Amedeo Maiuri und die Griechen oder Das archaische Pompei
0614
2021
978-3-7398-8122-5
978-3-7398-3122-0
UVK Verlag
Wolfram Hoepfner
Auf der Grundlage des zuverlässigen satellitengestützten Planes der Ruinen von Pompei rekonstruiert der Archäologe und Bauhistoriker Professor a.D. Dr. Wolfram Hoepfner die älteste, die archaische Stadtanlage. Schon 1929 hatte Soprintendent Amedeo Maiuri mit Grabungen an der Stadtmauer die Existenz einer griechischen Stadt gleicher Größe nachgewiesen. Heftige Widersprüche - die bis in die Gegenwart den Diskurs beherrschen - beantwortete Maiuri mit saggi stratigrafici, begrenzte Schnitte unter den Laufhorizont des 79 zerstörten Pompei. Mit der Aufdeckung sporadischer Mauern und Böden gelang der Nachweis eines regelmäßigen griechischen Wohnviertels. Die Erschließung weiterer Zusammenhänge lässt nun sogar die Struktur der gesamten griechischen Stadt erkennen, die unter den Koloniestädten jener Zeit in Unteritalien kein Fremdkörper ist. In 18 Kapiteln des vorliegenden Buches werden Areale für öffentliche Bauten, die Agora in der Stadtmitte, Heiligtümer an den Seiten sowie Wohnbezirke mit Wohnhäusern erschlossen, und auch das Problem der sogenannten "Altstadt" eruiert, das Pompei-Kennern seit fast hundert Jahren Rätsel aufgibt.
<?page no="0"?> Wolfram Hoepfner Amedeo Maiuri und die Griechen oder Das archaische Pompei Konstanzer Althistorische Vorträge und Forschungen Herausgegeben von Wolfgang Schuller Heft 54 <?page no="1"?> Plan 3 Der Ausschnitt zeigt farblich differenziert die Funktionsbereiche von Pompei: die sogenannte ‚Altstadt‘ mit Apollon-Heiligtum, den nordwestlichen Wohnbezirk, den östlichen Wohnbezirk und den öffentlichen Bereich mit Agora und mit seitlichen Heiligtümern auf der Grundlage des stellitengestützten Planes der Ruinen (Zeichnung Verf. 2020). 53122_Hoepfner_Vorsatz.indd 2 53122_Hoepfner_Vorsatz.indd 2 19.05.2021 11: 22: 33 19.05.2021 11: 22: 33 <?page no="2"?> Der Ausschnitt zeigt farblich differenziert die Funktionsbereiche von Pompei: die sogenannte ‚Altstadt‘ mit Apollon-Heiligtum, den nordwestlichen Wohnbezirk, den östlichen Wohnbezirk und den öffentlichen Bereich mit Agora und mit seitlichen Heiligtümern auf der Grundlage des stellitengestützten Planes der Ruinen (Zeichnung Verf. 2020). 53122_Hoepfner_Vorsatz.indd 3 53122_Hoepfner_Vorsatz.indd 3 19.05.2021 11: 22: 33 19.05.2021 11: 22: 33 <?page no="3"?> Wolfram Hoepfner Amedeo Maiuri und die Griechen oder Das archaische Pompei Xenia Konstanzer Althistorische Forschungen Herausgegeben von Wolfgang Schuller Heft 54 <?page no="4"?> Abb. 1 Als die Fratelli Alinari um 1890 die Vesuv-Strasse in Pompei fotografierten, ahnte niemand, dass ein-Meter unter dem Pflaster eine der drei Hauptstrassen einer archaischen griechischen Stadtanlage verläuft (Foto nach G. Hübner (ed.), Neapel und die Küste. Bilderhefte des 19. Jahrhunderts aus dem Archiv Alinari (1983 Verlag Ernst Wasmuth Tübingen) 9. <?page no="5"?> Wolfram Hoepfner Amedeo Maiuri und die Griechen oder Das archaische Pompei UVK Verlag · München <?page no="6"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © UVK Verlag 2021 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz CPI books GmbH, Leck Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de ISSN 1619-6554 ISBN 978-3-7398-3122-0 (Print) ISBN 978-3-7398-8122-5 (ePDF) <?page no="7"?> 5 Zur Erinnerung an Wolfgang Schuller als Herausgeber der XENIA-Reihe Wolfgang Schuller, ich darf sagen mein Freund und Mentor Wolfgang Schuller, starb in der Nacht zum 4.- April 2020 in der Klinik in Konstanz an einer Infektion, die er von einer Reha-Klinik in Bayern mitgebracht hatte. Meine Nachricht mit Widmung und dem ersten Kapitel dieses Buches, das er sich noch gewünscht hatte, traf am selben Tag in Konstanz ein, erreichte ihn aber nicht mehr. Ich glaube, es hätte ihm gefallen, denn in diesem Kapitel geht es darum, Amedeo Maiuri, dem Soprintendenten von Kampanien, der sich viele Jahre grobe Kritik gefallen lassen musste, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wolfgang Schuller hatte ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsbewusstsein. Sein Jurastudium mag dafür eine Rolle gespielt haben. Ein Blick auf die von ihm herausgegebene Reihe XENIA (Xenia bedeutet Gastgeschenk) zeigt nicht nur die Vielseitigkeit und die archäologischen Interessen des Herausgebers, sondern auch Wolfgang Schullers Wertschätzung der Arbeiten jenseits des eisernen Vorhangs. Kollegen, die Wissenschaft ohne Bücher und ohne Aussicht auf Anerkennung betreiben mussten, lud er zur Diskussion und zur Arbeit nach Konstanz ein und sorgte für Veröffentlichung in den XENIA-Heften. Gleich den ersten Band füllte Iurj G. Vinogradov 1981 mit der Geschichte einer griechischen Stadt am Schwarzen Meer. Im siebten Band berichtet Wolfgang Zeev-Rubinsohn 1983 über die sowjetische Geschichtsschreibung und in Band 14 (1985) schreibt Otar Lordkipanidze über Georgien und das alte Kolchis. Zwei Bände weiter behandeln mehrere Verfasser Die bulgarische Schwarzmeerküste im Altertum (Band 16, 1985). 1987 berichtet Alexander Podossinov über Ovid als Quelle für die Geschichte des Schwarzmeergebiets. Pavel Oliva, tschechischer Althistoriker und Überlebender des Holocaust, schrieb 1988 in Band 20 über Solon - Legende und Wirklichkeit. Mit Band 22 erhielt der Althistoriker Robert Werner, der Gefangenschaft und danach Vertreibung erlitten hatte, bevor er als Althistoriker erfolgreicher Hochschullehrer wurde, eine Festschrift von Jürgen von Ungern-Sternberg. In Band 25 schreiben 1990 mehrere Verfasser über Histria, eine Griechenstadt an der rumänischen Schwarzmeerküste. Zajcev nennt 1993 in Band 39 seine Studie Das griechische Wunder. Die Geburt der griechischen Zivilisation. In Band 37 behandelt der polnische Althistoriker Ryszard Kulesza 1995 das Thema Bestechungen im politischen Leben Athens. Nach der ‚Wende‘ und dem Zerfall der Sowjetunion werden die Verfasser aus dem Osten und Südosten Europas seltener. Aber es sollte noch erwähnt werden, dass der Herausgeber Schuller mit Freude jüdischen Kollegen das Wort erteilte. Als Band 51 erschien 2019 in Übersetzung des Herausgebers die vortreffliche 1939, vor Beginn des 2. Weltkriegs angefertigte Magisterarbeit von Iza Bie Ż uńska (Warschau) über Die Frau im griechischrömischen Ägypten, eine Arbeit, die auf der schwierigen Interpretation von Papyri beruht. Wolfram Hoepfner während eines lockdown (Covid 19) im Januar 2021 Dank Für Abbildungen danke ich Umberto Papalardo (Neapel) und der Münzsammlung SMPK (Berlin). Arno Kose hat freundlicherweise Korrektur gelesen. Ich verdanke ihm wertvolle Verbesserungen. Uta Preimesser vom UVK Verlag sage ich herzlichen Dank für die Zusammenstellung der Titel der XENIA-Hefte und vor allem für ihr persönliches Engagement bei der schnellen Realiserung dieses Bandes, dessen Thema mich seit meinen Vorlesungen und Seminaren am Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität Berlin beschäftigt hat. <?page no="9"?> 7 Inhalt Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Resumée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Kapitel 1: Neue Forschungen in Pompei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Kapitel 2: Amedeo Maiuri e i Greci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Kapitel 3: Maiuris saggi stratigrafici . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Kapitel 4: Pappamonte-Tuff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Kapitel 5: Die Samniten und die Pappamonte-Mauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Kapitel 6: Rekonstruktion der archaischen griechischen Stadtanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Kapitel 7: Masse und Genauigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Kapitel 8: Poseidonia und Pompei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Kapitel 9: Griechische Häuser und Hausmauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Kapitel 10: Die sogenannte ‚Altstadt‘- eine Hafensiedlung auf Zeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Kapitel 11: Einschub: Die Gründung der Kolonie Kyrene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Kapitel 12: Schwierige Stadtgründung in Pompei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Kapitel 13: Dugouts: Provisorische Wohngruben und Hütten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Kapitel 14: Die grosse Pompé in Pompei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Kapitel 15: Katastrophe, Ansätze eines Wiederaufbaus und dann Auszug der Griechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Kapitel 16: Die Casa III,4,b des Heraklespriesters Pinarius im Wohnbezirk Ost . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Kapitel 17: Frühhellenistische Banketträume sind Beweis für griechische Bauherren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Kapitel 18: Pyrrhos in Kampanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Pläne 1-3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 <?page no="10"?> 8 Abkürzungen a.-C. = v.-Chr. oder v.-u.-Z. P. Arthur 1986 = P. Arthur, Problems of the Urbanisation of Pompeii, in: The Antiquaries Journal 66, 1 1986, 29-44 Avagliano 2018 = Alessandra Avagliani, Le origini di Pompei. La città tra il VI e il V secolo a.-C. ( Leuven 2018 ) D’Ambrosio - De Caro 1989 = D’Ambrosio - S. De Caro, Un contributo all‘architettura e all‘urbanistica di Pompei in età ellenistica. I saggi nella casa VII, 4,62, in: Annali. Archeologia e storia antica 11, Napoli 1989, 173-216 mit Fig. 29-36 De Caro, Fortificazione 1985 = S. De Caro, Nuove indagini sulle fortificazioni di Pompei, AION 7, 1985, 75-112 Eschebach 1982 = H. Eschebach und Mitarbeiter, Die Casa di Ganimede in Pompeji VII,13,4. RM 89, 1982, 229-436 mit Taf. 81-137 Eschebach und Eschebach 1995 = H. Eschebach und L. Eschebach, Pompeji vom 7. Jahrhundert v.-Chr. bis 79-n.-Chr. (Köln, Weimar, Wien 1995) Fulford - Wallace-Hadrill 1999 = S. Fulford - A. Wallace-Hadrill, Towards a history of the pre-roman Pompei. Excavations beneath the House of Amarantus (I.9.11-12), 1995-1998, BSR 67, 1999, 37-109 Greco 1996 = E. Greco, Archeologia della Magna Grecia (3. Aufl. Roma 1996) Gruben 2001 = G. Gruben, Griechische Tempel und Heiligtümer (5. Auflage München 2001) Hoepfner - Schwandner 1994 = W. Hoepfner - E.-L. Schwandner, Haus und Stadt im klassischen Griechenland (München - Berlin 1994) Hoepfner 1999 = W. Hoepfner und Mitarbeiter, Die Epoche der Griechen, in: W. Hoepfner (ed.), Geschichte des Wohnens I. 5000 v.-Chr. - 500 n.-Chr. 123-608 (Stuttgart 1999) Kockel 1986 = Grosser Forschungsbericht in AA 1986, 443-569; zum vorrömischen Pompeji 544-545; zur Urbanistik 545-547 Lebensbilder 2 = G. Brands - M. Maischberger, Forschungs Cluster 5. Klassische Archäologen und der Nationalsozialismus (2016) Maiuri Fortificazione 1930 = Studie e ricerche sulla fortificazione di Pompei, Monumenti antichi 33, 1929, 113-290 Maiuri 1973 = A. Maiuri, Alla ricerca di Pompei preromana: Saggi stratigrafici (Napoli 1973) Maiuri 1954 = A. Maiuri, Saggi di varia antichità (Venezia 1954) Maiuri Poseidonia e Pompei = A. Maiuri, Poseidonia e Pompei, in: Maiuri 1954, 79-96 Mertens 2006 = D. Mertens, Städte und Bauten der Westgriechen (München 2006) Mertens 1993 = D. Mertens, Der alte Heratempel in Paestum. Sonderschriften des DAI Rom (Mainz 1993) Murray 1982 = O. Murray, Das frühe Griechenland. DtV Geschichte der Antike (München 5. Aufl. 1982) Neue Forschungen 1975 = B. Andreae und H. Kyrieleis, Neue Forschungen in Pompeji (Recklinghausen 1975) Nissen 1877 = H. Nissen, Pompejanische Studienzur Städtekunde des Alterthums (1877) Nuove ricerche 2005 = Nuove ricerche archeologiche a Pompei ed Ercolano: Atti del Convegno Internazionale, Roma 2002 Nuove ricerche 2009 = P. G. Guzzi - M. P. Guidobaldi (ed.), Nuove ricerche archeologike nell’area vesuviana (scavi 2003 - 2006), Atti del Convegno Internazionale, Roma 2007, Studi della soprintendenza archeologica di Pompei 25 NSA = Notizie degli Scavi di Antichita Pompei e i Greci, Catàlogos 2017 = M. Osanna - C. Rescigno (ed.), Pompei e i Greci, Ausstellung in Pompei 2017 Rileggere I 2006 = F. Coarelli - F. Pesando (ed), Rileggere Pompei I (2006) Spinazzola 1953 = V. Spinazzola, Pompei alla luce degli scavi nuovi di via dell’Abbondanza anni 1910-1923 I-II (Roma 1953) Tommasino 2004 = E. Tommasino, Oltre lo sterro. Scavi stratigrafici inediti nelle domus pompeiane (1900-1962), in: Revista di Studi Pompeiani XV, 2004, 15-49 <?page no="11"?> 9 Resumée Thema dieses Buches ist die Rekonstruktion der ältesten, der griechischen Stadt in Pompei, deren Existenz der Soprintendent Amedeo Maiuri schon 1929 mit Grabungen an der Stadtmauer bewiesen hatte. Heftige Widersprüche beantwortete er mit saggi stratigrafici. Bei diesen begrenzten Schnitten unter den Laufhorizont des 79 zerstörten Pompei kamen tatsächlich Mauern und Funde eines ältesten Pompei ans Licht. Rückblickend ist der Verfasser selbst erstaunt darüber, dass es gelungen ist, in diesen sporadischen Mauern und Böden eine Stadtanlage des frühen 6. Jahrhunderts a. C. zu erkennen, die unter den Koloniestädten der archaischen Zeit in Unteritalien kein Fremdkörper ist. In 18 Kapiteln werden Städtebau, Wohnbezirke, öffentliche Bereiche und die Wohnhäuser auf 270 m 2 grossen Parzellen erschlossen. Der Verlauf des grossen religiösen Fest- Abb. 2 Rekonstruktionsskizze des archaischen griechischen Pompei mit wesentlichen, im Text erwähnten Monumenten (Verf.2020). 1 Apollon-Tempel 2 dugouts - Wohngruben 3 pre-house occupation 4 Stadtmauer Turm XI. Grabung Maiuri 5 Stadtmauer Turm II. Grabung De Caro 6 Dorischer Tempel 7 Grosses Fundament. Tempel? 8 Fundament. Tempel? 9 Versammlungsbau? 10 Grab des Oikisten 11 griechischer oikos 12 griechischer oikos 13 Wandbild pompé 14 frühhellenistische Banketträume 15 frühhellenistischer Bankettraum 16 Haus des Herakles-Priesters Pinarius Die Planungen und Baugedanken der Architekten müssen aufgesucht werden, auf dass mit Hilfe der Phantasie aus den Trümmern die erste Schönheit wiedererstehen kann. Friedrich Matz 1949/ 50 <?page no="12"?> 10 Resumée zuges, einer Pompé, die der Stadt ihren Namen gab, ist im Gefüge der Stadt sicher zu erkennen. Wie meinen Kollegen hat auch mir das Problem ‚Altstadt‘ lange Zeit Kopfzerbrechen bereitet. Heute bin ich mir sicher, dass diese ‚Altstadt‘ keine eigentlich alte Stadt ist und nur mit besonderen Umständen während der Stadtgründung zu erklären ist (Kap. 8, 9 und 10). Offene Fragen gibt es nach wie vor. Woher kamen die ersten Siedler? Spielt bei der Lösung dieser Frage die auffallende Ähnlichkeit der Stadtanlagen von Poseidonia und Pompei eine Rolle? Damit ist vor allem eine riesige, von Tor zu Tor reichende öffentliche Zone gemeint, die andernorts in dieser Konsequenz nicht begegnet. Dieter Mertens hat seinem Buch Städte und Bauten der Westgriechen, in dem er die Forschungsergebnisse bis 2006 mit anschaulichen Plänen und Texten dokumentierte, im Nachsatz eine Karte von Unteritalien abgedruckt, in der die Lage der Orte Kyme, Pithekoussai, Neapel, Pompeii und Poseidonia zueinander ablesbar ist. Die Entfernung zwischen Poseidonia und Pompei beträgt etwa 70 km. Das war bei Benutzung der Küstenstrasse kaum schneller als in drei Tagen zu schaffen. Abb. 3 Karte von Kampanien (nach Mertens 2006) <?page no="13"?> 11 Kapitel 1: Neue Forschungen in Pompei Studi della Soprintendenza archeologica di Pompei - Rileggere Pompei Im Jahr 2000 hat die Soprintendenza archeologica di Pompei ein Forschungsprogamm Rileggere Pompei. Nuove richerche archeologike nell’area vesuviana begonnen. Wie schon der Name verrät, geht es nicht um grossflächige neue Ausgrabungen, sondern darum, dem heutigen Stand der Grabungstechnik entsprechend Geschichte und Entwicklung früher ausgegrabener Häuser erneut zu untersuchen. Maiuris Forschungsprogramm der saggi wird fortgesetzt. Der Band Rileggere Pompei I, in dem die Teil-Insula VI,10 neu untersucht wird, erschien 2005. Als Herausgeber zeichnen Filippo Coarelli und Fabrizio Pesando. In ihrem gemeinsamen Vorwort schildern sie Ziele der neuen saggi. Besonders hervorgehoben wird der Fund einer ersten attischen Scherbe des 6. Jahrhunderts mit eingeritzten Buchstaben (Versalien) des griechischen Alphabets im Haus VI,10, 4 (Abb 4). Im letzten Satz einer Avvertenza p. 22 heisst es: Il titulo Rileggere Pompei vuole chiarire gli intendimenti di una serie di ricerche rivolte da un lato a pubblicare scientificamente vecchi scavi inediti di Pompei (a partire della Regio VI), dell‘altro ad esplorare le fasi più antiche della città, rimaste finora poco conosciute. Die in Pompei tätigen in- und ausländischen Institutionen nehmen am Projekt Rileggere Pompei teil. Im Abstand von etwa drei Jahren organisiert die Soprintendenza Kolloquien, an denen die Projekt-Teilnehmer ihre Ergebnisse vortragen und zur Diskussion stellen. Die Vorträge werden gedruckt, und bis heute sind mehrere Bände erschienen. Pompei e i Greci Das ist der Titel des Katalogbandes zur gleichnamigen Ausstellung Pompei e i Greci, die im Herbst 2017 in der grossen Palaestra gezeigt wurde. Auf 500 Seiten beleuchten der Soprintendente Massimo Osanna, seine Kollegen und weitere Spezialisten das Thema aus jeder nur möglichen Perspektive. Pompei wird in erster Linie als das Ergebnis einer von griechischer Kultur faszinierten multi-ethnischen Bevölkerung gesehen. 2 Zeugnisse griechischer Kultur der Frühzeit seien oft solche der Adaptation griechischer Kultur. Das gilt natürlich besonders für Orte in der Umgebung Pompeis, wo Ausgrabungen sehr erfolgreich waren. 3 Zwei Artikel betreffen Schrift und Sprache. Oskische und etruskische und wenige griechische Graffiti und Inschriften lassen - so die Verfasser - nicht auf frühe Herrschaft einer Gruppe schliessen. Ich erinnere an einen Aufsatz über Pompei von Paul Arthur von 1986. Er sprach von einer kulturellen Mischung aus Einheimischen, Etruskern und coastal greeks, vom vorteilhaften gegenseitigen Handel (Pompei as a port of Abb. 4 Scherbe eines Tellers mit eingeritzten griechischen Versalien gefunden unter der Garküche bei VI,10,4 (Skizze nach Foto in Rileggere I 2005) <?page no="14"?> 12 Kapitel 1: Neue Forschungen in Pompei trade) und von der Bedeutung der gemeinsamen Heiligtümer an Flussmündungen. 4 Und Andrew Wallace-Hadrill betonte in einem Kongressbericht that one of the cultural characteristics of the city is the complexity of its ethnic history. 5 Er wandte sich gegen die Theorie, dass aus dem häufigen Vorkommen von oskisch und etruskischer Bucchero-Ware auf eine Dominanz der Etrusker in der Frühzeit geschlossen werden könne. Sicher sei nur, dass es im 6. Jh. in Pompei Personen gab, die Oskisch und Etruskisch in Sprache und Schrift beherrschten. Das alles ist sicher richtig, bedeutet aber nicht, dass Maiuris Theorie von Griechen als Gründer der Stadt auf der Lavascholle falsch sein muss. Denn er stützt sich nicht zuletzt auf städtebauliche Fakten. Kleine und grosse Funde, Gefässe, Schmuck und andere Kunstwerke konnten von Jedermann erworben werden, Subalterne konnten Graffiti in ihrer Sprache kritzeln, aber ein griechischer Stadtplan wurde nur von Griechen für Griechen entworfen und gebaut (p. 30). Dieser Auffassung schliesse ich mich an. Le origini di Pompei Im neuesten Programm Grande Progetto Pompei (GPP) nennt der Generaldirektor Massimo Osanna die Ruinenstadt einen lebendigen Organismus, dessen Erhaltung und für dessen Funktionieren hunderte Spezialisten vieler Fachrichtungen tätig sind. 6 Für die Frühzeit der Stadt gibt der Band von Alessandra Avagliano, Le origini di Pompei. La città tra il VI e il V secolo a.C. (Leuven 2018) einen viel gelobten und ausführlichen Überblick über die zahlreichen Theorien zur Stadtentwicklung. Sie weist als erste auf die Ähnlichkeit der Stadtpläne von Poseidonia und Pompei hin. 7 The Tomb of the Founder Emanuele Greco hat in Poseidonia 2014 mit Blick auf das Grab des Oikisten die Frage nach den Ursprüngen von Poseidonia neu gestellt. 8 Erst vor wenigen Jahren kamen auch dort Reste eines archaischen griechischen Hauses der Gründungszeit ans Licht (p.-47). Gabriel Zuchtriegel schreibt 2018 in der Einleitung seines Buches über die um 600 a. C. gegründete grösste lukanische Stadt, dass es dort im 5. Jh. a. C. neue Bestattungssitten gab, dass im 4. Jh. offzielle Dokumente in Oskisch geschrieben wurden, und dass die griechisch sprechenden Bewohner trotzdem weiter in Poseidonia lebten, wie Graffiti und Inschriften zeigen. 9 Sollte uns das für Pompei zu denken geben? <?page no="15"?> 13 Kapitel 2: Amedeo Maiuri e i Greci Biographie Amedeo Maiuri wurde am 7.1.1886 in Veroli, einer 90-km von Rom entfernten Kleinstadt in der Region Latium geboren. 10 Er besuchte eine Eliteschule in Rom und studierte ebendort an der Universität La Sapienza. In der erstaunlich langen Liste seiner Studienfächer standen Griechisch, griechische Geschichte und Philosophie, allgemeine Kunstgeschichte und auch Kunstgeschichte der byzantinischen Zeit. Mit Kenntnissen gerade in diesen Fächern war Maiuri bestens gerüstet für das Leben, das ihn nach Griechenland führte und das ihn auch in Italien mit griechischen Problemen konfrontierte. Der vielseitig begabte junge Mann, der später auch als Philologe hervortrat, bewährte sich zunächst bei Ausgrabungen in Gortyn auf Kreta, an denen er auf Empfehlung seines Lehrers Frederico Halbherr teilnahm (Ausonia VI, 1911, 7ff.) 11 . Im selben Jahr 1911 eröffnete die italienische Regierung unter Giovanni Giolitti einen Krieg gegen die Türkei und besetzte - unter Billigung der Grossmächte - zunächst Libyen. Die Schwäche des Osmanischen Reiches nutzend brachte Italien im folgenden Jahr Rhodos, Kos und die dortigen kleinen Inseln vor der Küste Kleinasiens unter seine Kontrolle. Maiuri scheint sich bereits unter den ersten Militärs befunden zu haben, die am 4. Mai 1912 im Hafen von Rhodos landeten und in wenigen Tagen die Inseln, die sie Dodekanes nannten, in ihren Besitz brachten. 12 Nur wenige Türken auf Rhodos leisteten Widerstand. General Giovanni Ameglio war der erste militärische Verwalter der Dodekanes, und nach Rückkehr von einer Reise nach Rom konnte er, ausgestattet mit allen Vollmachten, ohne Einschränkung die ‚Italienisierung‘ der Inseln und ihrer Bewohner durchsetzen. Darunter litt vor allem die bäuerliche griechische Bevölkerung: Enteignung von Grundbesitz zugunsten italienischer Kolonisten. Später wurde Italienisch sogar Amtssprache und Pflichtfach in allen Schulen. Mit Gesetz vom 23.11.1914 (der Weltkrieg hatte begonnen) wurde unter Mitwirkung von Maiuri beschlossen: - Ausgrabungen in Ialysos, - Gründung des Archäologischen Museums in Rhodos Stadt, - Bauaufnahme und Herrichtung des Hospitals der Johanniter-Ritter zur Aufnahme des geplanten Museums und - Rekonstruktion der Herberge der Italiener in der Ritterstrasse. 13 Maiuri war Gründer und Direktor des Museums, das die vielen wertvollen Funde der neuen Ausgrabungen aufnahm. 1916, mit 30 Jahren wurde er zum Soprintendent der Altertümer und Konservator der Monumente der Dodekanes ernannt. Maiuri war Mitbegründer und Mit- Verfasser der Reihe Clara Rhodos. Studi e materiali publicati a cura dell‘Istituto storico-archeologico di Rodi, von der von 1928 bis 1942 zwölf Bände erschienen. Die Aktivitäten Maiuris auf den Dodekanes sind estaunlich an Zahl und Umfang. Er war ein ausgezeichneter Organisator, der Fachleute, Ingenieure, Steinmetzen und Betonfachleute fand und an mehreren Stellen gleichzeitig einsetzte. Propagandistisch wirksam im Sinn der faschistischen Ideologie war die Wiederaufrichtung von Säulen und ganzen Monumenten. Die heutigen Touristen-Magnete auf Rhodos, die Akropolis der Stadt, die Grabungen in Kamiros und das Terrassenheiligtum der Athena in Lindos sind damals rekonstruiert worden. Das geschah alles in Eile, so als käme es darauf an, in kurzer Zeit sehenswerte Ergebnisse zu präsentieren. Und obwohl die aufgerichteten Ruinen ebenso wie die von Faschisten errichteten neuen Bauten bald Altersschwäche zeigten, geniesst Maiuri, der sich nie in Uniform zeigte und der sich nie abfällig über Griechen äusserte, noch heute bei den griechischen Archäologen grosse Sympathien. In den historischen Räumen der Ritterstrasse und in denen am Argyrokastro Platz (benannt nach G. Konstantinopoulos) 14 hatte Maiuri ein archäologisches Institut mit einer Bibliothek geschaffen, die dank der dort gehaltenen internationalen Zeitschriften noch heute zu den guten in Griechenland gehört. Drahtzieher der Ausweitung der italienischen Interessen auf das Festland war Alessandro della Seta, seit 1919 Direktor der Italienischen Schule in Athen. Mit markigen Worten bezeichnete er Landschaften im Süden und Westen Kleinasiens als Einflussgebiete der italienischen Archäologie. 15 <?page no="16"?> 14 Kapitel 2: Amedeo Maiuri e i Greci Amedeo Maiuri nahm 1922 am militärischen Abenteuer der Italiener in Kleinasien teil und setzte schon in der Nähe von Marmaris den Spaten an. Maiuri war ein objektiver Wissenschaftler, der keine bevorzugte Untersuchung römerzeitlicher Monumente erlaubte. Mussolinis Träume vom italienischen Besitz in Kleinasien liessen sich nicht verwirklichen, aber immerhin beschlossen Grossbritannien, Frankreich, Italien, Japan und andere Länder 1923 im Vertrag von Lausannes, die Dodekanes im Besitz Italiens zu belassen. Die Grossmächte, auch Frankreich und Grossbritannien, hatten sich gegenseitig Territorien im Nahen Osten zugesprochen. Der Türkei gelang es jedoch unter Führung von Mustafa Kemal (Atatürk) die Zerstückelung Kleinasiens aufzuhalten. In Italien wurden die reichen Ergebnisse von Maiuris Arbeit auf den Dodekanes anerkannt. Der Lohn blieb nicht aus: 1924 (Mussolini war bereits Diktator) wurde Maiuri zum Soprintendenten im heimatlichen Kampanien ernannt. Sein Vorgänger Vittorio Spinazzola, der in Pompei die Ausgrabung, Erforschung und Konsolidierung der Häuser in und an der Via dell’Abbondanza durchführte, war wegen Kritik am politischen System in Ungnade gefallen. Weil die Regierung der Archäologie auch in der Heimat einen hohen Stellenwert beimass, war auch Maiuris neues Amt mit grossen finanziellen Mitteln ausgestattet und erlaubte Ausgrabungen und Konservierungsmassnahmen in Pompei und die Wiederaufnahme der Arbeiten in Herculaneum. Prachtpublikationen zeugen von dieser Periode. Maiuri führte die ihm anvertrauten archäologischen Stätten durch die Wirren der Kriegszeit und musste 1943 einen Hagel von 163 Bomben auf Pompei erleben. Bomben schlugen neben der wichtigen Ausgrabung in Regio VI,10,6 ein 16 , und fünf Bomben trafen das Museum. 17 Der Soprintendent initiierte ein Sofortprogramm zum Wiederauf bau der zerstörten Ruinen. In den beiden letzten Kriegsjahren nach Mussolinis Sturz und dem Seitenwechsel Italiens nach der Landung der Alliierten musste zunächst mit Repressalien der einstigen Verbündeten gerechnet werden. Die archäologischen Stätten blieben glücklicherweise unbehelligt. Von Maiuri sind keine politischen Bekenntnisse bekannt. Anders als manche Kollegen war er viel zu klug, um sich als Sympathisant der faschistischen Regierung zu bekennen. Er nutzte die reichlichen Geldmittel für grosse Forschungsprogramme und aufwendige Publikationen. Maiuri war ein korrekter Verwalter des ihm anvertrauten Kulturgutes und - wie berichtet wird - auch ein Beschützer der dort arbeitenden Menschen in den letzten Abb. 5 Amedeo Maiuri im Juli 1961 in Pompei während eines Interviews für das Magazin National Geographic (Foto CISP - Pompei). <?page no="17"?> 15 Kapitel 2: Amedeo Maiuri e i Greci Kriegsjahren, als die deutschen Faschisten auch in Italien Juden verfolgten. Nach dem Krieg wurde Maiuri von der Republik Italien in seinem Amt bestätigt. Pompei wurde um 1950 mehr als je zuvor ein internationales Zentrum der archäologischen Wissenschaft. 1960, mit 75 Jahren wurde der verdienstvolle Soprintendent pensioniert und mit internationalen Ehrungen gewürdigt (Abb 5). Diese galten sowohl der Person als auch dem wissenschaftlichen Œuvre, das neben zahlreichen Monographien mehr als 300 Aufsätze umfasst. Als Maiuri 1965 posthum eine Festschrift erhielt, trug diese den Titel I archeologi Italiani in onore di Amedeo Maiuri. Ein deutscher Beitrag war nicht darunter. Maiuri starb 1963 in Neapel. In einem Nachruf im Jahrbuch der deutschen Akademie der Wissenschaften (Berlin DDR 1963) beschrieb Carl Blümel die Periode unter Maiuris Direktion und Direktive in Kampanien zutreffend als Zeit intensiver, exakter und ideenreicher Arbeit. 18 2017 erschien eine Biographie: Amedeo Maiuri: Una vita per l’archeologia. Herausgeber Umberto Pappalardo, Verfasser Rosaria Ciardiello und Laura Del Verme. (Das Buch ist mir leider nicht zugängig. Vgl. auch U. Pappalardo, Amedeo Maiuri, Difesa di un Archeologo in: Archeologia Viva, 2015). Stadtmauer-Grabungen - Der archaische grosse Mauerring A. Maiuri, Studi e ricerche sulla fortificazione di Pompei, Monumenti Antichi 33, 1929, 112-275. Zwei Jahre nach seiner Ernennung zum Generaldirektor in Pompei begann Amedeo Maiuri 1926 weiträumige Untersuchungen an der Stadtmauer. Der erfahrene Ausgräber sah sich mit einer zunehmend schwierigen Aufgabe konfrontiert, denn die so einheitlich wirkende und dominierende Stadtmauer der samnitischen Zeit mit gut erhaltenen Türmen in regelmässigen Abständen hatte Vorläufer, von denen bei Ausgrabungen Reste zu Tage kamen. Maiuri begann seine Untersuchungen an der höchsten Stelle der nach Südosten geneigten Lavascholle, fast Abbb. 6 Plan der Grabungen von Maiuri am Turm XI der Stadtmauer. Die vorsamnitischen Mauern sind mit A und f bezeichnet (nach Monumenti Antichi 29,1933). <?page no="18"?> 16 Kapitel 2: Amedeo Maiuri e i Greci 50- m über dem Meeresspiegel bei und zwischen den beiden Stadttoren Porta di Erculano und Porta Vesuvio (Plan 1 .2). Die wichtigen und komplizierten Ergebnisse publizierte er ausführlich mit Zeichnungen und Fotografien in Monumenti Antichi 33, 1929 p. 112-275 mit Tafeln I bis XII. Die Untersuchungen am Turm 11 (Abb 6) nahmen viel Zeit in Anspruch, weil es galt, die Mauerreste in einen entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang zu bringen. Die älteste Phase der präsamnitischen Stadtmauer sind am schlechten Baumaterial zu erkennen: schwärzlicher Pappamonte-Tuff, aus dem die Lavascholle besteht. In Maiuris Zeichnung sind die murazione presannitica mit A und A‘ gekennzeichnet. Es zeigte sich, dass die samnitische Mauer des 4. Jahrhunderts bei Einhaltung der gleichen Richtung um etwa 1 m bis 2-m zurückgesetzt worden war. Aussen vor dem späten Turm kamen zwei Schichten verwitterter Quader ans Licht, die Maiuri in seiner Zeichnung mit f - f' kennzeichnete, und die er in der Legende Platea (Platte) di pietra lavica nannte. Das ist das Fundament der ältesten Mauer des 6. Jahrhunderts. Auch an der 120 m weiter östlich gelegenen Porta Vesuvio fand Maiuri an mehreren Stellen Teile der präsamnitischen Mauer. Besonders bemerkenswert ist die Entdeckung eines 3,65 m hoch erhaltenen Abschnittes (Abb 7) in der Technik opus implectum (Vitruv 2,8,7). Bei dem zweischaligen Mauerwerk wechseln Orthostaten mit tiefen und flachen Binderschichten. Ungewöhnlich sind schmale Binder, die bei den horizontalen Schichten auf jeden dritten Orthostaten folgen. Sie dienten wie die vertikalen Binder der Stabilität der Mauer. Maiuri hat in seiner Zeichnung die Masse der Steine eingetragen, um zu zeigen, dass es sich nicht um ein regerecht isodomes Mauerwerk handelt, sondern um eine tendenza alla isodomia und einer fortificazione presannitica conservato con assoluta certezza und einer struttura muraria greca (p. 178). Beweis waren stratigraphisch gesicherte Funde. Einen sehr überzeugenden Vergleich zu diesem bemerkenswerten Abschnitt der ältesten Stadtmauer bietet die Stadtmauer von Phokaia in Ionien (Abb . 8): Der dort von Ömer Özyigit ausgegrabene Abschnitt betrifft einen 5 m starken Turm mit Tor und eine 2,50 m starke Kurtine. 19 Konstruktion und Struktur gleichen mit flachen Binderschichten im Wechsel mit Orthostaten der Stadtmauer in Pompei. Auffallend ist in beiden Fällen auch die Neigung einer äusseren Schale. Die von den Persern im Jahr 546 a. C. erfolgte Zerstörung der Stadtmauer in Phokaia (Herodot, Historien I, 162ff.) konnte anhand von Funden verifiziert werden: Pfeilspitzen sind Zeugen des Kampfes. An der Datierung der ältesten Stadtmauer von Pompei in das frühe 6. Jahrhundert besteht kein Zweifel. Es sei hier noch erwähnt, dass die sogenannte Orthostatenmauer der Phase II (eine Wiederherstellung der eingestürzten Pappamonte-Mauer) im historischen Zusammenhang in Kapitel 15 besprochen wird. Stadttore In fast allen Plänen von Pompei sind sieben Stadttore verzeichnet. In sechs fanden sich wenigstens vereinzelte Blöcke aus Pappamonte-Tuff, die ein hohes Alter belegen. Fünf Tore verbinden Hauptstrassen mit dem Umland. Das gilt nicht für die Porta di Capua und die Porta di Nocera. Deshalb ist zu Recht vermutet worden, dass sie ursprünglich nicht vorgesehen waren, später aber aus praktischen Gründen doch in der Mitte der grossen torlosen Strecke errichtet wurden. Alle Tore sind einfache Durchgangstore mit starken seitlichen Schenkelmauern, die in das Stadtgebiet hinein reichen. Schmückende Reliefs oder Figuren als Torwächter gibt es nicht. Die vermutete Existenz eines frühen Stadttores an der Stelle von Turm XI , das die grosse Breite der Via di Mercurio erklären könnte, bestätigte sich nicht. Es gibt nur eine Ausfallpforte neben dem Turm. Armin von Gerkan widerspricht Armin von Gerkan, 1884 in Kurland geboren, ging in Riga zur Schule, studierte dann Architektur, erst in Riga und später an der TH Dresden. Auf einer Stipendiatenreise lernte er in Olympia Wilhelm Dörpfeld kennen und begeisterte sich für das Fach, das er später Archäologische Bauforschung nannte. Dörpfeld empfahl ihn Theo- Abb. 7 Bei der Porta del Vesuvio entdeckte Maiuri ein 3,65 m hoch erhaltenes Stück der ältesten Mauer aus Pappamonte-Tuff (Zeichnung bei Maiuri, Fortificazione 1930. Abb. 8 Phokaia in Ionien. Stadtmauer des frühen 6.- Jahrhunderts mit flachen Binderschichten im Wechsel mit Orthosten und vorgesetzter geböschter Schale (Ausgrabung Özyigit, Foto Verfasser.). <?page no="19"?> 17 dor Wiegand, und so nahm Armin von Gerkan seit 1908 an den Ausgrabungen der Berliner Museen in Kleinasien, in Milet, Didyma und Samos teil. 20 Der Weltkrieg zwang zur Unterbrechung der Grabungen, und noch Jahre danach war an eine Wiederaufnahme nicht zu denken. Von Gerkan nutzte die Zeit am Museum in Berlin zur Veröffentlichung von drei Bänden seiner Ausgrabungen in Milet. Gleichzeitig schrieb er eine Dissertation Das Theater von Priene und eine weitere im Fach Klassische Archäologie über Griechische Städteanlagen. Diese fünf Publikationen brachten ihm schon 1924 die Ernennung zum 2. Sekretär der Abteilung Rom des Deutschen Archäologischen Instituts ein. Doch der rasche Aufstieg scheint dem jungen Gelehrten zu Kopf gestiegen zu sein. In gefürchteten Rezensionen (Wolfgang Müller-Wiener) kritisierte der Spezialist für griechische Architektur nun Arbeiten italienischer und anderer Fachleute über römische Architektur und Topographie. Das waren in der Regel Verrisse. 1925 hatte sich Gerkans damaliger Vorgesetzter in Rom Walther Amelung beim Präsidenten des DAI Rodenwaldt in Berlin über von Gerkans oft unbewusst geradezu beleidigende Art gegenüber italienischen Kollegen beschwert. 21 Das hatte keinen Erfolg. Im Gegenteil wurde Gerkan, der seit 1933 Mitglied der NSDAP war 22 , 1937 vom ‚Führer‘ zum 1. Direktor des römischen Instituts befördert. Von Pompei hatte Gerkan schon in seinem Buch über Griechische Städteanlagen (p. 119- f.) oberlehrerhaft behauptet, der kundige Blick verrät, dass Pompeii mit dem griechischen Planschema nichts zu tun hat. 23 Maiuris Ergebnisse mit dem Beweis einer archaischen Phase des grossen Mauerrínges passten nicht zu den Vorstellungen von Gerkans, der 1931 in einer Rezension feststellte, dass die Annahme einer unter griechischem Einfluss entstandenen frühen Grossstadt Pompeii ein offenbarer Anachronismus sei. Vielmehr sei Pompei von einer kleinen Altstadt sukzessive gewachsen. 24 Von Gerkan stützte sich hauptsächlich auf die Pompejanischen Studien von Heinrich Nissen, der 1877 mit seiner Theorie einer oskischen Gründung in Pompei grossen Einfluss gewonnen hatte. Maiuri, dem die Kritik des einflussreichen deutschen Kollegen offensichtlich nahegegangen war, setzte den Spaten im Süden an der Stadtmauer an, und fand dort sogar Beweise für zwei Phasen eines archaischen grossen Stadtmauerringes. 25 Gerkan nahm davon keine Notiz und wiederholte 1943 in den Römischen Mitteilungen seine Theorie von der sich in mehreren Phasen vergrössernden Altstadt Pompei. Der römischen Landvermessung entsprechend sah er die Via del Foro als Cardo und die Via dell’ Abonndanza als Decumanus an. Die Via di Nola nannte er einen zweiten Decumanus. Gerkan schloss mit der Feststellung, das Aufteilungsschema (seiner eigenen Planskizze) kann heute bereits als gesichert gelten. Dazu schrieb der Pompei-Experte Robert Étienne Nichts ist weniger wahrscheinlich. 26 Maiuri verwies auf die Beweise seiner Theorien und nannte Kollegen (unter ihnen Patroni), die seine Grabungsergebnisse nicht anzweifelten. Erst 1954 wurde Maiuri deutlich: von Gerkans Hypothese habe mit der Ausgrabungs-Wirklichkeit in Pompei nichts zu tun. Dennoch war die Autorität des Bauforschers von Gerkan ungebrochen. Seine Theorie von der schrittweisen Vergrösserung einer ‚Altstadt‘ Pompeis lebt bis heute in immer neuen Varianten weiter. Dazu gehört auch die 1970 vorgelegte Monographie zur städtebaulichen Entwicklung Pomejis von Hans Eschebach. 27 Stefano De Caro präzisiert mit neuen Grabungen Maiuris Theorie vom grossen Mauerring des 6 Jahrhunderts a C A. Maiuri, Fortificazione 1929, 113-290; S. De Caro, Fortificazione 1985, 75-112; Avagliano 2018, 27-30 und 135-146; M. Fabbri, Defendersi. Le „mura greche“ di Pompei, in: Pompei e i Greci, Catàlogos 2017, 268-272. Stefano De Caro nahm 1982 den Faden wieder auf und führte akribische Untersuchungen an der Stadtmauer im Südosten Pompeis durch, eben dort, wo Maiuri schon 1939 den Spaten angesetzt hatte. De Caros Schnitte (Plan 1 .2 und 3,- Abb 9) verteilen sich auf das Gebiet westlich der Porta di Nocera (saggio 1), auf die Kurtine zwischen Turm III und Turm IV (saggio 2), auf die Mauer östlich von Turm IV (saggio 4) und auf Untersuchungen an der archaischen Mauer (Phase I und Phase II) aussen vor Turm V auf eine Strecke von 60-m (saggio 3). Zur archaischen Pappamonte-Mauer östlich von der Porta di Nocera notiert De Caro auf der Zeichnung (Abb . 10), dass nur die unteren, dunkel hervorgehoben Blöcke dieser Phase I angehören. Die darauf aufliegende Quader sind Zeugnisse der sogenannten Orthostatenmauer der Phase II aus Sarno-Kalkstein. Diese ist andernorts gut erhalten, bei Turm IV aber war sie am Hang abgerutscht und so schlecht fundamentiert, dass man sie Kapitel 2: Amedeo Maiuri e i Greci Abb. 9 Ausgrabungen von S. De Caro an der südlichen Stadtmauer 1982. Vier Schnitte bei der Porta di Nocera und östlich bis zum Turm IV (De Caro, Fortificazione). <?page no="20"?> 18 Kapitel 2: Amedeo Maiuri e i Greci aufgeben musste. Etwa 1 m weiter stadteinwärts entstand eine neue Mauer, wie De Caro in saggio 2 feststellte. Das klingt kompliziert, ist aber wohl nur auf ein gewisses Wirrwar nach der Katastrophe mit Einsturz der Pappamonte-Mauern zurückzuführen. Diese, hier fassbare letzte der vorsamnitischen Mauern, die Phase III heissen könnte, wurde später von den Samniten ausgebaut. Auf Probleme der Mauerphasen weist De Caro p. 104-106 in einer Zusammenfassung seines Berichtes hin. Abb. 10 Östlich von Turm III sind mehrere Phasen der Stadtmauer erhalten. Am ältesten sind die archaischen Pappamonte-Mauern (dunkel), auf deren Resten die erste Mauer aus Sarno-Kalkstein errichtet wurde (De Caro, Fortificazione). <?page no="21"?> 19 Kapitel 3: Maiuris saggi stratigrafici Weil die antiken Quellen zwar die Fruchtbarkeit und Attraktivität des glücklichen Kampanien (Plinius n.h. 3,60) betonen und viele ethnische Gruppen nennen, sonst aber wenig aussagen, kommt der archäologischen Forschung erhöhte Bedeutung zu. Erstmals hat Amedeo Maiuri mit saggi stratigrafici in Häusern, Heiligtümern, öffentlichen Bauten und Freiräumen zwischen 1930 und 1954 das Ziel verfolgt, Frühzeit (Gründung) und Entwicklung der Stadt zu klären. Seine ersten Grabungen an der Stadtmauer hatten diese Probleme aufgeworfen. Interesse dafür gab es schon hundert Jahre vorher. Damals waren Heinrich Nissen und Kollegen auf Beobachtungen an sichtbaren Ruinen angewiesen. Definition und Methode der saggi Das Wort saggi kommt bei Maiuri oft vor und steht für begrenzte archäologische Grabungen in Form eines bis auf den gewachsenen Boden (Lavascholle) gehenden Schnittes mit Beobachtung der Schichten und Funde. Saggi dienen der Klärung historischer Situationen. Funde, Scherben, Münzen, andere Kleinfunde, aber auch Mauern, Böden, Stuck haben in erster Linie Bedeutung, wenn sie bestimmten Schichten zugeordnet werden können (Stratifikation). Das gilt auch für Inschriften und Graffiti. Maiuri warnt vor weitgehenden Schlüssen. In einem Aufsatz in den Memorie dell’Academia dei Lincei 1942, p. 250: 28 … Per quanto importante il fatto linguistico, non sarebbe conforme a buon metodo di critica costruire su questo prime sporadiche iscrezioni, tutta una teoria etnica e storica. Entscheidend für den Wert der saggi ist die genaue Dokumentation. Mit Maiuri arbeiteten ausgebildete Grabungstechniker, die ihre Zeichnungen und Bauaufnahmen signierten und vermutlich auch für Fotos zu sorgen hatten. Saggi sind in die Grundrisse der Häuser eingetragen, und das Baumaterial der aufgedeckten Mauern mit speziellen Schraffuren gekennzeichnet (Pappamonte dunkel). Maiuri nutzte das heute noch gebräuchliche praktische System in Zeichnungen Mauern oder anderer Strukturen mit beigefügten Buchstaben (auch griechisch) oder Ziffern zu kennzeichnen. In Einzelfällen dienten axonometrische Zeichnungen dazu, Höhenlagen und Zusammenhänge zu verdeutlichen. Nivellements mit echten, sich auf die ganze Stadt beziehenden Daten (so sehr hilfreich bei den Schnitten von Stefano De Caro) standen damals in Pompei nicht zur Verfügung. Es muss nicht betont werden, dass die Grabungstechnik ständig verbessert wird durch den Einsatz chemischer Analysen, der genauen Bestimmung von Farben, Mörteln, Erden und Gesteinen. Lage der saggi Drei Häuser liegen in Regio VI, wo es galt, griechischen Architekten auf die Spur zu kommen, und drei in der Regio VIII, wo das Rätsel der ‚Altstadt‘ zu klären war. Fast ausnahmslos sind die untersuchten Häuser in Pompei italische (etruskische) Atrium-Häuser, die frühestens aus der samnitischen Zeit (seit etwa 420 a. C.) stammen. Um Mauern dieser Häuser nicht zu beschädigen (Wandmalereien), waren die saggi begrenzt und konnten in der Regel nicht erweitert werden. So waren bauliche Zusammenhänge früher Mauern selten zu erkennen. Veröffentlichungen Die saggi sind von Maiuri selbst einschliesslich der Lagepläne publiziert worden. Regelmässig in: Notizie degli Scavi, seit 1930; dann vor allem in seinen Büchern: A. Maiuri, Saggi di varia antichitá (Venezia 1954); A. Maiuri, Alla ricerca di Pompei preromana (saggi stratigrafici) (Nachdruck Napoli 1973). Die saggi wurden nochmals kommentiert und abgedruckt von Alessandra Avagliano, Le origini di Pompei. La cittá tra il VI e il V secolo a. C., Babesch Supplement 33 (Leuven 2018). Vergessene, unpublizierte Ausgrabungen sind zu finden bei: Elena Tommassino, Oltre lo sterro. Scavi stratigrafici inediti nelle domus pompeiane (1900-1962), RStPomp 15, 15-49. Hier werden im Folgenden saggi immer wieder diskutiert, vornehmlich solche, die zur Rekonstruktion des archaischen, des griechischen Stadtplanes beitragen. <?page no="23"?> 21 Kapitel 4: Pappamonte-Tuff Topographie Mit 50 m über dem Meeresspiegel ist die Stadtmauer im NW die höchste Stelle des mauerbewehrten Pompei (Abb 11). Das Gelände und damit auch die Hausreihen fallen nach SO. Die sogenannte ‚Altstadt‘ liegt wesentlich tiefer und kann allein deshalb nicht als Akropolis gedient haben. An der Stadtkante im Westen und Südwesten fällt das Gelände 30 m schroff ab. Die Situation des Hafens ist unklar. Von der Porta Vesuvio zur Porta di Stabia über 700 m durchzieht eine Senke das Gelände. Hier verlief schon die alte Küstenstrasse, der später an derselben Stelle die πλατεῖα α folgte (p. 32). 29 Wasserversorgung Das Eruptivgestein Tuff bewirkt die übergrosse Fruchtbarkeit des Bodens in Kampanien. Eine ergänzende Rolle spielte in der Umgebung Pompeis der Fluss Sarno. Im Stadtgebiet, auf der Lavascholle gab es kein Quellwasser. Zu grossen öffentlichen Zisternen und zu öffentlichen Tief brunnen in Pompei gibt es heute Spezialuntersuchungen. Der bekannteste Tiefbrunnen ist der an der Porta Vesuvio mit mehr 2 m Durchmesser, den Amedeo Maiuri durch Zufall entdeckt hatte, und den er bis zur wasserführenden Schicht in 38- m Tiefe ausgrub (Abb 12). 30 Wenn Maiuri das Wassser für kaum geniessbar hielt, liegt das sicher nur daran, dass das Wasser lange Zeit nicht geschöpft und damit nicht gefiltert wurde. Ich halte diesen Brunnen für archaisch (Scherben beweisen nur einen terminus ante quem) und vermute, dass er die Aufgabe hatte, die hoch liegenden Häuser mit Trinkwasser zu versorgen. Und natürlich war er auch dazu da, Reisende zu erfrischen, die an der Porta Vesuvio die Stadt betraten. In diesem Zusammenhang muss die oft vertretene These von grosser Wassernot im Pompei revidiert werden. 31 Offensichtlich funktionierte das System der grossen Brunnen in Teilen der Stadt ausreichend gut, um private Bäder in den Häusern zu unterhalten (p. 52). Hygiene war ein Merkmal der körperbewussten griechischen Kultur, wenngleich Wasser sparsam verwendet wurde, was allein die Form der Badewannen beweist: Sitzbadewannen aus Ton mit einer halbkugelförmigen Vertiefung zwischen den Beinen, um das dort zusammenfliessende Wasser zu schöpfen und sich damit erneut zu begiessen. 32 Abb. 11 Die alte Küstenstrasse verlief durch eine sich deutlich abzeichnende Senke. Sie wurde bei der Anlage der griechiechischen Stadt als Hauptstrasse beibehalten (Zeichnung Verfasser mit Höhenlinien nach Müller-Trollius). Abb. 12 An der höchsten Stelle der Stadt bei der Porta Vesuvio entdeckte Maiuri einen der grössten öffentlichen Brunnen, den er bis zur wasserführenden Schicht in 38- m Tiefe ausgrub (Zeichnung bei Maiuri, NSA 1931). <?page no="24"?> 22 Kapitel 4: Pappamonte-Tuff Konsistenz der Lavascholle Die im Stadtgebiet angelegten saggi zeigen, dass fast überall (mit Ausnahme des Ostens? ) Reste einer älteren Bebauung bestehen. Sie liegen manchmal nur 30 cm unter dem heutigen Niveau, an anderen Stellen tiefer als 1-m. Das hängt mit der unregelmässigen Oberfläche der Lavascholle zusammen, auf der Pompei gebaut wurde. Zu dieser Lavascholle von 63-ha Grösse aus dem weichen schwarzen Tuff, dem Pappamonte Tuff schreibt Maiuri 1973, 167: ... dalle strutture archaiche in tufoide (Pappamonte) indubbiamente presannitiche. Steven J. R. Ellis und Gary Devore haben bei ihren Untersuchungen in Regio VIII, 7 im Osten der ‚Altstadt‘ die Oberfläche der Lavaplatte angetroffen. 33 An mindestens zwei Stellen fanden sie Felsnasen, die dort vielleicht Relikte von begrenzten Steinbrüchen sind. Auf dem namenslosen Vico westlich vom Apollon-Tempel kam bei der Entfernung von Pflastersteinen eine weitere Felsnase ans Licht. Die Lavascholle war keineswegs flat as a pancake. So haben Ellis und Devore haben festgestellt, dass die Oberfläche der Tuff-Platte von den Bewohnern des ältesten Pompei erst geglättet werden musste, bevor sie als Baugrund zu nutzen war. Niveaupunkte, wie sie im Plan von Eschebach vorkommen, können nicht sehr zuverlässig sein, weil nicht bekannt ist, wie unterschiedlich hoch das Gelände bei den beiden letzten Vulkanausbrüchen angewachsen ist. Die Oberfläche der Lavascholle im 6. Jahrhundert war jedenfalls sehr bewegt und geht auf ein weit zurückliegendes Erdbeben und einen Vulkanausbruch zurück. Archaische Mauern sind aus Pappamonte-Tuff Baureste aus Pappamonte-Tuff (nicht zu verwechseln mit dem im 2. Jahrhundert gebräuchlichen Nocera-Tuff) fanden sich in vielen Schnitten Maiuris als ältester Bauhorizont auf dem gewachsenen Boden. Im Zusammenhang gefundene Scherben gehören ausnahmslos dem 6.- Jahrhundert und damit der Frühzeit der Stadt an. Das war in der Regel etruskische Bucchero-Ware und weniger oft attische schwarzfigurige Scherben. Daraus ergibt sich ein Problem, das bis heute diskutiert wird. Filippo Coarelli und Fabricio Pesando schreiben im Vorwort zum Band Rileggere I, L’insula 10 della Regio VI, 23: The pottery found in the foundationtrench of one of the walls (Pappamonte) cut directly into the natural vulcanic soil, is of the mid-6th century B. C., a period that conforms perfectly with the typology and the chronology of the earliest pottery frequently cited by Maiuri … indicating more than a sporadic occupation of this part of the city during the archaic period. Nutzung von Pappamonte-Tuff und die Folgen In diesem Zusammenhang sei auf die Situation in Poseidonia hingewiesen, wo Siedler aus Sybaris um 600-a. C. die neue Stadt auf einer Travertin-Scholle gründeten, weil dort der Fels einen festen Untergrund garantierte und auch das gute und feste Baumaterial lieferte. Die engen Beziehungen von Pompei zu dem etwa eine Generation älteren Poseidonia (p. 37-ff.) legen es nahe, dass die Gründer der Vesuv-Stadt bei der Wahl ihres Baumaterials Poseidonia als Vorbild im Auge hatten. Wir können sogar vermuten, dass die Wahl der Lava-Scholle für das Stadtgebiet nach dem Vorbild Poseidonia erfolgte, weil man sich ähnliche Vorteile erhoffte. Aber die Realität sah anders aus. Das in Pompei zu Füssen liegende Baumaterial war schwarzer oder grauer, meist bröckeliger vulkanischer Tuff, der - wie man später sah - grosse Nachteile hatte: Er hielt Belastungen kaum stand, verwitterte rasch und war für die Herstellung von Profilen völlig ungeeignet. 34 Wenn man aber trotzdem zunächst bei der Errichtung der Stadtmauern, dann aber auch bei der Errichtung der Wohnhäuser an diesem Baumaterial festhielt, wie die saggi von Maiuri beweisen, muss es einen allgemeinen Konsens zur Nutzung gerade dieses bequem erreichbaren Baumaterials gegeben haben. Das Umsteigen auf den viel besseren Sarno-Kalkstein wäre wegen des Transportes umständlich, aufwendig und teuer gewesen. In ruhigen Zeiten mag sich zunächst kaum ein Nachteil des verwendeten Baumaterials gezeigt haben, zumal die Quader-Bauweise bei guter Fugung und glatten Ansichtsseiten weniger verwittert. Aber wir werden sehen, dass die Aufgabe der Stadt Pompei gegen Ende des 6.-Jahrhunderts sehr wahrscheinlich nicht nur, aber doch auch mit dem schlechten Baumaterial zusammenhing (p.-71-f.). Wir müssen wir uns freilich vor Augen halten, dass das Bauen mit Stein in Griechenland und auch bei den Westgriechen erst im frühen 6. Jh. am Bau von Tempeln erprobt wurde, und dann in rasanter Entwicklung schon schon Mitte des 6. Jahrhunderts die herkömmliche Bauweise mit Holzpfosten und Lehm ablöste. 35 So gesehen, kann auch behauptet werden, dass es eine moderne Entscheidung war, Steinmaterial zu verwenden. Die geringen Erfahrungen trugen zur Entscheidung für Pappamonte-Tuff als generelles Baumaterial in Pompei bei. Parallelität der Pappamonte-Hausmauern mit Strassenrändern beweist Gleichzeitigkeit von Layout mit Pappamonte-Bauten Wo Pappamonte-Mauern in situ angetroffen wurden, konnte die Parallelität mit den dortigen Strassen bzw. Strassenrändern beobachtet werden. Eindrucksvoll zeigt das zum Beispiel die Casa della fontana grande VI,8,22 (p.-71- f.). Im neuen, satellitengestützten Plan der Insula 8 der Regio VI sind auch kleinere Abschnitte von frühen Pappamonte-Mauern zu Tage gekommen: Alle sind par- <?page no="25"?> 23 Kapitel 4: Pappamonte-Tuff allel zur Strasse und beweisen, dass die frühe Bebauung aus Pappamonte-Tuff und das Strassennetz derselben Periode angehören. Strassengrabungen in Regio VI, Vicolo del Fauno Rileggere Pompei. III, Campagne di scavo 2006-2008, 93-96. Sorgfältige bis auf den Felsen gehende Ausgrabungen in den drei grossen Strassen gibt es m. E. nicht. Wie dringend wichtig solche Tiefgrabungen an Strassen sind, zeigen zwei Schnitte der Amici di Pompei im Vicolo del Fauno der Regio VI, die sie im Jahr 2006 an zwei weit auseinander liegenden Stellen ausführten. Die Grabungen wurden bis auf den gewachsenen Boden vertieft. Gruben und Löcher, die sich im Bereich der Wagenspur fanden, waren schon in archaischer Zeit aufgefüllt worden. Keramik in Füllung und Strassendecke: Bucchero, Latrize von Impasto-Ware, Schalen und Skyphos schwarzer Firnis, archaisch mit Laufzeit bis Ende 4. Jh. zeigen, dass der sehr harte Strassenboden direkt auf dem geglätteten jungfräulichen Boden aufliegt. Eine ältere Phase kann es hier nicht gegeben haben. Mit der Strasse bzw. den Strassenrändern ist auch die angrenzende Randbebauung im nordwestlichen Wohnbezirk in archaische Zeit zu datieren. Pre-House occupation I,9,11+12 Die Ausgrabung der beiden Pompei-Forscher Michael Fulford und Andrew Wallace-Hadrill wirft Licht auf den östlichen Bereich Pompeis. Die Insulae I,9 und I, 17 sind Teile einer ursprünglich einzigen Insula, die bei 230 m Länge im Süden bis an die Stadtmauer reichte (p. 36-f.). Das samnitische Haus I,9,11+12 liegt etwa in der Mitte dieser ursprünglichen Insula. Der Grundriss ist wenig kanonisch, weil Räume westlich vom Atrium fehlen. Für die Ausgrabung geeignet waren das Atrium und ein leicht versetzter Garten. Das ergibt zusammen immerhin eine Fläche von 170 m 2. ( Abb 13). Die Ausgrabung der Jahre 1995 bis 1998 zeichnete sich durch beispielhafte Genauigkeit und eine entsprechende Dokumentation aus. 36 In Bauaufnahmen der beiden untersten Schichten auf löchrigem Tuff sind Strukturen provisorischer Bauten zu sehen (Abb 13), deren Errichtung dem eigentlichen Hausbau vorausgeht. Die Autoren sprechen von Pre-House occupation, die genau der Richtung der seitlichen Strassen entspricht. Also waren die Strassen bereits abgesteckt und wurden benutzt, aber mit dem Bau der Wohnhäuser war noch nicht begonnen worden (p. 47). Abb. 13 Im östlichen Wohnbezirk sind in I,9,11 und 12 (Atrium und Garten samnitischen Häuser) Reste von provisorischen Mauern einer pre-house occupation ans Tageslicht gekommen (Fulford - Wallace-Hadrill 1999). <?page no="26"?> 24 Kapitel 4: Pappamonte-Tuff In den beiden Mauern der südwestlichen Ecke des Gartens wurden Steine aus Pappamonte Tuff angetroffen. Reichlich Keramik fand sich in der Füllung von Löchern und Gruben im jungfräulichen Tuff. Die Ausgräber sprechen p. 64 ff. von Group A sixth / fifth centuries B.C. Die Bucchero-Ware überwiegt bei weitem, nur wenige Scherben sind solche attischer Lippenschalen. Die Autoren halten als Ergebnis fest (dort p. 40): … there seems to be a continuity of habitation on the same alignment of roads back to the sixth century, even in the eastern quarter of the city. Die Neusiedler wohnten die erste Zeit auf ihren, auf den verlosten Grundstücken in provisorischen Behausungen. Jede Kraft wurde für den Bau der Stadtmauern, der Strassen und auch der Heiligtümer gebraucht. <?page no="27"?> 25 Kapitel 5: Die Samniten und die Pappamonte-Mauern Dieses, aus dem zeitlichen Rahmen fallende Kapitel, hat hier seine Berechtigung, um den grundsätzlichen Unterschied der samnitischen städtebaulichen Formen von den regelmässigen der Griechenzeit herauszustellen. Ich vermute, dass den ersten in Pompei eintreffenden samnitischen Siedlern um 420 a.C. das Ausmass einer Katastrophe vor Augen lag: Überall Ruinen und eingestürzte Mauern. Deshalb muss es einen Konsens gegeben haben, grundsätzlich das schlechte und instabile Baumaterial Pappamonte-Tuff zu meiden und bei Neubauten den besseren Sarno-Kalkstein zu verwenden. Damals, Ende des 5. Jahrhunderts, gab es schon lange Fachleute und erfahrene Handwerker, die Baumaterialien beurteilen konnten. Heinrich Nissens Kalkstein-Atrien sind Zeugnisse des Bauens auf hohem Niveau. Sie finden sich vor allem im Nordwesten und zeigen, dass die Samniter dort mit dem Bauen begannen, wo man die alten Strassen nutzen konnte. Einschränkend sei darauf hingewiesen, dass Nissen in einigen seiner Häuser die Wiederverwendung von Quadern aus Pappamonte-Tuff feststellte. 37 Übernahme des vorgefundenen Strassennetzes Offensichtlich wurde das regelmässige Strassennetz der Frühzeit von den Samniten weitgehend übernommen, um Zeit und Kosten zu sparen. Denn die Herrichtung der Strassen, das Auffüllen von Löchern und Gruben, das Nivellieren der Oberfläche und die Anlage fester Strassendecken war eine zeitraubende und viel Kraft erfordernde Arbeit, die sich die samnitischen Siedler weitgehend schenken Maiuri fand Pappamonte-Reste nur im Innereren samnitischer Häuser Wenn Maiuri bei seinen saggi keine Aussenmauern von Häusern aus Pappamonte-Tuff angetraf, und auch in den wenigen Strassenschnitten keine archaischen Hausmauern am Rand der Strassen angetroffen wurden, kann das natürlich nicht heissen, dass es diese Mauern niemals gegeben hat. Vielmehr gehen wir davon aus, dass die noch aufrecht stehenden Reste der Aussenmauern von den Neusiedlern komplett entfernt und durch besseres Material ersetzt worden waren. Insofern ist die folgende Bemerkung von Coarelli und Pesando bei Betrachtung der Insula 8 in Regio VI: These blocks of ‚pappamonte‘ are aligned along Via di Mercurio (Wohnstrasse), although they are set well back from the road which was paved in the Roman period. … irreführend, weil es sich bei den von Ausgräbern angetroffenen Pappamonte-Mauern generell um Innenmauern der griechischen Häuser handelt, die nur deswegen dem Abriss entgangen waren, weil sie von den neuen Fussböden der samnitischen Häuser verdeckt wurden. Lage und Grösse der meist kurzen Mauerstücke aus Pappamonte-Tuff reichen mit nur wenigen Ausnahmen nicht aus, sich eine Vorstellung von der älteren Bebauung am Ort zu machen. Es gibt nur wenige Beispiele dafür, dass alte Pappamonte-Mauern später von den Samniten weiter verwendet wurden. Dazu gehört die schöne und gut erhaltene Quadermauer der Umfassung des Apollon-Heiligtums bei VII,7,2 Splitterböden Die Befunde in Maiuris saggi ergeben ein deutliches Bild von den Vorgängen bei der Abtragung störender Reste von Pappamonte-Mauern in der ersten Zeit der Samniten. Splitter und Splitterböden fanden sich unter anderem in der Casa del Gallo VII,5,2+5 (p. 47-f.). Im Garten des samnitischen Atriumhauses wurde in situ eine Säule aus Pappamonte-Tuff entdeckt, die, wie die Oberseite zeigt, soweit mit groben Schlägen gekürzt worden war, dass sie unter den neuen Böden verschwand (p. 57). Splitter von der Abarbeitung störender Pappamonte-Quader blieben am Ort liegen und dienten als Unterlage für den neuen Boden. Diesen Befund traf Maiuri bei fast allen saggi in den Häusern und auch bei den grossflächigen Ausgrabungen in der Basilika an. 38 Weitere Splitterböden vom Zerkleinern grösserer störender Pappamonte-Blöcke u.a. in I,2,20.21 an der Nordmauer (Tommasino 2004,23). Mit Querstrassen teilten die Samniten die ursprünglich 230 m langen Insulae Neapolis und Poseidonia sind Beispiele von archaischen Griechen-Städten mit langen oder sogar sehr langen Insulae (die langen Insulae in Neapel werden noch heute bewohnt). Trotzdem sind die 230 m langen Insulae in Pompei bis heute nicht als solche erkannt worden. Weil aber die späteren Querstrassen die langen Insulae an unterschiedlichen Stellen zerteilen, ist eigentlich offensichtlich, dass es sich um spätere Zufügungen handelt. Es können nur die Samniten gewesen sein, die das alte Wegenetz übernahmen, aber aus Bequemlichkeit die lan- <?page no="28"?> 26 Kapitel 5: Die Samniten und die Pappamonte-Mauern gen Insulae in zwei oder sogar in drei kurze Teil-Insulae zerstückelten. Auf einem Plan der Ruinen von Pompei habe ich die von den Samniten wiederbenutzten alten Strassen gelb hervorgehoben (Abb 14) und dabei die neuen, aus Bequemlichkeit in die langen Insulae eingefügten Querstrassen rotbraun kenntlich gemacht. Zu diesen später neu eingefügten Querstrassen gehört im nordwestlichen Wohnbezirk der Vicolo di Mercurio mit seiner Verlängerung Vico delle Nozze d’Argento. Im östlichen Wohnbezirk sind die Via di Castricio und noch weiter südlich eine namenlose Gasse eingefügt worden. Hier wird sonnenklar, dass diese Querstrassen keinesfalls archaisch sein können. Wichtigste städtebauliche Veränderung der Samniten ist die völlige Auflösung der öffentlichen Zone, auch der Agora in Stadtmitte. Auf dieser 10-ha grossen Fläche entstanden beiderseits der beibehaltenen πλατεῖα α neue Insulae (rotbraun in Abb. 14). Die auffallend grossen, unregelmässigen Wohnblöcke rhomboider Form in Stadtmitte waren in samnitischer Zeit für die mehr als 30- m tiefen Atriumhäuser konzipiert worden Auch im neuen Stadtplan sind die beiderseits der πλατεῖα α erkennbaren, fast quadratischen und meist schiefwinkligen Wohnblöcke von grob unregelmässiger Struktur als eine spätere Zutat erkennbar. Die Schiefwinkligkeit dieser Parallelogramme entstand, weil sie sich mit einer Seite an die vorhandene Hauptstrasse πλατεῖα α (Via Stabiana) anlehnten, und mit der anderen Seite den beiden ost-westlich verlaufenden Hauptstrassen entsprachen. Wir betrachten die etwa 53 × 55 m grösste Insula IX,5 (Abb 15) und zählen sieben Häuser, von denen fünf schmal und tief sind. Sie gehen von der Via Nolana aus und zeigen bei 32 bis 36 m Tiefe die kanonische Abfolge von Räumen der Atriumhäuser: Fauces, Atrium, Impluvium, Tablinum und Garten. Das besonders schmale Haus IX,5,6 (keine Seitenräume) ist sogar 55 m lang und hat einen Nebeneingang von der gegenüber liegenden Gasse. Die Form der um 3000 m 2 grossen Wohnblöcke waren für die tiefen Atriumhäuser bestimmt und Abb. 14 Die Samniter nutzten viele Strassen und Insulae der archaisch-griechischen Zeit (gelb) und legten andere neu an (rot) (Verfasser). Abb. 15 Die Insula IX 5 ist eine der von den Samnitern beiderseits der alten Schrägstrasse (πλατεῖα α) (Via Nolana) in rhomboider Form angelegten Insulae. Mit fast 40 m Tiefe sind sie geeignet für Atriumhäuser (Verfasser auf Plan von Eschebach) <?page no="29"?> 27 Kapitel 5: Die Samniten und die Pappamonte-Mauern entstanden, als Samniten sich in der Stadtruine niederliessen und bald eine grosse Bautätigkeit entfalteten. Die griechischen nur 32,80 m breiten Insulae im Osten und im Nordwesten (Regio VI) waren für die samnitischen Atriumhäuser wenig geeignet Ein Blick auf die Insula VI,15 und VI,13 (Abb 16) zeigt, dass hier in samnitischer Zeit 17 Häuser entstanden, von denen die im Norden nahe der Stadtmauer winzig sind und nicht einmal einen kleinen Garten aufweisen. Das Haus der Vettier ist das grösste der Insula. Dessen Peristyl konnte nur realisiert werden durch Verzicht auf das Tablinum an der üblichen Stelle. Der Besucher gelangte vom Atrium direkt in eine Stoa des nord-südlich orientierten Peristyl. Die beiden schmalen Häuser im Süden hatten Eingänge von der Via della Fortuna, konnten aber nur mit schmalen Seitenräumen ausgeführt werden. Es ist nicht zu bezweifeln, dass diese 33 m breiten Insulae nicht für raumgreifende Atriumhäuser der Samniten bestimmt waren, sondern für gedrungene Pastas- Häuser, wie sie in den Griechen-Städten üblich waren (p.-52-54). Abb. 16 Die alten griechischen, archaischen Insulae wie VI,13 und VI,15 waren wegen ihrer geringen Breite für die geräumigen samnitischen Atrium-Häuser wenig geeignet (Verfasser auf Plan von Eschebach). <?page no="31"?> 29 Kapitel 6: Rekonstruktion der archaischen griechischen Stadtanlage Gesamtpläne von Pompei Eschebachs Plan der Ruinen Hans Eschebach trat in die Fussstapfen seines Lehrers Heinrich Sulze (TH Dresden) und setzte dessen Forschungen in den Stabianer Thermen fort. Daraus ist eine stattliche Publikation hervorgegangen. Eschebach wurden dann Forschungen in der ‚Altstadt‘ in der Casa di Ganimede VII 13,4 nahe am Forum anvertraut. Auch bei dieser Arbeit wurde dem pensionierten Architekten und Bauforscher klar, dass eine Zusammenstellung aller im Lauf der Jahrhunderte angefertigten Grundrisse von Häusern, Stadtteilen und Monumenten zu einem Gesamtplan im Massstab 1: 1000 dringend nötig sei. Eschebach widmete sich dieser Aufgabe zehn Jahre und merkte, dass das ganze Projekt unter alten, ungenauen Teilplänen leiden musste. Dennoch wurde der Gesamtplan, als er 1976 erschien, sofort als wichtiges Hilfsmittel anerkannt. Erstmalig waren in einem Gesamtplan nicht nur Regionen und Insulae verzeichnet, sondern auch alle Hauseingänge. Nun konnte jedes Haus schnell und verwechslungsfrei benannt und aufgefunden werden. Eine ganze Generation von Archäologen hat mit dem Eschebach-Plan gearbeitet. Auch Touristen profitierten, denn der gefaltete Plan ist separat erhältlich. 39 Der neue satellitengestützte Gesamtplan Seit einigen Jahren steht nun ein satellitengestützter Gesamtplan zur Verfügung, der eine unübetroffene Genauigkeit bietet. Er zeigt die exakte Lage der Ruinen und deckt Beziehungen auf, die für die städtebauliche Entwicklung nicht nur wichtig, sondern von entscheidender Bedeutung sind. Die Drucktechnik hat eine entsprechende hohe Qualität erreicht. 40 Beweiskräftig zeigt der neue Plan, dass die von der Via di Nola nach Süden ausgehenden Reihen von Wohnhäusern mit den von der Via dell’ Abbondanza nach Norden sich erstreckenden Reihen von Wohnhäusern gemeinsam Insulae bildeten (p. 30). Stefano De Caro hat bei der Besprechung (vernichtend! ) einer Arbeit über die Entwicklung Pompeis einen Hinweis gegeben, wie der neue Plan aus dem Internet bezogen werden kann. 41 Einige Stimmen zu einem griechischen Stadtplan von Pompei Maiuri sprach für die Regio VI im Hinblick auf regolarità e perfezione von einem entwickelten hippodamischen System. Er verwies auf die nahe Griechenstadt Neapolis. 1963 hat auch Ferdinando Castagnoli das Strassennetz von Pompeii als designo unitario ippodameo bezeichnet. 42 Damals war kaum bekannt, dass die von Hippodamos entworfenen Stadtpläne sich durch ein dichtes Netz von Strassen auszeichnen, das die langen Insulae mit entsprechend unpraktisch langen Wohnstrassen ablöst. Von einer hippodamischen Stadtplanung, wie sie Hippodamos im Piräus verwirklichte, und wo ein dichtes Strassennetz vorherrscht, kann in Pompei keine Rede sein, jedenfalls dann nicht, wenn man von der späteren Zerstückelung absieht und die langen Insulae als solche erkannt hat. 43 Weitere Meinungen Ferdinando Castagnoli gehört zu den wenigen Fachleuten, die den Zusammenhang der Bereiche im Nordwesten und dem grossen Bereich im Osten als Teile einer Gesamtplanung erkannten. 44 Ebenso Axel Boethius: „It seems most likely that the extensive regular quarters north and east of the crowded hill town were laid out some time between 520 and 450.“ 45 E.J. Owens schreibt in seinem Handbuch über griechische und römische Städte zu Pompei: The overall street system is definitly Greek-inspired. 46 Keine der vielen bisher publizierten Überlegungen zur Stadtentwicklung und zu einem archaischen Stadtplan ist widerspruchsfrei und überzeugend. Dennoch hat Alessandra Avagliano 2018 p.- 27-52 zahlreichen Hypothesen breiten Raum eingeräumt, darunter auch seltsamen wie der meines schon lange verstorbenen Freundes Hans Eschebach. <?page no="32"?> 30 Kapitel 6: Rekonstruktion der archaischen griechischen Stadtanlage Rekonstruktion der Insulae in den Wohnbezirken Nordwest (Regio VI) und Ost (Regio I, II, III, IV, IX) In Regio VI erkennt Maiuri eine griechische Planung Es sei noch einmal wiederholt, dass Maiuris inzwischen vielfach belegte Datierung des grossen Mauerringes in archaische Zeit ergänzt wird von seiner entscheidend wichtigen Feststellung, dass das Strassennetz mit paralellen Insulae im Nordwesten der Stadt ein Zeugnis griechischen Städtebaus sein müsse: Ora la Regio VI rappresenta il modello d'un impianto urbanistico di tale regolarità e perfezione, da non trovar riscontro se non in città impiantate su piú evoluti sistemi ippodamei. 47 Solo i Greci potevano dunque concepire l' impianto di un quattiere che, in armonia con lo svilippo della nuova cinta murale ... 48 Auch damit hatte er recht, wie sich später herausstellte. Dennoch muss gesagt werden, dass Maiuri wie seine Kollegen bis heute die Via di Mercurio für eine frühe Querstrasse hielt und damit die Länge der Insulae falsch einschätzte. 15 Reihen Insulae im Osten (Plan 1) Erst der neue satellitengestützte Plan macht die Zusammengehörigkeit der Insulae im Osten nördlich und südlich des nicht ausgegrabenen Bereichs zu einer einzigen Reihe deutlich. Im mittleren Bereich von Pompei gab es auf einer Linie liegend jeweils drei lange Insulae, die von den beiden genau rechtwinklich angelegten Hauptstrassen πλατεῖα β (Via di Nola) und πλατεῖα γ (Via dell’ Abbondanza) getrennt wurden. Die mittleren Insulae zwischen den beiden Hauptstrassen verraten uns sehr genau das Längenmass, das ich hier abgekürzt mit 230 m angebe (p. 36). Die Insulae nahe den Stadtmauern reichen bis dicht an die Mauer oder wurden verkürzt ausgeführt. Der verbleibende Abstand zur Stadtmauer ist nur an wenigen Stellen messbar und beträgt meist etwa 14-m. Das war offensichtlich der in Pompei vorgeschriebene Mindestabstand. Der Stadtplan von Pompei lässt im östlichen Wohnbezirk zunächst deutlich acht Reihen mit je drei Insulae erkennen Das stimmt aber natürlich nicht, denn an Stelle von Palestra und Anfiteatro waren weitere sechs Reihen geplant, von denen die östlichste etwa parallel zur Stadtmauer verläuft und damit Beweis für eine sehr gute und Überlegte Nutzung der Lavascholle ist (Plan 2). Dem Plan kaum ablesbar, aber doch sicher zu ergänzen, ist eine weitere Insula-Reihe im Westen an der Grenze zur öffentlichen Zone (Plan 3, Abb . 17). Das beweist die Teil-Insula I,5 mit 12 m Abstand von der Porta di Stabia. Ein neuer Plan, der bei Ausgrabungen von Jean Pierre Brun entstand, zeigt mit 32,80 m Breite, dass hier der südlichste Teil der 15. Reihe Insulae vorliegt (Abb 18). Dass es sich tatsächlich um eine weitere Reihe der archaischen Planung handelt, beweist zudem der Abstand von ebenfalls 12 m von der Porta Vesuvio nach Westen bis zur ersten Insula im nordwestlichen Wohnbezirk. Das ist kein Zufall. Abb. 17 Drei Plateiai (Hauptstrassen) sind das Gerüst der griechischen Planung (gelb). Die seitlichen Grenzen der 10 ha grossen öffentlichen Zone (rot) berücksichtigen die diagonal von Tor zu Tor verlaufende Schrägstrasse (Zeichnung Verfasser auf der Grundlage des satellitengestützten Planes). <?page no="33"?> 31 Kapitel 6: Rekonstruktion der archaischen griechischen Stadtanlage Der unbewohnte Osten? Anfiteatro und Palestra in in der östlichen Ecke Pompeis sind Bauten der Kaiserzeit und konnten dort angelegt werden, weil das vom Zentrum am weitesten entfernte Gebiet in der Römerzeit unbebaut war und für einen möglichen Bevölkerungszuwachs zur Verfügung stand. Das gilt ziemlich sicher auch für das archaische griechische Pompei. Aber leider fehlen in der Regio II und Regio I saggi stratigrafici, die uns über die Bebauung im östlichsten Bereich (palestra und anfiteatro) Auskunft geben könnten. Das östlichste der von Spinazzolan an der Via dell Abbondanza freigelegten und mit Plänen publizierten Häuser ist das des Gemmenschneiders und Hercules-Priesters III,4,b (p. 75- 77), dessen älteste Phase frühhellenistisch zu sein scheint. Wenn in meinen Plänen 2 und 3 dennoch auch im Osten Parzellen der archaischen Stadt eingetragen sind (gesrichelt), so beruht das darauf, dass in in den Ruinen der Spätzeit häufig noch die alten Grundstücke zu erkennen sind. Ausserdem soll der Entwurf der Gesamtanlage dargestellt werden. Wie im Vorspann mit dem Zitat von Matz hervorgehoben, geht es nicht um die oft erbärmliche tägliche Wirklichkeit, sondern um die Planungen als Kunstwerk. Die Parzellen Eigentlich sollte die Tatsache der Existenz gleich grosser Parzellen in der Gründungszeit der Koloniestädte kein Problem sein. Denn der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass die Verlosung gleich grosser Parzellen (1 kleros = 1 Los) an die Neusiedler ein Akt der Gerechtigkeit ist und natürlich ein Baustein auf dem Weg zur Isonomia war. Aber vor 35 Jahren, als das von mir zusammen mit Ernst-Ludwig Schwander nach langen Forschungen an vielen Orten herausgegebene Buch Haus und Stadt im klassischen Griechenland erschien, und wir darin bei einigen Städten von einem Typenhaus sprachen, schlug uns von Seiten mancher Historiker und Archäologen eine Welle der Ablehnung entgegen. Das gilt auch für Christian Meier, den wir um das Vorwort gebeten hatten, und das wir, weil so verabredet, trotzdem druckten, aber in der Zweiten Auflage dann doch wegliessen. Besonders entrüstet über unsere Typenhäuser war der greise Karl Schefold, der Gleichmacherei und sogar Sozialismus witterte. Ich füge hier noch an, dass der Althistoriker Wolfgang Schuller (Konstanz) eine Ausnahme machte, uns geduldig zuhörte, sich Pläne zeigen liess und dann seine Kollegen zu einem Kolloquium rief, das tatsächlich 1987 stattfand und 1989 mit dem Titel Demokratie und Architektur. Der hippodamische Städtebau und die Entstehung der Demokratie als Buch erschien. Abb. 18 Der von J. P. Brun ausgegrabene und neu vermessene Bereich Regio I,5,1 ist Teil der westlichsten Insula im östlichen Wohnbezirk (blaue Ergänzungen vom Verfasser). <?page no="34"?> 32 Kapitel 6: Rekonstruktion der archaischen griechischen Stadtanlage Ich zitiere hier Oswyn Murray, Das frühe Griechenland von 1982, 154 f. wo beim Eid der Siedler ausdrücklich von völlig gleichen Bedingungen ἐπ’ ἴσα καὶ ὅμοια die Rede ist. Im Kapitel isonomia (ebendort p. 345) schreibt Murray: Gerade in jener Zeit trat mit dem alten politischen Ideal der eunomia (guten Ordnung), wie es Hesiod, Solon und die Spartaner kannten, ein neues Ideal in Konkurrenz, die isonomia (gleiche Ordnung) - der zeitgenössische Begriff für das est später verwendete, aggressive Wort demokratia (Herrschaft des Volkes). Fraglos dürfen wir auch für das von Griechen um 580 a. C. gegründete Pompei davon ausgehen, dass die Länge der Norm-Insulae von 230 m das Ergebnis der Addition gleicher Lose ist. Dafür kommt nur die Zahl 14 infrage. Denn jedes Grundstück ist, soweit überhaupt messbar, etwa 16,40 m × 16,40 m gross. Das sind 270 m 2 , und das ist ein bekannter Durchschnittswert, der ein Hofhaus mit grossem Familienwohnraum, Sieben-Klinen- Andron, Pastas-Halle und Nebengebäude (Stall, Sklaven) ermöglicht. In Plan 2 und Plan 3 habe ich 270 m 2 grosse Parzellen (errechnet) in blau mit gestrichelten Linien eingetragen. Sie sollen dazu beitragen, den ursprünglichen Entwurf des Stadtplaners sichtbar zu machen. Zur Veränderung der Grundstücksgrenzen Die kurze Lebensdauer des griechischen, des ersten Pompei spricht nicht für weitreichende Veränderungen der Häuser und Grundstücke. Mir ist keine Pappamonte- Mauer bekannt, die sich eindeutig über zwei der vermuteten Parzellen erstreckt und damit Kenntnis von Besitzveränderungen in der kurzen Zeit der griechischen Hegemonie gibt. Der griechische Stadtplan mit drei Hauptstrassen, zwei Wohnbezirken und einer dreigeteilten öffentlichen Zone Die Architekten des Stadtplanes des griechischen Pompei legten zunächst der Längsrichtung der Lavascholle entsprechend zwei parallele Hauptstrassen an (Plan 2 und Abb. 17). Diese beiden Hauptstrassen liegen so, dass der Abstand zwischen ihnen so gross ist, wie der Abstand von jeder der beiden Hauptstrassen zur Stadtmauer. Der Abstand zwischen den beiden Hauptstrassen beträgt ziemlich genau 230 m, was der Länge einer Insula entspricht. Im Norden fanden sieben Insulae in voller Grösse von 230 m Platz. Im Süden haben sogar 13 Insulae die volle Länge von 230 m. So entstanden die langen, nur von Hauptstrassen unterbrochenen Hausreihen. Das sind die Streifenstädte, die für die archaischen Griechen-Städte charakteristisch sind. Jede Insula von 230 m Länge besteht aus zwei Reihen von je 14 Parzellen. Im günstigen Fall liegen 3 × 14 = 42 Parzellen von je 16,32 m in einer Reihe. Die Hauptstrassen waren Verkehrswege, die im Osten über Tore in die Stadt führten und im Westen den Flusshafen erreichten. Auch in anderen Städten besteht das städtebauliche Grundgerüst aus zwei parallelen Hauptstrassen. Poseidonia ist ein Bespiel dafür, wie eine dritte Hauptstrasse rechtwinklig zu den langen plateiai verläuft, so dass die Agora im Zentrum sehr günstig auf drei Seiten von breiten Strassen gesäumt und erschlossen wird. In Pompei verhinderte die Topographie diese Ideallösung mit einer rechtwinklig angelegten dritten Hauptstrasse. Die ‚Schrägstrasse‘ in Pompei Forschern in Pompei ist natürlich aufgefallen, dass die wichtige, von Tor zu Tor führende grosse Strasse (Via Vesuvio - Via Stabiana) zwar schnurgerade ist, aber so schräg verläuft, dass sie weder mit den Insulae im Nordwesten noch mit denen im Osten korrespondiert. Deshalb ist diese Strasse auch ‚Schrägstrasse‘ genannt worden. Es liegt nahe, in dieser Schrägstrasse die alte Küstenstrasse zu vermuten, die auf kurzem Wege Kyme und Pithekussai mit Poseidonia verband (Abb. 3). Wegen des Steilabfalls am Ufer erklomm sie die Lavascholle weiter landeinwärts. Auf die Frage, warum die griechischen Architekten des Stadtplanes von Pompei zwar mit zwei parallelen Hauptstrassen die Lavascholle optimal nutzten, dann aber die dritte Hauptstrasse nicht im rechten Winkel dazu anlegten, sind mehrere Gründe zu nennen. Die alte Strasse nutzt eine deutliche Senke etwa 200-m landeinwärts (Abb. 11. 17) und wäre nur mit grossem Aufwand in die Lage rechtwinklig zu den beiden Längs- Hauptstrassen zu bringen gewesen. Im Süden war der hochliegende Felsen des Foro triangolare ein Hindernis. Eine Verlegung der Strasse nach Westen wäre dort nicht möglich gewesen. Und schliesslich galt die Richtung der Via Vesuvio, die bei gutem Wetter den Blick auf den mythologisch verehrten Vesuv gestattet, als Dionysos wohlgefällig. Das schöne Wandbild in der Casa del Centenario IX,8,3-6, das heute im Museum von Neapel zu sehen ist (Abb 19), zeigt den mit Trauben behängten Gott des Weines, der üppige Fruchtbarkeit gewährt, am steil aufragenden Vesuv. Die weitere Nutzung der alten Küstenstrasse als πλατεῖα α bedeutete, dass die Agora nicht auf den kleinen Bereich östlich dieser Strasse beschränkt werden konnte. So entstand die grandiose Idee, die Schrägstrasse als Diagonale im rhomboiden Bereich für öffentliche Bauten zu belassen, an der wie Perlen an einer Kette, Tempel und <?page no="35"?> 33 Kapitel 6: Rekonstruktion der archaischen griechischen Stadtanlage Abb. 19 Ein Wandbild in der Casa del Centenario IX,8,3-6 (heute im Nationalmuseum Neapel) zeigt den mit Trauben behängten Gott Dionysos neben dem mythologisch verehrten Vesuv (Foto bei Eschebach). <?page no="36"?> 34 Kapitel 6: Rekonstruktion der archaischen griechischen Stadtanlage öffentliche Bauten ausgeführt und bewundert werden konnten (Plan 3). Der öffentliche Bereich wurde, wie in anderen griechischen Planstädten, von den beiden grossen Wohnbereichen begrenzt (rote Linien in Abb. 17). Wenn diese beiden grossen Wohnbereiche eine unterschiedliche Ausrichtung der Insulae haben, so entspricht das den Gepflogenheiten in archaischer Zeit. Vielleicht sollte damit Individualisierung der Bezirke und ihrer Bewohner erreicht werden. Die Insulae des nordwestlichen Wohnbezirks haben genau dieselbe Richtung wie das Heiligtum des Apollon und der entsprechenden Feststrasse (Plan 2). Die von einer bogenförmigen schmalen Strasse abgegrenzte ‚Altstadt‘ wird hier zunächst nicht in die Überlegungen zum Städtebau einbezogen. Die unterschiedliche Richtung der beiden Wohnbezirke lässt sich in Zahlen fassen: An der Porta di Stabia beträgt der Winkel zwischen Wohnbereich und der diagonal verlaufenden Hauptstrasse 10,50 Grad. An der Porta Vesuvio dagegen 17 Grad. Wären auch hier 10,5 Grad angelegt worden, hätte die öffentliche Zone wie in Poseidonia ein exaktes Rechteck ausgefüllt. Die Grundidee des weit in die Zukunft verweisenden öffentlichen Bereichs in Stadtmitte geht zweifelllos auf das Vorbild Poseidonia zurück (p.-37-f.). Hafen Es soll hier nochmals an den Aufsatz von Paul Arthur erinnert werden, der Pompei as a port of trade sah und generell auf den für alle Seiten vorteilhaften Handel hervorhob. 49 Im reichen Kampanien gab es potente Abnehmer begehrter griechischer Waren. Ein funktionierender Umschlagplatz war Voraussetzung für das Gedeihen der Stadt. Umso bedauerlicher ist es, dass die beiden letzten Vulkanausbrüche die Situation des Hafens unkenntlich gemacht haben. Der ursprüngliche, nicht ausgeführte städtebauliche Plan hatte vorgesehen, dass die πλατεῖα γ die ganze Stadt durchläuft, und im Südwesten über Rampen (Wagenverkehr) hinab zum Hafen führt. Dort, so ist zu vermuten, sollte zwischen den beiden Hauptstrassen ein 230-m langer Kai zum Be- und Entladen der Schiffe angelegt werden. Das Pflaster bei der Porta di Marina hat eine Steigung von 25% und macht noch heute manchem Besucher zu schaffen. Hans Eschbach hat auf eine Reihe Steinringe zum Anbinden von Schiffen nahe der Porta di Marina hingewiesen (Abb 20). 50 Diese vermutlich kaiserzeitlichen Ringe sind auch hier im Plan 3 verzeichnet. Abb. 20 Im Hafen von Pompei sind steinerne Ringe zum Anbinden von Schiffen am Kai noch heute unterhalb der Porta di Marina zu sehen (Zeichnung Eschebach). <?page no="37"?> 35 Kapitel 7: Masse und Genauigkeit Kalibrieren der Insulae In 600 Jahren der Nutzung, des Umbauens und des Neubaues von Mauern haben sich gegenüber der Lage der ersten Mauern Verschiebungen ergeben. Der ursprünglich gerade Verlauf von Strassen ist durch mehr oder weniger starke Abweichungen entstellt. Die Strassenrand- Bebauung kann von dem Soll-Zustand erheblich abweichen. Hier kann kalibrieren helfen. Dazu müssen Wohnbereiche mit Strassen und Insulae in genauer Zeichnung vorliegen. Das ist mit dem satellitengestützten neuen Stadtplan der Fall. Dann wird im gleichen Massstab eine Maske angefertigt, die in Millimeter-Schritten so lange vergrössert bzw. verkleinert wird, bis sie mit der Planaufnahme der Ruinen möglichst genau übereinstimmt. Dieses nicht einfache und erst durch die Genauigkeit moderner Geräte ermöglichte Verfahren kann zuverlässige Resultate liefern. Für Pompei ist das Ergebnis sogar verblüffend: Die Insulae im östlichen, dem grossen Wohnbezirk zwischen den beiden Hauptstrassen πλατεῖα β und πλατεῖα γ (Via di Nola und Via dell’ Abbondanza) waren genaue Rechtecke von 230 m Länge und 33 m Breite. Die Wohnstrassen (Stenopoi) sind mit nur 4 m Breite eng. Das ist für die archaische Zeit nicht ungewöhnlich. Die Hauptstrassen (Plataiai) haben als Verkehrstrassen doppelte Breite von 8-m. Die Maske zeigt auch, dass im selben Gebiet von der πλατεῖα γ nach Süden weitere Reihen gleicher Insulae bestanden, die bis zu den Stadtmauern reichten (gut erfassbar). Entsprechendes gilt für den Bereich von der πλατεῖα β nach Norden. Auch dort reichen, wenn der Raum es zulässt, 230 lange Insulae bis an die Stadtmauer. Die Ergebnisse, die auf dem satellitengestützten Plan beruhen, sind in den Abbildungen 21 für den Nordwestbezirk und mit 22 für den Ostbezirk festgehalten. Länge und Breite der Insulae mit den sie begrenzenden schmalen Strassen sind in beiden Wohnbezirken gleich und zweifellos Teile einer einheitlichen Planung. Abb. 21.22 Der Ermittlung des Idealmasses der Insulae und der sie begrenzenden Strassen der archaischen Stadt dienen Masken. Die Abweichungen vom Idealplan sind erstaunlich gering wie bei Abb.- 22 der unterlegte satellitengestützte Plan zeigt (Zeichnungen Verfasser). <?page no="38"?> 36 Für den Wohnbezirk im Nordwesten (Regio VI) werden mit Hilfe derselben Maske zwei Anomalien deutlich: Die Via di Mercurio hatte tatsächlich genau doppelte Breite wie die benachbarten Wohnstrassen. Hier verlief die am Apollon-Temenos beginnende Pompé (p. 69f.). Sichtbar wird auch, dass die östlichen drei der sechs Insulae im Bereich der Stadtmauer um 5-m beschnitten wurden (rote Linie in der Zeichnung). Die Pompé bog von der breiten Via di Mercurio unterhalb der Böschung der Stadtmauer nach Osten bis zur Porta Vesuvio ab. Metrologie Die Suche nach der einem Bau oder einem Stadtplan zugrunde liegenden Masseinheit ist selten überzeugend. Wichtig ist der Versuch dennoch, denn bei Gelingen wird der Entwurf sichtbar, und damit nähern wir uns den Gedankengängen des oder der entwerfenden Architekten. In Pompei liegen aus archaischer Zeit nur wenige Bauglieder vor. Deren schlechter Zustand erlaubt keine Aussagen zur Masseinheit. Wir sind also darauf angewiesen, die Teile des Stadtplans zu untersuchen, von denen wir annehmen, dass die Ergebnisse des Kalibrierens zuverlässig sind. Anhaltspunkte sind: 1 Die Einheiten aus Insula und Wohnstrasse. Es gibt mehrere Einheiten, aus denen ein ein Mittelwert errechnet werden kann. 2 Wie im vorigen Kapitel beschrieben, sind die genauen Längen der Insulae zwischen den beiden Hauptstrassen im Osten an sieben Stellen messbar. Die Differenz ist gering, der Mittelwert liegt bei 230,05-m. Jede der zwei Reihen von gleich grossen Grundstücken einer Insula bestand aus 14 Parzellen. Denn nur dann sind die Parzellen quadratisch und entsprechen der gängigen Grössenordnung: Insula-Länge: 230,05 m. Parzellen: 16,43 × 16,43 m = 270,0 m 2 . Die Insulabreite = 2 × 16,43 m = 32,86 m. Das entspricht 100 dorischen Fuss zu 32,86 cm. Das ist kein exotisches Baumass, sondern das meistgebräuchliche dorische Baumass überhaupt. Dieter Mertens hat in einem brandneuen Artikel über den frühklassischen Tempel der Hera (Neptun-Tempel) in Poseidonia nicht nur Änderungen am Bauplan während der Ausführung festgestellt, sondern auch das Fussmass millimetergenau bestimmen können. 51 Es beträgt im archaischen Poseidonia: 1 Fuss = 32,864 cm Für das archaische Pompei gilt: Länge der Insulae 700 Fuss = 230,05 m Breite der Insulae 100 Fuss = 32,864 m Parzelle 50 × 50 Fuss = 16,43 m x 16,43 m =270 m 2 Breite der Plateiai 25 Fuss = 8,22 m Breite der Stenopoi 12½ Fuss = 4,11 m In den Abb. 21 und 22 sind die Hauptmasse in Meter und in Fussmass eingetragen. Hier muss betont werden, dass die benannten Werte theoretische Mittelwerte sind. Im Einzelfall kann kein an den Ruinen gemessener Wert genau sein. Wenn in beiden Städten dasselbe Fussmass verwendet wurde, muss das nicht zwingend bedeuten, dass hier und dort dieselbe Bauschule am Werk war. Es ist die enge Verwandtschaft der beiden in ihrer Rigorosität einzigartigen Stadtpläne, die auf enge Beziehungen schliessen lassen. Dazu sei hier noch gesagt, dass auch dem vor der Mitte des 6. Jahrhunderts entstandenen Hera-Tempel I (die sog. Basilika) das dorische Fussmass von 32,8 cm Verwendung fand. 52 Es mag interessieren, dass die mesopotamischen Längenmasse (nach O. A. W. Dilke, Mathematik, Maße und Gewichte in der Antike, Reklam Wissen 8687, Stuttgart 1991, p. 48) auf der sumerischen Elle von 49,5 cm basierten. Eine Elle sind 1½ Fuss, und so erkennen wir, dass es sich bei dem Fussmass von knapp 33 cm um eine uralte Masseinheit handelt, die die Griechen aus dem Orient übernommen hatten. Kapitel 7: Masse und Genauigkeit <?page no="39"?> 37 Kapitel 8: Poseidonia und Pompei Der nächste Verwandte der städtebaulichen Grundform von Pompei ist zugleich die nahe gelegene Griechenstadt Poseidonia (Paestum) in Lukanien nahe zu Kampanien. Beide Städte (Abb 23) wurden von griechischen Kolonisten in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts a. C. angelegt, Poseidonia vermutlich um 600, Pompei vielleicht um 580 a. C. Zu den Gemeinsamkeiten gehört, dass es sich ausnahmsweise um Landstädte handelt, die mitten in der Fruchtebene lagen. Sie verfügten über einen Hafen an einem schiffbaren Fluss in geringer Entfernung vom Meer. Plinius Naturgeschichte 3,62: Pompei unweit des Vesuvs am Flusse Sarno. Beide Städte sind befestigt, haben aber keine Akropolis, die ein Ausweis einer Bedrohung oder auch einer Tyrannis sein könnte. Der Schlüssel für diese Lage scheint in der hochgelobten Fruchtbarkeit des Bodens zu liegen. Entsprechendes galt für Lukanien. Für die Bewohner beider Städte muss die Nutzung des Bodens (drei Ernten jährlich? ) ökonomisch von grösster Bedeutung gewesen sein. Der Handel mit agrarischen Produkten war offensichtlich ertragreich. Das zeigen die Weihgaben für Apollon in Pompei und die gewaltigen sakralen Bauten in Poseidonia im 6. Jahrhundert. Struktur der Stadtpläne im Vergleich Beide Städte gehören zum Typus der Streifenstädte, die sich durch lange, parallele Insulae und enge Wohnstrassen oder Gassen auszeichnen. In dieser Beziehung gleichen sich fast alle Kolonie-Städte in Unteritalien und Sizilien. Poseidonia hatte ein von Mauern umschlossenes Gebiet von 100 ha, war also deutlich grösser als Pompei, das mit 63 ha Fläche einer mittelgrossen Griechenstadt entsprach. Poseidonia Pompei Lage auf Travertin-Scholle auf Lava-Scholle Umfassungsmauer in km ~ 4,6 km ~ 3,16 km Stadttore Anzahl 4 4 Gesamtfläche ~ 100 ha ~ 60 ha Öffentliche Zone ~ 17,6 ha = 17,6 % ~ 10,6 ha = 17,6 % nördl. Temene ~ 6,1 ha ~ 3,8 ha Agora ~ 6,4 ha ~ 4,4 ha südl. Temene ~ 5,1 ha ~ 2,7 ha ? Länge Insulae ~ 273 m ~ 230 m Breite Insulae ~ 35 m ~ 32,8 m Breite Hauptstrassen ? 8,20 m Breite Wohnstrassen ? 4,10 m Abb. 23 Poseidonia und Pompei im Vergleich (gleicher Massstab). Gemeinsamkeiten betreffen die über 200 m langen Insulae, wie sie nur in der Archaik angelegt wurden, und eine sehr grosse, den mittleren Bereich der Stadt einnehmende öffentliche Zone mit Agora in Stadtmitte und Temene an den Seiten (Poseidonia nach Mertens, Pompei Verfasser). <?page no="40"?> 38 Kapitel 8: Poseidonia und Pompei Die öffentliche Zone in der Stadtmitte Der griechische Architekt, der im ersten Drittel des 6.-Jahrhunderts den Stadtplan von Poseidonia und wahrscheinlich auch den von Pompei entwarf, räumte der Agora als dem politischen und gesellschaftlichen Zentrum die grösstmögliche Bedeutung ein, indem er dafür in der Mitte der Stadt eine grosse, von Hauptstrassen umgebene Fläche vorsah. Das ist nicht neu, neu ist aber die konsequente Beschränkung auf die politischen öffentlichen Bauten. Anders als etwa in Athen, wo in der Agora Heiligtümer optisch bestimmend sind, und eine Trennung der sakralen und der politischen Sphäre nicht möglich scheint, waren in Poseidonia und Pompei beiderseits der politischen Mitte riesige, bis zu den Stadträndern reichende Räume den Sakralbereichen zugewiesen. Auf 5 ha und 6 ha Fläche konnten in Poseidonia gewaltige Tempel entstehen. Wie die Temene abgegrenzt waren, ob es eine langfristige Planung für weitere Bauten gab, ist ebenso unbekannt wie die Persönlichkeiten der Architekten und die Existenz lokaler Bauhütten. Eine Festlegung auf eine Reihenfolge von sukzessive entstehenden Bauten auf der Agora kann es kaum gegeben haben, weil jedem klar war, dass sich Verhältnisse, Bedingungen und Prioritäten ändern. Alle Bauten auf der Agora hatten einen semi-sakralen Charakter. Das gilt natürlich für Heroa, so für das Heroon des Oikisten, das bedeutungsschwere Erinnerungsmal im Stadtzentrum. Agora in Poseidonia Emanuele Greco und Dinu Theodoresku haben viele Jahre der Erforschung der Agora gewidmet. 53 Der langen Nutzungsdauer entsprechend ist der Befund kompliziert und kann hier nicht mit wenigen Worten geschildert werden. Ich beschränke mich auf Bauten, die in ähnlicher Form auch in Pompei vorkommen bzw. diskutiert werden. Grab des Oikisten, Heroon des Stadtgründers In Poseidonia liegt in der Mitte und gleichweit von der Wohnbebauung im Osten und Westen entfernt ein oikos-ähnliches Heiligtum mit einem Satteldach aus grossen korinthischen Tonziegeln. Dafür sind mehrere Deutungen vorgeschlagen worden. Jetzt sind neue Untersuchungen im Gang, und es scheint sich die Interpretation als Heroon des Oikisten, des Stadtgründers durchzusetzen (Abb . 24). 54 Ursprünglich war dieses Grab mit einem Erdwall bedeckt. Kostbare Beigaben beweisen eine Entstehung in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts-a. C. Abb. 24 Poseidonia. Die Entdeckung und Ausgrabung des unberührten Grabes des Oikisten in der Stadtmitte war eine Sensation. Das Grab hat Hausform und ein Dach aus Tonziegeln (korinthische Deckung). Im Hintergrund ist die Basilika zu sehen, die etwa zeitgleich mit dem dorischen Tempel in Pompei entstand (Foto Verf. 1968). <?page no="41"?> 39 Kapitel 8: Poseidonia und Pompei Buleuterion In Poseidonia wurde im öffentlichen Raum das Buleuterion aufgedeckt. Es handelt sich um eines der ältesten Bauten dieser Art. Anders als die späteren Rathäuser war es ein einfaches Rund, in dessen niedrigen Stufen die Buleuten Platz nahmen (Abb 25). Für die Volksversammlung aller Bürger der grossen Stadt muss ein freier Platz im Zentrum vorhanden gewesen sein, der aber bei Ausgrabungen kaum zu erkennen ist, da er vermutlich keine baulichen Spuren hinterlassen hat. Agora in Pompei Dem satellitengestützten Plan der Ruinenstadt ist die grosse öffentliche Zone nicht ohne weiteres abzulesen, weil die Bauleute der samnitischen Zeit die Situation völlig veränderten. Auf unserer Abb 14 sorgen die rot eingezeichneten Begrenzungslinien der seitlichen Wohnbezirke für Klarheit. Die öffentliche Zone ist kein Rechteck, kein Parallelogramm, sondern ein Rhomboid. Die Agora nimmt den mittleren Bereich der öffentlichen Zone ein und wird seitlich von den beiden Hauptstrassen πλατεῖα β und πλατεῖα γ begrenzt. Die dritte Hauptstrasse πλατεῖα α verläuft diagonal durch die öffentliche Zone und schräg durch das 4,37 ha grosse Gebiet der Agora. Die Bodenbeschaffenheit, eine Senke, schrieb den Verlauf vor. Darauf habe ich schon mehrfach hingewiesen. Ausserdem soll noch erwähnt werden, dass diese Senke den Bauten der Agora im Gegensatz zu der üblichen horizontalen Platte bei Agorai unterschiedliche Niveaus bewirkte. Der die Hauptstrasse hinab oder hinauf steigende Besucher erlebte gestaffelte Bauten unterschiedlicher Ausrichtung. Unklar ist die Situation im Südwesten der Agora, weil die Begrenzung der ‚Altstadt‘ in das Gebiet der Agora hineinreicht (Abb. 17). Grab des Oikisten? In Pompei gibt es im Stadtzentrum ein unterirdisches Dromos-Grab, das ich für das entsprechende Heroon des Oikisten halte. Unter der Natatio der Stabianer-Thermen befindet sich ein abwärts führender Dromos, der in einer quadratischen Grabkammer endet. Hans Eschebach hat dieses für Pompei einzigartige Grab im Rahmen seiner Untersuchungen der Stabianer-Thermen neu vermessen und Zeichnungen vorgelegt (Abb 26). 55 Bei einem Umbau entstanden an drei Seiten der Kammer backofenähnliche Nischen für Aschenurnen. Noch später wurde das Abb. 25 Poseidonia. Das auf der Agora aufgedeckte Buleuterion besteht aus einem kreisförmigen Rund mit niedrigen Sitzstufen (Foto Verf. 1968). <?page no="42"?> 40 Kapitel 8: Poseidonia und Pompei Grab in eine Zisterne umgebaut. Dennoch lässt sich die Grundform erkennen: Ein 10 m langer und 5 m tief in den Felsen führender Dromos, ein gewölbter Gang mit 2-m Höhe bei 80 cm Breite endet nach drei Stufen in eine vom Dromos abgesetzte Kammer. Deren Decke hat die Form eines Satteldaches und erinnert an etruskische Gräber des 6. Jahrhunderts. Zugang und Einstieg in den Dromos bleiben unklar. Sicher war das Heroon-Grab überirdisch sichtbar, vielleicht gab es einen Sockel mit der Statue eines Heros, die von den beiden sich hier kreuzenden Hauptstrassen im Blick war. Brunnen bei Palästra, Stadion oder Gymnasion? Weil die olympischen Spiele nach Aufzeichnung einer Siegerliste seit 776 a. C. (mit Verkündigung des olympischen Friedens) stattfanden, und auch in der Frühzeit von Westgriechen besucht wurden, muss es bereits in archaischer Zeit Trainingsmöglichkeiten in den Städten gegeben haben. Eine einfache Palästra in Form eines begrenzten Platzes, erkennbar vielleicht an dem besonderen Boden aus feinem Sand (vermutlich vom Meeresstrand), ist jedenfalls für Pompei in der öffentlichen Zone im Gebiet der Agora zu vermuten. Weil Wasser für die Körperpflege bei einer Palästra erforderlich war (in Pompei wurde bei Ausgrabungen eine Strigilis gefunden, abgebildet im Pomp e i Greci, Catàlogos 2017, p. 182) könnte ein Brunnen im Zentrum einen Hinweis auf den Ort einer solchen Palästra geben. Hans Eschebach hat bei seinen Untersuchungen und Grabungen in den Stabianer Thermen das schon vermutete hohe Alter einer Reihe von Wannenbädern nördlich der Palästra bestätigt. 56 Noch wesentlich älter ist ein quadratischer Tief brunnen im Raum M nördlich des westlichsten Wannenraumes mit einer Westwand aus Pappamonte-Tuff (Abb . 27) Er wurde bis zu einer Tiefe von 2,50 m ausgegraben. Einsturzgefahr führte zur Einstellung der Arbeiten. 57 Dass der Brunnen eine besondere Funktion hatte, legt seine Lage im Zentrum, seine im Querschnitt ungewöhnliche rechteckige Form und sein hohes Alter, auf die das das Material der Wände hinweist, nahe. Eindeutig nimmt die Reihe der Wannen auf den Brunnen Rücksicht, der demnach älter war. Hier bietet sich die Vermutung an, dass in archaischer Zeit eben dieses Wasser des Brunnens von Knaben und jungen Männern zur Körperreinigung benutzt wurde, nachdem sie in einer Palästra trainiert hatten. Zu einem Schnitt, den Eschebach im Boden der späten Palästra anlegte, berichtet er: Man erkennt in 0,80 m Tiefe unter der Oberfläche der letzten Periode der Palästra eine ebene, feste Schicht aus gestampfter Erde, die mit dem Niveau der hellenistischen Sitzbäder korrespondiert. Eschebach datiert diese feste Schicht aus gestampfter Erde zusammen mit Vorgängern der Sitzbadewannen in das 3. Jahrhundert a. C. Funde geben nur einen terminus ante quem, so dass eine ältere Entstehung einer einfachen Palästra an dieser Stelle möglich erscheint. Es muss auch kein Widerspruch sein, wenn das Grab, das wir für das Abb. 26 Pompei. Lage und Form des unter der Natatio der Stabianer Thermen liegenden Grabes (s.-Abb.-27) mit Dromos und quadratischer Kammer spricht für die Deutung als Grab des Oikisten (Zeichnung Eschebach). Abb. 27 Pompei. Ein Tiefbrunnen bei den Stabianer-Thermen hat Seitenwände aus Quadern von Pappamonte-Tuff. Dieser archaische Brunnen gehörte vielleicht zu einer Palaestra, die als Vorläufer der Thermen anzusehen wäre (Zeichnung Eschebach). <?page no="43"?> 41 Kapitel 8: Poseidonia und Pompei des Oikisten halten (p. 39), nahe der vermuteten Palästra liegt. Denn es wäre Erinnerungsmal und Ansporn für die trainierenden Jungen und jungen Männer. In der Publikation des Symposions Das hellenistische Gymnasion (Frankfurt 2001) betont Peter Scholz in einer Einleitung, dass das Gymnasion sicher nicht seine Entstehung der kriegerischen Ertüchtigung der Jugend verdankt und auch keine Erfindung der attischen Demokratie war. Vielmehr wurde das Gymnasion in der agonalen Kultur der Aristokratie ausgebildet. 58 Das ist sicher richtig, bedeutet aber nicht, dass es in Pompei keine frühen Sportstätten gegeben haben kann. Ich erinnere an das um 400 a. C. gebaute Pompeion-Gymnasion in Athen, wo es neben dem als Palästra dienenden Peristyl-Hof einen Nebenhof mit einem Brunnen gab, dessen Wasser der Körperpflege diente. 59 Ein Versammlungsbau? P. Castrén - R. Berg - A. Tammisto - E.-M. Vitanen u.a., In the Heart of Pompeii - Archaeological Studies in the Casa di Marco Lucrezio (IX,3,5) in: Nuove Ricerche 2003 - 2006, 331-340. Die Ausgräber arbeiteten im Zentrum der romboiden Insula IX,3 in der Casa mit Eingang 5 von der Via Stabiana (Abb 28). Dass es sich hier um Häuser der frühen samnitischen Zeit mit Mauern in Kalksteintechnik handelt, ist nicht erstaunlich, denn die Samniten bauten der Einfachheit halber zuerst in der Öffentlichen Zone der Griechen-Stadt, wo es grosse freie Flächen gab. In dem sich etwa 34- m nach Osten erstreckenden Atrium-Haus wählten die Ausgräber den Garten mit der Raumnummer 18. In dem etwa 8 m breiten und 6 m tiefen Raum wurde ein natürlicher Hügel festgestellt. Er war noch 1,5m hoch erhalten und ist auf Abb. 28 an der Höhenlinie erkennbar. In einem Schnitt am Rand des Hügels kam eine in zwei Schichten erhaltene Quadermauer aus Pappamonte-Tuff ans Licht. Sie besteht aus Läufern und Bindern und hatte möglicherweise eine grössere Tiefe. Sie war an beiden Seiten gekappt worden. Zweifellos richtig erkannten die Ausgräber einen Zusammenhang des Hügels mit dieser Mauer. In der Nordostecke des Gartens 18 wurde auf etwa demselben Nivau ein weiterer Block aus Pappamonte-Tuff angetroffen. In der Schicht mit der Pappamonte-Mauer gab es reiche Keramikfunde: Buchero und auch attische Keramik, darunter sieben Fragmente einer schwarzfigurigen Trinkschale. Eine Scherbe zeigt einen Stier, vermutlich ein Opfertier (Abb 29). Die Datierung weist in das spätere 6.-Jahrhundert. Es könnte sich bei dem Rest-Hügel mit der ihn begrenzenden Stützmauer um einen Versammlungsbau handeln, der bis an die πλατεῖα α reichte und auch von dieser Hauptstrasse erschlossen wurde. An ein Theater ist dabei nicht zu denken, weil dessen entwickelte Form erst im 5. Jh. entstand. Es könnte sich aber nach dem Vorbild von Poseidonia um einen mehreren Zwecken dienenden Versammlungsbau handeln. Nur weitere Grabungen können Klarheit bringen. Eschara (Altar) und Bothros IX,1,29 Casa di M. Epidio A. Gallo in Nuove ricerche 2009 p. 324 ff.; Avagliano 2018, 200. Eine area sacra 40 m nördlich der Via dell Abbondanza datiert in hellenistische Zeit. Für einen Kult in archai- Abb. 28 Pompei. Bei Ausgrabungen im Haus IX,3,5 wurde ein etwa 1,5 m hoher natürlicher Hügel angeschnitten, den eine Mauer aus Pappamonte-Tuff seitlich stützt. Es scheint sich um Reste eines Versammlungsbaues zu handeln (Plan von Castrén und Mitarbeitern). Abb. 29 Pompei. Attische archaische Scherbe mit der Darstellung eines Stieres, vermutlich eines Opfertieres, von der Ausgrabung in der Casa IX,3,5,24 (Foto EPUH/ Tina Tuukkanen). <?page no="44"?> 42 Kapitel 8: Poseidonia und Pompei Abb. 30 Poseidonia. Der dorische Hera-Tempel I (Basilika) mit stark bauchigen Säulen und ausladenden Kapitellen ist einer der ältesten in Stein gebauten griechischen Tempel (Foto Verf. 1968). scher Zeit spricht ein Bothros mit 71 Scherben und andere Funden vom Ende des 7. Jahrhunderts bis zum Ende des 5. Jahrhunderts, darunter 20 Amphorenhenkel. Im östlichen Peristyl der casa di M. Epidio wurde ein vereinzelter Pappamonte-Block (50 × 45 cm) gefunden, bei dem es sich um einen nach Osten orientierten Altar (Eschara) handelt. <?page no="45"?> 43 Kapitel 8: Poseidonia und Pompei Die seitlichen Zonen der Heiligtümer In beiden Städten waren beiderseits der Agora sehr grosse Zonen für Heiligtümer reserviert worden. Der Regelmässigkeit der Stadt Poseidonia entsprechend waren dort, wie es scheint, die riesigen Temene sehr grosse rechteckige Flächen. Anders in Pompei, wo die diagonal verlaufende πλατεῖα α alle drei Bereiche der öffentlichen Zone zerschneidet. Poseidonia Im Süden lag das Temenos der Hera. Hera war Hausherrin der beiden gewaltigen und viel bewunderten dorischen Peripteroi. Der Hera-Tempel I, der meist Basilika genannt wird, ist einer der ältesten ganz in Stein gebauten Tempel überhaupt und fällt mit seinen schwellenden Säulen und weit ausladenden Wulst-Kapitellen auf (Abb 30). Er wurde etwa eine Generation nach der Stadtgründung errichtet und hatte vermutlich einen Vorgänger aus Holz. 60 Im Nordheiligtum steht der dritte der weltberühmten Peripteroi, der spätarchaische Tempel der Athena, der bei dorischer Ringhalle vor der Cella ionische Säulen aufweist. Ein Schaubild von Friedrich Krauss gewährt einen Blick in die Vorhalle des Tempels. 61 Pompei Pompei: Sakrale Zone Süd: Der dorische Tempel am Forum Triangolare De Waele, Il tempio dorico del Foro Triangolare di Pompei (Roma 2001); S. De Caro, The first Sanctuaries, in: F. Zevi (ed.), Pompei (Neapel 1991) 23-46; Avagliano 2018, 60-63. Der einzige erkennbar griechische Tempel in Pompei ist der dorische Tempel am Forum Triangolare am Rand der sakralen Zone Süd auf einem erhöhten Lavasporn neben der ‚Altstadt‘ und am Steilabfall bei der Stadtmauer im Süden gelegen. Der Oberbau wurde zwar später erneuert (vermutlich nach Erdbeben), aber die Krepis, Wulst- Kapitelle und Säulen mit 18 Kanneluren gehören zum älteren Bau, der als griechisch oder griechisch geprägt angesehen wird und vor der Mitte des 6. Jahrhunderts entstand (Abb 31 . 32). Abb. 31 Pompei. Die Kapitelle vom dorischen Tempel auf dem Foro Triangolare sind mit flachem und weit ausladendem Echinus etwa zeitgleich mit denen der Basilika in Poseidonia (Foto Verf. 2010). Abb. 32 Pompei. Vom archaischen dorischen Tempel am Foro Triangolare ist am Ort der Unterbau mit drei Stufen erhalten (Foto Verf. 2010). <?page no="46"?> 44 Kapitel 8: Poseidonia und Pompei Dieter Mertens hält den Bau eindeutig für griechisch und verweist auf die Gesamtabmessungen 2: 3 (20,39-m × 29,70- m) und vergleicht die flachen dorischen Teller- Kapitelle mit denen des altertümlichen Kardaki-Tempels auf Korfu. 62 J. De Waele rekonstruiert den dorischen Tempel als Weithallen-Tempel mit 7 auf 11 Säulen auf einer mehrstufigen Krepis und spricht dabei von einem etruskischitalischen Grundmodell. 63 Die erhaltenen Fundamente erlauben keinen Zweifel an der Rekonstruktion als Weithallentempel. Bei De Waeles Rekonstruktion gibt es eine Bindung zwischen Cella und Säulen der Ringhalle. Dieselben Beziehungen zeichnen auch den genannten Hera-Tempel I (Basilika) in Poseidonia aus. Weil auch beide Tempel eine Säule in der Mitte der Schmalseiten aufweisen, erscheint eine Beeinflussung des vielleicht wenig jüngeren Baus in Pompei durch Architekten in Poseidonia möglich Abb 33). Dem dorischen Tempel in Pompei zugeschrieben werden Terrakotten, Antefixe, Stirnziegel mit Palmettenmustern vom Dachrand, die griechisch sind und nicht etruskisch. Sie wurden nach Ansicht von Fachleuten in Pithekussai auf der Insel Ischia hergestellt, wo Griechen ansässig waren und bedeutende Werkstätten unterhielten. Das Temenos der Athena oder des Herakles war Teil der frühen griechischen Stadtplanung. Seine Lage auf einer Lava-Terrasse mit schroff abfallenden Rändern gewährt eine herrliche Aussicht auf die Ebene mit dem Fluss Sarno und lässt die Besonderheit dieses Kultbaus erkennen. Pompei: Sakrale Zone Süd: Fundament eines Tempels oder Teil einer Schutzmauer der ‚Altstadt‘? J.-A. Dickmann - F. Pirson, Die Casa dei Postumii in Popmpeji und ihre Insula. Fünfter Vorbericht, RM 109, 2002, 243-316; J.-A. Dickmann - F. Pirson, Il progretto ‚Casa die Postumi‘: un coplesso architettonico a Pompei come esemplificatizione della storia dell'insediamento, del suo sviluppo e delle sue concezioni urbanistiche, in: Nuove richerce 2005, 156-169. Avagliano 2018, 186. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Ausgrabungen im südlichen Bereich der Heiligtümer, südlich der πλατεῖα γ (Via dell’ Abbondanza), im Winkel mit der bogenförmigen Strasse der ‚Altstadt‘. Dort kam eine der grössten architektonischen Strukturen der Frühzeit Pompeis ans Licht. Jens-Arne Dickmann und Felix Pirson erforschen seit Jahren die Baugeschichte der Casa dei Postumii VIII, 4,4, deren sichtbare Ruinen die eines vielfach veränderten Atriumhauses der samnitischen Zeit sind. Ein mehrmals verlängerter Schnitt vom nördlichen Bereich des Peristyl durch das Tablinum und das Atrium bis in den Bereich der fauces brachte etwa 1,30 m unter dem Begehungsniveau von 79 n.- Chr. eine Struktur aus locker gesetzten Crumabrocken mit einer ebenen, mörtelharten Oberfläche aus zerstoßenem Pappamontematerial zutage, die an drei Seiten von späteren Gruben geschntten wird. Auf p.- 280: Im Nordwesten der Sondage schließt an die beschriebene Struktur eine nordsüdlich verlaufende Mauer aus Pappamonteblöcken in Läufer-Binder-Technik an. Wie die Ausgräber weiter mitteilen, sind auf der untersten, nivellierenden Schicht dieses 2,60 m breiten und mindestens 19-m langen Fundamentes noch einige Randblöcke vom aufgehenden Mauerwerk erhalten (Abb 34). Zur Datierung schreiben die Ausgräber p.-280: im grauen lehmigen Erdmaterial, in die das Fundament eingetieft ist, fand sich ... ein grosser Anteil an Bucchero- und Impastokeramik sowie einzelne Fragmente von Schwarzfirnisware, die eine relativ frühe Datierung in das sechste bis fünfte Jahrhundert v.-Chr. nahelegen. Die Ausgräber halten dieses Fundament für den Teil einer Stadtmauer, die die 6-ha grosse ‚Altstadt‘ umschlossen haben soll. Nach Norden verlängert müsste diese Mauer auf der Südseite der Palaestra der Stabianer Thermen verlaufen, wie schon Hans Eschebach annahm. Monika Trümper und Kollegen haben aber bei neuen Forschungen in den Thermen dort keine Spur einer solchen Mauer feststellen können. Damit entfällt auch der vermutete Stadtgraben, dessen Sohle von Gerkan mit der Abwasserleitung der Wannenbäder der Stabianer Thermen in Zusammenhang brachte. Das Pappamonte-Fundament in der Casa dei Postumii VIII,4,4 muss das eines bedeutenden Bauwerks sein, das an markanter Stelle in der für Heiligtümer reservierten südlichen Zone lag (Plan 3). Die Breite von 2,60-m lässt Abb. 33 Poseidonia und Pompei. Der Hera-Tempel 1 in Poseidonia ist ebenso wie der der etwa zeitgleiche dorische Tempel in Pompei ein Weithallen-Tempel. Beide zeichnen sich durch Mittelsäulen an den Schmalseiten aus (Zeichnungen Mertens und De Waele). <?page no="47"?> 45 an das Fundament einer Ringhalle eines grösseren Tempels denken, zum Beispiel an den Hera-Tempel I in Poseidonia (Abb 35). Das Fundament in Pompei ist 19-m lang erhalten und könnte ursprünglich nach Norden kaum länger gewesen sein, weil der Abstand zur Strasse nur 5 m beträgt. Bei einer Ausrichtung dieses vermuteten Tempels nach Osten, könnte es sich bei dem aufgedeckten Fundament um die westliche Schmalseite eines Tempels etwa in der Grösse des Heraion in Olympia (19-m Breite, 50-m Länge) handeln. Das Temenos läge im Blickpunkt der Pompé, die vielleicht an der Kreuzung der beiden Hauptstrassen eine Station hatte (p.-69-f.). Pompei: Sakrale Zone Süd . Terrakotten eines weiteren Tempels? Saggi Maiuri 1933 und 1943 in der Casa I.2.19-21; Tommasino 2004, 22.23 mit Plan der Insula mit Einzeichnung der Schnitte als Balken und Zeichnung der rundlich verwitterten Quadermauer aus Pappamonte- Tuff. Pappamonte-Abschläge (Splitter). Die kurze Mauer scheint einem archaischen Privathaus angehört zu haben. Dieses stand auf einer Parzelle der rechten Häuser-Reihe der westlichsten Insula im östlichen Wohnbezirk. Bemerkenswert aber ohne Abbildung: materiale arcaico fra cui si segnala un frammento di terracotta architettonica proviniente, forse, da un edificio sacro di cui noi, però, non possediamo ulteriori informazioni ... (Tommasino 2004, 23). Das zugehörige Gebäude (vermutlich ein Tempel) könnte weiter westlich, etwa 40-m entfernt vom Fundort der archaischen Terrakotten auf der sakralen Zone Süd gestanden haben. Pompei: Sakrale Zone Nord Garten oder Ackerbau? H. Bomann, The interaction between street and houses in the North-West corner of Insula V 1, in: Nuove Ricerche 2009, 87-92; A.-M. Leander Toati, Urbanisation of Insula V,1, in: Nuove Ricerche 2009, 117-123. Für den Bereich unmittelbar nördlich und westlich der πλατεῖα α (Regio V,1) sprechen die Ausgräber Henrik Bomann und Anne-Marie Leander Toati davon, dass dort Garten- oder Ackerbau betrieben wurde: In V 1, 14-16 early stages more or less open and presumely used for farming. Abb. 34 Pompei. Das 19- m lange und 2,60- m breite Fundament aus Pappamonte-Tuff in der Casa dei Postumii VIII,4,9 muss Teil eines grossen und schweren Bauwerks im Stadtzentrum gewesen sein. Die Lage an der πλατεῖα γ (Via dell’ Abbondanza) spricht für einen Tempel (Ausgrabung und Zeichnung Dickmann - Pirson). Abb. 35 Poseidonia. Die Ringhalle des Hera-Tempels I aus dem frühen 6. Jahrhundert a. C. ruht auf einer dreistufigen Krepis und einem 3 m breiten Fundament aus fünf Schichten flacher Binder (Zeichnung bei Mertens). Kapitel 8: Poseidonia und Pompei <?page no="48"?> 46 Kapitel 8: Poseidonia und Pompei Diese Feststellung berührt das Problem, wie die sehr grosse öffentliche Zone verwaltet wurde. Der Nachweis von Gärten und / oder Ackerbau bedeutet, dass die Flächen von Eigentümern (Kultgemeinschaften? ) verpachtet wurden, solange an die Realisierung von Bauprojekten nicht gedacht wurde. In der kurzen Lebensdauer der archaischen Stadt konnten erst wenige, als vorrangig beurteilte Projekte ausgeführt werden. Pompei: Sakrale Zone Nord . Tempel oder Stoa? Ausgrabung der Universität Nijmegen 2005 in der Casa VI,14,40; Rileggere 2006, 48-49, fig. 2 Zeichnung Tommasino; Avagliano 2018, 167.168 mit Abb. 99a auf p. 129. Ein sehr schmales Atrium-Haus mit Garten am Vico dei Vetti. Grabung auf der Südseite des Atrium. Fundament-Mauer aus Bindern von 17 Quadern in Pappamonte mit ost-westlicher Ausrichtung (Abb 36). Hinter dieser Reihe eine weitere Reihe wahrscheinlich ebenfalls Binder. Der Stein 29 auf der Zeichnung scheint in situ liegend dieser höheren Reihe anzugehören. Charakteristisch für grosse Quader-Fundamente aus Pappamonte-Tuff ist die unsaubere Bearbeitung der Oberflächen und schlechter Fugenschluss. Das Fundament liegt am Rand der Sakralen Zone Nord. Es gehörte vermutlich der Langseite eines Tempels an. Abb. 36 Pompei. In der nördlichen Zone für Heiligtümer kam in der Casa VI,14,40 eine Pappamonte-Mauer aus 17 Quadern eines öffentlichen Gebäudes, vielleicht eines Tempels ans Licht. (Zeichnung Tommasino). <?page no="49"?> 47 Kapitel 9: Griechische Häuser und Hausmauern Vorbemerkung Mit einer einzigen Ausnahme kamen bei den räumlich begrenzten saggi immer nur vereinzelte frühe Mauern aus Pappamonte-Tuff ans Licht. Um diese Mauern als Teile von Häusern zu erklären, ist die Kenntnis der Parzellen, der Hausgrundstücke unabdingbare Voraussetzung. Das archaische Pompei bestand, wie andere griechische Kolonie-Städte, aus langen, hier 230 m langen Insulae mit Doppel-Reihen gleich grosser „Lose“, hier mit zwei Reihen von 14 quadratischen Grundstücken mit je 270 m 2 Fläche. Dieses Ergebnis ist durch mehrfache Kongruenz gesichert. Ich beschränke ich mich zunächst auf den nordwestlichen Wohnbezirk (Regio VI), und dort auf die Interpretation von nur zwei archaischen Befunden. Diese ergänzen sich und lassen in beiden Fällen Hofhäuser oder besser Häuser mit Wohn-Hof erkennen. Der Wohntrakt oder Wohnzeile im Norden des Grundstücks besteht aus: 1. dem Oikos-Ensemble mit zwei angeschlossenen Kammern (Nassräume an der Mittte der Insulae mit vermuteter Drainage; 2. dem Bankettraum für sieben Klinen an der Strassenseite nahe der Haustür. Poseidonia: Ein archaisches Wohnhaus L. Ficuciello, Scavo di Strutture abitative nel quartiere occidentale databili tra l’étà arcaica et l’étà romana, in: E. Greco - F. Longo, ed., Paestum, Scavi, Studi, Richerche. Bilancio di un decennio (1988-1998). Fondazione paestum, Tekmeria 1. Eine Sensation! In Poseidonia hat die Erforschung der Häuser der griechischen Gründungsphase begonnen. Laura Ficuciello berichtet über ihre Ausgrabung eines grossen Raumes eines Hauses auf der dritten Insula von der Agora nach Westen. Privatbesitz hatte früher Grabungen verhindert. Das änderte sich, und 1987 konnten Ausgrabungen begonnen und 1994 beendet werden. Auf p.-172 berichtet sie von einem 4,5 m × 8 m grossen Raum direkt auf dem gewachsenen Boden. Diese Masse lassen erkennen, dass es sich sehr wahrscheinlich um den Oikos, um den Hauptwohnraum eines griechischen Hofhauses handelt. Auf dem Grundstück wurde ein Brunnen gefunden, der nach der dort geborgenen Keramik zu urteilen im 6.-Jahrhundert a. C. angelegt worden war. Weitere Ausgrabungen von Wohnhäusern werden klären, ob auch bei den Wohnhäusern eine Verwandtschaft zwischen denen in Pompei und denen in Poseidonia besteht. Pompei: Das griechische Haus unter der Casa di Pomponius VI,10,6 Maiuri: Il piú grande e organico complesso di una costruzione in tufoide nero (pappamonte). A. Maiuri 1973, 165-169 mit Grundriss, Schnitt und Axonometrie; F. Coarelli - F. Pesando (ed.), Rileggere Pompei 2006, 93, Gli scavi di A. Maiuri; C. Benedetti, in: Rileggere Pompei 2006, 123, tavv. 4 und 41-42; Avagliano 2018, 165 mit fig. 121a und 121b. Maiuris Ausgrabung Maiuri hatte 1943 im Haus VI 10,6 den gesamten Bereich des Atrium ausgegraben und nur das Impluvium ausgespart. Die hier zu Tage gekommenen Pappamonte-Mauern lassen sich in diesem Bereich zu einem grossen rechteckigen Raum ergänzen. Maiuri 1973 p.166 schreibt enthusiastisch: ... e apparso un grandioso e organico complesso di muri di tufo cosidetto pappamonte, in opera quadrata, che sguono da nord ... da est ad ovest, lo stesso orientamento dell'abitazione posterore. Der Plan, den Maiuri im Zusammenhang mit seiner Entdeckung publizierte, wurde von R. Oliva signiert (Abb 37). Er arbeitete schon lange im Team von Maiuri. Es gibt aber ein Problem. <?page no="50"?> 48 Kapitel 9: Griechische Häuser und Hausmauern Im Grundriss ist der Strassenrand der Via di Mercurio, von der das samnitische Haus VI,10,6 betreten wird, auffallend sehr schiefwinklig zu den Räumen des Hauses und auch der Pappamonte-Mauern eingezeichnet. Dass das nicht stimmt, zeigt ein Blick auf den neuen satellitengestützten Gesamtplan (hier Plan 3): Der Strassenrand verläuft auf der Westseite der Insula völlig gradlinig und die Hausmauern sind parallel zum Strassenrand. Der Fehler ist einfach zu erklären. Das Katastrophenjahr 1943 mit Krieg und Bombenhagel auf Pompei war schuld. Eine Bombe ging in der Via Mercurio nieder und beschädigte die Front der Casa di Pomponius. Die axonometrische, gleichfalls von Oliva signierte Zeichnung (Abb 38) zeigt die Ausgrabung mit den Pappamonte-Mauern und die späten Ruinen von Osten mit Blick auf den Hauseingang im Hintergrund. Diese Zeichnung scheint später nach Skizzen entstanden zu sein. Der Fehler mit der falsch eingezeichneten Strassenwand ist hier nicht wiederholt. Die neuen Ausgräber von Rileggere I haben den Fehler natürlich bemerkt, aber in den Plan der Teil- Insula 10 nicht eingezeichnet. In meinen Zeichnungen Abb 39 und Abb 40, für die als Grundlage der neue schematische Steinplan Abb. 37 In der Casa di Pomponius VI,10,6 grub Maiuri 1943 die Mauern des Oikos eines archaischen griechischen Wohnhauses aus. Wegen Bombenschäden entstanden Fehler bei der Bauaufnahme, der die Lage der Ruinen an der Strasse betrifft (Bauaufnahme und Zeichnung Oliva 1943). Abb. 38 Axonometrische Darstellung der Casa VI,10.6 mit Betonung (dunkel) des ausgegrabenen archaischen Rechtecks aus Pappamonte-Tuff (Zeichnung Oliva 1943). <?page no="51"?> 49 Kapitel 9: Griechische Häuser und Hausmauern der insula dient, ist der Fehler korrigiert und das grosse Pappamonte-Rechteck mit den bei Maiuri angegebenen Massen eingezeichnet. Die blauen Linien zeigen die Grundstücksgrenzen: Der Wohnbereich liegt im Norden vor dem grossen Hof. Die Pappamonte-Mauer in der bottega 5 gehört zum nördlich anschliessenden archaischen Haus. Parzelle des Hauses Das Grundstück des archaischen Hauses unter der samnitischen Casa VI,10,6 ist ein normales „Los“ (Kleros) mit 16,43 × 16,43 m oder 270 m 2 Fläche. Es liegt südlich der samnitischen Querstrasse. Nach meiner Rekonstruktion der Insulae (blaue Linien) handelt es sich um die vierte Parzelle von Süden der westlichen Hausreihe (Plan 3 und Abb 40). Das Oikos-Ensemble Dieser in Pompei singulär erhaltene Oikos eines archaischen Hauses hat nach Maiuri 1973 p.- 166 die Masse 4,80 × 7,10 m (Abb 41). Das entspricht der Zeichnung von Oliva genau, und es gibt keinen Grund an dieser Angabe zu zweifeln. Offensichtlich war mit diesen Massen das Seitenverhältnis des Rechtecks von 2: 3 gemeint. Fussboden und Hestia (Herd) sind nicht erhalten, weil sich dort das Impluvium des samnitischen Hauses befindet. Der Raum östlich vom Oikos war 2,90 m breit. Nach dem Beispiel der Casa della Fontana grande (p.- 49) trennte auch hier eine Zwischenmauer (nicht erhalten) zwei Kammern: Bad und Webkammer. Ein solches Oikos-Ensemble mit zwei kleinen, vom Oikos zu betretenden Nebenräumen ist für griechische Wohnhäuser seit archaischer Zeit charakteristisch (p.-50-f.). Bankettraum Der Abstand der westlichen Mauer des Oikos von der Aussenmauer des Hauses an der Strasse beträgt 4,80 m, so dass an dieser Stelle ein quadratischer Raum zu ergänzen ist (Abb 39 40 . 41). Denn in der Fortsetzung der südlichen Wand des Oikos nach Westen ist ein 2-m langes Teilstück einer Mauer erhalten. Offensichtlich handelt es sich um einen Bankettraum für sieben Klinen, wie er in vielen Häusern bevorzugt in Nähe des Hauseingangs errichtet wurde. Weil in der Verlängerung der Trennwand zum Oikos nach Süden ein weiterer Pappamonte-Block in situ erhalten ist, ist ein Vorraum zum Bankettraum zu ergänzen. Dessen Lage an der Wand zur Strasse ist die Regel, denn Teilnehmer am Symposion konnten un- Abb. 39 Im neuen schematischen Steinplan der Casa VI,10,6 ist die Lage der Pappamonte-Mauern des Oikos korrekt dargestellt: rechtwinklig zum Strassenrand (Verfasser auf Plan der Soprintendenza). <?page no="52"?> 50 Kapitel 9: Griechische Häuser und Hausmauern bemerkt und ohne die Familie zu stören den neben der Haustür gelegenen Vorraum erreichen. Zudem gestattete die Lage des Bankettraumes an der Aussenwand das Anbringen eines Fensters für Luft und Licht. Symposienräume waren schon im 7. Jh. in Bürger- Häusern üblich und entsprachen gesellschaftlichen Normen. 64 Die schlichteste Ausführung eines Andron bestand aus einem quadratischen Raum von 3 m Seitenlänge mit drei an der Wand stehenden Klinen. 65 Die häufiger ausgeführten Sieben-Klinen-Andrones erforderten einen mehr als 20 m 2 grossen Raum. Diese Grösse galt als ideal, weil eine grössere Zahl von Symposiasten sich gleichzeitig auf Klinen lagern und sich ohne Mühe verständigen konnten. Pastas? Der Raum vor dem Oikos mit seitlichen Mauern legt die Vermutung nahe, dass dort eine Pastas, eine Halle ausgeführt war. Aber eine Säulenhalle ist in der Privatarchitektur im frühen 6. Jahrhundert nicht nachweisbar. Vielleicht hat es ein auskragendes Schutzdach gegeben. Zu einem möglichen Obergeschoss, das in klassischer Zeit die Regel ist, gibt es keine Informationen. Pompei: Die Casa della Fontana grande VI,8,22 Maiuri p. 161: saggi che portarono alla scoperta di elementi di piú vetuste costruzioni nell'area di quella casa. Maiuri 1973, 161-171 (Text aus Notizie d. Scavi di Antichità, 1944-45, 130-159); Avagliano 2018, 161-162. Kanonisches weiträumiges Atrium-Haus mit Eingang von der Via di Mercurio. Eines der schönsten der samnitischen Häuser aus Nocera-Tuff (Maiuri), das die ganze Breite der Insula nutzt und trotzdem im Westen wegen weiterer Einbauten an den Seiten nur über einen schmalen Garten mit Stoa verfügt. Abb. 40 Die blauen Linien betreffen die 270 m 2 grossen Parzellen der archaischen Limitation der Teil-Insula VI,10. Die roten Linien zeigen die Lage des von Maiuri ausgegrabenen griechischen Oikos-Hauses (Verfasser auf Plan der Sprintendenza). Abb. 41 Rekonstruktionsversuch des griechischen Hof-Hauses unter der Casa di Pomponius VI,10,6 mit Oikos-Ensemble und Bankettraum für sieben Klinen (Verfasser). <?page no="53"?> 51 Im Atrium dieses Hauses (B 9,30 m, T 14 m) deckte Maiuri im März 1943 eine aus Quadern bestehende, nord-südlich verlaufende Mauer aus Pappamonte-Tuff auf (A in der Zeichnung Abb 42 Norden oben). Dieses Fundament besteht aus 11 Quadern, und hat nach der von R. Oliva signierten Zeichnung die erstaunliche Länge von 7,60 m. Maiuri erkannte ihre Bedeutung, aber die Umstände im Krisenjahr 1943 hinderten ihn, Zusammenhängen nachzugehen. Lage Diese archaische Mauer A liegt im nordwestlichen Wohnbezirk Regio VI auf der Teil-Insula 8 (Plan 3). Sie gehört zu einem Haus der östlichen Reihe. Das ist bemerkenswert, denn so können wir ein Haus der westlichen Reihe (VI,10,6) mit einem der östlichen Reihe vergleichen. Das archaische Haus hatte Zugang von der Feststrasse (Via di Mercurio). Auf dieser Aussenseite wurden im Schnitt-1 drei Pappamontequadern freigelegt, die beweisen, dass die grosse Mauer genau parallel zum Strassenrand verläuft, und dass die Samniter die alte Strasse mit den Seitenmauern erneut benutzten. Der nördlichste Quader der grossen Mauer hat Überlänge und band vermutlich in die nördliche Rückwand des -Hauses ein. Die Lage der Rückwand geht aus der Parzellierung der Insula hervor (hellblaue Linien auf Plan 3). Die Grundstücksgrösse ist sicher kanonisch und beträgt etwa 16,40 × 16,40 m. Unsicher ist die Situation bei der Längsmauer der Insulae, wo eine Drainage zu vermuten ist. Das Oikos-Ensemble (Oikos mit zwei Kammern) Auf der Zeichnung von Oliva (Abb 42) ist zu sehen, dass im Westen zwei kurze Mauern B und C aus Pappamonte- Tuff ans Licht kamen. Sie gehörten zwei Kammern an, die nach Westen bis zur Mitte der Insula reichten. Diese Kammern waren vom Oikos zu betreten und bildeten zusammen das Oikos-Ensemble. Die genaue Lage der Mauer zwischen den Kammern und dem Oikos wird im Süden von einem späteren Kanal gestört (ein verworfener Quader dieser Mauer auf der Zeichnung neben dem Kanal), und im Norden (nördlich 4 in Abb. 42) ist leider nicht gegraben worden. Ich nehme die Breite des Oikos mit 7,10-m an, was der Situation in Casa VI,10,6 entspricht. Die Mauern B und C betreffen die Seitenwände der Kammern, von denen die südliche breiter als die nördliche war. Die Mauer C setzte sich sehr wahrscheinlich in grader Linie nach Osten bis zur Mauer A fort (Störung durch den Kanal) und bildete die südliche Aussenmauer des Oikos. Dieser Grossraum hatte demnach eine Tiefe von 5,90 m (Abb 43). Das ist 1,20- m mehr als bei der Casa VI,10,6. Diese grössere Tiefe des Oikos ging zu Abb. 42 Die 1943 in der Casa della Fontana grande VI,8,22 ausgegrabene lange Pappamonte-Mauer verläuft genau parallel zum Strassenrand. Sie trennte das Oikos-Ensemble mit zwei Kammern und wasserfesten Böden und Wänden ‚con terra pozzolanica‘ von einem an der Strasse liegenden Raum, der bei 4,70-m Breite vermutlich ein Bankettraum war (Zeichnung von Oliva 1943, hier genordet). Kapitel 9: Griechische Häuser und Hausmauern Kapitel 9: Griechische Häuser und Hausmauern <?page no="54"?> 52 Kapitel 9: Griechische Häuser und Hausmauern Lasten des Hofes, der bei griechischen Häusern als ein Wohn-Hof eine wichtige Funktion hatte. Die besondere Bedeutung dieses archaischen Hauses unter der Casa VI,8,22 verdanken wir den Beobachtungen der Ausgräber von 1943. Maiuri p. 164 zu den Quadern bei B in Abb. 42 cementati fra loro con terra pozzolanica di colore giallastro. Und zum Boden bei n heisst es: con impasto pozzolanico dello stesso tipo del Muro B e pertinente anch'essa alla stessa fase del muro a blocchi A. Die Verwendung von Pozzolanerde, die auch unter Wasser abdichtet, beweist, dass es sich um wasserdichte Wände und Böden handelt, wie sie bei Bad und Webkammer erwünscht waren. Die kleinen Bäder der griechischen Häuser waren mit je einer praktischen und raumsparenden Sitzbadewanne ausgestattet. Hier gab es einen Brunnen m im Badezimmer. Ein Webstuhl beanspruchte auch keinen grossen Raum. Die Nähe zum Oikos ermöglichte den Frauen des Hauses jederzeit am Webstuhl zu arbeiten. Bankettraum mit sieben Klinen Die Mauer A des archaischen Hauses VI,8,22 war die westliche Wand eines an der Strasse liegenden Bankettraumes. Die lichte Weite beträgt 4,70 m. Das ist das Ideal-Mass für einen Sieben-Klinen-Bankettraum. Wie beim Haus VI,10,6 ist auch hier ein quadratischer Raum zu ergänzen, der an den Wänden Klinen aufnahm. Die quadratische Raumform wurde bei Banketträumen bevorzugt, weil sie eine freibleibende Mitte gewährt. Bei unserer Ausgrabung in Orraon (Epirus) fanden wir (E.-L. Schwandner, griechische Kollegen und Studenten) in dem fabelhaft erhaltenen Haus 1 ein bemerkenswertes Oikos-Ensemble (Abb 44) 66 . In der Webkammer sind dort die Steinklötze für die Aufstellung des Webstuhls in situ vorhanden, und viele Webgewichte lagen am Boden. Eine Tonrohrleitung, in der Zeichnung zu erkennen, diente der Entwässerung der Nassräume. Die dortige Halle vor dem Oikos-Ensemble hat eine rechteckige Stütze und seitlich Anten mit Orthostaten. Das entspricht der zweckmässigen und durchdachten Hausform der späten Klassik. Fazit Wir halten zusammenfassend fest, dass dem Oikos-Ensemble ein Bankettraum benachbart ist, und dass diese Raumgruppe den Nordbereich der Parzellen vor dem Hof einnahm. Die Reihenfolge der Räume ist vernünftigerweise bei der östlichen Hausreihe der Insulae spiegelverkehrt zur westlichen ausgeführt. Nur so liegen Banketträume stets nahe dem Hauseingang und die Nassräume an der Insula-Mitte, wo vermutlich eine Drainage (Tonrohrleitung) für Entwässerung sorgte. Wenn das der Fall war (die an den späten Mauern gemessenen Werte erlauben keine Entscheidung), so können die Parzellen nicht genau quadratisch gewesen sein. Denn der Graben für die Abwasser-Tonrohrleitung war in der Regel 2 Fuss breit. Dann massen die Parzellen am Strassenrand 50 Fuss, in der Ost-West-Richtung aber nur 49 Fuss. Was kann Maiuri über griechische Wohnhäuser gewusst haben? Wenig, gemessen an dem was wir heute wissen. Aber doch viel, denn wichtige Publikationen speziell zu Ausgrabungen von Wohnhäusern waren schon in den zwanziger und dreissiger Jahren erschienen. Zunächst stellt sich aber die Frage, warum Maiuri diesen doch sensationellen Befund in den Häusern VI,10,6 und VI,8,22 später nicht ausführlich ausgewertet hat. Es scheint, dass, nachdem er nach Kriegsende in seinem Abb. 43 Rekonstruktionsversuch des griechischen Hauses unter VI,8,22 mit einem an der Strasse gelegenen Bankettraum für 7-Klinen und Oikos-Ensemble (Verfasser). Abb. 44 Orraon, Epirus: Das ausgezeichnet erhaltene Oikos- Ensemble von Haus 1 aus dem 4. Jh. a.C. hat Oikos mit Herdstelle und zwei Kammern mit Bad und Webkammer. Abfluss des Schmutzwassers über eine Tonrohrleitung (Verfasser 1983). <?page no="55"?> 53 Amt bestätigt worden war, organisatorische Arbeiten im Vordergrund standen. Zudem wollen wir nicht verhehlen, dass Maiuri mit seinen Ausgrabungen ganzer Häuser und Villen grosse Erfolge feierte, die Begeisterung über die wissenschaftlichen saggi sich aber in Grenzen hielt. Häuser im Theaterviertel auf Delos Ich habe das Buch von Monika Trümper Wohnen in Delos. Eine baugeschichtliche Untersuchung zum Wandel der Wohnkultur in hellenistischer Zeit (1998) vor mir liegen. Das ist eine ergänzende Studie zum höchst wichtigen 1922 bis 1924 erschienenen Band von Joseoh Chamonard über seine Ausgrabungen der Wohnhäuser im Theaterviertel auf Delos. 67 Monika Trümper war 1995 Gast der heutigen Ausgräber auf der Insel Apollons und durfte alle Häuser in Augenschein nehmen. Sondagen standen nicht auf dem Programm. Auch früher waren in die Tiefe gehende Schnitte, wie sie Maiuri in Pompei ausführte und damit eine neue Epoche der Erforschung der Vesuv-Stadt einleitete, in den Häusern im Theaterviertel auf Delos nicht ausgeführt worden. Wenn das harte Gestein Gneis auch keine eindeutige Schichtenfolge erwarten lässt, so liesse sich doch festellen, ob die Mauern etwa der Häuser IIIa, b und F auf älteren Mauern derselben Grundform fussen. Chamonard und Trümper sind sich darin einig, dass die Wohnhäuser hellenistisch zu datieren sind. In einem Unterkapitel bei Trümper Die Datierung der Häuser und ihrer Bauphasen S.-120-126 geht es immer um die Frage, ob die Häuser vor oder nach 166 a. C. entstanden sind. Denn dieses Datum bezeichnet einen Wendepunkt in der Geschichte der Insel, die damals ihre Unabhängigkeit verlor und athenische Bürger aufnehmen musste. In meiner Geschichte des Wohnens I, 507-514 habe ich den Häusern auf Delos ein eigenes Kapitel gewidmet. Ich ging davon aus, dass das Oikos-Ensemble (Oikos mit zwei angrenzenden Kammern), das sich in der Insula III am deutlichsten zeigt (Abb . 45), eine archaische Urform darstellt (Abb 46). Denn es ist kein Zufall, dass dieses einfache Schema den Kern fast aller dortigen Häuser auszeichnet. Sie sind natürlich in der jetzigen Form hellenistisch, stehen aber in archaischer Tradition. Ich sehe keinen Grund, an dieser Theorie zu zweifeln. Ein Argument für die frühe Datierung des Typus der delischen Häuser mit Oikos-Ensemble und kleinem Hof ist die Tatsache, dass nur in einem einzigen Haus, in Haus IIIF ein nachträglich in die Ecke des Hofes eingebauter Bankettraum erkennbar ist. Banketträume gehörten bei diesen frühen Häusern noch nicht zum ursprünglichen Schema. Das gilt auch für Hallen vor dem Oikos- Ensemble. Und erst in klassischer Zeit wurden schattenspendende Hallen vor den Oikoi üblich. Abb. 45 Delos. Der unregelmässige Wohnbezirk der Insula III im Theaterviertel nach den Ausgrabungen von J. Chamonard, die 1922 bis 1924 publiziert wurden (Zeichnung bei Chamonard). Abb. 46 Delos. In dieser Zeichnung derselben Insla III sind die späteren Peristylhäuser und die Läden an der Strasse weggelassen, um die vermutete archaische Phase mit dem Typus eines Hofhauses mit zwei Kammern hervorzuheben (farbige Fassung J. Arvanitis und Verfasser). Kapitel 9: Griechische Häuser und Hausmauern <?page no="56"?> 54 Kapitel 9: Griechische Häuser und Hausmauern Griechenstädte Unteritaliens An mehreren Orten Unteritaliens liesse sich das in Pompei vertretene Oikos-Ensemble mit Bankettraum an der Wand zur Strasse vermutlich ebenfalls nachweisen, wenn gezielt danach gesucht würde. Maria Constanza Lentini hat im Katalog zur Ausstellung Urbanistica e Architettura nella Sicilia greca, die 2005 im Museo Archeologico Regionale in Agrigento gezeigt wurde, im Kapitel La casa greca in Sicilia nel VII e VI sec. a.C. Häuser aus Agrigent, Gela und Nasso vorgestellt. Trotz langer Lebensdauer und vieler Umbauten ist das in Pompei vertretene Schema mit langen und 33- m breiten Insulae mit zwei Reihen fast oder ganz quadratischer Parzellen in Agrigent und Nasso noch erkennbar (dort Fig. S. 24.25). Ein Haus in Naxos - wir sind im VII. oder VI. Jahrhundert! - zeigt einen an der Wand zur Strasse liegenden Bankettraum und erstaunlicherweise eine zum Hof weisende Pastas. Im übrigen verweise ich auf das Werk von Dieter Mertens, Städte und Bauten der Westgriechen. Von der Kolonisationszeit bis zur Krise um 400 vor Christus (München 2006) und auf den gewichtigen und wichtigen, von Giovanni Pugliese Carratelli herausgegebenen Katalog The Western Greeks, zur gleichnamigen Ausstellung, die 1996 im Palazzo Grassi stattfand. Die Beiträge von Emanuelo Greco, Dieter Mertens, Antonio di Vita und anderen haben bleibenden Wert. Olynth In der 432 a. C. gegründeten Neustadt von Olynth in Makedonien haben D.M. Robinson und J.W. Graham seit 1931 grossflächig ganze Stadtteile ausgegraben. Der Band 8 über die Hausarchitektur erschien 1938 und revolutionierte unsere Vorstellungen vom Wohnen in der griechischen Klassik. 68 Der in Pompei vertretene Typus des Hauses VI,10,6 und VI,8,22 hatte sich - so ist zu vermuten - bei der Planung von Städten so bewährt, dass im späteren Olynth eine Blaupause dieses einfachen Schemas vorkommt. Dort freilich mit einer Halle und mit Stützen vor dem Oikos (Abb 47). Abb. 47 Olynth in Makedonien. Die Eckhäuser der Insulae in der von Robinson ausgegrabenen Planstadt gleichen erstaunlich genau dem in Pompei rekonstruierten archaischen Haus. Die 432- a. C. gegründete Neustadt beweist die Langlebigkeit dieses Haus-Typus (Hoepfner - Schwandner 1994). <?page no="57"?> 55 Kapitel 10: Die sogenannte ‚Altstadt‘ - eine Hafensiedlung auf Zeit? Stadtgrenze oder Stadtmauer? Seit Armin von Gerkan seine Theorie der sukzessive gewachsenen Stadt Pompei in die Welt gesetzt hat, wird der südwestliche von einer kurvigen Strasse begrenzte Bereich überall mit dem deutschen Wort ‚Altstadt‘ bezeichnet. Nur Amedeo Maiuri meidet das Wort ‚Altstadt‘, weil es ihn an seinen Widersacher erinnerte und sprach lieber von il piú antico nucleo dell‘abitato (Reg. VII-VIII). 69 Mit saggi in Atriumhäusern versuchte Maiuri den besonderen Charakter dieses nukleus zu ergründen. Mit geringem Erfolg. Bis heute fehlen saggi in den engen Strassen der ‚Altstadt‘, die beweiskräftig zeigen könnten, dass die gekrümmte Strasse des VI. Jahrhunderts a. C. nicht nur eine Grenze markierte, sondern Teil einer Umfassungsmauer war, wie neuerlich J.A. Dickmann und F. Pirson bei der Ausgrabung des grossen Fundamentes in VIII,4,4 vermuten (p. 45). 70 Heinrich Nissen hat in seinen 1877 veröffentlichten Pompejanischen Studien als erster vermutet, dass wiederverwendete Quader aus Pappamonte-Tuff in den Ruinen der ‚Altstadt‘ ursprünglich einer Stadtmauer dieser Siedlung angehörten, die im 5. Jahrhundert abgerissen worden sei. Armin von Gerkan hat das aufgegriffen und ein ganzes System einer Befestigung rekonstruiert. Ich habe schon erwähnt, dass am Rand der ‚Altstadt‘ in den Stabianer Thermen keine Spur einer solchen Mauer zu finden war. Für das Problem des rätselhaften Charakters der ‚Altstadt‘ ist die Frage, ob Stadtmauer oder einfache Strassen-Begrenzung nicht unwichtig. Amedeo Maiuri hielt mit Hinweis auf die bei Ausgrabungen gefundene etruskische Bucchero-Keramik (einige mit eingeritzten Buchstaben) Etrusker für die Bewohner der ‚Altstadt‘ (Maiuri 1954, 241-262). Eine parallel zur Griechen-Stadt existierende etruskische ‚Altadt‘ ist aber undenkbar. Im Übrigen fanden sich in der ‚Altstadt‘ auch Scherben attischer schwarzfiguriger Keramik, freilich oft in Vergesellschaftung mit Bucchero-Keramik, so unter der Basilika, in der Süd-Stoa des Forums und im Nordosten des Apollon-Heiligtums. Der Fundplan vom Jahr 2009 (Nuove Richerche) zeigt nicht einmal eine besondere Häufung von Bucchero-Scherben in der ‚Altstadt‘. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass generell Funde nur dort häufig sind, wo überhaupt neuere Ausgrabungen stattgefunden haben. 71 Betrachten wir kurz das einzige, mit Sicherheit schon in archaischer Zeit in der Altstadt existierende Monument. Pompei Der Apollon-Tempel Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass der Apollon-Tempel in Hafennähe und am späteren Forum einen sehr alten Vorgänger hat und damit deutlich älter ist als alle anderen Bauten und Heiligtümer der Stadt. Maiuri hat 1931-1932 und 1943-1944 das ganze Temenos mit einem dichten Netz von saggi erforscht und weder einen alten Mauerrest noch uralte Weihgeschenke ans Licht gebracht. Nichts war vor dem Anfang des 6. Jahrhunderts entstanden. 72 Paul Arthur 1986: The first large group of material from the temple dates from the sixth century. 73 Stefan Steingräber schrieb zu etrusco-capanischen Buccheroscherben, die Maiuri in einer Abfallgrube neben dem Apollon-Tempel gefunden hatte, von denen einige Inschriften aufwiesen, und die offensichtlich Weihungen waren: Diese Buccheroscherben stammen aus der ältesten archaischen Tempelphase des 6. Jahrhunderts v.-Chr. 74 Der Altar vor dem Tempel ist römerzeitlich. Er besteht aus griechischem Marmor, und so liegt der Verdacht nahe, dass es sich um einen wiederverwendeten, um einen ursprünglich archaischen Altar handelt. Stefano De Caro hat 1991 die Ergebnisse der jüngeren Forschung zu beiden alten Tempeln in Pompei zusammengefasst. 75 Reiche Funde sehr schöner Dachterrakotten beweisen einen Neubau des Apollon-Tempels, der damals etruskische Form erhielt: ein Prostylos mit Gebälk und Dach aus Holz und Umkleidung mit farbigen Terrakotta-Elementen. Die Rekonstruktionszeichnung von De Caro ist oft reproduziert worden, so auch bei Dieter Mertens in seinem Standardwerk Städte und Bauten der Westgriechen (München 2006) S. 254, Abb.-458). Diese Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass der Bau des ersten Apollon-Tempels mit den Ereignissen der Stadtgründung im Zusammenhang steht. Apollon war in Kampanien die am meisten verehrte Gottheit, so auch in den nahen Städten Neapolis und Kyme. In Pompei nahm an diesem Tempel die grosse Pompé ihren Anfang (p. 69). Auf eine solche Spur führt eine Basis aus gelbem Tuff, die come reimpiego nelle strutture del podio del tempio di <?page no="58"?> 56 Apollo gefunden wurde, wie Alfonso De Franciscis 1976 schreibt (Abb 48). 76 Zeichnungen des im Antiquarium auf bewahrten Stückes lassen erkennen, dass ein 28- cm hoher Zylinder mit 80- cm Durchmesser zusammen mit einer runden, unkannelierten Basis aus einem Stück besteht. Darüber leitet ein 3- cm hoher Ring mit 57- cm Durchmesser über zu einem unkannelierten Säulenschaft, der sehr wahrscheinlich aus Holz war. Denn das rechteckige Loch in der Mitte der Basis war mit 20 cm Seitenlänge vermutlich für einen Holzdübel oder einen Zapfen eines hölzernen Schaftes bestimmt. Auf einem Foto bei Franciscis ist an der Seite der Basis eine Einarbeitung zu erkennen. Es könnte ein hölzernes Gitter zwischen den Säulen gegeben haben. Die schlichte Basis aus Zylinder und Torus weist in die frühe archaische Zeit. Die Frage ist nur, ob es sich um einen Weihgeschenkträger für einen Dreifuss oder für eine Sphinx handelt, oder ob wir uns als Vorgänger des etruskischen Tempels einen Tempel ionischer Ordnung vorstellen sollten. Die historische Situation spricht dafür, dass die griechischen Stadtgründer die ersten Bauherrn des Heiligtums waren. Aber in wenigen Jahrzehnten gewann das etruskische Element an Einfluss. Maiuri hat die etruskischen Grafitti auf Bucchero-Scherben vom Apollon- Tempel analysiert und spricht davon, dass mit Sicherheit etruskisch schreibende Bewohner zu den Verehrern Apollons gehörten. Das frühe 6. Jh. ist eine Zeit des Umbruchs, des Experimentierens mit neuem Material, und der Strukturierung der Ordnungen. Man denke an die Schatzhäuser in Delphi und Olympia. Wenn der älteste Apollon-Tempel in Pompei eine ionische Ordnung hatte und vielleicht ein Tempel in antis oder ein viersäuliger Prostylos war, würde ein so bescheidener naos der historischen Situation entsprechen. Der Einfluss der Fachleute aus Poseidonia, wo von Anfang an die dorische Ordnung vorherrschte, könnte erst einige Jahre später begonnen haben. Maiuri hat neben dem Apollon-Tempel in der Casa di Trittolemo VII,7,2 an deren östlicher Aussenwand auf 17- m Länge eine altertümliche Mauer festgestellt, von der noch die drei unteren Quaderschichten erhalten sind (Abb 49). 77 Es ist einer der wenigen Fälle, bei dem eine Quadermauer aus Pappamonte (hier die drei unteren, auf Fels ruhenden Schichten) in gutem Zustand erhalten ist und offensichtlich noch in samnitischer Zeit verwendet worden war. Vermutlich zurecht hält Maiuri diese aus archaischer Zeit stammende Mauer für einen Teil der westlichen Temenos-Mauer des Apollon-Tempels. Wie bei der ersten Stadtmauer wechseln flache Ortostaten mit niedrigen aber tiefen Bindern. Klammern oder Dübel gab es nicht. Die Oberflächen des weichen Steinmaterials sind gespitzt. Fotos von der Mauer liegen nicht vor (Zeichnung bei Maiuri 1973). Weitere markante Ausgrabungen in der ‚Altstadt‘ Die Häuser in Regio VIII Insula 5 und Regio VII mit Insulae 9,13 und 14 auf beiden Seiten der Via del Abbondanza (Plan 3) sind für die Topographie der archaischen Zeit von grossem Interesse, weil sie an der alten Hauptstrasse πλατεῖα γ und im Zentrum der ,Altstadt‘ liegen. Denn es fragt sich, ob in diesem Bereich öffentliche Gebäude aus der ältesten Zeit der Inbesitznahme der Lavascholle lagen. Um es gleich zu sagen, es gibt zwar bei Ausrichtung auf die πλατεῖα γ und an einigen Stellen in etwa 1,10 m Tiefe Pappamonte-Reste und Böden aus Pappamonte-Splittern, aber Zusammenhänge sind nicht zu erkennen. Abb. 48 Pompei. Archaische Säulenbasis aus Tuff vom Apollon- Tempel, vielleicht eines Vorgängers ionischer Ordnung mit Holzsäulen (Zeichnung bei De Franciscis 1976). Abbb. 49 Diese in drei Schichten erhaltene Quadermauer aus Pappamonte-Tuff bei der Casa VII,7,2 neben dem Apollon-Tempel wurde noch in samnitischer Zeit benutzt, vermutlich als Umfassung des Apollon-Temenos (Zeichnung bei Maiuri). Kapitel 10: Die sogenannte ‚Altstadt‘ - eine Hafensiedlung auf Zeit? <?page no="59"?> 57 Ich beginne mit der Erfolg versprechenden, von Hans Eschebach grossflächig bis auf den gewachsenen Boden ausgegrabenen Casa di Ganimede VII,13,4. Pompei VII, 13,4 Casa di Ganimede Eschebach 1982, 229-313. Chr. Reusser, Archaische Funde (Casa di Ganimede), RM 89, 1982, 353-372. S. Steingräber, Buchero in der Casa di Ganimede, RM 89, 1982, 372-376. Avagliano 2018, 179-180. Die Casa di Ganimede liegt im Herzen der ‚Altstadt‘ auf der Nordseite der Via dell’ Abbondanza mit Zugang von dieser Hauptstrasse. Die rhomboide, etwa 36 × 39 m kleine Insula hat die Idealgrösse für zwei nebeneinander liegende Atriumhäuser. Weil die benachbarten Insulae ähnlich proportioniert sind, ist eine samnitische Entstehung der Gassen und der kleinen Insulae sehr wahrscheinlich. Das wichtigste Ergebnis der Ausgrabungen in der Casa di Ganimede ist die Feststellung, dass das älteste Haus an dieser Stelle ein Atriumhaus der samnitischen Zeit ist. Eschebach rekontruiert in einer Phase I für das 3.-Jahrhundert ein kanonisches Haus mit Atrium testidunatum (geschlossenes Dach) und mit kleinem Garten. Weil bei benachbarten und anderen Häusern der ,Altstadt‘ in grösserer Tiefe auf die Hauptstrasse ausgerichtete Pappamonte-Mauern angetroffen wurden, erstaunt es, dass im Bereich der Casa 7,13,4 nicht eine einzige Pappamonte- Mauer festgestellt wurde. Nur im Laden 20 (nordwestliche Ecke des Grundstücks) wurde eine Mauer in Nord- Süd-Richtung aus Abschlägen von Pappamonte gefunden. Dort gefundene Keramik (darunter Antefixe) weist in die spätarchaische Zeit. Das Fehlen von Mauern aus dem frühen 6. Jahrhundert scheint seinen Grund darin zu haben, dass die älteste Schicht aus Wohngruben und wohl auch aus provisorischen Behausungen bestand. Weil andere Mauern oder Ruinen fehlen, muss angenommen werden, dass diese Wohngruben längere Zeit benutzt wurden. Vielleicht sind die sogenannten pozzi in diesem Zusammenhang zu sehen: teilweise ausgemauerte, sonst unverputzte runde und ovale Gruben, die 1951 bei Grabungen von O. Elia und A. D‘Avino unter dem Tempel der städtischen Laren zutage kamen und die von Eschebach in Kurzfassung publiziert wurden. 78 Das klingt alles unwahrscheinlich, zumal wir uns im Zentrum der ‚Altstadt‘ befinden, aber eine andere Erklärung sehe ich nicht. Ich komme auf das Phänomen zurück (p. 65). Eschebach war ein Anhänger von von Gerkans Theorie, dass Pompei sich in mehreren Phasen von einem Kern zu einer grösseren Stadt entwickelt habe. 79 So versucht er, unter der Casa di Ganimede Reste einer ältesten Stadtbefestigung zu erkennen. Das überzeugt nicht. Ablehnend schon V. Kockel im grossen Forschungsbericht 1986. 80 Abb. 50 In situ befindlicher Rest einer gekappten Säule mit 51-cm Durchmesser aus Pappamonte-Tuff der archaischen Bebaung neben dem Apollon-Tempel (Zeichnung bei A. De Franciscis 1976). Pompei VIII, 5,2 . 5 Casa del Gallo Maiuri 1973, 171-179; Avagliano 2018, 186-189; De Franciscis in Festschrift Jacques Heurgon Auf der Südseite der Via dell Abbondanza, gegenüber und nahe der Casa di Ganimede, liegt die Casa VIII,5,2+5 mit zwei benachbarten, durch eine Tür verbundenen Atrien. Zugang 5 leitet Besucher in das grosszügige Atrium, und auf dieses folgt in gerader Linie ein grosses Tablinum und ein Garten mit dreiseitigem Peristyl. Maiuri berichtet von Schnitt f im Süden des Atrium, wo Fragmente mehrerer Reste von Pappamonte-Blöcken und Splitter von Abschlägen aus Pappamonte-Tuff direkt auf dem gewachsenenen Boden entdeckt wurden. Das sind Reste einer archaischen Bebauung, die hier für die Herrichtung eines neuen Bodens zerschlagen wurde. Bemerkenswert ist der in situ aufgefundene Stumpf einer unkannelierten Säule (Dm 51- cm, erhaltene Höhe 34-cm) aus Pappamonte-Tuff auf der Südseite des Perityls etwa 3-m vom Vico dei dodeci Dei entfernt. A. De Franciscis hat in einem Festschrift-Aufsatz diesen Säulenrest zusammen mit zwei weiteren Architektur- Elementen archaischer Zeit in Pompei erneut publiziert (Abb 50). 81 Der grob abgearbeitete Säulenstumpf ohne Ba- Kapitel 10: Die sogenannte ‚Altstadt‘ - eine Hafensiedlung auf Zeit? <?page no="60"?> 58 Kapitel 10: Die sogenannte ‚Altstadt‘ - eine Hafensiedlung auf Zeit? sis und ohne Kannelur ist vermutlich Teil eines archaischen, griechischen Monumentes. Dazu Maiuri: il relitto più arcaico dell’architettura pompeiana. Für Säulen im architektonischen Verband war der weiche Pappamonte-Tuff wenig geeignet. Und im Hausbau sind Säulen in archaischer Zeit nicht nachgewiesen. Auch die von Ekrem Akurgal ausgegrabenen Häuser im Graben H in Alt-Smyrna (um 600 a. C.) zeigen keine einzige Säule oder Stütze. 82 Gottfried Gruben hat in Samos eine Halle des 7. Jahrhunderts mit Stützen rekonstruiert. Das war kein privater Bau, sondern ein Bau im ehrwürdigen Heiligtum der Hera (Abb 51). 83 Pompei Casa VIII 5,9 Maiuri 1973, 179-180, Fig. 99-100 Avagliano 189.190 mit Fig.134. Östlich benachbart dem Haus mit zwei Atrien VIII,5,2+5. Hauseingang 9 ebenfalls von der Via dell’Abbondanza. Atriumhaus mit Säulenhalle nach dem Tablinum. Im Schnitt westlich des Impliviums vereinzelte Blöcke aus Pappamonte-Tuff und viele polygonale Steinsplitter (Böden) auf dem gewachsenen Felsen. Schnitt A im östlichen Atrium, dicht an moderner Mauer in ca. 1,20- m Tiefe eine imposante Pappamonte-Mauer. Diese nicht parallel zur schiefen Hausmauer, sondern rechtwinklig zur Via dell’Abbondanza (p. 71). Das bedeutet, dass der Pappamonte-Bau erst nach der Anbindung der ,Altstadt‘, nach Verlängerung der πλατεῖα γ, erbaut wurde. Das ist von Bedeutung für die Geschichte der Stadt. Abb. 51 Samos. Rekonstruktion der vielleicht ältesten Halle, die Südhalle im Heraion aus dem 7. Jahrhundert a.-C.: Holzstützen auf unregelmässigen Steinbasen, davor ein Vorpflaster ohne Stufe (Gruben 1957). Pompei VIII,5,28 Casa della Calce Maiuri saggi 1950, ders. 1973, 181-182; Avagliani 189-191; Tommasino 2004, 36-39 mit Abb.18 (Plan des Hauses mit Einzeichnung der Schnitte als dicke Balken. Das Wohnhaus mit atrium tuscanico erstreckt sich nach Süden 31- m tief bis zur Mitte der Insula. Das Atrium öffnet sich direkt auf die Nordstoa des zweihüftigen Peristyl. Statt tablinum ein sehr grosser Saal für triclinium im Westen eingreifend in das Nachbarhaus. Die genaue Lage der saggi von Maiuri 1950 ist unsicher. In der östlichen Stoa des Peristyl wurden in 80-cm Tiefe zwei kleine Mauern aus Pappamonte freigelegt, die einen rechten Winkel bilden (Avagliano 191). Nordöstlich des Impluvium Steinsplitter, Abschläge von Pappamonte auf dem Boden eines Grabens. Tommasino p.38: sono stati rinvenuti resti evidenti di strutture in pappamonte nell‘atrio e nel gardino della casa che attestano una prima fase di occupazione al VI sec. a. C. Das Eckhaus grenzt mit der Ostseite an die Via dei teatri (südlicher Teil der die ‚Altstadt’ begrenzenden Bogenstrasse) und ist deshalb von besonderem Interesse, weil nach der Theorie von Nissen, Gerkan, Eschebach und anderer bei den Schnitten im Hof und in den Hallen des Peristyl Spuren der Befestigung der Altstadt zu finden wären. Es gab keine entsprechenden Hinweise. Pompei VII,6,28 Casa di S Tyrannus Fortunatus Avagliano 2018, 172.173. Das kanonische Atriumhaus liegt im Westen direkt an der bogenförmigen Strasse. Ein von der Strasse ausgehender und über die fauces bis in das Atrium reichender Schnitt könnte Probleme der bogenförmigen Strasse (Schutzmauer? ) klären. Ausgeführt wurde ein Schnitt im Bereich des Peristyl in der Mitte der Insula. Dort fand sich in 2,50 m Tiefe ein Pappamonte-Block. Fazit: Es gibt keine wirklich alte Stadt Nichts in dieser ‚Altstadt‘, auch nicht das Heiligtum des Apollon an der Via Marina ist älter als das frühe 6. Jahrhundert. 84 Das gilt auch für die architektonischen Terrakotten beider Tempel. 85 In keiner Grabung fanden sich Scherben der geometrischen oder der früharchaischen Epoche des 7. Jahrhunderts. Weil sich Scherbenfunde auf höchstens 10 Jahre genau datieren lassen, ist es aber nicht ausgeschlossen, dass die ‚Altstadt‘ tatsächlich einige Jahre älter ist als die regelmässigen Bereiche Pompeis. Es gilt zu erklären, welchen Sinn die ‚Altstadt‘ mit bogenförmig begrenzender Strasse hatte. Nur die Betrachtung der historischen Situation bei der Gründung von Pompei kann eine Antwort geben. <?page no="61"?> 59 Kapitel 11: Einschub: Die Gründung der Kolonie Kyrene Oswyn Murray betont in seinem Buch über das frühe Griechenland, dass die Gründung von Kolonien in jedem Fall ein schwieriges, lange dauerndes und von Rückschlägen betroffenes Abenteuer war. 86 Das zeigt er am Bespiel der Stadt Kyrene, von deren Gründung um 631 a. C. ausnahmsweise Einzelheiten bekannt sind. Diese werden sogar in drei weitgehend übereinstimmenden Versionen überliefert (Murray 1982,153-157). Die Kolonisten kamen von der Insel Thera. Diese liegt südlich der Kykladen und besteht grossenteils aus dem Rand eines riesigen Vulkans. In der Mitte der sichelförmigen Insel erhebt sich ein Kalksteinmassiv von mehr als 300- m Höhe. Die Abhänge sind schroff, der Gipfel ist windumtost, nicht eine einzige Quelle entspringt im Stadtgebiet. Trotz Enge und Unwirtlichkeit hatten sich hier früh dorische Griechen niedergelassen und bildeten einen Staat, der auf niedrigem Niveau doch bald über entsprechende Einrichtungen verfügte. Politische Bedeutung erlangte die Polis Thera nie. Um die Wende zum 20. Jahrhundert war der Historiker und Epigraphiker Hiller von Gaertringen dem eigenartigen Reiz dieser Inselwelt erlegen. In mehreren Kampagnen legte er grosse Teile der alten Stadt frei und baute ein erstes Museum. Heute ist Thera der Sitz einer archäologischen Ephorie und verfügt über ein neues Museum, das die wunderbaren Fresken der minoischen Siedlung beherbergt, die viele Jahre unter Leitung von Christos Doumas ausgegraben wurde. 87 Wir blicken zurück auf das dorische Thera. Herodot 4,153 berichtet von einer sieben Jahre dauernden Dürre auf Thera, von der Not, die die Theraier zwang, sich an das Orakel von Delphi zu wenden. Das Orakel soll ihnen die Gründung einer Kolonie in Libyen empfohlen haben. Ein Purpurfischer auf Kreta, den der Wind früher einmal nach Libyen verschlagen hatte, wies einer ersten Gruppe von aussiedlungswilligen Theraiern den Weg nach Libyen. Sie fanden an der libyschen Küste die Insel Platea, die ihnen als Kolonie geeignet schien. Die Theraier liessen ihren Anführer (zusammen mit weiteren Theraiern) dort zurück und segelten heim, um eine grosse Gruppe Kolonisten zusammenzustellen. Jede Familie der sieben Ortschaften auf Thera sollte, wie Herodot 4,153 berichtet, einen Kolonisten auslosen. Hier sei eingefügt, dass ich während unserer Ausgrabungen auf Thera in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit Studenten des Faches Klassische Archäologie der Freien Universität Berlin bei Begehungen anhand von Scherbenfunden tatsächlich sieben antike Siedlungen nachwies (sie sind auf der Karte Abb 52 eingezeichnet). 88 Der Oikist (Führer und König) der Gruppe von Aussiedlern sollte Battos sein (Herodot 4,153). Zwei Fünfzig- Abb. 52 Thera. Auf der Kykladeninsel siedelten Dorer auf dem 300 m hohen Kalksteinfelsen, dem Messa Vouno. Nachweisbar sind auf der Insel weitere sechs antike Siedlungen (Zeichnung Verfasser und Arvanitis). <?page no="62"?> 60 Kapitel 11: Einschub: Die Gründung der Kolonie Kyrene ruderer (Pentekonteren) brachten die Kolonisten nach Libyen. Im Folgenden beschreibt Herodot 4, 150-154 die Ereignisse mehr aus der Sicht des Oikisten Battos. Dort ist ebenfalls von zwei Fünfzigruderern die Rede, die die Theraier zur Insel Platea brachten. Der Versuch, dort Fuss zu fassen, misslang. Auf das Festland übergesetzt, führten Libyer die Kolonisten aus Thera (Herodot 4, 158,2.3) zu einer Quelle, von der es hiess, sie gehöre Apollon, und sprachen: Männer aus Hellas, hier ist gut sein, hier nehmt Wohnung. Denn hier hat der Himmel ein Loch (nach Murray 154). Kyrene wurde schnell eine bedeutende Stadt, die vor allem Wolle und Silphion exportierte und ihrerseits Tochterstädte gründete. Ausgrabungen brachten trotz später Zerstörungen den dorischen Apollon-Tempel und auch die Agora mit dem Grab des Oikisten Battos ans Licht (Abb 53). Der Tumulus mit einer Brandbestattung wurde im frühen 6. Jahrhundert im Osten der etwa 110-m breiten und 55-m tiefen Agora-Fläche angelegt. 89 Eine auf der Agora gefundene Inschrift des 4. Jahrhunderts gibt den Eid der Siedler wieder und bestätigt die genannten Vorgänge (A. J. Graham, JHS 80, 1960, 94 ff.), so auch die Hungersnot im alten Thera und die Weisung des delphischen Orakels in Libyen eine Kolonie zu gründen. Spätere Nachzügler, so war festgelegt, sollen das Bürgerrecht erhalten. Das scheint geschehen zu sein. König Battos II. holte neue Kolonisten aus Griechenland. Fazit Es gab eine erste Gruppe von Kolonisten, die an dem gewählten und vereinbarten Ort blieb, während ein anderer Teil der Kolonisten zurück in die Heimat fuhr, um Siedler für die neue Kolonie zu werben. Transportmittel waren Pentekonteren, erstaunlich grosse Schiffe. Zwischen den einzelnen Schritten vergingen Jahre. Im feierlichen Eid, den die Kolonisten schworen, wurden, wie Murray p. 154 betont, völlig gleiche Bedingungen für die Siedler vereinbart. Abb. 53 Kyrene. Auf der Agora konnte das Grab des Oikisten Battos als Tumulus festgestellt werden (Ausgrabung und Zeichnung Stucchi - Bacchielli 1983). <?page no="63"?> 61 Kapitel 12: Schwierige Stadtgründung in Pompei Hier stellt sich endlich die Frage, warum bei der der Limitation in Pompei, bei der Einteilung der Stadtfläche in parallele Insulae und Strassen, die ‚Altstadt‘ nicht einbezogen wurde. Denn es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass es auch in der ‚Altstadt‘ jemals gradlinige parallele Insulae und Strassen wie in den anderen Bereichen gab. Die ‚Altstadt‘ wurde bei der Limitation ausgeklammert, dann aber doch über die Verlängerung der πλατεῖα γ (Via del’Abbondanza) und eine breite Feststrasse (Via di Mercurio) in die Gesamtplanung einbezogen. Eine überzeugende Antwort auf dieses Problem gibt es bisher nicht. Ich denke an die im vorigen Kapitel geschilderte Kolonie-Gründung von Kyrene und versuche, mir für Pompei eine historische Situation vorzustellen, bei der das Phänomen ‚Altstadt‘ erklärt werden kann. Eine Siedlung, eine Hafensiedlung auf Zeit? Die ersten griechischen Siedler hatten die 63 ha grosse, nach SO geneigte, leicht zu verteidigende und fast gänzlich unbewohnte Lavascholle am Fluss Sarno für ihre Stadtanlage ins Auge gefasst. Wie das geschah und was dann geschah, weiss niemand. Ich vermute, dass die Griechen die Zustimmung der in der Umgebung wohnenden Bevölkerung erreichten, weil diese vom Handel mit den Griechen profitieren wollten. Auch Elke Stein-Hölkeskamp hält Absprachen zwischen Immigranten und Indigenen für eine Voraussetzung bei der Gründung eines neuen Gemeinwesens in archaischer Zeit. 90 Zweifellos betrieben und intensivierten Griechen den Handel mit dem griechischen Mutterland. Aber sicher ist auch, dass Griechen auch zu Landbesitzern wurden. Xenophon beschreibt im Oikonomikos die ertragreiche Bewirtschaftung von Ackerland von griechischer Hand. Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass die indigene Bevölkerung freiwillig Teile des überaus fruchtbaren und wertvollen Landes an die Ankömmöinge abtrat. Einheirat der jungen Griechen in die Familien der indigenen Bevölkerung scheint der Schlüssel zur Lösung des Problems zu sein (p. 67). Wenn diese erste Gruppe der Griechen sich irgendwann im 1. Drittel des 6. Jahrhunderts in Hafennähe niederliess, kann die Verteidigung keine wichtige Rolle gespielt haben. Denn die ‚Altstadt‘ lag mehr als 20-m tiefer als der Rand der Lavascholle im NW und wäre über das Vorfeld leicht zu attackieren gewesen. Um einer späteren geregelten Aufteilung des Bodens der ganzen Lavascholle nicht vorzugreifen, muss für die erste Gruppe der Siedler in der Hafensiedlung (‚Altstadt‘) ein Verbot des Bauens privater Häuser verabredet worden sein. So wäre es zu erklären, dass als unterste Schicht provisorische Wohngruben festgestellt wurden. 91 Das Wohnen in Erdhäusern scheint uns erbärmlich zu sein, war jedoch in solchen Fällen gängige Praxis. Es war ja eine Existenz auf Zeit, die im glücklichen Kampanien (Strabon 5,4,7) bald von der eigentlichen Planung mit Zuweisung eines Grundstücks abgelöst werden sollte. Die in der Hafensiedlung wohnende Gruppe wartete, so vermute ich, auf die Hauptgruppe der Siedler, die verabredungsgemäss bald eintreffen sollte. Wir wissen von den Umständen der Kolonie-Gründung in Kyrene, dass die Anwerbung von Kolonisten in der Mutterstadt lange dauern konnte. So könnte sich auch der Aufbruch der Kolonisten nach Pompei verzögert haben. Denn wir haben den Eindruck, dass die Griechen der Hafensiedlung ungeduldig wurden und schliesslich aus einem Altar ein veritables Heiligtum machten. Opfer und Apollon-Tempel Wo Griechen siedelten, mussten auch die Götter anwesend sein. Den Apollon-Kult scheinen die Siedler aus der alten Heimat mitgebracht zu haben. Offensichtlich begnügten sich die Bewohner der Hafensiedlung nicht mit dem Opfer am Altar, sondern gründeten eine Kultstätte, in der alsbald Weihungen niedergelegt wurden. Dass zu den Weihenden auch oder sogar vor allem Bewohner der umgebenden Orte gehörten, steht ausser Zweifel. Ein erster Tempel könnte ein ionischer Antentempel gewesen sein (p. 56). Das entstandene Heiligtum nördlich an der zum Hafen führenden Strasse scheint soweit an Bedeutung gewonnen zu haben, dass später eine Translozierung ausgeschlossen wurde. <?page no="64"?> 62 Kapitel 12: Schwierige Stadtgründung in Pompei Zwist und Kompromiss Kehren wir zurück zu dem Moment, als irgendwann im 1. Drittel des 6. Jahrhunderts das Gros der neuen Siedler in Pompei eintraf. Dann erst ging der Oikist, der Organisator und Führer der Siedler, zusammen mit Fachleuten daran, einen Stadtplan zu entwickeln und die Schnüre zu spannen. Die Architekten kamen vielleicht aus Poseidonia, weil - wie wir sahen - der neue Plan eine Aufteilung des Bodens vorsah, die der grossen Stadt in Lukanien sehr ähnlich war. Bei konsequenter Beachtung dieses Planes hätten die Bewohner ihre Hafensiedlung, die juristisch sicher keine Polis war, aufgeben und räumen müssen, um die Limitation des gesamten Geländes der Lavascholle nach einheitlichen Regeln zu ermöglichen. Das Apollon-Heiligtum hätte nach dem neuen Plan in die dafür reservierte Zone bei der Porta Vesuvio verlegt werden müssen. Nichts davon geschah. Von den Gruppen, die sich gegen eine totale Räumung der Hafensiedlung wehrten, sind Priester bzw. die Familien zu nennen, denen das Priesteramt oblag. Vorstellbar ist aber auch, dass es vor allem die eingeheirateten Frauen und ihre Kinder waren, die den gegenwärtigen Zustand nicht gegen das Versprechen einer besseren, aber doch fernen Zukunft in einer neuen Umgebung tauschen wollten. Anbinden der ‚Altstadt‘ Das Weiterbestehen der ‚Altstadt‘, der Hafensiedlung mit Heiligtum für Apollon zeigt, dass ein Kompromiss gesucht und gefunden wurde. Er sah vor, dass die Hafensiedlung mit dem Apollon-Tempel vorläufig bestehen bleibt und von der neuen Gesamtplanung ausgenommen wird. Als Kennzeichen für die Grenze der ‚Hafensiedlung‘ wurde, so vermute ich, aus juristischen Gründen eine Strasse in Bogenform angelegt, deren Betreten jedem deutlich machte, in welchem Teil der Stadt er sich befand. Um eine Spaltung zu vermeiden, und die Einheit der Polis Pompei zu gewährleisten, musste die Hafensiedlung eng mit der übrigen Stadt verbunden werden. Das konnte nur durch die Verlängerung der Hauptstrasse πλατεῖα γ (Via dell’ Abbondanza) geschehen. Das Temenos des Apollon, an dem die Strasse vorbeigeführt werden sollte, verlangte eine leichte Richtungsänderung. Die Verlängerung führt über den Festplatz vor dem Tempel, streift das Temenos und führt über die sicher schon lange vorhandene Via Marina hinab zum Hafen. Weil auch der nordwestliche Wohnbezirk mit der Altstadt über eine direkte Strasse mit der Hafensiedlung verbunden sein musste, und weil der Apollon-Tempel als ein gesamt-pompejanisches Heiligtum angesehen wurde, führte eine Strasse vom Festplatz am Tempel nach Nordwesten durch die Mitte des Wohnbezirks. Es ist die Feststrasse der Pompé, die in doppelter Breite ausgeführt wurde (p. 69). Diese Feststrasse ist noch heute an einem Ehrenbogen erkennbar. Niemandsland Zu dem erwähnten Kompromiss scheint es gehört zu haben, dass es zwischen der Hafensiedlung und den auf Planung beruhenden Stadtteil Regio VI zunächst eine Art Niemandsland gab. Ich meine damit den Bereich zwischen der bogenförmigen Strasse und der πλατεῖα β (Via della Fortuna). In diesem Bereich begegnen wir einer weitgehend regellosen Bebauung. 92 Eine einzige Ausnahme macht das Haus VII,4,57, die Casa dei Capitelli figurati, die an der Via della Fortuna liegt und sich auffällig regelmässig nach Süden in das Niemandsland hinein entfaltet (Abb 54; Plan 3). Die Casa VII,4,57 entspricht einer Fortsetzung der östlichen Hausreihe der Insula VI,12 und bedeckt mit 49-m Tiefe genau die Fläche von drei Parzellen der archaischen Zeit. Offensichtlich war mit der Parzellierung des Gebietes (Niemandsland) begonnen worden. Diese drei Grundstücke müssen jedenfalls deutlich markiert gewesen sein, denn sonst wäre ein samnitisches Haus nicht genau in diesen Grenzen errichtet worden. Es sei hier eingefügt, dass seit 2019 ein spanisch-österreichisches Team von Fachleuten sich die Erforschung des Gebietes zwischen Regio VI und der ‚Alststadt‘ zum Ziel gesetzt hat. Ein erster Bericht liegt vor. Darin wird erläutert, dass die Casa dei Capitelli figurati eine Fortsetzung der entsprechenden Insula VI,12 ist. 93 Zur Charakteriserung des Niemandslandes passt das Ergebnis neuester Forschungen des Österreichischen Archäologischen Instituts (Universität Innsbruck) in der Casa di Arianna VII,4,31,51, die erst im 2. Jahrhundert errichtet wurde (Bekanntmachung im Internet). <?page no="65"?> 63 Kapitel 12: Schwierige Stadtgründung in Pompei Abb. 54 Pompei. Das sogenannte Niemandsland zwischen der ‚Altstadt‘ südlich der Via degli Augustali und der Via della Fortuna war nach Ausweis der späten Häuser lange Zeit unbebaut geblieben. Mit der Parzellierung in Fortsetzung der Insula VI,12 nach Süden (3 Parzellen) war begonnen worden (Verfasser auf Plan der Soprintendenza). <?page no="67"?> 65 Kapitel 13: Dugouts: Provisorische Wohngruben und Hütten Zweimal hat Amedeo Maiuri sich zum Problem provisorischer Erdhäuser und Hütten mit Steinsockel geäussert. Bei Maiuri 1954, 83 heisst es: Non è nuovo nella storia delle colonie greche il trasferimento da un primo provvisorio stanziamento ad altra piú stabile e definitiva sede. Und an anderer Stelle, bei Maiuri 1973, 164 spricht er vom ambiente della primitiva abitazione. Beide Zitate beruhen auf Ergebnissen von Ausgrabungen. Das gilt auch für die ersten, schnell errichteten provisorischen Einraum-Zellen, die Fulford und Wallace-Hadrill im Osten der Stadt im Haus des Amarantus im Stadtbezirk Regio I, Insula 9 Haus 11-12 antrafen (p. 23). Noch deutlicher zeigt sich das Problem bei zahlreichen, in den gewachsenen Boden vertieften dugouts oder Wohngruben, die Hans Eschebach als unterste Schicht auf dem vom ihm ausgegrabenen Grundstück der Casa di Ganimede VII 13,4 im Zentrum der ‚Altstadt‚ in Wort und Bild festhielt (Abb . 55). 94 Abb. 55 Pompei. Bei Ausgrabungen in der Casa di Ganimede VIII,13,4 im Zentrum der ‚Altstadt‘ kamen als unterste Schicht dugouts, archaische Wohngruben ans Licht. Der Ausgräber Eschebach konnte mehrere Phasen und eine längere Benutzung ablesen. <?page no="68"?> 66 Ich erinnere mich, bei der Vorbereitung des Kolloquiums Wohnungsbau im Altertum mit Hans Eschebach über die ältesten Wohnhäuser in Pompeii diskutiert zu haben. 1978 fand das Kolloquium des Architektur-Referates bei der Zentrale des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin statt und Eschebach berichtete über diese Wohngruben. In Zeichnungen dieser Wohngruben deutet Eschebach überstehende Dächer an, die ein Eindringen von Regenwasser verhinderten (Abb . 56). 95 Dort spricht Eschebach von Eintiefungen in das anstehende vulkanische Gestein (Tuff und Lavaschaum), die er in grosser Zahl unter der Casa antraf. Sie waren später mit Müll aufgefüllt worden. Die Komplexe G und F waren grösser als die übrigen, teilweise von fast rechteckiger Form, und wiesen lange benutzte Feuerstellen auf, die in das Tuffgestein der Wände eingearbeitet sind. Noch erhaltene Abzugskamine sind stark verrust. Der Fussboden dieser Räume lag 1,50 m bis 1,80 m unter der damaligen Oberfläche. Die Wohnung F bestand aus zwei Räumen, jeder etwa 6-m 2 , die durch eine Tür verbunden waren. Eine Badestube hat Eschebach p.- 297 im Laden 23 entdeckt und zeichnerisch rekonstruiert. Später, in der Endpublikation der Casa di Ganimede hat sich Hans Eschebach nicht erneut zu dieser Deutung als Wohngruben durchringen können. Bei den Komplexen A bis G wies er darauf hin, dass sie an ähnliche Anlagen in „Nekropolen, Siloi, Brunnen und Unterkünfte“ erinnern. Zweifellos handelt es sich nicht um natürliche Löcher im felsigen Boden, sondern um ein Phänomen, das mit der frühen Nutzung des Geländes zu tun hat und auch andernorts vorkommt. Vermutlich sind die bei Strabon 5,4, p. 244 im Kapitel Kampanien beschriebenen unterirdischen Wohnungen argyllai gemeint. In diesem Zusammenmhang seien Ausgrabungen und Forschungen an der Nordküste des Schwarzen Meeres genannt. Alla Buyskykh von der Akademie der Wissenschaften in Kiev besuchte im Februar 2000 Berlin, und wir hatten Gelegenheit über das Phänomen von Erdhäusern in den Griechenstädten des Schwarzen Meeres zu sprechen. Ich verdanke ihr den Hinweis auf die Arbeiten von D. Kryzhitskij, der sich schon 1971 mit Wohnensembles im antiken Olbia (Pantekapeion) befasste und auf viel älteren Arbeiten von W.-D. Blawatskij aus den fünfziger Jahren fusst. In dessem Werk Die Architektur antiker Reiche des nördlichen Schwarzmeerraumes“ (1953 russisch) hat er viele Einzelheiten dieser zweifellos frühen Phase der Koloniestädte bekannt gegeben. Er unterscheidet echte Erdhäuser, die etwa 1m in den Boden vertieft sind, von halberdigen Häusern, die nur 30-cm unter dem Aussenniveau liegen. Die meisten Häuser sind viereckig, aber nicht selten kommen runde oder ovale Formen vor. Die Wohnfläche beträgt meist um 10 m², selten sind Häuser bis 15 m². In einigen Fällen sind Eingänge mit Stufen beobachtet worden, aber die meisten Häuser wurden über eine Leiter betreten. In den Erdwänden gibt es Nischen, im Boden Vertiefungen für die Aufstellung von Amphoren. Bei runden Häusern fand sich in Raummitte ein flacher Stein, der eine hölzerne Stütze aufnahm. Danach ist ein rundes Dach in der Art eines Regenschirmes zu rekonstruieren. Das aufgehende Mauerwerk der Wände bestand aus Lehmziegeln. Eine Feuerstelle an einer Wand lässt keine andere Deutung als die auf Wohnhäuser zu. Abb. 56 Wohngruben mit Feuerstellen unter der Casa di Ganimede hat Eschebach zunächst für Behausungen gehalten und rekonstruierte überstehende Runddächer. Abb. 57 Olbia (Pantekapeion). In der griechischen Kolonie aus dem frühen 6. Jahrhundert an der Mündung des Borysthenes (Dnjepr) sind bei Ausgrabungen zahlreiche und lange benutzte Wohngruben aufgedeckt worden. Die Abbildung bei A.N. Karasyov p. 118 zeigt einen Komplex mit Feuerstelle und Lehmziegelwandung. Kapitel 13: Dugouts: Provisorische Wohngruben und Hütten <?page no="69"?> 67 Auch neue Forschungen haben den Nachweis von Komplexen solcher Erdhäuser in Olbia erbracht. Dort wurde originale Keramik aus der Mutterstadt Milet gefunden. Eindeutig handelt es sich um Wohnungen der Kolonisten. Auch A.N. Karasyov von der Akademie der Künste der UDSSR berichtet in der Grabungspublikation Olbia. Temenos und Agora (Moskau - Leningrad 1964 russisch) p. 27-130 von diesen Erdhäusern. Sie sind mehr als 2-m in den Boden vertieft, haben Feuerstelle und teilweise Wände aus Lehmziegeln (Abb . 57). Alla Bujskikh hat 2017 in einem Bericht über neue Forschungen in Olbia Pontica auch das Thema der dugouts behandelt. 96 Der dortige Befund ist kompliziert und zeigt eine lange Benutzung der mehrfach veränderten Wohngruben (dort p.-10 ): they can be dated now not earlier than the second quarter of the 6 th century BC ... These appeared simultaneously with the new regular city planning system implemented in Olbia a short time later than at Borysthenes…. the building process in Phanagoreia, from the researchers’ point of view, started without a dugout period. Für Pompei gibt es keine Hinweise darauf, dass die dugouts nach dem Eintreffen des Gros der Siedler aufgegeben wurden. Im Gegenteil hat Eschebach eine Verfüllung der Gruben erst für das 4. Jahrhundert festgestellt. Wurde eine Gruppe von Siedlern ausgegrenzt? Wurden sie von der Verlosung der Parzellen im neuen Stadtgebiet ausgeschlossen, weil sie einheimische Frauen geheiratet hatten? Dass es sich in solchen Fällen um benachteiligte Bürger zweiter Klasse handelt, ist ein Phänomen, dass wir auch aus Poleis im Mutterland kennen. 97 Kapitel 13: Dugouts: Provisorische Wohngruben und Hütten <?page no="71"?> 69 Kapitel 14: Die grosse Pompé in Pompei Für Maiuri bietet der Name der Stadt Pompei ein Argument für die erste Vorherrschaft der Griechen: Un terzo argomento a conforto di una prima egemonia greca su Pompei potrebbe trovarsi nel nome stesso della città, da πέμπω e πομπή e non dall’ italico pompe ... 98 Weil das Wort πομπέ einen religiösen Festzug benennt, ist es naheliegend, in Pompei einen solchen höchst bedeutsamen, einen namengebenden religiösen Festzug anzunehmen. Schriftliche Nachrichten gibt es dazu nicht. Aber örtliche Besonderheiten sind Ausweis einer Pompé. So ist die doppelte Breite von 8,20 m der Via di Mercurio ein Beweis dafür, dass hier anders als bei den üblichen Wohnstrassen, die nur 4,10 m breit sind, ein besonderes Ereignis stattfand. Es ist oft vermutet worden, dass diese Breite mit einer Fernstrasse zusammenhängt. Aber in der Flucht der Strasse liegt ein Turm der Stadtmauer - wie bei jeder anderen zweiten Strasse auch - und am Turm 11 gibt es kein Tor und auch keinen Hinweis auf ein älteres Tor an dieser Stelle. Dass es sich nicht um eine Fernstrasse, sondern um eine Feststrasse handelt, ergibt sich aus dem städtebaulichen Zusammenhang. Ich habe an anderer Stelle betont, dass diese Feststrasse gleichsam eine Fortsetzung des Apollon-Heiligtums ist, weil sie haargenau dessen Ausrichtung entspricht. Alle sechs Strassen des nordwestlichen Wohnbezirks nehmen in dieser Weise auf das bedeutendste Heiligtum der Stadt Bezug. Tonio Hölscher schreibt in seiner Akademieschrift Öffentliche Räume in frühen griechischen Städten (2.-Aufl. 1999) 105 zutreffend: auch grosse Feststrassen erhielten durch aussergwöhnliche Breite einen repräsentativen Charakter. Bei der Via di Mercurio in Pompei unterstreicht ein noch erhaltener Strassenbogen diesen repräsentativen Charaker. Ein religiöser Festzug, der den Bogen passierte und die Feststrasse entlang zog, kann also seinen Anfang nur am Heiligtum des Apollon genommen haben. Die reichen Weihgaben, die bei Ausgrabungen im Temenos gemacht wurden, unterstreichen die Bedeutung des Apollon-Kultes und rechtfertigen eine Pompé. Diese sollte zweifellos auch dem Zusammenhalt von ‚Altstadt‘ und ‚Neustadt‘ dienen. Dem Vorplatz östlich vor dem Apolloneion (später Forum Civile) kam mit fast 50 m Tiefe die Bedeutung eines Festplatzes zu. Von Maiuri angelegte saggi ergaben, dass dort keine älteren Bauten vorausgingen. Das kann nur bedeuten, dass dieser Festplatz schon zusammen mit dem Heiligtum im frühen 6. Jahrhundert angelegt worden war. Wir stellen uns vor, dass unter den Augen zahlreicher Zuschauer der Festzug auf dem Festplatz und Vorplatz zusammengestellt und geordnet wurde. Von anderen Festzügen und entsprechenden Darstellungen ist bekannt, dass Chöre, die Aulos-Flöte blasende Musiker und andere Künstler, Blumen streuende Kinder, erfolgreiche Athleten und weitere Würdenträger zum Festzug gehörten. Musik und Gesang waren unerlässlich. Die Pompé in Pompei setzte sich in Richtung der breiten Feststrasse (Via Mercurio) in Bewegung (Plan 3: rote Punkte). Sie passierte die Via degli Augustali und überquerte nach 80- m die Hauptstrasse, die πλατεῖα β (Via della Fortuna). Der Zug bewegte sich durch den Strassenbogen auf der 8,20-m breite Feststrasse (Via di Mercurio), die beiderseits von Bürgerhäusern gesäumt wurde. Ein Blick auf den Plan zeigt am Ende der Feststrasse eine Anomalia. Weil der Festzug vor der Stadtmauer nach Osten in Richtung auf die Porta Vesuvio umbog, sind die drei Insulae um je 4 m verkürzt worden, um dem breiten Festzug Raum zu geben. Nach 110 m Prozession auf der Strasse an der Stadtmauer erreichte der Zug die verkehrsreiche Porta Vesuvio. Das Tor ist mehrfach umgebaut oder sogar erneuert worden, wie schon Maiuri feststellte. Das bestätigen neuere Untersuchungen von Florian Seiler und Heinz-Jürgen Beste. 99 Der erweiterte Raum auf der Stadtseite spricht dafür, dass hier der Festzug unterbrochen und ein Opfer für Apollon dargebracht wurde. Es sei an den öffentlichen Tiefbrunnen an der Porta Vesuvio erinnert, dem vermutlich in diesem Zusammenhang eine Rolle zufiel (p.-21). Der Zug verliess die Stadt nicht, sondern bewegte sich auf der πλατεῖα α nach Südosten. Diese Führung der Pompé mitten durch das öffentliche Zentrum mit geplanten oder bereits ausgeführten Bauten war ein wichtiger Höhepunkt, weil auf diesem weiten Gelände die ganze Bevölkerung der Stadt den prunkvollen Festzug bestaunen konnte. Das Grab des Oikisten, des als Heros verehrten Stadtgründers, war von der πλατεῖα α nur 50- m entfernt und sicher im Blick der Festzugsteilnehmer. Dieses, das längste gradlinige Stück der Prozession über die πλατεῖα β hinweg war 470 m lang und endete bei der Kreuzung der beiden Hauptstrassen, der πλατεῖα α mit πλατεῖα γ (Via Stabiana mit Via dell’Abbondanza). An der Stelle, wo sich die πλατεῖα γ nach Westen mit <?page no="72"?> 70 Kapitel 14: Die grosse Pompé in Pompei einer leichten Richtungsänderung fortsetzt, ist der Strassenraum platzartig erweitert. Hier ist ein weiterer Haltepunkt mit Opfer zu vermuten. An dieser Stelle muss das in unserem Zusammenhang wichtige und in Pompei einzigartige Wandbild le plus intéressant et le plus impressionant est certainement la peinture exposée devant la boutique IX,7,1 sur la via dell’ Abbondanza (V. Tran Tam Tinh). 100 Ausgegraben hat es Vittorio Spinazzola um 1910 und 1953 im Band über die neuen Ausgrabungen an der Via dell’ Abbondanza publiziert (Abb 58). 101 On assiste ici à une parade religieuse où la déesse idéenne est porté sur un palanquin, précédée des musiciens jouant des flûtes, des cymbales et de la foule de prêtres et de fidèles des deux sexes. … on découvre ici un „instané photographique“ qui nous révèle problablement la vie réelle dans la Cité, un croquis sur le vif d‘une procession religieuse dans les rues de la ville. 102 Es sei hinzugefügt, dass das Bild einen Haltepunkt der Festzuges schildert, denn das Tragegestell mit der sitzenden Göttin ruht auf dem Boden und die Träger stehen daneben. Ein weiss gekleideter Priester führt ein Opfer aus. Das scheint sich auf der platzartigen Erweiterung an der Strassenkreuzung etwa 100 m von der Boutique mit dem Wandbild abgespielt zu haben. Das Wandbild ist kaiserzeitlich und die sitzende Göttin wird als Kybele gedeutet. Man darf aber wohl annehmen, dass hier eine ältere, eine griechische Tradition fortgeführt wurde. Die Pompé bog nach Westen um und passierte einen weiteren Strassenbogen, von dem noch vier Pfeiler zu sehen sind (innen 7-m breiter Durchgang). Rechter Hand, wo die Stabianer Thermen aufgedeckt wurden, vermute ich für die archaische Zeit einen gymnastischen Übungsplatz, eine Palästra (p. 40). Linker Hand, im sakralen Bereich, kam ein Pappamonte-Fundament ans Licht, das nach Grösse (16-m Länge) und Lage der Schmalseite einem nach Osten ausgerichteten Ringhallentempels angehört haben könnte (p.-44). Vermutlich sind Einrichtungen und Bauten in der öffentlichen Zone so plaziert worden, dass sie als bedeutende Schöpfungen der Polis vom Festzug aus ins Auge fielen. Der Festzug bewegte sich durch die ‚Altstadt‘ auf der breiten Verlängerung der πλατεῖα γ und erreichte 250-m nach der Kreuzung der Hauptstrassen den 50- m tiefen Festplatz vor der Langseite des Apollon-Tempels. Vermutlich fand jetzt das eigentliche feierliche Opfer am Altar vor dem Tempel statt, dem das Bürgerfest auf der Festwiese folgte. In allen Poleis nahmen die Feste der Hauptgottheit, die meist im Juli und August gefeiert wurden, auf mythische Ereignisse Bezug und hatten eine eigene Ausprägung. In Athen wechselten an den grossen Panathenäen die Schauplätze, und die Opfertiere wurden in der Prozession auf die Burg mitgeführt. Nach dem Opfer am grossen Altar auf der Akropolis fand das Volksfest mit dem Verzehr des Fleisches vom Opfer wieder unten in der Stadt im Hof vor dem Dipylon statt. Für die Würdenträger war als Neuerung um 400 a. C. das Pompeion gebaut worden, das ausserhalb der Festzeiten auch als Gymnasion genutzt wurde. Für Pompei ist zu vermuten, dass Bauten, deren Ruinen nördlich vom Apollon-Tempel ausgegraben wurden in ähnlicher Weise mit dem Fest zusammenhingen. Wir suchen nach einer grossen Stoa, einem Gebäude mit Banketträumen und verschliessbaren Räumen für kultische Geräte. Der Festzug, die Pompé in Pompei legte eine Strecke von etwa 1270 m zurück. Er wird mehrere Stunden gedauert haben. Abb. 58 Pompei. Kaiserzeitliche Darstellung der grossen Pompé auf einer Wand im Haus IX,7,1 in der πλατεῖα β (Via dell’ Abbondanza). In der Mitte ein opfernder Priester, rechts das Bild einer auf einem Traggestell sitzenden Götttin (Ausgrabung und Foto Spinazzola). <?page no="73"?> 71 Kapitel 15: Katastrophe, Ansätze eines Wiederaufbaus und dann endgültiger Auszug der Griechen Dazu ein Zwischenruf Alessandra Avagliano nennt in ihrem viel beachteten und gelobten Buch das Kapitel 8 Il declino dell’ abitato arcaico. Auf p. 120 schreibt sie, dass man früher an eine totale Aufgabe der Wohnstadt im 5. Jahrhundert geglaubt habe, una vera e propria abbandono dell’ abitato, und in die aufgegebene Stadt seien die Samniten eingedrungen. Heute gäbe es aber erste Signale einer Kontinuität vom 5.-zum 4. Jahrhundert a. C., die indessen noch keine Festlegung erlauben. Das mag stimmen. Falsch mit Sicherheit ist die dann folgende Behauptung, in dieser Zeitspanne sei die Annahme einer radikalen Modifikation des städtischen Raumes nicht zu erkennen. Wir blättern zurück zum Kapitel 6 von Avagliano (p.-100) I primi abitanti di Pompei, wo die Autorin unter Berufung auf Anthropologen und Sozialwissenschaftler von einer cultura meticcia spricht, bei der das etruskische Element vorherrschte. Der Name Pompei komme von der indoeuropäischen Wurzel penkwe, was darauf schliessen lasse, dass fünf Komponenten an der Gründung des Wohnortes beteiligt waren . 103 Der herkömmlichen und nahe liegenden Herleitung des Namens Pompei vom griechischen Wort πομπή Festzug, die Maiuri für einzig richtig hielt (p. 69), kommt bei Avagliano nur in einer Anmerkung vor. Ferner fällt auf, dass Avagliano im Kapitel 6 oft von abitato (Wohnort) spricht, seltsamerweise aber nie vom vorherrschenden Typus des etruskischen oder besser des italischen Atriumhauses, der mit der Abfolge von fauces, atrium, tablinum und hortus einen sehr speziellen Charakter aufweist. Eine Kontinuität einer multi-ethnischen Bevölkerung, wie sie Avagliano vertritt und wie sie heute Consensus unter den Ausgräbern ist, bedeutet, dass es den Typus des Atriumhauses immer schon gegeben hat. Das ist aber mit den Befunden (Stadtplan! ) ganz unvereinbar (p.- 27). Ich pflichte Maiuri bei, dass die frühe, die Pappamonte-Phase griechisch war, und dass erst die Samniten den Typus des Atrium-Hauses nach Pompei brachten. Die Katastrophe Was hat den Einsturz der Stadtmauer und der Gebäude in der Stadt veranlasst? Hans Eschebach spricht von einem Ausbruch des Vesuvs, der sich in der späten archaischen Zeit ereignet haben soll, und der die ersten Bewohner zur Aufgabe ihrer Stadt veranlasste. Das ist eine vernünftige Idee, aber Eschebachs Beobachtungen von Lava und Lapillischichten sind nicht überzeugend und werden auch nicht von anderer Seite bestätigt. Eine kriegerische Eroberung Pompeis ist nicht festgestellt worden. Es gibt keine Hinweise auf eine Belagerung und anschliessende Zerstörung. Auch die Möglichkeit, dass eine Zentralgewalt den Auszug der Griechen befohlen hätte, findet keine Stütze. Es ist aber auch kaum vorstelllbar, dass die Bürger Pompeis grundlos ihre Stadt verliessen, zumal sie nach etwa 80 Jahren die schwierigste und arbeitsintensivste Phase der Stadtgründung bewältigt hatten. So kommt meines Erachtens als plausibler Grund nur ein Erdbeben in Frage. Es müsste freilich ein starkes Beben gewesen sein, das dauerte und mit immer neuen Stössen gewaltige Schäden anrichtete. Das wäre eine Erklärung dafür, dass die aus dem bröseligen Pappamonte-Tuff bestehenden Mauern einstürzten und die Stadt einem Ruinenfeld glich. Eine Serie von Erdbeben, die schwere Mauerschäden verursachten, haben Jens-Arne Dickmann und Felix Pirson an der Casa VIII,4,4 beobachtet. 104 Der vermutete, auf das Erdbeben folgende Auszug der Griechen aus Pompei beantwortet die Frage, warum bei den saggi und generell bei allen die frühen Schichten berührenden Ausgrabungen so wenig Kleinfunde der archaischen Zeit angetroffen wurden. Alles, was wertvoll oder auch nur brauchbar war, haben die Aussiedler mitgenommen. Zerstörung und Versuch einer Wiederherstellung der Stadtmauer Die erste Stadtmauer der Phase I war bei der genannten Katastrophe eingestürzt und danach begannen die Bewohner Pompeis sofort mit dem Bau einer neuen Mauer. Das war nicht eine Flickung, sondern der Versuch, mit der Wahl eines besseren Baumaterials alte Fehler zu vermeiden. Der ostentative Materialwechsel ist ein Beweis dafür, dass das billige, aber schlechte Pappamonte- Baumaterial als eine der Ursachen des Einsturzes erkannt worden war. In diesem Zusammenhang sind die Ergebnisse der Stadtmauer-Grabungen von Stefano De Caro von 1982 sehr wichtig, nicht zuletzt, weil seine Datierungen auf genauesten Zuweisungen der Funde zu bestimmten Schichten beruhen. <?page no="74"?> 72 Kapitel 15: Katastrophe, Ansätze eines Wiederaufbaus und dann endgültiger Auszug der Griechen Dennoch sind nicht alle Rätsel gelöst. Im Schnitt 1 von De Caro westlich der Porta di Nocera fanden sich zwischen den Schalen der Mauer Trümmer der alten Pappamonte-Mauer (Phase I) (Abb 59) - ein Beweis dafür, dass die Pappamonte-Stadtmauer eingestürzt war. Nach der Katastrophe wurden beide Schalen der hier 5,50 m breiten Mauer neu aufgebaut (Orthostatenmauer der Phase II). Zwischen ihnen blieben die nicht verwertbaren Reste der Mauer der Phase I einfach liegen. 105 Funde im Fundamentgraben (De Caro p.80) stammen aus der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts. Nach einem Vortrag von Stefano De Caro schrieb Valentin Kockel in AA 1986, 454 ... für die Orthostatenmauer des beginnenden 5. Jahrhunderts können keine Zweifel mehr bestehen. Interessant und wichtig sind Ritzzeichen auf der Innenseite der in situ erhaltenen stadtseitigen Mauer der Phase II (Abb 60). Weil die Zeichen teilweise auf dem Kopf stehen, müssen sie vor Versatz der Quader angebracht worden sein. Sie scheinen von Steinmetzen zu stammen, die unter den Trümmern der eingestürzten Pappamonte-Mauer die noch verwertbaren Blöcke aussuchten und mit ihrem Zeichen signierten. Ich erkenne griechische Buchstaben: Ε, Ν, Τ, Υ, Θ. So konnte ein Buchstabe Θ für den Namen Themistokles oder Ε für Euandros stehen. Dann wurden die ausgesuchten Quader zu einem Sammelplatz geschafft, wo sie von Steinmetzen zugerichtet und auf die geringe Schichthöhe von 49 cm (1 1/ 4 Fuss) der nun isodomen Mauer zugerichtet. Die restlichen, auf dem Boden liegenden Trümmer waren nicht verwertbar. Die Schicht 3 auf Abb. 60 über den Pappamonte-Trümmern ist ein Laufhorizont der am Wiederauf bau arbeitenden Handwerker. Die bei der Porta di Nocera beobachtete Zweitverwendung des schlechten Baumaterials Pappamonte-Tuff Abb. 59 Pompei. Im Schnitt 1 an der Stadtmauer neben der Porta di Nocera fand S. De Caro zwischen den ‚Vorhangmauern‘ der Phase II (oder III? ) Trümmer der archaischen Pappamonte- Stadtmauer, deren schlechter Zustand eine erneute Verwendung nicht erlaubte (Zeichnung bei De Caro). Abb. 60 Pompei. Innen-Ansicht der nördlichen Wand der ‚Vorhangmauer‘ . Steinmetzzeichen mit griechischen Buchstaben Τ, B, E, Θ kennzeichnen gut erhaltene Quader als geeignet für die Verwendung beim Wiederaufbau (Zeichnung bei De Caro). <?page no="75"?> 73 scheint eine Ausnahme zu sein. Vielleicht handelte der für diesen Abschnitt verantwortliche Meister aus eigenem Antrieb, um schnell Ergebnisse vorzuzeigen. Fotos der Stadtmauer an anderer Stelle (Abb . 61) zeigen für die isodome Mauer der Phase II einheitlich die Verwendung von Sarnokalkstein. Sie sind gegenüber der Mauer der Phase I deutlich zurückgesetzt, weil - so bei Turm IV - die Pappamontemauer am Hang abgerutscht war. An anderen Stellen fusst die Mauer der Phase II auf den noch in situ befindlichen unteren Schichten der schwärzlichen und rundlich verwitterten archaischen Mauer. Die älteste Phase I, die Pappamonte-Mauer, konnte De Caro sicher in das frühe 6. Jahrundert datieren. Der Versuch der Wiederherstellung der zerstörten Mauer (Phase- II) erfolgte knapp hundert Jahre später um 500- a. C. oder Anfang des 5. Jahrhunderts. Zeitpunkt der Aufgabe der Stadt Amedeo Maiuri hat den Ergebnissen neuer Ausgrabungen entsprechend seine Vorstellungen für den Auszug der Griechen aus Pompei geändert. Auch die neuen Ausgrabungen der Soprintendenza geben keinen eindeutigen Zeitpunkt. Das verwundert freilich nicht, denn Scherben oder andere datierende Funde weisen ja immer nur auf einen terminus post quem. In der Einleitung zur Beschreibung der neuen Schnitte in VI,10,23 schreiben F. Coarelli und F. Pesando zu Signs of discontinuity in Pompei: The latest chronlogical limit for the first period of frequentation of the insula is the beginning of the 5th century B.C., after which there is a gap in the archeological evidence of about two centuries. It is impossible to explain the reasons for this marked break which is recordet in other areas of the city between the second half of the 5th and the 3rd centuries B.C. We can only point out that the archaic structure discovered by the new excavations conducted in house VI,10,4 were covered by a compact layer of soil of alluvial origin (angeschwemmt) of about 10-15 cm thick. Das passt perfekt zu den gerade diskutierten Beobachtungen des Versuchs einer Reparatur der Stadtmauer in Phase II. Paavo Castrén datiert die jüngsten Pappamonte Strukturen in IX,3,5 probably late 6th century BC. ... After the 6th century BC, there seems to be a gap in the activity in the area. So far, no certain traces of 5th century BC activity have been recogniced. Paul Arthur 1986, 40: The fifth century remains rather a ‚dark age‘ . Abb. 61 Pompei. Quader-Reihen der ältesten Stadtmauer aus Pappamonte-Tuff (Phase I des frühen 6. Jahrhunderts) sind an mehreren Stellen des Mauerringes heute noch zu beobachten. Hier zwei Reihen mit rundlich abgewitterten Quadern östlich der Porta di Nocera. Darüber und zurückgesetzt Schichten der Orthostaten-Mauer der Phase II vom Anfang des 5. Jahrhunderts (Foto Eschebach). Kapitel 15: Katastrophe, Ansätze eines Wiederaufbaus und dann endgültiger Auszug der Griechen <?page no="76"?> 74 Kapitel 15: Katastrophe, Ansätze eines Wiederaufbaus und dann endgültiger Auszug der Griechen Andere Ausgrabungen bestätigen dieses Ergebnis. So hielt Christoph Reusser nach dem Studium der archaischen Funde der Grabung Eschebach in VII,13,4 Casa di Ganimede p. 354 fest, ein Blick auf die jüngeren Funde zeigt im 5. und frühen 4. Jh, v.-Chr. eine Lücke, während für das spätere 4. und 3. Jahrhundert v.- Chr. mehrere Fragmente campanisch-rotfiguriger Keramik, darunter der Rand eines Fischtellers und Gnathia-Keramik zu sehen sind. 106 In einem Grab in der Nekropole bei der Porta di Ercolano wurden hochwertige rotfigurige Gefässe des 4. Jahrhunderts a. C. gefunden (Abb 62). Ein Datum für den Auszug der ersten Bewohner aus Pompei gewinnen wir damit nicht. Denn Liebhaber griechischer Keramik müssen nicht Griechen gewesen sein. Auszug nach der Nea Polis? An dieser Stelle sollte nun doch auf den grossen Sieg der Griechen über die Etrusker zu Wasser und zu Land im Jahr 474 a. C. bei Kyme hingewiesen werden. Amedeo Maiuri hat (später) den Zuzug von Griechen nach Pompei in dieser Zeit für möglich gehalten. Dafür bieten aber seine eigenen saggi keine Hinweise. Die Kräfte der Griechen in Kampanien konzentrierten sich seit 470 a. C. auf den Bau der grossen Hafenstadt Nea Polis (Neapel). 107 Überliefert sind Kolonisten aus Kyme, aus Pithekussai und aus Syrakus. Weil der oben diskutierte Hiatus (Pause, Unterbrechung) im Leben Pompeis für das 5. Jahrhundert vielfach festgestellt wurde, liegt die Vermutung nahe, dass die Griechen Pompeis einem Ruf folgten und sich am Bau der Nea-Polis beteiligten. Als spätere Zuwanderer nennt Strabon 5, 246 Chalkidier, Griechen aus dem nahen Pithekussai und auch Athener. Abb. 62 Griechische Gefässe des 4. Jahrhunderts a. C. aus einem reichen Grab bei der Nekropole nahe der Porta di Ercolano (Foto nach Kat. Pompei e i Greci p.168). <?page no="77"?> 75 Kapitel 16: Die Casa III,4,b des Herakles-Priesters Pinarius im Wohnbezirk Ost Wer blieb zurück? - Ein Herakles-Priester in III,4,b Priester blieben zurück. Der Kult verlangt weitere Pflege! Glücklicherweise ist nahe der Via dell’ Abbondanza das Haus eines Gemmenschneiders und Priesters des Hercules aus der Familie Pinarius ausgegraben worden. Im Lateinisch-Deutschen Schulwörterbuch (von C.F. Ingerslev Braunschweig 1863) heisst es unter dem Stichwort Pinarius: Name eines alten römischen Geschlechts. Die Pinarii und die Potitii, eine andere priesterliche Familie, verrichteten das Opfer bei dem schon von Evander und von Romulus wieder aufgenommenen Cultus des Hercules an der ara maxima. Hat die Familie der Pinarii in Rom ein Mitglied nach Pompei geschickt, um dort der heiligen Verpflichtung als Priester des Hercules nachzukommen? Das kaiserzeitliche Haus Der Herakles-Priester wohnte in dem von Spinazzola 1916 und 1917 freigelegten und wegen seiner wertvollen Wandbilder aufwendig publizierten Haus in III,4,b im Osten der Stadt (Plan 3). Diese Lage im Osten kann bedeuten, dass dort schon in archaischer Zeit die Parzellierung der Insulae erfolgte, die Grundstücke aber noch unbebaut blieben. Darauf weisen vier quadratische Grundstücke von etwa 16,40- m × 16,40- m an der Via dell‘Abbondanza hin. Zunächst sei anhand des Textes von Spinazzola das Haus kurz geschildert. Am Sockel der Aussenwand links von der Haustür verraten Graffiti Namen und Beruf des Gemmario in der Casa III,4,b. 108 Von der Wohnstrasse Via di Nocera Nord kamen Besucher über eine 1,60- m breite Haustür in eine 3,5-m breite Halle (Abb 63). Linker Hand liegt die Treppe zum Obergeschoss, rechter Hand der hortus (Garten). In Raum c erkannte Spinazzola ein cubiculum an einem gemauerten Bettkasten. Auf der Nordwand dieses Zimmers ist eine kunstvoll konstruierte Bühnen-Architektur dargestellt: Iphigenie tritt aus dem Artemis-Tempel in Tauris. Rechts ihr Bruder Orest mit seinem Gefährten Pylades. Nach diesem Bild wird das Haus auch Haus der Iphigenia genannt. In einem Raum Tr (Triklinium) in der Nordecke des Hauses sind sogar Teile der gewölbten Stuck-Decke erhalten. Fig. 660 bei Spinazzola zeigt eine hohe Sockelzone mit grossen, gerahmten Tafeln und darüber bis zur Decke Reihen origineller quadratischer Bildchen. Das Triklinium wird über eine zum Garten offene Exedra betreten, die als Sommer-Triklinium diente. Rechts daneben der mit 25 m 2 grösste Raum des Hauses, den Spinazzola mit officina bezeichnet. Der Raum in der Ostecke des Hauses wird oecus genannt. Im Obergeschoss lagen Privaträume und auch die Werkstatt des Gemmenschneiders. Auf dem Korridor im Obergeschoss wurden viele teilweise unfertige Kammeen, Karneole und andere Steine mit Darstellungen gefunden. Ein griechisches Haus als Vorgänger Was die vermutete ältere Phase des Hauses angeht, teile ich zunächst mit, dass ich 1977 bei der Vorbereitung eines Kolloquiums in Berlin Hans Eschebach, der damals regelmässig in Pompei arbeitete, darum bat, in der Vesuvstadt nach Häusern zu suchen, die nicht dem üblichen Atrium-Typus entsprechen, sondern möglicherweise älter sind. Am interesantesten der 1978 von Eschebach vorgeführten Häuser war die Casa III,4,b. Dazu teilte Eschebach mit, dass einige Grundrisse an bekannte griechische Hausstypen erinnern. Es sind Häuser ohne axialen Eingang, die einen asymmetrischen Grundriss haben, Abb. 63 Grundriss der Casa III,4,b des Herkules-Priesters Pinario Cerialis. Das 270-m 2 grosse Haus nimmt die Fläche einer archaischen Parzelle ein (Zeichnung bei Spinazzola). <?page no="78"?> 76 Kapitel 16: Die Casa III,4,b des Herakles-Priesters Pinarius im Wohnbezirk Ost und deren Räume unregelmässig um einen Wohnhof gruppiert sind, darunter auch das grossartig dekorierte Haus des Herakles-Priesters und Gemmenschneiders Pinarius Cerialis. Sofern sie nicht hellenistischen Ursprungs sind, entstammen diese Häuser vielleicht der graezisierenden Epoche Pompejis, die im Laufe des 1. Jahrhunderts v.-Chr. nach der römischen Kolonisation einsetzte, und der auch der Einbau der griechischen Schwitzbäder (laconica) in den Thermen Kampaniens zuzuschreiben ist. Eine Untersuchung dieser Häuser wäre wünschenswert. Dem schliesse ich mich an, und forciere den Wunsch nach saggi in der Casa III,4,b, weil wir wissen müssen, ob es auch hier ältere Mauern aus Pappamonte-Tuff gibt, oder ob das Grundstück in archaischer Zeit noch unbewohnt war. Es handelt sich um das zweite Haus der linken, der westlichen Reihe der Insula 4 mit Zugang von der Wohnstrasse Via di Nocera Nord (Plan 2 und 3). Eine hellenistische Phase Bei Betrachtung der Ruine (Abb 63 64).fällt sofort auf, dass die Räume auf dem quadratischen Grundstück völlig anders angeordnet sind als bei den griechischen Häusern VI,10,6 und VI,822 im nordwestlichen Wohnbezirks Die Anordnung des Hauses Haus III,4,b mit Räumen über Eck scheint mit der abweichenden Orientierung der Insulae im Wohnbezirk Ost zusammenzuhängen. Liegt das Oikos-Ensemble dem Eingang gegenüber, um die Mittagssonne und die wärmende Nachmittagssonne einzufangen? Ob es sich bei dieser Anordnung der Räume um eine Ausnahme oder um die Regel im östlichen Wohnbezirk handelt, können nur weitere Ausgrabungen klären. Möglich ist jedenfalls, dass der Bauherr, unbedingt ein modernes Wohnhaus mit Peristyl haben wollte. Das war mit der herkömmlichen Anordnung kaum zu realisieren. Die Lage der Wohnräume über Eck erlaubte immerhin einen quadratischen Garten mit Säulenreihen vor Stoen auf zwei Seiten. Der Raum c im Plan von Spinazzola wird von ihm als cubiculum bezeichnet, war aber ursprünglich zweifellos ein Drei-Klinen-Bankettraum, wie die Lage nahe der Haustür, die Grösse des Raumes von etwa 3- m × 3- m, ein hoch liegendes Fenster und vor allem ein quadratisches Mosaik aus weissen Tesserae (keine Kiesel) mit schwarzem Randstreifen in Raummitte beweisen (Abb . 65). Ein ursprünglich 3-cm hoher Randstreifen, auf dem die Klinen standen, wurde bei neuer Verwendung des Raumes in der Kaiserzeit abgearbeitet, wie auf der Abbildung zu erkennen ist. Der Zustand des Hauses mit Dreiklinen- Bankettraum und Wohnräumen im Nordosten und einem zweihüftigem Peristyl-Hof ist zweifellos hellenistisch, wahrscheinlich 3. Jahrhundert, denn das Mosaik im Bankettraum gleicht dem im Bankettraum der Casa VII,4,62, die im folgenden Kapitel beschrieben wird. Ein Bankettraum mit nur drei Klinen ist für die relativ grossen Häuser ungewöhnlich. Deshalb stellt sich die Frage, ob der gleich grosse Nachbarraum, die spätere Exedra, ursprünglich ein zweiter Bankettraum mit weiteren drei Klinen war. Dann könnten auch dort Reste eines Mosaikbodens zu entdecken sein. Was die Wohnräume im Nordosten betrifft, so scheint der Oikos mit zwei angeschlossenen Kammern auch in diesem hellenistischen Haus bestanden zu haben. Wenn Abb. 64 Details der kaiserzeitlichen Phase der Casa III,4,b des Hercules-Priesters erlauben eine Rekonstruktion des griechischhellenistischen Zustandes. Anstelle des klassischen Wohnhofes entstand ein zweiseitiges Peristyl (Zeichnung Verfasser). Abb. 65 In der Casa III,4,b ist in der Mitte von Raum C bei Spinazzola ein quadratisches Mosaik vermutlich des frühen 3.-Jahrhunderts zu sehen. Erhöhte Randstreifen (abgeschlagen) trugen drei Klinen. Dieser Bankettraum lag nahe am Haus-Eingang (Zeichnung Verfasser). <?page no="79"?> 77 Kapitel 16: Die Casa III,4,b des Herakles-Priesters Pinarius im Wohnbezirk Ost wir uns nur die östlich des Raumes Ofe bei Spinazzola wegdenken, entsteht ein Oikos von 7,10 m Breite und 4,90 m Tiefe. Der Eckraum Tr ist nur 3 m breit, und so liegt es nahe, dort bei der Mitte der Insula die Nassräume mit einer Trennwand zwischen Bad und Webkammer zu vermuten (Drainage). Wir resumieren: Der Casa III,4,b des Gemmarius und Herkules-Priesters Pinarius beruht auf Umbauten eines vermutlich frühhellenischen Hauses. Ob dieses auch schon der Priesterfamie gehörte, ist beim Stand der Dinge nicht zu ermitteln. <?page no="81"?> 79 Kapitel 17: Frühhellenistische Banketträume sind Beweis für griechische Bauherren Sieben-Klinen-Banketträume der Zeit um 280 a C . in Regio VII Insula 4 A. D’Ambrosio - S. De Caro, Un contributo all’architettura e all‘urbanistica di Pompei in età ellenistica. I saggi nella casa VII, 4, 62, in: Annali, sezione di Archeologia e Storia Antica XI (Napoli 1989) 173 - 204 mit Fig.29- 37. Weder bei Maiuri noch bei den neuen Forschungsprogrammen ist das Gebiet der Regio VII südlich der πλατεῖα β, das ich mit ‚Niemandsland‘ bezeichnet habe, mit neueren Ausgrabungen bedacht worden. Allein deswegen sind die begrenzten Ausgrabungen von A. D’Ambrosio und Stefano De Caro in der Casa VII,4,62 neben dem Tempel der Fortuna Augusta besonders wichtig. Sie geben uns Kenntnis von einer bislang unbekannten Phase in der Entwicklung der Stadt Pompei. Die Ausgrabungen waren äusserst schwierig, denn sie mussten sich auf das Atrium, das Tablinum und zwei Nebenräume beschränken (Abb 66). Zudem durchziehen Leitungen und Kanäle das begrenzte Areal und erschweren das Erkennen von Zusammenhängen. Das gilt auch für 15 grosse und weniger grosse Löcher im Boden (darunter bei Nr.-15 der Krater einer Bombe von 1943). Die Verfasser hielten sich an die von Maiuri praktizierte Methode, bei komplizierten Zeichnungen durch Beifügung von Zahlen oder Buchstaben Mauern oder andere Strukturen kenntlich zu machen. Dem mehr als 30 Seiten langen Artikel sind zahlreiche Fotos und Zeichnungen erklärend beigegeben. Kapitel I des Artikels liefert eine genaue Beschreibung des Hauses VII,4,62, das, wie die ganze Insula 4, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgegraben wurde. Abb. 66 Bei einer schwierigen Ausgrabung in der Casa delle Forme de Creta VII,4,62 im ‚Niemandsland‘ südlich der Via della Fortuna liessen sich aus geringen Resten in Phase III zwei frühhellenistische Sieben-Klinen- Banketträume erschliessen (Zeichnung D’Ambrosio - De Caro 1989). <?page no="82"?> 80 Kapitel 17: Frühhellenistische Banketträume sind Beweis für griechische Bauherren Das kanonische Atriumhaus mit Impluvium aus Marmor hat Zugang von der Via della Fortuna. Ein weiterer Zugang von Süden in das Peristyl mit 5 auf 6 Säulen erfolgte über einen von der Via del Foro ausgehenden Korridor. Im Kapitel II p.178 ff.: Von der ‚domus‘ di età ellenistica werden mehrere Böden des 2. und 1. Jahrhunderts a. C. beschrieben, bei denen es sich in allen Fällen um Vorgänger des letzten Atriumhauses handelt. Kapitel III p.189 ff. ist überschrieben: Fase anteriore alla casa ellenistica. Daraus wird deutlich, dass die Verfasser die besondere historische Situation erkannten, aber auf eine konkrete Benennung verzichteten. Diese Phase (Abb 66 67) liegt 1,13 m bzw. 1,10 m unter dem Boden des jüngsten Hauses. Es handelt sich um sorgfältig gearbeitete, isolierte Stücke von Estrichböden mit Mosaiken aus weissen Tesserae. An mehreren Stellen sind kleine Teile der die Böden begrenzenden Mauern erhalten. Daraus lässt sich zunächst südöstlich vom Impluvium ein quadratischer Raum mit 4,72-m Seiten (innen, ohne Verputz) ergänzen. Diese Mauern sind in der Zeichnung der Verfasser mit Mauer β, Mauer γ und Mauer δ kenntlich gemacht. Weitere sehr kleine Stücke der gleichen Mauer in derselben Technik zeigen, dass sich die nördliche Mauer des quadratischen Raumes nach Westen fortsetzte. Das gleiche gilt für die südliche Mauer. Diese reicht über die Westwand ε des kleinen westlichen Seitenraumes hinaus. Aufschluss gibt ein kleines Mauerstück ε, das 3,40 m von der Westmauer des quadratischen Raumes nach Westen entfernt ist (nicht die Mauer unter U). Es zeigt, dass sich an den quadratischen Raum nach Westen ein 2,70 m breiter Korridor anschloss. Beide Räume weisen den für Banketträume charakteristischen 3 cm hohen und 80 cm breiten Randstreifen für die Aufstellung von Klinen auf (kleine Teile am Ort erhalten). Ausserdem haben die Ausgräber un foro di drenaggio per l’aqua attraverso il corpo di un’anfora festgestellt. Das war bei feucht-fröhlichen Gelagen in Banketträumen sinnvoll. Die Eingänge in diese beiden Banketträume konnten nicht festgestellt werden. Die Länge der Wände der quadratischen Räume entspricht mit 4,72 m genau den üblichen Sieben-Klinen- Banketträumen der klassischen und noch der frühhellenistischen Zeit. 109 Die sorgfältig geborgenen Funde unter den Böden sind überwiegend Scherben attischer Gefässe, die den Komplex in die Zeit Ende 4. bis Anfang 3. Jahrhundert datieren. Es sei betont, dass die Ausgräber sehr zu recht trotz der geringen Reste die Rekonstruktion der beiden Banketträume mit trennendem Korridor für fraglos gesichert halten. Für ein solches Ensemble hat sich schon früher die Bezeichnung Dreiraumgruppe durchgesetzt. 110 Eine frühhellenistische Stadtvilla? Das Vorhandensein eines gemeinsamen Vorraumes für zwei Symposienräume habe ich vor langer Zeit damit erklärt, dass in frühhellenistischer Zeit Ehefrauen eine hohe gesellschaftliche Stellung einnahmen: In einem der Räume speiste der Hausherr mit Philoi, während der andere Bankettraum von der Hausherrin mit ihren Gefährtinnen und weiblichen Gästen benutzt wurde. Im Festhaus in Aigai, das Philipp II. 336 a. C. für die Hochzeit seiner Tochter Kleopatra errichten liess, zeigt am Eingang zur Dreiraumgruppe eine mittige Säule: Herrscher und Ehefrau traten getrennt ein und wandten sich im Voraum nach rechts beziehungsweise nach links (Abb . 68). Diese Aufwertung der Ehefrauen wäre sicher am deutlichsten im ptolemäischen Ägypten zu beobachten, wo Königinnen kultisch verehrt wurden. Das zweite palastartige Gebäude in Makedonien mit einer Dreiraumgruppe ist das mit kostbaren Bodenmosaiken ausgestattete sogenannte Dionysos-Haus in Pella, das ich für den Palast des Antibasileus Antipatros halte. 111 Paläste und palastartige Häuser der hellenistischen Zeit zeichnen sich durch ein grosses, repräsentatives Peristyl aus. D’Ambrosio und De Caro haben in der genannten Casa südlich der beiden Banketträume zwei Löcher für die Fixierung hölzerner Säulen entdeckt, die erkennen lassen, dass es auch hier ein Peristyl gab und die Dreiraumgruppe als wichtigster Teil der Anlage Licht und Wärme von Süden einfing. Die Tiefe der umlaufenden Hallen beträgt 4 m (lichtes Mass), das Säulenjoch nur 3 m. Weitere Säulen des vermutlichen Peristyl sind im selben Abstand von 3 m westlich der nachgewiesenen Stützen zu erwarten. Abb. 67 Rekonstruktion der frühhellenistischen „Dreiraumgruppe“ unter der Casa VII,4,62. Südlich davon gibt es Pfostenlöcher vermutlich eines Peristyl (Zeichnung Verfasser). <?page no="83"?> 81 Kapitel 17: Frühhellenistische Banketträume sind Beweis für griechische Bauherren Die ausgegrabenen Räume lagen nicht direkt an der schräg verlaufenden, 8,20 m breiten Hauptstrasse β (Via della Fortuna). Zwei zum Ensemble gehörende Mauern nördlich der Andrones geben Kenntnis von einem nur 2,50 m tiefen Korridor, der vielleicht ein Lichthof war. Die Frage des Eingangs zum Haus mit der Dreiraumgruppe ist nicht geklärt. Bei den genannten palastartigen Beispielen kamen Bewohner und Besucher nicht direkt in die Banketträume. Sie betraten die Villa von Süden und gelangten zunächst in ein Vestibül und dann in einen Empfangsraum. Der Hausherr hatte Gelegenheit seinen Gästen auf dem Weg in die Banketträume andere mit Mosaiken ausgestattete Prunkräume vorzuführen. Das könnte in Pompei ähnlich gewesen sein. Bauherr Die Ausgräber erörtern die Frage nach dem Bauherrn nicht. Sie sind der Meinung, dass es sich nicht um ein Privathaus, sondern p.195: ... si tratta certamente di un apprestamento di carattere publico, um ein modello dell‘edificio greco, vielleicht um ein Gebäude wie das katagogion in Kassope handelt. Aber an eine epirotische Sonderform ist ebensowenig zu denken, wie an ein hestiatorion. Ich halte allein der Lage wegen ein aufwendiges Bürgerhaus mit Dreiraumgruppe für wahrscheinlicher. Allerdings ist dieses Haus, das man auch als Stadtvilla bezeichnen kann, in der samnitischen Architektur von Pompei im 3. Jahrhundert ein Fremdkörper. Samnitische Bauherrn bauen Atriumhäuser, bei denen, soweit ich sehe, quadratische Banketträume mit Klinen an den Wänden nicht vorkommen. Hat hier ein einflussreicher Grieche um 280 a. C eine Villa im Zentrum von Pompei errichtet? Und hinzugefügt sei, dass es offensichtlich ein Einvernehmen zwischen diesem griechischen Bauherrn und der samnitischen Obrigkeit gegeben haben muss. Wir wissen nicht, ob - wie oben beschrieben - griechische Priester und griechische Fachleute in der von Samniten beherrschten Stadt lebten und als Minderheit geduldet wurden. Städtebauliche Folgerungen Die Verfasser des genannten Aufsatzes betonen im Vorwort p.173 und noch einmal im Nachwort mit Entschiedenheit, dass es eine Landstrasse und alte Handelsstrasse, wie sie von Gerkan und Eschebach postulierten, mit Sicherheit nicht gegeben hat. Ich habe meine Vorstellungen von einem ‚Niemandsland‘ in diesem Bereich bereits dargelegt (p.-62). Weil das Atriumhaus VII,4,57 auf drei archaischen griechischen Parzellen errichtet wurde, die nach Süden in das ‚Niemandsland‘ hineinreichten (Abb 69), Abb. 68 Aigai in Makedonien. Im grossen Peristyl des Festhauses, das Philipp II. zur Hochzeit seiner Tochter Kleopatra 336 a. C. errichten liess, gibt es eine ‚Dreiraumgruppe‘ mit zwei Bankettsälen und einem gemeinsamen Vorraum (Zeichnung Verfasser mit I. Arvanitis ). Abb. 69 Pompei. Die Lage der ‚Dreiraumgruppe‘ unter VII,4,62 spricht für eine Deutung als Teil einer frühhellenistischen Stadtvilla (Hypothese des Verfassers). <?page no="84"?> 82 Kapitel 17: Frühhellenistische Banketträume sind Beweis für griechische Bauherren ist sicher, dass mit der Parzellierung des ‚Niemandslandes‘ begonnen worden war, und bald danach wurden die Arbeiten unterbrochen. Der nach Westen anschliessende Bereich scheint lange Zeit unbebaut geblieben zu sein. Dagegen vermuten die Verfasser des hier erörterten Aufsatzes p.194 ff., dass es an der Stelle der frühhellenistischen Stadtvilla vermutlich schon in archaischer Zeit Vorgänger gab, die aus technischen Gründen in der Ausgrabung nicht erschlossen werden konnten. 112 Sicher ist nur, dass in augusteischer Zeit an der nordwestlichen Ecke der Insula VII,4 der Tempel der Fortuna Augusta, ein Prostylos auf einem Podium mit grosser Treppe mit darin eingefügtem Altar, errichtet wurde. Dieser Tempel konnte, so vermute ich, nur entstehen, weil das grosse Eckgrundstück an der pompike odos eben dort noch unbebaut war. In die augusteische Zeit datieren die Ausgräber mit guten Gründen p.-176 auch die Casa VII,4,62. Das von mir vermutete noble Wohnhaus mit Banketträumen der frühhellenistischen Zeit bestand nicht einmal hundert Jahre. Denn im 2. Jahrhundert wurde, wie Ausgräber zeigen, an dieser Stelle ein Atriumhaus gebaut, dessen jüngste Phase ebenfalls der augusteischen Zeit angehört. Un stile zero? J.-P. Brun, Un stile zero? Andron e decorazione pittorica anteriore al primo stile nell'Insula I 5 di Pompei, in: Nuove Ricerche 2009, 61-70. Die Insula I,5 wenige Meter östlich der Porta di Stabia ist mit 32,60 m Breite Teil der westlichsten Reihe der archaischen Insulae. Die namenlose Gasse nördlich von I 5 entstand wie andere Querstrassen erst in samnitischer Zeit. J. P. Brun vom Centre Jean Bérard hat im Jahr 2000 die Insula Regio I, 5 untersucht (Abb.- 18) und dort einen Befund angetroffen, der ebenfalls von einer Luxus-Architektur im frühen 3. Jh. Kenntnis gibt. Der Verfasser des Vorberichtes betont, dass diese Entdeckung nicht nur für die Geschiche Pompeiis, sondern auch für die Geschichte der Malerei der Antike von Bedeutung sei. Eine sala da banchetto steht im Mittelpunkt dieses Artikels. Im NW der Insula zeigte sich unter den rezenten Mauern ein komplett erhaltener Bankettsaal mit erhöhtem Randstreifen für 9 Klinen. Stuck eines dunkelgrauen Wandsockels und ein schwarzes, sehr schlankes Wellenband auf weissem Grund beweisen hohe Qualität und veranlassten J.P. Brun von einem Stil 0 vor dem ersten Stil zu sprechen. Schon im dritten Viertel des 2. Jahrhunderts a. C. wurde das Wohnhaus erneuert und der Bankettsaal abgerissen. Sind Banketträume ein Beweis für griechissche Bauherren? In den Atriumhäusern in Pompei (samnitisch, etruskisch oder oskisch) gab es keine der für die griechische Gesellschaft typischen, den Männern vorbehaltenen Andrones. In der römisch-samnitischen Gesellschaft nahmen Frauen des Hauses an Festmahlen teil. Wenn im 1. Drittel des 3. Jahrhunderts a. C. in Pompei Andrones mit Klinen auf erhöhten Randstreifen gebaut wurden, wenn Mittelfelder mit Mosaiken geschmückt wurden, wenn feiner Stuck die Sockel der Wände schmückten, sind als Bauherren nicht Samniten zu vermuten, auch wenn sie Freunde der griechischen Kultur waren. Dann waren Griechen die Auftraggeber. Lasssen diese Neubauten und Umbauten des frühen Hellenismus auf den Zuzug von Griechen in die von Samniten und ihren Atriumhäusern geprägten Stadt schliessen? <?page no="85"?> 83 Kapitel 18: Pyrrhos in Kampanien Die neue Hellenisierung Italiens war nicht nur auf den Pyrrhoszug und auf die Eroberung eines Teils von Sizilien zurückzuführen ... schrieb Michael Rostovtzeff 1941 ahnungsvoll, 113 Alexander - dies war der feste Glaube der führenden Historiker jener Zeit - war entschlossen gewesen, den Westen seinem Weltreich anzugliedern, und nach ihm hatte Pyrrhos gezeigt, dass es in Griechenland Männer gab, die Willens und imstande waren, den Versuch zu wagen und gegen Rom alle, denen sein Übergewicht in der italischen Politik nicht behagte, zu vereinen. Der epirotische König Pyrrhos, der in der alten Korinther-Stadt Ambrakia residierte, und damit gleichsam auf dem Sprung nach Italien war, fand einen Vorwand, sich in Belange der Griechenstädte in Unteritalien einzumischen. Seine zweite Frau war eine Tochter von Agathokles, des Herrschers von Syrakus. Und als ihn die Bitte der Tarentiner erreichte, im Kampf gegen Rom Hilfe zu leisten, zögerte Pyrrhos nicht. Mit Zuspruch und Hilfe Ptolemaios’ II. stellte er ein bedeutendes Heer zusammen. Plutarch, Pyrrhos 15 nennt Transportschiffe und Galeeren, auf denen Pyrrhos mit 20 Elefanten, dreitausend Reitern, zwanzigtausend Mann Fussvolk, zweitausend Bogenschützen und fünfhundert Schleuderern im Frühjahr 280 a. C. nach Tarent übersetzte. Plutarch, Pyrrhos ist die einzige erhaltene ausführliche Quelle zu Pyrrhos. 114 Sie ist reich an Anekdoten, aber arm an Informationen über die Reihenfolge der Ereignisse und der Aufenthalte des als sympathisch geschilderten Haudegens. Sicher ist, dass noch im Jahr 280 das erste Treffen gegen die Römer bei Herakleia stattfand. Mit Hilfe seiner Elefanten gewann Pyrrhos die Schlacht. Der Sieg wurde mit der Ausgabe einer Silbermünze gefeiert, auf der unter dem auf einem Delphin reitenden Taras ein Elefant zu sehen ist (Abb 70). Bei Plutarch Pyrrhos 17 heisst es dann „Pyrrhos bemächtigte sich des von den Römern verlassenen Lagers, brachte viele mit ihnen verbündete Städte auf seine Seite, verheerte ein weites Gebiet und drang soweit vor, dass er nur noch 300 Stadien (53 km) von Rom entfernt war. Mit diesen wenigen Worten werden zwei Jahre geschildert, in denen Pyrrhos in Lukanien, in Kampanien und in Samnien umherzog und währenddessen mit den Römern über den Austausch von Gefangenen und auch über einen möglichen Friedensschluss lange Verhandlungen führte. Nicht gesagt wird von Plutarch, dass es Aufgabe der jeweiligen Städte war, dem Heer mit vielen tausend Kämpfern und Tieren einschliesslich der Pferde und Elefanten Quartier und Verpflegung stellen. Diese Art von Befreiung von den Römern und/ oder den Samniten war sicher nicht immer willkommen. Die Aufenthaltsorte wechselten vermutlich schnell, und das scheint der Grund zu sein, warum sie selten genannt werden. Wenn Pyrrhos von Neapolis nach Norden zog, müsste er Pompei berührt haben, falls er die alte Uferstrasse wählte. Die historischen Karten mit der Darstellung des Pyrrhos-Zugs sind schematisch. Pierre Lévêque diskutiert in seiner Studie über Pyrrhos die Reihenfolge der Ereignisse, äussert sich aber auch nicht zu den Orten, an denen sie stattfanden. 115 Pierre Grimal (Sorbonne Paris) vermutet Pyrrhos scheint die Absicht gehabt zu haben, seinen Sieg sofort ‚auszumünzen‘ und in Mittelitalien ein richtiges Königreich zu errichten, und Abb. 70 Münze aus Tarent mit Darstellung des auf einem Delphin reitenden Taras. Der Elefant am unteren Rand bezieht sich auf die Schlacht bei Herakleia 280 a.-C. (Foto der Münzsammlung SMPK Berlin). <?page no="86"?> 84 Kapitel 18: Pyrrhos in Kampanien zwar durch Zusammenschluss der Völker, die sich mit ihm im Krieg verbündet und ihm im Krieg geholfen hatten. 116 Das bezieht sich nicht nur auf die Pläne des Königs bei und nach der Ankunft in Tarent, wo Pyrrhos sich gezwungen sah, seine Herrschaft mit Strenge durchzusetzten, sondern auch auf die Zeit des sizilischen Abenteuers. In seinen zeitweiligen Residenzen Lokri Epizephyri in Kalabrien und in Syrakus hat König Pyrrhos in seinem Namen Münzen in Gold, Silber und Bronze prägen lassen. Auch Bronzemünzen zeigen das Bild seiner Mutter Phthia auf der Vorderseite: Kopf der Königin nach links mit Schleier, und auf der Rückseite das Zeus entlehnte Blitzbündel gerahmt vom Schriftzug ΒΑΣΙΛΕΩΣ ΠΥΡΡΟΥ ( Abb 71) 117 . Insgesamt sechs Jahre zog Pyrrhos durch Unteritalien ohne seine Pläne realisieren zu können. Zweifellos aber löste er mit seinem Vorhaben, ein Königreich zu schaffen, das nur hätte griechisch sein können, bei Griechen Euphorie aus. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass König Pyrrhos politische Strukturen schuf, die - wie Rostovtzeff meinte - eine neue Hellenisierung bewirkten. Diese ging nicht, wie die Grabungsergebnisse zeigen, auf Kosten der dort lebenden Samniten. Sie waren die treuesten Verbündeten des Königs. Beweise dafür, dass sich Pyrrhos auch in Pompei aufgehalten hat, gibt es nicht. Das Thema Elefanten war durch den Pyrrhos-Zug überall von Künstlern aufgegriffen worden. Im Archäologischen Museum in Neapel gibt es mehrere Objekte, die Elefanten darstellen. So z.B. die Terrakottafigur eines Kriegselefanten, der einen mit Ketten befestigten Wehrturm trägt. Ein Reiter sitzt vor dem Turm. Es scheint der für den Elefanten zuständige Wärter zu sein. Datierung vermutlich 2. Jahrhundert a. C, Provenienz vermutlich die italische Halbinsel. Ein einziges Fresko in Pompei zeigt Elefanten: In der Werkstatt (Officina) des Verecundus in der Via dell’ Abbondanza IX,7,5 zeigt ein Fresko Venus auf einer Quadriga von Elefanten. Abb. 71 Bronzemünze aus Syrakus mit Darstellung der Mutter des Phyrrhos und auf der Rückseite das Blitzbündel des Zeus mit Beischrift (Foto Kunsthistorisches Museum Wien). <?page no="87"?> 85 Anmerkungen 1 F. Matz, Der griechische Tempel, Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft XV, 1949/ 50, 75. 2 A. Wallace-Hadrill, in: M. Ciaccio et al. (ed.), Culturell Identitity in the Ancient Mediterraneum (The Getty Research Institute Publication 2011) 415-427. 3 So auch P. Zanker, Pompeji. Stadtbilder als Spiegel von Gesellschaft und Herrschaftsform (Mainz 1987) 7-9. 4 P. Arthur, Problems of the urbanization of Pompeii: Excavations 1980-1981, Antiquaries Journal 66, 1, 1986, 29-44. 5 A. Wallace-Hadrill, Pompeian Identities: Between Oscan, Samnite, Greek, Roman, and Punic, in: M. Ciaccio, K. Jakobson u.a. (ed.), Cultural Identity in the ancient Meditterraneum (Los Angeles 2011) 415-427. 6 FAZ 11.4,2020 p. 15 (Andreas Rossmann). 7 Alessandra Avagliano, Le origini di Pompei. La città tra il VI e il V seculo a.C. Babesch Suppl. 33 (Leuven - Paris - Bristol 2018). 8 E. Greco, The „Tomb“ of the founder and the origins of Poseidonia (2014). 9 G. Zuchtriegel, Colonization and Subalternity in Classical Greece. Experience of the nonelite Population (Cambridge Univ. Press 2018 XI. 10 Brian Brennan, Amedeo Maiuri: Herculaneum, Archaeology and Fascist Propaganda in: Bulletin of History of Archaeology 30,1 (Internet 2020) mit Hinweis auf neue Biographien von Amedeo Maiuri (u.a. Osanna 2017 und U. Pappalardo (ed.), Amedeo Maiuri: Una vita per l‘archeologia (2007). 11 U. Pappalardo, Amedeo Maiuri e Pompei. Difesa di un Soprintendente, in: Archeologia Viva, 2015: Halbherr habe den jungen Maiuri als Philologen nach Kreta geholt. 12 Zacharias N. Tsirpanlis, Italokratia sta Dodekanisia 1912 -1943. Allotriosi tou anthropou kai tou periballontos (griech.), Rhodos 1998, bes. Kapitel 1 p. 21-55. 13 Tsirpanlis a.O. 111. 14 Grigoris Konstantinopoulos (Ephoros der Dodekanes), Die Stadt Rhodos. Altstadt und Neustadt mit Plan der Altstadt, Athen um 1990. 15 M. Barbanera, Alessandro della Seta (1879-1944), in: Lebensbilder a.O. 51-63. 16 E. Tommasino, 2004, 30. 17 Kartierung der Bombenschäden von 1943 bei V. Kockel, Archäologische Funde, AA1986, 449. 18 Jahrbuch der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin 1963 (DDR), 220.221. 19 Ö. Özyigit, The City Walls of Phokaia, Revue des Études Anciennes, 96, 1994, 77-109. 20 R. Naumann in: R. Lullies - W. Schiering (ed.), Archäologenbildnisse (Mainz 1988) 226f. 21 Zitiert nach Thomas Fröhlich, Armin von Gerkan (1884- 1969), in: G. Brands - M. Maischberger (ed.), Lebensbilder. Klassische Archäologen und der Nationalsozialismus, Band- 1 (Rahden/ Westf. 2014). 91-106. 22 Von Gerkan bekleidete in der Ortsgruppe Rom das Amt eines politischen Leiters (u.a. Herausgeber der Zeitschrift Der Italien-Beobachter); Hephaistos 27, 2010, 54. 23 A. von Gerkan, Griechische Städteanlagen. Untersuchungen zur Entwicklung des Städtebaues im Altertum (Berlin und Leipzig 1924) 119. 24 A. v. Gerkan, Rez. zu: A. Maiuri, Studi e Richerche sulla Fortificazione di Pompei (Rom 1930), in: Deutsche Literaturzeitung 52, 1931. 25 A. Maiuri, in: Notizie degli scavi di Antichita 1939, 235-238. 26 R. Étienne, Pompeji. Das Leben in einer antiken Stadt (Ausgabe Büchergilde Frankfurt, Wien, Zürich 1974) 87. 27 H. Eschebach, Die städtebauliche Entwicklung des antiken Pompei. 17. Ergh. RM (Roma 1970). 28 A. Maiuri, Notizie degli scavi di antichità (1942) 404-415, wieder abgedruckt 1973: A. Maiuri, Pompei preromana, 115-133 mit Fig. 77-86. 29 Auf Abb. 8 beruhen Höhenlinien auf traditionell gemessenen Punkten. Das neue Digital Elevation Model, bearbeitet von M. Giglio zeigt, dass die Strasse tatsächlich in mehreren Senken verläuft. M. Giglio, Considerazionei sull‘impianto urbanistico di Pompei, in: Rileggere Pompei nel 2016, 26 mit Fig.-5. 30 A. Maiuri, Pozzi e condotture d‘aqua nell‘antica città. Scoperta di un antico pozzo presso Porta Vesuvio, in: Notizie degli Scavi di Antichità 1931, 546-564 mit Abb.-1 Schnittzeichnung. 31 H. Riemann, in: Neue Forschungen 1975, 225-233 spricht von Wassernot im frühen Pompei. 32 Eine nachgebaute Badewanne in der Ausstellung Griechische Klassik. Idee oder Wirklichkeit (Berlin/ Bonn 2002) Kat. Nr. 282, Abb. p. 417. 33 S. J. R. Ellis - Gary Devore, Uncovering Plebeian Pompeii: Broader Implications from excavating a forgotten workingclass neighbourhood, in: Nuove ricerche (scavi 2003 - 2006) 2009, 309-320, hier 311. 34 Avagliani 2018, Appunti sull‘edilizia arcaica di Pompei, 123- 128. 35 D. Mertens, Der alte Heratempel in Paestum und die archaische Baukunst in Unteritalien (Mainz 1993) 99-103. 36 M. Fulford - A. Wallace-Hadrill, Towards a History of preroman Pompei. Excavations beneath the House of Amarantus (I.9.11-12), 1995-1998, BSR 67, 1999, 37-127. 37 Erwähnt bei Eschebach und Eschebach 1995, 35. 38 Maiuri 1973, 96-f. fig. 128.130; Avagliano 2018, 184. 39 Bei unserer Ausgrabung in Orraon (Haus und Stadt 1994, 384-411) fanden wir Webgewichte am Boden liegend, so wie sie vom Webstuhl herabgefallen waren. 40 R. Morichi - R. Paone - F. Sampaolo, Pompei. Nuova Cartografia in formatizzata georiferita (Roma 2017). 41 S. De Caro zu Richardson, jr., Pompeii, Rez. in: Gnomon 1990, 153-159. 42 F. Castagnoli, Orthogonal Town Planning in Antiquity (engl. Ausgabe 1971). 43 Zum Piräus Hoepfner - Schwandner, Haus und Stadt 1994, 22-49. 44 Castagnoli 1971, 27ff. 45 A. Boethius - J. B. Ward-Perkins, Etruscan and Roman Architecture, Harmondsworth 1970 (61 und 63). 46 E. J. Owens, The City in the Greek and Roman World (London - New York 1991) 101. 47 Maiuri 1954, 265-266. 48 Maiuri, Pompei preromana 1973, 153. 49 P. Arthur, Problems of the urbanization of Pompeii: Excavations 1980-1981, Antiquaries Journal 66, 1, 1986, 29-44. 50 Eschebach und Eschebach 1995, 84 mit Abb.-36. 51 D. Mertens, Il Tempio di Nettuno alla Luce di un nuovo rilievo, in: F. Mangone V. - Russo - G. Zuchtriegrel (ed.), „L’Emblema dell’Eternità“. Il tempio di Nettuno a Paesturm (Pisa 2019) 27-58. 52 Mertens, Der alte Heratempel in Paestum a.O. 84. 53 E. Greco - D. Theodorescu, Poseidonia - Paestum II. L’agora (École Francaise de Rome 1983). 54 E. Greco, The „tomb“ of the founder and the origins of Poseidonia (2014). 55 Eschebach und Eschebach 1995, 31-33; Foto des Dromos bei Avagliano 2018, 67-68. <?page no="88"?> 86 Anmerkungen 56 H. Eschebach, Die Stabianer Thermen in Pompei (1979); ders., Feststellungen unter der Oberfläche des Jahres 79 n.- Chr. im Bereich der Insula VII 1 - Stabianer Thermen - in Pompei, in: Neue Forschungen 1975, 179-192. 57 Erwähnt bei Symposion U. Mania - M. Trümper (ed.), Development of and greco-roman cityscapes (Berlin 2018) 515. 58 P. Scholz, Einführung zum Inhalt des Bandes: D. Kah - P. Scholz, Das hellenistische Gymnasion, Symposion Frankfurt 2001 (Berlin 2004) 14. 59 W. Hoepfner, Das Pompeion und seine Nachfolgerbauten (Berlin 1976) 95. 60 Monographie von D. Mertens, Der alte Heratempel in Paestum und die archaische Baukunst in Unteritalien (Mainz 1993); dort p.- 173 Vergleich mit dem dorischen Tempel in Pompei; mit Abb. der Kapitelle; Beil. 15: Zusammenstellung früher Ringhallentempel. 61 F. Krauss, Paestum - Die griechischen Tempel. Neudruck mit Beiträgen von G. Gruben und D. Mertens (Berlin 1977). 62 D. Mertens, Städte und Bauten der Westgriechen (München 2006) 254. 63 J. De Waele, Il tempio dorico del Foro Triangolare di Pompei (Roma 2001). Ders. Zu den Ausgrabungen am dorischen Tempel Excavation in the Doric Temple, in: OpPomp 7, 51-73. 64 W. Hoepfner (ed.), Geschichte des Wohnens Bd.1. (Stuttgart 1999). Eindeutig nachweisbar in der früharchaischen Siedlung Zagora auf Andros 163-169. 65 In Dystos auf Euböa ist der Fall gegeben, dass ein Drei-Klinen- Andron auf Kosten einer Halle nachträglich in ein frühklassisches (? ) Bürgerhaus eingefügt wurde. W. Hoepfner (ed.), Geschichte des Wohnens Bd.1. (Stuttgart 1999) 355-367. 66 Hoepfner 1999, 395-411. - Den ersten Hinweis auf dieses einzigartige Haus verdanken wir dem Ephoros Nikolaos Zaphiropoulos. 67 J. Chamonard, Le quartier du theatre. Étude sur l’habitation délienne à l’époque hellénistique. Delos 8 (1922-1924); M. Trümper, Wohnen in Delos. Eine baugeschichtliche Untersuchung zum Wandel der Wohnkultur in hellenistischer Zeit (Rahden/ Westf. 1998, 293). 68 D.M. Robinson - J.W. Graham, The hellenistic House. A Study of the houses found at Olynthus with detailed account of those excavated in 1931 and 1934. Excavation at Olynthus 8 (Baltimore 1938); Hoepfner - Schwandner, Haus und Stadt 1994, 68-113 mit ausführlicher Diskussion der typisierten Häuser. 69 Maiuri, Pompei preromana 1973, 147 mit Diskussion der antiken Quellen zu Pompei: Plinius n.h. III, 60.61; Strabon V, 247. 70 Wie erfolgreich solche Strassenschnitte sein können, zeigte sich bei Untersuchungen im griechischen Thera, wo meine Studenten, unter ihnen Mathias Antkowiak und Arno Kose, mit systematischen Schnitten durch die Gassen beweisen konnten, dass das früher für archaisch gehaltene Wegenetz erst in hellenistischer Zeit entstanden ist (W. Hoepfner, Hrsg., Das dorische Thera V. Stadtgeschichte und Kultstätten am nördlichen Stadtrand, Berlin 1997). 71 Nach Nuove Ricerche 2009, S.-75, D. Esposito, saggi nella Regio V Ins. 5 (Casa dei Gladiatori) 75, Fig. 8. 72 Maiuri 1973, 138-143 zu den etruskischen Inschriften am Apollon-Tempel. 73 P. Arthur 1986, 38. 74 S. Steingräber, RM 89, 1982, 373. 75 S. De Caro, The first Sanctuaries, in: F. Zevi (ed.), Pompei I (Neapel 1991, 23-46. 76 A. De Franciscis, Note sull’architettura arcaica a Pompei, in: Festschrift Jacques Heurgon, L’Italie préromaine. Publications de L’École Francaise de Rome 27 (1976) 243-252. 77 Maiuri 1973, 171-179 mit Zeichnungen, zu den Inschriften 125-133. 78 Eschebach und Eschebach 1995, 26-31 mit Zeichnungen. 79 H. Eschebach, Die städtebauliche Entwicklung des antiken Pompeji, 17. Ergh. RM (1970). 80 V. Kockel, Archäologische Funde und Forschungen in den Vesuvstädten II, AA1986, 506.507. 81 A. De Franciscis, Note sull‘architettura arcaica a Pompei, in: Festschrift Jacques Heurgon, L’Italie préromaine, École Française de Rome (1976) 243-252. 82 E. Akurgal, Griechische und römische Kunst in der Türkei (München 1987) 36-40. 83 Gruben 2001, 350-352. 84 So auch De Caro 1982, 109: un momento anteriore alla creazione del circuito murario mit Hypothesen zur Nutzung der zona d‘ insediamento privilegiato. 85 S. De Caro, The first Sanctuaries, in: F. Zevi (ed.), Pompei I (Neapel 1991) 23-46. 86 E. Murray, Das frühe Griechenland (DTV 1982) 152-160. 87 Chr. Doumas, Thera / Santorin. Das Pompeji der alten Ägäis (Berlin, Leipzig 1991). 88 W. Hoepfner (ed.), Das dorische Thera V. Stadtgeschichte und Kultstätten am nördlichen Stadtrand (Berlin 1997). Chr. Witschel, Beobachtungen zur Stadtentwicklung in hellenistischer und römischer Zeit, 17-46. 89 S. Stucchi - L. Bacchielli, L’Agora di Cirene 2 (1983) Abb. 9. 90 E. Stein-Hölkeskamp, Im Land der Kirke und Kyklopen. Immigranten und Indigene in den süditalischen Siedlungen des 8.-und 7. Jahrhunderts, in: KLIO 88, 2006, 311-337. 91 Eschebach und Eschebach 1995, 26-31. 92 Dort sind die Atriumhäuser mit der schmalen Eingangsseite zur jeweiligen Strasse orientiert. Das macht den Eindruck einer Ordnung, ist aber nichts anderes, als die Reihung von Häusern unterschiedlicher Breite und Tiefe. Das Gelände scheint lange Zeit unbebaut geblieben zu sein. 93 Wissenschaftlicher Jahresbericht des Österreichischen Archäologischen Instituts 2019 III,1 Untersuchungen zur Insula VII, 4 in Pompeji 69-71. 94 Eschebach 1982, 278.313. 95 H. Eschebach, Zur Entwicklung des pompejanischen Hauses, in: Wohnungsbau im Altertum, Dikussionen zur Archäologischen Bauforschung 3, Bericht über Kolloquium Berlin 1978, 152-161, Wohngruben dort Abb. 2-4. 96 A. Bujskikh, From dugouts to houses: Urban development in late archaic Olbia Pontica, in: CAIETE AR A. Arhitectura. Restaurare. Arheologie 8, 2017 (Bukuresti) 5-15 mit Plänen und Literaturverzeichnis. 97 L.-M. Günther, Nothoi und nothai - eine Randgruppe in der hellenistischen Polis? In: A. Matthaei - M. Zimmermann (ed.), Stadtkultur im Hellenismus (Heidelberg 2014) 133-147. 98 Maiuri 1973, 149 Anm. 46 mit Diskussion der Erwähnungen bei Strabon V 247. 99 F. Seiler - H. Beste, Pompei, Regio VI Insula 16 e la zona di Porta Vesuvio: Una prima sintesi delle indagini a Pompei dell’Istituto Archeologico Germanico, Rivista di Studi Pompeiani 15 (2004). 100 V. Tran Tam Tinh, Les problèmes du culte de Cybele et d’Attis à Pompéi, in: Neue Forschungen 1975, 279-290. 101 V. Spinazzola 1935, Band II, Via dell’ Abbondanza, 690-709. 102 V. Tran Tam Tinh, a.a.O. mit Taf. 256 und 257 (Ausschnitt). 103 Unter Berufung auf W. Schweickard, Deonomastikon (2009) 800. 104 J.-A. Dickmann - F. Pirson, Die Casa dei Postumi in Pompeji a.O., RM 109, 2002, 253-254. 105 De Caro, Fortificazione 1985, besonders 77. 106 C. Reusser, Archaische Funde, in: RM 89, 1982, 353-376. 107 H. Riemann in: Neue Forschungen 1975, 232. 108 Spinazzola 1953 II, 690-709. <?page no="89"?> 87 Anmerkungen 109 Um die Mitte des 3. Jahrhunderts wurden die herkömmlichen Banketträume mit Klinen an den Wände von den noch in der Spätantike üblichen Triklinien abgelöst. Erfinder der Triklinien war nach Diogenes Laertius VIII,86 Eudoxos. Noch im 2.-Jahrhundert a. C. gab es Gebäude mit Banketträumen beider Form. 110 W. Hoepfner, Philosophenwege (Konstanz 2018) 49-57; K. Reber, Die klassischen und hellenistischen Wohnhäuser im Westquarier, Eretria X (Lausanne 1980) 134-136. 111 W. Hoepfner, Philosophenwege (Konstanz 2018) 49-57 zum Palast in Pella und zum Festhaus in Aigai mit Rekonstruktionen. 112 Die oben erwähnte Aufdeckung eines Nestes mit archaischer Keramik im Korridor VII,4,8 (P. Arthur 1986, 31) scheint ein Schutthaufen zu sein. Zweifel an einer archaischen Phase des grossen Eckgrundstücks seien erlaubt. 113 M. Rostovtzeff, Die hellenistische Welt. Gesellschaft und Wirtschaft 1 (Tübingen 1955) 41. 114 Der Historiker Zenon, der über Phyrrhos und dessen Feldzug nach Italien und Sizilien schrieb, ist nur dem Namen nach bekannt (Diog. Laert. VII, 35). 115 P. Lévêque, Pyrrhos (Paris 1957) 341-349. 116 P. Grimal, Der römische Westen vom Krieg gegen Pyrrhos bis zum Sieg über Hannibal, in: ders. (ed.), Fischer Weltgeschichte 6, Der Hellenismus und der Aufstieg Roms. Die Mittelmeerwelt im Altertum II 300-354. 117 Bronzemünze um 278 geprägt. Kunsthistorisches Museum Wien. <?page no="90"?> 88 Plan 1 Pompei. Plan mit den gängigen Bezeichnungen der Tore und Türme der Stadtmauer sowie der Strassen und Gassen (Eschebach und Eschebach 1995). <?page no="91"?> 89 Plan 2 Auf der Grundlage des satellitengestützten Planes der Ruinen, der saggi stratigrafici von Amedeo Maiuri und neuerer Forschungen kann das archaische griechische Pompei als eine Streifenstadt mit langen Insulae, drei Hauptstrassen und einer grossen öffentlichen Zone rekonstruiert werden (Zeichnung Verf. 2020). <?page no="92"?> Plan 3 Der Ausschnitt zeigt farblich differenziert die Funktionsbereiche von Pompei: die sogenannte ‚Altstadt‘ mit Apollon-Heiligtum, den nordwestlichen Wohnbezirk, den östlichen Wohnbezirk und den öffentlichen Bereich mit Agora und mit seitlichen Heiligtümern auf der Grundlage des stellitengestützten Planes der Ruinen (Zeichnung Verf. 2020). <?page no="93"?> Der Ausschnitt zeigt farblich differenziert die Funktionsbereiche von Pompei: die sogenannte ‚Altstadt‘ mit Apollon-Heiligtum, den nordwestlichen Wohnbezirk, den östlichen Wohnbezirk und den öffentlichen Bereich mit Agora und mit seitlichen Heiligtümern auf der Grundlage <?page no="94"?> Band 52 Wolfram Hoepfner Philosophenwege 2018, 114 Seiten, fester Einband ISBN 978-3-86764-861-5 Über die Methoden der Lehre und die Lehrstätten der Philosophen der spätklassischen Zeit kursieren abenteuerliche Vorstellungen. Trotz einseitiger Quellenlage lassen sich die Wege von Sokrates in Athen, Platons Reisen nach Syrakus und Aristoteles Aufenthalte in Makedonien aber erstaunlich genau nachvollziehen. Philosophen nutzten für ihre Lehre bestimmte schattige Rundwege, um sich bei gleichmäßiger Bewegung mit einem oder zwei Schülern auf einen dialogos zu konzentrieren. Schon für die Historiker der späten Antike wie Diogenes Laertius war dieses Verhalten zum Rätsel geworden. Das Phänomen lässt sich dennoch erklären und sogar topographisch festlegen. Das Hauptaugenmerk gilt den Schulen der Philosophen. In vielen Fällen war damit der Peripatos gemeint, ein Bau-Typus, den Platon in der Akademie kreiert hatte. Wie er aussah, welche Räumlichkeiten vertreten waren und wie lange solche Lehrstätten Bestand hatten, ist Thema dieses Buches. Band 53 Wolfram Hoepfner Hermopolis Magna und das Heiligtum für Ptolemaios III. Eine Nachlese 2020, 58 Seiten mit 65 Abb., fester Einband 978-3-86764-912-4 In Hermopolis Magna in Mittelägypten entstand in den Jahren nach 240 v.u.Z. der älteste Ringhallentempel korinthischer Ordnung. Das ist wenig bekannt, obwohl ein ägyptischer Archäologe die vollständige Weihinschrift des Tempels schon 1945 entdeckt hatte und wenig später 16 Kapitelle ans Licht kamen. Das Heiligtum des Königs Ptolemaios III. und seiner Frau Berenike war in der Spätantike Opfer der Pläne des Bischofs geworden, an derselben Stelle eine Basilika zu errichten. Immerhin fanden die Ausgräber der Universität Alexandria 1950 und 1951 viele Bauteile des hellenistischen Heiligtums und publizierten einen Vorbericht. Wolfram Hoepfner besuchte Hermopolis 1969 und studierte die Bauteile zum Vergleich mit einem zeitgleichen Bauvorhaben in Alexandria. 50 Jahre später folgte er der Anregung eines Kollegen und suchte seine vergilbten Aufzeichnungen hervor. Er staunte nicht schlecht, als sich die disparaten Bauglieder zu einem veritablen Heiligtum ergänzen ließen. In der Provinz war mit dem Ringhallentempel korinthischer Ordnung und einer Skenographia ein höchst modernes Bauensemble entstanden. Der Clou ist freilich, dass sich das zentralperspektivisch aufgefasste gebaute Bild (Skenographia) als Nachklang noch an Wandbildern des 2. Stils in Pompei feststellen lässt. XENIA Konstanzer Althistorische Vorträge und Forschungen Herausgegeben von Wolfgang Schuller www.uvk.de Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. : Weiterlesen . ´ . ´ <?page no="95"?> ISBN 978-3-7398-3122-0 www.uvk.de Auf der Grundlage des zuverlässigen satellitengestützten Planes der Ruinen von Pompei rekonstruiert der Archäologe und Bauhistoriker Professor a.D. Dr. Wolfram Hoepfner die älteste, die archaische Stadtanlage. Schon 1929 hatte Soprintendente Amedeo Maiuri mit Grabungen an der Stadtmauer die Existenz einer griechischen Stadt gleicher Größe nachgewiesen. Heftige Widersprüche - die bis in die Gegenwart den Diskurs beherrschen - beantwortete Maiuri mit saggi stratigrafici, begrenzte Schnitte unter den Laufhorizont des 79 n. Chr. zerstörten Pompei. Mit der Aufdeckung sporadischer Mauern und Böden gelang der Nachweis eines regelmäßigen griechischen Wohnviertels. Die Erschließung weiterer Zusammenhänge lässt nun sogar die Struktur der gesamten griechischen Stadt erkennen, die unter den Koloniestädten jener Zeit in Unteritalien kein Fremdkörper ist. In 18 Kapiteln des vorliegenden Buches werden Areale für öffentliche Bauten, die Agora in der Stadtmitte, Heiligtümer an den Seiten sowie Wohnbezirke mit Wohnhäusern erschlossen, und auch das Problem der sogenannten »Altstadt« eruiert, das Pompei-Kennern seit fast hundert Jahren Rätsel aufgibt. Professor a.D. Dr. Wolfram Hoepfner ist Archäologe, Bauhistoriker und Topograph. Er lehrte Baugeschichte und Städtebau der Antike an der Freien Universität Berlin.
