriate vorbereiten muss. Hierbei wird der fachlichen Vorbereitung durch den Mitarbeiter ein besonderes Gewicht gelegt (Marburger, 2009, S. 13 ff.). Als typische Vorbereitungsmaßnahmen geben Blom & Meier (2004) u.a. die informationsorientierte Vorbereitung, die interkulturelle Vorbereitung sowie die fachliche und sprachliche Vorbereitung, die in folgenden Unterabsätzen näher erläutert werden. Informationsorientierte Vorbereitung In der Phase der informationsorientierten Vorbereitung stehen Aspekte der politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten des Gastlandes im Vordergrund. Hierbei besteht der Nutzen darin, dass der Mitarbeiter durch Eigeninitiative jegliche länderspezifische Informationen sammelt und diese kennenlernt. Die Informationen werden bei Bedarf an den Expatriate zur Verfügung gestellt (Nicolai, 2014, S. 400). In diesem Zusammenhang kann es sich auch als sehr vorteilhaft ergeben, mit den ehemaligen Expatriates in die Kommunikation zu treten. Der wesentliche Nutzen liegt somit darin, sich in einem gegenseitigen Austausch über den Auslandseinsatz, wertvolle Ideen, Auskünfte und Fakten aus Sicht des ehemaligen Expatriates zu bekommen. Somit kann sich der zu Entsandte mit hilfreichen Informationen bezüglich der zu geltenden sozialen Regeln und weiteren innerbetrieblichen Gegebenheiten besser auf die Auslandsentsendung vorbereiten (Blom/ Meier, 2004, S. 173). Die Ergebnisse der Studie der Marketing Corporation AG (1999), indem deutsche Unternehmen mit 324 deutschen Führungskräften in 46 Ländern befragt wurden, zeigen, dass 85% der befragten Unternehmen durch unzureichende Vorbereitungsmaßnahmen ihre Mitarbeiter ins Ausland schicken. Diese unzureichende Vorbereitung wurde von vielen Unternehmen durch geringen Zeitmangel, durch die unzureichenden interkulturellen Kompetenzen, über die die Mitarbeiter verfügen und durch mangelnde Führungserfahrung begründet. In diesem Zusammenhang müssen vielfältige Faktoren berücksichtigt werden. Diese Studie vermittelt, wie wichtig es ist, eine intensive Zeit für vorbereitungsmaßnahmen des Expatriates und dessen Familie zu planen, um dem Entsendungserfolg einen Schritt näher zu kommen. Interkulturelle Vorbereitung Wie auch in der Phase der Personalauswahl spielt die interkulturelle Kompetenz des Mitarbeiters in der Vorbereitungsphase eine große Bedeutung. Bei der Auslandsentsendung des Expatriates wird der interkulturellen Kompetenz eher eine untergeordnete Rolle beigemessen, d.h. es wird vielmehr auf die Fachkompetenz statt der interkulturellen Kompetenz geschaut. Im Ausland kann dies jedoch Probleme mit sich bringen. Außerdem kann es dazu kommen, dass die interkulturelle Zusammenarbeit in den Teams nicht funktioniert, da der Expatriate nicht in der Lage ist, mit anderen Menschen unterschiedlicher Kulturen erfolgreich und angemessen zu interagieren. Für den Auslandseinsatz gibt es eine Vielzahl von Methoden, um die interkulturelle Kompetenz des Mitarbeiters zu trainieren. Neben den im vorherigen Abschnitt erwähnten Vorbereitungsmaßnahmen, gibt es weitere Trainingsmethoden zur interkulturellen Kompetenz, die eingesetzt werden müssen, um den oben beschriebenen Problematiken entgegenzuwirken. Demnach unterscheiden Blom & Meier (2004) drei Trainingskonzepte. Diese lauten Informations-, Simulations- und Interaktionskonzept. Wie die Bezeichnung hervorhebt, geht es im Informationstraining um die Beschaffung von Informationen über das Gastland sowie um neue Arbeits- und Lebensumstände. Das <?page no="260"?> 4.3 Interkulturelles Training 261 Simulationstraining beinhaltet das Ziel, möglichst realitätsnahes Wiedergeben von Geschehnissen zu praktizieren und im Anschluss innerhalb der Gruppe darüber zu diskutieren. Dabei soll der zukünftige Expatriate mithilfe von Rollenspielen bezüglich eigener und fremder Kulturen sensibilisiert werden. In der Phase des Interaktionstrainings finden gegenüber dem Simulationstraining keine Simulationen statt, sondern eine Realität. Hierbei arbeitet der Expatriate mit echten Kontakten aus dem Ausland. Dem Simulationskonzept ähnlich, soll in dieser Phase der Expatriate die Kulturunterschiede kennenlernen und verstehen. Eine mögliche Trainingsmethode stellt das sogenannte Culture-Assimilator-Training dar, mit dem Ziel, eine unverständliche Situation unter Berücksichtigung der jeweiligen fremden Kultur möglichst logisch zu interpretieren. Inhaltlich geht es hierbei um eine landestypische interkulturelle Problemsituation, bei dem der Expatriate die Problemsituation durch vorgegebene Verhaltensmöglichkeiten entscheiden und gegebenenfalls argumentativ untermauern muss (Blom/ Meier, 2004, S. 199 f.). Grundsätzlich ist es essenziell, dass die Trainingskonzepte in maßgeschneiderter Anwendung auf die Bedürfnisse der Expatriates in einem professionellen Einsatz angepasst werden. Demnach können sich mit großer Wahrscheinlichkeit erkennbare Erfolge herauskristallisieren. Im Großen und Ganzen ist der Einsatz der interkulturellen Trainings- und Lernkonzepte hilfreich, um ein besseres Verständnis anderer Kulturen zu ermöglichen und zu verstehen. Es ist jedoch erwähnenswert, dass solche Trainingsmethoden unterschiedlich effektiv sind und keine Garantie dafür bieten, dass alles reibungslos und ohne Probleme in der interkulturellen Zusammenarbeit im Ausland vonstattengeht (Friedrich, 1997, S. 307). Fachliche und sprachliche Vorbereitung Weitere wichtige Aspekte in der Vorbereitung von Auslandseinsätzen bestehen in den fachlichen und sprachlichen Vorbereitungen. Die fachliche Vorbereitung findet bei jedem Auslandseinsatz individuell statt. Daher gibt es in der Literatur keine explizite Beschreibung des Prozesses. Jedoch kann gesagt werden, dass die fachliche Vorbereitung aufgabenspezifische Inhalte integriert. Hierzu wird dem Expatriate mehr Verantwortung bezüglich seiner Aufgaben im Ausland zugeschrieben. Bevor der Expatriate ins Ausland entsandt wird, sollten die Fachkenntnisse aufgefrischt werden. Zudem kann eine Besprechung der vor Ort geforderten Fachexpertise sinnvoll erscheinen. Neben den fachlichen Kenntnissen spielen die sprachlichen Kenntnisse und dessen Vorbereitung eine zentrale Rolle. Für den Auslandseinsatz ist die Kommunikation in englischer Sprache eine ausschlaggebende Grundvoraussetzung. Auch kann die Landessprache des Einsatzlandes zusätzlich entscheidend sein, sodass hier sowohl für den Expatriate als auch dessen Familie eine sprachliche Förderung bspw. durch Sprachkurse angeboten wird. Die Familienmitglieder sollten hierbei zeitnah in die Sprachkurse involviert werden, um die Landessprache des Einsatzlandes zu erlernen (Festing et al., 2011, S. 330 f.) und auch während der Aufenthaltsphase im Ausland die Sprachkompetenz weiter ausbauen (Mauer, 2013, S. 96). Dies ist von grundlegender Bedeutung, da die Familienmitglieder stärker mit der sozialen Umwelt interagieren als der Expatriate selbst und dementsprechend nicht immer die englische Sprache vorausgesetzt werden kann. Somit ergibt sich mit dem Erlernen der Landessprache für die Familienmitglieder eine vereinfachte kulturelle Anpassung an die Umwelt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Einsatz von Sprachkursen einerseits als eine hilfreiche Methode zur Vorbereitung des Auslandseinsatzes dient und andererseits die Basis für einen erfolgreichen Einsatz darstellt (Festing et al., 2011, S. 330 f.). Vertragsgestaltung Im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Auslandseinsatzes kommt der Vertragsgestaltung eine hohe Bedeutung zu. Bevor der Expatriate ins Ausland entsandt wird, muss in gegenseitigem <?page no="261"?> 262 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Einvernehmen ein Vertrag abgeschlossen werden. Diese bildet daher die Grundlage zwischen dem Entsandten und dem Unternehmen und ist für all die nächsten Auslandsprozesse relevant. Unter der Berücksichtigung der Vertragsgestaltung hebt die DGFP drei Grundsätze hervor: eine adäquate Entlohnung; ein Ausgleich zusätzlicher Kosten und Belastungen; Schaffung einer sozialen Sicherheit (DGFP e.V., 1995, S. 39). Es gibt verschiedene Vertragsmodelle, die je nach Einsatz geregelt werden. Jedoch werden im Folgenden die gängigen Arten der Vertragsgestaltung, zum einen das Einvertragsmodell und zum anderen das Zweivertragsmodell und deren Besonderheiten der Vertragsgestaltung bei internationalen Auslandseinsätzen, hervorgehoben. Einvertragsmodell Das in der Praxis überwiegend vorkommende Einvertragsmodell stellt die einfachste Vertragsgestaltung dar, welches zwischen dem Expatriate und dem Arbeitgeber abgeschlossen wird. Die Besonderheit bei dieser Art der Vertragsgestaltung liegt darin, dass der Arbeitsvertrag im Inland während des Auslandseinsatzes weiterhin bestehen bleibt, jedoch findet eine Vertragsanpassung statt. Diesbezüglich bleibt der Expatriate weiterhin Arbeitnehmer des entsendenden Unternehmens und muss seine Rechte und Pflichten, die im Arbeitsvertrag festgelegt sind, einhalten. Das Modell kommt grundsätzlich für kurzfristige Auslandseinsätze mit einer Dauer von bis zu zwei Jahren zum Einsatz (DGFP e.V., 2010, S. 77). Eine Möglichkeit zur Vertragsanpassung bei dem Einvertragsmodell kann durch einen zusätzlichen Vertrag, welcher als Ergänzungsvertrag bezeichnet wird, abgeschlossen werden. Der Ergänzungsvertrag beinhaltet alle relevanten Regelungen, wie bspw. die Gehaltsregelung und die Dauer der Tätigkeit, die im Ausland ausgeübt werden soll. Diese Vertragsgestaltung wird überwiegend für Auslandseinsätze in Bezug auf Projektarbeiten bzw. zur Nachwuchskräfteförderung herangezogen (Schmeisser/ Krimphove, 2010, S. 135 f.). Zweivertragsmodell Anders als beim Einvertragsmodell erfährt das Zweivertragsmodell eine erweiterte Konstellation. Resultierend daraus, werden die Tätigkeiten weiterhin über einen befristeten Auslandseinsatz im Ausland ausgeübt, der Expatriate wird jedoch überwiegend im Gastland integriert und verrichtet seine Aufgaben nach den im Ausland gewünschten Anweisungen. Die ausschlaggebende Regelung hierbei besteht in dem ruhenden Arbeitsvertrag mit dem Heimatland. Allerdings können die vorab geregelten Leistungen bezüglich der betrieblichen Altersvorsorge unabhängig, vom ruhenden Arbeitsvertrag, weiter bestehen. Eine Besonderheit liegt hierbei bei dem Abschluss eines Lokalarbeitsvertrages mit dem Gastland. Zusätzlich zum Lokalarbeitsvertrag wird mit der Heimatgesellschaft eine Vereinbarung zur Versetzung abgeschlossen. Die Versetzungsvereinbarung wird zusätzlich zum bestehenden Arbeitsvertrag und dem Lokalarbeitsvertrag abgeschlossen. In dem Lokalarbeitsvertrag, welche zwischen dem Expatriate und dem Gastland zustande kommt, befinden sich typische Regelungen in Bezug auf das Arbeitsverhältnis. Beispiele hierfür sind die auszuübenden Tätigkeiten, die Dauer des Auslandseinsatzes und die Arbeitszeit. Durch die Versetzungsvereinbarung besteht eine Beziehung zum Heimatland mit dem Arbeitgeber im Heimatland, dem Arbeitgeber im Gastland und dem Expatriate. Demnach ist der Expatriate in die Arbeitsprozesse des Gastlandes stark eingebunden. Inhaltlich beinhaltet die Versetzungsvereinbarung den Vermerk der Rückkehrgarantie in das Heimatland nach der Beendigung des Einsatzes im Ausland. Dies stellt für den Expatriate eine wichtige Basis dar, da dieser somit die Sicherheit bekommt, nach der Rückkehr seinen eigentlichen Arbeitsvertrag fortzusetzen. <?page no="262"?> 4.3 Interkulturelles Training 263 4.3.4 Einsatz und Betreuung des Expatriates Einen weiteren wichtigen Aspekt stellt die Phase der Betreuung während der Entsendung dar. Die Betreuungsphase muss eine Vielzahl an Thematiken einbeziehen und kann entweder zu einem positiven oder im schlimmsten Fall zum negativen Resultat führen. Ein Erfolg hängt allerdings davon ab, welche Maßnahmen für die Betreuung des Expatriates sowie dessen Familienangehörige eingesetzt werden. Maßgeblich gehört es zur Aufgabe der Betreuung des Expatriates, einerseits das Beziehungsgeflecht stetig aufrechtzuerhalten, indem der Entsandte das Gefühl bekommt, weiterhin ein Teil des Stammhausmitarbeiters zu sein (Perlitz, 2004, S. 418). Andererseits soll die Integration des Expatriates in das Unternehmen im Gastland unterstützt werden. In diesem Prozess gibt es viele Herausforderungen, die entstehen können. Zahlreiche Faktoren spielen diesbezüglich eine entscheidende Rolle, mit denen der Expatriate bestmöglich umgehen muss. Darüber hinaus können sich Problematiken darin ergeben, dass der Expatriate sowie die mitreisenden Familienangehörigen gegebenenfalls Schwierigkeiten haben, sich an das neue berufliche sowie soziale Umfeld anzupassen. Weiterhin können Belastungen durch Stress entstehen, vor allem in der Phase der Eingewöhnung im Ausland. Um diese Herausforderungen zu minimieren, gehört es zur Aufgabe im Betreuungsprozess den Expatriate sowie dessen Familie durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen (Mauer, 2013, S. 32). Im weiteren Verlauf werden dementsprechend Möglichkeiten zur Betreuung geschildert, die für den Erfolg des Auslandseinsatzes relevant sind. Onboarding-Prozess im Ausland Mithilfe eines Onboarding-Prozesses sollen die Mitarbeiter in den betrieblichen Leistungsprozess eingeführt werden, mit dem Ziel, jegliche Aktivitäten durchzuführen, die dem Unternehmen durch personelle Kapazitäten eine Profitabilität verspricht (Berthel/ Becker, 2013, S. 320). Der Onboarding- Prozess setzt sich grundsätzlich aus drei Phasen der Vorbereitung, Orientierung und Integration zusammen. Diese erstreckt sich über einen Zeitraum von Beginn der Vertragsunterzeichnung bis hin zum frühesten Ende der vereinbarten Probezeit. Im weiteren Verlauf sollen die oben aufgeführten Phasen eines Onboarding-Prozesses beschrieben, sowie die Aufgaben, die sich für die Beteiligten herausstellen, benannt werden. Onboarding kann mit An-Bord-Nehmen übersetzt werden. Somit geht es um die Eingliederung der Mitarbeiter in das Unternehmen oder am Arbeitsplatz Die Vorbereitungsphase des Onboarding-Prozesses beginnt mit der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages und dem ersten Arbeitstag. Hierzu werden zahlreiche Maßnahmen im Unternehmen des Einsatzlandes ergriffen, die es einerseits ermöglichen, dem Expatriate den Einstieg in das Unternehmen zu erleichtern und andererseits ein Image der Professionalität des Unternehmens zu erzeugen. Im Hinblick auf die Maßnahmen, sollte der Kontakt mit dem Expatriate möglichst aufrechtgehalten werden. Dabei ist es wichtig, nach Unterzeichnung des Arbeitsvertrages den Entsandten möglichst nützliche Informationen bezüglich der Unternehmensphilosophie sowie den zuständigen Kontaktpersonen mitzuteilen. Außerdem ist es extrem vorteilhaft, zuvor einen konkreten Einarbeitungsplan zu erstellen, die aufschlussreichen Informationen zum geplanten Ablauf geben, wodurch auch der Expatriate das Gefühl der Sicherheit und Klarheit bekommt (Lohaus/ Habermann, 2015, S. 127). In der Vorbereitungsphase könnte außerdem die Bestimmung eines persönlichen Mentors zu einem positiven Effekt führen (Bube, 2015, S. 3). Die Orientierungsphase stellt die zweite Phase des Onboarding-Prozesses dar und schließt den Zeitraum von dem Arbeitsbeginn bis zu dem dritten Monat im Unternehmen ein. Hierbei soll der <?page no="263"?> 264 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Expatriate in die Auf- und Ablauforganisation des Unternehmens eingebunden werden, diese verstehen und lernen und sich in seine neue Rolle und seine neuen Aufgaben eingliedern. Dabei werden in der Literatur seitens der Unternehmen zum einen die Aufgaben, die sich an dem ersten Arbeitstag und zum anderen jene Aufgaben, die sich in der ersten Arbeitswoche bemerkbar machen, unterschieden. Aufgaben, die am ersten Arbeitstag vorgenommen werden sollten, beinhalten Maßnahmen, wie die Begrüßung und das Führen eines Einführungsgespräches. Das Gespräch sollte möglichst durch die zuständige Person im Einsatzland des Expatriates stattfinden und eine detaillierte Zusammenfassung über das Gastunternehmen beinhalten. Dabei sollte der Expatriate in Bezug auf die Arbeitsweisen, Führungsgrundsätze, Entwicklungen sowie einen Überblick über die konzeptionellen Feedback-Gesprächstermine bekommen. Auch ist es unerlässlich das zukünftige Tätigkeitsfeld des Expatriates zu betrachten. In der ersten Arbeitswoche übernimmt der Expatriate erste positionsbezogene Aufgaben. Die Integrationsphase des Onboarding-Prozesses durchläuft der Mitarbeiter von dem dritten bis sechsten, maximal jedoch zwölften Monat. In diesem Zeitraum werden durch das Unternehmen integrationsfördernde Maßnahmen implementiert. Diese reichen von der Mitarbeit in Arbeitsgruppen und Projekten, Fortbildungsangebote, bis hin zu Angeboten, die den beruflichen Netzwerken dienen. Weiterhin soll der Expatriate in dieser Phase motiviert werden, zum einen das Wissen zu vertiefen und zum anderen die Eigeninitiative zu stärken. Darüber hinaus sollte die Zeitspanne durch Maßnahmen, wie das Einbinden von Fortbildungsangeboten und Trainings sowie regelmäßigen Feedbackgesprächen unterstützt werden, um die Integration des Expatriates in das Unternehmen zu erleichtern. Hierzu unterstreichen Lohaus & Habermann (2015) die Relevanz eines Gespräches mit dem Mitarbeiter, welches in jedem Fall nach der Integrationsphase stattfinden sollte. Somit soll das Ziel des Gespräches darin liegen, dem Mitarbeiter das Gefühl zu geben, dass er ab diesem Zeitpunkt in vollem Umfang selbstständig für die Erledigung seiner Aufgaben und somit der Arbeitsleistung die volle Verantwortung trägt (Lohaus/ Habermann, 2015, S. 142). Übung 4.6 Beschreiben Sie den Onboarding-Prozess beim Auslandseinsatz. Betreuung durch den aufnehmenden Unternehmensbereich Eine intensive Betreuung während der Entsendung ins Ausland ist sowohl durch das Stammunternehmen als auch durch die Tochtergesellschaft bzw. dem Gastland unabdingbar. Zunächst werden nachfolgend die Betreuungsmaßnahmen während der Entsendungszeit vorgestellt. In der Literatur hat sich bei der Integration in die ausländische Gesellschaft der Einsatz von Paten oder Mentoren als eine optimale Betreuung herausgestellt. Durch die Betreuung eines Paten im Gastland erfährt der Expatriate vor Ort jegliche Unterstützung bei auftretenden Fragen und Problemen rund um den Arbeitsplatz. Der Expatriate wird zugleich mit formellen und informellen Strukturen und Prozessen im Unternehmen vertraut gemacht. Auch bei der Anpassung an die fremde Kultur steht der Pate dem Expatriate beiseite und bietet Unterstützung sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich. Durch die Organisation verschiedener internationaler Veranstaltungen, wird es dem Expatriate ermöglicht, Kontakte zu knüpfen, damit dieser auch Kontakte im privaten Bereich besitzt. Familienangehörige, die den Expatriate ins Ausland begleiten, müssen sich ebenfalls an zahlreichen Gegebenheiten anpassen. Doch auch hier unterstützt der Pate bspw. bei der Arbeitssuche des Partners, bei der Suche nach Freizeitmöglichkeiten und der Kontaktaufnahme zu anderen Familien. Der Pate versteht sich als eine Führungskraft, der den Expatriate und dessen Familie bestmöglich betreut, damit diese sich während der Entsendungszeit wohlfühlen (Nicolai, 2014, S. 402). <?page no="264"?> 4.3 Interkulturelles Training 265 Weiterhin thematisiert Mauer (2013) den sogenannten Relocation-Service, bei dem der Expatriate über diese Dienstleistungen unterschiedlichste Hilfestellungen bekommt und sich von Anfang an mit voller Energie auf seine Aufgaben konzentrieren kann. Mit einer Auslandsentsendung sind vor allem zahleiche organisatorische Fragen zu klären, die durchaus mit Herausforderungen verbunden sind. Die Suche nach einer Wohnung gehört zu den Herausforderungen, welches in einem fremden Land meist nicht leichtfällt. Durch die Inanspruchnahme des Service wird der Expatriate und dessen Familie diesbezüglich unterstützt. Auch Themen rund um die ärztliche Versorgung, Einkaufsmöglichkeiten, Recherchen und Vorschläge von Schulen und Kindergärten sowie bis hin zu Freizeitmöglichkeiten werden dem Expatriate und den Familienangehörigen nahegelegt (Mauer, 2013, S. 33). Darüber hinaus fügt Geiger (2011) hinzu, dass ein regelmäßiger Austausch des Expatriates mit der Stammgesellschaft wichtig und empfehlenswert ist, um die festgelegten Ziele während der Entsendung umzusetzen (Geiger, 2011, S. 79). Mit der Betreuung durch das Gastland ergeben sich für die professionelle Integration des Expatriates drei grundsätzliche Ziele: die fachliche Integration, die soziale Integration und die wertorientierte Integration. Bei der fachlichen Integration werden dem Expatriate jegliche Arbeitsaufgaben zugewiesen (Lohaus/ Habermann, 2015, S. 15). unter der Berücksichtigung seiner erforderlichen Kenntnisse und der bereits vorhandenen Fähigkeiten, die im Einklang mit den Unternehmenszielen stehen (Brenner, 2014, S. 7). Die soziale Integration dient dazu, soziale Kontakte zu knüpfen und das Ziel zu verfolgen, dem entsandten Mitarbeiter das Wir-Gefühl zu vermitteln, womit ein Wohlfühleffekt bei diesem gewährleistet werden soll (Lohaus/ Habermann, 2015, S. 15). Die werteorientierte Integration stellt die dritte Ebene dar und beschäftigt sich mit der Corporate Identity des Unternehmens, in der die vorgegebenen Ziele und Werte gelebt werden. In diesem Sinne stellt diese Ebene einen mittelbis langfristigen Prozess dar, wodurch der Mitarbeiter erst nach einer bestimmten Zeit beurteilen kann, ob die Ziele und Werte des Unternehmens tatsächlich mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmen (Brenner, 2014, S. 8). Betreuung durch den entsendenden Bereich Auch bezüglich der Betreuung in der Stammgesellschaft steht ein Pate zur Seite, der trotz der Entfernung regelmäßigen Kontakt bereits von Beginn der Entsendung bis zur Reintegration im Stammunternehmen zum Expatriate herstellt. Er hat die Aufgabe, alle aktuellen Entwicklungen und Informationen, wie die Zusendung der internen Firmenzeitung oder allgemeine Rundschreiben dem Entsandten mitzuteilen. Das Ziel des regelmäßigen Austausches sollte darin bestehen, dass der Expatriate nicht das Gefühl bekommt völlig isoliert zu sein, da er für einen Zeitraum nicht mehr in der Stammgesellschaft tätig ist. Die Betreuung durch einen Paten ist auch in der Hinsicht vorteilhaft, da dieser bei dem Rückkehrprozess des Expatriates miteingebunden ist. In der Praxis könnte dieser Schritt jedoch enorme Probleme bereiten. Daher soll der Pate die Reintegration bestmöglich unterstützen (Nicolai, 2014, S. 402). Diesbezüglich sollte die Organisation der Reintegration in die Heimatgesellschaft frühzeitig stattfinden und auf keinen Fall vernachlässigt werden. Perlitz (2004) fasst zusammen, dass die Zurverfügungstellung eines Mentors im Heimatunternehmen große Vorteile bringt. Zum einen geht er davon aus, dass mit Hilfe dessen die Qualität der Betreuung verbessert wird und zum anderen unter Berücksichtigung der Weiterbildungsmöglichkeiten sowohl für den Mitarbeiter als auch für das Unternehmen große Vorteile entstehen. Diesbezüglich sollten die Expatriates ebenfalls Einladungen zu Weiterbildungsveranstaltungen in der Heimatgesellschaft erhalten. Auch bieten sich Andenken, wie Geburtstagskarten oder Weihnachtskarten als nützliche Gesten an, um dem Expatriate die Wertschätzung zu zeigen (Perlitz, 2004, S. 418). <?page no="265"?> 266 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Zusammenfassung Hier wurden die Grundlagen interkultureller Trainings aufgezeigt. Eine große Bedeutung bei einem Auslandseinsatz spielen die familiäre Stabilität, eine gute Vorbereitung auf den Einsatz und ein kulturelles Training. Der Vertragsgestaltung kommt bei der Auslandsentsendung eine hohe Bedeutung zu. Unterschieden wird i.d.R. zwischen einem Einvertrags- und Zweivertragsmodell. Wenn die Mitarbeiter im Ausland tätig sind, sollten sie und auch ihre Familienangehörigen vor Ort betreut werden. 4.4 Einsatz Lernziele  Sie haben ein grundsätzliches Verständnis für die die unterschiedlichen Arten internationaler Auslandseinsätze  Sie haben einen ersten Eindruck über den klassischen Entsendungsprozess gewinnen können. 4.4.1 Arten internationaler Auslandseinsätze Im Bereich des internationalen Personaleinsatzes gibt es verschiedene Formen des internationalen Auslandseinsatzes, die zum Erfolg oder Misserfolg führen können. Der Begriff Entsendung wird als Oberbegriff für den internationalen Mitarbeitereinsatz definiert. Diese Entsendung kann von einer kurzfristigen Dienstreise bis zu einem mehrjährigen Auslandseinsatz stattfinden. Grundsätzlich liegt eine Entsendung vor, wenn sich ein Mitarbeiter ins Ausland begibt, um dort seine Beschäftigung auszuüben (www.ihk-berlin.de, 2017). Hier wird ein(e) Mitarbeiter / in, der/ die eine Auslandstätigkeit ausübt, als Expatriate, Entsandter oder einfach als entsandter Mitarbeiter bezeichnet. Kurzzeit-Entsendung - Short Term Assignment Von einem Short Term Assignment spricht man, wenn der Mitarbeiter für einen Zeitraum von weniger als einem Jahr im Ausland tätig ist. Vorteil dieser Art von Entsendung sind die geringen Kosten und Probleme, die bei der Eingliederung im Gastland stattfinden, da die Familien im Heimatland bleiben und dadurch die Entsendung vereinfacht wird. Bei dieser Art der Entsendung handelt es sich um Projekte, die im Ausland von qualifizierten Mitarbeitern betreut werden müssen. Das ständige Reisen ist der Grund dafür, dass eher jüngere Mitarbeiter hierzu bereit sind. Ausschlaggebend für das Antreten der kurzen Auslandstätigkeiten ist häufig der Gewinn der vielen Erfahrungen (www.pwc.com, 2012). <?page no="266"?> 4.4 Einsatz 267 Langzeit-Entsendung - Long Term Assignment Bei einer Long Term Assignment ist ein Zeitraum von mehr als einem Jahr definiert, da bei dieser Art von Entsendung der Wohnsitz und der Arbeitsplatz ins Ausland verlegt werden müssen. Die Mitarbeiter werden als Führungspositionen und Repräsentanten des Unternehmens ins Ausland geschickt (Fischermayr/ Kopecek, 2012, S. 28). Die Langzeit-Entsendung ist die mit der Assoziation der klassischen Auslandsentsendung, wobei die Funktionen des Mitarbeiters im Ausland klar definiert sind (Festing et al., 2011, S. 242). Vielflieger Bei einem Vielflieger werden mehrere aufeinanderfolgende Dienstreisen mit verschiedenen Zielen im Ausland bezeichnet (Otten et al., 2007, S. 176). Die Art von Dienstreisen können mehrere Tage bis hin zu mehreren Wochen andauern. Trotz des hohen Stresspegels und Zeitverlustes besteht für diese Art höchste Bereitschaft (Fischermayr/ Kopecek, 2012, S. 28). Aufgrund des Pendelns zwischen verschiedenen Ländern ist für die Mitarbeiter mit Familien kein Wohnortwechsel notwendig. Übung 4.7 Beschreiben Sie die Arten des internationalen Auslandseinsatzes und grenzen Sie diese gegeneinander ab. Die Auslandstätigkeit hat für die Mitarbeiter als auch für die Unternehmen Vor- und Nachteile, die zu Erfolg bzw. Misserfolg führen können. Zum Auslandseinsatz aus Sicht des Unternehmens Die Motive und Ziele der Auslandstätigkeit der Mitarbeiter für das Unternehmen sind vor allem der Know-how-Transfer, sowohl vom Mutterunternehmen zum Tochterunternehmen im Ausland als auch umgekehrt. Die typischen Entsendungsziele des Heimatunternehmens sind der Transfer der Unternehmenskultur und Technologietransfer in ausländische Niederlassungen. Desweitern gehören zu der Motivation zum einen die Entwicklung eines globalen Bewusstseins und die damit verbundene internationale Denkweise der entsandten Mitarbeiter. Zum anderen die Implementierung einer einheitlichen Führungskonzeption im Unternehmen, sowie die Ausbildung des Führungspersonals im Zielland. Jedoch gibt es auch Nachteile für die Mitarbeiterentsendung für ein Unternehmen. Die Unternehmen haben durch die Entsendung der Mitarbeiter enorm hohe Kosten, die durch die Entsendung und Weiterbildungen bzw. Trainings entstehen. Der entsandte Mitarbeiter wird auf die Auslandstätigkeit vorbereitet, jedoch sieht es in der Praxis meist anders aus, sodass eine gewisse Unsicherheit der erstrebten Ziele eine sehr große Rolle spielt. Aufgrund der veränderten Bedingungen im Ausland kann es zum Verlust des Mitarbeiters an andere Unternehmen führen und dessen Leistungsvermögen auf Dauer beschädigen (Mauer, 2013, S. 1ff.). Hinweis Die unternehmerischen Ziele lassen sich in vier Typen der Auslandsentsendung unterteilen: „Wachhund, Trouble Shooting“ Entsandte dieser Kategorie konzentrieren sich auf Kontroll- und Steuerungszwecke. Entsendungen des Stammhauses auf Schlüsselpositionen in Auslandsniederlassungen gehören dem Typ des „Wachhundes“ an. <?page no="267"?> 268 4 Prozess des internationalen Personalmanagements „Senior-Management, High-Flyer“ stellen primär die Steuerungsaktivität als auch Personalentwicklung da, wobei die Entsendung zur Steuerung und Kontrolle der Gesamtorganisation dient und ihre individuellen Kompetenzen vertiefen soll. Ein typisches Beispiel ist die Entsendung von Stammhausmitgliedern, denen die Fähigkeit zur Erreichung einer hohen hierarchischen Position zugeschrieben wird. „Entwicklungs-/ Nachwuchsförderung“ Der Fokus liegt auf der Personalentwicklung und nicht auf der Kontroll- und Steuerungsfunktion. Routinemäßige Entsendungen von Nachwuchsführungskräften dienen dazu Erfahrungen zu sammeln. „Isolation, Abstellgleis“ Hierbei liegt der Fokus weder auf Steuerung noch auf der Personalentwicklung. Der Auslandseinsatz dieser Kategorie wird unternehmensintern als Bestrafung oder Abschiebung aufgrund mangelnder Kompetenzen angesehen (Mayrhofer, 2005, S. 5f.). Zum Auslandseinsatz aus der Sicht des Mitarbeiters A uch aus der Mitarbeitersicht hat die Entsendung positive wie auch negative Aspekte. Durch die Auslandstätigkeit kann man eine Verbesserung der Berufschancen im jetzigen oder künftigen Unternehmen erzielen. Dies führt zu einer Steigerung der Karrierechancen und zur Erhöhung der Qualifikationen. Die Mitarbeiter, die ins Ausland entsendet werden, haben die Möglichkeit eine neue Kultur kennenzulernen. Dadurch werden sie zu weltoffeneren Menschen, dass sie nicht nur unternehmerisch prägt, sondern auch persönlich. Ein wichtiges Motiv der Mitarbeiter ist nicht nur „das Neue“, sondern möglicherweise auch ein höheres Gehalt, das zu Erhöhung des Lebensstils beiträgt. Zu den Nachteilen des Auslandeinsatzes gehört der Faktor Familie, da es ungewiss ist, wie sie mit der neuen Lebenssituation zurechtkommen und nicht nur der Partner, sondern auch die Kinder sich an das neue Leben gewöhnen und einleben müssen. Zudem kommen die medizinischen und gesundheitlichen Bedingungen hinzu, die in jedem Land anders sind. Zusätzlich kommt die Angst vor den unbekannten Arbeits- und Lebensbedingungen hinzu, da die Mitarbeiter einen sicheren Arbeitsplatz für eine unsichere Zukunft aufgeben. Nach der Auslandstätigkeit ist die Wiedereingliederung in das Mutterunternehmen für manche Mitarbeiter sehr schwer bis zu kaum möglich (Mauer, 2013, S. 3f.), da sie sich an die andere Kultur und Lebensbedingungen angepasst haben. Kammel & Teichelmann (1994) unterscheiden sechs Motivationstypen, die je nach Anreizintensität gegenüberstehen und bei den einzelnen Mitarbeitern auch in Kombination auftreten können.  Legionär - Dieser Motivationstyp ist durch finanzielle Aspekte und die Erlangung von mehr Selbstständigkeit und Verantwortung gekennzeichnet.  Karrieregeist - Hierbei handelt es sich aus der Mitarbeiterperspektive um den Aufstieg im Unternehmen. Monetäre Aspekte spielen hier keine wesentliche Rolle.  Abenteurer - Neue Aufgaben, der Wille nach neuen Herausforderungen wie auch die Begeisterung für fremde Kulturen zeichnen den „Abenteurer“ aus.  Neugierige - Der Neugierige zeigt Interesse am Kennenlernen fremder Kulturen und Menschen. Hierbei handelt es sich allerdings um kurzfristige Aufenthalte.  Flüchtling - Faktoren wie berufliche Misserfolge, private Probleme oder die berufliche Unzufriedenheit können sich der Suche nach einer Lösung widmen. <?page no="268"?> 4.4 Einsatz 269  Global Player - Dieser Motivationstyp kann sich durch mehrere und länger andauernde Aufenthalte im Ausland auf eine Internationalität beziehen, welches durch ein kosmopolitisches Denken und Handeln geprägt ist (Kammel/ Teichelmann, 1994, S. 66 f.). Übung 4.8 Erläutern Sie die Ziele des Auslandseinsatzes aus Sicht des Unternehmens. 4.4.2 Zum Entsendungsprozess Der Entsendungsprozess eines Mitarbeiters in ein ausländisches Tochterunternehmen kann in vier Phasen unterteilt werden:  Auswahlphase  Vorbereitungsphase  Einsatzphase  Wiedereingliederungsphase (Holtbrügge/ Welge, 2015, S. 329). Im Folgenden werden die vier Phasen des Entsendungsprozesses in weitere Abschnitte unterteilt, um einen detaillierten Überblick des Prozesses zu erlangen. In jeder Phase lassen sich Faktoren finden, die zum Erfolg oder Misserfolg einer Auslandsentsendung beitragen können (Müller, 2010, S. 33 ). Dieser Entscheidungsprozess ist die Grundlage für einen erfolgreichen Einsatz im Ausland (Blom/ Meier, 2004, S. 171f.). 4.4.2.1 Zur Auswahlphase Die Auswahl von Mitarbeitern für international tätige Unternehmen und die damit verbundene Entscheidung für einen geeigneten Kandidaten sind wichtige Faktoren, die zum Erfolg oder Misserfolg einer Auslandstätigkeit beitragen können. Für die Beschaffung der Mitarbeiter auf internationaler Ebene können interne sowie externe Kandidaten gewählt werden. Für den Rekrutierungsprozess - die Suche und das Finden von geeigneten Kandidaten ( Weber et al., 1998, S. 103) - können verschiedene Beschaffungsmethoden gewählt werden. Bei international tätigen Unternehmen ist die Personalsuche viel komplexer als die Suche für nationale Unternehmen, da verschiedene Faktoren die Suche und die Auswahl erschweren. 4.4.2.2 Stellenanforderung Wie bereits erwähnt, gibt es vier verschiedene Wertorientierung, um die Stellenbesetzungspolitik und Führungskonzeption eines multinationalen Unternehmens aufzuzeigen, die durch das Konzept von Perlmutter begründet werden. Die Stellenbesetzungsstrategie kann ethnozentrisch, polyzentrisch, geozentrisch oder regiozentrisch ausgerichtet werden. Bei der Stellenanforderung ist es wichtig, die Position so exakt wie möglich zu definieren, um den geeignetsten Kandidaten/ in zu rekrutieren. Die präzise Ausarbeitung der Fachkenntnisse des Bewerbers und die Anforderung an die Führungsqualifikationen sind erforderlich. <?page no="269"?> 270 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Zur Person des Bewerbers werden die Voraussetzungen in persönliche und soziale Eigenschaften unterteilt. Die kulturspezifischen Eigenschaften sind Bestandteile der sozialen Eigenschaften und für einen Auslandseinsatz ein wichtiger Aspekt. Grundsätzlich unterscheiden sich die internationalen Stellenanforderungen vom nationalen kaum. Bei internationalen Ausschreibungen wird die Stellenanforderung breiter gefächert als die im Heimatland, die oft von einer hohen Arbeitsteilung und Spezialisierung der Aufgaben beschrieben sind (Mauer, 2013, S. 23f.). Zu den weiteren Anforderungen gehören die Führungskompetenzen, da bei einer Auslandstätigkeit fast immer Führungsaufgaben anfallen, wenn auch für ein kleines Team. Zu den persönlichen Bereichen der Anforderungen sind die sozialen bzw. interkulturellen Kompetenzen relevante Faktoren, da eine gewisse Stabilität der Persönlichkeit für den Auslandseinsatz unerlässlich ist. Die entsandten Mitarbeiter müssen in ihrer Führungsposition mit neuen Aufgaben umgehen können. Um diese zu bewältigen ist Durchsetzungsvermögen gefragt. Zu den personenbezogenen Anforderungen gehören nicht nur die sprachlichen Kenntnisse, sondern auch kulturelle, technische und wirtschaftliche Fachkenntnisse, da der Mitarbeiter, der mit verschiedenen Menschen zusammenarbeiten wird, muss eine gewisse Akzeptanz gegenüber der Kultur und den Menschen vorweisen (Mauer, 2013, S. 23ff.). Einige Schlüsselqualifikationen für den internationalen Manager, wurden bei einer Befragung von Banam und Oates (Mauer, 2013, S. 25), ermittelt:  Strategisches Bewusstsein  Anpassungsfähigkeit an neue Situationen  Sensibilität für andere Kulturen  Teamfähigkeit in internationalen Teams  Sprachkenntnisse  Internationales Verhandlungsgeschick Diese Faktoren sind wichtige Aspekte, die bei dem Personaleinsatz eine große Rolle spielen. Für den Auslandseinsatz sind die besonderen Merkmale die Person selbst („Self-Oriented Dimension“), sein Verhältnis zu anderen („Others-Oriented Dimension“) und die Wahrnehmung und Interpretation kulturspezifischer Erlebnisse („Perceptual Dimension“) von großer Bedeutung (Scherm, 1995, S. 305). 4.4.3 Interne versus externe Bewerber Es können sich für die Vakanz im Ausland nicht nur externe Kandidaten bewerben, sondern auch interne Mitarbeiter. Auch hier gibt es Vor- und Nachteile, sowohl für den internen als auch externen Kandidaten. Die Vorteile des internen Kandidaten sind die des unternehmerischen Know-hows und die spezifischen Fachkenntnisse, die zum Transport des kulturellen Umfelds des Unternehmens und der unternehmerischen Leitlinien und Werte ins Ausland dienen (Mauer, 2013, S. 27). Vorteilhafter ist es, sich für einen internen Bewerber für die Auslandstätigkeit zu entscheiden, da sie meist schon einige Jahre im Unternehmen Erfahrungen sammeln konnten, sodass sie die Unternehmenskultur im Ausland ausleben können. Sollten jedoch keine geeigneten Kandidaten für die Position zu finden sein, werden externe Bewerber rekrutiert. Die externen Kandidaten haben die Vorteile, dass sie häufig schon Auslandserfahrung sammeln konnten, größere kulturelle und Sprachkenntnisse in Bezug auf das Ausland aufweisen können und von bisherigen Wettbewerbern kommen, sodass sie über entsprechendes Branchen-Know-how verfügen. Die Nachteile des externen Kandidaten sind vor allem die Führungsvorgaben des heimischen <?page no="270"?> 4.4 Einsatz 271 Unternehmens in der kurzen Zeit zu erlernen, dass kaum möglich ist und außerdem höhere Gehaltskosten verursachen. Vorbereitungsphase Die Vorbereitungsphase ist eine wichtige Phase der Entsendung von Mitarbeitern, sowohl aus der Sicht des Entsendenden, des aufnehmenden Unternehmens im Ausland und des Mitarbeiters. In dieser Phase werden die Grundelemente für einen erfolgreichen Auslandseinsatz gestellt. Zu den Vorbereitungsmaßnahmen zählt die Vermittlung von Informationen über das Gastland, wozu die geografischen, wirtschaftlichen und politischen Informationen gehören, die dem Mitarbeiter helfen sollen, sich auf seinen Einsatz vorzubereiten (Mauer, 2013, S. 93 ). Organisatorische Vorbereitung Die organisatorische Vorbereitung verantwortet der Personalbereich im Heimatland und hat die Aufgabe, den entsandten Mitarbeiter auf die Auslandstätigkeit mit relevanten Informationen zu versorgen. Der Informationsaustauch kann z.B. durch ein Gespräch zwischen den verantworteten Personalbereichen und den Mitarbeitern geführt werden und dient der Erläuterung aller Aspekte und Fragen rund um den Auslandseinsatz. Zudem kommen die Themen der zu erwartenden Umwelt, Arbeits- und Lebensbedingungen hinzu. Außerdem werden die Ziele der Entsendung, die Dauer, die Funktionen während und nach dem Auslandseinsatz und die Kostenverteilung expliziert erklärt (Düfler/ Jostingmeier, 2008, S. 537f.). Die sprachlichen und interkulturellen Vorbereitungen sollten rechtzeitig beginnen und während der Auslandstätigkeit weitergeführt werden. Die Mitarbeiter sollten sich vor dem Einsatz einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, da im Ausland oftmals andere klimatische Bedingungen herrschen und diese sich auf den Körper auswirken können. Zu den organisatorischen Vorbereitungen kommen z.B. Aspekte hinzu, wie der Umzug, die Eröffnung eines neuen Bankkontos im Ausland und die Suche nach neuen Schulen für die Kinder. Der Mitarbeiter und seine Familie müssen die Chancen und Risiken einer Auslandstätigkeit in Betracht ziehen und sich neuen Lebenssituationen im Ausland anpassen. Informationsvermittlung Um den Mitarbeiter und seine Familie so gut wie möglich auf die Auslandstätigkeit vorzubereiten, sind länderspezifische Informationsmappen, die auch Basisinformationen über das relevante Tochterunternehmen enthalten sollten, hilfreich. Zu den Informationsvermittlungen sollten Einblicke der Behörden- und Rechtsstruktur des Einsatzlandes erläutert werden. Zur praxisbezogenen Informationsvermittlung dienen Mitarbeiter, die bereits Erfahrung als Expatriate sammeln konnten. Die Expatriates können ihre Eindrücke und Erfahrung sowie Verbesserungsvorschläge zur Vorbereitung der Auslandstätigkeit beitragen. Look-and-See-Trip Um ein Bild vor Ort und den dort herrschenden Bedingungen bestmöglich zu erlangen, kann ein Besuch in das Gastland sinnvoll sein. Der Besuch in das Tochterunternehmen im Ausland kann der entsandte Mitarbeiter als Urlaubsvertreter eines Kollegen eingesetzt werden, sodass die komplette Einbeziehung in das Unternehmen erfolgt. Je besser die Vorbereitung ist, umso erfolgreicher wird <?page no="271"?> 272 4 Prozess des internationalen Personalmanagements ein Look-and-See-Trip (Mauer, 2013, S. 96). Außerdem kann durch den Besuch die Einstellung gegenüber einer neuen Kultur positiv beeinflusst werden (Götz/ Bleher, 2006, S. 44f.). Arbeitsvertraglichen Vorbereitung Je nach Form und Dauer der Entsendung muss der Arbeitsvertrag des Mitarbeiters an die Bedingungen im Ausland angepasst oder ein neuer Arbeitsvertrag erstellt werden. Bei Auslandseinsätzen gibt es eine Menge von Besonderheiten, die zum einen in „Entsendungsrichtlinen“ und zum anderen in Verträgen geregelt werden. Bei der vertraglichen Reglung für den Auslandseinsatz gibt es keine einfache Lösung. Die Kandidaten erwarten bei der Vergütung immaterielle Belastungen, dass durch eine angemessene Vergütung ausgeglichen wird. Es müssen Entscheidungen zu den Aspekten der Form des Vertragsverhältnisses zwischen Unternehmung und Mitarbeiter und wer die Vertragsparteien sind getroffen werden.  Bei der Form einer Dienstreise besteht der Arbeitsvertrag mit dem Mutterunternehmen weiter, jedoch mit Ausnahmen von zusätzlichen Reglungen.  Bei einer Versetzung wird der Arbeitsvertrag mit dem Mutterunternehmen mit einem befristeten Arbeitsvertrag des Tochterunternehmens erweitert.  Bei einem Übertritt wird der Arbeitsvertrag mit dem Mutterunternehmen durch einen Auflösungsvertrag beendet und ein neuer unbefristeter Arbeitsvertrag mit dem Tochterunternehmen wird geschlossen (Holtbrügge/ Welge, 2015, S. 339). Frühzeitige Beendung der Auslandstätigkeit Eine gute Vorbereitungsphase ist mit dem Erfolg einer Auslandsentsendung verbunden. Ist dies nicht gewährleistet, kann die Auslandtätigkeit aufgrund von unbefriedigender Leistung und Anpassungsschwierigkeiten an die fremde Kultur und Umgebung frühzeitig abgebrochen werden. Weitere Gründe für einen vorzeitigen Abbruch der Auslandstätigkeit könnten die mangelnde Anpassungsfähigkeit des Ehepartners, die Belastung für die ganze Familie und die mangelnde Fähigkeit, mit der größeren Verantwortung im Ausland fertig zu werden (Weber et al., 1998, S. 130). Die Folge wären hohe anfallende Kosten und die nur schwer bemessenen Verluste, wie der geschädigte Ruf des Unternehmens oder entgangene Geschäfte (Weber et al., 1998, S. 167). Ein Abbruch einer Auslandstätigkeit schätzt Harvey (1983) auf die durchschnittlichen Kosten pro Abbruch für das Mutterunternehmen, auf das Dreifache des Jahresgehaltes im Heimatland plus die Versetzungskosten an (Harvey, 1983, S. 71ff.). 4.4.4 Einflussfaktoren auf den Erfolg eines Auslandseinsatzes Um eine bestmögliche Entsendung zu gewährleisten und einem vorzeitigen Abbruch der Entsendung entgegenzuwirken, ist es enorm wichtig, im Vorfeld eine genaue Prüfung des zu entsendenden Kandidaten vorzunehmen. Verschiedene Erfolgsfaktoren, die mit einer Auslandsentsendung verbunden sind, konnte Stahl (1998) identifizieren, indem er eine Darstellung der Determinanten des Entsendungserfolges illustrierte, um die Komplexität einer Entsendung zu verdeutlichen. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick der Einflussfaktoren auf den Entsendungserfolg. <?page no="272"?> 4.4 Einsatz 273 Abb. 4.7: Determinanten des Entsendungserfolges. Quelle: in Anlehnung an Stahl, 1998, S. 129 Wie in der Abbildung illustriert, stellt die Person ein fundamentales Kriterium dar. In diesem Fall steht der Arbeitnehmer selbst für den Erfolg einer Entsendung ins Ausland im Vordergrund. Dabei ist es für den Entsandten unabdingbar, ausreichende Sprachkenntnisse zu besitzen, um im Gastland reibungslos kommunizieren zu können. Zu den weiteren Kriterien gehören einerseits die Selbstständigkeit des Expatriates und andererseits die interkulturelle Kompetenz. Unter diesem Aspekt fallen u.a. die Kommunikations- und Teamfähigkeit, Empathie und Anpassungsfähigkeit an das jeweilige Entsendungsland. Außerdem ist es für den Entsandten vor der Entsendung von Vorteil, mehrjährige Berufserfahrung im Stammhaus zu sammeln, da dieser dann besser mit der Unternehmenspolitik vertraut ist (Welge/ Holtbrügge, 2006, S. 227). Die Position des Mitarbeiters im Stammhaus sowie die organisatorischen Kriterien gehören ebenfalls zu den Erfolgsfaktoren. In diesem Zusammenhang haben sich einerseits das technische Knowhow des Expatriates als auch Führungs- und Organisationskompetenzen als wichtig erwiesen (Perlitz, 2004, S. 411). Weiterhin muss der Entsandte eine eindeutige Rolle übernehmen und darf nicht im Spannungsfeld zwischen Stammland und Gastlandunternehmen stehen. Darüber hinaus betont Stahl (2005) den regelmäßigen Kontakt zu Bezugspersonen nicht zu unterschätzen und ihre Interessen zu berücksichtigen (Stahl, 2005, S. 294). Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor der Beachtung finden muss, ist die Gastlandumwelt, welche durchaus mit der Zufriedenheit des Expatriates verbunden ist. Unter den entscheidenden Kriterien fällt die kulturelle Distanz zum Heimatland, die Sprache, der Führungsstil als auch die Freizeitmöglichkeiten, die den Erfolg beeinflussen. Die Familie des Entsandten bestimmt ebenfalls den Erfolg einer Auslandsentsendung in erheblichem Maße. Es kann durchaus dazu kommen, dass der Partner des Expatriates größeren Belastungen ausgesetzt ist als der Expatriate selbst. Aus diesem Grund ist eine Anpassungsfähigkeit des Partners von hoher Bedeutung, um private Probleme zu verringern, damit der Auslandseinsatz für den Entsandten mit Erfolg zu bewältigen sein kann (Stahl, 1998, S. 241). Bei der Entsendungsgestaltung spielen die Such- und Auswahlkriterien sowie eine gute Vorbereitung auf den erfolgreichen Auslandseinsatz und eine dementsprechend professionelle Betreuung während der Entsendung eine wesentliche Rolle. Neben diesen Faktoren sind eindeutige und verständliche Richtlinien unverzichtbar, um das Gefühl der Diskriminierung bei den Expatriates <?page no="273"?> 274 4 Prozess des internationalen Personalmanagements auszuschließen. Schließlich ist die Motivation der Entsandten für den Erfolg maßgeblich (Stahl, 1998, S. 241). Letztlich ist die Familie für den Entsandten ein wichtiger Teil im Ausland. Oftmals wird der Expatriate durch den Partner bzw. der Familie ins Ausland begleitet. Dementsprechend ist die Zufriedenheit der Begleitpersonen enorm wichtig, um den Expatriate nicht zu demotivieren. Außerdem wird empfohlen, dass die Begleitperson möglichst eine adäquate Beschäftigung im Ausland findet, um Probleme in Bezug auf soziale Beziehungen mit Einheimischen zu vermeiden (Rothlauf, 2012, S. 339). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass mit einer Entsendung umfassende Facetten zu berücksichtigen sind, die mit unterschiedlicher Gewichtung auf den Expatriate einwirken. Für einen Entsendungserfolg ist es essenziell, die vorgestellten internen und externen Faktoren zu berücksichtigen. Infolgedessen ist eine intensive Planung und Koordination des Auslandseinsatzes für den Entsandten unabdingbar. 4.4.5 Einsatzphase Wenn die Entscheidung für den passenden Kandidaten gefallen ist, ist das Unternehmen während der Einsatzphase verpflichtet dem Mitarbeiter beizustehen, um keinen vorzeitigen Abbruch des Auslandseinsatzes zu verursachen. Die Betreuung ist ein kontinuierlicher Prozess, der vor dem Auslandseinsatz beginnt und nach einer erfolgreichen Wiedereingliederung endet (Wirth, 2013, S. 172). Die Kandidaten sollten mit dem Phänomen des Kulturschocks vertraut gemacht werden. 4.4.6 Verlauf des Kulturschocks - Phasen nach Oberg Die Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur kann als Kulturschock bezeichnet werden, wobei bei der Anpassung verschiedene Phasen durchlaufen werden. Der Kulturschock sind Merkmale wie z.B. das Durcheinander und die Konfusion einer Person. Zudem beschreibt es eine psychische Reaktion gegenüber etwas Neuem und Unbekanntem. Das Modell von Oberg (1960) (Oberg, 1960, S. 107f. ) erläutert die Anpassung in vier Phasen. Die erste Phase wird mit Vorfreude und Neugier beschrieben, die dann in einen Kulturschock übergehen und mit der Anpassung der Kultur enden. Durch die Auseinandersetzung mit der neuen Kultur kann sich eine Erlebniskurve - die U-Kurve - zu einer W-Kurve entwickeln. Phase - Honeymoon Die erste Phase wird als Honeymoon bezeichnet, da zu Beginn mit voller Hoffnung und Freunde die Auslandstätigkeit angetreten wird. Der Expatriate blendet die negativen Eindrücke aus und wird nur von den positiven Eindrücken überwältigt. Die Eindrücke des Gastlandes werden aus der Touristensicht gesehen und der Kontakt zu den Einheimischen sehr oberflächlich gehalten (Wirth, 2013, S. 174). Die Phase kann von einigen Tagen bis zu paar Wochen andauern. Der Auslandseinsatz wird mit Begeisterung charakterisiert. Phase - Kulturschock Die Phase des Kulturschocks (Crisis) beginnt, wenn die Honeymoon-Phase vorbei ist und die Realität anders aussieht. Die Phase beschreibt die Einstellung der Expatriate als feindlich und aggressiv gegenüber dem Gastland. Diese abwertende Haltung gegenüber dem Gastland entwickelt sich durch die Anpassungsschwierigkeiten des entsandten Mitarbeiters. Es entstehen im Gastland Probleme <?page no="274"?> 4.4 Einsatz 275 jeglicher Art, die im Heimatland keine große Bedeutung hatten, wie Schul- und Sprachprobleme und Familienprobleme, die einen zur Verzweiflung bringen können. So werden auch nur die negativen Aspekte der fremden Kultur wahrgenommen und Anschluss zur Gleichgesinnten mit gleicher Nationalität und gleichen Problemen gesucht. Die Unterschiede in der Sprache, den Werten und Symbolen zwischen der eigenen und der fremden Kultur werden realisiert. Hinweis Die entstehenden Schwierigkeiten wandeln sich zu Aggressionen und Ablehnung um. Das Bewusstwerden kultureller Unterschiede löst Frustration, Angst, Heimweh, Isolation und Verzweiflung aus. Der Zustand wird sich erst verbessern, wenn der entsandte Mitarbeiter die Sprache sprechen kann und sich dadurch besser mit den Einheimischen verständigen kann (Wirth, 2013, S. 174). Phase - Erholung In der Phase der Erholung (Recovery) ist der Kulturschock zunächst überwunden und der Expatriate hat eine positive Einstellung zum Gastland. Anstatt nur die negativen Aspekte der Kultur hervorzuheben, wird sich langsam an die fremde Kultur integriert. Dabei hat man die „grundlegende kulturspezifische Verhaltungsmuster erworben“ (Kühlmann, 1995, S. 10). Dennoch braucht es eine gewisse Zeit bis sich der Entsandte im Gastland zu rechtfindet. In dieser Phase lernt man die Kultur zu mögen und zu genießen. In der Anfangsphase ist es für einen entsandten Mitarbeiter sehr schwer, da er durch das fremde Essen und die fremde Kultur die eigene Kultur noch mehr zu schätzen und vermissen weiß. Sobald die physischen Probleme zu den seelischen dazukommen, wodurch Schwierigkeiten in der Kommunikation auftreten, löst es Frustration und Enttäuschung aus. Phase - Anpassung Die letzte Phase ist die Anpassung (Adjustment) an die fremde Kultur. Durch die wachsenden Sprachkenntnisse kann sich der Expatriate besser mit den Einheimischen verständigen, sodass die Kommunikation erheblich einfacher ist. Infolge der Anpassung und des Annehmens der fremden Kultur findet nach dem Tief wieder ein Hoch statt (Mochtarova, 2000, S. 16). Demzufolge ist die Isolation geschäftlich als auch privat vorbei, sodass sich in der neuen Kultur zurechtgefunden wird und sich der Mitarbeiter integrieren kann. Sobald sich die Einstellung des Entsandten gegenüber der fremden Kultur geändert hat, wird die Anpassung eindeutig einfacher und die Verzweiflung an kleinen Problemen werden nicht mehr gravierende Folgen haben. Nach einer gewissen Zeit hat man sich an die Voraber auch Nachteile des Gastlandes gewöhnt. Dementsprechend fühlt man sich nicht mehr fremd und hat das Gefühl der Zugehörigkeit. Der Entsandte entwickelt eine Akzeptanz und ein Verständnis für die fremden Denk- und Handlungsweisen der Kultur (Geiger, 2015, S. 52). 4.4.7 W-Kurven-Modell Die Grundlage für das von Gullahorn & Gullahorn 1963 (Gullahorn/ Gullahorn, 1963) entwickelt W- Kurven-Modell, ist die U-Kurve von Oberg (1960). Das W-Kurven-Modell wird, wie in Abb. 4.8 ersichtlich, mit der Rückkehr in die Heimat erweitert, sodass die U-Kurve nicht mehr beinhaltet ist. Der Expatriate erlebt nach der Rückkehr erneut einen Kulturschock, diesmal ausgelöst durch die eigene Kultur. Man spricht von einem „umgekehrten Kulturschock“ (Wirth, 2013, S. 206). Sowohl <?page no="275"?> 276 4 Prozess des internationalen Personalmanagements die Uaber auch die W-Kurvenmodelle beschreiben sehr anschaulich die emotionalen Hoch- und Tiefpunkte während eines Auslandsaufenthalts. Jedoch lassen sie sich nicht auf jede Auslandserfahrung beziehen (AFS Intercultural Programs, 2013), da jeder Mensch ein Individuum ist und auf die Situationen anders reagieren kann. Abb. 4.8: In Anlehnung an das W-Kurven-Modell nach Gullahorn und Gullahorn (1963). 4.4.8 Betreuung des Mitarbeiters im Ausland Die ausführliche Vorbereitungsphase auf die Auslandstätigkeit kann bei Expatriate trotzdem zu einem Kulturschock führen, sodass die Betreuung im Ausland ein wichtiger Punkt ist. Die Expatriates brauchen die kontinuierliche Betreuung sowohl zum Mutterunternehmen als auch die Integration in das Gastland. Diese Betreuung ist auch ein wichtiger Faktor für den Erfolg oder Misserfolg einer Auslandstätigkeit. Der Expatriate hat nach der Ankunft im Gastland mit verschiedenen Herausforderungen zu kämpfen, wie die Eingewöhnung in das neue Umfeld, der Aufbau eines sozialen Umfelds, die Lösung von Aufgabenstellungen im privaten und beruflichen Bereich und die Bewältigung von Stresssituationen bei der Eingewöhnung in das Gastland (Mauer, 2013, S. 32). In der Forschung und Praxis ist die Betreuung der Expatriate bislang ein wenig beachteter Bereich, obwohl dem Mitarbeiter erst während des Aufenthaltes die Bedeutung und Wirkung der fremden Kultur richtig bewusst wird (Brandenburger, 1995, S. 94). Dabei stehen dem Expatriate nicht nur die Betreuung der Personalabteilung im Gastland zur Verfügung, sondern auch weiterhin des Stammhauses (Brittner/ Reisch, 1994, S. 217). Die Betreuung und die Verbundenheit zum Mutterunternehmen sorgt dafür, dass der entsandte Mitarbeiter eine höhere Wertschätzung und Loyalität gegenüber dem Unternehmen aufzeigt (Breitschuh/ Wöller, 2007, S. 107). Nach Schröder ist die Betreuung im Ausland ein wichtiger Aspekt des Auslandseinsatzes, um berufliche Schwierigkeiten und psychische Belastungen zu mindern bzw. zu verhindern (Schröder, 1995, S. 148). Zur Unterstützung des Entsandten wird ein Erfahrener und mit dem lokalen Umfeld vertrauten Managers im Ausland empfohlen, der die Integration sowohl im Tochterunternehmen als auch in der Umwelt erleichtern soll (Pawlik, 2000, S. 58). Ein weiterer Punkt zur Betreuung ist der sogenannte Mentor, meist ein Vorgesetzter im Mutterunternehmen, der von der Anfangsphase zur Entsendung bis hin zur Rückkehr sich um diesen Expatriate kümmert. Somit kann das Risiko, dass sich der entsandte Mitarbeiter im Gastland vollständig hilflos fühlt, reduziert werden. Der Vorteil besteht darin, dass sich durch die Betreuung nicht die nur Informationslage des entsandten Mitarbeiters verbessert, sondern auch der Informationsaustausch von Tochterunternehmen zu den Schnittstellen in andere Tochterunternehmen und dem Mutterunternehmen. Zudem bietet der Mentor ergänzend zu der Beurteilung durch den Vorgesetzten im Gastland eine laufende Kontrolle der Auslandstätigkeit (Scherm, 1999, S. 204). Beginn der Entsendung 1. Kulturschock Rückkehr 2. Kulturschock Wiedereingliederung Zufriedenheit des Entsandten Zeit <?page no="276"?> 4.4 Einsatz 277 Hinweis „Während des Auslandseinsatzes ist es für den Mitarbeiter wichtig, stets das Gefühl zu haben, weiterhin dem Entsendungsunternehmen anzugehören. Die Personalabteilung muss daher großen Wert darauf legen, regelmäßig Kontakt zu den Mitarbeitern zu halten“ (Hentze/ Kammel, 2000, S. 504). Daher ist es wichtig bzw. hilfreich, den Expatriaten regelmäßig mit Informationen zu versorgen, wie z.B. Firmenzeitschriften, Geschäftsberichte, Nachrichten über personelle und organisatorische Veränderungen (Horsch, 1995, S. 103). Für mitentsandte Familienmitglieder wie der Ehepartner ist es wichtig, dass sie versuchen, ihrem Beruf im Ausland nachzugehen. Da sich dies als äußerst schwierig gestaltet, enthalten in den meisten Fällen die Ehepartner einen parallelen Anstellungsvertrag, um diese Probleme im Ausland von Anfang an zu verhindern (Mauer, 2013, S. 34). Der Expatriate muss trotz der Betreuung vor Ort auch eine gewisse Eigeninitiative zeigen. Hierbei ist es wichtig, im Unternehmen auf die gewissen Verhaltensregeln oder Einstellungen der ausländischen Kollegen und Vorgesetzten zu achten. Desweiteren kommt der Faktor des Neids von den ausländischen Mitarbeitern gegenüber dem entsandten Mitarbeiter hinzu, da dieser meistens ein höheres Gehalt bekommt. Daher sollten die Gehälter zwischen dem Expatriate und der lokalen Führungskräfte keine großen Abweichungen haben (Perlitz, 1997, S. 232). Die Besonderheit bei der Versetzung ins Ausland ist es, dass zu einer guten Betreuung des entsandten Mitarbeiters und seiner Familie auch Maßnahmen der Personalabteilung gehören, die bis in den privaten Bereich hineinreichen (Wirth, 1992, S. 202). Leistungsbeurteilung während der Auslandstätigkeit Die Leistungsbeurteilung kommt in jedem Land der Welt zum Einsatz, jedoch unterscheiden sich deren Funktion und Gestaltung je nach Kultur. So muss gewährleistet werden, dass die Leistungsbeurteilung in verschiedenen Ländern ein gleiches standardisiertes Beurteilungsverfahren durchlaufen kann. Dies führt zu einer fairen Regelung und einer fairen Beurteilung des Entsandten. Demzufolge muss eine internationale Leistungsbeurteilung eingeführt werden, die als Orientierungsgrundlage dienen soll (Weber et al., 1998, S. 190f.) . Definition „Personalbeurteilung [...] als die geplante, formalisierte und standardisierte Bewertung von Organisationsmitgliedern im Hinblick auf bestimmte Kriterien durch von der Organisation dazu explizit beauftragte Personen auf der Basis sozialer Wahrnehmungsprozesse im Arbeitsalltag.“ (Domsch/ Gerpott, 1992, S. 1631f.) Leistungsbeurteilung auf nationaler und internationaler Ebene Im Folgenden sollen die Aspekte der Unterschiedlichkeit der Leistungsbeurteilung auf nationaler und internationaler Ebene erläutert werden. Nach Harvay (1997) gibt es einige Faktoren, die zu berücksichtigen sind:  Unterschiedlichkeit der Mitarbeiter in einem international tätigen Unternehmen: Die Mitarbeitergruppe, Tochterunternehmen oder Mutterunternehmen, werden durch unterschiedliche Verträge, Kompensationspakte oder Karrieremöglichkeiten gezeichnet. Hierbei sind zwei unterschiedliche Kulturen der Beurteiler und Mitarbeiter zu berücksichtigen, da unterschiedliche Normen und Werte mit einfließen. <?page no="277"?> 278 4 Prozess des internationalen Personalmanagements  Vielfalt externer Umwelteinflüsse: Hierzu kommen Wirtschaftssysteme wie z.B. Inflationsrate, Arbeitslosigkeit oder Zinssätze hinzu, die nicht im Einflussbereich des eingesandten Mitarbeiters liegen. Der Mitarbeiter muss sich an die landeskulturellen Einflussfaktoren anpassen, sodass sich seine Leistungen positiv oder negativ beeinflussen lassen.  Unterschiede in Unternehmensstrategie, -struktur, -kultur: Die internationalen Geschäftstätigkeiten werden mit einer anderen Strategie geprägt als die nationalen. Dies führt dazu, dass die strategischen Ziele des Tochterunternehmens anders sind als das Mutterunternehmen. Durch unterschiedliche Ausmaße an der Zentralisierung oder durch kulturelle Einflüsse finden mögliche Unterschiede in den Entscheidungen statt.  Mangelnde Vergleichbarkeit der Daten: Die Vergleichbarkeit der Leistungen der Expatriate eines Unternehmens setzt einen einheitlichen Standard voraus, die kaum gegeben sind. Einige Faktoren, wie z.B. Importtarife, die die Preislisten verzerren lassen, können eine objektive Bewertung zur Leistung des Tochterunternehmens problematisch wirken (Garland, 1986, S. 184).  Zeit, Kosten, geographische Distanz: Die internationale Leistungsbeurteilung ist zum einen zeitaufwendiger und zum anderen kostspieliger, da mehr Faktoren die Leistung beeinflussen, wobei sich durch die geographische Distanz die Erfassung zwischen dem Beurteiler und dem Mitarbeiter als schwierig gestaltet. So muss z.B. die Anpassungsphase in die Leistungsbeurteilung mit einfließen (Weber et al., 1998, S. 184). Modell der internationalen Leistungsbeurteilung Das Modell der internationalen Leistungsbeurteilung verfolgt nicht nur das Ziel die Leistung der entsandten Mitarbeiter zu erfassen, sondern auch die Berücksichtigung der Personalentwicklungsziele (Weber et al., 1998, S. 185). Demzufolge strebt man mit der Personalbeurteilung zwei Ziele an. Die Ziele sind die Motivation durch gezielte immaterielle und materielle Belohnung für positives Leistungsverhalten zu steigern, sowohl als auch die Entwicklung des Mitarbeiters durch gezielte Schulungen und Weiterbildungen zu fördern (Hilb, 2011, S. 77). So werden die Schwächen des Mitarbeiters analysiert, um gezielte personalwirtschaftliche Maßnahmen zu treffen. Die Leistungsbeurteilung ermöglicht einen Vergleich von international tätigen Mitarbeitern. So können die Veränderungen in der Leistung des entsandten Mitarbeiters verdeutlicht werden. Zur Verfügung stehen quantitative und qualitative Kriterien zur Leistungsbewertung. Bei den quantitativen Kriterien sind schwere Mess- und Zurechnungsprobleme zu erwarten. Mit den qualitativen Kriterien soll die Fairness im Bewertungsprozess erhöht werden und die Einflussfaktoren international tätiger Mitarbeiter mit einbezogen werden (Weber et al., 1998, S. 185ff. ). Zusammenfassung In diesem Abschnitt wurde beschrieben, wie ein Auslandseinsatz typischerweise vonstattengeht. Zudem wurde auf die unterschiedlichen Arten internationaler Auslandseinsätze eingegangen. Es erfolgte bspw. eine Unterscheidung in Short Term- und Long Term Assignment. Zudem wurde auf den Auslandseinsatz aus Unternehmer- und Mitarbeitersicht eingegangen. Bei einem Auslandseinsatz kann es zu einem Kulturschock kommen. Daher ist die Betreuung des Mitarbeiters im Ausland sehr wichtig. Auf die Probleme Leistungsbeurteilung in einem fremden Land wurde eingegangen und ein mögliches Modell zur internationalen Leistungsbeurteilung vorgestellt. <?page no="278"?> 4.5 Reintegration 279 4.5 Reintegration Lernziele  Sie haben ein grundsätzliches Verständnis für die Wiedereingliederungsproblematik nach einem Auslandseinsatz.  Sie kennen die Arten der Reintegrationsprobleme und wissen um die Erfolgsfaktoren einer Auslandsentsendung.  Sie verstehen die Maßnahmen zur Unterstützung der Reintegration. Definition Die Wiedereingliederung wird im Zusammenhang von Auslandsentsendung als ein Prozess der Wiedereingewöhnung von Mitarbeiter in ihr Land bezeichnet (Hurn, 1999, S. 224). Synonyme für die Wiedereingliederung sind Reintegration, Reentry, Rückgliederung und Rückführung (Rothlauf, 2009, S. 321). Hinweis „Wenn zu erwarten ist, dass nach einem längeren Aufenthalt im Ausland die Rückkehr in das Heimatland, die Anpassung an die hiesigen Arbeits- und Lebensbedingungen zum Problem werden können, wird ein Reintegrationstraining in das Land, kurz vor der Ausreise oder im Heimatland kurz nach der Einreise zur Erleichterung der Wiedereingliederung in das Berufs- und Arbeitsleben und zur Eingewöhnung in die eigentliche vertrauten aber inzwischen fremd geworden heimischen Lebensverhältnisse eine nützliche Anpassungshilfe sein“ (Thomas, 1997, S. 124). Der Reintegrationsprozess erweist sich als eine schwierige Aufgabe der Auslandsentsendung, da der Entsandte nach seiner Rückkehr erneut eine Anpassungsphase durchlaufen muss, diesmal in seinem eigenen Heimatland. So berichten Rückkehrer, dass die Integration ins Gastland nicht so schwer war wie die Reintegration in der Heimat (With, 1992, S. 205). „The problems in going over, I expected; the real problems - the ones I didn’t expect - were all in coming back! “, da die Expatriates ihre Einstellung teilweise so verändert haben, dass der Kontakt zu der Heimat einen erneuten „Kulturschock“ auslöst. Die Reintegration beinhaltet alle Wiederanpassungsprozesse des Expatriates an das Heimatland im beruflichen, aber auch im privaten und soziokulturellen Bereich (Ladwig/ Loose, 2000, S. 366). Um sich nach der Beendigung der Auslandstätigkeit erfolgreich im Heimatland wiedereinzugliedern durchläuft der Entsandte einen Reintegrationsprozess (Ladwig/ Loose, 2000, S. 366). 4.5.1 Verlauf der Wiedereingliederung nach Fritz Der Entsandte muss nach seiner Rückkehr aus dem Gastland verschiedene Phasen durchlaufen. Der Verlauf der Wiedereingliederung lässt sich nach Fritz (1982) in drei Phasen unterteilen (Fritz, 1982, S. 39ff.). <?page no="279"?> 280 4 Prozess des internationalen Personalmanagements  Antizipation: Noch während der Rückkehr entwickelt der Entsandte Erwartungen im Heimatland über private und berufliche Situationen. In dieser Phase ist die zukünftige Rolle im Unternehmen noch ungewiss, sodass die tatsächliche Wiedereingliederung das Ausmaß der Reintegrationsproblematik aufzeigt, wodurch die Antizipationen unzutreffend sein können. Während des Auslandseinsatzes findet die antizipierte Anpassung statt, in der der Entsandte Erwartungen der Reintegration, seiner neuen Funktion und der Interaktion bildet (Knocke, 2017, S. 38).  Akkommodation: Die Unterschiede zwischen dem im Ausland erfolgreichen und dem im Heimatland notwendigen Verhalten nimmt der Rückkehrer wahr, wodurch es zu einem „umgekehrten Kulturschock“ (Gullahorn/ Gullahorn, 1963) kommt. Hierbei erlebt er wieder die Unverständlichkeit und Anpassungsschwierigkeiten, sodass eine aggressive Stimmung die Phase dominiert.  Adaption: Nach einigen Monaten der Rückkehr erlebt der Expatriate eine Identifizierung mit der Heimat. Der Expatriate fängt an, sich in seiner eigenen Heimat zu integrieren. 4.5.2 Drei-Phasen-Modell des Rückkehrprozesses nach Hirsch Hirsch entwickelt ein Drei-Phasen-Modell auf der Basis einer Vielzahl von Erfahrungen aus Rückkehrern. Das Modell besteht aus drei Phasen: Naive Integration, Reintegrationsschock, Echte Integration (Hirsch, 2003, S. 423ff). Die erste Phase wird als „ Naive Integration “ beschrieben. Die wird durch die Begeisterung wieder in seiner Heimat zu sein beschrieben und die Einstellung des Rückkehrers sich in das Heimatland wieder einzugliedern. Die Offenheit und Bereitschaft des Rückkehrers sich an das Heimatland anzupassen, wird als oberflächliche Integration beschrieben und kann bis zu einigen Wochen andauern (Knocke, 2017, S. 39). Der „Reintegrationsschock“ wird als zweite Phase beschrieben und ist mit der Akkommodationsphase von Fritz vergleichbar, des sogenannten „umgekehrten Kulturschocks“, wobei in der Phase die Wiedereingliederungsprobleme wieder zur Belastung werden und dies zu einer aggressiven Haltung übergeht. Das wachsende Unverständnis von Kollegen und das Desinteresse an der Auslandserfahrung trägt zur Stimmung bei. Der ehemalige Expatriate fühlt sich somit als Außenseiter und verstärkt seine ablehnende Haltung gegenüber seinen Kollegen und sein Umfeld. Es besteht die Möglichkeit für den Rückkehrer einen erneuten Auslandseinsatz zu tätigen, wobei in den meisten Fällen zur letzten Phase übergegangen wird (Hirsch, 1996, S. 291). In der letzten Phase, die „Echte Integration“ , erlebt der Rückkehrer einen Wandel seines Verhaltensmusters, wobei der Expatriate gelernt hat sich im neuen Umfeld wieder zurechtzufinden und seine Erwartungen dementsprechend anzupassen. Dies hat zur Folge, dass der Rückkehrer wieder an Selbstvertrauen gewinnt und sich den Schwierigkeiten stellt. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass der Expatriate in die Phase des Kulturschocks zurückfällt. Dies wird durch Schwierigkeiten im beruflichen Umfeld ausgelöst, was Bilder und Erfahrungen aus dem Ausland in den Vordergrund rücken lässt und zu Unzufriedenheit der Situation im Heimatland auslöst (Hirsch, 2003, S. 424 ). In diesem Zusammenhang lassen sich die Schritte der Reintegration nach Hirsch (2003) in drei Phasen darstellen: Abb. 4.9: Prozessmodell der Reintegration nach Hirsch (2003). Quelle: in Anlehnung an Weber et al., 1998, S. 191 <?page no="280"?> 4.5 Reintegration 281 4.5.3 Arten der Reintegration Die Reintegration in das Heimatland hängt von vielen individuellen Einflussfaktoren ab, wie die private, berufliche und soziokulturelle Sicht. Die private Reintegration beinhaltet die Wiedereingliederung in ein soziales Netz, die Wiederaufnahme alter Beziehungen und das Knüpfen von neuen Kontakten (Bittner/ Reisch, 1994, S. 226). Die Umstellung der Statusveränderung und ein Verlust des Lebensstandards sind bewusste Aspekte mit dem der Expatriate umgehen muss. Bei soziokultureller Reintegration liegt der Schwerpunkt darin sich an die kulturellen heimischen Verhältnisse wieder zu gewöhnen. Durch die Auslandstätigkeit haben sich Werte und Normen für den Rückkehrer verschoben, sodass die heimischen Werte und Verhaltensmuster zunächst fremd erscheinen. Bei der beruflichen Reintegration hat der Rückkehrer mit den Aspekten der Karriereerwartungen, seiner Dequalifizierung und den entwicklungsfördernden Anschlussaufgaben zu kämpfen (Scharbert, 2015, S. 12ff.). Die Arten der Reintegration zeigen auf, dass es zu verschiedenen Problemen der Reintegration kommen kann. Es werden die beruflichen, organisationalen und sozialen Reintegrationsprobleme erläutert. Berufliche Probleme Die Mitarbeiter, die sich für eine Auslandstätigkeit entscheiden, haben die Hoffnung nach Rückkehr auf einen Karrieresprung (With, 1992, S. 206). Unternehmen versprechen keine explizierte Position nach der Beendigung des Auslandsaufenthaltes und garantieren den Karrieresprung i.d.R. auch nicht (Kollmann, 2016, S. 20). In der GMAC Umfrage von Jahr 2004 gaben 68% der befragten Unternehmen an, dem Entsandten keine Rückkehrpositionsversprechen abzugeben (Dowling et al., 2008, S. 188). Demzufolge haben die Rückkehrer Angst, keine angemessene Stelle wie die Auslandsposition zu finden (Fritz, 1984, S. 121). So kann im Vorfeld der Entsendung eine versprochene Stelle in Zukunft nicht mehr vorhanden sein. Dies hat zu Folge, dass eine gewisse Unzufriedenheit der Rückkehrer entsteht, da die Erwartungen nach der Auslandstätigkeit nicht erfüllt worden sind. Je höher der Entsandten in der Hierarchie stand, desto schwieriger wird es eine angemessene Position zu finden (Kollmann, 2016, S. 20 ff.). Durch organisatorische Veränderungen wie Outsourcing, Downsizing oder Fusionen, stehen für Rückkehrer eventuell weniger attraktive Positionen zur Verfügung (Kühlmann, 2004, S. 95). Außerdem kann der Expatriate durch den Aufenthalt im Ausland gewisse Kenntnisse verlernt haben, wie z.B. den Verlust des Know-hows im technischen Bereich, in dem die Kenntnisse schnell alt werden (Bittner/ Reisch, 1994, S. 227), wobei bei der Rückkehr des Expatriates er den Anforderungen nicht gewachsen sein kann (Kühlmann, 2004, S. 95). Dies führt zwangsläufig zur Enttäuschung des Expatriates, da seine Erwartungen nach der Rückkehr nicht erfüllt werden. Übung 4.9 Welche klassischen beruflichen Probleme können bei einer Reintegration nach einem Auslandseinsatz auftreten? Organisationale Reintegrationsprobleme Zudem kommen die organisationalen Reintegrationsprobleme hinzu, die die Wiedereingliederung im Unternehmen erschweren. Die Expatriates haben vom Unternehmen in Bezug zur ihrer Rückkehr <?page no="281"?> 282 4 Prozess des internationalen Personalmanagements keine spezifischen Informationen bekommen, das führt dazu, dass sie im Ungewissen über ihre Rückkehrposition sind. Die Umgewöhnung des andersartigen Lebensstandards fällt den Expatriate schwer, da im Ausland die finanzielle Lage oft lukrativer ist als im Inland (Kollmann, 2016, S. 219). Außerdem haben die Expatriates im Ausland i.d.R. niedrige Lebenshaltungskosten und materielle Zusatzleistungen wie einen Firmenwagen oder eine Wohnung, die ihnen zur Verfügung gestellt werden (Black et al., 1992 S. 239f.). Soziale Reintegrationsprobleme Die Probleme der sozialen Reintegration sind vor allem die Wiedereingliederung im sozialen Umfeld, die Wiederaufnahme alter Beziehungen und die Knüpfung neuer Kontakte. Die soziale Reintegration führt zu einem „Entfremdungsgefühl“, das oft verharmlost wird, da der Rückkehrer in ein nicht mehr bekanntes Umfeld zurückkehrt. Zumeist haben sich nicht nur die Umstände nach der Rückkehr geändert, sondern auch unbewusst der Entsandte. Der Erfolg der Auslandstätigkeit ist abhängig von der Familie. So ist auch der Erfolg einer Reintegration des Entsandten abhängig von der Wiedereingliederung in die Familie (Kollmann, 2016, S. 22 ). Die familiären Probleme, die bei der Auslandstätigkeit eine Rolle spielten, werden auch im Heimatland zu einem Problem. Die Komplikationen der Wiedereingliederung können die Leistung des Mitarbeiters erheblich beeinflussen und eine Unzufriedenheit auslösen (z.B. eine Scheidung). Auswirkung ungenügender Reintegration Die Auswirkungen einer ungenügenden Wiedereingliederung in das Unternehmen sind für den Rückkehrer als auch für das Unternehmen gravierend. Wird der Rückkehrer vor und während der Reintegrationsphase mangelhaft betreut, wird die Bereitschaft einen erneuten Auslandseinsatz zu tätigen gering. Die schlechten Erfahrungen werden an die Arbeitskollegen übermittelt und lösen eine Abneigung eines Auslandseinsatzes aus. Da die gewünschte Position für Rückkehrer zunächst in weiter Ferne bleibt, wird eine geringfügigere Tätigkeit ausgeübt. Durch die schwierige Situation für beide Parteien schrecken Unternehmen nicht davor zurück, einem Rückkehrer einen Aufhebungsvertrag mit einer entsprechenden Abfindung anzubieten (Dülfinger/ Jöstingmeirer, 2008, S. 540f.). Die ungenügende Reintegration eines entsandten Mitarbeiters mit neu erworben kulturellen und fachlichen Wissen, hat die Folge, dass der Rückkehrer das Unternehmen i.d.R. verlässt. Dies führt zu einer erheblichen Fehlinvestition, da viele Maßnahmen getroffen wurden, um den Erfolg des Auslandseinsatzes zu garantieren. „Ein Mitarbeiter, der sich unter schwierigen Bedingungen im Ausland bewähren konnte, besitzt Kenntnisse und Fähigkeiten, die in Zeiten der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft immer wertvoller werden. Hierzu gehören z.B. Aufgeschlossenheit gegenüber ungewohnten Arbeits- und Lebensstilen, größere Selbstständigkeit im Denken und Handeln sowie Verhandlungsfähigkeit in einer oder mehreren Fremdsprachen“ (Kühlmann/ Stahl, 1995, S. 189). So verlässt ein Mitarbeiter mit all dem erlernten Wissen im beruflichen als auch im privaten Bereich das Unternehmen, wobei dieser z.B. als Mentor für andere Mitarbeiter zur Verfügung stehen hätte können. Eine Studie der GMAC (Global Relocation Services, 2002) ergab von 150 befragten Unternehmen, dass 26% der Rückkehrer nach mindestens zwei Jahren den Arbeitgeber verlassen bzw. gewechselt haben. Die Rückkehrer haben im Ausland Erfahrung sammeln können, wobei das Wissen der Auslandstätigkeit vom Unternehmen nicht ausreichend genutzt wurde. <?page no="282"?> 4.5 Reintegration 283 Übung 4.10 Beschreiben Sie die klassischen Auswirkungen einer ungenügenden Reintegration mit eigenen Worten. Erfolgsfaktoren Reintegration einer Auslandsentsendung Nach den Reintegrationsproblemen des Rückkehrers und ihren Folgen für das Unternehmen ist die Wiedereingliederung ein kaum zu vernachlässigendes Problem. Angesichts der Tatsache, dass ein Auslandseinsatz mit viel Aufwand betrieben wurde, der zudem noch sehr kostenaufwendig ist, sollte ein verstärktes Interesse bestehen, die Leistung der Entsandten und deren Beitrag zum Gesamtunternehmenserfolg unbedingt zu definieren (Harris et al., 2005, S. 274). Um die Erfolgsfaktoren zu bestimmen, muss der Anpassungserfolg untersucht werden. Die Frage, was unter dem Erfolg einer Entsendung zu verstehen ist, bleibt in internationalen Unternehmen oft offen (Eckert, 2010, S. 36). Zudem stellt die Anerkennung der gesammelten Erfahrungen von Mitarbeitern im Ausland einen Schlüsselfaktor dar, der die Leistungsbereitschaft und die Zufriedenheit aller Mitarbeiter/ innen beeinflusst (Grote, 2015, S. 81). Der Rückkehrer muss eine gewisse Eigeninitiative und Eigenverantwortung für die Wiedereingliederung erbringen. Der kontinuierliche Kontakt zu den Arbeitskollegen im Mutterunternehmen ist ein wichtiger Faktor für die Reintegrationsphase des Rückkehrers. „Die Experten erwarten zunehmend Bedarf an professioneller Unterstützung vor, während und nach Auslandseinsätzen [...] bei der Entsendung von Expatriates [...]“ (Wunderer/ Dick, 2000, S. 109). Der Reintegrationsprozess begleitet den Entsandten von Beginn an, während des Auslandseinsatzes bis hin zur Rückkehr. Während der Auslandstätigkeit sollte das Unternehmen rechtzeitig die zukünftige Rückkehrposition dem Expatriate mitteilen , wobei die Erwartungshaltung des Expatriates nach der Beendigung des Auslandseinsatzes sich negativ oder positiv auf seine Reintegration auswirken kann. Werden seine Erwartungen an die Rückkehr nicht erfüllt, so kann eine negative Haltung ausgelöst werden und so die Reintegration erschweren. Außerdem ist ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Reintegration das Mentorensystem (Mauer, 2013, S. 34), das den Rückkehrer einen gewissen Halt und Verständnis gegenüber seiner Situation aufbringen kann. Empfehlungen für die Wiedereingliederungsphase Die Betreuung während des Auslandseinsatzes finden die Expatriates nicht allzu relevant wie eine intensivere Unterstützung während der Wiedereingliederungsphase, die zu den Aufgaben der Personalabteilung zählt. Ein weiter Teil des Aufgabenbereiches ist das Wahrnehmen von Informations-, Koordinations- und Administrationsaufgaben sowie die Unterstützung der Wiedereingliederung im Unternehmen (Dorris, 1999, S. 78). Hilfreich wären frühzeitige Wiedereingliederungsgespräche, die den Entsandten auf die Rückkehr vorbereiten. Außerdem können „Karrieregespräche“ vor der Entsendung realistische Erwartungen an die Rückkehr schaffen. So sollten z.B. Faktoren wie die Entsendungsdauer, der spezifische Aufgabenbereich, die zusätzlichen Entwicklungsmaßnahmen vor Ort und welche Position nach der Auslandstätigkeit angestrebt werden können erörtert werden. <?page no="283"?> 284 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Ein wichtiger Aspekt für die Wiedereingliederungsphase ist die des Informationsaustausches, der während des Auslandseinsatzes eine Rolle spielt. Informationen über die politische und kulturelle Lage im Heimatland als auch Informationen über neue Aspekte z.B. neue Technologien, Personalveränderungen und Umstrukturierungen im Unternehmen, sollten dargelegt werden. Die Auslandsentsendung sollte sinnvoll in die berufliche Laufbahn des Entsandten eingebaut werden, sodass zwischen der Tätigkeit im Ausland und nach der Rückkehr ein Zusammenhang erkennbar ist (Dorris, 1999, S. 79f. ) Das neu erlernte Wissen im Unternehmen einzubringen, löst bei den entsandten Mitarbeitern eine gewisse Wertschätzung seiner Auslandstätigkeit aus, die sich positiv auf seine Reintegration auswirkt. Die Wiedereingliederung oder auch Reintegration eines Expatriates umfasst die letzte Phase und wird in der Literatur und in der Praxis als die schwierigste Aufgabe der Auslandsentsendung beschrieben. Viele Unternehmen gehen mit dieser Thematik sehr stiefmütterlich um, weshalb dieses Thema zu zahlreichen Problemen führt. Black et al. (1992) verdeutlichen dies mit folgendem Beleg: „Repatriation is perhaps the least carefully considered aspect of global assignments“ (Festing et al., 2011, S. 340). Dabei wird seitens der Unternehmen unterschätzt, dass auch die Reintegration ein Neuanfang darstellt. Festing et al. (2011) verdeutlichen mit der Unterschätzungsproblematik, dass sich mit der Rückkehr in die Heimatgesellschaft traumatische Erlebnisse entwickeln können, „die teilweise heftigere Auswirkungen mit sich bringen als zuvor die Anpassungsprobleme im Ausland“ (Festing et al., 2011, S. 340). Kammel und Teichelmann (1994) assoziieren mit der Reintegration eine Phase, die „unter Umständen zu erheblichen Orientierungsproblemen und oft auch zur Frustration“ führen (Kammel/ Teichelmann, 1994, S. 100). Im äußersten Fall betont Stahl (1998) die Kündigung seitens des Entsandten, bei einem nichtzufriedenstellenden Positionsangebot (Stahl, 1998, S. 251). Diese Aussagen heben die Problematik hervor, dass der Expatriate wie in der Anfangsphase der Auslandsentsendung, erneut mit einer kulturellen Anpassungsphase konfrontiert wird. Ein Konzept zur Reintegrationsanpassung wurde seitens Black et al. im Jahre 1992 entwickelt, welche die Wiederanpassung von Expatriates im Folgenden demonstriert und in der Literatur eine hohe Bedeutung besitzt. Abb. 4.10: Modell der Wiederanpassung nach Black et al. Quelle: Black/ Gregersen/ Mendenhall, 1992a, S. 745. <?page no="284"?> 4.5 Reintegration 285 Dabei besteht die Anpassung aus unterschiedlichen Dimensionen. Die erste Dimension orientiert sich an der Anpassung an den beruflichen Bereich, gefolgt von der Anpassung an die sozialen Interaktionen und letztendlich aus der Anpassung an den kulturellen Bereich. Diese drei Dimensionen stellen eine entscheidende Grundlage dar, da diese durch zwei Bestimmungsgrößen, nämlich durch „vor der Rückkehr“ und „nach der Rückkehr“ beeinflusst werden. Diese beiden Kategorien der Bestimmungsgrößen werden in vier Variablen unterteilt, die durch vielfältige Kriterien charakterisiert werden. Im Zuge dessen wird der Anpassungsprozess des Entsandten durch die individuelle, berufliche, organisatorische und nicht-arbeitsbezogene Variable beeinflusst. Bezüglich der individuellen Faktoren berücksichtigen die Autoren vor der Rückkehr die Dauer des Auslandsaufenthaltes und die Veränderungen im Stammhaus sowie nach der Rückkehr die Wiederanpassung des Entsandten und das Kontrollbedürfnis. Die berufliche Variable konzentriert sich vor der Rückkehr durch die Unabhängigkeit der Tätigkeit und nach der Rückkehr durch die Rollenklarheit und -konflikte. Die organisatorische Variable beinhaltet Faktoren wie den Kommunikationsaustausch sowie die Betreuung durch einen Mentor. Reintegrationsseminare und Reintegrationsprogramme gehören zu den Faktoren nach der Rückkehr. Die Variable, die das außerberufliche Umfeld abbildet, wird vor der Rückkehr durch Einflussfaktoren wie die kulturelle Distanz und nach der Rückkehr durch den sozialen Status sowie die Anpassung des Partners charakterisiert (Black/ Gregersen/ Mendenhall, 1992a, S. 744 ff.). Ferner stellen Black et al. (1992) fest, dass sich Expatriates bereits vor ihrer Rückkehr mit der Beendigung des Auslandseinsatzes beschäftigen und sich mit der Fragestellung auseinandersetzen, welche Herausforderungen nach Ankunft in das Stammland in Bezug auf die Arbeit und das Privatleben auf sie zukommen. In diesem Zusammenhang wird die Kategorie „vor der Rückkehr“ als ein entscheidendes Einflusskriterium auf die Wiederanpassung dargestellt. Für die Förderung des Wiederanpassungsprozesses des Expatriates gilt die Kategorie „nach der Rückkehr“ als entscheidendes Kriterium (Ebd. S. 742 ff.). Zusammenfassend lassen sich die Herausforderungen in den drei bestehenden Hauptbereichen konzentrieren. Die berufliche, soziale und kulturelle Kategorie sollte stets seitens der Unternehmen bezüglich der Wiedereingliederung der Expatriates unterstützt werden. Letztendlich ist es von enormer Bedeutung, keine Kategorie zu vernachlässigen, d.h. sich im besten Fall mit allen gleichwertig zu befassen. Wiedereingliederung aus Mitarbeiterperspektive Im Rahmen der privaten Wiedereingliederung kommt es oft zu unterschiedlichen Problemen, womit einerseits der Mitarbeiter und andererseits das Unternehmen konfrontiert werden. In der Literatur kommt die Hauptproblematik der Identifikation mit der neuen Arbeitsstelle zum Ausdruck. Dülfer & Jöstingmeier (2008) betonen einerseits die beruflichen und andererseits die privaten Faktoren, die bezüglich der Integration des Mitarbeiters oft Schwierigkeiten verursachen. Der Expatriate und seine Familie müssen erneut die Phasen durchlaufen, die am Beginn des Auslandsaufenthaltes obligatorisch waren (Dülfer/ Jöstingmeier, 2008, S. 544). Festing et al. (2011) verstehen hierzu unter den beruflichen Faktoren die fehlende Arbeitsplatzsicherheit bzw. die Bereitstellung einer angemessenen Stelle, in der die gewonnenen Kenntnisse eingesetzt werden können. Diesbezüglich führt dies unter Umständen zu einem Abstieg des Mitarbeiters bezüglich der Position, da dieser möglicherweise im Ausland mehr Verantwortung und Führungskompetenzen zugetragen bekommt. Die Schlüsselpositionen genießen im Gastland überwiegend eine umfassende Aufgabenstellung, die im Stammunternehmen nur in den Zuständigkeitsbereich des Vorstands fällt. Dies bedeutet, dass jede andere Aufgabe eine Rotation zur Spezialisierung signalisiert. Somit führen die Erwartungen zu Enttäuschungen und damit lässt sich eine geringe Wertschätzung erworbener Fähigkeiten in Verbindung bringen (Festing et al., 2011, S. 342 f.). In Anlehnung an Festing et al. (2011) beschreiben Dülfer <?page no="285"?> 286 4 Prozess des internationalen Personalmanagements & Jöstingmeier (2008) die Rückkehr in das Stammland als eine totale Veränderung aufgrund des oben beschriebenen Statusverlustes (Dülfer/ Jöstingmeier, 2008, S. 545). Eine Verschlechterung resultiert auch auf organisatorischer Ebene. Dies begründet sich darin, dass die Kompetenz für die Durchführung von Entscheidungshandlungen genau festgelegt und begrenzt ist. Auf diese Weise entsteht ein Gefühl der eingeschränkten Handlungsfähigkeit, welches eine Demotivation bei dem Mitarbeiter auslösen kann. Weiterhin ist der Expatriate auch mit anderen Interaktionspartnern vernetzt, während im Gastland als Gesprächspartner die obersten Entscheidungsträger auserwählt sind, werden im Stammland Sachbearbeiter von Kunden als Interaktionspartner herangezogen (Zinger, 2002, S. 53). Des Weiteren entstehen weitere Herausforderungen aufgrund der Unzufriedenheit der Familie nach der Rückkehr ins Stammland. Die Ehefrau muss sich nun im Stammland alleine um den Haushalt kümmern, während im Ausland häufig Hauspersonal zur Verfügung gestellt wurde. Somit kommen einige ruckartige Veränderungen auf, mit der einerseits der Expatriate aufgrund seiner Beschränkung der Leistungsfähigkeit und andererseits die Familie mit den schockartigen Veränderungen umgehen müssen. Auch monetäre Probleme können entstehen, wenn bspw. die Entlohnung weiterhin auf gleicher Höhe gehalten wird. Diese Problematik tritt dadurch auf, da die Auslandszulage entfällt und somit eine Senkung des Bruttoverdienstes stattfindet (Dülfer/ Jöstingmeier, 2008, S. 545). Nach Studienergebnissen von Deloitte (2008) geht hervor, dass die Hauptgründe für eine gescheiterte Auslandsentsendung durch Integrationsschwierigkeiten aufgrund kultureller Unterschiede hervorgerufen werden. Infolgedessen bestätigt sich die dritte These mit dieser Studie und den geschilderten Herausforderungen, dass sich der Prozess der Auslandsentsendung problematisch darstellt. Die Wichtigkeit der Wiedereingliederung wird bereits von vielen Unternehmen erkannt, jedoch sind diese nicht in ausreichendem Maße der Herausforderungen gewachsen. Für eine erfolgsversprechende Entsendung ist es daher seitens der Unternehmen essenziell, den Wiedereingliederungsprozess aktiv zu gestalten und sich bereits vor der Entsendung damit auseinanderzusetzen (Deloitte, 2008, S. 35 f). 4.5.4 Wiedereingliederung aus Unternehmensperspektive Aus Sicht des Unternehmens bringt auch die Reintegration des Mitarbeiters einige Schwierigkeiten mit sich. Herausforderungen aus dem Blickwinkel des Unternehmens lassen sich in mehreren Bereichen untergliedern. Diese umfassen nach Kammel & Teichelmann (1994) die zeitliche, quantitative und qualitative Deckungsungleichheit bezüglich der Rückkehr des Mitarbeiters und der Verfügbarkeit einer angemessenen Position im Stammunternehmen zu finden. Eine zeitliche Deckungsungleichheit kann auftreten, wenn ein im Voraus ungeplanter längerer Aufenthalt des Mitarbeiters im Ausland vonnöten ist oder sich eine Versetzung des bisherigen Stelleninhabers im Stammunternehmen hinausschiebt. Demgegenüber tritt die quantitative Deckungsungleichheit dann auf, wenn eine den Fähigkeiten des Mitarbeiters adäquate Stelle zur Verfügung steht, jedoch interne Mitarbeiter im Stammunternehmen eine große Nachfrage und Interesse an dieser Stelle haben (Kammel/ Teichelmann, 1994, S. 101). Falls die Besetzung durch einen Inlandsbeschäftigten stattfindet, kann es dazu führen, dass es zu differenzierenden Erwartungen zwischen dem Entsandten und dem Unternehmen in Anbetracht des Einkommens, Verantwortungsbereiches und der Aufgabenzuweisung kommt. Dementsprechend kann es in der oben beschriebenen Konstellation durchaus vorkommen, dass der zurückgekehrte Mitarbeiter auf eine Warteposition gesetzt wird (Dülfer/ Jöstingmeier, 2008, S. 546). Unter der Voraussetzung, dass keine adäquate Stelle für den zurückkehrenden Mitarbeiter aufgrund von personellen Umgestaltungsmaßnahmen offeriert werden kann, tritt die qualitative Deckungsungleichheit auf (Kammel/ Teichelmann, 1994, S. 102). Zudem kann es vorkommen, dass die Inlandsbeschäftigten während des Entsendungszeitraumes im Unternehmen eine Beförderung bekommen <?page no="286"?> 4.5 Reintegration 287 und somit gegenüber dem Expatriate eine Hierarchiestufe höhergestellt sind. Mit dieser Gegebenheit stellt sich der Expatriate äußerst unzufrieden und es herrschen Spannungen zwischen den Mitarbeitern, wodurch auch das Betriebsklima negativ beeinflusst wird (Dülfer/ Jöstingmeier, 2008, S. 546). Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Reintegration des Expatriates nicht nur auf die berufliche Kategorie konzentriert. Eine entscheidende Rolle spielen auch die Faktoren, die sich auf den sozialen und privaten Bereich einordnen lassen. So sollen auch die subjektiven Wahrnehmungen verstärkt berücksichtigt werden, da diese einen entscheidenden Einfluss auf all die interne Kommunikation und des Betriebsklimas aufweisen. Kennzeichnend dafür ist eine gründliche Betreuung und Bindung des Expatriates und der mitreisenden Familienmitglieder vor, während und nach der Rückkehr in das Stammunternehmen, um für beide Seiten einen Profit zu erreichen. Außerdem kann eine ständige offene Kommunikation zwischen dem Stammunternehmen und dem Expatriate während der gesamten Dauer eventuelle Unannehmlichkeiten nach der Rückkehr vorbeugen. 4.5.5 Maßnahmen zur Unterstützung der Reintegration des Expatriates Um die Reintegration so erfolgreich wie möglich zu gestalten bzw. zu fördern, können seitens des Unternehmens verschiedene Maßnahmen ergriffen werden. In der Forschungsliteratur werden diesbezüglich verschiedene Methoden für das Personalmanagement beschrieben. Im Folgenden werden die bedeutsamsten Maßnahmen vorgestellt. Realistische Karriereplanung Eine wichtige Maßnahme zur Betreuung der Reintegration stellt u.a. die Karriereplanung dar. Die hier resultierenden Probleme entstehen, wenn sich der Expatriate im Gastunternehmen weitreichende Fähigkeiten und Kompetenzen angeeignet hat, die so im Stammunternehmen nach der Rückkehr keine Berücksichtigung finden. Dies führt bei dem Expatriate somit zu einer hohen Unzufriedenheit und Frustration. Um diesen Herausforderungen entgegenzuwirken, ist es seitens des Stammunternehmens unerlässlich, eine gezielte Vorbereitung für den Expatriate zu planen und gegebenenfalls diverse Vertragsangebote anzubieten (Feldman, 1991, S. 173). Hinsichtlich der Erwartungen der Expatriates bezüglich ihrer Karriereplanung und der angebotenen Position nach ihrer Rückkehr bestehen größtenteils Diskrepanzen. In diesem Falle ist es erforderlich, dass das Personalmanagement im Stammunternehmen ausreichend Zeit für die Karriereentwicklung investiert und vor der geplanten Rückkehr eine adäquate Anschlussposition zur Verfügung stellt (DGFP e.V., 2010, S. 153). In diesem Zusammenhang weist Perlitz (2004) darauf hin, dass es in der Praxis häufig zu Schwierigkeiten kommt, eine adäquate Reentry-Position bereitzustellen. Dieser Problematik wird durch die Umsetzung von Maßnahmen wie die Verlängerung des Auslandseinsatzes oder durch das Anbieten von Auffangstellen begegnet (Perlitz, 2004, S. 420). Hierzu sollten dem Expatriate bereits vor der Auslandsentsendung seitens des Stammunternehmens keine falschen Versprechungen bezüglich der Karriereentwicklung zugesichert werden, die nach der Rückkehr nicht durchführbar sind. Damit keine Diskrepanzen entstehen, sollte grundsätzlich vor der Entsendung ein umfassendes Gespräch mit dem zu entsendenden Kandidaten stattfinden und mögliche Herausforderungen bezüglich des Rückkehrprozesses geschildert werden, um realistische Erwartungen zu gewährleisten (DGFP e.V., 2010, S. 153). Im Rahmen der Karriereentwicklung ist eine frühzeitige berufliche Laufbahnplanung bezüglich des Positionsaustausches sowohl für das Unternehmen als auch für den Mitarbeiter gewinnbringend. Demgemäß kann der Expatriate durch diese Maßnahme mit auftretenden Herausforderungen besser umgehen und diese erfolgreich bewältigen. Auch die <?page no="287"?> 288 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Reintegration des Mitarbeiters in das Unternehmen kann somit erleichtert werden und die Bindung an das Unternehmen kann gestärkt werden (Fritz, 1982, S. 188). So unterstreicht eine Studie von Deloitte (2008) diese Problematik. Darin wird die Maßgeblichkeit einer erfolgreichen Karriereplanung zum Thema Rückkehrposition des Expatriates verdeutlicht. Die oben beschriebene Unzufriedenheit mit der Rückkehrposition zählt hierbei mit 78% zu den Hauptgründen für eine Kündigung seitens des Expatriates, wobei 200 Experten im gehobenen deutschen Mittelstand befragt wurden. Ebenfalls konnte ermittelt werden, dass 58% des erworbenen Wissens nicht im Unternehmen angewandt werden kann (Deloitte, 2008, S. 22). Vertragliche Rückkehrgarantie - Reentry Garantie Eine weitere effiziente Maßnahme zum Wiedereingliederungsprozess stellt die Rückkehrgarantie oder auch Wiedereingliederungszusage bzw. Reentry-Garantie dar, welches dem Expatriate bereits vor seiner Auslandsreise zugesichert wird. Durch die Zusage einer Reentry-Garantie steigt auch die Begeisterung der Mitarbeiter einen Auslandseinsatz zu tätigen, da somit eine gewisse Sicherheit herrscht, nach der Rückkehr weiterhin den Job zu behalten. Dementsprechend wird dem Expatriate mitunter zugesichert, dass er nach seiner Rückkehr in die bisherige Hierarchieebene eingeordnet wird (Perlitz, 2004, S. 404) Schmeisser (2008) unterscheidet in Bezug auf die Rückkehrgarantie drei unterschiedliche Optionen, die dem Expatriate angeboten werden können. Zum einen kann der Arbeitgeber dem Expatriate eine Garantie versprechen, dass dieser nach seiner Rückkehr in das Stammunternehmen eine vergleichbare Position mit seiner bisherigen Tätigkeit erhält, wobei auch das Einkommen und die Funktion korrespondieren. Die zweite Option basiert auf die Zusage einer Rückkehrgarantie, indem vorerst keine bestimmte Position angeboten wird, die gesammelten Erfahrungen im Hinblick auf den Auslandseinsatz jedoch in Betracht gezogen werden. Die dritte Alternative zeichnet sich dadurch aus, dass dem Expatriate seitens des Arbeitgebers eine konkrete und verbindliche Zusage einer Position garantiert wird. Jedoch findet diese Alternative in der Praxis sehr selten Anwendung, da personelle und organisatorische Veränderungen auftreten können und längerfristige Prognosen die Reintegrationszusage beeinträchtigen bzw. erschweren können (Schmeisser, 2008, S. 259). In diesem Zusammenhang akzentuieren Kammel & Teichelmann (1994) die Schwierigkeiten hinsichtlich einer konkreten Positionszusage. Ein solches Versprechen bereitet mögliche Probleme für das Personalmanagement, da die präzise Positionszusage möglicherweise dem Rückkehrer so nicht angeboten werden kann. Dies begründet sich darin, dass zum Zeitpunkt der Rückkehrer die versprochene Position nicht mehr zu besetzen ist. Als Folge dessen entstehen Enttäuschungen und Unzufriedenheit bei den zurückgekehrten Mitarbeitern (Kammel/ Teichelmann, 1994, S. 103). Grundsätzlich sollten die Maßnahmen frühzeitig geplant werden, um einen Erfolg bei der Reintegration zu erzielen. Hierbei ist es von elementarer Bedeutung, dass die im Stammunternehmen verantwortlichen Personen den festgesetzten Zeitpunkt der Reintegration des Expatriates vor Augen haben, um im Voraus die Position planen zu können. Um Probleme, die mit der Reintegration des Expatriates auftreten zu verringern, sollte der Auslandseinsatz für Führungskräfte ein festes Element für die berufliche Entwicklung sein (Perlitz, 2004, S. 421). Reintegrationsseminare Reintegrationsseminare stellen eine weitere Maßnahme zur Beseitigung der Reintegrationsschwierigkeiten sowohl für den Expatriate als auch für seine Familienangehörigen dar. Dabei verfolgen derartige Seminare facettenreiche Zielsetzungen. Die Ziele sollen einerseits darin liegen, die Erfahrungen und Eindrücke der Entsandten untereinander auszutauschen und im Anschluss mit der Fachabteilung auszuwerten (Kammel/ Teichelmann, 1994, S. 104 f.) Außerdem weist Hirsch (2003) darauf <?page no="288"?> 4.5 Reintegration 289 hin, dass solche Reintegrationsseminare dabei helfen sollen, alle Veränderungen sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich zu reflektieren und sich gezielt mit den Veränderungen auseinanderzusetzen. Um den besten Nutzen aus den Seminaren zu erzielen, ist es von zentraler Bedeutung, die Durchführung der Lernprozesse an den Bedürfnissen, Erfahrungen und Interessen der Rückkehrer auszurichten (Hirsch, 2003, S. 425 ff.). Während der Wiedereingliederungsphase von Rückkehrern im Stammunternehmen sollten stattfindende Reintegrationsseminare folgende Aspekte berücksichtigen (Nery-Kjerfve/ McLean, 2012, S. 625): 1. Interkulturelles Training 2. Praktisches Training 3. Technisches Training Im Rahmen des interkulturellen Trainings werden unterstützende Hilfestellungen gegeben, wodurch der Rückkehrer den eventuell auftretenden Rückkehrschock möglichst effektiv bewältigt. Das praktische Training soll dazu dienen, die Informationsdefizite des Rückkehrers zu schließen. Darüber hinaus werden eventuell eingetretene Veränderungen während der Abwesenheit des Expatriates kommuniziert. Im Zusammenhang mit dem technischen Training werden Weiterentwicklungen hinsichtlich technischer Veränderungen und Fortschritte im Stammunternehmen bekanntgegeben. In Anlehnung an die oben beschriebenen Hauptaspekte der Reintegrationsseminare sind Kammel & Teichelmann (1994) der Überzeugung, dass ein weiterer Aspekt bezüglich der Faktoren, die eine Unzufriedenheit auslösen können, als ein fester Bestandteil zu behandeln ist. Daraus sollen die Rückkehrer den Nutzen des Auslandseinsatzes aus der Perspektive der gewonnenen Erfahrungen vor Augen führen, um daraus die Erkenntnis der persönlichen Weiterentwicklung abzuleiten. Im Ergebnis liegt es an dem eigenverantwortlichen Handeln des Expatriates, auftretende Probleme zu lösen und insbesondere mit diesen kompetent umzugehen (Kammel/ Teichelmann, 1994, S. 104). In der Literatur wird festgehalten, dass die Teilnahme der mitgereisten Partner eine sehr förderliche und vorteilhafte Unterstützung darstellt. Die Partner sind ebenfalls eingeladen, ihre Erfahrungen bezüglich der im Ausland aufgetretenen Schwierigkeiten zu erörtern und im Anschluss über mögliche Lösungen mit den Teilnehmenden zu diskutieren. Dabei hat Volkswagen ein Seminarkonzept entwickelt, welches in erster Hinsicht die emotionalen Faktoren des Rückkehrers berücksichtigt. Das Konzept beinhaltet Sachverhalte wie den Erfahrungsaustausch, Informationen über Veränderungen im Steuer- und Sozialversicherungsangelegenheiten sowie Einzel- und Gruppenübungen. Ferner soll anhand von Rollenspielen die interkulturelle Handlungskompetenz der Rückkehrer intensiviert werden (Hirsch, 2003, S. 427). Die Umsetzung eines Reintegrationsseminars sollte nicht gleich im Anschluss nach der Rückkehr erfolgen. Es empfiehlt sich eine Dauer von frühestens ein paar Wochen einzuhalten, um dem Expatriate und seiner Familie die Möglichkeit zu geben, sich gezielt über die Schwierigkeiten im Ausland vergegenwärtigen zu können. Auch wird davon ausgegangen, dass erst nach der Rückkehr in das Heimatland mögliche Schwierigkeiten in Bezug auf die Reintegration auftreten und sich bemerkbar machen. Resultierend daraus, stellen Reintegrationsseminare hilfreiche Maßnahmen dar, um die Schwierigkeiten der Rückkehrer untereinander zu diskutieren, zu erkennen und gezielt zu analysieren (Kammel/ Teichelmann, 1994, S. 104 f.). In Anbetracht der Schwierigkeiten bezüglich der Reintegration, sind Black et al. (1992) der Auffassung, dass Reintegrationsseminare vor der Auslandsentsendung eine unterstützende Maßnahme repräsentieren, damit mögliche Wiedereingliederungsschwierigkeiten nach der Rückkehr gar nicht bzw. in geringem Maße auftreten. Neben der Vermittlung von allgemeinen Auskünften über den Auslandseinsatz, umfassen diese Sensibilisierungsseminare auch Informationen über den Kulturschock sowie über <?page no="289"?> 290 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Reintegrationsschwierigkeiten, um den Expatriate bestmöglich über eventuelle Herausforderungen zu informieren (Black/ Gregersen/ Medenhall, 1992a, S. 746). Zusammenfassung In diesem Absatz wurde der Reintegrationsprozess mit seinen Problemen und Chancen aufgezeigt. Hierbei sind eine realistische Karriereplanung, ‚offene Worte‘, Reintegrationsseminare und eine vertragliche Rückkehrgarantie empfehlenswert. Schlussbetrachtung Was haben Sie gelernt? Die Betreuung von Expatriates vor, während und nach dem Auslandsaufenthalt muss durch mehrere Maßnahmen der Personalabteilung gewährleistet werden. Somit muss eine Reihe von Maßnahmen im Rahmen einer Auslandsentsendung eingesetzt werden. Dabei ist es Aufgabe der Personalabteilung, durch etwaige Informationssowie Koordinierungsaufgaben den Expatriate zu unterstützen. Einerseits soll das Unternehmen gewinnbringende Maßnahmen einsetzen, andererseits liegt es auch in der Verantwortung des Expatriates zur erfolgreichen Entsendung beizutragen. Dabei stehen vielfältige Möglichkeiten, wie das Erwerben von Sprachkenntnissen oder eine Erwartung einer realistischen Rückkehrposition im Vorfeld. Die Erwartungshaltung einer realistischen Rückkehrposition kann durch Karrieregespräche unterstützt werden. Gestartet sind wir mit der Bedeutung und den Zielen von Auslandseinsätzen. Im zweiten Absatz haben wir uns der Auswahl von Mitarbeitern gewidmet. Der dritte Absatz beinhaltet interkulturelle Trainings, hier geht es darum, einen Auslandseinsatz vorzubereiten und was dabei zu beachten ist. Familiäre Stabilität ist beispielsweise ein großer Erfolgsfaktor eines Auslandseinsatzes. Im vierten Absatz wird aufgezeigt, wie ein Auslandseinsatz i. d. R. abläuft. Der klassische Entsendungsprozess mit den einzelnen Prozessstufen wird beschrieben. Ein Kulturschock kann nicht nur bei der Entsendung eines Mitarbeiters ins Ausland, sondern auch bei der Reintegration auftreten. Die klassischen Probleme der Wiedereingliederung werden aufgezeigt und analysiert. Lösungshinweise zu den Übungen im Text Übung 4.1 Koordinations- und Kontrollfunktion : Auslandsentsandte, insbesondere in ethnozentrisch geführten Unternehmen, können als Personalcontroller in der Organisation wirken, in der der Entsandte eine direkte Kontrollfunktion innehat, und damit die Umsetzung der Strategie in den Strukturen und Prozessen seitens der Tochterunternehmung sicherstellt. Gerade amerikanische, chinesische, deutsche, japanische und französische Unternehmen nutzen diese Form von Kontrolle, um die Dominanz und Machtposition der Entsandten zu unterstreichen. Sozialisierungsfunktion: Internationale Entsendungen helfen das Wissen von Sprache, politischen und kulturellen Werten von Ländern und Tochterunternehmen zu lernen und zu vertiefen. Kompetenzen im Controlling, im Marketing und im Handel, in der Produktion und in der Logistik <?page no="290"?> 4.5 Reintegration 291 sich anzueignen und an andere Mitarbeiter weiterzugeben, um spätere potenzielle, internationale Führungsfunktion im Unternehmen zu übernehmen. Bildung von Netzwerken: Expatriates tragen zur freundschaftlichen Pflege, Kontakte und Kommunikation zwischen Mitarbeitern der Muttergesellschaft und der Tochterunternehmen bei. Man erhofft sich, dass Netzwerke international entstehen, auf die man bei Gelegenheit zurückgreifen kann, insbesondere wenn der Expatriate zurückgekehrt ist, und z.B. im Mutterunternehmen Kontaktstelle bzw. Person für bestimmte Länder ist. Boundary spanner: Expatriates tragen Informationen aus den intra- und extraorganisatorischen Bereichen der multinationalen Unternehmung zusammen und bilden somit „Boschafter oder ähnliche Vertreter“ ihres Unternehmens im jeweiligen Land. Soziale Events können dem Unternehmen helfen sich über politische Entwicklungen im Land rechtzeitig zu informieren und ein Wissen über den lokalen Markt zu sammeln und wie Reputation für das eigene Unternehmen platziert werden kann. Wissenstransfer und Sprachvermittler: Viele multinationale Unternehmen wie Airbus, BASF, Siemens usw. entwickeln eine unternehmenseigene, standardisierte Unternehmenssprache, die in den meisten Fällen Englisch ist. In Spanien, Mittelamerika und Südamerika kann dies auch Spanisch sein, ebenso in Portugal, Kongo, Mosambik und Brasilien ist auch Portugiesisch denkbar. Dennoch bleiben sprachliche Barrieren als Teil der Zusammenarbeit in internationalen Unternehmen oft bestehen. Übung 4.2 Die effektive und effiziente Personalauswahl nimmt einen großen Stellenwert im Beschaffungsprozess und im gesamten Unternehmen ein. Individuell auf das Unternehmen angepasste Diagnoseverfahren können entscheidende Wettbewerbsvorteile generieren (Berthel/ Becker, 2013, S. 354) So kann auch das Risiko von Fehlentscheidungen gemindert und das Unternehmen mit den benötigten Mitarbeitern versorgt werden. Die Entlassung von einmal eingestelltem Personal ist häufig mit Komplikationen verbunden (Jung, 2011, S. 153). Fehlentscheidungen bei der Auswahl können dem Unternehmen erheblich Schaden zufügen. Es können, wie in Tabelle 4.7 dargestellt, zwei Arten von Entscheidungsfehlern unterschieden werden. Tab. 4.7: Unterscheidung von Entscheidungsfehlern Eignung des Bewerbers Entscheidung angenommen abgelehnt objektiv geeignet richtige Entscheidung fälschlicherweise abgelehnt (β-Fehler) objektiv ungeeignet fälschlicherweise angenommen (α-Fehler) richtige Entscheidung Quelle: in Anlehnung an Berthel/ Becker, 2013, S. 367; Scholz, 2014, S. 18; Krüger, 2002, S. 195 Übung 4.3 AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: § 1 Ziel des Gesetzes <?page no="291"?> 292 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. (https: / / www.gesetze-im-internet.de/ agg/ BJNR189710006.html) Übung 4.4 „Halo-Effekt, halo = Heiligenschein, systematischer Fehler der Personenbeurteilung (Urteilsfehler), bei dem ein einzelnes Merkmal einer Person so dominant wirkt, dass andere Merkmale in der Beurteilung dieser Person sehr stark in den Hintergrund gedrängt bzw. gar nicht mehr berücksichtigt werden. Darüber hinaus wird ausgehend von dem gewählten Merkmal auf weitere Eigenschaften der Person geschlossen, ohne dass hierfür eine objektive Grundlage vorliegen muss. Ausgangspunkt für den Halo-Effekt sind vor allem markante Merkmale der zu beurteilenden Person (z.B. physische Attraktivität, Behinderung, außergewöhnliche Leistungen). Der Effekt der physischen Attraktivität ist besonders häufig belegt worden. Personen, die gut aussehen, werden demzufolge meist auch als intelligent, gesellig oder dominant beurteilt. Das Auftreten des Halo-Effektes wird gefördert, wenn das Urteil besonders schnell gefällt wird.“ http: / / www.spektrum.de/ lexikon/ psychologie/ halo-effekt/ 6232) Übung 4.5 Die mitreisenden Familienangehörigen spielen eine wichtige Rolle im Prozess der Auslandsentsendung. Diese können sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf den Entsandten und den Auslandseinsatz haben, da ein starker Zusammenhang zwischen der Entsendung und der Familienmitglieder herrscht. An dieser Stelle ist auf Groß (1994) zu verweisen, der sich im Hinblick auf die Partnerschaft folgendermaßen äußert: „Eine stabile Ehe erleichtert den Auslandseinsatz, indem sie den ruhenden Pol in einem fremden Umfeld darstellt und Geborgenheit und Vertrautheit vermittelt“ (Groß, 1994, S. 177). Im Gegensatz dazu führt eine bereits belastete Ehe zu Einschränkungen bezüglich der gegenseitigen partnerschaftlichen Beziehungen und somit erschwert sie auch den Auslandsaufenthalt für beide Parteien. Kammel & Teichelmann (1994) betonen, dass eine positive Einstellung des Entsandten und der Familienangehörigen zur Entsendung und zum Auslandsaufenthalt ein nicht zu unterschätzendes Kriterium darstellt. Im Zuge dessen ist es für die Begleitperson ebenfalls von Vorteil, diese in die Auswahlgespräche einzubinden. Außerdem thematisieren die Autoren, dass eine „Schnupperreise“ durchaus sinnvoll erscheint, um eine Enttäuschung in dem Entsendungsland zu vermeiden. Mit dieser Gelegenheit können die Entsandten und deren Familienmitglieder einen Einblick über zahlreiche Aspekte, die mit einer Entsendung zusammenhängen, gewinnen (Kammel/ Teichelmann, 1994, S. 77). Eine Vielzahl von Studien hat sich mit der familiären Begleitung des Entsandten beschäftigt. Dabei bestätigte sich, dass die Unzufriedenheit der Familienangehörigen einen negativen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Entsandten ausüben kann. Aufgrund der ungenügenden kulturellen Anpassung des Partners, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Motivation des Entsandten sinkt. Des Weiteren kann eine Auslandsentsendung einen Bruch der Karriere der Begleitpartner verursachen (Schneider/ Hirt, 2007, S. 257). Um diese Herausforderungen minimal zu halten, bedarf es einer systematischen Planung während der Auswahlphase des Expatriates. Schon in der Rekrutierungs- und Auswahlphase ist eine Auswahl von geeigneten Mitarbeitern vorzunehmen, die für eine bestmögliche Übereinstimmung im Hinblick auf die Kriterien wie die technischen und sozialen Ziele infrage kommen. <?page no="292"?> 4.5 Reintegration 293 Übung 4.6 Mithilfe eines Onboarding-Prozesses sollen die Mitarbeiter in den betrieblichen Leistungsprozess eingeführt werden, mit dem Ziel jegliche Aktivitäten durchzuführen, die dem Unternehmen durch personelle Kapazitäten eine Profitabilität verspricht (Berthel/ Becker, 2013, S. 320). Der Onboarding- Prozess setzt sich grundsätzlich aus drei Phasen der Vorbereitung, Orientierung und Integration zusammen. Diese erstreckt sich über einen Zeitraum von Beginn der Vertragsunterzeichnung bis hin zum frühesten Ende der vereinbarten Probezeit. Im weiteren Verlauf sollen die oben aufgeführten Phasen eines Onboarding-Prozesses beschrieben, sowie die Aufgaben, die sich für die Beteiligten herausstellen, benannt werden. Die Vorbereitungsphase des Onboarding-Prozesses beginnt mit der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages und dem ersten Arbeitstag. Hierzu werden zahlreiche Maßnahmen im Unternehmen des Einsatzlandes ergriffen, die es einerseits ermöglichen, dem Expatriate den Einstieg in das Unternehmen zu erleichtern und andererseits ein Image der Professionalität des Unternehmens zu erzeugen. Im Hinblick auf die Maßnahmen, sollte der Kontakt mit dem Expatriate möglichst aufrechtgehalten werden. Dabei ist es wichtig, nach Unterzeichnung des Arbeitsvertrages den Entsandten möglichst nützliche Informationen bezüglich der Unternehmensphilosophie sowie den zuständigen Kontaktpersonen mitzuteilen. Außerdem ist es extrem vorteilhaft, zuvor einen konkreten Einarbeitungsplan zu erstellen, die aufschlussreichen Informationen zum geplanten Ablauf geben, wodurch auch der Expatriate das Gefühl der Sicherheit und Klarheit bekommt (Lohaus/ Habermann, 2015, S. 127). In der Vorbereitungsphase könnte außerdem die Bestimmung eines persönlichen Mentors zu einem positiven Effekt führen (Bube, 2015, S. 3). Die Orientierungsphase stellt die zweite Phase des Onboarding-Prozesses dar und schließt den Zeitraum von dem Arbeitsbeginn bis zu dem dritten Monat im Unternehmen ein. Hierbei soll der Expatriate in die Auf- und Ablauforganisation des Unternehmens eingebunden werden, diese verstehen und lernen und sich in seine neue Rolle und seine neuen Aufgaben eingliedern. Dabei werden in der Literatur seitens der Unternehmen zum einen die Aufgaben, die sich an dem ersten Arbeitstag und zum anderen jene Aufgaben, die sich in der ersten Arbeitswoche bemerkbar machen, unterschieden. Aufgaben, die am ersten Arbeitstag vorgenommen werden sollten, beinhalten Maßnahmen, wie die Begrüßung und das Führen eines Einführungsgespräches. Das Gespräch sollte möglichst durch die zuständige Person im Einsatzland des Expatriates stattfinden und eine detaillierte Zusammenfassung über das Gastunternehmen beinhalten. Dabei sollte der Expatriate in Bezug auf die Arbeitsweisen, Führungsgrundsätze, Entwicklungen sowie einen Überblick über die konzeptionellen Feedback-Gesprächstermine bekommen. Auch ist es unerlässlich das zukünftige Tätigkeitsfeld des Expatriates zu betrachten. In der ersten Arbeitswoche übernimmt der Expatriate erste positionsbezogene Aufgaben. Die Integrationsphase des Onboarding-Prozesses durchläuft der Mitarbeiter von dem dritten bis sechsten, maximal jedoch zwölften Monat. In diesem Zeitraum werden durch das Unternehmen integrationsfördernde Maßnahmen implementiert. Diese reichen von der Mitarbeit in Arbeitsgruppen und Projekten, Fortbildungsangebote, bis hin zu Angeboten, die den beruflichen Netzwerken dienen. Weiterhin soll der Expatriate in dieser Phase motiviert werden, zum einen das Wissen zu vertiefen und zum anderen die Eigeninitiative zu stärken. Darüber hinaus sollte die Zeitspanne durch Maßnahmen, wie das Einbinden von Fortbildungsangeboten und Trainings sowie regelmäßigen Feedbackgesprächen unterstützt werden, um die Integration des Expatriates in das Unternehmen zu erleichtern. Hierzu unterstreichen Lohaus & Habermann (2015) die Relevanz eines Gespräches mit dem Mitarbeiter, welches in jedem Fall nach der Integrationsphase stattfinden sollte. Somit soll das Ziel des Gespräches darin liegen, dem Mitarbeiter das Gefühl zu geben, dass er ab diesem Zeitpunkt in vollem Umfang selbstständig für die Erledigung seiner Aufgaben und somit der Arbeitsleistung die volle Verantwortung trägt (Lohaus/ Habermann, 2015, S. 142). <?page no="293"?> 294 4 Prozess des internationalen Personalmanagements Übung 4.7 Arten internationaler Auslandseinsätze Der Begriff Entsendung wird als Oberbegriff für den internationalen Mitarbeitereinsatz definiert. Diese Entsendung kann von einer kurzfristigen Dienstreise bis zu einem mehrjährigen Auslandseinsatz stattfinden. Grundsätzlich liegt eine Entsendung vor, wenn sich ein Mitarbeiter ins Ausland begibt, um dort seine Beschäftigung auszuüben (www.ihk-berlin.de, 2017). Hier wird ein(e) Mitarbeiter / in, der/ die eine Auslandstätigkeit ausübt, als Expatriate, Entsandter oder einfach als entsandter Mitarbeiter bezeichnet. Kurzzeit-Entsendung - Short Term Assignment Bei einer Short Term Assignment spricht man, wenn der Mitarbeiter für einen Zeitraum von weniger als einem Jahr im Ausland tätig ist. Vorteil dieser Art von Entsendung sind die geringen Kosten und Probleme, die bei der Eingliederung im Gastland stattfinden, da die Familien im Heimatland bleiben und dadurch die Entsendung vereinfacht wird. Bei dieser Art der Entsendung handelt es sich um Projekte, die im Ausland von qualifizierten Mitarbeitern betreut werden müssen. Das ständige Reisen ist der Grund dafür, dass eher jüngere Mitarbeiter hierzu bereit sind. Ausschlaggebend für das Antreten der kurzen Auslandstätigkeiten ist häufig der Gewinn der vielen Erfahrungen (www.pwc.com, 2012). Langzeit-Entsendung - Long Term Assignment Bei einer Long Term Assignment ist ein Zeitraum von mehr als einem Jahr definiert, da bei dieser Art von Entsendung der Wohnsitz und der Arbeitsplatz ins Ausland verlegt werden müssen. Die Mitarbeiter werden als Führungspositionen und Repräsentanten des Unternehmens ins Ausland geschickt (Fischermayr/ Kopecek, 2012, S. 28). Die Langzeit-Entsendung ist die mit der Assoziation der klassischen Auslandsentsendung, wobei die Funktionen des Mitarbeiters im Ausland klar definiert sind (Festing et al., 2011, S. 242). Vielflieger Bei einem Vielflieger werden mehrere aufeinanderfolgende Dienstreisen mit verschiedenen Zielen im Ausland bezeichnet (Otten et al., 2007, S. 176). Die Art von Dienstreisen können mehrere Tage bis hin zu mehreren Wochen andauern. Trotz des hohen Stresspegels und Zeitverlustes besteht für diese Art höchste Bereitschaft (Fischermayr/ Kopecek, 2012, S. 28). Aufgrund des Pendelns zwischen verschiedenen Ländern ist für die Mitarbeiter mit Familien kein Wohnortwechsel notwendig. Übung 4.8 Auslandseinsatz aus Sicht des Unternehmens: Die Motive und Ziele der Auslandstätigkeit der Mitarbeiter für das Unternehmen sind vor allem der Know-how-Transfer, sowohl vom Mutterunternehmen zum Tochterunternehmen im Ausland als auch umgekehrt. Die typischen Entsendungsziele des Heimatunternehmens sind der Transfer der Unternehmenskultur und Technologietransfer in ausländische Niederlassungen. Desweitern gehören zu der Motivation zum einen die Entwicklung eines globalen Bewusstseins und die damit verbundene internationale Denkweise der entsandten Mitarbeiter. Zum anderen die <?page no="294"?> 4.5 Reintegration 295 Implementierung einer einheitlichen Führungskonzeption im Unternehmen, sowie die Ausbildung des Führungspersonals im Zielland. Jedoch gibt es auch Nachteile für die Mitarbeiterentsendung für ein Unternehmen. Die Unternehmen haben durch die Entsendung der Mitarbeiter enorm hohe Kosten, die durch die Entsendung und Weiterbildungen bzw. Trainings entstehen. Der entsandte Mitarbeiter wird auf die Auslandstätigkeit vorbereitet, jedoch sieht es in der Praxis meist anders aus, sodass eine gewisse Unsicherheit der erstrebten Ziele eine sehr große Rolle spielt. Aufgrund der veränderten Bedingungen im Ausland kann es zum Verlust des Mitarbeiters an andere Unternehmen führen und dessen Leistungsvermögen auf Dauer beschädigen (Mauer, 2013, S. 1ff.). Zu den unternehmerischen Zielen lassen sich in vier Typen der Auslandsentsendung unterscheiden (Mayrhofer, 2005, S. 5f.).  „Wachhund, Trouble Shooting“ entsandte dieser Kategorie konzentrieren sich auf Kontroll- und Steuerungszwecke. Entsendungen des Stammhauses auf Schlüsselpositionen in Auslandsniederlassungen gehören dem Typ des „Wachhundes“ an.  „Senior-Management, High-Flyer“ stellen primär die Steuerungsaktivität als auch Personalentwicklung da, wobei die Entsendung zur Steuerung und Kontrolle der Gesamtorganisation dient und ihre individuellen Kompetenzen vertiefen soll. Ein typisches Beispiel ist die Entsendung von Stammhausmitgliedern, denen die Fähigkeit zur Erreichung einer hohen hierarchischen Position zugeschrieben wird.  „Entwicklungs-/ Nachwuchsförderung“ Der Fokus liegt auf der Personalentwicklung und nicht auf der Kontroll- und Steuerungsfunktion. Routinemäßige Entsendungen von Nachwuchsführungskräften dienen dazu Erfahrungen zu sammeln.  „Isolation, Abstellgleis“ Hierbei liegt der Fokus weder auf Steuerung noch auf der Personalentwicklung. Der Auslandseinsatz dieser Kategorie wird unternehmensintern als Bestrafung oder Abschiebung aufgrund mangelnder Kompetenzen angesehen. Übung 4.9 Klassische berufliche Probleme bei einer Reintegration nach einem Auslandseinsatz: Die Mitarbeiter, die sich für eine Auslandstätigkeit entscheiden, haben die Hoffnung nach Rückkehr auf einen Karrieresprung (With, 1992, S. 206). Unternehmen versprechen keine explizierte Position nach der Beendigung des Auslandsaufenthaltes und garantieren den Karrieresprung auch nicht (Kollmann, 2016, S. 20). In der GMAC Umfrage von Jahr 2004 gaben 68% der befragten Unternehmen an, dem Entsandten keine Rückkehrpositionsversprechen abzugeben (Dowling et al., 2008, S. 188). Demzufolge haben die Rückkehrer Angst, keine angemessene Stelle wie die Auslandsposition zu finden (Fritz, 1984, S. 121). So kann im Vorfeld der Entsendung eine versprochene Stelle in Zukunft nicht mehr vorhanden sein. Dies hat zu Folge, dass eine gewisse Unzufriedenheit der Rückkehrer entsteht, da die Erwartungen nach der Auslandstätigkeit nicht erfüllt worden sind. Je höher der Entsandten in der Hierarchie stand, desto schwieriger wird es eine angemessene Position zu finden (Kollmann, 2016, S. 20ff.). Durch organisatorische Veränderungen wie Outsourcing, Downsizing oder Fusionen, stehen für Rückkehrer weniger attraktive Positionen zur Verfügung (Kühlmann, 2004, S. 95). Außerdem kann der Expatriate durch den Aufenthalt im Ausland gewisse Kenntnisse verlernt haben, wie z.B. den Verlust des Know-hows im technischen Bereich, in dem die Kenntnisse schnell alt werden (Bittner/ Reisch, 1994, S. 227), wobei bei der Rückkehr des Expatriates er den Anforderungen <?page no="295"?> 296 4 Prozess des internationalen Personalmanagements nicht gewachsen sein kann (Kühlmann, 2004, S. 95). Dies führt zwangsläufig zur Enttäuschung des Expatriates, da seine Erwartungen nach der Rückkehr nicht erfüllt werden. Übung 4.10 Die Auswirkungen einer ungenügenden Wiedereingliederung in das Unternehmen sind für den Rückkehrer als auch für das Unternehmen gravierend. Wird der Rückkehrer vor und während der Reintegrationsphase mangelhaft betreut, wird die Bereitschaft einen erneuten Auslandseinsatz zu tätigen gering. Die schlechten Erfahrungen werden an die Arbeitskollegen übermittelt und lösen eine Abneigung eines Auslandseinsatzes aus. Da die gewünschte Position für Rückkehrer zunächst in weiter Ferne bleibt, wird eine geringfügigere Tätigkeit ausgeübt. Durch die schwierige Situation für beide Parteien, schrecken Unternehmen nicht davor zurück, einem Rückkehrer einen Aufhebungsvertrag mit einer entsprechenden Abfindung anzubieten (Dülfinger/ Jöstingmeirer, 2008, S. 540f.). Die ungenügende Reintegration eines entsandten Mitarbeiters mit neu erworben kulturellen und fachlichen Wissen, hat die Folge, dass der Rückkehrer das Unternehmen verlässt. Dies führt zu einer erheblichen Fehlinvestition, da viele Maßnahmen getroffen wurden, um den Erfolg des Auslandseinsatzes zu garantieren. „Ein Mitarbeiter, der sich unter schwierigen Bedingungen im Ausland bewähren konnte, besitzt Kenntnisse und Fähigkeiten, die in Zeiten der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft immer wertvoller werden. Hierzu gehören z.B. Aufgeschlossenheit gegenüber ungewohnten Arbeits- und Lebensstilen, größere Selbstständigkeit im Denken und Handeln sowie Verhandlungsfähigkeit in einer oder mehreren Fremdsprachen“ (Kühlmann/ Stahl, 1995, S. 189). So verlässt ein Mitarbeiter mit all dem erlernten Wissen im beruflichen als auch im privaten Bereich das Unternehmen, wobei dieser z.B. als Mentor für andere Mitarbeiter zur Verfügung stehen hätte können. Eine Studie der GMAC (Global Relocation Services, 2002) ergab von 150 befragten Unternehmen, dass 26% der Rückkehrer nach mindestens zwei Jahren den Arbeitgeber verlassen bzw. gewechselt haben. Die Rückkehrer haben im Ausland Erfahrung sammeln können, wobei das Wissen der Auslandstätigkeit vom Unternehmen nicht ausreichend genutzt wurde. Literaturverzeichnis Adams, Susan (2012): The Innovation That Could Make Most Job Interviews Obsolete. Forbes. Online verfügbar unter http: / / www.forbes.com/ sites/ susanadams/ 2012/ 08/ 28/ the-innovation-that-couldmake-most-job-interviews-obsolete/ #9883ce42a19c, zuletzt aktualisiert am 28.08.2012, zuletzt geprüft am 25.05.2016. Arbeitskreis Assessment Center e.V. (2004): Standards der Assessment Center Technik. Unter Mitarbeit von Jürgen Böhme, Reinhard Diesner, Ralph Glodek, Stefan Höft, Elmar Lammerskitten, Rainer Neubauer, Christof Obermann, Renate von Rüden. Hamburg, 06.2004. Arbeitskreis Assessment Center e.V. (2001): AC-Studie 2001. Online verfügbar unter http: / / www.arbeitskreis-ac.de/ index.php/ projekte/ studien/ ac-studie-2001, zuletzt geprüft am 07.05.2016. Arbeitskreis Assessment Center e.V. (Hg.) 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Um sich auf einen Auslandsaufenthalt vorzubereiten, finden Sie in diesem Kapitel nützliche Hinweise. Wir starten mit dem Kapitel mit der Motivation zur Auslandsentsendung in unterschiedlichen Kulturen. Abschnitt 2 erläutert die Besonderheiten der Entgeltfindung im internationalen Kontext. Im Abschnitt 3 finden Sie einen Entgeltvergleich zwischen Japan und Südafrika. Das Kapitel schließt mit einem Absatz zum internationalen Steuerrecht in Bezug auf Auslandsaufenthalte. 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen Lernziele  Sie haben ein grundsätzliches Verständnis zum Konzept interkultureller Handlungsfelder als Motivation in unterschiedlichen Kulturen.  Sie können die Begriffe Interkulturalität, Global Mindset, Cultural Ingelligence, Intercultural sensistivity etc. einordnen. 5.1.1 Zum Konzept interkultureller beruflicher Handlungsfelder als Motivation in unterschiedlichen Kulturen In diesem Abschnitt wird das Konzept interkultureller beruflicher Handlungsfelder und Motivation ausgeführt. Hierzu wird zunächst die Terminologie der Interkulturalität untersucht. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse wird im Anschluss auf das interkulturelle berufliche Handlungsfeld der Auslandsentsendung eingegangen. 5.1.2 Zur Ein- und Abgrenzung von Interkulturalität Die Bezeichnung interkulturell ist abzugrenzen von den zum Teil analog verwendeten Begriffen „multikulturell“ und „cross-cultural“. Letztere sind der Sichtweise des Multikulturalismus und des Kulturvergleichs zuzuordnen und betonen die Kontraste von zwei oder mehreren Kulturen (Knapp, 1998, S. 13). Hierbei wird ein Nebeneinander von Kulturen beschrieben, die keinen wechselseitigen Einfluss aufeinander haben (Dietrich, 2000, S. 28). So weisen multikulturelle Personen Merkmale mehrerer Kulturen auf, jedoch nicht zwingend auch interkulturelle Kompetenzen (Bolten, 2001b, S. 37). Im Gegensatz hierzu befasst sich die interkulturelle Forschung mit der Interaktion (Wierlacher & Bogner, 2003, S. 260) und der Bezugnahme verschiedener Kulturen aufeinander (Dietrich, 2000, <?page no="305"?> 306 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung S. 29). Hierbei werden sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede berücksichtigt und das Prinzip der Gleichberechtigung der Kulturen zugrunde gelegt. Lustig und Koester definieren Interkulturalität folgendermaßen: Definition 5.1 “The term intercultural […] denotes the presence of at least two individuals who are culturally different from each other on such important attributes as their value orientations, preferred communication codes, role expectations, and perceived rules of social relationships” (Lustig & Koester, 1999, S. 60). Hierbei beschreiben sie die Ausprägungen von Interkulturalität durch ein Kontinuum, das in Bezug auf die Werte, Normen und Erwartungen der Individuen die Gegenpole „wenige Unterschiede“ (intrakulturell) und „deutliche Unterschiede“ (interkulturell) aufweist. Gemäß dem Modell ist das Extremum der Interkulturalität Gegenstand der Untersuchung und fokussiert folglich ein hohes Maß an kulturellen Unterschieden zwischen den Individuen, die sich im Zuge ihrer Interaktion manifestieren. Übung 5.1 Grenzen Sie interkulturell, multikulturell und cross-cultural voneinander ab. 5.1.3 Zum interkulturellen Handlungsfeld der Auslandsentsendung Die theoretischen Grundlagen der Interkulturalität gilt es im Folgenden auf die Unternehmenspraxis anzuwenden. Interkulturelle berufliche Handlungsfelder und Motivation ergeben sich beispielsweise aus  internationalen Projektteams,  Kontakten mit ausländischen Lieferanten oder Kunden,  Kooperationen mit ausländischen Werken,  internationalen Belegschaftsstrukturen am inländischen Standort oder  Zusammenschlüssen mit ausländischen Niederlassungen (Bernhard, 2002, S. 194). Zwar steht der Entsendung von Mitarbeitern ins Ausland hoher finanzieller und organisatorischer Aufwand entgegen, dennoch ist sie aus der Praxis international tätiger Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Bereits im Jahr 2000 betrug die Anzahl der auslandsentsendeten Mitarbeiter deutscher Unternehmen laut Schätzungen der Global People Origin Datenbank des Development Research Centers der Universität Sussex rund 3,4 Millionen Personen (Dumont & Lemaître, 2005, S. 56). Eine Studie zur globalen Auslandsentsendung aus dem Jahr 2014 von Finaccord ergab eine Gesamtanzahl von 50,5 Millionen Expatriates weltweit mit einem geschätzten Anstieg auf 56,8 Millionen (Das entspricht 0,77% der Gesamtbevölkerung) für das Jahr 2014. Laut den Ergebnissen beträgt die jährliche Wachstumsrate von Auslandsentsendungen rund drei Prozent (Finaccord, 2014, S. 14). Bei Auslandsentsendungen werden Mitarbeiter von einem Unternehmen oder einer Organisation ins Ausland delegiert und für eine begrenzte Zeitdauer vor Ort angesiedelt (Kreutzer & Roth, 2006, S. 129). Zur Zielgruppe einer Auslandsentsendung gehören insbesondere „Fach- und Führungskräfte mittlerer Hierarchiestufen, die in der Regel wichtige Schlüsselpositionen in den ausländischen Gesellschaften besetzen“ (Treffer, 2017, 64). Zwar kommt es vereinzelt auch zum Auslandseinsatz für <?page no="306"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 307 zeitlich begrenzte und niedrigqualifizierte Tätigkeiten, aber zumeist werden hierfür aus Kostengründen Angehörige des Gastlands bevorzugt. Wissenstransfer beim Auslandseinsatz Ein Hauptgrund für Auslandsentsendungen ist die Wissensübertragung auf die Belegschaft von Tochtergesellschaften, insbesondere während deren Aufbauphase. Hierbei gilt es den Fach- und Führungskräften zunächst Kenntnisse in Bezug auf Produkte, Qualitätsstandards, Management und Prozesse zu vermitteln, um darauf aufbauend die Implementierung sowohl von Managementkonzepten als auch von technischen Anwendungen zu gewährleisten (Reiche & Harzing, 2011, S. 195). Auf langfristige Sicht soll hierbei, durch Wissensmanagement und die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter der Niederlassung, die Anwesenheit des Expatriates für die betrieblichen Abläufe vor Ort entbehrlich gemacht werden. Doch auch umgekehrt ist der Wissenstransfer von Mitgliedern der Fremdkultur auf das Stammhaus in vielen Bereichen erforderlich, sodass ein Auslandsentsendeter die Informationsgewinnung über die Zielkultur unterstützen kann. Dies gilt insbesondere für kulturspezifische Marktkenntnisse, deren Relevanz im Folgenden anhand einiger Beispiele dargestellt wird. Hinsichtlich der Produktanpassung gilt es sowohl ästhetische als auch funktionale kulturspezifische Aspekte zu beachten. In ästhetischer Hinsicht kommt dem Einsatz verschiedener Farben und Symbole zur Identifikation von Marken und Differenzierung von Produkten besondere kulturspezifische Bedeutung zu (Thieme, 2000, S. 276). So vermittelt Purpurrot in Südamerika negative Assoziationen, da es dort die Farbe der Trauer ist. Gleiches gilt für die Farbe Weiß in Japan und die Farbe Blau im Iran. Während die Farbe Grün in vielen Ländern als Farbe der Hoffnung gilt, steht sie in Malaysia für Krankheit (Thieme, 2000, S. 276f). Auch hinsichtlich funktionaler Produkteigenschaften ist eine Ausrichtung am spezifischen Verbraucherkontext notwendig. So ließen sich japanische High-Tech-Toiletten in arabischen Kulturen nicht verkaufen, weil sie mit der rechten Hand bedient werden. Ähnliche Toiletten mit einer Bedienungsvorrichtung an der linken Seite fanden jedoch hohen Anklang in den arabischen Kulturen, da dort die linke Seite als unrein gilt (Albaum et al, 2001, S. 100). Auch in Bezug auf Markennamen sind viele Unternehmen aufgrund sprachlicher Barrieren zu Anpassungen an jeweilige Ländermärkte gezwungen. So müssen vor der Übertragung bestehender Markennamen deren Bedeutung und Aussprache geprüft werden (Emrich, 2007, S. 223). Abbildung 1 zeigt Produkte mit geschäftsschädigenden Namen auf. Produkt: Name Hersteller Bedeutung auf dem ausländischen Markt Seife: Le Sancy Unilever „Tod über Dich“ in einigen asiatischen Dialekten Autohaus: Servitekar Goodyear „rostiges Auto“ in Japan Pinto Ford „winziges männliches Genital“ in Brasilien Automodell: Nova Chevrolet „läuft nicht“ im spanischsprachigen Raum Abb. 5.1: Internationaler Einsatz bestehender Markennamen (Emrich, 2007, S. 223) <?page no="307"?> 308 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Zuletzt sind auch im Hinblick auf die Werbegestaltung kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen, damit sich der Betrachter mit den Inhalten identifizieren kann. Folgende Faktoren sind hierbei besonders relevant: Symbole, Rollenverteilung von Mann und Frau, Sitten und Religionen, Humor und rechtliche Beschränkungen (Sabel, 2010, S. 90f). So zeigt sich die Bedeutung des beidseitigen Wissenstransfers zwischen Expatriate und Angehörigen der Fremdkultur insbesondere während der Aufbauphase der Tochtergesellschaft. Koordination und Kontrolle ausländischer Tochtergesellschaften Mit dem Wissenstransfer steht auch das Ziel der Koordination und der Kontrolle der Belegschaft in der ausländischen Niederlassung in Verbindung. Hierbei wird die Annahme zugrunde gelegt, dass Mitarbeiter von Tochtergesellschaften ihrem Arbeitgeber tendenziell weniger loyal verbunden sind, da sie in der Regel die Unternehmensphilosophie und -kultur der Muttergesellschaft nie kennengelernt haben. Insbesondere für Niederlassungen in Nationen mit hoher kultureller Distanz erweisen sich sogenannte Koordinationsentsendungen als bedeutend. Übung 5.2 Recherchieren Sie im Internet, was unter einer hohen kulturellen Distanz verstanden wird. Dabei besteht die Aufgabe des Auslandsentsendeten darin, Regeln, Strukturen und Kulturaspekte der Muttergesellschaft vor Ort zu vermitteln, zu koordinieren und zu kontrollieren. Zudem soll zwischen Stamm- und Tochterunternehmen ein effizienter Informationsfluss, durch die Etablierung adäquater Kommunikationsstrukturen, gewährleistet werden. Hierbei sind dem Entsandten seine bereits vorhandenen Beziehungsnetzwerke zum Stammunternehmen von Nutzen (Vgl Groenewald & Stein, 2012, S. 11). Kompensation fehlender Fach- und Führungskräfte Ein weiteres zentrales Ziel für Auslandsentsendungen ergibt sich aus einem lokalen Mangel an qualifizierten Fach- und Führungskräften für die Tochtergesellschaften, der die kurzfristige Besetzung von Vakanzen durch Stammhausmitarbeiter erforderlich macht. So werden zur qualitativen und quantitativen Deckung des Personalbedarfs Mitarbeiter entsandt, die über die erforderlichen Qualifikationen und Erfahrungen verfügen. Dieses Ziel ist insbesondere bei Niederlassungen in Entwicklungsländern von Relevanz (Holtbrügge & Welge, 2010, S. 323). Internationale Personalentwicklung Ein langfristig ausgelegtes Entsendungsziel ist die internationale Qualifizierung von Fach- und Führungskräften. In diesem Fall liegt der Fokus auf den internationalen Erfahrungen und Kompetenzen, die die Auslandsentsendeten durch den Umgang mit fremden Kulturen erlangen und die sie auf zukünftige Aufgaben im internationalen Kontext vorbereiten (Reiche & Harzing, 2011, S. 197). So besteht dieses Entsendungsziel in einer „internationalen Sozialisierung und Sensibilisierung der Mitarbeiter“ und einem daraus resultierenden „international erfahrenen Mitarbeiterstamm“ (Treffer, 2017, S. 116). Organisationsentwicklung Die Organisationsentwicklung ist mit der Personalentwicklung eng verknüpft und zielt mit dem Konzept der Auslandsentsendung auf die Implementierung einer kosmopolitischen Unternehmenskultur ab. Die Entsandten sollen Verständnis und Toleranz unter den Kulturen fördern und eine länderübergreifende Kultur kreieren (Festing et al., 2011, S. 217). <?page no="308"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 309 Hierbei soll letztlich das Potenzial des Unternehmens ausgeschöpft und die Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen Markt gestärkt werden. Zu dieser übergeordneten Zielsetzung tragen auch die anderen bereits genannten Entsendungsziele aus Unternehmenssicht in gewissem Maße bei. Vorteile durch kulturelle Diversität Ebenfalls zur Organisationsentwicklung und zu weiteren Vorteilen kann die Bildung internationaler Teams bei der Tochteraber auch der Stammgesellschaft beitragen. Hierfür müssen die kulturell bedingten Stärken der Gruppenmitglieder als Ressourcen erkannt und eingesetzt werden (Barmeyer, 2002, S. 38). So dürfen „weder Koordinations- und Integrationsprobleme noch interkulturelle Missverständnisse und Abgrenzungstendenzen die […] Zusammenarbeit behindern“ (Podsiadlowski, 2002, S. 255) vielmehr solle laut Gebert eine gemeinsame Identität geschaffen werden. Die möglichen Vorteile interkultureller Gruppen sind in der folgenden Abb. 5.2 dargestellt und erläutert. Vorteile Erläuterung Kreativität Mitarbeiter unterschiedlicher kultureller Prägung entwickeln sehr verschiedenartige Ideen und erweitern somit die Trefferwahrscheinlichkeit für eine neuartige Lösung Entscheidungsqualität Heterogene Gruppen berücksichtigen in ihren Entscheidungen mehr und vielfältigere Gesichtspunkte und analysieren die Entscheidungsalternativen intensiver Organisationsflexibilität Der Umgang mit Mitarbeitern unterschiedlicher kultureller Herkunft fördert das Experimentieren mit vielfältigen Formen der Aufgabenerfüllung. Die Anpassungsfähigkeit der Organisation gegenüber sich ändernden Bedingungen steigt. Kundennähe Ausländische Mitarbeiter tragen dazu bei, dass Dienstleistungen und Produkte gemäß den Marktbedingungen und Konsumgewohnheiten in ihren Herkunftsländern entwickelt und vertrieben werden. Personalimage Die kulturelle Heterogenität der Mitarbeiterschaft in allen Funktionsbereichen und auf allen Hierarchieebenen fördert den Eindruck in der Öffentlichkeit, dass die Leistung und nicht die Herkunft für die Bewertung des Mitarbeiters entscheidend ist. Organisationen mit diesem Image sind für talentierte und motivierte Arbeitssuchende auch über die Landesgrenzen hinaus attraktive Arbeitgeber. Abb. 5.2: Potenzielle Vorteile kultureller Diversität (Kühlmann & Stahl, 2006, S. 686) Zwischenfazit Kultur ist ein vielschichtiges Phänomen, dessen Elemente sich nur begrenzt wahrnehmen lassen und die sowohl das Handeln als auch das Denken und die Wahrnehmung von Individuen implizit und explizit prägen. Daher ist jede Lebenssituation, auch im Kontext des Arbeitslebens, durch kulturspezifische Gegebenheiten beeinflusst. <?page no="309"?> 310 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Interkulturelle Handlungsfelder umfassen jegliche Form der Interaktion zwischen zwei Personen deren Werte, Normen und Erwartungen deutliche Unterschiede aufweisen. Das in der aktuellen Unternehmenspraxis überaus beliebte Konzept der Auslandsentsendung bildet somit ein interkulturelles Handlungsfeld, das einer Vielzahl an Zielsetzungen dient. Die Entsendungsziele aus Unternehmenssicht unterscheiden sich zwar hinsichtlich ihrer strategischen Ausrichtung, werden in der Praxis aber selten isoliert voneinander, sondern in der Regel als Bündel von Zielen verfolgt, wobei die unternehmensspezifische Priorisierung von branchen- und gastlandsabhängigen Faktoren beeinflusst wird (Festing et al. 2011, S. 242; Groenewald & Stein 2012, S. 11). Seit längerem lässt sich eine Verschiebung der Prioritäten von Kontrollmotiven und der Kompensation fehlender Fach- und Führungskräfte hin zu internationaler Personal- und Organisationsentwicklung beobachten (Holtbrügge & Welge, 2010, S. 323). So kann man mit der Zielsetzung der individuellen Mitarbeiterentwicklung zumindest eine explizite Gemeinsamkeit der unternehmerseitigen Entsendungsziele mit denen des Mitarbeiters konstatieren (Dennoch ist nach wie vor die Kompensation fehlender Fach- und Führungskräfte mit 54% der primäre Entsendungsgrund aus Unternehmenssicht (Douiyssi & Aldred, 2016, S. 37). Im Rahmen einer Auslandsentsendung gilt es für den Arbeitgeber zahlreichen Herausforderungen zu begegnen, die insbesondere die Kernziele der Förderung einer effizienten Integration und Reintegration umfassen. Somit ist der Umgang des Auslandsentsendeten mit kulturellen Unterschieden und daraus resultierenden Anforderungen essentiell für den Erfolg der Auslandsentsendung. Ungeachtet der zahlreichen Unterstützungsmöglichkeiten im Laufe des Entsendungsprozesses ergibt sich daraus die größte Relevanz für eine anforderungsgerechte Personalauswahl im Hinblick auf die Auslandsposition, die zum Ende der Thesis detailliert beleuchtet wird. 5.1.4 Zum Erfolg interkultureller Tätigkeiten Interkulturelle Forschungsansätze beschreiben den Erfolg der Interaktion von Mitgliedern unterschiedlicher Kulturen und dessen Einflussfaktoren. Hierbei existieren grundsätzlich zwei unterschiedliche Ansätze, die interkulturelle Kontakte zum einen im Hinblick auf mögliche Probleme und Erfolgshindernisse und zum anderen bezüglich möglicher Chancen und Ressourcengewinnung untersuchen. Die defizitorientierte Darstellung dient hierbei dem Ziel, durch eine möglichst effektive Anpassung Probleme und Konflikte zu verhindern. Ressourcenorientierte Darstellungen hingegen fokussieren positive Auswirkungen wie Lernprozesse, Wachstum und Entwicklung infolge der interkulturellen Kontakte und sehen diese als Bereicherung an. Auf langfristige Sicht kann der Kontakt mit anderen Kulturen zu einem Wandel im Leben einer Person führen. Erfolgen Veränderungen im Umfeld eines Individuums, die „Umorientierungen im Erleben und Verhalten“ erfordern, so spricht man von Transitionen (nach dieser Definition lassen sich Auslandsentsendungen und auch die Rückkehr im Anschluss an ebendiese als Transitionen bezeichnen). In der nachfolgenden Tabelle (Abb. 5.3) werden die beiden beschriebenen Forschungsansätze hinsichtlich ihrer Zielsetzung, ihres Fokus und ihrer Sichtweise auf Transitionen gegenübergestellt. <?page no="310"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 311 problemorientierte Ansätze ressourcenorientierte Ansätze Fokus aus Transitionen resultierende Probleme in Transitionen vorhandene Ressourcen, Bewältigungsmöglichkeiten Zielsetzung Vermeidung von Problemen und Scheitern Ermöglichung von Lernen und Wachstum Interpretation der Transition als Bedrohung, Gefahr als Chance, Herausforderung, Entwicklungsmöglichkeit Abb. 5.3: Problemorientierte und ressourcenorientierte Ansätze interkultureller Forschung (Prechtl, 2008, S. 25) Im folgenden Abschnitt wird erläutert, wie Erfolgskriterien interkultureller Tätigkeiten definiert werden, welche Einflussfaktoren es für die Anpassung und den Erfolg gibt und welche Rolle den interkulturellen Kompetenzen in diesem Kontext beizumessen ist. Zur Beantwortung dieser Fragen ist eine klare Abgrenzung der Prädiktoren und Kriterien von Erfolg in interkulturellen Situationen notwendig. In der Forschung kam es zu unterschiedlichen Definitionen und Interpretationen einzelner Faktoren (so wurden beispielsweise Kommunikationsfähigkeiten bei Gelbrich (2004) als Prädiktor und bei Tucker et al. (2004) als Kriterium interkulturellen Erfolgs angesehen. und in einigen Studien wurden Faktoren gleichermaßen als Prädiktoren und Kriterien angesehen. Zu den Erfolgskriterien interkultureller Tätigkeiten Interkulturelle Kompetenzen lassen sich als eine von mehreren Prädiktorvariablen definieren, die die Vorhersage des Kriteriums, Erfolg in interkulturellen Situationen, ermöglichen. Der Erfolg gilt somit als Kriterium, lässt sich jedoch je nach Zielsetzung unterschiedlich operationalisieren. Es besteht ein Konsens dahingehend, dass es einer multidimensionalen Messung interkulturellen Erfolgs bedarf und die Untersuchung einzelner Faktoren unzureichend ist. Das Erfolgskriterium von Auslandsentsendungen wurde als Ergebnis einer Metaanalyse von Bhaskar-Shrinivas et al. als sechsteiliges Konzept definiert und beinhaltet die Teilkriterien (Bhaskar- Shrinivas et al. 2005, S. 211f.):  work adjustment,  interaction adjustment,  general adjustment (die generelle Anpassung lässt sich in zwei Aspekte unterteilen: a) Psychological adjustment: Das Wohlbefinden, b) Sociocultural adjustment: Das Zurechtkommen im Alltag und mit der Kultur (Ward & Kennedy, 1999, S. 670).  job satisfaction,  withdrawal cognitions und  performance (die Autoren unterscheiden drei Facetten von Performanz: a) Task performance: Die erfolgreiche Ausführung der Arbeitsaufgaben, b) Relationship performance: Der Aufbau stabiler Beziehungen zu Gastlandangehörigen im Arbeitskontext, c) Overall performance: Die allgemeine Produktivität der Person, die Unternehmensziele zu erreichen (Bhaskar-Shrinivas et al. 2005, S. 257f.). In Anlehnung an Prechtl werden die aus der Metaanalyse hervorgehenden Erfolgskriterien in leicht abgeänderter Form nachfolgend beschrieben. <?page no="311"?> 312 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Zur Performanz Als wichtigstes Erfolgsmaß der Arbeitsanpassung zählt die Effektivität eines Mitarbeiters und somit die Erreichung der vorgegebenen Arbeitsziele. Die Bewertung erfolgt stets unter Berücksichtigung des Beitrags zu den Organisationszielen. So lässt sich die Effektivität von Auslandsentsendungen beschreiben als das Ausmaß, in dem die Tätigkeit relevant für die organisationale Zielerreichung ist. Hierfür ist die Anpassung des Mitarbeiters an die Gastorganisation und die Arbeitskultur notwendig. Zu den interpersonalen Beziehungen Ein weiteres Erfolgskriterium ist der Aufbau interpersonaler Beziehungen zu Einheimischen. Im Arbeitskontext sind hiermit Bindungen zu Kollegen und Vorgesetzten gemeint, die die Anpassung des Mitarbeiters und dessen Akzeptanz durch die Mitglieder der Gastkultur widerspiegeln (Cushner & Brislin, 1996, S. 71). Doch auch private Kontakte und deren Güte und Häufigkeit gelten als Erfolgskriterium. Zum Commitment Die emotionale Bindung und die Identifikation mit dem Unternehmen spielen eine große Rolle bei Auslandsentsendungen. So wird, sowohl im Hinblick auf das Gastunternehmen während der Entsendephase als auch bezüglich des Stammhauses vor und nach der Entsendung ein hohes Commitment des Mitarbeiters verlangt (Prechtl, 2008, S. 22). Zur Abbruchsintention Ebenfalls erfolgsrelevant sind die Abbruchsintention oder Gedanken an einen Abbruch des Auslandsaufenthalts. Hierbei hat der Mitarbeiter den (offenkundigen oder geheimen) Wunsch, das Gastunternehmen frühzeitig zu verlassen und in sein Heimatland zurückzukehren (Shaffer & Harrison, 1998, S. 562). Der Abbruchwunsch kann darüber hinaus auch auf den Arbeitgeber oder den Beruf bezogen sein (Birdseye & Hill, 1995, S. 790). Das Gegenteil des Abbruchwunsches bildet der Bleibewunsch (Stahl & Caligiuri, 2005, S. 605) Zur Zufriedenheit Die Zufriedenheit eines Expatriates wird teilweise synonym zu dessen Anpassung verwendet. Die Zufriedenheit lässt sich sowohl im Arbeitskontext als auch in Bezug auf die generellen Lebensbedingungen erfassen (Li & Tse, 1998, S. 138). Zur Erfassung der Erfolgskriterien Die einzelnen Erfolgskriterien korrelieren zum Teil signifikant, sodass keinesfalls von unabhängigen Variablen gesprochen werden kann. So korrelieren Arbeits- und Lebenszufriedenheit, interaction adjustment sowie commitment eines Mitarbeiters negativ mit dessen Abbruchwunsch (Shaffer& Harrison, 1998; Li & Tse, 1998, Black & Stephens, 1989). Anpassung lässt sich als Grundlage für Zufriedenheit ansehen. Derzeit lässt sich in der empirischen Forschung keine Rangordnung der Kriterien nachweisen, sodass diese keiner unterschiedlichen Gewichtung unterzogen werden. Das Kriterium interkultureller Erfolg umfasst somit mehrere gleichberechtigte Dimensionen, die es einzeln zu erfassen gilt. Eine objektive Messung der genannten Kriterien gestaltet sich problematisch. So kann es zu subjektiven Diskrepanzen in der Einschätzung kommen, die eine Erfassung aus verschiedenen Perspektiven erforderlich machen. Eine Möglichkeit der Bewertung der Erfolgskriterien besteht in einer Nachbefragung im Anschluss an Auslandsentsendungen, beispielsweise durch die Kombination von <?page no="312"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 313 Selbst- und Fremdeinschätzung, was den Vorteil des Einbezugs verschiedener Perspektiven mit sich bringt. Hinsichtlich der Selbsteinschätzung hat Prechtl in Anlehnung an englischsprachige Erfassungsmethoden interkulturellen Erfolgs ein teilstrukturiertes Interview zur Erfassung verschiedener Erfolgsfacetten entwickelt (Prechtl, 2008, S. 119). Der Aufbau des Interviewleitfadens ist in Abb. 5.4 dargestellt. Erfolgsfacette Einzel-Item Berufliche Anpassung und Performanz Performanz Effektivität der Aufgabenerfüllung Anpassung an Arbeit Anpassung an den Arbeitsstil Anpassung an die Organisation Anpassung an die Organisationskultur Aufgabenerfüllung gem. lokaler Standards Aufgabenerfüllung gem. lokaler Standards Commitment zur Gast- und Heimatorganisation Kommunikation mit Heimatorganisation Güte der Kommunikation mit Heimatorgan. Commitment Commitment zu beiden Organisationen Präferenz für eine Organisation Heimatvs. Gastlandkultur Zufriedenheit Zufriedenheit mit interkultureller Tätigkeit Zufriedenheit mit interkultureller Tätigkeit Zufriedenheit mit dem Leben im Gastland Zufriedenheit mit dem Leben im Gastland Abbruchswunsch Wunsch/ Gedanken an Abbruch Wunsch/ Gedanken an Abbruch Interpersonale Beziehungen Interpersonale Kontakte im Berufsumfeld Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten Interpersonale Kontakte im Privatleben Güte und Häufigkeit privater Kontakte Abb. 5.4: Aufbau eines Interviewleitfadens zur Nachbefragung von Expatriates (Prechtl, 2008, S. 121f.) In der Literatur wird von einer begrenzten Genauigkeit und Validität bei Selbsteinschätzungen aufgrund sozialer Erwünschtheit und Positivverzerrungen berichtet. Daher bietet es sich an, zusätzlich Fremdeinschätzungen von Vorgesetzten des Stammhauses und insbesondere von Vorgesetzten aus dem Gastland zu berücksichtigen, um kulturspezifische Erfolgsfaktoren zu erfassen (Prechtl, 2008, S. 121). Aus dem Interviewleitfaden für die Selbstbewertung nach Prechtl lässt sich ein Instrument zur Fremdbeurteilung ableiten. Bei der Befragung von Vorgesetzten des Gastlandes gestaltet sich die mündliche Befragung aufgrund von Verständnis- und Koordinationsproblemen schwierig, sodass alternativ ein standardisierter Fragebogen in relevanten Verkehrssprachen verwendet werden kann (hierbei kann aufgrund des reduzierten Informationsstands des Beurteilenden auch eine Reduzierung der Fragen erfolgen, denn der Vorgesetzte kann meist weder die private Anpassung noch den Abbruchwunsch des Mitarbeiters beurteilen). Hinsichtlich der Fremdbeurteilung bietet sich der Einbezug mehrerer Personen, wie Kollegen, Vorgesetzten, Unterstellten oder Kunden an. Hierbei sollte die Wahl der Beurteilenden nicht vom Expatriate beeinflusst werden. <?page no="313"?> 314 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Eine mögliche Problematik bei der Anwendung eines standardisierten Fragebogens besteht in der mangelnden Kulturadäquatheit der Fragen. Unter Umständen werden derartige Beurteilungen je nach Kulturkreis als ungewöhnlich wahrgenommen und negative Aussagen vermieden (Deller, 2000, S. 97). Die gleichen Bedenken lassen sich im Hinblick auf das ergänzende Erfolgsmaß der Leistungsbeurteilung anmerken. Eine mögliche Lösung kann hierbei die Vorgabe von Vergleichen mit anderen Personen bieten (Deller, 2000, S. 98). Zu den Einflussfaktoren und Prädiktoren interkulturellen Erfolgs Die interkulturellen Forschungsansätze lassen sich auf eine weitere Weise kategorisieren, da sie das Anpassungsgeschehen und den Erfolg interkultureller Kontakte und Transitionen durch unterschiedliche Prädiktoren und Einflussfaktoren erklären, die einerseits im Individuum liegen und andererseits situativ bestimmt sein können. Zu den personalen Ansätzen interkultureller Forschung Die interkulturellen Forschungsansätze mit personenbezogenem Fokus sehen das Individuum als erfolgsentscheidenden Faktor des Anpassungsgeschehens an. Daraus ergeben sich individuelle Anforderungen an Personen in interkulturellen Interaktionen. Mendenhall et al gruppieren die personenbezogenen Erfolgsprädiktoren in Faktoren, die sich auf die Ausrichtung des Individuums auf sich selbst (self-orientation), auf andere Personen (others-orientation) und auf seine Wahrnehmung (perceptual orientation) beziehen (Mendenhall et al., 1987, S. 333). Prechtl geht hierbei einen Schritt weiter und kategorisiert die individuellen Anforderungen des Anpassungsgeschehens nach zugrundeliegenden Ansätzen des personalistischen Forschungsgebiets in:  Eigenschaftsansätze,  Biographische Ansätze,  Ansätze mit dem Fokus auf fachlicher Qualifikation,  Ansätze mit dem Fokus auf Einstellungen und Erwartungen und  Ansätze mit dem Fokus auf sozialen Fähigkeiten. Die Ansätze werden im Folgenden dargestellt und kritisch betrachtet. Eigenschaftsansätze Der Eigenschaftsansatz geht von einzelnen, stabilen Persönlichkeitsmerkmalen aus, die das interkulturelle Anpassungsgeschehen und die Akzeptanz von resultierenden Nachteilen begünstigen (Gertsen, 1990, S. 343). Das Verhalten erfolge angesichts des Vorhandenseins dieser Eigenschaften stets effektiv und angemessen, unabhängig von Einsatzland und Tätigkeit (Kim, 2001, S. 17). Hinsichtlich der Bestimmung von Persönlichkeitsfaktoren hat sich insbesondere das Modell der Big Five durchgesetzt, dessen Gültigkeit über verschiedene Kulturen hinweg durch mehrere Studien postuliert wurde und die folgenden Eigenschaften beinhaltet:  Offenheit für Erfahrungen,  Gewissenhaftigkeit,  Extraversion,  Verträglichkeit und  Neurotizismus (McCrae & Costa, 1987; Schuler & Barthelme, 1995; Caligiuri, 2000a). Im Rahmen interkultureller Tätigkeiten wird darüber hinaus der Faktor Selbstvertrauen aufgeführt (alternativ lassen sich auch Ausschlusskriterien bestimmen: Stahl zufolge eignen sich beispielsweise <?page no="314"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 315 Individuen mit ausgeprägter psychischer Labilität, Rigidität, sozialer Gehemmtheit und Ethnozentrismus nicht für einen Auslandseinsatz (Stahl, 1998, S. 228) Die Big Five-Dimensionen weisen für einzelne Facetten der Auslandsanpassung und des Auslandserfolgs eine empirische Vorhersagekraft auf. So belegt Caligiuri die Vorhersagekraft der Merkmale Extraversion und Verträglichkeit für den Abbruchwunsch von Auslandsentsandten sowie die Prognosekraft von Leistung durch den Faktor Gewissenhaftigkeit, was durch Deller bestätigt wird (Deller, 2000, S. 102). Auch eine positive Korrelation von Offenheit und eine negative Korrelation von Neurotizismus mit Anpassung kann nachgewiesen werden, ebenso wie eine positive Korrelation von emotionaler Stabilität und Arbeitsanpassung. Mithilfe einer Metaanalyse der Arbeitsleistung von Expatriates wurde die prädiktive Validität aller Merkmale, bis auf die der Offenheit nachgewiesen. In einer Metaanalyse verschiedener Anpassungsaspekte wurde auch die Prognosekraft des Faktors Selbstbewusstsein erwiesen (Hechanova et al, 2003, S. 217). Des Weiteren sage Selbstvertrauen nach Gelbrich interkulturellen Erfolg voraus (Gelbrich, 2004, S. 183). Insgesamt sind Persönlichkeitsfaktoren für die Erklärung von Verhalten in interkulturellen Transitionen durchaus hilfreiche und verlässliche Faktoren, jedoch können sie interkulturellen Erfolg nicht ohne Berücksichtigung weiterer Faktoren erklären. Zudem erscheint die postulierte Allgemeingültigkeit der benötigten Eigenschaften zu vereinfacht, angesichts der Akzeptanzunterschiede bestimmter Verhaltensweisen in unterschiedlichen Kulturen. Biografische Ansätze Eine weitere Perspektive bilden biografische Ansätze, die bisherige Erfahrungen einer Person als wesentlichen Prädiktor für die Erklärung von interkulturellem Erfolg ansehen. Im Kontext der interkulturellen Interaktionen und Transitionen kristallisieren sich insbesondere zwei biographisch relevante Faktoren heraus: die bisherigen Auslandserfahrungen und die Fremdsprachenkenntnisse einer Person (einen weiteren biografisch relevanten Faktor kann der Familienstand bei Expatriates darstellen, wenn die Ausreise in Begleitung erfolgt (Prechtl, 2008, S. 137). Es lässt sich beispielweise annehmen, dass das Erfahren von kulturellen Unterschieden dazu führt, dass die auslandsentsandte Person die an sie gestellten Erwartungen besser vorhersagen kann und ihre potenziellen Kompetenzen für die Interaktion im interkulturellen Kontext steigen. Die Hypothese wurde in der Empirie von einigen Studien belegt, während andere zu gegenteiligen Ergebnissen führten und dadurch kein schlüssiges Bild geschaffen werden kann. So konnte durch manche Untersuchungen eine positive Korrelation zwischen bisherigem Auslandsaufenthalt und Leistung sowie Arbeitsanpassung nachgewiesen werden. Kealey hingegen entdeckt keine signifikante Korrelation zwischen internationalen Erfahrungen und höherer beruflicher Effektivität. Auch Cui und Awa können keinen Zusammenhang zur Leistung und kulturellen Anpassung ermitteln. Während die Metaanalyse von Bhaskar-Shrinivas et al. positive, wenn auch minimale, Zusammenhänge der Auslandserfahrung mit dem insgesamt eingeschätzten Erfolg ergibt, zeigt sich in der Meta-Analyse von Mol et al. kein Zusammenhang mit dem Arbeitserfolg. Somit scheint es zunächst nicht möglich, einheitliche Aussagen über die Wirkungsweise des biographischen Faktors der Auslandserfahrung zu treffen. Eine mögliche Erklärung hierfür ist die erfolgte Verallgemeinerung in den Studien ohne jegliche Qualitätsbeurteilung des Aufenthalts. Kim fordert eine Erfassung der Motivation der Person für das Aufsuchen interkultureller Situationen (Kim, 2001, S. 5) und Selmer und Leung weisen einen Zusammenhang der Motivation mit der Anpassung im Ausland nach. Ihren Untersuchungen zufolge korreliert die Verfolgung von Karrierezielen bei der <?page no="315"?> 316 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Auslandsentsendung mit soziokultureller und allgemeiner Anpassung (Selmer & Leung, 2003, S. 250). Hinsichtlich der Sprachkenntnisse der Landessprache als biographischen Faktor, ergeben Metaanalysen eine signifikante Korrelation mit der Arbeitsleistung, ebenso wie mit der Anpassung an die Lebensumstände und an die Interaktionen im Gastland. Auch Masgoret weist Zusammenhänge der soziokulturellen Anpassung und der Anzahl an gesprochenen Sprachen nach. Ansätze mit dem Fokus auf fachlicher Qualifikation In einer Umfrage unter Personalmanagern zu den Anforderungen an Entsandte wurden in 95% der Antworten fachbezogene Qualifikationen genannt (Wirth, 1998, S. 3). Hierbei wird -fälschlicherweiseangenommen, dass dieselben Kompetenzen zu Erfolg im Ausland führen, wie die im Inland. Jedoch sind die fachlichen Qualifikationen dennoch von Bedeutung und werden von Expatriates als ein Erfolgsfaktor von Entsendungen benannt. Insbesondere internationalen fachlichen Kompetenzen sollte hierbei Bedeutung zugemessen werden, wie beispielweise den Kenntnissen der eingesetzten Technologien und Standards, des Rechts und der wichtigsten Fachbegriffe im jeweiligen Gastland. Ansätze mit dem Fokus auf Einstellungen und Erwartungen Weitere interkulturelle Forschungsansätze befassen sich mit dem Einfluss von individuellen Einstellungen und Erwartungen im Hinblick auf interkulturellen Erfolg. So reagiere jede Person unterschiedlich auf kulturelle Stimuli und weise eine andersartige Einstellung zu ebendiesen auf. In diesem Rahmen wirken auch Stereotypien und Vorurteile auf die Erwartungen der Person ein. Hierbei wird die Wahrnehmung selektiert und „die Aufmerksamkeit auf bestimmte Klassen von Informationen […] und von anderen weggerichtet“, (Mendenhall et al., 1995, S. 475). Dadurch können neue Informationen nicht wahrgenommen und das Verstehen anderer Kulturen erschwert werden. Andererseits können Stereotypien die Erfassung fremder Kulturen auch erleichtern. So konstatieren Mendenhall et al., dass im interkulturellen Kontext zunächst die Generalisierung nötig sei, um die Kultur zu verstehen, diese jedoch verworfen werden müsse, sobald sie sich als unzutreffend herausstellt. Dies erfordere viel Mühe und Übung (Mendenhall et al., 1995, S. 475). Gemäß dem Stufenmodell der subjektiven Deutung von Kulturunterschieden nach Bennett, bewegt sich die individuelle Weltsicht auf einem Kontinuum zwischen den beiden Gegenpolen Ethnozentrismus und Ethnorelativismus. Während auf der Stufe des Ethnozentrismus die Annahme vorherrscht, die Weltsicht der eigenen Kultur sei die einzig wirkliche, wird beim Ethnorelativismus davon ausgegangen, dass Kulturen nur in Relation zu anderen Kulturen vollständig erfasst werden können. Zwischen den beiden Extrema liegen die Abstufungen der Akzeptanz von kulturellen Unterschieden. In starker Verbindung zu den Einstellungen stehen die individuellen Erwartungen. Diese beziehen sich auf das Leben in der anderen Kultur und mögliche Probleme und Schwierigkeiten. Hier gilt es realistische Erwartungen zu entwickeln. Hinsichtlich des Einflusses von realistischen Erwartungen auf die Anpassung konnte ein empirischer Zusammenhang bewiesen werden. Zu hohe Erwartungen erweisen sich hingegen häufig als Abbruchsgrund einer Auslandsentsendung. Ebenfalls kann ein signifikanter empirischer Zusammenhang zwischen einer positiven Einstellung zur Integration von ethnischen Gruppen und verschiedenen Erfolgskriterien des Auslandsaufenthalts, wie beispielsweise der Identifikation mit der Arbeitsgruppe, konstatiert werden. Die ethnorelativistische Einstellung korreliert zudem negativ mit einem vorzeitigen Abbruch des Auslandsaufenthalts (Stierle et al., 2002, S. 212). Auch bezüglich der Anpassungsschwierigkeiten, des Akkulturationsstresses und dem interkulturellen Verstehen, erscheinen Einstellungen als verlässlicher Prä- <?page no="316"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 317 diktor (Kealey, 1989, S. 411). Für die Arbeit in interkulturellen Teams wurde der positive Zusammenhang kooperativer und kollektiver Einstellungen nachgewiesen (Podsiadlowski, 2002, S. 83). Einstellungen haben zudem einen Einfluss auf das Kommunikationsverhalten einer Person. Gertsen schreibt Einstellungen hinsichtlich der Beeinflussung der Kommunikation eine erhebliche Bedeutung für Erfolgsmaße zu. Ansätze mit dem Fokus auf Verhaltensweisen Einige Studien fokussieren ähnlich wie Gertsen insbesondere die expliziten Verhaltensweisen einer Person. Hierbei werden interpersonale Fähigkeiten, (In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff der relationalen Kompetenzen verwendet, um die Abhängigkeit und Wechselwirkung des Verhaltens vom Interaktionspartner zu verdeutlichen. Spitzberg & Cupach, 1989, S. 64) als wichtigster Erfolgsfaktor für Auslandseinsätze erachtet, insbesondere, wenn diese einen hohen Kommunikationsanteil implizieren. Erfolgskritische Verhaltensweisen in interkulturellen Tätigkeiten sind nach Stahl  Frustrationstoleranz/ Ambiguitätstoleranz,  Empathie/ Einfühlungsvermögen,  Selbstreflexion/ Haltung,  Rollenflexibilität und  Kommunikationsfähigkeit (Stahl, 1998, S. 117). Interkulturelle Kommunikationsfähigkeiten beinhalten sowohl die Elemente der Kommunikationsbewusstheit und der Kommunikationsfertigkeiten. Zu der Bewusstheit der Kommunikation zählen die Erfassung der allgemeinen Wirkungsweisen von Kommunikationsprozessen und das Wissen um die kulturelle Prägung des eigenen kommunikativen Stils. Die Kommunikationsfertigkeiten ermöglichen die Identifikation von unterschiedlichen Kommunikationsstilen und die Vermeidung und Aufklärung von Missverständnissen. Empirisch wurde eine signifikante Vorhersagekraft für einen Kulturschock anhand der Ausprägung von Rollenflexibilität und Empathie ermittelt. Zudem konnten soziale Verhaltensweisen als eine der aussagekräftigsten Prädiktoren interkultureller Effektivität nachgewiesen werden. Nach Black korrelieren Flexibilität und Gesprächsbereitschaft mit dem Entsendeerfolg (Black et al, 1992, S. 67). In einer weiteren Studie bestätigt Gelbrich ebenfalls die Vorhersagekraft von Kommunikationsfähigkeiten. So lassen sich folglich deutliche Zusammenhänge zwischen Verhaltensweisen und dem Auslandserfolg erkennen, sodass diese zum Teil bei der Vorhersage von Arbeitsleistung den Persönlichkeitsmerkmalen vorgezogen werden (Cui & Awa, 1992, S. 317). Die Operationalisierung der Verhaltensweisen gestaltet sich unproblematisch, da die Interaktionspartner diese explizit beobachten können (Furnham & Bochner, 1982, S. 189). Zu den situativen Ansätzen interkultureller Forschung Auch wenn viele personalistische Ansätze interkulturellen Erfolgs durch empirische Befunde bestätigt werden konnten, betonen einige Autoren den zusätzlichen Erklärungswert situativer Faktoren. So wirken sich situative Einflussfaktoren auf den Verlauf und den Erfolg der interkulturellen Tätigkeit aus. Diese können  im Umfeld der Person,  im Umfeld der Organisation und Entsendungsgestaltung und  in den Kontextfaktoren vor Ort liegen und werden im Folgenden vorgestellt. <?page no="317"?> 318 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Situative Faktoren im persönlichen Umfeld Die Bedeutung stabiler Familienverhältnisse für eine erfolgreiche Auslandsentsendung wird häufig von der Arbeitgeberseite unterschätzt. Die Expatriates selbst erachten die Familienstabilität hingegen als wichtigsten Faktor für den Aufenthalt und nennen gleichzeitig die Sorge um die Familie mit 38% als häufigsten Grund für die Ablehnung eines solchen (Hechanova et al., 2003, S. 220). Der Partner und die Familie stellen eine bedeutende Ressource von Unterstützung und Halt dar und werden von Stierle et al. sogar als das Fundament eines Auslandsaufenthalts angesehen (Hierbei sei zu erwähnen, dass auch eine Anpassung der Mitreisenden an die fremde Kultur erforderlich ist. Zur vertiefenden Darstellung der Anpassung von Ehepartnern siehe Ali et al, 2003). So ergaben empirische Studien einen negativen Zusammenhang der wahrgenommenen Unterstützung durch die Familie mit einem vorzeitigen Abbruch des Auslandsaufenthalts und einen positiven Zusammenhang mit der interkulturellen Anpassung. Auch weitere Studien ergeben, dass die Familienstabilität und -anpassung sich erfolgskritisch auf den Auslandsaufenthalt auswirken. Hierbei kommt der Anpassungsfähigkeit des Ehepartners eine besondere Bedeutung zu, da sie mit der Anpassung des Entsendeten selbst korreliert. Situative Faktoren im Ausland Die situativen Einflussfaktoren auf den Erfolg interkultureller Tätigkeiten lassen sich hinsichtlich dreier Aspekte untersuchen, die im Folgenden dargestellt werden. Dauer des Aufenthalts Die Anforderungen an einen Expatriate variieren mit der Dauer seines geplanten Aufenthalts im Gastland. Bei einer kurzfristigen Aufenthaltsdauer werden Fehler und eine geringe Anpassung tendenziell toleriert, während bei einem langfristigen Aufenthalt ein hoher Grad der Anpassung und Integration gefordert wird. Gleichzeitig erweist sich die Dauer des Aufenthalts auch als signifikanter Einflussfaktor auf eine erfolgreiche Anpassung und mehrere ihrer Facetten. Die Entwicklung der Anpassungsfacetten im Zeitverlauf weist nach Eckert et al. unterschiedliche Verläufe auf. So verläuft die soziokulturelle Anpassung in einer U-Kurve zur Zeitachse, während die Arbeitsleistung annähernd in linearem Zusammenhang zur Dauer des Aufenthalts steht (Eckert et al., 2004, S. 641). Lebensbedingungen Einen weiteren erfolgskritischen Faktor stellen die Lebensbedingungen des Gastlandes dar. Hierbei sind Gegebenheiten wie das Klima, die Luft- und Umweltverschmutzung, die medizinische Versorgung, die Infrastruktur, das Bildungssystem, die Freizeitmöglichkeiten und die Verfügbarkeit von Produkten von Bedeutung für den Entsandten und seine mitreisenden Familienangehörigen. Zudem ist es relevant, in welchem Maße er seinen gewohnten Lebensstil im Gastland durch die Vergütung halten oder verbessern kann (Selmer et al., 2003, S. 64). Soziale Unterstützung Neben der Unterstützung des Entsandten durch die Familie wirken sich auch andere Formen privater sozialer Unterstützung positiv auf den Entsendungserfolg aus. Hierzu gehören Interaktionen und Freizeitkontakte mit Mitgliedern der Zielkultur, die die generelle Anpassung und Zufriedenheit (Torbiörn, 1982, S. 114) verstärken. Auch die Unterstützung durch Kollegen und Führungskräfte ist von hoher Bedeutung. Hierbei spielt nicht der Umfang, sondern die Qualität der interpersonellen Kontakte eine entscheidende Rolle. Die Qualität der Beziehung führt zu einer Verringerung der Einsamkeitsempfindungen, welche wiederum mit positiven Auswirkungen auf die Gesamtzufriedenheit einhergeht. <?page no="318"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 319 Die soziale Unterstützung steht in positivem Zusammenhang zur affektiven Anpassung (Eckert et al., 2004, S. 642) und führt zu einer geringeren Unsicherheit des Entsandten (Hechanova et al., 2003, S. 231). Situative Faktoren im organisatorischen Umfeld Die situativen Faktoren im organisatorischen Umfeld lassen sich unter zwei verschiedenen Aspekten betrachten, die im Folgenden vorgestellt werden. Aufgaben und Tätigkeiten Hinsichtlich der Zuteilung von Aufgaben und Tätigkeiten im Ausland muss nach Black et al. dem Unterscheidungsgrad zur bisherigen Tätigkeit, der role novelty, besondere Beachtung zukommen (Black et al., 1991, S. 297). Des Weiteren wirken sich die Rollenklarheit und der Einbezug des Expatriates in diesbezügliche Entscheidungen auf seine berufliche Anpassung aus. Auch das Ausmaß an interkulturellen Interaktionen (Tung, 1981, S. 73) und des fachlichen Fokus beeinflusst die Arbeits- und die generelle Anpassung des Entsandten an die fremde Kultur (Stahl & Caligiuri, 2005, S. 611). Kulturelle Distanz Ein weiterer situativer Faktor im organisatorischen Umfeld ist die kulturelle Distanz des Gastlandes zum Herkunftsland. Ein möglicher Indikator für die kulturelle Distanz zwischen zwei Ländern ergibt sich aus der Berechnung nach der City-Block-Methode (Waxin, 2004, S. 63). Hierbei wird die Differenz der Werte „society practice“ beider Länder auf allen Kulturdimensionen ermittelt und aufaddiert (Die erwähnten Berechnungswerte lassen sich der aktuellen GLOBE Studie entnehmen). Eine durch den Entsandten erlebte kulturelle Distanz steht in signifikanten negativen Zusammenhang zur Arbeitsleistung im Ausland (Masgoret, 2006, S. 315). Bei einem hohen Grad an kultureller Distanz kommt es vermehrt zu Anpassungsschwierigkeiten und zu einem stärker ausgeprägten Kulturschock (Palthe, 2004, S. 45; Kim, 2001, S. 145) Die Erschwerung der Anpassung erfolgt hierbei nicht in gleichem Maße für die beteiligten Landesangehörigen. Eine Anpassung an entwickelte Länder erweist sich beispielsweise tendenziell als einfacher (Allerdings konnten Stening und Hammer eine geringe Varianz im Anpassungsgrad der Mitglieder einer Kultur über verschiedene Zielkulturen hinweg beobachten. Das relativiert die Bedeutung der kulturellen Distanz und rückt den Einfluss der Herkunftskultur auf die Anpassungsfähigkeit ihrer Mitglieder in den Fokus (Stening & Hammer, 1992, S. 84). Zum Kontingenzansatz interkultureller Forschung Würdigt man den situativen Ansatz in seiner Gesamtheit, so sprechen die Ergebnisse für eine notwendige Berücksichtigung der situativen Faktoren bei der Personalauswahl für interkulturelle Tätigkeiten. Da die situativen Bedingungen in jeder Entsendungssituation derart unterschiedlich geprägt sind, dürfen die personalen Einflussfaktoren nicht ungeachtet dieser Einflüsse betrachtet werden. So erreichen Tung zufolge die Unternehmen eine geringere Misserfolgsrate bei der internationalen Personalauswahl, die eine Vielzahl an unterschiedlichen Kriterien für ihre Entscheidung heranziehen. Daher wurde ein Kontingenzansatz entwickelt, demzufolge der Fokus der Personalauswahl in Abhängigkeit von den Kontextfaktoren entweder auf den personalistischen oder den situativen Faktoren liegt, in jedem Fall aber beide Faktorengruppen berücksichtigt werden. <?page no="319"?> 320 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Auch weitere Autoren schließen sich den interaktionistischen Annahmen an, sodass Stahl einen Paradigmenwechsel der interkulturellen Forschung wahrnimmt. Grundlage der interaktionistischen Annahmen ist die geringe Konsistenz individuellen Verhaltens über verschiedene Situationen hinweg. In der Persönlichkeitspsychologie bilden Situationen das Produkt der Interaktion von Person und Umwelt. So geht dieser Ansatz nicht von einem Nebeneinander von Persönlichkeit und situativen Bedingungen, sondern von einer Interaktion der Faktoren aus. Das Verhalten einer Person wirke auf die Situation ein, konstruiere sie in gewissem Maße (Spitzberg & Cupach, 1989, S. 147), während die Aktion wiederum bei der Person selbst Veränderungen hervorrufe. So können Anpassung und effektive Arbeit weder alleinig von personalistischen noch von situativen Faktoren vorhergesagt werden. Folglich empfiehlt sich eine Berücksichtigung beider Ansätze in ihrem interaktiven Verhältnis. Nichtsdestotrotz existieren nach wie vor zahlreiche Untersuchungen, die sich auf einen der beiden früheren Ansätze stützen (Prechtl, 2008, S. 41). In diesem Abschnitt werden mit Hinblick auf die eignungsdiagnostische Fragestellung insbesondere personenbezogene Prädiktoren interkulturellen Erfolgs fokussiert, wie Abb. 5.5 verdeutlicht. Es sei jedoch explizit darauf hingewiesen, dass für andere Forschungsgebiete, insbesondere für die Planung von Unterstützungsmaßnahmen für Auslandsentsendungen, der Kontingenzansatz interkultureller Forschung anzuwenden ist. Abb. 5.5: Prädiktoren und Kriterien interkulturellen Erfolgs (eigene Darstellung) Zu den interkulturellen Kompetenzen als Erfolgsprädiktor interkultureller Tätigkeiten Interkulturelle Tätigkeiten bieten Einschätzungsmöglichkeiten individueller interkultureller Kompetenzen. So kann anhand konkreter Performanz eine Bewertung interkultureller Kompetenzen hinsichtlich der Erfolgskriterien Effektivität und Angemessenheit und Zufriedenheit erfolgen. Unter angemessener Interaktion wird ein Verhalten verstanden, das kontextspezifische Erwartungen erfüllt und keine bestehenden Regeln verletzt (Lustig & Spitzberg, 1993, S. 154). Die Evaluationsmaßstäbe sind folglich kontext- und kulturabhängig. Dementsprechend wird Angemessenheit vor dem Hintergrund der konkreten Interaktion und aus den beteiligten Kulturperspektiven bewertet (Ting-Toomey, 1999, S. 263). Die Effektivität gibt den Grad der individuellen und tätigkeitsbezogenen Zielerreichung des Mitarbeiters an (Anmerkung: Der Terminus der Effektivität wurde bereits im Zusammenhang mit dem Erfolgskriterium Work Adjustment ausgeführt). Individuelle Verhaltensweisen und Kompetenzen - Interkulturelle Kompetenzen, - Aufgabenspezifische Kompetenzen Performanz Interpersonale Beziehungen Commitment Abbruchsintention Zufriedenheit <?page no="320"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 321 Das Kriterium der Zufriedenheit wird individuell durch die interagierenden Personen bewertet. Die Zufriedenheit wird von den Einstellungen und Bedürfnissen des Individuums bestimmt und hängt davon ab, inwiefern die Interaktion diesen gerecht wird (Es wird konstatiert, dass es zwischen den Kriterien Effektivität und Angemessenheit trotz ihrer Interdependenzen zu Zielkonflikten kommen kann. Denn eine starke Betonung von Angemessenheit kann zu verringerter Effektivität führen oder umgekehrt, was auch als ethisches Dilemma bezeichnet wird (Neuberger, 2002, S. 178). In Abb. 5.6 wird das Verständnis der Kriterien aufgezeigt. Personenmerkmal proximale Kriterien distale Kriterien Interkulturelle Kompetenzen Bewertung der Performanz im situativen Kontext (AC) • effektiv • angemessen • zufrieden Rückschlüsse auf individuelle Kompetenzausprägung Bewertung des interkulturellen Erfolgs während/ nach dem Auslandsaufenthalt • Arbeitserfolg • Anpassung im Gastland • Zufriedenheit Prädiktor situative Performanz Erfolgskriterium Abb. 5.6: Proximale und distale Bewertungskriterien interkulturellen Erfolgs (Prechtl, 2008, S. 134.) Angemessenheit, Effektivität und Zufriedenheit lassen sich kurzfristig erheben und daher als proximale Bewertungsaspekte bezeichnen. Distale Kriterien hingegen werden zu einem späteren Zeitpunkt erhoben und gelten als die eigentlichen Erfolgskriterien interkultureller Tätigkeiten (Neuberger, 2002, S. 183). Effektivität kann somit gleichzeitig einen Bewertungsaspekt der interkulturellen Interaktion im Sinne der kurzfristigen Zielerreichung und ein Erfolgskriterium langfristiger Leistung darstellen. Die Zufriedenheit lässt sich ebenfalls sowohl proximal als auch distal bewerten und bezieht sich entweder auf die konkrete Interaktion oder auf den Zeitraum des Auslandsaufenthalts (wobei hier auch private Einflussfaktoren berücksichtigt werden). Im Folgenden wird der Terminus der interkulturellen Kompetenzen analysiert und hinsichtlich verschiedener Forschungsansätze untersucht, um im Anschluss der Möglichkeiten Operationalisierungen des Prädiktors vorzustellen. Zu den terminologischen Grundlagen interkultureller Kompetenzen Unter dem Kompetenzbegriff wird ein konstitutives individuelles Personenmerkmal (Schuler & Barthelme, 1995, S. 77) verstanden, das die Voraussetzung dafür bildet, „ein Ziel zu formulieren und zu erreichen bzw. eine Handlung auszuführen, sofern die außerhalb des Individuums liegenden Gegebenheiten dies zulassen“, (Kaiser, 1982, S. 2). Somit stellt Kompetenz das individuelle Potenzial bei der Bewältigung von Situationen dar, das situativ (und intra-individuell) variieren kann. Kompetenz ist hierbei, im Gegensatz zur Performanz, nicht explizit beobachtbar (Prechtl, 2008, S. 47). Interkulturelle Kompetenzen haben nach Prechtl spezifische Charakteristika, die in Abb. 5.7 dargestellt und beschrieben sind. <?page no="321"?> 322 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Merkmale interkultureller Kompetenz Beschreibung Individuelles Verhaltenspotenzial Ermittlung des interkulturellen Verhaltenspotenzials einer Person Kontextbezug Erfassung der Interaktion in kulturellen Überschneidungssituation Bewertung aufgrund der Performanz Interkulturelle Kompetenzen selbst können nicht beobachtet werden, nur Performanz Effektivität Interkulturell kompetentes Verhalten ist effektiv Angemessenheit Interkulturell kompetentes Verhalten ist dem situativen Kontext angemessen Abb. 5.7: Charakteristika interkultureller Kompetenzen (Prechtl, 2008, S. 48) So lassen sich interkulturelle Kompetenzen als „das Potenzial einer Person“ beschreiben, das notwendig ist, „um in kulturellen Überschneidungssituationen erfolgreich zu interagieren. […] Die Person wählt ein als angemessen geltendes Verhalten, wodurch für alle Interaktionspartner ein Maximum an positiven Konsequenzen erreicht werden kann. Auf das Potenzial wird aus der Performanz geschlossen“ (Prechtl, 2008, S. 47). Interkulturelle Kompetenzen lassen sich im Hinblick auf verschiedene Aspekte untersuchen. So wird zwischen der affektiven, kognitiven und konativen Dimension interkultureller Kompetenzen unterschieden. Affektive Ansätze der interkulturellen Kompetenzforschung Die affektive Dimension interkultureller Kompetenzen bezeichnet die psychologische und emotionale Perspektive, die die Bereitschaft zum Umgang mit fremden Kulturen steuert (Gudykunst et al., 1977, S. 416). So gilt es die eigenen Emotionen zu kontrollieren und zu akzeptieren. Hiermit in enger Verbindung stehen auch motivationale Komponenten, die die Auswahl und Steuerung von Verhalten beeinflussen. Die Entscheidung hängt hierbei von erwarteten Folgen des jeweiligen Verhaltens ab (Müller & Gelbrich 2001, S. 251). Interkulturelle Motivation umfasst die psychologischen Prozesse, die ein Individuum dazu bringen, interkulturelle Situationen einzugehen und zu bewältigen. So verbinden Mitarbeiter mit hoher interkultureller Motivation positive Erwartungen mit kulturellen Überschneidungssituationen. Als Konsequenz dieses Affekts können sich positive Stereotype und Verhaltenstendenzen bilden (Gudykunst et al., 1977, S. 416). Kognitive Ansätze der interkulturellen Kompetenzforschung Die kognitive Dimension interkultureller Kompetenz bezeichnet die Informationsaufnahme und -verarbeitung hinsichtlich kultureller Erkenntnisse. Hierbei sind sowohl Informationen über Kultur und Kultureinflüsse generell als auch kulturspezifische Informationen, wie informelle Richtlinien zu Verhaltensweisen, von Relevanz (Brislin & Yoshida, 1994, S. 6). Ferner gilt es ein Grundverständnis über Systemzusammenhänge verschiedener Kulturen zu entwickeln und deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu analysieren (Kulturspezifisches Wissen weist einen signifikanten Einfluss auf generelles Kulturverständnis auf. Als stärkster Prädiktor des Kulturverstehens wurde jedoch geringer Ethnozentrismus (affektive Dimension) identifiziert. Collier, 1989, S. 127f.). Konative Ansätze der interkulturellen Kompetenzforschung Die konative Dimension interkultureller Kompetenzen fokussiert explizite verhaltensbezogene Aspekte. So garantiere weder Kulturwissen noch emotionale Beteiligung eine Umsetzung in adäquates <?page no="322"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 323 interkulturelles Verhalten. Konkrete Verhaltensweisen und -fähigkeiten seien zentral für kulturelle Anpassung, während affektive und kognitive Elemente zwar anerkannt, deren „Qualität als Verhaltensprädiktoren jedoch angezweifelt“ werden. So erlangt das tatsächlich gezeigte Verhalten durch den expliziten Nachweis von Kompetenzen eine höhere Bedeutung als die beiden anderen Dimensionen. Modelle interkultureller Kompetenz In den letzten Jahrzehnten hat sich die Systematisierung interkultureller Kompetenzen zu einem mehrdimensionalen und mehrfaktoriellen Konzept entwickelt, das die drei vorgestellten Dimensionen vereint. Doch nicht alle Modelle orientieren sich an dieser Kategorisierung. Im Folgenden wird die mögliche Systematisierung. Weitere mögliche Systematisierungen von Modellen interkultureller Kompetenz sind die Anwendungszweckbezogene Klassifikation nach Spitzberg & Changnon (2009) und die „Konstruktbezogene Klassifikation“ nach Leung, Ang & Tan (2014). Die vorliegende Klassifikation nach Bolten orientiert sich an einer zunehmenden Komplexität der Interkulturalität. Interkulturelle Kompetenzen werden in Struktur-, Prozess- und Listenmodellen vorgestellt, um im Anschluss das „Intercultural Competence Assessment“ Modell vorzustellen. Strukturmodelle Ausgehend von den drei Dimensionen interkultureller Kompetenzen haben sich in den letzten Jahren Strukturmodelle etabliert, in denen Teilkonstrukte identifiziert und den Dimensionen zugeordnet werden. Ein Beispiel hierfür ist das Strukturmodell nach Müller und Gelbrich, das interkulturelle Kompetenzen unter Zuordnung der drei Dimensionen abbildet (Abb. 5.8). Abb. 5.8: Strukturmodell interkultureller Kompetenz (Müller & Gelbrich, 2001, S. 252) <?page no="323"?> 324 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Bei der Systematik der Strukturmodelle erweist sich die Überschneidung und Interdependenz der psychischen Aspekte als problematisch, die sich zudem teilweise mehreren Dimensionen zuordnen lassen. Zudem unterscheiden sich nicht nur die Zuordnungen verschiedener Autoren, sondern auch die Betrachtung innerhalb einzelner Schriften weist Inkonsistenzen auf. Eine konfirmatorische Faktorenanalyse des dargestellten Strukturmodells konnte die Zuordnung nicht replizieren. Als Konsequenz wird für eine Verwendung einzelner Kompetenzaspekte ohne Zuordnung zu den Dimensionen plädiert (Gelbrich, 2004, S. 263). Prozessmodelle In der Praxis lässt sich also ein wechselseitiges Verhältnis zwischen kognitiven, affektiven und konativen Kompetenzen beobachten, das die Trennung der einzelnen Dimensionen erschwert. Bolten beschreibt interkulturelle Kompetenz daher „nicht als Synthese, sondern als synergetisches Produkt des permanenten Wechselspiels der genannten Teilkompetenzen“. So etabliert er das Konstrukt des Prozessmodells (Bolten 2007, S. 25). Abb. 5.9 zeigt exemplarisch ein Prozessmodell interkultureller Kompetenzen nach Deardorff auf. Abb. 5.9: Prozessmodell interkultureller Kompetenz (Deardorff, 2006, S. 21) In Prozessmodellen wird nicht nur das Interdependenzverhältnis der einzelnen Komponenten, sondern auch deren Gebundenheit an Situationen und Umwelteinflüsse verdeutlicht. So werden Komplexität interkultureller Handlungen und deren Abhängigkeit von dynamischen Prozessen betont (Wobei das Erfolgskriterium meist nur ein- oder zweidimensional erfasst wurde Listenmodelle Der Zweck einer Modellanwendung von interkulturellen Kompetenzen liegt in der theoretischen Erschließung der Personalauswahl für einen Auslandsaufenthalt. Die Anwendung eines Prozessmodells erscheint insbesondere zur Gestaltung von Unterstützungsmaßnahmen vor und während der Auslandsentsendung relevant, jedoch weniger für die Eignungsdiagnostik. Auch von einem Strukturmodell wird angesichts wissenschaftlicher Widersprüche abgesehen. Eine Vielzahl an Autoren bedient sich der pragmatischen Methode der Auflistung von Teilkomponenten interkultureller Kompetenzen. <?page no="324"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 325 In Abb. 5.10 werden Ergebnisse empirischer Untersuchungen zu den Teilkomponenten interkultureller Kompetenzen im Hinblick auf bestätigte Prädiktoren interkulturellen Erfolgs dargestellt (Wobei das Erfolgskriterium meist nur ein- oder zweidimensional erfasst wurde (Siehe Spalte Erfolgsmaße). Forscher Erfolgsmaße/ -kriterien Ergebnisse zur Erfolgswirkung der Teilkomponenten Cleveland, Mangone, Adams (1960) Effektivität Empathie als Prädiktor bestätigt Hammer, Gudykunst, Wiseman (1978) Effektivität Kommunikationskompetenz als Prädiktor bestätigt Ruben, Kealey (1979) Effektivität, Anpassung Offenheit als Prädiktor bestätigt Hawes, Kealey (1981) Effektivität, Anpassung Flexibilität und Kommunikationskompetenz als Prädiktor bestätigt Abe, Wiseman (1983) Effektivität Empathie und Verhaltensflexibilität als Prädiktoren bestätigt Imahori, Lanigan (1989) Effektivität, Angemessenheit Empathie, Offenheit, Flexibilität, Kommunikationskompetenz bestätigt Cui, Awa (1992) Effektivität, Anpassung Empathie, Flexibilität und Kommunikationskompetenz als Prädiktoren bestätigt Arthur, Bennett (1995) Effektivität Empathie, Flexibilität und Kommunikationskompetenz als Prädiktoren bestätigt Chen, Starosta (1996) Effektivität, Angemessenheit Offenheit, Flexibilität, Kommunikationskompetenz bestätigt Lievens, Harris (2003) Effektivität Offenheit als Prädiktor bestätigt Graf (2004) Effektivität, Angemessenheit Offenheit als Prädiktor bestätigt Gelbrich (2004) Effektivität, Anpassung, Zufriedenheit Empathie, Offenheit, Kommunikationskompetenz als Prädiktoren bestätigt Mol, Van der Molen (2006) Effektivität Offenheit, Flexibilität und Kommunikationskompetenz als Prädiktoren bestätigt Shaffer, Harrison, Gregersen (2006) Effektivität, Anpassung, Abbruchswunsch Flexibilität und Offenheit als Prädiktoren bestätigt Abb. 5.10: Prädiktorwirkung der Teilkomponenten interkultureller Kompetenzen (Mertesacker, 2010, S. 342- 344) Bei einigen Listenmodellen überschneiden sich jedoch einzelne Teilkomponente als Resultat oberflächlicher Recherche und fehlender empirischer Ableitung. Bei der Anwendung eines Listenmodells ist daher auf dessen definitorische Abgrenzung und konzeptionelle Klarheit zu achten. Zum INCA Modell Das INCA (Intercultural Competence Assessment) Modell bietet angesichts der dargestellten empirisch bestätigten Prädiktoren eine adäquate Zusammenstellung an Dimensionen interkultureller Kompetenzen. Das Modell entspringt einem länderübergreifenden interdisziplinären Projekt und <?page no="325"?> 326 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung bietet ein Konzept interkultureller Kompetenzen, das eine Beschreibung von sechs Teildimensionen sowie damit verbundene Performanzaspekte umfasst (INCA, 2004, S. 3). Es wird, wie zuvor ausgeführt, davon ausgegangen, dass jede Teilkomponente Korrelate auf der kognitiven, emotionalen und behavioristischen Dimension aufweist. Die Dimensionen des INCA Modells beschreiben die Anforderungen an Mitarbeiter in kulturellen Überschneidungssituationen und werden im Folgenden vorgestellt. Ambiguitätstoleranz Kulturelle Überschneidungssituationen bergen Widersprüche und Mehrdeutigkeiten in sich. Diese Andersartigkeit kann bei der Erfüllung vorgegebener Aufgaben als hinderlich und stressauslösend wahrgenommen werden. Der Expatriate befindet sich in einem „dual loyalty“ Dilemma und versucht den Erwartungen des Stammhauses bei begrenzten Realisierungsmöglichkeiten gerecht zu werden (Mendenhall et al., 1995, S. 46). Hierbei gilt es mit negativen Gefühlen wie Unsicherheit und Überforderung umzugehen. Unter Ambiguitätstoleranz versteht man die Fähigkeit, Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten im interkulturellen Kontakt auszuhalten und konstruktiv damit umzugehen. Hierfür ist eine Wahrnehmung der Unterschiede und Berücksichtigung der Komplexität erforderlich. (Eine geringe Ambiguitätstoleranz zeigt sich in Versuchen zur Strukturierung und Vereinfachung. Gering kompetente Expatriates blenden Teilaspekte der interkulturellen Situation aus und entwerfen Schwarz-Weiß-Lösungen. Hatzer & Layes, 2003, S. 141). Verhaltensflexibilität Innerhalb einer spezifischen Kultur ist die Akzeptanz von Verhaltensweisen grundsätzlich sehr eingeschränkt, sodass nur eine geringe Spannbreite von Verhalten als angemessen angesehen wird. In der Interaktion mit anderskulturellen Partnern ist die Anpassung der gewohnten Verhaltensweisen an die Regeln und Erwartungen des Gegenübers erforderlich (Ali et al., 2003, S. 567). Interkulturelle Verhaltensflexibilität umfasst die Erweiterung und adaptive Anwendung von Verhaltensweisen. Hierzu werden aus einem breiten Repertoire Verhaltensweisen ausgewählt, die der spezifischen Situation und dem fremdkulturellen Interaktionspartner angemessen sind. Respekt/ Offenheit Kulturelle Überschneidungssituationen bedingen eine Konfrontation mit fremdkulturellen Werten und Normen, die den eigenen widersprechen können. Hierfür ist eine wertungsfreie und akzeptierende Grundhaltung gegenüber anderen Personen und Kulturen erforderlich (Chen & Starosta, 1998, S. 68). Eine Reflexion über die Kulturbedingtheit des eigenen Handelns und eine kritische Auseinandersetzung mit eigenkulturellen Grundannahmen ist hierbei förderlich. Respekt beinhaltet einen offenen und wertschätzenden Umgang mit Angehörigen anderer Kulturen. Respekt bezieht sich auf die Akzeptanz und Toleranz anderskultureller Wertsysteme, auch wenn diese den eigenen widersprechen (Prechtl. 2008, S. 59). Empathie Im Zuge interkultureller Interaktionen gilt es zu berücksichtigen, dass fremdkulturelle Personen identische Situationen unterschiedlich wahrnehmen und interpretieren. So gewinnt das Einfühlungsvermögen in Bezug auf kulturelle Denk- und Handlungsweisen an Bedeutung. Hierbei gilt es unter Umständen auch andere Ausdrucksweisen von Emotionen zu erfassen und zu deuten (Kühlmann & Stahl, 1998, S. 217). <?page no="326"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 327 Unter Empathie wird die Fähigkeit verstanden, sich in fremdkulturelle Personen und deren Motive, Denkweisen und Gefühle hineinversetzen zu können. Wissenserwerb Um Botschaften fremdkultureller Interaktionspartner zu verstehen, ist es erforderlich dessen Orientierungssystem und Verhaltensrepertoire zu kennen. So gilt es Wissen über fremdkulturelle Normen und Werte erwerben zu wollen und zu können (Brislin & Yoshida, 1994, S .6). Hierbei müssen über kulturelle Artefakte hinaus zugrundeliegende Prämissen erkannt werden (Gertsen, 1990, S. 356). Zudem ist die Kenntnis der Bedeutung spezifischer Ereignisse und der Erwartungshaltung hinsichtlich der kulturellen Anpassung von Bedeutung (Harvey et al., 2002, S. 495). Der Wissenserwerb beschreibt die Fähigkeit und Verhaltenstendenz, aus wahrgenommenen Interaktionen Wissen über andere Kulturen zu generieren. Er umfasst sowohl sowohl den Erwerb von Wissen über kulturspezifische Verhaltensweisen als auch über die zugrundeliegenden impliziten Annahmen. Kommunikationsbewusstheit Die Absicht und die Botschaft hinter einer Aussage muss im Hinblick auf das kulturelle Bezugssystem des Sprechers gedeutet werden. In kulturellen Überschneidungssituationen kommt es jedoch häufig zu Missverständnissen und der Zuschreibung negativer Eigenschaften (Von Helmolt, 1994, S. 118). Interkulturelle Kommunikationsbewusstheit beschreibt die Wahrnehmung von und den Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Konventionen und deren Auswirkungen auf den Gesprächsverlauf. Hierbei gilt es Kommunikationsunterschiede zu erkennen und potenzielle Missverständnisse zu klären. Zur Ein- und Abgrenzung interkultureller Kompetenzen Hinsichtlich internationaler Tätigkeiten lassen sich in der Literatur vielzählige Anforderungen finden, die Ähnlichkeiten mit interkultureller Kompetenz aufweisen. So werden im Folgenden die wesentlichen Abgrenzungsmerkmale vorgestellt, um das Begriffsbild weiter zu schärfen. Abgrenzung interkultureller Kompetenzen von ähnlichen Konstrukten Die Abb. 5.11 zeigt mit interkultureller Kompetenz verwandte Konstrukte auf, die im folgenden Abschnitt charakterisiert werden. Intercultural Effectiveness Adaptive Personality Intercultural Sensitivity Cultural Intelligence Global Mindset Cui, Awa (1992) Kim (2001) Chen, Starosta (1998) Earley, Mosakowski (2004) Gupta, Govindarajan (2002) Prädiktor für interkulturelle Anpassung Ressourcen zur interkulturellen Anpassung motivationale Aspekte interkultureller Tätigkeiten kognitive Fähigkeit, unbekanntes Verhalten zu interpretieren Offenheit und Diversitätsbewusstsein Abb. 5.11: Der interkulturellen Kompetenz verwandte Konstrukte (Prechtl, 2008, S. 60) <?page no="327"?> 328 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Cross-Cultural Adaption und Adjustment lassen sich weitestgehend synonym verwenden, wobei letzteres insbesondere im US-amerikanischen Raum Verwendung findet. Cross-Cultural Adaption lässt sich als „komplexer, dynamischer und evolutionärer Prozess eines Individuums“ beschreiben, den er „im Hinblick auf eine neue und ungewohnte Umwelt“ durchläuft (Kim, 2001, S. 24). Hierbei gilt Adaption als die Anpassungsfähigkeit, während die Gastkultur den Bewertungsrahmen vorgibt. Folgt man diesem Verständnis, würde interkulturelle Kompetenz stets zur optimalen Anpassung an die fremde Kultur führen. Folglich ließe sich eine Hierarchie zwischen den Kulturen, mit einer dominierenden Gastkultur (sog. „kultureller Chauvinismus“) erkennen (Furnham & Bochner, 1982, S. 342). Eine solche Anpassung stellt nur eine von vielen Möglichkeiten zum interkulturellen Umgang dar (Schroll-Machl & Novy, 2000, S. 38). So beinhaltet der Terminus interkultureller Kompetenzen eine „ergebnisoffene Sichtweise“, nach der verschiedene Strategien in kulturellen Überschneidungssituationen als kompetent angesehen werden (Prechtl, 2008, S. 145). Eine andere Definition liegt dem Begriff der interkulturellen Sensibilität (Intercultural Sensitivity) zugrunde. Diese wird als positiver „Drive“ bezeichnet, der den Wunsch beinhaltet, sich mit Kulturunterschieden auseinander zu setzen (Chen & Starosta, 1998, S. 231). So erinnert das Konzept an den motivationalen Aspekt interkultureller Kompetenz, der als deren Voraussetzung angesehen wird. Einige Autoren fokussieren den Aspekt der interkulturellen Kommunikationskompetenz und argumentieren, dass „im Kern aller interkulturellen Kontakte die interpersonale Kommunikation zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen“ stehe (Knapp, 1995, S. 11). Hierbei geht es um die kompetente Interaktion hinsichtlich „sprachlicher Formen symbolischen Handelns“ (Knapp & Knapp- Potthoff, 1990, S. 66), die somit eine Akzentuierung des Konzepts interkultureller Kompetenzen bietet. Ein anderes Konstrukt ist das der kulturellen Intelligenz, das als „natürliche Fähigkeit eines Außenseiters“ beschrieben wird, „unbekanntes und mehrdeutiges Verhalten einer Person zu interpretieren und sogar zu spiegeln, in einer Weise, in der es die Bekannten und Kollegen der Person tun würden“(Earley & Mosakowski, 2004, S. 139). Weiterhin wird kulturelle Intelligenz als die kognitive Fähigkeit beschrieben, neue Interaktionsarten schnell zu lernen und zwischen kulturellen Kontexten zu wechseln. Neben den kognitiven Aspekten werden dem Konzept, entgegen der Intelligenzforschung, auch affektive und behaviorale Aspekte zugeordnet (Earley & Mosakowski, 2004, S. 143). Dementsprechend ist die Verwendung des Begriffs der kulturellen Intelligenz von Verzerrungen geprägt, die die wissenschaftliche Intelligenz-Facette fast gänzlich ausklammern und daher als „pseudowissenschaftlich“ kritisiert werden (Schuler, 2002b, S. 138). Das Konzept des Global Mindsets wird als Struktur von Wissen beschrieben, die die Sammlung und Interpretation neuer Informationen steuert und von Offenheit und Diversitätsbewusstsein geprägt ist (Gupta & Govindarajan, 2002, S. 120). Im Unterschied zur interkulturellen Kompetenz wird dieser Begriff nicht nur für Personen, sondern auch für die Beschreibung von Organisationen und Organisationskulturen verwendet. So lässt sich festhalten, dass die neueren Begriffe keinen Zusatznutzen darstellen. Zur Abgrenzung interkultureller Kompetenzen von Self-Monitoring In der interkulturellen Interaktion wird neben der Kenntnis um die gewünschten Verhaltensweisen auch die Fähigkeit der entsprechenden Verhaltenssteuerung benötigt. Es lässt sich hierbei zwischen dem Ziel der Belohnung durch die Interaktionspartner (akquisitives Self-Monitoring) und dem Ziel der Vermeidung von Missbilligung (protektives Self-Monitoring) unterscheiden (Laux & Renner, 2002, S. 137). Hierzu kontrolliert das Individuum seine Selbstdarstellung zu Anpassungszwecken, was in unterschiedlichem Maße geschehen kann, (Snyder & Gangestad, 2000, S. 530), Self-Monitoring umfasst die Sensibilität für die Anzeichen von Angemessenheit (Mendenhall & Wiley, 1994, S. <?page no="328"?> 5.1 Motivation in unterschiedlichen Kulturen 329 609). Selbstreflexion und -regulation im Falle aufkommender und unangebrachter Emotionen (Matsumoto et al., 2001, S. 485). Je nach Anforderungen und Komplexität der Tätigkeit kann eine starke Variabilität des Self-Monitorings nötig sein (Caligiuri & Day, 2000, S. 158). Die Bedeutung von Self-Monitoring konnte für verschiedene Anpassungsmaße bestätigt werden. So lässt ein hoher Grad an Self-Monitoring einen signifikanten Zusammenhang zur generellen Anpassung, nicht aber zur beruflichen Anpassung erkennen. Auch im Hinblick auf fremdbewertete Leistung und auf selbstbewertete Anpassung wurden positive Zusammenhänge mit Self-Monitoring nachgewiesen (Harrison et al., 1996, S. 174). Das Self-Monitoring lässt sich somit als weiterer Erfolgsprädiktor interkultureller Tätigkeiten ansehen. Zum Verhältnis interkultureller und sozialer Kompetenzen Ähnlich dem interkulturell kompetenten Verhalten gilt es auch bei sozialer Kompetenz einen Kompromiss zwischen individueller Zielerreichung und situativer Anpassung zu erreichen. Hierzu erfordert es in beiden Fällen „Perspektivenübernahme, Wertepluralismus, Handlungsflexibilität und Konfliktfähigkeiten“, (Prechtl, 2008, S. 156). Es wird betont, dass soziale Kompetenzen zwar hilfreich für interkulturelle Interaktionen seien, jedoch nicht ausreichen, um Kommunikationsbarrieren und interkulturelle Missverständnisse zu überwinden (Triandis, 1972, S. 347). Es lassen sich verschiedene Vermutungen zum Zusammenhang beider Kompetenzarten aufstellen: Eine mögliche Interpretation interkultureller Interaktion ist ihre Einordnung als Spezialfall der sozialen Kompetenzen. So gebe es auch intrakulturelle Minoritäten, deren Besonderheiten es in der Interaktion durch spezifische Kompetenzen zu berücksichtigen gelte (Gudykunst, 1994, S. 27). Einige Autoren vermuten daher die Notwendigkeit derselben Kompetenzen und Prozesse im interwie im intrakulturellen Kontakt. Auch Bolten sieht lediglich die zusätzliche Anforderung von Transferleistung im interkulturellen Handlungskontext (Bolten, 2001b, S. 58). Andere Autoren sehen interkulturelle Kompetenz hingegen als Erweiterung der sozialen Kompetenz. Es bestehe in kulturellen Überschneidungssituationen kein Konsens über Normen und Regeln, wie im intrakulturellen Kontext. So seien Interaktionen von Unsicherheit und Missverständnissen geprägt, die weitere Kompetenzen erforderlich machen (Knapp, 1999, S. 10). Im Hinblick auf den Zusammenhang sozialer und interkultureller Kompetenzen gibt es somit keine eindeutigen empirischen Befunde. Während nach Eder interkulturelle Kompetenzen abhängig von sozialen Kompetenzen sind, (Eder, 1996, S. 412) finden Graf & Harland nur geringe Korrelationen beider Fähigkeiten, woraus sie schließen, dass es sich um unabhängige Konstrukte handelt (Graf & Harland, 2005, S. 51f). So lässt sich weder theoretisch noch praktisch eine Einordnung der Kompetenzarten vornehmen, sodass bei Relevanz sozialer Kompetenzen für die Auslandspositionen zu einer Erhebung beider Konstrukte geraten wird. Zusammenfassung Die Erfolgskriterien von Auslandsentsendungen lassen sich anhand der Ergebnisse der Metaanalyse von Bhaskar-Shrinivas klar definieren, bergen jedoch in Ihrer Erfassungsmethode der Nachbefragung das Risiko subjektiver Verzerrung. So gehen mit der Selbsteinschätzung potenzielle Positivverzerrungen und Falschangaben aufgrund sozialer Erwünschtheit einher, während bei der Fremdeinschätzung nicht alle Kriterien bewertet werden können und Verzerrungen aufgrund mangelnder kulturadäquater Ausrichtung der Fragen auftreten können. Den Verzerrungsproblematiken gilt es daher durch entsprechend fundierte Formulierungs- und Fragetechniken entgegen zu wirken. <?page no="329"?> 330 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Interkultureller Erfolg und erfolgreiches Anpassungsgeschehen werden anhand unterschiedlicher Prädiktoren und Einflussfaktoren erklärt, die sich den personalen, situativen und kontingenztheoretischen Forschungsparadigmen zuordnen lassen. So bietet die konkrete Performanz eines Bewerbers Einschätzungsmöglichkeiten seines zukünftigen interkulturellen Erfolgs. Diesbezüglich wird dargestellt, welche Verhaltensweisen als Erfolgsprädiktoren in der empirischen Forschung identifiziert wurden und auf dieser Basis das sechsdimensionale INCA Modell interkultureller Kompetenzen ausgewählt. Das Modell bietet durch eine klare Definition der Teilkomponenten interkultureller Kompetenzen eine Auflistung der Erfolgsprädiktoren interkulturellen Erfolgs, die es im Rahmen der Eignungsdiagnostik für Auslandsentsendungen zu erfassen gilt. 5.2 Internationale Entgeltfindung Lernziele  Sie haben ein grundsätzliches Verständnis für den Prozess der internationalen Entgeltfindung.  Sie können die Begriffe wie Direktentgelt, Stammlandmodell, Nettovergleichsrechnung, Kaufkraftausgleich im internationalen Kontext einordnen. Die bestmögliche Formierung der Gesamtvergütung für Mitarbeiter auf nationaler sowie internationaler Ebene kann unternehmensindividuell gestaltet werden. Die fortschreitende Globalisierung und der damit verbundene Wegfall von Handelsgrenzen führen aufgrund eines international zunehmenden Wettbewerbs zu einem erhöhten Konkurrenzdruck. Daraus ergibt sich ein Personaleinsatz über die Grenzen hinaus. Unternehmen beschäftigen Mitarbeiter, die verschiedenen Kulturkreisen angehören. Demzufolge ist der Bereich der internationalen Personalwirtschaft mit der Herausforderung konfrontiert, ein einheitliches, gerechtes Entgeltsystem in einem multinationalen Unternehmen zu gestalten. Das Prinzip jeden Entgelts ist die Forderung nach Gerechtigkeit zwischen Leistung und Entgelt zwischen den Mitarbeitern im Inland und im Ausland und somit ein zentrales Thema in jedem multinationalen Unternehmen. Entgeltgerechtigkeit bedeutet Leistung und Lohn/ Gehalt haben zueinander in einem angemessenen Verhältnis zu stehen. Da es bisher in keinem internationalen Unternehmen gelungen ist, ein ausgewogenes Entgeltmanagementsystem zu entwickeln, schon allein wegen der unterschiedlichen, internationalen steuerlichen Gesetzgebungen, sozialer Gesetze weltweit, der unterschiedlichen Lebenssituationen der Mitarbeiter/ innen in Entwicklungsländern oder in westlichen Ländern, fällt die Einlösung eines ausgewogenen Entgeltmanagementsystems objektiv betrachtet schwer. <?page no="330"?> 5.2 Internationale Entgeltfindung 331 Tab. 5.1: Formen der Entgeltgerechtigkeit Prinzip Merkmal 1. Anforderungsgerechtigkeit • Basis bildet die Arbeitsbewertung → Arbeitsentgelte werden nach dem Schwierigkeitsgrad der Arbeit gestaffelt • Ausgestaltung der anforderungsgerechten Entlohnung ist die Funktionsbewertung • Mit der Funktionsbewertung wird eine Stelle / Funktion mit den ihr zugeordneten Aufgaben beurteilt → daraus ergibt sich ein Funktionswert, der die Grundlage für die funktionelle Lohnbestimmung ist 2. Leistungsgerechtigkeit • Voraussetzung: Zielvereinbarung • Qualität vs. Quantität • Spezifische Leistung der Mitarbeiter steht im Focus unabhängig von den Anforderungen an die Stelle 3. Marktgerechtigkeit • es herrschen konjunkturelle und saisonale Schwankungen, aber auch regionale Unterschiede → Arbeitsentgelt sollte sich nach dem gegenwärtigen Marktwert der verwertenden Arbeitsvermögen richten 4. Sozialgerechtigkeit • Entgeltdifferenzierung nach: - Lebensalter/ Dienstalter - Familienstand - Weihnachtsgeld/ Urlaubsgeld - Lohnfortzahlung im Krankheitsfall - Behördengänge, Hochzeit - Lohnzulagen (Feiertagsarbeit, Überstunden) 5. Qualifikationsgerechtigkeit • Entgelthöhe ist abhängig vom Kenntnis-/ Wissenstand der Mitarbeiter, auch wenn der höhere Grad an Qualifikation nicht permanent gefordert ist 6. Kompetenzgerechtigkeit • 360° Grad Beurteilung • Mitarbeiter als der Differenzierungsfaktor 7. Grundsatz der Gleichbehandlung • Art. 3GG analog § 611a BGB • → schreibt eine Gleichbehandlung von Männern und Frauen vor Quelle: in Anlehnung an Jung (2011), S. 563 ff. Um den erwähnten Prinzipien der Gehaltsgerechtigkeit zu entsprechen, setzt sich das Entgelt in der Regel aus mehreren Entgeltbestandteilen zusammen (= Entgeltsystem). 5.2.1 Entgeltbegriff Der Begriff Entgelt beinhaltet aufgrund eines vertraglich begründeten Arbeitsverhältnisses, alle materiellen Gegenleistungen, die ein Mitarbeiter für seine geleistete Arbeit gegenüber dem Arbeitgeber erhält (Berthel/ Becker (2013), S. 573). <?page no="331"?> 332 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Abb. 5.12: Bestandteile des Entgelts. Quelle: in Anlehnung an Becker/ Berthel (2013), S. 574. Das Entgelt setzt sich aus dem Direktentgelt, der Erfolgsbeteiligung und der gesetzlichen, tariflichen und freiwilligen Sozialleistung zusammen (siehe Abb. 5.12). 5.2.2 Direktentgelt Zu den üblichen Formen des Direktentgeltes gehören der Zeitlohn, der Akkordlohn und Prämienlohn (Jung (2010), S. 971 ff.). Die Entgeltdifferenzierung erfolgt hierbei anforderungsaber auch leistungsorientiert. Tab. 5.2: Lohnformen Direktentgelt Zeitlohn Leistungslohn reiner Zeitlohn Zeitlohn mit Leistungszuschlag Akkordlohn Prämienlohn Hier wird die im Betrieb verbrachte Zeit vergütet → unabhängig von der tatsächlich erbrachten Leistung Dient dem Unternehmen zum Anreiz der Mitarbeiter → zusätzliche Leistungszuschläge zum Grundlohn Echter Leistungslohn → Höhe des Entgelts ist von der tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig Besteht aus a) Leistungsunabhängiger Teil = Grundlohn b) Leistungsabhängiger Teil = Prämie Quelle: in Anlehnung an Jung (2010), S. 971 ff. Entgelt Direktentgelt Erfolgsbeteiligung Sozialleistungen Klassische Entgeltformen  Zeitlohn  Akkordlohn  Prämienlohn Weitere Entgeltformen  Provision  Tantieme  Pensumlohn Gesetzliche Sozialleistung  Arbeitslosen-, Renten-, Kranken-, Unfallversicherung Tarifliche Sozialleistungen, Freiwillige Sozialleistungen  z.B. betriebliche Altersversorgung, Urlaubsgeld, Sonder-zahlungen(Weihnachtsgeld), Übernahme von Fahrtkosten <?page no="332"?> 5.2 Internationale Entgeltfindung 333 5.2.3 Erfolgsbeteiligung Die Erfolgsbeteiligung ist eine freiwillige Sondervergütung des Unternehmens für Mitarbeiter auf erfolgsorientierter Basis, gemessen am Unternehmenserfolg, nach einem vorher festgelegten Bemessungsgrundsatz zusätzlich zur vereinbarten Vergütung. Tab. 5.3: Formen der Erfolgsbeteiligung: Leistungsbeteiligung Ertragsbeteiligung Gewinnbeteiligung Werteentwicklungsbeteiligung Vorschriftsleistung ist erreicht oder überschritten direkter Bezug zum Unternehmensertrag Bilanzgewinnbeteiligung Anreiz für Führungskräfte → Entscheidungsverhalten am Wert des Unternehmens auszurichten Quelle: in Anlehnung an Jung (2010), S. 984 ff., Gutmann/ Bolder (2012), S. 138 ff. 5.2.4 Sozialleistungen Zu den Sozialleistungen gehören die gesetzliche, die tarifliche und die freiwillige Sozialleistung (Jung (2010), S. 979). Tab. 5.4: Formen der Sozialleistung gesetzliche Sozialleistung tarifliche Sozialleistung freiwillige Sozialleistung • Sozialversicherungsbeiträge • Höhe nicht vom Unternehmen beeinflussbar • Kündigungsschutz • Rentenbeihilfe • Arbeitszeit- und Arbeitsbedingungen • Zusatzleitung auf freiwilliger Basis • beruhen auf Einzelverträgen • bspw. Firmenwagen zur Privatnutzung Quelle: in Anlehnung an Jung (2010), S. 979 5.2.5 Ausrichtung von Entgeltsystemen Entgeltsysteme werden in „Leistungsorientierte und Erfolgsorientierte Entgeltsysteme“ differenziert (Berthel/ Becker (2013), S. 590). Bei dem Leistungsorientierten Entgeltsystem steht die Leistung des Mitarbeiters im Fokus, hierbei wird das Entgelt an seine persönlich erbrachte Leistung geknüpft. Gemessen wird die Leistung anhand einer Leistungsbeurteilung. Augenmerk liegt dabei auf dem nach Plan vereinbarten Ziel, um eine Kennzahl zur Messung für die persönliche Leistung zu haben. Bei dem Erfolgsorientierten Entgeltsystem werden die Mitarbeiter am Erfolg der entsprechenden Einheit, in welcher sie arbeiten, beteiligt. 5.2.6 Anforderungen an Entgeltsysteme Um anderem Zielen wie verbessertes Arbeitgeberimage, Führungs- und Markterfolg sowie geringe Fluktuation und Absentismus der Mitarbeiter in der Abteilung gewährleisten zu können, sollten folgende Anforderungen an ein Entgeltsystem mit erfüllt sein. <?page no="333"?> 334 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Qualität/ Qualifikation Tab. 5.5: Qualitätsanforderungen Qualifikationsgerechtes Entgelt: Höhere Anforderungen - höherer Lohn • Abschaffung des Einheitslohns • → Mindestvorgaben durch Tarifverträge, Kollektiv- oder Gesamtarbeitsverträge • Unternehmen sind dazu aufgefordert sich feinere Abstufungen zurecht zulegen Anreiz zu höherer Qualifikation/ Personalentwicklung • Je präziser die Abstufung desto vorteilhafter ist das Angebot zu betriebsamer Personalentwicklung • Nachteil: je mehr Abstufungen es gibt, desto schwieriger ist die Einordnung der Mitarbeiter  Gefahr vor Manipulation Leistung muss sich lohnen: Variable Entgeltkomponente • Angemessene Vergütung von Leistung und Einsatzbereitschaft um Leistungszurückhaltung/ Demotivation zu verhindern • Einsatz von für den Mitarbeiter nachvollziehbaren Leistungsbeurteilungen Quelle: in Anlehnung an Ulmer (2013), S. 23 ff. Effizienz Tab. 5.6: Effizienzanforderungen Berücksichtigung des Unternehmenserfolgs im variablen Entgeltanteil • Definieren der variablen Entgeltkomponente im Zusammenhang zum Unternehmenserfolg Nachvollziehbare Standortbestimmung bzw. von sinnvollen Vorgesetzten-Mitarbeitergesprächen • Bessere Thematisierung von Führungsgesprächen • Vorteilhaftere Konkretisierung der Anforderungsaspekte des Betätigungsfeldes • Ziel: praktikablere Auseinandersetzungen von Vorgesetzten und Mitabeitern Lenkungseffekte, Verhaltenssteuerung → Prozessorientierung • determinieren von Verhaltensattributen wie Kundenorientierung, Teamverhalten und Kommunikationsverhalten •  wichtig dabei sind die Festlegung von Beurteilungskriterien Anhebung der Produktivität/ Effizienz der Abteilung/ Niederlassung/ Organisation um x % • Sicherung des Unternehmens durch Wirtschaftlichkeit • Anreize für Mitarbeiter Quelle: in Anlehnung an Ulmer (2013), S. 23 ff. Weitere Hilfestellungen Tab. 5.7: Weitere Hilfestellungen Unterstützung der Kader → Personalführung, Organisationsentwicklung • Stärken und Schwächen von Mitarbeitern erkennen <?page no="334"?> 5.2 Internationale Entgeltfindung 335 Unterstützung der Administration → Tarif-/ Lohnrunden • Hilfeleistung bei Jahreslohnrunden und persönlichen Gehaltsfragen • mit Hilfe von Simulationsberechnungen, die die Auswirkungen auf den Gewinn der Unternehmung bei einer entsprechenden Lohnsumme aufzeigen • → somit können Entscheidungsprozesse vernünftig gesteuert werden Partizipativ • Zur Begünstigung der Akzeptanz von Entgeltsystemen sollten die Mitarbeiter, als auch der Betriebsrat, bei dem Entwurf des Vorhabens und der Durchführung mit einbezogen werden Quelle: in Anlehnung an Ulmer (2013), S. 23 ff. 5.2.7 Modelle internationaler Entgeltpolitik In der Literatur werden drei Grundmodelle internationaler Vergütungspolitik unterschieden. Hierzu zählen das stammlandorientierte, das gastlandorientierte und das geozentrische Vergütungsmodell, die im Folgenden näher erläutert werden. Zum stammlandorientierten Ansatz Bei dem stammlandorientierten Ansatz wird die Entgeltpolitik durch jene Vergütungsmodalitäten bestimmt, welche von der Unternehmenszentrale vorgegeben werden. Die Gestaltung der Vergütungspakete erfolgt demnach in Abhängigkeit der vorgegebenen stammlandorientierten Kriterien. Hierzu zählen u.a. (Festing (2011), S. 384):  Höhe des erfolgsabhängigen Entgeltanteils auf den verschiedenen Hierarchiestufen  Bestimmungen der Entgelterhöhungen in Abhängigkeit von der Dauer der Betriebszugehörigkeit  Einfluss der individuellen Leistungsbeurteilungen  Breite einzelner Lohn- und Gehaltsstufen. In der nachfolgenden Tabelle sind die Vor- und Nachteile des stammlandorientierten Ansatzes gegenübergestellt (Festing (2011), S. 384.): Tab. 5.8: Vor- und Nachteile des stammlandorientierten Ansatzes Vorteile Nachteile • Transparente Entgeltpolitik aufgrund verbindlicher Richtlinien für wesentliche Bereiche der Gehaltsfindung • Die Anbindung des Gehalts des Expatriates an das Gehaltssystem des Mutterkonzerns bleibt erhalten • Vereinfachte Wiedereingliederung nach Entsendung • Vernachlässigung von notwendigen und landesspezifischen Aspekten der Entgeltpolitik • Mögliche Demotivation lokaler Mitarbeiter, da entsendete Mitarbeiter eine höhere Vergütung erhalten • Lokale Regelungen werden u.U. nicht genügend berücksichtigt Quelle: in Anlehnung an Festing (2011), S. 384. Durch die einheitlichen und verbindlichen Richtlinien bei der Gehaltsfindung wird sichergestellt, dass im gesamten nationalen und/ oder multinationalen Unternehmen eine einheitliche und stammlandorientierte Unternehmenskultur vorherrscht (Festing (2011), S. 384): <?page no="335"?> 336 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Zum entsendungslandorientierten Ansatz Bei der Gestaltung der Entgeltpolitik berücksichtigt der entsendungslandorientierte Ansatz die landesspezifischen Vergütungsmodalitäten des Entsendungslandes und verzichtet demnach auf länderübergreifende Regelungen (Festing (2011), S. 384). Somit sind die Gehälter innerhalb einer Organisationseinheit vergleichbar, jedoch losgelöst vom Stammhaus oder anderen Tochtergesellschaften. Die nachfolgende Tabelle liefert einen Überblick über die Vor- und Nachteile des entsendungslandorientierten Ansatzes. Tab. 5.9: Vor- und Nachteile des entsendungslandorientierten Ansatzes Vorteile Nachteile • Verhinderung der Demotivation der lokalen Mitarbeiter innerhalb einer Organisationseinheit aufgrund hoher Gehaltsunterschiede • Geringer Verwaltungsaufwand • Kein transparentes Entgeltsystem für Mitarbeiter in Tochtergesellschaften • Geringe Mobilitätsförderung international tätiger Mitarbeiter • Hohe Gehaltsunterschiede zu anderen internationalen Standorten Quelle: in Anlehnung an Festing (2011), S. 384. Zur geozentrischen Entgeltpolitik Der geozentrische Ansatz verzichtet bei der Gestaltung des Entgeltsystems auf die Standards des Stammlandes und berücksichtigt auch nicht die landesspezifischen Besonderheiten. Stattdessen wird eine internationale Entgeltpolitik entwickelt, die Kriterien aus beiden Umfeldern in die Gestaltung mit einfließen lässt. Das neu entwickelte Konzept ist weltweit verbindlich und soll das Erreichen der strategischen Unternehmensziele unterstützen (Festing (2011), S. 385). Die wesentlichen Vorteile sind in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt: Tab. 5.10: Vor- und Nachteile der geozentrischen Entgeltpolitik Vorteile Nachteile • Meist „Fit“ zwischen Unternehmensstrategie und entgeltpolitischer Ausrichtung • Weitgehend weltweiter vergleichbarer Gehälter • Förderung von Auslandsentsendungen • Erhöhte internationale Mobilität der Mitarbeiter • Entwicklung und Gestaltung des Entgeltsystems ist sehr kostenintensiv und zeitaufwendig Quelle: in Anlehnung an Festing (2011), S. 385. In der internationalen Entgeltpolitik sind die dargestellten Ansätze in reiner Form selten vorhanden. Aus Kostengründen und/ oder lokalen Restriktionen haben sich Mischformen der Modelle internationaler Entgeltpolitik herausgebildet. Übung 5.3 Erklären Sie das stammlandorientierte, das gastlandorientierte und das geozentrische Vergütungsmodell und grenzen Sie diese gegeneinander ab. <?page no="336"?> 5.2 Internationale Entgeltfindung 337 5.2.8 Vergütung international tätiger Mitarbeiter Im nachfolgenden Abschnitt werden die Bestimmungsfaktoren, Bestandteile und Berechnungsmöglichkeiten des Gehalts von Expatriates erläutert, die bei der Gestaltung internationaler Vergütungspakete zum Tragen kommen können. Die nachfolgenden Kriterien beziehen sich nur auf „klassische Auslandsentsendungen“, also jene, die einen Zeitraum von einem bis fünf Jahre aufweisen. Bestimmungsfaktoren der Gehaltsfindung Auf nationaler und internationaler Ebene sind die Bestimmungsfaktoren für die Gestaltung des Inlandsgehaltes gleich. Die Höhe wird durch den Wert der Stelle, den Marktwert und die individuelle Mitarbeiterleistung bestimmt. Die nachfolgende Tabelle liefert eine Übersicht über die einzelnen Kriterien und ihre dazugehörige Bestimmungsfaktoren für die Gehaltsfindung auf nationaler Ebene. Tab. 5.11: Bestimmungsfaktoren auf nationaler Ebene Kriterium Bestimmungsfaktor Marktwert Gehaltsvergleich Stellenwert Stellenbewertung Individuelle Mitarbeiterleistung Leistungsbeurteilung Quelle: in Anlehnung an Festing (2011), S. 387. Bei der Gestaltung von Vergütungspaketen für Expatriates ist es darüber hinaus wichtig, dass dem Mitarbeiter keine finanziellen Nachteile durch die Entsendung entstehen. Aus diesem Grund müssen auch die nachfolgend genannten Kriterien bei der Bestimmung der Vergütungshöhe berücksichtigt werden: Tab. 5.12: Zusätzliche Bestimmungsfaktoren auf internationaler Ebene Kriterium Bestimmungsfaktor Lebenshaltungskostenniveau Kaufkraftausgleich Vergleichsgehalt Nettovergleichsrechnung (Balance Sheet Approach) Lebensqualität Festlegung Auslandszulage Quelle: in Anlehnung an Festing (2011), S. 387. Um den Zusammenhang der Bestimmungsfaktoren zu verdeutlichen, liefert die nachfolgende Abbildung eine Übersicht der Gehaltsfindung für entsandte Mitarbeiter. Nettovergleichsrechnung Das Gehalt der entsandten Mitarbeiter wird in vielen multinationalen Unternehmen mit Hilfe der Nettovergleichsrechnung ermittelt. In erster Linie soll verhindert werden, dass die Expatriates finanzielle Verluste erleiden. Aus diesem Grund wird versucht ein Gleichgewicht zwischen dem bisherigen Gehalt und den Bezügen, die der Mitarbeiter während seiner Entsendung erhält, herzustellen. Die Nettovergleichsrechnung wird auch Balance Sheet Approach genannt. Die nachfolgende <?page no="337"?> 338 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Abbildung liefert eine Übersicht über die einzelnen Bestandteile der Nettovergleichsrechnung (Mayrhofer (1996) in Festing (2011), S. 388): Abb. 5.13: Bestimmungsfaktoren der Gehaltsfindung. Quelle: in Anlehnung an Wirth (1996) in Festing (2011), S. 388. Bei der Nettovergleichsrechnung wird zunächst das bisherige Bruttogehalt des Expatriates in seine einzelnen Bestandteile zerlegt (Holtbrügge (2010), S. 337 ff):  Der Betrag der Einkommenssteuer und der Sozialversicherung setzt sich aus den Steuerzahlungen und dem Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherungsabgaben zusammen.  Unter dem Oberbegriff Wohnen werden die wichtigsten Kosten zusammengefasst, die mit dem Hauptwohnsitz des Mitarbeiters verbunden sind.  Die Höhe des Güter- und Dienstleistungsbetrages setzt sich aus den Ausgaben für Nahrungsmittel, Haushaltseinrichtungen, Kleidung, medizinische Versorgung usw. zusammen.  Unter dem Begriff der Sparrate werden Beiträge zur Bildung von Ersparnissen, Beiträge zur privaten Altersversorgung, Investitionen und Ausgaben für die Erziehung der Kinder und ähnliche Ausgaben zusammengefasst. Marktwert Gehaltsvergleich Leistung Leistungsbeurteilung Stellenwert Stellenbewertung Inlandsgehalt Expatriate Gehalt Lebenshaltungskostenniveau Berechnung Kaufkraftausgleich Vergleichsgehalt Nettovergleichsrechnung Lebensqualität Festlegung Auslandszulage <?page no="338"?> 5.2 Internationale Entgeltfindung 339 Kaufkraftausgleich § 7 Abs. 1 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) besagt, dass wenn die Kaufkraft im Gastland nicht der Kaufkraft im Heimatland entspricht, ist der Unterschied durch Zu- oder Abschläge auszugleichen. Bei Mietzuschüssen und Auslandskindergeldzuschlägen wird kein Kaufkraftausgleich vorgenommen (§ 7 Abs. 1 BbesG). Der Kaufkraftvergleich bildet somit die Basis für die Nettovergleichsrechnung. Er soll gewährleisten, dass Mitarbeiter in vergleichbaren Positionen gleichgestellt sind und ihren gewohnten Lebensstandard halten können. Mit Hilfe der vom statistischen Bundesamt zu veröffentlichenden Teuerungsziffer, wird der Prozentsatz, um den die Lebenshaltungskosten im Gastland höher oder niedriger sind ermittelt (§ 7 Abs. 2 BbesG). Grundlage hierfür ist ein Warenkorb, der sich aus dem Verbrauchsverhalten eines repräsentativen Haushalts aus Deutschland abgeleitet. Zusätzlich zum Warenkorb werden noch besondere Versorgungsmöglichkeiten (Luftgepäck, Speditionen), Pauschalen für langlebige Gebrauchsgüter (Kleidung, Möbel) und Pauschalen für bestimmte Dienstleistungen (Ärzte, Urlaubsreisen) mit einbezogen. Der Kaufkraftzuschlag bezieht sich auf 60 Prozent der Inlandsdienstbezüge und die vollen Auslandsdienstbezüge (§ 7 Abs. 3 BbesG). Formel 1: Berechnung für den Kaufkraftausgleich (Grundbetrag + Auslandszuschlag) x Prozentsatz Kaufkraftausgleich x 60% Die folgende Tabelle 5.13 gibt einen kurzen Vergleich der Lebenshaltungskosten und der Kaufkraftausgleichszulagen. Tab. 5.13: Vergleich der Lebenshaltungskosten und Kaufkraftausgleichszulagen Stadt Staat Lebenshaltungskosten Teuerungsziffer des statistischen Bundesamtes Kaufkraftzuschlag in % Tokyo Japan 108,2 23 30 Rio De Janeiro Brasilien 69,54 10 10 New York USA 88,81 4 5 Berlin Deutschland 100,00 0 0 Paris Frankreich 115,00 7 10 Hongkong China 87,63 4 5 Genf Schweiz 165,11 23 25 Pjöngjang Korea 100,48 12 15 Nairobi Kenia 61,51 5 5 Dublin Irland 122,34 3 5 Quelle: in Anlehnung an Bundesbesoldungsgesetz (2014), Statistisches Bundesamt (2014), Länderdaten (2014) . Probleme bestehen dann, sobald Mitarbeiter aus einem Hochlohnland in ein Niedriglohnland entsandt werden. Analog den Berechnungsaufstellungen des Kaufkraftausgleiches, hätten hier die <?page no="339"?> 340 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Mitarbeiter mit Einbußen ihres Gehaltes zu rechnen. Da dies auf wenig Akzeptanz trifft, wird hier oft von der üblichen Entgeltpolitik abgewichen (Festing (2011) S. 395). Auslandszulagen Die Auslandszulagen sollen die Entsendungsbereitschaft des Mitarbeiters durch finanzielle Anreize fördern und gleichzeitig einen Ausgleich für veränderte Lebens- und Arbeitsbedingungen gewährleisten (Holtbrügge (2010), S. 335). In der Literatur und in der Praxis wird zwischen der Mobilitätszulage und der Erschwerniszulage unterschieden.  Die Mobilitätszulage kann als einmalige Zahlung zu Beginn des Auslandseinsatzes oder als monatlicher Betrag gewährt werden. Die Höhe diese Zulage beträgt bei der monatlichen Zahlung je nach Unternehmen zwischen 5 bis 10% des Nettogehalts.  Die Erschwerniszulage wird zusätzlich zur Mobilitätszulage gewährt und beträgt zwischen 5 und 40% des Nettogehalts (Söllner (2008), S. 395). Die Höhe der Zulage wird durch landesspezifische Faktoren beeinflusst und von jedem Unternehmen selbständig festgelegt (Festing (2011), S. 396) Berücksichtigt werden u.a. Belastung durch Umweltbedingungen, Einschränkungen der Lebensqualität, kulturell bedingte Isolation und Sicherheitsrisiken. Die nachfolgende Tabelle liefert einen Überblick hinsichtlich der Entsendungsländer und die Höhe der Auslandszuschläge (Schmeisser (2010), S. 24). Tab. 5.14: Länderklassifikationen zur Bestimmung von Auslandszulagen Kennzeichen der Ländergruppe Beispiele Auslandszulage (in % des Grundgehalts) A: keine Erschwernis EU- Länder, USA 0 B: geringste Erschwernis Australien, Südafrika, Singapur 5 C: sehr geringe Erschwernis Chile, Türkei, Tunesien 10 D: geringe Erschwernis Argentinien, Malaysia, Marokko 15 E: mittlere Erschwernis Ägypten, Brasilien, Thailand 20 F: mittelgroße Erschwernis GUS, Indien (Städte), Japan, Republik Kongo 25 G: große Erschwernis China (Stadt), Kasachstan, Libyen 30 H: sehr große Erschwernis Iran, Kolumbien, Nigeria, Usbekistan 35 I: höchste Erschwernis China (Provinz), Bangladesch, Indien (Provinz), Mozambique 40 Quelle: Holtbrügge/ Welge (2010), S. 335. Zusatzleistungen Mit den Zusatzleistungen werden Mehraufwendungen des entsandten Mitarbeiters erstattet, die durch die Auslandstätigkeit entstehen (Festing (2011), S. 397). Relevante Zusatzleistungen im Rahmen eines Auslandsaufenthaltes sind Umzugskostenzuschüsse, Mietkostenzuschüsse, Zuschläge für die Kindererziehung sowie zusätzliche Leistungen, die im Nachfolgenden näher beschrieben werden (Festing (2011), S. 397 ff., Holtbrügge (2010), S. 336): <?page no="340"?> 5.2 Internationale Entgeltfindung 341  Der Umzugskostenzuschuss beinhaltet die Reisekosten für den Expatriate und seine Familie sowie Umzugskosten für das Mobiliar oder eine Einrichtungspauschale, wenn der entsandte Mitarbeiter seinen Haushalt im Heimatland zurücklässt.  Der Mietkostenzuschuss wird dem entsandten Mitarbeiter gezahlt, damit dieser in der Lage ist, den Lebensstandard seines Heimatlandes beizubehalten. Dieser Zuschuss wird gewährt, um dem Mitarbeiter Mehrkosten zu erstatten, die ihn im Ausland bezüglich seiner Unterkunft belasten. Zur Berechnung des Mietkostenzuschusses wird in der Praxis oft ein bestimmter Prozentsatz des Nettogehaltes zu Grunde gelegt. Der Mietkostenzuschuss kann im Einzelfall auch umgangen werden. Besitzt das Unternehmen im Entsendungsland Wohnungen, so können diese dem Mitarbeiter zur Verfügung gestellt werden.  Einen weiteren zentralen Bestandteil der internationalen Entgeltpolitik bilden die Zuschläge für die Ausbildung der Kinder. Diese Zuschläge werden u.a. für Schulgeld, Sprachunterricht, Büchergeld und Unterrichtsmaterialien, Einschreibungskosten an der Universität und ähnliches bezahlt. Die Betreuungskosten im Kindergarten werden im Regelfall nur bis zu dem Betrag übernommen, der die anfallenden Kosten im Heimatland übersteigt.  Darüber hinaus können von dem Arbeitgeber weitere zusätzliche Leistungen übernommen werden, die im Wesentlichen die Kosten für Heimflüge, für einen Dienstwagen, für Hausangestellte, für Sprachkurse, für ärztliche Untersuchungen, für Steuerberatungen etc. abdecken. Der Umfang der zusätzlichen Leistungen wird vom Unternehmen selbst festgelegt und erfolgt in Abhängigkeit vom Gastland. Besteuerung Grundsätzlich gilt es zu klären, ob das Einkommen im Heimatland oder im Gastland versteuert werden muss. Dies wird in Abhängigkeit der Ansässigkeit des Expatriates und der Dauer der Entsendung entschieden. In Bezug auf die Besteuerung des Einkommens kommen zwei Prinzipien in Betracht:  Das Wohnsitzprinzip richtet sich die Besteuerung des Einkommens nach dem Land, in dem der Expatriate ansässig ist.  Das Quellenprinzip besagt, dass die Besteuerung sich nach dem Einsatzland richtet. Werden im Unternehmen beide Prinzipien verfolgt, so können u.U. Einkommenssteuern im Heimatland sowie im Gastland anfallen. Um die Doppelbesteuerung zu vermeiden hat die BRD mit über 80 Ländern ein Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen. Dieses Abkommen besagt, dass die Einkommenssteuer in dem Land abgeführt wird, in dem der Mitarbeiter tätig ist. In diesem Fall verzichtet das Heimatland auf die Besteuerung (Festing (2011), S. 400). Liegt kein Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Entsendungsland vor, so kann dies zur Doppelbesteuerung führen. Um diesen finanziellen Nachteil auszugleichen verfolgen multinationale Unternehmen die nachfolgend genannten Prinzipien:  Beim Steuerausgleich zahlt der entsandte Mitarbeiter die gleichen Steuern, die fällig wären, wenn er nicht entsandt worden wäre. Hierfür zieht das Unternehmen von dem Gehalt des Expatriates einen Betrag ab, welcher der Einkommenssteuerlast im Heimatland entsprechen würde. Gleichfalls übernimmt er alle zusätzlichen Steuern im Gastland. Bei diesem Prinzip sind die Transparenz sowie die Vergleichbarkeit für alle Expatriates besonders positiv hervorzuheben (Festing (2011), S. 401).  Bei dem Prinzip des Steuerschutzes wird der Mitarbeiter vor der zusätzlichen Steuerbelastung geschützt, indem der entsandte Mitarbeiter den gleichen Betrag an Einkommenssteuer zahlt, den er im Heimatland zahlen würde. Bei einer steuerlichen Mehrbelastung übernimmt somit das <?page no="341"?> 342 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Unternehmen die Differenz. Liegt hingegen eine steuerliche Minderbelastung vor, so verbleiben jene Steuervorteile beim entsandten Mitarbeiter. Für Expatriates ist dieses Prinzip dann vorteilhaft, wenn sie in Länder mit niedrigen Steuersätzen entsandt werden. In diesem Fall können die Unternehmen jedoch keine Ersparnisvorteile nutzen (Festing (2011), S. 401). Übung 5.4 Erklären Sie das Wohnsitzprinzip und das Quellenprinzip. Sozialversicherungsleistungen Bei der Bestimmung der Entgelthöhe ist die Prüfung der Versicherungspflicht in der deutschen Sozialversicherung (gesetzliche Kranken-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) eine wichtige Aufgabe multinationaler Unternehmen. Vorab ist zu erwähnen, dass Expatriates grundsätzlich im deutschen Sozialversicherungssystem versichert bleiben möchten, denn die Entsendung würde gleichzeitig eine beitragslose Zeit darstellen und dadurch entstehen dem Entsendeten wesentliche Nachteile, insbesondere bei der Altersversorgung. Die Sozialversicherungspflicht wird in Abhängigkeit vom Vorhandensein eines Sozialversicherungsabkommens zur Vermeidung von Doppelversicherungen oder der Entsendung innerhalb der EU ermittelt. In diesem Zusammenhang unterscheidet die Literatur vier verschiedene Fälle:  Zur Bestimmung der Sozialversicherungspflicht gilt in Deutschland das Territorialprinzip. Das bedeutet, der Wohnort ist für die Gewährung der Sozialleistungen maßgebend. Existiert zwischen dem Stammland und dem Gastland kein Sozialversicherungsabkommen, so können Mitarbeiter während ihrer Entsendung nur im Heimatland versichert bleiben, wenn sie im Rahmen eines weiterbestehenden inländischen Beschäftigungsverhältnisses ins Ausland entsendet werden und die Entsendung zeitlich befristet ist (§ 4 SGB IV). Dieses Prinzip wird auch Ausstrahlung genannt.  Besteht zwischen dem Heimatland und dem Gastland ein Sozialversicherungsabkommen, so unterliegen Expatriates nicht der ausländischen, sondern der deutschen Sozialversicherungspflicht. Die nachfolgende Tabelle liefert eine Übersicht der Staaten, mit denen Deutschland ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat. Allerdings ist zu beachten, dass die bilateralen Abkommen nicht alle Bereiche der Sozialversicherungsleistungen abdecken (Festing (2011), S. 404). Tab. 5.15: Sozialversicherungsabkommen 2013 Drittstaaten Australien Bosnien und Herzegowina Brasilien Chile China Indien Israel Japan Kanada Korea Marokko Mazedonien Montenegro Quebec Serbien Türkei Tunesien USA Quelle: in Anlehnung an Bouabba (2014), S. 80.  Wird der Mitarbeiter innerhalb der Europäischen Union beziehungsweise innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes entsandt, so bleibt die Sozialversicherungspflicht des entsandten <?page no="342"?> 5.3 Entgeltvergleich eines Expatriates bei Versendung auf internationaler Ebene in Japan und Südafrika 343 Mitarbeiters im Heimatland während des Auslandsaufenthalts weiterbestehen (Gemäß der EU- Verordnung EWG-VO 883/ 2004).  Bei einer Entsendung in ein vertragsloses Ausland kommt es im Regelfall zu einer doppelten Beitragszahlung. In diesem Fall müssen individuelle Vereinbarungen mit den Sozialversicherungsträgern getroffen werden, um einerseits die doppelte Betragszahlung zu vermeiden, aber die inländische Sozialversicherungspflicht weiter aufrechtzuerhalten (Laudahn (2008), S. 84). 5.3 Entgeltvergleich eines Expatriates bei Versendung auf internationaler Ebene in Japan und Südafrika Tab. 5.16: Vergleich der Einkommen in Form einer Nettovergleichsrechnung bei Entsendung nach Japan und Südafrika Gehaltsbestandteile Japan 146,14 JPY Südafrika 14,19 ZAR Bruttogehalt im Heimatland -Einkommensteuern -Sozialabgaben -Wohnkosten (15%) 125.000 Euro -35.000 Euro -15.000 Euro -18.750 Euro 125.000 Euro -35.000 Euro -15.000 Euro -18.750 Euro Nettoeinkommen Stammland: 56.250 Euro - Sparrate (35 %) 19690 Euro 19690 Euro Konsumeinkommen Euro 5.342.878 JPY Euro 518786 ZAR +/ - Kaufkraftausgleich + Auslandszulage + Sparrate (35%) + Wohnkosten 1.602.863 JPY 1.335.720 JPY 1.870.007 JPY 4.384.200 JPY 25.939 ZAR 25.939 ZAR 279365 ZAR 170280 ZAR Nettoeinkommen im Gastland 14.535.698 JPY 99.464 Euro 1.020.309 ZAR 71.903 Euro +Sozialabgaben (Gastland und Stammland) + Steuern (Gastland) 2.192.100 JPY 11.151.865 JPY 212.850 ZAR 607.377 ZAR Soll-Bruttogehalt im Gastland 27.879.663 JPY (=190.774 Euro) 1.840.535 ZAR (= 129.706 Euro) Quelle: Berechnung in Anlehnung an Holtbrügge/ Welge (2010), S. 338. Bestimmung der Entgelthöhe bei einer Entsendung nach Japan Die Gehaltsbestimmung wurde mit Hilfe der Nettovergleichsrechnung durchgeführt, mit dem Ziel, dass der entsandte Mitarbeiter durch die Entsendung keine finanziellen Verluste erleidet. Ausgangspunkt für die Berechnung ist das Vergleichsbruttogehalt (Jahresgehalt) eines inländischen Mitarbeiters. Von diesem Bruttogehalt wird zunächst die jährliche Steuerbelastung abgezogen, wobei die Höhe der Steuern mit Hilfe der Lohnsteuertabelle und unter Berücksichtigung des <?page no="343"?> 344 5 Aufgaben des Internationalen Personalmanagements - Motivation und Vergütung Werbungskostenpauschalbetrages ermittelt wird. Weiterhin werden die Eigenanteile an den Sozialabgaben sowie an den Wohnkosten abgezogen. Für den Wohnkostenanteil wird eine Pauschale von 15% des Bruttogehaltes angesetzt. Von dem errechneten Nettoeinkommen im Heimatland wird nun die Sparrate in Höhe von 35% abgezogen. Der ermittelte Wert ist das Konsumeinkommen (spendable income), also das verfügbare Einkommen, das dem Mitarbeiter für seinen täglichen Lebensunterhalt im Heimatland zur Verfügung steht. Für die Berechnung des Nettoeinkommens im Gastland werden zum Konsumeinkommen der Kaufkraftausgleich, die Auslandszulage, die Sparrate sowie der Eigenanteil an den Wohnkosten hinzuaddiert. Für die Berechnung des Kaufkraftausgleiches bildet das Konsumeinkommen die Grundlage, fiktiv mit 25% angesetzt. Die Höhe des Auslandszuschlages legen multinationale Unternehmen eigenständig fest und orientieren sich hierbei an der Erschwernisklassifikation des Entsendungslands (siehe Tabelle 14) sowie an erschwerten Bedingungen für den entsendeten Mitarbeiter aufgrund starker Kulturunterschiede, klimatischen Extrembedingungen, starken Umweltbelastungen und weitere Belastungen. Die Mietkosten in Japan sind sehr hoch, aus diesem Grund wurde für die Höhe der Wohnkosten ein monatlicher Betrag von 2500 Euro angesetzt. Zum Nettoeinkommen im Gastland werden die Sozialabgaben und die Steuerbelastung hinzuaddiert. Der Wert der Sozialabgaben im Heimatland und im Gastland ist deckungsgleich, weil der Mitarbeiter aufgrund des geschlossenen Sozialversicherungsabkommens zwischen der BRD und Japan von der lokalen Sozialversicherungspflicht befreit ist. Für die Berechnung der Steuern wurde ein Steuersatz in Höhe von 40% angesetzt, da das jährliche Einkommen über 18.000.000 JPY liegt (http: / / www.finanzen.net/ devisen/ euro-suedafrikanischer_rand-kurs) Das Ergebnis dieser Berechnung ist das Bruttojahreseinkommen, das der Mitarbeiter im Ausland erhält. Um den Mitarbeiter vor starken Wechselkursschwankungen zu schützen, stehen multinationalen Unternehmen zwei Möglichkeiten zur Verfügung, wobei das Wahlrecht beim Expatriate liegt:  Der Mitarbeiter kann wählen, in welcher Währung das Gehalt ausgezahlt werden soll.  Das Gehalt kann in verschiedene Währungen gesplittet werden. Sollten im Heimatland laufende Zahlung anfallen, so ist die Split-Pay-Methode eine gute Wahl. Für die Ermittlung der Gehaltshöhe nach Rückkehr des Mitarbeiters sowie für die Berechnung der Pensionsrückstellungen ist es wichtig, das bisherige Inlandsgehalt mit seinen fiktiven Bezügen als Schattengehalt weiterzuschreiben. Darüber hinaus muss das Schattengehalt an regelmäßige Gehaltserhöhungen und Einnahme höherwertiger Positionen angepasst werden (Festing (2011), S. 392) Bestimmung der Entgelthöhe bei einer Entsendung nach Südafrika Bei einer Entsendung nach Südafrika beträgt die Gehaltssteigerung nur ungefähr 4000 Euro, daher müssen Unternehmen in solchen Fällen weitere materielle und immaterielle Anreize schaf