Die Burgbergsiedlung in Überlingen
Ein Demonstrativbauvorhaben und das kulturelle Erbe der Stadt
0309
2020
978-3-7720-0190-1
978-3-8676-4908-7
UVK Verlag
Hermann-Josef Krug
In den 1960er und 1970er-Jahren bauten westdeutsche Kommunen mit finanzieller Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Großwohnsiedlungen. Dazu zählt auch die unter der städteplanerischen Leitidee »Urbanität durch Dichte« stehende Burgbergsiedlung in Überlingen. Dieser Stadtbezirk reiht sich in die legendären Demonstrativbauvorhaben der Bundesrepublik Deutschland ein, welche für den deutschen Städtebau richtungsweisende Impulse bei der Wohnraumbeschaffung setzen sollten. Die Untersuchung über die Burgbergsiedlung umfasst eine Chronologie ihrer Entstehung und den damit verbundenen Wahrnehmungen der Überlinger Bürger. Fotos und Quellenstudien in öffentlichen Archiven werden durch Interviews von Schlüsselpersonen sowie Bewohnerinnen und Bewohnern ergänzt.
Diese »urbane Rekartografie« beleuchtet zugleich ein Kapitel Überlinger Lokalgeschichte und bundesdeutscher Wohnungsbaupolitik der Nachkriegsmoderne.
Hermann-Josef Krug Die Burgbergsiedlung in Überlingen Ein Demonstrativbauvorhaben und das kulturelle Erbe der Stadt Hermann-Josef Krug Die Burgbergsiedlung in Überlingen Sonnenbergbebauung mit Terrassenhäusern; Burgbergsiedlung in Überlingen (Quelle: Krug 2013). Hermann-Josef Krug Die Burgbergsiedlung in Überlingen Ein Demonstrativbauvorhaben und das kulturelle Erbe der Stadt UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abruf bar. ISBN 978-3-86764-908-7 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und straf bar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2020 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Einbandmotiv: Mezger, Viktor: „Burgberg 1972“, 1971; „Narrenbuch der Narrenzunft Überlingen aus dem Jahr 1863“. Printed in Germany UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 www.uvk.de 5 Inhalt Einführung 7 1. Demonstrativbauvorhaben und Nachkriegsmoderne 13 1.1 Die Zukunft von Großwohnsiedlungen 15 1.2 Die öffentliche Wahrnehmung von Großwohnsiedlungen 17 1.3 Die Burgbergsiedlung und die soziale Moderne 21 1.4 Exkurs: Sozialdemokratischer Wohnungsbau - Das Rote Wien 25 1.5 Das bundesdeutsche Städteleitbild „Urbanität durch Dichte“ 29 1.6 Eigentum verpflichtet 37 2. Die Burgbergsiedlung in Überlingen 41 2.1 Der konzeptionelle Raum 41 2.1.1 Das Plangutachten - ein Masterplan für die Burgbergsiedlung 45 2.1.2 Städtebauliche Bausteine 50 2.1.2.1 Zeile und Gruppe - Terrassenhäuser und mehrgeschossige Gebäude 50 2.1.2.2 Die Gruppe - der Wohnkomplex Schatzberg 52 2.1.2.3 Hof und Solitär - das Burgbergzentrum 55 2.2 Der soziale Raum 59 2.2.1 Der Eintritt in die Freizeitgesellschaft - die Gartenhofhäuser 59 2.2.2 Die Ökonomisierung der Familie - Hort, Kindergarten, Schule 66 2.2.3 Das deutsche Nizza - Wohnen im Sonnenbergkomplex 69 2.3 Der politische Raum 73 2.3.1 Der Streit um die Nachverdichtung von Hochhäusern 73 2.3.2 Die Burgbergsiedlung als Heterotopie 81 2.3.3 Die Burgbergfeste als identitätsstiftende Momente 89 2.3.4 Wem gehört die Stadt? Der Streit um den Burgbergpark 95 2.4 Die Transformation des sozialen Raums 112 2.5 Möglichkeitsräume - das Engagement der Überlinger Baugenossenschaft 116 Ein Blick in die Zukunft 121 Anhang 131 Literatur 131 Quellen 138 Filmografie 140 Anhang 1: Luftbild - Bau der Burgbergsiedlung 140 Anhang 2: Aktionsgemeinschaft zur Erhaltung des Burgbergparks 141 Anhang 3: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Urteil in der Normenkontrollsache wegen Gültigkeit der Änderung des Bebauungsplanes „Burgberg“ im Bereich „Schloss Burgberg“, Überlingen, 9.12.1982 143 Anhang 4: Zitat auf dem Beitrag „Hauchdünne Mehrheit für Park-Bebauung“ aus dem Südkurier aus dem Jahr 1968 (Südkurier 1982c: o.S.) 145 6 Anhang 5: Historie der Burgbergsiedlung 146 Anhang 6: Wohnungsbestand der BGÜ in der Burgbergsiedlung (Quelle: BGÜ Geschäftsbericht 2018: 24ff.) 147 Anhang 7: Bevölkerungsstruktur Burgberg am Beispiel des Burgbergrings (Stand: 1986) (Quelle: Adressbuch Überlingen, Konstanz 1986). 148 Anhang 8: Konflikt Burgbergpark - chronologische Übersicht 151 Anhang 9: Wettbewerb eingeladene Architektenbüros zum Masterplan Burgberg 151 Anhang 10: Beispiele für Demonstrativbauvorhaben des Bundesministeriums für Wohnungswesen und Städtebau in Baden- Württemberg (Stand: 1967) 152 Anhang 11: Baustelle Burgberg 1968-1972. Luftbilder und Datierung Günther Sokolowski 153 Anhang 12: Burgberg 2019. Luftbild: Solweig Fischer 160 7 Einführung Im Jahr 2011 zog ich in die Überlinger Burgbergsiedlung. Schnell erkannte ich, dass dieses in den 1960er bis in die 1980er Jahren gebaute Quartier ein eigenständiges städtebauliches Gesamtensemble bildet, welches in deutlichem Kontrast zur historischen Innenstadt steht. Mit seiner einheitlichen Flachdach-Architektur und seiner parzellierten Gartenkultur unterscheidet es sich aber nicht nur architektonisch von der Giebelarchitektur der Kernstadt, sondern es dokumentiert mit seinen kubischen Bauten auch eindrucksvoll den sozialen, technischen und ästhetischen Modernisierungswillen der Nachkriegsmoderne. Anfangs irritierte mich dieser stadträumliche Gegensatz - er weckte aber auch meine Neugierde. Um Informationen über die Baugeschichte der Siedlung zu sammeln und das Zusammenleben der Menschen in diesem Quartier zu studieren, fasste ich den Entschluss, intensiv in die Atmosphäre des Quartiers einzutauchen. Ich flanierte durch den Stadtteil, fotografierte die Häuser und Straßen, skizzierte deren Gebäude und unterhielt mich mit den Bewohnern. 1 1 Ich weise darauf hin, dass nachfolgend aus Gründen der besseren Lesbarkeit nur die männliche Form genannt wird, die weibliche Form aber selbstverständlich immer mitgemeint ist. Abbildung 1: Die Burgbergsiedlung mit Blick auf den Hochhauskomplex Sonnenberg. (Quelle: Krug 2014) 8 Die Idee für dieses medienwissenschaftliche Buch entstand während eines solchen Umherschweifens. 2 Als ich an einem Sommertag den Sonnenberg-Hochhauskomplex etwas genauer betrachtete, fiel mir auf, dass dieses Hochhaus aus dem Raster der umliegenden Gebäude herausbrach. Im Vergleich zu den benachbarten sechsbis siebengeschossigen Wohnblöcken erweckte das große Gebäude den Eindruck, überdimensioniert zu sein. Nachdem mir ein Anwohner während eines Gesprächs angedeutet hatte, dass mit der Aufstockung des Hochhauses eine interessante Planungsgeschichte verbunden gewesen sei, wollte ich diesem Hinweis nachgehen. Schon wenige Tage später besuchte ich mit meinem Nachbarn das Stadtarchiv in Überlingen, sichtete dort die Dokumente über die Bebauung der Burgbergsiedlung und arbeitete mich über Wochen und Monate hinweg intensiv in die Planungsgeschichte der Siedlung ein. Diese dem Leser nun vorliegende urbane Rekartografie dokumentiert meine Recherchen über die Geschichte der Burgbergsiedlung. Inzwischen sind über 50 Jahre vergangen, seitdem das Motto „Urbanität durch Dichte“ den bundesdeutschen Städtebau bestimmte. Viele der in den 1950er bis in die 1970er Jahren errichteten „Demonstrativbauvorhaben“ 3 haben Patina angesetzt, sie sind, wie man so schön sagt, „in die Jahre gekommen“ und der frühere Glanz dieser städtebaulichen Prestigeprojekte ist heute einem enormen Sanierungsbedarf gewichen. Angesichts der Tatsache, dass der Wohnsiedlungsbau eine wichtige Rolle bei der Wohnraumversorgung der Bürger spielt, drängt sich die Frage auf, in welcher Weise die Demonstrativbauvorhaben einen Hinweis auf die zukünftige Stadtentwicklung geben können. Für die Erörterung dieser Frage habe ich die vorliegende urbane Rekartografie in drei Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel beleuchte ich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die dem Bau der Demonstrativbauvorhaben zugrunde liegen. Nach einer Klärung des in den 1960er Jahren propagierten städtebaulichen Mottos „Urbanität und Dichte“, folgt ein kurzer Exkurs über die Geschichte des sozialdemokratischen Siedlungsbaus in Deutschland und Österreich. Danach beleuchte ich den politischen Kontext der 1960er Jahre, welcher den westdeutschen Siedlungsbau ermöglicht hat. Meine These lautet, dass die in der Tradition des sozialen Siedlungsbaus stehenden Demonstrativbauvorhaben für die Wohnungspolitik der Nachkriegsmoderne entscheidende Impulse gesetzt haben, und aus diesem Grund zu unserem historischen Erbe zu zählen sind. Darüber hinaus vertrete ich die Meinung, dass das Überlinger Demonstrativbauvorhaben „Burgberg“ auf den Idealen der europäischen Aufklärung von Freiheit, Gleichheit und Solidarität beruht und symbolisch die sozialdemokratische „Hoffnung auf ein neues und besseres Leben“ 4 repräsentiert. Dabei schließe ich mich der These des deutschen Stadtsoziologen Walter Siebel 2 Vgl. Debord 1995: 64 ff. 3 Das Demonstrativbauprogramm der Bundesrepublik Deutschland, welches vom Bundesministerium für Wohnungswesen und Städtebau initiiert wurde, begann im Jahre 1957. Das Programm wurden als eine effektive Form der modernen Stadtentwicklung gelobt: „Die Demonstrativbaumaßnahmen haben sich aus den […] vom Bundesministerium für Wohnungswesen und Städtebau geförderten Versuchs- und Vergleichsbauten entwickelt. […] Die Demonstrativbauvorhaben sollen vorbildliche Anwendungsmaßnahmen bewährter Erfahrungen auf den verschiedensten Gebieten des Wohnungs- und Städtebaues in der Praxis zeigen. Sie sollen Beispiele setzen, Vergleiche ermöglichen, Anregungen vermitteln und insgesamt gesehen die Entwicklung des Baugeschehens bei der Planung, Neugliederung, Erweiterung und Erneuerung unserer Gemeinden richtungsweisend beeinflussen. Dieses Ziel soll erreicht werden bei einem möglichst hohen Maß von Übereinstimmung der städtebaulichen und der gebäudeplanerischen Vorstellungen und der Möglichkeiten einer rationellen Baudurchführung.“ (Becker/ Ritter 1967: 11) 4 Siebel 2004: 21. 9 an, wonach die europäische Stadt von der „Präsenz von Geschichte“ 5 und dem „Versprechen auf eine offene Zukunft“ 6 geprägt ist. Städte, so Siebel, „bestehen nicht aus Häusern und Straßen, sondern aus Menschen und ihren Hoffnungen […]. Die europäische Stadt […] beinhaltet das Versprechen, als Städter sich aus beengten politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnissen befreien zu können.“ 7 Walter Siebel weist in seinem Werk auf einen utopischen Horizont des europäischen Städtebaus hin, der sowohl bei den Planungen der ersten Großwohnsiedlungen des 20. Jahrhunderts als auch bei den Demonstrativbauvorhaben der Nachkriegszeit zu erkennen ist. Dieser Spur will ich in meiner Arbeit folgen. Dabei wird zu prüfen sein, ob die Burgbergsiedlung das Versprechen auf ein besseres Leben, auf Wohlstand, auf soziale Gerechtigkeit und auf politische Emanzipation erfüllen kann. 8 Es gilt also zu fragen, ob das Demonstrativbauvorhaben ein Ausdruck sozialer Demokratie ist und damit zusammenhängend das friedliche und harmonische Zusammenleben von „Arm und Reich“ 9 fördert sowie die „demokratische(n) Institutionen“ befähigt, „das Kapital, den Kapitalismus, das Eigentumsrecht, in den Dienst des öffentlichen Interesses zu stellen“. 10 Im zweiten Kapitel gehe ich dem Entstehungsprozess der Burgbergsiedlung in Überlingen nach. Hierzu untersuche ich die Geschichte der Burgbergbebauung und setze mich mit den Fragen auseinander, wie die Menschen den sozialen Raum wahrnehmen und wie sich ihre Wahrnehmungen auf die Produktion des Raumes auswirken. Besondere Aufmerksamkeit schenke ich dabei den Debatten um die Bebauungsplanänderungen, da ihre Geschichte darüber Auskunft gibt, in welcher Weise die gesellschaftliche Transformation der letzten 50 Jahre den öffentlichen Raum und damit zusammenhängend unser Verhältnis zu Besitz und Eigentum verändert hat. Bei meiner Analyse über die Burgbergsiedlung erinnere ich daran, dass in den 1950er bis in die 1970er Jahre hinein die Projekte des sozialen Wohnungsbaus - dazu zählen auch die Demonstrativbauvorhaben der Bundesrepublik Deutschland - als gebaute Zeichen des deutschen Wohlfahrtsstaates galten. Die Rahmenbedingungen staatlicher Fürsorge, die sich unter anderem in einem guten Kündigungsschutz, einer Regelarbeitszeit zwischen 35 und 40 Wochenstunden, Urlaubszeiten zwischen fünf bis sechs Wochen, gesicherten Tariflöhnen und Renten, professionellen Vertretungen durch Betriebs- und Personalräte und unbefristeten Vollzeitstellen äußerten, 5 Ebd.: 14. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Walter Siebel vermutet, dass die europäische Stadt ihren Anspruch auf Emanzipation und sozialstaatliche Regulierung zukünftig verlieren könnte. „Präsenz von Geschichte im Alltag des Städters, Stadt als wie immer utopisches Versprechen auf ökonomische und politische Emanzipation, Stadt als der besondere Ort einer urbanen Lebensweise, das überkommene Bild von der Gestalt der europäischen Stadt und schließlich ihre sozialstaatliche Regulierung, diese fünf Merkmale prägen in ihrer Gesamtheit den Begriff der traditionellen europäischen Stadt. Aber alle diese Merkmale unterliegen dem sozialen Wandel. […] Die europäische Stadt - so scheint es - verliert ihre gesellschaftliche Basis.“ (Ebd.: 18) 9 Die Demonstrativbauvorhaben stehen in der Tradition des modernen Wohnungsbaus, wie sie in der Charta von Athen, in den Ausschnitten aus dem zweiten Teil (95 Leitsätze) formuliert wurde. Die Architekten der Charta drangen darauf, städtebauliche Planungen auf das gesellschaftliche Gemeinwohl auszurichten: „Die Stärke der Privatinteressen ruft einen verheerenden Bruch des Gleichgewichts hervor zwischen dem Vordringen der wirtschaftlichen Kräfte einerseits und andererseits der Schwäche administrativer Kontrolle und der Kraftlosigkeit sozialen Zusammenhalts. […] Das Privatinteresse wird in Zukunft dem Interesse der Gesellschaft unterstellt sein.“ (Hilpert 1984, zitiert in: Korby et al. 2011: 68) 10 Vgl. Piketty 2014: 41-52. 10 führten nicht nur zu sozialer Absicherung breiter Bevölkerungsgruppen 11 , sondern sie sorgten auch für ein neues Selbstbewusstsein der sozialen Mitte. Der wirtschaftliche Aufstieg, die Entstehung sozialer Bewegungen und das politische Engagement der bundesdeutschen Bürger wären ohne dieses Selbstbewusstsein kaum möglich gewesen. Im letzten Teil arbeite ich die Bedeutung des Siedlungsprojektes für die zukünftige Stadtentwicklung heraus. Dabei analysiere ich noch einmal die in den letzten Jahrzehnten erfolgte Transformation unserer Gesellschaft und richte danach den Blick in die Zukunft. Meine Überlegungen in diesem Kapitel führen zur Schlussfolgerung, dass sich heute die Wohnungspolitik in zunehmendem Maß der privaten Rendite und weniger dem gesellschaftlichen Gemeinwohl verpflichtet sieht. Die Dominanz der Eigentumsverhältnisse über die Gemeinwohlinteressen sowie alle Schritte, die sich gegen das „Sozialgut Wohnen“ richten, könnte man in diesem Zusammenhang als einen Paradigmenwechsel des Sozialen bezeichnen. Basierend auf diese Annahmen sollen zum Schluss die Fragen geklärt werden, ob die Burgbergsiedlung aufgrund ihrer sozialpolitischen Relevanz zum kulturellen Erbe der Stadt Überlingen zu zählen ist, und wie dort ein neuer Versuch eines gemeinwohlorientierten Stadtentwicklungsprozesses in die Wege geleitet werden könnte. Die wissenschaftliche Methode der hier vorliegenden urbanen Rekartografie orientiert sich an dem Raumkonzept des französischen Soziologen Henri Lefebvre 12 . Der Wissenschaftler erklärt hierbei die Produktion des sozialen Raumes anhand der gegenseitigen Verflechtung einer räumlichen Praxis, einer Präsentation der Räume und den Räumen der Repräsentation. Die räumliche Praxis, d.h., der wahrgenommene Raum (espace perc) beschreibt die materielle und soziale Organisation der Stadt. Dieser Raum ist ein Wahrnehmungsraum, das heißt ein „Raum der praktisch-sinnlichen Welt, in den sich die Handlungen von kollektiven Akteuren in Form von dauerhaften Objekten und Wirklichkeiten einschreiben.“ 13 Damit beinhaltet die räumliche Praxis die Infrastruktur von Wohnungen, Geschäften und Schulen, aber auch die Beziehungen der Bewohner untereinander. Für den Stadtgeografen Christian Schmid stellen sich bei der Analyse der räumlichen Praxis die Fragen, was auf der Straße geschieht, welche Ressourcen es in der Stadt gibt und wer dazu Zugang hat. 14 Während die Repräsentationen des Raumes - Henri Lefebvre spricht hier auch vom konzipierten Raum (espace concu) - die wissenschaftlichen Expertisen, die Planungen der Architekten sowie die politischen Diskussionen beinhalten, stellen die Räume der Repräsentation, d.h. der gelebte Raum (espace vécu), den symbolischen Wert der Stadt dar. Hier finden wir die kulturellen Selbstdarstellungen und die Lebensstile der Menschen im Quartier, welche letztendlich auch das Image der Stadt mitbestimmen. So gesehen verweisen die Räume der Repräsentation immer auch auf die „gesellschaftliche(n) ,Werte‘, Traditionen, Träume - und nicht zuletzt auch (auf ) kollektive Erfahrungen und Erlebnisse.“ 15 11 Vgl. Bosch 2015. 12 Lefebvre 2006: 330 ff. 13 Schmid 2005: 210 f. 14 Vgl. Schmid 2016: 30. 15 Schmid 2005: 223. 11 Dieses Buch wäre ohne die vielen Helfer nicht realisierbar gewesen. Ich will mich an dieser Stelle bei all denjenigen bedanken, die mich während dieses Projekts mit Rat und Tat unterstützt haben. Besonderer Dank gilt meiner Frau Solweig Fischer, die mich mit ihrer Kritik und ihren Ideen inspiriert hat. Mein Nachbar und profunder Kenner der Siedlung, Petr Pospisil, begleitete mich in die Archive der Stadt Überlingen und des Südkuriers in Konstanz. Dort sichteten wir gemeinsam die Dokumente und diskutierten intensiv über die Historie des Demonstrativbauvorhabens. Der Leiter des Stadtarchivs Überlingen, Walter Liehner, öffnete mir das historische Archiv und unterstützte mich mit Rat und Tat beim Aktenstudium der Bebauungspläne und der Protokolle der Gemeinderatssitzungen. Ebenso gewährten mir die Mitarbeiterinnen des Südkuriers einen Einblick in die Zeitungsartikel über den Bau der Burgbergsiedlung. Klaus Meschenmoser, Mitarbeiter der Überlinger Baurechtsbehörde, erlaubte mir einen Blick in die Baupläne und die Architekten Christof Jaspert und Gert Lange sandten mir ihre Pläne zur Burgbergsiedlung zu. Roswitha Lambertz, die Leiterin der Überlinger Fernleihe, organisierte für mich die notwendige Fachliteratur und Katharina Lauterwasser und Roland Sokolowski stellten mir für dieses Buch die historischen Fotografien ihrer Väter zur Verfügung. Die beiden Hausverwalter Herr Zeche und Frau Häuser führten mich auf die Hochhausdächer, von denen aus ich die Struktur der Siedlung aus der Vogelperspektive studieren durfte. Last, but not least schenkten mir der ehemalige Bürgermeister Reinhard Ebersbach, der Architekt Thomas Pross und der Initiator der Bürgerinitiative zum Erhalt des Burgbergparks, Heinz Meschede, ihre wertvolle Zeit für ein Interview. Der ehemalige Stadtrat Winfried Ritsch erzählte mir die Geschichte über die geplante Nachverdichtung des Hochhauses an der Lippertsreuter Straße. Frau Professorin Cornelia Jöchner von der Ruhr-Universität Bochum danke ich für die Einladung zu dem Symposium Das Bild der Stadt, bei welchem ich im Gespräch mit dem Städteplaner Professor Thomas Sieverts und dem US-amerikanischen Wissenschaftler Professor Simon Sadler wertvolle Anregungen für dieses Buch erhielt. Zu Dank verpflichtet bin ich außerdem meiner Lektorin Tanja Jentsch sowie meiner Verlagslektorin Uta Preimesser für ihre wertvollen Hilfen und Anregungen. Ebenso bedanke ich mich bei der Baugenossenschaft Überlingen für die Unterstützung des Buchprojektes. 13 1. Demonstrativbauvorhaben und Nachkriegsmoderne Die Architektin Karen Beckmann charakterisiert die deutschen Großwohnsiedlungen 16 als hochverdichtete Räume ab 500 Wohnungen bzw. 1000 Einwohnern. 17 Mit ihren differenzierten Gebäudestrukturen wie Reihen- und Terrassenhäusern, kleinteiligen Einfamilienhäusern in Bungalowbauweise sowie Wohnhochhäusern grenzen sich die Siedlungen durch eine „spezifische Fassadengestaltung und Gebäudetypologie […] deutlich vom umgebenden Stadtraum ab“. 18 Einen besonderen Typ dieser Wohnanlagen stellen die Demonstrativbauvorhaben der Bundesrepublik Deutschland dar, welche seit den 1950er Jahren 19 von den früheren Bundesregierungen gefördert wurden. Diese Projekte sollten den westdeutschen Kommunen städtebauliche Musterlösungen aufzeigen 20 und beweisen, dass eine qualitativ hochwertige Bauweise mit der Schaffung eines bezahlbaren Wohnraums zu vereinbaren ist. 21 Da sämtliche aus diesen Stadtbauprojekten gesammelten Erkenntnisse dem Zweck dienten, das Baugeschehen der westdeutschen Städte nachhaltig zu beeinflussen, übernahmen die Demonstrativbauvorhaben für den bundesdeutschen Städtebau eine Vorbildfunktion. Konkret bedeutete dies, dass die Planer mit einer rationellen und funktionalen Planung Komfortverbesserungen 22 beim Wohnungsbau anstrebten und gleichzeitig versuchten, die Baukosten in einem realistischen Rahmen zu halten. 23 Hierbei ist in Erinnerung zu rufen, dass die Realisierung der Großwohnsiedlung auf der Kooperation von öffentlich-rechtlichen Institutionen, genossenschaftlichen Initiativen und Privatunternehmen beruhte. Wie noch am konkreten Beispiel der Burgbergsiedlung in Überlingen zu sehen sein wird, unterstützten die öffentlich-rechtlichen Institutionen des Bundes die kommunalen Bauprojekte nicht nur in finanzieller, sondern auch in logistischer Hinsicht. Desgleichen leisteten die Überlinger Handwerksunternehmen, welche den Bau der Siedlung vorantrieben, sowie die Baugenossenschaft, welche auch Geringverdienenden günstigen Wohnraum anboten, einen zentralen Beitrag bei der Realisierung dieses ambitionierten Wohnbauprojekts. 16 Es gibt in Deutschland „je nach Definition und Größenabgrenzung ca. 250 bis 1000“ Großwohnsiedlungen mit ungefähr drei Millionen Wohnungen (Difu 2013: 2). 17 Kompetenzzentrum Großsiedlungen e.V. 2015: 14. 18 Beckmann 2015: 11f. 19 Seebacher 2013: 56. 20 Vgl. Der Spiegel 1968. 21 Hafner 1993: 294. 22 Ebd.: 295. 23 Beim Bau der Demonstrativbauvorhaben erfolgten auch bauliche Komfortverbesserungen wie Zentralheizungen oder Fernheizungen. Die Ziele der Bauvorhaben beschrieb das Bundesministerium für Wohnungsbau wie folgt: „Demonstrativbauvorhaben sollen das Baugeschehen bei der Planung, Neugliederung, Erweiterung oder Erneuerung von Städten und Dörfern, insbesondere auch von zentralen Orten und Entwicklungsorten richtungsweisend beeinflussen. Dabei sollen die in Forschung und Praxis erarbeiteten und bewährten Erkenntnisse angewandt und verbreitet werden, mit dem Ziel, vorbildliche städtebauliche Lösungen aufzuzeigen und Kostensenkungen durch rationelle Planung und Bauausführung bei gleichzeitiger Steigerung der Güte und der Produktivität zu erreichen. Für die Durchführung der Demonstrativbauvorhaben stellt der Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau zweckgebundene Bundessondermittel zur Verfügung.“ (Becker/ Ritter 1967: 18) 14 Abbildung 2: Überlingen liegt am nördlichen Ufer des Bodensees. Die Mittelstadt ist mit ca. 24.700 Einwohnern 24 nach der Kreisstadt Friedrichshafen die zweitgrößte Stadt im Bodenseekreis. Die Burgbergsiedlung (siehe Kreis) schließt nordwärts an die Überlinger Kernstadt an. (Modifizierte Quelle: www.openstreetmap.de; Stand 2018) Abbildung 3: Die Burgbergsiedlung in Überlingen (Stand 2018). Im Ostteil der Siedlung grenzen die Grünanlagen an landwirtschaftlich genutzte Flächen sowie an Schrebergärten. Im Norden liegt zwischen dem Burgbergring und dem Oberriedweg ein Waldgebiet. Die Bundesstraße durchschneidet den direkten Weg zum nahegelegenen Einkaufszentrum. Das Überqueren der Zufahrtstraße zur B 31 für Fußgänger ist auf dem Plan weder durch eine Fußgängerampel noch durch Fußgängerwege geregelt. Abhilfe schaffte der Bau eines Kreisverkehrs und einer Verbindungsstraße. Ebenso sollte ein Fußgängerweg ein barrierefreies Überqueren ermöglichen. 25 Der Abschluss der Baumaßnahmen war für das Jahr 2020 vorgesehen. Diese Karte bezieht sich auf den Straßenverlauf vor der Neuverlegung der B 31. (Modifizierte Quelle: www.openstreetmap.de) 24 Vgl. http: / / www.ueberlingen.de/ ,Lde/ startseite/ leben/ zahlen_+daten_+fakten.html, Stand: 05.03.2019. 25 Deck 2016: 17. 15 Heute sind die Ideen, welche dem Bau der sogenannten „Demonstrativbauvorhaben“ zugrunde liegen, weitgehend in Vergessenheit geraten - und ebenso sind die Erinnerungen von deren sozialpolitischen Implikationen verblasst. Hinzu kommt, dass das Wissen über die sozialen Bewegungen, die sich dort entwickelt und den urbanen Raum maßgebend mitgestaltet haben, kaum noch vorhanden ist. Spuren dazu findet man oft nur noch in den Dokumenten der städtischen Archive oder bei persönlichen Gesprächen mit den Anwohnern. Zunächst bleibt festzuhalten, dass eine umfassende Aufarbeitung der sozialen Bewegungen, welche sich im urbanen Raum der Demonstrativbauvorhaben entwickelt haben, bisher ausgeblieben ist. Eine solche Auseinandersetzung soll mit dieser Arbeit begonnen werden. Auch wenn sich diese Abhandlung auf den lokalen Raum der Stadt Überlingen beschränkt, kann die Reflexion über die sozialen Bewegungen einen Einblick in deren Macht und Ohnmacht bei der Formung urbaner Stadträume gewähren. Neben dem Verweis auf die sozialen Bewegungen gilt es aber auch, eine Bestandsaufnahme des Überlinger Siedlungsprojekts vorzunehmen und dabei einen Bogen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu spannen. Beginnend mit einem Blick auf die 1960er und 1970er Jahre, als die Stadtplaner unter dem Leitbild „Urbanität durch Dichte“ zahlreiche Großwohnsiedlungen in Westdeutschland planten, soll deren Bedeutung für eine nachhaltige Wohnungspolitik herausgearbeitet und dabei die Frage beantwortet werden, ob die 25 Hektar große Burgbergsiedlung mit ihren über 3000 Einwohnern zum kulturellen Erbe der Stadt Überlingen zu zählen ist. 1.1 Die Zukunft von Großwohnsiedlungen Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts rücken die Demonstrativbauvorhaben der Bundesrepublik Deutschland verstärkt in den Blick städtebaulicher Diskussionen. Auf die Frage, weshalb sich heute das Interesse auf die über 50 Jahre alten Stadtquartiere richtet, liefern die Experten zwei schlagende Argumente: Einerseits werden in den Wohnanlagen „bei angespannten Wohnungsmärkten […] Flächenpotenziale für Ersatz- oder ergänzenden Neubau vermutet“ 26 , andererseits „können mit ihrer Erneuerung der Klimaschutz und bezahlbares Wohnen besser berücksichtigt werden als in verdichteten Innenstädten oder Eigenheimsiedlungen“. 27 Da die meisten Großwohnsiedlungen im vergangenen Jahrhundert errichtet worden sind, entsprechen sie nur noch bedingt den Anforderungen des 21. Jahrhunderts. Das bedeutet, dass es neben technischen und energetischen Modernisierungen weiterer städtebaulicher Maßnahmen bedarf, um die Bausubstanz zu erhalten, die nachbarschaftlichen Verhältnisse zu stärken und damit auch den sozialen Raum zu stabilisieren. Um diese Aufgaben zu lösen, steht auf der Agenda der Stadterneuerer eine umfangreiche To-do-Liste, so etwa die Förderung neuartiger Wohnformen, die Schaffung von Barrierefreiheiten, die technische Erneuerung im Brandschutz, die Verbesserung der Heizungssysteme oder die Sanierung der Gebäudedämmungen. 28 26 Hunger 2013: 6. 27 Ebd. 28 Vgl. Difu 2013: 2. 16 Angesichts dieser Aufgabenfülle erwarten die Verantwortlichen gewaltige Investitionen. „Die Analyse zeigt“, so das Kompetenzzentrum Großwohnsiedlungen e.V., „dass bis 2030 von einem Investitionsbedarf in Höhe von 34 Mrd. Euro, in etwa gleich verteilt auf Ost- und Westdeutschland, ausgegangen werden muss“. 29 Aufgrund der zu erwartenden Renovierungskosten scheuen allerdings manche Privateigentümer davor zurück, ihre Wohnungen bzw. ihr Haus erneuern zu lassen. Zwar sind die Bewohner in der Regel eher zu Investitionen bereit, wenn sie selbst in ihrem Eigentum wohnen, doch wenn die Immobilie vermietet wird, investieren sie oft nur noch in das Notwendigste. Es bleibt dann bei „kosmetischen Eingriffen“, wobei aufwändige Nachrüstungen der Heizungsanlage oder Erneuerungen der Wärmeisolierungen, um nur zwei Beispiele zu nennen, aus Gründen einer kurzfristigen Rendite hinausgeschoben werden. Festzuhalten bleibt, dass die Wohnraumversorgung der Bevölkerung in Zukunft weiter steigen wird und aus diesem Grund eine Modernisierung auch von Großwohnsiedlungen erforderlich sein wird. Gleichzeitig bleibt die öffentliche Hand aufgefordert, die finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen einer nachhaltigen Stadterneuerung zu schaffen. Erfahrungsgemäß zahlt sich eine solche Aufwertung der Bausubstanz für alle aus - vor allem für ältere Bewohner, alleinerziehende Elternteile oder Singles, da sie „in besonderen Maße von der ,Stadt der kurzen Wege‘ 30 und der Gemeinschaft innerhalb eines Wohnkomplexes“ 31 profitieren. In gleicher Weise ziehen aber auch die Kommunen aus der Quartiererneuerung einen beachtenswerten Nutzen, da sich mit einer nachhaltigen Modernisierung nicht nur die Attraktivität und Sicherheit des Wohnviertels erhöht, sondern damit auch das Image der Stadt verbessert. In besonderem Maße gilt das für die Stadt Überlingen, welche zur vitalen und differenzierten Wirtschaftszone der „Entwicklungsachse Friedrichshafen - Ravensburg - Biberach - Ulm“ 32 zählt. Hier bietet der Bodenseeraum, der aufgrund des Tourismus auch ein beliebter Standort für Zweit- und Ferienwohnsitze ist, einen attraktiven und wachsenden Arbeitsmarkt für (hoch) qualifizierte Fachkräfte. Nach Aussage des Initiativkreises Metropolitane Grenzregionen prosperiert insgesamt „die Bodenseeregion und setzt sich dabei deutlich von den durchschnittlichen nationalen Entwicklungen in Deutschland und Österreich sowie in Gesamteuropa ab. Dadurch erhöht sich seit Jahren der Siedlungsdruck, insbesondere in sensiblen Teilräumen wie dem Bodenseeuferbereich oder den Alpentälern. Die wirtschaftlichen Verflechtungen und damit die (Berufs-)Pendlerbewegungen über die Grenze, insbesondere in die Metropolregion Zürich nach Liechtenstein und ins Vorderrheintal, nehmen weiterhin zu.“ 33 Diese Entwicklung führt des Weiteren zu einer gewaltigen Zunahme des Verkehrsaufkommens, worunter nicht nur die Besucher der Region, sondern auch die Bewohner des Bodenseekreises leiden. 29 Kompetenzzentrum Großsiedlungen e.V. 2015: 18. 30 Bei allen Hervorhebungen/ Auszeichnungen in den Zitaten handelt es sich um solche, die bereits im Original verwendet wurden. 31 Beckmann 2015: 25. 32 http: / / metropolitane-grenzregionen.eu/ metropolitane-grenzregionen/ imeg-regionen/ bodenseeregion/ , Stand: 02.10.2018. 33 Ebd. 17 1.2 Die öffentliche Wahrnehmung von Großwohnsiedlungen Mit Blick auf die mediale Berichterstattung über Großwohnsiedlungen lässt sich feststellen, dass ihre Rezeption oft von klischeehaften Vorurteilen bestimmt ist. Zahlreiche Ressentiments gegenüber der modernen Architektur führten dazu, dass die Siedlungen bis zum heutigen Tag mit einem negativen Image zu kämpfen haben. Oft werden sie aufgrund ihrer Größe und baulichen Struktur als eine „Masse weitgehend gleichartiger Bauten wahrgenommen“ 34 , sie gelten immer noch als Symbol eines seelenlosen Massenwohnungsbaus und bisweilen werden sie als triste Schlafstädte, Hausfrauengefängnisse, Arbeiterschließfächer oder Sozialghettos beschimpft 35 . Die Großwohnsiedlungen gelten also weder als „Sehnsuchtsorte“ noch als „hipp“. 36 Diese Sichtweise hat aber kaum etwas mit der Realität zu tun - Soziologen, Stadtplaner und Politiker sind sich einig, dass Großwohnsiedlungen dank ihrer sozialen Ausrichtung und ihrer günstigen Mieten einen bedeutsamen Beitrag „zur Wohnungsversorgung und zum stadtgesellschaftlichen Frieden leisten.“ 37 34 DAZ Deutsches Architekturzentrum 2015: 15. 35 Vgl. Hunger 2014: 8. 36 DAZ Deutsches Architekturzentrum 2015: 7. 37 Ebd.: 11. Abbildung 4: Berlin, Gropius-Stadt. Die „große Schwester“ der Burgbergsiedlung in Überlingen, entworfen für 50.000 Menschen, etwa 20 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt gelegen. (Quelle: Krug 2014) 18 Zweifellos haben die Medien mit einer stereotypen Sichtweise die Rezeption über die moderne Stadtplanung negativ beeinflusst. 38 Deren schärfste Kritik erfolgte während der Ära der zweiten Welle des Großsiedlungsbaus, als Ende der 1950er Jahre bis in die Mitte der 1970er Jahre Kinofilme wie etwa der französische Spielfilm Mon Oncle 39 oder die gesellschaftskritische Reportage Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo die Vorbehalte gegen den modernen Städtebau noch verstärkten. So beschreibt der Film Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo 40 den Alltag eines drogensüchtigen Mädchens, das in den 1970er Jahren in der Anonymität der Berliner Gropiusstadt aufwächst. Das Leid junger Menschen, welche mit der Drogensucht kämpften, wird in dem Kinofilm unmittelbar mit der Trabantenstadt in Verbindung gebracht. Während in dieser Reportage die bedrückende Atmosphäre einer anonymen Großstadtsiedlung in drastischen Bildern ausgemalt wird, karikiert dagegen der Spielfilm Mon Oncle auf humorvolle Weise das Leben in einer modernen Wohnanlage. Der Film des französischen Regisseurs Jacques Tati gewährt dem Zuschauer einen überspitzten Einblick in den Lebensstil der Nachkriegszeit und gilt, so der deutsche Architekturhistoriker Winfrid Nerdinger, als eine subtile Kritik gegenüber dem modernen Wohnungsbau des Funktionalismus: „Mit leiser, entlarvender Komik machte sich Tati über die technischen und wirtschaftlichen Errungenschaften und die gesellschaftlichen Entwicklungen der Moderne zu einer Zeit lustig, als die ständig wachsenden Zahlen der zugelassenen Autos, der verkauften Fernseher oder der Neubauwohnungen den Weg ins Paradies zu weisen schienen. Er zeigte zusammen mit seinem Filmarchitekten Jacques Lagrange, das groteske Wohnen in der technisierten vollautomatischen Villa Arpel (,Mon Oncle‘), das anonyme Arbeiten in sterilen Glascontainern (,PlayTime‘), das kommerzialisierte Freizeitgeschäft (,Les Vacances de Monsieur Hulot‘) und die Folgen der Motorisierung (,Trafic‘). Die Filme Tatis können somit als ,Interpretation‘ der Träume und Konzepte von Architekten und Städtebauern verstanden werden, die eine bessere Welt errichten wollten, aber häufig nur alte Lebensformen zerstörten und neue Alpträume schufen.“ 41 Die Kritik gegenüber dem Bau von Großwohnsiedlungen blieb aber nicht auf Reportagen und Spielfilme beschränkt. Nicht selten beanstandeten auch Städteplaner und Wissenschaftler, dass die Architektur des Brutalismus „den Bedürfnissen und Wohnpräferenzen eines Großteils der Bevölkerung nicht entspr[e]chen“ 42 würden und sich deshalb zwangsläufig zu einem sozialen Brennpunkt entwickeln müssten. In ähnlicher Weise kritisierte auch der Städtebauer Wendelin Seebacher die Bebauung des Bremer Demonstrativbauvorhabens „Bremen Osterholz-Tenever“: 38 „Die Siedlungen leiden zum Teil bis heute an der medialen Reproduktion eines stereotypen ,Großsiedlungsbildes‘, was Rückwirkungen auf das Image hat, das dann wiederum als Segregationsmotor wirkt. […] Der strategische Ansatz der Imageverbesserung durch Aufklärung über die ,Normalität‘ der großen Siedlungen wird seit den 1980er Jahren wieder und wieder reproduziert, ohne dass es einen durchschlagenden Erfolg gäbe.“ (Ebd.) 39 Frankreich 1958, Regie: Jacques Tati. 40 Deutschland 1981, Regie: Uli Edel. 41 Vgl. Nerdinger 2004. 42 Vgl. Fürst/ Himmelbach/ Potz 1999: 52. 19 „Wie oft habe ich mich gefragt, was Architekten und Baugesellschaften zu einer derart inhumanen, fast gewalttätigen Bauweise antrieb. War es der Glaube an ,Urbanität durch Dichte‘? Waren es die Nachwirkungen einer überwundenen [sic! ] geglaubten Zeit? Oder war es der Grundsatz: Optimierung der Honorare und Kosten durch Stapeln und Wiederholen? “ 43 Für manche Demonstrativbauvorhaben mögen diese Behauptungen zutreffen - für die Burgbergsiedlung in Überlingen, wie auch für viele andere Wohnsiedlungen der Republik, treffen diese Aussagen hingegen nur bedingt zu. 44 Angesichts des negativen Renommees der Großwohnsiedlungen sollen im Anschluss die gängigen Klischees hinterfragt und bewiesen werden, dass die den Demonstrativbauvorhaben zugrunde liegenden Kerngedanken bis auf den heutigen Tag außerordentlich modern geblieben sind. Darüber hinaus hat die politische Haltung, welche dem Bau der Demonstrativbauvorhaben zugrunde liegt, nämlich das Versprechen auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität, auch heute kaum etwas an seiner Ausstrahlungskraft eingebüßt. Nach wie vor vertreten zahlreiche Architekten, Stadtplaner und Soziologen die Meinung, dass in den großen Wohnsiedlungen qualitativ hochwertige Wohnungen für eine breite Bevölkerungsgruppe zur Verfügung stehen - auch für solche Menschen, die am Immobilienmarkt nur eine begrenzte Wahlfreiheit haben. In diesem Zusammenhang kommt der Angabe des Kompetenzzentrums Großwohnsiedlungen besondere Bedeutung zu, wonach im Jahr 2015 in Deutschland etwa „8 Millionen Menschen“ 45 in diesen Wohnanlagen leben. Schon aufgrund dieser Zahlen gehört deren Erhaltung bzw. Entwicklung „zu den zentralen Aufgaben der nachhaltigen Stadtentwicklung und sozialen Wohnraumversorgung“. 46 Dabei zeigen sich die Vorteile der Großwohnsiedlungen nicht nur in der Qualität der Wohnverhältnisse, sondern auch in ihrer sozialen Integrationskraft. Weil dort die durchschnittlichen Mieten für gewöhnlich unter den gesamtstädtischen Werten liegen, tragen sie dazu bei, dass die auf preiswerten Wohnraum angewiesenen Mieter ein menschenwürdiges Leben führen können. Hinzu kommt, dass in Großwohnsiedlungen der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in der Regel höher ist als im gesamtstädtischen Durchschnitt, womit diese Wohnviertel wertvolle Integrationsleistungen bewerkstelligen, welche indirekt auch allen anderen Stadtquartieren zugutekommt. 47 Manche Kritiker bezeichnen die Großwohnsiedlungen als Ghetto. Ihre Aussage beruht allerdings weniger auf einer präzisen Analyse des sozialen Raums, als vielmehr auf einer affektiven Ablehnung des jeweiligen Stadtquartiers. Es ist bekannt, dass monoton wirkende Großwohnsiedlungen soziale Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität oder Gewalt aufweisen können. So gesehen existieren in manchen hochverdichteten Stadt- 43 Seebacher 2013: 62 44 Richtig hingegen ist die Feststellung, dass beim Leitbild „Urbanität durch Dichte“, welches den Demonstrativbauvorhaben zugrunde lag, eine Diskrepanz zwischen Konzept und Praxis zutage tritt. Da beim Bau der Demonstrativbauvorhaben die geforderten Nutzungsmischungen nicht realisiert wurden und „eine zunehmend wohlhabende Gesellschaft von Autobesitzern in diesen Siedlungen in der Lage war, weite Strecken für tägliche Pendelfahrten zurückzulegen“, konnten sie „das Angebot an Einkaufsmöglichkeiten im Quartier […] ignorieren“ (Fürst/ Himmelbach/ Potz 1999: 52). 45 Kompetenzzentrum Großsiedlungen e.V. 2015: 5. 46 Ebd.: 14. 47 Ebd.: 15. 20 vierteln durchaus soziale Brennpunkte - man darf sie allerdings nicht mit einem Ghetto verwechseln. Das Ghetto - angeführt seien an dieser Stelle das Jüdische Ghetto Venedigs im 16.-Jahrhundert 48 oder das schwarze Ghetto Chicagos im 21. Jahrhundert 49 - ist „ein räumliches Instrument ethnorassischer Schließung und Kontrolle, die aus der wechselseitigen Zuschreibung einer stigmatisierten Bevölkerungsgruppe auf ein für sie vorbehaltenes Territorium hervorgeht […].“ 50 Während das schwarze Ghetto in den USA dem strafenden Staat entspricht - es findet seine Fortsetzung in den amerikanischen Gefängnissen -, repräsentieren die europäischen Großwohnsiedlungen den Anspruch des Wohlfahrtsstaates. Somit steht das amerikanische Ghetto für eine Logik der Exklusion 51 , die europäischen Großwohnsiedlungen stehen hingegen für eine Logik der sozialen Mobilität, der ethnischen Heterogenität und der sozialen Integration. 52 Auch wenn der Begriff „Ghetto“ im öffentlichen Diskurs über die Burgbergsiedlung gefallen ist und in manchen Köpfen immer noch herumspukt 53 , stellt dieses Quartier kein Ghetto dar. Man findet hier auch keinen sozialen Brennpunkt. Es handelt sich weder um einen abgeschotteten Raum einer besitzlosen und sozial abgehängten Klasse, noch handelt es sich um eine üble Wohngegend, die sich durch „soziale Desintegration […], Segregation, Deprivation, verfallener Wohnsubstanz, unzureichende Institutionen oder durch Laster und Gewalt“ 54 auszeichnet. Wie nachfolgend noch aufgezeigt werden soll, ist gerade das Gegenteil der Fall. Gleichwohl darf man die Bedeutung der Wohnanlagen nicht idealisieren. Gegenwärtig tritt eine Transformation der in die Jahre gekommenen Demonstrativbauvorhaben ein, wie es sich zum Beispiel am Wandel der zentralen Wohn- und Geschäftsanlage in der Überlinger Burgbergsiedlung, dem Burgbergzentrum, äußert. Noch vor 30 Jahren galt das Burgbergzentrum als sozialer Mittelpunkt der Siedlung, wobei der Supermarkt, die Apotheke, die Bank, die Post, der Friseur, das Modegeschäft, die Wäscherei und die Gaststätte für die Versorgung und für den sozialen Kontakt der Einwohner eine bedeutende Rolle spielten. In den letzten Jahren haben allerdings fast alle Einrichtungen „der ersten Stunde“ ihre Türen geschlossen - wenige davon sind übrig geblieben, manche siedelten sich dafür neu an. 55 Dennoch bleibt die Zukunft des Burgbergzentrums als sozialer Mittelpunkt trotz der neu gegründeten Start-ups ungewiss. Diese Probleme beschränken sich allerdings nicht nur auf den Geschäftsbereich des Quartiers - sie betreffen im Grunde die gesamte Siedlung. Wie vorher bereits erwähnt, besteht auf der einen Seite ein immenser Sanierungsbedarf bei den Immobilien, auf der ande- 48 Sennett, Richard (1997): Fleisch und Stein, Berlin: Suhrkamp, S. 268 ff. 49 Vgl. Wacquant, Loïc (2018): Die Verdammten der Stadt, Wiesbaden: Springer VS, S. 143 ff. 50 Merkwürdigerweise, so Wacquant, wird „dieser mit Makel behafteten Gruppe“ ein sozialer Raum bereitgestellt, „der einen selbstorganisierten kollektiven Schutz gegen brutale Herrschaft hervorbringt.“ Wacquant, Loïc (2018): Die Verdammten der Stadt, Wiesbaden: Springer VS, S. XV. 51 Wacquant, Loïc (1999): Elend hinter Gittern, Konstanz: UVK Universitätsverlag, S. 89. 52 Der Soziologe Loïc Waquant bezeichnet die französischen Banlieus sogar als ein „Anti-Ghetto“. Wacquant, Loïc (2018): Die Verdammten der Stadt, Wiesbaden: Springer VS, S. XV. 53 Der Leserbrief eines Burgbergbewohners kritisierte in Zusammenhang mit der Burgbergbebauung den Vorwurf des Ghettos. Der Brief bezog sich auf einen Artikel im Südkurier vom 19.10.1974. 54 Wacquant, Loïc (2018): Die Verdammten der Stadt, Wiesbaden: Springer VS, S. XV. 55 Vgl. Übersicht über die Nutzungsänderungen 1980 bis 2019 (Kapitel 2.1.2.3 Hof und Solitär - das Burgbergzentrum). 21 ren Seite stehen dem Mietwohnungsmarkt viele Wohnungen nicht zur Verfügung, da sie als Ferien- oder als Zweitwohnung genutzt werden. Aufgrund des akuten Wohnungsmangels verschärft diese Situation die Wohnungsnot in Überlingen und treibt überdies die Mietpreise nach oben. Vorschläge gegen die Missstände gibt es zur Genüge. So rief der Mieterbund den Gesetzgeber dazu auf, entschlossener gegen die Wohnungsnot vorzugehen: „Wohnraum […] ist knapp. Die Kommunen stehen mit dem Rücken zur Wand. Es wird über Beschlagnahmungen von Wohnraum sowie die Wiedereinführung oder Verschärfung der Zweckentfremdungsverordnung diskutiert. Das Leerstehenlassen von Wohnungen, ihre Zweckentfremdung oder Vernachlässigung können die Städte nicht hinnehmen. Absichtliches Leerstehenlassen von Wohnungen und deren Nutzung zu anderen Zwecken, etwa als Ferienwohnungen, entziehen dem Markt dringend benötigte Wohnungen.“ 56 Festzuhalten bleibt, dass nicht nur in Überlingen, sondern in allen Bodenseestädten bezahlbarer Wohnraum ein knappes Gut bleibt. Schon aus diesem Grund spielt die 3000 Einwohner zählende Burgbergsiedlung eine wichtige Rolle für die Wohnraumversorgung der Region. 1.3 Die Burgbergsiedlung und die soziale Moderne Wenn man heute durch die Straßen und Wege der Burgbergsiedlung geht, entdeckt man eine augenfällige Verwandtschaft der Gebäude zur modernen Bauhaus-Architektur der Stuttgarter Weißenhofsiedlung. Wie im Masterplan der Siedlung konzipiert, gibt es dort eine Vielfalt von Flachdachgebäuden, so etwa mehrstöckige Wohnkomplexe, Gartenhofhäuser, Bungalows und Reihenhäuser. Dabei erinnern die Terrassenhäuser am Burgbergring an das mehrgeschossige Terrassenhaus von Peter Behrens, die Reihenhäuser im Magnolienweg ähneln dem Zweifamilienhaus Le Corbusiers, die Wohnhäuser am Burgbergring entsprechen den Reihenhäusern von Mart Stam und der Sonnenbergwohnblock ruft dem aufmerksamen Beobachter die Wohnbauten von Ludwig Mies van der Rohe ins Gedächtnis. 57 Mit dieser Gebäudetypologie steht die Gebäudevielfalt der Burgbergsiedlung kunst- und architekturgeschichtlich unverkennbar in der Tradition des Bauhauses. 58 Sozialgeschichtlich verweisen die Demonstrativbauvorhaben auf den gemeinnützigen Siedlungsbau der 1920er Jahre, als die Architekten und Städteplaner unter der Ägide sozialdemokratischer Regierungen den Wohnungsbau neu formulierten und ihre Planungen dem Gedanken der „Volksgesundheit“ unterordneten. Die Planer begriffen damals die Bauhausarchitektur als einen radikalen Gegenentwurf zu den dunklen Lichthöfen der Mietskasernen des 19. und 20. Jahrhunderts, die aufgrund ihrer räumlichen Enge und Überbelegungen die Ausbreitung ansteckender Krankheiten begünstigten. 56 Deutscher Mieterbund e.V. 2015b: 13. 57 Vgl. Hammerbacher 2002. 58 Vgl. Kirsch 2006. 22 Abbildung 6: Weißenhofsiedlung Stuttgart. Reihenhäuser. Architekt: Mart Stam. (Quelle: Krug 2015) Abbildung 5: Vorstellung des sozialen Wohnungsbauprojekts in der Zeitschrift des Katholischen Siedlungsdienstes. (Quelle: Stadtarchiv Überlingen; Bauen und Siedeln 1968, 2/ 28, Titelseite) 23 Die katastrophalen Zustände in den düsteren Mietskasernen waren hinlänglich bekannt. Während die Hausbewohner keine Mieterrechte besaßen und der Willkür der Eigentümer schutzlos ausgesetzt waren, erzielten diese aufgrund des hohen Mietzinses beträchtliche Renditen. Gleichzeitig schützte der Staat das Gebaren der Vermögenden, welche die Mieten nach eigenem Gusto erhöhen und problemlos die Mietverträge kündigen konnten. Diese ungleichen Machtverhältnisse belasteten den sozialen Frieden der Stadt. Es sollte aber noch schlimmer kommen. Als die Arbeiter und Tagelöhner die hohen Mieten nicht mehr zahlen konnten, begannen sie, wohnungssuchende Untermieter und Bettgeher aufzunehmen. Die daraus resultierenden Überbelegungen führten zu gravierenden hygienischen Problemen, womit sich in den beengten, dunklen und schlecht belüfteten Wohnungen der Armenviertel ungehindert hochansteckende Krankheiten wie Tuberkulose und Diphtherie ausbreiten konnten. „Allein in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts starben auf dem damaligen Gebiet des Deutschen Reichs jedes Jahr zwischen 100.000 und 120.000 Menschen an der Lungeninfektion. Betroffen waren vor allem die Armen.“ 59 In den 1930er Jahren dann klagten viele Architekten diese Missstände offen an und verwiesen dabei auf die amtlichen Berichte, wonach eine Million Familien in Untermiete wohnten: „Von dieser sehr klein gegriffenen Zahl wohnen allein 300.000 in Baracken. In Berlin wohnen 40.000 in Kellerwohnungen […]. Ein englischer Arzt des Gesundheitswesens stellte fest, dass die Sterblichkeit in Einzimmerwohnungen doppelt so hoch ist wie z.B. in Dreizimmerwohnungen. […] 40% aller, die an Tuberkulose starben, wohnten in Einzimmerwohnungen. In Neukölln hat [sic! ] ¾ der Kranken mit offener Tuberkulose kein eigenes Zimmer, 38 % teilen den Schlafraum mit Kindern, 16% dieser Kranken hat [sic! ] wegen Raummangel kein eigenes Bett! “ 60 Man muss nicht lange überlegen, um zu erkennen, dass diese skandalösen Zustände zu sozialen Spannungen führten und die Arbeiterschaft radikalisierte. Langsam dämmerte es den Stadtregierungen, dass der städtische Frieden unmittelbar bedroht war. Da nun die Politiker in den Wohnquartieren schwere Unruhen befürchteten, sahen sie sich zum Handeln gezwungen und begangen während der Weimarer Republik, neue Formen des sozialen Wohnungsbaus zu entwickeln. Schon bald entwarfen die Bauhausarchitekten neuartige, lichtdurchflutete Wohnungen als ein architektonisches „Heilmittel“ gegen die verfehlte Baukultur des Deutschen Kaiserreiches. So stellte der Architekt Peter Behrens in seiner programmatischen Schrift aus dem Jahre 1927 der Öffentlichkeit sein Terrassenhaus als einen radikalen Gegenentwurf zum hochverdichteten Wohnungsbau vor: „Das größte Bauelend besteht in den bisherigen Massen-Miethäusern der großen Städte. Die Übelstände sind bekannt: fünfgeschossige Häuser mit tiefen Seiten- und Querflügeln um enge Höfe. Es ist kein Wunder, wenn solche Wohnungen Krankheitsherde darstellen. Ich habe schon vor Jahren versucht, ein Etagenhaus zu konstruieren, das geeignet sein könnte, den Hauptvolkskrankheiten vorzubeugen oder die Heilung zu begünstigen. Um gegen die Tuberkulose wirksam sein zu kön- 59 Focus online 2018. 60 Fezer et al. 2015: 35. 24 nen, erscheint es notwendig, dass jeder Wohnung auch im Etagenhaus ein größerer Freiplatz unter offenem Himmel beigegeben ist. Trotzdem ist noch darauf zu achten, dass sämtliche Wohnungen durchlüftbar sind. Bei dem von mir projektierten ,Terrassenhaus‘ handelt es sich um ein Konglomerat von ein- und mehrgeschossigen Häusern, die so ineinander hineingeschoben sind, dass immer das flache Dach des niedrigen Hauses die Terrasse bildet für das dahinterliegende höhere Haus.“ 61 Die mit der Bauhaus-Bewegung verbundene Aufbruchsstimmung erfasste auch den Schweizer Wissenschaftler Sigfried Giedion, der in seinem Text Befreites Wohnen aus dem Jahr 1929 die Grundlagen einer modernen Baukunst formulierte. Die moderne Architektur, so Giedion, müsse auf dem funktionalen Wohnbau beruhen und Ausdruck eines neuen ästhetisch orientierten Lebensgefühls sein. In seinem Manifest Licht, Luft, Sonne, Bewegung verknüpfte er den Begriff des Schönen mit persönlicher Freiheit, sozialer Verantwortung und individuellem Wohlergehen der Bewohner. 62 In seinen Richtlinien wird jeder Generation das Recht auf ein eigenes Haus zugebilligt; dabei sollte eine rationelle, auf industrieller Basis beruhende Produktionsweise für eine Kostendämpfung beim Bauen und für günstige Mieten sorgen. Mit seiner Forderung nach Transparenz und Offenheit spannte dieses Manifest einen utopischen Horizont auf, welcher die funktionale Architektur als ein humanistisches Projekt im Dienste der Befreiung des Menschen vor Armut und Versklavung begriff. „BEDÜRFNISSE: WIR WOLLEN BEFREIT SEIN: vom Haus mit dem Ewigkeitswert und seiner Folge vom Haus mit den teuren Mieten vom Haus mit den dicken Mauern und seiner Folge vom Haus als Monument vom Haus, das uns durch seinen Unterhalt versklavt vom Haus, das die Arbeitskraft der Frau verschlingt. WIR BRAUCHEN DAFÜR: das billige Haus das geöffnete Haus das Haus, das unser Leben erleichtert SCHÖNHEIT? SCHÖN ist ein Haus, das unserem Lebensgefühl entspricht. Dieses verlangt: LICHT; LUFT; BEWEGUNG; ÖFFNUNG. SCHÖN ist ein Haus, das leicht aufruht und allen Bedingungen des Terrains sich anpassen kann. SCHÖN ist ein Haus, das gestattet, in Berührung mit Himmel und Baumkronen zu leben. 61 Behrens 2002: 67. 62 Vgl. Delitz 2010: 236ff. 25 SCHÖN ist ein Haus, das an Stelle von Schatten (Fensterpfeiler) Licht hat (Fensterwände). SCHÖN ist ein Haus, dessen Räume kein Gefühl von EINGESPERRTSEIN aufkommen lassen. SCHÖN ist ein Haus, dessen Reiz aus dem Zusammenwirken wohlerfüllter Funktionen besteht.“ 63 Wie vorher erwähnt, trat mit der Gründung der Weimarer Republik in den 1920er Jahren ein grundlegender Sinneswandel in der Wohnungspolitik ein. Aufgrund der Einsicht, dass der städtische Friede nur durch sozialpolitische Maßnahmen erhalten werden konnte, begannen die Politiker die katastrophalen Wohnverhältnisse der Vergangenheit zu korrigieren. Diese Richtungsänderung führte dazu, dass in den 1920er und 1930er Jahren in vielen europäischen Ländern - etwa in Deutschland, aber auch in Österreich - der kommunale Wohnungsbau florierte. Nachfolgend entstanden unter sozialdemokratischer Regie bahnbrechende Wohnbauprojekte, so etwa die Weißenhofsiedlung in Stuttgart (1927), die May-Siedlungen in Frankfurt am Main (1925-1930) oder die Bauten des „Roten Wien“ (1918-1934) in Österreich. Die Realisierung der 50 Jahre später gebauten deutschen Demonstrativbauvorhaben wäre ohne die historischen Erfahrungen des sozialen Wohnungsbaus undenkbar gewesen. Auch heute noch gibt diese Erfolgsgeschichte den Planern wertvolle Auskünfte darüber, auf welche Weise eine staatliche und kommunale Steuerung der Wohnungsversorgung gelingen kann. 1.4 Exkurs: Sozialdemokratischer Wohnungsbau - Das Rote Wien Ein nachhaltiges Modell des sozialen Wohnungsbaus stellt hierbei das „Rote Wien“ dar. Dieses in den 1920er Jahren realisierte österreichische Stadtbauprojekt dokumentiert eindrucksvoll, wie der politische Wille ein großangelegtes und gemeinwohlorientiertes Städtebauprojekt auf den Weg bringen kann. Wie konnte dieses Vorhaben gelingen? Welche Bedingungen waren dafür verantwortlich und auf welche Weise wurde dieses Stadtbauprojekt letzten Endes realisiert? Nachdem im Jahr 1919 die sozialdemokratische Arbeiterpartei mit überwältigender Mehrheit die Wiener Gemeinderatswahlen gewonnen hatte, bestimmte das Motto „Revolutionär reden, evolutionär handeln“ 64 die Politik der Ersten Republik Österreichs. In einer Synthese von marxistischer Gesellschaftstheorie und diversen philosophischen Ansätzen formulierte eine Gruppe bürgerlicher Politiker, darunter Karl Renner, Max Adler, Rudolf Hilferding und Otto Brenner, die Grundlagen eines epochalen sozialdemokratischen Reformprogramms. Die Wegbereiter dieser neuen Politik glaubten allerdings nicht an einen revolutionären Umschwung, sondern an eine evolutionäre Entwicklung der Gesellschaft. Das bedeutete, dass sie in keinerlei Hinsicht „eine Veränderung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, sondern […] eine umfassende gesellschaftliche 63 Giedion 1929. 64 Podbrecky 2013: 6. 26 Veränderung innerhalb dieser Verhältnisse“ 65 erreichen wollten. Ihrer politischen Haltung entsprechend wandten sie sich gegen die Idee eines revolutionären Umsturzes der Gesellschaft und zielten ausschließlich auf die Umsetzung sozialer Reformen innerhalb des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Dabei verfolgte die sozialdemokratische Stadtregierung zwei Ziele: Einerseits wollten sie die politisch-radikalen Kräfte in die sozialdemokratische Bewegung integrieren und damit extremistische Positionen neutralisieren, andererseits versuchten sie, die politischen Gegner durch Verhandlungen zu Kompromissen zu bewegen. Mit einer konsensorientierten Verhandlungsführung gelang es ihnen, nachfolgend zahlreiche Reformen umzusetzen, so etwa die Einführung des Achtstundentages, die Bezahlung von Urlaubstagen, die Institutionalisierung von Betriebsräten, die Einführungen von Sozialversicherungsgesetzen sowie die Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Erfreulicherweise konnte die Exekutive ihre neugewonnenen finanziellen Spielräume dafür nutzen, um umfassende wohnungspolitische Neuordnungen zu realisieren. Ihre Handlungsfähigkeit beruhte auf einer politischen Reform, welche die Stadt Wien im Jahre 1922 zu einem selbständigen Bundesland in Österreich erklärte, und damit der Kommune erstmals das Recht zusprach, „Mittel aus den Steuereinkünften zu beziehen“. 66 Konkret bedeutete dies, dass die Stadtregierung ihre neugewonnene Steuerhoheit dazu nutzen konnte, mit einem ausgeklügelten Steuersystem die Begüterten der Stadt an der Finanzierung einer sozialen Umgestaltung zu beteiligen. Aufgrund der hieraus sprudelnden Steuereinnahmen gelang 65 Ebd.: 13. 66 Ebd.: 7. Abbildung 7: Wien, Favoritenviertel. Mit dieser Aufschrift an einem Gebäude präsentierte in den 1920er Jahren die Stadt Wien stolz ihr politisches Engagement. Der Mietzins schloss eine renditeorientierte Vermarktung aus und die Mieteinnahmen dienten ausschließlich der Instandhaltung der Wohnungen. (Quelle: Krug 2015) 27 es der Stadtregierung, grundlegende Reformen der Sozial-, Gesundheits-, Schul-, Kultur- und Wohnungspolitik zu verabschieden. So wurden im „Mai 1922 [wurde] der Mieterschutz gesetzlich festgeschrieben und eine Mietzinsabgabe eingeführt, Anfang 1923 folgte eine zweckgebundene Wohnbausteuer, deren Ertrag ausschließlich in die Errichtung neuer Wohnbauten floss. Die Steuer war von allen Besitzern vermietbarer Räume zu entrichten und wurde sozial gestaffelt, die teuersten 0,54 Prozent der Wiener Mietobjekte erbrachten 44,57 Prozent der Gesamtleistung.“ 67 Besteuert wurde darüber hinaus „alles, was über das unbedingt Lebensnotwendige hinausging: […] Automobile, Pferde, Hauspersonal, Luxus und Vergnügen“. 68 Mit dieser im Jahre 1923 durchgesetzten Steuerreform war die Gemeinde Wien nicht nur in der Lage, „ein über fünf Jahre angelegtes Projekt zur Errichtung von 25.000 Wohnungen für etwa 100.000 Personen anzukündigen und durchzuführen“ 69 , sondern auch sozialen Sprengstoff, der sich infolge der katastrophalen Wohnverhältnisse in den Arbeitervierteln entwickelt hatte, zu entschärfen. Die Politik des „Roten Wien“ zeigte aber noch ganz andere Wirkungen: Die steuerliche Reorganisation der Stadtregierung führte dazu, dass die Renditen der Investoren sanken und es sich für diese kaum mehr lohnte, in den Mietwohnungsbau zu investieren. Letzten Endes führte diese Umverteilung dazu, dass der private Wohnungsbau zum Erliegen kam und die Zahl der Wohnungssuchenden kurzfristig anstieg. Weil die privaten Investitionen für den Wohnungsbau wegbrachen, sank aber auch die Nachfrage nach Grund und Boden, und damit sanken auch die Bodenpreise. Diese Entwicklung stellte sich für die Wiener Kommune als Glücksfall heraus. Kurzentschlossen nutzte die Stadt ihre Chance, erwarb zu günstigen Konditionen neues Bauland und schaffte durch eine geschickte Bodenbevorratung langfristige Ressourcen für eine aktive Liegenschaftspolitik. Dabei kaufte die öffentliche Hand die Grundstücke nicht in der Absicht, diese nach ihrer Entwicklung und Erschließung wieder zu reprivatisieren, sondern sie zog es vor, mit eigenen Kräften den kommunalen Wohnungsbau selbst in die Hand zu nehmen. Unter dem Slogan „Licht, Luft und Bewegung“ trieb die Stadt den Bau von Geschosswohnungen sowie von Siedlungshäusern voran. Dies war ein wohnungspolitischer Eingriff, der schließlich dazu führte, dass soziale Wohnungsbauprojekte, wie etwa der weltbekannte, über 1300 Wohnungen umfassende und für rund 5.000 Arbeiter konzipierte „Karl Marx Hof“ oder die an die wachsenden Mittelschichtfamilien adressierte „Werkbundsiedlung“ entstanden. Und obwohl die Kommune das Vermögen der wohlhabenden Klasse hoch besteuert hatte, brachte die Wohnungsbaupolitik auch für die Unternehmer Vorteile. Aufgrund der günstigen Mieten konnten die Fabrikanten die Löhne tief halten und mit einer Niedriglohnpolitik die neu gewonnenen Wettbewerbsvorteile nutzen. Infolge dieser Rahmenbedingungen florierte nicht nur die Wiener Wirtschaft, es sanken dort auch die Arbeitslosenzahlen. Während fünf Jahre zuvor die Stadt Wien noch am Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs stand, konnte mit diesen Maßnahmen die Wirtschaft prosperieren. 67 Ebd.: 17. 68 Ebd. 69 Ebd. 28 Auch wenn die kurze Epoche des sozialdemokratischen Wohnungsbaus mit dem Einzug des Austrofaschismus im Jahre 1934 gewaltsam beendet wurde 70 , blieb das historische Erbe des Roten Wien bis auf den heutigen Tag im kollektiven Gedächtnis der Stadtbevölkerung haften. Nach Aussage der Stadtverwaltung lebt heute jeder vierte Wiener in einer kommunalen Wohnung und im Gegensatz zu vielen europäischen Städten, die in den letzten Dekaden ihren Wohnungsbestand privatisiert hatten, schlug die Stadt Wien hier einen völlig entgegengesetzten Weg ein und behielt ihre Immobilien. Aufgrund der Tatsache, dass die österreichische Hauptstadt das Wohnungseigentum geschützt hat, stellt sie heute die größte kommunale Hausverwaltung Europas dar. Stolz betont die Stadtverwaltung, dass ihr städtischer Wohnungsbau eng mit der sozialdemokratisch geprägten Stadtgeschichte verknüpft ist: „Wien ist durch den sozialen Wohnbau im letzten Jahrhundert stetig erneuert, verändert und weiterentwickelt worden. Die Stadt sieht es als ihre Aufgabe, das Grundbedürfnis Wohnen abzudecken. Durch den sozialen Wohnungsbau wird der Mietpreis auf dem Wohnungsmarkt niedrig gehalten. In Wien gibt es kaum Obdachlosigkeit, keine Armutsviertel oder unsichere Bezirke. Wien zählt weltweit zu den Städten mit der höchsten Lebensqualität.“ 71 70 Das Ende des Roten Wien wurde im Jahre 1933 mit der Auflösung des Parlaments eingeleitet und mit dem Bürgerkrieg im Februar 1934 gewaltsam beendet. Nachdem die Regierung Dollfuß das Parlament ausgeschaltet hatte, gab es in Wien kein gewähltes Stadtparlament mehr. Die Bewegung des Austrofaschismus hatte sich gewaltsam durchgesetzt und mündete in den erzwungenen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Die sozialdemokratischen Stadtpolitiker gingen ins Exil oder wurden inhaftiert (vgl. http: / / www.dasrotewien.at/ karl-marx-hof.html, Stand 12.12.2015). 71 https: / / www.wienerwohnen.at/ ueber-uns/ ueber.html, Stand: 17.08.2015. Abbildung 8 (links): Werkbundsiedlung Wien. Sämtliche Bauten der Werkbundsiedlung waren für die Mittelschicht konzipiert. Diese Siedlung ist in den Jahren 1930-1932 unter ähnlicher Prämisse wie die Weißenhofsiedlung in Stuttgart erstellt worden. Die österreichische Siedlung umfasste ein Ensemble von 70 komplett eingerichteten Musterhäusern, welche unter der Leitung von Josef Frank und der Mitarbeit von 32 in- und ausländischen Architekten entstanden sind. Sie besteht aus modellhaften Siedlungsbauten, „die mit vorbildhaften und erschwinglichen modernen Einfamilienhaus-Typen nach Entwürfen renommierter Architekten Baukultur und Lebensform auf hohem Niveau reformieren sollten“ (ebd.: 109). Die Flachbauten mit ihrer offenen Bauweise erinnern an die Gebäude der Burgbergsiedlung (vgl. Abb. 9). Nach Auskunft des Architekten der Burgbergsiedlung, Christof Jaspert, stand diese in der Tradition des Bauhauses . (Quelle: Werkbundsiedlung Wien, http: / / www.werkbundsiedlung-wien.at/ de/ haeuser/ haus-69-und-70/ , Stand 17.08.2015) Abbildung 9 (rechts): Burgbergsiedlung Überlingen. (Quelle: Krug 2015) 29 1.5 Das bundesdeutsche Städteleitbild „Urbanität durch Dichte“ Mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise begann am Ende der 1920er Jahre der soziale Wohnungsbau in Deutschland abzuflauen. Dies führte dazu, dass sich im Deutschen Reich die Wohnungsnot von neuem verschärfte. Und nachdem während des Zweiten Weltkrieges bis zu 50 Prozent der städtischen Bausubstanz zerstört worden waren, kam der soziale Wohnungsbau vollends zum Erliegen. Trotz der gewaltigen Kriegszerstörungen blieben die Reaktionen der nationalsozialistischen Städteplaner erstaunlich zurückhaltend. Sie bedauerten zwar den Verlust an Menschenleben, betrachteten jedoch die Bombardierungen als eine einmalige Chance für eine Tabula rasa - mehr noch: Die Architekten begrüßten die Auslöschung der Stadtquartiere und sahen darin die Möglichkeit, die deutschen Städte einer grundlegenden Erneuerung zu unterziehen. So setzte bereits in den Jahren 1940 und 1941 „ein Planungs- und Modernisierungsschub ein […], der in seiner Wirkung bis in die sechziger Jahre reichte“. 72 In der ersten Nachkriegsphase des bundesdeutschen Wohnungsbaus propagierten die deutschen Stadtplaner das städtebauliche Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“. Hierbei erachteten sie alle Städte mit über 300.000 Einwohnern als ungesund, plädierten für ein organisches Wachstum der Städte in ihre Außenbezirke hinein und propagierten das zweigeschossige Reihenhaus bzw. das Einfamilienhaus mit Garten als städtebauliche Ideallösung. Die Planer vertraten dabei die Ansicht, dass eine Entflechtung der urbanen Funktionsbereiche und eine Auflockerung der Bebauungen für eine optimale städtische Verdichtung sorgen würden. Als Protagonist des deutschen Städtebaus der Nachkriegszeit gilt hier der deutsche Architekt und Stadtplaner Rudolf Hillebrecht, welcher als Stadtbaurat Hannovers zahlreiche historische Gebäude abreißen und die Landeshauptstadt Niedersachsens mit einem komplexen System von Verkehrsstraßen in eine autogerechte Metropole verwandeln ließ. Allerdings stellten sich schon bald die Nachteile der suburbanen Zersiedelung heraus. Weil die Menschen nach Geschäftsschluss umgehend die Städte verließen und in ihre Siedlungen zurückkehrten, entwickelten sich die neuen Quartiere zu reinen Schlafstädten - die Innenstädte hingegen begannen sich zu entleeren und sozial zu veröden. 73 Nachdem die größten Lücken der Wohnraumversorgung geschlossen waren, begann in den 1960er Jahren die zweite Phase des bundesdeutschen Wohnungsbaus. In dieser Periode errichteten die westdeutschen Kommunen mit finanzieller Unterstützung des Bundes 74 etwa 100 Demonstrativbauvorhaben an den Stadträndern Westdeutschlands. 75 Darunter befanden sich die von dem Architekten Walter Gropius entworfene Gropius-Stadt in Berlin oder die unter der Mitwirkung des Sozialpsychologen Alexander Mitscherlich geplante Emmertsgrund-Siedlung in Heidelberg. In gleicher Weise reiht sich die von der Kölner Architektengruppe Jaspert, Luxat, Lange konzipierte Burgbergsiedlung in Überlingen in 72 Durth 1990: 52. 73 Vgl. Fürst/ Himmelbach/ Potz 1999: 49. 74 Innovationen im Bausektor erlaubten es der BRD, moderne Stadtbauprojekte zu realisieren: „Konzentration und Industrialisierung im Bauwesen schufen die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für den Bau von Großsiedlungen. Es fehlte nur noch ein geeignetes Bauprogramm, mit dem die neuen Leitbilder im allgemeinen Wohnungsbau realisiert werden konnten. Ab 1957 trug die Bundesregierung dieser Forderung mit der Durchführung von Demonstrativbauvorhaben Rechnung.“ (Hafner 1993: 294) 75 Vgl. Becker/ Ritter 1967. 30 die Liste dieser ambitionierten Stadtbauprojekte Deutschlands ein. 76 Mit dem Bau der Demonstrativbauvorhaben verfolgten die Stadtplaner drei Ziele: Erstens sollte durch eine städtebauliche Verdichtung das Problem der suburbanen Zersiedelung der Landschaft gelöst werden, zweitens wollte man mit dem zügigen Bau von Großwohnsiedlungen erschwinglichen Wohnraum 77 für Familien schaffen 78 , und drittens sollte der bundesdeutsche Wohnungsbau einer funktionalen Modernisierung unterzogen werden. Die Realisierung der Demonstrativbauvorhaben war unmittelbar mit der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung der 1960er Jahre verbunden. Infolge des „Wirtschaftswunders“ herrschte damals Vollbeschäftigung, der Wohlstand der bundesdeutschen Bevölkerung wuchs an und die „Soziale Marktwirtschaft“ mit ihrer Gesetzgebung sorgte für den sozialen Frieden in der Gesellschaft. Zu Beginn der 1960er Jahre galt die Bundesrepublik Deutschland politisch und wirtschaftlich als ein stabiler Staat und es bestand unter den Bürgern Einigkeit, dass ein demokratisches und prosperierendes Deutschland mit Zuversicht in die Zukunft blicken konnte. Die Überlinger Bürger spürten diesen Optimismus, als der CDU-Bundestagsabgeordnete Hermann Biechele im Frühjahr 1969 die Baustellen der Burgbergsiedlung besuchte und sich über den Baufortschritt vor Ort informierte. Bei seinem Besuch zeigte er sich nicht nur vom Engagement der Kommune beeindruckt, ebenso imponierten ihn die modernen Wohnblöcke, welche den zukünftigen Bewohnern einen faszinierenden Blick über den Bodensee auf die Alpenlandschaft gewähren sollten. Seiner Auffassung nach entstand auf dem Burgberg gerade „das schönste Demonstrativbauvorhaben der Bundesrepublik“. 79 Sämtliche Planungen der Demonstrativbauvorhaben folgten einem „Urbanismus-Diskurs“, der in der 11. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Augsburg im Jahre 1960 offiziell eröffnet wurde. In dieser legendären Veranstaltung gaben die Experten, allen voran der Schweizer Professor für Staatswissenschaften Edgar Salin, den entscheidenden Impuls für das bundesdeutsche Stadtleitbild der 1960er und 1970er Jahre. Auf der Tagung sprach der Schweizer Wissenschaftler über die Idee der Urbanität, deren Ursprung er in der politischen Philosophie des antiken Griechenlands fand. Urbanität, so Edgar Salin, stehe in der Tradition des westlichen Denkens und beruhe auf einem kritisch denkenden und politisch aktiven Stadtbürger. Dieser von Aristoteles propagierte „Homo politicus“ setze sich engagiert für das Wohlergehen der Gemeinschaft ein und forme die Stadtgesellschaft durch seine politische Teilnahme. Da die Demokratie als ein soziales Gemeinwesen zu begreifen sei, habe sich der Bürger einem Rückzug ins Private zu widersetzen und dafür 76 Während der überwiegende Teil der Bundesländer ihre Demonstrativbauvorhaben an den Rändern der Großstädte errichteten, schlug das Bundesland Baden-Württemberg einen Sonderweg ein und förderte auch den Bau von Großwohnsiedlungen in „Gemeinden mit weniger als 100.000 Einwohnern, weil sie den höchsten Bevölkerungszuwachs verzeichneten“ (Hafner 1993: 306). 77 Vgl. Korby et al. 2011. 78 Im Gegensatz zur sozialistischen DDR, wo vergleichbare Wohnanlagen im Volkseigentum blieben, konzentrierte sich die westdeutsche Wohnungspolitik auf eine breite Streuung des Privateigentums unter der Bevölkerung. Mit Bau von „Mietwohnungen, Eigenheimen und anderen Formen von Wohnungseigentum“ in der BRD waren staatliche Förderprogramme verbunden, welche den Vermögensaufbau der Mittelschichtfamilien unterstützen sollten (ebd.: 295). 79 Südkurier 1969a: o.S. 31 aktiven Einfluss auf die öffentlichen Debatten zu nehmen. Nach Edgar Salins Auffassung könne nur durch politische Teilnahme der Bevölkerung ein urbaner Stadtraum entstehen. 80 Salins Ideen zeigten Wirkung. In Anlehnung an seinen Vortrag, der sich übrigens nicht mit dem Thema der städtischen Verdichtung befasste 81 , generierten die Stadtplaner das neue Leitbild „Urbanität durch Dichte“. Ihre Losung lautete von nun an, dass städtische Urbanität in erster Linie durch bauliche Verdichtungen erzeugt werden könne. Das Leitbild „Urbanität durch Dichte“ kam der gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung der Nachkriegsepoche und damit zusammenhängend der Hoffnung, dass eine moderne Gesellschaft allen Bürgern ein qualitativ besseres Leben ermögliche, entgegen. So entstanden unter diesem städtebaulichen Motto mit einer enormen staatlichen Förderung über sechs Millionen Wohnungen in Westdeutschland - das war „fast ein Drittel des bis 1970 vorhandenen Wohnungsbestandes […]“ 82 ; hinzu kam im selben Zeitraum der größte „Teil der kommunalen Infrastruktur, von der Stadtautobahn über Schulen und Krankenhäuser bis zur Universität“. 83 In dieser Epoche waren Politiker wie Städteplaner vom „unbedingtem Glauben an technischen Fortschritt und materiellen Wohlstand für alle“ 84 beflügelt. Dabei glaubten sie, „dass der arbeitende Mensch sich allein schon durch den unausbleiblichen Wohlstand, den die technische Entwicklung schafft, auch würde emanzipieren können.“ 85 Wie viele seiner Zeitgenossen betrachtete auch der Baseler Wissenschaftler Edgar Salin die Innovationskraft der Moderne als einen Segen für die Menschheit. 86 Technik, wissenschaftlicher Erfindungsreichtum und die Automatisierung in der Produktion sollten seiner Meinung nach dazu führen, dass man in naher Zukunft immer weniger Arbeitskräfte benötigte. Durch seinen festen Glauben an die moderne Technik ließ Edgar Salin sich sogar dazu hinreißen, die Kernkraft als glücksbringendes Perpetuum mobile zu propagieren. In diesem Sinn prophezeite er, dass man in naher Zukunft kleine Atomreaktoren „in Gemeinden“ aufstellen und „sogar fahrbare kleine Atomwerke konstruieren werde“ 87 , um den Energiebedarf der Zukunft lösen zu können. 80 Edgar Salin „sprach über die attische und römische Urbanität, auch über die einiger bürgerlicher Städte […]. Salin sprach von Urbanität als eigentlich städtischer Kultur, als ‚Wohlgebildetheit an Leib und Seele und Geist‘ und er sprach von der Pflicht des Bürgers, an den Dingen der Stadt Anteil zu nehmen.“ (Müller-Raemisch 1990: 62) 81 Rückblickend erscheint es seltsam, dass er in seinem Vortrag keinen Zusammenhang zwischen Urbanität und Verdichtung herstellte. Es ging ihm einzig und allein um die Haltung des kritischen und verantwortlichen Bürgers seiner Stadt gegenüber. Salin berichtete also nicht „von der baulichen Verdichtung, durch die Urbanität gewonnen werden könnte. Das muss eine Zutat der späteren ‚Urbanitäter‘ […] gewesen sein. […].“ (Ebd.) 82 Ebd.: 66. 83 Ebd. 84 Ebd.: 63. 85 Ebd. 86 Produktionstechnisch entspricht dem fordistischen Konzept eine zeitlich getaktete Fließbandproduktion, welche auf die Standardisierung ausgewählter Produkte durch Massenproduktion zielte. Die soziale Leistung des fordistischen Prinzips liegt in der Lohnpolitik. So wurde, um nur ein Beispiel zu nennen, die Montage von Autos durch die Heranziehung ungelernter Arbeitskräfte vorgenommen. Henry Ford entlohnte diese angelernten Arbeiter gut, was ihnen einen bescheidenen Wohlstand sicherte. Aufgrund des höheren Lohns begann nun die Güternachfrage, z.B. nach Autos, zu steigen. Die Motorisierung der Gesellschaft benötigte Straßen mit einer komplexen Infrastruktur, welche das Wohnen außerhalb der Produktionsbetriebe zuließ. Folglich trieb der erhöhte Konsum wiederum das Wirtschaftswachstum an. So gesehen schufen die Pendler die Grundlage einer städtebaulichen Differenzierung. Angeregt durch die Konzepte von Le Corbusier sollten Arbeits-, Wohn- und Freizeitorte in verschiedene städtebauliche Bereiche aufgeteilt werden. 87 Deutscher Städtetag 1960: S. 78. 32 So gesehen prägten die 1960er Jahre eine optimistische Sicht auf die Zukunft. Wenn die Menschen in der Lage waren, auf dem Mond zu landen, in die Tiefsee vorzudringen, Krankheiten und Hunger zu besiegen, den globalen Energiebedarf mittels Kernkraft zu lösen und den Frieden mit Atombomben zu sichern, wieso sollte es ihnen dann nicht auch gelingen, riesige Satellitenstädte aus der Erde zu stampfen? „Die Allmachtsphantasien von Ingenieuren erreichten in dieser Zeit nicht nur im militärischen, sondern auch im zivilen Bereich ihren absoluten Höhepunkt. In der Sowjetunion wurde der ,Große Stalinsche Plan zu Umgestaltung der Natur‘ verkündet, der vorsah, zwei der drei größten Flusssysteme Russlands mit einer Länge von 10.000 Kilometern von der Arktis in die Wüsten Zentralasiens umzuleiten; die USA arbeiteten gleichzeitig an einem Plan, mit Atombomben einen zweiten Panamakanal - den ,Pan-Atomic-Canal‘ - durch Mittelamerika zu sprengen, während der deutsche Ingenieur Hermann Sörgel vorschlug, das Mittelmeer mithilfe eines Staudamms quer durch die Straße von Gibraltar um bis zu 200 Meter abzusenken.“ 88 In gleicher Weise beflügelte derselbe Pioniergeist die Visionen der europäischen Städteplaner und Architekten. Dabei orientierte sich ihre Haltung 89 an dem von Walter Gro- 88 Das von Hermann Sörgel konzipierte Projekt Atlantropa (1928-1952) sah vor, den Wasserspiegel des Mittelmeers um bis zu 200 Meter zu senken, um so neues Land zu gewinnen (vgl. Scheidler 2016: 174). 89 Der französische Wissenschaftler Henri Lefebvre kritisierte diesen Forscherdrang. Die Überlegungen über den Urbanismus setze, so Henri Lefebvre, bei den Architekten eine Haltung voraus, welche von Selbstüberschätzung geprägt sei: „Man will ,in menschlichem Maßstab‘, für die ,Menschen‘ bauen. Diese Humanisten stellen Abbildung 10: Audimax der Ruhr-Universität Bochum. Wie die deutschen Demonstrativbauvorhaben fällt auch der Bau der Ruhr-Universität Bochum in die Epoche der Nachkriegsmoderne. (Quelle: Krug 2012) 33 pius postulierten Motto „Kunst und Technik, eine neue Einheit“ 90 , das weniger dem künstlerisch-ästhetischen Ausdruck als vielmehr der technischen Berechnung geschuldet war. Ebenso wie der schweizerisch-französische Architekt Le Corbusier forderte er, dass der moderne Wohnungsbau vom Geist der Ingenieurskunst getragen sein müsste. In diesem Zusammenhang formulierte Le Corbusier das Leitmotiv „Transparenz und Schweben“ 91 und entwickelte moderne Großbauten, bei denen eine transparente Skelettbauweise und eine offene Pfeilerkonstruktion, die sogenannten „Pilotis“, das Gebäude vom Baugrund abheben sollten. Als im Jahre 1947 Le Corbusier seine Ideen in der Mittelmeerstadt Marseille realisierte, gelang es ihm, eine der radikalsten Stadtbauprojekte der Moderne umzusetzen. In dem Bauprojekt Unité d’Habitation integrierte er nicht nur Wohnungen, Freizeiteinrichtungen, Geschäfte und einen Kindergarten in einem einzigen Baukörper, sondern er schuf mit einer sozialräumlichen Komprimierung auch für 1800 Einwohner eine gewaltige Wohnmaschine, welche unterhalb des Bauwerks einen transparenten Freiraum schuf. Die revolutionär anmutende Architektur Le Corbusiers faszinierte die Fachwelt und bald fragten sich die Architekten, ob man die vom Erdboden gelösten Gebäudekomplexe nicht auch in Bewegung setzen könne. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Zu Beginn der 1960er Jahre radikalisierte das britische Architektenteam Archigram die sich als Doktoren der Gesellschaft wie als Hersteller neuer sozialer Verhältnisse dar. Ihre Ideologie oder vielmehr ihr Idealismus kommt oft von agrarischen Vorbildern, die sie unreflektiert in ihre Reflexion übernehmen: das Dorf, die Gemeinschaft, der Stadtteil, der Stadtbürger, den man mit staatsbürgerlichen Gebäuden etc. beschenkt.“ (Lefebvre 2016: 56) 90 Bessett 1978: 86. 91 Die Erneuerung des Wohnungs- und Siedlungsbaus sollte durch die „Erprobung der Theorie der ,Fünf Punkte‘ (,Pilotis‘, Terrassendach, freier Grundriss, freie Fassade, Fensterband)“ erfolgen (ebd.: 87). Abbildung 11: Burgbergsiedlung, Sonnenbergkomplex. (Quelle: Baurechtsamt Überlingen) Abbildung 12: Wohnmaschine Marseille. Die schwebende Skelettbauweise hebt den Gebäudekomplex durch die Pilotis vom Baugrundstück ab und schafft unterhalb des Gebäudes einen transparenten Freiraum. (Quelle: http: / / www.arqred. mx/ blog/ wp-content/ uploads/ 2009/ 09/ Un_d-Habit_ Section_A.jpg, Stand: 20.05.2019) 34 Idee der Wohnmaschinen mit dem weltbekannten Projekt Walking City. In ihrem Entwurf rollten gewaltige, mit teleskopartigen Pilotis und Stahlrädern bestückte Wohnmaschinen über die Erde. In den Träumen der Planer sollten diese künstlichen Städte wie die mobilen Raketenabschussrampen von Cape Kennedy von Ort zu Ort reisen, um saisonale Arbeitskräfte zu ihren Arbeitsstätten zu bringen oder - ganz im Sinne des Kalten Kriegs - die Menschen vor einer atomaren Katastrophe zu beschützen. 92 Aus heutiger Sicht repräsentieren die utopischen Entwürfe der britischen Architektengruppe nicht nur die Möglichkeiten einer mobilen und technisch hoch entwickelten Gesellschaft, sondern sie stehen auch als Zeichen einer effizient organisierten Regierungskunst. Während außerhalb der Wohnmaschinen das atomare Feuer brennt, werden die Bewohner von einem politischen Apparat in einem stählernen Kokon behütet. Dieser Schutz hat allerdings auch seinen Preis: Die Menschen haben ihre Freiheit einem „Leviathan“ 93 unterzuordnen, der als oberster Souverän die Richtung und Geschwindigkeit der Maschine vorgibt. Damit verbindet sich in diesem Projekt der architektonische Pioniergeist der 1960er Jahre mit einer sozialen und technischen Rationalität, welche die Menschen zu einer anonymen Masse kürzt, einer „statistische[n] Figur ohne Subjektivität, deren durchschnittliche Lebensbedürfnisse in Quadratmetern, Kubikmetern und Kilogramm ange- 92 „Archigram projects demonstrated that architecture was an escape hatch from environmental conditions, not an internment within them. Here was the architecture of rescue, partly inspired by the tents and field hospitals of humanitarian relief efforts; Walking City, or a less fanciful version of it, might one day deliver a community of United Nations administrators to a crisis area within days.“ (Sadler 2005: 38) 93 Vgl. Hobbes 1986. Abbildung 13 (links): Ron Herro & Archigramm, Cities: moving (1964). Die autonome Stadt als verpoppte Utopie. (Quelle: http: / / www.dam-online.de/ uploads/ DAM_Zukunft_von_gestern_Archigram.jpg, Stand: 07.03.2019) 35 geben wird“. 94 Mit ihrer Rationalität entspricht diese Techno-Utopie 95 einem eindimensionalen Denken, welches der Philosoph Herbert Marcuse in den 1960er Jahren scharf kritisierte: „Mit ihrem technischen Fortschritt als ihrem Instrument wird Unfreiheit - im Sinne der Unterwerfung des Menschen unter seinen Produktionsapparat - in Gestalt vieler Freiheiten und Bequemlichkeiten verewigt und intensiviert. Der neuartige Zug ist die überwältigende Rationalität in diesem irrationalen Unternehmen und das Ausmaß der Präformation, die die Triebe und Bestrebungen der Individuen modelt und den Unterschied zwischen wahren und falschen Bedürfnissen verdunkelt. Denn in Wirklichkeit wiegt weder die Anwendung eher administrativer als physischer Kontrollen […] die Tatsache auf, dass die Entscheidung über Leben und Tod, über persönliche und nationale Sicherheit von Stellen aus getroffen werden, über welche die Individuen keine Kontrolle haben.“ 96 94 Alexander Mitscherlich kritisierte beim Bau des Demonstrativbauvorhabens Emmertsgrund in Heidelberg die rein technokratisch orientierten Lösungen: „So wie dort der Mensch als eine subjektlose Maschine angesehen wird, ist der wohnungssuchende Mensch in der Architektur und Wohnungswirtschaft zunächst ein Objekt, eine statistische Figur ohne Subjektivität, deren durchschnittliche Lebensbedürfnisse in Quadratmetern, Kubikmetern und Kilogramm angegeben werden. Er ist nicht jener Andere, mit dem man in Beziehung tritt, dessen Bedürfnisse man innerhalb des gegebenen finanziellen Rahmens respektiert.“ (Deutschmann o.J.: 10) 95 Eine vergleichbare Kritik gegen den vermeintlichen Moloch „Trabantenstadt“, auf die ich später noch näher eingehen werde, wurde von der Überlinger Stadtgesellschaft formuliert. 96 Marcuse 1979: 52 f. Abbildung 14 (rechts): Amsterdam, Ing-house. Adaption des Konzepts der Cities: moving ins 21. Jahrhundert. (Quelle: Krug 2018) 36 Wie vorher besprochen, war der Zeitgeist der Nachkriegsmoderne 97 von der Hoffnung einer Humanisierung durch die Technik beseelt. Dieser Positivismus prägte die kulturelle Atmosphäre der Nachkriegszeit und beeinflusste nachhaltig das Denken der Architekten. Allerdings legten die deutschen Stadtplaner mit ihrem Leitbild „Urbanität durch Dichte“ die politischen Vorschläge Edgar Salins zur Entwicklung einer lebensfähigen urbanen Stadtkultur zunächst einmal „ad acta“ und verkürzten dabei sein Verständnis von Urbanität fast schon bis zur Unkenntlichkeit. Salins Forderung nach einem mündigen und emanzipierten Bürger, der selbstbewusst, unabhängig und frei einen lebenswerten Stadtkörper formt und durch politische Partizipation einen funktionsfähigen sozialen Raum generiert, schoben sie zur Seite und vertraten stattdessen die Ansicht, dass die räumliche Verdichtung eines Stadtquartiers per se für Urbanität sorgen würde. Mit dieser Haltung stand nun nicht mehr die von Salin geforderte demokratische Teilhabe des „Homo politicus“ im Mittelpunkt der Stadtplanung, sondern in erster Linie deren technische Lösung. Zwar betrachteten sich die Architekten immer noch als Erben Le Corbusiers mit seiner Charta von Athen, gleichwohl begannen sie beim Bau der Demonstrativbauvorhaben seine Theorie zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang kritisierten sie ihren Lehrmeister und behaupteten stattdessen, dass eine funktional getrennte Stadt die Entstehung von Urbanität verhindern würde. Entgegen den in den 1950er Jahren favorisierten Plänen, welche noch die autogerechte Trennung der Stadt in Wohn-, Freizeit- und Geschäftsbereiche förderten, wollten sie jetzt mit einem Konglomerat aus Wohnungen, Geschäften, Bildungseinrichtungen, Ämtern und Unternehmen die städtischen Funktionen miteinander verzahnen. In Anlehnung an die amerikanische Stadtforscherin Jane Jacobs 98 sollte von nun an die Funktionsmischung einen lebendigen, urbanen Raum generieren. Großer Wert wurde hierbei auch auf den öffentlichen Raum gelegt, welcher mit seinen Straßen, Wegen und Plätzen mannigfaltige Begegnungen zulassen und die kulturelle Vielfalt fördern sollte. 99 Allerdings wurden auch diese Pläne beim Bau der Demonstrativbauvorhaben nur halbherzig umgesetzt. Stattdessen dominierten wirtschaftliche Rentabilitätsinteressen, wobei der Anspruch auf Funktionsmischung in den seltensten Fällen eingelöst und die bauliche Verdichtung in Verbindung mit einer Nutzungsmischung weitgehend ignoriert wurde. Damit traten die von Jane Jacobs geforderten Funktionsmischungen schon bald wieder in den Hintergrund und die neuen, hoch verdichteten Stadtteile entwickelten sich oft zu reinen Schlafstädten - 97 Vgl. Hoppe-Sailer 2015: 219 ff. 98 Das Leitbild entsprach dem Geist der 1960er Jahre. Im Gegensatz zur funktionalistischen Lehre eines Le Corbusiers schlug die kanadische Architekturkritikerin Jane Jacobs einen anderen Weg vor. Sie wandte sich gegen die Funktionstrennung in der Stadt und empfahl stattdessen, die städtischen Räume durch Funktionsmischungen und städtebauliche Verdichtungen wieder neu zu beleben: „Um die Großstädte wirklich zu verstehen, müssen wir jedoch von vornherein als wesentlichstes Phänomen die Verkettung oder Mischung der Funktionen erkennen, wir dürfen nicht die einzelnen Funktionen getrennt behandeln. Eine Mischung von Nutzungen, die komplex genug ist, um Sicherheit, öffentliche Kontakte und vielseitige Dienste zu ermöglichen, hängt von den verschiedensten Faktoren ab. Daher lautet die erste und wichtigste Frage funktioneller Stadtplanung: Wie können Großstädte eine ausreichende Mischung von Nutzungen über ihr gesamtes Territorium hinweg erzeugen, um ihre großstädtische Kultur zu erhalten? “ (Jacobs 1963: 91) 99 Mit der Funktionsmischung wollten die Planer dem öffentlichen Raum wieder mehr Gewicht einräumen. „Während in den Nachkriegsjahren dem öffentlichen städtischen Raum weniger Bedeutung zugemessen wurde als dem Streben nach der funktionalen Stadt mit weitläufigen, großzügigen Wohnquartieren und öffentlichen (Grün-)Flächen mit der klaren Trennung der Funktionen, verlagerte sich das Verständnis mit dem Wunsch nach ,Urbanität durch Dichte‘ ebenfalls zu dichten, städtischen, öffentlichen Orten mit engen Straßen, Gassen und Plätzen.“ (Beckmann 2015: 79f.) 37 dies war eine Kehrtwendung, welche später den deutschen Sozialwissenschaftler Alexander Mitscherlich dazu veranlasste, sich aus der Beratertätigkeit des Demonstrativbauprojekts der Heidelberger Emmertsgrund-Siedlung zurückzuziehen. 1.6 Eigentum verpflichtet Der verlorene Weltkrieg und das Wissen über die begangenen Verbrechen während des Nationalsozialismus hatte die politische Haltung der Bevölkerung gegenüber ihren Machteliten 100 grundlegend verändert. Trotz des Kriegspaktes 101 , welcher nach dem Zweiten Weltkrieg eine soziale Absicherung breiter Bevölkerungsschichten versprach, blieb vielen Menschen noch in guter Erinnerung, wie die deutschen Firmen mit der NS-Diktatur kooperiert hatten. Viele Bürger misstrauten ihren Wirtschaftseliten, sie wiesen politische Großmachtfantasien zurück und hofften stattdessen darauf, dass die demokratisch gewählten Regierungen das Land in eine friedliche Zukunft lenken würden. Ebenso lehnte die Mehrheit der bundesdeutschen Bürger den „Laissez faire“-Führungsstil eines „Nachtwächterstaates“ ab und verlangte von ihrer politischen Führung, die Wirtschaft umfassend zu kontrollieren. Mit dieser Forderung stand der Kapitalismus auf einem permanenten Prüfstand, wie der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty anmerkt: „Fast überall werden die Weichen für ein stärkeres Eingreifen des Staates in die Wirtschaft gestellt. Die Regierungen und die öffentliche Meinung verlangen Rechenschaft von den Finanz- und Wirtschaftseliten, die sich bereicherten, während sie die Welt an den Abgrund führten. […]. Neben dem traditionellen Privateigentum soll es Staatsbetriebe und staatliche Beteiligungen in unterschiedlichem Umfang geben oder zumindest eine sehr starke staatliche Regulierung der Wirtschaft und eine Kontrolle des Finanzsystems - und damit des Privatkapitalismus insgesamt.“ 102 Das städtebauliche Leitbild „Urbanität durch Dichte“, welches dem Konzept aller Demonstrativbauvorhaben zugrunde lag, ist eng mit der sozialen Marktwirtschaft verknüpft. Nach dem Zweiten Weltkrieg äußerte sich der Diskurs einer sozialen Neugestaltung Deutschlands in Grundsatzdiskussionen über eine demokratische Gesetzgebung, über Mitbestimmungen der Belegschaften in Unternehmen und über eine Vergesellschaftung 100 Der Begriff „Machtelite“ entstammt der US-Studie von C. Wright Mills The Power Elite, in der er die USamerikanischen Eliten untersuchte. Nach Mills setzt sich die Machtelite aus dem Machtdreieck (Triangle of Power) der elitären Zirkeln aus Politik, Militär und Wirtschaft zusammen (vgl. Mills 1956). 101 Der deutsche Wohlfahrtsstaat bewahrte die Bürger vor Armut und Elend und bot mit seinen Sicherungssystemen nach dem Zweiten Weltkrieg allen Menschen eine positive Zukunftsperspektive. Damit wurde auch das Versprechen des „Kriegspaktes“ eingelöst, wie der französische Philosoph Michel Foucault anmerkt. „Alle diese so wichtigen Elemente, die man Kriegspakte nennen könnte, Abkommen, bei deren Abschluss die Regierungen […] den Menschen, die gerade eine sehr schwere wirtschaftliche und soziale Krise durchgemacht hatten, sagten: Jetzt verlangen wir von euch, dass ihr euch töten lasst, aber wir versprechen, dass, wenn das vorbei ist, ihr eure Stellen bis ans Ende eurer Tage behalten werdet.“ (Foucault 2006: 301) 102 Piketty 2014: 182. 38 der Schlüsselindustrien. Alle Volksparteien diskutierten intensiv über eine gerechte Verteilung des erarbeiteten Wohlstands und hinterfragten damit auch ihre eigene Einstellung gegenüber Eigentum und Besitz. In diesem Sinne kritisierte sogar die konservative CDU in ihrem Ahlener Programm des Jahres 1947 die Auswüchse eines ungezügelten Kapitalismus: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.“ 103 Zwar wurde das Ahlener Programm in den darauf folgenden Jahren mehrfach korrigiert und damit auch in seiner politischen Schlagkraft entschärft, trotzdem beeinflusste es maßgeblich die Gesetzgebung der noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Unter dem Motto „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“, fanden die Forderungen Einzug in das Grundgesetz, was unter anderem auch dazu führte, dass die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch ausgehandelte Betriebsverfassungen und Unternehmensmitbestimmungen gefestigt wurde. 104 Es dauerte auch nicht lange, bis die kapitalismuskritischen Töne in den Büros der deutschen Stadtplaner Einzug hielten und sich die Experten mit der Eigentumsfrage von Grund und Boden auseinandersetzten. 105 Inspiriert durch die Wohnungspolitik der Weimarer Republik, welche nach dem Ende des Ersten Weltkrieges „einen umfangreichen Bestand an Wohnungen nicht zuletzt im Besitz kommunaler Wohnungsbaugesellschaften 103 CDU 1947: 15, http: / / www.kas.de/ upload/ themen/ programmatik_der_cdu/ programme/ 1947_Ahlener-Programm.pdf, Stand: 27.03.2016. 104 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die soziale Marktwirtschaft das Spannungsfeld zwischen Kapitalismus und Demokratie entschärfen konnte - dieses aufzulösen, war sie allerdings nicht in der Lage. Auf diese Tatsache verweist der Soziologe Wolfgang Streeck: „Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein lebten Kapitaleigner in der Furcht, demokratische Mehrheiten könnten das Privateigentum abschaffen, während Arbeiter und Arbeiterorganisationen damit rechneten, dass die Kapitalisten zur Verteidigung ihrer Privilegien eine Rückkehr zu autoritären Herrschaftsformen finanzieren würden. Erst in der Welt des Kalten Krieges schienen Kapitalismus und Demokratie Verbündete geworden zu sein: Der wirtschaftliche Fortschritt ermöglichte es Arbeitnehmermehrheiten, ein Regime der Marktfreiheit und des Privateigentums zu akzeptieren, was wiederum den Anschein erweckte, als seien die demokratischen Freiheiten untrennbar mit freien Märkten und Gewinnstreben verbunden, ja sogar abhängig von diesen. […] Die Legitimität der Nachkriegsdemokratie beruhte auf der Prämisse, dass Staaten über die Fähigkeit verfügen, in das Marktgeschehen zu intervenieren und dessen Ergebnisse im Interesse der Mehrheit ihrer Bürger zu korrigieren.“ (Streeck 2015: 99-111) 105 In diesem Sinn formuliert der deutschen Stadtplaner Josef Lehmbrod eine Kritik gegenüber den bestehenden Eigentumsverhältnissen: „Auf Flächen ohne Besitzpräferenz sind die vielen Quartiere gebaut worden. Man hätte sie ohne Schwierigkeiten in Gemeinschaftsbesitz überführen können - im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen - aber das Geschäft mit der Behausung und vor allem mit Mietern, die unentwegt zu blechen haben - Profitopolis - ist die erklärte Politik bei uns.“ (Lehmbrock 1990: 93) 39 entstehen ließ“ 106 , versuchten die Planer, eine städteplanerische Neubestimmung der BRD in Angriff zu nehmen. Es folgten Vorschläge über die Enteignung und Neuaufteilung von Grund und Boden sowie über eine Vergesellschaftung bzw. genossenschaftliche Reorganisierung des Wohneigentums. 107 Die radikalen Empfehlungen der Stadtplaner liefen aber ins Leere. Wie nicht anders zu erwarten, lehnten nicht nur die westlichen Siegermächte die Vorschläge einer Bodenneuordnung ab - auch die Eigentümer und die private Bauwirtschaft stemmten sich gegen eine Neuordnung des Grundbesitzes. 108 Diese Blockade hatte weitreichende Folgen für den deutschen Städtebau. Da nun die wirkungsvollsten Instrumente einer grundlegenden Veränderung von Stadtstrukturen fehlten, konnten komplette Stadtumbauten nicht mehr realisiert werden. 109 Mit dieser Entscheidung blieb aber auch das Problem der steigenden Bodenpreise und der damit verbundenen Bodenspekulationen in den Großstädten ungelöst. In vielen Großstädten, so etwa in München, beklagten die Kommunen immense Preissteigerungen für Grundstücke in guter Lage - manchmal von mehr als 100 Prozent innerhalb eines Jahres. Dadurch stiegen etwa in der bayrischen Metropole nicht nur die Mieten kontinuierlich an, ebenso war der soziale Wohnungsbau nur noch mit Mühe realisierbar. Mit anderen Worten: Der spekulative Umgang mit dem städtischen Boden hatte zur Folge, dass „,dringend benötigte Infrastrukturprojekte‘ wie Krankenhäuser, Schulen oder Kindergärten ,wegen der hohen Bodenpreise nicht oder nur in viel zu geringem Umfang gebaut werden‘“ 110 konnten. Während viele Grundeigentümer ihre Baugrundstücke als eine handelbare Ware begriffen, erachteten die Politiker den Grund und Boden genauso wie Wasser und Luft als ein gemeinschaftliches Gut. Zwar diskutierten die Fraktionen in der zweiten Legislaturperiode der sozialliberalen Regierungskoalition (1972-1976) über das Problem der Bodenspekulation, doch unterschieden sich ihre parteiinternen Vorschläge grundlegend. Während die Sozialdemokraten „den städtischen Boden kommunalisieren“ 111 und die darauf gebauten 106 Walter Siebel macht auf die Vorteile einer sozialen Wohnungspolitik aufmerksam: „Dieses marktferne Segment der Wohnungsversorgung, das 1993 ein Drittel des gesamten Mietwohnungsbestandes in Deutschland umfasste, zusammen mit den staatlichen und kommunalen Systemen der Sozialhilfe und der Sozialversicherungen, hat bislang verhindert, dass sich in europäischen Städten Slums bilden konnten […].“ (Siebel 2004: 17) 107 Vgl. Mitscherlich 2008. 108 Die Versuche einer Neuordnung der Eigentumsverhältnisse analysiert Hubert Hoffmann: „Dass bereits angenommene Planungen später unbeachtet blieben - oder rückgängig gemacht wurden, lag vor allem an der noch nicht gelösten Bodenfrage bzw. dem Widerstand der internationalen Bau- und Bodenspekulation, durch deren Einfluss die Weichen für eine künftige Entwicklung um die Mitte der 50er Jahre in eine falsche Richtung geschaltet wurden […]. So wurde z.B. der Versuch Scharons als Stadtbaurat von Berlin, den Bodenpreis auf eine halbe Reichsmark zu fixieren (also eine indirekte Enteignung zum Nutzen der notwendigen Neuaufteilung und zweckmäßigen Bodenordnung) von den Besatzungsmächten abgelehnt.“ (Hoffmann 1990: 45) 109 Während in der BRD aufgrund der Eigentumsverhältnisse nachhaltige Stadtumbauten verhindert worden waren, konnten sich in der DDR völlig neue Stadtstrukturen entwickeln: „Ihre gebaute Substanz [städtische Strukturen - Anm. H.-J.K.] ist materialisiertes gesellschaftliches Verhältnis, und ein entscheidendes gesellschaftliches Verhältnis insbesondere für die Städte sind die Eigentumsverhältnisse. Das Grundbuch, nicht die Mauern einer Stadt, schreiben ihre Struktur fest. Der Zuschnitt der Grundstücke, das Privateigentum an den Resten der gebauten Substanz und die Differenz zwischen öffentlichem und privatem Eigentum waren durch die Bomben nicht zerstört worden. Die alten Linien, entlang deren die deutschen Städte wieder aufgebaut wurden, waren die Eigentumsgrenzen. In der DDR, wo das Privateigentum an Boden und Immobilien weitgehend beseitigt war, sind denn auch andere Stadtstrukturen entwickelt worden.“ (Siebel 2004: 43) 110 Vorbemerkungen, in: Landeshauptstadt München (Hg.): Initiative für eine Neuordnung des Bodenrechts, o.J. (vermutlich aus dem Jahr 1971 oder 1972), zitiert in: Hertweck 2018: 47. 111 Vgl. Hertweck 2018: 53. 40 Wohnungen den Mietern anbieten wollten, „strebte die CDU/ CSU eine weitflächige Mobilisierung von Bauland an, um das Eigentum an Grund und Boden so breit wie möglich zu streuen“. 112 Ihrer Meinung nach sollten flankierende Maßnahmen, wie etwa die Besteuerung von Spekulationsgewinnen und die Mobilisierung von Bauland, die Bodenpreise drücken und für eine bessere Versorgung von Bauland sorgen. Den mutigsten Vorschlag zur Lösung der Bodenspekulation unterbreitete hingegen der SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel. Um das Problem der Bodenspekulation zu lösen, schlug er zwei Schritte vor: Zuerst sollte eine Neuordnung des Enteignungs- und Entschädigungsrechts, des Vorkaufsrechts und der Bodenbesteuerung die Gemeinden dazu ermächtigen, die Nutzung von Grundstücken im Sinne des Allgemeinwohls neu zu organisieren. In einem zweiten Schritt sollte dann das Bodeneigentum in ein „Grundrecht“ und ein „Verfügungsrecht“ aufgeteilt werden. Dabei hätte ein „Verfügungsrecht“ das Eigentum von Grund und Boden der Obhut der Kommune überlassen; das „Nutzungsrecht“ hingegen hätte das auf öffentlichem Grund erstellte Nutzungseigentum geschützt. Im Sinne eines Erbbaurechts wären damit alle Gebäude als Volleigentum der Eigentümer veräußerbar, verpfändbar und vererbbar geblieben. Soweit zur Theorie. Die Bundestagsdebatten der 1970er Jahre allerdings machten schnell deutlich, dass die von Hans-Jochen Vogel vorgeschlagenen sozialdemokratischen Reformen aufgrund der fehlenden Mehrheitsverhältnisse nicht durchzusetzen waren; weder das Erbbaurecht noch die Aufspaltung in ein Verfügungs- und ein Nutzungsrecht wurden zum Gegenstand von Gesetzesvorlagen und auch das später, im Jahre 1976, verabschiedete Bundesbaugesetz enthielt in Bezug auf die Bodenspekulation keine relevanten Gegenmaßnahmen mehr. Festzuhalten bleibt trotzdem, dass die in den 1960er bis in die 1980er Jahren an den Stadträndern entstandenen Demonstrativbauvorhaben der Bundesrepublik Deutschland 113 die Wohnungsnot entschärfen konnten. Ein am Allgemeinwohl orientierter Schutz von Grund und Boden im Sinne einer Allmende ist dagegen nicht erfolgt. 112 „Was den Boden in öffentlichem Eigentum betrifft, dessen Verkauf die Sozialdemokraten in den frühen 1970er Jahren stoppen wollten, wurde seitdem links wie rechts der gleiche Ansatz verfolgt: Die Grundstücke wurden an den Höchstbieter veräußert, um die städtischen Haushalte zu sanieren. Von dem ursprünglich in öffentlicher Hand befindenden Bodenvorrat ist nicht mehr viel übrig, die Bodenfrage in Bezug auf das Eigentum an Grund und Boden stellt sich mehr denn je.“ (Ebd.) 113 In Westdeutschland wurde eine Vielzahl von Schulen, Universitäten, Altenheimen, Bibliotheken, Museen, Schwimmbädern, Stadthallen oder Theatern gebaut. Sie galten als Aushängeschilder eines stabilen, friedlichen und demokratischen Deutschlands. Da alle Einrichtungen in öffentlicher Hand blieben, stabilisierten sie den sozialen Frieden der Gesellschaft. So gesehen hatten die Investitionen in das Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystems „wohl am meisten zur Verbesserung der Lebensbedingungen [...] beigetragen.“ (Piketty 2014: 129) 41 2. Die Burgbergsiedlung in Überlingen 2.1 Der konzeptionelle Raum Der Startschuss für den Bau der Burgbergsiedlung fiel im Jahre 1963, nachdem die Stadt Überlingen 114 das landwirtschaftlich genutzte und etwa 24 Hektar große Burgberggelände für 2,2 Millionen DM von privaten Eigentümern gekauft hatte. 115 Die Überlinger Kommune beabsichtigte, auf dem Planungsgebiet „zwischen Grethalde, Sonnen- und Schatzberg“ 116 ungefähr 690 Wohneinheiten für etwa 2000 bis 3000 Bewohner zu schaffen und dabei die Gebäude behutsam in die Drumlin-Landschaft einzubetten. Um bei der Realisierung der Wohnsiedlung der Charakteristik des Terrains gebührend Rechnung zu tragen, beabsichtigten die Architekten, die stark bewegte Topografie des hügeligen Burgberggeländes bei ihren Planungen zu berücksichtigen, nach Möglichkeit die faszinierende Fernsicht auf den Bodensee zu nutzen sowie die „ins Baugebiet hineinragende Grünfläche des zu erhaltenden“ 117 Schlossparks in die Burgbergsiedlung zu integrieren. Da die großen 114 Neben anderen Grundbesitzern verkaufte auch der Unternehmer und Pionier der Weberei-Automatisierung Carl Valentin (1891-1968) einen Teil seines Grundstückeigentums an die Stadt Überlingen. Sein Sohn, Rolf Valentin, übernahm das Burgbergschloss nach seinem Tod (vgl. Schnering 2013: 107 f.). 115 Schwäbische Zeitung 1963: o.S. 116 Schnering 2013: 125. 117 Südkurier 1967a: o.S. Abbildung 15: Blick auf das Parkhotel St. Leonhard in Überlingen. Im Hintergrund befindet sich das Gelände der heutigen Burgbergsiedlung. (Quelle: Lauterwasser) 42 Demonstrativbauvorhaben die logistischen Ressourcen vieler kommunaler Bauämter überforderten, wurden auch in Überlingen die wichtigen Vorplanungen gemeinnützigen Gesellschaften übertragen - erst nach ihrem Einsatz sollten die privaten Großunternehmen zum Zuge kommen und den Wohnungsbau in Angriff nehmen. 118 Für die Stadt Überlingen stellte sich der Bau der Burgbergsiedlung als eine gewaltige Herausforderung dar. Da die Gemeinde bisher keinerlei Erfahrungen bei der Projektierung und Umsetzung eines solchen Großprojekts hatte, galt es, Informationen zu sammeln und an Erfahrungswerten anderer Kommunen anzuknüpfen. Bei ihrer Suche nach einem vergleichbaren Stadtbauprojekt stießen die Kommunalpolitiker auf das Demonstrativbauvorhaben „Waldstadt“ im baden-württembergischen Mosbach. Diese mit Überlingen vergleichbare Mittelstadt hatte nicht nur mit dem Bau einer Großwohnsiedlung begonnen, ihr städtebauliches Projekt ähnelte auch in Größe und Umfang dem Vorhaben Überlingens. 119 Um sich ein Bild über die bevorstehende Stadterweiterung zu machen, fuhr der Gemeinderat der Stadt Überlingen im Sommer 1963 in die 300 Kilometer entfernte Odenwaldgemeinde und besichtigte das etwa 26 Hektar große Demonstrativbauvorhaben. 120 Nachdem sie mit den ortsansässigen Experten über das Stadtbauprojekt diskutiert hatten, beantragte die Stadt die für die Realisierung ihres Demonstrativbauvorhabens in Überlingen benötigten staatlichen Gelder. 121 Für die amtliche Zulassung dieses Großprojekts kooperierte die Kommune mit der Deutschen Bauland- und Kreditgesellschaft sowie der Forschungsgemeinschaft Bauen und Wohnen Stuttgart (FBV) 122 . Während sich die Gesellschaft der Deutschen Bauland- und Kredit- 118 Die Wohnungsbaugesellschaften übernahmen „die Organisation von Großbaustellen, das ganze komplizierte Geschäft der Finanzierung und der Beschaffung der Genehmigungen“ (Müller-Raemisch 1990: 69). 119 In der Odenwaldgemeinde Mosbach entstand in Gestalt eines Demonstrativbauvorhabens der Bundesrepublik Deutschland ein vergleichbar großer Stadtteil für etwa 3500 Einwohner. 120 Becker/ Ritter 1967: 95. 121 Schwäbische Zeitung 1963. 122 Die Institute wurden von Regierungsstellen beauftragt, „die am Bau beteiligten Firmen[,] so zu schulen, dass sie in der Lage waren, möglichst rationell zu arbeiten“ (Hafner 1993: 304). Abbildung 16: Mosbach, Waldstadt. Historische Aufnahme aus den 1960er Jahren. (Quelle: VHG Hans Glogner, Neckargemünd) 43 gesellschaft um eine ordnungsgemäße Erschließung des Baugeländes kümmerte, begleitete die Forschungsgemeinschaft Bauen und Wohnen Stuttgart (FBV) das Bauprojekt, um daraus wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen und zur Kostensenkung „der zum großen Teil mit öffentlichen (Bundes- und Landes-) Mitteln gebauten Wohnungen“ 123 beizutragen. Wie bereits in Mosbach geschehen, brachte auch in Überlingen die gemeinnützige Deutsche Bauland- und Kreditgesellschaft die ersten Planungsschritte auf den Weg. Das bedeutete, dass im Jahre 1964 die gemeinnützige Gesellschaft den Burgberg „zu dem von der Stadt gezahlten Kaufpreis zuzüglich der bisher aufgelaufenen Kosten“ 124 übernahm, danach einen Bebauungsplan aufstellte, anschließend das Gelände erschloss und es dann an die Bauherren weiterverkaufte. Von zentraler Bedeutung war die Tatsache, dass es der Gesellschaft nicht gestattet war, eigene wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Als Organ der staatlichen Wohnungspolitik durfte sie weder Wohnungen bauen noch vermarkten. Mit diesen Vorgaben war es der Deutschen Bauland- und Kreditgesellschaft also nicht gestattet, Gewinn zu erwirtschaften, dafür konnte sie sich aber in vollem Umfang auf ihre gemeinwohlorientierte Arbeit konzentrieren. Positiv kam hinzu, dass der Gesetzgeber die Gesellschaft von der Grunderwerbsteuerpflicht befreite, weshalb sie die erschlossenen Bauplätze den Kaufinteressenten zu einem moderaten Kaufpreis anbieten konnte. 125 Diese staatlichen Vorgaben erwiesen sich für die Kommune als Glücksfall. Da die Deutsche Bauland- und Kreditgesellschaft gemeinwohlorientiert agieren konnte, wurde eine verhängnisvolle Bodenspekulation verhindert, und damit auch die Bodenpreise in den umliegenden Gemeindebereichen konsolidiert. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben erfolgte eine faire Bodenbewertung, welche im Jahr 1967 die Geschäftsleitung der Deutschen Bauland- und Kreditgesellschaft mit sichtbarem Stolz kommentierte: „Unsere Eigenschaft als Organ der staatlichen Wohnungspolitik gewährleistet, dass die Bildung der Bauplatzpreise für das erschlossene Gebiet frei von jedem spekulativen Einfluss ist und nur durch die uns entstandenen, den Gemeinden nachgewiesenen Gestehungskosten bestimmt wird. Unsere Arbeit für Bodenordnung und Erschließung trägt damit für ihren Teil zur Stabilisierung der Bodenpreise in dem Gemeindebereich unserer Erschließung nicht unerheblich bei.“ 126 123 „Die FBW als Stiftung des öffentlichen Rechts im Lande Baden-Württemberg ist vom Bundesministerium für Wohnungswesen und Städtebau mit der Betreuung des Demonstrativbauvorhabens Überlingen-Burgberg beauftragt. Zu den Aufgaben des Betreuungsinstituts gehören neben der Koordinierung aller Beteiligten sowie der Beratung in Fragen einer rationellen Planung und Ausführung der Gebäudetypen insbesondere auch die Anwendung und Förderung aller Maßnahmen, die zur Kostensenkung der zum großen Teil mit öffentlichen (Bundes- und Landes-) Mitteln gebauten Wohnungen beitragen.“ Oberbaudirektor Brenner, Forschungsgemeinschaft Bauen und Wohnen Stuttgart: Brief an das Staatliche Vermessungsamt Überlingen, 6. Dezember 1968. 124 Schwäbische Zeitung 1963. 125 „Dank der Eigenschaft als Organ der staatlichen Wohnungspolitik ist der beauftragte Maßnahmeträger unter bestimmten Bedingungen bei dem Erwerb der Grundstücke von der Grunderwerbsteuer freigestellt. - Er ist jedoch verpflichtet, die entstandenen, erschlossenen Bauplätze zum Rohlandkaufpreis und seinen Erschließungsaufwendungen, wozu auch der Gegenwert der öffentlichen Flächen, sowie die Planungs-, Vermessungs-, Finanzierungs- und Verwaltungskosten gehören, zu veräußern. Dadurch verhindert er aber zugleich auch eine Bodenspekulation im Planungsgebiet, ein weiterer nicht zu unterschätzender Nutzen der Zusammenfassung des Erschließungsgebietes in einer Hand.“ (Schmidt 1970: 16) 126 Deutsche Bauland- und Kreditgesellschaft 1967: 8. 44 Die staatlichen Vorgaben führten dazu, dass die Überlinger Kommune die Baukosten niedrig halten und dadurch auch dem Anspruch des sozialen Wohnungsbaus nach kostengünstigem Bauen gerecht werden konnte. Diese Unterstützung eines nachhaltigen Vermögensaufbaus junger Familien wurde noch durch zusätzliche Maßnahmen gefestigt: Zum einen unterlagen die Grundstückskäufer keinem befristeten Bauzwang - die zukünftigen Bauherren standen also nicht unter Druck, den Hausbau schnell zu realisieren -, zum anderen gab es für die Errichtung des Eigenheimes zinsgünstige staatliche Darlehen. Aufgrund der zu erwartenden Bodenpreise handelte es sich bei dem Demonstrativbauvorhaben, so die Aussage der Lokalzeitung - also um ein „[…] baulich und preislich ein interessantes Projekt“: „Ein 350 qm großes Grundstück im Teppichhausformbereich wird 17000 DM kosten. 22000 DM sind für 470 qm im Revier der Winkelhaustypen zu zahlen. Bei den Reihenhäusern werden für 250 qm Grundstücksfläche 12000 DM gefordert. Wesentlich tiefer muss der Bungalow-Bauliebhaber in die Tasche greifen. Diese Grundstücke in der Größe von 800 bis 1200 qm mit exponierter Lage haben einen Quadratmeterpreis von etwa 60 DM. Reihenhaustypen in Hanglagen kommen im Grundstückspreis bei 300 qm auf 13600 DM zu stehen. Bei Eigentumswohnungen mit 12 Wohneinheiten sind 8000 DM je Einheit, bei Hochhäusern in bester Lage je 10000 DM je Einheit als Grundstückspreis zu entrichten.“ 127 127 Die Teppichbauweise ist eine Anordnung von dicht aneinander gebauten Einzel-Bungalows. Südkurier 1967a: o.S. Abbildung 17: Blick auf den Sonnenberg. Im Vordergrund entstehen die ersten Gartenhofhäuser. (Quelle: Lauterwasser 1969/ 70) 45 Mit Blick auf die moderaten Bodenpreise lässt sich heute feststellen, dass der Einfluss der staatlichen und kommunalen Behörden von entscheidender Bedeutung für den Bau der Demonstrativbauvorhaben gewesen ist. Indem der Bund den Kommunen die notwendigen Zuschüsse für die Durchführung dieses städtebaulichen Großprojektes gewährte, gelang es ihm, den Wohnungsbau gemeinnützig auszurichten, das Vertrauen in die junge Demokratie zu stärken und damit auch einen wertvollen Beitrag zum sozialen Frieden in der Gesellschaft zu leisten. 2.1.1 Das Plangutachten - ein Masterplan für die Burgbergsiedlung Für die Realisierung der Demonstrativbauvorhaben erachtete das Bundesministerium für Wohnungswesen und Städtebau einen hohen technischen Ausbaustandard als notwendig - nur so konnten sich ihrer Ansicht nach richtungsweisende Impulse für den westdeutschen Wohnungsbau gewinnen lassen. Um die staatlichen Vorgaben einer Modernisierung des Wohnungsbaus zu erfüllen, legte die Kommune ihre planerischen Schwerpunkte auf den Bau moderner Flachdachkonstruktionen 128 sowie auf die Bereitstellung einer zentralen Gasversorgung. Vor dem Beginn der Bautätigkeit warteten allerdings noch komplexe planerische Vorarbeiten auf die Gemeinde. Da bisher kein Masterplan zur Bebauung des Burgbergs vorlag, lobte die Deutsche Bauland- und Kreditgesellschaft Frankfurt im Jahr 1965 einen städtebaulichen Planungswettbewerb 129 aus und beauftragte drei Architekturbüros, ihre Vorstellungen über den Bau des Demonstrativbauvorhabens zu formulieren. Bei dem Wettbewerb hatten die eingeladenen Architektenteams - die Architektengemeinschaft Walter Schwagenscheidt/ Tassilo Sittmann (Kronberg, Ts.), das Stuttgarter Architekturbüro Wollensak sowie die Kölner Architektengemeinschaft Lange/ Luxat/ Jaspert 130 - die topografische und historische Besonderheit des Burgbergs zu berücksichtigen. Das 128 Als bauliche Innovation kamen die sogenannten „Wörmann-Flachdächer“ bei vereinzelten Projekten zum Einsatz. Es handelte sich bei diesen Dächern um kostengünstige Flachdachkonstruktionen. „Im Gegensatz zu den bekannten Warm- und Kaltdachbauweisen wird das Wörmann-Flachdach in wasserundurchlässigem Beton hergestellt. Dabei werden neben der üblichen Kiesaufschüttung keine weiteren Isolierungen mehr erforderlich. Es wurde gesagt, dass dieses Flachdach absolut verrottungssicher und in der Herstellung kostensparender gegenüber den anderen üblichen Flachdachbauweisen ist.“ (Südkurier 1969) Um die technische Neuheit einem interessierten Expertenkreis vorzustellen, luden die Architektenkammer Baden-Württemberg und die Staatliche Ingenieurschule Konstanz im Jahre 1969 Fachleute aus der Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich nach Überlingen ein. „Im Rahmen des zweiten Lehrganges, veranstaltet von der Architektenkammer Baden-Württemberg und der Staatlichen Ingenieurschule in Konstanz, wurde ein ganzer Tag einem neuartigen Flachdach gewidmet, das bei der Erstellung von Gartenhofhäusern Verwendung findet. In Kreisen der Architekten wird dieses Flachdach als das Dach ‚oben ohne‘ bezeichnet, weil es ohne die konventionelle Pappisolierung hergestellt wird. Es handelt sich um das ‚Wörmann‘-Dach.“ (Südkurier 1969: o.S.) Jahre später stellte sich allerdings heraus, dass die Dächer nicht wasserundurchlässig waren, weshalb die Eigentümer nachträglich ein Satteldach auf den Flachbau errichten wollten. Nach einer intensiven Diskussion lehnte die Gemeinde diesen Wunsch jedoch ab (vgl. Gespräch mit Bürgermeister Ebersbach, 17.04.2015). 129 Kreisstadt Überlingen am Bodensee: Städtebauliches Plangutachterverfahren für das Planungsgebiet „Burgberg“, Bericht der Vorprüfung, 25.02.1965. 130 Für die Erarbeitung eines städtebaulichen Konzepts in Überlingen wurden drei deutsche Planungsbüros eingeladen. Dies waren die Kölner Architektengemeinschaft Lange/ Luxat/ Jaspert, die Architektengemeinschaft Schwagenscheidt/ Sittmann (Kronberg, Ts.) sowie das Stuttgarter Architektenteam Wollensak (vgl. Kreisstadt Überlingen am Bodensee: Städtebauliches Plangutachterverfahren für das Planungsgebiet „Burgberg“, Bericht über die Vorprüfung, 25. Februar 1965, S. 3). 46 bedeutete, dass sie die Talmulde mit ihren angrenzenden Hängen, die sich daran anschließenden Bergkuppen und das in zentraler Lage der Großwohnsiedlung eingebettete Wasserschloss Burgberg aus dem 16. Jahrhundert sensibel in ihre Entwürfe einbeziehen mussten. Nachdem eine Expertengruppe die eingereichten Wettbewerbsunterlagen geprüft hatte, erhielt das Kölner Architektenbüro Lange/ Luxat/ Jaspert den Zuschlag. 131 131 Das Architektenteam „wurde nach dem Gewinn des 1. Preises beim städtebaulichen Wettbewerb im Jahre 1965 mit der Anfertigung des Bebauungsplanes, der Planung von Haustypen sowie der städtebaulichen Oberleitung betraut“. Ihr Auftraggeber war damals die Deutsche Bauland- und Kreditgesellschaft in Frankfurt, welche später die Erschließung des Geländes für die Stadt Überlingen durchführte (Brief von Christof Jaspert und Helmut Lange an den Verfasser, Köln, 24.08.2015). Abbildung 18: Städtebaulicher Wettbewerb. Plan der Burgbergsiedlung von der Architektengruppe Jaspert, Lange, Luxat. (Quelle: Jaspert, Lange, Luxat) Abbildung 19: Bebauungsplanentwurf/ Masterplan der Burgbergsiedlung (Modelle). (Quelle: Lauterwasser) 47 Der Entwurf des Kölner Büros sah vor, das Baugebiet in vier topografische Zonen zu gliedern und dabei die Gebäude auf die Talmulden, Hänge, Gefälle und Bergkuppen zu verteilen. 132 Während die Architekten in den Talmulden den Bau eingeschossiger Bungalows vorsahen, fassten sie auf den Hängen des Sonnen- und des Schatzberges sowie an den Gefällen zur Lippertsreuter Straße die Errichtung freistehender Einfamilienhäuser ins Auge. Um die Bergkuppen des Burgberges zu betonen 133 , sollten auf den umliegenden Hügeln punktartige Geschossbauten die Anhöhen nachformen und optisch verstärken. Dabei betrachteten die Architekten die Hochhäuser, welche den zukünftigen Bewohnern eine fantastische Panoramasicht auf den Bodensee und die Schweizer Berge gewähren sollten, als das ästhetische Merkzeichen 134 des neuen Stadtteils. Dem Leitbild „Urbanität durch Dichte“ entsprechend sollte die neue Skyline Überlingens nicht nur die Modernität und Urbanität der Bodenseestadt bekunden, sondern auch das Stadtimage steigern. Für die geplante Wohnsiedlung sah der Masterplan facettenreiche Nutzungen mit insgesamt 686 Wohnungen vor. Dabei waren „bis zu sechsstöckige Wohnblocks mit Miet- und Eigentumswohnungen, Bungalows, Reihenhäuser, ein- und zweistöckig, Einzelhäuser in Teppichbauweise usw.“ 135 geplant; außerdem sollte den Bewohnern nach der Fertigstellung der Burgbergsiedlung ein Schulzentrum und ein Einkaufszentrum zur Verfügung stehen. In Bezug auf Transport und Mobilität trennte das Kölner Büro im gesamten Wohngebiet den Autovom Fußgängerverkehr. Während in der Planung fußläufige Wege die Wohngebäude erschlossen, verknüpfte eine ringförmige Straße, der heutige Burgbergring, das Überlinger Straßensystem mit der Siedlung; den ruhenden Verkehr konzentrierten die Planer dagegen in Sammelgaragen und auf Abstellplätzen. Die Architekten konzipierten die städtebauliche Struktur der Burgbergsiedlung als ein Netz hochverdichteter Wohneinheiten, deren städtebauliche Bausteine sich aus Reihen, Höfen, Zeilen, Solitären und Gruppen zusammensetzten. Die Reihen findet man entlang des Burgbergrings, dort wo sich die einstöckigen, dicht aneinandergefügten Reihenhäuser an den Straßenverlauf schmiegen. Im Gegensatz zu den offenen oder einseitigen Reihen im Magnolienweg handelt es sich bei den Gebäuden am Burgbergring um sogenannte geschlossene Reihen. Während bei den offenen und einseitigen Reihen zwischen den Gebäuden freie Flächen entstehen, welche dann als Hof, Stellplatz oder Garage genutzt werden können, bleiben die „geschlossenen Reihen“ lückenlos und bilden dadurch „eine erlebbare, durchgängige Raumkante“ 136 . Die geschlossenen Reihen der Flachdachhäuser am Burgbergring bestehen aus einer additiven Reihung homogener Baukörper, deren durchgehend identisches Formprinzip nur durch die Art des Vorplatzes, des Gartens, des Fassadenanstrichs oder der Haustüre unterbrochen wird. Die auf den kleinen Grundstücken ruhenden Reihenhäuser tragen zur räumlichen Verdichtung der Siedlung bei und ermöglichen mit ihrer Standardisierung und kubischen Wiederholung ein schnelles und kostensparendes Bauen. Indem sich die Eingänge der Reihenhäuser zur erschließenden Straße hin öffnen, schaffen sie eine augenfällige sozialräumliche Differen- 132 Vgl. Schmidt 1970. 133 Stadt Überlingen: Begründung zur dritten Änderung des Bebauungsplans ‚Burgberg‘ der Gemeinde Überlingen a.B., 11.10.1967 (ohne Datierung und Unterschrift). 134 Vgl. Lynch 2007. 135 Die Teppichbauweise ist eine hochverdichtete Anordnung von Einzel-Bungalows. Wie beim Teppichknüpfen wurden die Gebäude dicht aneinander gebaut (Südkurier 1967b: o.S.). 136 Bürklin 2016: 11. 48 zierung zwischen privatem und öffentlichem Raum. Dabei ist die öffentliche Nutzung des Gebäudes der Straße zugewandt, die private hingegen befindet sich in der Wohnung und in dem von der Straße abgeschirmten Garten. In der Regel gilt der Eingangsbereich als eine Art Aushängeschild der Wohnungsbesitzer, der Garten hingegen stellt ein nach außen hin abgeschotteter Raum dar, in welchem die Bewohner arbeiten oder sich erholen können. Im Unterschied zu den Gärten bildet der Hof des Burgbergzentrums einen öffentlichen Raum. Die Raumabschließung des Innenbereichs erfolgt hier durch die umliegenden Gebäudegruppen und durch die zur Tiefgarage bzw. durch die zur Straße führende Treppenanlage. Während im Burgbergzentrum die umliegenden Gebäude mit einer Nutzungsmischung aus Wohnungen, Ladengeschäften, Büros und Praxen die Versorgung der Anwohner sicherstellen sollen, kann der geöffnete Innenhof auch als Fußgängerpassage genutzt werden. Aufgrund des flottierenden Fußgängerverkehrs fördert dieser frequentierte Raum den zwischenmenschlichen Austausch und erhöht damit auch die Sicherheit der anliegenden Wohn- und Geschäftsbereiche. Da sich allerdings die Bewohner aufgrund der Geräuschkulisse bisweilen gestört fühlen, ist dieser, auf die Laufkundschaft der Geschäfte hin orientierte Platz, in besonderer Weise auf ein nachbarschaftliches Miteinander angewiesen. Ein ruhigeres Wohnen bieten dagegen die Terrassenhäuser am Burgbergring. Bei dieser seriellen, terrassenförmigen Baugruppe handelt es sich um eine Einheit von linearen, frei stehenden Bauten, die sich vom Straßenraum lösen und, wie alle Häuser der Burgbergsied- Abbildung 20: Überlingen, Plan des Burgbergs mit den verschiedenen städtebaulichen Bestandteilen. (Modifizierte Quelle: Luxat, Jaspert, Lange) 49 lung, mit ihrer funktionalen Wiederholung und Linearität den Einsatz von industriell vorgefertigten Bauelementen erlauben. Mit dem Anspruch auf gute „Belüftung, Besonnung und Belichtung“ bezieht sich die Zeile historisch auf die moderne Baukunst des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zur Reihe bricht die Zeile jedoch aus dem gefassten Straßenraum aus und orientiert sich mit ihrer senkrechten Lage zur Erschließungsstraße nur noch von ihrer Schmalseite her an den Burgbergring. Dadurch entstehen an den vom Straßenlärm abgeschotteten Seiten sekundäre, zu den Häusern führende Fußwege. Wenn es sich nicht um additive, sondern wie bei den Terrassenhäusern um gekoppelte Zeilen 137 handelt, liegen sich die Wohnungen symmetrisch gegenüber und schaffen durch die korrespondierenden Wohnungseingänge einen sozialen Raum, welcher den nachbarschaftlichen Kontakt fördert. 138 Nicht selten nutzen die Bewohner diesen Zwischenraum für die individuelle Gartenpflege und richten sich vor dem Hauseingang einen kleinen Freisitz ein. Indem die Grundstücksgrenzen hier unsichtbar verlaufen, verwischt sich ein eindeutig determinierter privater und öffentlicher Außenraum. Problematisch wird diese Unbestimmtheit bei den zwischen den Zeilen liegenden Brachflächen. Da hier die Fußwege fehlen, kann das isolierte Feld nur mit hohem Aufwand gepflegt werden. Damit läuft diese Grünfläche Gefahr, sich schnell zu einem anonymen und vernachlässigten Raum zu entwickeln, der keinem gehört und für den sich niemand wirklich interessiert. Im Gegensatz zu den privat genutzten Zeilen genießt der Solitär ein öffentliches Interesse. Im Masterplan sticht dieser städtebauliche Baustein aus dem bebauten Geflecht heraus und zieht als ikonisches Zeichen die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich. Häufig übernehmen die Solitäre, so auch das Burgbergschloss, das Hochhaus an der Lippertsreuter Straße oder das zeitgleich, aber außerhalb der Siedlung gebaute und deshalb nicht der Siedlung zugehörige Telekom-Gebäude, eine symbolische Funktion im urbanen Kontext. In der Großwohnsiedlung liegt das Schloss an zentraler Stelle und dokumentiert mit seiner exponierten Lage die gesellschaftliche Stellung des Eigentümers. Ähnlich verhält es sich mit den Hochhäusern, welche in einer Doppelfunktion als Gruppe 139 und als Solitär im Masterplan an exponierter Stelle, nämlich auf den Bergkuppen der Drumlin-Landschaft, ausgewiesen sind. 140 In der Großwohnsiedlung fungiert das an der Ecke Lippertsreuter Straße/ Tulpenweg platzierte Hochhaus als städteräumliches Entree der Siedlung und nimmt hier die symbolische Rolle eines historischen Stadtturms ein. Die aufgeführten Beispiele veranschaulichen, welchen Beitrag die Solitäre zum Mythos der Stadt leisten können. Während im Masterplan das Wasserschlösschen einen unmittelbaren Bezug zur Geschichte des Burgbergs herstellt, symbolisiert das Hochhaus dagegen die Modernität Überlingens. In der Planung der Kölner Architekten korrespondieren beide Solitäre miteinander und bilden ein komplexes Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne, zwischen Bewahrung und Aufbruch, sprich zwischen dem alten und jungen Überlingen. 137 Vgl. Bürklin/ Peterek 2016: 43. 138 Mit anderen Worten, die „fußläufigen Wohnwege […] entfalten jenseits der Haupterschließungsstraßen einen […] halböffentlichen Charakter, der sich für Aufenthalt und Kommunikation vor der Haustür, beispielsweise für spielende Kinder, gut eignet“ (ebd.: 46). 139 Eine Gruppe besteht in diesem Fall aus verdichteten und aufeinander abgestimmten Hochhäusern. 140 Wie alle Elemente gibt es bei den Gruppen, Solitären, Reihen, Zeilen und Höfen immer wieder strukturelle Überschneidungen. So kann man die Hochhäuser sowohl als Gruppe, als Cluster oder als Solitär bezeichnen. 50 Ausgelassen wurden in der Beschreibung des Masterplanes die drei städtebaulichen Bausteine Passage, Block und Kiste. Die Passage bezeichnet einen überdachten Weg zwischen repräsentativen Läden und Geschäften. Als öffentliche Verbindung bleibt die Passage den Fußgängern vorbehalten - das Flanieren und das Konsumieren bleibt hier das primäre Ziel. Der Block besteht aus allseitig von Straßen umgebenen Gebäudeparzellen, die zur Straße hin orientiert sind. „Damit entsteht eine prägnante Differenzierung von außen und innen und somit eine klare Orientierung zu einem vorderen öffentlichen und einem hinteren privaten Bereich.“ 141 Die Kiste dagegen verkörpert in einer Art Großraumhalle, d.h. einen solitären Stadtbaustein, der sich bewusst der äußeren Gestaltung entzieht und als anästhetischer Fremdköper die Einbindung in den gewachsenen Stadtraum verhindert. 142 Die drei städtebaulichen Bausteine Passage, Block und Kiste sind im Masterplan der Burgbergsiedung nicht vorgesehen. Im nachfolgenden Kapitel sollen die Bausteine der Burgbergsiedlung genauer betrachtet werden. Tabelle 1: Burgbergsiedlung. Die verschiedenen städtebaulichen Bausteine. Bausteine Beispiele offene Reihe geschlossene Reihe Wohnhäuser Magnolienweg Wohnhäuser Burgbergring Block — Hof Burgbergzentrum Passage — Zeile Terrassenhäuser, Gartenhofhäuser Solitär Wasserschloss Burgberg, Hochhaus am Tulpenweg Telekom-Gebäude, Suso-Kirche (außerhalb der Siedlung zeitgleich gebaut) Gruppe Hochhäuser Schatzberg Kiste — 2.1.2 Städtebauliche Bausteine 2.1.2.1 Zeile und Gruppe - Terrassenhäuser und mehrgeschossige Gebäude Die Burgbergsiedlung besitzt ein gut erhaltenes Ensemble von aufeinander bezogenen Hochhäusern, freistehenden Einfamilienhäusern, Reihenhäusern, mehrstöckigen Geschossbauten und Terrassenhäusern - der Flachbau ist hier gestalterisches Programm und die Serienbauweise verleiht der Siedlung auch heute noch ihr unverkennbares Gesicht. Wie bereits erwähnt, knüpft die Gestaltung des Überlinger Demonstrativbauvorhabens an die Bauhaus-Tradition an. In diesem Zusammenhang erinnern die Terrassenhäuser, die sich unterhalb des Sonnenbergkomplexes an den Hang schmiegen, an die Stuttgarter Terrassenhauskonstruktionen des Bauhaus-Architekten Peter Behrens. Konzeption und Bau der Terrassenhäuser übernahm die Überlinger Bau-GmbH im Jahr 1969. Bei der Planung der terrassenförmigen Zeilen orientierte sich der Architekt 141 Ebd.: 20. 142 Ebd.: 64 ff. 51 der Baugesellschaft, Bert Weiss, an der ursprünglichen Grundidee des Masterplans. In der ersten Fassung war das Konzept der Kölner Architekten Jasper/ Lange/ Luxat noch von der Idee getragen, an den Hängen des Burgbergs eine Serie von Terrassenhäusern zu bauen; im weiteren Verlauf der Planungsarbeit verwarf jedoch die Gemeinde dieses Konzept und entschied sich stattdessen für den Bau großräumiger Einzelbungalows. Auf Rat des Überlinger Architekten hin rückte die Kommune allerdings wieder von ihrem Plan ab und plädierte aus ästhetischen und ökonomischen Gründen für die Erstellung von Terrassenhäusern. Ihrer Meinung nach würden sich die Terrassenhäuser durch die günstige Südhanglage vorteilhaft in die übrige Burgbergbebauung integrieren; außerdem könnte durch eine verdichtete Zeilenbebauung die Baufläche unter den Sonnenberghochhäusern „intensiver genutzt werden als durch freistehende Einzelhausbebauungen.“ 143 Wie in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung entsprachen auch die Terrassenhäuser in Überlingen dem Bauhaus-Motto „Licht, Luft, Sonne und Bewegung“. In diesem Zusam- 143 Stadt Überlingen - Gemeinderat: Begründung zur zweiten Änderung des am 11.10.1967 vom Gemeinderat beschlossenen und am 08.03.1968 vom Regierungspräsidium Südbaden genehmigten Bebauungsplanes Burgberg (ohne Unterschrift und Datierung). Abbildung 21: Burgbergsiedlung. Sonnenberg-Komplex mit Terrassenhäusern nach der Fertigstellung. (Quelle: Lauterwasser) 52 menhang bieten die gut geschnittenen und etwa 110 Quadratmeter großen Vierzimmerwohnungen 144 den Bewohnern heute nicht nur weitläufige, ca. 60-80 Quadratmeter große Terrassen an, sondern sie erlauben ihnen auch einen exponierten Blick auf die Alpenlandschaft. Mit ihrer Südausrichtung und dem damit verbundenen Genuss, die Sonne bis in die Abendstunden hinein genießen zu können, tragen die Terrassenhäuser zum Wohnkomfort der Bewohner bei. Aufgrund dieser Eigenschaften eignet sich diese Zeilenbebauung gut für Paare oder Familien mit einem Kind. 2.1.2.2 Die Gruppe - der Wohnkomplex Schatzberg In ihrem Masterplan konzipierten die Kölner Architektengruppe Jaspert/ Luxat/ Lange auf dem Schatzberg eine Gruppe sechsgeschossiger Wohngebäude. Den Plänen der Architekten zufolge sollten die Hochhäuser die topografische Kuppenbewegung des Burgberggeländes optisch betonen und in dieser exponierten Lage ein weit sichtbares, städtebauliches Merkzeichen setzen. 145 Da viele Überlinger Bürger befürchteten, dass sich mit diesem Eingriff die Silhouette der mittelalterlichen Stadt radikal verändern würde, begegneten sie den Plänen der Architekten mit großer Skepsis. Während die Einheimischen sich um das kulturelle Erbe ihrer Heimatstadt sorgten, verteidigten die Planer hingegen ihr Konzept und betonten die damit verbundenen Chancen einer Modernisierung der Stadt. Desgleichen wiesen auch die Behörden auf die Vorteile der modernen Burgbergsiedlung hin und begrüßten die kulturelle Anbindung der Großwohnsiedlung an das historische Überlingen. So rührte im Oktober 1968 die Oberfinanzdirektion Freiburg die Werbetrommel und warb bei ihren Pensionären mit einer Werbebroschüre für die Wohnungen auf dem Schatzberg. In blumiger Sprache beschrieb sie die erstklassige Lebensqualität in Überlingen, welche sich nicht nur durch eine „bezaubernde Lage am See“ 146 , sondern auch durch ein mildes Klima auszeichnen würde. Mit den damit verbundenen attraktiven Freizeitmöglichkeiten, „eine[r] gepflegte[n], gemütvolle[n] und dazu preiswerte[n] Gasthauskultur“ 147 sowie einer spannenden Kultur- und Kunstgeschichte würde sich die Bodenseeregion als ein „wahres Paradies“ 148 offenbaren. 144 Vgl. Südkurier 1969c: o.S. 145 Der Gemeinderat stimmte einer Bebauungsplanänderung zu, welche die Erhöhung der Wohnböcke von ursprünglich sechs auf sieben Geschosse ermöglichte. „Keine Einwände wurden […] gegen die Absichten einer Baugenossenschaft erhoben. Sie will - aus Gründen der Wirtschaftlichkeit - die für Beamtenpensionäre vorgesehenen Wohngebäude bergseitig bis zu sieben Geschossen erhöhen. Die Bauten sind im Gebiet des Schatzberges (Neubaugebiet Burgberg) vorgesehen. Wie Stadtbaumeister Österle dazu ausführte, komme die gewählte Erhöhung der städtebaulichen Zielsetzung, nämlich der Betonung der Kuppen, entgegen. […] Die Baugenossenschaft gewinnt durch die Änderung des Bebauungsplanes zusätzlich zwanzig Wohneinheiten.“ (Südkurier 1970a: o.S.) 146 Essener Stadtanzeiger, Folge 1968, „Wohnen-Wandern-Reisen“, in: An die Bundesbediensteten im Ruhestand, Nachricht der Oberfinanzdirektion Freiburg, 04.10.1968. 147 An die Bundesbediensteten im Ruhestand - Komfortable Pensionärswohnungen in Bad Krozingen (I und II) Überlingen Bad Dürrheim, Wichtige Nachricht der Oberfinanzdirektion Freiburg, 04.10.1968. 148 Essener Stadtanzeiger, Folge 1968, „Wohnen-Wandern-Reisen“, in: An die Bundesbediensteten im Ruhestand, Nachricht der Oberfinanzdirektion Freiburg, 04.10.1968. 53 Während das Titelbild den Blick des Betrachters über den Bodensee auf die schneebedeckten Schweizer Berge führte, schwärmten die Redakteure im Begleittext über das südliche Ambiente der Stadt: „Wegen ihrer bezaubernden Lage am See (400-500 m ü.M.) trägt die turmbewehrte ehem. Freie Reichsstadt Überlingen mit ihrem mittelalterlichen Münster und Rathaus sowie mit ihren stattlichen alten Bürgerhäusern inmitten zahlreicher Parkanlagen mit reichem Blumenflor nicht zu Unrecht den schmückenden Beinamen ‚Das deutsche Nizza‘. […] Begünstigend wirkt sich das südliche See-Klima aus. Nach Norden und Osten ist der Raum um Überlingen durch das bergige Hinterland des Linzgaus geschützt. Dadurch erlebt man hier einen zeitigeren Frühling und einen bedeutend längeren Herbst als in Norddeutschland. […] So ist denn Überlingen schon seit dem vorigen Jahrhundert […] ein beliebter und bewährter Ruheplatz für den Lebensabend, und zwar vorzugsweise für den gehobenen bürgerlichen Mittelstand.“ 149 149 Ebd. Abbildung 22: Burgbergsiedlung. Wohnkomplex Schatzberg (Hintergrund), Reihenhäuser Magnolienweg (Mitte), Gartenhofhäuser (vorne). Die Begrünung der Wohnsiedlung, die dieser einen parkähnlichen Charakter verleiht, war ein integraler Bestandteil des Demonstrativbauvorhabens. (Quelle: Krug 2014) 54 Die Werbekampagne der Oberfinanzdirektion zeigte Wirkung und nachdem zahlreiche Pensionäre sich für das Wohnen am Überlinger Schatzberg entschieden hatten, erfolgte in den 1970er Jahren der Bau der Schatzberghochhäuser mit rund 180 Wohnungen 150 . Fast 14 Jahre lang durften die Ruheständler ungestört in ihren Mietwohnungen leben. Als jedoch Mitte der 1980er Jahre die Eigentümergesellschaft die Hochhausgruppe verkaufen wollte, begann sich die Stimmung in den Wohnblöcken zu wenden. Aufgrund der zu erwartenden sozialen Härte, welche mit einem Wohnungswechsel vor allem für die älteren Mieter verbunden gewesen wäre, blieb diese Entscheidung in der öffentlichen Wahrnehmung nicht unkommentiert. So berichtete im Jahre 1986 der Südkurier mit der Schlagzeile Wohnungswechsel im biblischen Alter? über die Sorge vieler älterer Bewohner, dass mit einem Verkauf der Appartements die bisher geltende Mietpreisbindung enden würde und die Ruheständler im schlimmsten Fall aus ihren Wohnungen ausziehen müssten. „Aufregung herrscht bei den Mietern auf dem ,Schatzberg‘ im Stadtteil Burgberg. Die 176 mit Bundesdarlehen gebauten Wohnungen werden derzeit in Eigentumswohnungen umgewandelt. In den sieben Wohnblocks wird es deshalb neue Eigentümer geben. Als ,komfortable Pensionärswohnungen‘ waren die Wohnungen vor 14 Jahren ehemaligen Bediensteten der Bundesrepublik Deutschland angeboten worden. Mit der Förderung beim Bau hatte sich der Bund ein Besetzungsrecht bis zum Ende des Jahres 1992 beim Bauträger, der Grundstücksgesellschaft Überlingen-Burgberg mit Sitz in Düsseldorf, erkauft. Während des 20jährigen Wohnbesetzungsrechts durch Pensionäre des Bundes ist die Miete preisgebunden, […] [danach] unterliegen die Wohnungen der freien Marktmiete.“ 151 Obwohl die Pensionäre gegen den Verkauf der Wohnungen Einspruch erhoben, blieb ihr Protest erfolglos 152 - ebenso erfolglos blieb ihre an die Adresse der Oberfinanzdirektion gerichtete Bitte, die Hochhäuser zu erwerben und die sozialen Mietverhältnisse zu übernehmen. Nachdem die Eigentümerin der Schatzberghochhäuser die finanziellen Fördermittel des Bundes vorzeitig zurückgezahlt hatte, wurde die Immobilie in Eigentumswohnungen aufgeteilt und diese auf dem freien Markt verkauft. Rückblickend betrachtet scheint es durchaus nachvollziehbar, wenn solche wohnungspolitischen Förderprogramme als eine „Förderung privater Mietwohnungsinvestitionen mit sozialer Zwischennutzung“ bezeichnet werden. 153 150 Finanzpräsident Dr. Roskothen, Oberfinanzdirektion Freiburg, Brief an den Bürgermeister der Stadt Überlingen, 26.06.1970. 151 Leberer 1986: o.S. 152 Vgl. Südkurier 1986: o.S. 153 Auch wenn es eine soziale Verpflichtung von Mietpreis- und Belegungsbindungen gibt, bleibt diese Verpflichtung zeitlich begrenzt, d.h. „nach dem Bindungsende können Sozialwohnungen frei vermietet oder auch verkauft werden“ (Donner 2000: 200, zitiert in: Holm 2017b: 47). 55 2.1.2.3 Hof und Solitär - das Burgbergzentrum Zu Beginn der 1970er Jahre gab es in der Burgbergsiedlung noch kein funktionsfähiges Geschäftszentrum. Da sich die wichtigsten Läden in der etwa zwei Kilometer entfernten Altstadt befanden, stellte sich das tägliche Einkaufen für die älteren Bewohner und auch für die jungen Familien als eine mühsame und zeitraubende Angelegenheit dar; hinzu kam, dass in der Großwohnsiedlung immer noch ein sozialer Mittelpunkt fehlte, wo die Menschen einkaufen oder sich in der Freizeit treffen konnten. Die Realisierung des Geschäftszentrums übernahm die Überlinger Bau-GmbH. Nachdem die Firma einen internen Entwurf zur Planung eines Dienstleistungszentrums erarbeitet hatte, schrieb sie einen Planungswettbewerb aus, bei dem drei Überlinger Architekturbüros dazu eingeladen wurden, ihre Ideen einzureichen. Der Wettbewerbssieger, das Überlinger Architekturbüro Scholz, konzipierte ein dreigeschossiges Geschäftszentrum mit Innenhof 154 , dessen Funktionsbereiche in ein für die Anwohner als Parkhaus dienendes Untergeschoss, einem darüber liegenden Erdgeschoss mit begehbaren Geschäfts- und Lagerräumen und einem für Wohnungen und Arztpraxen reservierten Obergeschoss aufgeteilt wurde. 155 Bei diesem Projekt übernahm der zentral gelegene, vor Wind geschützte und durch Fußwege direkt begehbare Hof eine wichtige sozialräumliche Funktion. Als eine Art Marktplatz bot er den Anwohnern einen vom Autoverkehr abgeschirmten Raum, in welchem sie ihre Einkäufe barrierefrei erledigen und ungestört ihre sozialen Kontakte pflegen konnten. 154 Der Baubeginn des Burgbergzentrums, dessen Bau mit ca. drei Millionen DM veranschlagt war, sollte im Jahr 1970 erfolgen. Die Bau-GmbH fasste die Errichtung verschiedener Geschäfte, wie etwa „Lebens- und Genussmittel, Gemischtwaren, […] Molkereiprodukte, Hausu. Küchengeräte, Gartengeräte, Campingartikel, Hausbedarf aller Art - Fleischerei u. Wurstwaren - Apotheke, Drogerie - Friseur, Kosmetiku. Toilettenartikel - Wäschereiannahme und chem. Reinigung - Schuhgeschäft u. Reparaturannahme - Kiosk m. breitem Sortiment, Toto-Annahme innerhalb eines Baukörpers - Blumen, Obst und Gemüse - Volksbank mit Autoschalter - Bundespost-Nebenstelle - Bezirkssparkasse - Café, Weinstube, Konditorei u. Backwaren, Hotel Garni mit 8 bis 16 Betten - Praxis prakt. Arzt - Praxis Zahnarzt“ ins Auge (Bau-GmbH.: Interner Entwurfsvorschlag für das Geschäfts- und Ladenzentrum im Planungsbereich Burgberg, ohne Datum, vermutlich August 1969). 155 „Das Untergeschoss dient dem ruhenden Verkehr und der Anlieferungsmöglichkeit für die Gebäudeteile […]. Überdies enthält es Keller- und Lagerräume. Die eigentliche Ladenzone befindet sich im Erdgeschoss, auf das der Fußgänger von den verschiedensten Seiten her zutritt. Aus dem Innenbereich der einzelnen Geschäfte führen direkte Treppen in die den Läden zugeordneten Räume im Sockelgeschoss. Die rückwärtige, nach Nordosten weisende Seite des Gebäudeteils A ist zugleich Anlieferseite für die dort untergebrachten Geschäfte. Der dritte Funktionsbereich, auf eine andere Ebene gerückt, ist zugleich der Zugang zu den Wohnungen und Arztpraxen. Auch dieser Zugang ist offen und großzügig gestaltet. Alle Funktionsebenen sind durch getrennte Treppenanlagen verbunden.“ (unbekannte Quelle aus Baurechtsamt Überlingen im April 2015) Abbildung 23: Burgbergsiedlung, Burgbergzentrum. (Quelle: unbekannte Quelle aus dem Baurechtsamt Überlingen) 56 Nachdem die ersten Bewohner ihre neuen Wohnungen im Obergeschoss des Burgbergzentrums bezogen hatten, mussten sie allerdings noch einige Zeit auf die endgültige Fertigstellung des darunterliegenden Geschäftszentrums warten. Während im Jahr 1974 ein Friseurgeschäft, ein kleiner Supermarkt, zwei Banken und die Poststelle den Bewohnern ihre Dienste anboten, folgten in den folgenden Jahren nach und nach eine Bäckerei, eine Apotheke, ein Café, ein Fleischerfachgeschäft und schließlich das lang ersehnte Burgberg- Restaurant. Nach dem Ende aller Bautätigkeiten konnte das Burgbergzentrum mit einem vielfältigen Waren- und Dienstleistungsangebot über mehrere Dekaden hinweg die Grundversorgung der Siedlung gewährleisten. Ende der 1990er Jahre leitete allerdings die Eröffnung zweier Discounter sowie eines großen Einkaufszentrums 156 am Rande der Burgbergsiedlung den schleichenden Niedergang des Burgbergzentrums als Versorgungsmittelpunkt ein. Die außerhalb der Siedlung angesiedelten und fast ausschließlich auf Autokunden ausgerichteten Geschäfte lockten nicht nur Käufer aus den Ortschaften der näheren Umgebung an, auch die Anwohner der Burgbergsiedlung setzten sich nun immer öfter ins Auto, um dort einzukaufen. 157 Letztendlich führten diese neuen Angebote zu einem nachhaltigen Wandel in der Burgbergsiedlung. Im Laufe der Jahre sanken die Umsätze der Ladenbesitzer des Burgbergzentrums, weshalb es sich für die meisten kaum noch lohnte, ihren Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Zum großen Bedauern vieler Anwohner gaben sukzessive die Bank, die Apotheke, die Post, der Supermarkt, die Gaststätte und schließlich auch noch die Bäckerei ihren Betrieb im Geschäftszentrum auf. Tabelle 2: Burgbergzentrum. Übersicht über die Nutzungsänderungen 1980 bis 2019 (Auswahl). 1980 2011 2015 2019 Restaurant Restaurant Shisha-Bar Shisha-Bar Apotheke Apotheke Nagelstudio Nagelstudio Metzgerei Wäscherei Heilpraktiker/ Gesundheit/ Meditation Yogastudio Friseur Büro Büro Albanischer Verein Überlingen Friseur Friseur Friseur Friseur Bäckerei Bäckerei/ Post Bäckerei zum Verkauf ausgeschrieben/ Poststelle aufgelöst/ Hermes Versand Podologie Supermarkt Supermarkt Technik-Firmen Technik-Firmen Bank Büro Büro Büro Post Leerstand Tattoo-Entfernung Verwaltung und Beratung „Hilfsbär e.V.“ Bank Büro Büro Computerfirma Allgemeinarztpraxis Allgemeinarztpraxis Allgemeinarztpraxis Allgemeinarztpraxis Zahnarzt Zahnarzt Zahnarzt Zahnarzt Reha-Praxis Reha-Praxis Reha-Praxis Reha-Praxis Wohnungen Wohnungen Wohnungen Wohnungen 156 Das Einkaufszentrum „La Piazza“ wurde im Jahre 1999 eröffnet. 157 Dieser Prozess wiederholte sich in vielen anderen Städten der Republik. Als bekanntestes Beispiel gilt der Niedergang der Oberhausener Innenstadt, nachdem die Shopping-Mall CentrO außerhalb der Stadtmitte eröffnet wurde (vgl. Brune/ Pump-Uhlmann 2009). 57 Zwar zogen verschiedene Start-up-Firmen in die ehemaligen Geschäfte ein, einige davon konnten sich dort auch behaupten, aber letztendlich hatte das Burgbergzentrum seine Bedeutung als sozialer Mittelpunkt verloren. Fest steht, dass die Schließungswelle die Großwohnsiedlung verändert hat. Diese Transformation bekamen vor allem die älteren Menschen mit aller Härte zu spüren. Für sie hat sich die Einkaufssituation beeinträchtigt, da sie nun trotz Busanbindung für die täglichen Einkäufe in die 2 km entfernte Innenstadt müssen. Folglich bleibt der Wunsch nach einer Verbesserung der Nahversorgung auf dem Burgberg nach wie vor bestehen. Wenngleich sich die umliegenden Discounter und Supermärkte zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen lassen, bereitet die Wegstrecke vor allem für die älteren Menschen Probleme. So musste vor der Neuverlegung der Bundesstraße ein Fußgänger, um die 1,6 Kilometer entfernte Shopping-Mall besuchen zu können, eine hochfrequentierte Schnellstraße überqueren. 158 Und da es dort bis zum Jahr 2019 weder einen Fußgängerüberweg noch eine Ampelanlage gab, erforderte die gefährliche Passage nicht nur Konzentration, sondern auch körperliche Fitness. Man muss nicht lange überlegen, um zu erkennen, dass diese Wegstrecke für die Passanten mit etlichen Gefahren verbunden war. 159 Da inzwischen die meisten Burgbergbewohner ihr Auto benutzen, um im nahegelegenen Supermarkt oder bei den Discountern einzukaufen, hat sich auch der Fußgängerverkehr im Burgbergzentrum spürbar reduziert. Mit dem Niedergang dieses sozialen Raums, in dem sich früher die Menschen beim Einkaufen, beim Arbeiten oder in der Freizeit spontan begegneten, droht die Burgbergsiedlung sich in eine reine „Schlafstadt“ zu verwandeln. Im schlimmsten Fall könnte damit ein sozialer Erosionsprozess verbunden sein, vor dem der Sozialpsychologe Alexander Mitscherlich eindringlich warnte: „Lösen sich die alten, gestalthaften Städte immer weiter in wuchernde Vorstädte auf, und entmischen sie sich gleichzeitig in ihren Grundfunktionen immer weiter, dann können natürlich die einzelnen Areale nur mehr Partialbefriedigung verleihen. Wenn Produktions-, Verwaltungs-, Vergnügungs- und Wohnbereiche regional streng getrennt sind, was hält dann das Leben einer Stadt noch zusammen? Dann werden hier und dort verstreut Teilwünsche befriedigt, die aber nicht mehr auf ein Ganzes bezogen, und der Erfahrung eines Ganzen integriert werden können.“ 160 Die Tatsache, dass in der Burgbergsiedlung ein sozialer Bürgertreffpunkt fehlt, bleibt nach wie vor problematisch. Weil das Burgbergschloss mit seinem Park als öffentlicher Raum nicht in Frage kommt, müsste sich das Interesse auf das Burgbergzentrum konzentrieren. Dies ist aber nicht der Fall, da die heterogene Eigentümerstruktur mit ihren Einzelinteressen nur mit großer Mühe eine ganzheitliche Lösung zulässt. So gesehen bleibt die Frage, ob und wie sich das Burgbergzentrum als sozialer Mittelpunkt restituieren lässt, immer noch unbeantwortet. 158 Die Ausfahrt auf die Bundesstraße diente ursprünglich als Baustraße, wie Bürgermeister Ebersbach erklärte (Gespräch mit Bürgermeister Ebersbach, 17.04.2015). 159 Diese Information bezieht sich auf das Jahr 2018. Mit dem Neubau der B31 war eine neue verkehrstechnische Lösung verbunden, welche die Gefahrenstelle entschärfen sollte. „Abhilfe soll der Ausbau der Verbindungsstraße ,Zur Weiherhalde‘ zwischen der B 31 alt und der L 200a schaffen, entlang derer auch ein Geh- und Radweg mit einer Breite von 2,50 Meter entstehen und damit eine sichere Verbindung vom Burgberg zum Einkaufszentrum entstehen soll.“ (Südkurier 2016a: o.S.) 160 Mitscherlich 2008: 121. 58 Ein weiteres Problem stellen die bisweilen leerstehenden Wohn- und Gewerbeimmobilien dar. Leere Schaufenster führen zu einer Tristesse, die zur Verwahrlosung und damit auch zur Unsicherheit im Quartier führen kann. Folglich geht dieser Leerstand immer auch zu Lasten der Anwohner. Obwohl die ursprüngliche Planung der Burgbergsiedlung von der Idee getragen war, inmitten der Siedlung einen sozialen Mittelpunkt zu schaffen, kann heute von einem solchen Mittelpunkt kaum noch die Rede sein. Die neu angesiedelten Start-ups haben zwar den Zerfall des ehemaligen Mittelpunkts aufgehalten, doch sind sie nicht in der Lage, den verloren gegangenen sozialen Mittelpunkt gänzlich mit neuem Leben zu füllen. Der Stadtverwaltung sind diese Probleme hinreichend bekannt; ihre Hände bleiben allerdings auch in diesem Fall gebunden, da sie die Entwicklung im Burgbergzentrum aufgrund der Eigentumsverhältnisse kaum steuern kann. Zwar räumte der Baubürgermeister ein, dass das Nahversorgungszentrum am Burgbergring eine wichtige Einrichtung sei, man wolle den Standort auch stärken, doch könne „[d]ie Stadt […] hier allerdings nur indirekt agieren, was sie auch tue, und zwar durch Gespräche mit den Beteiligten“. 161 Festzuhalten bleibt, dass die Absicht, das Burgbergzentrum wieder zu einem Ort der täglichen Begegnung und des sozialen Austausches werden zu lassen, bisher nicht ernsthaft in Angriff genommen wurde. Dies liegt auch daran, dass der Leerstand von den Eigentümern zu wenig als Chance einer Neuorientierung des Areals erkannt wurde. Aufgrund von Interessenskonflikten und mangelhaften Absprachen hat dieses „Weiterwurschteln“ zu den bekannten Folgen geführt - die Mieter-Fluktuation bleibt im Burgbergzentrum weiterhin hoch. Trotzdem bleibt zu hoffen, dass sich die Geschäfte und die Start-up-Unternehmen - als Beispiele seien an dieser Stelle neben dem alteingesessenen Friseurgeschäft, die kosmetischen und medizinischen Einrichtungen, das Versicherungsunternehmen, die Computer- 161 Südkurier 2012: o.S. Abbildung 24: Burgbergsiedlung, Burgbergzentrum. (Quelle: Krug 2013) 59 firma und die Shisha Bar angeführt - behaupten können. Zwar hatten, um nur ein Beispiel zu nennen, die jungen Betreiber der Shisha-Bar am Anfang mit manchen Ressentiments der sich vor vermeintlichen Ruhestörungen fürchtenden Anwohner zu kämpfen, doch hat sich schon bald nach der Eröffnung die Aufregung gelegt. Heute gilt die Bar als ein integraler Bestandteil des Burgbergzentrums und als solcher versucht sie, für die Belebung des ehemaligen Mittelpunktes einen Beitrag zu leisten. 162 2.2 Der soziale Raum 2.2.1 Der Eintritt in die Freizeitgesellschaft - die Gartenhofhäuser Am 2. Dezember 1967 stellte der Südkurier in einem Zeitungsartikel seinen Lesern den Bau von Gartenhofhäusern durch den Überlinger Bauträger Kilian Keller vor. Unter dem Motto „gemeinsam bauen - getrennt wohnen“ 163 sollten im nördlichen Bereich der Burgbergsiedlung, dem besagenden Teppichbebauungsabschnitt, drei verschiedene Typen von einstöckigen Serien-Bungalows gebaut werden. Der Entwurf des Bauträgers umfasste eine Zeilenbebauung mit drei Varianten von Wohnhäusern: Die erste Variante, welche für große Familien gedacht war, bestand aus einem Fünf-Zimmer-Haus mit einer Wohnfläche von 129 Quadratmetern; die zweite Variante, ein kleineres Vier-Zimmer-Haus, besaß insgesamt 112 Quadratmeter Wohnfläche und wurde für kleinere Familien konzipiert. Für Alleinstehende und kinderlose Ehepaare war schließlich ein dritter Haustyp vorgesehen. Dieser sollte über zwei komplette 2-Zimmer-Wohnungen mit je 55 Quadratmeter Wohnfläche verfügen. Der Mitarbeiter der Lokalzeitung rückte lobend die funktionalen und finanziellen Vorteile der bevorstehenden Bauprojekte in den Mittelpunkt. Einerseits koste der Bau der Gartenhofhäuer einschließlich Grundstück und Nebenkosten höchstens 100.000 DM, andererseits böte die „Eigenheit der Gartenhofhäuser“ wohntechnische Vorteile, da die Bungalows nicht mit den Außenmauern abschließen, sondern den Familien einen beschaulichen Garten als zusätzliches „Grünes Zimmer“ zur Verfügung stellen würden: 162 Der Südkurier verfasste einen euphorischen Artikel und warb damit für das Start-up-Unternehmen. „Am Anfang sah es gar nicht so gut aus: Ibrahim Yirtlaz stammt aus der Türkei, verdiente sich sein erstes Geld im Dönerladen seines Bruders in Allensbach. Doch er wollte mehr: ,Wir wollten in Überlingen eine Shisha-Bar aufmachen.‘ Jedoch war das gar nicht so einfach. ,Wir haben über ein Jahr gesucht‘, berichtet er, anfangs in der Altstadt. ,Junges Publikum ist uns wichtig, daher wollten wir in die Altstadt, dort ist die Jugend.‘ Und wenn sie dann Räume gefunden hatten, scheiterte es am Vermieter oder auch an den Behörden oder der Stadt. ,Die Leute stellen sich unter einer Shisha-Bar wer weiß was vor‘, sagt Ibrahim Yirtlaz mit einem süffisanten Lächeln: ,Die hatten plötzlich Angst bekommen und wollten uns den Laden nicht geben.‘ Dabei ist die Shisha nur eine Wasserpfeife, in der Tabak geraucht wird. ,Shisha ist flüssiger Tabak.‘ Nach langer Suche wurde Ibrahim Yirtlaz dann doch fündig: nicht in der Altstadt, sondern oben auf dem Burgberg. Aus dem 40 Jahre alten Burgberg-Restaurant wurde die ,Harem VIP Lounge‘. Ob sie sich dort oben so ganz alleine in dem eher ruhigen und verlassenen Areal etablieren können, war vor zwei Jahren das große Risiko. ,Es war Totenstille‘, erinnert sich der Betreiber an die Anfänge. ,Wir haben Leben dort hingebracht.‘ Auch von den Nachbarn gab es viel Lob für ihre mutige Entscheidung: ,Schön, dass ihr gekommen seid‘, war einer der Kommentare, die Ibrahim Yirtlaz im Laufe der Zeit zu hören bekam. Der Burgberg hat einen großen Vorteil: kostenlose Parkplätze direkt vor dem Haus. ,Wir wussten, dass die Parkplatzsituation in der Altstadt schwierig ist‘, sagt Yirtlaz. ,Und wenn die Leute fürs Parken bezahlen müssen, geben sie das Geld nicht mehr im Lokal aus.‘“ (Südkurier 2018: o.S.) 163 Südkurier 1967c: o.S. 60 „Jeder kann seinen Gartenhof bepflanzen und einrichten wie er will. Auch die Anlage eines Planschbeckens in windgeschützter Lage ist hier möglich. Jede Parzelle kann also bis zum letzten Winkel ungestört genutzt werden. Die flache Bauweise benötigt kein Treppenhaus, keine Entlüftungskanäle und keine kostspielige Vollunterkellerung. Die Kosten sind deshalb für ein Gartenhofhaus vergleichsweise niedrig.“ 164 In dem Zeitungsbericht führt die Skizze der Grafikerin Gretel Dinkel den Lesern die komfortablen Bungalows eindrucksvoll vor Augen. Das Bild zeigt eine Serie von Bungalows, welche sich vom Burgbergring bis in die Talsohle des Neubaugebiets ziehen. In ihrem neuen Zuhause genießen die Bewohner den wohlverdienten Feierabend. Während ihre Kinder auf dem Rasen Federball spielen, widmen sich die Erwachsenen in den nach außen hin verlängerten „grünen Zimmern“ der Gartenarbeit. Manche Hausbesitzer lesen entspannt Zeitung, nehmen mit der Familie die gemeinsame Mahlzeit ein oder plaudern auf dem Gehweg noch kurz mit der Nachbarschaft. Diese idyllische Szene entspricht dem in den 1960er Jahren populären Bild eines „American Way of Life“, welcher das Streben nach Freiheit, Glück und Wohlstand propagierte und die bundesdeutsche Tristesse der Nachkriegsjahre mit Optimismus, Jugendlichkeit und Farbigkeit zu vertreiben versuchte. Nach den Jahren des Wiederaufbaus schien das deutsche Wirtschaftswunder die Arbeitslosigkeit endgültig besiegt zu haben, weshalb die Menschen dem wirtschaftlichen Aufschwung mit Zuversicht und Selbstvertrauen begegneten. 165 164 Ebd. 165 Gleichzeitig gewährten Normalarbeitsplätze, das heißt unbefristete, sozialversicherungspflichtige und tarifvertraglich abgesicherte Anstellungen zusammen mit der betrieblichen Mitbestimmung den Arbeitnehmern eine nachhaltige Planbarkeit ihres Lebens. Abbildung 25: Burgbergsiedlung, Gartenhofhäuser. Die Zeichnung stammt von der Grafikerin Gretel Dinkel. (Quelle: Stadtarchiv Überlingen; Südkurier 1967c: o.S.) 61 In dem Bild der Grafikerin, welches die Stimmung der 1960er Jahre treffend wiedergibt, wird nicht nur ein architektonisches Konzept vorgestellt, sondern auch ein soziales Raumprogramm vermittelt. Die unter dem Motto „Gemeinsam bauen - getrennt wohnen“ geplanten Gartenhofhäuser demonstrieren prägnant die Fragmentierung und Homogenisierung des sozialen Raums. Die Fragmentierung äußert sich in der Art der Einhegung des Privatbereiches mittels klarer Grenzen. In dem Bild der Grafikerin schützen massive Betonwände den Privatbereich der Familien und zeigen dem Fremden unmissverständlich auf, dass sich dahinter ein für ihn verbotenes Territorium befindet. Auf diese Weise sichern die hohen Mauern einen nicht einsehbaren Bereich, der untrennbar mit der Ordnung „der bürgerlichen Familie“ 166 verbunden ist. Diese Ordnung garantiert den Bewohnern eine geschützte Sphäre „und damit des Glücksversprechens lebenslanger Vertrautheit und Liebe - in guten wie in schlechten Tagen“. 167 Die Philosophin Hanna Arendt betrachtet diese Privatsphäre als ein kostbares Gut, da sie es den Menschen erlaubt, sich „von der Welt“ zurückziehen zu „können, nicht nur von dem, was in ihr ständig vorgeht, sondern von ihrer Öffentlichkeit, von dem Gesehen- und Gehörtwerden. Wir kennen alle die eigentümliche Verflachung, die ein nur in der Öffentlichkeit verbrachtes Leben unweigerlich mit sich führt. Gerade weil es sich ständig in der Sichtbarkeit hält, verliert es die Fähigkeit, aus einem dunkleren Untergrund in die Helle der Welt aufzusteigen; es büßt die Dunkelheit und Verborgenheit ein, die dem Leben in einem sehr realen, nicht-subjektiven Sinn seine jeweils verschiedene Tiefe geben. Die einzig wirksame Art und Weise, die Dunkelheit dessen zu gewährleisten, was vor dem Licht der Öffentlichkeit verborgen bleiben muss, ist Privateigentum, eine Stätte, zu der niemand Zutritt hat und wo man zugleich geborgen und verborgen ist.“ 168 166 Siebel 2004: 15. 167 Ebd. 168 Arendt 2015: 86 f. Abbildung 26: Burgbergsiedlung. Die Betonwände der Gartenhofhäuser trennen den privaten vom öffentlichen Raum. (Quelle: Krug 2015) 62 Mit dieser Aussage verbindet Hannah Arendt das Recht auf freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, ein Recht, welches die Freiheit vor staatlicher Überwachung, die Achtung zwischenmenschlicher Beziehungen und den Schutz der physischen und psychischen Unversehrbarkeit fordert. Als Folge dessen symbolisieren die martialisch anmutenden Mauern der Gartenhofhäuser ein symbolisches Bollwerk gegen jeglichen Angriff auf die Privatsphäre der Menschen. Der homogene Raum beruht dagegen auf dem funktionalen Gestaltungsprinzip der Gartenhofhäuser. Die serielle Produktion der Bungalows, ihre kubischen Grundformen, die Flachdachkonstruktionen sowie die funktionelle Orientierung auf eine ornamentlose und schlichte Fassadengestaltung eröffneten damals wie heute die Chancen für ein bezahlbares Bauen und Wohnen. Homogenität bedeutete hier weder übertriebener Individualismus noch Protz. Hier entstanden keine Erker, keine Säulen und keine Giebel, dafür dominierte eine klare, nüchterne und baugleiche Formgestaltung. Indem die Gleichheit und Einfachheit der Baustoffe zum architektonischen Prinzip erkoren wurden, stand das architektonische Design im Dienste einer Nivellierung der äußerlichen Statusunterschiede. Auf diese Weise erzeugte das Motto „Gemeinsam bauen - getrennt wohnen“ einen Mythos von Chancengleichheit, Solidarität und der Hoffnung auf ein besseres Leben. Angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs und angesichts der sozialen Absicherung durch den deutschen Wohlfahrtsstaat mit seinem Unterstützungssystem blickten die Menschen in den 1960er Jahren mit Optimismus in die Zukunft. Noch akzeptierte das Kapital die staatlichen Regulierungen und noch ordnete es seine kurzfristigen Profitinteressen den Erfordernissen des Sozialstaates unter. Somit konnte der gemeinsam erwirtschaftete Reichtum etwas gerechter unter allen Bürgern verteilt werden. Gerade weil die steigende Produktivität der Wirtschaft allen Menschen zugutekam, erkannten viele Menschen die Möglichkeit, das Reich der Notwendigkeit verlassen und das Reich der Freiheit betreten zu können. 169 In diesem Sinne wies der Nationalökonom und Jesuit Oswald von Nell-Breuning auf die einmalige Chance eines qualitativen gesellschaftlichen Sprungs durch eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit hin. „Ich stelle mir vor, dass wir dahin kommen werden, dass zur Deckung des gesamten Bedarfs an produzierten Konsumgütern ein Tag in der Woche mehr als ausreicht. Es wird auch dazu kommen, dass eine Auffassung, die wir bisher als […] eine ewige Kategorie angesehen haben, sich als eine historische Kategorie erweisen wird, nämlich dass der Beruf des Menschen in jener Tätigkeit besteht, durch die er sein Brot erwirbt. Durch die steigende Arbeitsproduktivität wird der so verstandene Beruf geradezu zur Nebenbeschäftigung werden. Und der Beruf, dass der Mann Ehegatte seiner Frau ist oder die Frau Gattin ihres Mannes und dass die beiden Vater und Mutter ihrer Kinder sind und dass der Mensch sich um öffent- 169 Letzten Endes konnte mit einer von Arbeitnehmerseite erkämpften Sozialpartnerschaft die Bevölkerung in einer Verbindung von „Würde, Rechte, Anerkennung und materielles Wohlergehen“ am erwirtschafteten Reichtum partizipieren. Dieser Sozialpartnerschaft lagen allerdings keine altruistischen Absichten des Kapitals zu Grunde: „Bei der Einführung des neuen sozialökonomischen Regimes […] ging es darum, das kapitalistische System vor seinen eigenen selbstzerstörerischen Neigungen zu bewahren und zugleich das Gespenst revolutionärer Entwicklungen in einer Ära der Massenmobilisierung zu bannen. Produktivität und Profitabilität erforderten nicht etwa einen zerlumpten revolutionären Pöbel, sondern die ,biopolitische‘ Kultivierung eines gesunden, gut ausgebildeten Arbeitskräftepotentials, dem das System etwas zu bieten hatte.“ (Fraser 2017a: 91) 63 liche Angelegenheiten kümmert - also das, was früher einmal nur das Privileg der Honoratioren war -, dass das des Menschen Leben mit Sinn erfüllen wird und die Beschaffung der zur Erhaltung und auch zur Bereicherung und Verschönerung des Lebens dienenden Güter weit in den Hintergrund treten wird.“ 170 In der Grafik von Gretel Dinkel kommt der utopische Horizont 171 einer bevorstehenden Freizeitgesellschaft deutlich zum Ausdruck. Es bleibt aber die Frage bestehen, ob diese Idylle einer kritischen Prüfung standhält. Auch wenn die Gartenhofhäuser den „Amerikanischen Traum“, wonach jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, und jeder alleine durch eigene Leistung und Einsatzbereitschaft zu Wohlstand gelangen kann, bildhaft demonstrieren, sollte man die 1960er Jahre nicht idealisieren. 172 Zwar führte damals der Kapitalismus zu einem bisher nie gekannten Wohlstand in den westlichen Industriestaaten, gleichwohl dominierten immer noch patriarchalische Denkmuster das tägliche Leben. Trotz der Tatsache, dass der Kapitalismus durch staatliche Regulierungen diszipliniert wurde, blieben viele Fragen, so etwa die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, unbeantwortet. Obwohl ein relativ hoher Familienlohn für eine funktionierende familiäre Reproduktionsarbeit sorgte - in der Regel unterhielt der männliche Familienvorstand die Familie, während die Ehefrau zu Hause blieb oder einer Teilzeitbeschäftigung nachging -, sicherten Genderhierarchien und tradierte Rollenklischees die gesellschaftliche Machtstellung des Mannes. „So waren Frauen finanziell von ihrem Mann abhängig, ihnen fehlte eine eigene Existenzabsicherung und ihre familiären Sorgetätigkeiten wurden nicht als Arbeit anerkannt. Die Folgen waren Erfahrungen von Diskriminierung und Unterdrückung.“ 173 Dass die familiäre Reproduktionsarbeit, d.h. die unbezahlte Sorgearbeit in der Familie, die Haus- und Familienarbeit, die Versorgung der Alten, die Kindererziehung sowie die routinemäßigen Tätigkeiten wie Einkaufen, Kochen und Putzen, zuallererst zu Lasten der Frauen ging, drückt sich in dem Bild der Grafikerin Gretel Dinkel eher subtil aus. Dem Zeitgeist der 1960er Jahre entsprechend widmen sich dort die Frauen der täglichen Hausarbeit und kümmern sich um die Kinder, während die Männer nach getaner Arbeit entspannt im Garten sitzen und ihre Tageszeitung lesen. Angesichts dieser Diskrepanz kann es nicht verwundern, dass manche Zeitgenossen dem Glauben an den technischen Fortschritt mit Skepsis begegneten. Nachzuspüren ist diese Kritik in der Romanfassung des Films MON ONCLE 174 , in welchem der Erzähler einen skeptischen Blick auf die Schattenseiten des modernen Lebens richtet und eindrucksvoll die Brüchigkeit des mit Tristesse und Langeweile verbundenen kleinbürgerlichen Idylls in einem „Haus ohne Geheimnisse“ 175 beschreibt: 170 Vgl. von Nell-Breuning 1985: 98. 171 Vgl. Bloch 1959. 172 Darüber hinaus war der Wohlstand der Industriestaaten durch neokoloniale Kriege, gewaltsame Vertreibungen indigener Völker und Umweltzerstörungen hart erkauft worden. So gesehen kann diese Nachkriegsepoche, welche vor allem unermessliches Leid über die ehemaligen Kolonialgebiete gebracht hatte, in der Tat „als Beginn eines der dunkelsten Zeitalter in der Geschichte des Planeten“ bezeichnet werden (Scheidler 2016: 175). 173 Winker 2015: 28. 174 Das Buch Mein Onkel fasst den gleichnamigen Film von Jaques Tati, der Ende 1958 erstmals in die Kinos kam, in Romanform zusammen. 175 Man besuchte es „wie ein Museum […] oder wie eine moderne Mustermesse. Ich fragte mich manchmal, ob die vielen Geraden, zwischen denen wir leben, nicht unser Herz verkümmern lassen.“ (Carrière 1963: 49) 64 „Ich wuchs in einem freudlosen, grauen Würfel auf, der einem Gebäude unserer Tage glich. Ich ging langsam und wohlerzogen auf den Wegen eines ummauerten Gartens spazieren. Dieser Garten - ich erinnere mich noch so genau an ihn, finde ihn auf Schritt und Tritt wieder - war makellos und blitzblank. In den Rasen eingelassene Trittsteine passten auf meine Füße auf. Ein paar niedere Hecken trennten und verbargen nichts. In den mit rosa und blauem Kies eingefassten Beeten gediehen mühsam ein paar Pflanzen. Mittendrin wand sich in einem Steinbassin ein stählerner Fisch, das weit geöffnete Maul zum Himmel gerichtet, als wolle er einen lang ersehnten Regenschauer aufschnappen.“ 176 Hier wird offenkundig, dass die mediale Wahrnehmung das Ansehen der Siedlungsarchitektur negativ beeinflusste. Für kritische Gemüter galten die neuen Bauten mit ihren rechten Winkeln und nüchternen Fassaden als seelenlose Wohnkästen und viele fragten sich, ob die funktionale Architektur den zwischenmenschlichen Bedürfnissen nach Nähe und Geborgenheit überhaupt gerecht werden könnte. Angesichts der in die Jahre gekommenen Demonstrativbauvorhaben stellt sich heute die Frage, ob diese Kritik gerechtfertigt ist und auf die Burgbergsiedlung in Überlingen zutrifft. Wohl eher nicht. Nach Auskunft der Bewohner stellt die Großwohnsiedlung einen attraktiven Wohnort in der Bodenseeregion dar. Im Gegensatz zur Beschreibung Jean-Claude Carrières war die Jugendzeit in den 1960er Jahren weder von Tristesse noch von Langeweile geprägt. Viele Erwachsene erinnern sich heute noch mit Freude an eine unbeschwerte und mit zahlreichen Abenteuern verbundene Kindheit auf der „Großbaustelle Burgberg“. 177 Fasziniert von den gewaltigen Erdbewegungen und den zahlreichen Rohbauten tobten sie damals in den mannshohen Kanalrohren herum, rasten mit ihren zusammengezimmerten Seifenkisten die Straßen des Burgbergs hinunter oder schlichen sich heimlich auf die Baustellen, um die nach frischem Beton riechenden Rohbauten zu inspizieren. 176 Ebd.: 5. 177 Interview vom 24.11.2015 mit dem Überlinger Architekten Thomas Pross. Abbildung 27: Kindheit auf dem Burgberg. (Quelle: Lauterwasser 1969/ 70) Abbildung 28: Gartenanlage Magnolienweg. (Quelle: Krug 2014) 65 Wenn man heute durch die Straßen und Wege der Burgbergsiedlung geht, dabei die Fassaden, Hauseingänge und Vorgärten der Gartenhofhäuser betrachtet, mag man sich durchaus an die Zeichnung von Gretel Dinkel oder an die Beschreibung eines Jean-Claude Carrières erinnert fühlen. Immer noch schotten sich die Gartenhofhäuser mit ihren massiven Betonplatten von der Außenwelt ab, während die dahinterliegenden, liebevoll gepflegten Gärten ihren Bewohnern ein verlängertes Wohnzimmer bieten. Aufgrund der massiven Betonmauern findet die spontane nachbarschaftliche Begegnung eher auf dem Gehweg statt; etwas leichter haben es dagegen die Bewohner der Reihenhäuser, deren Gärten nahtlos in die Nachbargrundstücke übergehen und damit ein begrüntes Band um die Reihenhäuser bilden - mit einem ungehinderten Blick in Nachbars Garten lässt sich hier der persönliche Kontakt doch etwas leichter herstellen. Festzuhalten bleibt, dass die gewachsenen und intakten Nachbarschaften den sozialen Frieden des Stadtteiles sichern und dadurch den Anwohnern eine hohe Lebensqualität bieten. Dies wird besonders dann spürbar, wenn sich die Menschen in der Urlaubszeit um das Haus und den Garten des Nachbarn kümmern, wenn sie sich auf einen spontanen Besuch einlassen, wenn sie zusammen feiern oder wenn sie gemeinsam einen Flohmarkt organisieren. So gesehen ist auch heute noch die Aussage des Sozialwissenschaftlers Alexander Mitscherlich gültig: Es ist nicht der Komfort, so Mitscherlich, „nicht schöne Möbel, nicht weiche Teppiche, nicht große Zimmer, nicht helle Fenster, nicht Lage und Kunst des Architekten […] die darüber entscheiden […]“, ob der Ort zur Heimat geworden ist, sondern „die menschlichen Beziehungen, die an einen Ort geknüpft sind“. 178 178 Mitscherlich 2008: 130. Abbildung 29: Burgbergsiedlung. Flohmarkt am Burgberg. (Quelle: Krug 2014) 66 2.2.2 Die Ökonomisierung der Familie - Hort, Kindergarten, Schule Die gesellschaftliche Transformation der letzten Dekaden hat in der Burgbergsiedlung den sozialen Raum grundlegend verändert. Sichtbar wird dieser Einschnitt bei den Erziehungsaufgaben der Familien, bei der Bildungsarbeit in den Schulen oder im Freizeitverhalten der Heranwachsenden. Worauf lässt sich dieser Wandel zurückführen? Zu Beginn des 21. Jahrhunderts erfolgte eine Neuorientierung in der Familienpolitik. Während der Staat bis zum Ende des 20. Jahrhunderts das Eindringen ökonomischer Logiken in die Familienerziehung weitgehend verhindert hatte, führte im neuen Jahrtausend eine Reform der Familienpolitik zu drastischen Umbauten bei der elterlichen Sorgearbeit. Um das brachliegende „Humankapital“ der Mütter intensiver nutzen zu können, sollte die „stille Reserve“ 179 der nicht im Arbeitsprozess stehenden und sich um die Erziehung ihrer Kinder kümmernden Frauen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Für die Durchsetzung dieses Ziels annullierten die Politiker das „Ernährermodell“ der Nachkriegsjahre und ersetzten den bisher geltenden solidarischen Gesellschaftsvertrag durch das Prinzip der „Eigenverantwortung“. Im Zuge dessen schafften neue Gesetze den Familienlohn ab, der noch bis in die 1960er Jahre hinein dafür gesorgt hatte, dass ein „Ernährer“ die gesamte Familie alimentieren konnte. 180 Dieser „epochale Wandel vom Alleinbeziehungsweise Zuverdienermodell hin zum Zweiverdienermodell“ 181 sorgte dafür, dass von nun an nicht mehr eine beschäftigte Person für die Familie, sondern jeder Erwerbsfähige „für den eigenen Lebensunterhalt auszukommen“ 182 hatte. „Die Idee […] bestand laut ihren Befürwortern darin, für alle die Teilhabe am Arbeitsleben zu vereinfachen, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern und die Menschen in die Lage zu versetzen, ihr Leben eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen […]. Die Folge war, dass mehr Menschen schneller und unmittelbarer am Arbeitsmarkt partizipieren können, dort aber weniger Rechte, weniger soziale Sicherheit und geringere Einkommen haben.“ 183 Während in den 1960er Jahren ein Elternteil - in der Regel war dies die Ehefrau - für die Kindererziehung zu Hause blieb oder bestenfalls einer Halbtagesbeschäftigung nachging, 179 Die Rechtswissenschaftlerin Eva Schumann erläuterte in einem Vortrag die Ziele des Siebten Familienberichts der Bundesregierung aus dem Jahre 2006, mit dem „insbesondere die Optimierung der Nutzung des in der Familie vorhandenen Humankapitals“ verbunden war. „Ein […] zentraler Aspekt dieser Logik besteht darin, dass die zur Steigerung der Müttererwerbstätigkeit notwendige Betreuung von Kleinkindern gleichzeitig als Chance zu einer besseren Nutzung des Humankapitals von Kindern verstanden wird, weil nach Auffassung der Experten eine Steigerung der Fähigkeiten und Möglichkeiten des Kindes nur durch eine außerfamiliäre Fremdbetreuung erreicht werden kann.“ (Schumann 2011: 448ff.) 180 Für diesen sozialen Rückbau verweist die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker auf die internationale Konkurrenz: „Mit den Wirtschaftskrisen, die sich seit Mitte der 1970er Jahre verschärfen, wird deutlich, dass der Familienlohn sowie die damit verbundenen Kosten der Sozialversicherung zur Absicherung aller Familienmitglieder für die Unternehmen verhältnismäßig teuer sind. Das Ernährermodell wird für die Kapitalverwertung wegen der zunehmenden internationalen Konkurrenz unattraktiv; ihm wird mit dem schrittweisen Wegfall des Familienlohns die materielle Basis entzogen.“ (Winker 2015: 28) 181 Bujard 2017: 9. 182 Winker 2015: 28f. 183 Nachtwey 2016: 77. 67 müssen heute beide Elternteile arbeiten gehen - möglichst in Vollzeit. Vor allem die Geringverdiener benötigen den Doppelverdienst, damit der gemeinsam erarbeitete Lohn für den Lebensunterhalt ihrer Familie reicht. 184 Für die Frauen bedeutet die Erwerbstätigkeit zwar einen Zugewinn an Unabhängigkeit und Gleichberechtigung, gleichwohl sind sie oft dazu „gezwungen, Niedriglohnjobs anzunehmen“. 185 Mit anderen Worten, die Ablösung des Ein-Verdiener-Haushalts gilt zwar als ein Meilenstein des Feminismus und der Gendergerechtigkeit, doch erweist sich dieser Erfolg viel zu oft als ein Pyrrhussieg. Nach Ansicht der amerikanischen Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser ist die Emanzipation nunmehr von „schrumpfenden Löhnen, hoher Arbeitsplatzunsicherheit, sinkenden Lebensstandards, dem steilen Anstieg der für den Lebensunterhalt nötigen Arbeitszeit pro Haushalt [sowie] dem Umsichgreifen von Doppelschichten […]“ 186 begleitet. Mit der Erosion des „Ernährermodells“, so die deutsche Soziologin Gabriele Winker, erodiert „[…] auch das traditionelle Konzept der Hausfrau […]. Entsprechend steht vielen Frauen - zumal bei hoch flexiblen Arbeitszeitanforderungen im Beruf - deutlich weniger Zeit für die Reproduktionsarbeit im Haushalt zur Verfügung. Diese Entwicklung führt dazu, dass Teile der Sorgearbeit aus dem Haushalt ausgelagert und auf kommerzieller oder sozialstaatlicher Grundlage neu organisiert werden. Daraus erklärt sich beispielsweise der schrittweise Ausbau im Bereich der Kita-Betreuung auch für kleine Kinder. Gleichzeitig gibt es allerdings an anderen Stellen einen deutlichen Abbau von öffentlichen Sozialleistungen […].“ 187 Indem die Kinderbetreuung aus dem familiären Kontext ausgelagert und durch ein flächendeckendes Angebot sozialer Dienstleister ersetzt wurde, entstanden in der Burgbergsiedlung verschiedene Formen der Betreuung, so etwa die Gründungen privater und öffentlicher Kleinkindbetreuungen oder die Erweiterung der Grundschule zur Ganztagesschule. Der Ausbau der Angebote erfolgte rasant: Nachdem der Gemeinderat im Jahr 1990 beschlossen hatte, neben der Burgbergschule einen Kindergarten zu gründen, zogen 1991 die ersten beiden Gruppen in dem neuen Gebäude ein. Im Laufe der Jahre wurden die Angebote erweitert und ab dem Jahr 1999 auch die Schüler der benachbarten Burgbergschule außerhalb der Unterrichtszeit betreut. Die erste Hortgruppe für Schulkinder öffnete im Jahr 2001 ihre Pforten und sieben Jahre später, im Jahr 2008, wurden Container aufgestellt, „um eine dritte Kindergartengruppe unterzubringen. Zwei Jahre später kamen weitere für eine zweite Hortgruppe hinzu. 2012 entschied sich der Gemeinderat für einen Neubau. Der Spatenstich erfolgt am 25. April 2013. Im neuen Kinderhaus haben drei Kindergarten- und zwei Hortgruppen Platz und bis zu 80 Kinder in der Kernzeitenbetreuung. […] 15 Erzieherinnen arbeiten dort.“ 188 184 Diese gesellschaftliche Transformation veränderte nicht nur die traditionelle Rollenverteilung, sondern sie führte auch zu wirtschaftlichen Einbußen. Mit deutlichen Resultaten: Der entstandene Zeitdruck - er lastet in der Regel auf den Frauen und Müttern - beeinträchtigt die Reproduktionsarbeit der Familie. Besonders hart trifft diese Umstellung alleinerziehende Frauen. 185 Nachtwey 2016: 13 186 Fraser 2017b: 80. 187 Winker 2015: 29. 188 „Das neue Gebäude hat rund 3 Millionen Euro gekostet. Zuschüsse: 120.000 Euro aus dem Investitionspro- 68 Die fehlende Zeit für die eigene Kinderbetreuung und die damit zusammenhängende Auslagerung der erzieherischen Sorgearbeit in professionelle Betreuungsangebote führt dazu, dass die Bedeutung der Familien als primäre Sozialisationsinstanz schwindet. Dieser soziale Wandel wirkt sich erkennbar auch auf das Freizeitverhalten der Kinder und Jugendlichen aus: Trafen sich die Heranwachsenden in den 1960er Jahren noch auf den Überlinger Straßen, um dort ihre Seifenkistenrennen zu veranstalten, werden die Jugendlichen heute mit sozialen und pädagogischen Serviceangeboten teilweise, so scheint es zumindest, überversorgt. Der zeitliche Umfang ihrer Agenda unterscheidet sich momentan kaum noch von der Agenda ihrer berufstätigen Eltern. Eingebunden in einen festgelegten Tagesrhythmus ist mit einem Mal das kindliche Abenteuer einem effizient-pädagogischen Freizeitmanagement gewichen. Auch wenn die Kommune ein hohes Engagement beweist und große Anstrengungen unternimmt, um die Quantität und Qualität der Kinderbetreuung zu erhöhen 189 , bleibt festzuhalten, dass die fortschreitende Ökonomisierung elementar in das soziale Leben der Menschen eingreift. 190 Der Weg weist hier nur in eine Richtung: Uniformität, Gleichschritt und Konformität statt Heterogenität, Kreativität und Individualität. Mit anderen Worten: die Unterwerfung des Selbst unter die Ökonomie des Humankapitals. Eine fundierte Kritik gegenüber dieser Entwicklung formulierte die Rechtswissenschaftlerin Eva Schumann in einem Vortrag an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, als sie konstatierte, dass die ökonomisierte Familienpolitik in erster Linie den Interessen der Wirtschaft dient: gramm ,Kinderbetreuungsfinanzierung 2008 bis 2013‘ und 250.000 Euro aus dem Ausgleichsstock des Landes.“ (Südkurier 2016b: o.S.) 189 Vgl. Gerlach 2017: 16 ff. 190 Vgl. Stadler 2014. Abbildung 30 (links): Burgbergschule. Die Schule wurde in den 1970er Jahren gebaut. Sie repräsentiert in sichtbarer Weise die bildungspolitische Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit. (Quelle: Krug 2015) Abbildung 31 (rechts): Kinderhaus Burgberg. Das 2014 eingeweihte Gebäude nimmt auf die kubische Architektur der Siedlung Bezug und steht auch symbolisch für die Abkehr des Ernährermodells. (Quelle: Krug 2015) 69 „Familien wird nach diesem Verständnis nicht mehr wegen ihrer Funktionen für die Gesellschaft, ihrer Reproduktions-, Sozialisations-, Bildungs- und Solidaritätsfunktion, unter besonderen staatlichen Schutz (Art. 6 Abs. 1 GG) gestellt, vielmehr wird die staatliche Förderung der Familie gezielt darauf ausgerichtet, einen möglichst großen ökonomischen Nutzen aus der Familie zu ziehen.“ 191 In gleichem Maße, wie in den letzten Dekaden die familiäre Bindungskraft zwischen Eltern und Kindern an Kraft verloren hat, sind auch die „Schlupflöcher“ und „kleinen Freiheiten“ der Heranwachsenden verschwunden. Während Ganztageseinrichtungen, Kinderhorte, Freizeit- und Themenparks, private Spielplätze in Kaufhäusern, Gastronomie oder Ferienanlagen wie Pilze aus dem Boden schießen, und während die Erwachsenen den Musik-, Sport, Sprach- und Kunstunterricht ihrer Kinder planen, trifft man auf den öffentlichen Spielplätzen, geschweige denn in der freien Natur, kaum noch junge Menschen an. Zwar entsprechen die perfekt angelegten Spielplätze den TÜV- und Öko-zertifizierten Vorgaben, doch ist ihnen die Aura des kindlichen Abenteuers weitgehend verloren gegangen. 192 Die leeren Straßen und verlassenen Spielplätze machen in der Burgbergsiedlung deutlich, dass Kinder und Jugendliche aus dem öffentlichen Raum weitgehend verschwunden sind. In diesem Sinne bleibt die Ende der 1950er Jahre formulierte Kritik Jaques Tatis gegenüber einer modernen und effizient organisierten Gesellschaft auch heute noch aktuell. Das „Haus ohne Geheimnisse“, welches im gleichnamigen Buch des Schriftstellers Jean- Claude Carrières beschrieben wird, scheint sich im 21. Jahrhundert über den gesamten sozialen Raum erstreckt zu haben. 2.2.3 Das deutsche Nizza - Wohnen im Sonnenbergkomplex Im Jahre 1968 veröffentlichte die Bau-GmbH einen Werbeprospekt über ein geplantes Neubauprojekt Sonnenberg. Auf der Titelseite ihrer Broschüre befand sich ein Logo mit schwarzem Quadrat, in welchem der Kleinbuchstabe „b“ (bau-gmbh) als stilisierter Seiten- 191 Schumann 2011: 445. 192 Vgl. Matzig 2016. Abbildung 32 a-b: Spielplätze in der Burgbergsiedlung. (Quelle: Krug 2015) 70 riss des geplanten Sonnenbergkomplexes abgebildet war. Auf der Innenseite der Broschüre platzierten die Grafiker ein Foto der Überlinger Altstadt mit Blick auf den See und der dahinterliegenden Alpenlandschaft. In einer Kombination von komfortabler Modernität und ländlicher Idylle warb die Baugesellschaft in ihrem Faltprospekt für das geplante Wohnprojekt und versprach den Käufern ein arkadisches Glück auf Erden. Dabei verhieß sie den zukünftigen Bewohnern nicht nur ein sorgenfreies Leben im Süden Deutschlands, sondern pries die idyllische Bodenseeregion als eine italienisch anmutende Traumlandschaft an. Aufgrund des überdurchschnittlichen Freizeitwerts, der hohen Lebensqualität sowie eines kulturell ansprechenden Umfelds bezeichneten sie die damalige Kreisstadt kurzerhand als das „Deutsche Nizza am Bodensee“: „Am Bodensee beginnt der Süden. Überlinger Gärten und Parks beweisen es. Hier gedeihen exotische Baumriesen, Bananen, Kakteen und eine Fülle von Blumen. […] Überlingen, das deutsche Nizza am Südhang des Bodenseeufers besaß immer das Fluidum, das Künstler anzog. Es ist eine Stadt, die heute etwas feinmechanische Industrie angesiedelt hat und die vom Pensionär bis zum Dichter, vom Maler bis zum Berufstätigen immer Menschen verlockte, zu übersiedeln, um hier den frühen Frühling, den heiteren Sommer, den goldenen Herbst und den meist kurzen Winter zu genießen.“ 193 In ihrer Ausführung lobte die Bau-GmbH nicht nur die reizvolle Lage der Burgbergsiedlung und ihre wunderbare Aussicht auf die Bodenseelandschaft, sondern wies auch auf das historische Wasserschloss und den damals noch als unverbaubare Grünfläche im Bebauungsplan ausgewiesenen Schlosspark hin. Als weitere Vorzüge des Bauprojekts erachtete die Bau-GmbH die geplanten Infrastruktureinrichtungen der Burgbergsiedlung und die 193 Bau-GmbH Überlingen: Prospekt, 21.02.1968. Abbildungen 33a-c: Prospekt der Bau-GmbH Überlingen vom 21.02.1968. (Quelle: Stadtarchiv Überlingen) 71 staatlichen Fördermittel, welche den jungen Familien bereits im Vorfeld der Planungen zugesagt waren. Letztendlich sollten diese Angebote das Interesse der Käufer wecken und sie davon überzeugen, dass hier ein attraktives und rentables Bauprojekt vorlag: „Burgberg: So heißt in Überlingen ein romantisches Wasserschloss und nun das modernste Neubaugebiet am Burgfrieden der Stadt. Hier entsteht unweit der Altstadt ein ganz neuer Stadtteil in freier hügeliger Landschaft, der nach modernsten Erkenntnissen geplant und auf unsere heutigen Wohn- und Lebensbedürfnisse zugeschnitten ist. Im Baugebiet werden ein modernes Ladenzentrum, ein Kindergarten und Spielplätze errichtet. Durch die Demonstrativbauweise erhält dieses Baugebiet staatliche Förderungsmittel. Es ist in Fußgängerzonen gegliedert, die von den Verkehrsstraßen weitgehend entfernt verlaufen. Auch für genügend Garagen- und Abstellplätze ist gesorgt. Das Fernsehprogramm wird durch eine Sammelantenne empfangen. Sonnenberg: Das ist der Gewannname unseres Grundstücks. Dieses schönste Aussichtsgelände des Burgbergs trägt den Namen nicht zu Unrecht. Hier entstehen unsere Häuser, die in freier und beherrschender Lage über dem gesamten Neubaugebiet schon vom Erdgeschoss aus einen umfassenden Panoramablick über die Altstadt, den See und die Alpen hinweg bieten. Die Häuser sind hineingestellt mitten in den einzigartigen Garten der Bodenseelandschaft und bieten schon gleich an der Haustür schöne Spaziergänge in die heitere Landschaft.“ 194 Die Bau-GmbH Überlingen bot die Wohn- und Geschäftseinheiten in der Burgbergsiedlung wie folgt an: „Komfortable Eigentumswohnungen mit herrlicher See- und Alpensicht […] Z. B. 3-Zi-Wohnung mit Essdiele, ca. 82 qm Wohnfläche (in der 4. Etage) DM 139 200.inkl. 1 Garage - Günstige Finanzierung ab 68,75 DM/ mtl. für 10.000.- DM Darlehen - Sämtliche Steuervorteile - Keine Maklerkosten Weitere Wohnungen aus unserem Bauprogramm. 2 Zimmer, ca. 69 qm (6. und 9. Etage) 3 Zimmer, ca. 82 und 87 qm (1. bis 10. Etage) 4 Zimmer, ca. 101 qm (1. bis 4. Etage) Wohn- und Geschäftszentrum Rosenhag 4-8: Maisonette-Wohnung, 104 qm, grosser Balkon 156 400.inkl. 1 Garage 2 x 3 - Zimmer Wohnung, 125 bzw. 122 qm (Wohnraum 61 qm groß! ) ab 185.300.inkl. 1 Garage 2 Ladengeschäfte, 65 und 100 qm, zu vermieten.“ 195 194 Ebd. 195 Anzeige der Bau-GmbH Überlingen, in: Südkurier 1976. 72 Eindrucksvoll dokumentierten die in der Broschüre vorgestellten Grundrisse und Modelle eine funktional-serielle Bauweise, welche sich den topografischen Besonderheiten der Drumlin-Landschaft anpasste und mit ihrer exponierten Lage den Bewohnern eine unverbaubare Alpen- und Seesicht versprach. Im Flyer stellten die Investoren die Vorzüge der modernen Sonnenberg-Wohnanlage heraus, wobei die angebotenen Zwei-, Drei- und Vier-Zimmer-Eigentumswohnungen mit einem Quadratmeterpreis „je nach Lage ab 832,--DM“ 196 vor allem für Singles und Kleinfamilien mit ein bis zwei Kindern einen für damalige Verhältnisse überdurchschnittlichen Wohnkomfort versprachen. Nach Aussage der Bau-GmbH waren mit einem Wohnungskauf zahlreiche Steuervorteile, Sonderabschreibungen, Grunderwerbsteuerbefreiungen und Grundsteuervergünstigungen verbunden. Für die Investoren stellte die Sonnenberganlage eine einmalige Gelegenheit dar, an einem privilegierten Ort ein angenehmes Leben zu verbringen. In ihrer Werbebroschüre entwarfen sie einen Mythos des guten Lebens am Bodensee und versprachen den zukünftigen Besitzern einen „Ort des Glücks“, welcher ihr Alltagsleben „auf wunderbare Weise wundervoll“ 197 verändern könnte. So gesehen sollte sich für die zukünftigen Investoren der Kauf einer Eigentumswohnung in dem prominenten Merk- und Wahrzeichen 198 Überlingens als eine lukrative Wertanlage erweisen. 199 196 Ebd. 197 Lefebvre 2016: 58. 198 Vgl. Lynch 2007: 96 ff. 199 Unter dem Motto „Da Sie keine Miete zahlen, entschulden Sie Ihr Eigentum. Wenn Sie Ihre Eigentumswohnung vermieten wollen, können Sie mit guten Mieteinnahmen rechnen“ sollten sich die Immobilien für die zukünftigen Eigentümer als ein gutes Renditeobjekte rechnen (Bau-GmbH Überlingen: Prospekt, 21.02.1968). Abbildung 34a-b: Prospekt der Bau-GmbH Überlingen vom 21.02.1968. Die verwendeten Grundrisse beruhen auf dem Konzept einer Wohnung für eine Kleinfamilie mit bis zu zwei Kindern. (Quelle: Stadtarchiv Überlingen) 73 2.3 Der politische Raum 2.3.1 Der Streit um die Nachverdichtung von Hochhäusern Wie bei allen Bauprojekten üblich, erfolgten auch in Überlingen fortwährend Korrekturen der Bebauungspläne. Diese Korrekturen blieben aber nicht immer konfliktfrei. So legte im Jahr 1969 die Bau-GmbH dem Gemeinderat einen Änderungsvorschlag zum Bebauungsplan vor, der eine nachträgliche Aufstockung des Sonnenberg-Komplexes von ursprünglich 6 auf nun 14 Geschosse ins Auge fasste. 200 In seinem Antrag zum Teil-Bebauungsplan „Burgberg - Sonnenberg“ betonte der für die Nachverdichtung zuständige Architekt die Funktionalität und Ästhetik des geplanten 14-stöckigen Neubaukomplexes: Ein „harmonisch“ 201 verlaufendes Gebäude würde, so der Planer, das Baugebiet nach Norden hin abschließen, das Gesamtgefüge der Burgbergsiedlung unverkennbar als Merkzeichen akzentuieren und durch seine Höhe einen Schutz gegen den störenden Lärm der Bundestraße bieten. 202 200 Änderungsvorschlag zum Teil-Bebauungsplan „Burgberg“ Sonnenberg, 04.06.1969. 201 Weiss, Bert: Änderungsvorschlag zum Teil-Bebauungsplan „Burgberg“ Sonnenberg, an den Bürgermeister, 04.06.1969. 202 „Das Grundstück […] hat keine direkten Angrenzer. Das Bauvorhaben nimmt niemandem die Sicht weg. Die Abbildung 35: Burgbergsiedlung, Sonnenbergkomplex. (Quelle: Krug 2013) 74 Wie von den Investoren erhofft unterstützten die Deutsche Bauland- und Kreditgesellschaft sowie die Stadt Überlingen 203 den Antrag der Bau-GmbH und schlossen sich ihrer Argumentation an, wonach die Errichtung eines mehrgeschossigen Wohnhauskomplexes als Schutz vor dem Straßenlärm der Umgehungsstraße grundsätzlich zu begrüßen sei. Mit einer nachträglichen Aufstockung des Hochhauskomplexes würde sich, so die Mitarbeiter der Deutsche Bauland- und Kreditgesellschaft in ihrem Brief an das Regierungspräsidium Freiburg, nicht nur die Erstellung einer kostspieligen Schallschutzwand erübrigen, es könnten mit diesen Maßnahmen auch die bisher noch unattraktiven Nachbargrundstücke 204 intensiver genutzt werden. „1. […] Es hat sich gezeigt, dass die Anordnung der Geschossbauten in Gruppen nicht für alle Wohnungen eine optimale Lage ermöglicht. Es ergeben sich Schwierigkeiten für die Besonnung, insbesondere aber tritt eine erhebliche Lärmbelästigung durch den Verkehr der nahe gelegenen Umgehungsstraße auf. Der nunmehr erarbeitete Bebauungsvorschlag bietet für alle Wohnungen eine einwandfreie Südlage, einen ungehinderten Blick auf den See und fast lärmfreies Wohnen. […] 2. Die im Bebauungsplan vorgesehene Bebauung ermöglicht nur eine bescheidene Ausnutzung des Grundstücks. Es hat sich gezeigt, dass die Aufwendungen der Erschließung infolge der schwierigen Topographie wesentlich höher liegen, als zunächst veranschlagt werden konnte. Im Hinblick auf die hohen Kosten der Baugrundstücke ist eine intensivere Nutzung dringend geboten, um die Belastung für die einzelne Wohnung in erträglichen Grenzen zu halten. 3. Durch die Umgehungsstraße, die an der Grenze des Baugebietes ‚Burgberg‘ entlangführt, entsteht ein sehr starker Verkehrslärm, der in allen Teilen des neuen Wohngebietes als sehr lästig empfunden wird. Es wird daher eine Abschirmung notwendig, die mit größter Wahrscheinlichkeit nur durch eine Schallwand entlang der Straße erreicht werden kann. Die sich optisch für das Gesamtbild des neuen Stadtteils sehr nachteilig auswirkende Schallwand kann weitgehend oder sogar ganz entfallen, wenn der vorgeschlagene Gebäudekomplex erstellt wird. Er bietet einen weitgehenden Schallschutz für das gesamte Wohngebiet. Hochbaugruppe dürfte vom See her kaum sichtbar sein und auch nicht wesentlicher erscheinen, als die geplanten größeren Bauvorhaben im Osten und Westen der Stadt.“ (Ebd.) 203 Vgl. Stadt Überlingen: Begründung zur dritten Änderung des am 11.10.1967 vom Gemeinderat beschlossenen Bereich des Sonnenberges (Stadtarchiv, ohne Datum und Unterschrift). 204 Die Deutsche Bauland- und Kreditgesellschaft warnte vor drohenden Baulücken, da aufgrund des Autolärms manche Grundstücke nur schwer hätten verkauft werden können. „Es besteht immer die Gefahr, dass vom Plan völlig abweichende Lösungen verwirklicht werden oder, was wir als noch bedenklicher beurteilen möchten, dass größere Teilflächen unbebaut liegenbleiben. Dies ist gerade in Überlingen zu befürchten, da das fragliche Grundstück einerseits in seiner Lage unmittelbar an der Umgehungsstraße durch eine starke Lärmbelästigung äußerst benachteiligt ist, zum anderen jedoch auch nach den Festlegungen des Bebauungsplanes nur mäßig genutzt werden kann. Der Vorschlag, durch eine Aufzonung der Bebauung eine maximale Nutzung zu erreichen, wird daher von uns grundsätzlich begrüßt, ergibt sich doch hierdurch die Möglichkeit, die Bebauung auf dem Sonnenberg zu vollenden […]. Damit wäre eine sich für das Gesamtvorhaben äußerst nachteilig auswirkende Baulücke vermieden. […] Es steht auch außer Zweifel, dass der gesamte Gebäudekomplex einen wirksamen Schallschutz darstellt nicht nur für den Sonnenberg, sondern für das gesamte Baugebiet.“ (Deutsche Bauland- und Kreditgesellschaft: Brief an die Beratungsstelle für Bauleitpläne im Regierungspräsidium Freiburg, 23.06.1969) 75 4. Mit der stärkeren Ausnutzung des an sich sehr wertvollen und seiner Fernsicht wegen sehr günstig gelegenen Grundstücks wird eine allgemeine Forderung des modernen Städtebaus nach einer möglichst maximalen Nutzung des immer knapper werdenden Baulandes erfüllt. Auch die vorgeschlagene Änderung der Einzelhausbebauung in eine Terrassenhausbebauung trägt dieser Rechnung. Nicht zuletzt wird dadurch noch zur Verfügung stehendes Freigelände geschont und eine geringere Beeinträchtigung des Landschaftsbildes erreicht.“ 205 Da sich die Deutsche Bauland- und Kreditgesellschaft zum Ziel gesetzt hatte, die Planungen zur Sonnenbergbebauung zügig umzusetzen, bat sie in einem Schreiben an das Regierungspräsidium, der Änderung des Bebauungsplanes so schnell wie möglich zuzustimmen. Die Antwort des Regierungspräsidiums entsprach allerdings weder den Erwartungen der Baulandgesellschaft noch denen der Bau-GmbH. Trotz detaillierter Begründung der gewünschten Bebauungsplanänderung kritisierten die Vertreter des Präsidiums eine Nachverdichtung des Sonnenbergkomplexes um zusätzliche acht Stockwerke und lehnten die geplante Änderung kategorisch ab. 206 Stattdessen beharrte das Regierungspräsidium auf der Einhaltung des gültigen Bebauungsplans, welcher eine Geschosshöhe von maximal sechs Etagen vorschrieb. 207 Während der Überlinger Bürgermeister 208 noch mit dem Regierungspräsidium über die Bebauungsplanänderung verhandelte, informierte der Südkurier in einem Zeitungsartikel die Bürger über die beabsichtigte Errichtung des Sonnenberg-Komplexes. Mit der Aufsehen erregenden Überschrift Wolkenkratzer auf dem Burgberg 209 kündigten die Redakteure 205 Deutschen Bauland- und Kreditgesellschaft GmbH: Brief an das Regierungspräsidium Freiburg, 22.07.1969. 206 Der Entwurf „sah einen großen Gebäudekomplex gegen die Umgehungsstraße hin vor, und zwar abgestuft bis zu 14 Stockwerken. Hiergegen kamen aber erhebliche Bedenken seitens des Regierungspräsidiums auf. Dort hat man sich nämlich auf den Standpunkt gestellt, dass im Burgberg bei einer höchstens sechsgeschossigen Bebauung bleiben müsse. Inzwischen hat die Bau - GmbH von Herrn Prof. Gutbier, Stuttgart, ein Gutachten fertigen lassen. Dieses Gutachten spricht sich positiv zur Planung des Architekten Weiss aus. […] Positiv betrachtet [ein] Stadtrat […] die Tatsache, dass durch die jetzt geplante Bebauung ein Großteil des Sonnenbergs als ‚grüne Lunge‘ erhalten bleibe. Er möchte von dem anwesenden Architekten noch wissen, wie viel Wohneinheiten mehr bei der jetzigen Planung herauskommen. Herr Weiss beantwortet diese Frage dahin, dass ursprünglich 60 Einheiten vorgesehen seien, jetzt rechne man mit 90-100. […] Der Gemeinderat beschließt vielmehr einstimmig die Aufstellung eines entsprechenden Änderungsplanes zum Bebauungsplan Burgberg, in dem eine Höherzonung des Baugebietes nördlicher Sonnenberg bis zu 14 Stockwerken nach den Plänen von Architekt Weiss bzw. der Bau-GmbH vorzusehen ist.“ (Stadt Überlingen - Gemeinderatsbeschluss zur Änderung des Bebauungsplanes Nr. 16 vom 21.01.1970) 207 Die kritische Haltung des Regierungspräsidiums beruhte auch auf Unstimmigkeiten zwischen dem damaligen Landrat, Karl Schiess, und dem Regierungspräsidenten von Südbaden, Hermann Person. In diesen Zwist geriet der Überlinger Bürgermeister Ebersbach, wie er rückblickend erwähnte (Gespräch Bürgermeister Ebersbach, 17.04.2015). 208 In dieser Auseinandersetzung bezog der Überlinger Bürgermeister entschlossen Partei für das Bauvorhaben der Bau-GmbH und betonte, dass er gewillt sei, dieses Projekt entschieden zu unterstützen. Der Südkurier deutete an, dass die Politiker bereits seit längerer Zeit hart über das Bauvorhaben verhandelt hätten: „Hinter den Kulissen wurde seit etwa einem Jahr mit harten Bandagen um ein Wohnbauprojekt der Bau-GmbH Überlingen gekämpft. Der potentielle Gegner des Überlinger Bauträgers sitzt in Freiburg. Es ist das Regierungspräsidium. Gefochten wird um die Geschosszahl einer Wohnhochbaugruppe, die das Architektur-Büro Bert Weiss im Auftrage der Bau-GmbH Überlingen auf dem von ihr erworbenen Sonnenberg-Areal des Neubaugebietes Burgberg errichten will. Das vom Regierungspräsidium gesetzte Limit sind am Burgberg sechs Geschosse für ein Wohngebäude, das geplante Neubauprojekt der Bau-GmbH ist jedoch auf 14 Geschosse angelegt.“ (Südkurier 1970b: o.S.) 209 Ebd. 76 den Bau eines 14-geschossigen Hochhauskomplexes mit 90 bis 100 Wohneinheiten an und verwiesen dabei auch auf ein Gutachten der Universität Stuttgart 210 , welches die Pläne der Bau-GmbH unterstützte. Der Stuttgarter Professor Rolf Gutbier wies hierbei in einem Gutachten darauf hin, dass der nordöstliche Teil des Sonnenbergs einem starken Verkehrslärm der Umgehungsstraße ausgesetzt sei. Die schwierigen topografischen Bedingungen würden jedoch Lärmschutzwälle verhindern. Dieses Problem sei aber durch den Bau des Sonnenbergkomplexes im Sinne einer bewohnbaren Schallschutzwand zu lösen. Die Ankündigung einer Aufstockung des Sonnenbergkomplexes sorgte vor allem bei den Grundeigentümern, deren Baugrundstücke sich unterhalb des geplanten Komplexes befanden, für Unruhe. Umgehend setzten sie sich gegen die Pläne der Bau-GmbH zur Wehr und legten bei der Stadtverwaltung Einspruch gegen die bevorstehende Bebauungsplanänderung ein. Als im Mai 1970 eine Informationsveranstaltung über das geplante Bauprojekt stattfand, verteidigten die Vertreter der Bau-GmbH ihre Planungen des Sonnenberghochhauses 211 - die Besitzer der benachbarten Gartenhofhäuser hingegen lehnten die geplante Nachverdichtung empört ab. Bestärkt durch den Einspruch des Regierungspräsidiums kritisierten sie die Aufstockung der Hochhäuser und bemängelten, dass der gestaffelte Gebäudekomplex den Wert ihrer Gartenhofhäuser stark mindern würde. „Vor allem fühl[t]en sich die Gartenhofhaus-Bewohner von einem solchen benachbarten Baukomplex (‚so hoch wie der Münsterturm‘) durch Einsichtmöglichkeiten auch in den Gartenhof stark belästigt.“ 212 Die Nachbarn des geplanten Neubaus beharrten auf den bisherigen Rahmenbedingungen und gaben dabei zu bedenken, dass sie beim Erwerb ihrer Immobilie darauf vertraut hätten, „dass der Bebauungsplan allgemein eingehalten wird. Die Bebauung sei so weit fortgeschritten, dass es zu spät sei, für eine so gravierende Änderung, nämlich der Aufzonung von 6 auf 14 Stockwerke.“ 213 Um die erhitzten Gemüter zu beruhigen, beendete der Bürgermeister die Informationsversammlung mit dem Versprechen, das Konzept der Bau-GmbH noch einmal einer gewissenhaften Prüfung zu unterziehen. Gleichwohl waren zum Schluss der Besprechung deutlich die Drohung einiger Bauunternehmer zu vernehmen, dass sie sich bei beharrlichem Widerstand der Anwohner aus dem Hochhaus-Projekt zurückzuziehen würden: „Eine Herunterzonung das heißt, ein Zurückgehen auf weniger als 14 Stockwerke sei nicht möglich. Sonst lassen wir es bleiben! So wurde den Einsprechern abschließend von der Gegenseite gesagt.“ 214 210 Gutbier, Rolf: Gutachten zum Bebauungsplan-Änderungsvorschlag vom 4.06.1969, Universität Stuttgart (TH) Lehrstuhl II für Städtebau und Entwerfen, Stuttgart, 30.10.1969. 211 Der Südkurier informierte die Überlinger Bürger über die geplanten Maßnahmen: „Die Wohnblockzeile, die bis auf 14 Stockwerke ansteigen soll, sei ein guter Lärmschutz gegen den Umgehungsstraßenlärm, der weitaus lästiger sei, als man ursprünglich bei der Burgbergplanung erwartet habe. Das geplante Projekt werde einen deutlichen Abschluss der Burgbergbebauung nach Norden darstellen und die Betonung der Kuppen noch verstärken. Bei einer Bebauung im ursprünglichen Umfang fände sich kein Interessent für dieses Grundstück und man müsse befürchten, dass dieses Grundstück brach liegen müsse. Eine solche Fläche Brachland aber wäre für das gesamte Burgbergvorhaben eine Katastrophe […]. Im Übrigen sei man froh, dass der Trend auf eine größere Verdichtung der Bebauung hinziele. Das gelte auch für die Erfolgsaussichten des geplanten Geschäftszentrums.“ (Südkurier 1970c: o.S.) 212 Ebd.: o.S. 213 Ebd.: o.S. 214 Ebd.: o.S. 77 Wie vom Bürgermeister zugesichert, diskutierte im September 1970 der Gemeinderat über die geplante Nachverdichtung des Sonnenbergkomplexes. Der Inhalt der Sitzung bestand in der Suche nach einem Kompromiss, welcher den Interessen der Eigentümer der Gartenhofhäuser als auch den Interessen der Investoren gerecht werden konnte. Nach einer intensiven Debatte über die geplante Nachverdichtung verwarf der Gemeinderat eine 14-geschossige Hochzonung des Sonnenberg-Komplexes, erlaubte dafür aber im Gegenzug eine zehngeschossige Bauweise. Mit diesem Beschluss verbanden die Gemeinderäte allerdings eine weitere Korrektur des Bebauungsplanes, welcher umgehend für neue Unruhe unter den Bürgern sorgte. Der Gemeinderat reduzierte zwar die geplante Nachverdichtung des Sonnenbergkomplexes um vier Stockwerke, er erlaubte aber gleichzeitig die Aufstockung der anderen Hochhäuser in der Wohnsiedlung, womit in der Summe die Zahl der Nachverdichtungen des Demonstrativbauvorhabens in etwa gleich groß blieb. Während der Bau des Sonnenbergkomplexes auf zehn Stockwerke begrenzt wurde, sollte zum Beispiel das Wohngebäude zur Lippertsreuter Straße/ Tulpenweg von acht auf zwölf sowie die Gebäudekomplexe am Schatzberg von sechs auf sieben Geschosse aufgestockt werden können. 215 215 Dieser Beschluss bewog den Südkurier dazu, die Überlinger Bürger über die Änderungen der drei Hochhausprojekte zu informieren: „Die ‚Burgberg-Silhouette‘ der Bau-GmbH Überlingen auf dem Sonnenberg, in der ersten beantragten Bebauungsplanänderung bis zu 14 Stockwerken geplant, wird nun doch nicht so großzügig ausfallen. Die jetzt vorgelegte Planänderung sieht wieder eine Herunterzonung des Baukörpers, der den Burgberg im Bereich ‚Sonnenberg‘ nach Norden abschließen wird, auf zehn Stockwerke vor. Als Ausgleich ist eine intensivere Hangbebauung mit modernen Terrassenhäusern beantragt. Die Änderungswünsche zahlreicher Baugesellschaften für das Burgbergprojekt bringt insgesamt eine Erweiterung der Wohnkapazität von ursprünglich rund 700 auf 800 bis 850 Wohneinheiten. […] Wirtschaftliche und bautechnische Gesichtspunkte haben Änderungswünsche des Burgbergbebauungsplanes ausgelöst. […] Nicht einverstanden mit einer Hoch- Abbildung 36: Modell des Sonnenbergkomplexes von dem Überlinger Architekten Bert Weiss. Das Modell zeigt die vorgesehene 6bis 14-geschossige Bebauung des Sonnenberg-Areals durch die Bau-GmbH Überlingen. Links am Hang die vier Wohnblöcke und Terrassenhausgruppen, in der Mitte unten die Terrassenhäuser. Dieser an die Nordgrenze des Grundstückes platzierte Baukörper sollte nicht nur eine gute Schallabsorption für sich und große benachbarte Grundstücksflächen anbieten, sondern auch die Möglichkeit geben, den gesamten Südhang des Sonnenbergs als Grünraum inmitten des Burgbergs zu belassen. (Quelle: Stadtarchiv Überlingen) 78 Obwohl der Gemeinderat fest vom Sinn und Zweck seine Entscheidung überzeugt war, kulminierte in Überlingen unversehens der Bürgerprotest von neuem. Plötzlich standen zwei bedeutende Bauprojekte des Demonstrativbauvorhabens auf dem Prüfstand: die Sonnenbergbebauung und das geplante Wohngebäude an der Lippertsreuter Straße. Mit Nachdruck protestierten zahlreiche Bürger gegen eine neue Bebauungsplanänderung und beklagten dabei, dass die geplanten Hochhäuser des Sonnenbergs nicht nur „zum gegenseitigen ‚in-die-Fenster-Gucken‘“ 216 verleiten, sondern die Pläne auch aus Gewinnstreben einer kleinen Gruppe von Investoren „am laufenden Band geändert“ 217 würden. Kurz gefasst, man solle „von diesen Änderungen die Finger“ 218 lassen. Dieser Kritik schlossen sich auch die Grundstückseigentümer des geplanten Hochhauses an der Lippertsreuter Straße sowie der Wohn- und Siedlungsbau Badische Ackermann-Gemeinde GmbH & CoKG 219 an. Beide Gruppen bemängelten, dass der „Koloss mit einem Ausmaß von ca. 30 m Breite und 35 m Höhe“ 220 den freien Blick der Nachbargebäude verbauen und damit den Wert ihrer Hanggrundstücke erheblich mindern würde. 221 zonung auf 14 Stockwerke waren Burgberganlieger und das Regierungspräsidium Freiburg. Am Mittwoch hat der Gemeinderat einem Kompromiss seine Zustimmung gegeben: Baukomplex, bis zu zehn Stockwerken ansteigend. […] Das Burgberggebiet wird also seine bauliche Silhouette bekommen, wenn auch nicht in der ursprünglich gewünschten markanten Höhe. Auf dem tiefliegenden Grundstück an der linken Seite der Burgbergeinfahrt Lippertsreuter Straße sah die Planung ein achtgeschossiges Hochhaus und ein zweigeschossiges Gebäude vor. Der Änderungswunsch lautet hier: Verzicht auf das zweite Gebäude bei gleichzeitiger Hochzonung des Wohnblocks auf 12 Geschosse. Diese Planung sieht vor, dass nur ein Zehntel des Grundstückes bebaut wird. Auch für dieses Projekt lag dem Gemeinderat ein Modell (Architekt Bert Weiss) vor. […] Auf dem Schatzberg, wo Wohnungen für pensionierte Bundesbeamte gebaut werden, ist eine Höherstufung der Wohnblocks von bisher sechs auf sieben Stockwerke beantragt worden. […] Die Burgberg-Bebauungsplan-Änderungswünsche wurden vom Gemeinderat durchweg einstimmig gebilligt.“ (Ebd.: o.S.) 216 Weibel, Gerhard: Brief an den Gemeinderat, 24.11.1970. 217 Kirchmaier, Arthur: Brief an den Bürgermeister Ebersbach, 24.11.1970. 218 In einem Schreiben an den Bürgermeister kritisierte ein Bürger die Änderung des Bebauungsplanes. „Der Bebauungsplan Burgberg soll nun wieder einmal geändert werden, damit das Grundstück […] mit einem 4 Stockwerk höheren Haus bebaut werden kann. Muss das sein? Ich verstehe die Einsprecher sehr wohl, wenn sie dagegen kämpfen und zum Ausdruck bringen, sie fühlen sich betrogen. Die ‚Hinterlieger‘ haben sich schließlich zum Kauf der Häuser entschlossen nach den bekannten Grundsätzen des Bebauungsplanes. Es ist einfach nicht richtig und nicht zu vertreten, dass die Pläne am laufenden Band geändert werden, weil z.B. nur eine bestimmte Gruppe darin ein besseres Geschäft wittert. Wir haben im Burgberg in letzter Zeit schon mehrfach entsprechende Experimente durchgeführt und damit die Leute verärgert. Ich möchte vor einer Fortsetzung dieser Methode ernstlich warnen und darum bitten, dass man endlich von diesen Änderungen die Finger weg lässt.“ (Ebd.) 219 „Gegen die Errichtung des 8-geschossigen Gebäudes, wie es ursprünglich an der linken Seite der Einfahrt zum Burgberggebiet vorgesehen war, ist auch von unserer Seite nichts einzuwenden. Wir haben jedoch ernste Bedenken gegen die Ausführung dieses Gebäudes mit 10, 11 oder gar 12 Vollgeschossen.“ (Wohn- und Siedlungsbau „Badische Ackermann-Gemeinde“ GmbH & Co. KG. Schreiben vom 03.11.1970) 220 „Es geht nicht nur um die Sichtbehinderung; für unsere teuer ertstandenen Eigenheime entsteht eine gewaltige Wertminderung, wenn uns ein solcher Koloss mit einem Ausmaß von ca. 30m Breite und 35m Höhe direkt vor die Nase gesetzt wird.“ (Ritsch, Hoede, Neusser, Oppelt, Müller, Tomoff, Holz, Büscher, Broscheit, Schneider und Witte: Sammeleinspruch; Schreiben vom 26.10.1970) 221 „Im Südkurier habe ich gelesen, dass jetzt Änderungen im Burgberggebiet geplant sind, die bisher meines Wissens zumindest in der Öffentlichkeit nicht bekannt waren und nicht diskutiert wurden. Es handelt sich um die Erweiterung des Hochhauses an der linken Seite der Burgbergeinfahrt Lippertsreuter Straße von 8 Stockwerken auf 12 Stockwerke. Gegen diese Änderung möchte ich Einspruch erheben. […] Es liegt im Interesse aller Bewohner dieser Häuser, dass der Blick nicht in zu starkem Ausmaß verbaut wird. Das Hochhaus mindert wesentlich den Wert aller Hanggrundstücke. Ich bitte zu beachten, dass mehr als 50 Grundstücke betroffen sind. Ich halte das Hochhaus an dieser Stelle schon an sich nicht für eine glückliche Lösung. Man bebaut den 79 Klarheit brachte eine Aktion dreier Stadträte. Sie suchten das Baufeld des geplanten Wohngebäudes an der Lippertsreuter Straße/ Tulpenweg auf, ließen dort mehrere Versuchsballons in unterschiedlicher Höhe aufsteigen - ihre Abstandsmessungen entsprachen einem achtstöckigen, einem zehnstöckigen und einem zwölfstöckigen Hochhaus - und simulierten damit die Größe des geplanten Hochhauses. Nachdem sie entdeckt hatten, dass die beabsichtigte Hochzonung die Aussicht der benachbarten Anwohner auf die Aufkircher Kapelle, einem heimatbezogenen Symbol des historischen Überlingens, zu verdecken drohte, versuchten sie den Gemeinderat bezüglich einer Aufstockung des Gebäudes umzustimmen. 222 Und wie zuvor bei der Diskussion um die Sonnenbergbebauung trafen sich die Bürgervertreter ein weiteres Mal zu einer Sitzung im Rathaus, um die eingegangenen Einsprüche der Anwohner zu prüfen. In diesem Fall setzten sich die Gegner der Aufstockung des Wohngebäudes an der Lippertsreuter Straße/ Tulpenstraße allerdings durch. Hang mit einer Vielzahl von Einfamilienhäusern und setzt dann unten am Fuß des Hangs ein riesiges Hochhaus hin, das allen Hanghäusern die Sicht nimmt. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn im Hintergrund also an den höchsten Hangstellen, Hochhäuser erstellt werden. Diese Hochhäuser bieten sogar einen zusätzlichen Schallschutz gegen den Lärm der Bundesstraße. Unterhalb des Hangs dagegen sollten die Häuser so niedrig wie möglich sein. […] Ich bin auch besorgt über die Nachricht, dass die ursprüngliche Zahl von etwa 700 Wohneinheiten um weitere 100 bis 150 Wohnungen erhöht werden soll. Es kann nicht der Sinn eines Demonstrativbauvorhabens sein, das Baugebiet (nachträglich! ) mit Menschen vollzustopfen. Wenn wirklich noch mehr Wohnungen benötigt werden, dann sollte man zusätzliches Gelände erschließen.“ (Dr. Witte, Wolfgang: Bedenken und Anregungen - Entwurfsoffenlegung vom 07.10-7.11.1970) 222 Gespräch mit Winfried Ritsch, dem ehemaligen Stadtrat Überlingens, am 17.10.2018. Abbildung 37a-b: Burgbergsiedlung. Das Hochhaus an der Lippertsreuter Straße/ Tulpenweg war als Entree zur Burgbergsiedlung gedacht. Nach Protesten wurde das Hochhaus nicht auf zwölf Etagen aufgestockt, sondern achtstöckig gebaut. (Quellen: links: Baurechtsamt Überlingen; rechts: Krug 2014) 80 Trotz dieser positiven Entscheidung trübte ein Wermutstropfen den Erfolg der Kritiker: Zwar lehnte der Gemeinderat die zwölfstöckige Nachverdichtung des Hochhauses an der Lippertsreuter Straße ab 223 , dafür aber blieb der Rat bei der geplanten Nachverdichtung der Schatzberghochhäuser unnachgiebig und setzte gegen den Willen der Anwohner die geplanten Aufstockungen durch. Es gilt festzuhalten, dass es den Anwohnern nicht gelang, die Nachverdichtung komplett zu verhindern - trotzdem konnten sie den Gemeinderat, in welchem übrigens auch Überlinger Bau- und Handwerksunternehmer saßen, dazu bewegen, die Pläne zu korrigieren. 224 Ob allerdings die Erhöhung der Hochhäuser den sozialen Raum der Burgbergsiedlung zum Positiven veränderte, bleibt umstritten. Man kann davon ausgehen, dass der Verzicht einer Nachverdichtung und damit zusammenhängend die Realisierung sechsstöckiger Gebäude eine intimere Raumbildung mit übersichtlicheren Nachbarschaftsverhältnissen zugelassen hätte. In dieser Hinsicht vertritt der Stadtplaner Thomas Sieverts die Überzeugung, dass allzu hohe Geschossbauten die Anonymität unter den Bewohnern fördern. Weil die längere Fahrzeit mit dem Lift etliche Nachteile für Kind und Eltern mit sich bringen, interessieren sich Familien kaum für eine Wohnung in den oberen Stockwerken. 225 Auch aus diesem Grund führen Nachverdichtungen oft dazu, dass die obersten Stockwerke überwiegend von Singles, jungen Paaren oder Pensionären bewohnt werden. Letzten Endes führen hohe Geschosszahlen zu einer geringeren Ausnutzung der Wohnflächen, weshalb Thomas Sieverts beim Bau familiengerechter Wohnhäuser empfahl, nicht mehr als vier Geschosse einzuplanen. 226 Auch das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau wies 1979 auf die Probleme hin, welche Hochhausbauten für Fa- 223 „Wichtigster Bestandteil der Bebauungsplanänderung Burgberg war die Frage, ob am Eingang zum neuen Baugebiet ein zwölf- oder achtgeschossiges Hochhaus errichtet werden soll. Der Antrag auf eine zwölfgeschossige Bauweise wurde mit 8 gegen 6 Stimmen und einer Enthaltung abgelehnt. Damit bleibt es beim früheren Entwurf: Achtgeschossige Bauweise mit einem zweigeschossigen Vorbau. […] Der Vorschlag, am Eingang zum Burgberg ein zwölfgeschossiges Hochhaus zu errichten, war der schwierigste Teil der Beschlussfassung. Beim Erstellen des Bebauungsplanes Burgberg lag die Betonung auf der natürlichen Topographie. Demnach wäre es ein Widerspruch, am Eingang zum Burgberg ein zwölfstöckiges Hochhaus hinzustellen. 12 Stockwerke sind jedoch vertretbar, so Bürgermeister Ebersbach, das sei ein städtebauliches Ausrufezeichen, ein nicht zu übersehbarer Hinweis: Hier beginne Burgberg. Stadtrat R. [d. Verf.] wünschte hierzu das Wort. Er meldete Bedenken an, nach früherer achtstöckiger Planung, nun plötzlich auf 12 Stockwerke hochzuziehen. Rechts und links am Hang stehenden Wohnhäusern würde dadurch die Sicht verdeckt, ein Punkt der nicht zu übersehen ist, da sicherlich die dortigen Besitzer sich zum Bauen entschlossen hatten, nachdem davon nur achtstöckig gebaut werden sollte.“ (Südkurier 1971: o.S.) 224 Auch wenn die 14-stöckigen Hochzonung des Sonnenbergkomplexes verhindert wurde, erhofften sich die Unternehmer durch eine Nachverdichtung auf zehn Stockwerke trotzdem wirtschaftliche Vorteile (Gespräch mit Bürgermeister Ebersbach am 17.04.2015). 225 Dieses Problem beschreibt der Roman Wir Kinder vom Bahnhof Zoo: „Meine Eltern schimpften auf die Proletenkinder, die das Treppenhaus verunreinigten. Aber die Proletenkinder konnten meist nichts dafür. Das merkte ich schon, als ich das erste Mal draußen spielte und plötzlich musste. Bis endlich der Fahrstuhl kam und ich im 11. Stockwerk war, hatte ich in die Hosen gemacht.“ (Hermann/ Rieck 1978: 16) 226 „Niedrige Bauten erlauben geringere Abstände und damit intimere Raumbildungen. […] Bauliche Verdichtungen lohnen sich nur bis zu einer moderaten Grenze, darüber hinaus tragen sie kaum noch zu Flächeneinsparungen bei und verschlechtern die Wohnverhältnisse. […] Das ist nun kein Plädoyer für freistehende Einfamilienhäuser, sondern für eine durchaus moderate Verdichtung, wie sie sich etwa in der Dichte des eng gepackten Flachbaus, der Reihenhäuser mit kleinen Grundstücken und des dreibis viergeschossigen Wohnungsbaus darstellt. […] Die Forderung nach Verdichtung im Wohnbau über ein moderates Mass hinaus ist deswegen meist ein Argument, das dem einzelnen Bauträger in die Tasche wirtschaftet, der profitiert natürlich davon, einzelbetrieblich gesehen.“ (Sieverts 2013: 41 ff.) 81 milien mit Kleinkindern nach sich ziehen. Der notwenige Sicht- und Rufkontakt zwischen Müttern und Kleinkindern wird hier erschwert, Erkrankungen der Atemwege nehmen mit steigendem Stockwerkszahl zu und auch das kindliche Spielen im Freien wird bei höheren Stockwerken erschwert. In diesem Sinne dürften „Erdgeschosswohnungen […] am idealsten für Familien mit kleinen Kindern sein, Wohnungen oberhalb des 3. Stockwerkes dagegen weniger geeignet“. 227 Dessen ungeachtet sollte bei einer abschließenden Bewertung der Hochhausbebauung in Überlingen nicht nur die Schaffung des dringend benötigten Wohnraums, sondern auch die Beziehung zur Landschaft mitbedacht werden. Zweifellos trägt der Blick auf die Bodenseelandschaft dazu bei, die Gefühle von räumlicher Enge, Anonymität oder fehlender Intimität zu kompensieren. Folglich vermag die architektonische Beziehung zur Landschaft, manche Nachteile der Nachverdichtungen auszugleichen. 228 Mit Sicherheit war dies auch ein Grund dafür, dass die Planer die Burgbergsiedlung sich an der Topografie der Drumlin- Landschaft orientierten und damit den Bewohnern die Möglichkeit eines unverbaubaren Blickes über den See gewährten. Überdies wertet die akzentuierte Hochhauskontur mit ihrem freien Blick auf die Alpen die Wohnsiedlung ästhetisch und symbolisch auf. Mit der visuellen Betonung der Burgbergsiedlung durch die Hochhäuser wurde ein städtebauliches Merkzeichen geschaffen, welches man - ganz im Sinne des ästhetischen Zeitgeistes der 1970er Jahre - als moderne Großskulpturen und „überdimensionierte freie Plastiken“ 229 begreifen kann. So gesehen stehen die nachverdichteten Hochhäuser der Burgbergsiedlung ihrer Höhe und Größe entsprechend in der Tradition der stadtplanerischen Entwürfe Le Corbusiers, welche als „skulptural in die Landschaft komponierte[…] Grossform […] gleichermaßen auf totale Funktionalität wie auf den ästhetischen Reiz der distanzierten Betrachtung“ 230 zielen. 2.3.2 Die Burgbergsiedlung als Heterotopie Der Überlinger Bürgermeister A.W. Schelle, der den Bau der Großwohnsiedlung in die Wege geleitet hatte, versprach bei der Realisierung des Demonstrativbauvorhabens, den sozialen Wohnungsbau 231 zu fördern und dabei die Grundstückssowie die Wohnungspreise auf dem Burgberg finanziell tragbar zu halten. Seiner Meinung nach war nur auf diese 227 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1979: 46. 228 In erster Linie sollten die Bewohner des Sonnenberges von der Synthese zwischen Architektur und Landschaft profitieren - ein Postulat, welches mit der Idee des Sozialpsychologen Alexander Mitscherlichs in Einklang steht: „Die städtische Landschaft ist in die natürliche Landschaft eingefügt oder überzieht sie. Dieses Verhältnis von Landschaft zu Landschaft hat Rückwirkungen auf die psychische Verfassung der Bewohner dieser Landschaften. Unbestritten hat die städtische Landschaft als ganze einen unmittelbaren Einfluss auf unser Wohl-, aber ebenso auf unser Missbefinden. Das gleiche gilt für die ‚ökologische Nische‘, also den spezifischen Lebenswinkel, den der einzelne gefunden und sich zu eigen gemacht hat. Auch er wirkt mit an Wohl- und Missbefinden.“ (Mitscherlich 1979: 121) 229 Müller-Raemisch 1990: 73. 230 Vinken 2008: 153. 231 Mit dem Gesetz zur Fortführung des sozialen Wohnungsbaus sollten Mietsteigerungen genau begrenzt und Regelungen gefunden werden, welche „unvertretbare Mieterhöhungen bei den Inhabern von Sozialwohnungen ausschließt, andererseits aber eine Fortführung des sozialen Wohnungsbaues ermöglicht“ (Gesetz zur Fortführung des sozialen Wohnungsbaues, in: Bauen und Siedeln-Werkblätter 1968: 1). 82 Weise die Möglichkeit eines Vermögensaufbaus für junge Familien zu garantieren. 232 Diese Haltung entsprach der Auffassung der damaligen Bundesregierung, wonach der Erwerb von privatem Wohnungseigentum und damit zusammenhängend die weitflächige Mobilisierung von Bauland möglichst breit unter die Bevölkerung zu streuen sei; ein kommunales Wohnungsbauprojekt oder die Trennung zwischen Verfügungs- und Nutzrecht, wie es beim Erbbaurecht üblich ist, lehnte er hingegen kategorisch ab. 233 Das Siedlungsprojekt sollte aber nicht nur den jungen Familien Vorteile bringen, ebenso wollte die heimische Wirtschaft aus dem Großbauprojekt ihren Nutzen ziehen. Da sich Ende der 1960er Jahre die Bauwirtschaft in einer Rezession befand, packten die einheimischen Architekten und Handwerker die Gelegenheit beim Schopf und ersuchten die Stadt, ihnen bei der Vergabe der zu erwartenden Bauaufträge unter die Arme zu greifen. 234 Um ihre Zusammenarbeit und ihren Einfluss zu festigen, gründeten im Jahr 1967 zehn Überlinger Bauhandwerksbetriebe die Bau-GmbH Überlingen, welche in den nachfolgenden Jahren die wichtigsten Bauprojekte der Burgbergsiedlung realisierte, so etwa die Terrassenhäuser, die Sonnenberghochhäuser, das Burgbergzentrum und die Wohnblöcke auf dem Schatzberg. 235 Nachdem im Jahr 1968 die ersten Bewohner ihre Häuser bezogen hatten, mussten sie zur Kenntnis nehmen, dass die Neubauten noch nicht vollkommen den Ansprüchen einer modernen Wohnung gerecht wurden - die Gasversorgung funktionierte nur mit Einschränkungen, beim Fernsehgerät fehlte der Empfang und die versprochenen Telefonanschlüsse ließen auch noch auf sich warten. Es war zwar für alle ersichtlich, dass der Wohnbau in der Siedlung voranschritt, trotzdem gewöhnten sich die Bewohner nur schwer an den Lärm und Schmutz der zahlreichen Baustellen in der Nachbarschaft. 236 Bis in die 1970er Jahre hinein gehörte das Bild der Baumaschinen, welche die gewaltigen Erdbewegungen für die Abwasserkanäle sowie für die Installation der Gas-, Wasser- und Stromleitungen tätigten, zum täglichen Leben dem Anwohner. Spannend wurde es dann im Winter, wenn manche Baustellen kurzerhand unter haushohen, wetterbeständigen Spezialzelten verschwanden und im Frühling plötzlich als Neubauten erstrahlten. Wie bei allen Bauprojekten erfolgte auch in der Burgbergsiedlung der Bezug der Wohnungen Zug um Zug. Manchen Bewohnern ging das alles nicht schnell genug und sie beklagten sich über die mangelnde Infrastruktur in der Siedlung, vor allem aber über die fehlende ärztliche Versorgung vor Ort. Bei einer Umfrage des SPD-Ortsvereins war ihre Wunschliste entsprechend lang: Neben einer ordentlichen Busverbindung in die Stadt vermissten die Burgbergbewohner ein Café-Restaurant, ausreichende Spielplätze, eine Verkaufsstelle für Zeitungen und Zeitschriften, eine 232 Die Objektförderung des sozialen Wohnungsbaus richtete sich auf die „Beeinflussung der Verteilung des verfügbaren Wohnungsangebots zugunsten von weniger wohlhabenden Bevölkerungsgruppen sowie zugunsten bestimmter Problemgruppen der Wohnbevölkerung (z.B. junge und kinderreiche Familien, alte Menschen)“ (Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1979: 37). 233 „Das Burgberggelände, bemerkte der Bürgermeister, gebe der Stadt die Möglichkeit, Bauland zu tragbaren Grundstückspreisen abzugeben, was allerdings nicht heiße, dass es so verkauft werden könne, wie es erworben wurde. Die Erwerbssumme von 2,2 Millionen DM habe auf dem Darlehenswege aufgebracht werden müssen. Grundstückskäufe auf dem Erbbauweg seien daher kaum möglich. Trotzdem werde die Stadt billigeres Baugelände anbieten können, als man es gemeinhin auf dem Grundstücksmarkt zu bekommen pflege.“ (Südkurier 1963: o.S.) 234 Vgl. Südkurier 1966. 235 Gespräch mit Bürgermeister Ebersbach am 17.04.2015. 236 Vgl. Südkurier 1968b: o.S. 83 Toto-Lotto-Annahmestelle, eine Bäckerei sowie einen sicheren Fußgängerweg vom Burgberg über den Bundesstraßen-Zubringer zum Fohrenbühlweg. 237 In den darauffolgenden Jahren konnte die Kommune mit Hilfe der Baugesellschaften viele der angesprochenen Probleme aus der Welt schaffen. Und als schließlich die gewünschten Versorgungs- und Infrastruktureinrichtungen des 3000 Einwohner umfassenden Stadtteils, das Burgbergzentrum, eingerichtet waren, konnte sich die Burgbergsiedlung endgültig als attraktiver Stadtteil Überlingens profilieren. Trotz des großen Engagements der Baugesellschaften und der Überlinger Kommune darf nicht vergessen werden, dass die Neuzugezogenen neben den täglichen Sorgen immer wieder auch mit dem Argwohn der Einheimischen zu kämpfen hatten. Obwohl viele Überlinger Bürger begriffen, dass die neue Großwohnsiedlung der Gemeinde in vielerlei Hinsicht Vorteile brachte - der Einwohnerzuwachs von über 15 Prozent unterstützte nicht nur die heimische Wirtschaft, sondern steigerte auch die politische Bedeutung der Kreisstadt - zweifelten dennoch manche Alteingesessenen am Sinn des Demonstrativbauvorhabens. Nicht wenige befürchteten, dass die Hochhaus-Skyline die Silhouette der Stadt und die Atmosphäre der beschaulichen, mittelalterlichen Kernstadt in Mitleidenschaft ziehen könnte. Obwohl die Politiker, Bauunternehmer, Handwerker und Planer mit Zuversicht auf die Zukunft der Burgbergsiedlung blickten, blieb das großangelegte Stadtbauprojekt bei den Einheimischen lange Zeit umstritten. Viele Menschen verfolgten die Planungen der Großwohnsiedlung mit großer Skepsis, manche sogar mit Sorge und nicht wenige zweifelten vollkommen am Sinn des Demonstrativbauvorhabens. Da die Burgbergsiedlung mit ihrer modernen Architektur in unverkennbarem Kontrast zur mittelalterlichen Altstadt stand, empfanden manche Einheimische die Wohnsiedlung als einen hässlichen Fremdkörper in der Stadt. Einige sprachen sogar von einem Ghetto. So erreichte bereits zu Beginn der Planungsarbeit den Überlinger Bürgermeister ein Telegramm, in welchem ein Konstanzer Bürger unverhohlen die Burgbergbebauung als ein Schandprojekt bezeichnete. Der empörte Verfasser rügte die Wohnungsbaupolitik und vertrat die Ansicht, dass mit diesem städtebaulichen Eingriff der Stadt Überlingen „für alle Zeit das Gesicht“ genommen würde. Ebenso ablehnend verhielten sich manche Überlinger Bürger gegenüber den neu zugezogenen Bewohnern, welche bei der katholischen Mehrheit als „zu sehr preußisch-protestantisch“ 238 galten. Im Rückblick erinnern sich etliche Bewohner der Burgbergsiedlung an das angespannte Verhältnis, vor allem daran, dass die jährlichen Fastnachtsveranstaltungen als Ventil des Unbehagens gegenüber dem neuen Stadtteil dienten. 239 Einen Einblick über die brodelnde Stimmung gewährt eine Abbildung im Überlinger Narrenbuch 240 aus dem Jahr 1972, in welchem der Grafiker Viktor Mezger mit einer 237 Nachdem der Siedlungsbau im Jahre 1975 zum großen Teil abgeschlossen war, führte der SPD-Ortsverein Überlingen unter dem Motto „Was fehlt dem Bürger im Burgberg? “ eine Umfrage unter den Anwohnern der Burgbergsiedlung durch. Die Auswertung ihrer Befragung förderte eine Liste ungelöster Aufgaben an den Tag. Obwohl die SPD-Fraktion ihre Zweifel an der Realisierung eines Fußgängerüberwegs anmeldete, versprachen sie dennoch „auf der Grundlage des nachgewiesenen starken Bedürfnisses ein(en) Vorstoß bei den zuständigen Stellen“ zu unternehmen (vgl. SPD Ortsverein Überlingen: Umfrage „Was fehlt dem Bürger im Burgberg? “, Juni 1975). 238 Interview mit Heinz Meschede am 30.04.2015. 239 Ebd. 240 Das Überlinger Narrenbuch wurde 1863 von der Gesellschaft Frohsinn angelegt und bis in das Jahr 2000 durch 84 surreal anmutenden Zeichnung unter dem Titel Burgberg seine schonungslose Kritik gegenüber dem Bauprojekt äußerte und damit auch den Ressentiments vieler Bürger eine Stimme gab. 241 In seiner Grafik verschlingt ein gigantisches Ungeheuer „[…] das alte, historische Überlingen, mit seinen lieblichen Gassen und Winkeln […]“. 242 Während unter giftgelbem Himmel eine zwölfstöckige Hochhausfront an den Hängen des Burgbergs thront, packt unten, in der Stadt, eine gierige Bestie den mittelalterlichen Münsterturm und schiebt ihn mitsamt der benachbarten Gemäuer in seinen gefräßigen Schlund. Erschrocken starrt der personifizierte Turm auf das gierige, mit den Wohnzellen der Burgbergsiedlung gepanzerte Ungeheuer. Während die ersten Bauwerke zusammenbrechen, springt auf der linken Seite die Hauptfigur der Narrenzunft, der Überlinger Hänsele, angsterfüllt aus der Szene. Doch damit nicht genug: Im Vordergrund wälzt sich unaufhaltsam eine Flut von Schiffs- und Autokolonnen gen Osten und droht mit ihrem Lärm, Schmutz und ihrer Hektik das geruhsame Leben der mittelalterlichen Stadt endgültig zu ruinieren. den Narrenbuchschreiber geführt. Mezger, Viktor: Burgberg (1972); aus: Narrenbuch der Narrenzunft Überlingen aus dem Jahr 1863. 241 Das km Kulturmagazin (01/ 2014) berichtete über die Ausstellung des Überlinger Narrenbuchs, welches sich seit 150 Jahren zur Aufgabe macht, das politische und kulturelle Leben Überlingens mit einer Jahreszeichnung kritisch zu reflektieren. 242 Volksbank Überlingen: Begleittext zur Grafik Burgberg (1972). Ausstellung in der Volksbank Überlingen im Februar 2014. Abbildung 38: Telegramm an den Bürgermeister Anton Wilhelm Schelle, vermutlich aus dem Jahr 1967. (Quelle: Stadtarchiv Überlingen) 85 In diesem Bild hat sich die Wohnsiedlung in ein unbezwingbares, furchterregendes und grausames Monster verwandelt. Bei genauerer Betrachtung erinnert seine Reptilienhaut an die Stahlhüllen der von Ron Herron entworfenen Walking Cities (Abb. 40). Während die Technogehäuse der Walking Cities den Menschen hingegen Schutz anbieten, verbreitet dagegen die Burgbergbestie Unheil und Chaos. In der Darstellung des Grafikers verwandelt sich das Demonstrativbauvorhaben in ein erbarmungsloses „Beton-Monster“, welches die historische Altstadt vernichtet und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt. Bleibt in Herrons Techno-Variante der soziale Schutz der Bevölkerung noch eingeschrieben, entwirft Viktor Mezger dagegen einen dystopischen Leviathan, welcher das kulturelle Erbe der Bodenseestadt dem Erdboden gleichmacht und dabei erbarmungslos die wichtigsten Eigenschaften der europäischen Stadt, nämlich die bürgerliche Freiheit, die kulturelle Vielfalt und die gegenseitige Fürsorge, beseitigt. Mit der offensichtlichen Botschaft „Das wollen wir nicht! “ drückt dieses Bild eindrucksvoll das Unbehagen der Narrenzunft gegenüber der modernen Stadterweiterung aus. 243 Aber nicht nur der Grafiker Viktor Mezger, auch zahlreiche Journalisten überzogen die Großsiedlung mit Hohn und Spott. Die einen beschimpften die Burgbergsiedlung als ein 243 Aus heutiger Sicht entspricht die Grafik von Viktor Mezger einer Künstlerkritik der späten 1960er und frühen 1970er Jahre. Diese Kritik - sie ist von der Sozialkritik zu unterscheiden - richtete ihren Fokus auf alle Formen der Fremdbestimmung und der Entmündigung durch eine aufgeblähte und anonyme Bürokratie. Unter dem Motto der „Autonomie“ entwickelten sich hieraus mannigfaltige linksalternative Bewegungen, welche später den emanzipatorischen Wandel der Gesellschaft beschleunigten (vgl. Nachtwey 2016: 83). Abbildung 39: Burgberg (1972) von Viktor Mezger. (Quelle: Thomas Pross, „Narrenbuch der Narrenzunft Überlingen aus dem Jahr 1863“.) 86 „Kuckucksei“, welches zu groß angelegt und unschön sei 244 , die anderen verspotteten das „Neubaugebiet ‚Burgberg‘“ als eine Ansammlung von Betonklötzen, die „[…] schön über den Gestaden des Bodensees stehen […]“. 245 Nachdem in den 1970er Jahren die Bundesrepublik in eine wirtschaftliche Rezession fiel, rissen die Hiobsmeldungen über den Bau der Burgbergsiedlung nicht mehr ab. Die weltweite Wirtschaftskrise verhinderte eine schnelle Vermarktung der Wohnungen und traf auch die Überlinger Baugesellschaften hart. Plötzlich mussten die Investoren erfahren, dass sich ihre Neubauwohnungen nur schleppend vermarkten ließen. Im Jahr 1977 erreichte die mediale Aufmerksamkeit einen weiteren Höhepunkt, als der Südkurier das Zersägen zweier Reihenhäuser der Großwohnsiedlung ankündigte (Abb. 43). Mit feinem Spott berichtete der Reporter über die Probleme zweier Eigenheimbesitzer, die aufgrund einer fehlerhaften Lärmschutzdämmung der akustischen Dauerberieselung des Nachbarn ausgesetzt waren: „Wenn der Zahnbecher versehentlich ins Waschbecken fällt oder man in gemütlicher Runde bei einem Plausch im Wohnzimmer beisammen sitzt, kann es der Nachbar genau hören. Auch andere Geräusche können die Bewohner in beiden Richtungen vernehmen, und zwar in einer Lautstärke, die nicht mehr zulässig ist. Dies spielt sich seit einigen Jahren in zwei Reihenhäusern im Burgberggebiet ab. Bald soll damit aber Schluss sein. Die beiden Häuser werden auseinandergesägt.“ 246 Heute sind diese Ereignisse weitgehend in Vergessenheit geraten und die Burgbergsiedlung gilt als ein integraler Bestandteil der Stadt Überlingen. Wie ist es dazu gekommen? 244 Polemisch berichtete der Südkurier über das Demonstrativbauvorhaben: „Obwohl man anfangs kaum eine Mühe scheute, Wettbewerbe veranstaltete und sachverständige Preisrichter zur Begutachtung der künftigen Bebauung herholte, entstand dann auf den Höhen der Stadt etwas, das heute nicht jeder schön finden kann.“ (Südkurier 1975: o.S.) 245 Stuttgarter Zeitung 1975: o.S. 246 Südkurier 1977: o.S. Abbildung 40: Walking City (1964) von Ron Herron. (Quelle: http: / / www.dam-online.de/ uploads/ DAM_Zukunft_ von_gestern_Archigram.jpg, Stand: 07.03.2019) Abbildung 41: Burgberg (Ausschnitt) von Viktor Mezger. (Quelle: Thomas Pross, „Narrenbuch der Narrenzunft Überlingen aus dem Jahr 1863“.) 87 Um diesen Sinneswandel zu verstehen, gilt es, einen Blick auf die Analyse städtischer Räume des französischen Soziologen Henri Lefebvre zu richten und seine Untersuchungen über das Spannungsverhältnis zwischen „Isotopien“ und „Heterotopien“ etwas genauer zu studieren. Für den französischen Wissenschaftler verkörpern die „Heterotopien“ unkonventionelle Orte, welche einerseits für das Funktionieren einer Gemeinschaft notwendig sind, andererseits aber von dieser räumlich und sozial ausgeschlossen werden. 247 Historisch lässt sich der Prozess des sozialen Ausschlusses bis in die Frühzeit der orientalischen Stadtsiedlungen zurückverfolgen. Damals lagen die Märkte außerhalb der Stadt, wodurch die fremden Händler mit ihren Kunden aus der abgesicherten Kernstadt ausgeschlossen wurden. Die räumliche Ausgrenzung des Marktgeschehens hatte seine Gründe: Die Einheimischen befürchteten, dass mit den Fremden, sprich, den „nomadischen, aus der Stadt abgedrängten Händler[n]“ 248 , Krankheiten, Kriminalität und Unruhe in die Stadt einsickern konnten. Um diesen Gefahren zu begegnen, wiesen die Einheimischen den umherziehenden Kaufleuten einen Platz vor den Stadtmauern zu - die sichere Innenstadt hingegen, dort, wo sich auch das Zentrum der politischen Macht befand, blieb den Stadtbewohnern vorbehalten. Damit korrespondierte die „Heterotopie“, d.h. der chaotische, unkontrollierbare und bisweilen auch konfliktbeladene Ort des Marktes, mit der „Isotopie“, d.h. dem gesicherten und geordneten Raum der Stadt. 249 247 Vgl. Lefebvre 1972: 138. 248 Lefebvre 2016: 30. 249 „Die politische Stadt verwaltet ein oftmals weitläufiges Gebiet, schützt es und beutet es aus. […] Tauschgeschäft und Handel, die niemals fehlen, gewinnen an Bedeutung. Ursprünglich mochten sie von suspekten Leuten, den ‚Fremden‘, wahrgenommen worden sein, aber bald werden sie auf Grund ihrer Funktion wichtig. Örtlichkeiten, die für Tausch und Handel bestimmt sind, tragen zunächst die Zeichen der Heterotopie. Gleich den dort lebenden und Handel treibenden Menschen sind auch sie ursprünglich von der politischen Stadt ausgeschlossen: Karawansereien, Märkte, Vororte usw. Der Prozess der Integration von Markt und Ware (Menschen und Dingen) in die Stadt besteht über Jahrhunderte fort. Handel und Verkehr, unerlässlich sowohl zum Überleben als auch zum Leben, bringen Wohlstand und Bewegung. Die politische Stadt widersetzt sich dem mit ihrer gesamten Macht, ihrem ganzen Zusammenhalt; sie empfindet, sie erkennt die Bedrohung durch den Markt, die Ware, den Händler, durch deren Form des Eigentums (das bewegliche Eigentum, das Geld). Es gibt unzählige Fakten, die das beweisen: die Existenz der Handelsstadt Piräus, unweit des Stadtstaates Athen, ebenso Abbildung 42: Burgbergsiedlung. Die Baustelle im Jahr 1970. (Quelle: Lauterwasser) Abbildung 43: Burgbergsiedlung. Zwei Reihenhäuser werden zersägt. (Quelle: Stadtarchiv Überlingen; Südkurier 1977: o.S.) 88 Dieses von dem französischen Soziologen skizzierte Spannungsverhältnis zwischen dem geordneten Raum der Einheimischen, der Isotopie, und dem fremden Platz der Neuankömmlinge, der Heterotopie, lässt sich auch auf den sozialen Raum Überlingens übertragen. Lange Zeit spielte sich das urbane Leben in der mittelalterlichen Kernstadt Überlingens ab. Dort trafen sich die Einheimischen beim Einkaufen, bei der Arbeit oder bei ihren Festen und sicherten damit ihre sozialen Beziehungen. Die Burgbergsiedlung hingegen blieb den meisten Einheimischen fremd, weil dieser von zahlreichen Baustellen überzogene Raum abseits ihrer gewohnten Treffpunkte lag und deshalb für sie als eine Art „Terra incognita“ galt. Zwar hatten manche Einheimischen auch Kontakte zu den Bewohnern der Burgbergsiedlung, einige von ihnen zogen sogar selbst dorthin, aber viele Bürger begegneten den Zugezogenen mit einer gewissen Distanz. So blieben die Alteingesessenen in der Regel unter sich, weil vieles in der Burgbergsiedlung ungewohnt war - fremd blieb ihnen nicht nur die moderne Architektur, die sie als „Betonschachteln“ oder als Ghetto wie die wiederholten vergeblichen Verordnungen, die das Feilhalten von Waren auf der Agora, dem freien Platz, dem Platz für politische Versammlungen, untersagten. Wenn Christus die Händler aus dem Tempel vertreibt, so treffen wir auf das gleiche Verbot, den gleichen Sinngehalt. In China, in Japan gehört der Händler lange Zeit einer niederen Bürgerschicht an, die in ein ‚besonderes‘ Viertel verwiesen wurde (Heterotopie). Im Grunde gelingt es der Ware, dem Markt und dem Händler erst im europäischen Abendland, gegen Ende des Mittelalters, siegreich in die Stadt einzudringen.“ (Lefebvre 1972: 15f.) Abbildung 44: Sonnenbergkomplex, Terrassenhäuser, Bungalows und Gartenhofhäuser. (Quelle: Lauterwasser) 89 der „steingewordenen Scheußlichkeit“ bezeichneten, fremd blieb ihnen auch die religiöse Zugehörigkeit der Zugezogenen sowie ihre Hochsprache, die sich hörbar vom Überlinger- Dialekt abhob. Wie vorher erwähnt, gilt die Burgbergsiedlung bei den Überlinger Bürgern heute nicht mehr als ein störender Fremdkörper der Stadt. Dies liegt daran, dass der Lärm und Schmutz der Baustellen verschwunden sind, es liegt daran, dass sich die Einheimischen an die moderne Architektur gewöhnt haben und es liegt auch daran, dass die Überliner Bürger durch gemeinsame Aktivitäten zusammengewachsen sind. 250 Zweifellos spielen dabei die vielen Feste und die zahlreichen Arbeits- und Freizeitkontakte, aber auch die aktive Teilnahme der Burgbergbewohner am politischen Leben der Stadt eine wichtige Rolle. Bedeutsam bleibt auch die Tatsache, dass die Großwohnsiedlung aufgrund der angespannten Wohnungssituation immer eine zentrale Rolle bei der Wohnraumversorgung in der Bodenseeregion gespielt hat. Somit tritt am Beispiel dieser Großwohnsiedlung ein weiteres Spezifikum der Heterotopie zutage: die Heterotopie besitzt die Fähigkeit, sich in den Stadtkörper zu integrieren, dessen Ordnung zu übernehmen und das soziale Narrativ der Stadt mitzuschreiben. 2.3.3 Die Burgbergfeste als identitätsstiftende Momente Bereits früh erkannte die Stadtverwaltung, dass die persönliche Kontaktpflege zwischen Neuzugezogenen und Einheimischen einen wichtigen Beitrag für die Integration der Burgbergbewohner in die Gemeinde leisten konnte. Um die zwischenmenschlichen Beziehungen in der Großwohnsiedlung zu festigen und den nachbarschaftlichen Austausch zu fördern, organisierte die Stadtverwaltung gemeinsam mit der Bau-GmbH im Jahre 1974 das erste Stadtteilfest in der Burgbergsiedlung. Zum Bedauern der Burgbergbewohner war dieses Fest noch mit ausgeprägten Vorurteilen gegenüber der modernen Wohnsiedlung bestimmt. Da vielerorts die Gärten noch nicht angelegt waren und sich deshalb auch kaum ein gewachsener Baumbestand entwickeln konnte, beschimpfte die Lokalpresse im Vorfeld des geplanten Festes die Burgbergsiedlung als eine „Betonwüste“. Nachdem der Südkurier in einem beißenden Bericht die Burgbergsiedlung auch noch als eine „steingewordene Scheußlichkeit“ bezeichnete, begannen sich die Anwohner gegen die tendenziöse Berichterstattung zu wehren. Bei dieser Gelegenheit protestierte ein Burgbergbewohner mit einem Leserbrief gegen die negative Berichterstattung über den neuen Stadtteil und wies auf die positiven Seiten der neuen Wohnsiedlung hin. Weil dieser Brief das Unbehagen der Burgbergbewohner treffend zum Ausdruck bringt, soll er an dieser Stelle ausführlich zitiert werden: 250 „Bevölkerungen unterschiedlicher Herkunft, Fuhrleute, Handelsgehilfen, Halbnomaden, die nur außerhalb der Stadtmauer wohnen durften, als suspekt galten und im Kriegsfall im Stich gelassen wurden - lange, schlechte Straßen, vieldeutige Räume. Bald jedoch verleibt sich die Stadt diese Vorstädte ein, die sie assimiliert und den von Erwerbstätigen - von Händlern und Handwerkern - belebten Vierteln angliedert. So entstand die städtische Agglomeration, wurde vom Kampf gegen den Königsstaat zusammengeschweißt, zu einer starken Volkseinheit. Erst in der Zeit des Bürgertums setzte eine gegenläufige Entwicklung ein: Teile des Volkes wurden aus dem Zentrum in die peripher gelegenen, immer noch bäuerlichen Heterotopien vertrieben. Es entstanden die ‚Vororte‘, die Wohnungen aufnahmen und eine besonders gut lesbare Isotopie besaßen. Insofern entspricht die Heterotopie nur in gewisser Hinsicht der Anomie des Soziologen. Anomische Gruppen formen heterotopische Räume, deren sich die herrschende Praxis früher oder später erneut bemächtigt.“ (Ebd.: 139) 90 „PROTEST EINES BURGBERGBEWOHNERS In den vergangenen Tagen musste die Stadt Überlingen und mussten im besonderen die Einwohner des Stadtteiles Burgberg schockiert sein. Denn auf der einen Seite wurden die Vorbereitungen für das Burgbergfest publiziert, das ein Schritt unter vielen sein sollte, die sozialen Bindungen der Menschen in dieser Stadt in wechselseitiger Wirkung zwischen altem und neuem Stadtteil zu vertiefen, und auf der anderen Seite wurde diesem Stadtteil kurz vor dem Start zu diesem Burgbergfest ein Tiefschlag versetzt. […] Ob es nur ein ‚faux pas‘, bedingt durch die Eigenverantwortlichkeit von überregionaler Redaktion und Lokalredaktion war, oder bewusst gewählter Zeitpunkt, von der beabsichtigten Wirkung her könnte das Timing nicht besser gewählt worden sein. Mag auch die ursprüngliche Konzeption des Bebauungsplanes in mancher Hinsicht anders gewesen sein, so zeigt ein Mann, der mit an vorderster Stelle für die öffentliche Meinungsbildung mit verantwortlich ist, ein hohes Mass mangelnder sozialer Verantwortung, wenn er es wagt, einen Stadtteil, der heute bereits einen Anteil von mehr als 15 % der Stadt Überlingen repräsentiert, als ein Ghetto der ‚steingewordenen Scheußlichkeit‘ bezeichnet. Dieser eine Schwerpunkt seiner Aussage stützt sich nach seinen Darlegungen auf eine Aussage des Bundes Deutscher Architekten. Dieses eigentlich böse und nicht zutreffende Wort ist nach einem früheren Bericht des Südkuriers lediglich innerhalb einer Diskussionsrunde von Architekten des Bundes Deutscher Architekten anlässlich einer Informationsrunde per Schiff entlang des Bodenseeufers gefallen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Aussage in dem konkreten Fall Burgberg vom gesamten Bund Deutscher Architekten getragen wird. Zumindestens werden es jene vier Architekten, die anlässlich der Einladung zum Burgbergfest in der Ausgabe vom Freitag, den 18. Oktober für die Planung und Ausführung der Bauten auf dem Burgberg verantwortlich zeichneten und selbst dem Bund Deutscher Architekten angehören, nicht tun. Der zweite Punkt, der diese […] Aussage untermauern soll, stellt das durch besondere Kameratechnik bewusst tendenziöl [sic! ] ‚geschossene‘ Foto dar. Es ist eine Kleinigkeit, aus jedem noch so schön gestalteten Stadtteil scheußliche Bilder zu fotografieren, wenn man es darauf anlegt. Das diesen Zeilen beigefügte Foto zeigt, wie man die gleichen Objekte auch aus einem anderen Blickwinkel sehen kann. Wer einmal sich die Zeit nahm, den Burgberg in einer oder zwei Stunden abzuwandern, der kann erkennen, dass der Burgberg viele schöne, städtebauliche Perspektiven aufweist; man muss sie nur sehen wollen. Ein weiteres Argument […], dass die bevorzugte landschaftliche Lage und die Bautätigkeit zwangsweise zu einer Überalterung einer Stadt führen, dürfte wohl auch nicht zu halten sein. Unabhängig davon, dass es schwerwiegende Gründe gibt, die zu einer Überalterung einer Stadt führen können, stimmt diese Behauptung für den Stadtteil Burgberg nicht. […] Die heute rund 2700 zählenden Neubürger von Überlingen stellen eine Mischung aus Pensionären und jungen Familien mit Kindern dar, die sich über den gesamten Burgberg verteilen. Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Kirchbauten, Ein- 91 kaufszentren und Dienstleistungsbetriebe zeigen nur, dass der Burgberg ein eigenständiger und in kurzer Zeit organisch gewachsener Stadtteil ist. - Der Burgberg ist und bleibt attraktiv.“ 251 Der Leserbrief gibt eindrucksvoll zu erkennen, wie sehr sich die Burgbergbewohner wünschten, dass die Überlinger Bevölkerung die Wohnsiedlung nicht als „trostloses Ghetto“ betrachtete, sondern ihre neue Heimat endlich auch als einen integralen Stadtteil Überlingens akzeptierten. Die Bewohner der Siedlung sollten jedoch zunächst enttäuscht werden - es mussten noch einige Jahre verstreichen, bis sich ein grundlegender Sinneswandel in der Bürgerschaft vollzog. Einen ersten Durchbruch erzielten sie zwei Jahre später, als im Jahre 1976 ein neues Stadtteilfest geplant wurde. 252 Mit diesem Fest wollten die Anwohner das Image der Großwohnsiedlung verbessern, die bereits bestehenden Nachbarschaftsverhältnisse fördern, sowie den neu hinzugezogenen „Burgbergbewohnern die Möglichkeit geben, mit den anderen Mitbewohnern Kontakt aufzunehmen.“ 253 In dieser Zeit wohnten bereits über 3000 Menschen in der Großsiedlung, was etwa 15 Prozent der Gesamtbevölkerung der damaligen Kreisstadt entsprach. Die Nahversorgung der Großwohnsiedlung stellte das Burgbergzentrum sicher; dort tätigten die Anwohner, wie in jeder Kleinstadt üblich, ihre täglichen Einkäufe, brachten ihre Briefe zur Post, besuchten den Arzt oder plauderten entspannt mit den Nachbarn. Die Burgberggrundschule und der Kindergarten waren bereits eröffnet und das evangelische Kirchengemeindezentrum, das Paul-Gerhardt-Haus, stand kurz vor dem Abschluss der Bauarbeiten - es wurde am 8. Mai 1977 eingeweiht. Für alle war nun deutlich erkennbar, dass das soziale Leben auf dem Burgberg reibungslos funktionierte. Und während noch zwei Jahre zuvor die „kahle Betonarchitektur“ dominierte und die modernen Gebäude immer wieder von Neuem für negative Schlagzeilen gesorgt hatten, hatte sich aufgrund der gepflegten Garten- und Grünanlagen nun auch das äußere Bild der Siedlung grundlegend verändert. 254 Im Gegensatz zum ersten Burgbergfest, welches noch die Gemeinde Überlingen und die Bau-GmbH ausgerichtet hatten, nahmen dieses Mal die Anwohner die Organisation selbst in die Hand und luden ihre Überlinger Mitbürger ins Burgbergzentrum ein. Kurzerhand verwandelten die Initiatoren das Burgbergzentrum in einen Festplatz, um dort ihre Gäste zu bewirten. Während die Musikkapelle Owingen ein Frühschoppenkonzert gab und sich die Kinder am Nachmittag bei Gokart-Fahrten vergnügten, trafen sich die Älteren bei Kaffee und Kuchen - den gelungenen Abschluss der Veranstaltung bildete ein abendlicher Lampionumzug für die Kinder und eine Tanzveranstaltung für die Erwachsenen. 255 251 Der Brief dokumentiert das Selbstbewusstsein einer Mittelschicht, deren Einwohnerstruktur sich aus Pensionären, Facharbeitern, Lehrern und Ingenieuren zusammensetzte, wie man im Adressbuch Überlingen, Ausgabe 1986, entnehmen kann (vgl. Anlage). Diese Bevölkerungsgruppe beschreibt der Ökonom Richard Florida als kreative Klasse: Sie ist gut ausgebildet, kreativ agierend, kritisch denkend und tolerant im Umgang mit anderen (vgl. Leserbrief des Burgbergbewohners Kurt Graf. In dem Brief bezieht sich der Verfasser auf einen Artikel im Südkurier vom 19.10.1974). 252 Südkurier 1976b: o.S. 253 Ebd. 254 „Grünflächen und Blumen in den Gärten wuchsen heran und verdrängten etwas den vorherrschenden Beton in diesem Stadtteil […].“ (Südkurier 1976a: o.S.) 255 Südkurier 1976b: o.S. 92 Bereits im Vorfeld hatte das Festkomitee in der Lokalzeitung für das gesellige Beisammensein geworben und in einem Zeitungsartikel den Blick auf die bewegte Geschichte des Burgbergschlosses gelenkt. 256 In ihrer Presseinformation nahmen die Organisatoren die kulturelle Bedeutung des Wasserschlosses zum Anlass, ihre Zugehörigkeit zur Überlinger Stadtgeschichte zu unterstreichen. Auch wenn die Anwohner den privat genutzten Schlosspark nicht betreten durften, begriffen sie ihn doch als einen bedeutenden Ort in der Siedlung. Neben der Tatsache, dass das Schloss im Bebauungsplan als ein integraler Bestandteil der Grünraumplanung der Wohnsiedlung festgeschrieben war, galt für sie das Wasserschloss als ein Symbol der Gastfreundschaft. Folglich beschrieb der Verfasser des Zeitungsberichts das Schlossareal als einen Zufluchtsort, der zu allen Zeiten von Toleranz und Lebensfreude geprägt gewesen sei. 256 Die Informationen über das Wasserschloss am Burgberg stammten von Rolf Valentin (Sohn von Carl Valentin), der in einem Brief an den Bürgermeister Ebersbach die bewegte Geschichte des Burgbergs zusammengefasst hatte: „Ab 1492 war das Kloster Rot an der Rot für 200 Jahre Eigentümer des Überlinger Burgbergs gewesen. Dessen Abt Ehrmann ließ 1584 das 1374 auf wiederum älteren Grundmauern erstellte Wasserschloss zum Repräsentationssitz umbauen, ein Charakter, den die Anbringung reicher Stuckaturen um 1680 noch betont. Zwischen 1932 und 1969 wurde das Schloss vollständig an die Technik der Gegenwart angepasst und auch sonst generalrenoviert. Stets war es von Zusatzbauten zu Wohn- und Wirtschaftszwecken umgeben, deren Grundflächen die des Schlosses weit übertrafen. Offenbar erstmals in den Jahrhunderten seines Bestehens, wie historische Abbildungen nachweisen, stellt sich das Schloss seit 1967 ohne Nebengebäude dar, die zu diesem Zeitpunkt abgerissen worden waren. […] Bis vor 50 Jahren war der Schlosspark eine Gartenbepflanzung in der Art einer Baumschule. Seit 1930 wurde er zum Park entwickelt und 1963 in seiner Fläche nahezu verdoppelt. Jetzt stellt das Vorhandensein dieses Parks die Voraussetzung dar, das Schloss einer auf die Dauer sinnvollen Nutzung zu erhalten.“ (Dr. Valentin, Rolf: Brief an den Bürgermeister - Zur Situation des Schlossareals von Burgberg, 03./ 04.06.1979) Abbildung 45: Wasserschloss Burgberg. Historische Darstellung des Burgbergschlosses. Unbekannter Künstler. (Quelle: Lauterwasser) 93 „Bereits aus der Geschichte des Burgbergschlosses geht hervor, dass auf dem Burgberg schon immer gern gefeiert wurde. So ist in der Chronik zu lesen, als die Familie Wendelin Nessensohn von Homberg im Jahre 1832 den Burgberg kaufte und bis 1887 das Wirtschaftsrecht hatte: ‚Die traute, heimische Weinstube dortselbst bildete für Bürger wie für Beamte ein gern aufgesuchtes Ziel, um nach des Tages Mühe und oft fürchterlich prosaischem Tun der stillen Beschaulichkeit bei einem Tropfen des köstlichen Sorgenlösers und unter dem Gespräche der redefertigen Gastwirtin und lebendigen Stadtchronik sich hinzugeben. Auch der Schreiber dieses zählte 1884 bis 1886 als er im höheren Auftrag den Staub der Pergamente im hiesigen Stadt- und Spitalarchiv zu schlucken hatte, nicht selten zu jenen stillvergnügten Wallfahrern.‘“ 257 Dieses Narrativ beweist, dass sich die Bewohner mit ihrem Stadtviertel, welches mit dem Wasserschloss eng verknüpft war, stark identifizierten. Damit erwies sich der idyllische Burgbergpark als ein Ort, der nicht nur die Identität des Quartiers prägte, sondern mit seinem Ökotop auch zur Lebensqualität der Menschen beitrug. Das Verhältnis zwischen den Bewohnern der Burgbergsiedlung und dem Besitzer des Burgbergparks blieb zwar distanziert, aber respektvoll - die Anwohner schätzten den Eigentümer des Schlosses, Dr. Carl Valentin, als einen „großmütigen Gönner und Förderer“ der Großwohnsiedlung, und sie zollten ihm Dank dafür, dass er ein Großteil seines Privatgeländes für den Bau des Demonstrativbauvorhabens zur Verfügung gestellt hatte. Da jeder wusste, dass der Bau der 257 Südkurier 1976a: o.S. Abbildung 46: Weinlese, im Hintergrund das Burgbergschloss. Aquarell von Johann Sebastian Dirr. (Quelle: Lauterwasser) 94 Wohnsiedlung ohne den Verkauf seines Teileigentums an die Stadt nicht möglich gewesen wäre, lobten sie seinen Weitblick. Obwohl das Burgbergfest zum positiven Image der Siedlung beitrug und im Lauf der Zeit das Unbehagen der Einheimischen gegenüber der monotonen Siedlungsarchitektur nachließ, hatten die Bewohner der Burgbergsiedlung immer wieder mit Vorurteilen zu kämpfen. Wie in vielen anderen Städten der Bundesrepublik blieb auch in Überlingen der Mythos einer „Trabantenstadt“ mit seiner „gähnende(n) Langeweile“ 258 für eine lange Zeit in den Köpfen der Alteingesessenen hängen. Da sich die Burgbergbewohner jedoch aktiv für ihr Quartier einsetzten, und auch mit eigenen Zeitungsbeiträgen die Vorzüge der Siedlung herausstellten, gelang es ihnen Schritt für Schritt, die negative Haltung gegenüber dem Wohngebiet zu korrigieren. Mit ihrem Engagement demonstrierten sie nicht nur „eine tolerante, weltoffene Haltung“ 259 nach außen, sondern sie bewiesen auch die soziale Bindungskraft nachbarschaftlicher Beziehungen. Damit entstand in der Burgbergsiedlung eine urbane Atmosphäre, die nicht ohne Folgen blieb: Wenige Jahre später trugen die nachbarschaftlichen Netzwerke dazu bei, binnen kürzester Zeit eine Bürgerinitiative zu organisieren, welche sich für den Erhalt des Burgbergparks einsetzte. 258 Mitscherlich 2008: 84 259 Sieverts 2013: 32. Abbildung 47: Der landwirtschaftlich genutzte Burgberg vor dem Siedlungsbau in den 1950er/ 1960er Jahren. (Quelle: Lauterwasser) 95 2.3.4 Wem gehört die Stadt? Der Streit um den Burgbergpark Der Bebauungsplan wies in den 1960er Jahren den Burgbergpark als einen notwendig zu erhaltenden Grünraum der Überlinger Großwohnsiedlung aus und verbot auf dem Areal jede bauliche Veränderung. 260 Die Bewohner der Großsiedlung begrüßten diese Entscheidung, da sie vor allem während der Bauphase des Demonstrativbauvorhabens die ökologische Nische des Parks zu schätzen lernten; mit seinem romantischen Schloss und dessen exotischem Baumbestand beeinflusste er das Kleinklima der Siedlung und vertrieb darüber hinaus auch noch Monotonie mancher Flachdachbauten. Nach dem Ende der Baumaßnahmen sorgten im Quartier zahllose private Gärten, öffentliche Grünanlagen und ein inzwischen beachtlich angewachsener Baumbestand dafür, dass die kahle Betonarchitektur der Siedlung etwas in den Hintergrund trat. Zwar bezeichneten manche Architekten diese Begrünung humorvoll als „Architektentrost“, weil ihrer Meinung nach die Bäume und Sträucher die monotonen Gebäude kaschieren würden, doch wurde im Laufe der Jahre für alle Bürger sichtbar, dass die reizvollen Gärten das Image der Burgbergsiedlung bedeutend aufgewertet hatten. In dieser Hinsicht erinnerten 260 Vgl. Baurechtsabteilung: Antrag auf Änderung des Bebauungsplanes Burgberg (11.10.1967), Überlingen, 03.03.1981. Abbildung 48a-b: Der Burgbergpark mit dem historischen Schloss im Hintergrund und der neuen Wohnanlage, gut erkennbar an den Giebeldächern. (Quelle: Krug 2014) 96 die nach einheimischen Blüten und Blumen benannten Straßennamen 261 an die Bedeutung der Grünraumplanung 262 im Quartier (vgl. Abb. 50). So informierte im Jahre 1969 ein Journalist des Südkuriers die Überlinger Bürger mit dem Slogan „Lasst Blumen sprechen! “ über die neuen Straßenschilder der 3000 Einwohner umfassenden Burgbergsiedlung und wies die Leser auf ökologischen Ziele des Demonstrativbauvorhabens hin: „Lasst Blumen sprechen! Nach diesem Motto hat das Überlinger Stadtbauamt gehandelt, als man daranging, den Straßen im Neubaugebiet Burgberg Namen zu geben. Überlingen nennt sich ohnehin die Stadt der Blumen, und zum anderen soll das Burgbergneubaugebiet einmal eine großzügige Grünanlage mit eingestreuten Gebäuden werden. Dafür liegt ein eigener Grün-Rahmenplan vor. Inzwischen sind im Burgberggebiet rund 45 Häuser oder Wohnungen bezogen. […] Die ‚Lebensader‘ des Burgbergneubaugebietes wird der Burgberg-Ring sein. Er führt von der Lippertsreuter Straße in Richtung Schlosseingang und dann nach Norden, dem Schatzberg zu. […] Dem Sonnenberg und dem Schatzberg hat man die beiden Gewannnamen belassen. Alle anderen Straßen und Wege werden Blumennamen tragen, und zwar als Wege. Im gesamten Burgberggebiet wird es also keine ,Straßen‘ geben, sondern den Ring, die Wege und die beiden Berge. - Hier die 261 Beim Studium der Straßennamen fällt der Carl-Valentin-Weg ins Auge. Hier hat die Stadt Überlingen ihre botanisch orientierte Namensgebung ausgesetzt und mit diesem Straßennamen an den ehemaligen Besitzer des Burgbergs erinnert. Am 24.10.1969, ein Jahr nach dem Tode Carl Valentins, stellte sein Sohn den Antrag, den an der Nordseite des Schlossareals entlang führenden Weg nach seinem Vater zu benennen. Dieser hätte sich „durch seine Haltung beim Verkauf des Burgberggeländes in bemerkenswerter Weise um die Stadt Überlingen verdient gemacht [...] und durch mehrere Generalrenovierungen auch um den Burgberg“ (Dr. Valentin, Rolf: Brief an den Stadtrat von Überlingen, 24.10.1969, S. 7) 262 Für die Realisierung der Demonstrativbauvorhaben waren Grünflächen zwingend vorgeschrieben. Die Großwohnsiedlungen „stellten eine funktional eigenständige Siedlungseinheit dar, und es lag ihnen ein städtebauliches Gesamtkonzept zur Wohnnutzung, Grün- und Freiflächennutzung sowie zur verkehrs- und infrastrukturellen Erschließung zugrunde. Beibehalten wurden zunächst die seit Mitte der vierziger Jahre angewandten städtebaulichen Leitlinien wie Durchgrünung, geringe Bebauungsdichte oder Zeilenbebauung.“ (Hafner 1993: 296) Abbildung 49: Burgberg. Die Straßennamen sind nach Blühgewächsen benannt. (Quelle: Stadtarchiv Überlingen; Südkurier 1969) 97 Burgberg-Wege, die nach folgenden Blumennamen bezeichnet werden: Tulpen, Narzissen, Lavendel, Geranien, Primel, Rosen (Hag), Lilien, Flieder, Nelken, Dahlien, Magnolien, Jasmin, Rosmarin, Begonien und Lupinen. Im Süden grenzt das Neubaugebiet an den Grethaldeweg, der von der Langgasse entlang des Schlossparkes führt und der als Spazierweg an die Lippertsreuter Straße (gegenüber ‚Waldhorn‘ etwa) eines Tages angeschlossen werden soll.“ 263 Blickt man heute über die Dächer der Siedlung, lässt sich unschwer erkennen, dass der Burgbergpark eine nahtlose Einheit mit der parkartigen Gesamtanlage der Großwohnsiedlung bildet. Im Frühjahr vernimmt man dort überall ein fulminantes Vogelkonzert. Und wenn dann am frühen Morgen die Singvögel ihr gemeinsames Lied anstimmen, gewinnt man die Erkenntnis, dass der idyllische Burgbergpark mit seiner Flora und Fauna einen wertvollen Beitrag zur Wohn- und Lebensqualität in der Burgbergsiedlung leistet. Heute erinnern sich nur noch wenige Überlinger daran, dass in den 1980er Jahren die Bewohner der Burgbergsiedlung leidenschaftlich um den Erhalt des Schlossparks gestritten und gekämpft hatten. Im folgenden Teil fasse ich die Ereignisse um den Erhalt des Parks zusammen und lege dar, in welcher Weise diese Protestbewegung „Momente und Räume der Selbstermächtigung und Selbstverwaltung sowie des Gemeinschaffens“ 264 hervorbrachte. Historisch ist das Ringen um den Erhalt des Burgbergparks dem in den 1970er und 1980er Jahren vollzogenen gesellschaftspolitischen Wandel der Bundesrepublik zuzuordnen. „Während die 1960er Jahre von Wachstum, Vollbeschäftigung und Wohlstand in Verbindung mit dem Ausbau des Sozialstaates geprägt waren“, erfolgte ab den „1970er Jahre(n) ein Umdenken, das durch pessimistischer formulierte Zukunftsaussichten und ein neues ökologisches Verständnis zum Ausdruck kam“. 265 Bei diesen Auseinandersetzungen konzentrierten sich die von den Erfahrungen der 68er-Bewegung beeinflussten Bürgerbewegungen auf ökologische Fragen. Genannt seien, um nur einige Beispiele anzuführen, die bundesweiten Proteste gegen den Bau von Atomkraftwerken, der regionale Widerstand gegen die geplante Bodenseeautobahn oder das lokale Ringen um den Burgbergpark. 263 Südkurier 1969d: o.S. 264 Tajeri 2017: 228. 265 Beckmann 2015: 117. Abbildung 50a-b: Burgbergpark. a) Im Vordergrund links der Burgbergpark vor der Umgestaltung; b) Der Burgpark nach der Umgestaltung. (Quellen: Abbildung 50a: Stadtarchiv Überlingen; Abbildung 50b: Google Maps) 98 Die Debatte um den Burgbergpark begann im Sommer 1978, als Rolf Valentin, der Eigentümer des Schlossparks, eine Bauvoranfrage über die Neugestaltung des Grundstückes an die Stadt Überlingen richtete. Da ihm der aktuelle Bebauungsplan eine Veränderung des Anwesens untersagte, bat er den Gemeinderat, eine Neuregelung in Erwägung zu ziehen. Nachdem in der Burgbergsiedlung die ersten Gerüchte über eine geplante Umgestaltung des Burgbergparks kursiert waren, bat ein Anwohner den Gemeinderat um Aufklärung über die Pläne des Schlosseigentümers. In einem Brief bekundete er seine Sorge über eine drohende Nachverdichtung der Siedlung und den Verlust des Biotops im Schlosspark. Eindringlich warnte er vor einer unbesonnenen Veränderung des Burgbergparks und gab dabei zu bedenken, „dass eine große Anzahl Bewohner dieses Stadtteiles seit Jahrzehnten ihren Beitrag zur attraktiven Gestaltung der Stadt Überlingen beigetragen […]“ 266 hätten und ihnen aus diesem Grunde ein moralisches Recht zustehen würde, „auch in ihrem näheren Bereich ruhige Erholungslandschaften vorzufinden“. 267 Unmissverständlich warnte der Anwohner vor den Konsequenzen einer Bebauungsplanänderung und drohte - gerade auch mit Blick auf den bevorstehenden Kommunalwahlkampf - mit der Gründung einer Bürgerinitiative, die sich „aller legalen Rechte und Mittel zur Verhinderung des Vorhabens bedienen werde[n]“ 268 . Im April 1979 informierte der Bürgermeister die Bürger darüber, dass das Areal Schloss Burgberg im Bebauungsplan als eine nicht bebaubare Grünfläche ausgewiesen sei. Zwar habe der Grundstückseigentümer über einen Architekten erklären lassen, dass er auf dem Burgbergpark einige Gebäude errichten wollte, die zuständigen Fachleute hätten allerdings darauf hingewiesen, dass ein solches Projekt „nur im Rahmen einer Änderung des rechtsverbindlichen Bebauungsplanes“ dreier Gremien erfolgen könne; ohne die Zustimmung des Gemeinderates, des Regierungspräsidiums und des Landratsamtes sei eine Änderung des Planes nicht möglich. Um die Anwohner zu besänftigen, fügte der Bürgermeister hinzu, dass „eine mögliche Änderung des Bebauungsplans nach den entsprechenden Vorschriften des Bundesbaugesetzes die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Anlieger“ 269 vorsehe. Obgleich der Bürgermeister ein korrektes Vorgehen bei den weiteren Planungsarbeiten versprach, löste sein Brief bei den Bewohnern der Burgbergsiedlung einen Sturm der Entrüstung aus. Da sie die Zerstörung des Schlossparks befürchteten, gründeten die Anwohner die Aktionsgemeinschaft zur Erhaltung des Burgbergparks, besuchten sogleich das Bauamt und prüften dort die aktuellen Bebauungspläne. Danach organisierten sie eine Unterschriftenaktion. Als im Mai 1979 dem Bürgermeister eine Liste mit über 1000 Unterschriften übergeben wurde, wies das Bündnis in einem Begleitschreiben auf den kulturellen, ökologischen und sozialen Wert des Schlossparks hin und brachte ihre Sorge zum Ausdruck, dass die Parkanlage zerstört und die Wohnqualität der Siedlung „durch eine weitere Bebauungsverdichtung erheblich beeinträchtigt“ 270 werden könnte. 266 Podschadly, Gerhard: Brief an den Bürgermeister, den Gemeinderat und das Baurechtsamt der Stadt Überlingen/ Bebauungsplan Burgberg - Schlossbereich, 08.04.1979. 267 Ebd. 268 Ebd. 269 Bürgermeister Ebersbach: Brief des Bürgermeisters an Gerhard Podschadly, 25.04.1979. 270 Der Sprecher der Bürgerinitiative formulierte den Brief wie folgt: „In den letzten Tagen kursieren wieder in verstärktem Masse Gerüchte, die von einer ganzen oder teilweisen Bebauung des Schlossparks Burgberg wissen wollen. Wir sind als Überlinger Bürger darüber ernsthaft besorgt: 1. Der Schlosspark mit seinem wertvollen, alten Baumbestand ist eine der wenigen zusammenhängenden 99 Einige Wochen später schaltete sich der Schlossbesitzer in die Diskussion ein und setzte den Gemeinderat über die geplanten Baumaßnahmen in Kenntnis. In seinem Schreiben „Zur Situation des Schlossareals von Burgberg, Pfingsten 1979 (3./ 4. Juni 1979)“ nahm Rolf Valentin auf die Sorgen der Bewohner Bezug, bezeichnete deren Bedenken allerdings als nicht nachvollziehbar. Gleichzeitig bat er die Stadt, sein Vorhaben zu unterstützen, da das Schloss für Wohnzwecke ungeeignet und angesichts seiner eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse unrentabel geworden sei. Damit eine funktionsfähige und profitable Wirtschaftseinheit geschaffen werden könne, so der Schlosseigentümer, würde es neuer Erweiterungsbauten im Schlossareal bedürfen. Um die aufgeheizte Situation zu entschärfen, fügte er besänftigend hinzu, dass in keiner Weise mit einer Zerstörung des Schlossparks zu rechnen sei. „In diesem Park“, so Rolf Valentin, „um den sich 1019 Überlinger Bürger den Kopf zerbrechen, stecken mehr als 47 Jahre intensiver gärtnerischer Pflege, die ausnahmslos von Carl Valentin und seinem Sohn, dem heutigen Schlosseigentümer bezahlt worden ist. […] Sein heutiger Eigentümer müsste sehr töricht sein, wenn er diesen […] von seinem Vater und von ihm selbst geschaffenen Park vernichten wollte. Etwas Derartiges hat er zu keinem Zeitpunkt erwogen.“ 271 In einem weiteren Brief stellte Rolf Valentin den Stadtrat von Überlingen über seinen Antrag auf Änderung des Bebauungsplanes in Kenntnis und begründete detailliert seine Bauabsichten. Dabei betonte er, dass für ihn das Schloss mit einer Nutz- und Wohnfläche von 800 Quadratmeter als privates Wohngebäude wirtschaftlich nicht mehr tragbar sei. Außerdem seien aufgrund des Denkmalschutzes Umbauten „unmöglich, da fast alle Räume mit reichem Stuck aus dem Frühbarock ausgestattet sind“. 272 Um die Wirtschaftlichkeit des Schlossareals zu gewährleisten, schlug Rolf Valentin eine neue, repräsentative Nutzung des Schlosses vor und gab hierbei zu bedenken, dass in dem umgestalteten Burgbergpark das Wasserschloss als symbolträchtiges Bauwerk den Mittelpunkt einer neuen wirtschaftlichen Einheit, wie etwa eines Schulungs- und Konferenzzentrums für ein großes Unternehmen, bilden könnte. Mit Nachdruck betonte Rolf Valentin, dass „jede derartige Nutzungsform“ weitere Bauten „zu Wohn- und Arbeitszwecken“ 273 notwendig machen Grünflächen im Stadtgebiet. 2. Das Burgbergschloss mit seinem Park hat enge Bindungen zur Stadt und ihrer Geschichte. 3. Der Wohnwert im Stadtteil Burgberg wird durch eine weitere Bebauungsverdichtung erheblich beeinträchtigt. Soviel wir wissen, ist der Schlosspark in den derzeit rechtsgültigen Bebauungsplänen ausdrücklich als nicht bebaubare Grünfläche ausgewiesen. Eine Änderung dieses Bebauungsplans würde eine weitere Verdichtung der Bebauung im Stadtteil Burgberg zur Folge haben. Bereits die derzeitige Bebauungsdichte hat aber dem Gemeinderat und der ganzen Stadt in den vergangenen Jahren zum Teil heftigste Kritik eingebracht. Wir möchten deshalb diese Angelegenheit frühzeitig zu ihrer Aufmerksamkeit bringen und bitten um eine Ablehnung einer event. Bebauungsplanänderung im Hinblick auf den Schlosspark, falls es zu einer Behandlung des Themas im Gemeinderat kommen sollte.“ (Dr. Witte, Wolfgang: Brief an den Bürgermeister inkl. der Unterschriftenliste von 1019 Überlinger Bürgern vom 26.03.1979, Überlingen, 28.05.1979) 271 Vgl. Anlage Carl Valentin - Anlage1 | Dr. Valentin, Rolf: Brief an den Bürgermeister - Zur Situation des Schlossareals von Burgberg, Pfingsten 1979 (3./ 4. Juni 1979). 272 Dr. Valentin, Rolf: Brief an den Bürgermeister und an den Stadtrat von Überlingen/ Begründung des Antrags auf Änderung des Bebauungsplanes, 01.09.1980. 273 Ebd. 100 würden. Hierbei fasste Rolf Valentin den Bau einer öffentlichen bzw. halböffentlichen Einrichtung im Schlossgelände ins Auge - nur auf diese Weise, so Valentin, sei das historische Ensemble zu retten: „Lebensfähig ist es auf lange Sicht nur, wenn es wieder Mittelpunkt einer funktionsfähigen wirtschaftlichen Einheit wird, in der das Schloss vorwiegend Repräsentationszwecken zu dienen hat, beispielsweise in einem Schulungs- oder Konferenzzentrum eines großen Unternehmens oder innerhalb einer ähnlichen Abbildung 52a-b: Schloss Burgberg. Innenansichten. (Quelle: Lauterwasser) Abbildung 51: Schloss Burgberg. (Modifizierte Quelle: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wasserschloss_Burgberg, Stand: 29.07.2018) 101 Verwendungsart. Jede derartige Nutzungsform setzt unbedingt das Vorhandensein weiterer Baulichkeiten innerhalb des Schlossareals zu Wohn- und Arbeitszwecken voraus.“ 274 In seiner Begründung lenkte er den Blick auf die wechselvolle Geschichte des Wasserschlosses und gab dabei zu bedenken, dass bereits früher das Wasserschloss als eine Art Schulungszentrum gedient habe. „Das Schlossgebäude von Burgberg ist vor sechs Jahrhunderten auf älteren Grundmauern errichtet worden. Seit der Erbauung des Schlosses wechselten die Eigentümer des Anwesens auffällig oft. Lediglich drei Eigentümergruppen konnten das Anwesen während etlicher Generationen halten. So war der Burgberg samt Schloss 200 Jahre lang im Mittelalter Eigentum und Dependance des im Allgäu gelegenen Klosters Rot, offenbar in der Art eines Schulungszentrums und einer Sommerresidenz. An zweiter Stelle steht um 1700 die Familie derer von Dürrheim, die das Schloss fast ein Jahrhundert hielt. Sie machte ausgiebig vom Recht des kommerziellen Weinausschanks Gebrauch. Ebenfalls mehr als 50 Jahre blieb dann noch die Familie Nesensohn Eigentümer, die im 19. Jahrhundert das Schloss als weithin beliebte Gastwirtschaft betrieb. Von den Erbauern des Schlosses im tiefen Mittelalter abgesehen, haben dann bloß mein Vater und ich den Ballast des Schlossbesitzes rund ein halbes Jahrhundert verkraftet. Alle übrigen der insgesamt 17 Gruppen der Schlosseigentümer von Burgberg hielten im Durchschnitt die Belastung durch dieses Eigentum nicht länger als jeweils ein Dutzend Jahre durch. Dieser historische Rückblick zeigt, dass sich in früheren Jahrhunderten der Schlossbesitz von Burgberg innerhalb einer speziell auf das Schloss zugeschnittenen wirtschaftlichen Funktion als tragbar erwies, sonst aber nicht. Als Herrenhaus eines Gutsbetriebs ist das Schloss auch in Verbindung mit den Ländereien des gesamten Burgbergs zu aufwendig gewesen. Das Schlossgut war nie ein rentabler Gutshof. Es ist nur sinnvoll, wenn das Schlossareal von Burgberg wieder einer spezifischen wirtschaftlichen Aufgabe zugeführt wird. Dann sind auch die immensen Unterhaltungskosten als Betriebsausgaben eines Wirtschaftsunternehmens tragbar.“ 275 Zum Schluss erinnerte er die Ratsmitglieder daran, dass seine Familie die Pflege von Schloss und Grünanlage einen „Millionenbetrag“ gekostet hätte; bedauerlicherweise sei ihnen aber beim Verkauf des Burgberggeländes entgangen, dass der ursprüngliche Bebauungsplan den Park als unverbaubares Grünland auswies. Diesen Fehler, der ihm nun offensichtlich zum Nachteil gereichte, wolle er mit seinem Antrag einer Bebauungsplanänderung korrigieren. Mit dem Brief an den Gemeinderat gab der Eigentümer Rolf Valentin erstmals öffentlich bekannt, dass er auf seinem Grundstück eine Nutzungsänderung vorbereitete. Die Schaffung von „Schulungs- und Seminarräumen“ 276 und zusätzlichen Wohn- und Arbeitsräumen, welche sich zusammen mit dem Schloss zu einem abgestimmten Ensemble ver- 274 Ebd. 275 Ebd. 276 Untermann, Hans-Jörg: Antrag auf Bebauungsplanänderung für das Flurstück 3769 im Stadtteil Burgberg; Brief an das Stadtbauamt Überlingen, 02.10.1980. 102 dichten sollten, stellte seiner Ansicht eine Möglichkeit für eine neue, attraktive und ökonomisch sinnvolle Nutzung des Burgbergparks dar. 277 Als Ausgleich der Baumaßnahmen stellte er der Stadt in Aussicht, „einen Streifen mit ca. 3,00 m Breite entlang der Ostgrenze“ 278 für einen öffentlichen Fußweg „[…] unentgeltlich zur Verfügung zu stellen“. 279 Auf diese Weise wollte der Eigentümer „den Bewohnern des anliegenden Baugebietes ‚Lange Gasse‘ die Möglichkeit (zu) geben, auf kürzestem Wege das Einkaufszentrum zu erreichen, aber auch Kindern von Norden her einen kurzen Weg zu der Burgbergschule bzw. in die Stadt zu ermöglichen […].“ 280 Nachdem der Gemeinderat die Informationen der geplanten Umbaumaßnahmen erhalten hatten, traf er sich zu einer Sitzung, um über die Bebauungsplanänderung abzustimmen. Mit Spannung sahen die Anwohner dieser Entscheidung entgegen. Noch war der vom Regierungspräsidium genehmigte Bebauungsplan des Jahres 1967 gültig, wonach der Schlosspark als ein integraler Bestandteil des Demonstrativbauvorhabens Burgberg galt und deshalb als eine „nicht bebaubare Grundstücksfläche“ ausgewiesen war. 281 Nach der 277 Die Begründung einer Neunutzung lautete: „Das Schloss selbst ist aus ökonomischer Sicht nicht mehr auf längere Zeit in der jetzigen Form als Einfamilienhaus verwendbar. Eine andere Nutzung bedingt die Schaffung von Nebenräumen. Diese können vielfältiger Natur sein. Beispielsweise die Schaffung von Schulungs- und Seminarräumen.“ (Untermann, Hans-Jörg: Antrag auf Bebauungsplanänderung für das Flurstück 3769 im Stadtteil Burgberg; Brief an das Stadtbauamt Überlingen, 02.10.1980) 278 Ebd. 279 Ebd. 280 Ebd. 281 „Der Bebauungsplan Burgberg in seiner ersten Fassung ist vom Gemeinderat am 11.10.67 als Satzung beschlossen worden. Das Regierungspräsidium Südbaden genehmigte ihn am 8.3.1968. Für das Schlossgrundstück Abbildung 53: Schloss Burgberg, Burgbergpark. Bebauungsplanänderung - Gestaltungsplan vom 01.09.1980. Gemäß dieser Vorlage sollten im Burgbergpark die neuen Gebäude errichtet werden. (Quelle: Stadtarchiv Überlingen) 103 Beratung entschied der Gemeinderat „den Bebauungsplan Burgberg für das Grundstück Flurstück Nr. 3769 [Schloss Burgberg - Anm. H.-J.K.] zu ändern. […] Gleichzeitig wird die Verwaltung beauftragt, die Maßnahmen zur unverzüglichen Sicherung des Baumbestandes des Schlossareals zu ergreifen und dem Gemeinderat vorzulegen.“ 282 Als im Rathaussaal einige Monate später die angesetzte Bürgeranhörung zur „Änderung des Teilbebauungsplanes Burgberg“ stattfand, referierte das für die Konzeption betraute Planungsbüro Husserl+Fischer „über die Untersuchung einer möglichen Bebauung einschließlich dem Ergebnis einer Untersuchung über den Baumbestand des Parks“. 283 Ihr Konzept sah vor, das Schloss für Schulungs- und Tagungszwecke zu nutzen und für diesen Nutzungszweck zusätzliche Wohnungen zu bauen. Außerdem machten die Architekten die Zuhörer darauf aufmerksam, dass etliche Bäume des Burgbergparks überaltert seien und deshalb gefällt werden müssten. Sie versprachen jedoch bei der Neubebauung auf den Baumbestand Rücksicht zu nehmen und auch an die Aufforstung von Laubgehölzen zu denken. 284 Die Bewohner der Burgbergsiedlung waren von dem vorgestellten Konzept nicht zu überzeugen. In der nachfolgenden Diskussion äußerten sie die Befürchtung, dass der Park mit seiner vielfältigen Flora und Fauna zerstört werden könnte. In dieser Veranstaltung wurde dann auch erstmals der Begriff „die grüne Lunge des Burgbergs“ verwendet, welcher später bei vielen Gesprächen gebetsmühlenartig wiederholt wurde. Da die Anwohner die Parkanlage als eine wertvolle „Grünoase“ des Burgbergs betrachteten, forderten sie den Gemeinderat auf, den Schlosspark zu schützen - am besten würde dies gelingen, so die Anwohner, wenn das Schlossareal in öffentliches Gut verwandelt werden könnte. 285 In ihrer Argumentation richteten die Kritiker noch einmal ihren Blick auf die moralische Dimension des Bauprojektes und betonten, dass auf keinen Fall die wirtschaftlichen und privaten Interessen eines Einzelnen höher bewertet werden dürften als die der Allgemeinheit. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, stellten sie die Frage, gilt noch unverändert der ursprüngliche Bebauungsplan. Das Schloss ist als Bestand eingetragen. Die gesamte übrige Fläche ist als ‚nicht bebaubare Grundstücksfläche‘ ausgewiesen. Bis zum Abbruch 1964/ 65 waren vier Nebengebäude vorhanden.“ (Baurechtsabteilung: Antrag auf Änderung des Bebauungsplanes Burgberg, Überlingen, 03.03.1981) 282 Als sich der Gemeinderat im Mai 1981 traf, um über die Änderung des Bebauungsplans Burgberg zu beraten, setzte der Bürgermeister die Ratsmitglieder in Kenntnis, dass er sich bei einer Abstimmung der Stimme enthalten würde. Da er mit Rolf Valentin „persönlich freundschaftlich verbunden“ sei und der Antragsteller ihn bei seiner „ersten Wahl 1969 […] unterstützt“ hätte, sehe er sich dazu verpflichtet, politische Neutralität zu bewahren. Persönliche Erklärung des Bürgermeisters zur Enthaltung (Bürgermeisteramt Überlingen: Antrag auf Änderung des Bebauungsplans Burgberg; 17.03.1981, Gemeinderatsbeschluss Nr. 40 vom 11.03.1981). 283 Bürgermeisteramt Überlingen: Protokoll über die Bürgeranhörung‚ Änderung des Teilbebauungsplanes Burgberg‘ am 07.07.1981, Überlingen, 08.07.1981. 284 Das Planungsbüro schrieb einige Tage nach der Anhörung in einen Bericht: Die Änderung des Bebauungsplans will den „weitgehenden Erhalt des Parks + des Baumbestands bezwecken und darüber hinaus in geringem Umfang Bebauungsmöglichkeiten eröffnen […]. Eine Übernahme des Parkgeländes kommt aus finanziellen Gründen für die Gemeinde nicht in Frage sowohl von Seiten der Erwerbswie auch der Unterhaltskosten. […] Da der langfristige Erhalt des Schlosses nur durch eine Umnutzung gewährleistet werden kann (die Wohnnutzung sichert den Bestand nicht), ist geplant, eine Schulungsstätte einzurichten. Diese erfordert die Schaffung von neuen zugeordneten Wohnmöglichkeiten. […] Das Schloss wird z.Zt. für Wohnzwecke genutzt und wird zukünftig als Tagungsstätte dienen, da eine Wohnnutzung aufgrund der hohen Unterhaltungskosten wirtschaftlich nicht mehr gewährleistet ist.“ (Planungsbüro Husserl+Fischer, Freiburg: Begründung zum geänderten Bebauungsplan „Schloss Burgberg“ der Stadt Überlingen, Freiburg, den 10.07.1981) 285 Die Kosten für den Ankauf wurden auf 5-6 Millionen DM geschätzt (vgl. Bürgermeisteramt Überlingen: Protokoll über die Bürgeranhörung‚ Änderung des Teilbebauungsplanes Burgberg am 07.07.1981, Überlingen, 08.07.1981, S. 7). 104 „ob es nicht richtig ist [sei], dass den 2.000 bis 3.000 Bürgern genau soviel [sic! ] Rechte zustehen, wie sie dem Eigentümer des Schlossparkes eingeräumt werden. Letztlich hätten die Bürger dort ihre Eigenheime erbaut oder Wohnungen bezogen, auf Vertrauen des Bestandes der gültigen Planung. Die in der zurückliegenden Zeit durchgeführten Aufzonungen im Burgberg seien sicherlich nicht vorteilhaft gewesen, aber weitere bauliche Verdichtungen könnten künftig nicht mehr hingenommen werden.“ 286 Der Bürgermeister lehnte ihren Einspruch ab, räumte dabei aber gleichzeitig ein, dass damit „das private Interesse […] höher eingeschätzt (werde) als das des Gemeinwohls“. 287 In der Zwischenzeit hatten die vorausgegangenen Diskussionen einige Gemeinderäte zum Überdenken ihrer bisherigen Haltung veranlasst, weshalb bei der nachfolgenden Gemeinderatssitzung eine intensive Debatte zwischen Kritikern und Befürwortern des Bebauungsplanes entstand. 288 Dieses Mal sprachen sich mehrere Gemeinderäte für den Erhalt bzw. den Ankauf der Parkanlage durch die Gemeinde aus. Der Burgbergpark müsse, so ihre Argumentation, „langfristig in die Regie der Stadt übernommen werden […], um als Erholungsfläche dem Baugebiet Burgberg zu dienen“. Darüber hinaus gab ein Gemeinderat zu bedenken, dass „im Burgberg eine Heidenangst vor einer Salamitaktik bestehe“ 289 und deswegen befürchtet werden müsse, dass sich der Park nach und nach mit weiteren Bauwerken füllen könnte. Einige Räte zweifelten sogar an der Behauptung des Planungsbüros, „dass in bestimmten Bereichen des Parks die Bäume tatsächlich so krank seien, wie man dies darstelle“. 290 286 Ebd.: 6. 287 Südkurier 1981b: o.S. 288 „Zunächst ging es darum, in welchem Umfange die geplanten ‚Baufelder‘ den Baumbestand des Parkes beeinträchtigen. Eine Karte sollte den Zustand der Bäume und Baumgruppen deutlich machen. Mit Ausnahme einer Baumgruppe, so Dipl. Gartenbauingenieur Seliger, könnten die geplanten Gebäude in bereits vorhandene ‚Parklücken‘ gestellt werden. Die Nachpflanzung und der Erhalt des verbleibenden Baumbestandes sollte, so Seliger, rechtsgültig und verbindlich in einen Bebauungsplan aufgenommen werden. Über das Ausmaß der geplanten Gebäude gab Architekt Fischer auf Anfrage Auskunft: zwei Bauwerke am Grethaldenweg mit 21 bzw. 23 m Länge und 11 bzw. 12 m Tiefe bei einstöckiger Bauweise mit Ausbau des Dachgeschosses. Das Gebäude an der Ostseite soll die Maße 19 m Länge und 13 m Tiefe ausweisen. Diese Bauvorhaben sollen Wohnzwecken dienen, im Gegensatz zu der geplanten Bebauung an der Nordseite des Parkes, wo eine größere Anlage, zweigeschossig mit Dachgeschoss und mit Zwischenbauten, für die Zwecke einer Tagungsstätte (mit Tiefgarage) errichtet werden soll. Die Hauptbauten sollen hier Ausmaße von 18 auf 18 bzw. 18 auf 13 m aufweisen. […] SPD-Stadtrat H. [d. Verf.] begründete seine Ablehnung einer Bebauung. Man müsse Sorge haben, dass in bekannter Salamitaktik weitergebaut werde […]. Stadtrat K. [d. Verf.] (CDU) erklärte, dass er bisher gegen eine Änderung des Bebauungsplanes gewesen sei, nun aber zustimme, weil die Schaffung einer Tagungsstätte und der Erhalt des Schlosses öffentlichen Belangen Rechnung trügen. […] Die ursprünglich vorgesehenen Bauflächen seien eingeschränkt worden, so erklärte Architekt Fischer. Im Park befinden sich derzeit etwa 350 Bäume bzw. Baumgruppen, erklärte Gartenarchitektin Seliger. Das Gesetz der Mehrheit könne nicht gelten, wenn es zum Nachteil eines anderen ausgelegt werde, meinte Stadtrat K. [d. Verf.] (CDU): […] Die Frage, um welche ‚Schulungsgesellschaft‘ es sich handele, konnte der Bürgermeister nicht beantworten. Er wisse nur, dass der Burgbergeigentümer mit mehreren großen Konzernen Verbindung aufgenommen habe. […] Mit 14 Ja-Stimmen, acht Nein-Stimmen bei vier Enthaltungen stimmte der Rat dem Bebauungsplanänderungsentwurf und der Offenlegung zu. Damit allerdings ist noch keine endgültige Entscheidung getroffen! “ (Südkurier 1981a: o.S.) 289 Bürgermeisteramt Überlingen: Gemeinderatsbeschluss Nr. 134 vom 16.07.1981, Überlingen, den 21.07.1981. 290 Ebd. 105 Trotz der Einwände betonte der Bürgermeister, dass die Kommune aus finanziellem Gründen das Parkgrundstück nicht übernehmen könne und lehnte die Forderung eines Ankaufs durch die Stadt ab. Am 20. September 1981 griff die Aktionsgemeinschaft für die Erhaltung des Burgbergparks erneut in die Diskussion ein und beklagte in einer Streitschrift die Missachtung öffentlicher Interessen. Hierbei vertrat die Bürgerinitiative die Ansicht, dass man den Park nicht erhalten könne, wenn man ihn bebaue. Für die Erhaltung des Parks führte die Initiative 13 Argumente auf: „Direkte und indirekte Gründe für die Erhaltung des Parks 1. Stadt hat Park festgeschrieben: Begründung: Park ist Herzstück der planerischen Voraussetzungen für das Bebauungsgebiet Burgberg. 2. Zusammen mit der Grethaldenkuppe bildet der Waldpark einen Grünteiler, welcher die Baumassen der Unterstadt und der Grethalde von den Betontürmen auf dem Burgberg trennen soll. Genau diese Kuppe soll nun im Park bebaut werden. Die Bebauung würde diesen Grünteiler an der exponiertesten Stelle aufreißen und der Planung des Stadtteilbildes - soweit noch vorhanden - schweren Schaden zufügen. 3. Im gesamten Planungsgebiet Burgberg ist außer dem Park keine größere zusammenhängende Grünfläche vorhanden. Die Erhaltungswürdigkeit dieses Parks ist größer geworden und wird ständig größer, weil das Burgberggebiet von geplanten 2400 auf inzwischen mehr als 3000 Menschen verdichtet wurde und sich noch ständig weiter verdichtet. 4. Die Beseitigung des Parks durch seine Parzellierung in Häuser und Hausgärten ist nie wieder rückgängig zu machen. Die Möglichkeit einer öffentlichen Grünfläche an dieser Stelle für alle Zeiten ausgeschlossen, vertan. 5. Der Burgberg ist so dicht bebaut, dass bei einer Beseitigung des Parks keine andere Grünfläche auch nur annähernd einen Ersatz bieten könnte. 6. Das Kleinklima (Hitzeausgleich, Staubbildung) in der Umgebung des Parks würde Schaden nehmen. 7. Wertvoller, hoher, verhältnismäßig alter Baumbestand ginge verloren. 8. Der verbleibende Baumbestand wäre durch Windeinbruch stark gefährdet, besonders durch randliche Ausholzung, wie sie die Kuppenlage mit zunächst noch versperrter Seesicht geradezu garantiert (siehe Fichtenau). 9. Mit der gleichen Sicherheit würden weitere Bauanträge und weitere Baugenehmigungen für das dann ehemalige Parkgelände kommen, und zwar wären diese auf erheblich einfachere Weise zu erwirken. 10. Das Auto würde den Park erobern und prägen, die Ruhezone wäre zerstört. 11. Vorhersehbare Umwidmung in Eigentumswohnungen (siehe 5 Mühlen). 12. Anbau aufs Schwimmbad im Bebauungsplan vorgesehen. 13. Umpflanzung von älterem Baumbestand zwar vorgeschrieben aber unrealistisch teuer. 14. Architektonische Unmöglichkeit: modernes Schwimmbad an denkmalgeschütztem Schloss.“ 291 291 Aktionsgemeinschaft für die Erhaltung des Burgbergparks - Gerhard Podschadly: Mitteilung an die Mitbürger, Überlingen, 20.09.1981 106 Die Topografie der Burgbergsiedlung verglichen die Aktivisten mit einem Amphitheater, auf dessen prominenter Bühne sich der Park mit seinem Schloss befinde; mit seinen Bäumen bilde dieser „einen bescheidenen aber wohlplatzierten Ausgleich zu den Betonmassen auf dem Schatzberg und dem Sonnenberg“. 292 Weil die Parkanlage mit ihrer Fauna und Flora nicht nur das ökologische Herzstück des hochverdichteten Burgbergs, sondern auch „die einzig größere Grünfläche im geschlossenen Planungsgebiet“ 293 darstelle, müsse der Park als ein wertvoller Erholungsraum erhalten bleiben. Als „das einzige größere Stück grüner Natur“ würde dieser für „die vielen Bewohner des Burgbergs (eine) notwendige Ruhe“ 294 ausstrahlen. Folglich könne es für die Erhaltung des Schlossareals keine Alternative geben. Um ihre Argumentation zu untermauern, zitierten sie den verstorbenen Vater des Schlossbesitzers, Carl Valentin, und erinnerten den Gemeinderat daran, dass er den Schutz „des Parks zu einer Bedingung für den Verkauf und die Bebauung des Burgbergs gemacht“ 295 hatte. Gerade aus diesem Grunde habe man ja bei der Siedlungsplanung „kein einziges nennenswertes Fleckchen öffentliches Grün ausgewiesen. Die Grünflächenplanung beschränkte sich auf die private Fläche des Parks.“ 296 Das Aktionsbündnis lehnte die Änderung des ursprünglichen Bebauungsplans aus dem Jahre 1967 auch mit der Begründung ab, dass ausschließlich die Anwohner den Nachteil dieser Entscheidungen zu tragen hätten. Den Standpunkt hingegen, dass die Familie Valentin mit ihrem Park „für die öffentliche Grünflächenplanung mit ihrem Privatbesitz herhalten“ 297 musste, ließen sie genauso wenig gelten, wie die Behauptung, dass die vorangegangenen Nachverdichtungen der Burgbergsiedlung in gleicher Weise nun auch die Bauvorhaben des Parkbesitzers legitimieren würde. 298 Mit Nachdruck warnte die Initiative vor den politischen und ökonomischen Folgen einer Bebauung des Burgbergparks. Die Baugenehmigung würde aus ihrer Sicht einen 292 Aktionsgemeinschaft zur Erhaltung des Burgbergparks: Brief an den Gemeinderat, Überlingen, 26.09.1981. 293 Ebd. 294 Ebd. 295 Ebd. 296 Ebd. 297 Ebd. 298 Mit scharfen Worten griff die Bürgerinitiative den Bürgermeister und die Investoren der Burgbergprojekte an: „Für den Bürgermeister war […] die erschreckende bauliche Verdichtung, welche der Burgberg über die Planung hinaus erfahren habe, ein weiterer Grund für die Bebauung des Parks. Er zählte eine Unzahl solcher Maßnahmen auf und kam zu dem Schluss, dass man diesem Antragsteller nicht ausschlagen könne, was man anderen vorher durchweg gewährt habe. Also: Gleichheit beim Begehen von Bausünden. Verantwortlich für die Verdichtungen und das Klettern am Burgberg waren aber kaum die jetzigen Burgbergbewohner, sondern eher Überlinger Baufirmen und, nicht zuletzt, - Bürgermeister Ebersbach selbst. Zum Kampf um die Hochzonung des Sonnenbergklotzes zitiert der Südkurier vom 24.01.1970 den Bürgermeister, er wolle sich ‚harter Bandagen bedienen‘, um das Gebäude von 6 auf 14 (! ) Stockwerke zu bringen. Das Regierungspräsidium hat uns damals vor dem Ärgsten bewahrt. - Eine Stadt ist nicht nur für bauliche Verdichtung, sondern auch für die Grünflächenplanung zuständig. - Die Darstellungsweise des Bürgermeisters der Gesetzmäßigkeiten baulicher Verdichtung ist - wie oben aufgezeigt - juristisch völlig unhaltbar. - Im Gegenteil: Die rücksichtslose bauliche Verdichtung hat den Park mehr und mehr erhaltungswürdig gemacht. Nach dieser Beeinflussung […] nimmt es nicht Wunder, dass der Stadtrat bisher ‚anders‘ entschieden hat. Die Abstimmungen zur Aufstellung und zur Offenlegung basieren auf einer völlig entstellten Darstellung der Voraussetzungen.“ (Ebd.) 107 verhängnisvollen Präzedenzfall schaffen, der nicht nur weitere Bebauungsplanänderungen nach sich ziehen, sondern auch der Spekulation Tür und Tor öffnen könnte. „Wer immer nach einer Planänderung in den Park käme, sei es Bank oder Baugesellschaft oder sonst wer, würde mit harten Bandangen [sic! ] und Rasierklingen an den Ellenbogen seinen Profit erkämpfen und den holt er sich am einfachsten und wirkungsvollsten durch weitere Planänderungen. Der Präzedenzfall wäre dann ja gegeben. […] Welcher Stadtrat mag den Bürgern noch in die Augen sehen, wenn sich die ‚Wirtschaftseinheit‘ […] unversehens in Zweitwohnungen verwandelt haben sollte? “ 299 Die Aktionsgemeinschaft blieb nicht die einzige Kritikerin gegenüber der Bebauungsplanänderung - Unterstützung erhielt sie auch von der Naturschutzbehörde des Landratsamtes Bodenseekreis. Nach eingehender Prüfung lehnte die Behörde den Bebauungsplanentwurf ab, weil der Burgbergpark „als ‚nicht überbaubares Grün‘ festgesetzt“ 300 sei. Die Umweltschutzbehörde vertrat dabei die Ansicht, dass man den Schlosspark als exklusiven Lebensraum von Tier- und Pflanzenarten schützen müsse; des Weiteren würde er für die Burgbergsiedlung einen Ausgleich für die dichte Bebauung schaffen und damit auch die Wohnqualität für die Anwohner erhöhen. Aus der Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes konnte deshalb einer Erschließung des Burgbergparks nicht zugestimmt werden. 301 Ebenso stellte sich auch das Regierungspräsidium hinter die Interessen der Anwohner. In diesem Fall richtete sich das Augenmerk der Behörde auf das Nutzungskonzept des Investors, welcher bekanntlich den Bau einer Tagungsstätte ins Auge fasste und mit dieser für die Abänderung des alten Bebauungsplans warb. Um Missverständnisse über die Planungsabsichten auszuräumen, empfahl das Regierungspräsidium den zu bebauenden Bereich nicht wie vorgesehen als „allgemeines Wohngebiet“, sondern als „Sondergebiet“ auszuweisen. Eine solche Entscheidung hätte dazu geführt, dass im neuen Bebauungsplan 299 Aktionsgemeinschaft zur Erhaltung des Burgbergparks: Brief an den Gemeinderat, Überlingen, 26.9.1981. 300 Landratsamt Bodenseekreis: Bebauungsplan „Burgberg“, Stadt Überlingen, 12.10.1981. 301 „Das Landratsamt - untere Naturschutzbehörde - erhebt in Übereinstimmung mit dem Naturschutzbeauftragten, Herrn Dr. Philipp, gegen den Bebauungsplan ‚Burgberg‘ Bedenken. Der Park des Schlosses ‚Burgberg‘ wurde nach Mitteilung des Naturschutzbeauftragten in dem am 8.6.1968 genehmigten Bebauungsplan ‚Burgberg‘ als ‚nicht überbaubares Grün‘ festgesetzt. Ebenfalls weist der Flächennutzungsplan für den Bereich Überlingen diese Fläche als Grünfläche aus. Durch die nunmehr vom Gemeinderat der Stadt Überlingen beschlossene Änderung des am 12.6.1980 genehmigten Flächennutzungsplanes im Bereich Burgberg soll jetzt für das Parkgelände insofern eine gewisse Nutzungsänderung eintreten, als hier der Bau von 6 Häusern mit 15 Wohneinheiten vorgesehen wird. Der Schlosspark kann aufgrund seiner Größe und seines erheblichen Baumbestandes mit den verschiedenen Baumarten - ohne Zweifel bedarf der jetzige Baumbestand einer gewissen Sanierung und Pflege - als ein Biotop angesehen werden, der für die nähere Umgebung eine wichtige und vielseitige Funktion zu erfüllen hat. Diese Tatsache dürfte wohl seinerzeit nicht zuletzt der Grund dafür gewesen sein, ihn von jeder Bebauung freizuhalten, um so einen Ausgleich für die dichte Bebauung zu bekommen und damit die Wohnqualität des Burgbergs zu verbessern. Diese wichtige Funktion des Parks nahm zu, nachdem die Intensität der Bebauung des Burgbergs entgegen der ursprünglichen Planung noch gesteigert wurde. Durch den Bau von 6 Häusern, die Anlage der hierfür benötigten Zufahrtswege und den nicht zu vermeidenden Kraftfahrzeugverkehr sowie die sonstigen Begleiterscheinungen würde der Park zweifelsohne in seiner Eigenschaft als Biotop in starkem Mass negativ beeinflusst oder gefährdet. […] Aus der Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes kann deshalb der künftigen Bebauung des Schlossparks nicht zugestimmt werden.“ (Ebd.) 108 eine öffentliche oder halböffentliche Nutzung des Baus definitiv festgeschrieben gewesen wäre - der Burgbergpark hätte somit nicht mehr als reine Wohnanlage dienen können. 302 Der Gemeinderat lehnte jedoch den Vorschlag des Regierungspräsidiums ab. Auch wenn die Ausweisung des Geländes als reines Wohngebiet immer noch alle Optionen offenhielt - es konnte damit sowohl eine Tagungsstätte errichtet als auch Wohnungen gebaut werden - sorgte der Ratschluss bei den Bürgern für Misstrauen. 303 Ein Bewohner der Burgbergsiedlung äußerte in einem Leserbrief seine Skepsis gegenüber den Vorstellungen des Eigentümers und forderte, endlich mit der Wahrheit über die wahren Gründe der Gestaltungspläne herauszurücken. „Das Begehren des Regierungspräsidiums in Tübingen, den Park als Sondergebiet auszuweisen, war nicht ohne Logik. Dr. Valentin hatte seinen Antrag damit begründet, dass das Schloss Mittelpunkt einer funktionsfähigen wirtschaftlichen Einheit werden solle und die Stadt geht im Entwurf der eventuellen neuen Begründung davon aus, es werde das Schloss ‚zukünftig als Tagungsstätte dienen, da eine Wohnnutzung aufgrund der hohen Unterhaltskosten wirtschaftlich nicht mehr gewährleistet ist‘ und ‚der langfristige Erhalt des Schlosses nur durch eine Umnutzung gewährleistet werden kann‘. Das Regierungspräsidium ist der Meinung, es sei vernünftig, Dr. Valentin und der Stadt auch genau das als Sondergebiet festzuschreiben, was beantragt wurde. Jetzt, unter diesen Druck gesetzt, wird offenkundig, dass beide mehr wollen: Nicht eine Tagungsstätte, sondern Wohneinheiten, ebenfalls als WA [allgemeines Wohnen - Anm. H.-J.K.] ohne Bezug zum Schloss sind ihr Ziel, und hier öffnen sich unzählige Möglichkeiten, von einer Tagungsstätte bis zu Gewerbebetrieben und Tankstellen. Der Erhalt des Schlossparks wurde unter diesen Aspekten denn auch nur noch am Rande gefordert. Die zahlreichen Bedenken der Bürger sind bei dieser nachträglichen Definition zum hierdurch veralteten Gegenstand ‚Tagungsstätte‘ und dessen Zweck, ‚Erhalt des Schlossparks‘, hinfällig. Eine neue Offenlegung zum eigentlichen Gegenstand ist unabdingbar. Die Bürger wären sonst an der Nase herumgeführt.“ 304 Die Entscheidung über die Änderung des Bebauungsplanes fiel am 6. April 1982. In der Sitzung stritten die Räte ein letztes Mal erbittert über die Vor- und Nachteile einer Planänderung. Noch einmal hagelte es scharfe Vorwürfe seitens der Kritiker: Der Schlosseigentümer habe „keinen Rechtsanspruch auf eine Bebauungsplanänderung“ 305 , so ein Ratsmitglied, man habe die „Anregung 302 Südkurier 1982a: o.S. 303 Auch die Presse kommentierte den Beschluss des Gemeinderates kritisch: „Auf der einen Seite steht eine große Anzahl von Burgbergbewohnern, und auf der anderen Seite stehen die Parkbesitzer, die Verwaltung und die Mehrheit des Gemeinderates. […] Aber der Gemeinderat hat mit der Entscheidung am Mittwochabend, nicht der Anregung des Regierungspräsidiums zu folgen, die Möglichkeit einer reinen Wohnnutzung des Areals im unmittelbaren Schlossbereich offen gelassen. Ihr wäre ein Riegel vorgeschoben worden, wenn als Nutzungsart ein ‚Sondergebiet‘ beschlossen worden wäre. Die Möglichkeit einer anderen Nutzung schloss selbst Bürgermeister Ebersbach, als Kenner der Szene, nicht aus. Hinter seiner Aussage, ‚die Situation hat sich seit 1981 deutlich verändert‘, steckt sicherlich mehr.“ (Südkurier 1982b: o.S.) 304 Leserbrief Tagungsstätte oder Tankstelle? von Heinz Meschede im Südkurier (vgl. Meschede 1982). 305 Bürgermeisteramt Überlingen: Gemeinderatsbeschluss Nr. 66 vom 31. März 1982, Überlingen, 06.04.1982. 109 des Regierungspräsidiums, das Gebiet als Sondernutzung [sic! ] auszuweisen, umgangen“ 306 , und nach dem Stand der Dinge „könne im Schlosspark praktisch alles gebaut werden, was man bauen wolle. Wenn jetzt Wohnungen gebaut würden und der oder die Eigentümer dann sagen, das Schloss trage sich wieder nicht, man müsse wieder verkaufen, dann stehe man mit dem Rücken an der Wand. […] Es sei festzustellen, dass sich die Verwaltung gewaltig hinter die Interessen einer Partei gestellt habe.“ 307 Die Kritiker drückten ihr Bedauern darüber aus, dass die Stadt immer noch nicht bereit sei, das Anwesen zu erwerben, und sie forderten nochmals mit Nachdruck, dass die Stadt Überlingen den Park „übernehmen und öffentlich zugänglich [zu] machen“ 308 sollte - dies sei, so ihr Vorschlag, durch einen Ankauf oder ein Pachtverhältnis realisierbar. 309 Die Befürworter vertraten hingegen die Auffassung, dass es dem Eigentümer nicht zuzumuten sei, „auf seine Kosten dem Burgberg eine ‚grüne Lunge‘ zu erhalten“ 310 , man müsse eben „im Interesse des Erhalts des Schlosses gewisse Konzessionen machen […]“. 311 Nach einer intensiven Debatte erfolgte die Abstimmung über die Änderung des Bebauungsplanes. Diese endete mit einer Enttäuschung für die Bürgerinitiative. Mit „12 Stimmen dafür, 11 Gegenstimmen und 4 Stimmenthaltungen“ 312 wurde die Änderung des Bebauungsplans zusammen mit dem Schutz des Baumbestandes „mit einer hauchdünnen Mehrheit“ 313 angenommen. Die Aktionsgemeinschaft zur Erhaltung des Burgbergparks - sie bestand „aus einer rund 50 Leuten umfassenden Kerntruppe“ 314 - wollte sich mit dieser Niederlage nicht abfinden; die Bürgerinitiative betrachtete die Entscheidung des Gemeinderates als untragbar und empfand es als eine Schande, dass das Einzelinteresse des Schlossbesitzers höher bewertet werden sollte als das der „weit über 3000 Bewohner des Burgbergs“. 315 In einer letzten Aktion bündelte sie ihre Kräfte und reichte eine Normenkontrolle beim Verwaltungsgericht Mannheim ein. Die Klage wurde jedoch am 09.12.1982 abgelehnt. 316 Mit dieser richterli- 306 Ebd. 307 Ebd. 308 Ebd. 309 Obgleich die Gegner der Bebauungsplanänderung die Familie Valentin für ihr Engagement bei der Schloss- und Parkpflege lobten, müsste „[…] aber jetzt, nachdem zuvor schon durch vielfältige Änderungen des Bebauungsplans Sünden begangen worden seien, Schluss sein und man dürfe nicht eine weitere ganz große Sünde den alten Sünden hinzufügen“ (ebd.). 310 Ebd. 311 Ebd. 312 Ebd. 313 Vgl. Anhang 4. 314 Südkurier 1982d: o.S. 315 „Mitglieder der ‚Aktionsgemeinschaft zur Erhaltung des Burgbergparks‘ haben beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim eine Normenkontrolle der Bebauungsplanänderung beantragt. […] Ziel der Aktionsgemeinschaft ist es, die vorgenommene Änderung für ungültig erklären zu lassen. Als Gründe für die Normenkontrolle nennt die Aktionsgemeinschaft die ‚Missachtung grundsätzlicher Gegebenheiten von Flächennutzungsplan und Bebauungsplan‘, ‚Missachtung wesentlicher Bedenken und Anregungen‘, ‚einseitige Auslegung des Eigentumsbegriffs zugunsten des Antragstellers‘ und ‚mangelnde Abwägung‘. […] Heinz Meschede […]‚ ,war und ist der Meinung, dass die Mehrheit der an der Entscheidung beteiligten Stadträte den Park mehr aus der Perspektive des Schlosses, denn mit den Augen der weit über 3000 Bewohner des Burgbergs gesehen hat.‘“ (Südkurier1982c: o.S.) 316 Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Urteil In der Normenkontrollsache wegen Gültigkeit der 110 chen Entscheidung hatte die Bürgerinitiative alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft - der Burgbergpark stand jetzt offen für Umgestaltungen. Der Rest ist Geschichte. Der Burgbergpark wurde Jahre später samt Schlosspark an einen Investor verkauft. Dieser nahm Abstand von der Errichtung einer Tagungsstätte, reichte Mitte der 1990er Jahre sein erstes Baugesuch im Überlinger Baurechtsamt ein und ließ in den nachfolgenden Jahren inmitten des eingefriedeten Schlossparkes attraktive Luxus-Wohnungen mit hochwertiger Ausstattung bauen. Auf dem Schlossgrundstück, welches die Unternehmerfamilie ursprünglich privat genutzt hatte und später als Ort eines Tagungszentrums auserkoren hatte, entstand nun, wie von vielen befürchtet, eine geschlossene Wohnanlage für begüterte Menschen. 317 Man muss nicht lange überlegen, um zu erkennen, dass der mit Mauern, Gittern und Zäunen eingefriedete Park für die Anwohner der Siedlung für lange Zeit - vielleicht sogar für immer - eine „verbotene Zone“ bleiben wird. In dieser Hinsicht hat die hauchdünne Mehrheitsentscheidung des Gemeinderates die Schaffung eines sozialen Möglichkeitsraums 318 , welcher der Burgbergsiedlung einen neuen kulturellen Mittelpunkt hätte geben können, verhindert. Trotz dieses Scheiterns darf nicht vergessen werden, dass die Bürgerinitiative auf die Entwicklung der Burgbergsiedlung trotzdem einen gewissen Einfluss genommen hat. Auch wenn die Möglichkeiten eines Erbpachtverhältnisses, eines Grundstücktausches oder eines städtischen Ankaufes des Burgbergparks von der Kommune nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wurden 319 , blieb mit dem Schutz des Baumbestandes ein nachhaltiges Biotop im Park erhalten. Gleichwohl bleibt festzustellen, dass sich eine öffentliche Nutzung des Schlossgeländes nicht nur positiv auf die Siedlung im Allgemeinen, sondern auch auf das Burgbergzentrum im Besonderen ausgewirkt hätte. Eine solche Lösung hätte zahlreiche Synergieeffekte erzeugen und den Bedeutungsverlust des Burgbergzentrums als sozialen und kommunikativen Raum verhindern können. Mit der Entscheidung des Gemeinderats begann jedoch die Umgestaltung des historischen Burgbergparks in eine Gated Community, wobei eine sozialräumliche Spaltung billigend in Kauf genommen und die Möglichkeiten gemeinwohlorientierter Nutzungsformen verhindert wurde. 320 Damit hat der Beschluss des Gemeinderats eine verhäng- Änderung des Bebauungsplanes „Burgberg“ im Bereich „Schloss Burgberg“, Überlingen, 09.12.1982. 317 Die Immobilienmakler beschreiben das Projekt wie folgt: „Diese einzigartige Wohnresidenz befindet sich in bevorzugter Höhenlage südlich der Parkanlage ,Schloss Burgberg‘ und setzt Maßstäbe in Exklusivität. Die Wohnqualität, die Lage und die Ausstattung sucht in Überlingen seinesgleichen.“ (Prospekt der Sigma Real Estate GmbH o.J.) Der Komfort in der geschlossenen Wohnanlage hat seinen Preis: Die Kosten einer 206 Quadratmeter großen Luxus-Terrassenwohnung mit Tiefgaragenplatz beliefen sich im Jahre 2014 auf etwa 1.080.000 €. 318 Vgl. Krug 2012. 319 Noch heute wird die Erbpacht bzw. das Wohnen in städtischen Wohnungsbaugesellschaften in vielen europäischen Städten genutzt. So befindet sich etwa in Amsterdam über 70 Prozent der Wohnungen in städtischem Besitz, in Frankfurt etwa 40 Prozent (vgl. Rodestein 2008: 185). Auch die Stadt Ulm betreibt eine gemeinwohlorientierte Grundstückspolitik. Um eine verhängnisvolle Bodenspekulation zu verhindern, werden Baugebiete erst erschlossen, wenn alle Grundstücke der Stadt gehören. Außerdem gibt es in Ulm zwei Anbieter günstiger Mietwohnungen: die städtische Wohnungsgesellschaft UWS und die Genossenschaft der Ulmer Heimstätte. Beide Gesellschaften besitzen etwa „ein Drittel der 33.000 derzeit vermieteten Wohnungen im Stadtgebiet.“ https: / / www.swr.de/ swraktuell/ baden-wuerttemberg/ ulm/ Das-kann-Gemeinde-Ulms-Weg-gegen-Spekulation-mit-Grundstuecken,das-kann-gemeinde-grundstuecke-ulm-100.html; Stand: 2.9.2019. 320 Vgl. Holm 2011: 89ff. 111 nisvolle Entwicklung zur Kapitalisierung 321 sowie Deurbanisierung des Stadtteils in die Wege geleitet. Entgegen dem wohnungspolitischen Anspruch der Demonstrativbauvorhaben, Urbanität in den verdichteten Stadtquartieren zu schaffen, waren nach der Auflösung der Bürgerinitiative in der Burgbergsiedlung keine nennenswerten zivilgesellschaftlichen Aktionen mehr zu verzeichnen. Erst mehrere Dekaden später, im Jahr 2018, entstand im angrenzenden Wohnquartier erstmals wieder eine Aktionsgruppe, die sich dem Städtebau widmete. Die Bürger beklagten eine rein renditeorientierte Vermarktung des gegenüber der Burgbergsiedlung liegenden und über 6000 Quadratmeter großen Telekom-Areals. Auch wenn das Telekom-Areal nicht zum Demonstrativbauvorhaben der Bundesrepublik Deutschland zählt, muss dieses der Siedlungsentwicklung hinzugezählt werden. Das Telekom-Gebäude wurde wie auch die benachbarte Suso-Kirche zeitgleich mit der Burgbergsiedlung erbaut. Architektonisch sind beide Gebäude dem Brutalismus (= béton brut, 321 „Mit dem hohen Anteil an städtischem Bodenbesitz kann der Bodenspekulation besser entgegengewirkt werden als mit einem niedrigen. Aber seit den siebziger Jahren ist der unvermehrbare Boden in die Verwertungsstrategien der Banken und Versicherungen als ein Gut eingebracht worden, mit dem zusätzliches Geld - wie immer schon - aus der Eigenschaft des Bodens als Träger von Wohn- oder produktiven Nutzungen, vielmehr aus seiner Eigenschaft als Aktie oder Kreditträger herausgewirtschaftet werden soll. Das hat Einfluss auf die Zahl und Art der Bauten, der Wohnungen und deren Unterhaltung, die nun durch die immer enger werdende Verknüpfung mit dem Finanzmarkt in jedem Fall profitorientiert sein müssen, um Aktionäre oder Fondbesitzer zufriedenzustellen. Heute hat demnach die Fremdbestimmung der Hausbesitzer und Mieter noch zugenommen. Insofern hat Mitscherlich mit der Enteignung des privaten Bodenbesitzes ein wichtiges Tabu des Kapitalismus angegriffen […].“ (Rodestein 2008: 186) Abbildung 54: Grethaldenweg. Appartements im Burgberg-Schlosspark. (Quelle: Krug 2014) 112 ‚roher Beton‘, Sichtbeton) zuzuordnen und als Gesamtensemble kann man diese Bauwerke ebenso wie die der Burgbergsiedlung als gebaute Symbole der „Sozialen Nachkriegsmoderne“ verstehen. 322 2.4 Die Transformation des sozialen Raums Die Konflikte zwischen öffentlichen und privaten Interessen lassen sich an verschiedenen Orten der Burgbergsiedlung ablesen. Augenfällig werden die politischen Bruchlinien an den Reaktionen um die Nachverdichtung der Hochhäuser oder beim Streit um die Erhaltung des Burgbergparks. Beide Beispiele machen deutlich, dass es durch „politischen Druck, das Aufzeigen von Missständen und Vorschlagen von Lösungen […] zu Veränderungen“ 323 der politischen Entscheidungen kommen kann. Während es den politischen Akteuren bei den Nachverdichtungen der Hochhäuser noch gelang, eine Konsenslösung zu finden, beweist hingegen das Beispiel „Burgbergpark“ das Versagen kommunaler Wohnungspolitik. Überspitzt formuliert: Dort, wo man die Chance gehabt hätte, eine urbane Atmosphäre zu schaffen, hat man nichts anderes getan, als die Renditeerwartung der Investoren zu erfüllen. In dieser Hinsicht repräsentiert die geschlossene Wohnanlage des Burgbergparks auch 322 Vgl. BÜB Bürger für Überlingen e.V. 2018: o.S. 323 Holm 2017a: 17. Abbildung 55a-c: Suso-Kirche (a-b) und Telekom-Gebäude (c). (Quelle: Krug 2017) 113 einen symbolischen Raum, dessen Botschaft lautet: „Die Eigentumsinteressen der wenigen sind mehr wert als die politischen Beteiligungsrechte der vielen.“ 324 Welche Möglichkeiten stehen der Kommune zur Verfügung, um solche Fehlentwicklungen zu vermeiden? Neben der Einbindung der Bürger bei der Planung von Stadtbauprojekten erachtete der Sozialpsychologe Alexander Mitscherlich 325 die Sorge um einen gemeinwohlorientierten Umgang mit Grund und Boden als eine wichtige Voraussetzung für eine soziale Wohnungspolitik. Am besten gelingt dies, so Mitscherlich, wenn das öffentliche Bauland im Eigentum der Kommune bleibt und die Grundstücke im Rahmen eines Erbpachtverhältnisses vergeben werden. 326 Auch der ehemalige Referent für Städtebau im Bundesministerium für Wohnungsbau, Fritz Jaspert, rief dazu auf, mit dem Grund und Boden sozialverträglich umzugehen. Nur staatliche und kommunale Regulierungen, so Jaspert, könnten die Immobilien- und Bodenspekulationen in den Griff bekommen. Mit einem Verweis auf das Grundgesetz, welches unter dem Motto „Eigentum verpflichtet! “ das Bodeneigentum im Dienst der Allgemeinheit sieht, empfahl er, den Grund und Boden als öffentliches Eigentum zu begreifen und ihn der Bodenspekulation zu entziehen. Damit der Baugrund nicht zur Spekulationsmasse verkomme, sondern in öffentlichem Eigentum bleibe, empfahl er den Kommunen, die Grundstücke in einem Erbpacht-Verhältnis abzugeben. Unter dem Motto „Eigentum verpflichtet! “ richtete er seinen Blick zurück auf die Zeit der Weimarer Verfassung und erinnerte dabei an die Gemeinwohlorientierung des Eigentums: „Die Grundlage jeder Stadtbauplanung beruht auf der Bereitstellung von Baugrund. Daher ist auch die sittliche Haltung der Grundstückseigentümer von ausschlaggebender Bedeutung. In früheren Jahrhunderten waren die Grundherren Grundbesitzer, Grund und Boden waren in einer Hand. Noch im heutigen England ist im großem Umfange der alte Adel Besitzer des Baugrundes, der für Wohnungen bereitgestellt wird. Die Grundstückseigentümer bleiben auch nach Baufertigstellung Besitzer. Der Baugrund wird als Erbpacht auf 99 Jahre gegen eine kaum nennenswerte Pacht abgegeben. […] Zu einer gewissen Einschränkung 324 Dahn 2013: 43. 325 Dass diese Forderungen in einem kapitalistischen System nur unter Druck durchzusetzen ist, musste Alexander Mitscherlich schnell erkennen. Die Bauwirtschaft verhinderte eine Mitwirkung der Bevölkerung bei der Planung der Heidelberger Emmertsgrund-Siedlung, wie der Arzt und Mitscherlich-Kenner Ulrich Deutschmann betont: „Mitscherlich […] wollte durch sozialpsychologische Betreuung des Projekts Voraussetzungen für ein menschliches Wohnen schaffen helfen, bei dem die Bewohner nicht Objekte der Planer, sondern Subjekte, eben die Anderen sind, mit denen man in Kontakt tritt. Im Laufe der Kommissionstätigkeit merkte er aber offenbar, dass ihm in der Kommission zum Teil ,spekulierende Naturen‘ gegenübersaßen, die ihn als Alibi für ihre eigenen Ziele missbrauchen wollten.“ Nachdem Alexander Mitscherlich begriffen hatte, dass die sozialpsychologische Betreuung des Projektes von der renditegesteuerten Bauwirtschaft unterlaufen wurde, beendete er seine Zusammenarbeit in der Gutachterkommission (vgl. Deutschmann o.J.: 12). 326 Mit der Erbpacht wäre dem Gesetz zufolge der Grund und Boden im Eigentum der Kommune geblieben, während die darauf errichteten Häuser Privateigentum gewesen wären. Mitscherlichs Forderung resultierte aus den Erfahrungen der Nachkriegszeit. „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Forderung der Enteignung von Grund und Boden von Architekten der Moderne vertreten, die die zerbombten Städte möglichst schnell großzügig und ohne Rücksicht auf Parzellengrenzen wieder aufbauen wollten. Zwar kam es zu keiner grundsätzlichen Reform des Bodenrechts, aber die Möglichkeit der Erbpacht, bei der der Boden im Besitz der Stadt bleibt und die Nutzung für eine bestimmte Zeit Privaten überlassen wird, wurde […] ins Spiel gebracht […].“ (Rodestein 2008: 185) 114 des Eigentumsbegriffs für Grund und Boden müssen wir aber in Zukunft kommen, wenn wir nicht bei der Überspitzung solcher die Allgemeinheit betreffenden Fragen eines Tages vor der Tatsache stehen, dass uns die Dinge über den Kopf wachsen. Gerade um den der westlichen Welt am Herzen liegenden sittlichen Begriff des Eigentums zu wahren, ist eine Revision des Grundeigentums erforderlich. Die Weimarer Reichsverfassung, Artikel 153, vom 11. August 1919 erklärt sehr weitreichend und weise: ,Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich sein Dienst für das gemeine Beste‘; in Artikel 155: ,Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Missbrauch verhütet und dem Ziel zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern. ,Das heutige Grundgesetz vom 8. Mai 1949 geht leider weniger weit: (Artikel 14) ,Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. ,An die soziale Ethik von Weimar reicht diese Verfassung nicht heran‘ […].“ 327 Heute unterscheiden sich die Vorschläge der fortschrittlichen Wissenschaftler, Juristen, Stadtentwickler und Bürgermeister kaum von denen, welche die beiden Stadtplaner Mitscherlich und Jaspert vor über 50 Jahren formuliert haben. So fordern das Deutsche Institut für Urbanistik und der Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. 328 in ihrem Eckpunktepapier 329 den sozialverträglichen Umgang mit dem öffentlichen Boden, und damit zusammenhängend die Umsetzung einer aktiven staatlichen bzw. kommunalen Liegenschaftspolitik. Weil die Kommunen in der Rolle als Grundstückseigentümer eine wesentlich höhere Steuerungsfähigkeit besitzen, sollten ihrer Meinung nach „dem kommunalen Zwischenerwerb und der strategischen Bodenbevorratung Vorrang“ 330 eingeräumt werden. Mit anderen Worten: „Kommunen müssen […] künftig rechtlich und finanziell in die Lage versetzt werden, die für eine nachhaltige Stadtentwicklung benötigten Grundstücke zu erwerben.“ 331 Mit dieser Forderung verbinden die Experten weitere Maßnahmen, wie etwa die gezielte kommunale Bodenbevorratung mit Zwischenerwerb, die gemeinwohlorientierte Vergabe kommunaler Grundstücke im Erbbauverhältnis, eine gerechte Besteuerung von Immobilien und einen von Bund und Ländern unterstützten Aufbau von Bodenfonds. Konkret bedeutet dies, dass öffentliche Grundstücke nicht mehr nach dem Höchstgebotsverfahren, sondern aufgrund konzeptorientierter Ausschreibungen verkauft werden sollen. Ebenso müssten auch die Einrichtung von Boden- und Infrastrukturfonds, der kommunale Kauf von Grundstücken und der steuerfreie Erwerb kommunalen Zwischenerwerbs wieder ermöglicht werden. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass eine sinnvolle Liegenschaftspolitik auf der Schaffung öffentlichen Grundeigentums angewiesen ist. Dies können die Kommunen mit drei Maßnahmen umsetzen: 327 Elsässer/ Jaspert 1957: 38 ff. 328 „Das Difu versteht sich als Stadtforschungsinstitut im Dienste der Städte, Gemeinden, Landkreise, Kommunalverbände und Planungsgemeinschaften und wird durch Letztere gemeinsam mit dem Bund finanziert.“ (Heinz/ Belina 2019: 20) Die Mitglieder des Bundesverbands für Wohnen und Stadtentwicklung setzen sich überwiegend aus verschiedenen Gebietskörperschaften und Wohnungsunternehmen zusammen. 329 Difu/ vhw 2017. 330 Ebd.: 2. 331 Ebd. 115 „Öffentliches Eigentum muss zunächst geschaffen werden, es muss also aktive Liegenschaftspolitik stattfinden […], dann muss es verwaltet werden, wofür Bodenfonds sinnvoll wären […]. Und schließlich kann es unter bestimmten Voraussetzungen Dritten zur Entwicklung überlassen werden, was in Erbbaurecht nach Konzeptvergabe geschehen sollte […].“ 332 Ob in Zukunft mit der Realisierung dieser Vorschläge zu rechnen ist, bleibt offen. Eines dürfte aber unverkennbar sein: Ohne eine Abkehr von kommunalen Entschuldungsprogrammen durch Wohnungs- und Grundstücksverkäufe wird sich eine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik nur schwer durchsetzen lassen. Somit bleibt die Forderung staatlicher Finanzleistungen und die Abkehr von der „Sparpolitik, die durch Drosselung der laufenden Ausgaben im öffentlichen und privaten Bereich“ 333 gekennzeichnet ist, eine wichtige Voraussetzung für eine vernünftige Wohnungspolitik. 334 Da für viele Menschen in Deutschland die Wohnungssuche mittlerweile zu einem großen Problem geworden ist, lohnt sich ein Blick über die Grenzen. So besitzt die österreichische Hauptstadt Wien aufgrund eines funktionierenden Bodenfonds viele kommunale Wohnungen. Mit dieser Handhabe nimmt sie großen Einfluss auf den Mietmarkt, wie die tagesschau im September 2018 berichtete: „Gezielt werden [in Wien - Anm. H.-J.K.] Gelände aufgekauft, möglichst vor der Baureife, und dann mit Auflagen zur Bebauung verkauft. 2,8 Millionen Quadratmeter Baugrund hat die Stadt so derzeit in der Hinterhand. In Deutschland ist das komplett anders. Hier haben Städte ihre Wohnungen und Grundstücke oft längst an private Investoren verkauft, um Haushaltslöcher zu stopfen. Die wollen vor allem Rendite erzielen - mit billigen Mietwohnungen geht das nicht. 2006 wurde zudem im Rahmen der Föderalismusreform beschlossen, dass der Bund sich aus der gezielten Förderung des Sozialwohnungsbaus zurückzieht. Die Länder bauten in der Folge kaum noch Wohnungen für Menschen mit kleinerem Geldbeutel.“ 335 Ein weiteres Beispiel für eine nachhaltige Bodenbevorratung stellt die Entscheidung der Überlinger Kommune bezüglich des Verkaufs von Schloss Rauenstein dar. Etwa 30 Jahre nach dem Streit um den Burgbergpark stand die Stadt Überlingen erneut vor der Frage, ob sie ein Schloss erwerben sollte. Dieses Mal nutzte die Kommune allerdings ihre Chance und kaufte im Jahr 2016 das neobarocke Schloss für 2,9 Millionen Euro. Mit dem Ankauf 332 Heinz/ Belina 2019: 21. 333 Heine 2015: o.S. 334 Genauso wie die Städtebauer der 1960er Jahre beziehen sich die Experten in ihrem Thesenpapier auf den Artikel 14 des Grundgesetzes, wonach Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll. Im konkreten Fall besagt der Artikel 14 des Grundgesetztes folgendes: „1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“ (Vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 14: https: / / www.bundestag.de/ parlament/ aufgaben/ rechtsgrundlagen/ grundgesetz/ gg_01/ 245122, Stand: 28.12.2018) 335 Schwenk 2018: o.S. 116 verhinderte die Stadt Überlingen nicht nur eine Veräußerung des architektonischen Prunkstückes auf dem freien Markt, sondern sie gewährleistete den Bürgern auch weiterhin den öffentlichen Zugang zum Schlosspark. Die Bevölkerung nahm übrigens die Übernahme positiv zur Kenntnis, da mit dem Erwerb des Rauensteinschlosses einer verhängnisvollen Bodenspekulation vorgebeugt und außerdem für die nachfolgenden Generationen ein sozialer Möglichkeitsraum gesichert wurde. 336 2.5 Möglichkeitsräume - das Engagement der Überlinger Baugenossenschaft Angesichts der Tatsache, dass die Nationale Armutskonferenz 337 von einer deutschen Wohnungsnot spricht und ihrer Aussage nach über 300.000 Menschen keine Wohnung besitzen, ist es verständlich, wenn der Deutsche Mieterbund die renditeorientierte Immobilienwirtschaft kritisiert und ihr vorwirft, dass die Wohnungen „zum reinen Wirtschaftsgut“ 338 verkommen seien. In aller Deutlichkeit offenbaren sich diese Missstände in unseren Städten: „Deutschlands Großstädte, Ballungszentren und viele Universitätsstädte können die steigende Wohnungsnachfrage nicht mehr bewältigen. Die Mieten explodieren und mit ihnen die Preise für Immobilien. Preiswerte Grundstücke für den Bau neuer Wohnungen sind rar. Wenn welche auf den Markt kommen, steigen Privatinvestoren ein, die sich von ihren Investitionen in den Wohnungsbau hohe Renditen versprechen. Sie bauen Wohnungen, deren Kauf oder Anmietung sich Haushalte mit einem durchschnittlichen Einkommen nicht leisten können.“ 339 Die Bodenseeregion bleibt von diesen Problemen nicht verschont. Dementsprechend kritisierte auch der Vertreter der Überlinger Baugenossenschaft, Andreas Huther, die auf höchstmögliche Rendite hin orientierte Wohnraumversorgung und warnte davor, dass die Stadt sozial auseinanderbreche, wenn nur noch Begüterte, die höchste Preise für Wohneigentum zahlen können, nach Überlingen ziehen. „Überlingen sei Mittelzentrum und müsse das gesamte gesellschaftliche Spektrum abbilden. ,Es darf nicht zur Luxuswohnstadt für Besserverdienende werden, sonst hört das Sozialgefüge auf zu funktionieren‘, sagt Huther und verweist auf derzeit entstehende seenahe Eigentumswohnungen, bei denen der Quadratmeter 8000 bis 10.000 € kosten soll.“ 340 336 Südkurier 2016c: o.S. 337 Vgl. https: / / www.nationale-armutskonferenz.de/ 2016/ 07/ 17/ die-krise-auf-dem-wohnungsmarkt-ist-hausgemacht/ , Stand: 12.01.2019. 338 Deutscher Mieter Bund e.V. 2015: 8. 339 Ebd. 340 Südkurier 2014: o.S. 117 Die aufgeführten Beispiele lassen erkennen, dass die Länder, Kreise und Kommunen vor gewaltigen wohnungspolitischen Herausforderungen stehen. Im Gegensatz zu den früheren Behauptungen der Bundesregierung gibt es in der Bundesrepublik heute keinen ausgeglichenen und funktionierenden Wohnungsmarkt mehr. 341 Und wer bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum immer noch auf das Engagement der Privatwirtschaft setzt, wird schnell eines Besseren belehrt - dies gilt auch im Bodenseeraum. Nachdem der hiesige Landrat bei einem Wohnungsgipfel die private Bauwirtschaft um Unterstützung bei der Schaffung von erschwinglichen Wohnungen „für sozial benachteiligte deutsche Bürger oder Flüchtlinge“ gebeten hatte, erteilten ihm die eingeladenen Unternehmer eine klare Absage. Während zum Beispiel die Baugenossenschaft Überlingen 150 Wohnungen zu bauen beabsichtigte, lehnte die private Bauwirtschaft ein derart soziales Engagement kategorisch ab. 342 Die Bundeszentrale für politische Bildung 341 „Die 1998 neu ins Amt gekommene rot-grüne Bundesregierung setzte deutliche Veränderungen in der Wohnungspolitik durch […]. So wurde der Soziale Wohnungsbau 2001 faktisch beendet und durch das Konzept der Sozialen Wohnraumförderung ersetzt. 2006 wurden beispielsweise nur noch 35.000 Wohnungen gefördert, die meisten davon im Bestand.“ (http: / / www.bpb.de/ apuz/ 183442/ wohnungspolitik-seit-1945? p=all, Stand: 25.09.2016) 342 „Das Gespräch mit zahlreichen Bauträgern habe bei ihm für ,große Ernüchterung‘ gesorgt, sagte Wölfle in der jüngsten Kreistagssitzung. ,Wir wollten hören, ob es vorstellbar ist, dass das Thema ,erschwinglicher Wohnraum‘ auf breiter Basis von privaten Trägern erarbeitet wird.‘ Er habe allerdings nicht den Eindruck gewonnen, dass hier ,ein großer Wurf‘ entstehen werde. ,Ich kann es auch verstehen und mache niemandem einen Vor- Abbildung 56: Hochhäuser der BGÜ. Blick auf die Hochhäuser der Baugenossenschaft. Die 66 Wohneinheiten im Primelweg wurden 2012 energetisch saniert und modernisiert. (Quelle: Krug 2014) 118 spricht in diesem Zusammenhang von einem offensichtlichen Marktversagen und appelliert eindringlich an die Politik, das Wohnen nicht als Wirtschafts-, sondern als ein Sozialgut zu begreifen und wohnungspolitisch den Markt zu regulieren. 343 An dieser Stelle ist nochmals in Erinnerung zu rufen, dass in den 1960er Jahren die Wohnungspolitik der BRD als Kernstück des Wohlfahrtssystems galt; heute dagegen muss man von einer Erosion dieser sozialstaatlichen Wohnungsversorgung sprechen, weil die Wohnungspolitik immer öfter zur Gentrifizierung und Segregation des sozialen Raumes in unseren Städten führt. Auf der einen Seite fehlen in den großen Städten öffentliche Wohnungen, auf der anderen Seite können sich Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen die hohen Mieten kaum noch leisten. Dementsprechend werden sie dazu gezwungen, in weniger attraktive Stadtquartiere oder gar in die Außenbezirke auszuwandern. 344 Da eine gemeinwohlorientierte Wohnungsbaupolitik einen wichtigen Beitrag für den sozialen Frieden in unseren Städten leistet, sollten die Kommunen auf die Tradition und Erfahrungen des sozialen Wohnungsbaus zurückgreifen. 345 In Überlingen verdienen die genossenschaftlichen Wohnbauprojekte, welche sich einer solidarischen Wohnungsbewirtschaftung verpflichtet sehen und aufgrund ihrer Gemeinnützigkeit vom Fiskus steuerbefreit sind, eine besondere Beachtung. An prominenter Stelle stehen die Aktivitäten der im Jahr 1949 gegründeten Baugenossenschaft Überlingen (BGÜ), welche mit über 500 Mieteinheiten „der größte Anbieter von Mietwohnungen im Raum Überlingen“ 346 darstellt. Auch am Primelweg der Burgbergsiedlung besitzt die Überlinger Baugenossenschaft mehrere Wohnhochhäuser. Mit ihren 66 Wohneinheiten nehmen diese Gebäude für die kommunale Wohnungsversorgung eine wichtige Bedeutung ein, da sie einkommensschwächere Haushalte mit erschwinglichem Wohnraum versorgen und damit einer sozialräumlichen Spaltung der Stadt entgegenwirken. 347 wurf‘, erklärte der Landrat und fügte anschließend hinzu: ,Wenn Grundstücke so begrenzt sind und ich mehr verdienen kann als im sozialen Wohnungsbau, kann ich keinem übel nehmen, dass er diesen Weg auch wählt.‘ Das heiße allerdings nichts anderes, als dass ,Städte, Gemeinden und Landkreis ein Stück auf uns gestellt sein werden‘, betonte Wölfle bei den Beratungen zur Asylbewerber-Unterbringung.“ (Walter 2016: o.S.) 343 Vgl. Egner 2014: o.S. 344 Dies gilt auch für den Bodenseekreis. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Bau der Wohnanlage in Bodman-Ludwigshafen, wo ein privater Investor für Begüterte eine gewaltige Wohnanlage inmitten der kleinen Seegemeinde errichtet hat. Obwohl alle Seegemeinden extrem unter der Wohnungsnot leiden, orientiert sich die Gemeinde in Bodman offensichtlich in eine andere Richtung. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Projekt eine nachhaltige Lösung für die Wohnraumversorgung anbietet. 345 Mit Blick auf unsere jüngste Vergangenheit sollte eine soziale Wohnungspolitik dabei durchaus die bestehenden Eigentumsverständnisse hinterfragen. Die Stadtsoziologen Hartmut Häussermann und Walter Siebel verweisen hierbei auf die DDR-Verfassung, welche dem Recht auf Wohnen höchste Priorität zumaß: „Das Einkommen war für Lage, Größe und Qualität der zugewiesenen Wohnung völlig irrelevant, weil die sehr niedrigen Mieten eher symbolische Bedeutung hatten. Die Wohnungsversorgung wurde als Teil einer staatlichen Infrastruktur organisiert und das Recht auf eine Wohnung war in der DDR-Verfassung verankert.“ (Häussermann/ Siebel 2000: 177) 346 „Im Angebot sind verschiedene Wohnungsgrößen in unterschiedlichen Lagen Überlingens. Die Wohnungen haben nach BGÜ-Angaben ,gutes bis sehr gutes Niveau‘ und liegen mit einer durchschnittlichen Kaltmiete von 6,19 Euro pro Quadratmeter deutlich unter dem ortsüblichen Durchschnitt (7,58 Euro/ Quadratmeter laut Mietspiegel 2014). Mieter müssen Mitglied der BGÜ werden und Geschäftsanteile erwerben. Wie viele das sind, richtet sich nach der Anzahl der Zimmer der angemieteten Wohnung. […] Eine Mietkaution entfällt. Eine Kündigung wegen Eigenbedarf ist ausgeschlossen. Nach eigenen Angaben hat die BGÜ knapp 1000 Mitglieder (Stand Ende 2013).“ (Riess 2015: 21) 347 Die BGÜ investiert ihre Überschüsse in die Modernisierung der bestehenden Wohnungen und fördert mit ihren Einnahmen neue Bauprojekte, so etwa die Neubauten am Schättlisberg. In dieser Hinsicht können die 119 Ein zentrales Anliegen der Baugenossenschaft bleibt die Schaffung von bezahlbarem, qualitativ hochwertigem und sozial durchmischtem Wohnraum. 348 Mit sichtbarem Stolz erklären die Verantwortlichen der Baugenossenschaft, dass bei ihren Mietobjekten die Wohnsicherheit der Mieter gewährleistet, d.h. die Bewohner mit einem Dauernutzungsvertrag ein lebenslanges Wohnrecht garantiert werde. Die „eigentumsähnliche Sicherheit“ für die Mieter wird noch durch weitere Maßnahmen verstärkt: Eigenbedarfskündigungen sind ausgeschlossen - nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Satzung der Genossenschaft können Kündigungen ausgesprochen werden. Die Mieten der BGÜ liegen unter der Durchschnittsmiete, die Genossenschaft sorgt für eine ordentliche Instandhaltung und Modernisierung der Immobilien und sie beabsichtigt in Zukunft sogar den Neubau weiterer Wohnhäuser. Wie man im Jahr 2016 der örtlichen Presse entnehmen konnte, unterstützte dabei die Überlinger Kommune aktiv die Projekte der BGÜ und stimmte einem Verkauf städtischer Grundstücke für die Erstellung von etwa 150 Neubauwohnungen zu. 349 Mit dem Versuch, ihre Immobilien nachhaltig zu bewirtschaften, richtet die Baugenossenschaft den Blick auch auf die zukünftigen Bedürfnisse der Mieterschaft. Folglich haben sich ihre Aufgabenfelder in den letzten Jahren gewandelt: Während die Genossenschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts gezielt in energetische Sanierungsmaßnahmen investiert hatte, achtet sie heute eher auf den demografischen Wandel. Da „[m]ehr als die Hälfte der Mieter der Baugenossenschaft Überlingen […] über 60 Jahre alt“ 350 ist, verfolgt sie zukünftig das Ziel, mit barrierefreiem Wohnen „ältere Menschen möglichst lange in ihrem sozialen Wohnumfeld […]“ halten zu können. 351 Damit stehen die Ziele der Baugenossenschaft in Einklang mit den Vorschlägen des Deutschen Instituts für Urbanistik, welches nachhaltige Maßnahmen für die Weiterentwicklung von Großsiedlungen empfiehlt, so etwa die Gewährleistung sozialer Mischungen, die Stärkung bereits vorhandener Nachbarschaften oder technologische Sanierungsmaßnahmen. Die angeführten Beispiele bezeugen, dass die Überlinger Kommune von den gemeinwohlorientierten Bauprojekten profitiert. Durch die Versorgung mit preisgünstigem Wohnraum und einem damit verbundenen Spekulationsentzug der Mietobjekte, gelingt es der Wohnbaugenossenschaft, den Druck auf den Wohnungsmarkt zu mildern. So gesehen leistet sie nicht nur einen wertvollen Beitrag zum sozialen Frieden der Stadt, sondern nimmt auf dem regionalen Immobilienmarkt auch eine Vorbildfunktion ein. Aber nicht Baugenossenschaften und Wohnbaugesellschaften ein wichtiges Handlungsfeld für eine nachhaltige Stadtpolitik werden. Gleichwohl ist auch hier immer ein kritischer Blick gefordert, vor allem, wenn bei den Neubauprojekten eine Sozialquote, d.h. ein Mindestanteil an Sozialwohnungen bei den Planungen ausbleibt. 348 Dies soll durch eine gelungene Architektur sowie durch verschiedene Niveaus beim Mietpreis erreicht werden. „Eine differenzierte und barrierefreie Gestaltung der Wohneinheiten für unterschiedliche Wohnbedürfnisse steht ebenfalls im Fokus. BGÜ-Vorstand Andreas Huther wies auf die Möglichkeit hin, innerhalb des Wohnquartiers die Wohnungen zu wechseln, beispielsweise wenn ein Mieter sich ,verkleinern‘ will, weil die Kinder ausziehen. Neben den sozialen stehen ökologische Aspekte im Zentrum der Planungen, darunter der Einsatz regenerativer Energien, minimaler Verkehr und maximale Durchgrünung des Wohnquartiers. Von einem zentralen Café und einem kleinen Geschäftsladen sollen nicht nur die Bewohner profitieren, sondern auch die Öffentlichkeit.“ (Ebd.) 349 Das neue Überlinger Baugebiet entsteht am Hildegardring, welcher sich etwa zwei Kilometer westlich von der Burgbergsiedlung befindet (vgl. Südkurier 2015: o.S.). 350 Baugenossenschaft Überlingen 2013: 6. 351 Ebd. 120 nur die Kommune, auch die mittelständischen Unternehmen profitieren vom Angebot der Baugenossenschaft Überlingen. Da sich zahlreiche Betriebe in der Bodenseestadt angesiedelt haben, bleiben nach Aussage des Vorstands der BGÜ, Andreas Huther, erschwingliche Mietwohnungen überlebensnotwendig. Demzufolge stellt das Angebot von bezahlbarem Mietwohnungsbau eine der größten Herausforderungen für die Stadt und die Region dar: „Gerade für mittelständische Industriebetriebe, welche die volle Bandbreite an Arbeitsplätzen zur Verfügung stellen, was für eine ausgewogene bürgerliche Stadt auch essenziell wichtig ist, vom ungelernten Hilfsarbeiter über Fachkräfte bis zu Mitarbeitern mit Hochschulabschluss, sind bezahlbare Mietwohnungen überlebensnotwendig. Viele unserer Auszubildenden, denen wir unbefristete Anstellungsverhältnisse anbieten und die stadtnah wohnen wollen sowie für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit jungen Familien, die Beruf und Familie ausgewogen unter einen Hut bekommen wollen, ist das Auffinden einer geeigneten und bezahlbaren Mietwohnung in Überlingen sowie in der näheren Umgebung zur Tortur bzw. fast schon zur Unmöglichkeit geworden.“ 352 352 Bast 2016: o.S. 121 Ein Blick in die Zukunft Abschließend will ich einen Blick auf die gesellschaftliche Transformation der letzten Dekaden und ihre Auswirkungen auf die Burgbergsiedlung richten. Es stellen sich die Fragen, wie sich der soziale Raum in unserer Gesellschaft verändert hat, und ob die Überlinger Großwohnsiedlung Hinweise auf eine zukünftige Wohnungspolitik geben kann. Wie dargelegt, war die Realisierung der Demonstrativbauvorhaben von einer staatlichen Steuerungspolitik begleitet, welche die Förderung junger Mittelschichtfamilien zum Ziel hatte. In den 1960er Jahren gelang es dem Staat mit umfassenden Vergünstigungen, nicht nur den sozialen Wohnungsbau, sondern alle gemeinwohlorientierten Sektoren, so etwa den Bildungsbereich oder das Gesundheitswesen, zu stützen. Mit diesen Maßnahmen war ein Abbau der alten Klassenschranken verbunden, welcher zu einer bisher noch nie gekannten sozialen Mobilität in Deutschland führte. 353 In dieser Hinsicht schien das sozialdemokratische Versprechen nach Freiheit, Gleichheit und Solidarität seiner Erfüllung ein gutes Stück näher gekommen zu sein. Spätestens nach den Wahlsiegen Margaret Thatchers in Großbritannien (1979) und Ronald Reagans in den USA (1981) begannen jedoch die politischen Entscheidungsträger - zunächst in den USA, dann in Großbritannien, und später auch in Deutschland - den Wohlfahrtsstaat auszuhöhlen und die neoliberale Rationalität in sämtliche Subsysteme der Gesellschaft einzuführen. 354 Nachdem die marktradikalen Kräfte 355 den Sozialstaat auf den Prüfstand gestellt hatten, verabschiedeten sie umfassende Reformen, welche vor allem zu Lasten der Unter- und Mittelschichten gingen: „Öffentliche Unternehmen gerieten unter Privatisierungsdruck, der Sozialstaat wurde umgebaut, die sozialen Bürgerrechte wurden reduziert. In nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen […] implementierte man Markt- und Wettbewerbsmechanismen. Am Ende wurden viele Errungenschaften der sozialen Moderne einer erneuten, aber diesmal regressiven Modernisierung unterzogen […].“ 356 353 Vgl. Nachtwey 2016: 41. 354 Die amerikanische Journalistin Naomi Klein bezeichnet die neoliberale Reformpolitik - sie beruht auf den Ideen des amerikanischen Ökonomen Milton Friedman - als eine „Schock-Strategie“, welche in mehreren Schritten verläuft: „Erstens: Regierungen müssen alle Regeln und Regulierungen streichen, die der Akkumulation von Profiten im Weg stehen. Zweitens: Sie sollten alles verkaufen, was profitorientiert von Unternehmen betrieben oder erledigt werden kann. Drittens: Sie sollten die Sozialausgaben drastisch zurückfahren. Im Rahmen dieser dreigliedrigen Formel von Deregulierung, Privatisierung und Einschnitten führt Friedman viele Details aus. Steuern sollten, wenn überhaupt nötig, niedrig sein, Arm und Reich denselben Steuerfixbetrag zahlen. Unternehmen sollten ihre Produkte überall auf der Welt verkaufen können, und Regierungen sollten nichts unternehmen, um Industriezweige oder Unternehmenseigner vor Ort zu schützen. Alle Preise, einschließlich des Preises für die Arbeitskraft, sollten vom Markt festgelegt werden. Mindestlöhne sollte es nicht geben. Zur Privatisierung bot Friedman das Gesundheitswesen, die Post, das Bildungswesen, Krankenkassen und sogar Nationalparks an. […] Die Aktivposten, die zu verkaufen Friedman die Regierung drängte, waren das Ergebnis jahrelanger Investitionen von öffentlichen Geldern und guter Bewirtschaftung, die sie aufgebaut und sie wertvoll gemacht hatten. Nach Friedmans Ansicht sollten all diese öffentlichen Reichtümer prinzipiell in Privathände umgeschichtet werden.“ (Klein 2007: 85f.) 355 Vgl. Friedman 2011. 356 Nachtwey 2016: 11. 122 Bis zum heutigen Tag ist die Praxis der regressiven Modernisierung mit Maßnahmen verknüpft, welche gebetsmühlenartig den ökonomischen Wettbewerb, die staatliche Deregulierung, den Abbau sozialer Leistungen, die Kommodifizierung aller Lebensbereiche und den Abbau demokratischer Rechte propagieren. 357 Hinzu kommen erhebliche „Kürzungen der öffentlichen Haushalte durch Entlassungen, Verminderung öffentlicher Investitionen und sozialer Infrastrukturen, außer für das Militär, Begrenzung der Löhne, nicht jedoch der Kapitaleinkünfte […] [sowie die] Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Infrastrukturen“. 358 Die neoliberalen Ökonomen verbinden diese „Reformpolitik“ 359 mit der „Trickle-down-Theorie“, wonach Steuererleichterungen für die Begüterten zu einem rasanten Wirtschaftswachstum führen werden. Aufgrund einer prognostizierten Investitionstätigkeit inklusive eines zu erwartenden Konsums der wohlhabenden Schichten, sollte ein Teil ihres Geldes wieder in die Taschen der unteren Schichten durchsickern. Soweit zur Theorie. Trotz vollmundiger Versprechen hat die „Trickle-down-Theorie“ allerdings nie funktioniert, stattdessen kumulierte der Reichtum in den Taschen einer kleinen Oberschicht, während im selben Zeitraum die weltweite Armut zunahm. 360 Diese Politik führte geradewegs in eine verhängnisvolle Entsolidarisierung und Enthumanisierung unserer Gesellschaft 361 - eine Transformation, welche der französische Philosoph Alain Badiou mit bitteren Worten paraphrasiert: 357 Begleitet werden diese Maßnahmen mit einer Austeritätspolitik, welche die Verschuldung der Staaten bekämpfen soll. Die neoliberalen Imperative sind hinlänglich bekannt: leistungslose Einkommen der begüterten ein Prozent werden nicht genügend oder überhaupt nicht versteuert, gleichzeitig wird die Schuldenlast der Staaten nicht durch Umschuldung oder Schuldenerlass gemildert. Die Folgen einer hohen Steuerlast trägt jetzt alleine die Unter- und Mittelschicht. Indem der Staat die Ausgaben zu kürzen versucht, treibt er den Sozialabbau und die Privatisierung öffentlichen Eigentums voran. Hierbei erleidet aber die Wirtschaft großen Schaden, da aufgrund der Schuldendeflation die Binnennachfrage sinkt. Das notwendige Kapital landet also nicht mehr im Wirtschaftskreislauf, sondern wie im 18. Jahrhundert, in den Taschen einer neofeudalen Rentierklasse. Dieser Prozess führt zu einer schleichenden Demontage der Demokratie (vgl. Hudson 2016: 499f.). 358 Hamm 2017: 29. 359 Die europaweite Umsetzung dieser Reformagenda begann mit der Lissabon-Strategie im Jahr 2000, später dann für Deutschland mit der Agenda 2010. Das Ziel der Lissabon-Strategie bestand darin, die Europäische Union weltweit wettbewerbsfähig zu machen, sie als international führende Wirtschaftsmacht global zu positionieren und, wenn möglich, sämtliche Bereiche der Gesellschaft zu ökonomisieren (vgl. Bartsch 2013, zitiert in: http: / / www.bpb.de/ nachschlagen/ lexika/ das-europalexikon/ 177114/ lissabonstrategie, Stand: 23.03.2019). 360 Die Hans-Böckler-Stiftung berichtete 2015 in einer Pressemitteilung über die große Vermögensungleichheit in Deutschland. Dabei nimmt sie Bezug auf die Analyse des französischen Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Piketty: „Das reichste Prozent der Deutschen besitzt […] etwa 24 Prozent am gesamten Privatvermögen. Tatsächlich dürfte der Anteil sogar noch höher ausfallen, so die Forscher. Das liege daran, dass sich die Vermögen von Superreichen in einer freiwilligen Erhebung schwer erfassen lassen. Nach einer aktuellen, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie, könnte in Deutschland bis zu einem Drittel des Vermögens beim reichsten Prozent konzentriert sein. In Österreich gehen Schätzungen sogar von gut 40 Prozent aus.“ (http: / / www.boeckler.de/ 52614_53593.htm, Stand: 02.01.2017) 361 „Im Zuge der regressiven Modernisierung kommt es zu einer Umwertung des Gerechtigkeits- und Gleichheitsdiskurses. […] Gerechtigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang dann nicht so sehr den Ausgleich vertikaler Ungleichheiten als vielmehr in erster Linie die Verringerung horizontaler Diskriminierungen entlang kultureller Merkmale […] Die Schlüsselbegriffe dieses Gerechtigkeitsdiskurses sind nicht mehr soziale Ungleichheit und Ausbeutung, sondern Gleichberechtigung und Identität. Chancengleichheit zielt etwa auf den formell gleichberechtigten Zugang von Frauen zu Positionen, die bisher nur Männern vorbehalten waren. Die vertikalen Unterschiede zwischen den beruflichen Positionen - zwischen der Managerin eines DAX-Konzerns und der Niedriglohnbezieherin im Reinigungsgewerbe - spielen in diesem Diskurs jedoch kaum eine Rolle. Das Problem bei dieser Verschiebung ist selbstverständlich nicht, dass man sich für eine Verbesserung der Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt einsetzt. Das Problem ist, dass Gerechtigkeitspolitik auf diese Frage verengt 123 „Privatisiert alles! Schafft die Unterstützung für die Schwachen, die Alleinstehenden, die Kranken und die Arbeitslosen ab! Schafft alle Unterstützungen ab, außer die für die Banken! Kümmert euch nicht um die Armen, lasst die Alten sterben! Senkt die Löhne der Armen, aber senkt die Steuern der Reichen! Jeder soll bis zum 90. Lebensjahr arbeiten! Bringt die Mathematik nur den Tradern bei, das Lesen nur den Vermögenden, die Geschichte nur den Ideologen vom Dienst! “ 362 In wenigen Dekaden hat die neoliberale Rationalität zu einer Konzentration des Vermögens in die Hände weniger Superreicher geführt. 363 Wissenschaftler sprechen hier von einer Demontage unserer Demokratie bei gleichzeitiger Refeudalisierung unserer Gesellschaft: „Hier die Zahlen zur Erinnerung: 1% der Weltbevölkerung besitzt 46% der verfügbaren Ressourcen. […] 10% der Weltbevölkerung besitzen 86% der verfügbaren Ressourcen. 50% der Weltbevölkerung besitzen nichts. […] 10% der Weltbevölkerung, das entspricht ungefähr dem Anteil des Adels in der Feudalgesellschaft.“ 364 Bei dieser Umverteilung wurde nicht mehr die individuelle Leistung, sondern in erster Linie das leistungslose Einkommen, wie etwa vererbtes Vermögen oder Kapitaleinkünfte zur Quelle des sozialen Status. 365 Mit dieser ökonomischen Transformation ist ein abnehmender Wille zur sozialen Integration und ein Rückbau demokratischer Errungenschaften verbunden - eine Entwicklung, welche einer der reichsten Männer der Welt, der Milliardär Warren Buffett, in einem Interview mit Ben Stein in der New York Times 2006 ohne Umschweife als einen Klassenkrieg der Reichen gegen die Armen bezeichnet: „There’s class warfare, all right, […] but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.“ 366 Es besteht unter Wissenschaftlern zunehmend Einigkeit, dass diese Politik die Souveränität 367 des Volkes untergräbt und den Zerfallsprozess demokratischer Institutionen beschleunigt - eine Dynamik, welche auch der deutsche Soziologe Christof Butterwegge mit großer Sorge verfolgt: „Die politischen Institutionen und Verfahrensweisen eines demokratisch ,eingehegten‘ Kapitalismus, nach 1945 in den meisten hoch industrialisierten Ländern durchgesetzt, sind der neoliberalen Modernisierung ausgesetzt und werden dadurch zunehmend geschwächt. Neoliberale wollen vor allem jene Institutionen begrenzen oder abschaffen, die ihrer Ansicht nach die Freiheit des Marktes bewird, denn radikale Chancengleichheit reduziert Gerechtigkeit auf die horizontale Logik der Inklusion und Gleichbehandlung. Die vertikale Logik der Umverteilung wird zunehmend ausgeblendet. […] Chancengleichheit ist daher das Gerechtigkeitsprinzip einer individualisierten Gesellschaft, denn mit ihr werden Autonomie, Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung radikalisiert, die Konkurrenz der Individuen innerhalb und zwischen den Gruppen wird erhöht, und schließlich werden soziale und solidarische Bindungen untergraben.“ (Nachtwey 2016: 111ff.) 362 Badiou 2013: 23. 363 Vgl. Krysmanski 2015. 364 Badiou 2016: 31. 365 Das deutsche Erbschaftsrecht dient damit weniger den eigentlichen Leistungsträgern, als vielmehr den familiären Clan-Bildungen der Superreichen. Der Konstanzer Politikwissenschaftler Sven Jochem fordert eine stärkere Besteuerung leistungsloser Einkommen wie etwa großer Erbschaften (vgl. Jochem 2017: o.S.). 366 Stein 2006. 367 Hier geht es also nicht um die völkerrechtliche Souveränität oder „um die reaktionäre Variante von Carl Schmitt, wonach souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt […]“. Der Begriff der Souveränität bezieht sich hier auf Rousseaus Auffassung, dass die Volkssouveränität ein demokratisches Selbstbestimmungsrecht formuliert (vgl. Wahl 2018: 46). 124 schränken und somit wachstumshemmend wirken. […] Die neoliberale Politik richtet sich gegen den Parlamentarismus, gegen die Gewerkschaften und das ganze Tarifvertragssystem, gegen das kollektiv-solidarische Sozialversicherungssystem sowie gegen eine stabilitäts- und beschäftigungsorientierte Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Im Gegensatz dazu gewinnen internationale Institutionen und Organisationen an Bedeutung, die der neoliberalen Ideologie verpflichtet sind. […] Auf inter- und supranationaler Ebene agieren mittlerweile höchst unterschiedliche politische Akteure und Organisationen, die erhebliche Demokratiedefizite aufweisen, obgleich sie zentrale politische Entscheidungen treffen.“ 368 Die neoliberale Transformation unserer Gesellschaft vollzog sich zunächst schleichend und wurde anfangs kaum von der Bevölkerung wahrgenommen. Mittlerweile werden die Stimmen gegen die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums immer lauter, so etwa wenn der ehemalige US-amerikanische Arbeitsminister Robert B. Reich in einer Denkschrift seine Landsleute fragt, ob sie sich noch an die Zeiten des „Amerikanischen Traumes“ erinnern könnten, „in denen das Einkommen eines Lehrers - Bäckers, Verkäufers, Mechanikers - für eine ganze Familie, ein eigenes Heim und zwei Autos gereicht“ 369 habe. Alles deutet darauf hin, dass die Kommodifizierung der Gesellschaft den öffentlichen Raum und damit auch die soziale Struktur der Städte radikal verändern wird. In diesem Sinne führt, um nur ein Beispiel zu nennen, ein Circulus vitiosus aus „billigen Preisen, niedrigen Löhnen und der daraus folgenden Notwendigkeit noch billigerer Preise“ 370 dazu, dass viele auf den Autoverkehr zugeschnittenen Discounter und Shopping Malls auf der grünen Wiese entstehen. Weil nunmehr die innerstädtischen Geschäfte kaum noch mit den billigeren Anbietern konkurrieren können, schließen viele Besitzer ihre Geschäfte. Dies ist ein Prozess, der sich nicht nur in der Burgbergsiedlung, sondern inzwischen in vielen anderen bundesdeutschen Städten vollzogen und nachfolgend zur Verödung einst florierender Stadtkerne geführt hat. 371 Wie ich vorher aufzuzeigen versuchte, hat in den letzten Jahrzehnten die neoliberale Rationalität sämtliche Funktionssysteme unserer Gesellschaft durchdrungen. Die damit verbundene Kommodifizierung unserer Gesellschaft führte dazu, dass öffentliches Eigentum, wie etwa das Energie-, Post- und Kommunikationswesen, aber auch Hochschulen, Schulen, Kindergärten, Bibliotheken, Wohnungen und Schwimmbäder privatisiert oder dem Primat der Ökonomie unterworfen wurden. Dem Auftrag ökonomischer Vorgaben folgend, steuert diese Entwicklung auf eine das friedliche Zusammenleben der Menschen zerstörende Gesellschaft zu. Wenn sich die Menschen aber ungerecht behandelt fühlen, werden sie früher oder später gegen die politischen Verhältnisse aufbegehren und den städtischen Raum als Bühne ihrer sozialen Kämpfe nutzen - die Proteste Occupy Wall Street in 368 Butterwegge 2008: 252. 369 Die Erosion der Mittelschichten hat für ihn eine gefährliche Nebenwirkung für unsere Demokratie. Es entstehen gefährliche rechtspopulistische Wutbewegungen, welche sich nicht nur gegen das Establishment, sondern vor allem „gegen bequeme Sündenböcke wie Einwanderer“ wenden (Reich 2016: 51ff.). 370 Vgl. Deutschlandfunk Kultur 2006. 371 Die Shopping Mall in Oberhausen CentrO liefert ein gutes Beispiel für diesen Transformationsprozess (vgl. Brune/ Pump-Uhlmann 2009). 125 New York, der Kampf gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 oder die Bewegung der Gilets jaunes in Frankreich weisen in diese Richtung. 372 Inzwischen reiben sich viele Zeitgenossen verwundert die Augen und fragen sich, was aus den Visionen der 1960er Jahre geworden ist. Nach Jahrzehnten neoliberaler Transformation sind die Utopien von Archigram mit ihren Wohnkapseln, Plug-in-Cities und den sich bewegenden Städten fast schon in Vergessenheit geraten. Schlimmer noch, sie wurden durch dystopische Gesellschaftsmodelle ersetzt 373 , die weniger auf das Gemeinwohl als vielmehr auf die Partikularinteressen der Privilegierten dieser Welt ausgerichtet sind. Während die in den 1960er Jahren entworfenen Walking Cities allen sozialen Klassen einen Schutz- und Wohnraum bieten wollten, bringen die „Gated Communities“ amerikanischer Pioniere eine entgegengesetzte Haltung zum Ausdruck. Als prominente Beispiele seien hier die Charter Cities des Wirtschaftswissenschaftlers Paul Romer oder das Floating City Project des Unternehmensberaters Randolph Hencken genannt. Hencken hält die Demokratie für ein Auslaufmodell und experimentiert deshalb in seinen Entwürfen mit neuartigen Gesellschafts- und Staatsformen. 374 Der Begründer des Seasteading Institutes konzipiert mobile Städte, welche eines Tages auf den Ozeanen der Welt schwimmen und vor den Küsten fügsamer Drittweltstaaten 375 eigenständige Inselstaaten bilden sollen. 376 Nach Aussagen der Initiatoren sollen diese Gated Communities eines Tages jenseits unserer gewohnten Rechtssysteme, d.h. frei von nationalen Gesetzen, den „knowledge worker“ dieser Erde ein ihrem Status angemessenes Leben und Arbeiten unter Gleichgesinnten erlauben. 377 Ein ähnliches Projekt schlägt Paul Romer für „failed states“, d.h. notleidenden und versagenden Staaten vor. In ausgewählten Regionen sollen Unternehmen innerhalb eines ausgewählten Staatsgebiets die dort existierenden Regierungen ersetzen und ihr eigenes Regelsystem schaffen können. Mit diesen neuartigen Gated Communities, welche zunächst im lateinamerikanischen Honduras gegründet werden sollen, können sich dann die 372 Die politischen Reaktionen auf die Proteste laufen allerdings oft nach demselben Schema ab: Statt die Ursachen der Unzufriedenheit zu analysieren und die Missstände zu bekämpfen, wird stattdessen die öffentliche Kontrolle in Form von Sicherheitsdiensten ausgeweitet. Noam Chomsky beschreibt diesen Prozess wie folgt: „Eine derartige Politik kreiert einen Teufelskreis aus bekannten Mechanismen: Die Konzentration des Reichtums führt zu einer noch stärkeren Konzentration politischer Macht, was wiederum zu einer Politik führt, die die Gräben zwischen der herrschenden Elite und dem Prekariat vertieft und die Demokratie noch weiter untergräbt. Resultate im politischen Verhalten der Menschen sind Wut, Angst, die Suche nach einem Sündenbock und die Verachtung für Institutionen.“ (Chomsky 2018: 18) 373 Auch wenn die US-amerikanischen Verhältnisse mit unserer Realität nur bedingt zu vergleichen sind, hat in Deutschland die Kommodifizierung aller Lebensbereiche bereits dazu führt, dass der Bürger als aktives und gestaltendes Subjekt der Geschichte an Macht verloren hat. Stattdessen ordnet er sich als „Homo oeconomicus“ den bestehenden Verhältnissen von Effizienz und Rentabilität unter. Diese gesellschaftliche Transformation beunruhigt die amerikanische Professorin Wendy Brown. Sie warnt davor, dass der „Homo oeconomicus“ den Souverän abschaffe und die Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Solidarität zu einer inhaltsleeren Schablone reduziere. „Mit der Überwindung des Homo politicus, des Geschöpfs, das sich selbst regiert und das als Teil des Demos regiert, gibt es keine offene Frage mehr, wie man das Selbst gestalten oder welche Wege man im Leben gehen soll. […] In dieser Hinsicht lässt die Auffassung des Homo oeconomicus als Humankapital nicht nur den Homo politicus auf der Strecke, sondern auch den Humanismus selbst.“ (Brown 2015: 79) 374 Vgl. Wagner 2015: 116. 375 Häntzschel 2014: 17. 376 Die mit einem Entwurf beauftragte niederländische Firma DeltaSync entwarf „ein Cluster schwimmender, hohler Betonquader […] die von einer ringförmigen Mauer gegen Stürme geschützt werden. Die erste Seekolonie soll aus elf dieser Module bestehen und 200 Menschen Platz bieten.“ (Ebd.) 377 Vgl. http: / / www.seasteading.org/ contact-us/ press-inquiry/ , Stand: 02.12.2015. 126 wirtschaftsliberalen Träume eines ungezügelten und freien Wettbewerbs endgültig erfüllen lassen. „Dieses Konzept eines weitgehenden Souveränitätsverzichts in einem bestimmen [sic! ] Gebiet geht weit über die bisher global existierenden Freihandels- oder Sonderwirtschaftszonen hinaus. Denn es will den Charter Cities nicht nur Steuererleichterungen verschaffen, sondern sie mit einem selbst geschaffenen eigenständigen Regelwerk ausstatten: einen Staat im Staat. Paul Romer sieht darin eine große Chance, den Zustand armer Länder zu verbessern. Seiner Meinung nach kranken Entwicklungsländer vor allem an „schlechten Regeln“, weshalb die Therapie darin besteht, „gute Regeln“ einzuführen. Da eine Regeländerung in einem ganzen Land jedoch an den Widerständen der Politik und anderer Eliten scheitern würde, begrenzt Romer seine Vision auf eine Stadt. Diese soll Modellcharakter haben und als Vorbild für den Rest des Landes dienen - auch für andere Länder weltweit.“ 378 Was ist davon zu halten, wenn die Begüterten dieser Welt unbekümmert in ihren Gated Communities leben, während der Rest der Menschheit ins Chaos versinkt? Welche Haltung liegt diesen Entwürfen zugrunde? Die Botschaft kann eigentlich nur lauten: Es darf 378 Lenz/ Ruchlak 2015. Abbildung 57: Floating City Project. (Quelle: https: / / 2oxut21weba5oivlniw6igeb-wpengine.netdna-ssl.com/ wpcontent/ uploads/ 2015/ 12/ Floating-City-Project-Report-4_25_2014.pdf, Stand 01.01.2019) 127 für die Menschheit keine gemeinsame Zukunft geben. 379 Diese Meinung entspricht der Aussage des französischen Soziologen Bruno Latour, der sich in seinem Aufsatz Refugium Europa auf die bevorstehenden globalen Krisen bezieht und in seiner Analyse ein äußerst düsteres Zukunftsszenario zeichnet. Während sich die Menschen der entwickelten Welt immer noch in Sicherheit glauben, so Latour, werden sich die gut informierten Machteliten in ihre geschützten Refugien zurückziehen und den Rest der Welt ihrem Schicksal überlassen. „Um das alte Bild der Titanic noch einmal zu bemühen: Die aufgeklärten Leute sehen, dass sie direkt auf den Eisberg zusteuern; ihnen ist bewusst, dass das Schiff untergehen wird; sie schnappen sich die Rettungsboote und befehlen dem Orchester, so lange Schlaflieder zu spielen, bis sie sich im Schutz der Nacht davonmachen können, bevor auch die anderen Klassen bemerken, dass das Schiff bedrohlich Schlagseite hat. Diese Leute […] haben verstanden, dass sie nur dann komfortabel überleben können, wenn sie erst gar nicht mehr den Anschein erwecken, als würden sie mit dem Rest der Welt einen gemeinsamen Raum teilen.“ 380 Die Privatisierung öffentlicher Güter sowie der Abbau sozialer und demokratischer Rechte ist nichts anderes als ein globaler Angriff der ein Prozent gegen den Rest der Bevölkerung. Bezogen auf die Stadt handelt es sich hier um eine Konterrevolution 381 , welche sich gegen das Gemeinwohl richtet, aufgrund ihrer exkludierenden Funktionen für soziale Ungerechtigkeit sorgt, und letztendlich die Demokratie untergräbt. 382 Angesichts der in den 1960er bis in die 1980er Jahren realisierten Demonstrativbauvorhaben erweisen sich die dystopisch anmutenden Gated Communities des Seasteading Institutes eines Randolph Henckens oder die Charter Cities eines Paul Romers als radikale Gegenentwürfe zum Städtebau der sozialen Moderne. Im Gegensatz zu diesen dystopisch anmutenden Visionen bekunden die Demonstrativbauvorhaben der Bundesrepublik Deutschland, so auch die Burgbergsiedlung in Überlingen, den Versuch, den technischen Fortschritt mit einer sozialen Praxis zu verbinden. So gesehen dokumentieren die Demonstrativbauvorhaben auch die Kraft und Stärke einer wohlfahrtsstaatlichen, gemeinwohlorientierten und demokratischen Regierungskunst. Mehr noch, die Demonstrativbauvorhaben der Bundesrepublik Deutsch- 379 Der Science-Fiction-Film Elysium (USA 2013, Regie: Neill Blomkamp) belegt dieses Konzept mit einer dystopischen Erzählung. Während die Mehrheit der verelendeten Menschheit auf einer übervölkerten Erde um ihr Überleben kämpft, leben die Begüterten in einer Raumstation jenseits unseres Planeten. Vergleichbar mit dieser Fiktion legen die Think Tanks amerikanischer Provenienz reale Ideen über unsere gemeinsame Zukunft vor. Ihre Gated Communities sind nicht im Weltall, sondern auf den Ozeanen der Welt oder in entlegenen Gebieten dieser Erde angesiedelt. 380 „Deshalb nahmen sie [die Machteliten - Anm. H.-J.K.] sich vor, den Ballast der Solidarität abzuwerfen (daher die Deregulierung); deshalb begannen sie, eine Art goldene Festung für die wenigen Prozent zu errichten, die sich aus der Affäre ziehen sollten (daher die Explosion der Ungleichheiten); und nicht zuletzt hatten sie außerdem verstanden, dass sie den krassen Egoismus, der in einer solchen Flucht zum Ausdruck kommt, nur verschleiern konnten, indem sie die Ursache dieser Fluchtbewegung schlichtweg negierten (daher die Leugnung des Klimawandels). Ohne diese Hypothese lassen sich weder die Explosion der Ungleichheit noch die riesigen Investitionen in den Klimaskeptizismus, noch der Deregulierungswahn erklären.“ (Latour 2017: 141f.) 381 Für Herbert Marcuse äußert sich die Konterrvolution „weitgehend präventiv; in der westlichen Welt ist sie das ausschließlich. […] Der Kapitalismus reorganisiert sich, um der Gefahr einer Revolution zu begegnen […].“ (Marcuse 1973: 8) 382 Vgl. Crouch 2008. 128 land repräsentieren mit ihrem sozialdemokratischen Versprechen von Chancengleichheit, Freiheit und Solidarität einen unschätzbaren Erinnerungsraum urbaner Emanzipation. 383 An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass die Sozialpolitik der Nachkriegsmoderne entscheidend zum sozialen Frieden der bundesdeutschen Gesellschaft beigetragen hat. Da von Beginn an staatliche Förderprogramme den Bau der Demonstrativbauvorhaben begleitet hatten, förderten diese Maßnahmen nicht nur den Vermögensaufbau der Mittelschichten, sondern stärkte damit auch das Vertrauen der Bürger in den demokratischen Verfassungsstaat und seinen Institutionen. Das politische Selbstbewusstsein der deutschen Bundesbürger, welches sich bis weit in die 1990er Jahre hinein durch eine hohe Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen ausdrückte und bei den Bundestagswahlen im Jahre 1972 sogar bei über 90 Prozent lag 384 , entsprach dem Wunsch des Politikwissenschaftlers Edgar Salin, dass die Urbanität einer Stadt immer in Verbindung mit einem selbstbewussten und einem sich auf das Allgemeinwohl bezogenen Bürgertums zu denken sei. 385 In dieser Hinsicht bleiben die Großwohnsiedlungen mit ihrer „Präsenz von Geschichte im Alltag“ 386 bis auf den heutigen Tag brandaktuell. Sie sollten als ein fester Bestandteil unseres kulturellen Erbes bewahrt, geschützt und weiterentwickelt werden. 387 Wie können wir diese anspruchsvollen Ziele erreichen? Einen ersten Hinweis darauf, wie sich die Burgbergsiedlung in ein nachhaltiges und zukunftsorientiertes Stadtquartier verändern kann, gibt uns ein Blick über die Landesgrenzen. In der Studie Wunschmaschine Wohnanlage hat der österreichische Architekt Andreas Rumpfhuber 46 monofunktionale Wohnanlagen in Wien untersucht, welche genauso wie die Burgbergsiedlung keine Gemeinschaftseinrichtungen für die Anwohner vorweisen können. Seine Studie schlägt vor, die sich in kommunalem Eigentum befindenden und teilweise über 60 Jahre alten Wohnsiedlungen den sozialen Bedürfnissen der Anwohner anzupassen. Hierbei sollen neue Formen des Zusammenlebens entwickelt und genossenschaftliche Initiativen gefördert werden. In ihren Plänen fassen die Architekten nicht nur die Schaffung von „Wohnungen […] Gemeinschaftsräume[n], Werkstätten und ,strategische[m] Leerstand‘“ 388 ins 383 „Die europäische Stadt ist der Ort, an dem die bürgerliche Gesellschaft entstanden ist. Im Gang durch eine europäische Stadt kann der Bürger der heutigen Gesellschaft sich seiner eigenen Geschichte bewusst werden. […] Europäische Stadtgeschichte ist Emanzipationsgeschichte.“ (Siebel 2004: 13) 384 https: / / wahl.tagesschau.de/ wahlen/ 1972-11-19-BT-DE/ , Stand: 23.03.2019. 385 Die Bundesregierung erhoffte sich bei der Förderung des privaten Wohneigentums eine Stärkung des Selbstgefühls, der Verantwortung und der persönlichen Freiheit des Staatsbürgers (vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1979: 43f.). 386 Siebel 2004: 18. 387 Ich schließe mich der Meinung des holländischen Architekten Rem Koolhaas an, der es für vernünftig hält, wenn wir die Periode der Betonarchitektur würdigen: „Wir müssen Geschichte bewahren. Denn die nächsten Generationen sollen die Vergangenheit verstehen. Dafür muss punktuell Geschichte bewahrt werden, und ein Gebäude kann Geschichte repräsentieren. Wenn man durch Rom spaziert, macht man eine Zeitreise durch mehr als 2000 Jahre. Das ist wundervoll. […] In meiner Generation ging es darum, neue Herausforderungen zu meistern, und wir konnten uns mit den Idealen der Französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit identifizieren. In einer solchen Kultur ist das Interesse an Neuem groß. Der nächsten Generation geht es dagegen um Komfort, Sicherheit und Nachhaltigkeit - zu diesem Lebensstil passt es, dass die Menschen in Häusern wohnen wollen, die schon eine Geschichte haben.“ (Rem Koolhaas im Interview mit Marianne Wellershoff, zitiert in: Wellershoff 2015: 12) 388 Rumpfhuber 2017: 160. 129 Auge, sondern sie schlagen auch vor, die Bewohner in einem „partizipativen Prozess der Programmierung“ 389 in die Planungstätigkeit einzubinden. Kann die österreichische Studie nachhaltige Impulse für die Weiterentwicklung der Burgbergsiedlung geben? Ich denke ja. Damit sich das Demonstrativbauvorhaben in Zukunft nicht zur reinen Schlafstadt entwickelt, sondern sich in ein lebendiges Stadtquartier verwandelt, sollte die Kommune die Entwicklung der Großwohnsiedlung in die Hand nehmen und den Bewohnern die Möglichkeit geben, sich bei der Quartierentwicklung aktiv zu beteiligen. Ein solch angestoßener Stadtentwicklungsprozess kann zunächst mit einer „cahiers de doléances“ 390 , d.h. einer „Beschreibung und Rekartografie des Lebensterrains“ beginnen und später in einer Zukunftskonferenz 391 münden. Bei dieser Konferenz vernetzen sich die Anwohner, die Experten und die politischen Schlüsselpersonen, um gemeinsam nachhaltige Ideen für ein lebendiges Quartier zu entwickeln. Aber noch einmal, wie am Beispiel der Wunschmaschine Wohnanlage in Wien aufgezeigt, müsste für die Überlinger Burgbergsiedlung ein sozialer, kultureller und kommunikativer Mittelpunkt geschaffen werden. Zur Unterstützung dieses Ziels könnte die Gemeinde in einem zweiten Schritt ein Stadtteilmanagement im Quartier ins Leben rufen. Dabei sollte Wert darauf gelegt werden, dass in enger Zusammenarbeit mit den Ämtern der Stadt nicht nur die baulichen Belange, sondern auch soziale Themen, Wirtschaftsförderung, Kultur und Naturschutz erörtert werden. Wichtig bleibt hier die Forderung, dass eine solches Stadtteilmanagement immer von den Bedürfnissen der aktuellen Bewohner geleitet sein muss und aufgrund der zu erwartenden Quartiersaufwertung nicht zu einer Steigerung der Mieten führen sollte. 392 Damit die Kommune in Überlingen aus einem solchen Projekt ihren Nutzen ziehen kann, muss sie zunächst einmal das Potenzial der Großwohnsiedlung am Burgberg erkennen und die Bereitschaft zeigen, Lösungen für eine Verbesserung dieses sozialen Raumes zu finden. Es bleibt zu hoffen, dass die Bürgerschaft Überlingens das soziale und kulturelle Kapital dieser Großwohnsiedlung erkennt und die weitere Entwicklung des „Möglichkeitsraums Burgbergsiedlung“ tatkräftig unterstützt. Da die Burgbergsiedlung nicht nur das politische Selbstverständnis der Nachkriegsepoche dokumentiert, sondern mit ihrer sozialen Leitidee „Urbanität durch Dichte“ bis auf den heutigen Tag eine Leuchtturmfunktion für zukünftige Stadtbauprojekte einnehmen kann, symbolisiert diese Großwohnsiedlung einen bedeutenden sozial- und wohnungspolitischen Erinnerungsraum. Aus diesen Gründen muss man dieses Demonstrativbauvorhaben in derselben Weise wie die mittel- 389 Ebd. 390 Bruno Latour verweist hier auf die Beschwerdehefte, welche vor der revolutionären Wende, im Jahr 1789, eine genauer Beschreibung der vorrevolutionären französischen Lebensmilieus zuließ. Vergleichbar ist dieses Vorgehen mit der Umfrage des SPD-Ortsvereins Überlingen: „Was fehlt dem Bürger im Burgberg? “ vom Juni 1975. Hier wurde zunächst der „Ist-Zustand“ des Quartiers eruiert, um anschließend Veränderungsvorschläge in den Gemeinderat einzubringen. Dieser Prozess könnte heute wieder mit einer vergleichbaren Umfrage in Gang gesetzt werden (vgl. Latour 2018, S.111 ff.). 391 Die Wissenschaftler der ETH Zürich haben erkannt, dass durch Einbeziehung von „Nicht-Experten“ wertvolle Ideen für den Stadtentwicklungsprozess gefunden werden können. In der Schweiz ist die Brainstorming-Methode ein fester Bestandteil der Testplanungen (vgl. Kanton Solothurn, Amt für Raumplanung 2013). 392 In dieser Hinsicht ist auch die Einrichtung eines „Milieuschutzgebietes“ in Erwägung zu ziehen, wie ihn zum Beispiel am 3. März 2015 der Berliner Senat in seiner Umwandlungsverordnung verkündet hat. „Eine Stadtpolitik, die von den Bedürfnissen der aktuellen Bewohner/ innen ausgeht, sollte sich vor allem an der Verbesserung der Lebensqualität (…) orientieren.“ (Holm 2019) 130 alterliche Altstadt zum kulturellen Erbe Überlingens zählen. Mehr noch: Es stellt einen Meilenstein städtebaulicher Innovation der Bundesrepublik Deutschland dar und markiert damit auch einen bedeutenden Schnittpunkt menschlicher Werte mit der Entwicklung von Architektur, Technologie, Großplastik, Städtebau, Landschaftsgestaltung und politischem Engagement. Der deutsche Sozialphilosoph Oskar Negt verweist auf die notwendige Erinnerungsarbeit solcher Projekte. Sein Statement kann auch auf die Burgbergsiedlung in Überlingen übertragen werden: „Ein kollektives Gedächtnis zu bewahren für diese Sozialexperimente ist meines Erachtens von größter Wichtigkeit auch für die Gegenwart. Es gab in Europa in der Vergangenheit eine große Vielfalt sozialer Experimente - und es wird sie vielleicht in Zukunft wieder geben, sodass sich individuelle Freiheit und die Autonomiebestrebungen des Subjekts wieder stärker dem Gemeinwesen verpflichtet fühlen. Wir müssen wieder lernen, dass bei aller Notwendigkeit ökonomischen Handelns, bei aller Sicherung von Arbeitsplätzen, die menschlichen Zwecke nicht aus dem Blick geraten dürfen. Eine europäische Gesellschaft bedarf einer neuen Verantwortungsethik für das Gemeinwesen.“ 393 Mit ihrer städtebaulichen Struktur, ihrer Gebäudevielfalt und ihrer Geschichte repräsentiert die Burgbergsiedlung die kulturelle Tradition des Wohlfahrtstaates der 1960er und 1970er Jahre; mit ihrem architektonischen und technologischen Ensemble versinnbildlicht die Großwohnsiedlung außerdem einen bedeutsamen Abschnitt der Geschichte der Bodenseeregion. Last, but not least ist die Burgbergsiedlung in erkennbarer Weise mit politischen Ereignissen, sozialen Lebensformen, architektonischen Ideen und künstlerischen Werken der europäischen Idee von Freiheit, Gleichheit und Solidarität verbunden. 394 Dieses kulturelle Erbe sollte von uns gewürdigt, bewahrt und weitergeführt werden. 393 Vgl. https: / / www.unesco.de/ kultur-und-natur/ welterbe, Stand 03.03.2019. 394 Negt 2012: 70 f. 131 Anhang Literatur Arendt, Hannah (2015 [1960]): Vita Activa oder Vom tätigen Leben, 15. Auflage, München: Piper. Badiou, Alain (2013): Das Erwachen der Geschichte, Wien: Passagen. Badiou, Alan (2016): Wider den globalen Kapitalismus. Für ein neues Denken in der Politik nach den Morden von Paris, Berlin: Ullstein. Bast, Eva-Maria (2016): Bezahlbarer Wohnraum als Standortfaktor, in: Südkurier vom 6. 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In der Bildmitte sind die Baustellen der Ackermann-Gemeinde, der Bautreuhand Friedrichshafen (Wohnblock) und des Bauträgers Hillenbrand zu sehen. Neben dem Burgberger Wald sind die beiden Blöcke (Eigentumswohnungen) der Überlinger Bau-GmbH und an der rechten Bildseite die Wohnbauten der Firma K. Keller, Überlingen, sichtbar. Sehr eindrucksvoll zeigt diese Luftaufnahme auch das Espachviadukt der Umgehungsstraße Überlingen.“ 1 Das Bauvorhaben Burgberg Überlingen, dessen Bebauungsplan von den drei Kölner Architekten Christof Jaspert, Gert Lange und Helmut Luxat entworfen wurde, hatte neben der aufgeführten Baugesellschaft mbH Überlingen Bert Weiss und der Deutschen Bauland- und Kreditgesellschaft mbH Frankfurt noch weitere Bauträger. Diese setzten sich aus der Gemeinnützigen Baugenossenschaft mbH Überlingen, der Gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen in Deutschland mbh Stuttgart, der Ackermann-Gemeinde, Wohnungsbaugesellschaft mbH & Co. KG Stuttgart, der Sparkassen-Wohnbau Baden-Pfalz GmbH Karlsruhe, der Neue Heimat Baden- Württemberg Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH Stuttgart, der Ravensberg Wohnungsbau GmbH Konstanz und der Bauunternehmung Kilian Keller, Überlingen zusammen. 2 Anhang 2: Aktionsgemeinschaft zur Erhaltung des Burgbergparks Auszug aus dem Schreiben der Aktionsgemeinschaft zur Erhaltung des Burgbergparks an die Stadt Überlingen und deren Gemeinderäte samt Stadtbauamt vom 26.09. 1981 Betr: Bedenken und Anregungen zur Änderung des Bebauungsplans „Burgberg“ I. DER PARK IST DAS „ZU ERHALTENDE“ HERZSTÜCK DES BURGBERGS 1. D i e B e d e u t u n g d e s P a r k s Der private Park ist für die weit über 3.000 Bewohner des Burgbergs - für 2.400 war der Burgberg vorgesehen - die einzige größere Grünfläche im geschlossenen Planungsgebiet. Er ist dessen Herzstück. Er ist bei der dichten quadratischen Bebauung in der Mitte des Geländes eine letzte Zuflucht für Kleintiere, Wasser-und Singvögel. Er ist das einzige größere Stück grüner Natur, welches eine für die vielen Bewohner des Burgbergs notwendige Ruhe ausstrahlt. Der gesamte Burgberg bildet ein Halbrund um den Park. Die Baulandschaft hat den Charakter eines Amphitheaters mit dem Park als Bühne, welche vom weitaus größten Teil des 1 Luftbild: Günther Sokolowski, Konstanz, in: Südkurier, 20.2.1969 (Quelle: Stadtarchiv Überlingen). 2 Vgl. Becker / Ritter 1967: 37. 142 Burgbergs gut einsehbar ist. Der Park liegt unter den Höhen des Burgbergs auf einem Gegenhang, an dem auch kleinere Details, wie z.B. die einstreichenden Enten genau wahrgenommen werden können. Sein Umfang erscheint durch den steilen Anstieg im Süden weiter ausgedehnt, wie auch durch die sehr großen Bäume, welche die Silhouette der Grethaldenkuppe über Höhen und prägen, so dass der Park einen bescheidenen aber wohlplatzierten Ausgleich zu den Betonmassen auf dem Schatzberg und dem Sonnenberg bildet. […] VII. DIE FOLGEN DER BEBAUUNG Wer immer nach einer Planänderung in den Park käme, sei es Bank oder Baugesellschaft oder sonst wer, würde mit harten Bandangen [sic! ] und Rasierklingen an den Ellenbogen seinen Profit erkämpfen und den holt es sich am einfachsten und wirkungsvollsten durch weitere Planänderungen. Der Präzedenzfall wäre dann ja gegeben. Was muss geschehen, wenn die neue Wirtschaftseinheit, welche dann nicht nur viele Millionen wert ist, sondern auch vielen Menschen Arbeit gibt, unrentabel wird und nach Erweiterung schreit? Wer will dann mit welchen Argumenten standfest bleiben? Wer will die reinen Luxusbungalows rechtfertigen, welche ohne jeden Bezug zur "spezifischen wirtschaftlichen Aufgabe" 1 der "funktionsfähigen wirtschaftlichen Einheit" 1 mit dem Schluss als „Mittelpunkt“ 1 mitten in das Parkwäldchen gebaut werden sollen? Diese Villen für Verwöhnte ständen mitten auf der Grethhaldenkuppe und würden den bei der Stadt so oft beschworenen "Grünteiler" zwischen den Baumassen der Grethhalde und denen des Burgbergs nach Süden wie nach Norden hin aufreißen und vom gegenüberliegenden Seeufer wir auch den Höhen des Burgbergs sichtbar sein. - Der frühere Kulturreferent Ueberlingens, Dr. D. H. Stolz, schreibt vor der Einleitung zu seinem Buch "Geliebtes Ueberlingen" um Missverständnisse auszuschließen, der Titel ist keineswegs ironisch gemeint - : "Das Gesamtbild der Stadt vom See aus hat durch das Neubaugebiet Burgberg im Osten eine gravierende Verunstaltung erfahren. Es bleibt zu hoffen dass man aus den negativen Erfahrungen gelernt hat und in Zukunft in baulicher Hinsicht sparsamer das Stadtbild behandelt." - Welcher Stadtrat mag den Bürgern noch in die Augen sehen, wenn sich die „Wirtschaftseinheit“ 1 unversehens in Zweitwohnung verwandelt haben sollte? […] ERHALTEN SIE UNSEREN PARK! Aktionsgemeinschaft zur Erhaltung des Burgbergparks Im Auftrag Heinz Meschede 1 Dr. Valentin: Begründung seines Bauantrags (01.09.1980) 143 Anhang 3: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Urteil in der Normenkontrollsache wegen Gültigkeit der Änderung des Bebauungsplanes „Burgberg“ im Bereich „Schloss Burgberg“, Überlingen, 9.12.1982 „Der am 11.10.1967 beschlossene Bebauungsplan ‚Burgberg‘ wurde am 8.3.1968 genehmigt. […] Der Bebauungsplan ‚Burgberg‘ umfasst ein größeres Gelände mit etwa 30 ha im Bereich des Burgbergs in Überlingen. Zu dem Bebauungsplangebiet gehören auch die Grundstücke […] auf welchem sich das Schloss Burgberg mit Parkanlagen befindet und auf die sich der angefochtene Änderungsplan bezieht. […] In dem Bebauungsplan vom 11.10.1967 ist das Grundstück […] als ‚nicht bebaubare Grundstücksfläche‘ festgesetzt. […] In der Begründung zum Bebauungsplan vom 11.10.1967 wurde u.a. ausgeführt, zu den Gegebenheiten der Planung gehöre die Grünfläche des zu erhaltenden Parks auf dem Grundstück Schloss Burgberg.“ Unter dem 1.9.1980 reichte Dr. Rolf Valentin bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Änderung des Bebauungsplans ‚Burgberg‘ ein. Zur Begründung des Antrags, der die Einräumung einer beschränkten baulichen Nutzung des Grundstücks […] zum Ziel hatte, führte der Eigentümer Dr. Valentin u.a. aus, Park und Schloss könnten auf die Dauer nur erhalten werden, wenn das Schloss wieder Mittelpunkt einer funktionsfähigen wirtschaftlichen Einheit werde. Das Schloss habe noch nie ohne Nebengebäude in dem Schlossgarten gestanden, der erst seit einigen Jahrzehnten ein Park sei. Sein Vater habe im Jahre 1963 den größten Teil des Burgbergs zur Bebauungszwecken an die Antragsgegnerin verkauft. Seine Familie sei nicht darauf aufmerksam gemacht worden, dass das Grundstück […] praktisch mit Bauverbot belegt werde, indem es als ‚unbebaubares Grünland‘ ausgewiesen worden sei. Sein Vater sei immer davon ausgegangen, dass es ihm nicht verwehrt werden könne, in dem Park einige Wohneinheiten zu errichten. Die vorhanden gewesenen Nebengebäude für Wirtschaftszwecke seien im Übrigen erst zwischen 1965 und 1967 beseitigt worden. Nach dem beigefügten Plan sollten drei Baukörper im Nordosten, zwei Baukörper im Osten und weitere drei Baukörper im Süden am Grethaldenweg errichtet werden. In der Sitzung vom 11.3.1981 beschloss sodann der Gemeinderat der Antragsgegnerin, einen Änderungsbebauungsplan für das Grundstück […] aufzustellen. Die Auslegung des Planentwurfs wurde in der Zeit vom 1.9.1981 bis zum 1.10.1981 vorgenommen. In der Sitzung vom 31.3.1982 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin den Bebauungsplan als Satzung. Gleichzeitig wurden die erhobenen Bedenken und Anregungen zurückgewiesen. Die Genehmigung des Plans durch das Landratsamt Bodenseekreis erfolgte unter dem 10.8.1982. Die Bekanntmachung der Genehmigung erfolgte am 21.8.1982. Mit Bauantrag vom 30.3.1982 beantragte der Eigentümer des Grundstücks Schloss Burgberg die Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohngebäudes auf der im Südosten seines Grundstücks ausgewiesenen Baufläche. Die Baugenehmigung wurde mit Bescheid vom 23.9.1982 erteilt. Hiergegen wurde Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden wurde. Mit Schriftsatz vom 4.11.1982 haben die Antragsteller ein Normenkontrollverfahren eingeleitet. Sie beantragen, den Bebauungsplan 144 ‚Änderung des Bebauungsplanes Burgberg‘ vom 31.3.1982 für nichtig zu erklären. Zur Begründung machen sie geltend, sie wohnten im Bereich des Bebauungsplans ‚Burgberg‘. Das Grundstück Schloss Burgberg sei in diesem Plan als nicht bebaubare Grundstücksfläche (Grünfläche) ausgewiesen. Der damalige Grundstückseigentümer sei mit dieser Ausweisung einverstanden gewesen. Die zuständige Naturschutzbehörde habe sich gegen die Änderung des Bebauungsplans ausgesprochen. Der Bebauungsplan sei nicht aus dem Flächennutzungsplan entwickelt, verstoße vielmehr gegen ihn. Mit der Begründung, dass die Unterhaltung des Schlosses und des verbleibenden Parkes aus finanziellen Gründen nicht möglich sei, sei in wenigen Jahren erneut mit einer Planänderung zu rechnen. Dieser Vorgang könne sich bis zum völliggen [sic! ] Verschwinden des Parks wiederholen. Der Eingriff in den Park habe eine qualitative Verschlechterung der Wohnverhältnisse im Burgberggebiet zur Folge. Der dem Bebauungsplan beigefügte Grünordnungsplan könne den Bestand des Parks nicht sichern, denn bei neuem Bedarf werde auch der Grünordnungsplan geändert. Sie wüssten, dass die Unterhaltung des Parks Kosten verursache. Sie hätten deshalb der Antragsgegnerin vorgeschlagen, den Park zu pachten und ihn der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dieser Vorschlag sei jedoch nicht aufgegriffen worden. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hält den Antrag für unzulässig, da die Antragssteller sich nicht auf einen Nachteil berufen könnten. Der Antrag sei aber auch unbegründet, da der Änderungsplan rechtmäßig sei. Ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot liege nicht vor. Sie habe beachtliche private Belange nicht übersehen und die öffentlichen Belange hinreichend berücksichtigt.“ 145 Anhang 4: Zitat auf dem Beitrag „Hauchdünne Mehrheit für Park-Bebauung“ aus dem Südkurier aus dem Jahr 1968 (Südkurier 1982c: o.S.) „Wenige Tage nach dem Gemeinderatsbeschluss fasste der Südkurier für die Überlinger Bürger diese Debatte zusammen: „Die Entscheidung im Gemeinderat fiel äußerst knapp aus. Sie zeigt damit deutlich, wie umstritten eine Teilbebauung des Schlossparkes auch im Gemeinderat ist. Zwölf Räte votierten für die Änderung, elf stimmten dagegen und vier (einschließlich Bürgermeister Ebersbach) enthielten sich der Stimme. Mit der Bebauungsplanänderung wurde gleichzeitig beschlossen, einen Antrag beim Landratsamt für eine Schutzverordnung der Bäume zu stellen. Damit wäre der Baumbestand des Parkes nach einer Bebauung behördlich geschützt. […] Gleichzeitig wurden auch die eingegangenen Anregungen und Bedenken - neben den Behörden waren von 76 Privatleuten mit insgesamt 98 Unterzeichnern Stellungnahmen eingegangen - behandelt. Zur Bebauungsplanänderung kam es, nachdem der Besitzer und Schlossherr Dr. Valentin, bereits im Oktober 1980 einen Antrag auf eine Teiländerung gestellt hatte, damit eine Bebauung des Parkes möglich ist. In dem im Jahre 1968 genehmigten Bebauungsplan ist der Park als Grünfläche ausgewiesen. Der Baumbestand stand bisher allerdings unter keinem rechtlichen Schutz. Nach der jüngsten Version soll eine Bebauung ausschließlich nur für Wohnzwecke vorgenommen werden, nicht aber - wie ursprünglich genannt - für Tagungen oder Kongresse. Die Platzierung der Häuser auf dem rund 24 000 Quadratmeter großen Park ist verstreut vorgesehen. Gegenüber einer früheren vorgelegten Planung wurde das Volumen der einzelnen Baukörper reduziert. […] ‚Der Park hat bis zum heutigen Tage keinerlei Schutz genossen‘, betonte die Verwaltung. […] Wirtschaftliche Gründe spielen auch für die Stadt Überlingen eine Rolle, warum sie Park und Schloss nicht erwerben und in der Zukunft unterhalten kann. ‚Auf der anderen Seite‘, so in der Begründung der Verwaltung zur Bebauungsplanänderung, ‚hält es die Stadt Überlingen für kaum zumutbar, einem privaten Grundstückseigentümer die erheblichen wirtschaftlichen Lasten allein aufzubürden, die mit der Wahrnehmung im wesentlichen öffentlicher Belange (nämlich Naturschutz, landschaftspflegerische Maßnahmen und Denkmalschutz verbunden sind.‘ Die Bebauungsplanänderung bezwecke den Ausgleich dieser Interessen. […] Die eingegangenen Anregungen und Bedenken, über die der Gemeinderat zu entscheiden hatte, liefen alle ‚auf alles oder nichts hinaus‘ (Zitat der Verwaltung). Im Klartext: Keine Bebauung. Kompromisse seien keine enthalten. Außerdem enthalten nach Darstellung der Baurechtsabteilung der Stadt Überlingen ein Teil der Bedenken und Anregungen ‚auch keinen prüfbaren Inhalt‘. […] Es wurde auch erneut ein möglicher Kauf des rund 24 000 Quadratmeter großen Parkes mit Schloss durch die Stadt angesprochen. Die Finanzierung ist es, die ein solches Vorhaben jedoch scheitern lässt. Eine mögliche Umlage, wie sie angesprochen wurde, ist jetzt nicht mehr möglich. Bürgermeister Ebersbach erklärte deutlich: ,Dazu fehlt uns die rechtliche Grundlage.‘ Das wäre bei der Erschließung des gesamten Burgberggebietes möglich gewesen.“ 146 Anhang 5: Historie der Burgbergsiedlung Jahr Aktion 1920er - 1930er Jahre Sozialer Wohnungsbau/ Musterwohnungsbau Deutschland/ Österreich: Rotes Wien (1923-34) - Weißenhofsiedlung Stuttgart (1927) 1957 Beginn der Demonstrativbauvorhaben der Bundesrepublik Deutschland 1 1960 Edgar Salin | 11. Hauptversammlung des Deutschen Städtetags Augsburg | Urbanität durch Dichte 1963/ 1964 Verkauf des Burgberggeländes an die Stadt Überlingen/ Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplanes 2 1964 Kommune verkauft das Gelände an die Deutsche Bauland- und Kreditgesellschaft für ca. 17,50 DM (Mittelpreis) Deutsche Bauland und Kreditgesellschaft übernimmt die Planung 1967 Erster Bebauungsplan (beschlossen 1967/ genehmigt 1968) Beginn der Bauprojekte im Burgberg 3 1967 Gründung der Bau-GmbH 1968 Einzug der ersten Eigentümer (Familie Dietz) 1970 Konflikt Sonnenbergkomplex (Nachverdichtung von 6 auf 10 bzw. 14 Stockwerke) 1970 Konflikt Wohnhochhaus Tulpenweg/ Lippertsreuter Straße (Thema: Nachverdichtung von 8 auf 12 Stockwerke) 1970 Nachverdichtung Schatzberg von 6 auf 7 Geschosse 1970 Bau-GmbH/ Terrassenhäuser (Bauausführung genehmigt) 1970 Bau-GmbH/ Burgbergzentrum (Bauausführung genehmigt) 1971 (Dezember) Willet & Co Grundstücksgesellschaft Überlingen Burgberg/ Schatzberg - Pensionärswohnungen (Bauausführung genehmigt) 1972 Bau-GmbH/ Wohnblock A,B,C auf dem Sonnenberg (Verkaufsprojekte) 1972 Burgbergschule Einweihung 1978 Konflikt Burgbergpark 1980 Wohnbau Kuhn GmbH/ Wohn- und Geschäftshaus Tulpenweg (Datierung Plan Hochhaus: 10.10.1980) 1980 Hans Jörg Untermann/ Gestaltungsplan Burgbergpark 1998 Dipl. Arch. Kucan/ Rajczak/ Heidelberg/ Neubau einer Wohnanlage im Bereich Schloss Burgberg/ Plan genehmigt 2001 Bauvoranfrage/ Niedermayer Architekt/ Neubau Wohnanlage Burgbergpark, Grethaldenweg 2018 Erweiterung des Telekom-Areals - Gründung einer Bürgerinitiative. Das Telekom-Areal grenzt unmittelbar an die Burgbergsiedlung. 1 Vgl. Becker/ Ritter 1967: 11. 2 Quelle: Schmidt 1970: 10. 3 „Nach Fertigstellung des Planes einschließlich der Satzung und des Grünrahmenplanes, beriet der Gemeinderat am 31.5.1967 den Entwurf und beschloss die Auslegung […] und beschloss am 11.10.1967 den Bebauungsplan als Satzung.“ (Ebd.) 147 Anhang 6: Wohnungsbestand der BGÜ in der Burgbergsiedlung (Quelle: BGÜ Geschäftsbericht 2018: 24ff.) Straße Hausnummer Anzahl der Wohnungen m² pro Wohnfläche Energieeffizienz Primelweg 3 12 881 B Primelweg 5 12 1147 B Primelweg 7 12 1157 B Primelweg 9 / 11 30 2249 B Gesamt 66 Gesamt 5434 Gesamter Wohnungsbestand der BGÜ in Überlingen am 31.12.2018 501 Mietwohnungen Durchschnittskaltmiete aller Wohnungen der BGÜ am 31.12.2018 7,04€/ m² (nicht Jahresdurchschnitt) Niedrigste Miete am 31.12.2018 3,87 €/ m² Höchste Miete am 31.12.2018 11,02 €/ m² Burgberg-Bebauungsplan 1965-1971 148 Anhang 7: Bevölkerungsstruktur Burgberg am Beispiel des Burgbergrings (Stand: 1986) (Quelle: Adressbuch Überlingen, Konstanz 1986). Burgbergring Beruf der Anwohner -Nr. - 1 Haushälterin - Dr. Dipl. Landwirt 2 Geschäftsmann - Kaufmann 3 Elektromeister - Buchhalterin 4 Techn. Angestellte - Fakturistin - Techn. Lehrer 5 Sparkassenamtmann 6 Kaufm. Angestellter 7 Dipl. Ingenieur 8 Akademiker 9 Med. techn. Assistentin 10 Stenotypistin - Kontoristin 11 Serviererin - Bb.-Beamter Kellner 12 Bauingenieur 13 Buchhalterin - Dekorateurmeister 15 Friseuse Abteilungsleiter 16 Dr. Ärztin - Dipl. Volkswirt 17 Sekretärin - Heizungstechniker 18 Köchin 19 Ingenieur 20 Grafikerin - Großhandels-Kaufmann - Raumausstatter 22 keine Angabe 23 Elektroningenieur 24 Drogist - Krankenschwester 25 Bauingenieur 26 med.orth. Fußpflege - Posthauptschaffner 27 Oberregierungs-Landwirtschaftsrat - Landwirtschaftsrätin 28 keine Angabe 29 Uhrmacher - Verkäuferin 30 Dipl. Ingenieur 31 Gewerbelehrerin 32 Sportlehrer 33 Sparkassenangestellter 34 Verwaltungsangestellter 35 Direktor 36 Arzthelferin - Dipl. Ingenieur 37 Akademiker - Akademiker 38 Verkäuferin 39 Kontoristin 40 Friseuse - Maschinenschlosser - Krankenschwester - Handelsvertreter - Postoberinspektor - Metzgermeister - Hausmeister 149 41 Ingenieur 42 Küchenhilfe - Masch.- Baumstr. - Maschinist - Hoteldirektor - Dozentin - Heilpädagogin - Verkaufsleiter 43 keine Angabe 44 Feinmechaniker - Studienrat - Kindergärtnerin - Küchenhilfe - Kaufm. Angestellter 45 keine Angabe 49 keine Angabe 50 Lehrerin - Lehrer 51 Ingenieur - Sekretärin 52 Schlossermeister Kaufm. Angestellte 53 keine Angabe 54 Arbeiter 55 techn. Betriebswirt 56 keine Angabe 57 kaufm. Angestellter - Geschäftsführer 58 kaufm. Angestellter - Kaufmann 59 Betriebsberater 60 Betriebsingenieur 61 Kaufmann 62 Versicherungen 63 Bergbauingenieur 64 Handweberin 65 keine Angabe 66 Mathematiker 67 keine Angabe 68 Masseur 69 Modellbauer 70 Erzieherin - Apotheker 71 keine Angabe 72 Versicherungsangestellter Ingenieur 73 Serviermeister 74 Bankkaufmann - Postoberinspektor 75 Dipl. Physiker 76 Techn. Zeichnerin - Konstrukteur 77 Dipl. Physiker 78 Polizeibeamter 79 Empfangsdame - Hotelkaufmann 80 Hilfsgalvaniseur - Verkäuferin - Raumausstatter - Immobilien 81 Bb.-Beamter 83 Näherin - Metzger 84 Hilfsarbeiter 85 Redakteurin - Soldat 86 Buchhalterin - Elektriker - Kfz. Mechaniker - Elektromeister Büroangestellte 87 Industriekaufmann 88 Dipl. Ingenieur Sekretärin Sekretärin - Altenpfleger 150 - Friseuse - Industriekaufmann 92 keine Angabe 93 Hotel- und Gaststättengehilfe - Koch - Serviererin - Koch - Büfettdame - Koch Koch - Empfangsdame - Kellner - Büffetdame 96 Keine Angabe 98 Arbeiter - Friseuse 100 Realschullehrer - Ingenieur - Telefonistin - Bankangestellte Bankkaufmann - Versicherungsagentur - Bauingenieur - Bankkaufmann -102 Kfz. Mechaniker Gärtnerin 103 Angestellte - Kfm. Angestellte 104 Kfm. Angestellte 105 Ingenieur 106 keine Angabe 108 Bauingenieur 110 kaufm. Angestellte 112 keine Angabe 113 keine Angabe 114 Arzt 115 Isolierer - Gymnasialrat - Laborantin 116 Firma 117 Elektroniktechniker 118 Steuerbevollmächtigter 119 Apothekenhelfer - Kaufmann 120 Physiker - Krankenschwester 121 Versicherungen 122 Dipl. Bauingenieur 123 techn. Zeichnerin - Elektroingenieur 124 keine Angabe 125 keine Angabe 127 Monteur 129 Realschullehrer 139 Burgbergschule 151 Anhang 8: Konflikt Burgbergpark - chronologische Übersicht Datum Inhalt 8. April 1979 Es kursieren Gerüchte über eine Umgestaltung des Burgbergparks. Anfrage eines Anwohners (Podschadly) an den Bürgermeister 25. April 1979 Antwort des Bürgermeisters an Herrn Podschadly: Es bestehe die Absicht, auf dem Parkgelände zu bauen 26.03.1979/ 28. Mai 1979 Unterschriftenaktion gegen die Bebauung (Liste mit einem Brief an den Bürgermeister) 3./ 4. Juni 1979 Erster Brief von Dr. Valentin an den Bürgermeister 1. September 1980 Zweiter Brief von Dr. Valentin an den Gemeinderat: Begründung des Antrages zur Änderung des Bebauungsplanes 11. März 1981/ 17.03.1981 Beratung des Gemeinderates zur Änderung des Bebauungsplanes 7. Juli 1981 Bürgeranhörung zur Änderung des Bebauungsplanes 16. Juli 1981 Abstimmung über die Offenlegung des Bebauungsplanentwurfes 26. September 1981 Bürgerinitiative: Mitteilung an die Stadt Überlingen und die Gemeinderäte 12. Oktober 1981 Landratsamt Bodenseekreis: Stellungnahme 2. Februar 1982 Sitzung des Ältestenrates; Diskussion über den Vorschlag des Regierungspräsidiums (Ausweisung des Burgbergparks als Sondergebiet) 10. März 1982 Abstimmung des Gemeinderates über den Vorschlag des Präsidiums (Ausweisung des Parks als Wohn- oder Sondergebiet) 31. März 1982/ 6. April 1982 Gemeinderatsbeschluss 9. Dezember 1982 Urteil des Verwaltungsgerichtes zur Normenkontrolle 1996 Neubauten auf dem Park entstehen 2001 Bauvoranfrage - Weitere Neubauten entstehen - Geschlossene Wohnanlage (Gated Community) Anhang 9: Wettbewerb eingeladene Architektenbüros zum Masterplan Burgberg Jaspert, Lange, Luxat (Köln) - Sieger Architektengemeinschaft Schwagenscheidt/ Sittmann (Kronberg/ Ts.) Architektenteam Wollensak (Stuttgart) 152 Anhang 10: Beispiele für Demonstrativbauvorhaben des Bundesministeriums für Wohnungswesen und Städtebau in Baden- Württemberg (Stand: 1967) 3 Nr. Bauvorhaben Standort Bebauungsplan durch 1 Aalen (Württ.) Triumphstadt Gerhard Höritz, Aalen 2 Freiburg (Breisgau) Lindenheim Eugen Blanck, Köln 3 Friedrichshafen (Bodensee) Jettenhausen Helmut Erdle, Stuttgart 4 Geislingen (Steige) Vordere Siedlung und Zillerstall Geislinger Siedlungs- und Wohnungsbau GmbH, Geislingen (Steige) 5 Göppingen Ursenwang Stadtplanungsamt Göppingen 6 Horb (Neckar) Gwand Steigle-Hahner Jörg Herkommer, Stuttgart 7 Karlsruhe Waldstadt Karl, Selg, Bonn 8 Kirchheim (Teck) Dettinger Weg Hans Gerber, Stuttgart, Alfred Kicherer, Stuttgart, Hans-Werner Schliebitz, Stuttgart 9 Marbach (Neckar) Im Hörnle Richard Senta Gall, Grünwald bei München 10 Mosbach (Baden) Waldstadt Erich Kühn, Aachen, F.K. Meurer, H. Kummer, H.J. Grünz 11 Neckarsulm Amorbacherfeld Helmut Erdle, Stuttgart 12 Nürtingen Roßdorf Gerhart Kilpper, Stuttgart 13 Pforzheim Altheidach Stadtplanungsamt Pforzheim 14 Pforzheim Sonnenhof Martin, Einsele, Gerhard Kilpper, Stuttgart 15 Ravensburg Hochberg Architekten-Arbeitsgemeinschaft Peter Faller und Hermann Schröder, Stuttgart 16 Reutlingen Gartenstadt Orschel-Hagen Max Guther, Darmstadt 17 Schramberg- Sulgen Eckenhof Architekten-Arbeitsgemeinschaft Peter Faller und Hermann, Schröder, Stuttgart 18 Schwäbisch- Gmünd Eutighofer Straße Stadtplanungsamt Schwäbisch Gmünd 19 Stuttgart Neugereut Architekten-Arbeitsgemeinschaft Peter Faller und Hermann Schröder, Stuttgart 20 Überlingen (Bodensee) Burgberg Christof Jaspert, Rodenkirchen (Bz. Köln); Gert, Lange, Köln, Helmut Luxat, Köln 21 Heidelberg Emmertsgrund 1 Alexander Mitscherlich, Fred Angerer, Alexander von Branca 3 Vgl. Becker/ Ritter 1967: 28ff. 153 Anhang 11: Baustelle Burgberg 1968-1972. Luftbilder und Datierung Günther Sokolowski 1968 Baustelle Burgberg. Linke Seite im Bild: das Wohnhaus mit Satteldach sowie das Ferienhaus aus dem Jahr 1922 bestanden bereits vor Baubeginn. Rechts im Bild: Burgbergpark. 154 1969 Baustelle Burgberg. 155 1970 Baustelle Burgberg. 156 1970 Baustelle Burgberg. Rechts unten das Telekom-Areal. 1971 Baustelle Burgberg. Im Vordergrund rechts das Telekom-Areal. 157 1972 Baustelle Burgberg. 158 1972 Baustelle Burgbergschule. 159 1972 Baustelle Burgberg. 160 Anhang 12: Burgberg 2019. Luftbild: Solweig Fischer 2019 Burgbergsiedlung. In den 1960er und 1970er-Jahren bauten westdeutsche Kommunen mit finanzieller Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Großwohnsiedlungen. Dazu zählt auch die unter der städteplanerischen Leitidee » Urbanität durch Dichte « stehende Burgbergsiedlung in Überlingen. Dieser Stadtbezirk reiht sich in die legendären Demonstrativbauvorhaben der Bundesrepublik Deutschland ein, welche für den deutschen Städtebau richtungsweisende Impulse bei der Wohnraumbeschaffung setzen sollten. Die Untersuchung über die Burgbergsiedlung umfasst eine Chronologie ihrer Entstehung und den damit verbundenen Wahrnehmungen der Überlinger Bürger. Fotos und Quellenstudien in öffentlichen Archiven werden durch Interviews von Schlüsselpersonen sowie Bewohnerinnen und Bewohnern ergänzt. Diese » urbane Rekartografie « beleuchtet zugleich ein Kapitel Überlinger Lokalgeschichte und bundesdeutscher Wohnungsbaupolitik der Nachkriegsmoderne. Zum Autor: Dr. phil. Hermann-Josef Krug ist Medienwissenschaftler und lebt in Überlingen. Sein Forschungsinteresse gilt der Untersuchung urbaner Transformationen. ISBN 978-3-86764-908-7 www.uvk.de
